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German Pages 95 [116] Year 1963
JAHRBUCH DES DEUTSCHEN ARCHÄOLOGISCHEN INSTITUTS
EINUNDZWANZIGSTES ERGÄNZUNGSHEFT
WALTER DE GRUYTER & CO. BERLIN 1963
BEITRÄGE ZUR ANTIKEN RELIEFKERAMIK VON
ADOLF GREIFENHAGEN
MIT 73 TEXTABBILDUNGEN UND 9 TAFELN
WALTER DE GRUYTER & CO. BERLIN 1963
Archiv-Nr. 3 8 0 4 6 3 1 Satz: Walterde Gruyter & Co., Berlin 30 Druck: Otto von Holten, Berlin 30
VORWORT
Die »Beiträge zur antiken Reliefkeramik« betreffen sehr verschiedene Gattungen aus einer Zeitspanne von mehreren hundert Jahren. Sie ergaben sich mehr oder weniger zwangsläufig aus meiner Tätigkeit an der Antikenabteilung der Staatlichen Museen zu Berlin (West). Alter Bestand war kritisch zu sichten, Neues konnte erworben, anderes aus Privatbesitz bekannt gemacht werden. Keine einzige Gruppe von Reliefgefäßen wird hier erschöpfend behandelt. Dazu bedürfte es einer umfassenden Sichtung des gesamten Materials. Aber getreu dem alten Grundsatz Eduard Gerhards, dessen Verdienste um die Berliner Vasensammlung immer noch in höchstem Maße bewundernswert sind, hat der Museumsarchäologe die einzigartige Gelegenheit, in täglichem Umgang mit den ihm anvertrauten Originalen zu sehen. Gesehenes mitzuteilen, ist der Sinn dieser Beiträge. Allen Kollegen, die durch Hinweise, Auskünfte und Photographien meine Arbeit förderten, sei gebührend gedankt: D. von Bothmer und A. Oliver jr. (Metropolitan Museum), G. Caputo (Soprintendente alle Antichità dell' Etruria), J. Charbonneaux und P. Devambez (Musée du Louvre), A. De Franciscis, A. Stazio, R. Stazio Pulinas (Museo Nazionale, Neapel), E. Diehl (Heidelberg), A. Garcia y Bellido (Madrid), D. Haynes (British Museum), H. Jucker (Bern), M.-O. Jentel (Paris), S. Karusu (Athen), G. Konstantinopulos (Rhodos), Th. Kraus und H. Sichtermann (Rom), H. Möbius (Würzburg), R. Noll (Wien), A. Peredolskaja (Leningrad), E. Rohde (Berlin), A. Rumpf (Köln), H. Schlunk (Madrid), A. Stenico (Arezzo und Mailand), W. Züchner (Erlangen); ferner den Direktoren des Musée Lavigerie (Karthago), der Galleria Capodimonte (Neapel) und des Petit Palais (Paris). Die Staatlichen Museen zu Berlin und das Deutsche Archäologische Institut unterstützten eine Reise nach Italien und Griechenland. Dem Institut und seinem Präsidenten, Professor Dr. Kurt Bittel, bin ich darüber hinaus für die Drucklegung dieser Arbeit zu besonderem Dank verpflichtet. Die Bildvorlagen stellte, soweit nicht anderes angegeben, die Photographin der Antikenabteilung, Frau Jutta Tietz-Glagow, her. Berlin, im Januar 1963
A. G.
INHALTSVERZEICHNIS
Die Reliefkratere Berlin F 2640 und F 2882
1
Etruskischer Kantharos mit Reliefappliken Berlin, Inv. 1962. 34
34
Hellenistischer Reliefbecher aus Rhodos in süddeutschem Privatbesitz . . . .
52
Relieflagynos aus Kleinasien, Berlin, Inv. i960. 34 Formschüssel und Stempel des Perennius Tigranus, Berlin, Inv. 1962. 35 und 36 66 Verzeichnis der Aufbewahrungsorte
82
Verzeichnis der Abbildungen und Tafeln
86
Tafeln
DIE R E L I E F K R A T E R E B E R L I N F 2640 UND F 2882
Unter den nicht sehr zahlreichen attischen Reliefgefäßen 1 des fünften und vierten Jahrhunderts v. Chr. würde ein Kelchkrater des Berliner Antiquariums besonders hervorzuheben sein, wenn die seit der Erwerbung im Jahre 1849 mehrfach wiederholte Beurteilung des Stückes einer genaueren Prüfung standhielte. A. Furtwängler hat die Vase in seiner »Beschreibung der Vasensammlung im Antiquarium« (1885) unter Nr. 2640 aufgeführt und die Umstände ihrer Erwerbung mitgeteilt 2 : »Mehrere schöne Vasen späterer Stilarten kamen 1849 durch einen Ankauf in's Museum, den der damalige Generaldirektor von Olfers in Neapel bei Gargiulo machen ließ. Es waren namentlich der schöne Krater 2401, der mit Reliefs 2640 [hier Abb. 1 — 9 ] ; ferner 3178. 3517. 383s« 3 . Von dem Reliefkrater F 2640 gibt Eduard Gerhard die erste Kunde in der Archäologischen Zeitung 5/6, 1847/48, Sp. 203 Anm. 20, wo Lokri als Fundort genannt wird. Entsprechende Notizen sandte ihm Gargiulo aus Neapel am 9. Januar 1847. Man muß auf diesen Artikel in der Archäologischen Zeitung zurückgreifen, weil die Angaben Gerhards im Nachtrag zum 3. Heft (Nr. 1967) »Neuerworbene Denkmäler des Kgl. Museums zu Berlin« (1846) weniger ausführlich sind. Eine 1 Griechische R e l i e f k e r a m i k des 5-/4. J h s . allgemein: F. Courby, Les Vases grecs ä reliefs (1922) I i 5 f f . ; Züchner, J d l . 65/66, 1950/51, 175ff.; Weinberg, H e s p e r i a 23, 1954, iogff.; Caskey, H e s p e r i a 29, i960, i68fi. T a i . 54—56 (»skyphoid K r a t e r « H 29 cm. S O O A A A M A T P I , v o n d e m H e r a u s g e b e r als großgriechisch oder k o r i n t h i s c h b e z e i c h n e t u n d in das 3. Viertel des 4. J h s . d a t i e r t ) . 2 a. O. S. X X I I . 3 F 2 4 0 1 . Beazley, A R V . 671 N r . 1 (Klio-Maler); G. v o n L ü c k e n , Griech. V a s e n b i l d e r Taf. 22; E . B u s c h o r , G r a b eines a t t i s c h e n M ä d c h e n s Abb. S. 47. F 3 1 7 8 G l o c k e n k r a t e r , lukanisch. F 3 5 1 7 G n a t h i a - S k y p h o s . N e u g e b a u e r , Vasen 1 7 1 . K a r i k a t u r eines Kriegers in Vogelgestalt, v o n G. H a f n e r als Seelenvogel g e d e u t e t u n d auf die Sage v o m K a m p f der M e m n o n i d e n , der a l l j ä h r l i c h ü b e r d e m G r a b e M e m n o n s s t a t t f a n d , bezogen ( Ö J h . 32, 1940, 29f. A n m . 11 Bibliogr., Abb. 14). F 3838 Große H y d r i a m i t R e l i e f p l a k e t t e n : G e r h a r d , AZ. 5/6, 1847/48, 203 A n m . 20; Ders., N e u e r w o r b e n e a n t i k e D e n k m ä l e r H . 3 N a c h t r a g Nr. 1968; N e u g e b a u e r , Vasen 170; Züchner, J d l . 65/66,
1 9 5 0 / 5 1 , 1 8 5 ff. A b b .
14—18.
Z ü c h n e r (a. 0 . 1 8 6 A n m . 3) h e b t m i t R e c h t »die f ü r diese G a t t u n g u n g e w ö h n l i c h e niedrige F o r m des H y d r i a - F u ß e s « h e r v o r . D e r F u ß ist u n b e s c h ä d i g t u n d h a t ein leicht k o n k a v e s , n a c h u n t e n h i n z u r ü c k fliehendes Profil. D e r S t a n d r i n g w ä r e a u c h viel zu s c h m a l f ü r die Größe des G e f ä ß k ö r p e r s . Die H y d r i a m u ß einen g e s o n d e r t g e a r b e i t e t e n S t ä n d e r g e h a b t h a b e n , wie d a s bei t a r e n t i n i s c h e n u n d c a m p a n i s c h e n K r a t e r e n o f t der Fall ist, a b e r a u c h bei g r o ß e n a t t i s c h e n G e f ä ß e n v o r k o m m t (Hinweise: CVA. M a n n heim, T e x t zu T a f . 27). Jdl. 21. Erg.-Heft
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2
Abb. i. Kelchkrater, Berlin (West)
Abbildung der Ödipusdarstellung und eine Skizze der Gefäßform findet sich in Overbecks »Gallerie heroischer Bildwerke« 1 1 8 5 3 (danach hier Abb. 4) 4 . Die Ödipusszene wird bei Roscher 5 zitiert. K . A. Neugebauer 6 hält das Gefäß für eine »Arbeit gegen Ende des fünften Jahrhunderts v. Chr.«, und beschreibt »aus Formen gepreßte Reliefs, die über weißem Überzuge wahrscheinlich mehrfarbig bemalt waren«. E . Pfuhl 7 und H. Metzger 8 erwähnen die Vase, bzw. die Darstellung der Theseustat. Schließlich geht U. Hausmann 9 auf die Frage der Datierung ein und kommt zu einem Ansatz in das frühe vierte Jahrhundert v. Chr. 4 5 8 9
Die Bildwerke zum thebischen und troischen Heldenkreis (1853) 51 Nr. 47 Tat. I I I 1. 6 7 ML. I I I 1, 724 Nr. 62. Vasen 132. MuZ. I 4 1 1 . Les Représentations dans la céramique attique du I V e siècle 318 Nr. 27. Hellenistische Reliefbecher 87.
3
Abb. 2. Kelchkrater, Berlin (West)
Trotzdem erwies sich eine erneute Untersuchung des Originals als notwendig und führte zu dem Ergebnis, daß wir es mit einem Pasticcio zu tun haben. Die eigentliche Gefäßwand mit den Relieffiguren ist eine Fälschung, die vor der Mitte des 19. Jahrhunderts, wahrscheinlich am Beginn der vierziger Jahre, gearbeitet und mit Teilen antiker Vasen zusammengesetzt worden ist. Die Form entspricht Ivrateren von der Wende des fünften zum vierten Jahrhundert 10 . Das Ornament der Henkelzone und am Mündungsrand ist das bei attischen Vasen dieser Zeit übliche, und die nicht weiß grundierten Teile, d. h. Boden mit Fuß und Henkeln, sowie der Rand, stammen einwandfrei von einem oder vermutlich zwei verschiedenen attisch rotfigurigen Krateren. Der Kelchkrater, zu dem ursprünglich der Boden gehörte, war auf der Seite, wo jetzt die Sphinx 10
z. B . : München 2386. Buschor in F R . 3, 149/50 Abb. 66 f.
1
4
Abb. 3. Teil des Kelchkraters Abb. 1 und 2
5
Abb. 5. Teil des Kelchkraters Abb. 1 und 2
sitzt, reicher ausgeführt; das Ornament hat gegenüber dem einfachen SchachbrettMäander der Rückseite dazu noch ein ionisches Kyma. Das Loch unter dem Ornamentstreifen der Rückseite und eines unter dem Henkel links davon sind wahrscheinlich antik; der attische Kelchkrater hat einmal als Spendegefäß gedient. Ungewöhnlich dagegen ist die mit Reliefs verzierte Gefäßwand, die, ganz mit weißer Engobe überzogen, farbige Bemalung vermuten läßt, wie Furtwängler und Neugebauer annehmen. Man könnte den polychromen Kelchkrater im Vatikan mit der Darstellung des kleinen Dionysos bei den Nymphen 1 1 und den erst vor wenigen Jahren zutage gekommenen Andromeda-Krater in Agrigento 1 2 nennen, um diese dem Typus nach scheinbar verwandten attischen Kelchkratere nicht unerwähnt zu lassen. Die Reliefs unseres Kraters F 2640 stellen je eine Szene mit drei Figuren dar, deren Stil im allgemeinen Werken des späteren fünften oder frühen vierten Jahrhunderts zu entsprechen scheint: A. Theseus tötet den Minotauros, neben ihm 11 12
M. E . Arias-M. Hirmer, Tausend Jahre griech. Vasenkunst Taf. X L I I l f . Agrigento. F A . 12, 1959, 26 Nr. 323 Taf. 4, 1 1 ; L. v. Matt-Pareti, Das antike Sizilien Abb. 1 2 3 .
6
A b b . 6. Teil des Kelchkraters A b b . i und 2
steht eine »nicht ganz sicher zu bestimmende Frau« (Overbeck), die nach Gerhard »nur für Ariadne gehalten werden kann«, worin ihm Furtwängler und alle späteren gefolgt sind. Ganz links ist eine Grotte angedeutet, also wohl der Eingang zum Labyrinth 1 3 . Auf der anderen Seite (B) sehen wir Oedipus vor der auf hohem Felsen sitzenden Sphinx. Die Chlamys hat er umgehängt, im Nacken den Petasos, das Schwert an der Seite, die Hand liegt am Rand des abgesetzten Schildes. Links steht ein Jüngling, wie Gerhard beschreibt, »mit einem Schild in der Rechten, seine Linke ruht auf dem Fels«, also ein den Oedipus begleitender Thebaner. 13
Metzger a. O.
