Vom antiken Realismus zur spätantiken Expressivität

Zum erwählten Thema führte mich bereits vor Jahren einerseits mein Interesse für jene Entwicklungsphase der antiken Kuns

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German Pages 194 [196] Year 1965

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Table of contents :
Titel
Zur Einführung
I. Der antike Realismus und der Weg zur Spätantike
II. Das zeitmässige Milieu
III. Die Trajanssäule, der Beginn der Spätantike?
IV. Anfänge der Bildung der Spätantike: Von M. Aurelius bis Septimius Severus
V. Die Bildung der Spätantike: Von Caracalla bis Decius
VI. Die Ausprägung der Spätantike: Von Gallienus zu Probus
VII. Schlussfolgerungen. Die Entwicklung und ihre Gründe
Anmerkungen
Gekürzt angeführte Werke
Od antického realismu k pozdně antické výrazovosti
Verzeichnis der Abbildungen
Index
Tafeln
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Vom antiken Realismus zur spätantiken Expressivität

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OPERA UNIVERSITATIS PURKYNIANAE BRUNENSIS • FACULTAS PHILOSOPHICA SPISY UNIVERSITY J. E . P U R K Y N Ě V B R N Ě F I L O S O F I C K Á FAKULTA 101

OLDŘICH

VOM A N T I K E N

PELIKÁN

R E A L I S M U S ZUR EXPRESSIVITÄT

SPÄTANTIKEN

OLDŘICH

PELIKÁN

VOM ANTIKEN REALISMUS 2UR S P Ä T A N T I K E N E X P R E S S I V I T Ä T

STÁTNÍ PEDAGOGICKÉ PRAHA

NAKLADATELSTVÍ 1965

ZUR

EINFÜHRUNG

Zum erwählten Thema führte mich bereits vor Jahren einerseits mein Interesse für jene Entwicklungsphase der antiken Kunst, die in mancher Hinsicht der Ent­ wicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jh. und am Anfang des 20. Jh. nahesteht, die Auflösung und Festigung der Form, wo sich verschiedene Traditionen und Einflüsse kreuzen, andererseits die Möglichkeil wissenschaftlicher Arbeit unter den heutigen Bedingungen, wo die Autopsie des Materials wesentlich erschwert analytische Studie ver­ ist. Aus diesem Grunde habe ich auf eine erschöpfende zichtet und einen längeren Zeitraum gewählt, wo es notwendig ist, aus umfang­ reichem Material auszuwählen. Bei der formalen Analyse stütze ich mich teils auf meine eigene Kenntnis der Mehrzahl der Denkmäler in den italienischen Museen, soweit es mir die beschränkte Zeit eines zweimonatigen Studienaufenthalts ge­ stattet hat, teils auf ihr Studium mit Hilfe von Original-Photographien, vor allem der der Firmen Anderson und Alinari, teils auf die Literatur, die sich mit dieser Epoche der Entwicklung der römischen Bildhauerkunst befasst. Angesichts der sehr unterschiedliclien Kenntnis der gesamten bildhauerischen Produktion auf dem grossen Gebiet des römischen Imperiums ist es gewiss zweckmässig, dass wir von unserer Beobachtung attische, kleinasiatische, nordafrikanische und andere Denkmäler ausschliessen und uns auf den Kern des damaligen bildenden Kunst­ schaffens und die zentrale römische Plastik beschränken, die in reinster Form die einheitliche „Reichskumt" repräsentiert, soweit man diesen Begriff anwenden kann. Ebenso werden wir nur der heidnischen Kunst Aufmerksamkeit widmen, weil die christlichen Sarkophage, die vor dem letzten Vierteil des 3. Jh. entstan­ den, in geringer Anzahl vorhanden sind, stilistisch nichts neues bringen und ihre Datierung oft strittig ist. Auf eine feste chronologische Struktur legen wir aller­ dings grossen Wert. Wir stützen uns, soweit möglich, auf zuverlässig datierte Denkmäler. Günstig ist die Situation in der Zeit des Endes des 2. Jh. u. Z. und um das Jahr 200, aus der eine Reihe von historischen Reliefen, oft genau datiert, erhalten ist. Im 3. Jh. müssen wir uns mit Ausnahme von Porträten von Herr­ schern und Mitgliedern ihrer Familien bei Sarkophagreliefen mit einer relativen

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Chronologie begnügen, deren Grundlagen allerdings im allgemeinen zuverlässig sind (Porträts, sich ändernde Modefrisuren bei Frauen, technische Verfahren, besonders das Benutzen von Bohrern usw.). Zum Abschluss noch eine Bemerkung zur Terminologie. Wenn ich Termine wie barockisierend, Barock, Impressionismus, bzw. auch Expressionismus gebrauche, manchmal ohne sie, bedeutet das natürlich manchmal mit Anführungszeichen, nicht, dass ich neuzeitliche zeitgebundene Entwicklungsbegriffe auf die Antike übertragen wollte. Sie sind, lediglich angewöhnte anschauliche Hilfsmittel, die bildliche Ausdrucksweise zum besseren Verständnis beitragen sollen. Eine Analo­ gie der inneren Entsvicklung besteht zwar, doch dürfen wir sie nicht überschätzen, oder sogar unhistorisch auffassen. Der Begriff Realismus wird hier im .breitesten Sinne eines allgemeinen ästhetischen Prinzips benützt. Dieses Buch widme ich meinen. Lehrern, die mich durch ihr Wort und ihr Bei­ spiel die wissenschaftliche Arbeit lehrten (einige von ihnen sind leider schon das mir verstorben), sowie dem Fachpersonal der Brünner Universitätsbibliothek, durch seine ungewöhnliche Gefälligkeit beim Beschaffen, von Auslands-Literatur meine wissenschaftliche Arbeit ermöglicht. Brno 23. September 1962.

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Oldrich

Pelikan

I DER ANTIKE REALISMUS UND D E R W E G ZUR SPÄT A N T I K E

Die römische Kunst — genauer gesagt die Erforschung dieser Kurist — nimmt im Rahmen der antiken Kunst eine besondere Stellung ein. Seit der Zeit Wickhoffs und Riegls ist das Interesse dafür ständig gewachsen, es mehren sich spe­ zielle Studien, die oft Teilprobleme berücksichtigen, doch steht es irgendwie im Schatten einer älteren — und wie manchmal allzu stark betont wird — ursprüng­ licheren griechischen materiellen Kultur. Sicherlich wird man Griechen­ land die weltgeschichtliche Rolle i n der Entwicklung der europäischen bil­ denden Kunst nicht nur in bezug auf das Altertum, sondern auch auf spätere Zeit nicht absprechen. Allerdings bedeutet das noch nicht, dass R o m — wir meinen damit die römische Kultur, die römische. Kunst, der histori­ schen Würdigung, der relativen und absoluten Bewertung und des Verzichtes auf die überwundenen, antihistorischen und nichtdialektischen Massstäbe nicht wert wäre. Rom können und müssen wir mit Griechenland vergleichen, d. h. die Rolle der griechischen bildnerischen Traditionen für die römische Entwicklung in Betracht ziehen; allerdings ist diese Abhängigkeit nicht mit einer blinden, sklavischen Nachahmung gleichzusetzen und das „Griechische" darf kein Gradmesser für das „Römische" werden. Eine der Aufgaben unserer Arbeit ist es, das beiderseitige reale Verhältnis aufzuzeigen, ein Ziel, das sich mehrere neuere Studien gesetzt haben. Die an Intensität zunehmende Erforschung der römischen Kunst lässt nicht nur die einzelnen Kunstwerke und die kürzeren oder längeren Zeitabschnitte der damaligen Entwicklung der bildenden Kunst verstehen (vgl. z. B . die zahlreichen in Zeitschriften veröffentlichten Studien von G . Rodenwaldt, der sich wohl die grössten Verdienste auf diesem Gebiet erworben hat), sondern sie will auch das Wesen der Entwicklung und ihre Triebkräfte ergründen (vgl. unter den neuesten Arbeiten wenigstens die hervorragende umfangreiche Abhandlung von 0 . Brendel Prolegomena to a Book on Roman Art (Memoirs of the Acad. i n Rome 21, 1953, S. 7 ff.)) sowie zwei Aufsätze von R. Bianchi-Bandinelli, die mir aus dem Polni­ schen bekannt sind, nämlich K r y z y s artystyczny u schylku starozytnosci (Archeo7

logia 5, 1952—1953, S. 83 ff.) und Zagadnenie rzezby rzymskiej v III i IV wieku n. 1. (Archeologia 7, 1955, S. 1 ff.). Es ist kein Zufall, dass die Forscher dem Ausgang des 2. und dem 3. Jahr­ hundert u. Z., also der Zeit grosser Umgestaltungen und innerer Strukturverände­ rungen sowohl i n der Entwicklung der antiken Gesellschaft als freilich auch der damaligen Kultur ihr Augenmerk zuwandten. Damals traten nämlich die einander widerspruchsvollen Entwicklungstendenzen zutage und die antike Kunst begann immer mehr eine neue Gestalt anzunehmen, auch wenn sie nach wie vor der bisherigen „klassischen" Tradition verhaftet war. Gewöhnlich spricht man von der Geburt der sog. Spätantike, deren zeitliche Abgrenzung sowohl gegenüber der antiken Vergangenheit als auch der mittelalterlichen Zukunft keineswegs problem­ frei ist und unterschiedlich bewertet wird. Es handelt sich weniger um den Aus­ gang der Spätantike und ihrer Grenze gegenüber der vorromanischen und byzan­ tinischen Kunst, obwohl die Ansichten hauptsächlich der Byzantologen und die der klassischen Archäologen ziemlich auseinandergehen, sondern vor allem um ihren Anfang, soweit man überhaupt eine Trennungslinie zwischen der sog. klas­ sischen und der späten Antike (vgl. die sich wiederholenden Klassizismen) ziehen kann. Bei der Lösung dieser überaus komplizierten Fragen müssen wir uns zu­ nächst einige Grundbegriffe und Konstanten in der Entwicklung der römischen Kunst klarmachen, denn sonst bewegen wir uns in einem circulus vitiosus und unterstützen oder bekämpfen etwas, was verschiedene Gestalten hat. Mitten durch die römische Kunst der Kaiserzeit verläuft die Trennungslinie zweier grossen Kulturepochen, die wir traditionell als klassische — im weitesten Sinne des Wor­ tes — und als Spätantikc bezeichnen. In dieser grossen Periodisierung bildet die klassische Epoche, ungefähr vom 5. Jh. v. u. Z. — 3. Jh. u. Z., den Kern des griechisch-römischen Altertums, dem eine archaische Periode vorangeht,und den eine Spätphase abschliesst. Jene etwa acht Jahrhunderte kennzeichnen die realis­ tische Kunst, die sich enger oder lockerer an die naturgegebene Wirklichkeit an­ lehnt, die durch die Sinne wahrgenommen wird. Die klassische Antike können wir anders als den antiken Realismus (im breitesten, vom Realismus des 19. Jh.. völlig verschiedenen Sinne des Wortes) bezeichnen. Der Spielraum dieses Realis­ mus ist sehr weit und reicht von dem typisierenden P o l mit beträchtlichem Anteil an Abstraktion bis zu dem P o l mit extremer deskriptiver oder eher illusiver Konkretheit. Der Unterschied zwischen dem bildnerischen Schmuck des Zeustem­ pels in Olympia oder den Plastiken des Parthenon und zwischen den römischen Porträten oder den historischen Reliefs ist sicher kein geringer. Doch ist allen die­ sen Werken der rationale Ausgangspunkt und das Festhalten an der sinnlichen Wirklichkeit gemeinsam, kurz, der Rationalismus und Sensualismus sind mit der Konkretheit vereint. Das Wesen des antiken Realismus ist am besten in der histo­ rischen Perspektive fassbar. d. h. indem wir ihn mit der unrealistischen Kunst vergleichen, die vor oder nach ihm bestand, bzw. auch mit den weiteren Schick8

salen der bildenden Kultur i m Mittelalter oder in der Neuzeit. Die Geburt der realistischen Kunst i m 5. Jh. v. u. Z. ist mit der stürmischen Entfaltung der griechischen Gesellschaft eng verknüpft, die, auf den wirtschaftlichen Fortschritt gestützt, sich reichlich differenziert hat und im Rahmen der von der Sklavenhalter­ ordnung gegebenen Möglichkeiten um eine allseitige Betätigung des am politi­ schen und kulturellen Leben teilnehmenden freien Bürgers bemüht war. In einem in der Entwicklung fortgeschrittenen und progressiven Milieu mit einer rapid emporschnellenden Entwicklungskurve begann die vernunftsmässige Betrachtung der Philosophie die primitive, mythologische Interpretation der Welt zu ersetzen und die spezialisierten Wissenschaften trennten sich allmählich von der praktischen Erfahrung der Produzenten ab. Die bildende Kunst, kaum dass sie zu steinernem Tempel übergegangen war, regte eine ungestüme Aufwärtsentwicklung der monu­ mentalen Plastik an. Die frontalen Idole. Objekte einer frommen Anbetung, wiesen immer mehr Elemente auf, die sich auf Naturbeobachtung stützten und etwa anderthalb Jahrhunderte später erfolgte auch die Auflockerung des steiner­ nen Körpers entsprechend dem natürlichen Rhythmus der Bewegung. Die kon­ krete sinnliche Realität siegte Anfang des 5. Jh. über die kultische Abstraktion. Die irrationale Auffassung wich dem Verstehen dieser materiellen Welt. Der nachfolgenden' Weiterentwicklung blieb es überlassen, mit welcher Schnelligkeit dieser typisierende Realismus seinen Anteil an Abslraktiou einhüssen sollte. Doch bereits i n der Periode der grossen Klassik der voll ausgebildeten athenischen De­ mokratie stand es ausser Frage, dass die Realität, die konkrete Erfahrung das ursprüngliche Symbol in den Hintergrund treten liess. Einen im wesentlichen gleichen Vorgang, freilich in umgekehrter Folge, können wir i n bezug auf die Entwicklung der Kunst der mittleren und späten Kaiserzeit verfolgen. So treten bereits i m 2. Jh. u. Z. i n der sog. goldenen Zeit des römischen Weltreichs, in dem trotz äusseren Glanzes, Wohlstandes und militärischer Macht der innere Verfall allmählich und kaum merklich einsetzt, i n der Skulptur die Merkmale einer neuen unrealistischen Auffassung und Darstellung namentlich gegen das Ende des Jahr­ hunderts und dann immer deutlicher i m Verlaufe des 3. J h . u. Z. i n Erschei­ nung. In dieser Zeit geht die am Anfang des 5. Jh. v. u. Z. geborene klassische realistische Antike unter, sie ist im Verfall, auch wenn das periodische Wieder­ aufleben der Klassizismen noch im 4. Jb. u. Z. nicht selten ist. A b Ende des 3. Jh., seit Diokletians Dominat, wo der Bruch mit der Vergangenheit des Prin­ zipats auch äusserlich zum Ausdruck kam und das Programm einer absolutisti­ schen Regierungsorganisation klar verkündet wurde, ändert sich auch die Kunst. Es überwiegt die Abstraktion, die aus den Porträts, aus den Kaiserstatuen und Reliefhildcrn auf Münzen klar ersichtlich ist. Die konkrete realistische Beschrei­ bung wurde durch die repräsentative Ikone ersetzt, durch den Ausdruck des uneingeschränkten Herrschers, „Herr und Gott", dominus et deus, wie die offi­ zielle Anrede des Herrschers hiess. Die durch die Sinne konkret wahrgenommene

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Realität wurde erneut durch das Symbol ersetzt, der Realismus machte dem Ausdrucksvollen Platz, das die Äusserung des veränderten irrationalen Denkens und der neuen subjektiven Beziehung zu der den Menschen umgebenden Natur ist. Dieser Subjektivismus, der für die Spätantike so wichtig ist, bedeutet aller­ dings nicht nur den Ausdruck einer individuellen Stellungnahme, sondern er ist ein wesentlicher Wesenszug der Zeit, der in der antiken Entwicklung lange vor­ bereitet wurde. Wenn man von der spätantiken Bildhauerkunst spricht, die neben dem locker plastischen Porträt des Herrschers, seiner Familie und der Würden­ träger vor allem das Relief darstellt, werden gewöhnlich viele Detailmerkmale angeführt. So die Tatsache, dass die freie Plastik in den Hintergrund tritt und das Relief, das die Plastik begleitet (hierin gehört auch die Sarkophagendekoration oder das kleine Kunsthandwerk), eine um so mehr bemerkenswerte Tatsache, weil die Bildhauerkunst i n bezug auf ihre Bedeutung hinter der Baukunst und der mit ihr fest, verbundenen Malerei steht, zu der man auch das Mosaik zählt. In der Reliefkomposition büssle die einzelne Figur ihre Bedeutung ein. Während i n der klassischen Antike die individuelle Menschenfigur dominierend ist und die Ob­ jekte in ihren naturgegebenen Beziehungen ihre räumliche Hülle herausbilden oder Bestandteile eines übergeordneten Raumes sind, herrscht in der Spätantike die Masse vor, die Figur bildet ein Glied der rhytmisch komponierten Reihe und die Objekte verlieren den Kontakt mit dem Raum. Die Proportionen der Figuren werden absichtlich gemäss ihrer Bedeutung gewählt. Ein bedeutender Einzelner, beispielsweise der Monarch, ist grösser als seine Umgebung. M i t dem Betrachter, der das Kunstwerk betrachtet, ist er in unmittelbarer Berührung, er wendet sich frontal an ihn. Alle diese Teilmerkmale sind jedoch blosse Äusserungen einer grundlegenden Stellungnahme des spätantiken Menschen, seines Irrationalismus und Subjektivismus und einer sich daraus ergebenden symbolischen Expressivität und Abstraktion. Der Weg zur Spälantike bedeutet also den Weg vom konkreten Realismus zur abstrakten Ausdrucksweise, das Anwachsen einzelner spätantiken Elemente unter dem Wandel der gesamten Einstellung. Die Verfolgung des Werdens der Spät­ antike kann sich jedoch nicht einseitig auf die Verfolgung dessen beschränken, was ausgesprochen neu ist, sie muss während der kritischen Periode des 2. und 3. Jh. u. Z. die Entwicklung in ihrer ganzen Kompliziertheit berücksichtigen, die durch die schichtmässige Stilstruktur der römischen Kunst mit ihrer reichen in­ neren dialektischen Spannung ihrer Schichten sowie einzelnen Bestandteile be­ dingt ist. Das Wesen der römischen Kunst, wurde bereits reichlich abgehandelt, vgl. die sehr gute kritische Ubersicht in der erwähnten Untersuchung von Brendel sowie meine Abhandlung, „Das Römische i n der römischen Kunst" (Charisteria F . Novotny, Praha 1962, S. 195 ff.). Ihre zu Recht soviel betonte oft jedoch auch vereinfachte und ohne die innere Spannung dargelegte Schichtmässigkeit ist einer­ seits durch die aktive Übernahme der griechischen bildenden Tradition in ihrer

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ganzen Breite von der typisiernden Klassik bis zum vielgestaltigen dynamischen hellenistischen Realismus, anderseits durch den heimischen empirischen zur E x pressivität tendierenden Realismus bedingt, dessen formelle Grundlage ohne griechische Einflüsse undenkbar ist. Die Entwicklung der römischen Plastik der Kaiserzeit wurde durch die beständige Begegnung der klassischen realistischen Strömungen mit ihren beiden grundlegenden Polen und der antiklassischen un­ realistischen Ausdrucksweise, die wiederum in Symbiose mit derbem oft volks­ tümlich primitivislisch geartetem Naturalismus steht, bestimmt. Ihre Polarität war durch die unterschiedlichen Ausgangspunkte, nämlich durch Rationalismus und Irrationalismus, gegeben. Quelle des Irrationalismus war einerseits die bäuer­ lich-konservative römische Tradition, andererseits die zerfallende altertümliche Sklavenhalterordnung. In R o m der Kaiserzeit lebte einmal der Uberbau der alten einheimischen Basis weiter, der namentlich in den niederen Schichten immer noch genug Nährboden fand, zum anderen traten immer deutlicher Äusserungen der Krisenverhältnisse zutage. Für den Weg zur Spätantike ist nicht nur das Heranwachsen von abstrakten ausdruckmässigen Elementen kennzeichnend, son­ dern auch der Höhepunkt des antiken Realismus, der die hellenistische Entwick­ lung fortsetzt, bis er über den sog. Illusionismus zu einer subjektiven Auflocke­ rung der Form, zum Zerfall des festen Volumens gelangt. Dieser subjektive Rea­ lismus, der auf Grund der lockeren Analogie weniger richtig auch Impressionis­ mus genannt wird, vollendet einerseits den Entwicklungsweg des griechisch-römi­ schen Realismus, andererseits ruft er aber eine Reaktion hervor und führt so über das Unorganische der Form zu derer Abstraktion. Für den Übergang zur Spätantike sind aber als Gegenpol dieser subjektiven Auflockerung auch die sich aufs Neue wiederholenden Wellen des Klassizismus, retrospektive Anlehnungen an die objektive feste klassische Ordnung, die mit der sich wandelnden Zeit eine immer wieder neue Verfärbung erfahren, nicht ohne Bedeutung. Die Genesis der spätantiken bildenden Sprache können wir erst dann begreifen, wenn wir alle ihre Komponenten erfassen, die zu ihr geführt haben, die einen unmittelbar, die andern eher mittelbar. Es genügt allerdings nicht, das Hinüberwachsen des Alten i n das Neue nur zu verfolgen und festzustellen, wie dieser Prozess verlaufen ist, man muss die Ursa­ chen dieser Entwicklung, ihre Wurzeln durchdenken. In bezug auf die Methode einer derartigen Untersuchung herrscht heute i n der Theorie allgemeine Über­ einstimmung. In der marxistischen sowie nichtmarxistischen Kunstgeschichte überwiegt die Uberzeugung, dass ein bildnerisches Werk die Resultante eines komplizierten Prozesses ist, an dem sich drei grundlegende Faktoren beteiligen, und zwar das zeitgemässe Milieu, die sog. innere Entwicklung der Kunstgattungen und der schöpferische Einzelne. Im Grunde kann kein Streit darüber bestehen, dass keiner dieser Faktoren ausser acht gelassen werden kann, doch bringt die konkrete Erforschung uns wiederholt den Beweis, dass es schwierig ist, ihren

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Anteil i n einzelnen Fällen ausfindig zu machen. Im allgemeinen herrscht Über­ einstimmung darüber, dass eine noch so sorgfältige und noch so durchdringende Analyse der künstlerischen Form nur fragmentarisch sein kann und nicht aus­ reicht, zu den Wurzeln der Kunst, ja nicht einmal eines einzelnen Kunstwerkes, geschweige denn eines längeren Entwicklungsabschnitts durchzudringen. Die Kunst als eine der ideologischen Formen kann aus dem zeitmässigen Kontext nicht ausgeschlossen und isoliert betrachtet werden. E i n Kunstwerk wächst gleich einer Pflanze aus bestimmtem Boden und unter bestimmten Bedingungen. Die Zeit, und zwar sowohl die wirtschaftlichen Verhältnisse und die sich daraus er­ gebende gesellschaftliche Ordnung, als auch deren politischer und namentlich kultureller überbau, bildet den Nährboden und das Milieu für das Kunstschaffen, das durch ihn bedingt ist und auf ihn reagiert. Diese Abhängigkeit, die keineswegs linearisch und unmittelbar ist, durchdringt das ganze bildnerische Werk. Das bedeutet, dass man sie nicht auf die blosse inhaltliche Seite einschränken kann, obwohl sie dort in der Regel in einer ausgeprägteren Form zutagetritt, und dass sie ebenso auf die bildnerische Form selbst einwirkt. Ebenso wie der Inhalt ohne Form und die Form ohne Inhalt nicht bestehen kann, können die äusseren E i n ­ flüsse nicht lediglich auf einen Teil des künstlerischen Werkes beschränkt bleiben. Es wäre falsch, die Kunst, weil sie Ideologie ist, als blosse Widerspiegelung des gesellschaftlichen Seins zu deuten. Das Eigenartige i n der Kunstentwicklung be­ ruht eben in ihrer relativen Selbständigkeit. Jede Kunstgattung hat bestimmte Gegebenheiten, die eine eigenartige Struktur bilden und ihre Entwicklung, die, man gewöhnlich als innerlich bezeichnet, bedingen. Innerhall) dieser Gegeben­ heilen und innerhalb der damit festgelegten Grenzen geht die Entfaltung des bildnerischen Werkes, freilich nicht restlos selbständig, vor sich, sie ist auch vom zeitmässigen Milieu beeinflusst. Schliesslich darf man das Kunstschaffen nicht nur unpersönnlich als blosses objektives Abbild auffassen. Der unmittelbare Schöpfer eines Kunstwerkes ist ein schöpferisches, selbstverständlich objektiv bedingtes Subjekt. Es ist der Einzelne, der der konkreten Schöpfung in einer schöpferischen Tat Gestalt gibt, sich in die Tradition der Kunstgattung einreiht und diese weiter­ trägt und all das vermittelt, womit die zeitgenösische Gesellschaft lebt. Den Weg zur Spälantike können wir nur dann erkennen, wenn wir den Entwicklungsprozess der römischen Bildhauerei in seiner ganzen Breite und Kompli­ ziertheit, unter dem Aspekt einer Wendung vom konkreten Realismus zu abstrak­ ter Ausdrucksfülle und innerer Spannung der schiehtmässigen römischen künstle­ rischen Struktur, verfolgen werden, und zwar nicht nur seinen äusseren Verlauf, sondern auch seine verborgenen Ursachen, seine Bedingtheit durch die ökono­ misch-sozialen und politischen Verhältnisse und Ideen der Zeit sowie durch die innere Entwicklung der Plastik und durch den vermittelnden subjektiven Faktor der individuellen Schöpfer.

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II DAS Z E I T M Ä S S I G E

MILIEU

Im 2. Jh. u. Z., das wir als goldenes Zeitalter des römischen Reichs bezeichnen, hat auch der materielle Wohlstand des weltweiten Imperiums seinen Höhepunkt erreicht, an dem alle, freilich in erster Linie die um das Mittelmeer liegenden Provinzen, ihren Anteil hatten, überall wachsen neue Städte heran und Handel und Gewerke erleben ihre Blütezeit. An einer Entwicklung des Staates war eine maximale Zahl von Menschen mittelbar oder unmittelbar interessiert. Das grosse einheitlich gut verwaltete Gebietsganze mit einem vorbildlichen Verkehrsnetz kam einer grossen Bevölkerungszahl zugute, die an seiner Erhaltung natürliches Interesse hatte. Der wirtschaftliche Aufstieg der Provinzen machte die Ver­ luste des allmählich verfallenden Italiens wett, wo die Konkurrenz durch die Provinzen die Wirtschaft untergrub, vgl. z. B. die Ubersiedlung SigillataWerkstätten nach Gallien, und wo auch der Eingriff seitens des Staates zur Ret­ tung von Klein- und Mittelbauern erfolglos blieb. Der relative Wohlstand und der hohe Lebensstandard der Bevölkerung des Weltreichs, der von den jenseits der Grenzen lebenden Barbaren, deren Lebensniveau beträchtlich niedriger war, neidisch verfolgt wurde, wies jedoch bereits im 2. Jh. Schatten auf, die zwar noch unauffällig waren, aber bereits Merkmale einer Überschreitung des Entwicklungs­ gipfels mit dem Keim künftiger Krisen in sich trugen. In der Landwirtschaft war es das infolge Mangels an Sklaven und Niederganges freier Bauern erzwungene Kolonat. Bereits unter Hadrian machte sich Geldmangel bemerkbar. Man ist mit grossen Summen an Steuern im Rückstand und der Pachtzins wird von den Landwirten in Form von Naturalien entrichtet. Auch der steile Wirtschaftsauf­ schwung in der Provinz hat seine Schattenseiten. Beim Handwerk wächst zwar die Quantität, doch Qualität sinkt. Gleichzeitig ist ein jäher Rückgang der Arbeits­ produktivität zu bemerken, und dies nicht nur beim Handwerk, sondern auch in Landwirtschaft und Bergbau. Ziel des menschlichen Strebens ist, viel ,zu ge­ messen und wenig zu arbeiten. Ansonsten vermochten die mittleren Schichten, die das Rückgrat der antiken Sklavenhalterordnimg bildeten, ihre Bedeutung im we­ sentlichen zu erhallen, wenn man das Reichsganze im Sinne hat, was eigentlich 13

notwendig ist. Die politischen Verhältnisse waren, abgesehen vom letzten Drittel des Jahrhunderts, günstig. Nach den grossen Eroberungen des Trajan erfuhr die römische Aussenpolitik einen Wandel und kehrte zu der defensiven Konzeption des scheidenden Augustüs zurück. Seit Lebzeiten Hadrians bis zu Commodus mit Ausnahme der Regierung von Marc Aurel herrschte, bis auf geringere militärische Operationen, Ruhe an der Reichsgrenze. Hadrian, Kosmopolit und Filhellene, reiste viel, so dass er das ganze Weltreich aus eigener Erfahrung kennen lernte. Er widmete sich der Vervollkommnung der Reichsverwaltung sowie der weiteren Sicherung der Grenzen, in dem er einen Schutzwall erbaute. Sein Nachfolger Antoninus Pius (138—161) konnte aus der erfolgreichen Politik seiner beiden Vorgänger, die das Imperium von aussen und von innen gefestigt hatten, Nutzen ziehen. Gerechtigkeit und versöhnende Diplomatie genügte, das Reichsprestige sowohl im Osten als auch im Westen zu erhalten, vgl. die mit der Legende Rex Quadis datus versehenen Münzen. Umso mehr stehen die Schicksale des Staates unter Marc Aurel (161—180) im Widerspruch, wo man im Osten die Parther und an der mittleren Donau namentlich die Germanen und Sarmaten bekämpfen und eine Schwächung des Reichs durch eine Pestepidemie überwinden musste. Es war sein Schicksalsfehler, dass er bei der Bestimmung seines Nachfolgers den Grundsatz der Adoption des Fähigsten aufgab und am Ende seines Lebens seinen Sohn Commodus als Mitherrscher bestimmte. Dieser schloss noch im Todesjahr seines Vaters an der Donau mit den Barbaren Frieden. Er herrschte gleich Domi­ tian absolutistisch und hielt sich selbst im Geiste der orientalischen Traditionen für einen Gott, einen „neuen Hercules".. Sein gewaltsamer Tod (er wurde im Jahre 192 von den Praetorianern erschlagen) und die darauffolgenden Kämpfe um den Thron bilden konventionell den Beginn einer krisenvollen Verfalls-Epoche, die zuletzt zum Dominat und der sog. Spätantike führte. Für das 2. Jh. u. Z., wo die billige Massenproduktion die Märkte beherrschte, ist die gewaltige Verbreitung der Zivilisation im ganzen Imperium typisch, aber ebenfalls die Tatsache, dass es keine tiefgehende Verbreitung war. Deutlich wirkt sich dies in der Literatur aus. Unter Hadrian, selbst ein künstlerischer Dilletant, wird viel gedichtet, es ist eine Zeit der Blüte der Schönrednerei, aber alles ist flach. Die oberflächliche formale Gewandtheit vermag die Schwächen nicht zu verbergen. Das weist auf eine geis­ tige Krise hin, welche insbesondere in der Religion hervortritt, in der sich lawi­ nenartig orientalische mystische Kulte verbreiten, so jener der Isis, des Serapis, der Grossen Mutter, des Mithra, vgl. an der Donau das Entstehen des Kults des sog. Donaureiters. Hiezu zählt auch das Christentum, welches immer mehr An­ hänger gewinnt und sich auch bereits literarisch zuerst griechisch, dann lateinisch äussert. Die sorgfältige Verwaltung des Reiches war Ursache einer grossen Ent­ faltung der Rechtstheorie. Auf änderen Gebieten jedoch beginnt der Verfall. Die Fachwissenschaften sammeln die Resultate der Arbeit vergangener Generationen. Die Rhetorik verwandelt sich in schwulstige Schönrednerei. Es gibt keine grossen 1

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literarischen Erscheinungen. Das gilt auch für die besten Schriftsteller, den Bio­ graphen Suetonius, sowie den Sophisten und Romanschriftsteller Apuleius. Auch in der Literatur^ macht sich die Dezentralisierung bemerkbar. Kunstzentren ent­ stehen auch in den Provinzen. Anders ist die Situation der bildenden Kunst, weil diese in den sich entfaltenden Städten benötigt wurde. Im ganzen Reiche wird viel gebaut; es entstehen kostspielige öffentliche Gebäude; auch die Plastik, ins­ besondere das Relief, steht in Blüte. Mit den Antoninen endete das sog. goldene Zeitalter des römischen Reiches. Die folgenden etwa 100 Jahre, vom Ende des 2. Jh. bis zum Ende des 3. Jh. u. Z. sind eine Übergangszeit, in der auf allen Gebieten menschlicher Tätigkeit die Voraussetzungen zur Geburt der Spätantike entstanden, die im Grunde schon „mittelalterlichen" Charakter trägt. Die Ursachen und Auswirkungen auf wirt­ schaftlichem, gesellschaftlichem, politischem und kulturellem Gebiet sind mit­ einander eng verbunden, durchdringen einander und bilden ein neues Milieu, in welchem sich Alles mit Neuem vermischt. Die Geschichtsschreiber pflegen diese Epoche in drei Abschnitte zu teilen: 1. Militärmonarchie, die Severer, von Septimius Severus bis .Alexander Severus (193—235), 2. Militäranarchie, die Zeit des tiefsten Verfalls (235—270), 3. die illyrischen Kaiser, Festigung des Reiches, Erstehung des Dominats, von Aurelian bis zur Thronbesteigung Didcletians, bzw. bis zum Ende seiner Regierung (270—284, bzw. —305). Unter den Severern wurde mit der konstitutionellen Monarchie endgültig abgerechnet. Septimius Se­ verus, der nordafrikanischer Herkunft ist und aus den Kämpfen um den Kaiser­ thron, die nach der Ermordung des Commodus zwischen den Kandidaten der einzelnen Armeen entbrannten, als Sieger hervorging, stützte sich völlig auf das Heer. Die Befehlshaber der Prätorianer, die Stellvertreter des Kaisers, erhielten auch Justizgewalt. Der Senat, der Hüter der alten Traditionen, verlor auch den letzten Rest seiner Macht. Die Armee rekrutierte sich aus Provinzbürgern, insbe­ sondere aus Landbewohnern, denn die Städter mieden Militärdienst. Dadurch beschleunigte sich im 3. Jh. u. Z. die Provinzialisierung und Barbarisierung der herrschenden Schicht, denn die militärische Laufbahn führte auch zu den höchsten Ämtern im Staate und die Soldaten waren nur oberflächlich romanisiert, vgl. z. B. am kaiserlichen Thron Maximinus Thrax, Philippus Arabs. Aus diesem Grunde waren auch die führenden Schichten in ihren Interessen und ihrer Gesinnung zersplittert; viele von ihnen besassen nicht mehr den alten Sinn für den Staat, das tiefe Verhältnis zum Imperium und seiner Einheit. Krisenerscheinungen in der Wirtschaft, wie Mangel an Sklaven, rasches Anwachsen des Kolonats, Sinken der Produktivität und Qualität der Arbeit, Mangel an Edelmetallen, vertieften sich durch ungünstige politische Verhältnisse. Unrentabile, verlustreiche Kriege forderten erhöhte Ausgaben für das Heer. Die Rhein- und Donaugrenze wurde von den Germanen bedroht, im Osten war das kriegslustige neupersische Reich, welches mit den parthischen Herrschern auch die Reste des Hellenismus beseitigte. 2

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Ausgaben für das Heer und den anwachsenden BeamlenapparaL führten zur Erhöhung der Steuern. Unter den unruhigen Verhältnissen verfiel das Handwerk und der Handel, mit ihnen auch die Städte, die ihr landwirtschaftliches Hinter­ land verloren; die Steuerlast bedrückte am schwersten den Boden, die Landbe­ völkerung und die grossen Besitzer. Der Mangel an Geld und ständige Ver­ schlechterung seiner Qualität, vgl. Entstehung des Antoninians, einer „silbernen" Münze ohne Silber, des sog. weissen Kupfers usw., verursachten, dass die Natu­ ralwirtschaft die Geldwirtschaft verdrängte. Der tiefste Verfall trat in den Jahr­ zehnten um die Mitte des 3. Jh. unter der sog. Militäranarchie ein. Das Heer setzte Kaiser ein und entfernte sie wieder nach einigen Monaten Regierungszeit. Die innere Schwäche nutzten die Feinde aus, die von allen Seiten Angriffe auf das Reich unternahmen. Kaiser Valerian (253—260) fiel in die Hände der Perser und starb in der Gefangenschaft! Unter seinem Sohn Gallienus (260—268) kam es sogar zu einem Zerfall des Imperiums. Die einzelnen Gebiete mussten sich in schweren Zeiten selbst verwalten und so bildete sich im Westen das gallische Kaiserreich (Gallien, Britannien, Hispanien) und im Osten das palmyrenische Reich mit der berühmten Königin Zenobia (Syrien, Ägypten, Kleinasien). Die Einheit des römischen Imperiums erneuerte der erste der illyrischen Kaiser, Aurelian (270—275), welcher deshalb- auf den Münzen den Beinamen restitutor orbis trägt. Er schuf die despotische Monarchie des Dominats durch Einführung der Erblichkeit in einigen wichtigen Berufen und dadurch, dass er sich selbst als höchste Sonnengottheit ausgab. Uni die Grenzlinie am Niederlauf der Donau zu verkürzen, verzichtete er auf die Provinz Dazien, damit aber gleichzeitig auf die Goldbergwerke in Siebenbürgen, und umzog die Stadt Rom zum Schutze vor den Germanen, die bis nach Mittelitalien eingedrungen waren, mit einer ge­ waltigen Mauer (es vollendete sie erst sein Nachfolger Probus). Das charakteri­ siert am besten die Schwäche des „Hauptes der Welt". Die Festigung des Reiches beendete durch eine einschneidende Reform Diokletian, der aus der vorhergehen­ den Entwicklung Konsequenzen zog. Das Prinzipat, im 3. Jh. tatsächlich nur eine Formalität, verwandelte sich in ein absolutistisches Dominat, in dem der Monarch, nach östlichem Vorbild dominus et deus, seine Untertanen mit Hilfe einer strafforganisierten Bürokratie, sowie eines starken Heeres an der Grenze und im Binnenland beherrscht. Um die Steuern auf gleicher Höhe zu halten, wurde die Einwohnerschaft an ihren Arbeitsplatz gefesselt. Die Hauptlast an Steuern ruhte auf den Schultern der Kolonen. Für die Mehrzahl der Bürger verwandelte sich der Staat im Verlaufe des 3. Jh. aus einem ehemaligen Beschützer und einer Stütze in ein hartes Joch. Durch die Wirren im 3. Jh. litten am meisten die Städte, das Rückgrat der antiken Sklavenhalterordnung und der antiken Zivilisation. Die Klassenunterschiede vergrösserten sich, die Verelendung der Mittelschichten sowohl in den Städten als auch auf dem Lande, nahm zu. Die Kolonen standen den Sklaven nahe. Die Masse der Landbevölkerung bildeten halbfreie Bauern,

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viele von ihnen waren angesiedelte Barbaren. Das Verhältnis zum Staat war bei allen dasselbe —. gleichgültig, ja negativ. Die ungünstige wirtschaftliche und poli­ tische Entwicklung äusserte sich in einem absoluten Sieg des Irrationalismus, dessen Anwachsen bereits im 2. Jh. bemerkbar war. Der unterdrückte Untertan sucht Trost und Gerechtigkeit in der überirdischen Welt und nach dem Tode. Die mystischen östlichen Kulte locken durch geheimnisvolle Zeremonien, Befreiung von Schuld und das Versprechen des Lebens im Jenseits, sowie der Belohnung in der Ewigkeit. Das Christentum war bereits so stark geworden, dass ihm nicht einmal grosse Verfolgungen wie die Decius' und Diokletians zu schaden ver­ mochten. Bald, schon zu Beginn des 4. Jh. wurde ihm die Glaubensfreiheit zuge­ standen und es wurde sogar zum privilegierten Staatskult. Seine Lebensfähigkeit äussert sich auch auf dem Gebiet der Literatur. Während das heidnische Schrift­ tum unaufhaltsam, mit der geringen Ausnahme der Rechtstheorie in der ersten Hälfte des 3. Jh., dem Verfall entgegengeht, werden die christlichen Schrift­ steller immer zahlreicher und man findet unter ihnen auch grosse Erscheinungen. Im Gegesatz dazu erstarrte die überwiegend heidnische, später auch christliche bildende Kunst in ihrer Entwicklung nicht. Sie konnte weiter ausgezeichnete Kunstwerke hervorbringen, die natürlich trotz aller Bindungen an die alle Tra­ dition völlig neuen Charakters waren, wie es den veränderten Bedingungen der Zeit entsprach. Wie der Glaube über die verstandesmässige Erkenntnis siegte, so wandte sich auch die Kunst yom traditionellen Realismus ab und suchte sich einen neuen Ausdruck.

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III DIE TRAJANSSÄULE, DER BEGINN DER SPÄTANTIKE?

Die bedeutsamste der neueren Arbeiten über die Trajanssäule, die sich auch eingehender mit ihrem künstlerischen Wert befasst, ist das Buch von K. Leh­ mann-Hartleben „Die Trajanssäule", Berlin 1926, und trägt den Untertitel „Ein römisches Kunstwerk zu Beginn der Spätantike". Schon diese Worte am Beginn des Buches zeigen klar die Auffassung des Autors über die Rolle der Trajanssäule in der Entwicklung der römischen Kunst in der Kaiserzeit. Sie unterstreichen die künstlerische Bedeutung der Säule, ihren ausgesprochen römischen Charakter und stellen sie vor allem an den Beginn der Spätantike. Im Buch selbst fasst Lehmann-Hartleben seinen Standpunkt kurz auf S. 153 f. zusammen. Im Stil der Trajanssäule findet er drei Grundelemenle: Den Geist der hellenistischen Kultur, der sich vor allem i n der souveränen Technik, dem überwiegen der menschlichen Gestalt über die Schilderung der Umgebung, i n den figuralen M o ­ tiven, sowie i n dem klar gegliederten Aufbau des Ganzen und der Tiefe des Raumes äussert; den Geist des römischen Reiches, dessen Ausdruck ungeheuere Ausmasse der Denkmäler, Gruppierung der Gestalten zu einer einheitlichen Masse, das Eindringen von Landschaft und Architektur in das monumentale Relief, das effektvolle Äussere, Sinn für das individuell Konkrete i m Porträt, sowie in der zeitlichen Aktualität, und schliesslich den Geist der sich nähernden Spätantike, der zu der Welt in ein neues Verhältnis tritt und zugleich eine neue beginnt. Seinen Einfluss sieht Lehmann-Hartleben vor allem im „nüchternen Relief-Stil", in der unter dem Druck strengen geometrischen Gesetzes stehenden Komposition des Bildes, i m Gegensatz von Mensch und Landschaft und im Verzicht auf die perspektivische Form des Sehens. Noch bevor wir die Berichtigung dieser Anschauung näher untersuchen, möchte ich bemerken, dass sie auch durch R. Bianchi Bandinelli vertreten wird, der i m „Meister der Taten Trajans", dem er neben der Trajanssäule auch die Reliefs aus dem Durchgang des Konstantinsbogens und einen Teil der figuralen Aus­ schmückung des Bogens in Benevento zuschreibt, im Sinne seiner damaligen Uberzeugung von der Bedeutung der Genies für die Entwicklung der Kunst, einen 1

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Vollender der römischen Kuristbestrebungen i m 1. Jh. u. Z. und zugleich einen Wegweiser, der die spätanliken Tendenzen einführt, erblickt.. Zur Bekräftigung' dieser Priorität der Trajanssäule beruft er sich auch auf andere Forscher, S. 206 und A n m . 189; namentlich führt er nur M. Wegner und dessen grundlegende Arbeit über die Marcussäule „Die kunstgeschichtliche Stellung der Marcussäule", Jdl 46^ 1931 S. 61 ff. an. Aber auch auf Wegner beruft er sich mit Unrecht, da dieser zwar darauf hinweist, worin die spätere Werkstatt die Spuren ihres Vorgängers verfolgte, der Hauptgedanke der ganzen Analyse und der unter­ einander sehr genauen Vergleiche aber darauf hinzielt, überzeugend zu beweisen, dass trotz mancher Übereinstimmungen, die insbesondere durch die gleiche Grund­ lösung derselben Aufgabe gegeben ist, die Kriegszüge der Gegenwart auf der zusammenhängenden Spirale eines Reliefbandes festzuhalten, zwischen ihnen grundsätzliche Unterschiede bestehen. Im letzten Abschnitt, wo Wegner zusam­ menfassend die Ergebnisse seiner Forschung erläuterte, sagt er ausdrücklich (S. 173): „Mit dieser Feststellung kommt diese Untersuchung zu einem grund­ sätzlich anderen Ergebnis als K . Lehmann-Hartleben bei seiner Bearbeitung der Trajanssäule. Die Bezeichnung der Trajanssäule als ein Römisches Kunstwerk zu Beginn der Spätantike muss abgelehnt werden". 1

Welche ist also die Bedeutung der Trajanssäule für die Entwicklung der rö­ mischen Bildhauerei? Sein Schöpfer fand eine neue F o r m : Die mit einem spiral­ förmig emporsteigenden Reliefband geschmückte Triumphsäule, wobei sich die einzelnen Darstellungen i n ununterbrochener Folge ohne deutlichere Grenzen an­ einanderreihen. Der Künstler hat wahrscheinlich versucht die Triumphmalereien, die wie uns römische Schriftsteller bekunden, schon seit dem 3. Jh. v. u. Z., auf Holz oder Leinwand gefertigt, bei Triumphzügen herumgetragen, an öffentlichen Orten ausgestellt und in Rathaus und Tempeln aufbewahrt wurden, vgl. die Bemerkung über die älteste sog. tabula Valeria bei Plinius, Nat. his. 35. 22, in Stein festzuhalten. V o n ihrem Stil, der mit der italo-römischen Volkskunst eng verbunden war, können wir uns nach dem Freskenbruchstück von dem Grabe auf dem Esquilin, das allgemein an das Ende des 3. Jh. v. u. Z. datiert w i r d , ein B i l d machen. Auf kontinuierliche A r t des Erzählens sind hier Geschehnisse aus den Kämpfen zwischen Römern und einem anderen italischen Stamme dar­ gestellt. Beide Seiten sind vor allem durch ihre Anführer als Protagonisten ver­ treten: die Römer durch Q. Fabius, ihre Feinde durch M . Fannius. Die Soldaten, im Felde oder auf den Mauern, sind in kleinerem Massstab dargestellt. Im mitt­ leren Band bei der Unterredung zwischen Fabius und Fannius sind die Soldaten, die in drei Reihen übereinander und nur wenig mehr als halb so gross wie die Anführer dargestellt sind, kaum etwas anderes als eine Bezeichnung der U m ­ gebung. Hier haben wir also eine Aufstellung der Figuren übereinander, was lebendig und anschaulich, wenn auch auf unrealistische Weise, die Menge und ihre Zahl, d. h. eigentlich die Tiefe des Raumes, ausdrückt. Die Malerei, welche 2

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grundsätzlich andere Aufgaben als die Plastik löst, geht ihr i n der Bewältigung mancher Probleme weit voraus. M a n erinnere sich an die Versuche der griechi­ schen Vasenmaler, die Gestalten und Gruppen räumlich auf verschiedenen Linien des Geländes zu unterscheiden. Beim Relief liegt es dann am Verhältnis zur Plastik und zur Malerei, wem von beiden es nun näher steht. Allerdings kommen übereinanderstehende Figuren auch i n der römischen Kunst nicht zum erstenmal auf der Trajanssäule vor. Ebenfalls mit der Triumphmalerei hängt das Fragment eines nicht grossen kreisförmigen Schildes (clipeus) injt 21,6 cm Durchmesser aus der Zeit Domitians zusammen, das i n Tunis, also i m unmittelbaren Bereich der zentralrömischen K u n s t und mit römischem Thema aufgefunden wurde. Es handelt sich entweder um ein Importstück oder um eine lokale Nachahmung des römischen Typus. In der Mitte befindet sich ein Standbild der Göttin Athene, rechts von ihr ein Altar, an dem Kaiser Domitian (die Identifikation ist sehr wahrscheinlich und scheint überzeugend) eine Opferzeremonie verrichtet, da­ neben befinden sich lictor, Helfer bei der Zeremonie, camillus, ein Pfeifenspieler und das Gefolge des Kaisers. Alle Gestalten sind zu einem Kreis und übereinander komponiert. Die Quellen hierzu waren wahrscheinlich Triumphschilde, bei denen die Darstellung der Figuren übereinander zum Andeuten grosser Menschen­ gruppen diente, wobei durch die neue Komposition die ganze Fläche rationell ausgenützt wurde. Diese Auffassung des Raumes auf Triumphmalereien, Schildern und an der Trajanssäule ist auf das Bestreben zurückzuführen, eine möglichst lebendige Schilderung der Naturwirklichkeit zu erreichen; allerdings überschreiten die zu diesem Zwecke angewandten Mittel ihre Grenzen, i n dem sie die perspekti­ vische Darstellung unmöglich machen. Es ist nämlich nicht möglich zu sagen, hier geht es um eine neue A r t der Betrachtung, d. h. um einheitliches Beobachten von einem hochgelegenen Punkt aus, also um Draufsicht, weil die Figuren nicht, wie sie es erfordern würde, nach den Regeln der linearen Perspektive verkürzt sind. Die Räumlichkeit der Trajanssäule, angesichts der Realität teilweise negativ, ist ein Bestandteil der direkten Entwicklungslinie, die vom realistisch aufgefassten Raum an den Reliefen des Titusbogens in R o m ausgeht. Dort wird der starke räumliche Effekt der Figuren durch leichte Draufsicht erzielt. Dabei werden sie in drei Reihen übereinander dargestellt und der Effekt wird verstärkt durch eine gleichsam atmosphärische Perspektive, die wie eine Lufthülle die Plastizität der Figuren, die gleichfalls i n ihrer Körperlichkeit vom hohen Relief bis zur blossen plastischen Zeichnung abgestuft sind, erweicht. Auch hier entspricht trotz der Luftperspektive die räumliche Auffassung nicht ganz der einheitlichen Betrach­ tung. Wenn man sie bei einem massigen Draufsichtswinkel trotz gewisser Vor­ behalte bei den Gestalten anerkennen kann, stimmen die i m Jerusalemer Tempel erbeuteten Gegenstände in dem Winkel, unter welchem sie betrachtet oder — besser — dargestellt werden, mit ihnen nicht überein. Der Zug scheint bergauf zu steigen (zum Bogen und der v i a Sacra summa?). Vergleichen wir den linken, 6

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mittleren und rechten Teil des Zuges, wo die Figuren mehr und mehr überein­ ander sichtbar sind, und versuchen wir die sich nicht ändernde Seitenansicht der Beutestücke, ein siebenarmiger Leuchter und auf anderen Tragen das goldene Tischchen mit langen silbernen Trompeten, damit in Einklang zu bringen. Im R a u m befindet sich ein Bruch, der bei flüchtiger Betrachtung allerdings kaum sichtbar ist. Eine ähnliche Darstellung ist uns auch aus der Neuzeit bekannt; wir finden sie z. B . noch auf den Landschaften von Patinier. Die Antike jedoch, bei welcher der Raum bei weitem nicht so viel bedeutete wie für die neuzeitliche Kunst, ging nicht weiter. Dieselbe Uneinheitlichkeit wie auf den Reliefen des Titusbogens, können wir auch bei Nachmessungen der architektonischen Dekorationen an den Wänden pompejanischer Häuser feststellen, denn die Zentralperspektive war i m Altertum nicht bekannt. Vom Titusbogen lässt sich die auf solche Weise aufgefasste Raumillusion bis zur Zeit Trajans verfolgen. Durch einen glücklichen Fund in der Nähe des Palastes der Cancelleria, wo sich i m Altertum das Marsfeld befand, zum erstenmal eingehend von F . M a g i publiziert, wurden historisch­ politische, ungewöhnlich guterhallene Reliefe entdeckt, auf welchen mit Sicher­ heit die Kaiser Vespasian und Domitian zu erkennen sind (auf dem Fries A wurde Domitian zu Nerva umgestaltet). Sie stammen wahrscheinlich von einem Denkmal oder Tempel aus der späteren Zeit des Domitian. Die entdeckten Mar­ mortafeln füllen die Lücke zwischen dem Titusbogen und den historischen Re­ liefen der Zeit Trajans in begrüssenswerter Weise aus. Sie setzen den flavischen Illusionismus fort und bereiten zugleich den trajaiiischen Stil durch ihren zeich­ nerischen Charakter und ihre ausgesprochen klassizistische Einstellung vor. Die Darstellung des Raumes, auf dem Titusbogen überwiegend realistisch aüfgefar.st, wurde hier zur blossen Manier, einer abstrakten Bravour, die nicht mehr von der Natur ausging. Auf dem Fries B mit den Abbildungen des Vespasian und Do­ mitian sehen wir über ihnen noch zwei Männergestalten. Die bärtige verkörpert den Genius des römischen Senats, die junge den Genius der römischen Nation (senatus populusque Romanus). Bei der ersteren ist nur der obere Teil des Kör­ pers sichtbar, der Rest wird durch die Gestalten i m Vordergrund verdeckt. Die zweite, bei welcher auch der untere Teil des Körpers zu sehen ist, steht mit einem Fuss auf einem kleinen unregelmässigen Postament (der zweite Fuss verbirgt sich hinter der vorderen Reihe der Gestalten). Es ist dies ein Versuch auf eine natür­ liche Weise die Stellung der Figuren hintereinander zu begründen. 8

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So bereitete sich direkt im monumentalen Relief die Trennung von der norma­ len perspektivischen Ansicht vor. Gipfelpunkt der raumbildenden Tendenzen der flavischen Kunst sind die grossen trajanischen Reliefe in den Durchgängen des Konstantinsbogens in R o m . Der Illusionismus erreicht hier eine ungewöhnlich starke Wirkung. Die Gestalten sind i n den verschiedensten Winkeln zur Unterlage und in kühnen perspektivischen Verkürzungen dargestellt, plastisch ausdrucksvoll abgestuft, und hintereinander, zum Teil auch übereinander bis in fünf Ebenen 21

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gesetzt, z. B . rechts auf der Tafel mit der Abbildung des kämpfenden Kaisers. Die Entstehung des Eindrucks von Distanz und Tiefe wird nicht zuletzt auch durch geschickte Anwendung der Raumdiagonale unterstützt. Ist der Illusionismus des Titusbogens noch wirklich klassisch, so wird hier bereits der spätantoninische „barocke" Illusionismus samt den unrealistischen Anläufen vorbereitet. Auf der Tafel, wo der siegreiche Kaiser zwischen den Göttinnen Roma und Victo­ r i a steht, sind die Soldaten, die die Staffage und die Umgebung der zentralen Szene bilden, fast wie i n Etagen abgebildet. Die übereinanderstaffelung soll den Eindruck von der Tiefe des Raumes und vor der Grösse der Heerscharen her­ vorrufen. Auf allen Tafeln des Konstantinsbogens ist die Fläche des Reliefs dicht mit Figuren ausgefüllt, die oft bis zum oberen Rande reichen; so ist der Hinter­ grund vollständig verdeckt und verschwindet. Das ist allerdings in bezug auf den Raum wiederum ein negatives Element. Auf diesen Reliefs, die ungefähr um die gleiche Zeit wie die Trajanssäule entstanden sind, sehen wir also nebeneinander die ältere realistische Darstellung des Raumes und das noch gesteigert, sowie die Anfänge der neuen Form der Darstellung, unabhängig schon davon, was uns die einheitliche sinnliche Wahrnehmung vermittelt. Beide Arten finden wir auch an der Trajanssäule. Die erstere ist bereits weniger zahlreich vertreten, vgl. z. B . die Szenen mit den fliehenden D a k e m , und bei ihrer ständigen Verbindung mit der massigen Ubereinanderstaffelung der Figuren geht sie fliessend in die ge­ wohnte unperspektivische A r t über, welche eigentlich auch Reste der älteren Darstellungsweise i n sich zusammenfasst. Der Bruch i m Raum, wie wir ihn schon beim Titusbogen beobachtet haben, und der durch den uneinheitlichen Beobacbtungspunkt verursacht ist, wird hier v o l l und offen entfaltet. Die Bindung der einzelnen Elemente — die Gestalten und die Landschaft — ist lockerer, sie sind selbständig dargestellt, wenn auch der grössere Teil der Relieffläche, oft auch die ganze Fläche, ziemlich realistisch als Boden abgebildet wird, auf dem dann typische Elemente der landschaftlichen Umgebung, vor allem Bäume und Bauten, diese i n der Regel i m Hintergrund, verstreut sind. Die Bauten sind manchmal i n Normalsicht, meistens jedoch i n Draufsicht abgebildet, insbesondere die Be­ festigungen, was somit auch eine Schilderung der Vorgänge in ihrem Inneren ermöglicht. V g l . z. B . die in der belagerten Stadt verzweifelnden und an Hünger zugrundegehenden Daker. W i r finden aber auch die Ansicht di sotto al su, z. B . auf den Darstellungen des Abzuges der die Heimat verlassenden Daker. Die Art, mit der diese Szenen dargestellt werden, ist für das Eindringen iji die Form der Trajanssäule und ihr tieferes Verständnis sehr interessant und bedeutungsvoll. Uberall ist das Streben nach möglichst lebendiger Wiedergabe der Realität zu beobachten, die dabei verwendeten Mittel jedoch, insbesondere ihre Verbindung, steht zu der Wirklichkeit, wie sie uns durch die Augen dargeboten wird, in Wider­ spruch. Die Ströme der Menschen bewegen sich zwischen den felsigen Kämmen, die zwar einfach dargestellt sind, dabei aber einen Teil der Gestalten verdeckend 12

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eine treffende Illusion der tiefen, mit Vertriebenen ausgefüllten Bergtäler Daziens geben. Auf den Felsen sehen wir von unten i m verkleinerten Massstab darge­ stellte Hütten, ganz ihrer Lage auf den Anhöhen und im Hintergrund entspre­ chend. Neben und über ihnen jedoch finden wir Gestalten von Dakern mit Vieh in derselben Grösse wie die Figuren unterhalb der Felsen. Die Gestalten sind wahrscheinlich deshalb nicht verkleinert, weil es um die Schilderung einer Handlung geht, deren Träger Menschen sind, die für die Erzählung von grund­ sätzlicher Bedeutung sind. Das ist ein Merkmal der Volkskunst. Neben den in Normalsicht, in Draufsicht oder i n Untersicht dargestellten Bauten finden wir bei der Trajanssäule auch an einem und demselben Gebäude zwei Projektionen verbunden; z. B . ist die Vorderfront i n normaler Projektion dargestellt und um den Zweck des Gebäudes anschaulich zu machen, ist noch das Innere aus der Vogelperspektive hinzugefügt, vgl. z. B . das Theater auf der Opferszene. In den Massenszenen sind die Figuren mehr oder weniger hintereinander gesetzt, ist die Szene mehr mit Rücksicht auf die Landschaft komponiert, sind die Figuren oft frei über die ganze Fläche des Reliefs verstreut. Die Ubereinanderstaffelung ersetzt i n der Regel die Hintereinandersta'ffelung, wobei die Gestalten, auch wenn die landschaftliche Kulisse zum grossen Teil in Draufsicht, in Normalsicht dar­ gestellt sind. M a n muss also konstatieren, dass an der Trajanssäule auf einer Szene verschiedene Projektionen kombiniert und verbunden sind und dass allge­ mein und entschieden das Prinzip der Ubereinariderstaffelung von Gestalten angewandt wird. Diese unrealistische Auffassung, die allerdings durch die Einheit der Grundlage, die die Illusion realer natürlicher Zusammenhänge zu erhalten hilft, oft abgeschwächt wird, wurde — wie wir oben zeigten — schon früher in der Bildhaurei vorbereitet und wir müssen sie also als einen Teil der Entwicklung ansehen. Aber entgegen den sich nur langsam entwickelnden Anfängen dieser Richtung wurde an der Trajanssäule ein energischer Schritt vorwärts gemacht. Einen beträchtlichen Einfluss daran hatte sicher die Annäherung an die Trium­ phalmalereien. Bei dem Mangel an erhaltenem Material ist es allerdings schwer festzustellen, was übernommen wurde und in welcher Weise, und was man alles dem Schöpfer der Säule zuschreiben kann, über dessen Genialität kein Zweifel besteht. Was die Auflösung des einheitlichen perspektivischen „Sehens" in dem monumentalen Relief betrifft, das für die Anfänge der Spätantike von grosser Bedeutung ist, so kann man der Trajanssäule eine beträchtliche Initiativität nicht absprechen, wenn auch ihre bahnbrechende Bedeutung einigermassen durch die vorhergehende Entwicklung abgeschwächt ist. Mehr als die Ubereinanderstaf­ felung der Figuren muss die Verbindung verschiedener Ansichten unterstrichen werden, wo sich oft sehr deutlich die Tendenz einer Steigerung der Wirklichkeit offenbart, eine Tendenz, die bereits mit der realistischen Illusion nicht viel ge­ meinsames hat. sowie das Missverhältnis zwischen der Darstellung der menschli­ chen Gestalt und der landschaftlichen Umgebung. Die Form der Trajanssäule ist 17

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nicht mehr prinzipiell, wie es früher der F a l l war und wie es der Grundregel der klassischen Antike entspricht, i n voller Ubereinstimmung mit der objektiven Realität. Der zweite Faktor, i n welchem Lehmann-Hartleben den Geist der sich nähern­ den Spätantike erblickt, „Vorboten einer neuen Stellung zur Welt: der Spätan­ tike" (diese Formulierung klingt allerdings etwas anders als i m Untertitel „zu Beginn der Spätantike"), ist eine gesetzmässige geometrisierte Komposition von kriegerischen Massen. Besonders hei der kontinuierlichen Art der Erzählung des 200 m langen Reliefbandes ist es nicht weit zur Schematisierung', Vereinfachung und strengeren Bindung des Ganzen. Solche Erscheinungen finden wir auch auf den Reliefen des Titusbogens und insbesondere auch auf den schon erwähnten Tafeln von der Cancelleria aus der Zeit Domitians. Es wäre also notwendig zu zeigen, dass es auf der Trajanssäule um etwas mehr, um eine strenge geometri­ sche Regel geht. Betrachten wir aber eingehender solche Szenen wie den Marsch des Heeres oder andere Typen der sog. adlocutio, also Szenen, in denen die Handlung eine grosse Anzahl Figuren erfordert, die natürlich aufgestellt und geordnet sind, so dass wir hier am ehesten ein festes Gesetz finden könnten, stellen wir fest, dass es nicht der F a l l ist, gerade i m Gegenteil. So ist z. B . auf der Marschszene deutlich das Streben nach Vielfältigkeit der Stellung zu bemerken, gleichfalls die grosse Sorgfalt, die der Künstler darauf verwandte, das Ganze vor dem Eindruck der Eintönigkeit zu bewahren, die Gefahr nüchterner Trockenheit, die sich aus dem Thema ergibt, zu überwinden. Das ist ihm gelungen, denn er hat eine ungewöhnliche Lebendigkeit erzielt, die die Bewegungsmotive des Zuges auf der Ära Pacis des Augustus weit übertrifft. Ähnlich verfuhr der Künstler bei der Szene, wo Kaiser Trajan, an das Heer sprechend, abgebildet ist. Bei dem statischen Charakter solcher Szenen und der sich aus dem Thema ergebenden Ordnung, war hier noch mehr die Gefahr der Entstehung einer Reihe von gleichen Gliedern vorhanden. Aber auch hier erreichte der Künstler «ine unerwartete Frische und Vielfalt bei harmonischer Anordnung des Ganzen, ähnlich wie auf der Szene der Reinigung des Heeres, mit aller seiner festlichen Vereinfachung. Von irgendeinem geometrischen Gesetz kann keine Rede sein. A m deutlichsten tritt diese lebendige realistische Darstellung bei Vergleichen mit ähnlichen Szenen, der etwa 70 Jahre jüngeren Säule des Kaisers M . Aurel hervor, wie es Wegner systematisch anstellt. Erst dort tritt die Stilisierung i n Erscheinung, eine erstarrte Ordnung, eine Kette von gleichen Gliedern, gerade das Gegenteil des realistisch Beschreibenden der Trajanssäule. Als Tor zur Spätantike kann man nicht die gewisse „Trockenheit" des Stils, der die Trajanssäule tatsächlich kennzeichnet, auffassen. Sie wird bei der i m grossen und ganzen ruhigen F o r m vor allem durch den Linearismus hervorgerufen, auf dem das Ganze nebst den Details aufgebaut ist. Der Linearismus, den G. A . Snijder mit Recht als ein wesentliches Merkmal der selbstständigen römischen Kunst bezeichnet hat, durchdringt Einzelheiten und 18

