Walther von Geroldseck: Eine Elsässische Chronik aus dem 13. Jahrhundert 9783111414072, 9783111050089


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Walther von Geroldseck: Eine Elsässische Chronik aus dem 13. Jahrhundert
 9783111414072, 9783111050089

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Veröffentlichungen des Wissenschaftlichen Instituts

der Elsaff-Lothringer im Reich

Elsaß-Lothringische yausbücherei

Band JO:

Maria Frauzem Walther von Geroldseck

Walter

de

Gruyter

vormals G. (L Göschen'sche Verlagshandlung /

buchhandlung / Georg Reimer / Karl

&

C o.

Guttentag, Verlags­

Trübner / Veit 81 Eomp.

Berlin und Leipzig 1-24

Walther von Geroldseck Eine Elsässische Chronik

aus dem 13. Fahrhundert von

Maria Krausem

I. Den ganzen Tag hatte der heulende Westwind die schwarzen Wolken über den grauen Märzenhimmel gejagt, einer von jenen giftig lauen Westwinden, die tun, als ob sie den Frühling bringen wollten mit ihrem warmen Hauch, und die doch nur Betrüger und Vorboten von neuem Sturm, Regen und Wivterkälte sind. Run es Abend wurde, hatte er sich, wenn auch widerwillig, gelegt, und ein leichter Frost

fing an, die schmutziggrauea Pfützen im Burghof mit einer feinen Decke von blaßfarbenem Eise zu überziehen. Früher als sonst hatte man sich beim Torwächter zum Abendimbiß versammelt. Es war eine niedere, rauchge­

schwärzte Stube, in der in eisernen Armen an der Wand zwei schwelende Kienfackeln brannte». Ihr Rauch zog kringelnd empor, als suche er einen hohen, luftigen Raum, um sich darin auszubreiten; als er aber so schnell an die Decke stieß, wandte er sich wieder abwärts und schwebte als grauer Dunstschleier um den großen, viereckigen Tisch und hinüber zum offenen Herdfeuer, wo er sich mit dem Qualm des winterfeuchten Holzes mischte, um dann zum Kamin hinaus ins Freie zu ziehen. Denen, die um den Tisch saßen, tat der Rauch nicht weh,

denn sie waren darin groß geworden, und er gehörte mit zur Traulichkeit ihres Daheims wie die zinnernen Krüge auf dem Wandbrett und wie das Spinnrad in der Ecke

und daneben die kleine Holzwiege, in der die Kinder ihre Docken und die Frauen ihre lebendigen kleinen Puppen schaukelten. Da saß der Torwächter am Tisch, der alte Meinhart, der dem Bischof sei» gutes Schloß Hohbarr

hütete gegen die bösen Straßburger und sonstige Mord­

gesellen. Er hatte die Mütze über den grauen Kopf gezogen, denn seit einer nassen Nacht in Busch und Graben, als man in Fehde lag mit dem Herrn von Ochsenstein,

hatte er alle Winter die Gicht im Kopfe. Er kurierte sie mit Wärme und mit gutem elsässer Wein. Heut abend frellich war es nur das Metbier der Gewalterin Frau Guldhild, das in seiner Kanne schäumte; desungeachtet führte er seinen Krug gar fleißig jum Munde und blin­ zelte dabei mit wachen Äuglein nach seinem Gast und

Tischnachbarn, dem Rossemeister Kunerad, der keine Kopfgicht hatte und darum auch die innere Wärme nicht so nötig brauchte. Aber der bescheidene Rossemeister mochte wohl denken: So es mein eheliches Weib, die Frau Guldhild, ist, die das Metbier braut, so bin ich

Halbwegs bei mir selber zu Gaste und will mir wohl Ehre antun. Und so legte er denn die beiden Arme recht breit und behäbig auf den Tisch, schob den wuchtigen Oberkörper ganz nahe, und, den Humpen mit beiden Händen zum Munde führend, trank er in vollen Zügen und gluckste nach jedem Zuge noch einmal, als wollte er sagen: Das war gut. Sonst sprach der würdige Rosse­ meister einstweilen nichts, sondern überließ die Rede dem alten Meinhart und seinem Schwiegersohn, Lutz dem Roten, einem baumlangen, vierschrötigen Gesellen mit einer brennendfarbenen Narbe, die ihm vom rechten Ohr bis über die halbe Backe lief. Lutz war sehr stolz auf seine Narbe, denn ste verlieh seinem gutmütigen Bubengestcht doch wenigstens in der einen Hälfte ein

kriegerisches Aussehen, wie es sich für einen bischöflich straßburgischen Bogenschützen und gleichzeitigen Meister

über zehn Koppel der schönsten Jaghuvde geziemte.

Lutz der Rote hatte seine» Bierkrug von sich geschoben und sah mit hungrigem Jnteresie hinüber nach dem Herdfeuer, wo die Frauen die Eierkuchen buken zum Abendbrot. Die eine von ihnen war Frau Guldhild selbst, des Roffe-

metsters tüchtige und dürre Hausfrau, die ihren schwarz­ haarigen Kopf mit der scharfgeschnittenen Nase und den großen, stechenden Augen tief über die Pfanne beugte,

die sie mit der Linken höchst geschickt hin und her über den allzu glühenden Kohlen bewegte, dabei eifrig auf ihre Gefährtin einredend. Neben ihr stand die kleine Alwig. Der rote Schein des Feuers fiel auf ihr blaffes

Kindergesicht, in dem ein paar große Augen mit ängst­ licher Aufmerksamkeit jeder Bewegung ihrer Lehrmeisterin folgte». Sie war zart und schlank gebaut und eigentlich gar nicht klein mit ihren achtzehn Jahren, aber die schmalen,

etwas hochgezogenen Schultern, der Schatten des braunen Haares um den feinen Kopf und ihre scheue und geduckte Haltung gaben ihr das Aussehen eines schüchternen Schattens der hageren, aber kräftigen Gestalt der Frau Guldhild neben ihr. Jetzt war der erste Eierkuchen gebacken, und Alwig tat einen kleinen Seufzer der Erleichterung. „So," sagte Frau Guldhild in lautem, selbstgefälligem Tone, „so macht man^s.

Nun richt du die anderen, indes ich das

Brot aufschneide. Aber feste angefaßt, Mädchen, und baß mir ja nichts neben die Pfanne läuft! Da hättest

du deine Schwester, die Gutta, sehen sollen, die hat das Backen und Braten auch von mir gelernt. Aber da war es eine Freude und Lust zujusehen, wie das ging. Frei­

lich, für Klosterfräulein ist das nichts," setzte ste spitz hinzu, um im nächsten Augenblick Alwig mit zorniger Gebärde die Pfanne aus der Hand zu reißen. „Jesu Maria, läßt mir das Mädchen die halben Kuchen ins Feuer fallen!

Bist du denn zu gar nichts zu gebrauchen?" Die Gescholtene senkte den Kopf. Zwei große Tränen, die ihr bei der unzarten Erwähnung der verstorbenen

Schwester, deren Platz auszufüllen ste hier vergeblich ver­ suchte, in die Augen gestiegen waren, rollten langsam und heiß die Backen herab. Sie wischte ste verstohlen weg und wollte wieder nach der Pfanne greifen, aber Guldhilds Geduld war am Ende, und ste hieß Alwig barsch das Brot aufschneidev und vom Feuer wegbleiben, indes ste selber das Gericht fertig machte. Arme Keine Alwig! Ihr Wille war gut, aber was nützte das? Sie war so ein harmlos glückliches Klosterktnd gewesen zu Sankt Stephan in Straßburg, klug und fein und froh, und seit den drei Wochen, die sie nun am Herde stand und lernen sollte, die Hausfrau zu sein für Vater und Schwäher, hatte sie nichts geerntet als die Verach­ tung ihrer Lehrmeisterin und das erdrückende Bewußt­ sein der eigene» Unfähigkeit. „Klosterkinder," sagte auch fetzt Frau Guldhild in spöt­ tischem Tone, als sie das noch schmorende Gericht auf den Tisch setzte; „die können wohl nur Latein und feine Kreuz­ lein sticken. Wenn die Gutta das hätte mit ansehen

sollen!"

Sie war keine große Freundin der seligen Frau

Gutta gewesen ju deren Lebzeiten, aber seit sie mit Alwig zu tun hatte, war die Verstorbene zum Urbild aller Voll­ kommenheit geworden.

Bei ihrem Eheherrn schien jetzt der erste Durst gestillt. Er setzte den Krug ab und wandte seinem Weibe sein rotes, etwas gedunsenes Gesicht zu, in dem die blauen Äuglein so von ungefähr herumschwammen. „Laß doch das Mädchen in Frieden," sagte er im Tone bierseliger Ver­

söhnlichkeit, „sie ist recht, wie sie ist, und wird eine» Haus­ herrn finden, leichter als du. einen neuen Gatten, wenn fie mich in die Erde tun. Haha!" Er ließ seine Blicke wohlgefällig über die schlanke Gestalt des Mädchens schweifen. Die sah es und zog sich enger in sich zusammen.

Sie mochte den feisten Roffemeister ebensowenig wie seine scheltende Ehegenosfln, und sie schauderte unwillkürlich in sich zusammen, wenn Meister Konrad seine unge­ schlachte Gestalt so oft neben die ihre schob und seine fette Stimme stets bereit war, ein Wort der Verteidigung für sie zu sagen. Auch jetzt versuchte sie, sich still und unauffällig auf die andere Bank neben ihren Vater zu setzen, um an dem Mahle teilzunehme», aber Meister Kunerad schien wenig erfreut von der Aussicht, sein Stück Brot neben dem seines Weibes in die Schüssel zu tauchen. „Man kennt wohl nicht die gute Sitte und löblichen Brauch bei den heiligen Frauen zu Sankt Stephan," hub er an und griff dabei mit beiden Fingern nach Alwigs Brot, um

es neben das seine zu legen.

„Wo werden sich Vater

und Kind zusammensehen, so man Gäste hat!

Denn

wenn wir auch alte und liebe Freunde sind —", er sagte

das würdevoll und mit besonderer Betonung — „so soll man doch jeglichem die Ehre geben, die sein Ansehen erheischt. Eure Frau Schwester, Alwig, hat immer zu meiner Rechten geseffea, davon ist sie auch eine so feine

Frau geworden. Gott hab sie selig." Er leerte seinen Krug. Lutz der Rote und sein Schwiegervater taten ihm Bescheid, aber schweigend. Es war kaum einen Monat her, daß Frau Gutta in ihrem stillen Grabe schlief mit dem Kindlein im Arm,' das ihr das junge und rührige Leben gekostet hatte, und sie, die für Vater und Mann zugleich Hausfrau gewesen war und oft noch für das halbe Burggesinde dazu, hatte einen leeren Platz am Tische gelaffen, den die schmächtige Gestalt ihrer Schwester nur

schlecht ausfüllte.

Daran mochten die Männer wohl

denken, und der alte Meinhart zog seine Mütze tiefer in die Stirne und schnitt mit seinem Meffer ein seltsam ver­ schlungenes Zeichen in die Tischkante, als er langsam und bedächtig sagte: „Ein so braves Weib lebt kein anderes von Jabern bis Straßburg. Das hat sie von mir gehabt,

daß sie immer schaffen und sich rühren mochte; ihre Mutter hat auch gerne geträumt, gerade wie die Alwig. Darum hat sie auch ihr Herz bei den Pfaffen und Klosterherrn gehabt ihr Lebelang."

„Darum hat sie auch so ein töricht Gelübde getan," warf mit spitzer Stimme Frau Guldhild ein. Meinhart zog die Brauen hoch und stellte seinen Krug etwas lauter auf den Tisch, als es nötig gewesen wäre. „Ihr Gelübde war so

io

töricht nicht," sagte er scharf. „Die Alwig wäre eine heilige Nonne geworden zu Sankt Stephan, und das ist nicht das Ärgste, was uns hätte begegnen können. Ein paar Klafter Holz all Jahr zu Michaelitag, und sie haben uns das Mädchen gekleidet und gespeist, als wär's ein Edel­ kind. Aber nun es nimmer sein kann und wir die Alwig hier oben brauchen, müffen wir halt Lösung suchen von dem Gelöbnis." „Das wird wohl nicht schwer halten," meinte Meister Kunerad: „so der Herr Bischof erst das Mägdlein gesehen hat, wird er wohl leichtlich finden, daß ein geistlich Gewand nicht taugt für solch feinen Leib. Ist doch die Kutte rauh; ja, es soll Leute geben, die noch ein hären Gewand dar­ unter tragen, um sich ja die Haut zu zerkratzen." Der Rosiemeister schüttelte sich dabei, als fühle er schon die rauhen Haare am Leibe. „Was das angeht, so trägt manch Feinere und Bessere als sie ein schlechteres Kleid," warf Frau Guldhild unfteundlich ein. „Da sie in Haus und Küche so wenig tauget, so mag wohl ihr Platz eher im Kloster gewesen sein. Mir deucht, Ihr tätet am besten daran, Meinhart, Ihr sendetet sie zurück nach Sankt Stephan und nähmet Euch eine Magd an ihrer Stelle, statt daß Ihr Gott und seine hochgebenebeite Mutter durch ein gelöstes Ge­ lübde kränket und selber kein gutes Mahl auf dem Tische habt." Alwig hatte bis jetzt still und traurig zugehört, was über sie verhandelt wurde; bei den letzten Worten jedoch er­ wachte sie aus ihrer Teilnahmslosigkeit. „Ich glaube auch,

daß die Gevatterin recht hat," wandte sie sich in schüch­ ternem Tone an ihren Vater. „Ich bin euch eine schlechte Hausfrau, und . . . .", die Tränen traten ihr in die Äugen und erstickten ihre Stimme. Meinhart schlug mit

der Faust auf den Tisch. „Was schert Ihr Euch um anderer Leute Dinge, Gevatterin," rief er grob; „meitt Kind ist mein Kind, und wenn ich mein eigen Fleisch und Blut um mich haben will in meinen alten Tagen, so sollt Ihr es mir nicht verwehren. Für meiner seligen Barbara Gelübde laßt mich sorgen." „Nanu, nicht gleich so hitzig," lentte der Rossemeister ein und gab seiner Frau, die schon die Arme auf -en Hüften stemmte und das Wort ju einer scharfen Entgegnung bereit hatte, einen Wink; „es war ja nur ein Rat. Freundesrat ist Geld wert. Deswegen bleibt Ihr doch der Herr im Hause." Lutz der Rote, der bisher schweigend sein Mahl verjehrt hatte, wischte sich jetzt mit dem Rücken der Hand über die Lippen, säuberte sie dann, indem er ein paarmal damit durch die rote Mähne fuhr, der er seinen Beinamen verdankte, und sagte dann bedächtig: „Wenn ihr was vom Bischof wollt, so könnt ihr lang warten. Der Herr hat jetzt andere Sorgen als Gelübde zu lösen." „Habt Ihr drunten in Zabern nichts Neues gehört?" fragte der Rossemeister. „Ihr wäret in Zabern drunten!" fuhr der alte Meinhart auf, „und davon sagt Ihr nichts und esset Euch hier dick und voll in Ruhe, wo jedem ehrlichen Kerl das Herz im Leibe sich dreht vor Bekümmernis in diesen harten Zeiten!" Er packte seinen schläfrigen Schwiegersohn am Arme und 12

schüttelte ihn heftig. „Gemach, gemach," antwortete der nnd jog die Schaltern hoch, um sich von der unsanften Faust des Alten ju befreien. „Hätte ich euch meine Kunde gleich gebracht, leicht hättet ihr Essens und Trinkens vergessen." Er lehnte sich breit über den Tisch und blickte

stolj im Gefühle der eigenen Wichtigkeit von einem zum anderen. „So redet doch endlich," riefen Meinhart, Meister Kunerad und sein Weib jugleich. „Zunächst," begann Lutz breitspurig, „war ganj Jabern still und leer wie eine Kirche am Werktag. Kein Hund auf der Straßen, als ich die lange Gaffe hinabritt bis gen das Waffer."

Frau Guldhild machte ein lebhaftes

Zeichen der Ungeduld; ihr Mann legte beschwichtigend seine dicke Hand auf ihren Arm. „Weiter, weiter," drängte Meinhart. „Da ich aber gen das Waffer kam, da standen sie alle, Männer und Weiber, um einen Lavjenknecht und riffen ihm schier die Kleider vom Leibe. Und da ich auch herj«-trat, war es der Wolf Hugelin aus Hochfelden. Der

machte mit den Händen große Gebärden, daß sie ihn sollten in Ruhe und reden lassen, er wolle ihnen manch Neues künden von einer großen Schlacht jwischen den Straßburgern und dem Herrn Walther am gestrigen

Tage. Und da er mich kommen sah, rief er mir zu, ich solle ihm die ärgsten Schreier vom Leibe halten. So

packte ich den einen rechts, den anderen links, und hast du nicht gesehen, lagen sie am Boden, ich aber stand

vorne neben Wolfen und hörte, was geschehen. Bei Haus--

bergen und Mundelsheim haben sie gestritten wohl den

ganzen Tag, und die Glocken haben geläutet in allen Dörfern flußab von Molsheim bis Brumath. Der Wolf ist dabei gewesen, wie die Straßburger den Turm wollten abbrechen zu Mundolsheim; da sind Herr Walther und die Ritter dawider gewesen und wollte» es ihnen wehren.

Die aber holten Hilfe aus der Stadt, Bogenschützen und Reiter, und überall ward gestürmt und geschrien. Und da sie sich gegenüberstanden, der Bischof und die Bürger,

und war kaum ein Acker dazwischen, da schrien die Straß­ burger, und waren ihrer so viele und so wohl bemannt, daß viele von den Rittern sich bekreuzigten und meinten, es wäre bester, heimzufahren und auf ein andermal zu warten. Und sie dachten alle, sie gingen in den Tod. Da

ward unser Herr Walther blaß über sein ganzes Gesicht und sprach voll Zornes, so sollten sie heimfahren, er werbe alleine fechten. Und so blieben sie denn alle, die Herren und das Volk, um ihrer Ehre willen. Ich aber," und Lutz schlug ein breites Lachen auf, „dachte in meinem Sinn, einer wird sicher weggelaufen sein, trotz Ehre und

Gewiffen, denn wir kennen den Wolf Hugelin von Hoch­ felben. So der eine andere Lanzensprtze sieht als seine

eigene, meint er, die kann niemand gehören als dem Gott­ seibeiuns, und als ehrlicher Christ läuft er, als fühle er den Pferdefuß schon um die Ohren. Hat auch nichts Gescheutes mehr zu sagen gewußt um die Schlacht, als daß

da ward gefochten und gefochten und gefochten, und daß es gestern gewesen. Und sie nahmen ihn mit in die Trinkstuben und wollten alles noch einmal hören und noch

vieles dazu. Waren aber etliche, die sagten, es wäre kein

Wort wahr und man sollte Wolfen hängen als einen Lügner und Schelmen." Lutz tat einen tiefen Schluck

aus seinem Metkrug, indes die anderen aufgeregt durch­ einander sprachen. Der Roffemeister und sein Weib stritten darüber, ob man WolfHugelins Zeugnis Glauben schenken könne, oder ob er sich nur einen Krug Bier habe verdienen wollen durch erheuchelte Kunde. Meinhart aber, der seit langer Zeit Haß gegen die Straßburger trug, machte seinem Herzen Luft.

„Die Schandbuben, gegen

ihren rechten Herrn und Bischof zu Felde ziehen! Der Teufel reitet sie alle miteinander. Haben sie nicht genug Dörfer verbrannt! Und Geld genommen von den Habs­ burgern, pfui der Schande! Er soll sie nur zu allen Teufeln treiben! Hui, drauf! Ein wackerer Ritter, der Herr Walther von Geroldseck, und sein Bruder erst, der

Hermann, so ein feiner junger Herr! Rur drauflos, daß die Funken fliegen aus ihren harten Köpfen und daß ihnen die staubigen Jacken geklopft werden, dem Ge­ sindel von Bäckergesellen und Metzgern!" Alwig saß still in ihrer Ecke, die schmalen, weißen Hände im Schoß. Wie aus weiter Ferne schlugen die lauten Stimmen der anderen an ihr Ohr. Ach, es lag so viel,

so viel zwischen ihr und ihnen, daß es ihr war, als könnten sie gar nie zueinander kommen. Sie hatte nichts gemein mit ihnen, und so sehr sie sich auch quälte und sich vor­

sprach, es sei ihre Pflicht und Gottes Wille, so wie man es ihr im Kloster gesagt hatte beim Abschied, es lehnte sich alles auf in ihr, wenn sie mit ihnen nur reden oder

zusammen mit ihnen esse» sollte. Der Herr Bischof! Sie wunderte sich fast, daß diese Leute ihn in den Mund nehmen durften. Denn Alwig kannte den Herrn Bischof wohl, so wie man ein schönes Helligenbild kennt, das

man einmal in einer besonderen Weihestunde gesehen. Es war zu Lichtmeß gewesen, des vorigen Jahres, daß sie ihn gesehen hatte, als er eingeritten war zu Straße

bürg, um seine erste Meffe zu lesen im hohen Münster. Denn obwohl er nur Ritter und Herr gewesen und noch keine Weihe sein Haupt genetzt hatte, so hatten doch die adeligen Herren des Domstiftes keinen Würdigerm zu finden geglaubt, den Stuhl des heiligen Arbogastus ein--

junehme» und seine und ihre Rechte zu wahren. Dor Alwigs Augen stieg jener Feiertag empor, klar und rein, im weißen Schimmer seiner sonnbeglävzten Schönheit. Schon in aller Frühe, als noch die leichten Nebel silbern um die Giebel hingen, waren sie alle vom Kloster hin, übergewandert durch die frühgeschästigm Straßen bis in das Haus der Liebenzeller an der Langenstraße, denn da sollte der Zug des Bischofs durchkommen. Da waren Fahnen und Wimpel gewesen, und an allen Ecken brannten die Kohlenfeuer und warfen ihren lustig roten Schein auf den zusammmgekehrtm Schnee. Alwig war es, als fühle sie noch den Hauch jenes frischen Februarmorgms um

ihre Glieder. Und als sie dann am Fenster standen und hinter der breiten Haube der schwatzenden Liebenzellerin hinunter auf die Straße lugten und die Glocken an­ fingen zu läuten und die Herolde in ihren buntgestickten Röcken einherritten und alle die Ritter und Herren kämm,

dazu zwei Herren Äbte mit ihren weißen Gewändern und

den goldenen Zügeln an den Pferden, da hatte bas Volk gerufen: Bischof Walther, Bischof Walther! und waren

an den Erkern und Söllern emporgeklettert, um ihn Beffet zu sehen. Mitten im Zuge ritt der Bischof einher mit seinem viellieben Bruder, dem Landgrafen Hermann von Geroldseck. Die beiden gaben sich die Hand, und der

blanke Sonnenschein leuchtete aus ihren Augen und um­ floß die hohen Gestalten, das schimmernde Rittergewand und die wehenden blonden Haare.

Niemand konnte

sagen, wer schöner, stolzer und ritterlicher gewesen, der Bischof oder der Landvogt, nur Frau Gertraudis, die Lehrmeisterin der Klosterfräulein, sprach, es sei der Bischof

gewesen, denn sein heilig Amt hätte ihn umleuchtet, und sie hatte ihn mit Moses verglichen, der aus dem Zelte des Herrn trat. Freilich, jetzt sprach Frau Gertraudis ganz anderes vom Bischof Walther und verglich ihn mit Saul, von dem der Herr sich abgewandt, denn bittere Fehde hatte er begonnen mit dem Rate der Stadt um Steuer­ rechte und ritterliche Gewalt; und er hatte ihnen alle Pfaffen weggenommen aus Straßburg, und es war Mordens und Sengens und Brennens so viel im Lande

gewesen im letzten Jahre, daß der Ruf davon selbst die friedlichen Mauern von Sankt Stephan mit Schrecken erfüllt hatte. Aber Alwig dachte nicht daran. Vor ihrer Seele stand das helle Bild jenes Lichtmeßmorgens mit allem, was er in sich geschloffen an kindlicher Freude, an

sorglosem Glück und schöner Begeisterung. Und die Sehn­ sucht nach den Straßburger Zeiten, nach dem lieben Kloster2

Elfäss. Erzählungen. Dd. io.

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leben und seinem Men Frieden erfüllte sie ganz und

trug ihre feine, kleine Seele hinaus aus der rauchigen Stube, weg von den rauhlärmenden Genoffen in die Heimat ihrer Liebe. Draußen ritten indes drei Reiter durch den schweigenden

Der Mond war aus den Wolken getreten und warf sein fahles Licht vor ihnen auf den Weg; hinten am Horizont standen die blassen Sterne. Eine feine Kälte Wald.

kroch durch alle Winkel der Nacht. Keiner der drei sprach ein Wort. Nur von Zeit zu Zeit warf der eine einen raschen Blick nach rechts oder links, wenn sich ein Kreuzweg vor ihnen auftat, oder der andere trieb sein Roß

näher an das des dritten und legte ihm den Mantel wieder fester um die Schultern.

Der andere wandte sich nicht

um, er senkte das blonde Haupt nur tiefer auf die Brust. Es mochte wohl um die zehnte Stunde sei», als sie die Höhe erreichten, die auf einem langen Rücken die zwei Geroldsecker Burgen und die Bischofsfeste Hohbarr trägt. Von jetzt ab war der Weg breit und eben, und ihre Rosse konnten verschnaufen^ Zugleich war die Kälte schneidender, der Mond verbarg sich hinter einer Wolke, und dteFinsternis sah mit tausend schwarzen Augen aus dem Waldgezweig. Der mittelste der Reiter schauerte in sich zusammen. „Wie lange noch?" fragte er mit müder Stimme, „über

ein kleines werdet Ihr die Burg sehen, edler Herr," er­ widerte einer seiner Gefährten." „Es ist nicht schade, denn unsere Gäule können schier nimmer weiter, und Eure Wunde macht mir Sorgen." Bischof Walther fuhr mit

der Hand über die Stirne.

„Meine Wunde," sagte er

langsam und wie traumverloren. „Ja, so, die laßt Euch keine Sorge machen, wie haben anderer Sorgen genug:" Damit versank er wieder in sein stummes Brüten. Droben in seiner Turmstube schlief Vater Meinhart schon längst den Schlaf des Gerechten und des guten Metbieres der Frau Guldhild, als die dumpfen Schläge des Klopfers an dem schweren Eichentor erdröhnten. Mwig, die in ihrem Kämmerlein mit wachen Augen tränmend lag, fuhr erschrocken auf, und, rasch ein Gewand über­ werfend, eilte sie mit bloßen Füßen ans Bett des Vaters, den ju wecken. Indes der scheltend in seine Kleider fuhr, lief sie ans schmale Wachtfensterlein und lugte angstvoll hinaus in die bleiche Nacht, die zu ihren Füßen dämmerte. Mit Mühe erkannte sie die Gestalten der Reiter am Tore. „Hol Euch der Henker, Meinhart," fluchte von unten eine rauhe Stimme herauf. „Laßt Eure Knöpfe offen, alter Siebenschläfer, und macht uns auf. Hier steht Bischof Walther. In aller Engel und Teufel Namen, soll der Herr festfrieren vor seiner eignen Burg!" „Schandbuben seid ihr," ertönte jetzt aus dem Hinter­ gründe des alten Meinhart Stimme. „Raubgesindel von den Straßburgern, ehrliche Leute ju erschrecken und um den Schlaf ju bringen. Schert euch j«m Teufel!" Und schon setzte er sein Horn an den Mund, um die Knechte zu Hilfe zu rufen, als der zweite der Reiter seine Stimme erhob. „Mach auf, alter Schwätzer! Kennst du deinen Herrn und Bischof nicht, so solltest du wenigstens deinen alten Waffenbruder Burkhard Mürnhart kennen, mit dem du manch schweren Krug geleert hast."

„Jesu, Herr Mürnhart, ich komme gleich!" Und schon knarrten die schweren Balken, mit denen das Schloßtor verrammelt war, indes Alwig und der Rote Lutz, der auch wach geworden, mit brennenden Fackeln herbeieilten. Schwerfällig überschritten die müden Rosse die Burg­ schwelle. Als Lutz, noch immer mißtrauisch, die Fackel hochhielt, um -em einen der Reiter ins Gesicht zu leuchten, tat sein Pferd einen erschreckten Satz. Sein Herr ver­ suchte, sich im Sattel aufzurichten, sank aber mit einem Stöhnen hintenüber und wäre, vom Roffe gleitend, zu Boden gestürzt, hätte ihn nicht Meinhart in -en Armen ausgefangen. Er trug einen Helm, aber keine Rüstung, sondern ein schwarzes Wams, indes seine Begleiter bis an die Zähne bewaffnet waren. Die sprangen sofort ab und drängten sich um ihn. „Der Herr Bischof ist ver­ wundet," sprach Burkhard Mürnhart, „und wir reiten schon den ganzen Abend von Dachstein her. Holt eine Decke und Waffer." Vorsichtig betteten sie den Bewußtlosen unter das vor­ springende Dach der Turmpforte, und Alwig half, -en Helm von dem blonden Haupte zu lösen und die Stirn mit Waffer zu kühlen. Der alte Mürnhart, den die Rüstung ein wenig steif machte, stand besorgt daneben; sein Begleiter stützte das Haupt des Bischofs auf sein Knie. Jetzt schlug Herr Walther die Augen auf. Ein leichtes Stöhnen entrang sich seinen Lippen. „Wolfhelm," sagte er mit schmerzlich verzogenem Gesichte, „Wolfhelm, warum habt ihr mich nicht sierben lasten! Ich wäre bester daran/ Seine großen Augen sahen an ihnen vorbei ins Leere.

„Trinkt diesen Schluck Weines, Herr," bat Wolfhelm

Meyenriß von Achenheim, einen Becher an des Bischofs Lippen setzend, dann wird es Euch wohler werden." Der Bischof stieß den Becher weg.

„Fort, Hermann," rief er wild, „die Buben haben Geld genommen von den Habsburgern. Sie schlagen dich,

Ich will nicht fliehen, denn es ist meine Sache. Aber du! Da steht Heinrich von Geroldseck mit seinem elenden Pergament. Wo ist mein Schwert! Her mit meinem Schwerte, ihr Buben!" Er schlug eine Weile mit den Händen um sich. „Er spricht im Fieber," Hermann, fort, schnell!

sagte bekümmert Herr Mürnhart, „weckt die Knechte und laßt ihm sein Lager im Burghause richten. Wir wollen ihn hinüber tragen!" „Ist die Schlacht verloren?" fragte Meinhart leis, indes Lutz Herrn Mürnharts Befehl ausführte. Der Grau­ kopf nickte trübe. „,Der Landvogt ist gefangen, dazu der Herr von Werde und viel andere edle Herren. Zwei Röster haben ste unter dem Bischof erstochen, und hätten ihm der Meyenriß und ich nicht mit Gewalt das dritte gewendet, so läg er tot mit den anderen bei Hausberge». Aber still!" Wieder phantasterte der Verwundete. „Ich will nicht fliehen, Meyenriß. Es geht um meine Ehre und meines

Bruders Leben. Meine Ehre! Hat ein geichlagener Mann noch Ehre? Da ist Blut! Ist es deines, Hermann? Rettet ihn, rettet den Landvogt! Ach nein, es ist mein eigen Blut! das laßt nur fließen!" Er sank matt in sich zusammen.

"Der Herr blutet wirklich," sagte Alwig, und das helle Mitleid schaute ihr aus den Augen, indes sie auf das Wams wies, unter dem ein schmaler, roter Streifen her­ vorsickerte. „Er ist nicht gut verbunden." Behutsam nestelte Meyenriß das Wams los, indes das Mädchen eilte, Wasser und Linnen zu holen. „Mit Ver­ laub, Herr," sprach sie dann, „ich bin das Verbinden vom Kloster her gewohnt." Mit leichter Hand wusch sie die Wunde, die von einem Pfeilschuß in die Schulter herrührte; der Kranke schien ihre Berührung kaum zu spüren. Er öffnete nur einmal die Augen, um sie gleich wieder müde zu schließen. Ein grauer Schatten lag auf seinen Wangen. „Wer ist das Mägdlein?" fragte Herr Mürnhart, und sein Blick schweifte freundlich über die schlanke Gestalt und den feinen, dunklen Kopf mit den zwei lockigen Zöpfen. „Meine Tochter Alwig, Herr," erklärte der Tor­ wächter, „die ich zu Sankt Stephan erziehen ließ. Die Ihr zu sehen gewohnt, die Gutta, haben wir begraben." Leis vollendete er seine Erzählung, indes Alwig geschickt das Linnen um die wunde Schulter band. „Ziehet ihm das Wams nicht wieder an, Herr," sprach sie zu dem Meyenriß, „es möchte ihm wehe tun. Wir wollen ihn in seinen Mantel hüllen." Ihre Scheu war vergessen; erst, als der Bischof sorgsam bedeckt und von Meinhart und Meyenriß halb gestützt, halb getragen über den Burghof ins Haus gebracht wurde und Herr Mürnhart ihr im Weggehen dankbar und freundlich zunickte, schlug eine helle Röte über ihre

Wangen, und sie trat eilig in den Schatten der Tür zurück. Zugleich merkte sie, daß sie fror; sie hatte nur ein leichtes Gewand übergeworfen, und die Nacht war bitter­

kalt. „Der arme Herr," dachte sie, „wenn ihm nur der Frost nicht schaden wird. So blaß sah er aus, und solch großes Herzeleid sprach aus seiner Stimme.

Kaum daß

ich ihn wieder kanntet Still und traurig ging sie nach ihrem Lager zurück, aber nur schwer fand der Schlaf ihre Augen, und noch im Traume war es ihr, als höre sie den kranken Bischof klagen: „Warum habt ihr mich nicht sterben lasten?" 2. Es war etwa eine Woche nach der Hausberger Schlacht, da

man in den erschreckten und zum Teil auch verbrannten Dörfern rings um Straßburg eben scheu wieder anfing, sich vor die Tore zu wagen, und die Reste des bischöflichen Heeres sich im Lager bei Molsheim und Dachstein wieder gesammelt hatten, als ein kleiner Trupp Reiter um die Mittagsstunde am Ufer der Breusch entlang hinauf zur Bischofsburg nach Dachstein ritt. Sie trugen keinerlei ritterliche Abzeichen, und fast wären sie am Eingang des Dorfes von den Wachen vom Pferde gezogen worden, hätte ihnen nicht der eine einen Krückstock entgegengehalten,

den er vor sich in einer besonderen Tasche seines Sattel­ zeuges stecken hatte. Da ließen sie von ihm ab. „Es ist der alte Ritter von Geroldseck," sprachen fie zueinander. „Der kommt schauen, was die Straßburger von seinen

Söhnen Übergelasten."

Drinnen am schmalen Burgfenster stand einer und sah mit gerunzelter Stirn den Ankommenden entgegen. Das war Herr Heinrich von Geroldseck an dem Wasichen, der Kantor des Domkapitels, des jungen Bischofs Freund und erster Ratgeber, nachdem er zuvor sein Gegner und Nebenbuhler bei der Wahl zum Stuhle des heiligen Arbogastus gewesen. Er mochte in den Vierzigern stehen, ein kleiner, schmaler Mann mit einem klugen Gesichte

und den grauen Augen, die so viel sagen und noch viel mehr

verschweigen können.

