Kleine Schriften zur antiken Medizin [Reprint 2010 ed.] 9783110816754, 9783110017991


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German Pages 313 [316] Year 1973

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Vorwort der Herausgeber
I. AUFSÄTZE
1. Zur Hippokratesauffassung des Galen
2. Eine stoisch-pneumatische Schrift im Corpus Hippocraticum
3. Die Lehre vom Blutkreislauf, eine verschollene Entdeckung der Hippokratiker?
4. Hippokratische Medizin und attische Philosophie
5. Der innere Zusammenhang der hippokratischen Schrift De victu
6. Stand und Aufgaben der Hippokratesforschung
7. Ausdrucksformen des methodischen Bewußtseins in den hippo¬kratischen Epidemien
8. Ludwig Edelstein †
II. REZENSIONEN
1. Ludwig Edelstein: Περι ἀέρων und die Sammlung der hippokra¬tischen Schriften (= Problemata, H. 4), Berlin 1931
2. Hippokrates: Über Entstehung und Aufbau des menschlichen Körpers (Περι σαρκῶν). In Gemeinschaft mit den Mitgliedern des philologischen Proseminars Berlin herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Karl Deichgräber. Mit einem sprachwissen¬schaftlichen Beitrag von Eduard Schwyzer. Berlin/Leipzig 1935.
3. Galeni In Hippocratis Epidemiarum libros I et II commentaria ediderunt Ernst Wenkebach – Franz Pfaff (= Corpus medicorum Graecorum V 10, i), Leipzig 1934. Galeni In Hippocratis Epidemiarum librum III commentaria III edidit Ernst Wenkebach (= Corpus medicorum Graecorum V 10, 2, 1), Leipzig 1936
4. Walter Müri: Arzt und Patient bei Hippokrates (= Jahresbe¬richt über das Städtische Gymnasium in Bern 1936, Beilage), Bern [1936]
5. Rudolf Blum: La composizione dello scritto ippocrateo Περι ὀξέων, in: Reale Accademia Nazionale dei Lincei. Rendiconti della Classe di Scienze morali, storiche e filologiche, ser. VI, vol. XII, Roma 1936, S. 39—84
6. Ulrich Fleischer: Untersuchungen zu den pseudohippokratischen Schriften Παραγγελίαι, Περι ἰητροῦ und Περι εὐρχημορύνης (= Neue deutsche Forschungen, Bd. 240, Abt. Klassische Philo¬logie, Bd. 10, Berlin 1939
7. Max Pohlenz: Hippokrates und die Begründung der wissenschaft¬lichen Medizin, Berlin 1938. Max Pohlenz: Hippokratesstudien, in: Nachr. Ges. Wiss. Göttin¬gen, phil.-hist. Kl., Fachgr. 1, N. F., Bd. 2, Göttingen 1937, S. 67—101 [= Nr. 4]
8. Ludwig Edelstein, The Hippocratic oath. Text, translation and interpretation (= Suppl. Bull. Hist. Med., Baltimore, No. 1), Baltimore 1943
9. Emma J. Edelstein and Ludwig Edelstein Asclepius. A collection and interpretation of the testimonies (= Publ. Inst. Hist. Med. Baltimore vol. 2, 1–2), Bd. 1–2, Baltimore 1945
10. Galeni In Hippocratis Epidemiarum librum VI commentaria I—VIII ediderunt Ernst Wenkebach - Franz Pfaff (= Corpus medicorum Graecorum V 10, 2, 2), Leipzig 1940
11. Die anatomischen Schriften in der hippokratischen Sammlung. Die Anatomie. Das Herz. Die Adern. Übersetzt und erläutert von Richard Kapferer in Zusammenarbeit mit Anton Fingerle und Franz Lommer, Stuttgart 1951
12. André Rivier: Recherches sur la tradition manuscrite du traité hippocratique ‹De morbo sacro› (= Travaux publiés sous les auspices de la Societé suisse des sciences morales 3), Bern 1962
13. Bengt Alexanderson: Die hippocratische Schrift Prognostikon. Überlieferung und Text ( = Studia Graeca et Latina Gothoburgensia XVII), (Stockholm/Göteborg/Uppsala 1963)
14. Hellmut Flashar: Melancholie und Melancholiker in den medizini¬schen Theorien der Antike, Berlin 1966
15. Forschungsgeschichtliches Nachwort, zu: Ludwig Edelstein: Der hippokratische Eid. Aus dem Englischen übersetzt von Klaus Bar¬tels (= Lebendige Antike), (Zürich/Stuttgart 1969), S. 96–101
Verzeichnis der Schriften von Hans Diller, zusammengestellt von Hans-Joachim Newiger und Hans Seyffert
Indices
Stellenindex
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Kleine Schriften zur antiken Medizin [Reprint 2010 ed.]
 9783110816754, 9783110017991

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Hans Diller Kleine Schriften zur antiken Medizin

W DE G

ARS MEDICA Texte und Untersuchungen zur Quellenkunde der Alten Medizin Schriftenreihe des Instituts für Geschichte der Medizin der Freien Universität Berlin

II. Abteilung Griechisch-lateinische Medizin Herausgegeben von KARL DEICHGRÄBER · HANS DILLER · HEINZ GOERKE

Band 3

Walter de Gruyter · Berlin · New York

1973

Hans Diller

Kleine Schriften zur antiken Medizin

Herausgegeben von GERHARD BAADER · HERMANN GRENSEMANN

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1973

Redaktion: GERHARD B A ADER

ISBN 3 11 001799 7 Library of Congress Catalog Card Number: 72-83052 © 1973 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Straße 13. Printed in Germany. Alle Redite, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischen Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Walter Pieper, Würzburg

Hans Diller zum

65. Geburtstag

VORWORT Da Philologen Geschichte der Medizin zu einem ihrer Hauptarbeitsgebiete machen, ist auch heute nichts Selbstverst ndliches. Es waren zwar die Humanisten, die nach Kenntnis der griechischen Handschriften im Abendland sich als erste an die Ausgabe der griechischen medizinischen Texte im Original machten — erinnert sei hier nur an die griechische Ausgabe der Texte des Hippokrates durch lanus Cornarius 1538, nur kurz nach dem Erstdruck, oder an die Erstausgabe der Werke Galens 1525 durch Giovanni Battista Opizo —, beide waren jedoch auch rzte und ihr Interesse war zun chst von der Praxis her motiviert. So blieb es auch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts; die beiden gro en Gesamtausgaben, nach denen wir heute noch die Schriften des Corpus Hippocraticum bzw. Galens zitieren, stammen von zwei rzten, fimile Littre (Paris 1839—1861) bzw. Karl Gottlob K hn (Leipzig 1821-1833). Zumindest f r das Corpus Hippocraticum ist mit der Ausgabe des holl ndischen Philologen Franciscus Zacharias Ermerins (Traiecti 1860—64) bald nach der Fertigstellung von Littres „Oeuvres completes d'Hippocrate" eine philologischen Interessen entsprungene Ausgabe erschienen, und seitdem haben die Philologen die f hrende Rolle bei der Erforschung der antiken Medizin bernommen. Doch erst zu Beginn unseres Jahrhunderts wurde mit der Erfassung aller griechischen Handschriften durch Hermann Diels im Auftrage einer interakademischen Kommission und unter Federf hrung der Preu ischen, jetzt Deutschen Akademie der Wissensch ften zu Berlin die Grundlage zu einer neuen Epoche der Besch ftigung mit der antiken Medizin gelegt. 1908 ist die erste Ausgabe des darauf fu enden „Corpus medicorum Graecorum" erschienen, die erste und f r lange Zeit einzige Ausgabe von Schriften des Corpus Hippocraticum durch Johann Ludvig Heiberg erst 1927. Diese Zeit war auch der Beginn der Besch ftigung Hans Dillers mit antiker Medizin, besonders mit dem Corpus Hippocraticum; eine Seminarbung bei Wilhelm Capelle im Sommer 1927 regte ihn zu seiner Dissertation „Zwei Kapitel zur hippokratischen Schrift Περί αέρων υδάτων τόπων" (Phil. Diss. Hamburg 1930; erstes Kapitel gedruckt als: „Die berlieferung der hippokratischen Schrift Περί αέρων υδάτων τόπων". Philologus, Suppl.bd. 23, H. 3, Leipzig 1932) an. Diller erw hnt dankbar im Vorwort zu dieser Arbeit die Hilfe seiner Lehrer Friedrich Klingner und Ernst Kapp sowie seiner Kollegen Ludwig Edelstein und Inez Sellschopp. Mit Edelstein verband ihn, auch in schweren Zeiten, eine dauernde Freundschaft, Inez Sellschopp sollte die treue Gef hrtin seines Lebens werden. Mit

VIII

Vorwort

diesem ersten Werk des Jubilars beginnt eine lebenslange Beschäftigung mit jener faszinierenden Schrift aus dem Corpus Hippocraticum. Weitere Marksteine auf diesem Weg sind seine Habilitationsschrift „Die Ethnographie und Geographie der hippokmtischen Schrift " (Leipzig 1932; Abschnitte 2—5 gedruckt als: „Wanderarzt und Aitiologe". Philologus, Suppl.bd. 26, H. 3, Leipzig 1934) sowie die abschließende Ausgabe dieser Schrift im Corpus medicorum Graecorum (Berlin 1970). Dazwischen liegt Hans Dillers Beitrag zur Erforschung der antiken Medizin und besonders zur Aufhellung der Geschichte des Corpus Hippocraticum, der hier aus Anlaß seines 65. Geburtstages gesammelt vorgelegt werden soll. Der Titel „Kleine Schriften" wird der Bedeutung des bisherigen Lebenswerkes nur unzureichend gerecht, denn Hans Dillers Beitrag zur Erforschung der antiken Medizin gehört zum Wichtigsten, das Medicophilologen in diesem Jahrhundert geleistet haben. Dem hat auch die Medizinische Fakultät der Universität Kiel, „seiner" Universität, Rechnung getragen, als sie Hans Diller 1964 die medizinische Ehrendoktorwürde verlieh. In dieser Auswahl sind nicht nur fast alle Aufsätze des Jubilars zur antiken Medizin enthalten, sondern auch viele seiner inhaltsreichen Rezensionen. Schließlich läßt uns der Nachruf auf Ludwig Edelstein ihn in all seiner menschlichen Wärme kennenlernen. Wegbleiben mußten Dillers Beiträge zu Pauly-Wissowas Real-Enzyklopädie der klassischen Altertumswissenschaft aus den Jahren 1934—1959, die ihn als gründlichen Kenner der ganzen antiken Medizin ausweisen; ebenfalls nicht aufgenommen werden konnten seine ausgewogenen Übersetzungen des Corpus Hippocraticum, mit denen er diese Werke einem weiten Kreis von Interessierten zugänglich gemacht hat. Doch über sein eigenes wissenschaftliches Werk hinaus hat Hans Diller durch die Anregung von Arbeiten seiner Schüler den Fortschritt auf dem Gebiet der Erforschung des Corpus Hippocraticum entscheidend gefördert; so ist es eine Selbstverständlichkeit, daß einer der Herausgeber dieser „Kleinen Schriften" aus seinem reichen Schülerkreis stammt, um Hans Diller auf diese Weise stellvertretend für alle zu danken. Hans Diller verdanken wir jedoch nicht nur die abschließende Ausgabe der hippokratischen Schrift „Über die Umwelt" im Rahmen des „Corpus medicorum Graecorum", er gehört darüber hinaus seit Jahren dem Herausgeberkollegium des „Corpus medicorum Graecorum" und „Corpus medicorum Latinorum", diesem bedeutendsten Editionsunternehmen für griechische und lateinische Ärzte der Antike, an. Die Arbeiten am Hippokrates-Lexikon des „Thesaurus linguae Graecae" in Hamburg hat er stets nach Kräften unterstützt. So ergab es sich selbstverständlich, daß auf Hans Diller als Mitherausgeber nicht verzichtet werden konnte, als Konrad Schubring am 1963 neuerrichteten Institut für Geschichte der Medizin der Freien Universität Berlin, der dort ins Leben gerufenen Forschungsabteilung für Alte Medizin ein eigenes Publikationsorgan geben wollte, das sich nicht nur

Vorwort

IX

an Philologen sondern auch an ärztliche Medizinhistoriker richtete. Von dieser zweiten Abteilung „Griechisch-lateinische Medizin" der Schriftenreihe des Instituts für Geschichte der Medizin der Freien Universität Berlin „Ars medica. Texte und Untersuchungen zur Quellenkunde der Alten Medizin" liegen zwei Bände bereits vor. Hans Diller hat mit seinem fachkundigen Rat die Redaktion bei ihrer Aufgabe stets unterstützt, besonders in der schweren Zeit, als nach dem plötzlichen Tod Konrad Schubrings 1966 ein Vacuum zu entstehen drohte. Es war eine dankbare Ehrenpflicht des Instituts, als dritten Band dieser Reihe Hans Dillers „Kleine Schriften zur antiken Medizin" zu sammeln und hier vorzulegen. Diese für jeden, der sich mit der Geschichte der antiken Medizin, besonders aber mit der des Corpus Hippocraticum beschäftigt, unentbehrlichen Beiträge sollen auf diese Weise allen Mitforschern, seien es Medizinhistoriker, Philologen oder an der Geschichte ihres Faches interessierte Ärzte, leicht zugänglich gemacht werden. Es soll jetzt in diesem Band, nicht anders als in Hans Dillers „Kleinen Schriften zur antiken Literatur", die Sache selbst, nämlich die Arbeit Hans Dillers, sprechen. Den Herausgebern bleibt nur, dem Verlag Walter de Gruyter und seinem zuständigen Mitarbeiter, Herrn Prof. Heinz Wenzel, zu danken, daß er das Erscheinen dieses Bandes anläßlich Hans Dillers 65. Geburtstag ohne Druckkostenzuschuß ermöglicht hat. Berlin, im Mai 1972 Gerhard Baader

Hermann Grensemann

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort der Herausgeber

.........

VII

I. AUFS TZE 1. Zur Hippokratesauffassung des Galen Hermes 68 (1933) S. 167 — 181.

.......

3

2. Eine stoisch-pneumatische Schrift im Corpus Hippocraticum. Sudhoffs Arch. Gesch. Med. Naturw. 29 (1936) S. 178 — 1

.

17

3. Die Lehre vom Blutkreislauf, eine verschollene Entdeckung der Hippokratiker? ........... Sudhoffs Arch. Gesch. Med. Naturw. 31 (1938), S. 201 —218.

31

4. Hippokratische Medizin und attische Philosophie Hermes 80 (1952) S. 385—409.

46

.....

5. Der innere Zusammenhang der hippokratischen Schrift De victu. Hermes 87 (1959) S. 39—56.

71

6. Stand und Aufgaben der Hippokratesforschung Jb. Akad. Wiss. Lit. Mainz 1959 S. 271 — 287.

89

.....

7. Ausdrucksformen des methodischen Bewu tseins in den hippokratischen Epidemien ........... Arch. Begriffsgesch. 9 (1964) S. 133 — 150. 8. Ludwig Edelstein f Gnomon 38 (1966) S. 429— 432.

..........

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II. REZENSIONEN 1. Ludwig Edelstein: Περί αέρων und die Sammlung der hippokratischen Schriften (= Problemata, H. 4), Berlin 1931. . . . Gnomon 9 (1933) S. 65 — 79. 2. Hippokrates: ber Entstehung und Aufbau des menschlichen K rpers (Περί σαρκών). In Gemeinschaft mit den Mitgliedern des philologischen Proseminars Berlin herausgegeben, bersetzt und kommentiert von Karl Deichgr ber. Mit einem sprachwissenschaftlichen Beitrag von Eduard Schwyzer. Berlin/Leipzig 1935. Gnomon 12 (1936) S. 367— 377.

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XII

Inhaltsverzeichnis

3. Galeni In Hippocratis Epidemiarum libros I et II ediderunt Ernst Wenkebach - Franz Pf ff (= Corpus medicorum Graecorum V 10, i), Leipzig 1934. Galeni In Hippocratis Epidemiarum librum III commentaria III edidit Ernst Wenkebach (= Corpus medicorum Graecorum V ίο, 2, i), Leipzig 1936 Gnomon 13 (1937) S. 266—276.

4. Walter M ri: Arzt und Patient bei Hippokrates (= Jahresbericht ber das St dtische Gymnasium in Bern 1936, Beilage), Bern [1936]

164

Gnomon 14 (1938) S. 123—129.

5. Rudolf Blum: La composizione dello scritto ippocrateo Περί διαίτης οξέων, in: Reale Accademia Nazionale dei Lincei. Rendiconti della Classe di Scienze morali, storiche e filologiche, ser. VI, vol. XII, Roma 1936, S. 39—84

170

Gnomon 14 (1938) S. 297—305.

6. Ulrich Fleischer: Untersuchungen zu den pseudohippokratischen Schriften Παραγγελίαι, Περί Ίητροΰ und Περί εύσχημοσύνης (= Neue deutsche Forschungen, Bd. 240, Abt. Klassische Philologie, Bd. 10, Berlin 1939

178

Gnomon 17 (1941) S. 23—32.

7. Max Pohlenz: Hippokrates und die Begr ndung der wissenschaftlichen Medizin, Berlin 1938. Max Pohlenz: Hippokratesstudien, in: Nachr. Ges. Wiss. G ttingen, phil.-hist. Kl., Fachgr. i, N. F., Bd. 2, G ttingen 1937, S. 67—ιοί [= Nr. 4]

188

Gnomon 18 (1942) S. 65—88.

8. Ludwig Edelstein, The Hippocratic oath. Text, translation and interpretation (= Suppl. Bull. Hist. Med., Baltimore, No. i), Baltimore 1943 210 Gnomon 22 (1950) S. 70—74.

9. Emma J. Edelstein and Ludwig Edelstein Asclepius. A collection and interpretation of the testimonies (= Publ. Inst. Hist. Med. Baltimore vol. 2, ι—2), Bd. ι—2, Baltimore 1945. . . .214 Gnomon 22 (1950) S. 130—138. io. Galeni In Hippocratis Epidemiarum lib rum VI commentaria I—VIII ediderunt Ernst Wenkebach - Franz PfafT (= Corpus medicorum Graecorum V io, 2, 2), Leipzig 1940 Gnomon 22 (1950) S. 226—235.

223

Inhaltsverzeichnis

XIII

11. Die anatomischen Schriften in der hippokratischen Sammlung. Die Anatomie. Das Herz. Die Adern. Übersetzt und erläutert von Richard Kapferer in Zusammenarbeit mit Anton Fingerle und Franz Lommer, Stuttgart 1951 234 Gnomon 24 (19^2) S. 520—522.

12. Andre Rivier: Recherches sur la tradition manuscrite du traite hippocratique def. 95 die φύσις als ή διοικούσα το ζώον δύναμις. Dieses διοικεΐν, in π. τροφής 8ο, ι. 82, 15 vorkommend, ist berhaupt ein Lieblingsausdruck der Pneumatiker, vgl. Antyll. ap. Oribas. VI 10, 4 εύδιοίκητος αρμονία, Agathinos, ibid. X 7,13 εύδιοίκητον, Herodot, ibid. 8, 3 διχρκηκώς, [Gal.] 19, 459, def. 468 διοικείται; auch οίκονομεΐσθαι des Athenaios ap. Oribas. libr. ine. 39, 8 kann hierher gezogen werden. Aretaios braucht in demselben Sinn διακονεΐν ιι, 16. 15, 9. 18, 15. Der Begriff der in der Nahrung so gut wie im Organismus wirksamen Kraft, der in δύναμις ausgedr ckt wird, kann als das eigentliche Wesen des Wirkenden seiner durch die Sinne wahrgenommenen Erscheinungsform gegen bergestellt werden. So steht π. τροφής 81, 23 das γλυκύ ες δύναμιν des Wassers dem γλυκύ ες γεϋσιν des Honigs gegen ber. Ebenso unterscheidet Aretaios ιοί, 5 die Beschaffenheit ες αΐσθησιν von derjenigen ες δύναμιν Ι und entsprechend [Gal.] 19, 389, def. 140 δυνάμει und φαντασία bzw. προς την όψιν und δυνάμει 39°> def. 147· Die pneumatische Richtung der Schrift π. τροφής kann damit als erwiesen gelten. Daraus ergibt sich ein sehr sicherer Anhaltspunkt f r ihre Datierung. Es ist ja nicht die erste Schrift des Corpus Hippocraticum, deren Entstehung in hellenistische oder noch sp tere Zeit zu setzen ist. K rzlich hat Karl Deichgr ber18 berzeugend nachgewiesen, da die Παραγγελίαι epikureische und hippokratische Schriften nachahmen und auf jeden Fall schon einen Komplex hippokratischer Schriften als gegeben voraussetzen. Auf Grund dieser Tatsachen, wegen ihrer ethischen berzeugungen und unter Hinweis auf die damals wieder aufgekommene Gewohnheit, jonisch zu schreiben (Arrian, Aretaios), hat Deichgr ber diese Schrift ins 2. Jh. n. Chr. gesetzt19. 18 Hermes 70, 1935, 106 ff. i? Deichgr ber, a. a. O. hat au erdem auch auf den sp ten Charakter der Sprache in den gleichfalls deontologischen Schriften π. Ιητροΰ und jt. εύσχημοσύνης hingewiesen, jt. εύσχημοσΰνης scheint mir sprachlich und gedanklich etwa auf der gleichen Stufe zu stehen wie die Παραγγελίαι; zu der auffallenden bereinstimmung in der epikurisierenden Tendenz vgl. J. F. Bensel, Philologus 78, 1923, 95 ff. Π. ίητροΰ w rde ich dagegen von den beiden ndern Schriften trennen. Die Sprache ist viel weniger geziert, und die Gedankenwelt entspricht paraenetischen Erziehungsschriften des 4. Jh.; vgl. Bensel, a. a. O., 102 ff.; W. M ri, Arzt und Patient bei Hippokrates, 1936, 36 f. 61.

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Eine stoisch-pneumat. Schrif t im Corpus Hippocraticum

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F r π. τροφής ist eine Datierung in diese Zeit des Archaismus und der h chstgesteigerten Hippokratesverehrung nicht m glich. Denn die Schrift ist ja bereits dem Hippokratesglossator Erotian als echt hippokratisches Werk bekannt (S. 9, 16, Nachmanson), an dessen Datierung in neronische Zeit zu zweifeln kein Grund vorliegt20. Dann f llt π. τροφής in die Anf nge der pneumatischen Schule, deren Archeget Athenaios von Attalia in die Zeit des Claudius zu setzen ist21. Da der Verfasser von π. τροφής nicht etwa mit ihm identisch ist, wird man schon aus allgemeinen Gr nden f r wahrscheinlich halten; es ergibt sich aber ganz sicher aus der Abweichung in den Angaben ber die Entwicklung der Leibesfrucht (oben S. 25). Aber zu den unmittelbaren Sch lern des Athenaios wird man ihn rechnen m ssen und die Kerns tze seiner Schrift dem Inhalt nach seinem Lehrer zuschreiben. Dann ergibt l sich f r die Abfassung der Schrift etwa die Mitte des i. Jh. n. Chr. Da Erotian nicht nur f r uns, sondern auch tats chlich einer der ersten, wenn nicht der erste war, der die Schrift behandelt hat, scheint sich auch aus seinem Glossar zu ergeben. In der Liste der glossierten Hippokratesschriften steht dort π. τροφής unter den di tetischen Werken unmittelbar hinter den B chern ber Frauenkrankheiten. Im Glossar selbst sind zwei Erkl rungen auf π. τροφής zu beziehen, n mlich A 148 άχώρ — π. τροφής 8ο, 25 und Ε 83 έξίτηλος ~ π. τροφής 79> 7· Beide Glossen stehen v llig am Ende der Reihe. Im A hat das nichts zu sagen, da die letzten vorhergehenden Glossen sich auf π. γυναικείων beziehen, Glossar und Vorwort also hier zueinander stimmen. Aber im E ist π. τροφής von den der Liste nach zugeh rigen Schriften durch den Presbeutikos abgedr ngt, der nach Erotians Prooimion und nach der sonstigen Ausf hrung durchaus den Abschlu der hippokratischen Schriften bilden sollte22. Hier liegt offenbar keine der sp teren berlieferungen zur Last fallende Verwirrung der Glossen vor, sondern Erotian selbst hat die ihm bekannt gewordene Schrift π. τροφής an einer ihm passend erscheinenden Stelle in die Liste der Hippokratesschriften aufgenommen und dann von sich aus zwei W rter aus ihr am Schlu seines Werkes erkl rt, da er die Schrift bei seinen Vorg ngern23 noch nicht ber cksichtigt fand 24 . Da π. τροφής so schnell, wenn auch nicht widerspruchslos als hippokratisch anerkannt wurde, braucht kaum ein Grund zur Verwunderung zu 20

21 22 23 24

Vgl. zuletzt Wellmann, Hippokratesglossare, Quellen und Studien zur Gesdi. d. Naturwiss. u. Medizin 2, 1931,19. Vgl. Wellmann, Pneumatische Schule 8. Vgl. Nachmanson, Erotianstudien 440. Dazu M. Wellmann, Hippokratesglossare 21 ff. Von Sp teren ist der erste, der sich mit n. τροφής besch ftigt hat, der bekannte Hippokrateskommentator Sabinos (Gell. 3, 16, 8). Auch Soran hat die Schrift gekannt, wenn man das bei Vindicianus Kap. 5 (ed. Wellmann, Fragmente der griech. rzte I 2ii, n) ungenau angef hrte Zitat aus π. τροφής 7 auf ihn zur ckf hren darf (vgl. Wellmann, a.a.O., 7). Auf Diokles von Karystos, wie Vindician vorgibt, geht es jedenfalls ebensowenig zur ck wie seine brigen Hippokrateszitate (gegen Wellmann, a.a.O., 52 ff.; vgl. K. Deichgr ber, Abh. Berl. Akad. 1933, Nr. 3, 160 Anm. 2).

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Eine stoisch-pneumat. Schrift im Corpus Hippocraticum

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sein. Die pneumatische Lehre steht geistig sehr hoch, ihre Verbindung von Medizin und Philosophie, das ernsthafte Auftreten ihrer Repr sentanten und ihr Streben, dem Kranken m glichst umfassend zu helfen (βοηθήματα ist ein beliebter, wenn auch nicht selbst erfundener Buchtitel der Schule), lie en sie zu hohem Ansehen kommen. Zudem konnte der dogmatische Grundzug ihrer Lehren, zumal ihre Ber cksichtigung der Grundqualit ten, l sehr wohl auf Hippokrates zur ckgef hrt werden. Ein Werk der Schule, das, wie sp ter Aretaios, in jonischem Gewand auftrat und zudem in seiner Ausdrucksweise dunkel und allgemein genug gehalten war, konnte sehr wohl als ein zeitgem er Hippokrates zumal von den rzten bereitwillig aufgenommen werden. Deutlich ist das bei Galen, der einerseits die Pneumatiker, zumal Athenaios, bei allem Widerspruch im einzelnen, grunds tzlich mit Hochachtung behandelt25 und andererseits bestimmte S tze aus π. τροφής zur Unterst tzung seines eigenen philosophierenden Hippokratismus besonders gern zitiert26. Dabei braucht der Verfasser von π. τροφής noch nicht einmal bewu t Nachahmung des Hippokrates beabsichtigt zu haben. Es ist ebenso gut m glich, da er seiner Schrift ihre — brigens ziemlich oberfl chliche — jonische F rbung gegeben hat, um damit seine offenbar beabsichtigte Nachahmung des Heraklit zu unterst tzen. Dar ber soll zum Schlu noch ein Wort gesagt werden. Zun chst ist festzustellen, da der heraklitisierende Stil der Schrift vielfach in einer Antithetik begr ndet ist, die auf dem Streben nach Einteilung der Erscheinungen beruht. Gleich der erste Satz, der γένος, είδος, ίδέαι und dazu andere kategoriale Gegebenheiten unterscheidet, ist ein Beispiel daf r. Entsprechend geht es weiter: aus der Aufz hlung ber die Wirkungen der Nahrung wird das όμοιοΰν herausgenommen und dargestellt, wann es zur Wirkung kommt: wenn die hineingehende Nahrung die Oberhand gewinnt, die vorher vorhandene berwunden wird. Aus dieser Zweiheit wird das έπικρατεΐσθαι herausgegriffen und festgestellt, da bisweilen die fr here, bisweilen die sp tere Nahrung im K rper zum .Verschwinden gebracht wird. Jedenfalls setzt sich aber diesen momentanen Abweichungen gegen ber die dauernd von au en zugebrachte Nahrung durch, l t ihre eigene Art zur Entwicklung kommen und verdr ngt die fr here, manchmal auch die fr heren. Der ganze Gedankengang wird in Dichotomien entwickelt, in denen alle denkbaren M glichkeiten zur Darstellung kommen sollen. Und wo es sich nicht um Dichotomien handelt, steht doch das Prinzip der Einteilung ber allem; auch die dauernde Unterscheidung von Teil und Ganzem l geh rt hierher. Dem liegt der von Chrysipp berkommene Einte ungs- und Definiertrieb zugrunde, der in allen u erungen der Schule hervortritt27 und es auch 25 Vgl. Wellmann 9, Anm. 10. Vgl. oben S. 17 mit Anm. 2. 27 Vgl. Wellmann 132.

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Eine stoisch-pneumat. Schrift im Corpus Hippocraticum

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nicht als Zufall erscheinen l t, da eine ganz in Definitionen gehaltene Darstellung der Medizin wie die pseudo-galenischen "Οροι im wesentlichen aus pneumatischem Schulgut aufgebaut werden konnte. Wenn der Pneumatiker Agathinos sich gegen diejenigen wandte, die „alles mittels Definitionen lehren" wollten (Gal. 8, 719. 749; vgl. Wellmann 12, Anm. 8), so hat er damit eine besondere Gefahr seiner eigenen Schule bek mpft, der er nach Galen, a. O. 749, auch selbst verfallen ist. Damit ist der Heraklitismus von π. τροφής aber noch nicht vollst ndig erkl rt. Er besteht ja gerade darin, die unterschiedenen Gegens tze in einer h heren Einheit zusammenzufassen, die in der φύσις und der sie durchwaltenden δύναμις gefunden wird. Es handelt sich da nicht um ein rein dialektisches Spiel mit Begriffen, sondern um eine sachlich begr ndete berzeugung. Am bezeichnendsten bleibt die Stelle, an der wir zuerst die stoische Grundlage von π. τροφής erkannten (81, 3 ff.): „Die Nahrung kommt von drinnen bis in die u erste Oberfl che des K rpers, sie kommt von drau en aus der u ersten Oberfl che ganz nach innen. Ein Zusammenstr men, ein Zusammenatmen, alles steht in Sympathie zueinander, im ganzen des Organismus alles, im Teil wirken die darin befindlichen Teile zu gemeinsamem Werk zusammen. Gro er Anfang kommt zum u ersten Teil, vom u ersten Teil kommt es zum gro en Anfang zur ck, Sein und Nichtsein ist eine Natur." Da hier heraklitisiert wird, ist deutlich; aber dieser Heraklitismus ist nicht die Flu lehre der Herakliteer, mit der Platon sich auseinandersetzte, er garantiert auch nicht wie die ltere Stoa die Einheit der Teile in einem Ganzen, indem er die einheitliche materielle Erf lltheit des Ganzen durch das Pneuma ausspricht, sondern er vergewissert sich dieser Einheit durch die st ndige Beobachtung an den Erscheinungen, am Zusammenwirken von Innen und Au en, von Teil und Ganzem, von Ausdehnung und Zusammenziehung. Diese dynamische Heraklitdeutung scheint mir, mit einem Wort, die des Poseidonios zu sein, wenn man dabei, wie billig, in Anschlag bringt, da in π. τροφής die ganze Aufmerksamkeit sich dem Mikrokosmos zulwendet 28 . Poseidonios' Sympathiebegriff liegt hier vor, nicht der auf vereinzelten Beobachtungen beruhende fr herer Zeit 29 . Im Sinn der poseidonischen Lehre vom Kreislauf der Nahrung im Kosmos zitiert der Verfasser 84, 3 das Heraklitwort οδός άνω κάτω μία, kurz bevor er davon spricht, da dasselbe nimmt und gibt, dem einen nimmt und dem ndern gibt30. Auf Poseidonios 28 29

30

Zur Heraklitdeutung vgl. K. Reinhardt, Kosmos und Sympathie, 198 f., 248 f. ber die Einheit im Mikrokosmos derselbe, Poseidonios 343 £E. Vgl. Reinhardt K. und S., 51 ff. Gerade diese Stelle wird von Galen besonders gern als „hippokratisch" zitiert, vgl. Galen, de nat. facult. S. 122. 129 Helmreich, X 16 K hn und Reinhardt, K. und S., 55. Zu dem seltenen Ausdruck σύρροια ist σύρρους als poseidonisch belegt, vgl. W. Theiler, Die Vorbereitung des Neuplatonismus, 1930, 117. In dem Gegensatz κατά ούλομελίην-κατά μέρος ist der poseidonische Gegensatz von μέλος und μέρος hinsichtlich ihrer συνεργία im Ganzen eingeschlossen (vgl. Theiler, a.a.O. 116). Reinhardt, P., 200. K. und S. 107.

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Eine stoisdi-pneumat. Schrift im Corpus Hippocraticum

geht audi die Lehre von der ζωτική δύναμις zur ck, die 82, 16 vertreten wird31, auf ihn wahrscheinlich die Lehre von der Zusammenziehung der Seele im Schlaf, von ihrer Ausdehnung im Wachen32. Aus diesen Hinweisen sehen wir zugleich, da der poseidonische Einschlag in π. τροφής nicht die Privatangelegenheit des Verfassers ist. Die Lehre von Schlaf und Wachen und die von der ζωτική δύναμις sind ja, wie wir sahen (oben S. 26), die pneumatischen, und der Verfasser steht in beiden F llen der Lehre der Schule n her als dem Poseidonios 33. Wir kommen auch noch auf einem anderen Wege zum Nachweis von Beziehungen zwischen Poseidonios und der pneumatischen Richtung. Reinhardt hat gezeigt, da die Beschreibung der seelischen Begleiterscheinungen des καύσος bei Aretaios, 24, 2 ff. von Poseidonis abh ngig ist34. Auch diese Abh ngigkeit werden wir jetzt auf die Vermittlung durch die pneumatische Schule zur ckf hren, l Es ist gewi nicht die reine Weltanschauung des Poseidonios, die der pneumatischen Lehre zugrunde liegt, sondern es steckt viel vom Geist der orthodoxen Stoa, vor allem des Chrysipp in ihr, wie schon Galen bemerkt hatte35. Die Schule ist in ihrer philosophischen Grundlegung ebenso eklektisch vorgegangen, wie sie sich nicht gescheut hat, medizinische Lehren des philosophisch ganz anders orientierten Asklepiades aufzunehmen36. Da aber der Schwung der poseidonischen Weltansicht viel dazu beigetragen hat, auf stoischer Grundlage ein neues System der Medizin aufbauen zu lassen, vermag gerade die Schrift π. τροφής zu zeigen.

31 Reinhardt, P., 225. 356. 32 Reinhardt, P., 437. 33 Es werden lediglich ζωτική δύναμις und αισθήσεις einander gegen bergestellt, wo bei Poseidonios ein viel komplizierterer Aufbau besteht (Reinhardt, P., 352 ff.), und die Lehre von Schlaf und Wachen wird nur bis an die Grenzen des menschlichen Organismus verfolgt, nicht dar ber hinaus in den Makrokosmos wie bei Poseidonios (Reinhardt, P., 437 ff. K. u. S., 194ff.). 34 P., 460 ff. K. U.S., 218.322. 35 Vgl. Wellmann, Pneumatische Schule 132. 36 Vgl. oben S. 24 Anm. 15.

DIE LEHRE VOM BLUTKREISLAUF, EINE VERSCHOLLENE ENTDECKUNG DER HIPPOKRATIKER? >

1938 Es hat immer etwas Verlockendes, Lehren, die in unsern Tagen allgemeine Geltung besitzen, schon in alter Zeit, sei es in Andeutungen, sei es in deutlichen Worten, ausgesprochen zu finden. Besonders wird man solche Lehren innerhalb von Kulturen zu finden hoffen, die uns innerlich nahestehen und von denen ein derartiges geistiges Vorl ufertum uns auch sonst bekannt ist. Von den Griechen wissen wir, da das heliozentrische System in hellenistischer Zeit bei ihnen entdeckt wurde, dann aber wieder in Vergessenheit geriet. Wenn sich nun zeigen sollte, da ihnen auch die Lehre vom Blutkreislauf im Sinne Harveys schon bekannt war, so k nnte diese Feststellung sich auf jene allbekannte historische Parallele berufen 2 . In der Tat wurde, nach fr heren mehr gelegentlichen Behauptungen, diese These in letzter Zeit mit allem Nachdruck vertreten und Gegenstand einer lebhaften Diskussion. Richard Kapferer hat im Hippokrates 8, 197, 697 ff. 3 durch Hinweis auf einige Stellen der hippokratischen Schriften περί καρδίης, περί όστέων φύσιος und περί τροφής beweisen wollen, „da der Blutkreislauf bei Abfassung der hippokratischen Schriften . . . bereis aufs genaueste bekannt war". Dieselbe Ansicht hat er in Teil 16 seiner Hippokrates bersetzung ausgesprochen 4, wo S. 59/70 die Schrift περί καρδίης bertragen ist. Er hat dann Unterst tzung gefunden durch Georg Sticker, der in der M nch. med. Wschr. 85, 1938, 258 ff., 282 ff. und fast gleichlautend in l Teil 15, 9/35 von Kapferers Hippokrates5 gelegentlich seiner bertragung von π. όστέων φύσιος eine Abhandlung „Zur Geschichte des Blutkreislaufs" gab. Widersprochen hat Paul Diepgen in der Klin. Wschr. 16, 1937, 1820 ff.6, insbesondere durch Interpretation der fraglichen Stellen aus π. καρδίης und π. 1 F r Nachweis und Beschaffung von Literatur, die f r diesen Aufsatz wichtig war, bin ich den Herren v. Brunn-Leipzig und Diepgen-Berlin zu Dank verpflichtet. 2 " ber entsprechende Hineindeutungen der neuzeitlichen Blutkreislauflehre in die alte indische Medizin handelt Reinhold F. G. M ller, Janus 41, 1937, 261 ff. 3 Zitiert als Kapferer I. + Zitiert als Kapferer II. 5 Nach dieser Fassung zitiere ich im folgenden. 6 Ich zitiere die Seitenzahlen des Sonderdruckes unter Diepgen I.

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mit vorläufigen Bemerkungen weitergeführt worden. Beide verweisen auf noch ausstehende weitere Ausführungen, Kapferer auf ein Beiheft über die . Inzwischen ist die Kontroverse von Kapferer7 und Diepgen8 Schrift „Die Natur der Knochen", das mit Teil 19 seiner Hippokratesübersetzung zur Auslieferung gelangen wird, Diepgen auf einen Aufsatz, der in der Münch. med. Wschr. erscheinen soll. Unabhängig von dieser Kontroverse erschien im Janus 41,1937, 225 ff. ein Aufsatz von Julius Wiberg über die antiken Lehren vom Herzen. Wiberg lehnt für . und den größten Teil der griechischen Medizin die Kenntnis des Blutkreislaufs ab, findet sie aber angedeutet in einer Äußerung der Schrift . , ähnlich 9 10 wie vor ihm schon Littre und Fredrich sowie, sehr viel vorbehaltloser, Gossen n. In der gegenwärtigen Diskussion sind bisher die historisch interessierten Mediziner zu Wort gekommen, nicht die Philologen. Der Philologe, der sich zu dieser Frage äußert, darf zunächst mit Dank feststellen, wieviel Tatsächliches durch die medizinische Interpretation der in Frage stehenden Schriften geklärt worden ist, und die Hoffnung aussprechen, daß die weitere Diskussion noch mehr solche Klärungen bringen wird. Er wird sich immer bewußt bleiben müssen, daß die Identifikation hippokratischer Tatbestände mit solchen der modernen Medizin nicht seine Sache ist, sondern daß er sie den Ärzten zu überlassen hat. Er hat nur die Möglichkeit, damit aber auch die Pflicht, zwei Prüfungen an den Thesen der Medizinhistoriker vorzunehmen: er muß fragen, ob die gemachten Identifikationen sprachlich überhaupt durchführbar sind und ob sie sich in ein mögliches Bild griechischer Geistesund Wissenschaftsgeschichte einordnen lassen. Zur ersten Frage fühlt er sich gedrungen, etwas Grundsätzliches zu sagen, weil im Lauf der Diskussion von einer Seite Prinzipien geäußert worden sind, die seine Bedenken erregen. Auf die Forderung von Diepgen I 2, man müsse den griechischen Text ganz unbefangen, unter Ausschaltung der modernen Kenntnisse von den Dingen, wortgetreu übersetzen, stellt Kapferer III 252 fest, „daß die Schwierigkeiten erst dann beginnen, wenn die wörtliche Übersetzung gedeutet werden soll". Während der Zusammenhang bei Diepgen darauf führt, daß er unter „wortgetreuer Übersetzung" ein Verdeutlichungsmittel für eine dem Text kongruente Interpretation versteht, gewinnt bei Kapferer die „Übersetzung" eine bedenklich selbständige Bedeutung. Das zeigt sich auch in der häufigen Berufung auf seine eigene Übersettung12, als auf eine Autorität, die doch gerade in Frage steht. Selbstverständ7 8 9 10 "

Hippokrates 9, 1938, 251 S. Zitiert als Kapferer III. Hippokrates 9, 1938, 385 f. Zitiert als Diepgen II. Oeuvres d'Hippocrate i, 1839, 222 f. Hippokratische Untersuchungen (= Philologische Untersuchungen 15), 1899, 65. Pauly-Wissowa, Realencyklopädie der classischen Altertumswissenschaft VIII, 1913, 1836 f. Über Gossens inzwischen geänderte Ansicht von der Sache vgl. Diepgen I, 12. 12 Hieran ist so viel berechtigt, daß Diepgen Kapferers Übersetzung als ein neues Hilfsmittel der Interpretation neben der wirklich sehr schlechten Übersetzung von Fuchs

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lieh kann niemals eine bersetzung, sondern immer nur der Text selbst „gedeutet" werden. Ich teile auch Diepgens Bedenken gegen die zahlreichen Zus tze, die Kapferer in seiner Hippokrates bersetzung anzubringen pflegt. Soweit es sich um Beif gung moderner medizinischer Termini handelt, durch die einzelne hippokratische Tatbest nde in die Sprache moderner Medizin bersetzt werden sollen, l t sich grunds tzlich nichts dagegen einwenden; im einzelnen kann nur der Mediziner beurteilen, wieweit die Erl uterung zutrifft. Bedenklicher ist es, wenn die Zus tze geschlossene Vorstellungskomplexe der alten Lehren in entsprechende Vorstellungen des modernen Systems umsetzen oder sie aus dem modernen Wissen heraus erg nzen. Ebenso gef hrlich ist es schlie lich, wenn in erkl renden Anmerkungen gewisse u erungen der bersetzten Schrift durch Anf hrung von Stellen aus ndern Schriften in das Ganze eines eigent mlichen „hippokratischen" Systems einbezogen werden sollen. Gewi gibt es Begriffe und Vorstellungen, die so zentral im Corpus Hippocraticum stehen, da man sie zum Gegenstand einer systematischen Untersuchung machen kann, ohne nach den Verfassern der einzelnen Schriften zu fragen: man braucht nur an den Begriff der Physis zu erinnern, wie er auf medizinischer Seite von Bier13, auf philologischer zuletzt von Nestle14 untersucht worden ist; andere Vorstellungen aus dem Bereich der hippokratischen Berufsproblematik hat W. M ri 15 behandelt. Aber die Vorstellungen m ssen wirklich zentral sein; was Kapferer zum Beleg anf hrt, sind oft die vielfach wechselnden, individuell oder schulm ig variierten Theoreme, und zwar gerade aus so peripheren Schriften wie π. διαίτης, π. φυσών oder gar π. τροφής. Da diese Schriften sich mit der auch wieder auf einer ganz bestimmten theoretischen Grundlage ruhenden π. καρδίης zu einem System zusammenschlie en lassen, ist von vornherein sehr zweifelhaft. Doch das f hrt schon in die Fragen der Wissenschaftsgeschichte hinein. Bleiben wir zun chst beim Sprachlichen, bei der Einzelinterpretation, vor allem von π. καρδίης, in zweiter Linie auch von π. οστέων φύσιος. Die Schrift π. τροφής, die Kapferer I noch heranzog, hat schon Diepgen I 2 aus der Diskussion ausgeschaltet. In der Tat ist die von Kapferer I 699 angef hrte Stelle h tte heranziehen sollen. Auch ist ihm Kapferer in Textgestaltung und Interpretation einzelner Stellen von π. καρδίης zuweilen dadurch berlegen, da er neben der Ausgabe von Littre (9, 80 ff.) die wertvolle Behandlung der Schrift durch Unger, Mnemosyne N. S. 51, 1923, i ff. herangezogen hat. Doch betrifft dies keine der Stellen, die f r die Grundauffassung der Schrift von entscheidender Bedeutung sind (vgL u. S. 33 f.). " M nch. med. Wschr. 1930. 1931. Quellen u. Studien z. Gesch. d. Naturw. u. d. Med. 3, 1933» 5i ff· 14 Hermes 73, 1938, 8 ff. 15 Arzt und Patient bei Hippokrates, Beilage zum Jahresbericht des Stadt. Gymnasiums in Bern, 1936.

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aus Kap. 23 der Schrift so allgemein gehalten, da niemand es unternehmen kann, sie insbesondere auf den Blutkreislauf zu beziehen16. Bei der Behandlung von π. καρδίης und π. όστέων φύσιος im einzelnen kann ich mich verh ltnism ig kurz fassen, da vieles von Diepgen schon zutreffend dargestellt worden ist. Sicher ist die Auffassung, die sich Kapferer vom Verh ltnis der Lunge zum Herzen in der Schrift π. καρδίης gebildet hat, nicht richtig. In Kap. i ist, einerlei ob wir mit Littre διορροΐ oder — gewi richtiger — mit der berlieferung διουρεϊ lesen, auf jeden Fall davon die Rede, da das Herz Fl ssigkeit unmittelbar aus der Lunge l zieht und sie dann in den Herzbeutel „wie Urin" durchfiltriert17. Nach Kapferers bersetzung: „Diese Fl ssigkeit schwitzt durch diese H lle (d. h. den Herzbeutel) hindurch, das Herz saugt sie an" usw. l t sich der Schlu satz des ersten Kapitels im Griechischen gar nicht konstruieren, da καρδίη nicht nur zu den folgenden Partizipien, sondern ebensogut zum Hauptverbum διουρεΐ Subjekt sein mu . Daraus ergibt sich weiter, da von Kap. 2 Ende τοϋτο δε το ύγρόν απάγει του πνεΰμονος bis zum Ende des ersten Satzes in Kap. 3 έα das Herz Subjekt ist18, da hier die Ausf hrungen von Kap. i wieder aufgenommen und weitergef hrt werden. Man braucht sich nicht in die sprachlichen Schwierigkeiten zu begeben, die entstehen, wenn man mit Littre und Diepgen zun chst die Fl ssigkeit, dann die Atemluft als Subjekt annimmt. Ganz gewi darf man nicht mit Kapferer im ersten Satz von Kap. 3 die Lunge als Subjekt ansetzen, da die Funktion der Lunge hier nur insoweit interessiert, als sie es ist, die zugleich mit der Atemluft auch Fl ssigkeit an das Herz vermittelt. Diese Funktion wurde in Kap. 2 ausf hrlich beschrieben; jetzt m ssen wir erfahren, was das Herz mit Atemluft und Wasser anf ngt, die es von der Lunge erhalten hat. Insofern hat Diepgen vollst ndig recht, wenn er I 3 Anm. 5 bemerkt: „Kap. 3 m te dem Sinn nach unmittelbar auf Kap. i folgen." Es wird also trotz Kapferers Protest hier tats chlich gesagt, da Fl ssigkeit direkt aus der Lunge in die Herzh hle eindringt und erst von dort in den Herzbeutel gelangt; dem διουρεΐ von Kap. i entspricht άποπτύει von Kap. 3. 16 Ich f hle midi zur Fernhaltung der Schrift um so mehr verpflichtet, als ich sie f r pneumatisch und damit f r in der fr hen Kaiserzeit entstanden halte (vgl. Sudhoffs Arch. Gesch. Med. Naturw. 29, 1936, 178 S.). Da ich mit dieser Auffassung Widerspruch gefunden habe (vgl. M. Pohlenz, Nachr. Ges. Wiss. G ttingen, Phil.-hist. KL, N. F. II 4, 1937, 99, Anm. i), so mu ich hoffen, auf die ganze Frage noch einmal zur ckkommen zu k nnen. 17 Das Herz hat diese Fl ssigkeit um sich, δκως θάλλεται φωσκτμιένως εν φυλακή. So liest V. Daf r hat Kapferer 63, Anm. 2 die schlagende Verbesserung von Kind gesetzt οκως θρώσκη μεν ως εν φυλακή, αλλεται, als Erkl rung zu θρώσκη zugeschrieben, ist unter Sprengung dieses Wortes in den Text geraten. hnlich hat schon Vollgraff die berlieferung erkl rt, daraus aber merkw rdigerweise auf αλληται als das Urspr ngliche geschlossen (Unger, a. a. O. 64). is Vgl. Unger, a. a. O. 70, der auch darin recht hat, da der letzte Satz von Kap. 2 zu Kap. 3 gezogen werden mu .

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Ich gehe gleich auf das Verh ltnis von Herz und Lunge in den letzten Kapiteln ein. Auch hier hat Diepgen gegen ber Kapferer das Richtige gesehen. Das n chstgelegene Gef (εκ της εγγιστα δεξαμενής Kap. 11), aus dem die linke Herzkammer sich ihre Nahrung verschafTt, ist nicht die Lunge (Kapferer); sie kann hier nicht im Ernst als Blutgef betrachtet werden, vielmehr hei t es gleich in Kap. 12, da die rechte Herzkammer der Lunge Blut zur l Ern hrung spendet. Es ist aber auch nicht die rechte Herzkammer (Unger 95), was den Zusammenhang der Gedanken unterbrechen w rde, sondern wie Diepgen I 7 gesehen hat, die als μεγάλη άρτηρίη bezeichnete Aorta, die nach dem Herzen hin verschlossen ist, damit das in ihr aus dem Leib kommende Blut als τροφή ούχ ηγεμονική nicht in die linke Kammer eindringen kann, sondern nur seine „lichtartige Ausd nstung", die die linke Kammer, der Sitz der γνώμη, mit ihren Strahlen aus jenem Blut herauszieht, wie die Sonne mit ihrer W rme sich Nahrung aus der Erde zieht19. Der Ausdruck δεξαμενή, der f r die Ader an sich nicht seltsamer ist als άγγεΐον, ist auch f r Demokrit Vors. II5 68 B 135 belegt. Selbstverst ndlich kann sich auch im n chsten Satz έπ' αυτήν nur auf die gro e Arterie beziehen, nicht auf die Speise, die ja eben vorher durch das Neutrum σιτίον ausgedr ckt wird. Ohne weiteres kann ich Diepgen I 8 auch beistimmen in der Beurteilung von Kap. 12, wo es hei t, da die aus der rechten Herzkammer f hrende Ader nach der Lunge hin sich ffne, um ihr Blut zur Ern hrung zu spenden, w hrend sie sich nach dem Herzen hin schlie e, allerdings nicht ganz fest, damit doch etwas Luft ins Herz kommt. Es ist hier von dem Verschlu der rechten Herzkammer die Rede, der den Weg zur Arteria pulmonalis hnlich verschlie t wie der in Kap. n behandelte den zur Aorta. Die Darstellung ist in deutlicher Parallele zu Kap. n gehalten. So m ssen wir den Verschlu , von dem der Verfasser spricht, hier ebenso wie dort in der Herzkammer ansetzen, nicht etwa in der Lunge (Kapferer II 70. III 253). Ohne Zweifel ist dies der zweite Verschlu aus dem „Paar" der Klappen, von denen der Verfasser in Kap. 10 spricht. Damit kommen wir zu der Frage, deren Beantwortung in erster Linie entscheidend ist f r die Feststellung, ob π. καρδίης eine Vorstellung vom Blutkreislauf gehabt hat oder nicht. Kapferer und Sticker nehmen an, da in Kap. 10 nicht nur die Semilunarklappen, sondern auch die Cuspidalklappen beschrieben werden. Hier mu der Philologe selbstverst ndlich ganz besonders dem Mediziner die F hrung berlassen, da er sonst in der Beurteilung des Tats chlichen schwere Fehler begehen k nnte. Aber es gibt sprachliche Momente, die zu einer eindeutigen Entscheidung verhelfen k nnen. Auch dies hat Diepgen I 6 schon richtig dargestellt, wenn er schreibt: „Bei l seiner Beweisf hrung . . . bersetzt (Kapferer) δε mit ,ferner'. Das ist unrichtg. Man kann δε nicht mit ,ferner* bersetzen; denn dadurch entsteht der Eindruck, als k me etwas 19 Diese Vorstellung von der Sonnennahrung ist im vorsokratischen Denken verbreitet, vgl. Diogen. Apoll. Vors. II, 64 A 17. Demokrit 68 B 25.

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Neues, w hrend es nur die Fortsetzung des Satzinhaltes bedeutet." Das ist ganz einwandfrei, und Kapferer hat sehr zu Unrecht den Satz „Man kann δε nicht mit ,ferner' bersetzen" aus dem Zusammenhang gerissen und verspottet. Denn eben durch dieses εστί δε αυτών λεΰγος ist eindeutig klargestellt, da in Kap. 10 nur ein Paar von Klappen beschrieben wird und da mit den άρχαί im zweiten Absatz bei Kapferer und den στόματα im dritten dieselben ffnungen gemeint sind20. Danach kann es sachlich nicht mehr entscheidend sein, ob man in Kap. 7 in der Wendung δισσά στόματα επί δυσί γαστέροιν das Wort δισσά distributiv versteht oder nicht. Auch wenn man „je zwei" verstehen wollte, so k nnten au er den in Kap. 10 beschriebenen ffnungen noch die in Kap. 9 beschriebenen Vermittler der Herzatmung gemeint sein, die auch Diepgen in seiner Abb. 3 aufgenommen hat. Aber es besteht alles andere als ein sprachlicher Zwang, δισσά distributiv aufzufassen, wenn noch ein Zahlwort dabei steht; ganz entsprechend finden wir Aeschyl. Agam. 122 δύο ?_ήμασι δισσούς Άτρεΐδας das Wort δισσοί in der Bedeutung „zwei". In π. καρδίης h tte sich die Bedeutung, die Kapferer in dem Wort findet, unmi verst ndlich durch die Wendung δισσά στόματα εφ' εκάστη γαστρί ausdr cken lassen. Es zeigt sich also, da in der Schrift π. καρδίης keine anatomischen und physiologischen Feststellungen getroffen werden, die eine Lehre vom Blutkreislauf begr nden oder voraussetzen. Das Herz ist zwar ein Blutreservoir, aber nicht Zentrum eines zu und von der Peripherie sich vollziehenden Blutumlaufs. Seine Bedeutung liegt darin, da es Sitz der Intelligenz und der eingeborenen W rme ist, die von der Lunge aus abgek hlt wird. Diesem physiologischen System ordnet sich auch die Anschauung vom Verlauf der Adern unter. Unabh ngig von Diepgen I 10 hat das auch Wiberg a. a. O. 239 festgestellt. Diesen grunds tzlichen Feststellungen gegen ber sind einige Irrt mer von Diepgen, auf die Kapferer III 252 hinweist, f r das grunds tzliche Verst ndnis der Schrift von geringerer Bedeutung. Seine Beanstandung der bersetzung von φλεβία Kap. 9 durch „kleine Blutgef e" hat Diepgen II 386 selbst zur ckgenommen. Sicher recht hat Kapferer, wenn er Kap. 4 επί στόμα gegen Diepgen als „mundw rts" = „ventral" deutet; Ma20 Der Zusatz von πέρας an der zweiten Stelle macht auf jeden Fall sprachliche Schwierigkeiten; Unger 94 schl gt daf r πύλας, Diepgen πέραν vor. — Nicht einverstanden kann ich mich damit erkl ren, da Sticker, 26 ff. das in diesem Zusammenhang vorkommende Wort άορταί (und hnlich auch άρτηρίη) mit „Heber" bersetzt, αορτή hei t im 4. Jahrb., abgesehen vom medizinischen Gebrauch, auch ein Kleidersack, der ber die Schultern geh ngt wird (Pollux 7, 79; ίο, 139). Wie in άρτηρίη, wo es die Ableitung von άρτασθαι ja an die Hand gibt, wurde also auch in αορτή das „Geh nge" empfunden; das Wort ist passivisch, nicht aktivisch zu verstehen. Und auch in einem Nomen agentis zum Verbum άείρω wie άορτήρ (Wehrgehenk, Tragriemen) wird das „In der H he halten", nicht das Heben zum Ausdruck gebracht. Entsprechend wird z. B. in der Adernbeschreibung in π. όστέων φύσιος von der Situation der Adern neben h ufigem άρτασθαι einmal auch (Kap. 15, 9, 188 L.) ένήρται gebraucht. Die Bedeutung, die Sticker in dem Wort findet, w rde viel eher durch ein Substantiv zum Verbum έλκω ausgedr ckt werden.

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terial f r diesen Sprachgebrauch gibt Unger 74. Problematisch ist die Deutung von Kap. 6 την λαιήν έσπνέουσαν άκρήτου. Littre" und Kapferer nehmen an, da mit άκρήτου die reine Luft gemeint sei; Diepgens bersetzung „untemperierte Massen" ist unklar. Unger 79 m chte statt der Luft die unvermischte W rme verstehen, von deren άκρασίη gerade vorher in Kap. 5 die Rede ist; entsprechend wird in Kap. 12 von der Schw chung der W rme durch κρήμα ψυχρού gesprochen. Das εμφυτον πυρ mit dem Epitheta der Reinheit und Unvermischtheit zu belegen, pa t ja auch besonders gut in die Anschauungen der Schrift, die dieses eingeborene Feuer mit der γνώμη gleichsetzt. Auch wird man die st rkere Zerfressenenheit der linken Herzkammer eher dem Feuer als der reinen Luft zuschreiben. Aber gegen diese Deutung ist έσπνέουσαν ein un berwindliches Hindernis; denn die linke Herzkammer atmet Feuer nicht ein, sondern birgt es in sich. Unger a. a. O. ndert daher in έμπλέουσαν und gewinnt damit ein freilich nur noch einmal belegtes Verbum; vielleicht w rde [έσ]πνέουσαν gen gen; „die linke Kammer, die reines Feuer atmet", mit der bekannten erweiterten Bedeutung von πνέω mit dem Genetiv. Solche problematischen Stellen gibt es in π. καρδίης noch mehr. Es darf nicht der Eindruck entstehen, als sei die Schrift in allem voll verstanden, weil gl cklicherweise die wichtigsten auf die Anatomie des Herzens bez glichen Stellen sich klar deuten lassen. Die berlieferung der Schrift ist schlecht, die Sprache schwierig: so ergeben sich zahlreiche Unklarheiten. Manches hat vor allem die Bearbeitung von Unger gekl rt; ich verweise z. B. auf seine Behandlung von Kap. 5 a. a. O. 77 ff. Ganz sicher ist in Kap. 5 der linke Herzventrikel, nicht das Herz als Ganzes gemeint. Auch am Ende von Kap. 3 scheint mir Ungers bersetzung S. 57 das Richtige getroffen zu haben; da er aber keine Erkl rung dazu gibt, so m chte ich kurz auf die Frage eingehen. Es hei t dort: Wind und Wasser im rohen Zustand k nnen keine Nahrung f r den Menschen sein, αλλά μάλλον τιμωρίη ξυγγενέος πά·&ης. Die letzten Worte bersetzt Littre mit secours pour un mal congenital, Kapferer entsprechend mit „Unterst tzung eines verwandten Leidens", ohne da seine Erkl rung II 64 Anm. 12 befriedigen k nnte, da sie ganz aus dem Gedankengang unserer Schrift herausf hrt. Unger bersetzt: „immo vero medela sunt mali innati", und daf r sprechen in der Tat Ausdrucksweise und Gedankengang der Stelle, τιμωρίη meint dasselbe wie am Anfang des Kapitels ·θεραπείη; entsprechend wird z. B. π. διαίτ. όξ. ι, ι8 τιμωρίαι f r die Behandlung von Krankheiten (Di t) gebraucht. Hier ist die ξυγγενής πάύ^η freilich keine Krankheit, sondern ebenso wie in Kap. 9 der qualitative Zustand des Herzens, wie er ihm angeboren ist. Dieser mu durch Luft und Wasser richtig temperiert werden. Entsprechend bezeichnet Plat. Tim. 70 a die Lunge als επικουρία f r das Herz, weil sie durch Aufnahme von Atemluft und Getr nk dem Herzen αναπνοή ν και ραστώνην εν τω καύματι bietet. Daf r sind Luft und Wasser in ihrem Rohzustand gut; ern hren k nnen sie die menschliche Physis freilich nicht.

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In . sind die Meinungsverschiedenheiten über den Wortverstand des Textes nicht so groß, vor allem nicht so folgenschwer. Ich sehe allerdings nicht, wie man den Einwendungen von Diepgen I 8 f., daß in Kap. 2 durch „Quelle" statt durch „Ausgang" und Kap. 13 durch „mit vielen Mündungen" statt durch „mit weiter Mündung" zu übersetzen sei, entgehen kann. Im letzteren Fall ergibt sich etwas sachlich Abweichendes, im ersteren wenigstens eine andere Nüancierung der Anschauung des Verfassers. Wirklich wichtig für unsere Frage ist aber aus der Schrift nur die vielzitierte Äußerung in Kap. n (9, 182 L.): „Die Adern ergießen sich durch den Körper und spenden ihm Atem, Durchflutung und Bewegung. Von einer entsprießen viele, und woher die eine beginnt und wo sie endet, das weiß ich nicht; denn wo ein Kreis ist, kann man einen Anfang nicht finden. Ihre Abzweigungen aber, woran sie hängen und wo im Körper sie enden, und wie die eine mit ihnen zusammenhängt und wo im Körper sie ausgespannt sind, das will ich darlegen." Diese Stelle, insbesondere der Ausdruck vom Kreis, der darin gebraucht wird, hatte schon l Littre, Fredrich und Wiberg veranlaßt, hier eine Andeutung der Kreislauflehre zu finden. Wie es damit steht, kann hier weniger aus einer direkten Interpretation der einzelnen Worte erschlossen werden21 als aus dem Versuch, die Aderlehre der Schrift oder wenigstens des Teils, in dem die angezogenen Worte stehen, in ihren geschichtlichen Zusammenhang zu stellen. Hier wird man sich vor allem mit dem Bild auseinanderzusetzen haben, das Sticker von der Geschichte des Kreislaufproblems bei den Griechen entworfen hat. Nach ihm ist die Ansicht, die Harveysche Lehre sei eine ganz neue Entdeckung, dadurch entstanden, daß Harvey selbst sich auf Galen und Aristoteles bezog, von denen der letztere durch seine (irrige) Behauptung, er habe als erster die Bedeutung des Herzens erkannt, den Blick auf die ältere griechische Medizin versperrt habe. Auch als man sich dann näher mit den großartigen Leistungen der Hippokratiker zu befassen begann, sei man doch immer noch zu sehr von Aristoteles beeinflußt gewesen, so daß Littre alle die hippokratischen Schriften, die Kenntnis von der Bedeutung des Herzens zeigten, in nacharistotelische Zeit setzte. Die Überzeugung von den geringen anatomischen Kenntnissen der Hippokratiker habe man zu Unrecht mit der Behauptung begründet, jene Ärzte hätten nicht seziert. Ich möchte gleich betonen, daß ich in eine Erörterung der letztgenannten Frage nicht eintreten werde, weil ich sie bei dem uns zur Verfügung stehenden Material für unfruchtbar halte. Da uns absolut sichere Zeugnisse über Anwendung der Sektion im Altertum nur für die hellenistische Zeit vorliegen22, so unterliegt man bei Erörterungen über die ältere Zeit zu leicht der Gefahr des Zirkelschlusses: wer gewisse Beschreibungen für vorzüglich hält, wird geneigt sein, sie auf Sektion zurückzuführen, wer Unvoll21 Zur Bedeutung von vgl. Diepgen I, n und unten S. 217. 22 Vgl. Celsus, CML I 21,14 ff.

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kommenheiten zu sehen glaubt, wird das Fehlen von Sektionen daf r verantwortlich machen. Bleiben wir also bei dem, was die alten Texte uns selbst ber die Entwicklung der gef anatomischen Kenntnisse aussagen. Sticker gibt zun chst wieder, was Aristoteles ber seine Vorg nger berichtet, die die Adern vom Kopf ausgehen lie en 2i , dann l die eigene Lehre des Aristoteles. Er betont richtig, da Aristoteles nicht ausschlie lich aus sich selbst heraus die beherrschende Rolle des Herzens erkannt hat, sondern da schon Platons Timaios eine wichtige, vielleicht sogar eine h here Stufe dieser Erkenntnis bilde. Nach einem Hinweis auf Diokles von Karystos, den Sticker noch als Platons Zeitgenossen ansetzt, sieht er in der Lehre des Praxagoras von Kos, der luftf hrende Arterien und blutf hrende Venen unterschied, den Verfall der lteren Anatomie, der sich in hellenistischer Zeit weiter fortgesetzt habe. Es scheint dann, als wolle Sticker die Lehre des Aristoteles, „dessen Vater Nikandros (?) knidischer Asklepiade gewesen ist", aus der rztlichen Tradition herleiten, die ihm freilich infolge des Zunftgeheimnisses nur undeutlich zug nglich gewesen sei. Das seit Wilamowitz, Diels und Fredrich verbreitete Urteil, da Aristoteles nur unvollkommen ber die medizinischen Lehren der Hippokratiker orientiert gewesen sei, wird hier S. 22 wieder aufgenommen. Wir werden nachher noch dar ber zu sprechen haben, wie weit das zutrifft. Gewi berechtigt ist, da die Folgerungen, die Littre aus den aristotelischen Nachrichten ziehen zu m ssen glaubte, nicht beachtet werden und da Schriften wie π. καρδίης und π. όστέ(ον φύσιος nicht in nacharistotelische Zeit gesetzt, sondern als Zeugnisse medizinischer Lehre der Zeit um oder bald nach 400 verwertet werden. Hier haben die Untersuchungen von Fredrich24 wohl endg ltig klare Bahn gebrochen. Aber schwerste Bedenken melden sich sofort wieder, wenn S. 26 π. καρδίης ohne weiteres der koischen Schule zugewiesen wird, freilich unter Streichung der Theorien vom Ι'μφυτον πυρ, vom Pneuma und dem Sitz der γνώμη in der linken Herzkammer, die auf Empedokles zur ckgef hrt werden. So darf man Beobachtung und Theorie nicht auseinanderrei en: wir werden nachher noch sehen, wie beides gerade in diesem Fall ein untrennbares Ganzes bildet, l F r die Behauptung, die Hippokratiker h tten den Blutkreislauf gekannt, gibt Sticker eine ganz hnliche Interpretation von π. καρδίης wie Kapferer, die wir in bereinstimmung mit Diepgen zur ckgewiesen haben. 23

Bei der Adernbeschreibung des Syennesis hist. anim. Γ a, 5113 25 entscheidet sich Sticker 12 mit Bekker f r die Lesarten όμφαλοϋ und όσφύν von Aa (Ca) gegen οφθαλμού und όφρύν in den ndern und π. όστέων φύσιος 8 (9, 174 L.). Dann m te π. όστέων φύσιος nicht nur sp ter als Aristoteles, sondern sogar sp ter als die Spaltung der Aristoteleshandschriften sein, was kaum in Stickers Sinn liegen kann. Im Ernst ist es unm glich, weil der Abschnitt aus Syennesis in π. όστέων φύσιος mehr gibt als Aristoteles. Au erdem ist es ja gerade das Ziel seiner Darstellung, zu zeigen, wie alle Fr heren die Adern aus dem Kopf entspringen lie en (Γ 3, 513 a 10). Ebenso hat schon Fredrich, a. a. O. 57, Anm. 2 argumentiert. 24 Hippokratische Untersuchungen 1899, Kapitel „Adern und Arterien", 57/80.

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Au erdem verweist er insbesondere auf π. όστέων φύσιος 11. Als Kronzeuge f r diese Beurteilung der Hippokratiker wird dann Galen angef hrt (29 ff.); dieser kann jedoch f r die hippokratische Erkenntnis des Blutkreislaufs nichts beweisen, da er wie Aristoteles zwar die beherrschende Rolle des Herzens gekannt, aber ebensowenig wie jener an ein Kreislaufsystem des Blutes gedacht hat. Sein von Sticker angef hrtes Bild von der Pflanze, in dem er das Herz mit dem Keimling der Pflanze gleichsetzt, macht das besonders eindringlich. Es bleiben also tats chlich f r die Thesen von Kapferer und Sticker nur die beiden hippokratischen Schriften; au erdem mu der platonische Timaios betrachtet werden, da er f r die physiologischen Vorg nge im K rper verschiedentlich Ausdr cke wie Rad (τροχοϋ 79 c), Kreis (κύκλον 79 e) und Umlauf (περίοδος 83 a) anwendet. Es ist kein Zufall, da wir gerade den Timaios heranziehen m ssen, denn zweifellos bestehen zwischen ihm und den beiden hippokratischen Schriften geschichtliche Zusammenh nge. Insbesondere f r π. καρδίης ist das durch Max Wellmann25 ber jeden Zweifel erhoben worden. Was in π. καρδίης einerseits, im Timaios 70 a ff. andrerseits ber das Herz als Quelle des Blutes und Sitz des Warmen, ber sein Verh ltnis zur Lunge, ber die Aufnahme von Luft und Getr nk gesagt wird, stimmt so stark zusammen, da eine gemeinsame Quelle angenommen werden mu . Nach den Feststellungen von Wellmann a.a.O. 65 ff., 94 ff. darf diese bereinstimmung auf den sizilischen bzw. italischen Arzt Philistion von Lokroi zur ckgef hrt werden, der seinerseits in den allgemein physiologischen Grundlagen seiner Lehre wiederum von Empedokles von Akragas abh ngig ist. Aber auch jene Lehren von der Bewegung der n hrenden Kr fte im menschlichen K rper, die Plat. Tim. 77 c ff. vertritt, zeigen unverkennbar die empedokleische Grundlage. Sie ruhen auf den Voraussetzungen des εμφυτον θερμόν, der Porenlehre, dem Grundsatz το δμοιον προς το ομοιον und dem vom horror vacui, die sich alle schon in Empedokles' Lehre finden26. l Bei der Untersuchung dieser platonischen Lehren ist von vornherein festzustellen, da die Blutbewegung als solche nicht unter dem Bild des Kreislaufs beschrieben wird. Das zweistr ngige Adersystem, da 770 ff. dargestellt wird, hat, wie Sticker 19 selbst feststellt, viel hnlichkeit mit dem System des Polybos. Die Bereitung des Blutes und seine Verteilung durch die Adern erfolgt durch die schmelzende Einwirkung des „innen vereinigten Feuers" (το πυρ εντός συνημμένον 78 e), das die umgewandelte Nahrung aus dem Bauch in die Adern leitet „wie aus einer Zisterne in Kan le" und diese durch den K rper „wie durch eine Wasserleitung" flie en l t (79 a). Wir werden dies als eine Erg nzung der in π. καρδίης Kap. n dargestellten Lehre betrachten d rfen: dort h rten wir nur, da die γνώμη 25 Die Fragmente der griechischen rzte I, 1901, 94 ff. 26 Vgl. Wellmann, a. a. O. 72 f., 83 f.

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im linken Herzventrikel sich vom reinen, lichtartigen Überschuß des aus der Bauchhöhle stammenden Blutes ernähre, indem sie bzw. die eingeborene Wärme ihre Strahlen dorthin aussende. Nun sehen wir, wie diese „Zentralsonne" des Körpers ihrerseits die Nahrung schmikt und im Körper verteilt; auch Platon braucht in diesem Zusammenhang den Ausdruck „Strahlen" (78 d). Von einer periodischen Bewegung des Blutes ist dabei nicht die Rede, wohl aber wird eine solche der Atemluft zugeschrieben, die mit dem Feuer zusammen infolge der Kleinheit ihrer Teile überall eindringen kann und daher bei den lebengebenden Bewegungen im Körper führend ist (78 a f.). Die Darstellung dieses „Kreislaufes" der Luft ist so aufschlußreich für alle verwandten Auffassungen jener Zeit, daß wir sie hier noch etwas genauer betrachten. Die Luftbewegung geschieht durch , durch „Herumstoßen" , indem die einzelnen Teile, dem horror vacui gehorchend, immer an die vom Vorhergehenden verlassenen Stellen rücken. Daher füllen sich Brust und Lunge, wenn sie die Luft durch Mund und Nase hinausgehen lassen, wieder durch die Porenatmung der Haut, und wenn die Luft dann wieder durch die Hautporen entweicht, so tritt durch Mund- und Nasenatmung andere an ihre Stelle (79 c). Letzte Ursache dieser Luftbewegung ist die jedem Lebewesen innewohnende natürliche Wärme; denn das Feuer, als das Kleinteiligste von allem, dringt durch alles hindurch (78 a) und ist daher der eigentliche Anfang der Bewegung im Lebewesen. Dieses Feuer strebt, auf der Suche nach seinesgleichen, nach außen und zieht im Ausgleich zu seiner Bewegung nach einer Seite andere Luft ins Innere des Menschen hinein: während das, was hereingezogen wird, sich erwärmt, kühlt das Hinausgehende sich ab. l Dadurch wendet sich das Feuer aber wieder nach der anderen Seite, und es entsteht so ein ewiges Hin- und Herschwanken: „Indem es immer dasselbe leidet und seinerseits wieder verursacht, läßt es so hinund herschwankend einen Kreis entstehen und aus beiden (Bewegungen) Ein- und Ausatmung hervorgehen" (79 e). Der Kreis, von dem hier gesprochen wird, ist in Wahrheit kein voller Kreis, sondern es sind zwei einander entgegengesetzte Halbkreise, indem die Atemluft zunächst durch die oberen Luftwege in den Körper eindringt und dieser dafür Luft aus den Poren stößt, dann sich aber das Umgekehrte vollzieht. Das hat schon Galen festgestellt und mitgeteilt, daß erst der Akademiker Hestiaios die volle Kreisbewegung gelehrt habe27, indem jeder Stoß Atemluft nach ihm den ganzen Körper zu den oberen Luftwegen hinein und zu den Hautporen heraus bzw. umgekehrt (wahrscheinlich alternierend) durchlief28. Die Vorstellung vom „Kreislauf" kann in beiden Fällen überhaupt nur zustande kommen, wenn man den Weg der Atemluft außerhalb des menschlichen Körpers hinzu27 Galen in Plat. Tim. Comm. ed. Sdhroeder (CMC Suppl. I), 1934, 24, 21 S. 28 Vgl. Taylor, A Commentary on Plato's Timaeus 1928, 565 f. R. Harder, RE. VI 1936, 1225. — Zur Interpretation der platonischen Atemlehre im 4. Jahrh. vgl. auch Aristot. de respir. n, 472 b 6 ff.

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nimmt. Was innerhalb des K rpers vorgeht, wird viel richtiger unter dem Bild von Flut und Ebbe vorgestellt, das die dorische Umformung des Timaios Lokros (102 a) denn auch anwendet. Es l t sich wahrscheinlich noch verfolgen, warum Platon die Theorie noch nicht im Sinne der sp teren Akademie durchgef hrt hat. Empedokles (Vors. I, 31 B 100) hatte die Atmung, speziell die Hautatmung, durch das Gegenspiel von Luft und Blut in dem vielbesprochenen Bild des Stechhebers erkl rt. Da aber auch das εμφυτον θερμόν dabei eine Rolle spielte, sehen wir aus 31 A 74: dort wird in den verschiedenen Weltaltern nacheinander der Abgang der Feuchtigkeit aus den ersten Menschens uglingen, die zentrifugale Bewegung des εμφυτον θερμόν und die Blutbewegung verantwortlich gemacht. Da f r das πρώτον ζωον nach empedokleischer Manier eine besondere Ursache aufgestellt wurde, ist sicher richtig. Aber die weitere Aufteilung ist schwer vorstellbar. Es w re merkw rdig, wenn Platon mit seiner charakteristischen Lehre von der alleinigen Wirkung des εμφυτον θερμόν zu einer Theorie zur ckgekehrt w re, die Empedokles f r eine fr here Entwicklungsstufe der Menschheit schon l aufgestellt hatte, f r die gegenw rtig lebenden Wesen aber nicht gelten lie . Vielmehr verkn pft sich Empedokles' Atemtheorie nur dann organisch mit seinen brigen Lehren, wenn wir annehmen, da er das Blut zum Vehikel der eingeborenen W rme machte, ebenso wie er es zum Sitz des geistigen Lebens gemacht hatte (B 105). Bei Platon sind Blut und eingeborene W rme getrennt, ebenso wie Blut und geistige F higkeiten; so bestand im Grunde f r die Atembewegung kein materielles Hindernis mehr, da sie bei Platon nur noch von der inneren W rme mitgerissen wurde, aber nicht mehr in physikalischer Wechselwirkung zur Blutbewegung stand. Trotzdem ist bei Platon noch als Residuum der empedokleischen Anschauung jene Vorstellung vom Hin- und Her schwanken der Atemluft geblieben, die erst die sp teren Akademiker (jedenfalls schon vor Erasistratos, vgl. Galen, a. a. O. 25, 24) beseitigt haben. Platon stimmt mit der Abl sung der W rme und der geistigen F higkeiten vom Blut durchaus mit π. καρδίης, Kap. ίο. 12 berein; dann wird man auch diese gemeinsame Abweichung von der empedokleischen Grundlage auf Philistion zur ckf hren d rfen 29 . Da aber π. καρδίης seinerseits 29

Vgl. auch O. Regenbogen, Symbola Hippocratea, Diss. Berlin 1914, 77. — Bei all diesen greifbaren Zeugnissen einer in sich geschlossenen Lehre, die jetzt durch Jaegers Dioklesbuch noch erh rtet werden, kann ich nicht zustimmen, wenn Pohlenz in seinem Buch ber Hippokrates, 1938, Anm. i zu S. 93 sagt, die sizilianische rzteschule bestehe „nur von Wellmanns Gnaden". Gewi kann man mangels tats chlicher Zeugnisse dar ber streiten, wie weit im Westen eine ausgebreitete Schule im Sinn einer beruflichen und wissenschaftlichen Vereinigung von rzten bestand. Das ndert aber nichts an der Tatsache, da Empedokles und Philistion f r uns als Repr sentanten einer ganz eigenen medizinischen Richtung des Westens dastehen, von der eine starke Wirkung ausgegangen ist. Selbst wenn die Pneumalehre sich als hippokratisch erweisen lie e, werden dadurch die oben S. 40 erw hnten, viel spezielleren Charakteristika der westlichen Lehre nicht angetastet.

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der westlichen Lehre enger verbunden und nicht etwa von Platon abh ngig ist 30 , zeigt sich darin, da π. καρδίης, Kap. ίο die γνώμη ins Herz verlegt, w hrend Platon das geistige Prinzip bekanntlich im Gehirn ansetzt und das Herz den Sitz der Willensregungen sein l t (vgl. Tim. 69 d ff.). Wenn wir also sehen, da Platon auch dort, wo er von periodischen Bewegungen innerhalb des K rpers spricht, keineswegs an Kreislauflehren im modernen Sinn gedacht hat, so wird uns f r die mit seinen physiologischen Anschauungen bereinstimmende Schrift π. καρδίης dieses in der Einzelinterpretation schon nachgewiesene Ergebnis auch auf Grund ihrer wissenschaftsgeschichtlichen Stellung noch mehr gesichert. Auch π. όστέων φύσιος steht zu westlicher Lehre in Beziehung, jedenfalls die Adernlehre in Kap. 11/19, die sich deutlich als eine geschlossene Abhandlung von dem brigen abhebt31. Wenn Platon von einem Kreislauf des Atems sprechen konnte, ohne damit doch eine in sich zur cklaufende Bewegung innerhalb des K rpers zu meinen, so werden wir auch in diesem Fall untersuchen m ssen, was das Wort vom Kreis in π. όστέων φύσιος 11 sagen will. Es mu hier freilich etwas anderes bedeuten als bei Platon, da weniger von der Bewegung von Atem oder Blut als vom anatomischen Befund des Adersystems die Rede ist. Das Richtige scheint mir schon Diepgen I, n angedeutet zu haben: „. .. man kann nichts darin sehen als den Vergleich mit jeder anderen Sache, ber die man sich so wenig auskennt wie bei einem Kreis ber seinen Anfang oder auch ber sein Ende." Das Bild liegt dem griechischen Denken bereit mindestens seit Heraklit, Vors. I, 22 B 103: ξυνόν γαρ αρχή και πέρας επί κύκλου περιφερείας. Es wird dann wieder aufgenommen am Anfang der hippokratischen Schrift π. τόπων των κατ' ανθρωπον (6, 276 L.), wo es von dem K rper als Ganzem gebraucht wird, mit spezieller Anwendung auf die Krankheitsursachen32. Ganz entsprechend hat das Bild in π. όστέων φύσιος nichts mit einer Theorie des Blutkreislaufs zu tun: der Verfasser stellt nur das Negative fest, da er den Anfang des Adersystems nicht finden kann. Weiter beschreibt er die Methode seines Vorgehens im folgenden: er hat die Vorstellung, da eine Hauptader da sein m sse, von der die brigen abgehen; aber bei den unendlichen Verzweigungen und Verflechtungen des Adersystems ist diese Vorstellung nicht viel mehr als ein theoretisches Postulat, an dem die Aderbeschreibung orientiert 30 Ein Verdacht k nnte in dieser Hinsicht entstehen durch den Gebrauch des Wortes ηγεμονική Kap. n, auch durch die Bezeichnung der natura creatrix im ideologischen Sinn mit ή φύσις. Aber beides wird sich in der ersten H lfte des 4. Jahrh. ungezwungen auch ohne attischen Einflu erkl ren lassen. 31 Vgl. Wellmann, a. a. O. 99, Anm. 3. K. Deichgr ber, Abh. Berl. Akad. phil.-hist. Kl. 3, 1933, ιοί. 32 Wiberg, a.a.O. 231, bringt in englischer bersetzung ein angebliches Zitat aus π. τόπων των κατ' ανθρωπον, das in der Tat f r die Kreislauflehre von Wichtigkeit werden k nnte, wenn es im Griechischen so existierte. Allein es handelt sich im wesentlichen um eine unzul ssige Verkuppelung des Anfangs der Schrift mit dem Ende von Kap. 3 (6, 282 L.).

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wird: insofern kann er feststellen, ως ή μίη ταύτησιν ομολογεί, wie die Hauptader mit den einzelnen Verzweigungen in Beziehung steht. So f ngt er denn die Aderbeschreibung (Kap. 12) im Kopf an, sagt aber ausdr cklich nicht, da „die" Ader dort beginne, sondern da sie „um den Kopf herumliege" : es handelt sich eben nur um eine Methode der Beschreibung, nicht um eine sachliche Aussage ber den Beginn des Systems. So verfolgt er bald den Hauptstrang, bald Abzweigungen a capite ad calcem und l t das Ganze schlie lich wieder aufsteigen und ins Herz m nden33. Er wei , da alle Adern irgendeinmal ins Herz m nden: „Denn es liegt an der Enge des Durchganges, als ob es die Z gel vom ganzen K rper her in der Hand h tte; daher ist auch Empfindung und Wahrnehmung (αΐσθησις) vom ganzen K rper am meisten in der Brust lokalisiert, und Err ten und Erbleichen wird vom Herzen her bestimmt (9, 196 L.)." Das entspricht durchaus der Lehre, die π. καρδίης und der Timaios voraussetzen; wenn Platon vom Herzen als Knotenpunkt, π. καρδίης von ihm als Ausgangspunkt der Adern spricht, so ist das sehr hnlich. Die Behandlung, die das Problem in π. όστέων φύσιος gefunden hat, scheint mir nun ein berraschendes Licht auf die Behauptung des Aristoteles zu werfen, da man vor ihm die Bedeutung des Herzens f r das Adersystem nicht richtig erkannt habe. Seit Fredrich34 hat man aus der Konfrontation dieser Behauptung mit dem uns sonst berlieferten geschlossen, da Aristoteles' Verbindung mit der zeitgen ssischen Medizin nur sehr locker gewesen sei. In umfassenden Ausf hrungen ist dieser Annahme neuerdings W. Jaeger in seinem Dioklesbuch entgegengetreten35. Auch ber Aristoteles' Stellung zur Lehre von den Blutgef en spricht er sich 214 f. aus; soviel sich erkennen l t, nimmt er an, da Aristoteles die Lehre von der zentralen Stellung des Herzens nicht als seine eigene Entdeckung, sondern als die von ihm gebilligte moderne Lehre der veralteten gegen ber vortr gt. Immerhin sagt Aristoteles ausdr cklich, die unzureichenden Lehren seien von l „den ndern" vorgetragen worden und „alle" lie en die Adern im Kopf beginnen (hist. anim. 5133 8. 10). Dabei hat er, wenn nichts anderes, doch sicher den Timaios gekannt (und in Wahrheit zweifellos auch noch viel anderes). Nun sehen wir an π. όστέων φύσιος, da auch eine Lehre, die alle Adern durchs Herz gehen l t, noch nicht identisch ist mit dem Bewu tsein, da das Herz wesensgem αρχή der Adern ist. Auch ein Vertreter dieser Lehre kann noch resignieren in der Frage des Anfangs der Adern und aus dieser Resignation heraus, wenn auch nicht sein Adersystem, so doch dessen Beschreibung nach wie vor im Kopf beginnen lassen. Auch Platon gibt trotz des Wortes vom αμμα των φλεβών eine Aderbeschreibung, die nicht vom Herzen aus orientiert ist. Gewi f hrt seine andere Bezeichnung vom Herzen als der Quelle des Blutes, 33 Eine kurze Rekonstruktion dieses Adersystems bei Littre 9, 195 ff., der es im ganzen wohl zu ung nstig beurteilt. 34 a. a. O. 78 ff. 35 W. Jaeger, Diokles v. Karystos, 1938, 225 ff.

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die wir auch in . , Kap. 7 finden, etwas weiter; aber auch eine ist noch keine im aristotelischen Sinn, und so erscheinen die Ansprüche des Aristoteles sachlich als sehr viel berechtigter, als man es in den letzten Jahrzehnten wahrhaben wollte. Die Entwicklung ist also auf diesem Gebiet bis zu Aristoteles kontinuierlich weitergegangen; erst er hat den höchsten Stand der damaligen Erkenntnis in der Lehre von den Blutgefäßen erreicht und nicht etwa zur Verschüttung älterer, richtigerer Erkenntnisse beigetragen. So gewiß die Hippokratiker die große Gesamtkonzeption einer periodischen Bewegung der aufbauenden Kräfte im menschlichen Körper gehabt haben, so aussichtslos ist der Versuch, bei ihnen ein Bewußtsein vom Blutkreislauf (auch in dem von Diepgen I, i f. weit gefaßten Sinn) finden zu wollen. Ein solches Ergebnis brauchen wir nicht als Enttäuschung zu empfinden. Unsere Fähigkeiten, das Leben und Denken anderer Zeiten und Völker als ein Ganzes zu erfassen, sollten so entwickelt sein, daß die Einsicht in eine in sich geschlossene, theoretisch und praktisch folgenreiche These, wie sie die sizilisch-attische Lehre von der Bewegung des Atems und des Blutes darstellt, uns wertvoller sein sollte als der Glaube an verschollene und versprengte Vorläufer heute gültiger Lehren, l

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HIPPOKRATISCHE MEDIZIN UND ATTISCHE PHILOSOPHIE * 1952

Das Interesse der Forschung an der hippokratischen Schrift l (VM) wurde jahrzehntelang dadurch wachgehalten, daß man in ihr einen Schlüssel zur Lösung der „hippokratischen Frage" in der Hand zu haben glaubte. E. Littre 2 bezog die Äußerungen in Platons Phaidros 270 c ff. über die Methode des Hippokrates auf das 20. Kapitel der Schrift. Er hielt es dadurch für bewiesen, daß dieses Kapitel und damit die ganze Schrift grundsätzliche Ausführungen des Hippokrates wiedergebe, und stellte VM deshalb an die Spitze der von ihm für sicher echt gehaltenen hippokratischen Schriften und damit an den Anfang seiner imponierenden Ausgabe des Corpus Hippocraticum3. Littres These wurde besonders von Th. Gomperz4 und neuerdings von F. Steckerl5 wieder aufgenommen. M. Pohlenz6 dagegen sah in den Ausführungen desselben 20. Kapitels von VM eine Polemik gegen diejenigen Grundsätze, die Hippokrates nach Platon geäußert hatte: der Empirismus des Verfassers wende sich gegen die Grundlegung der Medizin in allgemeiner Naturerkenntnis, die der Hippokrates des Phaidros gefordert habe. Demgegenüber hatte schon H. Diels 7 die Beziehungen zwischen dem platonischen Hippokrates und VM bestritten, und W. Capelle8 hatte darzulegen versucht, daß der Phaidros eine kosmologische, VM aber eine anthropologische Grundlegung der Medizin in Betracht ziehe, die Erörterungen an beiden Stellen mithin nicht kommensurabel seien. Die Skepsis gegen die Möglichkeit, die Forderungen des platonischen Hippokrates mit den Äußerungen irgendeiner hippokratischen Schrift zu identifizieren, wurde noch grö* Aus der Festschrift für Max Pohlenz zum 80. Geburtstag am 30. Juli 1952. 1 Ich gebe die Titel der hippokratischen Schriften mit den Siglen von Lidell-Scott wieder. Der Text von VM wird nach der — wenn auch unzureichenden — Ausgabe von J. L. Heiberg, CMC i, i, 1927, 36/55 zitiert. 2 CEuvres d'Hippocrate i, 1839, 301 ff. 3 i, 293- 57° ff· * Philologus 70, 1911, 213 if. 5 Class. Philology 40, 1945, 166 ff. 6 Hermes 53, 1918, 396 ff. 7 SBBerl. Akad. 1910, 1141 Anm. i. 8 Hermes 57, 1922, 247 ff. besonders 253 ff.

