Vollstreckung und Abänderung ausländischer Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit [1 ed.] 9783428478484, 9783428078486


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German Pages 134 Year 1993

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Vollstreckung und Abänderung ausländischer Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit [1 ed.]
 9783428478484, 9783428078486

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MAX KREFFT Vollstreckung und Abänderung ausländischer Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit

Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Herausgegeben im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster durch die Professoren Dr. Hans-Uwe Erichsen Dr. Helmut Kollhosser Dr. Jürgen Welp

Band 78

Vollstreckung und Abänderung ausländischer Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit

Von

Max Krefft

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Krefft, Max: Vollstreckung und Abänderung ausländischer Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit / von Max Krefft. Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft; Bd. 78) Zug!.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1993 ISBN 3-428-07848-9 NE:GT

D6 Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5383 ISBN 3-428-07848-9

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfalischen Wilhelms-Universität im Sommersemester 1993 als Dissertation angenommen. Meinem verehrten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Helmut Kollhosser, gilt besonderer Dank für die Förderung, die er mir als wissenschaftlichem Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl in jeder Hinsicht zuteil werden ließ. Herrn Prof. Dr. Herbert Roth danke ich für wesentliche Anregungen und für die Übernahme des Zweitgutachtens.

Münster, im Juli 1993

Max Krefft

Inhaltsverzeichnis A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit I.

13

Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 13 I.

Notwendigkeit der Vollstreckbarerklärung ............................. 13

2.

Definition der ausländischen fG-Entscheidung .......................... 15

3.

Praktische Bedeutung ............................................ 16

11.

Die Beurteilung in Rechtsprechung und Schrifttum .......................... 17

III.

Auslegung der §§ 722 ZPO und 33 FGG ................................. 19 I.

§ 722 ZPO ................................................... 20

a)

Gesetzessystematik .......................................... 20

b) Normzweck ............................................... 20 2.

§ 33 FGG .................................................... 22

a)

Gesetzessystematik .......................................... 22

b) Normzweck ............................................... 23 IV.

Vollstreckbarkeit durch Anerkennung? ................................... 24 I. 2.

Wortlaut des § 16a FGG ......................................... 24 Sachliche Anhaltspunkte bezüglich eines Einschlusses der Vollstreckungswirkung . 26 a)

Ähnlichkeit mit § 328 ZPO .................................... 26

b) Fehlen eines Verfahrens ....................................... 26 aa) Prüfung durch Vollstreckungsorgan erforderlich ................... 26

bb) Berührung der staatlichen Souveränität ......................... 27 cc) Interessen des Betroffenen .................................. 27 V.

Vollstreckbarerklärung aufgrund Rechtsfortbildung .......................... 28 I.

Art der möglichen Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

2.

Rechtfertigung der Rechtsfortbildung für die unterschiedlichen fG-Sachen . . . . . . . 30 a)

Öffentlich-rechtliche Streitsachen ................................ 31

b) Privatrechtliche Streitsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 c)

Fürsorgeverfahren ........................................... 32 aa) Familien- und Vormundschaftssachen .......................... 32

8

Inhaltsverzeichnis bb) Nachlaßsachen .......................................... 33 3.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen Rechtsfortbildung im Vollstreckungsrecht .. 34 a)

Vergleichende Betrachtung mit anderen Problemfällen .................. 35 aa) Verfolgungsrecht des Gerichtsvollziehers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 bb) Vollstreckbarkeit von Verfahrensvergleichen in der fG .............. 36 cc) Wiederaufnahmeverfahren in der fG ........................... 37 dd) Sofortige Vollziehbarkeit von Verkehrszeichen analog § 80 II Nr. 2 VwGO ................................................ 37

b) Gesetzesvorbehalt auch ..im Vorfeld" von Eingriffen? .................. 38 c)

Analogieverbot im Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts? ............. 41 aa) Argumente gegen ein Analogieverbot .......................... 41 bb) Argumente ftir ein Analogieverbot ............................ 44

d) Nachträgliche Billigung durch den Gesetzgeber? ...................... 45 VI.

Vollstreckbarerklärung aufgrund von Staatsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

1.

Multilaterale Abkommen ......................................... 46 a)

Minderjährigenschutzabkommen ................................. 46

b) Europäisches Übereinkommen .................................. 46 aa) Anwendungsbereich ....................................... 47 bb) Voraussetzungen der Vollstreckbarerklärung ...................... 47 (1) Art. 8 II EurÜbk ...................................... 47

(2) Art. 9 I EurÜbk ...................................... 47 (3) Art. 10 I EurÜbk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 (4) § 7 IV SorgeRÜbkAusfG (deutscher Vorbehalt) ................ 48 cc) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (1) Zuständigkeit ........................................ 48

(2) Verfahren Le.S., Entscheidungstenor ........................ 49 (3) Rechtsmittel ......................................... 50 c)

Haager Entführungsübereinkommen ............................... 50

d) EuGVÜ .................................................. 50 e) 2.

Luganer Abkommen ......................................... 52

Bilaterale Abkommen ........................................... 53 a) Tunesien, Israel (= weder EurÜbk- noch EuGVÜ-Staaten) ............... 53 b) Schweiz, Österreich, Norwegen, Spanien (= EurÜbk-, aber nicht EuGVÜ-Staaten) ..................................................... 54 c)

Italien, Griechenland (= EuGVÜ-, aber nicht EurÜbk-Staaten) ............ 55

d) Belgien, Vereinigtes Königreich, Niederlande (= EurÜbk- und EuGVÜ-Staaten) ..................................................... 57

Inhaltsverzeichnis

9

e) Staatsverträge der ehemaligen DDR ............................... 58 VII. Zusammenfassende Übersicht ......................................... 59 VIII. Behandlung der nicht erfaßten Fälle .................................... 60 B. Die Abänderung der ausländischen Entscheidung

62

I.

Zulässigkeit der Abänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

11.

Maßgebliches Abänderungsstatut ....................................... 63

1Il.

Die Abänderungsnormen im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . 68 I.

Privatrechtliehe Streitsachen ....................................... 68 a)

Nachträglich veränderte Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

b) Anfangliehe Unrichtigkeit ...................................... 69 2.

Sorgerechtsentscheidungen ........................................ 69 a)

Nachträglich veränderte Verhältnisse .............................. 69

b) Anfängliche Unrichtigkeit ...................................... 71 IV.

Die Ermittlung des anwendbaren Sachstatuts .............................. 71 I.

Bindung an das Internationale Privatrecht des Erststaates? .................. 72 a) Fehlen einer bewußten ,,Beurteilung"? ............................. 72 b) IPR als Verfahrensrecht unbeachtlich? ............................. 72 c) Zuständigkeitswechsel als ,,Änderung der Verhältnisse"? ................ 72

2. V.

Echter Statutenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

Die Anwendung der Abänderungsnormen, insbesondere des § 1696 BGB .......... 74 I.

2.

Materielles Recht stellt auf Kindeswohl ab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Materielles Recht verwendet andere Kriterien ........................... 74 a)

Nach materiellem Recht relevante neue Tatsachen ..................... 74

b) Für Kindeswohlbeurteilung relevante neue Tatsachen .................. 75

VI.

3.

Materielles Recht verwendet unwandelbare Merkmale ..................... 77

4.

Zusammenfassung.............................................. 77

Einschränkung der Abänderbarkeit durch Staatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 1.

Staatsverträge, die eine kollisionsrechtliche Abweichung ausdrücklich für unbeachtlich erklären ............................................... 78

2.

Einschränkungen im Anwendungsbereich des EurÜbk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 a)

bei unverändertem Sachverhalt .................................. 79

b) bei neuen Tatsachen ......................................... 80

10

Inhaltsverzeichnis 3.

Einschränkungen im Anwendungsbereich des HEntfÜbk und des MSA ......... 81 a)

nach Art. 16 HEntfÜbk ....................................... 81

b) nach dem MSA ............................................. 81 VII. Verdecktes Abänderungsbegehren ....................... . .............. 82 VIII. Zusammenfassung zur Abänderung ausländischer Entscheidungen ............... 82

c. Wechselwirkungen von Vollstreckbarerklärung und Abänderung l.

84

Die Abänderung erfolgt zuerst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1.

Nicht dem EurÜbk unterfallende Entscheidungen ........................ 84 a)

Grundsatz: Gestaltungswirkung der Abänderung ............ . ......... 85

b) Nicht-ausdrückliche Abänderung ................................. 85 c) 2. II.

Schlichte Entscheidungskollision ("faktische Abänderung") .............. 86

Abänderung von Entscheidungen im Anwendungsbereich des EurÜbk . . . . . . . . . . 87

Die Vollstreckbarerklärung erfolgt zuerst ................................. 88 1.

2.

Der Fall ..................................................... 88 Lösungsansätze in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 a)

Der Ansatz von K. Siehr ...................................... 89

b) Der Ansatz von H. Roth ....................................... 90 aa) unter Berufung auf A. Zeuner ................................ 90 bb) unter Berufung auf W. Henckel ...............•............... 92 3.

Stellungnahme ................................................. 93 a)

zur Auffassung Siehrs ........................................ 94

b) zur Auffassung Roths ......................................... 95 aa) Rechtskraftwirkung von Entscheidungsgründen .................... 95 bb) Erstreckung der Rechtskraftwirkungen über Identität und Präjudizialität hinaus ................................................ 96 (1) Übertragbarkeit auf die fG ............................... 97

(2) Vorliegen einer "Wert"gleichheit oder eines Sinnzusammenhanges ... 99 (3) Bedenken gegen die Lehren Henckels und Zeuners ............. 100 ce) Eigene Lösung anhand der herkömmlichen Auffassung (d.h. unter Beachtung des Erfordernisses identischer Verfahrensgegenstände ) . . . . . . . . .. 102 (I) Nichtabänderung als konkludenter Bestandteil der Vollstreckbarerklärungsentscheidung? ................................... 104 (2) Gestaltungswirkung der Abänderung als kontradiktorisches Gegenteil der Verleihung der Vollstreckbarkeit? ...................... 107

Inhaltsverzeichnis

11

(3) Folgerungen aus der wesentlichen Identität der Verfahrensgegenstände ............................................... 110 (4) Abänderbarkeit der einer Kindesherausgabeentscheidung zugrundeliegenden Sorgerechtsverteilung ............................ 111

III.

Zusammenfassung der Wechselwirkungen ............................... 112

D. Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes

115

I.

Vollstreckbarerklärung ............................................ , 115

11.

Abänderung, insbesondere nach erfolgter Vollstreckbarerklärung . . . . . . . . . . . . . . .. 120

1.

Voraussetzungen der Abänderung nach § 620b I 1 ZPO .................. 120 a)

Grundsatz: freie Abänderbarkeit ................................ 120

b) Einschränkung durch das Erfordernis des Rechtsschutzbedürfnisses? ....... 121 c) 2.

Einschränkung bei Anfechtbarkeit nach § 620c S. I ZPO ............... 122

Folgerungen ftir ausländische Anordnungen ........................... 124 a)

Keine Abänderung § 620c S. 1 ZPO unterfallender Anordnungen wegen anfänglicher Unrichtigkeit ...................................... 124

b) Auswirkungen einer erfolgten Vollstreckbarerklärung ................. 124

E. Ergebnisse der Arbeit

126

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 128

Abkürzungsverzeichnis fG = freiwillige Gerichtsbarkeit pFV = positive Forderungsverletzung Die Abkürzungen der Staatsverträge und zugehörigen Ausfiihrungsgesetze sind da erläutert. wo sie im Text vorkommen. Alle übrigen fachsprachlichen Abkürzungen sind erläutert bei Hildebert Kirchner. Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache. 4. Aufl. Berlin I New York 1993. Die in den Fußnoten verwendeten Kurzbezeichnungen der zitierten Werke finden sich im Liter"turverzeichnis. Zahlen ohne Angabe bedeuten Seitenzahlen. Zahlen in Klammem die der jeweiligen konkreten FundsteUen. HochgesteUte Zahlen bezeichnen Altauflagen.

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit I. Problemstellung 1. Notwendigkeit der Vollstreckbarerklärung

Die Verfahrensarten und Organe, die das deutsche Recht für die Vollstrekkung zur Verfügung stellt, dienen grundsätzlich dazu, Entscheidungen deutscher Gerichte und Behörden durchzusetzen. Durch die Vollstreckung wird der verfassungsrechtlich garantierte Justizgewährungsanspruch J und, soweit man einen solchen gesondert anerkennen wilI, auch der sog. Rechtsschutzanspruch 2 vervollständigt. Soweit kein Gläubiger vorhanden ist, sondern - wie vornehmlich im Straf- und Verwaltungsrecht - der Staat von sich aus im eigenen Interesse tätig wird, geht es um die Durchsetzung des objektiven (i. d. R. deutschen) Rechts. Nicht selbstverständlich ist dagegen, daß eine ausländische Entscheidung mit Hilfe des inländischen Vollstreckungsapparates durchgesetzt wird. Die ihr zukommende Vollstreckbarkeit endet - wie grundsätzlich jede Ausprägung staatlicher Hoheitsgewalt - an den Grenzen des Erlaßstaates. Würde man die Vollstreckbarkeit über diese Grenzen hinaus reichen lassen, also z. B. auch in die Bundesrepublik, so ließe man damit eine "Anweisung" des Entscheidungsstaates an die fremden (z. B. deutschen) Vollstreckungsorgane zu, für ihn tätig zu werden. Das wäre eine Verletzung der (z. B. deutschen) staatlichen Souveränität. 3 Andererseits spricht nichts dagegen, daß die Vollstreckungsorgane eines Staates die Durchsetzung ausländischer Entscheidungen freiwillig übernehmen. Daß dies praktisch sinnvoll sein kann, liegt auf der Hand - so zum Beispiel, wenn sich der Betroffene (z. B. Urteilsschuldner, Adressat eines Haftbefehls, Adressat eines Verwaltungsakts) aus dem Erlaßstaat in diesen Staat abgesetzt

1

Zöller / Vollkommer Einleitung Rn. 49

2

Dazu: Zöller / Vollkommer Einleitung Rn. 51

3

IZVR-Hdb. / Wolff (111/2) Rn. IV/9: Zöller / Geimer Rn. 2 zu § 722

14

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

hat und dort anderenfalls ein erneutes mühsames, zeitraubendes und kostspieliges Erkenntnisverfahren durchgeführt werden müßte. Womöglich würde ein solches Verfahren - bei geschickter Wahl des "Zufluchtsstaates" - zudem auch zu einem für den Betreibenden (Gläubiger, Strafverfolgungsorgan, Verwaltungsbehörde) ungünstigeren Ergebnis führen oder vielleicht gar nicht in Betracht kommen. Aus diesem Grunde haben viele Staaten, darunter auch Deutschland, zweioder mehrseitige Verträge geschlossen, um die "internationale" Vollstreckung besonders auf dem Gebiet des Zivil- sowie des Strafrechts - zu erleichtern. Der deutsche Gesetzgeber hat aber auch im autonomen Recht, nämlich mit den §§ 722, 723 ZPO, eine ausdrückliche Möglichkeit geschaffen, ausländischen Entscheidungen die Vollstreckbarkeit im Inland zu verleihen. Dies geschieht durch ein besonderes Vollstreckungsurteil, das sog. Exequatur. Es handelt sich dabei um ein Gestaltungs-, nicht um ein Feststellungsurteil4 - eine Folgerung aus dem angeführten Souveränitätsargument. Indem nämlich das Exequatur nicht eine schon vorhandene Vollstreckbarkeit feststel1t, sondern sie originär verleiht, spricht es (und nicht die fremde Entscheidung selbst) die erwähnte "Anweisung" an den deutschen Vol1streckungsapparat aus. Der - zumindest für die vorliegende Arbeit - unproblematische Normalfal1 des Exequaturverfahrens nach den §§ 722, 723 ZPO ist nun der, daß eine Entscheidung für vol1streckbar erklärt werden sol1, die sowohl nach unserem Verständnis als auch nach dem des Ursprungsstaates als gewöhnliches streitiges Zivilurteil angesehen wird. Demgegenüber liegt der Problemfal1, der den Gegenstand dieser Untersuchung bildet, vor, wenn es sich um eine (vol1strekkungsfähige) Entscheidung der freiwilligen Gerichtsbarkeit handelt. Da das deutsche Recht mit § 33 FGG eine Sonderregelung für die Vollstreckung in Angelegenheiten aus diesem Rechtsgebiet kennt, ist nämlich möglicherweise das gesamte Vol1streckungsrecht der ZPO, also das 8. Buch einschließlich der §§ 722, 723 nicht anwendbar.

4 StJ I Münzberg Rn. 3 zu § 722; Zöller I Geimer Rn. 3 zu § 722; widersprüchlich Dömer AnE 155, der einerseits von Vollstreckbarerklärung spricht, andererseits aber auch die Möglichkeit einer "die VollstreckbarkeitJeststellenden Entscheidung" bejaht

I. Problemstellung

15

2. Definition der ausländischen fG-Entscheidung Denkbar ist zum einen, daß die Entscheidung, wäre sie in Deutschland ergangen, der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuzuordnen wäre. Zum anderen kann die Entscheidung nach dem Recht des Erlaßstaates in einem Sonderverfahren ergangen sein, welches dem deutschen FGG-Verfahren ähnelt oder entspricht. Solche Verfahren sind auch im Ausland vielfach anzutreffen; zum Teil wird ebenfa\1s der Begriff der freiwi\1igen Gerichtsbarkeit verwendet. Deshalb muß zunächst geklärt werden, was unter dem Begriff der "ausländischen fG-Entscheidung" zu verstehen ist - und wann demgegenüber ein gewöhnliches Zivilurteil vorliegt, das sich unproblematisch unter § 722 ZPO subsumieren läßt. Die Beantwortung dieser Frage ähnelt dem Vorgang, der im internationalen Privatrecht als sog. Qualifikation bekannt ist. Man versteht darunter die Auslegung der Anknüpfungsgegenstände von Ko\1isionsnormen (der sog. Systembegriffe) und die Subsumtion unter dieselben. 5 So handelt es sich um Qualifikation, wenn man den Begriff des Schuldvertragsrechts i. S. d. Art. 27 EGBGB auslegt, um festzustellen, ob z. B. das angelsächsische Rechtsinstitut des trust ("Treuhand") darunter zu fassen ist oder ob es sich dabei nicht vielmehr um Sachenrecht handelt. Auch dort ste\1t sich die Frage, ob darauf abzustellen ist, wie wir die Rechtsmaterie nach deutschen Maßstäben (lex Jori) einordnen würden, oder darauf, zu welchem Rechtsgebiet sie nach dem ausländischen Recht, auf das die Kollisionsnorm verweist (lex causae), gehören würde. Heutzutage hat sich im IPR zu Recht die erste Auffassung - wenn auch z. T. mit Modifikationen im Detail - durchgesetzt: 6 die Anwendung unserer Ko\1isionsnormen geben wir nicht "aus der Hand".7 Auch logisch ist es unsauber, nach der lex causae zu qualifizieren: was die lex causae ist, kann ja erst nach Anwendung der Kollisionsnorm festgestellt werden. 8 Man kann mit anderen Worten nicht zuerst aufgrund der Schuldrechts-Kollisionsnorm in das Recht des Staates X gelangen und dann erst prüfen, ob es sich nach dessen Einteilungskriterien überhaupt um Schuldrecht handelt. Handelt es sich nämlich nach dem Recht von X um Sachenrecht, so wird der Widerspruch offenkundig, wenn unser IPR

5 Kegel § 7 I; Firsching § 7 I vor a; Palandt / Heldrich Rn. 27 vor Art. 3 EGBGB; näher Dömer Qual. 348 6 BGHZ 44, 121 (128); 29, 137 (139); OLG Hamm NJW 1970, 390 (390); Ferid Rn. 4-14; Palandt / Heldrich Rn. 27 vor Art. 3 EGBGB 7

Dömer Qual. 350

8

Ferid Rn. 4-15

16

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

für das Sachenrecht das Recht von X überhaupt nicht berufen hätte, sondern das von Y (oder das eigene), dieses aber seinerseits die Rechtsfrage als eine schuldrechtliche ansieht. Vorliegend geht es zwar nicht um Kollisionsnormen des IPR und damit nicht um Qualifikation im engeren Sinne, sondern um - geschriebene und ggf. ungeschriebene - Regeln des Verfahrensrechts. Um die Auslegung von Systembegriffen geht es aber gleichermaßen, nämlich um die Frage, wessen Staates Recht darüber bestimmt, ob eine Entscheidung dem Zivilprozeßrecht oder der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuzuordnen ist. Sie ist ebenso wie oben dahin zu beantworten, daß die deutschen Maßstäbe entscheidend sind. Hier stünde zwar ohne logischen Zirkelschluß fest, welche ausländischen Maßstäbe alternativ (= als lex causae) in Betracht kämen, nämlich die des Entscheidungsstaates. Ebenso wie die Anwendung unseres IPR können wir aber auch die unseres Verfahrensrechts nicht aus der Hand geben, indem wir das Ergebnis der Subsumtion teilweise dem fremden Recht überlassen. Eine "ausländische fG-Entscheidung" liegt also dann und nur dann vor, wenn es sich um eine Maßnahme handelt, die, wäre sie bei uns ergangen, diesem Rechtsgebiet zuzuordnen wäre. 9 Unerheblich ist dagegen, wie die Entscheidung bzw. das ihr vorausgegangene Verfahren im Erlaßstaat bezeichnet wird.

3. Praktische Bedeutung

Die Frage, ob und wie eine solche Entscheidung bei uns zur Durchsetzung gebracht werden kann, wirft indes nicht in jedem Fall Probleme auf. In vielen Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - es handelt sich durchweg um die sog. privatrechtlichen Streitsachen - wird für die Vollstreckung ausdrücklich auf das 8. Buch der ZPO verwiesen (z. B. durch die §§ 53a IV, 53g III FGG, 45 III WEG, 31 LwVfG, 16 III HausratV). Damit ist für entsprechende ausländische Anordnungen das Exequaturverfahren der §§ 722 f. ZPO eröffnet. Darüber hinaus existieren diverse Staatsverträge, nach denen sich weitere Fälle lösen lassen. IO Man mag sich fragen, ob danach überhaupt noch praktische

9 Beitzke Bemerk. 662; Firsching § 19 4 a; Mansei AbÄ 300; MüKo / Gottwald Rn. 40 zu § 328 ZPO; Rahm / Künkel / Paetzold Rn. VIW611; Roth ZwV 77; Staudinger / Kropholler Rn. 348 zu Art. 19 EGBGB; a. A. Jansen Rn. 146 zu § 1. der - ohne Begründung - auf "Inhalt und Natur" der Entscheidung abstellt. was immer das sein mag 10

Dazu unten VI

11. Die Beurteilung in Rechtsprechung und Schrifttum

17

Anwendungsfälle übrigbleiben, zum al Leistungsentscheidungen in der freiwilligen Gerichtsbarkeit ohnehin nicht besonders häufig sind, vielmehr Gestaltungs- und Feststellungsakte überwiegen, die einer Vollstreckung bekanntlich nicht zugänglich sind. Insbesondere sind hier aber die Entscheidungen über die Herausgabe von Kindern an sowie zwischen Eltern (in Deutschland fG-Angelegenheit gern. §§ 1632 III BGB, 621 I Nr. 3, 621a I 1 ZPO bzw. 35 ff. FGG) zu nennen. Gerade ihre Vollstreckung - bzw. die Frage nach ihrer Durchführbarkeit - ist für die Betroffenen mit schwerwiegenden Auswirkungen verbunden. Daher besteht durchaus auch aus praktischer Sicht ein Bedürfnis nach einer rechtlich einwandfreien Problemlösung.

11. Die Beurteilung in Rechtsprechung und Schrifttum Die Frage, ob die Vorschriften über das Exequaturverfahren auch für den Bereich der fG anwendbar sind oder ob im Rahmen des § 33 FGG über die Vollstreckbarkeit in Deutschland "mit"zuentscheiden ist, wurde in der Vergangenheit nicht einheitlich beurteilt. Zunächst vertrat der Bundesgerichtshof die erstgenannte Auffassung. Im Jahre 1953 lag ihm der Fall eines Vaters vor, der vor dem Bezirksgericht Wien einen Beschluß erwirkt hatte, nach dem ihm seine minderjährige Tochter durch die Mutter herauszugeben sei. Dabei hatte es sich nach österreichischem Recht um eine sog. Pflegschaftssache gehandelt. Da sich Mutter und Tochter in Deutschland aufhielten, klagte er nunmehr hier im Verfahren nach § 722 ZPO auf Erteilung des Exequatur. In seinem Revisionsurteil vom 11.05.1953 bejahte der IV. Zivil senat die Zulässigkeit dieser Klageart, da das FGG kein eigenes Verfahren zur Vollstreckbarerklärung bereithalte. 11 Die Reaktionen waren geteilt. 12 Während sich bei den Befürwortem sofern überhaupt - keine eigenständige Argumentation findet, verneinten die Gegenstimmen ein Bedürfnis nach analoger Anwendung des § 722 ZPO. 13 Das

11

BGH JZ 1954,244 (244 f.)

Zlistimmend: Beck 30: Enßlin 132; Makarov 245; Sonnenberger 225 (Fn. 55): Wieczorek l Anm. C I a zu § 722; StJ 17• 18 / Pohle Anm. 11 zu § 722; ablelmend: BayObLGZ 1974, 317 (317 f.); 1976, 174 (179 f.); Bännann § 36 III I: Beitzke Zuständigk. 602: Firsching l § 19 4 b; Goerke 273; Habscheid' § 37 III 2: Jansen Rn. 156 zu § I (aber offensichtlich davon ausgehend, daß sowohl ZPO- als auch FGG-Vollstreckung möglich sind); Schlegelberger Rn. 10a vor § 33 12

13

Bärmann § 36 III I

2 Krefft

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

18

streitige Exequaturverfahren sei zu schwerfallig und zudem fehle dem mit ihm befaßten allgemeinen Zivilgericht die notwendige Kenntnis der Materie. 14 Letzteres überzeugte offensichtlich auch den IV. Zivilsenat. Am 25.10.1976 hielt er in einem ähnlich gelagerten Fall das Exequaturverfahren für zu unzweckmäßig und erklärte § 33 FGG für anwendbar. Dies habe den Vorteil, daß dasselbe Gericht über die Vollstreckbarkeit zu befinden habe, welches auch für eine deutsche Sachentscheidung zuständig gewesen wäre. 15 Der neuen Auffassung folgte das Schrifttum nunmehr ganz überwiegend,16 wobei es aber (zunächst) ebenso überwiegend auf jegliche Begründung verzichtete. Gegen den Umschwung der Rechtsprechung wurde als neues Argument angeführt, daß der Streitgegenstand des Vollstreckbarerklärungsverfahrens - anders als der des Erkenntnisverfahrens - nicht der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuzuordnen sei. I? Des weiteren wurden Bedenken wegen des Fehlens einer ausdrücklichen Rege lung im FGG und damit der Gesetzmäßigkeit der Vollstreckung geäußert. 18 Seither ist die Rechtsprechung bei der letztgenannten Auffassung geblieben. 19 Im Jahre 1988 wurde die Fragestellung erstmals in ausführlicherer Form, und zwar in einem Aufsatz von H. Roth, behandelt. 20 Dort wird der neueren Rechtsprechung im Ergebnis zugestimmt, was vorwiegend mit dem engen Zusammenhang von materiellem und Verfahrensrecht auf dem Gebiet der fG begrün-

14

Habscheid4 § 37 IIJ 2

15

BGHZ 67, 255 (257 f.)

16 Bassenge / Herbst Anm. I zu § 33; BL / Hartmann Rn. 2 zu § 722; BöhSie / Siehr Rn. 53 zu Art. 7 MSA; Brehm § 25 V; Christian 694; Oömer AnE 155 (speziell für UmgangsregeIung); Ferid Rn. 8-273; Firsching § 194 b; Firsching / Ruhl Rn. 137; Habscheid § 37 '11 2; Henrich § 7 11 4 b bb; KKW / Zimmermann Rn. 12 zu § 16a; KKW JI / Keidel Rn. 58 zu § 33; Kropholler IPR 537; Lückerath-Krumbiegel 80 f.; MüKo / Gottwald Rn. 8 zu § 722 ZPO; MüKo / Schwimann Rn. 96 zu Art. 19 EGBGB; Rahm / Künkel / Paetzold Rn. VIII/625; Rahm / Künkel / Schneider Rn. IW533; Staudinger / Coester Rn. 223 zu § 1671, 184 zu § 1666; ZöHer / Geimer Rn. 66 zu § 722; a. A. Raape / Sturm § 19011; St) / Münzberg Rn. 10, 12 (Fn. 34) zu § 722

J7

St) / Münzberg Rn. 10, 12 (Fn. 34) zu § 722

IR

Baur / Stümer Rn. 66 (Fn. 54 a. E.)

BGH N)W 1980,529 (530) [11.04.1979J; BayObLG IPRax 1982, 106 (110) [20.07.1981]; BayVerfGH IPRax 1982, 110 (111) [06.11.1981]; OLG Oüsseldorf FamRZ 1982, 534 (534) [04.12.1981]; BGHZ 88,113 (119 f.) [13.07.1983J; OLG Karlsruhe FamRZ 1984, 819 (820) [18.06.1984J; OLG Hamm FamRZ 1987, 506 (506) [04. 12. 1986J; offenlassend AG Kitzingen IPRax 1987, 178 (179) [27.11.1985J 19

20

Roth ZwV 75 ff.

111. Auslegung der §§ 722 ZPO und 33 FGG

19

det wird. 21 Eine umfassende dogmatische Aufarbeitung des Problems steht jedoch, soweit ersichtlich, bisher noch aus.

In. Auslegung der §§ 722 ZPO und 33 FGG Um die zutreffende Problemlösung zu ermitteln, sind zunächst die vorhandenen, möglicherweise einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen auszulegen. Zum einen könnte der Begriff "ausländisches Urteil", § 722 I ZPO, so zu verstehen sein, daß er auch andere ausländische Entscheidungen umfaßt (= ältere Rechtsprechung). Zum anderen sind möglicherweise unter die "Verfügungen des Gerichts" im Sinne des § 33 I I FGG auch solche ausländischer Instanzen zu subsumieren (= neuere Rechtsprechung). Denkbar ist aber immerhin auch, daß beide Normen ein derartiges Verständnis nicht zulassen. Daß man in einem solchen Fall über andere Vorschriften oder über Rechtsfortbildung zum Erfolg kommt, ist dann zwar möglich, aber keineswegs sicher. Auszuschließen ist daher auch die dritte Möglichkeit nicht, daß eine Vollstreckung ausländischer fG-Entscheidungen in Deutschland nicht möglich ist. Diese Ansicht ist allerdings bisher, soweit ersichtlich, nicht vertreten worden. Das Kriterium, mit dem üblicherweise die Auslegung beginnt, ist der Wortlaut. 22 Der Begriff "Urteil" (§ 722 I ZPO) kommt auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht vor - wie gesagt, deutsches Recht ist maß gebend23 -, so daß das Merkmal hiernach nicht erfüllt ist. § 33 I 1 FGG setzt eine Verfügung "des (= vollziehenden) Gerichts" voraus, d. h. bei buchstabengetreuem Verständnis dürfte jedes Gericht nur seine eigenen Entscheidungen vollstrecken - und damit erst recht keine ausländischen. Anerkanntermaßen darf die Rechtsanwendung indes nicht bei einem wortwörtlichen Verständnis stehenbleiben. Insbesondere sind die Systematik des Gesetzes 24 sowie Sinn und Zweck der betreffenden Norm 25 zu beachten. Ob der "noch mögliche Wortsinn" dabei die Grenze von der Auslegung zu weitergehenden - besonderer Rechtfertigung bedürftigen26 - Methoden der Rechts-

21

Roth ZwV 78

22

Larenz 322 f .• 343

lJ

S. oben 12

14

Larenz 324 ff.

lS

Larenz 328 ff., 333 ff.