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Abb. 7. Teil des Kelchkraters Abb. 1 und 2
Zunächst fallen einige Ungereimtheiten der Darstellung auf: die Kleinheit des Theseus neben der überragenden Ariadne, die Beziehungslosigkeit des für sich stehenden und lässig sich auf den Felsen stützenden Gefährten (Abb. 3. 4. 6). Auch Einzelheiten wie die Ausrüstung des Oedipus mit einem Schild, der dem Wanderer nicht zukommt, erscheinen schwer verständlich 14 . Ferner fällt auf die 14
Vgl. C. Robert, Oidipus I 48ff. und die Darstellungen auf rfg. Vasen: Beazley, A R V . 984. Walter, AuA. 9, i960, 63 ff. Taf. 1 1 — 1 3 . Eine rfg. Lekythos der Bibl. Nat. (Luyncs 725 Taf. 17) zeigt einen mit Rundschild versehenen Krieger vor einer auf hoher Basis sitzenden Sphinx: de Ridder, Vas. de la Bibl. Nat. Nr. 496. Man wird das Bild mit dem Verf. des Katalogs als Krieger vor einem Grabmal deuten und nicht auf die Oedipussage beziehen. Eine Bestätigung dieser Auffassung gibt die wgr. Lekythos in Tarent: Walter a. O. 70 Abb. 37; Beazley, A R V . 580, 1 ; O. Quagliati, IlMuseo Naz. di Taranto 56 rechts.
8
Abb. 8. Teil des Kelchkraters Abb. i und 2
Art, wie der links stehende Jüngling denRundschild hält, der merkwürdigkleingeraten ist und sich schlecht mit der darüberliegenden (?) Chlamys verträgt. Übrigens gibt die Zeichnung bei Overbeck (hier Abb. 4) die Stelle ungenau wieder. Der Arm ist gebeugt, ein Stück des den Schild haltenden Unterarmes deutlich zu sehen (Abb. 6). Aber den Schild trägt man nicht am rechten, sondern am linken Arm. Hier ist es entgegen der natürlichen Regel anders. Ebenso ist die Darstellung der um die Lanze greifenden Hand des Oedipus offensichtlich mißlungen, wie wir das einem Koroplasten des fünften bis vierten Jahrhunderts schwerlich zutrauen würden. Das Fehlen des Kopfes der Ariadne vermerkt schon Gerhard. Die ursprüngliche Haltung erkennt man noch an der in die Gefäßwand gravierten Umrißlinie und dem
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Abb. 9. Teil des Kelchkratcrs Abb. 1 und 2
Abb. 10. Medea, Wandbild aus Pompeji, Neapel
Fehlen des Überzuges an dieser Stelle: der Kopf war Theseus zugewandt und hatte einen hochgebundenen Haarknoten (Abb. 9). Überhaupt sind die Reliefs merkwürdig unscharf, verschwommen im Detail, oder wie Furtwängler sagte »sehr stumpf«. Das ist nicht etwa durch Umstände der Erhaltung verursacht, denn wie die vielfach darüber erhaltene Engobe beweist, kann sich das Tonrelief nicht wesentlich verändert haben. Darin zeigt sich gerade die kluge Vorsicht dieses 'Meisters', der jede Prägnanz vermied, um sich keine Blöße zu geben. Die Rätsel, die uns der sonderbare Kelchkrater F 2640 aufgibt, lösen sich jedoch sehr einfach, wenn wir ihn in seine Bestandteile zerlegen. Bei einer durch den
Abb. i l und 12. Sabouroffscher Krater, Berlin (Ost)
Abb. 1 3 und 14. Sabouroffscher Krater, Berlin (Ost)
12 Restaurator H. U. Tietz in der Werkstatt der Antikenabteilung vorgenommenen Reinigung stellte sich heraus, daß Rand, Körper und Unterteil mit Henkeln nicht zusammengehören. Der weiß überzogene Kelch hat oben und unten glatt geschnittenen Rand (Abb. 3 und 5) und ist mit Teilen eines oder wohl zwei verschiedener attischer Kratere zusammengesetzt. Der Unterteil stammt von einem Kelchkrater, der Rand wahrscheinlich von einem Glocken- oder anderen Kelchkrater. Der reliefverzierte Gefäßkörper zeigt innen keine Drehspuren, er ist einfach geglättet und mit Schmirgel bearbeitet. Die daraufsitzende schwarze Farbe ließ sich mit Spiritus leicht abwaschen. Der Hersteller des Pasticcios hatte die Fugen äußerst geschickt verdeckt. So erklärt es sich, daß der Krater allgemein für antik gehalten werden konnte. Aber der faktische Befund läßt keinen Zweifel darüber aufkommen, daß wir es mit einem Machwerk neuerer Zeit zu tun haben. Ein Photo im Deutschen Archäologischen Institut Rom zeigt die Vase im früheren Zustand, während die hier veröffentlichten Aufnahmen (Abb. 1 — 3 u. 5—9) nach der Reinigung und erneuten Zusammensetzung hergestellt wurden, so daß die Fugen leichter erkennbar sind. Zu erwähnen wäre noch — wir werden später darauf zurückkommen — die von Gargiulo an Gerhard brieflich mitgeteilte, auf einer Äußerung Hrn. Stülers beruhende Ansicht, die weiß gefärbten Figuren des lokrischen Gefäßes möchten ursprünglich versilbert gewesen sein 15 . Reste eines Silberüberzugs ließen sich jedoch auch vor der Reinigung nicht feststellen. Diese Technik würde keinesfalls zu einem attischen Krater des fünften bis vierten Jahrhunderts passen. Dagegen kennen wir sie von den späten italischen 'Silvered Vases' (drittes bis zweites Jahrhundert v. Chr.), deren Entstehung und Verbreitung in Etrurien Beazley 1 6 nachgewiesen hat. Auch in Apulien kommen Vasen ähnlicher Technik vor, u. a. große Volutenkratere mit Riefelung und Relieffiguren in Neapel, Bari und Ruvo. Aber der scheinbar 'klassische' Stil der Figuren des Berliner Kraters F 2640 hat weder mit den 'Silvered Vases' noch mit den genannten apulischen auch nur das Geringste zu tun. Vergleichen wir die Technik der Reliefs an dem Krater F 2640 mit nielischen Reliefs. Obwohl man dagegen einwenden könnte, daß die Rückseite der für das Gefäß bestimmten Figuren ja nicht sichtbar gemacht werden sollte, würde man doch die gleiche Art der Glättung erwarten können. Die Figuren lassen sich leicht vom Grund der Vase ablösen, die Rückseite zeigt keine Spuren eines Spachtels, wie das bei den melischen Reliefs der Fall ist 1 7 . Vielmehr haben sie die etwas körnige 15
AZ. 5/6, 1847/48, 203 Anm. 20. — Ob es sich um den E r b a u e r des Neuen Museums und der beiden
' S t ü l e r b a u t e n ' gegenüber vom Charlottenburger Schloß handelt (im westlichen Haus j e t z t die Antikenabteilung), konnte ich nicht in Erfahrung bringen. 16
Beazley, E V P . 2 8 4 0 . Vgl. P . Wuilleumier, Trésor de Tarente 81 ff. [De Chiara], Guida alla ceramica
volsiniese del Museo di Firenze (Quarta S e t t i m a n a dei Musei Italiani 10.—20. Nov. i960). 17 J
932>
P . J a c o b s t h a l , Die melischen Reliefs 1 0 1 ff. Taf. 64. Außer B e t r a c h t bleibe das Relief BMetrMus. 27, 4 5 Abb. i f . , das von der Museumsleitung
als Fälschung
erkannt wurde. D. von B o t h m e r
teilt dazu mit (18. 1 . 63): »Another forgery of the same group is in A t h e n s : it was acquired b y t h e
A b b . 1 5 . und 16. Guglielmo della Porta, Basis des Heraküskos, Neapel, Gali. Capodimonte
14 Oberfläche, ähnlich dem von Jacobsthal nachgewiesenen gefälschten 'melischen' Relief (a. 0 . Taf. 65 b). Von attischen Vasen stammende Relieffiguren stehen uns zum Vergleich leider nicht zur Verfügung. Statt dessen möge die schöne griechische Reliefoinochoe aus dem letzten Jahrzehnt des fünften Jahrhunderts in der Ermitage 1 8 verdeutlichen, wie weit die Oedipus- und Theseusdarstellungen des Berliner Kraters von dem lebendigen Wesen attischer Kunst entfernt sind. Es erhebt sich die Frage, welche Vorbilder der Fälscher benutzt hat. Das allgemein antikische Gepräge erschwert es, bestimmte Vorlagen im einzelnen aufzuspüren. Der Meister besaß offenbar die Fähigkeit, aus verschiedenen, recht heterogenen Elementen ein Ganzes zu schaffen, dessen Aussehen auch den erfahrenen Kenner zu täuschen vermochte. Es liegt nahe, zuerst unter den Antiken des Museo Borbonico Umschau zu halten, ohne die damals bekannten Publikationen von Werken anderer Sammlungen außer Acht zu lassen. Auf die Ähnlichkeit des sich aufstützenden Jünglings (Abb. 6) mit dem Narkissos hat Neugebauer aufmerksam gemacht 1 9 . Mit ziemlicher Sicherheit läßt sich ferner das Vorbild für die 'Ariadne' nachweisen. Daß sie den Theseus um ein Beträchtliches überragt, ja noch größer als die Höhle gewesen sein muß, macht sie zu einer isoliert stehenden, monumentalen Erscheinung. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir in ihr die Medea aus der in den Jahren 1828—29 freigelegten Casa dei Dioscuri wiedererkennen (Abb. 10) 20 . Die an der Relieffigur unmotivierte Haltung des rechten Armes (nach Gargiulos Angabe hielt sie ein Knäuel in der Hand) verrät schon ihre Abhängigkeit. Nur das Stand- und Spielbein hat der Koroplast vertauscht. Im übrigen hat sich das Auge unseres Meisters gewiß auch an manchem figürlichen Zierat weniger bedeutender, dekorativer Werke in Stein und Bronze geschult. Der Gefährte des Oedipus sieht dem Hermes auf dem Puteal unter dem Salpion-Krater im Neapeler Museum 21 nicht unähnlich (was seine Beziehung auf den Narkissos nicht ausschließt), während die Sphinx eher auf dekorative Arbeiten zurückzuführen sein wird, etwa auf die Sphingen des bekannten bronzenen Dreifußtisches aus Pompeji 2 2 . Für die Theseus-Minotauros-Gruppe wird man kaum mehr als allgemeine Anregungen durch Vasenbilder und Reliefs, in erster Linie römische, vermuten dürfen. Erinnern wir uns der Herkunft des Kraters. Eduard Gerhard 2 3 bemerkt dazu »aus den Vorräthen des Hrn. Gargiulo«. Schon 1822 hatte König Friedrich Wilhelm I I I . Society of the Friends of the National Museum and published in the small booklet on acquisitions by the Society — I think in 1936«. 18 K . Schefold, Untersuchungen zu den Kertscher Vasen 103 Abb. 41 f. 19 Neugebauer, Vasen 1 3 2 ; G. Lippold, Griech. Plastik, HdArch. I I I 1, 165 Anm. 8. 20 Neapel, Museo Naz.: Heibig 1262. H B r . Taf. 1 3 0 ; L. Curtius, Die Wandmalerei Pompejis Taf. V I I . 21 Mus. Borb. I 49 = Reinach, Rep. Rel. 3,69; R . Gargiulo, Raccolta (1825) Taf. 29; Recueil (1845) I Taf. 39; Guida Rucsch Nr. 289. 22 Mus. Borb. I X 1 3 ; Gargiulo, Raccolta (1825) Taf. 59; Recueil (1845) I Taf. 73; V. Spinazzola, L e arti decorative in Pompei (1928) 257!!. 23 Neuerworbene antike Denkmäler H. 3, Nachtrag Nr. 1967.
15
Abb. 17. Volutenkrater, Neapel
eine kleine Anzahl unteritalischer Vasen von Gargiulo gekauft, und später bediente sich Gerhard häufig dieser Quelle 24 . Den Umständen jener Zeit entsprechend hatte der am Neapeler Museum tätige Professore und Händler sicher reichlich Gelegenheit, Altertümer aus den Funden Campaniens aufzutreiben, für die es ihm an Abnehmern nicht fehlte. Offenbar hatte er aber auch Freude daran, gelegentlich durch erheblich 'restaurierte' Vasen oder eine geschickte Falsifikation seine Klienten zu täuschen 25 . So kam 184g zusammen mit dem attischen Glockenkrater des Kliomalers (F 2401) und anderen antiken Vasen der nunmehr aus unserem Bestand griechischer Reliefkeramik auszuscheidende Kelchkrater F 2640 in das Berliner Antiquarium. Die Persönlichkeit des Raffaele Gargiulo verdient gewiß, einer kurzen biographischen Notiz gewürdigt zu werden. Über fünfzig Jahre am Neapeler Museum tätig, zugleich Händler und eifriger Antiquar, veröffentlichte er mehrere archäolo24
A. Furtwängler, Beschr. d. Vasenslg., Einl. S. X I V . X X I . X X I I . — Der Bildhauer Rauch vermittelte Ankäufe von Gargiulo (Zur Geschichte der Kgl. Museen in Berlin. Festschrift zur Feier ihres fünfzigjähr. Bestehens am 3. Aug. 1880, Berlin 1880, 20). 25 Der große apulisch rfg. Krater mit geknoteten Henkeln F 3289, in Neapel von Gargiulo 184g erworben, ist gleichfalls ein aus Teilen geschickt zusammengefügtes Pasticcio. Der Fuß gehört nicht dazu, die Henkel sind modern. A. Cambitoglou wird das seiner Darstellung wegen interessante Gefäß veröffentlichen. Die Form gibt Furtwängler, Beschr. Taf. I V 57.