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er, als man sich dar ber klar wurde, da man aus den Worten des Phaidros „nur die Methode des Hippokrates, nicht sein System erschlie en" k nne9: hierin ist die Forschung sich einig geblieben trotz erheblicher Differenzen in der Interpretation des Phaidros-Textes. l So r cken auch die neueren, in vielem ertragreichen monographischen Behandlungen der Schrift VM entschieden von ihrer Konfrontierung mit der hippokratischen Frage ab: so H. Wanner10, der im Gefolge von M. Wellmann n die Schrift in Verbindung mit Alkmaion von Kroton und mit pythagoreisierenden rzten bringt und sie weiterhin auf Spuren knidischer Medizin untersucht: W. H. S. Jones12, der an ihrem Beispiel auf breiter Basis das Verh ltnis von Philosophie und Medizin in klassischer Zeit kl ren will; und schlie lich A.-J. Festugiere13, dessen inhaltreicher Kommentar die wertvollste Bereicherung der Forschung in neuerer Zeit gebracht hat. Auch in der folgenden Untersuchung soll die Beziehung von VM zur hippokratischen Frage durchaus beiseite gelassen werden. Dazu r t schon die Beobachtung, da Platon seine Ausf hrungen auf zwei Instanzen gr ndet, auf Hippokrates und die wahre Rede14. Diese Berufung auf den αληθής λόγος gibt ihm die M glichkeit, seine Forderungen an die Rhetorik auf einer Anschauung von der menschlichen Seele zu begr nden, die zwar angeblich mit der hippokratischen vom menschlichen K rper parallel geht, in Wahrheit aber beliebig viel Platonisches enthalten kann. Die einfache Verwendung der Konjunktion τε και legt eine nicht zu untersch tzende Entfernung zwischen „Hippokrates" und das, was Platon hier vertritt 15 . Der Verzicht auf Konfrontation von VM mit der hippokratischen Frage bedeutet aber nicht Verzicht auf ihre Gegen berstellung mit dem Phaidrostext. Vielmehr ist dar ber hinaus ihre Konfrontation mit Platon berhaupt und zum Teil auch mit Aristoteles das eigentliche Anliegen dieser Untersuchung. Ein solcher Vergleich scheint mir durch die gegenw rtige Situation der Forschung vor allem gefordert zu werden. Es ist das Verdienst von M. Pohlenz 16, neben dem Vergleich zwischen VM 20 und der Phaidrosstelle auf andere Beziehungen zwischen Platon und „hippokratischer" Medizin hingewiesen zu haben, die vom Gorgias ber den 9

L. Edelstein, Περί αέρων und die Sammlung der hippokratischen Schriften 1931. 1° Studien zu περί άρχαίης ίητρικής. Diss. Z rich 1939. n Archiv f r Geschichte der Medizin 23, 1930, 299 ff. 12 Philosophy and Medicine in Ancient Greece. Suppl. to the Bull, of the History of Medicine 8, Baltimore 1946. 13 Hippocrate. L'ancienne medecine. Paris 1946. I* 270 c 9 Ιπποκράτης τε και ό αληθής λόγος. 15 G. B chner, Dantons Tod ι, ι: „Danton: O, es versteht sich alles von selbst. Wer soll denn all die sch nen Dinge ins Werk setzen? Phillippeau: Wir und die ehrlichen Leute. Danton: Das ,und' dazwischen ist ein langes Wort, es h lt uns ein wenig weit auseinander; die Strecke ist lang, die Ehrlichkeit verliert den Atem, eh wir zusammenkommen." i* a. a. O. 408 ff.

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Phaidros und Philebos bis zu den Gesetzen reichen. Immer wieder trat dabei die Schrift VM auffällig in den Vordergrund. In einen neuen Zusammenhang wurden diese Feststellungen eingereiht, als W. Jaeger im Zuge seiner Diokles-Forschungen auf die Beziehungen zwischen attischer Philosophie und nachhippokratischer Medizin aufmerksam machte. I Jaeger erkannte, wie Platons ethische Wissenschaft für Ärzte von Interesse werden mußte, „weil sie hier das Wesen und die Struktur ihrer eigenen Techne zum erstenmal zergliedert und vor ihren Augen ausgebreitet fanden" 17. Sein Buch über Diokles von Karystos stellte uns einen Arzt vor Augen, dessen wissenschaftliches und methodisches Bewußtsein ohne aristotelische Philosophie nicht denkbar ist. Jaeger zeigte andrerseits, daß Aristoteles gerade in der Schrift VM die medizinische Problemstellung, wie sie für seine eigene ethische Methodik fruchtbar war, „unübertrefflich formuliert" finden konnte18. Weit über die statistischen Erhebungen von Poschenrieder19 und H. Kalchreuter20 oder über M. Wellmanns Feststellungen literarischer Berührungen zwischen Diokles und dem Corpus Hippocraticum21 hinaus hat Jaeger die Beziehungen zwischen hippokratischer Medizin und aristotelischer Philosophie in ihrem inneren Gefüge erhellt. Dabei ist wieder die herausgehobene Stellung von VM höchst auffällig; die Beziehungen zwischen ihrer ärztlichen Methodik und der ethischen des Aristoteles sind nicht rein repräsentativer, sondern ganz spezieller Art. Ein ähnliches Verhältnis scheint zwischen VM und methodischen Äußerungen der platonischen Dialoge zu walten. Will man solche Äußerungen auf Grundsätze der Sophistik oder der vorplatonischen Medizin im allgemeinen zurückführen, so zeigt sich, daß sich von Platon aus eine auch in der Formulierung scharfe Beziehung oft nur zu VM und keinem ändern älteren Zeugen herstellen läßt. Dieser Eindruck verstärkt sich bei der Lektüre der gedrängten Behandlung, die derselbe Gegenstand in W. Jaegers Paideia22 gefunden hat, und durch die Wiederaufnahme der einschlägigen Fragen mit zum Teil neuem Material im Kommentar von-Festugiere und neuerdings in zwei Aufsätzen von F. Wehrli23. Alle diese Arbeiten haben eine Fülle von Beziehungen gerade dieser einen Schrift zur platonischen und aristotelischen Philosophie erbracht, die bis in konkrete Formulierungen von grundsätzlicher Bedeutsamkeit gehen. Angesichts dieses Tatbestandes kann man sich nicht bei der bisher vertretenen Auffassung beruhigen, daß VM der einzige uns zufällig erhaltene Zeuge für sophistisch-vorplatonische, in dieser Form für uns sonst nicht mehr greifbare, aber auf die attische Philosophie höchst wirksame Leh17 is w 20 21

Diokles von Karystos 1939, 45. a. a. O. 46. Das Verhältnis des Aristoteles zu den hippokratischen Schriften. Bamberg 1887. Die Mesotes bei und vor Aristoteles. Diss. Tübingen 1911, besonders 35 f. Die Fragmente der sikelischen Ärzte 1901, 51 ff. 22 2, 1944, 27 ff. (deutsche Ausgabe). 2 3 Ethik und Medizin. Der Arztvergleich bei Platon. Mus. Helv. 8, 1951, 36 ff. 1770.

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ren und Prinzipien ist. Es wird vielmehr n tig sein, das Verh ltnis der Schrift zu Platon und in gewissem Umfang auch zu Aristoteles Schritt f r Schritt aufs neue zu untersuchen. Beginnen wir also mit dem ersten Satz. Der Verfasser wendet sich gegen diejenigen, die ihrer Rede ber Medizin das Warme oder Kalte oder Feuchte l oder Trockene als ύπόθεσις unterlegen (36, 2/3). ύπόθεσις als Grundlage der Rede oder auch des Handelns ist gew hnlicher, aus der Ableitung des Wortes sich ergebender Sprachgebrauch, der z. B. bei Isokrates st ndig belegt ist. Die υποθέσεις vor den Ausgaben von Trag dien und Kom dien meinen nichts anderes. Es ist das, was moderne Sprachen in Lehn bersetzung das subject oder das sujet nennen, w hrend wir in anderer Sehweise vom „Gegenstand" sprechen. In dieser nicht-terminologischen Bedeutung findet sich das Wort auch einmal in hippokratischer Literatur: in der Schrift περί φυσών hei t es am Ende, sie habe ihre ύπόθεσις, da das Pneuma Herr in allem und also auch Ursache aller Krankheiten sei, zur Evidenz gebracht (τ^. ιοί, 2i Hbg. εν οις αληθής ή ύπόθεσις24 έφάνη). Die ύπόθεσις meint hier also den theoretischen Satz, der der ganzen Schrift zugrunde liegt, — nach unserem Sprachgebrauch eine These, aber freilich keine Hypothese. Eine solche These kann berraschend und seltsam sein: Isocr. Hei. ι είσί τίνες, οι! μέγα φρονοΰσιν, ην ύπόθεσιν άτοπον και παράδοξον ποιησάμενοι περί ταύτης άνεκτώς είπεϊν δυνηθώσι. So kann sie gewi auch berfl ssig oder falsch sein, wie VM es f r die ύπόθεσις von den Grundqualit ten erweisen will. So weit f gt sich das Wort in VM also in den urspr nglichen Sprachgebrauch. Aber wir kommen damit nicht bis zu Ende. Denn der Verfasser wendet sich ja nicht nur gegen diese spezielle ύπόθεσις, sondern berhaupt dagegen, da man die Medizin εξ ύποθέσιος erforsche (44, 8), da man sie von ihrem bisherigen Weg επί ύπόθεσιν f hre (46, 19). Eine Techne, die Ursprung und Weg hat, bedarf nicht der ύπόθεσις (37, i8); sonst wird ihr Charakter als Techne in Frage gestellt und ihr Gegenstand in das Reich der Spekulation verwiesen (36, 16) 25. Damit entfernt sich VM weit vom Sprachgebrauch des Isokrates oder der Schrift π. φυσών, f r die es eine Absurdit t gewesen w re zu sagen, eine Rede oder Schreibe brauche berhaupt keine ύπόθεσις. F r VM ist das ζητεΐν εξ ύποθέσιος qualifiziert als ein wissenschaftliches Verfahren, das nur in bestimmten F llen am Platze ist, in ndern aber nicht; der wahrhaft wissen24 Die Lesart von M wurde gegen ύπόσχεσις von A, das Heiberg aufgenommen hat, durch L.Edelstein, a.a.O. no Anm. i als richtig erwiesen. Auch Littre" hatte sich schon f r ύπόθεσις entschieden. Vgl. auch Festugiere n. i S. 26. 25 Wenn hier — nach dem Text von A — gesagt wird, die Medizin bed rfe keiner καινή ύπόθεσις, so zeigt der Vergleich mit 37, 19 (ουδέν δει ύποθέσιος) deutlich, da nicht gemeint ist, sie bed rfe zwar keiner neuen, wohl aber der bisherigen ύπόθεσις, sondern da berhaupt das „neumodische" Verfahren, ihr eine ύπόθεσις unterzulegen, abgelehnt werden soll (vgl. Festugiere n. 12 S. 33, der richtig gegen Jones darlegt, da man deshalb nicht die Lesart κενής von M vorzuziehen braucht).

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schaftliche Charakter der Medizin ist dem Verfasser gerade dadurch garantiert, da sie auf die ύπόθεσις verzichten kann. Man hat l ngst gesehen, da dieser Gebrauch des Worts seine n chste Entsprechung bei Platon hat. Platon beruft sich dort, wo er das εξ υποθέσεως l σκοπεϊθαι zuerst einf hrt (Men. 86 e), bekanntlich auf das Vorgehen der Geometer, und so m chte man auch den Hypothesen-Begriff von VM aus der vorplatonischen Geometrie ableiten26. Belege daf r aus vorplatonischer Zeit fehlen jedoch. Ich glaube, da das nicht zuf llig ist. Im Menon bezeichnet Platon das Verfahren, nicht die Voraussetzungen, sondern lediglich die Konsequenzen einer Annahme — eben der ύπό-θεσις — zu pr fen, als ein m gliches Verfahren der Geometer; ein solches Verfahren ist f r die Geometrie selbstverst ndlich v llig wertfrei. Im Staat (6. 510 b ff.) wird das ζητεΐν (!) εξ υποθέσεων als die Methode der Mathematik schlechthin erkl rt, die die υποθέσεις als ihre άρχαί hinnimmt und somit in den Kreis ihrer Symbole eingeschlossen bleibt, w hrend die Dialektik sie nicht als άρχαί, sondern als τω οντι υποθέσεις nimmt und von ihnen als Ausgangsstellung (έπιβάσεις τε και δρμαί) zur h chsten Wahrheit, der άνυπόθετος αρχή vordringt (511 b). Das Pr fen einer ύπόθεσις auf ihre Konsequenzen und das methodische Fortschreiten von ihr zu „n chsth heren" wird im Phaidon (ιοί d) lehrhaft empfohlen27. F r Platon ergibt sich also eine Bewertung der Wissenschaften nach ihrer Abh ngigkeit von υποθέσεις. Wer eine ύπόθεσις einf hrt, mu sich ihre Pr fung gefallen lassen (Parmen. 1356/1360) und kann unter Umst nden in l cherliche Konsequenzen geraten (Parmen. i28d). Aus solchen Konsequenzen ergeben sich Fragen, die der Hypothesen-Steller nicht leicht beantworten kann (Soph. 244 c). Auch in VM ergibt sich eine Schichtung und Bewertung der Wissenschaften daraus, ob sie von einer ύπόθεσις abh ngig sind oder nicht. Die Medizin ist eine Techne im wahren Sinn, weil sie der ύπόθεσις nicht bedarf. Wer die Techne εξ υποθέσεως sucht, ger t, wenn man ihn vor die Konsequenzen seiner Behauptungen stellt, vor schwierige Fragen: wenn der Arzt bei einem Kranken einen Di twechsel vorgenommen hat und gefragt wird, ob er nun ein Leiden, das vom Kalten kam, durch Verordnung von Warmem geheilt habe oder umgekehrt — οιμαι — εγωγε πολλήν άπορίην τω έρωτηθέντι παρασχεΐν (44» 27> hnlich 46, 25/27). Im Sophistes hei t es im Zuge einer hnlichen deductio ad absurdum: δήλον ... δτι τφ ταύτην την ύπόθεσιν ύποθεμένω προς το νυν έρωτηθέν και προς άλλο δε ότιοΰν ου ρφστον άποκρίνασθαι (244 c 4; vgl· auch ήπορήκαμεν 244 26 Vgl. Jones 32. Festugiere n. i S. 26. 27 Ein derartiges Vorgehen meint wohl audi Xen. Mem. 4, 6, 13, wenn er berichtet, da Sokrates bei ethischen Werturteilen seiner Gespr chspartner επί την ύπόθεσιν έπανήγεν αν πάντα τον λόγον; doch wird das Wort ύπόθεσις hier nicht terminologisch verwendet, sondern meint lediglich die „Grundlage" des Gespr chs.

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Platons Wissenschaft, die Dialektik, geht von den υποθέσεις zur άνυπόθετος αρχή (Resp. 6. 510 b 7. 511 b 6), und zwar methodisch fortschreitend, indem sie die υποθέσεις lediglich als έπιβάσεις και όρμαί benutzt (Resp. 51 ib. Phdn. ioide); von der αρχή kommt sie dann wieder zum Ende (Resp. 511 b 8). l Die Wissenschaft von VM, die Medizin, bedarf der ύπόθεσις nicht, weil sie eine αρχή und einen Weg hat, auf dem ihr in langer Zeit viele Funde gelungen sind und auf dem sie auch den Rest finden wird, wenn einer, der f hig ist und den berblick ber das Gefundene hat, von da ausgehend weiterforscht (ην τις Ικανός τ5 έών και τα εύρημένα είδώς εκ τοχ'ιτων ορμώμενος ζητέη 37 > 3/4·)· Das Material f r das Bild vom Weg, soweit es in vorsokratischer Zeit das Gelangen zu wissenschaftlicher Erkenntnis bezeichnet, hat O. Becker insbesondere im Herodot- und im Parmenides-Abschnitt seines bekannten Buches vorgelegt28. Herodot spricht verschiedentlich das Bewu tsein aus, da er einen weiten Weg der Erkundung gegangen ist, sei es in r umlicher, sei es in zeitlicher Vorstellung (2, 34, i. 4, 192, 3. i, 171, 2. 4, 16, 2). Man spricht von verschiedenen Wegen der Erkenntnis, Parmenides von den drei οδοί διζήσιος (Vors. 28 B 2. 6), Herodot von den τριφάσιαι οδοί zur Erkl rung der Nilschwelle (2, 20, i). Immer interessiert nur das Ziel des Weges. Die Sonnenm dchen f hren den Wagen des Parmenides empor ins Licht: da ffnet Dike das gro e Tor, daraus Tag und Nacht hervorgehen, die G ttin begr t den J ngling freundlich und offenbart ihm die Wahrheit. Herodot setzt sich mit den Ergebnissen auseinander, zu denen die τριφάσιαι οδοί der Erkl rung f hren, oder er teilt das Resultat mit, zu dem seine Erkundung auf ihrem Weg gekommen ist. Nirgends ist in vorsokratischer Zeit ein Bewu tsein davon zu finden, da gerade das schrittweise Vorangehen auf dem Wege die Erkenntnis der Wahrheit verb rgt und da jeder Punkt auf diesem Wege — eben aus „methodischen" Gr nden — seine Bedeutung hat. Das steht erst bei Platon: er hat entdeckt und gesagt, was die wissenschaftliche Methode ist, ebenso wie er entdeckt und gesagt hat, was eine Hypothese f r die Wissenschaft bedeutet. VM hat beides aufgegriffen. Auch f r den Verfasser dieser Schrift ist das methodische Fortschreiten schon ein Wert an sich, auch wenn das Ziel noch nicht erreicht ist: 41,9 wird noch einmal die schon 37, 3/4 ausgesprochene Zuversicht wiederholt, da die ganze Techne „gefunden" werden k nnte, wenn man sie nur auf demselben Wege wie bisher weiter „sucht". Man soll sie nicht als nicht existierend und nicht richtig erforscht verwerfen, wenn sie noch nicht in allem zur Exaktheit gelangt ist, sondern man soll vielmehr die bisherigen Erfolge bewundern und daraus, da die Medizin durch λογισμός aus gro er Unwissenheit schon so nahe an 28 Das Bild des Weges im fr hgriechischen Denken. Hermes-Einzelschriften H. 4, 1937, ιοί ff. 139 ff.

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die Sache29 herangekommen ist, schlie en, da ihre Resultate in richtiger Weise und nicht durch Zufall gefunden wurden (44, 2/7). i Aus dem bisherigen Progressus ergibt sich zwangsl ufig der weitere Weg. Er ist lang (37, 2/3. 38, 3); aber er duldet keine Abk rzung (36, 4). Das „abgek rzte Verfahren" wird auch von Platon im Phaidros im Zuge jener methodischen Forderungen an die Rhetorik verworfen, die wegen ihrer Berufung auf Hippokrates die Forschung vielfach besch ftigt haben und auf die auch wir noch einmal werden zur ckkommen m ssen. Die Erf llung dieser Forderungen verlangt πολλή πραγματεία (Phaedr. 273 e 5) wie der Fortschritt von der Di t der Gesunden zur Behandlung der Kranken (VM 40,22). Auch im Staat kann das „genaue" Resultat nur auf dem „l ngeren" Wege, nicht mit den bisher angewandten „Methoden" gefunden werden (Resp. 4. 495 d. 6. 507 b/d). Durch die bisherigen, in methodischem Fortschreiten erzielten Resultate hat die medizinische Techne ihre Existenz erwiesen, wurde VM 44, 3 gesagt. Die Einf hrung einer ύπόθεσις in die Medizin w rde die Existenz der Techne in Frage stellen; darum mu sie bek mpft werden (36, 7). Das geschieht in der Schrift in zwei Stufen: zun chst wird positiv gezeigt, da die Techne, von ihrer eigenen αρχή ausgehend und auf ihrem eigenen Wege fortschreitend, mit Notwendigkeit zu ihrem heutigen Stande gekommen ist. Daraus wird deutlich werden, da ein anderer Weg, etwas von ihren Ergebnissen zu „finden", nicht m glich ist (37, 8/9). Aus dieser propositio, die in Kap. i/2 entwickelt wird, ergibt sich die nat rliche Gliederung der Schrift bis Kap. 19 einschlie lich30: Kap. 3/12 zeigen den Weg der Techne von den Uranf ngen bis zur Gegenwart und ziehen daraus den Schlu , da man die Existenz der Techne nicht bezweifeln darf; Kap. 13/19 widerlegen die ύπόθεσις von den Grundqualit ten. 37, 4/9 zeigt sich, wie im Bewu tsein des Verfassers diese beiden Beweisreihen einander bedingen: „Wer den bisherigen Weg der Medizin verwirft und alles auf anderm Wege zu suchen unternimmt, ist in T uschung befangen; denn das ist unm glich. Aus welchen zwingenden Gr nden es unm glich ist, will ich zu zeigen versuchen, indem ich die Existenz der Techne beweise. Daraus aber wird klar werden, da nichts hiervon auf anderm Wege gefunden werden kann." Daraus, da diese 29 του άτρεκεστάτου: zu diesem ionischen Wahrheitsbegriff, der ganz auf das Objekt gerichtet ist, vgl. O. Becker, a. a. O. 105 ff. Der Exaktheitsbegriff der ακρίβεια, der f r den Verfasser gleichfalls von gro er Bedeutung ist (41, 19. 43, 27. 44, 2. 4. vgl. 41, 2i f. 51, 18), spricht dagegen urspr nglich eine Bewertung des handelnden Subjekts aus und scheint seine Pr gung in Attika gefunden zu haben. Bezeichnend ist etwa der Gebrauch bei Ps.-Xenoph. resp. Athen, i, 5 εν γαρ τοις βελτίστοις Ινι ακολασία τε όλιγίστη και αδικία, ακρίβεια δε πλείστη εις τα χρηστά, ακρίβεια ist zun chst ein „gewissenhaftes Sich-Bem hen um etwas". Das Wort ist bei Herodot nicht nachweisbar; im Corpus Hippocraticum finde ich es bezeichnenderweise au er in VM in der gleichfalls ins 4. Jahrhundert zu datierenden Schrift π. διαίτης 3, i (6, 592 L.); vgl. u. S. 70. 30 ber Kap. 20/24 vgl. u. S. 67 ff.

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Stelle auf den bergang von der ersten zur zweiten Beweisreihe hindeutet, ergibt sich, da 37, 8 gelesen werden mu επιδεικνύων την τέχνην ότι ρ'στιν31. Der Nachweis des methodischen Weges der Techne garantiert ihre Existenz als Techne (vgl. 44, 3), die durch die Einf hrung einer ύπόθεσις in Frage gestellt wird (36, 7). l Die Frage, ob es berhaupt eine medizinische Techne gibt, ist zun chst ein innermedizinisches Problem. Viele Leute sagen, die rzte k nnen doch nicht helfen; wer in rztlicher Behandlung gesund wird, w re auch ohne diese genesen, und wer wirklich todkrank ist, dem versuchen die rzte gar nicht erst zu helfen. Auch die scheinbar ganz willk rlich voneinander abweichenden Verordnungen der rzte f hren dazu, da bei den Laien der Vorwurf verbreitet ist, es scheine in Wirklichkeit berhaupt keine rztliche Techne zu geben (Acut. 8. i, 113, i Kw.). Der Widerlegung solcher Vorw rfe ist die Schrift π. τέχνης (CMG i, 1,9/19 Hbg.) gewidmet. Abgesehen von einem sonderbaren ontologischen Beweis, wonach das, was in Erscheinung tritt und einen Namen hat, ja auch existieren m sse (Kap. 2), bleibt ihre Argumentation durchaus im Rahmen der Medizin und der gegen sie erhobenen speziellen Vorw rfe. Vor allem bem ht sie sich zu beweisen, da auch diejenigen, die ohne Arzt genesen, nur durch unbewu te Anwendung medizinischer Regeln gesund wurden, und bringt Gr nde daf r vor, warum die rzte nicht alle Krankheiten heilen k nnen und warum sie sich bewu t von der Behandlung hoffnungsloser F lle fernhalten (Kap. 3 ff.). Bewiesen werden soll, da es wirklich eine rztliche Kunst und nicht nur einen schwindelhaften Anspruch von Charlatanen gibt. VM dagegen beweist die Existenz der Techne einmal aus ihrem notwendigen methodischen Vorgehen (Kap. 3/12), zum ndern daraus, da man einen Unterschied zwischen guten und schlechten Vertretern der Techne macht (36, 8 ff.) 32 . Das ist nun etwas, was nicht nur f r die Medizin, sondern prinzipiell f r alle τέχναι gilt. Es wird also nicht das Bestehen einer isolierten rztlichen Kunst, sondern die Existenz der medizinischen Techne als Techne bewiesen. Wir haben das Postulat des methodischen Vorgehens aus dem platonischen Methodenbegriff hergeleitet. Es braucht kaum daran erinnert zu werden, da in platonischen Er rterungen auch die Existenz der Techne als auf dem Vorhandensein von Sachverst ndigen beruhend angesehen wird. Es gen gt, in diesem Zusammenhang auf Protag. 319 cd (besonders c 7/8) hinzuweisen, weil sich n mlich in VM gleich noch ein Gegenst ck zu derselben Protagoras-Partie findet. 38, 22 ff. hei t es, da schon die Erfindung der angemessenen Ern hrung f r gesunde Menschen den Namen der ίητρική verdient gehabt h tte. Trotzdem gilt das Bereiten der normalen menschlichen Nahrung nicht f r eine Techne, weil es hierin keine Laien, son31

So K hlewein, Heiberg, Jones gegen δ τι εστίν von Littre, Gomperz, Festugiere. Eine Definition, was die medizinische Techne ist, wird nicht gegeben und ist auch nicht beabsichtigt. 32 Der Begriff des διαφέρων ίητρός auch Acut. 5/6 (i, in Kw.).

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dern nur Sachverst ndige gibt (ης γαρ μηδείς εστίν ιδιώτης, άλλα πάντες επιστήμονες δια την χρήσίν τε και ανάγκην, ου προσήκει ταύτης ούδένα τεχνίτην καλεΐσθαι). Dazu vergleiche man Protag. 3266ff.: Sokrates hat die Lehrbarkeit der πολιτική αρετή bezweifelt, weil sonst V ter, die gute B rger sind, ihren S hnen diese αρετή doch beibringen m ten, was notorisch nicht der Fall ist. Demgegen ber erkl rt Protagoras, man d rfe das Wissen von dieser πολιτική αρετή nicht wie eine der ndern τέχναι behandeln, ότι τούτου του πράγματος, της αρετής, ει μέλλει πόλις είναι, ούδένα Ι δει ίδιωτεύειν. Das setzt, dem speziellen Beweisziel des Protagoras adaptiert, denselben TechneBegrifT wie VM voraus, und das ist, wenn nicht geradezu der platonische, doch mindestens der sokratische. Platonisch wird er aber sogleich und ohne Zweifel wieder durch seine methodische Verwendung in VM. Da man gute und schlechte Sachverst ndige in den τέχναι unterscheidet, kommt daher, da man in ihnen Kriterien hat, nach denen man richtiges und falsches Handeln und Aussagen beurteilen kann. Das macht die ύπόθεσις berfl ssig, die nur am Platze ist, wo es sich um άφανέα τε και άπορεόμενα handelt, wie τα μετέωρα και τα υπό γήν. Aussagen hier ber kann man nicht zur Evidenz bringen; denn man hat kein Kriterium, προς δ τι χρή άνενέγκαντα εΐδέναι το σαφές (36, 2θ). Das άναφέρειν (au er hier noch an der methodisch wichtigen Stelle 41, 21, wo, wie wir noch sehen werden, das Kriterium der Medizin wirklich genannt wird; ferner έπαναφέρειν 42, 12) auf ein Kriterium ist platonisch: Phaedr. 237 d i, vor allem aber Resp. 6. 484 c 9, ferner έπαναφέρειν Cratyl. 425 d 4. Diese bereinstimmung im Positiven kommt zu der lediglich negativen hinzu, die man zu Xenophanes (Vors. 21 B 34) schon seit langem gefunden hat. So mu man auch die neue Nuancierung sehen, die die Ablehnung der Spekulation περί των μετεώρων η των υπό γήν gefunden hat. Um 400 mu te sich der ordentliche Arzt gegen den Verdacht, solche Spekulation zu treiben, ebenso wehren wie Sokrates (vgl. Hipp. A.A.L. 2. Garn. i. Plat. Apol. i8b usw.). VM sagt aber nicht: die Medizin treibt keine Meteorologie, sondern: sie ben tigt keine ύπόθεσις wie die Spekulation ber μετέωρα. D. h. es steht wieder der methodische Gesichtspunkkt vor dem inhaltlichen. Hier halten wir einen Augenblick inne. Schon die bisherige Gegen berstellung hat eine F lle von Beziehungen zwischen VM und Platon ergeben, die weit ber das in der fr heren Diskussion Festgestellte hinausgehen. Es ist auch klar geworden, da diese Beziehungen nicht, wie man bisher auf Grund eines allgemeinen Eindrucks t er die Datierung von VM angenommen hat 33 , von VM zu Platon, sondern da sie nur umgekehrt von Platon zu 33

VM wird allgemein in die Zeit um 400 datiert, weil man gewohnt ist, die Hauptmasse des Corpus Hippocraticum in diese Zeit zu setzen. Bemerkenswert ist, da Fr. Blass mit einer oft von ihm bew hrten Unabh ngigkeit des Urteils die Schrift — wie brigens auch π. τέχνης — aus stilistischen Gr nden in das 4. Jhdt. datierte (Attische Beredsamkeit i2, 89). — Die chronologische Untersuchung mu zun chst f r jede hippokratisdhe Schrift einzeln gef hrt werden. Sie hat schon manche berraschung erbracht und wird es auch weiter tun.

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VM laufen k nnen. Die Vorstellungen, die der Verfasser von Tedine, Methode, Hypothese hat, und dar ber hinaus sein methodisches Bewu tsein als solches sind ohne Platon nicht denkbar. Dabei handelt es sich nicht ausschlie lich um rein literarische Beziehungen. Allerdings werden wir noch sehen, da zu bestimmten platonischen Dialogen auch solche vorhanden sein m ssen. Aber die bereinstimmungen in der Methodik und Wissenschaftslehre, denen wir bisher vor allem nachgegangen sind, wird der Verfasser sich schwerlich aus einzelnen platonischen Dialogen zusammengesucht haben. Er ist vielmehr vom platonischen Wissenschaftsbewu tsein so weit durchdrungen, da er das nur in einer unmittelbaren geistigen Auseinandersetzung mit den Methoden der Akademie sich angeeignet haben kann. Aber nur das Wissenschaftsbewu tsein als solches ist auf diesem Wege in ihn eingedrungen. In der Sache schl gt er ganz andere Wege ein: eine auf der Ideenlehre beruhende Medizin w re wohl auch schwierig durchzuf hren gewesen. An die Stelle der Dialektik tritt f r VM die Medizin als die hypothesenfreie und damit echt wissenschaftliche Techne. Der methodische, notwendige Progressus vollzieht sich f r den Verfasser nicht wie f r Platon im Geist, sondern in der geschichtlichen Zeit: notwendig und methodisch ist er darum nicht weniger. Wenn man sich klargemacht hat, da hier platonische Wissenschaftslehre mit einem ganz ndern Inhalt erf llt wird, so wird man auch in einer weiteren methodischen Bemerkung des Verfassers die hnlichkeit mit platonischer Terminologie nicht f r zuf llig halten. Der Verfasser fordert in Kap. 2, nachdem er die Disposition seines Vorgehens f r die Kap. 3/19 gegeben hat 34 , man m sse, wenn man ber Medizin rede, das aussprechen, was den Laien erkennbar sei (γνωστά λέγειν τοΐσι δημότησιν 37» IO 35)· Denn Gegenstand der Medizin sind ja die Leiden der Menschen, die der rztlichen Techne als Laien gegen berstehen. Als solche k nnen sie Art und Ursache des Entstehens und Verschwindens ihrer Krankheiten von sich selbst aus nicht erkennen; wenn aber ein anderer dies findet und ausspricht, ist es ihnen leicht. Denn dann erinnert sich ein jeder beim H ren einfach an das, was ihm zugesto en ist (ουδέν γαρ έτερον η άναμιμνήσκεται έκαστος άκονων των έοουτψ συμβαινόντων 37> ι^/ 1 ^)· Wer das Verst ndnis der Laien verfehlt und seine H rer nicht in diesen Zustand des Sich-Erinnerns versetzt, wird die Wahrheit verfehlen (του έόντος άποτεύξεται 37, 18). Und darum bedarf es (in der Medizin) nicht der Hypothesis36. Das γνωστά λέγειν τοΐσι δημότησιν wird also mit der Ablehnung der ύπόθεσις zusammengebracht. Wie das praktisch zu denken ist, zeigt sehr sch n 46, 25/27: es ist ein ungangbarer Weg (απορον), dem Kranken „et34 35 36

Vgl. oben S. 52. Die R cksicht auf den Laien findet sich auch Acut. 6/8 (i, 111/113 Kw.). Heiberg, Jones, Festugiere haben sich zu 37, 18 richtig mit M f r die Weglassung von ταΰτα vor ουδέν entschieden.

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was Warmes" zu verordnen; dann wird er gleich fragen: Was (ist damit gemeint?) — und dann mu der Arzt Geschw tz machen oder seine Zuflucht zu einem der allgemein bekannten Nahrungsmittel nehmen (ες τούτων τι των γινωσκομένων καταφεΰγειν). Das Prinzip der Darstellung, das hier polemisch an einer Di tverordnung erl utert wird, f hrt 52, 1/4 positiv am Beispiel einer Beschreibung von έκάστω συμβαίνοντα (vgl. auch 51, 22) vor. Man soll die Wirkung eines Nahrungsmittels ganz individuell bis in die einzelnen Nuancen hinein dar'stellen. Vom Beispiel des K ses wird auf eins von gr ter Notoriet t, den Wein, bergegangen. „Ich denke mir die Darstellung z. B. so: ungemischter Wein, in gro en Mengen getrunken, versetzt den Menschen in die und die Verfassung (διατί/θησί πως τον αν-θρωπον). Dann erkennen alle, da sie diesen Zustand schon einmal gesehen haben37: ja, das ist die Wirkung des Weins, der ist schuld38; — und wir wissen ja auch, auf welche Teile im Menschen er in erster Linie so wirkt." Als Musterbeispiel mag eine Darstellung wie Acut. 37 (127, 2/4) vorgeschwebt haben, wo die Wirkungen von gewohnheitswidrig getrunkenem gew ssertem und unvermischtem Wein nach den affizierten K rperteilen differenziert werden. Das erstrebte Ziel ist, da die tiologische Darstellung ebenso wie die therapeutische Verordnung des Arztes in jedem Menschen das Dargestellte als ein ihm Widerfahrenes unmittelbar erkennbar machen und, wie der Verfasser sagt, zur Evidenz bringen soll: 52,4 τοιαύτην δη βούλομαι άλη·9είην39 και περί των άλλων φανήναι. Wenn nun f r diese Methode, dem Laien die Erkenntnis seiner eigenen Leiden evident zu machen, 37, 16 der Ausdruck άναμιμνήσκεται gebraucht wird, so mag es zun chst fast parodistisch anmuten, wenn man sich dadurch an das bekannte Verfahren des Menon (81 c ff.) erinnert f hlt, die evidente Wahrheit aus einem, der sie in diesem Leben nicht „gelernt" hat, herauszufragen. Wenn man sich aber einmal damit vertraut gemacht hat, da der Verfasser den platonischen Wissenbegrift Zug um Zug ins „Empirische" bersetzt, so wird man auch die Verwendung dieses Terminus nicht mehr f r zuf llig halten. Das Gemeinsame, das seiner Verwendung bei Platon und in VM zugrunde liegt, ist die berzeugung, da Wissenschaft nur auf dem 37 Ιδόντες Μ richtig gegen oi ε'ιδότες Α. Da das Beispiel gerade an die allgemeine Notoriet t des Faktums appelliert, ist der Artikel auf keinen Fall zu brauchen. — Die Textkritik kann zwischen A und M als zwei grunds tzlich gleichwertigen Zeugen nur eklektisch verfahren. 38 δτι αυτή δύναμις οίνου και αυτός εστίν αίτιος. Auff llig ist die hnlichkeit in der Formulierung zu Plat. Phaedr. 271 6/272 a (wieder im Zuge der Er rterung, welche Art von Reden man nach der individuellen Natur der H rer „verordnen" soll): δταν δε είπεΐν τε Ικανώς ε"χη, οίος ύφ' οίων πείθεται παραγιγνόμενόν τε δυνατός f| διαισθανόμενος έαυτφ ένδε'ικνυσθαι, δ τ ι ο δ τ ό ς ε σ τ ί κ α ι α υ τ ή ή φ ύ σ ι ς , περί ης τότε ήσαν οΐ λόγοι, νυν εργφ παρούσα oi κτλ. 39 Dieselbe, etymologisch indizierte, aber interpretatorisch oft mi brauchte Bedeutung des „Unverborgenen" hat das Adjektiv αληθής an den bereits in anderm Zusammenhang angezogenen Stellen VM 37, 20 (umgeben von den Adjektiven δήλα und σαφές; vgl. oben S. 54) und Fiat, ιοί, 21 (αληθής ή ύπόθεσις έφάνη, vgl. oben S. 49).

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Fundament einer von allen Beteiligten in gleicher Weise angenommenen und anerkannten Erkenntnis aufgebaut werden kann. Ein Verfehlen dieser gemeinsamen Grundlage ist f r VM nicht weniger als f r Platon ein Verfehlen der objektiven Wahrheit (37, 18 τον Ιόντος άποτεύξεται 40 ). Ι Wir sagten schon41, da der Progressus der Wissenschaft f r VM nicht, wie f r Platon, im Geist, sondern in der Geschichte vor sich geht, da sie aber ebenso wie bei Platon aus Notwendigkeit einen Schritt nach dem ndern tut. Die ανάγκη, von der in VM im Zusammenhang mit der geschichtlichen Entwicklung der Medizin verschiedentlich die Rede ist (37, 24. 38, 28), gewinnt damit eine doppelte Bedeutung: sie ist materielle Not und methodische Notwendigkeit zugleich. Die materielle Not zwang die Menschen, zun chst im Ganzen ihre Nahrung von derjenigen der Tiere zu differenzieren, weil sie diese nicht vertrugen; sie zwang sie dann weiter aus demselben Grunde, Kranken und Schwachen andere Nahrung zu geben als Gesunden. Hier liegt ein Schema der Kulturentwicklung vor, wie es seit der Sophistik gel ufig ist. Die Menschen arbeiten sich allm hlich aus dem kulturlosen Zustand heraus: bei der ισχυρή τε και -θηριώδης δίαιτα VM 38, 4 schwebt der άτακτος και θηριώδης βίος vor, von dem Kritias im Sisyphos (Vors. 88 B 25, 1/2) und der Gew hrsmann Diodors i, 8, i 4 2 spricht. Die Vorstellung hat auch noch in sp terer Zeit interessiert, wie Moschion (frg. 6 S. 813 N.2) zeigt. Auch die Methode, Zust nde der Gegenwart als Leitfossilien f r die rekonstruierte Entwicklung in der Vergangenheit zu benutzen, entstammt der sophistischen Zeit; sie ist uns aus Thukydides bekannt: vgl. VM 39, 2/5 und besonders 39, 10/14 mit Thuc. i, 5, 3. 6, 1/2. 5. 6. Die Herausarbeitung dieser sophistischen Z ge ist wichtig, damit wir beurteilen k nnen, woher der Verfasser die M glichkeiten zu seinem sachlichen Widerstand gegen Platon genommen hat. VM steht mit diesen geistigen Bindungen zur Sophistik grunds tzlich nicht anders als z. B. Isokrates, aber der Verfasser ist viel unmittelbarer als dieser von platonischer Lehre ber hrt. Der wesentliche Unterschied gegen ber der Sophistik und auch gegen ber Thukydides ist, da nicht einfach die Vergangenheit rekonstruiert wird, da auch nicht nur — was ja schon Thukydides zur Meisterschaft gef hrt hatte — die Gegenwart als das Resultat aus bestimmten Voraussetzungen der Vergangenheit erscheint, sondern da sich hier die Wissenschaft gewisserma en auf ihrem Wege durch die Vergangenheit selbst zusieht und da der Arzt der Gegenwart in jedem Schritt, den er tut, den Weg seiner Wissenschaft in der Vergangenheit wiederholt, weil die wahre Techne in 40 F r die Wendung vgl. Phdn. 66 a ό τευξόμενος του οντος (die bereinstimmung wurde schon von Littre i, 560 Anm. i notiert). 41 Oben S. 55. 42 Da dieser Demokrit sei (Reinhardt, Hermes 47, 1912, 492 ff.), ist erneut mindestens zweifelhaft geworden, seitdem F. Jacoby (FGrHist III A, 80 f.) gezeigt hat, da Diod. i, 7 f. nicht in den i, 10 beginnenden Zusammenhang geh rt, den Diodor aus Hekataios von Abdera genommen hat.

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Vergangenheit und Gegenwart durch die gleiche ανάγκη vorangetrieben wird. Aber die Beziehung zu Platon f hrt auch hier auf der Basis des gleichen methodischen Bewu tseins zu einer bewu ten inhaltlichen Um- und Weiterbildung im einzelnen, l Der notwendige Zusammenhang in der Entwicklung der medizinischen Wissenschaft wird f r VM durch den kontinuierlichen Fortschritt von der θηριώδης δίαιτα ber die Bereitung der angemessenen Ern hrung f r den gesunden Menschen (durch Backen und Kochen 38, 14 if.) bis zur Erfindung der Krankendi t in ihren verschiedenen Stadien (weniger feste Nahrung, Schleimsuppen, Tr nke 39, 14 ff.) hergestellt. Es ist ein st ndiger Fortschritt vom „St rkeren" (38, 4. u. i8f. 39, 21 f.) zum „Schw cheren" (38, 18. 39, 20) bzw. — da sich sp ter herausstellt, da einfaches „Wegnehmen" nicht gen gt — zum Differenzierten (Kap. 9). In diese Entwicklungsreihe geh rt also das Bereiten der Speisen f r die Gesunden als notwendiges Zwischenglied hinein (Kap. 7): es beruht auf derselben geistigen Prozedur wie die Medizin und ist als „Erfindung" identisch mit ihr (έμοί μεν γαρ φαίνεται ό αυτός λόγος και εν και ομοιον το εύρημα 40, 16): der Zusammenhang zwischen beiden ist die Garantie f r den methodischen Zusammenhang im Aufbau der Medizin (41, 8/9). Man kann darum schon dieses εύρημα und ζήτημα mit Recht mit dem Namen der Medizin belegen (38, 22 ff.): man spricht nur darum nicht von einer Techne, weil alle damit vertraut sind (vgl. oben S. 54). Es zu finden war aber eine echt wissenschaftliche Leistung (πολλής σκέψιός τε και τέχνης 39> 2 )> und die Gymnastik kommt noch heute auf demselben Wege zu weiteren Ergebnissen (Kap. 4). Die Kochkunst ist hiernach also methodische Vorstufe der Medizin, auch wenn sie im allgemeinen nicht als Techne anerkannt wird. Dies ist der Gedanke des Verfassers, auf dem er seinen Beweis f r die Existenz der Medizin als hypothesenfreier Wissenschaft aufbaut. Man kann nicht umhin, sich an das ganz andere Verh ltnis zwischen Medizin und Kochkunst zu erinnern, das Platon imGorgias statuiert (464 ff.). Der Medizin als einer Techne steht die όψοποιία als εμπειρία και τριβή (463 b) gegen ber wie der Gerechtigkeit die Rhetorik (465 b ff.). Bekanntlich wird das Schema von Platon auf κομμο)τική und Gymnastik einerseits, auf Sophistik und Gesetzgebung andrerseits ausgedehnt und f r alle zusammen — wieder unter ausdr cklicher Berufung auf die Geometer (465 b 7) — eine gro e Proportion aufgemacht. Auch die Proportion findet sich in VM (Kap. 8. 40, 24 ff.) wieder in der vereinfachten Form, da die δίαιτα der Gesunden als das geometrische Mittel zwischen derjenigen der Kranken und Tiere erscheint: nur so kann ihre Stellung als notwendiges Zwischenglied in der Entwicklung der Medizin exakt dargetan werden43. 43 Das Verst ndnis des Textes hat Schwierigkeiten gemacht. Sie werden, scheint mir, durch Jones behoben, der die Lesung von A akzeptiert (abgesehen von der selbstverst ndlichen nderung ήπερ M gegen ή περί A) und S. 71 bersetzt: „... one would

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Hier mu ein literarischer Zusammenhang mit dem Gorgias bestehen. Der Verfasser gibt Platon zu, da die Kochkunst im allgemeinen nicht als Techne gilt. Aber er begr ndet das mit einem an anderer Stelle (Protag. 326 e, vgl. o. l S. 54) auftretenden Argument aus der platonischen Wissenschaftslehre und baut die Kochkunst, die im Gorgias auf eine tiefere Ebene verwiesen war, in den Entwicklungsgang der Medizin als Wissenschaft ein. Das war m glich, weil die Medizin inzwischen von Platon selbst einer anderen Bewertung unterworfen worden war. Die Auseinandersetzung damit finden wir anschlie end in Kap. 9 von VM. Es setzt ein mit einer platonischen Wendung; die bereinstimmung ist auch hier nicht zuf llig, sondern kommt aus einer verwandten Denkstruktur. VM 41, 10: „Wenn es einfach so w re (ει μεν ην απλούν), wie es sich aus der Hinf hrung 44 ergeben hat, da alles St rkere schadete, alles Schw chere aber sowohl dem Kranken wie dem Gesunden n tzte und sie n hrte, dann w re das Gesch ft leicht; dann brauchte man nur zum Schw cheren zu f hren und w rde damit gro e Sicherheit gewinnen; nun aber (νυν δε) ist es kein geringerer Fehler und sch digt den Menschen nicht weniger, wenn er weniger als ausreichend zu sich nimmt"; vgl. Phaedr. 244 a 5 ει μεν γαρ ην άπλοΰν το μανίαν κακόν είναι, καλώς δν έλέγετο· νυν δε τα μέγιστα των αγαθών ήμΐν γίγνεται δια μανίας, θεία μέντοι δόσει διδομένης. Nun aber zum Inhaltlichen. Der Arzt bewegt sich nach VM auf der Linie zwischen zwei Extremen, der berf llung und dem Hunger. „Darum ist die Medizin viel komplizierter (als man zun chst voraussetzen konnte) und bedarf gr erer Exaktheit45. Denn man mu nach einem Ma zielen: als Ma aber, auf das man sich beziehen mu , um Einsicht in die erforderliche Exaktheit zu gewinnen (προς δ αναφερών46 εΐση το ακριβές), kann man nichts anderes finden als die Reaktion des K rpers; darum ist es eine schwere Aufgabe, zu so exakter Kenntnis zu gelangen, da man nur kleine Fehler in der einen oder anderen Richtung macht, und ich m chte denjenigen Arzt gewaltig loben, der nur geringe Fehler macht; nur in wenigen F llen aber ist es m glich, sachgem e Einsicht zu gewinnen47". Das Kapitel schlie t mit einer Parallele zwischen schlechten rzten und unf higen Steuerleuten. Diese Stelle ist von entscheidender Bedeutung f r die Erkenntnis der wissenschaftlichen Stellung des Verfassers. Der Arzt mu nach einem Ma zielen (μέτρου τινός στοχάσασθαι 41, 20). Mit dem „Zielen" wird in der uns berlieferten Literatur zuerst die Rhetorik in Zusammenhang gebracht, und zwar in bereinstimmender Wendung durch Isokrates (Soph. 13, 17 ψυχής ανδρικής και στοχαστικής έργον είναι) und Platon (Gorg. 463 a die Rhetorik

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find the possible harm no greater than etc." Diese Auffassung wird durch die weiteren Ausf hrungen des Kapitels best tigt. Zu ύφήγηται vgl. z. B. Plat. Cratyl. 392 d. Lys. 219 a. δια πλείονος άκριβείης 41, 19: hierzu vgl. Anm. 29. Vgl. o. S. 54. το δε άτρεκές όλιγάκις εστί κατιδεΐν: zu άτρεκές vgl. o. Anm. 29.

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ist επιτήδευμα . . . ψυχής στοχαστικής και ανδρείας). Man hat diese bereinstimmende Formulierung mit Wahrscheinlichkeit auf Gorgias zur ckgef hrt 48. Wenn man nun VM als Zeugnis daf r nehmen wollte, da auch f r die Medizin l in sophistischer Zeit der Terminus στοχάζεσθαι gebraucht wurde49, so w ren damit doch noch keineswegs alle bereinstimmungen zwischen Platon und VM in der Problematik und in der Formulierung ausreichend erkl rt. Offenbar war das Wort vom Zielen zun chst gepr gt worden, um das Risiko der Rhetorik positiv hervorzuheben. Bei Platon wird es zur absch tzigen Bezeichnung des Herumprobierens nach „Gef hl" (Gorg. 463 c 5 ή κολακευτική αίσθομένη, ου γνοΰσα λέγω, αλλά στοχασαμένη). Die Medizin dagegen arbeitet nach dem Gorgias mit Hilfe der Erkenntnis, die am βέλτιστον orientiert ist. Darum hat sie den Anspruch, als Techne zu gelten. Diesen Anspruch beh lt sie f r Platon immer; aber ihre Bewertung verschiebt sich sp ter so, da nun auch in ihr das Element des στοχασμός gefunden wird. Das Zeugnis daf r findet sich im Philebos 55 dfi. Auf diese f r VM 9 beraus wichtige Parallelstelle hat zuerst M. Pohlenz50 aufmerksam gemacht. Sie tritt dann in der Diskussion bei Festugiere51 und Wehrli52 wieder hervor. Im Philebos wird eine Einteilung der τέχναι nach ihrer geringeren oder gr eren N he zur επιστήμη gesucht. Wenn man von allen τέχναι Z hlen, W gen und Messen absondert, so ist das, was von jeder einzelnen brigbleibt, ziemlich geringwertig. Denn es bleibt dann nur brig, Vermutungen zu machen (είκάζειν) und die αισθήσεις mit Hilfe von Erfahrung und Routine zu trainieren (τάς αισθήσεις καταμελεταν εμπειρία καί τινι τριβή), wobei man die Kr fte der στοχαστική zu Hilfe nimmt, die viele τέχναι nennen. Das ist bei der Musik so, die die T ne zueinander f gt nicht nach Ma , sondern durch auf Training beruhendes Zielen (ου μετρώ άλλα μελέτης στοχασμω), und vor allem bei der Kunst des Saitenspiels (?) 53 , die dem Ma nachjagt, indem jede Saite durch Zielen in Bewegung gesetzt wird (το μέτρον εκάστης τφ στοχάζεσι^αι φερομένης -θηρεύουσα). Ebenso ist es bei Medizin, Landbau, Steuermannskunst und Feldherrnkunst. Alle τέχναι dagegen, die sich der Ma e und entsprechender Werkzeuge bedienen, bieten die Gew hr gr erer Exaktheit (ακρίβεια 56 b 5. vgl. c 8). Im Gorgias gibt es nur zwei Gruppen: hier τέχνη, dort εμπειρία καί τριβή. Die Medizin ist eine Techne, weil sie, am βέλτιστον orientiert, in der Lage ist, von den Gr nden ihres Verfahren Rechenschaft zu geben; die Rhe-«8 W. S ss, Ethos 24 S. 49

So zuerst M. Pohlenz, Aus Platons Werdezeit 135. Hermes 53, 1918, 415 f. so Hermes 53, 1918, 415. 51 n. 41 S. 41. 52 Mus. Helv. 8, 1951, 44. 53 αύλητική 56 a 5 scheint wegen des folgenden Hinweises auf die χορδή unm glich. Die Konjektur von Heusde αδ πληκτική schafft diesen Ansto weg.

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torik ist keine Techne, weil diese Kriterien auf sie nicht zutreffen (465 a). Im Philebos wird auf die Mittel gesehen, deren sich die τέχναι zur Verwirklichung ihrer Ziele bedienen: dann bleibt f r die Medizin, die nicht mit Ma , Gewicht und Zahl arbeitet, ein starker Rest von Unexaktheit, ein Angewiesensein auf Routine, Ausbildung des Fingerspitzengef hls und „Zielen". In VM werden nun alle diese Termini aufgenommen: die Medizin mu nach einem Ma zielen. Das Ma ist aber nicht im Sinne der platonischen mathematischen Exaktheit Zahl oder Gewicht54, sondern die αϊσθησις του σώματος. Wieder kann die bereinstimmung bis in die einzelnen verwendeten Termini hinein nicht zuf llig sein, und wieder verr t sich die Richtung der Abh ngigkeit dadurch, da in VM eine bewu te Weiterbildung vorgenommen wurde. „Nach einem Ma zielen" ist ein paradoxer Ausdruck: denn wenn ich ein Ma habe, brauche ich nicht danach zu zielen55. Im Philebos sind in der Tat μέτρον und στοχασμός einander zun chst ganz klar gegen bergestellt (56 a 4), dann aber wird von der Musik gesagt, da sie dem Ma jeder einzelnen Saite nachjagt, die durch Zielen in Bewegung gesetzt wird. Da wird die Paradoxie umst ndlich vorbereitet, die in VM klar und scharf herauskommt, indem der Fehdehandschuh bewu t aufgenommen wird: Gewi , die Medizin mu zielen. Anders kann sie das ihr gem e Ma nicht finden. Dieses Ma ist nicht dasjenige mathematischer Exaktheit, darum aber nicht weniger objektiv: es ist die αΐσθησις του σώματος, und ihre Erkenntnis ist um so mehr ein echt wissenschaftliches Unterfangen, je schwieriger sie ist. Die eigentlich neue Leistung ist also die Umwertung des α'ίσθησις-Begriffs, der vom Stigma der Subjektivit t befreit und zum objektiv-wissenschaftlichen Kriterium gemacht wird. Dar ber wird gleich weiter zu reden sein. Zun chst mu angemerkt werden, da man auch die das Kapitel abschlie ende Parallele zwischen Arzt und Steuermann f r sophistisch gehalten hat, da man aber auch f r sie zwar gen gend Belege bei Platon (den n chsten an unserer Philebos-Stelle _j6 b i), aber keine aus fr herer Zeit gefunden hat 56 . Ich halte das nicht f r zuf llig, da die Zusammenstellung f r keinen Denker so beispielhaft war wie f r Platon; Arzt und Steuermann sind zum σώζειν der Menschen berufen, die sich ihrer Kunst anvertrauen (Gorg. 511 d ff. 512 d 5, wo noch der μηχανοποιός dazukommt). Weil ihnen Gewalt ber das σώζειν und λωβδσθαι der Menschen gegeben ist, darum kann man diese beiden am besten zum Gleichnis der βασιλικοί άρχοντες w hlen (Polit. 2976 ff.). Wenn der Autor VM die Medizin zur Steuermannskunst in Parallele setzt, so bekundet er damit nur noch einmal mehr die hohe Meinung, die er von der ίητρική τέχνη hat. 54 Beispiele f r die Reihe Ma , Zahl, Gewicht bei Platon Festugiere n. 41, S. 41 ff. 55 Normal ist das Bild vom Zielen nach einem σκοπός; dieser Ausdruck wird positiv verwendet Resp. 7. 519 c 2/3. Die Stelle hat zu der hier interessierenden Problematik keine unmittelbare Beziehung. 56 Stellen bei Festugiere n. 42, S. 44.

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Kehren wir zu der Feststellung zur ck, da die eigentlich neue Leistung von VM Kap. 9 gegen ber der Philebos-Stelle die Umdeutung des αΐσθησιςBegriffs ist. αΐσθησις, f r Platon das beim Herumprobieren sich entwickelnde Fingerspitzengef hl, wird zum objektiven Kriterium. Der Begriff wird vom Subjekt des aus benden Techniten in das Objekt des behandelten Gegenstandes bertragen. Da α'ίσθησις so als „Empfindlichkeit, Reaktion" des K rpers zu verstehen ist, wurde bereits klargestellt durch W. M ri 57 in seiner i Widerlegung von K, Deichgr bers58 Konjektur διάθεσις, deren Unhaltbarkeit durch den Umdeutungsproze , in den wir den αΐσθησις-Begriff hineinstellen k nnen, nun vollends deutlich wird. F r die „objektive" Bedeutung von αΐσθησις haben sich auch Wanner59 und Festugiere 60 entschieden, w hrend W. Jaeger61 im platonischen Sinn unter α'ίσθησις ein „feines Taktgef hl" versteht. Da die objektive Reaktion des K rpers gemeint sein mu , hat schon M ri aus dem Sprachgebrauch von VM durch den Hinweis auf 47, 8 deutlich gemacht, wo der Komparativ des Adjektivs gleichfalls auf die Reaktion von Objekten bezogen ist. Es wird aber auch ohne das v llig klar aus dem Gedankengang der Schrift, die zun chst fortlaufend die Reaktion des menschlichen K rpers auf ein „Zu viel" und „Zu stark" der Ern hrung verfolgt und von Kap. 10 ab ebenso die Folgen des „Zu wenig" darstellt. Die Schrift steht ja mit dieser Umdeutung des αΐσθησις-Begriffes nicht allein. W. Jaeger hat das Verdienst, nach dem isolierten Hinweis von Kalchreuter zuerst auf die berraschende methodische hnlichkeit hingewiesen zu haben, die zwischen dem Vorgehen von VM und der μέσον-Ethik des Aristoteles besteht, und F. Wehrli hat das weiter verfolgt62. F r Aristoteles ist das Streben nach der ethischen αρετή ein Zielen nach der Mitte, entsprechend dem Vorgehen der guten τεχνΐται, und zwar geht es, gem dem Vorrang der αρετή vor jeder Techne, mit noch gr erem Bem hen um Exaktheit vor sich (EN B 5. iio b 15 ή αρετή πάσης τέχνης ακριβεστέρα και άμείνων [εστίν], ωσπερ και. ή φύσις, του μέσου αν εΐη στοχαστική); als Beispiel wird vorher ausdr cklich die Di t genannt (i 106 b i ff.). Es gilt f r die τέχναι wie f r die άρεταί, das μέσον προς ήμας zu treffen, das vom absoluten μέσον verschieden ist63. Eben darum ist das Treffen schwierig, das Verfehlen leicht 57 58

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Hermes 71, 1936, 467 ff. Hermes 68, 1933, 357. a. a. O. 64. n. 41 S. 43. Ebd. n. 69 S. 59 steht entscheidend Richtiges zur Abhebung des αϊσθησιςBegriffs von VM vom homo-mensura-Satz des Protagoras. Diokles von Karystos 39. F r die Literaturnachweise vgl. o. S. 47 f. Es ist aufschlu reich, die Zusammenstellung bei Kalchreuter, a. a. O. 35 f. zu berblicken; an allen angezogenen HippokratesStellen fehlen die entscheidenden Begriffe des Zielens und der αισθησις. Auf die Vorstufe dieser Denkweise bei Platon Phileb. 24/26 weist Wehrli, a. a. O. 43 f. hin. — Den Hinweis auf eine andere, h chst bemerkenswerte Vorstufe verdanke ich G. M ller: Polit. 284 e werden in einer Auseinandersetzung ber υπερβολή und Ιλλειψις (283 c. 285 b) die τέχναι, die Zahl, L nge, Tiefe, Breite, Schnelligkeit am

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(B 5. ii06 b 31 f. B 9. 1109 a 24 if.). Hier fallen Ausdr cke zur W rdigung des Verfahrens (άποτυχεΐν, έργον εστί), wie sie uns auch in VM (41, 22. 43, 26) begegnen, und Aristoteles stellt ebenso wie VM fest, da bei der anerkannten Schwierigkeit des Verfahrens derjenige nicht zu tadeln ist, der kleine Fehler nach der einen oder ndern Seite macht, sondern l nur der, der stark vom μέσον abweicht (EN no9b i8ff. VM 41, 220.). Wie weit man von der Mitte abweichen darf, f hrt Aristoteles an derselben Stelle fort, l t sich nicht leicht begrifflich definieren: ουδέ γαρ άλλο ουδέν των αισθητών τα δε τοιαύτα εν τοις καθ' έκαστα, και εν τη αίσθήσει ή κρίσις (vgl. 1126 b 4)· Wie in VM dient die αϊσ·θησις als objektives Kriterium; in welchem Sinn das gemeint ist, wird 1109 b 4 n her erl utert: τοΰτο δ' εσται γνώριμον tx της ηδονής και της λύπης της γιγνομένης περί ήμας. Die platonische Frage nach dem Kriterium f r das ethische Verhalten, wo doch Ma , Zahl und Gewicht fehlen (vgl. Euthyphr. 7 b/d), hat damit eine neue Antwort gefunden; vorbereitet wird sie im Philebos durch den pythagoreisierenden Nachweis, da in den τέχναι, wie in der φύσις πέρας und άπειρον zusammenwirken m ssen, um das positive Ziel zu erreichen64. Damit wird ein neuer Exaktheits-Begriff erm glicht, auf den VM und Aristoteles sich berufen. Da VM mitten in dieser Entwicklung der attischen Wissenschaftslehre steht, halte ich f r eine unausweichliche Folgerung aus dem vorliegenden Material; es mu nur noch gepr ft werden, an welcher Stelle der Entwicklung die Schrift einzureihen ist. Die Position von VM 9 lie sich so ungezwungen aus den Konsequenzen von Phileb. 55 dil. entwickeln, da es mir geboten scheint, die Schrift zwischen dem sp ten Platon und Aristoteles anzusetzen. Aristoteles beruft sich ausdr cklich auf das Vorgehen der τεχνΐται, von dem VM in keiner Weise abweicht. Es w re wenig originell, wenn die Schrift noch nach Aristoteles' Anwendung auf die Ethik ihre Stellung im Techne-Bereich mit solchem Nachdruck vertreten h tte. Au erdem geht Aristoteles in der Differenzierung der μέσον-Lehre bekanntlich weiter als VM, indem er nicht nur m glichste Ann herung an das μέσον, sondern un:er Umst nden die Abweichung nach dem einen Extrem hin als den gr ere Sicherheit verhei enden Weg empfiehlt (no9b 3o if.). Schlie lich bem ht sich VM, etwas krampfhaft, m glichst in der N he des platonischen Wissenschaftsideals zu bleiben: der Medizin als hypothesenfreier, methodisch vorgehender Wissenschaft soll der Rang der platonischen Wissenschaft gesichert werden, und dazu soll auch dienen, da die αΐσθησις als gleichwertiges KriGegenteil messen, von denjenigen unterschieden, die messen προς το μέτριον καΐ το πρέπον καΐ τον καιρόν και το δέον καΐ πάνθ' όπόσα εις το μέσον άπωκίσθη των εσχάτων; zu den hier verwendeten, u. a. in der Medizin wie in der Rhetorik weit verbreiteten Termini vgl. auch VM 39, 25 (μετρίως und δέοντα nebeneinander); 43, 26 (καιρός); ji, 20 (δέοντα). 6* Vgl. Anm. 63.

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terium, als μέτρον, neben den ndern „exakten" Kriterien erscheint (μέτρον65 δε ούτε αριθμόν ούτε σταθμόν άλλον, προς δ αναφερών66 εΐστ) το ακριβές, ουκ αν ευροις αλλ5 ή του σώματος την αΐσθησιν). Aristoteles dagegen statuiert aus einem viel breiteren systematischen berblick, da nicht alle Wissenschaften den gleichen Exaktheitsanspruch stellen k nnen: EN A i. 1094 b 12 το γαρ ακριβές ούχ ομοίως εν απασι τοις λόγους έπιζητητέον, ωσπερ ούδ' εν τοις δημιουργουμένοις ... (23) πεπαιδευμένου γαρ εστίν Ι επί τοσούτον τάκριβές έπιζητεΐν καθ' εκαστον γένος, καθ' δσσν ή του πράγματος φύσις επιδέχεται. W. Jaeger67 hat die aufschlu reiche Stelle angezogen und dargelegt68, da Diokles von Karystos dem Aristoteles folgt, wenn er (frg. 112 W.) zeigt, da das rztliche (und zwar gerade das di tetische) Vorgehen aus der Natur der Sache heraus nicht in jedem Fall eine tiologie zulasse. Dieser Ansatz der Schrift VM — in der Zeit des sp ten Platon, vor dem reifen Aristoteles — scheint mir durch eine Einzelheit gest tzt zu werden. VM 20 (51, 23 ff.) bringt als Beispiel f r seine Forderung nach einer individualisierenden Di tlehre, man d rfe nicht einfach statuieren, der K se sei ein sch dliches Nahrungsmittel, sondern m sse differenzieren nach der Art der Beschwerden, ihrer Ursache und den Organen und Wirkstoffen im Menschen, auf die der K se sch dlich wirke. In den Gesetzen hei t es i. 638 c: Alle, die ein Verhalten, kaum da man davon gesprochen hat, gleich loben oder tadeln, scheinen mir zu handeln οίον ει δη τις, έπαινέσαντός τίνος πύρους βρώμα ως αγαθόν, ευθύς ψέγοι, μη διαπυθόμενος αύτοΰ μήτε την έργασίαν μήτε την προσφοράν, οντινα τρόπον και οίστισι και μεθ° ων και όπως [προσφέρειν seel. Madvig] εχουσιν. Man braucht nicht einmal mit Cornarius c 5 πύρους in τυρούς zu ver ndern, um die enge Verwandtschaft beider Stellen zu empfinden. Die beiwege gebrachte Erw hnung in den Gesetzen d rfte eine bewu te Anspielung auf die Stelle in VM sein. Damit w re auch ein u erliches Indiz f r einen terminus ante quern gefunden. Die Beispiele, die VM Kap. ιο/ιι f r die Wirkung ungem er κένωσις und πλήρωσις bringt69, stimmen eng mit Ausf hrungen Acut. 27 ff. ber die 65 Auch an der Anm. 63 angezogenen Politikos-Stelle wird das Vorgehen beider dort unterschiedener Gruppen der τέχναι als „Messen" bezeichnet. 66 Platon „bezieht" auf die Idee des Guten als h chstes Kriterium: vgl. die schon o. S. 54 angef hrte Stelle Resp. 6. 484 c 9. 67 Diokles 41. 68 a. a. O. 37 ff. 69 Das Verst ndnis des Aufbaus ist in unseren Ausgaben durch eine unpassende Kapiteleinteilung und die Wahl einer falschen Variante gest rt. 43, 23/27 bringt den Abschlu der Auseinandersetzung ber die Wirkung von κένωσις und «λήρωσις und die Nutzanwendung vom Gesunden auf den Kranken gem der bekannten progressiven Auffassung des Verfassers. 43, 27 setzt dann die allgemeine Folgerung ein, die den grunds tzlichen Gedanken von Kap 9 ber die Exaktheit in der Medizin wieder aufnimmt. Man w rde daher besser Kap. 12 erst 43, 27 einsetzen lassen und mu auf jeden Fall, um die Folgerung herauszubringen, χαλεπόν δη (Μ), nicht δε (Α) lesen; vgl. auch M. Pohlenz, Hermes 53, 1918, 402.

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Gefahren einer Abweichung von der gewohnten Lebensweise zusammen. Das ist seit Littre (i, 3140.) bekannt, und es l t sich zeigen, da VM die speziell rztlichen Ausf hrungen der Schrift Περί διαίτης οξέων seinem Beweiszweck angepa t, also auf diese Schrift zur ckgegriffen hat 70 . Das gibt einen Hinweis auf die rztliche Umwelt, aus der der Verfasser kommt, wie seine Kulturentstehungslehre seine Verbindung mit dem vorplatonischen sophistischen Denken zeigte. In dem folgenden Abschnitt, der die Widerlegung der Hypothese von den Grundqualit ten enth lt (Kap. 13/19), findet sich eine Stelle, deren Terminololgie verschiedentlich als „platonisch" empfunden wurde: Kap. 15. 46, 2i f. bezweifelt der Verfasser, da diejenigen, die die Lehre von den Grundqualit ten vertreten, gefunden h tten αυτό τι εφ' έωυτοΰ Όερμόν ή ψυχρόν ή ξηρόν ή ύγρόν μηδενί αλλω εΐδει κοινωνέον. Α. Ε. Taylor71 hatte diese Stelle als willkommene Unterst tzung f r seine These begr t, da die Ideenlehre bereits vorplatonischen Ursprungs sei. Demgegen ber bem ht sich Festugiere72, jeden einzelnen der auff lligen Ausdr cke seines terminologischen Charakters zu entkleiden und mit dem normalen Sprachgebrauch des 5. Jhdts. in Einklang zu bringen. Nun st t dieses Verfahren freilich schon den isolierten Termini gegenber auf gewisse Schwierigkeiten. Wenn man αυτό τι εφ' έωυτοΰ θερμόν mit απ' αυτής της θέρμης είλικρινέος jo, ίο zusammenstellt, so kommt man in den Bereich ausgesprochen platonischer Terminologie (vgl. Phdn. 66 a. 67 b. 81 c. Phileb. 29 b. 53 a. 59 c. 63 b.). Der Gebrauch von είδος = species, „Spielart" (,sorte' Festugiere S. 51) eines Oberbegriffes hat sich notorisch schon im 5. Jhdt. entwickelt; so spricht z. B. Hdt. i, 94 von εΐδεα παιγνιέων, Thuc. 2, 50 vom είδος νόσου usw. In diesem Sinn redet VM 40, 22 und 44, i von den εΐδεα rztlichen Bem hens, 50, 24. 55, 8 von den εΐδεα χυμών, 54, 25 von den εΐδεα σχημάτων. Wenn an unserer Stelle εΐδος aber ohne Bezugnahme auf einen Oberbegriff f r die Abstraktion der Qualit t gesetzt wird, so geht das doch einen Schritt weiter. Vom Terminologischen abgesehen, ist aber vor allem bemerkenswert, wie VM imstande ist, mit Begriffsgrwppe« zu arbeiten, wie die Schrift die Grundqualit ten den im wesentlichen als Geschmacksqualit ten charakterisierten δυνάμιες gegen berstellt, wie sie die notwendige n here Bestimmtheit der Grundqualit ten durch Geschmacksqualit ten 73 und die Sonderstellung der Grundqualit ten hinsichtlich ihres zwangsl ufigen gegenseitigen Ausgleichs statuieren kann (Kap. 15. 16). Das setzt eine dialektische Schulung voraus, wie sie sonst vor Platon kaum nachzuweisen sein wird. 70 Vgl. Gnomon 14, 1938, 301 f. ber weitere Beziehungen von VM zu Acut. vgL Anm. 32. 35; o. S. 56. 71 Varia Socratica 215. 73 n. 54 S. 47 ff. 73 W. Jaeger, Paideia 2, 55 mit Anm. 58 weist darauf hin, da Soph. 257 a / 259 c ein hnliches Problem wie das in den Worten 56, 21 f. enthaltene er rtert wird.

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Eigent mlich ist auch der Sprachgebrauch von δύναμις f r die Geschmacksqualit ten (S fte). F r das δύναμιν έχον im menschlichen K rper (38, 5. 45, 3. 28. 47, 2. 9. 49, 3. 51, i. 5) wird in der Schrift ausgesprochen terminologisch das Wort δύναμις selbst gebraucht (46, 14. 47, 12. 49, i. 50, 10. 14), das 53, 2 f. ausdr cklich definiert wird: λέγω δε τι τοιούτον, δύναμιν μεν είναι, των χυμών τάς ακρότητας τε και ίσχύν. Diese Ersetzung von δύναμιν έχον durch δύναμις kann ich sonst nur aus Aristoteles belegen, vgl. part, anim. B i. 646 a 14 und Bonitz, Index Aristotelicus 206 b 43 ff74, l VM bezeichnet die These von den Grundqualit ten als „neumodisch" (36, 16. vgl. 44, 8). Nun war sie zweifellos fr h bei den rzten verbreitet75; nat rlich war es nicht Aufgabe des Verfassers, ihrem tats chlichen Alter nachzugehen, wenn er ihr gegen ber den „alten" Weg der medizinischen Wissenschaft konstruieren wollte (37, i. 44, 3). Anla , sich gegen sie zur Wehr zu setzen, hatte er in jedem Fall, wenn sie zu seiner Zeit wirksam und einflu reich war. Sehen wir uns in der Zeit um, in die wir durch den Gang unserer Untersuchung gef hrt worden sind, so finden wir, da — abgesehen von zahlreichen schwer datierbaren Theorien in hippokratischen Schriften — gegen die Mitte des 4. Jhdts.76 Philistion von Lokroi die vier Grundqualit ten zur ersten seiner Krankheitsursachen gemacht hat 77 . Philistion, der Vertreter westgriechischer Medizin, hat auf die Krankheits tiologie in Platons Timaios gewirkt78. In beiden F llen ist die Krankheits tiologie verbunden mit der Lehre des Empedokles von den vier Elementen, aus denen die Welt und der Mensch aufgebaut sind. Von Philistion berichtet die krankheits tiologische Doxographie des Peripatetikers Menon ausdr cklich, da er jedem Element eine Grundqualit t als δύναμις zuordnete (a. a. O. 27/30). Derselbe Bericht fa t Platon und Philistion in der Gruppe derjenigen zusammen, die glauben, da unsere K rper aus der σύστασις der Elemente bestehen (XIV 9/ii); parallel damit geht die Herleitung der Krankheiten aus den στοιχεία. Dieser Teil der nach IV 26/28 urspr nglich intendierten Disposition (Krankheits tiologie aus den περισσώματα — aus den στοιχεία) ist in der berleitung zum zweiten Teil XIV 6 ff. verwirrt79. Es ist aber v llig klar, da in peripatetischer Sicht ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem Aufbau des menschlichen K rpers aus den Elementen und der Krankheits tiologie aus den Grundqualit ten besteht. Wir haben festgestellt, da VM aus einer zeitlich naheliegenden, n mlich nachplatonischen Perspektive geschrieben ist. Wenn wir das festhalten, 74 Der bei sp teren Medizinern h ufige Gebrauch von δύναμις = „Heilmittel" d rfte sich dagegen aus der h ufigen Kombination δυνάμεις φυτών (vgl. 2. B. Xen. Cyr. 8, 8, 14. Theophr. Hist, plant. 8, n, i) u. . entwickelt haben. 75 Vgl. K. Reinhardt, Patmenides 227 f. 76 Vgl. RE 19, 1938, 2405 f. 77 Anon. Lond. ed. H. Diels XX 25 ff. = frg. 4 Wellmann. 78 Vgl. M. Wellmann, Die Fragmente der sikelischen rzte 69 ff. RE a. a. O. 2407. 79 Vgl. H. Diels z. St. und Hermes 28, 1893,

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so kl ren sich recht schnell die vielverhandelten Probleme des 20. Kapitels. Vor allem wird zun chst deutlich, warum der Verfasser, nachdem er die Lehre von den Grundqualit ten positiv und negativ widerlegt hat, noch einmal neu ansetzt80 und zu der Frage der naturphilosophischen Grundlegung der Medizin Stellung nimmt. „Manche rzte und Sophisten sagen, man k nne nichts von Medizin verstehen, wenn man nicht wisse, was der Mensch ist, und ihre Rede geht auf die Philosophie in dem Sinne, wie Empedokles oder andere ber φύσις geschrieben haben S1 , was der Mensch seinem Ursprung nach ist, wie er zuerst l entstand und woher er sich zusammenf gte. Nach meiner Meinung geh rt das, was ein Sophist oder Arzt ber φύσις gesagt oder geschrieben hat, mehr zur Schreibkunst als zur Medizin82. Wirkliche Klarheit ber φύσις (und damit meine ich: ber Aufbau und Entstehung des Menschen) kann man nur aus einem umfassenden berblick ber die Medizin gewinnen, bis dahin hat es aber noch gute Wege. Soviel freilich mu der Arzt ber φύσις wissen und sich sehr darum bem hen, wenn er das, was man von ihm erwartet, tun will: was der Mensch ist im Verh ltnis zu dem, was er i t und trinkt und sonst treibt, und was sich aus jedem einzelnen (an Nahrung, Getr nk, πόνος usw.) f r jedes einzelne (im K rper) f r Folgen ergeben werden." Dann wird an Beispielen (K se, Wein) dargetan, da die medizinische Lehre nicht generalisieren darf, sondern individualisieren mu . Die Stellungnahme zu der immer wieder hin- und herbewegten Frage, ob in diesem Abschnitt eine Beziehung zu Phaidros 2 696 ff. vorliege und welcher Art sie sein k nnte, wird f r uns wesentlich erleichtert durch die Einordnung der Schrift, zu der wir von ndern Kriterien her bereits gelangt sind. Von vornherein ist klar, da , wenn eine Beziehung besteht, dies nicht darum sein kann, weil VM etwas mit dem Hippokrates von Phaedr. 270 c zu tun hat, sondern weil VM, wie wir dies auch schon f r andere Partien festgestellt haben, sich auf diesen Abschnitt des Phaidros bezieht. In der Tat ist ein ganz wesentlicher Beziehungspunkt vorhanden. Er liegt in dem Hin- und Herwenden des Begriffs φύσις bei Platon und in VM. 80

Es ist durchaus nicht ersichtlich, warum Heiberg 51, 6 den Neueinsatz nicht markiert, sondern Kap. 20 ohne Absatz an Kap. 19 anschlie t. 81 51, 9 τείνει τε αύτοΐσιν ό λόγος ες φιλοσοφίην καθάπερ Έμπεδοκλέης ή άλλοι, οι περί φύσιος γεγράφασιν ist syntaktisch unm glich, weil die Nominative Έμπεδοκλέης ή άλλοι in der Luft h ngen. Pohlenz hat daher hinter γεγράφασιν (έζητήκασιν) eingef gt, was den Vorteil hat, da εξ αρχής κτλ gut angeschlossen werden kann, aber stilistisch und phonetisch weniger einleuchtet. Vielleicht gen gt Streichung von οι hinter άλλοι. 82 Die Stelle wurde von L. Edelstein a. a. O. 114 durch den Hinweis auf Isocr. 13, 10. 12. Hipp. Loc. 41. 6, 330 L. berzeugend gekl rt. Die Schreibkunst setzt aus sich immer gleich bleibenden, starren Elementen mechanisch die h heren Einheiten zusammen, Medizin und Rhetorik sehen sich immer wechselnden Verh ltnissen gegenber. Die Naturphilosophie konnte man in den Vergleich hineinziehen, sobald die „Elemente" der Natur terminologisch als στοιχεία bezeichnet wurden, was jedenfalls f r Platon bezeugt ist, sachlich auf die Prinzipien der Atomistik zur ckgeht (vgl. Tim. 48 b. 56 b. 57 c).

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Sokrates postuliert (269 ef.): alle „gro en" τέχναι bed rfen zus tzlich (προσδέονται) der άδολεσχία και μετεωρολογία φύσεως περί. So ist aus Perikles, abgesehen von seiner nat rlichen Begabung, ein guter Redner dadurch geworden, da er als Sch ler des Anaxagoras επί φύσιν νου τε και διανοίας vordrang. Es ist in der Rhetorik wie in der Medizin. Man mu in beiden die φύσις zerlegen, des K rpers in der einen, der Seele in der anderen, wenn man auf einer wirklich wissenschaftlichen Basis dem K rper Arzneien und Di t verordnen, der Seele λόγους τε και επιτηδεύσεις νομίμους beibringen und beide dadurch zu Gesundheit und Arete f hren will. Die φύσις der Seele kann man ohne die φύσις του όλου I nicht erkennen; (so hat es Perikles bei Anaxagoras gelernt83). So verlangt es auch Hippokrates f r die Erkenntnis des K rpers. Der αληθής λόγος, den man au er der Autorit t des Hippokrates heranziehen mu , sagt, da unter Untersuchung der φύσις zu verstehen ist: erstens die Untersuchung, ob der Gegenstand unserer Behandlung einfach oder vielgestaltig ist, und wenn er einfach ist, mu man weiter seine δύναμις untersuchen, τίνα προς τί πέφυκεν εις το δραν έχον ή τίνα εις το πάθει ν υπό του; wenn er mehrere ε'ίδη hat, mu man diese z hlen und dann f r jedes einzelne von ihnen dieselbe Untersuchung anstellen, wie sie f r das Eine vorgesehen war. Der naturphilosophischen Vorbildung wird also eine prop deutische F rderung der F higkeit, den Gegenstand der eigenen Techne methodisch zu behandeln, zugeschrieben: sie lehrt, den Gegenstand zu zergliedern und seine Elemente zu untersuchen. Platon spricht von Anaxagoras, weil er sich auf Perikles beruft; er nennt die geforderte wissenschaftliche Voraussetzung mit einem bei ihm beliebten ironischen Ausdruck μετεωρολογία φύσεως περί. Der Verfasser von VM lehnt die Besch ftigung damit ab, wie nach 36, 18 nicht anders zu erwarten ist. Er sieht die Reise, was die Medizin betrifft, in anderer Richtung gehen und nennt daher einen anderen Namen f r die Spekulation περί φύσιος, nicht Anaxagoras, sondern Empedokles, und das mit Recht, wenn er Platons eigene Spekulation auf dem Gebiet der Anthropologie und Medizin im Auge hatte: da diese auf Empedokles' Elementenlehre beruhte, lag auf der Hand, und es ist schwerlich zuf llig, da VM als Stichwort f r die anthropologische Spekulation ji, 12 οπόθεν συνεπάγη braucht, einen Ausdruck, der sich genau an der Stelle des Timaios findet, an der die Krankheitstiologie aus der Anthropologie der vier Elemente abgeleitet wird (82 a i). Die Zust ndigkeit der Naturphilosophie (φιλοσοφίη ^ι, 10) f r die Anthropologie wird abgelehnt; ihre Anerkennung w rde der Hypothesen-Medizin die T r ffnen. Die Naturphilosophie geh rt zur Schreibkunst; sie hat es ja mit στοιχεία zu tun84. Zust ndig f r Aussagen ber die φύσις ist vielmehr 83 Diese R ckbeziehung mu man um der Kontinuit t des Gedankenfortschrittes willen annehmen. Daher hat sich die Diskussion ber die Stelle mit Recht gegen Edelstein a. a. O. 130 S., dahin entschieden, unter dem όλον das „All" und nicht das „Ganze des behandelten Gegenstandes" zu verstehen. 84 Vgl. Anm. 82.

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die Medizin, die aber noch nicht so weit ist, umfassende Aussagen zu machen. Allerdings mu der Arzt sich durchaus bem hen, ber die φύσις so viel zu wissen, da er das Verh ltnis des Menschen zur Ern hrung und zur sonstigen Di t kennt, und zwar nicht nur generell, sondern vor allem individuell. In diesem Punkt stimmt der Verfasser den Forderungen des Phaidros also durchaus zu. Wie gesagt, kreist die ganze Er rterung in VM um das Stichwort φύσις, das der Phaidros in die Diskussion wirft. Der Gebrauch des Wortes in diesem Sinn, da es geradezu zur Bezeichnung einer Disziplin, der „Physik", werden kann, l ist f r Platon charakteristisch; vor dem Phaidros bringt es bekanntlich der Phaidon im Rechenschaftsbericht des Sokrates 96 a in der umschreibenden Form ταύτης της σοφίας, ην δη καλοΰσι περί φύσεως ίστορίαν. ίστορίη begegnet in diesem Zusammenhang auch VM 51, 17. Ich glaube, es ist deutlich, da VM auch in diesem Zusammenhang wie so oft Gedanken Platons aufnimmt und in Widerspruch und Zustimmung weiterbildet. Das Bekenntnis zum Individualisieren in Medizin und Rhetorik hat dem Verfasser eingeleuchtet, wie aus der Benutzung auch der anschlieenden Partien des Phaidros zu entnehmen ist85. Er treibt das Individualisieren erheblich weiter als Platon; f r ihn kommt es nicht in Frage, die είδη zu z hlen (Phaedr. 270 d); denn es gibt μύρια παντοίας δυνάμιας έχοντα im Menschen (45, 28), und dazu kommen noch die σχήματα, von denen es auch „unz hlige" M glichkeiten gibt (55, 3). Gerade die Erg nzung der δυνάμιες bzw. χυμοί durch die σχήματα, die anatomischen Formen (Kap. 22/3), soll offenbar ganz bewu t die M glichkeiten und Notwendigkeiten des Individualisierens erweitern. Sie liegt daher durchaus im Zuge dessen, was Kap. 20/21 eingef hrt wurde. Wenn schlie lich Kap. 24 noch einmal auf die δυνάμιες χυμών und die Beurteilung ihrer Verwandtschaft untereinander zu sprechen kommt, so soll damit wohl zum Schlu ein Beispiel jenes m glichen weiteren Fortschritts der Medizin auf dem bisher eingeschlagenen Wege gegeben werden, wie er 37, 3. 41, 9 in Aussicht gestellt war. Durch die Feststellung, da als Beispiel der σοφισταίΜ, die als Voraussetzung der Medizin Kenntnis der φύσις des Menschen verlangen, offenbar Platon gemeint ist, wird die andere Frage weniger wichtig, wen VM mit den rzten meint, die die gleiche Forderung stellten. Man k nnte darunter einfach den Hippokrates des Phaidros verstehen. Daneben ist immer die u erung der Schrift περί διαίτης ι, 2 in Betracht gezogen worden, da , wer ber Di t des Menschen richtig schreiben wolle, zuerst die ganze Menschennatur kennen und unterscheiden m sse: γνώναι μεν από τίνων συνέστηκεν εξ αρχής, διαγνώναι δε υπό τίνων μερών κεκράτηται· ει τε γαρ την εξ αρχής σύστασιν μη γνώσεται, αδύνατον εσται τα υπ5 εκείνων γιγνόμενα γνώναι· ει 85 Vgl. o. S. 52; Anm. 38. 86 Der Ausdruck wird nicht im terminologischen Sinne Platons, sondern in dem von Isokrates her bekannten Umfang gebraucht.

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τε μη γνώσεται to έπικρατέον εν τω σώματι, ούχ ικανός εσται τα ξυμφέροντα τφ άνθρώπω προσενεγκεϊν (6, 468 L.). Die bereinstimmung ist so eng, da sie von Festugiere87 als au moins curieuse bezeichnet wurde. Die Beziehung ist aber von Jaeger bestritten worden, weil er die Schrift π. διαίτης mit Recht in die Mitte des 4. Jhdts., VM dagegen in die Zeit um 400 datiert88. Durch die Herunterdatierung von VM fallen diese Bedenken weg. Zuzugeben ist Jaeger, da vieles in den weiteren Ausf hrungen von Vict. durch die Polemik von VM nicht getroffen wird; doch es w rde gen gen, wenn diese Polemik, die prim r von der ! Auseinandersetzung mit Platon ausging, sich lediglich an das einf hrende Programm von Vict. heftete und ihm das — freilich sehr naheliegende — Stichwort άνθρωπος ($ι, 8. n. 17. 20) entnahm, das an der Phaidros-Stelle nicht vorkommt. Wir haben der Schrift Περί άρχαίης ίητρικής eine neue Stellung in der Wissenschaftsgeschichte angewiesen. Es ergaben sich spezielle Beziehungen zu einzelnen platonischen Dialogen, dem Gorgias, dem Phaidros, dem Philebos; der Verfasser hat offenbar die Ausf hrungen Platons ber Stellung und Aufgaben der Medizin und der τέχναι im ganzen studiert und sich mit ihnen auseinandergesetzt. Dar ber hinaus ist er vertraut mit der Wissenschaftslehre und dem methodischen Bewu tsein der sp tplatonischen Akademie. Wir gewinnen in seiner Schrift ein Zeugnis zeitgen ssischer Auseinandersetzung mit platonischer Lehre. Wie Aristoteles steht er, wenn auch in engerem Bereich und st rker vom Erbe sophistischen Geistes belastet, vor der Aufgabe, das Unverlierbare am platonischen Wissensbegriff mit den Erfahrungen und Forderungen der Einzelwissenschaft in Einklang zu bringen.

s/ n. 67 S. 56. 88 Paideia 2, 45 ff.

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DER INNERE ZUSAMMENHANG DER HIPPOKRATISCHEN SCHRIFT DE VICTU 1959 Was für andere hippokratische Schriften die Entstehungsanalyse, ist für (Viet.) die Quellenkritik. Daß die umfangreiche Schrift, die im Altertum in mindestens drei Bücher geteilt war, ein einheitliches Ganzes zu sein beansprucht, konnte niemals übersehen werden. Denn sie beginnt damit, daß der Verfasser das Bedürfnis nach einem umfassenden, alles, soweit es dem menschlichen Verstand erreichbar ist, zutreffend beschreibenden Werk über Diätetik ausspricht (VI 466 L.), und sie endet mit der Feststellung, daß er diese Diätetik gefunden habe, soweit es dem Menschen mit Hilfe der Götter möglich ist (VI 662 L.). Im zweiten Kapitel wird eine Disposition gegeben, die im Verlauf des Werks ·— mit einigen Abweichungen, über die noch zu sprechen sein wird — durchgängig eingehalten wird. Andererseits bekennt sich der Verfasser gleich im ersten Kapitel zur stillschweigenden Übernahme richtiger Aussagen und Lehren von Vorgängern und zur ebenso stillschweigenden Berichtigung dessen, was ihm verkehrt scheint. Dieses Verfahren ist in einem Werk wissenschaftlichen Charakters nicht verwunderlich. Aber der Verfasser ist darüber hinausgegangen, indem er seine Leser an vielen Stellen durch die Art seiner Formulierung geradezu auf die Vorbilder stößt, die ihm vorgeschwebt haben. Das ist besonders in der naturphilosophischen Grundlegung des ersten Buches aufgefallen, wo auch der weniger Kundige sich auf Schritt und Tritt an Heraklit, Empedokles, Anaxagoras und andere vorsokratische Denker erinnert fühlt 1 . Die Forschung hat sich dafür zunächst in ihrer Weise dankbar gezeigt und eine große geschlossene Partie des ersten Buchs als Fundgrube insbesondere für l Am besten übersieht man die Berührungen in der Ausgabe der Kap. 3/24, die Hermann Diels seiner Sonderausgabe des Herakleitos von Ephesos (2. Aufl. 1909) S. 52 ff. beigegeben hat. — Abgesehen von allen anderen Parallelen, die beigebracht werden, sollte man nicht vergessen, daß die Grundhaltung des ersten Kapitels ganz der des Prooemiums zu Empedokles' entspricht: Auseinandersetzungen mit den Vorgängern, die immer nur Teile statt des Ganzen sahen (Vors. 31 B 2, 5/6 mit Anm. ~ VI 466, 5/7 L.), Verheißung der ganzen Wahrheit, aber nur, soweit sie Menschen zugänglich ist (Vors. 31 B 2, 7/9 ~ VI 466, 3, vgl. 662, 9 L.).

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Heraklit ausgebeutet2. Als sich bei stärker differenzierter Kenntnis der vorsokratischen Philosophie herausstellte, daß eine so direkte Zurückführung nicht möglich war, blieb doch die l Auffassung bestehen, daß das Werk eine Kompilation sei, die aus einer überschaubaren Zahl von Vorlagen zwar planvoll, aber ohne einheitliche Grundkonzeption des Verfassers zusammengestellt wurde. Diese Auffassung wurde vor allem durch C. Fredrich vertreten, der nun nicht mehr Heraklit oder Anaxagoras selbst, sondern einen „Herakliteer" und einen von Anaxagoras beeinflußten „Physiker" (etwa Archelaos) als Quellen des ersten Buchs ansah und die Analyse auch auf die ändern Bücher des Werks ausdehnte3. Fredrichs Thesen hatten großen Erfolg, weil er die Schrift in allen ihren Teilen behandelte und so einläßlich interpretierte, wie es nach ihm kaum ein Gelehrter getan hat. Als erster widersprach K. Reinhardt4, der an zwei Kapiteln, die Fredrich auf verschiedene Vorlagen aufgeteilt hatte, die gleiche archaisierende, dem Empedokles nachgebildete Kompositionstechnik nachwies. Während sich Reinhardt auf dieses Beispiel beschränkte, wurde auch bei denen, die größere Partien kritisch untersuchten, die Skepsis gegen die Möglichkeit, die Schrift in eine begrenzte Zahl von Vorlagen aufzulösen, immer größer5. Trotzdem blieb die Frage nach der Herkunft dessen, was in dem Werk ausgeführt wird, auch weiterhin im Vordergrund 6. Selbst W. Jaeger7, der im Widerspruch gegen Ergebnisse der älteren Quellenanalyse den Gedankengang der Schrift nachzeichnete, kam es doch vor allem darauf an, sie durch Herunterdatierung in eine neue geistige Umwelt einzuordnen, und die Beziehung auf diese Umgebung mußte ihm vor dem Versuch stehen, den Aufbau der Schrift von den Intentionen ihres Verfassers her zu erfassen. Bei einer solchen Gesamtanalyse hat man es im Grunde immer noch mit Fredrich 2 Am konsequentesten J. Bernays in seiner Dissertation von 1848 = Ges. Abhandlungen I i ff. 3 Hippokratische Untersuchungen (Philol. Untersuchungen 15, 1899), 81 ff. — Inkongruenzen, die auf eine Kompilation hinweisen könnten, stellte schon Gh. Daremberg, Journal des Savants, 1853, 309 f. fest. ·* Pannenides und die Geschichte der griechischen Philosophie, 1916, 56 ff. 5 Vgl. A. Palm, Studien zur hippokratischen Schrift , Diss. Tübingen 1933, 107. 123. K. Deichgräber, Die Epidemien und das Corpus Hippocraticum 1933, 61. W. H. S. Jones, Hippocrates IV* 1953, XLVI. W. Jaeger, Paideia II 1944, 45 (deutsche Ausgabe). G. Hof er, Heraklit, Herakliteer und hippokratisches Corpus, Diss. Bonn 1950 (maschinenschr.), 40. 51. Emphatisch spricht R. Kapferer in der Einleitung zu seiner Übersetzung (Die Werke des Hippokrates, 1933/40, III 7) von der „Schönheit der Satzbildung und des Stils" und der „Präzision und Folgerichtigkeit der Gedankenführung" sowie der „Klarheit des Aufbaus", möchte aber zum Beweis dieses Lobs philologische Hilfe haben (n). 6 So bei Palm und Höfer, dessen Nachweis, daß vieles in der Schrift, das für heraklitisch gehalten wurde, aus rein ärztlichen Fragestellungen entwickelt ist, verdienstlich und nachdenkenswert ist. Auf rein quellenkritische Fragestellung weist auch der doxographische Überblick bei H.-L. Dittmer, Konstitutionstypen im Corpus Hippocraticum, Diss. Jena 1940, 21 ff. 7 Diokles von Karystos, 1938, 167 ff. Paideia II 1944, 45 ff.