26

Canaris 37

2*

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

20

anwendung bildet,27 braucht erst erörtert zu werden, wenn die genannten Kriterien zu einem Ergebnis führen sollten, das diese Grenze (möglicherweise) überschreitet.

1. § 722 ZPO

a) Was § 722 I ZPO anbetrifft, so legt auch die Gesetzessystematik eher ein enges Verständnis nahe, d. h. eine Beschränkung auf Urteile im technischen Sinne. So befaßt sich beispielsweise § 1044 ZPO ausdrücklich mit ausländischen Schiedssprüchen. Der Gesetzgeber der Zivilprozeßordnung gibt also zu erkennen, daß er unterschiedliche Entscheidungsformen auch des Auslandes durchaus gesehen hat und unterschiedlich behandelt wissen will. b) Zweck der §§ 722, 723 ZPO ist es, dem ausländischen Urteil den Weg zur Durchsetzung nach dem normalen deutschen Vollstreckungsrecht, also sämtlichen übrigen Regelungen des 8. Buches, zu eröffnen. Es müßte sich daher, wenn schon nicht um ein Urteil im technischen Sinne, so doch wenigstens um eine Entscheidung handeln, auf die diese Regelungen auch passen. Nun sind letztere für Titel konzipiert, bei deren Durchsetzung allein die Interessen von Gläubiger und Schuldner abzuwägen sind. Vor allem hat es auch der Gläubiger des "normalen" Zivilurteils allein in der Hand, ob (und ggf. in weIche Vermögensgegenstände des Schuldners) vollstreckt wird. 28 Liegen die gesetzlichen Voraussetzungen vor, so muß der staatliche Vollstreckungsapparat tätig werden;29 nur in Ausnahmefällen besteht zum Schutz des Schuldners ein eng begrenztes Ermessen (§ 765a ZPO), das zudem nur auf seinen Antrag ausgeübt wird. Der im Erkenntnisverfahren herrschende Dispositionsgrundsatz setzt sich also fort. Demgegenüber hat der Gesetzgeber die Vollstreckung in den klassischen Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit bewußt anders gestaltet, um den Besonderheiten dieses Rechtsgebietes Rechnung zu tragen. Das Verfahren wird von Amts wegen in Gang gesetzt;30 einen betreibenden Gläubiger im Sinne der ZPO gibt es nicht. Ein Antrag auf Einleitung des Vollstreckungs-

27

So Larenz 322 f., 343; a. A. Brox Rn. 60 (unter Hinweis auf § 133 BGB)

,. Baur § 26 B I I 29

Bruns I Peters § I IV 2: "berechenbare. gleichsam mechanisierte staatliche Tätigkeit"

~o Baur §

16 I:! I 1

111. Auslegung der §§ 722 ZPO und 33 FGG

21

verfahrens wird von der bislang h. M. 31 lediglich als Anregung qualifiziert, die nicht einmal zwingend zu bescheiden (geschweige denn zu befolgen) ist. Umgekehrt kann das Gericht theoretisch auch gegen den Willen des "Gläubigers" tätig werden, also z. B. dem Sorgeberechtigten, der die Anwendung von staatlicher Gewalt ablehnt, das Kind dennoch zuführen. 32 § 33 FGG gewährt dem Gericht darüber hinaus auch bezüglich der Art der zu treffenden Maßnahmen ein Ermessen. Daß die FGG-Vollstreckung infolgedessen etwas an die Verwaltungsvollstreckung erinnert, liegt daran, daß sie überwiegend der Durchsetzung von Pflichten gegenüber staatlichen Stellen dient (Bsp.: Einziehung eines Erbscheins) und weniger der Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche zwischen Beteiligten33 • Doch auch in letzterem Fall - sofern man die Existenz echter Ansprüche in den fG-Fürsorgeverfahren nicht ohnehin gänzlich ablehnt34 - ist die Flexibilität des § 33 FGG sinnvoll; sie gibt dem Gericht die Möglichkeit, öffentliche Interessen oder schutzwürdige Interessen Dritter (Bsp.: Belange des Jugendschutzes sowie konkretes Kindeswohl beim Herausgabestreit der Eltern) zu berücksichtigen. 35 Die Wertung des Gesetzgebers, die solchen Interessen Vorrang vor dem Dispositionsgrundsatz einräumt, muß aber unabhängig von der Nationalität der Beteiligten gelten. Daß die Herausgabe eines Kindes - anders als die eines Autos - nicht nach dem Belieben des "Gläubigers", sondern nur behutsam und (nicht bloß auf formelle Rechtmäßigkeit) kontrolliert durchgesetzt wird, gebietet letztlich der Schutz der menschlichen Würde (Art. I I GG; vgl. auch Art. 6 11 2 GG). Er ist bei jeder Ausübung deutscher Staatsgewalt zu beachten (Art. I I 2 GG), auch wenn mit ihrer Hilfe "nur" eine ausländische Entscheidung vollzogen wird. Selbst wenn sich eine ausländische Rechtsordnung mit einer Interessenabwägung im Erkenntnisverfahren begnügen und in ihrem eigenen Vollstreckungsrecht die Dispositionsmaxime uneingeschränkt durchführen sollte, dürften wir dem darum nicht folgen. Im übrigen ist die Zeitspanne zwischen Entscheidungserlaß und Vollstreckungsgesuch gerade in den hier problematischen Fällen oftmals durch einen Orts wechsel in einen anderen Staat (Deutschland) geprägt. Die damit verbunde-

31

iaa

Z. B. Baur § 17 I; Habscheid §§ 18 1I 1, 19 I 1 a: a. A. Brehm § 14 I 2: Kollhosser § 8 IV 3

n Baur § 26 B I 1 33

Bärmann § 36 I 1 a; Habscheid § 36 I 1; Jansen Rn. 2 zu § 33

So z. B. für Kindesherausgabe BGHZ 19, 185 (188 ff.); RG DR 1944,334 (334); OLG Hamm MDR 1949, 621 (622); Keidel 547; Roth ZwV 78; offenlassend Baur § 26 A II 3 (293) sowie Pa1andt I Diederichsen Rn. 2 zu § 1632 34

35

OLG Frankfurt FamRZ 1980, 1038 (1040 f.); Bärmann § 36 14 a; Kropp 2254; Roth ZwV 78

22

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

ne wesentliche Änderung der Lebensverhältnisse macht eine erneute Interessenabwägung erst recht unabdingbar. Sie kann kaum im Rahmen eines Exequaturverfahrens und noch weniger bei der sich anschließenden ZPO-Vollstreckung erfolgen. Nach allem würde eine Erweiterung des § 722 I ZPO auf andere Entscheidungen als Urteile im technischen Sinne, insbesondere auf solche der freiwilligen Gerichtsbarkeit, der Gesetzessystematik sowie seinem Sinn und Zweck zuwiderlaufen. Die frühere Rechtsprechung ist daher mit Recht aufgegeben worden.

2. § 33 FGG

Damit ist aber noch nicht gesagt, daß § 33 FGG die richtige Norm ist. a) Auch gegen seine Anwendung lassen sich systematische Erwägungen anführen. Daß der FGG-Gesetzgeber sich mit ausländischen Entscheidungen befaßt hat, zeigt § 16a, der im Zuge des IPR-Änderungsgesetzes von 1986 eingefügt wurde. Dort ist ihre Anerkennung ausdrücklich geregelt, und zwar in Anlehnung an die entsprechende Bestimmung der ZPO (§ 328). Dabei hätte es sich angeboten, auch für die Vollstreckung eine Regelung zu treffen. Daß dies unterlassen wurde, könnte den Umkehrschluß nahelegen, daß der Gesetzgeber eine Vollstreckbarkeit ausländischer Entscheidungen eben nicht gewollt hat. Andererseits könnte man argumentieren, daß bei Erlaß des § 16a FGG die neue BGH-Rechtsprechung, die die Vollstreckung über § 33 FGG zuließ, ja bereits fast 10 Jahre "in Kraft" war. Eine Mißbilligung dieser Praxis hätte der Gesetzgeber wahrscheinlich deutlicher zum Ausdruck gebracht als bloß durch eine bewußte Nicht-Regelung. In der Begründung zum Entwurf des Änderungsgesetzes von 1986 findet sich aber im Gegenteil der Hinweis, daß eine vollständige Regelung des Internationalen Verfahrensrechts (auch) im Bereich der fG nicht beabsichtigt sei. 36 Wenngleich eine Gesetzesbegründung kein zwingendes Auslegungskriterium darstellt, so kommt ihr doch jedenfalls eine Indizwirkung zu. 37 Im Ergebnis spricht die Gesetzessystematik also zumindest nicht gegen § 33 FGG.

36

BTDrucks. 10/504, 92

37

Larenz 329

= BRDrucks. 222/83. 92

111. Auslegung der §§ 722 ZPO und 33 FGG

23

b) Möglicherweise widerspricht es aber dem Normzweck des § 33 FGG, ihn auf eine ausländische Entscheidung anzuwenden. Ihre Vollstreckung in Deutschland würde naturgemäß nicht von derjenigen Stelle durchgeführt, die sie erlassen hat. Wie bereits gesagt,38 scheint es aber nach dem Wortlaut39 selbstverständlich zu sein, daß erkennendes und vollstreckendes Gericht stets identisch sind. 40 Die Frage, welches bei § 33 FGG das zuständige Vollstreckungsorgan ist, wird denn auch in einigen Kommentierungen zu der Vorschrift keines Wortes für würdig befunden. 41 In der Tat hat es gerade auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit unbestreitbare Vorteile, wenn ein Verfahren vom Anfang bis zum Ende in der Hand ein und desselben Richters bleibt. Dies wird durch den Grundsatz der perpetuatio fori42 erreicht, der jedoch auch hier seine Grenzen hat. So ermöglicht es § 46 FGG, die Überwachung einer Vormundschaft an ein anderes Gericht abzugeben, wenn dies z. B. aufgrund eines Umzugs des Mündels sinnvoll erscheint. 43 Für diverse andere Aufgaben des Vormundschaftsgerichts ordnet § 43 I a. E. FGG an, daß die Zuständigkeit für jede einzelne "Angelegenheit" neu zu bestimmen ist. Daß die Vollstreckung gegenüber dem Erkenntnisverfahren in diesem Sinne eine eigenständige "Angelegenheit" darstellen kann, wurde in neuerer Zeit erkannt und wird seither überwiegend bejaht. 44 Gegenüber dem Prinzip der Einheit von Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren45 wird dabei mit Recht ins Feld geführt, daß zwischen beiden oft erhebliche Zeit verstreicht. Das Prinzip als solches rechtfertige es nicht, auf die Vorteile einer ortsnahen Vollstreckung - die z. B. die erforderliche erneute Interessenabwägung erleichtert - zu verzichten. Ist es somit auch in der freiwilligen Gerichtsbarkeit grundsätzlich möglich, daß ein Gericht die Verfügung eines anderen vollstreckt,46 so

38

Oben vor I

39

Hierauf abstellend insbesondere Bassenge 69

40

So z. B. Baur § 26 B I 2

41

So bei Jansen Rn. I ff. zu § 33; KKW I Zimmermann Rn. I ff. zu § 33

42

KKW I Kuntze Rn. 15 zu § 43

'3

Brehm § 7 VI

.. BGH FamRZ 1990, 35 (36); NJW-RR 1986.1007 (1007); SuWi I Sumiller Anm. lOa zu § 33; a. A. OLG Köln FamRZ 1972, 518 (518 f.); Bassenge 69 sowie jedenfalls noch in Bassenge I Herbst' Anm. 3 b zu § 33 450LG Köln FamRZ 1972.518 (518 f.) 46 BGH NJW-RR 1986. 1007 (1007); OLG Hamm OLGZ 1975.284 (284); OLG Frankfurt OLGZ 1974, 76 (77 f.)

24

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

steht nichts entgegen, daß es sich bei letzterem auch um ein ausländisches handeln kann. Andererseits läßt sich aber auch ein zwingendes Argument für diese Möglichkeit dem Gesetz nicht entlocken. Der Grund liegt darin, daß die Frage der VolIstreckbarkeit einer "Verfügung" überhaupt nicht zum RegelungsgehaIt des § 33 FGG gehört, sondern diese bei seiner Anwendung bereits vorausgesetzt ist. Die Vorschrift selbst trifft lediglich Anordnungen über das bei der VolIstrekkung einzuhaltende Verfahren. Die Alternative ,,§ 722 ZPO oder § 33 FGG" ist darum auch eine schiefe GegenüberstelIung. Wenn es gerechtfertigt ist, ausländischen fG-Entscheidungen die VolIstreckbarkeit für das Inland zu verleihen, dann muß das jeweils vor der Anwendung des § 33 FGG geschehen. 47 Ob dem jedoch so ist, ist eine Wertungsfrage, die sich aus der Vorschrift heraus nicht beantworten läßt.

IV. Vollstreckbarkeit durch Anerkennung? Bevor man nun ein Schweigen des Gesetzes konstatiert, ist alIerdings noch überlegenswert, ob nicht § 16a FGG das VolIstreckbarerklärungsverfahren "miterfassen"48 oder überflüssig machen kann. Immerhin werden in einer neueren obergerichtlichen Entscheidung Anerkennung und Verleihung der Vollstreckbarkeit als "in der Sache gleich" angesehen;49 auch in der Literatur wird zum Teil offensichtlich nicht zwischen bei den unterschieden oder jedenfalls eine gesonderte Vollstreckbarerklärung neben der Anerkennung für entbehrlich gehalten. 50

1. Wortlaut des § 16a FGG

Auch die Auslegung des § 16a FGG beginnt mit dem Wortlaut. Das Wort "anerkennen" wird nicht nur in der Rechtswissenschaft verwendet, sondern ist

47 Unsauber daher z. B. Rahm I Künkell Paetzold Rn. V 1111624: ..... nach § 33 FGG ... für vollstreckbar zu erklären" 48

So Zimmermann 28

49

OLG Hamm FamRZ 1987,506 (507 f.)

so So bei Bärmann § 36 111 1; Bassenge I Herbst Rn. 1 zu § 33; Firsching I Ruhl Rn. 137; Geimer 112; Habscheid § 37 III 2; Lückerath-Krumbiegel 80 f.; MüKo I Schwimann Rn. 96 zu Art. 19 EGBGB; MüKo I Siehr Rn. 310 nach Art. 19 EGBGB

IV. Vollstreckbarkeit durch Anerkennung?

25

auch in der Alltagssprache gebräuchlich, und zwar u. a. in der Bedeutung von "gelten lassen"sl. Wer sich auswärtige Leistungsnachweise vom Prüfungsamt oder das Surfdiplom aus Mallorca vom Heimatverein anerkennen läßt, tut dies, um damit ein Erfordernis, das sonst bei der betreffenden Institution selbst oder jedenfalls in anderer Form zu erfüllen gewesen wäre, ersetzen zu können. Ob es sich allerdings um einen in jeder Hinsicht vollwertigen Ersatz handelt oder ob dem anerkannten Vorgang im Vergleich zu dem sonst geforderten nur mindere Wirkungen beigelegt werden, darüber sagt das Wort, nicht-juristisch gebraucht, nichts aus. So verstanden würde der Wortlaut mithin keine eindeutige Lösung bieten, die Erfassung der Vollstreckbarkeitswirkung durch § 16a FGG andererseits aber auch nicht hindern. Zu beachten ist jedoch, daß bei Wörtern, die sowohl in der allgemeinen Sprache vorkommen als auch Fachausdrücke darstellen, die fachsprachliche Bedeutung regelmäßig vorgeht. 52 In der zivilprozessualen Dogmatik gehört die Vollstreckbarkeit unstreitig nicht zu den Wirkungen, die einer Anerkennung zugänglich sind. 53 Dies ergibt sich aus der Tatsache, daß im Jahre 1895, als das Rechtsinstitut der Anerkennung in die ZPO aufgenommen wurde, das bereits vorher existierende Exequaturverfahren unangetastet54 blieb. Auch in Staatsverträgen ist die Unterscheidung durchweg zu finden und wird z. T. ausdrücklich betont (Art. 7 MSA55 ). Dennoch ist es theoretisch nicht ausgeschlossen, daß der Begriff im FGG in einem anderen bzw. weiteren Sinne verstanden werden kann. Da der Gesetzgeber indes Fachausdrücke regelmäßig nicht in unterschiedlicher Weise gebraucht, müßten hierfür schon Gründe oder konkrete Anhaltspunkte vorhanden sein. 56

51

Wörterbuch 62

52

Larenz 321 f.

53 BGH NJW 1993. 1270 (1271); IZVR-Hdb.1 Martiny (IIUI) Rn. 11424; IZVR-Hdb.1 Wolff (IIU2) Rn. IV I 11; MüKo I Gottwald Rn. 6 zu § 328 ZPO; StJ I Schumann Rn. 2 zu § 328;

Swoboda 74 (Fn. 213); Zöller I Geimer Rn. 27 zu § 328 54

IZVR-Hdb.1 Wolff (I1II2) Rn. IV/17

Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von MindeIjährigen vom 05.1 0.196 I 55

56

Larenz 321 f.

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

26

2. Sachliche Anhaltspunkte bezüglich eines Einschlusses der Vollstreckungswirkung

Solche Anhaltspunkte sind aber nicht ersichtlich; die übrigen Auslegungskriterien sprechen im Gegenteil eher dafür, daß der Begriff der Anerkennung im FGG ("nur") dieselbe Bedeutung hat wie in der ZPO. a) Zum einen ergibt sich sowohl aus dem Gesetzestext als auch aus der Begründung57 , daß der neugeschaffene § 16a FGG dem § 328 ZPO exakt nachgebildet ist (lediglich auf das nicht mehr zeitgemäße Gegenseitigkeitserfordernis wurde verzichtet). Es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber an denselben Tatbestand nunmehr eine weitergehende Rechtsfolge (d. h. auch die Verleihung der Vollstreckbarkeit) knüpfen wollte, ohne dies auch entsprechend zum Ausdruck zu bringen. Dies gilt umso mehr, als eine vollständige Regelung des internationalen fG-Verfahrensrechts, wie gesagt, ausdrücklich nicht beabsichtigt 58 war. b) Zum anderen besteht zwischen der Anerkennung i. S. d. §§ 328 ZPO, 16a FGG und der Vollstreckbarerklärung, wie die §§ 722, 723 ZPO sie regeln, auch ein wesentlicher "technischer" Unterschied. Bei der ersteren handelt es sich nämlich überhaupt nicht um ein eigenständiges Verfahren; die Anerkennungswirkungen treten vielmehr ipso jure ein, sofern nur die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.59 Ein gerichtlicher Ausspruch über die Anerkennung ist daher auch nicht durch Gestaltungs-, sondern durch Feststellungsklage60 (in der fG durch einen Feststellungsantrag61 ) zu erlangen. Auf diesem Wege, d. h. ohne konstitutiven Akt einer deutschen Stelle, auch die Vollstreckb~keit "mit"eintreten zu lassen, begegnet aber möglicherweise in mehrfacher Hinsicht Bedenken: aa) Erstens wäre die Prüfung der Anerkennungsvoraussetzungen in diesem Fall dem Vollstreckungsorgan überlassen. Dies ist auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit unkritisch, da dort niemals der Gerichtsvollzieher allein

57

BTDrucks. 10/504.93

58

BTDrucks. 10/504. 92

Zöller / Geimer Rn. 186 zu § 328; speziell für den Bereich der fG BGH FamRZ 1989. 378 (379) sowie Firsching § 19 4 a 59

60

RGZ 167. 373 (380 f.); Zöller / Geimer Rn. 189 zu § 328

OLG Hamm OLGZ 1975.179 (184); BayObLGZ 1959.8 (28); Goerke 273; Staudinger / Kropholler Rn. 619 vor Art. 18 EGBGB. 300 zu Art. 19 EGBGB; Zöller / Geimer Rn. 219 zu § 328; a. A. MüKo / Winkler v. Mohrenfels Rn. 159 zu Art. 17 EGBGB 61

IV. Vollstreckbarkeit durch Anerkennung?

27

handelt, der mit einer solchen Prüfung überfordert62 wäre. Vielmehr würde ggf. nach Vorlage durch den Rechtspfleger gern. § 5 I Nr. 2, 3 RPfiG - stets der Richter tätig. bb) Zweitens könnte der bereits genannte Gesichtspunkt der Souveränität eine ausdrückliche Vollstreckbarerklärung gebieten. Dieses Argument wiegt schon schwerer. Die "Anweisung" an den inländischen Vollstreckungsapparat, eine ausländische Entscheidung durchzusetzen, muß zwar nicht zwingend für jeden Einzelfall ausgesprochen werden;63 sie kann theoretisch auch vom Gesetzgeber in genereller Form gegeben werden. Dies ist aber bisher sonst an keiner Stelle geschehen, weil es sich um einen empfindlichen Bereich handelt bzw. der Staat schon den bloßen Eindruck, dem Ausland ohne weiteres zur Verfügung zu stehen, vermeiden will. 64 Das trifft selbst für die neueren zwischenstaatlichen Vollstreckungsübereinkommen zu, die auf das Exequatur-Urteil zugunsten eines bloßen Klauselerteilungsverfahrens verzichten. Auch sie lassen die Vollstreckbarkeit nicht, wie man meinen könnte, ipso jure eintreten. Nach § 7 SorgeRÜbkAusfG65 z. B. bewirkt die Klauseierteilung die "Zulassung zur Zwangsvollstreckung". Die Klausel hat also hier nicht, wie regelmäßig sonst im Zwangsvollstreckungsrecht, feststellenden 66 , sondern konstitutiven Charakter in bezug auf die Vollstreckbarkeit. 67 Wenn nun selbst im Anwendungsbereich von Staatsverträgen nicht auf eine Einzelfall-Verleihung der Vollstreckungswirkung verzichtet wird, so kann dem innerstaatlichen Recht ein solcher Verzicht erst recht nicht unterstellt werden. ce) Schließlich sprechen auch die Interessen des Betroffenen gegen eine "automatisch" aufgrund des § 16a FGG eintretende Vollstreckbarkeit. Die Vollstreckbarkeit hat gegenüber allen anderen möglichen Entscheidungswirkungen für ihn erheblich einschneidendere Konsequenzen, da ihm durch sie ein unmittelbarer, zwangs weiser Eingriff durch die Staatsgewalt droht. Es ist daher aus rechtsstaatlicher Sicht bedenklich, ihn darüber im unklaren zu lassen, ob

62

So für die ZPO Zöller { Geimer Rn. 2 zu § 722

63

So aber Linke Rn. 453; Schütze V 3 vor a

601

GeiSchü { Geimer § 191 11 I. ähnlich Gottwald 285

65 Gesetz zur Ausführung von Sorgerechtsübereinkommen und zur Ändenmg des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie anderer Gesetze vom 05.04.1990 66

St) { Münzberg Rn. I zu § 725

67

GeiSchü I Geimer § 150 VIII I; IZVR-Hdb. { Martiny (11111) Rn. 1/425

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

28

eine vollstreckbare (d. h. tunlichst freiwillig zu befolgende) Entscheidung gegen ihn vorliegt oder nicht. Er würde in keiner Weise "gewarnt", sondern müßte als Laie und womöglich sprachunkundiger Ausländer die Voraussetzungen des § 16a selbst prüfen - bzw. darüber spekulieren, ob der jeweilige Richter sie in seinem Fall wohl bejahen werde. Bei einem Zuständigkeits wechsel (z. B. Abgabe aufgrund Umzuges) könnte es zu divergierenden Entscheidungen kommen, wenn die Vollstreckbarkeit Bestandteil der Anerkennung und daher von den verschiedenen Gerichten - als bloße Vorfrage - jeweils erneut zu beurteilen wäre. 68 Ein ähnliches Problem stellte sich früher im Eherecht,69 bis dort der Gesetzgeber 1961 (schon) für die Anerkennung wichtiger Statusentscheidungen ein rechtsgestaltendes Verfahren einführte (Art. 7 § 1 FamRÄndG). Das Vollstreckungs wesen bedarf wegen seiner Auswirkungen keiner geringeren Rechtsklarheit. Der Verzicht auf eine gestaltende Vollstreckbarerklärung wäre nach allem nicht lediglich unerfreulich70 , sondern würde auch gesetzgeberischen Wertungen - und letztlich dem verfassungsmäßigen Rechtsstaatsprinzip - zuwiderlaufen. Das fragliche Verfahren läßt sich deshalb durch § 16a FGG nicht überflüssig machen. 71

V. Vollstreckbarerklärung aufgrund Rechtsfortbildung 1. Art der möglichen Rechtsfortbildung

Bis hierhin ist also festgestellt, daß sich die Frage, ob - und wenn ja wie die Vollstreckung ausländischer fG-Entscheidungen in der Bundesrepublik möglich ist, aufgrund bloßer Gesetzesauslegung nicht beantworten läßt. Wären die Methoden der Rechtsanwendung an dieser Stelle erschöpft, so müßte die Antwort negativ ausfallen. Indessen kommt es zuweilen vor, daß das Gesetz Regelungen für bestimmte Fälle nicht enthält, wo man sie aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit geregelten Fällen erwarten würde. Die Methodenlehre hält bekanntlich Möglichkeiten bereit, den der vorhandenen Regelung zugrundeliegenden Rechtsgedanken auch für die ungeregelten Fälle Geltung zu verschaffen und so der

61!

Geimer 112

69

Zöller I Geimer Rn. 220 zu § 328

70

So jedoch Geimer 112

7\

So ausdrücklich z. B. KKW I Zimmermann Rn. 12 zu § 16a

V. Vollstreckbarerklärung aufgrund Rechtsfortbildung

29

,,Forderung der Gerechtigkeit, Gleichartiges gleich zu behandeln"72 Genüge zu tun. "Vorhandene Regelungen" in diesem Sinne sind weder § 33 noch § 16a FGG, da sie sich, wie soeben erörtert, mit der Frage der Vollstreckbarkeit überhaupt nicht befassen. Auszugehen ist vielmehr wiederum von § 722 I ZPO. Nur er enthält möglicherweise den generellen Rechtsgedanken, daß ausländischen Entscheidungen unter bestimmten Voraussetzungen die Vollstreckbarkeit verliehen werden soll. Eine direkte Anwendung der Norm wurde oben abgelehnt. Als nächstes ist an eine Analogie zu denken. Sie ist gerechtfertigt, wenn die Übertragung der nonnierten Rechtsfolge von dem geregelten auf den vorliegenden, ungeregelten Tatbestand entweder einer speziellen Zielsetzung des Gesetzes oder dem bereits erwähnten Gleichbehandlungsgebot entspricht. 73 Schon an dieser Stelle zeigt sich, daß ebenso wie die direkte Anwendung auch die Analogie hier scheitern muß, denn bereits die Auslegung ergab ja, daß die Rechtsfalge des § 722 I ZPO (Erlaß eines Exequatur zwecks Vollstreckung nach dem 8. Buch der ZPO) eben nicht paßt.74 Anders ausgedrückt, die Sachverhalte "Vorliegen eines ausländischen Urteils" und "Vorliegen einer ausländischen fG-Entscheidung" sind zwar ähnlich, aber der bestehende Unterschied gibt mit Hinblick auf die Rechtsfolge ein sachliches Differenzierungskriterium ab, das eine Ungleichbehandlung gebietet. Über die Analogie im eigentlichen Sinn hinaus gibt es jedoch noch weitere Möglichkeiten einer teleologischen Korrektur des Gesetzestextes, deren Bezeichnung uneinheitlich ist. Teilweise wird von einer teleologischen Extension gesprochen, wenn der Wortsinn von Nonnen erweitert wird, ohne daß es sich um Analogie handelt. Wenn man § 722 I ZPO zu dem allgemeinen Rechtssatz ausbauen will, daß ausländischen Entscheidungen generell (d. h. auch anderen als Urteilen) unter bestimmten Voraussetzungen eine Durchsetzungsmöglichkeit zu verleihen ist, dann könnte dieses Ergebnis gegebenenfalls erreicht werden, indem man auch auf der Rechtsfalgenseite eine Korrektur vornimmt, d. h. diese den speziellen Eigenheiten der jeweiligen Entscheidungstypen anpaßt. Die Rechtsfortbildung müßte demnach zunächst das Hinzudenken folgender Regel beinhalten: "Die Vollstreckung hat nach den für eine entsprechende, in Deutschland erlassene Entscheidung maßgebenden Vorschriften zu erfolgen."

72

Larenz 381

73

Larenz 374 f., 381

7'

S. oben III I b

30

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

Eine weitere sinnvolle Modifikation würde darin bestehen, daß auch die Vollstreckbarerklärung - an statt nach den Regeln des ZPO-Klageverfahrens vor dem Zivilgericht - nach den für Erkenntnisverfahren des betreffenden Rechtsgebietes geltenden Vorschriften vor den Gerichten des betreffenden Zweiges durchzuführen wäre. Der bereits erwähnte Einwand, der Gegenstand eines Vollstreckbarerklärungsverfahrens sei als solcher niemals dem Rechtsgebiet der Hauptsache - z. B. der fG - zuzuordnen,75 kann dem nicht entgegengehalten werden. Träfe er zu, dann dürfte das vorhandene Exequaturverfahren auch nicht in der ZPO geregelt sein, sondern gehörte in ein "übergeordnetes" Verfahrensgesetz wie z. B. das EGGVG. Der Gesetzgeber hat jedoch für die Verleihung der Vollstreckbarkeit nun einmal das normale ZPO-(Klage)verfahren und damit denselben Rahmen gewählt wie für deh Streit über Fragen des materiellen Zivilrechts. Es ist nicht einsichtig, warum Entsprechendes z. B. in der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht ebenfalls möglich sein sollte. Das gilt umso mehr, als gerade dieses Rechtsgebiet ohnehin keine bestimmte "Natur" aufweist, sondern die verschiedensten Materien umfaßt. Ein Verbot, auch Angelegenheiten des Verfahrensrechts selbst hinzuzunehmen, wäre weder mit zwingenden logischen noch sonstigen Erwägungen zu begründen. Nach diesen Abwandlungen der Rechtsfolge des § 722 ZPO wäre sodann auf der Tatbestandsseite der Weg frei für eine Ausdehnung auf andere Entscheidungstypen - also zum Beispiel auf fG-Entscheidungen. Voraussetzung des ganzen ist aber, wie gesagt, daß sich aus den §§ 722 f. ZPO ein derart verallgemeinerungsfahiger Rechtsgedanke ableiten läßt.

