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German Pages 436 [437] Year 2019
WBG Deutsch-Französische Geschichte Bd. VII
WBG Deutsch-Französische Geschichte Herausgegeben vom Deutschen Historischen Institut Paris und von Michael Werner
Mareike König und Élise Julien
Verfeindung und Verflechtung. Deutschland und Frankreich 1870–1918 Übersetzung der französischen Teile von Birgit Lamerz-Beckschäfer
Karten: Peter Palm, Berlin
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Wbg academic ist ein Imprint der wbg © 2019 by wbg (Wissenschaft liche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Redaktion: Kristine Althöhn, Mainz Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-14705-2 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-74540-1 eBook (epub): 978-3-534-74541-8
Inhaltsverzeichnis
Einleitung 7 I.
Überblick
1. Deutsch-Französischer Krieg 1870 / 71 15 Öffentliche Meinung und Medien im Krieg 17 Kriegserfahrungen von Soldaten und Zivilisten 21 Das Kriegsende: Sieg, Niederlage und Bürgerkrieg 23 2. Herausforderungen und Ambitionen 27 Republik und Monarchie denken und gestalten 27 Begegnungen auf internationaler Bühne 48 Ökonomische Rivalität und Kooperation 61 Provinces perdues: das Reichsland Elsass-Lothringen 67 3. Protest und Dissens 79 Kulturkämpfe und Laizität 80 Arbeiterbewegungen und Sozialpolitik 91 Nationalistische Bewegungen 102 Antisemitismus 117 Friedensbewegung 124 4. Moderne Lebenswelten 136 Medien, Presse, Öffentlichkeit 137 Städtische und ländliche Lebensformen 149 Massen- und Vergnügungskulturen 161 Kunst und Avantgarde 172 5. Erster Weltkrieg 1914–1918 180 Die Umstände des Kriegseintritts beider Länder 180 Die Fronten in einem langen Krieg 190 Die inneren Fronten in einem Konflikt auf dem Weg zum totalen Krieg 204 Die Verschiebung des Gleichgewichts und das Ende des Krieges 219
II. Fragen und Perspektiven 1. Elsass-Lothringen zwischen Deutschland und Frankreich 237 Komplexe und konkurrierende Identitäten 239 Elsässischer Regionalismus 242 Elsass-Lothringen im Ersten Weltkrieg 249 2. Moderner Antisemitismus 256 „Berliner Antisemitismusstreit“ 258 Dreyfusaff äre 265 3. Die Kolonialimperien 276 Kooperation, Transfer und Konkurrenz 277 Koloniale Durchdringung der Gesellschaften 285 4. Auf dem Weg zum totalen Krieg? 293 Deutsch-Französischer Krieg 295 Kolonialkriege 303 Erster Weltkrieg 308 5. Durchhalten im Krieg – an der Front und in der Heimat 315 Durchhalten an der Front: Streitpunkt Zustimmung 315 Durchhalten in der Heimat: Der Einfluss politischer, wirtschaft licher und sozialer Faktoren 321 Die Kriegskulturen: Ausdruck der Zustimmung oder mentale Mobilmachung? 328 Schlussbetrachtungen 334 III. Bibliografie 1. Quellen, Dokumentensammlungen und Memoiren 2. Sekundärliteratur nach Themen geordnet 343 Karten 421 Zeittafel 423 Register 429
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Einleitung
Einleitung
„Ein französisches Kriegerfest auf deutscher Erde“, so titelte am 4. Oktober 1908 die „Arbeiter-Zeitung“ ihren kurzen Beitrag über die deutsch-französische Einweihungsfeier eines Denkmals in Noisseville zur Erinnerung an dort im Krieg 1870 / 71 gefallene französische Soldaten. 38 Jahre nach der Schlacht kamen französische Offiziere und Veteranen in Uniform, Angehörige deutscher Regimenter, Vertreter der Zivil- und Militärbehörden und mehrere Zehntausend Menschen am französischen Denkmal in dem kleinen Örtchen zusammen, das nach dem Krieg mit Teilen Elsass und Lothringens vom Deutschen Kaiserreich annektiert worden war. Der Bezirkspräsident von Lothringen, Friedrich von Zeppelin-Aschhausen, legte einen Kranz der kaiserlichen Regierung nieder und stellte das Denkmal unter ihren Schutz. Die Trikolore wurde gehisst und die Marseillaise gesungen, was in Elsass-Lothringen eigentlich verboten war1. Das gemeinsame Gedenken der 1870 / 71 gefallenen französischen Soldaten auf deutschem Boden – ein Zeichen für eine deutsch-französische Aussöhnung? Das wäre vielleicht zu überspitzt. Doch wird in dieser gemeinsamen Feier die Gleichzeitigkeit von Verfeindung und Verflechtung deutlich, die beiden Pole, innerhalb derer sich die deutsch-französische Geschichte zwischen 1870 und 1918 bewegte. Während lange Zeit die Epoche nach dem Deutsch-Französischen Krieg wenn nicht als Beginn, so zumindest als endgültige Verfestigung einer sich seit den napoleonischen Kriegen anbahnenden deutsch-französischen „Erbfeindschaft“ galt, zeigen neuere Forschungen die Vielfalt enger Interaktionen zwischen beiden Ländern. Bis in das politische, wirtschaft liche, soziale, kulturelle und gesellschaft liche Leben der Menschen hinein gab es stets beides zugleich: Verfeindung und Verflechtung, je nach Thema in unterschiedlichem Ausmaß und in unterschiedlicher Tiefe. Beides schloss sich nicht aus, sondern
1 Für Anregungen und Kritik bei der Abfassung dieses Bandes bedanken wir uns sehr herzlich bei Jörn Leonhard, Ute Daniel, Reiner Marcowitz, Jürgen Finger, Arndt Weinrich, Nicolas Patin, Stefan Martens, Thomas Maissen und Michael Werner. Mit wichtigen Hinweisen und Anmerkungen zu verschiedenen Themenfeldern geholfen haben außerdem Ulrich Wyrwa, Helmut Walser Smith, Steven Englund, Anne Kwaschik, Jörg Echternkamp, Susanne Kuss, Jörg Requate, Hannah Schneider, Quentin Deluermoz, Oliver Schulz, Dominique Trimbur, Corine Defrance, Anne Seitz, Anette Schlimm, Christine de Gemeaux, Elisa Marcobelli, Frauke Michler und Nic Leonhardt. Auch ihnen sei herzlich gedankt.
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Einleitung
bedingte sich gegenseitig, überlagerte sich und verlief parallel, wobei Verfeindung und Verflechtung zugleich Zustand und Prozess sein können. Dieser Band der Handbuchreihe „Deutsch-Französische Geschichte“ wirft einen neuen Blick auf die Epoche von 1870 bis 1918, um zum einen den hinlänglich bekannten Teil der Polarisierung und des Antagonismus zu ergänzen und zum anderen die jeweilige nationale Geschichte zu erweitern. Im Sinne der Reihe legen die beiden Autorinnen eine histoire croisée zwischen Deutschland und Frankreich vor, die den nationalstaatlichen Rahmen nicht auflöst, aber transzendiert und anhand von Transfer und Austausch die multiplen Beziehungen zwischen beiden Ländern nachzeichnet2. Mit einer deutschen und einer französischen Autorin ist das Buch selbst ein deutsch-französisches Projekt und bietet eine überkreuzte Perspektive auf die gemeinsame wie auf die jeweilige nationale Geschichte beider Länder3. Die deutsch-französische Geschichte 1870–1918 muss vor dem Hintergrund der Herausforderungen betrachtet werden, vor denen alle westeuropäischen Gesellschaften auf dem Weg der Moderne in ähnlicher Weise standen4. Zu den Transformationsprozessen gehörten die Entstehung des modernen Nationalstaates, die Demokratisierung der Massen und die Sicherung ihrer Loyalität dem Staat gegenüber, die Hochindustrialisierung und technische Revolution sowie die soziale Integration in zunehmend medialisierte Massengesellschaften, in denen andere Integrationselemente wie Stand, Kirche oder Familie an Bedeutung einbüßten. Eine neuartige Massenpresse spiegelte diese Themen nicht nur, sondern trat zugleich selbst als Akteur auf. Die Welt der Moderne veränderte sich schnell und radikal, erweiterte sich und wurde zunehmend global gedacht und erlebt, wobei die technische Moderne Verflechtungen von neuartiger Reichweite und Intensität etwa über Eisenbahn, Dampfschiffe und Telegrafie überhaupt erst ermöglichte. Diese Technologieschübe prägten für die Zeitgenossen das Bild einer Epoche des raschen Wandels und der unaufhaltsamen Veränderungen, die neben Fortschrittsbegeisterung zugleich Desorientierung, Kulturkritik und weltanschauliche Gegenentwürfe hervorriefen. Auf der Suche nach Inspiration ging der Blick oft mals zum Nachbarn jenseits des Rheins, sei es im sozialen, wissenschaft lichen oder kulturellen Bereich, sei es in der Wirtschaft, in der Kolonialpolitik oder im modernen Städtebau. 2 Zur histoire croisée und ihrer Abgrenzung von Transfer und Vergleich siehe Werner 2015 [68]; Werner, Zimmermann 2004 [67]; Werner Zimmermann 2003 [66]; Werner, Zimmermann 2002. 3 Die Kapitel I.1 bis I.4 im Überblick sowie die vertiefenden Kapitel I.2 und I.3 wurden von Mareike König verfasst. Von Elise Julien stammen die Kapitel zum Ersten Weltkrieg I.5 und II.5. Die vertiefenden Kapitel zu Elsass-Lothringen und zum totalen Krieg wurden gemeinsam verfasst, wobei hier ebenso die Teile bis 1914 von Mareike König, die Teile zum Ersten Weltkrieg von Elise Julien geschrieben wurden. 4 „Moderne“ wird hier als Epochenbegriff verwendet. Er ist nicht normativ gemeint. Vgl. dazu Bauer 2004 [84], S. 29–30.
Einleitung
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Eng wurde die jeweilige Diskussion im anderen Land verfolgt. Zugleich fand über Publikationen, Kongresse, Ausstellungen, Reisen und persönliche Kontakte ein Austausch statt, um mögliche Lösungen für reale und vorgestellte Probleme zu finden. Dabei ging es nicht um einen einfachen Import von Ideen. Vielmehr zirkulierten Modelle, die Anpassungen an lokale und nationale Gegebenheiten erfuhren und in ihrer hybridisierten Form erneut im anderen Land wahrgenommen und diskutiert wurden. Die gegenseitigen Feindbilder, angeheizt durch die kriegerischen Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts, haben Deutsche und Franzosen nicht davon abgehalten, sich – manchmal geradezu zwanghaft – mit dem Nachbarland auseinanderzusetzen. Neben dem direkten bilateralen Austausch fanden deutsch-französische Begegnungen auf internationaler Ebene statt. In vielen Bereichen waren Kooperationen erforderlich, die internationale Absprachen und eine gemeinsame Verrechtlichung erforderten und nicht mehr allein im nationalstaatlichen Rahmen zu treffen waren. Zugleich waren zivilgesellschaft liche Akteure etwa im Bereich des Pazifismus oder der Frauenbewegung aktiv, die Wissenschaft vernetzte sich, im kulturellen Bereich zirkulierten Bilder, Theaterstücke, Lieder und Publikationen und im Sport traten Dorf-Mannschaften zum grenzüberschreitenden Fußballspiel an, oder gar Nationen zu internationalen Wettkämpfen wie den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit 1896 in Athen. Geprägt von Austausch und Konkurrenz entstanden vielerlei Netzwerke, die gleichwohl in Bedeutung, Dichte und Stärke nicht konstant waren. Doch nicht alle Entwicklungen, Prozesse und Begebenheiten lassen sich mit Verfeindung und Verflechtung erklären und nicht überall gab es Transfer. Dies betrifft Themenfelder wie die Institutionalisierung und Konsolidierung der beiden neu gegründeten Staaten – die Dritte Republik in Frankreich und das Kaiserreich in Deutschland – ebenso wie das Denken und Imaginieren der Nationalstaaten und ihrer politischen Staatsform. Die Gegenüberstellung konturiert die Spezifi k der zeitgenössischen Herausforderungen und der jeweiligen Antworten. Wie schon in früheren vergleichenden Studien zeigt sich, dass die These vom deutschen „Sonderweg“ nicht zu halten ist, wonach die politische Rückständigkeit des autoritären Kaiserreichs bei gleichzeitiger wirtschaft licher Modernität für den Weg in Nationalsozialismus und Barbarei verantwortlich seien. Dieses Buch ist als siebter Band der „Deutsch-Französischen Geschichte“ wesentlich durch die Vorgaben der Handbuchreihe geprägt: eine Überblicksdarstellung über die Epoche im ersten Teil, eine Vertiefung einzelner Themen und Forschungskontroversen im zweiten Teil. In mehrfacher Hinsicht bedeutet die Abfassung eines solchen Buches zwischen den beiden sehr unterschiedlichen deutschen und französischen Wissenschaft skulturen einen Spagat: Die stark ausdifferenzierten Historiografien müssen in Dialog gesetzt werden, wobei neben der deutschen und der französischen zugleich die anglo-amerikanische
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Geschichtsschreibung zu berücksichtigen ist. Nicht alle Themen sind für beide Länder gleich gut und mit ähnlichen thematischen Schwerpunkten erforscht. Das gilt etwa für die Außenpolitik, den Pazifismus oder die nationalistische Frauenbewegung, sodass die Spiegelbildlichkeit nicht durchgehend gewährleistet ist. Die Asymmetrien werden kenntlich gemacht, werfen sie doch einen interessanten Blick auf unterschiedliche Forschungsthemen und -traditionen in beiden Ländern und geben über Forschungslücken Aufschluss. Eine weitere Herausforderung besteht darin, in der gebotenen Kürze synthetisierend eine transnationale Geschichte zweier Länder für einen sehr gut erforschten Zeitraum zu schreiben, in der trotz der Vielzahl der Quellen und Studien die Komplexität und Mehrdeutigkeit von Strukturen, Prozessen und Akteuren deutlich werden. Über einen mehrfachen Wechsel zwischen allgemeiner Perspektive und konkreten Beispielen, zwischen Makro- und Mikroebene wird dies eingelöst. Die Themenauswahl orientiert sich in erster Linie an den zuvor genannten Herausforderungen der Moderne. Sie erfolgt zugleich pragmatisch und nach persönlichen Interessen, wobei den Schwerpunkten der neueren Forschung der Vorzug gegeben wurde vor den Themen des klassischen deutschfranzösischen Transfers in der Hochkultur. Trotz der relativen Breite der hier aufgegriffenen Themenfelder kann es angesichts der Differenzierung der Forschung in den letzten Jahrzehnten keinen Anspruch auf thematische Vollständigkeit, auf eine geschlossene Gesamtdarstellung oder gar auf eine histoire totale geben. Der Themenvielfalt ist bisweilen nur durch manche Vergröberungen gerecht zu werden. Über die zitierte und in der Bibliografie thematisch geordnete Literatur können sich Leserinnen und Leser vertiefend in einzelne Themen einarbeiten. Anders als bei den Vorgängerbänden der Handbuchreihe sind die chronologischen und geografischen Begrenzungen des Bandes eindeutig: Während der Krieg 1870 / 71, der die Periode eröff net, ein deutsch-französischer war, schließt mit dem Ersten Weltkrieg ein zunächst europäischer, dann weltumspannender Militärkonflikt den Zeitraum. 1870 / 71 und 1914 / 18 sind politische Daten, die sowohl für Deutschland und Frankreich gelten und eine gemeinsame deutschfranzösische Erfahrung beschreiben. Sowohl 1870 / 71 als auch 1918 markieren politische, militärische und dynastische Zäsuren. Auch wenn die politische Geschichte hier nicht im Vordergrund steht, gibt es damit doch eine klare und für beide Länder gleichermaßen bedeutsame Periodisierung. Einzig das Schlussjahr zeigt eine leichte Asymmetrie, hat 1918 doch für die deutsche Geschichte mit dem Ende des Kaiserreichs einen größeren Stellenwert als für die französische Geschichte, in der der Kriegsbeginn 1914 als stärkerer Bruch gilt. Völker- und staatsrechtlich existierte zum ersten Mal nicht nur Frankreich, sondern mit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 auch Deutschland als klar identifizierter Untersuchungsgegenstand. Die „DeutschFranzösische Geschichte“ betrifft ab 1870 / 71 zwei völkerrechtliche Einheiten,
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deren Grenzen bis 1918 stabil waren, obschon die deutsch-französische Grenze durch die Annexion des Elsass und erheblicher Teile der lothringischen Departements Mosel und Meurthe im Krieg 1870 / 71 regelmäßig Gegenstand von Auseinandersetzungen war. Dennoch geht es in diesem Band nicht darum, Deutschland und Frankreich vom Rest Europas und der Welt zu isolieren und als auf sich selbst bezogenes Paar zu betrachten. Manche Gegenstände können nicht rein bilateral dargestellt werden, fanden Transfers und Wandlungsprozesse doch ebenso regionalisiert, grenzübergreifend mit anderen Ländern sowie zugleich in einem europäischen, imperialen und globalen Kontext statt. Bei Themen wie Außenpolitik, Kolonialismus, Pazifismus und Erster Weltkrieg wird die deutsch-französische daher in eine multilaterale Perspektive geöff net. Die Begrenzung der Epoche durch zwei Kriege könnte suggerieren, dass hier eine Zwischenkriegszeit in den Blick genommen wird. Das ist aber eine Wahrnehmung a posteriori, die damaligen Entwicklungsmöglichkeiten waren offen. Mit dem Zeitraum ab 1871 beginnt ein historischer Prozess, der nicht zwangsläufig auf den Ersten Weltkrieg zulief. Dessen ungeachtet bleibt die Epoche wesentlich durch den Krieg 1870 / 71 geprägt, der als schwere Hypothek die deutsch-französischen Beziehungen belastete und innergesellschaft lich das politische, wirtschaft liche, soziale und kulturelle Leben prägte. Eingerahmt von den Kapiteln „Deutsch-Französischer Krieg 1870 / 71“ und „Der Erste Weltkrieg 1914–1918“ ist der historische „Überblick“ in drei Hauptkapitel unterteilt, die die verschiedenen Arten der Beziehungen thematisieren und erst in zweiter Linie deren Inhalt. Im ersten Hauptkapitel „Herausforderungen und Ambitionen“ werden innen- und außenpolitische sowie wirtschaft liche Phänomene der Zeit für beide Länder in überkreuzter Perspektive beschrieben. Nach dem einleitenden Kapitel zur Konsolidierung der Nationalstaaten geht es um bilaterale deutsch-französische Beziehungen in den globalisierten Kontexten von Außenpolitik, Wirtschaft und Handel sowie um die „verlorenen Provinzen“ (provinces perdues): das nach der deutschen Annexion neu geschaffene Reichsland Elsass-Lothringen. Im zweiten Hauptkapitel „Protest und Dissens“ werden die komplexen Binnenkonflikte in Deutschland und Frankreich kontrastiert. Thematisiert werden innenpolitische Konflikte wie Kulturkampf und Laizität, Arbeiterbewegungen und nationalistische Bewegungen mit ihrer je spezifischen Systemopposition, Sozialpolitik, Antisemitismus und die Friedensbewegung. Auch bei diesen Binnenbeziehungen geht der Blick neben Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Entwicklung auf den bilateralen und transnationalen Austausch, der sich selbst bei Themen wie Antisemitismus und Nationalismus nachweisen lässt. Das dritte Hauptkapitel „Moderne Lebenswelten“ thematisiert globale gesellschaft liche und kulturelle Phänomene sowie deren Ausdrucksformen exemplarisch anhand von Urbanisierung, Presse und Medien, Massen- und Vergnügungskulturen sowie Kunst und Avantgarde. Weitere, für den deutsch-französischen Transfer zentrale Themen wie Wissen-
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schaft, Musik und Literatur müssen weitgehend unberücksichtigt bleiben. Ihre Einbeziehung hätte aber am Narrativ der Gleichzeitigkeit von Faszination und Ablehnung, Rivalität und Austausch wenig geändert. Der vertiefende Teil des Bandes verlagert die Blickrichtung von der Synthese zur Analyse und zu offenen Forschungsfragen. Er eröffnet mit einem Kapitel zu Elsass-Lothringen – als umstrittenes Grenzgebiet eine Kernregion deutsch-französischer Verfeindung und Verflechtung, in der beide Länder um Einfluss rangen. Dem im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstandenen modernen Antisemitismus gilt ein weiteres Kapitel. Vergleichend werden mit dem „Berliner Antisemitismusstreit“ und der Dreyfusaff äre zwei stark mediatisierte Aff ären in den Blick genommen, die bei allen Unterschieden Aufschluss geben über das in beiden Ländern zu beobachtende Eindringen antisemitischen Gedankenguts in alle gesellschaft lichen Kreise. Das Kapitel zum Kolonialismus behandelt exemplarisch die Zirkulation von Wissen in Bezug auf zivilisatorische Diskurse, imperiale Machtausübung und koloniale Durchdringung der Gesellschaften. Mit einer Vertiefung zum totalen Krieg werden ein in der neueren Geschichtsschreibung verwendetes erkenntnisförderndes Modell und zugleich ein Phänomen analysiert, das beide Länder betraf, aber auch über sie hinausging. Es verbindet den Zeitraum 1870 / 71–1914 / 18 mit der weiteren Geschichte des 20. Jahrhunderts. Darin werden Kennzeichen totaler Kriege und deren Anwendbarkeit auf militärische Auseinandersetzungen wie den Deutsch-Französischen Krieg, Kolonialkriege und den Ersten Weltkrieg untersucht. Das Kapitel „Durchhalten im Krieg“ ist als historiografische Studie angelegt, die deutsche und französische Perspektiven auf den Ersten Weltkrieg kreuzt und miteinander in Beziehung setzt. In den Schlussbetrachtungen wird die histoire croisée unter Rückbindung an die einzelnen behandelten Themenfelder auf ihr besonderes Erkenntnispotential für die hier behandelte Epoche befragt.
I.
Überblick
Autorennen Paris–Berlin 1901. Einfahrt des Siegers Henri Fournier in Berlin. Le Petit Journal, 14. Juli 1901, © Bibliothèque nationale de France.
1. Deutsch-Französischer Krieg 1870/71 I. Überblick 1. Deutsch-Französischer Krieg 1870 / 71
Der Deutsch-Französische Krieg gilt heute als vergessener Krieg. Zu übermächtig ist die Flut der Publikationen über den Ersten und den Zweiten Weltkrieg. Dabei steht die enorme Bedeutung des Krieges 1870 / 71 für die damaligen Zeitgenossen außer Frage. Für das Verständnis der Epoche bis 1914 ist er grundlegend. Die aus dem Krieg resultierende dauerhafte Intensivierung des Nationalgefühls sowie die Verfeindlichung zwischen Deutschland und Frankreich waren dabei weniger ein Ergebnis der im Krieg gemachten Erfahrungen als das Resultat der zeitgenössischen medialen und der retrospektiven erinnerungspolitischen Interpretation des Krieges in beiden Ländern1. Die jüngste Forschung zeigt diese Differenz zwischen dem subjektiven Erleben des Einzelnen und dem, was die nationalistisch aufgeheizte Publizistik veröffentlichte, ganz deutlich. Im Sommer 1870 sahen sich beide Länder als Angegriffene, die in einem Konflikt um die Vormachtstellung in Europa ihre nationale Ehre verteidigten2. Stein des Anstoßes war die von Bismarck forcierte Kandidatur des Hohenzollernprinzen Leopold auf den seit 1868 vakanten spanischen Thron. Aus französischer Sicht war es nicht hinnehmbar, dass ein, wenn auch entfernteres Mitglied des preußischen Herrscherhauses in Madrid regierte, beinhaltete diese Perspektive doch eine mögliche Einkreisung Frankreichs. Das Erstarken Preußens durch die militärischen Siege 1864 gegen Dänemark und 1866 gegen Österreich war in Frankreich mit äußerstem Missfallen registriert worden. Preußen hatte damit nicht nur die Vorherrschaft über den deutschsprachigen Raum erlangt, sondern auch die Machtverhältnisse auf dem Kontinent zu seinen Gunsten verändert. Hinzu kam, dass der Versuch einer diplomatischen Einmischung Frankreichs durch den preußischen Sieg 1866 bei Königgrätz (frz. Sadowa) gescheitert war, was dem Prestige Napoleons III. einen empfindlichen Dämpfer erteilt hatte. Bismarck, im Frühjahr 1870 innenpolitisch durch die bevorstehende Bewilligung des preußischen Militäretats unter Druck und dafür nach Entlastung suchend, handelte gemäß der Vorstellung, dass die angestrebte Einigung Deutschlands durch den Beitritt der süddeutschen Staaten zum Norddeutschen Bund nur durch einen Krieg mit Frankreich zu verwirklichen war.
1 Daniel, Krumeich 2005 [1448], S. 10. 2 Grundlegend zum Krieg 1870 / 71: Benoistel, Le Ray-Burimi, Pommier 2017 [141]; Milza 2009 [184]; Becker 2003–2007 [2]; Howard 22006 [162]; Wetzel 2005 [209]; Wawro 2003 [207]; Levillain 1990 [178]; Roth 1990 [191].
I. Überblick
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Bei der Inszenierung des Konflikts um die spanische Thronfolge konnte er mit dem Sadowa-Komplex3 Frankreichs rechnen und damit, dass Napoleon III. auf eine Provokation reagieren würde. Obwohl Preußenkönig Wilhelm I. als Oberhaupt der Hohenzollern in Vertretung für den verreisten Prinzen auf französischen Druck hin auf die Kandidatur schließlich verzichtete, gab sich die französische Seite damit nicht zufrieden. Frankreich wollte einen deutlichen diplomatischen Sieg erlangen, von dem man sich innenpolitisch einen Prestigegewinn für das marode Regime versprach. Die französische Regierung verlangte daher trotz der erfolgten Absage der Thronkandidatur zusätzliche Garantien. Diese Nachricht überbrachte der französische Botschafter Benedetti dem preußischen König, der sich zur Kur in Bad Ems aufhielt, entgegen allen diplomatischen Gepflogenheiten auf der Emser Promenade. Wilhelm I. lehnte in diesem Gespräch weitere Garantien ab. Dies teilte Bismarck in der später berühmt gewordenen, von ihm bewusst auf einen beleidigenden Ton gekürzten und modifizierten „Emser Depesche“ der Presse mit. Deren Bedeutung wird in der Historiografie mittlerweile relativiert. Die Schwelle zum Krieg war bereits aufgrund der französischen Forderung nach Garantien und der Kriegsbefürwortung Bismarcks beim Abendessen mit Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke und Kriegsminister Albrecht von Roon überschritten. Für die zeitgenössische Wahrnehmung des Konflikts spielten die Ereignisse auf der Emser Promenade jedoch eine große Rolle: Sie verflochten die Ehrbeleidigungen beider Länder und machten einen rationalen Ausgleich unmöglich4. Am 19. Juli 1870 erklärte Frankreich Preußen den Krieg. In beiden Ländern wurde die Auseinandersetzung zum gerechten Verteidigungskrieg stilisiert. Für die europäischen Regierungen und die europäische Öffentlichkeit stand fest, dass die französische Regierung für die Eskalation des Konfliktes verantwortlich war und Napoleon III. als der Schuldige für den Kriegsausbruch zu gelten hatte5. Obwohl er selbst, physisch durch Krankheiten geschwächt, den Krieg vermeiden wollte, drängte ihn doch sein Umfeld dazu. Neben Ministerpräsident Émile Ollivier und Außenminister Herzog de Gramont spielte seine Gattin Kaiserin Eugénie eine wichtige Rolle, wenngleich der ihr zugeschriebene Satz: „Dieser Krieg ist mein Krieg“, in dieser Form wohl nie gefallen ist6. Die Diskussion um Kriegsausbruch und Kriegsschuld gehörte viele Jahre zu den Hauptkontroversen in der Erforschung des Deutsch-Französischen Krieges wie auch später des Ersten Weltkrieges. In den endlosen Diskussionen und Polemiken von Zeitgenossen, Politikern und Historikern ging es zumeist um
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Kolb 1970 [167], S. 96. Aschmann 2013 [132]. Becker 2001 [134], S. 19. Milza 2009 [184], S. 54.
1. Deutsch-Französischer Krieg 1870 / 71
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Bismarcks Manöver und Provokationen sowie um die Motive und irrationalen Aspekte der französischen Kriegsentscheidung. Bismarck hat, wie wir heute wissen, die Aff äre um die hohenzollernsche Thronkandidatur eigenhändig und geduldig inszeniert. Die Kriegsbereitschaft der führenden Militärs in beiden Ländern sowie die Risikopolitik der französischen Regierung taten ein Übriges, um es zum bewaff neten Konflikt kommen zu lassen7.
Öffentliche Meinung und Medien im Krieg Lange Jahre hat sich sowohl in Deutschland als auch in Frankreich die Vorstellung gehalten, die eigene Nation sei jeweils geschlossen euphorisch und zuversichtlich in den als gerecht empfundenen Krieg gegen den Nachbarn gezogen. Dank regionaler Studien verfügen wir heute über ein differenzierteres Bild der öffentlichen Meinung8. In Frankreich wie in Deutschland war demnach die Einstellung von Öffentlichkeit und Presse bei Kriegsausbruch 1870 gleichermaßen komplex, ja diff us. Je nach regionaler Herkunft, politischer Meinung und persönlicher Situation unterschied sich die Einstellung zum Krieg deutlich. Für die Öffentlichkeit in beiden Ländern bedeutete der Kriegsausbruch zunächst vor allem Unsicherheit und materielle Verluste, Todes- oder Invaliditätsgefahr. Persönliche und wirtschaft liche Interessen, Sorgen um die Ernte oder den Arbeitsplatz standen dabei im Vordergrund. Die Vorstellung einer einhelligen nationalen Gemeinschaft ist in beiden Ländern ein Produkt der damaligen Presse sowie der Masse an Veröffentlichungen, die das Bild des Krieges während des Konflikts und vor allem im Nachhinein geprägt haben. In Deutschland hing die Einstellung zum Krieg zugleich davon ab, ob man Befürworter oder Gegner einer kleindeutschen Lösung war. Die Träger des deutschen Nationalstaatsgedankens sahen im aufkommenden Krieg gegen einen äußeren Feind die lang ersehnte Chance auf eine Einigung Deutschlands9. Vor allem das liberale Bildungsbürgertum, Unternehmer, die sich materielle Gewinne versprachen, sowie Studenten feierten den Kriegsausbruch 7 Hauptvertreter der These der alleinigen Schuld Bismarcks ist Becker, 2003–2007 [2]. Widerspruch zu dieser Einschätzung bei Fenske 2003 [156] sowie bei Wetzel 2008 [210] und erneut Antwort von Becker 2008 [138] sowie Becker 2011 [139]. Zur Entwicklung der Forschung siehe auch Doering-Manteuffel 2010 [311], S. 100–107. Eine aktuelle Zusammenfassung auf Französisch bei Burgaud 2010 [146]. 8 Für Deutschland siehe Meteling 2010 [183]; Mehrkens 2008 [182]; Seyferth 2007 [196]; Buschmann 2003 [147]. Für Frankreich: Parisot 2013 [186]; Berger 2011 [142]; Calvignac 2010 [148]; Fellrath, Fellrath-Bacart 2011 [154]; Audoin-Rouzeau 1997 [369]; Audoin-Rouzeau 1992 [369]; Audoin-Rouzeau 1989 [133]. 9 Leonhard 2008 [701], S. 625–626.
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I. Überblick
1870. Teile der Demokraten, Sozialisten und Katholiken sprachen sich, sofern sie Gegner einer kleindeutschen Lösung waren, gegen den Krieg aus. Die deutschen Juden standen aufgrund ihres Wunsches nach Anerkennung und Integration unter Druck, sich deutlich zur Nation zu bekennen. Wie die französischen Juden betonten sie überwiegend ihren Patriotismus10. Die ungeklärte Bündnisfrage, die große Achtung vor der französischen Armee verbunden mit der Angst vor einer möglichen Invasion führten in den ersten Tagen des Krieges zu einer eher reservierten Stimmung vor allem in Süddeutschland, aber auch unter der städtischen Bevölkerung Norddeutschlands11. Genauso wenig kann für Frankreich von einer einhelligen Euphorie über den Krieg die Rede sein und es gehört ins Reich der Legenden, dass die öffentliche Meinung Napoleon III. in den Krieg gedrängt habe12. In den Städten, vor allem in Paris, war die Begeisterung in der Regel größer als auf dem Land, teilweise war sie von Dorf zu Dorf verschieden. Frauen schienen generell zurückhaltender gewesen zu sein. Es war zunächst ein unerwarteter Krieg, den die französische Bevölkerung mit Emotion aufnahm und der anschließend als unvermeidlich, ja notwendig stilisiert wurde. Die Mehrheit der Bevölkerung in der französischen Provinz, vor allem im Osten an der Grenze zu Deutschland, war zu Beginn gegen den Krieg, akzeptierte ihn aber angesichts der als nationale Erniedrigung empfundenen Situation13. In diese Notwendigkeit fügte sich die Bevölkerung deshalb, weil man wie selbstverständlich davon ausging, dass der Krieg sich zu großen Teilen auf deutschem Territorium abspielen würde, galt doch die französische Armee als „beste Kampfmaschine der Welt“14. Presse und Publizistik in Frankreich spiegelten jedoch überwiegend die Vision einer Pariser Bevölkerung, die bei Kriegsausbruch zu großen Teilen gemeinsam mit den Militärs in euphorische Stimmung verfiel. In der französischen Hauptstadt gab es Jubel vor allem in den populären Milieus, die bis zu 20 000 Personen in großer Erregung auf die Straßen brachten. Es handelte sich dabei jedoch um eine deutliche – obgleich sehr sichtbare – Minderheit. Daneben gab es Demonstrationen gegen den Krieg, zumeist von radikalen Republikanern und Militanten der extremen Linken15. Ebenso zeigten sich Kaufleute und Monarchisten aus unterschiedlichen Gründen zurückhaltend. Die sehr viel niedrigere Anzahl an Freiwilligenmeldungen zur Armee in Frankreich ist nicht nur Ausdruck des unterschiedlichen Wehrsystems, sondern spricht auch dafür, dass die Zustim-
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Krüger 2006 [170]. Vergleichend zu Frankreich und zu 1914: Krüger 2016 [172]. Seyferth 2007 [196], S. 28. Zur öffentlichen Meinung siehe Carroll 1965 [355], S. 25–35. Roth 1990 [191], S. 38–39; Becker, Audoin-Rouzeau 1995 [1522], S. 56. Wetzel 2005 [209], S. 209. Lecaillon 2012 [177], S. 15.
1. Deutsch-Französischer Krieg 1870 / 71
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mung zum Krieg und zum Staat, in dessen Namen gekämpft werden sollte, geringer war als in Preußen16. Für die Sinnstiftung des Krieges spielten die Medien entweder eigenständig oder durch die Regierungen manipuliert die entscheidende Rolle. Über Zeitungen, Nachrichten, Briefe, Grafi ken und Bilder entstand eine medial vermittelte Kriegserfahrung aus zweiter Hand, die dafür sorgte, dass sich diejenigen, die den Krieg nicht selbst gesehen hatten, ein Bild davon machen und sich mit den Soldaten identifizieren konnten. In Deutschland schürte die nationalliberale, protestantische Presse bewusst die Begeisterung und legte damit schon zu Beginn der Auseinandersetzung den Grundstein für die überwiegend homogene Deutungskultur des Krieges17. In Frankreich fallen die zahlreichen Falschmeldungen und Gerüchte in der französischen Presse ins Auge, die vor allem im Sommer 1870 grandiose französische Siege vermerkte und für eine sichtbare Welle nationaler Erhebung sorgte. Doch auch hier gab es Ausnahmen und nicht alle Zeitschriften stimmten in das Kriegsgeschrei ein18. Angestachelt durch die Berichterstattung kriegsbefürwortender Journalisten, durch Gerüchte und Spekulationen kam es in beiden Ländern zu einer regelrechten „Spionagephobie“, die in Frankreich parallel zu den ersten militärischen Niederlagen zunahm19. Überall im Land vermutete man preußische Spione, ein Wahn, der im Fall des Lynchmords eines jungen Adeligen in Haute-Faye, das als „Dorf der Kannibalen“20 bekannt wurde, weitaus dramatischere Ausmaße annahm als in Deutschland. Ebenso hatten die deutschen Einwanderer in Frankreich – allein in Paris waren es rund 60 000 – teilweise unter der einsetzenden Verfeindlichung zu leiden und wurden Opfer von verbalen und tätlichen Übergriffen. Dem Ausweisungsbefehl der französischen Regierung folgten dennoch nicht alle, verstanden sich doch viele der deutschen Einwanderer trotz fehlender Papiere eher als Franzosen21. Im Verlauf des Krieges warfen die Publizisten beider Länder den Soldaten des jeweils anderen Landes ein wildes und unzivilisiertes Verhalten vor. Die deutschen Soldaten wurden als Barbaren hingestellt, das Bild des grausamen preußischen Eindringlings in vielen Abstufungen variiert 22. Umgekehrt wurden die Freischärler (francs-tireurs) sowie die Turko- und Zuavensoldaten aus den französischen Kolonialarmeen als hemmungslose Wilde porträtiert. In der
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Wawro 2003 [207], S. 75, 79. Becker 2001 [134], S. 499. Wetzel 2005 [209], S. 120. Zu Frankreich siehe Milza 2009 [184], S. 147–149; Mehrkens 2005 [181], S. 173; Taithe 2001 [201], S. 104–107. Zu Deutschland siehe Seyferth 2007 [196], S. 39– 40; Mehrkens 2005 [181], S. 173, 177. 20 Corbin 1992 [153]. 21 König 2010 [169]. 22 Jeismann 1992 [76], S. 212.
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deutschen Presse und Öffentlichkeit wurde ihnen eine geradezu exzessive Aufmerksamkeit geschenkt. Entscheidend bei der Ausprägung der Bilder und Meinungen war die Deutungsmacht der Presse. Die Feldpostbriefe der deutschen Soldaten konnten sich als Korrektiv nicht durchsetzen. Umgekehrt wurden die Soldaten in ihrer Wahrnehmung der Ereignisse ebenso durch die Presse beeinflusst. Die Bildberichterstattung spielte ebenfalls eine wichtige Rolle, denn Maler und Grafi ker „berichteten“ ebenso zeitnah und flächendeckend von den Kriegsschauplätzen. Mit nur geringer zeitlicher Verzögerung gelangten diese Bilder als weitere Massenmedien an die Öffentlichkeit und visualisierten den Krieg für alle23. In Frankreich erlebte in der zweiten Kriegshälfte insbesondere die Karikatur eine neue Blüte. Ob schwarz-weiß oder koloriert: Tausende dieser Blätter von oft mals unbekannten Künstlern erreichten über ihre Symbolkraft selbst die analphabetische Bevölkerung24. Analogien in der Einstellung der Bevölkerung sowie bei der veröffentlichten Meinung zwischen beiden Ländern ergeben sich ebenso im Hinblick darauf, wie der Krieg durch die bisherigen Erfahrungen mit dem Nachbarn historisch gerechtfertigt wurde. Bilder des aggressiven und raublustigen „Erbfeinds“ Frankreich aus der Zeit der antinapoleonischen Kriege erlebten eine neue Blüte und prägten die Wahrnehmung des Krieges25. Die antifranzösischen Vorstellungen aus der Zeit, die während der Rheinkrise 1840 aufgefrischt worden waren, saßen fest verankert im kulturellen Gedächtnis der Deutschen. Der Feldzug von 1870 wurde als Schluss der „unvollendeten Freiheitskriege“26 stilisiert. Im Kampf gegen den gleichen Feind wie damals sollte die deutsche Einheit endlich vollendet werden. In Frankreich wurden neben Rückgriffen auf die siegreiche Zeit der napoleonischen Grande Armée vor allem auf dem Lande Erinnerungen an die brutale preußische Besatzung der Jahre 1814 und 1815 wieder lebendig27. Es meldeten sich sogar Veteranen aus den napoleonischen Kriegen als Freiwillige, um erneut gegen die preußische Armee zu kämpfen. In beiden Ländern gelang es nach Ausbruch des Krieges, Widerstände zu verwischen und Gegner verstummen zu lassen. Dabei kam den Regierungen der Umstand zu Hilfe, dass sie sich jeweils im Recht sahen und dies lautstark verkündeten. Auf diese Weise gelang es bereits 1870, eine union sacrée bzw. einen „Burgfrieden“ avant la lettre hervorzurufen, dank derer sich selbst Teile der lin-
23 Koch 2011 [166]; Becker 2009 [136]; Becker 2006 [135]. Zur internationalen illustrierten Presse siehe Martin 2006 [180]. 24 Mehrkens 2005 [181], S. 246. 25 Leonhard 2008 [701], S. 623–626; Jeismann 1992 [76], S. 249, 265; Fenske 1990 [155], S. 167, 174, 186. 26 Fenske 1990 [155], S. 174. 27 Audoin-Rouzeau 1997 [1520], S. 399–403; Audoin-Rouzeau 1989 [133], S. 25.
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ken Parteien hinter die Kriegspolitik der eigenen Führung stellten28. Obwohl August Bebel und Wilhelm Liebknecht nicht für die Kriegskredite stimmten, hielt die politische Zustimmung zum Krieg in der deutschen Sozialdemokratie bis zum Sturz des französischen Empire an. Anschließend sahen die Sozialisten einen Verteidigungskrieg als nicht mehr gegeben an und kritisierten Krieg und Annexionsforderungen. Unter den französischen Politikern warnte beispielsweise Adolphe Thiers vor einem Krieg. Es ist auffallend, wie stark sich die Kriegseintritte von Frankreich 1870 und gut 40 Jahre später 1914 gegen den gleichen Feind ähnelten29.
Kriegserfahrungen von Soldaten und Zivilisten Seit einigen Jahren sind Kriegserfahrungen von Soldaten und Zivilisten, auch gegliedert nach Konfession, in den Mittelpunkt des Interesses einer neuen Militärgeschichte gerückt. In diesem Zusammenhang wird die Diskussion geführt, inwiefern schon der Deutsch-Französische Krieg ein „totaler Krieg“ war und darin als Vorläufer für die beiden Weltkriege gesehen werden kann30. Während der erste Teil des Krieges bis zur Niederlage des Empire und der Gefangennahme Napoleons III. bei Sedan als weitgehend klassischer Kabinettskrieg gelten kann, obschon er als nationaler Krieg deklariert wurde, zeigten sich im zweiten Teil nach Ausrufung der Republik am 4. September 1870 Züge eines nationalen Volkskriegs. Einer Kapitulation, die aufgrund der preußisch-deutschen Forderungen nur unter Abtretung französischer Gebiete zu haben war, wollte man in Frankreich nicht zustimmen. So hatte Napoleon III. auf den Schlachtfeldern von Sedan als symbolische Geste der Kapitulation nur sein eigenes, nicht aber das Schwert Frankreichs überreicht31. Die Fortsetzung des Krieges durch die Regierung der nationalen Verteidigung der Republik als Nationalkrieg war gleichzeitig ein ideologischer Krieg gegen die Monarchie und das Beharren darauf, dass die Niederlage von Sedan das Ende des Bonapartismus bedeutete. Die provisorische Regierung unter ihrem Innenminister Léon Gambetta ordnete die levée en masse an, die Massenmobilisierung zur nationalen Verteidigung. Die deutschen Soldaten sahen sich statt den kaiserlichen Truppen in der Folge bewaff-
28 Poidevin, Bariety 1982 [79], S. 167. 29 Becker, Audoin-Rouzeau 1995 [1522], S. 67; Audoin-Rouzeau 1997 [1520], S. 399–403. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs tauchten die Analogien und Verweise auf die Befreiungskriege erneut auf, und so war der August 1914 teilweise eine Neuinszenierung des Juli 1870, vgl. Becker 2001 [134], S. 509. 30 Zur vertiefenden Diskussion siehe das Kapitel II.4 „Auf dem Weg zum totalen Krieg?“ 31 Steller 2011 [332], S. 33; Fermer 2008 [157], S. 178.
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neten Volksarmeen gegenüber. In beiden Ländern wurde intensiv über das bessere Wehrsystem diskutiert, eine Debatte, die nach dem Krieg anhielt32. Die teilweise Entgrenzung des Krieges zur lutte à outrance, zum Kampf bis zum Äußersten, zeigte sich in den vereinzelten Überfällen durch französische Freischärler sowie in den Vergeltungsmaßnahmen und der härteren Behandlung der französischen Zivilbevölkerung durch die deutschen Truppen. In Deutschland machten Gerüchte von grausamen Attacken auf Angehörige der deutschen Armeen die Runde. Umgekehrt breiteten sich in Frankreich Gerüchte über das brutale Vorgehen der deutschen Soldaten gegen die französische Zivilbevölkerung aus. Während für die einen der französische Freischärler zum Sinnbild eines brutalen und verbrecherischen Vorgehens wurde, avancierte für die anderen der preußische Ulan zum Inbegriff des tierhaften und übelriechenden Barbaren. Zwischen den Soldaten selbst war die Kommunikation jedoch stärker von beruflichen Zuschreibungen geprägt als von nationalfeindlichem Vokabular. Eine Ausnahme stellten hier die farbigen Soldaten in der französischen Armee dar, die von deutscher Seite als Menschen zweiter Klasse angesehen wurden. Vielfach überliefert sind daneben freundschaft liche Interaktionen zwischen Deutschen und Franzosen während des Krieges. So führte man einen überwiegend gehegten Krieg, der medial jedoch zu einem entgrenzten Volkskrieg übersteigert wurde33. Von den Zeitgenossen wurde der Deutsch-Französische Krieg aufgrund der Tausenden von Toten und Verletzten als beispiellos angesehen34. Besonders hoch waren auf beiden Seiten die Verluste bei den Offi zieren. In der Schlacht bei Saint-Privat, der tödlichsten des Krieges, beliefen sich die Verluste auf über 20 000 deutsche und über 12 000 französische Soldaten. Das Gemetzel der Schlacht von Gravelotte blieb im französischen Gedächtnis in der sprichwörtlich gewordenen Aussage „fallen wie in Gravelotte“ (tomber comme à Gravelotte) haften, während Bismarck den Ort als „Grab der preußischen königlichen Garde“ bezeichnete. Die Belagerung der Festung Metz, die in einem Blutbad und mit der Kapitulation von General Bazaine und 150 000 französischen Kriegsgefangenen endete, ist über viele Jahre in der kollektiven Erinnerung der Deutschen und Franzosen geblieben35. Ebenso groß war der emotionale Aufruhr, als Straßburg zunächst beschossen und dann von den preußischen Truppen eingenommen wurde. Die Bombardierung der Stadt ließ nahezu jedes wichtige Gebäude in Flammen aufgehen36. Ab Mitte September 1870 begann die 32 33 34 35
Becker 2013 [137]; Leonhard 2008 [701], S. 560–562; Becker 2001 [134]. Siehe vertiefend dazu das Kapitel II.4 „Auf dem Weg zum totalen Krieg?“. Krüger 2011 [171], S. 406. Tison 2011 [202], S. 67; Steinbach 2002 [198], S. 125. Zu den Kriegsgefangenen siehe Mehrkens 2008 [182], S. 156–171; Bendick 2003 [140]; Botzenhart 1997 [144], 1994 [143]; Roth 1990 [191], S. 418–433. 36 Chrastil 2014 [151]; Pijaudier-Cabot 2010 [187].
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Belagerung von Paris, die bis zur Kapitulation am 28. Januar 1871 andauerte. Die Pariser Bevölkerung erlebte einen eiskalten Winter, der Hunger, Krankheiten und Tod zusätzlich förderte. Hinzu kam die Angst vor einer Beschießung der Hauptstadt, die Frankreichs größte Festung war, sowie Gerüchte über französische Niederlagen37.
Das Kriegsende: Sieg, Niederlage und Bürgerkrieg Der Krieg 1870 / 71 blieb auf Deutschland und Frankreich lokalisiert und aus dem Krieg in der Mitte Europas wurde kein europäischer Krieg38. Trotz des französischen Werbens um Unterstützung verhielten sich die übrigen europäischen Länder neutral. Da der Krieg von beiden Seiten zur Verteidigung der nationalen Ehre geführt wurde, musste sein Ausgang zwangsläufig für die unterlegene Nation demütigend sein. Zu den harten Reparationsforderungen an das unterlegene Frankreich kamen symbolische Verletzungen, die weit über den Kriegsschluss hinauswirken sollten: die Proklamation des Kaiserreichs am 18. Januar 1871 in Versailles und der Einmarsch deutscher Truppen in Paris am 1. März 1871, die vielleicht „bitterste Pille“39 der deutschen Forderungen für den Waffenstillstand. Mit dem Spiegelsaal im Schloss von Versailles als Ort für die Gründung des Kaiserreichs fiel die Wahl auf einen zentralen Ort des französischen Geschichtsbewusstseins. In der deutschen Presse war die Genugtuung über diese Wahl nicht zu überhören. Die Reaktion der deutschen Bevölkerung war je nach politischer Einstellung unterschiedlich. Insgesamt war sie jedoch zurückhaltender als bei der Kapitulation von Paris wenige Tage später, die das lang ersehnte Ende des Krieges bedeutete40. Von französischer Seite wurde die Kaiserproklamation in Versailles als symbolische Aggression aufgefasst, als „eine Art politischer Vergewaltigung des nationalen Kulturguts“41. Doch als solche war sie, wie wir heute wissen, gar nicht geplant, da die Entscheidung vor allem logistischen Erwägungen geschuldet war: Der Spiegelsaal, der im Übrigen als Lazarett diente, war der größte verfügbare Saal in Versailles42. Symbolisch hatte diese Wahl und die damit verknüpfte Erniedrigungsempfindung dennoch 37 Milza 2009 [306], S. 280. Zum besetzten Paris siehe Fermer 2011 [158]; Clayson 2002 [152]; Lecaillon 2005 [176]; Tombs 1997 [203]. 38 Langewiesche, Buschmann 2007 [1469], S. 165. 39 Showalter 2004 [197], S. 339. Siehe auch Lecaillon 2012 [177], S. 28; Kolb 1989 [168], S. 361. 40 Fenske 1990 [155], S. 208–209; Seyferth 2007 [196], S. 66–67. 41 Bariety 1995 [312], S. 204. 42 Schulze 2001 [195]. Vgl. den Artikel in den französischen „Lieux de mémoire“, der die „cérémonie profanatrice“ 1871 zwar nur streift, aber als absichtsvolle Rache für die im Spiegelsaal dargestellte Zerstörung der Pfalz interpretiert, Himmelfarb 1986 [160], S. 278, 281.
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weitreichende Folgen, denn am gleichen Ort sollte Deutschland nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg 1919 die harten Friedensbedingungen des Versailler Vertrages unterzeichnen43. Die Friedensverhandlungen zwischen beiden Ländern wurden durch den Ausbruch der Revolution in Paris am 18. März 1871 erschwert44. Ausgelöst durch das Trauma der Kriegsniederlage, die sie nicht akzeptieren wollten, erhoben sich Tagelöhner, Arbeiter, Handwerker, Kaufleute und Selbstständige gegen die provisorische Regierung von Adolphe Thiers, in der sie Königstreue und Kriegsversager am Werk sahen45. Der revolutionäre Pariser Stadtrat wollte die eigene Stadt selbstständig verwalten und die monarchistische und klerikale Welt genauso hinter sich lassen wie Militarismus, Ausbeutung sowie bürgerliche und adelige Privilegien. Die Kommune erließ Mietschulden, stoppte Zwangsversteigerungen, übergab verlassene Fabriken und Betriebe zur kollektiven Verwaltung durch kooperative Assoziationen an die Arbeiter und setzte darüber ein sozialreformerisches Werk in Gang. Die deutschen Truppen sahen als Belagerer der 72 Tage dauernden Auseinandersetzung zwischen Kommunarden und Versailler Regierung zu. Der Aufstand in Paris schwächte die Position der französischen Regierung in Versailles bei den Friedensverhandlungen. Außenminister Jules Favre unterzeichnete in Frankfurt am 10. Mai 1871 ein Friedensabkommen, das durch ein Geheimabkommen ergänzt wurde. Darin war eine Blockade von Paris durch die preußische Armee vorgesehen, die nur die Versailler Regierungstruppen durch die eigenen Linien nach Paris hineinlassen sollten. Das Zusammengehen der beiden offiziell verfeindeten Staaten zur Niederschlagung der Kommune ist bemerkenswert. Die französische Regierung ließ sich vom Kriegsgegner innenpolitisch helfen, ein Umstand, zu dem sich Adolphe Th iers aus Furcht vor der öffentlichen Meinung nicht bekennen wollte. Die besondere Situation des eingekapselten Bürgerkriegs nach dem verlorenen staatlichen Krieg war einer der Gründe für die Gewaltexzesse, mit denen der Aufstand der Pariser Kommune in der „blutigen Woche“ (semaine sanglante) Ende Mai 1870 von den Versailler Regierungstruppen unterdrückt wurde46. Gemeinsam mit einem Teil der Pariser Bevölkerung standen deutsche Einwanderer auf den Barrikaden, um die Kommune gegen die Regierungstruppen zu verteidigen. Zumeist waren die deutschen Kommunarden sehr gut integriert und hatten zuvor in der Nationalgarde oder der Fremdenlegion gedient47. In mehreren deutschen Städten kam es zu solidarischen Demonstrationen mit der Pariser Kommune48. 43 Beaupré 2009 [70], S. 50–56. 44 Zur Kommune von Paris siehe Milza 2009 [185]; Le Quillec 2006 [175]; Rougerie 22004 [194]; Tombs 1999 [204]. 45 Lecaillon 2012 [177], S. 43–44. 46 Ebd., S. 49, 55. 47 König 2010 [169]. 48 Siehe das Kapitel I.3 „Arbeiterbewegungen und Sozialpolitik“.
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Im Frankfurter Frieden forderte Deutschland von Frankreich mit der Zahlung von 5 Milliarden Francs eine damals exorbitant hohe Summe49. Doch waren die Besetzung eines Viertels seiner Departements durch deutsche Truppen und vor allem der Verlust von Territorium im Zeitalter der Nationalstaaten ungleich schwerer zu ertragen. Die Forderung nach Gebietsabtretung wurde von der französischen Öffentlichkeit als barbarisch wahrgenommen. Darüber geriet in Vergessenheit, dass es umgekehrt Pläne für die Annexion der linksrheinischen deutschen Gebiete im Falle eines französischen Sieges gegeben hatte: Der französische Innenminister hatte im Sommer 1870 in Erwartung des Sieges über Deutschland 150 Bewerbungen von Kandidaten für den zukünft igen Posten des Präfekten von Mainz erhalten50. Im Kaiserreich trat der überwiegende Teil der Bevölkerung und vor allem die Presse und ihre Kommentatoren – entweder kulturell oder geostrategisch argumentierend – für die Annexion Elsass und Lothringens ein. Doch es herrschte keineswegs bedingungslose Begeisterung51. Vor allem die sozialistische Presse kritisierte die harten Friedensbedingungen. Einige Unternehmer sprachen sich aus wirtschaft lichen Gründen gegen die Annexion aus, befürchteten sie doch die Konkurrenz der elsässischen und lothringischen Betriebe. Die Debatte wurde unter Intellektuellen ebenso emotional und mit großer Vehemenz geführt. Der öffentliche Briefwechsel zwischen Ernest Renan und David Friedrich Strauß während des Krieges ist dafür ein sprechendes Beispiel, führte die Meinungsverschiedenheit doch schließlich zum Bruch zwischen beiden52. Für Frankreich kam die überraschende Niederlage, die das Selbstbewusstsein der bis dahin erfolgreichen französischen Armee stark ankratzte, einer nationalen Demütigung mit Langzeitwirkung gleich. Sie setzte sich als tiefes Trauma im nationalen Gedächtnis fest und löste eine Identitätskrise aus, die das französische Selbstbild sowie Platz und Zukunft der Nation in Europa und in der Welt betrafen. Ein komplexer Prozess der Sinngebung setzte ein, durch den zum einen das doppelte Trauma von Niederlage und Bürgerkrieg überwunden werden sollte, zum anderen die republikanische Idee fest in der französischen Gesellschaft zu verankern war. Die Schwierigkeit bestand darin, gleichzeitig am Gefühl der moralischen, kulturellen und zivilisatorischen Überlegenheit festzuhalten und dennoch am Beispiel des überlegenen Gegners aus den eigenen Fehlern zu lernen53.
49 Roth 1990 [191], S. 473. 50 Guiomar 2004 [1459], S. 256. 51 Vgl. Seyferth 2007 [196], S. 57–58, 69–70; Buschmann 2003 [304], S. 329–335; Fenske 1990 [155], S. 199, 201; Poidevin 1990 [188]; Koch 1978 [164], S. 306–323; Bronner 1970 [416]. 52 Strauss 1915 [27]. Siehe dazu das Kapitel II.1 „Elsass-Lothringen zwischen Deutschland und Frankreich“. 53 Tison 2011 [202]; Schivelbusch 2003 [1472], S. 201; Becker, Audoin-Rouzeau 1995 [1522], S. 70.
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In Deutschland wurde dem militärischen Sieg über Frankreich langfristig eine fast sakrale Bedeutung beigemessen. Kein Ereignis hat die öffentlichen Emotionen der Deutschen und zugleich das kollektive Gedächtnis im 19. Jahrhundert stärker bewegt als die Reichsgründung im siegreichen Krieg gegen Frankreich. Als dritter und letzter der im Nachhinein zu einer Einheit stilisierten „Einigungskriege“ diente der Krieg von 1870 / 71 über seine mediale Aufbereitung sowie seine Sieges- und Gedenkfeiern als ideologisches Bindemittel für die Einheit der jungen Nation. Der Krieg versinnbildlichte zugleich den Aufstieg Deutschlands zur europäischen Großmacht und die veränderten Mächteverhältnisse auf dem Kontinent. Die Konzepte von Nationalstaat und Krieg waren nach 1871 im Kaiserreich unauflöslich verbunden. Das hohe Ansehen der Militärs und alles Militärischen, das sich in den zahlreichen Schützen-, Turnund Kriegervereinen sowie in der Verherrlichung Helmuth von Moltkes und im Nimbus des bürgerlichen Reserveoffiziers zeigte, hat hierin seinen Ursprung und sollte die politische Kultur des Kaiserreichs nachhaltig prägen54. Ganz ähnlich stand die Dritte Republik, die aus der militärischen Niederlage und dem Bürgerkrieg hervorging, unter einem militärischen und patriotischen Stern, der bis zum Ersten Weltkrieg ein Charakteristikum der Republik blieb55.
54 Puschner 2016 [189]; Wette 2008 [1510], S. 45–47, 60–64; Vogel 1997 [708]; Jeismann 1992 [76]. 55 Houte 2014 [124], S. 10; Roussellier 2013 [300], S. 16; Candar 2013 [272], S. 65.
2. Herausforderungen und Ambitionen Republik und Monarchie denken und gestalten 2. Herausforderungen und Ambitionen
Das Deutsche Kaiserreich und die Dritte Republik in Frankreich standen nach 1870 / 71 vor der Herausforderung, den neu entstandenen Staat bzw. das neue Regime im Inneren aufzubauen und zu festigen. Denn mit der Proklamation der Dritten Republik am 4. September 1870 war ihre Etablierung und Konsolidierung genauso wenig abgeschlossen wie der deutsche Einigungsprozess nach der formalen Gründung des Kaiserreichs am 18. Januar 1871 in Versailles. Beide Länder traten in einen dauerhaften und vielschichtigen Prozess der Nationalstaatsbildung und der nationalen Integration: Neben der Aushandlung der jeweiligen politischen Ordnung standen die Festigung eines nationalen Gemeinschaftsbewusstseins und die Loyalitätssicherung der Bevölkerung im Mittelpunkt der Bemühungen. Dies sollte über vereinheitlichte wirtschaft liche, rechtliche und kulturelle Ordnungen bewirkt werden. Schule und Militärdienst waren wichtige Erziehungsinstanzen, die fast alle Schichten und im Fall der Schulpflicht auch die weiblichen Bevölkerungen erreichten. Symbole, Festtage und eine offizielle Geschichte sollten die eigene Vorstellung von Nation und Nationalstaat gegenüber konkurrierenden Entwürfen festigen. Für das Deutsche Kaiserreich lag eine große Herausforderung beim Prozess der Nationsbildung im Zusammenwachsen der deutschen Einzelstaaten, die nur wenige Jahre zuvor noch Krieg gegeneinander geführt hatten1. Ein Großteil der Bevölkerung zeigte sich gegenüber dem neuen Reich eher gleichgültig und nicht alle waren mit der preußisch dominierten Lösung zufrieden. Während Nationalliberale, Protestanten und Teile der Konservativen in Preußen, den norddeutschen Ländern und Sachsen die Einheit begrüßten, herrschte überall dort Enttäuschung, wo man sich eine „großdeutsche Lösung“ unter Einschluss Österreichs erhofft hatte, etwa bei den süddeutschen Liberalen, bei süddeutschen und sächsischen Demokraten, sowie mit regionalen Unterschieden bei Teilen der Katholiken2. Enttäuscht waren besonders Anhänger der freiheitlichen Nationalbewegung sowie die sozialistischen Arbeiterbewegungen, die
1 Forschungsüberblick über die verschiedenen Aspekte der „inneren Reichseinigung“ bei Frie 22013 [91], S. 31–43. 2 Althammer 22017 [83], S. 31–32; Siemann 2006 [256], S. 125; Ullmann 22005 [258], S. 1–2.
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I. Überblick
ihre Hoff nungen auf eine demokratische Verfassung und auf Volkssouveränität gesetzt hatten, und sich stattdessen in einer konstitutionellen Monarchie mit begrenzten politischen Partizipationsmöglichkeiten wiederfanden. Das Kaiserreich stand darüber hinaus vor der Frage, wie mit den polnischen, dänischen und französischen Minderheiten der Grenzregionen umzugehen war. Reichskanzler Otto von Bismarck erklärte die ihm missliebigen Gruppen wie nationale Minderheiten, Sozialisten und Katholiken zu „Reichsfeinden“. Karrieren in der kaiserlichen Regierung, in Verwaltung und Armee waren für Sozialisten, Linksliberale, Katholiken und Juden gleichermaßen ausgeschlossen. Darüber hinaus bestimmten wirtschaft liche Spannungen den politischen und sozialen Alltag im Reich, dessen Gesellschaft von starken sozialen Klassenunterschieden gezeichnet war3. Als Reichskanzler prägte Otto von Bismarck vor allem in den Anfangsjahren das politische System und die politische Kultur des Kaiserreiches. Sein Gestaltungsspielraum war jedoch letztlich begrenzt, denn wirtschaft liche und soziale Entwicklungen lagen außerhalb seines Einflussbereichs4. Dies gilt etwa für die „konservative Wende“ von 1878 / 79, mit der die liberale Ära zu Ende ging. Die Bedeutung dieser von der Forschung früher als „Zweite Reichsgründung“ bezeichneten Wende wird heute relativiert, obschon sie nicht folgenlos blieb: Im Anschluss kam es zur dauerhaften Spaltung der Nationalliberalen und zu einer konservativen Ausrichtung der Innenpolitik. Die nicht zuletzt aus Bismarcks Exklusionspolitik resultierende Zerklüft ung der deutschen Gesellschaft hielt trotz eines Rückgangs der Spannungen nach seiner Entlassung im März 1890 bis in den Ersten Weltkrieg hinein an5. So war das Misstrauen gegenüber Elsass-Lothringern, Sozialdemokraten und Juden im Ersten Weltkrieg selbst im „Burgfrieden“ weiterhin virulent. Die Integration der Deutschen erfolgte nicht nur auf der Basis kultureller Werte wie gemeinsamer Sprache und Geschichte, die das Nationalgefühl über weite Strecken des 19. Jahrhunderts geprägt haben. Mit dem Fortschreiten beim Erlass von Reichsgesetzen und Rechtsordnungen sowie mit dem Aufbau einer eigenständigen Reichsverwaltung und der Vereinheitlichung von Münzen, Maßen und Gewichten nahmen die unitarischen Tendenzen im Kaiserreich weiter zu6. Die Schaff ung eines nationalen Rechts- und Wirtschaftsraums mit weitreichenden und im internationalen Vergleich modernen Reformen war ein langsamer Prozess, der sich beispielsweise bei der Einigung auf ein national verbindliches Zivilrecht, dem zu großen Teilen bis heute gültigen Bürgerlichen 3 Berghahn 102003 [85], S. 195. 4 Siehe dazu Nonn 2015 [106], S. 208, 243–261; sowie zusammenfassend Frie 22013 [91], S. 35–37. Einen Überblick zu den Forschungskontroversen um Bismarck und das Kaiserreich bei Müller, Torp 2009 [302]; Ullmann 22005 [258], S. 62–69. 5 Winkler 2000 [111], S. 262; Nipperdey 1990 [Bd. 1], S. 414–427. 6 Ullmann 22005 [258], S. 10.
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Gesetzbuch, bis 1900 hinzog. Der gemeinsame Rechts- und Wirtschaftsraum war die Voraussetzung für die ab den 1890er-Jahren einsetzende Hochindustrialisierung, die neben der Schwerindustrie neue rapide expandierende Branchen wie Chemie und Elektrotechnik hervorbrachte. Er trug darüber hinaus gemeinsam mit dem Ausbau des Eisenbahn- und Postnetzes sowie der Freizügigkeit zwischen den deutschen Ländern maßgeblich zum Aufbau eines gemeinsamen Nationalverständnisses im Alltag bei7. So mussten Reisende in Deutschland noch 1874 die Eisenbahnzeit inklusive ihrer voraussichtlichen Ankunftszeit mühsam auf der Basis verschiedener großstädtischer, amtlich überwachter Ortszeiten selbst errechnen. Erst 1893 wurde eine einheitliche amtliche Normalzeit eingeführt, gefördert durch die zeitlich vorgelagerte internationale Standardisierung8. Trotz dieser Vereinheitlichungen bestand eine große regionale wie lokale politische, soziale, wirtschaft liche und kulturelle Vielfalt im Kaiserreich9. In Frankreich waren in der Folge der Niederlage im Krieg gegen Deutschland und der blutigen Niederschlagung der Kommune im Mai 1871 zahlreiche ideologische und soziale Gegensätze aufgebrochen. Durch den Regimewechsel von der Monarchie zur Republik war der politische Bruch größer als im Kaiserreich, obgleich es in Verwaltung, Wirtschaft und bei soziokulturellen Praktiken wie Wahlen oder öffentlichen Feiern Kontinuitäten zwischen Second Empire und Dritter Republik gab10. Neben den Auseinandersetzungen zwischen Republikanern und Monarchisten verschiedener Couleur um die „richtige“ Staatsform war das politische Leben der Dritten Republik geprägt durch die Haltung zum Katholizismus, der von verschiedenen Seiten instrumentalisiert wurde. Die Vorstellung der deux France, eines zweigeteilten Frankreichs, beherrschte die Diskussionen. Demnach standen sich ein republikanisches, fortschrittliches und laizistisches Frankreich und ein konservatives, monarchistisches und klerikales Frankreich gegenüber, wobei eine große Bandbreite an Einstellungen zwischen diesen beiden Polen herrschte11. Die Herausforderung für die Republikaner bestand darin, das Trauma der Spaltung nach verlorenem Krieg und Bürgerkrieg zu überwinden und die deux France miteinander auszusöhnen. Es galt, die Republik als Staatsform zu festigen und neue Eliten in Politik, Bildung, Verwaltung und Justiz zu etablieren, die für ein republikanisches, antiklerikales und patriotisches Frankreich eintraten. Im Rahmen der Republikanisierung und Säkularisierung wurden Hunderte von klerikal oder monarchistisch ein7 Zur Integration durch Eisenbahn, Post, Migration und Verwaltung siehe Weichlein 2004 [733]. 8 Osterhammel 2009 [80], S. 119, 120. 9 Chickering 2011 [238], S. 68–69. 10 Hazareesingh 2013 [279], S. 246–248; Hazareesingh 1998 [278]; Nord 21998 [287]. 11 Vgl. z. B. Houte 2014 [124]; Fontaine, Monier, Prochasson 2013 [130]; Duclert 2010 [118].
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I. Überblick
gestellten Beamten entlassen und Magistrate suspendiert. Insbesondere im Bereich der Verwaltung kam es zu weitreichenden und konfl ikthaften Säuberungen, die selbst 1914 noch nicht beendet waren12. Die republikanischen Ideen und Werte sollten über Parlamentswahlen, die 1882 eingeführte staatsweite Schulpflicht mit kostenlosem Unterricht für Mädchen und Jungen, Symbole der Republik, eine gemeinsame Nationalsprache in der Nachfolge regionaler Dialekte sowie über republikanische Reden und Praktiken bis in die ländlichen Gegenden getragen werden13. Eine zentrale Rolle bei der Integration spielte darüber hinaus der Militärdienst, der in Frankreich 1872 mit Blick auf die Regelungen in Preußen verpflichtend eingeführt wurde, mit einer bis 1905 gültigen Ausnahme für bestimmte Berufsgruppen wie Lehrer, Ärzte und Rechtsanwälte14. Die Armee galt als zentrale Stütze für die neue demokratische Ordnung: Sie sollte die Einheit und die Grandeur der Nation garantieren und das Vaterland vor Invasionen schützen15. Internationales Prestige hofften die französischen Regierungen durch die Kolonialpolitik zu erlangen. Wie im Deutschen Kaiserreich erfolgte eine nationale Integration über die Kommunikationsrevolution mit der Entstehung der Massenmedien, für die die Alphabetisierung durch die Schulpfl icht die allgemeine Voraussetzung schuf. Über Wirtschaftsbeziehungen, Arbeitsmigration und Abwanderung in die Städte zirkulierten Menschen, Ideen und Güter und wurden ländliche Gebiete mit den Metropolen und deren Kulturen vernetzt. Der plan Freycinet sorgte ab 1879 für eine enge Anbindung der Regionen über den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Mit der Erschließung neuer Eisenbahnstrecken, dem Bau neuer Kanäle, Hafenbecken und Brücken sowie dem Ausbau und der Befestigung von Straßen sollten die nicht industrialisierten Gegenden an das Verkehrsnetz angeschlossen werden16. Eine Herausforderung stellten die zu Beginn der 1880er-Jahre einsetzende Wirtschaftskrise und die daraus resultierende Verschlechterung des sozialen Klimas in der Bevölkerung dar, in deren Folge populäre Protestbewegungen wie der Boulangismus Auft rieb erhielten. Ähnlich wie im Deutschen Kaiserreich, obgleich weniger emotional aufgeladen, bildeten die nationale und regionale Ebene – in Frankreich mit grande patrie und petite patrie treffend bezeichnet – keinen Gegensatz im Identitätsbezug und keine hierarchische Beziehung, sondern bedingten und stützten sich gegenseitig17. Überdies wurde die regionale 12 Roussellier 2003 [299], S. 340–345; Charle 1987 [116]. 13 Fontaine, Monier, Prochasson 2013 [130], S. 8. 14 Chanet 2006 [1524]; Roynette 22017 [1531]. Zum deutschen Einfluss siehe Mitchell 1984 [525]. Zu Studienreisen französischer Militärs nach Deutschland siehe Barbey-Say 1994 [1138], S. 183–196. 15 Cosson 2013 [336], S. 114; Chanet 2006 [1524], S. 21, 27, 37, 102–103, 288–291. 16 Houte 2014 [124], S. 94–97; Berstein 2003 [268], S. 278. Zur deutsch-französischen Rivalität im Eisenbahnbau siehe Mitchell 2000 [384]. 17 Riederer 2005 [471], S. 21. Siehe dazu das Kapitel II.1 „Elsass-Lothringen zwischen Deutschland und Frankreich“.
2. Herausforderungen und Ambitionen
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Vielfalt durch die nationalstaatliche Vereinheitlichungspolitik wenig eingeschränkt. Regionale Akteure besaßen in Kommunalpolitik, Selbstverwaltung und Zivilgesellschaft durchaus eigene Handlungsoptionen18. Im Zuge der Industrialisierung und der Verkehrs- und Kommunikationsrevolution spielten Migrationsbewegungen eine wichtige Rolle in beiden Gesellschaften. Ein Großteil waren saisonale Wanderungen zumeist zwischen den Städten und ihrem unmittelbaren Umland. In Zeiten wirtschaft licher Depression stieg die Fernwanderung an, die im Kaiserreich vor allem von Ostpreußen ins industrialisierte Rheinland und zu den Hochöfen des Ruhrgebiets führte. Rund 2,85 Millionen Menschen migrierten während des Kaiserreichs nach Übersee19. Ab Mitte der 1890er-Jahre stieg die Nachfrage nach Arbeitskräften im Kaiserreich, sodass die Auswanderung zurückging, während die transnationale Zuwanderung anstieg. Der Großteil der landwirtschaft lichen Wander- und Saisonarbeiter kam aus Osteuropa, vor allem aus Polen, Russland, Galizien sowie aus Italien 20. Zu diesem Zeitpunkt war Frankreich bereits ein Einwanderungsland: Zwischen 1872 und 1886 hatte sich dort die Anzahl der Ausländer verdoppelt. Über eine Millionen Einwanderer kam 1881 nach Frankreich, zumeist aus Belgien und Italien, aber auch aus Spanien und der Schweiz21. Mit 11,9 % stellten die deutschsprachigen Einwanderer 1911 nach Italienern und Belgiern in Frankreich die drittgrößte Gruppe22. Umgekehrt gab es keine nennenswerte Einwanderung aus Frankreich nach Deutschland, wohl aber Reisen aus geschäft lichem, wissenschaft lichem oder touristischem Anlass23. An den französischen Industriestandorten ließ die Wirtschaftskrise in den 1880er- und verstärkt ab den 1890er-Jahren Fremdenfeindlichkeit und gewaltvolle Ausschreitungen zwischen französischen und ausländischen Arbeitern ansteigen24. Vor dem Ersten Weltkrieg hatten sich die Zuwanderungszahlen in beiden Ländern angeglichen: Rund 1,16 Millionen Einwanderer kamen 1911 laut offiziellen Statistiken nach Frankreich. Nach Deutschland waren es 1910 etwa 1,26 Millionen, wobei nicht alle Saisonarbeiter und temporären Migranten erfasst sein dürften25. Die transnationalen Migrationen verbunden mit der demografischen Entwicklung – in Deutschland stark ansteigend, in Frankreich stagnierend – hatten in beiden Ländern Auswirkungen auf den Nationalismusdiskurs und auf die 18 Siehe z. B. Thiesse 1997 [1267]; Chanet 1996 [1251]. Ältere Sicht: Weber 1977 [304]. Ein Forschungsüberblick auf Deutsch: Hüser 2001 [284]. 19 Mergel 2009 [1244], S. 376. 20 Bade, Oltmer 22008 [1235], S. 150; Wehler 1995 [110], S. 546. 21 Page Moch 22008 [1265], S. 127; Lequin 2006 [1258], S. 301–302; Weil 2002 [768], S. 356–357. 22 Zur deutschen Einwanderung nach Frankreich im 19. Jahrhundert siehe König 2003 [1221]. 23 Barbey-Say 1994 [1138]. 24 Dornel 2012 [1254]; Noiriel 2007 [357]; Lequin 2006 [1258], S. 338–334. 25 Mergel 2009 [1244], S. 384. Vgl. Prat-Erkert 2012 [355], S. 232.
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Ausgestaltung des Staatsangehörigkeitsrechts. In der Dritten Republik war das Gesetz von 1889 vor dem Hintergrund der demografischen Stagnation, dem Arbeitskräftemangel und dem Ziel, Wehrpflichtige zu gewinnen, überwiegend vom Territorialprinzip (ius soli) geprägt, womit in Frankreich geborene Kinder von Einwanderern die französische Nationalität erhielten. Das deutsche Staatsbürgergesetz von 1913 schrieb dagegen vor allem das Abstammungsprinzip (ius sanguinis) mit dem Ziel einer Homogenisierung des Nationalstaats fest. Beide Staatsbürgergesetze waren jedoch Mischformen dieser idealtypisch dargestellten Prinzipien und durch internationale Transfers bei der Ausarbeitung der Gesetzestexte entstanden26.
Verfassungen und politische Kulturen Einen starken Kontrast zwischen beiden Ländern bildeten die politischen Ordnungen, mit der konservativ-autoritären und föderalen Monarchie in Deutschland auf der einen und der bürgerlich-parlamentarischen und zentralistisch ausgerichteten Republik in Frankreich auf der anderen Seite27. Das Deutsche Kaiserreich bestand als föderativer Verbund aus 22 Staaten und drei freien Städten, die in Größe, Bevölkerung, Wirtschaft und Machtanspruch sehr unterschiedlich waren. Die Einzelstaaten behielten ihre Regierungen, Landtage und Verwaltungen und waren für den überwiegenden Teil der Politikfelder wie für die Umsetzung der reichseinheitlichen Bestimmungen verantwortlich. Die föderative Struktur zog eine relative Schwäche des Reiches nach sich, das von den Matrikularbeiträgen seiner Mitgliedsstaaten abhängig war und selbst abgesehen von einigen Verbrauchssteuern wie auf Salz, Tabak und Rübenzucker keine Reichssteuern erhob28. Die Reichsverfassung von 1871 basierte auf derjenigen des Norddeutschen Bundes von 1867, die, geprägt von Bismarck, unter Berücksichtigung preußischer Machtinteressen und mit einer starken Stellung für die Exekutive, d. h. Kaiser und Reichskanzler, erarbeitet worden war29. Der Reichskanzler war bis 1918 fast durchgehend in Personalunion zugleich preußischer Ministerpräsident und zumindest in der Bismarckzeit die „maßgebliche Instanz des politischen Systems“30. Der Kanzler war dem Reichstag zwar Rechenschaft schuldig, 26 Gosewinkel 2009 [309], S. 400–401; Gosewinkel 2008 [307]; Jansen, Borggräfe 2007 [682], S. 121. Ältere Sicht: Brubaker 1994 [307]. 27 Kaelble 1991 [1219], S. 84. 28 Halder 22006 [244], S. 13. 29 Zur Verfassung und zur Forschung darüber siehe Althammer 22017 [83], S. 39–44; Berghahn 102003 [85], S. 290–298; Gusy 2002 [243]; Mommsen 1993 [101], S. 333– 353; Nipperdey 1992 [105], Bd. 2, S. 85–109. Zur Kontroverse um den Einfluss Bismarcks auf die Verfassung und deren Einordnung siehe Ullmann 22005 [258], S. 65–68. 30 Althammer 22017 [83], S. 44.
2. Herausforderungen und Ambitionen
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hing aber allein vom Vertrauen des Kaisers ab. Der Reichstag hatte jedoch ein Gesetzinitiativrecht und musste allen Gesetzen sowie dem Reichshaushalt zustimmen und hatte damit wichtige Einflussmöglichkeiten31. Der Bundesrat hatte die formelle Souveränität inne und arbeitete Gesetzesvorlagen aus, über die der Reichstag abstimmte. Der Bundesrat konnte mit Zustimmung des Kaisers den Reichstag auflösen. Bismarck drohte mit dieser Option, wenn die Abgeordneten die Zustimmung zu Gesetzen verweigerten. So forderte Bismarck 1887 mit taktischem Hinweis auf die durch General Boulanger geschürte Kriegsstimmung in Frankreich einen neuen siebenjährigen Militäretat, den ihm der Reichstag verwehrte. Der Bundesrat folgte Bismarck, löste den Reichstag auf und setzte Neuwahlen an. Die Ausübung und Erweiterung der parlamentarischen Mitbestimmungs- und Kontrollrechte war ein innenpolitisch beherrschendes Dauerthema, das insbesondere vonseiten der Liberalen verfolgt wurde. Der Kaiser berief den Bundesrat und den Reichstag ein, ernannte und entließ den Kanzler. Er hatte den Oberbefehl über Heer und Marine. Das Militär war damit außerhalb der konstitutionellen Verfassung, denn es unterlag nicht der Mitbestimmung und der Kontrolle durch das Parlament32. Kaiser Wilhelm II. versuchte während seiner Regierungszeit ab 1888, den eigenen Machtbereich zu vergrößern und die Exekutive stärker in seiner Person zu bündeln. Das tatsächliche Ausmaß der Machterweiterung durch sein „persönliches Regiment“ ist in der Forschung genauso umstritten wie die Reformfähigkeit des Kaiserreichs33. In Frankreich begann 1870 der komplexe Prozess der Etablierung und Festigung des republikanischen Regimes, der institutionelle sowie soziokulturelle Aspekte umfasste34. Trotz einer republikfeindlichen Konstellation im ersten Parlament im Februar 1871, in dem rund zwei Drittel der Abgeordneten bekennende Monarchisten waren, konnten republikanische Institutionen aufgebaut werden, ein Paradox, das sich mit der Komplexität der damaligen politischen Positionen erklären lässt35. Es lag vor allem an der Spaltung der Monarchisten in drei Lager – Legitimisten, Orléanisten und Bonapartisten –, die jeweils unterschiedliche Dynastien und konkurrierende Vorstellungen von politischer Legitimität vertraten, dass die Versuche zur Restauration der Monarchie scheiterten36. Integrierend und stabilisierend auf die neue Staatsform wirkte die vorzeitige Zahlung der Kriegs31 Zur unterschiedlichen Gewichtung der Rolle des Reichstags in der Forschung siehe Ullmann 22005 [258], S. 71–72. 32 Nipperdey 1992 [105], Bd. 2, S. 203. 33 Zusammenfassung der Forschungskontroverse über das „persönliche Regiment“ Wilhelms II. bei Ullmann 22005 [258], S. 81–82; Berghahn 102003 [85], S. 296– 298. Auf Französisch: Baechler 2003 [233]. 34 Zur politischen Geschichte sowie zu Aufbau und Festigung der Republik siehe Gros 2014 [122]; Rémond 2002 [294]; Rosanvallon 2000 [297]; Candar 1999 [115]; Nord 21998 [287]; Mayeur 1984 [127]; Rudelle 1982 [301]; Réberioux 1975 [131]. 35 Houte 2014 [124], S. 23. 36 Passmore 2013 [333], S. 18–44.
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I. Überblick
schulden an Deutschland noch unter der Präsidentschaft von Adolphe Thiers. Die rasche Begleichung der Reparationen in zwei statt fünf Jahren stellte nicht nur das politische und wirtschaft liche Leistungsvermögen der jungen Republik unter Beweis, sondern hatte zugleich den stufenweisen Abzug der deutschen Truppen bis September 1873 zur Folge. Die sogenannten Befreiungsanleihen (emprunts de la libération) mobilisierten zu diesem Zweck in erheblichem Maß das Kapital von Kleinanlegern, die der Republik damit einen Vertrauensvorschuss gaben. Eine tatsächliche Verfassung wurde für die Dritte Republik nicht ausgearbeitet. Auf Betreiben der Republikaner wurden 1875 drei Verfassungsgesetze (lois constitutionelles) erlassen, jedoch ohne Präambel oder Doktrin. In diesen Gesetzen, die im Wesentlichen bis 1940 in Kraft blieben, wurden die Organisation der Staatsgewalt, des Senats und die Beziehungen der Staatsgewalten untereinander geklärt. Die Legislative bestand demnach mit der Chambre des députés und dem Senat aus zwei Kammern, die gemeinsam die Assemblée nationale bildeten. In Budgetfragen lag das Vorrecht bei der Chambre des députés mit rund 600 Abgeordneten, die auf vier Jahre gewählt wurden, gegenüber dem Senat mit 300 auf neun Jahre gewählten Senatoren. In allen anderen Fällen wurden die legislativen Aufgaben gemeinsam wahrgenommen37. Gesetzesinitiativen wurden dabei von der einen zur anderen Kammer geschickt, bis eine Fassung eine Mehrheit in beiden Kammern erhielt. Die Regierung war den Kammern gegenüber verantwortlich und von den Mehrheiten darin abhängig, was zu häufigen Kabinettswechseln führte. Oftmals hatten sich die Mehrheitsverhältnisse jedoch gar nicht geändert und die neuen Regierungen wurden weitgehend mit identischem Personal gebildet. Destabilisierend wirkte auf die Regierungen, dass die Abgeordneten aufgrund der verhältnismäßig schwach ausgeprägten Parteienlandschaft bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in ihrem Abstimmungsverhalten häufig wechselnde Koalitionen bildeten38. Sie fühlten sich vor allem ihrem Wahlkreis verpflichtet, weniger einer Parteiorganisation oder einem Parteiprogramm. Die in die Kammer gewählten Abgeordneten waren zunächst mehrheitlich Adelige und Notabeln, was nicht der sozialen Struktur der Wählerschaft entsprach. Eine stärkere Durchmischung entstand ab 1900, als mit den Abgeordneten der sozialistischen Parteien Männer aus sozial niedrigen und bildungsfernen Schichten Mandate erhielten39. Die Kammern wählten in einer gemeinsamen Sitzung den Präsidenten der Republik auf sieben Jahren, der wiederum den Ministerpräsident (président du Conseil) zur Kabinettsbildung ernannte. Der Präsident hatte eine starke Stel37 Engels 2007 [121], S. 37; Rémond 2002 [294], S. 154. 38 Roussellier 2003 [298], S. 367. Zu den Anfangsjahren siehe Hudemann 1979 [283]. 39 Eine vergleichende Studie zur sozialen Herkunft von Parlamentariern in Deutschland und Frankreich in der longue durée bei Best 2007 [212].
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lung gegenüber der Regierung, obgleich seine Entscheidungen jeweils von einem Minister gegengezeichnet werden mussten40. Er ernannte Beamte, Botschafter und Offiziere, berief die Minister und leitete den Ministerrat. Er vertrat die Republik nach außen. Vom Parlament verabschiedete Gesetze konnte er zurückweisen und zur erneuten Beratung an die Abgeordneten zurückgeben. In der Praxis entwickelte sich die Dritte Republik nicht zuletzt aufgrund der Zerstrittenheit der Konservativen weniger präsidial, als diese Regelungen es zugelassen hätten. Die parlamentarische Version des republikanischen Regimes mit einer starken Volksvertretung setzte sich durch und die Bevölkerung wählte mehrheitlich republikanisch. Abgesehen von der crise du 16 mai (1877) unter dem monarchistischen Präsidenten Marschall Patrice de Mac-Mahon gab es keine weiteren Versuche eines Präsidenten, die Kammer aufzulösen oder ein Gesetz zurückzuleiten41. Mit der Übernahme von Präsidentschaft und Regierung durch die Republikaner waren knapp zehn Jahre nach der Proklamation der Republik alle Institutionen in republikanischer Hand. Die Freiheitsgesetze (libertés fondamentales) wie die Presse- und Versammlungsfreiheit und die Rechte der Kommunen (1881), die Wiedereinführung der Ehescheidung (1884) sowie die Reform des code pénal und die Revision der Verfassung von 1884 festigten das Regime in seiner demokratischen Ordnung42. Mit der Verankerung der politischen Symbole der neuen Republik ab 1879, der Amnestie für die Verurteilten des Kommuneaufstands und dem Umzug des Parlaments von Versailles nach Paris 1880 nahm, so François Furet, die Französische Revolution von 1789 nach rund 90 Jahren ihr symbolisches Ende und „kehrte in den Hafen ein“. Das Bild einer „République en danger“, die gegen Angriffe von links und rechts verteidigt werden musste, bestand jedoch weiter und wurde zeitgenössisch bis 1914 zu einer verbreiteten Vorstellung, die von den Republikanern bisweilen bewusst geschürt wurde43. Bedrohungen zeigten sich neben den gefürchteten Staatsstreichen durch monarchistische, nationalistische und klerikale Kräfte bei verschiedenen Finanzskandalen wie dem Panamaskandal, in der Boulangerkrise, den anarchistischen Attentaten in den 1890er-Jahren sowie vor allem in der Dreyfusaff äre44. So blieb die innere Geschlossenheit für die junge Republik ein zentrales Thema, das ab der Jahrhundertwende im Zusammenhang mit dem Streben nach außenpolitischem Prestige weiter an Bedeutung gewann. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich die Dritte Republik jedoch als funktionierende 40 Rémond 2002 [294], S. 86–93. 41 Engels 2007 [121], S. 35; Rémond 2002 [294], S. 90–91. Ein Vergleich der „crise du 16 mai“ mit dem preußischen Verfassungskonflikt 1862–1866 bei Raithel 2007 [228]. 42 Duclert 2010 [118], S. 169; Rémond 2002 [294], S. 208–222, 224–228. 43 Houte 2014 [124], S. 10. 44 Zu den Gegnern der Republik siehe Berstein 2003 [268], S. 291–302.
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Demokratie bewiesen, die in der Bevölkerung mehrheitlich Rückhalt genoss. Es war ihr gelungen, republikanische Praktiken und Werte in der Gesellschaft zu verankern, in den Städten genauso wie im ländlichen Raum, der bis dahin stark von der Loyalität zu den traditionellen Eliten geprägt gewesen war. Einst als Subversion und Aufstand gegen die etablierte Ordnung wahrgenommen, stand das republikanische Regime nun selbst für diese Ordnung45. Daneben zeigt die neuere Forschung kritische Aspekte des republikanischen Modells der Integration auf, das durchaus widersprüchlich war: zugleich egalitär und elitär, universalistisch und nationalistisch. So waren Frauen, (streikende) Arbeiter, Einwanderer, Vagabundierende und Kolonisierte in Teilen von republikanischen Partizipationsmöglichkeiten wie Wahlen oder politische Repräsentation ausgeschlossen46.
Integration über Wahlen Im Deutschen Kaiserreich galt für die Wahlen zum Reichstag das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht, das aus der Verfassung des Norddeutschen Bundes übernommen worden war47. Wählen durften deutsche Männer über 25 Jahre. Frauen blieben vom Wahlrecht auf Landes- wie auf Reichsebene ausgeschlossen. Europaweit handelte es sich um ein vergleichsweise modernes und demokratisches Wahlrecht, das in dieser Form nur noch in Frankreich und Griechenland galt48. Jedoch unterschied es sich deutlich von den Wahlrechten in den deutschen Einzelstaaten, die durch soziale Kriterien eingeschränkt oder wie das preußische Dreiklassenwahlrecht ungleich gewichtet waren. Bismarck hatte das moderne Wahlrecht auf Reichsebene eingeführt, um die konservativ eingestellten ärmeren Wählerschichten der ländlichen Regionen als Gegengewicht zu den liberalen Städtern zu gewinnen. Es entwickelte sich wider Erwarten zum Hauptmotor für die politische Partizipation im Kaiserreich49. Der Reichstag war das „Symbol der politischen Nation“50. Über Reden im Reichstag und über Wahlveranstaltungen wurde ausführlich in der Presse berichtet. Insbesondere die Wahlkämpfe machten „das Reich als politische Einheit erfahrbar“51. Die stark zunehmende Wahlbeteiligung von 51 % bei den ersten 45 Fontaine, Monier, Prochasson 2013 [130], S. 5. 46 Zur kritischen Geschichtsschreibung über die Dritte Republik siehe Fontaine, Monier, Prochasson 2013 [130]. 47 Zu Wahlen im Kaiserreich allgemein siehe Anderson 2009 [232]; Sperber 1997 [257]. Auf Französisch: Biefang 2013 [235]. Auf Englisch: Kühne 2015 [248]; Anderson 2000 [232]. Forschungsüberblick zu Wahlen und Wahlkultur bei Kühne 2005 [247]. 48 Anderson 2009 [232], S. 34. 49 Halder 2006 [244], S. 9. 50 Biefang 2003 [234]. 51 Althammer 22017 [83], S. 56.
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Reichstagswahlen 1871 über 77,5 % im Jahr 1887 auf 85 % im Jahr 1912 ist ein Zeichen für die Fundamentalpolitisierung der Bevölkerung während des Kaiserreichs52. Sie entsprach der Wahlbeteiligung in anderen europäischen Ländern wie etwa in Frankreich, wo sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchschnittlich zwischen 70 % und 85 % lag. Die Politisierung zeigte sich darüber hinaus in der Herausbildung von Massenparteien und ihren Wahlkampagnen sowie bei demokratischen Praktiken wie Wahlen und der Abwehr von Wahlbeeinflussung, Versammlungen, öffentlichen Reden und Debatten. Ebenso waren die zahlreichen politischen Vereine, Gewerkschaften, Agitationsverbände, industriellen, agrarischen und mittelständischen Interessenverbände sowie Demonstrationen, Proteste, Kundgebungen und die vielfältigen Reformbewegungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts Zeichen für die zunehmende Politisierung und den Wunsch nach politischer Partizipation der Gesellschaft. In Frankreich galt das allgemeine Wahlrecht für Männer seit 1848, mit bestimmten Einschränkungen während des Zweiten Kaiserreichs53. Zu Beginn der Dritten Republik war daher bereits eine kulturelle Praxis des Wählens verbreitet, auf die der junge Staat aufbauen konnte. Wie im Kaiserreich hatte gerade der Akt des Wählens erhebliche nationsbildende Wirkung. Die landesweit zeitgleich stattfindende Stimmabgabe machte den Wahltag zum gemeinsamen Festtag, bei dem nicht nur die Nation als Ganzes, sondern auch die Bedeutung der eigenen Stimmabgabe erfahrbar wurde54. Das allgemeine Wahlrecht hatte in Frankreich zudem eine erzieherische Funktion: Es sollte die politische und soziale Einheit des Landes symbolisieren. Der deutliche Partizipations- und Erziehungsgedanke findet sich im stärker obrigkeitsstaatlich geprägten Deutschen Kaiserreich von offizieller Seite her nicht55. In Frankreich durften Männer ab 21 Jahren wählen, wählbar waren sie ab 25 Jahren. Frauen hatten in der Dritten Republik kein Wahlrecht und sollten es in Frankreich erst 1944 bekommen. Bei den Männern waren Militärs, Gefangene, Vagabundierende und die Kolonialbevölkerung (mit Ausnahme der älteren Kolonien Antillen, Réunion, Senegal, Cochinchina und Französisch-Indien) ebenfalls vom Wahlrecht ausgenommen. In Algerien, als Siedlungskolonie eine Ausnahme im französischen Kolonialimperium, wählten ansässige französische Staatsbürger ebenfalls, nicht jedoch die durch den code de l’indigénat von 1875 zu französischen Untertanen (sujets) er-
52 Eine Zusammenfassung der Forschungskontroverse bei Jefferies 2008 [95], S. 90– 125; Kühne 2005 [247]. Die Ergebnisse der Reichstagswahlen 1871–1912 im Überblick bei Althammer 22017 [83], S. 54; Halder 2006 [244], S. 150; Berghahn 10 2003 [85], S. 312–313. 53 Zur Entwicklung des Wahlrechts in Frankreich allgemein siehe Garrigou 2002 [276]; Rosanvallon 2000 [297]; Garrigou 1992 [275]; Rosanvallon 1992 [296]; Huard 1991 [280]. Forschungsüberblick auf Deutsch: Hüser 2001 [284]. 54 Berstein 2003 [268], S. 280; Garrigou 2002 [276]; Garrigou 1992 [275]. 55 Haupt 2009 [589], S. 155.
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klärte einheimische Bevölkerung56. Mit Hégésippe Jean Légitimus aus Guadeloupe wurde 1898 erstmals ein schwarzer Abgeordneter in die Kammer gewählt. Die Ausnahme der Militärangehörigen vom Wahlrecht diente dazu, die Armee als unpolitischen Raum zu konstituieren. Darin sowie in der parlamentarischen Kontrolle der Armee unterschieden sich das Deutsche Kaiserreich und die Dritte Republik grundlegend voneinander. Obwohl sie kein Wahlrecht hatten, nahmen Frauen in beiden Ländern intensiv an politischen Aktivitäten teil: Sie sammelten Spenden für politische Zwecke, organisierten Veranstaltungen und Wohltätigkeitsunternehmungen und verbreiteten Flugblätter und Werbematerialien für die Parteien57. In Preußen war ihnen bis April 1908 die Mitgliedschaft in politischen Vereinen und Parteien verboten. Manche Aktivistinnen setzten sich jedoch über das Mitgliedschaftsverbot hinweg, etwa die Frauenrechtlerin und Publizistin Lily Braun, die per Schlitten zu Wahlveranstaltungen im ostelbischen Gebiet reiste und dort Reden für die SPD hielt58. Aufstrebend war ab der Jahrhundertwende die Frauenemanzipationsbewegung, die sich für Gleichberechtigung, bessere Bildungsmöglichkeiten, Zugang zu qualifizierter Berufstätigkeit und insbesondere für das Frauenwahlrecht einsetzte. Diese Debatten wurden international geführt, bei den sozialistischen Parteien genauso wie in der bürgerlichen Frauenbewegung. In Deutschland dominierten dabei vermögende, gebildete, protestantische Frauen, in Frankreich Frauen aus dem mittleren und dem Kleinbürgertum59. Die Frauenbewegung konnte ihre Ideen im Kaiserreich so erfolgreich verbreiten, dass konservative Kreise sich genötigt sahen, eine antifeministische Gegenbewegung zu initiieren. Eine solche gab es zwar auch in Großbritannien, in dieser Form aber nicht in Frankreich. Dort hatten es Feministinnen trotz Maßnahmen im Erziehungswesen und der Einführung der Schulpflicht für Mädchen schwer, sich Gehör zu verschaffen60. Besonders intensiv wurde das Frauenwahlrecht diskutiert, und Frauen erhielten das Wahlrecht für Einrichtungen wie Handelskammern, berufsständische Vertretungen und Handelsgerichte61. Die Gegnerschaft zur Frauenemanzipation war in 56 Weil 2002 [768], S. 61. 57 Schaser 2006 [1249], S. 54. In Württemberg, Baden und Hessen etwa durften Frauen bereits vor 1908 an Versammlungen teilnehmen, siehe Anderson 2009 [232], S. 363. 58 Anderson 2009 [232], S. 364. 59 Planert 2009 [250], S. 167–172; Schaser 2006 [1249], S. 88–91; Klejman, Rochefort 1989 [1256], S. 26. Zur internationalen Diskussion des Frauenwahlrechts siehe Bock 1999 [237]. 60 Taithe 2001 [201], S. 110. 61 Planert 2009 [250], S. 171; Rosanvallon 1992 [296], S. 410. Zum Frauenwahlrecht in Frankreich siehe Bouglé-Moalic 2012 [271]; Rosanvallon 1992 [296], S. 393–412; Huard 1991 [280], S. 188–210; Klejman, Rochefort 1989 [1256], S. 262–301.
2. Herausforderungen und Ambitionen
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Frankreich in der Mitte der Gesellschaft verankert, während sie in Deutschland stärker von der nationalistischen Rechten getragen wurde62. Frauen wurden in der republikanischen Tradition vor allem als Mütter und weniger als Staatsbürgerinnen oder als Individuen gesehen. Die frauenfeindlichen und pronatalistischen Strömungen in Frankreich propagierten daher mit Blick auf den starken Geburtenüberschuss in Deutschland die Erhöhung der Geburtenrate in Frankreich. Der öffentliche politische Raum sollte Männern vorbehalten bleiben, wobei auch hier die Verteidigung der Republik argumentativ ins Feld geführt wurde: Die Republikaner fürchteten, dass Frauen bevorzugt katholische Parteien wählen würden, was das Zurückdrängen der Kirche durch die laizistische Politik unterlaufen hätte63. Die stärkere antifeministische Bewegung im Kaiserreich kann als Zeichen für den größeren Verbreitungsgrad feministischer Ideen in der deutschen Gesellschaft gewertet werden, die in dieser Hinsicht „modernisierungswilliger“64 war als die französische. Die Parteien in beiden Ländern mussten sich auf den politischen Massenmarkt einstellen, wie er sich um die Jahrhundertwende entwickelte65. Dazu gehörten neue Organisationsformen für Parteien. Der klassische, organisatorisch kaum gebundene Honoratiorenpolitiker war auf dem Rückzug. Neu war die Erfahrung, dass Politiker sich unmittelbar an ihre Wähler wandten und diese um ein Mandat baten66. Parteien in Deutschland und Frankreich reagierten bis 1914 ganz ähnlich – nämlich sehr zögerlich – auf diese Herausforderungen67. Im Kaiserreich existierte durchgängig ein Fünfparteiensystem, bestehend aus Konservativen, Katholiken, Nationalliberalen, Linksliberalen und Sozialisten. Obwohl Splitterparteien zeitweilig Abgeordnete in den Reichstag entsenden konnten, erlangten diese nie Einfluss auf die Mehrheitsbildung im Parlament68. Während es in Frankreich bereits seit 1852 ein staatliches Gehalt für Abgeordnete gab, erhielten Reichstagsabgeordnete bis 1906 keine Diäten. Dadurch konnten sich nur vermögende Personen oder Politiker zur Wahl stellen, die über einen fi nanziellen Rückhalt durch ihre Partei oder durch Spenden verfügten. 62 Planert 2009 [250], S. 179. 63 Bouglé-Moalic 2012 [271], S. 170–173, 175–177; Anderson 2009 [232], S. 118; Rosanvallon 1992 [296], S. 396; Huard 1991 [280], S. 198–199. 64 Planert 2009 [250], S. 183. Siehe auch Bouglé-Moalic 2012 [271], S. 166–170; Rosanvallon 1992 [296], S. 406–407. 65 Zur Kritik an der Festlegung des Zeitpunkts siehe Retallack 2009 [251], S. 133– 134 sowie Kühne 2005 [247], S. 299. Aus der Fülle der Literatur über Parteien im Kaiserreich siehe neben den bereits zitierten Werken zu Wahlen Dowe, Kocka, Winkler 1999 [239]; Ritter 1985 [252]. Französisch: Saint-Gille 2006 [253]; Wahl 1999 [260]. 66 Osterhammel 2009 [80], S. 827, 859. 67 Kreuzer 2001 [223], S. 3, 24, 49–51. 68 Halder 2006 [244], S. 21; Ritter 1985 [252], S. 6. Ullmann sieht dagegen ein „regionalisiertes Fünfparteien- und nationalisiertes Drei-Lager-System“, Ullmann 2 2005 [258], S. 73.
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I. Überblick
In Frankreich formierte sich ein festes Parteienspektrum in den Jahren 1901 bis 1905 und damit später als im Deutschen Kaiserreich und in anderen europäischen Ländern. Eine restriktive Gesetzgebung im Hinblick auf die Gründung von Verbänden und Organisationen spielte dabei genauso eine Rolle wie eine damit verknüpfte stärker individualistische politische Tradition69. Dennoch kann nicht pauschal von einer instabilen französischen Parteienlandschaft die Rede sein70. Gewerkschaften und Berufsverbände etwa waren seit 1884 zugelassen. Eine sehr wichtige Rolle spielten die Ligue de l’enseignement, die Ligue des patriotes sowie die Freimaurerlogen, allen voran der Grand Orient de France, dem zahlreiche führende Republikaner wie beispielsweise Jules Ferry angehörten71. Das infolge des Vereinsgesetzes von 1901 entstehende Parteienspektrum mit dem Parti radical-socialiste der republikanischen Dreyfusanhänger, der Alliance démocratique (beide 1901) und der Fédération républicaine (1903) der konservativen Republikaner, dem 1905 gegründeten Parti socialiste unifié, section française de l’Internationale ouvrière (SFIO) sowie der Action française (1898) im rechten Lager blieb im Wesentlichen bis 1940 erhalten72. Die starke Politisierung der französischen Gesellschaft in der Zeit vor 1914 steht außer Frage. Die Epoche gilt als Zeit, in der das Politische – nicht zuletzt wegen der Dreyfusaff äre – das öffentliche und nationale Leben, soziale Dynamiken, künstlerische Bewegungen, intellektuelle Debatten sowie individuelle und kollektive Vorstellungen beherrschte. Anders wurde dagegen von der Forschung die Situation im Deutschen Kaiserreich eingeschätzt: Hier dominierte lange Zeit die Vorstellung eines wirtschaft lich modernen, aber gesellschaft lich und politisch rückständigen Staates, ein Bild, das inzwischen deutlich revidiert wurde73. So war mit der Verfassung zwar ein Rahmen vorgegeben. Wie sich das Kräfteverhältnis jedoch darin entwickeln würde, war im Deutschen Kaiserreich ähnlich wie in Frankreich offen. Verfassungsmäßig beschritt das Kaiserreich in Europa keinen Sonderweg, sondern stellte eine „Variante des zeittypischen monarchischen Konstitutionalismus“74 dar. Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg spiegelte damit beides: die konstitutionelle Krise des Kaiserreichs einerseits, manifest etwa in der politischen Blockade zwischen Regierung und Reichstag aufgrund fehlender Kontrollbefugnisse, und die weite Akzeptanz des bestehen-
69 Engels 2007 [121], S. 56–57. 70 Vgl. den Überblick bei Offerlé 2006 [288] sowie Hudemann 1979 [283]. Zu Parteien allgemein siehe außer der bereits zu Wahlen zitierten Literatur Berstein 2003 [269]; Huard 2003 [282]; Huard 1996 [281]. 71 Nord 21998 [287], S. 15–30; Huard 1996 [281], S. 183. Siehe auch Engels 2007 [121], S. 59. 72 Berstein 2003 [269], S. 438. Zu den Radikalen in den Anfangsjahren der Republik siehe auf Deutsch: Mollenhauer 1997 [286]. 73 Torp, Müller 2009 [104], S. 21, 23. 74 Althammer 22017 [83], S. 61.
2. Herausforderungen und Ambitionen
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den politischen Systems andererseits75. So hatte abgesehen von der SPD – die allerdings die stärkste Fraktion war – keine Partei im Kaiserreich ein tatsächliches Interesse an einer Ablösung der konstitutionellen durch eine parlamentarische Monarchie oder gar durch eine Demokratie, wie es sie in Frankreich gab. Gerade die konservativen Parteien erwarteten in diesem Fall einen Stimm- und Einflussverlust76. In enger Beobachtung der Entwicklung der Dritten Republik wurde in politischen Diskussionen im Kaiserreich dem deutschen Rechtsstaat der französische politische Staat gegenübergestellt. Die Korruptionsskandale in Frankreich, das harte Vorgehen gegen die Arbeiterbewegung bei Streiks, fehlende Sozialgesetze, wirtschaft liche Schwäche, politische Instabilität und vor allem das Versagen der Justiz in der Dreyfusaff äre wurden quer durch fast alle politischen Lager im Kaiserreich kritisiert und ließen das deutsche Modell als überlegen erscheinen. Selbst Teile der deutschen Sozialisten waren gegen die Republik eingenommen, in deren Staatsform sie keine wirkliche Alternative zum Kaiserreich sahen77. Erstaunlich ist die große Häufigkeit, mit der im Kaiserreich auf die ausländischen parlamentarischen Systeme in Frankreich und Großbritannien Bezug genommen wurde. Sogar Ende des Jahres 1908 auf dem Höhepunkt der Daily-Telegraph-Aff äre aufgrund eines umstrittenen Interviews von Kaiser Wilhelm II. fand noch die Hälfte der Abgeordneten während der Reichstagsdebatten Zeit, das deutsche politische System mit den Systemen anderer europäischer Länder zu vergleichen78. Die Genugtuung vieler Deutscher über die vermeintliche Überlegenheit der eigenen staatlichen Institutionen im internationalen Vergleich ist ein Hinweis darauf, dass es neben kulturellen und sprachlichen genauso politische Komponenten gab, die sich einigend auf das deutsche Nationalgefühl ausgewirkt haben79. Die zeitgenössische deutsche Kritik an der décadence und der scheinbaren Instabilität der Dritten Republik hat sich interessanterweise in Teilen der deutschen Geschichtsschreibung bis Ende des 20. Jahrhunderts gehalten80. In Frankreich herrschte umgekehrt eine gewisse Faszination für die eigene Sonderstellung als Republik. Ein Großteil der Bevölkerung sah Frankreich in einer überlegenen Position als demokratische Insel in einem monarchistischen Europa81. Mit Blick auf das Deutsche Kaiserreich wurden vor allem dessen autoritäre Züge kritisiert. So hatte die Aff äre um den „Hauptmann von Köpenick“
75 Hewitson 2001 [245], S. 779. 76 Kühne 2005 [247], S. 314; Langewiesche 2003 [249], S. 16; Hewitson 2003 [220], S. 218, 244; Hewitson 2001 [245]. 77 Krumeich 2007 [98], S. 458; Hewitson 2003 [220], S. 190–202; Krumeich 1992 [319], S. 204–205. 78 Hewitson 2003 [220], S. 223. 79 Ebd., S. 3, 4, 26, 27, 33, 50, 65. 80 Siehe dazu Krumeich 1996 [125], S. 305–306. 81 Houte 2014 [124], S. 11.
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I. Überblick
1906, bei der ein vorbestrafter Schuster in der Uniform eines Hauptmanns das Rathaus von Köpenick stürmte und dort die Stadtkasse entwendete, die Franzosen stark amüsiert. Sie galt als Bestätigung der marionettenhaften Hörigkeit der Deutschen gegenüber Militär und Autoritäten82.
Geschichtswissenschaft und Schulerziehung Historikern kam in beiden Ländern eine zentrale Rolle für die Entwicklung einer nationalstaatlichen Traditionspflege und Erinnerungskultur zu83. Preußische Historiker stellten die Reichsgründung 1871 in eine Linie mit den napoleonischen „Befreiungskriegen“84. Französische Historiker zogen republikanische Verbindungslinien zurück zur Französischen Revolution. Sie hatten überdies die Aufgabe, die Niederlage Frankreichs 1871 sowie den Aufstieg Preußens aus der Geschichte zu erklären und eine geistige Regeneration einzuleiten85. Als eine der Ursachen wurden das schlechte schulische und universitäre Ausbildungssystem sowie die im Vergleich zu Preußen „unwissenschaft liche“ und unpatriotische Geschichtsschreibung identifiziert86. Historiker wie Gabriel Monod und Ernest Lavisse setzten sich dafür ein, die französische Geschichtswissenschaft nach deutschem Vorbild zu professionalisieren und zu standardisieren, ein Prozess, der in Teilen bereits in den 1860er-Jahren eingesetzt hatte. Nach dem verlorenen Krieg 1870 / 71 wurde aus dem bis dahin primär intellektuellen ein patriotisches Anliegen, wodurch das Vorhaben deutlich an Vehemenz gewann87. Von einem kritiklosen Transfer des „deutschen Modells“ nach Frankreich kann jedoch nicht die Rede sein88. Spätestens um 1900 hatte Deutschland seine Vorbildfunktion für die französische Geschichtswissenschaft verloren, obgleich die gegenseitige Wahrnehmung und der Austausch weiterhin eng blieben89. Die internationalen Historikerkongresse ab 1898 waren Orte des Austauschs und der Konkurrenz, bei denen die Notwendigkeit einer gemeinsamen Dokumentation von Quellen genauso deutlich wurde wie Deutungskämpfe und Dominanzstreit über Richtungen und Methoden90. Wegen seiner Breitenwirkung wurde dem Schulunterricht noch größere 82 Nolan 2005 [325], S. 35. 83 Leonhard 2008 [701], S. 741–783; François, Schulze 1998 [689]; Vogel 1997 [331]; François, Siegrist, Vogel 1995 [687]. 84 Puschner 2016 [189], S. 23–26. 85 Gödde-Baumanns 1998 [1216]; Krumeich 1989 [1592]; Digeon 1959 [1149]. 86 König 2014 [1257]. 87 Gödde-Baumanns 2009 [1217], S. 292. 88 Lingelbach 2003 [1224]; Werner 1995 [1234]; Charle 1994 [1252], S. 21–131; Carbonell 1991 [1207]; Charle 1988 [1208]. 89 Escudier 2004 [1212]; Lingelbach 2003 [1224]. 90 Hübinger, Picht, Dąbrowska 2010 [1215], S. 176, 190. Zu den internationalen Historikerkongressen siehe auch Erdmann 2005 [1211]; Erdmann 1987 [1210].
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Bedeutung als der universitären Ausbildung beigemessen. In einer Serie von Gesetzen wurden in Frankreich in den 1880er-Jahren unter Jules Ferry Reformen durchgeführt: Allgemeine Schulpflicht, Laizismus und kostenloser Unterricht waren deren Eckpfeiler91. Die pädagogische Ausrichtung war dabei eng mit der innenpolitischen, laizistischen Festigung der Republik verbunden, was die teils heft igen Diskussionen rund um die Gesetzesinitiativen erklärt. Schon in der Grundschule, für die zahlreiche standardisierte Neubauten in Ortsmitte entstanden, sollten die Kinder zu loyalen, von der Kirche unabhängigen Bürgern erzogen werden, die bereit waren, die Republik zu verteidigen. Der Volksschullehrer, vor dem Krieg mit einem eher schlechten Image ausgestattet, avancierte zur Symbolfigur der Republik: Als hussard noir in seinem schwarzen Rock stellte er das Gegenstück zum katholischen Priester dar und verkörperte die antiklerikale Idee. In der deutschen pädagogischen Fachpresse wurden diese Reformen mit „Sympathie, Respekt und Bewunderung“92 aufgenommen. In Deutschland lag die Kultushoheit bei den einzelnen Ländern, die unabhängige Entscheidungen trafen. Zwar war die allgemeine Schulpflicht in den deutschen Ländern bereits im 17. und 18. Jahrhundert eingeführt worden, vollständig umgesetzt wurde sie jedoch erst nach 1871. Der Hauptauft rag der preußischen Volksschulen lag darin, über die Erziehung die nationale Idee zu stärken und der neuen kaiserlichen Monarchie die Loyalität der Massen zu sichern und sie gegen innere „Reichsfeinde“ zu immunisieren93. Der deutschen Industrie sollten kaisertreue Arbeiter zugeführt werden, um sie auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu halten94. Im Militärkult trafen sich die Erziehungspolitiken beider Länder. In Frankreich erhielten die Kinder ab 1882 in den sogenannten Schulbataillonen (bataillons scolaires) eine militärische Ausbildung, was die deutsche Regierung beunruhigt zur Kenntnis nahm95. Dem stand im Deutschen Kaiserreich neben der Verherrlichung von Krieg und Militär die „körperliche Wehrhaft machung“ gegenüber, die im Turn- und Sportunterricht sowie in der „Heereserziehung“ gepflegt wurde. Ergänzend kamen das Erlernen von Kriegsliedern und Gymnastik- und Schießübungen hinzu sowie die vormilitärische Jugenderziehung, wie sie der preußische Jugendpflegeerlass von 1913 festschrieb. Die Presse kritisierte am jeweils anderen Land die chauvinistische Schulerziehung, in der man eine Gefahr für den Frieden in Europa sah96. Gleichzeitig wurde die Sprache des Nachbarlandes gelehrt, um die Verstän91 Duclert 2010 [118], S. 158–166; Cabanel 2007 [1250]; Chanet 1996 [1251]; Déloye 1994 [1253]; Ozouf 1992 [1264]; Ozouf 1963 [1260]. 92 Schivelbusch 2003 [1472], S. 417. 93 Alexandre 2007 [1205], S. 92. 94 Löher, Wulf 1998 [1243], S. 30. 95 Spivak 2007 [1233], S. 38. 96 Alexandre 2007 [1205], S. 100.
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I. Überblick
digung vor allem in der Wissenschaft oder in möglichen Kriegszeiten zu ermöglichen. Französisch stand bei den modernen Fremdsprachen im Kaiserreich an erster Stelle. Da Lehrer jedoch die deutsche Staatsangehörigkeit haben mussten, bot der Sprachenunterricht an den Schulen keine Einsatzmöglichkeit für französische Lektoren97. Lehramtsassistenten konnten dagegen im anderen Land hospitieren. Kontakte wurden ebenso durch Auslandsaufenthalte während des Studiums ermöglicht und es gab ein „Handbuch für einen Studienaufenthalt im französischen Sprachgebiet“, das 1911 in vierter Auflage erschien. Kontakte der deutschen und französischen Jugend existierten außerdem durch deutsch-französische Schülerbriefwechsel98. Trotz überwiegend positiver Erfahrungen bei Aufenthalten von Schülern im anderen Land wurde häufig gegenseitig die nationalistische Einstellung des anderen kritisiert. Um die Jahrhundertwende kam es vor allem in Frankreich zu einer Krise des Patriotismus an der Schule, die bis zum Ersten Weltkrieg anhielt. Die chauvinistische und paramilitärische Erziehung wurde in beiden Ländern zum Ziel der Kritik durch Sozialdemokraten, Pazifisten und linke Presse. In den pädagogischen Reformbewegungen kam es zu Ideentransfers über Zeitschriften, Vereine und Tagungen99.
Nationalstaat und Symbole Zur Schaff ung einer kollektiven, einheitlichen und systemstabilisierenden Vorstellung der Nation wurden nationale Traditionen und Mythen über Riten, Feiern, Denkmäler und politische Symbole im Bewusstsein der Massen verankert100. Die nach 1870 entworfenen Nationsdeutungen waren in Deutschland und Frankreich innenpolitisch stark umstritten. Sie wurden nicht nur von staatlicher Seite vorgegeben, sondern auch von unterschiedlichen politischen und sozialen Gruppen eingefordert und aktiv verhandelt. Bei Auswahl und Etablierung seiner nationalen Symbole tat sich das Deutsche Kaiserreich schwerer als die Dritte Republik. Es galt, einen Ausgleich zu finden zwischen dem neu geschaffenen monarchischen Staat, den Fürsten der Einzelstaaten sowie den Vorstellungen der liberal-freiheitlichen bürgerlichen Nationalbewegung. Dies gelang erst unter Wilhelm II., und selbst dann nur in Teilen, blieb doch die „Spannung zwischen nationalen und föderalen Symbolen“101 erhalten. In Fahne, Wappen und Kaiserhymne des Reichs zeigte sich die Dominanz Preußens. Eine Nationalflagge gab es zunächst nicht. Als Handelsflagge wurde die schwarz-weiß-rote Flagge des Norddeutschen 97 98 99 100 101
Middell 1993 [1225], S. 365. Randig 2015 [1228], S. 162; Alexandre 2007 [1205], S. 100. Siehe dazu das Kapitel I.4 „Städtische und ländliche Lebensformen“. Anderson 22005 [676]; Hobsbawm 32005 [696]; Thiesse 1999 [707]; Hobsbawm, Ranger 1987 [697]. Schneider 2008 [255], S. 174.
2. Herausforderungen und Ambitionen
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Bundes übernommen, die 1892 zur Nationalflagge deklariert wurde. Dass bei der dreifarbigen Flagge formal die französische Trikolore Pate gestanden hatte, wurde mit einer eigenen geschichtlichen Herleitung verschleiert102. Eine offizielle Nationalhymne wurde nicht festgelegt. Als Monarchenhymne wurde „Heil Dir im Siegerkranz“ gesungen, eine preußische Volkshymne, die in den Freiheitskriegen gegen Napoleon als Vaterlandslied umgedeutet worden war. Die Melodie war die der englischen Hymne „God Save the King“, was auch in Preußen auf Unmut stieß103. Bei bürgerlichen Veranstaltungen wurde das 1840 während der „Rheinkrise“ entstandene Lied „Die Wacht am Rhein“ oder das protestantische „Ein feste Burg“ angestimmt. Ab den 1890er-Jahren gewann das „Deutschlandlied“ an Beliebtheit104. Einen offiziellen Nationalfeiertag gab es nicht. Die Sedanfeiern am 2. September, mit denen der siegreichen Schlacht gegen Frankreich 1870 gedacht wurde, richteten die Kriegervereine mit regionalen und konfessionellen Unterschieden als populäres Volksfest mit Umzügen, Paraden und Schützenfesten aus. Als Nationalfeiertag konnte der Sedantag sich nicht durchsetzen und nach der 25-Jahrfeier 1895 ebbte das Interesse an der Kriegserinnerung ab105. Katholiken, Sozialdemokraten und süddeutsche Demokraten blieben den Feierlichkeiten fern. Beliebter als der Sedantag und die formellen Kaisergeburtstage waren die „Kaiserparaden“. Darin präsentierte der Kaiser jeden Herbst im Wechsel einer Region stellvertretend für die gesamte Nation die Kampfk raft der Truppen. Diese Paraden waren kein Ausdruck einer Sonderstellung des Kaiserreichs, sondern ein zeittypisches Phänomen, das sich in ähnlicher Form in Frankreich und in anderen europäischen Ländern zeigte106. Dennoch wurde in Frankreich der militärische Charakter der Feste kritisiert, etwa beim hundertjährigen Gedenken an die Völkerschlacht bei Leipzig 1913107. In ihrer politischen Symbolik knüpfte die Dritte Republik nach ihrer Festigung an das revolutionäre Erbe Frankreichs an und legte die Marseillaise als Hymne (1879), den 14. Juli als Nationalfeiertag (1880) und die Trikolore als Flagge (1880) fest108. Doch ging der Rückgriff auf republikanische Symbole nicht 102 Fehrenbach 1971 [216], S. 326. 103 Ebd., S. 319. 104 Schneider 2008 [255], S. 175; Nipperdey 1992, S. 261. Vergleichend über europäische Hymnen: Leterrier 1998 [225]. 105 Puschner 2016 [189], S. 30–37; Vogel 2010 [259], S. 212–213. Für Schneider 2008 [255], S. 165, verlor der Sedantag bereits in den 1880er-Jahren an Bedeutung. Vgl. Schellack 1990 [254], S. 67–132. 106 Vogel 1997 [331]; Rohkrämer 1990 [1500], S. 37–55, 266. 107 Schneider 2008 [255], S. 187. Zu den Feierlichkeiten von 1913 im Vergleich mit französischen Praktiken siehe Mariot, Rowell 2004 [226]. 108 Allgemein: Richard 2015 [295]. Zur Marseillaise siehe Vovelle 2005 [303]; Fehrenbach 1971 [216], S. 303–309. Zur Trikolore siehe Ozouf 2005 [290]; Girardet 1984 [277]; Fehrenbach 1971 [216], S. 303–309. Zum 14. Juli siehe Ihl 1996 [285], S. 111–133; Amalvi 1984 [265].
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konfliktfrei vor sich: Für die einen stand der Bezug auf die Revolution von 1789 für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, während die anderen an Klassenkampf, Terror und die Hinrichtung von König, Adligen und Priestern erinnert wurden109. Wie die „Kaiserparaden“ in Deutschland hatten die Besuche der französischen Präsidenten eine wichtige Funktion für die Inklusion der Regionen, wobei die lokalen Akteure stärker als in Deutschland gestaltend auf den Ablauf der Besuche einwirken konnten110. Ähnlich ritualisiert, aber ohne militärische Aspekte, waren sie darüber hinaus ein wichtiges Mittel zur Republikanisierung des Landes111. Stand bei den Reisen zunächst die Funktion des Präsidenten im Mittelpunkt, ging es ab der Jahrhundertwende stärker um die Glorifizierung der jeweiligen Person im Amt112. Die neuere Forschung hat für die Dritte Republik nicht nur die Kontinuitäten mit den Festen des Second Empire nachgewiesen, sondern auch gezeigt, dass die Regionen bei der Ausgestaltung der Feste und der Aneignung der Symbole aktiv und selbstständig mitwirkten. So bestellten viele Bürgermeister, örtliche Komitees und Deputierte ihre Mariannebüsten aus eigenem Antrieb. Ebenso planten sie die Aktivitäten für den Nationalfeiertag mit lokalen Varianten weitgehend autonom, wobei die Organisation oft mals mit politischen Auseinandersetzungen und klerikalem Widerstand einherging113. Auch der im Jahr 1880 gefasste Beschluss, öffentliche Gebäude mit der Inschrift „Liberté égalité, fraternité“ zu versehen, erfuhr lokale Anpassungen, die von komplexen Aushandlungsprozessen und leidenschaft lichen Debatten zeugten: Das neue Rathaus in Les Lilas etwa war mit den Worten „Liberté, égalité, fraternité, vote“ geschmückt, während auf dem Rathaus in La Celle im Departement Var die Inschrift „Liberté, égalité, science“ angebracht wurde114. Eine „symbolpolitische Offensive der Republikaner“115 bot die Einhundertjahrfeier der Französischen Revolution 1889, die seinerzeit heft ig umstritten war. Neben der Weltausstellung mit dem neugebauten Eiffelturm, den zahlreichen Publikationen, Kongressen und Feierlichkeiten wurde das jährliche Bankett der Bürgermeister auf dem Champ de Mars abgehalten. Rund 11 250 französische Bürgermeister überwiegend ländlicher Herkunft nahmen daran teil, beobachtet von über 800 000 Schaulustigen116. Eine offizielle deutsche Beteiligung an der Weltausstellung 1889 und an den republikanischen Feierlichkeiten 109 110 111 112 113 114 115 116
Mollenhauer 2004 [563], S. 209–210; Amalvi 1984 [265], S. 424–425. Mariot, Rowell 2004 [226], S. 182, 206–207. Steller 2011 [332], S. 130–131. Sanson 1998 [302], S. 357, 377. Richard 2015 [295], S. 115–120, 296–300; Ihl 1996 [285], S. 134–179; Agulhon 2001 [263], S. 42–49, 247–253. Houte 2014 [124], S. 75. Zur Triade allgemein siehe Ozouf 2005 [290]. Mollenhauer 2004 [563], S. 214. Zum centenaire von 1889 siehe Ory 1992 [289]; Bariéty 1992 [266]. Ihl 1996 [285], S. 208–220; Ory 1992 [289], S. 130–131.
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gab es nicht, im Gegenteil: Genau wie ihre Kollegen aus den Monarchien Österreich-Ungarn, England und Russland verließen die deutschen Diplomaten in dieser Zeit Paris117. Dafür reisten die deutschen Sozialdemokraten an die Seine, um am zeitgleich stattfindenden Gründungskongress der Zweiten Internationalen teilzunehmen. Umgekehrt wurden 1895 zur 25-Jahrfeier des deutschen Siegs in Sedan die französischen Militärattachés aus Berlin abgezogen, um ihnen den Anblick der militärischen Feiern zu ersparen und die nationale Würde Frankreichs zu wahren118. Der französischen „statuomanie“119 nach 1870, die das Land mit Statuen von republikanischen Politikern, Philosophen, Militärs sowie mit Mariannebüsten in den Rathäusern und anderen Republik-Darstellungen auf öffentlichen Plätzen überzog, entsprach die deutsche „Denkmalsflut“120 mit Statuen von Bismarck, Wilhelm I. und von führenden Militärs sowie mit nationalen Denkmälern wie dem Kyffhäuserdenkmal für Barbarossa und dem Denkmal zur Erinnerung an die Völkerschlacht bei Leipzig. Während in Deutschland der Sieg von 1870 / 71 inszeniert wurde, zeigten die Denkmäler in Frankreich heroische Gesten, die die Niederlage transzendierten121. Zwischen Hermannsdenkmälern in Deutschland und Vercingetorixstatuen in Frankreich gab es „frappierende Ähnlichkeiten“122. Beide huldigten antiken Persönlichkeiten, die jeweils für ihr Land gegen die römische Invasion gekämpft hatten. Unterschiedlich waren die Religionsbezüge: Dem französischen Laizismus stand der deutsche Nationalprotestantismus gegenüber, wobei in beiden Ländern katholische Kräfte ihre Sinnstiftungen ebenso verbreiten konnten. Unterschiedlich verlief überdies die Einweihung von Denkmälern für republikanische Staatsmänner, fehlten in Frankreich doch die militärischen Aspekte, die im Kaiserreich gerade bei der Ehrung von Militärs stark im Vordergrund standen123. Zeitgenössisch waren in beiden Ländern sowohl die Denkmalsflut als auch einzelne Projekte aufgrund politischer Vorbehalte verschiedener Akteure und Gruppen umstritten. Trotz der Unterschiede in den politischen Botschaften zwischen Monarchie und Republik ist in den Bereichen politische Symbolik, Militärfeiern und Denkmäler kein starker Antagonismus auszumachen. Vielmehr dominierten Ähnlichkei-
117
118 119 120 121 122 123
von Plato 2001 [1195], S. 210; Bueltzingsloewen 1992 [214], S. 40. Zu den weiteren internationalen Reaktionen siehe Bariéty 1992 [266]. Zu den Weltausstellungen siehe außerdem das Kapitel I.4 „Massen- und Vergnügungskulturen“. Steller 2011 [332], S. 202. Agulhon 1995 [262]. Zur Ikonografie der Marianne siehe Agulhon 2001 [263]; Agulhon 1979 [261]. Vergleichend mit der Germania: Gall 1993 [240]. Siemann 2006 [256], S. 122. Vergleichend zu Denkmäler siehe Rausch 2006 [229]; Tacke 1996 [231]; Tacke 1995 [230]. François 2016 [159], S. 331. Tacke 1996 [231], S. 13. Rausch 2006 [229], S. 673.
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I. Überblick
ten bei Inszenierung und Repräsentation des Nationalen zwischen beiden Ländern wie auch im europäischen Vergleich124.
Begegnungen auf internationaler Bühne Nach dem Krieg von 1870 / 71 waren die außenpolitischen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich überwiegend von Rivalität geprägt, auch wenn es immer wieder Bemühungen um Annäherung sowie Phasen der Kooperation und Entspannung gab125. Dabei war die Ambivalenz von Konkurrenz und Zusammenarbeit, Bewunderung und Abneigung nicht ausschließlich auf das deutsch-französische Verhältnis beschränkt, sondern prägte generell die außenpolitischen und außenwirtschaft lichen Beziehungen in einer zunehmend verflochtenen und multizentrischen Welt. Im deutsch-französischen Fall blieb das Verhältnis außenpolitisch jedoch unversöhnlich, da Frankreichs Tabu Deutschlands Grundvoraussetzung für eine Verständigung darstellte: die endgültige Anerkennung des Frankfurter Friedens und damit des Verlusts der Provinzen Elsass und Lothringen. Eine tatsächliche Bündnispolitik oder Entente zwischen beiden Ländern wurde durch die „Wunde von 1871“ verhindert. Kooperationen in Einzelfragen oder bei bestimmten Projekten ließen sich leichter umsetzen, weil von französischen Regierungsvertretern dafür eher Verständnis in der Öffentlichkeit erwartet wurde. Von deutscher Seite wiederum wurde das Fehlen einer öffentlichen Verzichtserklärung Frankreichs auf die verlorenen Gebiete als Zeichen für die dauerhafte Unversöhnlichkeit des Nachbarn und als Revanchismus interpretiert. Frankreich wurde daher als einzige Macht immer als Feind angesehen, während die anderen Großmächte mit wechselnden Konjunkturen als politische Partner und potenzielle Verbündete infrage kamen126. Dabei verfolgte Frankreich zu keinem Zeitpunkt eine offene Revanchepolitik, das heißt die Rückgewinnung der annektierten Gebiete unter Einsatz von militärischer Gewalt. Die militärische Revanche war überwiegend ein Mythos, der für die Öffentlichkeit beibehalten wurde, zumal man die mit der Annexion einhergehende Erniedrigung nicht vergessen konnte127. Elsass-Lothringen war aber keineswegs das beherrschende Thema der Zeit von 1870 bis 1914, weder innen- noch außenpolitisch. 124 Thiesse 1999 [707]; Tacke 1996 [231], S. 131. Ein Überblick zur deutschen, französischen und englischen Denkmal- und Festforschung bei Rausch 2006 [229], S. 24–51. 125 Ereignisgeschichtlich nach wie vor am detailliertesten, wenn auch inhaltlich in Teilen überholt: Poidevin, Bariéty 1982 [79]. 126 Hewitson 2004 [315], S. 5, 8; Hewitson 2000 [314], S. 578. 127 Krumeich, Becker 2010 [1541], S. 13–15; Becker 2001 [734], S. 22; Joly 1999 [364], S. 326; Becker 1977 [1571], S. 62. So auch bereits Steinbach 1976 [331], S. 37.
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Durch die Gründung des Deutschen Kaiserreichs hatte sich in Europa das Gleichgewicht der Mächte grundlegend verschoben128. Mit dem „halbhegemonialen“ deutschen Nationalstaat war in der Nachfolge Preußens neben Großbritannien, Russland, Österreich-Ungarn und Frankreich eine fünfte Großmacht entstanden, die Frankreich von seinem ersten Rang auf dem Kontinent verdrängt hatte. Innerhalb des europäischen Mächtesystems wurden nach 1870 / 71 der deutsch-französische Gegensatz sowie die wiederkehrenden Drohungen Deutschlands gegen Frankreich zu einer Konstante. Bei mehreren Gelegenheiten machten die Großmächte jedoch deutlich, dass sie sich einer weiteren Schwächung Frankreichs und damit einem Ausbau der militärischen und diplomatischen Vorherrschaft Deutschlands widersetzen würden129. Dies war etwa bei der „Krieg-in-Sicht-Krise“ im April / Mai 1875 der Fall, als ein – vermutlich von Bismarck lancierter130 – Presseartikel mit der Überschrift „Ist Krieg in Sicht?“ Frankreich kriegsvorbereitende Maßnahmen unterstellte und unverhohlen mit einem Präventivschlag drohte. Europa wolle „ein Frankreich auf der Karte sehen“131, ließ der damalige russische Außenminister Alexander Gortschakow den deutschen Reichskanzler wissen. Deutsch-französische außenpolitische Begegnungen, ob bilateral oder auf internationalem Parkett, fanden im Spannungsfeld dieser grundlegenden und vom Imperialismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts schubweise gesteigerten Rivalität statt bei gleichzeitiger Verflechtung und Kooperation auf verschiedenen Ebenen. Trotz der häufigen Zwischenfälle an der elsass-lothringischen Grenze, der Friktionen mit deutschen Reisenden in Frankreich, der übersteigerten Angst vor Spionen, der Presseattacken und der periodisch wiederkehrenden Spannungen zwischen beiden Ländern kam es zu Absprachen vor allem in der Kolonialpolitik und in den Handels- und Finanzbeziehungen. Neben dem Erreichen einer stabilen inneren Ordnung stand die neu gegründete Dritte Republik vor der Aufgabe, eine adäquate neue Außenpolitik zu entwickeln132. Frankreich war die erste europäische Großmacht, die Außenpoli-
128 Zum Europäischen Konzert der Mächte allgemein siehe Gruner 2009 [340]; Baumgart 22007 [309] [der nachfolgende Band des Handbuchs der Geschichte der Internationalen Beziehungen für den Zeitraum von 1878–1918 von G. Kronenbitter ist im Druck]; Girault 22004 [1585]. 129 Hildebrand 2008 [342], S. 31–32; Gall 21990 [92], S. 509–510; Deininger 1983 [310], S. 35; Steinbach 1976 [331], S. 52–109. 130 So sieht es Stone 2010 [333]. Anders dagegen Janorschke 2010 [316]. In der Forschung ist ebenso umstritten, ob die Kriegsdrohung ernst gemeint war, siehe Lappenküper 2006 [320], S. 24. 131 Zitiert nach: Hildebrand 2008 [342], S. 32. 132 Zur Außenpolitik der Dritten Republik bis 1914 allgemein siehe Kreis 2007 [366]; Guillen 2005 [361]; Allain 2005 [353]; Hayne 1993 [362]; Guillen 1985 [359]. In Teilen kommentierte Bibliografie bei Guillen, Allain 2005 [354], S. 739–742; Forschungsüberblick bei Kreis 2007 [366], S. 19–24; Wilsberg 1998 [334], S. 6.
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tik „unter republikanischen Bedingungen“133 betrieb und damit in einem Spannungsverhältnis zu den Monarchien im europäischen Staatensystem stand. So brachten die monarchischen Großmächte Frankreich überwiegend Misstrauen entgegen und zweifelten an seiner Bündnistreue und -fähigkeit. Der Republik wurde eine fatale Abhängigkeit von der öffentlichen Meinung und von revolutionären Umtrieben attestiert, wie sie sich in der Pariser Kommune gezeigt hatten. Die häufigen Regierungskrisen schienen dieses Vorurteil zu bestätigen. Innenpolitisch hatte die Dritte Republik mit Kritik aus den Reihen der Royalisten und der nationalen Rechten zu kämpfen, aus deren Sicht eine machtvolle Außenpolitik ohne Anerkennung durch die Monarchien kaum möglich war. Eng mit dieser Auseinandersetzung verknüpft war die innenpolitische Diskussion in Frankreich über die Gründe für die Kriegsniederlage und insbesondere darüber, ob im Krieg 1870 / 71 die Monarchie oder die Republik versagt habe. Zeitgenössisch wurde in Frankreich wie in Deutschland die Debatte geführt, ob ein republikanisches Land überhaupt klassische Großmachtpolitik betreiben könne134. Demgegenüber sahen die Republikaner die Stärke einer Außenpolitik unter demokratischen Vorzeichen in ihrer Transparenz und Friedfertigkeit. Das Hauptinteresse der Republikaner galt jedoch der Innenpolitik, auch weil sie in der Opposition während des Second Empire überwiegend innen- und verfassungspolitische Fragen verhandelt hatten135. Außenpolitische Themen trafen dann auf Interesse, wenn sie wie bei der Zoll- oder Rüstungspolitik das nationale Prestige oder die wirtschaft liche Stellung Frankreichs betrafen. Das entsprach den Schwerpunkten der öffentlichen und veröffentlichten Meinung. Das relative Desinteresse der Zeitgenossen an der Außenpolitik zieht sich bis in die heutige französische Historiografie, die sich innenpolitischen Themen der Dritten Republik weitaus intensiver gewidmet hat und widmet. Zu den Hauptzielen der frühen französischen Außenpolitik gehörten die Bezahlung der Reparationen und damit die Beendigung der deutschen Besatzung in Nordfrankreich, die Überwindung der von Bismarck betriebenen Isolierung der Republik im internationalen Mächtesystem und die Wiederherstellung der außenpolitischen Großmachtstellung Frankreichs. In der ab 1881 einsetzenden Phase der „Expansion“136 standen die Festigung und Ausdehnung des Kolonialreichs sowie die Ausweitung der Außenwirtschaft und der Finanzbeziehungen im Mittelpunkt der Bemühungen. Im Zusammenhang mit der französischen Kolonialpolitik kam es mit aktiver Unterstützung Bismarcks
133 134 135 136
Kreis 2007 [366], S. 1. Hewitson 2004 [315], S. 12, 14. Siehe auch das Kapitel I.3 „Friedensbewegung“. Janorschke 2010 [316], S. 132–139; Steinbach 1976 [331], S. 32. Guillen 2005 [361]; Guillen 1985 [359].