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zu tun. Man wird ihm einr umen m ssen, da er die Absichten des Verfassers in vielem ebenso richtig gesehen hat wie die M ngel in ihrer Ausf hrung; nur hat er f r beides mit seiner Kompilationshypothese eine unbefriedigende Erkl rung gegeben, l Es wurde schon gesagt, da der Verfasser im Einleitungskapitel ein umfassendes und, soweit menschenm glich, in allem richtiges Werk ber Di t verlangt. Das wurde nach seiner Ansicht bisher nicht geschaffen, weil keiner der Vorg nger imstande war, das Gan2e zu erfassen, sondern der eine nur dies, der andere jenes richtig traf. Davon will der Verfasser stillschweigend das Richtige bernehmen, das Falsche verbessern; zur Rechtfertigung dieses Vorgehens erkl rt er, da nur derjenige, der zu einem solchen eklektischen Urteil f hig ist, auch den Verstand hat, das noch nicht Gesagte zu entdecken (VI 466/8 L.). Es ist ohne weiteres klar, da es auf einem Vorurteil beruht, wenn man mit Fredrich das eklektische Verhalten mit einem kompilatorischen Verfahren gleichsetzt, und da es ungerecht ist, nicht mit der M glichkeit zu rechnen, da — vom Berichtigten ganz abgesehen — auch das bernommene geistig durchdrungen und sprachlich umgestaltet wurde. Der Verfasser jedenfalls nimmt geistige Selbst ndigkeit in allen drei Punkten f r sich in Anspruch, w hrend Fredrich sie nur f r das von ihm ganz neu Entdeckte gelten lassen will. Welchen Inhalt die in Kap. i methodisch unterschiedenen Gebiete haben, zeigt Kap. 2. Alle Voraussetzungen, die zu einer wirksamen Di tetik geh ren, sind — wenn man auf das Ganze der Forschung sieht — schon gefunden, bis auf eine, die Feststellung des richtigen individuellen Verh ltnisses zwischen Ern hrung und k rperlicher Anstrengung. Dieses zu finden w re nur m glich, wenn der Arzt oder der Trainer st ndig hinter jedem einzelnen Menschen st nde, ihn bei den gymnastischen bungen beobachtete und ihm, je nach dem Zustand seines entbl ten K rpers, Vorschriften f r die Regulierung des Verh ltnisses machte. Da dies praktisch unm glich ist, besteht die Gefahr, da eine zun chst kleine Verschiebung der Relation durch Summierung der Sch den allm hlich zu einer Erkrankung f hrt 8 . Nach diesen S tzen hei t es weiter (VI 472, 2 L.): „Meine Vorg nger haben ihre Forschungen bis zu diesem Punkt gef hrt; ειρηται δε ουδέ ταΰτα; ich aber habe dieses vollst ndig herausgefunden (έξεύρηται) und au erdem die Vorauserkenntnis (προδιάγνωσις) der Erkrankung, bevor sie den Menschen infolge 8

VI 470, 13/472, 2 L. Von den nderungen zu dieser Stelle halte ich die Umstellung von γινώσχοι S.v durch Ermerins, die die Korrektur von ώστε in ως δει nach sich zieht, f r n tig, die von έπε! in kal und von [δ omis. M] έμοί εΐρηται in α (θ) έμοί εδρηται durch Diels (Hermes 45, 1910, 144) f r falsch, weil ein Hinweis auf das εύρημα des Verfassers schon an dieser Stelle die Argumentation st ren w rde. — Gemeint ist, da die normalen k rperlichen Anstrengungen, denen ein Mensch sich gewohnheitsm ig unterzieht, nicht im richtigen Verh ltnis zu seiner gewohnten Ern hrung stehen. Da gerade das schwer feststellbar ist, wird auch Kap. 66. VI 586, 9 ff. gesagt und eine allgemeine vorbeugende Di t dagegen verordnet.

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einer bertreibung nach der einen oder der anderen Seite bef llt." Hier ersetzte Diels εΐρηται durch εΰρηίαι, vor allem im Hinblick auf das gleich folgende εξεύρηται. Aber da es 470, 17 L. ausdr cklich hei t, da alles bis auf die Symmetrie zwischen Nahrung und Anstrengung l gefunden worden ist, und ταΰτα = τα μέχρι τούτου ζητηθήναι έπικεχειρημένα auch hier dieses „alles" meinen mu — im Gegensatz zu τοΰτο, das die angestrebte Symmetrie bezeichnet —, w rde so ein un berwindlicher Widerspruch entstehen. Man m te mindestens auch hier εξεύρηται lesen und darunter die vollst ndige, fehlerfreie Entdeckung durch einen einzelnen Vorg nger verstehen. Gemeint mu das auf jeden Fall sein; aber es wird besser wiedergegeben, wenn man aus dem Zusatz ut congruit der lateinischen bersetzung ορθώς nach εϊρηται δε ουδέ ταΰτα erg nzt, was auch Diels schon erwog, aber aus — grunds tzlich berechtigtem — Mi trauen gegen den Lateiner verwarf. Denn mit der Frage, wieweit seine Vorg nger die Di tetik, und zwar die ganze Di tetik, richtig oder nicht richtig darstellten, setzt sich der Verfasser ja im ersten Kapitel, an das er hier methodisch ankn pft, st ndig auseinander (VI 466, 2. 4. 6. 10.12.13.15. 468, i. 3 L.), und auch dort schlie t sich an diese Auseinandersetzung der Ausblick auf die eigene Entdeckung dessen, was noch keiner darzulegen in Angriff nahm. Im folgenden dagegen soll man gewi nicht, weil der Lateiner de qua liest, mit Diels εφ' όκότερον in αφ' όκοτέρων ndern. Denn es war schon 470,16 gesagt, da ein bergewicht der Nahrung ber die Anstrengung und umgekehrt μήτε επί το πλέον μήτε επί το έλασσον eintreten d rfe, und eben darum geht es ja bei dem εύρημα des Verfassers, rechtzeitig festzustellen, welcher von beiden Faktoren das bergewicht hat 9 . Das Verh ltnis zwischen Ern hrung und k rperlicher Bet tigung als das wichtigste Ziel seiner Ausf hrungen besch ftigt die Gedanken des Verfassers schon in diesen einleitenden Ausf hrungen so stark, da auch die Mitteilung der Disposition in Kap. 2 davon beeinflu t wird, was gewisse Differenzen zwischen der Disposition und der Ausf hrung verursacht; z. T. haben solche Differenzen aber auch andere Gr nde, wie wir gleich sehen werden. Nach der Disposition sind die ersten Aufgaben des Di tetikers, zu erkennen (γνώναι), aus welchen urspr nglichen Bestandteilen der Mensch als Gattungswesen aufgebaut ist, und zu unterscheiden (διαγνώναι), von welchen elementaren Faktoren er (im Einzelfall) beherrscht wird (468, 6/12 L.). Ohne Zweifel umfa t die Behandlung dieser beiden Punkte insgesamt die Kap. 3 bis 36; dann folgt der Betrachtung des nur auf sich selbst bezogenen Menschen die Behandlung der von au en auf ihn wirkenden Faktoren der geographischen Bedingungen, der Nahrung und der Anstrengungen, die auch in der Disposition besonders erw hnt werden. Wo aber liegt der Schnitt zwischen der Darstellung der generellen Menschwerdung und der Einteilung in verschiedene, durch verschiedenartige Zusammensetzung bestimmte 9 Vgl. Anm. 8.

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menschliche Typen? H lt man sich an bereinstimmungen im Wortlaut, so scheint der erste Teil der Disposition am Ende von Kap. 32 erf llt, das schlie t: „Was also die Beurteilung der Konstitution betrifft, soweit es sich um die urspr ngliche Zusammensetzung l handelt, so mu man die hier genannten Schl sse ziehen" (περί μεν ουν φΰσιος διαγνώσιος ούτω χρή διαγινώσκειν της εξ αρχής συστάσιος VI 510, 22/3 L.). So hat auch Fredrich abgeteilt (a. a. O. 87), weil hiermit die Behandlung der „urspr nglichen Zusammensetzung" abgeschlossen zu sein scheint. Aber es ist zu beachten, da hier nicht von einem γνώναι wie beim ersten Punkt der Disposition die Rede ist, sondern von einem διαγνώναι, was dem zweiten Punkt entspricht, und in der Tat handelt es sich auch in Kap. 32 schon um ein „Unterscheiden", da hier bereits von verschiedenen k rperlichen Typen gem der verschiedenartigen Zusammensetzung aus Feuer und Wasser die Rede ist. Diese Variationen bedeuten essentiell Abweichungen von der — am Anfang des Kapitels zur Orientierung dargestellten — Norm und daher auch Ans tze zu gesundheitlicher Gef hrdung, die durch Di t ausgeglichen werden k nnen und m ssen, ebenso wie die Abweichungen von der normalen Intelligenz in der ψυχή, die in Kap. 35 typologisch behandelt werden. Es ist daher kein Zufall, sondern entspricht vollkommen dem systematischen Gedankengang des Verfassers, da in Kap. 32 zum ersten Mal Di tvorschriften gegeben werden, ebenso wie dann wieder in Kap. 35. Grunds tzlich richtig, wenn auch etwas zu stark modernisierend, hat R. Kapferer in seiner bersicht ber den Gedankengang der Schrift (a.a.O. III 15. 18) festgestellt, da Kap. 9/31 „die normale Erbanlage" und Kap. 32/35 (bzw. 36, das im Anschlu an Kap. 35 eine Feststellung ber beeinflu bare und nicht beeinflu bare Abweichungen von der Norm bringt) „die pathologische Erbanlage" behandele. Die irref hrende bereinstimmung des Wortlauts am Ende von Kap. 32 mit dem ersten Punkt der Disposition in Kap. 2 r hrt daher, da der Verfasser den f r das ganze Leben sich gleichbleibenden Typen aus Kap. 32 nun in Kap. 33 die Unterschiede der Lebensalter gegen berstellen will. Es ist lehrreich, sich das klarzumachen, weil, wie wir sehen werden, die im ganzen klar und oft geradezu schematisch konzipierte Disposition auch sonst verschiedentlich ber der Ber cksichtigung von konkurrierenden Einzelheiten der Ausf hrung beeintr chtigt und geradezu „vergessen" wird. Als n chste Dispositionspunkte nennt Kap. 2 die Wirkung von Speisen und Getr nken, und zwar einerseits nach ihrer nat rlichen Beschaffenheit, andererseits nach ihrer Zubereitung durch den Menschen (VI 468, 13 ff. L.), und anschlie end die der k rperlichen Anstrengungen, die, in deutlicher Parallele zur Einteilung der Ern hrung, in „nat rliche" und „k nstliche" unterschieden werden. Das entspricht genau der Ausf hrung in Kap. 39/56 („Die Wirkung von Speisen und Getr nken je nach ihrer Natur und nach ihrer Bearbeitung mu man in folgender Weise erkennen" VI 534, 17/8 L.) und in Kap. 61/66, wo VI 574, 18/9 L. die k rperlichen (und seelischen!) Bet tigungen auch wieder in „nat rliche" und „gewaltsame" eingeteilt sind, und

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es ist ganz sachgemäß, daß zwischen Ernährung und Tätigkeit menschliche Lebensgewohnheiten wie Bäder, Einreibungen, Schlaf, Erbrechen, Geschlechtsverkehr usw. gestellt sind, also l Bestandteile der , die weder zur einen noch zur ändern Gruppe gehören, aber von beiden etwas an sich haben (Kap. 57/60). Aber nun heißt es in der Disposition weiter, daß man nicht nur die Wirkung der Speisen an und für sich beachten müsse, sonden auch ihr Verhältnis zur Ernährung, zur Konstitution, zum Lebensalter, zu den Jahreszeiten und Winden, zu den Ländern, in denen die Menschen leben, zum Wetter und zu bestimmten Kalenderdaten (VI 470, 6/13 L.). Hiernach würden also alle diese Faktoren (mit Ausnahme der Ernährung) nicht selbständig, sondern nur in ihrem Verhältnis zu den behandelt. Das trifft in der Ausführung jedenfalls nicht zu für die Landesnatur und die Winde, die in Kap. 37 und 38, also zwischen der pathologischen Typenlehre und der Ernährung, als selbständige Faktoren besprochen werden, und zwar jeweils zunächst im allgemeinen und dann im besonderen. Daß auch Konstitutionstypen und Lebensalter gesondert behandelt wurden, und zwar bereits im zweiten Teil der Ausführung in vollkommener Übereinstimmung mit den ersten Sätzen der Disposition, sahen wir schon S. 75. Die ändern jetzt genannten Faktoren finden auch in der Ausführung keine selbständige Behandlung, aber es gibt tatsächlich einen Abschnitt, in dem alle an dieser Stelle erwähnten Faktoren zueinander in Beziehung gesetzt werden, und zwar in Kap. 68, und es entspricht der Disposition, daß die dort tatsächlich die Führung haben. Wir befinden uns nämlich schon im Bereich des Gedankengangs, der dem Verfasser besonders am Herzen liegt, bei der Frage nach der Herstellung des richtigen individuellen Verhältnisses zwischen Ernährung und Tätigkeit. Nachdem er, der Einleitung entsprechend, noch einmal angekündigt hat, daß ihm dies in einem gewissen Sinne und bis zu einem gewissen Grade gelungen sei, verschiebt er die Darstellung seines ein letztes Mal, um vorher der „breiten Masse der Menschen", deren soziale Lage eine starke Individualisierung der Lebensweise nicht erlaubt, allgemeine diätetische Vorschriften zu machen. Diese Vorschriften sind nach dem Verlauf des Jahres eingeteilt; die Nahrungsaufnahme und die Betätigung haben sich nach der Jahreszeit zu richten, aber auch nach den ändern in der Disposition genannten Faktoren, wie Konstitution und Lebensalter, Wind und Wetter; auch von den Ländern, in denen die Menschen leben, und einem Wechsel der Lokalität ist die Rede (VI 596, 17. 604, i L.). Es ist kein Zweifel, daß der Verfasser schon in der Disposition an diese Kapitel dachte, als er dort alle Faktoren zueinander in Relation setzte, und wenn er sie in erster Linie zu den in Beziehung brachte, so entspricht ja auch das dem Gang der Schrift, wo in Kap. 61/6 die als selbständiger Faktor behandelt waren und in Kap. 67 der Gedanke der Symmetrie der beiden diätetischen Hauptfaktoren schon angesprochen war. Das Bedürfnis, auch Winde und geographische Lage, die in Kap. 68 in der Tat ziemlich stiefmütterlich behandelt werden, in Kap. 37/8

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selbständig zu besprechen, mag sich erst im Lauf der Darstellung ergeben haben. Vielleicht hat sich dieses unsichere l Verhältnis der beiden Kapitel zur Gesamtdisposition auch auf ihre Stellung in der Bucheinteilung ausgewirkt; denn wir erfahren aus Galen, de alim. fac. i, i, 35 (CMG V 4, 2, p. 212, 20 ff.), daß Buch II unserer Schrift in manchen antiken Handschriften, wie in unseren mittelalterlichen, mit dem Länderkapitel 37, in ändern aber mit dem Abschnitt über die Ernährung (39) einsetzte. Wichtiger als diese Frage ist aber die Feststellung, daß die Disposition gerade auch mit den Schwierigkeiten, die sie bietet, auf den eigentlich bestimmenden Gedankengang der Schrift hin orientiert ist und daß in ihm Kap. 68 eine wichtige Stellung einnimmt. Denn man hat ganz richtig gezeigt, daß dieses Kapitel enge Berührungen mit der hippokratischen Schrift (VI jz ff. L.) aufweist und daß sie sich auch durch ihre Beziehungen zu Diokles von Karystos in eine feste Tradition der hygienischen Literatur stellt10. Wie aber schon Fredrichs Zusammenstellungen zeigen, daß unsere Schrift wissenschaftliches Traditionsgut, das seiner Natur nach individuelle Abweichungen nur bedingt erlaubt, selbständig sprachlich umgesetzt und sachlich weitergebildet hat, so beweist erst recht das Verhältnis der Disposition zur Ausführung in diesem Kapitel, daß der Verfasser das Material, das ihm nach seinen eigenen Worten zahlreiche Vorgänger zubereitet hatten, wirklich — und das wiederum in Übereinstimmung mit seinen eigenen Angaben — selbständig und neu durchdacht hat. An Kap. 68 schließt sich die schon Kap. 67 angekündigte Darstellung des an, der Bestimmung des richtigen individuellen Verhältnisses von Ernährung und Anstrengung (69/85). Sie läßt sich, wie wir schon aus der Einleitung wissen, nicht unmittelbar erkennen, sondern nur indirekt aus Zeichen, die so frühzeitig auf eine gesundheitsschädliche Verschiebung der Verhältnisse hinweisen, daß eine Regulierung durch Diät noch verhältnismäßig leicht möglich ist. Der Verfasser nennt diese Erkenntnis, die eine ätiologische Deutung und dadurch auch eine Beeinflussung des erkannten Schadens zuläßt, Prodiagnose im Gegensatz zur üblichen hippokratischen Prognose, die aus Zeichen zunächst nur auf das schließt, was kommen wird, ohne daß zwischen den Zeichen und der Behandlung ein notwendiger Kausalzusammenhang konstruiert würde. Größere Ähnlichkeit hat mit dem Vorgehen in Vict., wie man schon bemerkt hat, die Methode der knidischen Schriften, die auch Ätiologie, Symptomatik, Prognose und Therapie nebeneinander stellen11. Aber sie stellen keineswegs ein so direktes Verhältnis zwischen Ätiologie, Symptomatik und Therapie her wie unsere Schrift; außerdem sprechen sie nur vom bereits erkrankten Menschen, der Gedanke der Prophylaxe, der das letzte Buch von Vict. bestimmt, ist ihnen fremd. ! 10 Fredrich 193 ff. Über das Verhältnis der Schrift zu diätetischen Vorschriften des Diokles vgl. auch W. Jaeger, Paideia II 49 f. 11 Fredrich 203. 227. Bedenken bei Palm 119 f.

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Wie wir wissen, bem ht sich unsere Schrift gerade um die tiologische Herleitung der Zeichen (τεκμήρια), um darauf eine sichere prophylaktische Behandlung zu begr nden. Die Ursachen liegen in der Verschiebung des f r den einzelnen Menschen zutr glichen Verh ltnisses zwischen Nahrung und Anstrengung. Das ist immer wieder gesagt worden, und man ist daher etwas berrascht, wenn man feststellt, da die Klassifizierung nach dem berwiegen des einen oder des ndern Faktors nicht so einfach durchzuf hren ist, wie man nach der Ank ndigung des Verfassers und auch nach den Ergebnissen der bisherigen Forschung erwarten sollte. Littre, Fredrich und Kapferer sehen bereinstimmend in Kap. 70/75 ein berma der Nahrung, in Kap. 76/84 ein berma der πόνοι diagnostiziert; Kapferer stellt sogar, indem er einigen Krankheitsbildern der zweiten Gruppe nur den Wert von Varianten zuerkennt, eine vollkommene zahlenm ige Symmetrie zwischen beiden Gruppen her (6 : 6)12. Aber die Dinge liegen wirklich nicht so einfach. W hrend in Kap. 70/5 sicher F lle von πλησμονή dargestellt werden, ist zwar in Kap. 76 von πόνος als einem verursachenden Moment die Rede (VI 618, 16 L.); aber in Kap. 77 wird deutlich wieder πλησμονή als Ursache angegeben (VI 620, 15 L.) und auch durch die empfohlene Behandlung als solche erwiesen (mehr πόνοι werden gefordert VI 620, 10 L.). Kap. 78 wird von der Unf higkeit zur Aufnahme und Verdauung der Nahrung, aber von einem berwiegen der πόνοι nicht in jedem Fall, sondern nur bei einer ausdr cklich als solche bezeichneten Spielart gesprochen (πάσχουσι δε τούτοισι παραπλήσια και όκόοοι άγι'ιμναστοι έόντες, έξαπίνης πονήσαντες σύντηξιν . . . εποίησαν VI 622, 9/ιο L.). Kap. 79 tr gt in den meisten lteren Ausgaben und sogar noch bei Littre die berschrift έτερα πλησμονή (VI 624, ^ L.), die zwar durch die bessere berlieferung nicht best tigt wird, aber zeigt, da die tiologie auch hier keineswegs sicher auf ein berma von πόνοι f hrt; die vorgeschriebene Di t (Verminderung der Nahrung, Empfehlung k rperlicher bungen) spricht sogar eher f r πλησμονή. Doch wird man diesen Fall eher als Verdauungsst rung registrieren, die sich keiner von beiden Gruppen zuordnen l t, wie dies f r den Fall Kap. 80 ausdr cklich festgestellt wird: όκόταν ούν μήτε σίτοισι προσήκουσι χρέωνται μήτε γυμνασίοισι, πάσχουσι ταΰτα (VI 626, ίο L.). Erst Kap. 8i beginnen die zweifelsfreien F lle von berm igen πόνοι, die bis Kap. 84 reichen. Die Klassifikation ist also bei weitem nicht so streng, wie man nach der Disposition erwarten w rde, weil die Ausf hrung das urspr ngliche Einteilungsschema als zu eng erwiesen hatte und sich auch noch andere, nicht darunter fallende Erscheinungen fanden, die f r ein prophylaktisches Verfahren geeignet schienen. So ist es wahrscheinlich auch nicht richtig, Kap. 85 von 84 abzutrennen und als eine Zusammenfassung der πόνοι-Kapitel zu verstehen, die als solche das Einteilungsschema noch einmal ins Ged chtnis rufen w rde. F r die !2 IV 30 Anm. 32.

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πλησμονή- Ι Kapitel gibt es etwas hnliches nicht, und nachdem sich der lockere Aufbau des εύρημα-Teils erwiesen hat, halte ich es f r wahrscheinlicher, da man Kap. 85 ausschlie lich auf Kap. 84 zu beziehen hat, an dessen letzte therapeutische Vorschrift sein erster Satz gut anschlie t: Kap. 84 schlie t mit der Vorschrift einer ganz vorsichtigen Steigerung der πόνοι, damit nicht wieder eine bertreibung geschehe, und Kap. 85 sagt: „Denn bei denen, die an diesen Erscheinungen leiden, berwiegen die Anstrengungen die Nahrung; deshalb mu man einen Ausgleich schaffen". Es wird dann noch einschr nkend festgestellt, da bei manchen nicht alle Zeichen in ihrer Gesamtheit eintreten, sondern nur diese oder jene. Die Ursache bleibt darum doch dieselbe und ebenso die Behandlung. Es liegt kein Grund vor, weshalb wir diese Ausf hrungen nicht dem Kap. 84 subsumieren sollten. Im ersten Satz von Kap. 85 wird nach der berlieferung gesagt, da die Patienten an diesen Zeichen leiden (τοΐσι γαρ πάσχουσι ταΰτα τα τεκμήρια VI 636, 7 L.). Das ist der Sache nach richtig, aber sprachlich ist die Verbindung sehr hart, und es w re zu fragen, ob τα τεχμήρια nicht als sp terer verdeutlichender Zusatz gestrichen werden mu . Nicht nur sprachlich hart, sondern auch sachlich falsch d rfte der Zusatz im bern chsten Satz sein: πάντων δε τούτων των τεκμηρίων οι πόνοι κρατέουσι των σίτων, και Φεραπείη ή αυτή (VI 636, 9/ιο L.). Hier sind unter τούτων gar nicht die Zeichen zu verstehen, sondern die Patienten, wie sich aus dem gleich anschlie enden συμφέρει δε τούτοισι ergibt. Die Zus tze sind aber verst ndlich, weil in dem εύρημα-Abschnitt immer wieder von den Zeichen ausgegangen wird, die eine prophylaktische Behandlung indizieren. Als solche τεκμήρια erscheinen im letzten Abschnitt des Werks (Kap. 86/93) die Tr ume (περί δε των τεκμηρίων των εν τοϊσιν ΰπνοισι,ν VI 640, i L.). Dieser Abschnitt ist in unseren Ausgaben und in einem Teil der M- berliefrung als viertes Buch mit dem besonderen Titel περί ενυπνίων abgetrennt, w hrend Galen, der Index Vaticanus, der Vindobonensis Θ und der gr ere Teil der j ngeren Handschriften nur drei B cher unserer Schrift kennen, weil der εύρημα- und der Tr ume-Abschnitt zusammen das dritte Buch umfa ten 13 . So eng wurde also der Zusammenhang zwischen diesen beiden Teilen gesehen, und das war zweifellos im Sinne des Verfassers, der mit dem ersten Satz des Tr ume-Abschnitts einen ganz glatten Anschlu an das Vorhergehende formulierte. Er hatte die Tr ume in der Einleitung nicht besonders erw hnt, sondern dort nur von dem prophylaktischen Ausgleich zwischen Nahrung und Anstrengung gesprochen. Aber in den letzten S tzen von Kap. 2 wird dieser besondere Inhalt der Prodiagnose schon nicht mehr genannt, sondern nur noch vom Wert der Prophylaxe im allgemeinen gesprochen: „Denn die Krankheiten entstehen bei den Menschen nicht in einem Augenblick, sondern sie sammeln sich allm hlich an und treten dann mit einem Schlage hervor. Ich habe nun herausgefunden, wie es 13 Material bei Fredrich 82 f.

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dem Menschen ergeht, bevor in ihm das Gesunde von dem Kranken berw ltigt wird. Wenn das zu dem (von Fr heren) Geschriebenen hinzukommt, bin ich am Ziel meiner Forschungen angelangt" (VI 472, 5/11 L.). Das ist eine Empfehlung, die auch f r die Prodiagnose aus den Tr umen passen w rde; sie ist es ja, die der Verfasser am Ende seines Werks mit der befriedigten Feststellung abschlie t, da er die dem Menschen berhaupt erreichbare Di tetik gefunden hat 14 . Trotzdem ist es ganz klar, da hier zwei urspr nglich nicht zusammengeh rige Dinge miteinander verbunden worden sind, wenn auch gewi nicht allein und nicht zum ersten Mal vom Verfasser unserer Schrift15. Es mu te ja verlockend sein, physiologische Gesundungsprognose und Traumprognose miteinander zu vereinigen. Selbstverst ndlich wurden von jeher auch im au ermedizinischen Bereich zahlreiche Tr ume auf Gesundheit und Krankheit gedeutet, und da andererseits die rzte in durchaus wissenschaftlicher Gesinnung den Tr umen diagnostische Bedeutung beima en, sehen wir aus mehreren Stellen in hippokratischen Schriften und wird von Aristoteles 16 best tigt. Der Verfasser von Vict. spricht im weiteren Verlauf des Tr ume-Abschnitts nicht mehr von τεκμήρια, sondern er gebraucht durchweg den Terminus σημαίνειν, oder er gibt nach der Darstellung des Traumbildes ein Urteil ber die prognostische Bedeutung der Erscheinung ab, etwa mit dem Wort αγαθόν. Beides ist auch in den B chern ber Traumdeutung so gebr uchlich, da sich besondere Nachweise er brigen. Aber ebenso gel ufig ist diese Terminologie aus den prognostischen Schriften der rzte. Dem Verfasser war es also leicht, Traumdeutung und rztliche Prodiagnose formal anzugleichen, und er hat die M glichkeit ausgenutzt, wenn er z. B. Kap. 91 (VI 658, ii L.) die st rker medizinisch klingende Formel νοσερώτερα και επικινδυνότερα eingesetzt hat. Die Quellenkritik wird also geneigt sein, hier eine recht u erliche Umsetzung der Traummantik ins Medizinische anzunehmen. W hrend Fredrich dies f r den ganzen Traumabschnitt tat, wollte Palm die Vorlagen teilen in eine medizinische Schrift, die die Tr ume als diagnostische Mittel bewertete, f r Kap. 87/88, und die bliche Traumliteratur f r das brige17. Sicher zeigen die verschiedentlich bemerkten bereinstimmungen zwischen Kap. 88 und περί εβδομάδων Kap. 45, da der Verfasser von Vict. nicht nur Traumerscheinungen l berhaupt, sondern auch die speziell in Kap. 88 erw hnten " Vgl. o. S. 71. is Vgl. zum folgenden Fredrich 206., Palm 43 ff. mit reichem Material, ferner W. Jaeger, Paideia II 51 f. 16 Div. Somn. 463 a 3 ff. — Auf die Inkubationstr ume in den Asklepieen, in denen direkt oder indirekt Behandlungsvorsdiriften gegeben wurden, brauchen wir hier nicht einzugehen, da die Ausf hrungen in Vict. in keinem erkennbaren Zusammenhang mit ihnen stehen. 17 A. a. O. 70 f.

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nicht als erster medizinisch gedeutet hat. Aber abgesehen davon, da das Verh ltnis von Vict. zu Hebd. ungewi bleibt, solange Aufbau und Gedankengang jener merkw rdigen Schrift nicht berzeugend gekl rt sind, ergibt auch hier die genauere Betrachtung unserer Schrift, da man sich die T tigkeit ihres Verfassers nicht als die eines noch so geschickten Redaktors fremden Materials vorstellen kann, sondern da sein eigener geistiger Anteil berall betr chtlich ist, da er auch das fremde Material zu eigenen Einsichten und berzeugungen verarbeitet hat. Alle Tr ume, auch wenn sie in der Traummantik prophetische Bedeutung hatten, sind bei ihm diagnostisch ausgewertet worden; sie sind f r ihn, mit Artemidor18 zu reden, σημαντικά των όντων, nicht των μελλόντων. Auch wenn er bei diesen Tr umen einmal den Ausdruck προσημαίνει f r σημαίνει braucht, mit dem er Kap. 87, VI 640, 15 L. die „g ttlichen" Tr ume von den medizinisch zu deutenden abgrenzt, so meint er das im Sinne seiner Prodiagnose (Kap. 90, VI 652, 13 L.), da die Zeichen ausdr cklich auf den gegenw rtigen K rperzustand bezogen werden (VI 654, 5/8 L.). Gewi werden die Zeichen nur zum kleineren Teil auf den beherrschenden Gegensatz von σϊτα und πόνοι (Kap. 88. VI 644, 3-11 L.) oder den damit verwandten von πλησμονή und κένωσις gedeutet (Kap. 87. 93); aber wir sahen ja, da die Deutung auf diese Gegensatzpaare sogar auf einige Symptomgruppen im εύρημα-Teil nicht anwendbar ist. Die Kapitel 88 und 93, in denen diese Begriffe vorkommen, m gen uns auch in der Methode der Traumdeutung „moderner" und weniger „abergl ubisch" erscheinen als die dazwischen stehenden, weil in ihnen gewisse k rperliche Grundzust nde wie Unruhe und Ausgeglichenheit, S ttigung und Hungergef hl generell erfa t und in den Traumbildern wiedergefunden werden, w hrend wir die Parallelisierung von Erscheinungen am Himmel oder auf der Erde mit Vorg ngen im K rper, wie sie in Kap. 89 und 90 vorgenommen wird, einigerma en anst ig finden m gen. Es ist aber sehr zu bezweifeln, ob da f r den Verfasser ein grunds tzlicher Unterschied bestand. Nach der antiken Einteilung sind alle diese Tr ume durchweg αλληγορικοί, δι' άλλων αλλά σημαίνοντες19, da ja immer ein Symbol getr umt wird, das erst der Deutung bedarf. Dieser Grundsatz sollte uns heute keine Schwierigkeiten mehr machen. Ein allenfalls direkter zu deutender Traum wie der in Kap. 91, wonach zu enge oder zu weite Kleidung auf abnorme Schrumpfung oder Vergr erung von K rperteilen hindeutet, d rfte uns viel grotesker anmuten ™. \ is Onirocrit. p. 3, 5/7 H. 19 Artem. p. 4, 9. 18 H. 20 "Οτι δ' αν τις περί αύτοΰ όρη κατά τρόπον γινόμενον προς την φύσιν την έωυτοΰ μήτε μέζω μήτε έλάσσω, αγαθόν προς ύγείην σημαίνει· και έσθήτα λευκήν την ύπάρχουσαν και ύπόδεσιν την καλλίστην αγαθόν (VI 6^8, 6/9 L.). Hier wird man αύτοΰ in αύτφ zu ndern haben, so da περί αύτφ γινόμενον = ένδεδυμένον ist. Das fordert der Sinn und der Wortlaut des zweiten Teils des Satzes, wo ένδεδύσθαι von Littre und Ermerins f r την ύπάρχουσαν interpoliert wurde, την ύπάρχουσαν

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Entscheidend ist, da , wie der Traumabschnitt sich gut der prophylaktischen Tenden2 des Verfassers f gt, so auch die theoretischen berzeugungen, die ihm zugrunde liegen, schon in der Naturphilosophie des ersten Buches, die der Lehre von der Entstehung des Menschen zugrunde liegt, ausgesprochen werden. Da Tr ume einerseits berhaupt einer vern nftigen Deutung zug nglich sein k nnen und da diese Deutung sich andererseits auf den K rperzustand beziehen kann, wird durch die Kap, 6 einsetzende Lehre vom Verh ltnis der Seele zum K rper vorbereitet. Die Seele ist das aktive Element, sie „geht umher" und „handelt" (περιφοιτδ, διαπρήσσεται VI 478, 19. 22 L.). Seele und Bewegung geh ren zusammen, sie „beruhen" auf dem Feuer, dem Element der Bewegung (Kap. 10. VI 486, 9 L. vgl. Kap. 3. VI 472, 17 L.). So ist die Seele in Bewegung und handelt, w hrend der K rper schl ft, und erlebt so im Traum die Zust nde des K rpers (Kap. 86. VI 640, 7. 12 f. L.). Die Seele ist aber zugleich mit dem K rper aufs engste verbunden, da sie aus den gleichen Teilen besteht wie er (Kap. 7. VI 480, 8 f. L.) und nur in einem K rper wachsen kann, der ihrer Beschaffenheit entspricht (Kap. 6. VI 480, 4/6 L.). Daher leidet sie auch unter denselben Einwirkungen wie der K rper, seine Unruhe schafft ihr Verwirrung, und seine Harmonie gibt ihr Ruhe (Kap. 88. VI 642, 15/17. 644, 1/3 L.). So kann sie, als ein feiner und kontinuierlicher empfindendes Organ als der K rper, seine St rungen erkennen, wenn sie im Traum selbst ndig wird. Kap. 92 wird die freundliche Erscheinung von Toten als ein gutes Zeichen f r die Gesundheit gedeutet, die schlimme als ein ung nstiges, mit der Begr ndung, da Nahrung, Wachstum und Saat von den Toten kommen, so da die Art ihrer Erscheinung auf die Beschaffenheit der in den Menschen eingehenden Nahrung hindeute. Das weicht erheblich von den Deutungen ab, die das Traumbuch Artemidors (2, 57 = p. 154, 7/17 H.) f r die Erscheinungen von Toten gibt. Man hat gemeint, da in der Erkl rung in Vict. „magische und primitive Vorstellungen wieder ans Tageslicht" treten und da sich hier „eine Weltanschauung des Verfassers, wenn man es so bei ihm nennen kann, verbirgt (? doch wohl eher ,enth llt'), die mit der Aufkl rung der Sophistik nichts zu tun hat" 21. Das nimmt angesichts der naturphilosophischen Ausf hrungen des ersten Buchs, deren sophistischen Einschlag au er Fredrich (151) und Hof er (50) auch Palm selbst (114 f.) anerkannt darf keinesfalls fehlen, es meint, wie durchweg in unserer Schrift, die „normale, gewohnte" Kleidung und steht im Gegensatz zu τα καινά 6^8, ia. — Durch die Beobachtung des Sprachgebrauchs erledigt sich Jones' Deutung von τα υπάρχοντα VI 648, ^ L. als die im Traum einbrechende fremde siderische Gewalt (IV 431 Anm. 2). Gemeint sind, wie Littre richtig gesehen hat, „les parties inte"grantes du corps". Um den richtigen Zusammenhang mit dem folgenden herzustellen, wird man lesen m ssen εΐ μεν ουν κρατοΐτο τα υπάρχοντα, νοΰσον σημαίνει· ει δε και άφανίζοιτο τα κρατεύμενα κτλ. 21 Palm 82.

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hat, einigermaßen wunder und kann eben nur aus dem Vorurteil erklärt werden, daß die Schrift eine Kompilation sei, deren verschiedene Äußerungen für ihren Verfasser nicht verbindlich sind, da l man ihm kaum eine Weltanschauung, geschweige denn konsequente theoretische Überlegungen zutraut. Dabei hat die „Ernährung durch die Toten" ihre theoretische Grundlage in der — ebensogut empedokleischen wie anaxagoreischen — Lehre vom ewigen Übergang der Elemente ineinander, der kein Vergehen und Entstehen, sondern nur Veränderung durch Mischung und Absonderung zuläßt (Kap. 4. VI 474,17/9 L.). Schließlich ist es ohne weiteres klar und allgemein anerkannt, daß die Deutung der Träume von Bewegungen der Himmelskörper auf Vorgänge im Menschen in Kap. 89 sich auf den Vergleich des menschlichen Körpers mit dem Makroskosmos in Kap. 10 stützt. Die Lehre von den drei Umläufen von Sternen, Sonne und Mond, die Gleichsetzung der Bauchhöhle mit dem Meer und des Fleischs mit der Erde findet sich hier wie dort. Nun könnte man einwenden, der Verfasser habe diesen Vergleich in Kap. 10, der seine nächste Parallele wieder in Hebd. (Kap. 6) hat und der zu berechtigten quellenkritischen Untersuchungen Anlaß gab22, nur um der späteren Traumdeutungen willen eingeschoben, da er ja in Kap. 9 schon eine Anthropogonie ohne Berücksichtigung des Makrokosmos gegeben hatte. Aber der -Gedanke, mit dem Kap. 10 ausdrücklich einsetzt (VI 484, 18 L.), ist doch für den Verfasser über diese eine Parallele hinaus von grundsätzlicher methodischer Bedeutung. Er gibt ja im Grunde allen „allegorischen" Traumdeutungen ihre theoretische Rechtfertigung; er ermöglicht die Erkenntnis der im Körper verborgenen Vorgänge an Erscheinungen, die sichtbar werden. Da der Verfasser dieses Prinzip beherrscht, ist nach seiner Überzeugung seine medizinische Deutung der Träume derjenigen der professionellen Traumdeuter überlegen, weil sie aus richtiger Erkenntnis deutet im Gegensatz zu jenen, die „es teils treffen, teils verfehlen und in keinem von beiden Fällen erkennen, warum es so geschieht, weder wenn sie es treffen, noch wenn sie es verfehlen." (Kap. 87. VI 642, 4/6 L.) Das ist derselbe Ton „heraklitischer" Rüge, wie sie im ersten Buch über die der rechten Orientierung ermangelnden Menschen ausgesprochen wird, die nicht wissen, was sie tun, aber zu wissen glauben, was sie nicht tun (Kap. 5. VI 476, 18 f. L.), und denen doch alles nach der göttlichen Notwendigkeit widerfährt, ob sie es nun wollen oder nicht (VI 478, i L.). Was sie setzen, bleibt bei ihnen niemals beständig, sei es richtig oder nicht; was die Götter setzen, hat immer die Gültigkeit des Richtigen, das Richtige wie das Unrichtige (Kap. n. VI 486, 21/3 L.). Alle diese Aussagen stimmen darin überein, daß der Mensch trotz etwaiger Zufallstreffer seiner Einsicht einem 22

Vgl. vor allem W. Kranz, Kosmos und Mensch in der Vorstellung frühen Griechentums, NGG N. F. II 7, 1938, 121 f.; jetzt auch Archiv f. Begriffsgeschichte II i, 16 f. 20 f.

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ihm unverständlichen Geschehen ausgeliefert bleibt, solange er nicht ein Prinzip gefunden und aus ihm eine Methode entwickelt hat, die ihm eine Verifizierung seiner Erkenntnisse gestatten, l Dieses Prinzip ist die und die aus ihm entwickelte Methode die des Erkennens des Unsichtbaren aus dem Sichtbaren. Von ihr spricht der Verfasser in Kap. n im unmittelbaren Anschluß an Kap. 10, das die unsichtbaren Vorgänge im Körper als eine Nachahmung der sichtbaren Vorgänge in der Welt bezeichnet hatte. Jetzt begründet er die Methode ausdrücklich auf das Prinzip der Nachahmung, und er sagt, daß dieses Prinzip göttlicher Einsicht entspringe (VI 486, 12/15 L.). Allerdings, da wir jetzt vom Göttlichen zum Menschlichen übergehen, wandelt sich der Aspekt: das Sichtbare ist nicht mehr das Nachgeahmte, sondern das Nachahmende; die Götter lehrten die Menschen, das, was mit ihnen geschieht, unwissend nachzuahmen durch Künste, die der menschlichen Natur ähnlich sind. Wie das geschieht, wird in den Kap. 12/24 dargestellt, die vor allem wegen ihres „heraklitisierenden" Charakters die Forschung von jeher besonders angezogen haben B. Sie sollen uns hier nur unter dem Gesichtspunkt beschäftigen, wie weit ihre Ausführung der ursprünglichen Absicht des Verfassers entspricht, wie weit er imstande ist, einen nicht ganz einfachen Gedanken an einer Häufung von Beispielen einheitlich zu entwickeln. Es ist sofort festzustellen, daß Kap. 12 sich in dieser Hinsicht von den folgenden grundlegend unterscheidet. Hier wird nämlich am Vergleich mit der Mantik die Methode des Erkennens des Unsichtbaren am Sichtbaren (und überhaupt des analogischen Vorgehens) selbst verdeutlicht. Aus der Fassung des Schlußsatzes dieses Kapitels, der in deutlicher Parallelisierung zu dem des ii. Kapitels die Situation des Wissenden von der des Nichtwissenden abhebt, kann man schließen, daß der Verfasser sich bewußt war, hier wie in Kap. ii noch über seine Methode zu reden. Das Schlußverfahren von den auf die Dinge, die mit dem Menschen geschehen, setzt Kap. 13 ein, und zwar wird zunächst die handwerkliche Tätigkeit an stofflichen Dingen verglichen mit der Tätigkeit anderer am Menschen selbst: Kap. 13/4 die Schmiede und die Walker mit den Paidotriben, Kap. 15 die Schuster mit den Ärzten. Das schlägt in Kap. 15 plötzlich um: jetzt ist die Tätigkeit der Ärzte nicht mehr der zu vergleichende Vorgang am Menschen, sondern sie ist das Handwerk, mit dem das spontane Handeln der menschlichen Natur verglichen wird. Daß also erst von hier ab nicht mehr an Sachen mit am Menschen, sondern mit einem Naturvorgang im Menschen verglichen werden, kommt nicht heraus, weil die ärztliche Kunst, die eben noch das zweite Glied des Vergleichs bildete, jetzt unvermerkt die Stelle des ersten übernimmt durch das rein assozia23

Zu den heraklitisierenden Abschnitten der Schrift vgl. außer der schon genannten Literatur noch Verf., Weltbild und Sprache im Heraklitismus, Das neue Bild der Antike I, 1942, 303 ff.

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tiv ankn pfende S tzchen και τόδε ίητρικής (VI 490, 9 L.). In unseren Ausgaben gibt das neue Beispiel nicht einmal Anla zu einem neuen Kapitel, l Es zeigt sich, da der Unterschied, auf den man so aufmerksam geworden ist, auch im folgenden nicht beachtet wird, in manchen F llen auch der Sache nach kaum beachtet werden kann. In Kap. 16 ahmen die s genden Zimmerleute das Atmen, also einen physiologischen Vorgang, nach, in Kap. 17 die Bauleute die menschliche Di t, also das eigentliche Thema des Werks, das seiner Natur nach zwischen der τέχνη und dem spontanen Naturvorgang steht. Sehr schwierig ist der Aufbau in Kap. 18. Zun chst werden nebeneinander gestellt die Wirkung der Musik auf das menschliche Geh r und die T tigkeit der K che in ihrer Wirkung auf den Geschmack. Es handelt sich also in beiden F llen um K nste, die am Menschen ausge bt werden, und man fragt sich, welche die nachahmende und welche die nachgeahmte sein soll. Der Verfasser, der dies sonst durch Ausdr cke wie μιμείται oder ταύτα πάσχει klarstellt, begn gt sich hier mit einer blo en Nebeneinanderstellung, so da man schlie en k nnte, da er vielleicht selbst seiner Konzeption nicht sicher war. Das wird auch durch den Fortgang des Kapitels nahegelegt. Wie vorher zwischen Musik und Kochkunst, so wird jetzt ein neuer, in unseren Ausgaben (au er bei Kapferer III 40) nicht markierter Vergleich zwischen der Musik und der Zunge gezogen. Nach den Intentionen des Verfassers w re zu erwarten, da die Musik als die die Zunge nachahmende Kunst hingestellt w rde; aber wir lesen γλώσσα μουσικήν μιμείται διαγινώσκουσα κτλ. (VI 493 > τ7^· L.)· Man f hlt sich zun chst versucht, den Versto durch die Vertauschung der Casus in γλώσσαν μουσική zu beseitigen; doch erg be das einen harten Subjektswechsel im folgenden, wo ohne Zweifel γλώσσα den Satz regiert. So mu man damit rechnen, da der Verfasser das μίμησις-Prinzip hier nicht seinen urspr nglichen Absichten entsprechend durchgef hrt hat. In Kap. 19 wird in zwei kurzen, in einem Kapitel unserer Ausgaben zusammengefa ten S tzen einmal die Kinderpflege durch die Gerber, zum ndern der Kreislauf im K rper durch die Flechter nachgeahmt; hier liegen im ersten Beispiel (Kinderpflege) die Verh ltnisse hnlich wie in Kap. 17 (Di t), und dasselbe gilt f r Kap. 20, wo die Bearbeitung des Goldes mit der des Getreides f r die menschliche Ern hrung verglichen wird. In den Kap. 21/23 werden wieder τέχναι mit physiologischen Vorg ngen verglichen, die T tigkeit der Bildhauer mit dem Wachstum des Menschen, die der T pfer mit dem Stoffwechsel und die Schreibkunst mit den Sinnes Wahrnehmungen. In Kap. 23 liegt die Vergleichsm glichkeit nur darin, da die Zahl der Sinneswahrnehmungen oder besser der menschlichen Kommunikationsm glichkeiten mit der Au enwelt ebenso wie die der Vokale mit sieben angegeben wird. Wieder ist die hnlichkeit mit Hebd. 8/9 handgreiflich; aber wieder ist das Verh ltnis nicht sicher bestimmbar. In Hebd. ist von sieben lebenswichtigen Funktionen des Kopfes die Rede, die nicht vollst ndig mit den sieben Funktionen in Vict. bereinstimmen. Die Feststellung, da die

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Sprache sieben Vokale hat, steht in Hebd. unverbunden daneben, w hrend in Vict. die (geschriebenen!) l Vokale ebenso wie die αισθήσεις Hilfsmittel f r die Erfassung der Au enwelt sind. Dabei wird man den Vergleich mit den Vorg ngen am Menschen, den ndern Beispielen folgend, mit ταύτα πάντα άνθρωπος διαπρήσσεται (VI 494» 24 L.) beginnen lassen, was auch inhaltlich guten Sinn gibt, mit den sieben αισθήσεις kann jeder Mensch, der Schriftkundige wie der -unkundige, ebensowohl die Welt erfassen wie der, der schreiben kann, mit Hilfe der sieben Vokale. Bilden so die Kap. 13/23, trotz mancher Schwierigkeiten im einzelnen, im ganzen doch eine Einheit, indem sie die T tigkeit der τέχναι mit dem vergleichen, was physiologisch direkt oder indirekt mit dem Menschen geschieht, so f llt Kap. 24 ganz aus der Reihe. Es wird zun chst die sportliche Ausbildung der Knaben dargestellt, die dazu f hrt, da derjenige, der die verwerflichsten Mittel anwendet, zum Sieger erkl rt und bewundert wird. Ebenso hat beim Handeln auf dem Markt derjenige, der am besten betr gen kann, den gr ten Erfolg und genie t die gr te Achtung. Schlie lich wird dasselbe Verh ltnis noch an πίνοντες και μαινόμενοι gezeigt (VI 496, 12/14 L·)· Hier wird man aus sachlichen Gr nden gern mit Heidel πίνοντες durch παίζοντες ersetzen, weil ja tats chlich der Sieg im Spiel durch allerlei Kniffe errungen werden kann. Das sind drei nebeneinander gestellte Beispiele, zu denen der Vergleich mit einem Vorgang in der menschlichen Natur fehlt. Denn nun kommt etwas zwar hnliches, aber doch nicht genau parallel zu Stellendes. Es wird von den Schauspielern gesprochen, die nach Belieben ihre Identit t wechseln k nnen, und sie werden mit den Menschen verglichen, denen das durch nderung ihrer Rede und ihrer Gesinnung auch m glich ist. Darauf folgt die abschlie ende Feststellung, da in dieser Weise alle τέχναι Verwandtschaft mit der menschlichen Natur haben, also auch die zuletzt genannten. Es ist klar, da es sich hier nicht um eine hnlichkeit mit der Physiologie des Menschen handelt, sondern mit der Welt der Werte, in der er lebt, und es wurde schon von Fredrich (150 f.) darauf hingewiesen, da sich hnliche Feststellungen ber die Identit t positiver und negativer Werte in den Δισσοί λόγοι finden24. Allerdings handelt es sich durchweg nur um ferne Ankl nge, die zeigen, wie selbst ndig der Verfasser von Vict. bernommenes Gedankenmaterial verarbeitet hat. Um so mehr wird man nach seinen besonderen Absichten fragen. Die Zweifelhaftigkeit der gesellschaftlichen Werte war f r ihn eigentlich kein interessantes Thema. Er hat es ja auch unterlassen, aus den ersten drei Beispielen einen solchen Schlu zu ziehen, und damit die Vergleichsreihe offen gelassen, hnlich wie in Kap. 18 die Nebeneinanderstellung von Musik und Kochkunst. Vielleicht kann man aber doch aus einem Satz, der mitten zwischen den Beispielen steht, etwas ber seine Absichten erkennen. Am Ende der Darstellung der sportlichen Gepflogenheiten hei t es: „Viele bewundern, wenige l erkennen", und schon vor24 Vors. 90. Besonders kommt der Abschnitt 3 Περί δικαίου και αδίκου in Frage.

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her werden sie als „Beweis des Unverstandes der Masse" bezeichnet (VI 496, 8. 10 L.). Das knüpft an den Tadel der menschlichen Unwissenheit an, gegen die gerade die Methode, das Unsichtbare im Sichtbaren zu erkennen, Abhilfe schaffen sollte, und diese Unwissenheit bestand ja vor allem darin, daß die Menschen das Identische im scheinbar nicht Identischen nicht erkennen konnten, wovon auch das Schauspielergleichnis handelt. Diese Lehre von der Identität des scheinbar nicht Identischen wiederholt der Verfasser von Kap. 4 (VI 476, 6-i i L.) ab immer wieder, und er spricht sie ausdrücklich noch einmal in Kap. n aus, in dem er seine Methode der Erkenntnis des Unsichtbaren aus dem Sichtbaren einführt: „Alles ist ähnlich, obwohl es unähnlich ist, und alles ist verträglich, indem es abträglich ist; es redet, ohne zu sprechen, es ist unvernünftig und hat doch Vernunft. Entgegengesetzt ist die Weise eines jeden und doch übereinstimmend." (VI 486, 15/18 L.) So wollen die Beispiele in Kap. 24 noch einmal die Grundlehre des Verfassers und die Methode, mit der man sie erkennen kann, einschärfen, und in dieser verwandten Funktion bilden die Kap. 12 und 24 einen Ring um die übrigen -Beispiele, die die Einzelheiten der Theorie von der Entstehung des Menschen erläutern. Ich glaube, daß gerade der zuletzt besprochene Abschnitt besonders geeignet ist zu zeigen, was der Verfasser will, was er kann und was er nicht kann. Er will eine auf allgemeine Prinzipien gegründete, d. h. nach seiner Auffassung wissenschaftlich fundierte Lehre von der Diät geben. In dieser Absicht hat er sein Werk überlegt aufgebaut, wie die ausführliche Disposition und ihre Durchführung zeigt. Auch in der Einzeldarstellung verliert er nie die Verbindung zu seinen Grundgedanken. Aber diese sind allerdings sehr komplex, so daß bald der eine, bald der andere mehr in den Vordergrund tritt. Das macht sich besonders bemerkbar in den Abschnitten, wo der Verfasser eine Gruppe von Gegenständen unter systematischen Gesichtspunkten zusammenfaßt und abhandeln will. Dann zeigt sich oft, daß die Disposition zu eng gefaßt war, daß die Einzelerscheinungen Aspekte haben, die durch sie nicht gedeckt werden, die aber durchweg verständlich werden, wenn man auf die leitenden Gedanken des Verfassers zurückgeht. So war es bei der Behandlung des , der Träume und der in den . Die Erkenntnis, wieweit der Verfasser mit der Aufgabe, die er sich gestellt hatte, fertig geworden ist, scheint mir auch von Bedeutung für die Frage seiner Datierung. Man wird W. Jaeger darin recht geben müssen, daß man die Schrift, wie wohl auch manche andere aus dem Corpus Hippocraticum, früher durchweg zu früh angesetzt hat. Da man mit einer direkten, kompilatorischen Benutzung vorsokratischer Quellen nicht rechnen kann, entfällt dieser Grund für einen Ansatz in die Zeit um 400. Daß einzelne Lehren großer Vorsokratiker als Leitbilder erscheinen, ist kein ausreichendes Ersatzargument für eine frühe Datierung. Denn diese Lehren waren auch im vierten Jahrhundert noch die Modelle des Denkens; noch Aristoteles zitiert sie nicht aus rein doxographischen Gründen, i sondern weil er an ihnen

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am besten die Leitgedanken der Philosophie klarmachen kann. Wenn der Verfasser unserer Schrift statt der namentlichen Erwähnung die Anspielung gewählt hat, so ist sein Verhalten darum grundsätzlich doch nicht anders zu bewerten. Damit soll selbstverständlich nicht Gleichzeitigkeit mit Aristoteles behauptet werden. Für die Datierung sollte aber beachtet werden, daß wir es in Vict. mit einem großangelegten Werk zu tun haben, das einen verhältnismäßig begrenzten Gegenstand unter allgemeinen Gesichtspunkten zu behandeln versucht. Mit dieser Form steht das Werk im Corpus Hippocraticum, in dem die umfangreicheren Werke sonst durchweg einen mehr additiven Charakter haben, einzig da. Allerdings zeigt jede genauere Untersuchung auch deutlich, daß der Verfasser die große Form, die er geplant hat, noch nicht vollkommen beherrscht. Auch das sollte bei einem Datierungsversuch berücksichtigt werden.

STAND UND AUFGABEN DER HIPPOKRATESFORSCHUNG

1959 Wer über Stand und Aufgaben der Hippokratesforschung Rechenschaft ablegen will, sieht sich sogleich vor die Frage nach der Abgrenzung seines Themas gestellt. Sein Bericht handelt nicht vom Werk einer großen Persönlichkeit der Geistesgeschichte, wie es wäre, wenn er von Platon oder Vergil, von Dante oder Goethe redete; sondern er spricht von einem Konglomerat von Schriften, die als Corpus Hippocraticum zwar unter den Namen eines berühmten griechischen Arztes gestellt sind, deren Zusammenhang mit seiner Person aber im ganzen und in jedem einzelnen Fall problematisch ist. Allerdings gibt es ähnlich gelagerte Fälle gerade in der griechischen Antike auch sonst; der berühmteste betrifft die homerischen Gedichte. Auch hier ist der Zusammenhang des Namens mit dem Werk umstritten; sicher ist zunächst nur, daß er in einer mehrere Jahrtausende alten Überlieferung geschaffen und befestigt wurde. Gehen wir aber von dieser Tatsache der Überlieferung aus und stellen wir fest, daß sie, mag sie im Lauf der Zeit bestritten oder anerkannt worden sein, immer ein das Bewußtsein bestimmender Faktor blieb, so steht das Corpus Hippocraticum nicht mehr so isoliert in der Geistesgeschichte. Auch der Nachlaß klar umrissener Individuen, auch die Werke des Platon und Aristoteles, des Vergil oder des Ovid, waren in langen Zeiträumen viel mehr geschlossene Zeugnisse geistiger Überlieferung als persönliche Aussagen bestimmter Menschen. Als Zeugnis einer solchen geschlossenen Tradition ist das Corpus Hippocraticum zunächst zu betrachten, bevor es in seine Bestandteile zerlegt und nach seinem Zustandekommen gefragt werden kann. Daß eine Sammlung hippokratischer Schriften als literarisches Faktum besteht, wird uns zuerst in frühhellenistischer Zeit, gegen Ende des dritten vorchristlichen Jahrhunderts, bezeugt. In dieser Zeit gab es Kommentare und Glossare zu hippokratischen Schriften. Von den frühesten von ihnen wissen wir nur aus späteren Zitaten; der älteste erhaltene Kommentar, zu einer chirurgischen Schrift, stammt aus dem ersten vorchristlichen Jahrhun1 Vorgetragen in der öffentlichen Sitzung der Akademie der Wissenschaften und der Literatur (Mainz) vom 23. Oktober 1959.

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dert, das erste erhaltene Glossar aus der Zeit des Kaisers Nero2. Sicher war die Zahl der behandelten l Schriften zunächst noch begrenzt; aber schon das eben erwähnte Glossar setzt voraus, daß es unechte Hippocratica gibt, d. h., daß die Tradition mit der historischen Realität in Streit liegt. In diesem Streit war die Tradition die stärkere Macht: als im 2. Jahrhundert n. Chr. mindestens zwei große Hippokrates-Ausgaben gemacht wurden, war es das Gegebene, daß in sie alle Werke aufgenommen wurden, die unter dem Namen des Hippokrates überliefert waren, nicht etwa nur diejenigen, die nach dem Dafürhalten der Herausgeber wirklich von ihm stammten. Wir wissen jetzt, daß eine dieser Ausgaben, die des Artemidoros Kapiton, sich durchgesetzt hat und zur Trägerin der Überlieferung durch Spätantike und Mittelalter in die Neuzeit geworden ist 3 . Und zwar scheint sie nicht nur im östlichen, sondern auch im westlichen Teil der spätantiken Welt maßgeblich geworden zu sein. Es existieren lateinische Übersetzungen mehrerer hippokratischer Schriften aus dem 5. und wohl auch noch aus dem 6. Jahrhundert, deren Text nach neueren Untersuchungen4 enge Verwandtschaft mit der auf Artemidor zurückgehenden griechischen Überlieferung zeigt; wahrscheinlich beruht demnach die auch sonst in dieser Zeit des ausgehenden weströmischen Reiches und der beginnenden germanischen Eroberung des Westens dort festzustellende Hippokrateskenntnis auf dieser Ausgabe. Eine umfassende Untersuchung der Übersetzungen auf sprachliche und sachliche Zusammenhänge, die sie in die Geschichte der sonstigen medizinischen Literatur der römischen Spätantike einordnen könnte, steht noch aus. Ihre Vorlage, die Ausgabe des Artemidor, wurde auch im byzantinischen Reich gelesen, auf ihr beruhen die Hippokrates-Sammlungen der mittelalterlichen Minuskelhandschriften. Die Tradition, die so aus der Spätantike ins Mittelalter gelangt ist, ist also recht einheitlich und wohl weniger reich, als wir lange Zeit deshalb glaubten, weil sie sich im mittelalterlichen Byzanz rasch in mehrere, nach Umfang und Inhalt sehr verschiedene Sammlungen aufteilte. Die umfangreichste von ihnen umfaßt 62 Titel mit 74 Büchern; sie ist uns in diesem Umfang nur aus einem Index bekannt5, aber der weitaus größte Teil der 2 Apollonius von Kitium, Illustrierter Kommentar zu der hippokratischen Schrift , herausgegeben von H. Schöne, Leipzig 1896. — Erotiani Vocum Hippocraticarum Collectio rec. E. Nachmanson, Upsala 1918. 3 F. Pfaff, Die nur arabisch erhaltenen Teile der Epidemienkommentare des Galen und die Überlieferung des Corpus Hippocraticum, SB Berl. Akad., phil.-hist. Kl. 1931, 558 ff. Ders., Die Überlieferung des Corpus Hippocraticum in der nachalexandrinischen Zeit, Wien. Stud. 50, 1932, 67 ff. + Diese Feststellungen gehen auf bisher nicht veröffentlichte Untersuchungen von A. Rivier zur Überlieferung der Schrift über die heilige Krankheit zurück [; inzwischen erschienen unter dem Titel: Recherches sur la tradition du traite hippocratique ,De morbo sacro', Bern 1962; dazu meine Rezension S. 238—246 aus Gnomon 36, 1964, 236—244]. Vgl. auch H. Diller, Nochmals: Überlieferung und Text der Schrift von der Umwelt, Festschrift E. Kapp, Hamburg 1958, 4^ f. 5 Index Vatic. Gr. 276, ed. J. L. Heiberg, Corpus Medicorum Graecorum I i, Leipzig und Berlin 1927, p. i.

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Schriften ist auch in den Handschriften erhalten geblieben und in die Ausgaben der Renaissance übergegangen. Der Bestand blieb von der ersten griechischen Ausgabe des Aldus (Venedig 1526) ab bis in l unsere Zeit im wesentlichen derselbe. Die auf neuer handschriftlicher Grundlage ruhende bewundernswerte Ausgabe von Emile Littre (Paris 1839/1861) brachte 58 Schriften in 73 Büchern. Der Bestand, der auch nach der Art der Zählung geringen Schwankungen unterworfen ist, wird sich nicht mehr wesentlich ändern, auch wenn der Plan der großen neuen Hippokrates-Ausgabe verwirklicht sein wird. Sie wird im Rahmen der allgemeinen Mediziner-Ausgabe des Corpus Medicorum Graecorum herausgebracht werden, die vor mehr als einem halben Jahrhundert durch Hermann Diels als eine Gemeinschaftsleistung der Akademien zu Berlin, Leipzig und Kopenhagen inauguriert wurde. Ändern wird sich in ihr die textkritische Grundlage und damit an vielen Stellen das Aussehen des Textes. Wenn auch Littres Ausgabe schon auf einer Autopsie von Handschriften beruht hatte, die weit über die seiner Vorgänger hinausging, so beschränkte er sich doch mit wenigen Ausnahmen auf die Pariser Manuskripte. Das CMG fordert als Grundlage vollständige Kenntnis des handschriftlichen Materials. Die Voraussetzungen dafür schuf Diels in seinem Katalog der Handschriften der griechischen Ärzte6. Dank diesem Hilfsmittel, das von Diels selbst in einem Nachtrag ergänzt und das auch später noch in zahlreichen Einzelheiten vervollständigt und berichtigt wurde, konnte in den letzten Jahrzehnten die Hippokrates-Überlieferung in ihren wesentlichen Grundzügen durchforscht werden. Das Verhältnis der verschiedenen Teilsammlungen und der sie repräsentierenden Haupthandschriften, die Stellung der Sekundärmanuskripte, das Zustandekommen der älteren Ausgaben wurde geklärt. Es mag überraschen, daß mit dieser zunehmenden Kenntnis der Überlieferung die Editionstätigkeit selbst nicht Schritt gehalten hat. Bisher ist, neben den Werken anderer griechischer Ärzte von zum Teil stattlichem Umfang, von Hippokrates im CMG nur ein einziger Faszikel erschienen, der 11, durchweg wenig umfangreiche Schriften enthält7. Daß er in der Textgestaltung keinen Fortschritt gegenüber der kurz vor dem Anlaufen des CMGUnternehmens erschienenen Teilausgabe von Ilberg-Kühlewein (Leipzig und Berlin 1894. 1902) bedeutet, hatte Gründe, die zum großen Teil nicht in der Sache selbst lagen. Auch die politischen Ereignisse haben naturgemäß zu einer Verzögerung der Arbeiten beigetragen. Aber es gibt auch wichtige sachbedingte Ursachen dafür. Die textkritische Untersuchung muß fast für jede Schrift gesondert geführt werden, da der stark divergierende Inhalt der Schriften auch das Interesse der Abschreiber in unterschiedlichen Graden wachgerufen hat und daher nicht gesagt ist, daß eine einmal festgestellte 6 7

H. Diels, Die Handschriften der antiken Ärzte. Abh. Berl. Akad. phil.-hist. Kl. I 1905. II 1906. Vgl. Anm. 5.

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Überlieferungslinie für mehrere Schriften in gleicher Weise gilt. Vor allem muß aber vor der Ausgabe gerade der wichtigsten Schriften l auch ihre Nebenüberlieferung geklärt werden, und damit tritt ein weiterer bedeutsamer Faktor in Erscheinung, den wir bisher nicht berücksichtigt haben. In demselben Jahrhundert, in dem die Hippokrates-Ausgabe des Artemidor entstand, hat ein bedeutender Arzt in ganz persönlicher Weise zur Prägung der Hippokrates-Überlieferung beigetragen. Galenos aus Pergamon, der zum erfolgreichen Arzt in Rom wurde und mit dem Kaiserhaus der Antonine eng verbunden war, hat einen erheblichen Teil seiner umfangreichen Schriftstellerei dem Werk des Hippokrates gewidmet. Er hat mehrere Schriften zum Verständnis hippokratischer Lehren und ein Glossar zu Hippokrates verfaßt; vor allem hat er die wichtigsten Schriften des Hippokrates kommentiert. Damit hat er die ältere Erklärertätigkeit zu Hippokrates zusammengefaßt und zum großen Teil verdrängt. Daß er so für die Nachwelt zum berufenen Interpreten des Hippokrates wurde, verdankt er nicht nur der glatten Lesbarkeit seiner wortreichen Verlautbarungen, sondern vor allem der kasuistischen Schematisierung des Materials, die der spätantiken und mittelalterlichen Denkweise außerordentlich entgegenkam, und der Einordnung seines Gegenstandes in die anspruchsvollste griechische Tradition. Galen war fest davon überzeugt, daß Methoden und Lehren, die Hippokrates auf den menschlichen Körper anwandte, eng mit dem verwandt waren, was Platon von Geist und Seele aussagte. Durch diese Platonisierung hat Galen den Hippokrates auf viel breiterer Front in die mittelalterliche Tradition eingeführt, als die Ausgabe des Artemidor es vermochte. Seine HippokratesKommentare wurden nicht nur in Byzanz gelesen, sondern auch ins Syrische und Arabische und aus dem Arabischen ins Hebräische und Lateinische übersetzt. Sie haben die Medizin der Araber und im späteren Mittelalter die der lateinischen Welt nachhaltig beeinflußt; ihre Wirkung kann mit derjenigen verglichen werden, die auf philosophischem Gebiet Aristoteles und seine Kommentatoren ausgeübt haben. Für die moderne Forschung sind die Kommentare ein wichtiger zweiter Strom der Überlieferung des Hippokratestextes. Denn wir können aus Galens Erklärungen oft feststellen, daß er einen von Artemidor stark abweichenden Text gelesen hat, und das wird durch die Hippokrates-Lemmata in den orientalischen Übersetzungen seiner Kommentare bestätigt und ergänzt. Während diese in der syrischen Überlieferung sehr oft dem in Byzanz und später im Westen bekannten Artemidortext angeglichen wurden, blieb in den Übersetzungen der Text erhalten, den Galen gelesen hatte. So können manche wichtigen Textpartien nur mit Zuhilfenahme der Galen-Überlieferung richtig rekonstruiert werden, und es ist daher verständlich, daß man mit der Herausgabe der von Galen kommentierten Hippokrates Schriften warten wollte, bis der Text des Galen selbst in gesicherter Gestalt vorlag. Das ist jetzt für mehrere gerade der wichtigsten Schriften der Fall, und es ist zu hoffen, daß nun auch die Herausgabe der zugehörigen Hippokratestexte nicht mehr lange auf sich warten läßt, l

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Wie ist nun das Corpus Hippocraticum, dessen Überlieferungsgeschichte vom Hellenismus bis in die Neuzeit wir verfolgt haben, zustande gekommen? Man hat diese Frage oft übersprungen und vorweg zu klären versucht, welche Schriften der Sammlung dem Manne, dessen Namen sie trägt, zugeschrieben werden könnten. Immer wieder hat man vom Altertum bis in unsere Zeit hinein versucht, Kreise zu bilden, die in sich befaßten, was Hippokrates selbst, was seine unmittelbaren Schüler, was Schulgegner oder ganz Fernstehende geschrieben haben könnten. Denn die Schriften divergieren nach Form, Inhalt und Entstehungszeit. Es gibt Abhandlungen zur Prognose und zur Ätiologie der Krankheiten, zur Chirurgie und zur Diätetik, Schriften, die physiologische Theorien vertreten, die sich zur ärztlichen Ethik und zu den erkenntnistheoretischen Grundlagen einer medizinischen Wissenschaft schlechthin äußern, es gibt Kranken Journale, hypomnematische Notizen aus dem ärztlichen Erfahrungsbereich und Sammlungen in Spruchform gefaßter ärztlicher Vorschriften. Es zeichnet sich die Betrachtungsweise mindestens zweier medizinischer Schulen ab, von denen die ältere in einer Schrift des Corpus mit ausdrücklichen Worten bekämpft wird. Schon ein flüchtiger Überblick zeigt, daß die Hauptmasse der Schriften dem 5. und 4. vorchristlichen Jahrhundert entstammt, daß aber auch in späteren Jahrhunderten noch einzelne Schriften dem Corpus angegliedert worden sein müssen, die spätesten wahrscheinlich nicht allzu lange vor der Ausgabe des Artemidoros Kapiton. Es ist nicht leicht, durch diese Masse zum eigenen Werk des Hippokrates durchzudringen. Über seine Person wissen wir wenig Sicheres. Wir kennen den Stammbaum seiner Familie, die sich auf den Heilgott und Apollonsohn Asklepios zurückführte. Sehen wir von der mythischen Aszendenz ab, so ergibt sich doch so viel mit Sicherheit, daß die Familie mehrere Generationen vor und nach dem großen Hippokrates die ärztliche Tätigkeit auf der Insel Kos ausübte. Mit großer Präzision berichtet die Überlieferung, daß er im Jahre 460 geboren wurde und daß er in hohem Alter in Larissa in Thessalien starb, wo sein Grab gezeigt wurde. Mit diesen Nachrichten läßt sich bei großer Vorsicht einiges aus den Schriften des Corpus kombinieren; aber es ist nur sehr wenig, worauf wir noch zurückkommen werden. Als noch schwieriger hat es sich erwiesen, dasjenige, was die ältesten Zeugen über hippokratische Lehre berichten, zum Corpus in Beziehung zu setzen. Es handelt sich zunächst um eine Äußerung in Platons Phaidros (270 c), daß man in die Natur des Körpers ebenso wie in die der Seele keine nennenswerte Einsicht gewinnen könne ohne (Einsicht in) die Natur des Ganzen. Schon die Frage, ob mit diesem „Ganzen" das All, der Kosmos gemeint sei oder das Ganze der Bezüge, die jeweils zur Behandlung stehen, bereitet der Erklärung immer wieder Schwierigkeiten. Wichtig ist zunächst die Feststellung, daß Platon nicht von einer inhaltlich bestimmten Lehre, sondern von einer zu befolgenden l Methode spricht. Nach dieser Methode ist der Gegenstand der wissenschaftlichen Behandlung erst darauf-

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hin zu untersuchen, ob er eine Einheit ist oder ein Zusammengesetztes; ist er eine Einheit, so ist weiter zu erforschen, welche Wirkungen er ausübt und wie er seinerseits auf Wirkungen von außen reagiert; ist er ein Zusammengesetztes, so ist zunächst die Zahl seiner Teile und dann in derselben Weise wie bei einem Einheitlichen Aktion und Reaktion festzustellen. Darnach wird man unter dem „Ganzen", in das man Einsicht gewinnen muß, den Gegenstand der Behandlung zusammen mit all dem, was zu ihm in einem aktiven oder passiven Wirkungsverhältnis steht, zu verstehen haben. Die Methode, die auf eine Auseinandersetzung zwischen monistischen und pluralistischen Lehren über die Zusammensetzung des menschlichen Körpers und, im Fall der Bejahung des Pluralismus, auf eine zahlenmäßige Festlegung seiner Bestandteile hinausläuft, ähnlich wie Platon selbst von einer bestimmten Zahl von Seelenteilen spricht, findet sich nicht in der wissenschaftstheoretischen Schrift Über die alte Heilkunst, in der etwa Littre sie hatte feststellen wollen; denn dort wird eine unbestimmte Vielheit von im Körper vorhandenen „Kräften" und „Formen" postuliert. Wohl aber wird der vorgezeichnete Weg in der Schrift Über die Natur des Menschen gegangen, wo die Annahme, im Menschen existiere und wirke nur ein einziges Grundelement, ausdrücklich widerlegt wird zugunsten der Lehre von den vier Säften, deren Reaktion auf äußere Einflüsse, insbesondere auf den Gang des Jahres, dann im einzelnen dargestellt wird. Galen, dem die Parallelität zwischen platonischer und hippokratischer Lehre so wichtig war, hat denn auch nicht versäumt, diese Schrift als den dogmatischen Mittelpunkt der hippokratischen Schriftsteller ei zu bezeichnen und zu kommentieren. Dem steht nun freilich entgegen, daß diese Lehre schon durch einen anderen früheren Zeugen8 unzweideutig auf Polybos zurückgeführt wird, der nach der biographischen Überlieferung der Schwiegersohn des Hippokrates war. Da die Methode des Hippokrates, von der Platon ausschließlich sprechen wollte, inhaltlich auch zu einem anderen Resultat führen konnte, werden wir die Identifikation gegen das ausdrückliche Zeugnis der alten Quelle nicht gut durchführen können. Immerhin könnte man daran denken, daß Polybos Lehren des Hippokrates weitergebildet hätte. Die genannte Quelle hat uns aber auch Nachricht von einer Lehre des Hippokrates gegeben; aber sie hat die Forschung nur in noch größere Schwierigkeiten gestürzt, als sie von ihr Kenntnis nehmen mußte. Das geschah im Jahre 1892, als in London ein Papyrus entdeckt wurde, der in seinem ersten Teil Exzerpte über die krankheitsätiologischen Lehren der frühen Ärzte aus dem medizingeschichtlichen Werk des Aristotelesschülers Menon enthielt. Nach Menon9 sah Hippokrates die Ursache der Erkrankung darin, daß bei 8

Anonymus Londinensis ed. H. Diels (Suppl. Aristotelicum III), Berlin 1893, XIX iff.

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Anonymus Londinensis V 35 ff.

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der Verdauung der Nahrung, die der Mensch zu sich nimmt, im Körper Gase entstehen, die je nach ihrer Beschaffenheit und nach den Veränderungen, denen sie unterworfen sind, die verschiedenen Krankheiten verursachen. Diese auf den Inhalt der Krankheitsätiologie gerichtete Nachricht läßt sich mit Platons methodologischen Ausführungen nicht auf einen Nenner bringen. Die Lehre läßt sich aber auch in keiner Schrift des Corpus Hippocraticum eindeutig wiederfinden. Man meinte zunächst, das Zeugnis auf die Schrift De flatibus beziehen zu müssen, in der die in den Körper eindringende Luft und ihre Bewegung im Körper zur allgemeinen Krankheitsursache erklärt wird. Der Zwang zu dieser Identifikation bedeutete für die wissenschaftsgläubige philologische und medizingeschichtliche Forschung der Jahrhundertwende einen ernstlichen Kummer, weil die genannte Schrift mit ihrem stark rhetorisch-epideiktischen Charakter bis dahin für wissenschaftlich wenig seriös galt. Glücklicherweise wurde man aus dieser Pein erlöst, als man erkannte, daß zwischen den Lehren des menonischen Hippokrates und denen der Schrift De flatibus mindestens in der Akzentsetzung so große Unterschiede bestehen, daß eine glatte Identifikation nicht möglich ist. Man hat daher mit der Möglichkeit gerechnet, daß De flatibus von einem Werk des echten Hippokrates abhängig sei, das eine Krankheitsätiologie im Sinne von Menons Bericht vertrat10. Vielleicht besteht aber zwischen beiden Instanzen gar keine unmittelbare literarische Beziehung. Die Annahme, daß in einem Schriftencorpus, das den Namen des Hippokrates trägt und in seinen ältesten Bestandteilen ohne Zweifel bis in seine Zeit zurückreicht, gerade die Schrift, die den theoretischen Kern seiner Lehre enthielt, verloren gegangen sein sollte, ist wenig befriedigend. Vielleicht hat Hippokrates gar nicht eine solche theoretische Schrift grundsätzlicher Art hinterlassen, weil es ihm auf andere Dinge ankam, und die Berichterstatter haben aus gelegentlichen Äußerungen, die in andersartigem Zusammenhang standen, vielleicht auch aus einer mündlichen Tradition, die sich in seiner Nachfolge gebildet hatte, etwas herausinterpretiert, was ihrer eigenen Interessenrichtung und Sehweise entsprach. Richtig ist jedenfalls, daß zwischen den frühen doxographischen Nachrichten und dem, was wir im Corpus lesen, kein unmittelbar einleuchtender Zusammenhang hergestellt werden kann. Es ist daher begreiflich, daß gegen die Möglichkeit, Hippokrates selbst im Corpus wiederzufinden, Skepsis um sich griff und daß Ludwig Edelstein eine These aufstellte, durch die geradezu bewiesen werden sollte, daß ein solcher Versuch von vornherein zum Scheitern verurteilt sein mußte11. Edelstein meinte, daß die Schriften, die wir je^zt im Corpus Hippo[craticum lesen, anonym nach Alexandria gekommen 10

Fr. Blass, Die pseudo-hippokratische Schrift und der Anonymus Londinensis. Hermes 36, 1901, 405 ff. n L. Edelstein, und die Sammlung der hippokratischen Schriften. Berlin 1931, besonders n6ff. 178 ff.

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und daß sie erst nach und nach im Zuge eines allmählich sich steigernden Interesses an der Person des Hippokrates auf seinen Namen geschrieben worden seien. Aber diese These entfernt sich von der geschichtlichen Realität, in der Hippokrates fester verankert ist, als Edelstein es wahrhaben will. Und der Inhalt des Corpus spricht nicht dafür, daß es erst in hellenistischer Zeit aus einander ganz fremden Bestandteilen zusammengestellt worden wäre. Eine berechtigte Voraussetzung für Edelsteins Konstruktion ist allerdings die Skepsis gegen den praktischen Zeugniswert der doxographischen Nachrichten. Das Hippokratesbuch von Max Pohlenz12, das wieder mit ihrer Hilfe einen Zugang zu „echten" Hippokrates-Schriften im Corpus zu finden versuchte, kann trotz seiner sonstigen großen Verdienste in dieser Hinsicht nicht überzeugen. Offenbar müssen wir, bevor wir Hippokrates selbst im Corpus wiederzufinden versuchen, uns um die Beantwortung der Frage bemühen, wie das Corpus zustande gekommen sein könnte. Hierfür bietet das Corpus selbst zwei Fingerzeige. Der erste mag, für sich allein genommen, noch nicht sehr deutlich sein. Schon im Katalog der hippokratischen Schriften, die Erotian in neronischer Zeit seinem Glossar voranstellte, sind zwei Stücke erwähnt, die von der Verflochtenheit des Hippokrates und seiner Familie in die politische Geschichte seiner Heimatinsel Kos berichten, die Gesandtschaftsrede seines Sohnes Thessalos, die die Athener von einem Krieg gegen Kos abhalten sollte, und die Worte, die Hippokrates vor der Gemeinschaft der Thessaler als Hilfeflehender sprach, nachdem die Athener Kos dennoch bekriegt und versklavt hatten. Beide Stücke sind romanhafte Fiktionen aus hellenistischer Zeit, genau wie die Sammlung der Briefe, die unter dem großen Namen überliefert ist. Aber die fingierten Reden mit politischem Inhalt müssen aus einer Zeit stammen, als irgendwelche politische Bewegungsfähigkeit für die Insel noch möglich war, also doch wohl noch aus dem 3. Jahrhundert v. Chr.13. Weiter bringt uns die Feststellung, daß die verschiedenen Sammlungen aphoristisch gehaltener ärztlicher Vorschriften unverkennbar in literarischen Beziehungen zueinander und zu anderen Lehrschriften im Corpus stehen. Die Entwirrung dieser Beziehungen ist nicht leicht, aber sie gehört zu den wichtigsten Voraussetzungen für die Klärung der Geschichte des Corpus. Neue Untersuchungen haben ergeben, daß die umfangreiche Sammlung, die den Titel Koische Prognosen trägt, wahrscheinlich die späteste dieser Zusammenstellungen ist; sie dürfte kaum vor der zweiten Hälfte l des 4. Jahrhunderts entstanden sein14. Die Existenz dieser aphoristischen Sammlungen beweist einerseits also, daß wesentliche Teile des Corpus schon während seiner 12

M. Pohlenz, Hippokrates und die Begründung der wissenschaftlichen Medizin. Berlin 1938. Dazu L. Edelstein, Am. Journ. Phil. 61, 1940, 221 ff. 13 Auf eine Datierung in diese Zeit kommt auch R. Herzog, Koische Forschungen, Leipzig 1899, 216. i* Vgl. O. Poeppel, Die hippokratische Schrift und ihre Überlieferung. Diss. Kiel 1959 (maschinenschr.) 51 ff. 62 ff.

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Entstehung in einem bestimmten Zusammenhang miteinander standen. Sie weist andererseits, ebenso wie der Hippokrates-Roman, auf eine Mitwirkung ärztlicher Kreise der Insel Kos bei seiner Entstehung hin. Damit nähern wir uns vom Corpus aus der Überlieferung über Person und Familie des Hippokrates, wenn wir sie auch mit den bisher angeführten Daten zeitlich noch nicht erreichen. Wir finden den Anschluß zunächst auch noch nicht von den reichen Ergebnissen her, die uns die archäologischen Forschungen Rudolf Herzogs und seiner Nachfolger auf der Insel erschlossen haben. Das Asklepieion von Kos ist freigelegt, aber seine ältesten Reste stammen aus dem Ende des 4. Jahrhunderts 15. Wir wissen vom Wirken koischer Ärzte bis in die römische Kaiserzeit hinein, bis zu C. Stertinius Xenophon, der Leibarzt des Kaisers Claudius und römischer Ritter wurde16. Auf der anderen Seite wissen wir, daß Praxagoras die koische Ärzteschule gegen Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. neu begründete und zu einer Blüte führte, die von Herophilos in das Zentrum hellenistischer Wissenschaft nach Alexandria weitergetragen wurde17. Damit sind wir aber noch immer bei denjenigen, die die Tradition fortgepflanzt haben, und übersehen noch nicht, was an dieser Tradition, soweit sie in die hippokratische Zeit zurückschaut, Legende und was geschichtliche Realität ist. Aber auch in diese Zeit können wir auf einem Wege zurückdringen, der weitgehend durch Dokumente gesichert ist. Das Verdienst, diese Zeugnisse so umfassend, aber auch so vorsichtig wie möglich verwertet zu haben, gebührt Karl Deichgräber18. Die sachliche Möglichkeit der Anknüpfung an mehr oder weniger gesicherte äußere Daten geben die Krankenjournale und andere Notizen der Epidemienbücher. Sie enthalten zahlreiche Namen, von denen sich einige mit Hilfe epigraphischer Zeugnisse oder anderer geschichtlicher Überlieferung identifizieren lassen. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit Kos ergibt sich für die späteste Gruppe (Buch V und VII), zugleich mit der Möglichkeit der Datierung um 360. Sie liegt also noch nach dem Tode des Hippokrates. Die Fäden, die diese spätesten Bücher mit den älteren verbinden, sind aber so eng und fest, daß man sie alle in den gleichen Traditionszusammenhang stellen muß, d. h. sie müssen sämtlich Niederschriften aus der Tätigkeit einer und derselben medizinischen Schule sein, und es ist dann gar l nicht mehr dem Schluß auszuweichen, daß dies die Ärzteschule des Hippokrates von Kos war. Wahrscheinlich reicht die nächstältere Gruppe, die Bücher II, IV, VI, sicher die älteste, die Bücher I und III, in die Zeit von Leben und Wirken des Hippokrates selbst zurück. Diese frühesten, am besten ausgearbeiteten Bestandteile 15

Vgl. Kos, Ergebnisse der deutschen Ausgrabungen und Forschungen. Bd. i: Asklepieion, von P. Schazmann und R. Herzog, Berlin 1932. 16 R. Herzog, Koische Forschungen 189 ff. 17 Vgl. F. Steckerl, The Fragments of Praxagoras of Cos and his School. Leiden 1958. 18 K. Deichgräber, Die Epidemien und das Corpus Hippocraticum. Voruntersuchungen zu einer Geschichte der koischen Ärzteschule. Abh. Berl. Akad., phil.-hist. Kl., 1933, Nr. 3.

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lassen sich, wieder mit Hilfe von inschriftlichem Material, auf die Zeit um 410 datieren. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird man ihre Abfassung Hippokrates selbst zuschreiben dürfen; auch die zweite Gruppe kann Notizen von seiner Hand, vielleicht vermischt mit denen anderer Ärzte, enthalten. Die Ärzte, die sie niederschrieben, übten ihre Praxis im Umherziehen, als Periodeuten, aus. Der Tätigkeitsbereich von Buch I und III umfaßt die thrakische Küste und die vorgelagerten Inseln, der von Buch II, IV, VI erstreckt sich darüber hinaus vor allem nach Thessalien. Daß auch Larissa genannt wird, bestätigt die biographische Tradition, wonach das Grab des Hippokrates dort gezeigt wurde. Hier ist also einmal der Zusammenhang zwischen Biographie und Werk so eng, daß sich auch ein kritisches Gewissen bei ihm beruhigen kann, und man wird von diesem Ausgangspunkt her nach weiteren Werken im Corpus suchen, die man dem Hippokrates und seinem engeren Kreis zuschreiben kann. Besonders nahe scheint den ausgearbeiteten Teilen der Epidemien in der wissenschaftlichen Gesinnung und der Krankheitsauffassung das Prognostikon zu stehen19. Die Sammlungen aphoristischer Anweisungen im Corpus, von denen wir schon sprachen, sind zum großen Teil gleichfalls prognostischen Charakters und benutzen auch die älteren Schriften; es ist sicher kein Zufall, daß eine von ihnen ausdrücklich Koische Prognosen betitelt ist. Aber auch die berühmten hippokratischen Aphorismen gehören zu dieser Gruppe kölscher Schulliteratur, die sukzessiv vom Ende des 5. bis in die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts entstanden ist. Dazu kommen formal verwandte Niederschriften chirurgischen Inhalts, deren Bewahrung und Überlieferung man sich auch am leichtesten im Rahmen einer wissenschaftlichen Schulbibliothek vorstellen kann. Sie haben ihrerseits Berührung mit zwei ausgearbeiteten Schriften über Knochenbrüche und über die Einrenkung von Luxationen, die vielleicht einmal ein großes zusammenhängendes Werk über Chirurgie bildeten und erst später auseinandergenommen wurden20. Wegen ihres ganz anderen Inhalts ist ein Vergleich mit der prognostischen und nosologischen Richtung der Epidemien und des Prognostikon schwer durchzuführen, doch sind die chirurgischen Schriften ihnen ähnlich in der wissenschaftlichen Gesinnung, die der Besonderheit jedes Einzelfalles l gerecht werden möchte und vor falschen Generalisierungen warnt. Stärker aber als in den anderen Schriften hat diese Haltung in ihnen zu einer ironischen Distanzierung von dem Verhalten geführt, das der Verfasser für verkehrt hält. Eine ähnliche Ironie finden wir in grundsätzlichen Ausführungen der Schrift über die Diät in akuten Krankheiten. Hier werden die Andersdenkenden ausdrücklich genannt: es sind die Verfasser der Knidi19 Vor Deichgräber erklärte schon Wilamowitz Hermes 64, 1929, 458 ff. trotz seiner sonstigen Skepsis in der hippokratischen Frage das Prognostikon für ein echtes Werk des Hippokrates. 20 So Deichgräber nach W. Schleiermacher, Die Komposition der hippokratischen Schrift und . Philol. 84, 929> 273 & 399 & Anders Edelstein a. a. O. i68 ff.