Es ging von ihm die Rede, er sei

viel zu klug, als daß er gut sein könne, aber niemand hätte gewagt, dergleichen laut zu sagen. Die Sorgenfalte stand noch auf der Stirne des Dom­ kantors, als die Tür sich öffnete und, auf seinen Stock sich stützend, der alte Ritter von Geroldseck seine große, schwerfällige Gestalt über die Schwelle schob. „Sieh da, Herr Kantor Heinrich," rief er dem Kapitel­

herrn entgegen. „Haben Euch die Straßburger laufen lasten? Der Braten war ihnen wohl noch nicht feist genug,

was?" Heinrich von Geroldseck schien über die sonderbare Be­ grüßung nicht erstaunt; er erwiderte aber doch mit einiger Schärfe in der Stimme: „Es ging mir wie Euch, Herr Ritter, ich war der Schlacht fern. Sonst hätte ich wohl meinen Herrn vor seiner unbesonnenen Tat warnen können. Aber die Vorsicht kommt immer zu spät." „Mich wundert, daß sie nicht bestere Beine hat, da sie sich doch der Euren bedient, die noch nicht so alt und lahm sind wie meines hier. Glücklicherweise hat mein Roß bestere

und jüngere, sonst wären wir schwerlich in zwei Tagen von Kaysersberg bis hierher gekommen an all den verfluchten Habsburger» und Kolmarern vorbei. Aber nun führt mich zum Bischof, daß ich meine müden Knochen ruhen kann." Herr Heinrich trat zu dem Alte». „Setzet Euch hier auf die Truhe, Herr Walther," sprach er sanft und schob ihm sogar ein Kiffen zurecht, „Ihr wißt ja noch gar nicht, wie sich alles zugetragen." „Genug, übergenug weiß ich," rief der Ritter grimmig, und, den Sitz verschmähend, fuhr er fort, indem er mit dem Stock heftig auf den Boden aufstieß: „Was sollt ich meine Worte an Euch verschwenden? Aber Ihr macht auch ein Geflcht wie der Bube draußen, als ich ihn nach dem Bischof fragte. Daß er nicht tot ist, weiß ich, denn er hat den Vertrag unterschrieben, den schändlichen, mit dem sich die Straßburger landauf landab rühmen, der Bischof sei vor ihnen zu Kreuze gekrochen. Auf der Stelle führt mich zu meinem Sohn!" „Wenn Ihr Befehle zu geben habt, Herr Ritter," erwiderte Heinrich in demselben ruhigen Tone wie vorher, „so lastet mich des Bischofs Pagen oder Eure Reiter rufen. Wo nicht, so höret mich in Ruhe an, daß ich Euch Antwort gebe. Mein Herr, der Bischof, ist nicht hier, wie die blöden Straßburger glauben; er ist in Sicherheit vor ihren Anschlägen, um seine Wunde zu heilen. Vor vier Tagen haben ihn Mürnhart und Herr Meyenriß von Achenhein nach Hohbarr begleitet." „Auch das noch; fort, geflohen!" rief der Alte wild. „Ist denn die Hölle hier los gewesen? Wo ist Siegbrecht von

Werde, wo sind die Landsberger, der Marschall von Hüneburg?" „Gefangen von den Straßburgern, zusamt Eurem Sohne Hermann," antwortete Herr Heinrich. „Wo ist der Diersberger, mein Detter?

Wo stecken der

Tierlein und Waffeler der Alte, der Beger und die Lichtem berger?" schrie der Ritter.

„Tot, erschlagen von de» Straßburgern," lautete die Antwort. „Nur die Lichtenberger haben sich nordwärts ge­ rettet; seit gestern habe ich Kunde von ihnen. Hier findet Ihr von Euren alten Freunden nur den Abt von Mur­ bach und mich..." Herr Walther rang nach Atem.

Sein kräftiges Gesicht unter den weißen Haaren wurde dunkelrot. Ein furcht­ barer Fluch kam über seine Lippen; dann sank er schwer auf die Eichenttuhe nieder. „Ich hab's nicht glauben wollen, daß es so schlimm sei, als die Kunde zu uns kam," sagte er düster, „aber Euch muß ich wohl Glauben schenken. War denn der Bsichof toll, daß er das Gefecht begann?" Der Domkantor zuckte schweigend die Achseln. „Oder war wieder eine Büberei dabei wie letzten Sommer

am Margarethentag? Aber das laffe ich mir bester von einem Lanzenknecht draußen erzählen, als hier von einem Pfaffen, der nicht mit dabei gewesen/' Der alte Ritter raffte seine Gestalt zusammen. „Gleichviel, die Straß­ burger sollen es uns büßen bis auf den letzten Heller. Daß fie mir den Hermann gefangen, des haben mir die Kolmarer höhnische Kunde nach Kaysersberg geschickt, und der Schandbube, der die Nachricht brachte, rühmte

sich desgleichen eines Vertrages, bett der Herr Bischof tags darauf mit der Stabt geschloffen. Mir beucht, wenn es um Verträge geht, ba steckt Eure Hanb im Spiele, mein kluger Herr Heinrich.

Sprecht, um was hat sich

der Bischof mit ber Stabt vertragend Er sah bett schmächtigen Mann ihm gegenüber fast drohend an. „Ihr ereifert Euch unnötig ob des Vertrages, Herr Ritter," erwiderte der. „Als es den Unseren bekannt

geworden, daß der Landvogt Hermann gefangen sei, da erhob sich groß Geschrei und Jammern. Denn wir wiffen, daß die Straßburger einen Bund geschloffen, sie wollten den Herrn Walther und seinen Bruder töten, wo immer sie ihrer habhaft werden könnten. So haben sie denn auch mit den Herren gefochten wie die wilden Heiden und zwei Roffe erstochen unter dem Herrn Bischof.

Auf den Landvogt gingen sie gar zu fünft los und rissen ihn

vom Pferde. Da nun Herr Walther hörte, daß sein Bruder gefangen, vermochte ihn keiner zu trösten. Seine eigene Wunde — es hatte ihn ein Pfeil in die Schulter getroffen

— vergaß er ganz; des Jammers voll ging er auf und ab in der Stube und rief uns zu, wir sollten ihm raten, es ginge um des Bruders Leben. Viel lieber wolle er selber sterben und verderben, als daß dem Landvogt

auch nur ein Haar gekrümmt würde." „Was steht in dem Vertrag, den Ihr da ausgeheckt?" unterbrach ihn ungeduldig der Ritter. „Da er so in Angst und Not war/ fuhr Heinrich fort, „da sandte der Bischof des anderen Tages Boten in die

Stadt und ließ ihnen vermelden, er wolle das Jnterdift

tum, das er über sie verhängt, aufheben und ihnen wiederum Meffe und Sakramente gönnen, so sie den Lanbvogt in allen Ehren in ritterlicher Haft hielten und mit ihm verhandeln wollten wegen seiner und der anderen Gefangenen Auslösung. Das beschworen die Städter gleichen Tages und schickten Brief und Siegel darüber." Da brach der Zorn des Alten los. „Um ritterliche Haft für seinen Bruder das Jnterdiktum aufgehoben! Lachen

werden die Straßburger über ihren weichherzigen Bischof! Mel lieber hätt ich den Hermann von den Ratten in irgendeinem Turm auffreffen laffen. Narren seid ihr,

Narren und alte Weiber." „Es galt Eures Sohnes Leben," sprach Heinrich von Geroldseck dazwischen. „Den Vertrag hat Euer Pfaffen­ verstand ausgeheckt," schrie der Alte grimmig. „Sitzt nicht Klaus Zorn der Alte und der Liebenzeller im Rat? Wollet Ihr die lehren, was Ritterbrauch? Des Landvogts Leben war so sicher in ihrer Hand, als wie auf den Knien seiner

Mutter, und hätten sich das ganze Pack der Gerber- und Metzgergesellen wider ihn verschworen. Ich kenne den alten Zorn, und Ihr solltet ihn auch kennen, Herr Dom­ kantor. Ist er der Mann, eine» Gefangenen erschlagen zu laffen? O ich durchschaue Euch wohl. Des Bischofs Schwäche und Wundfieber habt Ihr ausgenützt. Eure eigene Person wohl avzuschreiben bei dem Rat der Stadt." Walther," erwiderte nicht ohne Würde Heinrich von Geroldseck, und sein blaffes Gesicht ward noch um einen Schein fahler. Könnt Ihr mir beweisen, daß ich auch nur um ein Titelchen von meiner Pflicht gegen meinen 28

Herrn und Bischof abgewichen, so lege ich sein bischöf­ liches Siegel, das er mir hinterlassen, in Eure Hände." „Könnt ich das beweisen," sprach Herr Walther scharf, „so ständet Ihr nicht hier vor mir in meines Sohnes Burg." Er wollte noch hinzusetzen: „Mit meinen Hunden hätt ich Euch schon lange von hinnen gehetzt," als sich die Türe öffnete und ein Knappe eilig hereintrat. „Botschaft vom Rat von Straßburg," rief er mit heller Stimme. „Lasset die Herren eintreten," erwiderte Herr Walther, noch ehe Heinrich dem Botest antworten konnte. Unmut­ voll setzte er sich nahe dem Fenster, indes der alte Geroldsecker einen Schemel unter sein lahmes Bein schob. Die Straßburger Herren traten eia, der eine, der ein Pergament trug, würdig im langen, schwarzen Mantel, der andere jung und frisch, in der Tracht der Edelknechte und mit der Pfauenfeder am Hute. Er führte ein kurzes Schwert, indes sein Begleiter ohne Waffen war. .,Gott grüße den Herrn Stadtschreiber und auch Euch, Marx von Eckwersheim," rief Heinrich, sich erhebend und den Herren einige Schritte höflich entgegengehend. Der alte Ritter rührte sich nicht und blickte finsteren Auges auf die Ankommenden. „Was bringt Ihr uns von dem Rate der Stabt?" „Mit Verlaub, Herr Domkantor," erwiderte Herr Magister Ellenhardt, -er Stadtschreiber, flch verneigend. „Unsere Botschaft geht an unseren Herrn, den Bischof." Er blickte sich fragend um. „Bischof Walther kann Euch nicht empfangen; ich trage

seine Vollmacht und werde Cure Botschaft weitergeben." Der Magister warf eine» Seitenblick auf den Ritter von Geroldseck, indes sein junger Begleiter die Hellen Augen unverhohlen nach allen Seiten schweifen ließ. „Ihr erleichtert mir das Herr, Herr Heinrich," begann Ellenhardt in ernstem Tone, „denn schwer wäre es mir geworden, meine traurige Kunde selbst zu des Bischofs Ohren zu bringen." Er stockte und sah wiederum nach Herrn Walther; da der sich aber nicht rührte und mit verächtlicher Miene an den Straßburgern vorbei zum Fenster hinausblickte, schöpfte er Mut und fuhr fort: „Zwar herrschet gerechte Fehde zwischen der Stadt und ihrem Herrn, dem Bischof, und Blut muß fließen auf beiden Seiten. Und nicht sollen wir Menschen dawider klagen, so Gott jemand einen ehrlichen Tod in Waffe» beschert hat. Indes ist sich der Rat der Stadt und ihre lobesame Bürgerschaft wohl bewußt, daß ein Bischof eine heilige Person und nur frevler Mut die Hand auf­ hebt, sie zu schlagen. So war ihnen Herr Walther heilig gewesen im Gefecht." Ein leises Lächeln des Spottes zuckte bei diesen Motten nm des jungen Marx von Eckwershetm kecken Mund, aber niemand achtete darauf. „Unverletzlich sollte nach der Meinung des Rates auch gehalten werden der Landvogt Hermann," sprach der Magister weiter, aber da fuhr der alte Ritter auf. „Du Hund, ihr habt ihn umgebracht!" schrie er mit heiserer Stimme und ging mit drohendem Krückstock auf den Sprecher los. Schon riß Marx sein Schwert aus der Scheide, um den Magister, der schreckensbleich zurück-

wich, ju schützen, da sprang auch Heinrich von Geroldseck herzu. „Mäßigt Euren Schmerz, Herr Ritter; es sind Gesandte, die Ihr vor Euch habt/' rief er, „und ihr Herren, vergebt

einem Vater." Der Alte ließ seinen Stock sinken, aber am ganzen Leibe vor Wut zitternd, blieb er dicht vor den Straßburgern stehen. „Was habt ihr mit ihm gemacht?" „Wollet

doch die Botschaft nicht an dem unschuldigen Boten rächen/' sprach der Stabtschreiber in ängstlichem Tone, „zumal noch nicht alle Hoffnung geschwunden ist." Herr Marx steckte sein Schwert wieder ein, ließ aber die Hand

nicht vom Knaufe und behielt den alten Herrn Ritter scharf im Auge, indes sein Begleiter berichtete: „Sowie es der Rat dem Herrn Bischof am Tag nach

der Schlacht zugesagt, wurden alle Gefangenen alsbald gemustert, auf daß man den Landvogt heraushebe zu milderer Haft. Aber man fand ihn nicht darunter. Da

sprachen Herr Reinbold Liebenzeller und Klaus Zorn der Alte, es werde ihn einer gefangen halten und heimlich wollen auswechseln um höhere« Lösepreis. Also ließ der Rat ausrpfen und verkünden: wer den Laadvogt in Haft hielte und nicht sogleich angebe und ausliefere, der solle mit Leib und Leben und Gut der Stadt verfallen sein

und sein Geschlecht der Stadt verwiesen auf ewige Zeiten; wer ihn aber hätte und dem Rate brächte, der solle hundert

Mark Silbers haben. War aber keiner, der ihn brachte. Wohl aber vermeldeten etliche, daß sie ihn hätten fallen

sehen, zumal einer kam und sprach, er habe ihm selbst

die Hände abgeschlagen.

So läßt denn der Rat dent

Bischof sagen, ihr möchtet suchen unter euren Toten."

Eine Weile war alles still, als der Magister geendet hatte, dann sprach der alte Ritter und hob drei Finger zum Schwure dabei: „Und das vermeldet dem Rate in meinem und des Bischofs Namen: So ihr mir habt meinen Sohn

Hermann erschlagen, so will ich keine Ruhe im Grabe finden zusamt meinem Geschlechte, wenn jemals Frieden

wird zwischen uns und Straßburg, so wahr ich ein Geroldseck von der Ortenau bin." Dann wandte er stch an den Domkantor: „Die Kunde bring ich selbst nach dem Hohbarr." Seine hohe Gestalt

aufrichtend, ging er trotz seines lahmen Beines zur Tür hinaus, und man hörte ihn draußen nach seinem Pferd und seinen Knappen rufen.

Eine Weile war alles still, nachdem er gegangen, dann sprach Marx von Eckwersheim keck: „Wir find einen tapferen Feind los, allein der Rat beklagt seinen Tod sehr. Er hätt «ns den Frieden bringen können als unser Gefangener." „Wir werden tun nach Eurem Worte und unter unseren Toten suchen," sprach Heinrich von Geroldseck in ernstem Tone. „Was habt Ihr weiter zu vermelden?" „Der Herr

Bischof hat in seinem Vertrage uns bas Jnterdiktum aufgehoben. Wir hoffen, es werde der Tod des Landvogtes daran nichts ändern. Bischof Walther hat den guten Willen der Stadt gesehen;

eS war Gottes Wille, nicht unsere Schuld, wen» wir die Bedingung nicht halten können. Und der hohe Rat meint,

es sei nicht gerecht, uns die Sakramente ju versagen und

unsere Seelen Not leiden zu laffen um eines zeitlichen Dinges willen, wie es eines Mannes Tod ist." „Nicht um eines zeitlichen Dinges willen seid ihr in das Jnterdiktum gekommen, Herr Magister," sprach scharf der

Domkantor, „sondern weil ihr Recht und Vettrag ge­ brochen und euch aufgelehut habt wider euren Herrn."

„Aber um eines zeitlichen Dinges willen hat man das Inter­ diktum von uns genommen," warf Marx dazwischen. Der Magister und Heinrich taten beide, als hätten ste nichts gehört, der eine, weil er nichts dawider zu sagen

wußte, der andere, weil er um Frieden gekommen war und nicht um Streit. „Wes Inhaltes ist das Pergament, das ihr bringt?" forschte der Domkantor. „Es stnd des Rates Bitten und Vorschläge zum Frieden, in sieben Punkten zusammen­ gefaßt," erwiderte Ellenhardt. „Allein mir deucht, es wäre bester, wir ritten damit zu unserem Herrn Bischof selber nach dem Hohbarr." Herr Heinrich biß sich auf die Lippen vor Ärger, daß des alten Ritters unbedachtes Wort den sorgsam geheimgehaltenen Aufenthaltsort des

Bischofs verraten habe. „Ihr vergeßt, daß des Bischofs Abwesenheit nur eine kurze

ist, und daß ihr schwerlich gute Aufnahme finden werdet auf der Burg, so ihr nicht von mir geschickt kommt. Hier sind des Bischofs Siegel und Gewalt." „Wenn es so steht, Herr Domkavtor, dann verzeiht. Ich lege mein Pergament in Eure Hände. Habt Ihr einen Auftrag an den Rat?" 3

Elsäss. Erzählungen. Bd. io.

33

„Keinen, als die Hoffnung auf Frieden," erwiderte Hein­

rich gemessen; und mit der Hand grüßend, entließ er die Straßburger Gesandten. Als er allein war, össtwte er langsam das Pergament.

Sinnend ruhte sein kluges

Auge auf den Buchstaben, allein er las sie nicht. „Armer Hermann!" sprach er leise vor sich hin. „Er war es wert, daß man ihm diente, mehr als sein Bruder, der Toll­ kopf. Ich will seinen Leib suchen lassen unter den Toten zu Dorlisheim. Die Hände haben sie ihm abgehauen..,"

er schauderte und blickte auf seine eigenen schlanken, weißen

Finger. „Gott geb ihm eine selige Urständ." Seufzend ließ er sich auf einen Sessel nieder, das Schreiben

des Rates zu lesen, aber wieder schweiften seine Gedanken ab. „Es wird ein großer Schmerz sein für dm Bischof. Lieber ich als mein Bruder! wie ost hat er das gesagt. Vielleicht hatte er recht. Lieber Walther tot, als Hermann. Aber, wohin verirrt ihr euch, meine Gedanken! Gepriesen sei der Herr, daß er uns den Bischof erhalten." Der

Domkantor fuhr heftig mit der Hand über die Stirne, als ob er einen bösen Gedanken verscheuchen wollte, dann erhob er sich und läutete mit einer kleinen Glocke, die aus einem Seitentische stand. Ein Page trat ein. „Ist der Jude aus Benfeld noch da, der heute morgen

bei mir war?" fragte Heinrich. „Ja Herr, Ihr befahlt ihm zu wartend „So bring ihn mir." Wenige Augenblicke später stand der Gerufene vor Herrn Heinrich. Es war ein alter, graubärtiger Mann, mit leb­

haften Augen unter den buschigen Brauen.

Seine zu-

sammengefallene Gestalt war in ein weites, faltiges Ge­

wand gehüllt, auf dem Kopfe trug er die gelbe Mütze, die seines Stammes Abzeichen war. An der Türe des Gemaches blieb er stehen und neigte

sich tief vor Herrn Heinrich.

Der ließ ihn eine Weile

warten, ehe er ihn einer Anrede würdigte. ^,Komm näher, Moses," sagte er dann kurz, aber nicht unfreundlich. Der Jude verbeugte sich wieder. „Was befiehlt mein Herr seinem Knechte?" — „Ich habe einen Auftrag für dich, Moses, der dir klingende Münze eintragen soll. Nicht umsonst habe ich dich rufen kaffen am Tage nach einer

Schlacht; du weißt, daß ich deine Kunst zu schätzen weiß. Du sollst mir eine Wunde heile», die deine ganze Wiffenschaft erfordern wird. Reite noch heute nach dem Hohbarr zum Bischof." Moses von Benfeld erhob klagend die Hände. „O, Herr, noch schmerzen meine Knochen von der Reise zu Euch. Ich bin ein alter Mann und Euer rauhes Leben nicht ge­ wohnt. Habet Mitleid mit mir." „Was, alter Schwätzer? Seit wann sträubst du dich gegen

meine Aufträge?

Hast du vergeffen, daß du mir deines

Weibes Leben dankst?" „O Herr, nichts habe ich vergeßen, und Euer Name ist in meinem Munde und Euer Andenken in meinen Gebeten

immerdar. Aber es ist schwer für einen Sohn Abrahams, sich zu mischen unter Eure rauhen Schwertgesellen. Und eines Pfeiles Wunde heilt auch ohne Arzt." Heinrich von Geroldseck lachte. ^Jch sehe, meine Lanzen­ knechte haben dir etwas unsanft mitgespielt, du größter

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aller Salbenreiber.

Tut nichts, solange sie dir die Haut

nicht abjieheu, und die ist ja festgewachsen.

Und selbst

wenn das nicht wäre, deine Arjneikraft ist so groß, daß du auch den Schaden heilen könntest. Du sollst mir den

Bischof fein kurieren; ist auch seine Wunde nicht schwer, so ist doch sein Körper leicht krank, und ich besorge, er möchte nicht achten auf sich und sich dauernden Schaden tun. Darum habe ich dich ausersehen und werde dich

sogleich mit meinen Boten, die ohnehin zu dem Bischof reiten, nach dem Hohbarr entsenden." Moses rang die Hände. „Wenn Ihr diese Mühsal auf mein Haupt ladet, so erlaubt wmigstens, daß ich auf meinem Esel allein gen Zabern reite. Ein einzelner, harmloser Mann kommt leichter an den wilden Straß­

burgern vorbei als ein fechtender Häuft. Und von allen Enakssöhnen, Herr, sind Eure Reiter die wüdesten und verfahren am härtesten mit mir armen Ranne. Lastet

mich wenigstens die Reise in Frieden tint!" Die helle Angst sprach aus seinem Gesichte. „Meinetwegen," lachte Heinrich; „ nur beeile dich und merke dir, du haftest mir mit deinem Kopfe dafür, daß des Bischofs Wunde gut heilt. Nun geh!" Damit war Moses entlasten, und Heinrich von Geroldseck wandte sich seinem Pergamente zu.

3« Es war Karsamstag, und der Tag ging seinem Ende zu. Wie die goldene Verheißung einer nie enden wollenden Frühlingsschönheit stand der Abendhimmel über dem

Wasgenwald. Feierlich hoben sich die dunklen Wald­ gipfel der Ferne von der Glut des Westens ab; auf den

näher gelegenen Berghängen warf das Helle Grün der jungen Lärchen seine lichtfrohen Farbenflecken auf den schwärzlichen Untergrund der Tannen und Kiefern und umsäumte lieblich die rotleuchtenden Sandsteinfelsen;

nach Osten zu breitete sich schier unabsehbar, in leicht nebliges Silbergrau getaucht, die weite elsässische Ebene, am Horizonte vom blaßroten Widerschein der Wolken abgeschnitten durch die weichen Linien der Schwarzwald-

züge. Ein sehnendes Träumen und Hoffen lag in der Luft und schwellte die junggrünen Triebe. Mit leisem Raunen strich der Abendwind durch die Waldkronen und wehte ihren Duft, noch fein uüd unerschloffen, aber doch schon deutlich merkbar, um den Felsen von Hohbarr. Droben auf der schmalen Holzbrücke, die in schwindelnder Höhe das Hauptgebäude mit dem südlichsten Felsturm verband, stand, an die Brüstung gelehnt, die kleine Alwig und blickte in den Abend hinaus. Seit der Vater sie zum ersten Male nach dem Turm geschickt und ihr Fuß zuerst nur zögernd den schwankenden Steg betreten hatte, war sie manchesmal unbeobachtet hier heraufgestiegen, und der Ort war ihr bald das liebste Plätzchen auf der ganzen Burg geworden. Frei schweifte hier das Auge nach allen Seiten, im Süden und Westen über die Vogesenberge und die Zaberner Steige bis tief ins Welschland hinein, gen Norden und Osten über die ebene Flur. An den Fuß des Berges gelehm lag friedlich die Bischofsstadt Jabern

mit ihre» spitzen Giebeln und dem breiten, braunen Schloßdach, schon halb im Dämmerschatten; nur an den letzten Häusern Zornab entzündete der Abendschein noch

einige Fensier. Unter sich sah Alwig die Burg, aus Fels und Mauerwerk trotzig und groß zusammevgefügt, mit den vielen Türmchen und den breiten Wehrgängen längs

der starken Mauern.

Sie sah auch ihr eigenes kleines

Gärtchen, wo der Pfirstchbaum seine zarten, kaum er­ schlossenen Blüten an ihr vergittertes Fensterlein drängte, und ihr Blick suchte die Waldanemonen, die sie gestern

hiaeingepflanzt und denen sie tagsüber so oft in die weißen Sternaugen geschaut hatte.

Sie wußte selber kaum, wie lange sie da oben gestanden, als ein anderer durch die türlose Lffnung des Hauses heraus auf die Brücke trat. Sein Schatten fiel schwarz über die Brüstung; Alwig wandte sich um und sah den Bischof neben sich stehen. Er zögerte, als wolle er wieder zurückkehren, als er aber das Mädchen erkannte, näherte er sich ihr. Seine hohe Gestalt war in ein einfaches, dunkel­ blaues Gewand gehüllt, allein das kostbare PelzwerkamHals und an den Ärmeln verriet den Fürsten. An seine Knie schmiegte sich ein schlankes Windspiel von lichtbrauner Farbe. „Sieh da, meine kleine Pflegerin," sprach Herr Walther fteundlich, „du hast lange nicht nach deinem Kranken ge­ sehen." „Herr," sagte Alwig, „seit Ihr den klugen Arzt habet,

den Euch Herr Heinrich von Geroldseck gesandt, habt Ihr meine armen Dienste ja nicht von nöten. Wer saget mir, wie es um Eure Wunde steht."

Che Moses von Benfeld nach Hohbarr gekommen, war

Alwig mehrmals ins Herrenhaus gerufen worden, da man

ihre geschickte Hand erkannt hatte, und mit einer leisen Betrübnis, daß man ihrer nun nicht mehr bedurfte, hatte

sie den Juden in die Burg einziehen sehen. Bischof Walther sah unmutig auf den Arm, den er in der Binde trug. „Es geht mir viel zu langsam und hindert mich sehr. Geduld, predigt mir der Jude alle Tage."

„Wie Gott will," sagte Alwig fromm, und dann blickten sie beide eine Weile in die langsam verglimmende Ferne. „Man sagte mir, von hier oben könne man an klaren Tagen bis nach Straßburg hinübersehen," hub Herr Walther wieder an, und eine verhaltene Bewegung zitterte in seiner Stimme. Alwig nickte. „Dort drüben, wo die niedre Hügelkette sich senkt, um gleich wieder emporzu­ steigen, da fängt das Straßburger Gebiet an. Dort habe ich auch unlängst, an einem nebellosen Abend, wie ein dunkles Etwas gesehen, und der Vater sagte mir, es sei das hohe Haus des großen Münsters, bas die Häuser der Stadt überrage." Herrn Walthers Blick verfinsterte sich. „Das Münster, das sie mir zum Trotze fertig bauen wollen," murmelte er. Das Windspiel drängte sich näher an ihn und rieb zärtlich und gleichsam beschwichtigend den feinen Kopf an

seinen Knien. Alwig streichelte das schöne Tier. „Wie lieb er Euch hat," sagte sie bewundernd. „Es war meines Bruders Hund," sprach Bischof Walther. Alwig erschrak, daß sie unvorsichtig an seinen großen Schmerz gerührt hatte. Sie suchte nach einem Worte,

aber fand keines; traurig streichelte sie den Hund weiter, und wie sie so an den toten Landvogt Hermann dachte,

fiel ihr Frau Gutta und ihr eigener Verlust wieder ein, und zwei große Tränen rollten langsam über ihre Wangen und fielen herab auf des Tieres seidiges Haar. „Warum weinst du, Kind?" fragte Herr Walther, aus

seinem schmerzlichen Brüten aufschauend. Alwig trocknete hastig die Tränen. „Auch ich habe eine liebe Schwester verloren," sagte fie leise, „Ihr werdet es

verstehn, Herr, und mir verzeihen." Bischof Walther ant­ wortete nicht gleich; er legte seine Hand einen Augenblick auf die feinen Finger des Mädchens, und ein plötzliches Gefühl des gegenseitigen Verstehens und Mitleidens durchzuckte fie beide bei der Berührung. Alwig beugte stch nieder, und schlicht und fromm, wie fie es im Kloster gelernt hatte, küßte fie den Ring an der Hand ihres Bischofs. „Es ist mir heute abend so eigen," hub fie an zu erzählen; „ich bin ein törichtes Kind, und Ihr wißt das alles viel besser. Aber wenn ich so hivausschaue ins weite Land und die goldenen Wolken am Himmel sehe, so meine ich

schier, unsere Toten stünden alle um mich, und ich brauchte bloß die Hände auszustreckev, um zu ihnen zu kommen.

Und fie haben große Flügel, wie die Engel an Savtt Peters Kirche, und machen mein Herz leicht und frei. So muß es wohl sein bei der Auferstehung." Ihre dunklen Augen strahlten von innerem Lichte. Sie hatte ganz vergefien, daß der kranke Mann, desien Wunde fie im Dunkel der Winternacht verbunden hatte, neben

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ihr stand; der Herr Walther, zu dem sie sprach, war der leuchtende Herr, der Gesalbte Gottes, den ste hatte einziehen sehen beim Jubel des Volkes. Walther seufzte. „Mir steht kein Himmel offen," sagte er bitter. Und mit einer geheimen Übereinstimmung

ihrer Gedanken trat auch vor seine Seele plötzlich jenes strahlendste Bild seines Lebens, das des Einzugs in seine Bischofsstadt. „Wie haben sie mir zugejubelt," sprach er halb zu sich selbst; „Hosanna haben sie mir gerufen, als wäre es der Herr Christ selber, der einritte am heiligen

Palmsonntag.

O ja, sie haben getan wie das Volk von

Jerusalem, und das „Kreuziget ihn!" ist bald gefolgtgenug!

Und zu Tode gemartert haben sie ja auch einen..." „Herr, auf den traurigen Freitag folgt aber auch das

liebe Ostern. Warum soll es nicht auch für Euch kommen, so Ihr keinen Haß traget wider Cure Feinde?" Aber Herr Walther schüttelte den Kopf; eine drohende Falte stand senkrecht auf seiner Stirne. — „Was ste mir getan, will ich gern verzeihen, wie der Herr Christ ver­ ziehen hat. Aber was ste an meinem Bruder getan, das kann ich ihnen nie, nie vergeffen. Das ist herber als eigener Schmerz." Seine Stimme war rauh von Zorn und Leid. Alwig schwieg erschrocken, seine Worte kamen ihr vor wie Läste­

rung, aber zugleich ergriff ein tiefes Mitleid ihre Seele. Sie dachte an ihren Beichtiger, den Bruder Franz drunten in Zabern, der ihr gar liebe und tröstliche Worte gesagt

heut Nachmittag beim Sakramente, als ste ihm ihr sorgen­ volles Herz ausgeschüttet hatte. Aber fteilich, vom Bruder

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Franj sagte der Vater, er Hetze die Zaberner auf wider den

Bischof, und kaum hatte er ihr erlauben wollen, daß sie zu ihm beichten ging. „O der schreckliche Streit," jammerte sie in ihrem Herzen; „fürwahr, gekreuzigt haben sie ihren Herrn wie die Juden den Herrn Christum. Wie kann es möglich sein, daß Bruder Franz zu ihnen halten soll, da

er so gut und fromm ist?" Und ihre lieben Nonnen von Sankt Stephan, auch sie verdammten Bischof Wallher ob des Streites. Wie eine dunkle Wolke legte es sich über

ihre Augen, aber eines weckte sie wieder aus ihrem Zweifel und Quälen, die Stimme des traurigen Mannes an ihrer Sette. „Ich habe dich erschreckt, arme kleine Alwig," sagte Herr Walther mit jenem herzgewinnenden Klang in der Stim­

me, dem selbst seine Feinde nur schwer widerstanden. „Was verstehst du von dem Streite der Männer? Er­ zähle mir lieber von Sankt Stephan, wo du zur Schule

gewesen, und von meiner hochgelehrten Muhme Frau Eldrlla, die euch die heiligen Bücher lesen lehrte." Aber Alwigs Seele war zu voll von schmerzlichen Fragen und Gedanken. „Ein andermal, wenn Ihr erlaubet, Herr," sprach sie bittend. „Der Vater will ohnehin zu

Euch reden, wegen meiner Mutter Gelöbnis." Wie sie beide wieder schweigend hinab schauten und die Nacht schon begann, ihren dunklen Mantel um ihre Gestalten zu schlagen, trat der jüdische Arzt leisen Schrittes zu ihnen auf die Brücke. Er verneigte sich vor dem Bischöfe, dessen Stirn sich leicht runzelte, als er ihn erblickte. „Kommst

du schon wieder mahnen?" rief er ihm entgegen.

Moses von Denfeld machte eine klagende Gebärde. „Die Abendluft weht kühl," sprach er, „und wenn mein Herr auf seinen Knecht hören will, so wird er seines Fiebers gedenken...." „Schon gut, schon gut, mein kluger Freund," rief der Bischof,, „aber ehe wir hineingehen, erkläret mir das Feuerzeichen dort drüben." In der Tat, auf der niederen Hügelkette, die fernab das Straßburger Land vom Vorland der Berge schied, flammte wie ein leuchtender Stern ein Feuer bald schwach, sodaß es ganz zu verschwinden schien, bald größer und nach oben steigend, als werde es vom Winde hin- und hergetriebev. Jetzt zuckte noch eins auf, und dann noch eines; wie drei Feuermale standen die Lichter im Lande. „Osterfeuer," sprach Alwig nach einer Weile. „Die Feuer der Straßburger," ergänzte Moses. „Kommt ins Haus, Herr Bischof." Ein Frösteln lief über Herrn Walthers Glieder, aber er achtete nicht auf die Mahnung des Arztes. „Die Freuden­ feuer der Straßburger," murmelte er, und sein finsterer Blick bohrte sich durch die Finsternis bis hinüber zu den Brandzeichen. Alwigs und des Juden besorgt^ Blicke trafen sich. „Ist unser Herr hier oben?" ertönte in diesem Augenblicke aus der Türöffnung Herrn Mürnharts Stimme. Bischof Walther wandte sich um; seine Gestalt raffte sich zusammen. „Was gibt's, mein Freund?" rief er lebhaft, die finsteren Gedanken von sich abschüttelnd. „Botschaft, hochwillkommene Botschaft von den Herren

von Lichtenberg," war die Antwort. „Euer Herr Vater und der Wolfhelm Meyenriß suchen Euch schon eine Weile

auf der ganzen Burg.

Kommt herein!"

„So kommt bas Schicksal der Mahnung zu Hilfe, Moses," sagte lächelnd der Bischof zu dem Juden. „Komm her, Lionne!" Das schöne Windspiel stand neben Alwig und hatte seinen feinen Kopf in ihre Hand gelegt. Auf seines Herrn Ruf war es in zwei Sätzen neben ihm. An der Türöffnung wandte sich Walther noch einmal nach dem Mädchen um.

„Ein frohes Osterfest für uns beide, kleine Alwig," sprach er freundlich, wenn auch mit halbem Seufzer. „Amen," erwiderte das Mädchen. In der Ferne leuchteten noch immer die Osterfeuer der Straßburger. 4-

Die Tage kamen und gingen auf Hohbarr. Alwig sah den Bischof jetzt häufiger; manchmal, wenn sie im Herren­ hause zu tun hatte, begegnete sie ihm auf den Treppen, oder er ritt an ihrer Tür vorbei in den Wald mit seinem

Vater und dem Meyenriß, und Lionne sprang schweif­ wedelnd an ihr empor. Stets hatte er ein gutes Wort für sie; am liebsten aber traf sie ihn oben auf der Brücke,

wenn sie abends für ein Viertelstündchen zu ihrem Lteblingsort hinaufstieg, um die Sonne über den Frühlings­ wäldern untergehe» zu sehen.

Dann vergaß sie, wenn Frau Guldhild sie gescholten oder wenn der Vater es sie hatte entgelten lassen, wenn seine Kopfgicht ihn plagte, und Arme und Rücken sie schmerzten

von ungewohnter Arbeit. Dann erzählte sie von den lieben Tagen zu Sankt Stephan oder auch von den Blu­ men und Vögel», die sie im Walde gesehen und die ihr, der Stadtgewohnten, lauter zarte Wunder waren. Bischof Walther ließ sie plaudern; ihre reine Lieblichkeit tat seiner von Schmerz und Hader zerrissenen Seele wohl, wie wenn ein frischer Hauch seine heiße Stirne kühlte. Es war etwas an ihr, was ihn an seinen Bruder Hermann und an ihre gemeinsame Kinderzeit auf Burg Geroldseck mahnte, wenn sie sich vor dem grimmen Vater in einen Winkel des Gärtleins zu ihren harmlosen Spielen geflüchtet hatten. Und oftmals wurde seine sorgenvolle Stirne klar, wenn er mit der kleinen Alwig geredet hatte. Es war ein reges Leben in jenen Tagen auf der Burg. Boten kamen und gingen, bald zwischen dem Bischof und Herrn Heinrich von Geroldseck, der noch immer im Lager zu Molsheim und Dachstein weilte, bald trugen sie die Farben der Stadt Straßburg und brachten Perga­ mente und nahmen sie auch wieder mit, oft genug unge­ lesen; hie und da kam auch einer von den vielgetreuen Herren von Lichtenberg, die taten sehr heimlich und wurden bei Nacht und Nebel wieder fortgelassen. Einer der letzten war es, dm Burkhard Mürnhart und Herr Meyenriß eines Abends durch den Burghof ge­ leiteten. Schon sank die Dämmerung nieder, Alwig, die nähmd am Fenster auf der Torbank gesessen hatte, ließ die Arbeit sinken und sah still den Taubm zu, die mit zierlichen Schrittm über den Hof trippelte». Vor dem Stalle zäumte man eben das Pferd des fremden Reiters.