16 gische Abhandlungen. Schon 1825 gab er einen stattlichen Band heraus »Raccolta de' Monumenti più interessanti del R. Museo Borbonico e di varie Collezioni private. Pubblicati da Raffaele Gargiulo, Impiegato nel detto R. Museo Napoli 1825« 26 . Vom 'impiegato' stieg er bald zum Ajutante al Controloro, dann zum Controloro ,, des Museums auf und nannte sich schließl'jI lieh auch Professore 27 . Anfang der sechziger fijl Jahre muß er seinen Dienst aufgegeben A . haben. 1864 erschien ein kleiner Führer Ì\ \ if\ \ ( \ mit dem Titel »Cenni storici e descrittivi y ì| 1 li i] dell' edifìcio del Museo Nazionale e Guida 1 w VJ | 'j P e r visitare le diverse Collezioni . . . del \ J 1 ; Professore Raffaele Gargiulo, Controloro \ j ^ ~ ^ \A 1 V £ f l i I nonàguariritiratodeldettoStabilimento«. j~—§ !! Auf wissenschaftlichen Wert kann das I /! Schriftchen keinen Anspruch erheben 28 . 1 i ! I I Aus dem Vorwort, das eine kleine auto• ( ^ ! biographische Skizze gibt, zitiere ich jedoch ' i n diesem Zusammenhang: »Ora il sig. x ' / \ Raffaele Gargiulo, unico superstite degli impiegati da che ebbe origine il nominato Museo nell'anno 1806, nella lunga durata dell'impiego, da professore dapprima e poscia da Controloro, per aver avuto parte in ogni movimento ha potuto sapere le vere notizie, e conoscere quanto in esso si contiene e donde provenga«.
W
—
„ Kanne Abb. 20. isach, Gargiulo „ . , Abb. 18.
Die »Raccolta« von 1825 wurde, zu 0 1 einem vierbändigen Werk mit 240 Tafeln
erweitert, 1845 italienisch und als »Recueil des Monumens les plus intéressans du Musée Royal-Bourbon et de plusieurs autres Collections particulières« in französischer Sprache herausgegeben 29 . Eine englische Ausgabe erschien in Neapel 1873 3 0 . Eine 26
Mau-Mercklin, Katalog . . . I 2, 1243 f. E r selbst nennt sich so in dem Vorwort seines Schriftchens »Cenni storici . . . «. Wie der in Italien heute noch freigebige Gebrauch dieses Prädikats lehrt, wird auch für Gargiulo kein bestimmter R a n g 28 damit verbunden gewesen sein. H. Heydemann, Die Vasensammlungen des Mus. Naz. Neapel 5. 29 Die Bayer. Staatsbibliothek zu München besitzt eine zweibändige Ausgabe (Seconde édition) von 1845 mit je 100 Tafeln, deren 1. Band französischen Titel und Inhaltsangabe, deren 2. Band beides in italienischer Sprache hat. Sie ist weder in der Bibliothek des Museo Naz. in Neapel noch in der Bibliothek des Deutschen Archäolog. Instituts in Rom noch in der des italien. Instituts im Palazzo Venezia vorhanden. Der italienische Titel des 1. Bandes von 1845 lautet : »Raccolta dei Monumenti più interessanti del Real Museo Borbonico e di varie collezioni private pubblicata da Raffaele G a r g i u l o Ajutante al Controloro del detto Real Museo, Socio onorario della Reale Accademia di Belle-Arti, Socio corrispondente dell'Istituto Archeologico di Roma. Seconda edizione con aggiunta di nuove tavole. Napoli 1845.« 27
17
Abb. 19. Kanne, London
Abb. 20. Kanne, Berlin (West)
Auswahl von hundert Tafeln in einem Band hatte Gargiulo schon früher besorgt. In den späteren französischen Auflagen der »Recueil« zeichnet als Herausgeber Prof. François Gargiulo 31 , vermutlich ein Anverwandter nach dem Tod des Autors. Mehrere gelehrte Gesellschaften wählten Raffaele Gargiulo zu ihrem Mitglied. Als Ehrenmitglied gehörte er der Kgl. Akademie der Schönen Künste (in Neapel) an, in späteren Jahren auch der Akademie in Athen (Titelblatt der englischen Ausgabe von 1873), und war Mitglied des Archäologischen Instituts in Rom. In 30
Mau-Mercklin I 2, 1244. Ein Exemplar o. J . in der Bibliothek des Neapeler Museums; ein anderes (1876) im Besitz von A. Rumpf, der es mir freundlicherweise zur Einsicht gab und wiederholt aufs liebenswürdigste Auskunft erteilte. 31
Jdl. 21. Erg.-Heft
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dem ersten Verzeichnis der Mitglieder des Instituts von 1829 wird Gargiulo unter den 'Soci Corrispondenti' bereits aufgeführt 3 2 . Sein besonderes Interesse für die Vasen bekundete Gargiulo durch die Schrift »Cenni sulla maniera di rinvenire i vasi fìttili italo-greci, sulla loro costruzione, sulle loro fabbriche più distinte e sulla progressione e decadimento dell'arte vasaria«. Napoli 1 8 3 1 . 2 i832. Dieses schmale, in mehreren archäologischen Bibliotheken noch anzutreffende Bändchen ist offenbar das Einzige, was von einem größeren Vorhaben Gargiulos zur Ausführung kam. Die allererste, mir sonst unbekannte Veröffentlichung desselben Autors, die sich in der Bibliothek des Istituto Naz. di Archeologia e Storia dell' Arte im Palazzo Venezia zu Rom findet, enthält Zeichnungen von Vasenformen und Ornamenten. Dies Büchlein erschien 1822 in italienischer und französischer Sprache mit einer Widmung an den Due de Blacas 3 3 . Für uns ist es deswegen 32
G. Rodenwaldt, Archäologisches Institut des Deutschen Reiches 182g—1929, 80. Collezione delle diverse forme de' vasi Italico-Greci, detti communemente Etruschi, disegnati dagli originali da Raffaele Gargiulo impiegato nel R . Museo Borbonico di Napoli, ed incisi dal Sig. 33
19
A b b . 22. Greifenkopf-Gcfäß, Berlin (West)
A b b . 23. Greifenkopf-Gefäß, Berlin (West)
wichtig, weil aus ihm hervorgeht, daß Raffaele Gargiulo in erster Linie Restaurator war, und als solcher für das Neapeler Museum, aber auch für andere Sammler arbeitete 34 . Diesem Exemplar ist am Schluß ein zweiseitig (italienisch und französisch) bedrucktes Blatt beigeheftet, überschrieben »Manifesto«, d. h. Ankündigung eines dreibändigen Vasen-Werkes zugleich mit der Aufforderung zur Subskription. Darin Raffaele Biondi impiegato nello stesso Museo dedicata a Sua Eccellenza il Signor D u c a di Blacas, Pari di Francia, Ambasciadore di S. M. Cristianissima presso la Santa Sede ec. ec. Napoli 1822. 34
» . . . e somministrare finalmente un' idea delle mie osservazioni, sia della maniera praticata dagli
antichi nel lavorare, dipingere, e cuocere tai vasi, sia sul metodo che da me s'impiega nella ristaurazione de'mcdesimi.«
20 wird ganz besonders auf die » e s p e r i m e n t i fatti da esso Signor Gargiulo su la maniera che avevano gli antichi nel lavorare, dipingere, e cuocere tai Vasi« hingewiesen. Der dritte Band sollte von seiner Methode, Vasen zu restaurieren, ausführlich berichten. Am Neapeler Museum war über die Art der Tätigkeit Gargiulos so gut wie nichts mehr in Erfahrung zu bringen. Um so wichtiger sind uns diese eindeutigen Angaben über seine langjährigen Arbeiten und technischen Versuche als Vasenrestaurator 35 . Die damaligen Verhältnisse hinderten ihn nicht, neben seiner Museumstätigkeit zugleich Antikenhandel zu treiben und sich selbst im Laufe der Zeit eine stattliche Vasensammlung zuzulegen. Im Jahre 1855 verkaufte er diese an das Museum in Neapel für 6000 Dukaten. Es waren 1 3 1 0 Objekte, darunter 464 Vasen. Den Kaufvertrag bewahrt das Archiv des Museums in Neapel36. Zwölf im Treppenhaus des Museo Nazionale in Neapel angebrachte Marmortafeln geben Auskunft über die Geschichte des Museums. Auf der achten Tafel stehen die Namen der Sammlungen, welche unter der Herrschaft der letzten Bourbonen den Beständen des Museums hinzugefügt wurden. Neben Vivenzio und anderen bekannten Namen ist hier Gargiulo mit goldenen Lettern verzeichnet, ein ehrenvolles Denkmal, obwohl der Anlaß nicht eigentlich in seiner Tätigkeit für das Museum begründet liegt. Nach diesen Feststellungen werden wir auch den Sabouroffschen Krater F 2882 37 einer erneuten Prüfung unterziehen müssen (Abb. 11—14). Angeblich bei Korinth, 35 'Wegen der Seltenheit dieses 'Manifesto' und der Bedeutung des geplanten Werkes zitiere ich hier: »II primo Volume sarà preceduto nommeno di una succinta guida a Viaggiatori che vengono ad ammirare i più interessanti monumenti di Antichità e di belle Arti nella Città e ne'dintorni di Napoli, che della indicazione de'luoghi ne'quali furono rinvenuti e si rinvengono de'Vasi Etruschi, come pure di coloro che ne posseggono delle Raccolte; A l secondo Volume saranno premessi gli esperimenti f a t t i da esso Signor Gargiulo su la maniera che a v e v a n o gli antichi nel lavorare, dipingere, e cuocere t a i V a s i ; Nel terzo ed ultimo Volume sarà proposta la descrizione del metodo della ristaurazione, la cui invenzione ha restituito alla esistenza immensi capi d'opera che han servito e servono notabilmente à progressi della scienza degli Antiquari. Alla fine di questo Volume medesimo sarà esposta la nomenclatura. finoggi attribuita a tutte le classi de'Vasi Etruschi. . . . L e associazioni [Subskriptionen] sono aperte in casa del Signor Gargiulo sita strada Figurella S. E f r a m o N u o v o N. 1 1 ultimo piano.« 36 D a s Archiv des Museo Nazionale in Neapel gestattete mir Einsichtnahme in die A k t e n über die E r w e r b u n g der Sammlung Gargiulo. A u s einem Dokument v o m 26. April 1 8 6 1 »Pagamento agli eredi Fiorillo per l'acquisto della Collezione Gargiulo. 1 8 6 1 « und aus einer Verfügung des Ministero della Istruzione Pubblica v o m 24. J u l i 1863 geht hervor, daß eine gewisse Angela Fiorillo Ansprüche auf die Z a h l u n g des Restbetrages erhebt und daß 1863 die Zahlung der achten R a t e v o m Ministerium v e r f ü g t wird, »della somma di L L . 2348, 1 2 dovuta agli eredi del Sig. Francesco Fiorillo cessionario del Sig. R a f f a e l e Gargiulo . . . dovuta per oggetti antichi dal Gargiulo venduti al Museo Nazionale«. B e i den Nachforschungen im Museo Nazionale in Neapel unterstützten mich Prof. Stazio, Dr. R . Stazio Pulinas und die Verwalter der Bibliothek und des Archivs mit dankenswerter Liberalität. 37
Kolonettenkrater mit Relieffiguren (F 2882), sog. Sabouroffscher K r a t e r , befindet sich jetzt in Berlin (Ost): Furtwängler, Beschr. d. Vasenslg. Nr. 2882; ders., Sammlung Sabouroff (1883—87) T a f . 74,3; R E . Suppl. I I I 1072, 20 s. v . Herakles (Gruppe); Hartwig, J d l . 8, 1893, 1 7 2 A n m . 4; F . Courby, L e s Vases grecs à reliefs I 9 5 f . Abb. 3 1 ; P f u h l , MuZ. I 4 1 1 ; Neugebauer, Vasen 1 7 7 ; Brommer, J d l . 57,
21
Abb. 24. Relieflekythos, Ruvo, Mus. J a t t a . Nach Gargiulo
in der Nähe von Tenea gefunden, galt er lange Zeit als ein Hauptstück griechischer Reliefkeramik. Furtwängler vermutete seine Herstellung »in der Gegend von Korinth« (im Vasenkatalog heißt es nur »schwerlich attisch«) und datierte ihn gegen Ende des fünften Jahrhunderts, obwohl er bemerkte: »Diese ganze im Stile der schwarzfigurigen Vasen ausgeführte Dekoration stimmt nicht zu dem relativ späten Charakter des übrigen Gefäßes«. Courby u. a. nahmen seine Entstehung im vierten Jahrhundert v. Chr. an. Neuerdings hat U. Hausmann den Sabouroffschen Krater nach Komposition und Figurenstil mehr an »das Ende dieses Zeitraums [4. Jahrhundert] oder schon in das erste Jahrzehnt des 3. Jahrhunderts« setzen wollen, behält sich jedoch ein eindeutiges Urteil vor, bis das Gefäß wieder im Original zugänglich ist. Mit berechtigter Skepsis vermied auch S. Weinberg (s. Anm. 37) mangels Autopsie und ausreichender Abbildungen den Ursprungsort des Gefäßes zu bestimmen. P. Hartwig 38 hatte bereits auf Grund einer Zeichnung im Deutschen Archäologischen Institut Rom 39 entdeckt, daß der Sabouroffsche Krater identisch ist mit einem von W. Heibig beschriebenen Gefäß, das sich ehemals in der Sammlung des Signor Gargiulo in Neapel befand. Diese höchst aufschlußreiche Tatsache geriet anscheinend in Vergessenheit, bis F. Brommer40 erneut auf die Anmerkung Hartwigs aufmerksam machte. Brommer folgerte daraus, wie auch Hartwig selber anzunehmen scheint, das Gefäß sei also nicht griechisch, sondern unteritalisch. 1942, 109 Anm. 1 (Herkunft) und 1 1 9 Nr. 1 6 ; ders., Vasenlisten 2 (i960) 59 und passim; Weinberg, Hesperia 23, 1954, I I Q - I 3 5 ; U. Hausmann, Hell. Reliefbecher 86. 107 Anm. 100 (Hinweise). 38 39 40 J d l . 8, 1893, 172 Anm. 14. Mappe X X I I I Nr. 24a. b. J d l . 57, 1942, 109 Anm. 1 .