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sehen Lehrsätze, und damit wird ein Schulgegensatz aufgerissen21. Denn wir wissen auch aus anderer früher Überlieferung, unter anderem wieder aus der doxographischen Übersicht des Menon22, daß neben und wahrscheinlich schon vor der koischen Schule auf der gegenüberliegenden kleinasiatischen Halbinsel Knidos eine Ärzteschule blühte, die sich ebenso wie die koische bis in hellenistische Zeit fortgesetzt hat. An einigen in späteren Zitaten überlieferten Stücken aus den Knidischen Lehrsätzen können wir die Aussagen der hippokratischen Schrift nachprüfen. Es ergibt sich, daß die Knidier ein ganz festes Schema der Zählung und Beschreibung, der Prognose und Therapie der Krankheiten anwandten, das von der von semeiotischen Komplexen und ihren individuellen Abwandlungen ausgehenden Methode der Koer grundsätzlich verschieden war . Das Interessante ist, daß wir im Corpus Hippo-4 craticum mehrere größere Schriften haben, die genau dem knidischen Schematismus folgen, also aus der im gleichen Corpus bekämpften Schule stammen. Wahrscheinlich liefen die Knidischen Lehrsätze in verschiedenen Abwandlungen in hellenistischer Zeit noch um, und es wäre insofern möglich, daß die knidischen Schriften erst damals in das Corpus als die einzige größere medizinische Schriftensammlung aus älterer Zeit gelangten. Aber es ist ganz unwahrscheinlich, daß man in dieser Zeit wacher philologischer Kritik Schriften unter den Namen des Hippokrates stellte, deren unhippokratischer Charakter mit Händen zu greifen war und die auch später immer wieder mit automatischer Sicherheit als unecht bezeichnet wurden. Daß sie sich trotzdem im Corpus hielten, wurde durch eine stärkere und ältere Tradition bewirkt: die koische Ärzteschule hatte auch die Werke der anderen Schulen in ihre Bibliothek aufgenommen, die sie unter den Namen ihres größten Meisters gestellt hatte, l Es spricht in der Tat alles dafür, daß die Masse der hippokratischen Schriften aus einer Bibliothek stammt, die ein Arbeitsinstrument der koischen Schule war. Sicher wird eine solche Masse später eine Anziehungskraft auf vereinzelte medizinische Schriften ausgeübt haben, die nach ihrer Entstehungszeit oder auch nach ihrer sprachlichen Form, der Abfassung in jonischer Prosa, als ihr zugehörig betrachtet werden konnten. Die Grenze läßt 21 Daß der Verfasser der Schrift die Knidier als Anhänger einer anderen Schule bekämpfe, bestreitet Edelstein a. a. O. 154 ff., der vielmehr den Verfasser selbst für einen (jüngeren) Anhänger der knidischen Schule hält; vgl. aber R. Blum, La composizione dello scritto ippocrateo , Rend. R. Accad. Naz. dei Lincei 12, Roma 1936, 80; O. Regenbogen, Probleme um die hippokratische Schrift De victu acutorum (Stud, presented to D. M. Robinson II 1953), 627, deren Bedenken gegen Edelsteins Thesen ich mich in diesem Punkt anschließen möchte. 22 Anonymus Londinensis IV 31 ff. 23 Vgl. dazu vor allem J. Ilberg, Die Ärzteschule von Knidos. SB Leipz. Akad., phil.hist. Kl. 76, 1925. Eine Sammlung der Fragmente der knidischen Schule durch K. Deichgräber steht in Aussicht [Diese Materialien zur knidischen Schule wurden von K. Deichgräber an H. Grensemann abgegeben; ihre Veröffentlichung als Bd. 4 in Abt. II der „Ars medica" durch ihn steht 1973 bevor.].

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sich im Einzelfall nicht immer mit Sicherheit ziehen. Einfach ist es bei Schriften, die bei offensichtlich später Entstehung absichtlich hippokratische Haltung affektieren oder die sonst die literarische Existenz des Corpus schon voraussetzen, wie etwa die Hippokratesbriefe. Aber das ist nur ein verhältnismäßig kleiner Teil des Corpus. Bei manchen in sich geschlossenen Abhandlungen aus dem 5. oder 4. Jahrhundert läßt sich die Nähe der Verwandtschaft zum koischen Schrifttum oder sonst ein zureichender Grund führ ihre Aufnahme in die Schulbibliothek nicht mit Sicherheit bestimmen. Ohne Zweifel gehörte Polybos' Schrift über die Natur des Menschen in die Schulbibliothek, aber bei De flatibus und der Schrift über die alte Heilkunst, bei der Schrift De arte, in der die Existenz der ärztlichen Kunst mit den Mitteln sophistischer Rhetorik verteidigt wird, oder bei dem umfangreichen, auf breiten naturphilosophischen Spekulationen beruhenden Werk über die Diät ist das weniger gewiß. Von besonderer grundsätzlicher Bedeutung ist die Frage für die Schriften über die Umwelt und über die heilige Krankheit, von denen die erste schon im Altertum durchweg unbedenklich als echt hippokratisch galt; als dann Wilamowitz24 zwischen ihr und der Schrift über die heilige Krankheit enge Beziehungen feststellte, wurde auch die zweite Abhandlung in den Kreis der echten Hippocratica einbezogen. Max Pohlenz ist bei seinem Versuch, das Werk des Hippokrates wiederzugewinnen, ausdrücklich von den beiden Schriften ausgegangen. Aber dagegen muß eingewendet werden, daß charakteristische Lehren der Schrift über die heilige Krankheit, vor allem die Theorien vom Primat des Gehirns und von der Luft als Trägerin des geistigen Lebens, und ein gewisser Eklektizismus der Schrift über die Umwelt in den Abhandlungen, die eine streng geübte philologisch-historische recensio dem Hippokrates zuzuerkennen erlaubt, kein Gegenstück haben25. Ganz sicher sind aber beide Schriften noch im 5. Jahrhundert entstanden; sie gehören also zu den ältesten Stücken im Corpus und dürften schon früh mit ihm verbunden worden sein. Bei der Heterogenität der Bestandteile des Corpus ist es selbstverständlich, daß sich die Forschung seit jeher um die Datierung der einzelnen Schriften bemüht hat. Bei denjenigen, deren chronologischer Festlegung Hinweise von außen nicht zu Hilfe kommen, hat man gern nach Vorbildern für die in ihnen vertretenen l Lehren gesucht, die zeitliche Anhaltspunkte geben könnten. Die Verwandtschaft physiologischer und ätiologischer Theorien mit den Doktrinen vorsokratischer Philosophen ist oft handgreiflich. Namen wie Empedokles oder Melissos werden ausdrücklich genannt. Einige Schriften bemühen sich mit mehr oder weniger Erfolg, den Stil des Heraklit nachzuahmen. Spezielle medizinische Methoden der Knidier und die ersten koischen Reaktionen darauf lassen sich gleichfalls zeitlich einigermaßen eingrenzen. Freilich reichen gerade einige sehr fest eingewurzelte medizinische Theo24 SB Berl. Akad., phil.-hist. Kl. 1901, 2 ff. 25 Vgl. auch Gnomon 18, 1942, 65 ff.

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reme, wie etwa die Lehre von den Körpersäften, weit über die griechische Zeit bis in die Hochkulturen des Alten Orients, nach Iran, Indien und Babylonien zurück. Auch die Makro/Mikrokosmos-Spekulation der merkwürdigen Schrift über die Siebenzahl, die wir zum großen Teil nur aus lateinischer und arabischer Überlieferung rekonstruieren können, beruht auf iranischen Vorstellungen26. Alle solche doxographischen Vergleiche können nur termini post quern geben, von denen bis zur Abfassung der einzelnen Schriften unter Umständen noch ein weiter Spielraum bleibt. Ein terminus ante quern könnte dann gewonnen werden, wenn sich mit Sicherheit die Wirkung hippokratischer auf nichthippokratische Literatur nachweisen ließe. Gerade in den letzten Jahrzehnten sind mehrere interessante, wenn auch nicht unbestrittene Versuche in dieser Richtung gemacht worden. So hat man den formalen und sprachlichen Einfluß hippokratischer Krankheitsbeschreibungen, besonders der frühen Epidemienbücher, auf die Beschreibung der Pest von Athen bei Thukydides 27, darüber hinaus aber auch Einwirkung hippokratischer Methode allgemein auf die historische Methode des Thukydides28 feststellen wollen. Die erste Feststellung verdient genauere Diskussion in den Einzelheiten, die zweite kann nur mit starken Kautelen aufgenommen werden, die vor allem eine Verwischung des grundsätzlichen Unterschieds zwischen dem praktischen Sinn hippokrati sehen Forschens und dem theoretischen Gehalt thukydideischer Einsicht verhüten sollen. Da die Datierung der Epidemien, wie wir gesehen haben, nach anderen Kriterien festliegt, ist der quellenkritische Vergleich in diesem Fall ohne chronologische Bedeutung; es versteht sich aber von selbst, daß die Bedeutung der Quellenforschung niemals durch rein chronologische Zwecke erschöpft wird. Das gilt auch von den Versuchen, die man gemacht hat, Wirkungen ärztlichen Denkens auf platonische Methoden und l aristotelische Lehren, etwa die Mesotes-Lehre, festzustellen29. Auch hier ist Vorsicht geboten. Es ist bekannt, und wir haben es an einer Äußerung aus dem Phaidros auch schon selbst erfahren, daß Platon und Aristoteles ärztliche Methoden als Beispiele heranziehen, an denen sie ihr eigenes Vorgehen erläutern. Im übrigen bewegt sich aber das Denken nicht nur Platons, sondern auch des Aristoteles von so anderen Voraus Setzungen zu so anderen Zielen, als diejenigen der Ärzte sind, daß man mit einer Wirkung ärztlicher Lehren nur in solchen Fällen rechnen sollte, wo besondere inhaltliche Indizien darauf hinwei26 Vgl. A. Götze, Persische Weisheit in griechischem Gewände. Ztschr. f. Indologie und Iranistik 2, 1923, 96 S., 167 ff. 27 Vgl. D. L. Page, Thucydides' description of the great plague of Athens. Cl. Quart. 47, 1953, 97 ff28 K. Weidauer, Das Geschichtswerk des Thukydides und die hippokratischen Schriften. Heidelberg 1954 (Diss.). Vgl. dazu Gnomon 27, 1955, 9 ff. — Über mögliche Einwirkungen des Hippokrates auf Euripides vgl. jetzt H. Hommel, Euripides in Ostia. Epigraphica 19, 1957, 144. 29 Vgl. vor allem F. Wehrli, Ethik und Medizin. Zur Vorgeschichte der aristotelischen Mesonlehre. Mus. Helv. 8, 1951, 36 ff.

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sen. So ist es ohne Zweifel sehr glücklich, medizinische Vorstellungen zur Interpretation der aristotelischen Lehre von der kathartischen Wirkung der Tragödie heranzuziehen, wie es nach Bernays mit besonderem Erfolg Wolfgang Schadewaldt getan hat30. Im ganzen wird man auch im 4. Jahrhundert eher den umgekehrten Weg einer Beeinflussung ärztlichen Denkens durch die Philosophie voraussetzen, und man wird es wagen dürfen, nach solchen Kriterien Schriften des Corpus auch in diese Zeit zu datieren31. Für die Schrift über die Diät hat W. Jaeger es unternommen32, und trotz aller Gegenargumente kann ich mir nach wie vor die Entstehung der Schrift über die alte Heilkunst schwer ohne die Existenz der schon recht weit entwickelten platonischen Philosophie vorstellen33. Grundsätzlich möchte ich dazu bemerken, daß mir überhaupt häufig eine unbegründete Scheu vor der Datierung hippokratischer Schriften ins 4. Jahrhundert zu bestehen scheint. Diese beruht wohl einerseits noch auf gewissen mit dem Namen Hippokrates zusammenhängenden Vorurteilen, die mit der hier vorgetragenen Theorie über die Entstehung des Corpus ihre Berechtigung verlieren. Andererseits kommt sie offenbar von der Überlegung her, daß in hippokratischen Schriften festgestellte vorsokratische Lehren auch in möglichst unmittelbarem Anschluß an ihre Entstehung reproduziert worden sein müßten. Man muß aber damit rechnen, daß die großen naturphilosophischen Systeme des 5. Jahrhunderts auch im 4. Jahrhundert noch lange Zeit die Prototypa für diesen Bereich des Denkens blieben und daß die Produktivität des 4. Jahrhunderts auf diesem Gebiet zum großen Teil in einem Weiterdenken und i Ausgestalten dieser Systeme bestand. Das beweist auch die Art, wie Aristoteles sich mit ihnen auseinandersetzt. Man sollte die physiologischen Theorien der hippokratischen Schriften nicht zu einseitig auf die vorsokratischen Lehren beziehen, sondern sie durch den Vergleich mit Aristoteles als Zeugen der Weiterbildung dieser Lehren in der Zeit zwischen den Vorsokratikern und dem Peripatos betrachten lernen. Weitere Anhaltspunkte zur Datierung der hippokratischen Schriften kann ihre Sprache geben. Sprachgebrauch und Terminologie haben sich in der Zeit schneller geistiger Entwicklung, in der die Hauptmasse des Corpus entstand, zum Teil so stark verändert, daß daraus Hinweise für die zeitliche, aber auch für die lokale und geistige Herkunft einzelner Schriften gewonnen werden können. Besonders ertragreich könnte ein Vergleich der Sprache in 30

W. Schadewaldt, Furcht und Mitleid? Hermes 83, 1955, 129 ff. Vgl. auch H. Flashar, Die medizinische Grundlage der Lehre von der Wirkung der Dichtung in der griechischen Poetik. Hermes 84, 1956, 12 ff. 31 Vgl. L. Edelstein, The relation of ancient philosophy to medicine. Bull. Hist. Med. 2.6, 1952, 299 ff. 32 Diokles von Karystos, Berlin 1938, 167 ff. Paideia II, Berlin 1944, 45 f£. Vgl. auch H. Diller, Hermes 87, 1959, 55 f. 33 Vgl. Hippokratische Medizin und attische Philosophie. [S. 46—70 aus:] Hermes 80, 19^2, 385 ff. Anders J. H. Kühn, System- und Methodenprobleme im Corpus Hippocraticum. Hermes-Einzelschriften H. n, 1956, i ff.

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den Lehrspruchsammlungen sein, wo Sätze des gleichen Inhalts oft mit nur geringen, aber charakteristischen sprachlichen Veränderungen wiederholt werden. Im Rahmen des Thesaurus Linguae Graecae in Hamburg wird eine Sammlung und Darstellung des gesamten hippokratischen Sprachmaterials in einem Hippokrateslexikon vorbereitet, und im Zusammenhang damit sind von der Kommission für klassische Philologie unserer Akademie Untersuchungen zur hippokratischen Terminologie eingeleitet worden. Selbstverständlich gilt auch in diesem Fall, daß die Sprachuntersuchung nicht nur Mittel zum Zweck der chronologischen und geistesgeschichtlichen Fixierung der einzelnen Schriften ist. Sie ist an und für sich ein Objekt von größter Bedeutung, das durch die Schriften des Corpus in reicher Fülle und in höchst interessanter Form dokumentiert wird. Neben Herodot ist das Corpus der beste Zeuge für die jonische Prosa und über Herodot hinaus eine Fundgrube für die wissenschaftliche Sondersprache. Der Inhalt, der hier ausgedrückt werden soll, bedingt den Gebrauch zahlreicher Wörter und Formen, die ohne das Corpus gänzlich verschollen wären. Ebenso gehören die hippokratischen Schriften zu den frühesten Beispielen für verschiedene Formen der wissenschaftlichen Lehrschrift. Ihr Inhalt belehrt uns über soziologische Tatbestände aus dem Leben der Kranken und ihrer Ärzte, über ärztliche Ausbildung und ärztliche Ethik, über die Kenntnisse von Medikamenten, Tieren und Pflanzen, über astronomische und meteorologische Anschauungen und die Einteilung des Jahres in verschiedenen Bereichen der griechischen Welt, über Epidemien und Einzelkrankheiten, die damals auftraten, über rationale und magische Einstellung zu den Krankheiten, für die das Beispiel der Heiligen Krankheit, der Epilepsie, besonders kennzeichnend ist 34 , über therapeutische Verfahren und chirurgische t Instrumente, deren Kenntnis wie die mancher anderen Tatsache durch archäologische Funde ergänzt wird. Hier stehen wir an dem Punkt, wo philologisch-historisches und medizinisches Wissen zusammenwirken müssen, um eine gesicherte Erkenntnis von dem zu gewinnen, was uns die hippokratischen Schriften über das Wissen ihrer Verfasser lehren. Noch im 17. und 18. Jahrhundert verstand die Medizin ihr Tun als Fortsetzung und Erneuerung des antiken Hippokratismus. Die Begründung der Medizin auf die moderne Naturwissenschaft des 19. Jahrhunderts hat die unmittelbare Verknüpfung unterbrochen. Trotzdem meldet sich immer wieder das Bedürfnis, sich auf die großen Vorbilder aus dem Altertum zu berufen. Es entspringt dem Bewußtsein, daß ärztliches Handeln nicht nur Anwendung einer Wissenschaft ist, die allerdings die antiken Ansätze so weit überholt hat, daß in dieser Beziehung jede Kommunikation ausgeschlossen zu sein scheint, sondern zugleich eine Kunst, die einer intuitiven Einstellung auf den Kranken und seinen speziellen Fall bedarf. Diese Notwendigkeit der Individualisierung wird gerade in den im engeren Sinn hip*4 Vgl. hierzu vor allein die große Monographie von O. Temkin, The falling sickness from the Greeks to the beginning of modern neurology. Baltimore 1945.

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pokratischen Schriften grundsätzlich anerkannt und praktisch geübt. So fühlt sich auch der moderne Arzt immer wieder in unmittelbare Beziehung gesetzt zu seinem großen Vorgänger, und er empfindet den Zunfteid, der in seinem Nachlaß auf uns gekommen ist, als einen Ausdruck auch noch seines eigenen Berufsethos. Immer wieder findet er aber auch im Materiellen in den hippokratischen Schriften Gedankengänge und Methoden, die ihn fesseln und die ihm zukunftsreich erscheinen. Da ist das Phänomen der Infektion festgehalten worden; es gibt Theorien über Erblichkeit35; man weiß etwas von psycho-physischem Parallelismus; man experimentiert36. Immer wieder versucht man auch, konkrete moderne Entdeckungen in die hippokratische Zeit zurückzuverlegen. Wieviel ist darüber geschrieben worden, ob die Hippokratiker schon den Blutkreislauf kannten 37 ! Besonders leidenschaftlich hat sich Richard Kapferer für diese These eingesetzt, dessen große deutsche Hippokrates-Übersetzung wohl das bemerkenswerteste Zeugnis für das immer noch lebendige Bedürfnis ist, in Hippokrates den unmittelbaren Vorläufer möglichst aller guten und bedeutenden Bestrebungen in der modernen Medizin zu sehen38. Diese direkte Anknüpfung ist nicht mehr möglich, weil sie anachronistisch ist. Nötig l und fruchtbar aber ist es, im Bewußtsein der historischen Distanz zunächst die Andersartigkeit des hippokratischen Denkens zu erkennen und aus diesem Andersartigen, wenn möglich, auch für die Gegenwart zu lernen. Diesen Weg scheinen etwa die in Frankreich stattfindenden Kongresse zur Erforschung des Hippokratismus gehen zu wollen39; aber auch sonst ist in zahlreichen Einzelfällen bereits die fruchtbare Spannung zwischen hippokratischem und modernem ärztlichen Denken aufgeklärt worden. Man hat die auffällige Bedeutung hervorgehoben, die die Prognose in den hippokratischen Schriften hat 40 ; man hat aus der Festlegung auf Konstitutionstypen gelernt; man hat den besonderen hippokratischen Krankheitsbegriff herausgearbeitet41. Von solchen medizinischen Begriffen des Hippokratismus kommt man weiter zur Untersuchung allgemeiner Denkformen, die die hippokratische Medizin mit der sonstigen frühgriechischen Wissen35

Vgl. E. Lesky, Die Zeugungs- und Vererbungslehren der Antike und ihr Nachwkken. Abh. Akad. Mainz, geistes- und sozialwiss. Kl. 1950, Nr. 19. 36 Vgl. G. Senn, Über Herkunft und Entstehung der Beschreibungen von Experimenten im Corpus Hippocraticum. Arch. Gesch. Med. 22, 1929, 217 fi. O. Regenbogen, Eine Forschungsmethode antiker Naturwissenschaft. QuStud. z. Gesch. d. Mathematik u. d. Naturwiss. B i, 1930, 131 ff. 37 Vgl. H. Diller, Die Lehre vom Blutkreislauf, eine verschollene Entdeckung der Hippokratiker? Arch. Gesch. Med. 31, 1938, 201 ff. 38 Die Werke des Hippokrates, herausgegeben von R. Kapferer, Stuttgart 1934 ff. 39 Vgl. Rapports du lie Congres international de medecine hippocratique, Journees medicales d'fivien, Paris 1953. Vgl. auch Ch. Lichtenthaeler, La me'decine hippocratique I: Methode experimentale et methode hippocratique. Lausanne 1948. Ders., Pourquoi hippocratiser? Deux conferences, Genf und Paris 19*19, 59 & 4° Vgl. dazu die anregenden, aber nicht abschließenden Bemerkungen von L. Edelstein, und die Sammlung der hippokratischen Schriften 60 ff. 4l Vgl. vor allem H. E. Sigerist, Antike Heilkunde, München 1927.

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schaft und Philosophie gemeinsam hat, z. B. ihren Hypothesenbegriff42, ihre Auffassung von Natur 43 und Kausalität, und schließlich zu der für das Verständnis des hippokratischen Schrifttums grundlegenden Frage: wie stand der hippokratische Arzt zu seiner Tätigkeit, die er Techne nannte und also mit einem Wort bezeichnete, das weder ausschließlich Handwerk noch Kunst noch Wissenschaft und doch von alledem etwas ist w ? Hier ist der Punkt, wo die hippokratische Medizin und die große attische Philosophie des 4. Jahrhunderts sich in der Tat berühren und wo noch einmal deutlich wird, wieviele Wissenschaften zusammenwirken müssen, um das Problem Hippokrates zu klären. Wenn schon bei der Herstellung des Textes der hippokratischen Schriften der klassische Philologe nicht ohne Hilfe des Orientalisten auskommen kann, so braucht es zum Verständnis ihres Inhalts den Mediziner und den Philosophen, den Philologen, den Historiker und den Archäologen. So denke ich, daß die Probleme der Hippokratesforschung wohl auch das Interesse einer Akademie verdienen, die sich gerade neuerdings wieder durch Vertreter von Disziplinen ergänzt hat, die an ihrer Lösung mitzuarbeiten berufen sind, l

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Vgl. dazu das Anm. 33 genannte Buch von J. H. Kühn. Vgl. dazu vor allem K. Deichgräber, Die Stellung des griechischen Arztes zur Natur Antike 15, 1939, n6ff. (jetzt auch in: Vier Themen des griechischen Denkens. Göttingen 1951). Vgl. dazu O. Temkin, Greek medicine as science and craft. Isis 44, 1953, 213 ff.

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AUSDRUCKSFORMEN DES METHODISCHEN BEWUSSTSEINS IN DEN HIPPOKRATISCHEN EPIDEMIEN

1964 Bevor wir an unser Thema herangehen, d rfte es angemessen sein, eine Vorfrage zu kl ren. Welcher Art sind die Leser, an die sich die hippokratischen Schriften wenden, insbesondere die Epidemien und die ihnen gattungsverwandten Schriften? Die Hauptwerke der vorsokratischen Philosophie, mit denen sich die Diskussion bisher vor allem besch ftigte, sind an einen sehr weiten Leserkreis gerichtet. Sie denken an die Menschen schlechthin, die von der neuen Wahrheit berzeugt werden sollen. Das gilt auch dann, wenn ihrer Ver ffentlichung die Diskussion in der Schule vorangegangen sein sollte, wie das bei den Eleaten der Fall gewesen sein mag1. Selbst das fr heste uns in groen Z gen noch rekonstruierbare Zeugnis der pythagoreischen Literatur, die Καθαρμοί des Empedokles, war trotz — oder vielleicht gerade wegen — des esoterischen Charakters der Lehre an das breite Publikum gerichtet. Demgegen ber wendet sich die medizinische Literatur ihrem Wesen nach durchg ngig an rzte. Es gibt Ausnahmen rhetorisch-epideiktischen Charakters, wie π. φυσών oder π. τέχνης; andere entstammen der sich entwickelnden Auseinandersetzung mit der Philosophie, wie π.φύσιος ανθρώπου und π. άρχαίης ίητρικής. Aber das bleibt ein kleinerer und sekund rer Teil der medizinischen Literatur, die ganz berwiegend fachliche Anweisungen f r Fachleute geben will. Einen breiten Raum nimmt im Corpus Hippocraticum eine — sei es systematische, sei es additive — Darstellung von Krankheiten nach tiologie, Symptomatik, Prognose und Therapie ein. Auf der anderen Seite werden aber auch prognostische Zeichen oder di tetische Indikationen, getrennt von jeder Darstellung spezieller Krankheiten, in einem nur f r sie g ltigen System zusammengefa t und zur Belehrung f r andere rzte besprochen, — so vor allem im Prognostiken und in π. διαίτης οξέων (Acut.). I In den so angelegten Schriften kommt das Bewu tsein einer methodischen Abweichung von den Vorg ngern schon klar zum Ausdruck. Besonders deutlich ist in dieser Hinsicht die Polemik in Acut. gegen die Κνίδιαι γνώμαι l Vgl. W. Kulimann, Zenon und die Lehre des Parmenides, Hermes 86, 1958, 157 ff.

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Ausdrucksformen des methodischen Bewu tseins

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(I 109 f. Kw.). Diese haben, so hei t es dort, Erscheinungen und Verlauf von Krankheiten in manchen F llen richtig beschrieben, soweit man durch die Befragung der einzelnen Kranken etwas dar ber erfahren kann. Nicht durch Befragung feststellbare Faktoren aber sind gro enteils nicht ber cksichtigt, auch nicht solche, die zur Indikation f r die rztliche Behandlung besonders geeignet sind2. Ferner ist die Zahl der verwendeten Heilmittel zu gering, die Behandlung daher zu schematisch. Vor allem aber hatten die Knidier keine zureichende Einsicht in das Wesen der Krankheit. Wohl wu ten sie etwas von ihren vielf ltigen Modifikationen und Differenzierungen; indem sie sich aber darauf einlie en, plane Angaben ber die Zahlen jeder einzelnen Krankheit zu machen, verfuhren sie nicht richtig. Denn man kommt ohne Zweifel zu einer un bersehbaren Zahl, wenn man das Leiden der Kranken nach dem Prinzip klassifiziert, da man jede Differenzierung ber cksichtigt, die Identit t der „Krankheit" aber durch Beilegung eines gemeinsamen Namens aufrechterhalten will3. Mit dieser Feststellung wird der in der knidischen Schule geltende Krankheitsbegriff problematisch. Die Knidier, deren Krankheitsdarstellung uns im Corpus Hippocraticum in mehreren Brechungen erhalten ist, hatten die Krankheit als ontische Gegebenheit gefa t und beschrieben, im einfachsten Fall unter einem allgemein bekannten Namen, etwa Angina, Gelbsucht, Starrkrampf 4 . Unter solchen Stichworten wird, im wesentlichen unvariabel, eine Beschreibung der Symptome, der Prognose und der Therapie gegeben. Aber schon die knidischen rzte hatten erkannt, da die berlieferten Namen f r die tats chlich vorkommenden Krankheiten nicht ausreichten. So werden auch Krankheiten ohne Namen beschrieben5, und schlie lich wird derselbe berlieferte Name verschiedenen Krankheiten beigelegt, und diese Krankheiten werden durchgez hlt: erste, zweite, dritte Phthisis, erste bis vierte Gelbsucht, erster bis dritter Starrkrampf, erste bis f nfte l Krankheit der Milz6. Diese Z hlung 2 I 109, io Kw. επίκαιρα 'ένια έόντα ες τέκμαρσιν. τέκμαρσις wird im n chsten Satz erl utert ως χρή έκαστα ίητρεύειν; vgl. auch Thuc. 2, 87, ι τέκμαρσιν το έκφοβήσαι. Zu επίκαιρα vgl. Epid. I 25 (I 201, ii Kw.) επίκαιρα σημεία. 3 I no, 7 ff. τάς μέντοι πολυτροπίας τάς εν εκάστη των νούσων και την πολυσχιδίην ουκ ήγνόεον ε"νιοι· τους δ' αριθμούς εκάστου των νοσημάτων σάφα εθελοντές φράξειν ουκ ορθώς έγραψαν μη γαρ ουκ εύαρίθμητον η, εΐ τούτω τις σημαίνεται την των καμνόντων νοΰσον {τω) το έτερον του έτερου διαφέρειν τι, μη τωύτό δε νόσημα δοκεΐν είναι, ην μη τωύτό όνομα εχη. Zur Interpretation vgl. Gnomon 14, 1938, 303; neuerdings — mit Deutung von όνομα auf die jeweilige ZtfW-Bezeichnung der Krankheit — G. H. Knutzen, Technologie in den hippokratischen Schriften περί διαίτης οξέων, περί άγμών, περί άρθρων εμβολής, Abh. Akad. Mainz, Geistes- und Sozialwiss. Kl., 1963, 1344 f. 4 Vgl. z. B. Morb. III 10/12 (VII 128/132 L.). 5 Z. B. Morb. II 1/3 (VII 8/10 L.). 6 Vgl. Int. 10/12 (VII 188/198 L.). 35/38 (VII 252/260 L). 52/54 (VII 298/302 L.). 30/34 (VII 244/252 L.). Gal. CMC V 9,1 S. 121, 21 ff. J. Ilberg, Die rzteschule von Knidos, Ber. Sachs. Akad., Phil.-hist. Kl. 76, 1925, H. 3, S. 4 Anm. i.

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Ausdrucksformen des methodischen Bewußtseins

zeigt schon, daß die Auffassung von der Krankheit als ontischer Gegebenheit ihrem Wesen nach nicht aufgegeben wird. Die durch die Zahlen bezeichneten Krankheitstypen gehen nicht ineinander über, sondern sind deutlich voneinander geschieden. Die Benennung mit demselben Namen ist möglich, weil sich gewisse, unter Umständen recht äußerliche Symptome ähneln oder weil die zugrunde gelegte Ätiologie auf dasselbe Organ führt. Hier liegt eine sehr ursprüngliche Auffassung von Krankheit vor, wie sie auch heute noch jedem von uns geläufig ist, wenn wir sagen: die Grippe packt mich, der Husten quält mich usw. Ihr Ursprung steckt doch wohl in der Vorstellung von der Krankheit als einem Dämon, der den Menschen anspringt und schlägt, einer Vorstellung, wie sie Hesiod in den Erga 102/4 zum Ausdruck bringt, wo aus dem von der Frau geöffneten Pithos außer den anderen Übeln auch die Krankheiten herausfliegen, die teils bei Tage, teils bei Nacht den Menschen Unheil bringen, schweigend, da Zeus ihnen die Stimme nahm, — also ohne sich vorher anzukündigen. Die Knidier, die an der Grenze des Perserreichs wirkten, werden diesen Krankheitsbegriff aus dem alten Orient, zuletzt aus dem Iran, übernommen haben. Er ist es, dessen Konsequenzen in der Polemik von Acut. abgelehnt und in der koischen Schule praktisch durch ein anderes Verfahren ersetzt werden. Diese Auffassung von der individuellen Erkrankung hat Henry E. Sigerist mit Recht als für die spätere griechische Medizin grundlegend herausgestellt. Wenn also die und der Erkrankungen auf eine unübersehbare Zahl führt, so ist es konsequent, wenn die überkommenen Krankheitsnamen zurücktreten und allenfalls noch zur Bezeichnung von Symptomen oder Syndromen und ihren Trägern verwendet werden. Man kann z. B. von Erysipelen sprechen, um Rötungen der Haut zu bezeichnen, die ganz verschieden eingeordnet werden können, oder von als 7 einem (krankhaften) somatischen Typ . Die Erscheinungen, die an den Kranken festgestellt und benannt werden, haben den Charakter von Zeichen, deren Kombination nicht mehr, wie in den knidischen Schriften, als feste Entität überliefert, sondern dem Arzt als jeweils neue Aufgabe gestellt ist. Um dafür Anhaltspunkte zu gewinnen, hält er sich gern an jene Krankheitserscheinungen, die eine exakte Erfassung durch Zählen zulassen, also vor allem die Fieber, und unter ihnen an die periodischen mit regelmäßigem Ablauf und Intermissionen, die in einem von der Malaria heimgesuchten Land reiches Material boten. Im Zusammenhang damit wird die Krisenlehre konsequent ausgebaut. Andere sichtbare Erscheinungen bieten z. B. die Ausscheidungen und ihre Störungen dar. l An solchen Beispielen sieht man schon, daß die Grenze zwischen krankhaften und nicht krankhaften Zeichen grundsätzlich fließend ist. Das meinte 7 Vgl. H. E. Sigerist, Antike Heilkunde, München 1927.

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auch der Verfasser von Acut., wenn er beanstandete, daß die nur das angaben, was man durch Befragung der Kranken feststellen konnte; denn die Kranken werden im allgemeinen nur das Auffällige, d. h. das für sie Abnorme angeben. Für den koischen Arzt ist aber jeder erkrankte Mensch eine Individualität, und so kann, was für den einen Patienten normal ist, darum doch von der Norm anderer Menschen abweichen und daher wichtig für die Beurteilung seiner Erkrankung und damit für die des Arztes sein. Daher erweitert sich für den koischen Arzt das Beziehungssystem, in das der Erkrankte hineingestellt ist und dessen Koordinaten er festzustellen hat, ungeheuer: es umfaßt nicht nur krankhafte Erscheinungen, überhaupt nicht nur somatische Zeichen am Menschen, ja überhaupt nicht nur Zeichen am Menschen, sondern etwa auch Landschaft, Klima, Wetter; was den Menschen betrifft, umfaßt es seine körperliche und seelische Veranlagung, seine normale Ernährung und sonstige Lebensweise, seine Liebhabereien, seine Physiognomie, seine Sprechweise usw. usw. Um es zu wiederholen: der Arzt erkennt an seinem Patienten nun also nicht mehr ohne weiteres den Ablauf einer ihm von der Schule her geläufigen Krankheits-Entität, auf die er ebenso geläufige Mittel bei geläufiger Prognose anwenden kann, sondern er steht zunächst vor einer tabula rasa. Was ihn mit seinen Vorgängern verbindet, ist die Auffassung der ihm gegenübertretenden Erscheinungen als Zeichen, nach denen er Prognose und Behandlung bestimmen kann. Gewiß sind nicht wenige dieser Zeichen traditionell; ich erwähnte schon Fieber und Ausscheidungen; auch vieles andere wurde mehr oder weniger bewußt beibehalten. Aber einerseits ist die bisherige Ordnung und Zusammengehörigkeit der Zeichen prinzipiell in Frage gestellt, andererseits ist ihr bisheriger Herkunftsbereich bei weitem überschritten. Der Arzt steht mithin vor den Fragen, nach welchen Gesichtspunkten er den Kreis der überhaupt in Frage kommenden Faktoren abgrenzen, wie er sie gewinnen und wie er sie, nachdem er sie gewonnen hat, ordnen soll. Das bedeutet, daß der koische Arzt sich ständig zum Nachdenken über die von ihm anzuwendenden Methoden veranlaßt sieht. Dieses Nachdenken über die Methode einerseits, die Bereitstellung des methodisch gewonnenen Materials andererseits haben ihren Niederschlag vor allem in den hippokratischen Epidemien gefunden; sie sind deshalb als Grundlage für unsere Untersuchung über Ausdrucksformen des methodischen Bewußtseins in der frühen griechischen Medizin besonders geeignet. Die sieben überlieferten Epidemienbücher wurden schon von der antiken Kritik in drei Gruppen eingeteilt. Die erste umfaßt die Bücher I und III, die zweite II IV und VI, die dritte V und VII. Galen vertrat in Übereinstimmung mit der älteren Hippokrateskritik die Auffassung, daß l I III von Hippokrates selbst veröffentlicht wurden, während II und VI (mit Vorbe-

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halt auch IV) auf Notizen von ihm zurückgehen und V und VII allenfalls aus seiner Schule stammen sollten8. Die Gruppierung wurde durch die Untersuchungen von K. Deichgräber im wesentlichen bestätigt. Eine Datierung wurde vor allem durch die Nennung zahlreicher Namen von Kranken möglich, deren Träger z. T. mit auf Inschriften oder in anderen Quellen genannten Personen gleichgesetzt werden konnten. Nach diesen Kriterien konnte Deichgräber die Bücher IIII um 410, die Bücher IIIV VI um den Anfang des 4. Jahrhunderts und die Bücher V und VII um 360 datieren9. Deichgräber stellte außerdem die Schrift . (Hum.), die schon Littre als „achtes Buch der Epidemien" bezeichnet hatte, zur zweiten Gruppe der Epidemienbücher10. Diese Einteilung können wir im großen und ganzen auch für unsere Fragestellung zugrunde legen. Nur in den beiden ersten Gruppen finden wir die Äußerungen des methodischen Bewußtseins, denen wir hier nachgehen wollen. Die dritte Gruppe bringt fast nur Krankheitsfälle im Zustand des Rohmaterials und scheidet damit für uns aus. Die erste und die zweite Gruppe unterscheiden sich in der Form voneinander; aus diesen formalen Unterschieden hatte ja schon die antike Hippokratesforschung den Schluß gezogen, daß die erste Gruppe vom Autor selbst veröffentlicht wurde, während die zweite Notizenmaterial enthielt, das noch nicht für die Veröffentlichung bearbeitet war. Die Bücher der ersten Gruppe bringen einmal Überblicke über den Wetter- und Krankheitsverlauf je in einem Jahr, die sogenannten ; diese Übersichten werden analysiert, indem Gruppen von Erkrankungen bzw. von Erkrankten gebildet werden. Neben ihnen steht eine Anzahl ausgewählter und stilistisch durchgearbeiteter Krankengeschichten, auf die z. T. in den allgemeinen Überblicken ausdrücklich Bezug genommen wird. Und schließlich finden sich in konzentrierter Form methodische Aussagen. Die Reihenfolge der drei Aussagegruppen weicht in Epid. I und III voneinander ab; sie ist aber auch innerhalb der Bücher nicht streng festgelegt. In II (IV) VI (Hum.) haben wir im Prinzip dieselben Gruppen von Aussagen; nur ist das Material offenbar noch in keiner Gruppe geordnet. Die allgemeinen Überblicke sind nicht so systematisch und vollständig gegeben wie in IIII. So werden z. B. in den Darstellungen der Krankheitsabläufe in Perinth, die an sich die geschlossensten in dieser Gruppe sind (II 3, i. IV 7. VI 7, i)11, nur Teile des Jahres mit den zugehörigen Erscheinungen erfaßt, dies allerdings offenbar deshalb, weil der Verfasser l die so zusammengefaßten Erscheinungen als Einheiten zu begreifen versuchte. Einzelfälle, Verallgemeinerungen, methodische Grundsätze stehen fast ungeordnet nebenein8 Vgl. vor allem Gal. CMC V 10, 2, 2 S. 5, 3 ff. VII 890 f. K. K. Deidigräber, Die Epidemien und das Corpus Hippocraticum, Abh. Berl. Akad., Phil.-hist. Kl. 1933, 16. 74. 144 (im folgenden zitiert: Deichgr.). 10 E. Littre, (CEuvres completes d'Hippocrate V 1846, 470. Deichgr. 75 ff. » Vgl. Deichgr. 25 ff. 9

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ander. Während in IV methodische Grundsätze fast ganz fehlen (die wichtigste Ausnahme ist IV 46), besteht die (verhältnismäßig kurze) Schrift Hum. fast nur aus Verallgemeinerungen und methodischen Aussagen, die doch auch inhaltlich und in ihrer Interessenrichtung bisweilen von denen in II VI abzuweichen scheinen. Manche Äußerungen dieser Gruppe kehren in anderen Epidemien-Büchern oder in anderen hippokratischen Schriften wieder, bisweilen geradezu in der Form des Verweises. Die Zusammenstellungen haben ausgesprochen hypomnematischen Charakter. Wenn Epid. IIII zur Veröffentlichung bestimmt waren, so wenden sich die methodischen Forderungen in diesen Büchern an die Ärzte der Mit- und Nachwelt; sie haben die Form der belehrenden Vorschrift gefunden. Angesichts der Notizenmassen der zweiten Gruppe bleibt die Frage offen, ob die grundsätzlichen Aussagen schon eine an die Öffentlichkeit gerichtete Form erhalten hatten oder ob sie noch dem Stadium der Diskussion des Arztes mit seinen Schülern angehören oder gar Fragen des Schreibenden an sich selbst sind. Im letztgenannten Fall würden wir in ein — unbeeinflußtes — Selbstgespräch hineinhören wie kaum sonst je in der antiken Literatur. Aber auch wenn wir darauf verzichten, die psychologische Stufe der einzelnen Aussage zu ergründen, bleiben die Ausführungen in jedem Fall unmittelbar genug. Die Qualität der Aussagen ist so, daß man gern bereit ist, sie, der antiken Tradition folgend, mit dem großen Namen des Hippokrates zu verbinden. Beim heutigen Stand der Forschung muß allerdings die Möglichkeit vorbehalten bleiben, daß man noch zu differenzierenden Feststellungen kommt. Notizen-Sammlungen wie II VI einem oder mehreren Verfassern zuzuweisen, wird immer problematisch bleiben, erst recht ihre Zusammenstellung mit einer formal etwas andersartigen Schrift wie Hum., die durch die Überlieferung nicht garantiert ist12. Vor der Behandlung der methodischen Ausführungen möchte ich je ein Beispiel der speziellen und der allgemeinen Tatsachendarstellung aus den Epid. bringen. Die drei Aussageformen gehören, wie schon aus dem Überblick über den Inhalt der Epid. hervorging, sowohl in ihren geordneten wie in ihren ungeordneten Teilen eng zusammen. Ihr Verhältnis zueinander läßt sich keineswegs im Sinne eines streng methodischen Aufbaus bestimmen. Es gibt methodologische Aussagen, in denen auf Einzel l tatsachen Bezug genommen wird, ebenso wie das selbstverständlich in den Gesamtdarstellungen geschieht. Aber andererseits ist oft auch die Aufnahme der Einzelfakten nicht ohne Berücksichtigung der allgemeinen Situation möglich. Gewiß werden in den methodologischen Ausführungen immer wieder die Gesichtspunkte dargestellt, unter denen die Fakten beobachtet, gesammelt und geordnet wurden; aber ebenso sicher war niemals ein Katalog dieser methodischen Ge12 Deichgr. hat sehr klar sachliche und stilistische Unterschiede zwischen verschiedenen Aphorismen-Gruppen in Epid. II IV VI herausgestellt, spricht sich aber S. 64 für die Zurückführung auf einen Verfasser aus; ebenso gibt er S. 80 der Annahme eines Verfassers für Hum. und die Epid.-Bücher den Vorzug vor anderen Möglichkeiten.

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Sichtspunkte fertig abgeschlossen, sondern er befand sich in st ndiger Weiterbildung in der Auseinandersetzung mit den Tatsachen. Wir beginnen mit dem — empirisch gesehen — N chstliegenden, der Geschichte des einzelnen Kranken, wie sie dem Arzt begegnete. Epid. III ι η (I 22i, n/2i Kw.) Το μειράκιον, δ κατέκειτο επί ψευδέων άγορη, πυρ ελαβεν εκ κόπων και πόνων και δρόμων παρά το εθος. τη πρώτη κοιλίη ταραχώδης χολίόδεσι, λεπτοΐσι, πολλοϊσιν, ούρα λεπτά, ύπομέλανα, ούχ ύπνωσε, διψώδης. δεύτερη πάντα παρωξύνθη, διαχωρήματα πλείω, άκαιρότερα. ούχ ύπνωσε, τα της γνώμης ταραχώδεα, σμικρά ύφίδρωσε. τρίτη δυσφόρως, διψώδης, άσώδης, πολύς βληστρισμός, άπορίη, παρέκρουσεν, ακρεα πελιδνά και ψυχρά, υποχονδρίου εντασις ύπολάπαρος εξ αμφοτέρων, τετάρτη ούχ ΰπνωσεν επί το χείρον, εβδόμη άπέθανεν, ήλικίην περί ε'τεα εΐκοσιν. Der Patient bleibt in diesem Fall anonym, w hrend sonst durchweg der Name des Kranken genannt wird. Charakteristisch ist aber, da die Altersstufe angegeben wird; das ist durchweg in den Krankengeschichten der Fall (vgl. auch u. S. 113). Weiter geh ren zu den charakteristischen Aussagen die Angaben ber das Einsetzen der Krankheit und das Verhalten, das ihm vorausging; die Pr position εκ, die in diesem Zusammenhang gebraucht wird, l t die Wahl zwischen temporaler und kausaler Deutung offen. Das Verhalten, das zur Erkrankung des Individuums f hrte, wird mit seinen normalen Gewohnheiten verglichen. Die Darstellung des Krankheitsverlaufs ist nach Tagen aufgeteilt, jede Verschlimmerung und Verbesserung wird notiert. Beobachtete Zeichen sind Ausscheidungen (auch Schwei ), Schlaf und Schlaflosigkeit, Durst und Appetit, ebensowohl aber die geistigen Auswirkungen des Krankseins, Unruhe und Verwirrung mitsamt ihrem k rperlichen Ausdruck. Vor allem diese Angaben sind es, die die Darstellung so eindrucksvoll machen und nicht nur in diesem Fall den Eindruck des von der Krankheit gehetzten und ihr schlie lich unterliegenden Gesch pfs vermitteln, — eine schwerlich bewu t herbeigef hrte Nebenwirkung dieser Beobachtung, die den erkrankten Menschen als Ganzes sieht und uns in verwandter Sachlichkeit in der Pestdarstellung des Thukydides ergreift. Wir gehen zur ersten κατάστασις-Darstellung in Epid. I ber. Epid. I i (l 180, 3 / 181, 6 Kw.) Εν Θάσω φθινοπώρου περί Ίσημερίην και υπό πληϊάδα ύδατα πολλά, συνεχέα μαλακώς, εν νοτίοις. χειμών νότιος, σμικρά βόρεια, αΰχμοί· το σύνολον ες γε ! χειμώνα οίον εαρ γίνεται, ε'αρ δε νότιον ψυχεινόν, σμικρά ΰσματα. θέρος ως επί το πολύ έπινέφελον. άνυδρίαι. έτησίαι ολίγα, σμικρά, διεσπασμένως επνευσαν. Γενομένης δε της αγωγής όλης επί τα νότια και μετ' αύχμών, πρωί του ήρος εκ της πρόσθεν καταστάσιος ύπεναντίης και βορείου γενομένης ολίγοις έγίνοντο καύσοι και τούτοισι πάνυ εύσταθέες, και ολίγοις ημορράγει ούδ' άπέ-θνησκον εκ τούτων, έπάρματα δε παρά τα ώτα πολλοϊσιν έτερόρροπα και εξ αμφοτέρων, τοΐσι πλείστοισιν άπύροισιν όρθοστάδην εστί δε οι και σμικρά

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έπεθερμαίνοντο. κατέσβη πδσιν άσινέως ούδ' έξεπύησεν ούδενίωσπερ τα εξ άλλων προφασίων. ην δε ό τρόπος αυτών χαΰνα, μεγάλα, κεχυμένα, ου μετά φλεγμονής, ανώδυνα· πασιν άσήμως ήφανίσθη. έγίνετο δε ταϋτα μειρακίοισι, νέοισιν, άκμάζουσι, και τούτων τοΐσι περί παλαίστρην και γυμνάσια πλείστοισι· γυναιξί δε όλίγησιν έγίνετο. Mit κατάστασις wird hier der Wetterzustand bezeichnet, dessen Darstellung die ganze Partie einleitet. Das Wort wurde in der sp teren berlieferung den drei einschl gigen Darstellungen in Epid. I als berschrift vorgesetzt, der einzigen Darstellung in Epid III vielleicht schon vom Verfasser selbst13. Es kann auch andere Zust nde, z. B. die von Krankheiten, bezeichnen; immer werden die Zust nde aber durch eine Vielheit von Faktoren gekennzeichnet, es handelt sich um „Konstellationen" H. Die κατάστασις des Witterungszustandes wird nach dem dorischen Kalender15 von einem Herbst bis zum n chsten dargestellt. Die ber cksichtigten Faktoren sind vor allem Wind und Regen, daneben auch die Bew lkung. Der Vergleich des Winters mit dem Fr hling zeigt eine Orientierung an normativen Vorstellungen. Vor der zusammenfassenden Darstellung der Erkrankungen wird eine Summe aus der Wetterdarstellung gezogen16. Die zuerst auftretenden Erkrankungen werden in Zusammenhang mit bestimmten Stadien im Wetterablauf gebracht, wobei der Zusammenhang wieder durch die Pr position εκ hergestellt wird. Die Erkrankungsgruppen werden charakterisiert, und zwar eine mit bekanntem Hauptsymptom (καύσοι) nur kurz, sichtlich als eine M glichkeit der καύσοι neben anderen, eine offenbar weniger bekannte Erscheinungsreihe dagegen sehr genau. Diese Beschreibung — ihr Gegenstand ist die Parotitis epidemica — ist musterhaft klar. Ganz deutlich wird als erste Orientierungsm glichkeit dem unbekannten Ph nomen gegen ber nicht eine Krankheits-Entit t, sondern lediglich ein besonders auff lliges Symptom angegeben, die l Schwellung neben den Ohren16a. Sie wird von anderen Schwellungen unterschieden einerseits durch den Fortgang, ihr Verschwinden ohne Eiterung, wie man sie bei Schwellungen εξ άλλων προφασίων17 kannte, und nach ihrem τρόπος, der besonderen Modifikation ihres Auftretens 18. Schlie lich werden die betroffenen Personengruppen angegeben, und zwar nach Altersstufen, Lebens« Vgl. Gal. zu Epid. III 2 CMC V 10, 2, i S. 109, 4 fi. 14 Vgl.1 183, 19. 191, 14. 195, 2i Kw. von der Konstellation des Wetters, I 200, 22. 227, 2 Kw. von Krankheiten. Auch I 199, 14 Kw., wo von der κατάστασις δλη και κατά μέρεα των ουρανίων καΐ χώρης εκάστης die Rede ist, ist mit der „partiellen" κατάστασις eine komplexe Situation bezeichnet, die sich nur auf einen k rzeren Zeitraum innerhalb des Jahres oder auf ein einzelnes Land bezieht. 15 Vgl. Deichgr. 9. 16 Vgl. auch I 184, 17. 224, 18 Kw. I6a Vgl. Sigerist a. a. O. 16. 19. 17 Dazu s. u. S. 116. 18 Vgl. V 314, ίο L. Besonders h ufig begegnet der Ausdruck in diesem Sinn in Hum. (V 492, 7. 494, i L. τοιουτότροπα V 494, 3. 496, 2 L.).

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gew hnlichen und Geschlecht. Die dabei vorgebrachten Beobachtungen weisen deutlich auf die Kontagiosit t der Krankheit hin, und zwar nicht nur den modernen Leser. Die Tatsache ist ja bei den Griechen berall da im Bewu tsein, wo man vom λοιμός redet, also ebensowohl in der Ilias (A 61) wie bei Thukydides (2, 47 ff.). Die Ilias erkl rt die „Pest" mit g ttlichem Eingreifen, Schriften des Corpus Hippocraticum haben die Miasmentheorie zur Hand19. Thukydides stellt das Ph nomen der Kontagiosit t eindrucksvoll, aber unter bewu tem Verzicht auf eine tiologie dar20. Der Verfasser von Epid. I verzichtet nicht nur auf eine tiologische Theorie, sondern auch auf jede ausdr ckliche Andeutung des Zusammenhangs zwischen Lebensweise und Erkrankung. In Epid. VI 7 (V 334, 14 L.) wird ein Kausalzusammenhang hergestellt; Frauen wurden von den Influenza-Erscheinungen in Perinth kaum erfa t: „Daf r machte ich den Umstand verantwortlich (ητιώμην), da sie weniger ausgehen als die M nner und auch sonst weniger anf llig sind als diese." Aber auch hier u ert sich in der bewu t subjektiven Formulierung eine starke Zur ckhaltung bei der Feststellung eines Kausalzusammenhangs. Wir kommen jetzt zu einer methodischen Aussage, der umfassendsten aus Epid. I; sie wird dort erst gebracht, nachdem schon die drei καταστάσιες des Buches dargestellt und analysiert sind. Epid. I 23 (I 199, 9 / 200, 2 Kw.) τα δε περί τα νοσήματα, εξ ων διεγινώσκομεν, μαθόντες εκ της κοινής φύσιος απάντων και της ίδίης εκάστου, εκ του νοσήματος, εκ του νοσέοντος, εκ των προσφερομένων, εκ του προσφέροντος — επί το ρςίον γαρ και χαλεπώτερον εκ τούτων —, εκ της καταστάσιος όλης και κατά μέρεα των ουρανίων και χώρης εκάστης, εκ του εθεος, εκ της διαίτης, εκ των επιτηδευμάτων, εκ της ήλικίης εκάστου, λόγοισι, τρόποισι, σιγή, διανοήμασιν, ΰπνοισιν, ούχ ΰπνοισιν, ένυπνίοισι, ο'ίοισι και δτε, τιλμοΐσι, κνησμοΐσι, δάκρυσιν, εκ των παροξυσμών, διαχωρήμασιν, οΰροισιν, πτυάλοισιν, έμέτοισι, και οσαι εξ οϊων ες οία διαδοχαί νοσημάτων και αποστασίες επί το όλέθριον και κρίσιμον, ίδρώς, ρίγος, ψύξις, βήξ, πταρμοί, λυγμοί, Ι πνεύμαία, έρεύξιες, φΰσαι, σιγώσαι, ψοφώδεες, αίμορραγίαι, αιμορροΐδες, εκ τούτων και όσα δια τούτων σκεπτέον. Wir finden hier eine bersicht ber die Gesichtspunkte, die bei der Aufnahme der Einzelf lle und der allgemeinen Lage zu ber cksichtigen sind. Die bersicht ist zun chst auch durch den Ausdruck klar gegliedert: Z. 10/16 f hren mit εκ Voraussetzungen ein, die als Einfl sse auf den Kranken zu beachten sind; Z. 16/19 sprechen im dat. instr. von Zeichen am Kranken, die man beobachten mu . Das wird dann allerdings, wie es scheint, 199, 21/200, i in Nominativen weitergef hrt, in Form eines Nachtrags, nachdem 19 Vgl. z. B. Fiat. c. 6. Nat. Horn. c. 9 In diesem Sinn deutet auch Galen die Epid. VI 7 hervorgehobene Anf lligkeit der M nner (CMG V 10, 2, 2 S. 394, 41 ff.). 20 2, 47» 4- 50, i- 51, 4- 5-

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Z. 2o/i schon von den Folgeerscheinungen gesprochen worden war, wobei die in den Epid. ganz gel ufigen Vorstellungen von der Abl sung einer Krankheit durch die andere und von ihren Apostasen21 benutzt werden. Charakteristisch f r die Methode der Epidemien ist in diesem Zusammenhang die Frageform οσαι εξ οίων ες οία, eine Frage nach der zeitlichen Abfolge, die wieder ein Kausalverh ltnis involvieren kann, aber nicht mu . Fragen, die auf besondere Modifikationen der geforderten Beobachtungen hinweisen, finden sich auch 199, 17/8 (οϊοισι και δτε) und 200, 1/2 (όσα δια τούτων). Das Wort σκεπτέον, das die methodologischen Ausf hrungen abschlie t, ist eins der drei Verben, die hier wie auch sonst oft die ge bte Methode kennzeichnen. Von ihnen bezeichnet σκέπτεσθαι das „wissenschaftliche" Untersuchen, das Forschen im weitesten Sinn. Au er dem Gegenstand der Untersuchung wird h ufig auch ihr Ausgangspunkt (wie hier mit εκ) angegeben oder auch der besondere Zielpunkt, auf den hin betrachtet werden soll (mit προς). Wie hier steht das Verbum auch sonst in den Epid. in der Form der Aufforderung 22: nicht zuf llig, denn die Methodenlehre der Epidemien ist eine fortw hrende Aufforderung zum st ndig durch Erweiterung und Vertiefung sich korrigierenden Forschen. Dem Ziel des Forschens kann man sich nach der hier zugrunde liegenden Auffassung nur auf dem Wege ber die Erfahrung n hern. Ein quivalentes Substantiv f r den Begriff der Erfahrung gibt es in den Epid. nicht, ebensowenig wie f r den Begriff der Beobachtung23. Aber im verbalen Bereich sagt ματ&άνειν, καταμανθάνειν alles das, was den Weg ber die Erfahrung bezeichnet, wie der Wortstamm ja seinem urspr nglichen Gebrauch nach meint, da man aus Erfahrungen Lehren zieht. In den Epid. bezeichnet das Verbum das Sammeln und Verwerten von Erfahrungen. Es wird verbunden mit den Tatsachenbereichen, aus denen die Erfahrungen gesammelt werden sollen; sie werden 199, loff. an μαθόντες ! unmittelbar angeh ngt. Wenn solche Erfahrungen gesammelt (und, wor ber noch zu sprechen sein wird, unter bestimmten Gesichtspunkten geordnet) sind, ist ein Urteil ber den Tatbestand m glich, das ihn von anderen, vielleicht zun chst hnlich erscheinenden, unterscheidet, ein διαγινώσκειν, wovon die erste Zeile des Kapitels spricht. Der Arzt kann die geforderten Erfahrungen aus eigener Beobachtung oder aus der Befragung des Kranken und seiner Umgebung gewinnen. Solches Fragen geh rt von jeher zu den Mitteln des rztlichen Vorgehens. Die Schrift π. διαίτης οξέων rechnete in ihrer Kritik an den knidischen Vorg ngern schon damit, da diese ihre Patienten befragten (I 109, 6 f. Kw.), und 2.1 Vgl. dazu Deichgr. 42 ff. Vgl. I 189, 20. 24. 20l, ίο. 13. 232, 16 Kw. V 74, 12. 80, $. 82, 12. 272, 3. 344, J 7· 35°> 3 (i*1 der besonders eindringlichen Form έργον ες την σκέψιν δγειν). 352, 6. 478> 6. 498ι Ι023 Vgl. Deichgr. 35. 22

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noch Rufus von Ephesos hat um 100 n. Chr. in produktiver Auseinandersetzung mit Hippokrates ber dieses Thema eine eigene Schrift verfa t 24 . Auch die Epid. sprechen von αί ες την νοϋσον έρωτήσιες (V 290, 4 L.), Hum. vom πυνθάνεσθαι und seinen m glichen Ergebnissen (V 492, / f . L.). Andererseits gibt es Fragen, die der Arzt unmittelbar an sich selbst zu richten scheint; sie werden als direkte Fragen mit ήρα eingeleitet und betreffen Spezialprobleme, bei denen z. T. in vorsichtiger Form Kausalzusammenh nge hergestellt werden25. Wichtiger und viel h ufiger sind aber die grunds tzlichen Fragen nach Verlauf und Behandlung der Krankheiten. Sie werden durchweg in der indirekten Form gestellt, die uns schon in Epid. I 23 begegnete. Dort handelt es sich um Fragen nach dem Verlauf der Erscheinungen; sie sind im ganzen h ufiger als unmittelbare Fragen nach den M glichkeiten der Behandlung. Immer wieder wird dabei nach den Objekten, den Modifikationen und dem Zeitpunkt der Krankheitserscheinungen gefragt. Die Frage nach dem Zeitpunkt wird sehr oft nicht absolut, sondern relativ gestellt, nach dem Schema εξ οίων οία(ι), das sich z. B. Epid. VI 8, 7/9 (V 344/6 L.) mehrere Male findet. Damit wird eine Reihe sich abl sender Erscheinungen vorgestellt, sogar ein m glicher Ersatz der einen Erscheinung durch andere, so z. B. in der Formel άνθ' ο'ίων αί νοΰσοι VI 6, ·) (V 324, 13 L.), wo eine Substitution der Epilepsie durch das Quartanfieber angenommen wird 26 . Schon Epid. 123 sprach ja von διάδοχαί der Krankheiten, und dort war auch von einer Abfolge der Zeichen die Rede: όσα δια τούτων. Auch die Ausscheidungen k nnen ihre Abfolge haben (έξης neben και εφ' οϊσιν II 3, i = V 104, 4 L.), ebenso das Wetter in seinen μεταβολαί (δι5 οία εξ οϊων ες οία VI 8, 9 = V 346, Ι Τ L.). Ist diese Abfolge rein zeitlich gemeint? Hier mu noch einmal die schon S. 114 ber hrte Frage gestellt werden, wie weit in den Epid. Kausalzusammenh nge behauptet werden. Wir sahen schon, da die Aufzeichnungen darin sehr zur ckhaltend sind und solche Zusammenh nge nur in subjektiver Aussage oder in Fragen formulieren. Eine darauf bez gliche Terminologie ist jedenfalls nicht sehr h ufig und bedarf vorsichtiger Interpretation. Neben dem αίτιασθαι als dem subjektiven Herstellen eines Kausalnexus begegnet einmal συναίτιον (Epid. VI 8, 10 = V 342, 5 L.); das hat mit platonischen Erw gungen nichts zu tun, sondern f hrt nur einen Faktor ein, der schon bestehende Leiden verschlimmerte27. Schon Epid. I i war uns πρόφασις begegnet, und dieser Terminus kehrt in der κατάστασις-Darstellung von Epid. III mehrfach wieder (I 224, 22. 225, ίο. 226, ίο Kw.). ber seine Bedeutung ist in den letzten Jahrzehnten viel geschrieben worden; sein Gebrauch im Corpus Hippocraticum wurde 2* Nach der Ausgabe von Daremberg-Ruelle (1879) neu herausgegeben von H. G rtner, CMC Suppl. IV, 1962. 25 Vgl. V 172, 4. 278, 14. 288, 8. 296, 3. 352, 6 L. 26 Vgl. dazu Deichgr. 43. 27 Vgl. dazu Gal. CMC V 10, 2, 2 S. 433, 28 ff.

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dabei gern als Folie f r die Thukydides-Interpretation benutzt28. An den Stellen in Epid. III hei t es, da Erysipele bei manchen Menschen mit πρόφασις, bei manchen ohne πρόφασις auftraten; d. h. bei manchen Patienten waren andere Erscheinungen vorhergegangen, bei manchen nicht. Dann wird man auch Epid. 11 S. 181, 1/2 Kw. τα (έπάρματα) εξ άλλων προφασίων auf Schwellungen deuten, die nach anderen Vorerscheinungen (und nicht wie die Parotitis) auftraten. F r den hippokratischen Sprachgebrauch ist die Deutung als „Vorph nomen" 28a evident richtig; man vergleiche den Gebrauch in Aer. 58, 18. 66, n Hbg., wo bestimmte Krankheitserscheinungen από πάσης προφάσιος auftreten; d. h. es mochte vorhergegangen sein, was wollte, — es endete immer in den angegebenen Leiden. Die Parallelen in der Pestbeschreibung des Thukydides 2, 49, 1/2 (mit 51, i) sind schlagend2815. Von diesem Gebrauch des Wortes f r den faktischen „Anla ", die tats chlich vorhandene „Gelegenheit" ist auch der bergang zur αληθέστατη πρόφασις bei Thukydides i, 23, 6 nicht schwierig; ein hnlicher bergang vom „VorPh nomen" zur „wahren Ursache" findet sich in Aer. (69, 32. 70, 20. 73, 32. 75, 17. 22 Hbg.)29 und an zwei Stellen der Epidemien, l Zun chst Epid. II 4, 5 (V 126, 10/14 L.) Ή Στυμάργεω οίκέτις, η ουδέ αίμα έγένετο, ως ετεκε θυγατέρα, άπετράπετο το σώμα προς ίσχίον, και ες σκέλος οδύνη· παρ' ύστέρην τμηθεϊσα έρρήϊσεν καίτοι και τρόμοι το σώμα παν κατείχαν αλλ' επί την πρόφασιν δει έλθεΐν και της προφάσιος την άφορμήν. „Bei der Magd des Stymarges, der nicht einmal Blut abging, als sie ein M dchen gebar, kr mmte sich der K rper nach der H fte zu, und sie bekam Schmerzen in den Beinen. Als ihr aber die Geb rmutterader angeschnitten wurde, bekam sie Ruhe, obgleich sie Zittern am ganzen K rper gehabt hatte; aber man mu auf die Ursache und das, was sie zum Auftreten bringt, losgehen." So Galens Kommentar nach der arabischen bersetzung des Hunain 28 Vgl. Cl. N. Cochrane, Thucydides and the Science of History, 1929, 17. K. Deichgr ber, Πρόφασις. Eine terminologische Studie. QuStud. z. Gesch. d. Naturw. u. d. Med. III 4, 1933, i ff. G. M. Kirkwood, Thucydides' Words for .Cause', AJPh 73, I 952> 37 ff· L. Pearson, Prophasis and Aitia, ΤΑΡΑ 83, 1952, 205 ff. J. Lohmann, Das Verh ltnis des abendl ndischen Menschen zur Sprache, Lexis 3, 1953, 20 ff. K. Weidauer, Thukydides und die hippokratischen Schriften, 19.54, 8 ff. Gegen eine bersch tzung der direkten Beziehungen vgl. Verf., Gnomon 27, 1955, ίο und den (in Fragestellung und Durchf hrung allerdings nicht zureichenden) Aufsatz von S. Schuller, About Thucydides' Use of Aitia and Prophasis, RBPh 34, 1956, 971 ff. 28* Lohmann a. a. O. 2/811 Lohmann a. a. O. 22 Anm. i. 29 Diese Feststellung der semantischen Geltung in einem bestimmten Bereich hat mit der Frage nach der „Etymologie" zun chst nichts zu tun; vgl. Lohmann 23 f. und besonders 27 seine Annahme einer auf einem anderen etymologischen Verst ndnis beruhenden Bedeutung des Wortes bei Homer. Da πρό-φασις au erdem als vorsch tzende Aussage = „Vorwand" ( hnlich πρόσχημα) gedeutet wurde, bleibt unbestritten.

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ibn Ish q 30 , der wie so h ufig den auf Artemidoros Kapiton zur ckgehenden Text der griechischen Handschriften wesentlich berichtigt. Die Kranke litt demnach an Beschwerden, die zu einer Fehldiagnose allen Anla geben konnten: Kr mmung in der H fte, Schmerzen in den Beinen, Zittern am ganzen K rper. Aber der operierende Arzt f hrte ihre Beschwerden auf die πρόφασις und ihre αφορμή zur ck. Die πρόφασις — das, was vorangegangen war — ist die abnorme Entbindung. Sie hat ihre αφορμή in der Geb rmutter; denn αφορμή wird man im lokalen Sinn als „Ausgangspunkt" verstehen m ssen, wie Epid. II i, n = V 82, 12 L.: „Man mu die άφορμαί studieren, woher der Patient krank zu werden begann, ob es Schmerzen im Kopf, im Ohr oder im Rippenfell sind." Da ist die Lokalisierung auch ganz deutlich31. Wie sehr sich hier πρόφασις, einfach aus dem Zusammenhang heraus, weil nach dem entscheidenden vorhergegangenen Ereignis gefragt wird, der Bedeutung „wahre Ursache" n hert, ist deutlich. hnliches ergibt sich bei einer weiteren Aussage, die uns zugleich in den letzten im Zusammenhang mit unserer Fragestellung interessierenden Problemkreis hin berf hren soll, n mlich zum Problem der Ordnung des empirisch gewonnenen Materials. Auch diese Stelle ist, wie viele in den hypomnematischen Epidemienb chern, schwierig nach berlieferung und Wortverst ndnis. Auch auf sie wirft die arabische berlieferung des Galenkommentars32 neues Licht, besonders auf die Abteilung der einzelnen S tze und ihren Zusammenhang untereinander. Die lteste erreichbare berlieferung, f r die sich Galen mehrfach auf Ruf us von Ephesos beruft 33 , f hrt auf folgenden Text: l Epid. VI 8, 24/26 (V 3^2, 12 / 354, 2 L.) (24) . . . τα εναντία τη νούσψ διαιτήματα. Το εΰφορον, το δύσφορον. (25) ΑΙ δίαιται, όσον γνώναι, μη έξειδήσαι34, ξυμφοραί γαρ πολλαί. (26) Άγαθοΐσι δε ίητροΐσιν αϊ ομοιότητες πλάνας και απορίας, τα τ' αλλά και τάναντία35, ή πρόφασις οΐη· δτι χαλεπόν εστίν έκλογίσασθαι είδότα 30 CMG V ίο, ι S. 343. 3^ ff· Die Lesungen des Lemmas werden durch den Kommentar in dem, worauf es hier ankommt, best tigt [Zu erw gen w re nur, ob die H-Lesart το σώμα (vor προς ίσχίον) durch το στόμα zu ersetzen w re, wie es in Littre*s Text (V 126, ii, erg nzt durch του αΐδο'ιου) und auch im Zitat der Galen-Schrift De tremore (VII 603, i K., erg nzt durch της ,μήτρας) zu lesen ist. Dann w re an eine Verlagerung des Uterus zur H fte hin zu denken, wovon z. B. Hipp. Mul. 2,133 (VIII 280 ff. L.) ausf hrlich die Rede ist. (Freundlicher Hinweis von H. Grensemann)]. 31 Vgl. auch u. S. 120 f. zu VI 3, 12. F r άφορμήν lesen die griechischen Handschriften mit einem Teil der antiken berlieferung (Gal. a. a. O. 345, 16. 18) weniger signifikant αρχήν, άφορμήν liest Galen auch in dem Zitat VII 603, 4 K. 32 CMG V ίο, 2, 2 S. 491, 9 ff. 33 a. a. O. S. 492, 16 ff. 498, 3 ff. 3·* Zur Form vgl. Schwyzer-Debrunner, GrGr I 755*. 7785. 35 τδλλα και τάναντία Gal. 492, 14. 496, ι: αλλά τάναντία Gal. 497> τ> Artemidorus Capito, Littre nach den griechischen Handschriften. Ich versuche τα τ' αλλά καΐ τάναντία und beziehe die so sich ergebende Wendung „besonders hinsichtlich des

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τάς οδούς, οίον ει φοξός, ει ύπόξηρος, ει πυρρός 36 , ει χολώδης, δυσήμετος, χολώδης μέλας, νέος, εική βεβιωκώς, άμα ταΰτα προς άλληλα ξυνομολογήσασθαι, και επί το μάλλον και ήττον37. „Die der Krankheit entgegengesetzte Behandlungsweise; mancher vertr gt sie gut, mancher schlecht38. Die Behandlung mu sich nach dem Grad der (dem Arzt) erreichbaren Einsicht richten; ersch pfende Erkenntnis ist nicht m glich; denn was sich abspielt, ist (zu) vielf ltig. Aber den guten rzten (bereiten) die hnlichkeiten Irrwege und Schwierigkeiten, besonders bei entgegengesetzten Ergebnissen. (Man mu fragen): welches ist nun eigentlich der Vorgang, auf den es ankommt? Denn es ist schwierig (d. h. unm glich), alle m glichen Wege zu wissen und sich auszudenken: z. B. wenn der Patient spitzk pfig, stumpfnasig, d nnbeinig, rothaarig ist, wenn er galliger Konstitution ist, wenn er schwer zum Erbrechen zu bringen ist, wenn er Schwarzgalliges erbricht39, wenn er jung ist, wenn er leichtsinnig gelebt hat, und das alles in h herem oder geringerem Grade, — dies alles miteinander in bereinstimmung zu bringen (ist schwierig)." Die grunds tzliche Skepsis, mit der der hippokratische Arzt an dieser wie an anderen Stellen seiner Arbeitsweise gegen bersteht, ist f r uns besonlders interessant wegen des sachlichen Zusammenhangs, in dem sie hier ge bt wird 40 . Schon in Epid. IIII werden Gruppen von Menschen gebildet, die besonders anf llig f r bestimmte Erkrankungen sind, und auch dort handelt es sich nicht nur um Konstitutionstypen, vielleicht mit einer besonderen Vorbelastung (wie hier die Schwarzgalligen, die schwer zum Erbrechen zu bringen sind), sondern auch um Leute mit einem bestimmten Vorleben (I 19 = I 195, 18 Kw. l εική και επί το ρφθυμον βεβιωκότες) und auch um physiognomische Typen, z. B. Menschen mit straffem Haar, mit schwarzem Haar und blauen Augen (195, 17 f.) oder bl liche, r tliche, blau ugige (Epid. III 14 = I 231, 13 Kw.). In der „Physiognomik" von Epid. II 5 Gegenteils" auf die § 24 erw hnte allopathische Behandlung und ihre verschiedenartige Wirkung (bei scheinbar hnlichen Voraussetzungen). Deichgr. 39 Anm. 6 versucht άλλα και τάναντία; aber da das Gegenteil der ομοιότητες, also die ανομοιότητες, dem Arzt Schwierigkeiten bereiten, scheint mir hier nicht das Problem zu sein. 36 oder d nnbeinig oder rothaarig Gal. 497, ιι: ύπόξυρος Littre sec. codd. DPI. 37 και επί το μάλλον και ήττον Gal. 498. 2> Palladius: omis. codd. gr. Post ήττον add. χαλεπόν Artemidorus Capito, codd. gr.: omis. codd. Galeni. 38 Galen a. a. O. 491, 16 ff. versteht den ersten Teil des Satzes im Sinne der allopathischen Therapie, den zweiten Teil von der Reaktion der Kranken auf diese Behandlung, εύφόρως von der Reaktion auf rztliche Behandlung auch Epid. IV 34 = V 178, 3 L 39 Die Worte ει χολώδης, δυσήμετος, χολώδης μέλας haben schon in der Antike hinsichtich ihrer Interpretation gro e Schwierigkeiten gemacht und verschiedene Textnderungen veranla t (vgl. Gal. V 10, 2, 2 S. 500, 12 ff.). Von prinzipieller Bedeutung ist nur, da χολώδης und χολώδης μέλας hier nicht zwei sich ausschlie ende Typen bezeichnen d rfen, da durch άμα ταΰτα προς άλληλα ξυνομολογήσασθαι die M glichkeit vorbehalten zu sein scheint, alle hier aufgez hlten Charakteristika auf eine und dieselbe Menschengruppe zu beziehen. •w Vgl. auch Deichgr. 39 f. 40 Anm. 2.

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werden solche Gedankeng nge weitergef hrt, wenn V 128, 4 ίί. L. von blauugigen, rothaarigen, spitznasigen Menschen gesagt wird, sie neigten zur Wassersucht, wenn sie nicht kahlk pfig seien, oder da Lispelnde, Kahlk pfige, Leute mit rauher Stimme oder auch sehr dicht Behaarte Krankheiten von der schwarzen Galle bek men. An unserer Stelle ist nun die Grundfrage hinsichtlich der Konsequenzen der ge bten Methode ausgesprochen. Wenn man sich bem ht, bei den Patienten m glichst viele sie bestimmende Faktoren festzustellen und Tr ger solcher Faktoren in einer Gruppe zusammenzufassen, so kann das ganze Verfahren dadurch zweifelhaft werden, da bei den dieser Gruppe Zugerechneten eine und dieselbe (allopathische) Behandlungsweise teils gut, teils schlecht anschl gt. Dann stellt sich die Frage: welches ist unter allen aufgez hlten „vorangegangenen Erscheinungen" diejenige, auf die es wirklich ankommt? d. h.: welches ist die wahre Ursache f r das Reagieren des Patienten in diesem oder jenem Sinn—, wobei die Ursachen hier zun chst beim Patienten gesucht werden, nicht in der Krankheit, was bei dem oben dargelegten Krankheitsbegriff der Epid. sehr verst ndlich ist. D. h. also: wenn, wie die Resultate ergeben, die versuchte Gruppeneinteilung nicht zureichte, — wo liegt dann das unterscheidende Merkmal f r diejenigen, bei denen die erwartete Reaktion eintritt, und f r diejenigen, bei denen sie ausbleibt? Wir stehen hier also, wie oben schon angedeutet wurde, bei der Frage nach der sachgem en Ordnung des gewonnenen Materials. ber die dabei anzuwendende Methode steht eine sehr aufschlu reiche Aussage Epid. VI 3, 12 (V 298, 4 ff. L.). Sie ist begriffsgeschichtlich und allgemein geistesgeschichtlich von Bedeutung, weil sie zeigt, wie weit sich unter dem Zwang der gestellten Aufgabe eine solche methodische Erw gung platonischen oder aristotelischen Aussagen n hern kann und wie weit sie doch von ihnen entfernt bleibt. Epid. VI 5, i2 (V 298, 4/9) L.) Κεφάλαιον εκ της γενέσιος και αφορμής και πλείστων λόγ(ον και κατά σμικρά γινωσκομένων συνάγοντα και καταμανθάνοντα, ει όμοια εστίν αλλήλοιαιν, αύθις Ι τάς ανομοιότητας τούτοισιν, ει δμοιαι άλλήλησιν, ως εκ των ανομοιοτήτων όμοιότης γένηται μία· ούτως αν ή οδός· ούτω και των ορθώς εχόντων δοκιμασίη και, των μη έλεγχος. „Man mu forschen41, indem man aus Entstehung und Ausgangspunkt (der Krankheit)42, aus recht vielen Gespr chen43 und Einzelerkenntnissen die Summe zieht44 und auf Grund der gewonnenen Erfahrungen feststellt, 41 Es fehlt ein verbum regens, etwa σκεπτέον. 42 ber αφορμή vgl. o. S. 118 zu Epid. II 4. 5. 43 Zu λόγοι vgl. etwa Epid. VI 2, 24 (V 290, 5 L.). 44 Zu κεφάλαιον συνάγειν vgl. Arist. Metaph. H i. 1042 a 1/2. Deichgr. 39 Anm. 2 trennt κεφάλαιον von συνάγοντα. Aber das von Deichgr. selbst herangezogene praktische Beispiel f r die hier bezeichnete Methode kommt auch im engeren Sinn darauf hinaus, da „die Summe gezogen wird" (vgl. oben im Text).

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ob die gewonnenen Daten einander hnlich sind; dann wiederum (mu man mit dem Ziel, da aus den Un hnlichkeiten eine einzige hnlichkeit werde, studieren) die Un hnlichkeiten zu diesen, ob sie untereinander hnlich sind, Das d rfte der richtige Weg sein; so gewinnt man die Best tigung f r das, was richtig ist, und die Widerlegung dessen, was nicht richtig ist45." Schon Deichgr ber hat auf einen Vorgang aus der Praxis der Epid. hingewiesen, der hier theoretisch umschrieben wird. Epid. I 20 (I 196, 23 ff. Kw.) hei t es: „Die Vorg nge bei den Krisen, aus denen wir auch das unterscheidende Urteil gewannen, waren entweder gleich oder ungleich."46 Und nun wird ein Beispiel gebracht: Bei zwei Br dern bricht ein Fieber zur gleichen Stunde aus. Bei dem einen tritt die Krise am sechsten, beim ndern am siebenten Tag auf. Der R ckfall des Fiebers kommt aber bei beiden zur gleichen Stunde, nach (6 bzw.)47 5 Tagen, die endg ltige Genesung nach weiteren f nf Tagen, so da jeder 17 Tage krank ist. So ist es mit diesem Fieber auch bei allen anderen Kranken. Krise und R ckfall treten zu abweichenden Terminen auf; die Schlu rechnung ergibt aber immer eine Krankheitsdauer von 17 Tagen. Gleichheiten im ersten Abschnitt der Krankheit veranla ten also Gleichheiten auch im zweiten und dritten, Ungleichheiten entsprechende Ungleichheiten. Aber weil die Gesamtzeit der Erkrankung in jedem Fall die gleiche war, waren die Un hnlichkeiten untereinander hnlich (wenn man „die Summe zog"!), und ebenfalls im Hinblick auf die zu ziehende Summe wurde aus allen Un hnlichkeiten zusammen mit jenen untereinander hnlichen Erscheinungen, aus denen sie urspr nglich ausgesondert worden waren, schlie lich eine ! einzige hnlichkeit. So mu es auch VI 3, 12 gemeint sein, wenn auch in dem Satz der Schritt von dem Ausgleich der Un hnlichkeiten untereinander zum Ausgleich mit der ihnen gegen berstehenden, zuerst festgestellten hnlichkeit bersprungen ist. In diesem Methodensatz kommen Termini vor, die platonisch oder aristotelisch anmuten, etwa der Gebrauch von οδός f r Methode, von έλεγχος und δοκιμασίη oder gar von όμοιότης und άνομοιότης. Aber das meiste l t sich doch schon fr her nachweisen, die οδός (Vors. 28 B i, 2 und immer wieder) und der έλεγχος (Vors. 28 B 7, 5) schon bei Parmenides und sogar όμοιότης in einem bekannten Demokrit-Fragment (Vors. 68 B 164). Dann wird man auch die Bildung des sonst erst bei Platon (Prm. 159 e 3. 5. Pit. 273 d 6) belegten άνομοιότης aus dem hippokratischen Zusammenhang heraus ohne weiteres f r m glich halten, zumal die Aussage als solche als Beschreibung der in den Epid. ge bten Methode und als Antwort auf sich aus ihr ergebende Fragen unmittelbar verst ndlich ist. Epid. VI 8, 26 wurde nach differenzierenden Eigenschaften gefragt, 45 Den letzten Satz beziehe ich mit Gal. CMC V 10, 2, 2 S. 158, 23 (εν ταϊς τέχναις) auf die rztliche Erkenntnis, nicht (mit Deichgr. 39) auf Vorg nge an den Kranken. 46 τα δε περί τάς κρίσιας, εξ ων και διεγινώσκομεν, f\ δμοια ή ανόμοια. 47 Zu dieser (mindestens in Gedanken) notwendigen Erg nzung des Hippokrates-Textes vgl. Gal. CMG V ίο, ι S. 98, 9 ff.

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weil damit gerechnet werden mußte, daß das praktische Ergebnis die zunächst vorgenommene Gruppeneinteilung als falsch erwies: die Behandlung, die an den unter sie Subsumierten geübt wurde, konnte zu entgegengesetzten Resultaten führen. Hier dagegen erweist es sich als möglich, zwei ursprünglich differenzierte Gruppen zum nächsthöheren Genus zusammenzuschließen, weil für sie dieselbe Prognose gilt. Dieses Verfahren wird mit großer Sicherheit geübt. Trotzdem scheint mir einleuchtend zu sein, daß es keine generelle Besinnung auf den Charakter eines logischen Verfahrens voraussetzt, sondern lediglich eine klare Orientierung an dem, was man mit den konkreten Erscheinungen „macht". Allerdings dürfte dieses immer neu ansetzende Streben nach methodischer Sauberkeit zu den grundlegenden wissenschaftlichen Tendenzen gehören, die es Platon nahelegten, sich bei der Entwicklung der Grundsätze einer „wissenschaftlichen" Rhetorik auf die Methode des Hippokrates zu beziehen. Bekanntlich zeigen die berühmten Ausführungen im Phaidros (269 e ff.) über die Methode, die Hippokrates zur Einsicht in die Natur des (menschlichen) Körpers geführt hatte, die engste Berührung mit der Schrift . > , die zwar nach der antiken Tradition von Hippokrates' Schwiegersohn Polybos, aber schwerlich von Hippokrates selbst stammt. Vielleicht hat Hippokrates selbst niemals eine Schrift verfaßt, in der seine methodischen und sachlichen Einsichten sich zu einer geschlossenen physiologischen Theorie verdichteten. Diese Folgerungen hat zuerst, soviel ich sehe, A. M. Frenkian aus der Phaidros-Stelle gezogen48; ich war, einer früheren mündlichen Andeutung von Ernst Kapp folgend, zu demselben Resultat gekommen, noch bevor mir der an entlegener Stelle veröffentlichte Aufsatz von Frenkian durch die Freundlichkeit von K. Schubring bekannt geworden war 49 . Frenkian hat darüber hinaus das Verdienst, den Vergleich mit der Phaidros-Stelle auf die größere Partie 265 a ff. ausgedehnt zu haben, in der Sokrates im Zusammenhang mit seinen Aussagen über den Eros von den Methoden der und der spricht50. Worauf in den Epidemien der Zwang der Sache unmittelbar hinführt, das wird hier als methodische Übung vorgemacht. Sokrates läßt keinen Zweifel darüber, daß alle, die eine ernstzunehmende ausüben wollen, in diesem Sinne „methodisch" vorgehen müssen (vgl. 2Ö9d). Von Ärzten nennt er zunächst noch nicht Hippokrates, sondern Eryximachos und dessen Vater Akumenos. Die beiden würden niemanden für einen Arzt halten, der sich lediglich darauf 48

La m^thode hippocratique dans le Phedre de Platon, Bukarest 1941, 15 ff. 39. Zur Problematik vgl. außerdem W. Kranz, Platon über Hippokrates, Philologus 96, 1944, 198 und neuerdings R. Joly, La question hippocratique et le temoignage du Phedre, REG 74, 1961, 69 ff. 49 Vgl. Jahrb. d. Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz 1959, 275 ff. Zur Deutung von 270 c 2 auf das Ganze des behandelten Gegenstandes einschließlich der ihn beeinflussenden Faktoren vgl. auch W. Nestle, Hippocratica, Hermes 73, 1938, 17 f. so 265 d 3. e i. 266 b 4.

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beruft, gewisse rztliche Verrichtungen „an sich" aus ben zu k nnen, sondern sie werden von ihm dazu das Wissen verlangen οΰστινας δει και οπότε έκαστα τούτων ποιεΐν και μέχρι όπόσου (268 b /f·)· Objekt, Zeitpunkt und besondere Modifikation der rztlichen Behandlung werden hier in der f r die Epidemien charakteristischen Art der Formulierung bezeichnet. Das gibt, zusammen mit dem anschlie enden Hinweis auf die gliedernde Methode der hippokratischen Physiologie, einigen Aufschlu ber Platons Stellung zu Hippokrates. Gewi soll man den Einflu der Medizin auf die platonische Philosophie nicht bersch tzen; vor allem soll man ihn nicht zu pauschal ansetzen. Aber soviel ist gewi , da die wissenschaftliche Gesinnung der im engeren Sinn hippokratischen Medizin von Platon als dem philosophischen Fragen verwandt anerkannt wurde51.

5l Andere methodologische Ausf hrungen Platons neben den Phaidros-Steilen verglichen mit Epid. VI 3,12 L. Bourgey, Observation et experience chez les medecins de la collection hippocratique, Paris 1953, 96 mit Anm. i (Sph. 253 d) und J.-H. K hn, System- und Methodenprobleme im Corpus Hippocraticum, Hermes-Einzelschriften H. ii, 1956, 96 Anm. i (Pit. 293 b ff.).