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beherrscht durch die Betonung der Umrisse das Ganze, das somit gleichsam zur graphischen Komposition wird. Die Umrisse verschmelzen oft bei dichterer A n ­ häufung der Objekte und bilden so eine A r t Arabeske. Darin ist jedoch nichts abstraktes und nur selten kann man vor einer Beeinflussung der F o r m durch die Linie sprechen. P. E . Arias geht i n der Wertung der Linienfunktion an der Trajanssäule entschieden zu weit, wenn er die menschliche Gestalt als ein bloss dekoratives Element, ein blosses Teilchen der Arabeske auffasst. Die Gestalten bleiben hier im Gegenteil weiterhin selbständige Individualitäten, vgl. L . Curtius über die klassische Komposition der Trajanssäule. Den Linearismus, der typisch ist für die Zeit Trajans und der auf ihre gesteigerte Romanität hinweist, finden wir ebenfalls bei den schon angeführten Reliefs Domitians, was aufs neue ihre Bedeutung unterstreicht, ja man kann sogar verallgemeinern, ihre Bedeutung für die Kunst am Ausgang des 1. Jh. u. Z. als Vorbereitung der trajanischen Zeit, wie auch die Entwicklung des Porträts bestätigt. Weder die Abrechnung mit der einheitlichen perspektivischen Betrachtung, noch die Art der graphischen K o m ­ position genügen, um in der Trajanssäule mehr als blosse Ansätze.zur Spätantike zu erblicken. Aber diese Elemente, durch die sich die Spätantike ankündigt, sind nicht die einzigen. Bandinelli weist sehr r i c h t i g auf den starken Ausdruck der Gefühle, insbesondere bei den Barbaren hin. W i r sehen die Daker i m belagerten Sarmizegethusa verdursten, Erschöpfung, Verzweiflung und Qual zeigt sich auf den Gesichtern und in den Gesten; manche fliehen, sich mit weitgeöffneten Augen ängstlich umblickend, ganze Familien ziehen aus der Heimat, ins E x i l , junge und alte, Frauen mit kleinen Kindern auf den Annen, die eine riiigt die Hände, ein Mann zieht einen sich sträubenden Knaben an der H a n d und blickt traurig zurück; auf den Gesichtern aller ist Gram, der sich bei jedem anders äussert, anderswo tragen die Daker wieder einen gefallenen oder verwundeten Gefährten vorsichtig fort. M i t besonderer Vorliebe schildert der Künstler Haufen und Reihen Gefallener, in die verschiedenartigsten Lagen gekrümmt, mit zum Teil ruhigen, zum Teil durch den Schmerz des Todeskampfes verzerrten Gesichtern. Hier äussert sich ein neues Element, das Mitgefühl selbst für die Leiden der Bar­ baren und 'das Einfühlen i n ihren seelischen Zustand, ein neuer Ausdruck für innere Bewegung. Die Art des künstlerischen Ausdrucks und der Formung ist realistisch, aber sehr dynamisch. W i r stehen hier an einer der Quellen des spätan­ tiken Expressionismus, der sich erst in der Zeit der späten Antonine deutlich her­ vorhebt und an den sich dann die Entwicklung des 3. Jh. anknüpft. 22

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E i n anderes Vorzeichen der letzten Phase der antiken Kunst ist Proportionierung der Figuren nach ihrer jeweiligen Bedeutung. Diese Art der Darstellung, die ein besonderes Denken sowie eine besondere Auffassung der Beziehung zur Realilät voraussetzt, ist in der Volkskunst üblich und war auch bei den Römern schon früher anzutreffen. Dem volkstümlichen Künstler geht es in erster Linie 25

um den Inhalt, während die Form weniger ausschlaggebend, erst sekundär ist und sich grösstenteils aus dem Thema und dessen Auffassung ergibt. Der Künst­ ler ist bemüht gerade das deutlich und ausdrucksvoll wiederzugeben. Hieraus ergeben sich dann einige spezifische Eigenschaften der Volkskunst. Eben weil der Inhalt die wichtigste Rolle spielt und das Werk zum primitiven Menschen „sprechen" muss, ist die natürliche Folgung, dass die Hauptpersonen auf Kosten der übrigen besonders betont werden. Eines der Mittel ist die Darstellung der führenden Träger der Handlung i n vergrössertem Massstab und die Unter­ drückung von Nebensächlichkeiten. A m Altar der Laren aus dem Jahre 2 u. Z . , jetzt i m Palast der Konservatoren, der unter dem Namen Altar der vicomagistri bekannt ist, einem Denkmal von der Grenze der volkstümlichen und grossen offiziellen Kunst, sind die Nebenpersonen bis auf den Pfeiffer kompositioneil unterdrückt und etwas kleiner. A m auffallendsten sind die kleinen Proportionen eines zur Opferung vorbereiteten Stieres. In der Zeit der Spätantike wird durch das Format vor allem der Herrscher, „der Gott auf Erden" hervorgehoben, dem auch bei der Darstellung eine besondere Ehrung erwiesen wird. Die Anfänge in der offiziellen Kunst zeigen sich ganz deutlich schon zur Zeit Trajans am Triumph­ bogen in Benevento, dessen historische, politische und symbolische Reliefs eine Apotheose des Friedens und Wohlstandes bedeuten, die der Kaiser durch seine militärische Erfolge gesichert hatte. Trajan überragt liier auf einigen Tafeln die übrigen Gestalten, so z. B . beim Empfang der ausgedienten Soldaten. Dadurch wird eine besondere feierliche Wirkung erzielt. Es ist interessant, dass auf dem Bogen i n Benevento, der nicht nur die Religiosität und den Symbolismus der Ära Pacis des Augustus erneuert, sondern stilmässig auch dem augusteischen Klassizismus nahesteht, die idealisierende Monumentalität neben dem harmonisch komponierten Ganzen und einem formellen Element, das mit der sinnlichen E r ­ fahrung i n Widerspruch steht, nebeneinander anzutreffen sind. Verschiedenartig proportionierte Gestalten findet man auch an der Trajanssäulc. Manchmal geht es um einen gesteigerten Ausdruck, also einen bestimmten Expressionismus, ein anderesmal wieder um eine nur äusserliche Angleichung der Komposition an das Ganze und den landschaftlichen Rahmen, wie es uns aus der Volkskunst bekannt ist. * 3 2

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Was die Auffassung des Sujets betrifft, so äussert sich schon in der Zeit Trajans. eine neue Auffassung des Verhältnisses zwischen Sieger und Besiegtem, die den Unterliegenden menschlich erniedrigt und ihn zum blossen Objekt macht. E i n solcher Ausdruck des Sieges ist der klassischen Antike bei aller Brutalität gegen­ über dem Gegner fremd, dafür aber i m alten Orient und in der spätantiken Kunst laufend anzutreffen. W i r finden ihn z. B . auf dem vatikanischen Porphyrsarko­ phag der hl. Helena oder auf dem bekannten Belgrader K a m e o . Wenn wir die Entwicklung dieses Themas auf den römischen Münzen verfolgen, sehen wir, dass unter den Flaviern der Kaiser gegen einen gleich grossen Gegner kämpft, 35

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der sich wehrt, auch wenn er unterliegt. Diese Auffassung kennen wir auch aus der griechischen Kunst, erwähnend sei beispielsweise die Stele des Dexileos, Zur Zeit Trajans können wir schon auf den Münzen eine Wende bemerken. Der Gegner setzt sich nicht mehr zur Wehr, er fleht um Gnade und der Kaiser reitet über ihn hinweg. Es handelt sich wahrscheinlich um östliche Einflüsse, wo eine solche Auffassung des Themas der Mentalität der Asiaten mitsprach. Zum Orient weist auch die iKopie einer Statue des Kaisers Hadrian, der mit einem Fuss auf dem Rücken eines Barbaren steht; alle Statuen stammen nur aus dem Osten.' Diese Auffassung, wie sie auf den trajanischen Münzen zu beobachten war, er­ scheint auch auf der ältesten Darstellung des kämpfenden römischen Kaisers auf einem monumentalen Relief, auf einem Teilstück des Trajanfrieses, der zur Aus­ schmückung der Durchgänge des Konstantins!} ogens in R o m benützt wurde. Der Kaiser reitet mit wehendem Mantel i m Galopp über einen fallenden Barbaren hinweg, während ein zweiter Dake auf die Knie fällt und um Gnade bittet. In Richtung des v o m Kaiser geführten Angriffs geraten die Reihen der Daker ins Wanken und wenden sich zur Flucht. Das rechte untere Dreieck der gesamten Fläche des Reliefs, die durch eine von einem fallenden Daken aufsteigende Dia­ gonale i n zwei Teile geteilt wird, ist das Feld der Besiegten, das linke obere Dreieck ist für die siegreichen Römer bestimmt, die vom Kaiser selbst ange­ führt werden. Diese Einteilung erinnert i m Prinzip an die aus zwei Zonen be­ stehende Komposition der Wiener Augustusgemme oder der Pariser „grossen französischen Kamee", wo das untere Band die Triumphe der Mitglieder der kaiserlichen Familie illustriert, der der obere grössere Teil beider Gemmen vor­ behalten ist. Es scheint also, dass die zweiteilige Komposition des Trajanreliefs mit dem Gegensatz der Zonen der Sieger und Besiegten einheimischer Herkunft ist und dass sie zur Betonung eines neuen wahrscheinlich aus dem Osten über­ nommenen Motivs des triumphalen Sieges angewandt wurde. 17

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Wenn wir nun auf dem Relief der Zeit Trajans, insbesondere auf der Triumph­ säule des Kaisers alle neuen Elemente überschauen, die Einfluss auf die Ent­ stehung des spätantiken künstlerischen Bekenntnisses haben könnten, nämlich ein Schritt vorwärts durch den Zerfall der einheitlichen perspektivischen Dar­ stellung, wenn auch durch die Einheit des landschaftlichen Rahmens verschleiert, die Steigerung der Wirklichkeit i n der Betonung der Hauptperson, i n der Schilde­ rung des Gefühls oder in .der Verbindung verschiedener Sichten auf einem und demselben Objekt, insbesondere der grosse Einfluss der Volkkunst auch auf die offizielle Kunst, sich vor allem i m Streben nach einer ausdrucksvollen Darstel­ lung äussernd, deutlich und reich gestaltet, und in der grossen Bedeutung der Linie, und schliesslich der Einfluss des Ostens — die Geometrisierung und strenge Gesetzmässigkeit haben wir ausgeschlossen — wenn wir also alle diese Merkmale überschauen, müssen wir feststellen, dass sich i n der Zeit des Kaisers Trajan, des ersten Provinzmannes auf dem römischen Thron, nicht nur an der Trajanssäule, 27

sondern i m historisch-politischen Relief schlechthin, unrealistische und expres­ sionistische Elemente, Anfänge der Abkehr von der durch das Auge wahrgenom­ menen F o r m zeigen, hier mehr — Trajanssäule — dort weniger. Andererseits stellen wir fest, dass nur an der Säule, wo der Zusammenhang mit der traditio­ nellen volkstümlichen Form sichtbar ist, diese Elemente einigermassen entschie­ dener auf die Ausdrucksform des Ganzen wirken, das aber auch dort realistisch beschreibend, wenn auch volkstümlich, bleibt, die Wirklichkeit unmittelbar illust­ rierend, fortwährend stark konkret. Es fehlt der spätantike abstrakte Schematis­ mus, der die Grundlage der Form i n der letzten Epoche der griechisch-römischen Kunst am Ubergang des Altertums zum Mittelalter bildet. Eine Abwendung zur supranaturalistischen Ordnung, zum' Symbol bedeutet erst die Säule des M . Aurelius. deren Stil sich von dem der Trajanssäule, ebenso wie von ihren materiellen und geistigen Voraussetzungen, unterscheidet. Als Beginn der Spätantike können wir die Trajanssäule nur dann bezeichnen, wenn wir diese als Vorbereitung zu ihr ansehen, als eine wichtige Vorstufe zu ihrem Entstehen, als ihr in der offi­ ziellen Kunst am Beginn des 2. Jh. u. Z. vereinzelt stehendes Vorzeichen. Der Einfluss der Volkskunst, der sich vor allem durch die beginnende Abwendung von der sinnlich-realistischen Form und die Annäherung an die expressiv ge­ steigerte, mitunter expressionistisch gebildete Form äussert, war für die Genesis der Spätantike von grosser Bedeutung. Zur Spätantike führte ein langer Entwicklungsprozess, in dem zwei Phasen zu unterscheiden sind. In der ersten treten zwar auch schon i m offiziellen Stil vereinzelte spätantike Elemente auf, doch kommt es zu keiner Änderung der allgemeinen Einstellung und der eigentlichen künstlerischen Struktur. Dagegen beginnet i n der zweiten Etappe der eigentliche Prozess der inneren strukturellen Veränderungen und eine wirkliche Abwendung vom Realismus, was früher nur auf dem Gebiet der Volkskunst bekannt war. 40

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IV ' ANFÄNGE DER BILDUNG DER SPÄTANTIKE YON

M. A U R E L I U S

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SEPTIMIUS

SEVERUS

Als den sog. Stilwandel, mit dem der eigentliche Weg zur Spätantike angetreten wird, betrachtet man zumeist die Säule des M . Aurelius. Diesen Beginn dürfen wir allerdings nicht so auffassen, als flösse von nun an ununterbrochen und ein­ heitlich der Strom der spätantiken Kunst, sondern wir müssen ihn als den Antritt einer Epoche ansehen, i n der sich die Spätantike formiert und wo sich bereits alle ihre wesentlichen Merkmale geäussert haben. Ungefähr seit den achtziger Jahren des 2. J h . u. Z., der Zeit der Entstehung der Säule des M . Aurelius, beginnen — mit teilweisen Ansätzen vielleicht seit den sechziger Jahren — hundert Jahre einer reichen, schnellen und buritwechselnden Entwicklung, welche zuletzt der Zeit der Tetrarchen eine ihren wesentlichen Kennzeichen nach bereits ausge­ prägte F o r m vermittelte. Den Ausgangspunkt dieser Entwicklung, die Säule des M . Aurelius und ü b e r h a u p t die spätantoninische Zeit, kann man nicht verstehen, ohne ihre Wurzeln in einigen unmittelbar vorhergehenden Jahrzehnten zu unter­ suchen. Die Bildhauerei zur Zeit der Antoninen zeigt ein doppeltes Gesicht. Das eine blickt auf das klassische Erbe, welches unter der Regierung des hellenenfreundli­ chen Kaisers Hadrian sehr i n den Vordergrund trat, das andere blickt in die Zukunft, wobei es an den hellenistischen Barock und den römischen Illusionismus anknüpft. Der hadrianische Klassizismus, der sich schon unter Domitian vor­ bereitet und unter Hadrians Vorgänger Trajan deutlich geäussert hat, ist sui generis, spezifisch, und von dem mehr als hundert Jahre älteren augusteischen verschieden. Einerseits ist er noch unpersönlicher, kühler und abstrakt akade­ misch, andererseits hebt sich die Kontrastfolie des barockisierenden Hellenismus von diesem Akademismus ab. Die neapolitanische Porträtstatue des bithynischen Günstlings Hadrians Anlinous, die dafür als Beispiel dienen kann, zeigt i m Ge­ sicht eine innere Unruhe. Der Versuch eines Ausdrucks von Gefühl ist hier und auch auf anderen Porträts am besten durch die plastische Darstellung des Auges mil ausgehöhlter Pupille symbolisiert. Diese Art der Darstellung. die in ihren erslen Anzeichen vereinzelt vor sowie unter Flaviern, zahlreicher erst unter Tra1

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jan, i n Erscheinung tritt, siegt schön zur Zeil Hadrians über die ältere glatte Darstellungsweise und überwiegt seit der 2. Hallte des Jahrhunderts vollkom­ men. Das ist nicht nur ein Merkmal eines Strebens nach Darstellung des inneren Lebens, nach Absonderung des Geistigen vom Körperlichen, sondern zugleich der Beginn eines Druckes auf die feste, plastische Form. Der unter Hadrian be­ stehende Gegensatz zwischen dem glatten Gesicht und der dynamischen Model­ lierung von Bart und H a a r vertiefte sich zur Zeit der Antoninen immer mehr. Bereits zur Zeit des Anloninus Pius, unter dem sich die Kunst ganz in den Tradi­ tionen des hadrianischen Klassizismus bewegte, wird bei der Ausarbeitung von Statuen der Meissel immer häufiger durch den Bohrer ersetzt. M i t wirklicher Meisterschaft ist diese Bohrtechnik an der Büste des Kaisers angewandt, die sich jetzt i m Margam Park, einer wenig bekannten englischen Privatsammlung (Wales), befindet. Die Pupillen sind tiefer gebohrt und der Blick wird dadurch ausdrucksvoller. So wird der Ubergang zu den Porträts der Zeit Marc Aurels, insbesondere zu seinen eigenen Bildnissen, die sich durch psychologische Vertie­ fung auszeichnen, angebahnt. In den plastischen Porträts M . Aurels und seines Mitregenten L . Verüs ist eine deutliche Tendenz nach Aufhebung des Körperli­ chen (Entmaterialisierung) zu beobachten. Bart und Haare werden i n immer grösserem Masse eine D o m ä n e von Licht und Schatten, w ä h r e n d aus den Augen inneres Leben hervorstrahlt; gleichsam eine Darstellung der Seele, die bei dem Philosophen auf dem Throne oft abwesend und fern von den menschlichen Be­ griffen Raum und Zeit verweilt. Gegenüber dem schroffen Ausdruck des Impera­ tors auf dem bronzenen Reiterstandbild, jetzt die Zierde des Campidoglio, steht der mystisch emporgerichtete Blick der Statue i m Kapitolischen Museum nebst einer Reihe von Köpfen und Büsten mit verschiedenen Variationen geistiger Aussage. Unter ihnen ragt das Porträt i m Römischen Nationalmuseum besonders hervor, dessen weitere Replik i n H o l k h a m H a l l sich befindet, das die barock illusionistische Darstellung von Bart und Haaren, oft mit offensichtlichem Stre­ ben nach Effekt gebohrt, mit der „Seelensprache", die unter schweren Lidern hervorblickt, verbindet. Die teilweise Weichheit, die man hier sieht, wird von dem künstlerisch hochstehenden Porträt des L . Veras i m Römischen National­ museum, dessen Ursprung allerdings ungeklärt ist, weit übertroffen, ü b e r die plastische Masse siegt hier das Spiel von Licht und Schatten. Das Gesicht mit meisterhaft ausgeführten Partien um M u n d und Augen verliert seine körperliche Schwere, i n dem es sich i n einem Sfumato verliert. Erneut wird hier der flavische Illusionismus lebendig, allerdings i n einer „barockeren" Form. Das Streben nach Verinnerlichung des Ausdrucks ist eine der Äusserungen dieser Zeit, die sich allmählich vom antiken Realismus entfernt und sich dem spätantiken und mittel­ alterlichen Supranaturalismus zuwendet. In ihm beruht der Hauptgrund des Verschwindens der antiken, i m weitesten Sinne des Wortes, klassischen Form. M i t der Verlegung des Schwerpunktes aus der diesseitigen in eine andere Welt 3

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geht allmählich auch das Interesse für die realistische Form, wie wir sie sehen und greifbar fühlen, verloren. Im 2. J h . u. Z. siegt bereits das übersinnliche, eine neue Religiosität mit dem Glauben an die Unsterblichkeit der menschlichen Seele. E i n interessantes Beispiel führt F . W i r t h an; i m Jahre 165 verbrannte sich während der olympischen Spiele der K y n i k e r Peregrinus Proleus freiwillig, um auf diese Weise seine Verachtung des irdischen Lebens zu zeigen. Seine Tat wurde dabei keinesfalls als Narrenstück betrachtet, Peregrinus wurde vielmehr als ein „Heiliger" geehrt. Lukian blieb mit seiner gegen ihn gerichteten Schrift und mit seiner ganzen Abneigung gegen alles Metaphysische i n der Minderheit. Peregrinus' Verbrennung dürfen wir nicht etwa als den Selbstmord eines Stoikers, der das Leben verlässt, weil es ihm zu beschwerlich geworden ist, betrachten, sondern als ein bewusstes Sich — in die Arme — werfen dem Uberirdischen, was von den Zeitgenossen verstanden und positiv geweitet wurde. Grossen Einfluss hatten orientalische mystische Kulte, die sich lawinenartig verbreiteten. M . Aurels Sohn und Nachfolger Commodus war der erste Kaiser, der sich i n den K u l t Mithras einweihen Hess. Auf einem Sesterz ist er zu sehen, wie er ü b e r den Altar hinweg Serapis, neben dem Isis steht, die Hand reicht. Auf einer flachen Silberschüssel aus Parabiago, welche aus der Zeit der Antoninen stammt und vom Synkretismus der religiösen Vorstellungen ihrer Zeit Zeugnis ablegt, sind nebeneinander Kybele, Attis, Mithra, Sol, Luna, Tellus, Oceanus und Tethys ab­ gebildet, wobei die heimischen Götter eigentlich nur die Umgebung der Szene mit den Göttern des Ostens vorstellen: Die mystische Religiosität und die Abkehr vom Menschen als Mittelpunkt von Allem mit gleichzeitiger Zuwendung zum überirdischen und dem Sinnen Unzugänglichen mussten zwangsläufig einen E i n ­ fluss auf das künstlerische Schaffen ausüben, dessen hauptsächliches Motiv, wie noch jetzt, der Mensch war. Der veränderte Mensch forderte auch einen ver­ änderten Ausdruck i n der Kunst. Die erste Stufe hiezu war das Interesse für das Gefühlsleben und die Offenbarung des Inneren nach aussen. Im Porträt sehen wir, wie der neutrale Ausdruck des Gesichts, das von innen heraus mit neuem Leben belebt wird, verschwindet. 1 1

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F ü r die Entwicklung des Porträts war i n der nächsten Zeit Mittelpunkt des Interesses die barock illusionistische Darstellung des Bartes und der Haare. Ihre dynamische Darstellung, die bereits in den sechziger Jahren, insbesondere auf den Porträts des Verus mit reichem V o l l b a r t v o l l entfaltet war, erreichte ihren H ö h e p u n k t in der Büste des Kaisers Commodus als Hercules, jetzt i m Palast'der Konservatoren, i n R o m . Die Steigerung ist durch den starken Kontrast der por­ zellanglatten Haut und der mittels eines Bohrers tief zerfurchten Haarlocken sowie des mächtigen Vollbartes erzielt. Auf untergeordneteren Porträts, z. B . der Büste des Commodus in Houghton H a l l , kann man noch deutlicher beobachten, wie der Bohrer nicht zur plastischen Ausarbeitung der H a a r s t r ä h n e n dient, son­ dern durch selbständige, überwiegend kurze Rillen eine nur subjektive Illusion 14

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der Wirklichkeit hervorruft. Die plastische Masse ist dem Zerfall nahe. E r er­ reicht zu Ende des Jahrhunderts unter Septimius Severus eine beträchtliche In­ tensität, ruft aber sofort eine neue Reaktion hervor, eine teilweise Beruhigung der Form, die sich i m zweiten Jahrzehnt des 3. J h . U. Z. unter Caracalla i n vollem Mass geäussert hat. Zwischen den einzelnen Porträts des Septimius Severus be­ stehen verhältnismässig grosse formale Unterschiede. Der Kopf i n Ince Blundel H a l l vereint antoninischen, jedoch beruhigten Barock mit eihem Illusionismus, der vor allem mit den von dem Bohrer hartangesetzten Schatten operiert. Diese beiden ineinander übergehenden Elemente bilden die Grundlage des Stils des severischen Porträts. Auf der einen Seite konsequentes Fortfahren in der Auf­ lösung der plastischen Form, auf der anderen Seite eine deutliche, sich um ihre Festigung b e m ü h e n d e Reaktion. Der Kopf des Septimius Severus i m Römischen Nationalmuseum steht den Bildnissen M . Aurels nahe. Es ist kein harter, seine Macht auf das Heer stützender Krieger, sondern wir blicken in das verklärte Antlitz des Philosophen, in dem sowohl F o r m als auch das Gefühl fast klassisch ausgeglichen sind. Der barockisierende Dynamismus ist sehr stark gedämpft, der Gegensatz zwischen Gesicht und Haaren abgeschwächt. Eine festere Plastizität ist die Antwort auf die Auflösung der Materie, verursacht durch eine malerische Auffassung, die unter Septimius Severus eine Stufe erreichte, wie sie vorher nicht zu beobachten war. Der Bart und besonders die Haare der Büste im Kapitoli­ nischen Museum sind zwar, was die plastische Schichtung der Materie betrifft, ebenfalls geschlossener, jedoch ist dieser beruhigte Umriss zum grossen Teil, wenn auch nur an der Oberfläche, wieder durch die Einschnitte des Bohrers zerstört, was an die Pinselstriche impressionistischer Maler erinnert. Noch deut­ licher, vollkommen selbstständig und vom Meissel unabhängig, zeigt sich die Arbeit des Bohrers auf der sehr interessanten Porträtstalue im Vatikanischen M u s e u m , welche aus dem Ende des 2. J h . u. Z. stammt und wahrscheinlich Severus' Gegner und Gegenkandidaten auf den Kaiserthron Clodius Albums dar­ stellt. Bart und Haare sind ein einziges Gewirr von mehr oder weniger tiefen Furchen, die ungewöhnlich eindrucksvoll die Illusion naturgetreuer Wirklichkeit hervorrufen. Uns, die wir gänzlich an der modernen Kunst geschult sind, und denen ihre entwicklungsmässig positive Beurteilung und ihr Verständnis eine Selbstverständlichkeit ist, muss es sonderbar erscheinen, dass noch zu Beginn dieses Jahrhundertes lange nach der Invasion des französischen Impressionis­ mus und nach Erscheinen von Riegls aufschlussreichem Werk „Die spätrömische Kunstindustrie", das die spätrömische Kunst rehabilitiert und i n ihr keinen Ver­ fall, sondern eine neue Auffassung der Kunst und neue künstlerische Gesetze erblickt, W . Amelung in seinem inhaltsreichen Katalog der vatikanischen Skulp­ turen über die Statue des Clodius Albinus unter anderem schreibt. . . „beson­ ders hässlich ist die Bohrarbeit im Barte", und sich somit, auf den Standpunkt der griechischen klassischen plastischen Auffassung stellt. Der griechische Künst1 6

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ler modelliert, die Statue von innen heraus, der K e r n wächst, w ä h r e n d der rö­ mische oder besser gesagt der römisch empfindende i m Gegenteil in den Block hineingraviert, seine Masse zertrümmert und mit der W i r k u n g der Schatten an­ statt der plastisch erhabenen Stellen, wie der Grieche, rechnet. Gegenüber der plastisch-positiven Auffassung steht hier die negative, plastisch-destruktive. Die Reaktion auf sie ist das Streben nach Festigung der F o r m und von hier führt ein direkter Weg zu der erstarrten Form der Spätantike. Unter den Antoninen und Septimius Severus behält das Frauenbildnis die sich stets wenig verändernde klassizistische Grundlinie mit einigen barockisierenden Elementen. Zwischen den Porträts der älteren Faustina, der Gattin des Antoninus Pius, z. B . in der Sala rotonda i m V a t i k a n , ihrer Tochter, der jüngeren Faustina, der Gattin M . Aurels, z. B . i m Römischen Nationalmuseum, deren Tochter Lucilla, z. • B . i m Kapitolinischen M u s e u m , und schliesslich Iuliä Domna, der Gattin Septimius Severus', z. B . das bekannte Porträt in München oder auf dem Argentarierbogen in R o m , bestehen keine grossen Unterschiede. Immer der gleiche Gegensatz zwischen Gesicht und Haar wie bei den männlichen Porträts, nur nicht so stark und ständig gesteigert, denn i n den Haaren wird der Bohrer nur mit Mass benutzt. Nur die Porträts in der zweiten Hälfte und besonders am Ende des Jahrhunderts sind etwas weicher. Der schwache, i n das Auge konzen­ trierte geistige Ausdruck, entspricht ungefähr der Durchgeistigung, wie wir sie auf den zeitgenössischen männlichen Porträts beobachten konnten. Noch deutlicher als bei den Porträts äussert sich die Entwicklung der Bildhauer­ kunst zur Zeit der Antoninen und Septimius Severus' bei den Reliefs. Es handelt sich vor allem um historische Reliefs, die deshalb eine besondere Bedeutung haben, weil sie i n der Mehrzahl genau datiert sind, und des weiteren um Reliefs von Sarkophagen. Aus dem historisch-politischen Relief erhalten wir folgende chronologische Struktur: Aus den sechziger Jahren die Basis der Säule des Anto­ ninus Pius, die ihm, wie die Inschrift besagt, seine „Söhne" M . Aurelius und L . Verus errichteten; sie musste also zwischen dem Jahr 161, als Antoninus Pius starb und seine bereits designierten Nachfolger die Regierung antraten, und dem Jahr 169, dem Todesjahre L . Verus, erbaut worden sein. Aus den siebziger Jahren- stammen drei grosse Reliefs M . Aurelius' i m Palast der Konservatoren, etwa aus der Zeit um 1 8 0 stammen Relieftafeln von der Attika des Konstantins­ bogens in R o m ; die Säule des M . Aurelius entstand unter seinem Nachfolger und Sohn Commodus, also in den Jahren 180—192. Aus der Zeit Septimius Severus' stammt ein Relief im Palast Sacchetti i n R o m , die Senatoren vor dem Kaiser und seinen Söhnen; es wird i n die Zeit zwischen 202—204 datiert: der Bogen des Septimius Severus in R o m wurde im Jahre 203, der arcus argentariorum, ebenfalls in Rom, i m Jahre 204 errichtet. Eine Stufe zum Stil der M . Aurels-Säule sind die Reliefs auf den Seiten der Basis Antoninus Pius', die sich jetzt im Vatikan i m Giardino della P i g n a befin22

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det. Die Apotheose des Antoninus Pius und seiner Gemahlin Faustina, die vom Genius der Ewigkeit vor den Augen der Göttin Roma und des personifizierten Campus Martius zum Himmel emporgetragen werden, auf der Vorderseite, steht durch ihre klassizistische Auffassung der Zum-Gott-Erhebung der Plotina aus der Zeit Hadrians nahe. Aber auf den Seiten — beide Seilenreliefs sind gleich — ist der Stil des Reiterdefilecs (der sog. decursio militum, die bei der Vergöttlichung des verstorbenen Kaisers veranstaltet wurde) ein ganz anderer. Der Ring der Reiter, die in Normalsicht und verkürzt nach den Regeln der Linearperspektivc dargestellt sind, ist voll in die Fläche um die zentrale Gruppe der Gardeabteilung herum verleih, als stände der Beobachter auf einer A n h ö h e ; also etwas ähnliches, wie wir es schon bei der Trajanssäule angetroffen haben. Aber hier geht der Künstler noch weiter. Auf der Trajanssäule unterstützte die einheitliche Fläche die Illusion natürlicher Zusammenhänge, hier jedoch bewegen sich die einzelnen Rei­ ler oder einzelnen Gruppen auf isolierten Terrainsstreifen, so dass die Uneinheitlichkeit der perspektivischen Betrachtung und das Unrealistische der Raumkonzeplion klar erkennbar ist. Die Mittelgruppe ist überwiegend symmetrisch und schematisch komponiert. Es zeigen sich die Anfänge eines neuen Aufbauelements, einer rhythmischen Gliederung, die an der M . Aurelssäulc voll angewandt ist. Die Reiter sind dynamisch dargestellt, im Galopp, viele mit wehenden Mänteln und ihre kreisförmige Bewegung ist expressiv durch die Kontraposition der Randfiguren der Mittelgruppe, die auf einem Geländestreifen steht, der gleichsam den Durchmesser des Kreises bildet, betont. Der auf dem einen Ende des Quer­ streifens stehende Soldat blickt nach vorn, während der Soldat auf der entgegen­ gesetzten Seite nach hinten gekehrt ist. Mit. dieser Verfolgung der Bewegung, die den benachbarten Reitern entspricht, sowie der Betonung der Mitte durch die zentrale Komposition, entsteht der Eindruck einer Drehung. Die menschlichen Gestalten sind auf dem Relief verhältnismässig kurz und sozusagen verschrumpl't, ähnlich wie auf den kleinen Friesen der Triumphbögen, z. B . dem des Titus in Rom, oder dem des Trajan in Benevento, wo sich der Einfluss der heimischen Volkstradition lange Zeit behauptete. Im Stil dieser decursio militum auf der Basis des Antoninus Pius ist die Nähe der Spätantike deutlich fühlbar, was auch die Verwandtschaft mit den Reitern auf dem vatikanischen Sarkophag der hl. Helena aus dem Anfang des 4. J h . u. Z . beweist. 32

Die Kraft des hadrianischen Gräzismus, der auch die Zeit Antoninus Pius' voll­ ständig beherrschte, ist am besten noch in den siebziger Jahren am baroekisierenden Klassizismus zweier Reliefs i m Palast der Konservatoren sichtbar, auf denen M . Aurelius auf einem Triumphwagen fährt und Iupiter auf dem Kapitol opfert. Das dritte Relief, wo er die Huldigung der unterworfenen und um Gnade bit­ tenden Barbaren entgegennimmt, ist dynamischer und zum Teil auch den aureli­ schen Reliefs vom Konstantinsbogen i n R o m ähnlich. V o n den ähnlichen Reliefs aus der Zeit Hadrians, die sich neben ihnen auf dem Plateau der Museumstreppe 33

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befinden, unterscheiden sich alle drei Tafeln durch eine malerischere und i l l u ­ sionistischere Darstellung, insbesondere der Köpfe. Die Szene mit den Barbaren knüpft an die Trajanreliefs aus dem Durchgang des Konstantinsbogens, besonders durch den Raumsinn, und überholt sie i m Gefühlsausdruck, vgl. den neben dem Pferde des Kaisers stehenden, verzückt emporblickenden Soldaten. Acht Reliefs von der Altika des Konstantinsbogens '' stellen slilmässig noch bedeutend ü b e r der fortgeschritteneren Schicht des Denkmals der drei kapitolinischen Tafeln, von denen sie A'ielleicht nur einige Jahre trennen. Die plastische Masse ist allerdings weit mehr durch malerische Effekte zerstört, die Arbeit des Bohrers ist sehr selb­ ständig und destruktiv. M i t dem gesteigerten subjektiven optischen Realismus, verbunden mit einer grossen Räumlichkeit, kontrastiert die Starrheil einiger Ge­ stalten, vgl. insbesondere Pompcianus, sowie ein deutlich offenbares Verhältnis zum Beschauer. Im Gegensatz zu dem episch Schildernden der kapitolinischen Reliefs, wo sich die Profilgestalten ganz auf die Handlung beziehen, ist die Kom­ position mancher Tafeln vom Konstantinsbogen wesentlich anderer Art. A m bes­ ten zeigt das neue Verhältnis zur Wirklichkeit die Opferszene bei der lustratio exercitus, ' welche man mit der Opferung vor dem Iupitertempel i m Palast der Konservatoren vergleichen kann. Der Beschauer ist hier nur Beobachter, dort wird er durch die Blicke einiger ihm zugewandten Gestalten i n die Handlung mithineingezogen. M i t diesen Reliefs befinden wir uns bereits in der Zeit der Marc Aurelssäule, welche unter Commodus errichtet wirklich ein Tor zur letzten Phase der antiken Kunst bedeutet. Die Marc Aurelssäule, die in einem zusammenhängenden Band von Szenen die Ereignisse der beiden Kriege M . Aurels gegen die Germanen und gegen die Sarmaten i n den siebziger'Jahren schildert, geht von der Trajanssäule nicht nur bereits durch den Gedanken eines solchen Denkmals, der unter Trajan zum erstenmal entstand, sondern auch durch dessen Ausführung aus. Es soll jedoch sogleich betont werden, dass sie sich trotz mancher Ubereinstimmung wesentlich von ihrem Vorbild unterscheidet. M . Wegner, der von den formalen Problemen der Marcussäule i n ständigem Zusammenhang mit der Trajanssäule ausführlich berichtet, führt eine abschliessende Zusammenfassung ihrer stilistischen Merk­ male mit dem Vergleich ein, wie beide Künstler auf verschiedene Weise am Be­ ginn ihrer bildhauerischen Erzählung das Strömen der Donau auffassen und dar­ stellen. Der ältere von ihnen versucht den ewigen Lauf der Wellen realistisch zu schildern, während der jüngere die Wirklichkeit steigert, sich um eine expres­ sive Darstellung der Dynamik der Strömung durch ornamentale Stilisierung der Wellen bemüht, die sich blähen und an den eine Pontonbrücke bildenden Booten zerbersten. Die Linie, der hauptsächliche Träger des Ausdrucks, hat dabei noch ihre eigene Aufgabe. In einer Abkürzung finden wir hier den grundlegenden Ge­ gensatz beider Säulen. Die Trajanssäule ist vor allem realistisch und nüchtern beschreibend, während sich die Form der Marcussäule der Tendenz einer erhöhten 3

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Ausdrucksfähigkeit anpasst. Sie äussert sich vor allem in der Komposition. Bei der Einheitlichkeit des Bodens auf der Trajanssäule gliedert sich eine Szene flie­ ssend an die andere, während auf der Marcussäule die einzelnen Szenen mehr ge­ schlossen und isoliert, zum Hauptmotiv konzentriert sind; nur das Wichtige soll hervorgehoben werden. Die episch dokumentäre Erzählung der Trajanssäule be­ ginnt sich hier nach Hamberg'' zu vereinfachen — wir würden lieber allgemeiner sagen: zu verändern- womit eine Monumentalität und Repräsentativität erzielt werden soll. Die Szenen der adlocutio, an denen der Kaiser zum Heer spricht, sind zentral komponiert und der psychische Mittelpunkt, die Person des Herr­ schers, ist betont durch eine starke Tendenz zur Frontalilät, die noch auffälliger dadurch erscheint, dass das den Kaiser umgebende Gefolge mehr oder weniger symmetrisch neben ihm gruppiert ist. Auf der Trajanssäule ist Trajan i m Profil und in direktem Kontakt mit den Soldaten, zu denen er spricht, zu sehen, gleich­ sam als einer von ihnen, primus inter pares, M . Aurelius dagegen ist hier en face dargestellt, mehr zum Beschauer als zum Heer gewendet, mehr als Gegenstand der Verehrung als ein Teil der Handlung, die seine maiestas bis an die zweite Stelle setzt. Die entgegengesetzte Konzentrierung bedeutet die Gleichstellung aller Personen mit dem Thema. Dort das Herausheben der Individualität des Herrschers — des Gottes auf Erden, dominus et deus, hier wird der Einzelne wieder zum Teil einer Kette, deren jedes Glied dem anderen gleicht und mit den übrigen durch eine; rhytmischc Gruppierung verbunden ist. Vergleichen wir die Schilderung des Mar­ sches auf der Trajanssäule und der des M . Aurelius/' so sehen wir auf der älteren eine Reihe von Einzelgestalten, von denen jede mit allen augenblicklichen Z u ­ fälligkeiten, mit verschiedenartiger Haltung des Körpers und verschiedenen Ges­ ten dargestellt ist. Das Individuum ist persönlich und eigenartig ausgearbeitet; es ist nicht nur Statist, sondern zugleich auch Protagonist. Auf der Säule des M . Aurelius kann von einer selbständigen Persönlichkeit gar keine Rede sein. Der eigentliche Held,ist das Thema, die Handlung selbst, der Marsch, nicht die Perso­ nen, die i m Kollektiv zerfliessen. Der Einzelne wird zum uniform schematisierten Marschtypus, der nur vervielfacht wird. Daraus ist zu ersehen, wie die Einmalig­ keit des Individuums abgeschwächt wurde. F ü r die Spätantike ist diese Abschwächung typisch. Der Mensch als Einheit der sinnlichen Welt hört auf, Mittelpunkt von allem zu sein, wichtiger ist das, was das Auge nicht wahrnimmt, der Ge­ danke, das Reich des Geistes. Zum Unterschied von der Trajanssäule findet man unter den Szenen der Marcussäule des öfteren wunderbare Ereignisse, wo über­ natürliche Kräfte i n die menschlichen Schicksale eingreifen. Die Gottheit ist auf der Seite der Römer. Die hölzernen Belagerungskonstruktionen der Feinde werden vom Blitz zerschlagen, Iupitcr Pluvius rettet das römische Heer vor dem Ver­ dursten, indem er den römischen Soldaten, die bittend zum Himmel emporblicken, von seinen schützenden Flügeln Regen sendet; zugleich werden zu seiner Rechten 0

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die Feinde durch Wassergüsse vernichtet, ihre lolen Leiber lullen zusammen mit den Leichnamen der Tiere die Bergtäler/' Iupiter ist demnach keine mythologi­ sche Gestalt i m griechischen Sinne, ein Gott-Mensch, sondern eine Personifikation der überirdischen Kräfte, neben denen der Mensch als ein Nichts erscheint, ein guter Gott-Vater, dessen rechte H a n d und Flügel die R ö m e r beschützt, ähnlich wie die mittelalterlichen Christen der Mantel der Mutter der Barmherzigkeit, wenn sie mit ihren Bitten bei ihr Zuflucht suchten. Aber zugleich ist er auch ein Gott, der die — nach römischer Ansicht allerdings — Bösen bestraft. Eine interessante Parallele, die eine andere Auffassung verrät, finden wir an der Trajanssäule, wo Iupiter Tonans auf der Seite der Römer kämpfend auftritt, fast als wäre er einer von ihnen. Die Gestallen der Marcussäule sind sehr plastisch dargestellt, die Leiber ge­ wöhnlich mit betonter Körperlichkeit; die ziemlich harten Linien der Draperie graben sich in sie hinein, Gesichter • und entblösste Teile erscheinen weicher, malerisch mit kontrastbetonenden Schatten, aber auch Ubergängen i n Halbschat­ ten. Ungewöhnlich lebendig, beinahe impressionistisch, sind die Gesichter der Barbaren dargestellt, die sich auch durch starken Gefühlsausdruck auszeichnen Ausgezeichnet hat es der Künstler verstanden das verschiedenartig nuancierte, stark bewusstgewordene oder auch stumpf ertragene Entsetzen vor dem Tode zu schildern. Viele Köpfe sind fast mittelalterlich pathetisch. Die Landschaft verliert gegenüber den Gestalten an Bedeutung; auf diese als die Träger der Handlung ist alle Aufmerksamkeit konzentriert; Der Boden ist nicht als einheitli­ che, zusammenhängende, den grösseren Teil des Reliefs ausfüllende Fläche dar­ gestellt, vgl. dagegen die Trajanssäule, sondern die Gestalten sind auf GeländeStreifen gestellt, ähnlich wie auf der Szene der decursio mililum auf der Basis des Antoninus Pius. Die Darstellung des Raumes ist zweideutig, zum Teil realistisch, wenn wir die einzelnen frei in den Raum und unter verschiedene Winkeln zur neutralen Unterlage gestellten oder von räumlich dargestellter Architektur um­ gegebenen Gestalten betrachten, zum Grossteil jedoch subjektiv und unwirklich. Es ist dies die bereits von der Trajanssäule bekannte Verbindung der Draufsicht (die Landschaft ausser den Bäumen, besonders Architekturen, Ubereinanderstaf­ felung der Gestalten) mit der Normalsicht., i n der die Gestalten gesehen werden. Die Landschaft ist manchmal aus der Vögelperspektive in kartographischer Drauf­ sicht dargestellt, wie z. B . das Lager, die Gestalten in und neben ihm jedoch von der Seite; oder wie der Fluss, neben ihm aber die Mauer des Lagers, die B ä u m e und Gestalten in Normalsicht. Der Raum ist auf der Marcussäule noch unwirkli­ cher als auf der Trajanssäule, trotz dem die Tendenz besteht, ihn darzustellen. Zusammenfassend kann man sagen, dass der Stil der Marcussäule zahlreiche Widersprüche verbindet; die Lebendigkeil, der Darstellung mit einer gewissen Starrheit, „Impressionismus" mit „Expressionismus". E r ist dynamisch barock, illusionistisch und zugleich ausdrucksvoll. Das Pathos kommt aus der Tiefe der 6

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Seele und ist mit der melancholischen H u m a n i t ä t seiner Zeit erfüllt, die für die im Osten entstandene christliche Lehre reif ist. Entgegen dem Überwiegen des realistisch konkret Beschreibenden auf der Trajanssäulc ist der Stil der Marcus­ säule a potiori „impressionistisch-expressionistisch". Seine direkte Fortsetzung, die die Entwicklung weiter vorwärts brachte, sind die Reliefs am Bogen des Septimius Severus in R o m , der durch die Aufschrift in das Jahr 203 u. Z. datiert ist. E r bricht die Tradition der Triumphbogen, wo der Inhalt der Reliefs ein symbolisch-politischer war; an den Krieg erinnerte höchstens ein Triumphzug. Solcher Art sind die Themen der Reliefausschmückung z. B . 'am Titusbogen in R o m oder auf dem Bogen Trajans in Benevento. Die erzählenden Reliefs jedoch, mit denen der Severusbogen geschmückt ist, nehmen ihre Themen direkt aus den K r i e g e n gegen die Parther, Araber und gegen Adiabene, ähnlich wie die Marc Aurelssäule aus den Kämpfen i m Westen. Neben Schlachten, der Eroberung der'S.tädte Atra, Ktesifon und Seleukia und dem Uber­ gang über Euphrat und Tigris gibt es hier auch Szenen mit der Ansprache des Kaisers an das H e e r , die man gut mit ähnlichen Szenen auf der Marcussäule vergleichen kann. Sie stimmen i n dem Streben nach lebendiger Schilderung der um suggestus herum versammelten Soldaten überein, wobei die ganze Szene von einer beträchtlichen Räumlichkeit ist, allerdings auch durch Anwendung unrea­ listischer Mittel. Auf anderen Szenen bildet der angedeutete Boden den Hinter­ grund, was auf das Interesse für die Darstellung des wirklichen Raumes hin­ weist und an ähnliche Darstellungen an der Trajanssäule erinnert. Die Formen sind abgeflacht und die Details vor allem mit dem Bohrer ausgeführt. Die Ge­ stalten erscheinen wie verschrumpft, sind sehr schematisiert und einförmig. Z. B . auf der Szene der Belagerung der Stadt (unter der Szene der adlocutio) ist zu sehen, dass die Handlung das Hauptsächliche ist und die Figur nur dazu dient sie auszudrücken; sie ist also nur als Bewegungsmotiv oder als Glied der Menge von Bedeutung. In diesem Verlust der Einmaligkeit des Individuums und in seiner Charakteristik ist der Bogen des Septimius Severus weit, über die Marcussäule hinausgegangen und hat sich der Spätantike genähert. Entwicklungsmässig be­ sitzen diese Reliefs eine grosse Bedeutung, weil sie von dem absoluten Sieg der heimischen „Volkskunst" Zeugnis ablegen, die i n den Grundprinzipien mit der synthetisch expressiven F o r m der Spätantike übereinstimmt, zu deren Entstehen sie so Avesentlich beigetragen hat, als die traditionelle griechisch-römische F o r m vom 2. J h . u. Z. ah auch von dem offiziellen monumentalen künstlerischen Stil abwich. Die Vorgänger der historischen Reliefs am Bogen des Septimius Severus sind nicht die Triumphbögen, sondern die Säulen Trajans und Marc Aurels. Der kontinuierliche, gedrängt narrative Stil der Marc Aurelssäule wurde, vielleicht unter der Mitwirkung eines ihrer Schöpfer, hierher übertragen. Zum Unter­ schied von den historischen Reliefs ist die figurale Reliefausschmückung auf den Basen der dekorativen Säulen (römische Soldaten mit Gefangenen) und in den 54

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Dreiecken über den Bögen (Viktorien, Personifikationen der Jahreszeiten, Fluss­ götter) weit konservativer, „griechischer", und geht vom barockisierendcn antoninischen Illusionismus aus. Der arcus argentariorum auf dem Forum boarium In R o m , der ein Jahr später, 204 entstanden ist, beweist, dass die Kontraste von Licht und Schatten, ohne feinere Ubergänge scharf nebeneinandergesetzt, zu den formalen Grund­ merkmalen dieser Zeit gehören. Das bezeugt seine reiche ornamentale Dekora­ tion, die von dem lebendigen Illusionismus der dekorativen Ausschmückung des Titusbogens ausgeht. In ihr überwiegt die deutliche Zeichnung des Bohrers. Im Durchgang auf der Relieftafel mit den Porträtfiguren des Septimius Severus und seiner Gattin Iulia Domna bei der Opferung am Altar ist die Gestalt der Kaiserin in der unteren Hälfte leider dadurch entwertet, dass die ursprünglich vor ihr stehende Gestalt ihres jüngeren Sohnes Geta nach dessen Ermordung i m Jahre 212 abgemeisselt wurde; so kam es, dass die obere Körperhälfte der Iulia Domna völlig plastisch dargestellt ist, während die untere nach der Entfernung Getas erneut umgearbeitet nun i n ganz flachem Relief zu sehen ist. Iulia Domna ist hier streng frontal, i n hieratischer Stellung dargestellt, das Gesicht ist symmetrisch u n d stilisiert. Ihre linke H a n d ist auffallend klein und kurz, sie erscheint gleich­ sam v e r k ü m m e r t . D a sie jedoch nicht ursprünglich, sondern erst das Ergebnis von acht Jahre nach der Zeit der Entstehung durchgeführten Änderungen ist, kann man diese Erscheinung nicht mit Sicherheit aus der ganzen Struktur und Komposition des Reliefs heraus auslegen. Es ist strittig, ob wir die Deformation der Ungeschicklichkeit und Nachlässigkeit des Steinmetzen, der mit der Durch­ führung der Ausbesserung betraut worden war, zuschreiben sollen (der caduccus, den sie in der Hand hielt, blieb nach der Umarbeitung in der Luft), oder oh damit eine bestimmte Absicht verfolgt wurde. Es ist allerdings auffällig, dass diese Disproportionalität bei beiden Gestalten, Iulia Domna und ihrem Gatten, zu beobachten ist. W ä h r e n d die linke Hand der Kaiserin zu kurz geraten ist, erscheint die rechte Hand des Kaisers mit der Opferschale i m Gegenteil wieder unverhältismässig lang. Diese Parallele zeigt, wie es scheint, dass es sich nicht etwa um ein Versehen in der Darstellung oder eine Notwendigkeit beim Retu­ schieren handelt, sondern dass die Deformation der Hand auch bei Iulia Domna eine absichtliche Abweichung von der Wirklichkeit ist. Die Verlängerung der opfernden Hand des Severus kann nichts anderes bedeuten als ihre Betonung oder besser die Betonung der Handlung, die sie ausführt. Der A k t der Opferung wird hier zum Mittelpunkt des Interesses. Das Motiv des Opfers ist auch auf den Reliefbändern unter den Porträten zu finden. Gleich unterhalb von ihnen, nur durch eine plastische Linie getrennt, befindet sich niedriger Fries mit Opfer- und anderen Kultgegenständen. Auf dem unteren Relief ist eine Stieropferung abge­ bildet, , deren Stil getreu der Tradition der kleinen Friese auf den Triumphbögen u. ä. volkstümlich ist, wenn auch das Schema der Opferszene und die übrigen 58

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Gestalten den älteren hellenistisch-römischen Vorbildern entnommen sind. M a n mag die Verkürzung der H a n d der Gattin Severus' auslegen wie immer man will, es ist gewiss, dass beide Gestalten an der Grenze des Expressionismus stehen und in gewissem Masse — und zwar absichtlich — die Grenze der objektiven Wirklichkeit überschreiten. B e i beiden Gestalten dringt die Struktur des. Kör­ pers fast gar nicht durch die Draperie, sie ist unbestimmt, auch die einzelnen Teile der Gestalten sind organisch nicht gebunden. Die ziemlich realistisch dar­ gestellten Köpfe mit Anzeichen des Alters sind viel sorgfältiger ausgearbeitet als die Körper, was der heimischen etruskisch-italischen Tradition entspricht. W i e die kunstvoll ausgeführte Toga, die sich der Kaiser bei der Opferung dem Brauch gemäss über den Kopf schlug, und vor allem die konturierlen Gestalten auf dem Relief der immolatio boum beweisen, fällt der Linie eine grosse Be­ deutung zu. Schliesslich wollen wir noch bemerken, wie die Früchte auf dem Dreifuss durch gepunktete Bohrung umrissen sind. Diese Art finden wir auch auf den Sargophagreliefen. Die Porträtköpfe sind weich dargestellt, ebenso die Drape­ rien. Das Relief mit Septimius Severus und Iulia Domna, sowie ihr Gegenstück i m Durchgang mit Caracalla (die Gestalt seiner Gattin Plautilla wurde ähnlich wie die Getas entfernt) unterscheidet sich von den niedrigen Friesen mit der Opfe­ rung eines Stiers zum Teil durch seinen Stil. Diese zeigen zugleich mit den Reliefs auf der Aussenseite des Ehrentores, wo römische Soldaten mit Gefangenen abgebildet sind, klar spätantoninische Einflüsse,' manieristisches Verlängern der Gestalten, Typen von Barbaren, gleichzeitig jedoch einen Zusammenhang mit der älteren realistischen Tradition — die organische aufgebaute Gestalt i m Raum. Demgegenüber weisen die Tafeln mit den Mitgliedern der kaiserlichen Familie, auch wenn sie ebenso mit der spätantoninischen Kunst zusammenhängen (z. B . Septimius Severus dem Beispiel des opfernden M . Aurelius auf dessen Säule nach), eher in die Zukunft und wenden sich mehr von der klassischen griechisch­ römischen Vergangenheit ab, Frontalität, Stereometrisierung. unräumliche Auf­ fassung, pointillistische Bohrweise. Die Unterschiedlichkeit im Stil ist allerdings teilweise auch durch die unterschiedlichen Themen, das narrative gegenüber dem repräsentativen, gegeben. Es scheint, dass Pallottino recht hat, wenn er die Reliefs zwei Bildhauern zuschreibt; die Unterschiede zwischen ihnen übertreibt er wahrscheinlich. A n zwei verschiedene Werkstätten braucht man nicht zu denken. Der Illusionismus verbindet zusammen mit dem Expressionismus und volkstümli­ chem Akzent alle Tafeln auf dem Bogen der Argentarier. 60

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E i n von dem Arcus argeritariorum nicht sehr verschiedenes B i l d der Plastik um das Jahr 200 zeigt uns das Relief im Palast Sacchetti in Rom, welches, wie man jetzt annimmt, nicht Septimius Severus, wie er i m Jahre L97 dem Senat seinen Sohn Caracalla als künftigen Herrscher vorstellt, darstellt, da beide Prinzen nur Nebengestalten sind. Die Hauptpersonen sind der Kaiser und die Senatoren. Dem Argehtarier-Bogen steht eine scharf geschnittene, reiche Dekoration nahe, 64

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die den Eindruck einer schwarzweissen Tapete erweckt. Es ist die Arbeit eines Bohrers, der sich auch auf den Figuralreliefs stark behauptete. Die Gestalten sind zum grössten Teil drapiert, die Draperie überwiegt meist den Körp'er, und ähnelt Schnitzereien. Manche sind ziemlich flach und das formale Hauptelement, das den allgemeinen Eindruck bildet, ist nicht sosehr die plastische Modellierung, als viel­ mehr die graphische Linie, die durch ihre Negativität das Volumen stört. Der Einfluss der Volkskunst ist hier schwach. Bedeutend ist nur, dass die Mehrzahl der Gestalten dem Beschauer zugewendet ist, manche vollkommen frontal. D a ­ durch eitsteht ein symbolischer Raum mit Teilnahme des Beschauers. M i t dem Relief Sacchetti haben wir die Ubersicht der historischen Reliefs der Zeit der Antoninen und des Septimius Severus beendet. Viel deutlicher als auf den Porträts konnten wir hier die Grundsteinlegung zum Stil der Spätantike beobach­ ten, eine Form, die auf der Expressivität, die sich die Wirklichkeit unterwirft, aufgebaut ist, auf der Stilisierung der einzelnen Formen sowie der ganzen K o m ­ position und allgemein auf den wechselnden geistigen Voraussetzungen, auf der beginnenden Hinwendung v o m realistischen Sensualismus und Rationalismus zum Supranaturalismus und Spiritualismus. Einen beträchtlichen Einfluss hatte auch die Bildung des unwirklichen Raumes neben offensichtlichen raumbildenden Be­ strebungen und die „impressionistische" Auflösung der Form, oft durch einen starken negativen Linearismus unterstützt. Der Entwicklnugsprozess von der klas­ sischen — zur Spätantike verlief im Zeichen der Lockerung der griechischen for­ malen Tradition, der Stärkung der römischen Elemente und einer damit Hand in Hand gehenden Beeinflussung selbst der offiziellen monumentalen Kunst durch die heimische volkstümliche. Diese hat sich stets ihren eigenen Charakter erhalten, u n b e r ü h r t von dem Sieg der griechischen F o r m in der repräsentativen Plastik, deren Aufgaben sie unter Augustus nicht gewachsen sein konnte. Sie lebte niclitdestoweniger weiter, insbesondere in den Grabreliefs und den kleinen Friesen, aber auch in kleineren Triumphplastiken, in Beliefs-Clipei, welche mit der weit­ verzweigten Triumphalmalerei i n Zusammenhang standen. Die Frontalität, die zentrale Komposition und das Proportionieren der Personen nach der jeweiligen Bedeutung finden wir bereits i m 1. J h . u. Z. Ins Römische Nationalmuseum wur­ den aus Chieti die Uberreste einer Grabkapelle übertragen, die der sevir augustalis C. Lusius Sorax erbauen liess, und die jetzt i m Museum rekonstruiert steht, Auf dem Fries sind Gladialorerikämpfe abgebildet; die beiwohnenden Personen befinden sich in dem Giebel über dem Fries, es sind Zuschauer und Beamte, in ihrer Mitte und im Mittelpunkt der ganzen Komposition befindet sich der füh­ rende Beamte, der die Spiele veranstaltet und i n grösserem Massstab dargestellt ist; in den Ecken sieht man Musikanten. Diese Komposition kann man mit der repräsentativen adlocutio auf dem kleinen Fries des Konstantinsbogens in R o m vergleichen. Weiter macht Rodenwaldt auf einen Grabstein aus der Mitte des 1. Jh. in Brescia aufmerksam, wo sich auf der Tribüne in der Mitte der Tote 65

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als Haupt des Beamtenkollegiums befindet, das ihn symmetrisch umgibt; unter­ halb des Podiums befinden sich i n ldeinerem Massstab die Parteien, welche sich an ihn um Entscheidung wenden. Wie man sieht, hatte die Entwicklung zur Spätantike i n der römischen Kunst an etwas anzuknüpfen. Eine interessante Stellung nehmen i n dieser Entwicklung die Figural-Reliefs der Sarkophage ein, die von der Zeit Hadrians an eine ungewöhnlich grosse Ver­ breitung erfuhren und bald einen wesentlichen Teil der bildhauerischen Produk­ tion bildeten. F ü r uns sind sie besonders deshalb von Bedeutung, weil sie ähnlich wie die Porträts eine zu s ammen h än g en d e Entwieklungsreihe bilden, die sich ohne Unterbrechung auch i n jenen Zeiten entfaltet, aus denen wir keine historischen Reliefs besitzen. Es ist vor allem fast das ganze 3. Jahrhundert u. Z. Nach dem J . 204, wo der arcus argentariorum entstand, gähnt eine weite Kluft und die nächsten erhaltenen historischen Reliefs finden wir erst am Beginn des 4. Jh., im J . 303 die Basis des Diocletian auf dem Römischen Forum und ungefähr aus derselben Zeit den Galeriusbogen i n Saloniki, zwischen 297—307, wahrscheinlich etwas früher, als Galerius vom Caesar zum Augustus wurde, also vor dem Jahr 305. F ü r das Ende des 3. J h . u. Z. kann man sich mit den Reliefs vom Altar der Kybele, das ihr der Augur L . Cornelius Scipio Orfitus i m J . 295 gewidmet hat, und dem Relief mit der Opferung im Römischen Nalionalmuseum behelfen, wel­ ches wahrscheinlich, wie L'Orange gezeigt hat, aus irgendeinem historischen Denk­ mal des Kaisers Claudius Gothicus stammt und also i n der Zeit zwischen 268 bis 270 entstanden ist; sonst sind wir jedoch neben den Porträts nur auf Sarkophage angewiesen. F ü r die Rekonstruierung des glatten Verlaufs der stilistischen Ent­ wicklung haben die Sarkophage allerdings den grossen Fehler, dass sie nicht durch Aufschriften genau datiert sind, weshalb wir sie erst durch eine Analyse des Stils und mit Hille von Porträts, soweit sie auf ihnen vorkommen, chronolo­ gisch eingliedern können. 67

Eine seltene Ausnahme stellt zur Zeit der Antoninen der vatikanische Sarko­ phag des C. Iunius Euhodus und seiner Gattin Metilia Acte vor, auf dessen Deckel zwei geflügelte Victorien eine rechteckige Tafel mit einer Aufschrift halten, die durch die Angabe des Amtsranges Euhodus' zwischen 161 und 1 7 0 datiert ist. Der Sarkophag stammt also aus dem Beginn der Regierung des M . Aurelius, wo noch, wie wir aus dem historischen Relief ersehen, die klassizisierenden Tenden­ zen der hadrianisch-frühantoninischen Zeit nachklingen. Künstlerisch ist dieses Werk durchaus kein hervorragendes; so führt es z. B . Ducati in seiner L'arte in Roma überhaupt nicht an, die Strong widmet ihm eine kurze Bemerkung wegen seiner Porträts, will sich aber vom ästhetischen Standpunkt aus nicht damit be­ fassen, wejl ..der Sarkophag mit den Gestalten, deren Bewegungen ungelenk und rhetorisch sind, nicht viel wert ist". Die Art, wie der griechische Mythus romanisiert ist, ist an ihm am bemerkenswertesten. Das Thema des Reliefs ist sym­ bolisch, wie es auf Sarkophagen gewöhnlich der F a l l ist, dem Mythus von der 69

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aufopferungsvollen Gattin Alkestis, die freiwillig für ihren Gatten Admetos sterben wollte und von Herakles aus dem Reich des Haxles befreit wurde, entnommen. Die Handlung ist i n drei, bzw. vier Szenen eingeteilt: Apollon meldet Admetos die Möglichkeit, sich vor dem Tode zu retten, i n der Mitte sieht man Alkestis auf dem Totenbett von ihrem Gatten Abschied nehmen und schliesslich empfängt Admetos aus Herakles' H ä n d e n seine zum Leben erweckte Gattin. Diese Szene ist durch die selbständigen Gestalten des Hades und der Persephone ergänzt, von denen Alkestis zurückkehrt. Nicht nur Alkestis und Admetos, sondern die meisten der übrigen Personen sind keine idealisierten Gestalten des griechischen Mythus mit stereotypen Frisuren, sondern individualisierte Porträts, die i n Haar und Barttracht getreu der damaligen Mode nachgebildet sind. Alkestis, die Metilia Acte darstellt, hat die typische Frisur der älteren Faustina, die bereits 140 starb; ihre Frisur konnte demnach mehr als zwanzig Jahre später und nach dem Tode ihres Gatten, als ihre Tochter und Gattin des Nachfolgers des Antoninus, M . Aurelius', die jüngere Faustina also, eine ganz andere Frisur trug, nicht mehr modern sein. Daraus ist zu ersehen, dass Metilia aus konservativer Neigung zur Tradition ihre Frisur aus jüngeren Jahren beibehält; eine Erscheinung, die auf Sarkophagen öfter zu beobachten ist. Das bedeutet, dass das Porträt tatsächlich individuell ist. Römisch ist jedoch nicht nur das Eindringen des Porträts, des aktuell Konkreten in das Allgemeine des griechischen Mythus; sondern auch die Betonung des Mittelpunktes der Komposition; ebenso die etwas kurzen Gestalten mit ein wenig zu grossen Köpfen, bei manchen Figuren sogar auch eine starre Haltung des •Körpers und schematische Gesten, die eines primitiven Ausdrucks nicht entbeh­ ren. Es äussert sich hier der Einfluss der.Volkskunst, eine Begleiterscheinung des Auftaktes zur Spätantike im 2. J h . u. Z.. die uns schon aus den historischen Reliefs bekannt ist. Die mit der Zeit der Antoninen beginnende Romanisierung der Sarkophage äussert sich nicht nur i n der „Verbürgerlichung" des Mythus, wohin das typische römische Porträt eingedrungen ist, sondern auch i n der Entwicklung mancher Themen, vgl. die seit den fünfziger Jahren beliebten Sarkophage mit Szenen, die die römischen Tugenden darstellen, Virtus, dementia, Iustitia, Pietas, Concordia. A m charakteristischsten ist der Weg von den symbolischen graezisierenden Schlachtsarkophagen zu realistischen Sarkophagen mit Darstellungen aus den gegenwärtigen Kriegen der R ö m e r . Aus der antoninischen Zeit, auch der älteren, hat sich eine Reihe von Sarkophagen erhalten, deren Themen von den Griechen ü b e r n o m m e n e Szenen mythischer Amazonen- oder historischer Gallierkämpfe sind, durch die die pergamenischen Künstler inspiriert wurden. Auf den Sarko­ phagen i m Kapitolinischen Museum mit einer Schlacht zwischen den Griechen und den A m a z o n e n oder den Griechen und den Galliern, der sog. Ammendola, überwiegt vollkommen die griechische Form. Nach zahlreichen und stark perspek­ tivischen Verkürzungen der Gestalten zu urteilen, waren ihre Vorbilder helleni-71