2. Rechtfertigung der Rechtsfortbildung für die unterschiedlichen fG-Angelegenheiten

Die Gründe, die für eine Durchsetzung ausländischer Entscheidungen sprechen, wurden bereits anfangs genannt: den Beteiligten und der Justiz wird die Durchführung eines erneuten Erkenntnisverfahrens in Deutschland erspart. Das ist nicht nur in Verfahren nach der ZPO, sondern prinzipiell überall von Vorteil. Andererseits sind aber - selbst wenn verfahrenstechnische Bedenken in der soeben beschriebenen Weise ausgeräumt werden - je nach Rechtsgebiet bzw. Teilgebiet auch gegen eine Vollstreckbarerklärung sprechende Gesichtspunkte denkbar. Abstrakt ausgedrückt: Es ist zu überlegen, ob sich auch nach den

75

StJ / Münzberg Rn. 12 (Fn. 34) zu § 722

V. Vollstreckbarerklärung aufgrund Rechtsfortbildung

31

genannten Anpassungen auf der Rechtsfolgenseite des § 722 ZPO noch weitere sachliche Differenzierungskriterien finden lassen, die eine Ungleichbehandlung von Zivilurteilen und Entscheidungen des jeweiligen anderen Gebietes (hier: der fG) rechtfertigen oder gar gebieten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß es "die" fG-Entscheidung nicht gibt. Vielmehr sind unter dem Begriff der freiwilligen Gerichtsbarkeit bekanntlich die verschiedensten Rechtsmaterien privat- und öffentlich-rechtlicher Natur zusammengefaßt. Insbesondere bei den Entscheidungen, die eher der letzteren Gruppe zuzuordnen sind, ergeben sich Bedenken gegen eine Zulassung zur Zwangsvollstreckung, wenn sie von einem fremden Staat erlassen sind. Es ist ein anerkannter Grundsatz, daß die Reichweite des öffentlichen Rechts eines jeden Staates an dessen Grenzen endet und daß seine Anwendung oder gar Durchsetzung durch deutsche Stellen regelmäßig nicht in Betracht komme 6 (weshalb die VerwaltungsprozeßIehre auch keine Vollstreckbarerklärung kennt). Eine Ausnahme besteht - abgesehen von der Anerkennung der sog. Tatbestandswirkung fremder Hoheitsakte77 - für diejenigen öffentlich-rechtlichen Materien, die nicht der Verwirklichung staats- oder wirtschaftspolitischer Ziele, sondern der Schaffung von Gerechtigkeit zwischen oder dem Schutz von Privaten dienen. 78 a) Eine Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen, die bei uns dem Bereich der sog. öffentlich-rechtlichen Streitsachen zuzuordnen wären, wird man daher nicht zulassen können. Indes sind dort ohnehin keine vollstreckungsfähigen Maßnahmen denkbar. In den öffentlich-rechtlichen Streitverfahren geht es nämlich um Rechtsschutz gegen die öffentliche Verwaltung in Bereichen mit Bezug zur Rechtspflege,79 wie z. B. dem Gerichtsverfassungsrecht oder dem Berufsrecht der Rechtsanwälte und Notare. b) Keine Gültigkeit haben die genannten Bedenken dagegen für die sog. privatrechtlichen Streitsachen, also Verfahren, die dem Zivilprozeß nahestehen. Oftmals werden diese deshalb auch nach dem Recht des Erlaßstaats im "normalen" Zivilprozeß behandelt werden (was uns aber - wie gesagt80 - nicht hindert, sie dem Bereich der fG zuzurechnen). Ein Problem stellt indes auch diese

76

BGHZ 31,367 (37\); Firsching § 37; Kegel § 23 I I

77

Kegel § 23 1 4 a; Lüderitz Rn. 12

78

BGHZ 31, 367 (37\); Firsching § 37; Kegel § 23 1 I; Raape / Sturm § 19 B II

79

Brehm § 2 IV vor 1

80

Oben 12

32

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

Fallgruppe nicht dar, denn für die entsprechenden Verfahren existieren jeweils ausdrückliche Bestimmungen, die für die Vollstreckung das 8. Buch der ZPO für anwendbar erklären. 81 Daher ist für entsprechende Auslandsentscheidungen - soweit nicht ohnehin ein Staatsvertrag eingreift - in direkter Anwendung des § 722 I auf Erteilung eines Exequatur zu klagen. c) Zwischen diesen beiden Verfahrensgruppen steht der "klassische" Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit den sog. Fürsorgeverfahren. In ihnen geht es um öffentliche und private Interessen, die zum Teil gleichzeitig zum Tragen kommen. Ob dort Bedenken gegen eine Vollstreckbarerklärung bestehen, muß anhand der überwiegenden Zwecksetzung der Normen, die für das jeweilige Verfahren einschlägig sind, ermittelt werden. aa) Von der Gruppe der Familien- und Vormundschaftssachen sind hier vor allem diejenigen Verfahren interessant, die der Verwirklichung des elterlichen Sorge-, Aufenthaltsbestimmungs- oder Umgangsrechts dienen - also insbesondere die bereits angesprochenen Kindesherausgabesachen. Bei ihnen steht (außer dem Elternrecht) der Schutz des betroffenen Kindes, also einer Privatperson, im Vordergrund. Soweit - was wohl in den meisten Staaten der Fall sein wird - gleichzeitig Belange des allgemeinen Jugendschutzes verfolgt werden, handelt es sich um eine Zielsetzung, die in Deutschland gleichermaßen gilt und deshalb der Durchsetzung einer Auslandsentscheidung nicht entgegensteht. 82 Auch sonst ist kein Grund ersichtlich, warum einer solchen Entscheidung die Vollstreckungsmöglichkeit versagt bleiben sollte, während sie einem ZPO-Urteil gewährt wird. Die Übertragung des Rechtsgedankens der §§ 722 f. ZPO mit den oben geschilderten Modifikationen, d. h. mit Unterstellung des Vollstreckbarerklärungs- und Vollstreckungs verfahrens unter die Regeln des FGG (also wie von der heute herrschenden Meinung83 praktiziert), entspricht deshalb hier grundsätzlich dem allgemeinen Gleichbehandlungsgebot. Ebenfalls dem Schutz eines einzelnen, nämlich des Kindes, dienen die Maßnahmen, die im deutschen Recht auf die §§ 1666 ff. BGB gestützt werden. Hierbei handelt es sich zwar vorwiegend um Gestaltungsentscheidungen wie den - auch teil weisen - Entzug des Sorgerechts. Möglich sind aber auch Duldungsverfügungen gegen Eltern(teile)84 oder Maßnahmen gegen Dritte

81

Siehe oben I 3

82

Vgl. Kegel § 23 13

8)

S. oben Fn. 16, 19,21

84

Baur § 26 B 11 2 c

V. Vollstreckbarerklärung aufgrund Rechtsfortbildung

33

(§ 1666 I 2 BGB; z. B. Umgangsverbote)85. Auch für sie ist eine Vollstreckbarerklärungsmöglichkeit grundsätzlich angebracht, jedenfalls soweit ein Privater (z. B. das Kind selbst oder der nicht betroffene Elternteil) es beantragt. Geht dagegen die Initiative zur Durchsetzung von der Erlaßbehörde selbst aus, beantragt also ein ausländisches Vormundschaftsgericht, Jugendamt o. ä. eine Vollstreckbarerklärung, so rückt der öffentlich-rechtliche Charakter der Angelegenheit bzw. die Ausübung staatlicher Gewalt stark in den Vordergrund. Hier dürfte die Gleichartigkeit mit einer ZPO-Exequaturklage wohl nicht mehr zu bejahen sein. Der zu schützenden Privatperson (Kind) müßte notwendige Fürsorge trotzdem nicht verweigert werden: soweit keine Staatsverträge eingreifen, wäre das Vollstreckungsersuchen der ausländischen Behörde zum Anlaß zu nehmen, die Einleitung eines deutschen Erkenntnisverfahrens (ggf. Eilverfahrens) in Betracht zu ziehen.

bb) Im Bereich des Nachlaßrechts kennen möglicherweise auch ausländische Rechtsordnungen die Einziehung von Erbscheinen oder anderen Dokumenten oder die Anordnung, Testamente abzuliefern. Auch Register gibt es im Ausland und damit entsprechende Anmeldepflichten, die möglicherweise mit Zwang durchgesetzt werden müssen. Bei diesen Angelegenheiten steht der allgemeine Schutz des Rechtsverkehrs im Vordergrund und weniger die "Gerechtigkeit zwischen den einzelnen". Vor allem aber ist es auch hier regelmäßig der Staat, der von sich aus Tätigkeiten zur Durchsetzung ergreift. Es handelt sich materiell eher um Verwaltungsvollstreckung denn um zivilrechtliche. Auch diese Fälle weisen deshalb im Vergleich zur Durchsetzung von Zivilurteilen einen so erheblichen Unterschied auf, daß der Rechtsgedanke der §§ 722 f. ZPO überstrapaziert wäre. An ein vorrangig privates Interesse könnte man allenfalls in einem Fall denken, in dem ein Erbe die Vollstreckung einer Anordnung beantragt, durch die ein unrichtiger Erbschein eingezogen wird. Nach der deutschen Wertung bleibt die Ablieferungsverfügung des Nachlaßgerichts (§ 2361 BGB) aber auch in diesem Fall eine Angelegenheit des öffentlichen Interesses. Dies ergibt sich daraus, daß dem Schutz des Privaten durch die Möglichkeit Rechnung getragen wird, die Herausgabe im Klagewege nach der ZPO zu verlangen (§ 2362 BGB). Hierüber entscheidet ein normales Zivilgericht, also nicht die Stelle, die den Erbschein erteilt hat. Deshalb kann auch eine ausländische Entscheidung, mit der ein entprechendes Dokument durch die erteilende Stelle eingezogen wird,

85

3

Palandt I Diederichsen Rn. 21 zu § 1666

Krem

34

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

nicht für vollstreckbar erklärt werden, sondern nur das Herausgabeurteil eines von der Ausstellungsbehörde verschiedenen Zivilgerichts - und zwar dann nonnal nach § 722 ZPO direkt. Für eine fG-Vollstreckbarerklärung bleiben nach allem in der Tat nur Entscheidungen auf dem Gebiet des Kindschaftsrechts übrig. Möglich ist aber, daß der Gesetzgeber in Zukunft der freiwilligen Gerichtsbarkeit weitere Materien unterstellt, durch die vorrangig private Rechte verwirklicht werden. Wenn er dabei keine Verweisung an das ZPO-Vollstreckungsrecht vorsieht, so käme auch dort die geschilderte Rechtsfortbildung des § 722 ZPO in Betracht.

3. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen Rechtsfortbildung im Vollstreckungsrecht

Nach allem steht nun allerdings noch nicht fest, daß die geschilderte "teleologische Extension" der §§ 722 f. ZPO auch tatsächlich erfolgen kann. Bei allen Maßnahmen der Rechtsfortbildung ist nämlich stets auf die Vereinbarkeit mit höherrangigem, also insbesondere Verfassungsrecht zu achten. Wie bereits oben erwähnt, sind gegen die Schaffung eines Vollstreckbarerklärungsverfahrens für die freiwillige Gerichtsbarkeit Bedenken wegen des Gesetzmäßigkeitsprinzips geäußert worden. 86 Dieses Prinzip hat nach allgemeiner Auffassung im Vollstreckungsrecht in besonderem Maße Bedeutung,87 da die staatliche Vollstreckungstätigkeit unmittelbar in grundrechtlich geschützte Positionen eingreift. So greift die Durchsetzung vennögensrechtlicher Ansprüche sowie die Verhängung von Zwangsgeld in Art. 14 I 1 GG (Eigentum) ein. Bei der Durchsetzung von Handlungs-, Duldungs- und Unterlassungspflichten ist Art. 2 I GG (Entfaltungsfreiheit) und bei der Verhängung von Zwangshaft Art. 211 2 GG (Bewegungsfreiheit) betroffen. Schließlich ist auch die Berührung spezieller Grundrechte wie z. B. Art. 6 11 1 GG (Elternrecht) bei der Vollstreckung einer Kindesherausgabeanordnung möglich. All diese Rechte können nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Obwohl, wie gesagt, die Bedeutung des Gesetzmäßigkeitsprinzips im Vollstreckungsrecht immer wieder hervorgehoben wird, werden konkrete Konsequenzen speziell für die Rechtsfortbildung regelmäßig nicht gezogen. In

86

Baur / Stümer Rn. 66 (Fn. 54 a. E.)

Baur / Stümer Rn. 9; Blomeyer ZPR-II § I I I. VI vor I; Bruns / Peters § 4 I; Gaul Struktur 9; MüKo / Lüke Einleitung ZPO Rn. 348; Rosenberg / Gaul / Schilken §§ I 111 2. 8 11 2 87

V. Vollstreckbarerklärung aufgrund Rechtsfonbildung

35

anderen "grundrechtsempfindlichen" Rechtsgebieten ist das anders. So ist das strafrechtliche Analogieverbot unter der Herrschaft des Grundgesetzes - nach vorherigen schlechten Erfahrungen - jetzt sogar doppelt verankert (Art. 103 11 GG sowie § 1 StGB). Die Verwaltungsrechtsdogmatik schützt den Bürger im Bereich des belastenden (oder ihn S'JfiSt "wesentlich" berührenden) Staatshandelns durch den sogenannten Gesetzesvorbehalt, der möglicherweise die gleiche Wirkung hat. Daß Eingriffsbefugnisse auch auf dem Gebiet des Verfahrensrechts einer fonnell-gesetzlichen Ennächtigung bedürfen - und deshalb jegliche Art von Rechtsfortbildung dort zumindest problematisch ist -, kann deshalb keinem vernünftigen Zweifel unterliegen. Die Schwierigkeit liegt hier allerdings darin, daß für den eigentlichen staatlichen Eingriff, die Vollstreckungshandlung, mit § 33 FGG eine ausdrückliche und rechtsstaatlich unbedenkliche Regelung vorhanden ist. Die von ihr aufgestellte Eingriffsvoraussetzung, nämlich das Vorliegen einer gerichtlichen Verfügung, würde durch die geschilderte Rechtsfortbildung vordergründig nicht einmal ausgedehnt: auch eine Vollstreckbarerklärungsentscheidung (diese und nicht die Ursprungsentscheidung bildet die Vollstreckungsgrundlage88 ) ist unzweifelhaft eine derartige Verfügung. Dem Wortlaut des § 33 FGG ist also genügt, ein Titel ist vorhanden - das Problem ist "nur", daß für das Zustandekommen des Titels die gesetzliche Grundlage fehlt. Daß die Schwachstelle "nur im Vorfeld" des hoheitlichen Eingriffs liegt, kann aber die rechtsstaatlichen Bedenken nicht beseitigen. a) Möglicherweise bringt eine vergleichende Betrachtung mit anderen Problemfällen aus dem Gebiet des Verfahrens- und Vollstreckungsrechts, in denen ebenfalls Lösungen durch Rechtsfortbildung entwickelt oder erwogen worden sind, weitere Erkenntnisse. aa) Ein vieldiskutiertes Problem im Vollstreckungsrecht der ZPO ist das sogenannte Verfolgungsrecht des Gerichtsvollziehers. Dabei geht es um die Frage, ob er eine bereits gepfändete Sache einem Dritten, der sie gutgläubiglastenfrei erworben hat, wieder wegnehmen darf. Hierfür enthält die ZPO keine Rechtsgrundlage. Vor allem deshalb wird das Verfolgungsrecht weithin abgelehnt. 89 Hier ist es allerdings schon der unmittelbare Eingriffsakt, für den eine gesetzliche Grundlage fehlt; es handelt sich nicht lediglich um eine Vorfrage. Die

88

(Für die ZPO) BGH NJW 1993. 1801 (1802); Zöller I Geimer Rn. 56 zu § 722

89

So z. B. bei Baur I Stümer Rn. 461; Brox I Walker 373; Pawlowski 197

3*

36

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

verfassungsrechtlichen Bedenken sind daher hier stärker, so daß die Argumentation der ablehnenden Stimmen nicht zwingend auch für die Problematik der Vollstreckbarerklärung Geltung beanspruchen kann. bb) Insoweit eher vergleichbar könnte die Frage der Vollstreckbarkeit von Verfahrensvergleichen in der freiwilligen Gerichtsbarkeit sein. Sie war einige Zeit Gegenstand der Diskussion in Literatur und Rechtsprechung. Während in der ZPO der Prozeßvergleich als Vollstreckungs titel durch § 794 I 1 Nr. 1 anerkannt ist, fehlt im FGG eine Regelung. Die herrschende Meinung lehnt (soweit keine ausdrücklichen Verweisungen an die ZPO eingreifen) zum großen Teil bereits die Zulässigkeit eines Verfahrensvergleichs, jedenfalls aber seine unmittelbare Vollstreckbarkeit ab. Überwiegend wird aber stattdessen die Möglichkeit bejaht, daß das Gericht den Inhalt des "Vergleichs" in eine eigene Entscheidung aufnimmt, die dann ihrerseits Vollstreckungsgrundlage ist. 90 Damit liegt die Konstellation ähnlich wie in den hier behandelten Fällen: dem Wortlaut des § 33 FGG wird zwar durch den Erlaß einer "gerichtlichen Verfügung" Genüge getan, letztere aber scheint als solche einer formellen Ermächtigungsgrundlage zu entbehren. Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, daß diese Verfügung weder Ähnlichkeit mit einer Vollstreckbarerklärung besitzt noch einer gesetzlichen Grundlage entbehrt. Das Gericht "bestätigt" nämlich nicht einfach den geschlossenen "Vergleich", ohne daß hierfür eine Rechtsgrundlage vorhanden wäre. Es entscheidet vielmehr trotz der Einigung der Beteiligten aufgrund derjenigen Sachnormen, die es auch ohne sie anwenden würde. So ändert z. B. eine Einigung von Eltern über das Sorgerecht nichts daran, daß der Familienrichter so entscheidet, wie es dem Kindeswohl (§ 1671 11 BGB) am besten entspricht; die von den Eltern vereinbarte Regelung kommt lediglich als Vorschlag zur Geltung, der in bezug auf das Kindeswohl Indizwirkung (§ 1671 III 1 BGB) entfaltet. 9 ! Da mithin eine "ganz normale" Sachentscheidung getroffen wird, bedarf es einer gesonderten verfahrensrechtlichen Rechtsgrundlage nicht.

90 BGH FamRZ 1988.277 (277); OLG Hamm NJW 1970. 1425 (1425); OLG Frankfurt NJW 1964.307 (307); Bärmann § 18 III 2 b a. E.; Bassenge / Herbst Anm. 1 zu § 33; Brehm §§ 1611 2 b. 25 1II 3; BuWi / Bumiller Anm. 2 a zu § 33; Habscheid § 22 11 3; KKW / Zimmermann Rn. 10 zu § 33; a. A. (= für direkte Vollstreckbarkeit) Müller 19 91

BGH FamRZ 1988. 277 (277); OLG Hamm NJW 1970. 1425 (1425)

V. Vollstreckbarerklärung aufgrund

Rec~tsfortbildung

37

Dagegen soll eine ausländische Entscheidung ja ausdrücklich als solche für vollstreckbar erklärt werden, ohne daß eine Prüfung in der Sache (revision au fond) erfolgt. Die beiden Situationen sind mithin nicht vergleichbar. cc) Ebenfalls nicht im FGG geregelt ist die Wiederaufnahme eines Verfahrens, welches durch eine nicht mehr abänderbare Entscheidung abgeschlossen ist. Ihre Zulässigkeit wird von einer verbreiteten Meinung unter entsprechender Heranziehung der §§ 578 ff. ZPO befürwortet. 92 Die Problematik hat zunächst nicht unmittelbar mit Vollstreckungsrecht zu tun. Man stelle sich jedoch die Sicht eines Beteiligten vor, der durch das Ergebnis des wieder aufgenommenen Verfahrens erstmals beschwert wird, und zwar in der Weise, daß nunmehr eine vollstreckungsfähige Verfügung gegen ihn ergeht. Seine Situation ist ähnlich wie die des Antragsgegners einer Vollstreckbarerklärung: er wird staatlichem Zwang ausgesetzt, obwohl für die Einleitung des vorangegangenen Verfahrens eine formelle Ermächtigungsgrundlage fehlte. Zwar ist, wie oben beim "Vergleich", auch hier eine Rechtsgrundlage für die Sachentscheidung als solche vorhanden (regelmäßig handelt es sich um dieselbe Vorschrift, die auch schon in dem ersten Verfahren angewendet worden war). Berührt ist aber das Vertrauen des (nunmehr) Betroffenen auf den Bestand der alten, ihm günstige(re)n Entscheidung, die nach den Buchstaben des FGG eigentlich hätte endgültig sein sollen. Die hieraus resultierenden verfassungsrechtlichen Bedenken kommen in der Diskussion nur sporadisch zum Zuge. Wiederum ist es F. Baur, der eine gesetzliche "Brücke für die entsprechende Anwendung" der §§ 578 ff. ZPO vermißt und deshalb eine - wenngleich möglicherweise sinnvolle - Wiederaufnahme in der freiwilligen Gerichtsbarkeit ablehnt, solange der Gesetzgeber nicht tätig wird. 93 Auch E. Domdorj äußert Bedenken gegen die Einführung neuer Rechtsbehelfe, die neue Verfahrensabschnitte eröffnen, im Wege der Analogie. 94 dd) Auch im Verwaltungsrecht wird im Vorfeld von Vollstreckungsmaßnahmen mit Rechtsfortbildung gearbeitet. Zu nennen ist dort z. B. die sofortige Vollziehbarkeit von Verkehrszeichen analog § 80 II Nr. 2 VwGO, die seit über 20 Jahren von der Rechtsprechung bejaht wird. 95 Vor allem das praktisch

92 Bärmann § 34 11; Böhm 363 (Österreich); Brehm § 20 VI; Habscheid § 25 IV 3: a. A. Baur § 32 11 c; Jansen Rn. 40 zu § 18; österr. OGH JBI 1972, 579 (579) 93

Baur § 32 11 c a. E.

94

Dorndorf 166

95

BGH JZ 1969,747 (747 f.); OVG Münster JZ 1969, 261 (261 f.)

38

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

bedeutsame Abschleppen aus dem Halteverbot wird durch sie ermöglicht. (Das Halteverbotszeichen wird einer polizeilichen Aufforderung zum Wegfahren gleichgestellt, welche als sofort vollziehbarer Verwaltungsakt im Wege der Ersatzvornahme durchgesetzt werden kann, §§ 55 I, 57 I Nr. 1, 59 I VwVGNW.) Die Analogie bewirkt also eine normalerweise nicht gegebene Vollstrekkungsmöglichkeit, und zwar hier nicht einmal aufgrund eines besonderen Verfahrens, sondern sogar ipso jure. Sie war besonders Anfang der 70er Jahre heftig umstritten. Obwohl es sich um Verwaltungsrecht, also den "klassischen" Bereich des Gesetzesvorbehalts handelt, sucht man jedoch eine diesbezügliche Argumentation selbst bei den ablehnenden Stimmen vergebens. Vielmehr verneinen diese bereits das Vorliegen einer ausfüllungsbedürftigen Gesetzeslücke. Lediglich deshalb wird die Rechtsfortbildung als gerichtliche Kompetenzüberschreitung bzw. Verstoß gegen die Gewaltenteilung kritisiert. 96 Nach allem lassen sich zwar einzelne Vergleichsfälle von Rechtsfortbildung im Bereich von Vollstreckungsvoraussetzungen aufzeigen. Kriterien für die Beurteilung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit, auf die man hier zurückgreifen könnte, wurden jedoch bislang nicht entwickelt. b) Zunächst soll die Frage erörtert werden, ob der sog. Gesetzesvorbehalt auch das" Vorfeld" staatlicher Eingriffsmaßnahmen betrifft - ob also hier außer der Vollstreckung selbst auch schon die ihr vorangehende Vollstreckbarerklärung von ihm erfaßt ist. Ansatzpunkt muß die von Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht entwickelte und seither allgemein angewandte Wesentlichkeitslehre sein. Sie besagt, daß die "wesentlichen" Entscheidungen im Verhältnis Staat - Bürger dem parlamentarischen Gesetzgeber selbst vorbehalten sind und nicht an andere Staatsgewalten delegiert werden dürfen. Die WesentIichkeit ist dabei mit Hinblick auf die Betroffenheit von Grundrechten zu bestimmen. 97 Von ihr hängt ab, ob und in welcher "Verdichtung" formell-gesetzliche Regelungen erforderlich sind. 98 Bei der Entwicklung dieser Formeln hatte man zwar (bislang) nicht das Problem im Blickfeld, inwieweit bereits für staatliches Handeln, das erst mittelbar einen Eingriff zur Folge hat, Ermächtigungsnormen erforderlich sind. Auch

96

Schmidt 664; Schoch 840 ff.

BVerfGE 62, 203 (210); 49, 89 (126 f.); 47, 46 (78 f.); BVerwGE 47, 194 (197 f.); OVG Münster DVBI 1990,543 (544); VGH Mannheim NJW 1987,3274 (3275) 97

98

Erichsen 28

V. Vollstreckbarerklärung aufgrund Rechtsfortbildung

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ging es bisher regelmäßig nicht um Akte der rechtsprechenden Gewalt. Vielmehr diente die Wesentlichkeitslehre in der Vergangenheit zumeist der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Handlungsspielräumen, die der Verwaltung durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, durch Ermessensnormen, durch globale Regelungsermächtigungen oder durch die fehlende Normierung ganzer Rechtsgebiete erwachsen waren. Das bedeutet aber nicht, daß nicht auch Handlungsspielräume der Justiz am Kriterium der GrundrechtsWesentlichkeit zu messen wären, denn die Justiz ist gleichermaßen wie die Verwaltung durch Art. 20 III GG bzw. durch das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip gebunden. 99 Auch können "Spielräume" nicht nur auf unbestimmten Rechtsbegriffen o. ä. beruhen, sondern im Ergebnis ebensogut darauf, daß für einen Eingriff (hier: Vollstreckung) zwar eine konkrete Ermächtigungsnorm (hier: § 33 FGG) mit einer konkreten Voraussetzung (hier: "gerichtliche Verfügung") vorhanden ist, das Vorliegen dieser Voraussetzung aber durch die betreffende Staatsgewalt (hier: Justiz) ohne formell-gesetzliche Grundlage herbeigeführt werden kann. Infolgedessen ist die oben geschilderte und von der herrschenden Meinung 100 bejahte Rechtsfortbildung verfassungsrechtlich nur dann haltbar, wenn es sich bei einem Vollstreckbarerklärungsverfahren um eine "unwesentliche" Materie handelt, bezogen auf die von der nachfolgenden Vollstreckung betroffenen Grundrechte. Diese Grundrechte wurden bereits aufgeführt. 101 Allerdings ist es bisher nicht gelungen, den Begriff der Wesentlichkeit auch nur annähernd zu präzisieren. "Böse Zungen" behaupten sogar, wesentlich sei das, was das BVerfG dafür halte. 102 Doch würde - wie bereits gesagt - wohl kein vernünftiger Zweifel an der Wesentlichkeit des eigentlichen Vollstreckungseingriffs aufkommen. Mit gutem Grund existieren deshalb hierfür in allen Verfahrenszweigen ausdrückliche Rechtsgrundlagen: §§ 33 FGG, 808, 829, 883 ff. ZPO, 55, 57, 59 VwVG-NW usw. Wären solche Normen nicht vorhanden und würden Vollstreckungsmaßnahmen trotzdem durchgeführt, so wäre ohne weiteres ein Verstoß gegen den Gesetzesvorbehalt anzunehmen. Daß ein Verfahren, das einer solchen Maßnah-

99 Daß gerade auch einem Velfailrell Grundrechtsrelevanz i. S. d. WesentIichkeitslehre zukommen kann, betont ausdrücklich z. B. Erichsen 27 100

S. oben Fn. 16, 19,21

101

Oben vor a

102

Kloepfer 692

40

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

me unmittelbar vorgelagert ist, damit ebenfalls noch im Bereich des "Wesentlichen" liegt, erscheint naheliegend. Andererseits ist zu bedenken, daß der Vollstreckungseingriff regelmäßig der letzte Akt einer langen Folge von Verfahrensschritten ist, angefangen von der Einleitung des Erkenntnisverfahrens über dessen Durchführung und so weiter. All diese Schritte kann man als "der Vollstreckung vorgelagert" betrachten, was aber nicht heißt, daß sie auch alle als wesentlich in bezug auf die von ihr betroffenen Grundrechte zu gelten hätten. Wird beispielsweise im Zivilrecht jemand zur Schadensersatzleistung wegen positiver Forderungsverletzung verurteilt und sodann deswegen bei ihm gepfändet, so hat er dies nicht ausschließlich dem Gesetzgeber, sondern mittelbar zumindest auch H. Staub zu verdanken. Dennoch würde hier niemand auf die Idee kommen, darin einen Verstoß gegen den GesetzesvorbehaIt zu sehen, d. h. das Gebiet der Leistungsstörungen im Schuldrecht nur wegen der möglichen Ursächlichkeit für Vollstreckungsakte als "wesentlich" i. S. d. BVerfG-Rechtsprechung zu betrachten. Da nämlich fast jedes Rechtsgebiet einmal Gegenstand einer vollstreckungsfahigen Gerichtsentscheidung werden kann, wäre ansonsten ein totaler Gesetzesvorbehalt auf allen Gebieten (d. h. selbst im materiellen Privatrecht) die logische Konsequenz. Je "weiter" ein Regelungsbereich dem schließlich möglicherweise erfolgenden Eingriff "vorgelagert" ist, desto weniger wird man ihn noch als wesentlich ansehen. Auch ist eine Rechtsmaterie, deren Anwendung nur in einer geringen Anzahl von Fällen letztlich zu einem staatlichen Eingriff führt (z. B. das Privatrecht, das tagtäglich in Millionen von Fällen ohne die Einschaltung von Gerichten funktioniert), tendenziell "unwesentlicher" als eine Materie, als deren Folge solche Eingriffe häufiger vorkommen. Jedoch sind weder die "Entfernung" der Regelung vom eigentlichen Eingriffsakt noch die Wahrscheinlichkeit, daß sie ihn auslösen wird, meßbare Größen. Bei der Frage nach der WesentIichkeit ist vielmehr eine Wertung erforderlich. Entscheidendes Kriterium für die notwendige Grenzziehung zwischen dem "noch-wesentlichen" und dem "nichtmehr-wesentlichen" Bereich kann nur die objektive Zielrichtung der betreffenden Regelung sein. So liegt - um bei den Beispielen zu bleiben - die Zweckbestimmung der §§ 33 FGG, 808, 829, 883 ff. ZPO, 55, 57, 59 VwVG-NW eben ausdrücklich und einzig darin, dem Staat die Durchführung der in ihnen vorgesehenen Eingriffsmaßnahmen zu ermöglichen. Deshalb werden sie von der Wesentlichkeitslehre bzw. vom Gesetzesvorbehalt erfaßt. Dagegen sind die (geschriebenen und ungeschriebenen) Vorschriften über die Vertragsverletzung im bürgerlichen Recht primär dazu bestimmt, das Verhältnis unter Privaten zu

V. Vollstreckbarerklärung aufgrund Rechtsfortbildung

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regeln. Erst in zweiter Linie sind sie dazu da, im Streitfall staatlichen Richtern als Grundlage möglicherweise vollstreckungsfähiger Entscheidungen zu dienen. Mit anderen Worten handelt es sich nicht um Regelungen, die zur Vorbereitung eines hoheitlichen Eingriffs bestimmt sind. Daher ist bei ihnen die GrundrechtsWesentlichkeit zu verneinen. Vorliegend ist also zu fragen, welcher Zweck der Einrichtung eines Vollstreckbarerklärungsverfahrens zukommt. Ein anderer Zweck als die Ermöglichung des staatlichen Vollstreckungseingriffs ist hier nicht denkbar; eine darüber hinausgehende oder gar vorrangige andere Funktion hat ein Exequatur nicht. Insofern unterscheidet sich das Vollstreckbarerklärungsverfahren z. B. auch von dem oben erwähnten Wiederaufnahmeverfahren. Letzteres führt zwar auch möglicherweise zu einem vollstreckungsfähigen Titel, darin liegt aber nicht sein Sinn und Zweck. Dieser besteht vielmehr darin, generell die Überprüfung einer Entscheidung zu ermöglichen, deren Zustandekommen sich im Nachhinein als ungerechtfertigt herausgesteJlt hat. Ob als Ergebnis dieses Verfahrens eine ihrerseits vollstreckungsfähige oder sonst Grundrechte berührende Entscheidung herauskommt oder nicht, ist dagegen völlig offen und nicht in dem Verfahrenstyp "angelegt". Die Wesentlichkeitslehre würde hier also nicht entgegenstehen, ein solches Verfahren - wie in der fG diskutiert - im Wege der Rechtsfortbildung einzuführen. Das Vollstreckbarerklärungsverfahren ist dagegen aufgrund seiner Zielrichtung wesentlich im Hinblick auf die von der beabsichtigten (!) Vollstreckung betroffenen Grundrechte, daß sie dem Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts zugeordnet werden muß. c) Daher ist nunmehr als zweites die Frage zu klären, ob der Gesetzesvorbehalt nur staatliches Handeln ohne jegliche Rechtsgrundlage ("völlig freie Rechtsschöpfung") verbietet, oder ob er auch schon einem Handeln aufgrund analoger Anwendung formell-gesetzlicher Vorschriften entgegensteht. Ist ein Analogieverbot im Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts zu bejahen, so sind dort erst recht keine darüber hinausgehenden Rechtsfortbildungsmaßnahmen (wie "teleologische Extensionen") eriaubt. 103 Zum Analogieverbot äußern sich - außerhalb des "klassischen" Gebietes, des materiellen Strafrechts - nur wenige Gerichtsentscheidungen und Autoren. aa) Der Rechtsfortbildung grundsätzlich positiv gegenüber steht c.-W. Canaris. Er betrachtet Analogieverbote mit Skepsis, da sie den Richter zwängen, entgegen der "obersten Rechtsidee" (und Art. 3 GG) gleichgelagerte Sachverhalte

103

Larenz 399

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

42

ungleich zu behandeln. Sie ließen sich daher ausschließlich im Interesse ebenso fundamentaler Grundsätze, insbesondere der Rechtssicherheit, rechtfertigen. Im Zweifel sei für die Rechtsfortbildung zu entscheiden. 104 Selbst Ermächtigungsnormen für schwere staatliche Eingriffe sollen einer entsprechenden Anwendung zugänglich sein, sofern es sich nicht um strafähnliche, sondern um Schutzmaßnahmen handele. Der Schutz des Bürgers sei hier über die Rechtssicherheit zu stellen. Als Beispiel führt Canaris die (ehemaligen) Entmündigungsgründe des § 6 BGB an, die den Tatbestand der Rauschgiftsucht (bis 1974) nicht erfaßten. Der entsprechenden Anwendung des Entmündigungsgrundes der Trunksucht auf diesen Fall stimmt er zu, da die Entmündigung auch des Rauschgiftsüchtigen dringend erforderlich sei, um ihn vor der "völligen Zerrüttung" zu retten. lOS ob letzteres zutrifft, mag dahinstehen. Jedenfalls unterscheiden die Gesetzesvorbehalte des Grundgesetzes nicht zwischen Straf- und Schutzmaßnahmen. Sogenannte Schutzmaßnahmen haben in der Vergangenheit schon erhebliches Unheil angerichtet; ihre Auswirkungen stehen Strafen oftmals in nichts nach. Hier Aufweichungen des Gesetzmäßigkeitsprinzips zuzulassen, würde eine erhebliche Gefahr für den freiheitlichen Rechtsstaat bedeuten. Im übrigen kann auch die Vollstreckbarerklärung einer ausländischen fG-Entscheidung von vornherein niemals eine unerläßliche Schutzmaßnahme sein: ist zum Schutz eines Menschen staatliches Eingreifen wirklich dringend geboten, so ist ebenso der Erlaß einer deutschen Entscheidung - ggf. im Eilverfahren - möglich. I06 Das genannte Argument kann deshalb hier die Rechtsfortbildung keinesfalls rechtfertigen. Soweit es um Eingriffsbefugnisse speziell für die rechtsprechende Gewalt geht, bringt Canaris ein weiteres Argument gegen ein Analogieverbot vor: letzteres sei als Schutz vor staatlicher Willkür dort nicht erforderlich, wo der Richter nicht als Wahrer der Staatsgewalt, sondern als Streitschlichter unter Privaten auftrete. I07 Eine derartige Unterscheidung wird allerdings vom Bundesverfassungsgericht nicht durchgeführt. Bekanntlich verfallen auch normale Zivilurteile der Verfassungsbeschwerde, wenn sie gegen "spezifisches Ver-

104

Canaris 183 f.