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LUDWIG EDELSTEIN t 1966 Am Anfang dieses Nachrufs auf Ludwig Edelstein, der am 16. August 1965 in New York starb, möge eine kleine persönliche Erinnerung stehen. Als ich mich mit den hippokratischen Schriften von der Umwelt und von der Heiligen Krankheit beschäftigte, hörte ich noch vor dem Abschluß meiner Dissertation, daß Edelstein mit einer Arbeit über und die Sammlung der hippokratischen Schriften 1929 in Heidelberg bei Otto Regenbogen promoviert worden war. Da seine Dissertation damals noch nicht gedruckt vorlag, empfahl sich eine persönliche Unterhaltung über den Gegenstand. Ich suchte Edelstein in Berlin auf und erzählte ihm voll Stolz, daß ich zwischen den beiden ! Schriften eine andere chronologische Beziehung als Wilamowitz glaubte beweisen zu können. Die Identität des Verfassers glaubte ich wie Wilamowitz voraussetzen zu müssen; aber gerade das war es, was Edelstein bezweifelte. Er setzte mir seine Auffassung auseinander, wonach die Schriften des Corpus Hippocraticum ursprünglich als eine Masse anonymer medizinischer Abhandlungen überliefert waren und erst seit der hellenistischen Zeit in wachsendem Umfang unter den Namen des Hippokrates gestellt wurden. Diese unorthodoxe These verwirrte mich zunächst; ich habe sie auch später nie in ihrem ganzen Umfang anerkennen können, aber sie gab durch den großen Ernst, mit dem sie vorgetragen wurde, Anlaß zum Nachdenken und zur Überprüfung vieler Vorurteile in Einzelfragen. Ich habe diese Geschichte vorausgeschickt, weil sie mir charakteristisch zu sein scheint für die Energie, mit der Edelstein immer wieder fables convenues der Forschung angegriffen und zu überwinden versucht hat, für den Widerstand, den sein Vorgehen zunächst erweckte, und für die schließlich oft methodisch sehr positiven Folgen, die sich aus der Möglichkeit ergaben, anscheinend Wohlbekanntes und allgemein Rezipiertes einmal unter anderen Gesichtspunkten zu sehen und sich infolgedessen neue Gedanken darüber zu machen. Diese erste Begegnung mit Edelstein fiel in das Jahr 1930, als der damals 28jährige (geb. 23. April 1902) in seiner Geburtsstadt Berlin Assistent am Institut für Geschichte der Medizin geworden war. 1933 erhielt er an der Universität Berlin einen Lehrauftrag für Geschichte der exakten Wissenschaften im klassischen Altertum — verlor ihn aber unter der Herrschaf t des

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Nationalsozialismus sofort wieder. Nach kurzem Aufenthalt in Italien kam er 1934 in die USA, deren Bürgerrechte er 1940 erwarb und die ihm zur zweiten Heimat wurden. 1934 wurde er Mitarbeiter am Institut für Medizingeschichte der Johns Hopkins University in Baltimore, wo er in enger Zusammenarbeit mit Henry E. Sigerist und Owsei Temkin wirkte. 1939 wurde er dort außerordentlicher Professor der Medizingeschichte, 1947 Professor für Klassische Philologie an der University of Washington in Seattle, wo er zum Ordinarius ernannt wurde. Aber schon 1948 verließ er Seattle und ging als Ordinarius für Griechisch an die University of California in Berkeley. Hier gehörte er zu der Gruppe von Professoren, die 1950 gerichtliche Klage gegen den von ihnen geforderten ,Loyalitäts-Eid' erhoben. 1951 nahm ihn Johns Hopkins wieder auf, zunächst als Gastprofessor, seit 1952 als Ordinarius für Humanistic Studies. 1960 wurde er Ordinarius für Classical Philosophy und Wissenschaftsgeschichte an der Rockefeller University (früher Rockefeller Institute) in New York, blieb aber bis zu seinem Tode zugleich in Verbindung mit Johns Hopkins als Professor für Classical Philosophy. Man kann diesen Daten ohne weiteres entnehmen, daß Edelsteins wissenschaftliche Arbeit in Amerika große und gerechte Anerkennung gefunden hat. Auch menschlich ist ihm viel verdiente Zuneigung zuteil geworden. So war er seit vielen Jahren befreundet mit Erich Frank, dessen postume Schriftensammlung ,Wissen, Wollen, Glauben' (Zürich 1955) er mit einem Vorwort und einer Würdigung seiner wissenschaftlichen Arbeit versah. Eine vorbildliche Arbeitsgemeinschaft verband Edelstein mit seiner Frau Emma Edelstein, geb. Levy, die gleichfalls bei Regenbogen in Heidelberg mit einer Dissertation „Xenophontisches und platonisches Bild des Sokrates" (veröffentlicht Berlin 1935) promoviert worden war. Sie hat ihn vor allem bei der Herausgabe und Interpretation der Zeugnisse über Asklepios unterstützt; aber auch sonst ist ihre Mitwirkung bei Edelsteins wissenschaftlicher Arbeit oft genug zu spüren. Als sie im Juli 1958 starb, fühlte er sich sehr vereinsamt und der Problematik unserer Zeit, die ihn schon immer bedrängt hatte, noch mehr ausgesetzt als früher. Denn er war ein Mensch, der sich immer der Verantwortung stellte, zu der er sich aufgerufen fühlte. So zeigte es sich in seinem Verhalten in Berkeley; so offenbarte es sich ergreifend in Äußerungen aus seinen letzten Lebensjahren. In einem Brief, den er am 24. November 1963 nach der Ermordung Kennedys an Klaus Oehler schrieb und in den der Empfänger mir freundlichst Einblick gewährte, heißt es: „. . . ich kann mich des unheimlichen Gefühls nicht er!wehren, daß dieses Attentat nicht aus politischer Leidenschaft zu erklären ist, sondern letzten Endes aus einer Leere, aus der Entzauberung der Welt, und ich fühle die Verantwortung meiner Generation noch stärker als ich sie sonst fühlte, die Verantwortung für den Zusammenbruch nicht nur der alten Ideale, sondern aller Ideale." Die Verantwortung meiner Generation — dieses Wort liest sich erschütternd aus der Feder eines Menschen, der selbst ein Opfer

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des grausamsten und widerwärtigsten Handelns in unserer Zeit geworden war. Aber Edelstein war es unmöglich, sich hinter die Wand einer billigen Schwarz-Weiß-Antithese zurückzuziehen; so hat er auch denen, die nach 1933 in Deutschland geblieben waren, die Freundschaft bewahrt. Von dieser menschlichen Haltung aus muß man auch Edelsteins wissenschaftliche Arbeit verstehen. Ihre oft so überraschenden Thesen wurden nicht formuliert, um durch ihre Paradoxie in der wissenschaftlichen Welt Aufsehen zu erregen, sondern sie waren Ergebnisse einer sehr ernsten Auseinandersetzung mit dem Gegenstand, dessen überkommene Ausdeutung Edelstein nicht befriedigte und dem er, oft unter neuen Gesichtspunkten, zu einem angemessenen Verständnis verhelfen wollte. So war es mit seinen Bemühungen um Hippokrates, deren Ergebnis er zuerst in seiner Dissertation (Problemata 4, Berlin 1931) niederlegte. Abgesehen von ihrer literarischen Zuordnung, von der oben schon die Rede war, interessierten ihn die hippokratischen Schriften vor allem als Zeugnisse für die geistigen und sozialen Voraussetzungen, unter denen die Ärzte des 5. und 4. Jh. arbeiteten; im Zusammenhang damit sollten auch die Erwartungen, die man unter solchen Bedingungen hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Leistungen haben kann, geklärt und möglichst reinlich von modernen Vorstellungen abgesetzt werden. In seiner Dissertation hat Edelstein diese Fragestellung vor allem auf die ärztliche Prognose angewandt. Er hat ähnlich orientierte Darstellungen auch für andere Gebiete der antiken Medizin gegeben, so für die Diätetik (Antike 7, 1931), die Geschichte der Sektion (QuStudGeschNaturwiss 1932) und der Anatomie (BullHistMed 3, 1935), die ärztliche Ethik (Bull HistMed 30, 1956), die Beziehungen der griechischen Medizin zu Religion und Magie (BullHistMed 5, 1937) und zur Philosophie (BullHistMed 26, i9_52). Seine Skepsis gegenüber den Bemühungen, aus dem Corpus Hippocraticum eine genuin „hippokratische" Lehre zu rekonstruieren, hat Edelstein in seinem Hippokrates-Artikel bei Pauly-Wissowa-Kroll (RE 7, 1935) und in einem Aufsatz „The genuine works of Hippocrates" (BullHistMed 7, 1939) weiter ausgeführt. Mit einem Werk, das die Tradition als ein Fundament ärztlichen Verhaltens auf Hippokrates und seine Schule zurückführte, hat Edelstein sich noch besonders beschäftigt, mit dem hippokfatischen Eid (BullHistMed, Suppl. H. i, 1943). Er sah in ihm ein Zeugnis für den wiederauflebenden Pythagoreismus des ausgehenden 4. Jh. und hat es damit, unter dem Einfluß seiner eigenen Auffassung vom hippokratischen Corpus und wohl auch unter der Wirkung von E. Franks Thesen über den Pythagoreismus, wahrscheinlich zu spät datiert. Auch das zweibändige Werk über Asklepios (Baltimore 1945) will den Heilgott erst später zur göttlichen Gestalt erwachsen sein lassen, als es die mythologische Forschung (mit Ausnahme von Farnell) im allgemeinen angenommen hat. Für Edelstein ist die Asklepios-Geschichte zunächst nichts anderes als der Mythos vom idealen Arzt, und sein Aufstieg zum Gott ist

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ein Zeichen für die zunehmende Wichtigkeit des ärztlichen Standes in geschichtlicher Zeit. Ohne Zweifel melden sich Bedenken, wenn man diesen Deutungsversuch mit der mythologischen Überlieferung konfrontiert; auf jeden Fall bleibt aber die Sammlung und Bearbeitung der Zeugnisse über Asklepios eine große und dankenswerte wissenschaftliche Leistung. Edelsteins wissenschaftliche Arbeit ist aber weit über die schon so umfassende und tiefgreifende Beschäftigung mit der griechischen Medizin hinausgegangen, so weit, daß auf kleinere Beiträge zu Cicero (StudltFilCl 11, 1934), Lucrez (TAPhA 71, 1940) und Horaz (AJPh 62, 1941) hier nur kurz hingewiesen werden kann. Auch sie haben durchweg die Tendenz, Interpretationen, bei denen man sich bisher beruhigt hatte, in Zweifel zu ziehen. Das l gilt auch von dem schon wegen seines Gegenstandes bemerkenswerten Aufsatz über Wielands „Abderiten" und den deutschen Humanismus (Univ. of Calif. Publ. 26, 1950), in dem Wielands Roman nicht als eine Satire auf das deutsche Kleinbürgertum, sondern als ein ernstzunehmendes Zeugnis für seinen Humanismus und für seine ganze Lebensauffassung gedeutet wird. Außer den hippokratischen Schriften war es vor allem Platon, mit dem Edelstein sich immer wieder beschäftigte. Der Aufsatz über die Rolle des Eryximachos im Symposion (TAPhA 76, 1945) geht noch einmal von einem „medizinischen" Gegenstand aus und zeigt, daß die Darstellung des Arztes im Symposion nicht als Karikatur dieses Standes gemeint ist, sondern daß die Rede des Erytimachos gegenüber den hymnischen Eros-Reden des Dialogs dem Hörer eine Überzeugung vermitteln will, die aus dem Wissen des Sprechenden kommt. Ein anderer Aufsatz erweist die Mythen bei Platon als notwendigen Bestandteil der philosophischen Erörterung und lehnt es ab, sie lediglich als ein Ausweichen ins Irrationale aufzufassen (The function of the myth in Platen's philosophy, JournHistld 10, 1949). Platons Zurücktreten in die Anonymität in seinen Dialogen darf nicht rein biographisch als Huldigung gegenüber Sokrates verstanden werden, sondern es symbolisiert, daß die Wahrheit in der menschlichen Wirklichkeit nur im Dialog zwischen Gesprächspartnern gesucht werden kann; philosophische Aussagen des Verfassers selbst könnten als ein Anspruch auf Vermittlung einer ihm zugänglichen absoluten Wahrheit verstanden werden (Platonic anonymity, AJPh 83, 1962). Diese in seiner philosophischen Auffassung begründete Anonymität Platons ist auch einer der Gründe, die Edelstein zur Annahme der Unechtheit des 7. Briefs veranlaßten; er ist nach seiner Ansicht ein Zeugnis für Auseinandersetzungen, die nach Platons Tod in der Alten Akademie stattfanden. Es ist dankbar zu begrüßen, daß Edelsteins Beitrag zur Diskussion über die Echtheit des 7. Briefs (Plato's Seventh Letter) aus seinem Nachlaß kürzlich in der Reihe Philosophia Antiqua (Bd. 14, Leiden 1966) herausgegeben werden konnte. Vielleicht dürfen wir noch weitere Veröffentlichungen aus Edelsteins Nachlaß erwarten. Schon in einem Aufsatz aus dem Jahre 1936 (The philo-

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sophical system of Poseidonios, AJPh 57) hatte er — in einem gewissen Gegensatz zu Reinhardts Arbeit an Poseidonios — die Ansicht vertreten, daß die Lehre des stoischen Philosophen zuverlässig nur aus den unter seinem Namen überlieferten Fragmenten und Zeugnissen, nicht aus späteren Autoren rekonstruiert werden könne. Der Sammlung dieser Fragmente war auch später ein Teil seiner Arbeit gewidmet. Wie H. Cherniss, dem Edelstein die Betreuung seines wissenschaftlichen Nachlasses anvertraut hatte, mir mitteilte, ist die Fragmentsammlung noch nicht in publikationsreifem Zustand. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn sie der weiteren wissenschaftlichen Beschäftigung mit Poseidonios nutzbar gemacht werden könnte. Dasselbe gilt von Vorlesungen über die Stoa, die Edelstein am Oberlin College gehalten hat, vor allem aber von einer Untersuchung über die Geschichte der Idee des Fortschritts in der Antike. Edelstein hatte diese Untersuchungen, wie er in dem schon zitierten Brief an K. Oehler am 24. n. 1963 schrieb, im geistigen Austausch mit E. Kantorowicz aufgenommen, „der versprochen hatte, ein Buch über Fortschritt im Mittelalter zu schreiben". Beide konnten ihre Arbeit nicht zu Ende führen. Aber von Edelsteins Buch liegen die Einleitung und vier Kapitel vor, die die Vorstellung vom Fortschritt in hellenistischer Zeit behandeln. Wir dürfen damit rechnen, daß die Publikation dieses Werks in besonders eindrucksvoller Weise zeigen würde, wie Edelstein an den Gegenstand seiner wissenschaftlichen Arbeit originelle und zugleich ihm angemessene Fragen zu stellen pflegte.

II. REZENSIONEN

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LUDWIG EDELSTEIN Περί αέρων UND DIE SAMMLUNG DER HIPPOKRATISCHEN SCHRIFTEN

(= Problemata, H. 4) Berlin 1931

[Gnomon 9 (1933) S. 65—79]

Die im Titel von Edelsteins Buch angedeutete Beziehung des Teils zum Ganzen, in dem es berliefert ist, wird im Vorwort noch deutlicher bezeichnet: „Das Ziel der Arbeit ist, die Schrift π. αέρων υδάτων τόπων zu verstehen und in den Zusammenhang einzuordnen, in den sie inhaltlich und literarisch als Schrift des Corpus Hippocraticum geh rt." Um dieses Ziel zu erreichen, wird die Schrift π. ά. ύ. τ. im ersten Kapitel der Arbeit analysiert und aus ihr eine Kernschrift prognostischen Inhalts herausgesch lt. An dieses Ergebnis ankn pfend, versucht das zweite Kapitel die Frage nach der Art und Bedeutung der Prognose in den hippokratischen Schriften zu beantworten, und das dritte Kapitel stellt auf Grund der Interpretation dieser Schriften den hippokratischen Arzt dar, der die Prognose in der von E. dargelegten Weise ausgebildet hat. Nachdem so die inhaltliche Tendenz der Schrift π. ά. ύ. τ. (mit Ausschlu ihrer eigentlich theoretischen Grundlagen) klargelegt worden ist, veranla t (im vierten Kapitel des Buches) ihre literarische Stellung als ,hippokratische' Schrift eine Untersuchung der Geschichte von Bedeutung, Lehre und Schriften des Hippokrates im Altertum, die in eine bersicht ber die einzelnen Schriften des Corpus Hippocraticum und ihre eventuelle Zusammengeh rigkeit und schlie lich in eine neue Hypothese ber die Entstehung des Corpus ausl uft. Man sieht, da die Fragestellungen des Buches ins Zentrum sowohl von Einzel- wie von Gesamtproblemen der Hippokratesforschung f hren. Schon der Einsatz bei der Schrift π. ά. ύ. τ. ist sehr fruchtbar, weil diese Schrift der Interpretation immer viele Probleme gestellt und weil sie ihres ber das engere medizinische Gebiet hinausgehenden Inhalts wegen stets gro es Interesse gefunden hat. Bei ihrer Analyse kommt E. zu einem v llig neuen Ergebnis. Er gewinnt aus der Interpretation der Einleitung das Resultat, da die Schrift dem Arzt erm glichen soll, in einer ihm fremden Stadt aus ihrer Lage und dem Charakter der Jahreszeiten Angaben ber die in der Stadt gegenw rtig

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bzw. zuk nftig herrschenden Krankheiten und die Konstitution ihrer Bewohner zu machen, und zwar ohne die Bewohner vorher-zu befragen. Da man auch im Altertum den Zweck der Schrift so auffa te, wird durch Rufus von Ephesos Ερωτήματα ιατρικά belegt (E. 6 f.). Das Buch soll den Arzt also in den Stand setzen, generelle Prognosen auszusprechen, wie andere prognostische B cher ihn zur Stellung individueller Prognosen anleiten. Diesen prognostischen Zweck, den die Einleitung (Kap. i—2) ausspricht, sieht E. nur in den Kapiteln 3—6 und 10 erf llt. Abgesehen von dem kurzen Kap. ii, das aus ndern Gr nden ausgesondert wird, schieben sich zwischen die Kap. 6 und 10 die Kap. 7—9, die ber den Nutzen und Schaden des Wassers f r die Di t handeln. Sie sind nach ihrem Ziel, ihrer Behandlungsart und ihrer theoretischen Haltung g nzlich von den prognostischen Kapiteln verschieden, ein fremder Einschub aus einer selbst ndigen di tetischen Schrift ber Gew sser, wie E. glaubt (n ff. 25 ff.). Eine selbst ndig in sich abgeschlossene Schrift ist der ethnographische Teil (57 ff.), den E. 32 ff. im Ganzen als Einheit interpretiert. Es sind also nach Edelsteins Meinung zwei vollst ndige Schriften und ein Teil einer dritten, die urspr nglich gar keine Beziehung zueinander hatten, von einem Interessenten zusammengeschrieben worden, hnlich wie in der Schrift π. φύσιος ανθρώπου das Verschiedenartigste nebeneinander steht (59). Ich beschr nke mich hier* darauf, meine Stellung zu den wichtigsten Thesen der E.sehen Analyse zu pr zisieren. F r richtig halte ich die Interpretation der Einleitung von π. ά. ύ. τ. und die daraus resultierende Hervorhebung der prognostischen Zielsetzung der Schrift in dem Sinne, wie E. die hippokratische Prognose auffa t. Mit dieser Zielsetzung haben die Kap. 12—24 in der Tat nichts zu tun, sie stellen eine andere Schrift dar, die wahrscheinlich auch von einem ndern Verfasser stammt. Auch die Fremdartigkeit der Kap. 7—9 im Zusammenhang des ersten Teils scheint mir E. richtig hervorgehoben zu haben. Doch zeigt sich bei genauer Interpretation, da E.s Versuch, die Kap. 7—9 einfach aus dem jetzigen Zusammenhang der Schrift herauszul sen, der Kompliziertheit des SachVerhalts nicht ganz gerecht wird. Auch darauf hoffe ich noch einmal genauer eingehen zu k nnen. Von den Ergebnissen dieser Analyse verfolgt E. das wichtigste inhaltlich weiter und fragt nach der Bedeutung der Prognose in den hippokratischen Schriften und weiter nach dem Wesen der rzte, f r die die Prognose die von ihm festgestellte Bedeutung hatte. Man wird diese beiden Kapitel als diejenigen bezeichnen d rfen, die das gr te allgemeine Interesse haben; ich halte ihre Ergebnisse im wesentlichen f r gesichert. Das dritte Kapitel stellt den hippokratischen Arzt aus den Zeugnissen der Schriften nicht als Wissenschaftler, sondern als Handwerker dar (S. 89. 92 f.) und zeigt ihn in seiner davon herr hrenden Bedingtheit und in seiner Abh ngigkeit von den l Zur Einzelinterpretation von π. ά. ύ. τ. hoffe ich midi in absehbarer Zeit ausf hrlich u ern zu k nnen.

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Menschen, in deren l Dienst er sein Handwerk stellt. E. zeigt, wie diese Abhängigkeit von seinem Publikum den Arzt zur persönlichen Einstellung und zur Rücksichtnahme auf den Patienten veranlaßt, und verfolgt das im einzelnen an den Äußerungen der chirurgischen und diätetischen Schriften. Er weist auf, welche Rolle die Rede innerhalb dieser ärztlichen Tätigkeit spielt, wie sie der Selbstbehauptung des einzelnen Arztes im Handwerk und des gesamten ärztlichen Standes gegen seine Widersacher dient. Eine Zusammenstellung von Begriffen der Heilkunst, wie sie sich aus den Schriften des Corpus entwickeln lassen, macht den Beschluß dieses Kapitels, dessen Bedeutung nicht nur in dem kulturgeschichtlichen Bild liegt, das E. entwickelt, sondern das auch geistesgeschichtlich noch von größter Wichtigkeit werden dürfte. Denn die handwerkliche Gebundenheit der Ärzte wirkt sich zweifellos auch in ihren inhaltlichen Problemstellungen und theoretischen Lösungsversuchen aus, und von ihnen wird man diese Gebundenheit wahrscheinlich auf einen großen Teil der auf Gegenstände gerichteten naturphilosophischen Spekulation des 5. Jh. überhaupt übertragen dürfen. So werden diese Ergebnisse zur Klärung der Entstehungsmöglichkeiten griechischer Wissenschaft mithelfen können. In die Anschauung von der sozialen Stellung des Arztes und die dadurch bedingten Rücksichten fügt sich auch das ein, was E. über das Wesen der hippokratischen Prognose feststellt. Die ganze Problematik wird aufgerollt an einer Auseinandersetzung mit Littre über die Interpretation des Prognostikon. Littre (i, 451 ff.) war der Ansicht, daß im Prognostiken die Erkenntnis der Krankheit an sich, unabhängig vom affixierten Organ, gelungen sei, daß man hier aus den Zeichen mit Hilfe der theoretischen Voraussetzungen, die man machte, ein wissenschaftliches System der Krankheiten aufgebaut habe analog demjenigen, das die modernen Ärzte aus ihren anatomischen und physiologischen Kenntnissen gewinnen. Konsequent sah Littre in dieser Prognose die eigentlich wissenschaftliche Leistung der hippokratischen Medizin, als eine Synthese der damals herrschenden theoretischen Überzeugungen mit dem zugänglichen empirischen Material. Diese Anschauung von der hippokratischen Prognose hat inhaltlich bei Späteren manche Wandlung erfahren. Geblieben ist die Tendenz, die Prognose als eine wissenschaftliche Leistung im modernen Sinn zu deuten. Zweierlei mußte vor allem zu immer wiederholten Deutungsversuchen reizen: die unbestrittene Wichtigkeit, die die Prognose im hippokratischen Schrifttum hat, und die Unmöglichkeit, sich bei der einfachsten Deutung zu beruhigen, daß Prognose die Bestimmung von etwas Zukünftigem im Krankheitsverlauf sei. Das wurde schon durch den Anfang des Prognostiken verhindert, wo von einem Arzt die Rede ist, der bei den Kranken das Gegenwärtige, l Vergangene und Zukünftige voraussagt (i, 78, 3 f. Kw.)2. Man wird sagen dürfen, daß E.s Deutung der 2

Wenn Gal. i, 314, i ff. K. sagt, daß manchmal bei den alten Ärzten auch die Zeichen, die auf Gegenwärtiges oder Vergangenes hinweisen, prognostische' genannt wurden,

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hippokratischen Prognose zum erstenmal eine befriedigende Antwort auf diese beiden Fragen gibt, ohne mit den Kategorien moderner medizinischer Wissenschaftlichkeit zu arbeiten. Er stellt einmal gegen Littre fest, da das Prognostiken nicht die Krankheit an sich prognostiziere, sondern die aus historischen und praktischen Gr nden zusammengefa te Gruppe der akuten Krankheiten (62 ff.), von deren Verlauf und Symptomen vieles generell dargestellt werden kann; aber auch aus dieser Gruppe werden einzelne Krankheiten genannt, wenn bei ihnen f r die Prognose bedeutsame Abweichungen vorkommen (64, Anm. i). Die Wahl der akuten Krankheiten als alleiniges Thema einer prognostischen Schrift erkl rt sich aus ihrer Wichtigkeit f r die Prognose: der Arzt soll angeleitet werden, ber Krankheiten, die schnell eintretende und sehr auffallende Krisen haben, rasch zu einer Entscheidung zu gelangen. Denn die hippokratische Prognose — das ist das Hauptergebnis von E.s Ausf hrungen — hat im wesentlichen psychologische Wichtigkeit. Sie sichert den Arzt dadurch, da er einen ung nstigen Ausgang voraussagt, vor der Verantwortung. Auch hat er durch seine Voraussicht die M glichkeit in solchen F llen die Behandlung abzulehnen, und kann auf das Publikum durch die Vorhersagen Eindruck machen. Denselben Eindruck erzielt der Arzt aber auch, wenn er dem Patienten ohne Befragen sagt, was ihm fehlt, und wenn er ihm nachweist, da er in der Behandlung gegen seine Vorschriften versto en hat. Dadurch gewinnt der Kranke Vertrauen zum Arzt; au erdem gibt die Prognose dem Arzt die M glichkeit, den Patienten zu kontrollieren. Schlie lich gewinnt der Arzt selbst durch sein Vorherwissen von Krisen usw. eine gr ere Sicherheit in seinem Handeln, w hrend er unvorbereitet leicht in Verwirrung geraten k nnte. Diese Bedeutung der hippokratischen Prognose, die sich im wesentlichen aus Prognost. Kap. i entwickeln l t, findet E. dann auch durch die u erungen der ndern prognostischen Schriften des Corpus best tigt. Durch seine Ausf hrungen hat er erreicht, da nun auch die l hippokratische Prognose nicht mehr in ein System wissenschaftlicher Medizin im modernen Sinn eingereiht werden kann, sondern aus den Gegebenheiten ihrer Zeit heraus verstanden wird, nachdem schon vorher H. E. Sigerist den neuzeitlichen Krankheitsbegrifl und im Zusammenhang damit den modernen Begriff der Diagnose der hippokratischen Medizin abgesprochen hatte (Antike Heilkunde ii. 19 f.). Die Einreihung des prognostischen Kernst cks von π. ά. ύ. τ. in diesen Zusammenhang ist berzeugend; denn es mu te gro en Eindruck machen, so denkt er wahrscheinlich vor allem an diese Stelle. Aber auch Prorrh. 2, i (9, 6, 14 L.) wird als ein σχήμα προρρήσεων die Kunst bezeichnet, Athleten und Patienten auf Grund von Zeichen Di tfehler nachzuweisen (vgl. auch E. 84). Damit ist also f r die hippokratische Zeit prinzipiell die M glichkeit gesichert, da die termini πρόγνωσις und πρόρρησις nicht nur die Erkenntnis des Zuk nftigen bezeichnen, sondern auch die Gewinnung (und u erung) eines Urteils ber Gegenw rtiges und Vergangenes aus Zeichen, bevor dieses Urteil noch durch Mitteilung notorischer Tatsachen beeinflu t worden ist.

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wenn ein Arzt in einer fremden Stadt generelle Prognosen stellte ber die dort herrschenden gesundheitlichen Zust nde und ber Krankheiten, die im Lauf des Jahres eintreten w rden. Au erdem mu te eine solche Anleitung dem Arzt selbst helfen, sich in der fremden Umgebung zurecht zu finden3. Wie aber steht es mit der literarischen Einreihung von π. ά. ν. τ. als Schrift des Corpus Hippocraticum? Ihr hat E. das 4. Kapitel seines Buches gewidmet. Er untersucht die Vorstellungen ber Bedeutung, Lehre und Schriften des Hippokrates, wie sie sich vom 4. Jh. bis zum Ausgang des Altertums entwickelt haben. Er findet dabei, da die Bedeutung des Hippokrates w chst vom Bild eines ber hmten Arztes unter ndern im 4. Jh. ber den Mitvollender der Di tetik bei den Fr halexandrinern bis zum Archegeten der wissenschaftlichen Medizin in sp t-hellenistischer Zeit (Celsus) und zum gro en klassischen Autor der Medizin in der Zeit des Archaismus (Galen). Ebenso wird die Lehre, von der in fr her Zeit nur die Peripatetiker eine feste Vorstellung in Form einer inhaltlich engbegrenzten Theorie berlieferten, sp ter jeweils dem angepa t, was die herrschende Meinung als medizinisches, gern philosophisch begr ndetes Dogma glaubte: d. h. Hippokrates war schon soweit klassisch geworden, da man ihm eine auf „Einsicht in die Gesetze des Geschehens" (137) beruhende medizinische Meinung beilegte, auf die man sich zur autoritativen St tzung der eigenen gern berief. Das gilt f r die Stoiker so gut wie f r Galen. Von Schriften des Hippokrates haben wir im 4. Jh. einen sicheren Bericht nur bei Menon: die Schrift, die ihm als hippokratisch vorlag, ist in dem uns berlieferten Corpus Hippocraticum nicht zu identifizieren. Dann laufen in hellenistischer Zeit einzelne Schriften als hippokratisch um. Es bleiben aber zun chst immer Einzelschriften, m gen es auch ziemlich viele sein. Erst gegen Ende des 3. Jh. wurde das Werk des Hippokrates zum erstenmal l zusammengefa t, erst Dioskurides und Artemidoros Kapiton unter Hadrian veranstalteten Gesamtausgaben. Eine Einigkeit ber die Echtheit dieser hippokratischen Schriften war aber noch in so sp ter Zeit nicht zu erzielen; noch bei Erotian, Soran und Galen findet E. Spuren davon, da Schriften „zu etwa gleicher Zeit anonym und benannt (d. h. als hippokratisch) tradiert wurden". Dies alles f hrt E. zur Ablehnung der bisherigen Hypothesen, die das Corpus Hippocraticum mindestens schon in den Anf ngen der Alexandrinerzeit als ungef hr in dem jetzigen Umfang vorhanden annehmen. Eine bersicht ber die Schriften des Corpus, von denen sich nach E. kaum zwei mit Sicherheit demselben Autor zuweisen lassen, erg nzt diese Ablehnung4. Daf r wird zum Schlu 3 Letzteres, die psychologische Wirkung auf den Arzt selbst, bergeht E. 88 bei seiner Einreihung von π. ά. ύ. τ. in den Zusammenhang der prognostischen Schriften. Doch geht dieser Zweck der prognostischen Anleitung mindestens aus 56, 24 f. Hbg. ώστε μη άπορέεσθαι εν τη θεραπείη των νούσων μηδέ διαμαρτάνειν hervor. * Diese bersicht enth lt im einzelnen sehr viel Wichtiges und F rderndes, wovon ich hier nur heraushebe: die Zuweisung von π. διαίτης οξέων zum Kreise der knidischen Schriften und die Aufl sung des Begriffs der ,koischen Schriften' innerhalb des Gor-

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eine neue Hypothese auf Grund der zuvor skizzierten Entwicklung versucht: zu Beginn der hellenistischen Zeit hatte man keine unter Hippokrates' Namen laufenden B cher, wohl aber eine ganze Anzahl anonymer Medizinschriften, die in den Bibliotheken lagen. In der Entwicklung der hellenistischen Medizin wird der Name des Hippokrates immer wichtiger: Herophilos als Sch ler des Praxagoras von Kos und seine Schule sehen in Hippokrates ihren gro en jkoischen* Vorg nger, in der knidischen Schule als Vorg ngerin der Erasistrateer, ihrer Gegner, auch den Gegenpol der hippokratischen jkoischen* Schule. Sp ter greift die empirische Schule bei ihrer Losl sung von der herophileischen auf deren Initiator Hippokrates zur ck. Das erh ht die Bedeutung des Hippokrates von Neuem. All diese Bewegungen bedingen ein st ndig wachsendes Interesse f r Hippokrates, dessen Schriften man nun lesen wollte. So schrieb man ihm aus dem anonymen Material allm hlich die Schriften zu, die nach der Meinung der Zuschreibenden seine Lehre enthalten. Dies geschah von verschiedenen Seiten, so da auch einander Widersprechendes dem Hippokrates zugeschrieben wurde. Dagegen erhob sich wiederum eine Echtheitskritik, so da die Ansichten ber das Werk des Hippokrates in st ndiger Bewegung blieben, ein Proze , der mindestens bis Galen hin zu verfolgen ist. Erst dann trat eine Verfestigung ein, indem man kanonisch von ,hippokratischen Schriften* sprach, die sich schlie lich in einem bestimmten Umfang in das uns heute vorliegende Corpus gerettet haben. Dies ist die in sich geschlossene Hypothese von E. Da ich gegen die Art, wie sie zustande kommt, gegen einen gro en Teil ihrer Aufstellungen l und gegen ihre praktische Wirksamkeit grunds tzliche Bedenken habe, so m chte ich zun chst herausheben, worin ich mit E. bereinstimme, und dann meine Bedenken begr nden. F r gelungen halte ich den Nachweis, da sich die Auffassungen, die wir im 4. Jh. ber Bedeutung, Lehre und Schriften des Hippokrates finden, grunds tzlich von denen aller sp teren Zeiten unterscheiden. Hippokrates ist f r Platon und Aristoteles ein bedeutender und ber hmter Arzt unter ndern, nicht der Arzt schlechthin. Das scheint mir E. im Prinzip durch die Interpretation von Plat. Protag. 311 b und Phaidr. 270 c sowie von Aristoteles Pol. 1326 a 15 bewiesen zu haben. Auch die Darlegungen ber die Lehre des Hippokrates nach den Berichten des 4. Jh. halte ich im wesentlichen f r richtig, so vor allem, da man aus der ber hmten Phaidrosstelle 270 c „nur die Methode des Hippokrates, nicht sein System" kennen lernen kann (E. 129 ff.). Mit dieser Feststellung ist nat rlich auch die zeitweilig so lebhafte Diskussion dar ber, ob Platon eine u erung der Schrift π. άρχαίης ίητρικής 2ο meine oder nicht, v llig verschoben. Die Beziehung auf eine bepus (154 ff.), ferner die, allerdings weniger sichere, Verneinung der sonst allgemein geglaubten Zusammengeh rigkeit der Schriften π. ·άγμών und π. ορθρων εμβολής (i68 ff.). Raummangel verbietet mir leider, hier auf diese Fragenkomplexe n het einzugehen.

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stimmte Schrift mu nun immer zweifelhaft bleiben, weil die Stelle eben nicht zugleich den sachlichen Inhalt von Hippokrates' Lehre enth lt. Diesen finden wir erst bei Menon (Anon. Lond. 5, 35 ff.) wiedergegeben, und auch hier wird man E. nur zustimmen k nnen, wenn er (140 £E.) zeigt, da Menon nicht, wie man bisher fast allgemein5 annahm, die Schrift π. φυσών gemeint haben kann, sondern eine ganz andere, uns unbekannte Schrift, die ein di tetisches System auf einer speziell modifizierten περισσώματα-Lehre begr ndet. Die φΰσαι in der Schrift π. φυσών sind die Luft, die von au en mit den Speisen in den K rper hineinkommt, w hrend sie nach dem Hippokrates des Menon aus den Verdauungs bersch ssen der Nahrung im K rper entstehen (141). Diese Feststellung ist definitiv; zu ihr geh rt die Aussonderung des ,pneumatisch' orientierten Einschubs Anon. Lond. 6, 13—31, wozu brigens schon Fredrich, Philolog. Unters. 15, 52, Anm. 5, zu vergleichen ist. Diese inhaltliche Bestimmung der hippokratischen Lehre steht an sich in keinem Widerspruch zu der rein methodischen im Phaidos. Auch nach Menon spielt bei Hippokrates, wie bei Plat. Phaidr. 270 c, die Relation von etwas im Menschen, der ,W rme, die die Kochung der Speisen bewirkt* (5, 45), und der von au en aufgenommenen Nahrung eine wichtige Rolle. E. zeigt, da „Hippokrates nach Menon di tetischer Arzt alter Richtung ist" (137). Auch nach Platon ist die hippokratische Methode wichtig f r den Arzt, um zu wissen, welche Nahrung (und welche Arzneien) er dem Kranken geben soll (Phaidr. 270 b φάρμακα και τροφήν προσφέρων). Es bestehen also keine unvereinbaren Gegens tze in den u erungen ber Hippokrates aus dem 4. Jh., und es scheint mir das Hauptverdienst von E.s Ausf hrungen in diesem Abschnitt zu sein, da er die berlieferung aus dem 4. Jh. ber Hippokrates als eine Einheit gezeigt hat, die von den Meinungen aller sp teren Zeiten grunds tzlich verschieden ist. Da man dem 4. Jh. wird glauben m ssen und da man bei der Unvereinbarkeit des sp teren Hippokratesbildes mit dem lteren gro e Zweifel wird haben m ssen, ob uns von dem sp teren her der Zugang zu dem ,echten' Hippokrates noch offensteht, das ist die notwendige Folgerung aus diesem Tatbestand. Gegen das Bild, das E. von der sp teren Entwicklung des antiken Hippokratismus entwirft, und gegen die daraus sich ergebende Hypothese ber den Ursprung des Corpus Hippocraticum habe ich vor allem zwei Bedenken. Ich glaube nicht an die Wahrscheinlichkeit von E.s schon durch den Aufbau seiner Darstellung nahegelegter Meinung, da eine allm hliche Bedeutungserh hung des Namens Hippokrates in hellenistischer Zeit zur Zuschreibung von Schriften an ihn gef hrt habe, ja, ich finde kein wirkliches Zeugnis der berlieferung f r die allm hliche Bedeutungserh hung berhaupt, und zweitens glaube ich nicht, da die Spuren richtig gedeutet sind, die E. noch in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung daf r zu fin5 Eine Ausnahme machte Fr. Bla , Hermes 46, 1901, 405 ff.

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den glaubt, da hippokratische Schriften zu ungef hr gleicher Zeit benannt und anonym tradiert wurden. E. bringt (123 ff.) ein Zeugnis bei, aus dem man nach seiner Ansicht die Meinung der Fr halexandriner ber Hippokrates kennen lernen kann, das Iliasscholion zu Λ 515, das Herodikos als Initiator, Hippokrates, Praxagoras und Chrysipp als Vollender der Di tetik nennt. Das Scholion stehe einerseits der Ansicht von Platon (Resp. 3, 4O^d ff.) ber Herodikos als Erfinder der Di tetik nahe, andererseits verrate es seinen fr halexandrinischen Urspung in der Nennung von Praxagoras und Chrysipp, auf die die herrschenden fr halexandrinischen Schulen der Herophileer und Erasistrateer sich zur ckf hren. In diese Entwicklung werde nun Hippokrates hineingestellt, herausgehoben unter den rzten seiner Zeit als koischer Di tetiker und damit Vorg nger des Praxagoras, zusammen genannt mit den beiden wichtigsten vorhellenistischen Vertretern der Medizin aus dem 4. Jh., die sp ter zur cktreten. Man k nne also aus dem Scholion ablesen, wie die Schulverh ltnisse der hellenistischen Zeit den Hippokrates schon aus der Zahl seiner Zeitgenossen herausgehoben haben. Aber Hippokrates und nach ihm Praxagoras und Chrysipp geh ren in Wahrheit zum eisernen Bestand jeder Medizingeschichte auch der sp teren Zeiten; es gen gt, daf r auf Celsus CML. I 18, 12 ff. Plin. n. h. 29, 4 ff. [Gal.] 14,676 ff. K. zu verweisen. Damit ist hier die Platonstelle kombiniert, die ja auch von der Erfindung der Di tetik durch Herodikos handelte und sich daf r, da es fr her keine Di tetik gegeben habe, auf Homer berief, oder vielmehr: der Auffassung Platons sind die paar ber hmten Namen aus der alten Medizin angef gt. Damit erkl rt sich die Auffassung der alten rzte als ,VolIender der Di tetik' und die Ankn pfung des Hippokrates an Herodikos. So beweist das Scholion m. E. keine andere Auffassung von Hippokrates als die aller sp teren Zeiten und kann | nicht mit den Str mungen in der fr halexandrinischen Medizin in Verbindung gebracht werden. Und diese Auffassung der sp teren Zeiten ist, soviel ich sehe, f r uns zuerst zu erkennen bei Apollonios von Kition, f r den Hippokrates nicht nur ein sehr genialer Arzt ist (E. 126, Anm. 2), sondern 6 Ιατρός (3, 9. 3, 15 Sch ne), also der klassische Autor der Medizin schlechthin. Dem entspricht auch die Heroisierung bei Cicero de orat. 3, 32 (E. 128 oben) und dann bei Celsus (a. a. O. 127). Das stand also schon in hellenistischer Zeit fest. Wir haben kein Zeugnis daf r, da dies auf einer Bedeutungserh hung, die durch die geschichtliche Lage der hellenistischen Medizin bedingt gewesen w re, beruht h tte. Auch daf r sehen wir keinen Anhalt, da eine solche Bedeutungserh hung wegen bestimmter, sehr wirksamer Lehren erfolgt w re, die von Hippokrates berliefert wurden. Die Nachrichten ber Lehren des Hippokates aus sp terer Zeit unterschieden sich von denen des Menon nicht nur dadurch, da man Hippokrates nun sehr allgemeine, philosophisch begr ndete Theorien beilegte (E. 137), sondern auch dadurch, da sich die Berichte ber Lehren wirklich umfassender Art immer aus Schriften des Corpus belegen lassen: Hippokrates' ,pneumatische' Anschauungen (Stoiker 6) kann man in π. φυσων, die Viers ftelehre (Galen) in π. φύσιος ανθρώπου wiederfinden, die Anschauung von der Verdauung als Kochung der Speisen z. B. in u erungen der Aphorismen, aber auch vieler anderer Schriften. Auch die Korrektur des Menonberichtes Anon. Lond. 6, 43—7, 40 beruht offenbar darauf, da man diesen Bericht mit den Schriften des Hippokrates, die man besa , nicht in Einklang fand. brigens geht aus Gal. 17 A 250 f. K. nicht mit Sicherheit hervor, da es die Stoiker waren, die Hippokrates zum Pneumatiker machten. Es ist erst von der pneumatischen Lehre der Stoa die Rede, und dann hei t es 251, 6 καί 8σοι γε του δόγματος τούτου νομίζουσιν ηγεμόνα τον Ίπποκράτην γεγονέναι: das k nnen also auch sp tere rzte gewesen sein, die die pneumatische Lehre bei Hippokrates verwirklicht fanden.

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Es bleibt also doch wieder nur brig, die Schriften zu befragen, wie weit diese f r die Entwicklung des Hippokratesbildes verantwortlich sind. Es w re freilich schlimm bestellt, wenn ber diese noch in sp ter Zeit ein Schwanken in dem Sinne geherrscht h tte, wie E. meint, nicht etwa dar ber, welche Schriften echt und welche unecht waren, sondern dar ber, ob Schriften berhaupt unter dem Namen des Hippokrates oder anonym berliefert wurden. Ich kann aber weder bei Soran noch bei Erotian oder Galen Spuren eines solchen Schwankens finden. Am ehesten k nnte es noch bei Soran so scheinen. E. (144 f.) schlie t, da Soran die Γυναικεία nicht unter dem Namen des Hippokrates, sondern anonym gekannt habe, aus dem Umstand, da er CMG. IV 94,17 ff. Hippokrates nicht unter den rzten nenne, die eine besondere Behandlung von Frauenkrankheiten f r n tig gehalten h tten, was doch auch die hippokratischen Γυναικεία tun. Man k nnte sagen, das sei nichts anderes als ein Ausflu der Echtheitskritik Sorans an hippokratischen Schriften, wie wir sie z. B. von Galen her kennen, der zufolge gewisse als hippokratisch berlieferte Schriften nicht als echt anerkannt und dann auch anonym zitiert wurden. Es scheint aber doch komplizierter zu sein. 144,3 zitiert Soran eine Ansicht, die sich auch in den Γυναικεία findet, mit άλλοι και l περί Ίπποκράτην. Hier aber k nnen nach | E. die Γυναικ. h chstens mit άλλοι zitiert werden, da aus 148, 17 nach Ilberg und E. „eindeutig folgt, da Soran die Schrift π. γυναικείων nicht f r hippokratisch hielt". Soran sagt dort, die ,um Hippokrates' h tten nur vom Vorfall des Geb rmuttermundes, nicht von dem der Geb rmutter selbst gesprochen: Γυναικ. 2, 144. 145 spricht aber von beidem. Aber auch Aphor. 5, 49 spricht von beidem: also m te man schlie en, da Soran auch diesen Abschnitt der Aphorismen nicht f r hippokratisch gehalten habe. Und doch zitiert er 48, 14 Aph. 5, 31 w rtlich als υπό Ιπποκράτους ειρη,μένον εν τοις Άφορισμοΐς. Dieselbe Inkongruenz besteht bei Caelius Aurelianus ac. 2, 6, 32. 3, 5, 57, wo die Behandlung von Krankheiten bei Hippokrates vermi t wird, die doch in dem von Caelius Aurelianus, d. h. Soran, ausdr cklich (ac. 3, 4, 28. 17, 153) zitierten dritten Buch n. νούσων (Kap. 5. 9) sich findet. Diese F lle der Inkongruenz der Zitierweise sind f r die Γυναικεία, die Aphorismen und π. νούσων 3 v llig analog. Sie machen an der Zuverl ssigkeit Sorans als Medizinhistoriker einigerma en irre, denn man kann aus ihnen doch nur schlie en, da Soran die betreffenden Schriften nur sehr fl chtig oder f r diesen Zweck gar nicht eingesehen hat. Letztere Vermutung d rfte vorzuziehen sein: die doxographischen Zusammenstellungen scheinen im wesentlichen nach Exzerpten aus der lteren medizinischen Literatur gemacht zu sein. So w rde sich auch die bergehung des Hippokrates 94, 17 ff. erkl ren. Die Exzerpieren, die Soran benutzte, hatten nur solche Schriftsteller ausgezogen, die sich mit Gr nden f r oder gegen die Annahme besonderer Frauenkrankheiten aussprachen; daf r gaben die Γυναικεία, die einfach die Notwendigkeit besonderer Behandlung solcher Krankheiten behaupten (8, 126, 5 ff. L.; zur Sache vgl. die aufschlu reichen Ausf hrungen E.s 166 ff.), nichts aus. Bei dieser Annahme ergeben sich aber die verschiedensten M glichkeiten, die Widerspr che in der Behandlung einzelner Schriften zu erkl ren: Nachl ssigkeit, besondere Gesichtspunkte bei Anfertigung der Exzerpte, auch abweichende Meinungen ber die Echtheit der Schriften. Diese k nnen auf Echtheitskritik beruhen. Aber auch wenn wir annehmen wollen, da einzelne von Sorans Vorg ngern (denn auf diese m ten wir die Widerspr che ja abw lzen) manche der sp ter als hippokratisch geltenden Schriften noch anonym berliefert bekamen, so k nnten wir daraus h chstens einen Vorgang der Attraktion an ein schon bestehendes hippokratisches Corpus konstruieren (vgl. auch E. 145 oben). Ich halte einen solchen Vorgang in der Zeit vor Soran durchaus f r m glich und nach gewissen Anzeichen sogar f r wahrscheinlich. Aber eine solche Annahme k nnte unter Umst nden dazu dienen, den attrahierenden Kern als in Wahrheit fest erscheinen zu lassen und ihn nicht im Sinne von E.s Hypothese g nzlich aufzul sen.

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Bei Erotian und Galen aber l t sich, wie mir scheint, von einem solchen Schwanken sicher nichts mehr feststellen. Erotian unterscheidet nur die echten B cher, die er nennt, von den unechten, die er nicht nennt7. Der Gegensatz der αληθώς κομιζόμενα συντάγματα (9, i) und derer, die er als βεβαίως Ιπποκράτους | bezeichnet (9, 22), sind Pseudepigrapha, bzw. in ihrer Echtheit bestrittene Werke. Hier wehrt sich die Echtheitskritik gegen die berlieferung, die ihr eine Schriftenmasse bringt, die den Anspruch erhebt, hippokratisch zu sein. Die Herausgeber der hippokratischen Schriften unter Hadrian waren in derselben Lage. π. νούσων 2 sollte nach der berlieferung von Hippokrates sein; Dioskurides, der das nicht glaubte, wies das Buch darum einem gleichnamigen Enkel des Hippokrates zu (17 A 888 K.). Der Ausweg, hippokratische Schriften Homonymen, Sch lern oder Verwandten zuzuschreiben, wird dann von Galen immer wieder betreten. Aber auch, wenn Schriften einem Fernerstehenden zugeschrieben werden, sagt Galen ausdr cklich von ihnen φέρεται δ'έν τοις Ιπποκράτους (γ, 960 K.). Auch wenn von ihm Schriften ganz anonym zitiert werden, weil er sie einerseits nicht f r echt hippokratisch und andererseits f r zu unbedeutend h lt, um einen Autor f r sie zu suchen, erkennt man oft, wie das Zitat nur aus der Assoziation erfolgt, da es sich um eine der ,hippokratischen' Schriften handelt (vgl. z. B. das Zitat von π. ίρής νούσου CMG. V 9, 2, S. 206, 13 ff.). So mu man unbedingt sagen, da Galen von den hippokratischen Schriften schon terminologisch gesprochen hat, genau wie das Glossar, das unter seinem Namen geht. Er hielt sie nur nicht alle f r echt, aber das tut das Glossar auch nicht, so da (trotz E. 145 mit Anm. 3) kein Grund zur Verd chtigung seines galenischen Ursprungs vorliegt, zumal die zeitliche Gleichsetzung von Bakcheios und Aristarch, an der Edelstein anst t, bereits durch Konjektur (Αριστοφάνους f r Άριστάρχου: Klein, Erotian.XXIV; Strecker, Hermes 26, 1891, 281) beseitigt ist.

Ob diese hippokratischen Schriften, von denen Galen spricht, schon alle Schriften des uns berlieferten Corpus umfa ten, l t sich nat rlich nicht f r jede kleine Schrift, die im Altertum niemals erw hnt wird, im einzelnen beweisen. Mir w re es am wahrscheinlichsten, da uns nur das, was die gro en Gesamtausgaben der hadrianischen Zeit erfa t hatten, in verschiedenen Brechungen berliefert ist. Jedenfalls haben wir in nachchristlicher Zeit hippokratische Schriften, die man erkl rt und glossiert und an denen man Echtheitskritik treibt, und was wir aus der hellenistischen Zeit wissen, sieht nicht wesentlich anders aus. Hippokrates ist der Klassiker, dessen Exegese man benutzt, um den Gegner zu vernichten, so der Empiriker Apollonios von Kition den Herophileer Hegetor 8.23, 13 ff. Sch ne. Der Streit um die Echtheit der ,Charaktere' in Epid. 3 (Gal. 17 A 603 ff. 617 ff.) ist nur m glich auf der Basis, da man das Buch f r ganz unbestreitbar hippokratisch hielt. Die Glossierung und Kommentierung einer Anzahl Schriften, vor allem prognostischen und chirurgischen Inhalts, dazu der Epidemien, kann man bis in den Ausgang des 3. Jh. v. Chr. zur ckverfolgen. Von jener Zeit ab bek mpften sich die Glossatoren und Kommentatoren in langen Schriften und Gegenschriften, wie der Streit um die 7 Von unechten Schriften nennt er nur Prorrh. 2 im Zusammenhang mit dem von ihm f r echt gehaltenen Prorrh. i, das er auch allein glossiert. Die Unechtheit des zweiten Buches wollte er in einer Spezialschrift beweisen (9, 8 Nachm.). Galen hat dann gar keinen Zweifel an der Unechtheit von Prorrh. 2 und greift seinerseits auch die Echtheit von Prorrh. i (im Kommentar zu dieser Schrift) an. Man sieht, wie die Echtheitskritik im Lauf der Zeit eher sch rfer, nicht duldsamer wird.

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»Charaktere' und die Übersicht über die hellenistische Lexikographie zu Hippokrates bei Erotian S. 4 f. zeigen. Von dieser Zeit ab gilt die Beschäftigung mit Hippokrates seinen Schriften, sein Ruhm ist von da ab von ihnen nicht zu trennen, und was man über ihn selbst und über die Schriften weiß, [ ist wiederum alles nur aus diesen Schriften geschöpft8. Das einzige, was die Alexandriner sonst noch ausforschen konnten, war seine Genealogie, die man dann zu den Schriften in Beziehung zu setzen suchte. Bis in den Ausgang des 3. Jh. v. Chr. können wir diese Behandlung hippokratischer Werke zurückverfolgen. Hier häuft sich zum erstenmal alles: der Grammatiker Euphorion glossiert Hippokrates (Erot. 5, 16), der Herophileer Bakcheios kommentiert und glossiert ihn, gibt auch ein Werk von ihm heraus (vgl. Gal. 17 A 619. 794. 18 A 187). Er muß, wenn die Galenstelle 19, 65 richtig geheilt ist (vgl. oben), den Aristophanes von Byzanz benutzt und also ebenfalls gegen 200 gelebt haben, und der Empiriker Philinos von Kos, der gegen ihn polemisiert haben soll (Erot. 5, 3 f.), müßte in dieselbe Zeit fallen, allerdings gegen [Gal.] 14, 683, wonach er direkter Hörer des Herophilos gewesen sein soll9. In derselben Zeit kümmert sich auch Eratosthenes um die Genealogie des Hippokrates (Soran. Vita Hipp, i), was nur aus einem Interesse an Hippokrates als literarischer Persönlichkeit zu erklären ist. Dies Interesse scheint allerdings in jener Zeit zu einer Gesamtausgabe des Hippokrates noch nicht geführt zu haben. Ich betrachte es als ein großes Verdienst von E., daß er (150 f.) darauf hingewiesen hat, daß wir von Gesamtausgaben vor denen der hadrianischen Zeit nichts wissen und daß wir aus Galens Ausdrucksweise mindestens schließen müssen, daß er maßgebende ältere Gesamtausgaben nicht gekannt hat10. i 8 Ein gutes Beispiel dafür ist die Bezeichnung von Epid. i und 3 als , die man aus Epid. 6 (5, 344, 17 L.) schöpfte. Man erkannte die Beziehung auf Epid. i (i, 199, 9 ff. Kw.; vgl. E. 147, 3) und versuchte dann, diese Bezeichnung mit der Meinung zusammenzubringen, die man über die Echtheit der Epidemienbücher hatte. Ferner wurde eine Gestalt aus der hippokratischen Genealogie, der Sohn Thessalos, herangezogen (Gal. 7, 854 f.). In der Interpretation der Galenstelle stimme ich im übrigen W. Theiler, Gnomon 7, 1931, 355 Anm. i bei. 9 Zur Chronologie der ersten Empiriker vgl. K. Deichgräber, Die griech. Empirikerschule 40 f. 254 ff. 333. 10 Vgl. auch Fr. Pfaff, Die nur arabisch erhaltenen Teile der Epidemienkommentare des Galen und die Überlieferung des Corpus Hippocraticum (SBBerl. 1931, phil.-hist. Kl. 21), der nach seinen Beobachtungen an Epid. 6 a. a. O. 21 ff. zu dem Schluß kommt, daß der Hippokrates text unserer mittelalterlichen Überlieferung ursprünglich auf die Ausgaben der hadrianischen Zeit (besonders Artemidoros) zurückgehe und erst später durch die gemeinsame Überlieferung mit dem Galenkommentar an den Text angeglichen worden sei, den Galen als Überlieferung .älterer Handschriften' usw. angibt. Wo also eine Nachprüfung möglich ist, stehen diese Ausgaben der hadrianischen Zeit maßgeblich an der Spitze unserer mittelalterlichen Überlieferung, sie sind nicht etwa ein zeitweiliger Ausbruch aus der ,alexandrinischen Überlieferung', der ohne Folgen geblieben wäre. Bei diesem Sachverhalt kann es nicht gelingen, vor den Ausgaben der hadrianischen Zeit eine einheitliche Textrezension hellenistischer Herkunft zu fassen.

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Das würde aber die Existenz von Sammlungen hippokratisdier Schriften in hellenistischer Zeit nicht hindern. E. selbst versucht S. 148 f. aus Erotian 5, i6ff. eine solche Sammlung des Euphorien zu erschließen, ein Versuch, den ich bei der großen Zerrüttung des Erotiantextes an jener Stelle mindestens nicht für erweisbar halte. Es genügt die Feststellung, daß Hippokrates gegen 200 v. Chr. eine literarische Persönlichkeit von zentraler Bedeutung für die griechische Medizin war. Aber dann brechen die Nachrichten ab. Weiter zurück können wir nicht dringen. Die kallimacheischen Pinakes scheinen in der Tat keine Werke des Hippokrates enthalten zu haben (E. 147). Aus der Frühzeit der hellenistischen Medizin haben wir nur die Nachrichten über eine Gegenschrift des Herophilos gegen das hippokratische Prognostikon bei Caelius Aurelianus (Soran) und Galen (M. Wellmann, Hermes 64, 1929, 18). Wenn diese Nachricht wahr ist, so würde sie nur beweisen, daß um 300 eine Schrift unter dem Namen des Hippokrates umlief, die noch nicht einmal mit Sicherheit unser Prognostikon war; denn die einzige Aussage, die aus der Schrift des Herophilos überliefert ist, bezieht sich auf eine Behauptung, die nicht in unserm Prognostikon steht (Wellmann a. a. O.; vgl. O. Regenbogen, Stud. z. Gesch. d. Mathemat. 1930, 132, Anm. i). An sich gäbe es Parallelen für den Umlauf einer einzelnen Schrift unter einem alten Namen: Gal. 8, 498; 716 K. kennt eine Schrift . unter dem Namen des Aigimios von Elis. Aber wahrscheinlicher ist mir, daß diese Nachricht ein Reflex späterer Ansichten ist, daß man Äußerungen des Herophilos über Prognose auf das hippokratische Prognostikon bezog und daraus schließlich eine besondere Schrift konstruierte n. Es bleibt also in der Geschichte des Hippokratismus eine Lücke vom Ausgang des 4. bis zu dem des 3. Jh. Sie im Sinne von E.s Hypothese auszufüllen, ist mir aber, auch abgesehen von dem gänzlichen Mangel an Zeugnissen, die sie unterstützen könnten, nicht wahrscheinlich. Vor allem scheint mir gegen die Annahme, zuvor isolierte anonyme Schriften seien nach und nach dem Hippokrates zugesprochen worden, der Zustand der hippokratischen Schriften zu sprechen. Wir haben im Corpus neben den ausgearbeiteten selbständigen Schriften viel Exzerptenliteratur, vor allem unter den semeiotischen und chirurgischen Schriften. Zwar hat E. 70 f. sich anläßlich der prognostischen Schriften dagegen verwahrt, daß man bei Übereinstimmungen zwischen hippokratischen Schriften immer nur im Rahmen des Corpus denke und nicht mit den vielen Unbekannten rechne, die außerhalb der uns überlieferten Schriften Hegen. Das ist zweifellos berechtigt, wo es sich l um Sammelwerke handelt, die streckenweise Berührungen zeigen. Aber es gibt doch auch unter den semeiotischen Büchern ganz zweifelsfreie Exzerptenliteratur, z. B. . und Teile der Epidemien, deren Zustand einfach 11 In der Beurteilung der angeblichen Hippokrates-Zitate bei Ktesias und Diokles stimme ich E. 123 Anm. i. 139 Anm. i zu.

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verlangt, zunächst einmal aus den Verhältnissen des Corpus heraus erklärt zu werden. Bei den chirurgischen Schriften hat vor allem Regenbogen in seiner Dissertation (Symbola Hippocratea, Berlin 1914, 53 ff.) nach dem Vorgang von Littre versucht, die Exzerptenliteratur in diesem Sinne zu behandeln. Ich halte es auch heute noch für nötig, daß dieser Weg nicht verlassen wird, da uns die äußeren Nachrichten ja offenbar im Stich lassen. Vielleicht verklammert doch gerade die Exzerptenliteratur kleinere Gruppen hippokratischer Schriften zu Vorstufen des Corpus, was E.s Hypothese von den völlig beziehungslos in der Bibliothek von Alexandria nebeneinander liegenden anonymen Schriften nicht günstig wäre. In der Geschichte der Schriften läßt sich wahrscheinlich durch Vergleich und Analyse noch bis ins 4. Jh. zurückdringen. Daß die Vorstufen des Corpus Hippocraticum ärztliche Schulbibliotheken waren, ist mir immer noch das Wahrscheinlichste. Warum und mit welchem Recht sie mit dem Namen des Hippokrates zusammengebracht wurden, wird sich schwerlich noch ermitteln lassen. Der Zeit nach wird es kaum viel früher gewesen sein, als das allgemeine Interesse für Hippokrates anzutreffen ist. Vielleicht ist es auch nicht zufällig, daß bei Erotian S. 4 f. unter den frühesten, die sich mit Hippokrates beschäftigen, zwei Koer, der uns sonst ganz unbekannte Grammatiker Xenokritos und der Empiriker Philinos, genannt werden. Aber hier gerät man gänzlich ins Gebiet der Vermutungen. Ich fasse zusammen: Die Ergebnisse der Kapitel 2 und 3 über hippokratische Prognose und den hippokratischen Arzt halte ich im wesentlichen für richtig und für höchst fruchtbar. Auch der Analyse von . . . ., von der die Arbeit ausgeht, schließe ich mich in den Grundzügen an, unbeschadet der Modifikationen, die die Einzelinterpetation hier ergeben wird. Von den Ausführungen des vierten Kapitels nehme ich als wichtiges Ergebnis an, daß die Hippokratesauffassung des 4. Jh. grundlegend von der aller späteren Zeiten verschieden war und daß wir infolgedessen aus dem Corpus schwerlich noch einen Zugang zum echten Hippokrates werden finden können. Die Geschichte des späteren Hippokratesbildes und des Corpus Hippocraticum glaube ich anders ansehen zu müssen und kann infolgedessen auch der Hypothese über die Entstehung des Corpus nicht folgen. Daraus wird sich auch eine andere Stellung zur literarhistorischen Behandlung des Corpus im allgemeinen und der Schrift . . . . im besonderen ergeben; die absolute Zusammenhangslosigkeit der Schriften unter sich halte ich nicht für bewiesen und hielte es nicht für richtig, wenn auf Grund von E.s Ausführungen die l Arbeit in der Richtung, literarische Zusammenhänge im Corpus zu finden, aufgegeben würde. Im ganzen dürfte die Hippokratesforschung kaum einem Buch der letzten Zeit soviel zu verdanken haben wie dem von Edelstein.

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HIPPOKRATES ÜBER ENTSTEHUNG UND AUFBAU DES MENSCHLICHEN KÖRPERS ( ) In Gemeinschaft mit den Mitgliedern des philologischen Proseminars Berlin herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Karl eich grab er. Mit einem sprachwissenschaftlichen Beitrag von Eduard Schwyzer Berlin/Leipzig 1935 [Gnomon 12 (1936) S. 367—377] Die vorliegende Ausgabe der hippokratischen Schrift verdankt ihre Entstehung einer Übung des Berliner philologischen Proseminars, die K. Deichgräber im Wintersemester 1933/34 nu* seinen Schülern hielt. Wie dort in gemeinsamer Arbeit Textgestaltung und Erklärung der Schrift behandelt wurden, so wurde jetzt auch die Veröffentlichung gemeinsam betrieben. Als Teilnehmer der damaligen Übung übernahm K. Schubring (Seh.) die Behandlung der Überlieferungsgeschichte, W. Jacob die Nachprüfung der Handschriften-Kollationen. Dem Text (2 ff.) gab Deichgräber (D.) eine deutsche Übersetzung und einen einführenden Kommentar (24 ff.) bei. Später trat E. Schwyzer (Schw.) hinzu und lieferte eine eingehende sprachwissenschaftliche Untersuchung der Schrift (62 ff·). Solche Gemeinsamkeit der Arbeit ist ja gerade auf dem Gebiet der Edition bereits erprobt. Ohne Zweifel können auf diesem Wege wertvolle Resultate erzielt werden. Wenn im l folgenden Kritik geübt wird, so gilt sie nicht dem Prinzip als solchem, sondern nur bestimmten Ergebnissen dieser Arbeit. Bezüglich der Überlieferung sind nicht alle Fragen mit der dem Sachverhalt nach möglichen Schärfe gestellt und beantwortet. Ich schließe meine Einwände in die Darstellung der Überlieferungsgeschichte ein, wie sie sich mir nach den Angaben der Herausgeber und meiner sonstigen Kenntnis des Materials ergibt. Die Schrift . ist nur in einer bestimmten Gruppe von Handschriften überliefert (Seh. VIII), die alle auf den Vatic, gr. 276 (V) aus dem 12. Jh. zurückgehen. Dieser einzige selbständige Textzeuge ist von mehreren Händen durchkorrigiert, von denen die erste Korrektorenhand bedeutsam ist. Sie hat den Text an zahlreichen Stellen evident richtig verbessert und gibt Zusätze, die sich als notwendig erweisen lassen (Seh. IX mit Anm. 2). V1 bietet echte, V ergänzende Überliefrung, was sich von keinem anderen Textzeugen sagen läßt. Unmittelbar aus V scheinen vier Handschriften ab-

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geschrieben zu sein: Palat. gr. 192 = P, Monac. gr· 71 1 = M, Paris, gr. 2146 = C, Holchamiensis 282 = H. Diese vier Handschriften schlie en sich zu zwei Gruppen zusammen, indem PM die Zus tze und Berichtigungen von V1 vollst ndiger bringen als CH (XI). Andererseits spricht doch viel daf r, da auch diese beiden Handschriften direkt aus V abgeschrieben wurden (Seh. XIII, XIV). Unter diesen Umst nden m te noch einmal die Annahme von Freudenmann nachgepr ft werden, da C und H von demselben Schreiber stammen2, d. h. von Michael Damascenus, der als Schreiber von C genannt wird3, l H ist Druckvorlage der Editio princeps des Hippokrates, der Aldina von 1526 gewesen. Das war bereits f r π. καρδίης 4 und π. αέρων υδάτων τόπων 3 erwiesen und best tigt sich jetzt f r π. σαρκών (Seh. XV.). Die in H sich findenden Korrekturen, die in die Aldina bernommen sind (XIV f.), d rften eigens f r den Druck gemacht sein. Auf der Aldina beruht 6 die Baseler Ausgabe von 1538, f r die lanus Cornarius verantwortlich ist. Er hat diesen Text nach dem Monac. gr. 71, der „getreuesten Kopie von V" (Seh. XIII), revidiert und auf diesem Wege viele V-Lesarten gegen HAld. wieder eingesetzt. Au erdem hat er eine Anzahl der unerl lichsten Verbesserungen zum Text geliefert, daneben nat rlich auch verfehlte Konjekturen. Aus der Baseler Ausgabe sind in Paris, gr. 2255 = E die in der marcianischen Sammlung fehlenden Schriften von zweiter Hand nachgetragen. Ich habe das seinerzeit f r die Schrift π. αέρων bewiesen 7 und hatte auch f r die anderen in E nachgetragenen Schriften gezeigt, da ihre Reihenfolge genau derjenigen der Ausgaben entspricht, so da also auch f r diese die begr ndete Vermutung besteht, da sie aus der Basileensis stammen *. Leider sind die Herausgeber dieser Spur nicht nachgegangen, sondern halten 1

XII f. wird auf Anregung von W. Jacob eine neue Datierung der Handschrift gegeben, die nicht, wie man bisher annahm, 1531 geschrieben wurde, sondern wahrscheinlich schon vor 1500. 2 Beitr ge zur berlieferung der hippokratischen Schrift π. αέρων υδάτων τόπων, Diss. T bingen 1922, 189 ff. — Allerdings scheint es, als ob C und H wiederum eine verschiedene Auswahl in den Varianten von V1 befolgen, indem C sich noch enger an den urspr nglichen Text von V h lt als H. Das ist freilich sehr schwer nachzupr fen, da ich mich z. Z. f r H auf die naturgem vereinzelten Angaben der Herausgeber von π. σαρκών, f r C auf diejenigen von Littre verlassen mu . Jedenfalls hat μήρ,ς C 8, i6 mit V πνέη (8, 592 L.), w hrend H aus der Korrektur πνεη von V1 μη εστί gemacht hat (Seh. XIV). Wenn man V^Lesarten, die sich in der Aldina finden, auch f r H voraussetzen darf (vgl. oben im Text), so las z. B. 4, 6 C ψυχρού mit V (8, 586 L.), w hrend H mit V1 ύγροϋ hatte. Dieser Unterschied w rde aber an sich noch nicht gegen die Identit t des Schreibers sprechen. 5 Omont, Inv. somm. des manuscrits grecs de la Bibl. nat. II 204. Vgl. aber auch IV, XXXIV, wo Paris. 2146 dem Valerianus Albinus zugeschrieben wird. * Unger, Mnemosyne N. S. 51, 1923, 17 f. s Philologus, Suppl.-Bd. 23, 3, n f. 6 Das stellt mit Recht gegen die abweichende Ansicht von Unger Seh. XV Anm. 7 fest. 7 Philologus a. a. O. 13 ff. * a. a. O. 2i Anm. 52.

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an Ilbergs Versuch, V und E2 von einem gemeinsamen Archetypus herzuleiten', fest (Sdi. XII). Und doch dr ngt sich schon bei ihrer Beschreibung des Befundes in E, H, Aid. und Bas. die Annahme geradezu auf, da auch der Text von π. σαρκών in E aus Bas. stammen mu . Im Grunde gen gt zum Beweis schon die Tatsache, da die Zahl der Ε-Lesarten von H (H1) ber Aid. zu Bas. in st ndigem Wachstum begriffen ist (Seh. XIV f.). Soll man wirklich annehmen, da jeder dieser Textzeugen aufs neue nach E abkorrigiert worden ist, und zwar vielfach nicht, um wichtige Varianten, sondern um belanglose nderungen und t richte Fehler hineinzubringen? In Wahrheit ist E das Schlu glied einer vom V-Text immer weiter abf hrenden Entwicklung — mit der einzigen Unterbrechung, da Bas. als unmittelbare Vorlage von E wieder eine getreue Abschrift von V herangezogen hat. Diese Stellen sind besonders beweisend: wo E von (H) Aid. zugunsten des V-Textes abweicht, geschieht das, weil Bas. den V-Text wieder zu Ehren gebracht hat, so 6, 2 εν VBas. E: ου Aid. 8, 16 ,μή είσπνέη Vi as. E: μη εστί HAld. 8, 29 ει μη VBas. E: εί omis. HAld. 12, 20 γίνονται VBas. E: γίνεται HAld. 12, 27 διαφθαρώσι VBas. E: διαρθρώσι Aid. 14, 28 οΐσιν VBas. E: omis. HAld. 14, 32 όστέον VBas. E: όστέου Aid. 18, 6 έξιόν VBas. E: δεξιόν HAld. Nur an zwei Stellen, soweit ich sehe, hat E gegen die Ausgaben denselben Text wie V: 12, ιι το δε VE: τάδε V1 Aid. Bas. 16, 20 άποτίκτη VE: άποτήκτη Aid. Bas. Diese nderungen sind so leicht, da E ohne jede Vorlage darauf verfallen konnte. Ein schlagender Beweis daf r, da E von den Drucken abh ngig ist, ist vor allem 12, 7 εν τω προτέρφ λόγφ VAld. Bas.: εν τφ περί φύσιος παιδιού Ε. Die Stelle bezieht sich auf | 4, 26 ff. E hat sie aber auf π. φύσιος παιδιού γ, 49^, 2 L. bezogen (Seh. XI). Das war m glich, weil χ. φύσιος παιδιού in den Drucken unmittelbar vor π. σαρκών steht (vgl. Seh. XV). Da beim bertragen aus Bas. in die Handschrift π. σαρκών von der bereits im ,marcianischen' Teil vorhandenen Schrift π. φύσιος παιδιού getrennt wurde, so mu te in E, um die Beziehung aufrechtzuerhalten, die Stelle entsprechend ge ndert werden. Diese Interpolation zeigt mit voller Deutlichkeit, da eine Hippokrates-Ausgabe (und zwar, wie wir sahen, die Basileensis) f r den Schreiber von E der Hippokrates schlechthin war. Es ist infolgedessen nicht nur berfl ssig, sondern sogar unangebracht, au er der Basileensis f r E noch eine andere Vorlage anzunehmen. Was in E steht, hat also keinerlei berlieferungswert; es sind bestenfalls gelungene Konjekturen, von denen die besten bezeichnenderweise von Cornarius stammen, so 8, 17 λύχνος f r αύχμός 10, was nat rlich nicht mehr f r die Beurteilung des „gemeinsamen Archetypus von VE" (Seh. XI) verwendet werden kann n. Verschiedentlich ergeben sich durch die nun gewonnene Klarheit ber das Verh ltnis der Handschriften zueinander v llig sichere Entscheidungen ber die Textgestaltung, z. B. 20, 4 υστέρας V: ημέρας HAld.: μήτρας Bas. E. Die nderung des Cornarius ist nur durch den aus H bernommenen Fehler in der Aldina veranla t worden; in der Textgestaltung m ssen wir wieder zu der Lesart von V zur ckkehren, zumal die Schrift zwar im allgemeinen μήτρη bzw. μήτραι vorzieht (8, 20. 25. 28. 12, 22. 14, 20), aber 20, 15 auch ύστερη hat12. Von den ausschlie lich E ge9 Hippocratis Opera, edd. Ilberg-K hlewein I, Proll. XXIII. An zwei Stellen (6, 29 καρδίη V: άρτηρίη Aid. Bas. E; 10, 17 πλείστον V: ολίγον Aid. Bas. E) hat Bas. an E Konjekturen von Aid. vermittelt, die dort durch den Asteriscus ausdr cklich als solche gekennzeichnet sind. 18, 14 το θεώμενον V: το θεόμενον Aid.: ώθεάμενον Bas. E ist die richtige Konjektur des Cornarius wenigstens durch Aid. vorbereitet. 11 Auch in seiner lateinischen bersetzung von 1545 hat Cornarius verschiedene Verbesserungen des Textes geliefert (Seh. XVI). Diese bersetzung hat aber auf E nicht eingewirkt. 12 Vgl. Schw. 93, der jedoch μήτρας von E vorzieht, weil αί ύστέραι in singularischer Bedeutung nicht vorzukommen scheine. Doch konnte der Verfasser, in Analogie zum singularischen Gebrauch von at μήτραι (8, 2O. 28), wohl auch von sich aus den Plural ύστέραι wagen. 10

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h renden Lesarten sind die charakteristischsten (2, 10 f. 14) bereits von den Herausgebern als wertlos erkannt worden (Seh. XI). Es handelt sich um stilistische Umformungen der urspr nglichen Lesarten, die nur zu Anfang der Schrift auftreten. Es ist bezeichnend, da E hnlich wertlose Umformungen zu Anfang der Schriften π. Ιητροΰ (CMG I i, 20, 12/3. 20. 21, 3) und π. υγρών χρήσιος (a. a. O. 8^, 9. 13) bietet. In letzterer Schrift wurden die Ver nderungen, von denen die Zus tze 85, 9 sogar noch von Heiberg in den Text genommen wurden, durch Verderbniszeichen (Asterisci) in der Basileensis veranla t. 85, ι ο hat Bas. die in der Aldina durch ein entsprechendes Zeichen ausdr cklich als Konjektur eingef hrte Lesart προσκλήσει an E berliefert. F r π. Ιητροϋ ist charakteristisch, da die Aldina 22, 12/3 die Worte εστί του σώματος — ταύτη δε infolge Homoioteleutons ausgelassen hat; Bas. stellte den Satz aus der V- berlieferung aber wieder her (mit der Ver nderung ταΰτα gegen ταύτη V), und samt dieser Ver nderung hat E den Satz bernommen. In beiden Schriften finden wir auch die charakteristische Zunahme der Ε-Lesarten von Aid. zu Bas. Dieselben Erscheinungen lassen sich an der berlieferung der Schrift π. καρδίης feststellen, | die Unger behandelt hat 13 . Auch hier sehen wir, wie der Ε-Text durch das allm hliche Anschwellen der Konjekturen und Fehler in der Reihe V (V1) — H — H corr. — Aid. — Bas. umgebildet wird. Auch hier stellen wir fest, da Cornarius durch Heranziehung eines V-Textes die Aldina an zahlreichen Stellen verbessert hat und da E in diesen F llen dem Cornarius folgt H. Unger war dem Richtigen sehr nahe, als er S. ίο schrieb: „Sine dubio Parisinus uno tenore ... exaratus, descriptus est e codice e Vaticano 276 descripto, et ab una vel pluribus manibus retractato." Er sah nur nicht, da der „Codex", von dem E stammen sollte, die Basileensis war und da die Korrektorenh nde, durch die dieser „Codex" gegangen war, dem Schreiber von H, den Herausgebern der Aldina und dem Cornarius geh rten. Das ist, glaube ich, f r π. αέρων, π. σαρκών, π. Ιητροΰ, π. υγρών χρήσιος und π. καρδίης jetzt endg ltig bewiesen. F r die ndern in E nachgetragenen Schriften 15 l t sich der Beweis im einzelnen noch nicht f hren, da das dazu n tige Material nicht gen gend ver ffentlicht ist; aber generell ist er hierdurch auch bereits erbracht und bedarf nur noch der Best tigung durch ein paar Stichproben aus den Handschriften und Ausgaben. An zwei Stellen (2, 16 f. 12, 15) hat Cornarius Lesarten aus der lateinischen bersetzung des Calvus 16 (Seh. XVI) in seinen griechischen Text der Basileensis von 1538 bernommen, und von dort sind sie w rtlich (einschlie lich der Auslassung von και ύγρόν 2, 17; vgl. Seh. XVI) in die Handschrift E gelangt. Das Vorkommen in E bedeutet also keine Best tigung f r den Text des Calvus. Es fragt sich nur noch, ob Calvus selbst berlieferung hatte, die von V unabh ngig ist. Ein Beweis daf r l t sich nicht erbringen, vielmehr spricht alles daf r, da Calvus π. σαρκών nach V oder einer von V abh ngigen Handschrift bersetzt hat. Jedenfalls h lt er sich eng an die urspr nglichen V-Lesarten. 8, 16 las er πνέη (allenfalls w re είσπνέη m glich) mit V ohne die Negation, die V1 hineinbrachte und die in verschiedener Form auf HAld. und Bas. E eingewirkt hat (vgl. o. Anm. 2). Er hat berhaupt die Korrekturen von V1 sehr sparsam verwertet, z. B. hat er 4, 6 auf das sonst aufgenommene υγροί; f r ψυχρού verzichtet. Gekannt hat er aber derartige Korrekturen, da er ihnen z. B. 10, 8/9. 22, i ge~ 13 Mnemosyne N. S. 51, 1923, i ff., besonders 7 ff. i* Ich sehe nur eine Ausnahme: Kap. 8, S. 53, 26 Unger (vgl. S. 13) ist bei Cornarius aus HAld. τοΐσι κοιΛίησιν stehengeblieben. E hat das in τησι κοιλ'ιησιν verbessert, wozu das Vorbild von V ebensowenig n tig war wie zur Verbesserung des ausschlie lich in Bas. vorkommenden Druckfehlers τιτθόν in τυτθόν Kap. 2, S. 50, 10 Unger (vgl. S. 20). 15 Vgl. Philologus, Suppl.-Bd. 23, 3, 22 Anm. 52. 16 Rom 1525. Ich benutzte die um die Beitr ge anderer bersetzer vermehrte, 1526 bei Cratander in Basel erschienene Ausgabe. — Entstanden ist die bersetzung nach der Vorrede bereits in den Jahren 1510—1515 in Rom.

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folgt ist. Auff llig ist, da Calvus in allen diesen F llen, soweit es sich nach Littre"s Angaben beurteilen l t, derselben Variantenauswahl wie C (o. Anm. 2) gefolgt zu sein scheint. Au er V k me also auch C als seine Vorlage in Frage. Zeitlich w re das wohl m glich, da von Michael Damascenus, dem wahrscheinlichen Schreiber von C, datierte Handschriften aus den Jahren 1515—1525 bekannt sind 17. Wo der Text verdorben war, hat die Notwendigkeit des bersetzens den Calvus manchmal auf die richtige Spur gef hrt (Seh. XVI); oft hat er sich aber | auch stark interpolatorisch zu helfen gesucht: so hat er 8, 17 das erst von Cornarius in Ordnung gebrachte αΰχμός καιάμενος mit cor venaeque bersetzt. Bisweilen hat er den Text auch glatt gef lscht (vgl. D. 56). Eine solche F lschung liegt offensichtlich auch 2, 16 f. vor; sie wird nicht dadurch sanktioniert, da Cornarius sie bernommen hat (12,1^ haben die Herausgeber von sich aus mit Recht von der bernahme von Cornarius' nderung abgesehen). Die Dreiteilung der Welt sollte durch den Zusatz in eine Vierteilung umgewandelt werden, die besser zur gel ufigen Elementenlehre pa te 18. Deichgr ber sagt im Kommentar selbst (32), da man als Konsequenz der Lehre des Autors eine Dreiteilung der Welt erwarten m sse. Eine solche hatte er in der Tat gegeben: die Vierteilung, f r die die berlieferung keine Gew hr gibt, werden wir als eine Erfindung des Calvus los.

Damit sind wir schon von der Textgestaltung aus in die Erkl rung des Textes hineingeraten. Es ist nicht die einzige, f r das Ganze nicht unwichtige Stelle, an der die Auffassung des Rezensenten von der des Kommentars abweicht. So ist es gleich nicht berzeugend, da die Schrift offensichtlich ihrer Einleitung beraubt sei (24. 26). Der Autor sagt in Kap. i: ,Ich folge (εγώ .. .χρέωμαι) bez glich dessen, was bis zu dieser meiner Rede reicht (τα μέχρι του λόγου τούτου 19), Ansichten, die ndern, die vor mir (geschrieben haben), und auch mir gemeinsam sind: man mu ja auch, wenn man eine Rede wie diese hier (τον λόγον τόνδε) ber die rztliche Kunst aufsetzen will, einen allgemein anerkannten Anfang zugrunde legen. ber μετέωρα aber brauche ich nur so weit zu sprechen, wie es zu meinem Thema geh rt. (Es folgt eine Themaangabe, die weit ber das tats chlich Ausgef hrte hinausgeht; dann schlie t die Einleitung:) Jetzt aber lege ich meine eigenen Ansichten dar.' Auf das Verh ltnis von Themastellung und Ausf hrung gehe ich hier nicht ein; sicher aber l t sich aus17 Vgl. VogeK-iardthausen, Die griech. Schreiber des Mittelalters u. der Renaissance 310 f. 18 Calvus hat sich f r seinen Zusatz streng an das aristotelische Schema gehalten: die Luft ist warm und feucht (vgl. Heidel, Harv. Stud. 25,1914,185), w hrend die anderen Teile der echten Aufz hlung vom Schema abweichen: auch die Erde hat zu den Qualit ten kalt und trocken noch einen Zusatz erhalten (πολύ κινούν V: vielleicht πολύκενον mit Heidel a. a. O. 180), und die anderen Teile lassen sich vollends nicht unter das Schema pressen. Es entstehen auch unmittelbare Unzutr glichkeiten durch den Zusatz: nur sehr k nstlich kann Heidel 185 f. erkl ren, warum der Terminus παχύτατον 2, i8 f r das Wasser gebraucht sein soll. Au erdem bekommt das vierte Element, unter dem Calvus, wie aus seinen Beischriften hervorgeht, das Wasser verstehen wollte, als einziges keine Benennung. Liest man den Text von V, so ist alles in Ordnung: die Welt teilt sich, nach ihrem positiven oder negativen Verh ltnis zum Warmen, in die drei benannten Teile ther, Erde und Luft, d. h. die untere Luftschicht, die nach allerverbreitester griechischer Anschauung f r feucht und dick gut. l' ούτος braucht der Verf. auch an anderen Stellen vom Zuk nftigen, vgl. 10, 4. 12, 28. 16, 24 (stets δια τούτο), vielleicht auch 12, 13 (από τούτου). Stets liegt, wie auch an unserer Stelle, eine Verbindung mit einer Pr position vor. Vgl. auch Schw. 74.

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schlie en, da die Worte τα μέχρι του λόγου τούτου auf eine verlorengegangene Einleitung oder fr here Schriften desselben Autors zu beziehen seien. Das ist freilich allgemein geschehen bis auf W. A. Heidel, der in seinen wertvollen Hippo|cratea 20 178 f. die Worte als „so far forth as concerns the present treatise" verstand. Er beruft sich daf r auf Vahlen 2l und Bywater 22; die am Sprachgebrauch des Aristoteles die Verwendung von μέχρι „as inclusive of that which is mentioned as the limit" (Bywater a.a.O.) beobachtet haben. Diese Verwendung schlie t aber in sich, da dem Inkludierten der Gedanke an das Exkludierte ausdr cklich (so Top. 155 b 7. Phys. 188 b 26. Poet. 1449 b n) oder wenigstens implizit (so Poet. 145 a 10) gegen bergestellt wird. Was aber sollte der Autor hier seinem λόγος gegen berstellen? Sp tere Schriften? Das ist sehr unwahrscheinlich. W rde er berhaupt eine Schrift abfassen, die ganz auf κοιναι γνώμαι aufgebaut w re und sie dann auch noch mit εγώ einleiten? Die Annahme wird ja auch durch den Satz 2, 9 νυν δε αποφαίνομαι αυτός τάς έμεωυτοΰ γνώμας, mit dem Heidel begreiflicherweise nichts anfangen kann, widerlegt, μέχρι mu hier exkludierende Bedeutung haben. Aber der Schrift ist trotzdem nichts vorangegangen, worin der Autor κοινά! γνώμαι wiedergegeben hat; es w re auch schwer, sich vorzustellen, wie das ausgesehen haben sollte. Im Einleitungssatz liegt nichts als die Auseinandersetzung mit den Fr heren vor, die zum Charakter der archaischen Schriftstellerei geh rt. Wenn Hekataios von Milet noch dadurch zum Schreiben getrieben wurde, da die Fr heren nach seiner Meinung ,l cherliche' Dinge kundgetan hatten, so ist zu Ausgang des 5. Jh., bei fortschreitender Gew hnung an das Schreiben, der polemische Impuls nicht mehr ganz so ausschlie lich, aber das Bed rfnis nach der Auseinandersetzung mit den Fr heren doch noch sehr stark. Kr ftig polemisch gef rbt ist diese Auseinandersetzung noch in π. διαίτης οξέων r: die Verfasser der Κνίδιαι γνώμαι haben die Leiden der Kranken richtig dargestellt. Soweit (άχρι ,μέν τούτων, hier mit im Zusammenhang begr ndetem inkludierendem Gebrauch der Pr position) kann das freilich auch der Nicht-Arzt feststellen, wenn er nur die Kranken richtig ausfragt. Was aber der Arzt ohne die Aussagen der Kranken von sich aus dazu lernen mu , das ist gr tenteils nicht dargestellt. ber diese Polemik gegen die Fr heren bahnt sich der Verf. allm hlich den Weg zu seinem Thema, der Di t in den akuten Krankheiten. Der Autor von n. διαίτης, weniger polemisch gestimmt, erkennt an, da auch vor ihm schon ber Di t geschrieben worden sei: manches davon sei richtig, manches verkehrt, und anderes fehle ganz. Dementsprechend wolle er seine Darstellung einrichten: dem Richtigen wolle er zustimmen, das Falsche aufkl ren und das gar nicht Dargestellte von sich aus zeigen (6, 466, 10 ff. 468, 2 ff. L.). Auch hier soll also durch eine Auseinandersetzung mit den Fr heren der Weg zur eigenen Darstellung freigemacht werden. Was π. σαρκών gibt, ist nur eine andere Ausgestaltung dieser Einleitungsform, in der die Polemik noch mehr als in π. διαίτης zur cktritt: ,Bis zu dem Punkt, an dem ich hier den Mund auf tue und zu reden beginne, bin ich mit meinen Vorg ngern einig ... Nun aber kommen meine eigenen Ansichten.' Bez glich der Art, wie von Kap. 3 ab die Entstehung des Menschen dargestellt wird, sieht D. 33 f. einen Mangel darin, da die menschlichen K rperteile in ihrer Entstehung vereinzelt, ohne Bezugnahme auf den ganzen Organismus, geschildert werden. Ich glaube jedoch nicht, da nach dem Autor die K rperteile „zun chst selbst ndig und unabh ngig voneinander entstehen" sollen (D. 34). Diese Annahme kommt, wie mir scheint, daher, da D. die Anthropogonie des | Verf. im Anschlu an Willerding 23 zu sehr nach Empedokles interpretiert. Bei ihm entstehen in der Tat zun chst Einzelteile, die erst nach verschiedenen mi gl ckten Vereinigungsversuchen sich zu einem lebensf higen Organismus zusammenschlie en. In π. σαρκών scheint mir eine andere 20 21 22 23

Harvard Studies in Classical Philology, 25, 1914. Ges. philol. Schriften I 16 f. Zu Aristot. Poet. 1449 b 9. Studia Hippocratica, Diss. G ttingen 1914, 60 ff.

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Auffassung zu bestehen. Um die W rmeherde in der Erde herum, deren verschiedene Gr e und Menge wohl f r die verschiedenen Lebewesen als Ausgangspunkt gedacht ist, bilden sich F ulniserscheinungen (σηπεδόνες) wie H ute (χιτώνες). Und als die betreffenden Stellen lange Zeit erw rmt wurden, bildeten sich die einzelnen Bestandteile des K rpers in ihnen aus: ich vermag keine andere Funktion der χιτώνες (4, i) zu sehen, als da sie eine erste Haut um den werdenden Organismus bilden sollen. Bezeichnenderweise wird die Entstehung der menschlichen Haut sp ter auch nicht in der blichen systematischen Weise, sondern mehr nachtragsweise behandelt (12, 2 ff.). Der Autor folgt hier der zu Ausgang des 5. Jh. blichen zoogonischen Anschauung, wie wir sie in dem auf Demokrit zur ckgef hrten Abschnitt bei Diodor I 7 (Vors.5 68 B % vgl. D. 40 Anm. i) finden: auch da bilden sich in den aus feucht-warmer Erde aufsteigenden H uten (υμένες) die Lebewesen. Die Lehre von n. σαρκών zu verstehen, macht uns hier wie anderw rts Schwierigkeiten, weil der Verf. sich da kurz (und oft auch ungeschickt) ausdr ckt, wo er κοιναί γνώμαι voraussetzt; aber man kann nicht sagen, da seinen u erungen keine konkrete Anschauung zugrunde l ge. Eine andere Frage ist es, warum dem Autor die Lebensf higkeit des so entstandenen Wesens kein Problem gewesen sei: aber dieses Problem wird in vorplatonischer Zeit so selten gesehen, da wir vielmehr erstaunt sind, wenn es uns (wie bei Empedokles) in Andeutungen begegnet. F r den Autor war der Mensch als Ganzes eine gegebene Selbstverst ndlichkeit, deren einzelne Teile er in ihrer Entstehung erkl ren wollte; da er dabei allm hlich von der historischen Anthropogonie zur Darstellung des Menschen, wie er ist, hin berglitt, ist verst ndlich. Vollzogen wird der Schritt endg ltig Kap. 12, wo das έγένετο (έγένοντο) der fr heren Abschnitte durch γίνονται (i2, 17) abgel st wird (vgl. auch Schw. 80). Da es gerade an dieser Stelle geschieht, w hrend doch der Aufbau des menschlichen K rpers in Wahrheit bis Kap. 14 reicht, wird dadurch hervorgerufen, da von den Z hnen die Rede ist. Von ihnen ist aber nicht nur zu sagen, wie sie entstehen, sondern es kommt die sehr wichtige Tatsache dazu, da sie sp ter wachsen als das brige, was in Kap. 13 begr ndet wird. An diese Tatsache dachte der Verf. schon Kap. 12, und sie stellte ihm den Menschen nicht mehr als das aus der Erde entstandene Urwesen vor Augen, sondern als den Menschen der Gegenwart, an dem sich diese Erscheinung immer wieder vollzieht; daher darf ύστερον 12, 17 nicht getilgt werden. Ich sagte schon, da die Ausdrucksweise des Verf. (und zwar in Verbindung mit der schlechten berlieferung des Textes) unserem Verst ndnis manche Schwierigkeiten macht. Wo wir ihn aber verstehen k nnen, erweisen sich seine sachlichen Vorstellungen als klar und geschlossen. So glaube ich auch nicht, da in den Kap. 6 und 9 Fehlschl sse in dem Sinne vorliegen, da hier eine fehlerhafte Logik falsche Annahmen hervorbringt (D. 41); wohl handelt es sich um f r unsere Begriffe unzureichend aufgebaute Beweise, aber ihre Voraussetzungen haben im System des Verf. ihren notwendigen Ort. ίο, 26 wird geschlossen: das Blut ist, solange es warm ist, auch fl ssig: also ist das Fl ssige warm, d. h. Warmes ist im Fl ssigen: mehr kann der Satz schon darum nicht sagen wollen, weil nach 10, 24 auch viel Kaltes im Fl ssigen ist; das darin enthaltene Warme ist aber | st rker als das Kalte, so da es den Gerinnungsproze hindern kann. Da der Verf. sich die Qualit ten nur materiell wirksam denken kann, so kann er aus der von ihm gern herausgestellten Tatsache, da das Kalte fest, das Warme fl ssig macht (vgl. 6, i), gar nichts anderes folgern, als da im Fl ssigen Warmes in erh htem Ma enthalten ist. hnlich w re es auch 8, n ff., wenn hier in der Tat geschlossen w rde: das Feuer lodert auf, wenn das Pneuma herantritt — also ist das Pneuma w rmehaltig (D. 41). Nur w rde hier dann nicht auf die Beschaffenheit des Affizierten, sondern auf die des Affizierenden geschlossen: auch ein solcher Schlu w re f r den Verf. nach dem Grundsatz τα δμοια προς τα δμοια, den er 12, 31 ausdr cklich vertritt, durchaus legitim. Aber mit dem Pneuma, das das Feuer zum Auflodern bringt, ist gar nicht die von au en zutretende Luft gemeint. Das zeigt deutlich 8, 19 και τροφή εστί τψ θερμώ το ψυχρόν. Die Au enluft wird also als kalt bezeichnet (vgl. auch 0.40 Anm. i); das warme Pneuma, das von ihr gen hrt wird, ist im Feuer, im Menschen usw. Der Gedankengang

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Hippocr. re.

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des Verf. ist zu Anfang von Kap. 6 folgender: Adern und Herz enthalten am meisten Warmes, darum enthält (£ V) das Herz, als wärmster Teil des Menschen, Pneuma. Was heißt darum? fragen wir, und der Verf. antwortet: das Pneuma ist nämlich warm, wie man leicht an Folgendem erkennen kann: Herz und Adern sind in dauernder Bewegung — Ursache der Bewegung ist aber das Warme (8, 23). Das ist ein Beweis für die warme Natur des Pneuma, der andere ergibt sich aus der Wiederholung des vorher aufgestellten Satzes, daß das Herz eben seiner Wärme wegen Pneuma enthält ( V: § superscr. V1). Der Beweisgang ist schlüssig, wenn man den Satz stillschweigend in ihn einschaltet. Es folgen Analogiebeweise: wenn man Feuer in einem geschlossenen, windgeschützten Raum anzündet, so bewegt sich doch die Flamme mehr oder weniger, ebenso ein Licht, ohne daß es von einem uns bemerkbaren Wind bewegt würde. In der Flamme ist also Pneuma; es genügt für diesen Fall, daß die Existenz dieses Pneuma gezeigt wird; daß es in der Flamme nicht anders als warm sein kann, ergibt sich dann von selbst24. Dieses Pneuma im Menschen und in der Flamme nährt sich von der kalten Außenluft, die in einem ähnlichen Prozeß in warmes Pneuma umgesetzt wird wie die sonstige Nahrung in die Aufbaustoffe des Körpers. So nimmt auch das Kind im Mutterleibe mittels des Herzens Pneuma so gut wie Nahrung in sich auf (8, 21). Weil es diesen Weg über das Herz nimmt, so kommt das Wärmste des Pneuma in das Kind, wenn die Mutter einatmet; es ist die Ursache für die Bewegungen des Kindes wie auch für die von allem ändern. Aus dieser Interpretation ergibt sich, daß man die Negationen 8, 16. 18 nicht streichen darf. Die Formulierung der Sätze würde dann auch im einzelnen unverständlich: warum Feuer in einem geschlossenen Raum, wenn dann doch der Wind hineinbläst? und warum ist im anderen Fall vom Wind so umständlich gesagt, daß wir imstande sind, ihn wahrzunehmen? (vgl. Schw. 81 f.). Beides paßt viel besser bei negierten Verben. Vor allem bekommen wir so eine Interpretation, die nur mit den Begriffen des Autors arbeitet und darauf verzichtet, ihm vorzuwerfen, daß er versehentlich aus einem „beobachteten Kausal- und Konditionalzusammenhang ein Essentialurteil" gemacht habe.