2. Herausforderungen und Ambitionen
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1884 / 85 zu einer Annäherung137. Durch die Schnaebelé-Aff äre138, die Entführung des französischen Grenzbeamten Guillaume Schnaebelé wegen Spionageverdachts nach Deutschland 1887, und die Boulangerkrise im selben Jahr wurde diese Annäherung jedoch Makulatur und ein erneuter deutsch-französischer Krieg schien unausweichlich. In den 1890er-Jahren betrieb Frankreich eine zunehmend offensivere Politik und verfolgte eine Allianzbildung vorwiegend mit Russland und Großbritannien. Diese trug im Falle Russlands ab den 1890erJahren, bei Großbritannien nach Beilegung der kolonialen Streitigkeiten mit der Entente cordiale 1904 Früchte139. Das Deutsche Kaiserreich entwickelte sich nach 1871 zu einer Großmacht, die wirtschaft lich, demografisch und militärisch eine herausragende Stellung in Europa und der Welt einnahm140. Bismarcks Außenpolitik, zu der es im Gegensatz zur französischen Außenpolitik jener Jahre eine kaum zu bewältigende Fülle an Literatur gibt141, lässt sich mit folgenden Stichpunkten grob umreißen: Sicherung der durch seine Mittellage als prekär wahrgenommenen Großmachtstellung Deutschlands; gleichzeitige Isolierung Frankreichs; Verlagerung von Spannungsherden an die europäische Peripherie; Vermeiden einer Bündnisentscheidung des Kaiserreichs zwischen Russland und Österreich-Ungarn, die auf dem Balkan Konkurrenten waren. Vielfach beschrieben ist das Bündnissystem Bismarcks, ein abgestuftes „System der Aushilfen“, das mehrere Phasen durchlief. Mit Dreibund, Orientbund und Rückversicherungsvertrag band er alle Mächte außer Frankreich vertraglich an Deutschland, hielt Frankreich damit in Isolation und nutzte Gegensätze zwischen den anderen Mächten. Mit der Losung der territorialen Saturiertheit des Reiches, wie er sie als „ehrlicher Makler“ während des Berliner Kongresses 1878 zur Lösung der Orientalischen Frage vertrat, wehrte Bismarck den außenpolitischen Expansionsdruck ab, der in Teilen der deutschen Bevölkerung stark präsent war. Gegenüber Frankreich führte Bismarck eine Politik der abwechselnden Drohungen und Annäherungsangebote. Er zeigte eine „antifranzösische
137 Siehe dazu das Kapitel II.3 „Die Kolonialimperien“. 138 Siehe dazu Roth 1993 [474], S. 135–138; Carroll 1965 [355], S. 129–132. 139 Zur französisch-russischen Annäherung siehe Hogenhuis-Seliverstoff 1997 [363]; Girault 22004 [1585], S. 254–269; Deininger 1983 [310]. Zur Entente cordiale siehe Vaïsse 2004 [370]. Speziell zur Bedeutung der Entente und der Politik Delcassés für die deutsch-französischen Beziehungen Becker, Krumeich 2010 [1541], S. 25–30, 46–47; Kreis 2004 [365]; Guillen 2001 [360]. 140 Aus der Fülle der Literatur zur Außenpolitik des Kaiserreichs allgemein siehe Hildebrand 2008 [342]; Hildebrand 32008 [343]; Mommsen 1993 [347]. Ein Forschungsbericht zur Außenpolitik des Kaiserreichs bei: Michel, Scholtyseck 2010 [99]; Hildebrand 32008 [343], S. 114–151; Jefferies 2008 [95], S. 164–192. 141 Zur Außenpolitik Bismarcks siehe Rose 2013 [349], dort weitere Literaturhinweise, sowie Canis 22008 [336]. Mit Blick besonders auf Frankreich: Janorschke 2010 [316]; Deininger 1983 [310]; Puntila 1971 [329].
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I. Überblick
Nervosität“142 und eine „höfliche Feindschaft“143, die vor allem auf der Annahme einer unversöhnlichen Einstellung Frankreichs infolge der Annexion von Elsass und Lothringen basierte. Die aus der monarchischen Solidarität resultierende außenpolitische Isolation der französischen Republik bis in die 1890er-Jahre entsprach ganz Bismarcks politischer Absicht. Wiederholt sprach er sich für die republikanische Staatsform in Frankreich aus, da er sie als nachteilig für die Innenpolitik des Nachbarlands ansah144. Bismarck nutzte die Presse, um bestimmte außenpolitische Wirkungen zu erzielen und Einfluss auf Wahlen oder auf die französische Innenpolitik auszuüben, beispielsweise während der „Krieg-in-Sicht-Krise“ 1875 oder während der Boulangerkrise 1887145. In gleicher Weise versuchte Bismarck nach seiner Entlassung, die außenpolitische Linie des Kaiserreichs mittels Pressearbeit zu beeinflussen. Vor allem französischen Journalisten gegenüber zeigte er sich „gesprächsbereit“146, wobei er mit seinen Äußerungen die deutsch-französischen Beziehungen nachhaltig beschädigte. Durch seine harsche, öffentlich geäußerte Kritik an der Außenpolitik seiner Nachfolger trug er zugleich zur tiefen Spaltung der öffentlichen Meinung und zur zunehmenden „inneren Auskreisung“147 Wilhelms II. im Kaiserreich bei. Die deutsche Außenpolitik nach der Entlassung Bismarcks 1890 war „ohne festes Ziel“148 und es mangelte an Homogenität. Der „neue Kurs“ unter Wilhelm II. legte den Fokus auf Erhalt und Ausbau des internationalen Prestiges des Reichs, auf den Erwerb von Territorien und auf den Schutz von Handelsmärkten149. Er markierte die Abkehr von der relativen Selbstbeschränkung der Bismarckzeit und den Beginn einer deutschen „Weltpolitik“ auf der Suche nach Rohstoffen, Absatzmärkten und kolonialen Einflussgebieten. Der Aufbau einer eigenen Schlachtflotte ab 1898, die als unumgängliche Voraussetzung für die deutsche Weltmachtgeltung angesehen wurde, entwickelte sich durch geschickte Vermarktungsstrategie des Flottenvereins zu einem in der deutschen Öffentlichkeit bis in die Arbeiterkreise hinein viel bejubelten Prestigeobjekt mit Integrationswirkung. Das Flottenprogramm zeigte das Kaiserreich nicht nur als 142 Michel, Scholtyseck 2010 [99], S. 137. 143 Hewitson 2000 [314], S. 578. 144 Hildebrand 2008 [342], S. 26; Kreis 2007 [366], S. 537; Puntila 1971 [329], S. 229–231. Ausführlich: Pohl 1984 [327]. 145 Stone 2010 [333], S. 316–317, 320, 339, 342; Hildebrand 2008 [342], S. 31; Poidevin, Bariéty 1982 [79], S. 154–159. 146 Lappenküper 2006 [320], S. 32. Zu den Interviews Bismarcks nach seiner Entlassung siehe auch Daniel 2005 [339], S. 293; Gall 21990 [92], S. 711–729. 147 Daniel 2005 [339], S. 303. 148 Hildebrand 2008 [342], S. 149. 149 Zur wilhelminischen Außenpolitik allgemein siehe Rose 2013 [350]; Canis 2011 [338]; Canis 22009 [337]. Mit Blick besonders auf Frankreich: Wilsberg 1998 [334]; Raulff 1976 [330].
2. Herausforderungen und Ambitionen
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Industriemacht, sondern brachte Deutschland zugleich in Konkurrenz zu Großbritannien, mit dem dennoch immer wieder ein Ausgleich gesucht wurde. Bündnispolitisch ließen Bismarcks Nachfolger die Allianz mit Russland auslaufen und setzten vor allem auf den Zweibund mit Österreich, der zu einem festen Block in Mitteleuropa wurde. Zugleich zeigte die Außenpolitik des Kaiserreichs um die Jahrhundertwende eine große Offenheit. Die französische Isolation verschwand aus dem Fokus, eine deutsch-französische Annäherung avancierte sogar zum „Tagesgespräch des politischen Europa“150. In Frankreich wurde die Idee einer Annäherung zwischen Paris und Berlin ebenso als Option anerkannt, nicht zuletzt, da in der französisch-britischen Faschodakrise 1898 die französische Presse das „perfide Albion“ als noch älteren „Erbfeind“ jenseits des Kanals wiederentdeckt hatte151. So wurde in der Januar-Ausgabe 1900 der französischen Zeitschrift „Questions diplomatiques et coloniales“ das deutsche Flottenprogramm begrüßt, sah man darin doch ein „nützliches Gegengewicht“152 zum britischen Imperialismus. Neben Annäherungen auf symbolischer Ebene wie der deutschen Teilnahme an der Weltausstellung 1900 in Paris, der Verleihung der Medaille des grand officier de la Légion d’honneur für Richard von Helmholtz und der Teilnahme des Kaisers am Botschaftsdiner in der französischen Botschaft Berlin kam es 1900 zu einer militärischen Kooperation: Unter dem Kommando des deutschen Generals von Waldersee kämpften Truppen beider Länder im Rahmen des internationalen Expeditionskorps, das eine antiimperialistische Aufstandsbewegung in China niederschlug, den im Westen sogenannten Boxeraufstand153. Aus Rücksicht auf Frankreich wurden in diesem Jahr fast überall in Deutschland die Sedanfeiern abgesagt154. Letztlich wurden die Chancen zur Annäherung von beiden Seiten jedoch nicht konsequent genutzt und die Möglichkeiten für eine tatsächliche Verständigung verstrichen. Die wilhelminische Außenpolitik war zu Beginn des neuen Jahrhunderts geprägt von Zwängen und Befürchtungen, unter denen an erster Stelle die Vorstellung stand, von feindlichen Mächten eingekreist zu sein. Diese breitete sich nach der ersten Marokkokrise 1905 / 06 in Politik und Presse aus155. „Einkreisung“ wurde zum meist verwendeten politischen Schlagwort in Deutschland. Das Deutungsmuster provozierte „Sehnsüchte nach einer aggressiven Flucht nach vorn“156, die einen Präventivkrieg miteinschlossen. Diese subjektive Wahrnehmung der 150 Czempiel 1966 [954], S. 95. Vgl. Carroll 1965 [355], S. 183–185. 151 Girault 22004 [1585], S. 227. Zu Reaktionen in der Presse siehe auch Carroll 1965 [355], S. 175–182. 152 Mayer 2002 [367], S. 107. 153 Siehe dazu die Kapitel II.3 „Die Kolonialimperien“ und II.4 „Auf dem Weg zum totalen Krieg?“. 154 François 2016 [159], S. 333; Czempiel 1966 [954], S. 98. 155 Mayer 2002 [367], S. 267, 326; Mommsen 1993 [347], S. 174–175. 156 Daniel 2005 [339], S. 314–315. Siehe auch Krumeich, Becker 2010 [1541], S. 31– 35.
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internationalen Situation übersah die zahlreichen Möglichkeiten zur Détente vor 1914, insbesondere zwischen Berlin und London, und brachte eine eigene Realität hervor. In der Forschung wird die „Einkreisung“ als „Selbst-Auskreisung“ dargestellt und – in Verlängerung zeitgenössischer Debatten – thematisiert, ob die wilhelminische Außenpolitik offensiv oder defensiv einzuschätzen sei157. Ihre Bewertung fällt in der Forschung mittlerweile deutlich günstiger aus als in früheren Jahren. Genauso wird die Außenpolitik Bismarcks neu betrachtet und auf die schwierige Ausgangslage der deutschen Diplomatie nach 1871 hingewiesen, da die geopolitische Mittellage sowie die dauerhaften und für alle anderen Mächte offensichtlichen deutsch-französischen Gegensätze die Handlungsspielräume begrenzten158.
Symbolische Politik: Staats- und Flottenbesuche Die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich waren durch die unterschiedlichen Verwaltungs- und Staatskulturen belastet. Einer juristisch geprägten Verwaltung auf deutscher Seite stand eine stärker klassisch-geisteswissenschaft lich ausgerichtete Verwaltung auf französischer Seite gegenüber159. Immer wieder kam es zu Protokollstreitigkeiten zwischen Monarchie und republikanischem Regime, zum Beispiel in Bezug auf die Frage, ob bei einem Wechsel des Präsidenten die französischen Diplomaten erneut akkreditiert werden müssten, worauf Bismarck 1873 im Zuge des Amtsantritts von Mac-Mahon bestand. Ähnliche Auseinandersetzungen gab es in Bezug auf die Reihenfolge der Besuche bei Amtswechseln, stand die Republik doch auf dem Standpunkt, dass ein neuer Präsident als unpersönlicher Vertreter der Republik immer als Dienstältester im Vergleich zu den Monarchen anzusehen sei. Letztlich ging es um unterschiedliche Auffassungen, wer einen Staat vertreten konnte: Ein gewählter Politiker war ein Repräsentant von Volk und Republik, ein Monarch „von Gottes Gnaden“ war selbst der Souverän. In der Verlängerung ihrer Kritik an der Republik, die sie durch einen korrupten Clan geführt sahen, warfen deutsche Diplomaten ihren französischen Kollegen die Nähe zu Parlament und Parlamentariern vor160. Umgekehrt zeigten die französischen Diplomaten und Politiker eine „tiefgründige Abneigung“161 gegenüber der stark aristokratischen und militaristisch geprägten herrschenden Klasse des preußisch-deutschen Kaiserreichs. Aufgrund der Instabilität der französischen Regierungen während der Dritten Republik wurden Diplomaten zu Garanten einer außenpolitischen Kon157 158 159 160 161
Clark 2013 [1579]; Jefferies 2008 [95], S. 165–167; Hewitson 2000 [314], S. 570. Rose 2013 [349], S. 132–133; Hildebrand 32008 [343], S. 128–132. Aballéa 2015 [305], Absatz 3. Vgl. auch Aballéa 2017 [306]. Aballéa 2015 [305], Absatz 10. Charle 2001 [376], S. 241.
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tinuität Frankreichs, was ihnen großen Einfluss verlieh162. Präsident Adolphe Thiers wählte in den Anfangsjahren der Republik vor allem Diplomaten adeliger Herkunft aus, in der Hoffnung, dass diese aufgrund ihrer Kenntnisse der adeligen Gepflogenheiten eher auf Anerkennung in den monarchischen Staaten treffen und damit das Ansehen Frankreichs positiv beeinflussen würden. Mit der Einführung der Aufnahmeprüfungen (concours) für die Auswahl der Diplomaten traten ab 1895 Bürgerliche in den diplomatischen Dienst Frankreichs. Zumeist wurden bürgerliche Diplomaten jedoch nicht in exponierten Auslandsvertretungen als Botschafter eingesetzt163. Da die französischen Diplomaten das republikanische Regime vertraten, fanden sie in Berlin, selbst wenn sie adeliger Herkunft waren, nur schwer Aufnahme in die Salons. Für den ersten „bürgerlichen“ französischen Botschafter in Berlin, Jules Herbette, den die deutsche Presse abfällig als „Herr Bête“ („Herr Dummkopf“) bezeichnete, war es fast unmöglich164. Sein Nachfolger, der Marquis de Noailles, ab 1896 in Berlin als Botschafter akkreditiert, fand dagegen aufgrund seines klangvollen Namens problemlos Zugang zur Berliner Gesellschaft. Während der gut 40 Jahre zwischen Frankfurter Frieden und Ausbruch des Ersten Weltkriegs kam es weder zu einem offiziellen noch zu einem privaten Besuch eines deutschen oder französischen Staatsoberhaupts im jeweils anderen Land. Außer der Teilnahme des französischen Außenministers William Henry Waddington beim Berliner Kongress 1878 ist überdies kein offizieller Aufenthalt eines deutschen oder französischen Außenministers im anderen Land zu verzeichnen. Théophile Delcassé reiste in seiner Zeit als französischer Außenminister zwischen 1898 und 1905 zwar mehrfach über Berlin nach St. Petersburg, ließ in der deutschen Hauptstadt aber nicht einmal seine Karte an den deutschen Kollegen übergeben. An dynastischen Ereignissen wie der Beerdigung Wilhelms I. 1888 oder der Verlobungsfeier des Kronprinzen 1905 in Berlin nahmen französische Delegationen allerdings teil. Ebenso kam es in Drittländern zu deutsch-französischen Zusammenkünften: Wilhelm II. traf am 23. Mai 1910 in London bei den Feierlichkeiten zur Beisetzung von Eduard VII. auf den französischen Außenminister Stéphen Pichon. Darüber hinaus fanden mehrere Besuche in den jeweiligen Botschaften statt und mehrfach kam es zu InkognitoBesuchen von Mitgliedern deutscher Fürstenhäuser in Paris. So reiste 1890 die als Kaiserin Friedrich bezeichnete Victoria, die Mutter von Wilhelm II., nach Paris und löste aufgrund ihres als Provokation empfundenen Besuchs des Schlosses von Versailles eine antideutsche Kampagne in Teilen der rechten Presse Frankreichs aus165. 162 Ebd., S. 235–236. Zur sozialen Herkunft der Botschafter Allain 1994 [352]; Charle 1987 [116], S. 220–225. 163 Steller 2011 [332], S. 62–63, 65, 80. 164 Aballéa 2015 [305], Absatz 9. 165 Steller 2011 [332], S. 141–147; Carroll 1965 [355], S. 148–153.
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Staatsbesuche in Drittländern spielten eine wichtige symbolische Rolle für die beiderseitigen Beziehungen. In der Auswahl der Einladungen, in Inszenierungen und im Ringen um diplomatische Abläufe zeigte sich, wie stark die deutsche und die französische Besuchspolitik aufeinander bezogen waren166. So hielt sich der russische Zar Alexander II. 1872 zur gleichen Zeit wie der österreichische Kaiser Franz Joseph in Berlin auf. Die Besuche wurden aufwendig inszeniert und sollten neben der monarchischen Solidarität gleichzeitig die internationale Isolation Frankreichs deutlich machen167. Die Besuchspolitik des Kaiserreichs entsprach somit der generellen außenpolitischen Linie und war darüber hinaus gezielt auf eine Demütigung Frankreichs angelegt. Ein weiteres Beispiel dafür ist die Reise des spanischen Königs Alfons XII. ins Elsass 1883. Für die Rückreise – aber eben erst an zweiter Stelle – war ein Empfang in Paris geplant. Die gezielte Provokation, den spanischen Monarchen in Straßburg zum Ehrenkommandeur eines der elsässischen Regimenter der preußischen Armee zu ernennen, ging auf: In Paris erwartete ihn eine aufgebrachte Menschenmenge und er musste seinen Besuch in der französischen Hauptstadt vorzeitig abbrechen168. Umgekehrt war die französisch-russische Annäherung, die sich in den gegenseitigen Flottenbesuchen 1891 in Kronstadt und 1893 in Toulon sowie im Parisbesuch des Zaren 1896 zeigte, für die Dritte Republik nicht nur ein Schritt aus der außenpolitischen Isolierung, sondern zugleich eine Geste gegen das Kaiserreich. Alfred von Bülow, deutscher Geschäftsträger vor Ort in Kronstadt, berichtete an das Auswärtige Amt, dass der Zar einen Toast auf den französischen Präsidenten ausgebracht und sogar die Marseillaise, die als Revolutionshymne bis dahin als nicht vereinbar mit dem diplomatischen Protokoll gegolten hatte, „stehend und mit entblößtem Haupt“169 angehört hatte. Die Sympathiebekundungen einer Monarchie kamen einer „spektakulären Anerkennung der Dritten Republik“170 gleich, was selbst im Lager ihrer innenpolitischen Gegner als Erfolg verbucht wurde. Mit der Annäherung an Russland, dem autokratischsten Regime in Europa, wurden jedoch republikanische Prinzipien übertreten. Hier zeigte die französische Außenpolitik eine „imperiale Logik“171, die gegen ihre moralische Definition der Allianzen verstieß. In der deutschen Öffentlichkeit löste die französisch-russische Annäherung einen „regelrechten Schock“172 aus. Presse und Öffentlichkeit verfolgten die gegenseitigen Besuche sehr genau und 166 167 168 169
Moll 2007 [323], S. 78. Baumgart 22007 [309], S. 409; Moll 2007 [323], S. 79. Moll 2007 [323], S. 80. Zitiert nach: Steller 2011 [332], S. 155. Siehe auch Kreis 2007 [366], S. 545; Vilatte 2002 [371], S. 152; Hogenhuis-Seliverstoff 1997 [363], S. 125–127. 170 Steller 2011 [332], S. 160. 171 Duclert 2010 [118], S. 265. 172 Moll 2007 [323], S. 82.
2. Herausforderungen und Ambitionen
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trugen zur Interpretation der symbolischen Handlungen bei. So hatte ein französischer Geschäftsmann zum Empfang des Zaren in Paris 1896 ein Spielzeug mit dem sprechenden Namen „Le coup de pied à Guillaume“ auf den Markt gebracht, das Nikolaus II. zeigte, wie er seinem Cousin Wilhelm II. einen Fußtritt verpasste173. Doch auch in der symbolischen Politik gab es Momente der Aussöhnung zwischen beiden Ländern, die gleichwohl zahlreiche Hindernisse überwinden mussten. So sorgte die Einladung an die französische Flotte, an der Eröff nung des Kaiser-Wilhelm-Kanals (ab 1948 Nord-Ostsee-Kanal) im Juni 1895 teilzunehmen, in Frankreich für Diskussionen. Politiker und Presse fürchteten, Kaiser Wilhelm II. würde die Annahme der Einladung als politisches Zeichen der Annäherung überinterpretieren und es könnte vom Protokoll auferlegte erniedrigende Zeremonien während der Feierlichkeiten geben. Zudem war man um das sich gerade anbahnende freundschaft liche Verhältnis zu Russland besorgt174. Der Besuch fand schließlich statt, wobei Frankreich die Geste symbolisch durch ein gemeinsames Einlaufen seiner Schiffe mit der russischen Flotte absicherte. Zudem ankerten beide Flotten Seite an Seite im Kieler Hafen. Von deutscher Seite hatte man der französischen Forderung nachgegeben, der zufolge kein nach einer Schlacht des Deutsch-Französischen Kriegs benanntes Schiff an den Manövern teilnehmen sollte. Eine Möglichkeit zum Besuch der französischen Hauptstadt ergab sich für Wilhelm II. im Jahr der Weltausstellung 1900. In der Tageszeitung „Gaulois“ wurde im Vorfeld eine Umfrage unter Intellektuellen und Politikern durchgeführt. Die Antwort auf die Frage „Peut-il venir?“ („Kann er kommen?“) war ein einvernehmliches „Non“, dem bisweilen Drohungen in den Antworten folgten175. Französische Regierungskreise standen einem Besuch des Kaisers ebenso ablehnend gegenüber, wollte man doch keinesfalls den Eindruck einer symbolischen Anerkennung der Abtretung des Elsass und Lothringens entstehen lassen. Wenn es zu keinen offiziellen Staatsbesuchen zwischen beiden Ländern kam, so auch, weil man auf französischer Seite der Meinung war, „dass sich das innenpolitische Risiko außenpolitisch gar nicht bezahlt machen werde“176. Außerdem wollte die französische Politik gerade durch die Tatsache, dass andere Staatsoberhäupter regelmäßig nach Paris kamen, Deutschland eine diplomatische Niederlage zuführen: Denn während Frankreich um 1905 seinen Platz in den internationalen Beziehungen wieder voll und ganz eingenommen hatte, hatte sich das Deutsche Kaiserreich zum selben Zeitpunkt in eine außenpoli-
173 Ebd., S. 82. Zum Zarenbesuch in Paris 1896 siehe auch Paulmann 2000 [326], S. 363–385. 174 Steller 2011 [332], S. 199–221; Carroll 1965 [355], S. 162–163. 175 Moll 2007 [323], S. 92. 176 Kreis 2007 [366], S. 568.
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I. Überblick
tische Isolation manövriert, die sich auch an der zurückgehenden Anzahl an Staatsbesuchen zeigte177.
Außenpolitik im Imperialismus Der Wetteifer der Großmächte um weltweiten Einfluss und Kolonien rückte ab den 1890er-Jahren immer stärker in den Vordergrund. Von „Prestigetaumel und Raumwahn“178 ergriffen, galt den imperialen Mächten ein Platz an der Spitze der Rangliste der Nationen als oberstes Ziel, ein Rang, der sich in vermeintlich objektiven Leistungsstatistiken wie Handelsbilanzen und Produktionszahlen, Bruttoregistertonnen sowie Geburtenquoten messen und vergleichen ließ. Der Dualismus von französischer décadence einerseits und deutschem Wachstum und Stärke andererseits bestimmte in beiden Ländern gleichermaßen die Vorstellungswelt von Politikern und Öffentlichkeit. Ein stark expandierendes Deutschland stand in diesen Bilanzen einem stagnierenden Frankreich gegenüber. Während die Bevölkerung zwischen 1880 und 1900 in Deutschland um 25 % und in Großbritannien um 23 % anstieg, betrug das Wachstum in Frankreich im selben Zeitraum nur 5 %. Der Außenhandel stieg in Deutschland um 53 %, in Großbritannien um 18 % und in Frankreich um 6 %. Frankreich war zwar international nicht völlig abgehängt, litt aber im Spiegel dieser Vergleiche179. Klagen über den eigenen Niedergang wurden in Frankreich vor allem im rechten Lager sowie in der republikanischen Mitte geführt, die Warnungen dabei stets mit Kritik am Regime und seiner Politik verbunden. Umgekehrt hatte das rasche wirtschaftliche Wachstum im Kaiserreich ab den 1890er-Jahren ein übersteigertes Überlegenheitsgefühl zur Folge, das sich grundlegend auf die Politik gegenüber Frankreich auswirkte180. In Politik und Presse sah man – ähnlich der französischen antirepublikanischen Rechten – die Schuld für die angebliche französische décadence beim republikanischen System181. Die zunehmende Einflussnahme von Presse und Öffentlichkeit hatte beiderseits des Rheins die „Medialisierung der auswärtigen Politik“182 zur Folge, die bereits zeitgenössischen Beobachtern unheimlich war. Die Presse spiegelte nicht nur Meinungen, sondern entwickelte sich zu einem selbstständigen Meinungsmacher und damit zu einem politischen Akteur. Medien spielten eine wichtige Rolle als
177 Moll 2007 [323], S. 93, 100, 101. 178 Hildebrand 2008 [342], S. 149. 179 Houte 2014 [124], S. 364. Vergleichende Zahlen bei Charle 2001 [376]; Kaelble 1991 [1219]. 180 Hewitson 2004 [315], S. 16–20, 22–24; Hewitson 2000 [314], S. 574, 576, 577, 581, 582. 181 Hewitson 2000 [314], S. 580; Krumeich 1992 [319], S. 203, 207; Raulff 1976 [330], S. 31–32. 182 Daniel 2005 [339], S. 285.
2. Herausforderungen und Ambitionen
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Informationslieferant für Politiker, etwa wenn es um Stimmungen in anderen Ländern ging, da Presseerzeugnisse vielfach unterschiedslos als offiziöse Organe der Regierungen galten. Daneben zeigte sich eine zunehmende Militarisierung der Außenpolitik bei den europäischen Kräften. Indizien dafür waren das verschärfte Wettrüsten, die Erhöhung der Mannschaftsstärke des Heeres im Kaiserreich 1913 und die innenpolitisch umstrittene Verlängerung der Militärdienstzeit von zwei auf drei Jahre im Juli desselben Jahres in Frankreich, die ansteigenden Militärhaushalte und die regelmäßigen Vergleiche der Truppenstärken183. Zunehmend verbreitete sich die Vorstellung von der Unvermeidbarkeit eines Krieges, die nach 1911 durch die immer schnellere Abfolge von internationalen Krisen weiter verstärkt wurde184. Politiker und Journalisten beider Länder waren der Ansicht, die Aufrüstung erhalte das europäische Gleichgewicht, wobei sie die eigenen Rüstungen als Reaktion auf die Bedrohung durch die anderen Mächte rechtfertigten. Der bewaff nete Frieden, die paix armée, diente vor allem dazu, den Gegner abzuschrecken. Militärstrategische Planungen und Mobilisierungspläne gewannen bis 1914 stark an Gewicht. Die verbreitete Kriegsfatalität gipfelte in der Vorstellung vom revitalisierenden Präventivkrieg als Mittel der Politik. In „Deutschland und der nächste Krieg“ beschrieb Friedrich von Bernhardi Krieg als „biologische Notwendigkeit, ein Regulator im Leben der Menschheit“185. Unverhohlen riet der General a. D. zu einem Präventivkrieg gegen Frankreich. Das Buch wurde zwar von der kaiserlichen Regierung, von der Sozialdemokratie und von liberalen Zeitungen kritisiert, erfuhr in Deutschland jedoch mehrere Auflagen und wurde bereits im folgenden Jahr ins Englische, Französische, Italienische und Japanische übersetzt. Demgegenüber stand die Vorstellung der Pazifisten, der zufolge ein Krieg zwischen großen Industrienationen gar nicht möglich sei, eine Vorstellung, wie sie etwa der Russe Ivan Bloch in einem internationalen Bestseller vertrat, dessen Auflagenzahlen die von Bernhardi bei Weitem übertrafen186. Nach 1905 erschütterten mehrere internationale Krisen Europa. Bewaffnete Konflikte blieben jedoch regional begrenzt und fanden nur an der Peripherie Europas statt. Mit der multilateralen Konferenzdiplomatie, die ihre Hochzeit zwischen 1900 bis 1913 hatte, und den Schiedssprüchen des internationalen Gerichts in Den Haag konnten Konflikte eingehegt und bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen den Großmächten vermieden werden187. Die Beilegungen der Krisen stellen nicht nur die Zwangsläufigkeit der Entwicklungen zu einem 183 Krumeich, Becker 2010 [1541], S. 47–52. Militärhaushalte von 1900–1913 im internationalen Vergleich bei Leonhard 2014 [1557], S. 40. Siehe auch das Kapitel I.5 „Der Erste Weltkrieg 1914–1918“. 184 Leonhard 2014 [1557], S. 73; Allain 2005 [353], S. 727; Mommsen 1990 [346]. 185 Bernhardi 1912 [13], S. 11. Siehe dazu Leonhard 2014 [1557], S. 73; Dann 31996 [719], S. 218. 186 Bloch 1899 [14]. Siehe dazu das Kapitel I.3 „Friedensbewegung“. 187 Kiessling 2002 [318]; Dülffer, Kröger, Wippich 1997 [312].
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I. Überblick
Weltkrieg infrage, sondern machen darüber hinaus deutlich, dass sich die internationalen Beziehungen nicht in einem einfachen Gegensatz beschreiben lassen. So konnte die erste Marokkokrise 1905 / 06, der erste deutsch-französische Konflikt nach mehr als 15 Jahren, auf der Konferenz von Algeciras gelöst werden. Dessen ungeachtet beeinflusste die Krise die öffentlichen Debatten in Parlament und Presse beider Länder für die folgenden Jahre, die von nationalistischen Tönen, Misstrauen und wachsenden Bedrohungsvorstellungen geprägt waren188. Gleichzeitig wurde deutlich, dass das Deutsche Reich auf der internationalen Bühne nur noch von Österreich-Ungarn unterstützt wurde. Die mit der Annäherung Frankreichs, Russlands und Großbritanniens einhergehende Verschiebung der internationalen Ordnung zu zwei relativ festen Blöcken zog zunehmend den Eindruck einer außenpolitischen und militärischen Alternativlosigkeit nach sich189. Gleichwohl bestand bis in die Julikrise hinein die Hoffnung, die Blockbildung würde sich nicht realisieren und manche Länder könnten aus einem Krieg herausgehalten werden. Die zweite Marokkokrise 1911 wird in der Forschung vielfach als Beginn der Vorkriegszeit interpretiert. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich verschlechterten sich zunehmend, auch wenn ein bilateraler Vertrag die Zwistigkeiten noch einmal friedlich beilegte190. Die für Frankreich günstige Vereinbarung, mit der das Land freie Hand in Marokko erhielt und dafür einen Teil seiner Gebiete im Kongo dem Kaiserreich überließ, löste im Deutschen Reich einen „innenpolitischen Proteststurm aus, wie ihn die deutsche Öffentlichkeit noch nicht erlebt hatte“191. Doch auch in Frankreich wurde die Vereinbarung als erniedrigend kritisiert192. Insgesamt stellten vor allem Presse und Öffentlichkeit die Verschlechterung der beiderseitigen Beziehungen und den Anstieg eines lärmenden Nationalismus fest, weniger die regierenden Politiker193. Die Balkankriege 1912 / 13, von denen die deutsch-französischen Beziehungen nicht direkt betroffen waren, erschwerten den Dialog und trugen damit zu einer weiteren Zuspitzung der Lage bei. Dennoch kam es selbst in den Jahren von 1911 bis 1914 zu deutsch-französischen und deutsch-britischen Kooperations- und Ausgleichsbemühungen im internationalen Rahmen. Krisenverschärfung einerseits und Kriegsprävention mit verschiedenen Kommunikations- und Deeskalationsmechanismen andererseits existierten nebeneinander194.
188 Zur ersten Marokkokrise siehe Mayer 2002 [367]; Raulff 1976 [330]. 189 Leonhard 2014 [1557], S. 51–52. 190 Krumeich, Becker 2008 [370], S. 39–43. Zur zweiten Marokkokrise siehe Meyer 1996 [345]; Oncken 1981 [348]; Allain 1976 [307]. 191 Walkenhorst 2007 [732], S. 201. 192 Vilatte 2002 [371], S. 298–299. 193 Krumeich, Becker 2008 [370], S. 42, 52, 54–56; Hewitson 2000 [314], S. 598. 194 Leonhard 2014 [1557], S. 59. Siehe auch Kiessling 2002 [318], bes. S. 136–145; Wilsberg 1998 [334], S. 98–103; Keiper 1997 [317]; Löhr 1996 [321].
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Ökonomische Rivalität und Kooperation Bei den außenwirtschaft lichen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich sind wie generell bei anderen Ländern in gleicher Weise sich überlagernde Prozesse von Rivalität und Verflechtung in einem zunehmend globalisierten und multizentrischen Weltmarkt zu beobachten195. Der innere Strukturwandel und die Nationalisierung der Ökonomien ab 1871 verliefen parallel zur Einbindung beider Länder in die Weltwirtschaft, was nicht immer konfliktfrei vor sich ging196. Beispiele dafür finden sich vor allem in der Landwirtschaft, wo die Globalisierung des Agrarmarkts zwar Reformen und Modernisierung, aber auch die Forderung nach Protektionismus hervorrief197. Parallel dazu nahm ein multilateraler Informationsaustausch über Konferenzen und neue Organisationsstrukturen zu. So wurden internationale Regelungen und Konventionen in Bereichen wie Post, Telegrafie, Patenten und Wechselrecht getroffen. Nach dem Krieg 1870 / 71 gab es einen Einbruch in den beiderseitigen Handelsbeziehungen. Die Annexion Elsass und Lothringens bedeutete für Frankreich einen wirtschaft lichen Verlust vor allem in der Textil-, Metall-, Keramik- und Holzindustrie und hatte eine Umstrukturierung bei den im- und exportierten Gütern zur Folge198. Artikel 11 des Frankfurter Friedenvertrags bildete die Grundlage für den deutsch-französischen Handel: Die „Meistbegünstigungsklausel“ legte fest, dass mit anderen Ländern ausgehandelte Vergünstigungen zugleich auf das deutsch-französische Verhältnis anzuwenden waren, eine Regelung, von der vor allem Deutschland profitierte199. Für eine positive Entwicklung der deutsch-französischen Finanz- und Handelsbeziehungen sorgte trotz der Schutzzollpolitik die teilweise komplementäre Ausrichtung der Volkswirtschaften beider Länder200. So stand ein hauptsächlich auf Handels- und Industriekapitalismus ausgerichtetes Deutschland einem stärker auf Finanzkapitalismus ausgerichteten Frankreich gegenüber, wobei beide Volkswirtschaften sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts anglichen. Eine gegenseitige Abhängigkeit von Rohstoffen 195 Siehe dazu die detailreiche Studie von Poidevin 21998 [385]. Zur Globalisierung der Wirtschaft im 19. Jahrhundert siehe Marnot 2012 [383]; Dormois 2008 [401]; Osterhammel 2009 [80], S. 1029–1055. Zum Währungssystem siehe Thiemeyer 2012 [387]. 196 Petersson 2004 [390], S. 55, 66. 197 Alexandre 2012 [374]; Aldenhoff-Hübinger 2002 [373]. Zusammenfassung auf Französisch: Aldenhoff-Hübinger 2005 [372]. 198 Dedinger 2012 [378], S. 49; Dormois 2008 [401], S. 194–198. 199 Poidevin 21998 [385], S. 87–92. 200 Eine Gegenposition zu der positiven Sicht von Poidevin 21998 [385] und Poidevin, Bariéty 1982 [79] vertritt Dedinger 2012 [378]; Dedinger 2011 [377] mit dem Blick auf die lange Entwicklung bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Vergleiche der Volkswirtschaften und industriellen Produktion bei Dormois 2008 [401]; Charle 2001 [376] unter Einschluss Großbritanniens; Kaelble 1991 [1219].
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I. Überblick
bestand im Bereich der Schwerindustrie. Während Deutschland in großem Umfang Eisenerze für die Stahlproduktion einführen musste, war Frankreichs Schwerindustrie auf Koks- und Kohleimporte angewiesen. Folglich erwarben einige deutsche Schwerindustrieunternehmen offen oder verschleiert Konzessionen und Beteiligungen an französischen Firmen, „misstrauisch beäugt von der französischen Presse“201. Zu den Unternehmern, die sich in Frankreich besonders engagierten, gehörte August Thyssen, der mit Blick auf die Erzvorkommen in der Normandie und vor allem im französischen Teil Lothringens aufgrund der kurzen Transportwege Konzessionen ankaufte. Analog dazu versuchten französische Unternehmen, Konzessionen an Kohlegruben in Deutschland zu erwerben. So besaß die Firma de Wendel im annektierten Teil Lothringens Kohlehütten und kaufte weitere Hütten in Westfalen dazu202. Der deutsche Handel mit Frankreich wuchs ab 1890 im Vergleich zum Handel mit dem übrigen europäischen Ausland überproportional an. Die Steigerungsraten übertrafen sogar den Handel mit dem verbündeten ÖsterreichUngarn. Insgesamt belegte Frankreich als Außenhandelspartner bei der Einfuhr jedoch nur Platz fünf, bei der Ausfuhr Platz vier. Umgekehrt war das Kaiserreich für Frankreich nach Großbritannien der zweitwichtigste Lieferant und der drittgrößte Absatzmarkt 203. Dennoch war Deutschland als Handelspartner Frankreichs bis zum Ersten Weltkrieg im Vergleich zu den Jahren vor 1870 unterrepräsentiert 204. Deutsche Unternehmen dominierten ab Ende des 19. Jahrhunderts in der Elektro-, Chemie- und Metallindustrie. Ein Wissenstransfer erfolgte dabei über die vor allem im Kaiserreich engen Bindungen der Industrie an die wissenschaft liche Forschung und über internationale Ausstellungen und Kongresse, bei denen Technik, Produkte und wissenschaftliche Innovationen vorgestellt wurden205. Aufgrund der unternehmerischen Rivalitäten waren diese Kongresse gleichzeitig Orte der Konkurrenz, die bisweilen auf eine „erbarmungslose Konfrontation“206 hinauslief. Unternehmen wie Hoechst, Bayer und BASF, die sich zu multinationalen Firmen entwickelten, kauften französische Chemiefabriken auf, um in Frankreich die Fertigstellung ihrer Produkte vornehmen und darüber die Einfuhrzölle umgehen zu können207. In Frankreich bestand neben dem Kohlebergbau Interesse am deutschen Absatzmarkt für landwirtschaft liche Erzeugnisse, Rohmaterialien, Spiegelglas, Textil-, Luxus- und Kolonialprodukte. Die französischen Unternehmen waren vor allem in Elsass-Lothringen ansässig, wo sich insgesamt 201 202 203 204 205 206 207
Wilsberg 1998 [334], S. 221. Ebd., S. 229, 249–257. Torp 2005 [394], S. 62, 81–84; Wilsberg 1998 [334], S. 180. Dedinger 2011 [377], S. 1032. Zu den Transfers im Bereich der Elektrotechnik siehe Kühl 2009 [315]. Ebd., S. 85. Langlinay 2009 [382], S. 121; Torp 2005 [394], S. 105.
2. Herausforderungen und Ambitionen
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192 Firmen in französischem Besitz befanden. Daneben verfügten sie im Rheinland und in Großstädten wie Berlin, Hamburg oder Leipzig über Filialen. Alles in allem waren deutsche Unternehmen in Frankreich stärker präsent als französische in Deutschland 208 . Das gilt genauso für die Arbeitsmigration von einzelnen Personen wie etwa Kaufleuten, gelernten und ungelernten Arbeitern sowie Lehrerinnen, Gouvernanten und Dienstmädchen aus Deutschland, die zumeist begrenzt auf einige Jahre in die französische Hauptstadt zogen209. Nicht selten waren Geschäfts- und wirtschaft liche Studienreisen, die bisweilen Industriespionage miteinschlossen210. Insgesamt war die Zahl französischer zeitgenössischer Studien über die deutsche Wirtschaft sehr viel höher als umgekehrt 211. Die Unternehmen verfolgten klar gewinnorientierte Interessen und waren nicht – oder nur selten – vom Wunsch nach einer Annäherung auf politischer Ebene geleitet212. Mit ihrer Lobbyarbeit und den Versuchen der politischen Einflussnahme zur Erleichterung von Wirtschaftsbeziehungen wirkten sie dennoch ausgleichend auf die bilateralen Beziehungen. Wiederholt wurde als Antwort auf die Erhöhung der Schutzzölle 1879 in Deutschland oder 1881 und 1884 in Frankreich sowie 1891 / 92 in beiden Ländern von Einzelpersonen oder Interessenverbänden eine bilaterale oder eine mitteleuropäische Zollunion unter Einschluss von Deutschland und Frankreich gefordert 213. Auf den internationalen Landwirtschaftskongressen ab 1889 war immer wieder von einem deutschfranzösischen, auf den Agrarmarkt beschränkten Zollverbund die Rede214 . Ein solches Projekt des Elsässers Paul de Leusse von 1888 und 1890 wurde in Frankreich von Teilen der Presse zunächst befürwortet, von der Öffentlichkeit jedoch abgelehnt. Das Vorhaben konnte nicht umgesetzt werden, wäre eine Unterstützung der Initiative durch französische Politiker doch ihrem „politischen Selbstmord“215 gleichgekommen. Das Ziel einer Förderung der beiderseitigen Beziehungen auf wirtschaft lichem Gebiet verfolgten die beiden 1908 gegründeten Organisationen Deutsch-Französischer Wirtschaftsverein (DFW) und Comité commercial franco-allemand (CCFA)216. Über Lobby- und Pressearbeit, 208 Wilsberg 1998 [334], S. 352; Poidevin 21998 [385], S. 727–760; Poidevin, Bariéty 1982 [79], S. 210. 209 König 2003 [355]. 210 Barbey-Say 1994 [1138], S. 164–171. 211 Nolan 2005 [325], S. 49. 212 Poidevin, Bariéty 1982 [79], S. 241–242. 213 Zur Zollpolitik in Deutschland und Frankreich siehe Alexandre 2012 [374]; Aldenhoff-Hübinger 2002 [373]. Zu Europa siehe Dormois 2008 [401], S. 69– 156. Zur deutschen Außenhandels- und Zollpolitik siehe Burhop 2011 [389], S. 101– 117. Eine Zusammenfassung der Forschungskontroversen um den Protektionismus des Kaiserreichs bei Torp 2009 [395], S. 424–427. 214 Aldenhoff-Hübinger 2002 [373], S. 42–70, bes. S. 61. 215 Poidevin, Bariéty 1982 [79], S. 176–177. 216 Poidevin 21998 [385], S. 784–786; Wilsberg 1998 [334], S. 208–209.
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I. Überblick
Austausch von Kontakten und Mitarbeit bei Zollfragen sowie bei der deutschfranzösischen Zollkonferenz 1913 engagierten sich die Mitglieder der Vereine, die in Wirtschaft und Politik tätig waren. Der CCFA reagierte außerdem ausgleichend auf die 1912 von einigen Intellektuellen ins Leben gerufene Kampagne in „Le Matin“ und anderen nationalistischen Zeitungen gegen die als „Invasion“ dargestellte starke Präsenz deutscher Produkte und Unternehmen in Frankreich217. Eine noch offensivere Kampagne gab es 1888 allerdings in Großbritannien mit der gesetzlichen Einführung des Labels „Made in Germany“, das, anders als intendiert, bald zu einem Gütesiegel für deutsche Produkte wurde. Die wirtschaft liche und demografische Dynamik Deutschlands ließ in Frankreich Unmut gegenüber der Industrie- und Handelsmacht des Nachbarn entstehen. Vor allem die kleineren und mittleren Unternehmen fürchteten die Konkurrenz aus Deutschland. Als „wirtschaft liches Sedan“ bezeichnete der französische Handelsminister 1886 das Ansteigen der deutschen Importe, eine Klage, die periodisch von verschiedener Seite geführt wurde218. Dass sich dennoch auch in „Le Matin“ Anzeigen deutscher Produkte wie Osram, Odol, Maggi, Benz oder Berlitz finden ließen, zeigt die Gleichzeitigkeit von Ablehnung und Geschäftsinteresse bis in die Presse hinein219. Parallel zum Außenhandel nahm zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Umfang der Finanzbeziehungen zu, da die Banken die Kaufleute im Auslandshandel über Korrespondenzbanken unterstützten. Der Kapitalüberschuss in Frankreich und umgekehrt der hohe Kapitalbedarf in Deutschland ergänzten sich. Frankreich gehörte nach Großbritannien zu den wichtigsten Finanzgebern der Welt: 1914 waren rund 43 Milliarden Goldfrancs im Ausland platziert, eine Summe, die neunmal so hoch war wie das jährliche französische Staatsbudget 220. Umgekehrt fehlte es im Kaiserreich an Kapital, um das im Zuge der „Weltpolitik“ politisch gewünschte weltweite Engagement deutscher Unternehmen zu unterstützen. Die privatwirtschaft lichen Interessen an funktionierenden globalen Finanzbeziehungen waren mithin so hoch, dass der Bankier Carl Fürstenberg von „natürlichen Assoziationen“ sprach, die sich gegen eine Politik der Nationalisierung sträubten221. In ihren Tätigkeiten ließen sich die Bankiers von Profit- und Kostenkalkulationen, nicht aber von patriotischem Denken leiten. Entsprechend komplex und vielfältig waren die beiderseitigen Finanzbeziehungen vor 1914. Einschränkungen erfuhr die Zusammenarbeit in der Hochfinanz durch das Verbot für französische Banken, deutsche Anleihegeschäfte
Poidevin 21998 [385], S. 727–728, 767–769; Poidevin, Bariéty 1982 [79], S. 273. Poidevin, Bariéty 1982 [79], S. 179. Wilsberg 1998 [334], S. 184, 217. Zum Kapitalexport im 19. Jahrhundert allgemein siehe Osterhammel 2009 [80], S. 1047–1055. 221 Wilsberg 1998 [334], S. 110. 217 218 219 220
2. Herausforderungen und Ambitionen
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sowie Industrie- und Bauprojekte deutscher „Weltpolitik“ zu fi nanzieren222. Zudem hatten deutsche Aktien und Anleihen keine Chance auf Zulassung zum amtlichen Handel an der Pariser Börse, was aber traditionell durch den informellen Kulissenhandel ausgeglichen wurde. Mit einer „diplomatie du franc“223 wollte Frankreich den eigenen Einfluss in der Welt erhöhen. Gleichzeitig galt es zu verhindern, mit französischem Kapital die ohnehin starke deutsche Industrie zu fördern und damit die militärische Macht und die Position des Kaiserreichs in der Welt zu stärken224. Im Zuge des ausgreifenden Wirtschaftsimperialismus der Großmächte wurden Investitionen zumeist im Bereich Infrastruktur wie Transport, Telekommunikation, öffentliche Bauvorhaben und Minen sowie Staatsanleihen getätigt, die bisweilen eine staatliche Garantieübernahme der jeweiligen Großmächte notwendig machten225. Botschaften, Konsulate und Verwaltungseinheiten vor Ort fungierten als Vermittler zu den Banken bei der Vergabe von Auft rägen der öffentlichen Hand, sodass oft mals die Grenzen zwischen staatlichen und privatwirtschaft lichen Interessen verschwammen. Die Anzahl der von deutschen und französischen Banken gemeinsam durchgeführten imperialistischen Projekte war hoch: Rund 5,5 Milliarden Francs wurden von deutschen und französischen Banken zwischen 1890 und 1906 in gemeinsame Fonds oft mals mit britischen und amerikanischen Banken investiert. Gerade auf dem Balkan und in der Türkei waren die Interessen stark miteinander verknüpft und zumindest in Teilen komplementär. Darüber hinaus gab es Finanzkooperationen u. a. in China, Ägypten, Skandinavien sowie in mehreren lateinamerikanischen Ländern226. Nicht immer deckten sich politische Strategien der einzelnen Länder und Interessen ihrer Hochfinanz, wie etwa der umfangreiche Kapitalexport französischer Banken ab 1887 nach Russland zeigte, als das Zarenreich noch zu den Bündnispartnern Deutschlands gehörte. Über die Finanzpolitik ließ sich eine Annäherung erreichen, die diplomatisch zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich war. Ein Beispiel für die politischen Unwägbarkeiten der internationalen Kooperation stellt der Bau der Bagdadbahn dar, einer Eisenbahnstrecke durch das Osmanische Reich bis nach Bagdad, die planerisch und finanziell federführend von deutschen Akteuren verantwortet wurde. Die französische Regierung stand einer Beteiligung französischer Banken ablehnend gegenüber und verbot der Banque impériale ottomane, die mehrheitlich von französischen Banken kontrolliert wurde, Aktien und Anleihen der Gesellschaft an der Pariser Börse zu 222 Barth 2009 [375], S. 18–19; Wilsberg 1998 [334], S. 105; Poidevin 21998 [385], S. 245–247. 223 Guillen 2005 [361], S. 658. 224 Barth 2009 [375], S. 17. 225 Marnot 2012 [383]. 226 Poidevin 21998 [385], S. 44–82; Poidevin, Bariéty 1982 [79], S. 173–174.
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I. Überblick
emittieren. Dennoch kam es 1903 zur Gründung der Bagdadbahngesellschaft unter internationaler Beteiligung. Im Februar 1914 wurde die deutsch-französische Finanzentente zwar formell aufgelöst. Doch fanden die Banken Mittel und Wege, um eine finanzielle und informelle Beteiligung weiterzuführen. Auf diese Weise flossen französische Gelder weiter in den Bau, zum Teil verschleiert unter Mithilfe der Deutschen Bank 227. Deren Hauptgegner im Osmanischen Reich kam mithin nicht aus Frankreich, sondern mit der Deutschen Orientbank, einer von der Dresdner Bank vor Ort gegründeten Filiale, aus Deutschland. Auf der Seite der Unternehmen und Banken war das Verhältnis von Kooperation und Konkurrenz also komplex. Auf der Seite der Politik war es dagegen eindeutig: Die deutsche Seite trat gegenüber Großbritannien konzessionsbereiter auf als gegenüber Frankreich, da mit London gleichzeitig ein „langfristig besseres Verhältnis angestrebt“228 wurde und man sich gegenüber Paris mit der Einigung in Sachfragen zufriedengab. Die französische Regierung tat umgekehrt alles, um Kapitalflüsse ins Kaiserreich zu begrenzen. Während die Geschichtsschreibung des Imperialismus vor allem die deutsch-französische politische Konkurrenzsituation beleuchtet, wird übersehen, dass die Bagdadbahn aus fi nanzhistorischer Sicht ein von „Erfolg gekröntes deutsch-französisches Joint Venture“229 war. Fast die Hälfte der Finanzierung für deren Bau kam aus dem Ausland, allen voran aus Frankreich. Der Anteil dürfte sogar noch höher liegen, doch die Herkunft des Geldes lässt sich aufgrund der verschiedenen Zwischentransaktionen nicht mehr in allen Fällen nachvollziehen. In anderen Regionen war das wirtschaft liche Aufeinandertreffen zwischen Deutschland und Frankreich konflikthafter. Industrielle Rivalität gab es etwa in Bulgarien, wo 1904 Krupp und Schneider jeweils um Auft räge für Rüstungsgüter konkurrierten230. In Marokko widersetzte sich die französische Regierung 1909 trotz des internationalen Abkommens zur wirtschaft lichen Offenheit des Landes der Vergabe von Konzessionen für den Bau von Eisenbahnen an deutsche Firmen. Zudem wurden deutsche und italienische Banken nach 1911 von einer Beteiligung an der Emission von Staatsanleihen und vom Aufbau der marokkanischen Staatsbank ausgeschlossen 231. So blieben die Verbindungen zwischen den Banken nach der Agadirkrise 1911 von den politischen Spannungen nicht unberührt und eine Tendenz zur Politisierung der internationalen Kapitalströme zeichnete sich ab. Die französischen Banken sahen sich gegen ihren Willen gezwungen, ihre finanzielle Beteiligung an weltweiten gemeinsamen Projekten zu reduzieren. In der Folge kamen verschiedene Vorhaben nicht mehr 227 Barth 2009 [375], S. 35–36; Wilsberg 1998 [334], S. 125, 147; Barth 1995 [388], S. 384. 228 Wilsberg 1998 [334], S. 165. 229 Barth 2009 [375], S. 30. 230 Poidevin 21998 [385], S. 317–319. 231 Allain 1976 [307], S. 279–284, 291–294.
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zustande232. Stärker als die deutschen widersetzen sich die französischen Banken den beschränkenden Vorgaben ihres Außenministeriums. Eine tatsächliche Nationalisierung der Finanzbeziehungen gelang vor 1914 jedoch weder der deutschen noch der französischen Regierung233. Ungeachtet der Einschränkung der fi nanziellen Zusammenarbeit, der verschärften Zollschikanen ab 1912 / 13 sowie der „Vervielfachung der Schwierigkeiten bei der wechselseitigen Interessenverflechtung“234 kamen die deutschfranzösischen Wirtschaftsbeziehungen nach 1911 nicht zum Erliegen. So störten Zollerhöhungen vor 1914 zwar den deutsch-französischen Handel, führten aber kaum zu Rückgängen. Vielmehr verzeichnete der Handel zwischen beiden Ländern aufgrund von sinkenden Transportkosten einen Aufschwung235. Die Intensivierung der weltweiten und auch deutsch-französischen Wirtschaft s- und Finanzverflechtungen verlief nicht parallel zu den wechselhaften politischen Beziehungen. Noch bis zum Sommer 1914 war ein Großteil der Bankiers und Wirtschaftsakteure der Meinung, dass ein Krieg aufgrund der starken Handels- und Finanzverflechtung in Europa für die Politik keine Option sein könne, was sich als fatale Täuschung erwies236. Zugleich zeigt ein um finanz- und handelspolitische Fragen erweiterter Blick auf die internationale Diplomatie vor 1914 die Komplexität der Beziehungen, die sich nicht auf einen einfachen Antagonismus reduzieren lassen.
Provinces perdues: das Reichsland Elsass-Lothringen Die nach dem Krieg 1870 / 71 vom Deutschen Kaiserreich annektierten französischen Regionen Elsass (ohne Belfort) und ein Teil Lothringens stellten in der Folgezeit das stärkste Konfliktfeld für die deutsch-französischen Beziehungen dar. Insgesamt vier Mal mussten Elsässer und Lothringer in der Zeit von 1871 bis 1945 die Nationalität wechseln, ein Thema, das bis heute in Literatur und Kino in Frankreich eine große Rolle spielt237. Die Folge waren scharfe politische Divergenzen, deutsch-französische Brüche bis in die Familien hinein 232 233 234 235
Petersson 2004 [390], S. 59. Barth 2009 [375], S. 19. Ausführlich: Poidevin 21998 [385], S. 654–723. Poidevin, Bariéty 1982 [79], S. 271. Wilsberg 1998 [334], S. 173. Anders sehen es Poidevin 21998 [385], S. 809–810; Poidevin, Bariéty 1982 [79], S. 276. 236 Plumpe 2011 [391], S. 53; Barth 2009 [375], S. 36. 237 Zur Geschichte des Elsass und Lothringens im 19. / 20. Jahrhundert und zur Gesamtgeschichte siehe Igersheim 2016 [454]; Vogler 2012 [499]; Roth 2010 [476]; Nowak 2010 [468]; Meyer 2008 [464]; Dinet, Igersheim 2003 [427]; Erbe 2002 [431]; Wahl, Richez 1994 [502]; Dollinger 1991 [428]. Vgl. auch die Doppelbiografie von Pascale Hugues über ihre beiden Großmütter Marthe und Mathilde, Hugues 2008 [449].
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sowie das Entstehen eines regionalen Partikularismus238. Dabei hatte die geografische Lage den Grenzgebieten, die erst nach der Annexion 1871 von deutscher Seite zu einer Einheit „Reichsland Elsass-Lothringen“ definiert wurden, eine Brückenfunktion zwischen beiden Ländern gegeben. Daraus resultierte ein verflochtenes kulturelles Erbe, politisch jedoch belastet durch wechselseitige territoriale Ansprüche seit der Eingliederung des Elsass in Frankreich im 17. Jahrhundert. Die neuere Forschung hat mit Blick auf sprachliche, kulturelle, politische, religiöse und soziale Aspekte auf die komplexe Identität im Elsass und in Lothringen hingewiesen. So sprach zwar die Mehrheit der Bevölkerung der annektierten Gebiete um 1871 Deutsch und einen elsässischen Dialekt. Im Hinblick auf ihre nationale Zugehörigkeit tendierte sie jedoch seit der Französischen Revolution nach Frankreich239. Diese Ambivalenz stellte das Deutsche Kaiserreich vor eine Herausforderung. Mit politischen Maßnahmen wurde versucht, für eine größere Eindeutigkeit und für die Germanisierung der Gebiete zu sorgen. Die Dritte Republik dagegen hielt mit konjunkturell schwankender Intensität die Erinnerung an die „verlorenen Provinzen“ wach. Trotz der Bemühungen von deutscher Seite, die Spuren der französischen Zugehörigkeit auszulöschen und die Kontakte nach Frankreich zu unterbinden, war ElsassLothringen nach 1871 der Ort, an dem die Gleichzeitigkeit von Verfeindung und Verflechtung zwischen Deutschland und Frankreich am deutlichsten zutage trat.
Option und Migration Artikel 2 des Frankfurter Friedensvertrags vom 10. Mai 1871 sah für die Bewohner in Elsass und Lothringen die Möglichkeit vor, für die französische Nationalität zu „optieren“. In diesem Fall mussten sie die annektierten Gebiete bis zum 1. Oktober 1872 verlassen. Die Mehrheit der Elsässer und Lothringer war gegen die Annexion und für einen Verbleib bei Frankreich240. Für sie bedeutete die Annexion ein schwerwiegendes Dilemma: Einerseits wollten sie die französische Nationalität nicht verlieren, andererseits ebenso wenig ihre Heimat verlassen und ins Exil gehen. Überdies gab es Unsicherheiten in Bezug auf die Verwaltungsabläufe bei der Option, die komplex und für den Einzelnen schwer verständlich waren. Viele dachten – nicht zuletzt aufgrund der profranzösischen Agitation der Ligue d’Alsace –, sie könnten nach der Option und einem kurzen Aufenthalt in Frankreich in ihre Heimat zurückkehren. Die Debatten über das Für und Wider von Option und Emigration zeigten die Viel-
238 Vogler 2012 [499], S. 158. 239 Ebd., S. 156; Vogler, Kammerer 2003 [498], S. 188–191, 199–210. 240 Zur Protestbewegung siehe Rossé 1936, [40], Bd. 1, S. 58–83; Stimmen zur Annexion bei Bronner 1970 [416], S. 219–375.
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schichtigkeit der Gründe sowie die große Betroffenheit der Einzelnen241. Für die Entscheidung waren weniger anti-deutsche Gefühle maßgeblich als eine generelle nationale Präferenz für Frankreich und für das republikanische Regime242. Denn mit der Option entschied man nicht nur über die nationale Zugehörigkeit, man wählte zugleich zwischen Republik und Monarchie. Neben persönlichen, politischen und wirtschaft lichen Gründen spielte die religiöse Zugehörigkeit, die eng verbunden mit den politischen Überzeugungen war, eine große Rolle bei der Entscheidung für oder gegen die Option. So war in den katholischen Gebieten die Anzahl der Optionen weitaus höher als in den protestantischen, erwarteten sich Lutheraner und Kalvinisten von der Zugehörigkeit zum preußischprotestantisch geprägten Deutschen Kaiserreich doch eher Vorteile, während Katholiken und Juden eine Einschränkung ihrer Rechte befürchteten. Besonders hoch war die Anzahl der optierenden und emigrierenden jungen Männer, die dem deutschen Militärdienst entgehen wollten243. Rund 161 000 Personen optierten für Frankreich, wobei viele das Land nicht verließen, sodass ihre Option später aberkannt wurde. Mit etwa 128 000 Personen wanderten in den ersten Jahren 8,5 % der Bevölkerung aus Elsass und Lothringen aus. Überwiegend handelte es sich dabei um junge Leute zwischen 17 und 20 Jahren sowie um frankophile Notabeln, Führungskräfte, Arbeiter und Handwerker244. Der Großteil von ihnen stammte aus den Städten. Viele ließen sich kurz hinter der Grenze nieder, um den Kontakt zu ihrer Heimat aufrechterhalten zu können. Der grenzüberschreitende Arbeitsmarkt funktionierte nach 1871 weiterhin sehr gut245. Auch die Wirtschaftselite verließ zu großen Teilen die annektierten Gebiete und eröff nete neue Produktionsstätten in Frankreich. Der unmittelbare Verlust an Kapital und Wissen durch das Abwandern von Unternehmern und Industriellen war erheblich246. Spezialisierte Agenturen vermittelten vor allem im Norden des Elsass Verträge für eine Auswanderung in die USA. Algerien zog ebenso zahlreiche Elsässer und Lothringer an, stellte diese französische Kolonie doch seit dem Second Empire ohnehin ein traditionelles Auswanderungsziel dar247. Die Emigration, die in Teilen auch ohne die Annexion stattgefunden hätte und nach 1871 weiter anhielt, war nur der eine Aspekt der demografischen Umwälzung in der Region: Den anderen stellte die Zuwanderung aus dem Deutschen Reich dar. Vor allem Verwaltungsbeamte, Lehrer und Angehörige des Militärs migrierten nach der Annexion in die Städte Elsass-Lothringens. 41,5 % davon kamen aus Preußen. Im Zuge der Industriali241 242 243 244 245 246 247
Wahl 1974 [501], S. 78–81. Silverman 1972 [487], S. 28–29. Vogler 2012 [499], S. 161. Wahl 1974 [501], S. 190, 214. Martin 2009 [461]. Vogler, Hau 1997 [497], S. 202. Frey 2009 [436], S. 29–37; Wahl 1974 [501], S. 203–212.
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sierung zogen in den Folgejahren zudem Unternehmer und Arbeiter ins Reichsland. Diese sogenannten „Altdeutschen“ (vieux-allemands) stellten 1910 rund ein Sechstel der Bevölkerung248. Mit regionalen Nuancen kam es in Elsass-Lothringen wie im Kaiserreich zu einer starken Verstädterung im Zuge der Industrialisierung. Insgesamt waren im Jahr 1907 48 % der Bevölkerung in der Industrie und 31 % in der Landwirtschaft tätig, ein Verhältnis, das eher der Aufteilung in Deutschland als der in Frankreich zur selben Zeit entsprach249. Während die Gesamtzahl der Einwohner durch die Migrationsbewegungen gleich blieb, änderte sich die soziale Schichtung der Bevölkerung: Die Gruppen der Angestellten in Handel, Industrie, Banken und Verwaltung sowie die Lehrenden nahmen am stärksten zu250.
Verwaltung: Zwischen Fremdherrschaft und Integration Die annektierten Gebiete wurden von Bismarck als „Reichsland“ in das neu gegründete Deutsche Kaiserreich integriert 251. Damit gehörte es gleichzeitig allen deutschen Staaten und unterstand direkt dem Kaiser. Verwaltet wurde das Reichsland zunächst von einem Oberpräsidenten, mit der Verfassung von 1879 dann von einem Statthalter als jeweils direktem Vertreter des Kaisers. Der Status als nicht selbstständiger Bundesstaat wies Elsass-Lothringen im Vergleich zu den anderen deutschen Staaten nicht nur eine untergeordnete Rolle zu. Er passte auch nicht in die Verwaltungsstruktur des Kaiserreichs. Dies führte vor allem in den Jahren von 1871 bis 1879 häufig zu Änderungen und Experimenten in Politik und Verwaltung. Eine Schwierigkeit war der Kampf zwischen ziviler und militärischer Herrschaft um die führende Rolle, ein generelles Grundproblem des Kaiserreichs, das sich in Elsass-Lothringen besonders deutlich zeigte. Die deutsche Politik schwankte zwischen den Alternativen, das Reichsland als erobertes, feindliches Gebiet zu verwalten oder es als selbstständig werdenden Staat in das Kaiserreich zu integrieren. Grundlegend für die unschlüssige und inkonsequente Politik war der Konflikt, der sich aus den Bedürfnissen nach militärischer Sicherheit einerseits und dem Ziel der Germanisierung der Gebiete andererseits ergab. Für das Selbstverständnis der Bevölkerung wirkte die Vorstellung freilich abstoßend, nur als Schutzwall gegen einen neuerlichen Angriff Frankreichs annektiert worden zu sein252. 1874 bekam das Reichsland zwar 15 Sitze im Reichstag, durfte jedoch nach wie vor keinen Vertreter in den Bundesrat entsenden. 1875 wurde ein Landesausschuss gegründet, in dem gewählte 248 Vogler 2012 [499], S. 168; Uberfill 2001 [495]; Uberfill 1995 [494]; Wahl, Richez 1994 [502]. 249 Vogler, Hau 1997 [497], S. 257. 250 Wahl, Richez 1994 [502], S. 72. 251 Zur politischen Geschichte Elsass-Lothringens siehe Igersheim 2016 [454]. 252 Wehler 21979 [109], S. 67.
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Vertreter saßen, die eine beratende Funktion ohne echten politischen Einfluss hatten. Hervorstechendstes Merkmal für die Bevormundung des Reichslands war der sogenannte Diktatur-Paragraf, der bis 1902 gültig war. Er ermächtigte den Oberpräsidenten und später den Statthalter, für die Wahrung der Sicherheit und der öffentlichen Ordnung jede beliebige Maßnahme zu ergreifen253. Zumeist wurde er für das Verbot von Zeitungen und für die Ausweisung von profranzösischen Agitatoren verwendet. Erst mit der Verfassungsreform 1911 bekam Elsass-Lothringen einen Landtag und damit eine eigene gesetzgebende Kammer. Da sich Berlin jedoch ein Vetorecht für die Gesetzgebung vorbehielt und es nach wie vor keinen Staatschef gab, war die Verfassung von 1911 mit ihrem Zugeständnis der „überwachten Freiheit“254 eine Enttäuschung für die Bevölkerung255. Die Elsässer und Lothringer nahmen die preußische Verwaltung vor allem in den Anfangsjahren als Fremdherrschaft wahr und sahen sich aufgrund der fehlenden Staatsbürgerrechte und der mangelnden Regierungsautonomie als Bürger zweiter Klasse. In der Folge entwickelte sich die Protestbewegung, die bis ca. 1890 diejenigen vereinte, die die Rechtmäßigkeit der Annexion bestritten, eine Zusammenarbeit mit den Deutschen ablehnten und eine Volksabstimmung über die nationale Zugehörigkeit forderten. Ab etwa 1890 wurde die Protest- von der Autonomiebewegung abgelöst, deren Ziele sich alle politischen Strömungen in unterschiedlichem Ausmaß zu eigen machten 256. Sie akzeptierte überwiegend die Eingliederung Elsass-Lothringens in das Kaiserreich, forderte jedoch weitergehende Autonomie und Gleichstellung mit den anderen Bundesstaaten. In der Verlängerung entwickelte sich eine vielfältige, auch kulturelle Regionalismusbewegung257. Als weitere politische Kraft traten die Katholiken auf, die als Antwort auf den Kulturkampf und die repressiven Maßnahmen die Interessen der katholischen Kirche verteidigten. Erst um die Jahrhundertwende fassten die politischen Parteien des Kaiserreichs in Elsass-Lothringen Fuß und die politische Landschaft glich sich der im Reich an. Drei große politische Kräfte dominierten dabei: Als erste Partei stellten 1893 die Sozialdemokraten mit August Bebel in Straßburg und Wilhelm Liebknecht in Metz Kandidaten für die Reichstagswahlen in Elsass-Lothringen auf 258. Die katholische Zentrumspartei und die Deutschkonservative Partei (DKP) stellten die Hauptbastion des Bür-
253 254 255 256
Hiery 1986 [447], S. 74; Silverman 1972 [487], S. 87. Baechler 1988 [406], S. 52. Fischer 2010 [435], S. 81; Bariety, Poidevin 1982 [79], S. 255. Zu Autonomisten und Protestlern als Abgeordnete im Reichstag grundlegend Hiery 1986 [447]. 257 Zur Kultur im Elsass siehe Braeuner 2013 [415]; Benay, Leveratto 2005 [410]. Zum Regionalismus siehe das vertiefende Kapitel II.1 „Elsass-Lothringen zwischen Deutschland und Frankreich“. 258 Harvey 2001 [445], S. 92–129.
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gertums gegen die organisierte Arbeiterbewegung. Die Zentrumspartei war trotz der expliziten Referenz unabhängig von der gleichnamigen Fraktion der Zentrumspartei im Reichstag259. Die liberalen Parteien (Nationalliberale und Fortschrittliche) vertraten die Interessen des Bürgertums, der Protestanten und eines Teils der „Altdeutschen“. Sie unterschieden sich von den stärker nationalistisch ausgerichteten liberalen Kräften im Kaiserreich260.
Politik der Germanisierung: französische Einflüsse zurückdrängen Die Übernahme der Verwaltung des Reichslands war ein langwieriger Prozess, der teilweise zu einer kuriosen deutsch-französischen Mischung aus Vorgaben und Gesetzen führte. In vielen Bereichen wurden nach 1871 administrative, juristische und politische Gegebenheiten zunächst übernommen, ehe sie nach und nach – stets langsam, oft widersprüchlich und teils unvollständig – durch neue bzw. im Deutschen Kaiserreich gültige Regelungen ersetzt wurden. Als wichtigste Maßnahmen wurden alle französischen Beamten durch deutsche ersetzt und Deutsch zur Verwaltungssprache erklärt, wobei das Französische noch bis 1881 toleriert wurde. Der Militärdienst galt verpflichtend bereits ab dem 1. Oktober 1872. Erst 1876 wurde dagegen mit der Mark die deutsche Währung eingeführt, und es eröff neten die ersten Filialen der Reichsbank. Bei der Feuerwehr wurden noch bis 1887 französische Uniformen toleriert261. Der code Napoléon und Teile des französischen Rechts blieben wie in den übrigen linksrheinischen Gebieten bis zum 1. Januar 1900 gültig, dem Tag, an dem das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft trat. Das führte zur grotesken Situation, dass Elsässer und Lothringer für das Singen der republikanischen Marseillaise – ein Zeichen des Widerstands gegen die deutsche Herrschaft – nach einem Gesetz des französischen Strafrechts aus dem Jahr 1822 verurteilt wurden262. Ein äußerst heikles Problem war die Frage der Grenzziehung der katholischen Diözesen, die nicht mit den neuen politischen Grenzen übereinstimmten. Bis 1874 hatten französische Bischöfe Jurisdiktion über Gebiete, die mittlerweile deutsch waren, während zur Diözese von Metz, die ab 1871 einem deutschen Bischof unterstand, französisches Gebiet gehörte263. Hinzu kamen grenzüberschreitende Pfarrbezirke, die eine Integration bewirkten264. Diese Besonderheiten setzen sich nach 1918 fort. So fand beispielsweise das in Frankreich 1905 verab-
259 260 261 262 263 264
Baechler 1982 [405], S. 154. Kurlander 2006 [725], S. 137–184. Wahl, Richez 1994 [502], S. 230. Riederer 2004 [470], S. 270–271. Silverman 1972 [487], S. 93. Martin 2009 [461], S. 162–163.
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schiedete Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat bis heute keine Umsetzung in den damals zum Kaiserreich gehörenden Gebieten265. Zu den wichtigsten Maßnahmen der Germanisierungspolitik gehörten der dreijährige Militärdienst sowie der für Jungen und Mädchen verpflichtende Schulunterricht. Über die Vermittlung der deutschen Sprache, Geschichte und Kultur sollten die Kinder Loyalität zu Kaiser und Reich erlernen266. Doch bei der Sprachregelung gab es keine Eindeutigkeit: In den überwiegend französischsprachigen Gebieten Lothringens konnten in den Grundschulen Lesen und Schreiben weiterhin auf Französisch gelehrt werden267. Elsässische Lehrerinnen leisteten nicht geschlossen Widerstand gegen die Germanisierung, sondern beteiligten sich aktiv an der deutschen Nationsbildung268. Die Betonung der gemeinsamen Geschichte, die Unterstützung des deutschen Vereinswesens und der Kult des Kaisers, dessen Büste in allen Schulen stand und dessen Geburtstag und Besuche im ganzen Land gefeiert wurden, waren weitere Elemente der erzieherischen Germanisierung. Diese Maßnahmen verfolgten eine mindestens doppelte Zielrichtung, indem sie die lokale, aber auch die französische Bevölkerung beeindrucken und von der deutschen Überlegenheit überzeugen sollten. Das zeigte sich ebenso an der am 1. Mai 1872 eröff neten Kaiser-Wilhelm-Universität in Straßburg. Sie wurde als Modell der modernen Universität aufgebaut, mit einer großen Bibliothek als Herzstück 269. Durch eine attraktive Besoldung und den Appell zur Teilnahme an einer „nationalen Mission“ gelang es, führende deutsche Professoren nach Straßburg zu holen und so den Grundstein für den guten Ruf der Universität zu legen. Die naturwissenschaft lichen Fakultäten brachten fünf Nobelpreisträger hervor, darunter Wilhelm Röntgen und Karl Ferdinand Braun. Bei den Geisteswissenschaften zählten der Kunsthistoriker Georg Dehio und der Mediävist und Leiter der Monumenta Germaniae Historica Harry Bresslau, der im „Berliner Antisemitismusstreit“ gegen Treitschke auft rat, zu den prominenten Persönlichkeiten. Hinzu kam eine städtebauliche und architektonische Germanisierung durch den Neubau zahlreicher eindrucksvoller Verwaltungsgebäude, Bahnhöfe, Postämter, Schulen, Kasernen und Kirchen270. Straßburg sollte die Größe und Modernität des Kaiserreichs verbildlichen. In Metz wurde eine umfangreiche Stadterweiterung unter militärischen Gesichtspunkten mit deutsch-nationalen Architekturformen aufgelegt, an der Wilhelm II. maßgeblich mitarbeitete. Der neoromanische Bahnhof und die Oberpostdirektion sind hierfür Beispiele. Die Neustadt in Metz wurde stilis265 266 267 268 269
Langlois 2008 [559], S. 120. Vlossak 2010 [496]; Harp 1998 [444]; Aretin 1992 [404]. Rimmele 1996 [472]; Wahl, Richez 1994 [502], S. 302–303. Vlossak 2010 [496], insbes. S. 66–67. Bischoff, Kleinschmager 2010 [413]; Roscher 2006 [473]; Crawford, OlffNathan 2005 [424]; Jonas 1995 [456]. 270 Musées de Strasbourg 2000 [467]; Wilcken 2000 [504]; Maas 1997 [459].
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tisch älter als die eigentliche Altstadt angelegt, um die deutsche Vergangenheit der Stadt zu demonstrieren. Obgleich Gotik und deutsche Renaissance als stilistische Leitmotive bei den Neubauten vorherrschten, gab es keinen einheitlichen Reichsland-Stil271. Die städtebauliche Germanisierung sollte vor allem über eine Abkehr von bisherigen französischen Baustilen erfolgen. Französische Reisende sowie elsässische und lothringische Beobachter sparten nicht mit ästhetischer Kritik an den Machtbauten, die der lothringische Schriftsteller Émile Hinzelin als „architektonische Verbrechen“ in einem Katalog sammelte272. Neben der offiziellen Politik spielten Begegnungen und ab Mitte der 1890erJahre die zunehmende Vermischung zwischen „Altdeutschen“ und Elsass-Lothringern in Beruf, Alltag, Vereinen, im religiösen Leben sowie in Publikationen eine Rolle bei der Integration in das Kaiserreich. Zur gleichen Zeit gelang der elsass-lothringischen Wirtschaft die Anpassung an den deutschen Markt. Im Zuge des konjunkturellen Aufschwungs im Kaiserreich entstanden vielfältige Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu den deutschen Ländern. Die Textilindustrie sowie die Lebensmittel- und Weinproduktion fanden im Kaiserreich neue Absatzmärkte. In der Eisen- und Stahlindustrie entwickelten sich zwischen Lothringen und Ruhr enge Verbindungen. Der neue Rheinhafen in Straßburg ließ nicht nur den Transportverkehr ansteigen, sondern zog auch weitere Industrieansiedlungen nach sich273. Die Arbeiterklassen in Elsass-Lothringen handelten stärker in einem nationalen als in einem regionalen Kontext und sorgten damit ebenfalls für die Integration. Positiv auf ihre Hinwendung zum Kaiserreich wirkten sich das Ende des „Sozialistengesetzes“ und die im internationalen Vergleich fortschrittliche Sozialgesetzgebung Bismarcks aus, die im Übrigen bis heute gültig ist 274. Deutsch-französische politische Krisen wurden im Reichsland Elsass-Lothringen stets verstärkt wahrgenommen. Es war in dieser Hinsicht ein „Thermometer für die deutsch-französischen Beziehungen“275. Während die Bevölkerung befürchtete, ihre Heimat könnte erneut Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen werden, reagierten Verwaltung und Militär mit Misstrauen und repressiven Maßnahmen. Verschärfung der Sprachenpolitik in den Schulen, Verbot französischer Zeitungen, die Ausweisung von missliebigen Personen, die Auflösung von Vereinen sowie die Einführung von Schutzzöllen und Passzwang waren Maßnahmen als Reaktion auf die Ereignisse im Jahr 1887: die Schnaebelé-Aff äre, die darauf folgende Drohung der Generalmobilmachung durch Boulanger sowie die von der Regierung Bismarck in Elsass-Lothringen verlorenen Reichstags271 Wilcken 2000 [504]. 272 Nolan 2005 [325], S. 77. 273 Zur Wirtschaft in Elsass–Lothringen siehe Harvey 2001 [445]; Vogler, Hau 1997 [497] sowie das Kapitel I.2 „Ökonomische Rivalität und Kooperation“. 274 Vogler 2012 [499], S. 165; Carrol 2010 [420], S. 60, 62–63; Harvey 2001 [445], S. 84. 275 Wehler 21979 [109], S. 39.
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wahlen276. Aufgrund eines deshalb eingeführten vorübergehenden Passzwangs benötigten Franzosen für die Einreise nach Elsass-Lothringen ein Visum, ausgestellt durch den deutschen Botschafter in Paris. Junge Männer zwischen 18 und 20 Jahren erhielten dieses sehr selten, Militärs und Lehrer nur mit weiteren Anträgen277. Doch davon abgesehen, handelte es sich um eine „offene Grenze“278 zwischen Elsass-Lothringen und Frankreich, wie zahlreiche grenzüberschreitende Veranstaltungen und Kontakte belegen. Trotz der repressiven Maßnahmen war die Germanisierungspolitik in Elsass-Lothringen sehr viel vorsichtiger und flexibler als beispielsweise in den Gebieten mit polnischen Minderheiten. Einer der Gründe dafür liegt in der diff usen Höherwertung der französischen Kultur und der Überzeugung, dass der als deutsch angesehene Grundcharakter der Elsässer sich nach einer Übergangszeit wieder durchsetzen würde279. Trotz eines bisweilen kolonialen Auft retens280 lässt sich der in Ostpreußen konstatierte deutsche kontinentale Kolonialismus nicht in gleicher Weise in Elsass-Lothringen feststellen.
Die Bindungen an Frankreich Die Bindungen an Frankreich waren in Elsass-Lothringen vor allem in den ersten Jahren nach der Annexion besonders stark. Eine erhebliche Anziehungskraft übten nationale französische Ereignisse aus. Zu nennen sind die Staatsbegräbnisse, in erster Linie die Beisetzung von Léon Gambetta 1883, die Weltausstellungen und ab 1880 die jährlichen Feiern zum 14. Juli281. Gerade die französische fête nationale erfreute sich großer Beliebtheit: Ganze Karawanen zogen aus dem Reichsland nach Nancy oder Belfort, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen, was von den deutschen Behörden misstrauisch überwacht wurde282. Darüber hinaus gab es Kontakte zu Exilkreisen vor allem in Paris sowie zur ausgewanderten Verwandtschaft. Über ihre zeitweilige Arbeit als Dienstmädchen in Paris trugen junge Frauen aus Elsass-Lothringen dazu bei, die Bindung nach Frankreich aufrechtzuerhalten283. Freimaurer und Vereine wie die Association générale d’Alsace-Lorraine waren für Exilelsässer in Frankreich inte-
276 Hiery 1986 [447], S. 219–240. 277 Vgl. zur Grenze und zu den Ausweisungen Barbey-Say 1994 [1138], S. 35–36, 39–41, 45. 278 Roth 1993 [474], S. 135. 279 Winkler 2000 [111], S. 253; Aretin 1992 [404]; Baechler 1996 [407]; Rimmele 1996 [472]; Wehler 21979 [109], S. 57–58, 184–202. 280 Siehe dazu das vertiefende Kapitel II.1 „Elsass-Lothringen zwischen Deutschland und Frankreich“. 281 Riederer 2004 [470], S. 219, 229–240. 282 Wahl, Richez 1994 [502], S. 220. 283 Ebd., S. 109.
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grierende Kräfte284. Zahlreiche der einflussreichen, in Schule und Universität tätigen Germanisten und Sprachwissenschaft ler kamen aus Elsass-Lothringen, so etwa Charles Andler, der 1904 den ersten Lehrstuhl für Germanistik an der Sorbonne erhielt285. Begegnungen zwischen Elsässern und Franzosen, aber auch von Elsässern und „Altdeutschen“, wurden darüber hinaus durch Sportvereine geschaffen, allen voran von Fußballvereinen. Regelmäßig wurden Spiele organisiert, wobei der sportliche Austausch über Grenzen deutsche und schweizerische Mannschaften einbezog286. Die Bindung an die französische Kultur aufrechterhalten zu können war zugleich eine Frage des Geldes: So bildeten überwiegend die vermögenden Schichten der elsass-lothringischen Gesellschaft, die regionalen Notabeln, Industriellen, Landbesitzer und Geistlichen den Kern des Widerstands gegen die Eingliederung in das Deutsche Kaiserreich. Allerdings büßte die Dritte Republik durch ihre Politik des Antiklerikalismus sowie durch Boulangismus, Panamaskandal und Dreyfusaff äre an Attraktivität ein. Der Antisemitismus und die Feindschaft gegenüber Elsass-Lothringen, die sich im Zuge der Dreyfusaff äre manifestierten, wirkten dabei vor allem auf die pro-französisch eingestellte jüdische Bevölkerung abschreckend. Sie traf der doppelte Vorwurf besonders hart, den man dem vermeintlichen Spion Alfred Dreyfus aufgrund seiner jüdischen und elsässischen Abstammung von beiden Seiten machte. Die Trias aus Spionage, Verrat und Illoyalität im Grenzland gehörte sowohl zur deutschen als auch zur französischen Vorstellungswelt über Elsass-Lothringen287. Die oppositionelle Einstellung der Bevölkerung schwächte sich mit zunehmender Dauer und dem Heranwachsen der nächsten Generationen ab. Um die Jahrhundertwende hatte die Mehrheit der Elsässer und Lothringer die Zugehörigkeit zum Kaiserreich akzeptiert. In einer vielschichtigen Regionalismusbewegung, die sich auf Sprache und Kultur stützte, wurde der Wunsch deutlich, dem nationalen Antagonismus durch einen dritten, regionalen Weg zu entkommen. Einen Rückschlag für die Eingliederung des Reichslandes stellte 1913 die Zabern-Aff äre dar288. In ihr zeigte sich nicht nur erneut der Konflikt zwischen ziviler und militärischer Vorherrschaft. Die Aff äre machte ebenso die im Deutschen Reich verbreitete anti-elsässische Einstellung, die Grenzen der Germanisierungspolitik und die Ohnmacht der Elsässer und Lothringer selbst deutlich und trug zu einem Wiederaufflammen der Regionalismusbewegung bei289. 284 285 286 287
Roth 2010 [476], S. 59–62; Sicard–Lenattier 2002 [484]. Espagne 1999 [1154], S. 52–53, 59–61. Wahl 2012 [503], S. 425–428; Pirot 2010 [469]; Wahl, Richez 1994 [502], S. 169. Nolan 2005 [325], S. 73; Caron 1988 [419], S. 127–131; Mayeur 1986 [462]; Mayeur 1984 [127], S. 179–186. Siehe auch die Kapitel II.1 „Elsass-Lothringen zwischen Deutschland und Frankreich“ und II.2 „Moderner Antisemitismus“. 288 Siehe dazu das Kapitel II.1 „Elsass-Lothringen zwischen Deutschland und Frankreich“. 289 Vonau 1993 [500]; Mackey 1991 [460]; Schoenbaum 1982 [478]. Siehe dazu das Kapitel II.1 „Elsass-Lothringen zwischen Deutschland und Frankreich“.
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Frankreich: Denken an die „verlorenen Provinzen“ In Frankreich wurde das Denken an die provinces perdues in vielerlei Hinsicht stilisiert und ein regelrechter Mythos entstand um Elsass-Lothringen290. Am stärksten präsent war die Erinnerung in der Schule, hing doch in allen Klassenzimmern eine Landkarte, auf der die annektierten Gebiete farblich hervorgehoben waren, verewigt im Ölgemälde „Der schwarze Fleck“ (um 1887) von Albert Bettannier291. Überdies prägte die Erinnerung maßgeblich der 1877 veröffentlichte Schulroman „Le Tour de la France par deux enfants“, von dem über neun Millionen Exemplare verkauft wurden. Darin aufgezeichnet sind die Erlebnisse zweier verwaister Jungen aus dem Elsass, die nach der Annexion 1870 auf der Suche nach ihrem Onkel Frankreich durchqueren292. Im städtischen Raum waren die provinces perdues durch Straßennamen293 mit Bezug auf elsässische oder lothringische Städte sowie durch zahlreiche elsässische Brasserien präsent. Hinzu kamen Denkmäler wie beispielsweise Jeanne-d’Arc-Statuen, der Trauerflor um die Straßburg repräsentierende Statue auf der Place de la Concorde in Paris sowie das Denkmal „Le Souvenir“, das 1910 in Nancy eingeweiht wurde. Zahlreiche Zeitschriften, Journale und eine umfassende patriotische Literatur sowie Gedichte, Reiseberichte und Pamphlete über Elsass und Lothringen hielten die Erinnerung an die „schlecht verheilte Wunde“ aufrecht 294. Der Lothringer Schriftsteller Maurice Barrès galt als einer der Hauptvertreter dieser Richtung. In ihrer Beschwörung der Revanche nahm diese Literatur genau wie die popu lären Lieder, Gemälde und Abbildungen teilweise den Charakter eines „religiösen Gelübdes“295 an. Visuell kulminierte die Erinnerung in der Darstellung der elsässischen Tracht und hier vor allem in der traditionellen Haube (coiffe) der Frauen, die nicht nur schnell zu erkennen war, sondern auch im Laufe der Zeit auf den Illustrationen immer größer wurde296. Trotz der von Gambetta 1872 ausgegebenen Parole „Nie davon sprechen, immer daran denken“ („Pensez-y toujours, n’en parler jamais!“) nahm das Interesse der französischen Öffentlichkeit an Elsass-Lothringen spätestens seit den 290 Turetti 2008 [493]. Dem Elsass ist in den französischen „Lieux de mémoire“ ein eigener Aufsatz gewidmet, vgl. Meyeur 1986 [462] genauso wie dem Buch „Le Tour de la France par deux enfants“, vgl. Ozouf 1984 [1262]. In den deutschen „Erinnerungsorten“ fi nden sich Artikel zur Hohkönigsburg und zum Straßburger Münster, nicht jedoch zum Elsass, vgl. François, Schulze 2001 [89]. In den deutsch-französischen „Erinnerungsorten“ dagegen ist ein Beitrag über Straßburg und den Rhein abgedruckt, vgl. Dreyfus 1996 [430]. 291 Turetti 2008 [493], S. 163–171. 292 Ebd., S. 173–189; Cabanel 2007 [1250], S. 139–214; Ozouf 1984 [1262]. 293 Turetti 2008 [493], S. 131–146. 294 Schroda 2008 [480]; Schroda 2009 [481]; Thiesse 1991 [492]. 295 Poidevin, Bariéty 1982 [79], S. 149. 296 Bischoff 1993 [412], S. 50–51.
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1890er-Jahren ab. Die Anzahl der Publikationen ging stark zurück, obschon in nationalistischen Kreisen wie der Ligue des patriotes um Paul Déroulède die Erinnerung an die „verlorenen Provinzen“ weiterhin im Zentrum der politischen Agitation stand. Im Wahlkampf und in öffentlichen Debatten war ElsassLothringen jedoch kaum präsent. Unter den Intellektuellen hatte sich gegenüber dem Thema Indifferenz, ja eine „regelrechte Feindseligkeit“297 ent wickelt. Gleichgültigkeit und emotionaler Aufruhr bildeten nach den Krisen der späten 1880erJahre die zwei Pole einer vielschichtigen öffentlichen Meinung, deren Einschätzung in der Historiografie sehr unterschiedlich ausfällt 298. Einerseits hielt sich in Frankreich hartnäckig das Bild der tapferen und loyalen Elsässer und Lothringer, die unter der deutschen Herrschaft litten299. Andererseits schlug ihnen Misstrauen entgegen und die Angst vor Spionen war groß, wie sich vor allem im Umfeld der Dreyfusaff äre zeigte. Zentrales Organ für die desinteressierte Haltung war die Zeitschrift „Mercure de France“, in der zwischen 1895 und 1902 mehrere Umfragen zur Haltung gegenüber Deutschland durchgeführt wurden, die sehr unterschiedlich ausfielen300. Im Dezember 1897 zu Elsass-Lothringen befragt, zeigte sich die ältere Generation von der Unausweichlichkeit eines erneuten deutsch-französischen Krieges überzeugt, während die jüngere Generation Elsass-Lothringen „defi nitiv abgeschrieben“301 hatte. Nur als Reaktion auf bestimmte regionale Ereignisse und auf deutsch-französische Konfl ikte wie die beiden Marokkokrisen 1905 / 06 und 1911, die Einführung der Verfassung 1911 und die Zabern-Aff äre 1913 flammte das Interesse punktuell auf302. Auf der Internationalen Ausstellung für Ost-Frankreich, Exposition internationale de l’Est de la France, 1909 in Nancy erfuhr der Nachbau eines elsässischen Dorfes ein immenses Interesse. Dass diese Nachbildung nicht nur den regionalen, sondern auch den kolonialen Ausstellungskonzepten der Zeit glich und direkt neben dem „senegalesischen Dorf“ lag, schien niemanden zu stören, nicht mal die Elsässer und Lothringer selbst, die in Sonderzügen aus Metz und Straßburg anreisten303.
297 Poidevin, Bariéty 1982 [79], S. 203. 298 Schroda 2002 [479]; Joly 1999 [364]; Contamine 1957 [357]; Ziebura 1955 [335]. 299 Turetti 2008 [493], S. 93–106. 300 Zu den Umfragen siehe Schockenhoff 1986 [1168]; Poidevin, Bariéty 1982 [79], S. 207–208; Digeon 1959 [1149], S. 463–476. 301 Sieburg 1969 [486], S. 28. 302 Grunewald 1998 [443]; Igersheim 1981 [452], S. 115–116. 303 Roth 2010 [476], S. 63–64; Sicard-Lenattier 2008 [485]; Sicard-Lenattier 2002 [484], S. 431–438.
3. Protest und Dissens 3. Protest und Dissens
Im Zuge der Konsolidierung der Nationalstaaten und des zunehmenden Ausgreifens der Gesellschaften in die politische Sphäre entstanden vor dem Hintergrund der Umwälzungen und Beschleunigungen der Industrialisierung und der Moderne verschiedene religiöse, soziale, kulturelle und nationale Bewegungen, die innere Konflikte verhandelten. Dieser innergesellschaft liche Protest und Dissens war nicht immer neuartig und besaß zum Teil eine lange Vorgeschichte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahmen diese Konflikte jedoch eine neue Dimension an, was nicht allein auf die Zunahme realer Probleme zurückzuführen ist. Vielmehr bestimmten die Mobilisierung der Massen, die ihrerseits am politischen Geschehen teilhaben wollten, und die Polarisierung der Gesellschaften über die Medialisierung der Konflikte die gesteigerte Intensität der Spannungen. Ausgetragen wurden die Konflikte in Publikationen, Petitionen, Tagungen, Vorträgen, Bildern, symbolischen Aktionen, Massendemonstrationen und teilweise mit physischer Gewalt. Obwohl es sich um innergesellschaft liche Prozesse handelte, die im jeweiligen Land eine spezifische Ausprägung aufwiesen, zeigt die Gegenüberstellung der deutschen und französischen Gesellschaft sowie der staatlichen Politik Ähnlichkeiten, Austausch, Verbundenheit und transnationale Aspekte dieser Konfl ikte. Die Auseinandersetzungen um reale Probleme und um konkurrierende Lösungsmöglichkeiten betrafen zugleich Fragen des Selbstbildes, der Integration und der Homogenisierung der nationalen Gemeinschaften. Für die Festigung des Kaiserreichs und der Dritten Republik galt es, religiöse, soziale, politische und ethnische Minderheiten, die als gefährlich für die innere Einheit wahrgenommen wurden, zu integrieren, zu assimilieren, auszuschalten oder zumindest ungefährlich zu machen. Über die Festlegung, wer zur Nation gehörte und wer nicht, wurden Werte, generelle Überzeugungen sowie kulturelle und soziale Praktiken der Gesellschaften verhandelt. Das erklärt, warum die Konflikte bisweilen mit so großer Heft igkeit ausgetragen wurden. Das Schema der in Teilen von staatlicher Seite betriebenen Stigmatisierung der Minderheiten ähnelte sich dabei: Zum einen wurden die Gefahren für die Gesellschaft und für die nationalen Werte beschworen, zum anderen wurde diesen Minderheiten eine transnationale Agitation vorgeworfen, wodurch ihre Gefährlichkeit für die innere Einheit der Nation verstärkt wurde. Das zeigt sich etwa an den Schlagworten der „roten“, d. h. sozialistischen, der „schwarzen“, d. h. katholischen, und der „goldenen“, d. h. der jüdischen „Internationale“. Insbesondere
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im Deutschen Kaiserreich taten sich verschiedene Akteurgruppen im Kampf gegen tatsächliche, eingebildete und erfundene „innere“ Feinde hervor, deren Ausgrenzung für die Etablierung der nationalen Einheit und Selbstfindung instrumentalisiert wurde. Vielfach wurden sprachliche Parallelen von den inneren „Reichsfeinden“ – Katholiken, Sozialisten, Pazifisten, Juden – zum äußeren Feind Frankreich gezogen. In Frankreich sahen sich staatliche und politische Kräfte neben In- und Exklusionsprozessen, die hier in stärkerem Maße Einwanderer und Kolonialbevölkerungen betrafen, vor allem vor der Herausforderung, die Republik gegen Feinde von links und rechts unter Beibehaltung demokratischer Grundsätze zu verteidigen. In wechselnden Konjunkturen richteten sich die Diskussionen gegen Sozialisten und Anarchisten, Katholiken, Juden, Protestanten, Einwanderer und Freimaurer, denen in verschiedenen Verschwörungstheorien unter anderem gemeinsame Sache mit dem äußeren Feind Deutschland unterstellt wurde. Insgesamt wurden die Polemiken in der Dritten Republik überwiegend von gesellschaft lichen und politischen Akteurgruppen getragen. Von staatlicher Seite gab es keine dem Kaiserreich vergleichbare Rhetorik. Auffallend ist die chronologische Phasenverschiebung, die sich bisweilen in der staatlichen Politik des Kaiserreichs und der Dritten Republik in Bezug auf diese inneren Konflikte zeigte. So nahmen die Regierungen beider Länder oft mals die genau entgegengesetzte Haltung des anderen Landes ein.
Kulturkämpfe und Laizität Als „Zeitalter der Kulturkämpfe“1 gelten in Europa die Jahre von ca. 1860 bis 1880 – im Falle Frankreichs oder Spaniens noch darüber hinaus –, während denen der Platz von Kirche und Religion in Staat, Politik und Gesellschaft neu verhandelt wurde. Im Kaiserreich wollte Bismarck von 1871 bis 1879 und in gemäßigter Form bis 1886 / 87 mit einer Reihe von Gesetzen wie die Einführung der Zivilehe, die Säkularisierung der Schule und das Verbot des Jesuitenordens den gesellschaft lichen, sozialen und politischen Einfluss der katholischen Kirche eingrenzen. In Frankeich wurde in zwei großen Programmen antiklerikaler Gesetzgebung, zum einen 1879 und Mitte der 1880er-Jahre, zum anderen um die Jahrhundertwende, ein laizistisches Staatsmodell umgesetzt, das 1905 in der Trennung von Kirche und Staat kulminierte2. Die Frage der laizistischen 1 Zum Begriff Kulturkampf siehe Blaschke 2009 [533], S. 185 sowie Clark, Kaiser 2002 [510], S. 7. 2 Zum Prozess der Laizität in Frankreich siehe auf Deutsch: Mollenhauer 2004 [563]; Encrevé, Gadille, Mayeur 1997 [514], S. 487–525. Auf Französisch: Lalouette 2007 [556]; Larkin 2004 [560]; Encrevé, Gadille, Mayeur 1995 [514], S. 501–537; Cholvy, Hilaire 1986 [547]. Auf Englisch: Larkin 2004 [560]; McMillan 42006 [561].
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Schulbildung, die Unterdrückung und Überwachung der Geistlichen und ihrer republikfeindlichen Aussagen sowie die Auflösung und Ausweisung der Jesuitenorden waren hier Hauptgegenstände der Auseinandersetzung. Der Begriff „Kulturkampf“ wurde zeitgenössisch durch den deutschen liberalen Abgeordneten Rudolf Virchow geprägt und aufgrund seiner Prägnanz in andere Länder als Bezeichnung für die Auseinandersetzungen um das Verhältnis zwischen Staat und Kirche übertragen3. Im Unterschied zu früheren Konflikten – genannt seien hier nur die Säkularisierungsprozesse im Nachgang der Französischen Revolution – erreichten die europäischen Kulturkämpfe in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch einen breiten Medieneinsatz eine bisher nicht gekannte Mobilisierung der Gesellschaften. Die bisweilen völlig aus dem Ruder laufenden rhetorischen Wortgefechte wurden deshalb so hitzig geführt, weil es neben der Defi nition nationaler Selbst- und Fremdbilder um Werte und kollektive gesellschaft liche Praktiken ging. Inhalte der Schul- und Universitätsbildung waren genauso betroffen wie Praktiken des Alltags und des sozialen Lebens: Krankenpflege, Wohlfahrt, Hochzeit, Taufe oder Beerdigung. Zugleich stand die politische, kulturelle und wirtschaft liche Modernität der einzelnen Staaten auf dem Spiel, galten die romtreuen Katholiken doch als rückwärtsgewandt und unmodern4. Die katholischen Milieus, auf deren Vielschichtigkeit die neuere Forschung hingewiesen hat5, entwarfen eine „defensive Gegenkultur“6 als Antwort auf die „Entzauberung der Welt“ (Max Weber) und die als negativ empfundenen Begleiterscheinungen der Moderne. Die Kulturkämpfe der einzelnen Länder in Europa waren – so sahen es bereits die Zeitgenossen – miteinander verbunden und ein transnationales Phänomen7. Sowohl die klerikalen als auch die antiklerikalen Kräfte agierten in kommunikativen Netzwerken. Dazu gehörten Publikationen, die über zahlreiche Übersetzungen und Neudrucke verbreitet wurden, sowie Kongresse, Vereine, Versammlungen und persönliche Kontakte. Während die Katholiken damit länderübergreifend für gegenseitige Unterstützung und Solidarität sorgten, schufen die Antiklerikalen einen Vorrat an gemeinsam geteilten antiklerikalen Schlüsseltexten, Bildern, Argumenten und stereotypen Erzählmustern8. Texte 3 Anderer Meinung über den Ursprung des Begriffs ist Borutta 22011 [507], S. 11, 113. 4 Clark 2008 [534], S. 104; Toscer-Angot 2008 [545], S. 74–75. 5 Zur Forschung über Katholizismus und katholische Milieus in Deutschland siehe Frie 22013 [91], S. 102–105. Literaturbericht zur aktuellen Katholizismus-Forschung bei Kotulla 2006 [521], S. 8–17. 6 Frie 22013 [91], S. 104. 7 Dittrich 2014 [513], bes. S. 7–10, 15, 18, 37–39, 147, 283–284 (passim); Werner, Harvard 2013 [529]; Borutta 22011 [507], S. 11, 13, 18–19; Kaiser 2002 [520], S. 39; Rémond 2000 [526]; Becker 1981 [506], S. 430. 8 Vgl. Borutta 22011 [507], S. 155–183; Clark, Kaiser 2002 [510], S. 9; Clark 2002 [511], S. 22, 28.
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wurden dabei hauptsächlich aus dem Deutschen und Französischen übersetzt und dienten der einheitlichen und konsistenten Untermauerung der Argumentation9. Weit verbreitet waren Romane und Kolportageliteratur mit häufig fi ktiven skandalträchtigen Geschichten sowie Karikaturen, wobei sich europaweit die antiklerikale Ikonografie mit Bildern von konservativen Bischöfen als Stütze des Vatikans sowie machtvollen Jesuiten bemerkenswert ähnelten10. Trotz dieses transnationalen diskursiven Raums und den Diskussionen in einer teilweise europäisierten Öffentlichkeit wurden die Kulturkämpfe in den jeweiligen politischen Kulturen der Nationalstaaten und ihren lokalen und religiösen Gegebenheiten geführt11. Der Kulturkampf im Kaiserreich stand den anderen Ländern dabei vielfach als negatives Beispiel und als Warnung vor Augen. Insbesondere der preußische Staat war im europäischen Vergleich besonders hart gegen katholische Personen und Einrichtungen vorgegangen12. Überdies fand der Kulturkampf in Deutschland zeitlich früher statt als die Konfl ikte um die Laizität in der Dritten Republik. Die „kleindeutsche“ Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 ohne Österreich hatte einen politisch und religiös überwiegend protestantisch geprägten Staat entstehen lassen. Trotz der katholischen Regionen wie Bayern, Baden, Elsass-Lothringen, Posen und Schlesien stellten die Katholiken im Kaiserreich mit rund 36 % eine – wenn auch bedeutende – Minderheit dar. Während das Nebeneinander verschiedener Konfessionen in den deutschen Ländern nicht grundsätzlich von Ressentiments geprägt war, änderte sich das in der Phase des Kulturkampfes. Über die Gründe und die Motivationen, die zum Kulturkampf führten, ist viel und kontrovers geschrieben worden13. Der Katholizismus war in den Augen des protestantisch-liberalen und aufgeklärten Bürgertums konservativ, abergläubisch und „undeutsch“. Die autoritären und rückwärtsgewandten Tendenzen der katholischen Kirche wurden als nicht vereinbar mit der Erziehung unabhängiger und rational denkender Bürger eines neuen Nationalstaates angesehen. Insbesondere der wegen seiner Papst- und Vatikannähe als „ultramontan“ (aus lateinisch ultra montes, jenseits der Alpen)14 bezeichnete Klerus galt ihnen als reichsfeindlich und als Bedrohung für die gerade ent9 10 11 12 13
Dittrich 2014 [513], S. 161–162; Clark 2002 [511], S. 22. Kaiser 2002 [520], S. 57–58. Siehe auch Borutta 22011 [507], S. 191–213, 410. Dittrich 2014 [513], S. 279–281; Clark 2002 [511], S. 33–34. Clark 2008 [534], S. 86. Eine moderne Gesamtdarstellung zum Kulturkampf in deutscher Sprache fehlt erstaunlicherweise. Neben der bereits genannten Literatur siehe auf Deutsch: Lill 1997 [538]; Nipperdey 1990 [105], Bd. 2, S. 364–381. Französisch: Toscer-Angot 2008 [545]; Colonge, Lill 2000 [535]; Englisch: Ayako Bennette 2012 [530]; Gross 2005 [536]; Ross 1998 [540]. Vergleichend mit Frankreich und Spanien: Dittrich 2014 [513]; vergleichend mit Italien: Borutta 22011 [507]. 14 Zum Begriff Ultramontanismus siehe Dittrich 2014 [513], S. 51–52. Zum französischen Ultramontanismus siehe Cholvy, Hilaire 1986 [547], S. 154–196.
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stehende Nationalkultur mit ihrem Fortschrittsglauben und ihrem Vertrauen in Wissenschaft und Industrialisierung. Eine Rolle spielte dabei, dass die Grenzgebiete im Osten und Westen, deren nationale Loyalität ohnehin als fragwürdig angesehen wurde, zu den katholischen Gegenden zählten. Vor allem in Ostpreußen wurde von Bismarck bereits in den 1860er-Jahren ein Zusammengehen der Katholiken mit der polnischen Nationalbewegung erwartet. Der staatliche Kulturkampf im Kaiserreich trug damit deutlich anti-polnische Züge15. Ebenso lief die Unfehlbarkeitsdoktrin des Papstes aus dem Jahr 1870 konträr zu liberalen Vorstellungen. Sie wurde europaweit als Zeichen für die Verpflichtung der Katholiken gegenüber dem Papst angesehen. Diese stünden – so die Überzeugung der Liberalen im Kaiserreich wie in der Dritten Republik und in anderen Ländern – im Dienste einer fremden Macht, die das Ziel verfolge, die Integrität und Besonderheit des jeweiligen Nationalstaates zu unterwandern16. Verschwörungstheorien gegenüber dem ultramontanen und vom Papst über einen zentralen Apparat gelenkten Katholizismus blühten in dieser Zeit. Tatsächlich agierte in den Jahren 1870–1878 die „schwarze Internationale“ mit Büro in Genf, eine Geheimorganisation ultramontaner und zumeist aristokratischer Katholiken aus neun Ländern, darunter Frankreich und Deutschland. Über die Veröffentlichung „Correspondance de Genève“, die an katholische Tages- und Wochenzeitungen europaweit verschickt wurde, sowie über einen Jahreskongress versuchte sie, konservative katholische Kräfte in einem europaweiten Netzwerk gegen Liberalismus und Nationalismus zu sammeln17. Im Kaiserreich unterstrich Bismarck die nationale Unzuverlässigkeit der Katholiken. Insbesondere stigmatisierte er die 1870 gegründete katholische Zentrumspartei als trojanisches Pferd des Papstes18. Im Schulterschluss mit den Nationalliberalen, die im Reichstag die Mehrheit besaßen, knüpfte Bismarck an die antikatholische Stimmung an, die seit den 1850er-Jahren in weiten Teilen der preußischen Gesellschaft herrschte, und versuchte in einer Reihe von Gesetzen den Einfluss der katholischen Kirche einzugrenzen. Zu den Maßnahmen gehörten u. a. die Auflösung der katholischen Abteilung im Kultusministerium, die Einführung eines Gesetzes zur Verhaftung von Priestern, die sich in ihren Predigten politisch äußerten (Kanzelparagraf), das Verbot des Jesuitenordens, die staatliche Aufsicht über Unterrichts- und Erziehungsanstalten, der Ausschluss der Ordensleute vom staatlichen Schulbetrieb, die Säkularisierung der Schulprogramme, die Einführung der Zivilehe sowie im Falle Preußens die direkte Kontrolle des Staates über die Kirche durch die Reglementierung der
15 Wehler 21979 [109], S. 188–189. 16 Zur transnationalen Kommunikation darüber und den Reaktionen in Deutschland, Frankreich und Spanien siehe Dittrich 2014 [513], S. 181–219. 17 Clark 2002 [511], S. 25; Lamberts 2002 [523]. 18 Clark 2008 [534], S. 92.
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Priesterausbildung und die Verwaltung von Bistümern19. Im Zuge des Kulturkampfes wurden rund 1800 katholische Priester verhaftet oder ausgewiesen und Kirchenbesitz im Wert von über 16 Millionen Reichsmark beschlagnahmt. Seine intendierte Wirkung verfehlte der Kulturkampf allerdings und der römischen Kirche wurde nicht weitreichend geschadet. Überdies blieb die erhoffte breite Koalition zwischen liberalen und konservativen Protestanten aus. Während die Linksliberalen in der Einschränkung der Rechte der Kirche nicht zu weit gehen wollten, entstand bei den konservativen Protestanten die Einsicht, dass die immer schärfer werdenden Maßnahmen nicht die Katholiken allein, sondern auch die protestantische Kirche und den religiösen Glauben insgesamt trafen. Ebenso gab es aktive und passive Widerstände gegen die Beschlagnahmung und die Verhaftungen in Form von Petitionen, Solidaritätsbekundungen und symbolischer oder tatsächlicher Gewalt 20. Aus dem Gefängnis entlassene katholische Priester kehrten zumeist als Helden in ihre Heimat zurück 21. Das deutlichste Zeichen des Scheiterns der Bismarckschen Politik war der Stimmenzuwachs der Zentrumspartei, die bei den Wahlen von 1874 im Vergleich zu 1871 doppelt so viele Stimmen erhielt und 1881 und 1884 zur stärksten Partei aufstieg. Auf die katholischen Milieus wirkte der Kulturkampf somit stabilisierend, während er Gesellschaft und Parteienlandschaft weiter polarisierte22. Mit dem Tod von Papst Pius IX. 1878 sowie dem Ende der Amtszeit des preußischen Kultusministers Adalbert Falk 1879 ging die extreme Phase des Kulturkampfs zu Ende. Ab 1880 wurden einige der antiklerikalen Gesetze im Kaiserreich ausgesetzt oder abgemildert. Das Ende des Kulturkampfes bedeutete gleichzeitig die Abkehr Bismarcks von den Liberalen. Anders als in Frankreich gab es im Kaiserreich keine dauerhafte staatstragende politische Stütze für die Kirchenkritik 23. In den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit traten nun Konfl ikte mit anderen als „vaterlandslose Reichsfeinde“ bezeichneten Gruppen, allen voran den Sozialisten. Die Schatten des Kulturkampfes waren gleichwohl bis 1914 und darüber hinaus sichtbar. Das deutliche Bekenntnis der Katholiken zur Nation im „Burgfrieden“ ist dafür ein nachdrückliches Zeichen. In Frankreich war 1879 mit dem Ende der konservativen Politik des ordre moral von Präsident MacMahon durch den Wahlsieg der Republikaner der Weg für eine antiklerikale laizistische Politik frei geworden. Die Abmilderung des Kulturkampfes im Deutschen Kaiserreich könnte dabei zusätzlich eine Rolle gespielt haben24. Die überwältigende Mehrheit der Franzosen war katholisch. Die 19 Die Texte der Kulturkampfgesetze Badens, Preußens und des Deutschen Reiches sind abgedruckt bei: Lill 1997 [538], S. 61–121. 20 Ross 1998 [540], S. 132–157; Sperber 1984 [544], S. 207–252. 21 Clark 2008 [534], S. 89. 22 Blaschke 2009 [533], S. 202. 23 Dittrich 2014 [513], S. 145. 24 Mitchell 1984 [525], S. 196.
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Protestanten stellten mit Lutheranern und Reformierten nach der Annexion von Elsass und Lothringen, durch die ein Viertel der bisherigen Gemeinde deutsch wurde, mit 650 000 Personen weniger als 2 %; zur jüdischen Gemeinde Frankreichs zählten 1872 rund 49 000 Personen25. Beide Gruppen waren überwiegend republikanisch gesinnt, übernahmen wichtige Ämter in der Republik und waren in die nationale Gemeinschaft eingegliedert26. In den ersten Jahren war trotz mancher Konflikte, wie etwa in der Frage der Investitur der Bischöfe, der Bruch mit dem Vatikan nicht erfolgt. Zum einen wollten die konservativ und monarchistisch gesinnten Regierungen ihren ältesten diplomatischen Alliierten nicht verlieren, zumal Frankreich sich nach dem Krieg 1870 / 71 außenpolitisch isoliert sah. Zum anderen gab es inhaltliche Übereinstimmungen und Gemeinsamkeiten mit den Katholiken etwa in der Aversion gegen die Pariser Kommune und die deutschen Besatzungstruppen. Die antikatholische Politik im Deutschen Kaiserreich bewirkte in Frankreich zunächst einen Schulterschluss zwischen Kirche und Staat. Im Kampf gegen den gemeinsamen deutschen Feind ist eine starke Motivation für die kirchenfreundliche Politik der französischen Regierungen bis 1879 zu sehen27. Chauvinismus, Revanchedenken und Katholizismus waren in Frankreich eng miteinander verknüpft. Dies ist auf die traditionelle Verbindung zwischen Katholizismus und Monarchie, zwischen „Thron und Altar“ zurückzuführen, war doch die Religion in der Monarchie der Ort der Legitimität 28. Aus katholischer Sicht bedeuteten die Niederlage im Krieg gegen Preußen-Deutschland genau wie der Aufstand der Kommune eine Strafe Gottes, die als Zeichen der Besinnung und als Aufruf zur Rückkehr zu katholisch-konservativen Werten aufzufassen war29. Die aufkommende Marienfrömmigkeit sowie der Sacré-Cœur-Kult nach 1871 stehen eng in Verbindung zu diesen Ereignissen. In Paris wurde auf dem Montmartre die Basilika Sacré-Cœur errichtet, die als Sühnezeichen verstanden wurde und damit hochpolitisiert und umstritten war. Der Kult explodierte im Ersten Weltkrieg geradezu, wo Sacré-Cœur-Symbole bei Soldaten sehr beliebt waren30. Mit Gebeten, Pilgerfahrten und Aufrufen zur Hilfe für Elsass und Lothringen sicherte sich die katholische Kirche die Sympathie all derjenigen, die die Erinnerung an die „verlorenen Provinzen“ wachhalten wollten31. Anders als im Kaiserreich missglückte in Frankreich die Gründung einer katholisch-konservativen Partei,
25 Zahlen bei Cholvy, Hilaire 1986 [547], S. 36, 50. 26 Encrevé, Gadille, Mayeur 1997 [514], S. 525, 531; Cholvy, Hilaire 1986 [547], S. 46–47. 27 Mitchell 1984 [525], S. 125–127. 28 Simon-Nahum 2013 [566], S. 189. 29 Mollenhauer 2000 [562], S. 164. 30 Leonhard 2014 [1557], S. 508. 31 Encrevé, Gadille, Mayeur 1997 [514], S. 500; Gibson 1989 [552], S. 148.
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da das konservativ-monarchistische Lager in sich zu sehr zerstritten war und nicht durch eine dominante protestantische Bewegung geeint wurde32. Obgleich eine antiklerikale Politik in den Anfangsjahren der Dritten Republik ausblieb, gab es bereits in den frühen Jahren Kritik an ultramontanen Kräften. Diese wurde vor allem von radikalen Republikanern, Protestanten und Freimaurern und von all denjenigen geäußert, die die drohende Restauration der Monarchie verhindern wollten. In der französischen Gesellschaft besaß der Antiklerikalismus tiefe Wurzeln, wie sich an der antikatholischen Gewalt der Handwerker und Arbeiter während der Pariser Kommune 1871 oder den Handgreiflichkeiten bei Rückkehr von Wallfahrern in ihre Städte und Dörfer zeigte33. Ein offener Angriff auf die katholische Kirche wäre jedoch in den 1870er-Jahren einem „nationalen Verrat“34 gleichgekommen. Aus Sicht der Republikaner zielten die laizistischen Gesetze auf die Verteidigung der Republik gegen restaurative Mächte und auf die Verbreitung der republikanischen Idee in ganz Frankreich, besonders in den ländlichen Regionen. Im französischen Kulturkampf zeigten sich die Divergenzen der deux France besonders deutlich im Hinblick auf die Vorstellung von Staatsform und Nation und dem Platz, den darin der Einzelne sowie kollektive Ausdrucksformen der Macht einnehmen sollten35. Einem neuen philosophischen Individualismus folgend, wollten die Republikaner mündige und rational denkende Bürger erziehen, als moderne citoyens der Demokratie. Die neue morale laïque sollte die bisher dominierende katholische Moral ersetzen, auch, weil die Republikaner davon ausgingen, dass die oberste Loyalität der Katholiken nicht der Nation galt. Im Umfeld des Krieges 1870 / 71 hatten die Republikaner sie der Kollaboration mit dem monarchistischen Preußen verdächtigt, ein Vorwurf, der im Ersten Weltkrieg erneut auftauchen sollte36. Während die religiöse Erziehung als private Angelegenheit, als Sache der Kirche und der Familien gesehen wurde, sollte die moralische Erziehung durch die Schule erfolgen. Die Einführung der kostenfreien, obligatorischen und säkularen Primarschule 1882 unter Jules Ferry war damit das Herzstück der laizistischen Politik der Dritten Republik. Das Monopol der katholischen Kirche in der Erziehung insbesondere der Mädchen sollte abgeschafft werden37. Neben der Ehescheidung und der Aufhebung der Befreiung der Kleriker vom Militärdienst riefen vor allem die Inhalte der
32 Langlois 1992 [558], S. 152. 33 McMillan 42006 [561], S. 84; Encrevé, Gadille, Mayeur 1997 [514], S. 501. Zum Antiklerikalismus in Frankreich siehe auch Lalouette 2005 [557]; Gibson 1991 [553]. Auf Deutsch: Dittrich 2014 [513], S. 33–34; 72–91. 34 Mitchell 1991 [602], S. 307. 35 Simon-Nahum 2013 [566], S. 193; Gibson 1991 [553]; Langlois 1992 [558], S. 143– 144. 36 Gibson 1991 [553], S. 116–117. 37 McMillan 42006 [561], S. 78.
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neuen Schulbücher Widerstand bei den Bischöfen, Priestern und Klerikern hervor. In den 1880er-Jahren entwickelte sich die querelle de manuels, der Kampf um die Inhalte der Schulbücher, in dem die bis in das Lager der Republikaner sehr unterschiedlichen Positionen deutlich wurden. Umstritten waren die Darstellung der Geschichte Frankreichs und die Bewertung der Rolle der Französischen Revolution darin. Ebenso unterschieden sich Republikaner und Katholiken in ihrer Interpretation der Jeanne d’Arc. Denn während die Katholiken auf die göttliche Mission Jeannes hinwiesen und den ersten Teil der Geschichte betonten, unterstrichen die Republikaner die Herkunft aus dem Volk als fille du peuple und den zweiten Teil der Geschichte mit der Fortsetzung des Kampfes und ihrer Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen38. Symbolisch zeigten sich die deux France in den Mariannestatuen, die auf den republikanischen Plätzen den Gegenpart zu den katholischen Marienskulpturen darstellten39. Die französischen Katholiken wehrten sich dagegen, dass in Frankreich, der „ältesten Tochter der Kirche“40, der Katholizismus aus dem öffentlichen Leben verbannt werden sollte. Zahlreich waren lokale Konflikte über die Entfernung von Kreuzen aus den Schulräumen und Krankenhäusern. Es war kein Zufall, dass die 1883 gegründete Tageszeitung der ultramontanen Assumptionisten ausgerechnet „La Croix“ hieß41. Gerade in ländlichen Regionen kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Priester weigerten sich beispielsweise, Kindern, die auf staatliche Schulen gingen, die Kommunion zu erteilen. Unterstützung erhielten die Geistlichen bisweilen von lokalen Behörden oder Arbeitgebern, sodass Eltern und Kinder stark unter Druck gerieten. Konfl ikte fielen von beiden Seiten mitunter unerbittlich und gewaltsam aus42. Katholische Gläubige verbreiteten einfallsreiche Verschwörungstheorien gegen ihre Feinde. Analog zur Rhetorik im Kaiserreich wurden innere und äußere Feinde in eins gesetzt: So wurde Jules Ferry als Agent Bismarcks denunziert, der in Frankreich den deutschen Kulturkampf einführen wolle. Insbesondere im Hinblick auf Protestanten und Freimaurer sahen sich die Katholiken seit der Französischen Revolution einem Komplott ausgesetzt, bei dem sich vor allem die deutschen Logen hervorgetan hätten43. Von ultramontaner katholischer Seite, die damit zugleich die Republik selbst anvisierte, wurden antiprotestantische und antijüdische Kampagnen gestartet, in denen Protestanten und Juden als „fünfte Kolonne“ Preußens, als „Verbündete des germanischen und angelsächsischen
38 Mollenhauer 2004 [563], S. 224. 39 Siehe ebd., S. 222–227; Krumeich 1989 [1592]; Winock 1992 [568]; Contamine 1992 [549]. 40 Remond 1992 [565]. 41 Langlois 1992 [558], S. 156. 42 McMillan 42006 [561], S. 91–98. 43 Rogalla von Bieberstein 21978 [527], bes. S. 194.
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Auslands“ verdächtigt wurden44. Umgekehrt vermieden es die französischen Protestanten aufgrund des Vorwurfs der nationalen Unzuverlässigkeit aus katholischen und nationalistischen Kreisen, ihre europäische Ausrichtung sowie ihre Netzwerke an internationalen Kontakten allzu deutlich in den Vordergrund zu stellen. In der demonstrativen Betonung ihrer patriotischen Einstellung wird deutlich, dass bei den Protestanten die „Wunde der Ausgrenzung aus der französischen Gemeinschaft“45 während der Verfolgung der Hugenotten im 17. und 18. Jahrhundert nicht vollständig verheilt war. Der Aufruf des Papstes Leo XIII. 1892 zur Akzeptanz der Republik, das sogenannte ralliement, sorgte für eine kurzfristige Entspannung im Verhältnis von Kirche und Staat46. Doch die Beendigung der Dreyfusaff äre 1899 gab dem Antiklerikalismus der Republikaner erneuten Auft rieb. Mit den unter Beteiligung von sozialistischen Politikern erlassenen Gesetzen der Jahre 1901 bis 1904 wurde jegliche Tätigkeit der religiösen Orden im Schulwesen verboten. Kirchliche Einrichtungen waren gezwungen, sich mit den Vereinsgesetzen einem geänderten Rechtsstatus zu unterwerfen und sich als „Kultverein“ von Mitgliedsbeiträgen zu finanzieren. Für die Schulen waren gesonderte Trägervereine notwendig. Das Trennungsgesetz von 1905 sicherte Gewissensfreiheit wie auch freie Ausführung des Glaubens zu, schaffte aber staatliche Ausgaben für die Religionsausübung wie Personalkosten für Geistliche ab47. Für heft ige Konflikte bis hin zu Ausschreitungen mit Todesfolge sorgten die materiellen Verluste, die der katholischen Kirche durch die Übertragung der Eigentumsverhältnisse entstanden48. Parallel zu dieser Gesetzgebung brach die Dritte Republik die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan ab und kündigte das Konkordat einseitig auf. Insgesamt war die Haltung der Republik ambivalent, denn der Staat regelte auf gesetzlichem Wege sowohl Belange der Kirche als auch Belange der Familien49. Religion blieb selbst nach 1905 ein Bestandteil der französischen Gesellschaft 50. Damit sorgten die Gesetze weniger für eine Trennung als für eine Verbindung beider Sphären. Der französische Sonderfall reduziert sich somit auf graduelle Unterschiede51. Der Kampf gegen den Klerikalismus in Frankreich traf im Ausland auf großes Interesse. Die katholischen Blätter im Kaiserreich berichteten ausführlich über den Prozess der Laizität im Nachbarland unter ständiger Bezugnahme
44 Hartweg 2001 [517], S. 333, 338. 45 Ebd., S. 333. 46 McMillan 42006 [561], S. 87. Siehe auch Gadille 1997 [516], S. 446–473; Cholvy, Hilaire 1986 [547], S. 83–95. 47 Das Gesetz von 1905 ist abgedruckt und erläutert bei Poulat 2010 [564]. 48 Langlois 2008 [559], S. 118; Cholvy, Hilaire 1986 [547], S. 111–114. 49 Surkis 2013 [567], S. 322; Guilbaud 2004 [554]. 50 Simon-Nahum 2013 [566], S. 189. 51 Dittrich 2014 [513], S. 27–28.
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auf die deutschen Verhältnisse der 1870er-Jahre52. In gleicher Weise berichtete die Presse in anderen Ländern wie Italien, Spanien oder Belgien über die Auseinandersetzungen, die nicht selten ansteckend waren und in der Folge andernorts Unruhen auslösten53. Im Saar-Mosel-Raum trugen der Kulturkampf in Deutschland und die Laizität in Frankreich zu einer Festigung des grenzüberschreitenden katholischen Milieus bei54. Dort gingen zunächst die deutschen Katholiken auf Abstand zum Kaiserreich, und dann die französischen auf Abstand zur Dritten Republik. Das Eintreten französischer Bischöfe für die deutschen Katholiken wertete Bismarck sogar als kriegstreibende Provokation55. Dennoch blieb die nationale Zugehörigkeit innerhalb der katholischen Glaubensgemeinschaft stark präsent. Während die frankophonen Katholiken katholische Organisationen nach deutschem Vorbild ablehnten und es besonders in Lothringen zu Auseinandersetzungen mit eingewanderten „altdeutschen“ Katholiken kam, wurden gemeinsame Pilgerreisen nach Marpingen und nach Lourdes organisiert56. Insbesondere Lourdes war im Kaiserreich ein „mediales Großereignis“57, und die ersten Wallfahrten dorthin begannen bereits 1872 unter den kritischen Augen der deutschen Liberalen, die die Reisen nach Frankreich administrativ verbieten wollten. Ab der Jahrhundertwende und verstärkt ab 1908 pilgerten jährlich Tausende deutsche Katholiken gefördert durch den Deutschen Lourdes-Verein in den kleinen Ort in den Pyrenäen. Daneben existierten zahlreiche weitere grenzüberschreitende Kontakte zwischen Katholiken, die bei Weitem nicht erschöpfend erforscht sind. Die Deutsche Caritas wurde beispielsweise nach französischem Vorbild gegründet58. Auch das Vorbild zum Herz-Jesu-Kult stammte aus Frankreich, wobei er um die Jahrhundertwende im Kaiserreich „weitgehend nationalisiert“59 wurde. In beiden Ländern war parallel zu den Konflikten zwischen Kirche und Staat eine Zunahme an Volksfrömmigkeit und ein Ansteigen der Religiosität bei Frauen bereits seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert zu verzeichnen. Frauen traf die antiklerikale Kritik daher besonders, galt doch katholische Frömmigkeit als gefühlsbetont und weiblich, und man unterstellte, dass der Einfluss der katholischen Kirche über die Frauen in die Familien gelangte60. Außerdem versuchte die Kirche, neue Wirkungsmöglichkeiten in der Gesellschaft zu erreichen. Neben den konfessionellen Gewerkschaften und Arbeitervereinen zeigte 52 53 54 55 56 57
Kotulla 2006 [521], S. 323. Kaiser 2002 [520], S. 59. Vgl. die Beispiele bei Dittrich 2014 [513]. Martin 2009 [461], S. 172–173. Nonn 2015 [106], S. 225. Ebd., S. 173–175. Vgl. auch Turetti 2008 [493], S. 125. Kotulla 2006 [521], S. 21. Zu Lourdes siehe außerdem Harris 1999 [555]. Zu Marpingen siehe Blackbourn 22007 [532]. 58 Maurer 2001 [539]. 59 Kotulla 2006 [521], S. 337. 60 Dittrich 2014 [513], S. 20; Gross 2005 [536], S. 185–225.
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sich das Ausgreifen der Religion auf den Alltag in religiösen Gesangs-, Sportund anderen Vereinen bis hin zur Konfessionalisierung von Konsum und Banken61. In gleicher Weise wollte die Kirche ihren Einfluss in der Wissenschaft geltend machen. Darüber hinaus gewannen die Laienorganisationen und die katholischen Verbände in beiden Ländern an Größe und Bedeutung. Der mit rund 500 000 Mitgliedern größte katholische Frauenverband, die Ligue patriotique des Françaises (1902), stand der konservativen Partei Action libérale nahe und war vor allem im Sozial- und Bildungsbereich aktiv62. Im Kaiserreich hatte der Evangelische Bund 1914 eine halbe Million Mitglieder, der Volksverein für das katholische Deutschland brachte es im selben Jahr auf über 800 00063. Sowohl die protestantische als auch die katholische Kirche blieben hier mächtige und gut finanzierte Einrichtungen, dies nicht zuletzt aufgrund der Kirchensteuer. Der Religionsunterricht in den Schulen wurde in Deutschland anders als in Frankreich weitergeführt und die staatlichen Bindungen zur protestantischen Kirche blieben ungebrochen: Der Kaiser war bis zum Ende des Ersten Weltkriegs summus episcopus und damit Oberster Kirchenherr der protestantischen Kirche in Preußen. Daneben breitete sich in der katholischen Bevölkerung Enthusiasmus für den Kaiser aus. Vor allem nach den Trennungsgesetzen in Frankreich wollten die deutschen Katholiken ihren Patriotismus unterstreichen und damit die Zugehörigkeit zur Nation demonstrieren64. In Frankreich bedeutete die Trennung von Kirche und Staat nicht das Ende der Konflikte. Doch schien der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zunächst den Frieden zwischen Klerikalen und Laizisten und die Aussöhnung der deux France zu besiegeln65. Im „Circulaire Malvy“ vom 2. August 1914 wurde ein Teil der Restriktionen gegen die religiösen Kongregationen aufgehoben, um die union sacrée – im Übrigen ein Begriff mit religiösem Bezug66 – nicht zu gefährden. Während des Krieges zeigten sich die französischen Katholiken auch deshalb loyal, weil sie die französische Nation nach wie vor als katholisch ansahen. Die Ablehnung und der Hass auf die Republik jedoch, die man von Protestanten, Juden und Freimaurern geführt sah, blieben in Teilen des katholischen Milieus bestehen, wie sich etwa in der Unterstützung der nationalistisch-antirepublikanischen Action française zeigte67. Katholische Kräfte führten während des Krieges antiprotestantische Kampagnen und sahen im Kulturkampf und im Weltkrieg zwei Formen desselben deutsch-protestantischen Angriffs. 61 Clark 2002 [511], S. 33. 62 Encrevé, Gadille, Mayeur 1997 [514], S. 522; Cholvy, Hilaire 1986 [547], S. 155–156. 63 Blaschke 2009 [533], S. 186–187. 64 Kotulla 2006 [521], S. 321, 323. 65 Fontana 1990 [550], S. 74–81; Cholvy, Hilaire 1986 [547], S. 237. 66 Siehe dazu das Kapitel I.5 „Der Erste Weltkrieg 1914–1918“. 67 McMillan 42006 [561], S. 99; Cholvy, Hilaire 1986 [547], S. 126–138.
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Für diese Haltung steht das 1915 veröffentlichte Buch „La guerre allemande et le Catholicisme“, das in der katholischen Öffentlichkeit im Kaiserreich ebenso aufmerksam rezipiert wurde und in der Presse sowie in den Reihen des deutschen Episkopates zahlreiche Gegenschriften hervorrief 68. Gleichzeitig existierten in laizistischen Kreisen in Frankreich nach Kriegsausbruch starke Zweifel am Patriotismus der Katholiken: Dem „infamen Gerücht“ (rumeur infâme) zufolge hätte der katholische Klerus den Krieg provoziert und würde Geld nach Deutschland schicken. Außerdem wünsche sich der Papst den Sieg der Mittelmächte69.
Arbeiterbewegungen und Sozialpolitik Nach einer Phase der beschleunigten industriellen Entwicklung in den 1850er- und 1860er-Jahren traten die deutschen Länder um 1870 – mit konjunkturbedingten regionalen Unterschieden – in einen Prozess der Hochindustrialisierung, der in Frankreich bereits etwas früher eingesetzt hatte. Das mit der Reichsgründung entstandene gemeinsame Wirtschaftsgebiet unter Hinzuziehung Elsass-Lothringens trug wie die Vereinheitlichung des Geldwesens und die Zahlung der im Frankfurter Frieden festgelegten Kriegsentschädigung durch Frankreich zu einem wirtschaft lichen Aufschwung bei. Eine Vielzahl sich wechselseitig bedingender wirtschaft licher, sozialer, politischer und kultureller Faktoren sorgte über dieses kurzfristige Anheizen der Wirtschaft und über den sogenannten „Gründerkrach“ und die Weltwirtschaftskrise ab 1873 hinaus für ökonomisches Wachstum im Kaiserreich. Der Anteil der Erwerbstätigen in der Industrie stieg kontinuierlich an, während die Zahlen für die Landwirtschaft rückläufig wurden. Waren 1871 noch 49,3 % aller Erwerbstätigen in Land- und Forstwirtschaft tätig, sank dieser Anteil bis 1913 auf 34,6 %70. Die einsetzende massive Abwanderung in die Industriezentren zog eine beschleunigte Urbanisierung, Wohnungsnot sowie die Verarmung und Verelendung der Arbeiterschaft nach sich. Oft mals reichten die Löhne der Arbeiter nicht für die Sicherung des Existenzminimums der Familie aus, weshalb immer mehr Frauen und Kinder in der Industrie Arbeit suchen mussten. Die Gesellschaft des Kaiserreichs war durch „tiefe soziale Fronten“71 geprägt. Auch innerhalb der Arbeiterklassen existierten soziale und kulturelle Unterschiede: Neben Industrieproletariat, Tagelöhnern und Landarbeitern gab es hochqualifizierte Lohnarbeiter beispielsweise 68 Baudrillart 1915 [12]. Siehe dazu Kotulla 2006 [521], S. 334; Fontana 1990 [550], S. 49–55. 69 McMillan 42006 [561], S. 99–100; Fontana 1990 [550], S. 151–159; Cholvy, Hilaire 1986 [547], S. 250–252. 70 Burhop 2011 [389], S. 42; Lacroix-Riz 1997 [632], S. 11. 71 Kocka 2001 [624], S. 94.
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in der Chemieindustrie und der Elektrotechnik, die je nach Branche und Region völlig unterschiedliche Arbeits- und Lebensbedingungen hatten. In der Forschung wird daher der Begriff der „sozialmoralischen Milieus“72 diskutiert und auf die „breite, in sich differenzierte Arbeiterbewegungskultur“73 hingewiesen. In gleicher Weise ist für Frankreich von den Arbeiterklassen im Plural und nicht von einer einheitlichen sozialen Schicht die Rede74. Frankreich blieb trotz Hochindustrialisierung und Verstädterung stärker landwirtschaft lich geprägt. Eine massive Proletarisierung und Landflucht blieb hier aus, was Auswirkungen auf die Klassenbildung und die organisierten Arbeiterbewegungen hatte75. Im Jahr 1881 waren 47,5 % der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig. Der Anteil sank zwar, betrug aber im Jahr 1906 immer noch 43,2 %76. Überdies existierten in Frankreich eher kleine, dezentrale Industriebetriebe, und traditionelle Produktionsstrukturen blieben weitgehend erhalten77. Die soziale Struktur der Industriearbeiter war folglich sehr heterogen. Im Zuge der in den 1880er-Jahren einsetzenden großen Wirtschaftskrise entfiel die bis dahin in der ländlichen Industrie übliche Mehrfacharbeit für Bauern, die diesen ein zweites Einkommen gesichert hatte. Der Verfall der Getreidepreise und die durch Schädlingsbefall hervorgerufenen Missernten lasteten ebenfalls auf der ländlichen Bevölkerung, die zunehmend verarmte. Die sozialen Missstände führten zusammen mit den Korruptionsskandalen der Republik zu Unruhen und Unzufriedenheit, die neben den linken Bewegungen ebenso den populistischen antikapitalistischen Strömungen wie dem Boulangismus Zulauf verschafften. In einer zweiten Industrialisierungsphase ab den 1890er-Jahren wuchs in Frankreich die Metallindustrie stark an, doch gab es insgesamt bis 1914 im Vergleich zum Kaiserreich ein nur mäßiges wirtschaft liches Wachstum. Die steigende Nachfrage nach Arbeitskräften in den Industriezentren verstärkte die Landflucht, wobei die Gesamtzahl der Industriearbeiter stagnierte, da viele der Zugewanderten eine Tätigkeit im Dienstleistungssektor, in Kleinhandel oder in der Baubranche aufnahmen. Anders als Deutschland verzeichnete Frankreich ein nur geringes Bevölkerungswachstum78. Der so entstehende Arbeitskräftemangel wurde in Teilen 72 Zum Begriff und zu dessen Kritik in der Geschichtswissenschaft siehe Frie 22013 [91], S. 94–108. Zur Sozialgeschichte der Arbeiter siehe Herbet 2011 [623]; Ritter, Tenfelde 1992 [640]. 73 Grebing 2007 [622], S. 30. Zu den Arbeiterbewegungen allgemein siehe außerdem Kuhn 2004 [630]; Fricke 1987 [618]; Tenfelde 1986 [612]. 74 Vgl. Noiriel 1993 [667], S. 63; Charle 1991 [653], S. 276. 75 Zu den Arbeiterbewegungen in Frankreich allgemein siehe Pigenet, Tartakowsky 2012 [670]; Becker, Candar 2007 [648]; Willard 1995 [675]; Noiriel 1986 [668]; Rebérioux 1976 [671]. 76 Zu Strukturwandel und Agrarkrise in Deutschland und Frankreich im Vergleich siehe Aldenhoff-Hübinger 2002 [373], S. 73–87. 77 Haupt 1989 [660], S. 82, 87, 225; Willard 1995 [675], S. 234–244, bes. S. 237. 78 Kaelble 1991 [1219], S. 42.