Die Herren waren in eifrigem Gespräche.

„Der Herr

Johannes Rösselmann hat uns nicht umsonst gezeigt, wie man in eine verschlossene Stadt hereinkommt," sagte der eine von ihnen; „stand ich doch selber dabei, als sie

das Faß abluden, in dem er saß, der alte Fuchs." „Die Kunst ist nicht neu," lachte Herr Meyenriß. „Wenn zu Trojen im Morgenland zwanzig Ritter in eines Pferdes Bauch kriechen konnten, so wird in einem Faß, das sonst

guten Türkheimer Wein führt, wohl noch Platz gewesen

sein für den Stadtwaibel von Kolmar!" „Was Stadtwaibel," rief spottend der erste, „den Herrn Schultheißen meint Ihr, vor dem die neuen Waibel, mit

denen er früher aus einer Schüssel gegessen, mit Stab und Siegel einherspazieren: Platz für den Herrn Johannes Rösselmann! Aber wart nur, das Blatt soll sich bald ge­

nug wenden." „Mir wäre es eine Lust gewesen, mit Euch zu ziehen,"

sprach Herr Meyenriß; „vergeßt nicht, das mit meinen Grüßen Eurem edlen Vetter von Wineck zu bestellen. Aber Ihr sehet ja selbst, wie das böse Fieber den Herrn Bischof gepackt hat. Seit zwei Tagen hat er sein Lager nicht mehr verlassen.

Wenn es nicht Heinrich von Ge-

roldseck wäre, der uns de» Juden geschickt hat, fürwahr, ich ließe ihn als Giftmischer am nächsten Baume auf­

knüpfen." Sie waren am Tore angekommen, als der fremde Ritter des Mädchens gewahr wurde, das ehrerbietig aufstand.

Seine kecken Augen streiften ihre schlanke Gestalt und ruhten auf ihrem lieblichen Gesichte. „Sieh da, eine

Tochter der allerholdesten Frau Venus," rief er näher­ tretend; „seit wann birgt eines Bischofs Feste so schöne

Mägdelein?" .Er wollte sie unter das Kinn fassen; dem Mädchen kamen die Tränen der Scham in die Augen; mit einer raschen Wendung floh sie ins Haus. Der junge Ritter lachte, indes Burkhard Mürnhart die Stirne runzelte. „Das ist nicht Sitte hier bei uns," sagte er streng. „So muß man sie einführen," war die übermütige Ant­ wort, dann schwang sich der Fremde aufs Pferd und ritt nach kurzem Gruß davon. „Freches Volk, diese Städter," schalt der alte Mürnhart

hinter ihm her. wie Feind."

„Straßburger wie Kolmarer, Freund

„Jugend hat lustiges Blut," begütigte Meyenriß. „Ihr seid auch kein Mönch gewesen!" „Kann sein, aber diese kleine Alwig ist keine Beute für

lose Vögel wie diese da. Dazu hat sie der Herrgott nicht geschaffen, schau sie nur an. Mich freut es-schon nicht,

wenn ich sie so oft mit unserem Herrn reden sehe; sie sind beide jung, und man hat es oft genug gesehen, wie ein geistlich Gewand blutswenig schützet, wenn..." „Alter Narr," fiel ihm sein Gefährte lachend in die Rede, ihm mit der Hand auf die Schulter schlagend; „wann hat

man je deinesgleichen gesehen?

Was schadet es denn,

wenn das Mägdlein seinen Herrn in Treuen minnt? Wir sind so reich nicht an Freunden, daß wir ihrer nicht jederzeit neue brauchen könnten, und in diesen schlimmen Zeiten, wo kein Mann dem anderen mehr von Herzen

trauen kann, ist man oft froh um das, was ein Weib aus

Liebe tut. Hast du alter Bär das schöne Lied von Herrn Hartmann von Aue nie gehört? Wie ein Mägdlein seinen Herrn pfleget und wartet und minnet, obwohl er die leidige Miselsucht am Leibe hatte? So schlimm steht es nun freilich noch nicht um Bischof Walther, wenn er auch dies verfluchte Fieber hat. Wollte Gott, wir könnten endlich einmal wieder ju Felde!" Herrn Wolfhelms Wunsch (bitte wider alles Erwarten in Erfüllung gehen. Des Bischofs Fieber hatte sich mit dem Morgengrauen gelegt, und trotz aller Bitten und Mahnungen seines Arztes und Herrn Mürnharts, der sich in stiller Sorge um seinen Herrn verzehrte, hatte Walther beschlossen, selbst an dem geplanten Zuge teilzunehmen und mit einem kleinen Fähnlein von Rettern noch selbigen Tages nach Molsheim aufzubrechen. Er stand im Hofe, die nötigen Befehle zu geben. Niemand sah ihm die überstandene Krankheit an; fröhlicher Eifer strahlte aus seinen Augen, und den Arm trug er zum ersten Male ohne Binde. Seine Heye Stimmung schien alles um ihn her anzustecken; die Buben sprangen nach den Pferden, die Knechte rieben an Helm und Harnisch, daß die Maisonne sich blank darin spiegelte, und selbst der dicke Rossemeister summte ein Liedlein vor sich hin, während er die Pferde für den Ritt auswählte. Erstaunt sah Alwig, die von ihrer Morgenandacht in der Kapelle kam, das geschäftige Treiben. Ein freudiges Leuchten ging über ihr Gesicht, als sie den Herrn, den sie noch krank wähnte, so lebensfrisch inmitten seiner Leute

sah, hier dem einen zunickend, dort dem anderen mit einem Scherzwort seine Befehle zurufend. Auch der alte Herr von Geroldseck stand auf seinem Stock gestützt bei den Pferden; zog er gleich nicht mit, so sollte es doch den Schei­

denden an seinem Rat nicht fehlen. Jetzt erblickte Walther das Mädchen und ging auf sie zu. „Es geht zu Felde, kleine Alwig," rief er fröhlich. „Zu Felde, Herr? Aber Ihr doch nicht, mit Eurer Wunde und dem bösen Fieber?

Lasset die anderen ziehen, Herr,

und bleibet Ihr hier!" Die Sorge um ihn blickte ihn an aus ihren lieben Augen. Walther von Geroldseck lachte. „Das ist ein Schelmen­ wort für einen Ritter. Weißt du nicht, daß der beste Bal­ sam für Kampfeswunden ein neuer Krieg ist?" Alwig schüttelte den Kopf. „Ich bin eines Knechtes Kind,

Herr," sagte sie schlicht. „Und so denke ich an Eure Wunden und Schmerzen und nicht an Ehre und Ruhm. Gehet Ihr weit fort?" Der Bischof schwieg eine Weile. Das Mädchen bemerkte

es, und plötzliche Scham über die Unbescheidenheit ihrer Frage zuckte ihr heiß zum Herzen und goß ihr dunkle Röte

über Hals und Wangen. Herr Walther sah ihre Ver­ wirrung; er erriet die Ursache, und es tat ihm leid, sie zu beschämen. Mit rascher Bewegung neigte er sich zu ihr.

„Wir reiten nach Kolmar," sagte er; „aber nun weißt du ein großes Geheimnis, Kind. Hüte es mir wohl. Und noch eines. Ich lasse Lionne deiner Pflege, bis wir wieder kommen. Willst du ihrer warten?" „Wie meines Augenlichtes, Herr," versicherte Alwig. 4

Elfäss. Erzählungen. Bd. io.

49

Es war in der Tat ein kühner Anschlag auf die Stadt Kolmar, den die Bischöflichen mit ihren Freunden geplant hatten. Die ehemals bischofstreue Stadt war durch einen Handstreich des Johannes Rösselmann, der es vom Stadtwaibel zum Schultheiß gebracht hatte, in die Hände der Habsburger geraten, und was an Bürgern den Geroldseckern hold war, saß draußen im Land in der Verbannung und schmiedete Rachepläne gegen das neue Regiment. Die Herren von Wineck waren es gewesen, die heimlich die Ingrimmigen um sich gesammelt hatten; Boten waren hin und hergegangen zwischen ihnen und den Bischöflichen, vor allen die Herren von Lichtenberg und Hans von Wineck hatten sich verschworen, zwischen der Heuladung eines Fuhrwagens versteckt sich in die Stadt einzuschleichen und den Freunden mit Hilfe einiger ebenfalls unzufrie­ denen, aber noch führerlosen Bürger aus dem Innern der Stadt am vorher bestimmten Morgen ein Tor zu öffnen. Die Bischöflichen hatten einige ihrer besten Ritter samt einer Schar von Knappen und Knechten zu senden versprochen, und groß war die Freude der Verbündeten, als sie unter ihnen Bischof Walther selbst, sowie den Dom­ kantor Heinrich und den jungen Ludwig von Lichtenberg erkannten. Beim Morgengrauen des Tages, der zur Ausführung des Planes ausersehen war, saß der Wächter schläfrig an einem der kleinen Tore der Stadt Kolmar. Er war so­ eben zum Turm hinaufgestiegen, um zu sehen, ob draußen nichts Verdächtiges sich rühre, aber friedlich glänzten die Sterne über den Bergen, am östlichen Himmel schon lang-

sam erbleichend.

Nun sah er sich unten um; straßenab

und -auf regte sich nichts. Halb schlafend stieg er die jwei

Stufen zu der offen stehenden Turmstube hinan und setzte sich schwerfällig an seinen Tisch. „Ein langweiliges Amt hier an dieser Pforte," knurrte er vor sich hin; „bei

dem alten Schultheißen waren wir wenigstens unser zwei,

aber dieser hier geizt mit dem Stadtsäckel, als sollte er einmal ganz Kolmar beerben." Aus diesen trübseligen Betrachtungen wurde er durch ein plötzliches Geräusch hinter der Tür aufgeschreckt; er fuhr herum, zugleich nach seinem Messer greifend, aber schon fühlte er sich von jwei

mächtigen Armen umschlungen; eine Hand drückte ihm die Kehle zu, indes ein schwerer Gegenstand auf seine Stirn niederfuhr. Ohne einen Laut von sich zu geben, brach er zusammen. „So," sagte Hans von Wineck, „das wäre gelungen. Nun aber rasch ihn binden und knebeln."

Er schleppte mit seinem Gefährten den Bewußtlosen in die Ecke hinter der Tür, wo sie-ihm Arme und Beine

fesselten und ihm, mit Gewalt die Zähne auseinander­ reißend, einen Knebel in den Mund schoben. „Steh du unten Wache," befahl Hans von Wineck weiter;

er selbst nahm eine Fackel, entzündete sie an dem Talglicht des Wächters, das auf dem Tische blakte, und stieg die Turmtreppe hinan. Auch er spähte oben in das schweigende Land hinaus; bewegungslos lagen die-Fluren in ihre grauen Schatten getaucht. Mit raschem Griff schwang er seine Fackel in die Höhe, dreimal flammte sie Über seinem Haupte auf, dann stieß er sie am Boden aus und wartete.

Ein, zwei Minuten vergingen, dann erstrahlte plötzlich

4'

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ein Feuerfunken aus dem Düster eines kleinen Gebüsches; er erlosch fast augenblicklich wieder, juckte noch einmal empor und versank dann ganz. Dem kühnen Späher stockte eine Sekunde das Herz vor freudiger Bewegung. „So nahe schon," murmelte er, und dann die Treppe hin­ unter springend: „In einer halben Stunde sind sie da.

Jetzt vorsichtig das Tor geöffnet." Es war keine kleine Arbeit und Vorsicht tatsächlich von­ nöten, denn die eisernen Riegel knirschten, und ehe sie die zwei schweren Eichenbalken, mit denen das Tor von innen

verrammelt war, langsam und geräuschlos in ihre Mauer­ löcher jurückgeschoben hatten, stand ihnen der helle Schweiß auf der Stirne.

Schon dämmerte das lichte Grau des

jungen Tages in den Straßen, und der Wächter in der Ecke rührte sich. „Noch einen Laut," raunte ihm der Wi-

necker drohend zu, „und es ist dein letzter gewesen. Hätt ich nicht dein dummes Gesicht schon so oft in unseren Straßen gesehen, so hätte ich dir den Schädel gleich ganj eingeschlagen, mein teurer Herr Mitbürger." „Sie kommen," meldete ihm in diesem Augenblick von oben her sein Gefährte, und fast gleichjeitig öffnete sich

das Tor zur Hälfte, ein Eisenhelm tauchte vor ihnen auf, noch einer, ein dritter und vierter, unaufhaltsam schien die

Dämmerung durch den Spalt des Tores Bewaffnete ausjuspeien. „Die Berittenen sind hinter uns," sprach Walther

von Geroldseck, der als einer der ersten ju dem jungen Winecker getreten war. „Rasch nach dem Rathaus. Gebt das Zeichen!" Das dumpfe Flüster«, das stets eine lautlose Menschen-

menge umgibt, erfüllte den engen Platz. Da wurde in der Höhe an einem der Häuser ein Fenster aufgestoßen. «Jesu, die armen Seelen von Hausbergen!" schrie gellend

eine Frauenstimme, aber schon wurde sie übertönt von einem vielseitigen Lärm. „Bischof von Straßburg, Bischof von Straßburg," riefen

die Eingedrungenen, und da antwortete es aus den be­ nachbarten Straßen, „Hie Bischof von Straßburg!" Aus mehreren Häusern sprangen ebenfalls Bewaffnete herfür, gleichzeitig wurde das Tor ganz aufgesioßen, und Huf­ schlag erdröhnte von draußen. Fenster flogen auf und wurden ebenso eilig wieder zugeschlagen, ein dumpfes

Poliern kam aus den Häusern, dazwischen lautes Geschrei. Die Eingedrungenen stürmten durch die Straßen nach dem Rathaus zu; an einer Biegung stellten sich ihnen drei Männer mit geschwungenen Äxten entgegen, die eine

flog sausend nieder und riß den ersten zu Boden, aber über die Angreifer hinweg wälzte sich der eilige Haufe weiter. Was sonst auf die Straße trat, schien ihrer ge­ wartet zu haben und schloß sich ihnen an. Aus einer Tor­ fahrt brachten etliche Waffenknechte ein paar Pferde, der

Bischof, der junge Winecker und einige andere schwangen sich auf, um schneller das Rathaus zu erreichen. Da er­ dröhnte plötzlich ein dumpfer Laut zu ihren Häupten; die Kolmarer läuteten die Sturmglocken. Mit gewaltigen Erzstimmen wurden die Bürger geweckt, in allen Gassen

ward es lebendig. Wer unbewaffnet auf die Straße trat, wich entsetzt wieder ins Haus zurück vor den «»stürmenden Fremden; andere erkannten unter ihnen einige ihrer ver-

bannten Mitbürger und, im ersten Schrecken alles ver­ loren gebend, schrien sie ihnen zu, ste seien Freunde und traten in ihre Reihen. Hoch über allem Lärm klangen ge­ waltig die Glocken.

Da stockte plötzlich die vorwärtsdrängende Bewegung. An einer Straßenecke stand, den Weg sperrend, ein kleines Häuflein, das von verschiedenen Seiten zusammenge-

laufen war und zusehends wuchs, mit Lanzen, Schwertern und Äxten bewaffnet, etliche im Panzer, andere nur halb

angezogen, wie die Schreckenskunde ste gefunden und auf die Gassen, getrieben, in ihrer Mitte ein kleiner Mann mit wehendem, grauen Barte und mächtigem Blick der Augen, der nach rechts und links Befehle erteilte: Johannes Rösselmann, der Schultheiß der Stadt Kolmar. Sein Haupt war unbedeckt, seine Brust schützte nur schlecht ein halboffenes Eisenhemd, die Linke trug einen kurzen Schild, indes die Rechte das Schwert führte. „Hinter mich, Schult­ heiß," rief einer seiner Gefährten, vor ihn springend, „ich decke Euch!" Aber der alte Mann stieß ihn zurück. „Mich wollen ste haben," knirschte er, „ich fürchte ste nicht!" Einen Augenblick stutzten die Bischöflichen, als ste den un­ erwarteten Widerstand erblickten, dann erhob stch neues Geschrei: „Bischof von Straßburg, Bischof von Straß­

burg!" „Das ist der Rösselmann selber!" Hans von Wineck jauchzte

förmlich auf, dann sprang er mit seinem Rosse auf die Stehenden an. Gleichzeitig drängten die anderen ihm nach; heftig schlugen die Schwerter auf die eisernen Panzer und Buckel der Schilde auf; dem Pferde des Wineckers

fuhr eine Lanze in den Leib, mit wildem Satze sprang es vorwärts und riß im Zusammenstürzen etliche mit sich nieder. „Der Schultheiß fällt," schrien die Kolmarer auf,

aber schnell hatte sich Rösselmann wieder erhoben.

Auch

der Winecker war wieder auf den Beinen; Mann an Mann

rangen die beiden miteinander, ohne Schild, wie zwei losgelassene Eber. Da strauchelte der Alte abermals; fast zu gleicher Zeit sausten des Wineckers Schwert und der

Axthieb eines bischöflichen Ritters — der Meyenriß war's — auf ihn nieder. „Bischof von Straßburg!" schrie Hans von Wineck in wildem Triumph; „hie gut kolmarisch!" Er wollte über die Gefallenen wegstürmen, da ertönte vor ihm ein greller Trompetenklang; aus einer Seitengasse brachen wohl siebzig Schwerbewaffnete; „Habs­ burg, Habsburg!" ertönte es. Wie eine Mauer standen die Kolmarer um die Leiche ihres Schultheißen. Dazu kamen von allen Seiten immer neue Bürger her­ bei; der Ruf „Habsburg, Habsburg!" ward immer lauter. Auch von den Kolmacern waren etliche beritten; an den Fenstern zeigten sich vereinzelt Bogenschützen; von einem Söller flogen sogar Steine und Feuerbrände auf die

Angreifenden hinunter. „Wir müssen durch nach dem Stadthaus," schrie Hans von Wineck seinen Freunden zu, „deckt uns den Rücken!" Er schwang sich auf ein Pferd, dessen Reiter eben, von einem Lanzenstich getroffen, zu Boden gesunken war.

Schon deckten mehrere Leichen die Straße. Nun ertönte auch in der Richtung nach dem Tore zu Trompetenton und das Feldgeschrei der Habsburger.

Die Kolmarer versuchten, die Eingedrungenen von hinten her einzuschließen und gedachten, sie in den engen Straßen wie in einer Falle zu fangen. Heinrich von Geroldseck erkannte die Gefahr. „Den Rücken frei halten!" gab er Befehl, dann sprengte er selber durch die Schare» der Bischöflichen in der Richtung nach dem Tore zurück. Ihm folgten Bischof Walther und der junge Lichtenberger, der nicht von seiner Seite wich. Vorne rangen Kolmarer wider Kolmarer an der Leiche des Rösselmann, allen voran Hans von Wineck und sein Freund, der Herr von Hausen. Am Tore fanden die Geroldsecker die letzten der Ihren in schwerer Bedrängnis. Der Sohn des Schultheißen führte hier die Streitbaren aus mehreren Gilden, vornehmlich die Metzger, von denen sich etliche in der Eile mit ihren Beilen und Schlächtermessern bewaffnet hatten und gewaltige Streiche führten. Sie hatten den Wart­ turm besetzt und den geknebelten Wächter losgebunden, der nun in lautem Geschrei seine wiedererlangte Stimm­ freiheit betätigte. Das plötzliche Erscheinen des Bischofs machte Freund und Feind zuerst eine Weile stutzig; dann aber ward die Kunde von dem Fall des Schultheißen unter ihnen ruchbar. Wie wilde Tiere stürzten sich die Kolmarer aufdie Bischöflichen; der junge Rösselmann, von Zorn und Schmerz geschüttelt, hatte Herrn Walther am Beine ge­ faßt, um ihn vom Pferde zu zerren und zum Zweikampf zu zwingen. Da ihm dies nicht gelang, sprang er mit der Kraft der Verzweiflung hinter ihm auf, und, ihn um­ schlingend, suchte er mit dem langen Messer eine Blöße zwischen den Rmgen des Panzers. Der Bischof, durch die

Rüstung und zugleich durch seine noch nicht ganz geheilte Wunde behindert, erwehrte sich seiner nur schwer. Da sah Heinrich von Geroldseck die Gefahr; sein Pferd an das seines Herrn drängend, packte er den Angreifer und riß ihn von Walther weg. Der junge Rösselmann stach um sich; sein Messer fuhr zwischen Halsberg und Rüstung des Dom­ kantors durch, doch ohne ihn zu verletzen. Aalgewandt glitt nun der waffenlose Kolmarer zu Boden und ver­ schwand im Getümmel. Mit einem Fluche auf den Lippen zog Heinrich von Gerolbseck das Messer heraus und schleuderte es von stch. Sein Gesicht war leichenblaß, als schüttelte ihn ein inneres Grauen über die Waffe, die ihm so hart am Leben vorbei­ gegangen war. Zugleich sah er sich nach dem Bischof um; rechts und links war er von Feinden umgeben, die ihn von den übrigen abgeschnitten hatten. Herr Walther kämpfte schon mit wenigen der Seinen im Torweg, fast hatten ihn die Kolmarer vor die Stadt hinausgedrängt. Heinrich gab seinem Pferde die Sporen, es flog vorwärts, einige Angreifer zu Boden reißend. Mit drei Sätzen war er an der Seite des Bischofs, fast gleichzeitig schlugen hinter ihnen die Torflügel zu. Vor ihnen flohen schon etliche der Ihren den Weg zurück, den sie gekommen, und von oben her schwirrten Pfeile und Lanzen um sie. „Die drinnen sind verloren," rief Ludwig von Lichtenberg, „Vorwärts, ihr Herren!" Von Geschossen und Hohngeschrei vom Turme her begleitet, flohen sie die Straße entlang, die einzigen, die der Rache der Kolmarer entkamen. Es war am Abend desselben Tages, als ein kleiner Trupp

müder Reiter in einer Talschlucht in der Gegend von St. Pilt Halt machte. Schweiß- und schmutzbedeckt standen die ermatteten Pferde mit jitternden Flanken unter den Tannen am Waldesrand; die Männer ließen sich neben ihnen ju Boden fallen. Das fahle Licht des Mondes spielte durch die Zweige und warf helle Streifen über ihre Gestalten. „Beim Morgengrauen geht es weiter," sprach Bischof Walther zu seinen Begleitern, und dann, zu Ludwig von Lichtenberg gewandt: „Wo ist die Hütte, von der Ihr mir spracht?" Seine Stimme kam leise und klanglos, wie die eines gänzlich Erschöpften. Der Lichtenberger wies nach einer kleinen Baumgruppe, zwischen der sich undeutlich das braune Stroh eines nie­ deren Daches erkennen ließ. „Es sind Holzhauer," sagte er, „dem Herrn von Tierenberg verpflichtet. Wir haben schon einmal bei ihnen gerastet, als uns ein Wetter im Walde traf. Wenn Ihr erlaubet, gehe ich als Euer Quar­ tiermacher voran." Herr Walther nickte nur. Eine Viertelstunde später, nach längerem Verhandeln mit den Leuten, die zuerst nicht öffnen wollten, betrat er mit Heinrich von Geroldseck und dem Lichtenberger die Hütte, indes die Übrigen im Freien lagerten. Man richtete dem Bischof aus Decken ein Lager her; die beiden anderen beschlossen, sich in die Nachtwache zu teilen. Auch Walther wollte sein Teil aufbleiben, allein sie litte« es nicht. „Ihr seid ermattet, Herr, und Eure Wangen brennen im Fieber. Dazu ist der Weg morgen lang und unsicher. Legt Euch zur Ruhe."

Ludwig von Lichtenberg blieb in der vorderen Stube mit den Holzhauern, der Domkantor geleitete seinen Herrn in den hinteren Teil der Hütte, einen ärmlichen Raum, wo einige Decken über das Stroh des Bodens gebreitet waren. Ein Tisch, auf den die Leute einen Krug Milch gestellt hatten, und ein niederer Schemel war alles,

was sich in der Stube befand. Durch das einzige schmale und hochgelegene Fenster schien der Mond zu ihnen herein. Erschöpft ließ sich Walther auf das Lager sinken. Heinrich von Geroldseck half ihm die Panzerringe lösen und den Helm vom Haupte nehmen. Als seine Hand dabei die des Bischofs berührte, hielt dieser sie fest. „Heinrich,"

sprach er weich, „Euch danke ich heut mein Leben. Die Worte sind zu arm, um meine Schuld an Euch abzutragen. Ich bin fast noch ein Knabe, Ihr seid ein gereifter Mann. Darf ich Euch Freund nennen?" Ein seltsames Zucken ging über das sonst so unbewegliche Gesicht seines Ge­ fährten, einen Augenblick schien es, als wolle er dem Bi­ schof zu Füßen sinken, dann sagte er langsam und mit abgewandten Augen: „Ihr seid mein Herr. Ich habe nur Mannenpflicht getan. Laßt es gut sein." Walther wurde lebhafter. „Nein, nicht so," rief er, noch

immer Heinrichs Hand festhaltend; „Du glaubst, ich könne nicht vergessen, daß Du bei der Wahl einst mein Gegner gewesen. Ich weiß, böse Zungen flüstern Dir das zu. Du, seit meines Bruders Tod der Treueste meiner Ge­ treuen! Du solltest großmütig dein Leben für das meine in die Schanze geschlagen haben und immer nur den Herrn in mir sehen? Wenn dieser neue Unglückstag mir

eine» Freund gebracht hat, so will ich ihn leichtlich ver­ schmerzen." Seine blauen Augen, in denen das Fieber glänzte, schauten mit einem eigenen, fast kindlichen Aus­ druck auf den reifen Mann an seiner Seite. Der Domkantor hatte noch immer die Augen abgewandt. Dann aber sah er seinem Herrn voll und anscheinend ruhig in die Augen. „Wenn es Dein Wille ist, Walther," sprach er, „so sei es. Getreuer als ich Dir bis zu dieser Stunde gedient habe, kann ich es doch darum nicht tun." „Laßt uns gemeinsam das nächste überdenken," bat der Bischof, ihn neben sich ziehend; „wer weiß, wann uns das Schicksal wieder solch eine ungestörte Stunde be­ schert. Seit meine Glieder ruhen, ist mir, als habe mein Geist alle Müdigkeit abgeschüttelt." Heinrich von Geroldseck setzte sich zu Häupten des Bischofs auf das Stroh des Lagers. Der Mond schien voll auf Herrn Walthers Züge und gab ihnen ein seltsam scharfes Aussehen; das Gesicht des Domkaytors war im Schatten. Es war, als wolle er verbergen, was darauf im Wider­ schein seines Innern zu lesen war. „Sie brachten mir Kunde, daß König Richard den deut­ schen Boden betreten hat und am Rhein weilt," begann er. „Die Straßburger warten schon lange auf ihn, um ihn für ihre Sache zu gewinnen. Wir müßten ihnen zuvor­ kommen, oder doch wenigstens gleichzeitig mit ihnen einen Sachwalter am Hofe haben." Walthers Gesicht verfinsterte sich. „Es widerstrebt mir, diesen fremden Engelländer als meinen Herrn avzusehen und mein gutes Recht aus seiner Hand zu empfangen."

„Er ist erwählter deutscher König." „Sag lieber, erkaufter. Alles ist jetzt feil, sogar des heiligen römischen Reiches Krone." „Und doch, selbst wenn Richard uns nicht nützen kann,

so kann er uns doch allzuviel schaden, als daß wir uns nicht um ihn kümmern sollten. Fällt sein Spruch zu Gunsten der Straßburger, so haben wir das ganze Reich wider uns." „Wie könnte ec zu Gunsten der Straßburger fallen?"

rief Bischof Walther lebhaft, „Kann eines Königs Spruch

das Recht dec Jahrhunderte verkehren? Solange es Bischöfe in Straßburg gegeben, habe» sie die Juden ge­ schätzt und die Stadtcichter ernannt. Daran ist nicht zu

deuteln und zu rütteln. Aber freilich, ein König, der sich den Thron erkauft, und die Städte sind reich! O der Schmach und Schande!" "Eben dgrum laßt uns einen klugen und vorsichtigen Kopf hinschicken, der unsere Sache zu führen und König Richard den Vorteil zu zeigen weiß, auf unsere Seite zu treten." „Wo fände ich einen klügeren und treueren Berater als dich, mein Freund?" sprach warm der Bischof. „Ich wüßte keinen, der das Wort so geschickt zu führen und weise jeden

Vorteil auszunutzen verstände. Das Reden und Ver­ handeln ist meine Sache nie gewesen; du bist ein geborener Staatsmann." Heinrich von Geroldseck wehrte ab. „Schicke deinen Vater. Sein Ansehen ist groß bei de» Fürsten." Der Bischof schüttelte den Kopf. „Er ist zu heftig, und das Schwert sitzt ihm zu locker in der Scheide. So sind sie alle meines Geschlechtes. Auch ist die Reise weit und beschwerlich.

Zwar sende ich Dich ungern so lang von mir, allein ich

sehe keinen anderen Weg. Ja, wäre nicht der Werde mir gefangen im Turm zu Straßburg!" „Sie halten sie beim Bruderhof in Haft," sprach der

Domkantor. Walther nickte lebhaft. „Auch das will ich mit Dir besprechen, Heinrich. Mir sandte der alte Lichten­

berger einen Boten mit einem geheimen Schreiben. Es scheint, wir sind auch in der Stadt nicht ganz an Freun­

den arm. Im Rate sitzt Herr Lutz von Müllenheim, ein kluger und vorsichtiger Mann, der mit stillem Ingrimm das Regiment des alten Zorn und seiner Gesellen sieht.

Er war ein Waffenfreund des Lichtenbergers, hat sich auch jeder Einmischung in unseren Streit enthalten und sich

am Tage von Hausbergen krank ins Bett gelegt, um nicht

fechten zu müssen. Offün zu uns zu halten, wagt er nicht, denn es geht ihm wie -em Jüngling im Evangelio, er ist reich an Besitztümern. Zu geheimer Hilfe wäre er aber wohl zu haben." „Und was erhoffst du von ihm?" „Don dem Lutz von Müllenheim hat einst in jungen Jahren der Lichtenberger ein seltenes Geheimnis erfahren. Da waren einige seiner Mannen von den Straßburgern ge­ fangen und saßen in demselben Turm beim Bruderhof,

wie jetzt der Werde, der Schultern und all die Unseren. Unter dem Dormitorium aber, worin man sie ge­ bunden hat, ist ein großer Keller noch aus der alte« Heidenzeit, von dem führt ein versteckter Gang un­ ter der Stadtmauer durch ins Freie.

heim

haben

die

Kenntnis

sorglich

Die Müllen­ verborgen und

gehütet für Zeiten der Not; im Rate weiß niemand mehr davon." „Und sind die Lichtenberger Mannen auf diesem Wege entkommen ?" forschte Herr Heinrich. Der Bischof schüttelte den Kopf. „Es wurde Friede geschlossen, und sie wurden ausgelöst, noch ehe ihnen das Geheimnis verraten ward. Auch jetzt hat sich der Lichtenberger erst dazu entschlossen, es mir preiszugeben, als er sah, daß von der Halsstarrig­ keit der Straßburger nichts zu erreichen war, denn ein heiliger Schwur bindet ihn an den Müllenheim, und nur in großer Not darfeiner diesen Weg in die Freiheit gehen. Es liegen die alten Römer dort unten begraben." „Weiß Ludwig von Lichtenberg um das Geheimnis?" fragte Heinrich. Herr Walther verneinte. „Sein Vater empfahl mir strenge, ihn nicht ins Vertrauen zu ziehen. Er ist tapfer und treu, allein er weiß seine Zunge nicht zu zähmen, und schon mehr denn einmal hat ein unbedachtes Wort von ihm groß Unheil gestiftet." „Mich freut die Vorsicht des Alten," sprach Heinrich. „Mich freut sie nicht," erwiderte der Bischof, „wer mag Freude finden in einer Welt, wo selbst der Vater seinem Sohne mißtraut. Lieber mag mich einmal ein- falscher Freund verraten, als daß ich immer Arges denken sollte von denen, die mir nahe sind." Herr Heinrich schwieg. Sein Blick schweifte hinaus durch das schmale Fenster in die fahl glänzende Mondnacht, die die Fluren mit ihrem unirdischen Lichte überflutete. „Was hälst du von dem Plane?" fragte der Bischof nach einer Weile.

„Er ist abenteuerlich," sprach nachdenklich der Domkantor; „allein mit des Müllenheim Hilfe nicht unmöglich. Wenn ihn nur sein Geheimnis nicht betrogen hat! Doch warum sollte es nicht sein? Gerade am Münster ist die Stadt geheimer Kammern und Gänge voll; hat mir doch mein Vater erzählt, ein Strom flösse in der Tiefe unter dem Chore weg, und in manchen Kellern am Dome könne man sein Rauschen hören. Vor allem müßte man mit Herrn Lutz ins Einvernehmen treten und einen sicheren Mann nach Straßburg hineinschicken." Er sann eine Weile nach. „Die uns treu sind, kennt in Straßburg jedes Kind. Sich einschleichen wie der Hans von Wineck in Kolmar getan, ist zn gefährlich; er hatte der Freunde in allen Gassen, die ihn versteckten; wir haben nur den einen, und wer weiß, ob der uns sicher ist." „Der Lichtenberger bürgt für ihn," unterbrach ihn Herr Walther. „Auch kenn ich ihn selber als wohlmeinend und klug." „Ich will Dir einen Vorschlag machen," sprach Heinrich weiter. „Schick Deinen Arzt, den Juden. Er ist mir er­ geben mit jedem Tropfen seines Blutes, seit ich einmal sein Weib aus roher Buben Hand befreit habe. Auf ihn werden die Straßburger keinen Verdacht haben; solch Geschmeiß pflegt nicht die Geheimnisse der Fürsten zu hüten und ihre Botschaften zu tragen. Ihn mag auch der Müllenheim leicht mit einer Nachricht an uns zurückseaden, und in seiner Judengasse ist er sicherer versteckt als in des Müllenheim Kellern. Schick ihn zu mir, eh ich zum König

Richard fahre; er ist zuweilen furchtsam und träge, aber

ich versteh die Kunst, ihm Beine zu machen." Der Bischof überlegte eine Weile. „Sei es so, mein kluger Freund," sprach er dann lächelnd. „Du bist der Kopf, das Schwert will ich schon sein." „Deine Wangen brennen im Fieber, Herr, und Deine Glieder sind müde. Laß mich nochmals erwägen, was wir gesprochen, und suche du die Ruhe!" Gehorsam wie ein Kind schloß Walther die Augen. Es tat

ihm wohl, den Mann, dem er das Leben dankte, um sich sorgend zu wissen, und der Gedanke, einen Freund an dem Gereiften gewonnen zu haben, half ihm hinweg über den bitteren Mißerfolg der Tages. Bald kündeten seine ruhigen Atemzüge den Schlaf. Der Mann, in dessen Hände er sein Herz gelegt, saß »och immer regungslos zu seinen Häupten; allein sein Gesicht trug nicht mehr den strengen, gehaltenen Ausdruck, der

ihm sein eigenes Gepräge gab. Seine Lippen waren fest zusammengepreßt; ein düsteres Feuer loderte aus seinen Augen und zuckte durch seine Züge. Es war, als spiele sich ein furchtbarer Kampf in seinem Innern ab, doppelt furchtbar, weil er so regungslos da saß und nur sein Ge­ sicht zerwühlt wurde von dem, was in ihm rang. Seine Blicke suchten das stille Gesicht des Schläfers; sein Atem

ging schwer. „Knabe," sprach er in seinem Innern, „törichter Knabe, in wessen Hand hast Du Dich begeben! Mich, den Elendesten

Deiner Diener hast Du zu Deinem Freunde gemacht! Soll der alte Kampf nie aufhören, nein, nur noch schrecklicher

werden, da ich Dein Vertrauen habe?" Ein Stöhnen trat auf seine Lippen, allein er preßte die Zähne aufeinander, um den Laut in seiner Brust festzuhalten. „Kann ich die Schlange in meinem Innern erwürgen, die jeden Morgen neu den Kopf erhebt und mir zuzischt, daß Du meinen Platz inne hast, den Platz, der schon fast der meine war! Und wenn Du ihn ausfüllen könntest, oh, dann wäre es noch zu ertragen. Aber zu sehe«, wie Deine ohnmächtige Kinderhand das Roß nicht zügeln kann, und zu wissen, daß ein Ruck der eigenen starken Faust genügen würde, es zu zähmen, und nicht zu dürfen! Wahrlich magst du mich den treuesten der Deinen nennen, denn wenn Dir einer mit seinem Herzblut dient, so bin ich es. Und doch, wirf mich in den Turm, laß mich in Ketten legen, mir wäre wohler. Segnen würde ich Dich, wolltest Du mich hassen, hassen nicht für das, was ich getan, aber für das, was ich gedacht, was ich denke, was ich denken werde, solange wir beide auf dem gleichen Boden stehen!" Seine Hände krampften sich ineinander. „Warum habt ihr mich nicht gehört heute, morgen, ihr Heiligen, als ich zu euch schrie in meiner Not? Als ich den Rösselmann packte, der nach seinem Leben zielte, und dem Himmel anbot, er oder ich! Für beide ist nicht Platz, laß mich sterben für ihn, als Sühne für das, was ich gedacht! Sterben, weil der Kampf über meine Kraft geht! Warum habt ihr mich nicht gehört, ihr Heiligen! Wir leben beide, und die alte Schlange zischt wie vordem. Gibt es im Himmel kein Erbarmen?" Noch immer bohrten sich seine Blicke in des Bischofs Ge-r

ficht; es schien, als würde es fahl und spitz unter ihrer Glut, nur auf den Wangen brannten die Fieberflecken. Jetzt wurde Herr Walther unruhig, ein trockner Husten schüttelte ihn. Er erwachte halb; seine Hand tastete nach seinem Tüchlein; der Domkantor reichte es ihm schweigend. Eine Weile drückte es der Bischof an seine Lippen, dann sank die Hand herab, er schlummerte weiter. Ein roter Streifen leuchtete im Mondenschein auf dem weißen Tuche. Herrn Heinrichs Augen weiteten fich, ein Grauen kroch über seine Glieder, als ginge das Schicksal, das er soeben angerufe«, unsichtbar durch die stille Kammer. Er beugte sich herab, um besser ju sehen, er hob vorsichtig das Tuch in den Strahl des Mondlichtes, seine Hände zitterten da­ bei. „Blut", stammelte er, „Blut"! Er stand auf, ging ans Fenster und legte die brennende Stirn an das kalte Eisen des Gitters. „Ich bin wahnsinnig", sprach er zu sich selbst, „und doch, wenn das die Krankheit des Bischofs ist, dann ist er ein Gezeichneter. Dann diene ich einem Sterbenden." Er trat zurück ans Lager; friedlich lag der Schlafende da; als hätte ihn ein Nachtgestcht geäfft, breitete sich jetzt ein frischer Hauch der Gesundheit über seine Züge. Allein die roten Flecken auf dem Tuche waren nicht verschwunden. Es litt den Domkantor nicht länger in der Stube. Fast heftig stieß er die Tür zum Nebenzimmer auf, wo Ludwig von Lichtenberg mit de« Holzhackern saß. „Ich habe aus­ geschlafen," sprach er rauh; „geht Ihr hinein und ruhet nun, Herr Ludwig!" Und während -er müde Lichten­ berger zum Bischof hineinging, sah er finster an der offenen

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Tür vorbei hinaus, wo das erste Morgengrauen langsam

über die Fluren stieg.