Man gewinnt nichts damit, wenn man den Autor hier an den Begriffen einer entwickelteren Logik mißt, ebensowenig wie es zweckmäßig l ist, von dem Verfasser als „kritischem Wissenschaftler" (25) zu reden. Es ist gewiß berechtigt, bei der Behandlung einer solchen Schrift auch an moderne Ärzte und an sonstige mehr sachlich als historisch interessierte Leser zu denken und ihnen gegenüber von vornherein klarzustellen, daß die Anforderungen, die sie von ihrem Standpunkt aus an den Verfasser stellen könnten, enttäuscht werden müssen (24). Aber dann hat es auch keinen Zweck, den Verfasser in einer Weise zu charakterisieren, die ihn diesem Standpunkt doch wieder annähert. Aufschlußreich kann die Lektüre der Schrift auch für den historisch zunächst weniger Interessierten nur dann werden, wenn man den Autor sich ganz mit seinen eigenen, den unseren an unmittelbarer Anschaulichkeit in Wahrheit überlegenen Begriffen explizieren läßt. Ich kann es daher auch nicht für glücklich halten, wenn z. B. in der Übersetzung fortwährend als „das Kolloide" erscheint, oder wenn die , die vom Gehirn zum Auge führt, in diesem Fall keine Ader mehr ist, sondern ein „Gang" (17,29). Doch es wäre ungerecht, wenn man über diesen Einwänden die Vor24 Über einen ähnlich aufgebauten Beweis in der Schrift 1932, 18 Anm. i.

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vgl. Hermes 67,

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z ge des Buches nicht dankbar anerkennen wollte. Zweifellos bedeutet die Textgestaltung einen wesentlichen Fortschritt ber Littre hinaus. Der Kommentar enth lt manche aufschlu reiche Belehrung, z. B- ber die Bezeichnung ,Weisheitsz hne' (45 ff.), oder ber den Streit um den Hippokrates άθεος zu Anfang des 18. Jh., in dem unsere Schrift, um sie mit dem christlichen Gottesbegriff in Einklang zu bringen, sich F lschungen und gewaltsame Interpretationen gefallen lassen mu te (56 ff.). Auch der historischen Einordnung von π. σαρκών kann man zustimmen (besonders 27 ff. 54 f.). Hier war schon verschiedentlich vorgearbeitet worden, vor allem durch die schon erw hnte Dissertation von Willerding, der nur den Einflu des Empedokles auf π. σαρκών im einzelnen vielleicht etwas bersch tzte. Als wichtigste, gesicherte Feststellungen heben sich heraus: π. σαρκών setzt die Linie fort, die von Empedokles zu Diogenes von Apollonia f hrt. Die teils positive, teils negative Abh ngigkeit von letzterem ist besonders greifbar. Wenn jener die Luft als die g ttliche, alles durchdringende, Leben, Bewu tsein und Bewegung hervorrufende Substanz bezeichnet (Vors.5 64 B 5), so legt π. σαρκών im selben Sinn das Warme zugrunde, auch darin wohl mehr als von den Herakliteern und Archelaos (D. 32) von Diogenes abh ngig, f r den gerade die W rmeabstufung der Luft einer Wertabstufung entspricht, die vom Sonnenfeuer ber unsere Seelenluft zur kalten Au enluft f hrt (B 5, 15 ff.). Die Umsetzung vom Element in die Qualit t ist spezifisch rztlich, ebenso die Verschiebung des Interesses von der Kosmologie auf die Anthropologie. Wir wissen, wie sie sich im Laufe des 5· Jh. vollzieht und vollendet; ohne sie w re die Form der l hippokratischen Schriftstellerei gar nicht denkbar. In dieselbe Zeit weist auch das Interesse, das der Verfasser der όρθότης der medizinischen Terminologie entgegenbringt; in diesem Zusammenhang wird mit Recht an Prodikos' Kritik am Gebrauch des Wortes φλέγμα erinnert (D. 38). Einflu sophistischer Rhetorik ist jedoch nicht zu sp ren (54 f.). Alles in allem wird man D. (27 Anm. 4. 30) recht geben, wenn er die Schrift ans Ende des 5. Jh. setzt. Zu den dankenswertesten Leistungen des Buches geh rt der Beitrag, den E. Schwyzer zur Sprache der Schrift beigesteuert hat. Mit seinen Sammlungen zum Laut- und Formenbestand der Schrift setzt er die Arbeit fort, die K hlewein in den Prolegomena der Ilberg-K hleweinschen HippokratesAusgabe (I 1894, Lxvff.) begonnen hatte; man freut sich, diese seit Littre beste Leistung auf dem Gebiet der Hippokrates-Edition durch ausdr ckliche Nennung anerkannt zu sehen (62 Anm. i). Aber Schw. geht dadurch ber K hlewein noch wesentlich hinaus, da er auch stilistische und syntaktische Fragen behandelt hat (77 ff·)· Dadurch wird Schw. der dreifachen Aufgabe, die seinen Untersuchungen gestellt ist, erst voll gerecht: er entlastet den Kommentar von D. von aller mehr sammelnden T tigkeit, aber auch von mancher Einzelheit der Interpretation; er stellt Material bereit, das jede k nftige Hippokrates-Edition mit Dank wird benutzen k nnen, und er gibt

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wertvolle Beitr ge zur Geschichte der griechischen Sprache. Schon die kleine Schrift π. σαρκών bietet daf r genug Interessantes; es ist zu hoffen, da auch andere hippokratische Schriften in hnlicher Weise sprachlich erschlossen werden.

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GALENI IN HIPPOCRATIS EPIDEMIARUM LIBROS I ET II COMMENTARIA edidertmt Ernst Wenkebach - Franz Pfaff (= Corpus medicorum Graecorum V , ) Leipzig 1934 GALENI IN HIPPOCRATIS EPIDEMIARUM LIBRUM III COMMENTARIA III edidit Ernst Wenkebach (= Corpus medicorum Graecorum V 10,2, i) Leipzig 1936 [Gnomon 13 (1937) S. 266—276] i. Für die Editionspraxis des Corpus Medicorum Graecorum hat sich der berechtigte Grundsatz ergeben, die von Galen kommentierten hippokratischen Schriften erst nach der kritischen Sicherung des betreffenden GalenTextes herauszubringen. Jede Veröffentlichung von Hippokrates-Kommentaren des Galen bedeutet also zugleich auch eine wesentliche Vorarbeit für die Herausgabe des Corpus Hippocraticum. Von diesem Gesichtspunkt aus kann die Ausgabe der Epidemien-Kommentare von Wenkebach und Pfaff als besonders ertragreich bezeichnet werden. Von ihr liegen jetzt Galens Kommentare zu Epid i und 2 vor. Die Feststellung des griechischen Textes ist der Erfolg jahrzehntelanger Arbeit, deren wichtigste Ergebnisse Wenkebach bereits vor dem Erscheinen der Ausgabe in verschiedenen Abhandlungen bekannt gemacht hatte1. Diese Vorarbeiten, die auch für die Geschichte des Humanismus reichen Ertrag brachten, führten nicht nur zur Feststellung der echten Überlieferung, sondern auch zur Ausmerzung der Fälschungen, die in der Renaissance und später zur Ergänzung des lückenhaften griechischen Textes hergestellt worden waren. So mußten der Anfang des Kommentars zu Epid i, sämtliche Erklärungen zu Epid 2 und die letzten 2V2 Kommentare zu Epid. 6 als Fälschungen verschiedenen Grades entfernt werden. An ihre Stelle trat die arabische Übersetzung des Hunain ibn Ishäq, deren Bearbeitung Franz Pfafi übernommen hat. Die Heranziehung dieser i AbhBerl. 1917, i. 1918, 8. 1925, i. 1927, 4. 1928, 9.

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arabischen bersetzung hat sich besonders f r unsere Kenntnis der Hippokrates- berlieferung als sehr fruchtbar erwiesen. Aber auch dort, wo echte griechische berlieferung vorhanden ist, wirkt Hunains bersetzung als n tzliche Erg nzung. Denn die griechische berlieferung ist recht d rftig, zumal in Epid· i. Das Wichtigste ber die Handschriften, Ausgaben und lateinischen bersetzungen hat W. in seiner Praefatio zusammengestellt, die als eine ausf hrliche Rekapitulation seiner bereits genannten Aufs tze gelten kann. Es gen gt, hier auf seine Ausf hrungen zu verweisen, zumal die einschl gigen Abhandlungen aus den Jahren 1927 und 1928 von K. Deichgr ber bereits besprochen worden sind2. Es ist W. gelungen, weithin einen gesicherten Text herzustellen, ohne da er den Zustand der berlieferung besch nigte. Klammern l und L ckenzeichen bestimmen sehr stark das Druckbild, leider meistens mit Recht. Wenn man hier eine Einschr nkung machen darf, so vielleicht gegen ber der Verwendung der spitzen Klammer, also des Erg nzungszeichens. W. neigt zu verdeutlichender, aber auch zu sinn ndernder Erg nzung des GalenTextes in einem Umfang, wie es kaum berechtigt zu sein scheint3. Besonders scheinen mir folgende Erg nzungen, die W. nicht nur gegen die griechische berlieferung (O), sondern auch ohne das Zeugnis der arabischen bersetzung (H) vorgenommen hat, unberechtigt zu sein: n, ι καί(τοι). 13, 12 (ύπ'> αύτοΰ mit P24. Dann h tte Hippokrates fr her' (als was?) die Lehre von der Vorherrschaft der verschiedenen S fte in den vier Jahreszeiten aufgestellt. Gemeint sind, wie auch W. gesehen hat, die Ausf hrungen der Schrift π. φύσιος άν&ρώπου. Auf sie hatte aber Galen fr her, n mlich 4, 33 ff., verwiesen. Also will er hier sagen: ,N tzlich ist aber auch die Einteilung in vier Jahreszeiten, wie auch diese fr her (von mir) als Lehre des Hippokrates selbst (im Gegensatz zur Siebenteilung in der unechten Schrift π. εβδομάδων) dargestellt worden ist'. Eben diesen Sinn gibt der berlieferte Wortlaut ohne Erg nzung. 29, i mu die berlieferung όπερ ην gehalten werden gegen W.s Erg nzung und nderung οδπερ (τουναντίον) εστίν. Man mu den Relativsatz nicht auf die ganze vorhergehende Wendung beziehen, sondern ausschlie lich auf den Infinitiv αίμορραγήσαι, was auch durch die folgenden Worte ώσπερ και το παραληρεΐν και το άποθνήσκειν gefordert wird. 31, 6 τω τότε καύσω mit Ρ2. Der kausale Dativ scheint hier ebensogut zu gen gen wie im unmittelbar vorhergehenden Hippokrates-Lemroa. 65, 21 (τους κάμνοντας). 70, ίο στραγγουριώδη (μεν, ου) νεφριτικά. Selbstverst ndlich mu mit H und dem Hippokrates-Text 54, n die Negation erg nzt werden. Aber es ist doch fraglich, ob μεν nicht fehlen kann und der Hiat zu dulden ist, weil es sich um ein Zitat handelt. 103, 15 έπ' (άρρώσ)τους αγνώστους. Vielleicht ist doch eher das in O erhaltene τους zu tilgen, da H f r αρρώστους keinen Anhalt gibt und die Erg nzung durch den so entstehenden Gleichklang nicht gerade empfohlen wird (diese berlegung spricht auch gegen die Form der Erg nzung 14, 21 (κατά ταύτην την φήσιν) καρπώ2 3 4

Gnomon 6, 193°» 3^8 ff. Vgl. dazu auch schon Deichgr ber a. a. O. 372. D. h. mit dem Korrektor der Druckvorlage f r die Aldina, John Clement (W. XVIII f. u. sonst).

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σονται την χρήσιν, wo H allerdings zeigt, da in O etwas fehlt). 109, 8 (της των), was schon durch W.s Anmerkung zu της „sc. διαφοράς" widerlegt wird, da man das Wort nach dem Text nur auf Ιδέας beziehen kann; auch dann ist die Erg nzung berfl ssig. 148, 29 (σφοδρώς). Der Grund zu dieser Erg nzung ist jedenfalls nicht ersichtlich. 150, 15 (την κυοΰσαν). Der Fall liegt hnlich wie 65, 21, wo sich auch jeder das Subjekt stillschweigend erg nzen kann. Auch wenn H eine Erg nzung zu best tigen scheint, mu man bisweilen fragen, ob die griechische Sprache nicht eine Brachylogie zul t, wo eine bersetzung kaum ohne Zusatz auskommt. So ist es z. B. 22, 8 ενδείκνυται γαρ (ταύτην την γνωμην) ,und er weist auf diese Meinung hin' H. 76, 28 ist trotz | des Einspruchs von Deichgr ber a. a. O. 373 χρή nach H stehengeblieben. 83, 22 εΐ (της κατά φύσιν) έξετράπετο κατά τι: ,wenn er sich irgendwie von seinem Zustand entfernt h tte' H. 62, 13 suggeriert H die sachliche Erg nzung *·6 χρονιών del. Littre: (ή) χρονιών add. ν. d. Linden. Das wird durch Gal. 165, 19. 36 best tigt. Zu Littres sachlichen Bedenken ist Galens Kommentar a. a. O. zu vergleichen. — 74, 17 φυμάτων φλεγμοναί: φυμάτων φλεγμονών Gal. 165, 21, der 166, 3 ff. daf r φυμ. (και) φλεγμονών vorschl gt. 74, 19 κοινών: κοινόν Gal. 165, 23, vgl. 166, 25. — 76, 6 όμως (C Littre, ώμώς vulg.): όλως Gal. 170, 24 (der aber Z. 27 sagt, da der Satz noch ,nach verschiedenen anderen Lesarten geschrieben' werde). — άκρισίαι der Vulgata, das Littre in άκρησίαι, ver ndert hat, wird durch Gal. 170, 25. 33 best tigt. — 76, 18 της νούσου omis. H 75, 12. — 78, 8 και ην μη 'άναξίως: κακόν, ην μη άξιος Gal. 177» 4> νδ1· *77> 31· — ?8, *3 ωτα: Brustdr sen Η 178, $· 23 (τιτϋούς?). — 78, ι6 αί μεν (κατωτέρω εύήθεες, αί Ο') ανωτέρω κτλ. add. Η ι8ο, ^. — 82, 3 wird durch Gal. 190, 2 die Lesart der Handschriften πο(υ)λυχάριον gegen alle Konjekturen best tigt und 190, 22 erkl rt. — 82, 4 το τε εκ λευκοχρόου (και χλωρού και ώχροΰ) add. Gal. 190, 3 (vgl. 190» 23 ^0· Die Auslassung in den Hippokrates-Handschriften ist durch Abirren von λευκοχρ(ό)ου zu ώχροΰ leicht zu erkl ren. — 82, 18 ναυτοπαίδιον (bzw. ναυταπα'ιδιον): Ναύτου παιδ'ιον GaL 197, 8. — 84, ι πάλην: πλην Gal. 198, 14. CMG V 4, 2, 294, 18. — 84, 8 ου πρόσω: της νόσου Η 2ΟΟ, 31 · — 86, 4 έξηλκώθη Ισω: έξω Η 2οι, 38. — 86, 13 συνελειαί,νετο Littre aus Gal. in Hipp. Epid. 6, 2 (17 A 1008 K.): aber H 202, 23 ,die Hitze stieg' best tigt die Lesung έπεχλιαίνετο der Handschriften. — 88, 2 ύπάνθηρον: ύπέρυϋρον Gal. 203, 36, vgl. 204, iff. — 88, u f f . ερωτήματα· ήρεον γαρ αυτούς άει πληροϋσθαι πότου και σίτου; so Littre, der hier uni« Hermes 67, 1932, 356 ff. WSt. a. a. O. 79 ff. 17 Auf diese F lle gehe ich nicht mehr ein, da Pf. die wichtigsten Folgerungen aus ihnen gezogen hat und sie im brigen ohne weiteres aus dem Galen-Text ablesbar sind. 18 Wenn sich aus dem Kommentar oder sonstigen Zeugnissen mit Sicherheit ergibt, da es sich um die Lesung des Galen handelt, ist sie mit Gal., sonst mit H bezeichnet. 19 Zu Anfang des Textes teilt Galen au erdem anders ab, indem er κατ' αρχάς 72, j zu diesem Satz, nicht wie Littre zum vorhergehenden zieht. Solche Abweichungen sind bei dem aphoristischen Stil von Epid. 2 nat rlich h ufig. Ich weise hier nur darauf hin, ohne auf weitere F lle einzugehen.

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gew hnlich ungl cklich gearbeitet hat. Gal. 205, 7 (vgl. 213, ίο) stellt alles klar: ,Zu den Fragen geh rt, ob es leichter ist, sich mit Speise als mit Trank zu f llen'. Daraus und aus dem Vergleich mit Aphor. 2, n, den Gal. 205, 17. 214, 6 anf hrt, ergibt sich die Herstellung: ή ρήϊον [γαρ αυτούς omis. C] αεί πληροΰσθαι πότου ή (vulg.) σίτου. — 88, ι8 ρητέον: εύρετέον Η 2ΐ6, ι. — 9°> ι(> χρώμεθα: έχρώμεθα Η 228, ι6. — 92, ιι λευκά κάρτα: λεπτά κάρτα Η 230, ίο. — 94> 4 *Ψ·α ίδρώτι διήλθεν ή αύτόματον εξ ου διιόντων (C, δε Ιόντων vulg.): ,die Sache kam mit Schwei von selbst, und etwas erschien au en' Gal. 235, 6, vgl. 237, 22 ff.; also vielleicht άμα ίδρωτα διήλθεν [ή] αύτόματον έξω διιόν τι. — 102, ι8 διαφθείρουσιν (vulg.), ήσιν εν πυρετοίσιν: διαφθερούσησιν εν π. Gal. 261, 16, vgl. 262, 2j ff. — 104, 7 ε^ κείνται: σύγκεινται Gal. 265, 14, vgl. 266, 30. De ther. ad Pis. 4 (14, 228 K.) — 104, 16 ου τοσούτω: τοιούτο (.solches') H 268, ίο. Vermutlich Hegt eine noch ungeheilte Korruptel zugrunde. — 106, ι αί. δ° άρχαί της ενάτης οδύνης του ώτός τέλος (add. Littre cum Foesio, Calvo, omis. vulg.), ουκ οϊδ' όπως· άνευ ρίγεος ή κρίσις κεφαλήν κάρτα: ,ich verstehe nicht, wie der Anfang seines Schmerzes im Ohr ohne Sch ttelfrost sein konnte und seine Krisis auch davon herkam. Sein Kopf schwitzte sehr reichlich' Gal. 268, 14 ff. vgl. 41 ff. Galen kennt also nicht nur den Zusatz τέλος nicht, sondern auch nicht das Wort ενάτης, das aus dem vorhergehenden Satz eingedrungen zu sein scheint. Der Schlu mu , unter Zuhilfenahme von Gal. 269, 4 ff., wahrscheinlich interpungiert werden: ουκ οϊδ' όπως άνευ ρίγεος· ή κρίσις· ίδρωσε κεφαλήν κάρτα. — ιοό, j οίδημα ένήει (DFGHIK, ένίει J, ένήν C): ογδόη Gal. 269, 17· — 108, ^ ως τρίτη: ,hieran zeigt sich* Η 269, 25, vielleicht ώστε ρητέα. — ιο8, 14 ην (και C) έπανείληται (CDFGHIK) και έπίληπται (vulg., έπείληπται C): ην έπανείληται Gal. 273> 19^· 2^; έπ(ε)ίληπται ist als Doppelfassung zu streichen. Im brigen vgl. zur Lesung des ganzen Satzes Gal. 273, ii ff. — ii2, 17 και εστη κοιλίη εν θολερότητι vulg., woraus Littre mit Hilfe von C και 'ες τι καλή θολερότητι gemacht hat; καλή als Bezeichnung der Urintr bung ist allerdings wenig befriedigend. H 285, 23 bietet nach dem Wort ,Tr bung' mit neuem Satzanfang: ,Gegen Abend wurde sein Leib leichter', so da man vielleicht die Worte umstellen und θολερότητι· και ες την (δείλην) lesen mu . — 114, 6 (ούρου δε κάθαρσις πολλή και πλήθει και ύποστάσει, και πριν μεν οίνοποτέειν) ήρξατο, μικρού λάπη όμοίη: ήρξατο, (λευκή, οίνοποτήσαντι δε) μικροΰ λάμπη (mit C) όμοίη Η 285, 35· — ιΐ4, τ7 Ι τότε γαρ έπεΐχεν (άπεϊχεν vulg.) ... μη έστάναι (ίστάνειν C) εδοξεν άπόστασις: ,aber sie lie en es laufen und hielten es nicht f r gut, die Ausscheidung zu unterbrechen' Gal. 288, 39, vgl. 289, 19, der also vielleicht άπεΐχον, jedenfalls aber ίστάναι .. .άπόστασιν las. — 116, 7 όπισθεν c. Aphor. 5, 49: εντός Gal. 292, 34, vgl. 293, 4 ff. — 116, 12 δτι εν έβδομήκοντα κινείται, εν τριπλασίησι τελειοΰται: δτι εν επτά κινείται, εν τριπλασίη(σι) τελειοΰται (και ότι εν εννέα κινείται, εν τριπλασίη(σι) τελειοΰται) Gal. 295, 35 &· mit Epid. 6, 8, 6 (5, 344 L.). — n8, ι επταμήνου: οκταμήνου Gal. 300, 5 fi· — 118, 6 οι ώμοι και οι μαστοί: ο! ωμοί Gal. 3°2> 22. 25 ff. omis. και οι μαστοί — ιιδ, γ και τα εμφυσήματα: κάρτα εμφυσήματα Η 303, 2· — ιιδ, 9 πρωτοτόκων τα γάλακτα, της μεν τροφής μεταβαλλούσης, της δε οκταμήνου άπαρτιζούσης: προ των τόκων τα γάλακτα, της μεν τροφής ύπερβαλλούσης κτλ. Gal. 304, 14- — Ί.2.Ο, 5 ff- °ΐ°ν · · · έπαλινδρόμησεν, ην μη ... τούτο: ην μη ... τοΰτο, οίον ... έπαλινδρόμησεν transpos. Gal. 307, 14 &> 3° ^· — Ι2Ο> 7 πε°ι το ου?: >un" aufh rlich' Gal. 307; 17· 39^· (συνεχώς?). — 126, 4 εν Αΐνφ: εν Alvcp (εν λιμω) Gal. 338) 3 2 » v l· m Aphor. 3, 16 (17 Β 605 Κ.). — 126, ιι το στόμα του αιδοίου (της μήτρας Gal. 7 603 Κ.) καί: το σώμα Gal. 343» 3^> omis. του αιδοίου (cum Hipp. C) καί, vgl. De venae sect. 5 (ιι, 161 K.). — 126, 12 τμηθεϊσα (vgl. Gal. n, 161 K.): φλεβοτομηθεΐσα Gal. 343, 40. De trem. 7, 603 K. — 128, 4 ες τον άριστερόν (seil, δρχιν): ες το άριστερόν σκέλος Gal. 351» 25· 2 7^· — Ι34» 2 τβ^ς: (δις ή) τρις add. Gal. 365, 37> vgl· auch 3^6, 36 ff· — 134, 5 liest auch Gal. 367, 38 wie die Hippokrates-Handschriften φύσις. Littres λύσις wird also durch die berlieferung nicht best tigt, wohl aber sein Ansto durch Galens Kommentar 368, 26 ff. — 138, 14 την

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κεφαλήν (όρθοϋ Ιόντος) βρέχειν add. Η 405, 3*>· — Ι3^> ι8 ή μην bzw. ήμϊν: έμεΐν Gal. 407, 33- 35 fi-

lm Rahmen dieser Besprechung konnte nur eine Auswahl von Beispielen f r die angeschnittenen Fragen gegeben werden. Sie zeigt aber hoffentlich, nach wievielen Seiten hin die sorgf ltige Arbeit der Herausgeber f r die philologische Behandlung der rztetexte fruchtbar werden kann. 2. Noch bevor die Besprechung des ersten Faszikels in Druck gehen konnte, hat W. den ersten Halbband des zweiten Faszikels, der Galens drei Kommentare zu Epid. 3 enth lt, herausgebracht. Die griechische berlieferung ist hier etwas besser als f r die Kommentare zu Epid. i . Es fehlt nur ein verh ltnsm ig kurzes St ck am Ende des ersten Kommentars, wof r wieder die bersetzung aus H eingeschaltet ist (55, n — 58, 24). Neu kommt zu den fr her verwendeten Handschriften der Klasse O der davon unabh ngige Laurentianus gr. plut. LXXIV 25 s. XIV (L), der aber auch mit O auf eine gemeinsame byzantinische berlieferung zur ckgeht, so da der Wert der arabischen bersetzung durch die geringe Bereicherung der griechischen berlieferung nicht vermindert wird. ber L und einen Ableger berichtet die Praefatio XIII/XXII, die im brigen sich mit demselben Material auseinanderzusetzen hat wie die zum ersten Faszikel. Es fragt sich, ob die dadurch vielfach unvermeidlichen Wiederholungen sich nicht noch mehr h tten einschr nken lassen. Auch der Apparat zur Ausgabe zeigt infolge des | Bestrebens des Herausgebers, seine Erw gungen zur Textgestaltung m glichst nuanciert herauszustellen, eine Breite, die seine bersichtlichkeit zuweilen beeintr chtigt. In der Textgestaltung selbst sind wie bei den Kommentaren zu Epid. i vor allem manche berfl ssigen Erg nzungen zu beanstanden, die ohne Unterst tzung durch H oder auch mit seiner scheinbaren Autorit t vorgenommen wurden. Die oben S. 155 f. gegebenen Beispiele sollen hier nicht durch weitere Einzelheiten vermehrt werden. Es sei nur darauf hingewiesen, da manche bei W. h ufiger wiederkehrenden Eingriffe in den Text sich vielleicht durch genaue Beobachtung von Galens Sprachgebrauch erledigen w rden. So kann es fraglich erscheinen, ob bei Titelangaben unbedingt der Artikel zugesetzt werden mu , vgl. 34,7.59,5.12.73,13.136,24.153,16, ob bei Infinitivkonstruktionen der Subjektsakkusativ unerl lich ist, vgl. 30, 25. 41, 7, auch 48, ii. 53, 22. 139, 3, und ob das Verbum συνέβη mit nachfolgendem Infinitiv 61, 16. 62, i. 63, 2 den Zusatz von μοι bzw. με nicht entbehren kann. Beitr ge zu Galens Sprachgebrauch hat neuerdings E. Nachmanson gegeben 20, der W. s Ausgabe der Kommentare zu Epid. i zugrunde legt und, wie schon Deichgr ber21, gegen unn tige nderungen 20 Apophoreta Gotoburgensia Vilelmo Lundstr m oblata, 1936, no ff., besonders 129 ff. 21 Vgl. oben Anm. 3.

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und Zus tze protestiert; seine Kritik trifft dabei auch in Einzelheiten mit der oben S. 155 gegebenen zusammen 22 . Die S. 158 dargestellte kontinuierliche Einwirkung der Galen-Lemmata auf den Text der Hippokrates- Handschriften ist in Epid. 3 weniger deutlich, weil hier der Parisinus A bereits nach den ersten Worten abbricht und dem Vaticanus V allein das Feld berl t. Doch l t sich die an sich selbstverst ndliche Einwirkung des Galen-Textes auf die von V abh ngigen Renaissancehandschriften besonders durch einen Vergleich der Galen-Lemmata mit Littres Apparat leicht ablesen. Dabei ergibt sich andererseits, da die erst in der Renaissance entstandene Hippokrates-,Vulgata' sogar gegen das gemeinsame Zeugnis von V und Galen zuweilen noch in der Ausgabe von K hlewein herumspukt, z.B. 215,8. 216,22.23. 218,25. 226,13. 228, 2. 14. 17. 229, 9 23. 230, 15. 235, 9. 243, 13 24. l F r die Textgeschichte des Hippokrates in hellenistischer Zeit sind Galens Kommentare zu Epid. 3 besonders wichtig wegen seiner ausf hrlichen Polemik gegen ,schlechte' Exegesen fr herer Erkl rer (vgl. 10, loff. 65, 2i ff. W. Praef. VII f.) und wegen seiner Behandlung der χαρακτήρες am Schlu der Krankengeschichten (27, i ff. al.); wie diese Partien, so gew hren auch die lexikographischen Ausf hrungen 126, 10 ff. einen Einblick in die hellenistische Hippokrates-Exegese, deren mehr textkritische Leistungen schon in den Kommentaren zu Epid. 2 benutzt waren. Durch seinen Inhalt sowohl wie durch die Art der Bearbeitung wird sich auch dieser Band der Galen-Ausgabe seinen Platz bei der Erforschung der griechischen rzte sichern.

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Vgl. vor allem Nachmanson 134 f. gegen die Zus tze bei W. CMG. V 10, i, 65, 2i. 150, 13. Hier ist lediglich gegen V mit Galen 146, 7 das Verbum εϊχεν zu streidien, das alle weiteren Ver nderungen veranla t hat. Hier hat auch W. 183, 25 γυναικί gegen LO des Galen und V des Hippokrates aufgenommen, weil H entsprechend bersetzt hat, der aber nicht gut anders konnte. Ebenso ist 69, 14 W. = 220, 16 Kw. αυτήν ταϋτα Λαθεΐν mit H und der Hippokratesvulgata falsch gegen LO und V eingesetzt.

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WALTER MÜRI ARZT UND PATIENT BEI HIPPOKRATES (= Jahresbericht über das Städtische Gymnasium in Bern 1936, Beilage)

Bern 1936 [Gnomon 14 (1938) S. 123—129] In welcher Richtung die Schrift von M. das Verhältnis von Arzt und Patient bei Hippokrates (d. h. in der Auffassung des Ärztekreises, l der sich in den Schriften des Corpus Hippocraticum ausspricht) untersuchen will, wird in der Vorrede genauer umschrieben. Es wird am schnellsten anschaulich durch die Betitelung der einzelnen Abschnitte: I. Nützen oder doch nicht schaden. II. Vollständige und relative Gesundheit. III. Das Gebot des Nichteingreifens. IV. Verantwortung und Ansehen. V. Spekulation. VI. Arzt und Scharlatan. VII. Das Bild des gichtigen Arztes'. VIII. Individualität. IX. Prognose. Es handelt sich also um die Fixierung des Ziels, das dem Arzt bei seinem Handeln vorschwebt, um sein Bewußtsein von Bedenken und Hemmungen sachlicher und personeller Art, die der Verwirklichung des Ziels entgegenstehen, und schließlich um einige charakteristische Mittel, die er zur Verwirklichung des Ziels verwendet. In ähnlichem Umfang war die Frage nach der Berufsproblematik des hippokratischen Arztes zuletzt von L. Edelstein gestellt worden1. Es ist das Verdienst von M., daß er die Diskussion über diese wichtigen Fragen wieder aufnimmt und in einzelnen Punkten auch weiterführt. Manche Überspitztheit des Edelsteinschen Buches wird dadurch stillschweigend abgerundet, aber es wird auch manches, was dort scharf gesagt war, wieder abgestumpft. Denn über aller Diskussion über den mehr oder weniger großen Ernst und das Verantwortungsbewußtsein, mit dem der hippokratische Arzt an seine Aufgabe herangegangen ist, darf nicht vergessen werden, daß es das Wichtigste ist, zu erkennen, wie die Ärzte der Zeit um 400, denen die Sicherheit eines anerkannten positiven Wissensbesitzes ebenso fremd war wie der Rückhalt eines infolge seiner Vorbildung allgemein angesehenen Standes, aus ihrer besonderen Lage heraus die Problematik ihres Berufs erkannt und zu überwinden versucht haben. Das Buch von und die Sammlung der hippokratischen Schriften (Problemata 4, 1931,

Kap. 2. 3).

M ri, Arzt und Patient

Edelstein machte da einen Anfang, indem es die Frage nach der Lage des rztlichen Standes neu stellte und die Mittel, die er zur Durchf hrung seiner Aufgabe einsetzte, von dieser Seite her berpr fte. Auch M. versucht mit gro er Vorsicht, den hippokratischen Arzt in der Sprache seiner Zeit ber seine Aufgaben zu uns sprechen zu lassen. Er macht das C. H. nicht zur Fundgrube moderner naturwissenschaftlicher Hypothesen und Fragestellungen, sondern sieht in seinen Schriften die Werke von rzten, die den nat rlichen Zweck ihres Handelns nicht aus den Augen verlieren: von der Absicht zu n tzen (in der charakteristischen Einschr nkung: wenn man nicht n tzen kann, wenigstens nicht zu schaden) geht er aus. Manches wird von dieser Grundlage aus gut dargestellt, so das Gebot des Nichteingreifens (III) und die auch theoretisch erkannte Notwendigkeit, da der Arzt nur den individuellen l Patienten, und zwar als eine Ganzheit behandeln kann (VIII). Die daraus sich ergebende Spannung zwischen der notwendigen rztlichen Aufgabe und der ebenso unausbleiblichen naturphilosophischen Spekulation wird vor allem an der Schrift π. άρχαίης ίητρικής dargestellt (V). Das ist weniger neu als die Feststellung, da die Schrift π. άρθρων εμβολής ber die traditionelle hippokratische Anschauung hinaus zur Bejahung der relativen Heilung nicht vollkommen wiederherstellbarer Kranker gelangt ist (II). Vielleicht m chte man in M.s Ausf hrungen hin und wieder die kluge N chternheit, den Sinn f r das real Wirksame mehr betont sehen, der diese griechischen u erungen berall da auszeichnet, wo es sich um Beziehungen zwischen Menschen handelt. Aber es bleibt anzuerkennen, da in den genannten Abschnitten die hippokratische Problematik m glichst aus sich selbst heraus entwickelt ist. Anderswo jedoch dr ngt sich Modernes ein. Bezeichnend ist daf r etwa der Beginn des Abschnitts „Verantwortung und Ansehen" (IV). Da wird — neben der Verantwortlichkeit dem Patienten gegen ber — als eine Art der Verantwortung die „innere Verpflichtung" des Arztes bezeichnet, kraft deren er sich zu verantworten hat „vor den Erkenntnissen der Heilkunde, die ihm und seinen Fachgenossen zug nglich sind" (21). Da spuken ein sp terer Ethosbegriff und eine moderne Vorstellung von einem zug nglichen, gesicherten Wissensstand hinein. Die mehr oder weniger unbewu te Tendenz nach zu starker Ethisierung und Verwissenschaftlichung des hippokratischen Denkens mag im einzelnen an zwei Punkten von M.s Darstellung erl utert werden, an seiner Wiedergabe des Bildes vom ,richtigen Arzt' (VII) und an seinen Er rterungen ber die hippokratische Prognose (IX). Das Bild des richtigen Arztes wird aus den Schriften π. ιητροΰ und π. εύσχημοσύνης entwickelt, weil sie als Ganzes diesem Thema gewidmet sind. Die Παραγγελίαι, die eine hnliche Themastellung haben, sind weggelassen, weil ihre Datierung dem Verf. zu ungewi ist 2 . Aber auch π. ίητροΰ und π. εύσχημοσύνης k nnen, so ver2 S. 61 Anm. n. Ein sehr sp ter Ansatz der Schrift wird berzeugend von K. Deich-

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schieden sie voneinander sind, doch beide nicht zur Charakterisierung der hippokratischen Standesethik benutzt werden, sofern die Bezeichnung ,hippokratisch* berhaupt noch etwas mehr besagen soll als nur die zuf llige Zugeh rigkeit zum C. H., sofern mit dem Hippokratismus ein geschlossener Kreis vorattischen Denkens zu Wort kommen soll. Zu diesem Kreis geh rt schon π. ίητροΰ nicht mehr. Die Verwandtschaft des Werks mit paraenetischer, vorwiegend attischer Literatur des 4. Jh. ist von Bensel3 berzeugend nachgewiesen l worden; sie wird auch von M. 61 Anm. n anerkannt. Der Abstand zu einem Werk der lteren, eigentlich hippokratischen Zeit wie etwa dem Eid ist riesengro . Was in π. ίητροϋ empfohlen wird, ist, von M. 37 brigens gut hervorgehoben, das Ideal des Gentleman-Arztes, der nach allen Seiten R cksicht ben, nicht l stig fallen und den berechtigten Erwartungen, die man an sein Auftreten stellt, entgegenkommen soll. Im Eid dagegen werden mit der f r das 5. Jh. gerade in solchen Fragen charakteristischen Klarheit die Konfliktsm glichkeiten herausgearbeitet, die sich aus der Sonderstellung des Arztes seinen Mitmenschen gegen ber ergeben k nnen, und durch den Zunfteid ihre Beseitigung versucht. Was dar ber in π. ίητροΰ steht, da der Arzt der δικαιοσύνη4 in seinem Verkehr mit den Kranken nicht entraten k nne, weil so viele Versuchungen an ihn herantreten, ist nur ein ins Nachdenkliche bersetzter Nachklang der pragmatischen Feststellung des Eides. Das Hauptinteresse ruht auf der nuancierten Darstellung des rztlichen Gentleman. Diese Darstellung hat M. an zwei Stellen mi verstanden, wobei er sie bezeichnenderweise ethisiert hat. Zun chst im ersten Satz Ιητροΰ μεν είναι προστασίην (ao, 4 Hbg.): „Zum Arzt geh rt Autorit t" (36). Grunds tzlich verstanden ist das schon von Bensel a. a. O. 126 Anm. 9, der auf Laqueur, Hermes 54, 1919, 296 f. verweist, wo Belege f r προστασία in der Bedeutung , u erer Schmuck' gesammelt sind. Die von Bensel vorgeschlagenen Text nderungen halte ich freilich f r berfl ssig. Die Worte leiten das erste Kapitel (Ιητροΰ μεν) und zugleich dessen ersten Teil (20, 4/9 Hbg.) ein und besagen: ,Des Arztes Schmuck sei (folgendes)'. Sicher mi verstanden ist auch 20, 14 f. Hbg. σκοπόν δε επί, της έξουσίης· τα γαρ αυτά τοις αΰτοΐς σπανίως εχουσιν άγαπάται: „In allem Belieben mu ein regelndes Ziel sein, denn man liebt es, wenn dasselbe bei denselben Menschen nur selten vorkommt" (M. 36, der aber selbst zu dieser bersetzung ein Fragezeichen macht). Das hat im wesentlichen schon Littre richtig verstanden: „Qu'il se regle sur la licence que lui donne le malade"; ,Pa auf bei der Freiheit, die du als Arzt hast; denn nur, wenn du dich rar machst, wirst du mit deinen notgedrungenen Wiederholungen beliebt bleiben' 5. Gerade an dieser Stelle tritt gr ber, Hermes 70, 1935, 106 ff. vertreten; ihr Verst ndnis ist damit aber noch keineswegs vollst ndig erschlossen. 3 Philologus 78, 1923, 102 ff. 4 20, 19 Hbg. versteht M. das berlieferte δικαιοσύνη mit Littre richtig als δικαιοσύνην gegen δικαιοσύνη von Bensel und Heiberg. Es handelt sich nicht darum, da der Arzt mit Rechtlichkeit in vielem hilft, sondern es wird der Satz aufgestellt, da die Rechtlichkeit in vielem helfen mu , besonders aber dem Arzt, der in seinem Beruf so vielen Versuchungen ausgesetzt ist. 5 Text nderungen sind nicht n tig: σκοπόν seil, είναι „sei ein Aufpasser", wie zu 20, ίο σώφρονα und 20, 16 σύννουν der Infinitiv zu erg nzen ist. εχουσιν braucht nicht

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besonders deutlich hervor, wie die Furcht vor Verletzung der Anstandsregeln f r die Zeit von π. ίητροϋ den Vorrang hat vor der Mahnung zur Selbstbeherrschung im Gr beren, die freilich die selbstverst ndliche Grundlage dieses verfeinerten Verhaltens bilden mu . |

Da liegt also bereits eine entschiedene Wandlung des rztlichen Standesbewu tseins vor, ohne da freilich eine ethisierende Anschauungsweise recht auf ihre Kosten k me. Diese f hlt sich mehr befriedigt von der Schrift π. εύσχημοσύνης, der denn auch eine „H he des Ethos" nachger hmt wird, „die sich so absolut nur noch im hippokratischen Eide findet" (40). Aber bei dieser Schrift wird die M glichkeit, mit ihrer Hilfe das Bild des ,hippokratischen' Arztes zu zeichnen, noch problematischer als bei π. ίητροϋ. Ihre Datierung kann nicht gesichert werden, solange sie nicht wirklich verstanden ist, und das wird wie bei den Παραγγελίαι durch die unerfreuliche sprachliche Form sehr erschwert. Gegen Bensel und M., die die Schrift wie π. Ίητροϋ in die zweite H lfte des 4. Jh. setzen, m chte ich vorl ufig darauf hinweisen, da π. εύσχημοσύνης ganz selbstverst ndlich mit dem Vorhandensein einer medizinischen Systematik rechnet, wie sie erst in hellenistischer Zeit ausgebildet worden sein kann. Da wird die Medizin eingeteilt in Chirurgie und die anderen Hilfeleistungen6, die ihrerseits in Therapeutik und Di tetik zerfallen (27, 21 Hbg.). Da wird die Einteilung der φάρμακα κατά τόπους und κατά γένη vorausgesetzt (28, 2 f.); da ist von δυνάμιες άπλαΐ in der Pharmakologie die Rede (28, 2) — kurz, es wird eine Systematik der Medizin vorausgesetzt, mit der auch Galen zum gro en Teil noch gearbeitet hat. 28, 6 wird als bequemste Vorbereitung f r den Arzt, die er sich verschaffen kann, ή δια μεθόδων angepriesen; denn alles kann der Arzt doch nicht ber cksichtigen. Wir wissen, da in der fr hen Kaiserzeit eine rztliche Schule entstand, die sich ausdr cklich nach ihrer ,Methode' benannte und deren wichtigsten Vorteil in der leichten Erlernbarkeit sah (vgl. Gal. 10, 4 f. K.; Scr. min 3, 15, 13). Derselben Schule war die rztliche T tigkeit eine Umwandlung des Zustandes des Patienten (vgl. RE. VI A 174); als Umwandlung der K rper (σώματα μετασχηματιζόμενα ή μεταποιούμενα) wird 27, 21 die Medizin im ganzen definiert. Einerlei ob die Schrift gerade der methodischen Schule entstammen mag oder ein eklektisches Produkt ist: in dieser Richtung, im sp ten Hellenismus oder eher noch in der fr hen Kaiserzeit haben wir ihre Entstehung zu suchen. Sie kann also nicht zum Bild des ,hippokratischen' Arztes beitragen. Ihr Ethos mag dieselbe H he haben wie das des hippokratischen Eides; es mu , nach so vielen Jahrhunderten, grunds tzlich von ihm verschieden sein. M. 40 hat u. a. gut bemerkt, da nur hier im C. H. (29, 13 ff.) der Arzt es als seine Aufgabe dargestellt hat, auch seein έχοντα ver ndert zu werden; wenn der Arzt selbst sich rar macht, so bleiben ja auch seine notgedrungen sich wiederholenden Eigenheiten, Vorschriften usw. „selten" und infolgedessen beliebt. 6 Zu βοηθούμενα 27, 22 vgl. den h ufigen hellenistischen Titel π. βοηθημάτων.

rztlicher Schriften

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lisch beim Patienten die g nstigsten Voraussetzungen f r die Heilung zu schaffen: diese Hervorhebung der Einf hlung trennt die Schrift nicht nur vom Eid, sondern auch von l π. ίητροΰ. Durch die Erkenntnis der grundlegenden Unterschiede zwischen den drei Schriften kann statt eines verschwommenen Bildes vom hippokratischen Arzt ein St ck Geschichte des griechischen rzteideals gewonnen werden. Das Bild des »richtigen Arztes' nach hippokratischen Vorstellungen aber mu durch Heranziehung der zerstreuten Bemerkungen in den einwandfrei alten Schriften (z. B. den chirurgischen) gezeichnet werden, die M. in dem Kapitel ber Arzt und Scharlatan (VI) auch im wesentlichen ber cksichtigt hat. In der hippokratischen Prognose hatte Edelstein (a. a. O. 60 ff.) ein Mittel zur Selbstbehauptung des Arztes gesehen, der durch die Sicherheit seiner Voraussagen Eindruck machen und im Fall, da er einen ungl cklichen Ausgang voraussieht, die Behandlung ablehnen oder nur unter Vorbehalt annehmen kann. M. versucht demgegen ber (48 ff. vgl. auch 60 f.), den sachlichen Wert der Prognose f r die Behandlung herauszustellen, und kehrt damit zu der verbreiteten Auffassung ihres Wesens zur ck. Weiter versucht er zu zeigen, wie in den Epidemienb chern IIII empirisch Material gesammelt wird, um auf diesem induktiven Weg Prognosen im Stil des Prognostikon gewinnen zu k nnen. Hier ist zun chst Vorsicht in der Beurteilung des Verh ltnisses von Empirie und Theorie geboten; es ist im allgemeinen nicht so, da die allgemeinere Theorie aus der Einzelbeobachtung hervorw chst, sondern gew hnlich mu sich die Einzelbeobachtung im C. H. erst in schwerem Kampf gegen die bereits vorhandenen und immer wieder sich bildenden Theorien durchsetzen. (Die Gebundenheit der grunds tzlich empirisch orientierten Schrift π. άρχαίης ίητρικής an naturphilosophische Hypothesen stellt M. 47 selbst fest.) Sogar bei der Materialsammlung in Epid. I III m gen gewisse Theorien den Verfasser unbewu t schon bestimmt haben, z. B. wenn die Fieberkrisen in Gruppen von 20, 40 und 80 Tagen eingeteilt werden (M. 51). Bei der Beurteilung der Prognose mu man m. E. zweierlei unterscheiden. Man kann nicht bestreiten, da die Beachtung gewisser Zeichen f r die Behandlung der Kranken ihren Wert hat. B cher wie π. νούσων II III oder π. των εντός παθών sind nach dem Schema aufgebaut, da die einzelnen Krankheiten nach ihren Symptomen und ihrer Prognose (zuweilen auch nach ihrer Aetiologie) beschrieben werden und dann die Therapie angegeben wird. So modifiziert sich die Art der Behandlung nach der Art der Zeichen, wie es ja auch nicht anders erwartet werden kann. Das ist nicht eigentliche Prognose, sondern Semeiotik und Symptomatik im weiteren Sinn. Aber auch das auf Erfahrung begr ndete Vorherwissen bestimmter Krisendaten kann f r die Behandlung von Nutzen sein, wie Epid. 3, 16 dargelegt wird. Es wird sich dabei vor allem um die M glichkeit handeln, eine Ver nderung der

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Müri, Arzt und Patient

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Diät an den Krisen l tagen im voraus zu bestimmen 7 ; auch Prognost. 79, 4 Kw. mag darauf hindeuten mit der Bemerkung, daß der Arzt diejenigen, die davonkommen werden, durch die Prognose besser durchbringen kann, indem er von längerer Hand sich auf jedes Einzelne vorbereitet. Eine weitere Beziehung auf den Inhalt der Behandlung ist hier ebensowenig ersichtlich wie . ^6, 24 Hbg., und auch kein Versuch, das Wesen der individuellen Erkrankung aus der Prognose zu bestimmen. Der Ursprung der hippokratischen Prognose darf hier nicht gesucht werden. Als spezieller Zweig der ärztlichen Kunst, der in besonderen Büchern für Ärzte behandelt wird, hat sie keine Beziehung auf die Erkenntnis oder die Behandlung der Krankheit, sondern dient dazu, den Arzt in seiner Autorität, die er in seiner besonderen Stellung nicht entbehren kann, zu festigen und ihn vor den unausbleiblichen Rückschlägen soviel wie möglich zu sichern8. So deutet der Verfasser des für Ärzte geschriebenen Prognostikon den Nutzen seiner Lehren möglichst rational aus; allgemein hätte er sagen können, daß die Kranken diesen Blick ins Verborgene vom Arzt, dem sie sich anvertrauen sollen, erwarten. Der „Blick durch die Zeit" 9, den Prognost. 78, 4 f. in homerisierender Wendung vom Arzt verlangt, rückt den Arzt im eigenen Bewußtsein des Verfassers neben den Seher. Auch für Empedokles (Vors.5 31 B 112, .) und Solon (Fr. i, 53 ff. D.) stehen beide nebeneinander. Das Bild des hippokratischen Arztes rundet sich erst, wenn man neben seinen Anspruch, die Menschen zu heilen, den anderen, gleichfalls aus alter Zeit überkommenen stellt, den Menschen von sich aus zu sagen, wie es um ihre Gesundheit stand, steht und stehen wird.

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Vgl. Edelstein a. a. O. 79 f. Vgl. was Wilamowitz, Hermes 64, 1929, 481 aus A. Schweitzer, Aus Lambarene 51 über die primitive Einstellung zur ärztlichen Voraussicht über Leben und Tod anführt. 9 Vgl. P. Friedländer, GGA. 1931, 253 f. 8

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RUDOLF BLUM LA COMPOSIZIONE DELLO SCRITTO IPPOCRATEO Περί διαίτης οξέων

(= Reale Accademia Nazionale dei Lincei. Rendiconti della Classe di Scienze morali, storiche e filologiche, ser. VI, vol. XII, p. 39—84) Roma 1936 [Gnomon 14 (1938) S. 297—305]

Im Komplex der hippokratischen Probleme ist die berlieferungsfrage im Lauf der Zeit immer mehr in den Vordergrund getreten. Um zu seinen Urspr ngen zur ckzugelangen, mu te die Frage gestellt werden, wie das Corpus verschiedenartigster Schriften, das uns vorliegt, zustande gekommen ist. Innerhalb des Corpus wiederum zeigen die einzelnen Schriften eine so verschiedenartige, oft nur halb literarische Form, da der Versuch, sie inhaltlich zu verstehen und einzuordnen, von dem Verst ndnis der Entstehungsgeschichte ihres Textes nicht getrennt werden kann. In dieser Richtung bewegen sich nicht wenige Arbeiten der letzten Jahrzehnte. Auch die Untersuchung von B. gilt einer Schrift, deren Form, durch ein aus der Antike berkommenes Vorurteil nur scheinbar gekl rt, sich nunmehr aus ihrer Entstehungsgeschichte heraus komplizierter, aber auch betr chtlich lebendiger darstellt. Die inhaltlich sehr wertvolle Schrift περί διαίτης οξέων zerf llt in unseren Handschriften und Ausgaben in zwei Teile, den ,echten' l Hauptteil und einen als unecht bezeichneten ,Anhang' (i, 109—145 bzw. 146—179 K hlewein). Die Handschriften folgen mit dieser Teilung dem Urteil des Galen, der in seinem Kommentar zu der Schrift CMC V 9, i, 271, 3 ff. erkl rt, da nicht wenige rzte den zweiten Teil der Schrift f r unecht gehalten h tten; er selbst schlie t sich hier und 197, 27 ff., 257, 10 dieser Meinung mit gewissen Modifikationen an. Galen betrachtet diesen Teil der Schrift also als einen Anhang, den er in einem vierten Kommentar in unmittelbarem Anschlu an die drei Kommentare des ersten Teils erkl rt. Irgendwelche Spuren einer berlieferten lteren Abteilung, etwa nach B chern, finden sich nicht; wenn Gal. 277, 3 ff. behauptet, schon Erasistratos habe beide Teile zusammen gelesen, so mag diese Behauptung durch ihren polemischen Zweck einiges an Beweiskraft einb en: aber sie zeigt jedenfalls das eine, da Ga-

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len nur eine einheitlich berlieferte Schrift περί διαίτης οξέων J kannte. Auch Erotian, f r uns der reinste Niederschlag der alexandrinischen HippokratesPhilologie, glossiert ohne Unterschied den ,echten' und den ,unechten' Teil der Schrift2. Die Abteilung erfolgte also erst wegen der Verwerfung des ,Anhangs' durch die Hippokrates-Exegeten, die hier wie in anderen F llen einer einheitlichen berlieferung gegen berstanden, die sie allm hlich nach inneren Kriterien zu sichten versuchten. Sie verwarfen die νόθα haupts chlich aus formalen Gr nden (vgl. Gal. 271, 3 ff.), und in der Tat ist in diesen Teil der Schrift eine befriedigende Ordnung nicht zu bringen. Das bewog auch die moderne Hippokratesforschung, sich bei der Verwerfung zu beruhigen, die in allen Ausgaben kanonisch geworden ist, unabh ngig davon, ob man ,echt' noch wie Galen gleich ,hippokratisch* setzte oder nicht. Erst L. Edelstein3 zeigte, da sich im ,echten' Teil der Schrift zahlreiche Verweisungen finden, die unerf llt bleiben, wenn man sie nicht auf den ^nechten* Teil bezieht. Damit war f r ihn die Zusammengeh rigkeit beider Teile entschieden. Von diesem Ergebnis geht B. aus, zeigt aber, da man bei dieser Feststellung nicht stehen bleiben kann, sondern da die formale Eigenart des zweiten Teils eine auf die ganze Schrift zur ckwirkende Ausdeutung finden mu . B. h lt die ganze Schrift f r den unvollendeten Entwurf eines Arztes, der ein gro es Werk ber die akuten Krankheiten schreiben wollte. Dieses sollte zun chst in einem allgemeinen Teil die Probleme der Therapie behandeln: die Bearbeitung der Di t liegt uns im ersten Teil im i wesentlichen fertig vor, Aderla und Pharmakologie, wohl auch Semeiotik und Prognose sollten noch folgen. Der spezielle Teil sollte dann die Besprechung der einzelnen akuten Krankheiten bringen. Von alledem finden sich mehr oder weniger fragmentarische Skizzen im zweiten Teil; eine Anzahl Stellen im ersten Teil verweisen bereits auf dieses Vorhaben4. Diese Verweisungen erh rten in der Tat die Zusammengeh rigkeit beider Teile und die Absicht des Verfassers; der formale Zustand des zweiten Teils zeigt, da er sein Vorhaben nicht vollendete, und damit ist die These von B., wie er sie S. 75 vortr gt, im wesentlichen bewiesen. Nach B. ist auch der erste Teil nicht ganz ausgef hrt, sondern z. T. noch in skizzenhaftem Zustand. Prinzipiell l t sich dagegen nichts einwenden, und im einzelnen scheinen auch mir z. B. i, 31. 42. 49 nur ganz roh und vorl ufig in ihre Umgebung eingef gt zu sein, ohne da man deshalb an eine Interpolation von fremder Hand zu denken brauchte5. Aber es be1

ber diesen und die anderen Titel der Schrift vgl. zuletzt B. 75 Anm. 2. 2 Vgl. Erotian. Γ ίο. K 53. Λ 22. M 16. 17. Σ 50. Φ ij. 3 Περί αέρων und die Sammlung der hippokratischen Schriften. Problemata 4, 1931, 157 f. 4 ber diese Verweisungen und ihre Beziehung nach Edelstein 158 Anm. i z.T. berichtigend B. 72 Anm. i. 73 Anm. i. 74. 75 mit Anm. i. 5 Das tat Wilamowitz SBBerl. 1901, 16 f r i, 29. 31. 33. 43. 44.

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steht die Gefahr, da man, da man nun einmal diese prinzipielle Erkl rungsm glichkeit hat, sie auch auf Stellen anwendet, deren Aufbau sich in Wahrheit doch aus dem Gedankengang des Verfassers erkl ren l t. B. glaubt insbesondere, da i, 20 aus dem Zusammenhang herausfalle und da 1,28—49 sich noch in skizzenhaftem Zustand befinde. Im Zusammenhang von i, 16—25 ist von den Hilfsma nahmen die Rede, die bei der Zuf hrung der πτισάνη bedacht werden m ssen (16), wenn nicht Sch digungen und Todesf lle (17) eintreten sollen, i, 19 und 2i—24 erkennt B. als Ausf hrung solcher Hilfsma nahmen an, w hrend er in i, 20 den Zeitpunkt der πτισανορρυφ'ιη im Fall des Fiebers bezeichnet und dadurch den Aufbau der Darstellung gest rt findet. Aber ich glaube, man darf sich hier durch das Auftreten des Ausdrucks καιρός zu Anfang des Kapitels nicht irref hren lassen. In Wahrheit ist auch hier von einer Hilfsma nahme beim Reichen der πτισάνη die Rede: handelt es sich i, 19 um die Ma nahmen bez glich der Verdauung, 21—24 um solche gegen Schmerzen, so wird 20 davon gesprochen was der Arzt zu beachten hat, wenn er die πτισάνη bei Fieber gibt. Solche τιμωρίαι k nnen in aktivem Eingreifen bestehen, so 21—24 in der Milderung der Schmerzen, aber sie k nnen auch ein blo es Abwarten sein, so 118, 10 das Abwarten des Verdauungsvorganges und in Kap. 20 das Abwarten, bis das Fieber sinkt. Die Kapitel 1,28—49 enthalten einen sehr weitausholenden Beweis f r die i, 26—27 ausgesprochene Vorschrift, da eine nderung der Di t in den akuten Krankheiten nur mit gr ter Vorsicht vorzunehmen sei. i, 27 war allerdings zugegeben worden, da eine nderung unter Umst nden n tzlich sein k nne, wenn man es richtig mache, i, 28 wird dann an der Analogie aus der Di t der Gesunden gezeigt, da eine nderung an und f r sich sch dlich sei. Erst i, 37 ' wird erkl rt, inwiefern doch bei Kranken eine nderung unter Umst nden n tzlicher sein k nne als bei Gesunden, wodurch der vorhergehende, weitausgef hrte Beweis eine Einschr nkung erf hrt. Hierin vermag ich doch gegen B. 48 f. keinen Beweis f r nachtr gliche, noch nicht v llig | durchgef hrte Einf gung zu sehen, sondern ebenso wie in der exkursartigen Breite des ganzen Beweises mit Littre und Edelstein (vgl. B. 47 f.) in der Tat nur ein Beispiel archaischer Gedankenf hrung, in der die Tatsachen sich zun chst in aller Breite vordr ngen und nur nebenbei ihrem Beweiszweck dienstbar gemacht werden. Es trifft auch nicht zu, da Kap. 28—49 die bereits Kap. 26 begonnene, Kap. 50 fortgef hrte Darstellung der πόματα unterbrechen. Kap. 26 hat der Verf. nur festgestellt, da f r Getr nke dieselben Regeln gelten, die er 24—25 f r das Reichen der πτισάνη getroffen hatte, da aber viele rzte in allen diesen F llen Fehler machen. Im Vordergrund steht hier durchaus noch die Frage, wie man die quantitative Zufuhr der Di t regeln soll, nicht der Gedanke an die erst 50 ff. behandelten einzelnen ποτά. Auch in dem Aufbau der Kap. 28—49 im einzelnen vermag ich mit wenigen Ausnahmen nicht so gro e Schwierigkeiten zu sehen wie B., der S. 65 eine bersicht darber gibt, wie der Verf. nach seiner Ansicht den Aufbau eingerichtet h tte, wenn er die Schrift vollendet h tte. Der Verf. geht von dem Gedanken aus, da man die Bedeutung der Di tver nderung bei Kranken am besten an der Analogie der Gesunden erkennen k nne. Dabei zeige sich, da auch eine schlechte Di t, wenn sie nur unverndert bleibe, besser sei als irgendeine Ver nderung (123, i—4). Als Beispiel dient die Ver nderung der Lebensgewohnheiten bei denen, die nur eine, und bei denjenigen, die zwei Mahlzeiten am Tage zu sich zu nehmen pflegen. Es werden die Sch den geschildert, denen die μονοσιτέοντες ausgesetzt sind, wenn sie zweimal am Tage essen, und die Abhilfe, die man dagegen treffen kann (28—29). 123, 19 ff. hei t es anhangsweise: noch mehr wird ein μονόσιτος gesch digt, der gar dreimal am Tage essen w rde, und doch gibt es Leute, denen es nichts schadet, weil sie daran gew hnt sind. Das gibt einen guten bergang zu Kap. 30, wo nun von denen die Rede ist, die gewohnheitsm ig zweimal am Tage essen. Die Sch den, die sie von einer nderung dieser Lebensweise haben,

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werden 30. 32 und die Abhilfemaßnahmen dagegen 33 dargestellt. Hier findet sich allerdings Kap. 31 eine allgemeine Nutzanwendung über den Schaden der quantitativen Diätveränderung, die man an dieser Stelle nicht erwartet und die in der Tat noch nicht ganz fest in den Zusammenhang eingefügt sein dürfte. Kap. 34 gibt dann eine Differenzierung der Schäden nach Konstitutionen, die als Ergänzung ohne Bedenken hinzunehmen ist. Die Nutzanwendung auf die Krankenbehandlung, die in Kap. 35 folgt, macht an dieser Stelle keine Schwierigkeiten. Kap. 36 —37 folgt eine Ergänzung über die Schädlichkeit qualitativer Veränderung der Lebensweise, selbst wenn es sich um eine Veränderung zum Besseren hin handelt. Wegen der Verwandtschaft mit der Feststellung 123, i—4 möchte B. diese Kapitel hinter 283 rücken. Aber was dort eine allgemeine Bemerkung über quantitative und qualitative Diätveränderungen war, bezieht sich hier nur auf die Qualität, und wk können dem Verfasser nicht vorschreiben, in welcher Reihenfolge er seine deutlich voneinander abgehobenen Gesichtspunkte ordnen will. Erst nach der vollständigen Darstellung des Schadens der Diätveränderung bei Gesunden folgt 37 ß' die Einschränkung, inwiefern man bei Kranken unter Umständen doch an eine Diätveränderung denken muß, und damit die Rechtfertigung des Kap. 27 eingenommenen Standpunktes. Welche Gesichtspunkte bei einer solchen Veränderung der Krankendiät im einzelnen zu beachten sind, zeigt Kap. 38. Aber auch bei der Krankendiät | merkt man oft, daß von Anfang an schlechte Diät immer noch besser ist als plötzliche Veränderung (39. 40). Die polemische Haltung, die 122, 2 ff. sich zeigte, wird nun wieder aufgenommen, indem Kap. 41. 43. 44. gezeigt wird, welche Fehler die Ärzte in der Frage der Diätveränderung häufig machen. Heraus fällt Kap. 42, eine Beschreibung akuter Krankheitssymptome, die nach Gal. 201, 22 ff. aus der falschen diätetischen Behandlung durch die Ärzte resultieren. Aber es ist B. sicher zuzugeben, daß hier ein formaler Einbau in das umgebende Stück nicht zu entdecken ist. Dagegen halte ich gegen sein Urteil die Anfügung von 45—47 an 44 für richtig disponiert. In Kap. 44 war zuletzt festgestellt worden, daß unter den Diätfehlern, die die Ärzte machen, schwerer derjenige ist, der einem Kranken eine Überfüllung mit Nahrung zumutet, als der andere, der ihn übermäßig hungern läßt. Kap. 45 fährt fort: so ist es auch mit dem übrigen Körper; der Übergang von Ruhe zu Bewegung ist schädlicher als der umgekehrte. Kap. 46 bringt ein Beispiel dafür, und Kap. 47 zieht die Nutzanwendung für den Verdauungsapparat, wovon die Digression von 44 zu 45 ausgegangen war. Mir scheint, daß die Kap. 45—47 als eine Erläuterung zu den vorher erwähnten Diätfehlern einen besseren Platz haben als hinter der Behandlung der Lebensweise der Gesunden Kap. 34, wohin B. sie rücken möchte. Kap. 48 findet dann den Übergang zur Diät in den akuten Krankheiten und damit den Abschluß des Beweis-Exkurses. Der Satz Kap. 49 gibt noch eine Anweisung über das Verhältnis von Schlaf und Verdauung, die in der Tat wie ein nicht eingeordneter Nachtrag zum vorhergehenden aussieht. Wenn man also von solchen vereinzelten Zusätzen absieht, so läßt sich der erste Teil doch als ein schon ziemlich ausgeführtes Ganzes begreifen. Die Ausführung reicht bis zum Abschnitt über die Bäder, die auch zur Diät gehören und deren Behandlung eng mit dem vorhergehenden verknüpft ist (B. 73 mit Anm. 2). Dann beginnt das Chaos der fragmentarischen Entwürfe; die Alten haben also den Grenzstrich zu dem ,Anhang' richtig gezogen. In die Behandlung der Abschnitte i, 20 und i, 28—49 spielt die Feststellung hinein, daß der zweite Teil zu Einzelheiten in ihnen Parallelen enthält, i, 19. 20 findet seine Entsprechung in 2, n. 13; i, 28. 29 und 30. 33 haben ihre Parallele in 2, 42. 44. B. 46. 55 ist geneigt, die Stellen des zweiten Buches für die originalen Vorbilder des ersten zu halten. In der Tat könnte der Umstand, daß i, 20 ein Symptom angegeben wird, dessen Beachtung wir erst durch 2, 13 genau verstehen (kalte Füße sind ein Zeichen sich steigernden Fiebers; darum soll man in diesem Zustand nichts reichen), und daß in i, 28 ff. die Beispiele von den und so glatt herausspringen,

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darauf f hren, da dem Verf. die zugrunde liegenden Tatsachen in ihrer Formulierung bereits gel ufig waren, als er sie an dieser Stelle verwertete. Aber da es sich im ersten und zweiten Buch um die Gedanken desselben Verf. handelt, so kennten wir eine sichere Priorit t nur konstatieren, wenn der weitere Zusammenhang der zweiten Stelle gekl rt w re, und das ist bei dem Zustand des zweiten Buchs ja nicht der Fall. So bleibt nur festzustellen, da die vorgebrachten Gedankeng nge dem Verf. vertraut sind.

Das ist wichtig wegen der Beziehung, die zwischen i, aSfl. und περί άρχαίης ίητρικής ίο besteht. Diese Beziehung ist allgemein anerkannt und auch in der Formulierung so eng, da sie literarischer Art sein mu . Mir scheint die Annahme von Littre richtig zu sein, da π. άρχαίης Ιητρικής Ι hier von π. διαίτης οξέων abh ngt 6 . Denn da der Verf. dieser Schrift seine Vorschriften ber eine etwaige Ver nderung der Krankendi t durch ihm vertraute Feststellungen ber die Wirkung des Wechsels in der Lebensweise der Gesunden erl utert, ist sehr nat rlich. In π. αρχ. ίητρ. ist der Gedankengang: die Krankend t ist auf demselben Wege gefunden worden wie der bergang von der tierischen zur speziell menschlichen Ern hrung, n mlich durch Verabreichung schw cherer Nahrungsmittel, wie sie der menschlichen Natur im Vergleich zur tierischen, dem Kranken im Vergleich zum Gesunden angemessen sind. Trotzdem ist es nicht so, da man durch einfaches Wegnehmen bei der Krankenkost sicher gehen k nnte. Man kann dabei auch zu wenig tun, so da es sich in jedem Fall darum handelt, das genaue Ma zu finden. Im Dienst dieses Gedankens steht in Kap. 10 als Beweis daf r, da unpassende Leere des K rpers ebenso sch dlich ist wie unpassende berf llung, das Verhalten der μονόσιτοι und der άριστηταί, wenn sie von ihren E gewohnheiten abgehen. Es handelt sich also im Grunde nur darum, die Wirkung unpassenden (άκαιρος) Hungers und unpassender berf llung zu zeigen; da es sich um eine nderung der Lebensgewohnheiten handelt, was f r π. διαίτης οξέων von entscheidender Wichtigkeit ist, ist hier nur ein sekund rer Gedanke. Es h tte ebensogut ein anderes Beispiel f r die Wirkung von Hunger und berf llung gew hlt werden k nnen; da es gerade in dieser Form geschah, ist auf die Vorformung in π. διαίτης οξέων zur ckzuf hren. Au erdem bertreibt π. άρχαίης ίητρικής die Sch digungen, die durch solches Verhalten entstehen: w hrend π. διαίτης οξέων lediglich Symptome des berf llungs- bzw. Hungerzustands schildert, wird in π. αρχ. ίητρ. CMC Ι ι, 42, 25. 43»8 behauptet, da f r viele diese Symptome der Anfang einer schweren Krankheit waren. Im Ganzen schlie t sich π. άρχαίης ίητρικής an die Formulierungen von π. διαίτης οξέων ι, 28 ff. an, aber die Darstellung der Symptome ist offenbar nach 2, 42. 44 erg nzt (vgl. νυσταγμός π. αρχ. ίητρ. 42, 24 Hbg. — π. διαίτ. όξ. ι68, 4 Kw.; ή κοιλίη καταρρήγνυται π. αρχ. ίητρ. 42, 25 Hbg. — έκταράσσεται π. διαίτ. όξ. ι68, 5 Kw.; τρόμος π. αρχ. ίητρ. 43> * Hbg. — π. διαίτ. όξ. 169, 4 Kw.). Wir d rfen also π. αρχ. ίητρ. als ein sehr altes Zeugnis f r die Zusammengeh rigkeit von π. διαίτης οξέων ι und 2 ansehen. 6

Oeuvres d'Hippocrate 2, 198. 481 f.

Blum, Lo scritto ippocrateo Περί διαίτης οξέων Es ist gewi nicht zuf llig, da π. άρχαίης ίητρικής sich in einzelnen Formulierungen an π. διαίτης οξέων anschlie t. Was π. αρχ. ίητρικής theoretisch fordert, das Prinzip der Individualisierung der Krankenbehandlung, vertritt π. διαίτης οξέων in der Praxis 7. Die Schrift spricht dieses Prinzip | aber auch in einem Satz der Einleitung aus, auf den B. nicht n her eingegangen ist, der mir aber sonst bisher noch keine befriedigende Deutung gefunden zu haben scheint. Der Satz (no, 7—13 Kw.) lautet nach dem durch Gal. CMG V 9, i, 120, 26 ff. i2i, 3 ff. im wesentlich unterst tzten Zeugnis der Handschriften: τάς μέντοι πολυτροπίας τάς εν έκάστησι, των νούσων και την πολυσχιδίην ουκ ήγνόεον ε'νιοι. τους δ' αριθμούς εκάστου των νοσημάτων σάφα εθελοντές φράζειν ουκ ορθώς έγραψαν, μη γαρ ουκ εύαρίθμητον }\, εί τούτω τις σημαίνεται την των καμνόντων νοϋσον, (τω add. Gal.) το έτερον του έτερου διαφέρειν τι, μη τωΰτό δε νόσημα δοκεΐν είναι, ην μη τωύτό όνομα εχη. Da hier von der Gewohnheit der Κνίδιαι γνώμαι, Krankheiten mit bestimmten Namen durchzuz hlen, die Rede ist, ist seit Gal. z. St. allgemein anerkannt; wie der Verfasser aber im einzelnen zu dieser Gewohnheit Stellung nimmt, ist umstritten. Zuletzt hat Edelstein a. a. O. 155 die Stelle folgenderma en interpretiert: „Schlie lich ist die Verschiedenartigkeit und Vielf ltigkeit jeder der Krankheiten in sich von einigen der Verfasser zwar richtig gesehen, aber die Zahl (der Erscheinungsformen) jeder Krankheit, die sie deutlich darlegen wollten, haben sie nicht richtig aufgeschrieben. Es ist n mlich wohl nicht richtig gez hlt, wenn die Leiden der Kranken durch die Symptome bezeichnet werden, durch die sich der eine Fall (der gleichen Krankheit) von anderen unterscheidet, man aber gar nicht den Eindruck haben w rde, es handle sich (bei dieser Aufz hlung in den verschiedenen Schilderungen) noch um dieselbe Krankheit, wenn sie (in der Schilderung) nicht denselben Namen h tte." Diese Deutung kann schon deshalb nicht richtig sein, weil der letzte Satz als Irrealis aufgefa t ist, wo doch einfaches δοκεΐν — ην ,μή steht. Au erdem enth lt die ganze u erung dann nicht eine Kritik am Prinzip der Z hlung, sondern an dem der Darstellung der Krankheiten, und doch setzt die Kritik mit den Worten μη γαρ ουκ εύαρίθμητον η ein. Ich verstehe: ,Einige erkannten wohl die Vielf ltigkeit innerhalb der einzelnen Krankheiten; aber damit, da sie genau die Zahlen der einzelnen Krankheiten angeben wollten, irrten sie sich: denn schwerlich ist es gut z hlbar, wenn man nach dem Prinzip den jeweils vorliegenden Krankheitsfall bezeichnet, da die eine Krankheit sich von der anderen etwas unterscheidet, aber nur dadurch dieselbe Krankheitsart bleiben soll, da sie denselben Namen beh lt': d.h. wenn man das Prinzip durchf hrt, innerhalb der einzelnen Krankheitsgruppen (der Galle, der Blase, der Nieren usw., wie Gal. z. St. sie aufz hlt) spezielle Verschiedenheiten anzuerkennen, so kann man die Spezialit ten dieser unter einem Namen zusammengefa ten Krankheitsgruppen nicht mehr z hlen (denn sie gehen ins Unendliche, weil eben jeder Krankheitsfall individuell verschieden ist). Die Hauptschwierigkeit des Ausdrucks liegt hier im Fehlen einer ausgebildeten Terminologie f r Genus, Spezies und Einzelfall der Krankheit.

Wie die Schrift sich diese Individualisierung der Behandlung denkt, zeigt uns das erste Buch an der Di t im allgemeinen; wie sie in der Spezialbehandlung der einzelnen Krankheiten durchgef hrt werden sollte, ist an den Materialien des zweiten Buches noch nicht deutlich genug zu erkennen. 7

W. M ri, Arzt und Patient bei Hippokrates, 1936, 45 f., stellt die beiden Schriften als Vertreter des Prinzips der individualisierenden Heilkunde nebeneinander. Auch B. 81 f. zeigt gut die Parallelit t der Anschauungen, die zwischen der Ablehnung eines schematischen Grundprinzips in π. άρχαίης ίητρικής und einer schematischen Behandlungsweise in π. διαίτης οξέων besteht. In der Schrift π. φύσιος άνθρωπου, die er daneben heranzieht, scheinen mir mindestens die Folgerungen, die wiederum in ein starr dogmatisches Schema auslaufen, doch anders zu Hegen.

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Wohl aber kann man an diesen sehen, da der Verf. eben von den sachlichen Voraussetzungen ausging, die er in der Einleitung kritisiert. Wir haben genug Material im Corpus Hippocraticum, um uns von der Form der Κνίδιαι γνώμαι eine Anschauung bilden zu k nnen: die B cher π. νούσων 2. 3 und π. των εντός παθών d rfen letzten Endes auf sie zur ckgef hrt werden, und f r ihr Spezialgebiet k nnen auch die B cher ber Frauenkrankheiten hierhergezogen werden8. Danach kennen wir au er dem Prinzip der Krankheitsz hlung und der knidischen Di t, wie sie π. διαίτης οξέων ι, 2. 3 kritisiert, auch den Aufbau der Krankheitsbeschreibung, die in gr ter Vollst ndigkeit Aitiologie, Symptomatik, Prognose und Therapie enthielt, oft jedoch im Einzelnen ver ndert oder auch unvollst ndig war 9. Nun sehen wir, da auch in den Materialien von π. διαίτης οξέων 2 Arten von καϋσος (ι. 2) und zwei Arten von Wassersucht (52) unterschieden werden — vorl ufige Mittel der Einteilung, auf die der Verf. nat rlich trotz der im Pro mium ge bten Kritik nicht verzichten konnte. Und die Beschreibung der Krankheiten, die wie in π. νούσων 2. 3 mit dem Namen einsetzt, enth lt in ihrer vollst ndigsten Form z. B. in Kap. i auch Aitiologie, Symptomatik, Therapie und Prognose. An anderen Stellen wird die im brigen hnlich aufgebaute Krankheitsbeschreibung durch einen δταν-oder ήν-Satz eingeleitet (2, 10— 12. 24. 25. 28); diese Form ist in π. των εντός παθών besonders h ufig (vgl. 1.2. 4—9). Dann gibt es auch zu denken, da der von B. 77 f. nach dem Vorgang von Littre ausgeschiedene Anhang pharmakologischer Rezepte 2, 58—72 eine formale Entsprechung gerade in π. νούσων 3 (17) und den Γυναικεία (ι, 921!.) findet10. Gewi ist es weder m glich noch n tig, ber solche ganz unpers nlichen Leistungen ein sicheres Urteil abzugeben; aber vielleicht handelt es sich doch nicht nur um eine ganz zuf llige Ausnutzung leeren Schreibraums, sondern um eine traditionelle Gewohnheit dieser pharmakologisch stark interessierten n Richtung. Da der Verf. sein gro es Werk ber die akuten Krankheiten in berwindung der berkommenen Form der Κνίδιαι γνώμαι aufbauen wollte, wird aus dem Pro mium und aus dem Befund des zweiten Buches deutlich. Ist er darum Anh nger der ,knidischen Schule'? Edelstein 155 f. hat es behauptet, unter Ablehnung der traditionellen Vorstellung, da der Verf. als ,Koer£ gegen die Knidier polemisierte, B. 80 hat es bezweifelt. Vielleicht sollte man die Frage nicht so stellen12, sondern Heber diese Folgerung ziehen: fr her galt der Verf. f r ,Hippokrates* oder ,einen Koer', der die Kni8

Vgl. Ilberg, Die rzteschule von Knidos, SBLeipz. 76, 1924, 3, der jedoch der Schule zu viel zuweist. Umgekehrt geht Edelstein 159 mit Anm. i in der Einschr nkung des knidischen Materials etwas zu weit. 9 Ilberg a. a. O. 9. 10 Vgl. B. 78 Anm. i. 11 Dazu π. διαίτης οξέων 109, i6 Kw. — Vgl. auch W. Artelt, Studien zur Geschichte der Begriffe ^Heilmittel' und ,Gift' (Stud. z. Gesch. d. Medizin 23, 1937), 73. 12 Vgl. auch A. Palm, Studien zur hippokratischen Schrift περί διαίτης, 1933, too.

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diet bek mpfte. Jetzt zeigt sich, da er auf den Κνίδιαι γνώμαι aufbaut, ohne da zun chst koische Lehre nachzuweisen w re. Auf sein Werk wiederum bezieht sich die Schrift π. άρχαίης Ιητρικής, die von Littre als das grundlegende Werk des Hippokrates seiner Ausgabe des Corpus vorangestellt wurde. Auch dieser Versuch der Gleichsetzung mit Hippokrates ist heute sehr viel unsicherer als vor 100 Jahren. Auf der anderen Seite zeigt B. 76 gut gewisse formale hnlichkeiten von π. διαίτης οξέων mit den Epidemien, die nicht nur auf hnlichen textgeschichtlichen Schicksalen, sondern auch auf einer hnlichen methodischen Einstellung beruhen. In beiden F llen ist Material zusammengetragen mit dem Ziel, es unter m glichst vielen, m glichst neuen Gesichtspunkten allgemeiner und spezieller Art zu betrachten. Sachlich besteht hier freilich ein wesentlicher Unterschied: w hrend die Epidemien den Menschen in die umgebende Natur hineinstellen, beschr nkt sich π. διαίτης οξέων und auch π. άρχαίης ίητρικής auf den von den Κνίδιαι γνώμαι her vertrauten Kreis der Krankheitsbehandlung. Aber die methodische Richtung auf Individualisierung und berwindung berkommener Schranken, die diese hindern k nnten, ist dieselbe in der Schrift, die von allen am meisten nach Kos weist13, und in denen, die direkt oder indirekt noch irgendwie an den knidischen S tzen orientiert scheinen. Neben das f r uns mit vielen wissenschaftlichen Vorurteilen belastete Schema der altgriechischen rzteschulen tritt als mindestens gleichwertiges Prinzip der Betrachtung dasjenige der historischen Entwicklung.

13 Vgl. Deichgr ber, Die Epidemien und das Corpus Hippocraticum, AbhBerl. 1933,3.

ULRICH FLEISCHER UNTERSUCHUNGEN ZU DEN PSEUDOHIPPOKRATISCHEN SCHRIFTEN Παραγγελίαι, Περί ίητροΰ UND Περί εύσχημοσύνης (= Neue deutsche Forschungen, Bd. 240, Abt. Klassische Philologie, Bd. 10)

Berlin 1939 [Gnomon 17 (1941) S. 23—32]

Im allgemeinen besteht die Neigung, die Schriften des C(orpus) H(ippocraticum) durchweg in die Zeit vom Ausgang des 5. bis in die zweite H lfte des 4. Jh. v. Chr. zu setzen. Dabei gibt es, wie immer man sich die Geschichte des C. H. vorstellen mag, kein Prinzip, das eine ausschlie liche Datierung aller Schriften in diese Zeit forderte. F r eine Gruppe der Schriften, n mlich alle diejenigen, die zum ,Hippokrates-Roman' geh ren, besteht sogar bereinstimmung dar ber, da sie in hellenistischer Zeit, z. T. vielleicht noch sp ter entstanden sind; und doch stehen diese St cke ihrer berlieferung nach nicht anders als die brigen Schriften des C. H. So haben sich auch f r einzelne der Lehrschriften vorurteilsfreie Forscher schon verschiedentlich zu einer sp teren Datierung veranla t gesehen. Trotzdem kann man immer wieder feststellen, da ein vager Begriff vom ,Hippokratischen' zur Fr hdatierung auch in solchen verd chtigen F llen zur ckf hrt. Dabei m te schon der Appell an das Stilgef hl zu einer sorgf ltigen Unterscheidung zwischen fr hen und sp ten St cken veranlassen; eine solche m te um so eher m glich sein, als die sp ten St cke offensichtlich weitaus in der Minderzahl sind und sich daher von der Masse der lteren mit hinreichender Deutlichkeit abheben sollten. Auch kann man hoffen, durch solche Feststellungen die immer noch dunkle Geschichte des C. H. weiter zu kl ren, und schlie lich ist es wahrhaftig nicht gleichg ltig, ob man Sprachelemente und Lehren hippokratischer Schriften f r das 5. und 4. Jh. v. Chr. in Anspruch nimmt, die in Wahrheit erst in hellenistische oder gar r mische Zeit geh ren. Ein lehrreiches Beispiel f r den langwierigen Kampf evidenter Tatsachen gegen wissenschaftliche Vorurteile bieten die sogenannten Παραγγελίαι. In dieser Schrift hatte Littre schlagend Parallelen zu Sextus Empiricus und Epikurs Herodot-Brief entdeckt und in seiner Ausgabe abgedruckt (9, 251. 252). Wie die Abh ngigkeit zu deuten sei, lie er offen. Das war begreiflich, da er durch ein gerade von Daremberg entdecktes Scholion zum ersten Satz der Parangelien unsicher gemacht wurde. Dieses Scholion sollte

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auf Galen zur ckgehen, und nach seinen Angaben hatte sich schon Chrysipp mit den Parangelien besch ftigt ! . Das w re die fr heste uns bekannte Exegese einer hippokratischen Schrift, die Parangelien schienen damit in die Zeit vor 300 festgelegt. Man versuchte nun ganz von au en, diese Datierung und die epikurei l sierenden Wendungen der Schrift zu vereinigen, indem man auf Nausiphanes, den Anh nger Demokrits und Lehrer Epikurs, als ihren Verfasser riet. Gossen, auf den dieser Einfall zur ckging2, schrieb dem Nausiphanes auch gleich noch die thematisch verwandten Schriften π. ίητροΰ und π. εύσχημοσύνης zu. Dieser ganz in der Luft schwebenden These versuchte ]. F. Bensel3 eine Unterlage zu geben; wenn er auch die Person des Nausiphanes aus dem Spiel lassen wollte, so setzte er doch Παραγγελίαι und π. εύσχ. in seinen Kreis und die Schrift π. ίητροΰ, deren Andersartigkeit er nicht verkannte, wenigstens in dieselbe Zeit, die zweite H lfte des 4. Jh. v. Chr. Trotz ihrer Br chigkeit hat diese These so lange gewirkt, da sich noch K. v. Fritz in seinem Nausiphanes-Artikel4, wenn auch mit starker Skepsis, mit ihr auseinandersetzen mu te. Und doch hatte schon M. Pohlenz5 dargelegt, da die Parangelien an der fraglichen Stelle nur von Epikur abh ngig sein konnten. An einen viel sp teren Ansatz als etwa 300 dachte er f r die Schrift aber nicht6. Die Bezeugung durch Chrysipp, die schon dazu nicht gut pa te, versuchte er zu eliminieren, ohne das Scholion in seiner Substanz anzugreifen. Doch war die Herkunft des Scholions von Galen schon durch W. Braeutigam7 aus stilistischen Gr nden angezweifelt worden. Sp ter zeigte sich, da es auch aus inhaltlichen Gr nden nicht auf Galen zur ckgehen konnte und da die F lle antiker Bezeugungen der Parangelien, die es zu bringen schien, sich in nichts aufl ste 8 . Auch eine angebliche Schrift des Galen, die ein Zitat aus den Parangelien brachte, erwies sich als unecht und sp t 9 . Den entscheidenden Schritt zur richtigen Datierung der Parangelien tat K. Deichgr ber. Er stellte fest 10 , da die Schrift nicht nur Sextus Empiricus und Epikur, sondern auch das C. H. vielfach in mosaikartiger Weise benutzte. Diese Nachahmungen erweisen sich somit als eine ausgesprochen literarische Angelegenheit und lassen den sp ten Charakter der Schrift deutlich werden. In eine sp te Zeit passen auch ihre philosophischen Interessen, auf die epikureische und empirisch-skeptische Lehren eingewirkt haben. Ein 1 2 3 4

Daremberg, Notices et extraits etc. 1833, 200 S., f r die Wirkung vgl. Littre 9, 246 fi. RE. VIII 1913, 1813. Vgl. auch W. A. Heidel, Harv. Stud. Class. Philol. 1914, 202 f. Philologus 78, 1923, 88 ff. RE. XVI 1935, 2026 f. 5 Aus Platons Werdezeit 137 Anm. i. 6 Vgl. auch Hermes 53, 1918, 412 f. 7 De Hippocratis Epidemiarum libri sexti commentatoribus, Diss. K nigsberg 1908, 54 ff. 8 Hermes 68, 1933, 173 ff. 9 A. a. O. 170 ff. 10 Hermes 70, 1935, 106 ff.

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genaueres Zeitindiz fand Deichgr ber in dem ionischen Dialekt der Schrift, der den archaisierenden Tendenzen ! des 2. Jh. n. Chr. entspricht, denen die ionischen Schriften des Arrian und Aretaios entstammen. Im Vorbeigehen wies Deichgr ber auch auf den sp ten Charakter von π. ίητροϋ und π. εύσχ. und insbesondere auf Anzeichen hellenistischer Sprache in π. εύσχ. hin. Ein Jahr sp ter konnte ich in der Schrift π. τροφής stoisch-pneumatische Lehren nachweisen11. Da die Schrift andererseits dem Erotian bereits bekannt war, so wird sie dadurch ins i. Jh. n. Chr. datiert. Dieser Nachweis wirkte sich wiederum zugunsten einer richtigen Beurteilung sprachlicher Erscheinungen in den anderen sp tzudatierenden Schriften des C. H. aus12. Allerdings kann das Ionisieren in π. τροφής nicht ohne weiteres mit dem der Parangelien gleichgestellt werden, da es mit den speziellen Denkvoraussetzungen der Schrift, die den Verfasser zum heraklitisierenden Aphorismenstil trieben, zusammenh ngt. Auch ihrem Inhalt nach setzt sich diese Schrift mit ihren Spekulationen ber Kr fte und Stoffe im menschlichen K rper stark von den anderen hier genannten Schriften ab, die Forderungen an das Verhalten des Arztes behandeln und die man darum auch als ,deontologische' Schriften zusammengefa t hat. Wie sie in den Ausgaben13 zusammenstehen, so dr ngten sie sich auch in der Behandlung bei Gossen, Bensel, Deichgr ber immer wieder zusammen. Da aber ihrer thematischen Verwandtschaft auch eine solche der Zeit und der geistigen Herkunft entsprach, mu te ich bezweifeln, als ich Anla hatte, mich zu den Schriften zu u ern14. W hrend mir Deichgr bers sp ter Ansatz der Parangelien von vornherein berzeugend war, glaubte ich f r π. ίητροΰ Bensels Datierung ins 4. Jh. folgen zu k nnen, π. εύσχ. dagegen in den sp ten Hellenismus oder eher noch in die fr he Kaiserzeit setzen zu m ssen, und zwar insbesondere wegen der medizingeschichtlichen Voraussetzungen der Schrift. Diese drei Schriften hat nun Ulrich Fleischer, ein Sch ler von Deichgr ber, einer neuen, ebenso besonnenen wie ausf hrlichen Untersuchung unterzogen. Da er, unabh ngig von meinen Ausf hrungen, im wesentlichen zu hnlichen Resultaten gekommen ist, indem auch er π. ίητροΰ wesentlich fr her ansetzt als π. εύσχ. und die Parangelien, mag f r die Festigkeit der nun gewonnenen Position ein g nstiges Vorurteil erwecken. Au erdem hat F. das Verdienst, da er all das, was bisher nur skizziert worden war, sorgf ltig ausgef hrt und im einzelnen insbesondere das Verst ndnis der sprachlich sehr schwierigen Schriften Παραγγελίαι und π. εύσχ. wesentlich gef rdert hat. l F. geht aus von der oben in ihrer Entwicklung dargestellten Sp tdatierung der Parangelien. Er untersucht noch einmal das Verh ltnis zu Epikur, 11 12 13 14

Arch. f. Gesch. d. Med. 29, 1936, 178 ff. (oben S. 17 ff.). Vgl. F. 19 f. Littre 9, 198/273. CMG. I i, 20/35. Hiernach wird im folgenden zitiert. Gnomon 14, 125 ff. (oben S. 165 ff.).