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durch Zuwanderung ausgeglichen. Ab der Jahrhundertwende wurde die französische Gesellschaft verstärkt als ungleich wahrgenommen. Zwar gab es weniger Arbeiter als in Deutschland, diese waren aber zunehmend unzufrieden79, worauf etwa die großen Streikwellen der Jahre 1904–1907 hindeuten. Von staatlicher Seite wurde in Frankreich und in Deutschland – mit unterschiedlicher Intensität und Konjunktur – eine Politik der Unterdrückung der Arbeiterbewegungen betrieben, begleitet von Reformen zur Verbesserung der sozialen Lage der Arbeiterschaft. Die Dritte Republik ging in der Anfangszeit unter Adolphe Thiers einen Weg der Repression: Sie versicherte sich des Nicht-Eingreifens der deutschen Truppen und schlug den Aufstand der Pariser Kommune im Mai 1871 blutig nieder. In der Folge wurden über 45 000 Anklageschriften gegen Kommunarden gestellt, denen Gefängnisstrafen, Ausweisung oder Deportation drohten. Zudem kam das erste formale „Sozialistengesetz“ in Europa aus Frankreich: 1872 wurde französischen Bürgern bei Androhung von Haft die Teilnahme an der Internationalen Arbeiterassoziation verboten80. Außenminister Jules Favre versuchte mehrfach, mit Deutschland eine Zusammenarbeit bei der Verfolgung und Unterdrückung der sozialistischen Bewegungen zu erreichen, ein Vorstoß, den Bismarck verzögerte, da er Frankreich international isolieren wollte81 . Nach dem Ende der konservativen Politik des ordre moral ging die Dritte Republik ab 1879 zu einer Politik der Tolerierung der Arbeiterbewegungen über. Die Änderungen – auch im Ton – sind deutlich. Die Regierung bemühte sich, den Kontakt mit den gemäßigten Teilen der Arbeiterbewegungen herzustellen82. Dieser Wandel stand in direktem Zusammenhang mit der Verschärfung der Politik im Kaiserreich gegenüber den Sozialdemokraten, was bereits zeitgenössisch erkannt wurde83. Nach einer Amnestie für die Kommunarden 1880 folgten Gesetze über die Presse- und Versammlungsfreiheit (beide 1881) sowie die Zulassung der Arbeitergewerkschaften 1884, wenige Jahre nachdem sie im Kaiserreich durch das „Sozialistengesetz“ verboten worden waren. Jedoch wurden Streiks und Aussperrungen in der Dritten Republik bis in den Ersten Weltkrieg hinein von staatlicher Seite unterdrückt. Dabei wurde anders als im Kaiserreich oft mals das Militär eingesetzt und es kam zu gewaltvollen Ausschreitungen, in einigen Fällen wie in Fourmies am 1. Mai 1891 mit Todesopfern. Antimilitarismus und Armeefeindlichkeit in Teilen der französischen Linken vor 1914 haben in diesen Einsätzen der Armee ihren Ursprung84. Genauso wurde die polizeiliche Überwachung, vor 79 Charle 2001 [376], S. 101–102. 80 Mitchell 1991 [602], S. 168–169. 81 Mitchell 1985 [603], S. 412–415, 432. Vgl. dazu Nonn 2015 [106], S. 228, der eine Übereinstimmung zwischen Deutschland und Frankreich für 1872 konstatiert. 82 Fontaine 2013 [659], S. 153. 83 Mitchell 1991 [602], S. 312. 84 Haupt 2009 [589], S. 159; Vogel 1997 [708], S. 242–247; Roynette-Gland 1997 [672]. Vergleichend dazu Johansen 2005 [594]; Boll 1992 [571]. Zu Streiks in
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allem der international agierenden extremen linken Gruppen wie Antimilitaristen und Anarchisten, weitergeführt, wobei es zu internationaler Zusammenarbeit kam. Die ab 1886 geführte Liste Carnet B mit Namen von spionageverdächtigen Personen wurde auf Antimilitaristen ausgedehnt, die man der militärischen Sabotage verdächtigte und die im Falle eines Krieges präventiv verhaftet werden sollten85. Nach einer Welle von Attentaten zu Beginn der 1890er-Jahre ging die französische Regierung mit massiven polizeilichen Repressionen gegen die anarchistischen Bewegungen vor, die man als mächtige internationale Verschwörung operieren sah86. Mit mehreren Gesetzen, den sogenannten lois scélérates (Schurkengesetzen), wurde 1893–1894 nach dem tödlichen Attentat eines italienischen Anarchisten auf den französischen Präsidenten Sidi Carnot die Pressefreiheit eingeschränkt und anarchistische Agitation verboten. Für die linken Bewegungen war das ein besorgniserregendes Zeichen für die Bereitschaft der Dritten Republik, sich bei Bedarf von demokratischen Prinzipien zu entfernen87. Mehrere Hundert Anarchisten wurden verhaftet, ausländische Anarchisten, darunter auch deutsche, ausgewiesen. Die Regierung im Kaiserreich unter Reichskanzler Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst nutzte die Attentatswelle in Frankreich, um im Reichstag mit der sogenannten „Umsturzvorlage“ über einen Gesetzentwurf abstimmen zu lassen, der auf eine Verschärfung des politischen Strafrechts gegen Anarchisten und Sozialdemokraten zielte. Der Reichstag lehnte den Entwurf zwar ab, doch machte er die enge Verbindung zwischen der französischen und deutschen Innenpolitik deutlich. Auf der internationalen anti-anarchistischen Konferenz 1898 zur gemeinsamen Bekämpfung des Terrorismus gehörten Deutschland und Frankreich zu den „Hardlinern“88, die sich für gegenseitige Auslieferungen, Austausch von Informationen und für einheitliche Fahndungsbilder einsetzten. Die Angst vor der organisierten Arbeiterschaft, den „classes dangereuses“89, und ihren internationalen Verbindungen wurde in Deutschland und Frankreich sehr ähnlich wahrgenommen. Im Deutschen Kaiserreich wurde sie zudem von staatlicher Seite aus geschürt und „machiavellistisch ausgenutzt“90. Sozialisten galten in konservativen Kreisen und darüber hinaus als „vaterlandslose Gesellen“ und „innere Feinde“, deren Zugehörigkeit zur Nation infrage gestellt wurde.
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Frankreich siehe Willard 1995 [675], S. 320–330; Perrot 1974 [669]. Zu Deutschland: Boll 1992 [571]. Becker 1973 [647]. Jensen 2004 [592], S. 125. Duclert 2010 [118], S. 259. Haupt 2009 [589], S. 161. Siehe auch Jensen 2014 [593]. Chevalier 1958 [655]. Dazu auch Fontaine 2013 [659], S. 152; Willard 1995 [675], S. 277. Wehler 1995 [110], S. 907.
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Neben dieser diskursiven Ausgrenzung der Sozialdemokraten vonseiten der Regierung, waren im Kaiserreich Überwachung und Repressionen an der Tagesordnung: August Bebel, Wilhelm Liebknecht und Adolf Hepner waren im März 1872 zu zwei Jahren Haft wegen Hochverrats verurteilt worden, da sie 1870 gegen weitere Kriegskredite gestimmt und zu Kundgebungen gegen die Annexion von Elsass und Lothringen aufgerufen hatten. Besonders die Rede Bebels im Reichstag am 25. Mai 1871 sorgte für Aufsehen, hatte er nicht nur eine unterstützende Grußadresse an die französischen Arbeiter während des Kommune-Aufstands in Paris geschickt, sondern die dortigen Kämpfe zudem als „kleines Vorpostengefecht“ bezeichnet. Da es parallel in mehreren deutschen Städten zu massiven Demonstrationen der Solidarität mit der Pariser Kommune kam, erhielt die Besorgnis vor einer internationalen „roten Gefahr“ weiter Nahrung 91. Mit dem „Sozialistengesetz“ eröff nete Bismarck 1878 nach dem Kulturkampf einen „zweiten inneren Kriegsschauplatz“92. Zwei Attentate auf Kaiser Wilhelm I. dienten dabei als Vorwand. Obwohl es keine Verbindung zur Sozialdemokratie gab, beschuldigte Bismarck sie der „geistigen Mittäterschaft“93. Sozialistische und anarchistische Versammlungen, Vereine und Presseerzeugnisse wurden verboten. Zahlreiche Personen wurden verhaftet oder ausgewiesen, Arbeiter, die im Verdacht standen, sich gewerkschaft lich zu organisieren, wurden entlassen und 318 Vereinigungen und Gewerkschaften aufgelöst. In Frankreich kritisierten zwar Presse und führende Politiker das „Sozialistengesetz“ einstimmig. Die französische Regierung ging jedoch weiterhin mit Schärfe gegen die er wachende Arbeiterbewegung im eigenen Land vor94. Unter Clemenceau wurde ab 1907 die Überwachung der als antipatriotisch eingestuften Antimilitaristen erneut verstärkt95. Deserteure wurden in militärische Straflager, die Biribi, oder in die sogenannten bat d’Af, die bataillons d’Afrique, versetzt96. Trotz harter Repressalien und einer verschärften Praxis des Sozialistengesetzes in den Jahren 1886–1889 scheiterte Bismarck mit dem Versuch, die Sozialdemokratie in Gesellschaft und Staat zu isolieren. Zum einen entwickelten die Sozialdemokraten über Klubs, Gesellschaften und Bildungsarbeit ein reges kulturelles Leben, womit es ihnen gelang, die Arbeiterschaft trotz des Verbots mit ihren politischen Botschaften zu erreichen und zu organisieren97. Zum anderen durften sich Einzelpersonen weiter zur Wahl stellen und die Reichstags91 Zu den Demonstrationen siehe Seidel 1982 [611], S. 19–20; Sagave 1971 [1086], S. 117–120. 92 Wehler 1995 [110], S. 902. Zum „Sozialistengesetz“ siehe Weichlein 2013 [645]; Beutin, Beutin 2004 [615]; Tenfelde 2001 [644]. Französisch: Deffarges 2013 [617]; Rovan 1978 [642], S. 46–79. 93 Weichlein 2013 [645], S. 92. 94 Mitchell 1991 [602], S. 174–175. 95 Becker 1973 [647], S. 81. 96 Defrasne 1994 [820], S. 38. Zu den Straflagern siehe Kalifa 2009 [1396]. 97 Gogos 22013 [619]; Kupfer 2003 [631].
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fraktion der SPD war zugelassen. Die großen Wahlerfolge der Sozialdemokraten bedeuteten stets „ermutigende Signale an ihre Anhängerschaft“98. Nach Aufhebung des Gesetzes entwickelten sich SPD und sozialistische Gewerkschaften trotz fortgesetzter polizeilicher Überwachung und Repressionen zu Massenorganisationen. Ihre Mitglieder spiegelten nicht nur ein sozial, sondern auch ein politisch breit gefächertes Spektrum zwischen marxistischer und sozialdemokratischer Weltanschauung. Nach den Reichstagswahlen 1912 stellte die SPD mit 34,8 % der Wählerstimmen (4,25 Millionen Stimmen) und 110 Abgeordneten die stärkste Fraktion im Reichstag. 1914 hatte die SPD rund 1 Millionen Mitglieder und war damit europaweit die mitgliederstärkste sozialistische Partei99. Unter den Mitgliedern waren 175 000 Frauen, die zwar kein Wahlrecht hatten, sich aber politisch engagierten. Die sozialdemokratischen Gewerkschaften zählten 1913 sogar 2,5 Millionen Mitglieder100. In beiden Ländern und auf internationaler Ebene wurde mit unterschiedlichen Mitteln versucht, Lösungen für die soziale Notlage der Arbeiterschaft zu finden. Trotz räumlicher Differenzen waren die Sozialreformen ein auf „natürliche Weise transnationales Objekt“101. Der Transfer von Ideen fand über Studienreisen, internationale Kongresse, Publikationen und persönliche Kontakte statt. Eine Vielzahl unterschiedlicher und teilweise konkurrierender staatlicher und privater Akteure war daran beteiligt. So gab es in Frankreich mit den sociétés mutuelles gegenseitige Hilfskassen, die eine bedeutende Rolle spielten und 1914 zehnmal so viele Mitglieder hatten wie die in der Confédération générale du travail (CGT) zusammengefassten französischen Gewerkschaften102. Letztere betrieben mit den Arbeitsbörsen (bourses du travail)103 anarchistisch geprägte Einrichtungen, die gleichzeitig Orte der Arbeitsvermittlung, der Weiterbildung, der politischen Agitation und der sozialen Begegnung waren. Neben den sozialistischen und revolutionären Arbeiterbewegungen spielten die katholische Arbeiterbewegung mit Arbeitervereinen und christlichen Gewerkschaften – in Deutschland stärker als in Frankreich –, die Armenfürsorge sowie private Initiativen eine wichtige Rolle104. Auf staatlicher Ebene verfolgte Bismarck ab den 1880er-Jahren das Ziel, 98 Welskopp 2000 [646], S. 47. 99 Grebing 2007 [622], S. 42. Zur SPD allgemein siehe Brandt, Lehnert 2013 [616]; Potthoff, Miller 82002 [637]. Auf Französisch: Deffarges 2013 [617]; Gougeon 1996 [620]; Rovan 1985 [641]; Rovan 1978 [642]. Biografisch außerdem: Droz 1990 [578]. 100 Berghahn 102003 [85], S. 241. 101 Chatriot 2009 [654], S. 44. 102 Kott 1998 [597], S. 128. Zu den Gewerkschaften vergleichend: Schöttler 1986 [609]. 103 Schöttler 1982 [673]. 104 Zum Sozialprotestantismus und -katholizismus in Deutschland und Frankreich in vergleichender Perspektive siehe von Bueltzingsloewen, Pelletier 1999 [508].
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mit Sozialversicherungen die Not der Arbeiterschaft zu lindern und diese gleichzeitig an den Staat und die bestehende Gesellschaftsordnung zu binden, um so die Sozialdemokratie zu schwächen. Die staatlichen Sozialreformen waren dabei nicht einfach das Gegenstück zur Repression, sondern hatten eine eigene Vorgeschichte, ihre eigene Logik und unterschiedliche Akteure über den staatlich-politischen Rahmen hinaus105. Mit der Krankenversicherung (1883), der Unfallversicherung (1884) und der Alters- und Invaliditätsversicherung (1889) entwarf Bismarck das Modell der staatlich subventionierten Pfl ichtversicherungen. Anregungen dazu hatte er nach eigenen Angaben aus der Politik Napoleons III. gezogen. Er habe, so erklärte Bismarck, „lange genug in Frankreich gelebt, um zu wissen, daß die Anhänglichkeit der meisten Franzosen an die Regierung wesentlich damit in Verbindung steht, daß die meisten Franzosen Rentenempfänger vom Staat sind“106. Bismarcks Versicherungsgesetze machten aus dem Kaiserreich das „Pionierland“107 der Sozialreformen, selbst wenn sie de facto zunächst wegen der geringen Auszahlungen in der Arbeiterschaft wenig Ansehen hatten. Zudem wurde die Situation der Frauen kaum berücksichtigt108. Bei den Sozialdemokraten stieß die staatliche Sozialpolitik anfangs auf Ablehnung, da kein verbesserter Arbeitsschutz gewährt wurde und die Neuerungen auf die wirtschaft liche, nicht jedoch auf die politische Lage der Arbeiter zielten. Erst ab der Jahrhundertwende wurden die Pflichtversicherungen vonseiten der SPD positiver bewertet. Bismarcks Politik der Sozialversicherungen fand in den folgenden Jahrzehnten weltweit in Form von obligatorischen staatlichen Versicherungen oder über Subventionierung freiwilliger Versicherungen Nachahmung109. Auf internationalen Kongressen, in Expertenkreisen und in den Organisationen der Arbeiterbewegung wurden die Modelle diskutiert110. Aus staatlichen und privaten Bemühungen heraus wurden etwa ab 1889 die Internationalen Kongresse für Arbeitsunfälle organisiert und die Internationale Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz gegründet. Spannungen zwischen nationalen und internationalen Zielen erschwerten dabei häufig die Zusammenarbeit111. Auch das republikanische Frankreich orientierte sich bei der Sozialgesetzgebung am monarchistischen Deutschland. Die parlamentarischen Diskussionen in den 1890er-Jahren über eine Unfall- und Rentenversicherung sowie über 105 Zu den Sozialversicherungen siehe Kott 2014 [627]; Ritter 32010 [607], S. 61–87; Ritter 1998 [639]. Französisch: Dreyfus 2009 [577], S. 11–16; Ritter 2001 [638]; Kott 1999 [625]; Kott 1995 [626]. 106 Zitiert nach: Wehler 1995 [110], S. 910. 107 Ritter 1998 [639], S. 28. 108 Kott 2014 [627], S. 117–134. 109 Ritter 32010 [607], S. 87–102. 110 Kott 2014 [627], S. 21–22, 161–163; Dreyfus 2009 [577], S. 17–20. 111 Moses 2015 [604], S. 69; Gregarek 1995 [586], S. 115–116; Herren 1993 [590], S. 8.
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die Einführung einer Einkommensteuer waren wesentlich von der Auseinandersetzung mit dem deutschen Modell geprägt112. Sie führten zu einer späteren Umsetzung in Frankreich, die bewusst eigenständige Züge aufwies: 1898 für die Unfall-, 1910 für die Rentenversicherung113. Die Dritte Republik setzte stärker auf Schulbildung und weniger auf Sozialgesetzgebung, und verfolgte das Ziel, den sozialen Aufstieg zu erleichtern. Eine autoritäre Lösung der sozialen Frage über Interventionen des Gesetzgebers und der Verwaltung wurde von den liberalen Republikanern wie den Moderaten und den Radikalen abgelehnt. Aufgrund der demografischen Entwicklung in Frankreich nahm die Alterssicherung einen wichtigeren Platz ein als die Invaliditätsversicherung, die im Kaiserreich zentral war.114 Die französischen Gesetzentwürfe zu den Sozialversicherungen wurden in Deutschland von Politikern, Ökonomen und Sozialrechtlern aufmerksam verfolgt und diskutiert115. Die Diskussionen führten in Frankreich zu Auseinandersetzungen mit dem sich abgrenzenden Lager der Linken, die eine soziale Republik anstrebten und Ungerechtigkeiten durch eine staatliche Politik ausgleichen wollten. Neben den Radikalen und den bereits etablierten Gewerkschaften entwickelte sich der Sozialismus in dieser Zeit als autonome politische Kraft im linken Lager, jedoch zersplittert in mehrere Parteien unterschiedlicher Ausrichtung116. Während der revolutionäre Flügel die Mitwirkung an einer bürgerlichen Regierung kritisierte und am Ziel einer proletarischen Revolution festhielt, versuchte ein reformistischer Teil, Verbesserungen für die Arbeiterschaft auf dem parlamentarischen Weg zu erlangen. Aufgrund der Flügelkämpfe sowie der Konkurrenz zu den Gewerkschaften kam es in Frankreich nicht zur Ausbildung einer dominanten Milieupartei, wie sie die SPD im Kaiserreich darstellte. Erst 1905 schlossen sich mehrere Parteien in der Parti socialiste unifié, section française de l’Internationale ouvrière (SFIO) zusammen, die von Jean Jaurès geprägt war und von ihm zu Wahlerfolgen geführt wurde. Im Vergleich zur SPD blieb die Mitgliederzahl der SFIO mit rund 100 000 im Jahr 1914 eher niedrig. In Aufbau und Organisation ähnelten sich die beiden Organisationen jedoch117. Die zu den Radikalen gehörenden Politiker im Kabinett wie Joseph Caillaux argumentierten mit der nationalen Einheit gegen die Übernahme des deutschen Modells: Frankreich müsse in der Sozialgesetzgebung einen eigenen Weg finden, da die für das deutsche Modell erforderliche Disziplin dem franzö112 Mitchell 1991 [602], S. 177–180. Zur gegenseitigen Wahrnehmung der Problemlösungen siehe Schniedewind 1994 [608]. 113 Zur staatlichen Sozialpolitik in Frankreich siehe Dreyfus 2009 [656]; Le Goff 2004 [665]; Topalov 1999 [674]. Auf Deutsch: Bourquin 1977 [650]. 114 Schniedewind 1994 [608], S. 37–38. 115 Ebd., S. 34–36. 116 Candar 2007 [651], S. 123. 117 Kreuzer 2001 [223], S. 30.
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sischen Charakter fremd sei118. Ähnlich wie bei anderen Themen wurde zeitgenössisch kritisiert, dass die sozialistischen Ideen aus Deutschland übernommen wurden: „Ihr Sozialismus trägt eine Pickelhaube“, kolportierte Jean Jaurès 1891 diese Vorwürfe119. Die Ausarbeitung des Arbeitsrechts erfolgte in Frankreich ebenso in Anlehnung an die entsprechenden Gesetzgebungen in Deutschland und Großbritannien und zog sich über viele Jahre hin120. Im Unterschied zum Kaiserreich hatten die sozialistischen Parteien in Frankreich in der Zeit vor 1914 Regierungsverantwortung. Die Beteiligung des Sozialisten Alexandre Millerand an der Regierung der défense républicaine von Pierre Waldeck-Rousseau nach der Dreyfusaff äre war sowohl in Frankreich wie auch international in den Arbeiterbewegungen umstritten. Ein Teil der linken Bewegungen hielt an der Revolution als einzigem Mittel auf dem Weg zu einer gerechten Gesellschaft fest und bezeichnete eine Mitarbeit im gegenwärtigen politischen System als Verrat121. Zahlreiche Kontakte gab es zwischen Arbeitern und Akteuren der Arbeiterbewegungen beider Länder auf bilateraler wie auf internationaler Ebene. Der Sozialismus trat als „Sinnstiftungs-Konkurrenz“122 zum Nationalismus auf. In dieser Sichtweise wurde die soziale vor die nationale Frage gestellt, sah man Nationen doch als vorübergehendes Phänomen des Kapitalismus an123. Ein erstes Zusammentreffen zwischen deutschen und französischen Arbeitervertretern nach dem Krieg fand bereits 1876 in Philadelphia zur Hundertjahrfeier der Amerikanischen Revolution statt. Die Unterdrückung der Sozialisten im Kaiserreich ab 1878 eröff nete den Weg für eine Zusammenarbeit, konnten sich die französischen Sozialisten doch damit vom kritisierten Deutschen Kaiserreich distanzieren und dem eigenen Land gegenüber loyal bleiben124. Auf dem Gründungskongress der Zweiten Internationalen 1889 in Paris wurde mit Édouard Vaillant und Wilhelm Liebknecht eine deutsch-französische Doppelspitze im Vorsitz geschaffen, zu einem Zeitpunkt, als die staatliche Politik in beiden Ländern diskursiv der „Erbfeindschaft“ huldigte125. Der erste internationale Anarchistenkongress hatte im Juni 1881 in London unter Teilnahme einer deutschen Exilgruppe aus Paris stattgefunden. Daneben organisierten sich die sozialistischen und christlichen Gewerkschaften ab der Jahrhundertwende ebenso in internationalen Dachverbänden126. 118 119 120 121 122 123 124 125
Mitchell 1991 [602], S. 222. Zitiert nach: Ducange 2012 [581], S. 17. Chatriot 2009 [654], S. 49; Le Goff 2004 [665]. Jousse 2007 [595], S. 156–164. Schulze 2004 [81], S. 270. Weill 2007 [613], S. 501. Mitchell 1991 [602], S. 175. Zur Sozialistischen Internationale siehe Kriegel 1976 [598]; Haupt 1970 [588]; Drachkovitch 1953 [576]. 126 Schneider 1989 [643], S. 91.
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Die Beziehungen zwischen deutschen und französischen Sozialisten vor dem Ersten Weltkrieg waren fortlaufend und sehr eng, obgleich nicht immer konfliktfrei. Neben den internationalen Sozialistenkongressen erwies sich vor allem die französische Hauptstadt wie bereits in den 1830er- und 1840er-Jahren als Begegnungsort für intellektuelle und politische, aber auch freundschaftliche und familiäre Beziehungen, die nicht nur aus einer ideologischen Nähe heraus entstanden127. Der 1877 in Paris gegründete Sozialdemokratische Leseclub sorgte über eine Bibliothek128 sowie mit Veranstaltungen und Beratung vor Ort einerseits für einen Transfer, andererseits für eine Anbindung der deutschsprachigen Arbeiter in Paris an die organisierte Arbeiterbewegung während der Migrationsphasen. Deutsche Facharbeiter kamen vor allem während der Weltausstellungen nach Paris, wo sie in den französischen Filialen großer deutscher Unternehmen angestellt waren, um die mitgebrachten Maschinen zu bedienen. Pariser Ableger deutscher kirchlicher und wirtschaftlicher Vereine versuchten die deutschsprachigen Arbeiter, Gesellen, Dienstmädchen und Kaufleute im Ausland zu sammeln129. Innerhalb der französischen Gewerkschaft CGT entstanden mehrere deutschsprachige Sektionen, die sich 1907 in Paris zu einem Deutschen Gewerkschaftskartell zusammenschlossen130. Doch auch in den Arbeiterbewegungen war die gegenseitige Beurteilung nicht frei von national geprägten Stereotypen. Ebenso kam es immer wieder zu fremdenfeindlichen Ausschreitungen gegen ausländische Arbeiter, vor allem bei Aussperrungen und im Streikfall131. Einige Sozialisten erwiesen sich als „wahrhafte Vermittler zwischen zwei sozialistischen Kulturen“132. Clara Zetkin und Rosa Luxemburg waren beispielsweise wichtige Akteurinnen der deutsch-französischen Begegnungen, hatten doch beide Frauen mehrere Monate in Paris verbracht und sprachen sehr gut Französisch133. Desgleichen setzte sich Jean Jaurès für eine Aussöhnung zwischen beiden Ländern und für den internationalen Frieden ein. „Orte der Begegnung“134 zwischen deutschen und französischen Sozialisten waren darüber hinaus Zeitschriften und Broschüren. Gerade Übersetzungen und Publikationen in Zeitschriften ermöglichten einen Wissenstransfer und eine Annäherung, indem über den Zustand der Arbeiterbewegung und über Ansätze zur Lösung der sozialen Frage im jeweils anderen Land berichtet wurde135. Eine 127 128 129 130 131 132 133 134 135
Goergen 1998 [584]; Goergen 2003 [585]. König 2007 [1223], S. 37–56. König 2006 [222]. Cheptou 2003 [574], S. 153. Siehe Dornel 2012 [1254]. Goergen 2003 [585], S. 175. Einige Biografien bei Christadler 1985 [575]. Goergen 2003 [585], S. 169, 190; Goergen 1999 [583]. Marcobelli [2015]; Jousse 2007 [595]; Goergen 1999 [583]; Goergen 1998 [584]; Seidel 1982 [611], S. 71–92, 230–233.
3. Protest und Dissens
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zentrale Rolle spielte dabei die Zeitschrift marxistischer Prägung „Die Neue Zeit“136. Bei den nationalen Parteikongressen waren häufig Delegationen aus dem anderen Land anwesend. Darüber hinaus ist der Begriff „Arbeiterbewegung“ vom deutschen Sprachgebrauch in den 1880er-Jahren als Konzept ins Französische und in andere Sprachen übertragen worden137. Da die SPD aufgrund ihrer vergleichsweise hohen Mitgliederzahl, ihrer beeindruckenden organisatorischen Stärke und ihrer Wahlerfolge in der Zweiten Internationale eine herausragende Rolle spielte, kam es von französischer Seite immer wieder zu Kritik an der deutschen Hegemonie in der internationalen Bewegung138. Umgekehrt zeigten die „barschen deutschen Kritiken“139 an den Arbeiten von Jaurès über die deutsche Sozialdemokratie und die Auseinandersetzung zwischen ihm und Bebel auf dem Kongress in Amsterdam 1904, dass es grundsätzliche philosophische und historische Divergenzen zwischen deutschen und französischen Sozialisten gab, die nicht erst im Ersten Weltkrieg auftraten140. National innerhalb der Parteien, aber auch international kontrovers diskutierte Themen waren u. a. die Revisionismus-Debatte, also die Frage, ob die politische Macht auf revolutionärem oder auf parlamentarischem Weg erlangt werden sollte141, sowie die Frage nach dem Einsatz von Massenstreiks als Mittel des Widerstands gegen einen drohenden Krieg142. 1913 kam es im Zuge der zunehmenden internationalen Spannungen zu zahlreichen deutsch-französischen Treffen und zu gemeinsamen Erklärungen gegen den Krieg. Beide Seiten waren noch bis zum Sommer 1914 vom Friedenswillen des anderen überzeugt. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, fand der für August 1914 in Wien geplante 10. Internationale Sozialistenkongress nicht mehr statt. Die Ermordung von Jaurès durch einen französischen Nationalisten am 31. Juli 1914 raubte der Internationalen die zentrale Person: Sein Tod war „eine Niederlage für die ganze Welt“143, wie Romain Rolland in einem Brief an Charles Rappoport schrieb. Um die französischen Sozialisten für die union sacrée zu gewinnen, wurde auf die im Kriegsfalle geplante Verhaftung der im Carnet B verzeichneten Personen verzichtet. In Paris wurde außerdem – zugleich um die französische Hauptstadt von deutschen Spuren im öffentlichen Raum zu befreien – nur wenige Tage nach der Ermordung von Jaurès in einem Schnellverfahren die „Avenue d’Allemagne“, die nach dem napoleonischen General Claude d’Allemagne benannt war und im 136 137 138 139 140
Schumacher 1998 [610]; Seidel 1982 [611], S. 245. Nani 2010 [666]. Goergen 2003 [585], S. 177, 180. Kuhlemeyer 1993 [663], S. 74. Zu Jaurès und Deutschland siehe Rebérioux 2002 [606]; Krumeich 1995 [599]; Kuhlemeyer 1993 [663]; Brummert 1989 [572]. 141 Zur Revisionismus-Debatte siehe Mooser 2013 [634]; Jousse 2007 [595]. 142 Callahan 2010 [573], S. 257–291; Krumeich 1995 [599]; Haupt 1967 [587]; Drachkovitch 1953 [576]. 143 Zitiert nach: Haupt 1967 [587], S. 175.
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I. Überblick
Norden von Paris durch ein Einwandererviertel der Deutschen lief, in „Avenue Jean Jaurès“ umbenannt144. Die auf den internationalen Kongressen von Stuttgart (1907) und Basel (1912) beschlossenen Resolutionen, im Falle eines Krieges Kredite in den nationalen Parlamenten nicht zu bewilligen, kamen nicht zur Umsetzung. Vor die Frage der Loyalität gegenüber dem Vaterland oder gegenüber der internationalen Arbeiterbewegung gestellt, entschieden sich die sozialistischen Parteien beider Länder in der Überzeugung, einen gerechten Krieg zu führen, für die Verteidigung der Nation und den „Burgfrieden“145 respektive die union sacrée146. Nur die extrem linken Gruppen der Arbeiterbewegungen sprachen sich im Namen des Internationalismus gegen einen Krieg aus. Eine allgemeine Kriegsbegeisterung war mit diesen Abstimmungen freilich nicht verbunden. Im Deutschen Kaiserreich führte die Diskussion um die Kriegskredite in der Folge zu einer Spaltung der Sozialdemokratie: 1917 wurde die linkssozialistische USPD gegründet, die alldiejenigen versammelte, die einen „Burgfrieden“ und die Gewährung neuer Kriegskredite ablehnten. In Frankreich traten die Sozialisten in die Regierung ein. Doch führten Meinungsverschiedenheiten in gleicher Weise zu einer Spaltung der SFIO, die nach dem Krieg in die Gründung der Kommunistischen Partei mündete. Versuche zur Verständigung und zur neuen Formierung einer sozialistischen Internationale während des Krieges wie die Treffen im September 1915 in Zimmerwald und im April 1916 in Kienthal (beides in der Schweiz) oder auf der geplanten Konferenz in Stockholm 1917 endeten erfolglos147. Erst nach Kriegsende kam es im Februar 1919 in Bern zu einem erneuten internationalen Treffen der sozialistischen Parteien, allerdings unter Ausschluss der deutschen SPD.
Nationalistische Bewegungen Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstanden in Deutschland und Frankreich im Zuge der Herausbildung des modernen politischen Massenmarktes nationalistische Bewegungen, die sich vom Nationalismus der liberalen Ära unterschieden148: Unter Einsatz moderner Kommunikationsmittel entwickelte sich ein „organisierter Nationalismus“ auf breiter sozialer Basis, dessen Anhänger
144 König 2013 [596]. 145 Kruse 1993 [629]; Blänsdorf 1979 [570], S. 32–39. 146 Ducoulombier 2010 [582]; Becker 2007 [649]; Blänsdorf 1979 [570], S. 39–41; Rebérioux 1974 [671]; Becker, Kriegel 1964 [662]. 147 Gogos 22013 [619], S. 79; Blänsdorf 1979 [570]; Rebérioux 1976 [605]. 148 Zu Nationalismus und Nationalbewegungen und über die Entwicklung der Forschung dazu siehe Jansen, Borggräfe 2007 [682]; Weichlein 2006 [709]; Kunze 2005 [699]. Zum Wandel siehe Hobsbawm 2005 [696], S. 121–154; Hirschhausen, Leonhard 2001 [694]. Vergleichend Suter 2001 [706].
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nicht mehr nahezu ausschließlich aus intellektuellen und bürgerlichen Kreisen stammten. Zudem pluralisierten und radikalisierten sich nationalistische Diskurse und politisch-emotionale Weltanschauungen zu mächtigen Ideologien. Teilweise banden sie antisemitische und rassistische Überlegungen in ein kulturell-politisches Weltbild mit ein, das bisweilen widersprüchlich und irrational war. Geprägt waren diese nationalistischen Bewegungen von kulturellen Überlegenheitsgefühlen und von der Vorstellung, die eigene Nation sei „erwählt“ und habe eine zivilisatorische Mission zu erfüllen. Der radikale Nationalismus der Jahrhundertwende rückte außerdem politisch deutlich in das rechte Lager. Er konnte Elemente einer Ideologie des Widerstandes und des Protests nach innen beinhalten. Diese antigouvernementale Stoßrichtung zeigte sich in beiden Ländern, wobei in der Dritten Republik die nationalistischen Protestbewegungen stärker gegen den Staat und seine republikanische Verfassung Stellung bezogen. Trotz ihrer Diversität ähnelten sich die nationalistischen Bewegungen beider Länder in manchen Grundtendenzen, drehte sich doch alles um die Vorstellung von der eigenen Nation, deren Ziele, Werte und Ordnungen. Verhandelt wurde die Abgrenzung der Nation nach innen und nach außen gegenüber vermeintlichen und reellen Feinden, die diese angeblich in ihrer Autonomie und Selbstbestimmung behinderten. Partizipationsversprechen nach innen und Aggressionsbereitschaft nach außen waren die beiden Seiten derselben Medaille149. Der Krieg 1870 / 71 brachte in Deutschland und Frankreich eine Blüte gegenseitiger Feindbilder hervor, die in Teilen schon früher existiert hatten und jetzt radikalisiert und verallgemeinert wurden150. Nationalismus zeigte sich im deutsch-französischen Rahmen in der Auflehnung gegen den jeweils als zu stark empfundenen Nachbarn und dessen kulturelle, ökonomische und politische Hegemonie151. Anders als im übrigen Europa entwickelte sich der Nationalismus in der Dritten Republik unter demokratischen Rahmenbedingungen. Seit der Französischen Revolution war Nationalismus mit der republikanischen Linken verbunden. Konservative Kräfte hielten nicht an der Nation, sondern am Monarchen als Integrationsfigur fest. Dies begann sich im Nachgang zum verlorenen Krieg 1870 / 71 zu ändern. In dieser Phase bis etwa zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildete sich mit der „revolutionären Rechten“ eine vierte rechte Strömung heraus, die ihre Wurzeln im linken Lager hatte und die drei bisherigen rechten monarchistischen Strömungen ergänzte152. Ausgelöst durch
149 150 151 152
Langewiesche 1994 [700]. Ebd., S. 24, 26; Jeismann 1992 [76]. Osterhammel 2013 [704], S. 705. Sternhell 1978 [764]. Zum französischen „Historikerstreit“ um Zeev Sternhell siehe Englund 2014 [738]. Zur Dreiteilung der französischen Rechten grundlegend: Rémond 41982 [758]. Siehe auch S. 33 in diesem Buch. Zur Diskussion dieser
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„diverse Traumatismen“153 wie dem verlorenen Krieg, dem Aufstand der Pariser Kommune und der daraus resultierenden Schwäche und Desorganisation der Linken sowie durch Wirtschaftskrise, Finanz- und Korruptionsskandale der Republik, eine als zu vorsichtig empfundene Außenpolitik, den Boulangismus und später die Dreyfusaff äre entstanden neue dynamische nationalistische Protestbewegungen. Diese fanden ihre Anhänger im linken Lager bei den Radikalen und den Sozialisten, hatten aber zugleich spendenwillige Unterstützer bei den Royalisten und stützten sich auf inhaltliche Affi nitäten mit den Bonapartisten154. In diesen populären Bewegungen vermischten sich linke, demokratische und rechte, monarchistische mit militaristischen und antisemitischen Elementen zu ideologisch komplexen und schwer zu kategorisierenden Strömungen, die bisweilen sehr kurzlebig waren. Die innergesellschaft lichen Nationsdeutungen wiesen in der Dritten Republik im Vergleich zu anderen Ländern eine „enorme Spannbreite“155 auf. Der französische Nationalismus war aufgrund der politischen Verschiebungen in der postrevolutionären Gesellschaft vielfach gespalten, was Historikerinnen und Historiker immer wieder vor Definitionsprobleme stellte und stellt156. Ihre Anhänger fanden diese nationalistischen Bewegungen in unterschied lichen Schichten; sie waren in den Mittelklassen und im Beamtentum genauso zu finden wie in den Arbeiterklassen. Es waren hauptsächlich die von der Moderne und den Gleichheitsversprechen der Republik Enttäuschten, die sich in den Protestbewegungen fanden. Vor allem die Mittelschichten und die kleinen Eigentümer, noch während des Second Empire das wirtschaft liche und soziale Ideal, litten unter der kapitalistischen Konzentration der Wirtschaft und unter der Allianz der Republik mit der Geschäftswelt157. Die neuen Protestbewegungen zeichneten sich durch einen aggressiven Nationalismus aus, der sich außenpolitisch in erster Linie gegen das Deutsche Kaiserreich und Großbritannien, innenpolitisch gegen Minderheiten wie Juden, Einwanderer, Freimaurer und Protestanten richtete. Ihre eigentliche Kritik zielte auf den wirtschaft lichen und politischen Liberalismus und auf den Parlamentarismus der Republik, die durch häufige Regierungswechsel und Skandale um korrupte Politiker diskreditiert war158. Regionale Hochburgen waren zumeist
153 154 155 156
157 158
Thesen siehe Passmore 2013 [756], S. 5–10. Zu den Besonderheiten des französischen Links-Rechts-Schemas siehe Winock 1995 [772]. Joly 2008 [746], S. 343. Ebd., S. 21–28, 174–176, 227–229. Hirschhausen, Leonhard 2001 [694], S. 30. Joly 2008 [746], S. 17, 341, 346, 355. Weitere Übersichtsdarstellungen zum französischen Nationalismus: Winock 32014 [773]; Passmore 2013 [756]; Fuller 2012 [739]; Bernard 2007 [735]; Sirinelli 1992 [761]; Tombs 1991 [766]; Jenkins 1990 [743]. Joly 2008 [746], S. 343. Engels 2007 [121], S. 77.
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die Großstädte, vor allem Paris, Lyon, Bordeaux und Marseille. Weitere regionale Schwerpunkte lagen je nach Bewegung im Norden und Osten Frankreichs und hier insbesondere in den Departements, die an die „verlorenen Provinzen“ angrenzten. Eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der frühen nationalistischen Bewegungen war der zunächst republikanisch eingestellte General Boulanger, der 1886 zum französischen Kriegsminister ernannt wurde159. Als „General Revanche“ nutzte dieser „unversöhnliche Feind Deutschlands“160 außenpolitische Spannungen mit dem Kaiserreich, Wirtschaftskrise und steigende Arbeitslosigkeit sowie eine allgemeine Unzufriedenheit, um sich als Retter Frankreichs in Position zu bringen161. Während der Schnaebelé-Aff äre 1887 drohte er mit der Generalmobilmachung und nahm durch sein herausforderndes Auftreten gegenüber dem Deutschen Kaiserreich viele Franzosen für sich ein. Boulangers große Popularität beruhte nicht nur auf seiner deutschlandfeindlichen und chauvinistischen Einstellung, zumal die neuere Forschung seine Haltung zur Revanche relativiert162. Er war in der Armee wie auch in der Bevölkerung und besonders bei der Arbeiterschaft beliebt, weil er es verstand, die Sprache der „einfachen Leute“ zu sprechen163. Außerdem widersetzte sich Boulanger einem Einsatz der Armee zur Unterdrückung von Streiks, was ihm Sympathien bei den Arbeitern einbrachte164. Finanzielle Unterstützung fand er vor allem bei den Royalisten, ohne die der Boulangismus nicht die gleiche Bedeutung erlangt hätte165. Boulanger zeigte sich als Kämpfer für Moral und Patriotismus, indem er insbesondere die Finanzskandale um korrupte Parlamentarier öffentlich anprangerte und antikapitalistische Forderungen der wirtschaft lich Benachteiligten und der Antisemiten aufgriff. Über Großveranstaltungen und Massenmedien gelang es ihm, eine populistische Bewegung mit Anhängern zugleich aus linken und rechten politischen Strömungen in Gang zu setzen166. Boulanger baute nicht nur eine eigene Pressestelle auf und publizierte eigene Zeitungen, sondern nutzte Mitteilungen, Aushänge, Flugblätter, Karikaturen und Lieder für die Beeinflussung der öffentlichen Meinung167. Das Wissen um Einsatz und 159 Zu Boulanger siehe Garrigues 1992 [741]; Garrigues 1991 [740]; Irvine 1989 [742]; Levillain 1982 [750]; Sternhell 1972 [763]. Übersicht zur Historiografie bei Englund 2014 [738], S. 97–103; Passmore 2013 [756], S. 46–47. Zu weiteren Personen der nationalitischen Bewegungen siehe das „Dictionnaire biographique et géographique du nationalisme français“, Joly 2005 [745]. 160 Poidevin, Bariéty 1982 [79], S. 159. 161 Zu den Gründen für Boulangers Erfolg siehe Joly 2008 [746], S. 18–32. 162 Ebd., S. 29–32. 163 Prochasson 1993 [1197], S. 51–82. 164 Krumeich 1996 [125], S. 317. 165 Irvine 1989 [742]; Levillain 1982 [750]. 166 Passmore 2013 [756], S. 45–72. 167 Zur boulangistischen Presse siehe Joly 2008 [746], S. 75–78. Zum weiteren Medien-
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Wirkung von Medien, Reden und charismatischen Auft ritten brachte er von einem Aufenthalt in den USA mit168, ein Aspekt des Strategietransfers im Bereich des Nationalismus, den es noch zu untersuchen gilt. Zu den „furchterregenden Waffen“169 des Boulangismus zählte die Zeitschrift „L’Intransigeant“, herausgegeben von Henri de Rochefort, der in der Pariser Kommune auf den Barrikaden gestanden hatte. Erst nachdem der General 1887 in den Ruhestand versetzt worden war, wurde die mit seinem Namen verknüpfte nationale Bewegung offen antiparlamentarisch. Im Blickfeld des Boulangismus stand ab diesem Zeitpunkt weniger die „blaue Linie der Vogesen“ als das Palais de Bourbon und der Élysée-Palast, die es zu erobern galt170. Boulanger entzog sich 1889 seiner Verhaftung durch Flucht nach Belgien, was ihm als Feigheit ausgelegt wurde und entscheidend zum Niedergang der Bewegung beitrug171. Im Umfeld der nationalistischen Bewegungen stellten in Frankreich die Ligen eine „neuartige Form der politischen Partizipation“172 dar. Zum bedeutendsten Akteur des revolutionären Nationalismus und gleichzeitig Träger des Boulangismus – trotz verschiedener Rivalitäten – entwickelte sich die Ligue des patriotes (1882). Sie wurde angeführt von Paul Déroulède, der sich bis zu seinem Tode 1914 durch ein obsessives Festhalten an der Revanche auszeichnete. Die Ligue des patriotes rekrutierte ihre Anhänger in den patriotisch ausgerichteten Schützen- und Gymnastikvereinen, die dem deutschen „schänd lichen, aber bewunderten Modell“173 nachempfunden waren174. Sie war zunächst von Republikanern zur Vorbereitung der Revanche und zu Ehren der Nation und des Militärs gegründet worden, ehe sie in einen jakobinischen Antiparlamentarismus umschwenkte, der zwar republikanisch blieb, aber eine übermäßig starke, gegen das Parlament gerichtete Stellung des Präsidenten forderte. Da sie vor einem Staatsstreich nicht zurückschreckte, wurde die Ligue des patriotes 1889 aufgelöst, wobei ihr schneller Zusammenbruch Zweifel an ihrer vorherigen Stabilität aufkommen lässt175. Entsprechend schätzt die neuere Forschung die Mitgliederzahlen deutlich niedriger ein als früher: Mit rund 85 000 Mitgliedern zu Spitzenzeiten 1886 / 1887 war sie weit davon entfernt, eine Massenbewegung zu sein176. Einige ihrer führenden Mitglieder organisierten im September 1891 –
168 169 170 171 172 173 174 175 176
einsatz siehe Schleicher 2009 [845], S. 127–135; Schivelbusch 2003 [1472], S. 183; Tillier 1997 [1066], S. 46–49; Garrigues 1991 [740], S. 94. Joly 2008 [746], S. 37; Prochasson 1994 [757], S. 75. Prochasson 1994 [757], S. 75. Winock 32014 [773], S. 16; Schivelbusch 2003 [1472], S. 187; Sternhell 1972 [763], S. 366. Englund 2014 [738], S. 103. Engels 2007 [121], S. 87. Zu den Ligen siehe Naquet 2007 [753]. Prochasson 1994 [757], S. 66. Fuller 2012 [739], S. 25; Schivelbusch 2003 [1472], S. 206–207. Joly 2008 [746], S. 137. Ebd., S. 124.
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wie schon 1887 – die Störung von Richard Wagners Lohengrin-Auff ührung in Paris. Dieser Protest gegen Kulturimporte aus Deutschland blieb jedoch ohne große Wirkung177. Die Ligue des patriotes lebte zur Dreyfusaff äre kurz wieder auf und existierte noch bis in den Ersten Weltkrieg hinein, hatte aber an Bedeutung verloren178. Die Ligue de la patrie française (1898) unter der Führung von Maurice Barrès verband ihrerseits Nationalismus und Revanchismus mit sozialrevolutionären Vorstellungen zu einem eigenen Ideologiemix179. Dieser eher gemäßigte Rechtsnationalismus, der zunächst eine unpolitische Haltung betonte, fand seine Anhänger in den sozial höheren Klassen, vor allem bei Intellektuellen und Gelehrten. 1899 hatte die Ligue de la patrie française rund 21 000 Mitglieder180. Sie stützte sich auf Leitbegriffe wie Rasse und Tradition und war stark im vorrevolutionären Frankreich der Monarchie und des Katholizismus verhaftet. Sie war antisozialistisch und antifeministisch sowie in Teilen antisemitisch eingestellt. Aus der Dreyfusaff äre heraus entstanden, gelang es ihr nicht, die Beilegung der Aff äre zu überstehen: 1902 setzte ihr langsamer Niedergang ein, der sich in Wahlniederlagen und im Rückgang der Anhängerzahlen spiegelte. Ein Zusammengehen mit der Ligue des patriotes scheiterte, was im Nachhinein zeigt, wie sehr sich beide Bewegungen unterschieden181. Im Deutschen Kaiserreich wurde Maurice Barrès bereits Ende der 1890er-Jahre als Schriftsteller wahrgenommen, wobei er zunächst als „originellster Vertreter“182 der Moderne in Frankreich galt. Seine Rezeption verengte sich nach der Publikation seines Romans „Au service de l’Allemagne“ (1905) auf die politischen Inhalte seiner Werke. Eine deutsche Übersetzung davon erschien bereits 1907 bei Grimm in Budapest. In den deutschen Feuilletons wurden die starken antideutschen Ressentiments von Barrès kritisiert und seine Nations- und Rassenkonstruktionen abgelehnt, besonders im Hinblick auf die nationale Zugehörigkeit Elsass und Lothringens183. Der österreichische Schriftsteller Hermann Bahr, ein Vertreter des „Jungen Wien“, setzte sich während eines Paris-Aufenthalts in mehreren Beiträgen für deutsche und österreichische Zeitschriften mit den Theorien von Barrès auseinander, den er noch 1923 als einen „Zwillingsgeist von mir“184 bezeichnete. 177 Fuller 2012 [739], S. 44–45; Schwartz 1999 [705], S. 127–129, 133–135. 178 Joly 2008 [746], S. 150. 179 Passmore 2013 [756], S. 107–113; Joly 2008 [746], S. 301–319; Rioux 1977 [760]; Sternhell 1972 [763]. Auf Deutsch: Bendrath 2003 [680]. 180 Joly 2008 [746], S. 303. Anders: Fuller 2012 [739], S. 118, der 100 000 Mitglieder angibt. 181 Joly 2008 [746], S. 317. 182 Bendrath 2003 [680], S. 309. 183 Ebd., S. 308–309, 323, 326. Zur Rezeption von Barrès im Ausland siehe Dard, Grunewald 2011 [685]; Dard, Grunewald 2009 [684]. 184 Besslich 2000 [712], S. 214, siehe auch S. 207–208.
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Nach der Dreyfusaff äre versanken die meisten nationalistischen Protestbewegungen in der Bedeutungslosigkeit. Ihre Anhänger wurden in dieser Phase des Nationalismus von der politischen Rechten aufgefangen, die inzwischen das republikanische Regime und das Volk als „Quelle der Legitimität“ akzeptierte und damit in eine Phase der politischen Moderne eintrat185. Auseinandersetzungen bezogen sich weniger auf das politische System als auf Werte innerhalb der Republik. Die monarchistische Rechte verlor demgegenüber endgültig an Terrain. Insgesamt war der Nationalismus deutlich nach rechts gerückt. Eine Besonderheit war, dass sich in Frankreich alle politischen Lager als nationalistisch bezeichneten186. Linksnationalistische Strömungen bei Teilen der Sozialisten und insbesondere in den anarchistischen Gewerkschaftsbewegungen blieben in Frankreich stärker ausgeprägt als im Deutschen Kaiserreich187. Eine Konstante der konservativen und nationalistischen Bewegungen in Frankreich war die Verehrung des Militärs, die sich in Forderungen nach höheren Budgets für Armee und Marine äußerte. Zu den nationalistischen antikonstitutionellen Strömungen gehörten die seit den 1890er-Jahren wachsenden Militärund Veteranenvereine. Wie im Kaiserreich wurden Dachverbände gegründet wie die Union des anciens combattants, die Société des vétérans mit rund 357 000 Mitgliedern im Jahr 1911 oder der Souvenir français (1887), der sich um die Erhaltung und Pflege von Kriegsgräbern kümmerte und 1897 rund 40 000 Mitglieder zählte. Insgesamt waren die Mitgliederzahlen der Kriegervereine in Frankreich im Vergleich zum Kaiserreich, wo sich die Zahlen 1913 auf rund 2,8 Millionen beliefen, weitaus geringer. Zurückzuführen ist dies neben einem grundsätzlich niedrigeren Organisationsgrad der Gesellschaft auf den späteren Zeitpunkt der Gründung dieser Vereine, die unmittelbar nach dem verlorenen Krieg fehlende Legitimation sowie die niedrigere Zahl ehemaliger Soldaten infolge der Stellvertreterregelung und deren längerer Verweildauer in der Armee188. Aufgrund ihrer Nähe zur antirepublikanischen Rechten war den Kriegervereinen die Teilnahme an den Militärfeiern der Republik verwehrt. Mit Verweis auf die Praxis im Kaiserreich forderten sie ihre Beteiligung, die ihnen 1912 von Poincaré schließlich gewährt wurde189. Zur dominierenden Bewegung am antirepublikanischen rechten Rand entwickelte sich die stark antisemitisch eingestellte Action française. Sie war bereits im Umfeld der Dreyfusaff äre 1898 gegründet worden und gewann nach 185 Joly 2015 [747], S. 311; Joly 2008 [746], S. 362; Béguec, Prévotat 1992 [749], S. 214. Zu den Unterschieden zwischen den konservativen und den nationalistischen Gruppierungen siehe Bernard 2007 [735], S. 21–51. 186 Jansen, Borggräfe 2007 [682], S. 144. 187 Jenkins 1990 [743], S. 96. 188 Varley 2008 [205], S. 126–127; Vogel 1997 [708], S. 126, 137. 189 Vogel 2016 [206], S. 57; Vogel 1997 [708], S. 125–126, 136, 196–202.
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ihrer Neugründung durch Charles Maurras ab 1905 deutlich an Popularität190. Während in der älteren Forschungsliteratur dieser „nationalist revival“191 mit den internationalen Krisen der Zeit, dem französisch-englischen Zusammengehen in der Entente cordiale 1904 und vor allem mit den deutsch-französischen Spannungen im Umfeld der ersten Marokkokrise 1905 / 06 in Zusammenhang gebracht wurde, werden seit einigen Jahren die innenpolitischen Gründe für diesen Anstieg betont192. Demnach richtete sich der „neue Nationalismus“ nicht allein gegen Deutschland, sondern vor allem gegen die Republik, in einem diff usen, aber mächtigen Gefühl der décadence nationale. Dies bezog sich auf verschiedene Bereiche wie die soziale und wirtschaft liche Lage, besonders in einem globalen Kontext und im internationalen Vergleich, sowie auf eine in Teilen antimodernistische, antiliberale, anti-intellektuelle und anti-individualistische Einstellung193. Die Niederlage von 1870 / 71 und die damit einhergehende Krise des nationalen Selbstbewusstseins waren für das Gefühl der décadence weiterhin konstitutiv. Maurras entwarf mit dem „integralen Nationalismus“ eine Ideologie, die sich zu einem europäischen Phänomen entwickelte194. Sie zielte auf eine Verbindung von Nationalismus und Monarchie, zwei Prinzipien, die in Frankreich seit 1789 als unvereinbar galten195. Nationalismus sollte als Religionsersatz fungieren, bei dem sich der Einzelne der Nation unterzuordnen hatte, die vor allem über eine kulturell-sprachliche, weniger über eine rassistische Zugehörigkeit definiert wurde. Durch die Restauration der staatlichen Autorität, eine Stärkung der Armee und die Betonung alter Sitten und Traditionen sollte Frankreich zu neuer Stärke aufleben196. Obwohl er selbst nicht gläubig war, sprach Maurras der katholischen Kirche eine kulturelle und soziale Ordnungsfunktion zu. Im Vergleich zu den radikalen nationalistischen Bewegungen in Deutschland fehlte der Action française eine imperialistische Vision der Gewinnung von Siedlungsgebieten. Überdies gab es in Frankreich keine Pan-Bewegung oder eine Weltreichslehre197. Publizistisch wirkte die Action française vor allem über die gleichnamige Zeitschrift „Action française“, die ab 1908 als Tageszei190 Zur Action française und Maurras siehe Joly 2015 [747]; Leymarie 2009 [751]; Leymarie, Prévotat 2008 [752]; Nguyen 1991 [754]. 191 Weber 1968 [767]. 192 Siehe Becker 2001 [734]; Krumeich 1980 [1529], S. 7–9, 13–16, 28–43. Den Bruch 1905 betonen Digeon 1959 [1149], S. 489–533, bes. S. 518; Weber 1968 [767]. 193 Prochasson 1994 [757], S. 60; Nguyen 1991 [754], S. 106. Die wirtschaft lichen Aspekte betont Nord 1991 [755]. 194 Dard 2013 [736]; Dard, Grunewald 2009 [684]. Zum integralen Nationalismus siehe Weichlein 2006 [710], S. 98–103. 195 Engels 2007 [121], S. 85; Weichlein 2006 [710], S. 98–100; Kunze 2005 [699], S. 93–96. 196 Winock 32014 [773], S. 22. 197 Mayer 2002 [367], S. 106, 120.
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tung erschien und maßgeblich von Léon Daudet geprägt war. Der stark antisemitische Schriftsteller lancierte mehrere Kampagnen gegen angebliche deutsche Spionagetätigkeiten, mit denen die französische Öffentlichkeit in Erregung versetzt werden sollte198. Neu und singulär war an der Action française die Bereitschaft zu gewalttätigen Aktionen. Eine Auseinandersetzung mit den Thesen der Action française fand europaweit wie auch im Kaiserreich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts statt. Die deutschsprachige Rezeption der Werke von Maurras in dieser Zeit ist noch nicht umfassend untersucht. Sie lief vermutlich über Österreich, wo es mit Hermann Bahr und Franz Blei zumindest zwei Intellektuelle gab, die sich mit den Ideen von Maurras – trotz oder wegen seines ausgeprägten Deutschenhasses – identifi zieren konnten199. Neben der Action française, die vor 1914 nicht mehr als einige Tausend Mitglieder hatte200, existierte eine Vielzahl sehr unterschiedlicher kleiner nationalistischer Splittergruppen, denen es nicht gelang, eine gemeinsame eingängige und kohärente Doktrin zu entwickeln201. Abweichende Haltungen u. a. zur Frage der Staatsform und gegenüber der katholischen Kirche erschwerten die Zusammenarbeit. Bisher nicht oder kaum erforscht sind die Frauenkomitees der Ligen, die an der Organisation der Wahlkämpfe beteiligt waren und bei der Beschaff ung der notwendigen Gelder halfen. Zur Ligue de la patrie française gehörte beispielsweise der Comité des dames de la patrie française (1901), zur Action française die Ligue des femmes françaises (1901)202, beides waren kleine Gruppen. Obwohl die antirepublikanischen, rechtspopulistischen Strömungen geringe Mitgliederzahlen und unübersehbare organisatorische Schwächen aufwiesen, konnten sie dennoch ihre Ideen über Medien, Vorträge, Propagandaschriften und Demonstrationen lautstark verbreiten. Vor allem junge Intellektuelle ließen sich von den nationalistischen Thesen der Action française beeinflussen. Die beiden nicht repräsentativen Umfragen unter bürgerlich-konservativen Studenten aus dem Jahr 1913 von „Agathon“ und Émile Henriot zeigten eine selbstsichere, komplexbefreite und sportbegeisterte Jugend, die politisch in den Bezugspunkten Vitalismus, Katholizismus und Syndikalismus dachte und der moralische Werte wichtiger waren als politische und ideologische Bindungen203. Nationalistisches Denken verbreitete sich in Frankreich jedoch vor allem über die konservativen 198 199 200 201 202
Dard 2013 [736], S. 97, 104. Bock 2009 [681], S. 359. Richard 2017 [759], S. 122. Sternhell 1991 [765], S. 26. Joly 2008 [746], S. 317–318. Passmore 2013 [756], S. 111 gibt Januar 1902 für die Gründung des Comité des dames an. Zur Ligue des femmes françaises siehe Dumons 2006 [737]. 203 Dard 2013 [736], S. 103–104; Prochasson 32009 [1266], S. 523–524; Schivelbusch 2003 [1472], S. 192–193; Becker 2001 [734], S. 24; Prochasson, Rasmussen 1996 [1603], S. 34, 37, 41. Die unter dem Pseudonym „Agathon“ publizierte Umfrage wurde 1995 erneut publiziert: Massis, de Tarde 21995 [36].
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republikanischen Parteien, die anders als die nationalistische Bewegung ab 1902 stark an Einfluss gewannen204. Die Diskussion um die Verlängerung des Militärdienstes auf drei Jahre brachte in Paris 1913 mehrere Hunderttausend Befürworter der Aufrüstung auf die Straße, die sich gegen Sozialisten und Pazifisten positionierten. In der Entscheidung für die Verlängerung des Militärdienstes wird deutlich, wie tief das nationalistische und militaristische Denken über das rechte Lager hinaus in der Politik der Dritten Republik verankert war205. Im Deutschen Kaiserreich kennzeichnete in ähnlicher Weise ein Nebeneinander von konkurrierenden Nationsdeutungen und unterschiedlichen Bewegungen den organisierten Nationalismus206. Die Bandbreite erstreckte sich von einem hauptsächlich im nationalliberalen Bürgertum weit verbreiteten „affirmativen Reichspatriotismus“207 hin zu einem radikalen antidemokratischen Nationalismus, der vor allem ab den 1890er-Jahren entstand. Ähnlich wie in Frankreich richtete sich der Nationalismus nach innen gegen vermeintliche „Reichsfeinde“ wie Juden, Sozialdemokraten und nationale Minderheiten. Nach außen zielte die aggressive Abgrenzung abwechselnd gegen Frankreich, England und Russland. Eine zentrale Rolle bei der Popularisierung von Reichsnationalismus und Gesinnungsmilitarismus kam den Kriegervereinen zu208. In ihnen organisierten sich die Veteranen der Einigungskriege, die über die Errichtung von Kriegerdenkmälern in vielen Städten und Dörfern sowie über Gedenkfeiern, Militärparaden und volksfestähnlichen Feiern an die siegreichen Kriege erinnerten. Anders als bei den radikalnationalistischen Verbänden, die überwiegend bürgerlich geprägt waren, kamen ihre Mitglieder zugleich aus den unteren Mittelund Unterschichten. Die Kriegervereine zählten zu den kryptopolitischen Vereinen, die sich ab den 1890er-Jahren genauso wie die Schützen-, Turn- und Gymnastikvereine deutlich politisierten und zunehmend aggressiv nationalistisch auft raten209. Als Dachverband der Kriegervereine unternahm der Kyffhäuser-Bund eine Beeinflussung der Politik vor allem in Militärfragen, sprach sich für Aufrüstung und Heeresverstärkung aus und unterstützte den Kolonial- sowie den Flottenverein. Gleichzeitig schloss er mit einer neuen Satzung ab 1891 Sozialdemokraten als Mitglieder aus, worin sich die Wandlung vom Reichspat-
204 Bernard 2007 [735], S. 37–41. 205 Duclert 2010 [118], S. 520. 206 Zu den radikalnationalistischen Bewegungen und zur Rechten im Kaiserreich siehe auf Deutsch Breuer 2010 [714]; Schmid 2009 [730]; Walkenhorst 2007 [732]; Jansen, Borggräfe 2007 [682]; Dann 21996 [719]. Auf Französisch: Knopper 2003 [723]; Korinman 1999 [724]. Auf Englisch: Smith 1995 [541]; Eley 21996 [720]; Chickering 1984 [716]. 207 Dann 21996 [719], S. 186. 208 Rohkrämer 1990 [1500]. Vergleichend mit Frankreich siehe Vogel 1997 [708]. 209 Rohkrämer 1990 [1500], S. 37–55.
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I. Überblick
riotismus zu einem „antidemokratisch agierenden Nationalismus“210 zeigte. Mit 2,8 Millionen Mitgliedern übertraf der Kyffhäuser-Bund 1913 die Organisationen der Arbeiterbewegungen wie Gewerkschaften und SPD an Größe und regionaler Verbreitung.211 Zwar hatten die Kriegervereine in Frankreich deutlich weniger Mitglieder, doch zeigte sich an den Vereinen beider Länder die „Militarisierung nationaler Erinnerungsräume“212 bis in untere Schichten hinein213. Insbesondere nach der antiliberalen Wende Bismarcks 1878 / 79 entwickelten konservative Kreise nationalistische Denkweisen, die zunehmend expansionistischen Charakter annahmen. Obgleich sie grundsätzlich Bismarcks „kleindeutsche Lösung“ bejahten, war aus ihrer Sicht das Kaiserreich unvollendet: Millionen Deutsche vorrangig in der Habsburgermonarchie waren aus dem Nationalstaat ausgeschlossen, während auf dem Reichsgebiet ethnische Minderheiten wie Polen, Dänen, Elsässer und Lothringer lebten214. Im Spannungsfeld der Vorstellung eines „unvollendeten Nationalstaates“ einerseits sowie steigenden sozialen und wirtschaft lichen Krisen andererseits, entwickelten nationalistisch gesinnte Vordenker eigene Problemlösungen und Zukunftsvorstellungen. Der „Erhalt des Deutschtums“ und der deutschen Sprache im Ausland durch politische und kulturelle Maßnahmen sowie die Schaff ung von Siedlungsraum gehörten zu den vorrangigen Zielen. Zur Unterstützung der deutschsprachigen Minderheiten im Ausland wurde der Deutsche Schulverein 1880 in Wien und ein Jahr später in Berlin gegründet. 1908 wurde er in Verein für das Deutschtum im Ausland umbenannt. Neben anderen Akteuren wie den christlichen Missionsgesellschaften unterstützte er deutsche Auswanderer im Ausland, indem er sich für deutsche Schulen, Kindergärten und Bibliotheken einsetzte und die reichsdeutsche Bevölkerung für die Belange der Auslandsdeutschen sensibilisierte215. Dies galt nicht nur für die nach Übersee Ausgewanderten: Auch in Paris agierte eine Filiale des Vereins für das Deutschtum im Ausland, zu dessen Hauptzielen die Verbreitung einer deutsch-nationalen Gesinnung unter den Auslandsdeutschen in Frankreich gehörte. Selbst anlässlich des 100-jährigen Gedenkens der Völkerschlacht bei Leipzig 1913 wurden in Paris Feierlichkeiten abgehalten. Ab 1911 und stärker noch ab 1913 wurden die radikal-nationalistischen Vereine der deutschen Einwanderer von der französischen Polizei überwacht 216. Die neuere Forschung weist auf die Eigendynamik der nationalistischen Massenverbände hin und widerspricht der These, diese seien ein „Manipulati210 211 212 213 214 215 216
Dann 21996 [719], S. 198. Walkenhorst 2007 [732], S. 43. Hirschhausen, Leonhard 2001 [694], S. 37. Vogel 1997 [708], S. 279–291. Dann 31996 [719], S. 198. Manz 2014 [726]. König 2006 [222], S. 80–84.
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onsinstrument“ der herrschenden Klasse gewesen und aufgrund der Schwäche des liberalen Bürgertums im Kaiserreich entstanden217. Die vieldeutigen nationalistischen Positionen waren ungeachtet aller Unterschiede wie in Frankreich stark vom Glauben an nationale oder ethnische Homogenität, vom imperialistischen Denken der Epoche sowie vom Willen zur militärischen Stärke und der Bereitschaft zu ihrem Einsatz geprägt 218. Doch anders als im französischen radikalen Nationalismus wurde in den deutschen Bewegungen das Verständnis von Volk und Rasse stärker biologistisch gedacht und von pseudo-wissenschaftlichen Untersuchungen untermauert. Es wurde kein politischer, sondern ein ethnischer Nationsbegriff vertreten, in dem nicht das Staatsvolk, sondern das Volkstum den Bezugsrahmen bildete. So zeigten sich die radikalnationalistischen Anhänger gegenüber ethnisch-kulturellen Minderheiten extrem aggressiv, sah man in ihnen doch eine Bedrohung für die angestrebte ethnisch reine und kulturell homogene Nation. Darüber hinaus wurden die internationalen Beziehungen sozialdarwinistisch interpretiert und die Expansion des Reiches, die Durchsetzung globaler Wirtschafts- und Handelsinteressen sowie die Beherrschung fremder Völker als „Recht oder gar Pflicht des Stärkeren“219 aufgefasst. Die Frage der Identität wurde in diesem Weltbild zu einer Frage des Überlebens übersteigert, die zunehmend nur noch in Extremen gedacht wurde: Expansion und Eroberung von „Lebensraum“ – sei es in „Mitteleuropa“ oder in den Kolonien – oder Untergang220. In dieser Sichtweise hing die Legitimation des Staates von seiner Fähigkeit ab, die nationalen und imperialen Interessen des Reiches durchzusetzen. Gerade diese Fähigkeit wurde den kaiserlichen Regierungen von den radikalen Nationalisten nach der Entlassung Bismarcks zunehmend abgesprochen. Als Protestbewegungen entstanden so neben anderen der Alldeutsche Verband (1894), der Deutsche Ostmarkenverein (1899) und der Deutsche Wehrverein (1912). In wechselhaften Konjunkturen zeigte sich die „nationale Opposition“ der Verbände und ihre Distanz zur Regierung, vertraten sie doch die Vision einer anderen Nation und einer anderen Weltmachtpolitik 221. Insbesondere der Alldeutsche Verband222 spielte als Dachorganisation bei der Verbreitung radikalnationalistischer Deutungsmuster eine zentrale Rolle. Wie bei den anderen nationalistischen Agitationsvereinen stammten die meisten Mitglieder aus dem Bildungs- und Besitz-
217
218 219 220 221 222
So z. B. die Interpretation von Wehler 1973 [108], S. 90–95, 107–110. Zur Entwicklung der Forschung siehe Schmid 2009 [730], S. 17–18; Walkenhorst 2007 [732], S. 15–24. Weichlein 2006 [710], S. 107. Althammer 22017 [83], S. 86. Walkenhorst 2007 [732], S. 172–175. Chickering 1984 [716], S. 62–69. Hering 2003 [722]; nach wie vor grundlegend: Chickering 1984 [716]. Auf Französisch: Korinman 1999 [724].
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bürgertum und waren protestantisch, was dem Verband eine anti-katholische Ausrichtung gab und seine überkonfessionelle Verbreitung behinderte223. So zählte der Alldeutsche Verband 1913 / 14 rund 18 000 Mitglieder, während zum selben Zeitpunkt populäre nationale Verbände wie der Kolonialverein (1887) 42 000 und der Flottenverein (1898) 331 493 Mitglieder hatten. Die Alldeutschen verfügten allerdings über gute Verbindungen in die Politik, insbesondere zu den Konservativen und Nationalliberalen. Führende Vertreter der Alldeutschen waren selbst Reichstagsabgeordnete. In nationalistischen Kreisen in Frankreich wurde daher der Eindruck propagiert, es handele sich bei den Alldeutschen, die zumeist mit anderen nationalistischen Vereinen fälschlich als „pangermanistische Bewegung“ bezeichnet wurden, um eine „Hilfstruppe der Regierung“224. Die propagandistischen Aktivitäten des Verbandes wurden in Frankreich sehr genau verfolgt und vor allem Art und Umfang des Einflusses auf die deutsche Öffentlichkeit diskutiert. Viele Alldeutsche waren gleichzeitig Mitglied in völkischen Verbänden, zu deren konstitutiven Elementen Antisemitismus und Rassenlehre gehörten225. Die Völkischen kritisierten außerdem die Folgen des modernen Kapitalismus und die Konzentration von Kapital und Wirtschaftsmacht in wenigen Großbetrieben. Bis Mitte der 1890er-Jahre existierten rund 200 völkisch ausgerichtete „Reformvereine“. Obgleich diese nur eine „begrenzte Reichweite“226 hatten und die völkischen Ideen in bürgerlichen Kreisen vielfach als Spinnerei abgetan wurden, engagierten sich zahlreiche Mitglieder gleichzeitig in anderen nationalistischen Agitationsverbänden und waren somit hervorragend vernetzt 227. Ein widersprüchliches Bild der deutschen nationalistischen Bewegungen entwickelte sich im Umfeld der Action française. Während die monarchistische Staatsform beim Nachbarn aufgrund der eigenen Ideologie positiv bewertet wurde, schätzte man die politische, wirtschaft liche und demografische Stärke des Kaiserreichs als Gefahr für Frankreich ein228. Die ideologische Nähe der radikalnationalistischen Bewegungen beider Länder sowie der Wert, der auf Verwissenschaft lichung der eigenen Ideologien gelegt wurde, lassen vermuten, dass es zu einem deutsch-französischen inhaltlichen Austausch ge223 Smith 1995 [541], S. 146–154. Zur Zusammensetzung der Mitglieder in den verschiedenen Vereinen siehe Eley 21996 [720], S. 122–133. 224 Ziebura 1955 [335], S. 43. Zu den Problemen der Übersetzung des Begriffs „alldeutsch“ siehe ebd., S. 38–39, 43. 225 Puschner 2001 [728], S. 15. Zu den „Völkischen“ siehe außerdem Breuer 2010 [714], S. 111–140; Breuer 2008 [713]. Das Wort „völkisch“ war um 1900 kaum verbreitet und erlebte erst in den 1920er-Jahren einen Aufschwung. Eine genaue Defi nition der Völkischen mit ihren zahllosen, oft kurzlebigen Organisationen existiert nicht, vgl. Breuer 2008 [713], S. 7–11, 25–26. 226 Breuer 2010 [713], S. 120. 227 Jansen, Borggräfe 2007 [682], S. 70; Puschner 2001 [728], S. 279–284. 228 Ebd., S. 58.
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kommen ist. Dieser lief wohl weniger über persönliche Begegnungen als über Publikationen und Rezensionen, wie sie etwa im Verbandsblatt des Alldeutschen Verbands abgedruckt wurden. Insbesondere dürfte die Rezeption von Rassetheorien eine Rolle gespielt haben, wie exemplarisch die Übersetzungen der Schriften von Graf Joseph Arthur de Gobineau zeigen229. Wiederholt lässt sich die enge gegenseitige Beobachtung der Vorkommnisse und Reaktionen beobachten. So stellte etwa der Burenkrieg (1899–1902) einen Zeitpunkt der politischen Nähe der nationalistischen Bewegungen beider Länder dar, waren doch die deutschen und französischen Nationalisten zu diesem Zeitpunkt gleichermaßen stark antibritisch eingestellt 230. In der Zeitschrift „L’Intransigeant“ wurde im April 1900 zufrieden festgestellt, dass der französische Befehlshaber der internationalen Truppe aufseiten der Buren, Georges de Villebois-Mareuil, ein Gründungsmitglied der Action française, durch seinen Tod auch im Kaiserreich als Märtyrer gelte, zumal über 500 Deutsche unter seinem Kommando gestanden hatten231. Wie in Frankreich hatten die großen Agitationsverbände selbstständige Frauenvereine oder -gruppen, die überwiegend ab den 1890er-Jahren entstanden232. Der Deutsche Frauenverein für die Ostmarken wurde 1896 nach polnischem Vorbild gegründet 233. Es folgten die Frauengruppen des Kolonialvereins234 sowie der Flottenbund Deutscher Frauen (1905), der 1914 mit rund 60 000 Aktivistinnen den größten Zulauf hatte und von 1913 bis 1917 sogar ein eigenes Vereinsblatt besaß235. Weitaus besser erforscht als die nationalistische Frauenbewegung in Frankreich zeigt die Forschung für das Deutsche Kaiserreich die große Bandbreite der Bewegungen, deren Selbstverständnis einen widersprüchlichen Feminismus umfasste236. So wurde über die Erfüllung nationaler Pflichten versucht, die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten von Frauen im öffentlichen und politischen Raum zu erweitern und das Partizipationsversprechen der Nation einzulösen237. Obwohl Gleichberechtigung zumindest in Teilen zu den Zielen der nationalistischen Frauenverbände gehörte, festigte das Engagement der Frauen gleichzeitig die bestehende Geschlechter-
229 Siehe dazu das folgende Kapitel „Antisemitismus“. 230 Fuller 2012 [739], S. 171–174; Chickering 1984 [716], S. 64–73; Eley 21996 [720], S. 242–244; Carroll 1965 [355], S. 183–185. 231 Fuller 2012 [739], S. 174. 232 Bruns 1996 [715]. 233 Kundrus 2004 [1354], S. 216–217. 234 Walgenbach 2005 [1374]; Kundrus 2004 [1354], S. 222; Wildenthal 2001 [1376]. 235 Streubel 2006 [731], S. 82. Der Frauenostmarkenverein hatte 1914 ca. 3400, die Frauengruppe des Kolonialvereins rund 18 000 Mitglieder. 236 Streubel 2006 [731], S. 17–18. 237 Planert 2000 [1247], S. 388.
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I. Überblick
hierarchie und die nationalistisch geprägten Vorstellungen davon238. Allerdings waren die radikalnationalistischen und völkischen Verbände stark antifeministisch eingestellt und lehnten die Frauenbewegung zumeist ab239. Die radikalnationalistischen Verbände gingen nach den beiden Marokkokrisen 1905 / 06 und 1911 zunehmend auf Distanz zur Reichsregierung. Sie verschärften die „nationale Opposition“ gegen die Regierung bis hin zu offener Kritik an Wilhelm II.240. In diesen Kontext gehört die von Heinrich Claß unter Pseudonym veröffentlichte Schrift, „Wenn ich der Kaiser wär’“241, die neben Vorschlägen zur „Germanisierung“ von Polen und Elsässern Ideen zu einem Staatsstreich enthielt und die Abschaff ung des Parlamentarismus forderte. Die für Frankreich vorteilhafte Regelung zur Beilegung der Marokkokrise und das Eingreifen Englands galten als deutliche Zeichen dafür, dass die weltpolitischen Ziele ohne einen Krieg nicht zu erreichen waren. Dieser wurde immer stärker als „unvermeidlich“ stilisiert, wie etwa im bereits erwähnten Buch von Bernhardi „Deutschland und der nächste Krieg“242. Die Gründung des antigouvernementalen Deutschen Wehrvereins 1912 nach der zweiten Marokkokrise versinnbildlicht die wachsende Kriegsmentalität im Kaiserreich. Schon zwei Jahre später, im August 1914, hatte er rund 90 000 Einzel- und ca. 260 000 kooperative Mitglieder243. Wie der Flottenverein verfolgte er rüstungspolitische Forderungen und trat für eine „mentale Mobilmachung“244 der reichsdeutschen Bevölkerung ein, wobei er Pazifismus, Sozialismus, Feminismus, Juden und Einwanderer als Hauptfeinde ansah. Die alldeutschen und völkischen Vorstellungen eines elitär verstandenen Volkstums waren dem integralen Nationalismus von Maurras ähnlich, jedoch bei Weitem nicht deckungsgleich245. Der Erste Weltkrieg gilt als „Zäsur des modernen Nationalismus“246, waren in dieser Zeit die Krieg führenden Staaten doch auf allen Ebenen von Nationalismus ergriffen. Die Vorstellungen, die zuvor nur eine radikale Minderheit vertreten hatte, wurden im Ersten Weltkrieg zum „nationalistischen Mainstream“ und erhielten eine „bis dahin nicht gekannte Geltung und Wirkmacht“247. Im Kaiserreich wurden die „Ideen von 1914“ als Gegenentwurf zu den französischen „Ideen 238 Walgenbach 2005 [1374], S. 137–157; Planert 2000 [1247], S. 389, 428; Planert 1998 [1246], S. 262–270. 239 Planert 1998 [1246], S. 14–15, 93–100. 240 Chickering 1984 [716], S. 213–218, 223; Korinman 1999 [724], S. 220–228; Eley 2 1996 [720], S. 279–290. 241 Class 1913 [17]. 242 Bernhardi 1912 [13]. Siehe das Kapitel I.2 „Begegnungen auf internationaler Bühne“. 243 Chickering 1984 [716], S. 267–277. 244 Walkenhorst 2007 [732], S. 226. 245 Dann 21996 [719], S. 205. Vgl. Weichlein 2006 [710], S. 103–104. 246 Weichlein 2006 [709], S. 142. 247 Walkenhorst 2007 [732], S. 333. Siehe auch Hobsbawm 2005 [696], S. 155.
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von 1789“ projiziert. Die darin postulierte rassisch aufgeladene „germanisch-freiheitliche“ Identität stellte man den universalistischen Idealen von 1789 gegenüber, um Kriegspolitik und Kriegsziele zu rechtfertigen248.
Antisemitismus Als moderner Antisemitismus wird gemeinhin der im Laufe des 19. Jahrhunderts in Europa einsetzende langsame Wandel von einer überwiegend religiös motivierten Judenfeindschaft zu einem stärker politisch und ethnisch-rassistisch begründeten Judenhass verstanden249. Dieser Wandel verlief parallel zur Emanzipation der Juden, zur einsetzenden Modernisierung sowie zum Aufkommen eines fremdenfeindlichen Nationalismus und eines imperialistischen Großmachtdenkens. Trotz unterschiedlicher Bedingungen und differierender Ausprägungen ist er sowohl in Deutschland als auch in Frankreich festzustellen250. In Teilen war bereits zur Zeit der Französischen Revolution kulturellrassistisch gegen Juden und ihre Emanzipation argumentiert worden. Zu einer politischen Bewegung und einer Ideologie wurde der Antisemitismus jedoch erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Das Wort Antisemitismus selbst ist 1879 vermutlich im Umfeld des deutschen Journalisten Wilhelm Marr entstanden251. Indem er die Ablehnung der Juden wissenschaft lich und säkular begründete, wollte er sie vom religiösen Antijudaismus früherer Zeiten abgrenzen. Die rasche internationale Verbreitung des Begriffs ist aufschlussreich für die damalige Geisteshaltung in Europa. So wurden ab 1882 in Frankreich Artikel veröffentlicht, die den Begriff verwendeten und dabei dezidiert auf die Debatte in Deutschland verwiesen252. In Frankreich waren Juden in der Verfassung von 1791 zu gleichberechtigten Staatsbürgern geworden. Ihre politische und soziale Integration vollzog sich in den folgenden Jahrzehnten zwar nicht ohne Rückschritte und Widerstände. Dennoch waren Juden in Frankreich bereits um 1840 Teil des politischen und 248 Kunze 2005 [699], S. 54. 249 Zu Begriff und Erscheinungsformen siehe Wyrwa 2019 [853]. Aus der Fülle der Forschungsliteratur zum Antisemitismus allgemein siehe Benz 2008–2015 [826]; Nonn 2008 [844]; Rürup 2004 [878]; Zinguer, Bloom 2003 [915]; Bergmann 2002 [827]; Jucquois, Sauvage 2001 [905]; Holz 2001 [871]; Volkov 1994 [883]; Angenot 1989 [889]. 250 Siehe Wiese 2003 [847]; Wistrich 1995 [848]. Überblicksdarstellungen zum Antisemitismus in Deutschland Pulzer 22004 [876]; Brakelmann 2004 [862]; Ferrari Zumbini 2003 [864]. Auf Französisch: Berding 1991 [856]. Zu Frankreich Winock 2004 [914]; Benbassa 2001 [892]. Kurzer Forschungsüberblick Delmaire 2007 [901]. 251 Englund 2014 [904], S. 901; Zimmermann 2005 [887], S. 28; Ferrari Zumbini 2003 [864], S. 168–174; Bergmann 2002 [827], S. 6. 252 Englund 2014 [904], S. 917; Ferrari Zumbini 2003 [864], S. 173.
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wirtschaft lichen Lebens und bekleideten wichtige Posten als Minister und Bankiers. Antijüdische Vorurteile waren damit freilich nicht aus der Gesellschaft verschwunden, wie sich an den Ausschreitungen 1849 im Elsass zeigte. In der Dritten Republik hatten zahlreiche Juden höchste Ämter im Staatsdienst inne. Als juifs d’État 253 wurden sie jedoch von antirepublikanischen und antijüdischen Gegnern mit dem verhassten Regime gleichgesetzt, das bekämpft werden sollte254. In Deutschland kam es nach ersten Vorstößen zur Emanzipation während der napoleonischen Ära zu einer „Zeit der Ernüchterung“255, in der es wie in Baden 1848 ebenso antijüdische Gewalt gab. Bürgerliche und staatsbürgerliche Gleichstellung wurde 1862 in Baden, 1864 in Württemberg und Hamburg und schließlich in den Verfassungen des Norddeutschen Bundes von 1869 und des Deutschen Kaiserreichs 1871 verankert. Die große Mehrheit der deutschen Juden war zu diesem Zeitpunkt zumindest in den Städten weitgehend assimiliert und wie in Frankreich in der Öffentlichkeit zumeist nicht als Juden zu erkennen. Für die meisten Juden stand die nationale Identität klar im Vordergrund und sie wollten vollwertig in die deutsche Gesellschaft integriert sein256. Doch ungeachtet ihrer formalen Gleichstellung wurden sie im Kaiserreich in der Rechtspraxis weiterhin diskriminiert, worin einer der größten Unterschiede zu Frankreich lag: Juden waren von höheren Posten im öffentlichen und diplomatischen Dienst ausgeschlossen, jüdische Juristen durften kein Richteramt bekleiden, jüdischen Soldaten war in Preußen die Offizierslaufbahn versperrt, und an den Universitäten gab es nur wenige Berufungen von Juden auf ein Professorenamt257. Trotz des zeitlich unterschiedlichen Verlaufs der Emanzipation sind Parallelen jüdischen Lebens in beiden Ländern festzustellen258. In fast allen Teilen der Bevölkerung im Deutschen Kaiserreich und in der Dritten Republik waren antijüdische Vorurteile präsent. Sie waren Bestandteil der bürgerlichen Kultur und lassen sich in beiden Ländern im Denken und Handeln außerhalb der dezidiert antisemitischen Kreise nachweisen. So erhöhte 1879 der „Berliner Antisemitismusstreit“, den der Historiker Heinrich von Treitschke durch einen Aufsatz auslöste, die Akzeptanz für antijüdische Einstellungen vor allem in bürgerlichen und universitären Kreisen259. In Frankreich popularisierte Édouard Drumont in seiner Hetzschrift „La France juive“ 1886 ein Erklärungsmodell, wonach die Juden zur Ursache für alle 253 Birnbaum 1992 [894]. 254 Simon-Nahum 2007 [909], S. 374. Siehe auch Wilson 22007 [1002]; Sternhell 1993 [912]. 255 Volkov 1994 [883], S. 17. 256 Brechenmacher 2011 [863], S. 141. 257 Ebd., S. 126–127; Schoeps 2001 [879], S. 79. 258 Vgl. die Beiträge in Knörzer 2010 [839]. 259 Siehe dazu Kapitel II.2 „Moderner Antisemitismus“.
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gegenwärtigen Probleme stilisiert wurden: „Alles kommt vom Juden; alles kommt dem Juden zugute“260. Drumont fasste bestehende Strömungen zusammen, gab ihnen ein modernes Antlitz und unterlegte sie mit einer Rassentheorie, die an Überlegungen u. a. von Arthur de Gobineau und Ernest Renan sowie an die aufkommenden genetischen und evolutionistischen Erklärungsmodelle der Epoche anknüpfte. Geprägt waren Drumonts Ideen von seiner Reise durch Deutschland und Österreich-Ungarn im September 1883, wo er mit antisemitischen Agitatoren zusammentraf261. Die Hetzschrift von Drumont, dieses „Schriftstellers dritten Ranges, aber Demagogen erster Ordnung“262, hatte vor allem beim konservativ katholischen Publikum in Frankreich großen Erfolg und schaffte es in 25 Jahren auf 200 Auflagen. Mit rund 80 000 verkauften Exemplaren bis 1914 blieb das Werk jedoch unter den Verkaufszahlen ähnlicher deutscher Werke263. Drumonts Buch wurde noch im gleichen Jahr in Deutschland unter dem Titel „Das verjudete Frankreich“ publiziert und von deutschsprachigen Antisemiten „begierig gelesen“264. Dies verweist auf einen von der Forschung bisher kaum thematisierten Transfer von antisemitischer Ideologie zwischen Deutschland und Frankreich, der sich auf Österreich-Ungarn und weitere europäische Länder ausdehnen ließe: Antisemiten beider Länder waren stark auf eine Verwissenschaft lichung und Theorisierung des Antisemitismus bedacht, was sie für Einwirkungen aus dem anderen Land öff nete265. Die Hetzschrift „Der Talmudjude“ (1871) des antisemitischen deutschen Theologen und Prager Professors August Rohling266 erschien 1879 in einer ersten, und erhielt allein im Jahr 1889 drei weitere Übersetzungen ins Französische. Von Maurras ist bekannt, dass er Rohlings Werk gelesen hat 267. Die französische Ausgabe von 1890, die ein Vorwort von Drumont enthielt, wurde ins Deutsche rückübersetzt und in Deutschland veröffentlicht 268. Der 1853–1855 von Gobineau publizierte „Versuch über die Ungleichheit der Menschenracen“ wurde 1898–1901 von Ludwig Schemann herausgegeben, dem Begründer der 1894 ins Leben gerufenen zunächst deutsch-französisch agierenden Gobineau-Gesellschaft 269. Die antisemitischen Umdeutungen Gobineaus durch Schemann – denn Juden sind in diesem Essay kein Thema – wurden in Richard Wagners Bayreuther Kreis sowie in 260 Drumont 1886 [19], S. 11. Zu Drumont siehe Kauffmann 2008 [748]; Winock 1982 [769]. Zum – auch semantischen – Vergleich Drumonts mit Treitschke und Stoecker siehe Holz 2001 [871], S. 298–358. 261 Kauffmann 2008 [748], S. 72–74. 262 Winock 1982 [769], S. 36. 263 Englund 2011 [903], S. 280. 264 Gräfe 32016 [868], S. 218. 265 Bergmann 2013 [861]. 266 Rohling 1871 [38]. 267 Winock 21994 [771], S. 128. 268 Ferrari Zumbini 2003 [864], S. 135. 269 Gobineau 1898–1901 [22].
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der völkischen Bewegung und vor allem im Alldeutschen Verband breit rezipiert 270. Später wurde er in dieser Umdeutung nach Frankreich rückimportiert. Auf den internationalen Antisemiten-Kongressen der Jahre 1882, 1883 und 1886 kam es vermutlich nicht zu einem intensiven deutsch-französischen Austausch. Zur ersten Konferenz in Dresden waren nur Journalisten aus Frankreich angereist, in Chemnitz waren „einige ungenannte französische Vertreter“271 anwesend. Mobilisierend wirkte der Antisemitismus in beiden Ländern hauptsächlich auf mittel- und kleinbürgerliche Schichten, die sich durch den raschen sozio-ökonomischen Modernisierungswandel und die Wirtschaftskrisen unter Druck gesetzt sahen. In Frankreich war das Aufkommen des Antisemitismus in den 1880er-Jahren darüber hinaus eng mit Finanzskandalen wie dem Bankrott der katholisch geführten Bank Union générale 1882, für den die Rothschild-Familie verantwortlich gemacht wurde, und dem Panamaskandal 1892 / 93 verbunden272. Zahlreiche kleine Sparer wurden geschädigt, was man der jüdischen Hochfi nanz zur Last legte. Dass diese, wie im Falle Rothschilds, teilweise deutschen Ursprungs war, bot Anlass für die Verknüpfung von antikapitalistischer, antisemitischer und antideutscher Propaganda 273. Es waren jedoch nicht allein wirtschaft liche Krisen und Realkonflikte, die das Aufkommen von Antisemitismus erklären können. Zu den Gründen für den Anstieg antisemitischen Denkens und Handelns gehörten außerdem das umfassende allgemeine Krisenempfinden und das drastische Unbehagen an der Moderne, geprägt durch Industrialisierung, Urbanisierung, Beschleunigung sowie das Zurückdrängen der Kirchen in Kulturkampf und Laizität274. Zu den religiösen und sozialen Vorurteilen gegenüber Juden kam eine antiliberale und antimoderne Weltanschauung hinzu, wurden Juden doch als Gewinner der Moderne angesehen. Darüber hinaus galt jüdische Identität als unvereinbar mit der Nation, da das Judentum ohne eigenen Staat verstreut in der Welt lebte. Juden schätzte man damit als Nationen nicht-zugehörig und als bedrohliche Dritte für die Einheit einer Nation ein275. In der „Judenfrage“ wurde die Ursache aller sozialen, politischen, religiösen und kulturellen Probleme verortet. In beiden Ländern zeigte sich ein Antisemitismus, der gängige Stereotype aus dem theologischen Antijudaismus aufgriff, diese um einen rassisch motivierten Judenhass erweiterte und die Vorstellung einer jüdischen Weltverschwörung popularisierte. Insbesondere in Deutschland lässt sich eine Verschie270 Köck 2011 [841]; Bergmann 2002 [827], S. 49; Korinman 1999 [724], S. 214–215; Chickering 1984 [716], S. 138–141, bes. S. 140, 241–242. 271 Katz 1989 [838], S. 298. Zu den Kongressen siehe Wyrwa 2009 [849]. 272 Voigt 2015 [913], S. 151, 161; Jucquois, Sauvage 2001 [905], S. 127, 137–138; Sorlin 2000 [911], S. 180; Mollier 1991 [402]; Bouvier 1960 [397]. 273 Schleicher 2009 [845]; Allal 2002 [824]. 274 Gräfe 32016 [868], S. 108; Jucquois, Sauvage 2001 [905], S. 123. 275 Holz 2001 [871], S. 225–237.
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bung hin zum biologisch begründeten völkisch-nationalistischen Antisemitismus beobachten, parallel zum Aufkommen eines rassischen Diskurses in den Kolonien, der freilich noch nicht dem späteren Rasseverständnis ab den 1920erJahren entsprach. Französische Antisemiten der verschiedenen Lager verwendeten ebenso einen „mehr oder minder vagen Rassebegriff “276. Der Antisemitismus blieb in Frankreich jedoch stärker christlich-katholisch geprägt. Im Deutschen Kaiserreich waren vor allem die konservativen, protestantischen und katholischen Milieus, die dem Nationalismus näher standen, antisemitisch eingestellt277. Die Liberalen oder die sozialistische Arbeiterbewegung gelten dagegen mit Nuancen als wenig antisemitisch, obwohl antijüdische Stereotype verknüpft mit einer antikapitalistischen Einstellung ebenso in diesen Kreisen nachweisbar sind 278. Innerhalb dieser Milieus zeigte sich nicht nur regional und zeitlich eine Vielschichtigkeit der Einstellungen, die mit Blick auf die Funktion des Antisemitismus und seine stärker sozial, christlich oder rassistisch ausgerichtete Motivation erklärt werden kann. Besondere deutsche Charakteristika waren die Entstehung antisemitischer Parteien in den 1880er-Jahren, die maßgeblich vom protestantischen Hofprediger Adolf Stoecker mitgetragene Berliner Bewegung sowie die neben der Alltagsgewalt wie Friedhofsschändungen zumeist im Zusammenhang mit Ritualmordgerüchten auft retenden gewalttätigen Ausschreitungen gegenüber Juden279. Eine deutsche Besonderheit waren außerdem die Versuche zur Bekämpfung der Judenfeindschaft im Verein zur Abwehr des Antisemitismus280 (1890) und im Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens281 (1893). Rassistisch-antisemitisches Gedankengut erlangte zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen festen Platz in der wilhelminischen Gesellschaft. Über wirtschaft liche Interessensgruppen wie den konservativen Bund der Landwirte (BdL) und den Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband (DHV), über die Vereine Deutscher Studenten sowie über vermeintlich unpolitische Verbände wie die Turn- und Gesangsvereine oder die Jugendbewegung wurde Antisemitismus in die Gesellschaft vermittelt. Diese Vereine waren zwar durch große Heterogenität und divergierende Weltanschauungen geprägt, doch bildete der 276 Heil 2000 [836], S. 209. 277 Zum katholischen Antisemitismus siehe Blaschke, Mattioli 2000 [829] sowie Gräfe 32016 [868], S. 128–139; Nonn 2008 [844], S. 64–66; Hochgeschwender 2 2006 [870]. Zum protestantischen Antisemitismus siehe Jensen 2005 [873]. 278 Zu den Liberalen siehe Nonn 2008 [844], S. 59–61. Zur politischen Linken siehe Brustein, Roberts 2015 [833]; Fischer 2007 [866] sowie Nonn 2008 [844], S. 61– 64 und Pulzer 22004 [876], S. 25–28. 279 Zur antijüdischen Gewalt siehe Hartston 2005 [919]; Gross 2002 [869]; Nonn 2002 [875]; Smith 2002 [880]. 280 Siehe Zeiss-Horbach 2008 [886]. 281 Zum Zentralverein siehe Barkai 2002 [855]. Zur Abwehr siehe Jahr 2011 [872]; Wyrwa 2010 [850]; Wiese 2003 [847]; Volkov 1994 [883], S. 59–66.
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Antisemitismus dabei ein gemeinsames Fundament. Während lange Zeit in der Forschung die 1890er-Jahre als entscheidend für Ausbreitung, Vertiefung und Radikalisierung des Antisemitismus galten, wird heute stärker der Erste Weltkrieg als Zäsur betont. Die Loyalität von Juden zum Deutschen Kaiserreich wurde infrage gestellt und aufgrund des öffentlichen Drucks 1916 die Anzahl der jüdischen Soldaten über die „Judenzählung“ ermittelt 282. Anders als in Frankreich, wo der Antisemitismus im Ersten Weltkrieg zurückging, erreichte er in Deutschland und vor allem ab 1918 unter anderem durch eine Vermischung mit sozialer Frage und Antikommunismus „eine zuvor in diesem Ausmaß nicht gekannte öffentliche Wirksamkeit“283. In Frankreich zeigte sich der moderne Antisemitismus ebenso äußerst heterogen. Eine Besonderheit war seine Prägung durch linke Theoretiker der Frühsozialisten wie Pierre Joseph Proudhon, Alphonse Toussenel oder Charles Fourier, die ihre Kritik am Finanzkapitalismus in den 1830er- und 1840er-Jahren stellvertretend gegen jüdische Bankiers gerichtet hatten284. Ihre Schriften beeinflussten die populistische antisemitische Rechte der 1880er- und 1890er-Jahre, die zumeist katholisch geprägt war285. Dieser antimodern und antirepublikanisch eingestellte Teil der Katholiken sah den eigenen Einfluss in der Republik kontinuierlich schwinden, während das Gewicht von Juden und Freimaurern immer größer zu werden schien. Gerade die Assoziation von „jüdischer Verschwörung“ und „Freimauerkomplott“ erwies sich als resistentes „Zwillingsthema“286 dieses konservativ-katholischen Weltbilds, das außerdem eine antiprotestantische Stoßrichtung besaß. In Frankreich war dies besonders virulent, da Juden dort anders als im Kaiserreich Zutritt zu den Freimaurerlogen hatten287. Umgekehrt überzeugten die Hirngespinste eines Drumont trotz der katholischen Einflüsse aufgrund ihres ausgeprägten Antikapitalismus auch in Kreisen der extremen Linken und bei einer sozialistischen Minderheit288. Mit einem Antisemitismus, der religiöse, nationalistische und antikapitalistische Elemente verband, wurde in den 1880er- und 1890er-Jahre in Frankreich ein „politischer Kreuzzug gegen die Republik“289 geführt. Denn während in Deutschland die „antisemitischen Ziele 282 Zur Judenzählung siehe Kapitel I.5 „Erster Weltkrieg 1914–1918“, S. 214–215. 283 Berding 1997 [857], S. 286. Zu den Gründen und ihrer Gewichtung in der Forschung siehe Nonn 2008 [844], S. 73–74. 284 Brustein, Roberts 2015 [833], S. 31–38; Dreyfus 2011 [902], S. 19–42; Crapez 2002 [899]. 285 Zum katholischen Antisemitismus in Frankreich siehe Airiau 2002 [888]; Jucquois, Sauvage 2001 [905]; Sorlin 2000 [911]; Pierrard 1998 [991]; Pierrard 2 1997 [908]; Delmaire 1991 [900]. 286 Benbessa 2001 [892], S. 405. 287 Wiese 2003 [847], S. 136. Siehe dazu auch Rogalla von Bieberstein 21978 [527]. 288 Winock 2004 [914], S. 92–92; Crapez 2002 [899], S. 22; Jucquois, Sauvage 2001 [905], S. 131. 289 Duclert 2010 [118], S. 243.
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innerhalb des herrschenden Systems verwirklicht“290 werden sollten, wurde in Frankreich die Legitimität des republikanischen Systems angegriffen. Seine Verbreitung in die französische bürgerliche Gesellschaft fand der Antisemitismus über antijüdische Hetz-Publikationen, deren Anzahl ab den 1880er-Jahren rasch anstieg. Im Unterschied zu Deutschland wurden sie häufig in angesehenen Verlagshäusern publiziert291. Hinzu kam eine im Vergleich zu Deutschland extrem auflagenstarke antisemitische Presse wie die 1892 von Drumont gegründete Tageszeitung „La Libre Parole“ mit dem Slogan „Frankreich den Franzosen“ („La France aux Français“), deren Auflagenhöhe bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts bei täglich 100 000 Stück lag, während des Panamaskandals sogar bei 200 000, oder die katholisch-fundamentalistische Zeitung „La Croix“ mit einer Auflage von rund 170 000292. Eine weitere Verbreitung fand über die antisemitischen Ligen statt, so die Ligue nationale antisémitique de France (1890), die 1898 mit geschätzten 11 000 Mitgliedern zu den großen Organisationen gehörte293. Daneben agierten die Union nationale (1893), die Jeunesse antisémitique de France (1894) mit 200 bis 300 Mitgliedern in Paris und Umgebung, die Action française (1899) und zahlreiche weitere, zumeist kurzlebige und wenig einflussreiche Organisationen dieser Art 294. Sie verfolgten das Ziel, die Gleichstellung von Juden in der Gesellschaft zu beschränken bzw. ganz aufzuheben, waren aber untereinander oft mals zerstritten295. Einen deutlichen Höhepunkt erlebte der Antisemitismus in Frankreich während der Dreyfusaff äre, vor allem in den Jahren 1898 und 1899296. Die Diskussionen über Schuld oder Unschuld des jüdischen Hauptmanns Alfred Dreyfus, der 1894 zu Unrecht der Spionage für das Deutsche Reich beschuldigt und zur Degradation und lebenslänglicher Verbannung verurteilt worden war, spaltete die Nation in erbitterten Pressekampagnen und Diskussionen bis in die Familien hinein. Während dieser Zeit kam es zu antijüdischen Demonstrationen und Ausschreitungen, in Algerien mit Todesfolge. Für die politische Linke war der Artikel „J’accuse …!“, in dem der Schriftsteller Émile Zola am 13. Januar 1898 Position für Dreyfus ergriff und damit die eigentliche Aff äre auslöste, der Kulminationspunkt für die Abkehr von antisemitischen Einstellungen297. Da hinter der antirepublikanischen Mobilisierung neben dem Militär und der nationalen Rech290 Katz 1989 [838], S. 302. 291 Heil 2000 [836], S. 197–198. 292 Zu „La Croix“ siehe Joly 2008 [746], S. 265; Sorlin 1976 [910], S. 10–11, 39–55. Larkin 2004 [560], S. 70 gibt die Auflage mit 180 000 an. Übersicht über die Auflage der nationalen und monarchistischen Presse bei Stark 1991 [762], S. 18–20. 293 Fuller 2012 [739], S. 82, 89. 294 Zu den verschiedenen Gruppen siehe Joly 2008 [746]. 295 Fuller 2012 [739], S. 86; Joly 2008 [746], S. 270–290; Jucquois, Sauvage 2001 [905], S. 132–133; Birnbaum 1988 [893], S. 121; Pierrard 21997 [908], S. 21–22. 296 Zur Dreyfusaff äre siehe Kapitel II.2 „Moderner Antisemitismus“. 297 Duclert 2007 [962], S. 207.
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ten genauso klerikale Kräfte standen, trieben die Republikaner im Anschluss an die Dreyfusaff äre die Trennung von Kirche und Staat weiter voran. Nach der Dreyfusaff äre und bis zur Weltwirtschaftskrise 1929 stellte sich in Frankreich ein relativ tolerantes Klima für die jüdische Bevölkerung ein298. Dennoch blieb die französische Gesellschaft ähnlich wie die deutsche von antijüdischen Vorurteilen durchdrungen, deren gefährlich banalisierte Bilder über Abbildungen, Darstellungen auf Alltagsgegenständen und bis in die Sprache hinein allgegenwärtig waren299. Der Antisemitismus war ab dem beginnenden 20. Jahrhundert in Frankreich klar mit der nationalistischen Rechten verbunden. Für Organisationen wie die Action française unter der Führung von Charles Maurras und Léon Daudet war der Antisemitismus einer der wichtigsten ideologischen Grundpfeiler. Sie erreichten jedoch nicht die Mitgliederzahlen von mehreren Zehntausend Anhängern wie ähnliche Organisationen im Kaiserreich300. In beiden Ländern richtete sich der Antisemitismus in der Gesellschaft vor allem gegen das emanzipierte, assimilierte und sozial aufgestiegene Judentum und weniger gegen die zahlreich aus Osteuropa vor Pogromen geflohenen Juden, die eher Opfer klassischer Xenophobie wurden301. Auf staatlicher Seite blieben die Dritte Republik und ihre Repräsentanten dagegen weitgehend frei von Antisemitismus und verteidigten die schon vor über einem Jahrhundert erlangte Gleichberechtigung der jüdischen Bürger302. Im Ersten Weltkrieg legten französische Juden einen „schrankenlosen Patriotismus“303 an den Tag, was selbst den überzeugten Antisemiten Maurice Barrès in seinem Buch „Les diverses familles spirituelles de la France“ (1917) zu einem Lob veranlasste. Doch trotz abnehmender Tendenz war der Antisemitismus in Frankreich im Ersten Weltkrieg nach wie vor virulent.
Friedensbewegung Die organisierte Friedensbewegung entstand zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Europa und Nordamerika. Die Friedensgesellschaften waren eine Reaktion auf das Ende des Ancien Regime und die Kriege der napoleonischen Ära, die ganze Nationen mobilisiert hatten. Als bürgerliche Reformbewegungen
298 Joly 2008 [746], S. 294–299; Brustein 2003 [832], S. 39, 123; Sternhell 1993 [912], S. 15; Angenot 1989 [889]; Katz 1989 [838], S. 306. 299 Bergmann 2002 [827], S. 57; Jucquois, Sauvage 2001 [905], S. 135; Angenot 1989 [889]. 300 Englund 2011 [903], S. 280. 301 Benbassa 2001 [892], S. 402–403; Katz 1989 [838], S. 305. 302 Englund 2011 [903], S. 281. 303 Benbassa 2001 [892], S. 403. Über französische Juden im Ersten Weltkrieg siehe Compère-Morel 2003 [834]; Landau 2007 [906].
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etablierten sie sich ab der Mitte des Jahrhunderts mit mehreren internationalen Friedenskongressen. Dieser intellektuelle Pazifismus wurzelte in verschiedenen humanistischen, christlichen und (wirtschafts)liberalen Strömungen. Die wachsenden globalen Verflechtungen über zunehmende zwischenstaatliche Abmachungen, internationale Konferenzen, ansteigenden Welthandel sowie beschleunigtes Nachrichtenwesen ließen Internationalität zu einem Symbol für Frieden und Völkerverständigung werden. Ungeachtet der Herausbildung transnationaler Strukturen blieben die Nation und das Nationale der vordergründige Handlungsraum der zahlreichen staatlichen und privaten Friedensinitiativen. Zu ihren hauptsächlichen Zielen gehörten Schiedsgerichtsbarkeit, Abrüstung, Humanisierung der Kriege über die Einführung eines Kriegsrechts sowie die Schaff ung eines Völkerkongresses und eines internationalen Gerichtshofes304. Genau wie beim Engagement der Arbeiterbewegungen gegen Krieg und Militarismus herrschten in der bürgerlichen Friedensbewegung nach 1870 divergierende Friedenskonzepte sowie Bewegungen gegen Gewalt. Auch wenn es in Teilen inhaltliche Überschneidungen gab, agierten bürgerliche Pazifisten und proletarische Antimilitaristen getrennt voneinander. Der Begriff Pazifismus wurde um die Jahrhundertwende durch den französischen Notar Émile Arnaud geprägt. Er löste die bis dahin verbreitete, nun als zu schwach empfundene Bezeichnung „Friedensfreunde“ (amis de la paix) ab. Während der Begriff sich in Frankreich und international sehr schnell verbreitete, dauerte seine Durchsetzung in Deutschland länger305. Die Friedensbewegung war hier deutlich schwächer entwickelt und hatte einen weitaus schwereren Stand. In Frankreich dagegen war um die Jahrhundertwende die dynamischste Friedensbewegung in Europa aktiv306. Dieser Befund kontrastiert mit der Beobachtung, dass die Friedensbewegungen im Kaiserreich weitaus besser erforscht sind. Aus der Vielzahl der Gründe seien zwei genannt: Zum einen wurde der Begriff Pazifismus in Frankreich schon bald nach seiner Entstehung als negativ besetzt wahrgenommen und blieb es bis in die 1990er-Jahre und in Teilen bis heute307. Zum anderen konnte der Pazifismus in Deutschland als positives Gegenstück von der Aufmerk-
304 Holl 1978 [786], S. 772. 305 Zum Begriff Pazifismus siehe Lorrain 1999 [787], S. 14–16; Holl 1978 [786], S. 774. Zum Pazifismus in Deutschland siehe Ziemann 2002 [790]; Holl 1988 [803]; Riesenberger 1985 [809]; Chickering 1975 [794]. Auf Französisch: Dupeyrix 2011 [800]; Lorrain 1999 [787]. Literaturbericht: Ziemann 2015 [814]. Deutsch-französische und internationale Perspektiven: Fabre u. a. 2017 [783]; Cahn, Knopper, Saint-Gille 2008 [775]; Lorrain 1999 [787]; Bariéty, Fleury 1987 [774]. 306 Cooper 1991 [817], S. 359. Zum Pazifismus in Frankreich siehe Miller 2002 [821]; Lorrain 1999 [787]; Defrasne 1994 [820]; Chickering 1975 [794], S. 327–383. 307 Lorrain 1999 [787], S. 11–12; Defrasne 1994 [820], S. 8.
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samkeit profitieren, die in der Forschung dem deutschen Militarismus entgegengebracht wurde und wird308. Der Deutsch-Französische Krieg bedeutete zunächst das Ende für die europäischen Friedensinitiativen der Zeit vor 1870, wirkte im Nachgang jedoch stimulierend309. Die französischen Friedensvorstellungen erfuhren durch den Schock der Kriegsniederlage und die Annexion Elsass und Lothringens einen grundlegenden Wandel: Die im Frankfurter Friedensvertrag im Mai 1871 festgelegte Gebietsabtretung ließ den Ruf nach internationaler Schiedsgerichtsbarkeit zur Klärung staatlicher Konfl ikte und nach einer Regelung des Rechts im Krieg (ius in bello) im Gegensatz zum Recht auf Krieg (ius ad bellum) laut werden. Auch die Forderungen nach Menschenrechten und Demokratie, die im französischen Pazifismus populär waren, bezogen sich vorrangig auf die Situation der „verlorenen Provinzen“. In französischen Resolutionen war das Selbstbestimmungsrecht der Völker stets enthalten, was das Recht auf Wahl einer demokratischen Verfassung einschloss. Gerade durch diese Forderung kam es auf internationaler Ebene immer wieder zu Zusammenstößen mit deutschen sowie bisweilen mit britischen pazifistischen Delegierten310. Als einer der prominentesten französischen Friedensvertreter suchte Frédéric Passy schon kurz nach dem Krieg 1870 / 71 nach einer Lösung, um aus dem Kreislauf von Revanchegedanken, Ziel der Wiedergewinnung Elsass-Lothringens und permanenter Aufrüstung im Wettstreit mit dem Kaiserreich zu entkommen, ohne im eigenen Land als unpatriotisch zu gelten. Um Kritiken zuvorzukommen, verzichtete er bei der Neugründung der Société française des amis de la paix auf das Wort „international“ im Namen, das die Vorkriegsgesellschaft noch getragen hatte311. Unter seiner Führung kam es 1889 parallel zur Pariser Weltausstellung und zu den Hundertjahrfeiern der Französischen Revolution zur ersten Weltfriedenskonferenz. Genauso fand im selben Jahr das Treffen von französischen und britischen Parlamentariern, aus dem die Interparlamentarische Union312 hervorging, auf Initiative von Passy in Paris statt. Zur Koordinierung der verschiedenen Initiativen wurde 1892 das Internationale Friedensbüro in Bern eingerichtet. Eine zweite große pazifistische Strömung in Frankreich vertrat die Ligue de la paix et de la liberté. Ihr Gründer, der Belgier Charles Lemonnier, richtete seine Aktivitäten vorrangig auf die Schaff ung eines föderalen Europas aus313. 308 Lorrain 1999 [787], S. 10–14. Zur deutschen Forschung siehe auch Ziemann 2015 [814]; Ziemann 2005 [792]; Verhey 2002 [813]; Ziemann 2002 [792]. 309 Cooper 1991 [778], S. 49. 310 Cooper 1991 [817], S. 374–375. 311 Diese hieß Ligue international et permanente de la paix. Siehe Cooper 1991 [778], S. 46, 48. 312 Zur Interparlamentarischen Union siehe Uhlig 1988 [788]. 313 Cooper 1991 [778], S. 55.
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Großen Zulauf erhielt die bürgerliche Friedensbewegung in Frankreich zu Beginn der 1880er-Jahre und damit deutlich früher als im Kaiserreich. Vor allem auf dem Lande entwickelten sich zahlreiche dynamische Organisationen, die den „bewaff neten Frieden“ der Epoche nach 1871 kritisierten. Einige der Gruppierungen, wie die 1893 von jungen Protestanten in Nîmes gegründete La paix par le droit, die eine gleichnamige Zeitschrift herausgab, waren stark antimilitaristisch eingestellt und riefen zur Verweigerung des Militärdienstes auf314. Um nicht als unpatriotisch zu gelten, distanzierten sich Teile der französischen Pazifisten von diesen extrem antimilitaristischen Strömungen, wie sie zugleich von den anarchistisch-geprägten Gewerkschaften sowie von Teilen der Arbeiterbewegung um Gustave Hervé vertreten wurden. Im internationalen Vergleich galten die französischen Pazifisten als besonders patriotisch, da sie zwar den Angriffskrieg ächteten, jedoch für das Recht zur Vaterlandsverteidigung eintraten. Neben Agnostikern waren es in Frankreich hauptsächlich Protestanten, Freimaurer und Juden, die sich in den bürgerlichen Friedensbewegungen engagierten315. Gerade in intellektuellen Kreisen und in der Lehrerschaft war der Pazifismus populär. Das führte zu einer Verbreitung pazifistischer Ideen und Ziele in den Schulen und zu einem Ausgleich der militaristischen Tendenzen, wie sie die Schulbataillone mit sich gebracht hatten316. Die Société d’éducation pacifique, die Materialen für den Schulunterricht anfertigte, hatte zeitweise rund 10 000 Mitglieder und damit genauso viele wie die Friedensbewegung im Kaiserreich insgesamt317. Großen Einfluss auf die Popularität der Friedensbewegung in Frankreich hatte die Dreyfusaff äre, in deren Verlauf die pazifistisch auft retende Liga für Menschenrechte (1898) gegründet wurde. Der Sieg der republikanischen Dreyfusards schwächte den Militarismus und stärkte die Verbindungen zwischen Radikalen bzw. Radikalsozialisten und Pazifisten, sodass im Unterschied zu Deutschland auch Teile der Regierung pazifistisch eingestellt waren318. In Frankreich war folglich bei manchen Sozialisten die Distanz zum Pazifismus geringer und sie engagierten sich gleichzeitig in pazifistischen Vereinigungen319. In ihren Kreisen entstand die grundsätzliche Diskussion, ob Demokratien überhaupt Krieg führen könnten. Sie zieht sich als Konstante durch die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg, wie etwa das Buch des sozialistischen Intellektuellen Marcel Sembat „Faites un roi, sinon faites la paix“ zeigte, dem zufolge eine konsequente Kriegführung in einer Demokratie un-
314 315 316 317 318 319
Cabanel 2008 [816], S. 164; Cooper 1991 [778], S. 57. Eine Liste der wichtigsten französischen Friedensorganisationen von 1815–1914 findet sich ebd., S. 213–215. Zu den Protestanten siehe Cabanel 2008 [816]. Siehe dazu Kapitel I.2 „Republik und Monarchie denken und gestalten“. Cooper 1991 [817], S. 367. Lorrain 1999 [787], S. 58; Chickering 1975 [794], S. 339, 351–364. Miller 2002 [821], S. 9; Chickering 1975 [794], S. 357–361.
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möglich sei320. Landesweit engagierten sich kurz vor dem Ersten Weltkrieg rund 100 000 Mitglieder in 28 verschiedenen Friedensorganisationen, die teilweise in bis zu 20 regionale Ortsgruppen unterteilt waren321. Wenn es auch vereinzelt frühe Vorschläge für europäische Initiativen gab, blieb das Deutsche Kaiserreich bis in die 1880er-Jahre eine „pazifistische Wüste“322. Erst 1886 – und damit im internationalen Vergleich recht spät – kam es in mehreren deutschen Städten zur Gründung von Friedensvereinen in der Folge einer europaweiten Agitationsreise des britischen Pazifisten Hodgson Pratt. Eine nationale Organisation wurde erst 1892 mit der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) gegründet. Der deutsche Pazifismus, der sich anders als sein französisches Pendant nicht in einer Demokratie entwickelte und unter polizeilichen Repressalien litt, war stärker ethisch und weniger politisch geprägt. Während die französische Friedensbewegung sich auf völkerrechtliche Fragestellungen und auf konkrete Aktionen konzentrierte, verstand sich die Deutsche Friedensgesellschaft als Kulturbewegung und verfolgte eine „humanitär-appellative Grundhaltung“323. Diese Einstellung verkörperte die österreichische Baronin Bertha von Suttner, die Gründungsmitglied sowohl der Österreichischen Friedensgesellschaft in Wien (1889) als auch der DFG in Berlin war. Bertha von Suttner war bereits zeitgenössisch die bekannteste Militarismuskritikerin und die erste Frau, die den Friedensnobelpreis (1905) erhielt324. Mit ihrem erfolgreichen Roman „Die Waffen nieder!“ übte sie in Österreich und in Deutschland großen Einfluss auf die beginnenden pazifistischen Bewegungen aus325. Ihr Buch wurde in zwölf Sprachen übersetzt, 1899 erschien eine französische Ausgabe. Allerdings wurde Bertha von Suttner vorgeworfen, einen emotionalen Pazifismus zu betreiben. Dies wirkte sich insgesamt negativ auf das Image der deutschen Friedensbewegung aus, die vor allem in ihrer Anfangszeit international isoliert war326. Einen Gegenpol fand dieser moralische Pazifismus international in den rational-empiristisch gegen den Krieg argumentierenden Pazifisten wie dem Russen Ivan Bloch und dem Engländer Norbert Angell. Bloch prognostizierte 1898 in seinem Buch „Der Krieg“ anhand von Statistiken und mit Blick auf neue Waffengattungen, dass ein Krieg für industrialisierte Gesellschaften verheerende Folgen haben würde. Sein mehrbändiges Werk wurde in viele Sprachen übersetzt, so etwa ein Jahr später ins Deutsche, und war ebenso
320 Sembat 1913 [41]. Siehe dazu Leonhard 2014 [1557], S. 211, 366; Kreis 2007 [366], S. 531. 321 Lorrain 1999 [787], S. 34–35. 322 Ebd., S. 36. 323 Riesenberger 1985 [809], S. 47. 324 Zu Bertha von Suttner siehe Hamann 2014 [802]. Auf Französisch: Marteil 2014 [808]; Hoock-Demarle 2014 [805]. 325 Von Suttner 1889 [42]. 326 Cooper 1991 [778], S. 164–166.
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wie das 1910 publizierte Buch „Die große Illusion“ von Angell ein internationaler Bestseller327. Angell argumentierte ebenso rational gegen den Krieg, indem er auf die wirtschaft lichen Folgen für Krieg führende Gesellschaften hinwies, die sich einen Krieg gar nicht leisten könnten328. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts versuchten einige deutsche Theoretiker, die idealistischen und utopischen Konzeptionen des Pazifismus hinter sich zu lassen. Neben dem Historiker Ludwig Quidde329, der Deutschland in verschiedenen internationalen Organisationen vertrat, setzte sich vor allem Alfred Hermann Fried330 für die Ausarbeitung einer geschlossenen pazifistischen Theorie ein. Fried beeinflusste mit seiner Theorie die deutsche Völkerrechtswissenschaft und erhielt 1911 den Friedensnobelpreis. Ausschlaggebend für den Wunsch nach Verwissenschaft lichung des Völkerrechts war nicht nur die Ablehnung des moralischen Pazifismus von Bertha von Suttner, sondern auch das Scheitern der ersten Haager Friedenskonferenz 1899, die auf einen Vorschlag von Zar Nikolaus II. zurückging. Neben der Humanisierung von Kriegen über das Kriegsvölkerrecht, etwa durch das Verbot bestimmter Waffen, ging es darin um die Etablierung eines institutionalisierten Verfahrens, um Konfliktfälle friedlich beizulegen, wobei die betroffenen Staaten selbst das Gericht anrufen mussten. Dabei konnte auf verschiedene bereits existierende völkerrechtliche Regelungen und auf die Arbeit internationaler Einrichtungen wie beispielsweise des Institut du droit international (1873) zurückgegriffen werden331. Nicht zuletzt aufgrund des deutschen Widerstands scheiterte die verpflichtende Einführung der Schiedsgerichtsbarkeit bei dieser Konferenz genau wie bei der zweiten im Jahr 1907, was für die pazifistischen Bewegungen eine Enttäuschung war332. Da jedoch die internationale Presse während der Wochen der Konferenz ausführlich und flächendeckend über Schiedsgerichtsbarkeit, Abrüstung und Kriegsreglementierung berichtete, sorgte sie für die Verbreitung pazifistischer Ideen und machte deutlich, dass Krieg keineswegs von allen als unvermeidbares Übel angesehen wurde. Am Rande der nicht-öffentlichen Konferenz kam es zu deutsch-französischen Begegnungen der „Friedensamateure“ der Zivilgesellschaft wie Bertha von Suttner mit offiziellen staatlichen Vertretern wie Baron Paul d’Estournelles de Constant333. Regional war die Friedensbewegung vor allem im Süden und Südwesten
327 328 329 330 331 332
Bloch 1899 [14]; Angell 1910 [11]. Leonhard 2014 [1557], S. 71–74, 77; Holl 1988 [803], S. 73, 80. Zu Quidde siehe Holl 2007 [804]. Zu Fried siehe Göhring 2011 [801]; Schönemann-Behrens 2011 [812]. Segesser 2010 [1502], S. 123–128. Lorrain 1999 [787], S. 44, 67. Zu den Konferenzen siehe Steller 2011 [332], S. 231–360; Dülffer 2008 [781]; Dülffer 2003 [780]; Rasmussen 1990 [1229]; Dülffer 1981 [779]. 333 Steller 2011 [332], S. 273, 282–287. Zu Estournelles de Constant siehe Barcelo 1995 [815]; Wild 1973 [823].
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des Kaiserreichs stark.334 Wie in Frankreich fand sie ihre Anhänger im kleinen und mittleren Bürgertum. Den höchsten Anteil an den Mitgliedern hatten selbstständige Unternehmer, gefolgt von Kaufleuten, Schriftstellern, Journalisten und Lehrern sowie freiberufl ich tätigen Anwälten, Ärzten und Apothekern335. Wenig Engagement gab es vonseiten der katholischen und protestantischen Milieus. Eine Ausnahme stellte Elsass-Lothringen dar, wo der Pazifismus allgemein und insbesondere bei den protestantischen Pfarrern stärker verbreitet war als im übrigen Reich336. Im Vergleich zu Frankreich fehlte im Kaiserreich die Verbindung zu politisch oder gesellschaft lich einflussreichen Personen, zu Honoratioren aus Verwaltung und Regierung. Die soziale Stigmatisierung, die mit einem Engagement in der Friedensbewegung einherging, ließ viele einflussreiche Persönlichkeiten davor zurückschrecken. Bis 1914 wurden zahlreiche Ortsvereine der Deutschen Friedensgesellschaft gegründet, die insgesamt rund 10 000 Mitglieder hatte. Dies ist nicht nur im Vergleich zu den Mitgliederzahlen in Frankreich, sondern auch im Vergleich zu den damals drei Millionen Mitglieder zählenden Krieger- und Schützenvereinen eine verschwindend kleine Zahl. Die Gründe für die im Vergleich zu Frankreich spätere und weniger bedeutende Entwicklung des Pazifismus im Kaiserreich lassen sich unter anderem auf die starke Stellung von Krieg und Militär in der wilhelminischen Gesellschaft zurückführen. Unter dem Eindruck des Sieges 1870 / 71 und der daraus hervorgegangenen Nationalstaatsbildung hatte sich im Kaiserreich das Bild von Kriegen insgesamt gewandelt: Krieg und Militär standen in der öffentlichen Meinung hoch im Kurs337. Neben breit aufgestellten sozialdarwinistischen, rassistischen und antisemitischen Strömungen, wie sie in den nationalistischen und völkischen Agitationsverbänden zum Tragen kamen, zeigten sich – obschon in weitaus geringerer Zahl – Krieg verherrlichende Kräfte, die den Visionen von regenerierenden kriegerischen Auseinandersetzungen oder nihilistischen Tendenzen anhingen. Angesichts des weit verbreiteten Gesinnungsmilitarismus stellten die Pazifisten nicht nur eine Minderheit, sondern einen Fremdkörper in der Gesellschaft dar. Das wird besonders im Vergleich zu Frankreich deutlich, wo es zwar auch eine Militarisierung der Gesellschaft gab, die Friedensbewegung aber trotz der Erziehung zum Patriotismus Teil der politischen Kultur werden konnte, wie die große innenpolitische Kontroverse 1913 um die Verlängerung der Dienstzeit in der aktiven Armee auf drei Jahre zeigte338. 334 335 336 337
Vgl. die Karte bei Chickering 1975 [794], S. 60. Holl 1988 [803], S. 54; Chickering 1975 [794], S. 72–76. Alexandre 2001 [793]. Zum Militarismus im Kaiserreich siehe z. B. Wette 2008 [1510]; Wette 2005 [1509]; Rohkrämer 1990 [1500]; Dülffer, Holl 1986 [798]. Vergleichend mit Frankreich Vogel 1997 [708]. 338 Leonhard 2014 [1557], S. 57; Krumeich 1980 [1529], S. 272–281. Siehe auch Kapitel I.5 „Der Erste Weltkrieg 1914–1918“.
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Obwohl die deutschen Pazifisten bürgerlich-liberal waren, ihren Patriotismus beteuerten und eine „Neigung zu konformistischen Attitüden“339 aufwiesen, wurde ihnen von konservativen und nationalistischen Kreisen vorgeworfen, die Kriegstüchtigkeit und die Verteidigungsfähigkeit des Kaiserreichs zu schädigen. Wie andere „Reichsfeinde“ galten sie aufgrund ihrer internationalen Einstellung als anti-national, unpatriotisch, undeutsch und vaterlandslos, als politisch naiv, unrealistisch, schwach und unmännlich. Da Teile der Pazifisten demokratisch gesinnt waren, konnten sie zudem als umstürzlerisch und antimonarchistisch dargestellt werden. Dass für die friedliebende Geisteshaltung ein neuer Begriff aus dem „Erbfeindland“ Frankreich übernommen wurde, dürfte die Gegner des Pazifismus in ihrer ablehnenden Haltung zusätzlich bestärkt haben. Das Echo und die Reaktionen aus den nationalistischen Kreisen auf die deutsche Friedensbewegung standen in keinem Verhältnis zu deren Größe und ihrer tatsächlichen Bedeutung340. Das Ungleichgewicht in Stärke und inhaltlicher Ausrichtung der Friedensbewegungen in beiden Ländern machten einen engen deutsch-französischen Kontakt schwierig341. Die rein philosophischen Erklärungen und das willent liche Auslassen politischer Fragen der deutschen Pazifisten trafen in der französischen Friedensbewegung auf wenig Verständnis. Für die französischen Pazifisten war eine Lösung für Elsass-Lothringen etwa über eine Volksabstimmung die Voraussetzung für eine deutsch-französische Annäherung. Im Unterschied dazu waren die deutschen Pazifisten der Ansicht, dass es keine elsass-lothringische Frage gebe. Eine Revision des Frankfurter Friedens hielten sie mit Blick auf ihre eigene schwierige Stellung im Kaiserreich für völlig ausgeschlossen. Aktuelle politische Fragen sollten bei den internationalen Treffen nicht verhandelt werden, um ein Reiseverbot für deutsche Abgeordnete zu vermeiden. Erst allmählich wurde Elsass-Lothringen überhaupt zu einem Thema bei den internationalen Kongressen: „Immer daran denken, aber auch darüber reden“ („Pensons-y toujours, mais parlons-en aussi“), war in Abwandlung des bekannten Diktums von Léon Gambetta die Devise, unter der von französischer Seite ab Mitte der 1890er-Jahre nach Lösungen für die „verlorenen Provinzen“ gesucht wurde. Einen ersten Wendepunkt stellte der Friedenskongress 1897 in Hamburg dar, bei dem zum ersten Mal die deutschfranzösischen Beziehungen thematisiert wurden342. Auf dem Weltfriedenskongress 1905 in Luzern wurde eine deutsch-französische Annäherungsresolution ausgearbeitet343. Das Händeschütteln zwischen Ludwig Quidde und
339 340 341 342 343
Holl 1978 [786], S. 773. Riesenberger 1985 [809], S. 92. Lorrain 1999 [787], S. 40. Ebd., S. 69. Ebd., S. 78; Riesenberger 1985 [809], S. 75; Chickering 1975 [794], S. 299–300.
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Frédéric Passy auf der Konferenz – mitten in der ersten Marokkokrise – erlebten viele vor Ort als starkes emotionales Ereignis344. Von 1905 bis 1914 intensivierten sich die Kontakte. Eine Reihe von kurzlebigen Komitees und kleinen Organisationen führten vor allem in den letzten Jahren vor dem Krieg zu einer Annäherung zwischen deutschen und französischen Pazifisten. Ludwig Wagner organisierte ab 1905 in Kaiserslautern Ferienkurse mit rund 200 ausländischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die meisten von ihnen aus Frankreich345. Der Münchner Gelehrte Heinrich Molenaar gründete die Deutsch-Französische Liga, die bis 1906 existierte und ca. 60 Mitglieder hatte346. 1907 entstand das auf dem Münchner Weltfriedenskongress gegründete Comité d’entente franco-allemand, das 1912 in Ligue franco-allemand umbenannt wurde. Im Sommer 1913 gründeten Ernst Jaeckel und Henriette Meyer das Institut franco-allemand de la réconciliation, das nach einjährigem Besuch von Sprach-, Kultur- und Kunstkursen ein Diplom vergab. Der Pazifismus traf in Deutschland und Frankreich in Teilen der bürgerlichen Frauenbewegung auf Resonanz. Um die Jahrhundertwende entstanden in beiden Ländern und weltweit zahlreiche Frauenfriedensorganisationen. Deren Rolle wurde zeitgenössisch und historiografisch viele Jahre marginalisiert347. Zwar handelte es sich um eine Minderheit, dennoch waren diese Bewegungen gesellschaft lich von Bedeutung: Die Frauen sprachen sich nicht nur öffentlich gegen Krieg, Militär und Nationalismus aus, sondern überschritten zugleich normative Geschlechterrollen. In der internationalen Frauenbewegung standen pazifistische Ziele gleichrangig neben dem Wunsch nach internationalem Erfahrungsaustausch über die rechtliche und gesellschaft liche Stellung der Frauen, insbesondere im Hinblick auf das Wahlrecht348. Im Kaiserreich wurde das Engagement der Frauen von konservativen Kräften als Krise der Männlichkeit wahrgenommen, die verbunden war mit der Angst vor einer politischen Feminisierung der Gesellschaft349. In Frankreich war die Konkurrenz der sozialistischen zur bürgerlichen Frauenbewegung weniger stark ausgeprägt als in Deutschland350. Mit der Zunahme der internationalen Spannungen besonders ab der zweiten Marokkokrise kam es zu einer Annäherung zwischen sozialistischen und
344 345 346 347 348
Lorrain 1999 [787], S. 79–80. Lipp 2008 [807], S. 147–148. Chickering 1975 [794], S. 294–295; Wild 1973 [823], S. 197–202. Wilmers 2008 [789], S. 19; Davy 2002 [797], S. 115; Ziemann 2002 [791], S. 31. Farges, Saint-Gille 2013 [1238]; Planert 2009 [250], S. 167–172; Wilmers 2008 [789]; Rochefort 2004 [822]; Gerhard 1994 [784]; Rupp 1997 [1232]; Rupp 1994 [1232]; Evans 1987 [782]. 349 Davy 2002 [797], S. 119. Siehe dazu auch Kapitel I.2 „Republik und Monarchie denken und gestalten“. 350 Wilmers 2008 [789], S. 246; Rochefort 2004 [822], S. 86.
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pazifistischen Gruppen, die selbst im Kaiserreich erkennbar wurde351. Auf Anregung des SPD-Reichstagsabgeordneten Ludwig Frank und organisiert von Baron d’Estournelles trat 1913 in Genf und im Frühjahr 1914 in Bern die Deutsch-Französische Parlamentarierkonferenz zusammen: das erste deutschfranzösische Diskussionsforum auf politischer Ebene352. Mitbeteiligt an der Organisation war der 1911 gegründete linksliberal ausgerichtete Verband für internationale Verständigung. Er verfügte schnell über bessere Kontakte zu den französischen Friedensbewegungen als die Deutsche Friedensgesellschaft und versuchte, sich von dieser abzusetzen353. Ebenfalls 1913 und 1914 fanden im Elsass Friedenskundgebungen statt, wobei es die deutsche und französische Presse gleichermaßen sorgfältig vermieden, darüber zu berichten354. Insgesamt waren die französischen Pazifisten sehr viel stärker darum bemüht, auf ihre deutschen Kollegen zuzugehen und Konferenzen, Vortragsreisen, Artikel, Resolutionen, Fragebögen etc. zu organisieren. Die deutschen Pazifisten blieben dagegen überwiegend passiv und waren zu Gesten nicht bereit, weil sie an ihrer Verbundenheit zum Deutschen Kaiserreich und zu Wilhelm II. keine Zweifel aufkommen lassen wollten355. Während Baron d’Estournelles, der 1909 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, mehrfach zu Gast in Deutschland war, reiste umgekehrt von den deutschen Pazifisten nur Ludwig Quidde nach Frankreich, wo er 1914 auf dem nationalen Friedenskongress in Lyon eine Ansprache hielt. Trotz der Meinungsverschiedenheiten bestand in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg keine grundsätzliche Unvereinbarkeit zwischen deutschen und französischen Pazifisten. Vielmehr herrschte die Überzeugung, eine gemeinsame Zivilisierungsmission zu verfolgen und ein gemeinsames Kulturerbe zu pflegen. Ein grundsätzliches Unverständnis, ein Urteil über die deutsche Identität als Gegenpol zur eigenen, setzte erst im Ersten Weltkrieg ein, vor allem, nachdem deutsche Gräueltaten beim Überfall auf Belgien bekannt wurden356. Mit Kriegsausbruch im August 1914 zerfielen die pazifistischen Utopien. Am 31. Juli 1914 war es in Brüssel noch zu einem kurzfristig einberufenen Treffen einiger deutscher und französischer Pazifisten gekommen, um Maßnahmen zur Kriegsverhinderung zu diskutieren. Im Anschluss daran schickten die Friedensvertreter Telegramme an die Regierungen und forderten vergeblich eine friedliche Beilegung des Konflikts. In Paris hingen für kurze Zeit neben den Ankündigungen der Mobilmachung Plakate der Friedensbewegung, die ein Schiedsgericht forderten. Mit Kriegsausbruch scherten die pazifistischen Gruppen in Deutsch351 Holl 1988 [803], S. 92. 352 Lorrain 1999 [787], S. 100; Holl 1988 [803], S. 100–102; Riesenberger 1985 [809], S. 89; Wild 1973 [823], S. 399–421. 353 Chickering 2007 [796], S. 28; Wild 1973 [823], S. 386–389. 354 Alexandre 2001 [793], S. 429. 355 Lorrain 1999 [787], S. 80, 93. 356 Ebd., S. 82.
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land und Frankreich jedoch ganz überwiegend in die Reihen der patriotischen Kriegsbefürworter ein, jeweils überzeugt, das eigene Land führe einen gerechten Verteidigungskrieg. Auch die internationale Frauensolidarität zerbrach im Sommer 1914, obgleich es einzelne Initiativen gab, um gegen den Krieg und die „Erfindung der Erbfeindschaft“ zwischen Deutschland und Frankreich zu protestieren357. Obwohl internationale Kontakte während des Krieges nur erschwert möglich waren, kam es zu Verständigungsversuchen. Die bisherigen Vorzeichen der deutsch-französischen pazifistischen Beziehungen hatten sich allerdings umgekehrt: Während die französischen Pazifisten nun eine abwartende Haltung einnahmen, ihre Regierung und die union sacrée unterstützten und Treffen mit den deutschen Pazifisten ablehnten, gab der Teil der weiterhin bestehenden deutschen pazifistischen Bewegung ihre unpolitische Haltung auf, kritisierte die kaiserliche Regierung und bemühte sich um Kontakte zu den französischen Kollegen. Im neu gegründeten Bund Neues Vaterland (BNV) organisierten sich Professoren, Publizisten, Sozialdemokraten und ehemalige Diplomaten. Zu seinen prominenten Vertretern gehörten Albert Einstein und René Schickele. Aufgrund von Zensur, Hausdurchsuchungen und Verhaftungen musste der BNV seine Aktivitäten ab Frühjahr 1916 einstellen358. Zahlreiche französische und deutsche Pazifisten befanden sich im Schweizer Exil. Die Gruppe um Alfred Hermann Fried setzte sich für ein demokratisches neues Deutschland ein und diskutierte früh die Kriegsschuldfrage359. Briefwechsel, etwa zwischen Albert Einstein und Romain Rolland, dessen Rolle als „supranationale moralische Referenz“360 verschiedentlich betont wurde, waren der einzige Austausch zwischen deutschen und französischen Pazifisten während des Krieges. Teilweise wurden die Briefwechsel öffentlich geführt. An den Treffen bzw. am internationalen Pazifistenkongress 1915 in Den Haag nahmen keine französischen Abgeordneten teil361. Zahlreiche, zum Teil sehr kurzlebige pazifistische Zeitschriften wurde in Frankreich – vor allem im Laufe des Jahres 1917 – ediert362. Eine „spektakuläre Friedensinitiative“363 bürgerlicher Feministinnen stellte der außerordentliche Friedenskongress dar, der im April 1915 in Den Haag kurz nach dem Pazifistenkongress stattfand. Organisiert von der niederländischen Frauenrechtlerin Aletta Jacobs und der deutschen Aktivistin Anita 357 Saint-Gille 2013 [811], S. 68–69; Rupp 1994 [1231], S. 1589–1590. 358 Lipp 2008 [807], S. 155–156; Holl 1988 [803], S. 113–116, 125. 359 Göhring 2011 [801], S. 202–277; Saint-Gille 2011 [810], S. 257–259; Debrunner 2004 [819]. 360 Charrier 2011 [777], S. 137. 361 Cooper 1991 [817], S. 383. 362 Prochasson, Rasmussen 1996 [1603], S. 160. 363 Wilmers 2008 [789], S. 7.