22 Erwiesen ist durch Hartwigs Feststellung jedenfalls, »daß die Angabe des griechischen Fundortes eine unwissentlich oder wissentlich falsche war von Seiten derjenigen Person, welche das Gefäß an die Sammlung Sabouroff verkaufte«. Nun können wir aber die Herkunft des Stückes von Raffaele Gargiulo nicht ganz ohne Argwohn hinnehmen, um so weniger, als die falsche Angabe des Fundortes offenbar dem Zweck dienen sollte, Sabouroff zu täuschen, weil man wußte, daß er nur griechische Altertümer kaufte. Daß beide Reliefkratere F 2640 und F 2882 aus derselben Quelle stammen, ist bemerkenswert und mahnt zu erhöhter Vorsicht, zumal der Sabouroffsche Krater immer noch, wie Furtwängler urteilte, »ein durchaus ungewöhnliches, ja bis jetzt einziges Stück« geblieben ist. Leider war es mir nicht möglich, das Original selbst zu untersuchen. E . Rohde hatte jedoch die Freundlichkeit, Aufnahmen herstellen zu lassen und ihre Veröffentlichung zu gestatten. Wie man schon den Angaben Furtwänglers entnehmen konnte, ist der Krater keineswegs intakt. Im Katalog heißt es »aus vielen Stücken; die Fugen verdeckt«, im Text der Sammlung Sabouroff 4 1 : »Das Gefäß ist aus vielen Stücken zusammengesetzt und Hals und Henkel scheinen nirgends in ursprünglicher Verbindung mit dem Bauch zu stehen, dennoch ist nicht zu bezweifeln, daß alles zusammengehört, da Ansätze der Henkel vorhanden sind und Technik und Proportionen durchaus zusammenstimmen. Auch sind nur unwesentliche Teile an dem Gefäße ergänzt«. Der äußere Mündungsrand kann schwerlich in Ordnung sein. Die mit der Spitze nach oben stehenden Dreiecke kenne ich von keinem Kolonettenkrater; sie sind auf beiden Seiten aufgemalt, auf A nach rechts hin etwas voneinander abgesetzt, auf B sehr verblaßt. Das Ornament auf der Oberseite des Randes ist ein Kranz von paarweis geordneten tropfenförmigen Blättern ohne sichtbare Mittellinie, die Henkelplatten zieren mehrere nebeneinander gereihte Knospen (Mitteilung von E . Diehl). D. Willers entdeckte an einigen Stellen des Gefäßes Reste eines Silberüberzuges. Das stimmt merkwürdig überein mit der von Gargiulo zu dem Kelchkrater F 2640 geäußerten Vermutung, »die weiß gefärbten Figuren des lokrischen Gefäßes möchten ursprünglich versilbert gewesen sein«42. Noch bedenklicher scheint es, daß, wie schon Furtwängler hervorhob, die Form des Kolonettenkraters und die schwarzfigurigen Lotosknospen mit den Relieffiguren zeitlich keinesfalls vereinbar sind. Die plastischen Stabreihen, welche den Figurenfries oben und unten einfassen, wären durch Analogie zu großen marmornen Prachtvasen, wie z. B. dem Volutenkrater Neapel, Museo Naz. 282 43 , oder auch Bronze- und Tongefäßen leicht zu erklären. 41
42 Taf. L X X I V 3 Anm. 7. AZ. 5/6, 1847/48, 203 Anm. 20 gegen Ende. Vgl. F. Courby, Les Vases grecs ä reliefs 195 und 52g; Beazley, E V P . 284. 43 W. Fuchs, Die Vorbilder der neuatt. Reliefs, J d l . , 20. Erg. H. (1959) 28 (B 5b) Taf. 6 a ; V. Spinazzola, L e arti decorative in Pompci Taf. 49. — Die einzige Vase, mit der Courby (S. 196) den Krater Sabouroff verbindet, die Hydria aus Alexandria (Breccia, Necr. di Sciatbi Taf. X X X V I I 46, Text 29 Nr. 40) hat zwar oben und unten Zungen, aber sonst nichts mit dem Sabouroffschen Krater zu tun. Ebensowenig kann man ihn zu den geriefelten Plakettenvasen in Beziehung setzen (anders Courby a. O. 201 ff.).
23
A b b . 25. L c k y t h o s (Relief nicht antik), Athen, N a t . Mus.
Nach Abschluß meiner Niederschrift hatte E. Diehl dank der Liberalität unserer Kollegen am Pergamonmuseum Gelegenheit zu eingehender Betrachtung des Originals. Ihre Beobachtungen bringen wichtigen Aufschluß über die Art und Weise, wie der Krater hergestellt wurde. Folgendes entnehme ich den von E. Diehl liebenswürdigerweise mir zur Verfügung gestellten Notizen. Die Reliefs sind nicht aufgelegt, sondern zusammen mit der Gefäßwand in eine Matrize gepreßt. Die Innenseite des Kraters ist unregelmäßig gewellt; den größten Eintiefungen entsprechen genau die höchsten Erhebungen des Reliefs auf der Außenseite. Einzelheiten an den Figuren wurden mit dem Modellierholz nachgearbeitet (Gesichter, Augen der Schlangen usw.). Der Rand ist angedreht. Brüche gehen vom Gefäßbauch über den Halsansatz hinweg, so z. B. rechts vom Kopf des Herakles mit Kerberos und durch die aufgehängte Keule unter dem Henkel hindurch nach oben. Der Fuß wurde bereits bei Herstellung des Gefäßes mit verdeckten Metallstiften angesetzt. Drei der Stifte jetzt von innen sichtbar, wo der Ton abgeplatzt ist; vermutlich ein vierter unter der unbeschädigten Oberfläche vorhanden. Fußprofil von ganz unpräzisen Übergängen. Damit wäre das Urteil über den Sabouroffschen Krater eigentlich schon gesprochen. Aber gehen wird der 'Erfindung' dieses nicht ungeschickten Fälschers weiter nach und betrachten den Reliefschmuck genauer, so zeigt sich eine Fülle von Seltsamkeiten, die schwerlich aus der vermuteten 'unteritalischen' Herkunft des Stückes zu erklären sind. Im allgemeinen fühlt man sich an römische dekorative Arbeiten
24 wie die Marmorschale Albani 44 erinnert. Besonders aber scheinen die Bronzereliefs von der Basis des schlangen würgenden Herakliskos in Neapel 45 den Meister des Sabouroffschen Kraters inspiriert zu haben. Lange Zeit, bis vor wenigen Jahrzehnten, irrtümlich für antik gehalten, neuerdings von W. Gramberg als urkundlich belegtes Werk Guglielmo della Portas nachgewiesen, mußte die Neapeler Bronze mitsamt der Basis als vermeintliche Antike des Museo Borbonico unserem Meister bekannt sein. Der Vergleich läßt sich bis in Einzelheiten durchführen. Das Hydraabenteuer und die Kerberosszene des Kraters F 2882 finden wir ähnlich auf der Basis des Herakliskos (Abb. 15.16). Die eigentümliche Art, wie Herakles die Leine des Kerberos hält, ist gewiß unantik und findet eine überraschend nahe Parallele in dem Herakles rechts vom Hydraabenteuer auf der gleichen Renaissancebasis (Abb. 16). Der einheitliche Stil der Köpfe des Kraters, mit dem vollen gekräuselten Haar und Bart, steht den Gestalten della Portas sehr viel näher als griechischen Werken des fünften und vierten Jahrhunderts. Herakles im Kampf gegen die stymphalischen Vögel finden wir auf einigen attisch schwarzfigurigen Vasen 46 . Die aufgescheuchte Vogelschar aber ist so deutlich den Fresken aus der Tomba della Caccia e della Pesca in Tarquinia 47 nachgebildet, daß es eigentlich keines weiteren Hinweises mehr bedarf, um zu zeigen, daß der Krater Sabouroff ebenso irrtümlich für antik gehalten wurde wie der Kelchkrater F 2640. Die unheilvollen Vögel fliegen auf antiken Vasenbildern nicht wie erschreckte Tauben davon, sondern wenden sich gegen den Angreifer. Das Motiv des knieenden aufwärtsblickenden Bogenschützen begegnet auch auf einer campanisch rotfigurigen Kanne 48 , also wiederum im Museum von Neapel(!). Bei der Bezwingung der kerynitischen Hirschkuh darf man die Kenntnis der Bronzegruppe aus Torre del Greco im Museum von Palermo 49 voraussetzen, wo Herakles ähnlich die Hindin mit beiden Händen am Gehörn packt. Ein Vergleich gerade dieser Gruppe des Kraters mit der Marmorschale Albani, zu der Beziehungen 44
J- J- Winckelmann, Mon. ined. 8off. Taf. 65. Mus. Borb. I, 9 = Reinach, R R . I I I 75, i f . ; R . Gargiulo, Raccolta (1825) Taf. 4 7 f . ; Recueil (1845) I Taf. ¿ g f . (1874) Taf. 53; Winter, K i B . 370,8. Literatur bei Brendel, J d l . 47, 1932, 219 Anm. 2. Gramberg in Festschrift Erich Meyer (1959) 163 Abb. 5. Den Hinweis verdanke ich H. Weihrauch. H. Sichtermann hatte die Liebenswürdigkeit, Neuaufnahmen (Abb. 1 5 — 1 6 ) durch die römische Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts herstellen zu lassen. Die Bronze steht jetzt in der Neapeler Galleria Capodimonte. 46 F . Brommer, Herakles 25ff. 87 (Hinweise); A A . 1954, 2 66 Abb. 5 (R. Lullies). Der antike Gipsabguß eines Rundbildes von Mit-Rahine (Ippel, 97. B W P r . Taf. 2,2) kann hier außer Betracht bleiben. 47 Monlnst. X I I Taf. 14 und 1 4 a ; Rumpf, MuZ. 70 Anm. 5 (Hinweise). Vgl. dagegen die S t y m phaliden auf der attisch sfg. Amphora London B 163 (CVA. Brit. Mus. (3) I I I He Taf. 29; Beazley, A B V . 134 N r . 28). 48 H. 922. Mus. Borb. V I I Taf. 41. R . Gargiulo, Recueil I (1845) Taf. 56. 49 Winter, K i B . 357,4; G. Lippold, Griech. Plastik 284 Anm. 9; M. Bieber, The Sculpture of the hellenistic age (1961) 36 Abb. 78; A. v. Salis, Löwenkampfbilder des Lysipp, 1 1 2 . B W P r . (1956) 8 Abb. 3. 45
25 im einzelnen kaum nachzuweisen sind, zeigt doch, wieviel näher der SabouroffKrater den späten dekorativen Marmorreliefs steht, als der lebendigen, kraftvoll bewegten Bronze aus Torre del Greco. Sehr befremdlich nimmt sich das wie ein Schleier im Rücken herabhängende Löwenfell des Herakles am Hesperidenbaum aus (Abb. 14). Vielleicht steckt doch mehr als ein bloßes Unvermögen dahinter. Nach unseren bisherigen Erfahrungen über die Arbeitsweise des Fälschers dürfte die Annahme kaum zu kühn sein, daß dieser 'Löwenfell-Schleier' auf einer Reminiszenz an den verschleierten Herakles beruht, der in die Mysterien eingeweiht wird 50 . Die Gegenstände unter den Henkeln, Eule und Kantharos, Köcher und Keule mit Löwenfell, sehen in ihrer symmetrisch-dekorativen Anordnung auch nicht recht antik aus; Eule und Kantharos als Hinweis auf die Hilfe Athenas und den von ihr dem Helden gereichten Labetrunk sind in dieser Weise eher der Phantasie eines gelehrten Antiquars zuzutrauen als mit vergleichbaren antiken Darstellungen zu verbinden 51 . Schließlich zeichnet die Figuren des Sabouroffschen Kraters doch eine auch für Antiken geringerer Qualität ungewöhnliche Flauheit und Kraftlosigkeit der Gestalten und die Leblosigkeit ihrer Bewegungen aus. Der ganze Stil wirkt stumpf und lahm, kurz gesagt unantik. Beide Gefäße werden wir als bemerkenswerte Pasticci dem geschickten und erfinderischen Raffaele Gargiulo zuschreiben müssen und sie damit aus der Geschichte der antiken Reliefkeramik endgültig verschwinden lassen. Fragen wir uns, wie denn Gargiulo auf diese Technik des Reliefdekors verfallen ist, so werden wir außer einigen kleineren Reliefgefäßen im Museum von Neapel 52 in erster Linie den großen apulischen Prachtkrater ebendort (H. 3252) nennen müssen, der auf jeder Seite des Halses ein ausgespartes, mit Relieffiguren geschmücktes Feld (Abb. 17) und weitere gepreßte Reliefs zwischen Henkeln und Gefäßhals aufzuweisen hat 53 . Die von einem Eros gelenkte Biga und der voraneilende Hermes zeigen in der Art des Reliefs und durch die Reste weißen Überzugs große Ähnlichkeit. Obwohl die Restaurierungen dieses Kraters sehr wahrscheinlich von Gargiulo ausgeführt wurden — das nicht abgebildete Relief der Rückseite war erheblich stärker zerstört — scheinen die Figuren im wesentlichen doch ein50
Guida Ruesch 568 ; V. Spinazzola, L e arti decorative in Pompei Taf. 70. Vgl. dagegen die Attribute des Herakles auf dem Euphronioskrater Louvre G 103. Beazley, A R V . 1 5 Nr. 1 ; die Eule bei Athena auf der Lekythos des Brygosmalers New Y o r k (Richter-Hall Taf. 41 Nr. 41). 52 H. 2991. 2992. 2890. V. Spinazzola, Le arti decor. Taf. 200, 1 — 3 ; P. Wuilleumier, Le Trésor de Tarente 85; Santangelo 343 = RM. 15, 1900, 23of. Abb. i f . ; Wuilleumier a. O. 85 Nr. 3 ('Herakles vor Busiris', richtig als der gefangene Silen vor Midas gedeutet RM. a. O.). 53 V. Spinazzola, Le arti decorative in Pompei Taf. 202 (ganzes Gefäß). Die Reliefplatten an den Henkeln reichen nicht ganz bis an den Gefäßhals heran. Auf der linken Platte sitzende Frau, Mantel um den Unterkörper, r. (nur auf einer Seite erhalten) ihr entgegengerichtet sitzender Jüngling, das K i n n auf die r. Hand gestützt. Der Gefäßhals ist zwischen den beiden Platten der Henkel nicht gefirnißt. Die Neuaufnahme (Abb. 17) wird der förderlichen Hilfe der Kollegen am Museo Nazionale in Neapel verdankt. 51
26
A b b . 26. T e i l der K a n n e A b b . 2S
wandfrei antik zu sein. Der Krater wurde 1837 i n R u v o gefunden, nicht in Canosa, wie Gargiulo 5 4 irrtümlich angibt. Die Berichtigung bringt Heydemann 5 5 (siehe unten S. 45). Wir wollen aber das Kapitel über Raffaele Gargiulo nicht schließen, ohne zu erwähnen, daß er in seiner 'Raccolta' bzw. in der späteren 'Recueil des monumens ..." auch gute Vasen und Bronzen bekannt gemacht hat, die, größtenteils aus der Basilicata stammend, in verschiedene Museen und Sammlungen gelangten 56 . Von den Vasen befinden sich in Berlin, wie Gargiulo (II 1845) richtig angibt: Taf. 21. Berlin (Ost) F 2758. Eberkopf-Gefäß. Aus Sammlung v. Koller. H. Hoffmann, Attic rf. R h y t a 21 Nr. 49 Taf. X , 1. K . Tuchelt, Tiergefäße in Kopfund Protomengestalt 147 Nr. 3. Taf. 24. Berlin (West) F 3692. Kanne mit Greifenkopfmündung. Aus Sammlung v. Koller. H 34 cm. Beschreibung s. Furtwängler. Ohren fehlen, wohl später abgebrochen. Kopf an der Gefäßmündung gebrochen, aber sicher zugehörig und genau passend. In den späteren Ausgaben der »Recueil« wird Pomarico in der Basilicata (Lukanien) als Herkunftsort genannt. Gargiulo, Raccolta (1825) Taf. 98. Hier Abb. 18 u. 20. Taf. 66. Ehemals Berlin F 2171. Attisch rfg. Pelike: A, Triptolemos und Demeter. B, Mann und Knabe. Aus Sammlung v. Bartholdy. Neugebauer 117. Beazley, A R V . 174 Nr. 3 (Gerasmaler).