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stische Malereien, für den gallischen Sarkophag wahrscheinlich Werke der pergamenischen Schule. Manche Gestalten der Gallier stehen den Statuen des Votivdenkmals auf der Burg i n Pergamon nahe, wie wir sie aus dem kapitolinischen Sterbenden Gallier oder der ludovisischen Gruppe eines Galliers-Selbstmörders und seiner Gattin i m Römischen Nationalmuseum kennen. Älteren Ursprungs, noch aus der frühantoninischen Zeit, ist der niedrige Sarkophag eines römischen Fcldherrn i m Römischen Nationalmuseum, wo sich auf dem Deckel seine Por­ trätbüste in einem Lorbeerkranz befindet, der von zwei Vicloricn gehalten wird; auf der Vorderseite des Sarkophags befinden sich Szenen mit besiegten und ge­ fesselten Barbaren, die vor den römischen Anführer gebracht werden. Dieser zeigt sich hier i n der unrealistischen heroischen Nacktheit mythologischer Ge­ stalten. Wie die Komposition der mehr oder weniger isolierten Gruppen, so sind auch die einzelnen Gestalten und ihre Stellungsmotive griechisch, hellenistisch mit klassizistischer Einstellung. Römisch ist hier nur das Porträt des Heerführers,mit dem Meissel handwerklich ausgeführt. Die späteren Schlachtensarkophage aus dem letzten Drittel des 2. J h . u. Z. sind mehr und mehr „barock" und dyna­ mischer. Das ist eine allgemeine Erscheinung in der Entwicklung der spätantoninischen Kunst und wir haben sie bereits i m Porträt und auf dem historischen Relief kennengelernt. Auf der Reiterschlacht mit den Barbaren i m Römischen Nationalmuseum, dem sog. kleinen Schlachtensarkophag Ludovisi, ist die pla­ stische Modellierung schon ziemlich durch l i c h t e r und Schatten verdeckt, die die allgemeine Komposition beherrschen und die einzelnen Gestalten, die ihre indi­ viduelle Isolierheit verlieren, zu einem einheitlich wahrnehmbaren Ganzen ver­ binden. A n Stelle der summierten Zweikampfgruppen beginnt die lebendige Illu­ sion einer wirklichen Handlung Fuss zu fassen. Die einzelnen Gestalten zeigen bereits die Unruhe und die Bewegung des Ganzen. In einigen Varianten ist die Gestalt des vom Pferde fallenden Barbaren lebendig festgehalten. W i r finden hier das alte, auf den Sarkophagen mit den Amazonen.oder Galliern übliche Thema der rückwärts fallenden Gestalt, die sich mit einer Hand am Zügel festhält und mit einem Fuss noch den Rücken des Pferdes berührt, aber auch neue Motive, z. B . eine Gestalt i n der Mitte mit von vorn dargestelltem und zu einem Bogen g e k r ü m m t e m Körper, weil der noch auf dem Rücken des Pferdes verweilende Fuss die den Zügel haltende H a n d berührt. Die Pferde sind stark räumlich dar­ gestellt; z. B . der sich ganz auf dem rechten Rand befindliche Reiter scheint aus dem Hintergrund hervorzuwachsen und aus dem freien Raum herauszustürzen. Einen pathetischen barock bewegten Ausdruck findet man auch i n den Gesichtern der Kämpfenden, besonders der Barbaren, aber auch i n den Köpfen der Pferde, deren Leiber stark g e k r ü m m t sind. U m Lichtkontraste zu erzielen wird häufig der Bohrer angewandt, besonders i n der Draperie, oft negativ, und zwar wenn der Bohrer nicht modelliert, sondern die Masse zerklüftet und die Aufmerksam­ keit auf die dunklen Furchen des Schattens lenkt. 74

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Die barock gesteigerte Empfindung zusammen mit der illusionistischen Auf­ fassung der Gestalten und des Ganzen auf diesem Sarkophag, der etwa um das Jahr 180 entstanden ist, bilden den Übergang zu dem neben der Säule des M . Aurel bedeutendsten Denkmal vom Ende des 2. J h . u. Z., dem grossen Schlachtsarkophag von der Via Appia," welcher i m Römischen Nationalmuseum die Zierde der in den ehemaligen Bädern des Diokletian untergebrachten Vor­ r ä u m e ist. Der Sarkophag, schon mehr als drei Jahrzehnte lang bekannt, ist bis jetzt noch nicht ordentlich herausgegeben worden, wie auch Arias (im J . 1943) in seinem zusammenfassenden Werk ü b e r die römische Bildhauerei konstatiert. W . Zschietzschmann führt ihn i n seinem Werk „Die hellenistische und römische Kunst" (erschienen 1939 in Potsdam als ein Teil des Handbuches der Wissen­ schaft), weder i m Text, noch i m Verzeichnis der römischen Reliefs a n . V o n synthetischen Werken erwähnt i h n neben A r i a s Ducati i n seiner „L'arte in Roma", datiert ihn jedoch irrtümlicherweise bis i n die dreissiger Jahre des 3. Jh., und Rodenwaldt, C A H X I I in dem Übersichtskapitel über spätantike Kunst. In neueren Spezialmonographien über die Kunst des 2. und 3. J h . u. Z. dagegen sind E r w ä h n u n g e n häufig, aber ausser Hamberg finden wir keine ausführli­ chere Analyse seines Stils. Deshalb und wegen seiner besonderen Bedeutung widmen wir ihm grössere Aufmerksamkeit. Der Sarkophag ist schon durch sein hohes Format gegenüber dem üblichen niedrigen auffallend. E r ist 2,40 m lang, 1,15 m hoch, mit einem Deckel von 0,37 m 1,52 m und 1,19 m tief. Durch seine Ausmasse nähert er sich dem sog. grossen ludovisischen Schlachtsarkophag aus dem 3. Jh., dem typischen Vertreter des „römischen Barocks", welcher eine Länge von 2,74 in, eine Höhe von 1,54 m (ohne Deckel) und eine Tiefe von 1,42 m besitzt. Der Reliefschmuck ist ausserordentlich reich und mit Gestalten insbeson­ dere an der Vorderseite und am Deckel, aber auch an beiden Seiten überfüllt. Die Komposition der Vorderseite bei'uht auf dem Kontrast, der Antithese der hohen Rechtecke auf beiden Rändern, die frei und ruhig gehalten sind, und des mittleren liegenden Rechtecks, eines einzigen Gewirrs von Gestalten, voll von Bewegung. Das innere Feld stellt den grausamen Kampf zwischen R ö m e r n und Barbaren, wahrscheinlich Germanen, dar und ist i n allen Einzelheiten getreu realistisch geschildert, wie Gewänder, Zeichen, Nummer auf dem Adler der L e ­ gion, das mit der Reiterei eng zusammen operierende germanische Fussvolk und sogar die spezielle Taktik der R ö m e r (nach Hamberg S. 177 f. von dem verstor­ benen Heerführer angewandt) beweisen. Die Schlacht ist kunstvoll um die Haupt­ figur des römischen Anführers komponiert, der etwas gi'össer ist als die übrigen Krieger, sein Kopf ist ein Porträt-Abozzo mit der Andeutung eines langen Bartes oder er wurde absichtlich abgeschlagen. Im Sarkophag war also irgendein rö­ mischer Feldherr begraben, nach der Monumentalität des Sarkophags zu schliesscn ein bedutender, der sich in den Germanenkriegen der siebziger Jahre aus­ gezeichnet hatte. Seine Gestalt ist Mittelpunkt eines Kompositionsrhombus, der 5

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seine Spitzen über ihm, unler ihm, links in der M i l l e des Randes und ebenso rechterseits hat. Die Linien der Lanzen und die Gestalten der Kämpfenden die Seilen des Rhombus bilden. Die Spitze über dem Heerführer befindet sich am oberen Rand der Schlachlszenc und zugleich auch des Sarkophags, weil seine ganze Fläche bis zu den R ä n d e r n dicht ausgefüllt ist, zwischen den Köpfen zweier fliehender Barbaren, woran der eine vorwärts, in Richtung der Flucht, blickt, während der andere sich umsieht. Von dem rückwärts schauenden Germanen, führt die Komposionslinie schräg ü b e r die Speere der Krieger zum Kopf des Barbaren, der zur M i l l e gewandt ist und zu einem Legionär emporblickt, der ihm gerade den tödlichen Stoss versetzt. Uber sein Gesicht, seinen Bart und den Schild führt eine weitere Diagonale zur unteren Spitze unterhalb des Feldherrn, zum Kopf eines am Boden liegenden Barbaren. Ähnlich wie bei der vorhergehenden Spitze blickt er vom Beschauer nach links hinauf i n Richtung der einen Diago­ nale, w ä h r e n d die zweite über sein Gesicht nach rechts durch die Zäsur zwischen den Barbaren, deren Blicke nach der Mitte gerichtet sind, und einer langen Lanze, die zu ihnen parallel steht, verläuft. W ä h r e n d die bisher geschilderten Seiten des Rhombus ganz deutlich bemerkbar waren, ist die vierte, in Richtung der Flucht der Germanen, die Truppenaufstellung der R ö m e r kreuzend, nicht mehr so be­ stimmt, Sie wendet sich ü b e r den A r m eines römischen Reiters aufwärts und führt über die Köpfe der Pferde und über dem Kopf eines Barbaren hinweg, der ihre Richtung verfolgend emporblickt, unter dem Adler der Legion hindurch bis zu dem bärtigen Gesicht des einen Barbaren an der mittleren oberen Spitze. Die zentrale Tendenz der ganzen Komposition ist dadurch betont, dass alle Randfiguren in die Milte blicken; auch der Barbar in der rechten oberen Ecke, welcher auf der Flucht eingeholt wird und sich mit einer die Aussichtslosigkeit des Widerslandes und weiterer Flucht ausdrückenden Geste rückwärtswendet; desgleichen ein römischer Soldat, der mit dem Schwert einem anderen Feinde den Weg vertritt. Wie schon gesagt, füllen die Gestalten die ganze Fläche so dicht aus, dass der Hintergrund ü b e r h a u p t nicht sichtbar ist. Es ist dies die äusserste Konsequenz der A r t und Weise, die Raumtiefe durch Ubereinanderslaffelung der Gestalten anstatt Nebeneinander zu lösen. Wieder können wir beobachten, wie sich hier realistische und unrealistische Mittel begegnen, deren Zweck es ist, eine Illusion des Raumes hervorzurufen. Gegenüber der Ubercinanderstaffelung der Gestalten und den ihr entsprechenden Linien der Speere, welche den Blick von unten nach aufwärts leiten, steht die realistische Anordnung der Gestallen hinter­ einander, vor allem ihre Entfaltung in die Tiefe durch die manigfaltigsten per­ spektivischen Verkürzungen, wobei die Gestalt oftmals aus der Wand des Reliefs herauswächst, die wegen der dichten Anhäufung der Gestalten und der Schatten zwischen ihnen nicht sichtbar ist, und aus dem freien R a u m herauszutreten scheint. Das beste Beispiel dafür sind der kopfüber vom Pferd fallende Barbar unterhalb des Feldherrn, eine i n vieler Hinsicht interessante Gestalt, wie auch 85

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einige am Boden liegende Barbaren am unteren Rand des Reliefs. In der Dar­ stellung der einzelnen Gestalten trägt das Malerische ü b e r das Plastische einen entscheidende Sieg davon. Manche Köpfe der Barbaren sind geradezu impressio­ nistisch modelliert, mit unruhiger Oberfläche, die in eine reiche Skala von Liebt und Schatten zerlegt ist, was weniger den Eindruck von Stein, als von weich und empfindlich verarbeitetem Ton erweckt. Einen ähnlichen Stil haben wir bereits auf der Säule des M . Aurel festgestellt. Wenn wir die Köpfe der Barbaren dort und auf dem Sarkophag vergleichen, linden wir vollkommene Übereinstimmung nicht nur in der Form, sondern auch i n den Typen der Barbaren, was alles den engen Zusammenhang zwischen den beiden Denkmälern beweist. So wie die ein­ zelnen Formen mit einer lebendigen, malerisch unmittelbaren Auffassung darge­ stellt sind, wird auch das ganze Relief von Licht und Schattenflecken beherrscht und wirkt nicht statisch, sondern mit einem Schein von Bewegung versehen, der die wirkliche Bewegung der Gestalten noch vermehrt. Die Bewegungsmotive sind ungewöhnlich reich und vielfältig, sie übertreffen noch bei weitem den bereits erwähnten Sarkophag mit der Reiterschlacht i m Römischen Nationalmuseum, den sog. kleinen ludovisischen. Viele Barbaren sind in geradezu akrobatischen Stel­ lungen festgehalten, und so bei der Konzentration der lallenden Gestalten in dem unteren Teil des Reliefs macht dieser den Eindruck einer vollkommenen Auf­ lösung gegenüber der Kompaktheit der siegreichen Mitte um den Feldherrn. Auch auf diese Weise ist die Niederlage der Germanen und der Gegensatz zwischen ihnen und den Siegern betont. Das Bestreben die Dynamik der Bewegung darzu­ stellen, führt bis zu einer unrealistischen, gewaltsamen Überschreitung der Wirk­ lichkeit!. So hat der Barbar zu Pferde rechts vom Feldherrn den Kopf völlig emporgereckt, und dabei das Gesicht etwas rückwärts geneigt; bei dem unterhalb des Feldherrn vom Pferde stürzenden Barbaren verfolgen Kopf und Bart die Bewegung des Körpers und befinden sich in einer Geraden mit der Verlängerung des Halses. Dieselbe expressive Deformation finden wir auf dem Sarkophag aus der Villa Taverna in Frascati, publiziert von Rodenwaldt (Popa-Diener einen Opferstier haltend), der seine nahen Beziehungen zum Stil der Marcussäule be­ wiesen hat. Die fallenden Gestalten der Barbaren wirken sehr stark durch die Umrisskurve und so windet sich durch den unteren Teil des Sarkophags, wo sie konzentriert sind, eine vielfältig geschlungene Arabeske, wie wir es schon teilweise an der Trajanssäule kennengelernt haben. Der Linearismus ist jedoch auch an anderen Stellen zu finden, und zwar in den Linien der Speere, denen eine Rolle in der Komposition zufällt, und i n der Draperie,' die oft mehr graviert als modelliert ist. Es ist natürlich, dass hier der Bohrer häufig Anwen­ dung findet. Seit der Zeit, wo er sich verselbständigte und nicht mehr nur die Modellierung ausführte, ist seine Bedeutung ständig gewachsen.. 80

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Die dynamische Form und Bewegung ist durch den dynamischen Ausdruck des.Gefühls ergänzt. Auch hier haben die Barbaren den grössten Anteil. Auf ihren 47

Gesichtern zeigen sich verschiedene Nuancen der Angst, wenn auch nicht so aus­ drucksvoll geschildert wie auf dem ludovisischen Schlachtsarkophag. Was den Gefühlsausdruck betrifft, so sind die Gefangenenpaare an den Rändern der Vor­ derwand des Sarkophags am wirkungsvollsten. Hier ist ihr trauriges Los meister­ haft ausgedrückt. W ä h r e n d das rechte Paar mit 4er Barbarin, deren Brust halb entblösst ist, eine stumpfe Resignation und hilflose Apathie ü b e r dem eigenen Schicksal ausdrückt, ist das linke Paar ein einziger lauter Protest und Aufschrei des Schmerzes, es kann sich mit der harten Zukunft nicht abfinden, kann sie nicht fassen. In diese beiden Gestalten konzentrierte der Künstler den Ausdruck der gefolterten Menschlichkeit, den wir hier zum erstenmal in der antiken Kunst antreffen. Die Barbarin ist eine geradezu gotische Gestalt, eine wahre Mater dolorosa. Auf dem Deckel, dessen Ecken die üblichen maskenartigen Köpfe schmücken, befindet sich eine zu s ammen h än g en d e Folge von vier Szenen, von denen wir zwei von den Sarkophagen mit Darstellungen aus dem Leben römischer Heerführer, sowie den sog. Hochzeitssarkophagen her kennen. In der Mitte befindet sich die stereotype dextrarum iunctio. Die Gatten reichen einander die rechten H ä n d e . Der Amor unter ihnen symbolisiert die eheliche Liebe, ebenso die personifizierte Concordia, die zwischen dem Paar i m Hintergrund steht. Die Köpfe der Gatten sind nur abozziert, sie waren also gleichfalls P o r t r ä t s . Die eigentliche Szene ist noch durch Nebengestalten vermehrt, ähnlich wie die Szene rechts, i n der der sitzende Heerführer den Barbarenführern, die vor ihm auf die Knie sinken und seine Hand küssen, Gnade gewährt. Es ist eine ähnliche Szene wie auf dem schon angeführten Sarkophag mit der Unterwerfung der Barbaren und dem Bildnis des Heerführers auf dem Deckel, ebenfalls im Römischen Nationalmuseum. In der Auf­ fassung bestehen zwischen ihnen allerdings zwei wesentliche Unterschiede. Gegen­ ü b e r der idealisierenden heroischen Nacktheit auf dem älteren Relief ist hier der Feldherr realistisch mit Panzer und paludamentum auf der sella curulis sitzend dargestellt und lässt sich gnädig die Hand küssen, w ä h r e n d er früher nur mit der H a n d dem gefesselten Barbaren winkte, den die Soldaten vor ihm auf die Knie warfen. Der Künstler des jüngeren Sarkophags versucht menschlicher die römische dementia auszudrücken und den gefühlsmässigen Inhalt der Szene zu betonen. Die ruhige Zurückhaltung des Siegers steht in scharfem Kontrast zu der Gestalt des ger­ manischen Anführers, welche sich in eine einzige Äusserung untertäniger Ergeben­ heit und sklawischer Dankbarkeit verwandelt hat. Das wird nicht nur durch die respektvolle Geste der linken Hand des Barbaren ausgedrückt, die sanft die zum Kusse dargereichte Hand, ohne sie mehr als notwendig zu berühren, stützt, son­ dern vor allem durch die Haltung des Körpers, der so weit als möglich zu Boden gedrückt ist. was noch durch die etwas in die Länge gezogene Gestalt betont wird. Dieses Ideal der hohen, schlanken Gestalten, das wir bei mehreren Gestalten des Sarkophags, auf der Vorderseite bei den den Rahmen bildenden Paaren, insbe88

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sondere aber auf dein Deckel, wo die Figuren dicht nebeneinander, isokephalisch gereiht sind, aber auch auf den Seiten finden, ist eines der typischen Merkmale der Kunst am Ende des 2. Jh. und am Beginn des 3. J h . u. Z . und tritt bereits in einigen Szenen der M . Aurelssäule in Erscheinung, wo man beobachten kann, wie die Gestalten deutlich von den unteren Teilen der Säule, die in ihrem Stil der Trajanssäule am nächsten stehen, zum mittleren T e i l , dessen Stil sich von dem seines Vorgängers ziemlich weit entfernt, an Höhe zunehmen. Dieser Unterschied in der Proportionierung der Gestalten ward am besten ersichtlich, wenn wir zwei thematisch übereinstimmende Szenen vergleichen; z. B . die adlocutio gleich am Beginn des Reliefbandes und eine andere in seiner Mitte, wo die Figuren mehr als die halbe Höhe des Reliefs einnehmen. Wie wir weiter anführen, zeigen sich solche Gestalten häufig auf Sarkophagen und das umso mehr, wie der Sarkophag mehr römischen Charakter trägt und sich von der griechischen Tradition ent­ fernt. Das gilt gewiss in vollem Masse auch für den Schlachtsarkophag von der V i a Appia, der eine entscheidende Wendung von den ü b e r n o m m e n e n hellenisti­ schen Galatomachien zu einer realistischen Schilderung der gegenwärtigen römi­ schen Kämpfe auf den Sarkophagen bedeutet. Ähnliche Gestalten, wie den vor dem Feldherrn knieenden langgezogenen Barbaren, finden wir auch am linken Teil des Deckels, wo im Gegensatz zur rechten Seite mit ihrem militärischen Thema und der zentralen Gestalt des Gatten, die Erziehung i n der Familie dar­ gestellt wird, i n deren Mittelpunkt wieder die Gattin des Feldherrn steht. Auf den Seiten des Sarkophags, deren Relief nach römischer Art flacher und weniger sorgfältig als auf der Vorderseite ausgeführt ist, befinden sich Szenen aus dem Soldatenleben i m Kriege, thematisch also Ergänzungen der Schlachtenszene. Auf der linken Seite sieht man die Abführung der Gefangenen über eine Pontonbrücke, rechterhand den schroffen Kontrast zwischen den Soldaten und dem ,Feldherrn zu Pferde und den gefangenen Germanen unterhalb von ihnen, die dcmutsvoll mit einem verzweifelten Ausdruck im Gesicht um Gnade bitten. Die hintere Seite des Sarkophags ist ohne Verzierung, was eben für alle römische Sarkophage, auch die mythologischen, charakteristisch ist und sie von den griechischen unter­ scheidet, wo Reliefs auf allen vier Seiten zu finden sind. 90

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Wenn wir nun alle stilistischen Merkmale überschauen, die wir auf diesem Sarkophag beobachtet haben, stellen wir fest, dass sie uns in der Mehrzahl be­ reits von der Marc-Aurelssäule her bekannt sind: zentrale Komposition mit geo­ metrischem Schema, eine fast impressionistische Auffassung der Form, hier nicht bloss der einzelnen Formen, sondern auch des Ganzen, eine dynamische, expres­ sive bis expressionistische über die Grenzen des Wirklichen hinausgehende Dar­ stellung der Bewegung, dynamisches Gefühl, Pathos, Linearismus mit besonderer Bedeutung der Umrisslinie, der sowohl mit realistischen als auch unrealistischen Mitteln betonte Raum, zum Teil hohe, schlanke bis manierierte Gestalten und dazu noch das hohe Format des Sarkophags. Vergleichen wir weiter die vollkomi

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men übereinstimmenden Typen der Barbaren, müssen wir zu dem Schluss ge­ langen, dass beide Denkmäler einander zeitlich sehr nahe stehen und dass die Marcussäule, das bedeutendste Denkmal des historischen Staatsreliefs der damali­ gen Zeit, eine Umwandlung der traditionellen hellenistischen Schlachtsarkophage in realistische Denkmäler aktuellen historischen Inhalts verursachte. Als verbin­ dendes Entwicklungsglied führt H a m b e r g den Sarkophag des Nationalmuseums in Palermo an, auf dem sich neben gallischen Typen wahrscheinlich auch schon germanische und römische Soldaten befinden; trotz der üblichen Zweikampf­ gruppen sammeln sie sich bereits als militärische Einheit um den Heerführer. Der Sarkophag von der V i a Appia stimmt schon vollkommen mit der damaligen geschichtlichen Wirklichkeit überein. Seine Verwandtschaft mit der Marcussäule kann durch weitere Feststellungen noch unterstützt werden. Die Einzigartigkeit und künstlerische Qualität beweisen, dass i n ihm irgendein hervorragender Heer­ führer begraben wurde, Der Vergleich mit den Typen der Barbaren auf der Marcussäule führt zu dem natürlichsten Schluss dieser Betrachtungen, zu der sehr wahrscheinlichen Hypothese, dass es ein Feldheer gewesen ist, der sich unter Marc Aurel in den Kriegen gegen die Germanen auszeichnete. Chronologisch würde dies stimmen, weil die Marcussäule in der Zeit zwischen dem J . 180, bzw. ein wenig früher, und dem J . 192, bzw. 193, entstanden ist; in diesem Jahr war sie aber schon bestimmt fertiggestellt, eher noch in den Jahren n ä h e r der Thron­ besteigung des Commodus und des Todes seines Vaters; die hervorragenden Heer­ führer des Marc Aurel sind meist i n den achtziger und neunziger Jahren des 2. J h . gestorben. Tarrutenius" Paternus wurde 182 getötet, Helvius Partinax und Didius Iulianus 193, Pescennius Niger 194, Clodius Albinus 197. Der Schlachtsärkophag von der V i a Appia, der in realistischer, ziemlich ungewohnter Weise und in.wirklich pompösem Massstab die Kämpfe mit den Barbaren schildert, musste unter dem Eindruck grosser siegreicher Schlachten in einem ähnlichen Milieu wie die Marcussäule entstehen und zeigt den offenbaren Einfluss der Triumphdenkmäler. N u r solche Reliefs, die die grossen Kämpfe ihrer Zeit darstell­ ten, konnten einen entscheidenden Einfluss auf die Umwandlung der halbhelle­ nistischen Sarkophage i n realistische, wirklich römische ausüben. F ü r die Konti­ nuität und den Einfluss der T r i u m p h d e n k m ä l e r sprechen auch die umrahmenden Randgruppen zu beiden Seiten der Vorderseite, wo an den Seiten des grossen und hohen Tropaeums je ein Paar, ein Barbar mit einer barbarischen Frau steht. Ähnliche Gruppierungen kennen wir bereits von den Triumphbögen; man kann z. B . ein Bai'barenpaar mit Tropaeum auf der Westseite des Bogens i m provencalischen Carpentras anführen. Die Zeit der grossen Schlachten und Siege hat viele T r i u m p h d e n k m ä l e r hervorgebracht, und zu ihnen zählt auch dieser Sarkophag, der nicht vereinzelt geblieben ist und bald Nachfolger gefunden hat. Was die bildkünstlerische F o r m betrifft, bedeutet dieses hervorragende Denkmal aus dem Ende des 2. J h . u. Z. die Übertragung der neuen stilistischen Errungenschaften 92

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der Marcussäule, die auf den formell stark graezisierenden Sarkophagen bisher un­ bekannt oder wenigstens nicht in dem Masse bekannt waren, auch auf die Sarko­ phagplastik, die bei der kaum nur zufälligen Lücke i m historischen Relief für die Entwicklung der Kunst i m 3. J h . von grosser Bedeutung war. Denselben T y p des Barbaren, wie er auf der Marcussäule und dem SchlachtSarkophag von der V i a Appia auftritt, befinden wir noch auf einem dritten Denk­ mal aus der spätantoninischen Zeit, nämlich auf dem sog. Hochzeitssarkophag, der sich im Privatbesitz in Frascati in der Villa Taverna, jetzt Parisi, befindet. Es ist. ein traditioneller römischer T y p , der schon aus dem ersten Jahrzehnt der Regierung M . Aurels bekannt ist, aus der Zeit, i n der auch der Sarkophag des C. Iunius Euhodus entstanden ist, und zwar aus dem sehr ähnlichen Sarkophag in Mantua im Palazzo Ducale, der einen Archetypus aus der Zeit des Antoninus Pius voraussetzt. Das Thema ist typisch römisch. Es ist nicht der griechischen Mythologie entnommen, sondern typisiert das Leben des römischen Heerführers ähnlich wie z. B . auf dem Deckel des erwähnten Schlachtsarkophags i m Römi­ schen Nationalmuseum. Das Relief auf der Vorderwand des frascatischen Sarko­ phags setzt sich aus vier Szenen zusammen. Links ist gekürzt eine Reiterschlacht angedeutet, mit der eine weitere Szene zusammenhängt, i n der der römische Feldherr dem sich demutsvoll vor ihm neigenden Barbaren Gnade erweist. Der Künstler, der den älteren mantuanischen Sarkophag ausführte, begnügte sich nach griechischer Art mit der Personifikation des Sieges, mit der Göttin, die von hinten an den Feldherrn herantritt und eine Kriegsfahne hält, w ä h r e n d sein Nach­ folger die realistische narrative Handlung, die Schlacht selbst, hinzufügte. Aus ihrer abgekürzten Darstellung ist zu ersehen, dass der jüngere Künstler, der den bereits fertigen Typ, der zwar in seinem Thema, kaum aber i n seiner Auffassung und F o r m römisch war, übernahm, ihn grundlegend romanisierte und das frühere Symbol anschaulich durch eine konkrete Handlung illustrierte. In der Mitte des Sarkophags befindet sich die Gestalt des Feldherrn, der sich tatkräftig an der festlichen Opferung eines Stiers beteiligt, rechts sieht man eine dextrarum iunctio. Die Porträtköpfe sind leider stark beschädigt. Vergleichen wir den Stil der Sarko­ phage aus Mantua und aus Frascati, sehen wir darin einen ähnlichen Schritt i n der Entwicklung wie auf dem Schlachtsarkophag von der V i a Appia. V o r allem ist es das veränderte Format; der Sarkophag ist kürzer und höher, dem entspre­ chen auch die hohen, schlanken Gestalten in den Szenen, die wiederum mehr konzentriert sind, wobei allerdings zugleich die Hauptgestalt des Heerführers mehr betont wird. Der grösste Unterschied ist im Gefühl und i n der stark „barockken" Bewegung, deren Dynamismus den Sarkophag mit Unruhe und Erregung erfüllt, zu spüren. A m auffallendsten äussert sich das bei zwei Gestalten, und zwar bei der um Gnade bittenden Barbarin und dem Opferdiener, der den Stier h ä l t . Die Gestalt der Barbarin hat sich im Verhältnis zum Anführer so verklei­ nert, dass sie ihm nicht einmal zum Gürtel reicht; sie umfasst seine Beine. Ist 97

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in ihrem Körper schon eine Fülle von Brüchen, so ist die Gestalt des Popa — des Opferdieners — ein einziger spitzer Winkel und Kontrast der benachbarten Körperteile. Der langgezogene Körper ist ähnlich wie bei dem bittenden Germa­ nen vor dem Feldherrn auf dem Schlachtsarkophag von der V i a Appia zu Boden gedrückt; besonders ausdrucksvoll ist sein unnatürlich emporgereckter Kopf. Der ganze Körper ist stark subjektiv — expressiver Ausdruck sklavischer Demut. A n seinem Kopf oder an dem Kopf des Barbaren vor dem Feldhemi ist deutlich die auf der primären Lichtwahrnehmung beruhende unplaslische Auffassung sichllwr. Die Lichtwahrnehmung geht der erst sekundären Wahrnehmung des körperli­ chen Volumens voraus. M a n könnte von einer Wiederkehr des flavischen Illusio­ nismus sprechen, der sich hier allerdings bis zu einem plastisch negativen „Im­ pressionismus" versteigt; dazu kommt eine gesteigerte „Barockartigkeit", das di­ rekte Streben nach einem die natürliche Realität formenden Ausdruck. Der Hoch­ zeitssarkophag aus der Villa Taverna, der Schlachtsarkophag von der V i a Appia i m Römischen Nationalmuseum, sowie auch die Marcussäule gehören demselben Kunstkreis an. Davon ist der Hochzeitssarkophag wegen seines früher so traktier­ ten Themas am meisten durch die ältere graezisirende Tradition gebunden. Der Schlachtsarkophag hatte sich durch die Abkehr von den hellenistischen Amazonomachien und Galatomachien sowie seine Annäherung an die realistischen römi­ schen T r i u m p h d e n k m ä l e r vom Hellenismus auch i n der F o r m weit entfernt; die Marcussäule steht der Spätantike vor allem durch ihre Volkstümlichkeit am nächs­ ten, die ihr von ihrem Vorgänger und Vorbild dem leitenden Meister der Trajanssäule erkämpft wurde. Nichtsdestoweniger ist der Sarkophag von der Via Appia nicht vereinzelt und bildet mit einigen ähnlichen, die gleichfalls unter dem Einfluss der Triumphal­ kunst der spätantoninischen Zeit stehen, eine Gruppe. Eine etwas besondere Stel­ lung nimmt das grosse Relief mit der Schlacht um eine belagerte befestigte Stadl unter ihnen ein, das auf dem Casino der Villa Doria P a m f i l i in die Mauer ein­ gelassen ist. Das Thema ist zwar unter den übrigen Schlachtsarkophagen, unge­ wohnt, jedoch ist das Relief so mit Gestalten überfüllt, dass es vollkommen den Eindruck der üblichen Kampfszenen macht. Der Herrführer, der i n der Mitte nicht allensehr hervorgehoben ist, und das unübersichtliche Getümmel der Schlacht stehen i m Kontrast zu den uns schon bekannten Paaren der gefangenen Feinde, des Mannes und der Frau, hier noch mit einem K i n d , die in leichter Schritts tellung vor den T r o p h ä e n abgebildet sind und so den Eindruck gehender Personen erwecken. B e i dem rechten Paar deutet sogar ein Baum die Landschaft an. Das sowie auch die architektonischen Kulissen der Stadt, die hier und da zwi­ schen den Figuren hindurchblicken, zeugen von der Tendenz, den wirklichen. Raum realistisch festzuhalten. Die Gestalten sind zwar weich modelliert, behalten jedoch immer den plastischen Bau. Es scheint, dass dieses Relief aus der spät­ antoninischen bis severischen Gruppe der Schlachtsarkophage eben wegen seines 102

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„barocken" Realismus das älteste ist. Zwei andere Sarkophage, die hierher ge­ hören, der Sarkophag aus dem Camposanto in Pisa und der Sarkophag in der Vorhalle des Casino der V i l l a Borghese, stehen dem Sarkophag von der V i a Appia im Römischen Nationalmuseum näher und das nicht nur durch das gleiche Thema, die gewohnte Reiterschlacht, sondern auch durch den übereinstimmenden oder sehr nahen T y p der Barbaren. So kann man auf dem Sarkophag im Casino der Villa Borghese den Kopf des Barbarenreiters i n der linken oberen Ecke ver­ gleichen, auf dem stark beschädigten Sarkophag i n Pisa, der nur fragmentarisch erhalten ist, so dass die Mehrzahl der Köpfe fehlt, den Kopf des Reiters in der Mitte links von der grossen B e s c h ä d i g u n g . Der Borghesische Sarkophag ist ebenfalls von statischen Paaren gefangener M ä n n e r und Frauen an den Seiten des Tropaeums umrahmt, die, auch i n manchen Details, mit ähnlichen Paaren auf dem Sarkophag von der V i a Appia weitgehend übereinstimmen. Sonst, sind die Komposition i m ganzen klarer und die Gestallen grösser, einige reichen ungefähr bis i n das zweite Drittel der H ö h e des Sarkophags; sie verbinden so die obere und die untere Reihe der Gestalten, die i n drei Schichten übereinander gelagert sind. Der pisanische Sarkophag lehnt sich, was die Umrandung betrifft, i n interessanter Weise an die älteren Sarkophage der Zeit der Anloninen mit der Siegesgöttin, die auf dem Nacken eines halb sitzenden, halb knienden gefangenen Barbaren steht, an. Soweit man aus dem fragmentarisch erhaltenen Stück ersehen kann, befindet sich an den Rändern je eine stehende Figur, links ein Barbar, rechts eine Barbarin, ü b e r ihnen, zum Teil neben ihnen schwebt Victoria, welche wahrscheinlich ursprünglich auf dem Nacken einer knienden Figur stand. Beide Sarkophage, der pisanische und vor allem der Borghesische, haben ein gemeinsames Stillement, das i n diesem Masse auf dem Sarkophag i m Römischen Nationalmuseum nicht vorhanden ist, nämlich grosse Verflachung verbunden mit einem konsequenten Linearismus. Manche Gestalten auf dem Borghesischen Sarkophag, besonders die an den Rän­ dern stehenden, über denen sich Lanzenbündel befinden, erwecken fast den E i n ­ druck von kannelierten Säulen. Nichtgriechische formelle Merkmale treten hier offensichtlich i n den Vordergrund; das plastische Volumen reduziert sich bis auf eine geschnitzte Silhouette mit zeichnerisch, nur ganz oberflächlich angedeu­ teten Details, ohne jede plastische Modellierung. Der kniende Barbar i n der rechten unteren Ecke, der sich vergeblich zur Wehr setzt, ist der beste Beweis dafür. W ä h r e n d die einzelnen Gestalten auf dem Schlachlensarkophag von der V i a Appia um sich und i n ihren gegenseitigen Beziehungen einen verhältnismässig liefen Raum bilden, ist auf dem Borghesischen Sarkophag zu beobachten, wie mit der Flachheit der einzelnen Formen auch die ganze räumliche Konzeption flach wird, wie sich die Gestalten i n eine Raumschicht konzentrieren und somit den Weg zu jenem Stand antreten, den wir später bei dem Ludovisischen Schlachtsarkophag antreffen. 104

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die Chronologie aller dieser zu einer stilistischen Gruppe gehörenden 53

Schlachtensarkophage betrifft, können wir sie wegen der Verwandtschaft des Stils und der Barbarentypen einiger von ihnen, vor allem des Sarkophags von der V i a Appia, sicher i n die Zeit der Entstehung der Marc-Aurelssäule einreihen. Demgegenüber ist es notwendig, sich der stilistischenVerschiedenheiten, die ziem­ lich gross sind, zwischen ihnen bewusst zu sein. So müssen wir voraussetzen, dass sie nicht in dem kurzen Zeitabschnitt einiger Jahre entstanden sind, sondern in einer Zeitspanne von zehn bis zwangig Jahren, also von den achtziger Jahren des 2. J h . u. Z. bis i n das erste Jahrzehnt des 3. J h . Weiter kann man nicht mehr gehen, da die Entwicklung einen anderen Weg einschlug. Steht das Relief auf dem Casino der Villa Doria Pamfili durch seinen „barocken" Realismus dem K e r n der Zeit der Antoninen näher, würde die Flachheit und Linearität des Borghesischen Sarkophags eher auf die Nähe des Reliefs vom Bogen des Septimius Severus in Rom hindeuten; gewisse Übereinstimmungen in der Komposition mit dem grossen Ludovisischen Sarkophag würden für Beginn des 3. J h . sprechen. Erwä­ gen wir allerdings andererseits den Reichtum und die Buntheit der stilistischen Entwicklung unter Septimius Severus nicht nur in synchronischer, sondern auch i n diachronischer Reihe, weil es ausgeschlossen ist, alle diese sich schnell wandelnden Mannigfaltigkeiten in ideale selbstständige Gruppen oder Schichten nach Jahren einzuteilen, müssen wir die hypothetische Nähe der genaueren Datierung der Schlachtensarkophage vom Ende der Regierung der Antoninen bis zum Beginn der severischen Zeit anerkennen. Der Sarkophag vom Casino der Villa Borghese verbinden einige, künstlerische Elemente mit dem mythologischen Sarkophag des Camposanto in Pisa, auf dem die bei römischen Sarkophagen beliebte Fabel von Hippolyt und Phädru abgebildet ist, die schon von ihren griechischen Vorläufern her bekannt ist. Diesen nur eine Szene enthaltenden gegenüber sind die römischen Sarkophage im Geist des heimischen narrativen Stils gehalten, der sich am reinsten auf den Re­ liefbändern der Triumphsäulen geäussert hat; sie sind durch ein architektonisches Glied, einen Pfeiler oder eine Säule i n zwei Szenen geteilt und hängen mitein­ ander durch die gemeinsame Person des Haupthelden zusammen. Die erste Szene spielt sich in Theseus' Palast ab, der an beiden R ä n d e r n durch Bauelemente angedeutet ist. Das Interieur ist durch die übliche Draperie, die den Hintergrund bildet, dargestellt. Hippolyt, der zur Jagd gerüstet in der Mitte steht und dem der Diener das Pferd vorführt, empfängt von der alten Amme die Liebesbotschaft ihrer Herrin, welche auf einem Stuhl von ihren Dienerinnen umgeben sitzt. E i n A m o r stützt sich auf P h ä d r a s Schoss, ein zweiter steht vor ihrem Stuhl, ihre unglückliche Liebe symbolisierend. F ü r das Ende des 2. J h . ist die psychische Konzentrierung der Szene charakteristisch. Die Blicke aller Personen, ausgenom­ men der Amore, sind auf Hippolyt gerichtet, der i n Richtung Phädras schaut. A u f den Gesichtern zeigen sich Erwartung und wirklich tragischer Ausdruck. Die zweite Szene ist das realistische B i l d einer Eberjagd mit ziemlich reicher Schilde1 0 ß

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rung des landschaftlichen Milieus. Hippolyts Begleiter, ebenfalls am Pferde, ist teils hinter Hippolyt, teils über ihm dargestellt, ähnlich wie bereits auf den hadrianischen Tondi des Konstantinsbogens in R o m . Rein römisch ist die Gestalt der Göttin Virtus, die Hippolyt an der anderen Seite begleitet. Vielleicht stellt sie eine Parallele zur Atalante auf den griechischen Meleagersarkophagen mit der Jagd auf den kalydonischen Eber vor. So kam die Gestalt der Virtus von den mythologischen Sarkophagen auch auf die Sarkophage mit der Löwenjagd, die durch Verselbständigung' und weitere Romanisierung dieser mythologischen Jagd­ szenen entstanden sind. M i t dem Borghesischen Schlachtsarkophag hat der Hippo­ lytsarkophag aus Pisa die Flachheit und Linearität gemeinsam. Auch die sitzende Gestalt Phädras ist kulissenhaft flach mit linear angedeuteter Draperie darge­ stellt. Das Gewand der Amme, deren greisenhafter Leib, soweit er entblösst ist, naturalistisch dargestellt ist, scheint die menschliche Gestalt kaum zu verhüllen. Seine Fallen sind negativ geschnitten und nicht modelliert. Neben dem Zeichne­ rischen steht als beinahe gleichwertiges Element das Malerische, eine nahezu impressionistische weiche, durch das Licht getönte Darstellung der Form. M i t dem Borghesischen Sarkophag stimmt der Hippolytsarkophag noch in der Darstellung der Pferde und dem T y p des Hippolyt begleitenden Reiters überein. Ebenfalls die hohen, schlanken Gestalten, die wir hier und dort auch auf der Märc-Aurelssäule, mehr jedoch auf dem Sarkophag Taverna, dem Schlachtsarkophag von der V i a Appia und einer ganzen Reihe anderer Sarkophage antreffen, deuten auf das letzte Jahrzehnt des 2. Jh., bzw. das erste Jahrzehnt des 3. J h . hin. Gleichfalls aus der Zeit des Septimius Severus befindet sich ein Sarkophag mit dem gleichen Thema in der profanen Abteilung des Lateranischen Museums, der sich jedoch von dem pisanischen, was die F o r m betrifft, wesentlich unter­ scheidet. Die linke Szene, auf dem pisanischen Sarkophag vereinheitlicht und zentralisiert, zerfällt hier in drei isolierte Szenen, deren Umgebung fast gar nicht angedeutet ist. Links sehen wir P h ä d r a mit.den Dienerinnen, die zu ihr hinsehen, sie selbst blickt nicht auf Hippolyt, sondern in entgegengesetzter Richtung. Die Gesichter sind ruhig. Phädras Gefühle sind durch das sich umarmende Paar, Amor und Psyche, angedeutet, das tragische Ende dieser Liebe durch einen grösseren Amor, der sich auf eine nach unten gekehrte Fackel stützt, ein bekann­ tes sepulkrales Symbol. Aber auch die Gruppe Amor und Psyche hat eine tiefere symbolische Bedeutung; sie verkörpert das Schicksal der Seele und wir finden sie im 3. Jh., wo der Mythus seine erzählerische Handlungskraft verliert und zur Allegorie wird, so auf den Endymion-, Hippolytos- und Marssarkophagen ' (mit Rhea Silvia) und besonders in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auf den die Einverleibung der Seele und ihre Erlösung schildernden Prometheussarkophagen. In der zweiten Szene spricht die Amme durch beredte Gesten mit Hippo­ lyt, i n der dritten sieht man einen Jäger mit dem Pferde Hippolyts und zwei Jagdhunden, von denen er einen an der Leine hält und ihn betrachtet. Die 110

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Jagdszene in der rechten Hälfte des Sarkophags unterscheidet sich i n ähnlicher Weise. Die Gestalten befinden sich i n grösserem Abstand voneinander, Hippolyts Begleiter befindet sich mit Hippolyt in gleicher H ö h e und ist durch dessen Pferd nicht verdeckt, die Abbildung der Landschaft ist auf einen Baum und einen sich hinter i h m befindlichen Felsen beschränkt. Die Gestalten sind gegenüber dem pisanischen Sarkophag bis auf P h ä d r a niedriger, auch die Draperie ist „barock" plastisch. Gegenüber der nahezu impressionistisch weichen Darstellung der Haare auf dem Sarkophag i n Pisa überwiegt hier bei den Haaren die harte Arbeit des Bohrers, ähnlich wie auf dem kapitolinischen Porträt des Septimius Severus; die Blätter auf dem Baum sind durch pointillistische Bohrarbeit ebenso umrissen wie die Gegenslände auf dem Altar an dem Bogen der Argcnlarier in R o m aus dem J . 2 0 4 . Allein dieses formelle Element ist rein römisch, sonst kann man zusammenfassend sagen, dass der lateranische Sarkophag im Vergleich mit dem pisanischen weit griechischer ist, er setzt die barock hellenistische F o r m aus der Zeit der Antoninen fort, aber seine Plastizität ist reicher an Lichtkontrasten und dynamischer. E r ist wahrscheinlich ungefähr um das J . 200 entstanden. In gleicher Weise ist der Bohrer bei Bart und Haaren auf einem anderen lateranischen Sarkophag angewandt, dessen Thema der sog. indische Triumph des Bacchus i s t . Bacchus, die grösste, die ganze Höhe des Sarkophags einnehmende Gestalt, fährt auf einem von zwei Elefanten gezogenen Triumphwagen und wird von Nike bekränzt. Vor ihm bewegt sich der Zug der Mitglieder seines Gefolges, Silen, Satyre, Satyrinnen, Bacchantinnen, Paniskos, ein Kentaur, der die Lyra spielt, und verschiedene Tiere. Stilistisch ist der Sarkophag sehr interessant. Es ist eine überreife barockisierende Kunst, raffiniert und voll von Kontrasten. Die „rokokoartig" sinnliche plastische F o r m mit klassizisierendem Anflug ist mit einer unplastischen malerischen Darstellung verbunden, besonders bei Bart und Haar. Die unruhige Draperie unterstreicht die Nacktheit; neben einer von der Seite gesehenen Gestalt steht immer eine Gestalt en face, das Gesicht wird mit Bart, Haaren und tiefliegenden Augen kontrastiert. Alle Gestalten sind stark erregt, aber ihre D y n a m i t ä t ist mehr eine verborgene, innere, was ihre Blicke verraten. Sie äussert sich nicht in heftigen Bewegungen der Körper, sondern nur in den Draperien, deren mächtige Aufbauschung wieder i m Gegensatz zu den Körpern steht. Durch diesen raffinierten Kontrast, diese Polarität von Ruhe und Bewe­ gung, ebenso wie durch die Antithese von Licht und Schatten, wird eine neue „barocke" W i r k u n g erzielt. Ebenso befindet sich auch die ganze Komposition, die sich auf drei sich vorwärtsbewegende Gestalten stützt, in Bewegung. A m linken Rand ist es Dionysos, in der Mitte Silen, ganz recht sodann ein Satyr. Diese männlichen Profilgestalten sind durch weibliche Enface-Folien ergänzt und die Hauptperson Gott Bacchus, von der die Bewegung ausgeht, sich entfernt und anwächst, ist durch die Grösse und die Verbindung der Darstellung en face mit der aus dem Profil betont. Die Gestalten sind psychisch durch den ekstatischen 112

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Blick ins Unbekannte konzentriert, nicht einmal der Gott bildet hier eine Aus­ nahme, uud wenden sich in einer Richtung; nur die Spitze des Zuges unter­ scheidet sich. Der Satyr vorn blickt in Richtung der Bewegung und erhält so die Illusion der Wirklichkeit. Der Zug bewegt sich und steht in Verzückung; äussere Realität neben der inneren. Der innere Ausdruck ist hier vom Körper gleichsam geschieden, wie man es auch auf einigen Porträts aus dem letzten Drittel des 2. J h . u. Z. beobachten kann. In die Zeit Septimius Severus' ist der Sarkophag durch die A r t der Bohrung von Bart und Haaren datiert, an die das zeitgenös­ sische dekorative Ornament mit schwarz-weissem Schnitt erinnert, sowie auch durch die Darstellung von Silens Bart, der sein Gegenstück in der kapitolinischen Büste des Septimius Severus hat. Der Typ des Kentauren steht einigen Köpfen von Barbaren auf der Marc-Aurelssäule nahe, vgl. z. B . die Hinrichtung der sechs Stammesfürsten. . Z u den charakteristischsten Sarkophagen am Übergang des 2. zum 3. J h . u. Z. gehört der Sarkophag in der Villa Mediä in Rom mit einem auf Sarkophagen weniger üblichen Motiv, dem Urteil des P a r i s . Die Komposition ist zentral. In der Mitte befindet sich eine männliche Gestalt mit erhobenem Schild, vielleicht Ares, links ist die eigentliche Szene, Aphrodite vor Paris, über ihr Hera und Athene, rechts die Rückkehr der Göttinnen auf den Olymp, wohin schon Hermes an Zeus die Nachricht überbracht hat, mit der siegreichen Aphrodite an der Spitze, vor der Nike fliegt. Die Fläche des Reliefs ist dicht, mit Gestalten aus­ gefüllt; ausser den bereits erwähnten Personen gibt es hier viele weniger be­ deutende Göttinnen und Götter, daneben ist die ländliche Umgebung der Haupt­ handlung ausser mit Nymphen vor allem durch die Herde Paris' illustriert, die sich hinter ihrem Hirten und über ihm auf mehreren Geländewellen gelagert hat. Diese A r t der Darstellung des Raumes, die ihre unmittelbaren Vorgänger in der Marc-Aurelssäule und früher auf den Seiten der Basis Antoninus Pius' hat und von der z u s a m m e n h ä n g e n d e n Darstellung des Terrains auf der Trajanssäule aus­ geht, finden wir in einfachster F o r m auch auf den bereits etwas älteren, mytholo­ gischen Sarkophagen. Auf dem Endymionsarkophag in der vatikanischen Galleria dei candelabri ist auf der Vorderseite ü b e r dem schlafenden E n d y m i o n ein Felsstück mit der Quellnymphe zu sehen, auf den Seiten sitzt ein H i r t mit seinem H u n d unter einer Kiefer und auf einer höhergelegenen Bodenschicht befindet sich ein Schaf als Andeutung der Herde. Von hier dringen von den Seiten des Sar­ kophags diese realistischen Hirlen-Genres auch in die Vorderseite ein. Im K a p i ­ tolinischen M u s e u m lässt sich aus der Zeit des Severus ebenfalls ein E n d y ­ mionsarkophag, bereits mit drei Geländewcllen, anführen; auch hier ist die Herde des Paris auf ähnliche Weise verteilt, ü b e r e i n a n d e r ist hier der Ausdruck von hintereinander, das gleiche bei den Personen, die in einigen sich gegenseitig durchdringenden Schichten übereinander abgebildet sind. Den Künstlern dieser Zeit geht es vor allem um eine ausführliche Schilderung des Ereignisses und der 11

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Umgebung und diese Tendenz führt dann zur Uberfüllung des Reliefs, sowie einer künstlichen subjektiven Komposition, die eine subjektive Darstellung des Raumes, oder eher seine subjektive Umschreibung benutzt. Das Streben nach vollei- Erfassung der Wirklichkeit verursachte schliesslich die Überschreitung der Grenzen, die durch den beschränkten, nur einen einzigen Blickwinkel umfassen­ den Umfang gegeben waren. In seinem Wesen subjektiv ist auch das Ideal der hohen, übermässig schlanken Gestalten mit kleinem Kopf, wie wir sie bei der zentralen Männergestalt und insbesondere an der Aphrodite auf beiden Szenen des Parissarkophags beobachten. Ihre Gestalt, besonders auf der ersten Szene vor Paris als dem Schönheitsrichter, erinnert an die manieristischen Frauengestalten aus der zweiten Hälfte des 16. J h . Es ist ein weich gebogener und mit harmonisch geschwungenem Umriss versehener Körper, ein Körper auf langen Beinen in lässiger Haltung, weit entfernt vom klassischen Kontrapost; er steht nicht fest, sondern scheint zu schweben. Das eng anliegende Gewand unterstreicht ihn nur. Die Draperie, ist, wie der K ö r p e r selbst, zart und ziemlich erregt, bewegt. Von der Anmut Aphrodites finden wir an den Gestalten der Selene auf dem bereits erwähnten kapitolinischen Endymionsarkophag, der aus der gleichen Zeit stammt, nur wenig. Waren auch auf dem Sarkophag aus der Villa Medici die Hauptfiguren von den übrigen durch ihre Grösse und die Aufstellung i m Mittel­ punkt der Komposition verschieden, so ging der Künstler auf diesem Sarkophag noch weiter, in dem er sie zu absoluten Kompositionsdominanten erhob. Die Aura in der Mitte und die beiden Gestalten der Selene sind die einzigen, die die ganze Höhe des Sarkophags einnehmen. Sie haben um sich herum genug freien Raum, denn der Sarkophag ist nicht mit Nebenfiguren überfüllt, und kehren somit zur griechischen Isoliertheit zurück. 19

Schon auf den Porträts haben wir beobachtet,* wie unter Septimius Severus eine Reaktion auf die gegenwärtige Steigerung der spätantoninischen röinischen Tendenzen i n Erscheinung tritt und die griechische F o r m erneut gestärkt wird. F ü r das 3. J h . jedoch, auf dessen Schwelle wir uns hier befinden, ist es interessant, dass diese neue Auflösung der Gestalten für neue Ziele angewandt wurde, und zwar zur Hervorhebung des Wesentlichen, der Träger der Handlung und der Hauptgestalten. Dieses Stilelement ist in der Volkskunst beliebt, die einesteils das Ausdrucksvolle bevorzugt, einesteils der Hauptgestalt Respekt erweist, vgl. die sepulkralen Reliefs, z. B . das lateranische des verstorbenen dominus factionis mit Wettrennen i m Z i r k u s , , in gleicher Weise jedoch auch in der spätantiken Kunst, die mit der volkstümlichen vieles gemeinsam hat. A m deutlichsten ist die Her­ vorhebung der Hauptgestalten sowohl durch Grösse als auch durch die zentrale Komposition am Ende der Regierung des Septimius Severus, aus welcher Zeil die bedeutende Sarhophagtafel in der profanen Abteilung des Lateranischen Mu­ seums mit mythologischem griechischrömischen Motiv stammt. Das Relief besteht, wie gewöhnlich, aus zwei Szenen. Die rechte schildert den griechischen 120

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Mythus von Endymion und Selene, die linke sodann den römischen von Rhea Silvia und Mars. Die römische Sage bildet das Gegenstück zur griechischen, beide sind gleich komponiert; die heimische wird dadurch der griechischen vorgezogen, dass die Köpfe des Mars und der Rhea Silvia Porträts sind. F ü r uns ist das aller­ dings ein willkommenes Hilfsmittel zur Datierung. Die Vestalin hat eine Melonenfrisnr, vorn an den Wangen aufgewölbt und die Ohren verdeckend, also eine Frisur, die für die Porträts der Iulia Domna, der Gattin des Septimius Severus, charakteristisch ist. Der Bart des Mars — das Haar ist durch den H e l m ver­ deckt — ist massig plastisch, die Details sind zeichnerisch angedeutet. Das weist auf eine Beruhigung der „barocken" Dynamik unter Septimius Severus hin; der zeichnerische Charakter, der bei dem Barte i n dieser Zeit, wie wir ihn aus den offiziellen Porträts kennen, noch vorzeitig ist, weist auf einen Künstler, der der heimischen Volkskunst nahesteht. Auf die Zeit des Severus weist ausserdem die verhältnismässig häufige Anwendung des Bohrers bei den Nebenpersonen hin, am meisten im Gesicht, vgl. Mund, Augen, Haare, Bart, z. B . hei Hypnos oben zwischen Mars und Rhea Silvia. Die Hauptgestalten, am meisten Mars, sind subjektiv in die Länge gezogen, aber zum Unterschied z. B . vom Parissarkophag in der Villa Medici sind sie ziemlich robust und stehen bereits den Gestalten aus der Zeit nach dem J . 220 nahe. Alles spricht dafür, dass dieser Sarkophag am Ende der Regierung des Severus, annähernd um das J . 210 entstanden ist. Der Raum ist wieder durch Uberdeckung der Gestalten, durch ihre Anordnung über­ einander und das stufenartig emporsteigende Felsengelände dargestellt, wie schon zuvor auf dem erwähnten kapitolinischen Endymionsarkophag. 122

Durch komplizierte Abstufung des Bodens zeichnen sich zwei Sarkophage aus mit Dionysos und der Zeil. Septimius Severus' aus; der grosse wannenförmige Ariadne im vatikanischen Museo Chiaramonti und die i m vatikanischen Belvedere eingemauerte Vorderseite eines Sarkophags mit einer Gruppe von drei Per­ sonen i m Rahmen eines Hafens und einer Hafenstadt.^ Auf dem wannenförmigen bakchischen Sarkophag, wo in der Mitte der oberen Hälfte auf einem Geländcstreifen Dionysos und Ariadne zwischen den Löwenprotomen sitzen, in der unteren Hälfte treten Satyre und Pan Trauben, ist von der Mitte zu den abgerundeten R ä n d e r n eine Reihe von Gestalten-dargestellt, die einerseits zu dem Gotte, andererseit zu der Naturszenerie in Beziehung stehen; sie sind halblie­ gend, sitzend und auf Bodenstreifen, die schräg in verschiedenen Richtungen verlaufen, stehend dargestellt. V o n einem realen Raum i m ganzen kann hier gar nicht mehr die Rede sein. Das Belvedere-Relief, von ähnlichem Format wie der Ludovisische Schlachtsarkophag — 2,52 mXl>32 m, ist dicht mit verschieden­ artigen Bauten einer Stadt ausgefüllt, die auf einem vom Meer stark emporstei­ genden Gelände aufgebaut zu sein scheint, insbesondere mit zahlreichen Tem­ peln, vor denen sich die Gottheiten befinden, für die sie bestimmt waren; ein reges Leben herrscht im Hafen, der von Schiffen und kleinen Booten wimmelt. 123

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Dies alles bildet den Rahmen der Zentralgruppe dreier grosser Gestalten von schlanken langgezogenen Proportionen, die wir mit den Andeutungen eines Hafens auch auf dem W a n d g e m ä l d e unter der Kirche S. Giovanni e Paolo auf dem Caelius, aus derselben Zeit stammend, finden. Die Auslegung des Inhalts ist sehr strittig, der formellen Analyse tut es jedoch keinen Abbruch. Sowohl die Haupt- als auch die Nebengestalten nehmen verhältnismässig wenig Raum ein, sie sind eher in die Fläche verteilt. Diese Erscheinung, die nicht nur auf den Sarkophagen, sondern schlechthin auf den Reliefs der Zeit des Septimius Severus häufig auftritt und in die Zukunft zur Flächenhaftigkeit der Spätantike hinweist, hängt i n beträchtlichem Masse mit der Reaktion des Gräzismus zusammen, der in der Sarkophagplastik eine weit stärkere Position einnahm, als i m historisch­ politischen Relief. Den severischen Gräzismus, verbunden mit der heimischen Entwicklung, illustrieren wir uns durch den Frauensarkophag i m Römischen National­ museum, der aus dem Hypogaeum der Familie des Oclavius Felix stammt, woher ebenfalls das bekannte Gemälde mit Elysium und Hermes, dem Führer der Seelen der Verstorbenen, stammt. Der Sarkophag ist aus der Reihe der sehr beliebten dekorativen Szenen mit Nereiden und Tritonen, die in der Mitte des Reliefs eine Muschel mit einem Abozzo des Porträts der Verstorbenen halten, die sie ü b e r das Meer auf die Inseln der Seligen tragen. Der Sarkophag, der streng symmetrisch, nicht nur in bezug auf die Hauptfiguren, die Tritonen mit einer Nereide auf dem Rücken, in der Mitte und an den Rändern Nereiden, die einen Meerhirschen und einen Moerstier (die einzige Modifikation) am Nacken umfassen, sondern auch in bezug auf die Nebenfiguren. Amore und in den Wellen Delphine, komponiert ist, macht ebenso den Eindruck einer Schnitzerei wie die zeitgenössische Ornamentik auf den Architekturen. Alles befindet sich in einer 'schwarz-weiss verzierten Schicht. Die weissen Körper mit scharf geschnittenen Umrisslinien wechseln mit dunklen Schalten zwischen ihnen. Feinere plastische Ubergänge gibt es nur wenige. Die Gestalten mit hellenistischen Reminiszenzen sind Teile eines mit Hilfe von Licht und Linie komponierten Ganzen. Der Bohrer findet ziemlich häufig Anwendung, aber gefühlvoll, ebenso die pointillislische Bohrweise, besonders auf dem Deckel. Die pointillistische Bohrweise, ein Teil des nichtplastischen malerischen Illusionismus, der sich unter den letzten Anto­ ninen und besonders unter Septimius Severus reich entfallet hat, ist auf dem lateranischen Sarkophag mit den Arbeiten des Herakles^ mit einer gesteigerten barockisierenden F o r m verbunden. V o n dem Sarkophag ist nur die rechte Ecke mit drei Aufgaben des Helden erhalten geblieben. Herakles bändigt den kreti­ schen Stier, schlägt mit der Keule die Stuten des Königs Diomedes nieder und bezwingt das Ungeheuer Geryon. Herakles' Körper, der sich dreimal wiederholt, jedesmal allerdings in einer anderen Pose, bildet das Hauptmotiv, Der Stier, die Pferde und Geryon in perspektivisehen Verkürzungen, gleichsam aus dem freien 126

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Raum hervortretend, bilden nur die notwendige Ergänzung. Die Komposition ist so zusammengedrängt, dass sich die Gestalten des Herakles gegenseitig be­ r ü h r e n und vom Hintergrund nur wenig zu sehen ist. Die Körper wirken stark räumlich, vor allem durch die verschiedenen Winkel, die sie mit der Unterlage bilden, aber auch durch die Lichtbindung ihrer plastischen Masse mit dem Raum. Der Raum und die Plastik durchdringen einander wie auf den barockestcn hellenistischen Statuen, vgl. z. ß . Laokoon, vom griechischen Relief ganz zu schweigen, und übertreffen sie durch die grössere Dynamik der aufgelösten Be­ wegung und der Lichtkontraste. E i n so tiefes Pathos, wie i n dem erhobenen Kopf der zu Boden geschlagenen Stute, würden wir i n der hellenistischen Kunst nicht finden. Die Art der Anwendung des Bohrers, auf die wir bereits mehrmals stiessen, z. B . auf dem Bogen der Argentarier, auf dem Hippolylsarkophag im Lateran, oder daselbst auf dem Sarkophag mit dem indischen Triumph 'des Bacchus, weist dieses Sarkophagfragment i n die Zeit des Septimius Severus. Ubersehen wir nunmehr che Entwicklung des Sarkophagreliefs unter den spä­ teren Antoninen und Septimius Severus, müssen wir an erster Stelle die ständig fortschreitende Romanisierung anführen, die i n den Inhalt und i n die F o r m ein­ dringt. Neben griechischen mythologischen Themen treten auch römische Mythen auf, vor allem die Liebe des Gottes Mars zur Mutter der G r ü n d e r Roms Rhea Silvia, aber auch Darstellung aus dem bürgerlichen und öffentlichen, insbesondere militärischen Leben, Eheschliessung, Erziehung in der Familie, Festopfer, Heer­ führer mit besiegten Barbaren und schliesslich auch realistische Schlachtenszenen aus den damaligen Kriegen der Römer gegen Germanen oder Sarmaten, die die mythologischen Kämpfe der Griechen mit den Amazonen oder die historischen Kämpfe mit den Galliern ablösen. In die mythologischen Szenen dringen realisti­ sche, genrehafte Hirtenszenen ein, die erstmalig an den Seiten der Sarkophage auftretend, später das Milieu des Mythus auf der Vorderwand ergänzen. Hippo­ l y t s wird auf der Jagd von der römischen Virtus begleitet. Schliesslich wird die Fabel, wenn ihre Hauptfiguren Porträtzüge der Verstorbenen erhalten, verbürger­ licht. Diese Erscheinung, deren ältestes Dokument der Sarkophag des C. Iunius Euhodus aus den sechziger Jahren des 2. Jh. u. Z. mit dem Mythus von Alkestis und Admetos ist, findet man i m 2. J h . noch sehr selten, am Beginn des 3, J h . tritt sie bereits häufiger auf. Es ist natürlich, dass der Heerführer i n der Mitte der realistischen Schlachtensarkophage ebenfalls durch das Porträt individuali­ siert ist. Diese Konkretheit und Einmaligkeit sind gegensätzlich der griechischen Tendenz zum Allgemeinen. Die Romanisierung dringt auch tief in die F o r m ein. Das plastische Volumen, aufgelöst durch Licht und Schatten, die bei der augen­ blicklichen Wahrnehmung die statische Geschlossenheit der Materie ersetzen, zerfällt, andererseits befreit es seine Verbundenheit mit dem ihn umgebenden Raum von seiner ursprünglichen Isoliertheit dergestalt, dass dasselbe Licht, das die plastische Einzelheil auflöst, die einzelnen Individuen zu einem voll129

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s ländigen Komplex verbindet. Dieses Ganze zeigt ziemlieh oft eine Tendenz zur Flächenhaftigkeit und bildet sozusagen eine Schicht; zuweilen verflachen auch einzelne Formen. Hier, aber auch anderswo, hat bei grosser Plastizität die Linie eine grosse Aufgabe; ihre Bedeutung wächst ständig und zwar nicht nur die der inneren Linie, sondern auch die der Umrisslinie. Die Modellierung der Draperie beginnt sich allmählich auf schwarze, hart geschnittene Schatten zu reduzieren. Aus der plastischen positiven Darstellung wird eine negative. Es ist wichtig, dass diese negative Art der Darstellung der Falten des Gewandes, die i n der zweiten Hälfte des 3. ,1h. üblich geworden ist, bereits ganz deutlich und unzweifelhaft am Ende des 2. und am Anfang des 3. J h . beginnt und das manchmal auch auf Sarkophagen, wo die gräzisierende F o r m entschieden zu überwiegen scheint. Nicht weniger römisch ist das Überfüllen der Relieffläche, das genau so wie die Darstellung der Fabeln in mehreren zusammenhängenden Szenen der römischen Tendenz zur umfassenden und getreuen Beschreibung ent­ springt. Neben dieser so breit aufgefassten Romanisierung ist das zweite grosse allge­ meine Merkmal der Sarkophagreliefs die Steigerung der Wirklichkeit. Es äussert sich auf zweierlei Art, einerseits „barock", andererseits expressiv, sog. expressio­ nistisch. Im ersten F a l l bleibt die durch das Auge wahrgenommene Realität immer die Grenze, die trotz der Dynamisierung eingehalten und nicht über­ schritten wird. Es mag schon um die Intensivierung der modellierten Form, der Bewegung, der räumlichen perspektivischen Darstellung, bzw. des Gefühls, oder schliesslich um verschiedene formelle und inhaltliche Kontraste gehen, aber die Dynamisierung entzieht sich nirgends der objektiven Kontrolle durch die Sinne. Dagegen geht im anderen F a l l das Streben nach starkem Ausdruck bis zum subjektiven Formen der Realität weiter, zu ihrer Deformation. Die Form, die Bewegung, der Raum, alles dient der Absicht des schöpferischen Subjekts und gleicht sich ihm an. Auf einem und demselben Sarkophag treten realistische sowie unrealistische Elemente auf, das griechische Erbe neben heimischer Tra­ dition und römischer Entwicklung. Eine interessante Erscheinung sind die manieristischen Gestalten, schlank, hoch bis langgezogen und völlig unnatürlich proportioniert. Das ist gewiss eine Äusserung von Subjektivismus und zugleich Beweis der geistigen und formellen Gärung jener Zeit. Aber diesen Manierismus kennen wir schon, aus den verschiedensten früheren, zeitlich entfernten Ent­ wicklungsepochen. Ungeachtet des Manierismus der spätgriechischen Kunst und seiner römischen Nachahmungen, sowie des i m grossen und ganzen verein­ zelten römischen Denkmals aus der spätrepublikanischen Zeit, der Basis i n Civita Castellana mit dem opfernden Heerführer und den drei Göttern Mars, Venus und Vulcanus, können wir in der offiziellen römischen Plastik, teilweise schon seit der Zeit Domitians und Trajans Epochen verfolgen, i n denen diese A r t der Dar­ stellung eine bedeutende Rolle spielte. Wenn man bereits v o m Ubergang des 1. 130