5. Im Torwege von Hohbarr stand Bischof Walther mit seinen Freunden Mürnhart und Wolfhelm Meyenriß und sah Mit leisem Lachen in den Augen seinen fortreitenden Boten nach. Auf flinken Rossen, die sie aber stramm im

Zaume hielten, saßen zwei Lanzenknechte, aufrecht und ge­ rade, als hätten sie einen Speerschaft im Leibe; ste fühlten wohl, daß die Blicke ihres Herr» auf ihnen ruhten. Hinter

ihnen trabte gemächlich ein Esel; er nickte bei jedem Schritte mit dem Kopfe und drehte das eine Ohr dabei wie den Flügel einer Windmühle nach allen Seiten, das andere hing schlaff herab. Auf seinem Rücken saß zwischen Kästen und Säcken mit hochgezogenen Beinen eine kleine Gestalt in ein weites, farbiges Gewand gehüllt und die gelbe

Mütze auf dem Kopfe: Moses von Benfeld, der schweren Herzens und betrübten Mutes seine neue Reise avgetreten Er hatte alle Patriarchen und Propheten seines Stammes angerufen, als ihm Herr Walther mitgeteilt hatte, zu welchem Plane er ausersehen sei, zugleich aber eine so rasche Auffassung und bedächtige Schlauheit bewiesen, daß der Bischof sich sagen mußte, der Domkantor hatte tat­ sächlich keinen besseren Boten finden können.

Als die drei an der Biegung der Waldstraße angekommen waren, wandte fich der Jude noch einmal nach der Burg zurück. Er verneigte fich, so gut es ihm seine gekauerte Stellung erlaubte, und legte dabei die Hand mit einen

so feierlichen Gebärde aufs Herz, indes die Mütze ihm halbwegs vom Ohr herunterrutschte, und bot dabei einen so seltsamen und lustigen Anblick, daß die Herren am Tore in helles Gelächter ausbrachen. „Ein würdiger Gesandter," rief spottend Herr Meyenriß, der nicht wußte, in welcher Angelegenheit Moses gen Mols­

heim fuhr. „Ist es denn wirklich nötig, daß dieses Bündel Jammers auf seinem Esel mit seiner Gegenwart Eure guten Reiter verunziere und belästige?" „Ich fürchte nur, unsere guten Reiter werden den Juden mehr belästigen als er sie," scherzte der Bischof. „Ich habe ihnen zwar strengen Befehl darwider gegeben, aber das hält bei so losem Volke nicht lange vor. Übrigens, Herr Meyenriß, ich wollte, einer von uns besäße die Erfahrenheit und List, die dieser Mann hinter seinem lächerlichen Äuße­

ren versteckt, gar nicht zu reden von seinem Gelde und seinen Heilkünsten. Nur wenn er mit Lanzenknechten zu­ sammen reiten soll, dann verliert er den Kopf!" Sie lachten noch, als Alwig mit freundlichem Gruße aus dem Hause trat. Sie wollte an den Herren vorbei zum Brunnen gehen, aber Herr Walther rief sie an. „Was

macht meine Lionne, kleine Alwig? Futter gehabt?"

Hat sie schon ihr

„Ja, Herr," erwiderte das Mädchen, das noch immer des

Hundes pflegte; „über ein kleines will ich sie mitnehmen in den Wald, der Morgengang ist immer ihre größte Freude." „Der Tag ist so golden," sprach Bischof Walther, „und unsere Sorgen und Geschäfte habe» wir für eine Weile

mit dem Juden gen Molsheim reiten lassen. Wie wär's, Ihr Herren, wenn wir mit hinauswanderten in den Wald ?" Es war ein ungewöhnlicher Vorschlag, denn sonst pflegte Herr Walther nur hoch zu Roß, dem edlen Weidwerk nachgehend, seine Wälder z« durchstreifen; da indes keines Feindes Nähe zu befürchten, und andererseits ein friedlicher Gang durch den Wald nach der Mühe und Aufregung der letzten Tage ein Labsal schien, so ward er gerne ange­ nommen. Alwig holte das Windspiel und gab dem Vater Bescheid, und bald schlug der Wald seine sonnendurch­ fluteten Schatten um sie. Es war ein lichter Junimorgen, noch jung und taufrisch; die Vögel sangen aus allen Zweigen, und aus dem hellen Grün am Boden leuchteten rot die ersten Erdbeerfrüchte. Alwig lief mit leichter Fröhlichkeit voraus, die süßen Beeren

in ihr Körbchen zu pflücken; der Hund jagte sich bald vor, bald hinter ihnen mit seinem Schatten. Bischof Walther und seine Gefährten gingen langsam über den hellen Sand des Waldweges. An einer Biegung blieb das Mädchen plötzlich stehen und legte den Finger auf den Mund. Dann winkte fle den anderen, leise näher zu kommen. Was sie da sahen, war avzuschauen wie ein Wunderbild aus dem Paradiese. Auf einer kleinen Lichtung stand zwischen den gelben Ginsterbüschen, vom vollen Lichte der Morgensonne umflutet, ein Mann im schlichten, braunen Mönchsgewand. Sein Haupt war geneigt, sodaß man die Züge nicht erkennen konnte; eine ruhige Würde lag über seiner Gestalt. In der Hand hielt er ein Stück Brot, und

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jwei scheckige Rehkälbchen schnupperten daran, indes die Mut­ ter einige Schritte entfernt an einem Baume stand und mit klugen und wachsamen Augen die kleine Szene beschaute.

„Ein Heiliger," flüsterte Alwig mit klopfendem Herzen. Das Reh mochte einen Laut vernommen haben, es hob den Kopf, stand noch einen Augenblick regungslos, dann

verschwand es mit raschen Sätzen im Walde, ihm nach die beiden Jungen. Der Mönch blickte verwirrt um sich. „Bruder Franz"! rief Alwig lebhaft. Sie hatte ihren

Beichtiger erkannt. Eine Bewegung ging durch die kleine Gruppe, der Zauber war gebrochen.

Der Franziskaner war der erste, der sich faßte. Er ging schlicht auf den Bischof zu, nahm seine Hand und küßte den Ring daran. „Gott zum Gruße," sprach er dabei. „Grüß Dich Gott, du glücklicher Mann," erwiderte Herr Walther freundlich; „du magst wohl mit den Tieren des Waldes spielen, statt die Sorgen eines ganzen Landes zu tragen und der Welt Händel ausfechten zu müßen, wie ich." Bruder Franz sah den Bischof mit dem großen und reinen Blick seiner Augen voll ins Gesicht. „Der Herrgott hat Wald und Flur und alles Getier zu Eurer Freude er­ schaffen, so gut wie zu meiner," sprach er. Bischof Walther seufzte. „Aber Gott hat auch Sorge und Leid und Kummer erschaffen, und wo die laut zum Herzen reden, da hört es nicht mehr die feinen Stimmen in Wald

und Heide." „Es gibt nur eine Sorge und ein Leid auf dieser Welt,"

sprach ernst der Mönch; „das Böse tun." „Willst Du Deinem Bischof predigen?" rief rauh Herr

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Meyenriß dazwischen, aber Walther besänftigte ihn. „Scheltet ihn nicht, Wolfhelm. Ich liebe das Kleid, das er trägt, und den wundersamen und heiligen Mann, der seinen Orden gestiftet. Setze Dich zu mir auf jenen Stein, Bruder, und sage mir, wo ich Dein Gesicht schon gesehen habe. Mir deucht, ich hätt' es gekannt, noch ehe die Kutte es umgab, und es trug keinen schlechten Namen." Allein der Mönch folgte seiner Aufforderung nicht. Er blieb im Sande des Weges stehen, indes Alwig sich zu Füßen ihres Herrn im Grase niederließ und mit großen, ernsten Augen zu dem Bruder aufsah. Ein Lächeln umspielte die Lippen des Franziskaners. „Der Name, den ich einst trug, war kein schlechter," sagte er, „denn meine Mutter trug ihn. Aber der, den ich jetzt trage, ist besser, und darum will ich den ersten vergessen. Fraget nicht weiter!" „Du bist so jung nicht mehr, Bruder Franz," hub der Bischof wieder an, „und mußt die Welt und ihr Leben wohl gekannt haben, ehe du dies Kleid genommen. Du mußt auch wissen um ihre Schmerzen und ihre Not. Willst du die leugnen?" Der Mönch trat näher an Herrn Walther heran. „Warum hängt Ihr Euer Herz an das, was Schmerzen und Not macht, Herr ? Als ich Haus und Hofund weltlich Gut hatte, trug ich viele Beschwerde, und mein Weg lag oft im Dun­ keln. Da sprach der Herr zu mir: Verkaufe, was du hast und gib Dein Gut den Armen. Da ward mein Herz leicht und ledig, und Freude hatte ich mir erhandelt." „Du redest, wie es einem Mönche ziemt, des Tagwerk ist

jtt beten und zu betteln. Ich aber bin Bischof und Herr. Es ist ein Amt so mir Gott gegeben. Ich kämpfe nicht um Land und Habe für mich, sondern für das Recht meiner

Vorgänger auf dem Stuhle des heiligen Arbogast, auf daß es denen bleibe, die hinter mir kommen. Kann ich

diese Bürde abschütteln und feige fahren lassen, was Gott mir gegeben, um meiner Ruhe willen?" „Bischof von Straßburg", erwiderte ernst der Bruder. „Du und ich, wir sind nicht wie die anderen. Du trägst auch ein heilig Gewand. Und was dir Gott in deine

Hand gegeben, sind die Seelen der Menschen. Warum kämpfst du wider ihre Leiber? Gehe hin, verkaufe, was

du hast und folge dem Meister nach!" Leise und eindringlich hatte er geredet, und der Wieder­ schein seiner Worte juckte auf des Bischofs beweglichen Zügen. Aber dann schüttelte Herr Walther den Kopf. „Eines Bischofs Amt ist nicht, wie du denkst, Bruder. Er trägt nicht nur Kreuj und Ring, sondern auch den Herrscherstab. Ich kann nicht Leib von Seele trennen bei den Straßburgern. Sie haben das Schwert geführt wider ihren Herrn und edlen Blutes viel erschlage». Soll ich, was sie gesündigt, durch Nachgiebigkeit und Frieden lohnen ? Deine Predigt ist gut für Bauern und Knechte. Doch — ich vermag Dir nicht zu zürnen, seltsamer Mann. Erbitte

Dir eine Gunst von mir!" Der Mönch trat jurück. „Ich habe schon um eine Gunst gebeten, nicht für mich, aber für Eure eigene Seele. Ihr habt sie mir versagt. Noch habt Ihr nicht genug gelitten, Herr Bischof von Straßburg!"

Er wandte sich jum Gehen. Nach ein paar Schritten wandte er sich noch einmal um und sah Herrn Walther an mit einem Blicke von Trauer und Schmerz. Dann ver­ schwand er im Walde. Bischof Walther und seine Ge­ fährten sahen ihm eine Weile schweigend nach, dann sagte Herr Meyenriß, der den Mönchen nie hold gewesen, den einen, weil sie so viel schönen und guten Landes in Be­ sitz hatten, den anderen, deren Orden seit einiger Zeit an­ fing, sich im Lande breit zu machen, weil sie Vorgabe», diesen selben weltlichen Besitz zu verachten: „Herr Bischof, Ihr seid ein guter Ritter und werdet Euch durch dieses Bettelmannes Rede wohl nicht erschrecken lassen. Pfui über ihn, so er einst selber Haus und Hof besessen und es Freunden gegeben, um so wie ein schlechter Tor im Lande umherzufahren!" Herr Walther lächelte ein wenig verträumt. „Das ver­ steht Ihr nicht, Wolfhelm. Es gibt noch andre Dinge über der Erde als Essen und Trinken und um einer guten Sache willen m»t dem Schwerte dreinhauen. Aber das ist nicht für alle. Warum sollen wir die tadeln, die ein ander Teil erwählt haben als wir? Laß mir den Bruder Franz in Frieden; wenn selbst die scheuen Tiere des Waldes Freund­ schaft mit ihm halten, so ist er sicherlich kein schlechter Mann. Was dünkt dir von seiner Rede, Alwig?" Das Mädchen hatte die Hände im Schoße gefaltet und sah mit ihren großen Augen still vor sich hin. Jetzt wandte sie dieselben auf den Bischof, und dieser konnte eine tiefe Bewegung darin lesen. „Herr," sprach sie zögernd, „mir dünkt, der Bruder hat nicht für Euch geredet, wohl aber für

mich. Ich Bitt es, an die der Ruf des Herrn ergangen durch meiner Mutter Gelöbnis, und das Glück des geistlichen Lebens, von dem Bruder Franz sprach, ist lange das meine gewesen. Wie schlecht und weltlich bin ich geworden, seit ich das Kloster verlassen!" Große Tränen standen in ihren Augen. „Aber Mägdlein," tröstete der Bischof, „du hast ja kein Unrecht getan. Und deiner Kindespflicht willen bist du mit schweren Herzen in die Welt zurückgekehrt, und wenn­ gleich dein Vater für dich die Lösung von dem Gelübde begehrt bei mir, so ist noch nichts geschehen. Sprich nur ein Wort, und ich weigere dich deinem Vater, denn du bist alt genug, selber für dich zu entscheiden, und wenn deine Seele nach dem Kleide der Nonnen verlangt, so , wird sich schon Abhilfe für die Deinigen finden lasten, daß sie nicht mehr wider dein Begehren sind." „Nicht das ist mein Kummer," erwiderte das Mädchen, „sondern baß ich so ganz meines Berufes vergessen konnte. Als ich zuerst St. Stephan verließ, vermeinte ich zu sterben vor Herzeleid und dachte an nichts anderes als an den Tag, da ich in mein Kloster zurückkäme. Nun sind erst wenig Monde verstrichen, und ich habe mich gewöhnt an das, was mir so schwer zu ertragen dünkte, und wenn ich mit Lionne durch Wald und Mur gehe oder nach meiner Arbeit im Torweg sitze und höre von ferne Euer Roß wiehern, oder Ihr erzählt mir von allem Schönen und Bunten in der weiten Welt, so meine ich, das Leben sei gut und freundlich zu mir auch hier draußen, und ich denke nicht mehr zurück an den Ort, wo ich hingehöre."

„Laßt Euch das nicht betrüben, Jungfrau," mischte sich jetzt auch Herr Mürnhart ins Gespräch; „Ihr seid jung, und Eures Atters ist es, daß Ihr Euch freut. Mit Euer« Klosterberuf hat es keine Eile; gefällt es Euch in der Welt, ei, so danket Gott, daß der Bischof Eurer Mutter Ge­ lübde lösen kann, und kehren Euch allmählich Lust und Liebe zu St. Stephan zurück, so ist es immer noch Zeit, es Eurem Vater zu sagen." „Das war ein rechtes Wort, Mürnhart," lobte Herr Wal­ ther „gräm dich nicht, Alwig, wenn dir das leicht fällt, was dir zuerst eine unerträgliche Bürde schien, und laß noch eine Weile verstreichen, ehe du über die Zukunft beschließest. Was sollte denn aus mir und meiner Wunde werden, wenn meine Pflegerin schon gleich wieder fort wollte ins Kloster?" setzte er scherzend hinzu „und wer soll Vater Meinhart die Rüben schälen und Lionnes war­ ten?" Alwigs Tränen waren schon getrocknet; mit einem Lächeln erhob sie sich, den Heimweg anzutreten. Wie ein Wolkenschatten am Mittag über die Flur, so waren die Worte des Bruders über ihre arglose Seele dahingegangen, vom Sonnenschein freundlicher Rede rasch verscheucht. Um sie alle lachte ja der Frühling. Am Abend desselben Tages wartete in der Burg zu Dach­ stein Heinrich von Geroldseck auf den Boten seines Bi­ schofs. Er saß in der Nische am Fenster und diktierte seinem Schreiber, einem Mönche, einen Brief, langsam und sorgfältig jedes Wort aussprechend, aber jedes nur einmal. Wenn 4er junge Mönch, dessen rundes, einfäl­ tiges Gesicht vor Eifer glühte, einmal den Faden des Ge-

dankens verloren hatte, so wartete der Domkantor schwei­ gend und geduldig, aber ohne je seine Worte zn wiederholen, bis der andere den Text in seinem Gedächtnisse wiederge­ funden hatte. Er wollte sich einen guten Schreiber er­ ziehen und führte es auch aus. Niemand hätte Herrn Heinrich die Ungeduld angemerkt, die seine Seele verzehrte. Seit zwei Tagen schon harrte er auf Moses von Benfeld, um sogleich, wie er mit ihm gesprochen, zum Königshofe aufzubrechen. Jetzt wurden Stimmen vor der Türe laut. Wie ein Blitz zuckte es durch die Augen des Domkantors, aber in dem­ selben ruhigen Tone wie vorher diktierte er den ange­ fangenen Satz weiter. Ein Page trat ein und meldete seinem Herrn die Ankunft des Juden. Mit einer Handbewegung entließ Heinrich seinen Schreiber; den angefangenen Brief rollte er selbst zusammen und verschloß ihn in einer kleinen Truhe. Moses von Benfeld stand unterdes in der Türe und war­ tete, sich unaufhörlich verneigend, auf einen Wink näher­ zutreten. Endlich schien ihn der Domkantor zu bemerken. „Gesegnet seien meine Augen, daß sie meinen Herrn in diesen bösen Zeiten heil und gesund vor sich sehen," rief der Jude und bückte sich, um den Mantelsaum Herrn Heinrichs zu küssen. „Wie die Wiese nach erquickendem Regen, so sehnten sie sich nach Eurem Anblick." „Schon gut, schon gut, Alter," wehrte Heinrich ab. „Ich sehe, daß die Philister und Christen dir auch nicht allzu übel mitgespielt haben, seit ich dich nach dem Hohbarr entsandte. Du bringst mir Briefe und Botschaft von unserem Herrn."

„Herr, dieses Schreiben gab er mir für Euch." Er jog aus

den weiten Falten seines Gewandes eine Rolle Perga­ ment und reichte sie dem Domkantor, der sie rasch überflog. „Weiter trägst Du eine Schrift an den Herrn von Müllen­ heim und eine an den Grafen von Werde," fuhr Herr Heinrich fort, indem er seine Stimme dämpfte. „Ja, Herr," erwiderte leise der Jude, „und Ihr wißt, daß ich mit meinem armen Leben dafür hafte." „Wo hast du sie?" Moses von Benfeld warf einen scheuen Blick um sich, um sich zu vergewiffirrn, baß sie unbeobachtet waren. „In den Sohlen meiner Stiefel," sprach er dann. „Mein Herr, der Bischof, befahl mir, sie Euch zu zeigen." „Was steht darin?" forschte Heinrich. Der Jude machte eine abwehrende Gebärde. „Eine kluge Hausfrau stellt die faulen Eier hin, wenn sie weiß, daß der Dieb nahe ist. Mein Leib ist alt und gebrechlich, aber was ich nicht weiß, kann mir kein Zwang der Straßburger ent­ reißen." Herr Heinrich sah den Alten prüfend an, aber er fand keinen Grund zum Argwohn in seinen Züge». „Gib mir die Briefe. Morgen früh, ehe Du weiter fährst, holst Du sie wieder zurück." „Mit Verlaub, edler Herr. So Ihr Eurem Diener befehlt, müsset Ihr auch ertragen, was zu sehen Euren Augen nicht gebürt!" Mit diesen Worten wandte Moses von Benfeld sich in eine Ecke des Gemaches, schlug seinen

Mantel in weiten Falten um sich und begann darunter ein seltsames Winden und Drehen seiner schrumpfeligen

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kleinen Person, daß es aussah, als balgten sich ein paar Hunde unter einem großen Tuche. Nachdem er mit viel Mühe so seine Stiefel aus- und wieder angezogen hatte, brachte er jwei Filzsohlen von schmutziggrauer Farbe und beträchtlicher Dicke zum Vorschein, so wie sie die alten Weiblein zur Winterszeit in ihren Schuhen zu trage» pflegten. „Ich habe leicht das böse Reißen in den Füßen, Herr," sprach er ernsthaft, „und diese Sohlen hat mir meine Großmutter besprochen zum Schutze dawider." Der Domkantor lachte. „Und wo ist das Pergament?" Moses von Benfeld zog eine lange, spitze Nadel aus seiner gelben Mütze und fuhr damit den einen Rand des Filzes entlang. Ein schmaler Spalt wurde sichtbar, aus dem er behutsam ein Stück Pergament zog, das in der Mitte zusammengefaltet war. „Dies ist bas eine," sprach er, „das an den Herrn von Müllenheim; in der rechten Sohle ist das an den Grafen von Werde." „Du machst deine Sache gut, Moses von Benfeld," lobte der Kantor, „sei getrost, der klingende Lohn wird dir nicht ausbleiben." Während der Jude das zweite Pergament hervorholte, sah ihm Heinrich, anscheinend voll Interesse zu. „Was meinst Du, Moses," sprach er dabei leichthin; „wie lange hat Bischof Walther wohl noch zu leben?" Der Alte ließ erschrocken die beiden Hände sinken. „Gott gebe langes Leben und Sieg ihm und Euch, Herr," er­ widerte er. „Bischof Walther steht in der Blüte seiner Jahre, und seine Wunde ist im Heilen."

Ein harter Ausdruck trat tu Herr» Heinrichs graue Augen;

wie zwei geschliffene Steine drohten sie dem Juden ent­ gegen.

Indes seine Worte waren freundlich.

„Du verstehst mich nicht, Moses. Du sprichst, wie ein

guter Arzt und treuer Diener es muß, und ich lobe deinen Dienst. Allein du vergißt, wer dir diese Frage stellt. Muß ich dich daran erinnern, daß ich des Bischofs bester Freund bin und die Sorgen für sein Land mit

ihm teile?" „Bei meiner armen Seele," schwur der Jude, „unser Herr ist kerngesund.

Ich verstehe Eure Frage nicht."

„So bist du ein schlechter Arzt, Moses von Benfeld.

Hast du nicht eben selbst gesagt, des Bischofs Wunde sei am Heilen? Nun höre, was Herr Walther mir schreibt: Meine Wunde will nicht besser werden, und ich achte das als ein sehr böses Zeichen. Auch habe ich häufig das Bluten aus dem Munde, und da meine liebe Frau Mutter dies auch wenige Tage vor ihrem Tode erlitte» hat, so sehe ich, daß ein unheilbares Siechtum meinen Leib befallen. Ich

rechne mein Leben noch nach Tagen; wenn Gott mir gnädig ist, so werden es noch einige Wochen sein. Also schreibt mir der Bischof. Du willst ein Arzt sein und weißt das nicht? Pfui über dich, mich so zu belügen. Peitschen sollte ich dich lassen, der du so meine Wohltaten vergiltst." „Herr," rief erschrocken der Alte, „zürnet mir nicht und tut meinem alten Leibe kein Leid an. In großer Treue gegen den Herrn, zu dem Ihr mich gesandt, habe ich sein Geheimnis gehütet auch vor Euch. Nicht wußte ich, daß seine Seele so der Eurigen in Liebe verbunden, daß Eure

So

Lippen aussprechen können, was er gedacht.

Befehlet

über mich und schonet meiner!" „Beantworte mir meine Frage, Jude, der Wahrheit gemäß und ohne Umschweife, sonst soll es dich um deiner Knochen willen gereuen. Wie lange gibst du dem Bischof noch ju

leben?" Es war ein Klang in seiner Stimme, als schlüge Eisen auf

Stein. „Gott allein hat die Tage des Menschen gezählt und ein, geschrieben in seine Hand," sprach bebend der Arzt. „Nach meinen armen Gedanken gebe ich dem Herrn Bischof noch zweimal vier Wochen zu leben."

Er seufzte tief auf

bei diesen Worten. Auch über Herrn Heinrichs Gesicht zog eine Bewegung, ob erschrocken, ob freudig, verrieten seine

Züge aber nicht. „Es ist gut, Moses," sagte er in milderem Tone, „Gott gebe, daß deine vermessenen Worte irren. Ich halte nicht allzuviel von solchem Gerede. Laß mir die Pergamente bis morgen früh hier und geh zur Ruhe. Meine Pagen sollen dir für einen Abendimbiß sorgen." Er läutete die Glocke, und Moses von Benfeld war ent,

lassen. Als der Jude draußen im Freien stand, wischte er sich den Schweiß von der Stirne. Dann sah er hinauf an dem grauen Gemäuer des Turmes, aus dem er soeben getreten. Es dunkelte schon; eine Fledermaus schwirrte über seinem Haupte hin und her durch die lauwarme Lust; am Himmel

stand groß und feierlich der Abendstern. Der Alte schüttelte sich, als sei Staub auf seine Kleider ge,

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Elstss. Stillungen. Bb. 10.

8l

fallen.

„Heinrich von Geroldseck," murmelte er, „von

heute ab geht ein Schnitt durch dein Leben und meines. Du hast mich belogen; der Gott Israels mag wissen, welche Gedanken durch deine Seele gingen, als du mir

den falschen Brief des Bischofs lasest. So verraten sich diese Christen untereinander. Ich aber habe dir Lüge um Lüge heimgejahlt; so krank, wie du es wünschest, ist der blonde Knabe auf Hohbarr noch lange nicht, und fürwahr, lieber schauten meine Augen in dein Grab als in seines. Diesen Gang nach Straßburg tue ich noch für euch, ihr falsches Schlangengezücht, aber dann haben die Füße des Gerechten lange genug die Wege der Götzendiener betreten, und dir bin ich nichts mehr schuldig, du Teufel mit den

Eisesaugen!"

Er ballte die Faust nach dem vergitterten

Turmfenster hinauf. Droben saß unterdes Heinrich von Geroldseck über seinen Pergamenten, und beim Scheine seiner Kerzen beschrieb er zwei Blätter, die denen aufs Haar glichen, die der Jude

aus seinen Sohlen gezogen; das eine war an den Herrn von Müllenheim, das zweite an den gefangenen Grafen von Werde, und nur wenig Worte standen darin: „Bischof Walther ist siech zu Tode. Hütet das Geheimnis und seht

Euch vor." Des anderen Morgens reiste Moses von Benfeld auf

großen Umwegen nach Straßburg. 6. Der Juli war gekommen und mit ihm des Sommers

lastende Schwüle. Schon waren zwischen den roten Sand-

steinfelsen die goldenen Trauben des Ginsters abgefallen, der Fingerhut reckte sich an den Halden zwischen den Farrenkräutern empor, und die Nächte waren schwer vom lauen Duft der Linden. Die letzten Wochen hatten viel Leben gebracht auf die Bischofsfeste. Seit Herr Heinrich, der Domkantor, das Lager zu Molsheim aufgelöst und alle Reisigen heimge­ schickt in Burgen und Gehöfte, war mancherlei Volk von dort herübergekommen: Ritter und Herren, mit denen geheimer Verspruch getauscht wurde zu einem Zug im kommenden Frühjahr, falls bis dahin kein königlich Machtwort den Trotz der Straßburger gebrochen; Knechte und Gesindel, die aufbegehrten, es sei ihnen nicht gezahlt worden, wie bedungen, und für die Herr Meyenriß tief in den bischöflichen Säckel greifen mußte, um sie los zu werden; geistliche Herren mancherlei Standes, sonderlich des Domkapitels, denen die Rückkehr in ihre Straßburger Häuser trotz der Waffenruhe nicht geheuer war, und deren die Burg und das hohe Haus des Bischofs drunten in der Stadt Zabern schier überquollen. Nur einer war nicht gekommen. Tag um Tag hatte Herr Walther auf dem Söller gestanden und hinabgelugt, wo die Straße gen Molsheim zwischen Wald und Hügel durch hinabgeht; Tag um Tag waren die seidenen Kissen aufgeschüttet worden in dem Schlafgemach neben dem seinen; Heinrich von Geroldseck sandte Boten um Boten nach dem Hohbarr, aber er selbst kam nicht. Und als der Bischof eines Tages Befehl gab, sein Roß zu satteln, um selber gen Molsheim zu reiten, da kam sein letzter Bote,

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schon aus Hagenau: der Herr Domkantor war in Treuen

und Eifer auf dem Wege rheinabwärts an den Hof des

Königs Richard gefahren, der als Engländer die deutsche Krone trug. Und noch ein anderer kam nicht, obwohl fast ebenso sehn­ lich erwartet. Moses von Benfeld war von seinem Ritt

nach Straßburg nicht jurückgekehrt, und Alwig saß wieder fast täglich am Lager des Bischofs, sein neuerwachtes Fieber zu kühlen und seine kaum verhehlte Ungeduld ju zügeln. Es war an einem Sonntagnachmittag, als der alte Herr von Lichtenberg auf dem Hohbarr einritt und ungestüm

den Bischof ju sprechen begehrte. Die Herren saßen in der geräumige» Halle, deren Fensteröffnungen gen Mittag mit hölzernen Ladenbrettern geschlossen waren, der drückenden Hitze wegen. Ein alter Priester des Dom­ kapitels las Herrn Walther den langen lateinischen Be­ richt eines Pfarrklerikers vor, hin und wieder einige deutsche Erläuterungen beifügend für Burkhard Mürnhart, der des Lateins nicht kundig war. „Was bringt Ihr, Freund/ rief Walther aufspringend dem

Lichtenberger entgegen. Der grüßte nur kurz; er schien sehr aufgebracht. „Habt Ihr gestern Abend das Feuer­ zeichen gesehen zu Straßburg?" fragte er dagegen. „Wir sahen ein Licht in der Richtung," sprach der Bischof, „Könnt Jhr^s beuten?" Der alte Ritter ließ sich in einen Sessel fallen. „Das Feuer

brannte in einer großen eisernen Pfanne hoch auf dem Oachgestühl des Münsters. Der Rat muß toll sein, sonst

hätten sie Feuer gefürchtet bei dieser Hitze. Aber der Übermut plagt sie halbtot." „Wißt Ihr, wessen es ein Zeichen war?" „Gestern morgen brachte mein Neffe von Straßburg her die Kunde, sie hätten im Rat beschlossen, den Bau wieder aufzunehmen, sie wollten die Lasten wohl alleine tragen ohne Bischof. Und da sie einen geschickten Baumeister hätten, auf de» auch die Stadt Ulm in Schwaben ein be­ gehrlich Auge geworfen habe, so hätte es keinen Aufschub geduldet. Sie haben ihn gedungen, und nun werden sie ja wohl anfangen." Herr Walther war aufgesprungen. „Mir jum Trotze bauen sie weiter. Sie wissen es alle, daß es mein Lieblingsplan war. Und nicht einmal einen Boten haben sie geschickt um meine Einwilligung, der ich ihr Herr bin." Er durchmaß mit zornigen Schritten den Raum. „Das Münster, mein Münster, meiner Vorgänger Werk!" Plötzlich blieb er stehen. Die anderen schwiegen ob seines Schmerzes und ihrer eigenen Empörung. „Die Narren," rief er. „Zwei Bischöfen ist das Geld da­ rüber ausgegangen. Woher wollen ste^s nehmen?" „Es sollen der freiwilligen Spenden viele geflossen sein," berichtete der Lichtenberger. „Und dann — sie schätzen die Juden." „Sie schätzen die Juden? Wie können sie das? Sind wir nicht übereingekommen, alle strittigen Punkte ruhen zu lassen bis zum königlichen Entscheid? Und standen nicht die Steuerrechte obenan dabei auf ihrem Pergament? Das können sie nicht, das dürfen sie nicht!"

„Was fragen die, die Macht haben, nach können und dürfen. Sie haben schon früher behauptet, die Judensteuer sei kein strittiger Punkt. Sie hätten ste schon zu Eures Vor­ gängers Zeiten eingezogen." „Zweimal hat es Heinrich von Stahleck geschehen lassen," warf der Domherr ein „weil er ein alter Mann war und schwach. Was Rechtens ist in der Sache, weiß zu Straßburg jedes Kind." „Das Münster, das Münster!" Herr Walther schien es gar nicht fassen zu können. „Und ste schätzen die Juden, wider ihr eigenes Pergament und ihren eigenen Vorschlag! Das geht nicht so hin, ihr Herren vom Rat! Das ist Recht und Vertrag gebrochen. Wir haben schon einmal das Interdikt über die Stadt verhängt. Der Anlaß war der­ selbe wie heute. Ein Vertragsbruch wider ihren Herrn! Aber das Interdikt, das scheuen ste." „Das scheut, dünkt mir, ein jeder Christ," sprach Mürnhart bedächtig. Die anderen beiden schwiegen. Betroffen sah Herr Walther von einem zum andern. Sein junges Gesicht brannte im ehrlichen Zorn bis unter sein helles Haar. „Das scheut ein jeder Christ, Herr Bischof," sprach noch einmal Burkhard Mürnhart. „Ein geistliches Gewaffen ist nicht wie ein anderes. Ihr habet das Jnterdiktum gelöst am Tage nach Hausbergen." Der Bischof knirschte. „In dem feigen, ehrlosen Vertrag, der meines Bruders Leben retten sollte," murmelte er bitter. „Redet nicht also, lieber Herr. Schaut, ich bin nur ein alter

Waffenbruder, aber ich meine, wer einer ganzen Stadt

und soviel unschuldigem Blut Messe und Sakramente nimmt, der muß wohl wissen, was er in seinem Gewissen tut." „Herrn Mürnharts Rede ist gut," sprach leis der alle Domherr, und auch der Lichtenberger stimmte bei. „Herr,

suchet einen anderen Rat." Herr Walther antwortete nicht. In seinen offenen Zügen kämpfte der Zorn gegen das Bedenken der anderen. Er nahm das Schwert von der Wand und ließ es durch die Luft sausen. „Fechten," sagte er heftig.

mit den Buben.