105

Canaris 185 f.

106

Vgl. unten VIII a. E.

Canaris 186. In anderem Zusammenhang findet sich ein ähnlicher Gedanke bei Brehm § 1 III 3 c: ,,[In der Zwangsvollstreckung) geht es um die Verwirklichung subjektiver Privatrechte, und Ergebnisse staatlicher Eingriffe werden nicht durch die Vollstreckungsgewalt, sondern durch die privaten Rechtsbeziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner gerechtfertigt." 107

V. Vollstreckbarerklärung aufgrund Rechtsfortbildung

43

fassungsrecht" verstoßen. ws Darüber hinaus paßt das genannte Argument für viele Fälle der freiwilligen Gerichtsbarkeit von vornherein nicht, denn, wie bereits erwähnt, hat der Richter gerade hier eben doch auch öffentliche Interessen zu wahren. Eine Trennung zwischen Staatsgewalt und Streitschlichtung ist deshalb in der fG erst recht unmöglich. Auch mangelnde Schutzwürdigkeit desjenigen, der von einem hoheitlichen Eingriff betroffen ist, stellt für Canaris ein Argument gegen ein Analogieverbot dar. Als Beispiel nennt er die rechtsfortbildende Ausdehnung der Erbunwürdigkeitsgründe des § 2339 BGB auf Gewalt oder Hypnose. 109 Hierzu ist zu sagen, daß dem Grundgesetz auch eine Differenzierung nach der Schutzwürdigkeit des Betroffenen fremd ist. Wollte man sie zulassen, so müßte gerade im Strafrecht eine Analogie immer erlaubt sein. Wer nämlich die Strafwürdigkeit einer Handlung, die der nach dem Gesetz strafbaren Handlung ähnlich ist, bejaht, verneint damit auch die Schutzwürdigkeit des Täters. Indem der Verfassungsgeber aber gerade für das Strafrecht das Analogieverbot statuiert hat, gibt er deshalb zu erkennen, daß er das Argument der fehlenden Schutzwürdigkeit nicht gelten lassen will. Schließlich argumentiert Canaris, auch der im Wege der Analogie gefundene Rechtssatz sei ja "mittelbar" bereits im Gesetz enthalten, auch wenn er es nicht "ausdrücklich" sei. Daher lasse z. B. auch § 253 BGB, der den Ersatz immaterieller Schäden auf die "vom Gesetz bestimmten Fälle" beschränke, eine Analogie zu." O Es muß darauf hingewiesen werden, daß auch Art. 103 II GG für die Bestrafung eine "gesetzliche Bestimmung" verlangt. Eine "mittelbare" Bestimmung durch Rechtsfortbildung hat dort bisher glücklicherweise niemand für ausreichend erachtet. V. Krey bezeichnet eine derartige Aushebelung der Gesetzesbindung zu Recht als "Etikettenschwindel"lll. A. Gern will belastende Analogien zulassen, sofern ohne sie Rechtsverweigerung einträte und ihre Notwendigkeit im Wege einer "Parallelwertung in der Laiensphäre" vom Betroffenen nachvollzogen werden könne. 112 Ob letzteres hier der Fall ist, kann dahinstehen; daß es vorliegend nicht zu Rechtsverweige-

108

BVerfGE 7,198 (206 f., 212) ("Lüth")

109

Canaris 186 f.

110

Canaris 187

111

Krey 241

112

Gern 563

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

44

rung kommen kann, wurde bereits gesagt. Die Möglichkeit eines erneuten Erkenntnisverfahrens in Deutschland schließt das aus. Auch D. Schmalz sieht die belastende Analogie als im Bereich des Gesetzesvorbehalts erlaubt an. 113 Eine Begründung findet sich bei ihm leider nicht. bb) Dagegen finden sich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zwei eher ablehnende Entscheidungen. So verneinte das BVerfG im Fall Schily die Möglichkeit, in das Strafprozeßrecht durch Rechtsfortbildung Verteidigerausschlußtatbestände einzufügen, die gesetzlich nicht vorgesehen sind. 114 (Der Gesetzgeber wurde daraufhin tätig und erließ § 138a StPO.) Schon wesentlich früher hatte es der BGH abgelehnt, gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehene Rechtsmittel - wie die Anschlußbeschwerde in der fG - zuzulassen. 115 Er fand damit die bereits erwähnte, leider nicht näher begründete Zustimmung von E. Dorndoif.116

H. P. Prümm l17 und H.-J. Rudolphi 1l8 sehen in der belastenden Rechtsfortbildung einen Widerspruch zum Rechtsstaats- und Demokratieprinzip. V. Krey leitet aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzesvorbehalts her, daß er auf demselben Grundgedanken wie das strafrechtliche Analogieverbot beruhe. Daher sei die Rechtsfortbildung im gesamten Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts nicht zulässig. ll9

Dieser Ansicht ist zuzustimmen, denn ein anderes Verständnis lassen die den Grundrechten beigefügten Gesetzesvorbehalte nicht zu. Soweit sie Eingriffe nur "durch Gesetz" gestatten, so kann damit nichts anderes gemeint sein als mit der Notwendigkeit der "Bestimmung durch Gesetz" in Art. 103 11 GG, die dort einhellig als Analogieverbot interpretiert wird. Doch auch die Befugnis zur Grundrechtseinschränkung "auf Grund eines Gesetzes" läßt keine andere Deutung zu. Der Unterschied zum Eingriff "durch Gesetz" besteht lediglich darin, daß es dort noch eines Ausführungsaktes bedarf, der Eingriff also nicht ipso jure eintritt. Daß die ausführenden Staatsgewalten (Verwaltung bzw. Justiz) dabei aber den vom Gesetzeswortlaut abgesteckten Rahmen sollen überschreiten

1Il

Schmalz Rn. 318

'I' BVerfGE 34, 293 (301 ff.) 115

BGH NJW 1956,380 (381)

116

Dorndorf 166

117

Prümm 53

118

SK I Rudo1phi Rn. 27 vor § 94

119

Krey 243 f.; ebenso Anschütz 329 ff. sowie Jesch 33

V. Vollstreckbarerklärung aufgrund Rechtsfortbildung

45

dürfen, läßt sich der Wendung "auf Grund eines Gesetzes" gerade nicht entnehmen. Nach aIlem ist deshalb die Schaffung eines VoIlstreckbarerklärungsverfahrens im Wege der Rechtsfortbildung verfassungsrechtlich nicht zulässig. d) Zu überlegen ist allerdings noch, ob der Gesetzgeber die Praxis der Gerichte, die VoIlstreckbarerklärung dennoch zuzulassen, nicht inzwischen gebilligt und damit dem Gesetzesvorbehalt nachträglich Genüge getall hat. In der amtlichen Begründung zu dem bereits erwähnten SorgeRÜbkAusfG heißt es nämlich, das deutsche Recht entspreche der staatsvertraglichen Verpflichtung zur Anwendung eines beschleunigten Verfahrens "nach der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 88, 113) bereits weitgehend".120 Daraus kann geschlossen werden, daß die Gesetzesverfasser dieser Rechtsprechung, welche die hier diskutierte Rechtsfortbildung bejaht, zustimmen. Indes sind, wie bereits angedeutet,l21 auch amtliche Gesetzesbegründungen mit Vorsicht zu genießen. Sie können nicht einfach mit dem "Willen des Gesetzgebers" gleichgesetzt werden. Es handelt sich nämlich lediglich um die Vorstellungen von Einzelpersonen (Entwurfsverfassern, Ausschußmitgliedern), die im Gegensatz zum eigentlichen Gesetzestext nicht Gegenstand der Parlamentsabstimmung sind, wenn auch diejenigen, die dem Gesetz letztlich zustimmen, dies oftmals tun werden, weil sie die Begründung im ganzen überzeugt hat. 122 Erst recht kann man solche Anmerkungen kaum als verbindlich ansehen, die nicht Auslegungs- oder ZweckvorsteIlungen der Begründungsverfasser zum Ausdruck bringen, sondern, wie hier, Erläuterungen zum Standort des Gesetzesvorhabens in der übrigen Rechtsordnung geben bzw. die bereits bestehenden Rechtslage kommentieren. Ein Abgeordneter, der mit solchen Ausführungen nicht übereinstimmt, das Gesetz als solches aber dennoch billigt, wird sich durch sie nicht von einer Zustimmung abhalten lassen. Im übrigen zeigt auch die Tatsache, daß die Begründung nicht im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wird, daß in ihr enthaltene Anmerkungen keine formell-gesetzlichen Regelungen darstellen, die dem Gesetzesvorbehalt genügen könnten. Die Rechtsprechung, die eine Vollstreckbarerklärung in der freiwilligen Gerichtsbarkeit dennoch zuläßt, ist deshalb nach wie vor mit dem Grundgesetz

120

BTDrucks. 11/5315, 13

121

Oben Il1 2 a a. E.

122

Larenz 328 f.

46

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

nicht vereinbar. Die bisher nur von F. Baur / R. Stümer angedeuteten Bedenken l23 greifen also nach richtiger Ansicht durch.

VI. Vollstreckbarerklärung aufgrund von Staatsverträgen Eine Vollstreckung ausländischer fG-Entscheidungen ist deshalb nach geltendem Recht - von den ausdrücklich an die ZPO verweisenden Materien abgesehen - nur möglich, wenn sie im Einzelfall von zwischenstaatlichen Übereinkommen gedeckt ist. Gerade auf dem hier bedeutsamen Gebiet des Minderjährigenschutzes existieren mehrere Staatsverträge, denen die Bundesrepublik beigetreten ist. Zusätzlich kommen allgemeine Anerkennungs- und Vollstrekkungsübereinkommen in Betracht, deren Anwendbarkeit auf Fälle aus der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu untersuchen ist.

1. Multilaterale Abkommen

a) Der bekannteste unter den einschlägigen mehrseitigen Staatsverträgen ist das Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 05.10.1961 (Minderjährigenschutzabkommen, MSA). Es ordnet in Art. 7 S. 1 die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen durch die Vertragsstaaten an. Die Vollstreckbarerklärung wird hiervon jedoch ausdrücklich unterschieden; sie ist nach dem MSA nicht möglich (Art. 7 S. 2). b) Diese Lücke wird seit kurzem durch das Europäische Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses vom 20.05.1980 (Europäisches Überei1lkomme1l, EurÜbk) geschlossen. Es ist in der Bundesrepublik seit dem 01.02.1991 in Kraft; Vertragspartner sind z. Zt. Belgien, Dänemark, Frankreich, Irland, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, die Schweiz, Spanien, das Vereinigte Königreich und Zypern. Das Europäische Übereinkommen verpflichtet in Art. 7, 14 die Mitgliedsstaaten zur Bereitstellung eines Vollstreckbarerklärungsverfahrens. Mit § 7 I des hierzu ergangenen SorgeRÜbkAusfG l24 wird dieser Verpflichtung

123

S. oben Fn. 18

124

S. Fn. 65

VI. Vollstreckbarerklärung aufgrund von Staatsverträgen

47

durch ein vereinfachtes Klauselerteilungsverfahren genügt. Damit ist nunmehr entgegen der erwähnten Passage in der amtlichen Begründung: erstmals - eine einwandfreie Ennächtigungsgrundlage vorhanden. Anwendungsbereich, Voraussetzungen und Verfahren sollen kurz skizziert werden. aa) Der persönliche Anwendungsbereich ist gemäß Art. 1 b EurÜbk auf Kinder unter 16 Jahren beschränkt. Was eine Sorgerechtsentscheidung im Sinne des Europäischen Übereinkommens ist, ist in Art. 1 c definiert. Danach fallen nur Anordnungen bezüglich der Personensorge darunter, diese jedoch umfassend (insbesondere einschließlich solcher über das Aufenthaltsbestimmungs- und das Umgangsrecht; zu letzteren s. auch Art. 11 EurÜbk). Auch Maßnahmen wie z. B. das erwähnte Umgangsverbot an fremde Personen betreffen die Sorge für die Person des Kindes (vgl. § 163211 BGB). Somit sind alle derzeit denkbaren vollstreckungsfähigen Entscheidungen aus dem Bereich der fG-Fürsorgesachen umfaßt. bb) Die materiellen Voraussetzungen für eine positive Entscheidung sind leider recht kompliziert - in den Art. 8 - 10 EurÜbk geregelt. Grundgedanke ist, daß die Vollstreckbarerklärung umso leichter zu erlangen sein soll, je stärker die Beziehung des Falles zum Entscheidungsstaat ist und je früher der Antrag gestellt wird. 125 Diese gewollte Abstufung wird jedoch durch Vorbehaltsmöglichkeiten (Art. 17 I) wieder abgeschwächt, von denen teilweise leider auch die Bundesrepublik Gebrauch gemacht hat. (1) Der am weitesten gehende Art. 8 TI EurÜbk will die Vollstreckbarerklärung einer Kindesherausgabeentscheidung ohne Prüfung verfahrensrechtlicher oder sachlicher Voraussetzungen ennöglichen. Er findet Anwendung, wenn das Kind aus dem ausländischen Vertragsstaat nach Deutschland "entführt" wurde, die gesamte Familie nur diesem Staat angehörte (I a) und der Antrag binnen 6 Monaten nach der "Entführung" gestellt ist (I b).

(2) In derselben Konstellation, allerdings bei gemischt-nationaler Familie, sind gemäß Art. 9 I EurÜbk bereits einige Versagungsgründe aus dem Bereich des Verfahrensrechts zu beachten. Es handelt sich einmal um Fälle, in denen das rechtliche Gehör des Antragsgegners beeinträchtigt war (a) oder die internationale Zuständigkeit fehlte (b). Zum anderen kann eine entgegenstehende, vor der ,,Entführung" ergangene deutsche Entscheidung die Vollstreckung aus der ausländischen verhindern (c). Letzteres gilt jedoch nicht, wenn das Kind in dem Jahr vor der "Entführung" in dem Entscheidungsstaat gelebt hat.

\25

MüKo I Siehr (Ergänzungsband) Rn. IIU31, IIU34 nach Art. 19 EGBGB

48

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

(3) Alle übrigen Fälle fangt Art. 10 I EurÜbk auf: Sachverhalte, in denen keine "Entführung" erfolgte oder diese mehr als 6 Monate zurückliegt, sowie andere als Kindesherausgabeanordnungen. Art. 10 I verweist auf die Ablehnungsgründe des Art. 9 I und hält darüber hinaus umfangreiche eigene - und zwar teilweise materiellrechtliche - bereit. Der Verstoß der Entscheidung gegen den deutschen ordre public (a) zählt ebenso hierzu wie ihre nachträgliche offensichtliche Unvereinbarkeit mit dem Kindeswohl, die auch auf bloßem Zeitablauf beruhen kann (b). Auch bestimmte Inlandsbezüge (c) und sogar entgegenstehende Entscheidungen aus Drittstaaten (d) können die Vollstreckung verhindern. (4) Aufgrund eines deutschen Vorbehalts (§ 7 IV SorgeRÜbkAusfG) sind die Ablehnungsgründe des Art. 10 I a und b EurÜbk auch auf die Fälle der Art. 8 und 9 ausgedehnt worden. Die generelle Berücksichtigung des ordre public ist zur Erhaltung rechtsstaatlicher Standards sicherlich zu rechtfertigen. Ob das auch für den Einwand des Zeitablaufs gilt, ist bei Anträgen, die innerhalb von 6 Monaten nach einer ,,Entführung" gestellt sind, sehr zweifelhaft. Der deutsche Vorbehalt wird insoweit mit "inzwischen entstandenen Grundrechtspositionen des Kindes" begründet. 126 Dieses Argument ist durchaus nicht zwingend, da auch Grundrechte nicht schrankenlos gelten und eine vorbehaltlose Ratifizierung des Abkommens eine unbedenkliche formell-gesetzliche Einschränkung dargestellt hätte. Wie dem auch sei, der Vorbehalt ist erfolgt und der Ablehnungsgrund des Zeitablaufs wird von Antragsgegnern bevorzugt geltend gemacht werden. Um so wichtiger ist es, den Begriff der "Offensichtlichkeit" zu beachten, d. h. den Versagungstatbestand eng auszulegen. 127 cc) Zum Verfahren: CI) Sachlich zuständig für die Vollstreckbarerklärung nach dem EurÜbk ist gern. § 5 SorgeRÜbkAusfG stets das Familiengericht. Eine Abweichung gegenüber der normalen Zuständigkeit im Erkenntnisverfahren bedeutet das für diejenigen Fälle, die ansonsten dem Vormundschaftsgericht zugewiesen wären, also beispielsweise Herausgabeverlangen gegen Dritte (vgl. § 1632 III 1. Hs. BGB). In örtlicher Hinsicht ist der Aufenthalt des Kindes, hilfsweise der Ort des Fürsorgebedürfnisses maßgeblich. Ist jedoch zwischen Eltern, die um die Herausgabe eines gemeinsamen Kindes streiten, bei Antragseingang eine Ehesache anhängig, so ist das betreffende Familiengericht ausschließlich zuständig

126

BTDrucks. 11/5315, 13

So schon für die ursprünglichen Fälle des Art. 10 EurÜbk BTDrucks. 11/65 (sog. EuroparatsBericht zum EurÜbk, Nr. 49); MüKo I Siehr (Ergänzungsband) Rn. 111/42 nach Art. 19 EGBGB 121

VI. Vollstreckbarerklärung aufgrund von Staatsverträgen

49

(§§ 6 I 1 2. Hs. SorgeRÜbkAusfG, 621 11 I ZPO). Fraglich ist, ob die perpe-

tuatio fori, die § 5 SorgeRÜbkAusfG anordnet, auch dann gilt, wenn der letztgenannte Fall nachträglich eintritt. Die Frage ist zu bejahen,128 da § 621 III I ZPO, der die Abgabe an das Gericht der Ehesache anordnen würde, gerade nicht in Bezug genommen ist. 129 Die funktionelle Zuständigkeit stellt § 14 11 RPflG klar: es hat stets der Richter tätig zu werden. Unabhängig von der Zuständigkeit der Gerichte sieht Art. 2 I EurÜbk die Errichtung einer zentralen Behörde vor, zu der § 1 S. 1 SorgeRÜbkAusfG den Generalbundesanwalt bestimmt hat. Diese Behörde soll u. a. den Antrag auf Vollstreckbarerklärung entgegennehmen und weiterleiten (Art. 4 I, 5 I c EurÜbk, § 3 11 SorgeRÜbkAusfG). Ob der Antrag trotzdem auch bei dem zuständigen Familiengericht direkt angebracht werden kann, ist nicht geregelt. In Art. 9 11 EurÜbk und in der amtlichen Begründung zum SorgeRÜbkAusfG 130 ist diese Möglichkeit angedeutet. Sie ist zu befürworten, 131 da das gesamte EurÜbk auf ein möglichst zügiges Vorgehen ausgerichtet ist (vgl. Art. 14) und die Einrichtung der zentralen Behörde für den ausländischen Antragsteller eine Erleichterung und keine Erschwerung bedeuten soll. Der Antragsteller schneidet sich lediglich die Möglichkeit ab, von Art. 8 Gebrauch zu machen, da dieser (I b) den Antrag bei der zentralen Behörde unabdingbar (Art. 9 11 e. contrario) voraussetzt. Angesichts der deutschen Vorbehalte ist das jedoch ein belangloser Nachteil. (2) Das weitere Verfahren richtet sich nach den Grundsätzen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, wie sich aus §§ 6 I 1 2. Hs. SorgeRÜbkAusfG, 621a I 1 ZPO ergibt und auch sinnvoll 132 ist. Anlaß zu Zweifeln bietet die Frage, ob dem Antragsgegner sowie dem betroffenen Kind Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt werden muß. In der Literatur wird behauptet, die §§ 50a f. FGG, die Anhörungspflichten statuieren, seien entsprechend dem Beschleunigungszweck des EurÜbk "aufgehoben".133 Eine derartige Außerkraftsetzung unliebsamer

128

BTDrucks. 1115315, 12

129

Rahm 1 Künkel 1 Schneider Rn. IlU598

130

BTDrucks. 11/5315, 12: " ... bei nicht über die zentrale Behörde gestellten Anträgen"

So auch BTDrucks. 11/5314, 65 (Europarats-Bericht Nr. 44), Mansei SorgeR 2178; a. A. MüKo 1 Hinz Rn. 40d zu § 1632 (jedoch ohne Begründung sowie mit Zitat, das sich nur auf das HEntfÜbk bezieht) 131

132

Vgl. oben 111 I b, V I

133

Rahm 1 Künkell Schneider Rn. IW607-

4 Krefft

50

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

gesetzlicher Bestimmungen ist - wenn auch leider gelegentlich praktiziert l34 dem deutschen Recht indes fremd. Das gilt umso mehr. als das Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG) betroffen ist. Richtigerweise ist daher der amtlichen Begründung zum SorgeRÜbkAusfG zu folgen. die eine Beteiligung des Antragsgegners grundsätzlich für erforderlich hält. l3S aufgrund der gebotenen Eile jedoch den Verzicht gern. § 50a m 1 FGG nahelegt. 136 Die Anhörung des Kindes ist speziell für den Versagungsgrund des Art. 10 I b EurÜbk ausdrücklich vorgesehen (Art. 15 I a); daneben bleibt aber nach richtiger Ansicht § 50b FGG anwendbar. Er bietet für den Einzelfall ebenfalls eine Verzichtsmöglichkeit (illl). Im übrigen schlägt die amtliche Begründung die entsprechende Anwendung einiger Normen des AV AG 137 vor. soweit das SorgeRÜbkAusfG und das FGG keine Vorschriften bereithalten. 138 Danach kann z. B. der Wortlaut der Vollstreckungsklausel - in Anlehnung an § 8 I AVAG - wie folgt gefaßt werden: "Vollstreckungsklausel nach § 7 SorgeRÜbkAusfG. Die Zwangsvollstrekkung aus dem ... des ... (Az.: ... ) zugunsten des ... gegen ... ist zulässig. Die zu vollstreckende Entscheidung lautet in deutscher Sprache: •... '" Gemäß Art. 11 TI kann dabei eine zu unbestimmt tenorierte Umgangsregelung präzisiert oder ergänzt werden. 139 (3) Als einziges Rechtsmittel sieht § 8 TI 1 SorgeRÜbkAusfG die sofortige Beschwerde zum OLG gern. § 22 FGG vor. Daraus folgt. daß die Entscheidung über die KlauseIerteilung in formelle Rechtskraft erwächst. Bereits vorher kann das Familiengericht jedoch die sofortige Vollziehung anordnen (§ 8 I 2 SorgeRÜbkAusfG).I40 c) Gleichzeitig mit dem EurÜbk ist das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980

134

z. B. bei §§ 54, 253 BGB

135

BTDrucks. 11/5315, 13

136

BTDrucks. 11/5315, 12

137 Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge in Zivil- und Handelssachen vom 30.05.1988 138 BTDrucks. 11/5315, 8, 13; so auch KKW / Zimmermann Rn. 11 zu § 16a sowie ManseI SorgeR 2178 139 Bei Vollstreckbarerklärungen nach deutschem innerstaatlichen Recht ist das streitig: dagegen Dömer AnE 157; dafür AG Kitzingen IPRax 1987, 178 (179 f.)

140 Zu weiteren Einzelheiten des Verfahrens s. ManseI SorgeR 2178; Rahm / Künkel / Schneider Rn. 111/60 1 ff.

VI. Vollstreckbarerklärung aufgrund von Staatsverträgen

51

(Haager Entjiihrungsübereinkommen, HEntfÜbk) ratifiziert worden und in Kraft getreten. Hierbei handelt es sich jedoch um ein Rechtshilfeabkommen, weIches die hier interessierende Problematik nicht zum Gegenstand hat.

d) Unter den allgemeinen, Anerkennung und Vollstreckung betreffenden Staatsverträgen ist das Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) zu nennen. Es hält mit Art. 31 I eine Rechtsgrundlage für die Exequierung in Form einer KlauseIerteilung bereit. Fraglich ist, ob das EuGVÜ auch fG-Sachen und hier insbesondere Entscheidungen in Sorgerechtsverfahren erfaßt. Letzteres ist allerdings z. Zt. nur für das Verhältnis zu den Staaten Griechenland und Italien interessant, da die übrigen Vertragspartner (Belgien, Dänemark, Frankreich, Irland, Luxemburg, die Niederlande und das Vereinigte Königreich) auch das EurÜbk ratifiziert haben und dieses als speziellere Regelung ohnehin vorginge. Art. 1 I 1 EuGVÜ stellt lediglich auf das Vorliegen einer Zivil- oder Handelssache, jedoch ausdrücklich nicht auf die Art der Gerichtsbarkeit ab. Damit fallen die privatrechtlichen Streitsachen der fG grundsätzlich unter den Anwendungsbereich des Abkommens. 141 Problematisch sind allerdings Entscheidungen, die denen nach der deutschen HausratV entsprechen, da Güterrechtsangelegenheiten gemäß Art. 1 11 Nr. I nicht vom EuGVÜ erfaßt werden. Die überwiegende Ansicht lehnt eine Anwendung auf Hausratsverteilungen ab. 142 Die Gegenmeinung will diese Entscheidungen eher dem Unterhaltsrecht zuordnen, auf das sich das EuGVÜ erstrecke. 143 Die zutreffende Abgrenzung liegt darin, die Zuerkennung wiederkehrender Leistungen für den laufenden Bedarf als Unterhalt, einmalige Vermögensauseinandersetzungen wie die Verteilung des Hausrats und der Ehewohnung dagegen als güterrechtlich zu qualifizieren. 144 Daher unterf.illt letztere nicht dem EuGVÜ. Ebenfalls nicht darunter fallen Zugewinnausgleichssachen entsprechend den deutschen §§ 53a FGG, 1382 f. BGB.