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wobei er dazu neigt, eher eine direkte Abh ngigkeit vom Herodot-Brief als eine solche von π. φύσεως anzunehmen. Jedenfalls bleibt kein Zweifel, da der Passus 30, 13 ff. unmittelbar von Epikur abh ngt. Bei der sprachlichen Betrachtung der Schrift werden ihre sp ten Elemente herausgestellt, jedoch vorsichtshalber von solchen geschieden, die ionisch und hellenistisch sein k nnen. Die geistige Haltung der Schrift wird nach Deichgr ber als Eklektizismus zwischen rztlicher Empirie (Skepsis) und philosophischem Epikureismus gekennzeichnet. Ausf hrliche Beitr ge zur Textkritik schlie en sich an. In einem zweiten Abschnitt wird die Problemlage nach der Sp tdatierung der Parangelien berschaut. Aus der Situation der Forschung ergibt sich, da die Schriften π. ιητροϋ und π. εύσχ. nochmals untersucht werden m ssen. Es gilt zun chst, sie aus der allzu engen Verbindung zu l sen, in die die vorhergehende Forschung sie gebracht hatte, π. ίητροΰ wird nur kurz untersucht auf Text und Textquellen, auf den literarischen Charakter, der als isagogisch festgestellt wird, und auf die Sprache. Nach ihr und dem isagogischen Charakter der Schrift glaubt F. sie eher in die Zeit des fr hen Hellenismus als ins 4. Jh. v. Chr. datieren zu m ssen. Etwa die zweite H lfte der Arbeit gilt der Schrift π. εύσχημοσύνης. Nachdem der f r die Datierung in Frage kommende Wortschatz der Schrift in bersichtlicher zeitlicher Gliederung vorgelegt ist, schlie t sich eine ausf hrliche Interpretation des schweren Textes an. Alles f hrt darauf, da die Schrift wie die Parangelien ins erste oder zweite nachchristliche Jh. geh rt. Ihr philosophischer Grundzug wird, im Gegensatz zu Bensel, der sie in epikureisierender Tendenz mit den Parangelien verwandt fand, als ,stoisch' gekennzeichnet. Das Verh ltnis zu den Parangelien wird dahin umrissen, da es sich um verschiedene Verfasser handeln mu . Schlie lich wird versucht, die beiden sp tdatierten Schriften in die berlieferungsgeschichte des C. H. einzuordnen und diese Einordnung zeitlich genauer festzulegen. Man sieht, da eine wesentliche Leistung der Arbeit im genauen interpretatorischen und textkritischen Durchgehen der Parangelien und besonders von π. εύσχ. liegt. Dieses Unternehmen ist um so dankenswerter, als dem Verst ndnis der Schriften die Dunkelheit des Textes und z. T. auch die M ngel der berlieferung gro e Schwierigkeiten bereiten. F. hat ihr Verst ndnis sehr gef rdert; wo Unklarheiten bleiben — und das ist nicht selten —, ist ihm daraus kein Vorwurf zu machen. Auf solche Einzelheiten, die notgedrungen doch wieder in Aporien enden, an dieser Stelle einzugehen, w re un konomisch. Ich beschr nke mich darauf, Charakteristisches und einigerma en Sicheres hervorzuheben, l F.s Interpretation steht auf festem Grund, weil sie berall die richtigen Textzeugen heranzieht. Es gibt f r jede der drei Schriften nur einen unabh ngigen Textzeugen; f r π. ίητροΰ ist es der Vatican. 276 (V), f r die beiden anderen der Marcian. 269 (M). In π. ίητροΰ hat die richtige Beurteilung der Textzeugen (F. 51 f.) sehr zum Verst ndnis geholfen. Sch n ist z. B. die Herstellung 21, 3 ff. φως δε τηλαυγές μεν

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τοις θεραπεύουσιν, αλυπον δε τοις θεραπευομένοις ύπάρχει(ν), alles bis auf ύπάρχειν f r υπάρχει nach V gegen die Schlimmbesserung von E l5. F r den Text von π. εϋσχ. und Παρ. kann man sich nur auf M st tzen. Der Vatican. 277 (R) d rfte eine direkte Abschrift aus M sein. F r unsere beiden Schriften gen gt daf r ein schlagendes Beispiel: 29, 27 τεχθέν Μ, γρ. καΐ τευχθέν i. mg.: και (!) τευχθέν R. So hat F. auch nur die Lesarten von M als berlieferung behandelt und ist sich bewu t, da R nur Konjekturen bietet. So hat er mit Recht 34, 5 nicht die billige, aber unbrauchbare Konjektur άγακλέως von R aufgenommen, sondern aus άλαλκέως von M άναλκέως hergestellt. Auch sonst haben sich F. und sein Lehrer Deichgr ber um die Herstellung des Textes gerade in den Parangelien sehr verdient gemacht. Abgesehen von der Richtigstellung des — leider nicht allein stehenden — sinnst renden Druckfehlers 30, 9 Hbg. in ξυγκαταινέω μεν ουν nenne ich 30, 22 έως f r ως (Deichgr.), 31, 26 του εύδήλου προκρίνονται f r το εΰδηλον προκρίνοντες (F. 35> mit dem Hinweis auf die Parallele zu εΰδηλον in π. άγμών II 46, ij Kw. bei Deichgr ber, Hermes 70, 1935, 109) und die Streichung von ξύν 33, 17 durch Deichgr ber, die schon wegen der Parallele π. τέχνης ιι, 25 Hbg. dem k nstlichen Versuch von F. 40 f. entschieden vorzuziehen ist. Dagegen halte ich die Ersetzung von λογισμός durch λόγος 30, 5 (Deichgr ber, Hermes 70, 1935, 107) nicht f r n tig, obwohl man auch fr her schon an dieser Stelle Ansto genommen hat. Pohlenz 16 meinte, da mit den Worten μνήμη τις των μετ' αίσθήσιος ληφθέντων die τριβή definiert werde, und nahm dementsprechend eine L cke zwischen λογισμός und μνήμη an. Deichgr ber dagegen ersetzte nach der Definition des Πυρρώνειος λόγος bei Diogen. Laert. 9, 78 λογισμός durch λόγος, was F. 30 billigt. Ich glaube aber, da dem Verfasser dadurch zu subtile Unterscheidungen aufgeb rdet werden. Da er λογισμός und λόγος nicht voneinander unterscheidet, zeigt sich darin, da er 30, 4 vom λογισμός πιθανός, 30, i6 aber ganz synonym von der πιθανή άνάπλασις λόγου redet. Dann wird aber eine Ersetzung des einen Terminus durch den anderen f r den Gedanken ganz gleichg ltig. Ein Unterschied besteht f r den Verfasser nur zwischen dem λογ(ισμ)ός πιθανός, den er verwirft, und dem von ihm gebilligten λόγος, wie er nach seiner Definition sein sollte: das ist das Urteil, das auf Grund der auf Wahrnehmungen beruhenden Erfahrung im Bereich der διάνοια als eine Art ,Erinnerung' zustande kommt. In π. εύσχ. leuchtet besonders die Wiederherstellung des berlieferten 26, 22 als zweimaliges χρεωμένοισι und die Verbessserung der zweiten Stelle in χειριζομένοισιν ein (84), ferner die Verbesserung von πόνους 29, 9 in πολιούς und die Verteidigung von σκεπινούς 29, ίο mit gutem Material (98 f.). Auch χειριστοτέρη 29, n l t sich vielleicht halten (99). Sehr wertvoll sind berhaupt die Argumente, die F. immer wieder bei der Interpretation f r den sp ten Sprachcharakter | der beiden Schriften gewinnt. Umgekehrt zeigt sich, da vieles sich berhaupt nur bei Annahme so sp ter Sprache interpretieren l t. Zweifelhaft ist mir, ob man 27, 12 και durch ή ersetzen mu ; hier ist wohl nicht an eine Einschr nkung des Gesagten gedacht, sondern es soll gesagt werden, da der Arzt diese aufgez hlten Eigenschaften ,und berhaupt die meisten' (guten Eigenschaften) hat. 28, 5 w rde ich trotz F. 94 έτέρη παρέξοδος ή λιτότερη auf ein einfacheres Besteck f r Reisen' beziehen und ή δια χειρέων im Sinne unseres ,Hand'-Gep ck u. dgl. auffassen. An derselben Stelle ist επιδημίας vielleicht so zu verstehen, da der Verfasser an den hippokratischen Buchtitel gedacht und ihn vom Aufenthalt des Arztes an 15 Eine Kleinigkeit: 22, 19 druckt Heiberg nach der berlieferung εστίν αίσχρώς, was wirklich nicht angeht. Die lteren Ausgaben schreiben nach v. d. Linden εστίν αίσχρόν, vielleicht entspricht dem Sprachgebrauch des Verfassers aber noch mehr Ιχει αίσχρώς, vgl. 20, 7. 9. 15. 23. 21, 2. 7. 8. 23, 25. 16 Aus Platons Werdezeit 137 Anm. i.

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fremden Orten verstanden hat 17. 29, 18 meint εφ' ετέρα wohl nicht die Hinwendung zu einem anderen Arzt, sondern den Umstand, da Kranke ganz unvorhergesehenen Wechself llen unterliegen k nnen, wenn man ihnen bevorstehende Gefahren ihres Zustandes ank ndigt. Diese Deutung entspricht mehr dem Ethos von π. εύσχ., wo es wirklich auf das Helfen ankommt, im Gegensatz zu den Parangelien, wo Fragen der Berufstaktik im Vordergrund stehen.

Dies konstituiert bereits einen wichtigen Unterschied im Gesamteindruck der beiden Schriften. Wenn wir die Stellung aller drei behandelten Schriften zur rztlichen Standesethik vergleichen, so entsprechen die Forderungen, die π. ιητροΰ an den Arzt stellt, vorwiegend einem bestimmten gesellschaftlichen Ideal18. Im brigen treten hier die Forderungen an die Person des Arztes an Umfang weit zur ck hinter den rein sachlichen Vorschriften, π. εΰσχ. dagegen beh lt das pers nliche Verhalten des Arztes immer im Auge. Die Forderungen, die die Schrift hieran stellt, beruhen auf dem Axiom, Philosophie und rztliches Verhalten in Einklang zu bringen, d. h. die Schrift will eine philosophisch begr ndete Ethik des rztlichen Verhaltens geben. Die Parangelien nehmen insofern eine Mittelstellung ein, als die Schrift nicht das rztliche Verhalten an abstrakten Idealen mi t, sondern in erster Linie Fragen der rztlichen Berufstaktik behandelt. Diesem Thema entspechend ist der Ton der Schrift nicht lehrhaft wie in π. ιητροΰ oder mahnend wie in π. εύσχ., sondern stark polemisch. Einzelne Bemerkungen dieser Art kennen wir auch aus lteren Schriften des C. H., z. B. den chirurgischen; aber in den Parangelien wird ein viel komplizierterer Zustand der menschlichen Gesellschaft und der Stellung des Arztes in ihr vorausgesetzt. Da ist die Rede von der Befragung von Laien in medizinischen Dingen, von der Festsetzung des Honorars und unentgeltlicher Behandlung, vom Wunsch der Kranken, den Arzt zu wechseln, von Charlatanen, die den W nschen des Patienten mehr entgegenkommen als der verantwortungsbewu te Arzt, von Konsultationen mit Kollegen, von der richtigen psychologischen Behandlung des Patienten, von medizinischen Vorlesungen, von den intellektuellen Voraussetzungen zu einer erfolgreichen Bet tigung in der l Medizin. Kurz, eine F lle kulturgeschichtlich hochinteressanter Fragen wird ber hrt, und es ist nur zu bedauern, da Stil und berlieferung der Schrift uns manche Einzelheit immer noch unklar bleiben lassen. hnlich tiefgehende Unterschiede zeigen sich zwischen den drei Schriften, wenn man ihr Verh ltnis zur Sache und zur literarischen berlieferung betrachtet, π. ιητροΰ ist ganz auf die Sache bezogen; soweit die Schrift im vorbildlichen Arzt ein Menschenideal darstellt, das uns auch sonst in der Literatur hnlich entgegentritt, geschieht das, weil sie sich dieses Menschenideal sachlich zueigen gemacht hat. F r π. εύσχ. hat F. wahrscheinlich gemacht, da es hnlich gerichtete Dialexeis mit umfassenderer Themastellung bereits vorher gab, die der Verfasser nun seiner Darstellung vom Arzt an17 Vgl. A. v. Blumenthal, Jon von Chios, 1939, 14 f. i« Vgl. W. M ri, Arzt und Patient bei Hippokrates, 1936, 36 f.

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pa t. Doch liegt ihm auf jeden Fall die Sache selbst am Herzen. Die Parangelien lassen sich in ihren Ausf hrungen im einzelnen vielfach durch Formulierungen bestimmen, die sie aus den verschiedensten lteren Schriften bernommen haben, und zwar nicht, weil sich die Sache dieser Schriften mit ihrer eigenen deckt, sondern aus dem rein literarischen Streben, Wendungen aus schon vorhandener Literatur nachzubilden. Es ist daher auch durchaus glaublich, da der Verfasser die aphoristischen Bemerkungen des Kap. 14, die in keinem erkennbaren inneren Zusammenhang zu der vorhergehenden Schrift stehen, deshalb angereiht hat, weil sich auch in lteren hippokratischen Schriften dergleichen findet (vgl. F. 25 f.). Versuchen wir, das eben Festgestellte f r die Datierung der Schriften auszuwerten, π. ίητροΰ steht noch durchaus in der Tradition der rzteschulen, wie wir sie aus dem C. H. kennen. Im Bewu tsein dieses breiten Schulzusammenhangs verweist der Verfasser dort, wo seine Aussagen unvollst ndig bleiben, auf andere Schriften (23, 28. 35. 24, 2. 26). Seine Orientierung an der Sache zeigt sich auch formal, indem die weiterf hrenden Stichworte seiner Rede immer das sachlich Wichtige umrei en, so gleich in Kap. i ίητροΰ — τα περί αυτόν — τα περί την ψυχήν — το ήθος — σχήαασι — δίκαιον. Entsprechend, aber noch viel schneller berschaubar, setzt sich das bei den Vorschriften f r die ίητρική τέχνη Kap. 2 ff. fort; es gen gt, daf r auf die Kapitelanf nge zu verweisen. Das unterscheidet die Form der Schrift von der pseudo-isokrateischen Rede an Demonikos, die Bensel zum Vergleich herangezogen hat und die in der Tat in manchen ihrer gesellschaftlichen Ideale zu π. ίητροΰ pa t. Dort tritt die aus der Dichtung bekannte Form der Paraenese sehr stark durch die Hervorhebung der Imperativischen Formen hervor; es liegt dort eben Ermahnung, hier Lehrvorschrift vor. F. m chte π. ίητροΰ daher auch lieber eine isagogische Schrift nennen. Als charakteristisch empfindet er daf r die Teilung der Vorschriften nach ,K nstler' (Arzt) und ,Kunst' (Heilkunde): das stelle π. ίητροΰ zu hellenistischen Schriften l der isagogischen Literatur (55). Aber diese Teilung liegt in der Sache, und die Sache ist, soweit sie die ίητρική τέχνη betrifft, alt-hippokratisch. Neu ist allerdings das Interesse, ein Gesamtbild vom Arzt zu entwerfen; deshalb werden wir die Schrift auch nicht ins 5., sondern ins 4. Jh. stellen. Was F. 56 f. an sprachlichem Material gibt, weist auch sicher fr hestens in diese Zeit, aber auch nicht mit Notwendigkeit in eine sp tere; die meisten erst als hellenistisch nachweisbaren W rter sind medizinische Fachausdr cke, deren fr her mangelnde Bezeugung auf Zufall beruhen kann. Die Schrift nicht ber das 4. Jh. hinauszur cken, veranla t mich ihr lonismus. Er ist zwar nur leicht bergestreift, aber doch unverkennbar von Anbeginn mit der Schrift verbunden. Wie der Verfasser der Sache nach noch in der Tradition der alten rzteschulen steht19, so hat er sich auch von der alten wissenschaft19 Vgl. besonders die von Bensel a. a. O. 107 ff. behandelten der Schrift π. ελκών.

bereinstimmungen mit

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lichen Koine des Ionischen nicht l sen wollen, und das stellt ihn in die Tradition des 4. Jh. hinein. In fr hhellenistischer Zeit ist eine solche Ionisierung f r eine wissenschaftliche Schrift nicht zu erwarten, sofern nicht ein literarisches Kunstst ck geliefert werden sollte, — und der Verf. ist von nichts weiter entfernt als davon. Als die Schrift π. εύσχ. entstand, war es dagegen wieder m glich, eine ,hippokra tische' Schrift ionisch zu schreiben. F. hat in der Schrift ganz besonders sp te Sprachmerkmale aufweisen k nnen (67). Hellenistische Voraussetzungen hat ihre philosophisch-ethische Haltung; F. bezeichnet sie als jStoisch' und weist gut nach, da die Schrift nicht, wie Bensel zu zeigen versucht hatte, epikureisch orientiert ist (48 f.); die Zustimmung, die ich zu Bensels Annahme einmal im Vorbeigehen ausgesprochen hatte 20 , nehme ich gern zur ck. Aber auch den ,Stoizismus* der Schrift versieht F. (ιοί ff.) wohlweislich mit Anf hrungszeichen; er ist recht bla , und das hei t hier mit gro er Wahrscheinlichkeit, recht sp t. Der Nachweis, um den es hier vor allem geht, da der gute Arzt das in sich trage, was die Philosophie vom Weisen verlange, findet sich in abgewandelter Form auch in Galens "Οτι ό άριστος ιατρός και φιλόσοφος. Das kann schon etwas das geistige Klima kennzeichnen, dem die Schrift entstammt. Der Bl sse dieses philosophischen Einschlages entsprechen hnlich unverbindliche, aber unverkennbare medizinische Schuleinfl sse. Ich hatte schon Gnomon 14, 127 auf ,methodische' Wendungen in der Schrift hingewiesen, so bei der Anpreisung des rztlichen Vorgehens δια μεθόδων 28, 6, in der Auffassung der rztlichen T tigkeit als einer Umwandlung der K rper 27, 2i. Ich kann das auf eine weitere Stelle aus l dehnen, deren Erkl rung F. (91) Schwierigkeiten gemacht hat: 27, 14 die Ehre, die der Arzt bei den G ttern genie t, zeigt sich εν τοϊσιν αλλοισι πάθεσι και εν συμπτώμασι. F. sucht nach dem richtigen Sinn von συμπτώματα: es mu etwas Spezielleres im allgemeinen Rahmen der πάθη sein und zugleich etwas, wobei sich die Hilfe der G tter besonders deutlich zeigen kann. Beide Bedingungen erf llt der methodische Begriff von πάθος und σύμπτοομα. Besser als aus der verzerrenden Darstellung Galen X 73 K. ber Thessalos erfa t man ihn bei Soran, z. B. CMG. IV 94, 10 + 96, 23 ff.: πάθος ist der allgemeine Zustand des menschlichen K rpers, der normal (κατά φύσιν) und krankhaft (παρά φύσιν) sein kann. Krankhafte πάθη sind die generellen Krankheitsstatus der methodischen Lehre, wie γένος στεγνόν (ζ. Β. 94,12), ροώδες (ζ. B. 124, 15) usw. Die einzelnen Leiden, die ίδια πάθη κατά μέρη bezeichnet Soran 97, 2 dagegen als συμπτωμάτων χαρακτήρες διάφοροι. Danach ist σύμπτωμα auch bei den Methodikern der engere Begriff im weiteren des πάθος, und da die συμπτώματα das sind, wobei man die Hilfe der G tter besonders gut gebrauchen kann, zeigt Soran 5, 17, wo die gute Hebamme dargestellt wird als ,nicht verwirrt in den Wechself llen der Symptome' (ου παρατυπουμένην 20

Arch. f. Gesch. d. Med. 29, 1936, 190 Anm. 2 (oben S. 26 Anm. 19).

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εν ταϊς των συμπτωμάτων μεταβολαΐς), indem sie tr stend hinweist auf die Folgerichtigkeit, die dem πάθος entspricht (παρηγορούσαν κατά την προς το πάθος άκολσυθίαν). Das erhellt nun wieder eine andere Stelle aus π. εύσχ., n mlich 28, 30 und 29, 2, wo einerseits von ,T uschungen in Wechself llen' (τοϊσιν άπατωμένοισι2Ι κατά τας μεταβολάς), andererseits von einer Beurteilung des Einzelfalls die Rede ist, die ,in der Folgerichtigkeit geschickter und erfahrener ist* (το γαρ καθ' εν κατ' έπακολούθησιν εύθετώτερον και έμπειρότερον): das ist offenbar derselbe Gegensatz, wie er bei Soran zwischen den scheinbar un bersehbaren Wechself llen der Symptome und ihrer Reduktion auf den konsequenten Ablauf der πάθη festgestellt wird. Die schon von F. 88 hervorgehobenen bereinstimmungen zwischen den Forderungen, die π. εύσχ. an den guten Arzt und Soran an die gute Hebamme stellt, gewinnen damit an Bedeutung; zu den von F. genannten Eigenschaften der άφιλαργυρί,η und άδεισιδαιμονίη kommt noch die ήσυχίη 27, ^ ~ CMG. IV 5, 26 hinzu. Zur Erkl rung von 27,14 hatte F., ohne Passendes zu finden, in der pneumatischen Lehre gesucht, offenbar wegen des stoischen Einschlags in der Ethik von π. εύσχ. Aber stoische Ethik und methodische Medizin vertragen sich in dieser abgebla ten Form offenbar ebensogut wie in den Parangelien Epikureismus und empirische Skepsis. In der Sph re eines solchen sp ten Eklektizismus, in der die gedanklichen Gegens tze sich nicht mehr sto en, ist also π. εύσχ. erwachsen. Der Versuch, eine medizinische Schrift wieder ionisch abzufassen, weist l ins 2. Jh. So hatte wegen desselben Versuchs auch Deichgr ber die Parangelien schon richtig angesetzt. Dar ber hinaus zeigen die Parangelien deutlich ihre Orientierung an einem Corpus hippokratischer Schriften, die so kanonisch sind, da man sie ausschreibt. Auch dieser Hippokratismus geh rt ins beginnende 2. Jh., wo die Hippokrates-Exegesen wieder h ufiger werden und die f r die Zukunft grundlegende Hippokrates-Ausgaben entstehen. Andererseits zeigt F. am Schlu seiner Abhandlung, da die beiden sp ten Schriften bereits einer ma gebenden antiken Hippokrates-Ausgabe angeh rt haben m ssen. Das beweist ihre Erw hnung im Pinax Vaticanus, einerlei ob dieser dieselbe Sammlung meint wie der Hippokrates-Artikel bei Suidas. Man kann es auch offenlassen, ob die Z hlung der Schriften im Pinax Vaticanus etwas mit der angeblichen Bandz hlung bei Soran zu tun hat. Durch die Arbeiten von Franz Pfaff 22 wissen wir, da die Ausgabe des Artemidoros Kapiton die Textgrundlage f r unsere umfangreichsten Handschriften geliefert hat. Auch π. εύσχ. und die Parangelien werden ihr schon angeh rt haben. Da auch sie noch in die erste H lfte des 2. Jh. f llt, so kann die Spanne zwischen der Entstehung der Schriften und ihrer Aufnahme ins C. H. nicht sehr gro gewesen sein. Die Bereitwilligkeit, auch apokryphe Schriften aufzuneh21 Gegen F. 97 w rde ich hier nicht ndern. 22 Vgl. SBBerl. 1931, 560 ff. WSt. 50, 1933, 67 ff.

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men, wird um so größer gewesen sein, als man, wie Galens Kommentare zeigen, auch einen großen Teil der älteren hippokratisdien Schriften nicht für echt hielt23. Ein Präjudiz für die Echtheit brauchte also mit der Aufnahme einer Schrift ins C. H. in dieser späten Zeit nicht verbunden zu sein: es genügte, daß sie ionisch geschrieben und anonym war und daß ihre Qualität wohl auch nicht ganz des großen Namens unwürdig zu sein schien.

23 Damit erledigt sich, wie ich glaube, auch der Einwand, den M. Pohlenz, NGG., philolhist. Kl. 2, 1937, 99 Anm. i gegen die Spätdatierung der Schrift . wegen ihrer Behandlung durch Erotian richtet. Erotian scheint sie allerdings für hippokratisch gehalten zu haben, aber unter die hippokratischen Schriften wird sie zunächst nur aufgrund der oben skizzierten großzügigen Auffassung von ,hippokratischem' Gut gelangt sein.

MAX POHLENZ HIPPOKRATES UND DIE BEGRÜNDUNG DER WISSENSCHAFTLICHEN MEDIZIN

Berlin 1938 HIPPOKRATESSTUDIEN (= Nachr. Ges. Wiss. Göttingen, phil.-hist. Kl., Fachgr. i, N. F., Bd. 2,

S. 67— = Nr. 4) Göttingen 1937

[Gnomon 18 (1942) S. 65—88] Am Eingang zur Hippokratesforschung unseres Jahrhunderts steht der häufig, auch von Pohlenz wieder zitierte Satz von Wilamowitz: „Hippokrates ist zur Zeit ein berühmter Name ohne den Hintergrund irgend einet Schrift 1 ." Von dieser Feststellung ausgehend, versuchte Wilamowitz nur sehr vorsichtig, von der Person des berühmtesten Arztes zu einigen der zahlreichen Schriften, die unter seinem Namen erhalten sind, eine Brücke zu schlagen. Diese skeptische Tendenz griff weiter; sie ging dahin, Hippokrates ganz vom Corpus zu trennen, und fand ihren Höhepunkt in dem Versuch von L. Edelstein2, zu beweisen, daß sämtliche Schriften des Corpus Hippocraticum ursprünglich anonym umlaufende Einzelschriften gewesen seien, denen erst alexandrinische Willkür den Namen des großen Arztes beigelegt habe. Wäre das richtig, so wäre nicht nur jede Anknüpfung ,hippokratischer' Schriften an Hippokrates, sondern auch jeder Versuch zur Sichtung und zur Gruppenbildung innerhalb des Corpus als müßig erwiesen. Aber dieser Beweis konnte nicht gelingen3. Vielmehr haben im letzten Jahrzehnt wieder die Versuche eingesetzt, nicht nur Schriften des Corpus zu Gruppen zusammenzufassen, sondern sie auch zur Person des Hippokrates in Beziehung zu setzen. Andeutungen von Wilamowitz folgend, hat K. Deichgräber einen engsten Kreis hippokratisch-koischer Schriften aus Epidem. i und 3 und dem Prognostiken gebildet4. Auch die großen chirurgischen Schriften 1 SBBerl. 1901, 16. 2 und die Sammlung der hippokratischen Schriften 1931, iiöff.; 138 ff. 3 Vgl. Gnomon 9, 72 ff. (o. S. 138 ff.). 4 Die Epidemien und das Corpus Hippocraticum. AbhBerl. 1933, Phil.-hist. Kl. 3.

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άγμών und περί άρθρων εμβολής sollten ihm nahestehen; doch bringt es ihre besonders streng fachliche Richtung mit sich, da der Philologe b ndige Aussagen, die vom Inhalt ausgehen, ber sie schwer machen kann 5 . Pohlenz billigt im wesentlichen diese Zusammenstellung von Deichgr ber. Er nimmt mit noch gr erer Sicherheit als jener diesen engsten Schriftenkreis f r den gro en Hippokrates selbst in Anspruch. Aber der Schl ssel zum Verst ndnis des Hippokrates liegt f r ihn nicht in diesen spezialwissenschaftlichen Werken, sondern in der klimato'logischen Schrift Περί αέρων υδάτων τόπων, deren unbequemen und unzutreffenden Titel er durch die gl ckliche Verdeutschung „ ber die Umwelt" ersetzt, und in der mit ihr engstens zusammengeh rigen Schrift „ ber die heilige Krankheit" (περί ίρής νούσου). Die Schrift ber die Umwelt war von Galen bis Littre und dar ber hinaus zum engsten Kreis der hippokratischen Schriften gerechnet worden. Erst Wilamowitz, der sie demselben Verfasser wie die Schrift von der heiligen Krankheit zuwies, hatte sie aus diesem Kreis entfernt und damit auch die Zustimmung von Deichgr ber gefunden 6. Der Versuch von P. hat also, wenn er gelingt, den Wert einer Neuentdeckung. Unabh ngig von ihm hat neuerdings auch W. Nestle die beiden Schriften mit ihrer ,meteorologischen' Medizin wieder dem Verfasser von Epidem. i und 3 und dem Prognostiken, d. h. also Hippokrates zuweisen wollen7. Die Untersuchung von P. st t, indem sie von der Schrift ber die Umwelt ausgeht, sogleich in ein Gebiet lebhaftester Auseinanderset2ung vor, der besonders die Frage der Komposition dieser Schrift in den letzten Jahren ausgesetzt gewesen ist 8 . P. nimmt Stellung zu den beiden Teilen der Schrift, die er als Abhandlung ber „Umwelt und Gesundheitszustand" und „Umwelt und Volkstum" voneinander unterscheidet; es sollen zwei in sich einheitliche Abhandlungen desselben Verfassers sein. Demselben Mann gibt er auch die Schrift von der heiligen Krankheit, wor ber seit Wilamowitz in der Forschung grunds tzlich bereinstimmung besteht 9 . Er charakterisiert die Pers nlichkeit, die hinter den beiden Schriften steht, untersucht den wissenschaftlichen Einflu , den sie auf Mit- und Nachwelt ausge bt hat, und versucht nachzuweisen, da diese wissenschaftlich einflu reiche Pers nlichkeit mit Hippokrates identisch sei. Eine Zusammenfassung ber Hippokrates und die Begr ndung der wissenschaftlichen Medizin beschlie t das 5 Audi P. berl t in diesem Fall den Medizinern die letzte Entscheidung (8ο). Ich werde daher in dieser Besprechung auf die chirurgischen Schriften nicht eingehen. 6 Wilamowitz a. a. O. 21. Deichgr ber a. a. O. 126 f. 7 Hippocratica. Hermes 73, 1938, 17 S. Vom Mythos zum Logos 1940, 232. 8 Vgl. Edelstein a. a. O. i ff. mit der Besprechung von Joh. Mewaldt, DLZ. 1932, 254ff. Deichgr ber a.a.O. 112ff. H. Diller, Wanderarzt und Aitiologe. Philologus, Suppl.-Bd. 26, 3,1934 (WuA.) mit der Besprechung von A. Palm, Gnomon 13, 1937, 297 ff. K. I. Geizer, Die Schrift vom Staate der Athener 1937, 95 ff. 9 Vgl. O. Regenbogen, Symbola Hippocratea, Diss. Berl. 1914, 24 ff. M. Wellmann, Archiv f. Gesch. d. Med. 22, 1929, 290 ff. Deichgr ber 122 ff. WuA. 94 ff. Nestle a. a. O.

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Ganze; eine ähnliche Skizze seines Hippokratesbildes hat P. in einem Aufsatz der „Antike"10 gegeben, nachdem er schon in der „Geistigen Arbeit" einen kurzen Bericht über die Ergebnisse seiner Hippokratesforschung erstattet hatte11. Vorbereitet wurden diese Untersuchungen durch Hippokrates- l Studien, die 1937 in den Nachrichten der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften erschienen12. Sie setzen sich zunächst mit textkritischen Problemen der Schrift über die Umwelt auseinander und handeln dann von literarischen Beziehungen hippokratischer Schriften, insbesondere der beiden im Mittelpunkt des Hippokratesbuches stehenden Werke, doch ist auch von einzelnen anderen Schriften und schließlich von Fragen des Sprachgebrauches in hippokratischen Schriften die Rede. Da die Hauptprobleme dieser Studien sich mit solchen des Hippokratesbuches verschlingen, so wird es zweckmäßig sein, beide miteinander zu besprechen13. Da der zur Verfügung stehende Raum möglichste Konzentration der Besprechung erfordert, so wird sie sich auf diejenigen Fragen beschränken, die auf das Hippokrates-Problem und den Versuch seiner Lösung hinführen. Da die Medizinhistorie nach der Unsicherheit der letzten Jahrzehnte das begreifliche Verlangen nach einem philologisch fundierten HippokratesBild hat 14 , so muß alles das besprochen werden, was geeignet ist, die Frage zu beantworten, ob P. dieses Bild gegeben hat. Die Besprechung wird sich dieser Antwort in drei Stufen nähern: sie wird zunächst den Aufbau der Schrift von der Umwelt und ihr Verhältnis zur Schrift von der heiligen Krankheit noch einmal betrachten; sie wird dem nachgehen, was P. über den wissenschaftlichen Einfluß der Schriften gesagt hat, und sie wird endlich die Kardinalfrage zu beantworten versuchen, ob der Mann, der hinter diesen Schriften steht, wirklich Hippokrates sein kann. Alles andere muß beiseite bleiben, auch zahlreiche interessante Fragen der Textkritik, soweit sie nicht unmittelbaren Einfluß auf die Interpretation des Ganzen haben15. l 10

15,1939, i ff" 5, 1938, Nr. 6, 7 f. 12 Vgl. den Titel dieser Besprechung. 13 In der Besprechung zitiere ich das Hippokrates-Buch ohne nähere Bezeichnung, die Studien mit dem Zusatz NGG. 14 Vgl. P. Diepgen, Hippokrates 1938, 1237 ff. 15 Als Grundlage für die Textgestaltung der Schrift von der Umwelt erkennt P. die Zeugen an, die ich in meiner Arbeit über die Überlieferung der hippokratischen Schrift (Philologus, Suppl.-Bd. 23, 3, 1932 = Überl.) als selbständige Träger der Überlieferung erwiesen hatte, d. h. den Vatican, gr. 276 (V), die Randnoten Gadaldinis (Gad), die spätantike lateinische Übersetzung (L vet) und die mittelalterliche lateinische Übersetzung (L rec), die ihrerseits auf eine arabische Übersetzung des Hunain ibn Ishäq zurückgeht. Durch die Güte von Franz Pfaff habe ich von dieser arabischen Version schon seit längerer Zeit eine deutsche Übersetzung in Händen, ebenso von den nur hebräisch erhaltenen Resten des Galen-Kommentars zu . . . . Ich hoffe, daß das von Pfaff mit unendlicher Mühe bereitgestellte Material trotz der zeitbedingten Schwierigkeiten noch einmal für die Textgestaltung der Schrift wird ausgewertet werden können.

[68l6 2 um der Vollst ndigkeit willen die Di t. Auch die Krankheiten, die aus ihrer Ver nderung f r den einzelnen hervorgehen, kann der Arzt im Lauf des Jahres voraussagen. Denn er kennt die naturgegebene Di t der Bewohner in einer Stadt bestimmter Lage (57, 2i. 58, 20). Er stellt also auch die Di t unter die klimatologischen Feststellungen und kennt sie nicht als selbst ndigen Faktor. ber die Erweiterung dieser rein medizinischen Aussagen zur Gegen berstellung zweier Typen verschiedenen k rperlichen Leistungswillens in dem Satz 56, 19/20 vgl. Anm. 18. 29 Ich hielt es WuA. 107 f r n tig, den Satz 58, 27 τα τε ήθεα άγριώτερα ή ήμερώτερα zu streichen, weil ich ihn weder formal noch inhaltlich gut im Zusammenhang unterbringen konnte. Aber er pa t genau zu dem, was in π. t. v. 15 (6, 388 L.) steht: ,Die durch berma von Schleim in ihren geistigen Funktionen Gest rten sind ruhig und schreien und toben nicht, die durch berma von Galle Erkrankten aber schreien, sind b sartig und nicht ruhig, sondern tun immer etwas Unberechenbares*. Da die Bewohner der Nordstadt mehr unter der Einwirkung der Galle als des Schleims stehen (58, 13), so ist ihre Art nat rlich ,mehr wild als zahm'. Die Stelle in der Schrift von der heiligen Krankheit ist m. W. die erste in der Literatur, die den Phlegmatiker' und den .Choleriker' als geistige Typen gegeneinander stellt und sie auch inhaltlich schon so bestimmt wie die sp tere Temperamentenlehre. 30 Vgl. WuA. ιοί.

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weiter für den ursprünglichen Plan die Aussagen über die Jahreszeiten in Kap. . Hieraus ist nur der Satz 66, 4/8 zu entfernen, der auf das jetzige Gefüge der Schrift verweist. Er will die Aussagen über die Jahreszeiten nach denen über Ortslage und Wasser regulieren. Man wird zunächst geneigt sein, diesen Satz als einen Beweis der Einheitlichkeit des medizinischen Teils der Schrift anzusehen3!. Er ist es auch; nur gilt das nicht für die ursprünglich zugrunde liegende Skizze. Er wird mit der einseitig wertenden Gegenüberstellung von guter und schlechter Ortslage der Differenzierung der Kap. 3/4 gar nicht gerecht, sondern verrät sich durch seine ausschließliche Beziehung auf die ebenso einseitig wertenden Aussagen der Kap. 5/6 (und auf Teile von Kap. 7).

Das Kap. n ergänzt die Aussagen über die Jahreszeiten durch Angabe der für die Prognose wichtigen astronomischen Daten, wie das schon in Kap. 2 angedeutet war; der Ausblick auf therapeutische Vorschriften, in den die Schrift damit ausklingt, ähnelt dem Abschluß der Schrift von der heiligen Krankheit (Kap. 18. 6, 394 f. L.). Einen Grund zur Aussonderung des Kapitels aus dem ursprünglichen Plan sehe ich nicht 32 . Dagegen hat der ethnographische Teil natürlich nichts mit der ursprünglichen Absicht zu tun, den Arzt die generelle Prognose in einer unbekannten Stadt, in die er kommt, auf Grund von Wind und Wetter lehren zu wollen. Diese knappe, in sich geschlossene Skizze wurde erweitert. Die Gegenüberstellung von Nord- und Südwind wurde zu einer schematischen Darstellung der gesundheitlichen Bedeutung der Ortslage nach den vier Himmelsrichtungen ausgebaut; Aussagen über den gesundheitlichen Wert verschiedenen Wassers schlössen sich an, und schließlich sollte die klimatologische Gegenüberstellung verschiedener topographischer Gegebenheiten zur großen geographisch-ethnographischen Konfrontation der beiden Erdteile erweitert werden. Berücksichtigt wurden diese Erweiterungen, so gut es ging, durch eine Ergänzung der Einleitung 56, 7/21. Zunächst wurden die Wasser als wichtigste Erweiterung des ersten Teiles erwähnt. Aber die propositio hatte ursprünglich in Wahrheit nicht von der Ortslage gesprochen, sondern nur die warmen und kalten Winde erwähnt. Jenes wird nachgeholt in einem Satz, der von Voraussetzungen spricht, die wir schon aus Kap. 2 kennen: ,Wenn man in eine Stadt kommt, die man nicht kennt, muß man ihre Lage zu den Winden und zur Sonne erwägen.' Da hiermit die Betrachtung der Ortslage unter einen neuen Gesichtspunkt gestellt war, so wird auch die Erwähnung der Wasser, nunmehr mit konkreten Beispielen, wiederholt; es folgt die Bodenbeschaffenheit, die erst im ethnographischen Teil berücksichtigt wird, und die Lebensweise der Bewohner, deren Berücksichtigung für den ethnographischen Teil bedeutsamer ist als für den medizinischen. So war also auch der zweite Teil berücksichtigt; mehr ließ sich dafür nicht tun, da die Behandlung von Asien und Europa sich nun einmal nicht unter die vorgegebene Vorstellung vom Arzt, der in eine fremde Stadt kommt, pressen 31 Vgl. Deichgräber 117. WuA. 19. 32 Vgl. WuA. 13 ff. gegen Edelstein 24.

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lie . Die Unstimmigkeiten zwischen Einleitung und Ausf hrung w ren so erkl rt. Es erkl rt sich auch der nicht selbstverst ndliche Aufbau der Ausf hrung. Kap. 5/6 schl ssen sich nat rlich an Kap. 3/4 an. In Kap. 5/6 spielen die Aussagen ber die Wasser der Ost- und Weststadt schon eine sehr wichtige Rolle (59, 14/15. 29/32). Von da f hrte ein nat rlicher Weg zur Behandlung der ·— brigen Wasser. Damit scheint die zwangloseste Erkl rung f r das schwierige λοιπών 6o, 10 gefunden zu sein33. Da die Aussagen ber Asien und Europa ganz ans Ende r ckten, ist selbstverst ndlich. Schon aus dem Aufbau der Einleitung und des Ganzen ergibt sich damit der Schlu , da ein und derselbe Mann die urspr ngliche Skizze um die an sich verschieden i orientierten Partien 5/6, 7/9 und 12/24 erweitert hat. Sie werden auch durch Einzelheiten zusammengehalten, so 5/6 und die Wasserkapitel durch den Verweis 66, 4/8 und durch ihren wertenden Charakter, w hrend die hnlichkeit im Schema der Gegen berstellung von Osten und Westen Kap. 5 und 6 mit der Beurteilung von Asien und Europa in Kap. 12 und 23 zusammenschlie t 34 . Es bleibt die Frage, ob es der Verfasser der urspr nglichen prognostischen Skizze Kap. 1/4 und ιο/ι ι — und damit auch der Schrift von der heiligen Krankheit — selbst war, der diese Erweiterung vorgenommen hat. Die oben S. 70 ber hrten sachlichen Verschiedenheiten machen mir das unwahrscheinlich. Den Ausschlag scheint mir auch hier das Verh ltnis zur Schrift von der heiligen Kankheit zu geben. Ich hatte schon WuA. 107 ff. zu zeigen versucht, da im ethnograpischen Teil die Schrift von der heiligen Krankheit nicht wie im prognostischen in der Art benutzt wird, da ihre klimatologischen und physiologischen Voraussetzungen der weiteren Arbeit zugrunde gelegt werden, sondern da es sich hier mehr um Zitate einzelner S tze handelt, wie man sie auch von einem Fremden bernehmen kann. In dieser Auffassung bin ich durch die Beobachtung von Nestle 35 best rkt worden, da in der Polemik gegen die Annahme einer besonderen g ttlichen Verursachung bestimmter Krankheiten in der Schrift von der heiligen Krankheit (Kap. i und 18) die atmosph rischen Erscheinungen als θεια bezeichnet werden, w hrend in dem entsprechenden Zusammenhang in der 33 Man wird das Wort schon beibehalten und erkl ren m ssen, obwohl es nur in V steht; die Auslassung durch den Lateiner und den Araber, w hrend Gad schweigt, sieht nach einer Verlegenheitsauskunft aus. P. (NGG. 75 ff.) versucht auf einem weiten Umweg aus der schwer deutbaren Aussage bei Athen, z, 46 b εν δε τφ περί υδάτων Ιπποκράτης καλεί το χρηστό ν ΰδωρ πολύτιμον f r unsere Stelle πότιμον als das hippokratische Wort zu gewinnen, das dem λοιπών in V und dem πολύτιμον bei Athenaios zugrunde liege. Aber da selbstverst ndlich auch in den Kap. 3/6 die Wasser als Trinkwasser angesehen werden, so ist das kein passendes Distinktiv f r den neuen Abschnitt. Au erdem kann ich mir selbst bei der Voraussetzung gr ter Leichtfertigkeit schwer einen Exzerptor vorstellen, der unbesehen das falsche πολυτίμων aus dem Hippokrates-Text „freudig als hippokratische Glosse herausgefischt" haben sollte. 34 Vgl. K. Tr dinger, Studien zur griechisch-r mischen Ethnographie 39 Anm. i. Wie ich jetzt glaube, habe ich WuA. 89 ff. diese hnlichkeit zu Unrecht abzuschw chen versucht. 35 Hermes 73, 1938, 2 ff.

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Sdirift von der Umwelt dieser Begriff auf die ganze ausgedehnt, d. h. aber vom Standpunkt der Schrift von der heiligen Krankheit aus verwässert wird. Ich halte es für unwahrscheinlich, daß ein Denker so mit seinen eigenen Gedanken umgeht, wie ich auch nicht glaube, daß er den ursprünglichen Aufbau seiner Gedanken durch Erweiterung so entstellen würde, wie es in der Schrift von der Umwelt geschehen ist.

Ich nehme also an, daß die Schrift von der Umwelt von einem Mann überarbeitet wurde, der mit dem Verfasser der Schrift von der heiligen Krankheit und der ursprünglichen prognostischen Skizze . . . . 1/4 + /11 nicht identisch war 36 . Allerdings zeigt die Weiterführung von Gedanken des Vorbildes, daß der Überarbeiter seinem Vorgänger nahegestanden haben muß. Er wird sein Schüler gewesen sein; auch kann er nicht durch großen Zeitabstand von ihm getrennt gewesen sein. Aber die Wertung einer Schrift wird natürlich davon beeinflußt, ob sie nach unserem Urteil aus einem Guß ist oder nicht. Ich gestehe, daß ich l mich darin in einem gewissen Gegensatz zu P. fühle, daß ich wenigstens die Schrift von der Umwelt, wie sie uns heute vorliegt, nicht ganz so hoch einschätzen kann wie er. Ich halte sie als Ganzes für das anregende Werk eines vielseitig interessierten Mannes, aber nicht für eine schöpferische Leistung ersten Ranges. Aber es bleibt noch die Schrift von der heiligen Krankheit, deren Leistung zweifellos einheitlicher und bedeutender ist. P. veranschlagt die Wirkung beider Schriften auf die Mit- und Nachwelt sehr hoch, entsprechend der sachlichen Bedeutung, die er ihnen beimißt. Es wird festgestellt werden müssen, ob der wissenschaftliche Einfluß beider Schriften tatsächlich so weit reicht, wie P. glaubt, und zwar sowohl innerhalb wie außerhalb des Corpus Hippocraticum. Man braucht dabei die Untersuchung der beiden Schriften nicht voneinander zu trennen, auch wenn man die Schrift von der Umwelt in ihrem jetzigen Bestand einem anderen Verfasser gibt. Denn beide sind zweifellos miteinander überliefert worden, und die Schrift von der Umwelt dürfte erst in ihrer erweiterten Form an die Öffentlichkeit getreten sein. So hat die hippokratische Notizensammlung . , die den EpidemienBüchern nahesteht, offenbar bereits die ganzen medizinischen Darlegungen der Schrift von der Umwelt gekannt und ausgenutzt 37. Ich halte es auch für möglich, daß in dem kleinen Stück . die Schrift von der heiligen Krankeit vorgeschwebt hat 38 und daß der eklektische Verfasser der Schrift von der Diät in der Formulierung seiner Forderung, der Diätetiker solle die meteorologischen und klimatologischen Gegebenheiten, unter denen der Mensch steht, berücksichtigen (i, 2. 6, 470 L.), von der Schrift von der Umwelt abhängig ist 39 . Aber in der Ausführung dieser Forderung zeigt die Schrift über die Diät (2, 37. 38) ganz andere geographische Vorstellungen und auch eine 36 Nestle, Vom Mythos zum Logos 231 Anm. 136, nennt allerdings meinen Versuch, die Übereinstimmung beider Schriften aus der Benutzung von . t. v. durch den Verfasser von . . . . zu erklären, „sehr künstlich". Ich glaube aber, daß die komplizierte Sachlage auch eine komplizierte Lösung erfordert. 37 Vgl. Überl. 139. P. 48 Anm. 5. NGG. 86. Etwas zurückhaltender Deichgräber 125 f. 38 P. 48 f. NGG. 89 ff. 39 P. 44 Anm. 2. NGG. 83 ff.

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abweichende Auffassung der beiden Hauptwinde; wir m ssen damit rechnen, da es noch andere klimatologische L sungsversuche neben dem der Schrift von der Umwelt gegeben hat. An anderen Stellen hippokratischer Schriften l t sich der von P. behauptete Einflu der Schriften von der heiligen Krankheit und von der Umwelt sicher ausschalten. So soll in περί φύσιος παιδιού Kap. 8 die Form der Feststellung, da der Same vom gan2en K rper kommt και από των άσθενέων ασθενής και από των ισχυρών Ισχυρή (7,48° L.), von der entsprechenden Aussage in π. ί. v. Kap. 2 (6, 364 L.) abh ngig sein (P. 44 Anm. i). Dort handelt es sich um die Vererbung von Krankheiten, und der Zusatz lautet dementsprechend από τε των ύγιηρών ύγιηρός από τε των νοσερών νοσερός 4°. In π. φΰσιος παιδιού handelt es sich um die Vererbung des Geschlechts und anderer Eigenschaften von Vater und Mutter; die St rke und Schw che des Samens, der von beiden Teilen kommt, ist daf r eine wichtige Voraussetzung, wie schon Kap. 6 (6, 478 L.) zeigt. Von einer Abh ngigkeit der einen Aussage von der anderen kann also keine Rede sein. Beide Schriften formulieren eine in rztekreisen umlaufende These 4i unabh ngig voneinander ihrem Gedankengang gem . Epidem. 6, 5, 5 steht der Aphorismus, da der Seele Umherwandern f r die Menschen Denken (Bewu tsein) sei. P. (59 f. NGG. 87 ff.) erkl rt diesen Satz aus der Lehre der Schrift von der heiligen Krankheit, da das Bewu tsein des Menschen von der ungest rten Zirkulation der Luft, der Tr gerin des Lebens und aller geistigen F higkeiten im K rper, abh nge; das ist einleuchtend, wenn auch der Aphoristiker der Epidemien nichts davon sagt, da er sich die Seele als ,Luft' vorstellt. Aber diese Lehre ist keine originale Leistung des Hippokratikers, sondern geht auf Diogenes von Apollonia zur ck (vgl. Vors. 64 A 19,43. 45). Die Epidemien k nnen also ebensowohl direkt auf Diogenes wie auf die Schrift von der heiligen Krankheit zur ckgegriffen haben; ja wahrscheinlich wird man noch weitergehen m ssen. Deichgr ber (61) hat richtig gesehen, da der Satz der Epidemien mit Heraklits Vergleichen der Seele mit der Spinne im Netz (Vors. 22 B 673) zusammenh ngt; an anderer Stelle werde ich zeigen, da Diogenes Heraklits Seelenlehre ins Physiologische bertragen hat. Aus der Formulierung des Aphorismus wird man mit Deichgr ber schlie en d rfen, da der Arzt hier tats chlich heraklitisieren wollte. Noch deutlicher ist die heraklitische Formulierung in Epidem. 6, 5, 2. Freilich ist die Deutung schwierig: ,Des Menschen Seele entsteht immer neu bis zum Tode'; ην δε έκπυρωθίί, άμα τη νοΰσφ και ή ψυχή το σώμα φέρβεται. P. (NGG. 87) bersetzt: „Geht aber im Zusammenhang mit der Krankheit auch die Seele in Feuerzustand ber, so wird der Leib verzehrt". Er setzt also das Komma zwischen ψυχή und το σώμα. Dann bekommt 8μα die verwaschene Bedeutung ,in Zusammenhang mit'. Ich ziehe Deichgr bers oben angegebene Interpunktion vor (a. a. O. 53, vgl. 61): „Ger t die Seele in Feuerzustand, so verzehrt sie in Gemeinschaft mit der Krankheit den K rper." Konkret vorgestellt ist wohl, wie P. meint, als Krankheit ein t dliches Fieber. Dann aber ist die Ausdeutung ausgesprochener Heraklitismus: die menschliche Seele erg nzt sich immer wieder, sei es durch Einatmung (Vors. 22 A 16, 129 f.), sei es durch άναθυμίασις aus dem K rper (22612); geht sie in ihren wesensgem en, feurigen Zustand ber, so ,weidet' sie sich zusammen mit der Krankheit am K rper: d. h. sie zieht die feurigen Bestandteile aus dem K rper an sich und tut so zusammen mit der Krankheit das Ihre zur Zerst rung des K rpers. Bei dieser Formulierung mu man sogar fragen, ob man berhaupt Diogenes als Vermittler voraussetzen soll; sicher wird man darauf verzichten, zur Erkl rung die Schrift von der heiligen Krankheit heranzuziehen, die ber das Ph nomen des Todes gar nicht gesprochen hat (P. 60. NGG. 88). 4° Danach π. ά. υ. τ. Kap. 14. 69, 14 f-> in der Tat weniger passend, da es sich hier nicht um Vererbung von Krankheiten, sondern von Konstitutionsmerkmalen handelt; vgl. WuA. 108. « Vgl. WuA. 58.

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Das bleiben zun chst Einzelheiten. Medizingeschichtlich bedeutsamer ist P.s Versuch, die Krankheitsaitiologie in der knidisdhen Schrift π. νούσων 2, i/i i als abh ngig von der Schrift von der heiligen Krankheit hinzustellen (49. NGG. 91 ff.), l Er stellt NGG. 93 — nach dem Vorgang von Wellmann, Archiv f. Gesch. d. Med. 22, 1929, 304 — die Krankheitsaitiologien von krampfartigen Anf llen in Λ. νούσων 2, 8 und π. L v. 7 nebeneinander, die allerdings alles notwendige Material zur Beurteilung des Verh ltnisses enthalten. Die w rtlichen bereinstimmungen gehen sehr weit, desgleichen die sachlichen hnlichkeiten: die Anf lle werden aus einer berw ltigung des warmen Bluts durch kalten Schleim erkl rt, der, aus dem Kopf herabf e end, das Blut abk hlt und in seiner Bewegung hemmt. Neben dem Schleim kennen beide Schriften anderweitig als wichtige Krankheitsursache die Galle. Der wesentliche Unterschied ist, da die Schrift von der heiligen Krankheit au erdem noch von der St rung der Zirkulation der Luft spricht, wovon der Knidier nichts wei . P. meint, der Knidier habe dieses Moment „ausgeschaltet"; dann h tte er gerade das f r die Schrift von der heiligen Krankheit Wesentliche ausgeschaltet. Das ist an sich schon unwahrscheinlich. Au erdem wissen wir aber, da die Knidier die Krankheiten von jeher auf Schleim und Galle zur ckf hrten und dem Kopf bei der Entstehung bzw. der Weiterleitung dieser S fte eine wichtige Rolle zuschrieben; die Kombination der peripatetischen Berichte ber die beiden ltesten Knidier Euryphon und Herodikos zeigt das klar 42. Wir wissen ferner, da π. νούσων 2 eine Teilredaktion des Hauptwerks der knidischen Schule, der Κνίδιαι γνώμαι, ist 43. Diese Κνίδιαι γνώμαι haben zweifellos nicht nur therapeutische, sondern auch aitiologische Lehren gegeben; das zeigen nicht nur die peripatetischen Berichte ber Euryphon und Herodikos, sondern z. B. auch die Schrift π. των εντός παθών, die vielleicht zur selben Redaktion der Κνίδιαι γνώμαι geh rt wie π. νούσων 2 44. Die Aitiologien von π. των εντός παθών arbeiten gleichfalls mit dem Verh ltnis von Schleim und Galle zum Blut (vgl. z. B. Kap. 12.18. 29 u. a.). Da die Aitiologien in π. νούσων 2, i/ii f r sich zusammengestellt sind, bedeutet also nicht, da sie nicht zum urspr nglichen Bestand der Κνίδιαι γνώμαι geh rten und von anderer Literatur abh ngig w ren (P. NGG. 92). Am wenigsten kommt als Vorbild die Schrift von der heiligen Krankheit in Frage. Vielmehr ist ganz klar, da diese auf den knidischen Lehren von Blut, Schleim und Galle weiterbaut. Sie hat sie erg nzt durch die diogenische Lehre von der Bedeutung der Luft, und sie hat weiter die Bedeutung, die bei den Knidiern dem Kopf f r die Krankheitsentstehung zugemessen wird, durch die sch rfer pr zisierte Rolle ersetzt, die sie dem Gehirn zuweist. Dieses klare medizingeschichtliche Verh ltnis darf man nicht auf den Kopf stellen. Grunds tzlich mu berhaupt gesagt werden, da man die Breite der damaligen medizinischen und sonstigen wissenschaftlichen Entwicklung untersch tzt, wenn man die Wissenschaftsgeschichte jener Zeit auf das literarische Verh ltnis von ein paar uns zuf llig bekannten Schriften zueinander zu reduzieren versucht.

Auch die ber hmte Lehre der Schrift π. φύσιος ανθρώπου von den vier S ften Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle mu man in einen viel breiteren Zusammenhang einordnen. Sie erfordert besondere Aufmerksamkeit, da wir — im Corpus Hippocraticum eine Singularit t — durch die peripatetische Doxographie den Namen ihres Verfassers, Polybos, kennen, der 42 43

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Vgl. Excerpta Menonia in Suppl. Aristot. 3, i ed. Diels 4, 31 ff. 40 ff. Vgl. J. Ilberg, Griechische Studien f r H. Lipsius, 1894, 35 f. Die rzteschule von Knidos 1925, 4. 7. Vgl. Ilberg a. a. O.

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in der sp teren berlieferung Schwiegersohn des Hippokrates genannt wird. Die Forschung ist daher durchweg von der Zuversicht erf llt, sich hier in besonders gesicherten Bezirken k lscher Lehre bewegen zu k nnen. P. sieht auch hier unsere beiden Schriften als Vorbild und meint, Polybos habe deren Lehre von den zwei S ften ebenso in ein Viererschema umgewandelt wie die in π. ί. ν. Kap. 3 vorgetragene Lehre von den zwei Hauptadern (49 ff·)· Aber unsere Schriften kennen, wie gesagt, nur die knidische Dreiheit Blut, Schleim, Galle. Die »schwarze Galle' kommt nur einmal als Krankheit vor (π. ά. ύ. τ. Kap. ίο. 66, 25), steht also keineswegs gleichberechtigt neben Schleim und (,gelber') Galle, die als konstitutionsbildende Grundlagen der Typen der φλεγματίαι und χολώδεες durchgehend anerkannt werden. Dagegen kommt die schwarze Galle neben der unbenannten anderen Galle und dem Schleim schon in der knidischen Schrift re. των εντός παθών (Kap. 5- 27. 34) vor. Auffallender ist die Beziehung von Polybos' Lehre zu Epidem. 3,14 45, wo dicht hintereinander το μελαγχολικόν και ΰφαιμον, φλεγματώδεες und πικρόχολοι genannt werden, und zwar als Konstitutionstypen, wie ja auch bei Polybos die vier S fte nicht als Krankheitsstoffe, sondern als Grundbestandteile der menschlichen Konstitution erscheinen; ein wichtiger Unterschied ist allerdings, da Polybos keine Typenklassen bildet, sondern die Menschen als s mtlich in gleicher Weise dem jahreszeitlichen Wechsel unterworfen behandelt. Das trennt ihn aber nicht nur von den Epidemien, sondern auch von den beiden ndern Schriften. In der Adernlehre ist die Schrift von der heiligen Krankheit nicht besonders originell; die beiden Hauptadern geh ren zum eisernen Bestand der lteren Adernlehre46. Es ist also nicht m glich, den .Schwiegersohn des Hippokrates' in eine besonders enge Beziehung zu den Schriften von der heiligen Krankheit und von der Umwelt zu bringen.

Im innersten ,hippokratischen' Kreis befinden wir uns mit dem Prognostiken und Epidem. i und 3. Von allen hippokratischen Schriften weisen die Epidemien-B cher durch ihr Tatsachenmaterial, durch Ortsangaben und Namensnennungen am meisten nach Kos und auf die hippokra tische Schule. So hatte Deichgr ber Anla , ihre ltesten Bestandteile in den Mittelpunkt seiner Untersuchung zu stellen, die ein neues Bild der koischen Schule entwerfen sollte. Auch das Prognostiken, das Z ge ehrw rdigen Alters, rztlicher Reife und einer wissenschaftlich klaren und sch nen Sprache tr gt, m chte man gern dem gro en Hippokrates geben. Deichgr ber hat gezeigt, da zwischen ihm und den Epidemien jedenfalls keine Widerspr che bestehen, ja er glaubt sogar, da in den Epidemien (i, 2^) auf das Prognostiken verwiesen wird47. Soll nun Hippokrates auch die Schrift von der heiligen Krankheit und die ber die Umwelt verfa t haben, so m te er mit dem Verfasser des Prognostikon gleichge ! setzt werden k nnen. P. und unabh ngig von ihm Nestle haben das bef rwortet. Der Hinweis auf hnlichkeiten verschl gt nichts, wenn eine Stelle der Identifikation der Verfasser unberwindliche Schwierigkeiten entgegenstellt. Diese Stelle ist die u erung Prognost. i (79, 1/2 Kw.) ber das -θείον in den Krankheiten. Hier wird mit 45 Vgl. auch P. 57. 46 Vgl. K. Fredrich, Hippokratische Untersuchungen 1899, 57 ff. 47 a. a. O. 17 ff.

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einem solchen ausdrücklich gerechnet, während es bekanntlich das zentrale Anliegen der Schrift von der heiligen Krankheit ist zu zeigen, daß keine Krankheit göttlicher ist als die andere, sondern alle im Konnex von Ursache und Wirkung stehen. Dieser Widerspruch bewog Kühlewein, die Worte im Prognostiken als ,unhippokratische' Äußerung zu streichen, während Wilamowitz 48 den richtigeren Schluß zog, daß beide Schriften nicht von demselben Verfasser stammen können. Mit einer interessanten Argumentation versucht Nestle 49 den Anstoß zu beseitigen. Er zeigt richtig, daß die Schrift von der heiligen Krankheit den Begriff des neu fundiert, indem sie ihn den atmosphärischen Einflüssen beilegt, die der menschlichen Einwirkung entzogen sind. In diesem Sinn soll der Ausdruck auch im Prognostikon zu verstehen sein. Allein das Prognostikon ordnet das einer ganz bestimmten Gruppe von Krankheiten zu, denen gegenüber der Arzt auch ein besonderes Verhalten zeigen soll. Es handelt sich um die hoffnungslosen Krankheiten, die der körperlichen Widerstandskraft der Kranken überlegen sind (78,19 f.). Bei diesen Krankheiten soll der Arzt sich durch Vorhersagen des Ausgangs von der Verantwortlichkeit befreien (79,8). Zu ihnen gehören auch diejenigen, in denen etwas Göttliches ist. Es handelt sich also um eine ganz bestimmte Klasse von Krankheiten; in der Schrift von der heiligen Krankheit wird aber ausdrücklich gesagt, man sollte keinen Unterschied machen in dem Sinn, daß man eine Krankheit für göttlicher erkläre als die andere, ,sondern alle sind göttlich und alle menschlich' (Kap. 18. 6, 394 L.). Die Anerkennung des Göttlichen in allen Krankheiten schließt also aus, daß der Arzt sich bestimmten als göttlich herausgehobenen Krankheiten gegenüber besonders verhält. Den atmosphärischen Einflüssen als dem in den Krankheiten kann der Arzt zwar nicht direkt, aber indirekt durch die Gestaltung der Diät beikommen, wie im Schlußkapitel auseinandergesetzt wird. Die Neufundierung des -Begriffs dient also der Durchsetzung des ärztlichen Anspruchs, alle (nicht an sich hoffnungslosen) Kränkelten behandeln zu können. Für das Prognostikon dagegen bedeutet die Anerkennung des einen ärztlichen Verzicht. Das ist eben die Haltung, die die Schrift von der heiligen Krankheit bekämpft. Der Verfasser des Prognostikon hat diesen Kampf nicht gekannt oder nicht beachtet, und wir können ihn mit dem der Schrift von der heiligen Krankheit nicht identifizieren, wenn wir uns nicht zur Erklärung auf unkontrollierbare Biographica zurückziehen wollen 50. | Wichtiger wäre es noch, wenn man zwischen den Epidem. i und 3 und unseren beiden Schriften Übereinstimmung herstellen könnte. Wilamowitz hatte das seinerzeit für unmöglich erklärt, da der geographische Horizont beider Schriftengruppen verschieden sei 5l. Was P. 64 dagegen sagt, ist gewiß einleuchtend. Aber er hat nichts gegen die Argumente vorgebracht, die Deichgräber (126 f.) abhielten, die beiden Schriftengruppen demselben Verfasser zu geben. Ich glaube auch, daß man seiner Feststellung, die „schematische Physiologie" von . i. v. — . . . . sei Epidem. i und 3 fremd, nichts entgegensetzen kann. Dieser sachliche Gegensatz wird durch eine terminologische Beobachtung erweitert: in der Schrift von der Umwelt heißt der Herbst , in den Epidemien 52. p. möchte diesen Unterschied durch den Hinweis auf 48

Hermes 64, 1929, 482. 49 Hermes 73, 1938, i ff. 50 Das tut P. 61 Anm. i: „So mag einmal auch unser Arzt unter dem Druck eines großen Erlebens, bei dem menschliche Erkenntnis und Therapie versagten, diesen — vorsichtig formulierten — Satz geschrieben haben". Dann wäre der große Hippokrates in seinen zentralen wissenschaftlichen Überzeugungen einigermaßen labil gewesen. 51 SBBerl. 1901, 21. 52 P. NGG. ror.

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Thukydides aufheben, der in der Darstellung des archidamisdien Krieges nur φθινόπωρον, in den sp teren Teilen seines Werks nur μετόπωρον brauche. Dagegen l t sich schwer etwas vorbringen; aber es ist nicht befriedigend, wenn wir auf die wenigen Erkenntnismittel verzichten sollen, die das Material uns berhaupt in die Hand gibt 53.

Trotzdem ist die Nebeneinanderstellung unserer beiden Schriften und der Epidemien gewi n tzlich und n tig, denn hnlichkeiten allgemeiner Art sind unverkennbar. Beide vertreten die ,meteorologische' Medizin, beide haben ein hnliches Kalendarium, beide dr ngen dazu, die Menschen, die Gegenstand der rztlichen Beobachtung und Behandlung sind, in Typengruppen aufzugliedern. Auch in diesen Dingen ist die Schrift von der Umwelt formelhafter als die Epidemien. Sucht man eine Beziehung zwischen beiden, nachdem man erkannt hat, da sie nicht in der Identit t des Verfassers liegen kann, so wird man vorsichtig sagen, da die Schrift von der Umwelt (wie auch die von der heiligen Krankheit) Erkenntnisse auf eine Formel zu bringen versucht, die in den Epidemien Gegenstand eines sehr freien Forschens und Suchens sind. Man wird dann jene beiden Schriften zeitlich nicht fr her (aber auch nicht viel sp ter) als die ersten Epidemienb cher ansetzen. Diese sind durch Gleichungen ihrer Namensangaben mit inschriftlichen Zeugnissen auf die Zeit um 410 datiert54. Ann hernd um dieselbe Zeit w rde ich die l Schrift von der heiligen Krankheit, unmittelbar anschlie end die erste Skizze von π. ά. ύ. τ. und weiter ihre Ausgestaltung zur Schrift von der Umwelt ansetzen. Dieser Ansatz liegt etwas h her als der ziemlich vage, den ich WuA. 114 gegeben hatte („um 400"). Er liegt an der unteren Grenze des Ansatzes von P., der die Zeit von 430/415 vorschl gt (45), und erheblich unter dem von Nestle, der bis in die Zeit um 430 hinaufgeht55. Ich halte die Datierungsfrage an sich nicht f r besonders wichtig, m chte aber kurz auf sie eingehen, da auch sie mit der Frage nach dem Einflu , d. h. der Bedeutung des Verfassers, verquickt worden ist. Ein sicherer terminus post ist, da der Klimatologie und Physiologie des Verfassers die Lehre des Diogenes von Apollonia zugrunde liegt, der etwa in die 3oer Jahre zu setzen ist. Aber wann die Wirkung des Diogenes auf den Verfasser akut geworden ist, k nnen wir nat rlich nicht wissen. Das gilt auch f r eine andere interessante Beziehung, die P. 45 Anm. 3 festgestellt hat. Man kann sich in der Tat nicht dem Eindruck 53 Irref hrend ist m. E. P.s Bemerkung ber den Gebrauch von κόπρος in n. L v. und διαχώρησις in π. &. ύ. t. διαχώρησις steht nur in den Wasserkapiteln; ich k nnte die Abweichung also mit zur Aussonderung dieses Abschnitts aus dem urspr nglichen Plan heranziehen. Aber der Grund f r die abweichende Wortwahl ist ein anderer. In π. i. v. i. 7 (6, 360. 372. 374) ist ganz konkret vom Abgang des Stuhls die Rede; da kann man, wenn man kr ftig und deutlich reden will, wohl von κόπρος sprechen. In π. ά. ύ. τ. 6ι, ia. 6ζ, 6 dagegen hei t es, da bestimmtes Wasser προς την διαχώρησιν εναντία ist. Da ist also vom Vorgang der Verdauung die Rede. Es liegt also ein sachlicher, kein rein stilistischer Unterschied vor. 54 Vgl. Deichgr ber 16. Den Spielraum, der naturgem — auch nach Deichgr bers Aussage — bleibt, w rde ich eher nach oben als nach unten ausnutzen. 55 Hermes 73, 1938, 25 f. 37. Vom Mythos zum Logos 225 Anm. 116.

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entziehen, da in κ. ά. ύ. τ. Kap. 22. 75» 8 τιμώμενοι δη ει χαίρουσιν οί θεοί και θαυμαζόμενοι υπ' ανθρώπων 56 der Prolog von Euripides' Hippolytos 7/8 zitiert wird. Aber auch in diesem Fall k nnen wir nicht wissen, wann dem vielseitig interessierten Verfasser diese Bildungsfrucht in den Scho gefallen ist. Bei den Versuchen, eine untere Zeitgrenze zu finden, sahen wir schon, da ein gro er Teil der Zeugen aus dem Corpus Hippocraticum versagt, weil sich ihre Abh ngigkeit von den beiden Schriften nicht erweisen l t. So ist es auch bei der Mehrzahl der anderen m glichen Beziehungen, deren Tr ger an sich den Vorteil bieten, da sie datiert werden k nnen. Nestle glaubt, da alle klimatologischen Aussagen Herodots von der Schrift von der Umwelt abh ngig seien 57; das w rde nur zutreffen, wenn diese Schrift die Klimatologie ,erfunden' h tte. P. hat an eine solche M glichkeit nicht gedacht; er erw gt vielmehr Abh ngigkeit einer Stelle aus π. ά. ύ. τ. von Herodot (45). Weniger eindeutig ist das Verh ltnis zu Euripides zu bestimmen. Es ist m glich, da ein Fragment, das Clemens von Alexandria erhalten hat, auf die Einleitung unserer Schrift von der Umwelt anspielt58. Weniger berzeugend sind die hnlichkeiten von Fr. 981 mit π. ά. ύ. τ. Kap. 12, die Nestle nachzuweisen versucht 59. Beide Fragmente sind nicht datiert, und da sie aus ihrem urspr nglichen Zusammenhang gerissen berliefert sind, so scheint mir eine endg ltige Entscheidung ber die Beziehung nicht m glich zu sein. Sicher aber besteht kein Grund, das Chorlied Eurip. Med. 824 ff., in dem die reine Luft Attikas und die daraus hergeleitete σοφία seiner Bewohner gepriesen wird, auf die Schrift von der Umwelt zur ckzuf hren60. Das ist die Lehre desselben Diogenes von Apollonia, der auch Aristophanes zu seiner Parodie in den Wolken begeistert hat61. |

Die Beziehungen, die ich besonders zwischen dem zweiten Teil der Schrift von der Umwelt und Demokrit gefunden hatte 62 , werden von Palm 301 ff. und P. 26 f. bestritten, von Nestle (Hermes 73, 35 ff.) anerkannt. Ich bin nach wie vor davon berzeugt, da die aitiologische Form, die die ethnographischen Kapitel der Schrift ber die Umwelt gefunden haben, ohne Demokrit nicht denkbar w re, und da auch das Ethos, das die Schrift von der heiligen Krankheit treibt, die berzeugung von der kausalen Erkl rbarkeit aller Erscheinungen, das der demokritischen Schule ist. Den Gegensatz von »Religiosit t* des Verfassers und ,Materialismus' Demokrits darf man m. E. nicht ausspielen, wie Palm 301 f. tut; darin scheint mir eine Verkennung Demokrits zu Hegen. Ich gebe aber zu, da das wissenschaftliche Bekenntnis der Schrift von der heiligen Krankheit, da die Naturerscheinungen, die dem menschlichen Eingriff entzogen sind, θεία seien, seine Formulierung nicht von der Lehre Demokrits, sondern von der Luftvergottung des Diogenes von Apollonia (Vors. 64 B 5) her gefunden hat, dessen Bedeutung f r die Grundlehre der Schrift von der heiligen Krankheit ich niemals leugnen wollte, aber wahrscheinlich zu sehr habe zur cktreten lassen (vgl. WuA. «3). 56 57 58 59 60 61 62

Text nach P. a. a. O. Hermes 73, 1938, 25 f. Vom Mythos zum Logos 225 ff. Fr. 917. Vgl. P. 62 mit Anm. 2 zum Text des Fragments. Hermes 73, 1938, 24. Nestle, Hermes 73, 25 Anm. i. Vom Mythos zum Logos 225 Anm. 116. Vgl. Vors. 64 C i mit Literatur. WuA. 54ff. i i i f f .

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Ich w rde jetzt f r diese Schrift auch noch st rker betonen, da in ausgesprochen rztlichen Theorien Demokrit nicht der Gebende, sondern der Nehmende gewesen ist (vgl. WuA. ii2 f. und P. 26). Ich kann es aber nicht anerkennen, wenn P. an derselben Stelle Demokrits Gebrauch von φύσις und νόμος f r das Zeichen einer sp teren Terminologie erkl rt, als wir sie in unseren Schriften finden. Die Diskussion dar ber, ob der Mensch durch Naturanlage oder durch Erziehung t chtig werde, ist dem ausgehenden 5. Jh. schon aus den Zeiten der sinkenden Oligarchie, des Theognis und Pindar vererbt 63; wenn Demokrit (Vors. 68 B 242) und Kritias (Vors. 88 B 9) die berzeugung ihrer Zeit ausdr cken wollen, da die Erziehung mehr bewirke als die Naturanlage, so stellen sie der φύσις die ασκησις und μελέτη, das .Training' gegen ber, π. ά. ύ. τ. 24. 79> 6 benutzt f r dieselbe Gegen berstellung φύσις und νόμος, die abgeschliffenere Antithese, die sp ter das Feld behauptet hat; in dem hier geforderten Sinn eines die gegebene geistige oder charakterliche Naturanlage beeinflussenden Moments finde ich νόμος zuerst bei Eurip. Ion 642 ff. benutzt 64. Aus dieser Diskussion erw chst bei Demokrit (68 B 33) die Aussage, da die διδαχή mit der Zeit zur φύσις werden k nne, und Buenos (Fr 9 D.) sagt dasselbe von der μελέτη, w hrend in π. ά. ύ. τ. 14. 69, ^ die Diskussion auf einen physiologischen Zusammenhang bertragen und wiederum in die Antithese von φύσις und νόμος gefa t ist. In der ber hmten Gegen berstellung des prim r Existierenden und der ,sekund ren' Qualit ten (68 B 9.125) stellt Demokrit νόμω und έτεη gegeneinander. Das kn pft an die erkenntnistheoretischen Aussagen des Empedokles (31 B 8) und Anaxagoras (59 B 17) an. Dem νόμος steht in solchem Fall die ,Wahrheit' gegen ber, wie in Demokrits έτεη 65 und wahrscheinlich auch in der Antithese τη τύχη και τφ νόμφ — το δ' έόν in π. Ι. ν. 17. 6, 392 L. in der auch von P. 27 Anm. 3 anerkannten Textgestaltung von Wilamowitz. Der Gebrauch der erkenntnistheoretischen Antithese φύσις—νόμος, wo also nicht, wie im p dagogischen' Zusammenhang der νόμος, sondern die φύσις das neu Hinzukommende ist, ist erst f r den gewi nicht fr hen Verfasser von π. διαίτης charakteristisch (i, 4. n). Die Schrift von der heiligen Krankheit steht hier also genau auf der Stufe demokritischer Terminologie und auf einer fr heren als die Schrift von der Di t. Die Gegen berstellung des ξυμφέρον (das der φύσις entspricht) und des νόμος in der Beurteilung der Werte, die π. l. v. 14. 6, 386 L. im Vorbeigehen vornimmt, entspricht dem Sprachgebrauch des Sophisten Antiphon (87 B 44) 66.

Mit diesen Feststellungen ergibt sich eine Datierung beider Schriften, die der aus medizingeschichtlichen Argumenten gewonnenen entspricht. Wir stellen die Schrift von der heiligen Krankheit in die Zeit der ersten hippokratischen Epidemienb cher, des Demokrit und der attischen Sophistik, und es entspricht auch durchaus dem, was wir ber das Verh ltnis der beiden Schriften zueinander feststellten, da die Schrift von der heiligen Krankheit im jerkenntnistheoretischen' Sprachgebrauch auf der Stufe des Demokrit steht, w hrend der ethnographische Teil der Schrift von der Umwelt in der Anwendung der φύσις—νόμος-Antithese etwas ber ihn hinausgeht. 63 Vgl. zum folgenden auch NJbb. 1939, 244 ff. Vgl. O. Thimme, Φύσις τρό,τος ήθος. Diss. G ttingen 1935, 76. Bei Euripides liegt allerdings keine Gegen berstellung vor, sondern eine Kombination im Sinne des Kompromisses Protag. 80 B 3. Aber auch in diesem Falle ist bezeichnend, da die urspr ngliche Er rterung des Protagoras die ασκησις neben die φύσις stellt und erst Euripides vom νόμος redet. 65 Vgl. K. Reinhardt, Parmenides 1916, 88, der freilich a. a. O. 85 annimmt, da schon die Atomisten den Terminus φύσις in Gegensatz zum erkenntnistheoretischen νόμος gebraucht h tten. 66 Vgl. auch Thimme a. a. O. 71. 64

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ber Zeit, geistige Umwelt und Bedeutung beider Schriften w re damit schon einiges ausgesagt. Es erhebt sich die letzte Frage: kann der Verfasser dieser Schriften — richtiger: kann wenigstens der originellere rztliche Denker, der die Schrift von der heiligen Krankheit verfa t und die prognostische Skizze zur Schrift von der Umwelt entworfen hat, Hippokrates sein? Wir sahen schon: der Verfasser von Epidem. i und 3 und des Prognostiken kann nicht zugleich auch unsere Schriften geschrieben haben. Nur einer von beiden kann also mit Hippokrates gleichgesetzt werden, — oder auch keiner von ihnen. Zur Nachpr fung bieten sich die beiden ltesten Berichte, die wir ber die Lehre des Hippokrates haben, der platonische im Phaidros und der peripatetische in den Excerpta Menonia des Anonymus Londinensis67. P. behandelt Platons Bericht erst nach dem des Aristoteles, mit Recht: denn so viel geht aus den abweichenden Versuchen zur Deutung der Stelle, denen P. (74 if.) eine l einleuchtende Epikrise gewidmet hat, hervor, da Platon nicht so sehr ber den Inhalt von Hippokrates' Lehre als ber deren Methode etwas Charakteristisches aussagt 68 . Wir k nnen Platons Bericht nur dann vergleichsweise heranziehen, wenn wir an anderer Stelle noch einen Bericht ber Hippokrates' Lehre haben. Dieser Bericht, der letzten Endes auf die medizingeschichtliche Doxographie des Aristoteles und seines Sch lers Menon zur ckgeht, ist uns durch einen Papyrusfund vor einem halben Jahrhundert geschenkt worden. Es ist bekannt, da ber diesem Fund ein eigenartiges Mi geschick geschwebt hat. Der Herausgeber H. Diels fand, da die dort wiedergegebene Lehre des Hippokrates derjenigen der hippokratischen Schrift π. φυσών entspreche, die den Charakter einer sophistischen Epideixis tr gt und infolgedessen medizinisch gering bewertet wurde69. Von dieser Feststellung entt uscht, verzichtete man auf die Auswertung des f r die Hippokratesforschung doch so kostbaren Fundes, obwohl Bla schon sehr bald darauf hinwies, da der Bericht sich nicht auf die Schrift π. φυσών, sondern offenbar auf deren Vor67

Suppl. Aristot. 3, i ed. Diels, 5, 3^ ff. Mit dieser Feststellung hat Edelstein 131. 135 recht, obwohl seine Deutung des όλον, dessen Kenntnis Hippokrates nach Platon (2700) als Voraussetzung der Kenntnis des K rpers bezeichnet hat, auf den Gegenstand der Behandlung aus sprachlichen Gr nden nicht haltbar ist (vgl. Deichgr ber 151. P. 75 mit Anm. i). Das όλον ist das All, ber dessen φύσις man άδολεσχία und μετεωρολογία treiben soll, wenn man in den ,gro en K nsten' etwas leisten will (vgl. 2696 ff.). Eine derartige naturpihlosopische Vorbildung erm glicht richtige Einordnung und Einteilung des Gegenstandes und die richtige Beurteilung des Ganzen und der Teile nach Ursache und Wirkung. So handelt der gute Arzt nach Hippokrates dem K rper gegen ber, so soll der gute Redner nach Platon der Seele gegen ber handeln. Diese Aussage Platons l t in der Tat einen ziemlich weiten Spielraum f r die Beurteilung dessen, was Hippokrates getan und gelehrt hat. Die Vermutung, da die Wahl des Terminus μετεωρολογία a69e sich auf jt. ά. ύ. τ. 2. 57, 8 beziehe, hat P. selbst mit Recht als unsicher bezeichnet (79). 69 Hermes 28, 1893, 424 ff. 68

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l ge beziehe70. Auch Edelstein (140ff.) und Deichgr ber (152ff.) stellten richtig Unterschiede zwischen dem menonischen Bericht und der Schrift π. φυσών fest. Sie waren aber unsicher dar ber, wie weit dem Bericht des Londoner Papyrus zu glauben sei, und vermuteten sp tere Interpolationen oder Verf lschungen gr eren Umfangs. P. (65 ff.) hat das entschiedene Verdienst, die Behandlung des Berichts auf eine sichere Grundlage gestellt zu haben. Ausscheiden mu man aus dem Bericht nur den unhippokratischen Begriff der περιττώματα; dann bildet der Bericht im brigen eine geschlossene Einheit, trotz des ungeschickten Vertrags, der wahrscheinlich nicht auf Menon, sondern auf eine doxographische Mittelquelle zur ckzuf hren ist (P. 69). ! Hippokrates ging nach dem Bericht davon aus, da die Luft der notwendigste und wichtigste der Stoffe in uns sei; denn wenn sie glatt durch den K rper flie e, seien wir gesund, im entgegengesetzten Fall krank. Wie die Wasserpflanze στρατιώτης im Wasser, so wurzeln wir mit den Atmungsorganen und dem ganzen K rper in der Luft. Δύσροια der Luft, die Krankheiten verursacht, entsteht bei falscher Ern hrung. Wenn wir zu viel, zu Verschiedenartiges oder zu Schweres essen, erleidet die aus den Speisen aufsteigende Luft (φυσά) Stockungen oder Temperaturver nderungen im K rper, die die Krankheiten hervorrufen. Man braucht nur einen Blick auf die schon bei Diels (Suppl. Arist. 3,1, 8 f.) dem Text beigegebenen Parallelen aus der Schrift π. φυσών zu werfen, um festzustellen, da diese Schrift die Lehre des menonischen Hippokrates vertritt. Da ist die Rede von der allgemeinen Bedeutung der Luft f r die Lebewesen (Kap. 4) und von der Entstehung der Krankheiten aus der Luft, die bei falscher Ern hrung aus den Speisen emporsteigt. Den unbedingt n tigen Verbindungssatz, da Luft in allen Speisen ist und mit ihnen in den K rper kommt, k nnen wir uns sogar nur aus der Schrift erg nzen (95, 6 ff. Hbg.). Andererseits ist die Schrift nicht vollst ndig in der Wiedergabe der hippokratischen Lehre: es fehlt der Vergleich mit dem στρατιώτης, es fehlt der Gedanke, da auch zu geringe Luftzufuhr Krankheiten verursachen kann (6, 36). Dabei ist dieser Gedanke sehr wichtig. Denn er zeigt uns, was wir freilich auch sonst erschlie en m ten, da ein Normalquantum normal beschaffener Luft aus allen Speisen ,empordunstet' (der Terminus άναθυμιαΦεϊσαι ist durch eine Randnotiz zu 6, 32 gesichert), das zur Erhaltung des K rpers offenbar ebenso notwendig ist wie die Atemluft 7l. | 70 Hermes 36, 1901, 405 ff. 71 Vgl. Deichgr ber 155, der aber mit dem Bericht nicht zurechtkommt, weil er den Begriff der φΰσαι von dem unhippokratischen περιττώματα-Begriff abh ngig machte. Der Autor von it. φυσών sagt aber ausdr cklich, da φΰσαι an sich nichts Pathologisches sind: ,Das Pneuma in den K rpern hei t φυσά, au erhalb der K rper αήρ (92, aof.).' Die Vorstellung einer «ναΦυμίασις des Lebenselementes aus dem Innern des K rpers ist letzten Endes heraklitisch: 22 B 12 ,Seelen dunsten aus dem Feuchten (der K rperlichkeit) empor'. Da die Einatmung der Luft ebenso lebensnotwendig ist, so ergibt sich aus dem Widerspiel von Atmung und άναθυμίασις der heraklitisdhe Weg hinab und hinauf. Vermittler dieser heraklitischen, aber ganz ins Medizinische bersetzten Anschauungen k nnte vielleicht wieder Diogenes von Apollonia gewesen sein. So komme ich von anderen Gedankeng ngen her zu einer hnlichen

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Der Bericht des Menon und die Schrift π. φυσών erg nzen sich also in der Weise, da beide auf dieselbe Quelle zur ckgef hrt werden m ssen. Diese Quelle ist, wie Menon sagt, Hippokrates. In diesem Punkt hatte also schon Bla das Richtige gesehen, w hrend wir jetzt durch P.s Bem hungen die von Menon reproduzierte hippokratische Lehre besser erfassen k nnen. Schon aus der Grundlegung, die Hippokrates seiner Lehre nach Menon gab, geht hervor, da er durch die Hervorhebung der Bedeutung der Luft, die nicht nur eingeatmet wird, sondern auch durch die Speisen in unseren K rper gelangt, Di tetik und Epidemiologie zusammenschlie en wollte. Das sagt auch die Schrift π. φυσών, wenn sie in Kap. 6 und 7 die Fieber, die aus eingeatmeter Luft und die aus falscher Ern hrung entstehen, gegeneinander stellt. Es wird auch nicht zuf llig sein, da Hippokrates' Lehre bei Menon hinter der der beiden Knidier steht. Die Luft ist das neue Moment, das er zur knidischen ρεύματα-Aitiologie hinzubrachte 72. Das wird best tigt durch die Schrift π. φυσών, f r die, genau wie f r die Knidier, die St rung des Blutumlaufs und die berm ige Abk hlung und Erhitzung des Bluts Krankheitsursache ist, nur da diese Erscheinungen ihrerseits durch die φΰσαι verursacht werden (Kap. 7. 8. 10. 14). Von den ρεύματα spricht die Schrift 97, 10 als von einer bekannten Voraussetzung; im einzelnen erw hnt sie, etwas laienhaft, 97, 20 το φλέγμα δριμέσιν χυμοΐσιν μιγνύμενον. Kann die Lehre des Hippokrates, die sich f r ein bestimmtes Gebiet also ziemlich weitgehend rekonstruieren l t, mit der irgendwelcher anderer hippokratischer Schriften — abgesehen von π. φυσών — gleichgesetzt werden? Zu den Epidemien und zum Prognostikon sehe ich keinen Widerspruch; die Epidemien stehen zudem auch unter der berzeugung, da die menschliche Gesundheit von den Faktoren der Umwelt stark bestimmt ist, wie die Luftlehre des Hippokrates es verlangt; mehr l t sich zun chst nicht sagen. Zweifellos zeigen die Schriften von der heiligen Krankheit und von der Umwelt mit diesen Voraussetzungen auf den ersten Blick starke bereinstimmungen. Auch sie vertreten eine Luftlehre; in der Einleitung zur Schrift von der Umwelt (57, 1/2) werden die Krankheiten aus falscher Ern hrung ebenso neben die aus der Witterung gestellt wie in π. φυσών 6/γ73, ja man k nnte die Aussagen der Schriften von der heiligen Krankheit und von der L sung wie J. Schumacher, Antike Medizin I 1940, 172 ff., der f r den menonischen Hippokrates eine auf Diogenes von Apollonia zur ckgehende Lehre von der άναθυμίασις der Ern hrung annimmt. Nur h tte er sich daf r nicht auf das Diogenes-Zitat bei Galen. 5, 282 K. berufen d rfen. Denn die dort zitierte Lehre von der ψυχική άναθυμίασις stammt aus dem Stoiker Diogenes, wie man am schnellsten bei einem berblick ber die Diogenes-Zitate aus Galen. De plac. Hippocratis et Platonis in StVetFr. 2, 215 f. feststellen kann. 72 Vgl. auch Deichgr ber 159. 73 Die dritte Stelle, wo diese Unterscheidung gemacht wird, ist π. φύσιος ανθρώπου 9 (Deichgr ber 156).

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Umwelt ber die Wirkung der mit der Atmung aufgenommenen Luft geradezu als erg nzende Darstellung der οδός κάτω zur οδός άνω im Bericht des Menon betrachten, l Trotzdem glaube ich, da zwingende Gr nde gegen eine solche Argumentation bestehen. Wir haben gesehen, da die Schrift π. φυσών den Bericht des Menon in angemessener Weise erg nzt. Dann sind wir verpflichtet, uns zur Rekonstruktion der hippokratischen Lehre in erster Linie an diese beiden Zeugen zu halten und alles auszuscheiden, was ihnen widerspricht. Dabei soll man sich durchaus bewu t bleiben, da die Schrift π. φυσών als popul re Epideixis in medizinischen Einzelheiten zuweilen unklar und gewi durchweg einseitig gehalten ist. Da sie aber wichtige Bestandteile der hippokratischen Krankheitsaitiologie, soweit sie zu ihrem Thema geh ren, geradezu unterschlagen oder verf lscht h tte, das anzunehmen sind wir nicht berechtigt. Nun geh ren zur Lehre der Schriften von der heiligen Krankheit und von der Umwelt zwei Grundbestandteile, von denen weder Menon noch die Schrift π. φυσών etwas wei : die Lehre von der Bedeutung des Gehirns und die diogenische Lehre von der Luft als Tr gerin des geistigen Lebens. Da die Schrift π. φυσών, deren Thema die Bedeutung der Luft ist, es vers umt h tte, sie auch zum Tr ger des geistigen Lebens zu machen, wenn sie das in ihrer Quelle gefunden h tte, ist ganz unwahrscheinlich. Nach Kap. 14 ist f r sie vielmehr das Blut der Tr ger der φρόνησις, ein empedokleischer Satz, der aber auch gut in die knidische Krankheitslehre pa t. Ich trage kein Bedenken, auch dem Hippokrates diese Ansicht zuzuschreiben. Vom Gehirn hat er offenbar nichts ausgesagt; die Schrift π. φυσών kennt Kap. 14 eine Aitiologie der heiligen Krankheit, an der das Gehirn nicht beteiligt ist. Dazu kommt die terminologische Abweichung im Zentrum der Lehre, da die Schriften von der heiligen Krankheit und von der Umwelt den Ausdruck φυσά f r die Luft im K rper nicht kennen, sondern von αήρ, bzw. πνεύμα reden; ersteres ist der Terminus des Diogenes von Apollonia, letzteres ein neutraler Begriff, den auch π. φυσών vielfach verwendet. Das Verh ltnis der Schriften von der heiligen Krankheit und von der Umwelt zu der aus Menon rekonstruierbaren Lehre des Hippokrates ist hnlich wie das zu den Epidemien: ihr Verfasser ist nicht mit Hippokrates gleichzusetzen, sondern steht neben ihm als ein rztlicher Denker etwa der gleichen Zeit. Wie Hippokrates wurde er von der Lehre des Diogenes von Apollonia beeinflu t. W hrend Hippokrates sie aber nur als eine Best tigung seiner eigenen Lehre einpa te, die er aus der berkommenen medizinischen Tradition nach den Notwendigkeiten eigener rztlicher Einsicht weitergebildet hatte, hat der Autor der Schrift von der heiligen Krankheit sie in viel gr erem Umfang bernommen und wurde recht eigentich durch sie zu weiteren Spekulationen ber das Verh ltnis von Mensch und Klima angeregt. Als etwas Neues hat er die Lehre von der Bedeutung des Gehirns nach dem

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Vorgang des Alkmaion von l Kroton und in folgerichtiger Entwicklung knidischer Krankheitslehren hinzugebracht. P.s Versuch, von den beiden Schriften von der heiligen Krankheit und von der Umwelt aus das Bild des Hippokrates neu aufzubauen, konnte nicht gelingen. Man wird den Versuch wiederholen müssen, wofür, wie ich glaube, besonders Deichgräber gute Vorarbeit geleistet hat. Aber es bleibt P.s Verdienst, daß er der Forschung überhaupt wieder Mut dazu gemacht hat, an die Person des Hippokrates von den Schriften aus, die unter seinem Namen überliefert sind, heranzutreten.