„Noch einmal eine Schlacht Und dann siege» und sie in die Knie

zwingen, oder sterben als ehrlicher Ritter!" „Vertraut auf Euer Recht beim Könige," riet der Dom­

herr. „Habt Ihr nicht den feinsten Kopf des Kapitels hingesandt, Eure Sache zu führen?"

„Mir wäre der Siegbrecht Werde lieber gewesen," meinte der Lichtenberger. „Er hat großes Ansehen bei den Fürsten im Reiche."

„Und großes Geld in seinem Säckel, damit er nie ge­ knausert, wenn es unsere Sache galt. Und das könnten wir wohl brauchen." Herr Mürnhart seufzte. „Das wissen die Straßburger so gut wie wir. Und darum ist er der letzteren sie freigeben von all ihren Gefangenen." Der Lichtenberger sah den Bischof fragend an. Der gab

den anderen einen Wink, sie alleine zu lassen. „Ist Euer krummer Jude noch immer nicht zurück?" Herr Walther verneinte. „Und auch sonst keine Kunde von

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bett Gefangenen? Das geht nicht mit rechten Dingen ju. Ist Euer Mann juverlässig?" „Unbedingt." „Und auch schlau, daß die vom Rat ihn nicht als Euren Boten erkennen?" „Auch das. Mehr als genug." „Welchen Weg habt Ihr ihn gesandt?" „Uber Molsheim. Heinrich von Geroldseck hat gelesen, was ich schrieb." Der alte Lichtenberger jog die Brauen hoch. „Hoho," meinte er bedächtig. „Er ist der treueste Mann, den ich habe." Herr Walther sprach es warm. „Mein Leben dank ich ihm. Und er muß klar sehen, soll er meine Sache führen beim König." „Es gefällt mir nicht, es wär nicht nötig gewesen." „Es schadet auch nichts," sagte Herr Walther, und es klang ein wenig hochfahrend; „der ist ein Schelm, der an keines Menschen Treue glauben mag." „Er ist Euer Nebenbuhler gewesen." „Er ist jetzt mein Freund," schloß der Bischof kurz die Un­ terredung, „Seid Ihr mein Gast zur Nacht?" Hugo von Lichtenberg schüttelte den Kopf. „Mit Verlaub, hoher Herr," sprach er ein wenig kühl. „Meine Hausfrau erwartet mich daheim." Der Bischof streckte ihm herzlich die Hand hi». „Zürnt mir nicht," bat er offirn. „Ich hätte Euer Geheimnis nicht verraten dürfe», wenn eS nicht an meinen besten Freund und Bruder gewesen wäre. Mein Herz ist auch

das seine. Bleibet doch, Ihr habt noch einen scharfen Ritt bis Lichtenberg." „Den fürchten meine alten Knochen nicht," lachte schnell wieder versöhnt Herr Hugo, der einst dem Knäbleiv Wal­ ther Pate gestanden bei der Taufe und ihm treu ergeben war. „Aber lasset uns erst noch Rates weiter pflegen mit den anderen Herren, und nach dem Abendimbiß soll mein Knappe uns die Gäule satteln. Ein paar Stunden durch die Abendkühle des Wasgenwaldes, das tut gut nach solch heißem Tage. Und hier ist die Lust rein von Straßburgern." Die Sonne stand schon tief, als der alte Ritter Urlaub nahm. Mürnhart und Herr Meyevriß begleiteten ihn bis jum Torweg. Dabei rief dieser Alwig, die mit dem Vater und der Muhme Guldhild auf der Steinbank saß, j«, ste möge ins Herrenhaus gehen, dem Herrn einen kühlenden Trunk ju bereite». „Was machet ihr für einen feinen Vogel aus der Alwig," sprach boshaft Frau Guldhild hinter dem Mädchen her. „Tag für Tag ins Herrenhaus. Das wird Euch ihr künftiger Eheherr nicht danken." „Gevatterin," erwiderte mürrisch der Torwächter; „Ihr seid ein mißgünstig Weib." Empört wollte die andere auffahren, da mischte sich auch Burkhard Mürnhart ins Gespräch. „Es wäre mir schon lieb," sprach er, „wenn wir den alten Juden aus Benfeld wieder hier hätten; seine Heilkünste sind groß, und du könntest dein Kind im Hause halten, Meinrad." Triumphierend wandte sich Guldhlld wieder zu dem 89

Torwächter; die Schadenfreude blickte aus jeder Ecke ihres spitzen Gesichtes. „Da seht Jhr's. Auch anderen Leuten gefällt diese Freundschaft mit dem Herrn Bischof nicht. Wollet Ihr Herrn Mürnhart auch ein mißgünstig Weib schelten? Freilich, freilich, der Herr trägt ja ein geistlich Gewand, gar ein hochbischöfliches. Damit hat es ja wohl keine Gefahr." Sie sprach hämisch und langsam, als wollte sie jedes ihrer Worte Meinrad wie eine spitze Nadel ins Gemüte bohren. Aber der Alte schien wenig Lust ju haben, sich mit ihr einzulassen. „Kümmert Euch um Euer eigen Geschäft; mich und mein Kind lasset ungeschoren," sagte er kurz und ging ins Haus. Aber eine Falte stand den gavjen Abend auf seiner Stirne. Indes saß Alwig an Herrn Walthers Lager. Die Laden­ bretter in der Halle waren entfernt worden, und kühl strich die Abendluft in das hohe Gemach. Man hatte dem Herrn das Ruhebett in die Fensternische geschoben, wo der Blick ungehindert über die welligen Bergrücken bis hin gen die Dagsburg schweifen konnte. Unruhig glitten seine Augen über die leise schaukelnden Gipfel des Waldes zu seinen Füßen, indes Alwig schweigend ein Linnentüchlein netzte, um es auf seine heiße Stirn zu lege». Der Bischof seufzte ein paarmal schwer; er schien sehr erschöpft von der Unterredung des Nachmittages. „Wie die Seite schmerzt," stöhnte er dann. „Die alte Wunde brennt wieder." „Euer Herz brennet," sprach mitleidig das Mädchen. „Hätten wir nur den Juden wieder hier. Meine Kunst ist so gering, und ich fürchte, ein bös Siechtum möchte Euch langsam überkommen."

„Ja, mein Herz brennet," wiederholte Herr Walther, „da sprichst du wohl recht. Es brennet in Schmerz und Schmach. Weißt du, was sie mir wieder angetan?" „Der Herr von Lichtenberg sah nicht froh drein, als er kam, und auch nicht, als er ging." „Das Münster wollen sie fertig bauen, mir zu Hohn und Spott! Sie selber, die Schneider und Metzger, das Werk von soviel Bischöfen und Herren! Und dazu ziehen sie meine Steuern ein wider Recht und verbrieften Vertrag." „Das wird Gott und unserer lieben Frau nicht Wohl­ gefallen," sprach Alwig gedankenvoll. „Ein heilig Werk wollen sie tuen mit unheiligen Händen." „Sie sollen es büßen. Noch bin ich ihr Herr und hab sie wenigstens in geistlichen Dingen in meiner Gewalt. Wohl haben die Herren hier einem neuen Jnterdiktum widerraten, aber mich dünkt, es sei das letzte Mittel, ihren Übermut zu brechen!" „Ein neues Jnterdiktum!" Flehend hob Alwig die Hände zu Herrn Walther auf. „O Herr, lieber Herr, tuet doch das nicht an der armen Stadt. Schaut, es sind soviel geringe und gute Leute darin, die nichts dawider können, was der Rat beschließt. O vergönnt denen doch geistlichen Trost und Sakramente." „Was weißt du davon?" sprach unwillig der Herr. Aber das Mädchen achtete in ihrem Eifer seines Unmutes nicht. „Schaut, ich war noch zu Straßburg, als ihr voriges Jahr das Jnterdiktum erlasien. Da war Jammers genug und übergenug. Und auch die Armen, die Euch bis dahin gepriesen als ihren Schirmherrn wider die Bedrückungen 91

des Rates und auch die frommen Mütter zu Sankt Stephan, ja selbst die Kinder und Bettler, die an unsere

Türe kamen, Almosen zu heischen, redeten sie bittere Worte über Euch und fluchten Euch. Und als die alte Frau Adelgund, meine Lehrmeisterin im Kloster, zu sterben kam und gar so heftig begehrte des Priesters

und des letzten Trostes im Sakramente und als sie in ihrem einfältige» Sinne immer wieder bat und sprach: Ihr wolle der Herr Bischof sicher kein Leides, da sie ihm noch nie zuwider gewesen und seiner Frau Mutter hochselige Gevatterin gewesen sei, und also ungetröstet hat dahmfahren

müssen und ohne Messe und ehrlich Begräbnis ist in die Erde gekommen....," das Mädchen brach in Tränen aus. „Weißt du nicht, daß sie deshalb doch in Gnaden bei Gott angenommen worden ist, so sie reumütigen Sinnes und im Vertrauen gestorben?" fragte tröstend der Bischof und strich ihr leis über das Haar. „Wohl weiß ich das. Aber was das für ein bitterer Schmerz war dennoch, Herr, das wisset ihr nicht. Von dem Dom­ herrn von Diersberg sagen sie, als seine Frau Mutter tm Sterben lag und ihn also kläglich angefleht habe um die Sakramente, er habe in aller Heimlichkeit ihr eine Hostie

geweiht und das Brot des Herrn gebrochen, und so sei sie selig gestorben." „So, so," sprach Herr Walther. „Freilich, er war mir nie

ergeben, er nicht und seine ganze Sippe. Bis auf den eine», Philibert, den sie bei Hausbergen erschlagen." Alwig erschrak, sie ward sich bewußt, daß diese Rebe nicht vor des Bischofs Ohren gehörte.

„Wollet ihm nicht zürnen darob, Herr," sprach sie bittend. „Es mag ja leicht nicht wahr sein und nur ein töricht Gerede der Leute. Denn als wir von Sankt Stephan in sein Haus schickten, da Frau Adelgund im Sterben lag, ließ er die Antwort sagen: Er wolle zu dem Rate halten in allen weltlichen Dingen, aber in allen geistlichen sei er des Bischofs Äann und müsse seinem Gebote gehorchen. Und ließ den Bote» unerhört von dannen gehen." „Wie bist du mitten im Streite aus der Stadt gekommen ?" „Ihr wäret damals im Oberlande mit den Euren, Herr. Und da war kurze Zeit Handel und Wandel aus den Toren wie früher. Da kam der Vater und trug die Farben der Herren von Greifenstein, und sie erkannten ihn nicht. Aber im Kloster war niemand, der ihn verraten hätte. So zogen wir mitsammen heim. Und als wir gen Hochselben kamen, und ich hörte die Glocken wieder läuten und wußte, im Kirchlein brennet die ewige Lampe und wohnet der Herr Christus im Sakramente, den ich also lang hat entbehren müssen, ach Herr, da wollt mir schier das Herze zerspringen vor Lust und Seligkeit, und gar sehr hab ich den Vater gebeten, doch Rast zu machen, um eine Andacht zu tuen. Aber er hat es nicht wollen leiden und gesagt, ich solle fein warten, bis wir zu Zabern wären." Bischof Walther schwieg eine Weile, dann sagte er mit leiser Bitterkeit: „Du führest die Sache der Straßburger gut." „Lieber Herr," rief erschrocken das Mädchen, „Ihr wisset, daß ich mit meinem armen Leib und Leben Euer bin,

so kränket mich nicht durch also mißtrauische Rede. Aber schauet, ich kann darum nicht gut heißen, was ungut ist." „Sei es darum," sprach mit leisem Aufseufzen Herr Walther. „Hätt ich nur meinen Boten wieder aus der Stadt!" „Den Moses? Ach Herr, alle Tage bete ich darum, er möge wiederkehren." „Weißt du denn, daß er ein Geheimnis trägt?" „Nein, Herr, und ich begehre es nicht zu wissen. Aber seine HeUkunst ersehne ich mit Zittern für Euer Fieber und Eure Schmerzen." „Gutes Mädchen!" Walther legte leis seine Hand auf die ihre. „Treuer denn du kann auch er mich nicht pflegen. Aber eine wichtige Kunde soll er mir bringen, und mich besorget, es sei ihm ein Leids widerfahren von dem Rat." „Herr," rief mit plötzlichem Entschlüsse das Mädchen, „lasset mich gen Straßburg fahren. Ich will den Alten schon finden, oder doch Euch Kunde bringen, was aus ihm geworden." „Du, Kind?" Herr Walther lächelte, indem er ihre Hand festhielt. „Ei, das wäre ein neuer Ritterbrauch, daß die Fräulein ausziehen, der Männer Sachen auszufechten!" „Ich bin kein Fräulein und Ritterkind. Auf eines Hörigen Mädchen hat keiner Verdacht. Und oft bin ich in Straßburg auf Botengang geschickt worden von Sankt Stephan aus." Ihre Wangen glühten vor Eifer. Der Bischof lächelte noch immer. „Wie willst du ficheres Geleit finde» in die Stadt?" „Des seid unbesorgt. Binnen kurzem fährt des Zunft­ meisters Hermann Ehefrau gen Straßburg, wo ihre

Schwester eines Kindleins genesen soll. Leicht nimmt sie mich mit als ihre Magd, da sie meiner Schwester Gutta Gespiel gewesen. Und in Sankt Stephan hab ich jederzeit Unterschlupf und Fürsorge." „Bei den edlen Frauen von Sankt Stephan, die mir so wenig hold sind? Kind, wohin verirren sich deine Ge­ danken?" „Glaubet Ihr, ich könne kein Geheimnis bewahren? Und unsere Frau Äbtissin fraget keinen, der ihr nicht ans freien Stücken berichtet." Der Bischof staunte ob ihrer Beharrlichkeit. „Freilich müßtet Ihr mir sagen, an wen Ihr Moses gesendet —" Alwig errötete ein wenig, als sie zögernd die Worte aussprach; sie scheute es, sich in ein so schweres Geheimnis zu drängen; „so ich ihn nicht finde in seiner Judengasse " „Kind", unterbrach sie der Bischof mit warmen Tone, „sollte Walther von Geroldseck denn wirklich so arm an Freunden sein, daß er dein junges Leben müßte aufs Spiel setzen und dich zartes Mägdlein hineinstoßen sollte in den rauhen Krieg der Männer? Da sei Gott vor l" Aber Alwig ließ nicht nach. „Mein Herz hat kein Begehr, sich in Streit und Kampf zu mischen. Ich will Euch nur den Arzt suchen gehen, -er allein Euch helfen kann." All ihre Angst und Not um den Herrn sprach aus dem Blick der blauen Augen. Herr Walther hob ihr Gesicht, da sie neben seinem Lager kauerte, zu sich empor. „Gott segne dich für deine Treue," sprach er bewegt. „Und nun laß uns beide zur Ruhe gehen."

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Der Plan, den Herr Walther als seiner unwert so rasch verworfen, ließ Alwigs Gedanken nicht mehr los, und so oft sie zum Bischof gerufen wurde, sprach sie ihm davon und ward nicht müde, alle Einzelheiten auszvsinnen. Zuerst lächelte er immer nur ungläubig, als aber Tag um Tag verstrich, ja eine Woche sich an die andere reihte, ohne Kunde aus Straßburg zu bringen, da fing er an, auf ihre Rede zu horchen. Und als nur noch wenig Tage waren, ehe Frau Gertrud von Zabern gen Straßburg fahren sollte, da sprach er ein besorgtes und doch wieder hofstkvngsfreudiges Ja dazu. Alwig lebte wie in einem Traume. Noch hakte sie keinem von ihrem Borhaben gesprochen, aber Tag und Nacht stand es vor ihrer Seele. Dem Herrn den Arzt zu finden, auf daß er genesen möchte, es war ihr Gebet, wenn sie die Augen aufschlug, und ihr letztes Sehnen, wenn der Schlaf sie ihr abends schloß. Biel spitze und hämische Worte von Frau Guldhild gab es in dieser Zeit, aber Alwig hörte sie nicht. Auch daß der Baker wortkarger mit ihr war denn sonst, glitt an ihrer Seele vorüber. Noch einer war, der unfrohen Auges nach dem Mädchen sah, wenn es den Herrn zu pflegen ging, das war der redliche alte Mürnhart. Und eines Tages, als Alwig wieder im Herrenhause weilte, ging er schweren Herzens in die Torstube, wo Vater Meinhart an einem Speerschafte schnitzle. Er setzte sich eine Weile stumm auf die Bank

neben seinen alten Waffengefährten und sah ihm bei der Arbeit zu. „Ein hartes Holz," sprach er endlich. „Es paßt ju den harten Zeiten," erwiderte der Torwächter. Wieder schwiegen die beiden. „Meinhart," begann der alte Mann wieder, „weißt Du uns keinen hellkundigen Mann zu Zabern oder sonstwo? Mir deucht, unsern klugen Juden hält der Rat zu Straß­ burg fest." Meinhart zuckte die Achseln. „Ich will mir dessen Rats erholen bei den Frauen." „Dann wäre es wohl besser." Langsam und kummervoll kamen die Worte. „Dein Kind ist rein und unschuldig, Meinhart. Aber wir sind alle Menschen, und es ist Leides genug über uns. Besser ist besser." Eine schwere Falte stand auf des Torwächters Stirn. Er schnitt eine Zeitlang stumm an seinem Holze, daß die Späne flogen. „Mürnhart," sprach er dann und atmete schwer; „ich bin nicht Richter über meinen Herrn und Bischof. Aber mein Blut will ich in Ehren halten. Gehet herauf ins Herrenhaus und schicket mir das Mädchen herunter." Sein Gefährte streckte ihm die Hand hin. „Du wirst mir nicht zürnen ob meines freien Wortes, alter Freund. Jugend ist unklug, und besser ist vorgebaut als nachbedacht." Meinhart sah die dargebotene Hand nicht. Seine Augen sahen an Meinhart vorbei. „Schickt mir ohne Derzug das Mädchen," wiederholte er.

Als Burkhard Mürnhart kurz darauf ins Gemach trat, wo Alwig bei Herrn Walther in der Fensternische saß und mit stillen, frohen Augen über das Grün der abendlichen Wälder hin die Richtung gen Straßburg suchte, rief ihm sein Herr eifrig entgegen: „Ihr kommt zur rechten Stunde, Vater Mürnhart. Eben wollt ich nach Euch senden, Euch einen guten Plan zu verkünden und Euren Rat darob einzuholen." Zweifelnd blickte der Alte von einem zum andere«. Eine leichte Röte stieg in des Mädchens Wangen. „Saget es ihm allein, Herr," bat sie scheu. „Ei, so zaghaft, meine mutige kleine Helferin?" scherzte Herr Walther. „Wie soll es dir bei den grimmen Straß­ burgern ergehen, so du schon unseres guten Freundes Mürnhart Blicke scheuest?" Da schlug das Mädchen die großen Augen voll zu Herrn Mürnhart auf. »Ich gehe, des Herrn Arzt zu Straßburg suchen," sprach sie schlicht. „In zwei Tagen fahre ich in die Stadt als Magd de: Zunftmeisterm Gertrud zu Zabern." „Du, Kind?" Mit ungläubigem Staunen betrachtete sie der Alte. „So ist es," bestätigte Herr Walther. „Scheltet mich nicht, alter Freund, wenn ich ein Mägdlein sende, da mich die Männer verlassen. Es ist ihr Wunsch und Wille." „Gepriesen sei Gott und die heilige Jungfrau ob deines Entschlusses," rief freudig bewegt Herr Mürnhart. „Mögen seine Engel mit dir gehen." „Mich dünkt, sie werden dich treulicher behüten, du

unschuldig Blut, denn einen alten Juden," sprach halb scherzend, halb im Ernste der Bischof. „Redet nicht also," verwies ihn sanft das Mädchen, „Moses ist Euch treu ergeben. Wer weiß, was er dulden muß um Euretwillen!" „Ihr habet noch Freunde in der Stadt?" fragte Mürnhart. „Weiß Alwig darum?" „Darum sende ich sie nach Straßburg mehr denn um meines siechen Leibes willen," erwiderte Herr Walther. „Nicht will ich ihr Brief und Pergament mitgeben; von Mund zu Mund wird sie meine Botschaft tragen." Ein feuchter Glanz trat in des Mürnhart Augen; leise und ehrfürchtig legte er seine Hand auf des Mädchens Arm. „Ich bin ein alter Mann, Jungfrau," sagte er weich, „und ein großes Leid ist es mir, daß Ihr müsset einen also schweren Gang tun, und ich kann ihn nicht für Euch gehen. So seien Gott und seine Heiligen mit Euch." „Amen," sprach andächtig Herr Walther. Sie saßen noch lange beisammen, denn vieles war »och zu erwägen. Es dunkelte schon, als Alwig hinunter ging, des Vaters Einwilligung einzuholen. Sonst sollte niemand etwas erfahren, wohin des Mädchens Weg ging. Ein niederes Feuer brannte im Herde in der dämmerigen Stube, die Alwig betrat. Meinhart saß davor, regungslos, den Rücken zur Türe. Sein Haupt wandte sich nicht, als er den Schritt seiner Tochter hörte, nur sein Atem ging schwer. Unbefangen trat Alwig auf ihn zu. „Vergebt, Vater, wenn ich Euch habe warten lassen mit dem Abend-

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brot," sprach sie bittend; „ich habe Euch ein schwer Ge­ heimnis ju künden von dem Herrn Bischof." Der Mann am Feuer wandte scharf den Kopf; das Mäd­ chen erschrak, denn sein Gesicht war verjerrt, und seine Augen brannten düster in die ihren. „Seit wann hat eines Knechtes Kind Geheimnisse mit seinem Herrn, dem Bischof?" fragte er hart. „Höret mich, Vater," begann Alwig flehend. Mit einem Ruck stand der Alte auf; der Schemel, auf dem er gesessen, schlug rücklings zu Boden. Er packte des Mädchens Handgelenke mit rauhem Griff und schüttelte sie, daß ihre Knie bebten. „Muß ich dich Ehrbarkeit lehren?" keuchte er. „Soll ich warten, bis sie mit Fingern auf dich zeigen: seht da, die Metze des Herrn!" Er ließ sie los; einen Augenblick war alles still in dem niederen Raum. Dann kam es wie ein weher Aufschrei aus der Brust des Mädchens: „Vater," schrie sie, „um Gott, Vater!" Aber der Alte wandte sich um. Mit dumpfem Krachen schlug die Türe hinter ihm ins Schloß. Alwig war allein. Eine Weile stand das Mädchen regungslos, als könne sie das Furchtbare noch gar nicht fassen, das ihr geschehen war; sie bebte am ganzen Leibe. Dann strich sie langsam mit der Hand über die Schläfe, indes ein irrer Blick den Raum durchflog. Was war das gewesen? Was hatte er gesagt, der schreckliche Mann, der ihr Vater war? Und plötzlich fielen Schmach und Scham und Verzweiflung über sie her wie wilde Tiere, daß sie sich auf die harten Fliesen des Bodens warf und sich krümmte mit zusammenICO

gebissenen Zähnen. „Vater, Vater," schrie es in ihr, „oh Gott, was hast du getan!" Ein wnndes Stöhnen entrang stch ihren Lippen. Und dann schüttelte es ste wie im Fieber; sie riß an ihren dunkeln Flechten und stopfte ste zwischen die Zähne, um das Schreien zu ersticken, das plötzlich hervorbrach. Sterben, sterben! Es war alles, was sie noch wußte. Von draußen ertönten Schritte. Wie ein gehetztes Tier sprang das Mädchen auf und eilte die Stiege hinan in ihre Kammer. Was unten vor sich ging, wußte sie nicht; die Sinne schwanden ihr, als ste auf ihr Lager nieder­ stürzte. Als Meinhart am anderen Morgen die Türe ihrer Kammer aufstieß, in der nichts sich regte, war seine Tochter verschwunden.

8. Ein wolkenloser Spätaugust blaute über den Zinnen und Türmen der stolzen Stadt Straßburg, als am frühen Nachmittage ein schwerfälliges Fuhrwerk auf der Straße von Vendenheim her zwischen den Feldern und Gehöften der Vorstadt hindurch nach dem westlichen Tore der Stadt lenkte. Zwei große Pferde zogen den mit Kornsäcken beladenen Wagen, von einem stämmigen Knechte geführt. Zwei andere, schwer bewaffnet, ritten neben dem Wagen her, ihn gegen etwaige Angriffe zu beschirmen. Vorne saßen unter einem kleinen Verdecke, das ste vor den Strahlen der Sonne schützen sollte, zwei weibliche Ge­ stalten, die eine groß und kräftig, das Haar züchtig unter die Haube gebunden, aber mit neugierigen Blicken lebhaft IOI

um sich sehend, soweit es ihr der Anstand und die Würde einer ehrbaren Zunftmeisterin gestatten wollten. Bar, häuptig, ein kleines Bündel ju ihren Füßen, saß Alwtg

neben ihr, ganj in sich zusammengesunken. Kaum, daß sie auf die unermüdlich fließende Rede ihrer Nachbarin hinhorchte. Jetzt bog der Wagen in die breite Landstraße, die am Wachtturm vorbei auf die Brücke zuführte, unter der die

Jll einen natürlichen und den Straßburgern höchst an, genehmen Wallgraben bildete. In der Mitte des Flusses

erhob sich noch einmal eine breite Mauer mit Türmchen und Wehrgang, das Wasser in zwei Hälften scheidend und die höher gelegene innere Stadtmauer als eine

vorgelagerte Schutzwehr begleitend. „Da ist schon das Sankt, Peter, Tor/ rief eifttg die Zunft, Meisterin, auf einen spitzen Giebel zeigend, der stolz zwischen den Zinnen der Mauer aufstieg. „Freu dich, Alwig, wir sind am Ziel/ Müde hob das Mädchen die Augen und nickte schweigend. Frau Gertrud warf eine« besorgten Blick auf sie. „Die Reise hat dich ganz erschöpft, Kind/ sagte sie mütterlich. „Und diese Nacht hast du im Traume so laut und so wirre Dinge gesprochen, daß ich davon aufgewacht bi» in meiner Kammer, obwohl du die Tür geschlossen hattest. Mich dünkt, wenn auch der Wagen noch vor dem Münster halten will, ich begleite dich bis Sankt Stephan und rede ein Wörtlein mit deiner Äbtissin, daß sie dir ein Lager gibt, ehe dich das Fieber ganz gepackt/ Alwig lächelte schwach.

„Das ist nicht vonnöten,

gute

Fra« Gertrud. Zn Sankt Stephan bin ich wie —" fle stockte ein wenig, „wie zu Hause. Gehet Ihr ruhig ins Haus, wenn wir aussteigen, wo alles gewiß schon nach Euch ausschauet, und vergelt Euch Gott all Eure Güte gegen mich auf der Fahrt." „Schon gut, schon gut," wehrte die Zunftmeisterin. „Und pflege dich gut; in drei Wochen gedenke ich heimzufahren und will dir's sagen lasten ins Kloster, wenn du mit mir reisen willst. Leicht ist inzwischen auch Friede geworden zwischen dem Herrn und dem Rate, und dein Vater kann dich selber heimholen." Alwig schwieg. Das schwere Rollen des Wagens über den Brückenschlag enthob sie der Antwort. Die Berittenen drängten ihre Pferde nach vorne, um dem Fuhrwerk Platz zu machen, denn die Toreinfahrt war schmal, und mehrere Wagen kamen ihnen entgegen. Ein Stadtzöllner schritt auf sie zu; es gab ein kurzes Ver­ handeln und Nachprüfen der Säcke, dann wurden Brücken­ geld und Torzoll entrichtet, und sie lenkten in das Stadt­ innere ein. Es war eine lange, nicht allzu breite Straße, die vom Sankt-Peter-Tor nach dem Roßmarkt führte, rechts und links von spitzgiebeligen Häusern eingesäumt. Von zweien, die größer denn die anderen waren, ragten nur noch die ausgebrannten Mauern gen Himmel, — sie gehör­ ten zwei Domherren, die zu Hohbarr bei Herrn Walther saßen, und Rachedurst und Übermut der Bürger hatten sie angezündet. Ein lautes Treiben herrschte auf der Straße trotz der

Hitze des Nachmittags. Frau Gertrud bemerkte mit Er­ staunen, wieviel gewaffaetes Volk unter die Bürger gemischt war; ihre Gefährten tauschten Zuruf und raschen Scherz mit denen auf der Straße. „Freut ihr euch, wenn ihr unsere Kornsäcke sehet ?* „Nicht vonnöten; wir bauen selber Korn!" „Ei, wo denn? Auf dem Dachstuhl des Münsters?" „Fragt den Herrn Bischof zu Zabern. Jede Nacht in einem anderen seiner Dörfer." Alwig, die beim Namen des Bischofs zusammengezuckt war, sah fragend auf ihre Nachbarin. Die beugte sich vor und raunte ihr zu: „Gott fei'6 geklagt. Zu Vendenheim haben sie mir gestern Nacht schon erzählt, die Straßburger raubten die bischöflichen Dörfer gen Molsheim und über dem Rheine aus und etliche hätten sie angesteckt. Wir mögen wohl der Himmelsmutter danken, daß wir ohn Unglück in die Stadt gekommen sind." Jetzt hielt der Wagen vor der Toreinfahrt eines geräumigen Hofes, zwei Hunde sprangen bellend an den Rettern empor, die sich rasch vom Pferde schwangen. Sie standen vor dem Hause des Färbermeisters Eberhardt Bllgerin, dessen Ehegespons der Pflege der Schwester harrte. Es gab eine umständliche Begrüßung zwischen den herbeigeellten Verwandten und Frau Gertrud; Alwig stand geduldig mit ihrem Bündelein daneben und wartete auf einen Augenblick, wo sie ihrer Beschützerin einen Abschiedsgruß zuwinken konnte. Dann entschlüpfte sie im Gedränge und eilte in raschem Schritte durch die wohl­ bekannten Straßen. Nach einer Weile hielt sie inne und

sah tiefaufatmend um sich. Gerade vor ihr lag, mit seinem hohen Chore und dem fast fertigen Querschiffe majestätisch aufragend, der stolje Bau des Münsters wie in Erwartung des Meisters, der daS Ganze fortführen

und vollenden solle. Oft hatte Alwig als Kind in ehr­ fürchtiger Bewunderung an dem gewaltigen Mauerwerk emporgestaunt; jetzt nickte sie nur vor sich hin: ja, hier ist es. Links von ihr, durch einen niederen Torbogen abgesperrt, lag die Judengasse. Ohne Zögern trat Alwig

näher. Die Gasse war fast leer. Die Sonn brütete zwischen de» unscheinbare», grauen Häusern, deren ärm­

liches Aussehen seltsam abstach gegen die stattlichen Bauten -er übrigen Stadt. Im Sande — denn der Boden war ungepfiastert — sonnte sich eine Katze; im Schatten eines vorspringende» Daches standen plaudernd einige Frauen, an große Krüge gelehnt, in denen sie anscheinend Wasser am Ziehbrunnen im Hintergründe geholt hatten. Einen Augenblick stand das Mädchen wortlos, dann gewahrte sie in der Türöffdung des nächsten Hauses eine kleine, in bunte Tücher gehüllte Frauengestalt. Ein Paar

dunkle Augen unter spärlichem, grauem Haar musterten sie neugierig. Alwig wollte näher trete», aber ein plötzlicher Schwindelanfall zwang sie, sich an die Mauer des Tores zu lehnen. Die Alte humpelte rasch herbei. „Was will die Tochter der Christen in unserer Gasse?"

fragte sie nicht unfreundlich und faßte des Mädchens Arm. „Kommet herein in unser armes Haus, denn die

Sonne blendet Euch, und Euer Angesicht ist weiß wie der Winterschnee." Mit schwacher Handbewegung wehrte

Alwig ab, dann raffte sie sich gewaltsam zusammen. „Ich suche einen Freund," sprach sie, „Moses von Benfeld. Kennet Ihr ihn?" Die Alte sah sie mißtrauisch an. „Ihr nennet ihn Freund," sagte sie dann. „Wer sendet Euch zu ihm?" Alwig schüttelte den Kopf. „Ich suche ihn; er ist ein ge­ schickter Arzt." Wieder zögerte die Alte. „Eure Augen sind gut," sagte sie endlich, „und Euer Leib ist schwach, das sehe ich wohl. Aber selten ist den Kindern Israels Gutes gekommen von Rittern und Herren." ’ „Ich bin ein Hörigmkivb," sprach Alwig bittend. „Ich sehe, daß Ihr wisset, wo er ist. O erbarmt Euch und sagt es mir!" Die Tränen standen in ihren Augen. Die Alte murmelte etwas Unverständliches, dann stieß sie plötzlich die Türe ihres Hauses auf. „Kommet!" gebot sie. Alwig trat hinter ihr in eine niedere, dunkle Stube, die sich auf einen kleinen Hof össtrete. Ein paar Blumen rankten dort in einem Beete, und ihre bunte Lieblichkeit leuchtete bis in die Stube herein. Jo einem schattigen Winkel des Hofes saß in sich zusammeogekauert Moses von Benfeld. Er schien zu schlafen, das Haupt mit dem graue» Barte war tief auf die Brust gesunken. „Er ist mein Bruder," sprach die Alte. » Regungslos, wie im Traum, starrte das Mädchen den Schlafenden an. Ja, so mußte es sein. Sie würde ihn wecken und nach dem Hohbarr senden. Wetter gingen ihre müden Gedanken nicht mehr. Ihre Begleiterin war indessen zu dem Hivgesuvkenen

getreten. Er öffnete die Augen, aber als er das Mädchen erblickte, schloß er sie sogleich wieder. Ein tiefer Schrecken malte sich auf seinem Gesichte. Alwig setzte sich neben ihn. „Moses, guter Moses," rief sie, „kennet Ihr mich noch?"

Der Jude zog die Falten seines Gewandes näher an sich, als fürchte er, sie könne sie berühren. „Alwig, des Tor­ wächters Tochter," murmelte er dabei. Das Mädchen rüttelte ihn am Arm. „Höret mich, Moses. Seid Ihr krank? Eure Augen liegen tief, und Euer Gesicht ist nicht

wie ehedem." „Geht heim, Mädchen," sprach mit halbgöschlossenen Augen

der Jude. „Ich habe nichts mehr mit Euch jv schaffe». Mit keinem. Ich bin ihnen nichts mehr schuldig." „Um Gott, Moses! WaS ist Euch geschehen?" Angstvoll

umklammerte das Mädchen seine Hand. „Ist Euch Leides widerfahren?" Die alte Frau, die bisher schweigend neben ihnen gestanden, öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen, aber plötzlich

ermannte sich Moses und winkte ihr zu schweigen. „Laß mich alleine mit dieser Jungfrau," sprach er dann. „Von ihr kommt nichts Arges." Als sich die Alte entfernt hatte, sank er wieder in seine geduckte Stellung zurück und schwieg. „Moses," rief Alwig, „so redet doch um Gotteswillen. Was ist Euch ge­

schehen? Habet Ihr des Herrn Auftrag und Brief besorgt?" Mißtrauisch fragte der Jude: „Was wisset Ihr davon?" „Ich weiß alles," sprach Alwig, „und bin hier, Euch zu suchen. Wundert Euch nicht "

„Nichts wundert mich mehr," war die bittere Antwort. „Gehet heim und saget Eurem Herrn: Moses von Benfeld habe zwei Briefe bestellt, so ihm der Herr Bischof gegeben. Insgeheim an den Grafen von Werde, zu dem sie ihn als

Arzt gelassen, der habe geflucht und ihn angespien; und

noch insgeheimer an den Herrn von Müllenheim, der habe ihm dafür hundert Peitschenhiebe geben lassen auf seinen alten Rücke». Ich habe dem Herrn genug gedient." „Peitschenhiebe," rief entsetzt das Mädchen. „Ach Moses, guter Moses, was habet Ihr erduldet! Auch ich habe eine Botschaft an den Herrn von Müllenheim, dieselbe, die Euer Brief enthielt. Kanntet Ihr sie?" Ein seltsames Lächeln spielte um die Lippen des Alten. „Der alte Jude kennt nichts und weiß nichts, darum hat er die Peitsche schmecken müsse». Aber er kannte und wußte immer noch nichts. So Ihr hingehet, Mägdlein, sehet Euch vor." „Peitschen lassen!" Alwig konnte es noch immer nicht fassen. „Herr Heinrich von Geroldseck hatte den Brief

doch auch gelesen." Moses jvg die Braven hoch. „Ihr wisset mehr als der Herr von Müllenheim weiß. Und ich rate Euch gut: wir haben nichts ju schaffen mit den Händeln der großen Herren. So Ihr einen Auftrag habet, richtet ihn aus, wenn Ihr wollt — jurjeit liegt übrigens der Herr von Müllenheim krank, so müsset Ihr schon seine Genesung abwarten. Aber wisset: grimmig brennen die Peitschenhiebe des Großen auf dem niederen Fell des Armen, aber besser ist ihre Peitsche als ihre guten Worte. Denn ihre Seelen

sind schwärzer denn die Hölle. Haltet Euch rein von ihnen, Mwig. Und nun lebet wohl." „Moses," sprach bittend das Mädchen, „Herr Walther ist siech, keine Kunst kann ihm helfen denn die Cure. Euch zu ihm zu senden, kam ich her." Der Jude schüttelte den Kopf.