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und 2. J h . eine Reihe von Belegen auf historisch-politischen Reliefs anführen kann, wie die Domitian-Reliefs vom M a r s f e l d , das fragmentarische Relief i m Louvre mit extispicia und pronuntiatio v o t o r u m und einige Tafeln des Trajansbogens in Benevento, ist der figurale Manierismus in der spätantoninischen Zeit und am Ubergang des 2. und 3. J h . u. Z. eines der typischen formellen Merk­ male, die wir sowohl an den historischen Reliefs, einige Szenen auf der M . Aurels­ s ä u l e , dem Arcus argentariorum, finden, als auch vor allem auf den Schlacht­ sarkophagen und den mythologischen Sarkophagen. E r reiht sich stets in den allgemeinen Zeitstil ein und ist zur Zeit Domitians und Trajans mit dem Klassi­ zismus vereint, am Ende des 2. und am Anfang des 3. J h . mit der „barocken" bis expressiven Form, später sodann am Ende des 3. J h . mit dem rein expressiven Stil. In manchem stimmt er mit dem nachrenaissance und vorbarocken M a ­ nierismus des 16. J h . überein, aber ebenso wie d o r t ist uns sein Wesen als sti­ listische Erscheinung hoch nicht ganz klar und bleibt genügend ungedeutet. Dieser antike scheint nur eine Art Begleiterscheinung zu sein. Gerkes H y p o ­ these v o m Manierismus als einem urrömischen Element, das der Uberwindung des griechischen Klassizismus dient, vergisst den neuattischen oder den domitianischtrajanischen Manierismus. 132

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Wenn wir die Entwicklung des Porträts sowie historisclien und Sarko­ phagreliefs miteinander vergleichen, finden wir gemeinsame „barocke", illusionistische, subjektiv expressive und konservativ klassizistische, den stür­ mischen Drang der Entwicklung hemmende Elemente. W e n n man die Zeit der Flavier im- wesentlichen eine Zeit des klassischen Illusionismus nennen kann, ist der spätantoninische und severische Illusionismus offensichtlich barock, zum Teil fast expressionistisch. Es beginnt ein grosses Jahrhundert, eine Epoche der Romanität, an deren Ende die spätantike F o r m vollendet ist. M i t der Romanisierung wächst der Einfluss der der Spätantike nahestehenden Volkskunst auf die offizielle Kunst stark an. Die durch die Sinne wahrgenommene F o r m unter­ liegt dem Ausdruck des Gedankens. Zu seinem Sieg hat die Abkehr von dieser zur übersinnlichen spätantiken und mittelalterlichen Welt nicht wenig beigeträgen, was auch die Abstraktion, die bereits auf der Marcussäule offenbar ist, mit sich bringt. Der überwuchernde Barock und Illusionismus führten zum Zerfall der plastischen Form, der die Voraussetzungen für ihre spätantike Synthese und Festigung, allerdings auf nicht mehr realistischer Grundlage, schuf. Wenn die deutliche Wende zum barocken Illusionismus und zur Romanisierung i n der Zeit Marc Aurels erfolgte, ist der impressionistische Zerfall zusammen mit dem abstrakten Expressionismus, also der eigentliche Beginn der Entwicklung zur Spätantike, erst auf der M . Aurelssäule klar ausgedrückt, d. h. i n den achtziger Jahren des 2. J h . u. Z. sowie auf einigen Sarkophagen, deren Datierung um das .1. 190 nicht, ganz sicher ist. Wenn der neue Stil in der spätantoninischen Zeit entstanden ist, so fällt doch das wirkliche Schaffen in ihm, seine Entfaltung und 63

Vollendung bis i n die Zeit des Septimius Severus, auf dessen römischem Triumph­ bogen die Volkskunst einen absoluten Sieg erringt. Es bleibt rätselhaft, welchen Einfluss am Beginn der Entwicklung zur Spät­ antike der Osten hatte, dessen Künstanschauung sich i m Laufe von Jahrtausenden stabilisiert hat, nur i n der oberen Schicht durch den vorübergehenden Ansturm des Hellenismus überdeckt wurde und i m wesentlichen mit der der Spätantike übereinstimmt. W i e dann i n R o m die griechische F o r m allmählich der heimischen wich, geschah es ebenso in weit grösserem Masse und früher i m Osten, wie z. B . auf den palmyrenischen R e l i e f s zu sehen ist. Dasselbe gilt auch von der rö­ misch-provinziellen Kunst i m Rhein- und Donaugebiet, wo die heimischen Strö­ mungen oft ü b e r w i e g e n . Dieser Stand, der vom Standpunkt der Entwicklung im Hinblick auf die Zukunft bei' oberflächlicher Betrachtung als eine überflügelung Roms durch die Provinzen erscheint, ist von der unterschiedlichen Stellung des politischen und kulturellen Zentrums des Reiches und der Rand­ gebiete abhängig. Das, was i n den Provinzen regionaler Patriotismus war ,und in den Vordergrund rückte, musste in R o m , dem Haupte des Reiches, auch wenn es. dort ebenso lebendig war, lange auf die niedere Volkssphäre beschränkt blei­ ben. R o m nahm zugleich mit der Ü b e r n a h m e des griechischen Erbes auch die sich daraus ergebenden Verpflichtungen auf sich und indem es die Kontinuität der Entwicklung aufrecht erhielt, führte es die monumentale offizielle Kunst, sie mit der volkstümlichen F o r m versöhnend, zur Spätantike. Rom, die einstige grie­ chische Kulturprovinz, entsagte eingedenk seiner neuen Aufgabe dem engen italischen Regionalismus und wies ihm einen entsprechenden Platz in der Kunst lokaler Bedeutung zu. Die junge Tradition Roms war hier ein Vorteil, weil sie nicht allzusehr belastete, nichtsdestoweniger war sie stark und eingewurzelt genug, um sich zur gegebenen Zeit geltend zu machen. Demgegenüber waren die alten Traditionen des Orients und die genial gedrängte, individuelle Entwicklung Griechenlands i n dem weiteren Umschau sozusagen beiden hinderlich. So verblieb Griechenland, es mag ein wenig absurd klingen, i n seiner „Regionalitäl", und ähnlich entledigte sich der Orient der griechischen Schale und verschluss sich zu sehr i n sich selbst. F ü r die Erklärung der Beziehungen Roms und der nationalen Stile i m Orient ist die Wende i n der Kunst Zyperns während der S p ä t a n t i k e charakteristisch. Auf Zypern begann i m 3. J h . u. Z. nach längerer Stagnation eine rasche Entwicklung und die heimische Kunst neigte sich zuletzt dem benach­ barten koptischen Kreis zu. J . den Tex nennt es das Verlassen des sinkenden Schiffes der griechisch-römischen Kunst. Vielleicht richtiger interpretiert bedeutet diese Erscheinung, dass sich einerseits die Entwicklung der Kunst i m Zentrum des Reiches i m Laufe des 3. J h . so wesentlich dem Orient annäherte, dass die grundlegenden Unterschiede zwischen ihnen verschwanden und die wieder be­ lebten altorientalischen Tendenzen so ihr Gegengewicht i m Westen verloren, an­ dererseits, dass sich die Bande zwischen R o m und dem Osten lockerten — sowohl 139

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die politischen als auch die wirtschaftlichen — und die römische zentrale Kunst aufhörte die Sprache der Kunst des ganzen Reiches zu sein. Aus dem oben ange­ führten ist ebenfalls ersichtlich, dass es nicht möglich ist, mit Ch. P i c a r d über­ einzustimmen, der die Wende zur Spätantike in die Zeit der Severer setzt, einer fremden Dynastie mit starkem Einfluss der syrischen Kaiserin und ihrer Ver­ wandten, und sie der Einwirkung des Ostens, nämlich Syriens zuschreibt. Der Irrtum Picards beruht auf der statischen Analyse der Form, die die Entwicklung überhaupt, nicht berücksichtigt. Die severische Kunst ist für ihn formell ein Im­ pressionismus, geslütz auf die orientalische Ästhetik, die Kunst der Anloninen bloss ein klassizistischer Realismus, bzw. Akademismus. Diese Ansichten aus­ führlich zu widerlegen ist überflüssig, es genügt auf unsere ausführliche Verfol­ gung der Entwicklung der Kunst in der spätantoninisclien Zeit und unter Septimius Severus hinzuweisen. Wenn wir die historische Aufgabe Roms in der Ent­ wicklung zur Spätantike verteidigen, soll damit nicht gesagt sein, dass die Ent­ wicklung in Rom isoliert war. Rom ist der alle Kessel, in dem die Vorräte des ganzen Reiches, in gewissem Masse auch für d a s ganze Reich, gekocht, werden. K ö n n e n wir i n Rom die- innere Entwicklung der Form zur Spätantike und den äusseren Verlauf der Verwandlung selbst verfolgen, wie er sich in den einzelnen Kunstwerken äussert, so sind die äusseren Einflüsse und ihr Anteil an dieser Verwandlung ungewiss. Aus ihnen können wir mit Sicherheit lediglich auf die Einwirkung der heimischen Volkskunst schliessen. z. B . auf die Trajanssäule, und selbst das nur in groben Umrissen, weil wir sie nur lückenhaft kennen. Andere Einflüsse, vor allem der orientalischen Kunst, sind zwar wahrscheinlich, ihr Ausmass und vor allem ihre Chronologie aber vorläufig unklar. Der Standpunkt post id, ergo propler id ist grunsätzlich falsch und beweist nichts. Es wäre jedoch ebenso unrichtig, wenn wir. um die Bedeutung der römischen Entwicklung zü beweisen, sie künstlich isolieren wollten. U m die Vergleiche fortzusetzen, wir kennen die Speise, die gekocht wird, wir kennen aber nicht die verschiedenen Zugaben, die für den Geschmack sehr wichtig, ja entscheidend sind. 142

Es ist strittig, welchen Anteil an der spätrömischen Entwicklung die sog. Barbarisierung hat. Diese Theorie, welche Rostowtzef' ausgesprochen hat, erklärt den „Verfall" der antiken Kultur mit der Absorption der gebildeten Schichten durch die Volksmassen, woraus sich eine Vereinfachung aller Lebensfunktionen ergab. Septimius Severus, der sich auf das Heer stützte, ermöglichte auch den gewöhnlichen Soldaten den Zutritt zu den höchsten Ämtern dadurch, dass die Beförderung zum Centurio an sich schon die Erhebung i n den Ritterstandbedeutele und das auch für die Nachkommen. So wurden die oberen Schichten milita­ risiert und zum Teil auch barbaiisiert, weil die Romanisierung der Genturionen, die aus den wenig ronianisierten Provinzen stammten, nur eine oberflächliche war. Rodenwaldt bestreitet die Theorie Rostowlzefs und behauptet, dass R o m den Zugang der fremden Bevölkerung zu assimilieren verstand, wie aus dem 143

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5 splsy FF, e. 101

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Zusammenhang der Volkstradition i n der Kunst hervorgeht. Diese Begründung ist nicht überzeugend; andererseits wissen wir aber, dass der Zustrom der frem­ den Bevölkerung nach R o m und ihre Anpassung nichts neues ist und dass dies seit jeher der F a l l war. Erwägen wir allerdings den lawinenartigen Zustrom der Barbaren in diesen Zeiten und das Eindringen fremder Elemente i n alle Schichten, schon seit dem Ende der R e p u b l i k , müssen wir die teilweise Barbarisierung als sehr wahrscheinlich betrachten und ihren Einfluss i n der Festigung der Volkstra­ dition erblicken, die den Barbaren näher war als die offizielle Kunst, sowie auch in der allmählichen Barbarisierung des Geschmacks selbst der hochgestellten Schichten. Die Kraft der heimischen römischen Traditionen auch im 3. J h . u. Z. ist z. B . aus den veristischen Porträts Caracallas, Maximinus Thrax und anderer, ersichtlich. Die Plastik unter Seplimius Severus erwächst, wie wir bereits oben andeuteten, aus der spätantoninischen und führt sie ihrem H ö h e p u n k t zu. Manche Elemente sind neu, so bei den Reliefs der starke Linearismus, oft i n Verbindung mit ab­ geflachtem Volumen und hartem Schnitt ohne feinere Übergänge, die pointillislische Bohrweise und die unorganische Anwendung des Bohrers, was mit dem Zerfall der F o r m zusammenhängt. Dagegen zeigt sich auch zugleich eine Reak­ tion, nämlich eine neue Festigung des plastischen Volumens, vor allem i m Por­ trät. Aber auch auf den Sarkophagen ist eine Verstärkung der gräzisierenden Tendenzen zu beobachten, was sich i m zweiten Jahrzehnt des 3. J h . voll ge­ äussert hat. Die Entwicklung der Kunst unter den Antoninen und Septimius Severus ist voller Umwälzungen und nicht nur vom Standpunkt der Diachronie sehr bunt, sondern auch i m synchronischen Querschnitt. Es lässt sich eine Entwicklungslinie von schlanken langgezogenen Gestalten zu den grossen barock robusten verfolgen und zugleich mit dem Zerfall der Form eine Flächenhaftigkeit, was uns die relative sowie absolute Chronologie mancher Sarkophage aus der Zeit Septimius Severus' ermöglicht. Wenn wir jedoch beobachten, wie neben­ einander überwiegend gräzisierende und daneben wieder stark römische Sarko­ phage entstehen, zwingt uns dies einerseits zur Vorsicht bei der Datierung, andererseits warnt es vor einer idealisierten Entwicklungskonstruktion, deren Einfachheit und Reibungslosigkeit nicht dem tatsächlichen Stand entspräche. Die Gegensätzlichkeit der stilistischen Tendenzen im Längst- und Querschnitt ist. ebenso das Ergebnis einer allgemeinen wirtschaftlichen, politischen und ideolo­ gischen Krise, wie vor allem die Entwicklung der Religion beweist, vgl. die Vielfalt der zeitgenössischen Kulte und die rasche Verbreitung der mystischen Orientalen Gottheiten. In der Zeit um das J . 200 u. Z. kommt es zu einer klaren Auseinan­ dersetzung des Alten mit dem Neuen. Im Bereich der Bildhauerei lebt sich der traditionelle Realismus, der zu den äussersten Konsequenzen gelangt ist, aus, vgl. Dynamisierung bis zum Zerfall der F o r m ; deutlich bemerkt man schon den Antritt einer neuen Auffassung der Kunst, i n der sich die Bedeutung der mensch145

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liehen Gestalt, die allmählich aufhört, Reflexion der objektiven Realität zu sein, ändert. Abstraktion und Expressivität, bildkünstlerische Äusserung des siegenden Irrationalismus, dringen mehr und mehr in den offiziellen Stil ein. Die Plastik romanisiert sich, und das sowohl durch die Entwicklung der offiziellen hellenis­ tisch-römischen Schicht, als auch durch das Eindringen der heimischen, volks­ tümlich unrepräsentativen, bisher eher im Schatten der grossen Kunst dahinfliessenden Strömung in die repräsentative und offizielle Sphäre. Im Sud der traditionellen und neuantretenden Formen bereitet sich ein neuer S t i l und dadurch ist diese Zeit tatsächlich schöpferisch, auch wenn sie keine grossen Indi­ vidualitäten, mit. Ausnahme der überlebenden „Schule" des spätantoninischen Meisters der M . Aurelssäule, besitzt. Das Bildhauerhandwerk hatte in der Verbin­ dung der Arbeit von Bohrer und Meissel eine erstaunliche Vollkommenheit erreicht. Die severische Kunst ist nicht nur relativ vom Standpunkt der nachfol­ genden Entwicklung, sondern auch absolut zu werten. 1 4 6

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DIE

BILDUNG VON

D E R SPÄT A N T I K E

CA R A C A L L A

BIS

DECIUS

Wenn wir die Bildhauerkunst unter Septimius Severus zur anloninischen Zeil, gerechnet haben, ist es, wie es sich gezeigt hat, mit vollem Recht geschehen, weil sich erst im letzten Jahrzehnt des 2. Jh. und gleich am Beginn des 3. J h . u. Z. jene neuen Stilelemente entfaltet haben, die zum erstenmal klar auf der M . A u r e l s s ä u l e ihren Ausdruck fanden. Zugleich haben wir jedoch gesehen, dass in derselben Zeit, als dies geschah, auch zu entgegengesetzten Konsequenzen der vorhergegangenen

Entwicklung kam, gegen die sich eine Reaklion erhob. Der

Zerfall der Ko'rni wurde durch ihre v o r ü b e r g e h e n d e

Kestiguug a b g e l ö s t ; der

griechische Entwicklungsboslandteil, einigermassen in den Hintergrund gedrängt, verstärkte sich erneut und entfaltete sich mit Erfolg auch im zweiten Jahrzehnt des 3. J h . U n d so setzen wir nach der Kohzentrierung auf die Epoche der be­ deutenden V e r ä n d e r u n g e n in dem breiten Ubergang der klassischen zur s p ä t e n Antike seine weitere Erforschung mit dem Bewusstsein einer festgefügten und innerlich unteilbaren Entwicklung in der ersten Hälfte des 3. J h . fort. E i n Be­ standteil, das historische Relief, entfällt nun. Nach dem Bogen der Argentarier in Rom aus dem J . 204 folgt eine grosse Lücke. Dafür ist die Entwicklung Porträts,

des

wie wir es in der freien Plastik beobachten k ö n n e n , durch eine Reihe

von Porträts auf Sarkophagen bereichert, für deren Datierung hier ein guter Anhaltspunkt vorhanden ist. Im 2. J h . war das S a r k o p h a g p o r t r ä l selten. Ausser einigen Sarkophagen mit heimischer Thematik, Feldherrensarkophagen und rea­ listischen Schlachtensarkophagen sowie sog. Hochzeitssarkophagen, deren Köpfe zumeist schlecht erhalten sind, war das Porträt auf mythologischen Sarkophagen 1

u n g e w ö h n l i c h selten. Dafür ist es in der ersten H ä l f t e des 3. J h . wiederum häufig anzutreffen, vor allem auf Sarkophagen mit dem mythischen Kampf der Griechen mit den Amazonen, AVO die zentralen Gestalten Achilleus und Penthesileia vorgehoben sind, aber auch auf Sarkophagen mit Endymion und Selene

2

3

her­ oder

Mars und Rhea Silvia, vereinzelt auch auf Sarkophagen mit anderen Mythen. R e g e l m ä s s i g erscheinen sie auf Sarkophagen mit r ö m i s c h e n Themen, unter denen durch ihre Anzahl Sarkophage einer neu erstandenen Gruppe, die den Toten als

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heroisierten Reiter auf der L ö w e n j a g d

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darstellen, unter dessen Begleitern sich

neben realistischen J ä g e r n auch die Dioskuren und die personifizierte Virtus be­ finden, weil hervorragen. Eine besondere

Bedeutung haben die Porträte

der

kaiserlichen Gatten auf dem Balbinussarkophag im r ö m i s c h e n P r ä t e x t a t m u s e u m , 5

weil die Identifikation der iYI. G ü t s c h o w z u v e r l ä s s i g ist. So sind die Porträts fest in das J . 238, in dem ß a l b i n u s nach kurzer Regierung eines gewaltsamen Todes starb, datiert. Auf den Porträts des zweiten Jahrzehnts des 3. J h . beobachten wir die g l e i c h « Festigung der plastischen Form wie bereits auf einem grossen Teil der Porträts unter Septimius Severus. Das ist die. Reaktion auf den Barock in der Darstellung von

Haaren und Barten unter den späteren Antoninen und auf den Zerfall der

Form, einer Folge des r ö m i s c h e n Illusionismus. Die plastischen Bildnisse Caracallas, des Sohnes und Nachfolgers Septimius Severus, sind zweierlei Art. Auf der einen ist der Ausdruck stark individualisiert, w ä h r e n d auf den anderen der Realismus durch eine verallgemeinernde Idealisierung a b g e s c h w ä c h t ist. In der 6

Ikonographie dieses Kaisers haben die neapolitanische B ü s t e Farnese und die Berliner B ü s t e ' eine besondere Bedeutung. Die erslere ist griechischer, die zweite römischer. Das neapolitanische

Porträt weicht von der Linie der antoniniseh-

severischen Porträts, die an den g e m ä s s i g t e n hellenistischen Porträt real ismus erin­ nern, ab. Fs erneuert den r ö m i s c h e n republikanischen und flavischen Verismus, wenn auch noch nicht so konsequent, wie es 20 Jahre später geschieht. Der in den Blick und die gerunzelte. Stirn konzentrierte grausame Ausdruck ist nicht einmal auf der Berliner B ü s l e ganz verschwunden, erscheint aber verringert, so wie sich auch die Stirn zum grössten Teil g e g l ä t t e t hat. Auch die Darstellung von Bart und Ilaaren ist hier geschlossener, ruhiger, weniger kontrastvoll und ü b e r w i e g e n d mit dem Meissel ausgeführt. Eine ä h n l i c h e , jedoch noch stärkere Abkehr von der offenen barock dynamischen Form, ist auch auf der B ü s t e im Kapitolinischen Museum zu beobachten.

8

Jede H a a r s t r ä h n e ist zwar s e l b s t ä n d i g

ausgearbeitet,

allein offenbar ist die Tendenz, die einzelnen' Locken in eine einheitliche, eng an den Kopf anliegende niedrige Schicht zu reduzieren. Eine ä h n l i c h e Bestrebung ist auch auf den M ü n z e n nach dem J . 215 zu sehen, also a n n ä h e r n d um dieselbe Zeit.

9

Der wenig j ü n g e r e Pörträtkopf Elagabals im Kapitolinischen M u s e u m

aus der Zeit kurz vor dem J . 222 steht den frühantoiiinischen

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klassizistischen

Porträts nahe, aber der Unterschied von fast einem Dreivierleljahrhunderl ist aus dem Hinzutreten des zarten, weich malerischen Gefühls und des v e r s t ä r k t e n Aus­ drucks der Augen offenbar. Die s p ä t a n t o n i n i s c h e

„impressionislisch-expressionis-

• tische" F o r m war also nicht ganz verschwunden, sie war nur v o r ü b e r g e h e n d bei­ seite gerückt. Unter Elagabals Nachfolger Alexander Severus nahm der r ö m i s c h e Illusionismus wiederum eine dominierende Stellung ein. Z u m kapitolinischen PorIrät Elagabals ist die B ü s t e Alexanders in der vatikanischen Sala dei busti

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we­

der stilistisch, noch zeitlich — zum ,1. 230 — sehr weil entfernt. Haar und Bart

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sind vollkommen unplastisch,-Schnurrbart und der übrige Bart sind nur graviert, das Haar, das sich nur wenig v o m Gesicht unterscheidet, ist als Summe plastische* Einheiten durch die flache Schicht absorbiert und nur graphisch individualisiert. Das Gesicht ist weich getont und verschwimmend. Die Grundstimmung ist ideali­ sierend in der Linie antoninisch-severischen Tradition. Die Form ist illusionistisch, malerisch-graphisch, zugleich jedoch g e g e n ü b e r dem Zerfall aus dem Ende des 2. Jh. gefestigt. Der B a u des Kopfes ist fester, geschlossener, es ist nur noch ein Meiner Schritt zur s p ä t a n t i k e n Starrheit, aber dieses Gebilde ist vom rein opti­ schen Standpunkt aus illusionistisch behandelt. F ü r die erste H ä l f t e des 3, J h . ist die kolossale heroische Statue des Alexander Severus im Neapler M u s e u m

12

in

doppelter L e b e n s g r ö s s e , die in dieser Zeit in keiner Weise vereinzelt ist, charakte­ ristisch. Diese Kolosse in freier Plastik besitzen eine Analogie im Sarkophagrelief, z. B . auf den beiden vatikanischen mit Achilleus und Penthesileia, wo der Held und die Heldin zusammen mit den S t ü t z g e s t a l t e n des ersten Plans alle ü b r i g e n Figuren b e t r ä c h t l i c h ü b e r r a g e n .

13

Diese Steigerung der Dimensionen ist wahr­

scheinlich eine Ä u s s e r u n g des Barookartigen der Zeit, ä h n l i c h wie die Übertrei­ bung der Muskulatur auf der Statue des Alexander Severus. Das Kolossale ver­ fällt bis in teilweise Starrheit, insbesondere am Kopf, was sowohl seine Form, als auch eine gewisse Stilisiertheit der R ä n d e r der Haare und Augenbrauen be­ trifft. Das Haar ist vom Gesicht plastisch ü b e r h a u p t nicht abgesondert.

Seine

gravierte Zeichnung ist jedoch ziemlich realistisch. Unter den Bildnissen Alexan­ der Severus auf M ü n z e n nimmt der Aureus, g e p r ä g t in den zwanziger Jahren in Rom,

eine besondere

Stellung ein, Cohen IV, S. 420, Nr. 186, dessen Porträt

ziemlich stark stilisiert ist und einen Eindruck von geradezu abstrakter Maskenhaftigkeit, besonders durch Konzentrierung des Ausdrucks in dem starkbetonten, expressiv starren Auge erweckt. Z u dieser M ü n z e führt W i r t h

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mit der kapitoli­

nischen B ü s t e des „ A l e x a n d e r Severus" eine interessante stilistische Parallele an, die er dann nach dem Aureus in die Zeit um das J . 226 datiert. Die Identifizierung der B ü s t e ist, wie bereits Bernoulli anführt, ungewiss und wir finden sie nicht einmal unter den sicheren Porträts Alexander Severus bei L'Orange.

15

Derselbe

Entwicklungsgang, den wir in der offiziellen Plastik des kaiserlichen Porträts verfolgt haben und dessen auffallendstes Merkmal die Darstellung der Haare war. k ö n n e n wir parallel auch auf privaten Porträts r ö m i s c h e r Sarkophage feststellen. Ihre Datierung stützt sich vor allem auf die Chronologie des Porträts. Aus dem zweiten Jahrzehnt des 3. J h . stammt die Vorderseite des S ä u l e n s a r k o ­ phags im R ö m i s c h e n Dioskuren.

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Nationalmuseum mit einer dextrarum iunctio und den

Die K ö p f e der beiden Gatten sind zwar ziemlich stark b e s c h ä d i g t ,

aber der gut erhaltene Bart des Gatten, leicht plastisch, mit einzeln a u s g e f ü h r t e n S t r ä h n e n , zeigt eine enge Verwandtschaft mit den Caracalla-Porträts v o m gräzisierenden T y p , z. B . der Berliner B ü s t e . V o m Kopfe der Frau blieb nur ein Bruch­ stück des schweren, bis auf die Schulter fallenden Haars, wie es die im J . 217

70

gestorbene Julia D o m n a

17

trug, erhalten. F ü r die Datierung des Sarkophags be­

deuten diese Beziehungen zu den Porträts der kaiserlichen Familie allerdings nicht, dass das Jahr 217, zugleich Caracallas Todesjahr, ein terminus ante quem w ä r e . Wenn sich die Mode der weiblichen Haartracht auf dem kaiserlichen Hof oft sehr schnell ä n d e r t e , g e w ö h n l i c h mit der neuen Augusta, so war dies im konservativeren b ü r g e r l i c h e n Leben nicht der Fall. Der Vergleich mit dem offi­ ziellen Porträt deutet nur eine a n n ä h e r n d e Datierung, die durch die stilistische Analyse des Reliefs u n t e r z u s t ü t z e n ist. Methodisch ist es notwendig zu trachten, wenn wir nach dem Porträt die Zeit bestimmen, nicht auf einen Irrweg zu gera­ ten. Auf Grund dessen stellen wir dann ihren Stil durch die Interpretation der Merkmale des Reliefs fest und mit Hilfe dieser b e g r ü n d e n wir dann wieder die Datierung des Porträts n ä h e r . Dieser Gefahr ist lediglich durch den Vergleich einer g r ö s s e r e n Anzahl von D e n k m ä l e r n auszuweichen,

vor allem durch ihre

Einreihung in die Entwicklungsreihe der vorhergehenden und nachfolgenden Zeit. Ebenfalls aus dem Ende des zweiten Jahrzentes stammt ein m ä n n l i c h e s Porträt des ältesten r ö m i s c h e n Sarkophags mit einer L ö w e n j a g d ,

1 8

im r ö m i s c h e n Palast

Mattei, das als Mattei I bezeichnet wird, zum Unterschied von einem Sarkophag mit demselben 'Thema aus einer etwas s p ä t e r e n Zeit, der sich gleichfalls in der dortigen Sammlung befindet und unter dem Namen Mattei II bekannt ist. Z u m Unterschied von den Porträts Caracallas, mit denen ihn (Mattei I) die Darstellung von Bart und Haaren verbindet, beruht er auf dem Prinzip des Helldunkels mit ungewissen Grenzen der einzelnen ineinander verfliessenden Teile, wie wir es auf den offiziellen Porträts etwas s p ä t e r erst unter Alexander Severus gesehen haben. Die U n m ö g l i c h k e i t einer s p ä t e r e n Datierung zeigt der Vergleich mit dem 19

m ä n n l i c h e n Porträt auf dem Adonissarkophag im Lateranischen M u s e u m . Dieses Porträt stammt, den Haaren nach zu urteilen, aus der Zeit des Ü b e r g a n g s von der caracalla-elegabalischen M ä s s i g u n g zur gefurchten „ H a a r h a u b e " unter Ale­ xander Severus. Das Haar bildet eine ziemlich hohe Schicht, in welche seine einzelnen S t r ä h n e in geringer Tiefe eingemeisselt sind. Stilistisch am n ä c h s t e n stehen die Bildnisse Elagabals auf Statuen oder M ü n z e n . N u r mit dem Unter­ schied, dass das S a r k o p h a g p o r t r ä t weniger realistisch, monotoner und mit einem Anlauf zur Stilisierung ausgeführt ist. Es ist wahrscheinlich eine v o l k s t ü m l i c h e r e Behandlung der offiziellen Kunst. Den Sarkophag und somit auch das Porträt später zu datieren hindert uns der Porträtkopf von Aphrodite mit der typischen 25

Frisur der Julia M a e s a , Elagabals Grossmutter, der Schwester Julia Domnas und eigentlichen Urheberin der Schicksale im severischen Hause, die nach der Thron­ besteigung Elagabals im J . 218 mit dem Titel Augusta ausgezeichnet wurde. Da­ mit h ä n g t auch das Vorkommen ihres Porträts, vor allem auf M ü n z e n zusammen. Die Porträts und somit auch der Sarkophag sind also u n g e f ä h r kurz nach dem Jahre 220 entstanden. Zweifellos sind sie etwas j ü n g e r e n Ursprungs als die vor­ hergegangenen

Porträts des Jagdsafkophags Matteil I und des sog. Hochzeits-

71

Sarkophags mit S ä u l e n im R ö m i s c h e n Nationahmiseuro» Zwischen das kapitoli­ nische Porträt Elagabals und das gleichfalls schon e r w ä h n t e vatikanische Porträt Alexander Severus k ö n n t e der Porträtkopf eines Feklherrn von dem Ludovisischen Schlachtsarkophag im R ö m i s c h e n Nationalmuseum

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g e h ö r e n , dessen Da­

tierung in letzter Zeit Gegenstand zahlreicher Auseinandersetzungen ist. Trotzdem die Repliken des Porträts in der freien Plastik, die u n g e w ö h n l i c h grossen Aus­ masse des Sarkophags und seine sorgfältige technische A u s f ü h r u n g

bezeugen,

dass der Tote zu den bedeutenden H e e r f ü h r e r n seiner Zeit g e h ö r t e , ist es nicht gelungen, ihn mit irgendeinem Kaiser oder Feldherrn ganz sicher zu identifizie­ ren, obgleich Versuche unternommen wurden, angefangen von Septimius Severus ü b e r Alexander Severus, Timesitheus, den Schwiegervater Gordianus III., Decius' S ö h n e , Hostilianus und Herenuius Eimsens, Volusianus bis zu Claudius Gothicus.

22

Das Porträt, das sich durch den Stil zum Teil von den ü b r i g e n Reliefs unter­ scheidet, ä h n l i c h wie es Unterschiede zwischen der z e i t g e n ö s s i s c h e n Form des offiziellen Porträts und dem Sarkophagrelief gibt, ist weich und mit feinem Sinn für die optische Illusion gearbeitet. Dadurch und in gewissem Masse auch durch die Darstellung des Bartes stimmt es mit dem Porträt des Toten auf dem Jagd­ sarkophag Mattei I ü b e r e i n . Bart und Haare sind plastisch abgebildet, die Haare spgar in ziemlich hohem Relief, die einzelnen S t r ä h n e sind mit dem Meissel indi­ viduell abgeteilt, im Bart eher nur graviert, aber Sfumato giesst sie in eine einzige Schicht, ja in ein einziges Ganzes auch mit dem Gesicht, wodurch sie an einige Porträts des Alexander Severus erinnern. Die zerfliessende Oberfläche des Gesich­ tes und die von keinen Furchen durchzogene Stirn k ö n n t e für die Zeit vor dem ,1. 235, also vor der veristisehen Wende, sprechen, die im Porträt des 3. J h . , auch in seiner zweiten H ä l f t e ,

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starke und dauernde Spuren hinterlassen hat. F ü r

richtiger halte ich aber die Datierung in die Zeit des Gallienus, siehe S. II (5 ff. Das aus dem dritten Jahrzehnt des 3. J h . stammende Porträt eines Verstorbenen — als Achilleus — auf dem Amazonensarkophag im vatikanischen Belvedere

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ist

ziemlieh hart plastisch. Leider sind die Haare fast ganz durch den Helm verdeckt und der Bart fehlt, weil der Bildhauer das Porträt dem mythischen Helden anpasste. Auch der weibliche Kopf — die A m a z o n e n k ö n i g i n

Penthesileia — hat.

einen ä h n l i c h e n klassizisierenden Charakter, sowie ü b r i g e n s die Frauenbildnisse im 3. J h . durchwegs konservativ sind. Die Frisur ist uns bei der Datierung des Sarkophags behilflich. Sie ist für Julia Mamaea, die Mutter Alexander Severus, charakteristisch, wie wir sie z. B . von der kapitolinischen oder vatikanischen Büste

2 5

her kennen, und sie muss von der ä h n l i c h e n Frisur der Iulia Domna

unterschieden werden. Sie ist ebenfalls m e l o n e n f ö r m i g .

aber an den

Schläfen

hinter die Ohren rückwärts g e w ö l b t und fällt erst dann nieder. Die Behauptung der Strong, welcher sich auch D u c a t i

26

anschliesst, dass die gleiche Frisur wie

Penthesileia auch die Matrone auf dem l i e g e n s t u h l f ö r m i g e n Deckel des kapitoli­ nischen Sarkophags mit Achilleus, der auf Skyros unter den T ö c h t e r n des Lyko-

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medes entdeckt wird, trägt, ist nicht richtig. Hei oberflächlicher Betrachtung von vorn sieht ihre Frisur zwar ebenso aus, unterscheidet sich jedoch wesentlich da­ durch, dass sie das Haar hinten in ein breites Band geflochten hat, in eine Art flachen Zopf, der nach oben gebogen ist und sich vom Hals bis /.um Scheitel zieht (im Deutschen Scheitelzopf). Zum erstenmal kommt er auf den Porträts der Tranquillina, der Gattin Gordianus III, also kurz nach dem J . 240 vor, wie es die Porträts der Augusten auf M ü n z e n am besten beweisen k ö n n e n .

2 8

Gleichfalls un­

richtig ist das Stichwort „Scheitelzopf der Mamaea Zeil" im umfangreichen Re­ gister des Buches „ D i e christlichen Sarkophage der vorkonstantinischen Zeit", S. 394, von Gerke.

29

Nach dem gewaltsamen Tode des Alexander Severus im J . 235 kam es in der Porträtplastik zu einer entscheidenden Wende zum a l t r ö m i s c h e n republikanischen Verismus, der in seiner raschen Nachahmung der Wirklichkeit den Realismus einiger Bildnisse Caracallas noch weit übertrifft. Alexanders Nachfolger wurde ein ungebildeter thrakischer Barbar bäuerlicher Herkunft, Maximinus, den seine in den Zeiten schwerer K ä m p f e an der westlichen und östlichen Grenze dem Staate n ü t z l i c h e militärische T ü c h t i g k e i t in die h ö c h s t e Stelle des Reiches erhoben hatte. Maximinus' Porträts unterscheiden sich scharf von den Porträts Alexander Seve­ rus' und der Porlrälplastik der antoninischen und severischen Zeit schlechthin. Die realistische Form mit allen individuellen Besonderheiten, oft in einen wirkli­ chen Kult der U n r e g e l m ä s s i g k e i t und H ä s s l i c h k e i t ausartend, wurde erneut leben­ dig. Die kapitolinische B ü s t e des Maximinus, und

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die diesen Primitiven naturgetreu

ohne V e r s c h ö n e r u n g darstellt, unterscheidet sich vom Caracalla-Realismus

vor allem durch die Anwendung r ö m i s c h e r Ausdrucksmittel. In seiner realistisch plastischen Auffassung ist das neapolitanische oder auch das kapitolinische im selben Saal des Museums vorhandene Porträt Caracallas g e g e n ü b e r dem Maximi­ nus noch ziemlich griechisch. Es ist eines der letzten grossen, wirklich antiken Porträts mit einer festen Grundlage im griechischen Realismus und in der grie­ chischen plastischen Form. Die Struktur von Maximums'Kopf ist fast kubisch, die O b e r f l ä c h e jedoch, die sich aus einer Reihe grösserer oder kleinerer F l ä c h e n von verschiedener Lichtqualität zusammensetzt, oder sich eher in sie auflöst, ist von tiefen Furchen um M u n d und Stirn durchzogen. Der Bart ist nur durch eine fein gravierte Zeichnimg angedeutet, desgleichen auch die Haare, die vollkommen zu einer Art anliegenden Haube verschmolzen sind. Anstatt plastisch modellierter S t r ä h n e n finden wir nur r e g e l m ä s s i g e Striche. A n Stelle der Darstellung innerer r ä u m l i c h e r Beziehungen der Körper, eigentlich ihrer Ü b e r t r a g u n g in die tote Materie des Kunstwerkes, hier nur der blosse Schein, die Tendenz einen optischen Kindruck der Wirklichkeil hervorzurufen. Der r ö m i s c h e Illusionismus nähert sich seinem Gipfel, den die Porträts des Decius vorstellen, vor allem die künstlerisch am h ö c h s t e n stehende B ü s t e im Kapitolinischen M u s e u m .

31

Ihre Form besteht aus

zwei Grundfaktoren, einem „ i m p r e s s i o n i s t i s c h e n " und einem „ e x p r e s s i o n i s t i s c h e n " .

73

Wenn gegen Ende des 2. J h . auf manchen Porträts die plastische Masse von Bart und Haaren zerlegt wurde, so ist es hier sogar beim ganzen Gesicht der Fall, Die Furchen der Haare und Barle sind grob und weniger r e g e l m ä s s i g als auf der B ü s t e des Maximinus, sodass sich das Licht an ihnen mannigfaltiger bricht. Das Gesicht zeigt tiefe Furchen von der Nase um den M u n d bis zum Kinn, die Stirn hat senkrechte und waagerechte Furchen ü b e r der Nasenwurzel. Das ganze Ge­ sicht befindet sich in der unruhigen Bewegung der Lichter und Schatten. Waren allerdings die Furchen im Gesicht des M a x i m i n u s - P o r t r ä t s vor allem Ausdruck eines zielbcwussten Realismus bis Naturalismus, so hat nun ihre Ü b e r e x p o n i e r u n g den Zweck einen besonderen Ausdruck des Gesichtes herauszubilden. M u n d und Augen sind darin besonders bemerkenswert auffallend und geben vom inneren Leben Zeugnis. Die Grimasse der G e s i c h t s z ü g e ist Ausdruck einer schmerzlichen Melancholie, einer Lebenstrauer. Diese Stimmung des „fin du siecle", Ausklingens des Jahrhunderts, genauer gesagt der Zeit der „klassischen" Antike, erscheint auf den Porträts des 3. J h . seit den vierziger Jahren oft, und wie wir später sehen werden, auch auf den Bildnissen von Privatpersonen auf Sarkophagen. Sie ist auch auf der vatikanischen B ü s t e von D e c i u s ' V o r g ä n g e r , Philipps des Arabers, aus seinem schicksalsschweren

32

Blick und dem ausdrucksvollen Mund offenbar.

Die B ü s t e selbst, es ist ein Original,

33

ist hart f l ä c h e n h a f t und starr, der horizon­

tale Streifen der toga contabulata ist wie h ö l z e r n , die Draperie ist negativ ausge­ h ö h l t und unplastisch, es ü b e r w i e g t die Linie. V o n den privaten frei plastischen Bildnissen soll wenigstens die kapitolinische B ü s t e eines tragischen lers

3,5

Schauspie­

ohne Gewand, mit einer ausgemeisselten Mas'ke auf dem rechten A r m und

mit reichem durch dichte Furche illusionistisch dargestelltem Bart e r w ä h n t sein; im ganzen Bau sowie in den Details, z. B . den Ohren, ist sie ziemlich starr, und zeigt den typischen pathetischen Ausdruck der Trauer jener Zeit. Zeitlich steht sie dem Porträt des Decius nahe. W ä h r e n d die Furchen im Gesicht der kapitoli­ nischen B ü s t e des Decius trotz ihrer expressiven Funktion mit lebendigem Sinn für die Wirklichkeit dargestellt waren, erstarrten sie in einem anderen seiner Porträts im Museo T o r l o n i a

35

in eine teilweise schematische Maske. W i r befinden

uns hier an der Grenze des h ö c h s t e n Realismus, des Verismus und auch des Impressionismus

und einer beginnenden

abstrakten, expressionistischen

Form.

Wie weit man diesen Geometrismus auf die M i t t e l m ä s s i g k e i t oder eher Volks­ t ü m l i c h k e i t des K ü n s t l e r s z u r ü c k f ü h r e n kann, ist eine Frage. Trotzdem kann man behaupten, dass hier vom Realismus ein glatter Ubergang zum Expressionismus

36

besteht. Aber auch nacli dem J . 235, also nach dem entscheidenden Sieg des r ö m i s c h e n Realismus, blieb der severische klassizisierende Illusionismus bestehen, wie es einige Porträts Gordianus III, der von 238 bis 244, von seinem 13. bis zu seinem 19. Lehensjahr regierte, bezeugen.

37

Seine plastischen Bildnisse stehen den Por­

träts des Alexander Severus nahe und wurden ihm früher oft i r r t ü m l i c h e r w e i s e

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'zugeschrieben.

38

30

G o r d i a n u s ' B ü s t e — eigentlich die halbe Gestalt — im L o u v r e

ist idealisierend, typisierend, mit durch Licht fein g e t ö n t e r glatter O b e r f l ä c h e des Gesichts. Die ziemlich hart plastische Draperie betont die Linie. Der ganze Cha­ rakter ist r ö m i s c h klassizistisch, mit einem leichten Zusatz von Illusionismus. Die B ü s t e n in B e r l i n

40

und Holkham H a l l

4 1

sind dagegen realistisch mit ausdrucksvoll

individuell modelliertem Mund, abgeschattetem

Gesicht und gerunzelter Stirn,

besonders die r ö m i s c h e B ü s t e . Der e n d g ü l t i g e Eindruck ist der eines vorzeitigen Alterns, es spricht aus ihm die Schwere der Ereignisse, welche nach dem Tode des Schwiegervaters Timesitheus, des festen und guten Ratgebers und B ü r g e n der Treue des Heeres, auf den jungen Herrscher e i n s t ü r m t e n und ihm schliesslich auch das Leben kosteten. Neben diesen typisch r ö m i s c h e n realistischen und illu­ sionistischen Porträts nimmt ein kolossaler Kopf im R ö m i s c h e n Nationalmuseum

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einen besonderen Platz ein. Seine tatsächlich gewaltige monumentale Wirkung beruht auf dem Gegensatz des glatten vollen Gesichts und der expressiv v e r g r ö s serten starr blickenden Augen, sowie der weissen F l ä c h e des Gesichts und des dunkleren Rahmens der z u s a m m e n h ä n g e n d e n Schicht des Haares, es ist also ein barocker Kontrast und eine abstrakte Stilisierung. Z u diesen freiplastischen Bild­ nissen z ä h l e n auch die Porträts des kaiserlichen Paares Balbinus und seiner Ge­ mahlin auf dem liegestuhlartigen Deckel ihres Sarkophags im Praetextatmuseum in R o m .

4 3

Ihr massiger Realismus, g e d ä m p f t durch die griechische Tradition,

reiht sie in die vor dem J . 235 entstandenen Porträts ein, wenngleich die Furchen der Haare und des Bartes des Kaisers eher auf die Art der Darstellung der be­ ginnenden vierziger Jahre hindeuten. Die plastische Masse ist geschlossen, ä h n l i c h wie auf dem Bronzekopf des Balbinus in der vatikanischen Bibliothek.

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Das

Porträt Balbinus und seiner Gemahlin auf dem Sarkophagrelief ist von einem ä h n l i c h e n T y p , nur etwas mehr griechisch, klassischer und weniger realistisch. Diesen Konservativismus finden wir auch an anderen privaten Sarkophag­ porträts. So ist das Haar auf dem Kopf des J ä g e r s auf dem Jagdsarkophag mit den L ö w e n p r o t o m e n , der im Treppenhaus des Kapitolinischen Museums einge­ mauert ist und aus der Zeit um das J . 240 stammt, nicht durch die gewohnten Einfurchungcn dargestellt, sondern sowohl das Haar als auch der Bart sind im Grunde plastisch und soweit man bei dem ziemlich stark b e s c h ä d i g t e n Zustand erkennen kann, individuell unterschieden. Nur der Blick der grossen, gleichsam ekstatischen Augen steht in Ubereinstimmung mit den z e i t g e n ö s s i s c h e n expres­ sionistischen Bestrebungen. Die grossen Augen sind gleichfalls die einzige Bele­ bung des ruhigen Gesichtes des J ä g e r s auf dem Sarkophag mit der L ö w e n j a g d Mattei I I .

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Der Kopf ist realistisch, aber nicht veristisch. Die charakteristischen

Z ü g e sind zu einem ausgeglichenen

verallgemeinernden Rahmen abgestimmt.

U n g e f ä h r das gleiche gilt auch für das Porträt des J ä g e r s des sog. Balbinus-Sarkophages in Kopenhagen,

47

das ebenso wie der Sarkophag Mattei II aus dem fünf­

ten Jahrzehnt des 3. J h . stammt. Die typischen Furchen auf der Stirn und von

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den N a s e n f l ü g e l n a b w ä r t s , übrigens nicht sehr tief, sind ein realistischer Ausdruck des Alters und ohne eine Spur von Expressionismus. Auf an deren Sarkophagen jedoch finden wir einen getreuen Nachhall der z e i t g e n ö s s i s c h e n offiziellen Port­ räts, z. B. auf dem Bildnis des V e r s t o r b e n e n - J ä g e r s auf dem Sarkophag im Rospigliosi Palast,

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der u n g e f ä h r aus der Zeit um das ,1. 240 stammt. Im Gesicht

ist das .gleiche schmerzliche Palhos wie auf den offiziellen Porträts der vierziger Jahre, erzielt mit den gleichen Mitteln, vgl. den Ausdruck der Augen, des Mundes, Furchen auf der Stirn und im Gesicht. Auch die Einkerbungen im Bart sind in Ü b e r e i n s t i m m u n g mit der Zeit ziemlich selbständig. Die stilisierten und einigermassen unorganischen Furchen auf der Stirn entsprechen den offiziellen Porträts des v o l k s t ü m l i c h e r e n Typs, wie z. B. Decius im Museo Torlonia. Es ist mehr die Ä u s s e r u n g einer g e l ä u f i g e r e n technischen A u s f ü h r u n g als der bereits in dieser Zeit beginnenden Abstraktion. Die Entwicklung des Porträts

in der ersten Hälfte

des 3. Jh. ist in der r ö m i s c h e n

Kunst — allerdings auch in der antiken Kunst schlechthin — vor allem durch die bisher unbekannte Kombination des Illusionismus, Verismus und Expressionis­ mus symbolisiert, also von Traktoren, die von der hellenistischen Tradition bereits sehr entfernt waren, in deren Zeichen der antoninische Entwicklungsprozess ver­ lief. Damals war die Grundlage eine offene barock ü b e r w u c h e r n d e Form, die zuletzt in der impressionistischen A u f l ö s u n g endete. Diese barock illusionistische Darstellung blieb jedoch im Porträt zumeist nur auf den Bart und die Haare be­ schränkt, zu denen das klassizistische formell vereinfachte und mehr verallge­ meinernde Gesicht im Kontrast stand. Seit -Caracalla verändert sich jedoch diese Situation. Die bereits unter Septimius Severus beruhigte Form schliesst sich in noch g r ö s s e r e m Masse ab. Das Haar konzentriert sich in eine z u s a m m e n h ä n g e n d e Schicht, der Bau des Kopfes festigt sieb. D e m g e g e n ü b e r kompliziert sich das Ge­ sicht, indem es einerseits die individuellen Besonderheiten gelreu darstellt, ande­ rerseits optisch aufgefasst wird. Der auf dem Lichteffekt beruhende Illusionismus geht mit dem Verismus gemeinsam einher. Die von den klassizistischen Fesseln befreite Form hat sich dadurch vollkommen aufgelöst, zumeist aber nur an der Oberfläche. Der Kern ist dagegen erstarrt und strebt zur stereometrischen

Kubi-

sierung hin. Sehr wichtig ist der geistige Ausdruck geworden, der eben dank dem zielbewussten Realismus, an den sich die expressionistische Abstraktion k n ü p f t e , einen grossen Schritt v o r w ä r t s gemacht hat. In dieser Zeil hat sich klar ein Dua­ lismus des Leibes und der Seele herausgebildet, wobei die psychische Seite zu ü b e r w i e g e n begann. Der spiritualistische Supranaturalismus siegt. Der innere Aus­ druck hat sieh in bestimmte Teile des Gesichts konzentriert, so in die Augen, den Mund und die Stirn, wobei der Rest nur als blosse reflektorische F l ä c h e und dienstbarer Träger benutzt wird. Schliesslich trennte er sich von seiner realisti­ schen Basis und wurde zunv abstrakten Schema, zum geistigen Symbol der Zeit. Der Ausdruck vieler Porträts uniformierte-sich und h ö r t e auf ein individuelles

76

Merkmal des Einzelnen zu sein, der sieh in der kollektiven Masse verliert.

89

Diese

Abnahme an Individualismus, den wir schon bei dem Vergleichen einiger Szenen auf der M a r c - A u r e l - S ä u l e mit der älteren Trajanssäule festgestellt haben, äusserte sich nun auch im Porträt. Unversehens werden wir an das „ L ä c h e l n " der griechi­ schen archaischen Statuen erinnert. Welch ein G e g e n s t ü c k ! Hier und auch dort der einheitliche Ausdruck, die Interesselosigkeit g e g e n ü b e r dem Einzelnen, aber g e g e n ü b e r der Lebendigkeit einer entstehenden Welt nun die greisenhafte D ä m ­ merung der sterbenden A n t i k e .

50

Neben dem offiziellen Stil mit realistisch-expres­

sionistischer Grundlage fliesst der Nebenstrom des Konservativismus, im Grunde eine Fortsetzung des severischen Klassizismus an der Wende des 2. und 3. J h . mit einem Hang zum g e m ä s s i g t e n Realismus. W i r finden ihn eher auf den Porträts der Sarkophage als auf den freien Plastiken, vor allem jedoch allgemein bei den F r a u e n p o r t r ä t s , wo uns in den Frisuren ein mehr oder weniger a u s g e p r ä g t e r De­ korativismus nicht entgehen kann, der allerdings keine neue Erscheinung ist und mit dem dargestellten Thema in Zusammenhang steht.

51

Das Bild der Entwicklung des Porträts in der ersten H ä l f t e des 3. J h . m ü s s e n wir nun mit. den Sarkophagreliefs vergleichen, die für uns die Hauptvertreter der Entwicklung der Reliefplastik sind, wenn historische Reliefs fehlen. Aus der Zeit Caracallas, bzw. Elagabals, oder besser allgemeiner, aus dem zweiten Jahrzehnt des 3. J h . , stammen Sarkophage, deren g r ä z i s i e r e n d e Porträts wir schon erwähnt haben, wie der Säulensarkophag

im Römischen

Nationalmuseum

mit der dextra-

tum iunctio und den Dioskuren (siehe S. 70 f. und A n m . 16) und der ältere der beiden Sarkophage mit der L ö w e n j a g d im Mattei-Palast, der sog. Mattei I (siehe S. 71 und A n m . 18). Der architektonische Rahmen des S ä u l e n s a r k o p h a g s mit den drei Arkaden, von denen die mittlere g i e b e l f ö r m i g und die seitlichen bogen­ f ö r m i g sind, ist eine r ö m i s c h e Nachahmung des kleinasiatischen T y p s .

52

Im mitt­

leren Interkolumnium befinden sich die Porträtfiguren der Gatten, zwischen deren K ö p f e n der symbolische Kopf der Concordia hervorragt. In den seitlichen Interkolumnien sind in einem Castor, im zweiten Pollux und jeder hält ein sich auf­ b ä u m e n d e s Pferd, zu F ü s s e n des einen sitzt der personifizierte Oceanus mit dem Meeresdrachen und zu F ü s s e n des anderen Tellus mit dem F ü l l h o r n vor einem Hintergrund mit Pflanzen. Die Gestalten jeder Szene sind noch durch einen Amor ergänzt, der seit der Zeit der spielerischen hellenistischen Putten, die die pompejanischen Fresken beleben, a l l m ä h l i c h zu einer sepulkralen Gestalt geworden ist. Symbolisch sind auch die ü b r i g e n Gestalten, wie Tellus, Oceanus und die Diosku­ ren, die den Gedanken der Entstehung, des Untergangs und der auch den T o d überwindenden

Liebe v e r k ö r p e r n . Die durch verschiedenartige

Symbole ausge­

d r ü c k t e Idee der Unsterblichkeit verdrängt im 3. Jb. immer mehr die griechischen Mythen, die nur vom Tode erzählen. Wie man die P o r l r ä l g e s t a l t e n ü b e r e i n s t i m ­ mend mit der beruhigten Darstellung von Bart und Haaren und trotz des barocken Anlaufs in der Draperie als ü b e r w i e g e n d klassizistisch bezeichnen kann, so ist

77

auch der Kopf der Concordia monumental klassisch, wenn auch einigermassen starr akademisch; die Dioskuren mit den sich heftig b ä u m e n d e n Pferden sind jedoch barock dynamische Gestalten, so in der ganzen Komposition, wie auch in den einzelnen Teilen. G e g e n ü b e r den Vertikalen des Ehepaars, betont durch den Faltenwurf der Toga des Mannes und durch die verbindenden Gesten der A n n e und die Kaskaden des Gewandes der Frau vor der E i n t ö n i g k e i t bewahrt, ist die Komposition der Seitenszenen auf den sich kreuzenden und bis in der flattern­ den Draperic fortsetzenden Diagonalen der Leiber von M ä n n e r n und Pferden aufgebaut. Nebenbei soll nur bemerkt werden, dass diese Kompositionsweise be­ reits aus der olympischen Metope des Zeustempels mit dem Stier bezwingenden Herakles, also aus der f r ü h k l a s s i s c h e n Zeit, die sich durch ziemlich bedeutenden Realismus kennzeichnet, bekannt ist. In den aufschreitenden Gestalten v o n Castor und Pollux ist ebenso wie in ihren wehenden M ä n t e l n , den Haaren und in den fliegenden M ä h n e n der Pferde, zum Unterschied von den vertikalen, ruhig ste­ henden Rahmenfiguren der mythologischen und Schlachtsarkophage der f r ü h e r e n Zeit, eine erregte Unruhe bemerkbar. In den M ä h n e n der Pferde und den Falten der G e w ä n d e r ist des. Streben nach dekorativer Anwendung der Linie, die eine s e l b s t ä n d i g e Funktion einnimmt, zu beobachten. Die Unterscheidung der ver­ schiedenen Struktur des Ober- und Untergewandes ist in den besten Traditionen der Vergangenheit b e g r ü n d e t . Die Gestalten sind trotz ihrer Plastizität und der lebendigen Bewegungsmotive

griechisch u n r ä u m l i c h und ohne Beziehung zum

freien Raum. Die Grundwand des Reliefs ist feste Unterlage und Abschluss zu­ gleich, vor denen sich i n flacher Schicht und geringer Tiefe die Gestalten von Menschen und Tieren parallel zu ihr bewegen. Die Sarkophagtafel ist ein Gemisch von g r i e c h i s c h - r ö m i s c h e n Elementen, in dem die griechischen ü b e r w i e g e n , vor allem sind es jedoch traditionelle klassische und „barocke" Elemente. Barockheit, deren Ausdruck auch das grosse Format des Sarkophags ist die Entwicklung der antoninisch-severischen

Zeit fortsetzt,

53

Diese

und die

gerät in der Zeit

Caracallas und Elagabals wegen ihres Klassizismus oft in Vergessenheit. E i n ä h n l i c h e s Bild erhalten wir auch von dem ä l t e s t e n der r ö m i s c h e n

Löwen-

jagdsarkophage, in deren Mitte sich die Porträtgestalt des Verstorbenen als J ä g e r zu Pferde befindet, dem Sarkophag Mattei I .

54

Seine Datierung in das zweite

Jahrzehnt des 3. J h . , bzw. zum J . 220, ist unanfechtbar, angesichts des severischcaracallischen Stils des Porträts, das jedoch weicher aufgefasst ist, ferner ange­ sichts der umrahmenden Gestalten, der aufschreitenden Dioskuren, die sich von den,stehenden Amazonen oder Barbaren auf den Schlachtensarkophagen der Zeit Septimius Severus unterscheiden, die aber mit ä h n l i c h e n Gestalten auf dem eben a n g e f ü h r t e n Hochzeitssarkophag aus dem zweiten Jahrzehnt oder auf den späteT ren Amazonomachien mit der zentralen Gruppe von Achilleus und Penthesileia, von

denen der älteste mit einer aufschreitenden Amazone, Vat. Belvedere 49,

Robert II 92, sicher in das dritte Jahrzehnt datiert ist, ü b e r e i n s t i m m e n , auch an-,

78

gesichts der technischen Details, vor allem der Anwendung des Bohrers. E s han­ delt sich hier nicht um eine vollkommen realistische Jagdszene, wie die mytho­ logischen Gestalten der Dioskuren oder die personifizierte, den J ä g e r begleitende Virtus ä h n l i c h wie auf den Hippolytossarkophagen, von denen die neue Sarko­ phagenart offenbar ausgeht, zeigen. Es ist eine weitere Romanisierung des mytho­ logischen Jagdthemas. Zuerst wurde die r ö m i s c h e Göttin Virtus die Begleiterin Hippolyts und nun ist aus der Hauptgestalt der griechischen .Sage ein porträthaft individualisierter R ö m e r geworden. Zur Entstehung des neuen Motivs auf den Sarkophagen hat vielleicht, wie Rodenwaldt annimmt,

55

Kaiser Caracalla beigetra­

gen, der nach dem Vorbild Alexanders des Grossen ebenfalls L ö w e n jagte und mit einem Schild dargestellt wurde, das mit der Reliefszene seines grossen Vor­ bildes auf der L ö w e n j a g d g e s c h m ü c k t war,

56

Vielleicht Hess er ein Jagddenkmal

errichten, wo er als L ö w e n j ä g e r abgebildet war, ein altes orientalisches Symbol, das Alexander, der Erbe der persischen K ö n i g e , ü b e r n a h m , oder er wurde in einem Sarkophag mit ä h n l i c h e r A u s s c h m ü c k u n g begraben. Der Sarkophag Mat­ ter I hat ein grosses Formal, 2,56 m X 1,35 m, monumental wirken auch seine Komposition und die Gestallen, die seine ganze H ö h e einnehmen. In der Mitte des Sarkophags befindet sich ein J ä g e r zu Pferde, neben Virtus und unter ihm am Boden ein barbarischer J ä g e r , der durch den Ansturm des L ö w e n gefallen ist. Seine Gestalt ist neben dem J ä g e r — dem Verstorbenen — die einzige nicht mythologische, wie aus seinem Gewand, dem realistischen Ausdruck des Gesichts und der Anordnung der Haare zu ersehen ist, die sich von den langen griechischen Locken der Gestalten, die der Sage und nicht dem Leben entstammen, unterschei­ den. Sein Gesicht ist sichtlich barbarisch, realistisch sind nicht nur die rassischen Merkmale, sondern auch d e r Ausdruck des Entsetzens im kritischen Augenblick des rasenden Angriffs des verwundeten L ö w e n . Nicht weniger dynamisch ist auch der L ö w e dargestellt, der mit dem Barbaren und dem unteren Rand der Reitergriippe (Diagonale: rechter Fuss des Reiters, Rumpf des Pferdes und Vorderfüsse) in ein Dreieck komponiert ist, das im Mittelpunkt der Betrachtung steht. Auch die Gesten der Gestalten weisen in seiner Richtung. Sonst sind die Augen des Reiters ins Ungewissen gerichtet, und ihm gelten die f r o m m - e h r f ü r o h t i g e n Blicke der ü b r i g e n , mit Ausnahme der zweiten Gestalt von links, einer Folienfigur. Dem K ü n s t l e r ging es nicht um die Handlung, die Jagd, sondern das ganze ist eine Adoration des Toten, der L ö w e ist hier fast Symbol des raubgierigen Todes, wie es aus den Sarkophagen mit L ö w e n p r o t o m e n oder umrahmenden, ihre Opfer w ü r g e n d e n L ö w e n , bekannt ist.

57

Die ü b r i g e n Gestalten mit Ausnahme des Barba­

ren sind besonders in der Modellierung des nackten K ö r p e r s , aber auch in den Typen der K ö p f e und den Stellungen klassizistisch; wenn wir sie jedoch n ä h e r betrachten, stellen wir fest, wie „hölzern" sie sind, wie epigonenhaft sie aus der Vergangenheit ohne direktes Studium der Natur s c h ö p f e n .

Die Art, wie der

J ä g e r zu Pferde sitzt, weist auf das Verschwinden des Sinnes und Interesses für

79

das Organische der Naturerscheinung hin, desgleichen jedoch auf die handwerk­ liche Kraft der Tradition. Die Gestalten sind vorwiegend nebeneinander aufge­ stellt, sie ü b e r d e c k e n sich nur wenig und setzen eine geringe Raumtiefe voraus. Auch die Gestalt des Barbaren mit in verschiedene

Richtungen verlaufenden

Bewegungen der Glieder ist in der F l ä c h e entwickelt und unnatürlich zusammen­ gedrückt. Die Tendenz zu einer einzigen Raumschicht, die wir auf dem u n g e f ä h r z e i t g e n ö s s i s c h e n S ä u l e n s a r k o p h a g im R ö m i s c h e n Nationalmuseum beobachtet ha.ben, ist hier eben so deutlich. Der Hintergrund ist g r ö s s t e n t e i l s verdeckt, oft durch eine k ü n s t l i c h aufgebauschte Draperie, und was übrigbleibt, wird durch die tiefen Schatten zwischen den Gestalten verschlungen; so treffen wir auch hier wie in der vorhergehenden Zeil die schwarz-weissen Lichteffekte an. R ö m i s c h ist die orna­ mentale Dekoration der oberen und unleren Zierleiste, deren Spitzenwerk mit dem

Bohrer a u s g e f ü h r t ist, ä h n l i c h wie auf dem Ehrentor der Argentarier aus

dem J . 204 oder auf dem Balbinussarkophag im P r ä t e x t a t m u s e u m aus dem J . 238 — zum Unterschied von den attischen Sarkophagen, deren Ornamente mit Meissel gearbeitet sind und weitweniger Lichtkontraste aufweisen, vgl. z. B. den Achil­ leussarkophag im Kapitolinischen Museum aus den vierziger Jahren oder den Kindersarkophag mit Eroten im P r ä t e x t a t m u s e u m , wahrscheinlich aus der ersten H ä l f t e des 3. Jh., aber in teilweiser Ü b e r e i n s t i m m u n g mit der sehr kontrastvollen Ornamentik der kleinasiatischen Sarkophage, vgl. z. B. den von Morey publizier­ ten Sarkophag der Claudia Antonia Sabina.