54
C e n n i storici (1864) 54.
56
G a r g i u l o s »Recueil« (1845) I I T a f . 22 g i b t ein a n s c h e i n e n d v e r s c h o l l e n e s P a n t h e r k o p f - R h y t o n , d a s
55
a. O . A n m . 1.
e h e m a l s in E n g l a n d w a r (»dalla P u g l i a p r o v v i e n e , ed esiste in Inghilterra«). H . H o f f m a n n , A t t i c r e d f i g . R h y t a 22 N r . 55 T a f . X I 3. —
K . T u c h e l t , T i e r g e f ä ß e in K o p f - u n d P r o t o m e n g e s t a l t 1 5 1 (h) e r w ä h n t
d e n P a n t h e r k o p f b e c h e r n a c h G a r g i u l o als e h e m a l s i n der Slg. W a r r e n (Lewes) b e f i n d l i c h .
27
Abb. 27. Silberschälchen, Neapel
Taf. 67. Berlin (West) F 2163. Amphora panathenäischer Form: A, Zeus. B, Iris. Aus Sammlung v. Bartholdy. Gargiulo, Raccolta (1825) Taf. 127. Aus Locri (Furtwängler), »proveniente della Basilicata« (Gargiulo). In einem handschriftlichen Verzeichnis, das der »Raccolta« im Deutschen Archäologischen Institut Rom angeheftet ist, wird »Nola« als Herkunftsort genannt. Neugebauer 93; Beazley, A R V . 268 Nr. 37 (Briseismaler). Taf. 80. Kanne mit Schuppen nach Art eines Pinienzapfens. Vermutlich identisch mit Berlin F 3843 (nach dem Krieg nicht wieder aufgefunden). Aus Sammlung v. Koller. Furtwängler, Beschr. Taf. V I I , 343. Daß die Schuppen in der Zeichnung bei Gargiulo nach oben gerichtet sind, in der Furtwänglers nach unten, könnte auf einem Versehen des Zeichners beruhen. Die merkwürdige Kanne mit Greifenkopf F 3692 (Abb. 18 und 20) soll nach Gargiulos eigener Angabe in der Basilicata, genauer in Pomarico gefunden sein, während Furtwängler, wohl auf den von Gargiulo verfaßten handschriftlichen Katalog der Sammlung von Koller zurückgehend, »Bari« schreibt. Die Provenienzangaben sind für die Frage der Echtheit gewiß nicht entscheidend, wenn wir auch mit Furtwängler 57 annehmen dürfen, daß »die bei den meisten Gefäßen genannten Fundorte wohl im ganzen Glauben verdienen«. Aber so befremdlich die Kanne mit dem Greifenkopf zunächst scheinen mag, läßt das Original doch keinen Zweifel an der Echtheit aufkommen. Ein Gegenstück 57
Einl. X V .
28 zu dieser Kanne ist London B 72 (Abb. 19) 58 . Die schwarzfigurige Bemalung widerspricht nicht der Annahme ihrer Entstehung in Apulien oder nächster Nachbarschaft. Daß die Entstehung dieser Greifenkopfkannen tatsächlich dort zu lokalisieren ist, beweist eine dritte Kanne dieses Typus 59 , deren Körper gefirnißt und mit weißem Netzgitter, darüber einem Halsband nach Art der Gnathia-Vasen bemalt ist 60 . Auch die Riefelung des Halses kehrt an dem Gefäß in Philadelphia wieder, nur ist an diesem der ganze Hals gefirnißt, der Kopf besser modelliert und der Fuß hat ein den apulischen Lekythen entsprechendes Profil. Dagegen gehört ein anderer »Greifenkopf von vorzüglichem affectvollem Ausdruck« (F 3431. Abb. 23) sicher auf die Liste Gargiuloscher Falsifikationen. Niemand mehr wird heute den übertrieben expressiven Vogelkopf für antik halten wollen. Das Stück stammt aus der Sammlung v. Koller und wurde angeblich in Ruvo gefunden. Der Oberteil des Gefäßes ist mit glattem horizontalen Schnitt an den Greifenkopf angesetzt, das Ganze außen mit schokoladebrauner lackartiger Farbe überzogen. Nun findet sich bei Gargiulo 61 (Abb. 21) ein ebensolches Gefäß, dessen Greifenkopf geradezu identisch sein könnte, während der Trichter, an der gleichen Stelle angesetzt, apulisch rotfigurig bemalt ist. Nach Reinigung eines Streifens an dem Berliner Rhyton F 3431 zeigte sich, daß der Gefäßtrichter zwar antik, aber unter der modernen Farbe nicht apulisch rotfigurig, sondern von rötlich-gelbem Ton mit orangefarbenen horizontalen Streifen bemalt ist und wohl auch gar nicht von einem Rhyton, sondern vielleicht von einem Kalathos stammt. Das von Gargiulo veröffentlichte Greifenkopfgefäß war ehemals in seinem Besitz, später in Paris: »posseduto da noi (sc. Gargiulo) provveniente dalla Puglia, ora in Parigi«62. Es muß sich also wohl um zwei verschiedene Stücke handeln. Den Greifenkopf hat Gargiulo offenbar in mindestens zwei Exemplaren aus einer Form hergestellt und jedem einen anderen Oberteil hinzugefügt. Das angeblich in Paris befindliche Gegenstück mit apulisch rotfigurigem Hals wäre demnach noch zu suchen 63 .
58
I n v . 46. 9—25. I i . H . 33 cm. S. B i r c h — C h r . N e w t o n [Hawkins], A C a t a l o g u e of t h e Greek a n d
E t r u s c . V a s e s in t h e British M u s e u m I (1851) Nr. 435 T a f . I V , C X X X I I I ; B r i t . Mus. Cat., V a s e s I I (1893) B 72. D i e N e u a u f n a h m e , die unserer A b b . 19 zugrundeliegt, wird D . H a y n e s und die E r l a u b n i s zu ihrer V e r ö f f e n t l i c h u n g den Trustees of t h e B r i t i s h M u s e u m v e r d a n k t . Die Berliner K a n n e F 3692 ( A b b . 20) ist 34 c m hoch. D a ß der L o n d o n e r Greifenkopf ebenfalls einen K n o p f s t e n g e l zwischen d e n Ohren h a t t e , ist a n z u n e h m e n . 59
Philadelphia, U n i v . Mus. (Leihgabe des P h i l a d e l p h i a Mus. of Art), I n v . L — 6 4 — 1 9 7 . R . S. Y o u n g ,
E x p e d i t i o n 1961, 3, 2 S. I2ff. (dat. 350—300). D e n H i n w e i s v e r d a n k e ich A . C a m b i t o g l o u . 60
Beispiele: [ C V A . L e c c e 3] = M. Bernardini, V a s i dello stile di G n a t h i a . . . Museo P r o v . L e c c e
T a f . 50, 1 — 5 mit Hinweisen. 61
R a c c o l t a (1825) T a f . 92 = (1845) I I T a f . 18 = Recueil (1876) T a f . 156.
62
I n der »Raccolta« v o n 1825 g i b t Gargiulo nur »Puglia« als P r o v e n i e n z an u n d n e n n t sich selbst als
den Besitzer »Esistenza: Gargiulo«. 63
N a c h f o r s c h u n g e n , die P. D e v a m b e z i m L o u v r e w i e a u c h im Cabinet des Medailles d u r c h z u f ü h r e n
29
Ein zweites Greif enkopf-Rhyton im Berliner Antiquarium Inv. 4982, 109 (Abb. 22) aus der Sammlung Merle de Massoneau sei beiläufig erwähnt, das, wenn auch besser und sicher nicht von Gargiulo gemacht, nicht weniger falsch ist. Ein Rhyton mit Greifenkopf, das eindeutig aus derselben Form stammt, befindet sich im Louvre (Inv. S. 1467). P. Devambez entdeckte das Gefäß und sandte mir freundlicherweise ein Photo, das die Übereinstimmung evident werden läßt. Zu dem Gefäß im Louvre bemerkt Devambez »Authenticité douteuse. Aucune trace de vernis ou de couleur. Terre rougeâtre«. Das Berliner Rhyton ist mit schwarzem, lackartigem Firnis überzogen, ausgenommen Augen und Kamm. Beide Stücke haben etwa gleiche Größe (L. 0,217; Dm. der Mündung 0,098). Der mitgeformte Trichter zeigt bei beiden das gleiche Randprofil. Die Herkunft des Berliner Rhyton aus südrussischem Privatbesitz bietet für die Lokalisierung dieser Fälscherwerkstatt keinen Anhalt. Über die Sammlung von Koller gelangte ein ganzer Satz gefälschter TierkopfRhyta in das Berliner Antiquarium (F 3433—39), wobei die verschiedensten Tiere vertreten sind. Furtwängler führt sie als »Fälschungen oder Kopien antiker Originale« auf 6 3 a . Als Beispiele antiker Greifenkopf-Rhyta nenne ich nur ein attisches64 und die apulischen in Wien, Neapel, Lecce, Paris, Petit Palais 361 und Louvre N 28606B. Greifen finden sich auch unter den zahlreichen apulischen Tierkopf-Rhyta mit weißem Überzug in Bari, Neapel, Ruvo usw. Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren66. Das verschollene Panther köpfgefäß, das nur in der Zeichnung der »Recueil« bekannt ist, werden wir nach dem Vorausgehenden nicht ohne Skepsis betrachten (hier Anm. 56). Eine genaue Replik des Kopfes befindet sich, wie H. Hoffmann gesehen hat, an einem apulischen Becher in Leningrad, vielleicht einem zweiten in die große Güte hatte, blieben in diesem Punkt ergebnislos. Bei der Gelegenheit ergab sich aber ein anderer 'Fund', von dem unten sofort die Rede sein wird. 63a F 3432, von Furtwängler als antik aufgeführt, habe ich nicht gesehen. 64 CVA. Wien, Kunsthist. Mus. (i) Taf. 4 7 , i f . ; H . Hoffmann, Attic redfigured R h y t a 22 Taf. 1 1 , 2 . 65 Wien: Laborde I Taf. 43; K . Tuchelt, Tiergefäße 122 Taf. 2 7 , 1 t . Neapel: V. Spinazzola, L e arti decor. in Pompei, Taf. 2 1 6 oben rechts. Lecce: C V A . (2) I V D r Taf. 60, 2 u. 4. Paris, Petit Palais: C V A . Taf. 41,9 u. 12. Paris, Louvre N 2860, unveröffentlicht. 66 Ein attisches Greifenkopfrhyton, dessen Tierkopf weiß grundiert ist: Neapel 82470. H. Hoffmann, Attic redfig. R h y t a 43 Taf. 22,3.