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Augspurg kamen rund 1200 Teilnehmerinnen zu diesem Treffen, aus dem die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit hervorging. Die französischen Gruppen entsandten genau wie der Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) keine Delegierten. Deutsche Teilnehmerinnen der Konferenz wurden vom BDF mit Missbilligung behandelt364. Von staatlicher Seite aus wurden sie verfolgt und überwacht, ihre Briefe zensiert365. Fast zeitgleich fand in Bern die unter Federführung von Rosa Luxemburg und Clara Zetkin organisierte internationale Friedenskonferenz sozialistischer Frauen statt, die sowohl die Behörden als auch die SPD verhindern wollten366. Zu gemeinsamen Aktionen der proletarischen und der bürgerlichen Frauenbewegungen kam es im Ersten Weltkrieg genau wie in der Zeit davor allerdings nicht.
364 Saint-Gille 2013 [811], S. 70. 365 Gerhard 1994 [784], S. 43–44; Rupp 1994 [1231], S. 1589. 366 Kätzel 2005 [806], S. 138.
4. Moderne Lebenswelten 4. Moderne Lebenswelten
Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts veränderten sich die Lebenswelten in Deutschland und Frankreich durch einen rasanten technologischen Fortschritt, zunehmende Urbanisierung mit Rückwirkungen auf das ländliche Leben, intensive Kommunikation infolge der Ausbreitung der Massenpresse sowie durch das Entstehen einer Massenkultur und einer Freizeitindustrie mit Spektakel jeder Art, Kino, Sportereignissen, Weltausstellungen und Vergnügungsparks. Die modernen Lebenswelten waren durch Pluralität und Globalisierung der Angebote, Produktionsweisen und Nutzungen bestimmt sowie durch den steigenden Einfluss der Massen infolge von Demokratisierungsprozessen. Partizipationsmöglichkeiten, die bis dahin hauptsächlich auf Männer aus Adel und Bürgertum beschränkt waren, wurden auf Frauen sowie auf untere soziale Schichten ausgedehnt. Trotz unterschiedlicher Ausprägungen in den einzelnen Ländern waren dies gesamteuropäische Erfahrungen der beginnenden Moderne, die zudem über nationale Grenzen hinweg durch wechselseitige Wahrnehmung und die Zirkulation von Menschen, Produkten und Ideen eng miteinander verflochten waren. Es war die Zeit der internationalen Kongresse und internationalen Organisationen: Allein in der Wissenschaft erhöhte sich die Zahl der Kongresse von 89 für das Jahrzehnt von 1885 bis 1894 auf 170 im Zeitraum von 1905 bis 19141. Technischer Fortschritt und Erfindungen repräsentierten die industrielle und wissenschaft liche Macht und das Prestige der Nation, sodass sich die breite Öffentlichkeit dafür interessierte. In ihrer Selbstdeutung nahmen sich Deutschland und Frankreich als Wissensgesellschaften wahr, in denen eine Heroisierung der Forscher und Wissenschaft ler erfolgte. Während Methoden, Mess- und Experimentiertechniken vereinheitlicht und standardisiert wurden, um den internationalen Austausch zu erleichtern, nahm zugleich der internationale Wettbewerb um die wissenschaft liche Vorherrschaft zu. Nationale Rivalitäten bestimmten den intellektuellen Austausch, der gleichwohl selbst zwischen Deutschland und Frankreich sehr eng war2. So standen in der Zeit von 1901 bis
1 Rasmussen 1990 [1229]. Besonders häufig war Paris Tagungsort, siehe Prochasson 1991 [1196], S. 223. Zu den internationalen Organisationen siehe Herren 2009 [73]. Zu transnationalen Expertennetzwerken siehe Rodogno, Struck, Vogel 2015 [1230]. 2 Espagne 1999 [1154], S. 51–73; Charle 1996 [1141]; Charle 1994 [1252], S. 368– 383; Prochasson 1991 [1196], S. 176.
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1913 fünf französische zehn deutschen Nobelpreisträgern gegenüber, was aus französischer Sicht die eigentlich erfreuliche Bilanz verdunkelte3. Die Dynamik der Epoche wurde in Teilen als Aufbruch und Erneuerung erlebt, in gleicher Weise jedoch als Verlust des traditionellen Ordnungsrahmens. Dies führte zu einem Hinterfragen bekannter Dimensionen, Wissensbestände und Praktiken, was sich unter anderem in literarischen Strömungen und künstlerischem Schaffen, aber auch in verschiedenen kulturkritischen Bewegungen zeigte. Die neuere Forschung weist für Deutschland und Frankreich auf die ambivalenten zeitgenössischen Erfahrungen der modernen Lebens- und Alltagswelten hin und auf die daraus resultierenden unterschiedlichen Einstellungen, Sinndeutungen, Phantasmen und Widerstände4.
Medien, Presse, Öffentlichkeit Im 19. Jahrhundert erlebte die Medienwelt radikale Veränderungen, die sich ab den 1860er-Jahren in Frankreich und ab den 1880er-Jahren in Deutschland erneut beschleunigten5. Die Entwicklung neuer Medienformate und insbesondere die Ausbreitung der Massenpresse, die rasante Beschleunigung der Nachrichtenübermittlung durch den Ausbau des Straßen- und Eisenbahnnetzes sowie durch Telegrafie und Telefon hatten eine zunehmend mediale Durchdringung der Gesellschaften und eine gesteigerte Aufmerksamkeit für Medien zur Folge. Medien und ihre Inhalte hielten gleichzeitig die Gesellschaften um 1900 zusammen, waren diese doch überwiegend medial und nicht mehr konfessionell integriert. Der Wegfall wirtschaft licher Beschränkungen und die Liberalisierung der Pressegesetze schufen die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Aufschwung der Presse im 19. Jahrhundert. Das große Bevölkerungswachstum, Verstädterung und ansteigende Alphabetisierung – in Deutschland früher als in Frankreich6 – ließen ein „rasant wachsendes Lesertum“7 entstehen, das zwar in der Breite nicht überaus gebildet war, aber einen steigenden Bedarf an Informationen entwickelte. Angehörige der Unterschichten aller Berufe, Frauen sowie Jugendliche und Kinder aller sozialen Schichten lasen Presseerzeugnisse, die auf 3 Houte 2014 [124], S. 324; Duclert 2010 [118], S. 643. 4 Middendorf 2012 [1193], S. 148; Charle 2011 [1123]; Kalifa 2001 [1190], S. 96. 5 Überblicksdarstellungen für Deutschland siehe Wilke 22008 [1035]; Faulstich 2004 [1013]. Auf Französisch: Requate 2010 [1047]; Wirsching 2006 [1048]; Albert, Koch 2000 [1037]. Für Frankreich siehe Barbier, Bertho-Lavenir 3 2014 [1007]; Palmer 22014 [1064]; Kalifa u. a. 2011 [1061]; Charle 2004 [1054]; Delporte 1998 [1055]; Albert 1972 [1049]. Auf Deutsch: Requate 1995 [1025]. 6 Vergleichende Übersicht über die Alphabetisierungsraten in Europa: Charle 2011 [1123], S. 269. 7 Requate 2009 [1046], S. 37.
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I. Überblick
die einzelnen Zielgruppen abgestimmt waren. Die kommerzielle Massenpresse war Spiegel und Reflektion der entstehenden Massenkultur, zeigte sie doch die zunehmende Demokratisierung und Diversifizierung sowie den Wandel der Presseerzeugnisse zu Konsumgütern8. Ein breites Angebot an Pressetiteln entstand, die nur wenige Pfennige oder Sou kosteten und damit eine große Abnehmerschaft fanden. Die „Pfennig-Presse“ oder presse à un sou war nicht nur erschwinglich, sie war zudem inhaltlich an den neuen Leserinteressen ausgerichtet und publizierte Unterhaltung in Form von Fortsetzungsromanen, populärwissenschaft lichen Artikeln und Sensationsmeldungen oder faits divers. Große Bedeutung hatten darüber hinaus technische Neuerungen im Satzund Druckbereich sowie bei der Papierherstellung, die neben besserer Qualität und Verbilligung eine Beschleunigung in der Herstellung zur Folge hatten. Nach der Einführung der Schnellpresse im frühen 19. Jahrhundert konnten durch die Nutzung des Rotationsdrucks ab den 1870er-Jahren auch illustrierte Blätter in einem einzigen Druckvorgang anstatt wie zuvor in fünf Schnellpressen hergestellt werden.9 Bis zu 12 000 Exemplare pro Stunde wurden so gedruckt. Viele Tageszeitungen erschienen am Ende des 19. Jahrhunderts mehrfach am Tag, zumeist in einer Morgen- und einer Abendausgabe, womit sie die Ausbildung eines beschleunigten städtischen Rhythmus mitbestimmten. Hinzu kam eine massive bildliche Prägung des öffentlichen Raums, kamen doch in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nicht nur Plakate, Bilderbögen und Sammelbilder auf, sondern auch illustrierte Zeitschriften, Leuchtreklamen, Gebäudeanzeigen, Postkarten, Fotografien sowie Filme. Eine Verdichtung, Intensivierung und Beschleunigung der Kommunikation brachten außerdem die global agierenden Nachrichtenagenturen und insbesondere die „Verkabelung der Welt“10 durch die Telegrafie im dritten Quartal des 19. Jahrhunderts mit sich. Die Zeitspanne zwischen Ereignis und Übertragung der Neuigkeit verkürzte sich durch die Telegrafie von Wochen und Tagen auf Stunden oder Minuten. Über Telegrafie, Presseagenturen oder die Internationale Postunion entstanden wie selbstverständlich transnational ausgerichtete Kommunikationsnetze11. Anhand von Verträgen, Konventionen, technischen Normierungen, Kongressen, Schiedsabläufen und ständigen Büros fand eine internationale Verständigung über Regelungen und Nutzung der Kommunikationskanäle statt. Diese hatten sogar in Kriegszeiten Bestand: So war 1870 / 71 zwar die Telegrafenverbindung zwischen Deutschland und Frankreich unterbrochen, der Transit durch Frankreich nach Spanien aber von Deutschland aus weiterhin möglich12. 8 Delporte 1998 [1055], S. 94; Requate 2009 [1046], S. 36–42. 9 Barbier, Bertho-Lavenir 32014 [1007], S. 162–163; Feyel 2011 [1058], S. 123, 126; Lachenicht 2006 [1043], S. 70. 10 Osterhammel 2009 [80], S. 1023. 11 Barth 2011 [1008], S. 717. 12 Laborie 2010 [1022], S. 141.
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Technische Transferprozesse im Medienbereich zwischen Deutschland und Frankreich spielten in der Zeit vor 1920 kaum eine Rolle13. Beide Länder orientierten sich überwiegend an den Entwicklungen in den USA und in England, die im 19. Jahrhundert eine Vorreiterrolle innehatten. Doch gab es eine enge gegenseitige Wahrnehmung und einen Austausch in einzelnen Bereichen, bei Formaten und im Vertrieb sowie über international agierende Firmen wie etwa im Filmbereich. Abgesehen von Einzelstudien gibt es keine systematische Untersuchung des deutsch-französischen und globalgeschichtlichen Transfers im Medienbereich im 19. Jahrhundert14. Neben den hier skizzierten allgemeinen Entwicklungen lassen sich nationale Eigenheiten und Unterschiede ausmachen. So werden für Frankreich eher „die enorme Dynamik der Entwicklung“, in Bezug auf Deutschland dagegen die „retardierenden Faktoren“ betont15, etwa bei den Presse- und Zensurbestimmungen, die in Deutschland im Vergleich mit anderen europäischen Ländern sehr viel länger gültig und damit prägender für das Verhältnis von Presse und Gesellschaft waren16. Obwohl das Reichspressegesetz 1874 die Pressefreiheit im Kaiserreich gesetzlich verankerte, konnte es von staatlicher Seite mithilfe des Strafgesetzbuches wieder eingeschränkt werden. Wurden kritische Journalisten wegen Majestätsbeleidigung angeklagt, mussten sie nach geltendem „Zeugniszwang“ ihre Informationsquellen preisgeben. Katholische Journalisten sahen sich während des Kulturkampfes, sozialdemokratische Journalisten während des Sozialistengesetzes und darüber hinaus Verfolgung und Repressalien ausgesetzt17. In Frankreich dagegen wurde die Pressefreiheit gesetzlich erst 1881 verankert. De facto vertieften die sehr liberalen Bestimmungen aber nur die ohnehin bereits 1868 im Zuge der Liberalisierung des Second Empire gewährte Freiheit der Presse18. Der große Unterschied zwischen beiden Ländern lag weniger in den Gesetzen als in der strengeren Auslegung durch die Gerichte des Kaiserreichs19. Insgesamt war die „Entfesselung der Massenkommunikation“20 im 19. Jahrhundert in beiden Ländern keine lineare Bewegung, sondern durch Rückschritte und Verzögerungen geprägt. Für den bereits in den 1830er-Jahren einsetzenden kommerziellen Medienboom waren unabhängig von nationalen Differenzen drei neue Formate charakteristisch: Neben der billigen und zumeist parteilosen Massenpresse – der soge-
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Hannig 2011 [1016], S. 47. Vgl. zum Stand der Forschung und zu Desideraten Barth 2011 [1008]. Requate 2010 [1047], S. 40–44; Requate 2009 [1030], S. 14. Requate 2009 [1046], S. 41. Bösch 2011 [1011], S. 111; Requate 2009 [1046], S. 32–33; Wilke 22008 [1035], S. 255; Requate 2002 [1027], S. 148–151. 18 Robert 2011 [1065]; Requate 2002 [1027], S. 152. 19 Requate 2010 [1047], S. 38–40; Requate 2002 [1027], S. 152. 20 Wilke 22008 [1035], S. 154.
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nannten petite presse in Frankreich und den Generalanzeigern in Deutschland waren es bebilderte illustrierte Blätter und Familienpresse sowie Parteiblätter oder parteinahe Periodika21. In Frankreich war bereits 1836 mit „La Presse“ eine billige Tageszeitung gegründet worden, wie sie mit der Two-Penny-Massenpresse in den USA und England ebenfalls zu dieser Zeit entstanden. Für einen Teil der Forschung begann in Frankreich dennoch erst 1863 mit dem von Moïse Millaud gegründeten „Petit Journal“ die Ära der popularisierten Massenpresse22. Von 1877 bis 1891 konnte die Tageszeitung ihre Auflage von rund 500 000 auf eine Million Exemplare verdoppeln23. Typisch war die Ausdifferenzierung der Zeitungen in verschiedene Sparten und Ressorts: Zum politischen Teil und dem Leitartikel kamen das Feuilleton, ein Wirtschaftsteil, die Auslandsdepeschen der Nachrichtenagenturen, ein Lokal- und ein Sportteil sowie Anzeigen. In Deutschland setzte der Medienboom später, aber ebenso vehement ein. Auch hier besaß die Presse eine zentrale Rolle für die Politisierung und Organisation der Gesellschaft. Vereine und Verbände, ob politisch oder nicht, wissenschaft liche Gesellschaften, Musik-, Turn-, Heimat- und sonstige Vereine sowie Privatpersonen kommunizierten über eigene Presseerzeugnisse. Viele der kleineren Blätter waren kurzlebig und hatten nur eine geringe Auflage, erlangten bisweilen aber nationale Reichweite. Im Kaiserreich waren zunächst die parteilosen Familienblätter die Vorboten der Massenpresse, erreichten diese doch eine weitaus höhere Auflage als Tageszeitungen. Die „Gartenlaube“, das beliebteste Familienblatt, übertraf 1875 mit ihrer höchsten Auflage von 382 000 Stück die Tagespresse bei Weitem24. Die Familienblätter zogen ein kleinbürgerliches und kleinstädtisches Publikum an und boten mit einer Mischung aus Fortsetzungsromanen, Reiseberichten, Anekdoten, Lebenshilfen, populärwissenschaft lichen Beiträgen und Rätseln belehrende Unterhaltung und Zerstreuung für die ganze Familie. Ende des 19. Jahrhunderts wurden sie zunehmend von der illustrierten Presse verdrängt. Deren Erfolg beruhte neben der starken Bebilderung auf ihren universalen Inhalten. Titel wie die „Leipziger Illustrirte Zeitung“ (1843) wurden wie die im selben Jahr gegründete französische „L’Illustration“ nach dem Vorbild der englischen „Illustrated London News“ aufgebaut 25. Um 1900 lagen die Auflagen der deutschen illustrierten Presse durchschnittlich bei nur etwa 20 000 Exemplaren. Eine Ausnahme stellte die wöchentlich publizierte „Berliner Illustrirte Zeitung“ dar, die 1914 rund eine Million Exemplare erreichte26. Gleich21 Bösch 2011 [1011], S. 111. 22 Vgl. Vaillant 2006 [1067]; Thérenty, Vaillant 2001 [1033]; anderer Ansicht ist Delporte 2009 [1012], S. 49; Delporte 1998 [1055], S. 95. 23 Barbier, Bertho-Lavenir 32014 [1007], S. 161. 24 Faulstich 2004 [1013], S. 66; Graf 2003 [1039], S. 427. 25 Bacot 2005 [1052], S. 10–12, 28–30, 39–42. 26 Faulstich 2004 [1013], S. 73. Übersichten bei Graf 2003 [1039], S. 470–471.
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wohl besagen Auflagenzahlen alleine noch wenig über die Verbreitung, denn die Zeitungen wurden von Hand zu Hand weitergegeben oder über Multiplikatoren wie Lesezirkel und Stadtbibliotheken verbreitet. In den Lesemappen, die in Cafés, Hotels, Konditoreien, Bibliotheken, Rasiersalons etc. auslagen, befand sich stets eine große Zahl ausländischer Pressetitel27. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts fanden Fotos Eingang in die Presse und verdrängten nach und nach die bis dahin üblichen Zeichnungen und Gemäldereproduktionen. In der illustrierten Presse des Kaiserreichs vor 1914 geschah dies früher und stärker als in Frankreich. International galt der deutsche Fotojournalismus im frühen 20. Jahrhundert als Avantgarde28. Hier kam es auch zu deutsch-französischen Transfers, etwa als der deutsche Physikprofessor Arthur Korn 1906 ein Foto von Berlin nach Paris über Telefonleitungen übertrug, das die „L’Illustration“ auf ihrer Titelseite abdruckte. Korn überließ der Zeitschrift ein Jahr später das Monopol für seine Erfindung, kurz bevor Édouard Belin seinen zum gleichen Zweck erfundenen bélinograph präsentierte, der sich in Frankreich kommerziell durchsetzte29. In gleicher Weise wurde die Rotogravur, ein Verfahren zum Abdruck von Fotos, von einigen französischen Zeitschriften aus Deutschland übernommen30. Führend unter den illustrierten Zeitungen war der 1910 gegründete „Miroir“, der 1914 eine Auflage von 400 000 Exemplaren erreichte31. Obwohl die Illustrierten stärker auf aktuelle Nachrichtenvermittlung setzten, sparten sie wie die Familienpresse Meinungsjournalismus bei der politischen Berichterstattung weitgehend aus. Im Kaiserreich zeichneten sich beide Formate überwiegend durch eine regierungstreue national-konservative Haltung aus, allein schon, um gesetzliche Verfolgung zu vermeiden32. Die sozialdemokratische Presse brachte es im Kaiserreich 1914 auf insgesamt 94 Titel und eine Auflage von 1,5 Millionen. Die katholische Presse erschien 1890 mit 298 Titeln und einer Auflage von insgesamt 600 000 Exemplaren33. In Frankreich war die Presse stärker politisiert und hatte eine eigenständigere politische Funktion, was auf die vergleichsweise wenig stabile Parteiorganisation zurückzuführen ist. Insbesondere in den 1880er- und 1890er-Jahren entstand neben der Parteipresse eine populäre ideologische Meinungspresse wie die katholische „La Croix“ sowie weitere militante Titel im Umfeld der rechten und linken radikalen Gruppierungen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sanken die Auflagenzahlen vieler politischer Organe 27 Dugast 22011 [1151], S. 87; Faulstich 2004 [1013], S. 30, 75. Siehe dazu auch Charle 2011 [1123], S. 275–276. 28 Hannig 2011 [1016], S. 37. 29 Feyel 2011 [1058], S. 138; Feyel 22007 [1057], S. 126–127. 30 Yon 2010 [1204], S. 233. 31 Lachenicht 2006 [1043], S. 67, 82. 32 Requate 2009 [1046], S. 32–34; Requate 1995 [955], S. 270. 33 Wirsching 2006 [1048], S. 112.
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I. Überblick
deutlich ab. Die „Action française“ hatte 1912 eine Auflage von 22 000, „L’Humanité“, die Tageszeitung der Sozialisten, druckte im selben Jahr 63 000 Exemplare34. Insgesamt triumphierte die republikanische über die konservative Presse sowohl was die Anzahl der Titel, als auch was die Auflage insgesamt anbelangt35. Die starke Politisierung der französischen Presse zeigte sich ebenso in einer engen personellen Verbindung zur Politik: Während der Dritten Republik hatten rund ein Drittel aller Abgeordneten journalistische Erfahrungen. Im Kaiserreich hingegen, wo Journalisten über eine geringere Reputation verfügten, waren es nur knapp zehn Prozent, ein Großteil davon Sozialdemokraten36. Mit dem Aufstieg der Massenpresse begann der langsame Prozess der Entpolitisierung der französischen Presse37. In Deutschland verhalfen ab Mitte der 1880er-Jahre die Generalanzeiger der Massenpresse zum Durchbruch. Zahlreiche lokale Titel erschienen selbst in kleineren und mittleren Städten, die häufig mehr als drei Tageszeitungen hatten und sich untereinander große Konkurrenz machten. Die stark regional geprägte deutsche Medienlandschaft unterschied sich damit deutlich von der auf Paris als Zentrum ausgerichteten französischen. Zwischen 1871 und 1914 stieg die Zahl der Tageszeitungen in Deutschland von 1525 auf 4221 an38. Rund 70 davon erschienen in einer Morgen- und einer Abendausgabe, deren Auflage sich kontinuierlich erhöhte. In Frankreich werden für das Jahr 1914 57 Tageszeitungen in Paris und 242 Titel in der Provinz gezählt 39, insgesamt also nur 299 im Vergleich zu 4221 Tageszeitungen in Deutschland. Ein Grund für diese bemerkenswerte Differenz könnte die stärkere Regionalisierung und die größere Anzahl an Städten im Kaiserreich sein, wo oft mals selbst in kleineren Städten das gesamte politische Spektrum durch Tageszeitungen abgedeckt war. Von den Auflagenzahlen der Tagespresse in Frankreich war man wiederum in Deutschland weit entfernt: Während die vier großen Zeitungen „Le Journal“, „Le Petit Parisien“, „Le Petit Journal“ und „Le Matin“ 1910 auf eine Auflage von jeweils über eine Million40 kamen, erreichten die meisten Generalanzeiger Auflagen zwischen 15 000 und 85 000 Exemplaren. Ausnahmen bildeten der „Berliner Lokalanzeiger“ mit 250 000 im Jahr 1903 und die „Berliner Morgenpost“, die 1914 in
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Übersicht über die Entwicklung der Auflagen bei Albert 1972 [1049], S. 296. Charle 2004 [1054], S. 141, 160–161; Albert 1972 [1049], S. 296. Bösch 2011 [1011], S. 124; Requate 1995 [1025], S. 66, 90, 291. Charle 2004 [1054], S. 141, 167; Delporte 1998 [1055], S. 119. Wilke 22008 [1035], S. 258–260; Wehler 1995 [110], S. 1238. Barbier, Bertho-Lavenir 32014 [1007], S. 165; Albert 1972 [1049], S. 138. Feyel, Lenoble 2011 [1059], S. 211 zählen rund 80 Tageszeitungen in Paris. Kalifa 2001 [1190], S. 12 zählt 257 Tagezeitungen in den Departements. 40 Delporte 1998 [1055], S. 94; Albert 1972 [1049], S. 297. Vgl. die Übersicht für das Jahr 1910 bei Charle 2004 [1054], S. 156, 160–161. Übersicht internationaler Titel bei Barbier, Bertho-Lavenir 32014 [1007], S. 166.
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einer Auflage von rund 400 000 Exemplaren erschien41. So könnte sich die Produktion an Tageszeitungen in Deutschland und Frankreich zwar in der Titelzahl, nicht aber in der Gesamtzahl aller Auflagen unterschieden haben, eine These, die sich derzeit nicht belegen lässt, da für den deutschen Raum die Gesamtzahl der Auflagen fehlt. Während die Post in Deutschland 1870 noch 150 Millionen Zeitungen ausgeliefert hatte, waren es um die Jahrhundertwende 1,2 Milliarden42. Dabei entsprach der über die Post zugestellte Abonnementverkauf längst nicht mehr den Gewohnheiten der Leserschaft. Er war in Deutschland lange üblich, weil sich damit der Vertrieb der Zeitungen besser kontrollieren ließ. In Frankreich eröff neten bereits 1852 Kioske und Bahnhofsbibliotheken nach englischem Vorbild zur Versorgung der Reisenden mit Literatur. Von zehn im Jahre 1853 stieg ihre Zahl auf 1179 im Jahr 1896 an. Ab 1859 war der Verkauf von Presseerzeugnissen im Buchhandel gestattet43. Über 3000 Zeitungskioske gab es 1914 allein in Paris. In Deutschland entwickelte sich der Bahnhofsbuchhandel dezentral und etwas später. Die Angaben zum Zeitpunkt schwanken und somit der Verweis auf das französische Vorbild44. Kauf und Lesen einer Zeitung wurden damit zu einem täglichen Reflex und zur sozialen Gewohnheit, in Frankreich früher als in Deutschland45. Darüber hinaus gehörten in Paris und London Zeitungsverkäufer, die die Schlagzeilen ausriefen, bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts zum Straßenbild, während sie in Berlin erst ab 1904 erlaubt waren46. Der Transport per Eisenbahn tat ein Übriges, um Informationen schneller und kostengünstiger zirkulieren zu lassen: Die Pariser Abendausgaben des „Petit Journal“ oder des „Petit Parisien“ konnten am nächsten Morgen bereits überall im Land gekauft werden. In Frankreich war die Presse damit neben Schulpflicht und Militärdienst ein weiteres Mittel, um die Idee der Republik auf dem Land zu verbreiten und Frankreich national und sprachlich zu integrieren. Ab den 1880 / 90er-Jahren expandierten die Regionalzeitungen, erstellten eigene Ausgaben für die Departements und unterhielten ein enges Geflecht an Korrespondenten, was sie zur ernsthaften Konkurrenz für die Pariser Zeitungen machte. Entscheidend für die 41 Wilke 22008 [1035], S. 268. Andere Angaben bei Faulstich 2004 [1013], S. 44, dem zufolge es bei der Morgenpost um 1900 nur 250 000 Exemplare waren und der Stand von 400 000 erst 1930 erreicht wurde. 42 Wehler 1995 [110], S. 1232. 43 Mollier 2002 [1062], S. 109; Kalifa 2001 [1190], S. 28 nennt 43 Bibliotheken für das Jahr 1853. 44 Vgl. Wilke 22008 [1035], S. 160; Faulstich 2004 [1013], S. 200; Haug 2003 [1041], S. 600–602; Barbier 1995 [1038], S. 170–171. Zu Frankreich: Charle 2004 [1054], S. 133. 45 Delporte 2009 [1012], S. 51. 46 Bösch 2011 [1011], S. 117; Graf 2003 [1039], S. 422–423. Zu Frankreich: Feyel, Lenoble 2011 [1059], S. 204–206.
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Popularität der Titel war die Gleichzeitigkeit von Nähe und Ferne, öff neten die Regionalzeitungen doch zwei Fenster für ihre Leserinnen und Leser: „das zur Welt und das zum eigenen Garten“47. 1910 wurde fast die Hälfte der Tageszeitungen in der Provinz verkauft, und die Verkaufszahlen hatten sich über die letzten 30 Jahre verdreifacht48. Im föderal geprägten Kaiserreich war der lokale Bezug für den Erfolg der Generalanzeiger in gleicher Weise ausschlaggebend und die Tagespresse damit regional verortet49. Nur wenige Zeitungen der Hauptstadt Berlin fanden Verbreitung und Rezeption in ganz Deutschland. Ein wichtiger Unterschied zwischen beiden Ländern war die deutlich stärkere Finanzierung der deutschen Zeitungen über Anzeigen. Aufgrund des umfangreichen Anzeigenteils umfassten sie wie amerikanische oder britische Tageszeitungen zumeist 18 bis 20 Seiten, während französische Blätter auf einen Umfang von höchstens sechs Seiten kamen. Zeitgenössisch war in Frankreich die Meinung verbreitet, dass die vom Anzeigengeschäft finanzierte Presse beinflussbar sei. Dabei zeigte umgekehrt etwa der Panamaskandal 1892 / 93, dass die französische Presse im europäischen Vergleich weitaus korrupter war, gerade weil sie sich nicht auf Anzeigen als Einkommensquelle stützen konnte. Rund 13 Millionen Francs waren als Schmiergelder an die Presse für eine positive Berichterstattung über den Baufortschritt des Panamakanals geflossen50. Neben vielfältigen Satire- und Witzblättern entwickelten sich literarische Revuen sowie eine reichhaltige Fach- und Spezialpresse mit Zeitschriften für Wirtschaft, Industrie, Technik, Wissenschaften und Sport51. In Frankreich erschienen bereits ab 1909 acht Sporttageszeitungen, die gemeinsam eine Auflage von rund 350 000 Exemplaren erreichten52. Leichtathletik sowie vor allem Pferde-, Fahrrad- und Autorennen waren beliebte Themen. Nicht selten schuf die Presse dabei ihre Sensationen selbst: Die Zeitschrift „L’Auto“ organisierte ab 1903 die „Tour de France“ und berichtete ausführlich über das Radrennen, das ihr eine Verdoppelung der Auflage einbrachte53. Analog schuf sich der Berliner UllsteinVerlag mit von ihm organisierten Autorennen eigene Schlagzeilen, so etwa 1901 durch das dreitägige Autorennen von Paris nach Berlin, an dem auch zwei Frauen
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Delporte 2009 [1012], S. 50. Houte 2014 [124], S. 337. Requate 1995 [1025], S. 382–391. Hillerich 2018 [1017], S. 140–152; Bösch 2011 [1011], S. 113; Charle 2004 [1054], S. 140; Albert 1972 [1049], S. 268–269. 51 Für Deutschland: Übersicht nach Zeitschriftentyp in Tabellen: Wilke 22008 [1035], S. 277; Tabelle mit Auflagenzahlen: Graf 2003 [1039], S. 411. Für Frankreich: Charle 2004 [1054], S. 169–200. 52 Delporte 1998 [1055], S. 111. Zu den französischen Sportzeitschriften siehe auch Yon 2010 [1204], S. 268–270. 53 Charle 2004 [1054], S. 199. Laut Vigarello 2005 [1203], S. 452 war es sogar eine Verdreifachung.
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teilnahmen und das der Franzose Henri Fournier gewann54. Bemerkenswert sind die Bemühungen um Kundenbindung durch Partizipation der Leserschaft: Zeitungen räumten Leserbriefen viel Platz ein und der Ullstein-Verlag forderte bereits 1900 die Leserschaft auf, Fotos einzusenden55. Eine Diversifizierung zeigte sich ebenso bei den Jugendzeitschriften und Frauenmagazinen. Von Modetiteln über Haushaltstitel und religiöse Zeitschriften bis hin zu politischen Emanzipationsheften weitete sich die Frauenpresse aus, deren Wurzeln ins 18. Jahrhundert zurückreichen. Die Presse war sowohl in Frankreich als auch in Deutschland eine der wenigen Möglichkeiten für ein „bürgerschaft liches Engagement“56 der Frauen. Die Kinder- und Jugendpresse ist für den deutschen Fall bisher kaum erforscht57. In der französischen Kinderliteratur brachte es die Comicfigur Bécassine zu nationaler Berühmtheit. Sie erschien 1905 zum ersten Mal in „La semaine de Suzette“, die mit 300 000 Exemplaren wöchentlich eine Massenauflage auswies58. Ab 1910 wurden verstärkt patriotische Romane publiziert59. Eine Ausdifferenzierung und Internationalisierung erfuhren ebenso der Buchmarkt und das Verlagswesen. Während der klassische Buchmarkt vor einer Stagnation stand, florierte der Massenmarkt der Kolportageromane mit seinen Fortsetzungen und Heftchen ab der Mitte des Jahrhunderts. Für ihren Verkauf arbeiteten die Buchhändler oft mals mit Kolporteuren zusammen60. Als mobile Verkäufer brachten sie nicht nur die neuesten Lieferungen, sondern auch seit dem Ancien Régime politische Nachrichten, Pamphlete, Flugblätter und pikante Unterhaltung. In Frankreich war die Anzahl der Kolporteure durch überwachende Gesetzesregelungen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts stark zurückgegangen61. Romane wurden seither über billige Reihenausgaben, in Zeitungsfortsetzungen oder als Lieferungen gelesen und verstärkt über die Bahnhofs- und Straßenkioske vertrieben. Auch wurden die Straßenverkäufer, die hier camelots hießen, außer zu Presseverkauf und Nachrichtenverbreitung bisweilen von der nationalen Rechten für Demonstrationen und Schlägereien angeheuert62. Wie Journalisten organisierten sich Autoren, Verleger und Buchhändler international: Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahmen Auslandsreisen von Buchhändlern zu, die nicht selten einen Teil ihrer Ausbildung
54 55 56 57 58 59 60 61 62
Siehe die Abbildung auf S. 13 in diesem Band. Charle 2004 [1054], S. 197–198. Requate 2009 [1030], S. 14. Für Frankreich siehe Thiesse 1984 [1201], S. 20–24. Faulstich 2004 [1013], S. 71. Kalifa 2001 [1190], S. 11. Ebd., S. 36. Barbier 1995 [1038], S. 171–174. Mollier 2004 [1063], S. 39–45; Kalifa 2001 [1190], S. 16–17, 27–28. So die camelots du roi der Action française. Mollier 2004 [1063], S. 63–70, 125–127, 144, 306–307.
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in Frankreich bzw. in Deutschland verbrachten. Die Leipziger Buchmesse zog jährlich ein europäisches Publikum an. Einige Buchhandlungen spezialisierten sich auf den Vertrieb fremdsprachiger Literatur und eröff neten Niederlassungen im Ausland, die zumeist von einem Familienmitglied geführt wurden63. Dazu gehörten in Paris unter anderem die deutschen Buchhändler Klincksieck, Reinwald, Vieweg sowie Hubert Welter, der sein Geschäft 1882 in der Rue Bonaparte eröffnete64. Als einzige Buchhandlung mit einem Angebot an überwiegend deutschsprachigen Büchern existierte in Paris bis 1914 Haar und Steinert in der Rue Jacob. Französische Literatur fand beim deutschen Publikum generell eine große Verbreitung: In der Zeit von 1700 bis 1950 wurden 56,7 % aller französischen Titel ins Deutsche übersetzt. Allein bis 1892 wurden z. B. Bücher von Émile Zola rund 100 000 Mal in Deutschland verkauft65. Über das Erstellen von Bibliografien französischer Titel wirkten die deutschen Buchhändler nach Deutschland zurück. Ein weiterer Transfer war das Drucken von Katalogen, eine deutsche Besonderheit, die in Frankreich aufgegriffen wurde66. 1886 einigten sich acht Länder, darunter Deutschland und Frankreich, mit der Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst auf ein internationales Urheberrecht. Der erste internationale Verleger-Kongress fand 1896 in Paris statt, der vierte 1901 in der Buchstadt Leipzig. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahm die politische Berichterstattung in Zeitungen und Zeitschriften weiter ab, während Unterhaltung, Sensationsmeldungen, Artikel und Reportagen über Verbrechen, Recht, Kultur und Sport zunahmen67. In Frankreich machten Kriminalfälle regelmäßig 10–12 %, manchmal ein Viertel oder ein Drittel des redaktionellen Teils der Tageszeitungen aus. Besonders ausführlich wurde ab der Jahrhundertwende über die sogenannten apaches berichtet, gewalttätige Jugendliche aus den Vororten, die von kleineren Delikten bis zu Raub, Schutzgelderpressung und Zuhälterei lebten68. Die Faszination für Verbrechen war auch in der deutschen Gesellschaft weit verbreitet und zahlreiche Geschichten zirkulierten international. In Berlin wurde die Bevölkerung über die Presse in die Verbrecherjagd miteinbezogen69. Intellektuelle und Journalisten in beiden Ländern zeigten sich kritisch und ablehnend gegenüber der Massenpresse, ihren sensationsheischenden Themen, der bildreichen Aufmachung und ihrer Kommerzialisierung. Unter dem Schlag-
63 Werner 1996 [1034]; Barbier 1995 [1038], S. 264–270; Kratz 1993 [1021], S. 154–155; Kratz 1992 [1020]. 64 Barbier 1995 [1038], S. 268–270; Kratz 1993 [1021], S. 165–172; Kratz 1992 [1020], S. 100, 106–108. 65 Hewitson 2003 [220], S. 24. 66 Kratz 1993 [1021], S. 155–158; Barbier 1992 [1006]. 67 Wilke 22008 [1035], S. 272. 68 Schmidt 2005 [1136]. 69 Müller 2015 [1045]; Müller 2005 [1044].
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wort der „Amerikanisierung“ wurde diese Entwicklung in beiden Ländern kritisiert70. In Frankreich wurde der Massenpresse jedoch trotz aller Kritik zugutegehalten, republikanisches Gedankengut in die Regionen zu tragen. Die ab der Jahrhundertwende zunehmende Häufung von Skandalen zeigte die erhöhte demokratische Mobilisierung der Gesellschaft sowie die wachsende Macht der Presse. Ganz wie die faits divers waren Skandale ein Produkt der Massenkultur und hatten eine politische und eine soziale Dimension: Das Aufdecken von Missständen und deren Inszenierung als Skandal waren Anlass zur Aushandlung von gesellschaft lichen und sozialen Normen, zu der die Medien die Erklärungen lieferten. In beiden Ländern entstand mit einer Kultur der Ereignisse ein neuer Erzählmodus, den die Presse bediente und von dem sie gleichzeitig profitierte71. Trotz unterschiedlicher politischer Systeme und Öffentlichkeitsstrukturen ähnelten sich die Skandalisierungen von Korruption und Verletzung von Verfassungsnormen durch die Presse in Deutschland und in Frankreich72. Der wachsende globale Informationsfluss vor allem durch die Kooperation der Nachrichtenagenturen ließ zwar eine zunehmende transnationale Kommunikation, aber keine eigentliche Europäisierung der Öffentlichkeit entstehen. Weltweit debattierte Ereignisse waren die Jagd auf den Prostituiertenmörder Jack the Ripper in London im Jahr 1888, der Burenkrieg 1899–1902 in Südafrika, das französische Grubenunglück in Courrières 190673, zu dem deutsche Bergarbeiter solidarisch eine Hilfstruppe schickten, oder der Untergang der Titanic 1912, der die weit verbreitete Technikgläubigkeit erschütterte. Trotz einer „transnationalen Trauer“ etwa bei Unglücken oder eines per se internationalen Ereignisses wie die Weltausstellungen wurden die Themen jeweils mit einer nationalen Perspektive und mit unterschiedlichen Deutungen aufbereitet74. In den Beiträgen zur Außenpolitik waren nationale Sichtweisen ohnehin tonangebend. Die Berichterstattung über das jeweils andere Land unterlag Konjunkturen, die innenpolitisch bestimmt waren. Während in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Aufmerksamkeit der deutschen Presse für Frankreich größer war als umgekehrt, setzte nach der Revolution von 1848 / 49 ein langsamer Wandel ein75. Auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägten die Nachrichtenagenturen die Inhalte der Auslandsberichterstattung. Die französische Agentur Havas (1832), Wolffs Telegraphisches Büro (1849) und die britische Agentur Reuters (1851) teilten sich in 70 Palmer 22014 [1064]; Delporte 2009 [1012], S. 46; Requate 2002 [1027]; Requate 1995 [1025], S. 368. 71 Vgl. Ambroise-Rendu 2009 [1051]; Requate 2009 [1030], S. 15; Ambroise-Rendu 2004 [1050], S. 15–18; Kalifa 2001 [1190], S. 35; Kalifa 1995 [1060]. 72 Schmidt-Gernig 2002 [1031]. 73 Hannig 2008 [1015]. 74 Hüser 2011 [1019], S. 24; Requate, Schulze Wessel 2002 [1028], S. 26. 75 Requate 1998 [1026], S. 82. Vgl. auch Wilke 22008 [1035], S. 302.
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geheimen Kartellverträgen, zu denen später die amerikanische Associated Press (1848) zustieß, die Zuständigkeit für die Regionen weltweit auf 76. Die Agenturen arbeiteten zumeist im Interesse der jeweiligen nationalen Regierung, die damit die Meldungen selbst ohne Zensur kontrollierten77. Eine unabhängige und vielseitige Berichterstattung über das andere Land war somit unmöglich, zumal kleinere Agenturen verdrängt wurden. Zudem zeigte sich in Krisenzeiten wie etwa beim französisch-englischen Aufeinandertreffen in Faschoda eine Abhängigkeit von Reuters, da die Agentur den Großteil des Telegrafennetzes und damit zugleich die Nachrichtenweitergabe kontrollierte78. Die Entsendung von Auslandskorrespondenten korrigierte in Teilen den offiziösen Nachrichtenaustausch, selbst wenn in diese Aufgabe eine patriotische Dimension hineininterpretiert wurde. Das „Berliner Tageblatt“ oder die „Frankfurter Zeitung“ entsandten erst um die Jahrhundertwende Korrespondenten nach Paris und lösten sich so „von der offiziösen Nachrichtenversorgung über das Wolffsche Telegraphenbüro“79 und der vielfach zur Schau getragenen Frankreich-Feindschaft80. Das Hauptaugenmerk in der Auslandsberichterstattung der Zeitungen im Kaiserreich galt Frankreich, gefolgt von Großbritannien und mit einigem Abstand Russland81. Über die französischen Korrespondenten im Kaiserreich ist nur wenig bekannt: Wie schon vor 1870 hatte beispielsweise „Le Temps“ einen eigenen Auslandskorrespondenten in Berlin82. Als Republikaner hatte Gustave de Coutouly ebenso wie Jean-Marie Gardet, der von Berlin aus für mehrere französische Zeitungen schrieb, in einem monarchistischen Umfeld einen schweren Stand. Gardet wurde wegen „staats- und reichsfeindlicher Tätigkeit“ ausgewiesen, hatte er doch Victor Tissot zahlreiche Informationen für dessen deutschlandkritisches Erfolgsbuch „Voyage au pays des milliards“ verschafft83. Zu einer Zusammenarbeit der Journalisten kam es im Rahmen der internationalen Journalistenkongresse. 15 Kongresse wurden zwischen 1894 und 1914 von der Fédération internationale de la presse organisiert, darunter 1900 ein Treffen in Paris und 1908 eines in Berlin. Die Fédération setzte sich beispielsweise für internationale Presseausweise ein, um Reisen ins Ausland zu erleichtern84. Daneben entstanden Vereine: 1883 in Paris etwa die Association syndicale de la presse étrangère oder 1906 in Berlin der Verein der ausländischen Presse, der dem Modell der 1888 in London entstan76 Zu den Agenturen siehe Barbier, Bertho-Lavenir 32014 [1007], S. 167–169; Barth 2014 [1009]; Palmer 22014 [1064]; Bösch 2011 [1011], S. 133–135. 77 Faulstich 2004 [1013], S. 59. 78 Requate, Schulze Wessel 2002 [1028], S. 27. Siehe auch Palmer 22014 [1064], S. 194–196; Geppert 2010 [1014], S. 217. 79 Hannig 2011 [1016], S. 48. 80 Zu den deutschen Auslandskorrespondenten siehe Hillerich 2018 [1017]. 81 Vgl. die Zahlen bei Hewitson 2003 [220], S. 7–11. 82 Requate 1998 [1026], S. 83; Hannig 2011 [1016], S. 46. 83 Tissot 1875 [43]. Siehe dazu Requate 1998 [1026], S. 83. 84 Feyel 22007 [1057], S. 132–133.
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denen Foreign Press Association nachempfunden war85. 1911 hatte er insgesamt 55 Mitglieder, darunter mit Journalisten von „Le Matin“ und „Le Figaro“ zwei Vertreter aus Frankreich86. In einer Umfrage in der „Revue Bleue“ 1902 wurden ausländische Journalisten zu ihrer Einschätzung der französischen Presse befragt. Von deutschsprachiger Seite äußerten sich etwa Theodor Wolff, Theodor Herzl und Leopold Sonnemann. Sie stellten das literarische Talent der französischen Journalisten positiv heraus, schätzten aber wie viele ihrer Kollegen das niedrige Anzeigengeschäft als rückständig ein87. Umgekehrt beobachteten die französischen Journalisten die Gängelung und Kontrolle ihrer deutschen Kollegen durch den Staat88.
Städtische und ländliche Lebensformen Städtische Lebensformen weisen um die Jahrhundertwende deutlicher in die Zukunft als zurück in die Vormoderne. In den architektonischen, planerischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen der Stadt spiegelte sich Moderne und wurde Moderne angelegt89. Durch den massiven Zuzug vor allem an Industriearbeitern und den daraus resultierenden Konsequenzen veränderten europäische Städte in der ersten Industrialisierung und dann erneut ab den 1880er-Jahren stark ihr Gesicht: Neue Formen des Wohnens, des Verkehrs, der Produktion und der Machtausübung entstanden90. Gleichzeitig traten die Städte selbst über Verkehrsinfrastruktur, Telegrafie, Handel und Kultur in eine gesteigerte Vernetzung mit der Region, der Provinz, dem Nationalstaat und anderen Metropolen weltweit. Nahwanderungen von Arbeitssuchenden und damit die Binnenmigration innerhalb einer Region oder eines Landes bewirkten die größte Bevölkerungsbewegung. Zumeist waren die Städte nicht die Endstation der Migrationen: Vielmehr wanderten die Arbeitssuchenden temporär in die dörflichen Herkunftsregionen zurück, was zu vielfältigen Problemen, aber auch zu einer starken Verzahnung von städtischem und ländlichem Erfahrungshorizont und zum Aufrechterhalten sozialer Beziehungen führte. Ermöglicht wurde die hohe Mobilität durch den stetigen Ausbau des Eisenbahnnetzes, das die Stadt mit dem Umland verband und Mobilität in beide Richtungen förderte91. In den Städten trafen unterschiedliche soziale Schichten, Berufsgruppen und Menschen verschiedener 85 86 87 88 89 90 91
Zu den Vereinen siehe Hillerich 2018 [1017], S. 57–90. Geppert 2010 [1014], S. 221. Hannig 2011 [1016], S. 47. Barbey-Say 1994 [1138], S. 319–321. Osterhammel 2009 [80], S. 463. Baubérot 2009 [1120], S. 10. Eine vergleichende Übersicht über die Entwicklung des Eisenbahnnetzes in Europa bei: Charle 2011 [1123], S. 255. Siehe auch Schott 2014 [1092], S. 294–303.
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regionaler und nationaler Herkunft aufeinander. Die Verhaltensweisen für die spezifischen Herausforderungen des städtischen Lebens mussten die vom Land Zugewanderten erst erlernen. Gleichzeitig überlebten Teile der dörflichen Lebenswelt in den einzelnen Stadtteilvierteln. Im Kaiserreich war die Entwicklung der Städte durch ihr oft mals unkontrolliertes Wachstum besonders extrem, da der Anstieg der Großstädte anders als in Frankreich durch Zuzug und zugleich durch Geburtenüberschuss bestimmt wurde. Dies sprengte in der Folge regelrecht die archaischen urbanen Strukturen, die noch zu Beginn der 1870er-Jahre geherrscht hatten92. Während 1871 rund 36 % der Gesamtbevölkerung des Kaiserreichs in der Stadt lebten, waren es 1910 mit 60 % weit über die Hälfte. In Frankreich stieg der Anteil von 25 % im Jahr 1871 auf 44 % im Jahr 1911. Hier lebte der Großteil der Bevölkerung vor dem Ersten Weltkrieg weiterhin auf dem Land93. Viele Städte waren mit dem rasanten Wachstum im Zuge der zweiten Industrialisierung und der damit einhergehenden Migrationsschübe überfordert. Zu den oft mals katastrophalen Lebensbedingungen kamen Umweltverschmutzung und Gesundheitsrisiken durch die Industriebetriebe. Die schlechten sanitären und unhygienischen Wohnverhältnisse und die daraus resultierenden Krankheiten wie Cholera, Typhus oder Tuberkulose sowie die hohe Sterblichkeit hatten vehemente Kritik von Medizinern, Stadtplanern, Wissenschaft lern und Politikern an den Städten zur Folge. Sachliche Diskussionen um Stadtplanung und Wohnungsbau mischten sich dabei mit erhitzten moralischen Diskursen, die sich in erster Linie aus Zivilisationskritik und aus einer antiurbanen Ideologie speisten94. Ausgehend von Statistiken, die eine erhöhte Krankheits- und Sterblichkeitsrate vor allem bei Säuglingen und Kindern in den Städten belegten, sowie vor dem Hintergrund von Epidemien erlebten die bereits in den 1840er-Jahren diskutierten Themen wie Städtebau- und Wohnreformen eine erneute Konjunktur. Das aufkommende Expertentum in den verschiedenen mit Stadtplanung verbundenen Bereichen vertrat die Vorstellung, mit Fachwissen unmittelbar auf die Gesellschaft einwirken und damit soziale Prozesse kontrolliert gestalten zu können95. 92 Mity 2009 [1106], S. 262. Zur Stadtentwicklung im 19. Jahrhundert und zum Forschungsstand siehe für Deutschland z. B. Lenger 22014 [1081]; Umbach 2009 [1116]; auf Französisch: Piétri, Michel, Buffet 1992 [1110]. Für Frankreich: Frioux 2009 [1126]; Agulhon, Duby 21998 [1117]; Ragon 1991 [1135]. Deutschfranzösisch und international z. B. Schott 2014 [1092]; Lenger 22014 [1081]; Pinol, Walter 2012 [1083]; Osterhammel 2009 [80], S. 356–464; Lees, Lees 2007 [1080]. 93 Bullock, Read 1985 [1068], S. 281; Sutcliffe 1981 [1093], S. 13, 27, 136. 94 Zur Stadtfeindlichkeit („Urbaphobie“) siehe Baubérot, Bourillon 2009 [1118]; Marchand, Salomon Cavin 2010 [1132]; Marchand 2009 [1133]; Lees 1985 [1079]; Bergmann 1970 [1097]. Zum Agrarismus siehe Caron, Chavaud 2005 [1068]. 95 Wagner 2016 [1095], S. 17–18.
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Wie die Urbanisierung und ihre Folgen waren die Diskussionen darüber ein europäisches und weltweites Phänomen96. Im Kaiserreich wurden sie aufgrund der ausgeprägten Verstädterung und des raschen demografischen Anstiegs obsessiver geführt und waren stärker sozialbiologisch aufgeladen als zeitgleich in Frankreich oder England97. Europäische Stadtkritiker unterschiedlicher politischer Couleur prophezeiten eine Degenerierung und Schädigung der Rasse, des „Volkskörpers“ und des Nationalcharakters mit Auswirkungen auf die Wehrfähigkeit und damit auf die Position einer Nation im globalen Machtgefüge. Eine zentrale Rolle bei diesen Einschätzungen kam der Demografie zu, die sich in ihrer konstituierenden Phase der Verwissenschaft lichung befand98. Desgleichen wurden Moral, Werte und Zugehörigkeit zur Gemeinschaft aus Sicht der Kritiker durch das Stadtleben pervertiert. Diskussionen über Kriminalität, Obdachlosigkeit, Prostitution und die Gefahren des Nachtlebens nahmen ab den 1880er-Jahren in Paris, Berlin sowie London zu, wobei oft mals mit Verweis auf Statistiken und Maßnahmen in den anderen Hauptstädten argumentiert wurde. Als wissenschaftliche Disziplin entstand die kriminologische Anthropologie, zu der von 1885 bis 1914 sieben internationale Kongresse organisiert wurden99. Trotz ihrer Anziehungskraft als Kulturmetropole zog insbesondere Paris deutsche Kritik auf sich, die neben Antiurbanisten und kirchlichen Vertretern von Intellektuellen wie dem Schriftsteller österreichischer Herkunft Max Nordau in seinem Buch „Entartung und Genie“ geäußert wurde100. Umgekehrt zeichneten französischsprachige Schriftsteller und Journalisten wie Victor Tissot, Apollinaire, Romain Rolland und viele andere ein negatives Bild von Berlin101. Im Gegensatz zur Stadt wurde das Dorf zur heilen Welt verklärt, in der glückliche Menschen aufgehoben in einer intakten Gemeinschaft, ohne Zeitdruck oder Umweltverschmutzung ein gesundes Leben führen könnten. Viele Städte und Städter wehrten sich gegen diese Kritik, die sie als Diffamierung empfanden102. Das Stadtleben war attraktiv, weil es Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben versprach, Arbeit, ein reichhaltiges Freizeitangebot sowie möglicherweise einen sozialen Aufstieg bot. Das galt insbesondere für Frauen, denen 96 Pinol, Walter 22012 [1083]; Baubérot, Bourillon 2009 [1118]; Lees, Lees 2007 [1080]; Lees 1985 [1079]. 97 Lenger 22014 [1081], S. 234; Pinol, Walter 22012 [1083], S. 165–167; Charle 2001 [376], S. 45; Kaelble 1991 [1219], S. 35. Zur Demografie siehe auch Krassnitzer, Overath 2007 [1078]. 98 Hartmann 2011 [1076]. 99 Prochasson 1991 [1196], S. 227. 100 Nordau 1894 [37]. Siehe dazu Charle 1998 [1142], S. 8, 21. Zur literarischen Wahrnehmung siehe zudem Dugast 22011 [1151], S. 38–45. 101 Dugast 22011 [1151], S. 38–39, 48–49, 164–165. 102 Schott 2014 [1091], S. 85–86; Lees, Lees 2007 [1080], S. 206; Schlör 1991 [1089], S. 87; Lees 1985 [1079], S. 190–218.
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der städtische Raum große Bewegungsfreiheit ermöglichte, selbst wenn diese abends und nachts eingeschränkt blieb103. Die tatsächliche Lebenssituation in den Großstädten ab der Jahrhundertwende war insgesamt besser, als sich aus den meisten publizistischen, literarischen und künstlerischen Darstellungen schließen lässt104. Zudem war mit dem Wegfall des typisch ländlichen Handwerks ein autonomes Überleben im Dorf schlicht gar nicht mehr möglich. In Deutschland beherrschte in der Folge von Untersuchungen wie denen des einflussreichen Vereins für Socialpolitik (1872) die Wohnungsfrage und hier insbesondere die Verelendung der Arbeitersiedlungen in den Ballungsgebieten die Diskussion. Sie wurde besonders eng im Zusammenhang mit politischen Fragen der sozialen Organisation und der nationalen Macht geführt105. Um 1900 waren die kulturkritischen Diskurse relativ konfus, was sich sowohl bei seriösen Wissenschaft lern egal welcher politischen Orientierung als auch bei populistisch simplifizierenden Agitatoren zeigte106. Eine wichtige Rolle spielte die aufkommende Soziologie und die durch Nietzsche beeinflussten stadtkritischen Schriften von Ferdinand Tönnies, Werner Sombart und Georg Simmel, die früh übersetzt in Frankreich und anderen Ländern rezipiert wurden. In Frankreich war die entstehende Soziologie um Émile Durkheim, der einen Teil seiner Ausbildung in Leipzig verbracht hatte, zwar einflussreich, die Stadtsoziologie jedoch vor dem Ersten Weltkrieg eher nachgeordnet107. Hier sahen die Schüler von Frédéric Le Play sowie Demografen und Stadtplaner die Verstädterung und ihre Auswirkung vor allem im Lichte der stagnierenden Geburtenrate. Insbesondere aus militärischer Sicht wurden die im Vergleich zu Deutschland niedrige Anzahl der Geburten in Frankreich und der Gesundheitszustand der Bevölkerung als nationales Problem gesehen. Dahinter stand die Sorge, es entstehe eine physisch schwache und nicht abwehrbereite Nation108. Flankiert von familienfreundlichen Maßnahmen sollten in den Städten hygienische Wohnungen für Arbeiter gebaut werden, um diese anzuregen, Kinder zu bekommen, die gleichzeitig bessere Überlebenschancen haben sollten. Darüber hinaus waren die Bemühungen der französischen Wohnreformer stärker als im Kaiserreich auf die ländliche Wohnsituation gerichtet, sollten doch aufgrund der stark rückläufigen Landbevölkerung traditionelle rurale Strukturen gestärkt werden109. Die Diskussionen um die Urbanisierung kreisten in Frankreich aufgrund der politischen, administrativen und kulturellen Zentralisierung fast ausschließlich um Paris. Die Hauptstadt hatte zur Jahrhundertwende bereits eine umfang103 104 105 106 107 108 109
Lenger 22014 [1081], S. 247–250; Schlör 1991 [1089], S. 12, 165–175. Schott 2014 [1091], S. 74. Cluet 2010 [1100], S. 50; Lees 1985 [1079], S. 143. Merlio 2010 [1179], S. 29. Lenger 22014 [1081], S. 239. Horne 2004 [1131], S. 298–299. Bullock, Read 1985 [1068], S. 282.
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reiche Modernisierung nach den Vorstellungen des Präfekten Georges-Eugène Haussmann ab 1853 vollzogen. Trotz Kritik von verschiedenen Seiten wurden insbesondere die großen Boulevards zum Vorbild für die rasch wachsenden Städte in Deutschland wie auch in anderen europäischen Ländern bis hin zu Südamerika110. Doch war rund um die Stadtmauern durch den starken Zuzug an französischen und ausländischen Arbeitskräften la zone mit den teilweise katastrophalen Lebensbedingungen der banlieue entstanden, die nicht zum imaginierten Mythos der ville lumière passen wollte. Im Pariser Bürgertum wurde der beißende Geruch, der in der Zeit vor der Einführung der Abwasserkanalisation vor allem in den heißen Sommermonaten aus den Proletariergegenden aufstieg, als Zeichen der drohenden Degenerierung angesehen. Krankheitsübertragung, so die Überzeugung, erfolge über üble Gerüche, sogenannte „Miasmen“111. Die Schriften von Hygienikern waren bisweilen rassistisch aufgeladen. Eugenische Ansätze für die Stadtplanung fanden in Frankreich jedoch kaum Publikum. Neodarwinistische Schriften aus Deutschland wie z. B. die von August Weismann, Biologe und Ordinarius für Zoologie an der Albert-Ludwig-Universität in Freiburg, wurden wenig rezipiert. Umgekehrt trafen die Publikationen des militanten Sozialisten und Eugenikers Georges Vacher de Lapouge in Deutschland auf größere Beachtung als in Frankreich112. Zugleich gab es Kontakte zwischen deutschen und französischen Eugenikern durch gegenseitige Besuche, beim ersten Internationalen Kongress der Eugeniker 1912 in London sowie bei den Treffen des in der Folge eingerichteten Permanent International Eugenics Committee. In Frankreich hatten eugenische Überlegungen eine spezifische Ausprägung und waren aufgrund der stagnierenden Demografie auf Maßnahmen zur Steigerung der Geburtenrate bei „eugenisch hochwertigen“ Paaren ausgerichtet113. Ausgeprägt war die Stadtkritik bei Teilen der französischen Katholiken, denn Städte – insbesondere Paris – wurden nicht nur als Zeichen für den Schrecken der Revolutionen, sondern auch als Orte des Unglaubens und als Katalysator für die Loslösung vom religiösen Glauben angesehen114. Die Stadtkritik von Teilen der deutschen Katholiken setzte im Vergleich dazu erst später ein. Sie richtete sich ebenso gegen Paris und gegen die Verlockungen der französischen Hauptstadt für deutsche Arbeiter115. Die Skepsis gegenüber der Stadt wurde jedoch in der Folge zugunsten einer Anpassung des seelsorgerischen Angebots aufgegeben. Nicht immer bestand die vorgeschlagene Lösung der Stadtkritiker darin, Städte zugunsten eines Landlebens defi nitiv zu verlassen. Vielfach wurde Schott 2014 [1091], S. 76; Lenger 22014 [1081], S. 28; Schott 2009 [1090], S. 205, 212–214. 111 Corbin 1984 [1124], S. 291–292. 112 Mity 2009 [1106], S. 272. 113 Kühl 22014 [698], S. 34, 45–47, 49. 114 Baubérot 2009 [1120], S. 11. 115 Colonge 2009 [1101], S. 51. 110
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ein kurzer Aufenthalt auf dem Land als ausreichend angesehen, um wieder Kräfte für das Stadtleben zu tanken. Das zeigte sich etwa an den colonies de vacances, die am Ende des 19. Jahrhunderts zur Erholung für Stadtkinder eingeführt wurden, oder an den Landerziehungsheimen, die sich um die Jahrhundertwende in ganz Europa nach englischem Vorbild ausbreiteten. Bis 1914 durchliefen Städteplanung und Wohnungsbau grundlegende Reformen, in Deutschland aufgrund der stärkeren Urbanisierung bereits in den 1880er-Jahren, in Frankreich etwas später. Dabei bildeten die Stadtplaner eine internationale Gemeinschaft, die vor dem Ersten Weltkrieg durch Gedankenund Erfahrungsaustausch mit dem Ziel eines gesellschaft lichen Fortschritts nationale Rivalitäten überwinden wollte116. Insbesondere im Bereich von Architektur, Planung von Verkehrswegen und Grünanlagen sowie Hygienemaßnahmen – etwa bei der Häusersanierung und der Abwasserkanalisation – kam es zu Austausch und Transfer auf internationalen Kongressen117, durch Studienaufenthalte und Städtereisen der verschiedenen Akteure, länderübergreifende Forschungsprojekte, Publikationen in Fachzeitschriften118, Ausstellungen sowie durch die Gründung internationaler Verbände119. Persönliche, informelle und institutionelle Kontakte überlagerten sich dabei auf vielfältige Weise und für verschiedene Themen. Internationale Treff punkte für Architekten stellten darüber hinaus die Weltausstellungen dar. 1900 wurde parallel zur Ausstellung ein internationaler Architektenkongress abgehalten, auf dem zum ersten Mal offiziell Hausbaureformen thematisiert wurden120. Auf nationalen Kongressen wiesen Architekten und Städteplaner in Vorträgen auf Problemlagen und Lösungsansätze in anderen europäischen Ländern hin. Die Städtebauausstellung 1910 in Berlin, auf der die Vorschläge für den Wettbewerb „Groß-Berlin“ vorgestellt wurden, traf auf ein großes internationales Echo und war Vorbild für den 1919 ausgeschriebenen Wettbewerb „Grand Paris“. Der französische Architekt Léon Jaussely erhielt in Berlin den zweiten Preis121. Gerade bei den beiden Hauptstädten ist eine „intensive gegenseitige Beob116
117
Wagner 2016 [1095], S. 12–14; Schott 2014 [1092], S. 320–322, 322; Schott 2014 [1091], S. 87–88; Pinol, Walter 22012 [1083], S. 152–159; Frioux 2009 [1126]; Roth 2009 [1085], S. 7, 19; Schott 2009 [1090]; Mengin 1997 [1082]; Sutcliffe 1981 [1093], S. 163–201.
Eine Übersicht nationaler und internationaler Kongresse ab 1900 im Bereich Hygiene bei Frioux 2015 [1127], S. 47; Frioux 2009 [1126], S. 575; ab 1905 bei Dumont 1991 [1125], S. 187–188. Zur großen Anzahl an französischen Teilnehmern bei den Medizin- und Hygiene-Kongressen in Berlin 1891 und 1907 siehe Barbey-Say 1994 [1138], S. 156. 118 Einige Titel genannt bei Frioux 2015 [1127], S. 49–50. 119 Wagner 2016 [1095], S. 19; Saunier 2004 [1087]; Bullock, Read 1985 [1068], S. 347, 350; Corbin 1984 [1124], S. 295.] 120 Bullock, Read 1985 [1068], S. 389, 393. Siehe auch Schott 2009 [1090], S. 207; Sutcliffe 1981 [1093], S. 165. 121 Cohen, Frank 2013 [1072], S. 64; Jaquand 2013 [1103].
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achtung“122 und zugleich eine „fundamentale Absetzung voneinander“123 zu beobachten, die freilich schon auf die Zeit der Pariser Umgestaltung durch Haussmann zurückgeht. Dies zeigte sich auf verschiedenen Ebenen, repräsentierten die Hauptstädte doch den Nationalstaat und waren zugleich Zentren imperialer Politik und Wirtschaft sowie Mittelpunkt des kulturellen und geistigen Lebens. Sie gerieten in einen regelrechten Wettbewerb um Modernität und Fortschrittlichkeit, der neben dem populären Freizeit- und Unterhaltungsangebot Universitäten und Forschung sowie Technik und Beleuchtung miteinschloss124. Während Paris in dieser Position frankreichweit unangefochten war, stand Berlin gleichzeitig in Konkurrenz zu Städten wie München und Wien. In gleicher Weise tauschten sich Mediziner und Bakteriologen auf internationalen Kongressen und in Publikationen aus. Dabei traten Konkurrenzdenken und nationale Rivalitäten in diesen politisch und kolonial relevanten Wissensbereichen deutlich zutage, wie etwa die Kontroverse zwischen den beiden Bakteriologen Robert Koch und Louis Pasteur zeigte. Pasteur hatte am 18. Januar 1871 – dem Tag der Proklamation des Deutschen Kaiserreichs in Versailles – die ihm verliehene Ehrendoktorwürde an die Universität Bonn zurückgegeben. Anders dagegen sein Kollege und Mitarbeiter Émile Roux, der 1894 die Auszeichnung der Ehrenlegion nur annehmen wollte, wenn sein deutscher Kollege Emil von Behring, auf dessen Arbeiten er sich teilweise berief, dieselbe Auszeichnung erhalten würde125. In ihren Schriften nahmen deutsche und französische Theoretiker auf die Straßen- und Stadtplanung im anderen Land Bezug, wobei englische Schriften eine mindestens genauso wichtige Rolle spielten. Bereits 1874 wurden die Publikationen des deutschen Sozialreformers und Reichstagsabgeordneten Hermann Schulze-Delitzsch über solidarische Baugenossenschaften und Spar- und Konsumvereine ins Französische übersetzt. Das Musée social, anders, als der Name es nahelegt ein Forschungsinstitut mit Bibliothek und einer der wichtigsten Akteure im Bereich der Sozialreformen in Frankreich, regte in den Jahren 1896 und 1897 Studienreisen nach Deutschland und Italien an, um die dortigen Kreditgenossenschaften kennenzulernen. Besonders beeindruckt zeigten sich die französischen Stadtplaner von der deutschen Bodenreform126. Die Gemeinden des Département de la Seine folgten 1912 bei der Bodeneinteilung dem Beispiel der Stadt Frankfurt127. Das Musée social unterhielt ein internationales Korres122 Cohen, Frank 2013 [1073], S. XXVII. Siehe auch Cohen, Frank 2013 [1072]. 123 Freigang 2013 [1074], S. 57. 124 Lange 2015 [1161], S. 14, 19, 40, 119–121, 141–143, 181–184; Charle 2009 [1145], S. 16, 20, 22; Charle 1998 [1142]; Schlör 1991 [1089], S. 109. 125 Köhler 2008 [1220], S. 130. Vgl. Prochasson 1991 [1196], S. 234–235. 126 Bullock, Read 1985 [1068], S. 362, 364–365, 368–369. 127 Vonau 2014 [1094], S. 78.
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pondentennetz: Aus Deutschland schickte Tonio Bödiker, Präsident des Reichsversicherungsamtes regelmäßig Listen mit Neuerscheinungen und Statistiken zur Sozialpolitik nach Frankreich128. Ab der Jahrhundertwende wurden deutsche Städte international zum Vorbild für umsichtige Stadtplanung, wobei die Städtebautheorien von Josef Stübben oder dem Österreicher Camillo Sitte hauptsächlich in angelsächsischen Ländern und nachgeordnet in Frankreich rezipiert wurden129. Für die französischen Stadtplaner war England vor 1914 der Hauptbezugspunkt. So führten in der Zeit von 1896 und 1914 insgesamt 32 Enquête-Reisen zum Thema Hygiene im Auft rag französischer Städte nach England, sechs gingen im gleichen Zeitraum nach Deutschland, das damit an zweiter Stelle stand130. Französische Architekten gelangten nach der Jahrhundertwende vor allem wegen ihres sehr guten Abschneidens bei internationalen Architekturwettbewerben zu Weltruhm und verhalfen damit der École des Beaux-Arts zu internationalem Ansehen131. Neben Kooperations- und Austauschwillen gab es Kritik und Ablehnung des Architekturstils des jeweils anderen Landes. Nationalistische Architekten in beiden Ländern mahnten die Absetzung von fremden Baustilen und eine Bewahrung eigener nationaler und regionaler Traditionen an. So wurden in Frankreich die deutschen Erweiterungspläne und Architekturvorhaben in Elsass-Lothringen vor allem in Straßburg und Metz kritisiert132. Umgekehrt trafen die Pariser Boulevards auf Ablehnung bei den deutschen Architekten und Stadtplanern, die sich für den Erhalt mittelalterlicher Gassen einsetzten. Während in Frankreich und Großbritannien die Anzahl der Publikationen über Städte in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zurückging, stieg sie in Deutschland weiterhin an133. Ab den 1890er-Jahren bildeten sich vielfältige Reformbewegungen, die mit dem Oberbegriff „kultur- und lebensreformerische Bewegungen“ bezeichnet werden134. Darin äußerte sich ein breites Spektrum an zivilisationskritischen Einstellungen, die unterschiedliche weltanschauliche Standpunkte und Lösungsansätze umfassten135. Zivilisationskritik und Sehnsucht nach Natur zogen sich durch alle gesellschaft lichen 128 Horne 2004 [1131], S. 178, 183. 129 Schott 2014 [1091], S. 85; Osterhammel 2009 [80], S. 461; Schott 2009 [1090], S. 213; Horne 2004 [1131], S. 348; Ragon 1991 [1135], S. 318–323; Bullock, Read 1985 [1068], S. 275; Sutcliffe 1981 [1093], S. 8, 9, 126, 189–194. 130 Frioux 2015 [1127], S. 51, 54; Frioux 2009 [1126], S. 203. Zu den Reisen und den besuchten Städten siehe ebd., S. 199–215 sowie Barbey-Say 1994 [1138], S. 161. 131 Sutcliffe 1981 [1093], S. 154–155. 132 Cohen, Frank 2013 [1073], S. XXIV. Siehe auch Kapitel I.2 „Provinces perdues: das Reichsland Elsass-Lothringen“. 133 Lees 1985 [1079], S. 12. 134 Zu diesen Bewegungen siehe Fritzen 2006 [1102]; Rohkrämer 1999 [1113], insbes. S. 117–140; Kerbs, Reulecke 1998 [1105]. 135 Fritzen 2006 [1102], S. 11, 32; Rohkrämer 1999 [1113], S. 30–34; Reulecke 1985 [1112], S. 142–143.
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Schichten, waren jedoch besonders in protestantischen und bildungsbürgerlichen Kreisen präsent. Während in den lebensreformerischen Bewegungen lange Zeit ein Zeichen für eine deutsche reaktionäre Fortschritts- und Modernefeindlichkeit und mithin ein Beispiel für den deutschen Sonderweg gesehen wurde, betont die neuere Forschung, dass diese Bewegungen nicht pauschal antimodern und technikkritisch waren. Vielmehr ging es ihnen darum, unter Hinzuziehung von Technik und Industrie andere Antworten auf die als belastend empfundene Situation zu finden, um eine positivere Moderne zu verwirklichen. Die größten Reformbewegungen im Kaiserreich machten die Heimatbewegungen aus136. Sie waren getragen vom Wunsch, das ländliche Leben vor den Einflüssen der Großstadt zu schützen. In Teilen entsprachen sie der überall um die Jahrhundertwende in Europa einsetzenden sprachlichen, künstlerischen und historischen Besinnung auf Heimat, regionale Bezüge und Identitäten137. Während der 1896 gegründete Ausschuss für Wohlfahrts- und Heimatpflege sich für eine Verbesserung der Lebensumstände auf dem Lande einsetzte, um der Landflucht entgegenzuwirken, formierte sich mit der Heimatkunst zur selben Zeit eine Bewegung, die auf die literarische Entdeckung der Heimat zielte. Sie stellte sich außerdem gegen die Dekadenz und den Zeitgeist des Fin de Siècle, womit sie zeitgleich in Frankreich und anderen europäischen Ländern auftretenden literarischen und künstlerischen Strömungen glich138. Die Heimatschutzbewegung, zusammengefasst ab 1904 im Bund Heimatschutz, zielte auf den Erhalt historischer, vor allem bürgerlicher Baudenkmäler, der heimischen Pflanzen- und Tierwelt sowie auf eine „nationale Erneuerung“ der bürgerlichen nationalen und regionalen Architektur. Auch hierbei handelte es sich um ein europäisches Phänomen: So gab es mit der Société pour la protection des paysages de France jenseits des Rheins seit 1901 ein Pendant mit „evidenten nationalistischen Akzenten“139 sowie weitere Vereine in England, der Schweiz und anderen Ländern. 1909 trafen sich die Heimatschutzvereine zu einem internationalen Kongress in Paris, 1912 erneut in Stuttgart140. Im Unterschied zu den anderen Ländern waren Teile der deutschen Natur- und Heimatschutzbewegung völkisch-nationalistisch geprägt, was sich nach dem Ersten Weltkrieg weiter intensivierte: Nicht irgendeine, sondern gezielt die deutsche Natur sollte
136 Zu den Heimatbewegungen siehe Umbach 2009 [1116], S. 64–67; Oberkrome 2004 [1109]; Rohkrämer 1999 [1113], S. 127–140; Bergmann 1970 [1097], S. 88–135. 137 Vgl. dazu Kapitel II.1 „Elsass-Lothringen zwischen Deutschland und Frankreich“. 138 Charle 2011 [1123], S. 313–318; Dugast 22011 [1151], S. 38–45, 160–173; Yon 2010 [1204], S. 226–230; Charle 1996 [1141], S. 160–165; Bergmann 1970 [1097], S. 102. 139 Horne 2004 [1131], S. 291. 140 Schlimm 2015 [1088]; Schmoll 2014 [1114], S. 53; Bergmann 1970 [1097], S. 121– 135.
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geschützt werden, um dem deutschen Volk als Erholungsraum zu dienen141. Die Bewegung war insgesamt jedoch facettenreich und speiste sich vor 1914 aus höchst unterschiedlichen Weltanschauungen, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass Linke wie Karl Liebknecht ebenso als Naturschützer auft raten. Ab der Jahrhundertwende gewann die Gartenstadtbewegung europaweit an Bedeutung. Sie war zunächst in England durch die Schriften von Ebenezer Howard entstanden, der sich wiederum unter anderem auf Charles Fourier bezog142. Im Kaiserreich war die Bewegung Sammelbecken für viele romantisierende Erneuerungsbewegungen. Sie teilte sich in einen sozialistisch-reformerischen und einen völkisch-nationalistischen Flügel, der sich auf die antisemitischen Schriften des Publizisten und Verlegers Theodor Fritsch berief. Zu den umfassenden Zielen der Gartenstadtbewegung gehörten neben einer Reform von Lebensweise, Kleidung, Wohnung und Nahrung die „zeitgemäße Erweiterung der Frauenrechte“143. Die Bewegung war stark antikapitalistisch eingestellt und wollte kleinere Siedlungen umgeben von Natur bauen, um ein gesünderes und humaneres Wohnen in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Die Schriften der englischen Theoretiker der Garden-City sowie die Gartenstädte in Deutschland zirkulierten in Frankreich im Umfeld des Musée social und der Société française des habitations à bon marché (Gesellschaft für sozialen Wohnungsbau)144. Zwar gab es mit der Association des cités-jardins de France (1903) einen eigenen Gartenstadt-Verein, quantitativ und in der Wirkung erreichte dieser aber vor dem Ersten Weltkrieg nicht die Ausmaße der Deutschen Gartenstadtgesellschaft (1902)145. Deutschland und Frankreich adaptierten jeweils eigene Modelle von Gartenstädten. Im Kaiserreich wurden ab 1905 mehrere Gartenstädte gebaut, die von französischen Reformern besichtigt und kritisiert wurden146. In Frankreich kam es erst nach dem Ersten Weltkrieg zur praktischen Umsetzung der Modelle. Aus der Gartenstadtbewegung ging 1913 die International Federation of Housing and Town Planning hervor, die länderübergreifende Expertenbeziehungen der Stadtplaner organisierte147. Das Spektrum der Bewegungen, die ländliche und natürliche Lebensformen verklärten, schloss Naturschutz-, Umwelt-, Freikörperkultur-, Ernährungsreform- und Antialkoholbewegungen ein. Zu ihnen gehörten die Naturheilvereine, in denen militante Vegetarier und Ernährungsreformer agierten, die über 141 Schmoll 2014 [1114], S. 48, 54, 66. 142 Schott 2014 [1092], S. 316–320; Neau 2013 [1108]; Pinol, Walter 22012 [1083], S. 195–197, 305–306; Guerrand 1992 [1075], S. 53–69. 143 Bergmann 1970 [1097], S. 153. 144 Vonau 2014 [1094]; Jonas 1991 [1104]. 145 Vonau 2014 [1094], S. 44, 47, 86; Guelton 2009 [1128]. Vgl. auch Cohen, Frank 2013 [1072], S. 63–64; Horne 2004 [1131], S. 282–284; Guerrand 1992 [1075], S. 66–69; Sutcliffe 1981 [1093], S. 144–145, 149, 168–169. 146 Vonau 2014 [1094], S. 75, 110, 118. 147 Wagner 2016 [1095], S. 24.
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Gesundheitsprodukte und Reformhäuser eine eigene Warenwelt schufen. Dachverband in Deutschland war der Deutsche Bund der Vereine für naturgemäße Lebens- und Heilweise. Ihm gehörten 1913 rund 148 000 Personen an, die in 885 Gruppen organisiert waren. Der geografische Schwerpunkt lag in Sachsen und in den norddeutschen Städten148. In Frankreich wurden ebenfalls zahlreiche Vereine dieser Art gegründet, die aber nicht denselben Zulauf erreichten, so etwa 1899 die Société végétarienne in Paris. Aufgrund der wesentlich größeren Bewegung blickten die französischen Naturistes nach Deutschland: In ihren Zeitschriften wiesen sie auf die verschiedenen Natureinrichtungen und Sanatorien und deren Heilpraktiken im Nachbarland hin. Werbeanzeigen informierten über das Angebot an Kuraufenthalten in Deutschland sowie in Großbritannien, Holland und der Schweiz149. Ebenso fanden die Schriften von Sebastian Kneipp und die daraus entstehende Kneipp-Bewegung mit ihren Kurzentren internationale Verbreitung, wobei die Kneippzentren und Bäder in Elsass-Lothringen und im übrigen Reich auch französische Gäste anzogen150. Inhaltlicher Grundbestandteil der meisten Reformbewegungen der Jahrhundertwende im Deutschen Kaiserreich war die Verehrung der Jugend als Zeichen für Erneuerung und Neuanfang151. Die Jugendbewegung des Kaiserreichs war vielschichtig und von unterschiedlichen reformerischen Weltanschauungen geprägt. Ihre Ursprünge lagen in der Ablehnung des schulischen Drills, des familiären Drucks und der wilhelminischen Engstirnigkeit einerseits, sowie im Denken jener Epoche, dem Glauben an den Lebenselan eines Landes in voller wirtschaft licher Expansion und demografischer Entwicklung andererseits. Die Jugendbewegung war stark von den damaligen Schulreformern und deren Schriften beeinflusst, so z. B. von Gustav Wyneken sowie von Julius Langbehn und dessen wirr-diff usem Roman „Rembrandt als Erzieher“152. Darin kritisierte er unter anderem Berlin als kulturellen Moloch und sehnte eine völkisch-künstlerische Erneuerung durch Rembrandt herbei153. Für einen Ideentransfer im Bereich der Reformpädagogik sorgten international ausgerichtete Zeitschriften wie die „Revue internationale de l’enseignement“ oder Organisationen wie die Internationale Pädagogische Vereinigung, die rund 900 Mitglieder versammelte,
148 Baubérot 2009 [1119], S. 247; Fritzen 2006 [1102], S. 39; Stollberg 1988 [1115], S. 289. 149 Baubérot 2009 [1119], S. 248. 150 Mombert 2013 [1107]. Vgl. Barbey-Say 1994 [1138], S. 126–128. 151 Reulecke 2014 [1248], S. 28; Humbert-Knitel 2007 [1241], S. 594. Zur deutschen Jugendbewegung siehe außerdem Herrmann 2006 [1240]; Rohkrämer 1999 [1113], S. 141–156. Auf Französisch Krebs 2015 [1242]; Cluet, Mombert 2009 [1237]; Cluet 2003 [1236]. 152 Langbehn 1890 [29]. 153 Krebs 2015 [1242], S. 27–30, 114–121; Schott 2014 [1091], S. 84; Niemeyer 2013 [1245], S. 99–107; Merlio 2010 [1179], S. 44–47.
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davon 500 aus Frankreich154. Friedrich Nietzsche und stärker noch der Antisemit Paul de Lagarde beeinflussten mit ihren Schriften Teile der Jugendbewegung, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg Tendenzen zu nationalistischantisemitischem Denken aufwiesen155. Ebenso zeigten sich Körperkult und Hygienegedanken der Lebensreformer in der Jugendbewegung, die sich zur Alkoholabstinenz verpflichtete. Als Gegenfest zu den 1913 stattfindenden Erinnerungen an den Sieg gegen Napoleon 1813 in der Völkerschlacht bei Leipzig organisierte die Freideutsche Jugend ein Treffen auf dem Hohen Meißner bei Kassel. Rund 2000 Jugendliche kamen zusammen, darunter viele junge Frauen, um für die freie Gestaltung eines selbstbestimmten, wahrhaften Lebens einzutreten. Eine der größten Gruppen der Jugendbewegung mit Naturbezug waren mit rund 25 000 Mitgliedern die Wandervögel, zu denen überwiegend Gymnasiasten und Studenten aus bildungsbürgerlichen Schichten zählten156. Dabei handelte es sich um ein einzigartiges Phänomen in der europäischen Jugendund Kulturgeschichte vor 1914157. Zugleich entstanden in fast allen europäischen Ländern Pfadfindervereine nach englischem Modell, die mit einer paramilitärischen Ausbildung ähnliche Ziele verfolgten; in Frankreich waren es 1914 rund 110 Vereine mit 3000 Mitgliedern158. Französische Zeitgenossen wie der Germanist und spätere Botschafter in Berlin André François-Poncet und der Schriftsteller und Reporter Georges Bourdon haben sich mit der deutschen Jugend auseinandergesetzt. François-Poncet warnte in seiner auch als Buch erschienenen Artikelserie „Ce que je pense de la jeunesse allemande“ im Zusammenhang mit der Aufstockung des Heeres in Deutschland vor einer Kriegsgefahr, da die deutschen Jugendlichen zwar nicht von Natur aus militaristisch seien, aber durch preußische Erziehung zu Militaristen gemacht würden159. Bourdon berichtete in seinem ebenfalls 1913 publizierten Buch seinerseits nach einer Deutschlandreise überwiegend positiv über den Nachbarn jenseits des Rheins160. Die gegenseitige Wahrnehmung der Jugend ist bislang nicht vertiefend erforscht.
154 Alexandre 2007 [1205], S. 95. 155 Krebs 2015 [1242], S. 26–27; Niemeyer 2013 [1245], S. 86–118. Dort auch einleitend zur Forschungskontroverse um die Jugendbewegung. 156 Krebs 2015 [1242], S. 87–88; Genton 2003 [1239]. 157 Krebs 2015 [1242], S. 8, 73–75; Reulecke 2014 [1248], S. 27; Kaelble 1991 [1219], S. 56. 158 Cholvy 1999 [548], S. 177–178. 159 François-Poncet 1913 [21]. Siehe dazu Krebs 2015 [1242], S. 145–146; Ziebura 1955 [335], S. 60–63. 160 Bourdon 1913 [15]. Siehe dazu Ziebura 1955 [335], S. 64.
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Massen- und Vergnügungskulturen Die Entstehung der Massen- und Vergnügungskulturen im ausgehenden 19. Jahrhundert war eng mit den Demokratisierungsprozessen der Moderne verbunden161. In Frankreich war sie eines der Hauptmerkmale der Belle Époque und Ausdruck der engen Verbundenheit mit den republikanischen Grundrechten – allen voran den Freiheitsrechten. Der steigende Einfluss der Massen in kulturellen, politischen und gesellschaft lichen Fragen sowie die Zunahme arbeitsfreier Zeit und verfügbaren Einkommens bis in die unteren Schichten waren Voraussetzungen für das Entstehen einer kommerzialisierten Freizeitindustrie. Produkte und Veranstaltungen boten zwar in erster Linie für die jeweilige Nation gemeinsame Identifi kationspunkte, waren aber grundlegend transnational und nicht an politische oder sprachliche Grenzen gebunden. Darüber hinaus spielten die Kolonialerfahrungen in der aufkommenden Konsumgesellschaft eine wichtige Rolle. Obgleich diese Umstände in den meisten Darstellungen betont werden, fehlen zu vielen Themen Einzelstudien sowie eine übergreifende Analyse der Austauschund Transferprozesse in diesem Bereich162. Die Rahmenbedingungen der Industriearbeit des 19. Jahrhunderts bewirkten eine deutlichere Trennung von Arbeits- und Freizeit, die es in dieser Form im ländlichen Leben nicht gab. Der Anteil an täglicher Freizeit vergrößerte sich zunehmend im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, war doch die Einschränkung der Arbeitszeit eine der grundlegenden Forderungen der entstehenden Arbeiterbewegung163. Mit der Festlegung der Sonntagsruhe 1895 in Deutschland und 1906 in Frankreich wurde zusätzlich der Sonntag „neu erfunden“164. Der arbeitsfreie Sonntag sollte zugleich dazu dienen, das Wahlrecht ungehindert ausüben zu können. Gerade in den rasant wachsenden Städten mit einem hohen Anteil an Arbeiterinnen und Arbeitern, Lehrlingen, Angestellten, Handwerkern und unverheiratetem Dienstpersonal entstand ein starkes Bedürfnis nach Unterhaltung und Ablenkung vom harten Arbeitsalltag. Anders als auf dem Land konnte die städtische Bevölkerung nicht auf tradierte Freizeit- und Festbräuche zurückgreifen. Die gemeinsamen Freizeitangebote hatten für die Nationen eine integrative Wirkung, denn dort glichen sich „Normen und Lebensvorstellungen“165 an und mischten sich die Bevölkerungsgruppen, selbst wenn manche Angebote für bestimmte Schichten oder ein Geschlecht vorbehalten waren. Über Werbung wurden die Massen dazu 161 162 163 164 165
Zum Begriff Massenkultur und seiner Verwendung siehe Middendorf 2009 [1192], S. 18–20; Kalifa 2001 [1190], S. 3–5, 97–98; Prochasson 1993 [1197], S. 421. Vgl. z. B. die Beiträge in: Nolte 2016 [1166]. Zur Freizeit in Frankreich siehe Corbin 1995 [1189]. Duclert 2010 [118], S. 662. Maase 42007 [1174], S. 76.
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angeregt, ihre Kaufk raft in Konsumgüter zu stecken: Lebensmittel, Kleidung, Haushaltsartikel, Hygiene- und Gesundheitsprodukte, Presse, Medien, Sportgeräte sowie Kultur- und Freizeitgüter aller Art, viele davon auf einem vermeintlichen Exotismus beruhend166. Ähnlich verhielt es sich mit den verschiedenen Darbietungen und Attraktionen, die sich für die Veranstalter zu einer ertragreichen Einkommensindustrie entwickelten: Museen, Panoramabilder, Ausstellungen, Völkerschauen, Zirkus, Rummelplätze, Vergnügungsparks167, Riesenaquarien und Zoos, die sich international in ihren Attraktionen gegenseitig inspirierten168, waren Orte, die Bildung, Staunen und Vergnügen für die Massen boten. Ereignisse wurden als Spektakel inszeniert und erlebt, sie spiegelten städtisches Leben und erschufen es zugleich. In Paris zeigte sich das an der großen Bedeutung des öffentlichen Lebens auf den Boulevards schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts, wie von Walter Benjamin in seinem Passagenwerk beschrieben: „Die Pariser machen die Straße zum Interieur“169. Noch heute stehen die Stühle in den Cafés nebeneinander und wie im Theater ausgerichtet zur eigentlichen „Bühne“: die Straße. Selbst ein Besuch in der morgue, dem Pariser Leichenschauhaus, in dem bis 1907 Leichen öffentlich ausgestellt wurden, im Anatomie-Museum Dupuytren oder im 1882 eröff neten populären Wachsmuseum Grevin, in dem Szenen aktueller Sensationsfälle nachgestellt wurden, dienten der Unterhaltung. Sie waren beliebt, gerade weil sie zugleich wissenschaft liche Neugierde und Sensationslust ansprachen170. Die Presse bildete den Resonanzboden der Massenkultur, sie spiegelte die Geschehnisse und sorgte gleichzeitig für ihre Verbreitung. Hinzu kamen für die Abend- und Nachtstunden Tanzlokale, Theaterveranstaltungen, Opern, Operetten, Musicals, Revuen, Café-concerts oder Tingeltangel, wie es im Deutschen hieß, die sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in ganz Europa ausbreiteten und sich zur Jahrhundertwende zu Music-Halls weiterentwickelten171. Insbesondere Fremdes und Exotisches schürte die Neugierde des metropolitanen Publikums. Die Theaterfassung von Jules Vernes „Reise um die Welt in 80 Tagen“ wurde zwischen 1874 und 1898 in Paris rund 1550 Mal aufgeführt. Bilder von Suez und Indien, ein Zug, ein Dampfschiff und ein Heißluftballon sowie 1800 Statisten, 800 Kostüme und 80 mechanische Schlangen versuchten das Publikum mit gigantischer kolonialer Exotik zu verzaubern172. Um 1900 hatte das Pariser Publikum die Wahl zwischen 274 Café-concerts, die jährlich zwischen 166 Zur kolonialen Durchdringung der Gesellschaften siehe Kapitel II.3 „Die Kolonialimperien“. 167 Dugast 22011 [1151], S. 98–101. 168 Maase 2015 [1172], S. 214. 169 Benjamin 1991 [1121], Bd. 1, S. 531. Siehe auch Haupt, Würffel 2008 [1130]. 170 Kalifa 2001 [1190], S. 39; Schwartz 1998 [1199]. 171 Dugast 22011 [1151], S. 90–98. 172 Maase 42007 [1174], S. 62; Prochasson 1991 [1196], S. 135.
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10 000 bis 15 000 neue Lieder produzierten173. Operetten wie die des in Paris lebenden Deutsch-Franzosen Jacques Offenbach erfreuten sich großer Beliebtheit. Als aufsehenerregender Tanz zog der Cancan Schaulustige aller Schichten in die Revue-Klubs von Pigalle. Gleichzeitig buhlten 36 Theater mit insgesamt 37 000 Plätzen um die Gunst der Zuschauer. In Berlin gab es im Jahr 1900 im Vergleich 22 Theater mit rund 22 500 Plätzen, womit das Pro-Kopf-Angebot in der französischen Hauptstadt deutlich größer war174. Doch auch das Berliner Nachtleben nahm Schwung auf, vor allem durch eine Diversifizierung des Programms und den Ausbau an seichter Unterhaltung175. Eine der populärsten Berliner Kabarett-Darstellerinnen nach der Jahrhundertwende und über den Krieg hinaus war Claire Waldoff, die in ihren Darstellungen vor allem Berliner Frauen und Männer der Unterschichten porträtierte. In „Professor Unrat“ (1905) setzte Heinrich Mann der speziellen Atmosphäre der Kabaretts ein Denkmal, das später durch den Film „Der blaue Engel“ (1929 / 30) von Josef von Sternberg weltberühmt wurde176. Hinzu kam ein steigender internationaler Austausch durch Tourneen, Übersetzungen und Zeitschriften, den es bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegeben hatte: Über Werbeanzeigen und Kritiken in Zeitungen und Zeitschriften konnte man sich über das Kulturangebot anderer Städte informieren. Populäre Melodien und Texte wurden schnell übersetzt; Gastauftritte von Theaterstücken und Sensationsshows aus anderen europäischen Hauptstädten, allen voran Paris, wurden dem Berliner Publikum präsentiert177. In einem Artikel für die Zeitschrift „La Revue“ berichtete Apollinaire 1902 aus Berlin über die Popularität französischer Literatur und Theaterstücke, die dort beinahe so häufig wie deutsche Stücke aufgeführt würden178. Französische Schauspielerinnen wie Sarah Bernhardt und Jane Hading präsentierten bei Gastspielen in Berlin neben ihrer Theaterkunst stets zugleich die neueste Mode aus Paris179. 1902 kam es zu einem Gastauftritt von Sarah Bernhardt in Straßburg, nachdem sie zuvor mehrfach einen Auft ritt verweigert hatte, solange Elsass-Lothringen zum Deutschen Kaiserreich gehörte180. Gerade die Musikwelt war stark international ausgerichtet, zirkulierten doch nicht nur Opern, Stücke und Libretti, sondern auch Komponisten, Dirigenten, Musiker, Sängerinnen und Sänger sowie Musikinstrumente181. Dies galt 173 Kalifa 2001 [1190], S. 43. Siehe dazu auch: Kimminich 1998 [1191]; Condemi 1992 [1188]. 174 Charle 2008 [1143], S. 25–27. 175 Becker, Littmann, Niedbalski 2011 [1185]. 176 Dugast 22011 [1151], S. 98. 177 Lange 2015 [1161], S. 14, 134–139, 182–183; Maase 2015 [1172], S. 215, 220; Dugast 2 2011 [1151], S. 97–98; Charle 2009 [1146], S. 244–245, 265. 178 Dugast 22011 [1151], S. 54. 179 Watzka 2011 [1185], S. 276–280. 180 Hoffmann 2005 [448], S. 250–251. 181 Dugast 22011 [1151], S. 144–150; Francfort 2004 [1156], S. 173–175, 348–360.
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in gleicher Weise für Melodien und Ohrwürmer: Der beliebte Berliner Gassenhauer „Komm Karoline“ aus dem Jahr 1898 wurde nur wenige Wochen später in einer polnischen Version in Warschau und in Paris mit einem französischen Text unter dem Titel „Viens Poupoule“ ein gefragter Hit182. Unklar ist, ob dem französischen Publikum bewusst war, dass es sich hier von einer Melodie eines deutschen Komponisten zu Begeisterungsstürmen hinreißen ließ. Ebenso wenig behinderten Sprachbarrieren bei Sportevents, Sensationen oder Zauber- und Bühnentricks den Erfolg im Ausland. Die äußerst populäre Show von Buffalo Bill, der 1889, 1892 sowie von 1902 bis 1906 mit seinen Reitern, Indianern und Kunstschützen durch ganz Europa tourte, ist dafür ein gutes Beispiel. Die Rechte an den gedruckten Fortsetzungsgeschichten von Buffalo Bill vermarktete europaweit der Dresdner Verlag Eichler, der diese Produkte ebenso in Frankreich erfolgreich absetzen konnte. Der Export von französischen Theaterstücken und Inszenierungen nach Deutschland, Österreich und in andere europäische Länder war insgesamt höher als umgekehrt. Dennoch gastierten manche deutsche Theaterproduktionen vor 1914 zumindest kurze Zeit in Paris. Zeitschriften wie die „Revue blanche“, „La Plume“ oder die „Revue des deux mondes“ berichteten regelmäßig über deutsche Dramaturgie183. Nicht selten hatten deutschsprachige Theaterautoren mehrere Jahre in Frankreich verbracht, und das nicht nur wegen des symbolischen Kapitals von Parisaufenthalten, sondern auch, um sich von erfolgreichen Auff ührungen inspirieren zu lassen und Stücke zu übersetzen184. Die Dominanz des französischen Theaters bei gleichzeitiger Protektion der französischen Bühnen vor ausländischen Einflüssen traf in Deutschland, Österreich und England sowie teilweise selbst in Frankreich auf Kritik185. Amerikanische Musikstile wie Ragtime und Jazz oder Tänze wie Onestep und Foxtrott waren in Frankreich und Deutschland gleichermaßen beliebt. Aus Argentinien kam der Tango über Paris nach Berlin, Wien und andere europäische Städte, wo er in den Jahren 1912 / 13 eine wahre Tangowelle auslöste. Dieser Verbreitung ging eine Französisierung voraus, die im Kaiserreich für seine Wahrnehmung als „französischer Tanz“ und damit für seine Ablehnung in einigen Kreisen maßgeblich war. Kaiser Wilhelm II. verbot seinen Soldaten das Tangotanzen in Uniform, worüber sich die französische Presse mokierte186. Neben einem Tango-Wettkampf zwischen Paris und Berlin waren internationale Tanzturniere wie etwa 1913 in Baden-Baden Orte der deutsch-französischen Begegnung und des Wettbewerbs. 182 Maase 42007 [1174], S. 77. 183 Dugast 22011 [1151], S. 57. 184 Charle 2009 [1146], S. 242, 260–261; Charle 2008 [1143], S. 198, 201, 311–324, 330–334. 185 Charle 2009 [1146], S. 241; Francfort 2004 [1156], S. 182–184. 186 Lange 2015 [1161], S. 140, 142–143, 156, 168–169.
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Zumeist waren Lieder, Musicals, Pantomimen und Sketche zumindest im Kaiserreich ohne parteipolitische Botschaften, transportierten aber Vorstellungen von sozialen Hierarchien, Familien und Geschlechterverhältnissen. Problematisch wurden von Behörden und Anhängern der Anti-Schund- und Schmutzbewegung die versteckten oder offenen Obszönitäten angesehen. Theaterstücke mussten im Kaiserreich bis zum Ende des Ersten Weltkriegs vor der Auff ührung genehmigt werden. Anders war es in Frankreich, wo die Vorzensur für Theater ab 1906 entfiel, im Krieg aber wieder eingeführt wurde. Vor allem Lieder galten in Frankreich lange Zeit als Protestinstrument. Bis zur Abschaff ung der Vorzensur herrschte eine enge administrative Überwachung. Texte und Programmgestaltung der Café-concerts benötigten eine tägliche Freigabe. Außerdem war bei den Auff ührungen stets ein Polizist zur Überwachung anwesend187. Wie Presse und Literatur war die Fest- und Showkultur nicht frei von nationalistischen Inhalten. Lieder und Musik dienten der patriotischen Mobilisierung der Massen, etwa wenn nationale Helden gefeiert wurden. Lange Zeit gehörte das antideutsche Lied „Le fi ls de l’Allemand“ aus dem Jahr 1882 zu den beliebtesten Chansons in Frankreich188. In Deutschland wurde umgekehrt der „lahme gallische Hahn“ auf vielfältige Weise in Liedern verhöhnt189. Die Beispiele zeigen, dass in erster Linie Infrastrukturen des Kulturaustausches internationalisiert wurden, während Deutungsmuster vielfach in einem nationalen Rahmen blieben. Zum Inbegriff der modernen Massenkultur wurden Kino und Film, die von Anfang an technisch und inhaltlich international ausgerichtet waren190. Deutsch-französisch entbrannte 1895 ein nationalistisch aufgeladener und zugleich von kommerziellem Interesse getragener Streit darüber, in welchem Land zuerst öffentlich bewegte Bilder vorgeführt worden waren. Die Brüder Max und Emil Skladanowsky zeigten am 1. November 1895 im Wintergarten in Berlin auf dem von ihnen gebauten Projektionsapparat Bioscop öffentlich bewegte Bilder. Das war knapp zwei Monate vor der ersten öffentlichen Vorstellung durch die Brüder Louis und Auguste Lumière, die freilich bereits im Herbst 1894 eine private und im Laufe des Jahres 1895 zwei weitere Vorführungen bewegter Bilder gezeigt hatten. Eine öffentliche Filmvorführung der deutschen Brüder in den Folies-Bergère in Paris wurde verhindert, um in Frankreich nicht den LumièreBrüdern zuvorzukommen191. Weltweit durchsetzen konnte sich der technisch überlegene französische Cinématographe. 187 188 189 190 191
Kalifa 2001 [1190], S. 43; Kimminich 1998 [1191], S. 68–74. Maase 42007 [1174], S. 94; Cornejo 2004 [1148], S. 191–192. Cornejo 2004 [1148]. Maase 2015 [1172], S. 220; Dugast 22011 [1151], S. 197–201; Schneider 1990 [1183], S. 21–22. Vatter 2014 [1170], S. 49; Bosséno 2002 [1186], S. 158; Kessler, Lenk 1996 [1159], S. 17; Schneider 1990 [1183], S. 17.
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Stummfi lme waren sprachlich nicht an Länder gebunden und konnten problemlos international vermarktet werden. So schuf das frühe Kino einen „Fundus an Themen, Bildern, Phantasien“192, die die europäischen Massengesellschaften der Vorkriegszeit verbanden. Französische Unternehmen wie Pathé oder Gaumont gründeten weltweit Niederlassungen, darunter in Berlin, und sorgten für einen Transfer von Technik, Geräten und der von ihnen produzierten Natur-, Dokumentar- und frühen Kunst- und Spielfi lme193. Einige deutsche Fabrikanten sollen ihre Angestellten zur Betriebsspionage nach Paris geschickt haben, von wo sie – so der Chefredakteur einer Filmzeitschrift – „mit geistigem Diebstahl reich belastet“194 zurückkamen. Zum Preis von 10 bis 20 Pfennig bzw. 20, 30 oder 50 centimes, je nach Vorführung, waren Kinokarten günstig und selbst für Arbeiterfamilien erschwinglich. In Paris existierten 1914 rund 150 Kinosäle, in Berlin waren es mit 300 bis 400 Einrichtungen deutlich mehr195. Dabei unterschieden sich die einfach ausgestatteten Kintopps der Arbeiterviertel stark von den bürgerlichen Filmpalästen, die zum Teil in ehemaligen Theater errichtet wurden und Platz für ganze Orchester boten196. 1909 fand in Paris unter dem Vorsitz von Georges Méliès der erste internationale Kongress der Filmfabrikanten statt, auf dem die Filmschaffenden technische Standards wie das Vollbild vereinbarten. Einen schrift lichen Austausch führten sie über Fachzeitschriften. So hatte die französische Filmzeitschrift „Courrier cinématographique“ genau wie ihr Konkurrent „Ciné-Journal“ einen deutschen Korrespondenten in Berlin. Bei der Hundertjahrfeier 1913 zum Gedenken an die Völkerschlacht bei Leipzig und den Sieg über Napoleon bekam Pathé frères, und nicht etwa ein deutsches Unternehmen die Exklusivrechte für das Filmen der Feierlichkeiten, was in Teilen der deutschen Presse stark kritisiert wurde197. In den immer beliebter werdenden Weltausstellungen zeigte sich die zunehmende Inszenierung von Wissenschaft und Technik. Schon ab 1867 wandelten sich die Weltausstellungen zu riesigen kommerziellen Feiern, die zugleich ein pädagogisches Erziehungsziel für die Massen verfolgten198. 1878 in Paris hatte sich das Deutsche Kaiserreich nur mit einem künstlerischen Beitrag beteiligt und 1889 bei der ebenfalls in der französischen Hauptstadt stattfindenden Weltausstellung auf eine Teilnahme verzichtet. Erst 1900 war das Kaiserreich – das selbst keine Weltausstellung organisierte – offiziell Teilnehmer einer Pariser 192 Maase 42007 [1174], S. 109. Siehe auch Dugast 22011 [1151], S. 198–201. 193 Maase 42007 [1174], S. 111; Kalifa 2001 [1190], S. 84–85; Kessler, Lenk 1996 [1159], S. 17–22; Schneider 1990 [1183], S. 21. 194 Kessler, Lenk 1996 [1159], S. 18. 195 Zu Paris siehe Kalifa 2001 [1190], S. 67. Zu Berlin siehe Müller 2001 [1181], S. 64. Vgl. außerdem die Zahlen der Kinos pro Einwohner bei Maase 42007 [1174], S. 108, 299. 196 Maase 42007 [1174], S. 110–111; Kalifa 2001 [1190], S. 67. 197 Hewitson 2003 [220], S. 22. 198 Kalifa 2001 [1190], S. 47–48; von Plato 2001 [1195], S. 322, 325–326.
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Weltausstellung und wollte ein besonders gutes Bild abgeben. Es wurde eine Ausstellung der Superlative: Sie dauerte sieben Monate und verzeichnete über 50 Millionen Besucher und Besucherinnen aus aller Welt. 65 Länder waren beteiligt und 150 internationale Kongresse wurden begleitend abgehalten199. Thematisch kreisten diese um Aspekte wie Hypnose, kriminologische Anthropologie sowie um Fragen rund um das soziale und kulturelle Handeln von Massen200. Politisch handelte es sich bei der Weltausstellung von 1900 wie schon in der Jahrhundertfeier der Revolution 1889 um eine gigantische Werbeveranstaltung für Revolution, Republik und die französische Modernität. Stolz wurden die Errungenschaften der Wissensgesellschaft und des kolonialen Ausgreifens vorgeführt201. In den Augen der Zeitgenossen zeigten die Beiträge der einzelnen Länder die Vitalität der jeweiligen Nation. Die Ausstellungen gerieten zu einer Leistungsschau der eigenen Modernität und Kraft im Ländervergleich202. Die Weltausstellungen boten Gelegenheit für internationale Begegnungen und Diskussionen und damit auch zu verstärkten deutsch-französischen Kontakten. Tausende Deutsche nutzten die Spezialangebote der Reisebüros und fuhren 1900 nach Paris. Deutsche Touristen stellten die größte Besuchergruppe und wurden Berichten der Deutschen Botschaft zufolge durch die Pariser Bevölkerung gut empfangen203. Bei den Ausstellern und Arbeitern, die zur Bedienung der ausgestellten Maschinen nach Paris gereist waren, kam es ebenso zu deutsch-französischen Kontakten204. Für die in Paris arbeitenden deutschen Dienstmädchen war die Weltausstellung ein Grund, sich nicht dem strengen Regime des protestantischen Dienstmädchenheims zu unterwerfen, wo sie nach dem Abendessen um 19 Uhr nicht mehr das Haus verlassen durften. Sie suchten stattdessen eine andere Unterkunft, um „auch noch abends spät die ,Herrlichkeiten‘ der Ausstellung in voller Freiheit zu genießen“, so die Heimleiterin in ihrem Jahresbericht 205. Der Massenbesuch von Deutschen in Paris sowie die deutsch-französische Zusammenarbeit während der Ausstellung waren zwar neue Phänomene, doch blieben die Diskurse in der Presse auf beiden Seiten der Grenze ambivalent 206. Die Bewertung des deutschen Beitrags zur Weltausstellung 1900 schwankte angesichts der präsentierten wirtschaft lichen und industriellen Macht zwischen Bewunderung und Befürchtung207. Mit den für die Massen zur Zerstreuung und Erholung angebotenen Pro199 Zur Ausstellung siehe Geppert 2010 [1158]; Alexandre 2011 [1137]; Mieck 1998 [1163]. 200 Middendorf 2009 [1192], S. 54. 201 Zu Kolonialausstellungen siehe Kapitel II.3 „Die Kolonialimperien“. 202 Alexandre 2011 [1137], S. 247; Telesko 2010 [1169], S. 279, 284–288. 203 Poidevin, Bariéty 1982 [79], S. 217. 204 Cheptou 2003 [574], S. 144; Mieck 1998 [1163], S. 39–40. 205 Zitiert nach König 2003 [1222], S. 88. 206 Alexandre 2011 [1137], S. 259. 207 Ebd., S. 257–258.
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dukten und Ereignissen veränderte sich das Verhältnis zum menschlichen Körper. Dies spiegelte sich in der Kunst, vor allem aber im Sport wider. Gerade Bewegung und Sport entsprachen den moralischen und medizinischen Vorstellungen der Zeit im Hinblick auf Erholung und Regenerierung der Arbeitskraft. Dies wurde in Deutschland und Frankreich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts vor allem über Gymnastik und Turnen erreicht, die zugleich moralisch und patriotisch aufgeladen waren. Frankreich hatte dabei nach dem Krieg von 1870 / 71 die Turn- und Wehrertüchtigungsvereine nach deutschem Vorbild aufgebaut, denn im überlegenen preußischen militärischen Athletismus wurde ein Grund für die erlittene Niederlage gesehen208. Ihren Höhepunkt erreichte die französische Turnerbewegung zur Zeit des Boulangismus und der Schülerbataillone in den 1880er-Jahren. Um die Jahrhundertwende verbreitete sich das Angebot an Sportarten: Aus England kamen Mannschaftssportarten wie Fußball und Rugby, die von der bürgerlichen Turnerbewegung kritisiert wurden. Daneben erfreuten sich vor allem in Frankreich neue, auf Geschwindigkeit zielende Einzelsportarten zunehmender Beliebtheit. Mit Rad-, Ski- und Autofahren sowie später Fliegen entstanden Sportarten, die mit der technischen Moderne und einem neuen Verhältnis zu Raum und Zeit verbunden waren209. Genau wie das populäre Wandern eigneten sich diese Sportarten zur „Aneignung des Heimatbodens“210. Vor allem bei der Generation von 1890 machte sich eine wahre sportomanie211 bemerkbar. Dennoch hatten um 1910 Gymnastikvereine in beiden Ländern nach wie vor höhere Mitgliedszahlen als Sportvereine: In Frankreich waren es rund 470 000 für die Gymnastikvereine und die vor allem in den Grenzgebieten populären Schießvereine und rund 400 000 für die Sportvereine212. Wie bei den Naturbewegungen stand die Begeisterung für Bewegung und Sport in engem Zusammenhang mit der um die Jahrhundertwende zunehmenden Angst vor einer physischen und psychischen Degenerierung der Bevölkerung und damit einer Abnahme ihrer Wehrfähigkeit. Über Sportveranstaltungen wurde die Freizeit auf Leistung und Wettbewerb ausgerichtet. Zeitmessung mit speziellen Chronografen sowie die internationale Homogenisierung der Wettkampfdistanzen nahmen an Bedeutung zu213. Während ein Automobil für die meisten Haushalte unerschwinglich war214, stand das Fahrrad, in Frankreich liebevoll la petite reine, (kleine Königin)
208 Hartmann 2011 [1076], S. 167–168; Schivelbusch 2003 [1472], S. 206–207; Clastres 2002 [1147], S. 336. 209 Duclert 2010 [118], S. 664. 210 Thiesse 1999 [707], S. 249, 251; Vigarello 2005 [1203], S. 459. 211 Prochasson, Rasmussen 1996 [1603], S. 36. 212 Charle 2011 [1123], S. 360. 213 Vigarello 1995 [1202], S. 211–212. 214 1913 kamen in Deutschland auf 1567 Einwohner ein Auto, in Frankreich auf 437, vgl. Osterhammel 2009 [80], S. 444.
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genannt, für den steigenden Wohlstand der populären Klasse. Gleichwohl blieb ein eigenes Rad bei einem Preis von 100 Francs zur Jahrhundertwende für Arbeiter weiterhin ein Luxusgut. Radfahren war für Frauen akzeptiert, die sich mit Hosen und ohne Korsett zweckmäßig gekleidet ein Stück Selbstbestimmung im öffentlichen Raum sicherten215. Ebenso wurden andere Sportarten wie Tennis, Skifahren, Golf und sogar Fußball216 von Frauen ausgeübt. Bei den zweiten Olympischen Spielen der Neuzeit 1900 in Paris waren Frauen das erste Mal zugelassen und traten im Tennis und Golf an, 1908 zusätzlich im Bogenschießen und 1912 darüber hinaus im Schwimmen217. So stellte der Sport zugleich Mittel und Abbild der Emanzipation der Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts dar. Die Olympischen Spiele der Neuzeit, die das erste Mal 1896 in Athen stattfanden, entsprangen gleichzeitig internationalistisch-pazifistischen wie nationalistisch-sozialdarwinistischen Motiven218. Ihr französischer Gründer Pierre de Coubertin wollte mit den Spielen zum Erhalt des Friedens in Europa beitragen, aber auch einer Hierarchie der Nationen und allen voran der Rivalität mit Deutschland Raum geben. Die Jugend aus allen Teilen der Welt sollte in einem fairen Wettkampf ihre Kräfte messen und nationale Rivalitäten im symbolischen Duell friedlich austragen. Die Sportanhänger betonten Werte wie Stärke, Männlichkeit, Jugend- und Heldenkult sowie eine neue Körperlichkeit219. Sport konnte somit in der Sicht von Coubertin anders als die Turnerbewegung und die Schulbataillone eine Kompensation für die nicht durchführbare Revanche werden220. Von Anfang an hatte die olympische Bewegung mit dem Comité international olympique eine transnationale Organisationsstruktur. Neben den Sportwettkämpfen bei den Olympischen Spielen wurden internationale Kongresse organisiert, zu denen Spezialisten der Sporterziehung eingeladen wurden. Die Demokratisierung des Sports wurde durch seine Medialisierung verstärkt, da die Zeitungen besonders gern über Wettkämpfe und ihre heroischen Gewinner berichteten. Das große Zuschauerinteresse machte Sportveranstaltungen kommerziell interessant. In dieser Hinsicht war die „Tour de France“ besonders erfolgreich. Ihr Titel war durchaus nationalistisch gemeint, gewählt in Anlehnung an das weit verbreitete Schulbuch „Tour de la France par deux enfants“. Die Auslandsetappe des 1903 zum ersten Mal durchgeführten Fahrradrennens führte im Jahr 1906 durch Lothringen, was zeitgenössisch als „kleine Revanche“ wahrgenommen und in Teilen der französischen Presse entsprechend gefeiert wurde. Die Tour machte daraufhin jedes Jahr in Metz 215 216 217 218 219 220
Maase 42007 [1174], S. 100–101; Kalifa 2001 [1190], S. 51. König 2010 [1160], S. 181–183. Maase 42007 [1174], S. 86. Schivelbusch 2003 [1472], S. 194. Milza 2002 [1164], S. 299–300. Clastres 2002 [1147], S. 337.
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Station, bis die deutschen Behörden 1911 das Spektakel, bei dem die Streckenausschilderung auf Französisch war und die Marseillaise gesungen wurde, verboten221. Sportereignisse riefen regelmäßig ambivalente Reaktionen zwischen Begeisterung über eine gelebte Völkerfreundschaft und militaristische Aufladung des Ereignisses hervor, so etwa 1901 beim großen Autorennen von Paris nach Berlin. Bei den Olympischen Spielen 1900 wäre das Rugby-Spiel Frankreich gegen Deutschland vom Innenminister beinahe verboten worden aus Angst, das Pariser Publikum könnte „Rache für Sedan“ fordern222.
Kritik an der Massenkultur Der Aufstieg der Massenkultur rief in Teilen der Gesellschaften aus vielfältigen Motiven Kritik und Widerstände hervor, sowohl auf politischer als auch auf ästhetischer Ebene. Die herrschenden Klassen empfanden sie als Bedrohung, da sie zum einen durch einen Verlust über die Deutungshoheit der Kultur und zum anderen durch ein Auflösen vertrauter Hierarchien und dem Aufstieg der Massendemokratie begleitet wurde. Die zeitliche Koinzidenz mit dem Auslaufen der Sozialistengesetze 1890 machte dies in Deutschland noch deutlicher als in Frankreich223. Dennoch war dort in großen Teilen der politischen Klasse die peur des foules mit Blick auf die Revolution 1789, die Pariser Kommune, den Boulangismus und die anhaltenden Streiks genauso präsent224. Das tiefsitzende bildungsbürgerliche Misstrauen gegenüber den Massen verbunden mit dem Wunsch nach einer Reorganisation der Gesellschaft zeigte sich auf der politisch rechten wie linken Seite. Dabei hing die Kritik an der Massenkultur nicht mit einer prinzipiell antimodernen und reaktionären Einstellung zusammen, auch wenn Melancholie und Kulturpessimismus teilweise als ästhetische Haltung zelebriert wurden. Vielmehr waren die Bewegungen vielschichtig, mehrdeutig und offen für weitere Entwicklungen225. Die verschiedenen Vorstellungen von Moderne beinhalteten in gleicher Weise Hoff nung auf Reform und Fortschritt. In Frankreich entstand ein verstärktes Bedürfnis nach wissenschaft licher Untersuchung und Konzeptionierung der gesellschaft lichen Ordnung, der international rezipierte Wissenschaft ler wie Gustave Le Bon, Gabriel Tarde und andere mit ihren Theorien über die soziale Psychologie der Massen Rechnung trugen226.
221 222 223 224
Duclert 2010 [118], S. 671; Vigarello 2005 [1203], S. 463. Milza 2002 [1164], S. 302. Maase 2012 [1173], S. 39–40. Fontaine 2013 [659], S. 152; Willard 1995 [675], S. 277 sowie grundlegend Chevalier 1958 [655]. 225 Middendorf 2012 [1193], S. 148; Charle 2011 [1123]; Maase 2001 [1177], S. 293, 323. 226 Middendorf 2009 [1192], S. 51–55; Kalifa 2001 [1190], S. 106; Prochasson 1991 [1196], S. 66–75.
4. Moderne Lebenswelten
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Damit einher ging eine langsame Verschiebung der Begrifflichkeiten von foules als Menschenauflauf zum abstrakteren Begriff der „Massen“227. In beiden Ländern richtete sich die Kritik gegen die Emotionalisierung, Erotisierung und Sexualisierung der Massen, die man mit einer Schwächung des Volkscharakters, der Wehrhaft igkeit und der Stellung im internationalen Machtgefüge einhergehen sah. Kulturkritiker warfen den Massen Vergnügungssucht, Verschwendung und Wirklichkeitsflucht vor, deren Auswirkungen zum Teil für schlimmer erachtet wurden als der starke Alkoholkonsum der populären Schichten228. In Frankreich drehten sich die Debatten stärker um die „Schmutzkultur“, also um obszöne Publikationen, Lieder, Auff ührungen und Filme und ihre Auswirkung insbesondere auf die Moral der Frauen und der Jugend. Der „Schund“ dagegen, also die vermeintlich schlechte Literatur und die billig, industriell hergestellten Kulturprodukte, stand anders als im Kaiserreich weniger in der Kritik. Als Ausdruck erfuhr „Schundliteratur“ eine direkte Übersetzung in den französischen Diskurs229. In beiden Ländern wurden von verschiedenen Seiten gegenkulturelle Angebote aufgestellt, mit denen die Massen erreicht werden und die jeweiligen Gruppen ihren eigenen gesellschaft lichen Einfluss erhöhen wollten. So bemühte sich in Frankreich die katholische Kirche nicht nur um eigene Presseerzeugnisse, sondern verfolgte mit eigenen Filmen überdies eine moralische Kinopolitik mit künstlerischem Anspruch230. Ebenso kritisierten Sozialisten und Vertreter der Arbeiterbewegungen die kommerziellen Kulturindustrien, wobei sich die Diskurse überschnitten und oft mals den konservativen, liberalen und religiösen Äußerungen ähnelten231. Die durch Arbeitszeitverkürzung gewonnene Freizeit sollte nach der Vorstellung führender Köpfe der Arbeiterbewegungen in die eigene Weiterbildung investiert werden. Volkshochschulen, Arbeiterbibliotheken, Presse und eigens produzierte Kinofi lme waren Mittel zur Bildung von Arbeiterinnen und Arbeitern. Insbesondere das Bürgertum sah die sittliche Erziehung des Volkes, die moralisation populaire232 als Maßnahme gegen die Gefahren der Massenkultur an. Von den gemäßigten und liberalen ethischen Sittlichkeitsvereinen wie der Union pour l’action morale et le spiritualisme républicain, zu deren Mitgliedern der Philosoph Paul Desjardins und der Historiker Gabriel Monod zählten, ist bekannt, dass sie die Diskurse ähnlicher Kulturgesellschaften in Deutschland wahrgenommen und sich inhaltlich damit auseinandergesetzt haben233. Während die Kampagnen des „Geistesaristokratismus“234 in 227 228 229 230 231 232 233 234
Prochasson 1993 [1197]. Siehe auch Middendorf 2009 [1192], S. 417–418. Thiesse 1995 [1200], S. 303. Middendorf 2009 [1192], S. 87–92, insbes. S. 89. Ebd., S. 148. Ebd., S. 157, 159; Maase 2001 [1177], S. 313. Middendorf 2009 [1192], S. 72. Chaubet 1999 [1187]. Merlio 2010 [1179], S. 40.
I. Überblick
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Deutschland vor allem von Teilen des Bildungsbürgertums, von Volksschullehrern und Pfarrern geführt wurden, waren in Frankreich sehr unterschiedliche Gruppen aktiv, kaum jedoch Lehrer. Insgesamt war hier die Kritik an der Moderne und an der modernen Industriegesellschaft weniger ausgeprägt als in Deutschland, wo die Akteure einen stärkeren Organisationsgrad aufwiesen235. Stellvertretend für die Vereine, Ausschüsse und Stiftungen, die sich im Kaiserreich gegen „Schmutz und Schund“ in Literatur, Kunst, Film und Musik engagierten, seien die Prüfungsausschüsse für Jugendliteratur sowie der einflussreiche Dürerbund (1902) mit seiner Zeitschrift „Der Kunstwart“ genannt, für die es in Frankreich kein direktes Pendant gab. Die Diskussionen um „Schmutz und Schund“, die zeitgleich in England und anderen Ländern stattfanden, wurden auf Internationalen Kongressen gegen die unsittliche Literatur wie etwa 1904 in Köln länderübergreifend geführt. 1910 wurde in Paris ein Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung der Verbreitung unzüchtiger Veröffentlichungen unter anderem von Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Dänemark, Italien und Russland unterzeichnet236.
Kunst und Avantgarde Ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts intensivierten sich die internationalen Kunstbeziehungen europaweit. Annäherung und reger Austausch entwickelten sich über die im Entstehen begriffene Kunstgeschichte, über Kunstkritik, Kunsthandel und die zunehmende Anzahl an Ausstellungen in Museen und Galerien sowie über Freundschaften und Rivalitäten zwischen Künstlern, Literaten und Intellektuellen237. War bis dahin die Vergabe von Stipendien und Auft rägen sowie der Ankauf von Bildern überwiegend durch die öffentliche Hand erfolgt, etablierten sich neue und vom Markt bestimmte Einnahmequellen für Künstler jenseits des offiziellen Kunstbetriebs. In gleicher Weise profitierte die akademische Kunst von den neuen Märkten, da die Fortschritte der Reproduktionstechnik den Einzug von Kopien von Gemälden und Drucken in die Wohnzimmer des Bürgertums ermöglichten238. Im entstehenden Kunstmarkt entwickelten sich vielfältige moderne Stilrichtungen, die weit über den in Frankreich nach der Jahrhundertmitte aufkommenden Impressionismus sowie den späteren Naturalismus und Symbolismus hinausgingen. Auf vielfältige Weise wurden europaweit in diesen künstlerischen Strömungen Moderne und das damit einhergehende veränderte Lebensgefühl 235 Lange 2015 [1161], S. 165; Maase 2012 [1173], S. 91–95; Middendorf 2009 [1192], S. 87–88, 173. 236 Maase 2012 [1173], S. 46; Middendorf 2009 [1192], S. 92, 122–123. 237 Fleckner 2003 [1277], S. 11. 238 Nipperdey 1990 [105], Bd. 1, S. 692, 700.
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verarbeitet 239. Damit verbunden war eine tiefgreifende Veränderung der Konzeption von Kunst, geprägt durch einen radikal neuen Blick auf die Welt und einen veränderten Bezug zur Realität. Die moderne Kunst löste sich von detailgetreuen Abbildungen, wie sie Fotografien nun konkurrenzlos realistisch zeigten. Stattdessen sollten im Impressionismus, im Jugendstil und später in der Avantgarde der Fauvisten, Kubisten, Futuristen und Expressionisten vor allem Stimmungen und Wahrnehmungen thematisiert werden. Prägend für die Epoche waren neben einer Erweiterung und Auflösung der Farb- und Formsprache die enge Zusammenarbeit zwischen den künstlerischen Disziplinen, etwa zwischen bildenden Künstlern und Schriftstellern, zwischen Malerei, Theater und Musik. Nicht selten versuchten sich Künstler in zwei oder drei Disziplinen gleichzeitig, worin europaweit eine Forderung nach Unabhängigkeit, Freiheit und eine Anfechtung der Hierarchien zu sehen ist, die den Kulturbetrieb bis dahin regelten240. Im Deutschen Kaiserreich bedeutete der radikale Bruch mit der künstlerischen Tradition und mit konservativen Strömungen im Bürgertum zugleich ein Auflehnen gegen den autoritären Machtstaat. Doch auch im republikanischen Frankreich standen die Künstler dem Einfluss des Staates ablehnend gegenüber, und der Wunsch nach Autonomie von politischen Einflüssen nahm insbesondere ab den 1890er-Jahren zu. Insgesamt war der Antagonismus zwischen etablierter Kultur und Avantgarde nie so ausgeprägt wie zur Jahrhundertwende241. Für das Publikum bedeutete die Konfrontation mit der modernen Kunst vielfach ein schockierendes Erlebnis, stellte sie doch bisherige ästhetische Sehgewohnheiten radikal infrage. Zwischen Deutschland und Frankreich bildete sich im Kunstbereich ab 1871 ein „intensives und komplexes Netzwerk von Vermittlung“242, wobei gerade die nicht übersehbaren Unterschiede der künstlerischen Traditionen die gegenseitige Neugierde angefacht haben. Der Austausch und die gegenseitige Beobachtung waren vielfältig und bewegten sich zwischen „Distanz und Aneignung“ sowie zwischen „Kennerschaft und Ignoranz, Bewunderung für die andere Kultur und Feindschaft ihr gegenüber“243. In den letzten Jahren hat die Forschung verstärkt die Präsenz und den Einfluss deutscher Kunst in Frankreich in den Blick genommen und damit die gängige Vorstellung nuanciert, Frankreich habe Ende des 19. Jahrhunderts Kunst exportiert, aber Philosophie und Musik importiert244. Insgesamt war der Bereich der Kunst für beide Länder als Teil der nationalen und 239 240 241 242
Meister 2011 [1297], S. 97. Dugast 22011 [1151], S. 5–6. Yon 2010 [1204], S. 217. Gaehtgens 2004 [358], S. 7. Vgl. die Ergebnisse des Forschungsprojekts am Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris zu den deutsch-französischen Kunstbeziehungen 1870–1945 in der Publikationsreihe „Passagen / Passages“. 243 Ebd., S. 7. 244 Kostka, Lucbert 2004 [1293], S. 14.
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identitären Selbstbestätigung ein hoch symbolischer Ort, der stark politisch aufgeladen und von Konkurrenzdenken bestimmt war245. Im persönlichen Verhältnis der Künstler, Kritiker und Kunsthändler untereinander spielten jedoch zumeist die künstlerischen und ästhetischen Überzeugungen eine größere Rolle als nationale oder politische Einstellungen. Dabei handelte es sich gleichwohl um eine sehr kleine Anzahl an Personen, die sich für eine „Kollegialität der Kunst“246 und gegen nationalisierende Tendenzen einsetzten. Anders verhielt es sich bei offiziellen Kunstkontakten, beim Ankauf von Werken sowie vor allem bei offiziellen und inoffiziellen Ausstellungen. Anhand der Teilnahme oder Nichtteilnahme französischer und deutscher Künstler an Ausstellungen im anderen Land wird deutlich, „daß sich die Kunst keineswegs in politikferner Freiheit entfalten konnte“247. Die Auswahl der Kunstobjekte sowie ihre Wahrnehmung waren insbesondere auf den Weltausstellungen stark von einer politischen Agenda geprägt, da sie als „Schaufenster für das nationale Prestige“248 fungierten. Ein Politikum im Kaiserreich war die Anschaff ung französischer Maler durch die öffentliche Hand, entzog man damit doch deutschen Künstlern Einnahmequellen, die stattdessen nach Frankreich flossen, so der Vorwurf. Kaiser Wilhelm II. intervenierte bisweilen selbst bei der Anschaff ungspolitik der öffentlichen Kunstmuseen und verweigerte 1908 beispielsweise dem Direktor der Preußischen Nationalgalerie, Hugo von Tschudi, Geld für den Ankauf von Gemälden aus der französischen Barbizon-Schule249. Im Jahr 1911 kam es unter der Leitung des Landschaftsmalers Carl Vinnen zu einem „Protest deutscher Künstler“, so der Titel einer unter Beteiligung von 118 Künstlern publizierten Schrift. Anlass war der Ankauf eines impressionistischen Gemäldes von Vincent van Gogh durch das Bremer Museum. Vinnen warnte vor einer „Invasion“ und „Überschwemmung“ durch französische Kunst. Es sei eine Gefahr für das Volkstum, wenn nicht „vaterländische Kunst“, sondern „Französlinge“ mit Millionen gefördert würden250. Eine Gruppe bestehend aus 75 Künstlern, Galeristen, Händlern und Sammlern widersprach und erteilte dem Protest mit Artikeln und Briefen, die in einer Broschüre aus 50 Beiträgen unter dem Titel „Deutsche und Französische Kunst“ zusammengefasst wurden, eine „vernichtende Antwort“251. 1907 gründete der Maler 245 Charle 2009 [1145], S. 22; Zimmermann 2000 [1302], S. 10–11. 246 Aus einem Brief von Max Liebermann an Antonin Proust vom 30. Mai 1889. Zitiert nach: Forster-Hahn 1985 [1278], S. 506. Die Idee selbst war freilich nicht neu, vgl. Esner 2001 [1271], S. 359. 247 Gaehtgens 2004 [358], S. 6. Siehe auch Gaehtgens 2001 [1281], S. 5–6. 248 Forster-Hahn 1985 [1278], S. 507. Siehe auch Forster-Hahn 2003 [1280], S. 322; Fleckner 2003 [1277], S. 8; Forster-Hahn 1996 [1279]. Zu Frankreich siehe Vaisse 1995 [359], S. 124–129. 249 Paul 1993 [1299], S. 253–273; Paret 1981 [1298], S. 232–233. 250 Piper 2011 [1182], S. 93. Vgl. Gautherie-Kampka 1995 [1284], S. 158–161; Paret 1981 [1298], S. 263–285. 251 Paret 1981 [1298], S. 281. Siehe auch Paul 1993 [1299], S. 319–327.
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Hermann Hendrich unter völkischer Beteiligung den Werdandi-Bund, der die deutsche Kunst von jüdischen und französischen Einflüssen „befreien“ wollte. Bisweilen wurden jedoch französische Befindlichkeiten bedacht: In der Großen Berliner Kunstausstellung 1913 verzichtete man mit Rücksicht auf Frankreich auf Historienbilder des Krieges 1870 / 71, obwohl zunächst eine Retrospektive für Anton von Werner vorgesehen war, was Letzterem und Teilen der deutschen Presse entsprechend missfiel252. In Frankreich wurde analog dazu die vermeintliche Bevorzugung deutscher Kunst bei Ausstellungen kritisiert: Die Retrospektive von Adolph Menzel 1885 etwa war heftig umstritten und wurde in nationalistischen Zirkeln als „exzessive Großzügigkeit“ gegenüber der deutschen Kunst bezeichnet 253. Dagegen erhoben Verfechter der Ausstellung ihre Stimme und betonten, dass Kunst kein Vaterland habe und eine freie Nation sich nur durch Ideenzirkulation weiterentwickeln könne. Von der öffentlichen Hand wurden in Frankreich im gesamten 19. Jahrhundert kaum deutsche Gemälde angeschafft, was sich bis heute an den kleinen Sammlungen moderner deutscher Kunst in französischen Museen zeigt254. Wenn ein Werk gekauft wurde, dann um damit den französischen Einfluss auf die deutschen Maler zu dokumentieren. Das Gemälde „Brasserie de campagne“ (1893) von Max Liebermann etwa ist eine der wenigen Ausnahmen255. Als „enfant chéri“256 der Franzosen wurde Liebermann als einer der wenigen deutschen Künstler schon ab den 1870er-Jahren und fortan regelmäßig im offiziellen Salon in Paris ausgestellt. Er selbst sammelte bevorzugt Gemälde französischer Impressionisten und agierte nach seiner Pariser Zeit in Berlin als „leidenschaft licher Einführer des französischen Impressionismus nach Deutschland“257. Paris war nicht nur ein wichtiger Ort für Ausstellungen, sondern auch für die Ausbildung der Künstler. Vor allem die École des Beaux-Arts zog ausländische Studenten an258. Insgesamt lag der Ausländeranteil für den Zeitraum von 1821 bis 1891 bei 11,4 %. Der Anteil an deutschen Künstlern unter den ausländischen Studenten machte nur 6 % aus, was sowohl auf die große Anziehungskraft von München und Düsseldorf als Ausbildungsorte als auch auf politische Spannungen zwischen beiden Ländern zurückzuführen ist259. Zahlreich waren die Schriftsteller- und Künstlerkolonien verschiedenen nationalen Ursprungs, 252 Paret 1981 [1298], S. 324–329. 253 Zitiert nach: Esner 2001 [1271], S. 366. 254 Arnoux 2007 [1268], S. 1, 7, 17–18; Gaehtgens 2004 [358], S. 8; Vaisse 1995 [359], S. 159–160. 255 Fleckner 2003 [1277], S. 7. 256 Knöschke 2013 [358], S. 34. 257 Joyeux-Prunel 2009 [1288], S. 182. Zu Liebermann und Frankreich siehe außerdem Faass 2013 [1274]. 258 Joyeux-Prunel 2009 [1288], S. 179; Charle 1998 [1142], S. 42. 259 Joyeux-Prunel 2009 [1288], S. 176.
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die sich um 1900 am Montmartre oder am Montparnasse trafen260. Ab 1905 nahm die Bedeutung von Paris als europäische Kunstmetropole ab, ausgelöst durch den Aufstieg des Expressionismus in Deutschland und Mitteleuropa, der die Bedeutungshierarchie unter den Städten veränderte. In der Folge übernahm Berlin mit der dort angesiedelten expressionistischen Avantgarde nicht nur von München die führende Stellung als künstlerisches Zentrum im Deutschen Kaiserreich, sondern auch von Paris die Position als führende Kunststadt in Europa. Die Vielzahl der künstlerischen Standorte im deutschsprachigen Raum mit Wien, München, Weimar und Düsseldorf war ein wesentlicher Unterschied zu Frankreich, wo trotz der verschiedenen Künstlerkolonien in der Provinz die Kunstszene ganz eindeutig von Paris beherrscht wurde. Ein wichtiger Teil der gegenseitigen Wahrnehmung von künstlerischen Strömungen erfolgte über Kunsthistoriker. Auf französischer Seite spielte der als Germanist ausgebildete Louis Réau261, auf deutscher der erste Inhaber des Straßburger Lehrstuhls für Kunstgeschichte, Anton Springer262, eine wichtige vermittelnde Rolle. Ebenso zentral für Vermittlung und gegenseitige Wahrnehmung waren Zeitschriften. Zwar galt in Frankreich in Sachen Kunst das Hauptaugenmerk überwiegend Belgien, England und Italien, doch spricht vor allem aus den Beiträgen in kleineren Kulturzeitschriften eine große Faszination für Deutschland. Die Wahrnehmung der deutschen Kunst, Kultur und Philosophie war höchst komplex und durch die Gleichzeitigkeit von kultureller Germanophilie und politischer Germanophobie geprägt263. Obgleich die Kritik der deutschen Kunst in Teilen positiver war als angenommen, prägte eine Haltung der „nationalen Überlegenheit“264 die französische Kunstkritik nach 1870. Umgekehrt waren weite Teile der Kulturschaffenden im Kaiserreich von der Überlegenheit der deutschen Kultur gegenüber der französischen Zivilisation überzeugt, wobei in dieser Interpretation oft mals der Sieg im Krieg 1870 / 71 als moralisch-kultureller Sieg gewertet wurde. Auf der Folie der Auseinandersetzung mit dem anderen Land ging es darum, die eigene kulturelle Tradition zu ergründen265. Die Gleichzeitigkeit von Faszination und Abwehr zeigte sich in gleicher Weise in der Philosophie, der Literatur und der Musik. Deutsche Philosophen, allen voran Nietzsche, Schopenhauer und Hegel, erfuhren trotz periodischer Warnungen vor einem gefährlichen kulturellen Imperialismus der Deutschen eine intensive Rezeption von der intellek260 Dugast 22011 [1151], S. 75–77. Zur deutschen Künstlerkolonie am Montparnasse siehe Gautherie-Kampka 1995 [1284]. 261 Dubois 2004 [357]. 262 Espagne 2009 [1272]. 263 Lucbert 2004 [1295], S. 31, 53. Siehe auch Kitschen 2007 [1290], S. 15–16. 264 Vaisse 2007 [359], S. 7. 265 Gaehtgens 2004 [1283], S. 10–11; Holleczek 2004 [1287]. Siehe auch Holleczek, Meyer 2004 [1287].