58

Den Sarkophag Mallei I wegen

der festen plastischen Modellierung und dem konservativ Typischen einiger Ge­ stalten als griechisch-klassizistisch zu bezeichnen, w ä r e nicht ganz richtig, w eil in seinem Stil eine Reihe nachklassischer und z e i t g e n ö s s i s c h e r Elemente vorhan­ den ist, Lichtprobleme der gegenseitigen Bindung der Gestalten, der Realismus des Barbaren, wie auch sein barockes Pathos, und ü b e r h a u p t ein barockisierendes Element, das besonders in der Kreuzung der Bewegungslinien und dem Interesse für das Gefühl zum Ausdruck kommt, vgl. z. B. den Kontrast zwischen dem L ö ­ wen und der toten L ö w i n mit einer pathetischen Grimasse. Es besteht kein Zwei­ fel, dass auf dem Sarkophag Mattei I klar der Einfluss einer neuen Welle der griechischen F o r m zu beobachten ist, nichtsdestoweniger

dauert die barocki-

sierende S t r ö m u n g , die unter den Antoninen a l l m ä h l i c h die ganze r ö m i s c h e Kunst beherrschte und zuletzt eine charakteristische r ö m i s c h e

P r ä g u n g erhielt, fort,

wenn auch in mehr hellenistischer als spezifisch heimischer Form. Es ist gleich­ falls ohne Zweifel, dass die Starrheit der griechischen Renaissanceform das sich ö f f n e n d e Tor der S p ä t a n t i k e verrät. Mit dem Jadsarkophag Mattei f hat ein anderer Jagdsarkopluig, schow

59

aus in den PraelexlaihaUikomben

den M . Güt-

aufgefundenen B r u c h s t ü c k e n zusam­

mensetzte, vieles gemeinsam. Links und rechts umrahmen die Dioskuren wieder­ um die Szene und hallen sich a u f b ä u m e n d e Pferde. Rechts ist vor dem anstür­ menden L ö w e n ein läger zu Boden gefallen, ü b e r dem L ö w e n befindet sich ein

80

J ä g e r zu Pferde, der den leider nicht erhalten gebliebenen

Reiter in der Mitte

begleitet, von dem nur sein Pferd übrig blieb. Links zu F ü s s e n des Dioskuren, befindet sich der Jäger, den der Eber zu Boden warf. Die Eberjagd, ein Thema der mythischen Jagdszenen mit Meleagros, Hippolytos oder Adonis ist mit einem neuen Motiv, der ebenfalls heroisierten L ö w e n j a g d , verbunden. Mit dieser teil­ weisen Zwciszenigkeit ist dieser Sarkophag r ö m i s c h e r als Mattei I. Virtus, mehr einer Teilnehmerin an der Jagd als einer Göttin ä h n l i c h , ist von dem,Reiter in der Mitte durch einen unbekannten Recken getrennt. Sie ist halb im Profil, halb en face abgebildet und steht so zwischen dem vollkommenen Profil

Sarkophags

Mattei I und der Darstellung en face des Jagdsarkophags Pallavicini — Rospigliosi (ungefähr zum J . 240). Auch die Dioskuren mit fliegenden Haaren und viel mehr barock als auf dem Sarkophag Mattei I, stehen den schreitenden Pferde haltenden Amazonen auf dem vatikanischen Sarkophag mit Achilleus und Penthesileia (Belvedere 49, u n g e f ä h r zum J . 230) nahe. Sowohl die ganze Komposition, als auch die Einzelheiten sind dynamisch. Die B i l d f l ä c h e wird vor allem durch menschliche Gestalten beherrscht. Sie reichen ü b e r die ganze H ö h e des Sarko­ phags und sind nicht sehr zahlreich. Dieses klassische Element, das wir auch auf dem Sarkophag Mattei I linden, erscheint jedoch noch zwei Jahrzehnte später auf dem Balbinussarkophag im Praetextatmuseum. Ausser den Dioskuren sind die Gestalten dem umgebenden Rahmen angepasst und werden mehr zu einer Neben­ a u s f ü l l u n g auf Kosten des gut proportionierten organischen Baues. Etwas älter als dieser Sarkophag, der etwa zwischen 220 und 230 entstanden ist, ist der lateranische Adonissarkopliag

I (zum Unterschied von einem anderen sich dort

befindlichen Sarkophag vom Ende des 3. J h . mit dem gleichen Thema). Der ältere Sarkophag (s. S. 71 f. und Aiim. 19), den wir amgesichts der Porträts in die Zeit um das J . 220, am ehesten bald nach diesem Jahr, datiert haben, besteht aus drei Szenen, die jedoch nicht chronologisch angeordnet sind, sondern die zeitlich letzte Szene, die sich am besten für r e p r ä s e n t a t i v e Porträts eignet, ist eben aus diesem Grund in der Mitte angebracht. Auf diesem Sarkophag sieht man

deutlich die vordringende Romanisierung. Zum Unterschied von dem um

mehr als ein halbes Jahrhundert ä l t e r e n Sarkophag des C. Junius Euhodus mit der Sage von Alkestis, wo die Porträts organisch in die n a t ü r l i c h e der Szenen eingegliedert

Reihenfolge

und nicht besonders betont waren, ist hier aus den

Porträtgestalten ein zentrales Thema geworden, dem die Handlung untergeordnet ist. Die beiden Sitzenden, Venus und Adonis, dem ein alter Diener und ein Amor mit einem Schwamm das Blut v o m verwundeten Fuss abwischen, sind grösser und ansehnlicher als die ü b r i g e n Gestalten, z. B. die der Venus auf der ersten Szene des Abschieds. Zugleich sitzt der t ö d l i c h verletzte Adonis aufrecht; die R ü c k s i c h t auf die Wirklichkeit musste dem Streben nach monumentaler Hervor­ hebung des Toten weichen. Die beiden anderen Szenen, Abschied der Venus von dem sich auf die Jagd begebenden Adonis und seine Verwundung durch den

e spisy FF, e. IOI

81

Eber vor den Augen der herbeieilenden Venus, die ein U n g l ü c k ahnte, unterschei­ den sich nur wenig von dem älteren Hippolytossarkophag im Lateranischen M u ­ seum, der aus der Zeil des Septimius Severus stammt, besonders von der A b ­ schiedsszene. Die Jagdszene ist dynamischer, barocker. Auf einer kleinen F l ä c h e ist eine dichte Gruppe von zielbewussl gruppierten und kunstvoll komponierten Gestalten angebracht. Die K ü n s t l i c h k e i t der Komposition ist durch das Dreieck des Zepters der Venus und der Speere des Adonis und des zweiten J ä g e r s unter­ strichen. Die Gruppe, deren Basis der gefallene und mit einer kraftlosen ab­ wehrenden Geste der linken Hand in den Rachen des Ebers starrende Adonis ist, ist. r ä u m l i c h mit v i e l f ä l t i g e r Verdeckung der Gestalten und einem reichen Wechsel von Licht und Schatten aufgebaut. In den Haaren und Barten und besonders bei der Darstellung der Borsten des Ebers wurde häufig der Bohrer angewandt. Die Jagdszene wirkt, trotz einer bestimmten D ä m p f u n g des G e f ü h l s a u s d r u c k s in den Gesichtern und der K ü n s t l i c h k e i t der Komposition, stark barock realistisch. Der Eber ist eine meisterhafte V e r k ö r p e r u n g des Todesgrauens, sein wirkliches Symbol. M i t der Steigerung des Barocken auf den Sarkophagen schreitet zugleich auch ihre Romanisierung fort und es zeigen sich die Merkmale einer

neuen

geistigen Auffassung. In das drille Jahrzehnt des 3. J h . g e h ö r t ebenfalls nach der Frisur der Pe.nthesileia

00

der schon e r w ä h n t e Amazonensarkophag

im vatikanischen

Belvedere

Nr. 49 (es befindet sich dort noch ein anderer, Nr. 54, allerdings nur die Vorder­ seile, eingemauert in die Wand im Gabinetto del Mercurio), der seit der Zeit Riegls

61

ein typischer Vertreter der den s p ä t a n t i k e n Stil formenden Entwicklung

ist. Zum Unterschied von den Amazonensarkophagen des 2. Jh. ist er von einem hohen

Format, mit

übereinander

geschichteten

Gestalten

und

einem

stark

akzentuierten Paar, Achilleus und die verwundete Pcnthesileia. Zu dieser Wende, die wir schon auf den etwas älteren Villa Pamfili und im L o u v r e

62

Sarkophagen im Palast Borghese,

der

beobachten k ö n n e n , kam es unter Septimius Se­

verus, und sie wurde durch das Beispiel der realistischen

Schlachtensarkophage,

die das ältere Thema mit dem Kampf der Griechen und Gallier aktualisierten, verursacht. Diese Eigenschaften zusammen mit der Komposition, die sich neben der mittleren P o r l r ä t g r u p p e

auf vier grosse Gestalten

stützt, die durch ihre

Grösse beträchtlich alle anderen ü b e r r a g e n , zwei Griechen und zwei Amazonen in den Ecken, hat dieser Sarkophag mit dem grossen Ludovisischen Schlachten­ sarkophag gemeinsam, der wahrscheinlich erst nach dem J . 250 entstanden ist, wenn auch die Ubereinstimmung nicht so vollkommen ist, Avie es bei einem ober­ flächlichen Vergleich scheinen k ö n n t e . Der Amazonensarkophag, der an den indi­ viduellen Z w e i k ä m p f e n festhält, ist zwar in der Linie der griechischen Tradition, steht aber in mancher Beziehung, wieder der s p ä t a n t i k e n F o r m n ä h e r .

6 3

Die Grösse der Gestalten, die das Gerüst der Komposition bilden, befindet sich in einein ziemlichen M i s s v e r h ä l t n i s zu den ü b r i g e n Figuren, sodass diese den E i n -

82

6

druck einer blossen A u s f ü l l u n g erwecken. '

1

D e m g e g e n ü b e r ist auf dem Ludovi-

sischen Sarkophag das realistische V e r h ä l t n i s der Gestallen in dem Masse bei­ behalten, dass es die Illusion der realen Wirklichkeit nicht stört. Kleinere Gestalten befinden äich nur an der Peripherie der ganzen Komposition. Achilleus nimmt die ganze H ö h e des Sarkophags ein, der H e e r f ü h r e r zu Pferde nur etwa die Hälfte. Bei der Analyse des Ludovisischen Sarkophags werden wir zeigen, wie­ viel R a u m g e f ü h l in ihm trotz der offenbaren Tendenz zur F l ä c h e n k o m p o s i t i o n noch enthalten ist. Diese ist das Leilprinzip des V e r h ä l t n i s s e s der Gestalten zum Raum auf dem Amazonensarkophag. Das V e r h ä l t n i s der Gestalten zur Grund­ wand ist hier viel einförmiger. Es ist deutlich zu beobachten, wie oft die Gestalten, ob Menschen oder Pferde, fast gewaltsam in die F l ä c h e parallel zur Grundlage, die zwischen und ü b e r ihnen m i r hin durchblickt, hineinkomponiert sind. Sie bildet einen festen Hintergrund, vor dem sich das plastische Bild entrollt. Die einzelnen Gestalten sind, was die Bewegung und plastische betrifft,

barock dynamisch

empfunden.

Besonders

die

Modellierung an­

Draperien sind stark

bewegt, bei der Amazone in der rechten oberen Ecke auch das Haar. Es beginnt hier die Entwicklung zu jener Art der Darstellung der Haare, die Rodenwaldt Flammenhaarstil nennt*™ und die für das fünfte Jahrzent des 3. J h . typisch ge­ worden ist. Der Gesichtsausdruck ist v e r h ä l t n i s m ä s s i g ruhig, eine starke Ä u s s e r u n g des G e f ü h l s ist nicht zu finden. Was bei niehtmythologischen

Schlachten- oder

Jagdsarkophagen, und das auch nur bei Barbaren oder halbbarbarischen Land­ bewohnern, m ö g l i c h war, das war bei mythologischen Szenen mit aller griechi­ scher Tradition ausgeschlossen. Die Betonung der Mittelgruppe sowohl durch die Komposition, als auch durch Porträts ist allerdings typisch r ö m i s c h , vgl. die 4. —5. Gruppe der Amazonensarkophage bei Redlich. In das Ende des vierten Jahrzehnts des 3. J h . ist der monumentale Kaiser Balbinus und seiner Gattin im Prätextatmuseum

datiert.

66

Sarkophag

Es ist der ver­

einzelte Fall eines Sarkophags im 3. J h . , dessen Entstehung genau mit dem J . 238 feststeht, wo Balbinus, einer der beiden senatorischen Kaiser, auf der Strasse von den Prätorianern ermordet, wurde. Die Identifizierung des Porträts ist durch den Vergleich mit M ü n z e n , literarischen Nachrichten, sowie durch den Stil (vgl. 5. 75) v e r b ü r g t . Der Sarkophag, dessen Deckel von liegestuhlartiger Form ist und auf dem sich die liegenden Gestalten des Ehepaares befinden, gehört thematisch zum T y p derer mit Szenen aus dem Leben eines r ö m i s c h e n Feldherrn, den wir schon im 2. J h . , z. B. an dem Sarkophag aus Mantua oder aus der Villa Taverna 37

in Frascati* kennengelernt haben. In der Milte des Sarkophags befindet

sich

der als Imperator gekleidete Kaiser beim Dankopfer. E r wird von der neben ihm in der Luft schwebenden Victoria bekränzt. Zur linken Seite des Kaisers steht der jugendliche Mars, vom T y p des Mars aus dem kapitolinischen Jupitertempel, zur rechten Seite die Gemahlin, die wir sonst ihrem Namen nach nicht kennen. Neben der Gattin des Kaisers am linken Rand des Sarkophags stehen zwei symbolische

83

G ö t t i n n e n , Roma in einer R ü s t u n g und Abundantia mit dem charakteristischen F ü l l h o r n . Auf der rechten Seite des Sarkophags ist die gewohnte Szene dextraruni iunctio mit dem Kaiser in bürgerlicher Toga. Nach r ö m i s c h e r Art, die in dieser Zeit der neuerlichen starken Romanisierung wieder in Erscheinung tritt, ist der Kaiser mit seiner Gemahlin auf dem Sarkophagrelief zweimal abgebildet, ebenso wie der Verstorbene — der J ä g e r auf dem Jagdsarkophag Pallavicini-Rospigliosi, der durch Porträt ebenfalls zum J . 240 datiert ist. In der formellen Darstellung des Balbinussarkophags verschmilzt der Klassizismus, der am Beginn des 3. J h . , vor allem im zweiten, aber auch im dritten Jahrzehnt, stärker wurde, in interes­ santer Weise mit den r ö m i s c h e n Elementen, die seit dem Ende des 2 J h . trotz des z ä h e n Widerstandes der griechischen Tradition s t ä n d i g zunehmen. Die K o m ­ position ist klassizistisch,

ruhig nebeneinander

gruppierte Gestalten,

zugleich

aber r ö m i s c h — mit s p ä t a n t i k e r Tendenz — durch die Mittelstellung und Be­ tonung des Kaisers — des Imperators, die zwar nicht besonders auffallend ist, jedoch eine offenbare Neigung zur Rhytmisierung der symmetrisch gruppierten Gestalten, deren Stellungen ziemlich h ö l z e r n sind,

68

zeigt. Den Hintergrund bil­

dete eine Draperie, die zusammen mit der Polychromie — blauer Hintergrund, Kontrast der weissen Haut und der goldenen Haare — dem Ganzen einen Schein des Unwirklichen verlieh. Die Gestalten sind trotz ihrer äusserlich ruhigen Hal­ tung innerlich erregt. Die K ö p f e sind mit Ausnahme des Porträts an vielen Stellen gebohrt, auch der M u n d ist in die Tiefe gebohrt und stark gewellt, ebenfalls ge­ bohrt sind Oberlippe, N a s e n f l ü g e l und Augen, letztere mit dem Punkt im inneren Winkel. Der Bohrer ist auch an der Draperie, die ziemlich starr und tief ist und mit ihren geraden Linien mehr linear als plastisch wirkt, angewandt worden. Auch das Ornament auf dem vollkommen flachen Deckel, ist nur mit dem Bohrer und ziemlich grob auf Grund des Gegensatzes der schwarzen Konturen und der weissen inneren F l ä c h e n gearbeitet. Die fortschreitende Romanisierung, die wir auf dem Balbinussarkophag beob­ achtet haben, finden wir in weit g r ö s s e r e m Masse auf dem Sarkophag mit der Lö­ wenjagd, der sich im r ö m i s c h e n Palast Rospigliosi, eingemauert auf dem Casino Pallavicini,

befindet.

J . 240 datiert,

70

69

Durch das Porträt des Verstorbenen, des J ä g e r s , ist er zum

also in eine Zeit, wo im Porträt seit den Bildnissen Maximinus

der römisch-italische Verismus begann. Der Verstorbene erscheint auf dem Sar­ kophag zweimal, ä h n l i c h wie Kaiser Balbinus auf dem vorhergehenden. Auf der linken Szene führt ihm, in Ü b e r e i n s t i m m u n g mit den Hippolytossarkophagen, die hier wahrscheinlich einen Einfluss a u s ü b t e n , ein Diener sein Pferd vor, in der Mitte befindet er sich in voller A u s r ü s t u n g zu Pferde, begleitet zu einer Seite von Virtus, zur anderen von einem jungen Reiter. Diese unter den J ä g e r n einzige heroisierte und unrealistische Gestalt wurde zugleich mit der g ö t t l i c h e n Begleiterin von den Hippolytossarkophagen ü b e r n o m m e n . V o n dem Jagdsarkophag Mattei I, der u n g e f ä h r 20 Jahre älter ist, aus der Zeit des caracallisch-elagabalischen Grä-

84

zismus stammt und nach griechischer A r l nur eiuc Szene hal, unterscheidet sich der Pallavicini-Sarkophag nicht nur durch seinen r ö m i s c h e n narrativen Charakter, zwei Szenen, sondern auch durch zahlreiche andere Abweichungen. So ist Virtus g e g e n ü b e r dem älteren aktiv in die Handlung eintretenden Profil jetzt mit R ü c k ­ sicht auf den Beschauer von v o m abgebildet und wirkt trotz der e r h ö h t e n Be­ weglichkeit eher wie eine statische Folie. E i n anderes bedeutungsvolles Element auf dem Weg zur S p ä t a n t i k e ist das Verschwinden der heroischen Begleiter des Jagdherrn. Die Dioskuren vom Sarkophag Mattei I oder noch vom Sarkophag mit der L ö w e n - und Eberjagd im P r ä t e x t a t m u s e u m sind von realistischeren Gestalten a b g e l ö s t worden, die der Wirklichkeit direkt entnommen sind. G e g e n ü b e r seinen älteren V o r g ä n g e r n ist der Pallavicini-Sarkophag barocker. Das betrifft vor allem die Draperie, die in scharfem Kontrast zu der v e r h ä l t n i s m ä s s i g grossen Ruhe der Bewegungslinien steht. Die Vertikalen ü b e r w i e g e n unter ihnen und nur durch die Gesten der H ä n d e verbunden, kreuzen sie sich v i e l f ä l t i g mit den auseinander­ laufenden Linien der G e w ä n d e r , die kunstvoll zu u n z ä h l i g e n dekorativen Falten kombiniert sind. In dieser Hinsicht ist der Mantel des J ä g e r s und insbesondere das Gewand der Göttin Virtus besonders bemerkenswert. Auch der Ausdruck der J ä g e r ist erregt. Der tief gebohrte M u n d ist zu einer dramatischen Grimasse ver­ zogen und um den Kopf des berittenen Begleiters wehen wild die Haare. F ü r die Entwicklung zur S p ä t a n t i k e ist jedoch am interessantesten die A r t der Darstellung des Raumes und die Darstellung der einzelnen

Personen. Trotz des immer­

w ä h r e n d e n hohen Niveaus der handwerklichen bildhauerischen Tradition k ö n n e n wir z. B . auf der linken Gruppe bei dem das Pferd für den J ä g e r v o r f ü h r e n d e n Manne beobachten, wie die Stellung des Tieres und des Menschen u n n a t ü r l i c h und starr ist. Was die Darstellung des Raumes betrifft, kann man dem K ü n s t l e r das Streben nach Ausdruck der Raumtiefe nicht absprechen. Die Gestalten sind hintereinander gruppiert, die hinteren sind weniger plastisch, die Winkel, die die Gestalten mit der Unterlage bilden, sind ziemlich vielfältig. Wenn wir jedoch die Gestalten im Hintergrund n ä h e r betrachten, stellen wir fest, dass ihre K ö p f e sehr plastisch sind, w ä h r e n d die K ö r p e r fast nur zeichnerisch angedeutet erschei­ nen. Diese Dissonanz beweist einerseits das Abnehmen des Sinnes für den orga­ nischen Bau des menschlichen K ö r p e r s , andererseits die Tendenz des Bildhauers, den freien Raum ü b e r dem Wall der Schultern der Hauptpersonen vor allem mit K ö p f e n auszufüllen. Das Hauptziel war also die Dekoration der F l ä c h e . Noch weniger r ä u m l i c h , zugleich aber in der F o r m noch unruhiger und pathe­ tischer ist ein anderer hoher, ovaler Sarkophag Treppenhaus

des Kapitolinischen

mit einer Löwenjagd,

Museums eingemauert ist.

71

der im

Mit dem Sarko­

phag Pallavicini-Rospigliosi verbindet ihn eng vor allem die Gestalt der Göttin Virtus, offenbar eine Wiederholung ihres neuen frontalen Typs, mit allen Details des dekorativen kunstvoll gefalteten Gewandes. Die Jagdszene ist verdichtet und auf die zentrale Gruppe des porträtierten J ä g e r s mit seinem berittenen Begleiter

85

und der personifizierten Virlus konzentriert; dieser Kern der h e r k ö m m l i c h e n Jagdkomposilion ist zwischen zwei L ö w e n p r o t o m e n angebracht. Schon diese beiden K ö p f e mit tief gebohrten, reichen M ä h n e n sind eine V e r k ö r p e r u n g des Grauens und

ihre dramalisch pathetische Darstellung war tlas h a u p t s ä c h l i c h e Ziel der

Bestrebung des K ü n s t l e r s . Unter jeder Protome befinden sich die symmetrischen Paare zweier L ö w e n und zweier L ö w i n n e n , die hintereinander aufgestellt sind und sich, indem sie sich auf den Hintertatzen emporheben, kreuzen. Unter den L ö w e n liegt noch die Leiche eines dritten. So beherrschen diese Symbole des Todes die ganze Szene. Vergleichen wir die von den Raubtieren her drohende Gefahr mit dem abwesenden Blick des J ä g e r s , der zum Himmel emporzublicken scheint, so sehen wir wieder den tiefen Gegensatz, der im 3. J h . zwischen der konkreten Wirklichkeit, den realen Naturbeziehungen und der neuen Abstraktion auftrat, deren R e a l i t ä t einer anderen symbolischen Ordnung unterliegt, die von der gewohnten Mimesis befreit ist. Zur Kompositionsweise der s p ä t a n t i k e n Form führt der Zerfall der plastischen F o r m auf einem Umweg als eine ihrer Quellen. Die M ä h n e n der L ö w e n und Pferde, sowie die Haare der J ä g e r — ausser dem Porträtkopf,

dessen Stil sich g e w ö h n l i c h von der Formensprache der übrigen

Reliefs unterscheidet — sind von den schwarzen Furchen des Bohrers durchgraben. Die beginnende A u f l ö s u n g der Form in den vierziger Jahren ist besonders in der Darstellung der Haare des berittenen Begleiters offenbar. Der Kopf ist gleichsam mit lodernden Flammen umgeben,

72

die wehenden Haare haben ihre K ö r p e r l i c h ­

keit verloren. Die stilistische Entwicklung ist an der ä u s s e r s t e n Grenze der Illusion der Wirklichkeit angelangt. Bei der U n m ö g l i c h k e i t diesen Weg fortzusetzen war der natürliche innere Selbstschutz und Ausweg eine Schliessung der Form, ihre Festigung. Weil jedoch unterdessen das G e f ü h l für das Organische an ihr abge­ stumpft war, bedeutete dies eine Erstarrung und eine Synthese auf einer ganz anderen Grundlage als bisher. Mit dem Zerfall der F o r m zerfiel am Ende der ersten Hälfte des 3. J h . auch der Raum, sogar noch schneller. Schneller deshalb, weil er in der Antike immer etwas N e b e n s ä c h l i c h e s gewesen war und nie die Bedeutung erlangt hatte, wie in der neuzeitlichen Kunst. Die Fortschritte der r ö m i s c h e n Kunst in dieser Richtung hatten niemals feste und dauernde Wurzeln. Auf dem kapitolinischen Jagdsarkophag werden die Gestalten zwar hintereinander gestaffelt, doch sind sie nur blosse Schemen der Vergangenheit. Was der Raum damals seiner Zeit t a t s ä c h l i c h bedeutete, ist klar aus dem Mantel des J ä g e r s er­ sichtlich, der wie ein S c h m e t t e r l i n g s f l ü g e l auf der Grundfläche liegt. Auch in der äusseren

Form, die noch vieles aus der traditionellen realistischen Darstellung

b e i b e h ä l t , zeigt sich deutlich eine Abkehr von dieser Welt; die aus der symbo­ lischen inneren F ü l l u n g des Themas ersichtlich ist. Der Sarkophag ist keine Be­ schreibung einer Jagdszene, er ist eine Allegorie. Die Form folgt langsam der Inhaltsauffassung. Der T y p der Göttin Virtus, wie wir ihn auf den Sarkophagen mit der L ö w e n -

86

jagd

Pallavicini-Rospigliosi oder im Kapitolinischen Museum

kennengelernt

haben, wiederholt sich auf den mythologischen Jagdsarkophagen. W i r finden ihn Ti

auf einigen Meleagrossarkophagen,

von denen wir den einszenigen Sarkophag

mit der Jagd auf den kalydonischen Eber aus dem pisaitischen

7i

Camposanto

a n f ü h r e n wollen. E r ist u n g e f ä h r im vierten Jahrzehnt entstanden, wie die Ana­ logie der Artemis mit der frontal aufgefassten Virtus auf dem Sarkophag Pallavicini beweist, andererseits Meleagros, der dem Achilleus vom

belvederisehen

Amazonensarkophag Nr. 49 nahesteht, oder die Dioskuren, die teilweise

(sie

haben eine andere als umrahmende Funktion) an dasselbe Paar auf dem Jagd­ sarkophag im P r ä t e x t a t m u s e u m erinnern, aber barocker sind und gegen die zu späte Datierung bis um das J . 240 sprechen. Neben den in dieser Zeit ü b l i c h e n formellen Merkmalen, wie

Räumlichkeit

und U n r ä u m l i c h k e i t

nebeneinander,

plastische eher optisch aufgefasste Form, Gestalten von natürlicher K ö r p e r l i c h k e i t und Beweglichkeit trotz des Mangels an realistischer P r o p o r t i o n a l i t ä t und Har­ monie, insbesondere

Oineus,

75

ist es notwendig, den symbolischen Inhalt der

ganzen H ä l f t e der Szene zu betrachten. T a t s ä c h l i c h e r z ä h l e n d — im Sinne der ä u s s e r e n Aktion — ist die rechte Hälfte, der Kreis, der den Eber umringenden Gestalten, die mit Meleagros und Atalante an der Spitze zum Angriff auf ihn ü b e r g e h e n oder eben aus der Jagd ausgeschaltet wurden, also die Schilderung der Jagd auf den kalydonischen Eber. Das G e g e n s t ü c k zu dem stehenden verwunde­ ten J ä g e r , der das Reliefband auf der rechten Seite abschliesst, bildet rechts Me­ leagros' Vater, K ö n i g Oineus, in ä h n l i c h e r Stellung vor dem Stadttor stehend. Oineus, der mit Bangen den Lauf der Geschehnisse

erwartet, ist der einzige

Mensch in dieser Hälfte des Sarkophags. Die anderen vier Gestalten sind Götter. Der D ä m o n des Todes Orcus,

76

die nach Meleagros ausdrucksvollste Gestalt der

ganzen Szene, schreitet von Oineus zur Mitte, also Richtung der Stelle, wo die Jagd stattfindet.

Sein gesenkter Blick verheisst nichts gutes. In der Mitte der

Gruppe befindet sich die Göttin der Jagd, Feindin Oineus'Geschlechtes, die den riesigen Eber nach K ä l y d o h i e n entsandt hat. Aus diesem Grunde kann man sie; nicht als eine Teilnehmerin an der Jagd betrachten, sondern sie ist einerseits die; Beobachterin von Meleagros' tragischem Ende, andererseits die Patronin der Jagd schlechthin. Der Kern des Themas, Jagd als die beliebteste m ä n n l i c h e Unterhaltung des R ö m e r s der Kaiserzeit, verursacht so die grosse Beliebtheil der Hippolytosund Meleagrossarkophage. Letztere übertreffen durch ihre Zahl noch die Hippolytossarkophage, weil den Menschen, die sich von irdischen Dingen abzuwenden begannen und dem Ubersinnlichen zuneigten, die mystische Weise Meleagros' Todes besonders gut gefiel. Auch die Dioskuren sind auf dem Sarkophag in Pisa keine Jagdteilnehmer, wie insbesondere aus der ekstatischen Haltung des linken von

ihnen, der die Augen zum Himmel wendet, zu ersehen ist, sondern es sind

symbolische Gottheiten des Lebens und des Todes, der Entstehung und des Unter­ gangs, wie wir sie von den Sarkophagen mit anderen Themen als die der Jagd

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kennen, z. B . aus dem e r w ä h n t e n Hochzeitssarkophag im R ö m i s c h e n National­ museum mit der S ä u l e n f r o n t aus dem zweiten Jahrzehnt des 3. J h . Wie die rechte H ä l f t e des Reliefs die Handlung erzählt, die Jagd auf den Eher, so sagt die linke ihren tragischen Ausgang, den T o d des Helden voraus. Das Bild des Sarkophags zerfällt in zwei Themen, in das Jagdthema und das Thema des Todes. Das mytho­ logische Ereignis ist, wie klar angedeutet wird, ein Werkzeug der h ö h e r e n Alle­ gorie. In das fünfte Jahrzehnt des 5. J h . g e h ö r e n zwei Löwenjagdsarkophage, voneinander wesentlich

unterscheiden.

die sich

Es sind dies ein Sarkophag im Palast

Mattei in Rom, der zum Unterschied von einem ä l t e r e n , sich dort gleichfalls be­ findlichen Sarkophag, kurz als Mattel II bezeichnet wird und der sog. Balbinussarkophag

in der Kopenhagener

Ny-Carlsberg-Glyplolhek.

77

Der Sarkophag

Mattei II ist typisch r ö m i s c h und fortschrittlich, w ä h r e n d der Kopenhagener be­ stimmte traditionelle griechische oder ältere g r i e c h i s c h - r ö m i s c h e Z ü g e aufweist. Wie der Sarkophag Pallavicini hat auch der Sarkophag Mattei II zwei Szenen, die jedoch zueinander in einem anderen Verhältnis stehen, als es früher der Fall war. Dort der Auszug aus der Stadt und die Jagd selbst, liier der Verstorbene einmal in voller R ü s t u n g als Feldherr, dem ein Soldat das ruhig stehende Pferd' hält, ein anderesmal in b ü r g e r l i c h e r Kleidung als J ä g e r . Dort war die erste Szene ein blosses Vorspiel zur Jagd, die nur etwa ein Viertel der F l ä c h e einnahm, hier die s e l b s t ä n d i g e Szene auf der ganzen H ä l f t e , die mit der Jagd nur sehr lose z u s a m m e n h ä n g t . Virtus, zu deren F ü s s e n ruhig ein Hund liegt und die H ä u t e der erlegten Tiere bis in den Hintergrund ausgebreitet sind, ist nicht mehr Be­ gleiterin auf der Jagd, wie sie die L ö w e n j a g d s a r k o p h a g e von den mythologischen Jagdsarkophagen ü b e r n o m m e n hatten, sondern die Personifikation der Tüchtig­ keit des Mannes im Kriege, auf der Jagd und im öffentlichen Leben. Aus dem heroisierten Jagdsarkophag mit

mythologischen

Begleitern

ist

nach

dreissig-

jähriger Entwicklung ein fast realistisches Bild aus dein Leben eines r ö m i s c h e n H e e r f ü h r e r s geworden. Lediglich die Göttin, die bei den R ö m e r n so beliebte Ver­ k ö r p e r u n g eines abstrakten' Begriffs, weicht von der Wirklichkeit ab, zum Teil auch die langen Haare des berittenen Begleiters des J ä g e r s . Ihre unruhige Flam­ menform ist, wie Rodenwaldt

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gezeigt hat, ein wichtiges Hilfsmittel bei der

Datierung des Sarkophags in das fünfte Jahrzehnt des 3. J h . Die Ruhe der linken Hälfte des Reliefs bildet, wie es den Motiven entspricht, einen Gegensatz zu den erregten Gesten und G e f ü h l e n der rechten Hälfte. Der schroffe Realismus des zu Boden gesunkenen J ä g e r s , verbunden mit einem barocken Pathos, hat in dem • Soldaten

mit dem H e l m nur ein schwaches G e g e n s t ü c k . Die N ä h e der S p ä t a n ­

tike ist am meisten aus den schlecht proportionierten Gestalten, die niedrig, ge­ drungen und s c h w e r f ä l l i g sind, zu fühlen. Die Beine sind ungelenk und säulenartig. Die

Stellung des H e e r f ü h r e r e s und der Göttin ist starr. Der Kontrapost, das

charakteristischste Element stehender Gestalten der g r i e c h i s c h - r ö m i s c h e n Antike,

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der ihnen harmonisches Gleichgewicht erteilte' und Leichtigkeit und Beweglich­ keit verlieh, ist hier nur mehr in ä r m l i c h e n Resten erhalten. Die hart geschnittene lineare Draperie und der Raum, trotz Andeutungen der Umgebung von nur geringer Tiefe, sind am Ende der ersten Hälfte des 3. J h . keine Ü b e r r a s c h u n g . In der optischen Auffassung der F o r m kehrt diese Zeit zum Ende 2. J h . zurück, verfährt dabei jedoch mit weit grösserer Konsequenz. Weist der Sarkophag Mattei II mehr in die Zukunft, so ist der Kopenhagener sog. Balbinussarkophag

Gipfelpunkt und Beendigung der Vergangenheit, der auf­

steigenden Bahn des r ö m i s c h e n Barocks von siebziger Jahren des 2. J h . begin­ nend, ja man kann sogar allgemein sagen Gipfelpunkt der Entwicklung des grie­ c h i s c h - r ö m i s c h e n Reliefs, wie seine Bahn von der hellenistischen Zeit angedeutet wurde.

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Der Sarkophag ist von niedrigem, langgezogenem und klassischem T y p .

Die Gestalten zumeist im Profil dargestellt, bewegen sich vor der festen Grund­ fläche, die an vielen Stellen deutlich durchscheint. Im Stil des

hellenistischen

Realismus ist am Rande die landschaftliche Umgebung mit einem schmalen, von Tieren belebten, felsigen Band angedeutet, nicht ohne bestimmten idyllischen Anflug, aber auch mit idealistischer V e r k ö r p e r u n g der Gottheit jenes Gebietes. Die Jagdszene, die in den Stellungen der Figuren, in ihrem Profil, das Vorbild des klassizistischen

Sarkophags Mattei I nicht verleugnet, ist vor allem durch die

Steigerung des Eindrucks, die A n h ä u f u n g verschiedener wilder Tiere, die von den J ä g e r n gehetzt werden, auffallend. Den unteren Teil des Reliefs bildet ein z u s a m m e n h ä n g e n d e s Band von toten, fallenden, gehetzten oder hetzenden Tieren. E i n L ö w e mit reicher wehender M ä h n e ragt unter ihnen besonders hervor. Die Haare sind im ü p p i g entfalteten Flammenstil dargestellt.

So wie die unruhige

Komposition mit Objekten überfüllt ist, so ist es auch die materielle Form, eine Mischung von plastischer und malerischer, v o m Lichte bestimmter Auffassung, die ü b e r w i e g t und sich stellenweise an der Grenze des Zerfalls bewegt. Das Detail des Kopfes des zweiten J ä g e r s l i n k s

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zeigt nicht nur eine unruhige und vollkom­

men u n p l ä s t i s c h e Modellierung, vgl. das tiefe Loch des Bohrers im rechten Auge, sondern auch einen derart, bis zur expressionistischen,

der H ä s s l i c h k e i t huldi­

genden Karikatur, gesteigerten Realismus, dass wir ein ä h n l i c h e s Beispiel viel­ leicht nur auf dem grossen Ludovisischen Schlachtensarkophag in den K ö p f e n einiger Barbaren finden. Der gemeinsame Nenner der Sarkophage am Ende der ersten H ä l f t e des 3. J h . u. Z. ist die optische Art der Darstellung der Form, die uns schon seit dem Ende des 2. J h . bekannt ist und die sich einmal mit der barocken, dynamischen, ein anderesmal wieder mit der erstarrenden nicht orga­ nischen Form verbindet. Die impressionistisch gesehene F o r m dringt mehr oder weniger in dem Masse durch, wie und mit Avelcher Kraft sich die klassizisierende, griechisch-plastische Tradition äussert. Zuweilen ist sie sehr stark, wie man z. B . auf dem Amazonensarkophag im vatikanischen Belvedere Nr. 5 4 ,

81

wo g r ö s s t e n ­

teils nur die Haare und M ä h n e n illusionistisch dargestellt sind, oder auf dem

89

82

grossen Endymionsarkophag in Woburn A b b e y , dessen Gestallten klassizistisch, aber von verschiedenen Dimensionen sind, sehen kann. Auch in der mit Gestalten ü b e r f ü l l t e n Komposition vielfältig abgestuften

Geländes — zusammenhängende

Bodenwellen mit Herde —werden die r ö m i s c h e n Traditionen der ersten Hälfte des 3. J h . fortgesetzt. A n anderen Stellen ü b e r w o g dagegen vollkommen der zeich­ nerisch-malerische Stil. E i n typisches Beispiel ist der neapolitanische Sarkophag, der eine Szene aus der Sage von Endymion und Selene schildert. Wenn wir diesen Sarkophag mit einem arideren desselben Motivs aus der Zeit des Septimius Severus, z. B. im Kapitolinischen oder Lateranischen Museum vergleichen, finden wir in der Komposition und der Auffassung des Raumes ( ü b e r e i n a n d e r verlaufende G e l ä n d e w e l l e n , aber nicht verbunden, sondern isoliert) keinen wesentlichen Unter­ schied. Wenn wir jedoch die einzelnen Gestalten betrachten, stellen wir einen deutlichen Verlust an Plastizität und unmittelbarem Verkehr mit der Natur fest.' Die

Gestalten sind meist f l ä c h e n h a f t und weich modelliert, Haare, Barte und

M ä h n e n sind Ansammlungen von schwarzen und hellen Flecken, die an sich keine volle R e a l i t ä t besitzen; die stark bewegten Falten der Draperien wirken vor

allem durch die Linien und die Kontraste der Schatten. Der Umriss des

K ö r p e r s ist betont, besonders g e g e n ü b e r der Draperie. So wirkt das Relief, das den Eindruck eines plastischen Bildes erweckt, h a u p t s ä c h l i c h durch w e l l e n f ö r m i g e Linien und den Wechsel der Lichtwerte. Der Realismus lebt hier in früher ge­ schaffenen, aber innerlich bereits toten Typen und Werten aus. F ü r die Entwicklung

des Sarkophagreliefs

von der Zeit Caracallas bis zur

Grenze der ersten und zweiten Hälfte des 3. J h . u. Z. halle' die klassizistische Reaktion, die sich als Antwort auf den Zerfall der F o r m und ihrer Barockisierung bereits unter der Regierung Septimius Severus geäussert hatte, eine grosse Bedeutung. Auf den Sarkophagen des zweiten Jahrzehnts brachte sie vor allem eine plastischere Auffassung, eine Beruhigung der F o r m und der Komposition und traditionelle griechische Typen der Gestalten, deren Wurzeln bis in die klassi­ sche Zeit reichen. Die dynamischen und illusionistischen formellen Elemente sind nicht verschwunden, sondern nur mehr oder weniger beiseite gerückt. Es g e n ü g t daran zu erinnern, dass die statischen Rahmenfiguren der Sarkophage sich eben unter dieser Beruhigung der Komposition v e r ä n d e r t e n und sich durch ihre Be­ wegung in die Handlung eingliederten. Der Gegenstoss war unausbleiblich, da die r ö m i s c h e A n k n ü p f u n g an das hellenistische Entwicklungsstadium und seine Fort­ führung zu schnell vor sieh ging und sich nicht mit der Vergangenheit, die immer noch ziemlich stark war, auszugleichen vermochte, wenn sie gleich an innerem Leben verlor und sich nur durch die Tradition in ü b e r n o m m e n e n Schemata auf­ recht erhielt. Diese Abgestorbenheit und mechanische Wiederholung von Vor­ bildern ohne die Lebendigkeit der n a t ü r l i c h e n Realität, die ü b e r d i e s noch durch rapide Abnahme der Tätigkeit der Kopisten, trotz einer kurzen Belebung in dieser Zeit, erschwert wurden, führten zu einem h ö l z e r n e n und unorganischen

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Aussehen der Gestalten, einer Starrheit in den Stellungen, kurz zur Vorstellungs­ form, der S p ä t a n t i k e , die durch das B e d ü r f n i s des Gedankenausdrucks und nicht der Nachbildung der objektiven n a t ü r l i c h e n R e a l i t ä t bestimmt ist. Schon seil dem zweiten Jahrzehnt des 3. J h . nehmen die Symbole zu und die mythologi­ sche Handlung verliert ihre Bedeutung. A n erster Stelle steht die Verehrung des Toten, dessen Porträt jetzt zum Unterschied vom 2. J h . auch bei den Hauptge­ stalten des mythologischen Sarkophags sehr h ä u f i g ist. So verwandeln sich die Amazonomachien ganz zum G e f ü h l s d r a m a von Achilleus und der verwundeten Penthesileia, beide tragen die Z ü g e der toten Gatten, wobei der Kampf der Grie­ chen mit den Amazonen fast nur zur n e b e n s ä c h l i c h e n Dekoration wird. Auf dem lateranischen Adonissarkophag I sitzen die Gatten, an Grösse die ü b r i g e n Ge­ stalten ü b e r r a g e n d , in der Mitte mit einer r e p r ä s e n t a t i v e n ehrfurchterregenden Gelassenheit ohne R ü c k s i c h t auf den wirklichen Verlauf der Handlung (die Jagd ist erst die n ä c h s t e Szene) und ihre Wahrscheinlichkeit, Adonis soll t ö d l i c h ver­ wundet sein. Auf dem S ä u l e n s a r k o p h a g im Nationalmuseum in R o m mit der dextrarum iunetio, wo allerdings die Einteilung der Zierfläche durch S ä u l c h e n behilflich war, befindet sich im mittleren Feld die P o r t r ä t g r u p p e der Gatten, in den Seitehfeldern nur symbolische, das Leben und den T o d v e r k ö r p e r n d e Ge­ stalten. Diese Ehrfurcht vor dem Toten, der die Handlung untergeordnet ist, eine Ehrfurcht, die sich ebenso wie die zentrale Komposition auch auf die bildende F o r m auswirkt, zeigt den dauernden Einfluss der v o l k s t ü m l i c h e n Kunst, die in der Zeit Trajans ihren Anfang nahm und unter M . Aurel, aber noch mehr unter Commodus und Septimius Severus, anwuchs. Man erinnere sich bereits an das unter Trajan entstandene Grabrelief mit den W e t t k ä m p f e n im Zirkus, die nur eine E r g ä n z u n g der tatsächlich monumentalen Gestalt des Verstorbenen — trotz der kleinen Ausmasse des Reliefs

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— sind. Das Wirken der Volkskunst, die die

alten etruskisch-italischen Traditionen fortsetzt, ist auch aus dem Realismus er­ sichtlich, mit dem auf dem Relief die Barbaren oder die halbbarbarischen Land­ bewohner geschildert sind. Die Gestalten des Mythos, besonders

die Heroen,

sind mit festen Banden an die griechische Vergangenheit gefesselt, sodass sie rea­ listischen Elementen schwer z u g ä n g l i c h waren. In der weiteren Entwicklung, im dritten Jahrzehnt, nimmt der Realismus und die Steigerung des G e f ü h l s a u s d r u c k s bei Barbaren zu. Ebenso verstärkt sich die Bewegung der Draperie, die zusammen mit dem Pathos des Ausdrucks und der unruhigen plastischen Modellierung den sonst nicht besonders beweglichen • Gestalten eine dramatische Regung verleiht. Diese sind oft dem Beschauer zugewandt, die älteren Profiltypen gehen in. die Vorderansicht über. Die Handlung wird nicht mehr nur erzählt, sie ist keine blosse Dekoration, sondern es wird der Kontakt zwischen dem Beschauer, mit dem der K ü n s t l e r bereits rechnet, und dem Gedanken geschaffen, den das Relief a u s z u d r ü c k e n hat. Manche stilistische Elemente, die früher auf den mythologi-

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sollen, traditionell g r ä z i s i e r e n d e n und konservativen Sarkophagen nur selten auf­ traten, werden jetzt auch hier häufiges- oder häufig, z. B . die D i s p r o p o r t i o n a l i t ä t oder die Ubereinanderslaffelung der Figuren. Die Amazonensarkophage, bei de­ nen die Mittelgruppe des Achilleus mit der A m a z o n e n k ö n i g i n besonders hervor­ gehoben wurde, glichen zusammen mit dem hohen Format, ihrer Komposition den realistischen Schlachtensarkophagen an und reihen nach ihrem Vorbild die Gestalten in mehrere Schichten ü b e r e i n a n d e r . Die Raumtiefe nahm weiterhin ab, die Gestalten sind der flachen Schicht angeglichen und das oft auf eine gewaltsame Weise; Andeutungen eines tieferen Raumes sind, soweit noch vorhanden, mehr ü b e r l e b t e Schemen. Die Kunst wendet sich langsam aber sicher mehr und mehr von der Nachahmung der Natur ab und beginnt eine eigene Sprache zu sprechen, indem sie nach starkem Ausdruck strebt. Dem passt sich auch die Bemalung des Sarkophags an, wo der expressive Kontrast des weissen Marmors der Haut und des auf Haare, M ä h n e n , T e i l s t ü c k e von Waffen usw. aufgetragenen

Goldes in

Erscheinung zu treten beginnt. Die Entwicklung auf den Sarkophagreliefs, wie wir sie im vierten und fünften Jahrzehnt verfolgt haben, entfernt sich immer mehr von der griechischen plastischen Form, die durch die r ö m i s c h e

optische

Auffassung ersetzt wird. Das Bohren nimmt zu. Der Bohrer zerlegt das materielle Volumen in helle und dunkle Flecken oder g r ä b t die tiefen Falten der Draperie. Auf der einen Seite Impressionismus und Linearismus, auf der anderen Starrheit in der Stellung mit ä r m l i c h e n Resten oder eher einer Karikatur des Kontraposts zugleich mit der bewegten Draperie und gesteigertem Pathos im Ausdruck des Gefühls, das sind die wichtigsten Merkmale der Gestalten r ö m i s c h e r Sarkophage in der ersten Hälfte des 3. J h . Die Entwicklung des Reliefs war an der ä u s s e r s t e n Grenze des Realismus angelangt, hatte alle seine M ö g l i c h k e i t e n erschöpft und stand an der Schwelle der unrealistischen Form. Die Beziehungen der Wirklich­ keit werden nicht beachtet, der Blick des J ä g e r s richtet sich trotz der N ä h e des schrecklichen Raubtiers zum Himmel, genau wie der des Daniels in der L ö w e n ­ grube. Die Allegorie, das Symbol beginnt die e r z ä h l e n d e H a n d l u n g

85

zu ver­

d r ä n g e n . V o r uns steht die Zeit der Philosophen und Musensarkophage und sie war nicht unvorbereitet. Auch ihr G r ä z i s m u s ist ein Widerhall ü b e r w i e g e n d r ö ­ mischer formeller Mittel, auch wenn diese zuweilen mit der klassizisierenden Auffassung der Gestalt Hand in H a n d gehen. Wenn wir uns b e m ü h e n , B e r ü h r u n g s p u n k t e oder wieder Unterschiede zwischen Porträts

und Sarkophagreliefs

zu finden, historische Reliefe, die früher in der

Entwicklung f ü h r e n d waren, fehlen, sehen wir, dass die freien Porträts fortschritt­ licher und mehr der Zukunft, der S p ä t a n t i k e zugewandt sind, die Sarkophag­ porträts pflegen mehr konservativ zu sein. Die klassizistische Reaktion in der Porträtplastik führte zu einer Schliessung und zugleich Kubisierung der Masse. Die Bewegung, gleichviel ob aus der illusionistischen Auffassung der F o r m oder dem Ausdruck der Gefühle hervorgegangen, ist an der Oberfläche geblieben und

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d r ü c k t sich durch A u f l ö s u n g der F o r m durch das Licht aus, oder sie hat sich im Inneren verborgen, vgl. geistige Regung. Die stereometrische, zentripetale Grund­ form des Kopfes wurde nicht gestört. Auf den Sarkophagen sah es jedoch ein wenig anders aus. Das Porträt, ebenso wie das historische Relief, sind die eigentli­ chen D o m ä n e n der r ö m i s c h e n Kunst. Im Sarkophagrelief jedoch, das fest mit der griechischen Tradition verbunden war, war der realistische Ausgangspunkt der Kunst, die sich auf die Nachahmung der Natur stützte, immer noch in dem Masse lebendig, dass die Erstarrung der F o r m nur teilweise und langsam vor sich ging, deutlicher erst vom Ende des vierten Jahrzehnts, also von der Zeit, wo auch im P o r t r ä t nach dem J . 235 ein grosser Schritt vorwärts, gemacht wurde. Der barocke Illusionismus, die offene dramatisch erregte Bewegungsform, beherrscht die Sarkophage in der ersten H ä l f t e des 3. J h . ebenso, wie unter den letzten Antoninen und Septimius Severus. Ja, seit dem zweiten Jahrzehnt nach der Reaktion des G r ä z i s m u s nimmt die barocke Dynamik noch zu, auch wenn sie sich weniger in der Bewegung der K ö r p e r , als in den wehenden Haaren und G e w ä n d e r n , die oft kunstvoll drapiert sind, im pathetischen Ausdruck und der ü b e r f ü l l t e n Komposition äussert. In den Porträts und auch auf den Sarkophagen verbindet, sich der Impressionismus

mit einem Expressionismus im weitesten

Sinne des Wortes. Ä u s s e r s t realistische, veristische Bildnisse, die sich jedoch be­ m ü h e n , den geistigen Ausdruck in bestimmte Teile des Gesichts zu konzentrieren, neigen zum abstrakten Schema. Ihr Ausdruck uniformiert sich, wird zur gemein­ samen Sprache, die die unerfreuliche Zeit, voll Unsicherheit und Verwirrungen, ausdrückt. Die individuellen Z ü g e des Einzelnen verbinden sich mit dem kollek­ tiven Ausdruck der Zeit. Ä h n l i c h beobachten wir auch auf den Sarkophagen, wie sich die Symbole mehren, wie die Form, die nichtbildnerischen Ideen, wie der Totenverehrung, der auch das Mythus unterliegt, und der Beziehung zum Be­ schauer untergeordnet ist, sich von der Naturwirklichkeit abwendet,

die nicht

mehr nachgeahmt wird, sich stilisiert und nach dem beabsichtigten Ausdruck richtet. Uber den Sinnen und der Mimesis steht die abstrakte, irrationale geistige Konzeption. Die Dienstbarkeit der F o r m dem Ausdruck h ä n g t mit der allgemei­ nen z e i t g e n ö s s i s c h e n Abkehr vom sensualistischen

Realismus zum supranatura­

listischen Spiritualismus zusammen, aber auch mit der Volkskunst, wo der Inhalt vor der Form steht, und die, wie wir schon früher gezeigt, haben, auf die offizielle Kunst in der Zeit Trajans zu wirken begann. Der Einfluss der Volkskunst nahm in den letzten Jahrzehnten des 2. J h . b e t r ä c h t l i c h zu und ihr Ausgleich mit der offiziellen Kunst im 3. J h . war ein bedeutendes Moment in der Entwicklung zur S p ä t a n t i k e . Wenn am Ende der Regierung der Antoninen und unter Septimius, Severus eine entschiedene Wende zur S p ä l a n t i k e eintrat, bezieht sich dies vor allem auf das historische Relief. In nur b e s c h r ä n k t e m Masse ä u s s e r t e sie sich auf den realistischen Schlachtensarkophagen, die unter.dem Einfluss der historischen D e n k m ä l e r standen, noch weniger auf mythologischen Sarkophagen, vor allem

93

in der subjektiven manierislischen D i s p r o p o r t i o n a l i t ä t ,

und ebenso wenig i m

Porträt, Aus der ersten Hallte des 3. J h . haben sich, nach dem Tor der Argcntarier aus dem Jahre 204, keine historischen Reliefs erhalten, dafür stand das Porträt im Vordergrund der Kutwicklung. Die klassizistische Festigung der plasti­ schen Form und die K l ä r u n g der Komposition führten zugleich zur Erstarrung, zum

Reihen der Glieder in der Komposition und zur Steifheit des plastischen

Kernes. G e g e n ü b e r dem ü b e r w i e g e n der konkreten Form am Ende des 2. J h . beobachten wir in der ersten Hälfte des 3. J h . , besonders an ihrem Ende, ein Zunehmen au Abstraktion, an subjektiven expressionistischen

Elementen. Die

Plastik entfernt sich immer mehr von der objektiven Realität. Trotz der Vorsicht, die beim Vergleich mit anderen Kunstgattungen geboten ist, lässt sich eine pa­ rallele Entwicklung auf einem anderen Gebiet der bildenden Kunst anführen, n ä m l i c h in der Malerei. Diese verwarf in der ersten H ä l f t e des 3. J h . in der Wandmalerei vollkommen die traditionelle A u s s c h m ü c k u n g

durch architekto­

nische Glieder und ersetzte sie durch eine rein abstrakte, lineare.

86

In der figura-

len Malerei verband sich, ä h n l i c h wie in der Bildhauerei, der Impressionismus mit dem

Expressionismus, w o f ü r z. B. die adlocutio an der Decke der Gruft des

Clodius Hermes unter der St. Sebastianskirche in Rom, die sog. Himmelfahrt, einen guten Beweis liefert. "Wie wir sehen, begann im 3, J h . der allgemeine Antritt der letzten Phase der antiken Kunst, die sich von der griechischen realis­ tischen Form bereits weit entfernt hat und auf der Linie einer s e l b s t ä n d i g e n r ö m i s c h e n stilistischen Entwicklung liegt. Diese Entwicklung, die sich an die hellenistische Kunst knüpft, äusserte sich markant um die Hälfte des 1. J h . u. Z . und hat sich seit den Anloninen ohne Unterbrechung weiterentwickelt. Wenn es m ö g l i c h ist, die zweite Hälfte des 1. J h . als die Zeit des klassischen Illusionismus zu bezeichnen, so ist die Zeit von M . Aurel bis u n g e f ä h r zur Hälfte des 3. J h . eine Epoche des barocken Illusionismus, der nur am Beginn des 3. J h . durch die Widerbelebung der griechischen plastischen Form e i n g e d ä m m t wurde. Diese Reaktion, die durch die Ü b e r s t ü r z u n g der Entwicklung mit einein allzugrossen Kontrast zwischen der fortschrittlichen und der konservativen S t r ö m u n g , deren v o r ü b e r g e h e n d e S t ä r k u n g sie verursachte, hervorgerufen wurde, war bald ü b e r ­ wunden und trug so zu dem umso entschiedeneren Antritt der S p ä t a n t i k e bei. Wenn die erste Epoche des barocken Illusionismus vor Caracalla trotz der deutli­ chen Wende zur S p ä t a n t i k e in einem Teil des historischen Reliefs vor allem eine Entfaltung der hellenistisch-flavischen Entwicklung war, so bedeutet seine zweite Epoche den Sieg dieses radikalen Weges, eine definitive Niederlage der Vergan­ genheit und die allgemeine Formierung der S p ä t a n t i k e . Diese zweite Hälfte des barocken Illusionismus

85

mit einer grossen Anzahl unrealistischer expressionis­

tischer Elemente ist die eigentliche Zeit des Ubergangs zur S p ä t a n t i k e , der in den fünfziger bis siebziger Jahren des 3. J h . vollendet wurde. Die vom Illusionismus zerlegte, im Grunde jedoch stereometrische Form, das ist zusammen mit der

94

neuen geistigen Einstellung, die zum Symbol und zur Abstraktion neigt, das Ver­ m ä c h t n i s der ersten H ä l f t e des 3, Jh. an die Zeit des Gallienus. In der Ausein­ andersetzung der Schichten der r ö m i s c h e n k ü n s t l e r i s c h e n Struktur sieht man be­ reits deutlich die Erstarrung des klassischen realistischen Elements und den Sieg der heimischen u r s p r ü n g l i c h v o l k s t ü m l i c h e n nicht r e p r ä s e n t a t i v e n S t r ö m u n g , die durch die Provinzialisierung der h ö h e r e n r ö m i s c h e n Schichten unterstützt wurde. Die allgemeine schwere Krise auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens, die sich äusserlich vor allem in der politischen Unsicherheit und der raschen Kolge der Herrscher zur Zeit der sog. M i l i l ä r a n a r c h i e auswirkte, führte zu der absoluten Ü b e r l e g e n h e i t

des Irrationalismus, der in der heimischen

bäuerlich

konservativen Tradition, die sich schon seit der Zeil der Republik z ä h e erhielt, s t ä n d i g eine bedeutende Stellung einnahm.

89

95

VI DIE

AUSPRÄGUNG VON

DER SPÄTANTIKE

GALLIENUS

ZU PROBUS

Die letzte Epoche vor der S p ä t a n t i k e ist a n n ä h e r n d die Zeit nach dem J . 250, die u n g e f ä h r bis zur Wende der siebziger und der achtziger Jahre reicht. Begrenzt wird sie g e w ö h n l i c h nach den ä u s s e r e n politischen Ereignissen mit dem J . 253, dem Regierungsantritt Valerians, der seinen Sohn Gallienus zum Mitregenten und zweiten Augustus bestimmte, und dem .1. 284, als im Osten Diocles-Diocletianus, der grosse Reformator des l ä n g s t schon wenig festen Imperiums, das u n f ä h i g ge­ worden war, dem schweren Ansturm der von allen Seiten a n d r ä n g e n d e n Nach­ barn, deren geschichtliche

Bedeutung zu wachsen begann, zu widerstehen, im

Osten zum Kaiser ausgerufen wurde. Die fünfziger bis siebziger Jahre haben ihren Schwerpunkt in der Regierung Gallienus, die 15 Jahre bis in das J . 268 dauerte, eine seltene Erscheinung im dritten Jahrhundert. In ihrem zweiten Teil, der bereits in die Zeit der Tetrarchen ü b e r g e h t , hatte die straffe Regierung Aure­ lians, des Erneuerers der unter Gallienus verlorenen Einheil des Reiches, eine grössere Bedeutung. Aus der Zeit zwischen 250—280 haben wir keine historischen Reliefs mit Ausnahme eines mit der Opferung des Claudius Gothicus im National­ 1

museum in Rom, dessen Datierung durch L'Orange mit dem J . 270 sehr wahr­ scheinlich ist. Wollen wir uns ein Bild von der Entwicklung der r ö m i s c h e n Bild­ hauerei machen, m ü s s e n wir uns mit der Porträtplastik und mit Sarkophagreliefs b e g n ü g e n , die auch in dieser Zeit in ziemlich grosser Zahl vorhanden sind; ihre chronologische Eingliederung ist jedoch oft strittig, besonders am Beginn und am Ende dieser Epoche. Nach dem Tode Decius im J . 251, dessen Porträts

für uns der beste Beweis

für den Stand der P o r t r ä t k u n s t um die Mitte des Jahrhunderts sind, die Verismus mit Illusionismus und einem teilweisen Expressionismus verbindet, haben wir eine sichere und g r ü n d l i c h e Vorstellung erst von den Porträts des Gallienus, da wir seine V o r g ä n g e r , seinen Vater Valerianus nicht ausgenommen,

z u v e r l ä s s i g nur

von M ü n z e n her kennen. Decius' Nachfolger, dem perusischen Patrizier Trebonianus Gallus, werden zwar einige Porträts zugeschrieben, besonders die NewYorker kolossale Bronzestatue, ihre Identifikation ist jedoch nicht z u v e r l ä s s i g .

96

2

Die Form der New-Yorker Bronzestatue — ebenso wie eines Kopfes im Vatikan — steht den fortschrittlichen Bildnissen um die Mitte des 3. J h . nahe, es ist ein geschlossener Block, unplastisch, mit graphisch a u s g e f ü h r t e n Details. Die M ü n z e n des Trebonianus Gallus unterscheiden sich stilistisch nicht von den M ü n z e n des 3

Decius. Die Porträts

des Gallienus, der von 253 bis 268, bis zum J . 260 aller­

dings gemeinsam mit seinem Vater Valerianus regierte, sind zahlreich und werden 4

in zwei Gruppen eingeteilt. Porträts aus den fünfziger Jahren, die den j ü n g e r e n T y p eines reifen Dreissigers darstellen, und Porträts aus den sechziger Jahren, mit dem T y p eines fünfzig Jahren sich n ä h e r n d e n Mannes. Die Datierung dieser beiden Typen in die fünfziger und sechziger Jahre entspricht ä h n l i c h e n Typen 5

auf M ü n z e n . Was die k ö r p e r l i c h e n Merkmale betrifft, unterscheiden sie sich von­ einander vor allem dadurch, dass der erste T y p entgegen dem breileren des zwei­ ten Typs ein l ä n g l i c h e s Gesicht hat. Die Haare sind v e r h ä l t n i s m ä s s i g kurz und schlicht, nach der Art der vierziger Jahre, g e g e n ü b e r den langen, reichen Locken und dem ü p p i g wachsenden Bart des zweiten Typs, wo eine offensichtliche Anleh­ nung an die griechische Mode zu beobachten ist. Diese ä u s s e r e Hellenisierung äusserte sich in noch auffälligerer Weise in der formellen Darstellung. Nach dem stark in die Tiefe durchmodellierten Gesicht.des Decius, dessen optische

Auf­

fassung der plastischen Masse bis zu ihrem Zerfall führte, sehen wir schon auf dem ersten T y p des j ü n g e r e n Gallienus eine neue Festigung, die deutlich an die g r ä z i s i e r e n d e Reaktion im ersten Viertel des 3. J h . erinnert. Nach der gesteigerten Romanisierung des zweiten Viertels kam ein neuer Gegenstoss, zum Teil als Antithese der Entwicklung, zum Teil als Ergebnis des' Filhellenismus des Herr­ schers, Gallienus, der Freund und m ä c h t i g e r F ö r d e r e r Plotins, der schon seit den vierziger Jahren in R o m lebte, wurde gewissermassen ein zweiter Hadrian und trug durch seine Vorliebe für alles griechische wesentlich zur neuen Renaissance 6

bei. Gallienus' Bildnisse im Kapitolinischen Museum oder in den Berliner Staat­ 7

lichen Museen, die zum ersten T y p g e h ö r e n , sind fest plastisch gebaut, Bart und Haare sind mit dem Meissel ohne Anwendung der Bohrers plastisch modelliert, wenn auch nicht hoch und wenig geteilt, die G e s i c h t s z ü g e sind in idealisierender V e r k ü r z u n g festgehalten, der Ausdruck des Gesichts ist ruhig, ohne Erregung. Die Ubereinstimmung mit den g r ä z i s i e r e n d e n Porträts Elegabals oder Alexander Severus' ist gross, nur die Struktur der Knochen ist deutlich fühlbar und der K ö p f ist kantiger, vgl. auch im Profil den scharfen Ubergang der Vertikale der Stirn in das Oval des Schädels., In diesen Resten eines lebendigen

realistischen

F ü h l e n s , das zusammen mit der g e g e n s ä t z l i c h e n massigen Neigung zur Stereometrisierung und zum Unorganischen zum Grossteil ein Erbe aus der vorherge­ henden Zeit ist, beobachten wir eine r ö m i s c h e Entwicklungskomponente. Der Klassizismus dieser Porträts ist typisch r ö m i s c h und zugleich nicht ohne Anzei­ chen der sich n ä h e r n d e n S p ä l a n t i k e . F ü r die Behauptung Rodenwaldts, dass es sich hier um eine R ü c k k e h r zum augusteisch-claudischen

7

Spisy F F , e. 101

Klassizismus

8

handelt.