141 GeiSchü 1 Geimer §§ 19 XI. 107 VII; Grunsky EuGVÜ 2; IZVR-Hdb.1 Basedow (I) Rn. 11185; IZVR-Hdb. 1 Martiny (11112) Rn. 11133; Kropholler EZPR Rn. 11 zu Art. I 142 BL 1 Albers Rn. 2 zu Art. 1 EuGVÜ (Schlußanhang V CI); IZVR-Hdb. 1 Basedow (I) Rn. 11/104; MüKo 1 Winkler von Mohrenfels Rn. 260 zu Art. 17 EGBGB; Rahm 1 Künkell Paetzold Rn. VIIII700 (Fn. 4); StJ 1 Schlosser Rn. 24 zu § 621; Zöller 1 Philippi Rn. 77 zu § 621

4"

143

Jayme 50

144

Cramer-Frank 73

52

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

Für die verbleibenden Streitsachen verdrängt das EuGVÜ im Verhältnis zu den Vertragsstaaten die §§ 722, 723 ZPO. Die Tatbestände, die zu einer Ablehnung der Vollstreckbarerklärung führen, sind in Art. 3411 i. V. m. 27, 28 I, 59 EuGVÜ aufgezählt. Auch bezüglich des Verfahrens soll hier nur soviel gesagt werden, daß es sich nach den Art. 32 ff. EuGVÜ sowie den §§ 2 ff. AVAG richtet. Im übrigen wird auf die einschlägige Literatur verwiesen. 14S

Im Bereich der Fürsorgesachen ist wiederum Art. 1 11 Nr. 1 EuGVÜ zu beachten, der Angelegenheiten des Personenstandes, der Rechts- und Handlungsfähigkeit und der gesetzlichen Vertretung natürlicher Personen ausklammert. Insbesondere der Begriff des Personenstandes wird international - bei der Auslegung von Staatsverträgen ist diese Sichtweise entscheidend l46 - weiter verstanden als in Deutschland; er umfaßt unter anderem auch Angelegenheiten des Sorgerechts. 147 Kindesherausgabe- und ähnliche Anordnungen werden daher von der allgemeinen Auffassung zu Recht unter Art. 1 11 Nr. 1 subsumiert. 148 Sie können also nicht nach dem EuGVÜ für vollstreckbar erklärt werden. e) Weitgehend gleichlautend mit dem EuGVÜ ist das Luganer Abkommen vom 16.09.1968, das auch Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaft insbesondere Mitgliedsländer der Europäischen Freihandelszone (EFTA) - erfassen soll. Es ist bisher noch nicht in Kraft getreten. Für seinen sachlichen Anwendungsbereich gelten die Ausführungen zum EuGVÜ gleichermaßen; Entscheidungen in den privatrechtlichen Streitsachen (außer Hausratssachen) werden daher auch nach ihm vollstreckt werden können. Es ist zu erwarten, daß das Verfahren ebenfalls dem A VAG unterworfen wird. Räumliche Kollisionen mit dem EuGVÜ regelt Art. 54b des Luganer Abkommens. Während unter EG-

145 Zu den Versagungsgründen insbesondere: GeiSchü 1 Geimer §§ 138 ff.; IZPR-Hdb. 1 Martiny (111/2) Rn. II182 ff.; Kropholler EZPR zu Art. 27 f.; Nagel Rn. 745 ff.; zum Verfahren insbesondere: GeiSchü 1 Schütze §§ 158 f.. 163; IZVR-Hdb. 1 Wolff (111/2) Rn. IV/233 ff.; Kropholler EZPR zu Art. 31 ff.; Nagel Rn. 760 ff.; Schack IZVR Rn. 949 ff. 146

Palandt 1 Heldrich Rn. 7 vor Art. 3 EGBGB

147

Cramer-Frank 55; a. A. Oberloskamp Rn. 49 zu Art. 7

148 BGHZ 67. 255 (259); OLG Hamm FamRZ 1976. 528 (529); BTDrucks. 10/61, 42 (sog. Schlosser-Bericht [Anlage zur Denkschrift zum EuGVÜl. Nr. 51); Beitzke Sorgerechtsreg. 313; BL 1 Albers Rn. 2 zu Art. I EuGVÜ (Schlußanhang V C 1); BöhSie 1 Siehr Rn. 38 zu Art. 7 MSA; GeiSchü 1 Geimer § 21 2; IZVR-Hdb.1 Basedow (I) Rn. II199; Kropholler EZPR Rn. 21 zu Art. 1; MüKo 1 Gottwald IZPR Rn. 31 zu Art. I EuGVÜ; MüKo 1 Siehr Rn. 304 nach Art. 19 EGBGB; Rahm 1 Künkell Paetzold Rn. VIIII601; Roth ZwV 75; im Ergebnis auch Oberloskamp Rn. 52 zu Art. 7

VI. Vollstreckbarerklärung aufgrund von Staatsverträgen

53

Staaten das EuGVÜ vorgehen soll (I), tritt es zurück, wenn entweder der Entscheidungs- oder der Vollstreckungsstaat nicht der EG angehört (11).

2. Bilaterale Abkommen

Soweit die genannten mehrseitigen Abkommen nicht anwendbar sind sowie im Verhältnis zu Staaten, die ihnen nicht beigetreten sind, kommt möglicherweise die Vollstreckung aufgrund zweiseitiger Verträge in Betracht. a) Von den Ländern, mit denen Deutschland solche Verträge abgeschlossen hat, gehören Tunesien und Israel weder dem EurÜbk noch dem EuGVÜ an. Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tunesischen Republik über Rechtsschutz und Rechtshilfe, die Anerkennung und Vollstrekkung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 19.07.1966 (DTunV) stellt mit Art. 34 ff. i. V. m. 27 ff. und den §§ 5 I DTunVAusfG 149 , 1042a ff. ZPO ein Vollstreckbarerklärungsverfahren zur Verfügung. Unter den Begriff der Entscheidung in Zivilsachen fallen nach Art. 2711 1 DTunV ausdrücklich auch solche aus dem Bereich der fG. Sie müssen rechtskräftig (Art. 27 I) und dürfen nicht in einem "einseitigen Verfahren" ergangen (Art. 27 11 2) sein. Diejenigen Verfahren, die aus unserer Sicht privatrechtliche Streitsachen darstellen, fallen darunter (wobei die genannten Voraussetzungen jeweils im einzelnen zu prüfen sind). Das gilt auch für Hausratsverteilungen,ISO da Ehesachen in Art. 28 I 2. Hs. ausdrücklich zugelassen sind. Kindesherausgabe- und sonstige Sorgerechtsentscheidungen sind dagegen gemäß Art. 28 I 1. Hs. DTun V (',Familienstand"; in der maßgeblichen französischen Fassung: "Personenstand") ausgeschlossen. lsl Grundlage für die Vollstreckung nach dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 20.07.1977 (DIsrV) sind Art. 10 ff. i. V. m. 9 sowie neuerdings den §§ 3 ff. AVAG. Auch der DIsrV umfaßt grundsätzlich fG-Sachen (Art. 1,2 I 1), soweit es sich nicht um "einseitige" Verfahren handelt (Art. 2 I 2). Rechtskraft ist

149

Gesetz zur Ausführung des DTunV vom 29.04.1969

BTDrucks. 5/3167. 54 (Denkschrift zum DTunV); Ganske 149 (Fn. 79); Staudinger / Krophollee Rn. 337 zu Art. 19 EGBGB 150

151

Ausführlich hierzu eramer-Frank 51 ff.• 55

54

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

zwar grundsätzlich ebenfalls Voraussetzung (Art. 3), doch ist eine Sicherungsvollstreckung aus nicht rechtskräftigen Entscheidungen möglich (Art. 21). Wie das EuGYÜ erstreckt sich auch der DlsrY nicht auf Familien- und Personenstands- sowie Güterrechtsangelegenheiten (Art. 4 I Nr. 1). Damit sind Entscheidungen über die Hausratsverteilung, den Zugewinn sowie zur Realisierung des Sorgerechts für Kinder von ihm nicht erfaßt. b) Die Schweiz, Österreich, Norwegen und Spanien sind Vertragspartner des EurÜbk, aber nicht des EuGVÜ. Für den Bereich der privatrechtlichen Streitsachen der fG ist daher die Anwendbarkeit der mit diesen Ländern bestehenden bilateralen Abkommen zu prüfen. Ausdrücklich erwähnt und eingeschlossen werden fG-Sachen in Art. 1 I 1 DÖsty I52 und in Art. 1 I DSpany J53 • Der DNorwy I54 spricht nur von "Entscheidungen der Zivilgerichte ... ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung" (Art. 1 I, III 1), worunter aber die fG-Streitsachen gleichfalls zu subsumieren sind. 15s Nach dem DSchwy I56 muß die Entscheidung dagegen im "Prozeßverfahren" ergangen (sowie rechtskräftig) sein (Art. 1). Seine Anwendbarkeit auf fGSachen ist daher umstritten. 1S7 Sie ist zu bejahen, denn wenn der Begriff des Prozesses kraft ausdrücklicher Bestimmung sogar das Mahnverfahren einschließt (Art. 1: "Yollstreckungsbefehle"), dann muß das erst recht auch für die fG-Streitverfahren gelten.

152 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen vom 06.06.1959 153 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Spanien über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen sowie vollstreckbaren öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen vom 14.11.1983

154 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen vom 17.06.1977 155 BTDrucks. 9/66, 21 (Gemeinsamer Bericht der Unterhändler zum DNorwV); KKW 1 Zimmermann Rn. 11 zu § 16a 156 Abkommen zwischen dem Deutschen Reich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen vom 02.11.1929

157 Dafür: Beck 31; BöhSie 1 Siehr Rn. 40 zu Art. 7 MSA; KKW 1 Zimmermann Rn. 11 zu § 16a; MüKo 1 Gottwald IZPR Rn. 1 zu Art. 1 DSchwV; Oberloskamp Rn. 53 zu Art. 7; dagegen: OLG Stuttgart IPRax 1980, 233 (233); BL 1 Albers Rn. I zu Art. I DSchwV (Schlußanhang V B 1); GeiSchü 1 Geimer § 193 VIII (Fn. 48); Jonas DSchwV 3284; KalImann 6 f.; KKW 1 Kahl Rn. 67 zu § 2

VI. Vollstreckbarerklärung aufgrund von Staatsverträgen

55

Hausrats- und Zugewinnsachen sind im Verhältnis zu Österreich und zu Norwegen problematisch, da insoweit Ausschlüsse für Ehesachen bestehen (Art. 14 I Nr. 1 DÖstV, 3 Nr. 1 DNorwV). Österreich definiert Ehesachen genauso eng wie die deutsche ZPO (§ 606 I I), also ohne die sog. Folgesachen. Daher kann dieses Verständnis auch dem Abkommen zugrunde gelegt werden I58 ; es ist auf die genannten Rechtsgebiete anwendbar. 159 Für den DNorwV ist das dagegen streitig. l60 Zu beachten ist, daß der DNorwV für Unterhaltsentscheidungen einen eigenen Ausschlußtatbestand (Art. 4 I) vorsieht; dieser wäre überflüssig, wenn der Begriff "Ehe- und Familienstandssachen" die vermögensrechtlichen Folgen mitumfassen würde. Art. 3 Nr. I bezieht sich daher nach richtiger Ansicht nur auf reine Statusentscheidungen. Hausrats- und Zugewinnsachen sind also ebenfalls nicht von einem Ausschluß betroffen. Grundlagen für die Vollstreckbarerklärung sind - Art. 6 ff. i. V. m. 1 ff. DSchwV, I ff. DSchwV AusfVO l61 , §§ 1042a ff. ZPO; - Art. 5 ff. i. V. m. I ff. DÖstV, §§ I ff. DÖstVAusfG 162, 1042a ff. ZPO; - Art. 10 ff. i. V. m. 5 ff. DNorwV, §§ 3 ff. AV AG; - Art. 11 ff. i. V. m. 4 ff. DSpanV, §§ 3 ff. AVAG. c) Dem EuGVÜ, aber nicht dem EurÜbk gehören Italien und Griechenland an. Da das EuGVÜ für vom ihm nicht erfaßte Gebiete bilaterale Verträge ausdrücklich nicht verdrängt (Art. 56), können sie möglicherweise Grundlage für die Vollstreckbarkeit von Hausrats-, Zugewinn- und Sorgerechtsentscheidungen aus den beiden Staaten sein. Für den DItV I63 wird teilweise behauptet, das Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit sei von ihm überhaupt nicht erfaßt. 164 Diese Auffassung ist nicht

ISB

GeiSchü / Geimer Anm. I zu Art. 14 DÖstV

IS9

GeiSchü / Geimer Anm. VI 3 a zu Art. 1 DÖstV

160

Für Anwendung: BTDrucks. 9/66, 21 (Gemeinsamer Bericht) und wohl eramer-Frank 57,70;

161

Verordnung zur Ausführung des DSchwV vom 23.08.1930

162

Gesetz zur Ausführung des DÖstV vom 08.03.1960

dagegen: MüKo / Winkler von Mohrenfels Rn. 291 zu Art. 17 EGBGB (Fn. 540)

Abkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Italien über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 09.03.1936 163

164 BayObLGZ 1973, 345 (350); Grunsky EuGVÜ 2; Luther 12,15 f., 31; MüKo / Gottwald IZPR Rn. 2 zu Art. 1 OltV

56

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

zu begründen; es handelt sich schlicht um einen Unterfall der Zivilsachen. 165 Es bestehen auch keinerlei Ausschlußtatbestände für status- oder familienrechtliche Angelegenheiten. So steht der Vollstreckbarerklärung einer Hausrat, Ehewohnung oder den Zugewinn betreffenden Anordnung nach dem Staatsvertrag (Art. 6 i. V. m. 1 ff.) nichts entgegen. Seine Anwendbarkeit auf Sorgerechtsentscheidungen wird dagegen überwiegend abgelehnt, und zwar aufgrund der Begriffe "Streitigkeiten" in Art. 3 und "Anspruch" in Art. 4 11 1, die sich mit dem Fürsorgecharakter der betreffenden Entscheidungen nicht vertragen sollen. 166 Die Gegenansicht argumentiert, Fürsorge- und Kindeswohlgesichtspunkte könnten Parteiinteressen (= Elternrechte) auch in Sorgerechtsangelegenheiten nicht vollständig verdrängen. 167 An anderer Stelle wird das Kindesherausgabeverfahren als Streitsache bezeichnet, während das auf die Verteilung des Sorgerechts als solche nicht zutreffen soll. 168 Sicherlich kann man eine solche Differenzierung nicht sogleich von der Hand weisen; die Zuerkennung des Sorgerechts erfolgt nur aufgrund des Kindeswohls, während die Herausgabeentscheidung primär aufgrund des (gesetzlichen oder zuerkannten) Sorgerechts ergeht, auch wenn das Kindeswohl zum Schutz vor Sorgerechtsmißbrauch - nochmals (beschränkt)169 geprüft wird. Möglicherweise ist auch der Begriff des "Anspruchs" international in einem weiteren oder gar in einem prozessualen 170 Sinne zu verstehen. Dies alles braucht hier indes nicht entschieden zu werden. Daß Anordnungen zur Realisierung der elterlichen Sorge nicht nach dem DItV zu vollstrecken sind, ergibt sich nämlich aus der zu ihm erlassenen Ausführungsverordnung vom 18.05.1937. Deren Art. 2 verweist auf die §§ 1042b ff., 794 I Nr. 4a ZPO. Damit aber ist der Weg in das ZPO-Vollstreckungsrecht unweigerlich vorprogrammiert, so daß die obigen Ausführungen zu den §§ 722 f. ZPO hier

165 BGHZ 88, 113 (120 f.); BL / Albers Rn. 2 vor Art. 3 OItV (Schlußanhang VB 2); Enßlin 52; Jonas OItV 889; Staudinger / Kropholler Rn. 318 zu Art. 19 EGBGB; offenlassend Jansen Rn. 160 zu § I 166 BGHZ 88, 113 (121); BL / Albers Rn. 2 vor Art. 3 OltV (Schlußanhang VB 2); Henrich § 7 II 4 b bb; Rahm / Künkel/ Paetzold Rn. VIII/605; Staudinger / Kropholler Rn. 318. 319 zu Art. 19 EGBGB 167

Siehr Selbstjustiz 311

Cramer-Frank 93f., 95 (Fn. 20); auch Oberloskamp Rn. 49, 53 zu Art. 7; in anderem Zusammenhang bezeichnen BGHZ 40, I (6) und MüKo / Siehr Rn. 305 f. nach Art. 19 EGBGB ersteres als streitiges fG-Verfahren bzw. Streitsache; a. A. Roth ZwV 78; Staudinger / Kropholler Rn. 305,306 zu Art. 19 EGBGB; vgl. auch oben Fn. 34 168

169

Hierzu im einzelnen Palandt / Diederichsen Rn. 6 zu § 1632

170

So GeiSchü / Geimer Anm. VIa, VI 1 zu Art. 1 DÖstV

VI. Vollstreckbarerklärung aufgrund von Staatsverträgen

57

gleichermaßen gelten: die Vollstreckung unter der Herrschaft eines Gläubigers bei bloß ausführender Funktion der Staatsorgane ist zur Durchsetzung der fraglichen Entscheidungen ungeeignet. 171 Anders ausgedrückt, selbst wenn die fraglichen Entscheidungen unter das Abkommen als solches fielen, hätte Deutschland insoweit für seine Ausführung bisher kein passendes Verfahren zur Verfügung gestellt. Ein solches Verfahren mit eindeutiger Rechtsgrundlage ist aber nach den obigen Ausführungen l72 unentbehrlich. Dieselben Erwägungen gelten für den DGriechV 173 • Auch er hat daher nur für Hausrats- und Zugewinnsachen Bedeutung. 174 Sie können über Art. 6 i. V. m. 1 ff. DGriechV, §§ 1 ff. DGriechVAusfG 175 , 1042a ff. ZPO vollstreckt werden. d) Schließlich bestehen auch mit Staaten, die sowohl das EurÜbk als auch das EuGVÜ ratifiziert haben, zweiseitige Verträge, und zwar mit Belgien, dem Vereinigten Königreich und den Niederlanden. Sie sind nach dem Gesagten nur für die mögliche Vollstreckung von Hausrats- und Zugewinnentscheidungen interessant. Diese ist nach dem DBelgV 176 ohne weiteres möglich (Art. 1 III, 4). Auch der DBritV 177 schließt eherechtliche Angelegenheiten in seinen Anwendungsbereich ein (vgl. Art. 4 I c). Er läßt jedoch lediglich Zahlungstitel zur Exequierung zu (Art. 5 11 c), womit sein Wirkungsfeld wiederum sehr eingeengt ist, nämlich für die fG auf die Zugewinnstreitigkeiten (falls solche in Großbritannien existieren). Der DHoIIV 178 schließt in Art. 1 III b Ehe- und Familienstandssachen aus. Insoweit ist aber auf die Ausführungen zum

171

S. oben III 1 b

172

Oben IV 2 b sowie V 3

173 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen vom 04.11.1961 174 Im Ergebnis ebenso BTDrucks. 4/570. 10 (Denkschrif, zum DGriechV); Staudinger / Kropholler Rn. 312 zu Art. 19 EGBGB 175

Gesetz zur Ausführung des DGriechV vom 05.02.1963

Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Schiedssprüchen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen vom 30.06.1958 176

177 Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 08.03.1960 178 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen vom 30.08.1962

58

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

DNorwV zu verweisen; Hausrats- und Zugewinnsachen können also auch im Verhältnis zu den Niederlanden vereinfacht für vollstreckbar erklärt werden. 179 Das Verfahren richtet sich nach - Art. 6 i. V. m. 1 ff. DBelgV, §§ 1 ff. DBelgVAusfG I80 , 1042a ff. ZPO; - Art. 5 ff. i. V. m. 3 f. DBritV, §§ I ff. DBritVAusfG I81 , 1042a ff. ZPO; - Art. 6 i. V. m. 1 ff. DHollV, §§ 1 ff DHollVAusfG 182 • e) Die Wiedervereinigung Deutschlands im Oktober 1990 hat das Problem aufgeworfen, ob und inwieweit die von der ehemaligen DDR geschlossenen Staatsverträge weitergelten. Die DDR hatte mit fast allen ,,Bruderländern" sogenannte Rechtshilfeverträge unterhalten, die jedoch durchgängig auch Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ermöglich(t)en. Allen Verträgen ist gemeinsam, daß eine Vollstreckung nur für vermögensrechtIiche Entscheidungen vorgesehen ist (z. B. Art. 45 I 1 i. V. m. 44 S. 1 DDRAlbV I83 ). Somit wären sie für die privatrechtlichen Streitsachen der fG heranziehbar. Leider ist die Frage der Weitergeltung dieser Staatsverträge aufgrund des äußerst schwammigen Art. 12 des Einigungsvertrages z. Zt. völlig ungeklärt. Die Bestimmung bringt lediglich die Absicht zum Ausdruck, die Abkommen mit den jeweiligen Vertragspartnern zu "erörtern", um "ihre Fortgeltung, Anpassung oder ihr Erlöschen zu regeln bzw. festzustellen". Da in fast allen Partnerländem derzeit größere politische Umwälzungen vor sich gehen, spricht einiges dafür, daß dort auf absehbare Zeit andere Probleme Vorrang haben vor Konsultationen mit Deutschland über das Schicksal alter Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge. 184 Für die Übergangszeit wird vorgeschlagen, sich hauptsächlich an Kriterien des Vertrauensschutzes zu orientieren. Soweit es um individuelle Rechte ehemaliger DDR-Bürger geht, soll von einer Vermutung der Fortgeltung auszugehen

179

So auch BTDrucks. 4/2351, 16 oben (Gemeinsamer Bericht der Unterhändler zum DHolIV)

\BO

Gesetz zur Ausführung des DBelgV vom 26.06.1959

\8\

Gesetz zur Ausführung des DBritV vom 28.03.1961

\82

Gesetz zur Ausführung des DHollV vom 15.01.1965

Vertrag zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Volksrepublik Albanien über die Rechtshilfe in Zivil-, Familien- und Strafsachen vom 11.01.1959 \83

\&4 Lt. MüKo I Gottwald Rn. 36b zu § 328 ZPO soll sich jedoch mittlerweile überwiegend ein Erlöschen der Verträge abzeichnen.

59

VII. Zusammenfassende Übersicht

sein. ISS Ob das Vertrauen auf die Möglichkeit einer Vollstreckbarerklärung schutzwürdig sein kann, ist bereits fraglich. Jedenfalls handelt es sich um ein so unbestimmtes Kriterium, daß dem Gesetzesvorbehalt damit keineswegs genügt sein kann. Eine Vollstreckbarerklärung kann deshalb nach den Staatsverträgen der Ex-DDR im Moment nicht erfolgen, sondern nur dann, wenn ihre Gültigkeit im Einzelfall durch formelles Gesetz festgestellt werden sollte.

Vll. Zusammenfassende Übersicht Welche fG-Entscheidungen aus welchen Staaten in Deutschland für vollstreckbar erklärt werden können, sei in der folgenden Tabelle nochmals zusammengestellt:

Staat

Sorgerechtsregelungen

Hausrat, Zugewinn

sonstige Streitsachen

Belgien Dänemark Frankreich Griechenland Irland Israel Italien Luxemburg Niederlande Norwegen Österreich Portugal Schweden Schweiz Spanien Tunesien

EurÜbk EurÜbk EurÜbk

DBelgV § 722 ZPO § 722 ZPO DGriechV § 722 ZPO § 722 ZPO DItV § 722 ZPO DHolIV DNorwV DÖstV § 722 ZPO § 722 ZPO DSchwV DSpV DTunV

EuGVÜ EuGVÜ EuGVÜ EuGVÜ EuGVÜ DIsrV EuGVÜ EuGVÜ EuGVÜ DNorwV DÖstV § 722 ZPO § 722 ZPO DSchwV DSpV DTunV

185

Drobnig 80

EurÜbk

EurÜbk EurÜbk EurÜbk EurÜbk EurÜbk EurÜbk EurÜbk EurÜbk

60

A. Die Erlangung der Vollstreckbarkeit

Staat

Sorgerechtsregelungen

Hausrat, Zugewinn

sonstige Streitsachen

Verein. Kgr.

EurÜbk EurÜbk

DBritV I86 § 722 ZPO § 722 ZPO

EuGVÜ § 722 ZPO § 722 ZPO

Zyp~rn

übrige

VIß. Behandlung der nicht erlaßten Fälle Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Durchsetzung von Sorgerechtsentscheidungen aus den meisten Staaten der Welt in Deutschland nicht möglich. Den hiervon betroffenen Beteiligten (Elternteilen) bleibt daher nur die erneute Durchführung eines Erkenntnisverfahrens vor den deutschen fG-Gerichten mit dem Ziel einer gleichlautenden, aber vollstreckbaren Entscheidung. Auch dies ist indes nicht ganz unproblematisch, wenn die ursprüngliche Entscheidung die Anerkennungsvoraussetzungen nach § 16a FGG erfüllt, also hier als wirksam anzusehen ist. Nach allgemeiner Auffassung schließt nämlich das Vorliegen einer wirksamen Entscheidung ein zweites, auf Wiederholung der Erstentscheidung gerichtetes Verfahren regelmäßig aus. Dies ist eine Ausprägung der materiellen Rechtskraft - sofern vorhanden -, kann aber anderenfalls auch mit einem allgemeinen Grundsatz des Verfahrensrechts (ne bis in idem) oder dem Fehlen des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses begründet werden. 187 Die neuere Rechtsprechung und ein Teil der Lehre wollen jedoch von diesen Grundsätzen eine Ausnahme machen, sofern es sich bei der ersten Entscheidung um eine ausländische handelt. Dadurch soll dem Umstand Rechnung getragen werden, daß die Anerkennungsfähigkeit oftmals nur schwer zu beurteilen sei und die Entscheidung im Rechtsverkehr daher nicht dieselbe Verbindlichkeit genieße wie eine deutsche. Deshalb sei ein legitimes Rechtsschutzinteresse für eine inhaltsgleiche Zweitentscheidung vorhanden. 188 Gegen diese Auffassung spricht jedoch, daß die Anerkennung im Bedarfsfall auf Antrag gerichtlich

186

Nur für Zahlungstitel; sonst § 722 ZPO

187

BGH NJW 1964, 1626 (1626); Schäfer 83; ZöHer I VoHkommer Rn. 18 f. vor § 322

BGH IPRax 1987, 317 (317); NJW 1987, 1146 (1146); 1964. 1626 (1626); OLG Hamm FamRZ 1991.718 (718); ManseI AbÄ 301; Roth ZwV 79; Schack IZVR 887; Staudinger I Coester Rn. 223 zu § 1671; Thomas I Putzo Anm. 4 b zu § 322; differenzierend Baumann 29 sowie MüKo I Gottwald Rn. 45, 54 zu § 322 ZPO 188

VII. Zusammenfassende Übersicht

61

festgestellt werden kann. 189 Eine solche Feststellung verursacht nicht mehr Aufwand als eine Neuentscheidung. Auch bei letzterer ist nämlich die Anerkennungsfrage inzident zu prüfen, da die inhaltliche Bindung von ihrer Bejahung abhängt. Die Feststellung ist aber die dogmatisch sauberere Lösung: die Anerkennung wird - anders als bei einer Neuentscheidung - im Entscheidungstenor ausgesprochen und damit verbindlich klargestellt. Eine Entscheidungsverdopplung, die stets die Gefahr von Widersprüchen (z. B. aufgrund von Übersetzungsungenauigkeiten) und ggf. einer doppelten Inanspruchnahme des unterliegenden Teils mit sich bringt, wird vennieden. Daher besteht auch in Auslandsfallen nach richtiger Ansicht grundsätzlich kein Rechtsschutzbedürfnis für ein neues Verfahren mit identischem Ziel. l90 Etwas anderes ergibt sich aber, wenn es um die Vollstreckung geht. Wie bereits ausgeführt, 191 ist die Vollstreckbarkeit eine der Anerkennung nicht zugängliche Entscheidungswirkung; sie muß gesondert verliehen werden. Ist das wegen Fehlens eines entsprechenden Verfahrens ebenfalls nicht möglich, so kann eine Durchsetzung nicht erfolgen. Dann aber besteht der einzige Weg, dem - vom deutschen Recht ja für verbindlich gehaltenen - Leistungsbefehl zwangsweise Geltung zu verschaffen und damit eine verfassungswidrige Rechtsverweigerung zu venneiden, in dem Erlaß einer neuen, inhaltsgleichen Entscheidung. 192 Das Rechtsschutzbedürfnis hierfür (bzw. ein Grund zur Durchbrechung der Regel ne bis in idem)193 ist deshalb zu bejahen, wenn die Notwendigkeit einer Vollstreckung abzusehen ist.

189 S. oben Fn. 61: ohne Begründung verneinend MüKo / Winkler v. Mohrenfels Rn. 159 zu Art. 17 EGBGB

OLG Karlsruhe FamRZ 1984.819 (819 f.); OLG Hamm StAZ 1975.275 (276); BayObLGZ 1959, 8 (27 f.); LG Münster NJW 1980. 534 (535); IZVR-Hdb. / Martiny (III/I) Rn. 1/1618. 1/1620; Koussoulis 215; Leipold FS 190 Fn. 4 a. E.; Linke Rn. 359; Rosenberg / Schwab §§ 152 IV I b, 158 I 5; Schütze 173; StJ / Schumann Rn. 8, 29 zu § 328; Zöller / Geimer Rn. 30 zu § 328 190

191

Oben IV

192

Koussoulis 215; vgl. auch IZVR-Hdb. / Martiny (III/I) Rn. 1/1618 a. E.

193

Vgl. Zöller / Vollkommer Rn. 20a vor § 322

B. Die Abänderung der ausländischen Entscheidung Betreibt ein Beteiligter die Durchsetzung einer im Ausland ergangenen fGEntscheidung, so wird der hiervon Betroffene sich oftmals nicht mit der bloßen "Verteidigerrolle" zufrieden geben. In vielen Fällen hat er sich ja (zumindest auch) deshalb nach Deutschland begeben, weil er darauf hofft, daß das hiesige materielle Recht für ihn günstiger ist als das des Entscheidungsstaates. In einem Verfahren, in dem es nur um die Durchsetzung des ausländischen Titels geht, nützt ihm das materielle deutsche Recht indes regelmäßig wenig, da es - bis zur Grenze des ordre public - gerade außer Betracht bleibt. Selbst eine Überprüfung der Entscheidung am zugrundegelegten ausländischen Recht (revision aufond) erfolgt allenfalls mit Hinblick auf schwerwiegende Verfahrensmängel (z. B. nach Art. 9 I a, b EurÜbk), nicht dagegen auf materielle Normen (Art. 9 III EurÜbk, § 723 I ZPO). Daher wird der Betroffene oftmals seinerseits ein Verfahren anzustrengen suchen, um die Entscheidung als solche anzugreifen. Das kann einmal ausdrücklich geschehen, indem er sich an das zuständige deutsche Gericht wendet mit dem Antrag, die ausländische Entscheidung "aufzuheben" oder "abzuändern". Dieselbe Absicht kann er aber auch mit einem gewöhnlichen Sachantrag verfolgen, der auf eine konträre oder abweichende Entscheidung zielt und in dem die Existenz der Vorentscheidung vielleicht sogar verschwiegen wird.] So kann er etwa auf (erneute) Hausrats- oder Sorgerechtsverteilung antragen oder auch auf die bloße Feststellung, daß er zur Herausgabe seines Kindes nicht verpflichtet sei. Die Frage, ob ein solches Vorgehen möglich ist und wenn ja, welches Recht über die Autbebung, Abänderung oder Neuentscheidung befindet, ist in Literatur und Rechtsprechung bereits mehrfach ausführlich erörtert worden. Dennoch herrscht hier immer noch große dogmatische Unsicherheit. Deshalb und als Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen sind ein kurzer Überblick sowie eine Darstellung des eigenen Standpunkts erforderlich.

I

Vgl. hierzu unten VII

H. Maßgebliches Abänderungsstatut

63

I. Zulässigkeit der Abänderung Die Frage, ob ein deutsches Gericht die Entscheidung eines ausländischen ändern könne, wurde in der älteren Vergangenheit überwiegend verneint. Die Abänderung wurde als unzulässiger Eingriff in die Souveränität des Entscheidungsstaates angesehen? Diese Auffassung ist inzwischen überholt. Man hat nämlich erkannt, daß nicht die Entscheidung selbst in ihrem Bestand angetastet wird: dazu fehlt dem deutschen Gericht bereits das ,,rechtliche Können". Vielmehr werden nur die Wirkungen, die das deutsche Recht der Entscheidung für seinen Geltungsbereich beigelegt hat (= Anerkennung), modifiziert, ganz oder zum Teil "zurückgenommen". Da es aber weder eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Anerkennung (abgesehen von Staatsverträgen)3 gibt, noch die einmal erfolgte bzw. durch gerichtliche Feststellung bestätigte Anerkennung für den fremden Staat einen ,.Bestandsschutz" begründet, kann auch ihre nachträgliche Einschränkung oder Aufhebung nicht in dessen Rechte eingreifen. Die Zulässigkeit der Abänderung ist daher mit der heute herrschenden Ansicht4 zu bejahen.

ll. Maßgebliches Abänderungsstatut Schwieriger ist die Frage zu beurteilen, welchem Recht die Abänderung unterliegt, ob sie also im Einzelfall überhaupt möglich ist, welche Voraussetzungen vorliegen müssen und ggf. ob sie mit Rückwirkung auf einen vergangenen Zeitpunkt erfolgen kann. Hierfür stehen das Recht des Entscheidungsstaates, das von unserem IPR berufene Sachstatut oder deutsches Recht als lex tori zur Auswahl.