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tuellen und künstlerischen Avantgarde in Frankreich266. Friedrich Nietzsche faszinierte als deutscher Denker mit seiner „beunruhigenden Fremdheit“267 und übte einen enormen Einfluss auf die französische Kultur aus. Seine Schriften, die durch französische Literaten und vor allem Baudelaire beeinflusst waren, erfuhren in Frankreich eine Deutung, die sich von deutschen Interpretationen löste und um die Jahrhundertwende das Französische seines Denkens hervorhob268. Eine ähnliche Faszination wie Nietzsche löste Richard Wagner im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in Frankreich aus. Die Pilgerfahrt nach Bayreuth gehörte insbesondere im Jahrzehnt nach 1880 zum Ritual vieler französischer Intellektueller wie Stéphane Mallarmé, Paul Valéry und Claude Debussy269. Gleichzeitig war im europäischen Vergleich nirgendwo der AntiWagnerianismus so ausgeprägt wie in Frankreich270. Der von französischen Symbolisten geprägte „Mercure de France“ war die einflussreichste Zeitschrift im Bereich des Transfers deutscher Literatur, Philosophie und Kunst, dank der zahlreichen, zumeist allerdings sehr düsteren Artikel des Elsässers Henri Albert271. Drei Umfragen im „Mercure de France“ von 1895, 1897 und 1902 / 03 zu den kulturellen deutsch-französischen Beziehungen spiegeln das facettenreiche Meinungsspektrum der französischen Intellektuellen. Die erste Umfrage wurde zeitgleich in der „Neuen Deutschen Rundschau“ durchgeführt und zeigte bei Schriftstellern und Künstlern ein Ideal der Verständigung zwischen beiden Ländern sowie den Wunsch nach Institutionen, die Kontakt und Treffen zwischen Intellektuellen organisierten. In der letzten Umfrage von 1902 dagegen überwogen die kritischen Töne einer antideutschen Strömung um Maurice Barrès, Théodore de Banville und Léon Daudet gegenüber einer europäisch ausgerichteten Strömung um Romain Rolland und Georges Palante272. Positive Kommentare über deutsche Kunst waren äußerst selten. Dagegen zeigt eine Analyse der Zeitschriften insgesamt, dass zumindest die naturalistische deutsche Kunst in Frankreich überwiegend zustimmend aufgenommen wurde273. Die deutsche Moderne wie auch die Bilder mancher alter deutscher Meister jedoch galten in Frankreich – sofern überhaupt bekannt – als
266 267 268 269
270 271 272 273
Lucbert 2004 [1290], S. 48. Le Rider 1999 [1162], S. 1. Forth 2001 [1155]; Le Rider 1999 [1162]. Dugast 22011 [1151], S. 50; Barbey-Say 1994 [1138], S. 118–126; Prochasson 1991 [1196], S. 140–141. Zu Richard Wagner und Frankreich siehe Buschinger, Kühnel 2013 [1139]. Francfort 2004 [1156], S. 176. Sieburg 1969 [486], S. 33; Schockenhoff 1986 [1168], S. 19. Dugast 22011 [1151], S. 52–53, 166; Schockenhoff 1986 [1168], S. 212–247. Zu den Umfragen siehe zugleich Digeon 1959 [1149], S. 463–476. Helms 2004 [1285], S. 63.
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melancholisch und schwer, ja geprägt von roher Hässlichkeit und einem unerbittlichen Realismus274. Mit den nach der Jahrhundertwende aufkommenden und stark international geprägten Avantgardisten waren zugleich unübliche und freie Lebensstile der künstlerischen Bohème verbunden. Zunehmend betätigten sich Frauen als Künstlerinnen und Literatinnen, obgleich ihnen der Zugang zu den Universitäten weiterhin verwehrt blieb275. Neue ästhetische Praktiken entstanden als Reaktion auf die veränderten Welt- und Zeiterfahrungen, in denen sicher geglaubtes Wissen infrage gestellt wurde und die Analyse der menschlichen Natur neue Wege ging. Dies äußerte sich genauso in Literatur, Poesie, Musik sowie in der aufkommenden Psychologie. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs brachen die persönlichen und freundschaft lichen Verbindungen zwischen deutschen und französischen Künstlern, Kunstsammlern und Kritikern fast ausnahmslos ab. Die deutschen Kunsthändler Wilhelm Uhde und Daniel-Henry Kahnweiler beispielsweise mussten Paris verlassen, ihre Sammlungen wurden beschlagnahmt. Auch die ausländischen Künstler verließen Paris und Berlin, wobei sie teilweise ihre Werke in den Ateliers zurückließen. Sehr schnell nach Ausbruch des Krieges erfolgte mit wenigen Ausnahmen das Bekenntnis der kulturellen Eliten zum eigenen Vaterland. Transnationale Lebensläufe und Kontakte wurden unter einem allgegenwärtigen Rechtfertigungsdruck von Loyalität für die eigene Nation ersetzt. Dauerhaft belastet wurden die vielfältigen Kulturbeziehungen durch die deutschen Kriegszerstörungen wie etwa die Bombardierung der Kathedrale von Reims im September 1914 sowie damit verbunden die chauvinistische Erklärung dieser Taten im Aufruf „An die Kulturwelt“ am 4. Oktober 1914 durch 93 deutsche Intellektuelle276, in dem zu lesen war: „Sollten in diesem furchtbaren Kriege Kunstwerke zerstört worden sein oder noch zerstört werden, so würde jeder Deutsche es beklagen. Aber so wenig wir uns in der Liebe zur Kunst von irgend jemandem übertreffen lassen, so entschieden lehnen wir es ab, die Erhaltung eines Kunstwerkes mit einer deutschen Niederlage zu erkaufen“277.
Der radikale und schnelle Umschlag in den Einstellungen der Schriftsteller, Künstler und Wissenschaft ler trotz aller Vielschichtigkeit der Reaktionen, macht den damaligen Rechtfertigungsdruck deutlich 278. Selbst Max Liebermann 274 275 276 277 278
Fleckner 2003 [1277], S. 4, 7. Siehe auch Dubois 2004 [357], S. 168–170; Fleckner, Gaehtgens 2003 [1276]; Kitschen, Drost 2007 [1289]. Die École des Beaux-Arts ließ Frauen ab 1890 zum Studium zu. Zur Kunstausbildung von Frauen und Mädchen in Frankreich siehe Martin-Fugier 2012 [1296], S. 64–68. Vgl. Ungern-Sternberg, Ungern-Sternberg 22013 [1184]; Kott 2000 [1294]; Dilly 2000 [1150], Absatz 7–11. Zitiert nach: Kott 2000 [1294], S. 204. Siehe dazu Leonhard 2014 [1557], S. 236–250.
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unterschrieb den „Aufruf an die Kulturwelt“, was wesentlich zur Ablehnung der geplanten Retrospektive seiner Werke zu seinem 80. Geburtstag 1927 in Paris beitrug279. Der Erste Weltkrieg festigte außerdem Paris erneut als führende internationale Kunstmetropole vor Berlin.
279 Arnoux 2013 [1269], S. 69–70; Vaisse 2007 [359], S. 7.
5. Erster Weltkrieg 1914 –1918 5. Erster Weltkrieg 1914–1918
Während der 1870 ausbrechende Krieg eine rein deutsch-französische Auseinandersetzung war, entwickelte der 1914 entflammte Konflikt eine europäische und später weltweite Dimension. Der Beginn des Konfl ikts im Balkan betraf zunächst Österreich-Ungarn und Russland, dann Deutschland und Frankreich, Belgien und Großbritannien, bis fast der gesamte Kontinent in das Kriegsgeschehen verstrickt war. Der Beitrag des Vereinigten Königreichs und seiner Dominions, der französischen Kolonien und später der USA ebenso wie die weitgehend symbolische Beteiligung Südamerikas, Japans und Chinas führten schließlich zur Ausweitung der Kämpfe auf den gesamten Planeten. Dennoch war die deutsch-französische Gegnerschaft in diesem Krieg sehr präsent. Die Franzosen empfanden ihn von Anfang als neuen deutsch-französischen Krieg, als Neuauflage desjenigen, der gut 40 Jahre zuvor begonnen hatte. Die Deutschen hingegen sahen sich mit einer Vielzahl von Feinden konfrontiert, die sich gegen ihr Land verbündet hatten und es von allen Seiten einkreisten, von Russland im Osten bis zu dem von Großbritannien unterstützten Frankreich im Westen. Im Konflikt spielten die deutschen und französischen Truppen die wichtigsten Rollen, und der Krieg endete schließlich mit der Niederlage des deutschen Heers an der Westfront, wo die meisten Schlachtfelder in Frankreich lagen1. In der generell hochexplosiven Atmosphäre dieser Zeit schienen trotz jahrzehntelanger enger Beziehungen in erster Linie die Konflikte zwischen diesen beiden Völkern die Oberhand zu gewinnen.
Die Umstände des Kriegseintritts beider Länder
Die Vorboten des Krieges Das europäische Gleichgewicht, in dem Frankreich und Deutschland sich bewegten, hatte sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts spürbar verändert. Die drei „imperialen Gesellschaften“2 im Westen Europas – Großbritannien, Frankreich und Deutschland – standen wirtschaft lich, kolonial und militärisch in starker Konkurrenz zueinander. Die „Weltpolitik“ Wilhelms II. entpuppte 1 Becker, Krumeich 2010 [1541], S. 7–9. 2 Charle 2001 [376].
5. Erster Weltkrieg 1914–1918
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sich als Wettrüsten mit der britischen Kriegsmarine und wiederkehrende Scharmützel mit Frankreich in Marokko. Im Südosten Europas schwächten die zunehmenden nationalistischen Bestrebungen die Vielvölkerimperien ÖsterreichUngarn und das Osmanische Reich und verschärften die territorialen Konflikte. Serbien ging aus den Balkankriegen 1912 und 1913 gestärkt hervor, zumal es sich der Unterstützung Russlands gewiss war, und wurde von Österreich mehr und mehr als Gefahr für die Loyalität der slawischen Bevölkerungsteile in der K.-u.-k.-Monarchie aufgefasst. Diese Rivalitäten und Spannungen erklären die allmähliche Herausbildung verfeindeter Allianzen. Das Bündnis zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn wurde 1879 unterzeichnet und 1891 auf Italien erweitert. Der entgegengesetzte Pakt zwischen Frankreich und Russland kam 1893 zustande. Großbritannien und Frankreich schlossen 1904 trotz ihres schwelenden Wettstreits um die koloniale Vorherrschaft eine Entente cordiale; zugleich bemühten sich Briten und Russen mit einem 1907 unterzeichneten Vertrag um eine Beilegung ihrer Differenzen in Asien. All diese Allianzen sollten externe Gegner abschrecken, zugleich aber die Ambitionen der jeweiligen Partner im Zaum halten. Sie sorgten zudem dafür, dass die Balkankriege vorerst regional begrenzt blieben3 und führten zu einer Polarisierung Europas, wenn auch nicht in Form homogener Blöcke. Angesichts des Wettrüstens, das bei allen Beteiligten den subjektiven Eindruck einer wachsenden Bedrohung verstärkte, steigerten die Allianzen zugleich das strukturelle Risiko eines Krieges in gleichem Maße wie seine potentielle Tragweite4. Dann ermordete ein junger bosnischer Nationalist serbischer Herkunft mit Unterstützung einer panserbischen Geheimorganisation am 28. Juni 1914 in Sarajevo Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau. Das Attentat auf den Kronprinzen verschaffte der österreichischen Führung einen Vorwand für eine Strafexpedition, die der Bedrohung durch Serbien ein für alle Mal ein Ende bereiten sollte. Mit Rückendeckung durch den berühmten „Blankoscheck“ des Deutschen Reichs vom 5. Juli stellte Österreich-Ungarn Serbien am 23. Juli bewusst ein unannehmbares Ultimatum. Als die Serben sich weigerten, eine der gestellten Forderungen zu erfüllen, machte Österreich-Ungarn mobil und erklärte Serbien schließlich am 28. Juli den Krieg. Eher aufgrund der eingegangenen Bündnisse als durch den Eifer der Diplomatie setzte sich nun das Räderwerk des Krieges in Gang: Am 30. Juli machte Russland zur Unterstützung Serbiens mobil und bewirkte damit, dass Deutschland am 1. August Russland den Krieg erklärte. Am 2. August marschierte Deutschland in Belgien ein, und am 3. August erklärte es auch Frankreich den Krieg. Nach dem Scheitern der erhofften Deeskalation durch die Vermittlungsversuche Lloyd Georges und dem 3 Angelow 2010 [1568]; Hall 2000 [1586]. 4 Clark 2013 [1579]; Mulligan 2010 [1601].
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Überfall auf einen neutralen Staat erklärte am 4. August schließlich Großbritannien Deutschland den Krieg. Ohne Zweifel trugen die Bedingungen, unter denen die diplomatische Kommunikation stattfand, ebenfalls nicht zur Beruhigung der Lage bei, die sich rasant verschlechterte. Kaiser Wilhelm II. befand sich Ende Juli auf einer Kreuzfahrt; als er am 28. Juli von der eskalierten Lage erfuhr, war es für eine Intervention zu spät. Da er glaubte, der Krieg werde zeitlich und räumlich begrenzt sein, ließ er seine österreichischen Verbündeten gewähren. Staatspräsident Raymond Poincaré und Ministerpräsident René Viviani hatten vom 20. bis 23. Juli in St. Petersburg einen Staatsbesuch absolviert und befanden sich vom 23. bis 29. Juli auf der Rückreise – während der entscheidenden Tage der diplomatischen Verhandlungen zwischen den europäischen Staaten. Ohne hier auf die Frage nach den Auslösern des Ersten Weltkriegs und der Verantwortlichkeit der einzelnen Beteiligten einzugehen5, fällt in der Krisensituation im Sommer 1914 das Gewicht des politischen und militärischen Kalküls der Beteiligten ebenso auf wie manche falsche Einschätzung. Der österreichisch-ungarische Generalstab unter Conrad von Hötzendorf war zweifellos entschlossen, einen Militärschlag gegen Serbien durchzusetzen, auch auf die Gefahr hin, damit womöglich einen flächendeckenden Krieg auszulösen. Der deutsche Generalstab unter Helmuth von Moltke nahm dieses Risiko auf sich, denn er hoffte, damit den gegnerischen Block zu entzweien; sollte sich das nicht bewahrheiten, zog er dennoch den Krieg vor, bevor Russland noch mächtiger wurde6. Während die Londoner Regierung zerstritten war, setzte Deutschland seinerseits darauf, dass Großbritannien sich aus dem Krieg heraushalten werde, richtete jedoch zugleich einen Aff ront gegen dessen Interessen und Werte, indem es seine Kriegsmarine aufrüstete und in Belgien einmarschierte. Zar Nikolaus II. fühlte sich angesichts der heiklen Lage durch den Besuch seiner französischen Verbündeten vor Kurzem – insbesondere Poincarés – so bestärkt, dass er nicht lange zögerte, seine Armeen an der Grenze zu Österreich-Ungarn aufzustellen. Insgesamt schränkte die mechanische Inflexibilität der militärischen Kriegspläne den diplomatischen Handlungsspielraum nach Ausbruch der Krise massiv ein. Bei allen Unterschieden zwischen den offiziellen Prioritäten der einzelnen Staaten mitsamt den jeweils dahinterstehenden Kalkülen hatten die Entscheidungen der europäischen Staats- und Regierungschefs eines gemeinsam: Sie alle pochten auf den Schutz ihrer nationalen Interessen, die nach ihrer 5 Diese Frage gab schon ab 1914 Anlass zu zahllosen Publikationen. Anlässlich des 100. Jahrestags des Kriegsausbruchs wurde sie erneut thematisiert. Von den vielen Beispielen vgl. u. a.: Krumeich 2014 [1594]; Clark 2013 [1579]; Mulligan 2010 [1601]; Mombauer 2002 [1599]. Eine Bestandsaufnahme neueren Datums mit umfassender Literaturliste findet sich in Julien 2014 [1840], S. 16–32. 6 Afflerbach, Stevenson 2007 [1567]; Hamilton, Herwig 2003 [1587].
5. Erster Weltkrieg 1914–1918
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Wahrnehmung 1914 aufs Äußerste bedroht waren, und sie alle waren davon überzeugt, unter äußerem Druck handeln zu müssen. Serbien konnte die Bedrohung seiner Souveränität nicht hinnehmen, Österreich-Ungarn musste mit allen Mitteln die serbische Gefahr bannen, Deutschland war zum Handeln gezwungen, um nicht von seinen Feinden eingekreist zu werden, Frankreich musste seinem russischen Verbündeten gegen den „Erbfeind“ Deutschland nach Kräften beistehen, und die Briten konnten die deutschen Drohungen gegen ihre Verbündeten, ihre Prinzipien und ihr Land nicht tolerieren7. Im Vergleich zu den übrigen Staaten waren dabei die Regierungen Frankreichs und Deutschlands nicht die geringsten Kriegstreiber. Die Entschlossenheit beider Staaten zur Verteidigung ihrer unvereinbaren nationalen Interessen erklärt, warum sie immer weniger bereit waren, Kompromisse vorzuschlagen oder zu akzeptieren. Die Haltungen der einzelnen Regierungen im Sommer 1914 machen nicht nur deutlich, wie es überhaupt zum Kriegsausbruch kam, sondern auch, warum der Krieg so lange und so erbittert geführt wurde – solange ihre Bevölkerungen bereit waren, ihnen zu folgen.
Die Gesellschaften im Angesicht des Krieges 1914 wurde die Möglichkeit eines Krieges in Europa generell, vor allem aber in Deutschland und Frankreich, ganz verschieden wahrgenommen. Die letzten großen Konflikte wie der Zweite Burenkrieg (1899–1902) oder der Russisch-Japanische Krieg (1904–1905) lagen in weiter Ferne, und auch die Schauplätze der Balkankriege von 1912 und 1913 waren in den Augen vieler weit weg. In greifbare Nähe rückte der Krieg für die Bevölkerungen der westeuropäischen Metropolen in erster Linie durch die kolonialen Eroberungen. Dennoch war von einem bevorstehenden Krieg auf dem Kontinent häufig die Rede, nicht nur bei Vertretern des Militärs, sondern auch in den Medien und im Kulturbetrieb8. In Frankreich wie in Deutschland stand hinter diesen Andeutungen oft das wechselseitige Feindbild, auf dem das nationale Selbstverständnis beider Völker seit dem Ende des 18. Jahrhunderts fußte9. In einem engeren zeitlichen Rahmen war die Aussicht auf einen Krieg zudem in beiden Ländern ein wichtiges Politikum, sowohl durch die Vergrößerung der mobilisierbaren Truppen (in Deutschland wurde im Juni 1913 die Aufstockung der Streitkräfte um 800 000 einsatzfähige Soldaten bis Oktober 1915 angeordnet; 7 Afflerbach, Stevenson 2007 [1567]; Charle 2001 [376], S. 240–248; Stevenson 1996 [1606]. 8 Jones, Weinrich 2013 [1591]. Zu den Kriegsvorbereitungen der französischen Offiziere anlässlich des Russisch-Japanischen Krieges siehe Cosson 2013 [818]. Zur Erwartung des Krieges in Deutschland siehe Krumeich 2004 [1593]; Berghahn 1973 [1573]. 9 Jeismann 1992 [76].
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in Frankreich verlängerte ein Gesetz im Juli 1913 den Militärdienst von zwei auf drei Jahre) als auch hinsichtlich seiner Finanzierbarkeit (die entstandenen Kosten waren so hoch, dass das Kaiserreich im Juli 1913 eine Steuerreform durchführte und Frankreich im Juli 1914 ein neues Einkommensteuergesetz verabschiedete)10. Durch die ständige Erwähnung im öffentlichen Diskurs wirkte ein Krieg zur Beilegung zwischenstaatlicher Spannungen und Rivalitäten mehr und mehr als konkrete Option, die es entweder zu bekämpfen oder möglichst rasch herbeizuführen galt, wobei über diesen Punkt die öffentliche Meinung beiderseits der Grenze gleichermaßen geteilt war. Die Bevölkerung hoffte zum großen Teil, der Frieden werde halten. Bei den Eliten konnte dies auf objektiven Überlegungen, aber auch auf einer moralischen Haltung oder ideologischen Überzeugung beruhen. Die Wirtschafts- und Finanzkreise waren so gut integriert, dass sie einen Krieg fürchteten11. Insofern würde man es sich allzu leicht machen, wollte man Kapitalismus und Kriegshetze gleichsetzen. Nicht wenige Politiker waren von den um die Jahrhundertwende zunehmenden pazifistischen Ideen beeinflusst. Manche hielten einen Krieg keineswegs für unvermeidlich und regten an, Mechanismen zu entwickeln, mit denen Konflikte nach Ausschöpfung aller Mittel der klassischen Diplomatie am Verhandlungstisch beigelegt werden konnten12. Die Sozialisten schließlich waren im internationalistischen Geist der Internationale13 gegen einen Krieg. Beim Kongress in Basel 1912 diskutierten ihre Delegierten darüber, wie man einen Kriegsausbruch vermeiden könne, jedoch ohne Sabotageakte und Generalstreiks, einem zum Teil glühenden Antimilitarismus zum Trotz14. Andere Gesellschaftsgruppen begrüßten hingegen den Krieg oder sehnten ihn sogar herbei. Für sie war er die logische Konsequenz des aggressiven Nationaldenkens, das sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert herausgebildet hatte, sei es in Frankreich in Gestalt von Maurice Barrès’ republikanischem und Charles Maurras’ integralem Nationalismus oder in Deutschland etwa in Form der verschiedenen radikalnationalistischen und völkischen Bewegungen15. 10 Zur Rüstungspolitik des Deutschen Reichs siehe Berghahn, Deist 1988 [1574], S. 371; Förster 1985 [1453], S. 247; Geyer 1984 [1457]. Zur gesetzlichen Verlängerung des Wehrdienstes siehe Krumeich 1980 [1529]. 11 Diese Sorge formuliert Norman Angell in Großbritannien: Angell 1910 [11]. Siehe Kapitel I.2 „Ökonomische Rivalität und Kooperation“. 12 Siehe Kapitel I.3 „Friedensbewegung“ insbes. über die Deutsche Friedensgesellschaft (1892) und die Union interparlementaire (1889). 13 Die Sozialistische oder Zweite Internationale wurde 1889 von europäischen Sozialistischen Parteien gegründet. 14 Die Sozialistenführer stellten sogar Überlegungen zur Landesverteidigung an. Zu Frankreich siehe Jaurès 1910 [23]. In Deutschland übte die SPD scharfe Kritik am zaristischen Russland. Zum Widerstand der Sozialisten gegen den Krieg siehe Marcolbelli 2015 [600]; Chambarlhac, Ducoulombier 2008 [652]; Kruse 1994 [629]. 15 Siehe Kapitel I.3 „Nationalistische Bewegungen“.
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Der französische Nationalismus war auf der Schwelle zum 20. Jahrhundert selbst bei innenpolitischen Anliegen zwar nicht ausschließlich, aber überwiegend deutschfeindlich. Auch im Dunstkreis des Alldeutschen Verbands hielt man den Krieg für eine Notwendigkeit zur Erneuerung der Nation, zum Abbau sozialer Spannungen und für die Expansion Deutschlands, das sich als eingekreist und von seinen Nachbarn existenziell bedroht erlebte16. Diese sozialdarwinistisch geprägte Weltsicht vertrat auch ein Teil der deutschen Staatsspitze17. Ende Juli 1914 wuchs die Sorge angesichts der rapiden Verschlechterung der diplomatischen Beziehungen. Während der Schulferien sah man in den Städten immer häufiger Menschentrauben bei der Lektüre der Zeitungen und Depeschen, auch wenn die Franzosen ab dem 20. Juli ebenso gebannt den Strafprozess gegen Henriette Caillaux verfolgten18. Nach dem 31. Juli steigerte sich die Besorgnis gelegentlich zur Hysterie, die manche veranlasste, ihr Geld von der Bank abzuheben oder Lebensmittel zu horten19. Auch auf dem Lande sorgten sich die Menschen, doch stand für sie zunächst die Ernte im Vordergrund. Der nationalistische Eifer brach sich zwar hier und da Bahn, war aber bisweilen begleitet von Ängsten: Vor den Botschaften der gegnerischen Länder versammelten sich die Massen zu teilweise bedrohlichen Mobs und plünderten Gaststätten und Geschäfte, deren Eigentümer tatsächlich oder mutmaßlich aus einem feindlichen Land stammten. Man attackierte sogar Fahrzeuge, die angeblich französisches Gold quer durch Deutschland nach Sankt Petersburg transportierten. Die Angst vor Spionen griff um sich20. In den Großstädten Frankreichs und Deutschlands waren nationalistische Aufmärsche an der Tagesordnung, doch auch die Kriegsgegner organisierten sich: Am 27. Juli demonstrierten Zehntausende Pazifisten auf den Pariser Boulevards, und auch in der Provinz war die Mobilisation sehr hoch21. In Berlin protestierten am 28. Juli 100 000 Menschen in 32 Demonstrationszügen gegen einen Krieg22. Zusammenstöße zwischen „Patrioten“ und „Antimilitaristen“ häuften sich, wie beispielsweise am Abend des 28. Juli bei der Erstürmung der
16 General von Bernhardi bezeichnet in seinem Buch „Deutschland und der nächste Krieg“ Letzteren offen als „Existenzkampf“: Bernhardi 1912 [13]. Siehe Kapitel I.3 „Nationalistische Bewegungen“. 17 Lindemann 2001 [1597]. 18 Die Frau des Finanzministers und früheren Ministerpräsidenten Joseph Caillaux stand vor Gericht wegen der Ermordung des Herausgebers des Figaro, Gaston Calmette, der eine Pressekampagne gegen ihren Mann geführt hatte. Le Naour 2007 [1596]. 19 Verhey 2000 [1609], S. 86–91. 20 Zu Frankreich: Bavendamm 2004 [1570], S. 55–57. Zu Deutschland: Verhey 2000 [1609], S. 70–71. Die Spionagephobie war schon im Krieg 1870 / 71 verbreitet. Siehe Kapitel I.1 „Deutsch-Französischer Krieg 1870 / 71“. 21 Becker 1977 [1571], S. 184, 150–156. 22 Hirschfeld, Krumeich 2013 [1549], S. 54; Verhey 2000 [1609], S. 94–105.
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Redaktion einer sozialistischen Zeitung in Freiburg im Breisgau23. Ihren Höhepunkt erreichte die Konfrontation in Paris am Abend des 31. Juli mit der Ermordung des Sozialistenführers Jean Jaurès, der den Nationalisten aufgrund seiner pazifistischen Haltung ein Dorn im Auge war24. Am selben Tag verkündete Kaiser Wilhelm II., sein Land befinde sich im „Zustand der drohenden Kriegsgefahr“. Am folgenden Tag, dem 1. August, gaben Frankreich ebenso wie Deutschland in Anschlägen die allgemeine Mobilmachung bekannt. Die Glocken läuteten Sturm. Im Berliner Lustgarten beklatschte eine Menschenmenge unter den Fenstern des Stadtschlosses die Balkonrede des Kaisers. In Paris strömte eine Menschenmenge, auf Informationen hoffend, zu den Zeitungshäusern in der Nähe der großen Boulevards. Die Wochenschauen zeigten enthusiastisch einrückende Soldaten zwischen freudetrunkenen Massen, die die Prachtstraßen säumten. Ebenso zeigte man die Soldaten an den Bahnhöfen beim Besteigen der Züge, die sie eher an die Front bringen sollten und nicht „Nach Paris!“ oder „À Berlin!“, wie nicht wenige prahlerische Aufschriften verkündeten. Solche eindrücklichen Bilder aus den Großstädten beflügelten den Mythos vom jubelnden Einzug in den Krieg, doch gehen neuere Forschungsarbeiten inzwischen davon aus, dass es sich dabei um Minderheiten handelte, die auf bestimmte gesellschaft liche Kreise beschränkt blieben, überwiegend auf das zum Teil in die Sommerferien gefahrene städtische Bürgertum und die Studenten, die kaum repräsentativ für die Gesamtbevölkerung waren25. Zudem lässt sich von den Menschenansammlungen, die es zweifellos gab, nicht auf eine allgemeine patriotische Kriegslüsternheit schließen26. Der Rausch, in den viele angesichts der Ereignisse verfielen, trug sicherlich auch patriotische Züge, war jedoch auf die eine oder andere Weise mit Angst vermischt. Viele Augenzeugenberichte sprechen im Gegenteil davon, wie bedrückt die meisten Menschen in den Städten und auf dem Land die Neuigkeit vom Krieg aufnahmen. Ein deutlicher Unterschied bestand zwischen privaten Reaktionen, bei denen Sorge, Angst und Resignation oft Hand in Hand gingen, und öffentlichen Bekundungen, bei denen man sich betont gelassen, couragiert und entschlossen gab.
23 Chickering 2009 [1578], S. 64. 24 Lalouette 2014 [664]; Duclert 2013 [658]; Becker, Kriegel 1964 [662]. 25 Chickering 2009 [1578]; Strachan 2003 [1565]; Verhey 2000 [1609]; Geinitz 1998 [1583]; Raithel 1996 [1604]; Kruse 1991 [1595]; Flood 1990 [1723]; Becker 1977 [1571]. 26 Mariot 2001 [1598].
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Union sacrée und Burgfrieden Die während des Krieges und danach geschilderten persönlichen Eindrücke der ersten Kriegstage waren also durchaus nicht überall identisch und entsprachen auch nicht dem angeblich von spontanem Jubel geprägten einhelligen „Geist von 1914“. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Bevölkerungen beider Länder auf den jeweiligen Regierungskurs einschwenkten und die Verteidigung ihrer nationalen Interessen gleichermaßen für notwendig und legitim hielten. Beide Staaten machten umgehend ihre Autorität geltend: Frankreich am 2. August durch die Verhängung des Belagerungszustands, Deutschland am 4. August durch die Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes. Die Befugnisse der Militärbehörden wurden erweitert. Von Meinungsfreiheit konnte keine Rede mehr sein; die Presse wurde überwacht, und eine strikte Zensur entschied, was gedruckt werden durfte und was nicht27. Die Regierungen behielten sich vor, notfalls mit präventiven Verhaftungen die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten und jeden konkreten Widerstand gegen den Krieg zu unterdrücken, verzichteten aber letztlich darauf, weil es gar nicht nötig war28. In Wahrheit war die Einmütigkeit in erster Linie eine politische Angelegenheit, die von der Staatsspitze angestrebt wurde. In Frankreich wurde am Nachmittag des 4. August in der Abgeordnetenkammer und im Senat eine Botschaft Raymond Poincarés verlesen: „Im nunmehr beginnenden Krieg wird Frankreich das Recht auf seiner Seite haben, dessen ewige Macht Völker und Individuen nicht ungestraft missachten können. Frankreich wird von allen seinen Söhnen heldenhaft verteidigt werden, deren heilige Einheit [union sacrée] angesichts des Feindes nichts zu brechen vermag, sie alle sind heute brüderlich geeint in der Entrüstung vor dem Aggressor und im patriotischen Glauben.“ Der Begriff „heilig“ hatte im laizistischen Frankreich eine spezielle Bedeutung. Er belegte die Einheit quasi mit einem politischen Tabu. Sie gewann dadurch an Kraft, denn der sakrale Charakter, der ihr unterstellt wurde, brandmarkte von Vornherein jegliche Skepsis an dieser Politik als unzulässig. Über diesen Umweg rief der Präsident alle Franzosen zur Einheit auf, bezeichnete die union sacrée doch letztlich die Einheit der gesamten Nation. Auf Regierungsebene äußerte sich die Einmütigkeit ab dem 26. August durch die Regierungsbeteiligung von Vertretern der Opposition, nämlich der sozialistischen Linken (Jules Guesde, Marcel Sembat, Albert Thomas) und der republikanischen Rechten (Théophile Delcassé, Aristide Briand, Alexandre Ribot), jedoch noch ohne Vertreter der nationalistischen oder katholischen Rechten. Das Bild sollte nicht täuschen: Die union sacrée überbrückte die tiefen 27 Forcade 2016 [1724]. 28 Becker 1973 [647].
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Kluften in Frankreich nicht vollständig, vor allem nicht diejenige zwischen den klerikalen Kräften und ihren Widersachern29. Statt von einer heiligen Einheit war daher eher die Rede von einem Waffenstillstand zwischen den Parteien, den man auf den vermeintlich kurzen Krieg beschränkt sah. Die Differenzen wurden bis zur Wiederaufnahme des politischen Kampfes auf Eis gelegt, waren aber nicht aus der Welt. Das galt ebenso für die jeweilige Haltung zum Krieg: In den Augen der Sozialisten war er ein Übel, das allerdings dem sozialistischen Ideal der Verbrüderung aller Menschen letztlich zum Durchbruch verhelfen mochte. Die französischen Katholiken sahen in ihm eine Sühne für 40 Jahre Republik, und manche Nationalisten erlebten ihn als heilsamen Bruch mit dem Materialismus und als Chance für einen reinigenden Opfergang. Zeitgleich war in Deutschland die Vorstellung von einem provisorischen Waffenstillstand in ähnlicher Weise verbreitet. Der Kaiser selbst beschwor mit dem Begriff des Burgfriedens die Einheit seines Volkes. Am 6. August verkündete er, das Land müsse einem Feind die Stirn bieten, der es „mitten im Frieden“ überfallen habe. Vonnöten sei der Schulterschluss ausnahmslos aller Deutschen: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!“ Für die Dauer eines Krieges, den er zur gerechten Verteidigung erklärte, forderte Wilhelm II. die Aussetzung der politischen Differenzen und die Einheit der Nation. Ähnlich wie in Frankreich stellte der Burgfrieden zwei oppositionelle Gruppen vorerst kalt: Sie zwang die Sozialisten, ihren Widerstand gegen den imperialistischen Krieg auszusetzen und der nationalen Verteidigung zu dienen, und sie dämpfte die Kontroversen zwischen den in der Minderzahl befindlichen Katholiken, die im Ruch des internationalen Ultramontanismus gestanden hatten, und den vom Kaiser als obersten Kirchenherr geschützten Protestanten. Doch auch in Deutschland waren die Differenzen nicht völlig vom Tisch. Die Alldeutschen begrüßten die Erneuerung der Volksgemeinschaft und die Beilegung der inneren Spannungen der Vorkriegszeit, die Konservativen sahen im Burgfrieden die explizite Unterstützung der Monarchie in ihrem damaligen Zustand, und die Sozialdemokraten witterten eine Gelegenheit, mit dem Kriegseinsatz der Arbeiterklasse demokratische Reformen zu erkaufen. In Frankreich wie in Deutschland waren die Politiker überzeugt, ihre Nation habe den Krieg nicht gewollt und damit das Recht auf ihrer Seite. Dieser Logik folgend bewilligten die Parlamente die Kriegskredite so gut wie einstimmig30 – erstaunlicherweise mit Zustimmung der Sozialisten, die damit im Grunde ihre eigene Ideologie verrieten. Dabei hatten Vertreter der Arbeiterbewegungen noch am 29. Juli 1914 an einer Dringlichkeitssitzung des Internationalen Sozialistischen Büros in Brüssel teilgenommen, bei der es um die Orga29 Siehe Kapitel I.3 „Kulturkämpfe und Laizität“. 30 In Frankreich einstimmig, in Deutschland fast einstimmig (von den 110 Reichstagsabgeordneten der Sozialisten enthielten sich nur 14).
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nisation des pazifistischen Widerstands gegangen war: Neben anderen hatten Hugo Haase und Jean Jaurès die Völker zur Überwindung ihres kriegslüsternen Nationalismus’ aufgerufen und sich anschließend demonstrativ umarmt. Den für den 9. August in Paris angesetzten Kongress sagte die Zweite Internationale jedoch ab, weil ihr die Zeit dafür fehlte und sie keinen Handlungsspielraum sah, vor allem aber, weil die Realität ihr bisheriges Vorgehen weitgehend eingeholt hatte. Die französischen Sozialisten standen nach der Ermordung von Jaurès unter Schock. Wie ihre Landsleute waren sie überzeugt, die Aggression gehe von Deutschland aus. Daher wollten sie bei der Verteidigung ihres Landes und vor allem der Republik gegen den preußischen Militarismus nicht zurückstehen. Die deutschen Sozialisten zögerten, durch Widerstand gegen den Krieg ihre prekäre Position innerhalb der politischen Landschaft zu gefährden. Für sie ging die Aggression von Russland aus und sie wollten ihre Nation gegen die Bedrohung durch ein autokratisches slawisches Regime verteidigen. Um solche Loyalitäten nicht aufs Spiel zu setzen, verzichteten die Regierungen beiderseits der Grenze auf die präventive Verhaftung sozialistischer Anführer und Parteigenossen31. Entgegen den pessimistischen Vorhersagen der Generalstäbe verlief die Mobilmachung reibungslos. Verweigerungen waren selten32. Die Männer, die in den Krieg zogen, wollten ihr bedrohtes Vaterland verteidigen, nicht zuletzt, weil sie von einem kurzen Krieg ausgingen und keine Vorstellung von den tatsächlichen Zuständen an der Front hatten33. Nicht zu unterschätzen war zugleich, dass die Einberufung eine gesetzliche Pflicht darstellte. Schulbildung und Militärdienst hatten die männliche Bevölkerung im Kaiserreich ebenso wie in der Republik jahrzehntelang zum Gehorsam erzogen. Das Verhalten des Einzelnen war in städtischen und ländlichen Gemeinschaften gleichermaßen geprägt durch seine gesellschaft liche Stellung und die Erwartungen seines Umfelds und seiner Angehörigen, die es ihm schwer machten, sich der Mobilmachung zu entziehen34. Angesichts des überall öffentlich gezeigten Hurrapatriotismus war eine abweichende Meinung, Verweigerung oder Kritik verpönt und entsprechend selten.
31 Siehe Kapitel I.3 „Arbeiterbewegungen und Sozialpolitik“. 32 Der Verweigerungsanteil betrug in Frankreich geschätzt unter 1 %. Vgl. Boulanger 1997 [1576]. Christoph Jahr schätzt ihn für das deutsche Heer auf 0,32 % (gegenüber 0,2 % in den Jahren vor 1914): Jahr 1998 [1650], S. 47–48. 33 Jones, Weinrich 2013 [1591]. 34 Loez 2010 [1664]; Charle 2001 [376].
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Die Fronten in einem langen Krieg
Die Konfrontation mit der Kriegsrealität und das Scheitern der militärischen Pläne 1914 waren sich die Prognosen darin einig, dass ein moderner Krieg aufgrund des hohen Aufwands kurz sein musste, denn die Mobilmachung der Zivilbevölkerung würde das Wirtschaftsleben im Agrarbereich, in Industrie und Handel ebenso wie das gesellschaft liche Leben zum Erliegen bringen und die Regierungen zwingen, diese Situation baldmöglichst zu beenden. Folglich stützte sich die militärische Strategie beider Staaten auf das simple Prinzip der Offensive: die Kräfte geballt gegen den Feind ins Feld schicken, um möglichst schnell den entscheidenden Sieg zu erringen35. Dementsprechend waren die Pläne der Generalstäbe beider Seiten rein offensiv und auf einen wenige Wochen dauernden Krieg ausgelegt. Allerdings gab es Unterschiede zwischen beiden Ländern. Auf deutscher Seite war der Plan 1905 angesichts der Annäherung zwischen Frankreich und Russland von General Alfred von Schlieffen erstellt und später von General Helmuth von Moltke überarbeitet worden36. Um nicht an zwei Fronten kämpfen und die Truppen teilen zu müssen, setzte der Schlieffen-Plan darauf, Russland werde schon aufgrund seiner Ausdehnung Zeit für die Mobilmachung brauchen. Bis dahin wollte man in einem schnellen, effizienten Feldzug zunächst die französische Armee ausschalten und dann mit allen Kräften die russische Armee vernichtend schlagen. Die Voraussetzung waren Schnelligkeit sowie eine deutliche zahlenmäßige und materielle Überlegenheit. Diese Strategie spiegelte das Vertrauen des deutschen Generalstabs in die Fähigkeiten seiner Truppen, die sich auf ihre überragende schwere Artillerie stützen konnte. Sie hatte allerdings einen Schwachpunkt: Unter Meidung befestigter Hindernisse wollte man die Ebenen Belgiens durchqueren, die französische Armee an ihrer Flanke angreifen und dann nach Paris vorrücken. Die deutsche Regierung ging zwar davon aus, dass Belgien den deutschen Truppen den Durchmarsch gestatten würde, doch bestand die Gefahr, dass die Verletzung der territorialen Integrität des neutralen Staats Großbritannien auf den Plan rufen würde. Im Vertrauen auf einen kurzen Krieg ging der deutsche Generalstab dieses Risiko dennoch ein. Den französischen Plan (der als 17. seiner Art plan XVII hieß) hatte General Joseph Joff re 1911 erstellt37. Er wollte mit einem Angriff auf das Elsass
35 Hamilton, Herwig 2010 [1588]. 36 Ehlert, Epkenhans, Gross 2006 [1580]; Zuber 2004 [1611]; Mombauer 2002 [1599]; Zuber 2002 [1610]. 37 Cosson 2013 [818]; Becker 2006 [1622].
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zunächst eine Welle des Patriotismus in Frankreich auslösen, dann Lothringen erobern, schließlich den Rhein überqueren und bis nach Berlin vorrücken. Joff re kannte den Schlieffen-Plan, war jedoch von dessen Scheitern überzeugt, denn im Osten würde der Zar vereinbarungsgemäß sofort nach Kriegsbeginn in die Offensive gehen und die deutsche Heeresleitung zu einem Zweifrontenkrieg zwingen, während im Westen die französischen Truppen den Feind derweil zurückwerfen würden. Falls die deutschen Truppen die Route durch Belgien nehmen sollten, würde die 5. Armee sich ihnen in den Weg stellen. Von den beiden gleichermaßen siegesgewissen Angriffsplänen scheiterte der französische zuerst. Im Elsass wurden die Franzosen von einer deutschen Gegenoffensive rasch zurückgedrängt. In Lothringen waren sie erstmals mit der von ihnen völlig unterschätzten Feuerkraft der deutschen Artillerie konfrontiert, die jede ihrer Bajonettattacken in ein Blutbad verwandelte. Die deutschen Truppen überrumpelten derweil die belgische Armee und marschierten Richtung Paris38. Um einen Rückzug zu vermeiden, versuchte Joffre, den deutschen Vormarsch noch in Belgien zu stoppen. Die Schlacht bei Charleroi (21.–23. August) verkörperte die seit Kriegsbeginn erhoffte große Konfrontation, festigte jedoch die Position der Deutschen, die dank ihrer weitaus umfangreicheren und effi zienteren Artillerie die französischen Truppen über die Grenze nach Frankreich zurückdrängten39. Die Verluste waren auf beiden Seiten enorm. Nach zermürbenden Märschen standen sich die Infanteristen im ebenen Gelände frontal gegenüber und waren erstmals modernen Feuerwaffen ausgesetzt – den treffsicheren Schüssen der französischen 75-mm- und den deutschen 77-mm-Feldkanonen ebenso wie der großen Reichweite der Lebel- und Mauser-Gewehre sowie dem automatischen Feuer selbst ladender Maschinengewehre. Obwohl die Deutschen an zwei Fronten kämpften, konnten sie in den ersten Kriegswochen an der Westfront ihre zahlenmäßige Überlegenheit behaupten, da die Oberste Heeresleitung (OHL) von Anfang an die Reservisten zu den Fahnen gerufen hatte. Dagegen hatte das französische Oberkommando in der Hoffnung auf einen kurzen, wenn auch blutigen Krieg und an der Effi zienz der Reservisten zweifelnd zunächst nur sein aktives Heer ins Feld geschickt40. Am 29. August 1914 brach ein Kommuniqué des französischen Generalstabs das wochenlange Schweigen mit der Meldung einer „unveränderten Situation von der Somme bis zu den Vogesen“. Verblüfft entdeckten die Franzosen, dass der Feind bereits in ihr eigenes Land vorrückte. Die französische Presse hatte den Rückzug der eigenen Truppen verschwiegen, doch nun trafen überall Ströme von Flüchtlingen ein41. Wie ein Lauffeuer verbreiteten sich die von ihnen
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Mombauer 2002 [1599]. Baldin, Saint-Fuscien 2012 [1619]. Becker, Krumeich 2010 [1541], S. 193. Becker 2010 [1700]; Nivet 2004 [1760].
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geschilderten grauenhaften Vorfälle als „deutsche Kriegsgräuel“42. So hieß es etwa, die Deutschen würden Kindern die Hände abhacken, damit sie später keine Soldaten wurden. In diesem Fall handelte es sich um ein Schauermärchen, doch begingen die Deutschen beim Einmarsch in Belgien und Nordfrankreich zahlreiche Kriegsverbrechen, von Vergewaltigungen über Brandstiftung und Plünderungen bis zu Massakern an der Zivilbevölkerung. Sie töteten mindestens 6000 Zivilisten, darunter 5500 Belgier43. Die Deutschen selbst rechtfertigten die Ausschreitungen damit, sie hätten sich ähnlich wie schon 1870 gegen Freischärler zur Wehr setzen müssen44. Wie einige Historiker betonen, ging die – durchaus echte – Angst der deutschen Truppen vor Freischärlern in erster Linie auf tradierte Vorstellungen zurück. Tatsächlich kam es leicht zu Verwechslungen, denn die Schüsse konnten von versprengten belgischen oder französischen Soldaten abgegeben worden sein, von den deutschen Truppen selbst oder von Angehörigen der leicht bewaff neten belgischen Bürgerwehr (Garde civique), die häufig für Zivilisten gehalten wurden45. Andere Historiker sind hingegen überzeugt, es habe tatsächlich einen Franktireur-Krieg gegeben, der dem Kriegsrecht zuwiderlief und die deutschen Übergriffe erkläre46. In jedem Fall schürten die Schilderungen solcher Gräuel die Empörung der Alliierten. Frankreich nutzte sie zu Propagandazwecken, um sich der öffentlichen Meinung im In- und Ausland als Opfer feindlicher Angriffe, ja sogar als Märtyrer zu präsentieren, und untermauerte damit die moralische Deutung des Krieges als Konflikt zwischen Recht und Gewalt, Gerechtigkeit und Autorität, Zivilisation und Barbarei. Die deutsche Propaganda hingegen prangerte – im Gegenzug zu den alliierten Berichten über deutsche Untaten an der Ostfront – die von Kosaken beim Einmarsch der Russen in Ostpreußen begangenen Gräueltaten an47. Dass es an der West- und Ostfront zu Verbrechen gekommen war, bestärkte beide Seiten darin, man verteidige sich völlig zu Recht und müsse den Krieg möglichst vom eigenen Land fernhalten, um nicht selbst Opfer der damit einhergehenden Gewalttaten zu werden. Erst nach dem Ende der Invasion trat das von der Propaganda aufgeblähte Thema der Gräueltaten erneut in den Hintergrund. Doch die gleiche Diskrepanz zwischen den nationalen Blickwinkeln findet sich hinsichtlich der materiellen Zerstörungen im Zuge des deutschen Einmarsches in Belgien, insbesondere der Vernichtung der kostbaren Universitätsbibliothek von Löwen (am 26. August), der Rückzugs- und Entsatzungsgefechte im Anschluss an die Marne-Schlacht so-
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Kramer, Horne 2004 [1487]. Ebd., S. 120. Siehe Kapitel I.1 „Deutsch-Französischer Krieg 1870 / 71“. Kramer, Horne 2004 [1487], S. 137–259. Siehe dazu das umstrittene Buch von Keller 2017 [1489] sowie Spraul 2016 [1503]. Liulevicius 2000 [1663].
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wie der Bombardierung der Kathedrale von Reims (4.–19. September)48. Frankreich empörte sich über diese abstoßenden Untaten und sah sie als Beweis für die Barbarei der Deutschen. Die deutschen Behörden beriefen sich hingegen auf die Unwägbarkeiten des Krieges, die ihre Bemühungen um Schadensbegrenzung zunichtegemacht hätten. Im Fall der Kathedrale von Reims kehrten sie die Anschuldigungen zulasten der Franzosen um: Weniger um den Schutz ihres Kulturerbes bemüht als darum, die Deutschen moralisch in ein schlechtes Licht zu rücken, hätten sie einen Beobachtungsposten ausgerechnet oben auf dem Hauptturm des Doms platziert. Die schon im Krieg verbreiteten Bilder der Trümmer spiegelten zwar das sprachlose Entsetzen über die Auswirkungen eines modernen Krieges, wurden jedoch gegensätzlich gedeutet. Die Franzosen verwiesen auf die Ruinen als unwiderlegbaren Beweis dafür, dass der Feind solche Frevel absichtlich beging. Ebenso brachten die Deutschen Schuldzuweisungen vor: Die Ruinen bewiesen, dass die Franzosen und ihre Verbündeten ihren eigenen Städten und Dörfern ebenso wenig Achtung entgegenbrachten wie deren Einwohnern, die nicht immer rechtzeitig vor Ankunft des Feindes evakuiert worden waren. Folglich sei außerhalb der eigenen Grenzen erhöhte Wachsamkeit geboten, damit solche Verwüstungen sich nicht im eigenen Land wiederholen. Solche spiegelbildlichen Diskurse verdeutlichen, wie die Zerstörungen weit über ihre materiellen Aspekte hinaus die Wahrnehmung des Krieges beeinflussten. An der Ostfront brachten die deutschen Truppen am 30. August 1914 unter dem Kommando von Hindenburg und Ludendorff die anfangs in Ostpreußen erfolgreiche russische Armee bei Tannenberg zum Stehen49. An der Westfront verließ die französische Regierung Anfang September Paris und zog sich nach Bordeaux zurück, im Gepäck das Gold der Banque de France. General Joseph Gallieni machte sich bereit, die Hauptstadt gegen den vorrückenden Feind zu verteidigen. Doch nach dem frühen Scheitern des plan XVII schlug nun der Schlieffen-Plan fehl. Den Ausschlag dafür gab die Marne-Schlacht vom 5. bis 9. September: Ein Sieg der Deutschen hätte den Krieg wie erhofft nach nur fünf Wochen beenden können, doch die französischen Truppen brachen ihren Rückzug ab und stellten sich ihren Verfolgern entgegen. Die in schlecht koordinierten Bewegungen vorrückenden, erschöpften deutschen Soldaten mussten sich letztlich hinter eine Linie zurückziehen, die von Soissons bis Verdun reichte50.
48 Danchin 2015 [1806]. 49 Diese Schlacht versinnbildlichte aus Sicht der Deutschen die Einkreisung, als deren Opfer sie sich sahen und die zugleich die Verteidigung ihres Landes rechtfertigte. Der Sieg gewann umgehend eine hohe Symbolwirkung: In Tannenberg wurde die Nation gerettet, an genau dem Ort, an dem die Deutschordensritter 1410 besiegt worden waren. Sweetman 2002 [1686]; Schenk 2001 [1860]. 50 Wie Tannenberg für die Deutschen, war für die Franzosen die Marne fortan Schauplatz ihrer Errettung. Das „Wunder an der Marne“ änderte sogar den weiteren Kriegsverlauf. Herwig 2009 [1646].
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Mehrere Wochen lang versuchte jede der beiden Armeen, der anderen nach Norden hin den Weg abzuschneiden, doch dieser „Wettlauf zum Meer“ kam bei Ypern in Westflandern zum Stillstand. Am 10. November stoppten britische Maschinengewehre den deutschen Vormarsch bei Bixschoote. Das deutsche Oberkommando legte dennoch einen heroischen Heeresbericht vor: „Westlich Langemarck brachen junge Regimenter unter dem Gesange ,Deutschland, Deutschland über alles‘ gegen die erste Linie der feindlichen Stellungen vor und nahmen sie.“ Damit war der Grundstein für den Langemarck-Mythos gelegt51. Auf einer Länge von 700 Kilometern, von der Nordsee bis zur Schweizer Grenze, erstarrte die Front. Zehn französische Departements waren ganz oder teilweise besetzt, ebenso das gesamte belgische Staatsgebiet. Um die eroberten Gebiete zu halten und um ein Vorrücken des Feindes zu verhindern, gruben sich die Armeen ein. Der Krieg veränderte seinen Charakter: Er wurde zum Stellungskrieg und es wurde klar, dass er sich erheblich länger hinziehen würde als zunächst gehofft.
Die Schützengräben – eine neue Form der Kriegführung Nachdem die schnellen Bewegungen der ersten Wochen zum Stillstand gekommen waren, suchten die Soldaten zunächst in einzelnen Mannlöchern Schutz vor feindlichem Feuer, dann in kurzen Laufgräben, die sie nach und nach miteinander verbanden, befestigten und sicherten. In den Gräben mussten sie sich vor Witterungseinflüssen schützen und Bunker ausbauen, in denen sie essen und schlafen konnten. Soweit vorhanden, nutzte man natürliche Vertiefungen und alte Steinbrüche, doch das meiste wurde eigens ausgehoben und befestigt. Als klar war, dass die provisorischen Stellungen Bestand haben mussten, wurden die Schützengräben immer ausgefeilter und wuchsen nach und nach zu einem in der Tiefe gestaffelten modernen Festungssystem heran (erste und zweite Linie, Versorgungsgänge). Die Verbindungsstollen zwischen den Stellungen dienten zur Ablösung und zum Schutz der Frontsoldaten. Verstärkt wurden die Verteidigungsanlagen durch Beobachtungsposten, Maschinengewehrnester, Schanzen mit Stacheldrahtverhauen vor den vordersten Linien sowie Tarnnetze als Sichtschutz vor Aufk lärungsflugzeugen. Allerdings gab es Unterschiede zwischen den Grabensystemen. Die französischen Schützengräben waren weniger ausgebaut, da sie auch langfristig nur als Provisorium galten. Sie auf Dauer auszubauen hätte bedeutet, man habe sich mit dem anhaltenden Grabenkrieg abgefunden, die Besetzung weiter Teile des
51 Die Propaganda schuf den Langemarck-Mythos, um durch einen heldenhaften Akt die Fehlschläge der vorangehenden Wochen zu überdecken. Er errichtete eine dauerhafte Verbindung zwischen den Konzepten Jugend, Opferbereitschaft und Vaterlandsliebe. Weinrich 2009 [1864]; Krumeich 2001 [1844]; Unruh 1986 [1863].
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Staatsgebiets hingenommen und den Gedanken an eine schnelle Befreiung und die Rückkehr zum Bewegungskrieg aufgegeben. Aus Sicht der Deutschen hingegen musste das Grabensystem effi zient gefestigt sein, weil sich ihre Stellungen im Feindesland befanden. Diese unterschiedlichen Perspektiven erklären, warum die Deutschen mehr Zeit und Material für die Befestigung ihrer Schützengräben aufwendeten und systematischer Schlafquartiere ausbauten, Vorratsbunker für Lebensmittel und Munition anlegten, die Grabenwände mit Holz verschalten und Stromleitungen verlegten. Auch Stacheldraht und Beton setzten sie in viel größerem Umfang ein als ihre Gegner. Ihre Stellungen waren besser vor Artilleriefeuer geschützt, durch Bunker und teilweise unterirdische Schutzräume ergänzt und entsprechend schwerer einzunehmen. Zudem waren sie nicht ganz so ungesund wie die Gräben der Gegenseite. Durch Frontverschiebungen kannten und schätzten die französischen Soldaten die Qualitäten deutscher Schützengräben, während die Deutschen die Lebensbedingungen in den feindlichen Stellungen mit Entsetzen zur Kenntnis nahmen. Militärisch erstarrte die Lage in dieser Konfiguration, zumal die Geschehnisse der ersten Kriegswochen – die extrem hohen Verluste (allein in der MarneSchlacht fielen 550 000 Mann) und die Konzentration der nationalistischen Diskurse auf die vom jeweiligen Feind begangenen Zerstörungen – Kompromisse erschwerten und keine andere Option als den Sieg zuließen. Die Herausforderung lag darin, sich an einen Stellungskrieg anzupassen, dessen Ende nicht absehbar war. Die Grundlage dieser neuen Form der Kriegführung bildeten starke Verteidigungsanlagen mit Schützengräben, Stacheldraht, Maschinengewehren und Artillerie. Sie schränkten die Wirksamkeit von Infanterieattacken über das Niemandsland hinweg erheblich ein und ließen Offensiven zumeist scheitern. Trotzdem dauerte es lange, bis sich beim Militär ein Umdenken abzeichnete. Die Generalstäbe beharrten nämlich weiter auf dem Primat von Offensive, Bewegung und Manöver. Das französische Oberkommando war überzeugt, es werde den Durchbruch erzielen und die besetzten Gebiete befreien. Genau darauf zielten Joff res Großoffensiven52 im Artois (Dezember 1914), in der Champagne (Februar und September 1915) und in den Argonnen (März bis November 1915) ebenso wie die für Juli 1916 an der Somme geplante interalliierte Offensive ab. Tatsächlich führte dies jedoch zu einem regelrechten Massaker der französischen Infanterie angesichts der immer effizienter befestigten, mit schwerer Artillerie verteidigten deutschen Schützengräben. Die Erkenntnis, dass man es mit einem neuartigen Materialkrieg zu tun hatte, setzte sich nur zögerlich und in Teilen durch. Auf deutscher Seite beschränkte sich das Oberkommando angesichts der eigenen Feuerkraft darauf, sich nur noch zu verteidigen und zumindest vorläufig damit abzufinden, dass sich die Westfront nicht
52 Conte 1998 [1632].
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bewegte und jede Operation aufgrund der massiven Befestigungen zum Scheitern verurteilt war. Deutschland hatte mit dem Schlieffen-Plan einen Zweifrontenkrieg verhüten wollen. Da der schnelle Feldzug gegen Frankreich gescheitert und die Westfront im Grabenkrieg erstarrt war, konnte es seine Prioritäten neu ordnen und zunächst die russische Armee ausschalten. Das befürworteten die seit ihren Siegen bei Tannenberg (August 1914) und in Masuren (Februar 1915)53 hoch angesehenen Generäle Hindenburg und Ludendorff. Doch als die Strategie im Herbst 1915 weitgehend fehlschlug und die Ostfront in gleicher Weise ins Stocken geriet, gewann eine erneute Initiative im Westen an Attraktivität. Im Februar 1916 führte Erich von Falkenhayn die Truppen bei Verdun in die Schlacht54. Ob die Deutschen mit diesem Vorstoß den Feind bezwingen oder nur zermürben wollten, bleibt offen, doch wird die zweite Option mehr und mehr wie ein nachträglicher Rationalisierungsversuch angesehen55. Die Schlacht endete in einem furchtbaren Blutbad: Rund 160 000 französische und 140 000 deutsche Soldaten kamen in der von der Artillerie entfesselten Hölle um56. Für die Deutschen war die Schlacht ein Misserfolg: Verdun konnte nicht eingenommen werden und die Verluste waren auf beiden Seiten in etwa gleich hoch. Für die Frontsoldaten wurde die Schlacht zum Himmelfahrtskommando, denn die Heeresleitung schickte sie unerbittlich in eine Feuersbrunst, aus der es kaum ein Entrinnen gab. Auf französischer Seite stachelte General Philippe Pétain seine Männer von Anfang an zum erbitterten Widerstand auf, organisierte die Verteidigung von Verdun und sicherte den Nachschub auf der Voie sacrée zwischen Bar-le-Duc und Verdun mit einer endlosen Kette von Lastwagen, der sogenannten noria. Präsident Poincaré besuchte die Soldaten mehrmals. Für die Franzosen wurde Verdun so zum Inbegriff des Verteidigungssiegs gegen den Aggressor und zugleich zum Sinnbild für das Grauen, das die Mehrheit der damals mobilisierten Soldaten im Feld erlebte57. An der Somme fand im selben Jahr die größte Schlacht des Ersten Weltkriegs statt. Im Juli 1916 starteten Großbritannien und Frankreich eine seit Dezember 1915 vorbereitete gemeinsame Offensive, die zunächst die Reserven der Deutschen aufzehren und dann ihre Linien durchbrechen sollte58. Aufgrund der hohen französischen Verluste bei Verdun trugen letztlich die Briten die Hauptlast der Offensive, die sich aufgrund des massiven Widerstands mehrerer deutscher Verteidigungslinien bis November hinzog und einen enormen Blut53 Neblin 2011 [1671]; Goltz 2009 [1836]; Pyta 2007 [1677]. 54 Afflerbach 1994 [1612]. 55 Krumeich, Prost 2015 [1656]; Jankowski 2013 [1651]; Cochet 2006 [1834]; Hull 2005 [1488]; Krumeich 1996 [125]. 56 Brown 2009 [1625]; Canini 1988 [1628]. 57 Krumeich, Prost 2015 [1656]; Jankowski 2013 [1651]; Prost 1986 [1856]. 58 Denizot 2002 [1634].
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zoll forderte (206 000 Tote auf britischer, 66 000 auf französischer und 170 000 auf deutscher Seite). In deutschen Schilderungen des Ersten Weltkriegs steht meist die Schlacht an der Somme im Vordergrund, während Verdun nur am Rande vorkommt. War der Angriff in Verdun von Deutschland ausgegangen, sodass ihm dort die Rolle des Aggressors zukam, kehrten sich an der Somme die Rollen teilweise um. Die deutschen Soldaten waren überzeugt, an der Somme hätten sie ihr Vaterland gegen die britische Bedrohung verteidigt und der gesamten Entente die Stirn geboten59. Dass ein Sieg nur mit einem Durchbruch im Stellungskrieg zu erreichen sein würde, war auch die Überzeugung von Robert Nivelle, der Joff re im Dezember 1916 als Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte ablöste. Dieses Ziel verfolgte er im April 1917 mit einer Offensive am Chemin des Dames im Departement Aisne. Den überschwänglichen französischen Heeresberichten zum Trotz erwies sie sich schnell als Misserfolg, gewannen die französischen Truppen doch nur minimal an Terrain, während sie fast 200 000 Mann einbüßten und intern durch Meutereien geschwächt wurden60. Mitte Mai erfolgte bereits die Ablösung Nivelles durch Pétain. Im Juli starteten dann die Briten bei Passchendaele in der Nähe von Ypern eine erneute Offensive im Norden der Front. Doch auch hier war der Preis hoch: Bis November waren über 500 000 Soldaten gefallen oder in den Schlammwüsten Flanderns verschollen. Doch trotz der auf beiden Seiten in etwa gleich hohen Verluste hatte sich die Front noch immer nicht bewegt. Um die gegnerische Abwehr zu schwächen, setzte man vor Angriffen in zunehmend massivem Umfang schwere Geschütze ein. Der Nutzen einer solchen „Artillerievorbereitung“ blieb allerdings fragwürdig, denn sie machte jedes Überraschungsmoment zunichte und verwüstete das Gelände derart, dass ein anschließendes Vorrücken durch fehlende Kommunikationsinfrastrukturen und Transportwege erschwert war. Auch außerhalb der eigentlichen Offensiven standen die Frontsoldaten häufig im Trommelfeuer. Tag für Tag wurden Zigtausend Granaten abgeschossen. Die Westfront, so glaubte man, werde Schauplatz der entscheidenden Schlacht sein. Das rechtfertigte den Einsatz gewaltiger Materialmengen, um die Verteidigungslinien zu halten und zu durchbrechen. Die Folge war, dass die Kämpfe um die praktisch bewegungslose Front zum Abnutzungskrieg wurden. Bis 1918 wurden Truppen und Ressourcen hartnäckig immer weiter „verbrannt“, jedoch ohne greifbare Ergebnisse61. 59 Hirschfeld, Krumeich, Renz 2006 [1648]. Das änderte sich Ende der 1920erJahre mit der positiven Umdeutung von Verdun durch nationalistische Strömungen. In deutschen Kriegserinnerungen löste Verdun die Somme ab und wurde zum Inbegriff der Materialschlacht, die energischen Widerstand und kollektive Opferbereitschaft erforderte, zugleich aber die Geburtsstunde eines neuen Menschen war. Krumeich, Prost 2015 [1656]; Münch 2006 [1849]. 60 Loez 2010 [1664]; Offenstadt 2005 [1673]; Rolland 2005 [1679]. 61 Goya 2004 [1643].
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Diese neue Form der Kriegführung erforderte ständige materielle und technische Anpassungen, angefangen bei der Ausrüstung der Soldaten. Schon in den ersten Kriegsmonaten erhielten sie unauff älligere Uniformen (die Deutschen trugen bereits Feldgrau, die Franzosen ab April 1915 Horizontblau) und Schutzhelme (die Franzosen ab September 1915 Adrian-Helme, die Deutschen ab Anfang 1916 Stahlhelme als Ersatz für die Pickelhauben aus Kochleder). Die Infanterie setzte im Grabenkampf mehr und mehr Hand-, Stielhand- oder Gewehrgranaten ein. Die Artillerie erhielt als erstklassige Verteidigungswaffen zahlreiche hochwertige Maschinengewehre, deren Anzahl und Qualität gesteigert wurden. Bei den Angriffswaffen wurden vor allem Feldkanonen weiterentwickelt, und Langstreckengeschütze konnten Munition von immer mächtigerem Kaliber abfeuern. Mehr und mehr gerieten die Schützengräben selbst ins Visier von Steilfeuergeschützen wie Mörsern und Minenwerfern. Ab 1915 brachte man mit demselben Ziel zudem in unterirdischen Stollen unter den feindlichen Linien Minen zur Explosion. Die deutsche Artillerie war schon vor 1914 besser ausgerüstet gewesen und konnte während des ganzen Ersten Weltkriegs einen gewissen Vorsprung halten. Ab April 1915 verbreitete eine neue Waffe in den Schützengräben Angst und Schrecken: Giftgas62. Obwohl sein Einsatz gemäß Haager Konvention von 1899 geächtet war, setzten die Deutschen es vor Ypern ein. Der internationalen Empörung zum Trotz arbeiteten allerdings sämtliche Kriegsparteien an chemischen Kampfstoffen aus Chlor, später Phosgen und Senfgas, aber auch an den passenden Artilleriegeschossen (Gasgranaten). Angesichts des zunehmenden Giftgaseinsatzes versuchten alle Seiten, ihre Soldaten zu schützen, doch die Gasmasken behinderten die Infanteristen in erheblichem Maße, ohne sie immer vor den furchtbaren Verwundungen durch Gasangriffe zu bewahren. Speziell für den Grabenkrieg dienten zudem zwei neu entwickelte Angriffswaffen, zum einen die eigentlich ebenfalls von der Haager Konvention verbotenen Flammenwerfer, die zum „Räumen“ von Terrains dienten, zum anderen Panzer: Britische tanks kamen erstmals an der Somme und vermehrt Ende 1917 in der Schlacht um Cambrai zum Einsatz, französische chars vor allem 1917 am Chemin des Dames. Der deutsche Generalstab lehnte diese Neuentwicklung ab, was sich 1918 als fataler Fehler entpuppte. Und schließlich lösten effi zientere Flugzeuge die unbeweglicheren Fesselballons und Zeppeline ab und waren sowohl für die Aufk lärung als auch für den Bombenabwurf hinter feindlichen Linien und im Etappengebiet bald unverzichtbar.
62 Lepick 1998 [1660].
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Blockade, Seekrieg und U-Boot-Krieg Die Schützengräben der Westfront wurden zum Sinnbild für die Kämpfe zwischen Franzosen und Deutschen. Der Seekrieg dagegen charakterisierte in erster Linie das Kriegsgeschehen zwischen Deutschland und Großbritannien. Allerdings spielte er eine entscheidende Rolle für das generelle Kräftegleichgewicht und die Entwicklung der Beziehungen zwischen den Kriegsparteien, sowohl im Hinblick auf die Blockade als auch auf den dadurch ausgelösten UBoot-Krieg. Die britische Kriegsmarine besaß 1914 eine so klare Vormachtstellung, dass der Seekrieg sofort entschieden war. Die britische Regierung konnte somit eine strikte Blockade einrichten mit dem Ziel, Deutschland und seine Verbündeten auszuhungern63. Um die Einkreisung und den zu erwartenden langen Krieg abzuwenden, torpedierten deutsche U-Boote als Repressalie unterschiedslos Kriegs- und Handelsschiffe, auch die der neutralen Handelspartner ihrer Feinde. Nach der Versenkung des britischen Kreuzfahrtschiffs „Lusitania„ am 7. Mai 1915 mit überwiegend US-amerikanischen Passagieren an Bord veranlasste der internationale Aufschrei der Empörung die deutsche Marine vorübergehend zu größerer Vorsicht. Doch mit der Aussetzung der Angriffe schwand in gleichem Maße ihre Chance, die Seeblockade zu durchbrechen. Dies wirkte sich für Deutschland verheerend aus. In Verbindung mit dem Rückgang der Produktion infolge der Mobilmachung und der Beschlagnahmungen bedingte sie in der Zivilbevölkerung eine deutlich erhöhte Sterberate64. Dies bestärkte die Deutschen zugleich in ihrem Eindruck, sie seien von Feinden eingekreist, die sie ersticken wollten, sodass der Mangel an „Lebensraum“ in Europa und Übersee einen Verteidigungskrieg unabdingbar mache. Als Gewaltakt in erster Linie gegen die Zivilbevölkerung, allen voran Frauen und Kinder, prägte die Seeblockade nachhaltig die Haltung der Deutschen und spielte bei der Totalisierung des Krieges eine bedeutende Rolle. Die einzige große Seeschlacht des Ersten Weltkriegs fand im Mai 1916 vor Jütland statt und untermauerte die Vormachtstellung der Royal Navy. Die Oberste Heeresleitung sah daraufhin den uneingeschränkten U-Boot-Krieg als einzige Lösung. Vorbehalten der Regierung setzte sie entgegen, man könne Großbritannien damit innerhalb von sechs Monaten zur Kapitulation oder zumindest zum Waffenstillstand zwingen und siegen, bevor die USA ernsthaft in das Kriegsgeschehen eingreifen konnten. Nach einer Flut von Petitionen, die die Blockade als kriminellen Akt gegen das deutsche Volk anprangerten, stimmte 63 Osborne 22013 [1674]; Strachan 2003 [1565]; Offer 1989 [1763]; Vincent 1985 [1791]. 64 Insgesamt waren während der gesamten Blockade, der Kriegsjahre und der darauf folgenden Monate schätzungsweise knapp 800 000 zusätzliche Tote zu beklagen.
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der Kaiser im Januar 1917 schließlich einem uneingeschränkten U-Boot-Krieg zu. Von nun an wurde jedes Schiff in französischen und britischen Gewässern ohne Vorwarnung und ohne Rücksicht auf seine Nationalität angegriffen. Die U-Boote verzeichneten zwar anfangs spektakuläre Erfolge, was die versenkten Bruttoregistertonnen betraf65, dies beschleunigte jedoch den Kriegseintritt der USA im April 1917. Angesichts ihrer Nachteile durch die diplomatischen Schachzüge der Deutschen sahen die Amerikaner auch ihre wirtschaft lichen Interessen durch das Stocken ihrer Exporte massiv gefährdet. Lange bevor die USA auf den Schlachtfeldern das Kräftegleichgewicht verschoben, stellten sie den Alliierten die US-Handelsflotte zur Verfügung und entwickelten mit ihnen gemeinsam wirksame Gegenmaßnahmen wie die von Kriegsschiffen begleiteten Handelskonvois. Im Sommer 1917 zeichnete sich ab, dass der U-Boot-Krieg den deutschen Sieg nicht zu erzwingen vermochte, dafür aber schwerwiegende Konsequenzen hatte – insbesondere ab Frühjahr 1918 mit der Ankunft zahlreicher amerikanischer Soldaten in Europa.
Durchhalten, den Krieg ertragen oder verweigern Die Soldaten erlebten den Ersten Weltkrieg unterschiedlich, und das auch innerhalb derselben Streitmacht66. Den Ausschlag gaben dabei zum einen räumliche Aspekte. Allein an der Westfront, auf die sich die deutsch-französische Konfrontation konzentrierte, gab es Unterschiede hinsichtlich Gelände, Klima und Kampfgeschehen, zum anderen zeitliche Gesichtspunkte wie die Jahreszeit und Kriegsphase, aber auch der Entwicklungsstand der Waffentechnik und die Kampferfahrung der Soldaten. Wichtig war ebenso die Nähe zur Front, von den tagtäglich im Trommelfeuer liegenden vordersten Schützengräben bis zur Etappe mit den Unterkünften der dienstfreien Männer, Depots und Dienststellen der Generalstäbe. Auch die Waffengattung spielte eine Rolle: ob man in der Infanterie, der Artillerie, den Pioniereinheiten, der Marine, in den Besatzungstruppen oder – wie die älteren Jahrgänge – im Heer war, bzw. wie die Gebildeten in der Heeresverwaltung. Zum erschütterndsten Symbol des Ersten Weltkriegs wurden die Schützengräben mit ihren grauenhaften Lebensbedingungen. Die Soldaten waren Kälte, Unwetter, Hitze, Regen und Schlamm ausgesetzt und litten unter erbärmlichen sanitären Zuständen und allgegenwärtigen Parasiten. Darüber hinaus befanden sie sich in permanenter Lebensgefahr und waren selbst ständig mit Leichen konfrontiert. Die von der Artillerie entfachten „Stahlgewitter“67 for65 Im April 1917 versenkten deutsche U-Boote 866 000 Bruttoregistertonnen. Zum Vergleich: In den ersten Kriegsmonaten waren es 61 000, im Laufe des eingeschränkten U-Boot-Kriegs 120 000. Vgl. Hardach 1973 [1735], S. 48–52. 66 Bouloc, Cazals, Loez 2011 [1544]. 67 Jünger 1920 [24].
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derten 70 % der Kriegstoten und riefen furchtbare Verwundungen hervor. Sie hinterließen den Eindruck blinder Gewalt, der die Männer machtlos ausgeliefert waren. Diese war unpersönlicher als die Handstreiche, mit denen bei Angriffen oder Eroberungen Gefangene gemacht wurden, und als die sich daran anschließende „Säuberung“ der Schützengräben. Die in den vordersten Frontlinien kämpfenden Soldaten litten an körperlicher und geistiger Erschöpfung. Viele hatten zudem psychische Störungen, die von der damaligen Medizin erst spät als Kriegsfolgen erkannt wurden, obwohl sie bis zu 10 % der Frontsoldaten betrafen68. Natürlich fanden die Soldaten Mittel und Wege, den Schützengräben zu entkommen. Die legalen Mittel reichten vom Antrag auf Versetzung in die Schreibstube über die Teilnahme an einem Lehrgang im Etappengebiet bis zur freiwilligen Meldung zu weniger gefährlichen Waffengattungen wie der Marine69. Wer keine Aussicht auf eine Versetzung hatte, konnte durch einen „Heimatschuss“ oder die fine blessure ins Etappengebiet gelangen, also eine schwere, aber nicht zu dauerhaften Behinderungen führende Verwundung im Kampf, die einen Lazarettaufenthalt und eine möglichst lange Genesung erforderte. Zu den illegalen Mitteln gehörten Selbstverstümmelungen (durch einen Schuss in die Hand oder absichtliche Wundinfektionen), die scharf verfolgt und streng geahndet wurden70. Weit geringer war die Zahl der Deserteure und Überläufer; die meisten Fahnenflüchtigen wollten sich nur ein paar Wochen im Hinterland vom Krieg erholen, bevor sie weiterkämpften71. An der Front fehlte es nicht an Versuchen, Gefahrenlagen zu entschärfen, um den Krieg irgendwie zu überleben, sei es in Form von Waffenruhen zur Bergung der Toten oder sogar in der Form spontaner Fraternisierungen wie 1914 im „Weihnachtsfrieden“, weitaus öfter jedoch als friedliche Koexistenz nach dem Grundsatz „leben und leben lassen“72. Gelegentlich kam es zu offenen Gehorsamsverweigerungen73, meist punktuell und von kurzer Dauer in einem Klima des Misstrauens gegen die militärische Hierarchie, etwa in schwierigem Terrain oder bei großer Erschöpfung. Ebenso gab es hin und wieder massive und spektakuläre Meutereien, so in der französischen Armee im Frühjahr 1917 oder beim Rückzug des deutschen Heeres im Herbst 1918. Die meisten Soldaten blieben dennoch mehr als vier Jahre lang auf ihrem Posten. Für diese bemerkenswerte Beharrlichkeit gibt es diverse Erklärungsansätze. Vor allem unter französischen Historikerinnen und Historikern war sie Gegenstand vieler Debatten. Inzwischen hat man sich darauf verständigt, 68 69 70 71 72 73
Tison, Guillemain 2013 [1687]; Watson 2008 [1689]; Babington 1997 [1617]. Maurin 1982 [1669]. Offenstadt 1999 [1851]. Cronier 2013 [1633]; Jahr 1998 [1650]. Ashworth 1980 [1613]. Loez, Mariot 2008 [1665].
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dass es eine Vielzahl unterschiedlicher Verhaltensweisen und Einstellungen zum Krieg gab und dabei diverse Faktoren zusammenwirkten, die allerdings unterschiedlich gewichtet werden74. Im Vordergrund steht für einen Teil der Experten dabei die Vaterlandsliebe der Europäer: Die Soldaten schöpften ihr Durchhaltevermögen aus einem Patriotismus, der eng mit einer Abneigung gegen den Feind verbunden war, die sich leicht bis zum Hass steigern konnte75. Andere betonen hingegen, die Frontkämpfer hätten gar keine andere Wahl gehabt76, da sie als Wehrpflichtige aufgrund der allgemeinen Mobilmachung zur Teilnahme am Krieg gezwungen waren. Die Hierarchie und Befehlsordnung beim Militär funktionierten nach den gleichen Mechanismen, wie man sie im Frieden in der Schule, am Arbeitsplatz oder in der Kirchengemeinde fand, mit einer Mischung aus Autorität, Disziplin und Bevormundung. Ungehorsam wurde mit repressiven Mitteln bis hin zur Militärjustiz verfolgt und bestraft, wenn auch mit Abstufungen: Während die französische Armee von Kriegsbeginn an ihre Soldaten aufgrund von Verstößen erschießen ließ, um Panikreaktionen auf die Invasion und militärische Fehlschläge zu bannen77, verhängte das deutsche Militär nur selten die Todesstrafe, zumal die Armee durch ihr Ansehen in der Gesellschaft des Kaiserreichs teilweise vor Zerfallserscheinungen bewahrt blieb78. Über diese beiden Argumente hinaus erklärt sich das Durchhaltevermögen der Truppen durch weitere Faktoren, vor allem die Anpassung des Einzelnen an die Situation und die Verstärkung von sozialen Bindungen. Die Männer eigneten sich das Kriegshandwerk buchstäblich an: Sie lernten, Waffen geschickter einzusetzen, Gefahren zu erkennen und sich im Gelände zu bewegen. An diesen Lernprozess gekoppelt waren psychische Anpassungsstrategien. Durch die Flucht teils in Humor, teils in Frömmigkeit blendeten die Männer die Gefahren aus und bewahrten sich ein gewisses Maß an Optimismus79. Zudem unterlagen die Frontkämpfer einem hohen sozialen Druck. Auf nationaler Ebene hatten die meisten ihre Rolle als Verteidiger ihres Vaterlandes verinnerlicht, wobei sie damit eher die Sehnsucht nach ihrer Heimat, ihrem Dorf, ihrer Familie verbanden als ein abstraktes Konzept80. Auf individueller Ebene unterhielten sie enge Beziehungen zur Heimat über Korrespon-
74 75 76 77
Beaupré, Rasmussen 2014 [1621]. Prochasson 2008 [1855]; Audoin-Rouzeau, Becker 2000 [1534]. Rousseau 22003 [1680]. Cazals, Picard, Rolland 2005 [1546]; Bach 2004 [1618]; Offenstadt 1999 [1851]. 78 Jahr 1998 [1650]. 79 Watson 2008 [1689]; Becker 1994 [1799]. 80 Cazals, Loez 2008 [1629]; Ziemann 1997 [1794].
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denzen, die durch die massive Alphabetisierung vor 1914 ermöglicht wurde81. Die Feldbriefe enthielten meist Alltägliches wie Ortsbeschreibungen, Schilderungen von Ereignissen, beschwichtigende und liebevolle Sätze. Die Soldaten erkundigten sich nach dem Leben daheim, nach dem Betrieb des Bauernhofs, der Versorgungslage und den schulischen Leistungen der Kinder. Fronturlaube boten eine Gelegenheit, an das frühere Leben anzuknüpfen, vorübergehend wieder in die Rolle zu schlüpfen, die man vor dem Krieg ausgefüllt hatte, und zivile Geselligkeit zu pflegen82. Sie waren verbunden mit Hoff nungen und Erwartungen, Wiedersehensfreude, manchmal Verzweiflung angesichts der Lage in der Heimat und der Frustration, allzu bald wieder an die Front zurückkehren zu müssen. Solche Kontakte zur Heimat förderten in der Regel einen gewissen sozialen Konformismus. An der Front erledigten die Soldaten ihre Aufgaben meist mit professioneller Gewissenhaftigkeit – manche voller Eifer, viele resigniert83. Das Leben in Kleingruppen festigte die sozialen Bindungen und die Kameradschaft, die ihrerseits die eigene Einstellung prägte: Wenn ein Soldat durchhielt, dann in erster Linie dank seiner Kameraden und für sie. Ein weiterer Faktor schließlich war das Verhalten der Vorgesetzten: Unteroffi ziere, die selbst Courage bewiesen und bei ihren Leuten waren, konnten sich auf den Gehorsam der Soldaten eher verlassen als hochrangige Offiziere, die aufgrund der sozialen Distanz und ihrer Privilegien oft verhasst waren84. Die Frage, worauf sich der Durchhaltewillen der Soldaten stützte, ist in Bezug auf Franzosen und Deutsche gleichermaßen relevant. Ziel der Franzosen war zuvörderst die Befreiung ihres Staatsgebietes aus Feindeshand, doch die Deutschen waren genauso überzeugt, einen Verteidigungskrieg zu führen. Auf fremdem Territorium die Stellung zu halten hieß für sie, den Fortbestand ihres von Feinden eingekreisten Vaterlands zu sichern. Angesichts der verheerenden Auswirkungen des Materialkriegs auf die betroffenen Landstriche wollten sie zudem verhindern, dass es ihrer Heimat ebenso erging.
81 82 83 84
Prochasson 2008 [1855]; Ulrich 1997 [1688]. Cronier 2013 [1633]. Cazals, Loez 2008 [1629]; Prost 2004 [1499]; Rousseau 22003 [1680]. Mariot 2013 [1667]; Saint-Fuscien 2011 [1683]; Bröckling 1997 [1627]; Ziemann 1997 [1794].
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Die inneren Fronten in einem Konflikt auf dem Weg zum totalen Krieg
Der Umbau des öffentlichen Lebens und der politischen Führung Während die Kampfhandlungen an den Fronten im Zentrum der Aufmerksamkeit standen, brauchten die beteiligten Länder für die Kriegführung eine effiziente staatliche Organisation. Infolge des Kriegseintritts übernahmen militärische Machthaber Aufgaben der Zivilregierung, demokratische Freiheiten wurden teilweise ausgesetzt, während es zugleich zur union sacrée beziehungsweise zum Burgfrieden zwischen den politischen Kräften kam. Doch nachdem die Zivilmächte dem Militär zu Kriegsbeginn weitgehend freie Hand gelassen hatten, änderte sich das Kräfteverhältnis mit zunehmender Dauer des Konflikts. In Frankreich wurde die Heeresleitung mit der Führung der Operationen betraut, doch sollte die Regierung im Kriegsfall die politische Führung in der Hand behalten, wozu die Festlegung der Kriegsziele und die Bereitstellung der dafür benötigten Mittel gehörten. Da allerdings in einem kurzen Krieg die Operationen als entscheidend galten, beanspruchte das Oberkommando unter General Joff re in den ersten Kriegswochen weiterreichende Macht für sich. Allein durch den am 4. August 1914 ausgerufenen Belagerungszustand fielen ihm bereits gewisse zivile Befugnisse wie die Kontrolle der Information zu. Die Vertagung des Parlaments auf unbestimmte Zeit am Schluss der Sitzung vom 4. August, vor allem aber die Flucht der Regierung nach Bordeaux am 2. September begünstigten die Machtausweitung des Militärs, sodass von einer „dictature de Chantilly“ gesprochen wurde: einer Diktatur des militärischen Hauptquartiers in Chantilly, das niemandem ernsthaft Rechenschaft ablegte. Nach einigen Monaten und der Stabilisierung der Frontlinie behauptete sich die Zivilmacht erneut. Die Regierung kehrte am 8. Dezember 1914 nach Paris zurück. Poincaré nutzte seine konstitutionellen Befugnisse und seinen Einfluss für einen regelrechten „präsidentiellen Aktivismus“85. Das in der Dritten Republik seit Beginn der 1880er-Jahre omnipotente Parlament trat Ende Dezember erneut zusammen und beschloss im Januar 1915, bis zum Kriegsende in Permanenz zu tagen. Tatsächlich beschränkte sich die Tätigkeit der Kammern allerdings auf die Kommissionen, die an Bedeutung gewannen und an der Einführung eines Kriegsparlamentarismus86 teilhatten. Sie kontrollierten die Tätigkeit der Regierung und übernahmen auf Betreiben des Abgeordneten Abel Ferry ab März 1916 und stärker noch im Laufe des Jahres 1917 die parlamenta85 Roussellier 2006 [1782], S. 48. 86 Anizan 2014 [1694]; Bock 2002 [1705].
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rische Kontrolle der Streitkräfte, führten Frontinspektionen durch und leiteten daraus Kritik und Änderungen der Kriegführung ab. Darüber hinaus wurde der Belagerungszustand ab September 1915 auf die Frontbereiche beschränkt. Doch erst nach Joff res Rücktritt und seiner Ablösung durch General Robert Nivelle im Dezember 1916 konnte sich die Zivilmacht Anfang 1917 gegen die Vorherrschaft des Militärs durchsetzen. Georges Clemenceau, der ab November 1917 einer starken Regierung vorstand, setzte sich dafür ein, sämtliche Vorrechte der Exekutive wiederherzustellen. Es vergingen somit mehrere Jahre, bis sich die Militärmacht tatsächlich auf die Führung der militärischen Operationen beschränken musste. Allerdings stellte die wiedererstarkte zivile Autorität die zu Kriegsbeginn weitgehend abgeschafften bürgerlichen Freiheiten keineswegs vollumfänglich wieder her. Parlamentswahlen etwa blieben bis nach Kriegsende ausgesetzt. Zudem erhielt die Bevölkerung nur beschränkte Informationen. Denn über die kriegsbedingten Anforderungen hinaus erwies sich die Zensur für die Regierungen als probates Mittel, potentielle Opponenten zum Schweigen zu bringen87. Im Laufe des Krieges kehrte man dennoch zu politischen Praktiken der Vorkriegszeit zurück. Trotz union sacrée machten sich die politischen Konflikte schon bald erneut bemerkbar. Das alte Kräftegleichgewicht stellte sich wieder ein und mündete in diverse instabile Regierungen, denen nacheinander René Viviani, Aristide Briand, Alexandre Ribot, Paul Painlevé und Georges Clemenceau vorstanden. Das offi zielle Festhalten an der union sacrée förderte tatsächlich einen Konservatismus, der das rechte Lager begünstigte. Als es im April 1917 an der Front zu Meutereien kam, flammten in der Heimat Streiks wieder auf. Zugleich verschärfte sich der Streit über die Modalitäten für eine Beendigung des Krieges. Auf Regierungsebene scheiterte die union sacrée im Herbst 1917. Zum Bruch führte letztlich die Weigerung der Regierung, den französischen Sozialistenführern Ausweise für die Teilnahme an der Friedenskonferenz der Zweiten Internationale in Stockholm auszustellen. Die Sozialisten verweigerten daraufhin die weitere Regierungsbeteiligung und gingen in die parlamentarische Opposition88. Anders als in Wien vertagte sich das Parlament in Berlin nicht, sondern trat in denselben Intervallen zusammen wie vor 1914. Doch wurden wichtige Themen nur noch im Haushaltsausschuss verhandelt, denn allein hinsichtlich des Budgets war die Regierung auf die Parlamentarier angewiesen89. Der Belagerungszustand bescherte der Obersten Heeresleitung per se völlige Autonomie sowohl bei militärischen Operationen als auch bei der Innenver waltung des Landes, war sie doch nur noch dem Kaiser Rechenschaft schuldig. Faktisch 87 Forcade 2016 [1724]. 88 Chamberlalhac, Ducoulombier 2008 [652]. 89 Siehe Kapitel I.2 „Republik und Monarchie denken und gestalten“.
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lag die Exekutivgewalt in den Händen der stellvertretenden Generalkommandos der Armeekorps-Bezirke, deren Befugnisse von der öffentlichen Sicherheit bis zur Kriegsproduktion und Lebensmittelverteilung reichten. Allerdings waren diese Generalkommandos häufig mit der Organisation überfordert, zumal bis zur Ernennung eines Oberbefehlshabers Ende 1916 keinerlei Abstimmung erfolgte90. Ab August 1916 gewann das Militär nach Moltke und später Falkenhayn mit der Ernennung Hindenburgs und Ludendorffs zur Dritten Obersten Heeresleitung noch an Macht hinzu. Strategisch befürworteten beide vor allem den uneingeschränkten U-Boot-Krieg. Zugleich bemühten sie sich, ihre innenpolitischen Ansichten gegen Kaiser und Kanzler durchzusetzen und versuchten, durch die Umstrukturierung der Kriegsproduktion und die patriotische Erziehung im Rahmen des Hindenburg-Programms die Richtung der Staatsverwaltung vorzugeben. Sie prägten damit das politische System des Deutschen Reichs so nachhaltig 91, dass laut manchen Historikerinnen und Historikern von einer „Militärdiktatur“ die Rede war92. Andere differenzierten, die OHL habe weiterhin dem Kaiser unterstanden und konnte daher zu keinem Zeitpunkt politisch die Zügel tatsächlich übernehmen. Zudem habe sich ihr der Reichstag widersetzt, etwa durch die Abänderung des Entwurfs für das Hilfsdienstgesetz93. Der Burgfrieden war ab 1915 passé, als die bis dahin vermiedene Debatte über die Kriegsziele unvereinbare Positionen offenbarte. Während die Linken einen Ausgleichsfrieden befürworteten, setzten die Rechten auf Annexionismus. Erstere, allen voran die Sozialdemokraten, verknüpften zudem mit dem Burgfrieden die Hoff nung auf demokratische Reformen; letztere hingegen hofften durch einen Sieg das existierende System zu festigen. Kanzler Theobald von Bethmann Hollweg regierte mit seiner „Politik der Diagonalen“ angeblich parteiübergreifend, konnte jedoch keines der beiden Lager überzeugen. Der Kaiser löste seinerseits im April 1917 mit seinem Versprechen institutioneller Reformen bei den Konservativen einen Aufschrei der Empörung aus. Angesichts der Lage und der immer umfangreicheren Befugnisse des Militärs sah sich der Reichstag schließlich zum Handeln veranlasst. Die Mehrheit aus SPD, Zentrumspartei und Liberalen koordinierte ihre Tätigkeit im Rahmen 90 Deist 1991 [1481]; Deist 1970 [1635]. 91 Zur Politik Ludendorffs und Hindenburgs: von der Goltz 2009 [1836]; Pyta 2007 [1677]; Asprey 1991 [1614]. 92 Darunter Zeitgenossen wie der Soziologe Max Weber oder der Historiker Friedrich Meinecke. Mehrere Historiker griffen den Ausdruck auf. Siehe z. B. Schulze 1994 [81], S. 146; Mommsen 1994 [1756], S. 14. 93 Gregor Schöllgen etwa unterstrich die Begrenztheit der Macht der OHL in der Innenpolitik: Schöllgen 1991 [351], S. 159. Hans-Ulrich Wehler bescheinigte der OHL, sie habe zwar faktisch eine erhebliche Machtfülle gehabt, er hielt diese jedoch für indirekt: Wehler 2003 [110], Bd. 4, S. 113. Wolfram Pyta sprach in Bezug auf Hindenburg eher von „charismatischer Herrschaft“: Pyta 2007 [1677], S. 285–293.
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eines fraktionsübergreifenden Gremiums. Sie verfolgte damit ein zweifaches Ziel: die Überführung der Reichsverfassung in ein parlamentarisches System und die Einflussnahme auf die deutsche Außenpolitik durch eine Resolution, die sich für einen Ausgleichsfrieden aussprach94. Damit zeichnete sich eine klare Opposition zwischen zwei unvereinbaren politischen Optionen ab. Beide zielten auf die Abschaff ung des Vorkriegssystems und beide forderten eine Beilegung der sozialen Konflikte. Dabei gingen sie jedoch von diametral entgegengesetzten Grundsätzen aus: auf der einen Seite das von den Nationalisten angestrebte monarchistische System mit seiner sozialen Ungleichheit, und auf der anderen, unter Berufung auf die gemeinsamen Kriegsanstrengungen, ein stärker egalitär ausgerichtetes parlamentarisches System. Die erste Option behielt so lange die Oberhand, wie ein „Siegfrieden“ im Raum stand, wurde jedoch von der zweiten Option mehr und mehr abgelöst. Im Sommer 1917 kam es schließlich zur politischen Krise und zum Sturz Bethmann Hollwegs, den die OHL in der Friedensfrage für zu nachgiebig hielt. Im Frühjahr 1917 zeichnete sich nach dem Ausschluss der pazifistischen Minderheit in der SPD und der Gründung der USPD im April sowie der ab 1917 und 1918 ausbrechenden Streikwelle eine dritte Option ab: die Revolution. Ungeachtet ihrer gleichermaßen autoritären Ausrichtung unterschieden sich die französische und deutsche Regierung in ihrem Umgang mit dem Militär auch im Krieg: In Frankreich stand man ihm eher misstrauisch gegenüber, und die Volksvertreter strebten umgehend danach, es unter ihre Kontrolle zu bringen. In Deutschland dagegen brachte man dem Militär bei Weitem mehr Respekt und Bewunderung entgegen, was im Gegenzug jedoch bedeutete, dass sein Scheitern weit größere Empörung auslösen würde.
Für den Krieg produzieren und bereitstellen: die wirtschaftliche Mobilmachung Das Ausmaß des Krieges überraschte Deutschland und Frankreich gleichermaßen. Um eine funktionierende „Heimatfront“ zu schaffen, war eine Neuordnung des Wirtschaftslebens erforderlich, sowohl was die Beschaff ung der nötigen Ressourcen und die Produktion von Gütern als auch deren Verteilung betraf. Die Umstrukturierung der Volkswirtschaften betraf in erster Linie die Rohstoffbeschaff ung (Nahrungsmittel, Industrieproduktion, Energie etc.). In dieser Hinsicht war Frankreich durch die Zerstörung und Besetzung riesiger Agrarund Bergbaugebiete im Norden und Osten des Landes im Nachteil. Dafür konnte es auf seine imperialen Ressourcen sowie auf Importe von seinen Verbündeten und das Wohlwollen diverser neutraler Staaten zählen, darunter vor allem der Vereinigten Staaten, mit deren Kriegseintritt die Versorgungslage sich bis zur Zeit 94 Ribhegge 1988 [1773].
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der deutschen Offensiven im Sommer 1918 verbesserte. Deutschland hingegen musste zwei Fronten mit Nachschub versorgen und seinen Verbündeten Österreich-Ungarn unterstützen, obwohl seine Beschaff ungskanäle teilweise durch die Seeblockade unterbrochen waren, und verfügte insofern über begrenztere Reserven für einen Abnutzungskrieg internationaler Tragweite95. Die ohnehin knappen Ressourcen mussten im Zuge einer Neuordnung des Produktionsapparats umverteilt werden. Zudem war die Wirtschaft in keiner Weise auf die gewaltigen Produktionsmengen vorbereitet, die der neuartige Materialkrieg verschlang. Die Ressourcen mussten deshalb auf zivile und militärische Ziele aufgeteilt werden, was eine Umwandlung ziviler Unternehmen in Rüstungsbetriebe nach sich zog, denn die Heimatfront musste nicht nur ohne die Arbeitskraft der Frontkämpfer auskommen, sondern auch Millionen Soldaten ernähren, ausrüsten und bewaff nen. Um all dies Material in die riesigen Frontgebiete schaffen zu können, mussten außerdem die Transportwege ausgebaut werden, allen voran das Schienennetz. In Frankreich litt der Produktionsapparat unter den Kämpfen und der Besetzung der Industrieregionen im Norden und Osten des Landes. Schon am 20. September 1914 berief Kriegsminister Alexandre Millerand die Unternehmer der wichtigsten Industriebetriebe nach Bordeaux, um Kriegsanstrengungen einzufordern. Ab Oktober organisierte der junge reformistische Sozialist Albert Thomas mit Unterstützung einer Expertengruppe die Waffenproduktion; ab Dezember 1916 wurde er Rüstungsminister. Er kooperierte mit dem mächtigen Comité des forges (dem „Hüttenkomitee“, dem Arbeitgeberverband der französischen Kohle- und Stahlindustrie), insbesondere bei der Organisation von Einfuhr und Verteilung der Rohstoffe96. Die Belieferung der Fabriken auch in den besetzten Gebieten sowie die Koordination der Produktion übernahm in Deutschland trotz einer schlechten Vorbereitung gleich zu Kriegsbeginn die Kriegsrohstoffabteilung (KRA), die auf Betreiben des liberalen Industriellen Walther Rathenau gegründet worden war. Im Vergleich zur Entente profitierte Deutschland vom Vorteil einer starken Industrie97. Die Verwaltung der Kriegswirtschaft lag in Frankreich folglich früh in den Händen der Zivilmacht, die mit den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften zusammenarbeitete. In Deutschland hingegen unterstand die Kriegswirtschaft der Militärmacht, die ihrerseits Kapital und Arbeiterschaft zur Kooperation verpflichtete. In beiden Ländern definierte der Staat seine Rolle im Kriegskapitalismus völlig neu. Die neu geschaffenen Behörden dienten einer
95 Offer 1989 [1763]. 96 Feldman 1993 [1719]; Godfrey 1987 [1726]; Fridenson 1977 [1725]; Hardach 1973 [1735]. 97 Burhop 2011 [389], S. 191–206; Feldman 1966 [1718].
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verstärkten Einmischung, ohne die eine so spektakuläre Produktionssteigerung nicht zu erzielen gewesen wäre. In beiden Ländern bemühte sich der Staat zudem um die Wahrung des sozialen Friedens, indem er sich den Arbeitern und ihren Organisationen als Vermittler andiente und darauf achtete, dass die Löhne nicht zu stark unter der Inflation litten. Das Comité des forges behielt zwar freie Hand insbesondere in der Preisgestaltung, doch die Löhne und Arbeitsbedingungen überwachte Albert Thomas. Das deutsche Hilfsdienstgesetz war zwar von der Dritten OHL für eine industrielle Mobilmachung großen Stils gedacht gewesen, wurde jedoch von der Mehrheit der Reichstagsabgeordneten abgemildert, um den Arbeitern entgegenzukommen und, wenn möglich, den Burgfrieden zu erneuern. Als Novum erkannte das Gesetz die Gewerkschaften an und sah paritätische Ausschüsse in Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern vor. Mit solchen Zugeständnissen hoffte man sich die Akzeptanz verlängerter und anders strukturierter Arbeitszeiten sowie eine Militarisierung der Arbeit mit Einschränkungen des Streikrechts und der Freizügigkeit zu erkaufen. Im Gegenzug wurde ein reeller Lohnzuwachs geboten, der allerdings in keinem Verhältnis zu den Kriegsgewinnen der Industriellen stand98. In die Kassen von Großunternehmen wie Krupp in Essen oder Schneider in Le Creusot spülte die Produktionssteigerung gewaltige Gewinne. 1914 wurden 40 % der Kriegsgüter durch deutsche Staatsbetriebe, 60 % durch Privatunternehmen produziert. Letztere wuchsen im Krieg und strichen trotz der staatlichen Deckelung der Gewinnspanne auf 10 % ansehnliche Profite ein. In Frankreich kamen die staatlichen Manufakturen, die den Großteil der Rüstungsgüter herstellten, mit der Produktion nicht mehr nach. Der Privatsektor wurde umstrukturiert. Mit staatlicher Hilfe gegründete Fabriken sollten die Kriegsproduktion unterstützen. Sie fertigten schließlich das Gros der Munition und beschäft igten über 80 % der Rüstungsarbeiter99. Auf ähnliche Weise erfolgte in Deutschland eine Konzentration der Industrie. Die KRA begünstigte die Bildung von Kartellen, die reichlich Spielraum für die Verfolgung eigener Interessen fanden. Dadurch veränderte sich die geografische Verteilung der Produktion, die sich nun in den Ballungsräumen vor allem um Paris und Berlin drängte und damit das Potential für Arbeitskämpfe in diesen Regionen verschärfte. Die Kriegswirtschaft benötigte eine Vielzahl von Arbeitskräften, doch nach einem vorübergehenden Stillstand der Wirtschaft mit hoher Arbeitslosigkeit mangelte es aufgrund der Mobilmachung in allen Bereichen daran. Schon früh beschlossen die Krieg führenden Staaten, spezialisierte Arbeiter von der Front abzuziehen, vor allem qualifi zierte Metallarbeiter, an denen in der Kriegs-
98 Winter, Parker, Habeck 2000 [1867]; Downs 1995 [1716]; Horne 1991 [1738]. 99 Becker, Krumeich 2010 [1541], S. 151–152, 160; Hardach 1977 [1736].
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industrie eklatanter Mangel herrschte100. 1915 waren es in Frankreich 500 000, Anfang 1916 in Deutschland 740 000. Abgesehen von kampff ähigen Soldaten wurden auch von der Front evakuierte Verwundete zur Arbeit herangezogen. Da der Wirtschaft jedoch weit mehr Arbeitskräfte fehlten, mussten die Krieg führenden Staaten andere Lösungen finden. Die gesamte Bevölkerung musste in Landwirtschaft und Industrie zu den Kriegsanstrengungen beitragen: die aufgrund ihres Alters noch nicht oder nicht mehr eingezogenen oder ausgemusterten Männer ebenso wie die Frauen. Der Anstieg der erfassten Frauenarbeit ging einher mit einem Wechsel zwischen Wirtschaftssektoren (von Landwirtschaft und Dienstbotenwesen zur Industrie) und Branchen (von der Textilindustrie zur Metallurgie und Chemie), mit der Erschließung neuer Berufe (Straßenbahnfahrerinnen oder Gymnasiallehrerinnen) und neuen Verantwortungsstufen (vor allem der Leitung von Agrarbetrieben)101. Generell war eine massive Verlagerung von Arbeitskräften von der Friedens- zur Kriegsindustrie zu beobachten102. In Deutschland verloren die Friedensindustrien 40 % ihrer Belegschaften, während die Kriegsindustrien 44 % mehr Arbeitskräfte beschäft igten103. Als kostengünstige Ergänzung zu einheimischen Werktätigen setzten Deutschland und Frankreich gleichermaßen Kriegsgefangene und je nach Möglichkeit zivile Arbeitskräfte aus dem Ausland ein, darunter Belgier, Spanier und Polen, aber auch 140 000 in Frankreich ansässige Chinesen104. Andere Maßnahmen riefen mehr Aufsehen und Kritik hervor, etwa dass die französische Kolonialbevölkerung freiwillig oder gezwungenermaßen für Frankreich arbeiten musste. Zusätzlich zu den rund 135 000 tirailleurs sénégalais (Infanteristen aus Senegal), die an der Westfront kämpften, kamen 300 000 Arbeiter aus dem Maghreb, aus Madagaskar oder Indochina, die in Frankreich im Dienstleistungs- und Transportwesen, in der Landwirtschaft und in Rüstungsbetrieben unter strikter Bewachung arbeiteten und getreu der kolonialen Hierarchie als Menschen zweiter Klasse behandelt wurden105. Deutschland deportierte ab 1916 Zwangsarbeiter aus den besetzten belgischen Gebieten und vor allem aus dem Besatzungsgebiet an der Ostfront (Ober Ost)106, bis es international zu einem Aufschrei der Empörung kam. Die Einbeziehung aller Bevölkerungsgruppen in die Kriegsanstrengungen 100 101 102 103 104 105 106
Ridel 2007 [1774]; Grieves 1988 [1729]; Hardach 1977 [1736]. Daniel 1997 [1711]. Feldman 1985 [1718]. Burhop 2011 [389], S. 207. Ma 2012 [1749]. Michel 2009 [1319]. Der Oberbefehlshaber der gesamten deutschen Streitkräfte im Osten, abgekürzt „Ober Ost“, war Leiter einer der OHL unterstellten Behörde, die einen Teil des ursprünglich russischen Zarenreichs verwaltete, den die deutschen Truppen an der Ostfront besetzt hatten. Diese Gebiete galten als koloniale Territorien, die man nach
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spiegelte den Prozess der Totalisierung des Krieges. Für die soziale Identität der Arbeiterklasse hatte sie gravierende Folgen, zumal der Mangel an Arbeitskräften dem vermehrten Einsatz von Maschinen zur Produktivitätssteigerung ebenso Vorschub leistete wie der Einführung tayloristischer Arbeitsmethoden und des Leistungslohns107. Die wirtschaft liche Aufgabe der Behörden beschränkt sich in Kriegszeiten jedoch nicht auf die Kriegsproduktion, denn sie müssen zugleich genügend Lebensmittel für die Soldaten und die Bevölkerung bereitstellen. In dieser Hinsicht schlugen Frankreich und Deutschland zunehmend verschiedene Wege ein. Ab 1915 stürzte Deutschland in eine Nahrungsmittelkrise mit katastrophalen gesellschaft lichen Folgen. Auslöser waren neben Beschaff ungsschwierigkeiten vor allem die Konflikte zwischen den Zivil- und Militärbehörden und eine überbordende Fülle von Vorschriften. Die Deckelung der Getreide- und Kartoffelpreise etwa verleitete die Bauern dazu, ihre Vorräte zu verheimlichen oder an ihre Schweine zu verfüttern, weil Fleisch einen besseren Marktpreis erzielte. Um dem tatsächlichen Futtermittelmangel zu begegnen, ordnete der Bundesrat im Frühjahr 1915 die Schlachtung von über fünf Millionen Schweinen an. Der „Schweinemord“ sollte die Verfügbarkeit der Ressourcen wieder ausgleichen, erwies sich jedoch als fataler Fehler: Aufgrund mangelnder Konservierungsmöglichkeiten verdarb ein Großteil der Fleischprodukte, und die daraus folgende Verknappung ließ die Preise innerhalb weniger Monate explodieren. Ab August 1916 strebte die OHL zudem mit dem Hindenburg-Programm danach, sämtliche Produktivkräfte in den Dienst des Militärs zu stellen. Die Armee sollte ihren Bedarf ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung decken. Die Industrie würde im Rahmen der Regierungsverträge zu hohen Preisen primär für das Militär produzieren108. Auch das Hilfsdienstgesetz vom Dezember 1916 zog mit umfangreicher Bürokratie und Versorgungsengpässen weitere Probleme nach sich und löste in der Bevölkerung Unzufriedenheit aus109. Aufgrund der Konsumgüterverknappung und der schrumpfenden Lebensmittelrationen für Zivilisten florierte der Schwarzmarkt. Die daraus resultierende massive Inflation erreichte ein in der deutschen Geschichte bis dahin ungekanntes Ausmaß110. Die mit dem Hindenburg-Programm bezweckte Steigerung der Rüstungsproduktion trat zwar tatsächlich ein, trug jedoch erst im Frühjahr 1918 spürbar Früchte, noch dazu zum Preis der hemmungslosen Ausbeutung sämtlicher wirtschaft licher und sozialer Ressourcen. Ernteausfälle brachten derweil Möglichkeit ausbeuten und germanisieren konnte. Westerhoff 2011 [1690]; Liulevicius 2000 [1663]. 107 Grieves 1988 [1729]. 108 Feldman 1985 [1718]. 109 Chickering 1998 [1547]; Deist 1997 [1636]; Geyer 1984 [1457]; Deist 1970 [1635]. 110 Feldman 1993 [1719]; Feldman, Homburg 1977 [1720].
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die untersten Volksschichten in dramatische Bedrängnis, etwa im „Steckrübenwinter“ 1916 / 17. Die Lebensmittelrationen sanken bis 1917 im Durchschnitt auf 1200 Kilokalorien am Tag111. Die französischen Behörden waren zu einer gerechten Verteilung der Ressourcen eher in der Lage, und zwar sowohl auf nationaler Ebene (zwischen städtischen und ländlichen Gebieten, Front und Heimat) als auch lokal (durch die Schaff ung städtischer Suppenküchen und Läden sowie die Abgabe von Kohlen und Kartoffeln an die Ärmsten). Rationierungen erfolgten später und in begrenzterem Umfang: Bezugsscheine für Zucker wurden am 1. März 1917 eingeführt, generelle Lebensmittelkarten jedoch erst am 1. Juni 1918. Die Maßnahmen sollten eine ungerechte Verteilung verhindern und berechtigte Ansprüche vor Privilegien stellen112. Doch obschon bestimmte Nahrungsmittel knapp waren und teilweise gegen Ersatzprodukte ausgetauscht wurden, wuchs sich der zwar deutlich spürbare Mangel nicht zu einer Hungersnot aus, sodass es in Frankreich während des Kriegs zu weniger sozialen und politischen Unruhen kam als bei den Mittelmächten. Vergleichende Geschichtsuntersuchungen führen die Schwierigkeiten Deutschlands und generell der Mittelmächte darauf zurück, dass die politischen und sozialen Strukturen dieser Länder ungleicher waren als die westlicher Demokratien wie Frankreich und Großbritannien113. Das Kaiserreich habe an Legitimität verloren und sei geschwächt worden, weil es eine eklatante Unfähigkeit bei der Befriedigung der Bedürfnisse seiner Bevölkerung gezeigt habe und die Eliten selbst in Krisenzeiten auf ihren tradierten Privilegien beharrten. Diese Unfähigkeit habe die Niederlage beschleunigt und der Revolution den Weg geebnet. Zunächst jedoch schlugen sich die Kriegskosten in den anschwellenden Staatsausgaben aller Krieg führenden Länder nieder: Hatten sie 1913 unter 10 % des Bruttoinlandsprodukts ausgemacht, erreichten sie 1917 in Frankreich 49,9 % und in Deutschland 59 %114. Die Steuern deckten jeweils nur einen kleinen Teil dieser Ausgaben (in beiden Ländern 14 %115, also deutlich weniger als in Großbritannien, wo über ein Viertel der Kosten durch Steuern getragen wurde), obwohl die indirekten Steuern stiegen und ab 1916 besonders hohe Gewinne durch Kriegsgüter besteuert wurden116. Die vor dem Krieg festgesetzte Einkommensteuer spülte kaum neue Einnahmen in die Staatskassen, da die Regierungen 111 Davis 2000 [1714]; Roerkohl 1991 [1778]; Hardach 1973 [1735], S. 123–133. 112 Bonzon, Davis 1997 [1706]. 113 Chickering, Förster 2000 [1439]; Robert, Winter 1997 [1776]; Wall, Winter 1988 [1792]. 114 Leonhard 2014 [1557], S. 787. 115 Becker, Krumeich 2008 [1541], S. 153, 162. 116 In Frankreich durch das Gesetz vom 1. Juli 1916: Touchelay 2008 [1789]. In Deutschland durch das Gesetz vom 21. Juni 1916: Hardach 1973 [1735], S. 171.
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drastische Erhöhungen scheuten, um den nationalen Zusammenhalt nicht zu gefährden117. Beide Länder finanzierten den Krieg deshalb im Wesentlichen durch Kredite. Die jeweiligen Nationalbanken versorgten den Staat mit Liquiditätsvorschüssen, druckten Geld und heizten damit die Inflation an, in Deutschland stärker als in Frankreich118. Mit groß angelegten patriotischen Kampagnen umwarben die Regierungen ihre Bevölkerungen damit, ihr Gold gegen kurzfristige Schatzanweisungen einzutauschen und später langfristige Kriegsanleihen zu zeichnen. Deutschland deckte dank neun solcher regulärer Anleihen während des Kriegs mit 98 Milliarden Mark 60 % seiner Kriegsausgaben119; die vier von Frankreich aufgelegten Anleihen erbrachten in einem patriotischen und finanziellen Schub 53 Milliarden Francs (davon über die Hälfte aus Schatzanweisungen) und deckten die Hälfte seiner Kriegskosten. Zudem beschaffte sich Frankreich umfangreiche Mittel bei internationalen Geldgebern, zunächst britischen (über 15 Milliarden Francs) und später – schon vor dem Kriegseintritt der USA – bei amerikanischen Finanziers (über 25 Milliarden Francs)120. In Deutschland und Frankreich konnte sich das System bis Kriegsende halten, weil es sich darauf stützte, dass nach dem eigenen Sieg der Feind letztlich die Rechnung bezahlen werde121.
Die breite Beteiligung der Zivilbevölkerungen am Krieg Der in beiden Ländern gleich starke Zwang zu siegen konnte eine Zunahme der Gewalt zur Folge haben, die sich weit über die Schlachtfelder hinaus entlud. Die in den Konventionen von Genf (1864, 1906) und Den Haag (1889, 1907) für die Behandlung von Zivilisten festgeschriebenen moralischen und rechtlichen Normen wurden im Krieg nicht völlig aufgegeben, doch kam es unter dem Deckmantel militärischer Zwänge nicht selten zu Verletzung der Konventionen. Nach den Gewaltexzessen der Invasionsphase sorgte die politische Kriegführung dafür, dass der Konflikt weiterhin auf die Zivilbevölkerung im Feindesland ausgedehnt wurde. In diesen Kontext gehörten in großem Maßstab etwa die Blockade der Mittelmächte und der uneingeschränkte U-Boot-Krieg oder die Entwicklung von Kampfbombern und Langstreckengeschützen, die gegen symbolträchtige Kul-
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Gross 2009 [1730]; Strachan 2004 [1787]. Die Geldmenge stieg in Deutschland um 1141 %, in Frankreich um 532 % an: Hardach 1973 [1735], S. 84. 119 Deutschland konnte mit Anleihen die Kriegsausgaben bis September 1916 decken; dass danach die Zahl der Zeichner ebenso merklich sank wie die Beträge, lässt ein schwindendes Vertrauen in die Fähigkeit der Reichsbehörden erkennen, einen Sieg zu erringen. Burhop 2011 [389], S. 212. 120 Becker, Krumeich 2010 [1541], S. 155. Siehe auch Soutou 1991 [1786]. 121 Mommsen 2002 [1559].
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turgüter wie die Kathedrale von Reims sowie gegen Industriezentren und Ballungsgebiete zum Einsatz kamen (in Paris starben bei Luftangriffen im Ersten Weltkrieg knapp 1000 Zivilisten). Solche Angriffe zielten mindestens ebenso darauf ab, die Verwundbarkeit des Feindes aufzuzeigen und die Menschen einzuschüchtern, wie den Krieg zu gewinnen122. Im besetzten Nordfrankreich litt die Zivilbevölkerung unter den scharfen Kontrollen von Reisen, Tätigkeiten und Informationen. Die Besatzer überwachten engmaschig die Bevölkerung, nahmen Honoratioren als Geiseln und deportierten Frauen (im April 1916 aus Lille), unterdrückten tatsächlichen oder mutmaßlichen Widerstand mit Gewalt (etwa im März 1916 mit der Verurteilung der Spionin Louise de Bettignies). Die wirtschaft liche Ausbeutung erfolgte durch die Beschlagnahme von Sachwerten und das Heranziehen der Männer zur Zwangsarbeit vor Ort oder in Deutschland123. Die deutschen Behörden rechtfertigten diese Maßnahmen als Reaktion auf die Seeblockade, die ihrerseits gegen internationales Recht verstoße. Beide Staaten instrumentalisierten auf diese Weise das Leid ihres Landes und die Bedrohung ihrer Bevölkerungen einschließlich der Zivilisten, um die Praktiken des Feindes anzuprangern und die eigenen zu legitimieren. Im eigenen Land richtete sich das Misstrauen gegen die Angehörigen des jeweils anderen Staates, die zu Kriegsbeginn in Lagern interniert wurden, aber auch gegen mögliche Feinde im Inneren, auch wenn dies den Zusammenhalt des Volkes gefährdete. In Frankreich verloren Neubürger die französische Staatsangehörigkeit; die aus den besetzten Gebieten geflüchteten boches du nord verdächtigte man der Feigheit, ja sogar geheimer Absprachen mit dem Feind124. „Drückeberger“125 wurden noch schärfer verfolgt als Kriegsgewinnler126. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung trat am 17. August 1915 das Gesetz Dalbiez in Kraft, das am 10. August 1917 durch das Gesetz Mourier ergänzt wurde. Durch die Definition des Einsatzes eingezogener und zurückgestellter Männer sollte es soweit wie möglich die Erfordernisse der nationalen Verteidigung und eine gerechte Verteilung des „Blutzolls“127 koordinieren. Das „infame Gerücht“ (rumeur infâme) schließlich verdächtigte katholische Geistliche, sich ihrer vaterländischen Pfl icht zu entziehen oder sogar den Feind zu unterstützen, um dem laizistischen Frankreich zu schaden128 . Deutschland ermittelte im Rahmen der 1916 vom preußischen Kriegsminister angeordneten „Judenzählung“ die Zahl jüdischer Soldaten in einem massiv
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Barros 2009 [1427]. Becker 2010 [1700]; Hull 2005 [1488]; Becker 1998 [1699]. Nivet 2004 [1760]. Bouloc 2008 [1707]. Ridel 2007 [1774]. Horne 1989 [1738]. Siehe Kapitel I.3 „Kulturkämpfe und Laizität“, S. 91.
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antisemitischen Klima, das die patriotische Gesinnung der Juden anzweifelte129. Nicht nur bestimmte Gruppen, sondern die Bevölkerungen beider Länder als Ganzes litten unter den Auswirkungen des Krieges. Im Alltag stellte er sie auf eine harte Probe130: Beleuchtung und Heizung waren eingeschränkt, die Nahrungsmittel schmeckten schlechter, wegen der Requirierung der Transportmittel musste man weitere Wege in Kauf nehmen, Behörden und Läden änderten kriegsbedingt ihre Öff nungszeiten und man verbrachte viel Zeit in den Warteschlangen vor Geschäften. Die Menschen in ländlichen Gebieten waren auf besondere Weise betroffen: Das Militär hatte Pferde und Vieh beschlagnahmt und vor allem standen die Männer an der Front. Die Folge war trotz staatlicher Absatzgarantien eine Verkleinerung der Anbauflächen und ein Absinken der Erträge. Dagegen bekamen die Bauern dank Eigenverbrauchs die Nahrungsmittelknappheit weniger zu spüren als die Städter131. Die Städte wiederum mussten aufgrund der Ballung der Industrietätigkeit den Zustrom von Arbeitern auffangen. In der Folge wurde Wohnraum knapp, auch wenn zumindest Familien mit Kindern durch Moratorien geschützt waren. Die Hauptsorge der Städter war die Ernährung, denn es gab nichts zu kaufen, weil die Produkte von den Herstellern zurückgehalten wurden oder ungleich verteilt waren132. Priorität im Alltag hatte deshalb die Beschaff ung von Nahrungsmitteln. Zugleich wuchsen die Spannungen zwischen Bevölkerung, Kaufleuten und Behörden. In Deutschland brach sich die Empörung über die drastischen Einschränkungen in Verbindung mit bürokratischen Schikanen teils mit Gewalt Bahn und trug wiederum zur „Kriminalisierung des Alltags“ bei133. An den Gewaltausbrüchen und Protesten, die sich ab Herbst 1915 häuften, waren neben städtischen Arbeitern oft mals Frauen beteiligt, die von den Händlern im Namen der Leiden ihrer Ehemänner an der Front lautstark „faire Preise“134 einforderten. Die in beiden Gesellschaften an der Heimatfront spürbaren Spannungen führten vor allem ab 1916 vermehrt zu Streiks, sowohl in den traditionellen Branchen, denen kriegsbedingt die Absatzmärkte wegbrachen, als auch in der 129 Die ermittelten Zahlen entsprachen im Großen und Ganzen denen der deutschen Armee, wurden aber nicht veröffentlicht; das wiederum bestärkte die Gerüchte und antijüdischen Ressentiments beim Militär und in der Bevölkerung. Siehe Grady 2011 [867]; Rosenthal 2007 [877]. 130 Proctor 2010 [1770]; Pourcher 1994 [1769]; Roerkohl 1991 [1778]; Canini 1984 [1709]; Perreux 1966 [1766]. 131 Ziemann 1997 [1794]; Flood 1990 [1723]; Maurin 1982 [1669]. 132 Chickering 2009 [1578]; Robert, Winter 2007 [1777]; Robert, Winter 1997 [1776]. 133 Leonhard 2014 [1557], S. 519. 134 Davis 2000 [1714].
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Kriegsindustrie selbst, wo sich die Arbeitsbedingungen zunehmend verschlechterten135. Im Vordergrund standen zunächst materielle oder berufsspezifische Forderungen. Ab 1917 weiteten sich die Streiks aus und wurden immer politischer, bis 1918 die Streikenden ganz offen Frieden forderten. Grundsätzlich spielten die materiellen Bedingungen eine wichtige Rolle dabei, wie die Bevölkerungen den Krieg erlebten. Die Engpässe trafen allerdings nicht alle gesellschaft lichen Schichten gleichermaßen. Wer die Zeit erübrigen konnte, stand stundenlang selbst an oder schickte jemand anderes. Wer Anlaufstellen wusste, fuhr zum Einkaufen aufs Land oder deckte sich auf dem Schwarzmarkt ein, obgleich alle sich mit dem begnügen mussten, was gerade angeboten wurde. Auch die Teuerung wirkte sich unterschiedlich aus. Nachdem die Preise in beiden Ländern von 1914 bis 1916 um die Hälfte angestiegen waren, setzte sich in Frankreich der Trend der vie chère, des teuren Lebens, gleichmäßig fort. Bis Kriegsende lagen die Preise inflationsbedingt doppelt so hoch wie vor dem Krieg. In Deutschland hingegen zogen sie nach 1916 massiv an und vervierfachten sich im Laufe des Krieges, mit weitaus dramatischeren Konsequenzen vor allem für die Arbeiter und die Mittelschicht136. In Deutschland schien der Krieg die Polarisierung der Gesellschaft zu verschärfen, sodass sie gegen Kriegsende weit eher einer Klassengesellschaft ähnelte als zu Kriegsbeginn. Die Kluft zwischen Werktätigen und Industriebaronen beziehungsweise Großgrundbesitzern dominierte die Antagonismen stärker als zuvor die Auseinandersetzungen zwischen Konfessionen, Generationen, Regionen und nationalen Minderheiten. Auf der einen Seite standen die Großgrundbesitzer. Die preußischen Junker konnten, der allgemeinen Verarmung des Landes zum Trotz, ihre Interessen durchsetzen, die zudem von denen der Industriemagnaten weniger stark abwichen als vor 1914. Selbst das von Militär und Regierung begünstigte Missverhältnis zwischen Friedensund Kriegsindustrien stellte die Solidarität der Industrie nicht infrage. Auf der anderen Seite standen die Arbeiter, denen der Krieg den allmählichen Lohnanstieg der Vorkriegszeit zunichtemachte und ihre Lebensbedingungen verschlechterte. Trotz der unterschiedlichen Bezahlung in Rüstungsbetrieben und Friedensbranchen waren die Arbeiter generell gegen eine Fortsetzung des Krieges, der ihnen materiellen Mangel und Einschränkungen ihrer demokratischen Freiheiten bescherte. Hauptleidtragende zwischen diesen beiden Polen war die Mittelschicht. Während sich die Kleinindustriellen, Handwerker und Kaufleute mehr als zuvor mit den Unternehmereliten identifizierten, litten die Angestellten dieselbe Not wie die Arbeiter und verproletarisierten. Diese Entwicklungen vertieften den Riss quer durch die deutsche Gesellschaft137 und 135 Haimson, Sapelli 1991 [1732]. 136 Winter 2004 [1793]. 137 Kocka 1973 [1740]. Andere Autoren haben diese These differenziert und eher die
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ebneten damit letztlich den Weg in die Revolution, die im November 1918 ausbrach. Auch in Frankreich traf der Krieg die Mittelschicht mit voller Wucht, allein durch die Auswirkungen der Inflation auf die Angestelltengehälter und die Ersparnisse der Privatiers; die Kaufleute wurden zur Zielscheibe behördlicher Schikanen und der Wut der Bevölkerung. Aber trotz der Angst der angeschlagenen Mittelschicht vor dem gesellschaft lichen Abstieg war die Polarisierung in Frankreich dennoch nicht so ausgeprägt wie in Deutschland. Die niedrigere Inflationsrate und die stärkere soziale Mobilität trugen dazu bei, dass sich Lebensstandard, soziale Stellung und Gesundheitszustand selbst der Ärmsten nicht wesentlich verschlechterten138. Über diese materiellen Bedingungen hinaus litten beide Gesellschaften ab 1914 unter den hohen kriegsbedingten Verlusten von Angehörigen und Freunden, zudem mussten Hunderttausende Verwundete von der Front nach Hause geholt und gepflegt werden. Eine verbreitete Form der Mobilmachung an der Heimatfront waren Kriegshilfsdienste aller Art, von Strickarbeiten über die Pflege von Verstümmelten oder die Beherbergung von Flüchtlingen bis zur Betreuung von Kriegswaisen. Generell standen sämtliche sozialen und kulturellen Aktivitäten im Zeichen des Krieges. Unterhaltungsangebote und künstlerische Produktionen vom Kino bis zur Bühne, Ausstellungen, Lieder und Illustrierte versuchten, das Volk für den Krieg zu mobilisieren139. Diese kulturelle Mobilmachung beruhte zum Teil auf dem Bedürfnis der Daheimgebliebenen, ebensolche Opfer zu erbringen wie die Soldaten auf dem Schlachtfeld. Sie war aber auch von Behörden, patriotischen karitativen Verbänden und sozialen Institutionen aller Art angeleitet, wobei vor allem die Kirchen eine wichtige Rolle spielten. Offen zutage trat die kulturelle Mobilmachung in Frankreich bei den immer häufigeren Journées patriotiques und in Deutschland bei den „Opfertagen“, an denen vor allem Spenden für die Kriegsanstrengungen gesammelt oder Abzeichen verkauft wurden. Demselben Zweck dienten in Deutschland sogenannte Nageldenkmäler: Die Bevölkerung kaufte Nägel, deren Erlös den Kriegshilfswerken zufloss, und schlug sie in hölzerne Standbilder ein, bis diese vollständig damit bedeckt wa-
Dichotomie zwischen Kriegs- und Friedensindustrie – zugunsten Ersterer – betont, um die von den Industriellen eingestrichenen Gewinne zu relativieren, auch wenn diese im Übrigen zunächst besser gestellt waren als die Arbeiter: Burhop 2011 [389], S. 208–210. 138 Charle 2001 [376]; Lawrence 1997 [1744]. 139 Zum Theater siehe Krivanec 2012 [1742]; Baumeister 2005 [1698]. Zum Kino siehe Véray 1995 [1790]; das deutsche Bild- und Filmamt wurde im Übrigen Anfang 1917 auf Betreiben von Ludendorff gegründet. Zu den Ausstellungen siehe Beil 2004 [1701]. Für allgemeine Informationen hierzu siehe Robert, Winter 2007 [1777].
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ren. Der 1914–1916 in Berlin-Tiergarten errichtete „Eiserne Hindenburg“ beispielsweise war über zwölf Meter hoch140. Als Reaktion auf den feindlichen Überfall und die Besetzung des Landes oder zumindest auf die Ängste und Fantasien, die sich daraus ableiteten, ging die französische Propaganda insgesamt mit besonderer Schärfe vor. Da Deutschlands Staatsgebiet unangetastet blieb, ging es dort in der Propaganda vor allem um das legitime Recht des Landes, sich gegen eine „Welt von Feinden“ zu verteidigen141. Allerdings verlief die kulturelle Mobilmachung der Bevölkerungen nicht kontinuierlich. Je mehr sich der Krieg in die Länge zog, desto weniger ließen die Menschen sich dafür begeistern, sondern wollten seinen Auswirkungen möglichst entfliehen. Waffenausstellungen verzeichneten weniger Besucher, die Zahl patriotischer Rundschreiben sank, Theater und Kinos zeigten nostalgische Produktionen und man amüsierte sich wieder, in den Berliner Kabaretts ebenso wie auf den Pariser Caféterrassen, wenn auch unterbrochen von erneuten Phasen der Mobilmachung, je nachdem, wie sich die internationale Lage, das Geschehen an der Front oder die materielle Situation in der Heimat gestaltete142. Die in der Zivilbevölkerung überrepräsentierten Frauen und Kinder spielten bei der Mobilmachung der Gesellschaft eine entscheidende Rolle, denn sie verkörperten in den Augen der Soldaten die Heimat, die sie liebten und verteidigten. So gesehen verstand man unter Vaterland oder patrie eher die eigene Heimat oder die petite patrie im Sinne eines familiären und lokalen Umfelds und einer mit Vorkriegserinnerungen in weitgehend idealisierten Bildern wach gehaltenen Lebenswelt143. Auf die Geschlechterrollen hatte der Krieg dennoch komplexe Auswirkungen. Den Frauen wies er eine ambivalente neue Stellung zu144. Anfangs festigte er die angestammten Rollen beider Geschlechter und vermännlichte die Nationen, aber als die Soldaten im Schlamm der Schützengräben versanken, rückten Frauen daheim in den öffentlichen Raum und in gehobene Positionen auf. Doch obwohl sie in der Kriegswirtschaft den Ausschlag gaben, blieb die Arbeitsteilung säuberlich nach Geschlechtern getrennt, und Frauenarbeit wurde schlechter bezahlt. Abbildungen auf Postkarten und Propagandaplakaten zeigten Frauen überwiegend in beruhigend weiblichen Idealrollen als treusorgende Ehefrauen oder fürsorgliche Krankenschwestern. Bei den Männern weckte der 140 141 142 143
Schneider 2013 [1784]. Becker, Krumeich 2010 [1541], S. 105–113. Horne 1997 [1552]. Zum Begriff der „petite patrie“ siehe Bourlet, Lagadec, Le Gall 2013 [1545]; Chanet 1996 [1251]. Zum Begriff „Heimat“ siehe Confino 1997 [717]; Applegate 1992 [711]. Siehe Kapitel I.2 „Republik und Monarchie denken und gestalten“ und II.1 „Elsass-Lothringen zwischen Deutschland und Frankreich“. 144 Braybon, Summerfield 1987 [1708]; Marwick 1977 [1753].
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Krieg ein gewisses Misstrauen, ihre Frauen könnten mit anderen fl irten oder untreu werden145. Trotz der ständigen Unterdrückung der Frauen in Wort und Tat spiegelte dieser Argwohn vor allem die Angst der Männer, ihres Eigentums beraubt und betrogen zu werden. Obwohl die Mobilmachung der Frauen die Fortsetzung des Krieges ermöglichte, sorgte die subjektive Wahrnehmung eines bedrohten Gleichgewichts schließlich für die Verfestigung einer klaren Trennlinie: Die Männer waren für Kampf und Produktion zuständig, die Frauen für Mutterschaft und Fürsorge. Die beobachteten Veränderungen waren somit vorübergehender, oberflächlicher Natur. Letztlich bewahrte der Krieg die Geschlechterrollen und bestärkte sie sogar noch146. Kinder waren zugleich Opfer und vollwertige Akteure des Krieges. Einerseits dienten sie als Argument für die Mobilmachung der Erwachsenen, denn für sie und ihre Zukunft kämpften und starben ihre Väter147. Zugleich richtete sich auf sie ein spezifischer Mobilmachungsmechanismus: Sie lernten, sich der für sie erbrachten Opfer würdig zu erweisen. Vermittelt wurde diese Pflicht in erster Linie in Schule und Freizeit, in zweiter Linie in der Kirche und Familie. Vor allem in Frankreich wurden die Kinder besonders in den ersten beiden Kriegsjahren stark in den Krieg eingebunden148. In Deutschland bemühten sich die Behörden zunächst, sie aus dem Geschehen herauszuhalten, doch das erwies sich rasch als unmöglich. Kinder wurden zum Kriegshilfsdienst herangezogen, sei es bei der Sammlung von Geld- und Sachspenden oder als Erntehelfer 149.
Die Verschiebung des Gleichgewichts und das Ende des Krieges
Einen langen Krieg beenden: zwischen Verhandlungsfrieden und Siegesgewissheit Entgegen den anfangs einhelligen Prognosen, der Krieg könne nicht lange dauern, zeigte sich rasch, dass keines der beiden Lager fähig war, das andere militärisch zu übertrumpfen. Zwar konnte man dank der Mobilisierung der Gesellschaften weiter kämpfen, doch mit zunehmender Dauer und Organisation 145 Cronier 2013 [1633]; Le Naour 2002 [1745]. 146 Morin-Rotureau 2004 [1758]; Daniel 1997 [1711]; Kundrus 1995 [1743]; Thébaud 1986 [1788]. 147 Frankreich gründet per Gesetz vom 27. Juli 1917 das Office national des pupilles de la nation. In Deutschland fallen Kriegswaisen ab 1918 in die Zuständigkeit des Ende 1915 gegründeten Reichsausschusses für die Kriegsbeschädigtenfürsorge: Pironti 2015 [636]; Faron 2001 [1255]. 148 Pignot 2012 [1767]; Audoin-Rouzeau 1993 [1695]. 149 Goebel 2007 [1727]; Donson 2010 [1715]; Hämmerle 1993 [1731]; Fiedler 1989 [1721].
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wurde es immer schwieriger, den Krieg zum Abschluss zu bringen, auch wenn dies angesichts der Erschöpfung von Armeen und Bevölkerungen eigentlich unabdingbar war und sich kritische Stimmen mehrten. Für einen Friedensschluss hätte man jedoch Kompromisse schließen müssen, und die waren kaum vorstellbar, waren doch beide Seiten davon überzeugt, um ihr Überleben zu kämpfen, ganz zu schweigen von den bereits erlittenen Verlusten, die nicht umsonst gewesen sein durften und eine regelrechte Flucht nach vorn auslösten. Zudem hatten weder die Machthaber noch die Bevölkerungen beider Seiten erkannt, wie verfahren die Situation wirklich war, und glaubten noch immer an den bevorstehenden Sieg150. Diese gegenläufigen Strömungen lösten Spannungen aus, lange bevor der Krieg im Herbst 1918 tatsächlich seinem Ende zuging. Bei den Bemühungen um Frieden hätten die Pazifisten eine Vorreiterrolle spielen können. 1914 waren sie nicht nur daran gescheitert, den Kriegsausbruch zu verhindern151, sondern sogar mit großer Mehrheit bereit gewesen, sich für ihr jeweiliges Vaterland gegen den deutschen Militarismus beziehungsweise die russische Autokratie zu erheben. Es dauerte mehrere Monate, bis sich wieder namhafte Minderheiten für den Frieden einsetzten, die vor allem in den sozialistischen Parteien Europas zu finden waren. In Deutschland stimmte Karl Liebknecht schon im Dezember 1914 gegen die Kriegskredite; im Jahr darauf taten es ihm 19 weitere Abgeordnete nach. Sein Aufruf zum Frieden bei einer verbotenen Demonstration am 1. Mai 1916 brachte ihm eine vierjährige Gefängnisstrafe ein, sorgte jedoch zugleich für mehr Zuspruch für die pazifistischen Sozialisten152; anlässlich der Spaltung der SPD im April 1917 schlossen sie sich der neu gegründeten USPD an. In Frankreich stimmten Alexandre Blanc, Pierre Brizon und Jean-Pierre Raffin-Dugens im Juni 1916 gegen die Kriegskredite. Sie repräsentierten den Minderheitsflügel der SFIO, der gegen den Krieg und eine Regierungsbeteiligung war. Er erhielt vor allem in den städtischen Ballungsräumen um Paris und Lyon Zulauf 153. Diese Minderheiten traten ebenso bei den auf neutralem Boden veranstalteten internationalen Konferenzen in Erscheinung, etwa im September 1915 in Zimmerwald und im April 1916 in Kienthal, und riefen gemeinsam mit Lenin unter dem Stichwort paix blanche zum sofortigen Friedensschluss ohne Annexionen und Entschädigungen auf. Ebenso bemühten sich Intellektuelle, wenn auch aus unterschiedlichen Beweg150 In Frankreich enthüllte eine Untersuchung der Commission de contrôle postal in Bordeaux im Juni 1917 den deutlichen Wunsch nach Frieden. 47 % der zensierten Briefe, in denen das Thema erwähnt wurde, äußerten sich nicht zu den Modalitäten des Friedens; 34,5 % wünschten sich ausdrücklich einen Siegfrieden, 13 % jedoch einen Frieden ohne Annexionen und Entschädigungen und 5,3 % einen Frieden um jeden Preis. Siehe Becker 1977 [1571], S. 209. 151 Lorrain 1999 [787]; Robert 1995 [1775]; Holl 1988 [803]. Siehe Kapitel I.3 „Friedensbewegung“. 152 Chickering 1998 [1547]. 153 Ducoulombier 2010 [582]; Robert 1995 [1775].
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gründen und Umständen heraus, den kritischen Diskurs über den Krieg in Gang zu halten. Vor allem die Gruppe im Umkreis von Romain Rolland in Genf äußerte sich in Publikationen, die allerdings nur geringe Verbreitung fanden154. Parallel zu diesen Strömungen gab es diff usere, weit weniger politisch motivierte Hoffnungen auf Frieden. Aus schierer Kriegsmüdigkeit wünschten sich die Menschen ein Ende des Kriegszustands auch ohne militärischen Sieg, der ohnehin immer unwahrscheinlich wurde155. Nach den großen Schlachten von 1916 rückte ein Aufbrechen des Stellungskriegs in weite Ferne. Mochten sich die Staatsoberhäupter weiter Hoffnungen auf einen Sieg im Felde machen, so beschäftigte sie zugleich mehr und mehr der Gedanke an einen vorzeitigen Ausstieg aus dem Krieg156. Anfangs waren die Initiativen zur Beendigung des Konflikts von den Staatschefs neutraler Länder ausgegangen, jedoch ebenso wie die Vermittlungsversuche von US-Präsident Wilson im Frühjahr 1915 und im Herbst 1916 erfolglos geblieben. Im Dezember 1916 rief Reichskanzler Bethmann Hollweg die Alliierten zu Friedensverhandlungen auf, allerdings ohne seine Kriegsziele zu nennen. Tatsächlich ging es ihm darum, den Anfang 1917 von deutscher Seite eingeleiteten uneingeschränkten U-Boot-Krieg zu rechtfertigen. Wilson konnte die Krieg führenden Staaten damals nicht dazu bewegen, ihre Kriegsziele offenzulegen und den Grundsatz eines „Friedens ohne Sieg“ zu akzeptieren. Das Jahr 1917 bot erneut Gelegenheiten zu Geheimverhandlungen wie zu offiziellen Vorschlägen. Die Thronbesteigung Karls I. von Österreich-Ungarn im November 1916 hatte vorübergehend Hoff nungen auf einen Separatfrieden mit der Entente geweckt. Nach der Februarrevolution zeichnete sich ein Sonderfrieden der Mittelmächte mit Russland ab. Der Waffenstillstand wurde schließlich im Dezember und der Friedensvertrag im März des darauffolgenden Jahres unterzeichnet. Der Friedensaufruf Papst Benedikts XV. im August 1917 erbrachte keine greifbaren Ergebnisse, zumal Wilson, nunmehr an der Spitze eines kriegsbeteiligten Landes, demokratische Reformen des Feindes zur Bedingung für die Aufnahme von Verhandlungen machte. Die Konferenz der Zweiten Internationale, die in Stockholm ohne ihre Hauptakteure stattfand, schloss im September 1917 mit einem Aufruf zum internationalen Generalstreik, was jedoch ebenfalls nicht zu einer Lösung führte. Das Scheitern dieser Initiativen hatte vielerlei Gründe, wirkte sich aber vor allem in einem unlösbaren Konflikt auf die Formulierung der Kriegsziele aus. In Deutschland stützte sich der Burgfrieden zu Beginn des Krieges auf ein Hauptziel: Deutschland müsste die Einkreisung aufbrechen und sich des Drucks seitens der neidischen Nachbarländer entledigen, die sich zusammengetan hät154 Siehe Kapitel I.3 „Friedensbewegung“, S. 134. 155 Haddad 2012 [785]; Holl 1988 [803]. 156 Pedroncini 1969 [1823].