97

finden wir jedoch keine Gründe. Es ist eine Reaktion der griechischen Kompo­ nente in der Entwicklung der r ö m i s c h e n Bildhauerkunst, die ebenso die Spuren der eben vergangenen Epoche der Romanisierung trägt, wie die des vorherge­ henden G r ä z i s m u s . Wenn trotzdem hier und dort der ältere r ö m i s c h e augusteische oder hadrianische Klassizismus wirkte, so war ihr Einfluss im grossen und gan­ zen vereinzelt und fügte sich in den Rahmen des Klassizismus der Zeit von Septimius Severus bis Alexander Severus ein. Der zweite T y p der Gallienus-Porträts, der sich ebenfalls in einigen Repliken

9

erhalten hat, steht der S p ä t a n t i k e viel n ä h e r als der erste und bedeutet eine wichtige Stufe zu ihr. Der Bau des Kopfes ist noch mehr vereinfacht, die letzten Reste des wirklich lebendigen Realismus sind verschwunden. In Bart- und Haar­ tracht, die wie unter Hadrian stark plastisch sind, aber zugleich in sich geschlos­ sen, herrscht eine Ordnung der Symmetrie, der sich auch die stilisierten Falten an der Stirn unterordnen. Das Gesicht setzt sich aus grossen F l ä c h e n zusammen, die ohne U b e r g ä n g e aneinanderstossen: Die kubische, ikonisch zu einem prunk­ vollen Hieratismus erstarrte Form ist die Grundlage der s p ä t e r e n Bildnisse Gallienus' und zugleich ein V e r m ä c h t n i s der Zukunft, die von derselben Art ist. Bedeutete der erste T y p mehr oder weniger nur eine Wiederholung der älteren Entwicklungsstufen, wenn auch in einer ein wenig neuen Verbindung, so ist der zweite T y p der S c h ö p f e r neuer Werte, ein p r ä g n a n t e r Wegweiser v o r w ä r t s zur Kunst unter der Regierung der Tetrarchen. Unter den erhaltenen Belegen des Typs des älteren Gallienus sind die Q u a l i t ä t s u n t e r s c h i e d e ganz deutlich bemerk­ bar. A m wertvollsten ist unter ihnen ein Kopf im Nationalmuseum in R o m

1 0

mit

•verhältnismässig weicher Ausarbeitung der O b e r f l ä c h e und ziemlich natürlicher Darstellung der Haare. Jedoch die Stereonietrisierung, die nicht verbundenen grossen F l ä c h e n , die Stilisierung, Symmetrie, Ornamentalisierung und Geschlos­ senheit der Masse, sowie der ganze Eindruck einer festlichen Starrheit sind allen gemeinsam. Bei den weniger wertvollen Werken sind diese Merkmale in noch grösserem

Masse vorhanden. W i r m ü s s e n uns jedoch bewusst ,sein, dass der

Ausdruck i,werlvoll" hier nicht ganz am Platze ist, weil bei einer solchen Wertung der realistische Standpunkt ü b e r w i e g t und die Ziele, die sich in der k ü n s t l e r i s c h e n Entwicklung immer klarer und deutlicher zeigen, sich gerade auf dem entgegen­ gesetzten Pol befinden. Hier geht es eher um die grössere oder kleinere Trennung von der klassischen Vergangenheit im weitesten Sinne des Wortes, deren Grund­ l a g e der sensualistische Realismus war, als um die Qualität. V o m Standpunkt der weiteren Entwicklung aus geht es eigentlich um Konservativismus oder Fort­ schrittlichkeil. Von der Qualität sprechen wir, indem wir uns auf die technische A u s f ü h r u n g s t ü t z e n , es ist jedoch eine Frage, in welchem Masse auch diese der k ü n s t l e r i s c h e n Ansicht, der stilistischen Auffassung unterliegt. Die Porträts auf den Sarkophagen, die sich in die gallienischc Zeit datieren lassen, e r g ä n z e n uns das Bild der Porträtskunst, wie wir es uns auf Grund der 93

freien Plastiken gebildet haben. A m Anfang der Regierung Gallienus' entstanden zwei bedeutende

Sarkophage, der Sarkophag in Clieveden

11

mit dem Mythus

von Theseus als Befreier Athens vom Minotauros und der Sarkophag im Museum Torlonia

12

mit Musen und sieben Weisen, einem charakteristischen Thema f ü r

diese Zeit. Die Datierung des Theseussarkophags mit ruhig gruppierten Gestalten, wie es dem beruhigten Stil der klassizistischen Reaktion entspricht, beruht vor allem auf dem Stil des Porträts. Die Haare des Theseus bilden eine geschlossene niedrige Schicht, wie wir sie aus der vorhergehenden Epoche kennen, der Bart ist leicht plastisch, ä h n l i c h den M ü n z e n des Volusianus

13

(er regierte von 251 bis

253), und besonders Ariadne hat eine Frisur mit einer von hinten ziemlich lief, fast bis ü b e r die Stirn reichenden Flechle, wie wir es von den M ü n z e n der Cor­ nelia Supera, der Gattin Aemilianus', kennen.

14

Der Sarkophag wird also zum

J . 253 datiert, wo Aemilianus regierte. E i n ä h n l i c h e s m ä n n l i c h e s Porträt, das an der Entwicklungslinie der vierziger Jahre und der Zeit um das J . 250 liegt, finden wir auch auf dem Sarkophag der Philosophen im Museum Torlonia; das Haar bildet eine niedrige zerfurchte Schicht, der Bart ist halb leicht plastisch, halb graviert. G e g e n ü b e r den S a r k o p h a g p o r t r ä t s des vergangenen Jahrzehnts beste­ hen hier fast keine Unterschiede, nur die Darstellung ist weniger illusionistisch. Aus

den fünfziger

Jahren stammt wahrscheinlich auch ein Sarkophag zweier

B r ü d e r im Neapler M u s e u m .

15

Ihre Porträts sind verglichen mit den eben ange­

führten weit plastischer, griechischer und entsprechen u n g e f ä h r

dem Stil der

Gallienus-Porträts vom ersten T y p . Die H a a r s t r ä h n e n sind individuell plastisch ausgeführt, der Bart ist reich gelockt. D a f ü r ist der Bau des Kopfes starr und lichtet sich mehr nach einer geometrischen Ordnung als nach der Natur. Das gilt auch von dem b e r ü h m t e n Porträt eines Philosophen auf dem sog. Plotin-Sarko16

phag im Lateranischen M u s e u m , das offensichtlich klassizistisch ist. Das Porträt, das Werk eines anderen als des Meisters des übrigen Sarkophagreliefs, ist eine Mischung griechischer Renaissance mit z e i t g e n ö s s i s c h e n neuen r ö m i s c h e n Ten­ denzen. Die plastische Darstellung ist hier stärker vertreten als die illusionistische. Die Haare sind ebenso wie vor 10 oder 20 Jahren unplastisch dargestellt und bilden eine z u s a m m e n h ä n g e n d e niedrige Schicht mit nicht allzu dichten E i n gravierungen, die sich somit nicht sehr vom ü b r i g e n Kopf unterscheidet.

Die

O b e r f l ä c h e des Gesichts ist weich gearbeitet, der K ü n s t l e r b e m ü h t sich um ein realistisches Festhalten der Ü b e r g ä n g e zwischen ihren einzelnen Teilen. Trotzdem ist er einer leichten Geometrisierung nicht entgangen. Der Ausdruck ist vor allem in die tiefen Augen mit dem Kontrast von Licht und Schalten konzentriert, nicht einmal die expressiven Furchen an der Stirn, die seit der Zeit des Maximinus häufig sind, fehlen. Die starke, immer noch realistische Lebendigkeit des Philo­ s o p h e n p o r t r ä t s fehlt zwei weiblichen K ö p f e n , wahrscheinlich ebenfalls Porträts, die den Frauen a n g e h ö r e n , die den Worten des Lehrers lauschend an seiner Seite stehen. Sie sind akademisch hart, ü b e r n o m m e n e

Schemen der Vergangenheit,

99

ohne Leben. Die glatten, ohne Nuancen dargestellten Formen, werden von dem Ornament einer Modefrisur g e k r ö n t , wie sie Gallienus' Gattin Salonina zu tragen pflegte. Mit dem Porträtkopf eines Feldherrn auf dem grossen Schlachtensarko­ phag Ludovisi, dessen Datierung Gegenstand zahlreicher Meinungsverschieden­ heiten ist, werden wir uns erst bei der komplexen Analyse des ganzen Denkmals befassen. Aus allen a n g e f ü h r t e n m ä n n l i c h e n S a r k o p h a g p o r t r ä t s ist zu ersehen, dass weder auf den Sarkophagen noch auf den Porträts die Tradition der vierziger Jahre unterbrochen wurde und dass der Stil, wie wir ihn um die Mitte des Jahrhunderts kennengelernt haben, ohne Unterbrechung weiter dauert, nur g e d ä m p f t durch den offiziellen Klassizismus, der aber nicht tief vordrang. Das weist auf eine im Entwicklungsgang fortgeschrittene Zeit hin, die einer wirklichen Renaissance nicht mehr fähig war. Den Mangel einer tieferen Verankerung des gallienischen Klassi­ zismus zeigt nacli Gallienus' Tode die augenblickliche V e r s t ä r k u n g der r ö m i s c h e n Elemente, wie sie sich um das J . 250 äusserte, bevor sie von der g r ä z i s i e r e n d e n Reaktion auf eine untergeordnete Stelle z u r ü c k g e d r ä n g t wurden. Bei der Selten­ heit der z u v e r l ä s s i g identifizierbaren kaiserlichen Porträts beweisen es klar die M ü n z e n . Schon auf den M ü n z e n des Claudius Gothicus

17

sehen wir, wie der r ö ­

mische Realismus und die wenig plastische Darstellung der Haare, die sich der Schraffierungsmanier der Deciuszeit nähert, wieder aufleben. Die Starrheit und der Hang zum Ornamentalen, besonders bei der Umrandung des Haares, sind zwar ein Erbe aus der gallienischen Zeit, aber von ihrer Komponente, die in der Entwicklung der vierziger Jahre weitergeht und zum Stil der Tetrachenzeit hin­ weist. Neben dieser Abkehr vom eben vergangenen Klassizismus haben wir auch Beweise für den Nachhall der gallienischen plastischen Darstellung. Hierher ge­ hört der Porträtkopf des Kaisers Claudius aus dem Relief mit der Opferung im Nationalmuseum in R o m .

1 8

Sowohl die Haare, als auch der Bart sind individuell

nach den einzelnen S t r ä h n e n modelliert, aber ihre Plastizität ist nicht fest um­ grenzt, sondern verschwimmend. Das Gesicht trägt denselben Ausdruck von Sorge und schmerzlicher Resignation wie die Porträts ü e c i u s ' um das J . 250, der nur einigermassen g e d ä m p f t ist. Die ältere und neuere Vergangenheit vermischen sich hier wieder, aber die neuere ist ein wenig stärker vertreten. Ä h n l i c h v e r h ä l t es sich auch bei den Porträts des Ehepaares auf dem Sarkophag eines Versorgungs­ beamten mit der dexlrarum iunclio im Nationalmuseum iii Rom, dem sog. Sarko­ phag der A n n o n a .

19

Der Sarkophag ist in die Zeit Aurelians datiert, und zwar

durch die Frisur der Gattin, der eine breite Haarflechte, die schon seit Tranquillina (etwa seit dem J . 240) ü b l i c h war, und wie es Aurelians Gattin Severina ein­ führte,

20

tief in die Stirn fällt. Bart und Haare des Gatten sind ä h n l i c h wie auf

den Bildnissen Gallienus' plastisch dargestellt, sonst ist das Gesicht realistischer ausgeführt, es n ä h e r t sich dem ersten T y p des Gallienus. Mit der Zeit vor Gallie­ nus sind beide K ö p f e durch den tiefen Ausdruck des G e f ü h l s verbunden, das sie

100

innerlich miteinander verbindet. Dass solche Porträts zur Zeil Aurelians eigentlich nur mehr ein Anachronismus und eine Ausnahme waren, beweisen die Bildnisse des Kaisers auf M ü n z e n . Rom

2 1

Es ist ungemein bedeutend, dass zur Zeit Aurelians

unter den m ü n z e n p r ä g e n d e n

S t ä d t e n seine f ü h r e n d e Stellung verlor, sie

ging im Westen auf Mailand über. Schliesslich wurden in den Jahren 271 bis 273 die r ö m i s c h e n M ü n z s t ä t t e n geschlossen und die monetarii gingen auseinander. Nach der W i e d e r e i n f ü h r u n g der P r ä g u n g kamen neue Graveure wahrscheinlich aus dem Osten.

22

Eine ä h n l i c h e Erscheinung stellte L'Orange für das P o r t r ä t

nach Gallienus fest. Mit dem Verfall Roms als politisches und wirtschaftliches Zentrum bereits unter Gallienus, als sich die Bande zwischen den einzelnen Teilen des Reiches lockerten, wurde — bildlich gesprochen — aus der r ö m i s c h e n Schrift­ sprache, die mehr oder weniger für das ganze Reich verbindlich war, ein Dialekt, dem andere Mundarten, besonders die griechischen und ö s t l i c h e n ,

23

gleichgestellt

waren. Aurelians Porträts auf M ü n z e n , besonders auf den im Westen g e p r ä g t e n , sind veristisch mit allen individuellen Einzelheiten. Zugleich bemerken wir aber gleichwertige abstrakte Elemente, einen expressiven, oft fast glasig starren Aus­ druck des Auges, starr angesetzte Haare gleich einer P e r ü c k e oder einem H e l m mit markantem Rand, ja sogar einen niedrigen e i n g e d r ü c k t e n Kopf. Das alles sind Merkmale des k ü n s t l e r i s c h e n Stils zur Zeit der Tetrarchen, die sich schon in den siebziger Jahren deutlich anzeigen. Wenn wir die M ü n z e n am Ende dieser Jahre unter der Regierung Probus,

24

der von 276 bis 282 regierte, betrachten, erhalten

wir ein ä h n l i c h e s Bild. Allerdings ist die Abkehr von der n a t ü r l i c h e n Realität, die Starrheit, Abstraktheit und der Schematismus noch weiter fortgeschritten, ja sie steigern sich noch w ä h r e n d dieser sechs Jahre. Die seit Diocletian ü b l i c h e Blockform beginnt unter Probus langsam vorzu­ dringen, wobei sie schon in einigen Bildnissen Aurelians' verankert ist. Das E i n ­ malige verliert a l l m ä h l i c h seinen privilegierten Platz. Die Tendenz zur stereo­ metrischen Gestaltung, wie man sie auf den M ü n z e n beobachten kann, ist auch das Hauptmerkmal der freien Porträtplastik.

Aus der Reihe der K ö p f e ,

die

L'Orange in die Zeit zwischen Gallienus und der Tetrarchenherrschaft datiert

25

und die man meist mit keiner bekannten P e r s ö n l i c h k e i t identifizieren kann, wollen wir als Beispiele einen Kopf im Kapitolinischen Museum, der h ö c h s t w a h r s c h e i n ­ lich den Kaiser Probus

26

darstellt, und ein z e i t g e n ö s s i s c h e s Porträt — einen K o p f

zum Aufsetzen — eines unbekannten Mannes im Museum von K a s s e l

27

anführen.

Der kapitolinische Kopf des Probus fällt auf den ersten Blick durch seine k u ­ bische Form, die eher an einen Steinblock, als. an einen Teil des menschlichen K ö r p e r s erinnert, auf. Bart und Haare sind von der Haut, besonders am Hals scharf abgegrenzt und s e l b s t ä n d i g , ohne R ü c k s i c h t auf den n a t ü r l i c h e n Zusam­ menhang, dargestellt. Die Haare sind durch kurze strichartige Einritzungen an­ gedeutet und laufen an der Stirn in kurzen, sich wenig unterscheidenden S t r ä h ­ nenenden aus, die ein fast r e g e l m ä s s i g e s Ornament bilden. Der Bart ist schuppen-

101

f ö r m i g , aber trotz des Slrebens nach Realismus wenig lebendig ausgeführt. Der geistige Ausdruck ist wie auf den Porträts Decius' in Augen und Mund konzen­ triert, seine realistische Quelle ist jedoch schon weniger deutlich; Augen und M u n d sind isolierte Teile und scheinen mit dem Gesicht ü b e r h a u p t nicht zusam­ m e n z u h ä n g e n . Die Augen sind durch den stilisierten Winkel der steilen Nase und der fast geraden Bogen über den Augen hervorgehoben und diese Linien wieder­ holen sich in den Falten der Stirne. Die Nase ist durch harte Einschnitte mit dem M u n d verbunden; sie ziehen sich von den N a s e n f l ü g e l n

zu den Enden des

Schnurrbartes. Der Kopf und seine Teile sind geometrisiert und miteinander fast ü b e r h a u p t nicht verbunden, vgl. noch den Ansatz der Ohren. Eine Abstraktion im Ganzen und in den Einzelheiten. Der Kasseler Kopf, der dieselben stilistischen Eigenschaften aufweist, geht in der Absonderung und der Isolierung der für den Ausdruck wichtigen Gesichtsteile noch weiter. Der ganze Kopf ist in den Blick der mit schweren Lidern, m ä c h t i g e n B r a u e n b ö g e n und Brauen versehenen Augen leonzentriert. G e g e n ü b e r dem d ü s t e r e n Weltschmerz des Decius macht das Kas­ seler Porträt einen geradezu hypnotischen Eindruck. Neben Decius' Kopf, der durch zahlreiche Lichter und Schatten z e r t r ü m m e r t ist, erweckt der Kasseler den Eindruck eines leeren, aber geschlossenen Ganzen, das durch die Kraft des Geistes beherrscht wird, ü b e r die sinnliche Natur siegt das ü b e r n a t ü r l i c h e Geistige, das sich vom K ö r p e r l o s g e l ö s t hat.

28

Diese Entwicklungsstufe finden wir ausser auf freien P o r t r ä t p l a s t i k e n und M ü n ­ zen auch auf S a r k o p h a g p o r t r ä t s , die in dieser Zeit zum Unterschied von der ersten H ä l f t e des 3. J h . und der Zeit Gallienus selten zu finden sind. Aus den achtziger Jahren, und zwar aus ihrer ersten H ä l f t e , stammen die Porträts eines Ehepaars auf dem s ä u l e n g e s c h m ü c k t e n Hochzeitssarkophag des Camposanto

29

in Pisa, der

30

auf Grund der sehr breiten Flechte der Frauenfrisur, wie sie die Gattin des Carinus Magnia Urbica trug, datiert wird (Carinus regierte von 282 bis 285, Magnia Urbica wurde im Jahre 284 zur Augusta ernannt). Auch diese K ö p f e tragen die deutlichen Merkmale der z e i t g e n ö s s i s c h e n stereometrischen Form, sind aber ge­ g e n ü b e r den freien Plastiken vielleicht etwas konservativer, eine Erscheinung, wie wir sie bei S a r k o p h a g p o r t r ä t s des öfteren auch in früheren Zeiten feststellen konnten. Die leichte Geometrisierung, der wenig abgestufte Bau des Kopfes, die Hervorhebung der Augen und des Mundes aus der ausdruckslosen Masse, die Schraffierung der Haare, das alles ist uns schon von den plastischen Porträts und den M ü n z e n her gut bekannt. Das zeitlich wenig entfernte, entschieden jedoch etwas ältere, vielleicht schon gallienische Porträt eines Knaben auf dem wannenf ö r m i g e n Sarkophag mit Personifikation der vier Jahreszeiten zwischen den eine Antilope w ü r g e n d e n

Löwen,

der sich im vatikanischen Belvedere

erweckt einen fast klassizistischen Eindruck, ist aber starr bis

3i

befindet,

schablonenhaft.

Die Haare sind durch Schraffierungen angedeutet. Die bereits stark tetrarchische F o r m der freien Porträts

102

und M ü n z e n ist auf den S a r k o p h a g p o r t r ä t s

abge-

s c h w ä c h t . Die griechische Auffassung der goldenen Mitte zwischen dem indivi­ duellen Realismus und der typisierenden Abstraktion ist auch in dieser Zeit nicht ausgestorben. Wenn wir nun die Entwicklung

der Porträtplastik

von den fünfziger bis acht­

ziger Jahre ü b e r s e h e n , stellen wir fest, dass sich die Grundlagen der S p ä t a n t i k e , die in der ersten H ä l f t e des 3. J h . geschaffen wurden, im Laufe dieser Epoche beinahe zur fertigen s p ä t a n t i k e n Form entfalteten. Als es in den fünfziger bis sechziger Jahren zur g r ä z i s i e r e n d e n klassizistischen Reaktion kam, wurde das Erbe der vierziger Jahre nicht vergessen. Manche illusionistische Elemente, /.. B. die Andeutung der Haare mittels Eingravierungen auf Sarkophagreliefs, haben sich w ä h r e n d der ganzen gallienischen Zeit erhalten und gelangten zu einer neuen allgemeinen Verbreitung. Sie verloren allerdings inzwischen das

Bewusstsein

ihrer realistischen Grundlage, ihres Ausgangspunktes, und die Nachbarschaft der festen realistischen Form, mit der sie kontrastierten, ordnete sie in die abstrakten Elemente des b i l d k ü n s t l e r i s c b e n Ausdrucks ein. E i n entscheidender Fortschritt auf dem Weg zur S p ä t a n t i k e wurde in den sechziger Jahren gemacht, als die Abkehr vom sensualistischen Realismus schon deutlich zu sehen war. Vereinfa­ chung, Stilisierung, Stereometrisierung, Symmetrie und Ornamentalisierung, den gallienischen Klassizismus begleitend sowie aus ihm wachsend, bilden den E i n ­ druck einer starren Festlichkeit. Dieser Klassizismus verhallt auch nach Gallienus' Tode und verbindet sich mit dem tiefen G e f ü h l der vierziger Jahre. Vor allem schreitet die Entwicklung in den in den sechziger Jahren entstandenen s p ä t a n t i k e n Elementen fort. Schon unter Aurelian wurde in der ersten H ä l f t e der siebziger Jahre mit Hilfe des wieder auflebenden Verismus, der steigenden A b ­ straktion und des sich isolierenden geistigen Ausdrucks in den H a u p t z ü g e n der tetrarsche Stil des ausgehenden 3. und des beginnenden 4. J h . geschaffen. In die achtziger Jahre tritt das Porträt bereits mit starkem Expressionismus, vom K o n ­ kreten und der Naturwirklichkeit abgewandt, auf. Der Bau des Kopfes ist wenig differenziert, die Form zumeist blockartig und die kompakte Masse nur an der Oberfläche gegliedert. Das gilt vor allem von den M ü n z e n und den freien Plasti­ ken. Die Porträts der Sarkophagreliefs, die in dieser Zeit bereits selten sind, neigen eher zur halbklassizistischen erstarrten Schablone. Die Reliefs der Sarkophage,

die für uns neben den Porträts die Hauptquelle

zum Studium der Plastik aus dieser Zeit sind, unterscheiden sich durch ihre M o ­ tive wesentlich von der Thematik der ersten H ä l f t e des 3. Jh. Wenn die zwanzi­ ger bis vierziger Jahre eine Zeit der Sarkophage mit der L ö w e n j a g d (allerdings heroisierten) genannt werden, ist diese Bezeichnung insoweit berechtigt, als wir dieses Thema, das irgendwann um das J . 220, wahrscheinlich kurz vor ihm, entstand und nach dem J . 250 wieder seltener wurde, in diesem Zeitabschnitt, wo es sicli voll entfaltete, in einer z u s a m m e n h ä n g e n d e n Reihe von bedeutenden Be­ legen verfolgen k ö n n e n , und dass es für die stilistische Entwicklung seiner Zeit

103

charakteristisch war. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Sarkophage zahlenm ä s s i g ü b e r w o g e n hatten. Durch die Anzahl dominierten mythologische Themen, vgl. z. B. nur die A u f z ä h l u n g der Endymionsarkophage bei Gerke, vierzehn anführt, dagegen Sarkophage mit einer L ö w e n j a g d nur elf. über datiert G e r k e

34

33

32

der ihrer

Demgegen­

in die gallienische Zeit neben zwei Fragmenten, die aber

wahrscheinlich schon aus den vierziger und fünfziger Jahren stammen, nur drei mythologische Sarkophage, und zwar einen Theseussarkophag (ein seltenes The­ ma) aus Fidenae, der sich in einer privaten englischen Sammlung in Clieveden

35

befindet, der einzige Sarkophag unter ihnen, der eine wirkliche Handlung darstellt und eine Sage erzählt, neben zwei nur symbolischen Sarkophagen mit einer ein­ zigen bedeutungsvollen Person, dem Endymionsarkophag in Cooks Sammlung in Riehmond

30

und dem Ariadnesarkophag aus Auletta im Museum von Neapel.

Das Relief des Theseussarkophags

37

1

in Clieveden, das an den Beginn der Regie­

rung Gallicnus' datiert wird, besteht aus drei Szenen an der Vorderfront, die auch an den Seiten fortgesetzt werden. Die erste Szene mit der g r ö s s t e n Anzahl Per­ sonen' nimmt die ganze linke H ä l f t e der Vorderfront ein und wird von der n ä c h s ­ ten Szene ä h n l i c h wie auf den Hippolytos- oder Adonissarkophagen durch einen a b g e k ü r z t von der Seite dargestellten Bogen abgeteilt. Das Vorbild der ersten Szene war eine Darstellung Hippolyts vor der Jagd. Theseus mit einem Spiess zur Jagd gerüstet, gibt dem erstaunten Minos seinen Entschluss bekannt, mit dem Minotauros zu k ä m p f e n . V o r Theseus' Ross schreitet Virtus in J ä g e r t r a c h t mit einem Jagdhund. Diese Gestalten bilden die Struktur der ersten Szene. Der K ü n s t ­ ler ü b e r n a h m , das alte, auf den Hippolytossarkophagen ü b l i c h e Thema, ohne auf die U n g l e i c h m ä s s i g k e i t e n zu achten, die dadurch entstanden. Der Mythus ist in dieser Zeit bereits tot. In ä h n l i c h e r Weise bildete etwas früher, wahrscheinlich kurz nach dem J . 250, ein Bildhauer auf dem Hippolytossarkophag i m Palast Lepri-Gallo

38

die Szene mit der Amme und Hippolytos u m ; weil er eine geeignete

Gestalt als T r ä g e r i n des weiblichen Porträts b e n ö t i g t e , ersetzte er die Amme durch Diana, Hippolytos verwandelte sieh in einen venator aus dem Zirkus'und passte sich auf diese Weise dem Beruf, des Bestellers an. Die Hauptgestalten der ersten' Szene des Theseussarkophags, die ruhig aber dicht nebeneinander gruppiert sind,, werden durch die Gottheiten, Venus, Amor, Minerva, Honos und einen Kreter neben Minos ergänzt.. A n der linken Seite des Sarkophags wird die Szene fortge­ setzt; zwei kretische Soldaten mit Spiessen in den H ä n d e n eilen zur Mitte der Szene, um den mutigen Fremden zu sehen. Den Hintergrund der linken H ä l f t e des Sarkophags bilden Gottheiten, abstrakte Kräfte. Die eigentlichen Teilnehmer der Handlung, die Athener M ä d c h e n und J ü n g l i n g e , die mit Theseus angekommen sind, sehen wir nirgends. Die rechte H ä l f t e , in deren Mitte unten Ariadne liegt, die der bekannten vatikanischen Statue ä h n l i c h ist, besteht aus zwei Szenen; es ist der siegreiche Theseus ü b e r dem erschlagenen Minotauros und die Szene, wo Theseus auf Naxos die schlafende Ariadne verlässt. Die h a n d l u n g s g e m ä s s zweite

104

Szene, die zeitlich auf die erste folgt, befindet sich nicht neben ihr, sondern am rechten Rand des Sarkophags und geht auf der rechten Seite weiter, wo sich der grösste Teil von Minotauros K ö r p e r - u n d die v e r h ü l l t e Ariadne befinden. In der Mitte ist die zeitlich letzte Szene angebracht. Der Grund für ihre Hervorhebung wird wahrscheinlich kein anderer als der sein, dass sie sich besser für die sepulkrale Symbolik eignet. Die Trennung und das abfahrende Schiff sind ebenso symbolisch wie die schlafende Ariadne, die wir in dieser Funktion als Endymions G e g e n s t ü c k aus dem Neapler Sarkophag aus Auletta kennen. Es ist interessant zu beobachten, wie die Wellen, von denen Theseus Schiff getragen wird, das sich hinter dem Bogen in der Mitte des Sarkophags zu verlieren scheint, auch hinter der Mitte weiter gehen und bis zu den F ü s s e n der Göttin Virtus reichen. Z u bei­ den Seiten des Bogens befindet sich ein kleiner Delphin. Auch das ist leicht zu erklären. Das Meer und die Delphine sind Symbole, die aus zahlreichen und sehr beliebten Sarlcophagen mit M e e r g ö t t e r n , Nereiden und Tritonen, die die Seelen ü b e r das Meer zu den Inseln der Seeligen

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trägen, bekannt sind. Im Schiff,

in dem Theseus von der schlafenden Ariadne abgewendet steht, sind zwei Schiffer, von denen der eine, der gut erhalten und nur wenig b e s c h ä d i g t ist, einen langen Bart hat; ihre Grösse ist jedoch die von Kindern. Diese D i s p r o p o r t i o n a l i t ä t ist, wie wir in der vorhergegangenen Epoche gesehen haben, keine seltene Erschei­ nung im 3. J h . Was die b i l d k ü n s t l e r i s c h e F o r m betrifft, ist der Theseussarkophag eine Fortsetzung der r ö m i s c h e n Sarkophage der vierziger Jahre mit dicht grup­ pierten Gestalten, die wenig beweglich sind, wie z. B . die linke H ä l f t e des Sarko­ phags Mattei II mit der L ö w e n j a g d .

4 0

Besonders auf der ersten Szene sind die

Gestalten dicht und ruhig nebeneinander gereiht. So ü b e r w i e g e n in der Kompo­ sition Vorn, so auf den Seiten, entscheidend die Vertikalen. Die Gestalten bilden eine seichte Schicht, zu der auch' die Figuren des zweiten Plans, von denen nur die K ö p f e sichtbar sind, hinzutreten. V o n einer Raumtiefe kann man nicht reden. In den K ö p f e n der Gestalten, mit Ausnahme der Porträts, und in der Draperie ist reichlich der Bohrer angewandt worden. Die Draperie ist ziemlich hart und ü b e r w i e g e n d linear. Die zeichnerisch malerische Auffassung der F o r m wird fort­ gesetzt, desgleichen auch andere r ö m i s c h e Elemente wie die vielfache Wieder­ holung des Porträts, die etwas starren Gestalten und die D i s p r o p o r t i o n a l i t ä t . F ü r die sich n ä h e r n d e S p ä t a n t i k e ist die einem Symbol untergeordnete Wirklichkeit typisch. Auf dem Adonissarkophag im Lateran aus der Zeit um das J . 220 wurde die chronologische Folge der Szenen Wegen der Betonung und besseren M ö g l i c h ­ keit der Porträts unterbrochen, nun ist es im Interesse der Symbolik geschehen. Die Zeit der Porträts und der Romanisierung wird von der Zeit der Symbole, dem Tor der S p ä t a n t i k e abgelöst. Der Endymionsarkophag

in Cooks Sammlung

in Richmond

bedeutet den tota­

len Sieg des Symbols ü b e r die mythologische Handlung. Aus den vielen ge­ wohnten Gestalten dieser Sarkophage — vgl. z. B . den nur wenig älteren Sarko-

105

phag in Woburn A b b e y ,

41

der im Geiste des gesteigerten Barocks der ersten Hälfte

des 3. J h . mit Gestalten überfüllt ist — ist hier nur Endymion mit zwei Amoren geblieben. Der eine von ihnen, mit einer Fackel in der Hand, versucht E n d y mions Mantel zu e n t h ü l l e n , der zweite, der neben E n d y m i o n sitzt, betrauert ihn. Dieser K e r n des mythologischen Themas wird an jeder Seile durch vier hinzu­ komponierte Amore ergänzt, von denen links und rechts je zwei auf einer Ge­ l ä n d e w e l l e in den oberen Ecken stehen. Die Amore flechten oder bringen Girlan­ den, sammeln Obst in K ö r b c h e n , spielen die L y r a oder auf der D o p p e l f l ö t e . Wahrscheinlich wirkten hier die Kindersarkophage der zweiten H ä l f t e des 3. J h . ,

4 2

wo Amore bei verschiedener musikalischer B e t ä t i g u n g oder mit Blumen und F r ü c h t e n dargestellt sind. Manche von ihnen sind wahrscheinlich schon in der gallienischen Zeit als ein Widerhall der Philosophen- und Musensarkophage ent­ standen. V o n der mythologischen Handlung ist auf dem Richmonder Sarkophag nur die Hauptperson, E n d y m i o n mit den Amoren übrig geblieben, dessen Schlaf als ein Symbol des Todes gilt. Die Handlung, der Besuch Selenes bei dem Schla­ fenden, ist verschwunden, nur das Symbol ist geblieben, der eigentliche Gedanke ohne den traditionellen e r z ä h l e n d e n Rahmen. Noch weiter ist der K ü n s t l e r des Ariadnesarkophags

aus Auletta

(bei Salerno) gegangen, der im Museum von

Neapel aufbewahrt wird. Auf dem Endymionsarkophag e r g ä n z t e n die Amore nur die Hauptgestalt, und zwar organisch, indem sie ihren traditionellen Platz, der sonst in der bildnerischen Darstellung der Sage ü b l i c h ist, bei Endymion zahlenm ä s s i g erweitern. Sie blieben eine untergeordnete E r g ä n z u n g . Dagegen sind auf dem Ariadnesarkophag, der durch einen horizontalen G e l ä n d e s t r e i f e n in zwei Bändei-

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geteilt ist, wie es in der spätanti'ken Kunst oft der Fall war, die genre­

haften Szenen der Amore der zentralen Gestalt der schlafenden Ariadne fast gleichgestellt. Ariadne ist hier offenbar ein G e g e n s t ü c k des Endymions, die Amore stehen zu ihr jedoch in keiner direkten Beziehung. W i r haben eigentlich zwei s e l b s t ä n d i g e Themen vor uns, die schlafende

Ariadne und ein

volkstümliches

realistisches Genre, wie es im letzten Drittel des 3. J h . sehr beliebt war. Die Amore spielen nicht nur in verschiedener Weise wie Kinder, sondern sie sammeln auch F r ü c h t e und beteiligen sich an der Getreide- und Olivenernte, sowie an der Wein­ lese. Diese mit unmittelbarer Frische dargestellten Szenen stehen der s p ä t a n t i k e n Volkskunst nahe. Der Stil ist vor allem durch h ä u f i g e pointillistische Bohrweise (Haare, Augen, Mund) und durch das ü b e r w i e g e n der optischen Auffassung ü b e r die plastische charakterisiert. Ariadnes monumentale Gestalt entfaltet sich in der F l ä c h e und wirkt einerseits durch Linien, wie Umrisslinie so auch die innere (Draperie), andererseits durch feine L i c h t ü b e r g ä n g e . Ausser diesen drei Sarkophagen lässt sich bis jetzt .kein anderer mit einem mythologischen Thema in die Jahre 250 bis 270 datieren. Diese Erscheinung ist gewiss auffallend und lässt sich nicht damit erklären, dass diese Jahre in dieser Hinsicht eine Epoche der Finsternis

106

44

ohne spezielle monographische Abhandlung

sind, da sich mit ihnen im breiteren Rahmen ihrer Arbeiten wenigstens Rodenwaldt und Gerke ausführlicher befassen mussten, von den Sammelwerken ü b e r die r ö m i s c h e Kunst oder speziell ü b e r die Bildhauerei ganz zu schweigen. Rodenwaldt musste auf diese Frage in seiner Abhandlung „Zur Kunstgeschichte der Jahre 220 bis 270" stossen, wenn sie auch eher allgemein auf die Festlegung von

Anhaltspunkten für die Datierung gerichtet ist. Aber neben

ausgewählten

Sarkophagen, vor allem solchen mit einer L ö w e n j a g d und später mit Philosophen und Musen, zitiert er vor dem J . 250 auch andere. Gerke befasst sich dann in seinem Buch „ D i e christlichen Sarkophage der vorkonstantinischen Zeit" sehr a u s f ü h r l i c h mit den Sarkophagen des 3. J h . , wie die Anmerkungen und ein ü b e r s i c h t l i c h e r Katalog beweisen, und verwertete in dem Buche seine Ergebnisse 45

für die gallienische Z e i t . Auf sie s t ü t z e n wir uns zum Grossteil bei der Datierung mythologischer Sarkophage dieser Zeit, da das u r s p r ü n g l i c h e Material verstreut und oft u n z u g ä n g l i c h ist und Robert-Rodenwaldts Corpus es mit Ausnahme des letzten von Rumpf herausgegebenen

Bandes V 1 ü b e r Sarkophagsreliefs mit

Meerwesen nur in sehr u n g e n ü g e n d e r Weise ersetzt. Das für das Corpus be­ stimmte, vollkommene fotografische Material besitzt nur das Deutsche A r c h ä o l o ­ gische Institut in Rom. M a n muss die Feststellung machen, dass nach der bishe­ rigen Forschung zwischen den vierziger und den siebziger Jahren, was die mytho­ logischen Sarkophage betrifft, eine sehr b e t r ä c h t l i c h e L ü c k e besteht, was man vielleicht mit der Beliebtheit der rein symbolischen, philosophischen und musi­ schen Themen und der kannelierten Sarkophage e r k l ä r e n kann, für deren be­ s c h r ä n k t e n ausgestaltbaren Raum der e r z ä h l e n d e Mythus nicht geeignet ist. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass mancher der mythologischen Sarkophage, die jetzt zum J . 250 datiert werden, tiefer in die fünfziger Jahre gehört. Das P o r t r ä t ist bei einem so kurzen Zeitabstand nicht entscheidend und die H y p o ­ these — dieser Ausdruck muss mit Bescheidenheit angewandt werden — von den ruhig gereihten Gestalten stütz sich ü b e r w i e g e n d auf nichtmythologische Sarko­ phage, mit Ausnahme des Theseussarkophags von Clieveden, und auf einen Teil der mythologischen Sarkophage der vierziger Jahre. Andererseits ist es nicht ausgeschlossen, dass mancher der jetzt in die siebziger und achtziger Jahre nach der

gallienischen und vor die Tetrarchenzeit oder an ihren Beginn datierten

mythologischen Sarkophage schon in den sechziger Jahren entstanden ist. Das f ü h r e n d e Thema der gallienischen Zeit ist das symbolische Motiv der mu­ sischen Betätigung,

die Unsterblichkeit und Ewigkeit an der Seite der Musen''

6

verleiht. A m Beginn dieser Epoche im.geringen Zeitabstand vom Theseussarkophag ist der Sarkophag

im Torlonia Museum

entstanden, dessen Relief sieben

Weise und neun Musen darstellt, in deren Zahl auch das porträtierte verstorbene 7

Ehepaar miteinbegriffen ist.^ Die Komposition ist a n n ä h e r n d symmetrisch. A m linken und am rechten Rand sitzt ein Philosoph, ebenso in der Mitte. Letzterer unterscheidet sich durch kurzes Haar, kurzen Bart und v o l l s t ä n d i g e Bekleidung

107

vom T y p der Kyniker. Das ist der Verstorbene. Neben ihm steht seine v e r h ü l l t e von den langhaarigen, b ä r t i g e n und halbnackten ü b r i g e n Philosophen, offenbar Gattin, das Gesicht ist fein abozziert. Z u Seiten der Mittelgruppe der Gatten stehen je zwei Philosophen. Die Musen befinden sich im Hintergrund, von man" chen ist nur der Kopf zu sehen. Auch sie sind symmetrisch gruppiert. Eine steht zwischen den Gatten (die Gattin ist ebenfalls als Muse dargestellt) und deshalb sind die restlichen zur geraden Zahl durch die tragische Maske ergänzt,

die

zwischen den beiden links stehenden Philosophen zu sehen ist. Die Philosophen, die zumeist Rollen in den H ä n d e n halten, manche auch S t ä b e , was für die K y ­ niker- charakteristisch ist, sind dargestellt, /wie sie horchen, sich besprechen und d a r ü b e r nachsinnen, was ihnen der mit offener Rolle in der Mitte stehende vor­ liest. Auch der rechts sitzende Philosoph h ä l t in seiner linken H a n d eine offene Rolle, sieht aber nicht in sie hinein, sondern streicht sich mit der rechten Hand seinen Bart, wobei er angestrengt grübelt. Sein G e g e n ü b e r links h ä l t die linke Hand ans Ohr, als wollte er besser h ö r e n . Die Auffassung des Themas, das i m Grunde halbmythologisch ist, Musen und l e g e n d ä r e Weise, ist genrehaft realistisch. Die

Musen sind blosse Teilnehmerinnen der philosophischen Disputation, die

durch die Type der heidnischen Apostel-Prediger, der Kyniker und allerdings auch durch P o r t r ä t g e s t a l t e n aktualisiert ist. Trotz der Symmetrie der Komposition zeigt der K ü n s t l e r einen grossen Erfindungsgeist und fand, wenn er auch die Grundstimmung einer ruhigen N ü c h t e r n h e i t beibehielt, genug einfache mit denen er einen realistischen, lebendigen

Eindruck erzielte.

Die

Mittel,

sitzenden

Randgestalten sind ganz genrehaft, unmittelbar in einem bestimmten Augenblick dargestellt. In der Auffassung des Themas ist der Sarkophag vollkommen r ö m i s c h , wenn auch der Gedanke des philosophischen Themas, der sitzende oder stehende bärtige Mann mit der Schriftrolle, der Dichter oder Philosoph, bzw. auch mit einer neben ihm stehenden Muse, oder die Musen allein,i kleinasiatischer Her­ kunft ist. Solche vereinzelten Gestalten finden wir oft auf kleinasiatischen S ä u l e n Sarkophagen in der ersten H ä l f t e des 3. J h . oder am Ende des 2. J h . , z. B . Isnik B , Villa Colonna (Rom D), Athen A , Brussa (Kutava), Museum Borghese (Rom E ) , Sidamara, Selefkeh, Britisches Museum (Rom A ) .

4 8

Das sind allerdings nur M o ­

tive, isolierte Elemente, die schon in der ersten H ä l f t e des 3, J h . auf den Seiten^ w ä n d e n r ö m i s c h e r Sarkophage erscheinen, auf dem Morey Sarkophag, früher Altobelli, oder auf dem Prometheussarkophag im L o u v r e .

49

Auf der Vorderseite

eines Sarkophags erscheinen diese Elemente in einfacher Komposition auf dem S ä u l e n s a r k o p h a g im vatikanischen Belvedere Nr. 6 8 ,

50

wo auch ein uraltes klein­

asiatisches Motiv, bereits lykischer Herkunft aus der klassischen Zeit, angewandt ist, n ä m l i c h zwei symmetrisch einander g e g e n ü b e r s i t z e n d e n Gestalten, ein Motiv, das auf r ö m i s c h e n Sarkophagen, die unter dem Einfluss der kiemasiatischen Kunst stehen, in der zweiten H ä l f t e des 3. J h . ziemlich oft vorkommt. Die Komposition des Sarkophags, der zwischen den S ä u l e n drei Felder aufweist^ ist symmetrisch

108

und zentral. Die Gestalten sind fast ausschliesslich Porträts und wiederholen sich wahrscheinlich. In den Aussennischen sitzt immer je ein Mann, neben ihm steht eine ältere Frau und zwischen beiden eine j ü n g e r e . Alle Gestalten halten Rollen in den H ä n d e n , auch die v e r h ü l l t e Frau in der mittleren Nische. Die hinter ihr h ä n g e n d e Draperie trennt sie von dieser Welt und bezeichnet sie als Tote. Die kleinasiatischen Elemente sind hier im grossen und ganzen in einfacher Weise verwertet und werden durch die r ö m i s c h e Tendenz nach Verewigung, durch das Porträt verbunden. Diese relative N ä h e fremder Vorbilder veranlasste

wahr­

scheinlich Rodenwaldt zur Datierung des Sarkophags in die erste Hälfte des 3. J h . , in die Jahre von 235 bis 240. E r selbst führt die G r ü n d e nicht an. Neben dem bereits e r w ä h n t e n waren es wahrscheinlich die weiblichen Frisuren ohne Flechte, die nach dem J . 240 auftreten, und der plastische Stil der Gestalten. Diese Da­ tierung betrachte ich als zu frühzeitig und mit der Zeit einer bereits stark zuge­ spitzten Romanisierung als unvereinbar. Die geringe Wahrscheinlichkeit zeigt sich am besten beim Vergleich mit dem Balbinussarkophag im P r ä t e x t a t m u s e u m , der zwar klassizistisch, aber trotzdem weit lebendiger ist. Die ruhigen und zugleich etwas starren Gestalten, die g r ä z i s i e r e n d e n m ä n n l i c h e n P o r t r ä t s

51

und die klas­

sizistische Komposition weisen auf die fünfziger Jahre hin, aus welcher Zeit auch ein ä h n l i c h e r Sarkophag, ebenfalls im Belvedere (Nr. 48), mit zwei Musen bei jedem der einander g e g e n ü b e r s i t z e n d e n Gatten und dem Tor zur Gruft in der Mitte stammt. Die weiblichen Frisuren stehen dieser Datierung nicht im Wege, weil Frisuren ohne Flechte, die der Mode der Julia Mamaea in den dreissiger Jahren nahestehen, auch nach dem J . 250 getragen wurden, wie die M ü n z e n der Etruscila, der Gatin Decius, und der Mariniana, Valerians'. Gattin, beweisen.

53

M a n kann dann allerdings nicht bestimmen, ob der S ä u l e n s a r k o p h a g vom Bel­ vedere Nr. 68 unter den Sarkophagen mit kleinasiatischen Motiven, einem sitzen­ den Philosophen usw. der älteste ist. Rodenwaldts Konstruktion der Entwicklung: Belvedere Nr. 68, Nr. 48, Nr. 13 und schliesslich T o r l o n i a und

54

ist allzu k ü n s t l i c h

nach der apriorischen Vorstellung von der idealen Entwicklunglinie kon­

struiert. Wie der Sarkophag v o m Belvedere Nr. 68, so ist auch der Torloniasarkophag bei Anwendung kleinasiatischer Grundelemente r ö m i s c h . R o m hatte sich trotz der Unruhe und Unsicherheit der Zeit, wodurch der politische, wirt­ schaftliche und kulturelle Zerfall des Imperiums verursacht wurde, eine grosse A s s i m i l a t i o n s f ä h i g k e i t und Schaffenskraft erhalten. Trotz fremder E i n f l ü s s e , die in der zweiten H ä l f t e des 3. Jh. merklich zunahmen, hat es seine Eigenart bewahrt und schritt auf seine eigene Weise v o r w ä r t s . Fremden E i n f l ü s s e n ist es erst dann z u g ä n g l i c h , wenn sich ihnen die Entwicklung bereits stark n ä h e r t e . Es ü b e r n i m m t also nichts heterogenes.

5j

In der Komposition des Torlonia-Sarkophags, genau

so wie auf dem Theseussarkophag, ü b e r w i e g e n Vertikalen. Die Gestalten sind dicht, aber ruhig nebeneinander gruppiert, von der Mitte an, a n n ä h e r n d sym­ metrisch. Betont ist die Mitte mit den Porträts der Verstorbenen und ebenso

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die R ä n d e r . Die Komposition, ist damit abgeschlossen. Die Gestalten bewegen sich nicht im freien Raum, sondern füllen eiue niedrige Schicht aus, so die Gestalten des ersten, wie die des zweiten Plans, deren K ö p f e in den L ü c k e n zwischen den Gestalten im Vordergrund sichtbar sind. Trotz der harmonisch rhylmischen Auf­ stellung der Gestalten nebeneinander wirkt das Sarkophagrelief, wenn wir es in der N ä h e betrachten, keineswegs ruhig. Dieser Eindruck von Ruhe und Erregung zugleich entsteht einerseits durch das ruhige Aneinanderreihen von Vertikalen, andererseits durch das Z u s a m m e n d r ä n g e n der Gestalten und den pathetischen Ausdruck der Philosophen. In ihren Gesichtern beobachten wir einen leiden­ schaftlichen Fanatismus, der ihr ganzes Wesen durchdringt. Dieser innere D y namismus stützt sich auf die malerische Darstellung der starke Lichtkontraste aufweisenden K ö p f e . Aus den Gesichtern, die malerisch unruhig mit einer reichen Skala mittlerer Lichtwerte gestallet sind, treten ausdrucksvolle. Augen und M u n d hervor, besonders dieser tief gebohrt, ebenso der Rahmen der Haare und Barte, wo der Bohrer vollkommen die plastische Form zerstört hat, die sonst in den K ö p f e n und den Draperien ü b e r w i e g t . In der Draperic spielt jedoch auch die Linie eine wichtige Rolle. A n einigen Gestalten bemerken wir deutlich die Stereometrisicrung und das Unorganische des K ö r p e r s unter dem Gewand. Die Ent­ wicklung zur abstrakten synthetischen Form der S p ä l a n l i k e geht also nicht nur auf den Porträts weiter, sondern auch auf den Sarkophagreliefs, die in der Regel ziemlich konservativ sind. Auch das hat sich g e ä n d e r t . Mit der A b n ä h m e der freien Plastik nahm das Relief an Bedeutung zu. Dem

Sarkophag mit Philosophen und Musen im Palast Torlonia n ä h e r t sich

durch sein Thema und die Zeit seiner Entstehung der Musensarkophag üG

kanischen Belveclere Nr. 13.

im vati­

Auf der gut erhaltenen Vorderfront sind alle neun

Musen abgebildet, wovon die eine, am linken Rand des Sarkophags sitzend, das Porträt der Verstorbenen ist. Ihr G e g e n s t ü c k bildet ein unweit des rechten Randes des Sarkophags sitzender Mann mit P o r t r ä t z ü g e n . Leider ist fast der ganze Kopf ergänzt. Die Frisur ohne Flechte bei der Frau weist auf Entstehung des Sarkophags in den fünfziger Jahren hin und warnt vor einer s p ä t e r e n Datierung. Die Musen stehen mit ihren Attributen ruhig da, auch ihr Ausdruck ist ruhig. Es sind hohe, bis manieristisch ü b e r l ä n g t e Gestalten, starr und säulenartig, besonders die beiden Randfiguren. Den ä u s s e r e n Rahmengestalten verleiht die starre Lfnbeweglichkeit und der s t a m m f ö r m i g e ungegliederte K ö r p e r das Aussehen von Karyatiden. Die K ö r p e r sind von der n a t ü r l i c h e n R e a l i t ä t entfernt, ihre Stellungen wirken un­ natürlich und sie ruhen ohne klassische kontraposti'sche Leichtigkeit, schwer auf dem Boden. In diesem Rahmen ist es natürlich, dass die Draperie linear und negativ ist. Das Ganze wirkt mit der harmonisch ausgeglichenen Komposition, die sich auf Randgruppen, wie die Muse in der Ecke mit der sitzenden Porträt­ gestalt, und die Muse in der Mitte stützt, die durch die Gesten der Hand und die tiefen Schatten im freien Raum neben ihr unterstrichen ist, festlich und monu-

110

mental; es drückt aus und beschreibt nicht. Die F o r m des Sarkophags lässt sich als spätantik bezeichnen. Aus den sechziger Jahren des 3. J h . stammt das grosse Fragment der Vorder­ seite eines ovalen Sarkophags im Lateran}sehen Museum Philosophen

1

in der Mille.?

mit einem sitzenden

Z u m Unterschied vom T o r l o n i ä - S a r k o p h a g mit den

Philosophen und Musen und dem Musensarkophag vom Belvedere ist auf dem Sarkophag im Lateran eine wahrscheinlich realistische

Szene geschildert.

Der

Philosoph, dessen Kopf ein Porträt ist, sitzt, frontal in der Mitte dem Betrachter zugewendet und liest aus einer Rolle vor, die ihm eine stehende Frau mit Por­ trätzügen hält. Z u seiner anderen Seite steht eine zweite Frau, ebenfalls

eine

Porträtgestalt, und h ä l t in der Hand eine zusammengerollte Schriftrolle. Zwischen ihr und dem Philosophen steht im Hintergrund ein Manu, dessen Beziehungen zum

Meister, wie es scheint, nahe sind. Neben den Frauen stehen zu beiden

Seiten je ein Philosoph mit Schriftrolle. Ihre Blicke sind von der Mitte abge­ wandt, w ä h r e n d die Augen der Frauen und des Mannes neben dem Meister auf diesen gerichtet sind. Rodenwaldt

58

nimmt an,, dass es sich hier vielleicht um

einen Teil jenes Sarkophags handelt, in dem der g r ö s s l e Philosoph des 3. J h . und Freund Gallienus, der Neuplaloniker

Plotinos, begraben wurde. Auf dem

Relief ist Plotinos inmitten seines Gefolges abgebildet, ihm z u n ä c h s t

befinden

sich sein S c h ü l e r Porfyrios und Verehrerinnen vom kaiserlichen Hof, eine von ihnen ist Gallienus' Gemahlin, die gebildete Salonina. Wenn auch Rodenwaldts Annahme wahrscheinlich ist, wie allgemein anerkannt wird, ja sogar Gerke, der sich stets als ein treuer Nachfolger Rodenwaldts gezeigt hat, nimmt, sie als eine Tatsache h i n ,

59

kann man sie trotzdem als nichts anderes als einen guten, bis

jetzt unbeweisbaren Vorschlag betrachten. Es lässt sich nicht einmal mit Sicher­ heit behaupten, dass es sich tatsächlich um den Sarkophag eines Philosophen und nicht wie g e w ö h n l i c h eines symbolisch als Philosophen dargestellten storbenen handelt. Zwischen den P o r t r ä t g r u p p e n

Ver­

des Torlonia-Sarkophags im

vatikanischen Belvedere Nr. 68 und jenen im Lateranisehen Museum besteht kein wesentlicher Unterschied. F ü r die Frage des Stils ist dieses Problem allerdings im grossen und ganzen von n e b e n s ä c h l i c h e r Bedeutung. Formell ist das latera­ nische Relief sehr interessant.

Mit den bisher besprochenen Sarkophagen ver­

bindet ihn die ruhige symmetrische

Komposition mit r e g e l m ä s s i g gruppierten

Gestalten und bei aller Plastizität und offenbarem Klassizismus die bedeutende Aufgabe der Linie sowie der Verfall im realistischen V e r h ä l t n i s des K ö r p e r s zur Draperie, die an manchen Stellen flächenhaft ist und der Modellierung des K ö r ­ pers unter ihr nicht entspricht. Neu ist die frontale Art des Sitzens, die den Weg zu den s p ä t a n t i k e n r e p r ä s e n t a t i v e n Reliefs im kleinen Fries des Konstantins­ bogens in R o m

6 0

geebnet hat. Die Wende zur Fröntalität, die in der r ö m i s c h e n

Volkskunst schon im 1. J h . bekannt ist, S. 41 f. -wiesen wir darauf hin, und die in der offiziellen Kunst bei der stehenden Gestalt auf der M a r c - Ä u r e l - S ä u l e im

111

vorletzten Jahrzehnt des 2. Jh., auf den historisch-politischen Reliefs des Septimius Severus kurz nach dem J . 200 in Erscheinung tritt, ging mit entscheidender Gültigkeit für die weitere Entwicklung a l l m ä h l i c h im 3. J h . vor sich. Wie auf dem Revers der j ü n g e r e n M ü n z e n des Alexander Severus ein Triumfwagen in Vorderansicht abgebildet ist, auf den ä l t e r e n M ü n z e n desselben Herrschers ist er noch von der Seite dargestellt,

61

und wie sich auf den Sarkophagen mit der L ö ­

wenjagd um das J . 240 manche Gestalten, zuerst Virtus, vom Profil in die Vor­ deransicht drehen,

62

so ist die erste frontale sitzende Gestalt der grossen Kunst

eben der Philosoph in der Mitte des sog. Plotinsarkophags aus den sechziger Jahren des 3. J h . Bei der stehenden Gestalt (von geringer Tiefe) war die U m ­ wandlung zur F r o n t a l i t ä t leicht, wie sich das V e r h ä l t n i s des Reliefs zum Beschauer von der Aufgabe des Mitteilens, des E r z ä h l e n s zur Funktion der R e p r ä s e n t a t i o n , der Entgegennahme der Ehrung und andererseits der direkten Beziehung zum Beschauer verwandelt hat, an den sich das Relief wendet, und ihn in seine S p h ä r e hineinzieht. Bei der sitzenden Gestalt jedoch, die im Relief bei frontaler Stellung eine b e t r ä c h t l i c h e V e r k ü r z u n g erfordert, tritt auch ein schweres formelles Problem auf. Es wurde zuletzt auf Kosten des organischen Aufbaus der Gestalt g e l ö s t , die indieser Zeit etwas N e b e n s ä c h l i c h e s war, wie es auch auf den stehenden Gestalten des lateranischen Reliefs

63

zu sehen ist. Frontalität, Symmetrie, Linearität mit

einem Hang zur Ornamentalisierung, Un'körperlichkeit der Gestalten, das alles g e h ö r t bereits zum s p ä t a n t i k e n Stil. V o m sog. Plotinsarkophag ist noch ein zweites umfangreiches Fragment erhalten, das sich ebenfalls im Lateranischen Museum befindet.

64

Es ist ein Teil der R ü c k s e i t e des u r s p r ü n g l i c h ovalen Sar­

kophags mit dem Anfang der g e w ö l b t e n Seite. In der Mitte war eine L ö w e n j a g d abgebildet, auf den Seiten war die Forsetzung der Vorderwand. Auf dem Frag­ ment sehen wir den g r ö s s e r e n Teil des L ö w e n , ü b e r ihm und zugleich hinter ihm zwei berittene Begleiter des J ä g e r s und schliesslich rechts auf dem g e w ö l b t e n Rand die Gestalt eines stehenden

Philosophen, der in Gedanken versunken

lauscht. Was den Stil betrifft, kann uns das Fragment im grossen und ganzen nichts Neues sagen. Die pointillistischc Bohrweise in den Augen und Mund weist auf die zweite Hälfte des 3. J h . hin. Wichtig ist schon die Tatsache, dass die hintere Seite des Sarkophags, wenn er auch oval ist, mit einem Relief g e s c h m ü c k t ist.' Das ist eine in der r ö m i s c h e n Kunst nicht dagewesene Erscheinung und ver­ rät deutlich ö s t l i c h e E i n f l ü s s e , wo die Verzierung aller vier Seiten des Sarkophags r e g e l m ä s s i g anzutreffen war. Gleichen Ursprungs ist auch das feine, mit dem Meissel in die obere Randleiste eingehauene Ornament. Es ist allerdings schwer zu bestimmen, ob sich hier nur attischer Einfluss äussert, oder ob hier, wenn auch nur teilweise, direkt die H a n d eines attischen Bildhauers am Werk war. W i r wissen, dass in der zweiten H ä l f t e des 3. J h . zuerst zahlreiche attische, später auch kleinasiatische S a r k o p h a g w e r k s t ä t t e n die Arbeit einstellten.

65

Es gibt

keine attisch-christlichen Sarkophage und ü b e r h a u p t keine attischen Sarkophage,

112

die man in das 4. Jh. datieren k ö n n t e . Auch in Kleinasien besteht im 4. J h . keine z u s a m m e n h ä n g e n d e Tradition von Sarkophagreliefs, sondern es existieren nur vereinzelte S t ü c k e . Dagegen kann man in der zweiten H ä l f t e des 3. J h . in der r ö m i s c h e n Kunst starke kleinasiatische und attische E i n f l ü s s e beobachten, die sich nicht durch fremden Import erklären lassen, da einerseits der Handelsverkehr zwischen Ost und West lahmgelegt war, andererseits deshalb, weil sich auf vielen Sarkophagen mit starkem östlichen Einfluss r ö m i s c h e und fremde Elemente ver­ mischen. Die attischen und kleinasiatischen K ü n s t l e r hatten zur Umsiedlung viele und schwerwiegende G r ü n d e . In ihrer Heimat herrschten trostlose wirtschaftliche V e r h ä l t n i s s e , wie fast im ganzen r ö m i s c h e n Reich, die durch andauernde ä u s s e r e 66

und innere K r i e g e verursacht waren. Weil sie bei der Unterbindung des Exports nur auf den Binnenmarkt angewiesen waren, fanden die K ü n s t l e r keine Existenz­ m ö g l i c h k e i t e n und zogen deshalb lieber zu ihren Kunden nach dem Westen, vor allem in die Hauptstadt. Nach dem Tode des Alexander Severus kam es zu einer 67

direkten Anarchie. Das Heer setzt Herrscher ein, die bald darauf wieder durch irgendeine V e r s c h w ö r u n g gestürzt werden. Der erfolgreiche Feldherr wird auch gegen seinen Willen zum Kaiser ausgerufen und gezwungen die schwere B ü r d e aufzunehmen. Verschiedene Teile des Imperiums stellen dem Reich ihre Herr­ scher, von denen sich jeder die Anerkennung in den ü b r i g e n Teilen erst e r k ä m p ­ fen muss. Das Imperium wird durch eine f o r t w ä h r e n d e innere Revolution erschüt­ tert, die den E i n f ä l l e n zahlreicher Feinde den Weg frei macht. Im Osten sind es vor allem die Goten, die am Balkan bis ins eigentliche Griechenland und weiter bis nach Kleinasien vordringen, von der anderen Seite greifen die nicht weniger g e f ä h r l i c h e n Iraner auch dem neupersischen Reich an, das den Glanz des ehemali­ gen Ruhmes der A c h ä m e n i d e n erneuert. Schapur stellt den Ruhm der Parther, die bei Karqhae die r ö m i s c h e n Fahnen erbeuteten, in den Schatten und nimmt den Kaiser Valerianus selbst gefangen, der dann s c h m ä h l i c h in der Gefangen­ schaft starb. Die Goten dringen nach Kleinasien nicht nur auf dem Landweg (in den J . 267, 276), sondern bereits früher auf dem Seeweg mit Schiffen des bosporanischen Reiches (in den J . 253, 256) vor und machen so das Meer unbefahrbar und dem Handel u n z u g ä n g l i c h , weil es eine r ö m i s c h e Kriegsflotte in Wirklichkeit nicht gab. W e n n wir noch die wilden R ä u b e r e i e n der Isaurier in Kleinasien, das schwere Erdbeben im J . 262, die Kriege der Gegenkaiser, den Abfall von Palmyra, Emesa und die sich hieraus entwickelnden K ä m p f e hinzurechnen, ist es nicht bewunderlich, dass die Folgen davon so schrechlich waren. Zwangsablieferungen für die Armee, die W i l l k ü r der Soldaten und Beamten, Stockung in der Verwal­ tung, Verfall des Handels durch Requirierung der Verkehrsmittel und Sperrung der Transportwege, notwendige Autarkie der Gebiete sowie der Einzelnen; unter solchen U m s t ä n d e n konnten die S a r k o p h a g w e r k s t ä t t e n in Kleinasien und Grie­ chenland in ihrer verelendeten Umgebung keinen Absatz für ihre Luxuswaren finden, die auch früher vielfach für den Export bestimmt waren, und verlegten

8

Spisy F F , 6. 101

113

sich zumeist nach Rom. Der Beginn dieses Umsiedeins in g r ö s s e r e m Ausmasse ist unbekannt, ö s t l i c h e E i n f l ü s s e auf griechischen D e n k m ä l e r n zeigen, dass es h a u p t s ä c h l i c h nach dem J . 270 war, jedoch zum Teil auch schon unter G ä l l i e n u s , w o f ü r die sehr schweren Zeiten in Kleinasien und Griechenland in den fünfziger und sechziger Jahren m ö g l i c h e r w e i s e Zeugnis ablegen. Zu den Sarkophagen der gallienischen Zeit z ä h l t durch den Stil des Reliefs und der Porträts ein Sarkophag im Nationalmuseum

in R o m

6 8

mit einer dextrarum

iunctio und symbolischen Gestalten, die sich auf den Beruf des Verstorbenen be­ ziehen, der wahrscheinlich Beamter der annona, der Verpflegung war. Im m ä n n ­ lichen Porträt klingen, wie wir gesehen haben, die Bildnisse G ä l l i e n u s ' mit einem Widerhall des vom tiefen Gefühl vollen Realismus der Zeit Decius' aus, w ä h r e n d das weihliche Porträt mit der Frisur der Gattin Aurelians' Severins uns den Sar­ kophag in die Zeit nach dem J . 270 datiert. Die Gruppierung der Gestalten auf dem Relief ist nach der Mittelgruppe der Gatten mit Concordia im Zentrum frei symmetrisch. Ohne ein G e g e n ü b e r ist auf der zweiten H ä l f t e des Sarkophags ein Mann mit langem Bart und Haaren dargestellt, der im Hintergrund dicht neben dem Gatten steht. Den Beruf des Verstorbenen d r ü c k e n vier Frauengestalten

69

aus; von links sind es Portus mit einem Lichtturm in der rechten Hand, Liberalitas oder Frumentatio, die Amtszeichen des Toten, eine tessera frumentaria und ein rutellum in der H a n d hält, Annona mit dem F ü l l h o r n und F r ü c h t e n auf dem Schoss, sich auf ein Ruder s t ü t z e n d , und Africa mit Ä h r e n in der rechten. Hand, charakterisiert durch die Kopfbedeckung aus typischen Teilen des Elefantenkop­ fes. Z u F ü s s e n Annonas und Africas steht ein modius voll G e t r e i d e ä h r e n . Der Verstorbene war demnach ein Beamter der annona, der die Versorgung Roms mit Getreide beaufsichtigte, das vor allem aus Nordafrika in den r ö m i s c h e n Hafen Portus bei Ostia transportiert wurde. G e g e n ü b e r den f r ü h e r e n Szenen aus dem Leben eines H e e r f ü h r e r s , die g e w ö h n l i c h die dextrarum iunctio neben den nur symbolischen Dioskuren begleiteten, erscheint auf dem Sarkophagrelief ein ge­ w ö h n l i c h e r alltäglicher Beruf, wenn auch vorderhand nur symbolisch ausgedrückt. Einige Jahrzehnte später am Anfang des 4. J h . Hessen die Hinterbliebenen den Sarkophag des B ä c k e r m e i s t e r s L . Annius Octavius Valerianus mit einer realisti­ schen Folge von Szenen a u s s c h m ü c k e n , auf denen der Weg des Brotes von der Bestellung des Getreidefeldes bis zum Backofen dargestellt ist.