2 RGZ 116, 193 (194); OLG Frankfurt FamRZ 1956,385 (387); Pagenstecher 407; Riezler 205 f.; Swoboda 73

3

Dazu unten VI

• BGH IPRax 1987,317 (318); NJW 1983, 1976 (1977); LG Bremen NJW 1954, 1768 (1768); Bäemann § 2514; Bassenge / Herbst Anm. 1 c zu § 16a; Beitzke Sorgerechtsreg. 314; BuWi / Bumiller Anm. 4 zu § 16a; Enßlin 136 f.; Georgiades 194 ff.; Habscheid § 30 I 4; IZVR-Hdb./ Martiny (HU1) Rn. U154. U304 ff.; KKW / Zimmermann Rn. 10 zu § 16a; Jarck 298; Leipold FS 189 f.; Mansei AbÄ 300; Matsumoto 7 f.; MüKo / Schwimann Rn. 97 zu Art. 19 EGBGB; Roth ZwV 79; Schlosser 121 f. (mit abweichender Begründung: kein Interesse des fremden Staates an Bestand privatrechtlicher Entscheidung); SpeIlenberg 304

64

B. Die Abänderung der ausländischen Entscheidung

Die erste Möglichkeit (d. h. Abänderung nach dem Recht des Entscheidungsstaates) wird heute nicht mehr vertreten,5 nachdem der BGH sie 1983 ausdrücklich abgelehnt6 hat. Wie soeben gesagt, sind wir frei darin, die Anerkennung einer Auslandsentscheidung (teilweise) rückgängig zu machen, ebenso wie wir sie ihr von vornherein versagen könnten. So wie die Anerkennung (natürlich) deutschem Recht unterliegt, so muß es im Ausgangspunkt auch bei ihrer Rückgängigmachung sein. Freilich könnten wir für die Voraussetzungen einer solchen Rückgängigmachungjreiwillig, d. h. durch unser IPR, eine ausländische Rechtsordnung berufen. Kollisionsnormen, die eine fremde lex fori gerade als solche berufen, sind dem deutschen Recht indes unbekannt. Daher ist es im Ergebnis zutreffend, für das Abänderungsstatut nicht an den Ort des Ursprungsgerichts anzuknüpfen. Ob der zweiten oder der dritten Auffassung (Sachstatut oder deutsche lex fori) zu folgen ist, hat der BGH damals ausdrücklich offengelassen. 7 Die Antwort hängt von der Qualifikation der Abänderung ab: handelt es sich um materiellrechtliches Institut, so sind die Abänderungsnormen des in der Sache berufenen Rechts anzuwenden, handelt es sich dagegen um ein prozeßrechtliches, die der deutschen lex fori. 8 Die materiellrechtliche Qualifikation scheint im Vordringen begriffen zu sein,9 auch wenn sie nur selten wirklich begründet wird. Angeblich erspart sie dem Rechtsanwender das "Auseinanderreißen" einer "organischen Einheit'.w aufeinander abgestimmter Normen. Das ist nicht nur bequem, sondern soll auch eine "Verfälschung des berufenen Sachrechts" verhindern ll und klingt deshalb sehr überzeugend - zumal für die freiwillige Gerichtsbarkeit, wo die "enge Verzahnung von materiellem und Verfahrensrecht" ohnehin gern beschworen wird. Weiter läßt sich ins Feld führen, daß nicht nur viele aus-

5

Zuletzt wohl Enßlin 138 f.

6

BGH NJW 1983, 1977 (1978)

7

BGH NJW 1983, 1976 (1977)

Der Grundsatz, daß prozeßrechtliche Fragen der lex Jori unterliegen, soll in dieser Arbeit nicht in Frage gestellt werden. Gegen alle neueren Tendenzen, das lexJori-Prinzip aufzuweichen, Leipold Vortrag 25 ff., insbes. 28 f., dem ich mich insoweit vollinhaltlich anschließe. 8

9 Z. B. OLG Bamberg NJW-RR 1990, 774 (774); OLG Düsseldorf FamRZ 1982, 631 (633); Henrich 172; Kartzke 106; KKW I Zimmermann Rn. 10 zu § 16a; Kropholler AbÄ 109, 112; Mansei AbÄ 299; Matsumoto 45 ff.; MüKo I Schwimann Rn. 97 zu Art. 19 EGBGB; Palandt I He1drich Rn. 16 zu Art. 19 EGBGB; Siehr AbÄ 946; SpeIlenberg 308 (rechts); unklar MüKo I Gottwald Rn. 91, 94 ff. zu § 323 ZPO

10

Kropholler AbÄ 110

11

Kropholler AbÄ 110

11. Maßgebliches Abänderungsstatut

65

ländische Staaten die Abänderbarkeit von Entscheidungen im materiellen Gesetzen regeln, sondern teilweise auch das deutsche Recht (§ 1696 BGB). Ursprünglich befanden sich sogar noch mehrere andere Abänderungsnormen im bürgerlichen Recht, als deren Zusammenfassung dann der heutige § 323 ZPO entstand. 12 Indes lassen sich materielles und Verfahrensrecht sehr wohl sauber voneinander abgrenzen, mag dies auch manchmal nicht ganz einfach sein. Es ist schlicht falsch, wenn z. B. behauptet wird, § 323 ZPO räume einem nachträglich eingetretenen Tatbestand Einfluß auf Bestand oder Höhe der schuldrechtlichen Verpflichtung ein '3 oder setze umgekehrt der materiellrechtlichen Wandelbarkeit der Anspruchshöhe eine Grenze, indem nur bei wesentlichen Änderungen neu geklagt werden könne. '4 Vielmehr verändern sich die jeweiligen Ansprüche (z. B. auf Unterhalt) ganz von selbst,'5 denn die einschlägigen BGB-Anspruchsgrundlagen stellen ja regelmäßig nicht auf di~ Verhältnisse in einem bestimmten (Anfangs-)Zeitpunkt ab. § 323 ZPO ist lediglich als Korrektiv gegen die Möglichkeit erforderlich, eine bestimmte Höhe für die Zukunft vom Gericht titulieren zu lassen. '6 Diese Möglichkeit, die sich aus § 258 ZPO ergibt, führt aber ebenfalls nicht zu einer Festschreibung des Anspruchs als solchem, wie früher angenommen wurde ("materiellrechtliche Rechtskrafttheorie")I7. Vielmehr betrifft sie nur seine prozessuale Durchsetzbarkeit, weshalb auch das Korrektiv der Abänderbarkeit des Titels (zwecks Anpassung desselben an die wahre, gewandelte Rechtslage) nur prozessualer Natur und nicht etwa ein "Wesenszug der Verpflichtung selbst,,'8 sein kann.

12

RGZ 140, 167 (170)

So RGZ 140, 167 (171); ähnlich MüKo I Gottwald Rn. 4 zu § 323 ZPO, wonach die Vorschrift eine Anpassung ..des [materiellen] Anspruchs" erlauben soll, die ebensogut über das Institut der Geschäftsgrundlage erfolgen könnte 13

14

So Kropholler AbÄ 110

IS

Leipold PS 201, 203

16

Roth Prognose 1234

Z. B. zur Zeit der Entscheidung RGZ 140, 167 ff.• die daher auf dieser Grundlage konsequent ist. Nachweise zur materiell rechtlichen Rechtskrafttheorie bei Rosenberg I Schwab § 152 II 1 17

18

So Siehr AbÄ 946

S Krem

66

B. Die Abänderung der ausländischen Entscheidung

So verpflichten die einschlägigen Normen auch nicht den Anspruchsgegner zur Abänderung,19 sondern das Gericht zum Erlaß einer entsprechenden neuen Entscheidung. Daß aber eine Norm, die einen Hoheitsträger gerade als solchen berechtigt oder verpflichtet, öffentlichrechtlicher Natur ist, also nicht zum materiellen Privatrecht gehören kann,2° ist heute wohl gesicherte Erkenntnis. In welchem Gesetz die Norm steht, spielt dabei keine Rolle. Beispielsweise würde wohl niemand § 1788 BGB, der das Vormundschaftsgericht zur Verhängung von Zwangsgeldern berechtigt, materiellrechtlich qualifizieren. Zuweilen enthält das BGB sogar materielles und Verfahrensrecht in ein und demselben Paragraphen. So besagt z. B. § 1671 BGB einerseits, daß das Sorgerecht über Kinder geschiedener Eltern demjenigen Teil zusteht, bei dem das Kindeswohl am besten gewährleistet ist (= materielles Recht). Insoweit besteht keine Fixierung auf einen bestimmten Zeitpunkt wie z. B. den des Scheidungsurteils; das Merkmal ist wandelbar. Andererseits wird angeordnet, daß die Sorge diesem Elternteil anläßlich der Scheidung durch eine Gestaltungsentscheidung des Gerichts zu übertragen ist (= Verfahrensrecht). Ebenso wie bei § 258 ZPO ist also auch hier eine Zukunftsentscheidung aufgrund der Beurteilung in einem bestimmten Zeitpunkt vorgesehen; als Korrektiv dient anstatt § 323 ZPO hier § 1696 BGB. Er ermöglicht die Anpassung des verbindlichen Richterspruchs an die materielle Rechtslage, weil sie sich (wie gesagt, ipso jure) gewandelt hat oder weil - anders als bei § 323 ZPO - schon damals vorliegende Tatsachen nachträglich bekannt geworden sind. 21 Auch auf vielen anderen Teilgebieten der freiwilligen Gerichtsbarkeit hat der Richter Entscheidungen mit Zukunftswirkung zu treffen. Dort erlauben ihm diverse spezialgesetzliche Normen 22 eine nachträgliche Berichtigung seiner Prognose, § 18 FGG darüber hinaus auch eine Korrektur seiner SachverhaltsfeststeIlung und sogar rechtlicher Fehler. Nach allem kann nur der Ansicht gefolgt werden, die all diese Normen, die die Gerichte zur Abänderung von Entscheidungen ermächtigen, prozeßrechtlich

19 Solche gibt es allerdings auch: so im deutschen Recht § 1612a 2. u. 3. Fall BGB oder § 1 S. 2 MHG. Bei ihnen handelt es sich in der Tat um materiellrechtliche "Abänderungsnormen", die als Korrektiv zu einer echten Anspruchsfestschreibung durch die Beteiligten selbst dienen. Um sie geht es hier indes nicht; sie existieren im Bereich der fG auch nicht.

20

Bettermann 516

21

Vgl. unten III 2 a (mit Fn. 34)

22

S. unten III 1 a

11. Maßgebliches Abänderungsstatut

67

qualifizierf3, und zwar gleichgültig, ob sie sich in der ZPO, im FGG, im BGB oder in sonstigen Gesetzen finden. Folglich sind auschließlich die entsprechenden Bestimmungen des deutschen Rechts als lex jori maßgebend. 24 Das bedeutet allerdings nicht, daß das in der Sache berufene Recht bei der Abänderung völlig außer Betracht bliebe oder gar die Gefahr seiner "Verfälschung" bestünde. So setzt z. B. § 323 ZPO eine wesentliche Veränderung der für den Anspruch maßgeblichen Verhältnisse voraus. Welche "Verhältnisse" das sind, kann nur dem - ggf. ausländischen - Sachstatut entnommen werden. Insbesondere bleibt dessen Entscheidung, ob es in seinen materiellrechtlichen Normen wandelbare oder unwandelbare (starre) Tatbestandsmerkmale verwenden will, selbstverständlich unberührt. Nur im ersteren Fall kann sich die materielle Rechtslage durch neue Tatsachen überhaupt geändert haben, so daß nunmehr das (deutsche) Verfahrensrecht zu befragen ist, ob es eine Anpassung der Entscheidung an diese neue Rechtslage zulassen will. Verwendet das Sachstatut dagegen starre Merkmale, so kann sich, welche Tatsachen auch immer eingetreten sein mögen, materiellrechtlich nichts geändert haben, so daß es auch prozessual nichts anzupassen gibt. Dann kann natürlich auch in Deutschland keine Abänderungsentscheidung wegen veränderter Verhältnisse ergehen - aber nicht, weil "das ausländische Recht kein entsprechendes Verfahren kennt" oder weil der internationale Entscheidungseinklang es erfordern würde,25 sondern weil der Tatbestand der ("an sich" anwendbaren) deutschen Abänderungsnorm, also z. B. des § 323 ZPO, logisch niemals vorliegen kann. Mit anderen Worten, eine Abänderungsklage wäre auch hier nicht unzulässig, aber zwingend unbegründet. (Dagegen ist eine Abänderung wegen anfänglicher Unrichtigkeit - soweit im Einzelfall zulässig - natürlich auch bei starren Tatbestandsmerkmalen möglich).

23 BAG NJW 1956,485 (486); OGHBrZ NJW 1947/48, 521 (522; BL 1 Hanmann Rn. 1 zu § 323; Rosenberg 1 Schwab § 15911; Schack IZVR Rn. 1002, 1011; Zöller 1 Vollkommer Rn. 2 zu § 323 sowie nächste Fn.

2A BGH NJW 1992,438 (439); OLG München NJW·RR 1990,649 (649); OLG Karlsruhe Justiz 1986,496 (496); OLG Frankfurt IPRax 1981, 136 (136); LG Augsburg IPRspr 1976,244 (245); LG Stuttgan MDR 1964, 1011 (1011); Bassenge 1 Herbst Anm. I c zu § 16a; Baumann 31; Ferid Rn. 8-385,68; Georgiades 201 f.; Leipold FS 208; Lückerath·Krumbiegel 82 (f. § 1696 BGB); MüKol Winkler v. Mohrenfels Rn. 155 zu Art. 17 EGBGB; Rahm 1 Künkell Breuer Rn. V1I1I248; Rosen· berg I Schwab § 159 111; Roth ZwV 79 (Fn. 62 a. E.), 80; Schack IZVR Rn. 1014; Zöller 1 Voll· kommer Rn. 12b zu § 323 25

So Georgiades 204 ff.

68

B. Die Abänderung der ausländischen Entscheidung

In. Die Abänderungsnormen im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit Für das Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit existieren diverse Abänderungsvorschriften sowohl im FGG (§ 18) als auch für einzelne Spezial materien. Dem Anliegen dieser Untersuchung gemäß26 soll es im folgenden nur um diejenigen Bereiche gehen, in denen auch eine Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Betracht kommt, also um privatrechtliche Streitsachen und um Sorgerechtsangelegenheiten.

1. Privatrechtliche Streitsachen

a) Die Spezial vorschriften im WEG (§ 45 IV), in der HausratV (§ 17) und im BGB (§§ 1382 VI, l587d 11) entsprechen der Regelung des § 323 ZPO. Wie dieser ennöglichen sie die Anpassung von Entscheidungen an nachträglich veränderte Verhältnisse, also an eine nachträglich veränderte materielle Rechtslage. An die rechtliche und tatsächliche Würdigung in der Ausgangsentscheidung ist der Richter dagegen gebunden. Als problematisch mit Hinblick auf ausländische Entscheidungen könnte man den Wortlaut des § 17 I 1 HausratV ansehen, nach dem der Richter nur "seine" Entscheidung ändern darf. Ein gleichartiges Problem stellte sich bereits oben 27 im Rahmen des § 33 I 1 FGG, nach dessen Wortlaut das Gericht ebenfalls nur "seine" Anordnungen vollstrecken soll. Es wurde festgestellt, daß diese Wendung nicht wörtlich zu nehmen ist, sondern die erforderliche erneute Zuständigkeitsprüfung vielmehr dazu führen kann, daß ein anderes Gericht tätig werden muß. Das folgte aus der Selbständigkeit der Vollstreckung gegenüber dem Erkenntnisverfahren.28 Bezüglich der Abänderung wird aber in der fG weithin behauptet, sie stelle kein neues Verfahren, sondern die Fortsetzung des alten dar. 29 Das kann hier offenbleiben; jedenfalls weist sie gegenüber der Erstent-

26

S. oben vor I

27

A III vor 1

28

S. oben A III 2 b (mit Fn. 44)

Bärrnann § 21 II I, III I; Baur § 25 1 4 a aa (jedenfalls für Änderung wegen anfänglicher Unrichtigkeit); Brehm § 20 II 2 a, 4 c (nur für Änderung wegen anfänglicher Unrichtigkeit); Kollhosser I Bork Fall 86 I 2 (ebenso); für Unterscheidung zwischen ,,ausdrücklicher" Abänderung (= Fortsetzung des alten Verfahrens) und bloß faktischer "Überdeckung" durch widersprechende Entscheidung in einem neuen Verfahren Bötticher 584; Habscheid § 27 II 2 c; Rothe 22 ff., 120 sowie Schäfer 16 f. 29

111. Die Abänderungsnonnen im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit

69

scheidung nicht weniger Selbständigkeit auf als ein Vollstreckungs- gegenüber dem vorangegangenen Erkenntnisverfahren. Daher ist auch hier die Durchführung durch ein anderes Gericht grundsätzlich möglich. 30 § I7 I 1 HausratV ist also insoweit nicht wörtlich zu verstehen, so daß der Änderung auch einer Auslandsentscheidung nichts im Wege steht. Dasselbe gilt theoretisch für § 45 IV WEG, der jedoch wegen der praktisch durchweg fehlenden Zuständigkeit (forum rei sitae!) für Auslandsfälle keine Bedeutung haben dürfte. In den übrigen Streitverfahren (z. B. Landwirtschaftssachen) wird eine Abänderung von Verfügungen mit Dauerwirkung bei wesentlich veränderten Verhältnissen trotz fehlender Bestimmung entsprechend § 323 ZPO allgemein befürwortet. 31 Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Rechtsfortbildung bestehen nicht. 32 Die Abänderbarkeit bezieht sich (jedenfalls theoretisch) auch hier gleichermaßen auf Auslandsentscheidungen. b) Die Abänderung von Entscheidungen wegen anfänglicher Unrichtigkeit gemäß § 18 FGG ist in den privatrechtlichen Streitsachen regelmäßig nicht möglich, da gegen sie in Deutschland die sofortige bzw. I-Monats-Beschwerde gegeben wäre (18 11 FGG i. V. m. §§ 45 I WEG, 22 I LwVfG; § 577 III i. V. m. §§ 621e III 2,621 I Nr. 6, 7, 9 ZPO).

2. Sorgerechtsentscheidungen

Für Sorgerechtsentscheidungen existiert zum einen die spezielle Abänderungsnorm des § 1696 BGB. Soweit kein befristetes Rechtsmittel gegeben ist - d. h. in den Angelegenheiten, die dem Vormundschaftsgericht zugewiesen sind, also nicht unter § 621e ZPO fallen - ist darüber hinaus grundsätzlich die Korrekturmöglichkeit nach § 18 I FGG gegeben. a) Unbestritten erlaubt § 1696 BGB jedenfalls die Abänderung wegen nachträglicher Unrichtigkeit, also veränderter Verhältnisse. 33 Ferner wird er nach überwiegender Ansicht aber auch bei Entdeckung sogenannter verdeckter Tatsachen angewendet, d. h. Tatsachen, die bei Erlaß der Ausgangsentscheidung

30 BGHZ 21,306 (315); Bännann § 21 1I 2; Baur § 24 B IV 1 a. E.; Brehm § 20 IV 2 b; KKW Amelung Rn. 6 zu § 18

31 Baur § 24 C I 2; Brehm § 20 IV 4 b; Habscheid § 27 111 5; KKW I Amelung Rn. 2, 32 ff. zu § 18 32

Vgl. oben A V 3 b a. E. für Wiederaufnahmeverfahren

33

Brehm § 20 IV 3 c; Kollhosser I Bork Fall 87 1I sowie nächste Fn.

70

B. Die Abänderung der ausländischen Entscheidung

bereits vorlagen, aber dem Gericht unbekannt waren und deshalb unberücksichtigt geblieben sind. 34 Ganz unbedenklich ist das nicht, da es sich in diesem Fall um die Korrektur einer anfänglich unrichtigen Entscheidung handelt. Eine solche fällt eigentlich unter § 18 FGG, wäre danach aber in vielen Fällen (Familiensachen) wegen §§ 621e I, III 2, 577 III ZP0 35 nicht zulässig. Der Frage soll hier indes nicht näher nachgegangen, sondern der gefestigten Rechtsprechung gefolgt werden. Jedenfalls wegen anfänglicher Rechtsfehler sowie Fehlbeurteilung bereits bekannter Tatsachen ist auch nach § 1696 BGB keine Abänderung möglich. 36 Wer, wie dies vereinzelte Stimmen37 hin und wieder tun, selbst daran rütteln will, mißachtet den Willen des Gesetzgebers und setzt an dessen Stelle unzulässigerweise die eigenen Vorstellungen von einer (vermeintlich) optimalen Realisierung des Kindeswohls. Das Gesetz sieht für das familiengerichtliche Verfahren nun einmal ausdrücklich ein befristetes Rechtsmittel vor (§§ 621e III 2, 516 ZPO) , bezweckt also zumindest grundsätzlich eine endgültige Befriedung der entsprechenden Streitigkeiten. 38 Die Verneinung jeglicher Bindungswirkungen - d. h. selbst hinsichtlich der Rechtsanwendung - würde dem zuwiderlaufen. Es muß deshalb dabei bleiben, daß die rechtliche Beurteilung und die Würdigung bekannter Tatsachen durch den Erstrichter im Abänderungsverfahren nach § 1696 BGB verbindlich sind. 39 Daß das Gericht in Auslandsfällen zwangsläufig nicht seine eigene Entscheidung ändert, ist ebenso unbedenklich40 wie bei den anderen Abänderungsnormen.

34 OLG Bamberg NJW-RR 1990, 774 (775); BayObLG DAVorm 1982,604 (608); FamRZ 1974, 318 (319); Ambrock Anm. 2 a zu § 1696 BGB; Be1chaus Rn. 2 zu § 1696 BGB; KKW I Amelung Rn. 45 zu § 18; Mansei AbÄ 301; Palandt I Diederichsen Rn. 5 zu § 1696; Rahm I Künkell Schneider Rn. JIU490; Soergell Strätz (Ergänzungsband) Rn. 5 zu § 1696

35 BGH NJW 1982, 1646 (1647) kommt hierfür sogar ohne § 577 III ZPO aus: wegen der funktionellen Vergleichbarkeit der l-Monats-Beschwerde (§§ 621e III 2, 516 ZPO) mit einer sofortigen Beschwerde ergebe sich der Ausschluß der Abänderbarkeit wegen Rechtsfehlern schon aus § 18 11 FGG entsprechend. 36

Wie Fn. 33, 34

OLG Bremen MDR 1954, 179 (179); Bonvie 52, 91,100; MüKo I Hinz Rn. 105 zu § 1671, 1 zu § 1696; Schäfer 31 f.; ähnlich (für Maßnahmen nach dem alten JWG) Grunsky VerfR § 4711 2 (490); mindestens mißverständlich auch BGH IPRax 1987,317 (318 a. E.). Dagegen verzichtet BGH NJW 1993, 126 (127) nicht auf das Erfordernis neuer bzw. neu entdeckter Tatsachen, sondern stellt lediglich klar, daß es sich hierbei nicht nur um neue ..äußere" Lebensumstände, sondern z. B. auch um den nachträglichen Fortfall des Elternkonsenses handeln kann 37

38

Vgl. Josef 154, 157; Schneider 291

39

Zu einer wichtigen Ausnahme s. jedoch unten V 2 b

.00

BGHZ 21, 306 (315); MüKo I Hinz Rn. 22 zu § 1696; Staudinger I Coester Rn. 72 zu § 1696

IV. Die Enninlung des abwendbaren Sachstatuts

71

b) § 18 I FGG bietet dem Vonnundschaftsgericht die Möglichkeit, seine Sorgerechtsentscheidungen auch wegen anfänglicher Unrichtigkeit (Rechtsfehler) abzuändern. 41 Entscheidungen höherer Instanzen sind hiervon ausgenommen,42 damit Autorität und Befriedungsfunktion des höherrangigen Richterspruchs gewahrt bleiben. Auch hier spricht es nicht gegen die Anwendung auf Auslandsfalle, daß das Gericht sich bei ihnen nicht mit der "von ihm erlassenen Verfügung" befaßt. Um eine erstinstanzliche Entscheidung muß es sich aber gleichfalls handeln. Zwar brauchte das deutsche Recht theoretisch nicht die Autorität ausländischer Rechtsmittelgerichte zu schützen; auch ein im Ausland durchgeführtes Rechtsmittelverfahren hat jedoch ein vernünftiges Bedürfnis nach Überprüfung der Entscheidung ausreichend zur Geltung kommen lassen und bedarf daher nicht der ,,Ergänzung" durch die zusätzliche Möglichkeit der Abänderung.

IV. Die Ermittlung des anwendbaren Sachstatuts Nach dem Auffinden der in Betracht kommenden Abänderungsnonnen ist zu prüfen, ob die nach diesen Nonnen erforderliche Abweichung der neuen (oder nachträglich richtig erkannten) materiellen Rechtslage von der damals festgestellten tatsächlich gegeben ist. Zur Beurteilung der jetzigen Rechtslage ist zunächst das anwendbare Sachrecht zu bestimmen. 43 Das geschieht nonnalerweise mit Hilfe unseres Internationalen Privatrechts. Insoweit ist hier jedoch Vorsicht geboten. Da jeder Staat sein eigenes IPR hat,44 liegt es in der Natur der Sache, daß der ausländische Erstrichter von seinem und nicht von unserem IPR ausgegangen ist. Wie aber soeben festgestellt wurde, bestehen bei allen Abänderungsnonnen (außer § 18 I FGG) Bindungen an die der Ursprungsentscheidung zugrundeliegenden rechtlichen

4' Auf das umstrittene Verhältnis zur Abänderung nach § 1696 BGB (vgl. zuletzt Schäfer 23 ff.) soll in dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden. M. E. zu Recht für die Beschränkung des § 18 I FGG auf anfängliche Unrichtigkeit z. B. Baur § 24 A I 3, B I 1; Brehm § 20 IV 1 a; Habscheid § 27 I 2, II 1 b; KKW I Amelung Rn. 1 f. zu § 18; Kollhosser I Bork Fälle 86 I 1 a. E., 87 I; a. A. Schäfer 9 f., 43 42 Bassenge I Herbst Anm. 2 a cc zu § 18; Habscheid § 27 II 1 c; KKW I Amelung Rn. 7 zu § 18; Rothe 90

43

Vgl. oben 11 a. E .

.. Ausnahme: sowohl der Ursprungsstaat als auch die Bundesrepublik sind Partner desselben, für den Fall einschlägigen Staatsvertrages (z. B. des MSA)

72

B. Die Abänderung der ausländischen Entscheidung

Beurteilungen. Daher stellt sich die Frage, ob sich diese Bindungen au~h auf die Anwendung des Internationalen Privatrechts erstrecken. Bejahendenfalls muß der deutsche Abänderungsrichter bei der materiellrechtlichen Prüfung ebenfalls vom IPR des Ursprungs staates und darf nicht etwa vom deutschen ausgehen.

1. Bindung an das Internationale Privatrecht des Erststaates?

a) Gegen eine internationalprivatrechtliche Bindung könnte man anführen, daß jeder Richter der Welt selbstverständlich von seinem eigenen IPR ausgeht, ohne sich hierüber Gedanken zu machen. Womöglich handelte es sich aus der Sicht des Erstrichters sogar um einen reinen Inlandsfall, so daß er überhaupt nicht an Internationales Privatrecht gedacht, also keine bewußte "Beurteilung" vorgenommen hat. Trotzdem hat er auch insoweit Recht angewendet,45 denn er hat den Fall ja letztlich nach einem bestimmten Sachstatut entschieden und damit zumindest konkludent zum Ausdruck gebracht, daß dieses nach seiner Ansicht das richtige sei. b) Man könnte auch versucht sein, das Internationale Privatrecht als Verfahrensrecht einzuordnen. Das der Ausgangsentscheidung zugrundeliegende ausländische IPR wäre dann - als fremde lex fori - unbeachtlich. Diese Sichtweise wäre indes verfehlt. Anders als der zuweilen gebrauchte Begriff ,,Rechtsanwendungsrecht" nahelegen könnte, wendet sich das IPR nämlich nicht allein an den Richter, sondern regelt - wie "normales" Zivilrecht - auch ohne dessen Mitwirken die Rechtsverhältnisse der Beteiligten unmittelbar. Daher handelt es sich nicht um Prozeßrecht, sondern tatsächlich um Privatrecht.46 c) Somit ist seine Anwendung durch den Erstrichter in einem Abänderungsverfahren ebenso verbindlich wie die Anwendung des Sachstatutes selbst - es sei denn, man könnte die Tatsache, daß ja nunmehr ein deutsches Gericht mit der Sache befaßt ist, als "Änderung der Verhältnisse" ansehen. Auch dieser Weg ist jedoch nicht gangbar. Welches Gericht über einen Fall zu befinden hat, ist keine für den materiellen Anspruch an sich maßgebliche Tatsache, sondern allenfalls eine Tatsache, von der seine prozessuale Durchsetzbarkeit abhängen kann. Wenn ein ausländisches Gericht einen Sachverhalt nach einem anderen

45

Vgl. Kegel § 1 III: "Daß ein Rechtssatz nicht bewußt wird, heißt nicht, daß er fehlt."

46

Kegel § 1 V; Kropholler IPR § 1 Via. E.; Lüderitz Rn. 9; Raape I Sturm § 1 IV

IV. Die Ermittlung des abwendbaren Sachstatuts

73

Recht beurteilt als wir es getan hätten und damit zu einem anderen Ergebnis kommt, so setzt es den aus unserer Sicht bestehenden Anspruch nicht durch (oder umgekehrt). Es fällt aus unserer Sicht eine "falsche", genauer: eine anfänglich rechtsfehlerhafte Entscheidung. 47 Sie wird nicht etwa erst dann ("nachträglich") fehlerhaft, wenn der Fall später vor ein deutsches Gericht gelangt; letzteres hat dann lediglich faktisch erstmals die Möglichkeit, sie - für den Bereich des deutschen Hoheitsgebietes - zu "korrigieren". Daß wir auf diese Möglichkeit indes freiwillig verzichten, solange der ,,Fehler" nicht zum Verstoß gegen unseren ordre public führt, ergibt sich aus unseren Anerkennungsnormen. 48 So wäre es also nicht nur logisch unsauber, das Tätigwerden eines deutschen Gerichts als Tatsachenveränderung anzusehen, es würde durch die so konstruierte Abänderungsmöglichkeit auch die Anerkennung der fremden Entscheidung ausgehebelt. 49 Es muß also dabei bleiben, daß (wie gesagt, soweit nicht § 18 I FGG anwendbar ist) das einer eventuellen Abänderung zugrundezulegende Sachstatut weiterhin nach dem IPR des Ursprungsstaates zu bestimmen ist.50

2. Echter Statutenwechsel

Das heißt jedoch nicht, daß auch stets dasselbe Sachstatut anzuwenden ist wie in der Ausgangsentscheidung. In der Regel gelangen im Ausland entschiedene Fälle ja gerade deshalb vor ein deutsches Gericht, weil ein oder mehrere Beteiligte sich nach Deutschland begeben haben. Wenn auch das Zuständigwerden des deutschen Gerichts, wie gerade gezeigt, für sich genommen keine relevante "nachträgliche Tatsachenveränderung" ist, so kann es doch z. B. der vorangegangene Umzug eines Beteiligten nach Deutschland sein. Das ist der Fall, wenn durch diesen Umzug die Anwendung des IPR - wie gesagt: des IPR des Erststaates - nun zu einem anderen Ergebnis führt. Knüpft also beispielsweise in einem Sorgerechtsfall die entsprechende Kollisionsnorm des Ursprungsstaates beweglich an den Aufenthalt des Kindes an und wird dieses nach Deutschland

47

Vgl. BGH NJW 1983. 1976 (1978)

48

Spellenberg 308 (links)

49

Kartzke \07 f.; Siehr AbÄ 950

so Vgl. BGH NJW 1983. 1976 (1978); Ferid Rn. 8-305. 69; Siehr AbÄ 950; nicht beachtet in

BGH IPRax 1987. 317 (318) (Anwendung von Art. 2 I MSA anstatt richtigerweise des tunesischen IPR) sowie in OLG Hamm IPRspr 1980. 287 (290) (Art. 2 I MSA anstatt des IPR von Massachusetts)

74

B. Die Abänderung der ausländischen Entscheidung

verbracht, so wird nunmehr - und zwar diesmal tatsächlich nachträglichdeutsches Sachrecht anwendbar. Es handelt sich um einen sogenannten echten Statutenwechsel, der, wenn er in der Sache zu einem anderen Ergebnis führt, einen Abänderungsgrund darstellt. 51

V. Die Anwendung der Abänderungsnormen, insbesondere des § 1696 BGB Ist das ,,richtige" Sachstatut bestimmt, so braucht nach den meisten Abänderungsnormen nur noch geprüft zu werden, ob die Abweichung der jetzigen materiellen Rechtslage von der Ausgangsentscheidung im Ergebnis wesentlich ist (z. B. § 17 I 1 HausratV). Die Anwendung des § 1696 BGB auf ausländische Entscheidungen kann dagegen Schwierigkeiten bereiten. Er stellt nicht - wie z. B. der für die verschiedensten Rechtsgebiete konzipierte § 323 ZPO oder auch wie § 17 I 1 HausratV - neutral auf veränderte Verhältnisse ab. Vielmehr ist nach dieser Vorschrift, die auf das deutsche materielle Recht (= §§ 1671 f., 1666 ff. BGB) abgestimmt ist, das Interesse bzw. Wohl des Kindes für die Abänderung maßgebend.