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ten, um es zu ersticken. Die militärischen Erfolge Deutschlands in den ersten Kriegswochen ließen einen Sieg durchaus möglich erscheinen. Zugleich kam die Vorstellung auf, der Feind müsse für das dabei vergossene Blut und die Kriegskosten Entschädigung leisten. Diese Situation begünstigte von Anfang an in der politischen Mitte und bei den Rechten die Formulierung von mehr oder weniger hoch gesteckten Kriegszielen (wobei sich besonders der Alldeutsche Verband hervortat), die sich in verschiedenen Plänen einer territorialen Erweiterung nach Westen und Osten spiegelten157. Während die gegen Annexionen eingestellte Linke, allen voran die SPD, ganz andere Vorstellungen vertrat, lieferten die Rechten Bethmann Hollwegs Privatsekretär Kurt Riezler die nötige Inspiration bei der Formulierung des als „Septemberprogramm“ bekannt gewordenen internen Schriftstücks, das im September 1914 die Vorgaben des Kanzlers für die politischen Ziele Deutschlands in der Nachkriegszeit im Detail festhielt. Status und Tragweite dieses Papiers sind seit der von Fritz Fischer ausgelösten Kontroverse höchst umstritten158, doch verfolgte die Regierung eindeutig ambitionierte Annexionspläne. Über diese Anfangszeit hinaus waren die Kriegsziele im weiteren Verlauf lange Zeit vage oder sogar widersprüchlich: Die Rechte entwickelte weiterhin Maximalforderungen mit dem Hintergedanken, man müsse den Deutschen Versprechungen machen, um ihren Zusammenhalt zu sichern. Andere – zweifellos in der Minderzahl – forderten einen „gerechten Frieden“. Die Regierungsparteien selbst waren keinesfalls gewillt, ohne die geforderten „Garantien“ und „Reparationen“ einer Beendigung des Krieges zuzustimmen. In Frankreich stützte sich die union sacrée vor allem auf die Entschlossenheit, den Feind aus dem eigenen Land zu vertreiben. Erst zwischen Juli 1916 und März 1917 traute sich die Regierung unter Aristide Briand, ausführlichere Kriegsziele zu formulieren. Als die Deutschen bei Verdun gescheitert waren und die für Anfang 1917 von der Entente vorgesehenen Offensiven die Hoff nung auf einen bevorstehenden Sieg aufkeimen ließen, empfahl die französische Regierung die Rückeroberung von Elsass und Lothringen sowie die Annexion des Steinkohlereviers im Saarland bis hin zum linksrheinischen Gebiet, wenn auch mit „neutralem“ Status, um den Anschein eines Eroberungskrieges zu vermeiden. Zudem forderte Briand „Kriegsentschädigungen“. Auch auf französischer 157 Siehe das am 2. September 1914 von Heinrich Class als Präsident des Alldeutschen Verbands formulierte Programm. Vgl. Fischer 1961 [1581], S. 113–120. 158 Fritz Fischer stufte die Ausführungen als Plan für die Beherrschung ganz Europas und als ersten Schritt zur Weltherrschaft ein. Fischers Kritiker waren hingegen der Ansicht, eine interne Mitteilung, die im September 1914 vor dem Hintergrund deutscher Siege an allen Fronten verfasst wurde, dürfe nicht als Beleg für im Vorfeld bereits feststehende Kriegsziele gewertet werden, zumal sie schon im Oktober durch eine neue ersetzt wurde. Wie Georges-Henri Soutou nachwies, wurde das Papier aus innenpolitischen Erwägungen zur Erhaltung des Burgfriedens verfasst: Soutou 1989 [386].
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Seite war demnach eine eindeutige Annexionsabsicht erkennbar. Die späteren Regierungen kehrten nach dem Sturz des Zarenhauses allerdings zu vorsichtigeren Forderungen zurück. Sie richteten sich zwar nach wie vor auf Elsass-Lothringen, Reparationen und notwendige Garantien, doch war von Eroberungen keine Rede mehr. Unabhängig davon, ob Annexionen offen im Raum standen oder nicht, waren die französischen und deutschen Positionen im Wesentlichen konträr. Allein die Rivalität um Elsass-Lothringen schloss einen Kompromiss zwischen beiden Ländern aus, da Deutschland aus der vorteilhaften Position des bis dahin überwiegenden Gewinners des Krieges den Verlust des „Reichslands“ nicht hingenommen hätte. Zudem hätte Elsass-Lothringen sich aus der Sicht einer kleinen Minderheit als Unterpfand für mögliche künft ige Friedensverhandlungen angeboten, in dem Sinne, dass man sich eine Autonomielösung hätte vorstellen können. Auf französischer Seite hegte man den Verdacht, diese Friedensangebote des Feindes könnten lediglich Schachzüge sein, die den deutschen Angriff vergessen machen sollten. Angesichts der generellen Unvereinbarkeit dieser Kriegsziele und des wechselseitigen Misstrauens blieb die Kluft zwischen den Kriegsparteien unüberbrückbar; beide warteten auf den eigenen Sieg, um ihren Willen durchzusetzen. Selbst Wilson gab, wenn auch erst ab 1918, seine versöhnliche Haltung auf und setzte sich mehr und mehr dafür ein, den Krieg zu gewinnen und die finanzielle Abhängigkeit seiner Partner auszunutzen, um eine starke Verhandlungsposition zu erlangen159.
1917 – das Jahr der internationalen Brüche Während die diplomatischen Friedensinitiativen ins Leere liefen, verschob sich 1917 das strategische Gleichgewicht zwischen den gegnerischen Lagern160. Zwar waren die Ereignisse nicht von Vornherein dazu angetan, die Situation aufzubrechen, doch eröff neten sie neue Perspektiven für eine Beilegung des Konflikts, diesmal auf dem Schlachtfeld. Bereits zu Jahresbeginn kam in Deutschland angesichts des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs und des steten Anstiegs der versenkten Bruttoregistertonnen Siegesgewissheit auf. Freilich provozierte dies den Kriegseintritt der USA und einiger lateinamerikanischer Staaten, der die Entente zuversichtlich stimmte und ihr Zugang zum Weltmarkt verschaffte. Die deutsche Regierung hoffte jedoch weiterhin auf einen Sieg, bevor die US-Truppen auf europäischem Boden landen und das militärische Gleichgewicht entscheidend verändern konnten. In scheinbar greifbare Nähe rückte der deutsche Sieg, als die russische Februarrevolution völlig unerwartet die Aussicht auf ein Ausscheiden Russ159 Ambrosius 2002 [1796]. 160 Jardin 2005 [1813]; Duppler, Gross 1999 [1810].
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lands aus dem Krieg und damit die Chancen auf eine Rückkehr zum 1914 angestrebten Einfrontenkrieg erhöhte. In der Überzeugung, ein umfassender Sieg sei doch noch möglich, dämpfte die deutsche Regierung die Hoff nungen der Linken und der Zentrumspartei auf ernsthafte Anstrengungen, mit denen am Verhandlungstisch ein baldiges Ende des Krieges erreicht werden sollten. Sie wollte eher die günstige Gelegenheit nutzen, um sich auf Friedensbedingungen zu einigen, die Deutschland zufriedenstellten und für Russland akzeptabel waren. Die Alliierten sahen den Sturz des Zarenhauses zunächst mit Genugtuung, weil sie von einer Demokratisierung Russlands eine weitere Legitimierung ihrer Position erwarteten. Dann jedoch zeigte sich, dass der Umsturz keineswegs eine Stabilisierung bewirkte, vor allem, als der Petrograder Sowjet kurz darauf als Gegenspieler der Provisorischen Regierung für einen Frieden ohne Annexionen und Reparationen warb. In dieser Situation hätte Deutschland von einem plötzlichen Zusammenbruch Russlands in erheblichem Maße profitiert, doch der Zersetzungsprozess der russischen Armee verlief langsam und stetig. Er beschleunigte sich im Frühjahr 1917. Im Herbst übernahmen die Bolschewiken das Ruder und erließen sogleich das „Dekret über den Frieden“. Als darauf keine Reaktion erfolgte, mussten sie Verhandlungen mit den Mittelmächten aufnehmen. Der Waffenstillstand von Brest-Litowsk wurde erst am 15. Dezember unterzeichnet, und nach Trotzkis Verkündung einer einseitigen Einstellung der Kampfhandlungen am 10. Februar 1918 flackerte der Krieg sogar wieder auf. Russland sah sich schließlich am 3. März 1918 zur Unterzeichnung eines extrem ungünstigen Friedensvertrags mit massiven territorialen und materiellen Verlusten gezwungen. Bei der Ratifizierung des Vertrags im Reichstag stimmte die USPD dagegen, die SPD enthielt sich; die Liberalen und die Zentrumspartei, die im Juli 1917 die Friedensresolution mitgetragen hatten, unterstützten den Vertrag mit Russland, obwohl er alles andere als einen Ausgleichsfrieden darstellte. Somit dauerte es über ein Jahr, bis Deutschland seine Truppen von der Ostfront abziehen konnte, und auch dann nicht vollständig, da zahlreiche Besatzungstruppen zurückbleiben mussten. Zumindest verschob das Ausscheiden Russlands das militärische Gleichgewicht zugunsten des Deutschen Reichs, das darauf vertraute, nach dem Sieg im Osten könne es den Krieg ebenso im Westen gewinnen. Wenige Tage später startete der Generalstab die groß angelegte Michael-Offensive an der Westfront. Eile war insofern geboten, als der uneingeschränkte U-Boot-Krieg gescheitert war und das Eingreifen der amerikanischen Streitkräfte die eindeutige zahlenmäßige und materielle Überlegenheit Deutschlands bedrohte. Im Frühjahr 1918, nach Verlegung eines Teils der deutschen Truppen von der Ost- zur Westfront, stand der Obersten Heeresleitung nur ein begrenztes strategisches Zeitfenster zur Verfügung. Denn selbst wenn ihr der uneingeschränkte U-Boot-Krieg und der Zusammenbruch Russlands vorerst in die Hände spielten, konnte sich das
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Blatt nach dem Eintreffen der US-Truppen schon bald zugunsten der Entente wenden. Während das Militär weiter auf den entscheidenden Endsieg auf dem Schlachtfeld hoffte, fiel die Entscheidung über einen Frieden auf dem innenpolitischen Parkett.
Die inneren Spannungen ab 1917 Über die ungewisse internationale Lage hinaus sahen sich die Regierungen auf sozialer wie politischer Ebene zunehmend mit inneren Spannungen konfrontiert. Obwohl diese Konflikte von der langen Dauer des Krieges ausgelöst und von der Sehnsucht nach Frieden getragen waren, förderten sie die erneute Mobilisierung der Staaten und Gesellschaften für den Sieg. In Deutschland kam es im April 1917 zu einer massiven Streikwelle. Nach dem Hungerwinter 1916 / 1917 gingen vor allem Frauen auf die Straße. Ihre „Brotstreiks“ wurden zwar von der neu gegründeten USPD unterstützt, waren jedoch weniger politisch motiviert als durch die Forderung nach Waren und Lebensmitteln. Ebenso kam es in Frankreich im Mai 1917 überall zu Streiks. Nach einem ebenfalls sehr harten Winter und dem dramatischen Scheitern der Offensive am Chemin des Dames protestierten auch in Frankreich vor allem Frauen. Sie forderten eine Entschädigung für die Teuerung sowie die „englische Woche“ mit sechs Arbeitstagen zu acht Stunden. Ab Ende Mai ging es zusätzlich um Frieden, als die Arbeiterinnen skandierten: „Wir wollen unsere poilus wiederhaben!“ oder „Nieder mit dem Krieg!“161 Zur gleichen Zeit machte sich unter den Soldaten Unruhe breit. Im Mai und Juni kam es im französischen Heer zu Meutereien, die in unterschiedlicher Intensität zwei Drittel der Einheiten erfassten. Viele Soldaten waren gegen eine Weiterführung des Krieges. Obgleich die vorgebrachte Kritik dem republikanischen Repertoire entlehnt war, trieben ganz unterschiedliche Beweggründe die Meuterer an162: sei es Kritik am Scheitern der Offensiven, Ärger über fehlende Ruhetage oder versprochene, aber nicht gewährte Fronturlaube, sei es das Aufgreifen von Forderungen der daheim stattfindenden Streiks, sei es das Anprangern der ungleichen Verteilung des „Blutzolls“ oder das politische Engagement für das Ende des Krieges163. Im August desselben Jahres meuterten in Wilhelmshaven 400 deutsche Matrosen und forderten Frieden. Gerade in der kaiserlichen Marine war die Atmosphäre hochgradig aufgeladen. Zum einen genossen die Offiziere dort besondere Privilegien, zum anderen mehrten sich Stimmen, die den Marine-
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Robert 1995 [1775], S. 132. Poilus war die Bezeichnung für einfache französische Soldaten. 162 Loez 2010 [1664]; Loez, Mariot 2008 [1665]; Smith 1994 [1684]. 163 Loez 2010 [1664].
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soldaten ihren legitimen Beitrag zu den Kriegsanstrengungen absprachen, weil ihre Schiffe oft lange untätig vor Anker lagen164. Diese zunächst vereinzelten Bewegungen lehnten sich zum Teil an politische Perspektiven an, insbesondere im Hinblick auf die Russische Revolution und die Anfang 1917 angekündigte erneute Friedenskonferenz, die unter der Schirmherrschaft der russischen Sozialisten in Stockholm stattfi nden sollte. In Deutschland wie in Frankreich korrelierten die Friedensbewegungen von Umfang und Forderungen her nicht nur unmittelbar mit der wirtschaft lichen und sozialen Situation, sondern auch mit der politischen und militärischen Lage, denn Letztere entschied darüber, ob überhaupt eine Chance auf Frieden bestand. In Frankreich machten sich die größten und heft igsten Bewegungen im Frühjahr 1917 bemerkbar, als nach der Russischen Revolution, dem Kriegseintritt der USA und dem Rückzug der Deutschen hinter die Hindenburglinie ein Kriegsende in greifbare Nähe rückte, zumal die Franzosen auf einen Sieg am Chemin des Dames hofften. Immer konkreter wurde diese Aussicht durch die Debatten über die geplante Friedenskonferenz (trotz der Weigerung der Regierung am 4. Juni, den sozialistischen Abgeordneten Ausweise für Stockholm auszustellen). Im Ballungsraum Paris häuften sich Streiks, an der Front Meutereien, doch beruhigte sich die Lage wieder nach der Erfüllung der Lohnforderungen im Juni. In Russland wollte die neue Provisorische Regierung erneut gegen die Deutschen in die Offensive gehen; zugleich wurde die Stockholmer Konferenz auf unbestimmte Zeit vertagt. An der Front sorgten sich die Meuterer, ob ihr Handeln legitim sei, während ihre Kameraden in vorderster Schusslinie standen und der Norden des Landes weiter besetzt war; zudem hatte die Militärhierarchie inzwischen gelernt, zugleich Forderungen anzuerkennen und Meuterer zu bestrafen, um der Strömung endgültig Herr zu werden. In der Folge hatten die Streiks einen geringeren Umfang. Im Mai 1918 gingen Metallarbeiter in Frankreich zwar für den Frieden auf die Straße, doch nach der Unterzeichnung des Vertrags von Brest-Litowsk und angesichts der heiklen militärischen Lage genügte bereits ein Frontdurchbruch der Deutschen, um sie zur Wiederaufnahme der Arbeit zu veranlassen165. In Deutschland hingegen nahm die Politisierung der Bewegungen zu. Die neuen Perspektiven, die teils Lenin, teils Wilson 1918 ins Spiel brachten, nährten die Hoff nung auf einen schnellen Frieden zunächst im Osten, dann im Westen, und schürten entsprechende Erwartungen an die deutsche Regierung. Bei den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk ging es allerdings vor allem um die drastischen Bedingungen, die die deutschen Machthaber Russland einseitig aufzuerlegen gedachten. In den Massenstreiks im Januar spiegelte sich neben 164 Horn 1969 [1649]. 165 Robert 1995 [1775], S. 230.
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der Sehnsucht nach Frieden zugleich die Furcht, solche extrem aggressiven Ziele könnten das Kriegsende weiter hinauszögern. Die Streikenden forderten einen Frieden ohne Annexionen und Reparationen, bessere Arbeitsbedingungen und eine spürbare Demokratisierung des Regimes. Von den Berliner Rüstungsbetrieben aus griffen die Streiks Ende Januar auf die in der Nordsee stationierten Marinesoldaten über; zum ersten Mal wurden Arbeiterräte gewählt. Als das Militär die Streikenden zur Strafe zurück an die Front schickte, weitete sich die Bewegung in den letzten Kriegsmonaten auf die Frontkämpfer aus166. Die sozialen Konflikte in der Heimat und die Probleme an der Front lösten politische Turbulenzen aus, zumal sie mit einem mehr oder weniger deutlichen Wiederaufflammen des Pazifismus einhergingen, der die politischen Klassen spaltete. Die Machthaber schwankten in der Folge zwischen Kompromiss und Härte. Die deutsche „Politik der Diagonalen“ war immer weniger haltbar. Reichskanzler Bethmann Hollweg bemühte sich dennoch ein letztes Mal um einen Kompromiss und verlangte vom Kaiser die Zusage tief greifender Reformen des Wahlrechts. Wilhelm II. versprach daraufhin in seiner „Osterbotschaft“ vom 7. April 1917 eine Demokratisierung, obgleich eingeschränkt und erst in der Nachkriegszeit, sowie die Abschaff ung des ungleichen preußischen Dreiklassenwahlrechts. Indessen vermochte Bethmann Hollweg damit niemanden wirklich zu überzeugen, und die anschließenden Differenzen im Reichstag kosteten ihn letztlich seinen Kanzlerposten: Matthias Erzberger, ein führender Kopf der Zentrumspartei, schloss in einer Reichstagsrede vom 6. Juli 1917 einen baldigen Sieg mit Waffen aus und regte an, eine neue parlamentarische Mehrheit solle sich für einen Ausgleichsfrieden einsetzen. Er erreichte die Bildung eines Interfraktionellen Ausschusses aus Linken und Zentrumspartei, der über die Modalitäten für einen Verhandlungsfrieden beriet. Bethmann Hollweg stellte sich am Tag darauf gegen die von der Mehrheit des Reichtags beschlossene Friedensresolution, weil er sie für unangemessen hielt, womit er den Unwillen der Linken erregte. Getrübt war aber auch sein Verhältnis zu den rechten Parteien, die sich seit der Februarrevolution mit hochfl iegenden Annexionsund Reparationsforderungen wechselseitig übertrumpften. Hindenburg und Ludendorff teilten dem Kaiser mit, sie verweigerten die weitere Zusammenarbeit mit dem Kanzler, und erwirkten am 13. Juli 1917 dessen Rücktritt. Gleichwohl konnte die OHL mit diesem Gewaltstreich letztlich nicht verhindern, dass der Reichstag am 19. Juli für die Friedensresolution stimmte. Mit dem opportunistischen Verweis auf die Thronrede Wilhelms II. vom 4. August 1914, in der sich der Kaiser eindeutig gegen einen Eroberungskrieg ausgesprochen hatte, bekräft igte der Reichstag seine Bereitschaft zu einem Verständigungsfrieden ohne Annexionen und Gewaltausübung. Allerdings veranlasste gerade dieser Vor166 Boebel, Wentzel 2008 [1802]; Kröning 1987 [1816].
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stoß die Militärführer, die politische Macht erneut für sich zu beanspruchen: Bethmann Hollwegs Nachfolger wurden Georg Michaelis (Juli–Oktober 1917) und danach der schon betagte, dem Generalstab weitgehend hörige Georg von Hertling (November 1917–September 1918). Als Reaktion auf die Friedensresolution und zur Absicherung ihrer eigenen annexionistischen Ambitionen förderte die OHL zudem die Gründung der Deutschen Vaterlandspartei am 2. September 1917, die unter Alfred von Tirpitz einen radikalen Nationalismus vertrat167. In Frankreich wurden die Konflikte weniger zwischen Militär- und Zivilmacht als innerhalb der Politik ausgetragen, nämlich zwischen denjenigen, die einen Ausgleichsfrieden forderten, und denen, die weiterkämpfen wollten. Die Folge des Hin und Her bezüglich der Art der Kriegführung war in erster Linie politische Instabilität. Allein 1917 gab es vier Ministerpräsidenten: Aristide Briand, Alexandre Ribot, Paul Painlevé und schließlich Georges Clemenceau. Das Kabinett Ribot, das nicht mehr auf die Unterstützung der SFIO zählen konnte, stürzte im September 1917. Painlevé versuchte, die Sozialisten wieder zu einen, doch war der Riss quer durch die Partei zu tief, als dass sie sich auf eine erneute Regierungsbeteiligung einlassen konnte. Damit war das Ende der Regierungen einer union sacrée gekommen. Die Kabinette von 1917 waren zudem durch Korruptionsskandale und Verratsvorwürfe geschwächt. Die Mitte und die Rechte vertraten eine Durchhaltepolitik, verkörpert durch Georges Clemenceau, der im November 1917 erneut Ministerpräsident wurde. Sein Programm der guerre intégrale, des bedingungslosen Krieges, schlug sich vor allem in seinem gnadenlosen Feldzug gegen „Defätisten“ nieder. Wer sich für die Möglichkeit eines Kompromisses aussprach, wurde von ihm beschuldigt, die Entschlossenheit der Nation zu untergraben. Zielscheiben waren dabei vor allem seine politischen Rivalen Jean-Louis Malvy und Joseph Caillaux168. Trotz der unterschiedlichen Situation in beiden Ländern schlugen Frankreich und Deutschland gleichermaßen wieder eine patriotische Politik ein. Diese Wende war eine Antwort auf die inneren Spannungen und beinhaltete die kategorische Ablehnung eines Verhandlungsfriedens durch die Regierungen zu einem Zeitpunkt, als der pazifistische Bolschewismus in Russland die Oberhand gewann und neue Ängste weckte. Diese Rückkehr zum Siegeswillen erklärte sich außerdem aus der aktuellen geopolitischen Situation seit 1917, aus der beide Länder Vorteile zu ziehen gedachten: Deutschland, weil ein Ende des Zweifrontenkriegs bevorstand, und Frankreich, weil Verstärkung durch USTruppen nahte. 1918 war das Ende des Krieges nur noch eine Frage der Zeit.
167 Chickering 1998 [1547]; Becker 1997 [1800]; Hagenlücke 1997 [1812]. 168 Le Naour 2007 [1596]; Le Naour 2007 [907]; Allain 1978–1981 [264].
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Die militärischen Ereignisse von 1918: deutsche Offensiven und alliierte Gegenoffensiven Durch den Frieden mit Russland konnte Deutschland rund 40 Divisionen mit der Eisenbahn von der Ostfront verlegen und damit vorübergehend wieder eine zahlenmäßige Überlegenheit an der Westfront herstellen. Zugleich gewann es Vorteile durch die Unterzeichnung des Friedens von Bukarest mit Rumänien am 7. Mai 1918. Ludendorff gab deshalb optimistisch den Angriffsbefehl für seine große Frühjahrsoffensive, die „Kaiserschlacht“. Den Auftakt bildete ab 21. März an der Somme die gewaltige Operation Michael, der „letzte Hieb“169 der Deutschen. In der Tat führte Ludendorff dabei alle noch verfügbaren Ressourcen der deutschen Armee ins Feld, um den Durchbruch gegen die französischen und britischen Truppen zu erzielen und auf Amiens und den Ärmelkanal vorzurücken. Dabei stärkte er die Rolle der Sturmtruppen, sehr mobile kleine Stoßtrupps von sechs bis neun Mann innerhalb speziell ausgebildeter Eliteeinheiten. Die bis Juli geführten Angriffswellen bewirkten eindrucksvolle Vorstöße von je rund 60 Kilometern in der Picardie und an der Aisne, sodass die deutsche Armee bis an die Marne gelangte. Zum zweiten Mal in diesem Krieg war Paris bedroht und wurde nicht nur aus der Luft bombardiert, sondern ab dem 23. März auch mit dem im Wald von Compiègne stationierten „Pariser Geschütz“ (eine Langstreckenrakete, in Frankreich fälschlicherweise als „Dicke Bertha“ bezeichnet). Der deutsche Generalstab hatte offenbar erkannt, wie ein Durchbruch zu schaffen war170, und setzte den seit 1914 an der Westfront versandeten Bewegungskrieg fort. Im Frühjahr 1918 schien ein deutscher Sieg zum Greifen nahe, und in Frankreich wuchs die Angst vor einem Durchbruch. Doch bei allen taktischen Erfolgen fehlte es großenteils an einem tragfähigen strategischen Ziel. Der von Ludendorff erhoffte Zusammenbruch der feindlichen Front blieb aus; die Breschen, die seine Truppen in die feindlichen Linien schlugen, konnte er kaum nutzen. Die Vorstöße zogen die deutschen Linien gefährlich in die Länge – von 625 auf 820 km bis Ende Juli –, mit der Folge einer unzureichenden Kommunikation. Die ausgelaugten, unterernährten, schlecht verproviantierten und oft mals kranken Soldaten (darunter die ersten Opfer der Spanischen Grippe) hatten Mühe, die Front zu stabilisieren und die eroberten Gebiete zu halten171. Nur wenigen war klar, dass sich die deutsche Armee in einem Zustand fortgeschrittener Zersetzung befand. Der erwartete Sieg blieb aus, und trotz der Überzeugung der OHL, er sei nur eine Frage der Zeit, lief die Offensive ins Leere, noch bevor sich die Situation umkehrte. Hohe Verluste 169 Kitchen 2005 [1815]. 170 Stevenson 2011 [1827]; Stevenson 2004 [1564]; Strachan 2003 [1565]. 171 Mick 2014 [1820], S. 172.
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waren auf beiden Seiten zu beklagen, doch konnte die deutsche Seite sie nicht mehr ausgleichen. Aufseiten der Alliierten dagegen weckte die vom deutschen Generalstab weitgehend unterschätzte massenhafte Ankunft amerikanischer Soldaten die Zuversicht, den Krieg doch noch zu gewinnen. Dann bliesen die Alliierten zum Gegenangriff. Nach den Streiks im Mai kehrten die französischen Arbeiter aus einem „Verteidigungsreflex“ heraus in die Fabriken zurück, weil sie eine Niederlage nicht verantworten mochten; die radikalsten von ihnen waren ohnehin an die Front geschickt worden172. Die militärischen Operationen der Alliierten koordinierte ab 26. März General Foch, ab 3. April als strategischer Oberbefehlshaber über die gesamte Westfront und ab 14. April als erster echter Generalstabschef der Alliierten. Diese Bündelung des Kommandos in einer Person ermöglichte schnelle Truppenverschiebungen als Reaktion auf deutsche Angriffe und vom 18. Juli an gezielte Gegenoffensiven. Ab März landeten immer mehr Amerikaner in Frankreich, bis sich im Juni das Zahlenverhältnis zugunsten der Entente umkehrte. Zugleich besaßen die Alliierten die Lufthoheit und verfügten trotz hoher Verluste über eine wachsende Zahl von Panzern. Unter diesen Umständen wurden die deutschen Offensiven zunächst gestoppt und dann zurückgeworfen. Anfangs begnügte sich Foch mit Operationen an begrenzten Frontabschnitten, um die feindlichen Frontbögen zu begradigen. Als eine seiner Gegenoffensiven den Feind am 8. August bei Montdidier überraschte, verloren die Deutschen fast 30 000 Mann, 15 000 davon als Kriegsgefangene. Auch wenn Ludendorff schon vom „schwarzen Tag für die deutsche Armee“ sprach, bildete der 8. August nur den Auftakt zu einer Reihe siegreicher Angriffe der Alliierten, sodass sich die deutschen Verluste im August 1918 auf insgesamt 228 000 Mann summierten, von denen 21 000 gefallen und 110 000 vermisst waren (die meisten als Gefangene). Am 13. September nahmen die Amerikaner an einem einzigen Tag weitere 13 000 deutsche Soldaten gefangen. Der Leichtigkeit nach zu urteilen, mit der sich die Soldaten dem Feind ergaben, war die Demobilisierung bereits im Gange, schien der Sieg doch nicht mehr erreichbar173, obgleich die OHL nach wie vor den Glauben daran verbreitete. Die deutsche Großoffensive von 1918 scheiterte letztlich, weil die Soldaten insbesondere aufgrund von Versorgungslücken gar nicht mehr in der Lage waren, weiter vorzurücken. Die Erschöpfung der Armee und des gesamten Volkes war mit Händen zu greifen. Die groß angelegte Gegenoffensive der Alliierten erfolgte erst vom 26. bis 29. September. Die deutsche Armee trat den Rückzug an und hinterließ verbrannte Erde174. Sie erlitt schließlich einen unbestreitbaren Zusammenbruch, der oft mals als „verdeckter Militärstreik“175 qualifiziert wurde, obschon die
172 173 174 175
Robert 1995 [1775]. Jardin 2005 [1813]; Kitchen 2005 [1815]; Deist 1991 [1481]. Hull 2005 [1488]; Geyer 2001 [1811]. Deist 1992 [1808].
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Offiziere den Rückzug geschickt organisierten und sie selbst und ihre Männer sich teilweise gezielt ergaben176. Dennoch war der Krieg noch nicht zu Ende, auch wenn die Überlegenheit der Alliierten offensichtlich geworden war.
Den Ausgang des Krieges regeln Gefährdet war die Situation Deutschlands nicht nur durch seine eigene militärische und soziale Erschöpfung, sondern auch durch die seiner Verbündeten, deren Unterstützung es nach und nach verlor. Im Herbst reihte sich ein Waffenstillstand an den anderen: Am 30. September traf es die geschlagene bulgarische Armee, am 30. Oktober die unterlegenen Truppen des osmanischen Sultans und am 3. November die österreichischen Truppen nach ihrer Kampfverweigerung gegen die Italiener bei Vittorio Veneto und dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns. Allen Dementis des Generalstabs zum Trotz war seit Juli ersichtlich, dass die Deutschen den Krieg nicht mehr gewinnen konnten. Reichskanzler Hertling erklärte am 12. Juli, sein Land wolle sich lediglich mit einem Verteidigungskrieg dem Vernichtungswillen der feindlichen Mächte widersetzen; imperialistische Tendenzen hätten ihm stets ferngelegen; Belgien diene dabei nur als Faustpfand für einen ehrbaren Frieden177. Erst als Ludendorff selbst, ohne die Möglichkeit einer Niederlage einzugestehen, am 14. August erstmals einen baldigen Friedensschluss forderte, machten sich die deutschen Machthaber Gedanken darüber, wie sie unter Ausnutzung ihrer Stellungen auf französischem Boden einen möglichst günstigen Waffenstillstand aushandeln konnten. Selbst als die militärische Situation endgültig kritisch wurde, glichen sie ihre Vorstellungen nicht der Realität an. Angesichts des bevorstehenden Waffenstillstands von Bukarest drängte Ludendorff am 29. September die Regierung – diesmal eindringlich –, selbst die Initiative für einen Frieden zu ergreifen. Er sprach dabei bewusst von einem „Friedensangebot“ auf der Grundlage von Wilsons 14 Punkten, denn selbst wenn er beteuerte, die Armee könne weiter standhalten, war ihm klar, dass die Bitte um einen Waffenstillstand einer Kapitulation gleichgekommen wäre. Wichtig war ihm darüber hinaus, dass die parlamentarische Regierung gestützt auf die Mehrheit der Reichstagsabgeordneten für diesen Vorschlag verantwortlich zeichnete. Durch diese Abschiebung der Verantwortung auf die Zivilmacht sollte das Renommee der Armee unbefleckt bleiben. Ludendorff wollte einen geordneten Rückzug seiner Truppen organisieren und durch die konkrete Forderung ihren tatsächlichen Zustand verschleiern, um einen angemessenen Frieden aushandeln zu können. Der Abwälzung der Verantwortung zugleich auf die 176 Stephenson 2009 [1826]; Watson 2008 [1689]. 177 Zitiert in: Becker, Krumeich 2010 [1541], S. 291.
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parlamentarischen Kräfte der Linken und des Zentrums war dabei ein geschickter Schachzug, um diejenigen in die Pfl icht zu nehmen, die das Militär angeblich geschwächt und damit die aussichtlose Lage erst geschaffen hätten: Sie sollten letzten Endes für die sich abzeichnende Niederlage geradestehen178. Am 30. September willigten der Kaiser und die rechten Parteien in eine Reform der Verfassung von 1871 im Sinne einer Parlamentarisierung ein: Das Oberkommando sollte künft ig den politischen Entscheidungen des Reichskanzlers unterstehen, der seinerseits die Mehrheit des Reichstags hinter sich haben musste179. Hertling trat daraufhin zurück. Sein Nachfolger Max von Baden bat angesichts der militärisch mittlerweile ausweglosen Lage am 4. Oktober um einen Waffenstillstand. Sein Gesuch richtete er an US-Präsident Wilson, der als Staatschef eines mit der Entente nur „assoziierten“ und nicht „alliierten“ Landes und als Verfasser des 14-Punkte-Programms für eine neue Weltordnung als Schiedsrichter und Helfer in der Not geeignet erschien. Um einer Revolution zuvorzukommen und eine Besetzung des eigenen Landes zu verhindern, wollte die deutsche Regierung nun einen Waffenstillstand erzwingen. Damit überrumpelte sie die Alliierten, die von der ausweglosen militärischen und zivilen Lage in Deutschland keine Vorstellung hatten und davon ausgingen, bis zum Sieg würden noch Monate vergehen. Vor allem die Franzosen waren verblüfft und misstrauisch: Zwar gestanden die Deutschen mit dem Ersuchen ihre Schwäche ein, doch konnte es sich um eine Finte handeln, die eine vorübergehende Kampfpause erwirken sollte. Einige regten an, die Kämpfe nach Deutschland zu verlagern, um es zur Kapitulation zu zwingen und einen unangefochtenen Sieg zu erringen. Andere waren für eine rasche Beendigung, teils, weil das Blutvergießen schon lange genug andauerte, teils, weil die zunehmende materielle Überlegenheit der USA Wilson womöglich mehr Einfluss auf die Friedensmodalitäten verschaffen würde. Den gesamten Oktober über liefen die militärischen Operationen parallel zu den diplomatischen Verhandlungen weiter180. Die deutsche Regierung verfolgte eine Hinhaltetaktik, um der US-Regierung die geforderten Garantien zu geben, deren Tragweite aber möglichst zu minimieren. Die Hoff nung auf eine schlichte Einstellung der Kampfhandlungen war verpufft. Doch da das befürchtete militärische Desaster ausblieb, sprach sich Ludendorff nun für eine Massen-
178 Hirschfeld, Krumeich 2013 [1550], S. 257. 179 Diese Reihe von Reformen, die letztlich in die Revolution und von dort in die Weimarer Republik mündete, war weniger improvisiert, als es scheint, sondern das Ergebnis eines energischen Strebens nach Parlamentarismus und Demokratie, das sich schon im Sommer 1917 im Reichstag abzeichnete. Dabei legten es die Abgeordneten einschließlich der SPD gar nicht per se auf eine Revolution und eine Republik an. Noch am 4. Oktober 1918 sprach sich Friedrich Ebert für den Erhalt der Monarchie aus. 180 Renouvin 1968 [1824].
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aushebung wie 1793 in Frankreich aus181 und verlangte Gegenwehr bis zum Äußersten. Diese Szenarien waren jedoch nur Schall und Rauch. Am 26. Oktober trat Ludendorff schließlich zurück. Hindenburg behielt die Oberste Heeresleitung. Wilhelm II. hoffte, seine Dynastie retten zu können, und Max von Baden musste sich damit abfinden, dass der Waffenstillstand nun keineswegs mehr verhandelbar war. Als er sich bereiterklärte, die Bedingungen der Entente zu akzeptieren, mussten die Alliierten zunächst ihre internen Konflikte ausräumen, bevor sie sich auf Wilsons 14-Punkte-Programm einigen konnten. Auch das verzögerte die Unterzeichnung. Anfang November war die militärische Situation für Deutschland aussichtlos geworden, während im Inneren Chaos herrschte. Ab dem 3. November nahm der Matrosenaufstand an der Ostsee revolutionäre Züge an und sprang auf die Nordseehäfen über. Ab dem 7. November entstanden vielerorts Arbeiter-, Matrosen- und Soldatenräte. Am 9. November stürzte die Monarchie, der Kaiser flüchtete in die Niederlande. Die Revolution erfasste Berlin: Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann rief die Republik aus, der Spartakist Karl Liebknecht die Sozialistische Republik. Max von Baden übergab sein Amt dem SPDChef Friedrich Ebert. Die neue Regierung wies Erzberger als Chefunterhändler an, den Waffenstillstandsvertrag unter allen Umständen zu unterschreiben, sich aber um die Abmilderung der Abrüstungsklauseln zu bemühen, die Deutschland gegen den Bolschewismus wehrlos gemacht hätten. Unterzeichnet wurde der Waffenstillstand schließlich am 11. November. Seine Bedingungen waren für Deutschland sehr hart: Es musste die besetzten Gebiete in Frankreich und Belgien räumen, sich aus Elsass-Lothringen zurückziehen, die Besetzung des linksrheinischen Gebiets und mehrerer Brückenköpfe auf der rechten Rheinseite durch die Alliierten hinnehmen und seine Flotte sowie einen Großteil seiner Waffen und Fahrzeuge abgeben. Die Seeblockade blieb bestehen. Einige Klauseln etwa zu den Entschädigungen waren vage formuliert. Die deutschen Unterhändler empfanden die Bedingungen als Diktat, die französischen als Kapitulation des Feindes. Doch obgleich die Bedingungen hart waren, um Deutschland daran zu hindern, den Kampf wieder aufzunehmen, spiegelten sie dennoch keinen rückhaltlosen Sieg der Alliierten, denn eine völlige Entwaff nung und flächendeckende Besetzung Deutschlands konnten diese nicht durchsetzen182. Zudem blieb den Deutschen die Hoff nung auf einen Verhandlungsfrieden auf der Grundlage von Wilsons 14 Punkten.
181
Die im Oktober 1918 begonnene Debatte über die Massenaushebung ging nicht allein auf Ludendorff zurück. Auch Walther Rathenau hielt sie für wünschenswert, damit Deutschland (und seine neue Regierung) um einen erniedrigenden Frieden herumkam. Diese Diskussion verriet vor allem schwerwiegende Fehleinschätzungen, was die reale Lage des Landes betraf. Siehe Geyer 2001 [1811]. 182 Gerd Krumeich spricht sogar von einer mehr oder weniger bedingungslosen Kapitu-
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Bei den Franzosen löste der Waffenstillstand ungläubigen Jubel aus183, bei den Deutschen hingegen Empörung und Verbitterung, hatte doch niemand den Eindruck, auf dem Schlachtfeld besiegt worden zu sein. Manche glaubten, sie seien betrogen worden, weil sie die Waffen niedergelegt, die Alliierten aber ihr Versprechen eines ausgewogenen Waffenstillstands gebrochen hatten. Zudem regte sich angesichts der rasanten Abfolge der Ereignisse der Verdacht auf einen Verrat in den eigenen Reihen (Dolchstoßlegende). Obwohl die Initiative zum Waffenstillstand vom Generalstab selbst ausgegangen war und vor allem die Konsequenz seiner strategischen Fehler darstellte, gab man die Schuld an der Niederlage der Revolution und den Zivilisten184. Als an der Westfront die Waffen schwiegen, blieben noch gewaltige Probleme zu lösen. Unter materiell prekären Umständen musste der Übergang von der Kriegs- zur Friedensgesellschaft vollzogen und eine kohärente internationale Ordnung wiederhergestellt werden. Geregelt wurden diese Fragen im Wesentlichen bei den Friedenskonferenzen, allen voran derjenigen von Paris, die mit dem Vertrag von Versailles schloss. Doch am Ende eines über vierjährigen Krieges, der die beteiligten Völker in bis dahin nie gekanntem Umfang getroffen und 1,4 Millionen Franzosen sowie 1,9 Millionen Deutsche in den Tod gerissen hatte, verschärfte der Sieg der einen und die Niederlage der anderen die Antagonismen zwischen beiden Seiten über den Frieden hinaus, der noch zu schließen war. Doch damit beginnt ein neues Kapitel, das über dasjenige, das hier im Jahr 1918 endet, weit hinausgeht. Für die Zeit danach sei verwiesen auf Band VIII dieser Reihe: Nicolas Beaupré untersucht darin, wie Franzosen und Deutsche das Kriegsende erlebten und wahrnahmen. Er erläutert dabei die Diskrepanz zwischen den Erwartungen beider Seiten an den Ausgang des Krieges und dessen tatsächlichem Verlauf. Damit unterstreicht er zu Recht, dass die mit dem Krieg verknüpften Vorstellungen und der ihm zugewiesene Sinn nicht nur untrennbar mit den erlebten Ereignissen und Realitäten verbunden waren, sondern sich auch als ausschlaggebend für die Phase des Kriegsendes erwiesen.
lation; andere Autoren sind zurückhaltender. Siehe Krumeich 2004 [1818]; Lowry 1996 [1819]. 183 Cabanes 2004 [1803]. 184 Jardin 2005 [1813]; Barth 2003 [1798].
II.
Fragen und Perspektiven
Pyramus und Thisbe, aus: Ulk. Illustriertes Wochenblatt für Humor und Satire, 21. Juni 1901 (Nr. 25, 30. Jahr), S. 8, Universitätsbibliothek Heidelberg, Signatur 89 RA 9.
1. Elsass-Lothringen zwischen
Deutschland und Frankreich
II. Fragen und Perspektiven 1. Elsass-Lothringen zwischen Deutschland und Frankreich
Das Reichsland Elsass-Lothringen war in den Jahren 1870 bis 1918 auf vielfältige Weise Ort des Austausches und der Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Frankreich. Hier trafen deutsche und französische Ansprüche mit lokalen und regionalen Gegebenheiten aufeinander. Dabei ging es nicht allein um territoriale Forderungen, sondern auch um grundsätzliche Konflikte zwischen kulturellen und staatspolitischen Konzepten des Deutschen Kaiserreichs und der Dritten Republik. Zum einen wurde das Aufeinandertreffen von Germanentum und Romanentum stilisiert und die jeweils eigene Überlegenheit über die Barbarei oder die Dekadenz des anderen betont1. Zum anderen wurden die Konzepte der deutschen Kultur- und der französischen Staatsnation gegenübergestellt, deren Dichotomie gleichwohl weniger ausgeprägt war, als lange Zeit in der historischen Forschung dargelegt 2. Die bürgerlichen Deutungseliten hatten in der Folge des Krieges 1870 / 71 ein Nationenverständnis entworfen, das die Begründung der Zugehörigkeit Elsass-Lothringens zur jeweils eigenen Nation enthielt. Die offenen Briefwechsel zwischen den Althistorikern Theodor Mommsen und Numa Fustel de Coulanges, der bis 1870 in Straßburg gelehrt hatte, sowie zwischen Ernest Renan und David Friedrich Strauß enthalten die dazu grundlegenden Gedanken3. Aus der Sicht der französischen Historiker gehörten Elsass und Lothringen zu Frankreich, weil die Bewohner es so wollten und eine Volksbefragung dort positiv für Frankreich ausgefallen wäre. Eine Nation wird in dieser Perspektive bestimmt durch gemeinsam geteilte Werte, Interessen, Erinnerungen und Hoff nungen. Sie werde, wie es Ernest Renan in seinem Vortrag „Qu’est-ce qu’une nation?“ 1882 an der Sorbonne formulierte, geprägt von der „täglichen Abstimmung“ (un plébiscite de tous les jours) ihrer Angehörigen. Dieser „voluntaristischen“ Sichtweise, die sich bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen lässt und in der Gedankenwelt der Französischen Revolution 1789 verstärkt auftauchte, stand die „objektivistische“ Sichtweise der deut1 Mollenhauer 2005 [466], S. 29; Jeismann 1992 [76], S. 207–234, 262–275. 2 Vgl. dazu Leonhard 2009 [702]; Baycroft, Hewitson 2006 [678]; Baycroft 2006 [679]; Weichlein 2006 [710], S. 36–42; Hirschhausen, Leonhard 2001 [694]; Haupt 1995 [691]. 3 Jurt 2013 [455]; Leonhard 2008 [701], S. 566–571, 638–639; Amossy 2004 [403]; Bronner 1970 [416], Bd. 1, S. 143–149; Sieburg 1969 [486]; Digeon 1959 [1149], S. 179–215, 236.
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II. Fragen und Perspektiven
schen Seite gegenüber: Man betonte die kulturelle, sprachliche und ethnische Zugehörigkeit der Bevölkerung in Elsass und Lothringen zu Deutschland, um die Annexion zu rechtfertigen. Friedrich Meinecke prägte dafür um die Jahrhundertwende den Begriff der „Kulturnation“, in Abgrenzung zur Staatsnation, wie sie Frankreich repräsentierte4. Historiker, Geografen und Anthropologen waren die Haupt-Ideengeber in diesen idealtypischen Auseinandersetzungen, die sich bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinzogen, im Laufe der Zeit jedoch deutlich an Niveau verloren5. Doch es galt nicht nur, die Zugehörigkeit der Regionen zur eigenen Nation aus der Geschichte heraus zu erklären. Für die Nationalstaaten bedeutete die verflochtene Identität in Elsass-Lothringen – eine deutsche kulturelle und sprachliche Tradition bei gleichzeitigem Bekenntnis zur französischen Nation – eine besondere Herausforderung. In Bezug auf das Elsass hat vor allem die anglo-amerikanische Forschung in den letzten Jahren mit mehreren epochenübergreifenden Studien gezeigt, dass Deutschland 1871 und Frankreich 1918 auf ähnliche Weise versuchten, Eindeutigkeit zu schaffen6. Dabei waren Erfolg und Reichweite der eingeschlagenen Integrationspolitik von vornherein durch ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber der Loyalität der Elsässer und Lothringer begrenzt. So wurden sie von Deutschen und Franzosen gleichermaßen zwar als „verlorene Brüder“ bezeichnet, jedoch in kolonialer Manier als Bevölkerung behandelt, deren nationaler Patriotismus stark im Zweifel stand7. Trotz des als unterschiedlich propagierten Nationenverständnisses wies die reale Politik beider Länder vor Ort mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede auf. Dies lässt sich an der Schul- und Universitätspolitik8 sowie bei der nationalen Identitätsstiftung9, auch bei Frauen und Mädchen10, nachweisen. Ebenso stand die Einführung ethnisch-klassifizierender Pässe durch Frankreich 1918, anhand derer die Bevölkerung nach ihrer Herkunft in Klassen von A bis D eingeteilt wurde, in der Tradition eines ethnischen und nicht eines voluntaristischen Nationenkonzeptes11. Eine Volksabstimmung, die das französische Nationenverständnis nahegelegt hätte, führte Frankreich in Elsass-Lothringen 1918 nicht durch mit der Begründung, dass auch Deutschland 1871 keine Abstimmung abgehalten habe. Stattdessen forderte die französische Regierung die eigenen Intellektuellen auf, keine Debatte über Nationszugehörigkeit und Voluntarismus zu führen, sondern vielmehr mit ethnisch-anthropometrischen Begründungen die Zugehörigkeit der beiden Regionen zu Frankreich zu 4 5 6 7 8 9 10 11
Dann 1995 [718], S. 69; Haupt 1995 [691], S. 47–48. Sieburg 1969 [486], S. 16. Vgl. Carrol 2012 [421]. Fischer 2010 [435], S. 6; Igersheim 1981 [452], S. 54–55. Harp 1998 [444]; Craig 1984 [423]. Fischer 2010 [435]; Martin 2009 [461]; Harvey 2001 [445]. Vlossak 2010 [496]. Beaupré 2009 [70], S. 33–35; Boswell 2000 [414].
1. Elsass-Lothringen zwischen Deutschland und Frankreich
239
belegen12. In gleicher Weise beteiligten sich französische Historiker an den Diskussionen über die Vorherrschaft der keltischen, galloromanischen oder germanischen Ursprünge im Elsass in der Spätantike anhand von Ortsnamen, Sprache und anthropometrischen Untersuchungen13. Die bei der Kolonialpolitik sowie der innerfranzösischen Sprach- und Schulpolitik festgestellten Beobachtungen, dass es im Denken der Dritten Republik ethnische und kulturelle Komponenten gab14, zeigt sich in Elsass-Lothringen bestätigt. Es wäre interessant, den kolonialen Bezug beider Länder auf Elsass und Lothringen sowohl im Hinblick auf Fantasie und Vorstellungen als auch im Hinblick auf die praktische Politik näher zu untersuchen. So wurden Elsässer und Lothringer von den deutschen Militärund Verwaltungsherren vielfach als „Eingeborene“ bezeichnet15 und französische Beamte erhielten nach 1918 für ihren Einsatz in Elsass und Lothringen eine Kolonialzulage. Insgesamt hat das besondere Spannungsverhältnis zwischen Nation, Region und Heimat in einer Zeit des deutsch-französischen Antagonismus die historische Forschung zu wichtigen Fallstudien über das Elsass angeregt. Die zentrale Rolle der Region für die französische, deutsche und europäische Geschichte wird in diesen Studien deutlich. Arbeiten über den annektierten Teil Lothringens sind dagegen deutlich seltener, was daran liegen dürfte, dass der französische Charakter der Region weniger infrage gestellt wurde16. Auffallend ist, dass derzeit im Vergleich zu den anglo-amerikanischen und französischen die deutschen Historikerinnen und Historiker wenig zur Erforschung der Geschichte Elsass-Lothringens beitragen.
Komplexe und konkurrierende Identitäten Bereits in früheren Jahren hat die Forschung auf die komplexen und konkurrierenden gesellschaft lichen Identitäten in den künstlich als Reichsland Elsass-Lothringen zusammengefügten Gebieten hingewiesen. Diese waren stärker durch konfessionelle, soziale und lokale als durch nationale Zugehörigkeiten geprägt. Der religiöse Aspekt war zweifellos der wichtigste für die Identität der Elsässer und Lothringer. Mangels einer zufriedenstellenden politisch-nationalen Identifi kation mit dem Kaiserreich galt dies auch in der Zeit nach 1871. Gut 76 % der Einwohner um 1870 waren katholisch. Gleichzeitig gab es einen 12 Smith 1996 [488], S. 34. 13 Lienhard 2013 [457], S. 56–63; Igersheim 2006 [453]. Zur jüdischen Geschichtsschreibung in Elsass-Lothringen siehe Seiter 2010 [483]. 14 Baycroft 2006 [679]. 15 Sieburg 1969 [486], S. 36. 16 Speziell zu Lothringen siehe den Aufsatzband Roth 2011 [477] sowie Roth 2002 [475].
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II. Fragen und Perspektiven
großen protestantischen Bevölkerungsanteil, der im Norden eher lutherisch, im Süden stärker kalvinistisch geprägt war. Hinzu kam eine jüdische Gemeinde – bis 1870 die größte in Frankeich –, die durch Abwanderung des jüdischen Bürgertums im Zuge der Option geschwächt wurde17. Die konfessionellen Gräben im Reichsland waren tief: Katholiken, Protestanten (Kalvinisten, Lutheraner) und Juden bewegten sich in ihren jeweils eigenen Milieus18. Immer wieder kam es zu Feindseligkeiten vor allem zwischen Protestanten und Katholiken19. Die protestantischen Gemeinden konnten quantitativ vom Zuzug der „Altdeutschen“ aus dem Reich profitieren. 1910 waren 26,5 % der Bevölkerung protestantischen Glaubens20. Kalvinisten und Juden blieben während der Zeit der Annexion überwiegend Frankreich zugewandt, während die Lage bei Katholiken und Lutheranern weniger eindeutig war. Auch soziale Gräben prägten die elsass-lothringische Gesellschaft, die ihre ländliche Ausrichtung nach und nach verlor. Eine im Zuge der Industrialisierung größer werdende, überwiegend katholische Arbeiterklasse stand der zumeist protestantischen Industrie- und Verwaltungselite gegenüber21. Die sozialen Konflikte wurden daher teilweise in ethnische Zuschreibungen konvertiert, wobei sprachliche Unterschiede diese Spaltungen überlagerten: Über 77 % der Bevölkerung in den annektierten Gebieten war um 1870 deutschsprachig und / oder dialektophon, wobei das Bürgertum Französisch bevorzugte, die unteren Schichten hingegen Deutsch und als Umgangssprache die verschiedenen Varianten des Elsässischen und Lorrainer Dialekt sprachen22. Eine exakte Abgrenzung der Sprachen ist jedoch weder sozial noch räumlich möglich, tauchten doch selbst in deutschsprachigen Gegenden französischsprachige Enklaven auf und umgekehrt. Während die politische, wirtschaft liche und soziale Integration des Reichslandes Erfolge zeigte, blieben die Versuche der Germanisierungspolitik, über Sprache, Schule, Militärdienst, Architektur, Vereine etc. eine gemeinsame kulturelle Identität zu schaffen, ohne durchschlagende Resonanz. Ein Grund dafür mag in der konstruierten Struktur des Reichslandes liegen. Dem künstlich vereinten Elsass-Lothringen fehlte es an „innerer Kohärenz“23. Zu unterschiedlich waren die beiden Regionen, die nur das gemeinsame Schicksal und die gemeinsame deutsche Verwaltung zusammenführten. Ebenso fehlte ein monarchisches Identifi kationsangebot, hatte Elsass-Lothringen insgesamt doch genauso wie die Hansestädte keine regionale Dynastie. Das in mancher 17 Vgl. Hyman 2011 [451]; Hyman 1991 [450]; Caron 1988 [419]. 18 Wahl, Richez 1994 [502], S. 244. Siehe auch die Studie zu grenzüberschreitenden Beziehungen von Martin 2009 [461]. 19 Dreyfus u. a. 1992 [429], S. 144. 20 Steinhoff 2008 [491]; Dreyfus u. a. 1992 [429], S. 139. 21 Carrol 2010 [420]; Harvey 2001 [445]. 22 Lévy 1929 [33], Bd. 2, S. 276–297. 23 Riederer 2004 [470], S. 442. Vgl. auch Fisch 2002 [433], S. 134.
1. Elsass-Lothringen zwischen Deutschland und Frankreich
241
Hinsicht harte und ungeschickte Vorgehen der deutschen Verwaltung tat ein Übriges, um die Bevölkerung Elsass-Lothringens abzustoßen. Widerstand und Umgehungsstrategien, zumeist auf symbolischer Ebene, waren die Folge: Katholische Pfarrer blieben den Kaisergeburtstagen fern und ließen die Glocken ihrer Kirche nicht oder anders als vorgeschrieben zum Festtag läuten. Ein Fahrradrennen wurde kurzerhand über die Grenze auf schweizerisches Gebiet verlagert, um französische Musik spielen zu können24. Dörfer wurden bei Festen durch die Kombination der Farben weiß-rot für das Elsass und blauweiß für Lothringen „versehentlich“ in die französischen Nationalfarben gehüllt 25. In den Volksschulen gab es an den Nachmittagen illegale Französischklassen, die in den Jahren der Krise 1887 / 88 aufgelöst wurden. Diese Formen des gewaltfreien Widerstands und des symbolischen Protests lassen sich über die gesamte Periode beobachten. Im Laufe der Zeit ging die oppositionelle Haltung jedoch zurück. Eine neue Generation wuchs heran, die vom wirtschaft lichen Aufschwung und der deutschen Sozialgesetzgebung profitierte. Das Ende des Kulturkampfes gegen die Katholiken tat ein Übriges, um die katholische Mehrheit im Reichsland positiv auf ihre Zugehörigkeit zum Kaiserreich einzustimmen. Parallel zu dieser Entwicklung nahmen die Distanz und das Misstrauen zwischen „Altdeutschen“ und einheimischer Bevölkerung ab, wie beispielsweise an den – zumeist protestantischen – Mischehen zu sehen ist26. Zwar gab es eine parallele Vereinsstruktur von Turn- und Gesangsvereinen, die sich nur langsam auflöste. Doch trafen sich beide Gruppen in den nationalen und konfessionellen Frauenvereinen27, den Fußballvereinen28 und selbst in den national-patriotischen Kriegervereinen29. Zeitungen und Zeitschriften aus dem Kaiserreich wirkten in unterschiedlichem Maße ebenfalls integrierend auf die Gesellschaft des Reichslandes30. Ebenso nahm die Zahl der elsass-lothringischen Wehrpflichtigen, die nicht zum Dienst erschienen, um die Jahrhundertwende deutlich ab. Erstaunlicherweise lag jedoch die Anzahl der Freiwilligenmeldungen junger Männer zum Militär in Elsass-Lothringen über dem Reichsdurchschnitt31.
24 25 26 27 28 29 30 31
Riederer 2004 [470], S. 64, 217. Riederer 2005 [471], S. 19; Riederer 2004 [470], S. 266. Steinhoff 2008 [491]; Uberfill 2001 [495]. Vlossak 2010 [496]. Pirot 2010 [469]. Starck 2001 [490]; Metzler 2000 [463], S. 24. Grunewald 1998 [443]. Silverman 1972 [487], S. 72–73.
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II. Fragen und Perspektiven
Elsässischer Regionalismus Eine andere Form des Widerstands gegen die Germanisierungspolitik zeigte sich im elsässischen Regionalismus, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der Folge der Protest- und Autonomiebewegungen entstand. In ihm spiegelte sich der Wunsch nach Abgrenzung gegenüber der politischen und kulturellen Vereinnahmung vor allem durch das Deutsche Kaiserreich wider. Seine Entstehung ist gleichzeitig vor dem Hintergrund einer generellen regionalen Rückbesinnung zu sehen, die in Deutschland und Frankreich genau wie in anderen europäischen Ländern seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zu beobachten war. Die Heimatbewegungen mit ihrer Betonung der lokalen Traditionen und Geschichte waren Reaktionen auf die Moderne und ihre Begleiterscheinungen wie Industrialisierung, Urbanisierung und Beschleunigung. Historische Vereine, Gesellschaften und regionale Museen, die sich für die Restauration und Bewahrung des lokalen Kulturerbes einsetzten, sollten der eigenen Region und Heimat zu neuer Bedeutung verhelfen. Gerade im Deutschen Kaiserreich war der Lokalpatriotismus der erst 1871 vereinigten Länder groß32. Doch auch im stärker zentralisierten Frankreich entstand eine vergleichbare Bewegung. Die historische Forschung konnte zeigen, dass regionale und nationale Konzepte in der Dritten Republik nicht miteinander konkurrierten, sondern sich überlagerten und bei der kollektiven Identitätsbildung gegenseitig befruchteten33. Analog dazu verweist die Forschung für Deutschland auf die „föderative Nation“ und die lokale Verbundenheit zur jeweiligen regionalen Heimat bei gleichzeitiger Bindung an die Nation als übergeordneter Einheit. Der kulturelle Regionalismus im Elsass betonte die spezifische Identität der Region und ihrer Bewohner wie Sprache und Dialekt. So entstand Ende des 19. Jahrhunderts die „elsässische Renaissance“, zu deren Hauptkomponenten Literatur und Theater in elsässischer Mundart gehörten34. Vor allem das elsässische Theater war mit seinen Identitätsangeboten, die sich an das Bürgertum und die populären Schichten gleichzeitig richteten, erfolgreich35. Zu den bekanntesten Stückeschreibern gehörte Gustave Stoskopf, der zeitgenössische gesellschaft liche Themen aufgriff und durch die Betonung der regionalen Eigen-
32 Vgl. z. B. Kurlander 2006 [725]; Weichlein 2004 [733]; Green 2004 [721]; Confino 1997 [717]; Applegate 1992 [711]. 33 Siehe z. B. Baycroft 2006 [679]; Gerson 2003 [438]; Thiesse 1997 [1267]; Thiesse 1991 [492]; Agulhon 1979 [261]; Agulhon 2001 [263]; Weber 1977 [304] sowie der Literaturbericht von Hüser 2001 [284]. 34 Zur Kultur im Elsass Braeuner 2013 [415]; Benay, Leveratto 2005 [410]. Zur elsässischen Literatur siehe Schroda 2009 [481]; Schroda 2008 [480]; Thiesse 1991 [492]. 35 Zu Theater und Zensur in Straßburg siehe Hoffmann 2005 [448].
1. Elsass-Lothringen zwischen Deutschland und Frankreich
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heiten Elsass-Lothringen aus der deutsch-französischen Umklammerung lösen wollte. Seine bekannteste Komödie, „D’r Herr Maire“ aus dem Jahre 1898, wurde zehn Jahre später in Straßburg sogar vor Kaiser Wilhelm II. aufgeführt, während sie 1940 von den Nationalsozialisten verboten wurde. Auf wenig Gegenliebe bei der deutschen Verwaltung stießen die Karikaturisten Henri Zislin und Jean-Jacques Waltz alias Hansi. Ihre bisweilen zynischen Karikaturen trugen deutlich antideutsche Züge: Germanisierungspolitik, „Altdeutsche“ und deutsche Kultur waren gleichermaßen Ziel ihres Spotts, wofür die Zeichner mehrfach verurteilt wurden36. Die elsässische Renaissance erstreckte sich ebenso auf das Kunstgewerbe und auf die bildende Kunst, deren führende Vertreter französischen Neoimpressionismus und deutschen Expressionismus überwiegend ablehnten. Sie bevorzugten stattdessen einen realistischen Stil mit Porträts, Landschaften und Stillleben, die elsässische Objekte inszenierten37. Überdies wurde das regionale Bewusstsein durch Rückgriff auf lokale Kostüme und die traditionelle Festkultur gefördert, zumal diese erlaubten, sich von den Zugewanderten abzusetzen38. Die Betonung der eigenen Kultur bot die Basis für den politischen Regionalismus, der parallel dazu entstand. Dabei handelte es sich nicht um eine einheitliche Bewegung. Vielmehr vereinte sie vielschichtige, diversifizierende, zuweilen widersprüchliche Strömungen in sich. Die Hauptunterschiede lagen in einer entweder stärker frankophilen, germanophilen oder separatistischen Ausrichtung. Die Regionalistenbewegung betonte zwar ihre deutsch-französische „Doppelkultur“, die weder dem einen noch dem anderen den Vorrang gab. Sie wurde jedoch als tendenziell profranzösisch wahrgenommen, war sie doch zum einen republikanisch und lag zum anderen der Schwerpunkt in dieser Periode auf der Abgrenzung gegenüber Deutschland. Überdies kam der Großteil ihrer Vertreter aus dem profranzösisch eingestellten Bürgertum39. Die deutschfranzösische „Doppelkultur“ wurde nicht einfach als eine Mischung, eine simple Addition angesehen, sondern als eine einzigartige Zivilisation. Dies bedeutete aber nicht zwangsläufig, dass die Regionalisten Elsass-Lothringen losgelöst von den Nationalstaaten als autonomen Staat etablieren wollten40. Vielmehr wandte man sich, da aufgrund der Annexion die Anbindung an Frankreich, die grande patrie verwehrt war, als Ersatz der Region, der petite patrie, zu. Die emblematische Äußerung „Französisch kann ich nicht sein, Deutsch will ich nicht sein, Elsässisch bin ich“, macht das deutlich41. Dabei war die Bewegung nicht per se antideutsch eingestellt, zumal sich „Altdeutsche“ gleichermaßen darin 36 37 38 39 40 41
Baechler 1988 [406], S. 55. Zu Hansi siehe Bruand 2008 [417]; Feger 2007 [432]. Fischer 2010 [435], S. 29. Riederer 2004 [470], S. 435. Baechler 1982 [405], S. 154. Fischer 2010 [435], S. 3. Zitiert nach: Riederer 2004 [470], S. 420.
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II. Fragen und Perspektiven
engagierten. Vielmehr richtete sie sich gegen die bisweilen arrogante Behandlung durch die deutschen zivilen und militärischen Kräfte und das Fehlen einer zufriedenstellenden politischen Perspektive. Für das Verständnis der Identität der Elsässer ist die aus der Unterdrückung entstandene Regionalismusbewegung zentral, an die sich nach 1918 eine Separatistenbewegung anschloss. Eine maßgebliche Rolle bei der Begründung und Verbreitung des Konzepts der elsässischen Doppelkultur kam der 1898 gegründeten und ab 1901 von Pierre Bucher herausgegebenen „Revue alsacienne illustrée“ zu42. Darin erschienen Beiträge in deutscher und in französischer Sprache. Die Zeitschrift trat dafür ein, beide nationalen Kulturen der Region zu erhalten, da auf ihnen die einzigartige elsässische Kultur beruhe. Pierre Bucher verstand es, die Zeitschrift gleichzeitig „subtil und offensichtlich“43 profranzösisch einzustimmen. Gemeinsam mit Léon und Ferdinand Dollinger initiierte er 1902 das lokalgeschichtliche Musée alsacien, das 1907 in Straßburg eröff net wurde. Das Museum zelebrierte zwar die Eigenheiten der regionalen elsässischen Kultur. Zeitlich beschränkte man sich jedoch auf die französische Periode von 1648 bis 1870, sodass ein insgesamt profranzösischer Eindruck vermittelt wurde44. Andere Regionalisten wie der liberale Demokrat, Schriftsteller und Pazifist René Schickele, der sich auch im Ersten Weltkrieg und darüber hinaus für Frieden und Verständigung engagierte, sahen im Regionalismus eine Möglichkeit zur Überwindung des Nationalen: Gerade das Elsass habe das Potential, Deutschland und Frankreich zu verbinden45. Aus deutscher Sicht war die Betonung der regionalen Besonderheiten in Elsass-Lothringen zunächst unproblematisch, nicht nur, weil sie mit der föderalen Struktur des Kaiserreichs kompatibel war. Einen „gesunden Partikularismus“ gestand bereits Bismarck Elsass-Lothringen zu, erwartete er doch, dass damit die Ähnlichkeiten mit der deutschen Kultur zutage treten würden. In gleicher Weise unterstellten Zeitgenossen wie der Historiker Heinrich von Treitschke eine nur oberflächliche Französisierung der Elsass-Lothringer, bei denen sich bald wieder die „echte deutsche Farbe“46 zeigen werde. Daneben gab es Stimmen, denen die Politik im Reichsland zu zögerlich war. So bezeichnete der Vorsitzende des Alldeutschen Verbandes, Heinrich Claß, die Elsass-Lothringer als „deutsch-französische nationale Hermaphroditen“47. Pro-französische Agitation und autonomistische Bewegungen, die eine Abspaltung vom Kaiserreich forderten, wurden verfolgt und unterbunden. Die Geschichte der in diesem Zusammenhang auft retenden vielfältigen Spionage42 43 44 45
Wahl, Richez 1994 [502], S. 237. Fischer 2010 [435], S. 22. Ebd., S. 60–64. Kurlander 2006 [725], S. 145; Mollenhauer 2005 [466], S. 39; Debrunner 2004 [819]; Bentmann 1974 [411]. 46 Treitschke 1870 [44], S. 11. Siehe auch Mollenhauer 2000 [465]. 47 Class 1913 [17], S. 84.
1. Elsass-Lothringen zwischen Deutschland und Frankreich
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Tätigkeiten auf beiden Seiten und die damit verbundenen Ängste und Phantasmen muss noch geschrieben werden. Die nationalistische Spielart des Partikularismus, der sich beispielsweise im 1911 gegründeten Nationalbund (Union nationale) zeigte, wurde von der deutschen Verwaltung aufmerksam beobachtet. Der Bund war auf Anregung des liberalen Politikers Daniel Blumenthal als Sammelbecken und als Reaktion auf die enttäuschende Verfassung von 1911 gegründet worden. Er trat unter dem weit verbreiteten Schlagwort „Elsass den Elsässern“ für eine unabhängige elsässische Republik ein. Die Bewahrung ihrer Besonderheiten, eine freie bilinguale Erziehung, „neutraler“ Geschichtsunterricht, der die elsässische Geschichte berücksichtigte, sowie die Einstellung von Elsässern im öffentlichen Dienst waren dabei grundlegende Forderungen48. Mehrere bürgerliche Politiker und Parteien wie der katholisch-demokratische Politiker und Pfarrer Émile Wetterlé49, eine der führenden Persönlichkeiten der regionalen Autonomisten während der wilhelminischen Epoche, schlossen sich dieser republikanisch und offen profranzösischen Bewegung an. Liberale, Demokraten und Sozialisten dagegen sahen im Nationalbund ein Instrument des Bürgertums, das seine Klassenprivilegien erhalten wolle. Man kritisierte die Radikalität der Forderungen, die das Reichsland vom Kaiserreich isolieren würden und in die Phase des reinen Protestes zu Beginn der Annexion zurückführten. Der Nationalbund blieb bei den Wahlen zum Landtag 1911 erfolglos, da es ihm nicht gelang, Anhänger außerhalb der frankophilen Kreise zu gewinnen50.
Identitätsstiftung und Erinnerung an den Krieg 1870 / 71 Ausdruck für die identitäre regionale Aneignung der Geschichte waren die Errichtung von Denkmälern in Elsass-Lothringen und das Erinnern an den Krieg 1870 / 71. Auf lokale Initiative hin entstanden Denkmäler wie der Zürcherbrunnen in Straßburg sowie Statuen des französischen Bildhauers Auguste Bartholdi in Colmar. Er hatte zugleich das französische Nationaldenkmal Lion de Belfort (1880) zu Ehren der Stadt, die im Deutsch-Französischen Krieg von Denfert-Rochereau erfolgreich verteidigt worden war, und die Freiheitsstatue für New York (1886) geschaffen. Die Denkmäler zeugen von einem deutlichen Protest gegen die deutsche Herrschaft51. Die Erinnerung an den Krieg 1870 / 71, den die Elsässer und Lothringer mit Frankreich verloren hatten, war für die lokale Bevölkerung ein schmerzhaftes Thema. Ehemalige Schlachtfelder wie Woerth zogen zahlreiche Touristen aus Deutschland und Frankreich an,
48 49 50 51
Igersheim 1981 [452], S. 153. Zu Wetterlé siehe Baechler 2013 [409], S. 107–158. Fischer 2010 [435], S. 86–87. Fisch 2002 [433], S. 142–143.
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II. Fragen und Perspektiven
zumal mit dem Verkauf von Souvenirs und Postkarten und durch die deutschen Kriegervereine eine Infrastruktur dafür geschaffen wurde52. Von deutscher Seite aus waren nach 1871 zahlreiche Denkmäler zur Erinnerung an die deutschen Gefallenen errichtet worden. Bei deren Einweihung wurden auch die Gräber französischer Soldaten geschmückt. Ebenso konnten aufgrund der im Frankfurter Frieden getroffenen Regelungen mit Erlaubnis der deutschen Verwaltung kleinere Gedenkorte für die gefallenen französischen Soldaten eingerichtet werden53. Die dort angebrachten blau-weiß-roten Schleifen mussten jedoch auf Geheiß der deutschen Verwaltung wieder entfernt werden. Das Interesse der Elsässer und Lothringer an den deutschen Kriegsdenkmälern war eher gering. Viele Veteranen zogen es vor, an den französischen Feierlichkeiten gemeinsam mit ihren ehemaligen Kameraden in Belfort oder in Mars-la-Tour teilzunehmen. Dennoch wurden gemeinsame deutsch-französisch-elsässische Gedenkveranstaltungen organisiert. Vor allem seit Mitte der 1890er-Jahre, insbesondere 1895 zur 25-Jahrfeier des Deutsch-Französischen Krieges, kam es zu gemeinsamen Kranzniederlegungen und Gedenkfeiern. Umgekehrt waren auch französische Veteranen vor allem in den Grenzgebieten Mitglied in deutschen Kriegervereinen54. Die Denkmäler in Noisseville in der Nähe von Metz in Lothringen (1908) sowie in Wissembourg im Elsass (1909) machen den Versuch deutlich, die spannungsgeladene und teilende Erinnerung an 1870 / 71 zum Ausgleich zu bringen. Das in Noisseville errichtete Denkmal war auf die gemeinsame Initiative des französischen Vereins Souvenir français und der Vereinigung entstanden, einer Dachorganisation aller Vereine und Verbände in Metz. Bis zur Eröff nung mussten zahlreiche administrative Hürden überwunden werden. Trotz der Anwesenheit deutscher Verwaltungsbeamter wurde bei der Einweihung die Tricolore gehisst und die Marseillaise gesungen, was eigentlich verboten war. Etwa 120 000 Personen nahmen laut deutschen Polizeiberichten an den Feierlichkeiten teil, darunter Veteranen in französischer Uniform55. Anschließend ging man gemeinsam zu deutschen Kriegsdenkmälern der Region56. Ganz ähnlich verlief die Veranstaltung in Wissembourg ein Jahr später. Die deutsche Seite hatte einem französischen Denkmal zugestimmt, um im Gegenzug ein eigenes Denkmal in Mars-la-Tour errichten zu dürfen57. Das Denkmal in Wissem-
52 Riederer 2004 [470], S. 344; Wahl, Richez 1994 [502], S. 291. Zu den Reisen zu den Schlachtfeldern von 1870 / 71 siehe auch Barbey-Say 1994 [1138], S. 129–130. 53 Maas 1995 [703]; Maas 1991 [458], S. 91–92, 105. 54 Vogel 2016 [206], S. 55–56. 55 Andere Schätzungen sind niedriger und liegen bei 70 000–90 000 laut der Zeitung „Le Gaulois“ oder gar nur bei 25 000 laut dem Bezirkspräsident Friedrich von Zeppelin-Aschhausen, vgl. Varley 2008 [205], S. 197. 56 Wahl, Richez 1994 [502], S. 292. 57 Roth 1990 [191], S. 705.
1. Elsass-Lothringen zwischen Deutschland und Frankreich
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bourg war den französischen Gefallenen seit dem 18. Jahrhundert gewidmet und ging damit über den Deutsch-Französischen Krieg hinaus. Am Tag der Einweihung berichteten alle elsässischen Zeitungen auf ihren Titelseiten über dieses Ereignis58. Der großen Anteilnahme der Bevölkerung in Elsass-Lothringen an der Errichtung der beiden Denkmäler in Noisseville und in Wissembourg stand das relative Desinteresse und die Kritik an der von Kaiser Wilhelm II. rekonstruierten Hohkönigsburg gegenüber, die im Mai 1908 feierlich wiedereröffnet wurde. Mit der Restauration des ehemaligen Sitzes deutscher Könige, erbaut im 12. Jahrhundert, sollte symbolisch die Anbindung der Region an die deutsche Nation vollzogen werden. Die Burg wurde nach 1918 zum Symbol schlechthin für den misslungenen deutschen Machtanspruch im Reichsland 59. Nach der Marokkokrise 1911 erhoben sich im Kaiserreich Vorwürfe über eine zu nachsichtige Handhabung der deutschen Verwaltung gegenüber profranzösischen Kräften im Reichsland. In der Folge wurden die Vereine Souvenir français 1912 und ein Jahr später die lokale Nachfolgeorganisation Souvenir Alsacien, die sich für die Errichtung der Kriegerdenkmäler eingesetzt hatten, als politische profranzösische Organisationen verboten60.
Verstärkung des regionalen Partikularismus: die Zabern-Affäre 1913 / 14 Die Zabern-Aff äre 1913 / 14 ließ in Elsass-Lothringen die Kritik am deutschen Militarismus aufflammen und verstärkte den regionalen Partikularismus. Die stark medialisierte Aff äre verdeutlichte die Geringschätzung der ElsassLothringer in weiten Kreisen des Kaiserreichs sowie die sinkende Toleranz der Bevölkerung gegenüber Militärskandalen. Auslöser war ein eher trivialer Anlass, der sich jedoch aufgrund der Kompetenzüberschreitungen des Militärs, das sich zu anachronistischen Ehrverteidigungen verstieg, zur größten innenpolitischen Krise des Kaiserreichs seit der Daily-Telegraph-Aff äre auswuchs61: Der noch nicht volljährige preußische Leutnant Günter Freiherr von Forstner hatte im Oktober 1913 in Zabern vor elsässischen Rekruten alle Elsässer und Lothringer als „Wackes“ beleidigt und zehn Mark Belohnung für jeden toten Elsässer geboten. Das Schimpfwort war 1903 durch Regimentsbefehl verboten worden und bedeutet „Nichtsnutz“ (voyou) oder „Herumtreiber“, wurde aber auch als abwertende Bezeichnung für Elsässer verwendet. Der Vorfall geriet einige Tage später durch Berichte von Rekruten an die Presse und löste eine Welle der Empörung aus. Seine Vorgesetzten erließen zwar intern eine Diszi-
58 59 60 61
Fischer 2010 [435], S. 67. Ebd., S. 53–60; Speitkamp 1998 [489]. Roth 2010 [476], S. 124. Bösch 2009 [1010], S. 311; Wehler 21979 [109], S. 54–55.
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II. Fragen und Perspektiven
plinarstrafe, nach außen jedoch deckten sie den Leutnant62. Vonseiten der Zaberner Bevölkerung regte sich Widerstand gegen die Herrschaft des Militärs, das in Elsass-Lothringen stark präsent und sichtbar war: 4,47 % der Bevölkerung waren Militärs, im Vergleich zu 1,1 % im restlichen Kaiserreich63. Es kam zu weiteren verbalen Entgleisungen, unter anderem gegen die französische Flagge, und zu tätlichen Übergriffen durch den Leutnant. Den aufkommenden Unruhen in der Kleinstadt versuchte das Militär durch Verhaftung von zwei Dutzend Zivilisten Herr zu werden, sodass der Vorwurf der Freiheitsberaubung laut wurde. In der Presse war angesichts der Kompetenzüberschreitung des Kommandierenden Generals des XV. Armeekorps in Straßburg, Berthold von Deimling, von einer „Kapitulation der Zivilverwaltung vor der militärischen Nebenregierung“ die Rede64. Im Reichsland fanden sich partei-, religions- und klassenübergreifend Elsässer, Lothringer und „Altdeutsche“ gemeinsam als republikanisch-partikularistischer Block in feindlicher Haltung gegenüber dem Kaiserreich und seiner konservativen Regierung wieder.65 Statthalter Graf Wedel kritisierte die provozierende Aktion des Militärs. Die Zaberner hätten Anspruch darauf, „nicht als Hereros behandelt zu werden“66. Ebenso verurteilte der Reichstag das eigenmächtige Vorgehen des Militärs, das einmal mehr den Machtkonflikt zwischen ziviler Verwaltung und Militär verdeutlichte. In einem Misstrauensvotum stimmte der Reichstag mit 293 zu 54 Stimmen bei vier Enthaltungen gegen Reichskanzler Bethmann Hollweg. Als Demütigung der Regierung stellte diese Abstimmung einen „Schritt zur Parlamentarisierung“67 dar. Verfassungsrechtlich blieb dieser „Schreckschuss“ jedoch folgenlos, da der Reichskanzler weiterhin allein vom Vertrauen des Kaisers abhängig war. In der französischen Öffentlichkeit löste die Zabern-Aff äre ein „ungeheures Echo“68 aus. Das Verhalten deutscher Offi ziere in Elsass-Lothringen war bereits 1903 / 04 durch einen deutschsprachigen Roman eines Leutnants über das skandalträchtige Kasernenleben in Lothringen ruchbar geworden, der in Frankreich „sofort eine Auflage von über 100 000 erreichte“69. Vergleiche mit der Dreyfusaff äre wurden laut, wobei auf deutscher Seite, so der Eindruck, Intellektuelle fehlten, die sich wie Émile Zola mit Zivilcourage und klaren Ideen äußerten. Insgesamt hielt sich die französische Presse jedoch auf Geheiß der Regierung mit Kommentaren zurück. Die Debatte in den Medien verlief nuanciert und konzentrierte sich auf 62 Zur Zabern-Aff äre allgemein siehe Bösch 2009 [1010], S. 310–321; Vonau 1993 [500]; Mackey 1991 [460]; Schoenbaum 1982 [478]. 63 Frey 2009 [436], S. 34–35; Silvermann 1972 [487], S. 73. 64 Zirkel 2008 [1518], S. 84. 65 Kurlander 2006 [725], S. 163. 66 Zitiert nach: Fisch 2002 [433], S. 136. 67 Bösch 2009 [1010], S. 318. 68 Ziebura 1955 [335], S. 91. 69 Bösch 2009 [1010], S. 316. Daraus erwuchs sich der „Bilse-Skandal“. Der Roman war unter Pseudonym veröffentlicht worden: Kyrburg 1903 [28].
1. Elsass-Lothringen zwischen Deutschland und Frankreich
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die Frage, wie in Deutschland mit dem Streit zwischen militärischen und zivilen Kräften umgegangen wurde. Aus politischer Perspektive sollte in der Aff äre nicht ein internationaler Aspekt gesucht, sondern die innenpolitische Krise des Kaiserreichs deutlich gemacht werden. In dieser Hinsicht zeigen sich klare Analogien zur Dreyfusaff äre, als die deutsche Regierung versuchte, Vorteile aus der französischen Krise zu ziehen70. Man glaubte zwischenzeitlich sogar an eine absichtliche Provokation vonseiten der Pangermanisten, deren steigender Einfluss auf die Politik im Kaiserreich genau beobachtet wurde. Selbst als eine Beleidigung der Trikolore durch von Forstner öffentlich wurde, war die offizielle französische Reaktion gemäßigt. Von französischen Privatpersonen und Militärs erhielt General Deimling dagegen zahlreiche Schmäh- und Drohbriefe71. Der Freispruch im Januar 1914 für die verantwortlichen Offiziere und der Rücktritt der „zivilen Spitzen“, Staatssekretär Zorn von Bulach und Statthalter Graf Wedel, wurde in Frankreich als Triumph des deutschen Militarismus gewertet. In den Augen der französischen Presse handelte es sich um einen „monströse[n] Sieg der deutschen Armee über die Nation“72. Zwar war das Ziel erreicht, das Kaiserreich in den Augen des Auslands zu diskreditieren, doch wuchsen gleichzeitig Sorgen über die Unfähigkeit der deutschen Politik, mit Krisen effektiv umzugehen. Innenpolitisch verwendete die französische Regierung den Ausgang der Aff äre als Argument zur Befürwortung des dreijährigen Militärdienstes. Im Nachgang der Aff äre kam es zu Gesetzesentwürfen, um französischsprachige Zeitungen und Vereinigungen, die antideutsche Einstellungen vorwiesen, verbieten zu können. Die Gesetze scheiterten zwar am Widerstand des Landtags, machten jedoch der Bevölkerung in Elsass-Lothringen die kontrollierende Intention der Regierung genauso deutlich wie deren Geringschätzung und ihren grundsätzlichen Zweifel an der Loyalität der Elsässer und Lothringer73. Die Zabern-Aff äre war damit ein klares Zeichen für die Grenzen der Germanisierungspolitik sowie für das Scheitern der gleichberechtigten Integration Elsass-Lothringens in das Kaiserreich.
Elsass-Lothringen im Ersten Weltkrieg Elsass-Lothringen war keineswegs der primäre Auslöser des Ersten Weltkriegs, und genauso wenig wünschten sich die Elsässer und Lothringer 1914, den Anstoß zu einem bewaff neten Konflikt zu geben74. So reagierte die Mehrheit auf den Beginn des Ersten Weltkriegs mit „resignierte[r] Loyalität ohne 70 71 72 73 74
Siehe das Kapitel II.2 „Moderner Antisemitismus“. Zirkel 2008 [1518], S. 88–89. Ziebura 1955 [335], S. 97. Silverman 1972 [487], S. 88. Grandhomme, Grandhomme 2013 [440], S. 25.
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II. Fragen und Perspektiven
Begeisterung“75. Frankreich erklärte nach Kriegsausbruch allerdings die „Befreiung“ von Elsass-Lothringen und die „Rückkehr“ der „verlorenen Provinzen“ zu seinem vorrangigen Kriegsziel, das es als Kampf für Gerechtigkeit darstellte. Auf deutscher Seite war der Verbleib von Elsass-Lothringen im Kaiserreich ganz selbstverständlich und stand daher nicht zur Debatte, auch wenn eine Veränderung des Status nun möglich erschien76. Die Region wurde so erneut zu einem zentralen Streitpunkt zwischen Deutschland und Frankreich. Dabei hing die Zukunft Elsass-Lothringens letztlich weit mehr vom Ausgang des Krieges und der Macht der beiden Staaten ab als vom Willen seiner Einwohner77. Zu Kriegsbeginn spiegelten sich die unterschiedlichen Vorstellungen beider Seiten im Hinblick auf die Regionen in den jeweiligen Militärplänen, die ihnen bei aller Betonung der Offensive nicht denselben Stellenwert einräumten. Während der französische plan XVII eine Offensive in Elsass-Lothringen zum Ausgangspunkt für einen Vorstoß nach Berlin machen wollte, klammerte der deutsche Schlieffen-Plan das durch die Festungen Metz und Straßburg geschützte Reichsland aus und sah stattdessen vor, außerhalb der Landesgrenzen zu kämpfen und der französischen Armee auf dem Umweg über Belgien in den Rücken zu fallen. Frankreich feierte seine ersten Erfolge als Etappen eines Restitutionskrieges oder gar einer Revanche. Die Einnahme von Mülhausen am 7. August löste eine regelrechte Euphorie aus. Allerdings erwies sich die Siegesgewissheit als verfrüht, denn deutsche Gegenangriffe drängten die französischen Truppen rasch wieder zurück und ließen die Frontlinie ab September 1914 erstarren. Frankreich blieb dadurch nur ein ca. 15 Kilometer tiefer Korridor mit rund 70 000 Einwohnern. Auch die blutigen Kämpfe 1915 um Vogesengipfel wie den Buchenkopf, Linge und den Hartmannsweilerkopf änderten diesen Zustand nur unwesentlich, bevor an dieser Front bis 1918 vergleichsweise Ruhe einkehrte. Auch wenn der Krieg letztlich nur einen kleinen Teil seines Gebietes betraf, wurde Elsass-Lothringen dennoch zum symbolträchtigen Streitpunkt sowie ein Hauptanliegen der französischen Seite und wiederkehrendes Thema der Propaganda. Die Sorbonne-Professoren Ernest Lavisse und Christian Pfister etwa verkündeten: „Unser Volk verlangt von seinem Vaterland, dass es diese Bevölkerung wieder eingliedert, die ihm früher angehörte, die Fleisch von seinem Fleische und Blut von seinem Blute war. Es weiß, dass dieses Verlangen auf Recht und Gesetz fußt.“78 Auch Bilder wie die Zeichnungen von Hansi oder Zislin, patriotische Postkarten sowie Propagandaplakate verbreiteten massenhaft die Vorstellung, Elsass-Lothringen sei unter dem deutschen Joch der alten 75 76 77 78
Baechler 1988 [406], S. 57. Roth 2010 [476], S. 129. Fischbach, Wagner 2007 [434]. Ernest Lavisse und Christian Pfister, La question d’Alsace-Lorraine, 1917, zitiert in: Roth 2010 [476], S. 139. Christian Pfister war gebürtiger Elsässer.
1. Elsass-Lothringen zwischen Deutschland und Frankreich
251
Heimat treu geblieben79. Am 1. März 1918 fand an der Sorbonne eine Feier zum Gedenken an die Protestnote der elsässischen und lothringischen Abgeordneten in Bordeaux am 1. März 1871 statt80; unter anderem bekräft igte Staatspräsident Poincaré dabei öffentlich den Anspruch Frankreichs auf Elsass-Lothringen81. Im Hinblick auf den beabsichtigten Restitutionskrieg musste Frankreich darüber nachdenken, wie die künft ige Rückeingliederung der beiden Provinzen in die Nation aussehen, welcher Status ihnen zukommen und wie es mit ihren kulturellen Besonderheiten umgehen sollte. Elsass-Lothringen wurde dadurch zugleich Versuchslabor und Aushängeschild: Zum einen testete man in dem von den eigenen Truppen gehaltenen Teil Prinzipien, die man nach dem Krieg auf die gesamte Region auszuweiten gedachte. Zum anderen wollte man der Bevölkerung in den betroffenen Gebieten ebenso wie der Nation und den internationalen Partnern beweisen, dass es Frankreich allein um die Verteidigung von Recht und Gesetz ging. Mit der Organisation der 1914 „zurückgeholten“ Zone wurde die Militärverwaltung betraut. Der Generalstab betonte bewusst den durch den Wechsel der Souveränität verursachten Bruch, hütete sich jedoch vor dem Fehler, die lokalen Besonderheiten zu unterschätzen. Dieser duale Ansatz spiegelte sich in der Rede Joff res am 24. November 1914 in Thann wider: „Frankreich schenkt Euch mit den Freiheiten, für die es seit jeher steht, zugleich den Respekt Eurer persönlichen Freiheiten, der elsässischen Freiheiten, den Respekt Eurer Traditionen, Eurer Überzeugungen, Eurer Sitten und Bräuche.“82 Die Französisierung sollte zwar zügig, aber nicht mit Brachialgewalt vonstattengehen. An den Schulen standen französische Lehrer vor den Klassen und unterrichteten auf Französisch, während Deutsch als Fremdsprache eingestuft wurde. Dennoch blieb das lokal geltende Schulstatut unverändert, und der Religionsunterricht fand weiterhin statt. Anstelle der laizistischen Gesetze galt nach wie vor das Konkordat. Dieser pragmatische Kompromiss sollte den Weg für eine harmonische Wiedervereinigung der seit zwei Generationen getrennten Franzosen ebnen, unter den wachsamen Blicken der militärischen und politischen Machthaber, deren Besuche stets von patriotischen Inszenierungen begleitet wurden.
79 Wilmouth 2013 [505]. 80 Am 17. Februar 1871 hatten die am 8. Februar 1871 in die französische Nationalversammlung gewählten Abgeordneten aus Elsass und Lothringen gegen die Preisgabe Elsass-Lothringens an die Deutschen protestiert. Ihre Protestnote verlas am 1. März 1871 der Abgeordnete Grosjean im Namen der 27 Abgeordneten des Elsass und Lothringens von der Tribüne der nach Bordeaux ausgewichenen Nationalversammlung. 81 Mayeur 1986 [462]. 82 Rossé 1936 [40], Bd. 1, S. 195.
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II. Fragen und Perspektiven
Auch auf einer anderen Ebene bereitete die französische Regierung die Rückkehr der „verlorenen Provinzen“ vor: Ab Februar 1915 gründete sie im Außenministerium eine „Elsass-Lothringen-Konferenz“ unter dem Vorsitz von Louis Barthou83. Um Einheit zu demonstrieren, wurden die Teilnehmer aus einem breit gefächerten politischen Spektrum gewählt, darunter mehrere prominente Elsässer und Lothringer, die sich zum Zeitpunkt der Kriegserklärung in Frankreich aufhielten oder im August / September 1914 dorthin geflohen waren. Die Konferenz sollte die Bedingungen für die Wiedereingliederung von Elsass-Lothringen in Frankreich prüfen. In bestimmten Aspekten riet sie, weil es gefährlich erschien, zur Vorsicht oder zur Beibehaltung des Status quo und warnte vor einer abrupten Einführung der französischen Gesetze, insbesondere was Steuern und Krankenversicherung betraf. In anderen Fragen hingegen drängte sie auf Wandel: Beim Haushalt, bei der Währung, der Französisierung der Wirtschaft oder bei der Anwendung der Schulgesetze sollte der französische Staat sich rasch durchsetzen. Ferner empfahl sie die Trennung von Kirche und Staat, wenn auch mit gewissen Anpassungen, die mit dem Heiligen Stuhl ausgehandelt werden sollten84. Allerdings besaß die Konferenz keinerlei Entscheidungsbefugnis und arbeitete bis zum Sommer 1918 unter der Prämisse einer bis dahin rein spekulativen Wiedereingliederung. Ab Juni 1917 wurde sie unmittelbar dem Kriegsministerium unterstellt, ab September 1918 dem Service général d’AlsaceLorraine unter der Aufsicht des Ministerpräsidenten. Selbst zu diesem Zeitpunkt waren noch mehrere Szenarien für die Wiedereingliederung vorstellbar; Clemenceau selbst tendierte zu einer Assimilierung ohne den von vielen ElsassLothringern gewünschten Sonderstatus, auch wenn er Übergangsmaßnahmen als notwendig erachtete. Tatsächlich aber blieb der Hauptteil von Elsass-Lothringen während des Krieges deutsch. Rund 380 000 der Elsässer und Lothringer dienten im Deutschen Heer, davon 220 000 bereits Anfang August 1914. Ihre Mobilmachung verlief reibungslos, nur vergleichsweise wenige entzogen sich dem Kriegsdienst. Schätzungsweise 3000 wehrfähige Einwohner der grenznahen Dörfer flüchteten nach Frankreich oder in die Schweiz, die meisten davon unmittelbar nach Kriegsausbruch85. Die Wehrpflichtigen wurden unterschiedlichen Einheiten in ganz Deutschland zugeteilt und kämpften folglich an sämtlichen Fronten. Viele Deutsche sahen sie allerdings nicht als vollwertige Landsleute und begegneten ihnen mit Misstrauen. Schon 1915 bemängelte ein Bericht des Kriegs83 Der ehemalige Ministerpräsident Louis Barthou war ein Vertrauter von Staatspräsident Poincaré. Sein einziger Sohn hatte sich mit 18 Jahren freiwillig gemeldet und war im August 1914 bei Thann gefallen. 84 Grandhomme, Grandhomme 2013 [440], S. 340–346. 85 Rossé 1936 [40], Bd. 1, S. 295. Die Arbeiten von Raphaël Georges relativieren allerdings die Zahl der Elsass-Lothringer im Deutschen Heer: Georges 2013 [437].
1. Elsass-Lothringen zwischen Deutschland und Frankreich
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ministeriums die angeblich deutschfeindliche Haltung vieler Elsass-Lothringer. Restriktive Maßnahmen gegen sie waren die Folge: So hielt man sie etwa systematisch von wichtigen Posten fern und setzte sie überwiegend an der Ostfront ein. Nach den großen Schlachten 1916 verstärkte sich dieser Argwohn in Teilen, klang dann ab und flammte 1918 mit Macht wieder auf. Eine systematische Politik körperlicher oder emotionaler Misshandlungen elsässischer und lothringischer Soldaten halten Jean-Noël und Francis Grandhomme dennoch für ausgeschlossen, zumal Weisungen des Generalstabs im Feld ganz unterschiedlich umgesetzt wurden. Ebenso handelte es sich bei den belegten Demütigungen und Diskriminierungen ihrer Meinung nach um Einzelfälle86. Die Bevölkerung in Elsass-Lothringen hielt sich ganz überwiegend an den Burgfrieden, wenn auch mit erheblichen Vorbehalten. Am 31. Juli 1914 verkündete der Kaiser den „Zustand der drohenden Kriegsgefahr“ und die lokalen Befugnisse gingen in die Hände der Militärbehörden über87. Diese verhängten am 1. August Notstandsmaßnahmen: Die Aussetzung der persönlichen Freiheiten sowie zahlreiche Verhaft ungen in frankophilen Kreisen lassen vermuten, dass die Angst vor Feinden im Inneren nach wie vor virulent war. Nach dem Abzug der französischen Truppen richteten sich die Repressalien vor allem gegen diejenigen, die Umgang mit den vorübergehenden Siegern gepflegt hatten. Außerdem wurde die bis dahin allmählich und selektiv verlaufene Germanisierung abrupt beschleunigt. Die französische Sprache verschwand von den Straßen und aus den Verwaltungen, wenn auch nicht aus den Schulen, wo die Schüler zugleich massiver deutscher Propaganda ausgesetzt waren. Der gesamte Informationsfluss wurde kontrolliert. Diese autoritäre Politik verkomplizierte nicht nur das Alltagsleben, sondern verschärfte die von der französischen Propaganda geschürten Ressentiments gegen die Deutschen. In der deutschen Regierung ebenso wie in der Öffentlichkeit wurde in dieser Zeit eine alte Debatte aufgefrischt: Sollte Elsass-Lothringen nach dem Krieg seinen Status als Reichsland behalten, oder sollte es aufgeteilt und getrennt in die angrenzenden deutschen Länder eingegliedert werden88? Preußen beanspruchte das gesamte Gebiet, vor allem aber Lothringen, Bayern hoffte auf den Nordteil, das Großherzogtum Baden auf den Südteil des Elsass. Wenn diese Diskussionen fruchtlos blieben, dann deshalb, weil das gegenseitige Misstrauen zwischen den deutschen Ländern eine einvernehmliche Lösung verhinderte89. Ab 1917 gewann die Idee eines autonomen Elsass-Lothringens an Terrain. Nach der Friedensresolution des Reichstags machte sich der Interfraktionelle Ausschuss für diese Option namentlich in Gestalt eines Großherzogtums stark,
86 87 88 89
Grandhomme, Grandhomme 2013 [440], S. 108–124. Leonhard 2014 [1557], S. 12–13. Schwander, Jaffé [482]. Wehler 21979 [109], S. 62–63.
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II. Fragen und Perspektiven
während Sozialisten wie Karl Kautsky die Selbstbestimmung der betroffenen Bevölkerung forderten. Als sich die Niederlage abzeichnete, versuchte die Regierung Max von Badens zu retten, was da allerdings schon nicht mehr zu retten schien. Während Wilson im achten seiner 14 Punkte die Klärung der Elsass-Lothringen-Frage zugunsten von Frankreich forderte, sprach sich die deutsche Regierung für eine Autonomie innerhalb des Reichs aus: Ein Verfassungsentwurf vom 29. Oktober 1918 sah die Umwandlung von Elsass-Lothringen in einen Bundesstaat vor. Der Waffenstillstand und später die rückwirkend ab 11. November geltende Rückgabe des Gebiets unter die Souveränität Frankreichs machten dieses Vorhaben obsolet90. Im Laufe des Krieges zeigten sich gewisse Parallelen beiderseits der Grenze in der Behandlung der Elsass-Lothringer. Das Misstrauen, das ihnen im kaiserlichen Heer entgegenschlug, war genauso in der französischen Armee spürbar. Überläufer der deutschen Streitkräfte wurden zwar zunächst mit offenen Armen empfangen und erhielten automatisch die französische Staatsbürgerschaft, doch schon nach wenigen Monaten machten sich Ängste breit und führten zu der Forderung, den Neubürgern die gerade erst erworbene Staatsbürgerschaft wieder abzuerkennen91. „Le Temps“ warnte unter anderem, „die Gegenwart eingebürgerter Deutscher in der französischen Armee [sei] für die Verteidigung der Nation eine ständige gravierende Gefahr“, die Deutschland zudem „eine hervorragende Gelegenheit zur Spionage“ biete92. Auch die Zivilisten in Elsass-Lothringen wurden ab 1914 von beiden Nationen gleichermaßen beargwöhnt, als „Franzosenköpfe“ von vielen Deutschen, die sich vor Spionen ängstigten, und als sales boches von den Franzosen, die sie überwachen oder in Lager internieren ließen93. Elsass-Lothringen wurde während des gesamten Krieges wie eine Beute behandelt, über die man ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Bevölkerung verfügen konnte94, und auch nach Kriegsende änderte sich daran nichts. Am 11. November 1918 verkündete Clemenceau vor der Abgeordnetenkammer: „Als letzter überlebender Mitunterzeichner des Protests von Bordeaux hatte ich Euch das Elsass und Lothringen versprochen – hier habt Ihr sie!“ Die Wiedereingliederung der beiden Provinzen wurde zum Inbegriff des Sieges und symbolisierte den Schlussstrich unter dem seit 1871 unabgeschlossenen Kapitel. Zur gleichen Zeit waren die Städte der Region wie das übrige Deutschland von einer revolutionären Welle erfasst. Am 12. November trat ein Nationalrat Elsass-Lothringen zusammen und debattierte über die Frage, ob die Region bedingungslos in den französischen Staat wiedereingegliedert oder gemäß dem 90 Ebd., S. 66. 91 Gesetzentwurf von Justizminister Aristide Briand vom 23. Dezember 1914. Zitiert in: Grandhomme, Grandhomme 2013 [440], S. 232. 92 Le Temps, 5. Januar 1915, zitiert nach: ebd. 93 Grandhomme 2008 [439]. 94 Wehler 21979 [109], S. 63.
1. Elsass-Lothringen zwischen Deutschland und Frankreich
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Selbstbestimmungsrecht der Völker einen Status als autonomes Gebiet zwischen Frankreich und Deutschland verlangen sollte. Die Elsass-Lothringer selbst wurden jedoch nicht gefragt, wie sie sich ihre Zukunft vorstellten. Deutschland befürwortete jetzt zwar eine Volksabstimmung, jedoch nur pro forma und ohne sich Illusionen darüber zu machen, ob es je zu einem Plebiszit kommen oder was es ergeben würde. In der Tat waren die amtierenden Räte mit dem Einmarsch der französischen Truppen kaltgestellt. Begeistert feierte die Bevölkerung die Ankunft der Franzosen, geblendet vom „blauweißroten Glanz“ (éblouissement tricolore), in den sie die französische Propaganda einhüllte. Die Freude im Volk war zwar zweifellos vorhanden, jedoch gewiss nicht einhellig und in erster Linie Ausdruck der großen Erleichterung über das Ende von vier Jahren Krieg, Unterdrückung und Entbehrungen. In ihr spiegelten sich die Hoffnungen darauf, es werde endlich wieder Frieden und Wohlstand einkehren. Frankreich sah man dabei in leuchtenden Farben95. Die französischen Machthaber missdeuteten dies dahingehend, dass Elsass-Lothringen die Eingliederung an Frankreich wünsche, und lehnten zugunsten dieser für sie einzig legitimen Option ein Plebiszit ab. So verkündete Poincaré am 9. Dezember 1918 vom Balkon des Straßburger Rathauses: „Das Volk hat entschieden. Freudentränen vergießend hat sich das Elsass seiner wiedergefundenen Mutter in die Arme geworfen.“ In Wahrheit hegten die Franzosen eine idealisierte Vorstellung von Elsass-Lothringen als unerschütterlich frankophile Region, die nur darauf wartete, wieder mit Frankreich vereint zu werden. Die auf beiden Seiten existierenden Diskrepanzen zwischen Vorstellung und Realität führten rasch zu Missverständnissen, die Illusionen platzen ließen und schon bald in lokalen Unmut auf die „jakobinischen“ Behörden mündeten, die der regionalen Kultur keinen Respekt zollten. Wie 1871 / 1872 wurden neue Kriterien für die Nationalität festgesetzt. Die Germanophobie lieferte dabei die Grundlage für erneute Diskriminierungen und Ausweisungen, diesmal in entgegengesetzter Richtung 96. Die forcierte Assimilierung in Verbindung mit einer Politik der Französisierung und Laizisierung förderte das „Unbehagen“ der Elsass-Lothringer in der Nachkriegszeit. Es dauerte noch bis 1919, ehe die Bestrebungen zur Beruhigung der Lage Früchte trugen und Zug um Zug das Ortsrecht aufgebaut wurde.
95 Baechler 2008 [408]. 96 Zu diesen Aspekten, insbesondere zu den Ausweisungen, siehe Band VIII dieser Reihe: Beaupré 2009 [70], S. 32–37.
2. Moderner Antisemitismus 2. Moderner Antisemitismus
Der moderne Antisemitismus mit seinen politischen, sozialen, religiösen und rassistischen Bezügen, wie er im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstand, war spezifisch für die Zeit und sowohl für die deutsche wie auch für die französische Gesellschaft prägend. Wenn ihm hier mit Blick auf den „Berliner Antisemitismusstreit“ und die Dreyfusaff äre ein gesondertes Kapitel gewidmet wird, dann nicht nur wegen dieser Bedeutung, sondern auch, weil im modernen Antisemitismus Nähe und Gleichzeitigkeit von Verfeindung und Verflechtung zwischen Deutschland und Frankreich besonders anschaulich zum Ausdruck kommen. Die Verbindung von antisemitischen Judenbildern mit dem jeweiligen nationalen Feindbild des anderen Landes machte den Antisemitismus zu einem hochgradig emotionalen Thema. Im Widerspruch dazu und wie von diesen Emotionen unberührt existierten gleichzeitig eine intensive gegenseitige Wahrnehmung und ein Transfer antisemitischer Schriften und Theorien. Die Betonung des deutsch-französischen Antagonismus und der Transfer von Vorstellungen und Ideen liefen parallel, was auch in hermeneutischer Hinsicht von der Forschung bisher kaum beachtet worden ist. Alle vergleichenden Fragen im Hinblick auf Ursprung und Intensität des Antisemitismus in Deutschland und Frankreich waren bereits zeitgenössisch Anlass für divergierende und moralisierende Interpretationen. Dies hat sich oft mals in die Geschichtsschreibung hinein verlängert, was den Blick für Transferfragen erschwert. Die Anzahl der Publikationen zum Antisemitismus im langen 19. Jahrhundert ist kaum noch zu überblicken. Vor allem seit den 1970er-Jahren hält ein verstärktes Forschungsinteresse an, das nicht zuletzt gestützt durch Institutionalisierung und Ausweitung der Theorien und Forschungsfragen infolge von Paradigmenwechsel zu einer Multiplizierung der Modelle, Periodisierungen und Fragestellungen beigetragen hat1. Der geografische Schwerpunkt der internationalen Forschung liegt auf Deutschland. Prägend für die Historiografie waren Fragen nach Kontinuitäten mit dem Nationalsozialismus sowie nach der deutschen Besonderheit des Antisemitismus. Einer wahren Flut an Publikatio1 Einen sehr guten kommentierten bibliografischen Überblick bieten Gräfe 32016 [868] und Nonn 2008 [844] sowie kürzer Wyrwa 2015 [852], S. 20–39; Rürup 2004 [878]. Für die französische Seite fehlt Vergleichbares. Einen Überblick mit Schwerpunkt auf die deutsche Forschung bei Englund 2014 [904]. Eine unkommentierte Bibliografie fi ndet sich in Zinguer, Bloom 2003 [915]. Für die Zeit ab dem Ende des 19. Jahrhunderts siehe Caron 1999 [897].
2. Moderner Antisemitismus
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nen für den deutschen Fall stehen auf französischer Seite einige Untersuchungen gegenüber, die analog dazu die Judenfeindschaft in der Dritten Republik als Vorläufer und als Vorbereitung für die Judenverfolgung in Vichy-Frankreich analysieren2. Umstritten bleibt in der Forschung, warum der Antisemitismus in Deutschland und Österreich einen anderen Charakter als in den übrigen europäischen Ländern annehmen und zur Judenvernichtung während des Dritten Reichs führen konnte. Darüber hinaus bleibt bis heute die Frage nach der oder den Ursachen von Antisemitismus zentral. Die „verwirrende Fülle“3 an Erklärungen hat die Forschung seit den 1990er-Jahren dazu veranlasst, weniger die konkreten Motive für die Judenfeindschaft in den Blick zu nehmen, als sich dem Phänomen in mikrohistorischen Studien über eine „dichte Beschreibung“ antisemitisch motivierter Handlungen und Symbole zu nähern4. Studien über die Emanzipation der Juden oder Antisemitismus in zwei oder mehreren Ländern mit einem tatsächlich vergleichenden Ansatz oder einer Transferfragestellung sind so gut wie nicht vorhanden. Das ist zu bedauern, haben die existierenden Arbeiten doch die Fruchtbarkeit dieser Ansätze unter Beweis gestellt5. Einen direkten deutsch-französischen Vergleich leisten die Aufsätze in einem Sammelband über Emanzipation und Antisemitismus in Deutschland und Frankreich. Sie unterstreichen nuanciert die bereits im ersten Teil des Bandes dargelegten überwiegenden Ähnlichkeiten sowie die Unterschiede in den Entwicklungen der beiden Länder6. Eine andere vergleichende Studie macht auf die Verknüpfung des antisemitischen Judenbildes mit dem nationalen Feindbild des anderen Landes aufmerksam, ein Aspekt, der die im ersten Teil dargelegte antiliberale und antimodernistische Stoßrichtung des Antisemitismus ergänzt7. So wurden in Frankreich antisemitische und deutschfeindliche Stereotypen in einem militaristischen und imperialistischen Bild miteinander verbunden. Dies zeigte sich ebenso in bildlichen Quellen. Französische Zeichner und Karikaturisten ließen Juden einen pseudo-deutschen Jargon sprechen, vor allem, wenn es um finanzielle oder wirtschaft liche Zusammenhänge ging8. In anderen Ländern wie beispiels2 Zur Diskussion siehe Gräfe 32016 [868], S. 84–86; Nonn 2008 [844], S. 10–16, 44. 3 Nonn 2008 [844], S. 16. Zusammenfassend zu den Gründen siehe Wyrwa 2019 [853]. 4 Nonn 2008 [844], S. 31. 5 Zur Methodik vergleichender Ansätze siehe Wyrwa 2007 [935]. Zu den Studien mit Transfer- oder Vergleichsansatz gehören z. B. König, Schulz 2019 [842]; Wyrwa 2015 [852]; Joskowicz 2014 [837]; Knörzer 2010 [839]; Brenner, Caron, Kaufmann 2003 [830]; Wiese 2003 [847]; Brustein 2003 [832]; Allal 2002 [824]; Blaschke, Mattioli 2000 [829]; Heil 2000 [836]; Wistrich 1995 [848]; Katz 1989 [838]. Daneben existieren zahlreiche Bände, in denen Länderübersichten mehr oder weniger unverbunden nebeneinander stehen, z. B. Strauss 1993 [846]. 6 Vgl. Brenner, Caron, Kaufmann 2003 [830]. 7 Allal 2002 [824]. 8 Delmaire 1991 [900], S. 133–134.
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II. Fragen und Perspektiven
weise England war dies in ähnlicher Weise der Fall. Es bleibt ein Desiderat der Forschung, diesem europaweiten Transfer antisemitischer Bildmotive nachzugehen.
„Berliner Antisemitismusstreit“ Zweifelsohne besaß der „Berliner Antisemitismusstreit“, der in den Jahren 1879–1881 das öffentliche Leben im Kaiserreich prägte, nicht die Dimensionen der Dreyfusaff äre. Jedoch ging er in eine ähnliche Richtung, denn es war erstens eine stark medialisierte Aff äre, die öffentlich ausgetragen wurde, wobei Presseartikel, Vorträge, Flugschriften und Petitionen eine Rolle spielten. Er führte zweitens zu leidenschaft lichen Diskussionen und zu einer „Polarisierung des intellektuellen Lebens“9 im Kaiserreich. Es kam drittens zu gewaltvollen Ausschreitungen, und er trug viertens zur Ausbildung der organisierten Abwehr des Antisemitismus bei. Dennoch überwiegen die Unterschiede die Gemeinsamkeiten bei Weitem: sowohl was die jeweilige nationale und internationale Bedeutung als auch was die Dauer, die Intensität und die chronologische Verortung anbelangt. Seinen Platz hat der „Berliner Antisemitismusstreit“ in diesem Kapitel, der im Vergleich zur Dreyfusaff äre deutlich weniger und im Hinblick auf Transferfragen noch gar nicht erforscht ist, als Kontrast und weil er den stark ansteigenden Antisemitismus und sein Eindringen in bürgerliche Kreise im Deutschen Kaiserreich markierte. Der Begriff „Berliner Antisemitismusstreit“ ist durch die 1965 von Walter Boehlich publizierte Quellensammlung zur Kontroverse geprägt worden10. Er spiegelt die damaligen Ereignisse nur unzureichend, war die Auseinandersetzung doch weder auf die Hauptstadt Berlin noch auf das Thema Antisemitismus begrenzt. Tatsächlich kreiste die damalige Diskussion um die Emanzipation der Juden und um ihre Zugehörigkeit zur deutschen Nation und damit um die Frage, was die deutsche und was die jüdische Identität ausmachte11. Auch entstand aufgrund dieses, wenngleich nach wie vor zentralen Werks der Geschichtsschreibung, der Eindruck, die Kontroverse sei in erster Linie auf akademische Kreise beschränkt gewesen. In Wirklichkeit erreichte sie jedoch über eine große mediale Aufmerksamkeit alle sozialen Schichten. Zeitgenössisch war vom „Treitschkestreit“ oder der „Treitschkiade“ die Rede. In der Forschung wurde 2003 eine weitere umfassende Quellensammlung12 zu dieser Kontroverse 9 Bergmann 2002 [827], S. 42; Hoffmann 1997 [921], S. 222. 10 Boehlich 1965 [917]. 11 Vgl. Krieger 2008 [928], S. 41; Hoffmann 2005 [920], S. 63–64; Meyer 1966 [931]. Eine andere Interpretation bei Kohler 2010 [925]. 12 Krieger 2003 [927]. Als einzige ausländische Reaktionen sind darin zwei Artikel aus der „Londoner Times“ aufgenommen.
2. Moderner Antisemitismus
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veröffentlicht, die am Begriff „Berliner Antisemitismusstreit“ festhielt13. Von der französischen Geschichtsschreibung ist diese Auseinandersetzung bisher noch nicht bearbeitet und kaum zur Kenntnis genommen worden14. Im November 1879 veröffentlichte der Berliner Historiker und Publizist Heinrich von Treitschke den Aufsatz „Unsere Aussichten“15 in den von ihm herausgegebenen „Preußischen Jahrbüchern“. Darin legte der als BismarckBefürworter bekannte Professor eine innen- und außenpolitische Bilanz des Kaiserreichs vor, zu einem Zeitpunkt, als der Kulturkampf abgeschwächt und der Antisozialismus besonders virulent war. Er vermerkte wohlwollend die Schwächung der liberalen Bewegung, prangerte „innere Feinde“ und Missstände an und sprach sich für eine starke Regierung sowie für ein geeintes nationales Bewusstsein aus. Im letzten Drittel des Aufsatzes thematisierte Treitschke eine „tiefe Umstimmung“, die sich in den letzten Jahren im Volk gegen Juden gezeigt habe. Zwar distanzierte er sich von der rohen Agitation der „Radauantisemiten“16 und der popularisierenden Agitatoren wie Adolf Stoecker oder Wilhelm Marr, doch legitimierte er das antisemitische „lärmende Treiben“ um die „deutsche Judenfrage“, das sich seit einigen Jahren infolge der Wirtschaftskrise und der inneren Einigung im Kaiserreich bemerkbar gemacht hatte. Denn anders als in Frankreich, England oder Italien, wo die Juden überwiegend „gute Franzosen, Engländer, Italiener“ geworden seien, so Treitschke, drohe in Deutschland durch die jüdische Einwanderung aus Osteuropa eine Überfremdung und ein „Zeitalter deutsch-jüdischer Mischcultur“. Über die Ostgrenze sah er „eine Schaar strebsamer hosenverkaufender Jünglinge“ kommen, wie er bösartig schrieb, deren „Kinder und Kindeskinder dereinst Deutschlands Börsen und Zeitungen beherrschen sollen“. Treitschke warf den deutschen Juden in einer Mischung aus „Halbwahrheiten, Unwahrheiten und bekannten Klischees“17 eine diff use internationale Beziehungswelt und mangelnden Integrationswillen vor. Seine Attacke gipfelte im Satz „die Juden sind unser Unglück“, den er nicht als eigene Überzeugung, sondern als Resümee einer allgemeinen Meinung formulierte18. Dieser Satz sollte zu einem der „wirkungsmächtigsten und folgenreichsten antisemitischen Schlagworte“19 13 Vgl. Jensen 2005 [873], S. 200, FN 6. Zum Forschungsstand siehe Stoetzler 2008 [881], S. 378–389. 14 Eine knappe Zusammenfassung des „Antisemitismusstreit“ auf Französisch in: Berding 1991 [856], S. 103–106. Englischsprachige Literatur: Schwartz 2012 [932]; Kohler 2010 [925]; Stoetzler 2008 [881]. 15 Der Aufsatz ist abgedruckt in: Krieger 2003 [927], S. 6–16. Eine semantische Analyse bei Holz 2001 [871], S. 165–247. 16 Eine besonders gehässige und hetzerische Form des Antisemitismus, in der nicht selten zu Gewalt aufgerufen wird. Vgl. Benz 2010 [826], Bd. 3, S. 270–272. 17 Krieger 2003 [927], S. XVI. 18 Ferrari Zumbini 2003 [864], S. 187. 19 Wyrwa 2009 [936], S. 100–101.
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II. Fragen und Perspektiven
werden. Er prägte sich nicht nur den Zeitgenossen ein, sondern erwies sich als äußerst langlebig und wurde ab 1927 als Leitmotiv auf der Titelseite des NaziBlatts „Der Stürmer“ abgedruckt 20. Mit seinen Äußerungen hatte Treitschke die bürgerlichen „Sagbarkeitsregeln“21 im Kaiserreich bewusst verschoben. Zwar griff er viele bekannte religiös und wirtschaft lich motivierte antijüdische Stereotypen auf und vertrat kein dezidiert rassistisch-biologisches Konzept. Gleichwohl zeigten sich Ansätze dazu in der Überzeugung, dass Juden nie ganz „assimilierbar“ seien und immer ein fremdes Element bleiben müssten. Auch war Treitschke’s Schrift ein Schritt bei der angestrebten Verwissenschaft lichung der „Judenfrage“. Seine Attacken auf die deutschen Juden provozierten und schockierten vor allem deshalb, weil Treitschke Historiker war und eine angesehene Position im öffentlichen und wissenschaft lichen Leben des Kaiserreichs innehatte. Insofern hatte der Artikel, wie sein Berliner Kollege und späterer Diskussionsgegner Theodor Mommsen schrieb, eine „Bombenwirkung“22, kam doch gerade Historikern die wichtige Rolle der Identitätsstiftung im Deutschen Kaiserreich zu. Die nach der Reichsgründung geführten Debatten um das eigene Nationenverständnis und die Zugehörigkeit zur Nation wurden hier vertieft und nach den Katholiken und Sozialisten auf Juden ausgedehnt. Treitschkes Ausführungen spiegelten nicht zuletzt seine Abkehr vom Liberalismus, die parallel zur konservativen Wende Bismarcks 1878 / 79 erfolgte, denn kurz zuvor war der Historiker aus der nationalliberalen Reichstagsfraktion ausgetreten23. Mit seiner antisemitischen Schrift löste Treitschke im deutschen Judentum „heft ige Bestürzung“24 aus. In einer ersten Phase der Kontroverse, die bis etwa Februar 1880 dauerte, äußerten sich ganz überwiegend jüdische Gelehrte und Prominente zu Treitschkes Attacken und nutzten diese zugleich für eine Diskussion zur Selbstvergewisserung der eigenen Identität 25. Stellung nahmen der jüdische Philosoph und Psychologe Moritz Lazarus, der Historiker Heinrich Graetz, dem einige der Angriffe Treitschkes direkt galten, der junge Marburger Professor für Philosophie Hermann Cohen, die Rabbiner Manuel Joël und Seligmann Meyer, der Mediävist und Berliner Kollege Treitschkes Harry Bresslau, der liberale Reichstagsabgeordnete Ludwig Bamberger und viele weitere jüdische Prominente26. Die Briefe, Artikel und Pamphlete wurden aus unter-
20 Ebd. Weitere Beispiele für die Übernahme des Satzes bei Gerhards 2013 [918], S. 14, FN 9. 21 Jensen 2005 [873], S. 210. 22 Zitiert nach: Krieger 2003 [927], S. 704. 23 Zu Treitschkes Antisemitismus siehe Gerhards 2013 [918]; Wyrwa 2009 [936]; Langer 1998 [929]; Biefang 1996 [916]. 24 Krieger 2008 [928], S. 43. 25 Zu den Phasen des Streits siehe Jensen 2005 [873], S. 203–204. 26 Zu den jüdischen Reaktionen siehe ebd., S. 220–242; Meyer 1966 [931].
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schiedlichen, teils persönlichen Motiven geschrieben und stellten eine Vielfalt an Antworten auf die Provokation Treitschkes dar. Es folgten Repliken und Gegenschriften, und die Kontroverse entwickelte sich zu einem publizistischen Ereignis. Bereits im Herbst 1879 war in der jüdischen Presse vom „systematischen Hetzen“27 gegen das deutsche Judentum die Rede. Ähnlich wie später in Frankreich während der Dreyfusaff äre zeigten sich jüdische Journalisten besorgt, riefen führende Intellektuelle zur Stellungnahme auf, ohne durch Gegenangriffe provozieren zu wollen. Vielmehr hegte man die Hoff nung, dass sich die judenfeindlichen Agitationen bald wieder legen würden28. Die liberale Presse schwieg dagegen überwiegend. Auf französischer Seite war man bereits in dieser Phase über den Streit unterrichtet. So schrieben die Korrespondenten der Auslandspresse, darunter „Le Temps“, „La République française“ und „Le Figaro“, über die Kontroverse29 und in der „Revue des Deux Mondes“ vom 1. März 1880 erschien ein Beitrag des schweizerisch-französischen Schriftstellers Victor Cherbuliez. Darin berichtete er unter dem Pseudonym G. Valbert vom „entsetzlichen Krieg der Federkiele“, in dem viel Tinte geflossen und gefährliche Leidenschaften geweckt worden seien. Cherbuliez bedauerte, dass die liberale Presse sich zurückhalte, und stellte dagegen Kronprinz Friedrich, der die antisemitische Hetze als „Schmach für Deutschland“ bezeichnet hatte, als Stimme der Vernunft und der Toleranz dar. Der Beitrag von Cherbuliez wurde noch im gleichen Monat in der wöchentlich erscheinenden „Allgemeinen Zeitung des Judentums“ aufgegriffen und diskutiert30, was auf die enge gegenseitige Beobachtung der Ereignisse in der Presse sowie auf ein internationales Zirkulieren von Argumenten schließen lässt. Austausch bestand daneben über persönliche Kontakte, zumal unter Wissenschaft lern. Dieser verlief zuweilen anders, als erhofft: So ließ der Berliner Völkerpsychologe Moritz Lazarus den Text seiner Rede „Was heißt national?“31 , mit der er Anfang Dezember 1879 ein zu Treitschke konträres, nämlich inklusives und auf Entscheidung des Einzelnen beruhendes Nationenverständnis entworfen hatte, Ernest Renan über einen in Paris lebenden Neffen zukommen. In dieser Rede hatte er zwei Werke des französischen Sprachwissenschaft lers, dem eine judenfeindliche Einstellung vorgeworfen wurde, erwähnt32. Für Lazarus waren Juden „Deutsche, nichts als Deutsche, wenn vom Begriff der Nationalität die Rede“ ist. Als wesentliches Merkmal dafür nannte er die Sprache, vor allem aber das „geistige Wesen“ 27 28 29 30
Jensen 2005 [873], S. 248. Meyer 1966 [931], S. 163. Jensen 2005 [873], S. 249, FN 195. Der Text der „Allgemeinen Zeitung des Judentums“ ist abgedruckt in: Krieger 2003 [927], Bd. 2, S. 447–452. 31 Abgedruckt in: Krieger 2003 [927], Bd. 1, S. 37–89. 32 Ferrari Zumbini 2003 [864], S. 168; Berding 2000 [858], S. 71–72; Katz 1989 [838], S. 133–139.
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II. Fragen und Perspektiven
und die subjektive Selbsteinschätzung. Renans Vortrag in der Sorbonne im März 1882 „Qu’est-ce qu’une nation?“, so stellte Lazarus später fest, gehe in den Äußerungen über das voluntaristische Nationskonzept auf die Grundgedanken seiner Berliner Rede von 1879 zurück 33. Die Ähnlichkeit in der Argumentation legt dies nahe, wurde aber von der Forschung häufig übersehen34. Die „Anleihe“ nahm Lazarus ohne Ärger hin und schrieb, er freue sich, dass Renan „Propaganda nicht für seinen Namen, sondern für seine Gedanken“35 mache. Deutsche und französische Narrative über Nationalität und Antisemitismus waren stärker miteinander verwoben, als in der Forschung bisher zum Ausdruck kommt. Nachdem die Diskussion ab März 1880 abgeflaut war, spitzte sich der „Treitschkestreit“ im Herbst desselben Jahres erneut zu. In dieser zweiten Phase der Kontroverse verstummten die jüdischen Stimmen zunehmend. Als Gegner Treitschkes traten nun hauptsächlich protestantische liberale Gelehrte auf den Plan, allen voran Theodor Mommsen. Auch thematisch verschob sich der Streit: Er kreiste nun überwiegend um die Verteidigung liberaler Prinzipien und um die Ausrichtung der bürgerlichen Bildungskultur36. Zuvor hatte eine Petition für Aufsehen gesorgt, in der die Rücknahme der Emanzipationsrechte für Juden sowie eine Limitierung der jüdischen Zuwanderung gefordert worden war37. Die sogenannte „Antisemitenpetition“ wurde am 13. April 1881 mit rund 265 000 Unterschriften an Reichskanzler Bismarck überreicht. Darunter waren mit knapp 4000 Unterschriften ca. 19 % aller Universitätsstudenten beteiligt, wobei der Prozentsatz sich in Berlin, Leipzig und Göttingen sowie in einigen norddeutschen Universitäten sogar auf 30 % bis 50 % belief 38. Die Zahlen sind überaus beachtenswert, gerade wenn man sie mit den Petitionen während der Dreyfusaff äre in Frankreich vergleicht, wo die bekannteste rund 25 000 Unterschriften hatte. Politisch blieb die Petition folgenlos, da Bismarck ihren Eingang zwar bestätigte, sie aber unbeantwortet ließ. Die Initiative trug jedoch zur Erhitzung der Gemüter bei, wie sich beispielsweise an der sogenannten „Kantorowicz-Aff äre“ zeigte: In einer Berliner Pferdebahn war es im November 1880 durch judenfeindliche Provokationen zweier Gymnasiallehrer und Mit-Initiatoren der „Antisemitenpetition“ zu einem Handge33 Lazarus 1906 [30], S. 261–262. Vgl. Leicht 1904 [31], S. 19–20. Demnach hat Renan den ersten Druck seines Vortrags „als Dank“ an Lazarus übersandt. 34 Erwähnt z. B. bei Stoetzler 2015 [882]; Klautke 2013 [924], S. 42–43; Smith 2008 [543], S. 111–113; Trautmann-Waller 2008 [933], dort auch Hinweise zu Kontakten zwischen Lazarus und Renan, sowie Voigts 2004 [934]. 35 Lazarus 1906 [30], S. 262. 36 Hoffmann 2005 [920], S. 64; Jensen 2005 [873], S. 270. 37 Zur „Antisemitenpetition“ siehe Kraus 2008 [926]; Ferrari Zumbini 2003 [864], S. 194–199. Der Text ist abgedruckt in: Krieger 2003 [927], S. 579–583. 38 Kampe 1988 [923], S. 23, 30–31. In der Forschung ist umstritten, wie stark antisemitisch das universitäre Milieu im Kaiserreich tatsächlich war, vgl. Nonn 2008 [844], S. 53.
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menge gekommen, das für die beiden Lehrer mit ihrer gerichtlich erwirkten Entlassung aus dem Schuldienst endete39. Als Reaktion auf die antijüdischen Artikel und die Petition sowie um „nationale Schmach“ abzuwenden, da „der Racenhaß und der Fanatismus des Mittelalters“ sich wieder zeige und gegen „unsere jüdischen Mitbürger gerichtet“ werde, publizierten 75 Berliner Notabeln am 14. November 1880 in mehreren Berliner Tageszeitungen eine Erklärung40. Zu den Unterzeichnern des „Toleranzappels“41 gehörten die Historiker Theodor Mommsen, Johann Gustav Droysen und Wilhelm Wattenbach, außerdem zahlreiche weitere bekannte Gelehrte wie Rudolf Virchow und der „von Treitschke so geschätzte“42 Jurist Rudolf von Gneist – ebenso wie Mommsen später Gründungsmitglied des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus –, Politiker wie der Berliner Oberbürgermeister Max von Forckenbeck sowie Beamte und prominente Unternehmer der Stadt. Über die Notabeln-Erklärung wurde in Frankreich berichtet: Der Berliner Korrespondent von „Le Temps“ publizierte am 20. November 1880 eine Notiz zur Erklärung und stellte den Zusammenhang zu Treitschkes Aufsatz aus dem Vorjahr her43 . Treitschkes zu einer Broschüre zusammengefasste und unter dem Titel „Ein Wort über unser Judentum“ publizierte Aufsätze wurden zwar ins Russische, nicht aber ins Französische übersetzt. Allgemein wurde Treitschke in Frankreich kaum rezipiert und seine Werke wenig übersetzt44. In der Folge entwickelte sich eine Kontroverse zwischen Treitschke und seinem Berliner Kollegen Mommsen, in der nun vorwiegend Treitschkes Schuld an der Verbreitung antisemitischen Gedankenguts in den bürgerlichen und gebildeten Schichten thematisiert wurde. Mommsen wies die Angst vor Überfremdung durch Zuwanderung als falsch zurück, unterstrich, dass Juden Deutsche sind, und kritisierte Treitschke, der seine einflussreiche Stellung ausnutze und dessen Äußerungen eine enthemmende Wirkung auf antisemitische Kreise ausübe. Dabei vertrat Mommsen ebenso wenig ein pluralistisches Nationenkonzept: Vielmehr stimmte er mit Treitschke darin überein, dass Juden ihre „Sonderexistenz“ aufgeben, sich assimilieren und die Integration in die deutsche Nation vollziehen sollten45. Deutsche Juden zeigten sich zwar „dankbar“46 für die Stellungnahme des prominenten Historikers; in der liberalen und jüdischen Presse war von der
39 Zur „Kantorowicz-“ oder „Pferdebahn-Aff äre“ siehe Hartston 2005 [919], S. 37– 51. 40 Der Text der Erklärung ist abgedruckt in: Krieger 2003 [927], S. 551–554. 41 Ebd., S. XXIV. 42 Langer 1998 [929], S. 319. 43 Le Temps, 20. November 1880, S. 4. 44 Gerhards 2013 [918], S. 30. 45 Schwartz 2012 [932], S. 255–256; Kohler 2010 [925], S. 184; Hoffmann 2005 [920], S. 72, 79; Jensen 2005 [873], S. 314–315; Hoffmann 1997 [921], S. 246. 46 Malitz 2005 [930], S. 137, 154.
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„Ehrenrettung des deutschen Volkes“47 die Rede. Gleichzeitig war die jüdische Öffentlichkeit ernüchtert über seine Ansichten zur Integration der Juden, die denen Treitschkes ähnelten, auch wenn Mommsen nicht deutlich zum Religionswechsel aufrief. Doch während Treitschke eine „agressive politische Form des (…) Integrationalismus“ vertrat, war diese dem „aufrechten Liberalen“ Mommsen zuwider. Stattdessen sollten Juden freiwillig ihre Angleichung und Integration betreiben48. Eine zentrale Rolle im Antisemitismusstreit kam den Medien zu. Sie trugen dazu bei, die Kontroverse in die Öffentlichkeit zu tragen und die öffentliche und internationale Debatte gleichzeitig zu spiegeln und anzuheizen. Denn der Streit führte nicht nur zum Bruch zwischen den beiden damals bekanntesten Historikern Deutschlands, sondern er polarisierte auch die politische Öffentlichkeit und insbesondere die Universitäten. An den Berliner Fakultäten kam es in einigen Vorlesungen zu Tumulten und sogar zu tödlichen Duellen zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Studenten49. Gymnasialschüler erklärten sich mit denen in der „Kantorowicz-Aff äre“ angeklagten Lehrern solidarisch. Damit hatte die Politisierung „das Klassenzimmer erreicht“50, was wiederum in der Presse eifrig reflektiert wurde. Die Kontroverse führte Mitte November 1880 zu einer Eingabe des liberalen Abgeordneten Albert Hänel an die preußische Staatsregierung. Die Debatte im Preußischen Abgeordnetenhaus vor vollbesetzten Zuschauertribünen machte deutlich, wie sehr antisemitische Denkweisen bereits in den Kreis der Gebildeten eingedrungen waren und von diesen ohne Bedenken geäußert wurden51. In den „Berliner Neujahrskrawallen“, bei denen Fensterscheiben zu Bruch gingen und Studenten Hochrufe auf Treitschke mit „Juden raus!“-Rufen mischten, zeigte der Streit seine „unmittelbarste Konsequenz“52. Ähnlich wie bei den judenfeindlichen Ausschreitungen in Kleinstädten und Dörfern Hinterpommerns und Westpreußens im Sommer 1881 waren es zumeist Jugendliche und Handwerksgesellen, die als Akteure auft raten53. Zwar richteten sich die Gewaltaktionen wie beim Brand der Synagoge von Neustettin im Februar 1881 auf Gegenstände und nicht gegen Personen, doch trugen sie dazu bei, deutsche Juden sozial und hinsichtlich ihrer religiösen Identität aus der Gesellschaft auszugrenzen. Die Diskussion zwischen den beiden Historikern brach im Dezember 1880 ab. Auf Mommsens letzte Maßregelung blieb Treitschke eine Antwort schuldig. 47 48 49 50 51
Krieger 2003 [927], S. 551. Jensen 2005 [873], S. 309. Gräfe 32016 [868], S. 187. Jensen 2005 [873], S. 298. Ebd., S. 288–290; Langer 1998 [929], S. 323. Die „Interpellation Hänel“ sowie eine ausführliche Zusammenfassung der Debatte, die im „Berliner Börsen-Courier“ erschienen ist, sind abgedruckt in: Krieger 2003 [927], S. 557–568 und S. 647–655. 52 Jensen 2005 [873], S. 317. 53 Gräfe 32016 [868], S. 188. Zu Neustettin siehe außerdem Hartston 2005 [919], S. 105–127.
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Für die Öffentlichkeit ging er als Unterlegener aus der Kontroverse hervor, nicht zuletzt weil er sich gegen die Vorwürfe verteidigen musste, den akademischen Frieden verletzt zu haben54. Da die Regierung nicht gewillt war, die jüdische Gleichberechtigung wieder einzuschränken, verlor die „Berliner Bewegung“ an Bedeutung. Doch hatte Treitschke mit seinen Äußerungen zu diesem Zeitpunkt bereits den Antisemitismus im Kaiserreich „salonfähig“ (Mommsen) gemacht, wie das in der Forschung am häufigsten wiederholte Zitat lautet55. Vor allem in der bürgerlichen Kultur verbreiteten sich Denkmuster, wonach Juden als Nationsfremde den Prozess der deutschen Nationsbildung behindern würden, entzögen sie sich doch einer Assimilation. Treitschke selbst, von Mommsen als „Vater des modernen Antisemitismus“ bezeichnet, indoktrinierte als akademischer Lehrer mit Alfred von Tirpitz, Heinrich Claß, Carl Peters, Bernhard von Bülow und anderen die zukünft ige Elite des Kaiserreichs mit imperialistischem und antisemitischem Gedankengut56. Ähnlich wie bei der Dreyfusaff äre war der Antisemitismus, der im Treitschkestreit den öffentlichen Diskurs beherrschte, überwiegend politisch motiviert. Doch vermischten sich mit Blick auf die jeweiligen innenpolitischen Ziele Antiliberalismus, Antimodernismus, Antisemitismus und Nationalismus, wodurch unter Berufung auf „Volkswillen“ und „Meinungsfreiheit“ sowie auf „wissenschaft liche“ Theorien die Grund lagen für die aufkommenden rassistischen Weltanschauungen gelegt wurden57.
Dreyfusaffäre Das große Interesse an den Ereignissen um den zu Unrecht der Spionage für das Deutsche Kaiserreich verurteilten jüdischen Hauptmann Alfred Dreyfus ist bis heute ungebrochen: Schuld daran ist nicht nur die Faszination, die von einer Spionagegeschichte mit verworrener Handlung, Intrigen, gefälschten Dokumenten und Manipulationen auf höchster Staatsebene ausgeht58. Die Affäre fasziniert zugleich, weil sich in ihr exemplarisch und zeitlos der moralische Kampf gegen staatlichen Rechtsbruch, für die Gerechtigkeit eines Einzelnen und für die Grundrechte der Demokratie zeigt. Wenn die Dreyfusaff äre hier hauptsächlich im Hinblick auf den Antisemitismus sowie auf ihre deutsch-französischen Aspekte näher betrachtet wird, so ist das nur eine von vielen anderen 54 55 56 57 58
Krieger 2008 [928], S. 44; Hoffmann 2005 [920], S. 82; Jensen 2005 [873], S. 317. Hoffmann 1997 [921], S. 225, 226. Vgl. dazu Kohler 2010 [925], S. 188, 194 FN 91. Hoffmann 1997 [921], S. 226, 250. Bredin 21993 [948], S. 678–689. Aus der Vielzahl der Monografien zur Dreyfusaff äre siehe neben Bredin u. a.: Harris 2010 [971]; Whyte 2010 [1000]; Begley 2009 [942]; Oriol 2008 [988]; Drouin 2006 [957]; Winock 1998 [1004]; Schoeps 1995 [993]; Duclert 1994 [960].