70

Auf dem Hoch-

zeitssarkophag ist der realistische Inhalt noch mit dem bildlichen, mythologischen Ausdruck verbunden. Der Stil des Reliefs ist gallienisch. Die Gestalten sind plas­ tisch, so wie auch die Draperie, auch wenn sich in ihr die Lust an der effektvoll g e f ü h r t e n Linie äussert, vgl. den Faltenwurf des Obergewandes. Aber trotz des Strebens nach N a t ü r l i c h k e i t der Stellungen wirken die Gestalten hart. In Bart und Haaren, vor allem bei dem Manne neben dem Verstorbenen, wird der male­ rische Stil mit den kontrastvollen Schatten des B o h r e r s

71

fortgesetzt. Das gilt

allerdings nicht für die Porträts, die wie g e w ö h n l i c h das Werk eines anderen

K ü n s t l e r s , eines spezialisierten Porträtisten sind. Ihre Haare und Barte sind plas­ tisch dargestellt, dafür ist das Gesicht des Gatten mit jenem schmerzlichen deciusartigen Ausdruck mit feinem Sinn für die Wirkung der Halbschatten model­ liert. Formell nahestehend ist der wahrscheinlich Claudius dem Gothicus ange­ h ö r e n d e Porträtkopf auf dem Relief mit der Opferung im Nationalmuseum in Rom,

7 2

aber das malerische Empfinden ist hier stärker und die plastischen Formen

verschwimmen. Die plastische gallienische Tradition wird durch einen massigen Illusionismus weicher gemacht. Wenn wir aber die K ö p f e der ü b r i g e n Personen des Reliefs, der Begleiter des Kaisers und der Helfer bei der Opferung, insbeson­ dere aber die ganzen Gestalten, auch die des Kaisers betrachten, sehen wir uns mit einemmal nahe der S p ä t a n t i k e . W i r k ö n n e n beobachten, wie die gallienische „ R e n a i s s a n c e " nicht ü b e r a l l gleich tief wirkte und wie stark ihre auf die neue Zukunft hinzielende Entwicklungskomponente war. Zusammenfassend: Abkehr von

der Natur, Verlust des Sinnes für die organische Struktur der Gestalt, im

einzelnen: flache Gestalten, negativ eingeritzte ornamentale Draperie, durch den K ö r p e r nur wenig geformt, betonte Kontur, harte lebenslose Stellungen, unrichtige Proportionen, Geometrisierung, Stereometrisierung, besonders

der K ö p f e

und

Glieder. Kubisierung zusammen mit zeichnerisch malerischer Auffassung, die sich der tetrarchischen, Basis der Decennalien auf dem r ö m i s c h e n Forum nähert. Die Reliefs der fünfziger bis sechziger Jahre, die wir bisher durchgenommen haben, zeichneten sich bis auf kleine Genreszenen mit Amoren durch Ruhe und ü b e r w i e g e n der Unbeweglichkeit aus. Trotzdem ist aber ein Thema, das eben i n dieser Zeit scheinbar seinen H ö h e p u n k t erreicht, stark erregt. E s sind die wannenf ö r m i g e n Sarkophage mit Riefen, die an den R ä n d e r n mit gewaltigen, Antilopen oder ä h n l i c h e Tiere würgenden

Löwen

verziert sind. Die L ö w e n bilden zugleich

74

die Seiten der Sarkophage. A m Ende des 2. J h . , um das J . 200, ist ein dionysi­ scher w a n n e n f ö r m i g e r Sarkophag mit L ö w e n p r o t o m e n , der sich im vatikanischen Museo Chiaramonti

75

befindet, entstanden. A n ihm ist der Zusammenhang mit

einer u r s p r ü n g l i c h steinernen Wanne zum Treten von Trauben zu sehen. Die L ö ­ wenmasken dienen hier als Verzierung des Abflusses.

76

Aus solchen Sarkophagen

entstanden in der ersten H ä l f t e des 3. J h . unter dem Einfluss der L ö w e n j a g d sarkophage s e l b s t ä n d i g e L ö w e n s a r k o p h a g e , auf denen der L ö w e den Schrecken des Todes symbolisiert. Das Jahrzehnt um die Mitte des 3. J h . ist eben jene Zeit, wo an den Sarkophagen Symbole die H a n d l u n g . v e r d r ä n g t e n . Eines dieser S y m ­ bole ist der L ö w e — das Raubtier. In den vierziger Jahren erreichten die Sarko­ phage mit der heroisierten L ö w e n j a g d ihren H ö h e p u n k t und stellten von nun an die Grundlage für eine neue Gattung s e l b s t ä n d i g e r w a n n e n f ö r m i g e r Sarkophage mit L ö w e n dar. Als ihren unmittelbaren V o r g ä n g e r bezeichnet Rodenwaldt wahr­ scheinlich richtig den Sarkophag mit L ö w e n j a g d und L ö w e n p r o t o m e n i m Kapitoli­ 77

nischen M u s e u m , der etwa um das J . 240 entstanden ist. Rodenwaldts Datierung in der a n g e f ü h r t e n Abhandlung L a Critica d'Arte I bis zum J . 250, in die Zeit des

115

decisclien Expressionismus, betrachte ich als etwas zu spät, und das auch in A n ­ betracht der Sarkophage mit symbolischen L ö w e n , weil sie mit ihren A n f ä n g e n auf dem Boden des r ö m i s c h e n „ H o c h b a r o c k s " stehen, wo sich bereits auch expres­ sionistische Tendenzen zeigen. Deshalb muss man damit ü b e r e i n s t i m m e n , wenn Rodenwaldt diese L ö w e n s a r k o p h a g e h a u p t s ä c h l i c h in die Jahre 240 bis 270 setzt, wo eine gewisse Erstarrung zur linearen Maske eintrat, wie das Fragment eines Sarkophags im Treppenhaus des Kapitolinischen Museums beweist.

78

Eine ge­

nauere Datierung innerhalb dieser drei Jahrzehnte ist beschwerlich, am wichtig­ sten jedoch ist die Feststellung, dass auch zur gallienischen Zeit Sarkophage voll Pathos und Unruhe entstanden. Welch eine Ausdruckskraft ist in den tief zer­ furchten K ö p f e n verborgen! Die Angesichte sind gleichsam zu einer expressiven Grimasse verzogen und mit einer durch den Bohrer stark zergliederten, reich vergoldeten M ä h n e umgeben. Nicht einmal die Vergoldung vermochte die zahl­ reichen Lichtkontraste, die eine u n g e w ö h n l i c h e Intensität erreichen, zu beseitigen. Der starke Ausdruck des Kopfes ist noch durch die sehnigen Tatzen gesteigert, deren Krallen sich erbarmungslos in den Leib des Opfers, f ü r das es keine Rettung mehr gibt, einbohren. Bei allem rauhen Naturalismus finden wir hier genug Stilisierung und Maskenhaftigkeit, wie es der zweiten Hälfte spricht.

80

des 3. J h . ent­

Zusammenfassend: Barockisierender Illusionismus, Expressionismus und

A n f ä n g e der Abstraktion. Die geriefelten Sarkophage, umrahmt mit ihre Opfer w ü r g e n d e n L ö w e n , wirkten auf die Reliefsarkophage ein und so erscheinen in der zweiten H ä l f t e

des 3. J h . w a n n e n f ö r m i g e

Sarkophage, auf denen früher nur

L ö w e n p r o t o m e waren, mit einem Rahmen von w ü r g e n d e n L ö w e n . Es war eine Bereicherung der Symbolik, die auf den Reliefsarkophagen deutlich das Uberge­ wicht gewann. Die symbolische Auffassung drang auch in das alte Thema der Schlachtensarko­ phage ein, die die K ä m p f e der R ö m e r mit den Barbaren im Westen und im Osten schildernd, unter Septimius Severus in den Jahrzehnten um das J . 200 u. Z. in Blüte

standen.

Nach dem J . 250 si

Schlachtensarkophag,

entstand

wahrscheinlich der

monumentale

der durch Ankauf aus der ehemaligen Sammlung Liido-

visi in das Nationalmuseum in R o m gelangte. Dieser schon durch seine Ausmasse u n g e w ö h n l i c h e Sarkophag, er ist n ä m l i c h 2,74 m lang, i,54 m hoch und 1,42 m tief, nimmt in der Entwicklung der Kunst des 3. J h . eine ebenso u n g e w ö h n l i c h e Stellung ein und wird g e w ö h n l i c h als das Hauptdokument für den H ö h e p u n k t des r ö m i s c h e n Barocks in der ersten H ä l f t e des 3. J h . angeführt. Trotzdem ist seine Datierung bis jetzt noch nicht fest und schwankt zwischen der ersten und zweiten H ä l f t e des 3. Jh. Wegen seiner besonderen Bedeutung widmen wir dieser grundlegenden Frage g r ö s s e r e Aufmerksamkeit. Es ü b e r w i e g t die Datierung zwi­ schen die Jahre 230 bis 235, h a u p t s ä c h l i c h durch Rodenwaldts Einfluss, vor allem durch seine bedeutungsvolle Abhandlung aus dem J . 1936 „Zur Kunstgeschichte der Jahre 220 bis 270''.

116

83

Ihm schliessen sich, um wenigstens einige grundlegende

neuere Werke zu nennen, Zschietzschmann in „ D i e hellenistische und r ö m i s c h e Kunst", Ducati in „L'arte in Roma", Gerke in „Die christlichen Sarkophage der vorkonstantinischen Zeit", Arias in „La scultura romana", Pallottino in „Arte figurativa e ornamentale", W . Technau in „ D i e Kunst der R ö m e r "

8 4

usw. an. A n ­

derer Meinung, d. h. für die Entstehung des Sarkophags erst in der zweiten H ä l f t e des 3. J h . , in der gallienischen Zeit, ist vor allem A . A l f ö l d i , beck,

86

85

ebenso von Schoene-

der auch die ü b e r e i n s t i m m e n d e Ansicht D e l b r ü c k s anführt, später Andrac

und A r i a s ,

88

diese unter dem Einfluss der M e i n u n g s ä n d e r u n g bei Rodenwaldt in

der letzten Zeit seines Lebens. G. G u l l i n i

91

89

Zuletzt datierten ihn H . von Heintze

90

und

knapp nach dem J . 250. S c h ö n e b e c k weist richtig auf die Einzigartig­

keit dieses Denkmals und die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten bei einer relativen Chronologie hin, führt aber selbst, neben einem Hinweis auf Alföldi (die Offiziere-protectores- sind um den Feldherrn erst in der Zeil Gallienus' versam­ melt) und die Ansichten D e l b r ü c k s (auf Grund des Porträts um das J . 270), nur die neue Auffassung des Triumphs an, d. h. die Geste des Feldherrn und sein V e r h ä l t n i s zur Schlacht, die g r i e c h i s c h - r ö m i s c h e

Synthese der Elemente, und

negativ, dass der Zusammenhang mit den grossen Sarkophagen der ersten H ä l f t e des 3. J h . nicht eindeutig bewiesen ist, also allgemeine und für die Chronologie u n g e n ü g e n d e Gründe. Rodenwaldt, der sich vor allem auf das Porträt des verstor­ benen Feldherm stützt, war vor 40 Jahren ebenfalls der Ansicht, dass das Porträt seine n ä c h s t e n Parallelen in der zweiten H ä l f t e des 3. J h . h a t schungen und Fortschritte" aus demselben J a h r

94

92

und nach „For­

zu urteilen an, dass das Porträt

aus dem zweiten Jahrzehnt des 3. J h . stammt. Nach acht Jahren, i m J . 1936, rückte er in der a n g e f ü h r t e n Abhandlung, die grossen Widerhall fand, das Datum des Porträts und somit auch des Sarkophags etwas vor das J . 235, wahrscheinlich auch unter dem Einfluss der gewaltigen Barockartigkeit der Sarkophagreliefs, die zwischen den Jahren 230—250 seinen H ö h e p u n k t erreicht. Im J . 1939

datierte

er den Sarkophag nach dem Porträt, wie er a u s d r ü c k l i c h anführt, ohne n ä h e r e B e g r ü n d u n g zwischen die Jahre 225—230

95

und schliesslich kehrt er kurz vor

seinem Tode zur Datierung in die gallienische Zeit, knapp nach dem J . 260, zu­ rück, wobei er sich h a u p t s ä c h l i c h auf die Komposition des Reliefs, die der Spätantike nahe steht, beruft. Einen wesentlich neuen Beitrag für die Datierung des Porträts und somit auch des Sarkophags bedeutet die a n g e f ü h r t e Studie von Helga von Heintze und das Buch von Gullini, das an sie anknüpft. Helga von Heintze zog ihre Konsequenzen aus der U n m ö g l i c h k e i t die Bildnisse mit Sicherheit nach dem Stil zu datieren und konzentrierte sich auf ein ä u s s e r e s Hilfsmittel, das man früher, wenn auch ergebnislos, auch erwog, n ä m l i c h auf eine auffallende Narbe an der Stirn des Feldherrn. Der Grund für das Schwanken der Ansichten der Forscher ist eben das Ver­ sagen des g e w ö h n l i c h z u v e r l ä s s l i c h s t e n Kriteriums, n ä m l i c h der Datierung nach der Entwicklung des Porträts, das sich auf eine z u s a m m e n h ä n g e n d e und genau

117

datierte

chronologische

Reihe M ü n z e n ,

nach ihnen datierter plastischer

Bild­

nisse der Herrscher und Mitglieder ihrer Familien stützt. Schwierigkeiten ergeben sich in unserem Falle daraus, dass zahlreiche Porträts der zwanziger bis dreissiger und der fünfziger bis sechziger Jahre, d. h. von Elagabalbis Alexander Severus und zur Zeit Gallienus, bzw. knapp vor oder nach ihr, einander ziemlich nahe stehen. In beiden Epochen ist die Grundlage der F o r m die Reaktion, die Wieder­ belebung des griechischen oder besser g r ä z i s i e r e n d e n plastischen Stils, die jedoch nur v o r ü b e r g e h e n d ist. Bald äussert sich eine zeichnerisch-malerische Tendenz, besonders auffallend bei den Haaren und Barten, eine Neigung zur niedrigen, nichtplastischen schraffierten Schicht. Beim Datieren des Bildnisses des Feldherrn auf dem Ludovisischen Sarkophag d ü r f e n wir nicht die P o r t r ä t k ö p f e im Kapitoli­ nischen Museum und in Aschaffenburg

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vergessen, die aller Wahrscheinlichkeit

nach den im Sarkophag begrabenen M a n n darstellen, wie nicht nur die Physio­ gnomie, sondern auch ein auf P o r t r ä t e n seltenes Detail, das M a l auf der Stirn in Form eines liegenden Kreuzes

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beweist. Diese r e g e l m ä s s i g e Narbe war also

ein charakteristisches Merkmal im Gesicht eines hervorragenden Mannes, der in einem r e p r ä s e n t a t i v e n prunkvollen Sarkophag begraben wurde und dessen Alter wir auf u n g e f ä h r 20 Jahre s c h ä t z e n k ö n n e n . Die Bedeutung des Mals hat erst H . von Heintze ganz ü b e r z e u g e n d ausgelegt, Rom.

Mitteil. 64,

1957,

S. 83 ff.,

und was noch wichtiger ist, sie hat es auf Porträts, vor allem auf M ü n z e n , bei einer Reihe r ö m i s c h e r Kaiser festgestellt, so bei Commodus, Hostiiianus, Heren nius Etruscus, Gallienus, Claudius II. Gothicus, Aurelianus und Diocletianus. Das liegende Kreuz, das einen Stern, das Symbol des Lichtes darstellt,

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bezeichnet

die Eingeweihten des Mithras'kults, dessen Bedeutung seit dem Ende des 2. J h . u. Z. u n g e w ö h n l i c h gestiegen war. Die Ü b e r e i n s t i m m u n g mit den Z ü g e n des FeldheiTii, der uns aus dem Ludovisischen Sarkophag und aus den frei plastischen Porträts im Kapitolinischen Museum, sowie in Aschaffenburg bekannt ist, weist auf Decius' S ö h n e , den j ü n g e r e n Hostiiianus und den ä l t e r e n Herennius Etruscus hin. H . von Heintze nimmt an, dass im Sarkophag Hostiiianus begraben wurde, der im Jahre 251 in R.om an der Pest starb und ein feierliches B e g r ä b n i s erhielt, •wie es den Interessen seines Mitregenten, des weit ä l t e r e n Trebonianus Gallus, entsprach. Das Alter dieses j ü n g e r e n Sohnes des Decius, der auf den M ü n z e n bartlos abgebildet ist und ziemlich jung aussieht, gibt sie mit

20—25 Jahren

an,

also nur etwas weniger als das des ä l t e r e n Bruders, und beruft sich auf Wittig, Pauly-Wissowa R e a l e n c y k l o p ä d i e unter dem Stichwort Messius 9. G u l l i n i " wen­ det dagegen ein, dass Hostiiianus noch sehr jung war, 15—17

Jahre, nicht am

Krieg teilnahm und an der Pest starb. H o s t i l i ä n s Alter lässt sich ü b e r h a u p t nicht z u v e r l ä s s i g bestimmen, weil wir nicht wissen, um wieviel Jahre er j ü n g e r war als sein älterer Bruder, dessen Alter auch nur hypothetisch auf etwa 20 Jahre, m ö g l i c h e r w e i s e auch etwas h ö h e r g e s c h ä t z t w i r d ,

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weil er schon im J . 249 mili­

tärische Befehlsgewalt besass und später auch an dem Krieg gegen die Goten am

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Unterlauf der Donau teilnahm, wo er auch in der Schlacht bei Abrittus im J . 251, also kurz vor dem Tode seines Vaters Decius fiel. Die Tatsache, dass sich Hostilianus an keinen K ä m p f e n beteiligte, brauchte kein Hindernis zu sein, da man die Handlung des Ludovisischen Sarkophags angesichts der symbolischen Geste des Feldherrn als eine Allegorie des Sieges des Guten ü b e r das B ö s e in Uberein­ stimmung mit dem Mithraismus auffassen kann. Schliesslich konnte der Sarko­ phag auch eine Erinnerung an den gefallenen Vater und Bruder sein. F ü r Heren­ mus Etruscus, wie Gullini v o r s c h l ä g t , w ü r d e das Alter und die Teilnahme an den K ä m p f e n mit den Goten sprechen, es ist allerdings wieder nicht bekannt, was mit seinem Leichnam geschah, ob er nicht in den S ü m p f e n verschwand, wie der des Decius. Das wird, obwohl die antiken Nachrichten unklar sind, zTim Unterschied vom Tode des Vaters, allerdings nirgends behauptet. So führt Epitome de Caes. 29, 3 von Decius a u s d r ü c k l i c h an, dass er i m Sumpf untergegangen ist, so dass es nicht einmal m ö g l i c h war seinen Leichnam zu finden, w ä h r e n d von Herennius im n ä c h s t e n Satz nur gesagt wird, dass er in diesem Krieg gestorben sei. Die Nachricht von S. Aurelius Victor Caes. 29, 5 ist zweideutig. Zuerst wird behauptet, Decius' Sohn sei in tapferem Kampf gefallen, etwas weiter heisst es wieder, dass Decius denselben T o d erlitten habe; von ihm wissen wir bestimmt, dass er im Sumpf ertrunken ist. Zwischen Hostiiianus und Herennius mit Sicherheit zu ent­ scheiden; welcher von ihnen mit dem Feldherrn mit dem Zeichen des Mithras an der Stirn identisch ist, ist nicht m ö g l i c h . Verschiedene G r ü n d e sprechen dafür und dagegen, sie sprechen vielleicht eher für den ä l t e r e n Bruder. V o m Standpunkt der Kunstgeschichte ist das jedoch bedeutungslos, denn entscheidend ist die Zeit der Entstehung des Porträts, d. h. das Jahr 251, mit dem der Ludovisische Sarko­ phag datiert wird. Was die beiden frei plastischen K ö p f e betrifft, unterscheiden sie sich stilistisch einigermassen voneinander. Der Kopf vom Kapitol steht dem S a r k o p h a g p o r t r ä t nahe, hingegen ist der Aschaffenburger K o p f mehr plastisch, klassizistisch und typisch gallienisch. F ü r die relative Chronologie k ö n n t e das bedeuten, dass das Aschaffenburger Bildnis j ü n g e r e n U r s p r u n g s hum,

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ist, also post-

aus der Zeit der entschiedeneren Zuwendung zur griechischen Tradition.

Das ist m ö g l i c h , denn das Angedenken an Decius und seine S ö h n e war auch nach ihrem Tode ruhmvoll und lebendig. Das halte ich für wahrscheinlicher als die zweite M ö g l i c h k e i t , dass n ä m l i c h beide K ö p f e gleichzeitig entstanden sind und der Klassizismus schon knapp nach der ersten H ä l f t e des 3. J h . soviel an Boden gewonnen hat. Die neue zeitliche Eingliederung des Porträts v o m Ludovisischen Sarkophag in das J . 251 entspricht sehr gut der Entwicklung der Bildhauerkunst an der Wende des Illusionismus der fünfziger Jahre, wie es z. B . auch die M ü n z e n Volusianus dokumentieren.

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Die Datierung des Porträts nach dem J . 250 verhilft uns auch zum V e r s t ä n d n i s des Sarkophagreliefs, ist jedoch durch die U n g e w ö h n l i c h k e i t , ja Einzigartigkeit des Sarkophags erschwert. A m wichtigsten ist das Relief an der Vorderseite, das

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das siegreiche Ende der Schlacht der R ö m e r mit den Barbaren vom westlichen und ö s t l i c h e n T y p (zwei von ihnen haben sog. phrygische M ü t z e n ) , vielleicht eine Anspielung auf die ostgermanischen G o t e n /

0 3

darstellt. In ihrer Komposition zer­

fällt die Schlachtszene, deren geistiges Zentrum der Feldherr in der Mitte der oberen H ä l f t e des Sarkophags ist, deutlich in drei B ä n d e r . Das obere Band ist den Siegern e i n g e r ä u m t , die meist nicht mehr k ä m p f e n , das untere den Besiegten, von denen keiner mehr auf den Beinen steht, sie sind zu Boden geworfen, werden g e t ö t e t oder sind bereits tot. Das mittlere Band hat die Aufgabe, das obere mit dem unteren zu verbinden, und füllt die L ü c k e zwischen ihnen durch senkrechte Seiten aus. Seine Mitte ist ziemlich leer, nur die Gestalten des oberen und des unteren Drittels reichen in sie hinein. Der Schwerpunkt des mittleren Bandes liegt auf seinen R ä n d e r n , wo sich je zwei grosse Gestalten befinden, die in die beiden ü b r i g e n B ä n d e r hineinreichen und sie auf diese Weise zu einer Komposi­ tionseinheit verbinden.

104

Links ist es die hohe Gestalt eines R ö m e r s , der, sich

mit dem erhobenen Schild s c h ü t z e n d , den feindliche Anführer, den einzigen Bar­ baren im oberen Teil des Sarkophags, angreift. Neben dem R ö m e r befindet sich ein anderer Soldat mit einem Gefangenen, der die H ä n d e gefesselt hat. Rechts ist ein Soldat in einem Panzer aus Metallringen, eine ausdrucksvolle Gestalt, betont noch durch den unteren Teil des von oben hereinragenden Tropaeums. Daneben sieht man einen h a l b e n t b l ö s s t e n Barbaren, der dem Beschauer den R ü c k e n zuwendend, mit einem r ö m i s c h e n Reiter im oberen Band kämpft. Die Vertikale des Schildes des Barbaren, die dem parallelen Schaft des Tropaeums entspricht, unterstreicht die den Rahmen schliessende Funktion der beiden Rand­ gestalten. Diese beiden, sowie zwei andere grosse Randgestalten, stellen eine Ver­ vollkommnung einrahmender statischer Barbaren, g e w ö h n l i c h in Paaren, auf den Schlachtensarkophagen aus dem Ende des 2. und dem Beginn des 3. J h . dar. Sie stehen nicht mehr ausserhalb der Handlung, sondern sind durch ihre Funk­ tion in sie eingegliedert. M i t ihnen stehen die Randgestalten im oberen Band im Zusammenhang, Soldaten, die kleine ü b e r t r a g b a r e den Rand des Sarkophages bildende Siegeszeichen halten. Die eigentliche Umrahmung und Abgrenzung der Handlung innerhalb der F l ä c h e der Vorderseite sind n i c h t k ä m p f e r i s c h e winkelige

Dreiecke, deren Hypotenusen symmetrische

recht­

Zweikampfgruppen zu

Seiten des Feldherrn bilden. Die Diagonale links geht vom Kopf und der erhobe­ nen Rechten eines Barbarenreiters aus, führt über den Schild seines r ö m i s c h e n Gegners, zugleich auch ü b e r den Kopf und den Oberarm eines zweiten R ö m e r s , der danebensteht, abwärts, geht an der Schwertscheide des ersten und dessen rech­ tem Bein weiter und endet bei einem Barbaren, der mit dem Pferd zu Boden ge­ stürzt ist, indem sie an der Grenze zwischen ihm und einem anderen K ä m p f e r entlang führt. Die Diagonale rechts geht vom Kopf und der Lanze eines r ö m i s c h e n Reiters aus, geht auf einen dem Beschauer den R ü c k e n zuwendenden Barbaren über, vor allem die Scheide seines Schwertes und sein ausschreitendes rechtes Bein

120

b e r ü h r e n d , und endet bei einem Barbaren, den niederzumachen ein ü b e r ihm ste­ hender r ö m i s c h e r Soldat im Begriffe ist. Hier rechts ist — eigentlich noch weniger als links — die Endphase der Diagonale nicht mehr so deutlich, wie oben und in der Mitte. Neben den Soldaten mit Tropaeen in den Ecken füllen die rahmenden Dreiecke noch Trompeter aus, von denen der Rechte eine u n g e w ö h n l i c h aus­ drucksvolle Gestalt ist; w ä h r e n d der linke wie g e w ö h n l i c h i m Profil zu sehen ist, der rechte steht vielleicht auch durch den Einfluss des Horns, das er bläst, frontal, da sich seine F o r m im Profil nicht ä u s s e r n kann. Die von den unteren Ecken des Sarkophagreliefs e m p o r f ü h r e n d e n und durch die parallele Wiederholung inner­ halb der Handlung betonten Diagonalen f ü h r e n das Auge des Beschauers zur Hauptperson des Sarkophags, dem porträtierten Feldherm. Dieser bildet die Spitze einer Pyramide von Leibern gefallener oder zu Boden gesunkener Barba­ ren, den wirklichen Gipfel- und Mittelpunkt der ganzen Szene.

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Der zu Pferde

sitzende Feldherr ist mit dem oberen Teil des K ö r p e r s dem Beschauer zugewandt. E r k ä m p f t nicht, die Schlacht ist bereits gewonnen und seine Soldaten nehmen nur mehr die Feinde gefangen oder machen sie nieder, er meldet durch eine Geste der rechten Hand, die man mit dem Zeichen der Horlatoren im Z i r k u s der J ä g e r , die bei der Hetzjagd ihre Hunde anfeuern des siegreichen Triumphators beim T r i u m p h z u g

108

107

106

oder

oder mit der G e b ä r d e

vergleichen kann, dem Heere

und den Zuschauern die freudige Nachricht vom errungenen Sieg und ruft gleich­ zeitig seine Getreuen zur e n d g ü l t i g e n Vernichtung der Feinde a u f .

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Zur gleichen

Zeit finden wir diese G e b ä r d e auf den Sarkophagen mit L ö w e n j a g d , vgl. z. B. J ä g e r hinter dem L ö w e n auf Mattei I, I I .

110

Die dominierende Stellung des Heer­

führers, der sich trotz allem an Grösse nicht von den ihn umgebenden Gestalten unterscheidet, hat die unaufdringliche Betonung des F ü h r e r s bei den V o r g ä n g e r n des Ludovisischen Sarkophags am Ende des 2. J h . weit ü b e r s c h r i t t e n und erin­ nert zum Teil an die etwas ä l t e r e n Amazonomachien mit der zentralen Gruppe Achilleus und Penthesileias. Im Grunde wird die alte Tradition realistischer Schlachtensarkophage beibe­ halten, aber die Komposition gleicht sich dem neuen, der S p ä t a n t i k e nahestehen­ den Ideal an. Mit dem Amazonensarkophag im vatikanischen Belvedere Nr. 49, der aus dem dritten Jahrzehnt des 3. J h . stammt, hat der Ludovisische Sarko­ phag einige verwandte Merkmale. In erster Linie ist es die klare Komposition, die sich auf einige grosse Gestalten, die den unteren Teil des Reliefs mit dem obe­ ren verbinden, stützt. Beim Vergleich der Komposition des Ludovisischen Sarko­ phags mit dem Schlachtensarkophag von der V i a Appia im Nationalmuseum in Rom, sehen wir auf diesem ein ungeregeltes G e d r ä n g e von Kriegern rund um den Feldherrn, w ä h r e n d auf jenem unsere Aufmerksamkeit sogleich auf den Unter­ schied zwischen dem oberen Drittel mit drei symmetrisch links und rechts des Feldherrn gruppierten Gestalten und dem unteren Drittel mit einer dichten A n ­ h ä u f u n g besiegter Barbaren und auf zwei Paare im mittleren Teil gelenkt wird,

121

die den unterschiedlichen oberen und unteren Teil verbinden. Ä h n l i c h e durch ihre Grösse ausser der Mittelgruppe alle ü b r i g e n Gestalten ü b e r r a g e n d e und die bewegte Schlachtszene, die auf diese Weise klar ü b e r s i c h t l i c h wird, wie ein Stütz­ gerüst verbindenden Paare finden wir eben auf der e r w ä h n t e n Amazonomachie. Der auf dem Ludovisischen Sarkophag von hinten dargestellte, mit einem Reiter ü b e r ihm k ä m p f e n d e Barbar ist offenbar die Variante eines ä h n l i c h e n Paares, das traditionell bereits auf den Amazonensarkophagen vorkam. Eine ä h n l i c h e K o m ­ position in drei Schichten ü b e r e i n a n d e r und mit grossen verbindenden Paaren hat auch ein nur wenig älterer Sarkophag mit der Darstellung des Kampfes zwischen 11

Griechen und Amazonen im Palast Borghese in R o m aufzuweisen. * Mit älteren Schlachtensarkophagen aus dem Ende des 2. und dem Anfang des 3. J h . hat der Ludovisische Sarkophag den hprror vacui trotz der A u f k l ä r u n g der ganzen Komposition gemeinsam. Nirgends ist an ihm ein Hintergrund zu sehen. In den L ü c k e n zwischen den Gestalten befinden sich A u s f ü l l u n g s k ö p f e ,

den ü b r i g e n

K ö r p e r m ü s s e n wir uns in der Tiefe des Raumes hinzudenken, oder es zeigt sich in einer anderen L ü c k e von ihm eine H a n d u. ä .

1 1 2

Eben was die Darstellung des

Raumes betrifft, h ä n g t der Ludovisische Sarkophag noch immer in gewissem Masse mit Sarkophagen des gleichen Themas aus der Zeit Septimius Severus' zusammen und - trotz der unbestreitbaren Tendenz zur r ä u m l i c h e n Schicht, die auch schon damals festzustellen war, unterscheidet sich von den n i c h t r ä u m l i c h e n flächenhaft ausgeglichenen Reliefs der zweiten H ä l f t e des 3. J h . Die Darstellung des Raumes kombiniert auf dem Ludovisischen Sarkophage, ä h n l i c h wie auf den Schlachtsarkophagen v o m Ende des 2. J h . , die normale, die Gestalten v e r k ü r ­ zende und sie hintereinanderreihende Perspektive mit der

expressionistischen

Ubereinanderstaf feiung. Diese Auffassung, die schon zum J . 250 verschwindet, wie z. B . an der Ent­ wicklung der Amazonensarkophage zu sehen ist (vgl. z. B. den Sarkophag in Bona, Robert II 97), ist der gallienischen Zeit fremd, die mit Vorliebe die Ge­ stalten ruhig aneinanderreiht und im Geiste der griechischen Tradition für das Relief keinen freien Raum voraussetzt, sondern der Hinterwand ihre abgrenzende Funktion weiterhin überlässt, wie es die für diese Zeit typischen Sarkophage mit Philosophen und Musen beweisen. kophagen

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113

V o n den sehr seltenen mythologischen Sar­

der fünfziger bis sechziger Jahre lässt sich am besten der Theseus-

sarkophag in Clieveden vergleichen, weil die Komposition des EndymionSarko­ phags in Richmond und des Ariadnesarkophags aus Aulelta ganz vereinzelt ist, und das auch in der F l ä c h e . Die Gestalten des Clievedener Sarkophags setzen keinen freien Raum voraus. Die K ö p f e der Personen des zweiten Plans sind in die flache Schicht der vorderen Gestalten eingeschoben. Mehr Dokumente für einen Vergleich w ü r d e n wir erst in den letzten zwei Jahrzehnten des 3. J h . finden, wo nicht nur die mythologischen Sarkophage wieder Beliebtheit erlangen, sondern die Prometheus- und Phaethonsarkophage sich an die Komposition der Sarko-

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phage V o n hohem Format aus der ersten Hälfte des 3, Jh. anschliessen und die Gestalten wieder iibereinanderreihen. M a n vergleiche z. B . den neapolitanischen Prometheussarkophag aus P o z z u o l i

115

und für die Tradition der Amazonensarko­

phage den Richmonder aus der Sammlung C o o k s .

iiß

Der Ludovisische Sarkophag

hat teilweise hintereinander, ü b e r w i e g e n d jedoch ü b e r e i n a n d e r drei bis fünf, ja sechs Ebenen, wobei die letzte, die nur wenig sichtbar ist, ganz f l ä c h e n h a f t in niedrigem Relief am Hintergrund aufgetragen ist, der nirgends zu sehen ist. Auf dem Prometheussarkophag ist trotz der grossen Anzahl Gestalten, die bis in vier r ä u m l i c h e Ebenen aufgestellt sind, überall zwischen den Gestalten die Grund­ wand sichtbar, soweit sie nicht von tiefen Schatten v e r h ü l l t wird, weil das Relief in der Mehrzahl aus voll plastischen Gestalten besteht, die vor dem Hintergrund stehen. Dieser ist nirgends durchbrochen und seine K ö r p e r l i c h k e i t ist erhalten. Das Relief macht den Eindruck einer nicht zu tiefen B ü h n e , auf der sich die Schauspieler vor der Kulisse des Hintergrunds entweder frontal oder parallel zu ihr bewegen. Dagegen ist bei dem Ludovisischen Sarkophag das V e r h ä l t n i s zum Hintergrund weit vielfältiger; der Blick des Beschauers wird wenigstens teilweise in die Tiefe des Raumes geleitet, der nicht begrenzt zu sein scheint. Mehrere Personen stehen zum Hinlergrund in einem spitzen Winkel. A m auffallendsten ist ein sich in einem gewaltigen Ausfall befindender und dem Beschauer den R ü c k e n zuwendender Barbar. W ä h r e n d der hintere Fuss mit der Spitze in der ersten Ebene steht, befindet sich der Leib in der dritten und der vordere aus­ schreitende Fuss verliert sich ü b e r dem Knie nach unten im angenommenen freien Raum. Unten, unterhalb des Feldherrn kniet ein Barbar in frontaler Stellung auf dem linken Knie, der linke Fuss ist also rückwärts gerichtet, w ä h r e n d der rechte nach vorn in Richtung des Beschauers gebogen ist. Der Barbar selbst blickt rück­ wärts. Links unten liegt der Leichnam eines anderen Barbaren mit dem oberen Teil des Kopfes ausserhalb des Sarkophags, w ä h r e n d der Leib vom Rumpf ab­ wärts nicht mehr zu sehen ist; man muss sich ihn vorstellen, als ob er in den Raum verläuft. In ä h n l i c h e r Weise liegen auch manche Pferde. E i n stark raum­ bildender Faktor sind auch die Schilde der r ö m i s c h e n und feindlichen Soldaten, die zur F l ä c h e des Reliefs einmal senkrecht, einmal parallel oder ein anderesmal schräg stehen. Wenn wir damit den Amazonensarkophag in Richmond verglei­ chen, sehen wir, wie an ihm alle Personen und Pferde ausgeglichen und in die mit der Unterlage parallele F l ä c h e komponiert sind, als w ä r e n es mikroskopische zwischen zwei Gläser gelegte Präparate. Nicht dass es hier keine Ü b e r d e c k u n g e n g ä b e , wenn auch die Tendenz sichtbar ist sie zu vermeiden, die Raumschicht ist jedoch auf ein Minimum reduziert. Auch alle Gefallenen befinden sich parallel zur Unterlage, wenn auch etwas u n n a t ü r l i c h . Wie unterscheidet sich der Rich­ monder Amazonensarkophag von jenem im Pariser L o u v r e ,

117

der am Anfang des

3. J h . entstanden ist. Ersterer ist in drei B ä n d e r n ü b e r e i n a n d e r dicht mit Gestalten ausgefüllt, auch in den freien Stellen zwischen ihnen sind K ö p f e angebracht. Der

123

Raum, den die mit dem Hinlergrund verschiedene Winkel bildenden Gestalten andeuten, ist beträchtlich. Auf dem Pariser Sarkophag finden wir rechts unten einen Gefallenen, dessen K ö r p e r sich rückwärts in den Raum wie auf dem Ludo­ visischen Sarkophag verliert. Es ist also ersichtlich, dass der Ludovisische Sarkophag durch seine Auffassung des Raumes wenigstens teilweise in die erste H ä l f t e des 3. J h . und in die N ä h e der grossen Amazonensarkophage g e h ö r t und erst an die realistischen Schlachten­ sarkophage vom Ende des 2. und Anfang des 3. J h . anknüpft. Andererseits lässt es sich jedoch nicht ü b e r s e h e n , dass diese realistische R ä u m l i c h k e i t irgendwie erstarrt und durch eine ganz entgegensetzte Tendenz gebunden ist, n ä m l i c h durch eine Neigung zur abstrakten Schicht. Manche Gestalten machen tatsächlich den Eindruck, als w ü c h s e n sie aus der Tiefe des Raumes hervor und das nicht nur auf Grund der traditionellen bereits hellenistischen perspektivischen V e r k ü r z u n ­ gen der K ö r p e r , sondern auch durch ihr V e r h ä l t n i s zur Umgebung. Jedoch zum Unterschied von dem Sarkophag von der V i a Appia, wo die Ubereinanderstaffe­ lung der Gestalten nur ihr gegenseitiges G r u n d v e r h ä l t n i s — die Hintereinanderstaffelung — ergänzt, sind die einzelnen Formen auf dem Ludovisischen Sarko­ phag meist nebeneinander angebracht, vgl. insbesondere

die linke Hälfte

des

Reliefs g e g e n ü b e r der r ä u m l i c h e r e n rechten. Die r ä u m l i c h e Auffassung ist also w i d e r s p r ü c h l i c h und verbindet die realistische Konkretheit mit der abstrakten Re­ duktion, mit anderen Worten — in die Entwicklungskonstanten umgesetzt — sie knüpft sich an die Kulminierung des Realismus am Ende des 2. und in der ersten Hälfte dese 3. J h . und bildet eine B r ü c k e zur Abstraktion der zweiten Hälfte des 3. Jh., wo die klassizisierende Typisation der Wirklichkeit in den s p ä t a n t i k e n Antirealismus ü b e r g e h t . Durch das G e g e n s ä t z l i c h e der r ä u m l i c h e n Auffassung er­ k l ä r e n wir uns die einander widersprechenden Bewertungen des Raumes auf dem grossen Ludovisischen Schlaehtensarkophag. W ä h r e n d Hamberg in den Gestalten die Vorderfront einer unendlichen M e n g e Teppich

119

118

sieht, spricht Arias von einem flachen

und auch Gullini bezweifelt hier vollkommen die Raumtiefe. Ältere

Forscher, die den Sarkophag in die dreissiger Jahre datieren, unterscheiden sich dadurch auch von den neueren Ansichten, die die Zeit der Entstehung eines so einzigartigen Sarkophags zwischen den Jahren 250—270 suchen. Die ersleren betonen die vergangene Tradition, die letzteren die beginnende Zukunft. Wenn wir die Darstellung der K ö r p e r und Draperien der einzelnen Gestalten untersuchen, stellen wir beim ersten Blick vor allem die reichliche Anwendung des Bohrers fest, besonders in den P f e r d e m ä h n e n , sowie in den Haaren und Barten der Bai-baren. Die r ö m i s c h e n Soldaten sind im Gegensatz zur Wirklich­ keit bartlos, zum Unterschied von der M a r c - A u r e l s s ä u l e oder dem Schlachtensar­ kophag von der V i a Appia. Es ist wahrscheinlich eine Angleichung an die mytho­ logischen Sarkophage mit K ä m p f e n zwischen Amazonen und den meist ohne Bart abgebildeten Griechen, Auch diese Tatsache, ähnlich wie das Porträt des Feld-

124

herrn, weisen auf eine Zeit des v e r s t ä r k t e n G r ä z i s m u s und auf die Methoden hin, durch die realistische Schlachtcnsarkophage modifiziert wurden. Der Bohrer wird bei der dynamischen plastischen Modellation angewandt. Wie die Gesichter der R ö m e r und besonders der Barharen im Geiste des hellenistischen pathetischen Realismus barock modelliert sind, ebenso sind auch die Haare und Barte plastisch, individuell mit starken Lichtkontrasten ausgeführt.

Oft bieten die tiefen

Ein­

schnitte des Bohrers, die die n a t ü r l i c h e n S t r ä h n e der Haare oder Barte verfolgen, bloss die Illusion einer vollplastischen A u s f ü h r u n g , allein so realistisch, dass wir uns dessen gar nicht bewusst werden. Der resultierende Eindruck ist u n g e f ä h r so wie auf den s p ä t a n t o n i n i s c h e n , zum Teil auch severischen Porträts, nur mit dem Unterschied, dass das Gesicht nicht klassizistisch glatt, sondern ebenfalls dyna­ misch realistisch ist. Nichtsdestoweniger besteht bei G l ä t t u n g des Marmors bis zu einem glasartigen Glanz und bei tiefen Einschnitten zwischen dem Gesicht und den Haaren und Barten ein beträchtlicher Kontrast, der allerdings u r s p r ü n g l i c h etwas anders war, da die Haare und Barte vergoldet waren, wie wir mit Sicherheit aus der violetten F ä r b u n g schliessen, deren deutliche Spuren als Beweis der che­ mischen Einwirkung des Goldes auf den M a r m o r g r u n d

121

erhalten sind. Die Ver­

goldung der Haare auf dem Ludovisischen Sarkophag ist im 3. J h . keine verein­ zelte Erscheinung. Andere Beweise haben wir auf Sarkophagen aus den Praetextkatakomben, aus dem J . 2 3 8 .

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vor allem auf dem monumentalen Sarkophag Kaiser Balbinus Diese neue Art des F ä r b e n s , die sich wesentlich von der bunten

realistischen Polychromie des 2. J h . u. Z. unterscheidet, weist, auf eine Entwick­ lung hin, die sich vom antiken Realismus abwendet und nach einem starken Ausdruck mit subjektiven Mitteln strebt. Die Vergoldung der Haare und Barte verringerte allerdings in gewissem Masse einigermassen die schwarz-weissen K o n ­ traste der erhabenen und vertieften Stellen, e r h ö h t e aber andererseits noch den Gegensatz zwischen den weissen Gesichtern und ihrer Umrahmung. Die Draperie ist ebenso barock dynamisch wie die Darstellung der Haare und Barte. Die Ge­ w ä n d e r , in Ruhe oder in Bewegung, sind ziemlich kontrastreich und mit tiefen Falten modelliert, deren Schatten zuweilen durch die scharfen Einschnitte so stark hervorgehoben sind, dass die Plastizität beinahe verschwindet und die Draperie eher den Eindruck negativer Schnitzerei in die F l ä c h e , als eines plas­ tisch positiven Auftragens auf den Kern des Blockes erweckt. Das ist vor allem bei dem feindlichen A n f ü h r e r im oberen Band der Fall, weniger ausdrucksvoll am Mantel des r ö m i s c h e n Feldherrn und bei einem R ö m e r mit einem Gefangenen im Mittelband sowie auch an anderen Stellen. Ä h n l i c h e A n f ä n g e der sog. nega­ tiven Draperie haben wir schon früher, z. B. auf dem historischen Relief aus dem Palast Sacchctti oder auf dem Hippolytossarkophag aus dem pisanischen Camposanto

123

kennengelernt; es ist dies also durchaus kein neues stilistisches Element;

Diese dynamische barocke Plastizität, die sich in der Darstellung von Bart, Haar und Draperie äussert und die hellenistische Auffassung durch einen neuen Sinn

125

für die Erweckung der Wirklichkeitsillusion vertieft, ist eine Fortsetzung der antoninischen Entwicklung. In der vorhergehenden

Epoche hat sie eine teilweise

Parallele z. B . im schon e r w ä h n t e n Adonissarkophag i m Lateran, der in der Zeit bald nach dem J . 220 entstanden ist, eine noch engere in der unmittelbaren Umgebung in den sog. barocken Sarkophagen der vierziger Jahre und im sog. Jovinus-Jagdsarkophag in Reims, von Rodenwaldt zum J . 260 datiert, aber in solcher Intensität weder in der ersten, noch i n der zweiten Hälfte des 3. J h . seines­ gleichen hat. Es ist interessant, dass dieser dramatischen Modellierung, die ein starkes ba­ rockes Empfinden beweist, keine Steigerung der Bewegung der Gestalten ent­ spricht. Die in Anbetracht der Handlung zumeist relativ ruhigen Gesten und Stellungen sind natürlich, nur selten beobachten wir, wie auf dem Jagdsarkophag Mattei I, ein Abnehmen des Sinnes für das Organische (die Art, wie der Feldherr zu Pferde sitzt, die H a n d mit dem Schild des Barbaren links unten). Vergleichen wir den Ludovisischen Sarkophag mit seinen V o r g ä n g e r n vom Ende des 2. J h . , so stellen wir fest, dass die Vehemenz der Bewegung auf ihm g e d ä m p f t ist. E s herrscht hier dieselbe Ordnung, die auch die ganze Komposition geklärt hat. Die traditionellen Schemen der vom Pferde fallenden Krieger in den Galatomachien und Amazonomachien, die auf dem Schlachtsarkophag von der V i a Appia zu einer rechten Akrobatik geworden waren, sind verschwunden. Dort sehen wir eine erregte Handlung, das Drama der Schlacht äussert sich vor allem in den viel­ fältigen Bewegungen der Gestalten, die sich verschiedenartig kreuzen, einige Jahr­ zehnte s p ä t e r jedoch verlegte sich das Pathos nach innen. Das spricht aus der Kompositionsordnung des Ganzen und besonders aus den Gesichtern der be­ siegten Barbaren. Auf älteren Sarkophagen wird t a t s ä c h l i c h g e k ä m p f t , auch wenn die Ü b e r l e g e n h e i t der R ö m e r klar ersichtlich ist. Auf dem Ludovisischen Sarko­ phag ist der Kampf eigentlich schon beendet und der Triumph der R ö m e r ü b e r die Feinde ist nicht mehr durch die ä u s s e r e Antithese des

Schlachtgetümmels

und des tragischen Rahmens der ruhig stehenden Barbarenpaare unter den T r o paeen a u s g e d r ü c k t , sondern dieser Gegensatz bildet schon die Grundlage der Komposition der Handlung, die das Band der Sieger dem Band der Uberwundenenen g e g e n ü b e r s t e l l t und die Handlung andeutungsweise in die symbolischen Hauptgestalten im oberen Teil des Reliefs konzentriert, deren Achse der trium­ phierende Feldherr bildet. Die umrahmenden Paare der Gefangenen sind ver­ schwunden und werden teils durch die r ö m i s c h e n Soldaten mit Tropaeen, teils durch die organische Geschlossenheit des Ganzen ersetzt. Alle G e f ü h l e der Be­ siegten sind in den Gesichtern der „ E r n i e d r i g t e n " im unteren Band a u s g e d r ü c k t . Der gesteigerte Ausdruck der Niedergemetzelten, der Toten oder jener, die sich der totalen Niederlage bewusst sind, g e h ö r e n zu den pathetischesten und ba­ rocksten Ä u s s e r u n g e n der A n t i k e .

125

Das erregte Gefühl, die m ä c h t i g wogende

und durchfurchte Masse bilden einen wirksamen Ausdruck der Tragik der Bar-

126

baren treffenden Katastrophe, einen Ausdruck der, g e s t ü t z t auf die klaren Diago­ nalen der Konstruktion der Komposition, sowie die expressive und kontrastvolle Verbindung der Sieger und der unterliegenden Feinde, eine monumentale Wirkung erzielt. Die Grundlage der dreieckigen Gruppe, der man eine pyramidenartige R ä u m l i c h k e i t nicht absprechen kann, bildet der Schrecken des Todes, die auf den Gesichtern der Barbaren symbolisierte

Vernichtung des

Lebens, ihre

Spitze

sodann der triumphierende Feldherr. Ich glaube, es w ä r e nicht richtig in der Auslegung des symbolischen Inhalts dieser Gruppe allzuweit zu gehen. Sicher ist nur, dass die Schlacht, die Ernte des Todes, ebenso eine Allegorie des Lebens­ endes bedeutet, wie die tragische Gestalt des t ö d l i c h verwundeten Adonis in der Mitte des lateranischen Sarkophags, wie der schlafende Endymion oder die von Pluto entführte Proserpina. Das erhaltene Bild vom Stil des Ludovisischen Sarkophags muss noch durch die Seitenrelicfs e r g ä n z t werden.

126

Thematisch h ä n g e n sie mit der Vorderseite

zusammen. Auf der linken Seite k ä m p f t ein R ö m e r , der die ganze H ö h e des Sarko­ phags einnimmt, mit einem Barbaren zu Pferde, vor ihm und zu seinen Füssen, befinden sich zwei samt ihren Pferden zu Boden gesunkene Feinde. Auf der rechten Seite sieht man zwei k ä m p f e n d e Paare und einen r ö m i s c h e n Soldaten mit einem Tropaeum. Die Reliefs erwecken trotz ihrer auf den S e i t e n w ä n d e n von Sarkophagen, die g e g e n ü b e r der Vorderwand weniger sorgfältig a u s g e f ü h r t wer­ den, ü b l i c h e n Flachheit zum Teil eine Illusion von Raumtiefe, aber eine erstarrte, ä h n l i c h wie auf dem Hauptrelief. Auch die D i s p r o p o r t i o n a l i t ä t haben sie mit ihm gemeinsam, wenn auch in weit g r ö s s e r e m Masse. In den Proportionen der Ge­ stalten bestehen hier b e t r ä c h t l i c h e Unterschiede. Auf der rechten Seite sind die Gestalten dem freien Platze angepasst, auf der linken Seile ist der r ö m i s c h e Soldat die dominante Erscheinung der ganzen Szene. Unterschiedliche Propor­ tionen bei den Nebengestalten und im Gegenteil dazu Betonung der Grösse jener Gestalten, die für die Komposition der Schlachtszene wichtig sind, finden wir auch auf dem Relief der Vorderseite des Sarkophags als eine jener Erscheinun­ gen, die den angetretenen Weg zur S p ä t a n t i k e kennzeichnen. Neben v o r ü b e r ­ gehenden Erscheinungen, die schon von anderen Sarkophagen bekannt sind, wie Doppelsinn der r ä u m l i c h e n Auffassung, durch realistische und unrealistische Mit­ tel erreichte Raumtiefe, Tendenz zur Schicht oder Anzeichen für den Verlust des Sinnes für die organische Form, ist es noch das feste Kompositionssystem, wenn es auch bis jetzt keine strenge geometrische Komposition gibt, eine Ord­ nung, die eng mit der klassizistischen A u f k l ä r u n g der Komposition des Ludovi­ sischen Sarkophags g e g e n ü b e r der barocken Verwirrung der Sarkophage von der Via Appia, vom Cassino der Villa Borghese oder Doria Pamfili z u s a m m e n h ä n g t ; weiter sind es der expressionistische

Kontrast der weissen und der goldenen

Farbe in der Polychromie, der zur Erreichung eines monumentalen r e p r ä s e n t a ­ tiven Ausdrucks, auch auf Kosten der n a t ü r l i c h e n , durch Sinne wahrgenommenen

127

Wirklichkeit dient, und schliesslich der neue statische Ausdruck des triumphalen Sieges weniger durch die Handlung, als vielmehr durch verschiedene Komposi­ tionsmittel und die Geste des nicht am Kampf beteiligten

Heerführers.

F ü r die Chronologie des Ludovisischen Sarkophags, dessen Form zum Teil barock dynamisch ist, in gewissem Masse durch den Illusionismus zum

beeinflusst,

Teil klassizisierend und zugleich zur S p ä t a n t i k e strebend, ist am bedeu­

tendsten der Hinweis auf den Zusammenhang mit den grossen Amazonensarkophagen aus der ersten H ä l f t e des 3. J h . , den wir versucht haben zu beweisen. Der

Ludovisische Schiachtensarkophag setzt trotz der bedeutenden

zeitlichen

Entfernung die Tradition seiner V o r g ä n g e r fort, modifiziert sie in Ü b e r e i n s t i m ­ mung mit der neuen Welle des G r ä z i s m u s und in Verbindung mit den mytho­ logischen Schlachtensarkophagen mit den K ä m p f e n zwischen Griechen und Ama­ zonen. Das widerspricht der Annahme, dass er erst in den Jahren 260—270 entstanden ist. F ü r die Datierung zum J . 251 spricht schliesslich ein technisches Detail, n ä m l i c h die Art der Bearbeitung des Inneren des Sarkophags. Die Spuren des Meisseis sind zwar ziemlich grob, was bei den b e t r ä c h t l i c h e n Ausmassen des Sarkophags begreiflich ist, aber r e g e l m ä s s i g . Die Bearbeitung der I n n e n w ä n d e von Sarkophagen hatte sich n ä m l i c h seit dem 2. J h . , wo sie sehr fein war, im Laufe des 3. J h . , zum Teil bereits seit dem Ende des 2. J h . schnell verschlechtert und die S c h l ä g e des Meisseis werden immer u n r e g e l m ä s s i g e r . Diese Entwicklung lässt sich deutlich auf den Sarkophagen aus den Praetextatkatakomben verfolgen, die seil der antoninischen Zeit bis zum Ende des 3. J h . reichen. Der Mainzer Deckel, den Rodenwaldt als einen Teil des Ludovisischen Sarko­ phags betrachtete,

127

hätte für die Datierung des Sarkophags keine entscheidende

Bedeutung, selbst wenn seine Z u g e h ö r i g k e i t zu ihm klar bewiesen w ü r d e , weil der v o l k s t ü m l i c h e r e Stil der Sarkophagdeckel sich von dem offiziellen Stil des Hauptreliefs an der Vorderseite des Sarkophags unterscheidet und die stilistische Entwicklung dieser Deckel weit unklarer ist als die der grossen Sarkophagreliefs. F ü r die Wahrscheinlichkeit, dass der Mainzer Deckel ein Teil des Ludovisischen Sarkophags ist, spricht vor allem die Thematik des Deckels zusammen mit seinem u n g e w ö h n l i c h hohen Format, der Stil ist dabei kein Hindernis. E i n z u v e r l ä s s i g e r Beweis, die Auf Setzung des Deckels auf den Sarkophag, wenigstens im Abguss, wurde nicht d u r c h g e f ü h r t .

128

Der Deckel, der ebenfalls

aus der Ludovisischen

Sammlung in das Mainzer Museum gelangte, hat u n g e f ä h r die halbe. H ö h e des Sarkophags, also u n g e f ä h r 0,75 m. In der Mitte befindet sich eine tabula ansata ohne jede Aufschrift, unter ihr ist eine Gruppe klagender Barbaren zu Seiten eines m ä c h t i g e n Tropaeums symmetrisch angeordnet.

Vorn befindet

sich auf

einer Seite ein F r a u e n p o r t r ä t vor einer Draperie, auf der anderen Seite eine Szene mit dem Empfang der Barbaren durch den r ö m i s c h e n Feldherrn. Das weibliche Porträt, ein Brustbild, flach, mit linearer Draperie, hat eine Melonenfrisur mit freien breiteren Wellen und verdeckten Ohren. H . von Heintze identifiziert es

128

mit lierennius und Hostiiianus Mutter, der Kaiserin Herennia Ktruseilla.

129

Das

ist m ö g l i c h , wenn sich auch die Frisur etwas unterscheidet. In der Szene mit den Barharen vor dem r ö m i s c h e n Feldherrn sind die Gestallen hintereinander und ü b e r e i n a n d e r bis in vier Ebenen gruppiert, in der letzten befinden sich im Hin­ tergrund K ö p f e , ä h n l i c h wie auf dem Hauptrelief des Sarkophags. Die Barbaren sind in kleinerem Massstab dargestellt.

Der suggestus, auf dem der Feldherr

sitzt, ist — wenn auch unvollkommen — perspektivisch dargestellt, der H e e r f ü h r e r nicht en face, sondern in Schrägsichl. Beides erinnert stark au den in ä h n l i c h e r Weise auf einem steinernen Podium sitzenden Septimius Severus auf dem Relief im Palast Sacchetli. In den Ecken des Deckels befinden sich fein gearbeitete K ö p f e , die stark ornamental wirken. Der Stil des Deckels erinnert, verglichen mit den

grossen

Sarkophagrcliefs,

Bohrens, wie G e r k e

130

besonders

durch die

poinlillistische

Art

des

anführt, zumindest an die gallienische Zeit, oder eher an

die der Telrarchen. Durch die Analogie mit einem ä h n l i c h e n Deckel im Louvre, der durch das Jahr des Konsulats des begrabenen Pctronius Melior um das J . 240 datiert ist, und angesichts der weiblichen Frisur auf dem Mainzer Deckel und der verwandten Physiognomien der Nebenfiguren auf den Nereidensarkophagen, beweist Gerke aber, dass dieser gesteigerte optische Stil auf Deckeln wenigstens schon etwa seit dem J . 230 existierte. Daraus folgert, dass der Mainzer Deckel um das J . 250 entstehen konnte, seine Datierung ist aber strittig. Weil die Zuge­ h ö r i g k e i t des Mainzer Deckels zum Ludovisischen Sarkophag nicht

eindeutig

bewiesen ist, kann nur gesagt werden, dass der Stil des Deckels der Datierung des Sarkophags zum J . 25:1 nicht widerspricht. Seine letzte Ansicht betreffs der chronologischen

Eingliederung des grossen

Schlachtensarkophags aus der ehemaligen Sammlung Ludovisi in die Zeit kurz nach dem J . 260 hat Rodenwaldt in der schon e r w ä h n t e n Studie ü b e r den Sarko­ phag mit der L ö w e n j a g d in Reims ausgesprochen, den er nach der Frisur der Göttin Virtus (das Porträt der Verstorbenen) und nach der Entwicklungsbeziehung zu den Sarkophagen mit dem gleichen Thema aus den vierziger Jahren zum J . 260 datiert.

131

Gullini ist mit der A n k n ü p f u n g des Ludovisischen Sarkophags

auf den Reimser einverstanden und geht noch weiter.

132

indem er annimmt, dass

beide in einer Werkstatt entstanden sind. Seine G r ü n d e k ö n n e n uns jedoch nicht ü b e r z e u g e n , weil keine evidenten Parallelen bestehen. Durch den Stil und die Zeit stehen sie einander allerdings nahe. Der Sarkophag in Reims, in dem nach christlicher Tradition im 4. J h . der fromme Feldherr Jovinus begraben wurde, ist in der Reihe der Sarkophage mit der heroischen L ö w e n j a g d zweifellos mit den D e n k m ä l e r n der vierziger Jahre, dem Sarkophag Mattei II und dem sog. Balbinusarkophag in Kopenhagen, verwandt. Die Haartracht auf den weiblichen Bildnissen, wie wir sie aus der Zeit der Herennia Etruscila (249—251) her kennen, weist auf die fünfziger bis sechziger Jahre des 3. J h . hin. Rodenwaldt Hess sich zur

9

Datierung

Spisy FF, c. 101

zum

.1.

260

durch

einige gallienische

stilistische Merkmale

129

bewegen,

vgl.

der f l ä c h i g e n beginnen.

die

plastische

Anwendung

Festigung

der

des Bohrers, die

i'lammcnarligen jedoch

schon

Maare

neben

nach dem J . 250

Es scheint mir also richtiger, sich nicht vom J . 250

zu

entfernen

und ihn schon in die Zeil um die H ä l f t e des 3. J h . , in die N ä h e des Ludovisischen Sarkophags, wie es auch Rodenwaldt tut, und des Kopenhagener zu datieren. Diese feinen chronologischen W i d e r s p r ü c h e zeigen, wie u n e r l ä s s l i c h die Vollen­ dung 1954,

des 133

Sarkophag-Corpus ist,

vgl.

den

Kopenhagencr

Kougress

im J .

und wie u n m ö g l i c h es ist, mit absoluter Genauigkeit ideale Entwick­

lungsreihen nach bestimmten Merkmalen in Zeilen, in denen sich verschiedene Tendenzen ü b e r d e c k e n und kreuzen, aufzustellen. Bevor wir unsere längere Betrachtung über die Problematik des Schlachtensarkopliags

Ludovisi beenden, wollen wir abschliessend

nur betonen,

dass er

direkt an der Wende des Slilwechsels der grossen Enlwicklungsepochen steht. In ihm gipfelt einerseits der klassische Realismus und andererseits äussert sich schon deutlich die abstrakte E x p r e s s i v i t ä l der S p ä l a n t i k c . E r stellt im Zusammen­ hang mit d«n grossen Amazonensarkophagen des zweiten Viertels des 3. J h . und vollendet den sog. barocken Illusionismus, der eben um das J . 250 seinen H ö h e ­ punkt erreichte. Barockisierende Form und G e f ü h l s p a t h o s , geklärte Komposition bis geometrische Ordnung, erstarrte Raumillusion wie auch Tendenz zur Schicht, gefestigte Plastizität und die nichtplastische negative Draperie stehen hier neben­ einander, rationale Antike und supranaturalistische S p ä t a n t i k e . Der symbolische Inhalt, wo die Schlacht — die Ernte des Todes — auch den Sieg des Guten über das B ö s e allegorisiert, spricht bereits mit einer nichtantiken,

mittelalter­

lichen Stimme. Eines der beliebten

symbolischen Themen auf Sarkophagreliefs der zweiten

H ä l f t e . d e s 3. J h . u. Z. ist die Personifizierung

der vier Jahreszeiten als Symbole

des Lebens und des Todes. Ä h n l i c h wie die Philosophen mit den Schriftrollen, erscheinen auch die personifizierten Jahreszeilen bereits früher auf Sarkophagen mit dem Mythus von Endymion oder der Proserpina. So sind z. B. auf dem Sarkophag mit der E n t f ü h r u n g

der Proserpina, der aus der Zeit Septimius

Severus'stammt und sich im M ü n s t e r zu Aachen befindet,

134

auf der linken Seite

zwei Okeaniden mit dem Genius des F r ü h l i n g s , auf der rechten Seite die Genien des F r ü h l i n g s , des Sommers und des Herbstes. An den R ä n d e r n des Endymionsarkophags im Palast Doria in R o m aus dem zweiten Viertel des 3. J h . befinden sich als Rahmenfiguren links die H ö r e n des Sommers und des Winters, rechts die des Herbstes. Auf dem Sarkophag mit demselben Motiv in Woburn Abbey vom Ende der ersten Hälfte des 3. J h . sind unter den Pferden des Wagens der Selene um die Göttin Tellus vier Amore mit Attributen der Jahreszeiten zu sehen.

133

In der zweiten H ä l f t e des 3. J h . wurden die Genien der vier Jahres­

zeiten ein s e l b s t ä n d i g e s

Thema auf Sarkophagreliefs.

136

Auf dem

wannenför-

migen Sarkophag im vatikanischen Belvedere Nr. 58a, der aus der gallienischen

130

Zeil oder nach.ihr stammt,

137

befindet sich in der Mitte ein Knabe mit Porträt-

z ö g e n , der in der Hand eine LSchriftrolle vor einem Parapetasma hält, das von den Genien des

Frühlings (dessen zweite Hand umwindet einen Baum mit einer

Girlande) und des Herbstes (mit einem Hirtenstab) getragen wird. Neben ihnen sieht man links den Genius des Winters (mit einem Schilfrohr und Wildenten) und rechts den Genius des Sommers (mit einem Korb voller Ä h r e n und einem Hasen). Die Gestalten sind symmetrisch geordnet, auch die Stellungen und die Geslen der Hände entsprechen einander. Don Rahmen bilden eine Antilope w ü r ­ gende L ö w e n , die uiis. bereits aus den geriefelten Sarkophagen bekannt sind. In den Gestalten und in der Draperie besieht, die plastische Darstellung der zeich­ nerisch-malerischen g e g e n ü b e r . In der Draperie macht sich trotz ihrer beträchtli­ chen Plastizität die Linie geltend, besonders in den reichen Kaskaden der Zipfel des Mantels und des mittleren Vorhangs. Die Haare und die M ä h n e n der L ö w e n , sind vielfach gebohrt und auch sonst wird oft der Bohrer zur illusionistischen Andeutung von Details angewandt.

Charakteristisch für die zweite H ä l f t e

des

3. Jh. sind die B o h r l ö c h e r in den Augen — und Mundwinkeln, auf der Oberlippe, einmal auch bei den Fingerwurzeln an den H ä n d e n . Langsam wird der tetrarchische pointillistische Stil vorbereitet.

138

Ebenfalls typisch ist die A n h ä u f u n g vom

Symbolen: Der Verstorbene als Freund der musischen B e t ä t i g u n g vor einem v o n -

der Welt absondernden Vorhang, den die Natursymbole des Wachstums und des Unterganges halten, L ö w e n als Todesbringer, auch kleinere Symbole, wie um­ gestürzte K ö r b c h e n mit Früchten.