1. Materielles Recht stellt auf Kindeswohl ab

Keine Probleme gibt es daher, wenn deutsches Recht Sorgerechtsstatut ist (oder durch Statutenwechsel geworden ist). Das gleiche gilt, wenn das materielle Recht eines Staates anwendbar ist, dessen Sorgerechtsvorschriften ebenfalls nach dem Kindeswohl oder einem gleichbedeutenden Begriff entscheiden. § 1696 BGB kann dann wie in reinen Inlandsfallen angewendet werden.

2. Materielles Recht verwendet andere Kriterien

a) Stellt dagegen das anwendbare Sachrecht auf andere Merkmale als das Wohl des Kindes ab und ändern sich die diese Merkmale ausfüllenden Umstände, so ist der Tatbestand des § 1696 BGB nicht unbedingt erfüllt. Nur wenn

SI

Siehr AbÄ 949; im Ergebnis auch Rahm I Künkell Breuer Rn. VIIU331 a. E.

v.

Die Anwendung der Abänderungsnormen

75

die tatsächliche Veränderung, die nach dem ausländischen materiel1en Recht zu einer wesentlich anderen Beurteilung der Rechtslage führt, zugleich auch eine am Kindeswohl orientierte Beurteilung wesentlich verändern würde, kann § 1696 BGB dieser neuen Rechtslage zum Durchbruch verhelfen. Dies sol1 an einem fiktiven Beispiel verdeutlicht werden. Angenommen, in einem Fal1 sei das Familienrecht des Staates X anwendbar. Danach sei für die Innehabung des Sorgerechts u. a. die strafrechtliche Unbescholtenheit des betreffenden Elternteiles Voraussetzung. Wird nunmehr derjenige Teil, dem durch eine in X erlassene Entscheidung das Sorgerecht übertragen war, straffällig, so entsteht eine wesentliche (nachträgliche) Veränderung der Rechtslage: materiel1rechtlich stünde diesem Elternteil das Sorgerecht nun nicht mehr zu. Tatsächlich aberkannt werden kann es ihm aber durch ein deutsches Gericht (d. h. nach § 1696 BGB) nur dann, wenn er sich durch die Straftat zugleich als zur Erziehung völlig ungeeignet erwiesen hat (= wesentlicher Kindeswohlgesichtspunkt). Ist letzteres nicht der Fall, so kann der neuen materiellen Rechtslage in Deutschland nicht Rechnung getragen werden. Es liegt dann eine nicht zu behebende Unverträglichkeit des Verfahrens- mit dem Sachrecht vor. b) Ändern sich Tatsachen, die für unseren Kindeswohlbegrijf relevant wären, während sie es für das ausländische Sachrecht nicht sind, so kann § 1696 BGB allein - als bloße Verfahrensnorm - trotz seines Wortlauts die Abänderung zunächst einmal nicht rechtfertigen, da sie der materiel1en Rechtslage widerspräche. (Die Ansicht, die § 1696 BGB materiel1rechtlich qualifiziert,52 würde hier übrigens zum selben Ergebnis gelangen, da die Bestimmung nach dieser Ansicht bei ausländischem Sorgerechtsstatut erst gar nicht anwendbar wäre.)

In diesem Fall ist allerdings der deutsche ordre public berührt. Viele Sorgerechtsentscheidungen aus Staaten, die andere Kriterien als das Kindeswohl verwenden, werden aus diesem Grund schon gar nicht anerkennungsfähig sein (§ 16a Nr. 4 FGG bzw. Art. 10 I a EurÜbk). Dann stel1t sich das Problem nicht; es hat schlicht eine deutsche Erstentscheidung nach deutschem Sachrecht zu ergehen. Indes kann es vorkommen, daß die ausländische Entscheidung ursprünglich im Ergebnis den deutschen Wertungen (womöglich zufällig) entsprach, also (zunächst) anerkennungsfähig war. Führt der Eintritt der neuen Tatsache dazu, daß die Sorgerechtsverteilung dem Kindeswohl jetzt offensichtlich nicht mehr angemessen ist, so liegt sozusagen ein ..nachträglicher ordre public-Verstoß" vor.

'2 S. oben Fn. 9

B. Die Abänderung der ausländischen Entscheidung

76

Das Problem liegt darin, daß die Anerkennung, für die ein tragbares Ergebnis als Voraussetzung genügte, auch die Bindung an die rechtliche Begründung (Zugrundelegung eines bestimmten Sachrechts) mit sich gebracht hat. Es muß gelöst werden, denn natürlich dürfen wir um des Festhaltens an der rechtlichen Begründung willen keine Entscheidung aufrechterhalten, die jetzt unseren Grundwerten und ggf. dem Grundgesetz zuwiderläuft. Ist ein echter StatutenwechseI, der den Weg zu einem anderen Sachrecht freimachen würde,s3 nicht eingetreten und auch § 18 I FGG nicht anwendbar (z. B. in einer Familiensache), so gilt folgendes: Daß die Verbindlichkeit der Grundlagen der Ursprungsentscheidung für das Abänderungsverfahren da aufhört, wo sich in Verbindung mit den neuen Tatsachen ein untragbares Resultat ergibt, ist obergerichtlich bereits entschieden worden. 54 So muß man auch in der hier gegebenen Situation von der rechtlichen Bindung abrücken, um einen nachträglichen ordre public- Verstoß bzw. das ,,Fortwirken" einer Entscheidung zu verhindern, deren Anerkennungsvoraussetzungen nicht mehr vorliegen. Hier muß also die Bindung an das angewendete Sachrecht im Verfahren nach § 1696 BGB ausnahmsweise durchbrochen werden. Es hat eine Abänderung unter Anwendung deutschen Familienrechts zu erfolgen. Noch einfacher macht es sich in diesem Fall übrigens die Praxis, wenn nach Eintritt der neuen Tatsachen erstmals gerichtlich über die Anerkennung zu entscheiden ist. Da das Gericht das Vorliegen der Anerkennungsvoraussetzungen zum Zeitpunkt seiner Entscheidung beurteiIt,55 wird schlicht die Versagung der Anerkennung (= "ex nunc") ausgesprochen, so daß die Frage nach einer Abänderungsmöglichkeit erst gar nicht aufgeworfen wird. Genau genommen handelt es sich jedoch auch hier um eine Abänderung, da die Anerkennung ja auch ohne gerichtlichen Ausspruch bereits vor Eintritt der neuen Tatsachen ipso jure erfolgt war.

S3

S. oben IV 2

54 OLG Schleswig FamRZ 1988,417 (419) für reinen Inlandsfall; OLG Zweibrücken FamRZ 1975, 172 (176) für deutsche, jedoch auf ausländisches Sachrecht gestützte Ausgangsentscheidung

ss BGH FarnRZ 1989, 378 (381); NJW 1980, 529 (531); OLG Düsseldorf FamRZ 1982, 534 (535)

VI. Einschränkung der Abänderbarkeit durch Staatsverträge

77

3. Materielles Recht verwendet unwandelbare Merkmale

Dieselben Grundsätze gelten, wenn ein ausländisches Sachrecht Kriterien verwendet, die sich einfach nicht ändern können. So mag nach dem Recht des Staates Y das Sorgerecht stets dem weiblichen Elternteil zustehen. Auch hier kann, wie bereits ausgeführt,56 der Tatbestand einer Änderungsnonn niemals vorliegen, solange das Recht von Y anwendbar bleibt. Im Fall des offensichtlichen Kindeswohlverstoßes muß deshalb ebenfalls zum deutschen materiellen Recht übergegangen werden.

4. Zusammenfassung

Nach Betrachtung aller Konstellationen stellt sich mithin heraus, daß eine Abänderung nach § 1696 BGB auch in Auslandsfällen letztlich immer begründet ist, wenn die Ursprungsentscheidung aufgrund der neuen (oder neu entdeckten) Tatsachen dem Kindeswohl offensichtlich nicht mehr entspricht: Entweder passen deutsches Verfahrensrecht (= § 1696 BGB) und anwendbares Sachstatut zusammen;57 die Abänderung kann dann "normal" unter Beachtung der Bindung an die ursprünglichen rechtlichen Beurteilungen erfolgen. Vertragen sich Verfahrens- und Sachrecht dagegen nicht,58 ist die Abänderung dennoch ebenfalls angezeigt; in diesem Fall rechtfertigt der nachträgliche ordre public-Verstoß, der sich aus der nunmehrigen Kindeswohlwidrigkeit ergibt, die Durchbrechung der Bindungen an die Vorentscheidung. Deshalb kommt es im Ergebnis auf das Sachstatut nicht an. 59

VI. Einschränkung der Abänderbarkeit durch Staatsverträge Da es sich bei der Abänderung einer ausländischen Entscheidung um eine völlige oder teilweise Rücknahme der Anerkennung handelt, kann sie mit einer staatsvertraglieh begründeten Anerkennungspj7icht in Konflikt geraten. 60

56

Oben 11 a. E.

57

Oben 1

58

Oben 2 b sowie 3

Im Ergebnis richtig daher die in Fn. 50 genannte Entscheidung OLG Hamm IPRspr 1980, 287 (290) 59

60

Angedeutet bei Beitzke Sorgerechtsreg. 314 (links unten)

78

B. Die Abänderung der ausländischen Entscheidung

Zu beachten ist allerdings, daß die einschlägigen Abkommen solche Pflichten nicht unbeschränkt statuieren. In der Regel liegt ihre Zwecksetzung darin, die Anerkennung bestimmter Entscheidungen überhaupt erstmals zu ermöglichen. Teilweise wird außerdem die automatische Anerkennung angeordnet, was in Staaten, deren autonomes Recht hierfür ein förmliches Verfahren vorsehen würde, dieses entbehrlich macht. Letztlich geht es also darum, daß den Entscheidungen aus den Partnerstaaten möglichst weitgehend und ohne Formalitäten die gleichen Wirkungen wie inländischen beigelegt werden sollen. Das aber bedeutet nicht ohne weiteres, daß der anerkennende Staat ihne diese Wirkungen auch auf ewig erhalten, d. h. auf die Möglichkeit der Abänderung verzichten müßte. Sonst müßte er nämlich den fremden Entscheidungen eine Bestandskraft einräumen, den er womöglich nicht einmal seinen eigenen zubilligt und die sie vielleicht sogar im Erlaßstaat selbst nicht genießen. Daß sich die Partner eines Staatsvertrages zu einer so weitgehenden Respektierung der fremden Entscheidungswirkungen verpflichten wollten, kann grundsätzlich nicht angenommen werden. Aus einigen Verträgen ergeben sich jedoch Anhaltspunkte für teilweise Beschränkungen der Abänderbarkeit.

1. Staatsverträge, die eine kollisionsrechtIiche Abweichung ausdrücklich für unbeachtIich erklären

Manche Staatsverträge schließen ausdrücklich die Versagung der Anerkennung für den Fall aus, daß der Anerkennungsstaat nach seinem IPR ein anderes Sachrecht angewendet hätte als es der Erlaßstaat nach seinem getan hat: so z. B. in Art. 2 11 I DBelgV, 6 I DIsrV oder auch im Umkehrschluß aus Art. 27 Nr. 4 EuGVÜ (= für die dort nicht genannten Rechtsgebiete). Daß eine solche Abweichung schon bei einer nach autonomem Recht anerkannten Entscheidung nicht zur Abänderung wegen veränderter Verhältnisse führen darf, wurde oben 61 bereits ausgeführt. Hier jedoch muß man nach dem Sinn der staatsvertraglichen Regelung eine Abänderung aus dem genannten Grund selbst dann als verboten ansehen, wenn sie sonst ausnahmsweise auch wegen eines Rechtsanwendungsfehlers möglich wäre, d. h. wenn § 18 I FGG anwendbar ist. Wenn die kollisionsrechtliche Divergenz, die ja die Entscheidung aus unserer Sicht anfänglich fehlerhaft macht,62 die Anerkennungspflicht nicht berühren soll,

61

Oben IV I

62

S. oben IV I c

VI. Einschränkung der Abänderbarkeit durch Staatsverträge

79

dann darf diese Pflicht auch nicht durch eine Abänderungsmöglichkeit, die ja sofort gegeben wäre, unterlaufen werden. Zur Zeit tritt diese Problematik allerdings in Deutschland nicht auf. Die genannten Staatsverträge betreffen im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit nur privatrechtliche Streitsachen. 63 Eine Kollision mit § 18 I FGG ist daherwegen der stets gegebenen befristeten Rechtsmittel - nicht denkbar.

2. Einschränkungen im Anwendungsbereich des EurÜbk

Das neue EurÜbk enthält ebenfalls einige Regelungen, die Einfluß auf die Abänderbarkeit der Sorgerechtsentscheidungen aus den Partnerländern haben müssen. 64 a) Auch ohne daß neue Tatsachen eingetreten sind, erlauben Art. 9 I c und 10 I d EurÜbk die Versagung der Anerkennung für den Fall, daß die ausländische Entscheidung mit einer inländischen unvereinbar ist: War das Kind aus einem anderen als dem ausländischen Entscheidungsstaat nach Deutschland verbracht ("entführt") worden und war bereits vorher die inländische Entscheidung vollstreckbar geworden, so erhält letztere über Art. 9 I c den Vorrang. In anderen als ,,Entführungs"fäIIen geht nach Art. 10 I d die deutsche Entscheidung vor, wenn das ihr zugrundeliegende Verfahren eingeleitet worden war, bevor ein Anerkennungsantrag nach dem EurÜbk gestellt wurde. Im Umkehrschluß folgt daraus, daß eine deutsche Entscheidung, die unter keinen dieser beiden Vorrangtatbestände fallt (d. h. eine nach dem "Verbringen" ergangene oder auf nach der EurÜbk-Antragstellung eingeleitetem Verfahren beruhende, nicht auf neue Tatsachen gestützte65 Inlandsentscheidung), die Anerkennung einer kollidierenden Entscheidung aus einem Vertragsstaat nicht hindern kann. Eine solche Inlandsentscheidung wäre also jedenfalls in einem förmlichen Anerkennungs- oder V oIIstreckbarerklärungsverfahren nach dem EurÜbk i. V. m. § 7 SorgeRÜbkAusfG unbeachtlich. 66 Daß sie nach innerstaatlichem Recht durch eine Abänderungsbefugnis wegen anfänglicher

6J

S. im einzelnen oben A VI I d, 2

Zu weitgehend allerdings Staudinger I Coester Rn. 239 zu § 1671, der die Abänderbarkeit im Anwendungsbereich des Übereinkommens grundsätzlich ablehnt 64

6S

Bei neuen Tatsachen würde Art. 10 I b eingreifen; hierzu sogleich b

66

Zur Rechtslage vor einem solchen Verfahren s. unten C I 2

80

B. Die Abänderung der ausländischen Entscheidung

Unrichtigkeit gedeckt wäre (so bei Auftauchen verdeckter Tatsachen durch § 1696 BGB, sonst ggf. durch § 18 I FGG), spielt dabei keine Rolle. Daraus folgt nun weiter: Wird dem deutschen Gericht, das eine eigene Sorgerechtsentscheidung erlassen will, die Existenz einer ("an sich" anerkennungsfähigen) Vorentscheidung aus einem Vertrags staat bekannt, so muß es prüfen, ob die beabsichtigte Entscheidung einem EurÜbk-Anerkennungsverfahren "standhalten" würde, d. h. ob die deutsche Entscheidung die Anerkennung der ausländischen über Art. 9 I c oder 10 I d EurÜbk verhindern könnte. Ist das nicht der Fall, so würde die beabsichtigte deutsche Neuentscheidung (= Abänderung) einen Verstoß gegen das EurÜbk darstellen und darf deshalb trotz §§ 1696 BGB, 18 I FGG erst gar nicht ergehen. b) Anders stellt sich die Situation dar, wenn nach Erlaß der ausländischen Entscheidung neue Tatsachen eingetreten sind und deshalb ein deutsches Gericht eine abweichende Neuentscheidung treffen, also für den Fall der Anerkennungsfähigkeit der ersteren diese gemäß § 1696 BGB abändern will. Nach Art. 10 I b EurÜbk können veränderte Verhältnisse einen Versagungsgrund für die Anerkennung bilden. Daraus ist zu entnehmen, daß eine abweichende Neuentscheidung, die auf tatsächlichen Veränderungen im Sinne des Art. 10 I b beruht, nicht gegen die Anerkennungspflicht nach dem EurÜbk verstoßen kann, und zwar unabhängig davon, wann sie ergangen bzw. wann das ihr vorausgehende Verfahren eingeleitet worden ist. Nach Art. 10 I b sind indes nicht alle Tatsachenveränderungen relevant. Zum einen sind neue Tatsachen ausgeschlossen, wenn sie so geringfügig sind, daß sie nicht zu einer "offensichtlich" abweichenden Kindeswohlbeurteilung führen. Hier ergibt sich allerdings keine Abweichung gegenüber § 1696 BGB, der ebenfalls nur triftige Gründe, die das Kindeswohl "nachhaltig" berühren,67 zuläßt. Enger als § 1696 BGB ist Art. 10 I b EurÜbk jedoch insofern, als er den Wechsel des Aufenthaltsortes infolge einer "Entführung" des Kindes in den Anerkennungsstaat (= nach Deutschland) in Art. 10 I b ausdrücklich nicht als neue Tatsache gelten läßt. Ein solcher Orts wechsel muß also für die Frage, ob die Anerkennung aufgrund einer veränderten Kindeswohlbeurteilung zu versagen ist, unberücksichtigt bleiben.

67 BGH NJW 1993, 126 (127); IPRax 1987, 317 (318); OLG Harnrn NJW 1992, 636 (639); Palandt I Diederichsen Rn. 2, 6 zu § 1696; Soergell Strätz (Ergänzungsband) Rn. 5 zu § 1696

VI. Einschränkung der Abänderbarkeit durch Staatsverträge

81

Hier gilt ebenso wie oben, daß auf eine abweichende Beurteilung, die nach dem Staatsvertrag nicht zur Versagung der Anerkennung berechtigt, auch keine Abänderung nach autonomem Recht gestützt werden kann. Die in Art. 10 I b EurÜbk statuierte Verpflichtung, den ausländischen Richterspruch ohne Rücksicht auf die neue Tatsache "Ortswechsel des Kindes" anzuerkennen, würde leerlaufen, wenn man ihn unmittelbar danach - unter Berufung auf eben diese Tatsache - wieder nach § 1696 BGB abändern dürfte. Der Ortswechsel aufgrund "Entführung" muß also in einem Abänderungsverfahren nach § 1696 BGB, welches eine nach dem EurÜbk anzuerkennende Entscheidung betrifft, unberücksichtigt bleiben. (Er kann damit übrigens auch nicht zu einem echten Statutenwechsel68 führen.)

3. Einschränkungen im Anwendungsbereich des HEntfÜbk und des MSA

a) An. 16 HEntfÜbk untersagt eine neue Sachentscheidung (d. h., sofern eine Vorentscheidung vorliegt, deren Abänderung) grundsätzlich dann, wenn eine ,,Entführung" stattgefunden und das Gericht hiervon Kenntnis erlangt hat. Zulässig ist sie nur dann, wenn ein Rückführungsantrag nach dem Abkommen nicht mehr zu erwarten ist oder bereits negativ beschieden wurde. Damit geht der Abänderungsschutz noch über den des Art. 10 I b EurÜbk hinaus, da nicht nur der Orts wechsel selbst als neue Tatsache unbeachtlich ist, sondern jegliche Abänderung, auch unter Berufung auf möglicherweise eingetretene andere neue Tatsachen, untersagt ist. b) Auch das Minderjährigenschutzabkommen schränkt die Abänderbarkeit von Sorgerechtsentscheidungen aus den Partnerstaaten ein. Aus Art. 4 IV MSA ergibt sich, daß im Verhältnis von Heimat- und Aufenthaltsstaat die Maßnahmen des Heimatstaates vorgehen sollen. Hat der einem Vertragsstaat angehörende Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, so darf daher ein deutsches Gericht eine Entscheidung aus diesem Staat nicht abändern, es sei denn, Art. 8 oder 9 greift ein. 69 Gegenüber einem früheren Aufenthaltsstaat, der nicht zugleich Heimatstaat des Minderjährigen ist, besteht zwar keine Einschränkung der Abänderbarkeit.

68

Vgl. oben IV 2

Palandt I Heldrich Rn. 32 nach Art. 24 EGBGB; EGBGB 69

6 Krem

Q.

A. MüKo I Siehr Rn. 123 nach Art. 19

82

B. Die Abänderung der ausländischen Entscheidung

Vor einer Abänderung ist aber die Behörde (Gericht) dieses Staates, welche die alte Entscheidung erlassen hat, zu verständigen (Art. 5 11 MSA).

VII. Verdecktes Abänderungsbegehren Häufiger als sonst wird es in Auslandsfällen vorkommen, daß nicht ausdrücklich die Abänderung einer vorhandenen Entscheidung beantragt wird, sondern schlicht eine normale Sachentscheidung. Der Grund kann darin liegen, daß die Anerkennungsfähigkeit der Ursprungsentscheidung zweifelhaft oder von einem rechtsunkundigen Antragsteller überhaupt nicht in Betracht gezogen worden ist. Im letzteren Fall erfährt das Gericht von der Existenz einer solchen Entscheidung womöglich erst durch die Erwiderung des Antragsgegners. Ein derartiges Vorgehen ist unschädlich. Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, daß eine abweichende, anerkennungsfähige Vorentscheidung70 existiert, so hat es die Voraussetzungen einer Abänderung - auch ohne speziellen Antrag einfach zusätzlich zu den sachlichen zu prüfen.7I Liegen die Abänderungsvoraussetzungen jedenfalls vor, so kann es die Anerkennungsfrage sogar dahinstehen lassen. 72 Die Abänderung bedarf nämlich keines besonderen Ausspruchs, sondern liegt stillschweigend in der inhaltlichen Abweichung der neuen von der alten Entscheidung. 73 Letztere verliert in diesem Umfang genauso ihre Wirkung, wie wenn ihre Abänderung bzw. Aufhebung ausdrücklich ausgesprochen worden wäre. 74

vm. Zusammenfassung zur Abänderung ausländischer Entscheidungen Ausländische fG-Entscheidungen, die hier anzuerkennen sind, können von den hiesigen Gerichten nach denselben Normen (z. B. §§ 17 I HausratV, 1696 I, 11

70 Im Falle einer gleichlautenden anerkennungsfähigen Vorentscheidung würde dagegen grundsätzlich (zur Ausnahme oben A VII) das Rechtsschutzbedürfnis für eine erneute Entscheidung fehlen.

71 BGH IPRax 1987,317 (317); BGHZ 21,306 (314); OLG Hamm IPRspr 1980. 287 (290 f.); zumindest mißverständlich dagegen MüKo I Winkler v. Mohrenfels Rn. 153 zu Art. 17 EGBGB 72

BGH IPRax 1987,317 (318); vgl. auch MüKo I Klauser Rn. 5 a. E. zu § 620b ZPO

73

Beitzke Sorgerechtsreg. 314; KKW I Amelung Rn. 1 zu § 18

Ohne sachliche Bedeutung daher die Unterscheidung von Bötticher, Habscheid, Rolhe u. Schäfer (oben Fn. 29 a. E.) 74

VIII. Zusammenfassung zur Abänderung ausländischer Entscheidungen

83

BGB, 18 I FGG) abgeändert werden wie deutsche, da es sich bei diesen Normen um Verfahrensrecht handelt, das als inländische lex tori stets Anwendung findet. Danach kann die betreffende Entscheidung an eine - gewandelte oder nachträglich richtig erkannte - materielle Rechtslage angepaßt werden, die ihrerseits nach dem anwendbaren Sachstatut zu beurteilen ist. Bestehen im Abänderungsverfahren Bindungen an die vom Erstrichter vorgenommenen Beurteilungen (so bei allen Normen außer § 18 I FGG), so sind diese Bindungen auch bei der Bestimmung des Sachstatuts zu beachten. Die Zugrundelegung eines neuen Sachstatuts ist daher in diesen Fällen nur angezeigt, wenn neue Tatsachen nach dem IPR des Entscheidungsstaates zu einem echten Statutenwechsel geführt haben, oder wenn anderenfalls ein nachträglicher ordre public-Verstoß einträte. Letzteres kann vor allem in Sorgerechtssachen vorkommen. Entscheidet das anwendbare materielle Recht nicht nach dem Wohl des Kindes, so könnte bei Beachtung der Bindung an dieses Recht eine im Interesse des Kindes offensichtlich erforderliche Abänderung nicht erfolgen. Daher ist das Sachrecht in diesem Fall neu zu bestimmen, d. h. in der Regel deutsches anzuwenden. Im Ergebnis können daher Sorgerechtsentscheidungen unabhängig vom bisherigen Sachstatut wie deutsche abgeändert werden. Beruht die Anerkennung der ausländischen Entscheidung auf einem internationalen Übereinkommen, so kann ihre Abänderbarkeit Einschränkungen unterliegen. Ein Umstand, der nach dem Staatsvertrag keine Versagung der Anerkennung rechtfertigt, darf auch nicht zu einer Abänderung führen. Insbesondere bei sog. "Kindesentführungen" wichtig ist, daß die Art. 10 I b EurÜbk sowie 16 HEntfÜbk sogar Schutz gegen die Abänderung von Sorgerechtsentscheidungen wegen veränderter Verhältnisse bieten. Alle Erwägungen gelten gleichermaßen für die förmliche wie für die konkludente Abänderung, d. h. auch für eine Neuentscheidung, die von der ursprünglichen (ausländischen) abweicht, ohne ihre Aufhebung ausdrücklich auszusprechen.

c. Wechselwirkungen von Vollstreckbarerklärung und Abänderung

Nachdem die Problemkreise der Vollstreckbarerklärung und der Abänderung ausländischer fG-Entscheidungen jeweils für sich untersucht worden sind, sollen nunmehr die wechselseitigen Auswirkungen behandelt werden. Daß die Frage nach derartigen Wechselwirkungen naheliegt, ergibt sich aus den Ausführungen zu Beginn des vorigen Kapitels l • Weder demjenigen, der die Durchsetzung einer ausländischen fG-Entscheidung betreibt, noch demjenigen, der mittels eines Abänderungsverfahrens zur "Gegenoffensive" übergegangen ist, nützt allein die isoliert betrachtete Erfolgsaussicht "seines" Verfahrens. Wenn der Erfolg von (zumindest einiger) Dauer sein soll, so muß er auch das jeweils andere Verfahren so beeinflussen können, daß er in ihm nicht wieder zunichte gemacht werden kann. Wie dieser Einfluß aussieht, soll im folgenden für die beiden denkbaren zeitlichen Konstellationen gezeigt werden. 2

J. Die Abänderung erfolgt zuerst 1. Nicht dem EurÜbk unterfallende Entscheidungen

Erreicht der durch die Entscheidung Beschwerte eine Abänderung derselben, noch bevor das vom anderen betriebene Vollstreckbarerklärungsverfahren abgeschlossen ist, so wäre es - jedenfalls bei rechtmäßiger Abänderungoffensichtlich widersinnig, wenn letzteres nichtsdestotrotz weitergeführt oder gar noch zum Erfolg gebracht werden könnte. Daß der Antrag auf Vollstreckbarerklärung zurückgewiesen werden muß, ist denn auch unbestritten. In einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahre 1986 wird dies mit der Erledigung der Hauptsache begründet; die zu vollstreckende Entscheidung sei

I

S. oben B vor I

Dabei soll in diesem Kapitel auch die oben (A V 3) abgelehnte, aber der h. M. entsprechende und in der Praxis durchgeführte Vollstreckbarerklärung nach innerstaatlichem fG-Recht (s. oben A II mit Fn. 16, 19,21) Berücksichtigung finden. 2

I. Die Abänderung erfolgt zuerst

85

durch die Abänderung gegenstandslos geworden. 3 Dagegen richtet sich die Kritik von H. Roth, der die Rechtsfigur der Erledigung allenfalls entsprechend heranziehen möchte. Die unmittelbare Anwendung scheitere daran, daß Abänderungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahren zwei verschiedene Verfahrens gegenstände aufwiesen. Eine zwingende Präjudizwirkung des einen für das andere Verfahren könne zumindest da, wo - wie z. B. in Sorgerechtssachen4 - keine materielle Rechtskraft existiere, nicht angenommen werden. 5 a) Aus der Tatsache, daß zwei Verfahren verschiedene Gegenstände haben, folgt indes nicht, daß das Ergebnis des einen (= Abänderung) nicht den Gegenstand des anderen (des Vollstreckbarerklärungsverfahrens), nämlich die Ausgangsentscheidung als solche, wegfallen lassen könnte. Daß die abgeänderte Entscheidung ihre Wirksamkeit einbüßt, hat auch nichts mit einer möglichen Rechtskrajtwirkung der Abänderungsentscheidung zu tun. Vielmehr ist es die Gestaltungswirkunl der Abänderung, durch die die Ursprungsentscheidung (bzw. bei einer ausländischen Ursprungsentscheidung: deren Inlandswirkung) vernichtet wird. 7 Daß eine solche Gestaltungswirkung auch einer nicht rechtskraftfähigen Entscheidung zukommen kann, ist unbestritten. Gerade in der freiwilligen Gerichtsbarkeit, wo Rechtskraft nach herrschender Ansicht eher die Ausnahme ist, kommen Gestaltungsentscheidungen sogar sehr häufig vor. Sie wirken, sofern sie nicht nichtig sind, für und gegen alle; solange sie nicht ihrerseits aufgehoben oder abgeändert sind, kann sich auch ohne Rechtskraft niemand darauf berufen, daß sie inhaltlich falsch seien. 8 Somit ist eine Abänderungsentscheidung durchaus in der Lage, die Erledigung eines anderen Verfahrens (Vollstreckbarerklärung) herbeizuführen. b) Es fragt sich aber, ob das auch für eine nicht ausdrücklich ausgesprochene Abänderung gilt. So kann es z. B. sein, daß das deutsche Gericht die Anerken-

l BGH FamRZ 1987. 469 (470) - bei der Abänderungsentscheidung handelt es sich um die bereits mehrfach zitierte BGH IPRax 1987. 317 f. -; ebenso Staudinger I Coester Rn. 226 zu § 1671 4

Die zitierte BGH-Entscheidung bezieht sich auf eine solche.