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LUDWIG EDELSTEIN THE HIPPOCRATIC OATH Text, translation and interpretation (·= Suppl. Bull. Hist. Med., Baltimore, No. i) Baltimore 1943 [Gnomon 22 (1950) S. 70—74] Der Hippokratische Eid ist im letzten Menschenalter mehrfach monographisch bearbeitet worden. Alle Arbeiten dieser Art behandelten das Dokument als ein gewisserma en berzeitliches Zeugnis rztlicher Ethik in allgemein-menschlicher oder allenfalls allgemein-griechischer Auspr gung. Die Frage, ob seinen Formulierungen nicht etwa Doktrinen einer bestimmten geistigen Richtung zugrunde liegen k nnten, wurde nicht gestellt oder jedenfalls nicht verfolgt. Hier setzt E. ein. Aus einem scharfen und klaren Verh r der einzelnen Vorschriften des Dokuments setzt er Zug um Zug das Bild seiner geistigen l Herkunft zusammen und kommt zu dem berraschenden Ergebnis, da der hippokratische Eid auf den ethischen und wissenschaftlichen Lehren des Pythagoreismus des 4. Jh. v. Chr. beruht. E. legt seiner Interpretation den Text zugrunde, wie ihn Heiberg im CMG I i, 4 f. (1927) herausgegeben hat. Er l t Wortlaut und kritischen Apparat unver ndert, gibt dem Text jedoch eine englische bersetzung bei und gliedert ihn so, da seine von Heiberg in einem wichtigen Punkt abweichende Auffassung des Aufbaus schon im Druckbild deutlich wird. Durch diese technische Hilfe unterst tzt, befa t sich die Untersuchung selbst zun chst nicht mit Fragen der Komposition, sondern greift aus der Mitte der Vorschriften als erste diejenigen heraus, die am meisten von allgemein-griechischen Auffassungen abweichen und daher am ehesten geeignet scheinen, von der besonderen geistigen Welt, aus der der Eid erwachsen ist, etwas erkennen zu lassen. Es sind die beiden Verpflichtungen des Arztes, kein Gift und keine Abortivmittel zu verabreichen. E. legt berzeugend dar, da die Verweigerung der Hergabe von Gift sich nicht auf Beteiligung am Giftmord, sondern auf Beihilfe zum Selbstmord bezieht. Er zeigt weiter, da die Verbindung mit dem nachfolgenden Satz άγνώς δε και όσίως διατηρήσω βίον έμόν και τέχνην έμήν (den Heiberg 4> 18 zu Unrecht vom Vorhergehenden abgetrennt hatte) auf die ethischen Grundlagen der Vorschrif-

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ten hinweist. Der Zusammenhang mit der auf Philolaos sich berufenden pythagoreischen Haltung gegen ber dem Selbstmord in Platons Phaidon (61 dff.) springt in die Augen. Auch die Ablehnung des k nstlichen Abortus entspricht den ethischen und biologischen berzeugungen der Pythagoreer; als Quelle f r die pythagoreischen Lehren werden hier wie auch im folgenden fast ausschlie lich die Berichte verwertet, die die lteren Peripatetiker, vor allem Aristoxenos, gegeben haben und die E. nach der Bearbeitung in Diels-Kranz' Vorsokratikern unter ^8 D (i5, 467 ff.) benutzt. In diesen Berichten wird (467,5 ff.) die Einteilung der Medizin in Di tetikPharmakologie-Chirurgie in derselben Reihenfolge wie im Eid 4, 13/20 gegeben. Die Reihenfolge, nicht die Einteilung als solche, ist charakteristisch, weil sie sich wie bei den Pythagoreern so auch im Eid zugleich als eine Antiklimax der Bewertung herausstellt. Hinsichtlich der Di t verspricht der Arzt positiv, sie nur zum Nutzen der Kranken anzuwenden (διαιτήμασι χρήσομαι έπ' ώφελείη καμνόντων); negativ wird die Formel hinzugef gt επί δηλήσει δε και άδικίη είρξειν. Ε. deutet das als ein Versprechen des Arztes, den Kranken vor jeder Sch digung und vor jedem ,Unrecht' zu bewahren, das er sich selbst durch falsch gew hlte Di t antun k nnte. Auch f r diese Bek mpfung der βλαβεροί und υβριστικά! έπιθυμίαι durch den pythagoreischen Arzt legt ein Bericht des Aristoxenos Zeugnis ab (Vors. i 5, 475, 14 ff.). Das ist sachlich sehr ansprechend. Es entsteht aber sprachlich insofern eine Schwierigkeit, als im ersten Teil des Satzes die Patienten als Objekt der rztlichen Di tetik auftreten, w hrend der zweite sehr knapp und dadurch dunkel formulierte Teil so zu erg nzen w re, da die Kranken zum Subjekt der Di tanwendung w rden. E. beruft sich auf die aktive Form εϊρξειν, die eine andere Deutung nicht zulasse. Aber eben diese Form ist anst ig, da sie, scheinbar auf die Infinitive des ersten Teils des Schwures (4, 2/12) zur ckgreifend, die Reihe der finiten Formen unterbricht, in denen von χρήσομαι (4, 13) ab das Verhalten des Arztes gegen ber seinen Patienten dargestellt | wird. Die Form ist also nicht unantastbar und k nnte in εΐρξομαι ge ndert werden. Littre (4, 631) hatte schon bersetzt, als ob er diese Form l se, und damit die sprachliche Schwierigkeit umgangen. An letzter Stelle der medizinischen Hauptgebiete ist die Chirurgie durch das Verbot der Lithotomie vertreten (4, 19 f. ου τεμέω δε ουδέ μην λιθιώντας, εκχωρήσω δε έργάτησιν άνδράσιν πρήξιος τήσδε). Ε. kommt nach einer Pr fung der bisher vorgebrachten Interpretationsversuche auf die alte Deutung zur ck, da der Arzt sich mit der Lithotomie zugleich jeder Art von schneidender Chirurgie berhaupt zu enthalten und diese einer besonderen Gruppe von Spezialisten zu berlassen verspreche. Er unterbaut diese Deutung sprachlich dadurch, da er 4, 19 ουδέ μην als ne-quidem auffa t: das Leiden des Blasensteins k nnte den pythagoreischen Arzt noch am ehesten zu einem chirurgischen Eingriff veranlassen, da es infolge seiner Schmerzhaftigkeit den Kranken in die Versuchung des Selbstmords treibt (vgl. E. 8 Anm. 9). Wenn der Arzt also sogar auf die Lithotomie verzichtet, so ist das eine emphatische Absage an jede Art von schneidender Chirurgie (29). Diese Absage gr ndet sich auf die von Aristoxenos (vgl. oben) berichtete pythagoreische Geringsch tzung der Chirurgie, die man ihrerseits aus der grunds tzlichen pythagoreischen Blutscheu' ableiten kann (vgl. E. 31 mit Anm. 9^). Das leuchtet ein; allerdings fehlt, um den Ring zu schlie en, der positive Nachweis, da es schon im 4. Jh. eine abgesonderte Gruppe von Chirurgen gegeben hat. Die Vorschriften ber das ethische Verhalten des Arztes gegen ber den Patienten (5, 1/4) sind so allgemein, da ihnen charakteristische Z ge weniger leicht abzugewinnen sind. Doch stellt E. gegen ber hnlichen Vorschriften aus der hippokratischen Schrift Περί ιητροϋ (CMG I i, 20, 18 ff.), die man zum Vergleich herangezogen hat, mit Recht heraus, da im Gegensatz zu ihrem militaristischen Charakter die Vorschriften des Eides auf einer rigorosen ethischen Forderung nach Gerechtigkeit begr ndet sind, die

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keinen Unterschied zwischen Mann und Frau, zwischen Freiem und Sklaven macht. Läßt sich die grundsätzliche Gleichstellung des Sklaven vor der pythagoreischen Gerechtigkeit wenigstens erschließen (E. 34 f. mit Anm. no), so hebt sich die streng ethische Fassung des Schweigegebots (5, 5/7) als eine spezifisch pythagoreische Formulierung von der opportunistischen Fassung der Schrift (20, 9) ab.

Erst im Anschluß hieran wird die einleitende ,Vertragsformel' (4, 2/12) behandelt. Mit guten Gründen wird gezeigt, daß aus dem Text nichts für die gern vertretene Auffassung gewonnen werden kann, daß die ärztliche Lehre ursprünglich nur im Familienverband weitergegeben wurde und daß der Vertrag unter gewandelten Bedingungen die Fiktion aufrechterhalte, als ob der neue Adept der Heilkunst in einen solchen Familienverband einträte. Der Vertrag regelt lediglich das Verhältnis zwischen dem Schüler einerseits und dem Lehrer und seinen Söhnen andererseits. Die enge Lebensgemeinschaft, die zwischen Lehrer und Schüler begründet wird, könnte man zu Beginn der hellenistischen Zeit etwa in der Schule Epikurs verkörpert finden, aber sie hat ihr gesteigertes Vorbild schon im Pythagoreismus des 4. Jh. Hier ist ein Adoptivverhältnis zwischen Lehrer und Schüler wenigstens einmal für das Verhältnis Lysis-Epameinondas geschichtlich bezeugt (lamblich. V.P. 250), und es wird für das Verhältnis des Meisters selbst zu seinem Lehrer Pherekydes konstruiert (Diod. 10, 3, 4). Die Verpflichtung, die Kunst außer den Söhnen des Arztes und seines Lehrers sowie den durch Eid und Vertrag rezipierten Schülern niemanden zu lehren, entspricht der betonten Exklusivität der pythagoreischen Lehre, l Vertrag und ethische Verpflichtung wurden von dem Arzt zusammen beschworen, wenn er nach beendeter Lehrzeit in die ärztliche Praxis eintrat. Die beiden Teile differieren formal in der Anwendung der infiniten und der finiten Verbalformen (vgl. o. S. 211). Man hat daraus auf eine ursprüngliche Uneinheitlichkeit des Stücks geschlossen. E. folgt dieser Auffassung insoweit, als er vermutet, daß der Vertragstext, der von der schlechthin redet, ursprünglich als ein allgemeines Formular entworfen war, dem die speziell auf die Medizin bezüglichen Verpflichtungen angehängt wurden (49 Anm. i). Dann müßten im Schwurformular auch die Götternamen jeweils abgewandelt worden sein. Die Annahme ist aber deswegen unwahrscheinlich, weil 4, 11 gesagt wird, daß Vertrag und Schwur nach dem Brauch der Ärzte ( ( ) erfolge. Die Sitte, bei Eintritt in die ärztliche Lehre einen Eid abzulegen, wird also bereits vorausgesetzt. Man braucht ihre Einführung also nicht auf das Konto des Pythagoreismus zu setzen, was bei der Scheu der Pythagoreer vor dem Schwören ohnedies gewissen Bedenken begegnet, die E. 53 f. zu zerstreuen versucht. Daß der Eid von einem Arzt formuliert worden ist, nimmt auch E. an. Er schreibt ihn einem pythagoreisch beeinflußten Arzt der zweiten Hälfte des 4. Jh. v. Chr. zu, der eine ethische Reform des ärztlichen Handelns erstrebte. Für verwandte gleichzeitige Bestrebungen verweist E. auf die ,deontologischen' Schriften des Corpus Hippocraticum. Allerdings wird man

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daf r h chstens Περί ίητροΰ in Anspruch nehmen k nnen, da die Schriften Περί εύσχημοσύνης und Παραγγελίαι aller Wahrscheinlichkeit nach erst aus der Kaiserzeit stammen1. Da gerade in der zweiten H lfte des 4. Jh. rztliche Reformbewegungen besonders lebhaft waren, wird man schwerlich nachweisen k nnen. Die Besinnung auf die Grundlagen des rztlichen Handelns durchzieht die Schriften des Corpus Hippocraticum von Anfang an, und ihren Widerschein bemerken wir auch in Platons Werken. Auch die parallelen Zeugnisse ber den Pythagoreismus zwingen nicht zu einer Fixierung auf das Ende des 4. Jh. Wenn sich die Berichte in dieser Zeit h ufen, so kann das auf das besondere Interesse des Peripatos an dieser geistigen Erscheinung zur ckgef hrt werden. Gewi wird man nicht hinter die Zeit von Philolaos" Wirksamkeit zur ckgehen. Aber die erste H lfte des 4. Jh. ist damit nicht ausgeschlossen. In diese Zeit scheint auch die Sprache des Eides am meisten zu weisen, auch wenn man damit rechnet, da die Formelhaftigkeit des Schwures Stil und Wortschatz in einer altert mlichen Form erhalten hat. Da der Eid nicht der Zeit des gro en Hippokrates, sondern einer sp teren Generation zugewiesen wird, ist an sich nicht berraschend. Wie sich in den letzten Jahrzehnten ergab, hat das Corpus Hippocraticum Erweiterungen bis in die Kaiserzeit hinein erfahren (vgl. o. mit Anm. i). Aber da handelt es sich durchweg um ausgesprochen peripherische Erscheinungen. Dem Eid war bisher eine zentrale Stellung im Corpus zugewiesen worden. Welche Folgerungen ergeben sich jetzt? E. ist der Auffassung, da das Dokument erst in sp tantiker und christlicher Zeit zu allseitiger Wirkung gelangt sei. Da er die Ansicht vertritt, da die Schriften des Corpus in voralexandrinischer Zeit isoliert umliefen 2 und erst in Alexandria von den Bibliothekaren gesammelt wurden, so liegt f r ihn hier kein Problem. Wer aber berzeugt ist, da die Masse der hippokratischen Schriften schon im 4. Jh. aus einem fachlichen und nicht nur aus einem philologisch-sammlerischen Interesse, also etwa in einer rztlichen Bibliothek, vereinigt war, f r den bedeutet die Aufnahme des Eides in eine solche Bibliothek auch eine sachliche Anerkennung seiner Grunds tze. Diese greifen, wie wir gesehen haben, z. B. in dem Verzicht auf die schneidende Chirurgie, recht tief. Wie weit ist ihre Einwirkung in den dem 4. Jh. entstammenden Schriften des Corpus Hippocraticum und den Zeugnissen der fr hhellenistischen Medizin zu erkennen? Die Beantwortung dieser Frage w re zugleich eine Probe auf die Tragf higkeit von E.s Deutung des Eides, die ohne Zweifel den Wortlaut des wichtigen Dokuments von allen bisherigen Interpretationen am einheitlichsten und am vollst ndigsten erkl rt. 1

Vgl. U. Fleischer, Untersuchungen zu den pseudohippokratischen Schriften Παραγγελίαι, Π. Ίητροΰ und Π. εΰσχημοσύνης ΐ939· Η. Diller, Gnomon 17, Ι94 1 » 23 & (ο. S. 178 ff.). ~ Vgl. L. Edelstein, Περί αέρων und die Sammlung der hippokratischen Schriften. Problemata 4, 1931, 152 ff.

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EMMA J. EDELSTEIIN and LUDWIG EDELSTEIIN ASCLEPIUS A collection and interpretation of the testimonies (= Publ. Inst. Hist Med., Baltimore, vol. 2, —2) Baltimore 1945

[Gnomon 22 (1950) S. 130—138] Das Werk, das zur Besprechung vorliegt, ist das Ergebnis jahrelanger gemeinschaftlicher Arbeit. Für den ersten Band, die Sammlung der Zeugnisse, zeichnet Ludwig Edelstein, nach seinem erzwungenen Fortgang aus Deutschland lange Zeit Mitarbeiter an Henry E. Sigerists medizingeschichtlichem Institut an Johns Hopkins und jetzt Professor der klassischen Philologie in Seattle, gemeinsam mit Emma J. Edelstein, die sich gleichfalls schon in Deutschland als Philologin ausgewiesen hatte 1 . Den Text des Interpretationsbandes schrieb Ludwig Edelstein allein; doch wird auch er im Vorwort ausdrücklich zum geistigen Eigentum beider Verf. erklärt als das Ergebnis „eines Gesprächs, das jahrelang fortgesetzt wurde" (2, VIII). Die interpretatorische Darstellung des zweiten Bandes wird, unter Berufung auf eine alte Forderung von Welcker, auf der Sammlung der antiken Testimonia begründet, die der erste Band im Urtext und in englischer Übersetzung in opulentester Ausstattung vorlegt. Der Anlage des Werks entsprechend wurde auf die archäologischen Zeugnisse verzichtet. Die Besprechung wird diese, für eine religionsgeschichtliche Untersuchung allerdings schwerwiegende Beschränkung von vornherein zu respektieren haben; für die Interpretation wurden die archäologischen Zeugnisse hilfsweise herangezogen. Die literarischen Zeugnisse wurden grundsätzlich vollständig gegeben, mit Ausnahme der Inschriften, bei denen verständlicherweise eine — allerdings sehr weitgesteckte — Auswahl vorgenommen wurde. ! Die Sammlung der Testimonia ist in sieben große Kapitel unterteilt: Sage, Nachkommen, Gottwerdung und Wesenszüge des Gottes, Asklepios und die Medizin, Kult, Nachrichten über bildliche Darstellungen, Nachrichten über Heiligtümer. Die Interpretation zerfällt in sechs Abschnitte: Asklei E. Edelstein, Xenophontisches und platonisches Bild des Sokrates. Diss. Heidelberg 1935-

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pios der Heros, Asklepios der Gott, Tempelmedizin, Kult, bildliche Darstellungen, Tempel. Im wesentlichen werden die Zeugnisse des ersten und zweiten Kapitels im ersten Abschnitt des zweiten Bandes ausgewertet, während die folgenden Kapitel der beiden Bände, wie man schon an den Überschriften sieht, sich im großen und ganzen entsprechen. Es ist also gelungen, den ersten und zweiten Band in ihrem Aufbau weitgehend zur Deckung zu bringen — schon das ein Zeichen für die erstaunliche Beherrschung des gewaltigen Materials. Bei der notwendigen weiteren Unterteilung der Testimoniakapitel waren Überschneidungen in den Fällen nicht zu vermeiden, wo die antiken Zeugnisse nach mehreren Richtungen auszuwerten waren. Die Verf. haben mit Verweisungen nicht gespart, die sie sehr sorgfältig bearbeitet haben; auch der Testimoniaindex im zweiten Band hilft gut weiter. Die Herausgeber haben sich aber auch nicht gescheut, Testimonia in verschiedenen Abschnitten ganz oder teilweise zu wiederholen; der Leser wird es dankbar begrüßen, daß in Amerika auch 1945 ein solches Verfahren möglich war, das ihm zeitraubendes Nachschlagen erspart. Den Testimonia wurde nur in Notfällen ein textkritischer Apparat beigegeben. Es ist selbstverständlich, daß er sich auf solche Stellen beschränkt, die für das sachliche Verständnis von Bedeutung sind. Doch ist hier selbst unter dieser Voraussetzung mehrfach entschieden zu wenig geschehen; ich verweise auf T 33 (h. Horn. 3, 209. 211, vgl. Wilamowitz, Isyllos von Epidauros 80 mit Anm. 53). 37 (f , vgl. Wilamowitz a. a. O. 78 und Hesiod. Fr. 87 Rz.). 58 (" :" , vgl. Wilamowitz, Glaube der Hellenen 2, 225 mit Anm. i). 66 (Aeschyl. Agam. 1024, vgl. E. 2, 46 Anm. 84 und Wilamowitz ed. mai. z. St.). 157 (Antimachus in t Thenito, vgl. Antim. Fr. 150 Wyss). In solchen Fällen muß dem Leser, der ein Zitat nachschlägt, von vornherein am Text selbst die Möglichkeit gegeben werden, Einblick in die Unsicherheit der Überlieferung zu gewinnen.

Im ganzen ist die Sammlung der Zeugnisse eine hervorragende Leistung. Sie bildet die Grundlage des Asklepiosbildes, das E. im zweiten Band in seiner geschichtlichen Entwicklung darstellt. Hier liegt der große Schnitt zwischen dem ersten und dem zweiten Kapitel, zwischen der Darstellung des Heros und der des Gottes Asklepios. Was in den späteren Kapiteln über Tempelmedizin, Kult, Bilder, Tempel gesagt wird, bezieht sich alles auf den Gott. Die Trennungslinie zwischen Heros und Gott ist nach E.s Darstellung zugleich eine zeitliche Grenze; von der Geschichte der Forschung aus gesehen, bezeichnet sie die Grenze zwischen Unsicherheit und Sicherheit unseres Wissens über die äußere Geschichte der Asklepiosgestalt. Von der Zeit an, da der Heilgott von Epidauros seinen Einfluß über die griechische und später auch über die römische Welt ausbreitet, fließen die Zeugnisse über die äußeren Schicksale seines Wirkens reichlich, und wir fassen in ihnen eine einheitliche göttliche Gestalt. Ihre Wandlungen sind Zeugnisse für den Wandel des spätantiken Geistes. Vielleicht würde man über manche dieser Wandlungen, z. B. über die besondere Ausprägung der Heilandsidee in l Asklepios oder über den Gott als kosmische Potenz, von E. gern noch mehr gehört haben. Aber behandelt sind alle diese Fragen, und wir sind dankbar für die Beherrschung, in der

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das Material nicht einfach in verarbeitender Zusammenfassung, sondern in neuer und eigener Sicht dargeboten wird. Wichtig ist vor allem, daß der Asklepioskult nicht mehr, wie es bisher durchweg geschah, als Ergebnis und Hort wüsten Aberglaubens dargestellt wird, sondern daß eindringlich die rationalen Züge herausgearbeitet werden, die ihm als einer Schöpfung des klassischen griechischen Geistes unverkennbar mitgegeben sind. Diese Einsicht wirkt sich besonders aus bei der Behandlung des geistigen Zentrums des Asklepioskults, der Tempelmedizin, die von modernen Vorurteilen befreit und mit echt geschichtlichem Verständnis in die griechische Geisteslage ihrer Zeit hineingestellt wird. Wenn so die innere Problematik der Asklepiosreligion neu erhellt wird, so bleibt die große geschichtliche Frage zu behandeln, woher dieser Gott kam, dessen Verehrung schließlich die ganze antike Welt umspannte, dessen Tempelheilungen zu einem bestimmenden Faktor der antiken Kultur wurden und der als ein heidnischer Gegenspieler dem neuen Christus gegenübertreten konnte. E. nimmt die Behandlung dieses religionsgeschichtlichen Problems etwa dort auf, wo Wilamowitz sie hatte liegen lassen. Gemeinsam ist beiden die Überzeugung, daß der Gott Asklepios in der Gestalt, wie er seit dem 5. Jh. vor uns steht, eine Schöpfung von Epidauros ist 2 . E. verwendet einen großen Teil seines zweiten Kapitels für den Nachweis, daß nichts von dem, was seit dem 5. Jh. über den Gott ausgesagt wird, die Existenz einer älteren göttlichen Gestalt des Asklepios beweisen kann. Wir akzeptieren die Ausgangsposition: die Gestalt des Gottes Asklepios ist eine Neuschöpfung, die von Epidauros3 aus ihren Siegeszug durch die griechische Welt antrat. Daß E. ebensowenig wie die Forschung vor ihm die eigentlichen Ursachen für diesen Schöpfungsvorgang nennen, sondern höchstens Vorbedingxmgen anführen kann, die ihn plausibel machen, ist noch kein Einwand gegen die These, da ein schöpferischer Vorgang wie dieser seiner Natur nach im Dunkeln zu bleiben pflegt. Die Frage ist vielmehr, was die vom epidaurischen Kult unabhängigen Nachrichten über Asklepios uns lehren. Um zur Klarheit über die Herkunft des Asklepios zu kommen, hatte Wilamowitz4 die Nachrichten der homerischen und hesiodischen Epik mit Schlüssen aus den überlieferten Varianten des Namens kombiniert. Das Epos genealogisiert den Heros Asklepios teils in Thessalien, teils in Messenien. Varianten des Namens, die sich auf der Peloponnes und bis zur Insel Anaphe bei Thera fanden, schienen im Zusammenhang mit dem von Isyllos von 2

Wilamowitz, Glaube der Hellenen 2, 229, formuliert geradezu „daß der Asklepios, der allein ein dauernd wichtiger Gott wird und bleibt, kurz vor 500 von den epidaurischen Priestern erfunden ist". 3 Daß die Freilegung des Asklepieions von Trikka Epidauros noch den zeitlichen Vorrang streitig machen könnte (vgl. dazu E. Kirsten, RE VII A 1939, 146 ff. 1273 ff.), wird von E. 2, 243 mit Recht für wenig wahrscheinlich gehalten. 4 Isyllos von Epidauros. PhU 9, 1886, 91 ff.

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Epidauros (IG IV2 i, 128) bezeugten Namen von Asklepios' Mutter, Aigla, eine Ableitung vom griechischen Stamm - zuzulassen. So sah Wilamowitz in Asklepios zunächst einen griechischen Heildämon, der seinen Einfluß im Zuge der griechischen Einwanderung von Norden her ausgebreitet hatte und so auch nach Epidauros gekommen war. Diese Ableitung des Asklepiosnamens ist aber unhaltbar5. Wenn eine sprachliche Verbindung zwischen den - und den -Formen besteht, so ist viel wahrscheinlicher der ursprüngliche Name des Gottes deutend an den Wortstamm, in dem man den ,Glanzc hörte, angeglichen worden. So ergab sich für Wilamowitz, der an den Namensgleichungen festhielt, zuletzt 6 vielmehr, daß Asklepios ein vorgriechischer Gott gewesen sein müsse, ohne daß er befriedigend erklären konnte, wie dieser Gott in gleicher Weise „im innersten Thessalien und auf der winzigen Insel hinter Thera, womöglich auch im innern Arkadien" auftreten konnte. An der ursprünglichen Göttlichkeit des Asklepios zweifelte Wilamowitz aber in keinem Fall. Die Gegenposition vertrat Farneil mit der euhemeristischen These, daß Asklepios ursprünglich ein heroisierter Mensch gewesen sei7. E.s Lösungsversuch ist insofern mit dem von Farnell verwandt, als er die göttliche Herkunft der ursprünglichen Asklepiosgestalt eliminiert; im übrigen geht er aber ganz andere und neue Wege. Gestützt auf die literarischen Zeugnisse, d. h. vor allem auf die Ilias und auf die gegen Wilamowitz (Isyllos 5 7 ff.) in verschiedenen Punkten modifizierte Rekonstruktion der hesiodischen Koronisehoie, sowie auf die Bezeichnung der Ärzte als Asklepiaden, kommt er zu folgendem Resultat: Der Asklepiosmythos stellt sich, undeutlich noch bei Homer, deutlich faßbar in dem hesiodischen Gedicht, als der Mythos vom idealen Arzt dar, der seine Kunst zu höchster Meisterschaft entwickelt hatte, so daß ihm über die Heilung der Kranken hinaus auch die Wiedererweckung der Toten gelang. Die Aussicht, daß dieses prometheische Streben die Menschen endgültig über den Tod triumphieren lassen könnte, erweckte den Neid der Götter; daher vernichtete der Blitzstrahl des Zeus den gefürchteten Rivalen. In der stufenweisen Entwicklung des Mythos, einer Geschichte von menschlicher Meisterschaft, die mit den Göttern wetteifert, drückt sich zugleich die zunehmende Wichtigkeit des ärztlichen Standes aus: in der Ilias wird Asklepios, der Arzt, zum König gemacht, aber erst in der Koronisgeschichte erscheint er als Sohn des Gottes Apollon. Daß die Geschichte in die hesiodischen Kataloge aufgenommen wurde, die l die Genealogie irdischer Geschlechter an Götter anknüpften, bedeutet, daß auch mit Asklepios eine Genealogie begründet werden sollte: die der Ärzte, die als Asklepiaden nicht seine leibliche, wohl aber seine gei5 Die Kritik von Farnell, Greek Hero Cults, 1921, 238 ist sachlich berechtigt. Der damit verbundene persönliche Ausfall gegen Wilamowitz erledigt sich von selbst. 6 Glaube der Hellenen 2, 1932, 229. 7 Greek Hero Cults, 1921, 2340.

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stige Nachkommenschaft bildeten. Als typische Figur ist Asklepios im Grunde an kein Lokal gebunden; die Sage mag ihn in Thessalien lokalisiert haben, weil es die Heimat vieler Helden oder weil es das Land der Heilund Zauberkräuter war (Cheiron, Medea!); vielleicht versetzte ihn aber auch erst die Ilias nach Thessalien. Die These von E. ist originell konzipiert und eindrucksvoll durchgeführt. Trotzdem erregt sie Bedenken. In E.s eigener Darstellung wird das Verhältnis der homerischen Asklepiosgestalt zur Koronisehoie nicht restlos klar. Nur das sagt E. deutlich, daß er für den Asklepios der Ilias die Gottessohnschaft für unwahrscheinlich hält. Soll man also annehmen, es habe einmal die Geschichte vom prometheischen Arzt Asklepios, der ein Mensch war und als ein Mensch wirkte, von seinen Taten und seinem Tod im Sinne von E.s Hypothese gegeben, nur daß dieser Asklepios noch nicht der Sohn des Apollon und der Koronis war? Mir scheint, eine derartige Geschichte, die den Menschen ganz auf sich stellt, ist für die epische Zeit durchaus unvorstellbar: Prometheus war ein Gott, die Menschen sind das Objekt des Streites zwischen ihm und Zeus; Karl Reinhardt hat uns neuerdings die Augen dafür geöffnet, daß Prometheus zum „Titanen" in dem uns geläufigen Sinn einer grundsätzlichen Auflehnung gegen das Göttliche erst in der äschyleischen Tragödie wird8. Auch die Koronisehoie hat ihren Schwerpunkt nach allem, was wir aus der Überlieferung rekonstruieren können, nicht in Taten und Leiden des Menschen Asklepios, sondern im Verhalten des Gottes Apollon9. Sein Zorn über den Verrat der Geliebten, sein Zorn über die Tötung des Sohnes durch Zeus umrahmen die Geschichte. Asklepios' Tod wird zum Anlaß der Auseinandersetzung zwischen Apollon und Zeus, so wie die Menschen der Ilias unter der Auseinandersetzung der Götter leben, leiden und sterben. E. selbst (26 ff.) hat gegen die früher herrschende Meinung überzeugend dargelegt, daß der Apollon der Koronisgeschichte nicht der Gott von Delphi ist, sondern der zornige Gott des Epos. Es ist in der Tat der Gott, der die Pest über die Achaier bringt, derselbe, vor dessen Spiel mit dem Bogen noch im delischen Hymnos die Götter zittern. Diese Konzeption ist vom Geist der Ilias erfüllt. Und Asklepios in seinen eigenen Handlungen: geht er wirklich ohne Verbindung mit den Göttern seinen menschlichen Weg und erweckt er, unbekümmert um sie, die Toten, bis den Herrn des Himmels die Furcht erfaßt und er den hemmenden Blitzstrahl sendet? So sieht es nach E. aus: „To be sure, he (Zeus) would not have troubled to interfere, had Asclepius revived just one or two individuals. Yet he who makes it a practice to raise the dead sets Zeus trembling" (48). Demgegenüber | deutet die Überlieferung s K. Reinhardt, Aischylos als Regisseur und Theologe, 1949, 30. Als Grundlagen der Rekonstruktion vgl. vor allem Hesiod Fr. 122/127 Rz. und die allerdings schon subjektiv veränderte Erzählung Pindars Pyth. 3.

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gerade darauf hin, daß Zeus schon bei der ersten Totenerweckung des Asklepios eingriff. Pindar (Pyth. 3, 56) sagt, daß Gewinnsucht Asklepios verführte, ,einen Mann ( ) vom Tode zurückzuholen, der schon von ihm ergriffen war'. Von einer Erweckung sprechen ausdrücklich auch Ovid Metam. 2, 645 f. und Libanios Orat. 20, 8, und die seit dem 6. Jh. sich wiederholenden Versuche der Dichter und Mythographen, bestimmte Personen der Sage als die von Asklepios Erweckten zu nennen (vgl. T 69/86 E.), beweisen in ihrer Widersprüchlichkeit einerseits, daß die alte Geschichte selbstverständlich keinen Namen genannt hatte, andererseits aber, daß die Erweckung als einmaliger Akt aufgefaßt wurde10. Griff Zeus demnach schon bei der ersten Erweckung ein, so wurde die Gottheit als nahe wachend und schnell strafend dargestellt; dieses rasche Eingreifen der Gottheit läßt vermuten, daß eine ausdrückliche Warnung vorangegangen sein könnte, den verbotenen Bereich zu überschreiten. Mit einer solchen Vorstellungswelt kann die Geschichte schon sehr alt gewesen sein, als die Koronisehoie in die hesiodischen Kataloge aufgenommen wurde. Die Vermutung von E., daß mit ihrer Auf nähme in die Kataloge die Genealogie* der Asklepiaden begründet werden sollte, und zwar nicht als eines Geschlechts Verbandes, sondern als des Standes der Ärzte, ist sehr ansprechend. Allerdings führen die frühesten Zeugnisse für diese Bezeichnung nicht über das 5. Jh. zurück (Theogn. 432 ff., Eurip. Ale. 965 ff.), aber ihre Form zeigt keine Beziehung zu dem Heilgott Asklepios, so daß vielmehr die Beziehung auf den epischen Heros wahrscheinlich ist. Nun überlege man sich aber die chronologischen Konsequenzen: wenn schon um 600 die Koronisehoie um ihrer genealogischen Zwecksetzung willen in die Kataloge aufgenommen wurde, so sahen also schon damals die Ärzte in Asklepios ihren Ahnherrn. Der Mythos von Asklepios selbst muß also schon beträchtlich älter gewesen sein. Einer solchen Annahme steht nichts im Wege, wenn wir den Asklepiosmythos der titanischen* Züge entkleiden, die E. hineingetragen hat. Die spärlichen Angaben der Ilias lassen kein sicheres Urteil darüber zu, in welcher Form ihr der Mythos vorgelegen hat. Aber ich sehe nichts, was ausschlösse, daß sie der hesiodischen Fassung schon sehr ähnlich war. Die Lokalisierung in Thessalien, die Beziehung zu Cheiron kehrt wieder (vgl. II. B 729. 202. 219. Find. Pyth. 3,45 1!). E. n ff. hat nach Wilamowitz (Isyllos 45 ff.) richtig ausgeführt, daß die genealogische Bindung des 10 Die frühesten Zeugnisse für die Auffassung, daß es sich um mehrere Erweckungen handelte, finden sich bei Pherekydes (Schol. in Eurip. Ale. i). Eurip. Ale. 127. Xen. Cyn. 1,6. Zeitlich kommen diese Zeugnisse also allenfalls gegenüber denen auf, die von nur einer Erweckung sprechen, aber nicht qualitativ. Denn die ausdrückliche Bezeugung einer einzigen Erweckung ist das Individuelle und Besondere, die Setzung des Plurals eine naheliegende Trivialisierung. 11 Die Unterscheidung zwischen der Freundschaft' des Cheiron zu Asklepios 219 und dem Lehrer-Schüler-Verhältnis bei Pindar, die E. 4. 38 vornimmt, ist angesichts der Dürftigkeit der homerischen Nachrichten künstlich und nicht beweisend.

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Podaleirios und Machaon an Asklepios, die in der Ilias begegnet i (B 731 f. 194 ff.), se^r l056 ist; m der Iliupersis (Fr. 5 All.) erscheinen beide als Söhne des Poseidon. Ihr Anschluß an Asklepios konnte um so leichter erfolgen, wenn schon damals der Mythos von Asklepios dem großen Arzt bekannt war. Denn Machaon und Podaleirios treten im Epos auf, weil sie Ärzte sind; das hat E. 4 ff. richtig hervorgehoben. Die Frage, warum Ärzte namentlich und im Rang der übrigen Helden im Epos Aufnahme fanden, muß zunächst für Machaon gestellt werden, der in der Ilias seinen festen Platz hat. Machaon wird im (504 ff.) von Paris verwundet und von Nestor, den Idomeneus mit berühmt gewordenen Worten auf den besonderen Wert eines Arztes hinweist, aus der Schlacht zurückgebracht. Bei der Rückführung sieht Achill Machaon von hinten und schickt Patroklos zu Nestor, ihn zu fragen, wen er da zurückbrachte. Was Nestor in seinem Zelt dem Patroklos erzählt, läßt in diesem zuerst den Wunsch aufkeimen, den Griechen zu helfen. Die Machaonepisode ist eins der wichtigsten Bindeglieder im Gesamtgefüge der Ilias 12. Es liegt auf der Hand, daß der Dichter die Gestalt nicht für diese ausschließlich dem Handlungszusammenhang dienende Rolle eingeführt hat, sondern daß er sich dazu einer bereits vorhandenen Figur bedient. E. 16 sieht in der Szene von Menelaos' Heilung ( 192 ff.) die eigentliche .Aristie' und zugleich den Grund für die Einführung des Machaon. Aber die Szene ist doch zu nebensächlich, um die Einführung einer neuen Figur zu rechtfertigen. Also wird man den Grund für die Einführung des Machaon außerhalb der Ilias suchen müssen. Es gibt einen Punkt im Gesamtgeschehen um Troia, an dem das Eingreifen eines Arztes von entscheidender Bedeutung wird: das ist die Heilung des Philoktet. Nach der Chrestomathie des Proklos wurde sie in der Kleinen Ilias dem Machaon zugeschrieben 13. Sie war die Tat, die ihn berühmt machte und seine Einführung auch in der Ilias rechtfertigte; vielleicht ist es nicht zufällig, daß im Schiffskatalog die Mannschaft der Asklepiaden unmittelbar hinter der des Philoktet steht (B 725 ff.). Methodisch ist von Bedeutung, zu sehen, daß die Ilias nicht immer nur aus ihr selbst erklärt werden kann, sondern daß man auch die kyklischen Epen zwar nicht ihrer letzten Gestaltung, wohl aber dem Stoff nach zur Erklärung heranziehen muß. Podaleirios ist der Ilias viel loser verbunden als Machaon. Ihn kennt nur der Schiffskatalog und eine Stelle im (833/36), deren Athetese durch Wilamowitz (Isyllos 45 Anm. 2) weitgehende Zustimmung gefunden hat. E. (12 f.) nimmt an, daß Podaleirios in die kyklische Epik eingeführt wurde, als die Entwicklung der ärztlichen Kunst neben den Chirurgen (Machaon) den Arzt für ,innere' Krankheiten treten ließ. Er beruft sich dafür auf das schon erwähnte Fr. 5 der IHupersis, das ausdrücklich diese Teilung zwischen Machaon und Podaleirios vornimmt und Podaleirios den Wahnsinn des Aias erkennen läßt. Diese Einteilung ist zweifellos spät, und das würde dann auch für die Einführung des Podaleirios gelten. Die Krankheit des Aias wäre der berühmte ,FalT, dem er seine Einführung in der Ilias verdanken würde 14. Aber Podaleirios konkurrierte in der späteren Tradition auch mit Machaon hinsichtlich der Heilung des Philoktet (T 201/2 E.). Vielleicht ist diese Konkurrenz schon alt, und Podaleirios verdankte ihr seine Einführung in die Ilias.

Die Geschichte von Asklepios, dem Sohn des Apollon und der Koronis, dem Schüler Cheirons, dem Arzt, der die Kranken heilte, bis ihm, weil er 12 Vgl. W. Schadewaldt, Iliasstudien, 1938, 17 ff. 13 Horn. ed. Allen 5, 106, 25 f. i* Nur für den Wahnsinn des Aias gilt im Sinne des Epos die Charakteristik als eine jinnere* Krankheit. Die Krankheit des Philoktet wird durchaus »chirurgisch1 im Sinne der Iliasheilungen behandelt (vgl. Schol. Find. Pyth. i, 1093 = T 174 E.).

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wider göttliches Verbot einen Toten wieder zum Leben erweckte, der Blitzstrahl des Zeus traf, dessen Tod Apollon durch Tötung der Kyklopen rächte — diese Geschichte zeigt das Gepräge der frühen Epik; vielleicht ! kannte sie schon die Ilias. Ist ihr Träger eine frei erfundene Gestalt? Dagegen spricht zunächst die bekannte Tatsache, daß Asklepios schon früh an verschiedenen Stellen lokalisiert gewesen sein muß. Trikka und Cheiron in der Ilias, Cheiron und das dotische Gefilde in der Koronisehoie weisen auf Thessalien. Aber daneben gibt es die gleichfalls in die Kataloge aufgenommene Genealogie von der messenischen Leukippostochter Arsinoe (vgl. T 36 ff. E. und oben S. 216). Mag man diese Geschichte als sekundäre Konstruktion ansehen, so kann man das schwerlich für die lokale Differenz im Schiffskatalog gelten lassen, wo (B 729 f.) neben dem thessalischen Trikka die messenischen Ortsnamen Ithome und Oichalia als Heimat der Asklepiaden genannt werden15. Weiter gehört, wenn Wilamowitz' Vermutung richtig ist (o. S. 216), eine frühe Erscheinungsform des Asklepios nach Anaphe bei Thera. Vielleicht wußte auch Epidauros schon um 600 von einer weiteren Abwandlung der Geburtsgeschichte, wenn K. Latte, Gnomon 7, 1931, 115, die inschriftlich bezeugte Phyle der Azantier in Epidauros richtig mit der des pythischen Apollonhymnos (209) zusammengebracht hat. Eine frei erfundene Gestalt von paradigmatischem Wert, die in einen idealen Raum gestellt wurde, war dieser Asklepios also schwerlich. Dagegen spricht auch der Name, der nicht wie etwa der des Daidalos der redende Name eines Künstlers ist, dem Ungewöhnliches gelang. Es bleibt dabei, daß der Name ungedeutet und schwerlich griechisch ist. Dann bleibt auch die Folgerung von Wilamowitz bestehen, daß Asklepios eher ein vorgriechischer Gott als ein griechischer Heros war. Apollon, der ihn aus seiner ursprünglichen Heilfunktion verdrängte, wird zu seinem Vater, der sie ihm wiedergibt. Der Blitzstrahl des Zeus ist das grellste Symbol für die Vernichtung seiner göttlichen Kraft durch die Olympier. Aber die Vernichtung war doch nicht radikal genug gewesen. Hier und dort glomm unter der Asche noch ein Funken des göttlichen Wesens, der in Epidauros zu einer neuen, die griechische Welt erwärmenden Flamme werden sollte. Diese Ansicht, die zu der alten ,Aporie' von Wilamowitz zurückkehrt 16 , 15

V. Burr, , Klio-Beihefte 49, 1944, versucht nach antikem Vorbild, auch Oichalia und Ithome in Thessalien nachzuweisen. Aber auch wenn man seine Behandlung des Schiffskatalogs als eines sehr alten Dokuments im ganzen als annehmbare Arbeitshypothese unterstellt, muß doch in jedem einzelnen Fall untersucht werden, wieweit die Nennungen ihrer Art nach dokumentarisch sein können oder wieweit sie aus den besonderen Bedürfnissen der Dichtung heraus zu verstehen sind. Für die Asklepiaden und ihre Lokalisierung gelten gewiß besondere Regeln. !6 Die Ausführungen von E. Kirsten, RE VII A 1939, 1275 S. zeigen, daß auch die neuere archäologisch-historische Forschung über die Wilamowitzsche Aporie nicht hinauskam.

222

Edelstein, Asclepius

mag weniger befriedigend aussehen als die Hypothese von E., die aus der Überlieferung eine stufenweise, sinnvolle Entwicklung herauszulesen versucht. Dieser Versuch beruht im Grunde auf der Überzeugung, daß die Überlieferung in sich alles nicht nur aufbewahrt, sondern auch irgendwie ausspricht, was ihr überkommen ist, daß sie immer nur gewinnt l und nie verliert. Aber dann sehen wir die Entwicklung zu geradlinig, und wir werden zu dem Glauben verführt, daß wir der Überlieferung auch dann noch einen geschlossenen Sinn abzwingen könnten, wenn sie ihn nicht mehr hergeben kann — oder nicht mehr hergeben will. Damit soll keine agnostizistische Resignation gepredigt werden. Auch da, wo er Einwände machen mußte, ist der Ref. davon überzeugt, daß Versuche wie dieser immer wieder gemacht werden müssen, daß sie viel zu wenig gemacht werden und daß sie den höchsten Dank verdienen.

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10

GALENI IN HIPPOCRATIS EPIDEMIARUM LIBRUM VI COMMENTARIA I—VIII ediderunt Ernst Wenkebach - Franz Pfaff (= Corpus medicorum Graecorum V 10, 2, 2) Leipzig 1940 [Gnomon 22 (1950) S. 226—235]

Galens Kommentare zum 6. Buch der Epidemien erschienen als letzte seiner erklärenden Schriften zu den hippokratischen Epidemien, nach denjenigen zu Buch i. 2. 3. Sie setzen den größten Teil seiner Hippokratesexegese voraus, wenn auch einige Kommentare zu wichtigen Schriften noch folgten l . Aus 206,16 ergibt sich als frühest möglicher Abfassungstermin die Zeit des Commodus. Gegen Ilbergs Ansatz wird man nicht weiter in die Zeit des Septimius Severus herabgehen, aber man wird jedenfalls auch die von Wenkebach2 mit zur Auswahl gestellte Regierungszeit des Marc Aurel ausschließen müssen. Galens erklärende Tätigkeit am Hippokratestext vollzog sich in zwei Etappen 3 . Seine ersten Kommentare zu hippokratischen Schriften waren nur für den Privatgebrauch des engsten Schüler- und Freundeskreises bestimmt. Sie hoben das medizinisch Allgemeingültige hervor und verzichteten, schon aus Mangel an geeigneten Unterlagen, auf eine ausführliche Auseinandersetzung mit der älteren Exegese. Erst von der Erklärung der Epidemien, genauer von der Kommentierung des zweiten Epidemienbuches ab 4 , schrieb Galen seine Kommentare für die breite Öffentlichkeit. Zwei Gründe waren es besonders, die ihn dazu veranlaßten: einmal die Unzufriedenheit mit den damals anerkannten Erklärungen; dies wird ausdrücklich in 1 Vgl. die Übersicht bei J. Ilberg, RhM 44, 1889, 229 ff. (berichtigt bei K. Bardong, NGG 1942,6140., 6332.). 2 Vgl. IX Anm. 2. — In die Zeit des Commodus datiert die Kommentare wegen 53, 18 auch Bardong a. a. O. 624/639. 3 Vgl. den Kommentar 2u Epid. 3 CMG V 10, 2, r. 60, 15 ff. 6r, 14 ff. und die manches klarer zusammenfassende Übersicht in der Schrift Set. min. 2, I I I ,

ff.

4 Im Kommentar zu Epid. 3 CMG V 10, 2, i. 61, 18 stellt Galen auch den Kommentar zu Epid. i in diese Reihe, aber die abweichende Darstellung Scr. min. 2, 112, 2i ff. wird durch den Befund in den Kommentaren selbst bestätigt.

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Galen, in Hipp. Epid. 6 edd. Wenkebach-Pfaff

[226/227}

gesagt und ist der Ausgangspunkt der Auseinandersetzungen im Kommentar zu Epid. 3 5 . Das andere Motiv, das nicht ausdrücklich genannt wird, sich aber aus dem Inhalt der Kommentare von selbst ergibt, ist die erweiterte Bekanntschaft mit exegetischer Literatur, die Galen inzwischen gemacht hatte. Sie war ihm besonders wertvoll für die Erklärung der oft schwer verständlichen, unzusammenhängenden Aphorismen in Epid. 2. 6, die Galen in Übereinstimmung mit der älteren Hippokratesforschung für nachgelassene Notizen des Hippokrates hielt, die dessen Sohn Thessalos herausgegeben hatte 6 . Die Fülle des Erklärungsmaterials, über das er damit verfügte, ließ diese Kommentare zu einer selbst für Galens Verhältnisse ungewöhnlichen Breite aufschwellen; der Kommentar zu Epid. 6 erreicht den Umfang von acht Büchern, l Trotz dieser Breite — oder vielleicht gerade deshalb — war die Wirkung des Kommentars im ausgehenden Altertum beträchtlich. Oribasios hat ihn exzerpiert7, der Alexandriner Palladios und der in lateinischem Gewände auf uns gekommene Johannes Alexandrinus8 haben ihn in ihren Kommentaren zu Epid. 6 benutzt. Die Schule des Hunain hat ihn ebenso wie alle galenischen Hippokrateskommentare, deren sie habhaft werden konnte, ins Syrische und Arabische übertragen 9. In Byzanz ließ das Interesse an den stark philologisch orientierten Kommentaren zu Epid. 2. 6 nach. Die Kommentare zu Epid. 2 gingen im Griechischen ganz verloren und sind uns nur in der arabischen Übersetzung erhalten 10. Eine gemeinsame byzantinische Ausgabe der zunächst noch vollständig erhaltenen Kommentare zu Epid. i. 3.6 hat Wenkebach erschlossen n. Man wird daran erinnert, daß auch in der Vorlage einer der ältesten Hippokrateshandschriften, des Paris. 2253 (A), Epid. i und 3 unmittelbar aneinander anschlössen12; allerdings sind im übrigen besonders enge Beziehungen zwischen dem Hippokratestext des Galen und demjenigen der Handschrift A nicht festzustellen. Nachlassendes Interesse an den philologischen Problemen des Hippokratestextes bekundet sich dann weiter in den zahlreichen Auslassungen einschlägiger Erörterungen in der griechischen Überlieferung, die uns erst durch die arabische Übersetzung bekannt geworden sind13. Das setzt eine bewußte, wenn auch rohe redaktionelle Tätigkeit 5 6 7 8

9 10 n 12 13

Vgl. Scr. min. 2, 112,17. CMG V 10, 2, i. 60,15 ff. Vgl. 5, 8 ff. mit der Anm. von Wenkebach z. St. Die wenigen Exzerpte aus den nicht griechisch erhaltenen Teilen des Kommentars hat K. Deichgräber am Ende der Ausgabe S. 508 zusammengestellt. Über Palladios und Johannes Alexandrinus vgl. die auch heute noch wertvolle Dissertation von W.Bräutigam, De Hippocratis Epidemiarum libri VI commentatoribus. Königsberg 1908. Vgl. Pfaff Praef. XXIX. Vgl. CMG V 9, i, XXX ff. 1^3 ff. Vgl. Praef. XIV. Vgl. Hippocrates ed. Kuehlewein i, 214, 16. 215, 3 (App.). Vgl. XV.

[22JJ228]

Galen, in Hipp. Epid. 6 edd. Wenkebach-Pfaff

225

am Galentext auf einer lteren Stufe der byzantinischen berlieferung voraus. Vielleicht f llt sie zeitlich zusammen mit der Angleichung der Hippokrateslemmata an den Text der mittelalterlichen Hippokrateshandschriften, die verschiedentlich zu beobachten ist. Daf r spricht der Befund 280, 6: Galen hatte nach Ausweis der arabischen bersetzung ψυχής περί παντός φροντίς άνθρώποις als Lemma eingesetzt. Im Kommentar war er nach der arabischen bersetzung von diesen Worten ausgegangen, hatte dann aber auf die Variante ψυχής περίπατος hingewiesen und diese zun chst erkl rt. Erst von da war er wieder zu der ihm richtig erscheinenden Lesart περί παντός zur ckgekehrt. In der griechischen berlieferung ist die erste Mitteilung ber die Existenz einer Variante ausgefallen und sogleich περίπατος zur Grundlage der Erkl rung gemacht worden. Dementsprechend steht im Lemma wie in der byzantinischen Hippokrates berlieferung περίπατος. Lemma und Text des Kommentars wurden auch aneinander angeglichen 65, 2r. 66, 6. 12, wo έργάσασθαι aus der Hippokrates berlieferung statt des von Galen gewollten und durch den Araber best tigten όργάσασθαι eingedrungen ist. Soweit diese Umgestaltung der Lemmata eine bewu te und einheitliche Aktion war, mu sie nach der Trennung unserer Hippokrates berlieferung in die M- und V-Gruppe erfolgt sein. Das geht aus 248, 12 hervor: σημεία | θανατώδεα ανά δέρμα ρίνα θερμός ατμός U. Der Araber las richtig σημεία θανατώδεα ανά ρΊνόν θερμός ατμός, δέρμα ist als Glossem zu ρινόν eingedrungen, dessen weitere Umgestaltung zu ρίνα in der Hippokrates berlieferung noch zu verfolgen ist: C als Vertreter der V-Gruppe liest ρινών, fa t also nach dem Eindringen von δέρμα das nicht mehr verst ndliche ρινόν als Genetiv zu ρίνες. Da ,Nasenhaut' aber unsinnig ist, gleicht die M-Gruppe das Wort weiter an δέρμα an und liest ρίνα, und dies hat U bernommen.

Die letzte Etappe des Verfalls sind starke mechanische Zerst rungen gegen Ende der Vorlage der erhaltenen Handschrift, die auch zum Verlust der letzten aVg B cher des Kommentars in der griechischen berlieferung f hrten. So konnte aus der zunehmenden Gleichg ltigkeit nur eine einzige verst mmelte Handschrift gerettet werden, die in den Besitz des Kardinals Bessarion kam 14. Es ist der Marcian. Ven. 283 s. XV (U), der das Druckexemplar der editio princeps der Aldina von 1525 wurde. Sie bildete ihrerseits die Grundlage f r alle sp teren Ausgaben, bis die vorliegende Neuedition kam. Nur einmal schien der berlieferung noch eine Erweiterung zuzuwachsen, als 1562 Joh. Bapt. Rasarius in seiner lateinischen bersetzung von Hippokrateskommentaren des Galen den Kommentar zu Epid. 6 angeblich aus handschriftlicher Quelle bis zum Ende des 8. Buchs erg nzte. Diese Erg nzung wurde auf einen Hinweis von H. Sch ne durch W. Br utigam15 als F lschung erwiesen. Der Beweis wurde durch die Auffindung der arabischen bersetzung des vollst ndigen Kommentars (H) best tigt. Durch Franz Pfaff ins Deutsche bertragen, gibt sie die Erg nzung und Berichtigung der griechischen berlieferung in U. Auf diesen beiden Textzeugen beruht die Ausgabe, mit der Wenkebach und Pfaff im Rahmen des CMG die Reihe ihrer Editionen der Epidemienkommentare des Galen und damit eine achtunggebietende Arbeit von Jahr" Vgl. XI f.

15

Vgl. oben S. 224 Anm. 8.

220

Galen, in Hipp. Epid. 6 edd. Wenkebach-Pfaff

[228)229]

zehnten abschlie en. Nur eins fehlt jetzt noch zum vollst ndigen Abschlu , der Index zu s mtlichen Kommentaren. Sein Druck mu trotz der Ungunst der Zeit unbedingt erm glicht werden, wenn die gewaltige Arbeit, die die Herausgeber geleistet haben, vollg ltig ausgewertet werden soll. Die fr her erschienenen Kommentare zu Epid. i. 2 (CMG V 10, i, 1934) und Epid. 3 (CMG V 10, 2, i, 1936) wurden in dieser Zeitschr. 13, 1937, 266 ff. angezeigt. Die Besprechung dieser letzten Ausgabe kommt ein Jahrzehnt nach ihrem Erscheinen; die F rderung der Hippokrates-Exegese, die auch sie, und zwar in ganz besonderem Ma e, bedeutet, mag es rechtfertigen, da trotzdem auf eine Auseinandersetzung mit ihr nicht verzichtet wird. Um mit dem Negativen zu beginnen, so m ssen gewisse Einw nde, die schon gegen die fr heren Ausgaben erhoben wurden, hier wiederholt werden. Sie beziehen sich vor allem auf die berm ige Breite, mit der die Ausgabe gestaltet ist16. Ergeht sich schon die Vorrede in etwas zu beredtem, wenn auch gewandtem Philologenlatein, so lie e sich vor allem der kritische Apparat erheblich knapper halten, l Einmal konnte man auf den Hinweis auf Tatbest nde verachten, die sich aus den kritischen Zeichen von selbst ergeben, z. B. 14, 25 τάς ante κατά addidi: das ergibt sich aus der spitzen Klammer um τάς im Text ohne weiteres. Ferner ist der Apparat nicht der Ort, um vom Herausgeber selbst verworfene oder zur ckgestellte Erw gungen zur Sprache zu bringen, wie 18, 5 δια potius seclusi quam in τα μόρια mutavi. 23, 23 propter hiatum άρτί(ως) complere malui quam άρτι post είρημένον traicere (cf. ex gr. p. 25, 33). 23, 26 δε post κατά addidi, an post αυτόν melius videtur (ut e. c. p. 52, 28)? Schlie lich werden die Fehler der alten Ausgaben, von denen nach W. doch feststeht, da sie ausschlie lich von U abh ngen, von falschen Konjekturen bis zu Druckfehlern viel zu stark ber cksichtigt, z. B. 5, 5 τφδε cum Chart, om. Kuehn. 9, 22 προσαγορευόμενον falso Chart. 18, ι φοξότητα cum Orib. UH: όξότητα per errorem typotheticum etiam Kuehn: acumen (οξύτητα) interpr. Crassus, wo alles bis auf die Best tigung der richtigen Lesart durch Oribasios berfl ssig ist. Die Beispiele lassen sich beliebig vermehren; die ger gten M ngel — oder vielmehr berfl ssigkeiten — fallen nicht nur deshalb besonders auf, weil wir heute zu gr erer Sparsamkeit verurteilt sind als noch zur Zeit, als die Edition vorbereitet wurde, sondern die Beanstandung hat ihren objektiven Grund vor allem darin, da die bersichtlichkeit des Apparats unter seiner Breite ernstlich leidet. Auch hinsichtlich der Textgestaltung war eine Neigung zu bertriebener Breite schon fr her bemerkt worden 17. Wohl war W. in der Verwendung der spitzen Klammer diesmal zur ckhaltender, doch mancher Zusatz d rfte noch berfl ssig sein, so 7, 19 i7 Li.: 141 Anm. 8 8,7. 5,344,19 Li.: 116

Indices

281

Epid. VI 8,8. 5,346,11 f. Li. = Galen In Hipp. Epid. VI comment. 8. 453,14 Pf.: 233 8,9· 5,346," Li.: 116 8,19. 5,350,12 Li. = Galen In Hipp. Epid. VI comment. 8. 477,24 Pf.: 231 8,19.5,350,14 Li. = Galen In Hipp. Epid. VI comment. 8. 479,14 Pf.: 231 8,20.5,352,1 Li. = Galen In Hipp. Epid. VI comment. 8.480,27 Pf.: 232 8,26. 5,352,18 Li. = Galen In Hipp. Epid. VI comment. 8. 498,2 Pf.: 231 8,24-26.5,352,12-354,2 Li.: 118 8,26. 5,352,16-354,2 Li.: i2i 8,26. 5,354,1 Li. = Galen In Hipp. Epid. VI comment. 8. 500,12 Pf.: 231 8,26. 5,354,2 Li. = Galen In Hipp. Epid. VI comment. 8. 501,29 Pf.: 231 Flat. 3. 92,20 f. Hbg. = 6,94,1 f. Li.: 206 Anm. 71 7· 95>6-9 Hbg. = 6,98,21-100,2 Li.: 206 ίο. 97,10 Hbg. = 6,104,16 Li.: 207 10. 97,20 Hbg. = 6,106,3 f· Li.: 207 15. 101,21 Hbg. = 6,114,18 f. Li.: 49. 56 Anm. 39 Fract. i. 2,46,17—47,2 Kw. = 3,417,7^9 Li.: 182 Hum. 12. 5,492,7 f. Li.: 116 De humid, usu i. 85,10 Hbg. = 6,118,9 Li.: 147 Insomn. 345—347. 6,658,6-9 Li.: 81 Anm. 20 349. 6,658,11 Li.: 80 Int. 5. 7,178,22 Li.: 200 27. 7,236,8 Li. 34· 7,252,7 Li. lusi. i. 4,2—12 Hbg. = 4,628,1—6 Li.: 211 f. 2—5. 4,13-20 Hbg. = 4,630,6—12 Li.: 211 4.4,18 Hbg. = 4,630,10 f. Li.: 210 6. 5,1-4 Hbg. = 4,630,12-15 Li.: 211 7. 5,5-8 Hbg. = 4,630,15-632,1 Li.: 212 Loc. Horn. i. 6,276,1—3 Li.: 43 1.6,276,2-41,1.: 236 Medic, i. 20,4 Hbg. = 9,204,1 Li.: 166 i. 20,9—11 Hbg. = 9,204,6—8 Li.: 212 i. 20,14 f. Hbg. = 9,204,11-206,1 Li.: 166 i. 20,18—23 Hbg. =9,206,4-9 Li.: 211 1. 20,19 Hbg. == 9,206,5 Li.: 166 Anm. 4 2. 21,3—5 Hbg. = 9,206,16 f. Li.: 181 f. 6. 22,19 Hbg. = 9,212,8 Li.: 182 Anm. 15 Morb. I 19. 6,156,7 Li.: 5 Morb. Sacr. 8,3. 74,20 f. Gr. = 6,376,2 f. Li.: 244 8,7· 74,3i Gr. = 6,376,15 Li.: 244 13,10. 82,2 f. Gr. = 6,386,5 f. Li.: 245 14-17. 82,35-88,12 Gr. = 6,386,15-394,8 Li.: 258. 258 Anm. 6 15,2. 84,54—56 Gr. = 6,388,13—16 Li.: 194 Anm. 29 15,5. 84,65 Gr. = 6,390,1 f. Li.: 258 17,1. 86,86 f. Gr. = 6,392,5 f. Li.: 204 Mul. I 62. 8,126,5—19 Li.: *39 Mul. II 133. 8,280,12-17 Li.: 118 Anm. 30 145. 8,318,21-322,2 Li.: 139 Nat. puer. 8. 7,480,8 f. Li.: 198 Oss. 8. 9,174,4 f. Li.: 39 Anm. 23 11. 9,182,3-9 Li.: 38 ii. 9,182,6 Li.: 236 19. 9,196,5-8 Li.: 44 Praec. i. 30,2 f. Hbg. = 9,250,2 f. Li.: 9

282

Indices

Praec. ι. 30,4 Hbg. = 9,250,3 Li.: u. 182 i. 30,5 Hbg. = 9,250,3 Li.: 182 1. 30,16 f. Hbg. = 9,252,10 Li.: 182 2. 30,22 Hbg. = 9,252,17 Li.: 182 5. 31,26 f. Hbg. = 9,256,8 Li.: 182 9.33,17 Hbg. = 9,264,8 Li.: 182 12. 34,5 Hbg. = 9,268,1 Li.: 182 Prog. 1.13,2-6 A. (1,78,3-8 Kw.) = 2,110,3-7 Li.: 133 1. 194,1 A. = 2,112,2 Li.: 251 f. 1.194,4-9 A. (1,79,1-8 Kw.) = 2,112,5-11 Li.: 200 f. 1.194,9 A. = 2,112,11 Li.: 254 2. 194,12 A. = 2,112,14 Li.: 253 2.195,2 A. = 2,114,6 Li.: 252 2.195,2 A. = 2,114,7 Li- 255 2.196,1 A. = 2,116,5 Li.: 249 3.197,8 A. = 2,118,11 Li.: 255 3. 198,7 A. = 2,120,10 Li.: 249 3.198,10 A. = 2,122,3 Li.: 255 3.198,11 A. = 2,122,4 Li.: 254 5.199,8 A. = 2,122,13 Li- 250 6. 200,6 A. = 2,124,5 f· Li.: 248 6. 200,6 f. A. = 2,124,6-8 Li.: 249. 251 6. 200,7 A. = 2,124,7 Li.: 255 7. 201,5 A. = 2,126,6 Li.: 255 7. 202,2 A. = 2,128,6 Li.: 255 7. 202,7 A. = 2,128,12 Li.: 250 7. 203,1 f. A. = 2,130,4 f. Li.: 253 7. 203,4 A. = 2,130,8 Li.: 255 8. 203,10 A. = 2,130,15 Li.: 249 8. 204,3 A. = 2,130,18 Li.: 249 12. 208,9 A. = 2,140,5 Li.: 252 12. 208,10 A. = 2,140,5 Li.: 255 12. 209,9 A. = 2,142,8 Li.: 255 14. 211,14 f. A. = 2,146,15 f. Li.: 252 15. 213,1 A. = 2,148,16 Li.: 255 16. 214,11 A. = 2,152,10 Li.: 249 17. 215,8 A. = 2,154,6 Li.: 253 18. 217,8 A. = 2,158,8 Li.: 255 18. 218,11 A. = 2,160,13 Li.: 255 18. 219,2 A. = 2,162,4 Li.: 255 20.221,1 A. = 2,168,10 Li.: 254 23. 226,9 A. = 2,180,3 Li.: 252 24. 226,15 f. A. = 2,180,11 Li.: 255 24. 229,7 A. = 2,186,5 Li.: 250 24. 229,13 A. = 2,186,11 f. Li.: 253 f. 25. 230,7 A. = 2,188,9 Li.: 249 25. 230,11 A. = 2,188,14 Li.: 253 Prorrh. II i. 9,6,14 f. Li.: 134 VM i. 36,2 f. Hbg. = 1,570,2 f. Li.: 49 i. 36,16 Hbg. = 1,572,4 f· Li.: 49 1. 36,20 f. Hbg. = 1,572,7 f. Li.: 54 2.37,3 f. Hbg. = 1,572,11 f. Li.: 51 2- 37,4-9 Hbg. = 1,572,12-17 Li.: 52 2. 37,7 f. Hbg. = 1,572,14 f. Li.: 53

Indices VM 2.37,10 Hbg. = 1,572,18 f. LL: 55 2. 37,15-18 Hbg. = 1,5743-6 Li.: 55 2. 37,18 f. Hbg. =6,574,6 f. Li.: 49. 49 Anm. 25 3- 37,24 Hbg. = i,574,i3 Li- J57 3.38,4Hbg. = 1,576,10 Li.: 57 3-4. 38,22-39,1 Hbg. = 1,578,7-14 Li.: 53 f. 4. 38,28 Hbg. = 1,578,14 Li.: 57 7. 40,16 f. Hbg. = 1,584,11 f. Li.: 58 7. 40,22 Hbg. = 1,586,1 f. Li.: 52 9. 41,10-15 Hbg. = 1,588,4-9 Li.: 59 9. 41,19-24 Hbg. = 1,588,13-590,4 Li.: 59. 64 10. 42,12 f. Hbg. = 1,590,20 Li.: 54 13. 44,8 Hbg. = 1,598,3 f· Li.: 49 13. 44,27 f. Hbg. = 1,600,1 f. Li.: 50 14. 45,28 Hbg. = 1,602,11 Li.: 69 15. 46,19 Hbg. = 1,604,13 Li.: 49 15.46,20-22 Hbg. = i,604,14-16 Li.: 65 15. 46,25-27 Hbg. = 1,606,1-4 Li.: 55 19-20. 51,7-23 Hbg. = 1,620,7-622,9 Li.: 67 20.51,10-12 Hbg. = 1,620,10-12 Li.: 68 20. 52,1-5 Hbg. = 1,622,14-624,1 Li.: 56 22.53,2 f. Hbg. = 1,626,7-9 Li-: 66 Viet. I i. 6,466,3 Li.: 71 Anm. ι 1. 6466,5-7 Li.: 71 Anm. ι 2.6,468,6-12 Li.: 69 f. 74 2. 6^68,13-15 Li.: 75 2. 6470,3-10 Li.: 197 2. 6470,6-13 Li.: 76 2. 6470,13-472,2 Li.: 73 Anm. 8 2. 6,470,16 f. LL: 74 2. 6472,2-5 Li.: 73 2. 6472,5-11 Li.: 80 4. 6474,17-19 Li.: 83 4. 6476,6-11 Li.: 87 4. 6476,11 Li.: 204 5. 6,476,18 f. Li.: 83 5.6,478,1 Li.: 83 6. 6478,19-22 Li.: 82 6. 6480,4-6 Li.: 82 7. 6480,8 f. Li.: 82 9. 6484,18 Li.: 83 ίο. 6486,9 Li.: 82 11. 6486,12-15 Li.: 84 ii. 6486,15-18 Li.: 87 ii. 6486,18 Li.: 204 ii. 6486,21—23 Li.: 83 15. 6,490,9 Li.: 85 18. 6,493,17 f. Li.: 85 24.6496,8-10 Li.: 86 f. 24. 6,496,12-14 Li.: 86 32. 6,510,22 f. Li.: 75 Viet. II 39. 6,534,17 f. Li.: 75 61. 6,574,18 f. Li.: 75 Viet. Ill 76. 6,618,16 Li.: 78

283

284

Indices

Viet. Ill 77. 6,620,15 Li.: 78 78. 6,622,9 f. Li.: 78 79. 6,624,5 Li.: 78 80. 6,626,10 £. Li.: 78 85. 6,636,7—10 Li.: 79 Viet. IV 86.6,640,1 Li.: 79 86. 6,640,7.12 f. Li.: 82 87. 6,640,15 Li.: 81 87. 6,642,3 Li.: 81 87. 6,6424-6 Li.: 83 88. 6,642,15-17 Li.: 82 88. 6,644,1-3 Li.: 82 88. 6,644,3-11 Li.: 81 89. 6,648,5 Li.: 82 Anm. 20 90. 6,652,13 Li.: 81 90. 6,654,5—8 Li.: 81 91. 6,658,6—9 Li.: 81 Anm. 10 91. 6,658,11 Li.: 80 93.6,660,2 Li.: 81 Demokrit (VS68B5): 150 (VS 68 B 9): 204 (VS68B25): 35 Anm. 19 (VS68B33): 204 (VS 68 B 125): 204 (VS68B I3 5): 35 (VS 68 B 164): i2i (VS 68 B 242): 204 Diodor Biblioth. 1,8,1: 57 10,3,4: 212 Diogenes von Apollonia (VS 64 A 17): 35 Anm. 19 (VS 64 A 19,43. 45): 198 (VS64B5): 203 Diogenes Laertios Vit. philos. 9,78: 182 Diokles von Karystos frg. ii2W.: 64 Empedokles (VS3iA74): 42 (VS 31 B 2,5 f. 7-9): 71 Anm. ι (VS3iB8): 204 (VS3iBioo): 42 (VS 31 B 105): 42 Erotian Voc. Hipp. coll. praef. 4,24: 143 praef.5,if.: 3 praef. 5,3 f.: 141 praef. 54: 143 praef. 5,16—18: 142 praef. 5,16: 141 praef. 9,1: 140 praef. 9,8: 140.140 Anm. 7 praef. 9,22: 140 Ai: 229 A 48: 27

Indices Erotian Voc. Hipp. coll. A 148: 27 E 83: 27 Buenos frg.9 D.: 204 Euripides Ale. 127: 219 Anm. 10 965-971: 219 Hipp. 7 f.: 203 Ion 624-628: 204 Med. 824-832: 203 frg. 917.981: 203 Scholion zu Ale. : 219 Anm. 10 Galen De alim. facult. 1,1,35. 212,20-213,2 H. = VI 473,1-10 Kühn: 77 Ars med. 3.1 314,1-3 Kühn: 133 Anm. 2 Deconsuet. i. 2,12—15 S. = 2,9,15—17 M.: 6 i. 6,20-12,3 S. = 2,12,15-16,2 M.: 7 i. 12,6—14,12 S. = 2,16,4-18,2 M.: 7 i. 14,13 f. S. = 2,18,2-4 M.: 7 De difficult, respir. 2,8. VII 854,11-855,14 Kühn: 141 Anm. 8 3,13. VII 960,3 Kühn: 4.140 De facult. natur. 1,7. 2,112,21-23 H. = II 16,15-17 Kühn: 223 Ling. s. diet, exolet. Hipp. expl. XIX 65,1 Kühn: 228 f. XIX 65,2 Kühn: 3. 140 f. XIX 68,11-13 Kühn: 4 XIX 69,8 f. Kühn: 5 XIX 72,16 f. Kühn: 5 XIX 76,17—77,3 Kühn: 5 XIX 82,18-83,7 Kühn: 6 XIX 95,10 f. Kühn: 5 XIX 110,13—16 Kühn: 4 XIX 116,9 f. Kühn: 6 XIX i2i,6 f. Kühn: 4 XIX 122,6 Kühn: 5 XIX 1444 f. Kühn: 5 XIX 153,14—16 Kühn: 5 XIX 154,1 Kühn: 157 In Hipp. Acut. comment. 1,17. 133,23-27 H. = XV 452,12-453,2 Kühn: 5 1,17. 134,17 H. = XV 454,7-9 Kühn: 5 1,17. 135,2 H. = XV 455,13 Kühn: 4 1,45. 162,4-9 H. = XV 512,8-13 Kühn: 7 2,38. 197,27-198,6 H. = XV 586,12-587,8 Kühn: 170 f. 2,38. 198,3-6 H. = XV 587,4-8 Kühn: 8 241. 201,4 f. H. = XV 593,3 f. Kühn: 6 2,43. 201,4-9 H. = XV 593,3—9 Kühn: 6 3,15. 237,1-7 H. = XV 663,14-664,2 Kühn: 8 3,42. 257,8-11 H. = XV 705,7-10 Kühn: 170 4 praef. 271,3-13 H. = XV 732,1-733,7 Kühn: 170 4 praef. 271,3-5 H. = XV 732,1—3 Kühn: 5 4 praef. 271,19 f. H. = XV 733,13-15 Kühn: 5 4,5. 277,3-5 H. = XV 744,1-3 Kühn: 170 4,109. 356,6 H. = XV 899,1 Kühn: n 4,109. 356,19 H. = XV 899,17 Kühn: n In Hipp. Aph. comment, , . XVII 6346,16 Kühn:

285

286

Indices

In Hipp. Aph. comment. 1,1. XVII B 348,7-9 Kühn: , . XVII 3^34 f. Kühn: , . XVII 355,6 f. Kühn: 3, 4· XVII 594> ~595>3 Kühn: 257 Anm. 5 6,1. XVIIIA 8,10-12 Kühn: 8 Anm. 12 6,27. XVIIIA 39,3-5 Kühn: 5. 8 7,70. XVIII A 187,1 Kühn: 141.228 In Hipp. Art. comment. 3,18. XVIIIA 512,15 Kühn: 5.8 3,18. XVIII A 513,1-3 Kühn: 5 3,18. XVIII A 513,14-514,2 Kühn: 8 In Hipp. Epid. I comment, i praef. 3,8-6, i W.: 157 i praef. 4,34 W. (app. crit.): 155 i praef. 8,3 W. = XVII A 9,4 Kühn: 156 1 praef. n,i W. = XVII A 14,3 Kühn: 155 1,1.11,21 W. = XVIIA 15,10 Kühn: 156 1,1. 13,6 f. W. = XVII A 18,3-5 Kühn: 4 i,i. 13,12 W. = XVII A 18,10 Kühn: 155 1,1.14,21 W. = XVII A 20,16 Kühn: 155 1,1. 22,8 W. = XVII A 34,2 Kühn: 156 1,10. 29,1 W. = XVII A 48,1 f. Kühn: 155 , . 31,6 W. = XVII A 52,18 Kühn: 155 i,n. 31,9 W. = XVII A 53,3 Kühn: 155 2.7. 51,19 W. = XVII A 97,5 Kühn: 155 2,12. 55,25 f. W. = XVII A 106,8 f. Kühn: 156 2,19.58,17 W. = XVII A 112,7 Kühn: 155 2,22. 60,17 f- W. = XVIIA 116,12 Kühn: 156 2,25. 62,13 f. W. = XVII A 120,5 f- Kühn: 156 2,30. 65,21 W. = XVII A 127,5 Kühn: 155 2,42.70,10 W. = XVIIA 136,14 Kühn: 155 2,45. 71,13 W. = XVII A 138,8 Kühn: 156 2,54. 77,3 W. = XVII A 150,12 Kühn: 156 2,56. 78,1 W. = XVIIA 152,11 Kühn: 156 2,63. 83,22 W. = XVII A 164,8 Kühn: 156 2,78.91,32 f. W. = XVII A 182,3 f. Kühn: 156 3,1. 103,15 W. = XVII A 205,17 Kühn: 155 3,1. 104,17 W. = XVII A 207,10 Kühn: 156 3,1.109,8 W. = XVII A 216,10 Kühn: 156 3,17.125,28—126,10 W. = XVIIA 250,15-251,13 Kühn: 138 Anm. 6 3.29. 148,29 W. = XVII A 296,11 Kühn: 156 3.30. 150,15 W. = XVII A 299,16 Kühn: 156 In Hipp. Epid. II comment. 3. 297,21-24 Pf. (nicht 3,30. XVIIA 442,14 f. Kühn): In Hipp. Epid. Ill comment. 2 praef. 61,4 W. = XVIIA 577,15 Kühn: 4 2 praef. 61,18 W. = XVIIA 578,12 Kühn: 223 1,4.10,9-25 W. = XVIIA 496,16-497,15 Kühn: 229 2,4. 77,10-81,21 W. = XVII A 603,1-610,13 Kühn: 140 2.8. 86,3-87,14 W. = XVII A 617,10-619,8 Kühn: 140 2,8. 87,10 f. W. = XVII A 619,6 Kühn: 141 In Hipp. Epid. VI comment, i praef. 3,10 W. = XVII A 794,2 Kühn: 141 i praef. 5,3-6,5 W. = XVII A 796,3-797,14 Kühn: 15 1.1. 6,8-10 W. = XVIIA 798,3-6 Kühn: 231 Anm. 32 1.2. 7,19 W. = XVIIA 801,2 Kühn: 226 1,2. 8,22 W. = XVII A 802,14 f· Kühn: 226 1,2.11,33 W. = XVII A 809,10 Kühn: 227 1,2.12,18 W. = XVII A 812,12 Kühn: 226

Indices

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In Hipp. Epid. VI comment. 1,5. 20,20-28 W. = XVII A 826,5-15 Kühn: 228 1,5. 20,28-21,8 W. = XVIIA 826,15-827,7 Kühn: 228 1,29.55,16-56,1 W. = XVIIA 888,9-14 Kühn: 5.140 24. 62,13 W. = XVIIA 901,4 Kühn: 226 2,9. 66,6 W. = XVIIA 908,5 Kühn: 225 2.9. 66,12 W. = XVIIA 908,12 Kühn: 225 2,17. 78,31 W. = XVIIA 928,2 Kühn: 227 2.25. 89,9 W. = XVIIA 947,16 Kühn: 226 4,31.250,1 W.: 231 5,5.270,31 W. = XVIIB 247,6 Kühn: 4 6. 361,42 Pf.: 232 6. 378,72 Pf.: 233 7- 398,43 Pf- 231 7.411,12 Pf.: 228 8. 372,14 f. Pf.: 233 8. 372,27 Pf.: 233 8. 453,27 Pf.: 233 8.476,26 Pf.: 231 8.478,21 Pf.: 231 8-479,19 £·: 231 8. 480,39 Pf.: 232 8. 500,31 Pf.: 231 8. 501,35 Pf.: 231 In Hipp. Hum. comment. 1,2. XVI 67,2—3 Kühn: 12 In Hipp. Nat. Horn, comment, praef. 5,10 M. = XV 5,10 Kühn: 14 praef. 6,8-n M. = XV 7,6-8 Kühn: 14 praef. 8,26-28 M. = XV 12,3-5 Kühn: 15 praef. 9,24 M. = XV 13,18 Kühn: 14 1,7.122,6 f. M. = XV 428,4-6 Kühn: 14 2,36.194,16-19 M. = XV 580,1-4 Kühn: 14 In Hipp. Prog, comment. 1,4. 206,13-15 H. = XVIII B 18,7-9 Kühn: 4 1.26. 243,13-16 H. = XVIIIB 85,3-6: 249 De libr. propr. 6. 2,112,15 M. = XIX 35,5 Kühn: 5 Anm. 6 4. 2,109,20-22 M. = XIX 31,13 f. Kühn: 6 6. 2,113,19 f. M. = XIX 36,17-37,1 Kühn: 6 6. 2,113,21 M. = XIX 37,1 f.: 6 6. 2,114,2-6 M. = XIX 37,6-9 Kühn: 16 Quod. opt. medic, . 2,1,7—9 M. = I 53,6—9 Kühn: 16 1. 2,1,11-13 M. = I 54,1—3 Kühn: 13 2. 2,4,10—13 M. = I 57,6-9 Kühn: 16 3. 2,6,1-4 M. = I 59,6-9 Kühn: 16 3. 2,6,11 M. = I 59,15 Kühn: 15 3. 2,6,14-19 M. = I 60,2-6 Kühn: 14 3. 2,8,20-23 M. = I 63,1-4 Kühn: 16 De morb. temp. 2. VII 409,9-413,2 Kühn: 10 5. VII 424,6 f. Kühn: 10 De totius morbi temp. i. VII 440,3-1 o Kühn: 10 i. VII 441,5-7 Kühn: 10 4. VII 449,10—13 Kühn: n 4. VII 454,8 f. Kühn: 10 8. VII 461,15—17 Kühn: 10 De plac. Hipp, et Plat. 2,8. 247,2-6 M. = V 282,10-15 Kühn: 207 Anm. 71 De puls, differ. 1,2. VIII 498,3—5 Kühn: 142 2.10. VIII 630,7-631,3 Kühn: n

288

Indices

De puls. difE. 4,2. VIII 716,14 f. Kühn: 142 4,2. VIII 718,15-720,2 Kühn: 29 4,10. VIII 749,13—18 Kühn: 29 De opt. secta 35.1195,14 f. Kühn: 10 De trem. VII 603,1 Kühn: 118 Anm. 30 Pseudo-Galen Dedef. med. 29. XIX 355,11—17 Kühn: 21 53—54. XIX 361,4—8 Kühn: 23 95. XIX 371,13 f. Kühn: 26 99. XIX 372,12-14 Kühn: 25 104—105. XIX 373,18—374,16 Kühn: 25 127-128. XIX 381,14-382,5 Kühn: 23 129. XIX 382,6-383,9 Kühn: 24 131. XIX 384,15—385,13 Kühn: 24 140. XIX 389,7 Kühn: 26 147. XIX 390,10 Kühn: 26 159 f. XIX 393,12-17 Kühn: 23 161 f. XIX 394,1-7 Kühn: 23 468. XIX 459,14 Kühn: 26 Introd. s. medic, 6. XIV 487,1—3 Kühn: 12 2. XIV 676,11-677,17 Kühn: 138 2. XIV 677,2 Kühn: 12 3. XIV 678,10 Kühn: 12 De vict. Hipp, in morb. acut. i. 369,5 f. W. = XIX 182,7—9 Kühn: 2. 370,3 W. = XIX 183,15 Kühn: 9 2. 370,17-23 W. = XIX 184,16-185,6 Kühn: 7 3. 371,14 W. = XIX 186,6 Kühn: 7 4- 377,5 W. = XIX 195,9 f· Kühn: 8 4. 377,11-25 W. = XIX 196,2—197,2 Kühn: 8 4. 378,16-20 W. = XIX 198,6-11 Kühn: 9 5. 380,14 W. = XIX 200,10 Kühn: 9 8. 385,15 W. = XIX 210,12 Kühn: 9 8. 385,20 W. = XIX 210,18 Kühn: n 8. 386,12-14 W. = XIX 212,1-5 Kühn: 8 8. 386,23-387,4 W. = XIX 212,14-213,3 Kühn: 7 8. 387,5 W. = XIX 213,4 Kühn: n 8. 387,11-388,2 W. = XIX 213,10-214,10 Kühn: 8 8. 388,8-11 W. = XIX 215,1-4 Kühn: 9 8. 388,14-21 W. = XIX 215,7-16 Kühn: 8 8. 389,2-5 W. = XIX 216,3-6 Kühn: 8 8. 389,9 W. = XIX 216,12 Kühn: n 8. 389,20 W. = XIX 217,4 f - Kühn: 8 9. 390,10 W. = XIX 218,3 KüEn: n . 390,18 W. = XIX2i8,nf. Kühn: 9 . 391,13 f. W. = XIX 219,12 f. Kühn: 6 ii. 392,7-9 W. = XIX 221,2-4 Kühn: 7 Gellius 3,16,7: 17 Heraklit (VS 22 A 16,129 f.): 198 (V$22Bi2): 198. 206 Anm. 71 (VS 22 B 673): 198 (VS 22 B 103): 43 Herodot Hist. 1,94: 65

Indices Hist. 1,171,2: 51 2,20,1: 51 4,16,2: 51 4,192,3: 51 Hesiod Op. 102—104: 108 frg. 87 Rz.: 215 Homer II. A6i: 114 Scholion zu Ilias Λ 515 : 138 Homerische Hymnen: h. Αρ. 209. 2ii : 215 lamblichos VP250: 212 Isokrates Hei. i : 49 Soph. 13,17: 59 Isyllos von Epidauros Hymn. (IG [Editio minor] Vl2i,i28): 217 Kritias (VS 68 B 242): 204 (Sisyphos i f.: VS 88 B 25): yf (VS88B32): 192 Anm. 18 Libanios Or. 20,8 : 219 Menon siehe Anonymus Londinensis Moschion frg. 6 N.2; 57 Oribasios Collect, medic. 1,2,1. 7,2-5 R.: 23 6,10,1. 160,12—15 R" 24 Anm. 16 6,10,4. 160,26 R.: 26 6.10.6. 160,37 f· R" 24 Anm. 16 6,8,1—9,6. 159,3—160,10 R.: 24 Anm. 16 6.10.7. 160,38—161,21 R.: 24 6.10.12. 162,6—11 R.: 24 6,10,16. 162,28-32 R.: 24 6,10,18. 163,5-8 R.: 24 6,10,23. 163,25-36 R.: 24 6,10,23. 163,26 f. R.: 24 Anm. 16 10.7.13. 50,33 R.: 26 10,8,3. 53,14 R.: 26 Libr. ine. 39,8. 139,29 f. R.: 26 Libr. ine. 39,16. 140,18 R.: 26 Ovid. met. 2,645 f.: 2I9 Parmenides (VS 28 B i f.): i2i (VS28B2): 51 (VS28B6): 51 (VS 28 B 7,5): i2i Pindar P. 3,56: 219 Platon Cra. 237 d: 54 Grg. 4633; 59 463 b- 465 b: 58 5iid-5i2d: 61 Lg. i. 638 c: 64

289

290

Indices Men. 81 c: 56 86 e: 50 Prm. 128 d: 50 1356 — 1360: 15963.5:

50

121

Phd. 61 d-62 a: 211 ιοί d: 50 f. Phdr. 237 d: 54 244 a: 59 2443-2453: 260 2653-2660:

122

268 b 7 f.: 122 2696-2706: 93. 122. 205 Anm. 68 269 e: 68 270 b: 137 270 c: 46,67.136 f. 205 271 e - 272 a: 56 Anm. 38 273 e: 52 Phlb. 12 e: 18 55 d: 60 5635: 60 Anm. 53 56 b: 61 Pit. 273d 6: 121 Prt. 311 b: 136 319 c-d: 53 326 e: 59 R. 3.405 d: 138 4.495 d: 52 6. 484 c: 54 6. 507 b-d: 52 6. 510b-511 b: 50 f. Sph. 2440: 50 Ti. 69 d: 43 703: 37-4° 77 c: 40 783: 4i 78 d: 4i 793: 40 79 c: 40 f. 79 e: 40 f. 823: 68 833: 40 1023: 42 Pliniusnat. 29,4f.: 138 Plut3Tch De fato n, p. 574 d (Stoic. II 912); 20 Protagoras (VS 8063): 204 Anm. 64 Sextus Empiricus M. 9,196 (Stoic. II 337): 23 Simplikios In Cat. 4 f. ι6ν Δ. 66,33, - 67,2 K. (Stoic. II369): 20 In Cat. 7 f. 42V E. 165,34 K. (Stoic. II403): 20 Soran Gyn. 1,65,2.48,14!: 139 4,2,1.94,17-95,5!.: 139 4,13,2.144,3 I- 139

Indices

291

Gyn. 4,36,2.148,17 L: 139 Vita Hipp. 1.175,6!.: 141 5.1764 f. L: 15 Theognis 432-434: 219 Thukydides Hist. 1,5,3: 57 1,23,6: 117 2,47,3: "4 2,49,1 f.: 117 2,50,1: 65 2,51,1: 117 6,1 f.: 57 6,5 f.: 57 Xenophanes (¥821634): 54 XenophonCyn. 1,6: 219 Anm. 10

WORTINDEX Im Wortindex, der nur eine beschr nkte Auswahl der wichtigsten Termini bzw. der textkritisch behandelten griechischen Worte bringen kann, werden die griechischen Worte, entsprechend ihrem Vorkommen, in ihren ionischen oder attischen Grundformen angegeben; nur in Ausnahmef llen werden lexikalische Spezifizierungen vorgenommen, wie bisweilen durch den Zusatz von pass, bei Verben oder durch die Angabe von besonders wichtigen Sonderbedeutungen. αγαθός comp. άμείνων 252 κρείττων 252 - sup. το βέλτιστον 6ο άγγεϊον 35 άγλίη 5 άδεισιδαψ,ονίη ι86 άδίδακτος 19 άδολεσχ'ια 205 Anm. 68 αήρ 2θ6 Anm. 71 αιμορραγία ίο αΐσθησις 22. 44· 60-63· 86 -ις του σώματος 6ι ες -ιν 26 αίσθητός 14 αίτιασθαι ιι6 άκμάζειν 25 ακμή ίο. 14 άκόνη 5 ακρητος 37·255 άκρασίη 37 ακρίβεια 52 Anm. 29. 6ο ακρισία 16ο αληθής 56 -ης λόγος 56 Anm. 39 άλλοίωσις 25 άμαλώς 5 αμετάβλητος 19 αμμα 44 άμφίτμητος 231 άνάβασις ίο

ανάγκη 57 f · άναθυμίασις 206 Anm. 71 άναθυμιάν 2θ6 άναλκής adv.-έως 182 άναμιμνήσκειν $6 αναπνοή 2ι άνάτασις 231 άναφέρειν 54 δνεσις ίο f. άνομοιότης ΐ2ΐ αορτή 36 Anm. 20 άπαρτίως 6 άπομίμησις 83 άποτίκτειν 146 αποτύγχανε ιν 63 άπροαίρετος adv.-ως 249 απυρος 159 άραίωσις 24 Anm. 16 αρετή 02 άρταν pass. 36 Anm. 20 άρτηρίη 35· 36 Anm. 20.146 Anm. ίο αρχή ίο. 44 *· 5°~52 ασκησις 204 αστείος objektiv gut 20 ατμός 231 άτρεκής 52 Anm. 29 αϊξησις ίο

Indices

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αυτός -ό καθ' αυτό 19 αυτόματος 23 αύχμός 146 άφιλαργυρ'ιη 186 αφορμή ιι8 άχώρ 27 βλαπτικός 2ο βοήθημα 28 γένος 25. 28 κατά -ος γέρων 25 γίνεσθαι 150 γινώσκειν 74 f · γλυκύς 26 γνώμη 35- 37· 39 f- 43

19

δεινός 255 δεξιός 146 διαγινώσκειν 74 ί· ι*5 διαδοχή ιι6 διάθεσις ι8. 25. 6i f. διαίρεσις 122 διακονεΐν 26 διαπνοή 2ΐ f. διαρθροΰν 146 διάσφυξις 19.25 διαφθείρειν 146 διαχώρησις 2Ο2 Anm. 53 διδαχή 204 διοικεΐν 26 διουρεΐν 34 δισσός $6.86 δοκιμασ'ιη 121 ζωτική -ις 30 δύναμις 19- 26. 66. 69 ες -ιν 19. 20 δυσαλλοίωτος 19.25 δυσανάσφαλτος 19 δυσεξανάλωτος 19 δυσήμετος 231 δυσμετάβλητος 19 δύσροια 2ο6 δύστηκτος 19 έδωδός 192 Anm. 18 εθισμός 19 είδος ι8. 25. 28. 65. 68 είκαζε ιν 6ο είργειν 2ΐι είσπνεϊν 146 έκβλαστάνειν 2ο εκλαμψις 228 έλεγχος ΐ2ΐ έμεΐν 102

εμπειρία j8.6ο έμφυτος -ον θερμόν 21. 39 ί· 42 πυρ 37· 39 εν 146 ένδύειν pass. 8i Anm. 20 ένιέναι ι6ι έξέρχεσθαι fut. 146 έξευρίσκειν 74 Ιξις ι8 έξίτηλος 27 έπαναφέρειν 54 έπεισέρχεσθαι fut. 19 έπεισκρίνειν pass. 19 έπ'ιβασις 5° ^· επιδημία 182 έπίδοσις ίο επίθημα 227 έπικοινωνεΐν 255 επικουρία 37 έπικρατεΐν pass. 28 έπιπροστιθέναι pass. 19 επιστήμη 6ο έπιχλιαίνειν ι6ο έπιχώριος 194 επτάμηνος ι6ι έργάζεσθαι 225 ες ες δύναμιν 19.26 ?ς τίνα έσπνεΐν 37 έτεός adv. έτεη 204 εύεξανάλωτος 19 έκδηλος 182 εύδιοίκητος 26 εύεξανάλωτος 19 ευκρασία 24 εΰκρητος 255 εί5κριτος 255 ευμετάβλητος 19 εύπρόσθετος 19 εδρημα 58· 7^· 79· 8ι. 87 ?χειν -ει αίσχρώς 182 Anm. 15 έως 182

-ο