L ö w e n , die ihre Opfer in den Tatzen halten, umrahmen auch den posturalen Sarkophag im Nationalmuseum

in Rom,

den Arias in die Zeit um das J . 270

dauert. Zeitlich fällt er in die kurze Zwischenepoche nach der gallienischen Zeit und vor der bereits s p ä t a n t i k e n Zeit der Tetrarchen, ist aber wie durch das Motiv, so durch den Stil eigentlich schon letrarchisch. Das gleiche k ö n n t e n wir auch auf den Porträts der siebziger und der achtziger Jahre beobachten. Das Motiv, halb l ä n d l i c h e s Idyll, halb realistisches Genre, zählt zu den sehr beliebten Themen der v o l k s t ü m l i c h e n heidnischen und christlichen Kunst am Ende des 3. J h .

1 4 0

Die

A n f ä n g e sind schon im 2. Jh. auf den S e i t e n w ä n d e n der Endymionsarkophage zu finden. A m Ende des 2. Jh. werden sie realistischer, zugleich gelangt das Motiv des Hirten mit dem Hund und der Herde auch auf die Vorderseite als Andeutung der Umgebung des Mythus. Die Herde vergrössert sich in der ersten H ä l f t e des 3. J h . , bis sie auf manchen Sarkophagen die ganze F l ä c h e des Reliefs einnimmt. Im dritten Viertel des 3. J h . , zur Zeit des Sieges der Symbole ü b e r die e r z ä h l e n d e Fabel, v e r s e l b s t ä n d i g t e sich auch das Hirtenlhema, und indem es das symbolische, friedliche Idyllische und die realistische Schilderung des v o l k s t ü m l i c h e n Milieus in sich vereinigte, erlangte es zum Ende des Jahrhunderts, zur Zeit der beson­ deren Bedeutung der Volkskunst, eine grosse Beliebheit. Die ganze F l ä c h e des Reliefs ist mit Andeutungen des Bodens bedeckt, der etwa in halber H ö h e des

131

Sarkophags ein z u s a m m e n h ä n g e n d e s Band ü b e r dessen ganze L ä n g e bildet. Der Boden zeigt eine ü p p i g e Vegetation, zwischen der sich zahlreiche Schafe, Ziegen, Pferde und Rinder bewegen. Die Herde wird von drei Hirten g e h ü t e t , einer davon meikl gerade ein Schaf. Alle diese Einzelheiten, auch die afrikanische Nomaden­ hütte, sind aus den Sarkophagreliefs der ersten Hälfte des 3. J h . bekannt, aber hier vereinigen sie sich zu einem grossen Akkord bukolischer Ruhe und Frieden, der durch die umrahmenden L ö w e n mit ihrer Beute, dem bereits gewohnten Symbol des gewaltsamen Todes eine spezifische

Bedeutung erlangt. Die U n -

abwendbarkeit sowie auch die t r ö s t e n d e Ruhe des Todes. Was die formelle Seite betrifft, muss vor allem auf die reiche Polychromie hingewiesen werden, von der ansehnliche Reste erhalten s i n d .

141

Gold, Blau, Rot und Gelb, durch die h ä u f i g e

Bohrung noch schattiert, erweckte einen lebendigen malerischen Eindruck. Die vereinfachte plastische F o r m erzielt erst durch Farbe und Schatten den erstrebten starken Ausdruck. Besonders die K ö p f e der L ö w e n wirken ohne Farben starr und maskenhaft. M i t dem Abnehmen des Sinnes für die plastische Modellierung stieg am Ende der Antike die Bedeutung der Farbe, insbesondere im Relief, das sich erneut der Malerei annähert. Der Hirlensarkophag im Nationalmuseum in Rom — ebenso wie manche früher schon besprochene — steht dem s p ä t a n t i k e n Stil sehr nahe, von dem ihn eine noch relativ starke klassische Tradition' mit dem Sinn für den organischen Bau des menschlichen

K ö r p e r s , bzw. der Naturobjekte

schlechthin, unterscheidet. Diese N ä h e und die M ö g l i c h k e i t der Differenzierung gilt auch für den Sarko­ phag aus den siebziger oder dem Beginn der achtziger Jahre, soweit man sie allerdings von der tetrachischen Kunst unterscheiden kann. E i n s c h ö n e s Beispiel hierfür ist der monumentale Meleagrossarhophag

im Komervatorenpalast.^

diesem Sarkophag kann man zahlreiche östliche E i n f l ü s s e beobachten,

Auf sowohl

attische Ornamente auf dem Sockel, als auch besonders kleinasiatische, wie die Form des l i e g e s t u h l f ö r m i g e n Deckels, Symmetrie der Pferde mit den Dioskuren und eine besondere Art von D i s p r o p o r t i o n a l i t ä t der Pferde und Menschen. So proportionierte und in demselben Kompositionsschema gruppierte Pferde finden wir auf der R ü c k s e i t e des Sarkophags aus Sidamara, Proportionen von Jägern auf 1

der rechten Seite des Sarkophags aus Selefkeh. ''

3

Die fremden Einflüsse sind

so unmittelbar, dass der Sarkophag wahrscheinlich zum Teil das Werk aus dem Osten eingewanderter K ü n s t l e r ist. Die Form der K ö p f e , sowie die reichen Haare und Barte stellen ihn in die N ä h e einer Gruppe von Sarkophagen, zu denen vor allem einige Hippolytossarkophage, der ältere von ihnen im Louvre, einer in Split und ein noch unpublizierter im Nationalmuseum in Rom, und ein Pro­ 1

1

metheussarkophag aus Pozzuoli in Neapel '" z ä h l e n . Der letztere scheint j ü n g e r zu sein als der Hippolytossarkophag im Louvre, wahrscheinlich das Werk eines attischen K ü n s t l e r s , sowie etwas älter als die ü b r i g e n genannten Sarkophage be­ reits aus der Zeit der Tetrarchen. Somit w ä r e n wir etwa in der Zeit um das

132

J . 280. Eine so genaue Datierung ist jedoch nicht berechtigt und das aus dem Grunde, weil einige der Sarkophage nicht das Produkt einer forllaufenden zen­ tralen r ö m i s c h e n

Entwicklung sind, sondern gleichsam die S c h ö s s l i n g e

eines

weiteren Kunstkreises im r ö m i s c h e n Imperium mit einer offensichtlich unter­ schiedlichen regionalen F ä r b u n g . Auch der Meleagrossarkophag ist zwar ein auf r ö m i s c h e m Boden entstandenes Werk, stammt aber entweder aus einer fremden Werkstatt, oder eher aus einer heimischen, die fremde Mitarbeiter aufgenommen hatte; es ist ein eklektisches Werk. Neben kleinasiatischen Elementen findet mau das attische Ornament oder eine r ö m i s c h e Mischung von mythologischen Ge­ stalten mit solchen aus dem wirklichen Leben, neben idealisierten Heroen, Meleagros, Atalante und den Dioskuren sind es drei realistische J ä g e r , auf der linken Seite die dramatische L ö w e n j a g d , die in Schichten ü b e r e i n a n d e r

und hinter­

einander komponiert ist, und die heimische Gewohnheit, die hintere Wand des Sarkophags nicht zu verzieren — zum Unterschied vom Osten (der Hippolytos' Sarkophag im Louvre hat an der hinteren Wand an den Seiten der Amphore antithetische L ö w e n , wie der kleinasiatische Musensarkophag Mattei im National­ museum in Rom). Die siebziger und achtziger Jahre bedeuten mit dem Zustrom fremder K ü n s t l e r und S t i l s t r ö m u n g e n , die entweder der Vergangenheit

näher

stehen, wie die attische, oder der Zukunft, die kleinasiatische, vorerst oft nur ihre Kreuzung, allerdings nur v o r ü b e r g e h e n d . Der Kampf der Vergangenheit mit der Zukunft ist ein Merkmal dieser Zeit und der Sieg neigte sich bereits entschieden auf

tlie Seile der neuen geistigen und b i l d k ü n s t l e r i s c h e n Auffassung. War der

Hochzeitssarkophag mit den S ä u l e n im Nationalmuseum in R o m aus dem zweiten Jahrzehnt des 3. J h . antik, so steht der Sarkophag in Pisa, mit dem gleichen 1

Motiv aus den achtziger Jahren '

15

bereits an der Schwelle des Mittelalters. Die

mittleren Gestalten scheinen aus einer anderen Welt zu stammen. Wenn wir die Produktion der Sarkophage

in ihrer Gesamtheit von

Gallienus

bis Probus ü b e r b l i c k e n , sehen wir, dass sie vor allem durch eine wichtige Wende in der Thematik charakterisiert ist. Schon in der ersten H ä l f t e des 3. Jh. kann man

beobachten, wie die mythologische Handlung an Bedeutung verliert, wie

frei sie behandelt wird, wie sie sich der Verehrung des Toten unterordnet, und besonders wie auf ihre Kosten die Symbole zunehmen. Diese Tendenzen, die sich mit

grösserer Deutlichkeit seit den vierziger Jahren ä u s s e r t e n , waren in der

gallienischen Zeit durch radikales Schwinden des Mythus und seine A b l ö s u n g durch symbolische Thematik gekennzeichnet.

In den fünfziger

und sechziger

Jahren gibt es, auch wenn wir die Schwierigkeiten bei der Datierung mytholo­ gischer Sarkophage in diese Zeit, die an der Wende zweier grosser Epochen liegt, b e r ü c k s i c h t i g e n , bis auf einige der ersten Jahre eigentlich keine Sarkophage mit einer mythologischen Handlung. Der Endymionsarkophag in Richmond und der Ariadnessarkophag aus Auletta sind blosse Symbole ohne Handlung, v e r s e l b s t ä n d i g t e , aus dein Mythus herausgerissene

einzelne

Gestalten. Die Zeitgenossen

133

interessiert nicht ihre Geschichte, sondern ihr Zustand, der Schlaf — das Bild des Todes. Die Toten erscheinen mit Schriftrollen in den H ä n d e n , wie von der mu­ sischen

B e t ä t i g u n g , die Unsterblichkeit vermittelt, beteiligt.

Oft sind sie von

Musen umgeben oder in der Gesellschaft von Philosophen, ein anderesmal sind sie wieder unter den symbolischen Personifikationen der vier Jahreszeiten zu finden. Auf den einfacheren Riefelsarkophagen, später auch auf Reliefsarkopha­ gen, erlangten pathetische L ö w e n b i l d e r mit ihrer Beule als Rahmenfiguren eine grosse Beliebtheit. Dieses Thema ist neben der isolierten L ö w e n j a g d aus der Zeil knapp nach dem J . 250 auch das einzige, in dem der erregte barocke Illusionismus aus der ersten H ä l f t e des 3. J h . , wenn auch mit expressionistischem

Akzent, eine fortlaufende

Fortsetzung findet. In neuer Weise entwickelt sich hier die Tendenz zur Abstrak­ tion in Ubereinstimmung mit der z e i t g e n ö s s i s c h e n Abkehr von der Naturrealität. Sie führt vom pathetischen Realismus zur starren Maskenhaftigkeit. Die Erre­ gung und Unruhe ist sonst in dieser Zeit selten, wie z. B. auf den nicht porträt­ haften K ö p f e n der Philosophen auf dem Torlonia-Sarkophag. Eine beweglichere Komposition, das realistische Genre der Amore auf dem Ariadnesarkophag und auf dem Hirtensarkophag im Nationalmuseum in Rom, zeigt sich erst wieder um das J . 270. Eine charakteristische Erscheinung der fünfziger bis sechziger Jahre sind ruhig, aber g e w ö h n l i c h ziemlich dicht gruppierte Gestalten, die nach der be­ tonten Mitte hin symmetrisch komponiert sind. Zum Teil ist es eine Reaktion auf die erregt beweglichen komplizierten Kompositionen der vergangenen Zeit, zum Teil auch eine Fortsetzung ihrer klassizisierenden und seit den vierziger Jahren a l l m ä h l i c h erstarrenden S t r ö m u n g . Die barocke U b e r f ü l l t h e i t der Komposition-hat sich vereinfacht

und hat eine geometrisierende

Ordnung

aufgenommen,

die

zweierlei Wurzeln hat: die klassizistische Harmonie und die s p ä t a n t i k e Abstrak­ tion, vgl. den grossen Schlachtsarkophag Ludovisi. Die Erscheinung, dass der Klassizismus mit der s p ä t a n t i k e n Abstraktion Hand in H a n d geht" und die Stili­ sierung und die Erstarrung der Form unterstützt, haben wir schon früher beob­ achtet. Der Grund ist ihre gemeinsame abstrakte Grundlage, beim Klassizismus allerdings nur teilweise. E i n bedeutender Schritt zur S p ä t a n t i k e ist die Frontalität der im Mittelpunkt stehenden Gestalt man

146

auf dem sog. Plotin-Sarkophag. A n f ä n g e der Frontalität kann

auch ausser der Volkskunst schon früher auf der M a r c - A u r e l s s ä u l e , dein

Bogen des Septimis Severus in Rom, auf dem M ü n z e n Alexander Severus' und auf den Sarkophagen mit L ö w e n j a g d u n g e f ä h r seit dem J . 240 beobachten, nun aber geht die Entwicklung der Kunst weiter. Der sitzende Philosoph ist Mittel­ punkt der symmetrischen Komposition des Sarkophagreliefs, das sich stets durch Konservativismus kennzeichnete.

E r wendet sich dem Beschauer zu und ist

Gegenstand seiner Verehrung, wie auch .der seiner Umgebung, die nur sein Attribut zu sein scheint. Der K ü n s t l e r schuf hier das Vorbild der s p ä t a n t i k e n

134

M a j e s t ä t des Herrschers. Inwieweit an der Entstehung dieser ikoniseheu W ü r d e die orientalische Inspiration beteiligt war, ist schwer zu sagen. Der Einfluss ösllicher, wahrscheinlich schon zugewanderter K ü n s t l e r ist schon auf dem laterani­ schen Sarkophag offenbar, vgl. A u s s c h m ü c k u n g der hinteren Seite, ornamentales^ Band, aber andererseits muss hervorgehoben werden, dass die Voraussetzungen dazu in der beimischen Entwicklung keineswegs fehlen.

Die Fronlalilnt

des

Philosophen ist im Gegenteil ein logisches Glied der vergangenen Entwicklung. Budde

147

betont zu stark den Einfluss des Orients und sieht die

entscheidende

Wende in der Zeit Septimius Severus', wo nach seiner. Ansicht der Gegensatz zwischen Ost und West endet und ihr gegenseitiges Durchdringen beginnt. Die Schwierigkeit der Problematik östlicher E i n f l ü s s e in der zweiten Hälfte des 3. J h . zeigt der etwas jüngere eklektische Meleagrossarkophag im Konservatorenpalast, auf dem nebeneinander kleinasiatische, attische und r ö m i s c h e Elemente zu finden sind. Die ruhige bis starre Komposition äussert, sich natürlich in den ruhigen Stellungen, die allerdings meist ihre kontrapostische N a t ü r l i c h k e i t und Leichtig­ keit, verloren haben. Sie sind hart, wie auch die plastische Modellierung der Ge­ stalten starr ist. Wenn in den vergangenen Jahren die illusionistische Auffassung ü b e r w o g , die auf vielen D e n k m ä l e r n bis zum Zerfall der Form führte, kam es jetzt mit der allgemeinen Beruhigung auch zu einer Festigung der Form. Diese Festigung kommt aus dem Inneren der Gestalten. Ihr Kern erstarrte, kubisierte sich oder verflachte. A n der Oberfläche äusserte sich diese Beruhigung verschie­ denartig. Entweder durch klassizistische plastische Modellierung, die oft hart und starr ist, oder durch die zeichnerische Gliederung, durch Gravieren des Grund­ volumens. Diese beiden Auffassungen werden oft kombiniert. Der den erstarrten Kern h ä u f i g stark s t ö r e n d e Linearismus h ä n g t aber eng mit der malerischen Auf­ fassung zusammen, Mit dem Verlust, des Sinnes für den organischen Bau des K ö r p e r s , den wir unter der Draperie oft gar nicht f ü h l e n , und mit dem Schwin­ den des G e f ü h l s für plastische Werte wird das Relief als plastisches Gebilde, das den Gesetzen der Bildhauerei unterliegt, immer mehr ein plastisches graviertes Bild. Nicht einmal in der Zeit Gallienus' sind diese rein malerischen Mittel in der Bildhauerkunst verschwunden. Der Bohrer findet häufig Anwendung, vor allem bei Haaren und Barten und das nicht, nur auf dem f r ü h g a l l i e n i s c h e n TorloniaSarkophag mit den Philosophen und Musen, sondern auch auf dem sog. PlotinSarkophag aus den sechziger Jahren. Bart und Haare haben sich als Ganzes zwar geschlossen und bilden eine einheitliche Masse, doch ist diese durch den Bohrer im Inneren ebenso reich zergliedert wie früher. W i r sehen also wieder: ein erstarrtes Volumen, das aber zeichnerisch-malerisch gegliedert ist. Im Sarko­ phag Torlonia klingt noch der Stil um die H ä l f t e des 3. J h . nach, w ä h r e n d der lateranische Sarkophag bereits typisch gallienisch und spätantik ist. Von der gleichen Art ist auch die reiche Bohrung am Meleagrossarkophag im Konservato­ renpalast aus der nachgallienischen Zeit oder auf dem a n g e f ü h r t e n Hirtensarko-

135

phag aus der Zeit um das J . 270. Die poinlillislisehe Bohrweise, die auf diesem malerisch aufgefassteii Sarkophag, sowie auch auf anderen z e i t g e n ö s s i s c h e n Sar­ kophagen vorkommt, ist ein illusionistisches Mittel und nimmt mit der A n n ä h e ­ rung an die Zeit der Tetrarchen zu. Sie ist ein wichtiges Mittel für die Datierung. Die

Sarkophage aus den siebziger und dem Anfang der achtziger Jahre, von

denen wir einige bereits e r w ä h n t haben, stehen mit den Sarkophagen aus dem Ende der sechziger Jahre im Zusammenhang. Oft lassen sie sicli unterscheiden. Diese Z u s a m m e n h ä n g e beweisen, dass die gallienische Zeit, eine Zeit der defini­ tiven Ausbildung der S p ä t a n l i k e , ebenso zur klassischen wie zur S p ä l a n l i k e ge­ hört. Zum Ende des Jahrhunderts nimmt die realistische klassische Form, die in der zweiten H ä l f t e des 3. J h . ihre L e b e n s f ä h i g k e i t verlor und nur mehr ein traditionelles ü b e r n e h m e n des Erbes der Vergangenheit bedeutete, ab. Das ein­ zige Denkmal des historischen Reliefs, die Tafel mit dem Opfer des Kaisers Claudius Gothicus im Nationalmuseum in R o m , unterscheidet sich stilistisch nicht von

den Sarkophagen, sondern ist nur ein wenig radikaler: eine kursierende,

zeichnerisch-malerisch behandelte Form. Zwischen den Porträts

und Sarkophagreliefs besteht in den Jahren 250—280

eine beträchtliche Ü b e r e i n s t i m m u n g , w ä h r e n d sich in der vergangenen Epoche die Sarkophage g e g e n ü b e r den Porträts etwas zu v e r s p ä t e n pflegten. Auch darin zeigt sich die e n d g ü l t i g e A u s p r ä g u n g der S p ä t a n t i k e . In den fünfziger Jahren kam es zur klassizistischen

Reaktion, die sieh vor allem im freien Porträt äusserte,

auf den Sarkophagen sodann durch die Beruhigung der Komposition und die Festigung der Korrn. Die Beruhigung der Komposition auf den Reliefs war schon von Anfang an mit. der sich in der Symmetrie ä u s s e r n d e n Abstraktion verbunden. Auch die plastische Festigung führte hier zugleich zur Erstarrung und der erstarrte Kern der Gestalt war graphisch und malerisch gegliedert. Beim freien verwirklichte sicli dieser entschiedene Schritt zur S p ä t a n t i k e in den

Porträt

sechziger

Jahren und das mit den gleichen stilistischen Mitteln. Wieder ist. es vor allem die Symmetrie und Slereometrisierung, die in den siebziger Jahren und um das Jahr 280 die geschlossene, nur an der O b e r f l ä c h e gegliederte Blockform bildete. In den Porträts und Reliefs schwindet mit der wachsenden

Entfernung von der

Mitte des Jahrhunderts mehr und mehr der konkrete Realismus und wird durch die abstrakte synthetische F o r m ersetzt. Das, was aus der Vergangenheit lebt, ist blutlos und passiv aus der Tradition ü b e r n o m m e n . So formte die gallienische Zeit und die nachfolgenden siebziger Jahre definitiv den s p ä t a n t i k e n Stil. Sie vollendeten, was die vorhergehenden Jahrzente, besonders die vierziger Jahre, vorbereiteten.

Der gallienische

Klassizismus war wie der hadrianische

148

eine

Frucht der Entwicklung. Die Vereinfachung der erstarrenden Form war eine natürliche Reaktion auf ihre U b e r f ü l l e , Kompliziertheit, auf die Ü b e r w u c h e r u n g und den Zerfall. Gallienus drückte ihr nur den Stempel der bewussten Reaktion auf und wies ihr die Vorbilder. Die damalige Zeit hatte jedoch schon den Sinn für

.136

die feine Harmonie der g r i e c h i s c h - r ö m i s c h e n

plastischen Form, die

zwischen

äusserster Konkretheit und äusserster Abstraktheit die Mitte hielt, verloren. So stärkten und festigten die klassizistische Formgeschlossenheil, der g e d ä m p f t e Aus­ druck und der Sinn für die Ordnung die entstehenden späta'nliken Tendenzen. Die Zeit Gallienus' verdient die Bezeichnung Klassizismus nur teilweise, noch weniger aber die Bezeichnung Renaissance. Die Bedeutung der Zeit Gallienus' ist ohne Zweifel eine grosse, aber sie beruht•.•nicht in ihrem Klassizismus, der eine Unterbrechung der Entwicklung bedeutete, sondern in der e n d g ü l t i g e n Aus­ bildung der s p ä t a n t i k e n Form, die sich schon im zweiten Viertel des 3. Jh. klar abzeichnete.

Meiner Ansicht nach hat Roden waldt nicht vollkommen recht.,

149

wenn er behauptet, dass die Wendung zum s p ä t a n t i k e n Porträt nicht vom Impres­ sionismus des 3. Jh., sondern von der Renaissancebewegung der Zeit Gallienus' ausging. A r i a s ,

150

der Rodenwaldts Meinung wiederholt, gebraucht an Stelle des

Wortes „ W e n d u n g " , das den Beginn dieses Prozesses zu bestimmt ausdrückt, den •weniger bestimmten Ausdruck „formazione — (Aus)bildung". Das s p ä l a n t i k e Por­ trät beginnt sich, wie wir schon früher bewiesen haben, nicht erst in der gallie­ nischen Zeit zu formen, sondern es hat seine Wurzeln in den dreissiger und vierziger Jahren des 3. Jh.. abgesehen von teilweisen A n l ä u f e n am Ende des 2. J h . Die Grundlage des Porlrätstils der S p ä t a n t i k e ist der Expressionismus und die abstrakte Synthese. Der Expressionismus wie die Abstraktion zeigen sich schon deutlich vor der Mitte des 3. Jh. Der Expressionismus gehl, wie wir gese­ hen haben, aus dem Verismus hervor, der das Gesicht in allen äusseren Einzel­ heiten mit allen Falten festhielt. Das n ü t z t e n die K ü n s t l e r aus, um einzelne, für den Ausdruck wichtige Partien, wie Augen und Mund, zu betonen. Das übrige Gesicht war ein blosser Hintergrund. So wurde zu Gunsten des Ausdrucks die Wirklichkeit vergewaltigt. Bald erstarrte die realistische Abbildung der Gesichtsleile um M u n d und Augen und wurde mechanisch als fertiges abstraktes Schema übertragen.

So ist der Entwicklungsgang vom Verismus zur Expression und

Abstraktion, zu denen auch die Reaktion auf den barocken Illusionismus, die klassizistische Vereinfachung, f ü h r t e .

1 5 1

Das sind jedoch nicht die inneren G r ü n d e , die Quellen dieses Uberganges. Weshalb verhielt es sich so? Warum wollten die K ü n s t l e r den M u n d und die Augen betonen? Warum erstarrte die organische Form? Der Grund war die Triebkraft der ganzen Entwicklung zur S p ä t a n l i k e :

Supranaturalismus, Spiri­

tualismus, geistige Umwandlung des antiken Menschen, dessen Lebenszweck sich aus dieser Welt, deren Mittelpunkt, der Mensch bildete, in die geistige, übersinn­ liche Welt verlagerte. Daraus entsprang auch die Teilnahmslosigkeit an der na­ türlichen Wirklichkeit und der Weg zur Abstraktion, zur Synthese und — sit venia verbo — zur Ikone. Darum auch das rasche Anwachsen der Symbole schon vor der Mitte des 3. J h . und besonders unter Gallienus. Zur Wende im Denken und in der Auffassung der Welt führte ein langer Weg, der schon in den

137

Jahrhunderten vor der Zeitenwende begann, in denen die antike Gesellschafts­ ordnung ihre ersten E r s c h ü t t e r u n g e n durch den Verfall der griechischen Polis erlebte. Die grossen Monarchien brachten eine v o r ü b e r g e h e n d e Festigung, auch wenn sie dem. B ü r g e r nicht seine ehemalige Stellung im öffentlichen Leben'zu­ r ü c k g a b e n . Im 2. J h . ii: Z., deutlicher an seinein Ende, bereitete sich im r ö m i s c h e n Reich eine offene wirtschaftliche und gesellschaftliche

Krise vor, die im 3. J h .

ausbrach, wie wir es uns bereits im IT. Kapitel erklärt haben. Die E r s c h ü t t e r u n g und U m s t ü r z u n g der Grundfesten des menschlichen Lebens mussten sich natür­ lich auch im Denken des antiken B ü r g e r s widerspiegeln, dem der Staat nicht mehr ein Schutz, sondern eine Last war. Die allgemeine

Unsicherheit brachte eine

E r h ö h u n g von fiktiven Sicherheiten und Werten, sowie eine Verankerung des menschlichen Gefangenen in einer anderen Welt mit sich. So hatte der Zerfall der

antiken Sklavenhalterordnung letzten Endes auch die A b s c h w ä c h u n g

des

klassischen Realismus und die Entstehung einer neuen Kunst, der S p ä t a n t i k e , zur Folge.

138

VII SCHLUSSFOLGERUNGEN. DIE ENTWICKLUNG UND IHRE GRÜNDE

W i r haben die Entwicklung der römischen Bildhauerei, wie sie im Mittelpunkt des Reiches verlief, unter dem Gesichtspunkt des Entstehens des spätantiken bildkünstlerischen Stils von der Zeil der Anloninen, besonders von M . Aurel, bis an die Schwelle des Dominats Diocletians zum Beginn der achtziger Jahre des 3. Jh. u. Z., nebst dem trajanischen Vorspiel verfolgt. Der Zweck der ab­ schliessenden nbersichl ist die Hervorhebung der grundlegenden Entwicklungs­ linie und die Betonung des allgemeinen Charakters der einzelnen Entwicklungsetappen. Die Bedeutung der Irajanischen Plastik, innerhalb welcher der erste Platz der Trajanssäule zukommt, beruht für die weitere Entwicklung vor allem in dem Einfluss der Volkskunst, die diese, obwohl sie seit der Zeit des augusteischen Klassizismus und der griechisch-römischen Synthese i m Hintergrund stand, auf die offizielle Kunst ausüble. Unter ihrem Einfluss entsteht unter Trajan — wenn auch nur in einein isolierten Gebiet — die Tendenz nach grösserer Deutlichkeit, nach starkem Ausdruck und infolgedessen ein neues Verhältnis zu der durch die Sinne wahrgenommenen Form. Aus dem Realismus erwächst der Expressionis­ mus. Es gehl noch nicht um Abstraktion. Die Ausbildung der spätantiken bildkünsllcrischen Sprache isl das Werk von mehr als einem Jahrhundert, von M . Aurel bis Dioclelian, also ungefähr von den sechziger Jahren des 2. Jh., oder eher ein Jahrzenl später, bis in die Zeit um das J . 280. Diese Inkubationszeit der Spätanlike zerfällt in drei grosse Zeitabschnitte. Schematisch sind dies: die Zeit vom J . .1.70 bis 210, von 210 bis 250 und von 250 bis 280. Alle diese Daten gellen allerdings nur annähernd und lassen eine Verschiebung um einige Jahre zu. Die spätantoninisclie Zeit und die Zeit Septimius Severus' sind die Epoche des barocken Illusionismus, zu dem noch subjektive expressionistische Elemente hin­ zutreten. Der abstrakte Faktor ist auf einen bestimmten Kreis beschränkt. Das sind vor allem die historischen Reliefs der Marc-Aurelssäule und des SeptimiusSeverus-Bogens in R o m ; der Säule, die auf dem Weg zur Spätanlike eine be­ sondere Bedeutung als entscheidender Wendepunkt besitzt, schliessen sich dann

139

die realistischen Schlachlsarkophage an. Von den übrigen Sarkophagen sind es nur wenige, besonders der Hochzeitssarkophag i n der Villa Taverna in Frascati. Der barocke Illusionismus, gewöhnlich m i l dem typisch römischen Linearismus verbunden, führt bis zum teilweisen Zerfall der Form, der jedoch als Reaktion eine neue Festigung hervorrief. In dieser Epoche ist das historische Relief, bei dem der Einfluss der Volkskunst zum Unterschied von den ziemlich traditionell offiziellen Sarkophagen sehr stark ist, führend. Auf denen macht sich mehr die Abstufung des Geländes und die Übereinanderstaffelung der Gestalten, was schon aus der Zeit Trajans, allerdings auf einem anderen Gebiet, nämlich dem histo­ risch-politischen Relief, bekannt ist, und ebenfalls das keineswegs ganz neue manieristische Langziehen der Gestalten geltend. In den Themen der Sarkophage zeigt sich eine starke Romanisierung, vgl. römische Mythen, Szenen aus dem römischen Leben, Kämpfe mit Barbaren. Die Entwicklung zur Spätanlike ist eine Zeit des Sichentfernens von der griechischen Vergangenheit, eine Zeit des römischen Sieges, allerdings auch mit Hilfe fremder Waffen. Der Orient und andere Provinzen haben an ihm ihren Anteil. R o m ist, wenn auch international, ständig der Ort, wo gesagt wird, was gesagt, werden soll. Die nachfolgende Epoche, ungefähr vom Jahre 210 bis zur Milte des Jahr­ hunderts, steht nach dein kurzen anfänglichen Klassizismus i m Zeichen des gesteigerten barocken Illusionismus, aber zugleich verbreitet sich die Abstraktion allgemeiner und es beginnt die Erstarrung der Form. Die Entfernung vom orga­ nischen Bau des Körpers vergrössert sich und das häufiger als früher, so bei den Porträts, als auch bei den Sarkophagreliefs. Das Porträt ist in dieser Zeit entwicklungsmässig fortgeschrittener. Der Kern des Kopfes erstarrt, die Oberfläche ist illusionistisch bearbeitet, also eine kubisierte, oberflächlich belebte F o r m . Der Verismus gehl in Expressionismus und abstrakten Schematismus über. Die Entwicklung beschleunigte sich nach dem J . 235. Die Sarkophage sind nach der Festigung der Form und der Beruhigung der Komposition i m zweiten Jahrzehnt umso barocker, der Zerfall der Form umso tiefer. Aber desto stärker ist wieder die Reaktion mit wachsender Abstraktion und Ausdrucksl'ähigkeit, die die teil­ weise Klärung und Ausgleichung mit einer Erstarrung neben dem weitergehen­ den Illusionismus und dem überwuchernden Dynamismus verbindet, vgl. die Kulniinierung zum j . 251 auf dem grossen Schlachtensarkophag Ludovisi. Die Zeit nach der Mitte der Jahrhunderts bis zum Beginn der achtziger Jahre vollendete, was die vierziger Jahre und besonders die bedeutungsvolle Epoche um das J . 250 anstrebten. In ihr kam es zur definitiven Ausbildung der abstrakt synthetischen bildhauerischen Form der Spätantike. E i n rascher Fortschritt be­ gann besonders mit den .sechziger Jahren, allgemein bei den Porträts, wie auch bei den Sarkophagreliefs, und wurde in den siebziger Jahren vollendet. Die A b ­ straktion des Inhalts und der Form, Allegorie und erstarrte Form mit zeichne­ risch-malerisch dargestellter Oberfläche sind die allgemeinen Merkmale des be1

2

3

140

reits gereiften Stils, der durch den gallienischen Klassizismus nur gestärkt wurde. Den Weg zur Abstraktion, zur nichtrealistischen Formsynthese, zu Symbolen ebnete und öffnete der irrationale, total überwiegende Spiritualismus, das E r ­ gebnis der allgemeinen wirtschaftlich-gesellschaftlichen, politischen und ideolo­ gischen Krise. Der Spiritualismus ist die wahre Quelle des spätantiken Stils, dessen Grundzüge Abkehr von der Welt und von der Naturrealität, Flucht des Individuums zum Kollektiv, Abstieg zu den volkstümlichen Wurzeln sind. Der Entwicklungsprozess der römischen Bildhauerei auf dem Weg zur Spät­ antike ist ungemein kompliziert und dialektisch widersprüchlich. Die römische Plastik erscheint uns als ein allmählicher Übergang vom realistischen hellenis­ tisch-römischen offiziellen Stil mit einer breiten Skala bildnerischer Äusserung zum abstrakt expressiven Stil, der ältei'e heimische Wurzeln in der sog. Volks­ kunst besass. Für die Entwicklung charakteristisch ist die innere Spannung ver­ schiedener Schichten, die sich gegenseitig in manchem wesentlich unterscheiden, aber in manchem wieder ziemlich nahestehen, und ihre Konfrontation mit dem zeitgenössischen Milieu, das aus ihnen aussucht, was ihm am besten entspricht, und es dann weiter ausbildet. Es ist eine selbstverständliche Tatsache, dass der in tiefer Zerrüttung schwankenden Zeit voll Unsicherheit, einer Zeit, die sich von den objektiven Werten abgewandt hatte und ihre Erlösung i m Irrationalismus suchte, die traditionelle, offizielle griechisch-römische Kunst trotz aller Verbun­ denheit mit der Vergangenheit, die fortgesetzt wurde, fremd war und eine andere Sprache sprach. Dieser Druck des Milieus wirkte zusammen mit der inneren Ent­ wicklung der plastischen Form auch auf die weitere Entfaltung des rationalisti­ schen Realismus in seinen beiden Grundrichtungen ein. Der konkrete dynamische Realismus verlor seine Objektivität und wurde mehr und mehr subjektiv. Die durch Licht und Schatten angestörte plastische Form zerfiel, woraus eine Reak­ tion, die entgegengesetzte und nach Festigung der Form strebende Tendenz ent­ stand, die sich i n der Stereometrisation, der Kubisierung, zugleich mit einer Flächenhaftigkeit oder Zusammenfügung der Flächen, sowie mit Linearität und malerischer Auffassung der Oberfläche äusserte. Diese Entwicklung beweist das Anwachsen heimischer Elemente in der römischen bildkünstlerischen Synthese. Der typisierende Realismus, der Versuch einer Rückkehr zur objektiven Ordnung, führte zu ähnlichen Ergebnissen. Unter den veränderten Bedingungen, als das Gefühl für das Organische der Naturwirklichkeit i m Verschwinden war, verwan­ delte sich auch die klassizistische Beruhigung in Erstarrung und tote Abstraktion. So festigte sogar und fest formte der gallienische Klassizismus am Beginn der zweiten Hälfte des 3. Jh. den Weg zur spätantiken Expressivität, die in den heimischen volkstümlichen Tendenzen besonders vorteilhafte Bedingungen hatte, weil sich hier der empirische Realismus eng mit einer subjektiven Expressivität verband. M a n sieht also, dass die Abstraktion der Spätantike aus verschiedenen Quellen hervorgehl. Sic ist eine Reaktion auf die Entwicklung des Realismus und

141

spiegelt die zeitgenössische Abkehr von der Welt der Sinne wider. Der Irrationa­ lismus, ihre Grundlage, hatte i m bäuerlichen republikanischen R o m ältere Vor­ aussetzungen, aus denen auch die volkstümliche expressive Kunst der Kaiserzeit hervorgeht. Im 2. Jh. gelangle diese heimische Expressivität, die bisher nur als Unterströmung verborgen existierte, erneut in den Mittelpunkt der Entwicklung, weil die damalige Kunst sich an die Volksmassen auf den Triumphsäulen und Triumphbogen, sowie an die provinzialisierten, volkstümlich gewordenen oberen Schichten wenden wollte. Die Abstraktion ist volkstümlich und kommt der irra­ tionalen Zeit entgegen. Dagegen entspricht der Klassizismus der höfischen und senalorischen Tradition und bedeutet einen Blick nach rückwärts. Wenn wir die Entwicklung der römischen Plastik des 1.—3. Jh. u. Z. i n ihrem gesamten Verlauf betrachten, so verläuft in ihr die Volkskunst wie ein roter Faden. Sic ist aus der heimischen primitiven Grundlage der späten Republik als bildnerischer Ausdruck der Bauern und Soldaten hervorgewachsen und bevor­ zugte die gesellschaftliche vor der ästhetischen Wirklichkeit, wobei der Inhalt auch wesentlich die formelle Seite bestimmte. Als es i n der frühen Kaiserzeit während des Aufschwungs des einheitlichen Weltreiches zur zeitweiligen Festigung der Sklavenhalterordnung kam und R o m i n jeder Hinsicht Erbe der hellenistischen Monarchien wurde, sank die Volkskunst zur Nebenströmung der Hauplcntwicklungslinie herab, wenngleich sie auch teilweise den offizielen, repräsentativen Stil als Bestandteil seiner synthetischen Struktur beeinflusste. Seit dem Beginn des 2. Jh., besonders jedoch seit dem Ende dieses Jahrhunderts und im 3. Jh., gelangle sie wieder allmählich in den Vordergrund, als nämlich i m römischen Imperium eine offenbare liefe Krise auftrat, die die Wirtschaft erfasste, die politischen und gesellschaftlichen Zustände erschütterte und ebenso tief auch auf ideologisches Gebiet vordrang. Der allgemeine Verfall und die Rückkehr zum Primitivismus brachte i n der zweiten Hälfte des 3. Jh. auch den vollkommenen Sieg der ur­ sprünglichen volkstümlichen Strömung mit sich. Der künstlerische Ausdruck des absolutistischen Dominats ist trotz aller klassizistischen Rezidiven i m 4. J h . be­ reits die expressive Abstraktion.. Wenn wir von der Volkskunst als von der Achse der römischen Entwicklung sprechen, meinen wir damit die irrationale Abstrak­ tion, die der griechischen bildkünstlerischen Tradition als einem Produkt hoch entwickelter städtischer Zivilisation zwar fremd, der heimischen italienisch-römi­ schen Kultur jedoch umso näher war. Das kaiserliche R o m wandte sich bei seinen repräsentativen Äusserungen zeitweilig von ihr ab. Aber i n dem Masse, wie die Städte und die Mittelschichten verfielen und der Staat für die Bürger eine Bürde wurde, verlor der traditionelle griechisch-römische Realismus an Bedeutung und die neue supranäluralistischc Weltanschauung sprach wiederum die Sprache der abstrakten Expressivität. Bei der Periodisierung zerfällt die Entwicklung der rö­ mischen Bildhauerei der Kaiserzeit auf diese Weise i n drei grosse Grundepochen, in die Zeit des Realismus — von Augustus bis in die Jahre 170/180, die des4

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Übergangs vom Realismus zur abstrakten Expressivitäl — etwa 170/180 bis zum J . 280, besser um 280 — und i n die Zeit der abstrakten Expressivität, die sog. Spätantike, nach dem J . 280. Diese drei Epochen decken sich annähernd mit der Chronologie der römischen wirtschaftlich-gesellschaftlichen und politischen Geschichte. Es ist die Zeit des Aufschwungs des Imperiums, die der allgemeinen K r i s e und die Zeit des Dominats, der Festigung auf einer neuen Grundlage und des Endes. Bei der Untersuchung der Entwicklung der Jahre v o n 170/180 bis um 280 haben wir uns bemüht, auf den Anteil des damaligen Milieus und der sog. inneren Entwicklung, die man sich isoliert gar nicht vorstellen kann, hinzuweisen. Was den dritten, beim komplizierten Prozess der Entstehung eines Bildwerkes mit­ wirkenden Faktor, nämlich das schöpferische Individuum betrifft, so haben wir bis auf die „Schule" des Meisters der Marc-Aurelssäule am Ende des 2. J h . und vielleicht auch die Werkstatt aus der Zeit, um das J . 250, aus der der grosse Ludovisische Schlachtensarkophag hervorgegangen ist, kerne grossen Individualitäten gesehen. In dieser Hinsicht steckt die Forschung allerdings noch an ihren A n ­ fängen. Abschliessend möchte ich noch das betonen, was sich i n der gesamten Darle­ gung äusserte. W i r dürfen die Bildhauerei i n der Epoche der Formierung der Spätantike nicht nur vom Standpunkt der realistischen Traditionen als das Ab­ sterben der klassischen Antike beurteilen, sondern auch andererseits als die Schaffung neuer Werte. Wenn Rodenwaldt den Expressionismus des 3. J h . als eine Alterserscheinung bezeichnet, ist es allerdings notwendig, seine Worte nicht in pejorativem Sinne, als sei die damalige Kunst eine Äusserung des Verfalls gewesen, aufzufassen, sondern als die Bezeichnung eines logischen Gliedes des Wachstums, das auf die vorhergehende längere Entwicklungsreihe folgt. Trotz­ dem unterstreicht er zu sehr den Abschluss einer Etappe der Entwicklung, während schon eine neue im Entstehen ist. Die Wende kam nicht plötzlich. Die römische Plastik an der Schwelle der Spätantike hat — wie lanus bifrons — zwei Gesichter. Das eine ist der Spätantike zugewandt und blickt nach vorn, das andere blickt rückwärts zur griechisch-römischen klassischen Vergangenheit. Ihr gegenseitiges Verhältnis hat sich jedoch vom Beginn der Entwicklung zur Spät­ antike bis zu ihrem Ende gerade umgekehrt. Die zögernden Blicke vorwärts ver­ wandelten sich in ein festes Sehen der Zukunft. 6

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8

143

Ä N M E R K U N G E N (zu einzelnen

Kapiteln,)

II 1

2

S. das grundlegende Corpus D. Tudor, I. Cavalieri danubiani, E p h c i n e r i s D a c o r o m . 7, 1937, S. 189 ff., e r g ä n z t ebenda 8, 1938, S. 448 f. u n d neuestens D a c i a N . S. 4, 1960, S. 333 ff. N u o v i m o n u m e n l i sui cavalieri danubiani, weiter 0. Pelikan, N o v y d u n a j s k y jazdec ( E i n neuer Donaureiter), S b o r n i k filosof. fak. U K 9, 1958, S. 253 ff. V g l . Pavel Oliva, Z u m P r o b l e m der F i n a n z k r i s e i m 2. u . 3. J h d l . u. Z . i m r ö m i s c h e n R e i c h , Das A l t e r t u m 8, 1962, S. 39 ff.

III 1

II „ M a e s t r o dellc imprese d i Traiano", Sloricilä S. 193 ff., wo A u t o r mit kleineren E r g ä n ­ zungen seine ä l t e r e i n L e A r t i 2, 1939, S. 325 ff. v e r ö f f e n t l i c h t e A b h a n d l u n g p u b l i z i e r t . A n d e r e N a c h r i c h t e n aus s p ä t e r e r Zeit, Plin. N a t . bist. 35, 23, L i V . 24, J6, 19; 41, 33 usw. Jetzt i n Palazzo dei Conservatori. A b b . z. B . P. Ducati D i e ctruslc, i l a l o - l i e l l e n i s l . u. r ö m . M a l e r e i , W i e n 1941, Taf. 33. * V g l . P. Marconi, L a p i t l u r a dei R o m a i i i , R o m a 1929, S. 11, A. Rumpf, G r i e c l i . u. r ö m ; K u n s t , L e i p z i g 1931, S. 83 usw. R e v . arch. 26, 1946, S. 53 ff. Gilbert—Ch. Picard D o m i t i c n sacrifiant sur un m e d a i l l o n d ' E l D j e m (Tunisie). Z u m westlichen u n d ö s t l i c h e n Gebiet des Imports u n d der E i n f l ü s s e v g l . .Teil 45, 1930, S. :!84ff. . R i c h t i g macht darauf aufmerksam E. von Garger, Untersuchungen zur r ö m . B i l d k o m p o s i ­ tion, J a h r b ü c h e r der K u n s t h l s t . S a m m l . i n W i e n , F . 9, 1935, S. 15 f. gegen die M e i n u n g Lehmann—Hänichens, v g l . a. a. 0 . S. 141 ff., Darstellung des Raumes an der T r a j a n s s ä u l e . V g l . H. Fuhrmann, J d l 55, 1940 A A Sp. 467 ff., A b b . 2 7 - 3 0 . I R i l i e v i F l a v i dei Palazzo della Cancelleria, R o m a 1945. Diese P u b l i k a t i o n ist m i r b e k a n n t n u r aus der umfangreichen Rezension J . M. C. Toynbee, J o u r n a l of R o m . S l u d . 37, 1947, S. 187 ff. Seit dieser Zeit Gegenstand zahlreicher Diskussionen und Studien. V g l . B o n n e r J a h r b . 155/156, 1955/56, S. 112 ff., A. Rumpf, R ö m i s c h e historische Reliefs, 1. N a c h Magi s i n d die d o m i l i a n i s c h e n Reliefs i n der Auffassung des Raumes auf dem Wege v o n Zwei — z u r D r e i d i m e n s i o n a l i t ä t , die an den Reliefs des Durchganges des Titusbogons gipfelt. Diesen datiert er dann falsch bis i n die N e r v ä - oder Trajanszeil, g e s t ü t z t auf subjektive Auffassung einer idealen E n t w i c k l u n g s r e i h e . Rodenwaldt, K d A S. 602. M . Pallotlinn, II g r ü n d e fregio d i Traiano, B u l l e t , d. ('ommis. arch. Com. d i R o m a 66, 1938, S. 55. Rodenwaldt, K d A S. 603. Lelimann—Hartleben a. a. O. II Taf. 63, Szene 136 n a c h C i c h o r i u s ; Bandinelli Sloricilä Taf. 69, A b b . 134. Lehmann-Hartlcben Taf. 57 - Szene 120 bis 122, Bandinelli Taf. 67, A b b . 131. Lehmann—Hartleben Taf. 36 — Szene 76, Bandinelli Taf. 71, A b b . -137. ' Ducati, A i R Taf. 122. 2

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V g l . J d l 46, 1931, S. 116, A b b . 19; Lehmann-Hartleben Taf. 50 - Szene 106, 107. V g l . J d l 46, 1931, S. 106, A b b . 14, Lehmann-Hartleben Taf. 22. V g l . J d l S. 126, A b b . 2 5 ; L . - H . Taf. 48 - Szene 103. Romeinsohe Kunstgesehiedenis, G r o n i n g e n 1925. D i e grundlegende Bedeutung des keines­ wegs alternden Buches w u r d e n a c h J a h r e n aufs neue g e s c h ä t z t u n d interessant g e w ü r d i g t v o n 0. Pacht, K r i t i s c h e Berichte z u r kunstgesch. L i t e r a t u r 6, 1937, S, 3 ff. V g l . auch Ducati A i R S. 419. V g l . Bandinelli, S t o r i c i t ä Taf. 72, A b b . 139. L a scultura r o m . S. 118. Ä h n l i c h auch Introduzione aU'arte romana, Catania 1956, S. 133, neue W ü r d i g u n g der menschlichen Gestalt v o n der Trajanssäiule ab, Anfang der S p ä t a n t i k e . D i e A n t i k e 8, 1932, S. 301 ff. K o m p o s i t i o n . Storicitä S. 199 f. V g l . Taf. 67, A b b . 131. V g l . Taf. 69, A b b . 134; Taf. 75, A b b . 143. V g l . Taf. 71, A b b . 137. V g l . Taf. 66, A b b . 130. . V g l . Taf. 75, A b b . 143; Taf. 72, A b b . 139; Taf. 76, A b b . 145; Taf. 77, A b b . 147. S. Taf. 76, A b b . 145; Taf. 77, A b b . 147. A b b . Z . B . Ducati, A i R Taf. 74, 2. V g l . E. von Garger, Trajansbogen i n Benevent ( S a m m l . P a r t h e n o n , sine) Taf. 13. ' Belege für beide A r t e n der D i s p r o p o r t i o n a l i t ä t s i n d z u f i n d e n auf einer Szene (Cich. 76), wie die dakische Bewohnerschaft i h r e H e i m a t v e r l ä s s t , neue Siedlungen suchend. S. Bandi­ nelli, S t o r i c i t ä Taf. 71, A b b . 137, Lehmann—Hartleben, Taf. 36. Z u r V o l k s k u n s t u n d deren Proportionierung v g l . das lateranische R e l i e f v o m Hateriergrab m i t einem G r a b b a u u n d einer Hebemaschine. V g l . G. Rodenwaldt, D e r Belgrader K a m e o , J d l 37, 1922, S. 17 ff. V g l . a. a. O. S. 28. Rodenwaldt zitiert als Belege Cohen, D e s c r i p l i o n histor., P a r i s 1880 bis 1888, Vesp. 474 v o m J . 72/73, T i t . 236 v o m J . 72, D o m i t . 483 v o m J . 85, T r a j . 501 v o m J . 104/110; v g l . (Vesp.) foulant a u x pieds un G e r m a i n , (Traj.) terrassant u n ennemi — ein Germane w i r d unter d e m Pferde abgebildet. S. C. A . H . Plates V , S. 62, 63 b , i m M u s e u m z u Istambul v o n H i e r a p v t n a auf der K r e t a . Rodenwaldt, K d A S. 602. U n t e r Voraussetzung allerdings, dass die K o m p o s i t i o n der r ö m i s c h e n G e m m e n originell u n d ohne hellenistische M u s t e r ist. F ü r die pergamenische K u n s t k a n n m a n n ä m l i c h die E x i s t e n z niedriger Reliefsstreifen m i t ä h n l i c h e n G r u p p e n v o n Gefangenen u n d Waffen voraussetzen, wie sie insbesondere an d e r P a r i s e r K a m e e z u f i n d e n s i n d ; dabei w ü r d e n w i r auf solche Reliefs, wie sie an d e n D e c k e l n der antoninischen Sarkophage m i t den symbo­ lischen Gallierschlachten vorfinden, g e s t ü t z t . Diese Sarkophage b e n ü t z t e n als M u s t e r einige pergamenische D e n k m ä l e r , w a h r s c h e i n l i c h M a l e r e i e n , nach den perspektivischen A b k ü r z u n ­ gen beurteilend, v g l . z. B . d e n k a p i t o l i n i s c h e n Sarkophag A m m e n d o l a (Abb. z. B . Roden­ waldt, K d A S. 640) oder den Sarkophag i m R ö m i s c h e n N a t i o n a l m u s e u m m i t dem P o r t r ä t des F e l d h e r r n a m D e c k e l (Paribeni, K a t a l o g N r . 87, m i t A b b . ) . W i c h t i g e r aber als das T h e m a der Szene m i t d e n Gefangenen a n den G e m m e n ist i h r e L o k a l i s i e r u n g i m unteren Streifen u n d d a z u Voraussetzung v o n hellenistischen M u s t e r n fehlt. E s ist also notwendig bei d e m r ö m i s c h e n U r s p r u n g des Gedankens z u b l e i b e n .

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Unberechtigt ist der verallgemeinernde Gegensatz des r i c h t i g proporzionierenden R e a l i s m u s an der T r a j a n s s ä u l e u n d an der Marcu'ssäule, die bis z u r Deformation der N a t u r f o r m h i n ü b e r g e h t , wie es m a n c h m a l geschieht, v g l . M . Pallottino, L'orientamento stilistico dell'a scultura A u r e l i a n a , L e A r t i 1. 1938/39, S. 32 ff. „ D i e Deformation der N a t u r " ist bereits an der T r a j a n s s ä u l e z u finden. V g l . Hamberg, Studies S. 171, konkrete V e r k ö r p e r l i c h u n g der historischen Ereignisse m i t der B e i m i s c h u n g des traditionellen k ü n s t l e r i s c h e n Materials u n d der traditionellen T y p e n .

IV 1

2

3

Rodenwaldt, K d A S. 622, 623 u n d Taf. 40. V g l . A. Hehler, Studien zur r ö m . P o r t r ä t k u n s t , Jahreshefte des Österreich, arch. Inst. 21/22, 1 9 2 2 - 1 9 2 4 , S. 172 ff. V o n der hadrianischen Zeit ab, die d e m Beispiele des Herrschers folgte, der auch auf

146

diese W e i s e seine G u n s t den Griechen g e g e n ü b e r offenbarte, w u r d e der B a r t nach d r e i J a h r h u n d e r t e n wieder zur Gewohnheit. Poulsen, P o r l r a i t s N r . 75, S. 90. V g l . Poulsen, Portraits N r . 77, S. 92, B ü s t e eines R ö m e r s i n L a n s d o w n House. S. das D e t a i l , M . Wegreer, D i e Herrscherbildnisse i n antoninischcr Zeit, B e r l i n 1939, Taf. 23. D e r grosse Saal, Salone N r . 32. Arias, L a scultura r o m . Tat. 24, A b b . 33 u n d K. Schefold, D i e B i l d n i s s e der a n t i k e n D i c h ter, R e d n e r u . Denlcer, Basel 1946, S. 182, 183, 1. Poulsen, Portraits N r . 86, S. 97. Ä h n l i c h k e i t m i t den» P o r t r ä t i m R ö m i s c h e n N a t i o n a l m u seum geht bis ins D e t a i l , aber plastisch ist es h ä r t e r . Arias, L a scultura r o m . Taf. 25 A b b . 34, a. a. 0 , Wegne;-, D i e Herrscherbildnisse Taf. 46, S. 12 f. u n d 242, h ä l t das P o r t r ä t für eine griechische u n d n i c h t r ö m i s c h e A r b e i t . D i e B e hauptung v o n R. West, R ö m i s c h e P o r l r ä t p l a s t i k . II, M ü n c h e n 1941, S. 143, N i \ 2, dass es P o r t r ä t v o n A e l i u s Verus, L u c i u s ' Vaters, ist, bat nicht v i e l W a h r s c h e i n l i c h k e i t i n sich. R ö m i s c h e W a n d m a l e r e i v o m Untergang Pompejis bis ans E n d e des d r i l l e n J a h r h u n d e r t s , B e r l i n 1934, S. 99 f. C A H Plates V , S. 131 p. Poulsen, Portraits N r . 90, S. 98. V g l . eine K o l o s s a l b ü s t e des L . Verus i m L o u v r e , Bernoulli, R o m . Ikonographie II 2, Taf.. 56 a, b oder a. a. 0 . W e g n e r , D i e Herrscherbildnisse Taf. 44. Poulsen, Portraits N r . 90, S. 98. Poulsen, Portraits N r . 95, S. 1.01. C A H Plates V , S. 168, 169 a. Bernoulli, Rom, Ikonographie II 3, Taf. 11 a, b, oder eine technisch v o l l k o m m e n e r e Fotografie Chauffourier N r . 1444. Identifikation m i t Septimius Severus ist nicht ganz sicher,, aber die Entstehungszeit ja. Bernoulli, Rom. Ikonographie II 3, Taf. 8 a, b. I n W i e n i m J . 1901 erschienen. G a l l e r i a delle statue N r . 248. V g l . Pacht a. a. O. K r i t . Berichte zur Kunstgescli. L i t , 6, 1937, S. 14. Hehler, D i e B i l d n i s k u n s t Taf. 283 b . Strong, L a scultura romana II, Taf. 74. A . a. O. Taf. 75. Bernoulli, Rom. Ikonographie II 3, Taf. 19 u n d 15. Strong, L a scultura romana II, S. 249 f. V g l . die Studie v o n M. Wegner zur Chronologie der D e n k m ä l e r des M . A u r e l i u s z w i s c h e n den J a h r e n 161 bis 192, J d l 53, 1938, A A Sp. 152 ff., B e m e r k u n g e n z u den E h r e n d e n k m ä l e r n des M a r c u s A u r e l i u s , u n d Rom. M i t t e i l u n g e n 60/61, 1953/54, S. 207 ff. M. Cagiano de Azevedo, A l c u n e osservazioni sui r i l i e v i storici A u r e l i a n i . N a c h W e g n e r v i e l l e i c h t erst nach d e m J . 180, ebenfalls Cagiano de Azevedo u n d Bianchi Bandinelli (Archeologia 7, 1955, S. 5 f.) datieren gemeinsam m i t der M a r c u s s ä u l e . D i e M e i n u n g , dass diese Reliefs einem T r i u m p h b o g e n entstammen, der auf d e m K a p i t o l f ü r die Siege u n d als A n d e n k e n a n den D o p p e l t r i u m p h ü b e r G e r m a n e n u n d Sarmaten im J . 176 oder k u r z nach i h m gebaut wurde, ist w e n i g w a h r s c h e i n l i c h (vgl. Strong, L a scultura r o m . II, S. 255, nach i h r e r M e i n u n g waren auf demselben B o g e n auch die Reliefs v o m P a l a z z o d e i Conservatori, ebenfalls Rodcnwaldt, U b e r den S t i l w a n d e l S. 18, D u c a t i , A i R S. 252). V g l - £rzdící p r u d k o s t v ý v o j e . P r o t i f l a v i o v s k é m u i l u z i o n i s m u je tento a n t o n i n o v s k ý a s e v e r o v s k ý z ř e j m ě „ b a r o k n í " , částečně a ž „ e x p r e s i o n i s t i c k ý " . V l a s t n í z a č á t e k cesty k p o z d n í antice p a t ř í a ž do 80. a 90. let 2. stol., do okolí sloupu

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M . A u r e l i a . S l o h o v ý v ý v o j v desítiletích k o l e m r. 200 je

pestrý

a p r o t i k l a d n ý jak v s y n c h r o n i c k é m , tak v d i a c h r o n i c k é m p r ů ř e z u . P r o t i c h ů d n o s t

je v ý s l e d ­

k e m o b e c n é k r i z e , h o s p o d á ř s k o s p o l e č e n s k é , politické i i d e o l o g i c k é , střetání starého s n o v ý m . V y ž í v á se t r a d i č n í realismus,

který

d o s p ě l ke k r a j n í m

důsledkům, dynamizace



rozpad

t v a r u , a zřetelně u ž nastupuje n o v é pojetí, v n ě m ž se m ě n í v ý z n a m l i d s k é postavy, k t e r á p ř e s t á v á b ý t odrazem o b j e k t i v n í společnosti. S v í t ě z í c í m i r a c i o n a l i s m e m v n i k á i do oficiálního slohu stále v í c v ý r a z o v o s t a abstrakce. P l a s t i k a se romanizuje j a k v ý v o j e m h e l é n i s t i c k o ř í m s k é v r s t v y , tak p r o n i k á n í m d o m á c í h o nereprezentativního p r o u d u , k t e r ý dosud p l y n u l spíš v p o d ­ z e m í v e l k é h o u m ě n í , i do sféry oficiální. S o c h a ř s k é ř e m e s l o dostoupilo p o d i v u h o d n é

dokona­

losti ve s p o j e n í p r á c e v r t á k u a d l á t a . V e v a r u tradičních a n a s t u p u j í c í c h forem rodí se n o v ý sloh a tím je tato doba o p r a v d u tvůrčí. S p o r n é z ů s t á v á , j a k ý v l i v m ě l n a p o č á t k y v ý v o j e k p o z d n í antice V ý c h o d , o d k u d p o c h á z e l a s e v e r o v s k á dynastie, a j e h o ž v ý t v a r n ý n á z o r , po tisíciletí u s t á l e n ý a j e n v h o r n í v r s t v ě d o č a s n ě p ř i k r y t ý h e l é n i s m c m , shoduje se v p o d s t a t n ý c h í y s e c h s p o z d n ě a n t i c k ý m . V ý v o j v Ř í m ě n e b y l s a m o z ř e j m ě i z o l o v á n , ale m á s v é d o m á c í p ř e d ­ p o k l a d y . O v š e m situace h l a v y říše a o k r a j o v ý c h ú z e m í b y l a zcela j i n á . Co v p r o v i n c i í c h b y l o r e g i o n á l n í m patriotismem,

to v Ř í m ě , k u l t u r n í m centru, muselo d l o u h o z ů s t a t omezeno p ř e ­

v á ž n ě n a l i d o v o u sféru, ale p ř e s t o b y l o s t á l e živé. V l i v y provincií m o h l y se č á s t e č n ě u p l a t n i t a ž tehdy, k d y ž u ž t a m d o s p ě l v l a s t n í ř í m s k ý v ý v o j . N a p o s í l e n í l i d o v ý c h tradic p ů s o b i l o p r a v d ě p o d o b n ě i p r o v i n c i a l i z o v á n í ř í m s k ý c h horních vrstev, o v š e m s p í š a ž v 3. stol. Rostovcevova teorie o „ ú p a d k u " antické k u l t u r y a b s o r b o v á n í m v z d ě l a n ý c h vrstev l i d o v ý m i m a s a m i , jejich b a r b a r i z a c í , je příliš j e d n o s t r a n n á a nepřihlíží ke k r i z i ř í m s k é h o i m p é r i a v j e j í m celku.

V.

U T V Á Ř E N I

OD

POZDNÍ

CAHACALLY

A N T I K Y

K DECIOVI

J e s t l i ž e v p ř e d c h á z e j í c í m o b d o b í v desítiletích k o l e m r. 200 z a č í n á se formovat

pozdně

a n t i c k ý sloh, tak v 10.—40. letech 3. stol. n a b y l tento proces u ž zcela j a s n ý c h o b r y s ů . P r o t o ž e nejsou historické reliéfy, informují nás o v ý v o j i portréty, jak v o l n é , tak n a sarkofázích, které se v této d o b ě h o j n ě v y s k y t u j í , a figurální s a r k o f á g o v é reliéfy. S l o h portrétů

je c h a r a k t e r i z o v á n

dosud nepoznanou k o m b i n a c í i l u z i o n i s m u , v e r i s m u a expresionismu, tj. ř í m s k ý c h složek v z d á ­ l e n ý c h o d helénistických

tradic 2. stol. P l a s t i c k ý objem,

r o z l o ž e n ý za p o s l e d n í c h

Antonínů

s v ě t l y a stíny, se z n o v u uzavřel, tzv. c a r a c a l l o v s k ý klasicismus, ale spíš v j á d ř e n e ž na po­ v r c h u . V l a s y a v o u s y se stáhly do s o u v i s l é v r s t v y , členěné n e j d ř í v e p l a s t i c k y , ale o d 20. let p ř e v á ž n ě o p t i c k y , y r y p y . Obličejové r y s y z o b r a z u j í v ě r n ě i n d i v i d u á l n í z v l á š t n o s t i a o d 30. let e x p r e s i v n ě podtrhují vnitřní v ý r a z , k t e r ý se s o u s t ř e ď u j e do očí, úst a čela. V d u a l i s m u d u š e a těla zvítězil s u p r a n a t n r a l i s t i c k ý spiritualismus. V letech k r. 250 stal se z a t r p k l ý

melan­

cholický v ý r a z o b e c n ý m a b s t r a k t n í m s c h é m a t e m , s y m b o l e m těžkých d o b o v ý c h p o m ě r ů , srov. D e c i o v y portréty. Ztuhlé j á d r o h l a v y s m ě ř u j e k stercometrické k u b i z a c i . V e d l e tohoto p ř e v l á ­ dajícího r e a l i s t i c k o e x p r e s i o n i s t i c k é h o slohu p l y n e d á l v e d l e j š í k o n z e r v a t i v n í p r o u d , p o k r a č u j í c í v s e v e r o v s k é m k l a s i c i s m u , se sklonem

k

umírněnému

realismu,

srov.

hlavně

sarkofágové

p o r t r é t y a obecně p ř e d e v š í m ž e n s k é p o d o b i z n y . I pro v ý v o j sarkofágového

reliéfu

m ě l a v e l k ý v ý z n a m k l a s i c i s t i c k á reakce, k t e r á jako od­

p o v ě ď n a r o z p a d f o r m y a její b a r o k i z a c i p r o j e v i l a se u ž za v l á d y S e p t i m i a Severa. J e j í dů­ s l e d k y b y l y v š a k p o n ě k u d j i n é n e ž u v o l n é h o portrétu-, P r o p o z u a n í v ý v o j o v é d r á h y

sarko­

f á g ů jsou nejdůležitější tyto p a m á t n í k y : z 2. desítiletí 3. stol. s l o u p k o v ý s a r k o f á g s d e x t r a r u m iunctio a D i o s k u r y v N á r o d n í m ř í m s k é m m u s e u

1 6

a sarkofág s lovem na l v a v paláci M a t t e i ,

tzv. M a t t e i I, z 3. desítiletí l a t e r á n s k ý s a r k o f á g A d o n i d ů v , k a t a k o m b s e s t a v e n ý ze z l o m k ů M . G ů t s c h o w o v o u

60

19

1 8

lovecký, s a r k o f á g z P r a e t e x t a t o v ý c h

a amazonský sarkofág

6 0

ve v a t i k á n s k é m

167

6

B o l v e d e r u ři. 49, z konce 4. desítiletí B a l b i n ů v s a r k o f á g " v Praelextalovo s l o v e m n a l v a v p a l á c i R o s p i g l i o s i (Casino P a l l a v i c i n i ) starší M e l e a g r ů v s a r k o f á g v Pise (Camposanto),

74

6 9

v Neapoli.

7 1

a o málo

z 5. desítiletí d v a s a r k o f á g y s l o v e m na l v a ,

M a t t e i II a tzv. B a l b i n ů v v k o d a ň s k é N y - C u r l s b e r g o v ě g l y p t o t é c e , 83

imis