30 Schweizer Privatbesitz. Hoffmann nimmt an, ein apulischer Töpfer habe das Leningrader Gefäß dem attischen nachgeformt, also eine exakte Kopie des attischen hergestellt, sogar Form des Bechers und Henkel scheinen identisch (a. O. 24). Selbst die Punktrosetten zwischen den Augen kehren auf dem Pantherkopf der Ermitage wieder. Beazley hatte das verschollene Rhyton nach der Wiedergabe bei Gargiulo in die Nähe des Karlsruher Malers gestellt, worin Hoffmann wiederum eine Bestätigung seiner Zuweisung zu der 'Sotadean class' fand. Aber ist der Henkel nicht vielmehr diesem oder irgend einem apulischen Tierkopfbecher nachgebildet bzw. von einem solchen hergenommen ? Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, in dem Ganzen ein Pasticcio vor uns zu haben. Wie der Henkel am Gefäß ansetzt, auch der eigentliche Becher selbst, scheint nicht recht zu dem 'attischen' Rhyton zu passen. Daß die Pantherköpfe auf die gleiche Form zurückgehen, steht außer Zweifel. Liegt es also nicht näher, beide für apulisch und das verschollene Rhyton für ein von Gargiulo gefertigtes Pasticcio zu halten ? Blättern wir noch einmal in Gargiulos »Recueil des monumens« von 1845, Band I I , so haben wir auf Taf. 25 und 26 zwei Relieflekythen 67 . Die eine (Taf. 26) befindet sich heute in Paris 68 . Die Deutung Gargiulos »Astyanax caché dans le tombeau d'Hector« entbehrt jeder Grundlage, aber das Gefäß mitsamt den Relieffiguren ist antik. Dagegen macht die andere Lekythos (Taf. 25, hier Abb. 24), die nach Gargiulos Angabe (1845) »un tempo apparteneva al Cavaliere Lamberti«, später in den Besitz von J a t t a übergegangen ist und heute noch im Museo J a t t a in Ruvo steht, einen sehr merkwürdigen Eindruck. Den mangelhaften Erhaltungszustand und verunklärende Restaurierungen beklagt schon J a t t a in seiner Beschreibung 69 . E s ist bekannt, daß J a t t a Vasen, die von den Ausgrabungen in Ruvo bereits an andere Interessenten übergegangen waren, wieder zurückkaufte. Es erscheint nicht unmöglich, daß Gargiulo selbst, der in seiner Veröffentlichung Ruvo als Fundort angibt, das Gefäß 'restaurierte' oder sogar — wie den Sabouroffschen Krater — mit frei erfundener Provenienzangabe an J a t t a verkaufte. Die Betrachtung des Originals in ungereinigtem Zustand und bei ungünstiger Aufstellung in der Vitrine erlaubt kein sicheres Urteil. Aber die Wiedergabe Gargiulos genügt wohl, um erhebliche 67
= engl. Ausg. I V (1873) Taf. 25 und 26 = Recueil (1876), Taf. 158 und 159. In der »Raccolta« (1825) ist nur die jetzt in der Bibl. Nat. befindliche Lekythos enthalten; die in R u v o (hier Abb. 24) könnte also später 'gefunden' bzw. entstanden sein. Man möge verzeihen, daß ich bald diese, bald jene Ausgabe zitiere. Sie befinden sich nicht am gleichen Ort. Die Exemplare in Münchcn, R o m und Köln (bei A. Rumpf) habe ich zu verschiedenen Zeiten eingesehen. A. Rumpf danke ich für die Freundlichkeit, mir Photokopien einiger Tafeln aus Gargiulos Werk herstellen zu lassen. 68
de Ridder, Vas. de la Bibl. Nat. 481 Taf. 20 Prov. Nola = Raccolta (1825) Taf. 97: ». . . il piccolo Ascanio (!) che lo nascondono nella tomba. — Prov. Puglia. Esistenza: Gargiulo, ora a Parigi«. Courby a. O. 137 deutet wohl richtig: »il s' agit simplement d'une scène d'adieux«. 69 G. J a t t a , Catalogo del Museo J a t t a (Napoli 1869) Nr. 1548: »si è dovuto in molti luoghi restaurare; lo che ha reso ancora più difficile il poterne dare, se non certa, almeno probabile spiegazione ; perocché i restauratori non sono o non sanno esser diligenti« (!). Und weiter: »il guasto del tempo e la restaurazione lasciano scorgere le cose con pochissima chiarezza«.
31
Abb. 29 und 30. Kanne (Kopf nicht antik), Wien
Bedenken gegen die Echtheit des Reliefs anzumelden. »Priamus bei der Leiche Hektors« deutet Gargiulo. Schon der pathetisch agierende, von Hekabe zurückgehaltene König muß uns verdächtig vorkommen. Auch das schmerzverzerrte Antlitz (das Original zeigt dieses noch deutlicher) wäre sonderbar 70 . Das Bett und die Haltung des Toten scheinen dem 1834 i n Toscanella gefundenen sogenannten Adonis merkwürdig ähnlich 71 . Ein römischer Meleager-Sarkophag 72 könnte gleichfalls Pate gestanden haben. Der Paidagogos zu Füßen Hektors ließe sich dorther erklären. In nächster Nachbarschaft zu der Lekythos J a t t a gibt es ein Vasenbild, das Heydemann anhand einer ihm von G. J a t t a zur Verfügung gestellten Durchzeichnung in der Sitzung der Archäologischen Gesellschaft zu Berlin am 10. Januar 1 8 7 1 besprochen hat 7 3 . E s findet sich auf einer Hydria des Amvkosmalers in Bari 7 4 und wurde von Kalkmann auf den Tod der Kanake gedeutet. Von der Gruppe der 70
Über die Darstellung des Alters zuletzt Bielefeld, A A . 1962,80ff. Heibig 3 442; Kunst und Leben der Etrusker (Ausstellung Köln 1956) Nr. 475 Taf. 63. Vgl. v. Lücken, F u F . 36, 1962, 241. — E . Diehl und E . R . Knauer danke ich dafür, daß sie mich an dieses 72 Stück erinnerten. Robert, S R . I I I 2,334ff. Taf. 89—93; Reinach, R R . I I I 34,3. 97,1. 1 4 1 , 5 . 192,4. 73 AZ. 1883,51 ff. Taf. 7 , i ; A. D. Trendall, Frühitaliotische Vasen 35 Nr. 153. 74 Früher Slg. des Canonicus Basti, dann Signora Petrone. 71
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Sterbenden und des Vaters glauben wir etwas in der Mittelgruppe der Relieflekythos wiederzuerkennen. Der unnatürlich bewegte, von der linken Hand gehaltene Mantel des »Priamos« ließe sich leicht von jenem Vorbild ableiten. Es ist verlockend, unsere Reihe dubioser oder falscher Reliefgefäße noch um ein paar Stücke zu vermehren. A. Rumpf wies mir eine nicht ausgestellte bauchige Lekythos des Athener Nationalmuseums nach, deren aufgesetztes Relief Beazley als moderne Zutat auf dem antiken Gefäßchen bereits früher erkannt hatte (Abb. 25) 7S . Der römische (!) Wagen ist ein deutlicher Mißgriff des Fälschers. Nicht weniger falsch ist der neoklassizistisch-pathetische Stil, den wir von Ruhmesdenkmälern des 19. Jahrhunderts zur Genüge kennen. Von dem Streitwagen und seinem Lenker auf der Athener Lekythos wenden wir unseren Blick zu der seltsamen Kanne Dutuit 386 76 (Abb. 26 u. 28), bei der wir es offensichtlich mit einem Pasticcio zu tun haben. Meinen Bedenken gegen die Echtheit des Reliefs fügte Rumpf ein überzeugendes Argument hinzu: »Die Tatsache, daß der wagenbesteigende Krieger den Schild am r e c h t e n Arm trägt, scheint mir entschieden gegen antiken Ursprung zu sprechen«77. Den gleichen Fehler haben wir bei dem Oedipusgefährten des Berliner Kraters F 2640 beanstandet. An den Sabouroffschen Krater erinnert die graziöse Biegung des Handgelenks der zügelhaltenden Hand und die in Wellenlinien geführte Leine. Beides finden wir auf jener Vase an der Herakles-Kerberos-Gruppe wieder (Abb. 11). Die Herkunft der Kanne Dutuit aus der Sammlung des Prince Napoléon78 läßt die Möglichkeit nicht ausgeschlossen erscheinen, daß Gargiulo auch hier seine Hand im Spiel hatte. Daß es wirklich so ist, möchte ich mit Zuversicht behaupten, weil auch Technik und Stil des Reliefs weitgehend mit den Berliner Krateren übereinstimmen. In diesem Fall ist sogar das Muster mit aller wünschenswerten Deutlichkeit nachzuweisen: der wagenbesteigende Zeus auf dem Silberschälchen in Neapel (!), Inv. 25579™ (hier Abb. 27). Eine 15 cm hohe Kanne derselben Sammlung80, deren Vorderseite eine große plastische Silensmaske bedeckt, möchten wir gleichfalls nicht ohne Vorbehalt hinnehmen. Der an Rubensgestalten gemahnende Silenskopf paßt schwerlich zu der noch altertümlichen Kanne. In Wien sah ich in der von R. Noll vorbildlich eingerichteten Studiensammlung eine angeblich aus Eretria stammende, im griechischen Handel (etwa 1897) erworbene Kanne 8 1 (Abb. 29.30), die in ähnlicher Weise die 75
Semni Karusu stellte Photos zur Verfügung und gestattete mit gewohnter Liebenswürdigkeit die Veröffentlichung. 76 C V A . Petit Palais Tai. 32,5—7. 77 Brieflich 20. 7. 62. 78 W. Fröhner, Cat. vente prince Napoléon (23—26 mars 1868) 71 Nr. 104; J . de Witte, Cat. vente P a r a v e y (1879) 49/50 Nr. 123. — Der Fuß gehört zu einer Lekythos der 1. Hälfte des 5. Jhs. 79 Mus. Borb. V I I I Taf. 1 4 , 1 ; Guida Ruesch 413. 80 CVA. Petit Palais Taf. 3 1 , 6f. Cat. vente Bammeville, 20 avril 1 8 8 1 , p. 53, no. 236 (sans indication de provenance, mais qui, il me semble, être la Grèce). 81 Inv. I V 1872. Vorlagen, Auskünfte und Publikationserlaubnis werden der Kollegialität des Direktors der Antikensammlung in Wien, R . Noll, verdankt.
33 Maske einer Mänade ziert. Ein Blick in das Innere der Kanne zeigt eindeutig, daß diese Hälfte des Gefäßes ergänzt ist. Die Höhe des Gefäßes beträgt etwa 16 cm. Sollten diese nahezu gleich großen Kannen in Paris und Wien etwa als Gegenstücke hergerichtet worden sein ? Der klassizistisch-schöne Stil der Mänade und der 'barock' bewegte Silen wären als Werke e i n e r Hand des 19. Jahrhunderts wohl nicht unvereinbar. Die Modellierung der welligen Bartsträhnen und des Haares der Mänade, besonders in der Seitenansicht Abb. 29, scheinen doch recht ähnlich.
J d l . 21. Erg.-Heft
ETRUSKISCHER KANTHAROS MIT RELIEFAPPLIKEN BERLIN, INV. 1962. 34
Alles, was wir von den in Etrurien häufigen Kantharoi der 'Malacena fabric' 8 2 kennen, wird weit übertroffen durch ein Prachtgefäß mit Reliefappliken und rotfiguriger Malerei, das die Antikenabteilung Berlin (West) unlängst erwerben konnte (Inv. 1 9 6 2 . 3 4 . — Taf. I — I V ; A b b . 3 1 — 3 5 ) . Der stattliche Humpen ist 2 3 , 5 cm hoch und faßt genau zwei Liter. Über seine Herkunft ist so gut wie nichts bekannt. Form und Ornamente erweisen jedoch seine Entstehung in Etrurien. Der bläulichschwarze, stellenweise leicht irisierende Firnis ist der 'Malacena fabric' eigen, die Beazley nach der Lage der T o m b a dei Calinii Sepus' nahe Monteriggioni so benannt hat, wo ein ganzer Satz von Gefäßen dieser Gattung zutage kam. Der T y p u s des Kantharos Vatican G 116 (ex Racc. Guglielmi) ist in Etrurien weit verbreitet; Beazley's Liste enthält 74 ( + 3) N u m m e r n ; dazu sieben weitere im Nachtrag 8 3 . Gefunden wurden sie, soweit die Provenienzangaben zuverlässig sind, sämtlich in Etrurien. Sie sind ausnahmslos schwarz gefirnißt. Sechsundzwanzig Kantharoi füge ich der Liste hinzu : 85. 86—89. 90—95. 96. 97. 98. 99. 100. 101.