„Der Gerechte soll seine

Hände nicht beflecken mit dem Dienste der Gottlosen.

Ich habe es gebüßt." „Der Herr ist nicht gottlos, Moses." „Es ist einer wie der andere. Meine Augen haben in eines falschen Mannes Herz geschaut, Mädchen. Es lohnt sich nicht, sich für sie peitschen zu lassen." Er wandte sein Gesicht

der Mauer zu. Mwig rang die Hände.

„Moses," rief sie verzweifelt,

„Moses, der Herr stirbt ohne Euch. So Ihr an einen barmherzigen Gott glaubt, seid auch Ihr barmherzig und

rettet ihn!" Es war etwas in ihrer Stimme, was selbst dem alten Manne in die Seele drang.

Er wandte den Kopf und

sah sie scharf an. „Jungfrau," sprach er dann in verändertem Tone, „sie haben auch Euch Leides getan." „Achtet nicht auf mich, Moses," rief das Mädchen. „Was

liegt an mir! Rettet den Herrn!" Wieder betrachtete Moses ihr leidvoll flehendes Gesicht. „Sie haben Euch schwer Leides getan," wiederholte er nochmals.

Dann nickte er trübe. „So ist der Lauf der

Welt. Und seid Ihr her nach Straßburg gekommen, wo alle Straßen und Dörfer voll sind ihres Haders und ihrer

Missetaten, um mich zu holen?" Alwig nickte nur. Die heiße Angst schnürte ihr die Kehle zu. Da erhob sich der Jude. Sein Gang war müde und schwer, fällig geworden, als trüge er eine schwere Last mit sich. „Nicht sollt Ihr Euer junges Leben umsonst aufs Spiel gesetzt haben und mich alten Mann beschämt haben. Laß meinen Esel richten, Sara," rief er ins Haus. „Morgen ehe die Sonne diese Stadt der Bösen bescheint, will ich meine letzte Reise beginnen." Die Tränen des Glückes traten in Alwigs Augen; dankbar umfaßte sie die Hände -es Alten. „Gott lohne es Euch, Moses, und segne Euch!" „Ihr seid erschöpft, Jungfrau", sprach sie besorgt an, blickend der Alte. „Kommet in unser armes Haus und stärket Euch. Wo herberget Ihr in der Stadt?" Alwig schüttelte den Kopf. „Ich danke Euch, Moses. Ich habe meinen Auftrag erfüllt. Nun lasset mich heim­ gehen. Ich kann nicht mehr!" Die letzten Worte kamen leise und stockend. Ihre Knie zitterten unter ihr. „Wo herberget Ihr?" fragte der Jude abermals. „Zu Sankt Stephan. Es ist nur wenig Schritte. Lasset mich gehen." Moses nickte. Dann nahm er des Mädchens Hand. „Ihr seid krank, Alwig, sehr krank. Gehet gleich zue Ruhe. Der Gott Israels sei mit Euch." „Und seine Engel geleiten Euch," ergänzte mit leisem Beben das Mädchen. Und bann plötzlich, indem ihr die Tränen hervorbrachen, fügte sie hinzu: „Pfleget ihn mir gut, Moses; ich bitte Euch, pfleget ihn mir gut!" Dann wandte sie sich und verließ das Haus ohne umzublicken. HO

Kaum fünf Minuten später stand sie an der Pforte deS stolzen Hauses, das mit seiner Kirche, seinen festen Mauern und den Türmen, die an die große Ringmauer neben der Jll sich lehnten, wie eine kleine Stadt für sich aussah. Das große Tor mit den festen Eichenfiügeln, die mehr denn hundert Jahre alt waren, von zwei wehrhaften Türmen überragt, war geschloffen, aber daneben hatte eine freundlichere Zeit eine kleine Pforte in die dicke Mauer gebrochen, die gastlich offen stand. Es war Mittagszeit, und ein Blick in den Hof zeigte Alwig eine Reihe von ärmlichen Gestalten, die, in den Schatten einer großen Linde gekauert, ihre Mahlzeit aus der Klosterküche ver, zehrten. Der wohl bekannte Anblick berührte ihre wunde Seele, als streichle sie eine gütige Hand. Mit tiefem Aufatmen trat sie an die Schwelle der offenen Tür, die in die Stube der Schwester Pförtnerin führte. Diese, eine große Schürze umgebunden, hatte anscheinend gerade die Speisen im Hofe verteilt; sie stellte eifrig die leeren Schüsseln auf dem niederen Tische zusammen. „Grüß Euch Gott, Schwester Richardis," sprach das Mädchen und trat ein. Die Nonne wandte sich um; ein freudiges Erschrecken flog über ihr gutes Gesicht. „Alwig, Kind, bist du es wirklich! Willkommen, willkommen, bei uns!" Sie nahm ihre beiden Hände, dann betrachtete sie prüfend die blassen Züge. „So müde und allein kommst du zu uns hier, Kind; was hat das zu bedeuten?" „Ich bin krank, gute Schwester Richardis — so komm ich heim, zur Mutter", wieder traten ihr die Tränen der

in

Erschöpfung in die Augen. „Wollt Ihr mich melden bei

Frau Eldrita?" „Ich hole sie dir selber, Kind, sah ich sie doch eben im Garten. Wie oft hat sie von dir gesprochen! Aber setze dich und ruhe indes; du jitterst ja. Und trinke hier; es ist guter Wein im Kruge."

Alwig sank auf einen Schemel nieder; in hastigen Zügen trank sie aus dem Becher, den Richardis ihr reichte, denn ihre Lippen brannten im Fieber. Kopfschüttelnd ging die Nonne, die Äbtissin ju holen.

Eine Weile saß Alwig gavj still und in sich versunken; plötzlich ward sie sich bewußt, daß sie nicht allein war. In der Fensternische saß auf einer Truhe ein Mann. Er war in Lumpen gehüllt; sein Gesicht, das halb ab­ gewandt hinausschaute in das lichte Grün der Linden­ bäume im Hofe, war abgejehrt und seltsam versunken; er schien sie nicht ju beachten. „Ein kranker Bettler," sprach Alwig halblaut vor sich hin. Schon wollte sie die Augen wieder abwenden, da traf ein leises Stöhnen ihr Ohr. Gleichzeitig sah sie, daß er die linke Schulter in ein Leinen gehüllt hatte das deutliche Blut­

spuren trug. Er schien darauf zu warten, daß er verbunden werde. Eine seltsame Schwüle lag über dem kleinen Raum. Ein plötzliches Erschauern durchrieselte die Glieder des Mädchens; mit weitgeöffneten Augen starrte sie nach dem Bettler hin. Die zusammengesunkene Gestalt, die scharf geschnittenen Züge, die wunde Schulter, waren es nicht die blonden Locken über der hohen Stirn, die sie wohl kannte? War es ein Fieberwahn, der sie äffte?

Sie stand auf; wie von einer unsichtbaren Macht gezogen trat sie einen Schritt näher. Dann blieb sie stehen, den Oberkörper weit vorgebeugt; ihre heißen Blicke bohrten sich in die abgewandte Gestalt. Und zugleich schüttelte es sie in grimmigen Schmerze: der Herr, der Herr! Warum war sie von ihm gegangen? Warum hatte sie selbst die fremde Hand gesucht, die ihn berühren sollte statt der ihren? War sie denn wahnsinnig, daß sie sich selber das Herz aus dem Leibe gerissen hatte? Die Hand, die sie nach dem Bettler ausgesireckt hatte, ballte sich unwillkürlich zur Faust zusammen. Verzweifelt schlug sie an ihre Stirn. Der Herr, der Herr, alles schrie in ihr nach ihm. Ihr junger Leib wand sich in seiner Qual. Da ging mit hartem Ruck die Türe auf; die Spannung löste sich. Der Verwundete wandte ein altes, müdes Gesicht der Eintretenden zu, ein fremder Bettler war es, der auf die Barmherzigkeit des Klosters wartete. Mit vor Entsetzen verzerrten Zügen sah das Mädchen in das Gesicht des Mannes, dessen Anblick einen solchen Sturm der Leidenschaft in ihr entfacht hatte; ein jähes Verstehen dessen, was in ihr vor sich ging, durchzuckte sie; einen Augenblick stand sie wie gelähmt, dann brach sie mit einem lauten Aufschrei bewußtlos in den Armen der Äbtissin zusammen.

9« Lange Wochen vergingen, ehe Alwig wieder wußte, was um sie her geschah. Ein wirres Fieber hatte sie geschüttelt Tag um Tag, und in ihren Träumen sprach sie solch 8

Elsäss. Erzählungen.

Dd. io.

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seltsame und inhaltsschwere Dinge, daß die erschreckte Äbtissin sie in ihre eigene Zelle nahm und sie selber pflegte, weil sie sah, daß dergleichen Reden nicht vor neugierige Ohren gehörten. Sie sprach aber nicht davon, auch nicht, als das Mädchen wieder, in Kiffen gestützt, am Fenster saß und mit müdem und gleichgültigem Blicke in den Hof hinaussah, wo die Spatzen im schwachen Scheine der späten Oktobersonne lärmte«. Langsam begann Alwigs Leib wieder ju erstarken, aber ihr Geist schien weit weg in unbekannten Fernen, aus denen er nur widerwillig ju den Dingen um sich her zurückkehrte. So vergingen die Herbsttage, und ein rauher November hielt seinen Einzug. Da geschah es eines Nachmittags, als Alwig langsamen Schrittes von der Kirche her durch den Kreuzgang ins Haus zurückkam, daß ihr die Äbtissin mit einigen Fremden begegnete. Ein alter Ritter war dabei und einige Frauen. Mutter Eldrita blieb stehen. „Der Herr von Müllenheim, der seine Muhme hier bei uns besucht," sprach sie scheinbar absichtslos, zu Alwig gewandt. Sie hatte den Namen manchesmal in des Mädchens Fieberträumen gehört, und es mochte ihr scheinen, als sei ein Band zwischen den beiden, das die Träumerin ins wirkliche Leben zurückführen könnte. Sie hatte sich nicht getäuscht. Einen Augenblick stand das Mädchen unbeweglich, als klängen die Worte nur halb verstanden aus weiter Ferne an ihr Ohr, dann fuhr (fr jäh erwachend mit der Hand über die Augen. Der Herr von Müllenheim, an den sie einen Auftrag hatte, eine Botschaft von Herrn Walther, die sie vergessen hatte all 114

die lange Zeit hindurch. Sie hatte das Werk, um dessent, willen sie nach Straßburg gekommen, nur halb erfüllt, als ungetreue Gesandte. In einem Augenblick stand alles wieder klar vor ihrer Seele; mit eiligen Schritten lief sie der kleinen Gruppe nach. Die Äbtissin wartete schon aufsie. „Bittet ihn doch, mich anzuhören," rief Alwig ihr zu. „Ich werde dich rufen lassen," erwiderte die Nonne. Die Sonne stand schon tief am Himmel, als die Pförtnerin sie zu dem alten Ritter holte. Das Begehren des fremden Mägdleins war ihm nicht eilig erschienen. Er saß im Lehnstuhl am Fenster, breit und behaglich; die Augen unter den buschigen Brauen blickten nicht unfreundlich, als Alwig schlicht und ruhig vor ihm stand. Sie dachte an keinerlei Scheu. „Ich habe einen Auftrag an Euch, Herr Ritter," begann sie mit leiser, aber fester Stimme, „einen Auftrag von Bischof Walther, Eurem Herrn." Mit einem Ruck fuhr der alte Mann zusammen, doch beherrschte er sich rasch wieder. Nur der Ausdruck der Augen war ein anderer geworden; fast drohend sah er das Mädchen an. „Wer bist du, die mit mir redet?" „Achtet nicht auf mich. Ich bin nur eine Botin meines Herrn." Erstaunt schüttelte Lutz von Müllenheim den grauen Kopf. „Wer bist Du?" fragte er abermals. „Ich bin Alwig, des Torwächters von Hohbarr Kind." „Der Herr Bischof schickt mir sonderbare Boten." „Ihr meint den alten Juden, Herr Ritter, den Ihr habet peitschen lassen." 8*

ns

„So, weißt du das? Und aus dem auch die Streiche meiner Knechte nichts herausbringen konnten als einen Brief, mit dem der Herr Bischof oder sonst der Teufel mich geäfft." „Was stand in dem Briefe?" fragte Alwig. „Du bist sehr kühn, Mädchen, mich also zur Rede ju stellen. Du sprichst nicht wie ein Hörigenkind." „Ich will Euch sagen, was in dem Briefe stand, de» Euch der Herr Bischof gesendet," fuhr Alwig fort, ohne auf seinen Einwurf zu achten. „Es erinnerte der Herr Walther seinen Freund Lutz von Müllenheim an das Geheimnis des Bruderhofes, in dem des Herr» Bischofs Leute ge­ fangen sitzen, und wie er von ihm hoffte, er werde Mittel finden, die Gefangenen auf dem unterirdischen Wege aus der Stadt zu laffen." Der Herr von Müllenheim sprang erregt vom Stuhl. „Was sagst du da für Unerhörtes," schrie er das Mädchen an. „Wer hat dir den Inhalt des Briefes verraten?" „Mein Herr, der Bischof," sprach Alwig gelassen. Da nestelte der Ritter an seinem Wams und jog ein zer­ knittertes Pergamentblatt hervor. „Da ist der Brief," sprach er hart. „Auf meinem Leibe trage ich ihn, bis ich weiß, was er bedeutet." Das Mädchen las die kurzen Worte. Sie erblaßte, ihr Atem ging schwer; dann ließ sie das Blatt sinken. „Das hat Heinrich von Geroldseck getan," sprach sie tonlos. „Das Schreiben ging durch seine Hand." Eine Weile schwiegen sie beide. Mit großen Schritten durchmaß Lutz von Müllenheim den Raum. Alwig preßte die Hand aufs Herz. Sei« Freund, sein bester Freund! ii6

Wie soll er das verwinden! Augen.

Cs dunkelte ihr vor den

Der Ritter hielt inne und blieb vor ihr stehen.

-»Wenn Ihr so nah um den Herrn und seine Geheimnisse Bescheid wisset," sprach er, unwillkürlich die Anrede wechselnd, „so saget mir eines: spricht das Blatt hier die Wahrheit? Ist Herrn Walthers Siechtum ju Tode?" Ein leises Beben durchfuhr Alwigs Gestalt. Ihre Augen öffneten sich weit und sahen an dem Frager vorbei, als

sähen sie in ein Dunkel, dessen Schleier sich plötzlich lichteten. „Ja, es muß so sein", sagte sie zu sich selbst. Eine große Ruhe kam plötzlich über sie. „Es muß so sein," wiederholte sie nochmals. Lutz von Müllenheim sank auf seinen Sitz nieder; schwer stützte er den Kopf in die beiden Hände. Ein ehrlicher Schmerz zuckte über sein Gesicht. „Also doch," murmelte er; „der Knabe, der arme Knabe! O er hat eS fein eingefädelt, der vielgetreue Herr Domkantor! Darum rühmten sie sich heut im Rate, in zwei Tagen werde König Richards Spruch gefällt werden zu ihren Gunsten, und Heinrich

von Geroldseck wolle Frieden schließen mit der Stadt auf eigene Faust, so der Herr Bischof sich sträube, sich dem Entscheid zu unterwerfen. Wißt Ihr, wie unser nächster Herr und Bischof heißen wird?" Alwig antwortete nicht, noch immer sah sie starr ins Leere. Die Worte des Ritters trafen ihr Ohr wie Hammerschläge, aber ihr war, als schmiedeten sie ihr Herz zusammen, daß es sie ruhig aushielt. „So ist es, so muß es sein. Gott ist über allem." Sie wußte nicht, war es eine Stimme von außen oder ihre eigene Seele, die so laut und vernehmlich sprach.

n7

Lutz von Müllenheim war wieder aufgestanden und durchwanderte mit heftigen Schritten den kleinen Raum. „Was wird kommen nach ihm?" wiederholte er ingrimmig. „Er war der letzte von alter Ritterart. Der nach ihm wird Frieden halten mit Krämern und Metzgern und das hellige Recht der Herren biegep und deuteln lasten von den Knechten. Zu Kreuje wird er kriechen vor ihnen und Der, träge schließen, damit ste sich den Wanst füllen können mit ihrem neuen Reichtum. Denn dies Geschmeiß braucht Frieden und Ruhe, um atmen ju können, statt Kampf und Recht. Es ist keine Freude mehr ju leben für adelig Blut." Schweigend hörte ihm Alwig zu. Ihr war, als würde in einem großen Buche eine Seite umgeschlageu, langsam aber unerbittlich. „Gott schlägt de« Herrn Walther hart," hub der Ritter wieder an. „Heute morgen haben zwei der Herren des Kapitels, die in seinem festen Haus in Zabern sitzen, beim Rate angefragt, ob sie in ihre Höfe in der Stadt zurückkehren dürften, da Waffenruhe sei und des Königs Spruch bevorstehe. Ich wollte es nicht glauben, aber sie sagen, die böse Seuche gehe wieder um zu Zabern, wie zu Heinrich von Stahlecks Zeiten. Gott bewahre uns in Gnaden." Dann wandte er sich an das Mädchen. „Wann kehret Ihr zu Eurem Herrn zurück?" „Morgen", erwiderte sie. „So meldet ihm, seine Botschaft habe mich zu spät erreicht. Seine Gefangenen unterhandeln mit dem Rate um Sühnung und Lösegeld. Zum Schwur und Vertrag sind

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sie bereit, — doch nein, saget ihm das nicht. So er stirbt, ersparet ihm den Schmerz." „Habt Ihr keine andere Botschaft für ihn, Ihr, die Ihr sein Freund seid?" Es war ein bitteres Staunen in Alwigs Stimme. „Es tut mir weh um ihn", erwiderte mit erstickter Stimme der Ritter. „Was kann ich helfen?" Da neigte das Mädchen das Haupt zu kurzem Gruße und glitt hinaus. Am selben Abend noch stand sie vor der Äbtissin. „Ich muß heimfahren, gute Mutter." Ein besorgter Blick traf ihre blaffen Wangen, aber Frau Eldrita sprach ruhig: „Tu, was Du mußt, mein Kind. Nur eines: sie sagen, die böse Seuche fange wieder an sich zu zeigen in Zabern." „So sprach der Herr von Müllenheim. Ich muß dennoch fahren." Frau Eldrita überlegte. „Morgen fahren unsere Knechte nach Truchtersheim," sagte sie nach einer Weile. „Es wäre der halbe Weg." „Von dort bin ich in zwei Stunden auf des Herrn Bischofs Feste Kochersberg. Meiner Mutter Muhme ist dort des Torwächters Weib, und manch schönen Tag meiner Kindheit hab ich in ihrem Obstgarten verbracht. Dort kann ich nächtigen und weiterkommen." Frau Eldrita nahm das schmale Gesicht des Mägdleins, das noch deutliche Spuren der eben überstandenen Krank­ heit trug, zwischen ihre weißen Hände. Die Tränen mütterlicher Sorge traten ihr dabei in die Augen, dann wandte sie sich mit einem versteckten Seufzer ab. „Dies

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Kind ist nicht für mich," sprach sie zu sich selbst. „Ein größerer hat seine Hand auf sie gelegt und sie zu seinem Werke berufen. So muß ich stille sein!" Aber sie kniete noch spät im dunklen Chor der Kirche und befahl Alwigs junges Leben in die Hand des Herrn. Zwei Tage später war es; ein rauher Novembersturm schüttelte die kahlen Zweige der Weiden und bog an den stöhnenden Leibern der Birken. Vereinzelt schlugen schwere Tropfen zu Boden, ein schwachgrauer Abendschein stand am westlichen Himmel und warf ein trübes Zwielicht auf die kahle Erde. Mit müden Schritten, dicht in ihren Mantel gehüllt, näherte sich Alwig der Stadt Zaber». Den ganzen Tag fast war sie gewandert, zuerst von den Verwandten begleitet und seit mehreren Stunden allein. Seinen Hund hatte der Ohm ihr mitgegeben und seinen derben Knoten­ stock als einzigen Schutz. Manch erstaunter Blick war der einsamen Wanderin gefolgt, als sie durch die Dörfer kam, manch zudringliches Scherzwort ihr nachgeflogen, aber sie hatte nicht darauf geachtet. Ihre Gedanken waren weit fort; wie in einem seltsamen Traume befangen schritt sie dahin, nur die müden Füße erinnerten sie schmerzend an die Wirklichkeit. Jetzt bog die Straße um und öffnete zwischen den Wäldern hindurch einen Ausblick auf den Felsen, der die Bischofsfeste trug, und die hingekauerte Stadt. Jäh hob das Mädchen den Kopf. Eine heiße Welle durchflutete sie; sie drückte die Hand fest auf das pochende Herz. Was ihr all die letzten Tage wie eine heilige Pflicht und zugleich eine fast über-

menschliche Aufgabe vor der Seele gestanden, wurde bei dem Anblick der Burg zur greifbaren Wirklichkeit. Dort oben war Herr Walther; in wenig Stunden würde ste Aug in Auge vor ihm stehen. Er, von dem ste plötzlich mit heißer Leidenschaft fühlte, daß ste ihm nicht ruhig und unbe­ fangen würde ins Auge sehen können wie damals, als ste von ihm gegangen. Und zugleich fiel ihr die Beschimpfung des Vaters wieder ein, die ihre Seele in brennender Schmach und Empörung getroffen hatte wie ein Peitschenhieb und ste hinaus­ getrieben mitten in der Nacht. Was für einen Schleier hatte sie ihr weggerissen vor den Augen! Und kam ste wieder in das Haus, aus dem sie damals geflohen, und war in ihrer Seele das geworden, was der Vater mit dem schrecklichen Worte genannt? Eine körperliche Schwäche kam über ste angesichts des Aufruhrs ihrer Gedanken, den fie nicht zu übersehen ver­ mochte. Sie griff tastend um sich, als suche ste einen Halt. Nicht weit von ihr stand eine kleine Kapelle. Die Brüder vom nahen Maursmünster hatten sie erbaut und der schmerzhaften Mutter Maria geweiht. Ihr holzgeschnitztes Bildnis, wie ste sich leidzerrissen über den Leichnam ihres Sohnes beugt, stand, in kräftigen Farben gemalt, über dem einfachen Altare. Mit letzter Kraft flüchtete das Mädchen unter das wohlbekannte Dach und sank auf der

hölzernen Kniebank zusammen. Das Gesicht in die Hände vergraben ließ ste den Strom ihrer Empfindungen über sich hinwegbrausea, indes draußen der Regen herniederklatschte und der

Herbstwind die graue« Wolkenfetze» hinausjagte in die Ebene. Es dauerte lange, bis sie etwas ruhiger geworden war. Sie hob den Kopf. Ihr Blick fiel auf das Bildwerk vor ihr. Sie hatte es oft als Kind, wenn der Vater sie für frohe Sommerwochea aus der Stadt auf die Burg heimgeholt hatte, mit Blumen geschmückt und mit mitleidiger Kinder­ hand die starren Glieder des toten Herrn Christus ge­ streichelt. Auch heute glitten ihre Augen über die hin­ gestreckte Gestalt. Da war es ihr, als höre sie wieder ihre eigene Stimme, wie sie dem Herrn von Müllenheim geantwortet: „Ja, sein Siechtum ist zu Tode. Es muß so sein." „Es muß so sein," wiederholte sie leise. „Für ihn und für mich." Ungewußt und ungewollt war etwas in ihr auf­ gestanden, wovor ihr ganzes Innere zurückschreckte und wovon sie nicht wußte, wie sie es bändigen sollte. Eines nur war größer und stärker denn dies: der Tod. Und wie sie daran dachte, daß er sterben sollte, warb ihr ein anderes klar, was sie schon zn Straßburg dunkel empfunden; daß er sich zerbrach in einem Kampfe für ein Recht, das wandelbar war mit den Zeiten, und das er, der adlig Geborene, nicht anders reden und tun konnte, als er getan. Und daß er sterben mußte, weil nur eines größer war und lebendiger war denn dies klägliche sich Zerstoßen einer edlen Seele: der Tod. Eine große feierliche Ruhe kam über das Mädchen. Mit gefalteten Händen kniete sie regungslos, ihre Seele weit offen für das Licht der Klarheit, die mit Allgewalt auf

sie einströmte. „Größer, größer als ich mit meiner armen, schuldigen Liebe, größer als er mit seinem Leid und Trotz:

Gottes Ewigkeit.

Wenn wir doch beide jetzt so sterben

könnten," dachte sie. Und dann sank sie plötzlich wieder in sich zusammen. „Wir können de» Weg ja nicht zusammen gehen. Was ich sehe, er sieht es nicht, was ich weiß, er weiß es nicht. Und ich werde leben, und er, er muß hindurch, jetzt bald, allein und hilflos, ach so hilflos." Ihre Unterredungen fielen ihr ein, dies und das, was er gesprochen — ach, kein Wort, womit man sterben kann. Sein geistliches Amt, ach Gott, er war Ritter und Herr! Ihr Blick irrte hinüber zvm Bild­

nis der Mutter. „Warum klagst Du, Maria? Dein Sohn wußte zu sterben, und dieser, — meiner —ist wie ein Kind. Es weiß nicht, was Leben ist und was Tod ist. Und seine Seele wird zwischen Himmel und Hölle stehen vor Gottes Angesicht. O, daß ich zu ihm reden könnte mit der Stimme eines Engels — eines Engels, ach ich armes, irdisches, schuldig gewordenes Weib." Sie weinte leise vor sich hin. „Und wenn Gott mir hilft und diese meine arme Liebe stärkt und wandelt in die ewige, an der kein Unrecht ist gegen seinen Gesalbten — wer bin ich, daß ich zu ihm

sprechen sollte! Und was könnte ich ihm sagen! Diese Dinge sind größer denn Worte aus Weibes Mund. Ich kann nur seine Wunden verbinden und weinen und beten und sehe doch seine Not." Das bittere Gefühl der HUflostgkeit des Menschen gegen, über dem Menschen überströmte sie. Da tauchte ein Bild vor ihrer Erinnerung auf, wie einer einmal zu ihm geredet

hatte, sanft und doch wie ein Mensch, der Gewalt hat. Die kleine ©jette dort droben im Walde stand wieder vor ihrer Seele und der lange, traurige Blick, mit dem Bruder Franz dem Bischof nachgeblickt. Herr Walther

war dem Mönche gut, obwohl das Gerede, er stände auf Seiten der Straßburger, von ihm ging. Mit starkem Entschlüsse stand das M dchen auf und griff wieder zu ihrem Stabe; der Hund, der stch in eine Ecke der Kapelle gekauert hatte, erhob sich mit unwilligem Knurren; es dunkelte schon stark, und der Regen hatte nicht nachgelassen. Mwig achtete nicht darauf; war sie einst ausgezogen, den Arzt für des Herrn kranken Leib in Straßburg zu suchen, so wollte sie ihm nun einen besseren Helfer senden und ihre eigene Liebe und Sehnsucht begraben bis nach dem Tod. Und so schritt sie müde und doch rüstig ihrem Ziele zu. Grau und düster kauerten die spitzgiebeligen Häuser der alten Bischofsiadt am Eingang ins Zorntal; vereinzelt drang ein schwacher Lichtschein aus den Stuben auf die menschenleeren Straßen. Es lag in der Luft wie ein

unbestimmtes Grauen. In einem schmalen Gäßchen oberhalb der Zorn blieb Alwig stehen vor der Tür eines ärmlichen Häusleins, das am Eingang zu einem große» Garten lag. Die Straßburger Franziskaner hatten vor wenig Jahren das Anwesen gekauft, um dort ein Kloster zu bauen. Zwei ihrer Brüder verwalteten einstweilen das Haus, da die Almosen spärlicher

stossen in den kriegerischen Zeiten, und der Bau noch hatte verschoben werden müssen.

Die Tür war Tag und Nacht unverschlossen, denn die darinnen hatten keine Schätze, um die sie hätten bangen müssen. Und Leid und Not kamen auch zu allen Stunden hierher nm Rat und Hilfe und wollten jederzeit den Eingang offen finden. Alwig klopfte leise. Ein bärtiger Männerkopf schaute durch die Türspalte. „Gott zum Gruß, Bruder Benno! Ist der Bruder Franz daheim?" Der Laienbruder betrachtete sie einen Augenblick erstaunt. „Das Kind vom Hohbarr," rief er dann lebhaft. „Komm herein, kleine Schwester, unser Bruder ist drinnen." Mitleidig half er ihr, da ihre wehen Füße über die Schwelle stolperten, dann nahm er ihr Stock und Bündel ab und legte beides auf die rohgezimmerte Bank am Fenster; der Hund setzte sich knurrend daneben. „Ihr seid beide hungrig, dein Getier und du; gehe nur hinein zum Bruder, indes ich einen Imbiß bereite." Bruder Franz mochte wohl die Stimme vernommen haben; er trat aus dem Nebenjlmmer zu den beiden. Der Schein des Herdfeuers fiel auf sein gebräuntes Gesicht und ließ die dunkle Kutte warm aufleuchten. Ein Strahl der Freude brach aus seinen großen, guten Augen, als er das Mägdlein erkannte. „Alwig, Kind, so spät und so naß und müde." Er legte seine Hand auf ihren Scheitel. Demütig beugte sich Alwig unter seinem Segen; die Tränen der Erschöpfung traten ihr dabei in die Augen.

„Nun setze Dich ans Herdfeuer und wärme Dich; nachher ist Zeit zum Reden." Sorglich nahm er ihr den regenschweren Mantel von den Schultern; da sie erschauerte, holte er eine Decke von dem Strohlager im Nebenzimmer und hüllte sie hinein, indes Bruder Benno die Glut schürte und einen irdenen Topf mit Milch darüber schob. Schweifwedelnd kam der Hund näher und kauerte sich zu Alwigs Füßen nieder. Das Mädchen sprach nichts; den Kopf in die Hände gestützt, ließ sie die wohlige Wärme über ihre müden und kalten Glieder dahinstreichen. Bruder Franz löste ihre Schuhe und schlug die Decke um ihre. Füße; sie ließ es ruhig geschehen. Begierig trank sie dann die heiße Milch; das Brot wies sie zurück; Bruder Benno gab dem Hunde davon. Dann ging er still hinaus, die Geiß im Stall zu versorgen; es mochte ihn wohl bedünken, daß Dinge besprochen werden mußten, die nicht für seine Ohren waren. Bruder Franz saß am Herde und wartete geduldig. Nach einer Weile hob Alwig den Kopf. „Sind wir alleine, Bruder Franz? Ich hab Euch soviel zu sagen." Der Franziskaner nickte nur. „Ich hab Euch nicht gesagt, mit welcher Botschaft ich gen Straßburg fuhr, denn meines Herrn Geheimnis war mir heilig auch vor Euch." Der Bruder hob abwehrend die Hand. „So es dich nicht quält, will ich es nicht wissen." „Der Auftrag war umsonst," fuhr Alwig mit leiser, schwerer Stimme fort, „einer hatte ihn vereitelt und all

des Herren Hoffnungen schon vorher zu schänden gemacht.

Es war sein bester Freund." Sie schwieg eme Weile, vom heißen Mitgefühl überwältigt. Bruder Franz faltete die Hände. „Gott helfe ihnen beiden." „Ja, Gott helfe dem Herren, es zu tragen. Diesen selben Freund hat er an des König Richards Hof geschickt, seine Sache zu führen; er hat ihn auch da betrogen und verraten.

Morgen schon erwarten die Straßburger den Rechtsspruch zu ihren Gunsten."

„Gottes Hand schlägt ihn hart."

„Und noch eines. O Bruder, Bruder, der Herr stirbt; sein Siechtum ist zu Tode!" Und plötzlich versagte ihre Kraft, und sie brach in heißes Weinen aus. Mitleidig umfaßte des Mönches Blick die zusammen­ gekauerte Gestalt. „Du hast ihn lieb, Alwig," sprach er dann sanft. Da faßte sich das Mädchen. „Ja, Bruder," sagte sie, ihn mit ihren großen Augen voll ansehend, leise, „ich hab' ihn lieb. Aber ich kenne Gottes Gebot, und darum will ich wieder von ihm gehen, sobald mein Auftrag erfüllet ist." Sie senkte den Kopf, als erwarte sie einen Vorwurf aus

dem Munde ihres Beichtigers, aber der Bruder sagte nur in schlichtem Tone: „Gott gebe dir Kraft dazu. Hier uuten in Zabern ist Arbeit genug für dich, bis

droben auf der Burg alles vorüber ist. Frau Gertrud, die Zunftmeisterin, hat ein krankes Kind zu pflegen.

Auch sonst geht viel heimliches Siechtum um in der Stadt." Alwig nickte. „Zu Straßburg sagten sie, es

zeige, sich wieder die Seuche, die uus vor fünf Jahren heimgesucht" „Gebe Gott, daß sie irren," erwiderte ernst der Mönch.

„Heut nacht geh ich wachen bei einem Kranken, der mir bös danach aussieht. Aber auch dein Gesicht spricht von Schmerzen und Siechtum." „Ich bin von langer Krankheit

genesen," sprach das Mädchen. „Ich suche das Leben nicht mehr und suche auch nicht das Sterben. Meinen Auftrag an Herrn Walther muß ich noch erfüllen, dann gebe ich mich in Gottes Hand." „Geh morgen früh zur Burg," riet der Bruder. „Heut bist du zu erschöpft, auch kann der Herr leicht Fieber haben zur Nacht. Man redet nicht viel von seinem Siechtum in der Stadt, doch magst du wohl recht haben, daß seine Tage

gezählt sind." „O Bruder, ich muß gehen ihm das Herz brechen, und ich bin nur ein Mensch! Wie soll er sterben in solchem Leid! Wie soll seine Seele vor Gott kommen aus allem Hader und aller Bitterkeit dieser Welt! O helfet Ihr ihm, guter Bruder; Ihr seid Gott näher als ich. Lasset ihn nicht sterben in der Verzweiflung. Es geht um seine Seele, Bruder, und ich bin nur ein armes Weib."