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möglichen Lesarten59. Die Vielschichtigkeit dieses „Gründungsereignisses“60 wird anhand der zahlreichen Publikationen deutlich, einem regelrechten „Himalaya an Texten“61, die vor allem im Umfeld der hundertsten Wiederkehr des ersten Prozesses gegen Dreyfus im Jahr 1994 erschienen sind. Die Forschung war wie die zeitgenössischen Beobachter zunächst damit beschäft igt, die komplexen Zusammenhänge und unübersichtlichen Abläufe der Aff äre nachzuzeichnen. Dreyfus’ Unschuld wie auch die Manipulationen der französischen militärischen Führung gelten mittlerweile als gesichert und ausreichend erforscht62. Ebenso wurde die Macht der Medien – anders als beim Antisemitismusstreit – von der Forschung vertiefend analysiert: Sie machten nicht nur aus der diskreten Verhaftung eines jüdischen Artillerieoffiziers eine internationale Krise, sondern wirkten auch über Artikel und Karikaturen polarisierend auf den Verlauf der Aff äre63. Die vereinfachende bipolare Gegenüberstellung von Anhängern Dreyfus’, den Dreyfusards, und seinen Gegnern, den Anti-Dreyfusards, entlang der Grenzen zwischen einem linken und einem rechten politischen Lager wurde von der Forschung mittlerweile nuanciert: Die Spaltung der Gesellschaft verlief quer zu politischen und sozialen Milieus. Beide Gruppen zeichneten sich durch eine divergierende Vielfalt an Positionen aus. So stellten Armee, Katholizismus und Aristokratie zwar starke, aber keine geschlossenen Bastionen an Dreyfus-Gegnern dar64. Auch kam es zu einem Wandel der Einstellungen im Laufe der Aff äre: Zunächst war eine Mehrheit der französischen Bevölkerung von der Schuld des Hauptmanns überzeugt. Noch zu Beginn des Jahres 1898, als Zola am 13. Januar seinen berühmt gewordenen offenen Brief „J’accuse …!“ in der von Georges Clemenceau herausgegebenen Zeitung „L’Aurore“ publizierte, galt es als unerhört, ja als „revolutionärer Akt“65, sich für Dreyfus einzusetzen. Zu diesem Zeitpunkt stieß die französische Linke in 59 Die neuere Forschung betont vor allem die politischen Aspekte der Aff äre, vgl. Joly 2014 [975]; Oriol 2014 [989]. 60 Duclert, Simon-Nahum 2009 [964]. Erstaunlich ist, dass der Dreyfusaff äre in den „Lieux de mémoire“ von Pierre Nora kein eigener Beitrag gewidmet ist, sondern in einem Artikel von Pierre Birnbaum über religiöse Minderheiten mit verhandelt wird. Vgl. Birnbaum 1992 [944]. 61 Burns 2005 [950]. Übersichten zum Stand der Forschung über die Dreyfusaff äre: Drouin 2007 [958]; Naquet 2007 [987]; Hyman 2005 [973]; Duclert 1998 [961]. Umfassende Bibliografien bei Oriol 2014 [989]; Duclert 2010 [965]; Whyte 2010 [1000] und Drouin 2006 [957]. Zur Entwicklung der deutschen Forschung siehe Siepe 2009 [995]. 62 Vgl. die erste Dokumentation von Reinach 1903–1929 (Neuausgabe 2006) [992]; auf Archivmaterialien gestützt Bredin 21993 [948]; Gervais, Peretz, Stutin 2012 [968]. 63 Siehe z. B. Balakirsky-Katz 2013 [939]; Tillier 2009 [997]; Mollier 2003 [986]; Brennan 1998 [949]. 64 Duclert 1994 [960], S. 121. 65 Winock 1998 [1004], S. 145.
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das stetig wachsende Lager der Dreyfusards und im Sommer 1898 setzte sich bei ihr die Überzeugung von Dreyfus’ Unschuld durch66. Eines der wichtigsten Forschungsfelder betraf ab den 1970er-Jahren die Rolle, die der Antisemitismus in der französischen Öffentlichkeit spielte und welchen Einfluss er auf die Entscheidungsträger in Militär und Politik ausübte. Dreyfus stellte als Jude und als Elsässer in doppelter Hinsicht einen „idealen“ Verdächtigen in einem Spionagefall dar: Elsässern und Juden wurden gleichermaßen ein grundsätzliches Misstrauen im Hinblick auf ihre nationale Loyalität entgegengebracht. Die Angst vor jüdischen und elsässischen Verrätern und Spionen in der Zeit grenzte an Paranoia. Man konnte Dreyfus daher einerseits aufgrund seiner Herkunft Landesverrat zugunsten des Deutschen Kaiserreichs zutrauen und ihn andererseits einer aufgebrachten Öffentlichkeit als Sündenbock präsentieren67. Zu Beginn der 1890er-Jahre war im nach wie vor monarchistisch geprägten französischen Offizierskorps Antisemitismus vielleicht nicht allgegenwärtig, aber zumindest weit verbreitet68. Dreyfus war der erste jüdische Hauptmann im französischen Generalstab. Dass er trotz dürft iger Beweise und eines fehlenden Motivs als Schuldiger ausgemacht wurde, ist zu großen Teilen der antisemitischen Haltung der verantwortlichen Militärs zuzurechnen. Aber nicht nur das Militär, auch die französische Gesellschaft war durch alle Schichten hindurch von antijüdischen Vorstellungen erfasst. Im aufgeheizten Klima kurz nach der Veröffentlichung von Zolas Artikel „J’accuse …!“ und seiner darauffolgenden Verurteilung wegen Verleumdung kam es in Paris im Januar und Februar 1898 zu Massendemonstrationen und Ausschreitungen. Insgesamt 69 Zwischenfälle konnte Stephen Wilson in seiner Untersuchung aufzählen69. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse dehnte Pierre Birnbaum seine Forschungen auf ganz Frankreich aus. Demnach standen zu Beginn des Jahres 1898 landesweit antisemitische Äußerungen und Demonstrationen auf der Tagesordnung, eine Feststellung, die von Teilen der Forschung stark nuanciert wird70. Bei Demonstrationen waren Rufe wie „Nieder mit Zola! Tod den Juden!“ zu hören. Schaufenster jüdischer Geschäfte wurden eingeworfen, Puppen, die Zola oder Dreyfus darstellten, verbrannt71. Ländliche Gegenden wurden ebenso von diesem nationalistischen und antisemitischen Fieber ergriffen, obgleich in unterschiedlichem Maße72. In Marseille, Bordeaux, Nantes, Rouen,
66 67 68 69 70
Duclert 2007 [962], S. 207. Zur Biografie von Dreyfus siehe Duclert 2006 [963]. Birnbaum 1998 [945]; Bach 2004 [1618], S. 536–538. Wilson 22007 [1002]. Vgl. z. B. die Kritik und die Relativierung der Ereignisse bei Oriol 2014 [989], S. 615; stärker noch bei Englund 2015 [966], S. 211–228 und Joly 2008 [746], S. 292–293. 71 Birnbaum 1998 [895], S. 369. 72 Nach Burns blieben weite Teile der Landbevölkerung der Dreyfusaff äre gegenüber gleichgültig, vgl. Burns 1993 [951], bes. S. 530, 540.
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Dijon, Châlons und anderen Orten musste die Polizei oder die Gendarmerie Synagogen und jüdische Geschäfte schützen73. In der Zeitschrift „L’Antijuif“ sowie in drei Departements wurde zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen, deren Adressen man abdruckte74. In Algier kamen bei Anti-Dreyfus-Demonstrationen zwei Juden und ein Demonstrant ums Leben. 158 jüdische Geschäfte wurden zerstört, 500 Personen verhaftet. Algerien, eine Siedlerkolonie, wurde damit in Teilen zum „Vorbild“ für den Antisemitismus der französischen Metropole75. Gleichzeitig lösten die Ausschreitungen in Frankreich eine zweite antisemitische Gewaltwelle im übrigen Europa aus mit Vorfällen unter anderem in Galizien, Moravien, Westpreußen und Russland76. Die neuere Forschung weist über die Untersuchung visueller Repräsentationen auf die große Bedeutung und den Einfluss antisemitischer Darstellungen hin77. In der Plakatserie „Musée des horreurs“ wurden beispielsweise wöchentlich antisemitische Bilder publiziert, die in vielen verschiedenen Formen und Wiederholungen Juden als physisch abstoßend und moralisch verwerflich zeigten. Teilweise waren diese Bilder durch rassische Vorstellungen geprägt. In antisemitischen Kreisen galt die jüdische Herkunft Dreyfus’ als entscheidender Beweis für seine Schuld: „Dass Dreyfus Verrat begangen hat, schließe ich aus seiner Rasse“, so Maurice Barrès78. Ganz überwiegend jedoch war der französische Antisemitismus, der sich in der Dreyfusaff äre zeigte, politisch motiviert, ging es doch vor allem um die als zu einflussreich angesehene Rolle von Juden in Staat, Militär und Gesellschaft, die sogenannten juifs d’État 79. Nicht alle Anti-Dreyfusards waren antisemitisch. Aus der Sicht mancher seiner Gegner bestand das besonders verachtenswerte Vergehen von Dreyfus darin, Spionage für das Deutsche Kaiserreich betrieben zu haben, die „schändliche Macht, die Elsass und Lothringen besetzt hält“80. Vor allem in den revolutionär-revanchistischen Kreisen von Paul Déroulède81 und seiner Ligue des patriotes wurde das immer wieder betont. Die Armee war in dieser Sicht als Werkzeug der Revanche sakrosankt und durfte nicht durch Angriffe von innen geschwächt werden. Antideutscher Nationalismus vermischte sich hier mit 73 74 75 76 77 78 79 80 81
Bredin 1993 [948], S. 390–391; Burns 1986 [952], S. 190–228. Wilson 22007 [1002], S. 279–290. Uran 2006 [999], S. 525, 527; Uran 1998 [998], S. 136; Michelbach 1998 [985]. Smith 2008 [543], S. 135, 139–151. Tillier 2009 [997]. Zitiert nach: Chevalier 1988 [898], S. 298. Siehe auch Dard 2013 [736], S. 72–89. Birnbaum 2003 [947], S. 14. Birnbaum 1998 [946], S. 82. In welchem Umfang Déroulède antisemitisch war, ist umstritten, siehe Joly 1998 [744], S. 225–226. Die Ligue des patriotes war es offi ziell nicht, auch wenn sie antisemitische Anhänger in ihren Kreisen hatte, siehe Joly 2008 [746], S. 9, 152. Vgl. Fuller 2012 [739], S. 143.
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Antiparlamentarismus; Juden und Deutsche wurden gleichgesetzt und zum Hauptfeind der Nation amalgamiert: Als „innere Preußen“ verdächtigte die antisemitische Presse sie, im Dienste Bismarcks den Untergang Frankreichs zu betreiben82. Das vermeintliche deutsch-jüdische Komplott wurde ebenso in Karikaturen immer wieder zum Ausdruck gebracht. Vor allem auf Zola hatte man sich eingeschossen, der wahlweise mit Pickelhaube83 oder – wie bereits in früheren Jahren – auf der deutschen „Judensau“ sitzend gezeigt wurde84. Der Umsturz des parlamentarischen Systems gehörte zu den Hauptzielen dieser rechten Bewegungen, die während der Dreyfusaff äre ihr Mobilisierungspotential unter Beweis stellten. In Teilen richtete sich ihre Agitation gegen Großbritannien, wo man okkulte jüdische Kräfte am Werk sah, die Frankreich zerstören wollten85. Eine Spitze antisemitischer Agitation stellte der in der Zeitung „La Libre Parole“ publizierte Aufruf dar, für die Witwe des Offiziers Hubert-Joseph Henry zu spenden. Dieser hatte nach Aufdeckung eines von ihm gefälschten Dokuments, das die Schuld von Dreyfus beweisen sollte, Selbstmord begangen und wurde in der Folge als „Opfer der Juden“ stilisiert. Die Namen der vermutlich rund 25 000 Personen, die überwiegend aus dem Osten und dem Südosten Frankreichs stammten und dem Aufruf folgend Geld gespendet hatten, wurden gemeinsam mit den bisweilen äußerst virulent antisemitischen Kommentaren der Spender in „La Libre Parole“ abgedruckt und anschließend 1899 als „BuchDenkmal“ unter dem Titel „Le Monument Henry“ publiziert86. In erster Linie handelte es sich dabei jedoch um eine Bekundung gegen Dreyfus und weniger um ein antisemitisches Dokument, enthielten doch „nur“ rund 23,8 % der Einträge überhaupt antisemitische Äußerungen87. Die Gewaltausbrüche legten sich mit dem Antritt der „Regierung der republikanischen Verteidigung“ unter Pierre Waldeck-Rousseau, der mit Alexandre Millerand zum ersten Mal ein Sozialist angehörte, und den folgenden Reformen schnell wieder. Die neuerliche Verurteilung von Dreyfus im September 1899 in Rennes löste bei seinen Anhängern in Frankreich Bestürzung und weltweit „eine Welle der Empörung gegenüber Frankreich“88 aus. Es kam zu frankreichfeindlichen Demonstrationen im Ausland und die Polizei musste französische Botschaften schützen. Nach der Begnadigung von Dreyfus wenige Tage später legte sich der internationale Aufruhr89. 82 83 84 85 86
Allal 2002 [824], S. 76, 90. Delporte 1995 [955], S. 228–229, 236. Balakirsky-Katz 2006 [940], S. 115–116. Fuller 2012 [739], S. 171. Oriol 2014 [989], S. 842–825; Fuller 2012 [739], S. 100–102; Wilson 22007 [1002], S. 125–165; Joly 1999 [974]; Bredin 21993 [948], S. 472–477; Wilson 1977 [1001]. 87 Joly 2008 [746], S. 293; Joly 1999 [974], S. 32. 88 Whyte 2010 [1000], S. 367. 89 Kaspi 1998 [976], S. 230–231.
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II. Fragen und Perspektiven
Deutschland und die Dreyfusaffäre Da Alfred Dreyfus der Spionage für das Deutsche Kaiserreich angeklagt war und die Beweisstücke aus der Deutschen Botschaft von der französischen Putzfrau elsässischer Herkunft, Marie Bastian, im Auft rag der Sektion für Statistik entwendet worden waren, hatten die Ereignisse von Anfang an eine deutsch-französische und vor allem eine politisch-diplomatische Dimension. Von deutscher Seite wurde die Aff äre offiziell als innere französische Angelegenheit behandelt, in die man sich nicht einzumischen hatte. Über Pressearbeit und gezielt platzierte Artikel wurden die Spionagevorwürfe jedoch zurückgewiesen. Dabei wurde mehrfach französischen Verlautbarungen widersprochen, in erster Linie im Hinblick auf vermeintliche deutsche Kontakte zu Dreyfus90. Reichskanzler Bernhard von Bülow war bemüht, Vorteile aus der Aff äre zu ziehen, die die Dritte Republik innenpolitisch stark belastete und außenpolitisch zu einer Schädigung ihres Rufes führte. Ein Jahr vor der geplanten Weltausstellung in Paris 1900, über deren Boykott bereits international nachgedacht wurde, befand sich das Renommee Frankreichs aufgrund der weltweiten Empörung über die zweite Verurteilung von Dreyfus auf einem Tiefstand. Das Interesse der deutschen Regierung an der Fortdauer der Aff äre erklärt, warum zeitweilig den Dreyfusards mit Meldungen in die Hände gespielt wurde, dies aber ausblieb, wenn sich damit die Aff äre endgültig zu ihren Gunsten hätte entscheiden können91. Die deutsch-französischen Beziehungen gerieten immer wieder unter Spannung, so beispielsweise als in französischen Presseartikeln verbreitet wurde, Kaiser Wilhelm II. habe direkt mit Dreyfus korrespondiert92. Letztlich waren die offiziellen deutschen Reaktionen auf die Dreyfusaff äre im Vergleich zur Boulangerkrise zehn Jahre zuvor eher gemäßigt93. In der Zabern-Aff äre 1913 verliefen die offiziellen Reaktionen unter umgekehrten Vorzeichen und die französische Regierung war bemüht, aus der innerdeutschen Krise, die gleichwohl sehr viel kürzer war, Vorteile zu ziehen94. Wie kaum ein Ereignis der Zeit hat die Dreyfusaff äre die deutsche Öffentlichkeit in ihren Bann gezogen. Mit großer Intensität wurden die Ereignisse im Nachbarland verfolgt. Vor allem während des Prozesses gegen den tatsächlichen Spion und Verräter, Major Ferdinand Walsin-Esterházy, der mit einem Freispruch endete, sowie nach der darauffolgenden Publikation von „J’accuse …!“ 90 Krumeich 22006 [979]; Krumeich 1993 [978]; Baumont 1976 [941], S. 115–143; Czempiel 1966 [954], z. B. S. 39. Vgl. Kaspi 1998 [976], S. 224–225. 91 Czempiel 1966 [954], S. 40, 62. 92 Oriol 2014 [989], S. 477–478, 481–482. 93 Krumeich 22006 [979], S. 535; Krumeich 1993 [978], S. 31; Baumont 1976 [941], S. 115. 94 Siehe das vertiefende Kapitel II.1 „Elsass-Lothringen zwischen Deutschland und Frankreich“.
2. Moderner Antisemitismus
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und der anschließenden Verurteilung Zolas zu Beginn des Jahres 1898 stieg die Anzahl der Artikel in der deutschen Presse sprunghaft an. Das „Berliner Tageblatt“ sendete zeitweise Telegramme im Halbstundentakt und berichtete wortwörtlich aus den Verhandlungen vor Gericht95. Stenografen sorgten für eine vollständige Dokumentation der Zeugenaussagen, sodass wie in den französischen Zeitungen „L’Aurore“ und „Le Siècle“ beinahe eine „direkte Übertragung“96 erreicht wurde. Kolportageromane und Theaterstücke zur Dreyfusaff äre feierten im Kaiserreich große populäre Erfolge97. Eine Mehrheit der deutschen Öffentlichkeit war von Beginn an von der Unschuld Dreyfus’ überzeugt, da sie den offiziellen Äußerungen der kaiserlichen Regierung Glauben schenkte, die jeden Kontakt zu Dreyfus abstritt. So traten in Deutschland konservative und katholische Kreise für eine Revision des Prozesses ein, ohne dadurch zu Dreyfusards oder gar anti-antisemitisch zu werden98. Insgesamt hing die Meinung zur Dreyfusaff äre stark von der jeweiligen politischen Haltung und insbesondere davon ab, ob man monarchistisch oder republikanisch eingestellt war. Dies galt genauso für Elsässer, obgleich die Dreyfusaff äre für sie eine besonders schwierige Situation darstellte. Für viele kam die Verurteilung des elsässischen Hauptmanns einer „Erniedrigung“99 gleich. In Frankreich unterstrich die Aff äre die imaginierte Doppelstellung der Elsässer als Märtyrer einerseits sowie als Spione und Komplizen der Deutschen andererseits. Die Gerüchte und Vorhaltungen von französischer Seite führten zu einer Abkehr vieler Elsässer von der Dritten Republik, an der die Rehabilitierung von Dreyfus 1906 kaum etwas änderte100. Dass die in französischen Diensten stehende Agentin Marie Bastian ebenfalls Elsässerin war, dürfte auf deutscher Seite ähnliche Reaktionen hervorgerufen haben. Die veröffentlichte Meinung im Deutschen Kaiserreich zur Dreyfusaff äre war nuanciert und glich einem „Kaleidoskop“101. Zahlreiche Beiträge in der Presse waren stark antifranzösisch geprägt, mit einer „Mischung aus Empörung über Unrecht, Invektiven gegen Frankreich und Genugtuung über die Schwächung“102 des Nachbarn. Für Teile des konservativen und nationalliberalen Lagers waren die Ereignisse ein Zeichen für die moralische Zersetzung Frankreichs sowie für die Unzulänglichkeiten des republikanischen Systems im Vergleich zum deutschen Rechtsstaat. In manchen Beiträgen ist Häme, in 95 96 97 98 99 100 101
Fuchs, Fuchs 1995 [967], S. 74. Duclert 1994 [960], S. 59. Siepe 2009 [995], S. 245. Bianchi 2012 [943], S. 57. Sicard-Lenattier 2002 [484], S. 335. Zur Dreyfusaff äre im Elsass siehe Aprile 22006 [937]. Bianchi 2012 [943]. Zur Presse siehe außerdem Hewitson 2003 [220], S. 50–65; Brennan 1998 [949]; Cahm 1995 [953]; Fuchs, Fuchs 1995 [967]; Gödde-Baumanns 1995 [969]; Winling 1983 [1003]. 102 Gödde-Baumanns 1995 [969], S. 103.
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II. Fragen und Perspektiven
anderen echte Bestürzung darüber zu spüren, dass sich das Land der „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ mit schwerwiegenden Rechtsverletzungen selbst ins Unrecht setzte103. Die deutsche sozialistische Presse nutzte die Aff äre, um Kritik an den Zuständen im eigenen Land zu üben, die man für wenig besser als in Frankreich hielt. Französische Sozialisten lieferten Gastbeiträge, in denen sie ihre Sicht darlegten104. Die antisemitischen Ausschreitungen und Demonstrationen in Frankreich wurden im Kaiserreich sehr genau verfolgt. Sozialdemokratische, linksliberale und jüdische Blätter kritisierten den im Laufe der Aff äre zunehmenden Antisemitismus. Die konservativen und katholischen Publikationen dagegen standen dem in gleichgesinnten französischen Zeitungen geäußerten Antisemitismus in nichts nach. Judentum, Sozialdemokratie und Linksliberalismus wurden als Bedrohungsszenarien in einem Atemzug genannt und als innere Feinde der deutschen Einheit und Nation gebrandmarkt. Die antisemitisch eingestellte Berliner „Staatsbürger-Zeitung“ fand bereits 1894 lobende Worte für die antisemitische französische Zeitung „La Libre Parole“ und bezeichnete analog zur deutschen Situation das Judentum, das man international agieren sah, als das Verderben Frankreichs105. Die antisemitische Polemik war teilweise unerbittlich: So verharmloste die Zeitung „Das Reich“ die Internierung von Dreyfus auf der Teufelsinsel in Französisch-Guyana, die unter physisch und psychisch härtesten Bedingungen erfolgte, als „einen erträglichen Badeurlaub“106. Und Eugen Dühring sah noch 1911 die „Judstiz in Frankreich“107 an der Macht.
Transfer von Antisemitismus und transnationale Kontakte Während Transfer-Studien im Hinblick auf die Dreyfusaff äre bisher auf sich warten lassen, ist in Bezug auf die europäische Presse bereits belegt, dass vielfach Ideen und Texte übernommen wurden, was zur Verbreitung zahlreicher völlig überzogen anmutender Verschwörungstheorien führte108. Die Rolle der aufstrebenden Presseagenturen bleibt in dieser Hinsicht noch zu beleuchten. Am konkreten deutsch-französischen Beispiel fällt außerdem die eingangs erwähnte Paradoxie auf: So führte die Dreyfusaff äre zu radikalen antisemitischen Äußerungen, die eng mit dem vermeintlichen nationalen Charakter des anderen Landes verknüpft wurden. Die antisemitischen Hasstiraden aus Frankreich 103 Hewitson 2003 [220], S. 51–52, 65; Zieger 1998 [1005], S. 17; Cahm 1995 [953], S. 219. 104 Winling 1983 [1003], S. 67. 105 Fuchs, Fuchs 1995 [967], S. 61. 106 Zitiert nach: ebd., S. 62. 107 Zitiert nach: Storch 1996 [996], S. 477. 108 Brennan 1998 [949]; Denis, Lagrée, Veillard 1995 [956], leider ohne vergleichende Zusammenfassung.
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wurden im Kaiserreich durchaus als Form des Deutschenhasses verstanden109. Dennoch wurden parallel dazu antisemitisches Gedankengut, Äußerungen, Begriffe und Karikaturen aus dem anderen Land übernommen: Maximilian Harden beispielsweise folgte der Verschwörungstheorie der französischen Antisemiten und übernahm von ihnen den Begriff des jüdischen „Syndikats“110. Umgekehrt wurden die Beiträge von Wilhelm Liebknecht, in denen er Dreyfus als schuldig bezeichnete, in voller Länge in der von Maurice Barrès herausgegebenen „Action française“ sowie in Teilzitaten zugleich in anderen französischen antisemitischen Blättern abgedruckt111. Diese auf der Annahme beruhende Einstellung, der französische Generalstab und die französische Regierung würden niemanden für schuldig erklären, nur weil er Jude war, brachten Liebknecht, dem „französischsten der deutschen Sozialdemokraten“112 in den eigenen Reihen große Kritik ein. Der Pariser Korrespondent der linksliberalen „Frankfurter Zeitung“, Paul Goldmann, der sich bereits 1896 für Dreyfus eingesetzt hatte, wurde in „La Patrie“ von Lucien Millevoye, einem Abgeordneten der nationalistischen Rechten, angegriffen und forderte ihn zum Duell, das glimpflich ausging113. Auch antisemitische Karikaturen wurden in den illustrierten Satirezeitschriften des anderen Landes übernommen114. Transnationale Kontakte und Transfer lassen sich in gleicher Weise bei den Dreyfusanhängern feststellen: Unter den mehreren Tausend Briefen der Anteilnahme, die Dreyfus und seine Angehörigen in den Jahren 1898 und 1899 erhielten, stammten viele aus Deutschland115. Zolas „J’accuse …!“ wurde in mehreren deutschen Zeitungen zumindest in Ausschnitten publiziert und auch das als bordereau bezeichnete Begleitschreiben sowie die Handschriftenprobe Esterházys wurde in der „Frankfurter Zeitung“ veröffentlicht116. In Wien druckte die „Neue Freie Presse“ ein eigenes Interview mit Zola und unterstützte die Unterschriftenaktion der österreichischen Zeitschrift „Die Waage“ zugunsten des französischen Schriftstellers. Zu den bekennenden Dreyfusards – obgleich nicht von Beginn an – gehörte Theodor Herzl, der als Korrespondent in Paris war und für verschiedene Zeitungen schrieb, darunter die „Neue Freie Presse“. Dabei kam er in Kontakt mit Bernard Lazare und anderen Verteidigern von Dreyfus’117. Die durch ihn erfolgte Gründung der zionistischen Bewegung in Basel im August 1897 geht in Teilen auf seine Erfahrungen mit dem Antisemitismus zur 109 Cahm 1995 [953], S. 219, 220; zur Haltung der Nationalliberalen siehe Czempiel 1966 [954], S. 119. 110 Gödde-Baumann 1995 [969], S. 105. 111 Fischer 2007 [866], S. 158; Le Rider 1995 [980] S. 145. 112 Goergen 2003 [585], S. 186, 187. 113 Zieger 1998 [1005], S. 12. 114 Schleicher 2009 [845], S. 158–159. 115 Gödde-Baumanns 1995 [969], S. 102; Gödde-Baumanns 1995 [970], S. 230. 116 Zieger 1998 [1005], S. 9. 117 Voigt 2015 [913], S. 166–167.
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II. Fragen und Perspektiven
Zeit der Dreyfusaff äre zurück. In Frankreich konnte sich der Zionismus nur schwer durchsetzen, waren die französischen Juden doch in Sorge, dass dadurch der antijüdische Hass weiter angestachelt werden könnte118. Ebenso gab es keine organisierte politische Abwehr gegen den Antisemitismus wie im Deutschen Kaiserreich, wo mit dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus (1891) eine Organisation mit rund 12 000 Mitgliedern schon im ersten Jahr Öffentlichkeitsarbeit und Wahlkampf betrieb. In den Jahren von 1894 bis 1902 existierte in Frankreich das Comité de défense contre l’Antisémitisme, das jedoch im Geheimen agierte, im Übrigen aber dem deutschen Modell der Abwehrvereine nachempfunden war119. International ausgerichtet worden war die Alliance israélite universelle, die bereits 1860 in Paris gegründet war und überwiegend deutsche Mitglieder hatte120. Auf deutscher Seite lassen sich mit Theodor Wolff und Max Nordau weitere Korrespondenten anführen, die als Anhänger von Dreyfus aus Paris berichteten. Umgekehrt ist von französischen Korrespondenten in Berlin oder anderen deutschen Städten aus dieser Zeit nichts bekannt. Insgesamt zeigen diese Beispiele eine gegenseitige Wahrnehmung, Interaktion und eine rege Übersetzungstätigkeit, die noch nicht systematisch untersucht worden sind. Zeitgenössisch wurde in Frankreich die Diskussion geführt, ob und in welchem Maße der Antisemitismus aus dem Deutschen Kaiserreich importiert worden war. Der Essayist und Historiker Anatole Leroy-Beaulieu, der das Buch „Les doctrines de haine: l’antisémitisme, l’antiprotestantisme, l’anticléricalisme“ sowie weitere Werke über den Antisemitismus verfasst hatte, war dieser Überzeugung121. Ähnlich dachten viele Juden, da für sie der Antisemitismus mit den Prinzipien der Republik unvereinbar war122. Dabei wurde übersehen, dass es die republikfeindlichen Kräfte in Frankreich waren, die antisemitische Theorien verbreiteten. Ebenso wurden die Augen davor verschlossen, wie verbreitet der Antisemitismus in der Gesellschaft war. Manche antisemitische Zeitgenossen widersprachen dieser Meinung und wiesen – wie aus Stolz – darauf hin, dass sie selbst für eine theoretische Fundierung ihrer Ablehnung der Juden sorgen könnten. Die Meinungen darüber divergieren in gleicher Weise in der Historiografie, je nachdem, wo der chronologische „Ursprung“ der antisemitischen Theorien angesetzt wird123. Die implizit moralisierende Betrachtungsweise steht
118 119 120 121 122 123
Winock 2004 [914], S. 164; Benbassa 2001 [892], S. 407. Zum Zionismus siehe Brenner 32008 [831]. Knörzer 2019 [840]; Marrus 1976 [983], S. 166. Zum Comité siehe auch Marrus 1971 [984], S. 240–242. Zur Reaktion des europäischen Judentums siehe Wyrwa 2010 [850]. Leroy-Beaulieu 1902 [32]. Knörzer 2019 [840]; Wiese 2003 [847], S. 129. Wistrich 1995 [848], S. 110, 112 als Gegenthese zu Winock 2004 [914], S. 84; Winkler 2000 [111], S. 233.
2. Moderner Antisemitismus
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hier einer Transfergeschichte im Weg. Ähnlich verhält es sich mit der in der Geschichtsschreibung immer wieder betonten Beobachtung, der Antisemitismus sei in Frankreich – und in Russland – um die Jahrhundertwende sehr viel virulenter und gefährlicher gewesen als im Deutschen Kaiserreich124. Hannah Arendts Diktum, die Dreyfusaff äre sei die „Generalprobe“ für den Nationalsozialismus gewesen, werde, so Beate Gödde-Baumanns, in dieser Hinsicht von der deutschen Seite als Entlastung missverstanden. Es fällt auf, dass sich gerade in Deutschland über viele Jahre Verschwörungstheorien gehalten haben, wonach der französische Generalstab die gesamte Dreyfusaff äre aus antisemitischen Gründen inszeniert habe. Die Langlebigkeit dieser Theorien zeigen Relikte alter antifranzösischer Ressentiments sowie eine „gerechte Empörung“125 über andernorts stattfindenden Antisemitismus. Darüber hinaus kann konstatiert werden, dass die deutsche Forschung überwiegend die negative Seite der Dreyfusaff äre beleuchtet, sich aber wenig mit der positiven Seite beschäft igt hat, das heißt mit dem Ausgang dieses Kampfes um Gerechtigkeit und Demokratie. Eine Ausnahme stellt die Beurteilung von Émile Zola dar, der in Deutschland gleichermaßen als Model für Zivilcourage gilt126. Heinrich Mann, schon früh ein bekennender Dreyfusard, hat ihm 1915 einen Essay gewidmet, in dem er über das Beispiel des Intellektuellen, der gegen Chauvinismus kämpft, ganz unverhohlen das kriegstreibende Deutsche Kaiserreich kritisierte127. Der Aufsatz löste seinerzeit einen Skandal aus, galt es doch als unerhört, in Kriegszeiten das eigene Land zu kritisieren und den Kriegsgegner zu würdigen. Die „Betrachtungen eines Unpolitischen“, ein Aufsatz, mit dem Thomas Mann kurz nach dem Krieg mit seinem Bruder ins Gericht ging, stellt dazu die Gegenposition dar128. Im Unterschied zur deutschen betont die französische Historiografie immer zugleich das Ergebnis der Dreyfusaff äre, nämlich die Stärkung der Republik, ihre „demokratische Neugründung“129, die Integration der französischen Sozialisten in das parlamentarische System und die Geburtsstunde der Intellektuellen130. Für die Forschung eröff net sich gerade im Bereich der Transfergeschichte ein weites Betätigungsfeld, wenn es ihr gelingt, die Fragen von Schuld, Ursprung und Tiefe nicht moralisierend zu beantworten.
124 Siehe z. B. Bergmann 2002 [827], S. 58; Benz, Bergmann 1997 [825], S. 15; Caron 1988 [419], S. 32. 125 Gödde-Baumanns 1995 [969], S. 112; Gödde-Baumanns 1995 [970], S. 238. 126 Gödde-Baumanns 1995 [970], S. 241. 127 Hermand 1995 [972]. 128 Siepe 2009 [995], S. 247–248; Hermand 1995 [972], S. 244–246. 129 Duclert 2010 [118], S. 347. 130 Zum Engagement der Intellektuellen siehe Duclert 2010 [965]; Manceron, Naquet 2009 [982]; Ory, Sirinelli 2004 [1194]; Koren, Michman 1998 [977]; Charle 1990 [1140].
3. Die Kolonialimperien 3. Die Kolonialimperien
In Deutschland und Frankreich hat man sich bisher nur am Rande für die Kolonialgeschichte des anderen Landes im Zeitraum von 1870–1918 interessiert1. Auch gibt es nur sehr wenige Untersuchungen, die den deutsch-französischen kolonialen Transfer in dieser Epoche, egal welcher Ausprägung, explizit thematisieren und systematisch analysieren. Indessen wird stets betont und in Einzelfällen nachgewiesen, dass Austausch- und Transferprozesse die Kolonialzeit des Hochimperialismus auf vielfältige Weise bestimmten. Das betraf zum einen die Ein- und Rückwirkungen zwischen den Metropolen und den Kolonien, wie sie die Postcolonial Studies seit einigen Jahren in den Blick nehmen. Zum anderen betraf es die Imperien selbst, deren Durchlässigkeit von der neueren Forschung hervorgehoben und untersucht wird. Auf der Ebene der imperialen Mächte lassen sich bedingt durch ähnliche Problemlagen und Erfahrungen Austauschprozesse über Kolonialpolitik und -strategien genauso nachweisen wie über Sinnzuschreibungen und Rechtfertigungsdoktrinen. Der hier gewählte deutsch-französische Blick wird der Komplexität der transimperialen Austauschprozesse nur in Teilen gerecht, betraf der koloniale Transfer in wechselndem Maße doch immer zugleich andere, allen voran Großbritannien, die Niederlande, Russland, Spanien, die USA und Japan sowie die Kolonialreiche Italiens, Belgiens und Portugals2. Die Geschichtsschreibung über den Kolonialismus in Deutschland und Frankreich orientiert sich überwiegend an den jeweiligen thematischen Spezifi ka der eigenen kolonialen Erfahrungen3. Im Zentrum der deutschen historischen Aufmerksamkeit stehen derzeit Gräueltaten und Gewaltexzesse auf kolonialen Schauplätzen. Insbesondere geht es um die Frage, ob und inwiefern es sich dabei um Vorläufer für die Gewalt und den Vernichtungskrieg der Nationalsozialisten in Osteuropa handelte4. Auch wird mit Blick auf die preußischen Ostgebiete thematisiert, inwiefern das Kaiserreich ein kontinentales Kolonialimperium war. In 1 Vgl. Chatriot, Gosewinkel 2010 [1308]. Beispiele sind Abdelfettah, Messaoudi, Nordman 2012 [1330]; Gemeaux 2010 [1341]; Mollenhauer 2011 [1411]; Schmidt 2008 [1369]; Metzger 2006 [1360]; Porte 2006 [1365]. 2 Zu Kooperation und Transfer kolonialen Wissens vgl. z. B. Kwaschik 2018 [1317]; Barth, Cvetkovski 2015 [1307]. 3 Chatriot, Gosewinkel 2010 [1308]. 4 Zimmerer 2011 [1514]; Kuss 22011 [1494]; Hull 2005 [1488]. Siehe dazu das Kapitel II.4 „Auf dem Weg zum totalen Krieg?“.
3. Die Kolonialimperien
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Frankreich richtet sich eine neuere Debatte auf die Frage, welchen Platz Kolonien in Geschichtsschreibung und Erinnerung einnehmen. Ausgelöst wurde sie durch das von Marc Ferro 2003 herausgegebene „Livre noir du colonialisme“ sowie durch zwei neuere Skandale, die im Zusammenhang mit der Kolonialgeschichte stehen: erstens ein im Jahr 2005 im Parlament verabschiedetes Gesetz, wonach in den Schulen die positiven Aspekte der Präsenz Frankreichs in den Kolonien betont werden sollten, und zweitens die Rede von Nicolas Sarkozy im Juli 2007 in Dakar, in der er mit Rückgriff auf Hegel die Afrikaner der vorkolonialen Zeit als in einem Zustand der Wildheit im Einklang mit Jahreszeiten und Natur lebend beschrieb. In der Folge rückten neben Fragen der Schuld und Reue auch in Frankreich Gewalt und Unrecht in den Kolonien in den Mittelpunkt der historischen Forschung. Allerdings nehmen hier – im Unterschied zu Deutschland – die Dekolonialisierungsprozesse des 20. Jahrhunderts großen Raum ein5. Für Frankreich hat die neuere Forschung außerdem die starke Präsenz der Kolonien in Denken und Mentalität der Zeitgenossen betont. Die Frage nach der culture coloniale6 der Dritten Republik hat die Untersuchungen zur Einstellung der Öffentlichkeit abgelöst. Auf deutscher Seite fehlen detaillierte Arbeiten über die Haltung der Öffentlichkeit zu Kolonien und Kolonialpolitik, die je nach sozialer Herkunft, politischer Einstellung, Konfession und Geschlecht sehr unterschiedlich sein konnte. Vor allem die Kolonialopposition und die kolonialkritischen Strömungen sind weitgehend unterbelichtet7. Dagegen haben Kolonialkultur und Kolonialfantasien – auch für die Zeit vor und nach dem Ende des deutschen Kolonialreichs – ähnlich wie in Frankreich größere Aufmerksamkeit der Forschung erfahren8.
Kooperation, Transfer und Konkurrenz Trotz aller Unterschiede in Ausdehnung und Dauer ihrer Kolonialreiche und trotz der Divergenzen in der imperialen Strategie machten Deutschland und Frankreich bis 1914 mit wenigen Ausnahmen ähnliche koloniale Erfahrungen. Ebenso zeigen sich vielfältige Austausch- und Transferprozesse zwischen den imperialistischen Mächten, sodass eine „bisweilen verwirrende Nähe von Gemeinsamkeit und Konkurrenz“9 zu beobachten ist. So waren die Kolonialimperien für 5 Vgl. auf Deutsch: Offenstadt 2014 [64]; auf Französisch: Coquery-Vidrovitch 2009 [1391]; Michel 2009 [1319]; Jahan, Ruscio 2007 [1395]; Bertrand 2006 [1384]; Le Cour Grandmaison 2005 [1398]; Ferro 22010 [1394]. 6 Blanchard, Lemaire 2011 [1387]; Bancel, Blanchard, Vergès 22006 [1382]. 7 Gründer 62012 [1346]; Schwarz 1999 [1370]. 8 Perraudin, Zimmerer 2011 [1363]; Van der Heyden, Zeller 2007 [1373]; Conrad 2006 [1336]; Laak 2005 [1358]; Kundrus 2003 [1351]; Kundrus 2003 [1352]. 9 Laak 2005 [1358], S. 79.
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II. Fragen und Perspektiven
Deutschland und Frankreich nicht nur Orte und Ausdrucksformen von Konkurrenz, sondern zugleich Orte der Zusammenarbeit und der Verständigung über gemeinsame Interessen. Sicherlich konnten die Ansprüche auf Kolonialbesitz und Einflusszonen beider Länder aufeinanderprallen. Auch diskursiv wurde die Kolonialpolitik genutzt, um gegen den Nachbarn Stimmung zu machen. Doch brachte die imperiale Politik Frankreich und Deutschland bis zur Jahrhundertwende überwiegend mit Großbritannien in Konfliktstellung. Das galt zunächst für Frankreich, hatte der Krieg 1870 / 71 doch hier beschleunigend auf die Kolonialpolitik gewirkt, während er in Deutschland einen retardierenden Einfluss hatte10. Das Land besaß bereits aus der Zeit des Ancien Régime Kolonialbesitz in Übersee11. Ebenso betrieb Frankreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und während des Second Empire Kolonialpolitik, unternahm Expeditionen und unterwarf seit 1830 in mehreren brutalen Kriegen Algerien, das eine Sonderstellung im französischen Kolonialreich innehatte12. Unter Léon Gambetta und Jules Ferry verstärkte die Dritte Republik ab 1878 ihre koloniale Dy namik und errichtete im Wettbewerb mit Großbritannien die France d’outre-mer und das französische Kolonialreich in Afrika. Die Ziele dieser Kolonialpolitik waren vielfältig: Eine große Rolle spielte der Wunsch nach machtpolitischem Wiedererstarken und Rückgewinnung von internationalem Prestige nach der demütigenden Niederlage im Krieg gegen Deutschland. Wichtig waren zudem wirtschaft liche Gründe wie die Erschließung von Absatzmärkten für die industrielle Überproduktion und für Kapitalüberschüsse sowie der Gewinn von Rohstoffen. Kolonialpolitik sah Jules Ferry in dieser Hinsicht als „Tochter der Industriepolitik“. Betont wurde darüber hinaus die besondere französische mission civilisatrice, sollten den kolonisierten Völkern doch Werte, Kultur und Sprache der Republik nähergebracht werden. Gegen die Kolonialpolitik der 1880er-Jahre und das Argument von Jules Ferry, dass Frankreich nur über die Kolonialpolitik stark genug für eine Revanche gegen Deutschland werden könnte, formierte sich heft iger Widerstand. Radikale wie Georges Clemenceau sowie Nationalisten wie Charles Maurras, Paul Déroulède oder Maurice Barrès betonten, dass man die „blaue Linie der Vogesen“ nicht aus den Augen verlieren dürfe. Aus ihrer Sicht war die Kolonialpolitik eine Ablenkung von der einzig würdigen Aufgabe Frankreichs: das Wiedererstarken des Landes und die Rückeroberung Elsass und Lothringens. Da zu diesem Zeitpunkt der Revanchegedanke in Frankreich als populäre und öffentliche Angelegenheit, ja als „heilige Mission“13 verhandelt wurde, schlugen die Wellen in dieser sogenannten Kolonialkontroverse hoch. Ferry wurde als preu10 Grupp 2007 [1315], S. 150. 11 Coquerie-Vidrovitch 2009 [1391]; Liauzu 2007 [1402]; Liauzu 2007 [1403]; Rioux 2007 [1415]; Manceron 2003 [1405]; Meyer 1991 [1409]. 12 Zu Algerien siehe z. B. Bouchène 2012 [1389]. 13 Duclert 2010 [118], S. 209.
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ßischer Agent diffamiert, der mit Bismarck geheime Absprachen treffe. Doch auch aus anderen Gründen formierte sich der französische „Antikolonialismus“, eine äußerst vielfältige Bewegung, quer durch die politischen Lager14. Vehement kritisiert wurde Ferry für die koloniale Geschäftemacherei, bei der französische Soldaten zugunsten korrupter Finanziers und gieriger Politiker geopfert würden. Die Frage nach Aufwand und Nutzen spielte eine große Rolle in den Debatten und damit verbunden die Vorstellung, dass das Geld innenpolitisch besser eingesetzt wäre. Ebenso war die Kolonialpolitik in den Augen mancher Republikaner nicht mit den Menschenrechten vereinbar. Sie bezweifelten die Berechtigung einer Zivilisierungsmission, die auf einem rassenhierarchischen Menschenbild aufgebaut war. Immer wieder gab es Kritik an der offenen Anwendung von Gewalt: „In diesem Zusammenhang von Zivilisation zu reden, heißt der Gewalt die Heuchelei zur Seite zu stellen“15, so Clemenceau in der Assemblée nationale. Monarchisten und Kleriker ergriffen die Gelegenheit, Ferry, dessen Kirchen- und Schulpolitik sie ablehnten, auf dem kolonialen Feld zu kritisieren, um damit die Republik zu treffen. Ebenso zeigten sich manche Vertreter der Wirtschafts- und Finanzkreise gegenüber der Kolonialpolitik zurückhaltend, versprachen sie sich doch in anderen Ländern wie z. B. Russland größere Gewinnmargen. Als es 1885 auf Betreiben Clemenceaus zum Sturz Ferrys nach der militärischen Niederlage bei Tonkin im französisch-chinesischen Krieg kam, war die Deutschlandpolitik dabei unerheblich16. Als „psychische Entfernung von der Niederlage, als Kompensation, Regeneration und Gewinnung einer neuen nationalen Perspektive“17 war das französische Kolonialengagement geeignet, in den deutsch-französischen Beziehungen bis zu einem gewissen Grad für Entspannung zu sorgen. Bismarck unterstützte daher schon seit 1875 die französische Kolonialpolitik. Ähnlich wie die innenpolitischen Gegner Ferrys sah er darin eine Ablenkung vom Verlust Elsass und Lothringens. Mehrfach zeigte Bismarck nicht nur Wohlwollen, sondern effektiven Beistand für die französische Kolonialpolitik18. So riet er Frankreich auf dem Berliner Kongress 1878 zu einem rascheren Tempo bei der Eroberung Tunesiens. Auch beim Ausgreifen auf Tonkin und Madagaskar stützte der deutsche Reichskanzler die französischen Absichten und bezog bis 1885 immer wieder eine deutlich antibritische Position. Die Phase der „kolonialen Ehe“19 zwischen Deutschland und Frankreich erfuhr während der Berliner Konferenz 1884 / 85 eine Ernüchterung. Bismarck hatte zwar die Konferenz gemeinsam mit dem französischen Botschafter Alphonse Chodron de 14 15 16 17 18 19
Liauzu 2007 [1403]; Biondi 1993 [1386]; Ageron 1973 [1378]. Rioux 2007 [1416], S. 160. Vgl. die Edition der Parlamentsdebatten: Manceron 2007 [1406]. Schivelbusch 2003 [1472], S. 222. Poidevin 1984 [328]; Steinbach 1976 [331], S. 229–241. Hildebrand 2008 [342], S. 94.
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II. Fragen und Perspektiven
Courcelles vorbereitet 20, doch kam es nicht zur erhofften Regelung der französischen Ansprüche auf Ägypten. Als Ergebnis dieser multilateralen Konferenz teilten die europäischen Mächte Afrika nicht wie einen Kuchen untereinander auf, wie oft zu lesen ist, sondern einigten sich vielmehr auf Rechtsgrundsätze zur Vermeidung von Krisen bei der Eroberung des Kontinents21. Der scramble for Africa wurde damit internationalisiert und multilateral geregelt. Tatsächlich kam es in Afrika mit Ausnahme des Burenkriegs, der einen Spezialfall darstellte, trotz zahlreicher Spannungen und der Zunahme kolonialer Konflikte insbesondere in der Marokkokrise 1911 zu keinem offenen Krieg der kolonialen Kontrahenten untereinander22. Zeitlich fiel die Konferenz mit dem Einstieg des Deutschen Kaiserreichs in die aktive Kolonialpolitik zusammen. Freilich waren Deutsche bereits in den Jahrhunderten zuvor als Entdecker, Forscher, Kaufleute, Missionare und Soldaten an Globalisierungsprozessen und am Aufbau „großräumiger Transaktionsnetze“23 beteiligt gewesen. Doch zum offiziellen Erwerb von Kolonialbesitz war es bis dahin trotz der kolonialpolitischen Agitation Einzelner und der Kolonialverbände nicht gekommen. Als kolonialer Nachzügler erwarb Deutschland seine Kolonien von Togo über Kamerun und Südwestafrika bis Ostafrika sowie in der Südsee in rasantem Tempo innerhalb eines Jahres 1884–1885. Dabei wurden zunächst aus privater oder Vereinsinitiative gegründete Expeditionen und Handelsniederlassungen deutscher Kolonialaktivisten unter den „Schutz des Reiches“ gestellt. So wurde im April 1884 Deutsch-Südwestafrika zum ersten deutschen „Schutzgebiet“, eine Wortschöpfung Bismarcks, durch die das Ausgreifen auf die Welt harmlos klingen und gleichzeitig die Eigenverantwortung der privaten Kolonialakteure zum Ausdruck kommen sollte. Der Aufbau des deutschen Kolonialimperiums erfolgte damit zufällig und den Initiativen Einzelner folgend, nach dem Diktum „die Flagge folgt dem Handel“. Jede koloniale Erwerbung des Deutschen Kaiserreichs provozierte in erster Linie den Widerstand Großbritanniens, während die Absprachen mit Frankreich weitgehend ohne Komplikationen verliefen24. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Bismarck den Erwerb von Kolonien stets entschieden abgelehnt. Die Gründe für seinen Kurswechsel in der Kolonialpolitik sowie die von ihm eingeleitete Periode einer „gewissen Entspannung“25 in den 20 Gemeaux 2013 [1342], S. 67–91. 21 Eckert 2006 [1311], S. 64–65; Manceron 2003 [1405], S. 145. Zur Konferenz siehe Gemeaux, Lorin 2013 [1312]. 22 Kiessling 2002 [318]; Dülffer, Kröger, Wippich 1997 [312]. 23 Osterhammel 2004 [1322], S. 162. Zur deutschen Kolonialgeschichte allgemein: Gründer 62012 [1346]; Conrad 2008 [1337]; Speitkamp 2005 [1371]; Laak 2005 [1358]; Kundrus 2003 [1351]. Auf Französisch: Gemeaux 2010 [1341]. Kurzer Forschungsüberblick bei Jefferies 2008 [95], S. 172–178. 24 Lappenküper 2011 [1359], S. 184–187, 196–199, 202. 25 Poidevin, Bariety 1982 [79], S. 189.
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deutsch-französischen Beziehungen haben die Historiografie lange und kontrovers beschäft igt26. Umstritten war insbesondere die nie ganz entschiedene Frage, ob der Innen- oder der Außenpolitik das Primat zukäme. Genau wie in Frankreich erhofften sich wirtschaft liche Akteure neue Absatzmärkte für Industrie und Kapital sowie Rohstoffe für den eigenen Bedarf. Die Kolonialpolitik schien geeignet, von innenpolitischen und sozialen Spannungen abzulenken, eine These, die vor allem Hans-Ulrich Wehler unter dem Stichwort „Sozialimperialismus“ vertrat27. Außenpolitisch sind von der Forschung mit unterschiedlicher Gewichtung die Verständigung mit Frankreich28 sowie die anti-britische Ausrichtung im Hinblick auf den erwarteten Thronwechsel von Wilhelm I. zu Kronprinz Friedrich29 als Motive Bismarcks genannt worden. Monokausale Argumentationen werden mittlerweile verworfen und stattdessen die Interdependenz der genannten außenund innenpolitischen Gründe für die aktive Kolonialpolitik betont30. Fest steht, dass Bismarcks Kurswechsel nicht durch eine koloniale Ideologie bestimmt wurde, sondern aus national-strategischen innen-, außen- und wirtschaftspolitischen Überlegungen heraus entstand und damit letztlich gar nicht so radikal war, wie lange Zeit behauptet. Der Berliner Kongress 1878, auf dem es im Kern zunächst um Südosteuropa ging, war der Auftakt zum Zeitalter des sogenannten Hochimperialismus und damit des sich beschleunigenden Wettlaufs der europäischen Mächte um Kolonialbesitz. Es war deutlich geworden, dass die Eroberung von Kolonien die einzige „legitime“ Möglichkeit zur Gebietserweiterung des eigenen Landes sein würde. In Frankreich verbreitete sich außerdem die Vorstellung, dass die einheimische Bevölkerung in den Kolonien als Ausgleich für das in demografischer Hinsicht überlegene Deutschland benötigt werde31. Ab der Jahrhundertwende wurden das Prestige der eigenen Nation und ihr Einfluss in der Welt zu immer wichtigeren Motiven für Kolonialerwerb. Die imperialen Mächte zeigten eine „gewisse Trunkenheit von ,Welt‘, die alles im globalen Maßstab wertete“32. Die Kolonialpolitik war freilich nur ein Baustein der Weltpolitik in dieser intensiven Phase der Globalisierung und Internationalisierung: Zahlreiche informelle und wirtschaft liche Aktivitäten reichten über den Kreis der eigenen Kolonien hinaus, wie für das Deutsche Kaiserreich etwa mit dem Bau der Bagdadbahn 26 Vgl. dazu zusammenfassend Lappenküper 2011 [1359]; Pogge von Strandmann 2009 [1364], S. 56–59; Hildebrand 32008 [343], S. 132–134; Frie 22013 [91], S. 43– 56. 27 Vgl. Wehler 1973 [108], S. 172–176. Abgemildeter: Wehler 1995 [110], S. 985–990. 28 Hildebrand 2008 [342], S. 90–94; Gall 21990 [92], S. 619–624. 29 Baumgart 2011 [1], S. 48. Er greift damit die sog. „Kronprinzenthese“ auf. Kritisch dazu: Lappenküper 2011 [1359], S. 178–181. 30 Lappenküper 2011 [1359], S. 202; Canis 22008 [336], S. 209–216; Hildebrand 2008 [342], S. 90; Lappenküper 2006 [320], S. 26; Nipperdey 1990 [105], S. 450. 31 Charle 2001 [376], S. 22. 32 Laak 2005 [1358], S. 16.
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gezeigt wurde. Frankreich wiederum intensivierte die wirtschaft lichen und finanziellen Verflechtungen mit Südamerika, Russland und Südostasien auch außerhalb Indochinas und war beim Bau des Panamakanals federführend. Beim Aufbau seines kolonialen Imperiums richtete Deutschland als Nachzügler den Blick voller Bewunderung und Neid fasziniert auf Frankreich, vor allem aber auf Großbritannien. Als ewig Zweiter war das Kaiserreich bemüht, den Vorsprung der anderen Kolonialmächte einzuholen, und ahmte deren Praktiken und Strategien nach. Das zeigte sich einerseits in der Wortwahl: Man wollte ein „deutsches Indien in Afrika“ schaffen und in Anlehnung an das Greater Britain und la plus grande France entstand die Idee des „Größeren Deutschland“, ein Anspruch, den Staatssekretär Bülow 1899 in einer Reichstagsrede formulierte33. Das zeigte sich andererseits bei der Errichtung von Verwaltungs- und Herrschaftsstrukturen. Beim Aufbau der Verwaltung legte das Deutsche Kaiserreich etwas mehr Übereifer sowie eine „gewisse Planlosigkeit der Bürokratie, ein ständiges Improvisieren“34 an den Tag. Das wurde allerdings ebenso der französischen Verwaltung attestiert, gab es doch aufgrund der Größe des Imperiums, der Unterschiede der Regionen und der großen Bedeutung lokaler Gegebenheiten keine einheitlichen Herrschafts- und Verwaltungsstrukturen. Um hohe Kosten zu vermeiden, wurden die Verwaltungsapparate in den Kolonien klein gehalten. Zumeist übertrugen die imperialen Länder ihre eigene Verwaltungsstruktur auf die Kolonien. Den lokalen Beamten und Militärs, die von den Metropolen weit entfernt waren, blieben große Handlungsfreiheiten, die sie oft mals korrupt, willkürlich und gewaltvoll nutzten35. In beiden Ländern herrschte daher gleichermaßen und trotz der Existenz von speziellen Ausbildungsstätten in Frankreich sowie später in Deutschland ein schlechtes Bild der Kolonialbeamten, denen Brutalität, Mittelmäßigkeit und Hang zum Alkoholismus nachgesagt wurde. Sowohl Deutschland als auch Frankreich setzten einheimische Hilfskräfte für die Verwaltung ein, um einen stabilisierenden und verbindenden Kontakt zur Bevölkerung zu etablieren. In Frankreich strebte man seit der Jahrhundertwende unter der neuen Assoziierungspolitik (politique d’association) eine engere Kooperation in der Verwaltung mit der einheimischen Elite an. Maßnahmen im Bereich der Bildung und der Gesundheitspolitik wurden verstärkt. Die konfessionellen Missionen waren in diesem Zusammenhang wichtige Akteure als Brückenköpfe zur europäischen Kultur sowie bei der kulturell-religiösen Durchdringung der Kolonien. Zu einer deutsch-französischen Kooperationsform kam es im Rahmen des Boxerkrieges 1900 / 01 in China. Um den Aufstand der „Boxer“ niederzuschla33 Gründer 62012 [1346], S. 33. 34 Kundrus 2009 [1355], S. 368. 35 Für Frankreich z. B.: Le Cour Grandmaison 2005 [1398]; Merle 2006 [1408]; Baruch, Duclert 2003 [1383]; Manceron 2003 [1405]. Für Deutschland: Zurstrassen 2008 [1377]; Zimmerer 2002 [1511]; Walther 2002 [1375]; Bley 1996 [1332].
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gen, wurde erstmals in der Geschichte eine aus acht Mächten bestehende internationale Eingreift ruppe nach China geschickt36. Die französischen Militärs wollten Generalfeldmarschall Alfred Graf von Waldersee – ein Veteran des Deutsch-Französischen Krieges – nicht als Oberbefehlshaber der Truppen akzeptieren und kritisierten ihn nach Abschluss des Krieges in öffentlichen Briefen. Dennoch kam es zu gemeinsamen „Strafexpeditionen“ sowie zu einer gemeinsamen deutsch-französischen Verwaltung der Stadt Baoding (Provinz Hebei). Diese Kooperation und die Verbrüderung vor allem der einfachen Soldaten fanden damals selbst in amerikanischen Zeitschriften Beachtung37. Die Kolonialkriege und insbesondere der Boxerkrieg boten Gelegenheit, die modernen Armeen möglicher zukünft iger Kriegsgegner im Einsatz zu beobachten. Für einen Transfer des kolonialen militärischen Wissens sorgten unter anderem Militärattachés, Beobachter sowie Fachzeitschriften wie die speziell 1870 in Frankreich gegründete „Revue militaire de l’étranger“, die sich auch den Kolonialkriegen der anderen europäischen Mächte widmete38. An die Phase der Eroberung und militärischen Unterwerfung schloss sich in beiden Ländern um die Jahrhundertwende eine Reformphase in der Kolonialpolitik an. In Frankreich begann diese vor allem als Reaktion auf die von Gräueltaten und Massakern begleitete Mission Afrique centrale-Tchad 1898 / 99 der Hauptleute Paul Voulet und Julien Chanoine39. In Deutschland waren die Skandale um den Politiker und Afrikaforscher Carl Peters maßgeblich40. Dessen Verurteilung auf Betreiben August Bebels wurde zu einem Triumph für die Sozialdemokratie, stärkte aber auch die kolonialkritische Haltung der Linksliberalen und der Deutschen Volkspartei41. Hinzu kamen mit dem Herero-Nama-Aufstand in Deutsch-Südwestafrika 1904–1907 und dem weniger beachteten Maji-Maji-Aufstand in Deutsch-Ostafrika 1905–1908 zwei weitere Kolonialkriege, die für ein negatives Bild der deutschen Kolonialpolitik in Teilen der Öffentlichkeit sorgten42. Frankreich und Großbritannien beobachteten die Vorgänge genau43. Frankreich erließ noch im Jahr 1904 ein Gesetz, wie im Falle eines Aufstands in den Kolonien vorzugehen sei. Es wurde im Jahr 1908 angewandt, als sich die Baoulé in der Elfenbeinküste erhoben. In Frankreich wurde als Reformmaßnahme die Inwertsetzung (mise en valeur) der Kolonien 36 Kuss 2015 [1495]; Hevia 2007 [1486]; Kuss 2007 [1493]; Leutner, Mühlahn 2007 [1496]. 37 Kuss 2015 [1495], S. 211–212. 38 Frémeaux 2010 [1527], S. 405. Allgemein zum Transfer militärischen Wissens siehe Vogel 2007 [1477]. 39 Siehe dazu Kapitel II.4 „Auf dem Weg zum totalen Krieg?“. 40 Bösch 2009 [1010], S. 275–288; Kpao Saré 2007 [1350]. 41 Vgl. Bösch 2009 [1010], S. 284–285; Schwarz 1999 [1370], S. 121–130, 194–198, 294. 42 Zur Gewalt in Kolonialkriegen siehe Kapitel II.4 „Auf dem Weg zum totalen Krieg?“. 43 Kuss 22011 [1494], S. 311–341.
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stärker betont, die allerdings weiterhin auf Enteignung und Ausbeutung der Kolonien und ihrer Einwohner ausgelegt war. In Deutschland wurde diese Debatte analog als „Nutzbarmachung“44 der Kolonien geführt. Außerdem wurde die Verwaltung durch die Gründung von Kolonialministerien und Ausbildungsstätten in den Metropolen – in Frankreich früher als in Deutschland – professionalisiert45. Frankreich diente Deutschland dabei immer wieder als Vorbild. Die Kolonialverbände übersetzten nicht nur wichtige Standardliteratur, sondern abonnierten auch Fachzeitschriften und ermöglichten einen Austausch auf internationalen Tagungen und Expertentreffen etwa in den Bereichen Medizin, Hygiene sowie Straßen- und Städtebau46. Darüber hinaus wurde 1911 in Frankreich das Büro der vergleichenden Kolonialisierung innerhalb des Kolonialministeriums aufgebaut, das die Erfahrungen der anderen imperialen Mächte auswerten sollte47. Die Entente cordiale zwischen Frankreich und Großbritannien 1904 legte die Streitigkeiten zwischen beiden Ländern bei, die in der kolonialen Auseinandersetzung in Faschoda 1896 beinahe zu einem Krieg geführt hätten48. Ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts trafen Deutschland und Frankreich zunehmend als Hauptgegner in kolonialen Zusammenhängen aufeinander. In der Folge gaben die konservativen und radikalen Politiker in Frankreich ihren Widerstand gegen die Kolonialpolitik auf. In Deutschland formierte sich ab 1907 nach der Auflösung des Reichstags und den sogenannten „Hottentotten-Wahlen“ der prokoloniale „Bülow-Block“. Sozialdemokraten, Linksliberale und Deutsche Volkspartei lösten sich von ihrer kolonialkritischen Haltung49. In beiden Ländern vertraten nur noch einige Sozialisten, die extreme Linke, Anarchisten und libertäre Künstler eine dezidiert anti-koloniale Haltung, wobei sie sich oftmals vor allem gegen die Art und Weise, nicht aber gegen die Kolonialisierung als Prinzip stellten50. Eine deutsch-französische Front baute sich in beiden Marokkokrisen 1905 / 06 und vor allem 1911 auf. Dennoch intensivierten nach 1905 Kolonialagitatoren beider Länder ihren Austausch und setzten sich bis 1911 für einen deutschfranzösischen Ausgleich ein51. Trotz des deutschen Säbelrasselns und der „Kanonenboot-Politik“ kam es zu keinem Krieg zwischen beiden Ländern um koloniale Ansprüche. Es gelang bis 1914, innereuropäische Konflikte an die Peripherie abzuleiten. Bei Ausbruch des Weltkriegs hatte Frankreich sein koloniales Reich 44 Wortwahl von Staatssekretär Bernhard Dernburg, zitiert nach: Speitkamp 2005 [1371], S. 140–141. 45 Singaravélou 2011 [1420]; Ruppenthal 2007 [1367]. 46 Guettel 2014 [1316]; Wagner 2012 [1329]; Grupp 2007 [1315]; Grupp 1980 [1314]. 47 Durand 2006 [1310]. 48 Pellissier 2011 [1414]. 49 Schwarz 1999 [1370]. 50 Rioux 2007 [1416], S. 480; Gründer 62012 [1346], S. 77. 51 Guettel 2014 [1316].
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verzehnfacht und besaß damit nach Großbritannien das zweitgrößte Kolonialimperium. Das Deutsche Reich rangierte nach den Niederlanden, bezogen auf die Bevölkerungszahlen in den Kolonien, an vierter Stelle.
Koloniale Durchdringung der Gesellschaften Da beide Länder als Eroberer auf der Seite der kolonisierenden Mächte standen, gab es Ähnlichkeiten bei den sinngebenden Erklärungsmustern sowie bei den Rückwirkungen und kolonialen Prägungen der Gesellschaften der Metropole52. In politischer Hinsicht zeigten sich die deutsche und die französische Öffentlichkeit gegenüber den kolonialen Erwerbungen überwiegend desinteressiert, unwissend und enttäuscht53. Die breite Öffentlichkeit erregte sich in beiden Ländern nur bei Finanzforderungen, Skandalen oder wenn koloniale Konflikte die europäischen Länder an den Rand eines Krieges brachten. Daran änderte auch die Agitation der jeweiligen Kolonialverbände nicht viel. In Deutschland hatten sie zwar weitaus größeren Zulauf als in Frankreich, doch im Vergleich zu den pangermanistischen Vereinen wie dem Flottenverein oder dem Alldeutschen Verband nahmen sich ihre Mitgliederzahlen gering aus. In Frankreich war der Einfluss der als parti colonial bezeichneten Koloniallobby auf die Regierung größer, denn sie unterhielt direkte Kontakte zu Presse und Politik 54. Unabhängig von diesen Unterschieden waren beide Gesellschaften von imperialen Visionen und Fantasien in einer Mischung aus Neugier und Angst sowie Rechtfertigungsideologien geprägt, und das über den Radius der eigenen Kolonien hinaus. Die Popularität des Militärs, die Verehrung ihrer Helden und speziell in Deutschland die Begeisterung für die Flotte bildeten dabei zentrale Elemente. Die Vorstellung der unversöhnlichen Andersartigkeit, ein unterschwelliges rassistisches Überlegenheitsgefühl und der Glaube an die Wohltaten der eigenen Zivilisierungsmission spielten im kolonialen Denken eine wichtige Rolle und bestimmten in beiden Ländern nach 1870 die nationale Identitätsfindung. Parallel zum imperialistischen Ausgreifen auf die Welt entwickelte sich eine Pseudo-Verwissenschaft lichung von Rassenvorstellungen55. Ausgehend von einem sozialdarwinistischen Verständnis wurden die kolonisierten Völker als rassisch minderwertig eingestuft. Diese Vorstellung diente als Rechtfertigung für die Kolonialisierung und für den Einsatz von Gewalt. Man ging von der Prämisse aus, dass die imperialen Gesellschaften eine besondere Verantwortung gegenüber den als geringer angesehenen Einheimischen hätten. Damit 52 Zu transimperialen Transfers der kolonisierten Bevölkerungen in deutschen und französischen Kolonien liegen noch keine Studien vor. 53 Kundrus 2003 [1351], S. 34; Michel 2007 [1410], S. 468. 54 Wagner 2012 [1329]; Grupp 1980 [1314]; Ageron 1978 [1379]. 55 Barth 2005 [1305], S. 203–204.
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wurde die Kolonialherrschaft als „eine Art von humanitärer Dauerintervention“56 verherrlicht. In Frankreich setzte man aufgrund der republikanischen Berufung die eigene mission civilisatrice von den Zivilisierungsvorstellungen anderer europäischer Länder, insbesondere von der britischen57, als einzigartig ab. Literatur, Presse, Lieder, spektakuläre Veranstaltungen und Ausstellungen sollten die öffentliche Meinung von der Größe Frankreichs und seiner mission civilisatrice überzeugen. Über diese ideologische Rechtfertigung konnten Widersprüche überspielt werden, die zwischen der Unterdrückung und Gewaltbeziehung zu den Kolonisierten und den republikanischen Werten der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit herrschten. Neben der Schaff ung eines öffentlichen Gesundheitssystems sollten die neuen Untertanen mithilfe der Bildung in die französische Kultur und Gesellschaft assimiliert werden58. Der im Vietnam geborene Hồ Chí Minh und der aus Senegal stammende Léopold Sédar Senghor durchliefen beispielsweise diese auf Assimilation ausgerichtete Erziehung. Eine wichtige Rolle spielte dabei der Sprachunterricht, der als Mittel der kulturellen Hegemonie verstanden wurde. Folglich war die Verbreitung der französischen Sprache selbst über das eigene Imperium hinaus ein wichtiges Anliegen der Dritten Republik. Die Schulbildung in den Kolonien diente der Vorbereitung der einheimischen Eliten auf eine Tätigkeit in der kolonialen Verwaltung. Dabei sollten sie weder „voreilige Schlüsse aus der Geschichte der Französischen Revolution“59 ziehen, noch sich zu weit von ihrer Herkunft sgesellschaft entfernen. Diese Zielsetzung zeigt die von der Forschung immer wieder betonten Widersprüche der Zivilisierungsmission, wollte man doch „perfekte Eingeborene“, aber keine „schwarzen Europäer“ hervorbringen60. Dies galt auch für die politique d’association, mit der ab der Jahrhundertwende die Kooperation zwischen Kolonialmacht und einheimischer Elite intensiviert werden sollte. Praktisch fielen die Bemühungen um Zivilisierung in den Kolonien unterschiedlich aus. Die Schulbildung war im französischen Kolonialreich nicht überall einheitlich geregelt und in entlegenen Gebieten konnte sie teilweise ganz ausbleiben. Dennoch verband sich für die kolonisierten Völker mit der Bildung die Hoff nung auf Gleichbehandlung, sozialen Aufstieg oder auf Widerstand gegen die Unterdrückung61. Die deutschen Kolonialherren sahen ihre Aufgabe überwiegend darin, die „eingeborene“ Bevölkerung zur freiwilligen Arbeit zu erziehen, um über geeignete Arbeitskräfte in den Kolonien zu verfügen62. Wirtschaft liche Ziele standen 56 57 58 59 60 61 62
Osterhammel, Jansen 2012 [1324], S. 115. Bancel, Blanchard, Verges 22006 [1382], S. 69; Conklin 1997 [1390], S. 1. Betts 22005 [1385]. Reinhard 1983 [1325], Bd. 4, S. 125. Eckert 2005 [1340], S. 278. Mollenhauer 2011 [1411], S. 77. Conrad 2004 [1335], S. 107–109; Zimmerer 32016 [1516], S. 38.
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bei dieser Mission klar im Vordergrund. Zwar hatten sich die imperialen Mächte den Kampf gegen die Sklaverei als humanistisches Ziel der Kolonialisierung auf die Fahnen geschrieben. Tatsächlich wurde aber mit der Zwangsarbeit, die es fast überall gab, dieses Ziel scheinheilig konterkariert. Die afrikanischen Untertanen des Deutschen Reichs erhielten aus sozialdarwinistischen Rassenvorstellungen heraus mit Ausnahme einiger Missionsschüler keine höhere Bildung63. Gerade nach den Aufständen in Südwest- und Ostafrika beschränkten sich die Kolonialbehörden auf eine „Eingeborenenpolitik“, die dem Arbeitskräftemangel entgegenwirken sollte. In anderen Kolonien gab es dazu Unterschiede: So wurde in China die „deutsche Kulturmission“ betont und nach britischem und amerikanischem Vorbild wurden außer medizinischen Investitionen auch Kultur- und Schulpolitik betrieben. 1909 kam es sogar zur Gründung einer Deutsch-Chinesischen Hochschule in Tsingtao. Die Scholarisationsquote blieb dennoch niedrig und im Vergleich zu den Zahlen der britischen und amerikanischen Lehranstalten von nachgeordneter Bedeutung64. Stets ging es bei den Bildungsfragen um Macht- und Prestigesteigerung des Deutschen Reiches im internationalen Kontext. Auch die Forderungen nach Reformen als Reaktion auf die Kolonialskandale bezogen sich auf die Rettung der nationalen Ehre, schienen andere Länder doch keine „Eingeborenenunruhen“ beklagen zu müssen65. Im Kulturimperialismus, wie ihn beispielsweise der Kolonialbeamte und Publizist Paul Rohrbach in seinen Publikationen vertrat, fand die deutsche Kulturmission rassistisch überhöht ihre Fortsetzung. Ihm ging es um die Verbreitung des deutschen Gedankens in der Welt über den Radius der eigenen Kolonien hinaus. Seine Rassentheorie, die in Frankreich etwa der Germanist Edmond Vermeil kritisch rezipierte66, widersprach jedoch der Grundidee der Zivilisierung. Sie unterlief die Vorstellung, dass die einheimische Bevölkerung durch Erziehung auf eine höhere Zivilisierungsstufe gehoben werden könne. Trotz einer Dominanz von Rassediskursen in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg blieb die Zivilisierungsmission der Hauptrechtfertigungsgrund für den Kolonialismus der europäischen Mächte67. Verbunden mit dem rassenhierarchischen Modell war die Diskussion über eine mögliche „Verkafferung“ der weißen Siedler in den Kolonien. Dahinter stand die Vorstellung, die Kolonisten könnten im Laufe der Zeit ihre kulturelle, sprachliche und nationale Identität verlieren und sich den Praktiken und Verhaltensweisen der Bevölkerung vor Ort anpassen. Als sicheres Indiz für das going native wurde das Zusammenleben der Siedler mit einheimischen Frauen 63 Barth 2005 [1305], S. 217. 64 Gründer 62012 [1346], S. 204–205. 65 Kundrus 2003 [1351], S. 38. Der Blick ging bei Skandalen und anschließenden Reformen vergleichend nach Großbritannien, siehe Bösch 2009 [1010], S. 308–309. 66 Ziebura 1955 [335], S. 43. 67 Osterhammel 2005 [1323], S. 420.
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gewertet. In den französischen Kolonien wurde das Konkubinat mit einheimischen Frauen als „Hochzeit nach Art des Landes“ geduldet, wenn auch teilweise verurteilt68. In den deutschen Kolonien war dies zunächst auch möglich, änderte sich in Afrika aber nach den Aufständen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, während es in der Südsee weiterhin geduldet wurde. In Deutsch-Südwestafrika reichte fortan schon die Unordnung im Haushalt wegen der Abwesenheit einer „ordentlichen deutschen Hausfrau“, um eine „Verkafferung“ zu vermuten, galt doch die „weiße Frau“ als Trägerin kultureller Werte69. Man begann daher nach britischem Vorbild mit der Ausbildung und Verschickung von Dienstmädchen, Lehrerinnen, Köchinnen etc. in die Kolonien, eine nach August Bebel „schlecht als Arbeitsmarktpolitik getarnte öffentliche Eheanbahnung“70. Die Entsendung der Frauen in die Kolonien sollte nicht nur verhindern, dass sich die deutschen Siedler vor Ort zu weit von den kulturellen und nationalen Werten des Deutschtums entfernten: Sie war zugleich ein Mittel gegen Mischehen71. Die Diskussion darüber führte im Reichstag in den Jahren 1900 bis 1914 immer wieder zu heft igen Auseinandersetzungen. Sie zeugt ähnlich wie die Versuche der Vermeidung einer „Mischlingsbevölkerung“72 vom Ziel der Bewahrung kultureller und ethnischer Reinheit der eigenen Nation, das im Kaiserreich vor allem von der völkischen Bewegung verfolgt wurde73. Obgleich lokale Begebenheiten einen größeren Einfluss auf Politik und Rechtsprechung der Kolonialmächte vor Ort hatten, waren diese doch ebenso durch deutsche Vorstellungen von Moral und Ordnung der Geschlechterverhältnisse bestimmt74. In Frankreich entstand 1896 simultan ebenso ein Programm zum Ansiedeln von französischen Frauen in den Kolonien. Die Aktivitäten der Société française d’émigration des femmes hatten aber im Vergleich zum deutschen Siedlungsprogramm nur sehr begrenzten Erfolg und lösten in Frankreich eine heft ige öffentliche Kontroverse aus75. Während in der deutschen Diskussion rassische Überlegungen eine größere Rolle spielten, war die französische Initiative geprägt vom Wunsch nach einem Anheben der Geburtenrate, womit zugleich der vermeintliche französische Niedergang gestoppt werden sollte. Ähnlichkeiten in der Argumentation – bei einer jedoch deutlicheren rassischen Ausprägung in Deutschland – zeigten sich darüber hinaus bei den Auseinandersetzungen über den Status von Mischlingen, die in beiden Ländern als störend für die 68 White 2011 [1423]; Michel 2009 [1319], S. 287–293. 69 Walgenbach 2005 [1374]; Kundrus 2003 [1351], S. 79–80; Kundrus 2004 [1354]; Wildenthal 2001 [1376]. 70 Zitiert nach: Kundrus 2003 [1351], S. 83. 71 Walgenbach 2005 [1374]; Kundrus 2003 [1351]; Walther 2002 [1375]; Wildenthal 2001 [1376]; Bley 1996 [1332]. 72 Becker 2004 [1331]. 73 Puschner 2010 [1366], S. 176. 74 Kundrus 2014 [1356]; Schaper 2014 [1368]. 75 O’Donnell 2014 [1321], S. 95–96.
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nationale Identität angesehen wurden76. In Frankreich allerdings konnten jenen Mischlingskindern „weißer“ Väter, die die französische Sprache und Kultur beherrschten, unter Vorbehalt die französische Staatsbürgerschaft zugesprochen werden77. In den Kolonien selbst war generell die Herrschaft der Wenigen über die Einheimischen festgeschrieben. Sie manifestierte sich im französischen Kolonialreich im code de l’indigénat, einer juristischen Sammlung repressiver Regeln für die einheimische Bevölkerung. Entstanden während der Eroberung Algeriens in den 1830er-Jahren wurde der Code 1881 in Algerien eingeführt und in den folgenden Jahren in unterschiedlicher Ausprägung auf das gesamte französische Kolonialreich ausgedehnt. Die kolonialisierte Bevölkerung hatte damit weder politische Rechte noch einen politischen Status. Ihr waren jedoch verschiedene Pflichten auferlegt, die bis zur Zwangsarbeit führten. Der Einzelne war bloßes Subjekt, kein Bürger78. Die Grenzen einer verbal betonten Politik der Assimilierung werden hier deutlich. An verschiedenen Debatten über koloniale Themen zeigen sich gegenseitige Wahrnehmungen und Erfahrungsaustausch zwischen Deutschland, Frankreich und anderen imperialen Mächten. So löste die Kampagne gegen Sklaverei des französischen Kardinals Lavigerie in der katholischen Bevölkerung des Deutschen Kaiserreiches eine Antisklaverei-Bewegung aus79. In gleicher Weise wurde in Deutschland mit Blick auf das französische und russische Beispiel die Errichtung von Strafkolonien für „Arbeitsscheue“, Verbrecher und Staatsfeinde diskutiert. Zu einem Gedanken- und Erfahrungsaustausch der Juristen kam es anlässlich der Internationalen Gefängniskongresse, auf denen Strafdeportation und Zwangsverschickung diskutiert wurden. Ebenso bereiste im Jahr 1909 der Kriminalist Robert Heindl die französische Strafkolonie Neu-Kaledonien80. Einigen französischen Gefangenen gelang die Flucht aus einem Lager der Inselgruppe und sie strandeten an der Küste der deutschen Kolonie Neu-Guinea. Bisher sind die Folgen dieses Übertretens imperialer Grenzen nicht weiter erforscht. In Deutschland wurde es als Argument für die Behauptung verwendet, dass Inseln kein sicherer Ort für Gefangene seien. Die Existenz von Straflagern senkte die Attraktivität einer Kolonie, und so hatte Frankreich Schwierigkeiten, Siedler für Neu-Kaledonien zu finden. Beide Länder machten Erfahrungen mit der Aufstellung von Kolonial- und Polizeitruppen. In Deutsch-Ostafrika wurde beispielsweise mit den Askari eine kaiserliche Schutztruppe aus afrikanischen Söldnern aufgebaut. Ihr Einsatz 76 Montazel 2007 [1320], S. 108. 77 O’Donnell 2014 [1321], S. 94. 78 Michel 2009 [1319], S. 279–284; Saada 2007 [1417]; Merle 2006 [1408]; Meyer 1991 [1409], S. 605. 79 Gründer 62012 [1346], S. 68. 80 Conrad 2004 [1335].
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II. Fragen und Perspektiven
außerhalb der Kolonien war zu keinem Zeitpunkt vorgesehen81. Anders verhielt es sich im französischen Imperium, wo die Kolonialsoldaten dem Verteidigungsminister unterstanden und als Teil der französischen Armee angesehen wurden. Der spätere General Charles Mangin lieferte in seinem Verkaufserfolg „La force noire“ eine rassische Begründung für die Eignung der Schwarzen als Soldaten und forderte die Aufstellung afrikanischer Truppen, um mit dem bevölkerungsreicheren Nachbarn Deutschland mithalten zu können82. In Deutschland wurde dieses Vorhaben als Angriff auf die Zivilisation gewertet. Im „Kladderadatsch“ etwa erschien am 23. April 1911 eine Karikatur, die in einer Linie aufgestellte Gorillas in französischen Uniformen zeigte83. Es wurde als besondere Erniedrigung empfunden, als sich die alliierten Mächte während des Ersten Weltkriegs nicht an die Abmachung der Berliner Konferenz für das Kongogebiet hielten und Kolonialtruppen in Europa einsetzten84. Dies verlängerte sich in der Besatzung des Rheinlandes nach dem Ersten Weltkrieg, bei der französische Kolonialtruppen zum Einsatz kamen, was von deutscher Seite als „schwarze Schmach“ gebrandmarkt wurde. Zur europäischen Kolonialkultur gehörten die Entstehung neuer Fächer und Teildisziplinen wie Kolonialwissenschaften, Asien- und Afrikastudien, Kolonialgeografie, Ethnologie, Anthropologie, Kolonialrecht, Tropenmedizin und Eugenik. Einzelne Akteure, internationale Kongresse und Publikationen sorgten für ein Zirkulieren des Wissens über imperiale Grenzen hinweg85. Es kam zur Gründung von Forschungsinstituten wie dem Institut Pasteur in Paris 1892 und dem Hamburger Tropeninstitut im Jahr 1900. In allen Bereichen ging es um die Anhäufung von Wissen als Grundlage für die Ausübung von Macht. Besonderer Wert wurde auf die kartografische Erfassung der kolonisierten Gebiete gelegt. So zählten geografische Gesellschaften schon früh zu den wichtigsten Akteuren bei der informellen und imperialen Eroberung der Welt86. Gleichzeitig dienten die Kolonien imperialen Mächten als Laboratorien und Experimentierfelder, was auf den Gebieten der Infrastruktur und Städteplanung87, vor allem aber des Militärs und der Medizin88 deutlich wird. Dass es dabei zu 81 Bührer 2011 [1333]; Michels 2009 [1361]; Morlang 2008 [1362]. 82 Mangin 1910 [35]. Siehe dazu Lunn 2011 [1404]; Michel 2009 [1319], S. 233–236; Manceron 2003 [1405], S. 154–156, 209–201. 83 Hewitson 2004 [315], S. 26. 84 Zum Einsatz kolonialer Truppen während des Ersten Weltkriegs in Europa siehe Le Naour 2003 [1318]; Koller 2001 [1349]. 85 Allgemein: Stuchtey 2005 [1327]. Für Frankreich: Singaravélou 2011 [1420]; Boëtsch 2011 [1388]; Deprest 2009 [1392]; Morando 2007 [1412]; Sibeud 2002 [1419]. Für Deutschland: Habermas, Przyrembel 2013 [1347]; Gouaffo 2007 [1343]; Grosse 2000 [1344]. 86 Kwaschik 2018 [1317]; Lejeune 1993 [1400]. 87 Trümpler, Killisch-Horn 2008 [1372]; Laak 2004 [1357]. 88 Bado 2006 [1303]; Eckart 1997 [1339]; Lapeyssonnie 1988 [1397].
3. Die Kolonialimperien
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engen transnationalen Kooperationen kam, wenngleich angetrieben durch Rivalität, lässt sich an der Geschichte der Seuchenbekämpfung und der Gründung internationaler medizinischer Einrichtungen exemplarisch zeigen89. Die empirisch erarbeiteten Einsichten, selbst Produkt der kolonialen Ordnung, flossen anschließend in die Kolonialpraktiken zurück. Mit Völkerkundemuseen und Völkerschauen wurde die ausgeprägte Neugierde des metropolitanen Publikums auf Fremdes und Exotisches zugleich geschürt und befriedigt90. Dabei wurden nicht nur Einheimische in traditionellem Aufzug und in ihrer vermeintlich authentischen Umgebung bei der Auff ührung von Tänzen gezeigt, sondern auch Produkte aus den Kolonien wie Kaffee, Schokolade und Bananen präsentiert. Gerade die Werbung nutzte über bildliche Darstellung und Sprachmotive eine vermeintliche Exotik für eine Popularisierung der Kolonialkultur91. Beide Länder verschafften sich Gelegenheit zur Kolonialpropaganda in großem Stil: Deutschland auf der Kolonialausstellung in Berlin 1896, Frankreich auf den Weltausstellungen in Paris 1889 und 1900 sowie auf den Kolonialaustellungen im Pariser „Grand Palais“ 1906 und 1907 und in Marseille 190692. Neben dem village nègre sorgte bei der Weltausstellung 1889 die rue du Caire mit ihren über 400 Statisten für hohe Besucherzahlen. Ähnliche Installationen eines arabischen Bazars wurden anschließend für Ausstellungen in anderen Städten, darunter Berlin, übernommen93. Einflüsse gab es darüber hinaus auf die Populär- und Unterhaltungskultur in Form von Reiseliteratur, kolonialer Belletristik, Sammelbildern, Liedern und kolonialen Waren. In Frankreich durchdrang die culture coloniale die Gesellschaft stärker als in Deutschland. Als Gründe dafür sind die deutlichere Betonung der Zivilisierungsmission, die Einbindung der Kolonialsoldaten in die Armee, die Migration aus den Kolonien, die in Deutschland fast vollständig ausblieb94, sowie die längere Dauer des Kolonialimperiums zu nennen. Die überwiegend ähnlichen Erfahrungen im Bereich des Kolonialismus gingen zu Ende, als Deutschland im Ersten Weltkrieg seine Kolonien verlor. Fortan hing man mit dem „Kolonialrevisionismus“ und dem Kampf gegen die „koloniale Schuldlüge“ quer durch alle Parteien imperialen Fantasien nach95. Die Phase der Dekolonialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Deutschland nicht mehr als Kolonialmacht. 89 Vogel 2012 [1328]; Herren 2009 [73]. 90 Für Europa: Bancel u. a. 2012 [1304]. Für Frankreich: Lemaire, Blanchard 2011 [1401]; Aldrich 2005 [1381]; Plato 2001 [1195]. Für Deutschland: Dreesbach 2005 [1338]; Honold 2004 [1348]; Gründer 2003 [1313]. 91 Ciarlo 2011 [1334]; Schneider 1982 [1418]. 92 Lemaire, Blanchard 2011 [1401]; Ogle 2005 [1413]; Plato 2001 [1195], S. 221– 243, 264–270. 93 Geppert 2010 [1158], S. 49–52; Wyss 2010 [1171], S. 190; Ogle 2005 [1413], S. 390; Plato 2001 [1195], S. 224. 94 Grosse 2003 [1345]. 95 Metzger 2006 [1360].
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II. Fragen und Perspektiven
Für Frankreich sind die imperial-kolonialen Zusammenhänge nach wie vor gesellschaft lich, wirtschaft lich und politisch von großer Bedeutung, was sich nicht zuletzt an der eingangs erwähnten Polemik um den Platz der Kolonien in Historiografie und Erinnerung zeigt. Wie in anderen Fällen üben dabei „Erinnerungsgemeinschaften“ Druck auf Politik und Geschichtswissenschaft aus und setzen die Mechanismen der politischen Anerkennung in Gang 96. Die Schatten der Kolonialpolitik reichen mit sich überlagernden Vergangenheiten vor allem in Frankreich bis in die Gegenwart, zuletzt durch den Bericht zur Restitution des afrikanischen Kulturguts von Bénédicte Savoy und Felwine Sarr im November 2018. In Deutschland ist dies etwa mit der Frage der Anerkennung des Genozids an den Herero und Nama und den damit verbundenen Entschädigungs- und Rückgabeforderungen sowie mit der Erinnerung an die koloniale Vergangenheit im Berliner Stadtbild zwar ebenso der Fall, aber weniger virulent.
96 Vgl. Offenstadt 2014 [64].
4. Auf dem Weg zum totalen Krieg? 4. Auf dem Weg zum totalen Krieg?
Der kultur- und sozialgeschichtliche Paradigmenwechsel hat in den letzten Jahrzehnten auch die Militärgeschichtsschreibung erreicht. Als „Militärgeschichte in der Erweiterung“ in Deutschland und als „nouvelle histoire bataille“ in Frankreich nimmt sie Verflechtungen zwischen Militär und ziviler Gesellschaft sowie Kriegs- und Gewalterfahrungen von Soldaten und Zivilisten in den Blick. Thematisiert werden zudem Vorstellungen, Deutungen und Erinnerungen von Schlachten und Kriegen in sprachlichen und visuellen Medien. Besonders intensiv ist erforscht worden, wie sich der Charakter der Kriege seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert verändert hat. Schon die zeitgenössischen Militärexperten hatten einen Wandel infolge der Aufstellung von Volksheeren in den französischen Revolutionskriegen bemerkt. Hatten bis dahin zumeist Staatsoberhäupter und ihre Söldnerheere gehegte Kabinettskriege geführt, wurde Krieg „urplötzlich wieder eine Sache des Volkes“, so Carl von Clausewitz, dessen Werke in Frankreich große Beachtung fanden1. Die aktive Beteiligung von Staatsbürgern ließen Kriege allumfassender werden, bezogen diese doch neben dem Militär immer stärker zugleich die zivile Gesellschaft und die Wirtschaft in die Kriegshandlungen ein. In der Folge ermöglichten die technischen Entwicklungen im Laufe des 19. Jahrhunderts und ihre Auswirkungen auf die Waffentechnologie und das Transportwesen eine Steigerung zum „industrialisierten Volkskrieg“, in dem manche Historikerinnen und Historiker bereits Anzeichen totaler Kriege des 20. Jahrhunderts ausmachen. Ausgehend von einer Konferenzserie des DHI Washington haben die methodischen Überlegungen der überwiegend amerikanischen, englischen und deutschen Forschenden zu den Kennzeichen totaler Kriege und deren Anwendbarkeit auf frühere militärische Auseinandersetzungen international große Beachtung gefunden2. Als erkenntnisförderndes Modell lassen sich damit präzise Aspekte von Kriegen und Kriegserfahrungen untersuchen und vergleichen. Mehrere Punkte des Konzepts sind jedoch umstritten: Zunächst gibt es keine allgemeingültige Definition der Begrifflichkeiten wie „totaler Krieg“, „Volkskrieg“ oder „moderner Krieg“, die jeweils sowohl zeitgenös1 Zur Rezeption der Werke von Clausewitz in Frankreich siehe Durieux 2008 [1450]; Krumeich 1990 [1466]. 2 Alle fünf Tagungsbände sind veröffentlicht: Förster, Nagler 1997 [1456]; Boemeke, Chickering, Förster 1999 [1435]; Chickering, Förster 2000 [1439]; Chickering, Förster 2003 [1441]; Chickering, Förster, Greiner 2005 [1442].
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II. Fragen und Perspektiven
sische als auch historisch-methodische Begriffe sind. So hatte der Terminus „Volkskrieg“ bereits im 19. Jahrhundert Konjunktur und bezeichnete den Krieg, den das „Volk in Waffen“ führte: Die Heere schwollen aufgrund der Wehrpflicht zu Massen an; Landwehren wurden aufgestellt. Im Begriff schwang bereits die Kriegsanstrengung, aber auch die emotionale Aufladung der Kriegserwartung mit3. Die Terminologie „totaler Krieg“ stammt aus den 1920er- und 1930er-Jahren. Léon Daudet (1918) und Erich Ludendorff (1935) verstanden darunter eine beispiellose Kriegsanstrengung. In heutiger methodischer Perspektive werden totale Kriege dem Historiker Stig Förster zufolge durch vier zentrale Merkmale bestimmt: totale Kriegsziele (u. a. völlige Unterwerfung des Gegners), totale Kriegsmethoden (u. a. schonungslose Bekämpfung von Partisanen, Einsatz hochtechnischer Waffen), totale Mobilisierung (u. a. Einbeziehen von Zivilisten, auch von Frauen, in die Kriegshandlungen) und totale Kontrolle (u. a. Propaganda, Kontrolle der Wirtschaft und Gesellschaft)4. Bei dieser Definition handelt es sich um einen Idealtypus, der als heuristisches Instrument eingesetzt wird. Kritisch hinterfragt wird von manchen Historikerinnen und Historikern, welchen Erkenntniswert das retrospektive Anwenden dieser eurozentrischen Kriterien des 20. Jahrhunderts auf frühere Kriege haben kann. Zugleich birgt diese Methode zwangsläufig die Gefahr, so ein weiterer Vorwurf, eher Kontinuitäten und Gleiches als Unterschiede zu betonen. Dies ist auch dann der Fall, wenn ausdrücklich keine teleologische Linie in der Totalisierung von Kriegen des späten 18. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg gezogen werden soll. Schließlich argumentieren manche Historikerinnen und Historiker, dass der Bruch, den die Revolutionskriege in Bezug auf Kriegführung und Wehrverfassung im Vergleich zu den Jahrhunderten davor darstellen, nicht so ausgeprägt war, wie bisweilen betont wird5. Insgesamt hat das Konzept zu zahlreichen Forschungen über die beiden Weltkriege, die napoleonischen Revolutionskriege und in Teilen über die Kriege des 19. Jahrhunderts angeregt. Was die Letzteren anbelangt, so folgt die Geschichtsschreibung den Themen und Methoden der Forschungen über den Ersten und Zweiten Weltkrieg. Dies zeigt sich beispielsweise am erwachenden Interesse an der Besetzung Frankreichs und an Gewaltexzessen der deutschen Armeen im Krieg 1870 / 71, an Fragen der Kriegserfahrung von Soldaten, an der Einbeziehung der zivilen Gesellschaft in die Kriegsanstrengungen in Norddeutschland sowie an der Art, wie Kriege beendet und verarbeitet werden. Komplementär dazu werden die Untersuchungen über die Totalität der Kriege und die von Teilen der Forschung diagnostizierte Brutalisierung der Gesellschaften 3 Leonhard 2008 [701], S. 628. 4 Förster 2002 [1454], S. 17. 5 Chickering, Förster 2010 [1443]; Langewiesche 2009 [1470]; Langewiesche 2006 [1468]. Zur Kritik des Konzepts in Frankreich siehe Bell u. a. 2011 [1523]; Guiomar 2004 [1459].
4. Auf dem Weg zum totalen Krieg?
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bei den Weltkriegen mehr und mehr ergänzt durch Studien, die genau das Gegenteil thematisieren: die Nischen und privaten Rückzugsräume der Zeitgenossen, das luxuriöse, mondäne Leben sowie Mode, Kino und Theater. Obgleich diese vor der kriegskulturellen Durchdringung nicht immer geschützt waren, rücken damit doch die Bereiche in den Blickpunkt, die dem immer stärkeren Ausgreifen der Kriegseinflüsse auf das tägliche Leben bewusst oder unbewusst, gewollt oder ungewollt, entzogen wurden.
Deutsch-Französischer Krieg In der historischen Forschung herrscht Einigkeit darüber, dass der DeutschFranzösische Krieg von 1870 / 71 kein totaler Krieg war. Eingeordnet zwischen gehegtem Kabinettskrieg und nationalem Krieg zeigt er zwar manche Anzeichen eines totalen Krieges: So handelte sich um einen Volkskrieg, der unter Einsatz von wirksamen Waffen sowie Eisenbahn- 6 und Straßennetzen geführt wurde und bei dem immer größere Teile der Bevölkerung direkt oder indirekt in den Krieg einbezogen wurden7. Andere Merkmale sprechen jedoch dagegen, beispielsweise die begrenzten Kriegsziele und die verhältnismäßig gute Behandlung der französischen Kriegsgefangenen, zumindest was die höheren militärischen Ränge anbelangt8: Hier folgte man dem traditionellen, statusbewussten Ehrenkodex früherer Zeiten und französische Offiziere, die ihr Ehrenwort gaben, nicht mehr zu den Waffen zu greifen, wurden freigelassen. Weitere Anzeichen für einen gehegten Staatenkrieg sind die lokalisierten Schlachten und die traditionelle Kriegführung mit „rückwärtsgewandten Zügen“9 sowie die Anwendung der 1864 verabschiedeten Genfer Konventionen zum Schutz von Militärärzten und Verwundeten. Von einem Auftakt zum totalen Krieg kann 1870 / 71 keine Rede sein, wie Langewiesche und Buschmann betonen10. Trotz dieser Übereinstimmung im Gesamturteil fällt der aktuellen Historiografie die Einschätzung und Bewertung des Krieges schwer. Ein Grund dafür ist die Überlieferung widersprüchlicher zeitgenössischer Erlebnisse und Sinndeutungen, beispielsweise bezüglich der Beziehung des deutschen Militärs zur französischen Zivilbevölkerung. Hier reicht die Bandbreite der dokumentierten Kriegserfahrungen11 von freundschaft lich bis hasserfüllt, von human bis brutal. Eine quantitative Gewichtung dieser Quellen ist unmöglich und schon die 6 Bremm 2006 [145]. 7 Förster 2002 [1454], S. 17; Moltmann 1995 [1471], S. 44–45. 8 Mehrkens 2008 [182], S. 156–171; Bendick 2003 [140]; Botzenhart 1997 [144]; Botzenhart 1994 [143]; Roth 1990 [191], S. 418–433. 9 Kühlich 1995 [174], S. 17. 10 Langewiesche, Buschmann 2007 [1469], S. 184, 186, 194. 11 Siehe z. B. Fellrath, Fellrath-Bacart 2011 [154]; Lecaillon 2005 [176].
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II. Fragen und Perspektiven
umfassende Kontextualisierung und Berücksichtigung des Deutungsrahmens ist eine schwer einzulösende Herausforderung. Zu kontroversen Ergebnissen führen außerdem der bereits angesprochene Vergleich mit früheren und späteren Kriegen und die Frage, ob die Brutalität analog zur Zerstörungskraft der Waffen im Laufe der Geschichte zunahm12. Entsprechend unterschiedlich fällt die Bewertung von Kriegshandlungen, Belagerung und Besatzung durch Zeitgenossen und Forschende über die Jahrhunderte hinweg aus. Während die deutsche Invasion und Besetzung in der historischen Forschung lange Zeit als relativ gemäßigt galt und im Vergleich zu den nachfolgenden Kriegen nach wie vor gilt, sind in den letzten Jahren verstärkt die Grausamkeiten der deutschen Truppen 1870 / 71 in das Blickfeld vor allem der französischen Forschung geraten13. Es mag den fehlenden Sprachkenntnissen sowie der Archivlage geschuldet sein, wenn ausschließlich auf französische Quellen gestützte Arbeiten in Frankreich entstehen, während sich die deutsche Forschung – abgesehen von einigen vergleichenden Untersuchungen – eher der deutschen Gesellschaft und den deutschen Soldaten im Krieg widmet14. Doch werden dadurch Erlebnisse und Vorstellungen aus dem Krieg in den beiden nationalen Geschichtsschreibungen thematisch festgeschrieben, mögen sie auch inhaltlich revidiert werden. Ein Beispiel für die komplexen und widersprüchlichen Handlungen und Darstellungen des Kriegsgeschehens sind die Ereignisse vom 31. August bis 4. September 1870 in Bazeilles, einem Dorf in der Nähe von Sedan. Am Tag nach dem äußerst brutalen Kampf um den Ort kamen bei Auseinandersetzungen bayerischer Soldaten mit Anwohnern rund 40 Zivilisten ums Leben, 150 weitere erlagen in den folgenden Wochen ihren schweren Verletzungen. Zahlreiche Häuser wurden niedergebrannt, obwohl sich noch Personen darin befanden. Der Ort selbst glich danach einem Ruinenfeld. Aus den Quellen lässt sich nicht verlässlich rekonstruieren, was tatsächlich geschehen ist, zu widersprüchlich sind die Aussagen auf beiden Seiten15. Eindeutig überliefert sind die Präsenz von Zivilisten, darunter Frauen, und deren Teilnahme an den Kampfhandlungen. Dies wird als Auslöser für die zunehmende Brutalität vonseiten der bayerischen Soldaten gesehen. Es kam zu Beleidigungen, inszenierten Erschießungen, Verstümmelungen und Hinrichtungen von Zivilpersonen. Für Bazeilles sind auch Vergewaltigungen überliefert, die sonst im Deutsch-Französischen Krieg nicht nachgewiesen und nicht erforscht sind16. Andere Truppenteile ver12 Langewiesche 2006 [1468]. 13 Parisot 2013 [186]; Tison 2011 [202]; Berger 2011 [142]; Calvignac 2010 [148]; Stoneman 2008 [200]; Roynette 2005 [193]; Stoneman 2001 [199]. 14 Meteling 2010 [183]; Mehrkens 2008 [182]; Krüger 2006 [170]; Seyferth 2007 [196]; Rak 2004 [190]; Kühlich 1995 [174]. 15 Mehrkens 2008 [182], S. 114; Roynette 2005 [193]; Stoneman 2008 [200]; Stoneman 2001 [199]. 16 Roynette 2005 [193], S. 257.
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hielten sich nach geltendem Kriegsgewohnheitsrecht, nahmen Personen gefangen und ließen diejenigen, die sich nicht an Kampfhandlungen beteiligt hatten, wieder frei. Es kam zu ordentlichen Kriegsgerichtsverfahren gegen Zivilisten. Die Ereignisse in Bazeilles sorgten international für Aufsehen, wurden aber von den deutschen wie von den französischen Akteuren weitgehend verdunkelt. Der französische Militärmaler Alphonse de Neuville machte das Dorf und den französischen Verteidigungswillen durch sein Gemälde „Les Dernières Cartouches“ bekannt17. Doch in der Erinnerungspolitik der Dritten Republik wurde Bazeilles nachgeordnet behandelt, denn es sollte sich der Eindruck durchsetzen, während des Empire habe es keinen Widerstand der Bevölkerung gegen die deutsche Invasion gegeben. Die Vorstellung der „Nation in Waffen“ sollte mit dem Bild der wehrhaften Republik verbunden werden18. 1875 wurde in Bazeilles ein Denkmal enthüllt, auf dem 39 Namen von zivilen Opfern aufgeführt sind. Weitere Namen fehlten, weil die Angehörigen ihr Einverständnis dazu verweigerten. Gewidmet war das Denkmal den kämpfenden französischen Soldaten, also nicht den Zivilisten. Während der Stadt Châuteaudun 1877 die Légion d’honneur verliehen wurde, ehrte man Bazeilles erst 1900 auf die gleiche Weise, wobei die tatsächlichen Umstände der Ereignisse von 1870 weiterhin ungeklärt blieben19. Auf deutscher Seite wurden die Rechtsverletzungen der bayerischen Soldaten in Bazeilles mit militärischer Notwendigkeit gerechtfertigt 20. In anderem Zusammenhang begangene Plünderungen, Raub und Mord wurden dagegen mit schweren disziplinarischen Strafen geahndet21. In der Folge entwickelte sich eine internationale Diskussion über das Kriegsrecht, in der kritische deutsche Stimmen gegenüber dem Vorgehen der eigenen Truppen laut wurden. Als Ergebnis dieser Diskussionen können die Gründung des Institut de droit international und die „Deklaration von Brüssel“ im Jahre 1874 gesehen werden22. Eine öffentliche Aufarbeitung der Ereignisse blieb im Kaiserreich gleichwohl aus. Dagegen fand das Leiden der deutschen Soldaten an den Freischärlern (francs-tireurs) in Presse und Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit. Zumeist beruhten die Erzählungen auf Gerüchten, wonach deutsche Soldaten von französischen Zivilisten und farbigen Soldaten auf brutale Weise mit Messer oder Zähnen verstümmelt wurden23. Der Begriff francs-tireurs wurde im Krieg 1870 / 71 deutscherseits auf alle Akteure des Guerilla- oder Partisanenkrieges angewandt. Diese hatten sehr unterschiedliche soziale und politische Hintergründe. Zumeist 17 18 19 20 21 22 23
Vogel 2010 [259], S. 210. Roynette 2005 [193], S. 267. Roynette 2004 [192], S. 50. Mehrkens 2008 [182], S. 126; Stoneman 2001 [199], S. 273. Mehrkens 2008 [182], S. 173. Segesser 2010 [1502], S. 88–89. Krüger 2011 [171], S. 421.
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kamen sie aus den populären Schichten. Alle Altersklassen waren vertreten und selbst Frauen waren darunter, worin Bertrand Taithe ein Zeichen für die Totalisierung des Krieges sieht24. Für einen erfolgreichen Kampf benötigten die Freischärler Informanten und Verbündete in der Bevölkerung. Sie bauten ihr eigenes informelles Agentennetz auf, wodurch jedoch die Bevölkerung in Gefahr geriet, von den Repressalien der deutschen Truppen betroffen zu werden. Entsprechend unpopulär und gefürchtet waren die francs-tireurs daher in weiten Teilen der französischen Bevölkerung25. Die Handlungen der Freischärler widersprachen aus Sicht der deutschen Soldaten dem gängigen Ehrenkodex und ihrem Kriegsverständnis. Aufgrund der Nicht-Zugehörigkeit der Freischärler zur offiziellen Armee und ihrer fehlenden Uniform wurden sie von deutscher Seite als Verbrecher wahrgenommen und dargestellt. Ihre als bestialisch aufgefasste Kriegstaktik mit vermeintlich hinterhältigen Anschlägen wurde entsprechend mit Rache und Gewalt beantwortet, „oft panisch, meist unangemessen und immer brutal“26. Die im Winterfeldzug als Antwort auf Attacken durch Freischärler einsetzenden Repressalien gegen die französische Zivilbevölkerung förderten die Verfeindlichung zwischen Deutschen und Franzosen auf der Alltagsebene27. Auf der persönlichen Ebene gab es jedoch Begegnungen, die den verbreiteten negativen Bildern von Partisanen entgegenstanden. Als „fein gebildeter, sehr liebenswürdiger Herr“ wurde ein Freischärler von einem deutschen Kriegsgefangenen geschildert, worin sich die transnationale Solidarität der Gebildeten widerspiegeln dürfte28. Nach offiziellen Zahlen wurden insgesamt etwa 1000 deutsche Soldaten von Freischärlern getötet. Im Vergleich zu den Gesamtverlusten ist dies eine geringe Zahl. Im kollektiven Gedächtnis blieben die francs-tireurs in Deutschland aber stark präsent, eine Erinnerung, die – so eine umstrittene These – für die Behandlung der französischen und belgischen Zivilisten bei Ausbruch des Krieges 1914 maßgeblich war: Demnach tauchte das Bild des Freischärlers im Ersten Weltkrieg wieder auf und könnte die Erwartungen der deutschen Soldaten an den Krieg und damit ihre Handlungsweisen geprägt haben29. Ein weiterer Grund für die unterschiedlichen Einschätzungen des Krieges 1870 / 71 ist sein ambivalenter Charakter, der sich auf mehreren Ebenen niederschlägt. So verlief der Krieg in drei militärisch deutlich unterscheidbaren Phasen: In der ersten Phase bis zur Niederlage des Second Empire handelte es sich um einen klassischen Kabinettskrieg, auch wenn dieser von bei24 25 26 27 28 29
Taithe 2001 [201], S. 112–113. Calvignac 2010 [148], S. 49–50. Walter 2003 [1506], S. 176. Mehrkens 2005 [181], S. 107. Becker 2001 [134], S. 227. Horne, Kramer 2004 [1487], S. 138. Zur Kritik an der Studie generell siehe Spraul 2016 [1503] sowie – ebenfalls umstritten – Keller 2017 [1489].
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den Ländern als Nationalkrieg stilisiert wurde. Die Massenmobilisierung und die Ausrufung des Kampfes bis zum Äußersten, der lutte à outrance, nach dem 4. September 1870 durch die französische Republik verliehen ihm dann in der zweiten Phase Züge eines nationalen Volkskriegs. Die dritte Phase schließlich umfasste den Bürgerkrieg zur Niederschlagung der Pariser Kommune. Durch das Ausrufen des Volkskrieges wurde die Trennung zwischen Zivilisten und Streitkräften verwischt. Damit ging eine Radikalisierung der Kriegführung einher, die sich in den vereinzelten Überfällen durch Freischärler sowie in der härteren Behandlung der französischen Zivilbevölkerung durch die deutschen Truppen zeigte. Die moralische und physische Vernichtung des Feindes waren im Krieg 1870 / 71 jedoch nicht Teil der deutschen Kriegsziele30. Man führte keinen bewussten Krieg gegen die französische Zivilbevölkerung. Die von Helmuth von Moltke nach der Fortführung des Krieges durch die Republik angestrebte völlige Besetzung und Unterwerfung zielte ausschließlich auf das militärische Potential Frankreichs, auf sein Heer und seine Festungen, bei deren Bombardierungen allerdings zugleich Zivilisten betroffen waren31. Auch die von Moltke verwendeten Begriffe wie „Vernichtung“ und „Extermination“ sind kein Zeichen für eine lutte à outrance, gehörten sie doch zum damaligen militärischen Sprachgebrauch. Durch Einquartierungen deutscher Soldaten, die Beschlagnahmung von Lebensmitteln als Folge der von deutscher Seite ungenügend organisierten Nachschubversorgung sowie aufgrund der Repressalien wegen der Angriffe von Freischärlern waren Zusammenstöße mit den französischen Zivilisten unumgänglich32. Die Gründe dafür lagen aber in der eigentlichen Kriegspraxis und nicht im Volkskrieg und seinen Feindbildkonstruktionen33. In gleicher Weise wurden die Freischärler weniger bekämpft als bestraft: Aus deutscher Sicht waren sie Verbrecher, die gegen gängige Kriegsregeln verstießen34. Der Krieg selbst wurde weitgehend nach traditionellen Kriegsgepflogenheiten geführt. Das erklärte Ziel von deutscher Seite war die schnelle Entscheidungsschlacht zwischen regulären Truppen. Darüber hinaus waren beim Krieg 1870 / 71 zum letzten Mal die Staatsoberhäupter der Krieg führenden Länder permanent persönlich auf den Schlachtfeldern anwesend. Der tatsächliche Umgang der Soldaten untereinander war überwiegend durch den traditionellen militärischen Verhaltenskodex geprägt und weniger durch nationale Feind-
30 Förster 1999 / 2000 [1455], S. 21. Abweichend: Levillain, Riemenschneider 1990 [178], S. XV. 31 Langewiesche, Buschmann 2007 [1469], S. 186. 32 Showalter 2004 [197], S. 315–318; Meteling 2010 [183], S. 89; Langewiesche, Buschmann 2007 [1469], S. 184–185. 33 Meteling 2010 [183], S. 89. 34 Walter 2003 [1506], S. 176.
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schaft 35. Eine Ausnahme davon war die extreme Gewalt von deutscher Seite gegenüber den farbigen französischen Soldaten, die dem gängigen Rassismus der Zeit entsprechend als Menschen zweiter Klasse galten und grundsätzlich nicht geschont wurden36. Die Kriegslegitimation dagegen war entgrenzt und erfuhr in beiden Ländern eine patriotisch-nationale Aufladung37. Dazu zählte die zunehmende Dehumanisierung des Gegners, die in den abwertenden Darstellungen der Turkos, d. h. den Soldaten der nordafrikanischen Schützenregimenter des französisischen Heers, und der Freischärler, den als bestialisch klassifizierten Preußen – und hier vor allem den Ulanen –, sowie nicht zuletzt im verunglimpfenden Bild der Kommunarden ihren Niederschlag fand. So zeigt der medial konstruierte Raum einen totalisierten Krieg; auf dem Schlachtfeld und in den tatsächlichen Kriegshandlungen jedoch ist ein gehegter Kabinettskrieg nach überwiegend altem Muster erkennbar. In dieser Form nahmen ihn auch die Militärs wahr, selbst wenn teilweise Vorläufer eines Volkskriegs ausgemacht wurden. Als Bezugspunkt galt für die Zeitgenossen der erst kürzlich beendete Amerikanische Bürgerkrieg, dessen Gewaltdimensionen auch in Europa für Aufsehen gesorgt hatten. Im Vergleich dazu, das bestätigte der amerikanische General Philip Sheridan, der als Beobachter im deutschen Hauptquartier war, zeigte sich der Deutsch-Französische Krieg weit weniger radikalisiert. Auf ihn wirkte er nicht wie ein echter Krieg, sondern eher wie ein „großes Picknick“38. Da sich die Kämpfe fast ausschließlich auf französischem Boden abspielten, war die deutsche Bevölkerung nicht in die direkten Kampfhandlungen des Krieges 1870 / 71 einbezogen. Zu einer Aufhebung der Grenze zwischen Militär und ziviler Gesellschaft kam es in Deutschland allein durch mediale Vermittlung sowie durch Aufstellung von Bürgerwehren an der Grenze. Teile der zivilen Gesellschaft engagierten sich durch karitative Tätigkeiten wie das Sammeln von Spenden. Frauen halfen in religiösen und wohltätigen Einrichtungen oder in der Pflege von Verwundeten, eine Tätigkeit, die hohes Ansehen genoss. Sie waren bei der Herstellung von Kleidung und Lazarettmaterial sowie bei der Ausgabe von Speisen und Getränken an Bahnhöfen beteiligt. Außerdem engagierten sie sich in lokalen patriotischen Hilfsvereinen. Manche Frauen verzichteten bewusst auf das Tragen französischer Mode und das Lesen französischer Romane39. Im Alltag war der Krieg zugleich dadurch spürbar, dass der zivile Eisenbahnverkehr mit dem Inkraft treten des Militärfahrplans fast vollständig zum Erliegen gekommen war40. Die Wirtschaft trug in Norddeutschland über 35 36 37 38
Mehrkens 2008 [182]. Rohkrämer 1997 [1501], S. 514. Meteling 2010 [183], S. 10, 90. Langewiesche, Buschmann 2007 [1469], S. 179. Zum Vergleich mit dem Amerikanischen Bürgerkrieg siehe Moltmann 1995 [1471]. 39 Seyferth 2007 [196], S. 431, 436. 40 Bremm 2006 [145], S. 392.
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das Rüstungs- und Versorgungswesen ihren Teil zum siegreichen Feldzug in Frankreich bei. Die Industrie stellte die notwendigen Mittel bereit, um die riesigen Freiwilligen- und Wehrpflichtheere zu transportieren und mit Ausrüstung und Lebensmitteln zu versorgen. Eine totale Kriegsanstrengung der Industrie ist jedoch nicht zu erkennen und ein direkter staatlicher Einfluss auf die Wirtschaft blieb aus41. In Frankreich sorgte Léon Gambetta dafür, Gesellschaft und Wirtschaft in den unbesetzten Teilen des Landes für den Krieg zu mobilisieren, was ihm „in erstaunlich hohem Maße“42 gelang. Während detaillierte Studien über die französische Wirtschaft im Krieg fehlen, sind Mobilisierung und öffentliche Meinung besser erforscht. Die wiederauflebende Erinnerung an die Erfahrungen 1814 / 15 spielten bei den Erwartungen und damit bei der Interpretation der Erlebnisse 1870 / 71 in Frankreich eine herausragende Rolle43. Neuere Studien stellen fest, dass die Beschimpfung der Deutschen als Barbaren in Publikationen, privaten oder öffentlichen Schriftstücken etwa ab Mitte November 1870 einsetzte. Zuvor ist überwiegend neutral vom „Feind“ oder von „den Preußen“ die Rede44. Dabei beruhten viele der Vorwürfe eines barbarischen Verhaltens auf Gerüchten, die sich schnell verbreiteten und rasch zu einem Allgemeinplatz wurden. Das wird aus den Berichten deutlich, die in Frankreich auf regionaler Ebene kurz nach dem Krieg von staatlicher Seite über das Verhalten der deutschen Soldaten angefordert worden waren45. Aus der aufgezwungenen Nähe zwischen einquartierten Besatzern und Zivilbevölkerung resultierte oft mals ein besseres Kennenlernen und gegenseitige Achtung. So wurden im Tagebuch von Élisabeth Lapertot in Dijon aus „zwei Preußen“, die sie beherbergen musste, nach acht Wochen „meine zwei großen Badener“46. Die guten Beziehungen, die es zwischen Franzosen und Deutschen während des Krieges gab, gerieten nach dem Krieg in Vergessenheit. Im medialen Raum fanden sie kein Echo. Ein weiterer Aspekt bei der Durchdringung der französischen Gesellschaft ist die militärische Massenmobilisierung, die Taktik der „Nation in Waffen“. Diese wurde progressiv umgesetzt: Zunächst wurden nur Männer im Alter von 21 bis 40 Jahren zu den Waffen gerufen, ab November 1870 zusätzlich Ältere und Familienväter. Umstritten ist in der Forschung, wie hoch die tatsächliche Anzahl der Mobilisierung und insbesondere der Freiwilligenmeldung war, die zugleich als Gradmesser für die Verbundenheit mit dem eigenen Staat gelten kann. Von deutschen Militärs, obschon sie Achtung für die Verteidigungsleistung der Republik aufbrachten, wurde das Aufstellen der Hilfstruppen noch 41 42 43 44 45 46
Wengenroth 1997 [1507]. Förster 1999 / 2000 [1455], S. 26. Audoin-Rouzeau 1997 [1520], S. 399–403; Audoin-Rouzeau 1989 [133], S. 25. Chapelle 2011 [150], S. 86–91, 142. Vgl. z. B. Tison 2011 [202]. Chapelle 2011 [150], S. 83.
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Jahre später als Zumutung dargestellt47. Die Fortsetzung des Krieges und die Massenmobilisierung, die levée en masse, trafen auf die Zustimmung großer Teile der Öffentlichkeit und aller Parteien. Als Nationalkrieg gegen einen äußeren Feind geführt, wurde er gleichzeitig zu einem ideologischen Krieg gegen die Monarchie stilisiert. Der tiefere Grad der Identifizierung der französischen Nation mit dem Krieg zeigte sich sprachlich daran, dass statt „la nation“ oder „la France“ in der zeitgenössischen Publizistik während der Republik von „nous“ die Rede war48. Nach außen hin suchte man mehr als eine militärische Entscheidung: Es ging um eine „ideologische Infragestellung der gegnerischen Nation“49. In propagandistischer Hinsicht war der Krieg 1870 / 71 das entscheidende Ereignis, um die Franzosen national für ihr Vaterland einzunehmen. Dies sollte sich 1914 beim neuerlichen Kriegseintritt auszahlen. In dieser Perspektive wird der Deutsch-Französische Krieg als Schritt auf dem Weg zum totalen Krieg interpretiert50. Doch trotz der Aufrufe zum Volkskrieg und zur guerre à outrance wollte die französische Regierung eine gänzliche Enthegung des Krieges ebenso wenig. Dies zeigt die Bereitschaft zur Kapitulation im Januar 1871, nachdem die Forts um Paris der Beschießung nicht standgehalten hatten und Soldaten in immer größerer Anzahl desertierten51. Deutlich wird es zudem an den Versuchen, die francs-tireurs in die reguläre Armee zu integrieren und damit der militärischen Disziplin zu unterwerfen. Zwar war die Aufstellung von Freischärler-Einheiten zunächst von der republikanischen Regierung angeregt und finanziell unterstützt worden, doch wurden diese schnell zum Schrecken des ländlichen Raums, den sie eigentlich beschützen sollten52. Die Integration der Einheiten in die Armee war eine Notwendigkeit, da man umstürzlerische Vorgänge aus dem Kreis der Freischärler befürchtete und die junge Republik verteidigen wollte53. Beim Einsatz der französischen Armee gegen die Pariser Kommune im Mai 1871 kam es zum „systematischen Kampf gegen Zivilisten“54, und die Grenze zwischen Kombattanten und Zivilbevölkerung war gänzlich aufgehoben. Aus Sicht der Versailler Regierung waren durch den Aufstand nicht mehr Preußen-Deutschland, sondern die französischen Arbeiter der Hauptfeind der Republik. Für die Gewaltexzesse bei der Niederschlagung der Kommune spielte diese Projektion neben der besonderen Situation des eingekapselten Bürgerkrieges in einem staatlichen Krieg eine große Rolle. 47 48 49 50 51 52 53 54
Krumeich 1997 [173], S. 641–656; Guiomar 2004 [1459], S. 250. Jeismann 1992 [76], S. 275. Siehe auch Leonhard 2008 [701], S. 550–553. Leonhard 2008 [701], S. 628. Audoin-Rouzeau 1997 [1520], S. 410–411; Becker, Audoin–Rouzeau 1995 [1522]; Audoin-Rouzeau 1992 [1519]; Weber 1977 [304]. Langewiesche, Buschmann 2007 [1469], S. 183, 186; Wawro 2003 [207], S. 295– 296. Howard 22006 [162], S. 249–256. Dirou 2010 [1526], S. 424, 438. Langewiesche, Buschmann 2007 [1469], S. 189.
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Fast zeitgleich kam es in Algerien, seit 1830 von Frankreich in brutalen Eroberungskriegen unterworfen, zu einem Unabhängigkeitskrieg französischer Kolonisten sowie zu einem Aufstand gegen die kolonialen Eroberer. Dem Aufruf zum Dschihad folgte über ein Drittel der einheimischen Bevölkerung. Der Aufstand richtete sich gegen die vollständige Eingliederung Algeriens in Frankreich, gegen die Einbürgerung der algerischen Juden sowie gegen neuerliche Enteignungen. Im Kampf gegen den Aufstand ging die französische Armee gegen Zivilisten wie Kombattanten genau wie in Paris besonders gewaltsam vor55.
Kolonialkriege Die historische Forschung hat im letzten Jahrzehnt die außerordentliche Brutalität der kolonialen Eroberungs- und „Pazifizierungskriege“ sowie der „Strafexpeditionen“ der imperialen Mächte thematisiert56. Davon ausgehend haben sich in Deutschland und Frankreich mehrere Kontroversen entwickelt, die neben der Frage von Kontinuität auch die Totalität kolonialer Kriege betreffen57. Mit Blick auf militärische Gewalt, Brutalität sowie medizinische Experimente stellten die Kolonien für die imperialen Mächte einen neuen Ermöglichungsraum dar. So stellt sich die Frage, ob der in Europa im 19. Jahrhundert lediglich behauptete und angedrohte entgrenzte Krieg auf kolonialen Schauplätzen umgesetzt bzw. „eingeübt“ wurde58: Zum einen fanden die Schranken des internationalen Kriegsrechts keine Anwendung. So mussten laut Haager Landkriegsordnung von 1899 die militärrechtlichen Regelungen im Krieg gegen „Naturvölker“ bis zu deren Zivilisierung nicht eingehalten werden. Auch in China hatten Massaker und Gräueltaten für die beteiligten Soldaten bei den „Strafexpeditionen“ in militärdisziplinarischer Hinsicht häufig keine Konsequenzen59. Ebenso wurden die in Europa aufgrund der Haager Konventionen von 1907 geächteten Dum-Dum-Geschosse in den Kolonien eingesetzt60. Zum anderen stützte das rassenhierarchische Weltbild der imperialen Mächte den Einsatz von physischer und verbaler Gewalt. Die in fast allen Kriegen seit der Antike wahrzunehmende Entmenschlichung des Gegners konnte im rassistischen Kontext des Kolonialimperialismus deutlich übersteigert werden61. Die 55 Bouchène 2012 [1389], S. 103–109. 56 Dierk Walter schlägt „Imperialkrieg“ als übergeordneten Begriff vor. Vgl. Walter 2011 [1479]. 57 Siehe dazu auch Kapitel II.3 „Die Kolonialimperien“. 58 Langewiesche, Buschmann 2007 [1469], S. 189. 59 Kuss 2007 [1493], S. 142. 60 Manceron 2003 [1405], S. 157. 61 Langewiesche 2004 [1467], S. 11–12.
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Europäer erwarteten, dass die „rassisch minderwertigen“ „Bestien“ und „Wilden“ den militärischen Verhaltenskodex des zivilisierten Krieges missachten und entsprechend brutal gegen weiße Soldaten vorgehen würden. Dies betraf vor allem Partisanen in den Guerillakriegen, zumal diese – wie bei den vorherigen Kriegen in Europa – im juristischen Sinne als Kriminelle galten und entsprechend behandelt wurden62. In gleicher Weise wurden die Maßnahmen zur massenhaften Vernichtung der einheimischen Bevölkerung als notwendig und moralisch gerechtfertigt dargestellt. In dieser Interpretation waren sich die imperialen Mächte genauso einig wie in der Überzeugung, dass das „Ausmaß der Gewaltanwendung in den Kolonien nahezu unbegrenzt sein konnte“63. Gleichzeitig wird von Teilen der Forschung festgehalten, dass es keine Befehle gab, welche die Gewaltanwendung legalisierten. Die Entgrenzung der Gewalt in den Kolonialkriegen fand zumeist erst vor Ort statt. Isabel Hull zufolge hat es beispielsweise bei der Niederschlagung des Aufstands der Herero und Nama in Südwestafrika keinen vorherigen Plan zum Völkermord gegeben64. Den sogenannten „Vernichtungsbefehl“ im Oktober 1904 gab General von Trotha nach militärischen Niederlagen seines Vorgängers Leutwein aus. Doch wurde dadurch die Gewalt nicht erst eingeleitet. Vielmehr passte sich von Trotha der Praxis seiner Truppe an, keine Gefangenen zu machen und auch Frauen und Kinder von den Wasserstellen zu vertreiben. Gleiches gilt für die entfesselte Gewalt bei den „Strafaktionen“ gegen den Boxeraufstand, die sich „situativ aus den Bedingungen vor Ort“65 entwickelte. Zeitgenössisch von Charles Callwell, einem britischen Offi zier und Militärtheoretiker als „kleine Kriege“ bezeichnet, weil es zumeist nicht zu offenen Feldschlachten kam, weist die Forschung auf die militärische Asymmetrie der Kolonialkriege hin, bei denen die imperialen Mächte aufgrund von Waffen, Logistik, Organisationsgrad und Wissen eine große militärische Überlegenheit hatten66. Drei Elemente kennzeichneten diese Kriege: zum einen die riesigen Unterschiede bei den Verlusten67. Das extremste Beispiel findet sich in Ostafrika: Während bei der Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstandes 1905–1908 zwischen 250 000 und 300 000 Afrikaner starben, waren es 15 deutsche Soldaten, 389 schwarze Soldaten und Hilfssoldaten sowie 66 Träger68. Ein zweites Merkmal, das gleichwohl nicht überall gilt, ist die Beteiligung afrikanischer Soldaten in den Armeen der imperialen Mächte. Sie stammten teilweise aus 62 Frémeaux 2010 [1527], S. 454. 63 Kuss 2006 [1492], S. 239. 64 Hull 2005 [1488], S. 44–55. Siehe auch Kuss 22011 [1494]. Anders sieht das Zimmerer 2011 [1514], S. 22. 65 Kuss 2007 [1493], S. 136. 66 Callwell 1906 [16]. Vgl. Bührer 2011 [1333], S. 197; Walter 2008 [1478]. 67 Frémeaux 2010 [1527], S. 456. 68 Kuss 2006 [1492], S. 216–217.
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anderen Kolonien und heuerten nach den Kriegen bei anderen imperialen Mächten an. Ein Beispiel dafür sind neben den bekannteren tirailleurs sénégalais deren Pendant aus Madagaskar, wo es zusätzlich Polizeitruppen als garde indigène gab. Als drittes Merkmal gilt, dass nur in sehr wenigen Ausnahmen die Kolonisierten einen Imperialkrieg gewannen69. Aufgrund der Asymmetrie der Kriege gingen die kolonisierten Völker immer stärker zum Einsatz von Guerillataktiken über. Das ließ die Unsicherheit und Nervosität sowie in der Folge die Brutalität aufseiten der Soldaten der Kolonialmächte gegenüber der Zivilbevölkerung ansteigen. Um der Guerilla die Lebensbasis zu entziehen, reagierten die imperialen Mächte mit der Strategie der „verbrannten Erde“, bei der Aufständische und deren Familien erschossen, Dörfer und Felder verbrannt und Vieherden beschlagnahmt wurden70. Wenn Gefangene gemacht wurden, wie beispielsweise in Ostafrika, dann wurden diese zur Zwangsarbeit verschleppt. Massaker und Folter von Zivilisten waren bei den kriegerischen kolonialen Eroberungen genau wie bei der Niederschlagung von Aufständen an der Tagesordnung. Nicht immer handelte es sich dabei um strategische Vernichtung und um Reaktionen auf die Guerillataktik71. Nach der eingangs vorgestellten Definition können Kolonialkriege in ihren unterschiedlichen Ausprägungen insgesamt keine totalen Kriege gewesen sein. So war der militärische Einsatz zwar in Teilen aufseiten der einheimischen Bevölkerungen umfassend, nicht jedoch aufseiten der Kolonialmächte, deren Territorien und Gesellschaften von den Kriegen nicht betroffen waren72. Einzelne Merkmale totaler Kriege lassen sich dennoch bei Kolonialkriegen finden, so etwa der Einsatz von unbegrenzter Gewalt mit genozidaler Tendenz und das Aufheben der Grenze zwischen Kombattanten und Zivilbevölkerung. Zudem zielten die Kolonialkriege in ihrer Konzeption – abgesehen von den begrenzten „Strafexpeditionen“ oder Pazifizierungsaktionen – auf einen totalen Sieg73. Es waren keine deklarierten Kriege, sondern Plünderungs- und Zerstörungskriege außerhalb des internationalen Kriegsrechts, die nur mit der totalen Unterwerfung des Gegners endeten. Bekämpft wurden nicht Regierungen, sondern Völker. Ebenso findet man die bereits erwähnte Dehumanisierung und die Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiden des Gegners bei totalen Kriegen74. Die Vernichtung einheimischer Volksgruppen in genozidalen Kriegen war vornehmlich in Siedlungskolonien anzutreffen, wo allgemein der Einsatz von Brutalität und Gewalt durch die imperialen Mächte größer war. Der Krieg gegen 69 70 71 72 73
Joly 2009 [1528], S. 32–33. Kuss 2006 [1492], S. 216. Frémeaux 2010 [1527], S. 469. Ebd., S. 52; Joly 2009 [1528], S. 32; Trotha 1999 [1505], S. 432. Osterhammel, Jansen 2012 [1324], S. 48; Frémeaux 2010 [1527], S. 51–52; Traverso 2002 [1476]. 74 Trotha 1999 [1505]; Traverso 2002 [1476].
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die Herero und Nama 1904–1907 gilt in der Forschung mittlerweile beinahe einhellig als Genozid. Ihm kommt damit im Vergleich zu den anderen Kolonialkriegen eine Sonderstellung zu75. Das hat die Frage nach der Singularität der deutschen Gewalt auf kolonialen Kriegsschauplätzen allgemein aufgeworfen76. So wird etwa von der Forschung kontrovers eingeschätzt, ob sich die deutschen Truppen bei den „Strafaktionen“ gegen den Boxeraufstand durch besondere Gewaltbereitschaft hervorgetan haben77. Auch wenn es nicht zum Genozid kam, so hat es doch Vernichtungskrieg und systematische Massaker gegen die kolonisierte Bevölkerung in anderen Kolonien ebenso gegeben78. Ein Beispiel ist die französische Eroberung Algeriens in der Zeit von 1830–1872, bei der sich die Forschung jedoch über die Höhe der tatsächlichen Zahl der Opfer uneinig ist79. In dem für dieses Buch relevanten Zeitraum 1870–1918 gibt es für die französische Seite keine Kriege vergleichbaren Ausmaßes mit genozidialem Charakter. Mit großer Gewalt waren die Eroberungen und „Pazifizierungen“ in Vietnam, Madagaskar und Marokko verbunden. Gerade in Madagaskar kam es nach der französischen Eroberung 1895 immer wieder zu Aufständen, die von General Gallieni, Gouverneur von 1896–1905, und von General Lyautey niedergeschlagen wurden80. Zu einem Skandal wuchs sich die Mission Afrique centrale-Tchad der beiden Hauptleute Paul Voulet und Julien Chanoine 1898 / 99 aus, die auf ihrer Expedition im Tschad entlang dem Fluss Niger mehrere Tausend Personen massakrierten und Zehntausende durch Verwüstungen und Plünderungen dem Hungertod aussetzten81. Im Zusammenhang mit diesen Fragen werden auch die Kolonialkriege von der historischen Forschung in eine Kontinuitätslinie mit den Kriegen des 18. und 20. Jahrhunderts gestellt. Nach Ansicht von Olivier Cosson lassen sich die Kriege, in die französische Streitkräfte vom Ende des 19. bis zum Beginn des 20. Jahrhundert involviert waren, sprich der Russisch-Japanische Krieg in der Mandschurei, aber auch der Zweite Burenkrieg in Südafrika und die Balkankriege, als Vorläufer der modernen Kriegführung ab dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts einstufen82. Typische Elemente dieser mediatisierten indus75 Kuss 22011 [1494], S. 428; Frémeaux 2010 [1527], S. 477. 76 Frémeaux 2010 [1527]; Kreienbaum 2010 [1465]; Zimmerer 2009 [1513]; Zimmerer 2008 [1512]; Eckert 2003 [1482]. 77 Der Meinung ist z. B. Hull 2005 [1488], S. 148. Dagegen differenziert Susanne Kuss, dass die deutschen Truppen „hinsichtlich des Zeitpunkts und des Ausmaßes der Gewaltausübung, nicht aber hinsichtlich der Form der Gewaltpraktiken eine Sonderrolle gespielt“ haben, vgl. Kuss 22011 [1494], S. 77. 78 In vergleichender Perspektive dazu Ferro 22010 [1394]; Frémeaux 2010 [1527]. 79 Lefeuvre 2008 [1530], S. 60, 65. 80 Frémeaux 2010 [1527], S. 43, 189–190, 356–357, 361. 81 Taithe 2011 [1421]; Duclert 2010 [118], S. 584–586; Manceron 2003 [1405], S. 202–203; Meyer 1991 [1409], S. 663–665. 82 Cosson 2013 [1444].
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triellen Kriege, von denen der Burenkrieg zusätzlich ein Massenkrieg war, sind Schützengräben, Stacheldraht, Maschinengewehre, Bombardements und blutige, wenn auch fruchtlose Angriffe. Ab 1906 radikalisierte der französische Generalstab zunehmend seine Doktrin zur Idee der „Offensive bis zum Äußersten“ (offensive à outrance). Sie bewirkte umgehend massive Verluste, schien aber allein in der Lage, dem Feind den entscheidenden Schlag zu versetzen, um so das Überleben des eigenen Volkes zu sichern und den Sieg zu ermöglichen. Im August 1914 etwa rechneten die französischen Offi ziere damit, extremer Gewalt ausgesetzt zu werden, waren jedoch auf den Krieg nicht vorbereitet und dachten noch weniger an einen totalen Krieg. Die Kolonialerfahrungen Deutschlands wiederum förderten und beschleunigten in erheblichem Maße die für die Militärkultur der kaiserlichen Armee typischen drastischen Gewaltakte83. Deren Verherrlichung sorgte wiederum dafür, dass brutale Gewalt in bewaff neten Konflikten zur bevorzugten Praxis wurde, begünstigt durch den 1914 bei deutschen Offi zieren vorherrschenden Kult der Offensive, die Missachtung des Kriegsrechts und das Beharren auf dem Sieg um jeden Preis. Vor diesem Hintergrund konnte der Erste Weltkrieg nach seinem Ausbruch auf dem europäischen Kontinent einige der in den Kolonialkriegen eingeübten Praktiken reaktivieren, insbesondere solche, die keine Trennlinie zwischen Kombattanten und Zivilbevölkerung zogen und somit zu Gräueltaten führten. Soweit es also 1914 einen Bruch gab, beruhte er weniger auf der technischen Vervollkommnung der todbringenden Methoden als auf der Einführung von Praktiken, von denen die Bevölkerungen in Westeuropa bis dahin überwiegend verschont geblieben waren84. In Deutschland werden die Kolonialkriege im größeren Rahmen der Sonderwegsdebatte geführt. Umstritten ist vor allem, ob es eine Kontinuitätslinie „von Windhoek nach Auschwitz“85 gegeben habe und der „Rassen-“ und „Vernichtungskampf“ gegen die Herero und Nama ein Vorläufer für die genozidalen Praktiken der Nationalsozialisten bei der Eroberung von „Lebensraum“ im Osten gewesen sei86. Strittig sind dabei neben dem Ausmaß der Ähnlichkeiten in Methodik, Struktur, Mentalität und Sprachgebrauch die Bedeutung mancher personeller Kontinuität sowie vor allem, ob es eine Kausalität gab und das Einüben von Gewalt in kolonialen Zusammenhängen für spätere Kriege als „Ideengeber“ fungierte87. Dieser erste „Tabubruch“, die Vernichtung ganzer Ethnien nicht nur zu denken, sondern auch durchzuführen, so die umstrittene These 83 84 85 86
Hull 2005 [1488]. Langewiesche 2006 [1468]. Zimmerer 2011 [1514]. Ebd.; Madley 2005 [1497]; Zimmerer 32016 [1517]; Zimmerer, Zeller 32016 [1515]. 87 Dagegen argumentieren Gerwarth, Malinowski 2007 [1484]; Hochgeschwen-
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u. a. von Jürgen Zimmerer, habe den Holocaust überhaupt erst ermöglicht. Auch wenn die deutsche Debatte über die Kolonialkriege als Vorläufer und Ermöglicher für den Holocaust in Frankreich kaum wahrgenommen wird88, gibt es in der französischen Forschung mit Blick auf Vichy-Frankreich und Vergleichen des Algerienkriegs 1954–1962 mit dem Holocaust eine ganz ähnliche Diskussion89. Der Schwerpunkt liegt hier jedoch mit der Unterwerfung Algeriens bis 1872 sowie den Dekolonialisierungsprozessen des 20. Jahrhunderts auf anderen Zeiträumen90.