Orvieto, Museo Archeol. 1 1 7 5 Orvieto, Museo Faina (4 Kantharoi) Perugia (6 Kantharoi) Siena o. Nr. Siena 1120X Siena 8020 nur Fuß, unten Firniskreise Tarquinia R C 1052, aus Tarquinia Tarquinia R C 1119, aus Tarquinia Tarquinia R C 1368, aus Tarquinia 1 0 2 . Tarquinia R C 2 4 2 4 , aus Tarquinia 1 0 3 . Tarquinia 7 9 6 4 , aus Tarquinia 1 0 4 . Tarquinia R C 8 9 6 9 , aus Tarquinia 105. Wien, Kunsthist. Mus. I V 1895
82
B e a z l e y , E V P . 23off.
83
E V P . 231 ff. Z u Nr. 57 u n d 6z der L i s t e s. 233. N a c h t r a g S. 307. D a v o n ist Genf I 180 = C V A . (1)
T a f . 33, 4; e b e n d a ein zweiter K a n t h a r o s (MF 176) T a f . 33, 3.
36 106. 107. 108. 109. 110.
Wien, Wien, Wien, Wien, Wien,
Kunsthist. Kunsthist. Kunsthist. Kunsthist. Kunsthist.
Mus. Mus. Mus. Mus. Mus.
IV IV IV IV IV
2182, aus Volterra. Hier Abb. 37. 2279, aus Volterra 2292 A 2292 B 2293
Hinzu kommen nicht weniger als 18 Kantharoi im Museo Etrusco Guarnacci in Volterra und einer aus den neuen Grabungen in Vulci im Museo del Ponte della Badia, Vulci, die E . R. Knauer unserer Liste beisteuerte. Ein rotfiguriger Kantharos dieses Typus, der einzige bisher bekannte, kann hier angeschlossen werden: New York 5 1 . 1 1 . 1 0 ; hier Abb. 38 84 . Der Kantharos Berlin 1962. 34, dem rotfigurigen in New York nächst verwandt, ist schon durch seine Form aus der Masse der Malacena-Kantharoi herausgehoben 85 . Das ganze Gefäß ist stämmiger gebaut, der zylindrische Teil nur wenig konkav. Der Rand steht fast senkrecht, das tief gewölbte Becken hat größeres Volumen und nahezu den gleichen Umfang wie die Mündung. Dem kräftigen Bau des Gefäßes entspricht die solide Gestaltung des Fußes, dessen kurzer und gedrungener Schaft in zwei Hohlkehlen unterteilt ist und sich durch einen flach auslaufenden Absatz von dem Gefäßboden abhebt. Die wie üblich aus zwei Rundstäben gebildeten Henkel (Abb. 34) laufen oberhalb des Knotens in plastisch geformte Blätter aus. Der Knoten selbst wird scheinbar von einem Bündel dünnerer Stengel gebildet, denen längslaufende Firnisstreifen aufgemalt sind. Diese stellen die Verbindung zu den ehemals rosafarbenen Blättern her. Für die pflanzliche Gestaltung der Henkelendigungen lassen sich die plastischen Blüten neben den Henkeln zweier Kantharoi aus Orbetello in Florenz und eines dritten in London (Abb. 39) vergleichen 86 . Den Kantharos Arezzo 1 2 6 1 (Abb. 36) schließt Beazley nicht in seine Liste der Malacena-Kantharoi ein (S. 233): »the vase is of coarser make and does not come, I thought, from our fabric«. Bei den Kantharoi aus Orbetello in Florenz 87 ist der Knoten (Nr. 71) bzw. der Henkel unterhalb des Knotens (Nr. 72) geriefelt, aber schwarz. Das erinnert an die gebündelten Stäbe am Henkelknoten von Berlin 1962. 34. Die Unterseite des Fußes ist tongrundig und mit Kreisen bemalt (Abb. 35). Die gleiche Eigentümlichkeit findet sich bei mehreren Kantharoi in Tarquinia (Nr. 20. 102. 103), je einem in Arezzo (Abb. 36) 88 , Wien (Nr. 106. Abb. 37) und dem Fuß in 84
D. von Bothmer verdanke ich Photos und Hinweis auf die Publikation (BMetrMus. 1 1 0 , 9 5 1 / 5 2 , 1 4 7 ) . Gute Beispiele abgebildet bei Beazley, E V P . Tai. 38, 8; Beazley-Magi Taf. 35; CVA. Copenhague (5) I V 13 Taf. 221,14. 86 Florenz: Beazley, E V P . 232t'. Ar. 71 f.; London: Inv. 73.8—20. 358. Beazley a. O. 233 Nr. 73. Der Kantharos Beazley, E V P . 233 Nr. 74 = Berlin F 2886 (Furtwängler, Beschr. Taf. 7), nach dem Krieg nicht wieder aufgefunden, wäre hier anzuschließen. Beazley a. O. bezeichnet die letzten vier seiner Liste (Nr. 71—74) als »unusually elaborate«. — Zu den plastischen Blüten vgl. auch die Henkel des 'SkyphoidKrater' von Isthmia: Hesperia 29, i960, 168ff. Taf. 54L 85
87 88
Nr. 71 hat die Inv. Nr. 72883 (NSc. 1885 Taf. 1,7. 7a). Nr. 72 = Inv. Nr. 72884. Inv. 1 2 6 1 . Beazley, E V P . 233.
37 Siena (Nr. 98). Diese, ausgenommen Tarquinia Nr. 103, haben ebenfalls die breite, volle Form des Gefäßkörpers wie Berlin 1962. 34 und New York 51. 1 1 . 10 (Abb. 38). Auch der Fuß zeigt keine wesentlichen Unterschiede. Den Hauptschmuck unseres Gefäßes bilden beiderseits drei Reliefappliken, die mit feinem Stuck überzogen, farbig bemalt und an einigen Stellen vergoldet waren. Den Werkvorgang werden wir uns, soweit er sich am Gefäß selbst ablesen läßt, folgendermaßen vorziistellen haben: Zuerst wurden die Plaketten auf das Gefäß gebracht, dann die Firnismalerei an den übrigen Partien ausgeführt, weiße Details im Ornament aufgesetzt und zuletzt Farben und Vergoldung aufgetragen. Der Firnis geht zum Teil über die Kanten der Appliken hinweg; auch die Firnislinien über dem Ölzweig sind deutlich nach Anbringung der Plaketten gezogen. Die Reliefs der Rückseite (B) sind etwas kleiner als die der Hauptseite (A). Die Zwischenräume auf (B) füllen — in rotfiguriger Malweise ausgespart — zwei Blütenstauden und ein sichelförmiges Ornament, vielleicht die Mondsichel88", während kleine weiße Rosetten und Hakenkreuze auf A und B eingestreut sind. Die Pflanzen bestehen aus einem Stengel, an dessen Knoten paarweise Blätter ansetzen, und einer kelchförmigen Blüte mit herausragendem Stempel; in der Aufsicht werden durch Innenzeichnung auch die Staubfäden angedeutet. Die Darstellung ist so naturhaft, daß sich 88a
Zur Mondsichel: Schauenburg, Antike K u n s t
5, 1962, 61 T a f . 2 1 , 1. 2. Die liegende Sichel ähnlich auf a t t . r f g . Schale Berlin F 2 j 2 4 , C V A . (3) T a f . 1 1 1 , 4 ; Oinochoe Florenz 3996, C V A . (2) T a f . 66,1. 6 7 , 1 . Die Tänzerin muß aber deswegen nicht Selene sein.
Abb. 35. F u ß des K a n t h a r o s Abb. 3 1 — 3 4
38 das Gewächs als Ackerwinde bestimmen läßt, ein Ornament, das in der etruskischen Kunst häufig vorkommt 89 . Unter den rotfigurig etruskischen Vasen sind es die der Clusium-Gruppe, auf denen die Ackerwinde, stilistisch nächst verwandt, vielfach begegnet 90 . Die Blätter an den Henkeln (Abb. 34) gehen offenbar auf das gleiche pflanzliche Vorbild zurück. Das gemalte Ornament einer 'Glaux' in Leipzig 9 1 — um nur ein Beispiel zu nennen — verdeutlicht besonders gut die Übereinstimmung der plastischen Blätter mit jenen, indem die Erhebungen an den Blättern der Henkel dort durch aufgesetztes Weiß angedeutet sind. Auf nahe Beziehung zur Clusium-Gruppe weist auch das Randornament. Den Eierstab sehen wir fast unverändert am Rand der 'Glaukes' 9 2 ; auch bei jenen ist der Kern weiß auf schwarz, nur die Punkte in den Zwickeln sind schwarz statt weiß. Das Pfeilstrichornament auf dem Wulst unterhalb des Randes findet sich ähnlich, nur etwas gröber, auf dem rotfigurigen Kantharos in New York (Abb. 38). Am Rand der Hydrien des Micali-Malers London B 6 3 9 3 und München J . 1040 9 4 ist es den Efeublättern der Henkelzone angeglichen. Nach rechts zeigend kennen wir das Ornament von der Hydria Hamburg 512 9 5 . Sicher lassen sich weitere Beispiele beibringen. Wichtig ist eine Parallele auf dem Wulst einer Tonsima aus Civita Castellana 96 . Anlehnung an die Architektur ist bei den Kantharoi kaum verwunderlich. Zu dem Pfeilstrichornament auf der etruskischen Tonsima gibt es Vergleichbares in der griechischen Architektur, z. B. auf einem archaischen Sima-Bruchstück von der Akropolis 97 . W.-H. Schuchhardt möchte für das Grätenmuster mit Sicherheit abwechselnd die Farben rot und schwarz annehmen, nicht, wie man immer wieder vermutete, eine nur teilweise Bemalung, daß etwa die einen Felder rot und die anderen steinfarben gewesen seien. So können wir also auch dort Mehrfarbigkeit voraussetzen 98 . Will man die Geschichte dieses Ornaments weiterverfolgen, wäre 89
Pampanini, StEtr. 4, 1930, 293ff., besonders 295/96. Kelchkrater Volterra RM. 30, 1915, 147 Abb. 9 = Beazley, E V P . 120. Weitere Beispiele sind anhand der Liste bei Beazley, E V P . 1 1 3 8 . leicht zu finden; ein Hinweis auf die 'Glaux'und das Kopfgefäß a. O. Taf. 28,4—7 mag genügen. Vgl. auch die Glaukes New Y o r k (BMetrMus. 10, 1951/52, 146). — Vgl. Glockenblumen attischer Vasen um 400: Riv. dell'Ist. Naz. d'Arch. e Storia dell'arte NS. 4, 1955, 99 Abb. 6. 136t. Abb. 56/57; Hesperia 3 1 , 1962 Taf. 30,10. 90
91
J d l . 1 1 , 1896, 197 Abb. 53; Beazley, E V P . 1 1 6 Nr. 3. Beazley, E V P . Taf. 28,1—3. 6. T. BMetrMus. 10, 1951/52, 146. 93 91 Beazley, E V P . Taf. 3,1. Sieveking - Hackl Taf. 39,896. 95 S t E t r . 1 1 , 1 9 3 7 Taf. 3 9 , 1 ; Beazley, E V P . 13. 96 A. Andren, Architectural Terracottas from Etrusco-Italic temples, Skrifter utgivna av Svenska Institutet i Rom V I (1939) Taf. 39 Nr. 130; G. Q. Giglioli, L'arte Etrusca Taf. 1 7 1 , 2 . 97 Th. Wiegand, Die archaische Porosarchitektur der Akropolis Taf. I X 5. 98 Zu dem Ornament weist mich Schuchhardt (brieflich) ferner auf die kleinere Sima von Korfu hin (Korkyra I I 2 5 f f . Abb. 94—98; I I 17 Abb. 2) und erinnert daran, daß das gleiche Ornament in etwas zugespitzterer Form sich auch an den schrägen Leisten befindet, die das Giebelfeld von Korfu rahmen. Aus der Vasenmalerei des 5. Jhs. ließe sich das Pfeilstrichband (Grätenmuster) auf att. rfg. Oinochoen vergleichen. Buschor, F R . I I I Text S. 3 1 5 ! . — s. auch das Eberkopfgefäß London E 801, H. Hoffmann, Attic redfig. R h y t a Taf. X , 3. 92
Abb. 38. K a n t b a r o s , N e w Y o r k
Abb. 39. K a n t h a r o s , London
40 in Etrurien noch auf die schwarzfigurige Hydria Florenz 4139 mit ihrem breiten Zickzackband zu verweisen". Der Wechsel von Schwarz, Weiß und Tongrund zeigt eine gewisse Ähnlichkeit. Bei dem großen zeitlichen Abstand der Hydria von den Kantharoi will das nicht viel heißen. Aber die Mehrfarbigkeit unter reichlicher Anwendung von Weiß kann doch wohl als spezifisch etruskisch an dem Ornament unseres Kantharos angesehen werden. Sie ist gerade für die Clusium-Gruppe typisch. Am Ölzweig waren ursprünglich weiß aufgemalt feine Stiele mit Fruchtknoten zwischen den einzelnen Blättern, und eine weiße Linie gab die Mittelrippe der Blätter an, so daß in der unteren Zone der gleiche Wechsel von Tongrund, Schwarz und Weiß herrschte wie an den Randornamenten. Der Gebrauch der Relieflinie, hier zur Konturierung der schwarzen Pfeilstriche, des Ölzweiges und seiner Blätter angewandt, findet sich mehrfach wiederum auf Vasen der Clusium-Gruppe 100 . Zusammenfassend möchten wir annehmen, daß die wenigen gefirnißten Kantharoi der volleren Form, Arezzo 1 2 6 1 (hier Abb. 36), Wien IV 2182 (hier Abb. 37), Tarquinia 1976 und RC 2424, Siena 8020 (nur Fuß erhalten), New York 5 1 . 1 1 . 10 (hier Abb. 38) und Berlin 1962. 34 aufs engste zusammengehören und zu der Malacena fabric in naher Beziehung stehen. Vermutlich werden sie etwas älter sein als die Mehrzahl der schlankeren Malacena-Kantharoi 1 0 1 . Das würde auch der von D. von Bothmer für den rotfigurigen Kantharos angenommenen Datierung »not far from 300 B. C.« 102 entsprechen. Im Gegensatz zu dem Kantharos New York steht das Berliner Gefäß stärker in der Tradition griechischer bzw. großgriechischer Kunst (Ölzweig, Stil und Typus der Nereiden) und zeichnet sich durch den ungewöhnlichen — barbarischen — Reichtum seines Dekors aus. Der Kantharos Leningrad 1786 1 0 3 steht seiner Form nach zwischen den Kantharoi Berlin-New York usw. und den schlankeren der Malacena-Gruppe, so daß die Zusammengehörigkeit der ganzen Gruppe doch wohl anzunehmen ist 1 0 4 . Betrachten wir nunmehr das Gegenständliche der Appliken. Auf A (Taf. I I I u. IV) reiten zwei Waffen tragende Nereiden auf Seepferden, der Mitte zugewandt. Sie halten Panzer und Schild, während sie den freien Arm um den Hals des Hippokampen legen. An den Tieren tritt der vordere Teil in Pferdegestalt stärker hervor. 99