S

Roth ZwV 80

Vgl. BL I Hartmann Rn. I zu § 323; Rosenberg I Schwab § 159 II I; Zöller I Vol!kommer Rn. 2 zu § 323 6

7 OLG Stuttgart Rpfleger 1985. 199 (199) (für § 642b ZPO): alte Entscheidung "verliert Wirkung"; Furtner 1053 (für § 323 ZPO): "Titeleigenschaft geht verloren"; Zöller I Philippi Rn. 12 zu § 642b: neue Entscheidung "tritt an die Stelle" der alten 8 BayObLG NJW 1981.2524 (2524); Baur § 2 B VI 3 a aa; Kollhosser I Bork Fälle 90 I. 89 II 2 a; vgl. auch Bärmann § 15 IV 2 a; Brehm § 21 II 3 e

C. Wechselwirkungen von Vollstreckbarerklärung und Abänderung

86

nungsfahigkeit der alten Entscheidung bewußt offen lassen wolIte und daher schlicht eine neue Sachentscheidung gefalIt hat. Eine Gestaltungswirkung ist dann nicht auf den ersten Blick erkennbar. Wenn aber in diesem FalI die Vorentscheidung anerkennungsfähig war, so handelt es sich, wie bereits ausgeführt,9 um eine volIwertige Abänderung, die das Gericht ja zumindest hilfsweise in Betracht gezogen und deren Voraussetzungen es mithin auch bewußt bejaht hat. So bestünden an sich keine Bedenken, ihr dieselbe Gestaltungswirkung zuzubilligen wie einer förmlich ausgesprochenen Abänderung. c) Indes ist der Entscheidung bei Betrachtung ihres Tenors nicht anzusehen, ob es sich tatsächlich um solch eine bewußte, wenn auch "verdeckte" Abänderung handelt. Ebensogut kann dem Gericht die Existenz der ausländischen Vorentscheidung verborgen geblieben sein; es kann ihre Anerkennungsfahigkeit auch zu Unrecht verneint haben. In diesen Fällen wäre die Einhaltung der Abänderungsvorschriften rein zufallig. Vielmehr handelt es sich dann schlicht um eine Kollision zweier widersprechender Entscheidungen. Die Behandlung einer derartigen Kollision ist streitig. Zum Teil wird ein "Vorrang" der älteren Entscheidung befürwortet, was aus dem Restitutionsgrund des § 580 Nr. 7 a ZPO hergeleitet wird. 1O Diese Auffassung ist zumindest mißverständlich. Aus § 580 Nr. 7 a ZPO folgt lediglich, daß (unter bestimmten Voraussetzungen) die Möglichkeit besteht, der älteren von zwei widersprechenden Entscheidungen den Vorrang zu verschaffen. Daraus folgt aber zugleich im Umkehrschluß, daß, wenn bzw. solange von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht wurde, von zwei sich widersprechenden Entscheidungen die jüngere verbindlich ist ll anderenfalls hätte das Restitutionsverfahren ja nur eine rein deklaratorische Funktion. Daß "der letzte Befehl heilig"12 sein muß, ergibt sich im übrigen auch daraus, daß es im Ergebnis keinen Unterschied macht, ob die unrechtmäßige Abweichung von dem ursprünglichen ,,Befehl" auf Übersehen bzw. Verneinung seiner Existenz beruht oder z. B. auf bewußter, aber falscher Anwendung der Abänderungsregeln. Wollte man hier differenzieren, so müßte man es von den Gründen der neuen Entscheidung abhängig machen, ob nun sie oder die alte gilt. Der Blick aufs Datum ist da wesentlich praktikabler. Er führt

9

Oben B VII

BGH NJW 1981,1517 (1518); Schack AnE 219; mit etwas unklarer Differenzierung wohl auch Zöller / Vollkommer Rn. 78 vor § 322 10

11 StJ / Leipold Rn. 226 zu § 322; ebenso RGZ 52, 216 (218), Braun § 13 I 2 a und Gaul Zweittit. 168; speziell für Auslandsfälle: Kohler 469 f. sowie Rahm / Künkel / Breuer Rn. VIIU260 12

So Kegel § 22 V I e (694 unten)

I. Die Abänderung erfolgt zuerst

87

sowohl für den Laien, der wissen will, "woran er ist", als auch ggf. für den Gerichtsvollzieher, dem nur Rubrum und Tenor zur Verfügung stehen, zu einem eindeutigen Ergebnis. Daher ist in allen Fällen voneinander abweichender Entscheidungen, ob mit oder ohne ausdrückliche Abänderung oder Aufhebung, grundsätzlich davon auszugehen, daß die neuere die ältere verdrängt,13·14 also insoweit rechts gestaltend wirkt. Der BGH nimmt mithin zu Recht an, daß sich ein Verfahren, das auf Vollstreckbarerklärung der älteren gerichtet ist, damit in der Hauptsache erledigt.

2. Abänderung von Entscheidungen im Anwendungsbereich des EurÜbk

Die gerade gefundene Regel erleidet allerdings im Anwendungsbereich des EurÜbk eine Ausnahme. Es wurde bereits ausgeführt, daß die Anerkennung einer Sorgerechtsentscheidung aufgrund dieses Übereinkommens durch eine abweichende deutsche Neuentscheidung (= Abänderung) nur unter den Voraussetzungen der Art. 9 I c, 10 I diS oder 10 I b l6 beeinträchtigt werden kann. Dasselbe gilt für die Vollstreckbarerklärung nach dem EurÜbk: auch sie darf wegen einer inzwischen ergangenen Abänderung nur unter den genannten Voraussetzungen verweigert werden. Eine Abänderungsentscheidung, die von keinem dieser Tatbestände gedeckt, also ,,EurÜbk-widrig" ist, kann deshalb nicht zur Erledigung eines EurÜbk-Vollstreckbarerklärungsverfahrens führen. Konstruktiv kann dies übrigens nur so erklärt werden, daß eine EurÜbkwidrige Abänderungsentscheidung von vornherein keinerlei Rechtswirkungen hat - und zwar selbst dann, wenn sie in völliger Unkenntnis der ausländischen Entscheidung erlassen wurde ("faktische" Abänderung). Vielmehr muß die ausländische Entscheidung voll wirksam geblieben sein, denn einmal vernichtete

1) AG Gumrnersbach NJW-RR 1986. 1391 (1392); insoweit bestätigt durch OLG Köln IPRax 1988. 30 (30)

14 Für AuslandsfalJe. in denen sich die Anerkennung nach autonomem Recht oder nach dem EuGVÜ richtet. folgt ein automatischer Vorrang der deutschen Entscheidung im übrigen - unabhängig von der zeitlichen Reihenfolge - auch aus § 16a Nr. 3 I. Alt. FGG bzw. Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ.

15

S. oben B VI 2 a

16

S. oben B VI 2 b

88

C. Wechselwirkungen von Vollstreckbarerklärung und Abänderung

Entscheidungswirkungen wiederherzustellen wäre ein (bloß deklaratorisches!11) Anerkennungsverfahren nicht in der Lage.

11. Die Vollstreckbarerklärung erfolgt zuerst Auf den ersten Blick nicht ganz so deutlich erkennbar ist, warum auch umgekehrt eine erfolgte Vollstreckbarerklärung der ausländischen Entscheidung Einfluß auf ihre künftige Abänderbarkeit haben sollte. Zwar kommt auch der Vollstreckbarerklärung eine rechtsgestaltende Wirkung zu, indem sie der Entscheidung originär eben die Vollstreckbarkeit für das deutsche Hoheitsgebiet verleiht. Dies hat aber auf ihre übrigen Inlandswirkungen zunächst einmal keinen unmittelbaren Einfluß. Dennoch liegt hier eine wichtige verfahrensrechtliche Problematik, die sich am anschaulichsten durch die Schilderung eines Originalfalles verdeutlichen läßt.

1. Der Fall

Es handelt sich wiederum um einen Sorgerechtsstreit. Betroffen war das Kind eines italienischen Vaters und einer deutschen Mutter. Bis zur Trennung der Eltern im Jahre 1981 lebte die Familie in Italien. Danach verzog die Mutter nach Deutschland und nahm das Kind unter Verstoß gegen die Auflage eines italienischen Gerichts nach Deutschland mit. Dieses Gericht erließ daraufhin eine Herausgabeanordnung zugunsten des Vaters. 18 Sein Antrag auf Vollstreckbarerklärung hatte - nach Obsiegen in erster und Niederlage in zweiter Instanz 19 - schließlich vor dem BGH Erfolg. 20 Der Erfolg des Vaters war jedoch nicht von langer Dauer. Noch bevor er eine Vollstreckung erreichen konnte, weniger als acht Wochen nach der BGH-Entscheidung, hob das AG Duisburg die italienische Anordnung kurzerhand auf und übertrug die elterliche Sorge der Mutter. Aufgrund der Integration des Kindes in Deutschland sei die

17

Vgl. § 7 III SorgeRÜbkAusfG: ,,Feststellung"

Außer Betracht bleiben soll hierbei zunächst, daß es sich im Originalfall um eine einstweilige Herausgabeanordnung handelte (dazu unten D) 18

1. OLG Düsseldorf FamRZ 1983,421 (421 ff.) 20

BGHZ 88, 113 (113 ff.)

11. Die Vollstreckbarerklärung erfolgt zuerst

89

Rückführung nach Italien nicht mehr mit dem Kindeswohl zu vereinbaren und verstoße daher gegen den ordre public. Diese Auffassung wurde in zweiter Instanz bestätigt;21 auch mit einer Verfassungsbeschwerde drang der Vater nicht durch. In der Literatur erhob sich herbe Kritik gegen das - in der Tat äußerst unbefriedigende - Ergebnis. Mit Recht wurde bemängelt, daß ein Amtsrichter auf diese Weise den Spruch eines obersten Gerichts faktisch hinfallig und damit das Ergebnis eines langen, mühseligen Verfahrens zunichte machen könne, ohne daß sich in der Sache etwas verändert habe. 22 Daß eine erhebliche sachliche Veränderung in der kurzen Zeit nicht eingetreten sein konnte, hatte das AG vennutlich sogar selbst erkannt und wohl deshalb die offene Auflehnung gegen den BGH vorgezogen - Originalzitat: ,,Nur so kann das nötige Gegengewicht gegen den nicht angreifbaren Vollstreckbarkeitsbeschluß des Bundesgerichtshofes gebildet werden, der somit gegenstandslos geworden ist. ,,23 Ob und wie einer künftigen Wiederholung des unerfreulichen Vorgangs nach derzeit geltendem Recht zu begegnen ist, ist noch nicht geklärt.

2. Lösungsansätze in der Literatur

a) K. Siehr, der dem Fall einen ganzen Aufsatz gewidmet hat, bezweifelt zum einen die Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen in dem amtsrichterlichen Abänderungsbeschluß (z. B. des angeblichen Verlustes der italienischen Sprachkenntnisse des Kindes seit der "Entführung"). Der Sachverhalt sei unsorgfältig aufgeklärt worden (z. B. infolge Nichtberücksichtigung eines italienischen Gutachtens). Zum anderen kritisiert er die Auslegung des Kindeswohlbegriffs im Abänderungsverfahren. Es sei inkonsequent, die zwischenzeitliche Integration des Kindes in Deutschland als Hindernis für die Rückführung anzusehen, da man der Mutter ja auch für die Zukunft einen Ortswechsel mit dem Kind sogar zurück nach Italien - nicht verbieten könne. Das Verlassen einer gewohnten Umgebung sei ein nonnaler Vorgang, den die meisten Kinder zuweilen über sich ergehen lassen müßten und bei dem sie keinen Schaden nähmen. 24

21

OLG Düsseldorf FamRZ 1984, 194 (194 ff.)

22

Roth ZwV 79 f.; Siehr Selbstjustiz 311 f. (dort auch weitere Einzelheiten des Sachverhalts)

23

AG Duisburg v. 06.09.1983 (Zitat bei Siehr Selbstjustiz 311)

2A

Siehr Selbstjustiz 311 f.

90

C. Wechselwirkungen von Vollstreckbarerklärung und Abänderung

Zusammenfassend möchte Siehr die Problematik bei Sorgerechtsentscheidungen vor allem dadurch in den Griff bekommen, daß die Abänderungsvoraussetzung der ernsthaften Kindeswohlgefährdung in § 1696 BGB 2s restriktiver gehandhabt wird. 26 b) H. Roth stellt demgegenüber grundsätzlichere verfahrensrechtsdogmatische Überlegungen an. Er sucht nach Argumenten, auf die sich Bindungswirkungen der Vollstreckbarerklärung gegenüber einem laufenden oder nachfolgenden Abänderungsverfahren stützen lassen. Nach seiner Ansicht lassen sich dafür sowohl die Lehre A. Zeuners von der Rechtskraft im Rahmen rechtlicher Sinnzusammenhänge, als auch die Gedanken W. Henckels zur Rechtskraft von Entscheidungsgründen entsprechend heranziehen. Ausgangspunkt für Roth ist, daß Vollstreckbarerklärung und Abänderung grundSätzlich verschiedene Verfahrensgegenstände aufweisen. 27 Bei ersterer ist dies die Verleihung der Vollstreckungswirkung für das Inland;28 bei letzterer geht es um den materiellen Anspruch selbsf9 - oder hier: um die materielle Verpflichtung zur Kindesherausgabe. aa) Bei dieser formalen Betrachtung dürfe man jedoch insbesondere in der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht stehenbleiben, da diesem Rechtsgebiet eine untrennbare Verzahnung von sachlichem und Verfahrensrecht eigentümlich30 sei. Die beiden Verfahren seien funktionell weitgehend austauschb~1 und stünden in einem rechtlichen Sinnzusammenhang, der auf der beiden gemeinsamen Kindeswohlgebundenheit beruhe.32 Der Begriff des Sinnzusammenhangs wurde von Zeuner mit dem Ziel eingeführt, die herrschende Auffassung über die sachliche Reichweite der Rechtskraft im Zivilprozeß fortzuentwickeln. Nach seiner Ansicht soll sich die Rechtskraft eines Zivil urteils in einem Folgeprozeß nicht nur dann auswirken, wenn es dort

25

S. oben B Fn. 67

26

Siehr Selbstjustiz 3 I 2

27

Roth ZwV 80

28 BL I Hartmann Rn. 2 zu § 722; MüKo I Gottwald Rn. 17 zu § 722 ZPO; Zöller I Geimer Rn. 6 zu § 722; etwas ungenauer Thomas I Putzo Anm. 3 b zu § 722 f.: ,.zulässigkeit der inländischen Zwangsvollstreckung" 29

StJ I Leipold Rn. 34 zu § 722

30

Roth ZwV 78

31

Roth ZwV 79

32

Roth ZwV 80 f.

11. Die Vollstreckbarerklärung erfolgt zuerst

91

um eine mit dem ersten Ausspruch identische bzw. genau entgegengesetzte Rechtsfolge geht, oder wenn eine solche Rechtsfolge dort präjudiziell ist. Vielmehr soll die Rechtskraft darüber hinaus auch Rechtsfolgen ergreifen, die mit der im ersten Prozeß ausgeworfenen "nur" in einem teleologischen Sinnzusammenhang stehen.33 Ein derartiger Sinnzusammenhang ist nach Zeuner dann gegeben, wenn die eine (= entschiedene) Rechtsfolge auf die andere (= nunmehr erhebliche) "angelegt" oder "ausgerichtet" ist. 34 Die zweite Rechtsfolge muß - ggf. vorbehaltlich des Hinzutretens weiterer Tatbestandsmerkmale - zum Gehalt der durch die erste "intendierten Ordnung" gehören. 35 Als Beispiel nennt er das Verhältnis von negatorischem Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch (z. B. § 1004 I 2/ § 823 I BGB). Ein stattgebendes Unterlassungsurteil sei gerade auf die vorbeugende Verhinderung dessen gerichtet, was anderenfalls - sofern ein Verschulden hinzukomme - durch den Ersatzanspruch ausgeglichen werden müsse. Aufgrund dieses Sinnzusammenhangs müsse das Unterlassungsurteil für den nachfolgenden Schadensersatzprozeß, obwohl strenggenommen nicht präjudiziell, Rechtskraftwirkung entfalten. 36 Ebenso bejaht Zeuner einen Sinnzusammenhang dann, wenn zwar nicht die eine Rechtsfolge auf die andere ausgerichtet ist, aber stattdessen heide gleichermaßen auf ein und dieselbe Ordnung zielen. Das sei z. B. bei Naturalrestitution und Geldersatz der Fa1l3? oder bei Wandlung und Minderung. 38 Auch dort müsse deshalb das Urteil über eine der beiden Rechtsfolgen für einen zweiten Prozeß über die andere hinsichtlich der gemeinsamen Tatbestandsmerkmale verbindlich sein. Das gemeinsame Ziel von Vollstreckbarerklärung und Abänderung einer Sorgerechtsentscheidung sieht Roth in der Verwirklichung des Kindeswohls. Daß es um ein Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit gehe, das keine materielle Rechtskraft kenne, soll einer entsprechenden Anwendung der Gedanken Zeuners

33

Zeuner 173

:w Zeuner 44 3S

Zeuner 52 ff.

36

Zeuner 58 f.

37

Zeuner 164 ff.

38

Zeuner 170 f.

92

C. Wechselwirkungen von Vollstreckbarerklärung und Abänderung

nicht entgegenstehen. Daher müsse man von einer Bindungswirkung der Vollstreckbarerklärung gegenüber dem Abänderungsverfahren ausgehen. 39 bb) Die Erstreckung dieser Bindungswirkung gerade auch auf die Gründe der Vollstreckbarerklärungsentscheidung möchte Roth zusätzlich mit den Thesen Henckels untennauern. Henckel befaßt sich mit der Frage, wie eine unterlegene Zivilprozeßpartei die Bindung an das rechtskräftige Urteil in einem zweiten Prozeß mittels neuer Tatsachenbehauptungen "abschütteln" kann. 40 Er kommt zu dem Ergebnis, daß sich die Partei an der gerichtlichen Beurteilung derjenigen Merkmale, zu denen vorzutragen sie in der damaligen Prozeßsituation Veranlassung hatte, nunmehr festhalten lassen muß. Insoweit sei also eine vom Ersturteil abweichende Beurteilung nur aufgrund eines nachträglichen Ereignisses möglich.

Die genannte "Veranlassung", über ein bestimmtes TatbestandsmerkmaI (z. B. Entstehung einer Forderung) zu streiten, habe im ersten Prozeß nicht bestanden, wenn dieser Prozeß bereits aus einem anderen Grund (z. B. unstreitig fehlende Fälligkeit) ohnehin verloren gewesen sei. Da in diesem Fall angesichts der entscheidungsreifen Klage weiterer Partei vortrag zu dem ersten Merkmal (Entstehung) keinen Sinn gehabt hätte, komme Feststellungen des Gerichts zu diesem Merkmal keinerlei Richtigkeitsgarantie zu. Habe das Gericht also in dem Beispiel die Klageabweisung - nach Absehen des Klägers von weiterem Vortrag bzw. Beweisantritt - schließlich doch mit der Nichtentstehung der Forderung begründet, so könne nach Wegfall des Fälligkeitshindernisses in einem zweiten Prozeß trotzdem erneut um die Entstehung gestritten werden. Letztere nunmehr zu bejahen, sei dem Zwei trichter mithin auch ohne nachträgliche Tatsachenveränderungen möglich. An die Beurteilung eines Merkmals dagegen, auf das es in der letzten Tatsachenverhandlung des ersten Prozesses noch zwingend angekommen sei (so wenn im obigen Beispiel der Prozeßausgang nur von der Forderungsentstehung abhängig gewesen wäre), soll der Zweitrichter, wie gesagt, gebunden sein. Die Richtigkeit der Beurteilung eines solchen Merkmals sei durch die gesetzliche Verfahrensgestaltung verbürgt da festgestanden habe, daß das Gericht den Punkt nicht würde offenlassen können, seien die Parteien in ihrem eigenen Interesse gehalten gewesen, hierzu sorgfältig vorzutragen. Daher sei es ge-

39

Roth ZwV 80

40

Henckel 150 ff.

11. Die Vollstreckbarerklärung erfolgt zuerst

93

rechtfertigt, die entsprechenden Teile der Urteilsgründe in die Rechtskraftwirkung einzubeziehen. 41 In einem Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz (z. B. Verwaltungsprozeß, aber auch fG-Verfahren) soll es auf das Eigeninteresse der Parteien nicht ankommen: dort werde das Prozeßergebnis durch die Amtsaufklärungspflicht des Gerichts gesichert42 • Roth schließt daraus, daß in einem solchen Verfahren folglich die Richtigkeit aller tragenden Entscheidungsgründe "verbürgt" sei. Im Vollstreckbarerklärungsverfahren betreffe das insbesondere die Beurteilung des - stets erheblichen - Kindeswohls. Der Abänderungsrichter dürfe von dieser Beurteilung nach allem nur aufgrund solcher Umstände abweichen, die zeitlich nach der Vollstreckbarerklärung eingetreten seien. 43

3. Stellungnahme Daß die Möglichkeit, das Abänderungsverfahren als "zweiten Instanzenzug" gegen eine Vollstreckbarerklärung zu mißbrauchen, Einschränkungen erfahren soll, ist im Ergebnis zu begrüßen. Es kann nicht richtig sein, daß auf diese Weise das Verfahren insgesamt (weiter) in die Länge gezogen und am Ende das Argument des Zeitablaufs (,,Integration des Kindes in Deutschland") auch noch mit Erfolg dazu benutzt wird, sich die Mißachtung des ausländischen Richterspruchs hier offiziell sanktionieren zu lassen. Wesentlich entschärft ist die Problematik inzwischen dadurch, daß die Bundesrepublik Deutschland das EurÜbk und das HEntfÜbk ratifiziert hat. Wie bereits dargestellt,44 bieten diese Abkommen in ihrem Anwendungsbereich ausländischen Sorgerechtsentscheidungen einen weitgehenden Schutz gegen Abänderung - insbesondere dann, wenn eine "Kindesentführung" ("widerrechtliches / unzulässiges Verbringen") stattgefunden hat. Jedoch sind die Abkommen im Verhältnis zu vielen Staaten nicht anwendbar und auch eine ,,Entführung" muß in den einschlägigen Fällen nicht unbedingt vorgelegen haben. Da

41

Henckel 154 ff., 170

42

Henckel 224

43

Roth ZwV 80 f.

44

Oben B VI 2, 3 a

94

C. Wechselwirkungen von Vollstreckbarerklärung und Abänderung

nach Rechtsprechung und herrschender Lehre4S die Vollstreckbarerklärung auch ohne Eingreifen eines Staatsvertrages möglich ist, kann sich folglich das Problem nach wie vor stellen. Zu prüfen ist deshalb, ob die bisher vorgeschlagenen Lösungswege überzeugend sowie mit dem geltenden Recht zu vereinbaren sind. a) Den Ausführungen von Siehr kann sicherlich zugestimmt werden. Indes ist zu bezweifeln, ob sich damit die Problematik über den - ohnehin abgeschlossenen - Einzelfall hinaus lösen läßt. Daß beispielsweise unsorgfaltige oder aus sonstigen Gründen falsche Tatsachenfeststellungen zu folgenschweren Fehlentscheidungen führen, kommt bedauerlicherweise auch in zahllosen anderen Fallkonstellationen vor und ist hier nicht besonders typisch. Die berechtigte Kritik an der Auslegung des Kindeswohlbegriffs trifft die spezielle Problematik der Auslands- bzw. ,,Entführungs"falle schon eher. So wäre in der Tat einiges gewonnen, wenn die Tendenz zur Bevorzugung des deutschen Elternteils - manche behaupten sogar: insbesondere der deutschen Mutter46 - von allen Gerichten aufgegeben würde. Auch ist zu überlegen, ob man die in einer ,,Entführung" liegende Verletzung des Elternrechts des anderen Teils (Art. 6 II 1 GG!) wirklich unberücksichtigt lassen muß. 47 Immerhin ist die Vorbildfunktion des ,,Entführers" bei der Erziehung des Kindes zum rechtstreuen Bürger beeinträchtigt und damit auch das Kindeswohl betroffen. 48 Doch auch mit der Betonung dieses Punktes erhält die dem Abänderungsverfahren vorangegangene Vollstreckbarerklärung noch kein eigenes Gewicht. Obwohl Siehr den Autoritätsverlust des Gerichts, das sie ausgesprochen hat (hier: des BGH), ausdrücklich in seine Betrachtung einbezieht und kritisiert,49 findet sich die Vollstreckbarerklärung in seinen Lösungsvorschlägen letztlich nicht als Argument wieder.

45

S. oben A 11 Fn. 16. 19. 21

46 So Schlosshauer-Selbach 537. Inwieweit der Gesichtspunkt des Geschlechts tatsächlich (unausgesprochen) eine Rolle in der gerichtlichen Praxis spielt. mag hier offenbleiben. Unübersehbar ist jedenfalls. wie bedenklich schnell die Rechtsprechung einen offensichtlichen Kindeswohl- (und damit ordre public-)Verstoß durch Anwendung ausländischen Rechts bejaht: vgl. jüngst wieder BGH NIW 1993.848 (849), wo ein solcher Verstoß schon bei nicht optimaler Kindeswohigemäßheit des fremden Rechts angenommen wird.

47 So BGH FamRZ 1981, 135 (138); OLG Düsseldorf FamRZ 1984, 194 (195);jür Berücksichtigung OLG Bamberg NIW-RR 1990, 774 (775); MüKo I Hinz Rn. 4a zu § 1696; SchlosshauerSelbach 537 48

OLG Bamberg NIW-RR 1990,774 (775); ähnlich auch BVerfG NIW 1981, 1771 (1773)

49

Siehr Selbstjustiz 312

11. Die Vollstreckbarerklärung erfolgt zuerst

95

b) Daher kommt dem verfahrensrechtlichen Ansatz von Roth von vornherein eine größere Überzeugungskraft zu. Zu prüfen ist, ob sich eine Bindungswirkung zwischen Vollstreckbarerklärungs- und Abänderungsverfahren tatsächlich auf die von ihm herangezogenen Lehrmeinungen Henckels und Zeuners gründen läßt. aa) Mit der Behauptung, daß es nach geltendem Recht eine Bindungswirkung von Entscheidungsgründen gibt, vertritt Henckel zunächst einmal keineswegs eine isolierte Einzelmeinung. Es ist im Gegenteil allgemein anerkannt, daß, wenn ein bereits rechtskräftig beschiedener Anspruch unter Berufung auf neue Tatsachen erneut eingeklagt wird, der Zweitrichter an die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des ersten Urteils gebunden ist. Ob die neuen Tatsachen erheblich sind, ist ebenfalls anhand der alten Urteilsgründe zu beurteilen. Dabei kommt es für die herrschende Meinung nicht einmal darauf an, ob jeweils die ,,Richtigkeit verfahrensrechtlich verbürgt" ist, ob also die Parteien im Geltungsbereich der Verhandlungsmaxime - "Veranlassung" hatten, zu dem entsprechenden Tatbestandsmerkmal vorzutragen oder nicht. 50 Die h. M. nimmt insoweit mithin sogar eine weitergehende Bindungswirkung von Entscheidungsgründen an als Henckel. In eigenständige Rechtskraft erwachsen die Feststellungen damit aber nicht. Vielmehr dient die geschilderte Bindung an die Gründe, die auch als ,,relative Rechtskraft" bezeichnet wird,51 lediglich dem Schutz der eigentlichen ("absoluten") Rechtskraft des Ausspruchs. Dessen Verbindlichkeit könnte anderenfalls durch Behaupten neuer Tatsachen allzuleicht ausgehebelt werden. 52 Letztlich handelt es sich bei der ,,relativen" Rechtskraft um nichts anderes als um diejenige Bindungswirkung, die, wie bereits angesprochen,53 auch in den mei-

50 BGH NJW 1984, 126 (127 a. E.); Blomeyer ZPR-I § 89 IV 1; Grunsky VerfR § 47 V 1 c; MüKo I Gottwald Rn. 142 zu § 322 ZPO; Rosenberg / Schwab § 15611 1; StJ / Leipold Rn. 247 ff. zu § 322; Thomas / Putto Anm. 7 zu § 322; Zöller / Vollkommer Rn. 55 a. E. vor § 322. Für den Verzicht auf die Differenzierung Henckels spricht in der Tat einiges: sie ist schwer zu handhaben, da sie den Zweitrichter zu nachträglichen hypothetischen Erwägungen zwingt (so MüKo / Gottwald und sogar Henckel [171] selbst). Wer auf gegnerisches Vorbringen nicht erwidert, weil er den Prozeß ohnehin verloren geben und sich deshalb die "Mühe" sparen will, handelt auf eigenes Risiko (Grunsky VerfR [527 f.]). Als Kläger könnte er in diesem Fall überdies die Klage zurücknehmen und so jegliche unliebsame Bindung vermeiden.

51

Z. B. von Rosenberg / Schwab § 156 11 1 (942 a. E.)

52

Rosenberg / Schwab § 156 11 1; StJ I Leipold Rn. 247. 250 zu § 322

53

Oben B 111 1 a,2 a, IV, V

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C. Wechsel wirkungen von Vollstreckbarerklärung und Abänderung

sten Abänderungsverfahren (außer in demjenigen nach § 18 I FGG) zu beachten ist. 54 Aufgrund dieser bloßen Hilfsfunktion kann die ,,relative Rechtskraft" in dem hier entscheidenden Punkt, nämlich in ihrer Reichweite, weder über die letztgenannte Bindungswirkung noch über die "absolute" Rechtskraftwirkung hinausgehen. Auch sie ist damit nach herkömmlicher Auffassung nur in solchen späteren Verfahren zu beachten, in denen es entweder um dieselbe Rechtsfolge geht wie im ersten (Identität) oder um eine Rechtsfolge, für die die erstbeschiedene vorgreiflich ist (Präjudizialität).55 Da aber gerade diese Voraussetzung im Verhältnis des Vollstreckbarerklärungs- zum Abänderungsverfahren problematisch ist, kann die ,,relative Rechtskraft" - selbst mit "Unterstützung" durch den Untersuchungsgrundsatz - hier jedenfalls für sich allein nicht weiterhelfen. bb) Indes behauptet Henckel weiter, für die ,,Rechtskraft der Gründe" komme es auf Identität oder Präjudizialität des Verfahrensgegenstandes nicht an. 56 Mit dieser Aussage setzt er sich - zunächst - ebenfalls noch nicht in Widerspruch zur herkömmlichen Ansicht. Vielmehr will er zunächst nur betonen, daß Identität oder Präjudizialität des Verfahrensgegenstandes - trotz gleicher oder vorgreiflicher Rechtsfolge - strenggenommen bereits dann nicht mehr gegeben sein können, wenn im zweiten Verfahren neue Tatsachen behauptet werden. 57 Auf diese Weise ändert sich nämlich der Lebenssachverhalt, der von dem herrschenden sog. zweigliedrigen StreitgegenstandsbegrifF8 ebenso umfaßt wird wie die in Rede stehende Rechtsfolge. In seinen weiteren Ausführungen59 will Henckel das Erfordernis der Identität bzw. Präjudizialität dann jedoch auch bezüglich der Rechtsfolge lockern. Im Gegensatz zur traditionellen Ansicht möchte er Rechtskraftwirkungen schon dann eintreten lassen, wenn der wirtschaftliche Wert, der im ersten Verfahren

S