Erster Weltkrieg Der Erste Weltkrieg war zweifellos ein besonderer Krieg: Er war der erste industrialisierte Krieg solchen Ausmaßes und bildete zudem die Geburtsstunde des Konzepts vom „totalen“ Krieg. Als der gegnerische Widerstand die Kriegsmaschinerie ins Stocken brachte und der vermeintlich kurze Krieg sich als Wunschdenken herausstellte, wurden nicht nur immer mehr Soldaten rekrutiert, sondern auch die Bevölkerungen an der Heimatfront herangezogen. Weit mehr als zuvor waren die Nationen in ihrer Gesamtheit dazu aufgerufen, aktiv zu werden und zu kämpfen. Der Machtzuwachs Erich Ludendorffs in Deutschland und die Regierungsübernahme Georges Clemenceaus in Frankreich gingen jeweils in beiden Ländern Hand in Hand mit einer erneuten Mobilmachung, die auf eine allumfassende, bis ins Äußerste betriebene Mobilisierung des Militärs ebenso wie der Zivilbevölkerung abzielte91. Eine solche erweiterte Mobilisierung liegt dem Konzept des totalen Krieges zugrunde, auch wenn diese zur damaligen Zeit noch nicht offiziell im Raum stand. Der Begriff tauchte erstmals 1918 bei Léon Daudet92 auf, der damit die deutsche Art der Kriegführung bezeichnete: „Es ist die Ausweitung des Kampfes in seinen akuten ebenso wie in seinen chronischen Phasen auf die politische, wirtschaft liche, kaufmännische, industrielle, intellektuelle, juristische und finanzielle Ebene. Dabei treten nicht nur Armeen gegeneinander an, sondern auch Traditio-
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der 2007 [1460]; Kundrus 2003 [1353]. Vgl. auch Traverso 2002 [1476]; Krüger 1999 [1491]. Joly 2009 [1528], S. 186; Manceron 2007 [1407], S. 52. La Cour Grandmaison 2005 [1398]. Zur Kritik siehe Baruch 2006 [1521]; Saada 2006 [1532]. Ferro 22010 [1394]; Coquery-Vidrovitch 2009 [1391]; Michel 2009 [1319]; Jahan, Ruscio 2007 [1395]; Bertrand 2006 [1384]; Le Cour Grandmaison 2005 [1398]. Ludendorff forderte für den Generalstab eine Vormachtstellung bei der Organisation der totalen Mobilisierung im Dienste des Militärs; Clemenceau predigte den „bedingungslosen Krieg“ (guerre intégrale) unter Führung der Zivilregierung. Daudet 1918 [18].
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nen, Institutionen, Bräuche, kulturspezifische Verhaltens- und Denkweisen, vor allem aber die Banken.“93 Besonders in den 1920er- und 1930er-Jahren wurde der Begriff des totalen Krieges zur Charakterisierung des Ersten Weltkriegs mehr und mehr Allgemeingut, wenn auch noch ohne verbindliche Definition. Man meinte damit ein Phänomen, das sich nicht auf die militärische Front, nicht einmal auf die Politik beschränkte, sondern die gesamte Gesellschaft betraf. Auf dieser Definition fußte auch die Bedeutung, die Ludendorff dem Begriff 1935 gab, obwohl er noch einen Schritt weiter ging und ihn im Rahmen einer übergeordneten Vorstellung von Krieg und Gesellschaft vereinnahmte: Gerade wegen seiner gewaltigen Dimensionen erforderte der moderne Krieg die Bereitstellung ausnahmslos aller materiellen und moralischen Ressourcen. Und das konnte in seinen Augen nur eine Militärdiktatur gewährleisten. Je nach persönlicher Situation verstanden die Zeitgenossen unter einem totalen Krieg nicht dasselbe, und auch Historikerinnen und Historiker, die sich mit diesem Thema auseinandersetzten, gelangten zu keiner Übereinstimmung. Kernaspekt einer denkbaren Definition ist gewiss die Frage, ob es eine totale Mobilmachung durch eine militärische und bürokratische Maschinerie auf Betreiben einer nationalen Führungsriege gab. In Bezug auf den Ersten Weltkrieg sind die Forschenden jedoch geteilter Meinung: Einige sehen in ihm den ersten totalen Krieg, andere meinen, der Begriff werde ihm nicht gerecht. Am weitesten verbreitet und akzeptiert ist die Einstufung des totalen Krieges als Idealtypus nach Weberscher Definition. Man kann deshalb zumindest zu klären versuchen, welche der zu Beginn dieses Kapitels genannten Merkmale dieses Idealtypus’ in der realen Situation des Ersten Weltkriegs tatsächlich erkennbar sind94. Was die Kriegsziele betrifft, stellte der Erste Weltkrieg ein Novum dar: Frankreich und Deutschland wollten unter anderem den Status ihrer Feinde als Großmacht zunichtemachen, ja sogar ihr Staatswesen auslöschen, denn beide erlebten den anderen grundsätzlich als Gefährdung der eigenen Existenz. Derartige Kriegsziele lassen sich nicht als reine Drohgesten deuten, sondern belegen die Absicht, den Feind ein für alle Mal zu vernichten, wie sie sich etwa im Vertrag von Brest-Litowsk oder in der französischen Haltung bei der Pariser Friedenskonferenz spiegelte. In Versailles schlossen die Siegermächte Deutschland von den Verhandlungen aus; allein der Einfluss der angelsächsischen Unterhändler verhinderte die Durchsetzung der französischen Maximalforderungen. Was die Art der Kriegführung betrifft, so belegen die Genfer und Haager Abkommen über die Behandlung von Zivilisten und Kriegsgefangenen von 1864 und 1906 beziehungsweise 1899 und 1907, dass Kriegsgräuel keine Erfindung des 93 Zitiert nach: Guiomar 2004 [1458], S. 12–13. 94 Förster 2002 [1454]; Förster 1999 / 2000 [1455].
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Ersten Weltkriegs waren. Allerdings wurden diese internationalen Konventionen von 1914 bis 1918 bei Weitem nicht eingehalten. Eklatante Verstöße bildeten etwa der uneingeschränkte U-Boot-Krieg, der Einsatz chemischer Kampfstoffe, die massiven Bombardements oder die Taktik der verbrannten Erde. Auch die Repressionen gegen die Zivilbevölkerung unter dem Vorwand, gegen Freischärler vorzugehen, oder der Umgang mit Kriegsgefangenen, die teilweise unmittelbar hinter der Frontlinie untergebracht waren, verstießen zweifellos gegen geltendes Recht. Solche Praktiken ergaben sich zum Teil aus den vorgegebenen Kriegszielen, wurden aber ebenso durch die Entwicklung neuer technischer Hilfsmittel und die höhere Zerstörungskraft der Waffen begünstigt. Doch diesem düsteren Bild zum Trotz hielt man zumindest bei den konkreten Methoden der Kriegführung gewisse Grenzen und Regeln ein. Waffenstillstände an der Front ermöglichten beiden Seiten, ihre Toten und Verwundeten zu bergen. Die meisten Kombattanten hielten sich an die Praxis, gegnerische Soldaten nicht zu töten, sondern Gefangene zu machen, die zwar oft zur Arbeit herangezogen wurden, jedoch durch Vermittlung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz Briefe und Päckchen empfangen durften; dank bilateraler Abkommen wurden verwundete oder erkrankte Kriegsgefangene unter Umständen sogar nach Hause entlassen95. Auch die Ausweitung des Krieges auf feindliche Zivilisten war nicht immer und überall die Regel96. Zudem unterstützten Hilfsorganisationen von neutralen Staaten aus die Bevölkerungen in den besetzten Gebieten, etwa die Commission for Relief in Belgium unter Federführung des Industriellen und späteren US-Präsidenten Herbert Hoover. Was den Umfang der Mobilmachung betrifft, so fällt in erster Linie die Aufstellung von Massenheeren auf. Sie basierte auf der seit den Revolutionskriegen in Europa Zug um Zug eingeführten Wehrpflicht, die zunächst junge Männer betraf, sich aber zunehmend auf immer größere Bevölkerungsgruppen ausweitete. Parallel zum Kampf an der Front wurden die Kriegsanstrengungen ebenfalls auf den Staat und die Bevölkerung in der Heimat ausgedehnt. In dieser Hinsicht ist im Ersten Weltkrieg eine deutliche Steigerung erkennbar, wurden doch Wirtschaft und Gesellschaftsleben großenteils in das Kriegsgeschehen einbezogen. Allerdings gilt es auch in dieser Hinsicht zu differenzieren: Alle Versuche, tatsächlich sämtliche Ressourcen für den Krieg zu vereinnahmen, wie es vor allem das Hindenburg-Programm in Deutschland anstrebte, schlugen fehl. Der Streit um Ressourcen zwischen Armee und Bevölkerung, die zugunsten Ersterer entschieden wurde, führte zur Erschöpfung der materiellen Grundlagen, die eigentlich den Nachschub für die Front sichern sollten. Zudem unter-
95 Becker 1998 [1699]; Speed 1990 [1473]. 96 Allgemein: Howard 1979 [1463]. Speziell zu den Bombardements: Barros 2009 [1427].
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minierte man damit die moralische Unterstützung in der Zivilbevölkerung und löste massive Versorgungsengpässe aus. Was die totale Kontrolle der Lebensbedingungen im jeweiligen Land betrifft, war die offensichtlichste Zwangsmaßnahme die Einberufung zum Wehrdienst. Darüber hinaus ging es jedoch generell darum, alle Lebensbereiche der staatlichen Kontrolle zu unterwerfen und auf diese Weise effektiv mobilzumachen. Dazu musste man den Widerstand im Volk brechen, eine effiziente Organisation ins Leben rufen und durch soziale Lenkung und Propaganda die Menschen auf Billigung oder gar Begeisterung einstimmen. Paradoxerweise bedingten gerade die Bemühungen der Führungsriege um totale Kontrolle in Wahrheit ein Chaos. So mündete schließlich Ludendorffs Politik in die Niederlage Deutschlands und in die Revolution. Insofern markierte der Erste Weltkrieg in gewissen Aspekten einen Wendepunkt, der das von Eric Hobsbawm diskutierte „kurze 20. Jahrhundert“97 einläutete oder die von George Kennan beschworene „Urkatastrophe“98 bildete. Nach Ansicht von Roger Chickering setzte sich der Erste Weltkrieg von den zuvor schon vorhandenen Vorboten des totalen Krieges zunächst sogar eher ab, als daran anzuknüpfen, denn die ersten Kriegsphasen standen im Zeichen von Überraschungen, Zufällen, Gewaltausbrüchen gegen Kombattanten und Zivilisten sowie der Fokussierung von Politik und Kultur auf die Volksgemeinschaft. Die für die industrielle Mobilmachung zuständigen Einrichtungen, die in den Augen vieler den totalen Krieg am eindrücklichsten verkörperten, entstanden dabei weniger nach einer vorgegebenen Logik als vielmehr abrupt, als man im herrschenden Klima der Verwirrung, Unsicherheit und Improvisation den komplexen Beziehungen zwischen den Forderungen des Militärs und der wirtschaft lichen Umstrukturierung Herr zu werden versuchte99. Durch das Aufgebot riesiger Heere geriet der Krieg schon früh ins Stocken, denn trotz der praktisch pausenlosen Kämpfe kamen gezielte Operationen nicht voran. Angesichts dieser militärischen Sackgasse verlagerte sich die Entscheidung auf die Produktionskapazität der gesamten Bevölkerung. Zivilisten erfüllten eine ebenso wichtige Funktion wie Soldaten. Eine entscheidende Rolle spielte dabei Anfang September 1914 die Marne-Schlacht. Durch die Verzehnfachung des Waffen- und Munitionsverbrauchs führte sie den Bedarf überdeutlich vor Augen und heizte die Mobilisierungsmechanismen in der Heimat an. Man kann deshalb davon ausgehen, dass über den ersten Bruch hinaus in einem zweiten Schritt eine allmähliche Anpassung und Totalisierung des Kriegs einsetzte. Eine wichtige Etappe bildete dabei der Übergang zum Stellungskrieg an der Westfront. „Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch!“ Diese beängstigende 97 Hobsbawm 1994 [74]. 98 Kennan 1979 [344], S. 12. 99 Chickering 2000 [1440].
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Feststellung findet sich in einem Brief vom Januar 1915100. Wie John Horne schilderte, ließen die Krieg führenden Mächte als Reaktion auf die brutalen Attacken Schützengräben ausheben, verfolgten eine Abnutzungsstrategie mit weiterentwickelter Artillerie und setzten auf technologische Eskalation und wirtschaft liche Konfrontation mit allen Mitteln, um dann wieder in die Offensive gehen zu können. Damit leisteten sie der Mobilmachung der gesamten Gesellschaft und sämtlicher Ressourcen Vorschub, einschließlich derer aus den Kolonien. Horne sieht den Wendepunkt des Ersten Weltkriegs in eben diesem Anpassungsmechanismus101. Die Totalisierung des Krieges geht von ihrem Grundsatz her allerdings weit über das Jahr 1915 und sogar den Ersten Weltkrieg als solchen hinaus. Es mag 1914 einen Bruch gegeben haben, doch kamen die Anpassungsbemühungen erst ab 1915 in Gang; die Verhältnisse in den besetzten Gebieten verschärften sich 1916, und die taktische Wende war für die Frontkämpfer nicht vor 1917 erkennbar. Insofern ist der Prozess komplex und schwer greifbar102. Unter dem Gesichtspunkt der Gewalt war das Schicksal der Armenier im Osmanischen Reich ab 1915 in den letzten Jahren Gegenstand weiterer Untersuchungen103. Die an ihnen verübten Massaker waren lange als eigenständiges Ereignis gewertet worden. Erst durch die Einstufung des Völkermords an den Armeniern als Teil des Kriegsgeschehens erhielt auch der Erste Weltkrieg neues Gewicht als entscheidende Etappe in der zunehmenden Gewaltanwendung gegen Zivilisten104. An der Westfront war ab 1916 eine Zuspitzung der Gewalt105 und eine Dynamik wechselseitiger Repressalien erkennbar, insofern als die Brutalität der Kriegführung ihrerseits der Verrohung immer weiter Vorschub leistete. In der Hoffnung auf den Sieg war keine der beiden Seiten bereit, diese Spirale der Gewalt zu durchbrechen106. In diesem Kontext kam die Frage auf, ob eine Form der Brutalisierung107 dafür sorgte, dass die im Kampf erlernten Praktiken über das Kriegsende hinaus nachwirkten108.
100 Zitiert von: Thoss, Volkmann [1504], S. 16. Dieses Zitat diente als Titel für einen Sammelband: Hirschfeld, Krumeich, Renz 1993 [1551]. 101 Horne 2010 [1461]. 102 Ebd., passim. 103 Becker, Bozarslan, Duclert 2015 [1431]; Bozarslan, Duclert, Kévorkian 2015 [1436]; Dadrian 1999 [1447]; Dadrian 1995 [1446]. 104 Der zeitgenössische Begriff „Massaker“ verschleierte die gezielte, radikale Vernichtung des armenischen Volkes 1915–1916. Der Begriff „Völkermord“ kam erst 30 Jahre später für den Völkermord an den Juden durch die Nazis auf. Manche halten das Schicksal der Armenier für eine neue Dimension des Genozids, die den weiteren Verlauf des Jahrhunderts prägte, auch wenn die Verknüpfung mit dem Völkermord an den Juden umstritten ist: Travis 2013 [1862]; Kieser, Schaller 2002 [1841]. 105 Leonhard 2016 [1659]. 106 Loez 2008 [1558], S. 40. 107 Mosse 1990 [1848]. 108 Zu der von den Arbeiten George Mosses angestoßenen Debatte über Brutalisierung siehe Beaupré 2009 [70], S. 230–237.
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Der Erste Weltkrieg stellte also zweifellos einen Wendepunkt dar, doch handelte es sich tatsächlich um einen totalen Krieg? Akteure wie Ludendorff oder Jünger waren davon keineswegs überzeugt, zumindest im Rückblick. In ihren späteren Aussagen109 beklagten beide, die schwache politische Führung des Deutschen Reiches habe keine rückhaltlose Mobilisierung insbesondere der Heimatfront zugelassen und die Gesellschaft nicht genügend in die Kriegsanstrengungen einbezogen. Dieser Vorwurf ist untrennbar von ihren ideologischen Einstellungen und spiegelt ihren Wunsch, den durch die Niederlage sanktionierten mangelnden Kampfgeist ihres Landes im Ersten Weltkrieg zu verwinden. Ihr Bedauern unterstreicht die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität, und letztlich zugleich, dass es sich nicht um einen totalen Krieg handelte. Selbst im Hinblick auf das Vorgehen gegen Zivilisten gilt es zu differenzieren. Zwar trifft es zu, dass sich die Seeblockade der Briten primär gegen die Zivilbevölkerung richtete und dass dies zum Teil ebenso für den daraufhin forcierten U-Boot-Krieg galt. In gleicher Weise ist es richtig, dass die Bombenangriffe zivile Ziele trafen, von den Gräueltaten im Zuge der Invasionsphase und der Deportationen aus den besetzten Gebieten ganz zu schweigen. Der Bewegungskrieg wirkte sich für die Bevölkerungen verheerend aus, während im Gegenzug die Stabilisierung der Fronten die Menschen sogar in Europa selbst zum größten Teil schonte, weil sie das Kriegsgebiet vor allem an der Westfront auf eine relativ begrenzte Zone beschränkte. Aufgrund der wirtschaft lichen und sozialen Mobilmachung hatte dieser Krieg zudem Auswirkungen auf die Heimatfront, wenn auch eher in Gestalt der Lebensumstände und des Verlusts von Freiheiten als in Form einer erhöhten Sterblichkeit. Schlussendlich ist der Begriff des totalen Kriegs eine Festlegung, die wenig Spielraum für Nuancen bietet. Bezogen auf den Ersten Weltkrieg beinhaltet er erhebliche Einschränkungen insofern, als er dazu verleiten kann, die materiellen und moralischen Grenzen auszuklammern, denen die Kriegführung konkret unterlag. Deshalb ist bei der Verwendung dieses Begriffs Vorsicht geboten, um nicht die Rhetorik des Krieges mit seiner Realität zu verwechseln: Der Unterschied zwischen Front und Heimat war niemals ganz verschwunden, ebenso wenig wie die Geschlechterrollen aufgelöst wurden. Von einer höheren Warte aus betrachtet, unterliegt der Begriff erst recht grundlegenden methodologischen Einschränkungen, denn er begünstigt eine verallgemeinernde, nicht selten schematische Betrachtungsweise aus einer teleologischen Perspektive110. Er schafft einen weiten analytischen Rahmen, dem es zwar nicht an Fundamenten fehlt, der jedoch eine unaufhaltsam fortschreitende Eskalation suggeriert. Dies ist umso fragwürdiger, als die Geschichte seit 1945 diese Sichtweise nicht bestätigt. Eine solche Rekonstruktion birgt die Gefahr, Prozesse zu rationalisie109 Ludendorff 1935 [34]; Jünger 1930 [26]. 110 Chickering 2000 [1440].
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II. Fragen und Perspektiven
ren, die nicht rational waren, und erst später entstandene Vorstellungen auf die Zeit von 1870 bis 1918 zu projizieren und in einem linearen Zeitbogen zu verorten, der vermeintlich von den Revolutionskriegen bis zur Bombardierung von Dresden und Hiroshima reicht. Dabei könnte man jedoch aus dem Blick verlieren, dass historische Entwicklungen widersprüchlich sind und von mehr oder weniger zufälligen Rahmenbedingungen abhängen und dass die Zukunft deshalb in jeder Epoche gleichermaßen offen war. Trotz dieser Einschränkungen ist der Begriff des totalen Krieges bei kritischer Verwendung insbesondere als Instrument des Vergleichs bei modernen Kriegen zweifellos nützlich, wenn berücksichtigt wird, dass es sich um einen nie eingelösten Idealtypus handelt. Vor allem lässt sich auf diese Weise aus der enorm umfangreichen Historiografie, die ihm gewidmet ist, am besten Gewinn ziehen.
5. Durchhalten im Krieg – an der Front und in der Heimat
5. Durchhalten im Krieg – an der Front und in der Heimat
Anders als der Deutsch-Französische Krieg von 1870 / 71, der bereits nach wenigen Monaten mit einem klaren Sieg der Deutschen über die Truppen des Second Empire und später der Regierung der nationalen Verteidigung der Republik zu Ende ging, zeichnet sich der Erste Weltkrieg nicht nur durch seine Heft igkeit, sondern auch durch seine Dauer aus. Das Zusammengehen beider Merkmale mag auf den ersten Blick widersprüchlich wirken, lenkt jedoch den Blick auf die zentrale Frage der Durchhaltefähigkeit der beiden Gesellschaften im Krieg.
Durchhalten an der Front: Streitpunkt Zustimmung Diese Frage betrifft in erster Linie die Frontkämpfer, die in diesem Konflikt buchstäblich in der Schusslinie standen: Sie waren es, die Krieg „führten“. Ohne sie hätte er nicht andauern können. Die Frage, warum sie auf ihrem Posten verharrten und – damit verbunden – ob sie den Krieg tatsächlich befürworteten, ist im Grunde nicht neu. Von den 1970er- bis zu den 1990er-Jahren wurde sie in beiden Ländern in Untersuchungen zu den Frontkämpfern gestellt, die immer klarer deren Lebens- und Kampfbedingungen herausarbeiteten und sich zunehmend fragten, wie die Männer unter solchen Umständen mehr als vier Jahre durchhalten konnten. Die in solchen Studien erarbeiteten Erklärungen beziehen sich jeweils auf eine Armee unter den Gesichtspunkten von Disziplin und Hierarchie. Leonard Smith hat dies in Bezug auf die französische Armee analysiert im Gefolge britischer Untersuchungen, die vor allem nach einem Zusammenhang zwischen der militanten Haltung und den Arbeitspraktiken der Arbeiter und dem Zusammenhalt in der Armee suchten1. Smith betrachtete die französische Armee im beschränkten Rahmen der 5. Infanterie-Division über die gesamte Dauer des Krieges. Anhand dieses Ausschnitts analysierte er das Beziehungsgeflecht zwischen den Kommandierenden und den Soldaten, in dem die subalternen Offiziere eine zentrale Vermittlerrolle einnahmen. Smith zufolge wuchsen die Anforderungen an die Soldaten (Erschöpfung, Verluste etc.) proportional zum Wert dessen, wofür sie kämpften. Dabei griff Smith das von Guy 1 Ashworth 1980 [1613]; Winter 1978 [1692].
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Pedroncini angestoßene Thema der Meutereien auf, wenn auch aus einem anderen Blickwinkel: Sie seien gleichermaßen militärischer Streik wie staatsbürgerlicher Protest gewesen. Die Meuterer hätten der Regierung ihre Forderungen durch ihre Offiziere übermitteln lassen, weil sie sich nach wie vor als Staatsbürger fühlten und nach dem Scheitern der militärischen Offensive im April 1917 Einfluss auf die politischen Entscheidungen nehmen wollten. Aus dieser Konstellation heraus hätten die Staatsbürger in der Uniform der französischen Armee sich standhaft dem Kampf gestellt, doch war ihr Einsatz mit Auflagen verbunden: Die Eingebundenheit in die Republik habe zugleich den Soldaten Grenzen für ihren Ungehorsam wie den Befehlshabern Grenzen für die Anforderungen an ihre Untergebenen vorgegeben2. Im Gegensatz dazu fragte die Forschung bei der deutschen wie bei der russischen Armee, wie es letztlich zur Auflösung kam. Die anfangs patriotischen, staatstreuen Deutschen hätten nach und nach das Vertrauen in ihre Offi ziere eingebüßt, nachdem sie jahrelang elende Lebensbedingungen hatten ertragen müssen, denen ihre Befehlshaber nicht ausgesetzt waren. Ab Sommer 1918 hätten sie zudem den Glauben an ein siegreiches Kriegsende verloren und sich deshalb geweigert, für einen aussichtslosen Krieg ihr Leben zu opfern. Es habe sich um eine Art „verdeckten Streik“ gehandelt, ausgelöst durch Erschöpfung, Hunger und verebbenden Kampfgeist3. Insgesamt nahm diese Form der Geschichtsschreibung der Kriegserfahrungen beinahe anthropologische Züge an, denn sie betrachtete die Männer in den Schützengräben als Gesellschaft im Kleinen, die nach eigenen Regeln funktionierte, interne Konflikte austrug und spezifische Schwankungen durchlief. Ab den 1990er-Jahren setzte die Historiografie immer expliziter auf Vergleiche und gelangte mehr und mehr zu der Annahme, die Kriegserfahrungen seien in den verschiedenen Armeen nicht grundsätzlich verschieden gewesen. Die Frage nach Durchhaltefähigkeit und Zustimmung stellte sich dabei ganz generell: „Warum blieben die Männer unter derart entsetzlichen Bedingungen so lange auf ihren Posten? Wie erklärt sich die viel beachtete ,Zustimmung‘ der Europäer?“4 Die Antworten hierauf fallen unterschiedlich aus, wobei sich zwei Hauptthesen als diametral entgegengesetzt erweisen5. Die These der Zustimmung löste um die Jahrtausendwende zunächst in Frankreich heft ige Diskussionen aus und polarisierte, fand jedoch auch einen Nachhall in der internationalen Forschung zum Ersten Weltkrieg6. Einen wichtigen Impuls für einen Neubeginn der Historiografie zum Ersten Weltkrieg in Frankreich gab 1992 die Gründung des Historial de la Grande 2 3 4 5 6
Smith 1994 [1684]. Deist 1992 [1808]; Deist 1970 [1635]. Rousseau 22003 [1680], S. 28. Bauerkämper, Julien 2010 [1537]. Purseigle 2007 [1859].
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Guerre in Péronne, auf dem Gelände, wo sich während der Schlacht an der Somme das deutsche Hauptquartier befand. Das Historial umfasst ein Museum und ein Forschungszentrum, an dem ein internationales Historikerteam tätig ist7. Nach Einschätzung der Historikerinnen und Historiker, die das Historial gegründet haben, haben die Soldaten den Kriegsanstrengungen überwiegend zugestimmt. Diese Zustimmung erfolgte aus ihrer Sicht vorbehaltlos, auch wenn sie heute aus dem zeitlichen Abstand und der veränderten Einstellung zum Krieg heraus nur noch schwer nachvollziehbar ist. Warum dieser Konsens bei den Frontkämpfern so ausgeprägt war, erklärt sich nach Meinung dieser Forschenden durch mehrere zentrale Aspekte: durch die Solidarität unter den Kombattanten und durch das Gemeinschaftsgefühl mit den Kameraden – ein häufig wiederkehrendes Thema in vielen Schilderungen von Frontsoldaten. Ein weiterer Faktor war die Identifi kation der Europäer mit ihrer jeweiligen Nation, die sich etwa in freiwilligen Meldungen zur Front äußerte und auch dann noch anhielt, als der imaginäre Krieg in einen realen Krieg umschlug. Das Scheitern der Meutereien sei gerade in Frankreich ein Zeichen für die Verbundenheit mit der Nation und die Stärke des Patriotismus gewesen, denn von insgesamt zwei Millionen Soldaten erhoben sich lediglich 40 000, noch dazu erst spät im Kriegsverlauf, und gaben auf, bevor die Heeresleitung gegen sie vorgehen konnte. Zudem schöpften die Soldaten ihren Durchhaltewillen aus glühender Vaterlandsliebe in Verbindung mit einer Abneigung gegen den Feind, die sich leicht bis zum Hass steigern konnte. In dieser Hinsicht bezeugen die patriotischen Ausstellungsstücke des Historial eine weite horizontale Verbreitung des Patriotismus, der sogar seine Schubkraft stärker von unten erhielt als durch eine von oben eingesetzte Propaganda8. Im Gegenzug zu dieser generellen These schlossen sich – ebenfalls in Frankreich – andere Historikerinnen und Historiker zu einer lockeren Gruppierung zusammen: dem Collectif de recherche international et de débat sur la guerre de 1914–19189. Sie verwenden den Begriff der „patriotischen Zustimmung“ (consentement) der Frontkämpfer, nur in Anführungszeichen, da man den Krieg in erster Linie als erzwungene Gewalt sehen müsse. Dass die Soldaten so lange durchhielten, sei vor allem der Tatsache geschuldet, dass sie gar keine andere Wahl gehabt hätten. Zwar hätten die Armeen nicht damit gerechnet, dass der Krieg so lange dauern und solche Formen annehmen würde, doch habe sich dies auf die Aufrechterhaltung der Disziplin nicht ausgewirkt, denn die Militärjustiz sei unerbittlich und das Arsenal ihrer disziplinarischen Maßnahmen drakonisch gewesen. Verstärkt wurde die Disziplin nach dieser Lesart durch eine in der Schule und am Arbeitsplatz antrainierte Kultur des Ge7 Historial de la Grande Guerre, https: / / www.historial.org. 8 Audoin-Rouzeau, Becker 2000 [1534]. 9 CRID 14–18, http: / / www.crid1418.org / agenda / .
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horchens. Der Gehorsam gegenüber dem Lehrer, dem Pfarrer, dem Vorarbeiter sei nahtlos in Gehorsam gegenüber dem Offizier übergegangen. Hinzu kam der erhebliche Druck, den die Heimat auf die Soldaten ausübte, waren doch Feldpostbriefe und in geringerem Umfang Fronturlaube äußerst wichtig, um die Bindung zu ihren Familien aufrechtzuerhalten. Dieser Druck verschärfte sich durch die fest verinnerlichte Verteilung der Geschlechterrollen in Kriegszeiten: Männer mussten kämpfen, um ihre Frauen zu verteidigen. Angesichts all dieser Zwänge müsse man, so die Forschenden des CRID, eher von Gehorsam und Unterwerfung sprechen als von Zustimmung. Zudem erfordere die Geschichte des Krieges neben dem kulturellen genauso einen sozialen und politischen Ansatz. Mehr noch als die Zustimmung der Soldaten zum Krieg müsse man über die staatlichen Strukturen diskutieren, die ihre Bürger bis in ihr Privatleben hinein überwachten, mit Propaganda überschütteten und einer Ausnahmejustiz aussetzten. Sicherlich mobilisierte der Krieg die Gesellschaft, doch sei vor allem zu analysieren, inwieweit er den Staat mobilisierte10. Zwischen der von Antoine Prost als „Schule des Zwangs“ (école de la contrainte) und als „Schule der Zustimmung“ (école du consentement) benannten Lager11 entbrannte zu Beginn der 2000er-Jahre eine Debatte, die regelmäßig wieder aufflammte, etwa noch anlässlich des 90. Jahrestages des Kriegsendes12. Hinter der Auseinandersetzung stehen diametral entgegengesetzte Haltungen dazu, wie Geschichte geschrieben werden soll. Soll man sich ihr hauptsächlich über die Kultur und ihre Diskurse annähern, oder eher über die Praktiken und ihre Kontextualisierung unter anderem in Gestalt von Sinnzuschreibungen, institutionellen Mechanismen und sozialen Beziehungen? Die neueren Arbeiten lassen einige aktuelle Forschungsströmungen erkennen. Im Großen und Ganzen tendieren sie zur Differenzierung: Es gab viele Gründe, warum Soldaten kämpften. Zweifellos gab es Zustimmung (im weitgefassten Sinn als verhandelte Akzeptanz13), jedoch nur in begrenztem Umfang und nur phasenweise, sodass sie sich nicht isoliert von Ungehorsam betrachten lassen. Die neueren Arbeiten ermöglichen es, in den nationalen Historiografien ähnliche Fragen in den Vordergrund zu stellen und die zahlreichen Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Armeen aufzuzeigen. In Bezug auf die deutsche Armee hob Eric Leed bereits 1979 hervor, die Soldaten hätten den Krieg als aufgezwungene Arbeit empfunden, die sie lebend überstehen mussten, ohne dass die bedingte Gemeinschaft im Angesicht der 10 Rousseau 22003 [1680]; Cazals, Rousseau 2001 [1629]; Kolloquium des CRID „Les mises en guerre de l’État. 1914–1918 en perspective“, abgehalten in Paris, Laon und Craonne im Oktober / November 2014. 11 Prost 2002 [1857]. 12 Buton u. a. 2014 [1833]; Audoin-Rouzeau 2009 [1828]; Buton u. a. 2008 [1832]; Le Naour 2008 [1846]. 13 Prochasson 2008 [1855].
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Gefahr die sozialen Schranken beseitigt hätte14. Ulrich Bröckling unterstrich in seiner Arbeit über die Entwicklung der militärischen Disziplin im Laufe der Jahrhunderte die grundlegende Solidarität der Primärgruppen im Alltag des Ersten Weltkriegs15. Benjamin Ziemann, der sich bei seiner Analyse auf bayerische Bauern konzentrierte, schilderte die Auswirkungen militärischer Zwänge auf den Zusammenhalt der Truppen, betonte dabei jedoch nachdrücklich den starken sozialen Druck seitens Familie und Nachbarn, aber auch von den Kameraden in derselben Kleingruppe. Dieser soziale Konformismus habe für die Durchhaltefähigkeit im Feld eine ebenso wichtige Rolle gespielt wie für den weitgehenden Verzicht auf Ungehorsam, wie man ihn in kämpfenden Truppen findet, etwa in Form von Simulation, Selbstverstümmelung, Fahnenflucht, Insubordination und im Ausnahmefall sogar Meuterei16. Anne Duménil verwies hingegen auf die Verknüpfung zwischen dem einvernehmlichen Gehorsam der Soldaten und der legitimen Autorität der Offi ziere, die ihrer Meinung nach Stabilität und Effizienz des deutschen Militärwesens erklären. Damit unterstrich auch sie die Rolle der kämpfenden Primärgruppe als materielle und moralische Gemeinschaft. In dieser Kleingruppe lernt der Soldat, Krieg zu führen; durch und für sie überlebt er die Schlacht; in ihrem Rahmen werden kollektive Vorstellungen geprägt17. Anne Lipp zeigte anhand der Äußerungen von Soldaten in Feldpostbriefen und Tagebüchern aus den Schützengräben, dass die Propaganda ihre Vorstellungen nur in sehr begrenztem Umfang beeinflusste18. Aribert Reimann erweiterte diese Analyse durch den Vergleich der sprachlichen Wahrnehmungs- und Deutungsmuster britischer und deutscher Frontkämpfer mit einem ganz ähnlichen Ansatz wie Odile Roynette in Bezug auf Frankreich. Beide Arbeiten verdeutlichen die weitgehende Symmetrie zwischen den Schemata, mit denen die Soldaten den Krieg schilderten19. Sven Oliver Müller ergänzte, dass die Nation als einer dieser Bezugsrahmen auf beiden Seiten weniger als Wertegemeinschaft mit Integrationskraft verstanden wurde als vielmehr als Kommunikationsmittel, das in erster Linie zur Legitimation um jeden Preis diente20. Wiederum anhand des Vergleichs zwischen Deutschland und Großbritannien beschäft igte sich ebenso Alexander Watson eingehend mit der Frage der Durchhaltefähigkeit der Frontkämpfer, die er nicht einfach als Opfer einer Tragödie verstanden wissen will, denn sie hätten im Großen und Ganzen an die Richtigkeit ihres Tuns geglaubt. Auch er unterstreicht allerdings, dass der Krieg den Soldaten keinen Spaß gemacht und keine Befriedigung verschafft habe: Das 14 15 16 17 18 19 20
Leed 1979 [1658]. Bröckling 1997 [1627]. Ziemann 1997 [1794]. Duménil 2000 [1638]. Lipp 2003 [1662]. Roynette 2010 [1681]; Reimann 2000 [1678]. Müller 2002 [1759].
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Töten sei unpersönlich gewesen und nicht etwa aus Hass gegenüber dem Feind erfolgt. „Aktive“ Motivationen zu kämpfen wie Patriotismus und der Wille, die Heimat zu verteidigen, habe es zwar gegeben, doch seien die „passiven“ Motivationen wie sozialer Druck und Leitcharakter der Kleingruppe stärker ausgeprägt gewesen. Zwei elementare Faktoren erklären seiner Meinung nach, warum die Soldaten vier Jahre Krieg weniger „durch“-gehalten als vielmehr „aus“-gehalten hätten: Ihre Belastbarkeit habe zum einen auf „mentalen Anpassungsstrategien“ beruht; die Männer hätten sich teils in Humor, teils in Frömmigkeit geflüchtet, beides Mittel, um die Gefahren in den Hintergrund zu drängen. Der zweite Faktor seien die Führungsqualitäten der Vorgesetzten gewesen. Zwischen Verbindungsoffizieren und Mannschaften habe ein Vertrauensverhältnis auf der Basis eines Paternalismus bestanden, den man in der deutschen Armee ebenso fand wie in der British Army. Insgesamt seien die Beweggründe für die Durchhaltefähigkeit auf beiden Seiten ähnlich gewesen. Im Übrigen habe die deutsche Armee den Krieg nicht aufgrund mangelnder Kampfmoral verloren, sondern erst ihre materielle Unterlegenheit habe den Sieg der Alliierten begünstigt. Der Rückzug der Deutschen sei keine heillose Flucht gewesen, sondern von den Offizieren organisiert und geregelt worden21. Diese Perspektive lässt sich auf die französische Armee übertragen: Wie etwa Emmanuel Saint-Fuscien aufzeigte, gewährleisteten auch dort gute zwischenmenschliche Beziehungen zwischen Offizieren und Mannschaften, dass die Männer bis zum Kriegsende durchhielten, während der Respekt vor unpersönlichen hierarchischen Strukturen zunehmend schwand 22. Das Konzept des „Ertragens“ (endurance) war im November 2008 am Historial de la Grande Guerre in Péronne ein Thema des Kolloquiums „Dans la guerre (1914–1918): accepter, endurer, refuser“. Ziel des Kolloquiums war es, das Problem des Einsatzes für den Krieg neu zu formulieren, und zwar mittels eines anderen Ansatzes, der in der Lage sein sollte, die verhärteten Fronten zwischen den Befürwortern und Gegnern der „patriotischen Zustimmung“ aufzubrechen23. Bleibt noch die teils mehr, teils weniger starke Gewichtung der Phänomene, in denen sich eine Ablehnung des Krieges ausdrückte. Nur vereinzelt finden sich bisher wissenschaft liche Monografien, die sich speziell mit diesem Aspekt beschäft igen, von Fraternisierungen bis zu den verschiedenen Ausweichstrategien der Soldaten24. Christoph Jahr untersuchte Desertionen in der deutschen und britischen Armee, obwohl alles andere als ein Massenphäno21 22 23 24
Watson 2008 [1689]. Saint-Fuscien 2011 [1683]. Beaupré, Rasmussen 2014 [1621]. Loez, Mariot 2008 [1665]; Caucanas, Cazals, Offenstadt 2006 [776]; Cazals, Picard, Rolland 2005 [1546]; Ferro u. a. 2005 [1639]; Jürgs 2003 [1653]; Ziemann 2003 [790]; Offenstadt 1999 [1851].
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men, als Anhaltspunkt dafür, dass die Armee als Sozialgefüge fungierte, das gleichermaßen den Einflüssen der militärischen Strukturen und der gesellschaft lichen Verhältnisse unterlag. Er zeigte auf, dass die britische Militärjustiz im Rahmen einer etablierten liberalen Demokratie sehr viel strenger vorging als diejenige im Deutschen Kaiserreich, wo das Ansehen der Armee diese teilweise vor Zerfallserscheinungen bewahrte. Zudem lassen sich Deserteure auf beiden Seiten offenbar in kein Schema einordnen, außer dass es sich um gewöhnliche Soldaten handelte25. André Loez untersuchte die Meutereien in der französischen Armee mit neuem Blick und widersprach dabei seinen Vorgängern, welche die Meutereien lediglich als Reaktion auf eine militärisch verfahrene Lage oder Ausdruck einer pathologischen Störung aufgefasst hatten26. Ausgehend von den existierenden Optionen für Widerstand stufte Loez die Meutereien hingegen als eigenständige soziale Bewegung ein. Sie hätten letzten Endes nichts anderes dargestellt als eine drastische Handlung zur Auflehnung gegen den Krieg. Ihr Scheitern erkläre sich eher aus den schwierigen Rahmenbedingungen, gesellschaft licher Trägheit und normalen Zerfallserscheinungen als durch eine willentliche Rückkehr zum Gehorsam27. Alles in allem sahen die Arbeiten der 2000er-Jahre die Frage nach dem Durchhalten im Krieg häufiger als zuvor unter der Prämisse, es habe sich um ein „Faktorenbündel“ gehandelt, zu dem sowohl Patriotismus als auch disziplinarische Zwänge gezählt wurden. Offen bleibt freilich auch bei dieser sinnvollen Neuformulierung die Gewichtung der einzelnen Faktoren.
Durchhalten in der Heimat: Der Einfluss politischer, wirtschaftlicher und sozialer Faktoren Betrifft die Frage nach der Durchhaltefähigkeit zunächst primär die Frontkämpfer, so stellt sie sich angesichts der raschen Totalisierung des Krieges ebenso im Hinblick auf die Gesellschaften in der Heimat. In der Tat waren beide Elemente eng miteinander verknüpft. Einerseits war die Heimat der Grund, warum die Männer überhaupt Krieg führten: Sie war das, was sie verteidigen mussten. Andererseits gewährleistete die Heimat jedoch im Wesentlichen die Versorgung der Front mit Waffen, Ausrüstung und Verpflegung, aber auch mit legitimierenden Argumenten. Schon aus diesem Grund verlangte der Krieg eine vermehrte, zuverlässige Mobilisation der Gesellschaften, ohne die keines der Lager auf einen Sieg hoffen konnte. Die Frage der Effektivität dieser 25 Jahr 1998 [1650]. 26 Rolland 2005 [1679]; Smith 1994 [1684]; Pedroncini 1967 [1675]. 27 Loez 2010 [1664].
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Mobilmachung stellte sich zunächst aus dem wirtschaft lichen und sozialen Blickwinkel. Einerseits waren sich die Nationalgesellschaften bewusst, was sie zu tun hatten, um den Sieg zu gewährleisten, andererseits weckte der Krieg selbst unweigerlich destabilisierende Spannungen. Dennoch widmeten die Historikerinnen und Historiker lange Zeit der Rolle der Heimat kaum Aufmerksamkeit, und wenn, dann zumeist als Hintergrund des Krieges oder als Bereich, der allen Opfern zum Trotz mobilisiert werden musste28. Erst seit den 1960er-Jahren setzt sich die Geschichtsschreibung verstärkt mit dem Phänomen auseinander, das die Forschenden nun anstatt Heimat eher Heimatfront nennen. Diese Betonung der aktiven Rolle der Heimat und einer Bevölkerung, die sich auch ohne Uniform rege am Kriegsgeschehen beteiligte, entstand im Zuge der Fortentwicklung der Sozial- und insbesondere der Arbeitergeschichte. Von den nicht kämpfenden Bevölkerungsteilen weckten die Arbeiter besonderes Interesse, denn die Frage nach ihrer Durchhaltefähigkeit eröff nete die Möglichkeit, ebenso die Sozialbewegungen und Revolutionen aus einem spezifischen Blickwinkel zu betrachten. Einerseits wollte man von den Auswirkungen des Krieges auf die gesellschaft lichen Strukturen ableiten, ob er eher eine Polarisierung oder eine Nivellierung des sozialen Gefälles bewirkte. Zum anderen ging es um den Effekt des Kriegs auf die Arbeiterbewegungen, die zwischen den widerstreitenden Tendenzen zur Integration einerseits und zum Widerstand andererseits oszillierten. In den 1960er- und 1970er-Jahren lösten damalige Ereignisse ihrerseits Untersuchungen zum Verhältnis zwischen Krieg und Gesellschaftsstrukturen aus. Vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges kam die Vorstellung vom Krieg als Indikator für die Stabilität der Sozialordnung auf 29. Durch die Herausbildung der Wohlfahrtsstaaten nach dem Zweiten Weltkrieg rückten zudem die Sozialpolitik und die in den Kriegsjahren aufgebauten Sozialversicherungssysteme in den Blick. Die Frage nach „Kriegsaudits“ in den einzelnen Krieg führenden Nationen stellte sich dabei indirekt auch im Hinblick auf den Ersten Weltkrieg. Innerhalb dieses allgemeinen Rahmens waren die geschichtswissenschaft lichen Arbeiten jeweils von nationalen Interessen geprägt. Die deutsche Geschichtswissenschaft etwa suchte nach Erklärungen für die Hintergründe der Revolution von 1918 / 19. Den entscheidenden Beitrag
28 Vgl. die Untersuchungen in einer Publikationsreihe, die in der Zwischenkriegszeit von der Stiftung Carnegie Endowment for International Peace fi nanziert wurden und die die wichtigsten Angaben zu den Lebensumständen der Zivilbevölkerungen der einzelnen kriegsbeteiligten Staaten enthält. Die Autoren, die im Krieg in leitender Funktion in der Politik und Verwaltung der Heimatfront tätig waren, schildern und rechtfertigen darin ihr Handeln. 29 Marwick 1965 [1752].
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hierzu leistete Jürgen Kocka30. Er stützte sich auf solide theoretische Grundlagen und bemühte sich zugleich, den Marxismus nicht ausschließlich der DDRGeschichtsschreibung zu überlassen. Ausgehend vom marxistischen Postulat der Klassengesellschaft untersuchte er die Entwicklungen der deutschen Kriegsgesellschaft, jedoch nicht so sehr, um dieses Modell zu bestätigen oder zu verwerfen, sondern als Idealtypus nach Webers Definition, der ihm als Instrument zur analytischen Identifi kation und zugleich zur Entschlüsselung der historischen Realität diente. Kocka kam zu dem Schluss, der Krieg habe die Polarisierung der deutschen Gesellschaft so massiv vorangetrieben, dass diese bei Kriegsende weit mehr einer Klassengesellschaft glich als zu Kriegsbeginn31. Seine von Weber und Marx gleichermaßen beeinflusste Pionierarbeit gehörte zu einer Strömung der Sozialgeschichte, die Politik als Ergebnis der gesellschaftlichen Strukturen auffasste. Weitere Untersuchungen mit einer ähnlichen Perspektive folgten, überwiegend lokale Einzeldarstellungen zu den kriegsbedingten Konflikten in der deutschen Industrie32. Zu den Strukturen der französischen Kriegsgesellschaft existieren hingegen keine Untersuchungen. Das beruht teilweise auf der Quellenlage: Die für Frankreich vorliegenden Erhebungen sind viel lückenhafter als diejenigen, die Forschenden in Großbritannien und Deutschland vorliegen. Weit mehr Material enthalten dagegen die Präfekturarchive, auf die Jean-Jacques Becker seine Arbeit über die öffentliche Meinung stützte. Sie lief allerdings im Ergebnis weniger auf ein Klassenbewusstsein als auf ein Nationalgefühl hinaus – eine weitere kollektive Mentalität, die als Erklärung für die Durchhaltefähigkeit der Franzosen in vier Jahren Krieg diente33. Die von den Regierungen in allen Fällen am meisten gefürchtete innere Bedrohung ging von den Arbeiterbewegungen aus, die sich im Namen der internationalen Solidarität dem Krieg widersetzen oder der Mobilmachung unter Berufung auf konkrete, vom Staat vernachlässigte Interessen entziehen könnten. In Wirklichkeit flaute der Widerstand der Arbeiter gegen den Krieg 1914 rasch ab. Den revolutionären Streikbewegungen der Vorkriegszeit zum Trotz waren die Arbeitermilieus u.a. infolge der Sozialgesetze bereits weitgehend in die Nation integriert und durch Arbeiterorganisationen und geregelte Arbeitsbeziehungen auf nationaler Ebene strukturiert. Auch schien der Erste Weltkrieg weniger imperialistisch geprägt, sondern eher der Verteidigung der Nation zu dienen, bei der die Errungenschaften der Arbeiterbewegungen selbst auf dem Spiel standen. Sozialisten ebenso wie Gewerkschafter schlossen sich ganz mehrheitlich einem Diskurs des progressiven Nationalismus an, in dem der nun höhere Stellenwert der Nation
30 31 32 33
Kocka 1973 [1740]. Siehe Kapitel I.5 „Erster Weltkrieg 1914–1918“. Nolan 1981 [635]; Mitchell 1965 [1821]. Becker 1977 [1571].
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II. Fragen und Perspektiven
im Vergleich zur Klasse zum Ausdruck kam: Während die französischen Sozialisten zur Verteidigung ihrer demokratischen Errungenschaften gegen die Ambitionen der Mittelmächte aufriefen, mobilisierten die deutschen Sozialdemokraten ihrerseits für den Kampf gegen die Gewaltherrschaft der russischen Autokratie. So gesehen beteiligten sich die Arbeiter am Krieg weniger durch ihren Arbeiterstatus, sondern vor allem als Bürger in Uniform, während sich die Anführer der Arbeiterbewegungen in Politik und Gewerkschaften mit den für die Kriegswirtschaft zuständigen Eliten zusammentaten. Einerseits förderte der Krieg die Reformbereitschaft der Regierungen, die den Arbeiterbewegungen erhebliche Zugeständnisse machten, damit sie die Kriegsanstrengungen unterstützten34. Zunehmend an Einfluss im Staat gewannen andererseits führende Vertreter der Industrie, je nach Situation aufseiten der Arbeitgeber oder der Gewerkschaften, und Politiker, die für die Belange der Arbeiter eintraten. In Deutschland leitete ab August 1914 der liberale jüdische Industrielle Walther Rathenau die Kriegsrohstoffabteilung im Preußischen Kriegsministerium, deren Aufgabe die Koordinierung der industriellen Produktion war. In Frankreich wurde im Oktober 1914 ein junger sozialistischer Reformer namens Albert Thomas mit der Organisation der Rüstungsproduktion betraut und im Dezember 1916 zum Rüstungsminister ernannt. Alle diese Initiativen und Verknüpfungen ließen eine Art Staatskapitalismus entstehen, der sich nach einem korporatistischem Vorbild in die drei Elemente Staat, Arbeitgeberschaft und Arbeiterschaft gliederte35. Während das Klassendenken zu Kriegsbeginn abzuflauen schien, verfestigten sich die Klassen, wie deutlich wurde, mit Fortschreiten des Krieges wieder; die anfangs eingegangene politische und soziale Waffenruhe wurde nach und nach brüchig. Nur in der Frühphase des Krieges trat das Gros der Arbeiter spontan für die Verteidigung der Nation ein, ihre Proteste verblassten neben der Solidarität mit den Frontkämpfern. Je länger sich der Krieg jedoch hinzog, desto mehr ließen die Kriegsmüdigkeit, die erlittenen Verluste, die Proteste gegen Mangel und Inflation sowie der Unmut über Kriegsgewinnler die sozialen Konflikte wieder aufflammen. Dass der alte Kampfgeist der Arbeiter mit seinem Ideal, Macht in den Fabriken zu erringen, staatsfeindliche revolutionäre Strömungen speiste, bezeugte die Tragweite der Streiks von 1917 / 18, auch wenn militante Gewerkschaftsbewegungen und revolutionäre Ideen von Land zu Land unterschiedlich viel Einfluss ausübten36. In den westeuropäischen Demokratien blieb er gering. Bei den Mittelmächten, wo man die Interessen der Arbeiter noch weniger beachtete und über die Kriegsziele stritt (als klar wurde, dass sich hinter dem vorgeblichen Verteidigungskrieg das Streben nach Anne34 Horne 1991 [1739]; Fridenson 1977 [1725]; Feldman 1966 [1718]. 35 Horne 2004 [591]. 36 Haimson, Sapelli 1992 [1732]; Haimson, Tilly 1989 [1733].
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xionen verbarg), münzten die Basis-Aktivisten die Streiks in politischen Widerstand gegen den Krieg um. In diesen Protesten klang die Frage nach der Legitimität der Staaten an, die ihrerseits unmittelbar mit deren Fähigkeit verknüpft war, wirtschaft liche Schwierigkeiten zu meistern, vor allem als politische Reformen weiter auf sich warten ließen. Welchen Umfang die Anforderungen des Abnutzungskrieges erreichen würden, hatte niemand vorhergesehen. Die jeweiligen Kapazitäten von Industrie, Armee und Staat zur Bewältigung dieser Herausforderungen geben Aufschluss über die Gründe für die Niederlage der Mittelmächte und den Sieg der Alliierten. Allerdings sind sich Historikerinnen und Historiker nicht darüber einig, wie diese wirtschaft lichen Faktoren für den Ausgang des Krieges zu gewichten sind. Sie umfassen zwei Hauptaspekte: zum einen die Ressourcen und Produktionskapazitäten, zum anderen deren Verteilung und Zuweisung zur Deckung des nationalen Bedarfs. Einige Forschende halten den Zugang der Alliierten zu den benötigten Ressourcen für ausschlaggebend, andere sehen weniger die Ressourcen selbst als eher deren Zuteilung als kriegsentscheidend an. Diese Frage stellte sich zunächst in Bezug auf Deutschland. Im Gefolge der Arbeiten von Eckart Kehr über den Primat der Innenpolitik bei der Festlegung der Außenpolitik 37 und von Fritz Fischer über den entscheidenden Einfluss der Interessen von Industriellen und Landwirten38 ging es um die Frage, wie wirtschaft liche Interessen – und die Interaktion zwischen öffentlichem und privatem Bereich – die Kriegszielpolitik prägten. Die Geschichte der deutschen Niederlage wurde dabei vor dem Hintergrund einer Kriegswirtschaft gesehen, die den Bedarf der Armee und der Heimatfront nicht gleichzeitig angemessen zu decken vermochte. Die Pionierarbeit hierzu veröffentlichte Gerald Feldman 196639. Er unterstrich darin den Umfang der deutschen Anstrengungen unter Walter Rathenau von Kriegsbeginn an. Die Stärke seiner Industrie brachte Deutschland Vorteile ein, die den Alliierten fehlten. Ab August 1916 jedoch, angesichts des Trommelfeuers der Artillerie in den großen Schlachten an der Westfront, versuchte das Hindenburg-Programm, sämtliche Produktivkräfte des Landes in den Dienst der Armee zu stellen, und verschob damit das vorhandene Gleichgewicht zwischen ziviler und militärischer Macht. Feldman machte deutlich, wie verheerend sich die Beherrschung der deutschen Wirtschaft spolitik durch Militär und Schwerindustrie auf die Zivilbevölkerung auswirkte. Die Armee beanspruchte alles, was sie benötigte, für sich; die Schwerindustrie produzierte im Rahmen von Regierungsverträgen für das Militär, wofür die Regierung exorbitante 37 Kehr 1965 [246]. 38 Fischer 101998 [1582]; Fischer 1961 [1581]. 39 Feldman 1966 [1718].
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Preise bezahlte. Das Hilfsdienstgesetz vom Dezember 1916, das dem Militär eine Vormachtstellung einräumte, hatte aufgrund administrativer Schwierigkeiten katastrophale Folgen. Diesen Punkt dokumentierte vor allem Wilhelm Deist40. Die daraus resultierenden Versorgungsengpässe und überbordende Bürokratie führten zu einer schwerwiegenden Hyperinflation41. Gerd Hardach untersuchte die Wirtschaftsleistung der beiden Lager. Seiner Meinung nach beruhte die Schlagkraft der Entente sowohl auf ihren Ressourcen als auch auf deren Verteilung42. Die Alliierten verfügten dank ihrer Kolonien über Ressourcen in einem Maße, wie sie den Mittelmächten nicht zur Verfügung standen. Vor allem jedoch war ihr System der Kriegsproduktion flexibler, denn nicht private Interessen, sondern die Regierungen selbst bestimmten die Zuteilung knapper Ressourcen, schrieben der Industrie Zielvorgaben und Preise vor und hielten damit die Inflation in Grenzen. Die Situation in Frankreich untersuchte John Godfrey43. Das Prinzip des Konsortiums nach den Vorstellungen von Handelsminister Étienne Clémentel basierte auf interalliierten Auft rägen zur Regelung der Zuteilung von Rohstoffen und Importgütern. Es untermauerte die Entscheidungsgewalt der Regierung, worüber die Industrie verfügen konnte, und damit die strikte Kontrolle der Kriegswirtschaft durch die Politik. Voraussetzung hierfür war allerdings, dass die britische Flotte den sicheren Nachschub auf dem Seeweg gewährleisten konnte. Die Frage, ob die Alliierten den Krieg gewannen, weil sie über mehr Ressourcen verfügten oder weil ihre Wirtschaft spolitik besser angepasst war, bleibt dennoch offen. Von denjenigen, die auf die Verfügbarkeit der Ressourcen verwiesen, belegte Avner Offer in der Nachfolge vorheriger Arbeiten über die Seeblockade44 überzeugend, dass die Entente im Rahmen eines Abnutzungskrieges internationalen Ausmaßes über deutlich mehr Reserven verfügte45. Während die Deutschen zwei Fronten versorgen und überdies die Folgen der Seeblockade tragen mussten, konnten die Alliierten auf ihre Kolonialreiche und die britischen Dominions zurückgreifen und genossen das Wohlwollen diverser neutraler Staaten. Der Kriegseintritt der USA 1917 verbesserte ihre Versorgungslage außerdem. Der Kampf um den Nachschub wurde letzten Endes deutlich zugunsten der Alliierten entschieden, die daraufhin Ende 1918 den Krieg gewinnen konnten. Nach Meinung von Jay Winter waren die Vorteile beim Zugang zu den Ressourcen gewiss bedeutsam, doch ebenso wichtig war das Kontingentie40 41 42 43 44 45
Deist 1970 [1635]. Feldman 1993 [1719]; Feldman, Homburg 1977 [1720]. Hardach 1973 [1735]. Godfrey 1987 [1726]. Vincent 1985 [1791]. Offer 1989 [1763].
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rungssystem, das Großbritannien und Frankreich einführten und später ausweiteten46. Aufgrund von Organisationsproblemen in den einzelnen Ländern beider Lager wirkte sich der Vorteil der Entente erst ab 1916 spürbar aus. Auf der einen Seite hatte das Hindenburg-Programm für die deutsche Wirtschaft katastrophale Folgen, auf der anderen Seite entwickelten die Alliierten eine effizientere Koordinierung auf Basis von interalliierten ebenso wie nationalen Kommissionen. Die unterschiedlichen Inflationsraten der beiden Lager zeigten, wie vergleichsweise effizient die Kriegsanstrengungen der Entente in Relation zu den ineffizienten und gesellschaft lich ungerechten Modalitäten der Deutschen waren. Von 1914 bis 1916 stiegen die Preise auf beiden Seiten um rund 50 % gegenüber den Vorkriegswerten an. Ab 1916 verlief der Anstieg in der Entente mehr oder weniger stetig, sodass sich die Preise über die gesamte Kriegsdauer verdoppelten. In Deutschland hingegen schossen sie explosionsartig in die Höhe, sodass sie sich gegenüber der Vorkriegszeit mindestens vervierfachten, und auch nach dem Krieg hielt die Inflation weiterhin an. Winter stellte daraufhin die These auf, Demokratien seien besser für den totalen Krieg gerüstet gewesen als imperiale Quasi-Diktaturen. Sie hätten besser über das Wohlergehen ihrer Bevölkerungen gewacht und mit ausgleichenden Mechanismen dafür gesorgt, dass diese ein Minimum an Ressourcen erhielten. Ebendiese Mechanismen hätten dazu beigetragen, den Lebensstandard der Bedürft igsten zu wahren; dies habe vor allem für Großbritannien gegolten, wo sich die soziale und gesundheitliche Lage der Zivilisten während des Krieges erstaunlicherweise verbessert hatte47. Die Rationierungen hätten die Gleichstellung der Menschen unterstrichen, und die Auszahlung von Zuschlägen direkt an die Ehefrauen der Frontsoldaten (zum Ausgleich des Lohnausfalls durch die Einziehung der Männer) die materielle Situation der unteren Volksschichten verbessert, insbesondere dadurch, dass die Frauen das Geld seltener für Alkohol ausgaben. Trotz der Verknappung bestimmter Lebensmittel oder ihre Substitution durch Ersatzprodukte, trotz der notwendigen Anpassungen, hätten die Alliierten ihren Sieg zwar zum Preis von Entbehrungen, nicht aber von Hungerskatastrophen erkauft. Im Gegensatz dazu hätte die eklatante Unfähigkeit der Imperien, die Bedürfnisse ihrer Bevölkerungen zu decken, die Lebensqualität der untersten Gesellschaftsschichten in beängstigendem Maße absinken lassen; die Beibehaltung von Privilegien selbst in Mangelzeiten sei noch verschärfend hinzugekommen und habe ihren brüchigen inneren Zusammenhalt vollends zerstört. Die von Jean-Louis Robert und Jay Winter gemeinsam durchgeführte Untersuchung zu den Bevölkerungen von Paris, London und Berlin ist in dieser
46 Wall, Winter 1988 [1792]. 47 Pedersen 1995 [1765]; Wall, Winter 1988 [1792].
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Hinsicht sehr aufschlussreich48. In den ersten beiden Städten hätten die Bürgerrechte durch die ausgewogene Verteilung von Nahrungsmitteln, Gütern und Dienstleistungen auf zivile und militärische Empfänger zur Aufrechterhaltung von Gemeinschaften während des Krieges beigetragen. In Berlin hingegen habe die Priorität, die dem Heer eingeräumt wurde, geradewegs in die wirtschaft liche und militärische Katastrophe geführt.
Die Kriegskulturen: Ausdruck der Zustimmung oder mentale Mobilmachung? Nach den Untersuchungen der gesellschaft lichen Strukturen und der Lebensumstände der Menschen konzentrierte sich die Historiografie zur Heimatfront zunehmend auf kulturelle Aspekte des Lebens in Kriegszeiten. Bei dem eher anthropologischen statt soziologischen Ansatz ging es mehr und mehr darum, anstelle der sozialen Konflikte den kulturellen Konsens und seine Bruchstellen zu erforschen. Die Debatte drehte sich dabei überwiegend um die „Kriegskultur“. Sein Debüt hatte dieser Begriff nach der Gründung des Historial de la Grande Guerre im Jahr 1992, in dessen Folge nicht nur die Geschichtsschreibung der Front, sondern auch die der Heimatfront neue Impulse erhielt. Die am Forschungszentrum des Museums tätigen Historikerinnen und Historiker beschäft igten sich vorwiegend mit den europäischen Gesellschaften im Angesicht des Krieges. Der Vorteil dieses Ansatzes besteht darin, dass er die unbefriedigende Trennung zwischen der Geschichte der Front und derjenigen der Heimatfront überwindet: Die Bindungen zwischen den Männern in Uniform und denjenigen, deren Existenz sie verteidigten, sind elementar für das Verständnis des Krieges. Das Museum des Historials gesteht deshalb der Geschichte der Zivilbevölkerung ebenso viel Raum zu wie der Geschichte der Frontkämpfer, und erzählt von der Gemeinschaft zwischen Front und Heimatfront. Zur gleichen Zeit regte der linguistic turn dazu an, die Verknüpfung zwischen Politik- und Sozialgeschichte aufzugeben und stattdessen der Untersuchung von Diskursen den Vorzug vor den nur schwerlich greifbaren Realitäten zu gewähren. Zahlreiche Studien in diesem Umfeld gingen von der Prämisse aus, die Völker hätten ebenso wie ihre Soldaten dem Krieg überwiegend von Anfang an zugestimmt und seien mit wenigen Ausnahmen bis zum Kriegsende mobilisiert geblieben. Die Untersuchung der Vorstellungen und Verhaltensweisen der Krieg führenden Bevölkerungen belegt, wie viele unterschiedliche Facetten ihr massiver Einsatz für den Krieg haben konnte. Diese Arbeiten beschäft igen sich mit 48 Robert, Winter 1997 [1776].
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der Frage, wie ein solcher Konsens zustande kam und wie er aufrechterhalten wurde. Die Antwort unterstellt, dass dem Widerstand und der Mobilmachung gegen den Feind eine Kriegskultur zugrunde lag. Stéphane Audoin-Rouzeau und Annette Becker fassten den Begriff „Kriegskultur“ anfangs sehr weit als „Blickfeld aller Vorstellungen der Zeitgenossen vom Krieg“49, engten die Definition jedoch bald ein auf die präzisere Auslegung als „Konglomerat von Vorstellungen vom Krieg, das sich zu einem regelrechten System herauskristallisiert hat und dem Krieg seine tiefere Bedeutung verleiht“. Zudem sei diese Kultur „untrennbar [gewesen] von einem spektakulär ausgeprägten Hass auf den Feind“, der sämtliche Vorstellungen durchtränkt habe50. Der Begriff der Kriegskultur unterstreicht die Einschätzung, es habe einen Bruch mit der Kultur der Vorkriegszeit gegeben: Die Kriegskultur sei nicht aus einer allmählichen Mobilisierung der öffentlichen Meinung in den Krieg führenden Ländern erwachsen, sondern habe sich gleich bei Kriegsausbruch abrupt herauskristallisiert. Hierin spiegelt sich eine radikale Umkehrung der Perspektive: Nicht der Krieg habe die Kriegskultur genährt, sondern die Kriegskultur selbst habe den Verlauf des Krieges bestimmt51. Folglich sei die Totalisierung des Krieges auf gängige Wahrnehmungs- und Sinnmuster zurückzuführen, ohne dass es einer konkreten Konditionierung bedurft hätte. Audoin-Rouzeau und Becker sehen die Kriegskultur gar als Eschatologie: In ihr drücke sich die Erwartung aus, eine bessere Welt werde anbrechen, wenn das überlegene Gesellschaftsmodell gesiegt habe, das jedes der beiden Lager zu verkörpern meinte. Der Krieg sei dabei als Kampf auf Leben und Tod hingestellt worden, ob im Hinblick auf den Einzelnen, seine Familie, sein Vaterland, seine Nation, seine Kultur. Die Kriegskultur habe ein spezifisches und äußerst kohärentes Universum geschaffen. Unabhängig von den Entwicklungen der Sinnzuschreibungen im Nachhinein sei es Aufgabe der Historikerinnen und Historiker, diese Kriegskultur wiederzuentdecken52, um Aufschluss über das Engagement gesamter Gesellschaften über so viele Jahre zu erlangen. Die späteren kulturgeschichtlichen Arbeiten zum Ersten Weltkrieg knüpften mehr oder weniger explizit an eine dieser Forschungshypothesen an, die zugleich Positionen im wissenschaft lichen Umfeld widerspiegeln. Entsprechend wird das Konzept der Kriegskultur von späteren Ansätzen entweder als gemeinsamer Ausgangspunkt übernommen oder aber infrage gestellt. Aus Sicht der Kritiker steht der von Stéphane Audoin-Rouzeau und Annette Becker entwickelte Ansatz in der Tradition von Arbeiten, die seit rund 100 Jahren in Frankreich den existierenden pazifistischen Ansätzen widerspre-
49 50 51 52
Audoin-Rouzeau, Becker 1997 [1697], S. 252. Audoin-Rouzeau, Becker 2000 [1534], S. 122. Audoin-Rouzeau 2002 [1828], S. 324. Vgl. den Titel von Audoin-Rouzeau, Becker 2000 [1534].
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chen, weil diese ihrer Meinung nach die Realität des Krieges zugunsten eines Friedensideals verschleiern. Pierre Renouvin etwa widersprach den Aussagen der französischen Pazifisten mit der These, die Schuld am Krieg trügen in erster Linie Österreich und Deutschland. Sein Schüler Jean-Jacques Becker schloss von der Bereitschaft zur union sacrée 1914 auf eine grundlegende Zustimmung der Franzosen zur nationalen Sache. Stéphane Audoin-Rouzeau und Annette Becker ihrerseits bezweifelten den pazifistischen Gedanken und unterstellten stattdessen eine Kriegskultur, die großenteils auf einem ausgeprägten Nationalgefühl basiert habe53. Die Kritiker insbesondere im Umkreis des Collectif de recherche international et de débat sur la guerre de 1914–1918 (CRID) sehen jedoch den Krieg an der Front ebenso wie in der Heimat als erzwungene Gewalt: Der Staat habe seine Bürger bis in ihr Privatleben hinein überwacht, die Gesellschaft als Ganzes einschließlich der Kinder vereinnahmt und die polizeiliche Kontrolle verstärkt. Dafür sei Zensur unerlässlich gewesen; die Propaganda habe die Menschen in dem Gefühl bestärkt, ihre Kultur sei mit der des Feindes unvereinbar. Die Forschenden betonen daher nicht die Kriegs-, sondern vielmehr die Friedenskultur, die sich im Krieg gehalten habe: Die einfachen Menschen seien im Krieg in erster Linie von den Vorstellungen der Friedenszeit geprägt geblieben. Ebenso wurde der Begriff „Kriegskultur“ selbst heft ig kritisiert54, angefangen mit seiner Verwendung im Singular. Da sie sich auf einen nationalen Rahmen beziehe, gehe die Kriegskultur über die jeweiligen sozialen Unterschiede innerhalb der Gesellschaften hinaus. Dieser verallgemeinernde Charakter ist gleichwohl keineswegs unumstritten. Die Kriegskultur sei tatsächlich vor allem bei den Intellektuellen anzutreffen gewesen, die sich jedoch in sozialer Hinsicht deutlich unterschieden. Zudem sei eine Kultur ein übergeordnetes Deutungssystem der Welt, und der Krieg könne schwerlich den einzigen Deutungsrahmen der Zeitgenossen dargestellt und ihre sämtlichen früheren Haltungen verdrängt haben. Eine weitere Kritik bezog sich auf die mangelnde Temporalität der Kriegskultur. Um sich zu Beginn des Krieges herauskristallisieren zu können, mussten ihre Wurzeln in die davorliegenden Jahrzehnte zurück reichen. Fasst man die Kriegskultur jedoch als langfristige Entwicklung auf, eignet sich das Konzept kaum zur Charakterisierung speziell des Kriegsgeschehens von 1914 bis 1918. Zudem sei nur schwer vorstellbar, wie eine solche Kultur innerhalb weniger Wochen hätte entstehen können; man müsse sie im Gegenteil als allmählichen Prozess der Mobilisation und Ausweitung analysieren, um sie als Flickenteppich multipler Identitäten einzupassen. Eine zentrale Rolle komme der Kriegskultur schließlich in der Erklärung des Krieges zu, ohne dass sie selbst wirklich erklärt werde. Diese Kultur werde anhand eben der beobachteten 53 Offenstadt u. a. 2004 [1853]. 54 Ebd.
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Verhaltensweisen postuliert, die sie selbst erklären soll. Während ein öffentlicher, dominierender Diskurs des Krieges, dem nur wenige Zeitgenossen sich entziehen konnten, leicht zu erkennen ist, lasse das Konzept der Kriegskultur mehr Fragen offen, als es löse55. Diese Kritikpunkte ebenso wie die zahlreichen Arbeiten, die auf eigene Weise das Konzept der Kriegskultur umreißen, präzisieren und anwenden wollten, gaben den Anstoß zu einer Modifizierung des Begriffs. Er bezieht sich nun zumeist lediglich auf die mentalen Mechanismen, mit denen Männer und Frauen versuchten, ihre im Krieg befindliche Lebenswelt zu begreifen und ihr einen Sinn zu geben. Diese Auslegung hat den Vorteil, dass ein einziger Begriff ein Konglomerat von Tatsachen aus den unterschiedlichsten Bereichen umspannt und ihre Kohärenz unterstreicht. Die Verwendung des Begriffs im Singular stand einer Untersuchung der geografischen und zeitlichen Varianten der kulturellen Mobilisation der Bevölkerungen ebenso wenig entgegen wie der Berücksichtigung ihrer vielfältigen Gefühle und Verhaltensweisen56. Die Geschichte der Zivilisten im Krieg führte jedoch zu einer klareren Unterscheidung der Kulturen nach Regionen, sozialen Schichten, Berufen und Geschlechtern. Aus diesem Grund bestehen Forschende wie Jay Winter darauf, dass der Begriff Kriegskulturen im Plural verwendet wird57. Dahinter steht der Gedanke, eine Kriegskultur stelle keine totale Kultur dar. Ein globaler Blick auf die Gesellschaften im Krieg zeige die Zustimmung der Bevölkerungen zu den Kriegsanstrengungen, während eine eher kategorisch ausgerichtete Betrachtung eine Nuancierung dieses Konsenses zulasse. Durch Wechsel zwischen den Betrachtungsebenen könne man demnach der Vielfalt an Deutungen und Sinnzuweisungen der Bevölkerungen in Bezug auf den Krieg gerecht werden. Hinsichtlich der Zeitlichkeit setzen die neueren Arbeiten eine erweiterte chronologische Perspektive an, um konkret zu sehen, wie die Kriegskultur entstand, sich weiterentwickelte, fluktuierte und wieder verschwand. In die Vorkriegszeit zurück reichen Untersuchungen der Vorstellungen von Krieg58, in die Zeit nach dem Krieg Arbeiten über das Kriegsende und die kulturelle Demobilisierung59, über Trauer und Erinnerung60. Ebenso lösten die neueren Arbeiten der Kulturgeschichte insbesondere in Frankreich und Deutschland eine generelle Neuausrichtung der Historio-
55 56 57 58 59
Wilfert 2014 [1866]. Audoin-Rouzeau, Becker 2000 [1534], S. 125–129; Krumeich 2002 [1845]. Prost, Winter 2004 [1858]. Krumeich 2004 [1593]; Mommsen 51992 [346]; Düllfer, Holl 1986 [798]. Audoin-Rouzeau, Prochasson 2008 [1797]; Cabanes 2004 [1803]; Démobilisations culturelles 2002 [1807]. 60 Audoin-Rouzeau 2001 [1696]; Sherman 1999 [1861]; Becker 1998 [1699]; Winter 1995 [1814].
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grafie des Ersten Weltkriegs aus und eine Vielzahl neuer Forschungsgebiete und Untersuchungsgegenstände rückte in den Blick61. Eine wichtige Weiterentwicklung dieser neuen Kulturgeschichte ist ihre Emanzipation von einer Intellektuellengeschichte, die sich ausschließlich mit den Eliten beschäft igte. Die in den 1960er- und 1970er-Jahren entstandenen Arbeiten über französische und deutsche Intellektuelle untersuchten vorrangig deren Mobilmachung 1914 und ihre Rechtfertigung der Kriegsziele ihres jeweiligen Heimatlandes. Seit den 1990er-Jahren ging es diesen Arbeiten nicht mehr primär darum, die anfangs enorme Begeisterung für den Kriegsausbruch in der öffentlichen Meinung aufzuzeigen, sondern zu belegen, dass dieser Enthusiasmus zwar vorhanden war, jedoch nur in bestimmten Bevölkerungsgruppen und nur für begrenzte Zeit. Die Kulturgeschichte des Krieges erstreckte sich seither auf mehrere diskursive Ebenen, die sich überschneiden und weiterentwickeln. Zwar stehen Intellektuelle, Wissenschaft ler, Schriftsteller und Künstler weiterhin im Mittelpunkt der Untersuchungen62, doch erweitert sich der Blick auf Medien63 und Unterhaltungsindustrie, insbesondere auf volkstümliche Vergnügungen für ein breites Publikum64. Diese kulturellen Praktiken sind allerdings mehrdeutig, denn sie drückten die Überzeugungen des Volkes aus und lenkten sie zugleich. Parallel hierzu löste sich die Religionsgeschichte von der institutionellen Geschichte, die sich in den 1960er- und 1970er-Jahren mit dem Pazifismus der Kirchen und Religionsgruppen beschäft igte und fragte, warum sie den Krieg nicht verhindern konnten. Seither ging es in diesen Arbeiten weniger um die Kirchen als um den Glauben, nicht mehr um die Geistlichen, sondern um die Gläubigen. Insofern vollzieht sich hier ein Wandel von einer Institutionsgeschichte zu einer Geschichte der religiösen Gefühle beziehungsweise der Frömmigkeit65. Kulturgeschichte befasst sich mit allen Bereichen des Alltags- und Privatlebens. So wurde speziell die Situation von Kindern im Hinblick darauf untersucht, was sie über die Kriegskultur aussagte oder verschleierte. Ihre Mobilisierung erfolgte über einen speziellen Diskurs, der in Schule und Freizeit, in zweiter Linie in Kirche und Familie vermittelt wurde. Wie erfolgreich diese Verbreitung des Diskurses bei Kindern war, lässt sich allerdings nur schwer messen. 61 Audoin-Rouzeau, Becker 2004 [45]; Hirschfeld, Krumeich, Renz 2003 [56]; Hirschfeld 1997 [1549]; Hirschfeld, Krumeich, Renz 1993 [1551]. 62 Beaupré 2006 [1620]; Lindner-Wirsching 2004 [1748]; Müller 2002 [1759]; Flasch 2000 [1722]; Hanna 1996 [1734]; Prochasson, Rasmussen 1996 [1603]; Mommsen 1996 [1757]. 63 Beurier 2007 [1703]; Zühlke 2000 [1795]; Creutz 1996 [1710]. 64 Baumeister 2005 [1698]; Roshwald, Stites 1999 [1780]; Rearick 1997 [1772]. 65 Schlager 2011 [528]; Le Naour 2008 [1746]; Korff 2006 [1741]; Landau 1999 [906]; Gambarotto 1996 [551]; Becker 1994 [1799]; Chaline 1993 [546]; Fontana 1990 [550].
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Die Banalisierung von Gewalt kann auch eine Art Überdruss und Widerstand bewirken66. Auf ihre Weise übten Frauen, die an der Heimatfront die Hauptrolle spielten, erheblichen Einfluss auf die Durchhaltefähigkeit der Gesellschaften aus. Die Geschichtsschreibung interessiert sich dabei inzwischen weniger für weibliche Kriegserfahrungen, sondern betrachtet die Geschlechterverhältnisse, die damit zum Prisma für die Untersuchung der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit werden67. Die Vielzahl kulturgeschichtlicher Arbeiten belegt ein reges Interesse an den intimsten Aspekten des Privat- und Gefühlslebens der Menschen. Die Frage, warum die beteiligten Gesellschaften so hartnäckig Krieg führten, erhält dadurch neue Impulse. Die Mobilisation der Heimatfront war zunächst als politisches Problem des Staates diskutiert worden; später verschob sich der Blickwinkel auf die gesellschaft lichen Strukturen und sozialen Konflikte, dann auf die wirtschaft liche Effizienz, um die Qualität der Beziehungen zwischen dem jeweiligen Staat und seiner Gesellschaft besser beurteilen zu können. Anschließend betrachtete man diese Mobilisation eher im Licht der jeweiligen Kultur, was nicht minder heft ige Debatten auslöste. Die jüngsten Arbeiten schließlich berücksichtigen bei der Untersuchung der Krieg führenden Kulturgemeinschaften sowohl die Geschichte der Soldaten als auch diejenige der Gesellschaften, für die sie in den Krieg zogen.
66 Pignot 2012 [1767]; Goebbel 2007 [1727]; Audoin-Rouzeau 1993 [1695]; Hämmerle 1993 [1731]; Fiedler 1989 [1721]. 67 Morin-Rotureau 2004 [1758]; Le Naour 2002 [1745]; Davis 2000 [1714]; Daniel 1997 [1711]; Kundrus 1995 [1743]; Thébauld 1986 [1788].
Schlussbetrachtungen
Schlussbetrachtungen
Das Hauptanliegen dieses Buches ist es, einen Perspektivenwechsel für eine Epoche einzunehmen, die als grundsätzlich konfl iktuell gilt. Dabei sollten die Auswirkungen der kriegerischen Auseinandersetzungen genauso wenig bagatellisiert werden wie ihre mediale und literarische Konstruktion in beiden Ländern. So kann der Deutsch-Französische Krieg von 1870 / 71 zwar als limitierter Krieg gelten, doch spiegelt sich in ihm genauso der Wunsch beider Länder nach Verteidigung der eigenen Machtposition in Europa sowie der bedrohten Ehre der Nation. Zweifellos verdichtete und verschärfte dieser Krieg die Feindschaft zwischen den beiden Völkern. Der Erste Weltkrieg basierte seinerseits auf einem Konflikt, der auf dem Balkan losbrach; er war aber zugleich das Ergebnis eines durch internationale Spannungen reaktivierten Antagonismus zwischen Deutschland und Frankreich und so gesehen ein Widerhall des 40 Jahre zuvor ausgebrochenen Krieges. Bedeutet dies nun, dass die Zeit zwischen diesen beiden Ereignissen zwangsläufig von ständiger Verfeindung geprägt war? Sicherlich nicht. Es gab keinen Determinismus der Beziehungen. Der Deutsch-Französische Krieg war keine unüberwindbare Hypothek, die „Erbfeindschaft“ kein vorgegebenes Schicksal, das zwangsweise im Ersten Weltkrieg enden musste. Daher stehen in diesem Buch Austausch und Kontakte zwischen beiden Gesellschaften, Wirtschaften und Kulturen im Mittelpunkt des Interesses. Zahlreiche Ergebnisse zeigen ein insgesamt erstaunliches Bild dessen, was trotz der grundsätzlichen Feindschaft zwischen Deutschland und Frankreich an Verflechtung möglich war und praktiziert wurde. Anstatt diese Beobachtungen zusammenzufassen, was die doppelte Gefahr einer Redundanz bei gleichzeitig zu grober Verallgemeinerung mit sich brächte, wird abschließend die von der histoire croisée inspirierte Herangehensweise im Hinblick auf ihre besonderen Erkenntnischancen für diesen Band befragt: Wie relevant ist die deutsch-französische Perspektive für den Zeitraum von 1870 bis 1918, was zeigt sie, was verschleiert sie, was lässt sie offen? Die deutsch-französische Perspektive ist für die Epoche in besonderem Maße legitim, weil gerade durch den Krieg 1870 / 71 der Nachbar jenseits des Rheins auf Jahrzehnte hinaus nachdrücklich im Bewusstsein der Menschen verankert wurde. Als Bezugsgröße waren Deutschland in Frankreich und Frankreich in Deutschland äußerst präsent, bisweilen bewundert, vielfach negativ und kritisch betrachtet, aber beinahe allgegenwärtig. Die beiden sich in der Konsolidierung befindlichen Nationalstaaten waren keine abgeschlossenen En-
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titäten, sondern offen für Einflüsse von außen, auch für die aus dem Nachbarland, gegen das noch kurz zuvor Krieg geführt worden war. Dieses Buch zeigt die große Einflussnahme und intensive Auseinandersetzung mit „dem Anderen“, seinen Ideen, Praktiken und Menschen. Weder die deutsche noch die französische Geschichte lassen sich nach 1870 ohne Einbezug des Nachbarn und der gemeinsamen Geschichte begreifen. Während die deutsch-französische Perspektive damit die Nationalgeschichte erweitert, bedeutet sie mit Blick auf die zunehmende Globalisierung der Epoche zugleich eine Beschränkung. Ein ausschließlicher deutsch-französischer Blick würde verschleiern, dass je nach Themenfeld andere Länder bei Verfeindung, Transfer und Austausch eine ebenso große oder noch größere Rolle gespielt haben. Eine punktuelle Öffnung der bilateralen Perspektive erscheint daher sinnvoll. Gleichwohl kann es nicht darum gehen, einen Haupteinflussgeber zu identifizieren, sondern vielmehr Interaktionszusammenhänge zweier Länder deutlich zu machen. Die Gleichzeitigkeit von Nähe und Distanz, Nachahmung und Ablehnung, Zusammenarbeit und Rivalität lässt sich durchgehend konstatieren. Eindeutige und allgemeingültige Konjunkturen sind dabei nicht auszumachen. Diese schwankten in Abhängigkeit vom betrachteten Gegenstand, von den jeweiligen Akteuren und von der politischen Lage. Konkurrenz war die grundlegende und bestimmende Haltung zwischen beiden Ländern, wie in diesem Band deutlich wird. Sie manifestierte sich gleichermaßen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, in Architektur, Technik und Kunst sowie in Sport, Film und Vergnügungskulturen. Die Zeitgenossen selbst verstanden das als Wettbewerb zwischen ihren Nationen, zwischen einem für manche von décadence geprägten Frankreich und einem insbesondere wirtschaft lich und demografisch dynamischen Deutschland. Konkurrenz und Wettbewerb waren Resultate des Kriegsausgangs 1870 / 71, der auf beiden Seiten Veränderungen, Reformen und Sinnsuche erzwang. Hinzu kam die um die Jahrhundertwende zunehmende imperiale Rivalität, die nicht auf das deutsch-französische Verhältnis beschränkt war. Die französischen Zeitgenossen warnten mit wechselhaften Konjunkturen vor der deutschen Dominanz in Politik, Wirtschaft und Kultur. Daraus schloss die Geschichtsschreibung oftmals, dass ausschließlich das in den Statistiken als überlegen erscheinende Deutschland als Maßstab für Frankreich gedient habe. Diese Feststellung wird hier nuanciert, Deutschland blickte genauso nach Frankreich: etwa beim Aufbau von speziellen Ausbildungsstätten für Kolonialbeamte, bei der Organisation der Weltausstellungen, von denen in Frankreich von 1870 bis 1914 insgesamt drei, im Kaiserreich keine einzige stattfand, in der Reformpädagogik und beim Spracherwerb, bei Kunst, Mode und Kultur, aber auch beim Austausch antisemitischer, nationalistischer und rassetheoretischer Schriften. Weitet man die Perspektive, so verliert die vielfach konstatierte Asymmetrie an Schärfe. Zugleich rückt die deutsch-französische Perspektive neue und andere The-
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men in den Fokus im Vergleich zur klassischen politischen Nationalgeschichte. Damit kommt sie auch zu anderen Ergebnissen. Politisch ging die Zusammenarbeit bis 1914 zumeist nicht über eine Verständigung auf Sachebene hinaus, so etwa bei der Kolonialpolitik oder bei Absprachen zur Unterdrückung anarchistischer Bewegungen. In anderen Bereichen wie der Bildungspolitik, der Sozialpolitik, bei Wohnungsbau und Stadtplanung zirkulierten Modelle in Politik und Expertenkreisen. Sie erfuhren im genannten Spannungsfeld von Nachahmung und Ablehnung ihre spezifischen nationalen und lokalen Ausprägungen und zirkulierten neu in ihrer hybridisierten Form. Außerhalb der Politik reichten Verflechtungen, Austausch und Zusammenarbeit bisweilen sehr weit: Um die Jahrhundertwende bestanden intensive deutsch-französische sowie weltweite Wirtschafts- und Finanzverflechtungen, deren Konjunkturen nicht parallel zu den wechselhaften politischen Beziehungen verliefen. Zugleich gab es Akteure, Stimmen und Projekte, die nicht nur vom anderen lernen wollten, sondern die auf eine tatsächliche Zusammenarbeit zielten, wie etwa die wiederholten Vorstöße für eine Zollunion unter Einschluss Deutschlands und Frankreichs, die im Jahrzehnt vor dem Weltkrieg zunehmenden deutsch-französischen Friedenskomitees und -aktionen, die deutsch-französischen Schülerbriefwechsel oder die von deutschen Einwanderern in Paris gegründeten deutschsprachigen Sektionen in der französischen Gewerkschaft CGT zeigten. Annäherung und Zusammenarbeit kennzeichneten den zivilgesellschaftlichen Bereich, beispielsweise innerhalb der internationalen Frauenbewegungen, bei Friedensaktivisten sowie bei reformerischen- und kulturkritischen Strömungen der Epoche. Die Anhänger der Anti-Schmutz- und Schundbewegungen trafen sich genauso auf internationalen Kongressen wie Antisemiten, Journalisten, Juristen, Stadtplaner und Hygieniker. Kneippkur- und Vegetarismusanhänger reisten ins andere Land, die katholische Kirche organisierte gemeinsame Wallfahrten und schuf – ebenso wie ihre Gegner – über Publikationen und Übersetzungen einen gemeinsamen transnationalen Fundus an Bildern und Texten, mit denen sie ihre eigenen Überzeugungen unterstrich. Komplex war ebenso das von Anziehung und Konkurrenz geprägte deutschfranzösische Verhältnis in Kultur und Wissenschaft, etwa in den divergierenden Literaturbewegungen, die zwischen enger Rezeption und Abschottung oszillierten, oder in den Wissenschaften, die von Wettbewerb und zunehmender internationaler Zusammenarbeit geprägt waren. Der Transfer verlief im deutsch-französischen sowie vielfach im internationalen Rahmen, bei Konferenzen, Ausstellungen, Studienreisen, durch Austausch in Zeitschriften, durch Übersetzungen und Rezensionen sowie durch persönliche Kontakte. Letztere waren unterschiedlich intensiv und oft weit davon entfernt, konfliktfrei zu sein. Die verwirrende Gleichzeitigkeit dieser widersprüchlichen Einstellungen und Praktiken, die Parallelität von deutsch-französischen Feindbildern bei gleichzeitigem Transfer von Vorstellungen und Ideen, wie es sie selbst
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bei Themen wie Nationalismus und Antisemitismus gab, sind ein zentrales Ergebnis dieses Buches. Die verflochtene Perspektive macht viele eigensinnige und schwer integrierbare Fragmente der gemeinsamen deutsch-französischen Geschichte sichtbar. Durch den überkreuzten Blick erscheinen Zusammenhänge oft mals noch komplexer als bei der inzwischen ebenfalls pluralisierten nationalen Geschichte. Die Vielgestaltigkeit der Ergebnisse erschwert eine Gewichtung von Verflechtung und Feindschaft und macht das Identifizieren von Interaktionsschüben fast unmöglich. Zugleich liegt in der Sperrigkeit und Widersprüchlichkeit eine Chance: Die Epoche erhält so ihre spannungsreiche Vielfalt und ihre Offenheit zurück. Besonders deutlich wird das in den Kapiteln zu Elsass-Lothringen, war doch die Germanisierungspolitik des Kaiserreichs genauso wenig eindeutig wie die französischen Erinnerungspraktiken oder die Reaktionen der Bevölkerung in den annektierten Gebieten. Die enge gegenseitige Beobachtung und Wahrnehmung wird neben den ähnlichen Erfahrungswelten durch die thematische Gliederung des Buches unterstrichen. Dies wird besonders mit Blick auf die Lebenswelten deutlich, bei Massenpresse und Vergnügungskulturen. Nachrichtenagenturen arbeiteten eng zusammen. Geschichten und Theaterstücke über Skandale, Verbrechen und koloniale Exotik zirkulierten genauso wie neue amerikanische Tänze; zugleich machte sich auch hier die wirtschaft liche und kulturelle Konkurrenz bemerkbar. So wurden in erster Linie die Infrastrukturen des Kulturaustausches internationalisiert, während Deutungsmuster überwiegend einem nationalen Rahmen verhaftet blieben. Das zeigte sich in überraschenden Details, etwa der Wahl des französischen Filmunternehmens Pathé bei der Vergabe der Exklusivrechte 1913 für die Hundertjahrfeier zum Gedenken an die Völkerschlacht bei Leipzig und den Sieg über Napoleon. Die internen Divergenzen und Auseinandersetzungen waren in beiden Ländern mindestens so groß wie der Antagonismus zwischen den Ländern. Das macht der thematisch-überkreuzte Zugriff ebenfalls deutlich. Das Besondere an einer deutsch-französischen histoire croisée ist, dass zugleich ein neuer Blickwinkel auf jede der beiden Nationalgeschichten geöff net wird, der den allgemein anerkannten Deutungen mehr Komplexität verleiht. So stark beide Länder im Hinblick auf ihre staatliche Ordnung kontrastierten – Monarchie in Deutschland, Republik in Frankreich –, zeigten sich neben nationalen Eigenheiten zahlreiche Parallelen der politischen Kultur: Beide Länder standen vor ähnlichen Herausforderungen bei der Festigung des Nationalstaats und angesichts der kulturellen und gesellschaft lichen Modernisierung. Dabei erprobten sie ähnliche Lösungen: Inklusions- und Exklusionsprozesse, die Inszenierung und Repräsentation des Nationalen, der nationale Kult um die Armee, die Unterdrückung der Arbeiterbewegungen, der Ausschluss der Frauen vom Wahlrecht, die Forcierung und zugleich versuchte Bändigung der Politisierung beider Gesellschaften.
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Hätte es überhaupt noch eines Beweises bedurft, dass die These eines „deutschen Sonderwegs“ nicht zu halten ist, so liefert ihn dieses Buch. Denn im Spiegel der Dritten Republik bestätigt sich der Befund der neueren Forschung, wonach das Kaiserreich politisch und gesellschaft lich weniger rückständig war als viele Jahre konstatiert. Umgekehrt zeigen sich für die Dritte Republik in der überkreuzten Perspektive manche Verzögerungen, die ihren Ursprung bereits in früheren Epochen hatten – wie etwa in der Ausbildung einer festen Parteienlandschaft, im später einsetzenden modernen Wohnungsbau, in den weniger stark verbreiteten feministischen Ideen. Ebenso waren die Prozesse, in denen sich das französische Volk republikanische Werte anverwandelte, langwierig und widersprüchlich. Auch die neuere Geschichtsschreibung zur Dritten Republik wendet sich gegen eine früher bisweilen stark hagiografische Sichtweise und weist auf die Differenz zwischen dem propagierten Ideal einer universellen Republik und der gelebten Realität hin. Gerade diese Dichotomie zwischen den weitgehend idealisierten nationalen Wahrnehmungen, in denen sich die beiden Länder unterschieden, und den gelebten Realitäten, die sich hingegen eher ähnelten, bricht mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs wieder mit aller Macht hervor. Zahllose Unterschiede und Nuancen werden durch die deutsch-französische Perspektive aber ebenso deutlich. Nur einige sollen exemplarisch genannt werden: der stärkere Organisationsgrad der deutschen Gesellschaft , der sich an den mitgliederstarken nationalistischen Verbänden sowie an der SPD zeigte, die in Frankreich deutlich größere Spannbreite an Nationsdeutungen und die dynamischere Friedensbewegung, die Wandervögel innerhalb der deutschen Jugendbewegungen, die im Deutschen Kaiserreich stärkere Urbanisierung und mithin prägnantere Kritik an der Moderne und an der modernen Industriegesellschaft, die in Frankreich stärkere Durchdringung der Gesellschaft durch eine culture coloniale und das dortige Fehlen einer organisierten politischen Abwehr des Antisemitismus. Auf den ersten Blick schien der Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Kooperationen, Annäherungen und Transfers, die vier Jahrzehnte geprägt hatten, infrage zu stellen und nur noch Raum für Konkurrenzdenken, Widerstand und Konfrontation in ihrer radikalsten Form zu zulassen. Im Licht der hier vorgestellten Analysen wird jedoch deutlich, wie tief verwurzelt der Erste Weltkrieg in der davorliegenden Zeit war und wie viele seiner Charakteristika aus dieser Periode herrühren. Der steigende Einfluss der Massen und der im ausgehenden 19. Jahrhundert herangereiften nationalistischen Einstellungen verstärkte die nationalideologische Dimension des Krieges und verschärfte die Gefahr seiner Radikalisierung. Der technische Fortschritt und die industrielle Revolution ermöglichten beiden Seiten dank moderner Transportmittel eine buchstäblich „allgemeine“ Mobilisierung und als Konsequenz die Aufstellung von Massenheeren; sie lieferten zugleich Vernichtungswerkzeuge einer bis dahin unbekannten Zerstörungskraft, die eine beispiellose Intensität und Gewalt der
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Schlachten zur Folge hatte. Die Perfektionierung der Staatsapparate beider Länder schließlich ermöglichte die Vereinnahmung der Industrie und einen Dirigismus großen Maßstabs. So gesehen waren der Weltkrieg und die Art der Kriegführung ganz überwiegend das Resultat von Verfeindung und Verflechtung der Jahre seit dem Deutsch-Französischen Krieg. Bilder erbitterter Feindschaft aus dem einen Krieg rückten im anderen wieder in den Vordergrund. Bei aller Kohärenz der Epoche in dieser Hinsicht war ein solches Ergebnis keineswegs unabwendbar. Untersuchungen zum Kriegseintritt zeigen noch ein Jahrhundert später die Bedeutung des Zufalls für den Kriegsausbruch. Die zuvor existierenden Interdependenzen waren zwar während des Krieges weitgehend verborgen, überdauerten ihn aber. Gewiss kamen die Kontakte nur schleppend und bruchstückhaft wieder in Gang. Nach 1918 intensivierten sie sich wieder, jedoch erschwert durch die zu leistende Überwindung des Kriegstraumas. Der überkreuzte Blick auf die Geschichte beider Länder erhellt schließlich die Spezifi ka der nationalen Forschungstraditionen. Thematisch orientieren sich die Historiografien ganz überwiegend an den Erfahrungen des eigenen Nationalstaats. Die verflochtene Perspektive lädt demgegenüber zur Reflexion über den eigenen historiografischen Standort ein, über a priori angenommene und verfestigte Sichtweisen, über blinde Flecken der sich selbst reproduzierenden, kaum aber sich erweiternden Nationalgeschichte. Nur aus der gekreuzten Perspektive lässt sich erkennen und erklären, warum die Friedensbewegung im Kaiserreich deutlich später entstand und weniger bedeutend war, aber dafür weitaus besser erforscht ist; oder inwiefern die deutsche Geschichtsschreibung über die Dreyfusaff äre erkennbar kritischer ausfiel als die französische. Angesichts der Vielzahl der Verflechtungen stellt sich abschließend die Frage, warum uns heute eher die Verfeindung der Epoche bewusst ist. Der Grund ist zweifellos, dass die beiden Kriege an ihrem Beginn und Ende die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, gerade weil sie tiefe Brüche darstellten. Das bezeugt auch der Aufbau dieses Buches. Dessen ungeachtet stellt sich angesichts der engen sozialen, wirtschaft lichen, kulturellen, wissenschaft lichen und anderen deutsch-französischen Kontakte umso entschiedener die Frage, wieso diese immer wieder verneint und in Verfeindung umgedeutet werden konnten. Entscheidend war wohl die Sehnsucht nach innerer Einheit, die als oberstes nationalstaatliches Ziel in beiden Gesellschaften angesichts der zahlreichen internen politischen, regionalen, sozialen und konfessionell-religiösen Konflikte von vielen nur akzeptiert wurde, wenn ein drohender Nachbar zur grundsätzlichen Alterität stilisiert wurde. Auch wenn die Berührungen und Querverbindungen zwischen beiden Ländern letztlich die machtpolitischen Konfl ikte nicht ausbremsen, den Krieg nicht verhindern konnten, schmälert das nicht ihre Bedeutung für die Epoche und für die Lebenswelten der Menschen.
III. Bibliografie
III. Bibliografie
Die Masse an Quellen und Sekundärliteratur für den hier behandelten Zeitraum ist kaum noch zu überblicken: Nicht nur wurde im beginnenden Zeitalter der Massenpresse unverhältnismäßig viel mehr von Zeitgenossen publiziert als in den Zeiträumen davor. Auch sind die hier behandelten Themen von der Geschichtsschreibung für die einzelnen Länder mehrheitlich ausgesprochen gut erforscht. Daher kann es in dieser Bibliografie nicht um Vollständigkeit gehen, auch wenn die hohe Zahl an Literatureinträgen dies suggerieren mag. Diese ist vielmehr der Tatsache geschuldet, dass der hier zentrale Aspekt des Austauschs zwischen beiden Ländern neben den Werken, die ihn dezidiert thematisieren, oft mals ebenso am Rande in der Forschungsliteratur zu einem der beiden Länder auft aucht. Die hier aufgeführte Literatur wird daher fast vollständig im Buch zitiert. In Klammern ist am Ende mancher Einträge angegeben, wenn es eine französische oder englische Ausgabe des Werkes gibt und in welchem Jahr diese erschienen ist. Alle Links wurden am 27. 1. 2019 zuletzt überprüft. Die für diese Arbeit erstellte umfassendere Zotero-Bibliografie für den Zeitraum 1870–1914 ist online unter: https: / / www. zotero.org / groups / 2237344 / deutsch-franzsische_geschichte_1870 –1914 / items. 1. Quellen, Dokumentensammlungen und Memoiren Quellen und Dokumentensammlungen 1. Quellen, Dokumentensammlungen und Memoiren
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1912 franz. Protektorat
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OSMANISCHES REICH
BULGARIEN
RUMÄNIEN
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RUSSISCHES REICH
GRIECHENLAND
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1881 franz. Protektorat
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1879 Teil Frankreichs
1911/12 span. Protektorat
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Tanger 1911 internat. Gebiet
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DEUTSCHES REICH
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BELGIEN
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GROSSBRITANNIEN UND IRLAND
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PORTUGAL
Atlantischer Ozean
(Deutsches Reich, Italien, Österreich-Ungarn)
Dreibund
(Frankreich, Großbritannien, Rußland)
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Europa 1914
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50 km Die 1871 annektierten und als „Reichsland Elsass-Lothringen“ mit Hauptstadt Straßburg 1871 in das Deutsche Kaiserreich integrierten Gebiete Frankreichs.
Zeittafel
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1870, 19. Juli 1870, 4. September 1871, 18. Januar 1871, 28. Januar 1871, 18. März–28. Mai
1871, 10. Mai 1872–1879 1872, 27. Juli 1873, 24. Mai
1873, 16. September 1873, Oktober 1875 1875, März–Mai 1875, 22.–27. Mai 1876 1877, 16. Mai
1877 Oktober 1878
1878 1878, 1. Mai 1878 Juni / Juli 1878, 21. Oktober 1879–1880
Beginn des Deutsch-Französischen Krieges. Ausrufung der Republik in Frankreich. Ausrufung des Deutschen Kaiserreiches in Versailles. Kapitulation von Paris und offizielle Bekanntgabe des Waffenstillstandes. Pariser Kommune. Solidaritätsbekundungen in mehreren Städten in Deutschland und Unterstützungserklärung von August Bebel vor dem Reichstag. Unterzeichnung des Friedensvertrages von Frankfurt. Kulturkampf gegen die katholische Kirche in Deutschland. Gesetz zur Wehrpfl icht in Frankreich (fünf Jahre Dienst). Adolphe Thiers von der monarchistischen Rechten gestürzt, Patrice de Mac-Mahon wird Präsident der Republik, Beginn der Epoche der sogenannten ordre moral. Ende der Besetzung Frankreichs durch deutsche Truppen. Monarchistische Restaurationsversuche in Frankreich scheitern. Verfassungsgesetze (lois constitutionnelles) in Frankreich. Krieg-in-Sicht-Krise: diplomatische Spannungen zwischen Frankreich und Deutschland. Gothaer Kongress. Gründung der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) aus der Vereinigung von ADAV und SDAP, ab 1890 SPD. In Elsass-Lothringen wird die Mark als Währung eingeführt und die erste Filiale der Reichsbank eröff net. Crise du 16 mai (Staatsstreich): Mac-Mahon verlangt von Jules Simon den Rücktritt und ersetzt ihn durch Albert de Broglie. Republikanische Mehrheit anlässlich der Wahlen in der Abgeordnetenkammer. Innenpolitische Veränderungen in Deutschland: Bismarck wendet sich von den Liberalen ab, konservative Orientierung der Innenpolitik. Erstausgabe des Buches „Tour de la France par deux enfants“. Eröff nung der Weltausstellung in Paris, keine offi zielle Teilnahme Deutschlands. Berliner Kongress (diplomatische Konferenz der europäischen Mächte über den Balkan). Verabschiedung des „Sozialistengesetzes“, das sozialistische, sozialdemokratische und kommunistische Vereine, Versammlungen und Schriften verbot. Berliner Antisemitismusstreit.
424 1879, 30. Januar 1879, 14. Februar 1880, 29. März 1880, 11. Juli 1880, 14. Juli 1881 1882, 28. März 1882, 12. Mai 1882, 20. Mai 1883–1889 1884 / 1885 1884, 21. März 1884, 15. November– 16. Februar 1885 1884, 14. August 1884, 20. September 1885, 22. Mai 1887–1889
1887, 20.–30. April
1887, 18. Juni 1888 1889, 5. Mai 1889, 14.–20. Juli 1889, 15. Juli 1890 1890, Februar
1890, 20. März
Zeittafel
Rücktritt von Mac-Mahon; Machtübernahme der gemäßigten Republikaner. Die Marseillaise wird erneut Nationalhymne (zum zweiten Mal nach 1795–1804). Erste Maßnahmen gegen die Kongregationen in Frankreich. Amnestie der Kommunarden. Erste offizielle Begehung des 14. Juli als Nationalfeiertag in Frankreich. Grundfreiheiten in Frankreich: Gesetz zur Versammlungsfreiheit; Gesetz zur Pressefreiheit; Gesetz zur Unentgeltlichkeit der Grundschule. Gesetz zum verpflichtenden Grundschulunterricht und zur Laizität im Unterricht in Frankreich. Gründung der Ligue des patriotes durch Paul Déroulède. Dreibund zwischen dem Deutschen Reich, Österreich-Ungarn sowie Italien als geheime Verteidigungsallianz. Inkraft treten der obligatorischen Sozialversicherungen in Deutschland: Krankenversicherung 1883, Unfallversicherung 1884, Alters- und Invaliditätsversicherung 1889. Beginn der Kolonialbestrebungen des Deutschen Reiches. Autorisierung der Arbeitergewerkschaften in Frankreich. Kongokonferenz: Abgrenzung der Interessenssphären der europäischen Mächte. Revision der Verfassungsgesetze in Frankreich: Die republikanische Form kann nicht mehr infrage gestellt werden. Besuch Bismarcks in der Französischen Botschaft in Deutschland: Höhepunkt der deutsch-französischen Gespräche. Tod von Victor Hugo; Staatsbegräbnis am 1. Juni. Boulangerkrise: Georges Boulanger, Kriegsminister 1886 / 1887, anschließend Abgeordneter des Nordens, droht mit der Generalmobilmachung gegen Deutschland und kritisiert das republikanische Regime. Schnaebelé-Aff äre: Der französische Grenzpolizist Guillaume Schnaebelé, der als Spion verdächtigt wird, wird festgenommen und gewaltsam nach Deutschland gebracht. Rückversicherungsvertrag Deutschlands mit Russland. Dreikaiserjahr: Tod von Wilhelm I., Tod von Friedrich III. nach 99 Regierungstagen, Wilhelm II. wird Kaiser. Eröff nung der Weltausstellung in Paris, keine offi zielle Teilnahme Deutschlands. Gründungskongress der Zweiten Internationalen in Paris (Sitz in Brüssel). Gesetz zum allgemeinen Militärdienst in Frankreich. „Neuer Kurs“ der Außenpolitik unter Wilhelm II., Nichterneuerung der Allianz mit Russland. Inkognito-Besuch von Victoria, Mutter von Wilhelm II., genannt Kaiserin Friedrich, in Paris und Versailles, was eine antideutsche Kampagne in Teilen der rechten französischen Presse auslöste. Rücktritt von Bismarck infolge von Meinungsverschieden-
Zeittafel
1890, 30. September 1891, 23. Juli 1892, 8. November 1892, Juli / August 1894
1894, 24. Juni 1894, Juli 1894, September 1895, Juni 1895, 23.–28. September 1896, April 1898, 9. April 1898, 13. Januar 1898, Juli 1899, 23. Februar
1899, 18. Mai–27. Juli 1899, 7. August–19. Sept. 1900 1900, 14. April
1900, Juni / Juli
1900, 19. Juli 1900–1909 1901, 27.–29. Juni 1901, 1. Juli 1901, 10. Dezember
425
heiten mit Wilhelm II., Graf Caprivi wird Reichskanzler (bis 1894). Ende der Sozialistengesetze. Beginn der französisch-russischen Allianz: Besuch der französischen Flotte in Kronstadt. Die schwarz-weiß-rote Flagge, bis dahin Handelsflagge, wird Nationalflagge des Deutschen Reiches. Französisch-russische Militär-Konvention; Ende der außenpolitischen Isolierung Frankreichs. Der französische Bakteriologe Émile Roux verweigert die Annahme des Offi zierskreuz der Ehrenlegion, wenn sein deutscher Kollege Emil v. Behring, auf dessen Arbeiten er sich stützte, es nicht ebenfalls erhält. Ermordung von Sidi Carnot in Lyon. Jean Casimir-Perier wird Präsident der Republik. Lois scélérates (Schurkengesetze) gegen Anarchisten in Frankreich. Beginn der Dreyfus-Aff äre. Eröff nung des Kaiser-Wilhelm-Kanals unter Teilnahme französischer Schiffe. Gründungskongress der CGT in Limoges. Erste Olympische Spiele der Moderne in Athen. Gesetz zur Entschädigung von Arbeitsunfällen in Frankreich. Veröffentlichung von „J’accuse …!“ von Émile Zola auf der ersten Seite des „Aurore“. Faschoda-Krise: Spannungen zwischen Frankreich und Großbritannien. Versuchter Staatsstreich, angeführt von Paul Déroulède anlässlich des Begräbnisses von Félix Faure, der auf CasimirPerier als Präsident gefolgt war. Erste Haager Friedenskonferenz (Internationale Friedenskonferenz). Prozess von Rennes: Dreyfus wird erneut vor Gericht gebracht und verurteilt, anschließend vom Präsidenten begnadigt. Inkraft treten des Bürgerlichen Gesetzbuches. Eröff nung der Weltausstellung in Paris; Teilnahme des Deutschen Kaiserreichs und starke Frequentierung durch deutsche Touristen (geöff net bis 12. November). Boxeraufstand in China; deutsch-französische militärische Kooperation im Rahmen von internationalen „Strafaktionen“. Inbetriebnahme des ersten Abschnitts der Linie 1 der Pariser Metro. Bernhard von Bülow wird Reichskanzler. Automobilrennen Paris-Berlin; Sieger wurde der Franzose Henri Fournier. Vereinsgesetz in Frankreich garantiert Vereinigungsfreiheit. Verleihung des ersten Friedensnobelpreises an Frédéric Passy.
426 1902 1902, 28. Juni 1902, 29. September 1903
1903, 1.–19. Juli 1904–1907 1904, 8. April 1905 1905 / 06 1905 März 1905, 23.–26. April 1905, 19.–23. September 1905, 9. Dezember 1905, 10. Dezember 1906
1906, 16. Januar–7. April 1906, 10. März
1906, 12. Juli 1906, 25. Oktober 1907 1907, 15. Juni–18. Oktober
1907, 31. August 1908
1908, 8. April 1908, 4. Oktober 1909–1917 1909, 9. Februar 1909, 17. Oktober
Zeittafel
Auft ritt Sarah Bernhardts in Straßburg (sie hatte dies zuvor mehrere Male abgelehnt). Erneuerung des Dreibunds (Deutschland, Österreich-Ungarn, Italien). Mysteriöser Tod von Émile Zola in Paris (Begräbnis am 5. Oktober). Gründung der Bagdadbahngesellschaft mit Beteiligung internationalen Kapitals, insbesondere aus Deutschland und Frankreich. Erstmaliges Radrennen Tour de France. Völkermord an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika. Entente cordiale zwischen Frankreich und England. Maurice Barrès veröffentlicht seinen stark antideutschen Roman „Au service de l’Allemagne“. Erste Marokkokrise. Militärdienst in Frankreich reduziert auf zwei Jahre. Congrès du Globe und Gründung der Section française de l’Internationale ouvrière (SFIO). Weltfriedenskongress in Luzern mit deutsch-französischer Annäherung. Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat in Frankreich. Bertha von Suttner erhält als erste Frau den Friedensnobelpreis. Physikprofessor Arthur Korn verschickt ein Foto über Telefonleitungen von Berlin nach Paris; es wird auf der ersten Seite der „Illustration“ abgedruckt. Algeciras-Konferenz, die Marokko unter europäische Kontrolle stellt. Grubenunglück von Courrières (1200 Bergmänner getötet); deutsche Bergleute schicken eine Rettungstruppe als Zeichen der Solidarität. Rehabilitierung von Dreyfus durch das Kassationsgericht. Erstes Kabinett von Georges Clemenceau. Gründung eines Deutschen Gewerkschaft skartells innerhalb der CGT in Paris. Gründung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag anlässlich der Zweiten Internationalen Friedenskonferenz (44 teilnehmende Staaten). Triple-Entente (Frankreich, England, Russland). Gründung des Comité commercial franco-allemand (CCFA) sowie des Deutsch-Französischen Wirtschaft svereins (DFW). Reichsvereinsgesetz in Deutschland: Frauen dürfen sich politisch engagieren. Deutsch-französische Eröff nung eines Kriegerdenkmals in Noisseville zur Erinnerung an die dort während des Krieges 1870 / 71 gefallenen Soldaten. Theobald von Bethmann Hollweg wird Reichskanzler. Deutsch-französisches Marokkoabkommen. Deutsch-französische Eröff nung eines Kriegerdenkmals in
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1909, 10. Dezember 1910, 5. April 1910, 14. November 1911 1911 1911, 4. November 1912, 12. Januar 1912, 30. März 1912 / 1913 1913 1913 / 1914 1913, 17. Januar 1913, 3. Juli 1913, 7. August 1913, November
1914 1914, 28. Juni 1914, 5. / 6. Juli 1914, 14.–16. Juli 1914, 28. Juli 1914, 30. Juli 1914, 1. August 1914, 3. August 1914, 4. August
1914, September–Nov. 1914, 6.–15. September 1914, November
427
Wissembourg (Elsass) zur Erinnerung an die dort während des Krieges 1870 / 71 gefallenen Soldaten. Verleihung des Friedensnobelpreises an Paul d’Estournelles de Constant. Gesetz über die Arbeiter- und Bauernrenten in Frankreich. Jean Jaurès reicht einen Gesetzesentwurf für eine neue Armee in der Kammer ein. Zweite Marokkokrise. Administrative Reform und Verfassung für Elsass-Lothringen. Deutsch-französisches Abkommen über Marokko und Kongo. Reichstagswahlen: die SPD wird mit 34,8 % der Stimmen erste Fraktion. Protektoratsvertrag mit Marokko. Balkankriege. 100-jähriges Jubiläum der Völkerschlacht bei Leipzig; Pathé erhält die Exklusivfi lmrechte für die Feierlichkeiten. Deutsch-französische parlamentarische Konferenzen in Genf (1913) und Bern (1914). Wahl von Raymond Poincaré zum Präsidenten der Republik. Gesetz zur Anhebung der Friedensstärke der deutschen Armee um rund 117 000 Mann. Gesetz zur Verlängerung des Militärdienstes auf drei Jahre in Frankreich. Zabern-Aff äre, ausgelöst durch einen preußischen Leutnant, der in Anwesenheit elsässischer Rekruten die Gesamtheit der Elsass-Lothringer als „Wackes“ (Nichtsnutze) bezeichnet. Rede des deutschen Pazifisten Ludwig Quidde anlässlich des nationalen Friedenskongresses in Lyon. Attentat auf den Kronprinzen von Österreich-Ungarn Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie in Sarajevo. Deutschland bestätigt Österreich-Ungarn seine Bündnistreue (sog. „Blankoscheck“). Außerordentlicher Kongress der SFIO. Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien. Generalmobilmachung Russlands; Ultimatum Deutschlands an Russland; Ermordung von Jaurès. Deutsche Kriegserklärung an Russland. Deutsche Kriegserklärung an Frankreich. Kriegseintritt Großbritanniens; die Kriegskredite werden in Deutschland und Frankreich von den Abgeordneten jeweils einstimmig verabschiedet. Deutsche Truppen marschieren am 4. August in Belgien, Mitte August in Nordfrankreich ein. „Wettlauf zum Meer“. Stillstand der deutschen Truppen an der Marne (Scheitern des Schlieffenplans). Ende des Bewegungskrieges an der Westfront, Beginn des Stellungskrieges.
428 1914, 2. Dezember 1915, 22. Februar 1915, 28.–30. April 1915, 26. April 1915, 26.–28. März 1915, 5.–8. September 1916
1916, 24.–30. April 1916, Februar–Dezember 1916, Mai 1916 Juli–November 1916, 29. August 1916, 12. Dezember 1917, 31. Januar 1917, Februar 1917, April
1917, 6. April 1917 Frühling
1917, 19. Juli 1917, 1.–2. August 1917, 2.–15. September 1917, 15. Dezember 1918, Januar 1918, März–Juli
1918, 8. August 1918, 3. Oktober
1918, 8.–11. November
Zeittafel
Karl Liebknecht stimmt gegen die Bewilligung der Kriegskredite. Beginn des U-Boot-Krieges. Internationaler Frauenfriedenskongress in Den Haag. Kriegseintritt Italiens aufseiten der Entente. Internationale Sozialistische Frauenkonferenz für den Frieden in Bern. Zimmerwalder Konferenz (Schweiz): erste Zusammenkunft der internationalen Sozialisten seit Kriegsbeginn. „Judenzählung“ in Deutschland: Die im Heer befi ndlichen wehrpfl ichtigen Juden werden in einem stark antisemitischen Kontext gezählt, Juden wird mangelnder Patriotismus vorgeworfen. Kiental Konferenz (Schweiz): zweites Treffen der internationalen Sozialisten. Schlacht um Verdun. Schlacht von Jütland: einzige Schlacht, die die dominante Position der Royal Navy bestätigt. Schlacht an der Somme. Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff übernehmen die Oberste Heeresleitung. Friedensangebot der Mittelmächte, von den Alliierten am 30. abgelehnt. Erklärung des uneingeschränkten U-Bootkriegs durch Deutschland. Revolution in Russland. Französische Offensive in Aisne auf dem Chemin des Dames: Frankreich verliert fast 200 000 Männer für nur bescheidene Landgewinne. Kriegserklärung der USA an Deutschland. Meuterei in der französischen Armee, die beinahe zwei Drittel der Einheiten betrifft; umfassende Streikwellen in Frankreich und Deutschland. Annahme einer Friedensresolution durch den Reichstag. Meutereien in der deutschen Flotte. Stockholm-Konferenz: dritte und letzte sozialistische Konferenz gegen den Weltkrieg. Waffenstillstand zwischen Deutschland und Russland. 14-Punkte-Programm von Woodrow Wilson. Umfassende Streikbewegungen in Deutschland. Kaiserschlacht, Serie von deutschen Attacken an der Westfront; Bombardements auf Paris von Aisne durch Pariser Kanonen oder Parisgeschütze, in Frankreich als „Dicke Bertha“ bekannt. Schwarzer Tag des deutschen Heeres; definitives Scheitern der Frühjahrsoffensive. Max von Baden wird Reichskanzler, erste deutsche parlamentarische Regierung; das deutsche Oberkommando drängt ihn, eine Bitte um Waffenstillstand zu formulieren. Abdankung von Wilhelm II., doppelte Ausrufung der Republik in Berlin, Waffenstillstand zwischen Deutschland und den Alliierten.
Register
Register
Action française 40, 90, 108–110, 114, 115, 123, 124, 145 Action française, l’ (Zeitschrift) 109, 142, 273 Agathon 110 Albert-Ludwig-Universität Freiburg 153 Alexander II. (Zar von Russland) 56 Alfons XII. (König von Spanien) 56 Alldeutscher Verband 113–114, 115, 120, 185, 188, 222, 244, 285 Allemagne, Claude d’ 101 Allgemeine Zeitung des Judentums 261 Alliance démocratique 40 Andler, Charles 76 Angell, Norbert 128–129, 184 Antijuif, l’ 268 Apollinaire, Guillaume 151, 163 Arbeiter-Zeitung 7 Arc, Jeanne d’ 77, 87 Arnaud, Émile 125 Associated Press 148 Association des cités-jardins de France 158 Association générale d’Alsace-Lorraine 75 Association syndicale de la presse étrangère 148 Augspurg, Anita 134–135 Aurore, l’ 266, 272, 425 Ausschuss für Wohlfahrts- und Heimatpflege 157 Auto, l’ 144 Baden, Max von 232, 233, 254, 428 Bagdadbahngesellschaft 66 Bahr, Hermann 107, 110 Bamberger, Ludwig 260 Banque impériale ottomane 65 Banville, Théodore de 177 Barbarossa 47 Barrès, Maurice 77, 107, 124, 177, 184, 268, 273, 278, 426 Bartholdi, Auguste 245 Barthou, Louis 252
BASF (Unternehmen) 62 Bastian, Marie 270, 271 Baudelaire, Charles 177 Bayer (Unternehmen) 62 Bazaine, François-Achille 22 Bebel, August 21, 71, 95, 101, 283, 288, 423 Behring, Emil von 155, 425 Belin, Édouard 141 Berliner Illustrirte Zeitung 140 Berliner Lokalanzeiger 142 Berliner Morgenpost 142 Berliner Tageblatt 148, 271 Bernhardi, Friedrich von 59, 116, 185 Bernhardt, Sarah 163, 426 Bethmann Hollweg, Theobald von 206, 207, 221, 222, 227–228, 248, 426 Bettannier, Albert 77 Bettignies, Louise de 214 Bismarck, Otto von 15–17, 22, 28, 32–33, 36, 47, 49, 50–54, 70, 74, 80, 83–84, 87, 89, 93, 95–97, 112–113, 244, 259–260, 262, 269, 279–281, 423, 424, 425 Blanc, Alexandre 220 Blei, Franz 110 Bloch, Ivan 59 59, 128–129 Blumenthal, Daniel 245 Bödiker, Tonio 156 Bonaparte, Louis-Napoléon genannt Napoleon III. 15–16, 18, 21, 97 Bonaparte, Napoléon genannt Napoleon I. 45, 160, 166, 337 Boulanger, Georges 33, 35, 51, 52, 74, 105–106, 424 Bourdon, Georges 160 Braun, Karl Ferdinand 73 Braun, Lily 38 Bresslau, Harry 73, 260 Briand, Aristide 187, 205, 222, 228, 254 Brizon, Pierre 220 Broglie, Albert de 423 Bucher, Pierre 244 Buffalo Bill 164 Bülow, Alfred von 56
430
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Bülow, Bernhard von 265, 270, 282, 284, 425 Bund der Landwirte 121 Bund Deutscher Frauenvereine 135 Bund Heimatschutz 157 Bund Neues Vaterland 134 Caillaux, Henriette 185 Caillaux, Joseph 185, 228, 234 Callwell, Charles 304 Caprivi, Leo von 425 Carnot, Sidi 94, 425 Casimir Perier, Jean 425 Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens 121 Chanoine, Julien 283, 306, 403 Cherbuliez, Victor 261 Chodron de Courcelles, Alphonse 279– 280 Ciné-Journal, le 166 Claß, Henrich 116, 244, 265 Clemenceau, Georges 95, 205, 228, 252, 254, 266, 278, 279, 308, 426 Clémentel, Étienne 326 Cohen, Hermann 260 Comité commercial franco-allemand (CCFA) 63–64, 426 Comité d’entente franco-allemande 132 Comité de défense contre l’antisémitisme 274 Comité des dames de la patrie française 110 Comité des forges 208, 209 Comité international olympique 169 Commission for Relief in Belgium 310 Confédération générale du travail (CGT) 96, 100, 336, 425, 426 Coubertin, Pierre de 169 Courrier cinématographique, le 166 Coutouly, Gustave de 148 Croix, la 87, 123, 141 Daily Telegraph 41, 247 Daudet, Léon 110, 124, 177, 294, 308 Debussy, Claude 177 Dehio, Georg 73 Deimling, Berthold von 248, 249 Delcassé, Théophile 51, 55, 187 Denfert-Rochereau, Pierre Philippe 245 Déroulède, Paul 78, 106, 268, 278, 424 Desjardins, Paul 171 Deutsche Bank 66
Deutsche Caritas 89 Deutsche Friedensgesellschaft 128, 130, 133, 184 Deutsche Gartenstadtgesellschaft 158 Deutsche Orientbank 66 Deutsche Vaterlandspartei 228 Deutsche Zentrumspartei 71, 72, 83, 84, 206, 224, 227 Deutscher Bund der Vereine für naturgemäße Lebens- und Heilweise 159 Deutscher Frauenverein für die Ostmarken 115 Deutscher Ostmarkenverein 113 Deutscher Schulverein 112 Deutscher Wehrverein 113, 116 Deutsches Gewerkschaftskartell 100, 426 Deutsch-Französische Liga 132 Deutsch-Französischer Wirtschaftsverein 63, 426 Deutsch-Französische Parlamentarierkonferenz 133 Deutschkonservative Partei 71 Deutschnationaler Handlungsgehilfenverband 121 Dollinger, Ferdinand 244 Dollinger, Léon 244 Dresdner Bank 66 Dreyfus, Alfred 12, 35, 40, 41, 76, 78, 99, 107–108, 123–124, 127, 248–249, 256, 258, 261, 265–275 Droysen, Johann Gustav 263 Drumont, Édouard 118, 119, 122, 123 Dühring, Eugen 272 Dürerbund 172 Durkheim, Émile 152 Ebert, Friedrich 232, 233 Eduard VII. (König von England) 55 Einstein, Albert 134 Erzberger, Matthias 227, 233 Estournelles de Constant, Paul d’ 129, 133, 427 Eugénie (de Montijo) genannt Kaiserin Eugénie 16 Evangelischer Bund 90 Falk, Adalbert 84 Falkenhayn, Erich von 196, 206 Faure, Félix 425 Favre, Jules 24, 93 Fédération internationale de la presse 148
Register
Fédération républicaine 40 Ferry, Abel 204 Ferry, Jules 40, 43, 86, 87, 278–279 Figaro, le 149, 185, 262 Flottenbund Deutscher Frauen 115 Flottenverein 52, 111, 114, 116 Foreign Press Association 149 Forstner, Günter von 247, 249 Fourier, Charles 122, 158 Fournier, Henri 13, 145, 425 François-Poncet, André 160 Frank, Ludwig 133 Frankfurter Zeitung, Die 148 Franz Ferdinand (Erzherzog von Österreich) 181, 427 Franz Joseph (Kaiser von Österreich) 56 Freideutsche Jugend 160 Freycinet, Charles de 30 Fried, Hermann Alfred 129, 134 Friedrich III. (Kaiser des Deutschen Reichs) 261, 281, 424 Fritsch, Theodor 158 Fürstenberg, Carl 64 Fustel de Coulanges, Numa 237
431
Helmholtz, Richard von 53 Hendrich, Hermann 175 Henriot, Émile 110 Henry, Hubert-Joseph 269 Hepner, Adolf 95 Herbette, Jules 55 Hermannsdenkmal 47 Hertling, Georg von 228, 231, 232 Hervé, Gustave 127 Herzl, Theodor 149, 273 Hindenburg, Paul von 193, 196, 206, 211, 218, 226, 227, 233, 310, 325, 327, 428 Hinzelin, Émile 74 Hoechst (Unternehmen) 62 Hohenlohe-Schillingsfürst, Chlodwig zu 94 Hohenzollern, Leopold von 15 Hoover, Herbert 310 Hötzendorf, Conrad von 182 Howard, Ebenezer 158 Humanité, l’ 142
Gallieni, Joseph 193, 306 Gambetta, Léon 21, 75, 77, 131, 278, 301 Gardet, Jean-Marie 148 Gartenlaube 140 Gaumont (Unternehmen) 166 George, Lloyd 181 Germania 47 Gneist, Rudolf von 263 Gobineau, Joseph Arthur de 115, 119 Goldmann, Paul 273 Gortschakow, Alexander 49 Graetz, Heinrich 260 Gramont, Antoine Alfred Agénor de 16 Guesde, Jules 187
Illustrated London News 140 Illustration, l’ 140, 141 Institut du droit international 129 Institut franco-allemand de la réconciliation 132 Institut Pasteur 290 International Federation of Housing and Town Planning 158 Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit 135 Internationale pädagogische Vereinigung 159 Internationales Friedensbüro 126 Internationales Komitee vom Roten Kreuz 310 Interparlamentarische Union 126
Haar und Steinert (Buchhandlung) 146 Haase, Hugo 189 Hading, Jane 163 Hänel, Albert 264 Hansi siehe Waltz, Jean-Jacques Harden, Maximilian 273 Haussmann, Georges-Eugène 153, 155 Havas 147 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 176, 277 Hégésippe, Jean Légitimus 38 Heimatschutzbewegung 157 Heindl, Robert 289
Jack the Ripper 147 Jacobs, Aletta 134 Jaeckel, Ernst 132 Jaurès, Jean 98, 99, 100, 101–102, 186, 189, 427 Jaussely, Léon 154 Jeunesse antisémitique de France 123 Joël, Manuel 260 Joff re, Joseph 190–191, 195, 197, 204, 205, 251 Journal, le 142 Jünger, Ernst 313
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Kahnweiler, Daniel-Henry 178 Kaiser-Wilhelm-Kanal 57 Kaiser-Wilhelm-Universität Straßburg 73 Karl I. (Kaiser von Österreich) 221 Kautsky, Karl 254 Kladderadatsch 290 Klincksieck (Buchhandlung) 146 Kneipp, Sebastian 159 Koch, Robert 155 Kolonialausstellung 167 Berlin, 1896 291 Paris, 1906 291 Marseille, 1906 291 Paris, 1907 291 Kolonialverein 114, 115 Köpenick, Hauptmann von 42 Korn, Arthur 141, 426 Kunstwart (Zeitschrift) 172 Krupp (Unternehmen) 66, 209 Kyffhäuser-Bund 111–112 Lagarde, Paul de 160 Langbehn, Julius 159 Lapertot, Élisabeth 301 Lavisse, Ernest 42, 250 Lazarus, Moritz 260, 261–262 Le Bon, Gustave 170 Le Play, Frédéric 152 Leipziger Illustrirte Zeitung 140 Lemonnier, Charles 126 Lenin, Vladimir Ilitsch 220, 226 Leo XIII. (Papst) 98 Leroy-Beaulieu, Anatole 274 Leusse, Paul de 63 Leutwein, Theodor 304 Libre Parole, la 123, 269, 272 Liebermann, Max 174, 175, 178–179 Liebknecht, Karl 158, 220, 233, 428 Liebknecht, Wilhelm 21, 71, 95, 99, 273 Liga für Menschenrechte 127 Ligue d’Alsace 68 Ligue de l’enseignement 40 Ligue de la paix et de la liberté 126 Ligue de la patrie française 107, 110 Ligue des femmes françaises 110 Ligue des patriotes 40, 78, 106, 107, 268, 424 Ligue franco-allemande 132 Ligue internationale et permanente de la paix 126 Ligue nationale antisémitique de France 123
Ligue patriotique des Françaises 90 Ludendorff, Erich 193, 196, 206, 217, 227, 229–233, 294, 308, 309, 311, 313, 428 Lumière, Auguste 165 Lumière, Louis 165 Luxemburg, Rosa 100, 135 Mac-Mahon, Patrice de 35, 54, 423 Mallarmé, Stéphane 177 Malvy, Jean-Louis 90, 228 Mann, Heinrich 163, 275 Mann, Thomas 275 Marianne 46, 47, 87 Marr, Wilhelm 117, 259 Marseillaise 7, 45, 56, 72, 170, 246, 424 Matin, le 64, 142, 149 Maurras, Charles 109–110, 116, 119, 124, 184, 278 Meinecke, Friedrich 206, 238 Méliès, Georges 166 Menzel, Adolph 175 Mercure de France, le 78, 177 Meyer, Henriette 132 Meyer, Seligmann 260 Michaelis, Georg 228 Millaud, Moïse 140 Millerand, Alexandre 99, 208, 269 Millevoye, Lucien 273 Minh, Hô Chí 286 Mirroir, le 141 Molenaar, Heinrich 132 Moltke, Helmuth von 16, 26, 182, 190, 206, 299 Mommsen, Theodor 237, 260, 262–265 Monod, Gabriel 42, 171 Monumenta Germaniae Historica 73 Musée social 155, 158 Neue Deutsche Rundschau 177 Neue Freie Presse 273 Neue Zeit 101 Neuville, Alphonse de 297 Nietzsche, Friedrich 160,177 Nikolaus II. (Zar von Russland) 57, 129, 182, 191 Nivelle, Robert 197, 205 Noailles, Emmanuel Henri Victurnien de 55 Nordau, Max 151, 274 Offenbach, Jacques 163
Register
Ollivier, Émile 16 Österreichische Friedensgesellschaft 128 Painlevé, Paul 205, 228 Paix par le droit, la 127 Palante, Georges 177 Pariser Kommune 24, 29, 35, 50, 85, 86, 93, 95, 104, 106, 170, 299, 302, 423 Parti colonial 285 Parti radical-socialiste 40, 86, 98, 104, 127, 278 Parti socialiste unifié, Section française de l’Internationale ouvrière (SFIO) 40, 98, 102, 220, 228, 425, 427 Passy, Frédéric 126, 132, 425 Pasteur, Louis 155 Pathé frères (Unternehmen) 166, 337, 427 Patrie, la 273 Permanent International Eugenics Committee 153 Pétain, Philippe 196, 197 Peters, Carl 265, 283 Petit Journal, le 140, 142, 143 Petit Parisien, le 142, 143 Pfister, Christian 250 Pichon, Stephen 55 Pius IX. (Papst) 84 Poincaré, Raymond 108, 182, 187, 196, 204, 251, 252, 255, 427 Pratt, Hodgson 128 Presse, la 140 Preußische Jahrbücher 259 Proudhon, Pierre Joseph 122 Quidde, Ludwig 129, 131, 133, 427 Raffi n-Dugens, Jean-Pierre 220 Rappoport, Charles 101 Rathenau, Walther 208, 233, 324, 325 Réau, Louis 176 Reich, Das 272 Reichsversicherungsamt 156 Reinwald (Buchhandlung) 146 Rembrandt 159 Renan, Ernest 25, 119, 237, 261–263 République française, la 261 Reuters 147, 148 Revue, la 163 Revue bleue, la 149
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Revue des deux mondes, la 164, 261 Revue internationale de l’enseignement, la 159 Revue militaire de l’étranger, la 283 Ribot, Alexandre 187, 205, 228 Riezler, Kurt 222 Rochefort, Henri de 106 Rohling, August 119 Rohrbach, Paul 287 Rolland, Romain 101, 134, 151, 177, 221 Röntgen, Wilhelm 73 Roon, Albrecht von 16 Rothschild (Familie) 120 Roux, Émile 155, 425 Sarkozy, Nicolas 277 Sarr, Felwine 292 Savoy, Bénédicte 292 Scheidemann, Philipp 233 Schemann, Ludwig 119 Schickele, René 134, 244 Schlieffen, Alfred von 190–191, 193, 250, 427 Schnaebelé, Guillaume 51, 74. 105, 424 Schneider (Unternehmen) 66, 209 Schopenhauer, Arthur 176 Schulze-Delitzsch, Hermann 155 Sédar Senghor, Léopold 286 Semaine de Suzette, la 145 Sembat, Marcel 128, 187 Sheridan, Philip 300 Siècle, le 271 Simmel, Georg 152 Simon, Jules 424 Sitte, Camillo 156 Skladanowsky, Emil 165 Skladanowsky, Max 165 Société d’éducation pacifique 127 Société des vétérans 108 Société française des amis de la paix 126 Société française d’émigration des femmes 288 Société française des habitations à bon marché 158 Société pour la protection des paysages de France 157 Société végétarienne 159 Sombart, Werner 152 Sonnemann, Leopold 149
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Register
Souvenir alsacien 247 Souvenir français 108, 247 Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) 38, 41, 96–98, 101, 102, 112, 133, 135, 184, 206, 207, 222, 224, 232, 233, 338, 423, 427 Springer, Anton 176 Staatsbürger-Zeitung 272 Sternberg, Josef von 163 Stoecker, Adolf 119, 121, 259 Stoskopf, Gustave 242 Strauß, David Friedrich 25, 237 Stübben, Josef 156 Suttner, Bertha 128, 129, 426 Tarde, Gabriel 170 Temps, le 148, 254, 261 Thiers, Adolphe 21, 24, 34, 55, 93, 423 Thomas, Albert 187, 208, 209, 324 Thyssen, August 62 Tirpitz, Alfred von 228, 265 Tissot, Victor 148, 151 Tönnies, Ferdinand 152 Tour de France 144, 169, 426 Toussenel, Alphonse 122 Treitschke, Heinrich von 73, 118, 119, 244, 258–265 Tropeninstitut 290 Trotha, Lothar von 304 Tschudi, Hugo von 174 Uhde, Wilhelm 178 Ullstein-Verlag (Unternehmen) 144 Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) 102, 207, 224, 225 Union des anciens combattants 108 Union générale 120 Union nationale 123, 245 Union pour l’action morale et le spiritualisme républicain 171 Vacher de Lapouge, Georges 153 Vaillant, Édouard 99 Valbert, G. (Pseudonym), siehe Cherbuliez, Victor Valéry, Paul 177 Van Gogh, Vincent 174 Verband für internationale Verständigung 133 Vercingetorix 47 Verein der ausländischen Presse 148
Verein für das Deutschtum im Ausland 112 Verein für Socialpolitik 152 Verein zur Abwehr des Antisemitismus 121, 263, 274 Vereine Deutscher Studenten 121 Vermeil, Edmond 287 Verne, Jules 162 Victoria (Kaiserin des Deutschen Reichs) genannt Kaiserin Friedrich 55, 424 Vieweg (Buchhandlung) 146 Villebois-Mareuil, Georges 115 Vinnen, Carl 174 Virchow, Rudolf 81, 263 Viviani, René 182, 205 Volksverein für das katholische Deutschland 90 Voulet, Paul 283, 306 Waage, Die (Zeitschrift) 273 Waddington, William Henry 55 Wagner, Ludwig 132 Wagner, Richard 107, 119, 177 Waldeck-Rousseau, Pierre 99, 269 Waldersee, Alfred Graf von 283 Waldoff, Claire 163 Walsin-Esterházy, Ferdinand 270, 273 Waltz, Jean-Jacques genannt Hansi 143 Wandervögel 160 Wattenbach, Wilhelm 263 Wedel, Karl von 248–249 Weismann, August 153 Weltausstellung 466, 47, 75, 100, 136, 147, 154, 166, 174, 335 Paris, 1878 166,423 Paris, 1889 46, 126, 166, 291, 424 Paris, 1900 53, 57, 100, 154, 166–167, 270, 291, 425 Welter, Hubert 146 Wendel (Unternehmen) 62 Werdandi-Bund 175 Werner, Anton von 175 Wetterlé, Émile 245 Wilhelm I. (König von Preußen, Kaiser des Deutschen Reichs) 16, 47, 95, 281, 424 Wilhelm II. (Kaiser des Deutschen Reichs) 33, 41, 44, 52, 55, 57, 73, 116, 133, 164, 174, 182, 186, 188, 227, 233, 243, 247, 270, 424 Wilson, Woodrow 221, 223, 226, 231–233, 254, 428
Register
Wolff, Theodor 149, 274 Wolffs Telegraphisches Büro 147, 148 Wyneken, Gustav 159 Zabern (Aff äre) 76, 78, 247–249, 270, 427 Zeppelin-Aschhausen, Friedrich von 7, 246
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Zetkin, Clara 100, 135 Zislin, Henri 243, 250 Zola, Émile 123, 146, 248, 266, 267, 269, 271, 273, 275, 425 Zorn von Bulach, Hugo 249 Zweite Internationale 47, 99, 101, 184, 189, 205, 221, 424