T. Dohrn, Die schwarzfigurigen ctruskischen Vasen Nr. 286 Taf. 7. Beazley, E V I ' . 1 1 3 ff. und die genannten Glaukes in New York. 101 Beazley, E V P . 216 »a Single third-century fabric«. 102 a. O. 149. 103 H 1 7 cm. — St. 612. Beazley, E V P . 232 Nr. 65. 104 Der große Kantharos in Tarquinia R C 1767 (H 37, Dm 23,5 cm) »with figures superposed on black background in clay-red and then worked up with high-lights« (Beazley, E V P . 216) gehört nicht zu der Malacenafabric (Beazley, E V I ' . 233) und hat auch nichts mit unserem Kantharos zu tun. Unterseite des Fußes »reserved, not black« (Beazley, E V P . 216). — Die etwa 40 cm hohen Kantharoi Chiusi 1 1 0 3 und 1 1 0 4 erwähnt Beazley (EVP. 290f.) unter den 'Silvered Vases' als Zeichen einer möglichen Beziehung zwischen 'Bolsena-Group' und 'Malacena'. — Orvieto, Faina 371 (Beazley, E V P . 291) etwa 20 cm hoch, ist ein Kantharos der 'Bolsena-Group' und hat innen ziegelroten Überzug. — Nur einen Teil der Gefäße kenne ich im Original oder aus Abbildungen. 100
41 Eine Flosse setzt an der Schulter an. Der Fischleib, dessen gravierte Schuppen und kammartige Rückenflosse bei der rechten Applik gut sichtbar werden, windet sich, dem Umriß der Plakette angepaßt, nach unten und endet hier mit einer sichelförmigen Schwanzflosse. Wellen, gekräuselten Locken ähnlich, deuten das Meer an. Daß die den Panzer tragende Nereide sicher auf ein griechisches Vorbild zurückgeht, veranschaulicht eine Schale aus dem Kreis des Jenaer Malers Wien, Kunsthist. Mus. 96 105 , für deren Innenbild F. Eichler Abhängigkeit von einem Gemälde vermutete 106 . Zwischen den Nereiden steht eine X-förmig geschnittene Plakette, so daß die drei Reliefs in ihrem äußeren Umriß ohne wesentliche Überschneidungen gut zueinander passen (Taf. I u. III). Die linke Vorderhand des linken Seepferdes, von dem Handgelenk des Herakles überschnitten, ist gleichfalls als Relief aufgelegt und ausgespart. Die Benennung der Mittelfigur als Herakles ergibt sich aus dem Löwenfell, das er über dem linken Arm trägt. Die hinteren Pranken erscheinen zwischen den Beinen des Helden und über der rechten Schulter. Gestalt und Kopftypus engen ohnedies den Kreis der in Betracht kommenden Götter oder Heroen ein. In Verbindung mit den Nereiden wäre vielleicht Hades oder ein Unterweltsdämon zu erwarten. Aber das von ihm geschulterte Instrument wird eher eine Keule als ein Ruder sein. Am Haar des Herakles finden sich Reste von roter Farbe und, über dem Scheitel, Vergoldung; die Fläche ist bis auf das Stirnhaar ziemlich glatt. Die Vergoldung könnte von einem Kranz oder einer Löwenkappe herrühren. Die Nereiden sind mit dem Peplos bekleidet, dessen Überschlag sich auf dem Schöße in schweren, breiten Falten staut. Ebenso schieben sich an der unteren Partie des Gewandes breite Faltenmassen zusammen und stauen sich über dem Fuß, während die Schenkel unter dem eng anliegenden, nur leicht gefältelten Stoff hervortreten. Sehr fein zeichnet sich auch der Oberkörper durch das Gewand hindurch ab. Das Haar, vom Nacken her nach vorn geführt, bildet über dem Scheitel eine Schleife, die bei der rechten Nereide besonders gut erhalten ist. Von der einstigen Bemalung sind noch ansehnliche Reste vorhanden: Haar der Nereiden und Flecken an der Löwenkappe (?) R o t ; auf der rechten Brust des Herakles Rosa. Die weißlich-grauen Ablagerungen an den Appliken stimmen mit denen auf der Innenseite der Henkel und dem diesen gegenüberliegenden tongrundigen Streifen so genau überein, daß es sich wohl größtenteils nur um Sinter, nicht um Überreste einer Engobe handeln kann. Sehr gut erhalten sind Reste der Vergoldung, und zwar an der Keule links und rechts des Kopfes, an der Löwenkappe, wie bereits erwähnt, ferner am Schildrand neben dem Kopf der Nereide und oberhalb des Fischleibes, sowie ein kleines Stückchen am linken Huf des rechten Hippokampen. Auf der Rückseite des Gefäßes ist eine verhüllte Tänzerin dargestellt zwischen zwei auf untergebreitetem Mantel sitzenden Jünglingen (Taf. I I u. Abb. 31—33). Der 105 106
290 ff.
CVA. Wien, Kunsthist. Mus. (i) Taf. 28, 1. CVA. a. O. Text. Vgl. H. Metzger, Les Représentations dans la céramique attique du I V e siècle
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linke hält in der erhobenen Hand einen nicht mehr zu erkennenden Gegenstand, während der andere mit seiner Rechten den Mantel, ihn an der Kante fassend, über den Hinterkopf gezogen hat. Der Koroplast hat diese beiden Reliefs abweichend von der natürlichen Vertikale äußerlich nach der Mittelfigur ausgerichtet. Die Sitzenden würden vornüber fallen oder abrutschen. Damit wäre, wenn es dessen noch bedürfte, der sichere Beweis erbracht, daß die Reliefs nicht für dieses Gefäß erfunden, sondern einem anderen tektonischen Zusammenhang entnommen sind. An der rechten Figur (Abb. 33) sind, das Relief ergänzend, Einzelheiten mit Firnislinien gezeichnet: rechter Arm und Hand sowie Falten des um die Unterschenkel gelegten Mantels. Der Typus der verhüllten Tänzerin 107 entspricht etwa den Terrakotten Winter I I I 2, 145,3 und 5. Die Bewegung ist jedoch spiegelverkehrt und die Tänzerin des Reliefs trägt einen Peplos, während der um Kopf und Hals geschlungene Mantel hinter dem Rücken ausgebreitet zu denken ist. Abweichend von dem Typus der Statuetten hält die Relief figur mit beiden Händen eine Tänie oder einen Saum des Mantels (?). Die Stellung der Füße entspricht genau den genannten Statuetten. Auch der zurückgesetzte linke Fuß berührt bei der sich drehenden Bewegung des Körpers nur mit der Spitze den Boden. Die scheinbar unförmige Fläche über dem rechten Arm dieser Figur könnte ein wehender Mantelbausch sein, den die farbige Bemalung verdeutlichte. Farbreste sind auf dieser Seite des Gefäßes besonders reichlich: viel Rosa am Körper des linken Jünglings, an Gewand und Tänie der Tänzerin, rot das Haar beider Jünglinge bzw. das auf den Kopf gezogene Mantelstück des rechten, Hellblau auf dem Grund der mittleren Applik links in mittlerer Höhe und um den erhobenen Arm herum; das gleiche Hellblau findet sich auf dem Felsensitz des Jünglings links; Reste von Vergoldung auf der Tänie, auf dem Stempel der linken Blüte und auf der Sichel, deren weiße Umrandung zum Teil von Gold überdeckt ist. Die höchsten Erhebungen des Reliefs erreichen an mehreren Stellen 6—8 mm, vereinzelt sogar 10 mm. Am stärksten treten die Köpfe der Nereiden und des Herakles heraus. Die Henkel sind auf der inneren Seite tongrundig, ebenso ein schmaler Streifen den Henkeln gegenüber. Die gefirnißte Fläche läuft hier wellenförmig aus, ebenso an der rechten Applik von B (Abb. 31 u. 33). Nereiden und Herakles, tanzendes Mädchen und zuschauende Jünglinge — gibt es da eine sinnvolle Verbindung oder hat der Koroplast die Appliken nach rein dekorativen Gesichtspunkten ausgewählt und zusammengestellt ? Wir werden nach Züchners Untersuchungen zu den Plakettenvasen 1 0 8 nicht ohne weiteres einen Sinnzusammenhang voraussetzen dürfen. E r kann auch in diesem Falle gewiß nicht 107
H. Heydemann, Verhüllte Tänzerin, 4. HallWPr. (1879). Weitere Literatur: Festschr. für Friedrich Matz (1962) 77 Anm. 26 (B. Andreae). 108 J d l . 65/66, 1950/51, 175ff., besonders i 8 2 f .
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Abb. 40. Etruskische Situla, Arezzo
in einer bestimmten Begebenheit des Mythos gesucht werden. Der glanzvolle Zug der Nereustöchter, von Thetis angeführt, erscheint bei Überbringung der Waffen für Achill. Er nimmt aber auch Teil an der Totenklage um den Helden und wird mit ihm zum allgemein gültigen Sinnbild des Todes und der Totenverehrung 1 0 9 . In das Jenseits entrückt, weilen die Nereiden im Elysium als Göttinen des Meeres, den Unterirdischen nahestehend. Und Herakles? Gehört er nicht zu eben diesem Kreis mythischer Wesen, die dem Verstorbenen ein glückliches Dasein auf den Gefilden der Seligen verheißen ? Er ist der Bezwinger des Hades. Nach orphischer Überlieferung zwang er Charon, ihn über die S t y x zu setzen 1 1 0 . Er holte den Kerberos herauf und mühte sich, den in der 109
Roscher, ML. I I I 1,227 (Weizsäcker); R E . X Y I I 1,7f. s. v. Nereiden (Herzog-Hauser). Weitere
Hinweise C Y A . Mannheim S. 56 (rechts) zu Tai. 45. 110
Servius ad. Aen. V I 392. Orphiea, ed. E. Abel (1885) F. 1.58. — H. J. Rose, Griech. Mythologie 221.
44 Unterwelt an seinen Felsensitz gebannten Peirithoos zu befreien, wie die wunderbare Lekythos des Alkimachosmalers 1 1 1 es darstellt. Vor Theseus und Peirithoos steht er im Unterweltsbild des New Yorker Kelchkraters 08. 258. 21 1 1 2 . Pluton, den Gott der Unterwelt, trägt er auf seinem Rücken durch das Wasser der S t y x 1 1 3 . Die Mittlerrolle des Herakles zum Hades zeigt auch die — vielleicht erst späte — Überlieferung, er habe Laodameia ihrem dort weilenden Gemahl Protesilaos zugeführt, wie es auf den römischen Fresken im Grab der Nasonier zu sehen war 1 1 4 . Auf dem Kantharos vollzieht sich kein Vorgang, keine Tat. Die Hand des Herakles greift ins Leere, aber er steht doch nicht für sich allein, sondern ist anderen Wesen des Jenseits zugesellt, in sinnvoller Zusammengehörigkeit, ein 'Reigen der Seligen', als Sinnbild des Lebens im Elysium dem Toten ins Grab gelegt. Und so erklären sich auch die Gestalten auf der Rückseite des Bechers, das tanzende Mädchen und die ausruhend dasitzenden, dem Tanz zuschauenden Jünglinge als im Jenseits Lebende. Daß Herakles an der gewichtigsten Stelle des Gefäßes erscheint (Taf. I) und die Gestalten des Mythos gegenüber den namenlosen 1 1 5 den Vorrang haben, zeigt gerade, wie überlegt der Koroplast den Schmuck des Bechers verteilte. Selbst die Blumen werden sinnvoll auf den Wiesen des Elysium, unter den Füßen des im Reigen über sie dahinschwebenden Mädchens. Wie stark muß Pindars Vorstellung vom Jenseits auf italischem Boden noch gewesen sein, als man dieses Gefäß für einen Toten schuf 1 1 6 . TOÌCTl ÀÓC|XTT£l HSV CT6ÉV05 ÓEÀÌOU TCCV EVQÓSE VUKTCC KÓTCO, / cpoiVlKOpÓSoiS 5 ' Évi ÀEl|iCÓVECTCTl TTpOCtCTTlOV CXUTCOV KOCÌ Aißctvco a x i a p ò v Xpucréois KapTroIs
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