Bruder Franz senkte ernst den Kopf. „Meine Worte konnten sein Herz nicht erreichen, da noch Hossturng war. Ob sie an das Herz des. Gebrochenen dringen, vor dem nichts mehr steht als die Ewigkeit? Ich will es versuchen. Bete du, Alwig, denn Gott ist allen nahe, deren Wille lauter ist. Und nun laß mich dir eine Ruhstatt geben, indes ich zur Krankenwache gehe. Du sollst nicht fremder

Neugier ausgesetzt (ein, und bis zur Burg tragen dich Deine wunden Füße nicht mehr. Bruder Benno schläft

imStall, und dein treuer Hund wird dir Schutz genug sein." Dankbar küßte Alwig seine Hand. Bald darauf sanken ihre müden Glieder auf das Stroh des Lagers nieder, und der Schlaf schloß ihre brennenden Augen, indes Bruder Franj rüstig in die Nacht hinausschritt, seinem schweren Dienst entgegen.

io. Ein naßgrauer Novembertag stieg widerwillig aus den Nebeln der Nacht. In der Vorhalle des Burgsaales waren die Fenster gen Westen sorgfältig mit Brettern und Fellen verschlossen worden, da ste keine Scheiben besaßen; gegen Osten peitschte der Regen unaufhörlich gegen das bunte Glas. Auf einem Ruhebett dicht neben dem großen Kamine, in dem mächtige Holzscheite loderten, saß in Decken gehüllt Bischof Walther. Die letzten Monde hatten scharfe Linien gezogen in sein edelgeschnittenes Gesicht; eine bittere Falte grub sich in die Mundwinkel, und seine Augen blickten düster und unstet. Zu seinen Füßen kauerte das schlanke Windspiel und rieb von Zeit zu Zeit kosend den schmalen Kopf an den Knien seines kranken Herrn. Ein großer Tisch war in der Halle aufgeschlagen, allerlei Schreibgerät bedeckt. Ein junger Mönch daran, bereit, des Bischofs Worte aufzuzeichnen; einer Truhe zur Seite saßen Burkhard Mürnhart

mit

saß auf und

Herr Meyenriß in leisem Gespräche mit dem alten Moses, der, auf einem Schemel kauernd, seinen Herrn nicht aus den Augen ließ. Alle drei sahen ernst und bekümmert aus. Herr Walther winkte Mürnhart an seine Seite. „Ich habe

diese Nacht beschlossen, noch einen letzten Mahnbrief au den Herrn Kantor zu senden," sprach er, und es lag ein bitterer Unterton in seiner Stimme; „bleibt auch der ohue Antwort, bei Gott, so reite ich selbst an König Richards Hof. Die Ungeduld des endlosen Wartens verzehrt mir das Mark in den Knochen und mehr noch das heimliche

Mißtrauen, das ich nicht los werde seit des Juden selt, samem Berichte. Pfui Teufel, ein Geroldseck und Miß­

trauen gegen seinen besten Freund! Lieber läge ich im Grabe bei meinem Herrn Bruder Hermann, als daß ich der schleichenden Niedertracht Einlaß geben wollte in mein Herz. Und doch werd ich so schwer Herr darüber in den langen schlaflosen Nächten." Der Me wechselte einen heimlichen Blick mit dem Arzte. „Ihr habt eine schlechte Nacht gehabt, lieber Herr," meinte er in besorgtem Tone. „Ja, wahrlich, widerwärtig. Und ohne des getreuen Moses Tränklein hätte mir der schlimme Husten wohl keine Stunde Ruhe gelassen. Hängen sollt ich dich lassen, hat mir der Domkantor geschrieben, hörst Du, Moses, als ich ihm von Deinen Erlebnissen zu Straßburg berichtet. Du ständest im Solde des Rates, alte, treue Seele. Seht ihr, überall Mißtrauen. Die ganze Welt ist schwarz davon. Pfui ob dieses Lebens!" „Ihr sollet den Brief schreiben lassen und dann wieder 130

ein weniges ruhen " suchte Mürnhart den Aufgeregten abzulenken. „Wenn es wahr ist, wie die Rede geht, daß König Richard seine Reise bis Hagenau fortführen und in der Kaiserpfalz ein Geding halten will, so trägt Euch ein Ritt von wenig Stunden hinüber, und dann sind alle Zweifel gelöst." „Gib mir das Blatt," sprach Herr Walther zu dem Schreiber gewandt. Er ergriff den Kiel und begann selber einige Zeilen. „Mein trauter Freund und treuer Bruder," lautete

die Anrede.

Dann hielt er inne, betrachtete eine Weile,

was er geschrieben, riß es dann mit rascher Gebärde mitten durch und schleuderte die Fetzen des Pergamentes

in das Feuer des Kamins. „Nimm ein neues Blatt und schreibe du," hieß er den Mönch. Dann begann er zu diktieren: „An unseren treuen Diener, den hochwürdigen Herrn Domkantor Heinrich von Geroldseck an dem Wasichen. Gott zum Gruße und Hell zuvor! Mit schwerem Herzen warten wir auf Antwort auf unsere beiden letzten Schreiben. Da die Straßen jetzt sicher und Waffenruhe überall, so können wir nicht glauben, daß allen beiden Boten ein Unheil widerfahren. Zudem ist uns zu Ohren gekommen, daß König Richard mit seinem

Gefolge von Speyer aufgebrochen und binnen kurzem unseren elsässischen Boden betreten werde. Wir gedenken, sobald er zu Hagenau angekommen, selber bei ihm zu Hofe zu fahren und unsere Sache zu führen. Also heißen und bitten wir Euch, Ihr sollet unverzüglich einige Tage Urlaub begehren und uns allhier auf unserer Burg

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Hohbarr heimsuchen, damit wir in eigener Person mit Euch Rates pflegen können. Dem Boten, der dieses Schreiben trägt, wollet Ihr den Tag Eurer Ankunft hier mitteilen." Er hielt inne. Der Schreiber, dem er schon manche» Brief an Heinrich vonGeroldseck diktiert, blickte ihn erwartungs­ voll an, als solle er noch ein Grußwort in freundlicherem Tone hinzusetzen, aber Herr Walther schwieg. Er ließ sich das Blatt reichen, setzte seinen Namen darunter und rollte es zusammen. Der Mönch entzündete ein Talglicht am Kaminbrande und nahm Wachstäfelchen und Siegel. Da griff Herr Walther noch einmal nach dem Blatt. Mit raschen Zügen schrieb er zwei Worte unter seinen Namen: Walther, Dein Freund. Die Farbe kam und ging dabei in seinem Gesichte. Dann rollte er das Per­ gament wieder zusammen, reichte es dem Mönche und ließ es versiegeln. In diesem Augenblick hob das Windspiel lauschend den Kopf und ließ ein leises Knurren hören. „Still, Lionne," wollte sein Herr beruhige», aber das Tier hörte nicht auf ihn. Dor Aufregung zitternd sprang es in die Höhe und war mit zwei raschen Sätzen am Eingang der Halle. Gleich­ zeitig ertönten draußen Stimmen, die schwere Eisentür wurde geöffnet, und Alwig stand auf der Schwelle. Mit stürmischem Bellen umkreiste Lionne schweifwedelnd ihre einstige Pflegerin; auch die Männer waren in lebhafter Erregung aufgesprungen und eilte» auf sie zu. „Alwig, gute, kleine Alwig, meine Botin und meine Pflegerin," rief Bischof Walther bewegt und streckte ihr beide Hände IZ2

entgegen, indes Moses nach dem Saume ihres Kleides griff, es zu küssen. Ein wehes Lächeln umspielte des Mädchens ernste Züge. Gie kam, soviel herbes Leid zu verkünden, daß die frohe Begrüßung ihr in die Seele schnitt. Herr Mürnhart

mochte ihr ansehen, was sie bewegte. „Du bringst Unheil," sagte er in leisem Tone. Allein Herrn Walthers scharfes Ohr hatte es vernommen. „Ein groß Unheil, um das ich lange gebangt, ist doch abgewendet," sprach er ritterlich, „dir, Alwig, ist kein Leides widerfahren. Doch nun setze dich zu mir und berichte."

Er winkte den andere», die sich in eine Fensternische zurückzogen; Alwig blieb vor ihm stehen, leicht an den Tisch gelehnt. Mit heißem Mitgefühl betrachtete sie das hager gewordene Gesicht ihres Herrn mit den scharfen Leidenszügen darin. Aber auch Walthers Blicke suchten in ihren Zügen. „Wie blaß und verändert du bist!" sagte

er wehmütig, „so gar nicht mehr meine kleine Alwig von stüher. Moses berichtete schon, er habe dich krank gesehen zn Straßburg." „In unser aller Leben stehen Leid und Schuld," erwiderte das Mädchen mit heimlichem Beben in der Stimme. „Wer sie zu tragen weiß, dem wird Gott wohl barmherzig sein. Bittet auch Ihr ihn, lieber Herr, daß er Euch helfe." Der Bischof unterbrach sie lebhaft. „Was es auch sei, waS du bringst, ich bitte dich und heiße dich, mir alles zu sagen ohne Scheu. Du weißt nicht, wie sie mich foltern mit ihrer Schonung und Rücksicht, die getreuen Freunde

dort; wie sie jede Botschaft abfangea und mir alles nur halb sagen, als sei ich ein krankes Kind, und nicht ihr Herr und Bischof." „Sie meinen es treu und gut," besänftigte Alwig. „Das tuen sie wohl; aber ihre Treue und Güte spinnt

wie ein unsichtbares Gewebe um mich her, das mir das wahre Angesicht der Welt verbirgt. Greife ich um mich, so fängt sich meine Hand in ihren Schleiern. Ich ertrag es nicht mehr." „Seid ruhig, lieber Herr, ich werde Euch die ganze Wahrheit sagen, so wie ich sie selber weiß." Sie schwieg einen Augen­ blick und holte tief Atem. Dann fuhr sie in leiserem Tone

fort: „Die Briefe, mit denen Ihr Moses gen Straßburg gesandt, gingen noch durch eines anderen Mannes Hand." Heinrich von Geroldseck," ergänzte Herr Walther mit düsterem Blick der Augen.

„Dieser Mann har Eure Schreiben vernichtet und zwei andere Briefe weitergesandt, und Moses merkte den Betrug nicht." „Was sagst du da?" fuhr Herr Walther so heftig auf, daß die Herren am Fenster erschrocken zusammenzucktev und sich besorgt nach ihm umblickten; „das ist nicht wahr, das kann nicht wahr sein!"

Die Tränen standen in Alwigs Augen. „Ich hab den falschen Brief selbst gesehen," sprach sie leise; „vor drei

Tagen hat ihn mir der Herr von Müllenhetm gezeigt, und da kam alles an den Tag. Nun war es zu spät; Eure Gefangenen haben sich inzwischen mit dem Rate vertragen; sowie das Lösegeld eintrifft, sind sie frei."

Herr Walther war auf seinem Sitze jusammengesünken. „£> meine Ahnung," stöhnte er,,,die ich jede Nacht erdrosselte

und die jeden neuen Morgen lebendig wieder aufsiand. O pfui, seinen Freund zu verraten! Wie hatte mein Vater Recht mit seinem Haffe, um den ich ihn so oft gescholten."

Er barg sein Gesicht in den Händen; ein krampfhaftes Schluchzen erschütterte seinen Körper.

Die Ritter waren

näher getreten, sie hatten seine letzten Worte vernommen und blickten Alwig fragend an. „Heinrich von Geroldseck?"

forschteWolfhelmMeyenriß leise; sie nickte nur stumm und unter Tränen. Bleicher Schrecken malte sich auf allen Mienen. Da erhob Herr Walther den Kopf.

„Das ist noch nicht

alles, Alwig," sprach er, und ein harter Ausdruck trat in sein Gesicht. „Hat er mich in diesem betrogen, so wird

er mich auch an König Richards Hof verraten haben. Weißt du, wie meine Sache steht?" „Der Rechtsspruch wird zu Straßburg täglich erwartet", erwiderte daS Mädchen, am ganzen Leibe bebend, aber mit ruhiger Stimme. Sie fühlte, daß sie sich zusammennehmen mußte, um den kranken Mann nicht noch mehr aufzuregen. „Dann ist keine Zeit zu verlieren," rief Herr Walther aufspringend. „Laßt mir mein Pferd satteln!"

In diesem Augenblick ertönte schmetternder Trompeten­ klang vom Burgtor her.« Wolfhelm Meyenriß eilte ans Fenster und riß es auf. Dann taumelte er zurück. „Zu spät", rief er dumpf. „Ein Herold und zwei Ritter in voller Wappenzier. So reiten nur die Boten eines Königs."

Angstvoll umdrängte alles den Bischof, aber der richtete sich auf. „Laßt sie kommen," rief er siolj; „ein Geroldseck

weiß auch dem Unglück zu begegnen.

Ich bin gefaßt.

Holt mir den Mantel, Burkhard." Niemand sprach ein Wort, indes Mürnhart Walther half, den schwer mit Gold durchwirkten und mit kostbarem Pelzwerke verbrämten Fürstenmantel umzulegen; Mitra und Stab barg zwar der Domschatz zu Straßburg, aber die blonden Locken lagen wie eine Krone über der hohen Stirn. Die Entschlossenheit, die seine Züge durchglühte, übergoß sein edles, blasses Gesicht mit einem Hauche der Gesundheit. Einige Edelknechte kamen in die Halle und stellten sich rechts und links von seinem Sitze auf. Bescheiden trat Alwig zu dem Juden in die Nische eines Fensters. Da blies der Herold unten im Burghofe einen hellen Tusch,

und gleichzeitig führte Herr Meyenriß die beiden Gesandten herein, überrascht blieben die Herren an der Türe stehen; sie hatten wohl solch feierlichen Empfang nicht erwartet. Der eine

war ein graubärtiger alter Ritter, der, als er des Bischofs ansichtig wurde, grüßend den ebergeschmückten Helm vom Haupte nahm; der andere, groß und hager, in fremd,

ländischer Rüstung, verneigte sich steif. „Der Graf von Eberstein und Mylord von Movtford, mit einer Botschaft unseres erlauchten Königs Richard," meldete Meyenriß m höfischem Tone. „Ich bitte die Herren, näher zu treten," erwiderte gemessen der Bischof. „Was bringen die Gesandten des Königs?" Der Graf von Eberstein trat einige Schritte näher; eine

scheue Befangenheit malte sich auf seinem ehrlichen alten Gesichte, indes er ein Pergament aus seinem BrustwamS jog. „Mein Herr, unseres Königs Richard heUige Majestät, entbietet dem Herrn Bischof Walther seinen Gruß als seinem treuen Untertanen und lieben Lehnsmann/ begann er. Walther neigte leicht das Haupt jum Danke. „Da ihn beide streitenden Parteien, sowohl Ihr, hochedler Herr, wie auch der Rat Eurer Stadt Straßburg, um Rechtsspruch und Entscheidung angegangen, so hat er nach eingehender Prüfung und Anhörung Eures Gesandte» sowie des Botschafters des Rates sein Urteil gefällt und sendet Euch darüber Pergament und Siegel. Über vierjehn Tage auf dem Gedinge zu Hagenau gedenkt er Eure und des Domkapitels Einwilligung und Huldigung zu empfangen." Er schwieg und wollte dem Bischof die Rolle überreichen, allein dieser bedeutete ihm mit der Hand, sie vor den Schreiber auf den Tisch zu legen. Der englische Lord staub steif im Hintergründe und beobachtete die Szene. „Wes Inhaltes ist das Pergament?" fragte Herr Walther in anscheinend ruhigem Tone. Der andere stockte eine Welle unter seinem zwingenden Blicke, dann sprach er: „Mein Herr, der König, entscheidet: Es ist Blutes viel geflossen auf beiden Seiten, viele Dörfer sind verbrannt, viele Ritter und Bürger beraubt und gefangen worden." „Allerdings," unterbrach ihn Herr Walther, und zu dem Mönche gewandt: „Hole das Verzeichnis unserer Dörfer, so die Straßburger verheert und verbrannt haben, und lies es vor."

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Der Schreiber gehorchte. Aus einer Keinen Truhe, die auf dem Tische stand, entfaltete er ein Pergament und laS mit erhobener Stimme: Geschleift zu Beginn des Streites: die Mauern und Gräben der Haldenburg; hinübergeschworen zum Grafen

von Habsburg des Bischofs feste Städte Kolmar und Mülhausen; zerbrochen dabei die Burg zu Mülhausen, verbrannt des Bischofs Dörfer Wickersheim, Achevhetm, Schäffolsheim und Wolfisheim, Mundolshejm,

Obenheim, Jgmarsheim, Bischofsheim, Dorlis, heim, Dachstein, Ernolsheim, Kolbsheim, Butenheim, Eultz, Wolxheim, Holzheim, Wilstett jenseits deS Rheines, dazu alles Land und Gut der Herren von Lichtenberg, Geroldseck, Werde, Rotgenhausen, Hüne, bürg, Andlau; dazu alle Dörfer im Ried zwischen Sultz und Breisach, als da find..." „Es genügt," sprach der Bischof. „Redet weiter." „Von beiden Seiten ist viel Übles geschehen," sprach nicht

ohne Schärfe der Graf von Eberstein.

„Hier ist nicht

der Ort, es aufs neue zu untersuchen. Mein Herr, der König, hat entschieden, es solle von beiden Parteien als ungeschehen betrachtet und eins gegen das andere gewogen als gleich befunden werden, also daß keinerlei Anspruch

auf Sühne und Entschädigung sollte erhoben werden, weder von dem Herrn Bischof, noch von der Stadt." Walthers Gesicht blieb unbeweglich. „Fahret fort, Herr Graf." „Was die strittigen Rechtstitel und Punkte angeht, so achtet mein Herr, der König, es sei im Grunde nur ein kleiner

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Funken gewesen, aus dem der große Brand entstanden, so über anderthalb Jahre schon dies Land bös verheert, und der endliche Friede sei ein so großes Gut, daß er schon ein Opfer und Nachgeben wert sei. So hat sich auch Euer Sachwalter am Hofe, Herr Heinrich von Geroldseck, wie Ihr wohl wissen werdet, in Eurem Namen ju Frieden und Vertrag bereit erklärt." Wieder schwieg der Bischof, und der Graf von Eberstein fuhr fort: „Ser erste Punkt waren etzliche Steuerrechte, vornehmlich dasjenige, die Juden jv schätzen, das der Rat schon jv jwei Malen zu Lebzeiten Eures hochseligen Vorgängers Heinrich von Stahleck ausgeübt. Darüber hat der König entschieden, es solle dem Rate verbleiben, der hinwiederum zum Entgelt einige der Lasten auf sich nehme, die vordem des Bischofs gewesen, vornehmlich den Bau des hohen Münsters. Ein Näheres findet Ihr in meinen Pergamenten." Herr Walther knirschte, doch bezwang er sich. Mas die Hoheitsrechte über die Städte Kolmar und Mülhausen angehet, so haben sich die Bürger aus freien Stücken vom Stuhle des hl. Arbogastus losgesagt und unter die Lehnhoheit des Grafen Rudolf von Habsburg begeben, der ihnen auch schon Schutz und Hilfe hat ange­ deihen lassen in den letzten Kämpfen. Diesem Grafen von Habsburg sollen die zwei Städte verbleiben, doch soll er dafür dem bischöflichen Stuhle zu Straßburg etliche Abgaben und Lasten schulden, so in der Urkunde ver­ zeichnet stehen.

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Der nächste Punkt war die Ernmnuvg der Stadtrichter. Da entscheidet der König, diese Gerichtsbarkeit sei Sache des Rates der Bürger und mißbräuchlich von dm Bischöfen ausgeübt ." Da sprang Herr Walther von seinem Sitze auf. „Gmug

und übergenug, Herr Graf," rief er mit blitzenden Augen, und vor Erregung heiserer Stimme. „Meldet dies als

meine Antwort dem Herrn König Richard:

Solange Bischof Walther von Geroldseck lebt, wird er keinen Frieden machen mit seiner Stadt, die sich aufgelehnt hat wider ihrm rechtmäßigen Herrn, es sei denn, daß sie seine

Rechte anerkenne und Sühne leiste für alles vergossene Blut. Nicht weil er Laad und Einkünfte und Ansehen verliert durch des Königs Rechtsspruch, den er verwirft,

sondern weil Recht Recht bleiben muß, so wahr und unverrückbar wie Gottes Sterne am Himmel fiehm. Und so Ihr meinen Sachwalter, den Domkantor Heinrich sehet, so vermeldet ihm-------- " Er stockte, Leichenfahle überjog plötzlich sein Gesicht. Er schwankte und preßte sein Tüchlein an den Mund, aus dem ein Blutstrom hervorbrach. Die Setnigen

sprangen herzu, ihn zu halten; Herr Meyenriß, der neben den Gesandten gestanden, bedeutete diesen mit einer ge­ bietenden Handbewegung, daß der Empfang beendet sei, und da sie bestürzt zögerten, führte er sie rasch entschlossen selbst zur Türe hinaus.

Man hatte den Bischof auf das Ruhelager neben dem Kamine gebettet; es war nur ein leichter Blutsturz gewesen, den die gewaltsam zurückgehaltene Aufregung hervor­

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gerufen, und das Bluten schon vorüber. Blaß, mit ge­ schloffenen Augen lag er da, der Arzt und Herr Mürnhart bemühte» sich um ihn, die Edelknechte und der Schreiber hatten sich still entfernt. Mit gefalteten Händen stand Alwig jv Füßen des Lagers, fast so bleich wie der Kranke selber. „Wird er sterben?" flüsterte sie mit angstvoller Frage. Moses schüttelte den Kopf. „Es geht vorüber — diesmal noch," bedeutete er leise und ernst. „So behüte ihn Gott," sprach das Mädchen. Einen langen, langen Blick warf sie noch auf den regungslos Daliegende», dann verließ sie leise, aber entschlossenen Schrittes das Gemach. Wolfhelm Meyenriß hatte unterdes mit den Gesandten verhandelt. „Ich möchte wohl noch eine andere Antwort mit zu König Richard nehmen," sprach bekümmert der alte Herr von Eberstein. Der fremde Lord zuckte schweigend die Achseln. „Es steht euch frei, hier zu nächtigen," erwiderte Meyenriß. „Der Tag ist ohnehin kurz zum Heimritt. Erlaubet, daß ich Euch zu dem Gemache geleite, wo wir unsere edlen Gäste beherbergen, damit ihr Euch Eurer Rüstung entlediget, und ich Euch Bad und Erquickung senden lassen kann " Er ging den beiden Herren voran, die leise miteinander sprachen, über mancherler Gänge und steile Stufen führte er sie, daß die beiden sich schließlich verwundert ansahen ob des langen Weges. Endlich standen sie am Eingänge des schmalen Holzsteges, der zum südlichen Felsenturme der Burg führte. Herr Meyenriß hatte wahr gesprochen; 141

eine reich ausgestattete und mit allen Bequemlichkeiten versehene Turmstube diente dort oben in schwindelnder Höhe zum gelegentlichen Empfange von Gästen, wenn die Burg sonst voll war; in Zeiten der Not sollte sie bei Er, stürmung der Burg eine letzte Zuflucht bieten, doch war dies noch nie vonnöten gewesen. Kühn und luftig führte die Brücke, von der aus Alwig und Walther so oft zusammen hinübergesehen nach Straßburg, über den Abgrund; der graue Regen peitschte sie heute, und der rauhe Herbstwind ließ sie in ihren Fugen ächzen. Ohne Zögern wollte der Graf von Eberstein den Fuß darauf setzen, allein sein Begleiter hielt ihn am Arme fest. „Dies hat der Teufel ersonnen," murmelte er mißtrauisch. „Laßt uns an des Königs Hof zurückreiten. Sie bereiten uns hier Arges." „Ach was", erwiderte ärgerlich der Graf; „wir ehren in Deutschland den Gast und Gesandten." Aber der Engländer blieb beharrlich. „Herr Ritter," rief er dem vorangehenden Meyenriß zu, die Worte suchend und mit fremdländischer Betonung. „Wir wohnen nicht gerne in Adlernestern. Lasset uns ein wenig Speise unten m den Burghof bringen, und dann wollen wir sogleich aufbrechen. Euer Herr Bischof mag selber zum Geding kommen nach Hagenau oder einen Boten senden. Führt uns wieder hinunter." Ein spöttisches Lächeln spielte um Wolfhelms Lippen, allein er sagte nichts und machte wieder kehrt. Der Graf von Eberstein folgte mit zornigem Gesichte; er wagte nicht, dem Landsmann des Königs zu widersprechen.

Eine halbe Stunde später ritten beide Herren den Weg zurück, den sie gekommen; Herr Meyenriß lachte ingrimmig hinter ihnen drein: „Die wären wir auf gute Art los,

geworden; könnten wir es nur mit ihrem sauberen König Richard ebenso machen!" Alwig war indes in den Burghof hinuntergestiegen. Dor der niederen Tür ju ihres Vaters Wohnung blieb sie stehen. Eine Magd hantierte in der Küche, die Stube vorne war leer. Schon wollte sie sich zum Gehen wenden,

da sah sie Meinhart mit dem roten Lutz über den Hof kommen. Einen Augenblick stand ihr das Herj still; wie gebückt er ging! Sein ehedem graues Haar war schlohweiß geworden, sein Gesicht sah um viele Jahre gealtert aus. Es stieg Alwig herß in die Kehle: um mich, dachte sie. Meinhart hatte schon gehört, daß sie gekommen; er ging geradewegs auf sie ju. Einige Schritte vor ihr blieb er stehen, unschlüssig und verlegen. Zwischen ihnen beiden stand die Erinnerung an jene Sommernacht, in der Alwig aus dem Hause ihres Vaters geflohen. Das Mädchen war es, das sich juerst faßte. „Schuld und Leid," sagte sie zu sich selbst; „es ist mein Vater." Sie trat auf ihn zu und faßte seine Hand. „Ihr sehet müde und alt aus, Vater," sprach sie weich, „laßt mich Euch in die Stube geleiten." Ihr Schwager Lutz gab ihr schweigend die Hand, auch er sichtlich scheu und verlegen. Drinnen legte Alwig das Oberkleid ab und suchte nach

einer Schürze. „Lasset mich heute das Mahl bereiten," bat sie, aber Meinhart winkte ihr ab. „Setze dich zu mir,"

sagte er, und es war, als fiele bei jedem Wort eine schwere

Last von seiner Seele, „und sage mir, was du ju tun gedenkst." Keines rührte an die Vergangenheit.

Alwig überlegte

eine Weile. „Ich habe mich bei der Zunftmeisterin Gertrud

verdingt, bis ihr Knäblein wieder gesundet. Auch sonst ist viel Siechtum in Zabern, wo man meine Kräfte wohl brauchen kann." Der Alte nickte nur schweigend.

„Zum Frühjahr aber —" Alwig unterdrückte mühsam das Zittern in ihrer Stimme, „wollte ich Euch bitten, daß Ihr den Herrn Bischof schon jetzt angehet um Lösung von meiner Mutter Gelöbnis, denn dann will ich jv Euch zurückkehren und Euch pflegen, solange Ihr lebt."

Tiefe Bewegung malte sich in den Zügen des Alten und verriet, was er in den letzten Monden mochte gelitten haben, als er nicht wußte, was aus seinem Kinde geworden, und wohin er sie mit seiner Schmähung getrieben hatte. Aber viele Worte waren seine Sache nicht. „Gott lohne es dir, Alwig," sagte er nur. „Und nun iß heute mit uns, denn du wirst müde und hungrig sein." Alwig gehorchte, indes die Magd die Speisen auftrug und sich dann ebenfalls mit zu Tische setzte. Es war ihr, als sei sie um Jahre älter geworden, seit sie zuletzt mit diesen Menschen hier zusammengelebt, und auch sie mochten ähnliches empfinden, denn sie behandelten sie mit zuvor­ kommender Freundlichkeit, fast mit Ehrfurcht. Droben kämpfte indes Bischof Walther den bittersten

Kampf seines jungen Lebens.

II.

Ereignisreich gingen die nächsten Tage dahin. Zwei Stiftsherren des Domkapitels hatte Herr Walther an den Hof König Richards gesandt mit dem stoljen Bescheid, er verwerfe Urteilsspruch und Geding und werde sein Recht im kommenden Frühjahr mit den Waffe» suchen. Unter seinen Anhängern war diese Nachricht mit wenig Freude ausgenommen worden; die Waffenruhe der letzten Monate hatte die Wohltat des Friedens allzu lebhaft empfinden lassen; auch hatte fich allmählich die Kunde von des Bischofs Siechtum verbreitet, und viele achteten ihn als einen Gezeichneten. Auch an Heinrich von Geroldseck war ein Bote abgegangen, der ihn zur Verantwortung vor dem bischöflichen Stuhl lud; allein der Domkantor war statt dessen in sein Haus nach Straßburg zurückgekehrt, von der Bürgerschaft freundlich und ehrfürchtig empfangen. Auch der Rat war des Kampfes allmählich müde geworden. Bedacht, die Vorteile, die ihnen des Königs Urteil gewährte, fich zu sichern, suchten die Straßburger ihre früheren Gegner auf ihre Seite hinüberzuziehen. So ließen sie auch ihre Gefangenen um billiges Lösegeld frei, nachdem sie ihnen einen Eid abgenommen, bei keinen zukünftigen Fehden mehr die Waffen gegen die Stadt zu führen. So standen die Dinge im Land, als Bruder Franz an einem Spätnachmittage zur Burg Hinaufstieg. Es war ein trüber Tag gewesen; nun, da der frühe Winterabend niedersank, hatte der Sturm sich erhoben und fuhr heulend

durch die kahlen Bergwälder. Große Wolkenfetzen wäljte er über das Tal der tiefeingeschnittenen Zorn hinaus in die weite Ebene, wo er sich frei entfalten und sein unge­ hindertes Spiel mit ihnen treiben konnte. Ächzend bogen

sich die Fichten zu beiden Seiten des Weges, hin und wieder klang das scharfe Krachen splitternden Holzes in das Tosen hinein, wenn ein morscher Baum gebrocheu und in den Abgrund geschleudert wurde.

Ein eisiger Regen peitschte um Haupt und Schultern des Wandernden, allein er achtete seiner nicht. Seine kräftige Gestalt reckte sich gegen den Sturm, als freue ihn der Kampf mit Wind und Wetter. Durch seine Seele zog der Gedanke an jenes wundersame Lied, mit dem der Stifter seines Ordens im fernen Süden einst die Natur seiner umbrischen Heimat gegrüßt hatte. Als

er auf einem Felsenvorsprung angekommen war, wo ihn der Sturm von allen Seiten frei umtoste und wo der Blick hinüber schweifte über die hingekauerten Häuser der Stadt, den steilen Hang des Gebirges entlang, und dann wieder gen Westen über die unendliche Weite der grau­ grünen Bergwälder, die der Wind brausend auf- und

niederpeitschte wie die Wogen eines Meeres, da breitete er die Arme aus und ließ die Kutte flatternd um seine Glieder schlagen, indes sich das, was seine Seele bewegte, auf seinen Lippen zum Gesänge formte: „Sei mir gegrüßt, Bruder Sturm, du gewaltiger Botschafter Gottes, Der Du tosend hinwegfegst, was morsch und krank und

verdorben,

Der Du mit siegender Kraft an allem rüttelst, was stehet. Daß auch das letzte jerbricht, was nicht wurzelecht und auf ewig, Brause durch Herz mir und Sina, Du Künder von Gottes Gerichten." Die frische Kraft seiner Wanderung durch Wind und Wetter umwob noch die Gestalt des Bruders, als ihn ein Page in die Halle führte, wo Herr Walther im fahlen Licht der schnell hereinbrechenden Dämmerung ganz alleine saß. Er hatte all seine Begleiter fortgeschickt; das blonde Haupt tief auf die Brust geneigt, starrte er düster in die schwelende Glut des Kamins. „Bist du es, Bruder Franz, und kommst du schauen, was das Schicksal aus Walther von Geroldseck gemacht?" rief er in bitterem Tone dem Eintretenden entgegen. „Es gibt kein Schicksal," erwiderte der Mönch, „es gibt nur — Gott." Herr Walther zuckte zusammen. „Den gütigen, barmherzigen," höhnte er ingrimmig, „kommst du mir mit dem?" Bruder Franz trat einen Schritt näher und erhob die Hand feierlich. „Hörst du den Sturm, der deine Burg «mheult und die Bäume deiner Wälder knickend nieder­ bricht ? Also hält Gott Gericht über Walther von Geroldseck. Wo sind die Seelen der Menschen, die er in deine Hand gegeben?" „Wo sind sie?" rief mit jäh ausbrechendem Schmerze Herr Walther. „Von mir abgefallen sind sie, einer nach dem anderen. Zum Rate von Straßburg hinübergeschwo-IO1

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ren haben sie, die mir am nächsten waren als erste. Nie­ manden habe ich mehr, der mir treu ist, denn einen alten Juden und die Tochter eines Knechtes." „Zwei Menschenseelen, so viel wert wie die deine," warf Bruder Franz ein. „Achtest du sie gering?" Der Bischof schwieg, seine Augen glühten in finsterem Trotze. „Bischof von Straßburg," klang wie dumpfes Donnergrollen die tiefe Stimme aus dem dunkelndeu Gemach, „ich frage dich noch einmal: wo sind die Seelen deines Volkes, die ich dir in deine Hand gegeben, als ich dich zu meinem Gesalbten und Priester bestellt habe? Hast du das Wort Gottes verkündet? Hast du die Wunden geheilt und den Armen Brot gegeben? Hast du dem Zweifelnden geraten und den Sündigen zurechtgewiesen? Hast du dem Lande vorangeleuchtet wie ein Licht, das der Herr selber entzündet? Weh dir, Bischof von Straß­ burg, du Priester Gottes! Hader und Streit sind groß geworden in deinem Lande, Armut und Elend schreien auf den Gassen deiner Städte, Wunden hast du geschlagen und die als Heiden gehalten, die du zu Christum führen solltest. Keine Zeit und keine Gedanken hast du übrig gehabt für deine Herde, du ungetreuer Hirte, denn du mußtest das Kriegsroß reiten und Urkunden studieren über Steuern und Gerichtsbarkeiten und Menschen ver­ fluchen, die du segnen solltest. Nun hat dich das Lebe» zerbrochen und die Welt, die du alleine gesucht, dich ver­ raten. Nun stehet noch eines zwischen dir und Gottes Ewigkeit, das ist das Sterben." Da hob Herr Walther den Kopf. „Wenn du im Namen

Gottes redest, so sag' mir die Wahrheit: ist meine Krankheit zu Tode?" Einen Augenblick schwieg der Mönch, als rühre ihn eia Erbarmen mit dem gebrochenen Manne vor ihm, aber er wußte, daß er die Wahrheit sprechen mußte. „Du sagst es. Nach menschlichem Ermessen ist keine Heilung mehr." Totenstille herrschte in der Halle, nur der Sturm rüttelte an den Ladenbrettern und heulte im Kamin. Herr Walther war in sich zusammengesunken, das blonde Haupt lag schwer auf den Händen. Und plötzlich brach ein krampfhaftes Schluchzen hervor und schüttelte seinen Körper. Sterben, Sterben! Er hatte dem Tode im Kampfe so manchmal ins Auge gesehen, ohne mit der Wimper zu jucken, im tollen Überschwange seiner Jugendkrast — aber dies war ein anderes, ein unerbittliches, finsteres Etwas, das die Hand ausstreckte nach ihm, ihn zu erwürgen, und vor dem es kein Kämpfen und sich Wehren, keine Möglichkeit des Entrinnens gab. „Ich will nicht, ich will nicht!" kam es in abgebrochene» Lauten von seinen Lippe«. Mit stumm mitleidigen Blicken stand Bruder Franz im Dunkel des Gemaches; er kannte dieses erste verzweifelte sich Wehren des jungen Lebens und empfand doch tief, daß eine große, überweltliche Barmherzigkeit über allem stand. Lange hörte man nichts als das bittere Schluchzen des Weinenden, plötzlich hob er den Kopf. „So geh auch du wie all die andern und laß mich sterben," sprach er bitter. „Ich stehe hier als Bote Gottes," erwiderte ruhig der Mönch. „Mein Auftrag ist noch nicht zu Ende."

„So rede"

„Du sollst auferstehen am jüngsten Tage, Walther von

Geroldseck. Was ist in deiner Seele, daß du damit auferstehen könntest und bestehen vor Gottes Gericht? Der Wunsch, dein Münster fertig zu bauen. Ich tadle dich des nicht, aber dein Münster wird fertig gebaut sein am jüngsten Tage. Die Begier, die ju strafen, die dich treulos

verraten — aber Gottes Sturm wird dann schon lange die Spreu vom Weizen gesondert haben. Du sagst, der Wunsch, Recht und Gerechtigkeit siegen zu sehen. Aber wer sagt dir, daß das, was dir dein Recht schien, es auch vor Gottes Augen gewesen? Kaan nicht Gott andere Maße und Gewichte haben, denn du und jeder Zeit ein anderes Gesetz vorgeschrieben haben, das du und ich nicht verstehen? Was bleibt übrig in deiner Seele,

wenn du dies alles hinwegnimmst?" Der Bischof antwortete nicht. „Es steht noch viel vor dir, Walther von Geroldseck, eh du sterben darfst!" „Was kann ich noch tun?" kam eS leise von des Bischofs Lippen; „ich, ein Verbannter, ein Ster­

bender ?" „Du sollst gar nichts tun, du sollst sein. Einer hing am Kreuze drei Stunden lang. Ihm waren Hände und Füße mit Nägel« festgeschmiedet, und seine Zunge klebte am Gaumen, daß er kaum zu reden wußte. Und in diesen drei Stunden hat er die Welt erlöst. Also rechnet Gott anders denn die Menschen." Tief beugte der kranke Mann das ehedem so stolze Haupt. Zwei Worte drängten

sich ihm leise und demütig auf die Lippen. „Ich Sünder, ich armer Sünder!" Abermals erhob Bruder Franj die Stimme. „Sieh und höre, was Gott Großes von dir will. Andere sterben und wissen es nicht, und der Tod nimmt sie hinweg wie Schlafende — du aber siehst dich sterben. Andere nimmt der Tod als Greise, wenn sie das Leben satt sind. Du aber stehst noch am Anfang deiner Tage. Andere sehe» zurück auf ein wohlgelungen Werk und eine vollendete Arbeit — du aber sollst sterben hinweg aus Niederlage und Mißerfolg. Also Großes hat Gott mit dir vor, mehr denn mit anderen. Dies alles zu überwinden ist der letzte deiner Kämpfe, Walther von Geroldseck, und der größte vor Gott, und in diesem sollst du Sieger sein." „Manch altes Weiblein und manch armer Bettler kann es," sprach in demütiger Klage Herr Walther, „ich bin weniger als sie, denn ich weiß nicht, ob ich das kann." „So bete und ringe darum, bis der Herr, der deine Not kennt, dich segnet," war die ernste Antwort. Eine feierliche Stille war im dunkeln Gemach; draußen hatte der Sturm nachgelassen, es war so ruhig, daß man das Knistern des Holzes im Kaminfeuer hören konnte. Da streckte der Bruder wie segnend die Hand über Herrn Walthers blonden Scheitel aus. „Also wird Gott Frieden geben zu seiner Stunde," sagte er leise. Dann neigte er sich abschiednehmend zu dem Kranke» herunter und küßte den Bischofsring an der schmal gewordenen Hand. „Behüte Euch Gott, mein lieber Herr," sprach er innig, „und so Ihr mein begehret, lasset mich rufen."

Ein dankbarer Blick noch ans den Augen des Bischofs, der ju erschöpft war zum Reden, dann schied Bruder Franz von der Burg. 12.

Ein böser Winter war hereingebroche»; keiner von denen, die mit grimmigem und doch gesunden Frost durch Mark und Bein schneiden, sondern einer von den tückischen milden, deren laulichte Föhnwinde alle giftigen Fieber aufwecken. Die Seuche, die man nach dem ersten Schrecken zu Zabern schon wieder erloschen geglaubt, stand um die

Mitte des Januar urplötzlich wieder auf. An allen Ecken der Stadt brach sie zugleich hervor und packte gerade die Kräftigsten und Gesundesten. In wenig Tagen zählte man an die zwanzig Leichen. Zuerst hatte der Rat versucht, das Unglück geheimzuhalten und ließ die Toten in aller Heimlichkeit ohne Priester und Glockenton begraben, aber in kurzem schon lag der Jammer offen auf allen Gassen. Wer Blutsfreunde oder solche, die ihm verschuldet waren, im Lande hatte, der floh aus den verseuchten Mauern, sein Leben zu retten. Und wie dem gewöhnlich so ist, die Vornehmen und Begüterten wußten überall Unterschlupf zu finden; was seit Jahresfrist sich im Haus des Bischofs

am Markte gesammelt hatte an Domkapitularen und anderen hohen Herren, zerstob jählings in alle Winde, selbst von der Stadtgeistlichkeit waren die meisten geflohen und hatten in der nahen Abtei Maursmünster Zuflucht gesucht; nur das arme Volk saß, des Duldens gewöhnt, in stumpfer Verzweiflung in seinen engen Gaffen und

wartete, wen der Tod sich als Bente aussuche« würde. Vergebens versuchten die beiden Franziskaner unter

Aufbietung alles Ansehens, das sie beim Volke genossen, die Gesunden aufzurütteln, sie sollten ihre Häuser gründ­ lich reinigen und die Kranken sorgsam pflegen: „Wozu das ? Gott will uns verderben! Wen er gezeichnet hat, dem ist doch nicht mehr zu helfen." Kaum daß sich die nötigen Leute fanden, die Toten zu begraben. Einige wenige tapfere Frauen, die keine Familie zu ver­ sorgen hatten, Alwig unter ihnen, halfen den Brüdern, der Siechen zu warten und den Sterbenden beizustehen, aber sie merkten rasch, daß die Aufgabe über ihre Kräfte Hinauswuchs. Der altersgraue Pfarrherr, der einzige, der auf seinem Posten verblieben war, sandte Botschaft nach Maursmünster um Hilfe; vergebens. Der Abt ließ ihm sagen, er sei vor Gott verantwortlich für seiner Brüder Leib und Leben und dürfe es nicht leichtfertig aufs Spiel setzen; viel habe er schon getan, daß er trotz der Gefahr die flücht!, gen Zaberner Herren aufgenommen. Bruder Franz schickte zur Burg hinauf um Moses von Benfeld; aber dem Juden war sein Leben lieb. Er sandte Arzneien und Tränklein, aber selber hinuntersteigen —„er könne den todkranken Herrn Bischofnicht verlassen." So wuchs die Not von Tag zu Tag. Allmählich fing ein heimliches Wesen an, um flch zu greifen

unter den Gesunden. In dunkeln Höfen kamen fie zu­ sammen oder am Waldesrand, wo ein uraltes Marterbild stand, und hielten Rat, wie man Gottes Zorn abwenden könne von der unglücklichen Stadt. Und die ein Totes daheim liegen hatten, die taten sich die Kleider vom Leibe

und fingen an, fich ju geißeln, bis das Blut herunterrann, und riefen dazu um Erbarmen und Gott möge es an ihren freiwilligen Leide» genug sein kaffen und die Seuche wenden. Dor dem Pfarrherrn und den beiden Mönchen verbargen sie sich zuerst sorgfältig, denn es war noch in aller Erinnerung, wie feind die Geistlichkeit bei der letzten

Fahrt zu Heinrich von Stahlecks Zeiten sich den Geißlern gezeigt hatte, aber allmählich sickerte die Kunde davon

doch durch und verwirrte die Geister vollends. In dieser Not war es, als Alwig eines Morgens wieder vor dem Tore von Hohbarr stand.

Tag um Tag und Nacht um Nacht hatte sie, achtlos jeder Gefahr, an Krankem betten gestanden oder sich über verwaiste und verwahrloste Kinder erbarmt und ihr eigenes Leid und ihre eigene Not um Herrn Walther untergetaucht in das allgemeine Elend, aber zu keiner Stunde hatte sie vergessen, daß oben auf der Burg auch ein Siecher lag, dem ihre pflegende Hand wohlgetan hätte, und den sie dennoch meiden mußte und meiden wollte. Aber allmählich, als sie Verwirrung und Verzweiflung um sich her wachsen sah wie eine allge­ meine Flut, gegen die die schwachen Kräfte der Helfer immer machtloser wurden, da erfaßte es sie wie ein heim­ licher Groll gegen den Herrn: warum tat er nichts? Warum ließ er sein Volk zu Füßen seines Berges verderben, ohne eine rettende Hand nach ihm auszustrecken? Und dann kam wieder die würgende Angst: konnte er überhaupt noch etwas tun? Hatte ihn die Hand des Todes schon gepackt, auf die sie alle warteten ? Hatte die Seuche vielleicht auch ihn ergriffen?

CS litt sie nicht mehr in der Stadt. Und so stand sie in der Frühe eines grauen, lichtlosen Februartages vor der Burg und begehrte Einlaß. Der rote Lutz und der Rosse, meister Kunerad waren am Tore, „ölt kommst von der Stadt, Alwig?" rief ihr der Schwager ju. „Ich darf Dich nicht hereinlassen, wir haben strengen Befehl." Und Kunerad fügte barsch hinzu: „Behaltet Euer Unglück für Euch, Ihr Zaberner. Noch ist die Luft rein auf Hohbarr. Ihr sollt sie uns nicht verpesten." Alwig hob die Hand. „Rufe meinen Vater, Lutz; er ist der Hüter dieses Tores. Sage ihm, seine Tochter Alwig begehre Einlaß." Es lag eine so ruhige Würde und Festig, feit in ihrem Wesen, daß Lutz, obwohl brummend, ge, horchte. Der Rossemeister zog sich hinter die Zinnen des Wehrganges zurück, um zu beobachten, was geschehen würde. Der graue Torwächter kam mit müdem Schritt, die Schlüssel in der Hand. Er trat nicht erst auf den Söller, um Ausschau und Zwiesprache mit der Ankommenden zu halten, wie es Pflicht und Gewohnheit erheischten, sondern machte sich schweigend daran, die Riegel zu lösen. Er mochte wohl denken, daß er eine Schuld zu sühnen hatte. „Was tut Ihr, Meinhart!" rief erbost Meister Kunerad. „Die Seuche schleppt Ihr uns ins Haus! Das wird Euch Amt und Brot kosten." „Schweiget still, Gevatter. Dies hier ist zwischen mir und meinem Kinde. Wenn es mich Amt und Brot kostet, so steh ich dafür, nicht Ihr."

iSS

Damit schloß er avf, machte den Balke» los und jog die schweren Torflügel weit auf. „Tritt herein, Alwig," sprach er einfach.

„Ich danke Euch, Vater," erwiderte warm das Mädchen. „Kann ich jvm Herrn?" „Geh hinauf und sprich mit Herrn Mürnhart. Der bewacht ihn wie seinen Augapfel. Was den Herrn erreicht, geht durch ihn." Alwig verstand.

Die sorgende Liebe seiner Getreuen

wob wieder die Schleier zwischen ihn und die Welt. Ob er wohl wußte, wie es stand in Jabern? Sie überlegte eine Weile. Um diese Zeit war er in gesunden Tagen stets in der Halle gewesen, mit seinem Schreiber beschäftigt. „Ist er krank, so daß er sein Lager nicht verläßt?" forschte

sie beim Vater. „Tageweise. Dann geht es zuweilen wieder etwas besser. Gestern soll er aufgewesen sein." „So will ich es versuchen." Rasch eilte Alwig die wohlbekannten Stiegen hinauf. Kein Mensch begegnete ihr; erst, als sie in den Flur einbog, der zur Halle führte, hörte sie Schritte und das heftige

Ausstößen eines Stockes. Es war der Ritter von Geroldseck, der ans Krankenbett seines Sohnes gekommen war und nun schon seit mehreren Wochen auf der Burg weilte.

Alwig trat auf ihn zu. Sie hatte genug von ihm gehört, um zu wissen, wer er war. „Ich komme, den Herrn nach Jabern zu holen," sagte sie. Der alte Ritter maß sie mit einem raschen Blick der leb­ haften Augen. „Gott sei Dank," sagte er dann mit heftigem

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Aufatmen. „Geh herein." Er machte ihr den Weg frei und trat hinter ihr ins Gemach. Dicht am Kamine, in eine Decke gehüllt, saß Bischof Walther in lebhaftem Gespräche mit Herrn Mürnhart und dem alten Moses. Er wandte Alwig den Rücken, so daß er ihr Kommen nicht bemerkte, die beiden anderen aber blickten erschreckt zu ihr auf. Mürnhart trat auf sie ju. „Fort," flüsterte er eifrig. „Störe den Herrn jetzt nicht, er ist sehr krank." Das Mädchen schritt an ihm vorüber, ohne ihn ju beachten. Jetzt sah auch Herr Walther auf. Eine tiefe Bewegung ging über sein abgejehrtes Gesicht; wortlos streckte er ihr die Hand hin, indes seine Augen sich feuchteten. Alwig beugte sich nieder und küßte den Bischofsring. Dann sah sie ihm voll in die Augen. Ihre ganze Seele zitterte in ihren Worten: „Herr Bischof Walther, wir sind in großer StoL Und niemand kann retten und helfen denn Ihr." „Was ist geschehen, Kind? Wo braucht man mich?" In lebhafter Erregung richtete er sich auf. „In Zabern, Herr. Eine schlimme Seuche wütet in Eurer Stadt. Die helfen sollten, sind geflohen, und die geblieben sind, verwirren Angst und Schrecken, so daß sie das Elend vergrößern statt zu lindern. Kein Oberhaupt ist da, daß er befehle und rette." Da sprang mit jähem Ruck der Bischof auf; Schwäche und Krankheit schien verschwunden, und es lag etwas von dem alten herrischen Klang in seiner Stimme, als er mit blitzenden Augen und zorniger Gebärde sich zu Mürn­ hart und dem Juden wandte: „Also das war's, was Ihr

mir so ängstlich verborgen habt! Übel habt Ihr an mir getan, und auch Ihr, Herr Vater, so Ihr dies wußtet und geholfen habt, es vor mir heimlich zu halten. Gott mag Euch richten und verzeihen. Hinweg von mir, die Ihr zwischen mir und meiner Pflicht gestanden!" Erschreckt und verlegen schwiegen die andern. Der Bischof ging mit großen Schritten in der Halle auf und ab wie immer, wenn er mit dem Zorn rang. Dann blieb er plötzlich stehen. „Ich tue Euch unrecht," sprach er in verändertem Tone. „Hab ich Euch doch selbst daran gewöhnt, mein eigenes Wohl über das meines Volkes zu stellen. Die Schuld ist mein! Laßt mein Pferd satteln. Alwig, ich folge dir." Da schlug ihm der alte Ritter mit der Hand auf die Schulter so kräftig, daß der Bischof zusammenfuhr. „So ist^s recht, Walther," rief er in ausbrechender Be­ wegung. „Schon lange hat"s mich gewurmt und in mir gefressen, daß ein Geroldseck in der Krankenstube ver­ modern sollte. Drauf auf den Feind, wenn es auch diesmal kein Straßburger, sondern der Tod selber ist. Ich reite mit gen Zaberv." „Wir reiten alle mit," sprach traurig und stockend Burkhard Mürnhart mit gesenktem Haupte, „so unser Herr mir so weit vergeben will, daß er mich an seiner Seite duldet." Herr Walther legte ihm die Hand auf den Arm. „Du mein Vielgetreuer, laß dich mein rasches Wort nicht kränken. Komm und hilf gutmachen, was wir verfehlt haben. Nimm den Meyenriß auch mit, den kenn ich, daß er nicht zurückbleibt. So sich mein Haus in Zabern

geleert hat von den Herren Domkapitulare«, so ist mehr denn Platz genug für uns alle." Da warf sich einer ju Füßen des Bischofs und umschlang seine Knie — Moses von Benfeld. „Ich Wurm und Feigling," jammerte er laut; „zertretet mich und bespeiet mich, der ich meines armseligen Lebens geschont habe bis heute! Aber lasset meinen Esel im Schatten Eurer Rosse gen Zabern reiten, daß nicht Ritter und Edle tun, was des Arztes Pflicht gewesen. O Gott meiner Väter, rechne nicht mit mir ob der Gebrechlichkeit meines elenden Gemütes!" Er warf sich zu Boden und wollte den Fuß des Bischofs auf seinen Nacken setzen. Der wehrte fast heftig ab. „Wir sind alle schuldig, Moses," sprach er ernst. „Laß uns eilen, wieder gutzumachen, so lang wir noch können." Die letzten Worte waren halblaut gesagt, als rede er nur zu sich selbst. Da fiel sein Blick auf Alwig, und er las in ihren Augen, daß sie ihn verstanden hatte. Er streckte ihr die Hand hin und beugte sich zu ihr herab. „Gott segne dich für das, was du heute an mir getan hast," sprach er dann leise, so daß nur sie es hören konnte: „Wenn ich nicht mehr hierher zurückkehre, vergiß meine Seele nicht. Und nun laß uns noch einmal zusammengehen." Das Mädchen drückte nur stumm seine Hand, dann wandte sie ihr Gesicht zur Seite, daß er ihr die tiefe Be­ wegung ihrer Seele, in der Leid und doch Glück mitein­ ander rangen, nicht aus den Augen ablese. Wenig Zeit später ritten sie alle Zabern zu. Wie ausgestorben lagen die ersten Straßen, durch die sie

kamen, hin und wieder nur erschien ein Gesicht hinter den verschlossenen Fenstern, das erstaunt und verständnislos dem Häuflein Reiter nachblickte. Doch ließ ein lautes Getöne in der Luft sie aufhorchen; die Glocken der Markt­ kirche waren es, die, von ungestümen Händen alle zugleich geläutet, in gewaltigen Töven gen Himmel stürmten. Als sie sich dem Marktplatze näherten, schlug ein undeut­ liches Stimmengewirr an ihr Ohr; vor sich her sahen sie einige dunkle Gestalten, die dem Platze zueilten, von wo eine laute, heisere Stimme das Gemurmel der Menge übertönte. Die Glocke» verstummten jäh. „Laß uns absitzen," befahl Herr Walther, „und unbemerkt hören, was vor sich geht." Man gehorchte. Alwig, die Herr Mürnhart vor sich auf dem Rosse gehabt, begriff zuerst, was geschah. „Die Geißelbrüder," rief sie, „am Hellen Tage und auf dem Markte! Nun wird vollends die ganze Stadt in Ver­ wirrung geraten!" Unauffällig näherte sich die kleine Gruppe der Versamm­ lung; der alte Ritter von Gerolbseck blieb mit den Knechten bet den Pferden zurück. Es war ein seltsames BUd, was sich ihnen bot. Rings im Kreise standen dicht gedrängt die Zaberner, Männer, Weiber und Kinder, manche trotz der winterlichen Jahres­ zeit nur notdürftig bekleidet, so wie der Schall der Glocken sie aus den Häusern gerissen. Mann an Mann standen sie da und starrten mit weitgeöffnetem Munde nach dem, was mitten im Kreise vor sich ging; hin und wieder hörte man ein gurgelndes Schluchzen oder einen dumpfen 160

Aufschrei aus der Menge. Zn einer Ecke entstand eine Bewegung: ein Weib wand sich in Krämpfen am Boden; achtlos stießen die hinter ihr Stehenden sie beiseite und drängten nach vorne. Wortlos verließ Alwig ihre Be­ gleiter, um sich der Unglücklichen anzunehmen. In der Mitte des Platzes bewegte sich ein Zug von etwa dreißig Männern paarweise im Kreise. Ein dunkles Gewand hing lose um die hageren Gestalten, der Rücken schimmerte entblößt hindurch, in den Händen trugen sie eine Peitsche mit mehreren Lederriemen; einige hatten Dornen oder Nägel hineingeflochten. In ihrer Mitte stand auf einem Tische einer von ihnen, ein großes Holz­ kreuz an einem Stricke um den Hals gebunden, so daß es schien, als müsse ihm die Last die Kehle zuschnüren. Ihm zu Häupten waren zwei schwarze Bahrtücher an langen Stangen befestigt; ihre schweren Falten schlugen, vom Winde bewegt, klatschend gegen seine Glieder. „Der Schneider Eberhard," flüsterte erstaunt Herr Mürnhart. Jetzt erhob sich aus der Schar der Geißler ein eintöniger Gesang, indes sie innehielten und die Arme zum Himmel emporreckten r „Nun hebet auf all eure Hände, Daß Gott dies große Sterben wende! Nun hebet auf all eure Arme, Daß Gott sich über uns erbarme. Jesus, durch deiner Namen drei. Mach uns, o Herr, von Sünden frei! Jesus, durch deine Wunden rot, Behüt «ns vor dem jähen Tod!" 11

Elsäss. Sr-ähltmgeir. ©ö. io.

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Dann warfen sie sich mit gekreujten Armen ju Boden, das Gesicht in den Staub gedrückt, indes die Menge in klagendem Tone und mit erhobenen Händen die letzten, Zeilen wiederholte. Jetzt riß sich der Anführer mit raschem Griff das Ober­ gewand vom Leibe, so daß ihm das schwarje Holzkreuz gegen die nackte Brust schlug. Seine Geißel schwingend, rief er mit gewaltiger Stimme: „Herr Gott im Himmel, kein König und kein Bischof hört unser Elend. So höre du auf die Stimme unseres Blutes, das ju dir um Erbarmen schreit für unsere Missetaten!" Seine Augen verdrehten sich in dem verjerrten Gesichte, klatschend fielen die Schläge der Geißel auf seinen schon von früheren Streichen wunden Rücken. Ein Schrei ging durch die Menge, als das Blut heeniederfloß. Gleichzeitig erhoben sich die Liegenden und schickten sich an, seinem Beispiele zu folgen. Da entstand eine Bewegung unter den Zuschau­ ern; entschlossen durchbrach Herr Walther die dichten Reihen und stand plötzlich in der Mitte des Kreises. „Hier steht euer Bischof und Herr," rief er mit weithin tönender Stimme. „Was schlaget ihr Eure Rücken wund und schreit zu Gott um Erbarmen, statt selber Erbarmen zu zeigen mit Euren kranken Brüdern. Um Euer Leben zittert ihr, und das Eurer Nebenmenschen laßt ihr im Elend ver­ kommen." Ein jähes Erstaunen malte sich auf allen Ge­ sichtern, dann ging ein ehrerbietiges Murmeln durch die Rei­ hen: „Der Herr, der kranke Herr Bischof selber. Nun wird Gott uns gnädig sein!" Nur hin und wieder ein zor­ niger Ausschrei: „Hört ihn nicht! Er stört Gottes Gericht!"

Herr Walther wandte sich zu dem bestürzt dastehenden Eberhard; er ergriff seine Geißel und zerbrach den Stiel

krachend über seinem Knie. Ein helles Rot brannte auf seinem scharf geschnittenen Gesichte. „Wenn du dich geißeln willst," rief er, „so tue es in deiner Kammer, wo nur dein Gott dich sieht. Hier ist jetzt andere Arbeit zu tun. Wer von Euch hat ein Totes liegen zu Hause?" Ein wlldes Ausschluchzen ringsum; „ich, ich"; die meisten der Geißelbrüder hoben die Hände. „So gehet heim und begrabet sie; bis die Abendglocke ertönt, liegt kein Toter mehr im Hause. Ich schicke meine Knechte rund und lasse nachsehen. Wer hat ein Krankes daheim?" Wieder ein dumpfes Stöhnen als Antwort. „Der gehe heim, ihrer zu warten. Vorher trete er hier zum Tische und gebe seinen Namen, daß wir Arzt und Priester senden. Wo in Zukunft eines krank wird, da meldet es drüben in meinem Hause. Sind Kinder hier, deren Eltern ge­ storben?" Ein paar armselige Gestalten wurden von den Umstehenden nach vorne geschoben. „Nehmet Ihr sie etnstwellen ins Haus mit uns, Herr Mürnhart. Ist der Stadtschreiber hier?" „Ja, Herr." Mit gebücktem Rücken trat ein alter Mann vor. „Gut, Magister. Heute nachmittag sprechet Ihr bei mir vor, damit wir ratschlagen, was aus diesen wird. Wo sind Bruder Franz und der Pfarrherr?" „Als sie sahe», daß sie den Geißelbrüdern nimmer wehren konnten," erwiderte der Magister, „sind sie in die Stadt

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gegangen zu sehen, wo man ihrer bedürfe." „Laß sie suchen und schicke sie zu mir. Und Ihr," wandte er sich an die Geißler, deren Kreis ihn stumm umgab, „wer von Euch keine Arbeit zu Hause hat, komme mit mir ins Haus. Desgleichen lasset mir -en Herrn Vogt holen und was Ihr von Ratsherren noch in der Stadt habt." „Der Herr Vogt ist gen Straßburg gefahren, und vom Rate sind nur zwei in Zabern, die liegen beide krank." „So schicket mir die Zunftmeister und was sonst von angesehenen und verständigen Leuten zu finden ist. Unl> du, Oerhard," wandte er sich an den Schneider, „kommst auch mit. Du bist von heute ab mein ständiger Begleiter." In ehrfürchtigem Schweigen lauschte die Menge. „Und nun, gute Leute", fuhr der Bischof fort, „wisset, Euer Bischof und Herr wohnt von heute ab unter Euch hier in seinem Hause, und seine Türe steht Tag und Nacht für Euch offen. Lasset uns miteinander versuchen, das Unheil zu wenden und Gottes Zorn zu versöhnen durch Arbeit und Werke der Barmherzigkeit." Er erhob die Hand zum Segen. Rings fiel alles auf die Knie. „Der Herr, der gute, kranke Herrl" hörte man schluchzen. Dann wandte sich Herr Walther mit den Seinen tief aufatmend seinem Hause zu, und langsam verlief sich die Menge. iZ«

Mit Erstaunen wurden die Zaberner in den nächsten Wochen inne, was fie für einen Bischof hatten. Alle

Fäden des Lebens in der Stadt schienen in seiner Hand znsammenjulaufen. Wo in einem Hanse die Krankheit ansbrach, da war er oder sein Arjt sogleich jur Stelle, wo ein Sterbender lag, da stand er als Priester am Bette. Nur wo die Leute nach dem Bruder Franj begehrten, trat er still zurück. Auch die Seinigen hatten alle Hände voll zu tun, und die Türen zum Bischofshause standen Tag und Nacht offen. Es war, als habe die Seuche nur auf sie gewartet, um mit er­ neuter Gewalt loszubrechen. Alwig begegnete dem Herrn fast täglich; vielleicht war sie die einzige, die in diesen Tagen fieberhafter Arbeit, die alle anderen ganz in ihren Ban» zog, mit wehem Herzen sah, wie seine Wangen immer schmaler und der Glanz seiner Augen immer schärfer wurde und wie seine hohe Gestalt sich langsam vorn über wölbte. Er selber wußte nichts davon. Vergessen war die Krankheit, die ihn heimlich verzehrte, vergessen der Tod, der vor ihm stand, vergessen auch Leid und Zorn um die Straßburger. Seine ganze Seele war hingegossen in die Sorge und Arbeit um sein Volk; kaum, daß ihn der heiße Dank, die ehrfürchtig gestammelte Bewunderung berührte, die rings um ihn aufkeimte. Nur einer ging schweigend und finster an seiner Seite; der Mann, den er sich selbst, einer Regung der Klugheit folgend, zum ständigen Begleiter gegeben: der Anführer der Geißler, Eberhard. Tag und Nacht war er zur Stelle, ebenso unermüdlich wie sein Herr, jedem Winke gehorsam, aber kein Zucken in seinem dunklen Gesichte, kein weicherer Klang in der Stimme antwortete auf Herrn Walthers freundliche Art.

Am ersten Abend, als sie beide allein von einem Gehöfte außerhalb der Stadt zurückkehrten, hatte ihn der Bischof, dem die leidenschaftlichen Züge seltsam bekannt vorkamen, gefragt: „Wo hab ich dein Gesicht schon einmal gesehen?" „Meines habt Ihr noch nicht gesehen. Kann sein, das meines Buben Udo oder meines Buben Heribert." „Wo ist dein Sohn Udo?" „Er war Falkner in Eurem Hause und ist bei Hausbergen begraben." „Wo ist dein Sohn Heribert?" „Er war Bogenschütze bei Euch und ist von de» Kolmarern erschlagen worden." Herr Walther schwieg erschüttert. „So hat dir Gott in einem Jahre zwei Söhne genommen ?" „Ja, Gott," sprach der Schneider mit hartem Klange der Stimme. „Hast du sonst keine Kinder?" „Doch, Herr, einen lahmen Krüppel. Er ist Schneider wie ich." Seine dunklen Augen brannten, wie er so sprach. Der Bischof verstummte jäh. Er fühlte, daß ihm da ein Leid zur Seite ging, so über alles Maß groß und schwer, daß kein Wort des Trostes daran heranreichte. Und zugleich senkte sich sein eigenes Teil an diesem Leid wie eine schwere Last auf seine Seele. Es war ihm, als müsse er dem Manne, dem er tags zuvor in aufflammendem Zorn die Geißel aus der Hand gerissen, Abbitte tun. „Ich bin Euch oft ein harter Herr gewesen, Eberhard," hob er wieder an. Ein Schimmer flog bei de» leisen,

demütigen Worten über sein Gesicht und ließ es fast knabenhaft kindlich erscheinen. Der Mann an seiner

Seite sah es nicht.

„Ihr müßt so sein. Ihr steht für Gott. Und Gott ist hart. Er will Blut sehen und die Qualen der Kreatur. Dann erbarmt er sich — vielleicht." Ein düsterer Haß loderte aus seinen Zügen. Er atmete schwer. Herr Walther erschrak vor der Glut der Leidenschaft, die sich hinter den kurzen Worten barg> Wahrlich, dieser Mann hatte sich Leib und Seele blutig gegeißelt. Er schauderte. „Du lästerst Gott, Eberhard!" Ein halb mitleidiger, halb verächtlicher Blick streifte ihn. „Ich kenne ihn.

So will ich auch in Wahrheit von ihm

reden. Ihr solltet ihn auch kennen, Herr. Hat er Euch nicht auch geschlagen bis aufs Blut? Hat er Euch nicht

jeden Tag des Glückes bezahlen lassen hundertfach mit Elend und Verzweiflung? Wo sollen die Menschen da Güte hernehmen?" „Schweig still, Eberhard, schweig still, so redet kein Christ." „Wie Ihr wollt, Herr. Es gibt freilich Menschen, die das

nicht hören können." Und von da an ging er wieder stumm und finster neben Herrn Walther her. Und das Wissen um seine Not ging auch mit Herrn Walther und ließ ihn nicht los und band ihn an den düsteren Mann, aber er fand keine Worte ihm zu helfen, so sehr er sich auch darum quälte in seiner

Seele. In diesen Tagen geschah es, daß der Rat der Stadt 167

Straßburg erneut ein Schreiben an den Bischof sandte. Ein Bote brachte es bis vor die Tore der Stadt und übergab es den Wächtern; bis hinein in die verseuchten Straßen getraute er sich nicht. Der Rat bat darin den Herrn in ehrfurchtsvollem Tone, er möge doch nicht im heran­ nahenden Frühjahre ein neues Blutvergießen herauf­ beschwören. So er den Richterspruch des Königs Richard, der allerdings in Deutschland wenig Ansehen geerntet habe und im Begriffe sei, in seine Heimat jurückzukehren, nicht anerkennen wolle, so bäten sie ihn, ihre Streitsache mit ihnen gemeinsam noch einmal ohne fremden Schieds­ richter zu prüfen, ob nicht von beiden Teilen ein Nachgeben möglich sei. Die Straßburger, zu denen die Kunde von dem, was in Jabern vor sich ging, allmählich durchgedrungen war, mochten wohl denken, wenn ihr Bischof, auf dessen Tod sie täglich gewartet hatten, noch soviel Leben und Tatkraft in sich habe, so könne noch manches kommen, dessen sie sich nicht versehen hätten von ihm, und ein billiger Vertrag sei besser als ein endloser Streit. Herr Walther las das Schreiben wie eine Botschaft aus einer anderen Welt, dann legte er es still zur Seite. „Sie sollen Frieden haben," sagte er zu sich selbst. „Wie, das werden wir überlegen, wenn ruhigere Zeiten sind." Noch zu anderen war die Nachricht von Herrn Walthers Wirken in der verseuchten Stadt gekommen, heut zu dem einen, morgen zu dem anderen; das waren die aus Jabern geflüchteten Herren, vorab die Domkapitulare. Und langsam begann es wie Scham in ihrer Brust avfzu,

quellen. Herr Walther war ein Schwerkranker, Herr Walther war ein Ritter, dem das heilige £>l des Priester, tnms die Stirn erst genetzt, als schon der Mantel des erwählten Bischofs seine Schultern deckte, Herr Walther war Fürst und Lehnsherr, und hier saßen sie, ein jeder in seinem sicheren Schlupfwinkel, und ließen ihn allein mit Not und Tob kämpfen. Und eines Morgens befahl der Herr von Türkheim, der auf der Wavgenburg bei seinem Oheim gesessen, sein Pferd zu satteln und ritt hinüber nach der Abtei Maursmünster, wo er einige der anderen Domherren wußte, und am Nachmittage desselben Tages wurde im Klosterhofe ein großer Leiterwagen vollgepackt mit allerlei Hab und Gut, das er vor drei Wochen aus Zabern hergeführt. Aber die Herren warteten nicht, bis er fertig war. Einzeln und fast verstohlen ritt ein jeder mit seinem Knappen in die Stadt ein und tat ganz unauffällig, als käme er eben nur von einem kurzen Ausgang zurück. Aber die Bürger, die ihnen begegneten und achtungsvoll die Mützen vom Kopfe nahmen, schmunzelten heimlich und wissend hinter ihnen her, und als gegen Abend der große Wagen von Maursmünster ankam, stand der ganze Markt voll von Gaffern, die neugierig darüber berieten, wie des Bischofs Haus all die Heimgekehrten wieder fassen solle. Herr Walther war den ganzen Nachmittag drunten an der Zorn gewesen, wo in einem kleinen Hause zwei Sterbende auf einmal lagen. Es war eia hartes Ringen gewesen, und auf dem Heimwege fühlte er plötzlich die Erschöpfung all der letzten Tage, die ihn fast zu Boden 12

Elsäss. Erzählungen. Dd. io.

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zwang. Schwer lehnte er sich auf den Arm, den ihm sein schweigsamer Begleiter nicht gerade unwillig, aber -och ohne Eifer anbot. Der Bischof empfand es bitter, daß er so gar nichts vermochte über dieses Mannes Herz, aber er zwang das Gefühl nieder. „Begraben bei Hausbergen, erschlagen von den Kolmarern," klang es in seinen Ohren. „Woher sollen die Menschen die Güte nehmen?" Unweit des Marktes begegnete ihnen Wolfhelm Meyenriß, der in lebhafter Bewegung auf sie zueilte. „Wir suchen Euch, Herr Bischof," rief er ihnen fröhlich entgegen. „Es gibt Neuigkeiten!" Ein paar Vorübergehende bliebe» stehen und lachten — es war das erste Lachen in Zabern seit langer Zeit. „Das wäre?" „Euer Haus ist voll geworden seit heut mittag, und mich dünkt, es wird noch um vieles voller werden in den nächsten Tagen. Die Vögel, die ausgeflogen waren, kommen ins Nest zurück. Sie lassen gar sehr die Flügel hängen — ich glaube, sie schämen sich!" „Meine Domherren?" rief ungläubig Herr Walther. Wolfhelm nickte. „Mit Sack und Pack. Der Herr von Türkheim zuerst, dann der Andlauer, der Tiersteiner und noch vier andere hinter her. Wir werden Hilfe genug haben!" Da löste plötzlich Eberhard, der Schneider, seinen Arm aus dem des Bischofs; seine düsteren Augen brannten, und eine tiefe Erregung arbeitete in seinen Zügen. „Herr," stieß er hervor, und es war wie ein Aufschrei der Befreiung, „ich habe Gott Unrecht getan! Es war Eure Schul­ alleine!"

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Und sich losreißend verschwand er in einer der Seiten­ gassen. „Ist er von Sinnen?" fragte erstaunt Herr Meyenriß.

Ein frohes Lächeln lag auf Herrn Walthers Gesicht. „Es ist ein gutes Ding geschehen, Wolfhelm," sagte er; es klang wie ein stiller Jubel durch seine Worte. „Ein gutes Ding, alter Freund! Geh voran und melde den Herren, daß ich sie gleich empfangen will. Ich möchte

ein wenig allein sein." Einen besorgten Blick warf Meyenriß auf seinen Herrn, aber der winkte ihm, zu gehen und schritt langsam, auf seinen Stock gestützt, der offenen Kirchtüre zu. Die ihm begegneten, wichen ehrerbietig zur Seite, und manch guter Blick folgte ihm nach. Drinnen düsterte es schon, und die Kirche war leer. Herr Walther ging nicht nach vorne, wo der geschnitzte Thron­ sessel im Scheine der ewigen Lampe für ihn bereit stand; müde suchte er sich hinten in den letzten Bänken et» Plätzlein. Er war ju sehr erschöpft, um noch etwas ju denken, aber ein stiller Friede erfüllte ihn ganz. Lange saß er regungslos, das Gesicht zum Altare emporgehoben. Da kam eine weibliche Gestalt von vorne her durch das Schiff der Kirche. Alwig war es. Sie sah den einsamen Beter und dämpfte den Schritt, ihn nicht ju stören. Da erkannte sie den Bischof. Eine jähe Freude durchzuckte sie; sie hielt einen Augenblick

inne, ihre Knie bebten, wie stö ihn ansah. Sein unbedecktes Haupt umleuchtete der Schimmer der blonden Haare, und auf den blassen Zügen lag es wie eine selige Verklärung, 171

die alles Unbedeutende, Nebensächliche hinwegwischte und den edlen Schnitt des Gesichtes scharf hervortreten ließ. Er achtete nicht auf bas Mädchen, seineSeele war anderswo. Da raffte sich Alwig zusammen. Mit fester Hand machte sie bas Zeichen des Kreuzes und ging bann still hinaus. In derselben Nacht kam das Ende. Ein kurzer, aber heftiger Blutsturz — und während in der Stadt die Krankheit verlosch, und neues Leben langsam wieder zu keimen begann, grub man zu Dorlisheim neben dem toten Landvogt Hermann das Grab für Walther von Geroldseck.