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German Pages 300 Year 2020
Sebastian Lemme Visualität und Zugehörigkeit
Postcolonial Studies | Band 41
Sebastian Lemme ist Soziologe an der Universität Bielefeld, wo er als wissenschaftlicher Mitarbeiter unter anderem am Institute for World Society Studies tätig war. Er promovierte an der Bielefeld Graduate School in History and Sociology (BGHS) und war 2018 Gastwissenschaftler an der Boston University. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Bild- und Medienanalysen im Zusammenhang mit Rassismus, Migration sowie Rechtsextremismus und er forscht im Bereich der Postkolonialen Soziologie und der Visual Culture Studies.
Sebastian Lemme
Visualität und Zugehörigkeit Deutsche Selbst- und Fremdbilder in der Berichterstattung über Migration, Flucht und Integration
Die vorliegende Arbeit wurde an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld als Dissertation angenommen.
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Inhalt
Danksagung | 9 Einleitung | 11
TEIL I – POSTKOLONIALE STUDIEN, CRITICAL WHITENESS STUDIES UND RASSISMUSFORSCHUNG Postkoloniale Studien | 29 1.1 Theoretische Hintergründe und Versuch einer Genealogie | 30 1.2 Forschungsziele, methodische Zugänge und politische Positionierungen | 35 1.3 Postkoloniale Repräsentationskritik: Orientalismus, Othering und die Konstruktion des westlichen Selbst | 41 1.4 Hybride Kulturen, Stereotypisierung und Zugehörigkeit | 45 1
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Critical Whiteness Studies und rassismuskritische Analyseansätze | 49
2.1 Entstehungskontext und Forschungsziele | 50 2.2 Whiteness: Unmarkierte Norm und relationale Differenzkonstruktion | 52 2.3 Rassismusforschung in Deutschland | 56 2.4 Weißseinsforschung in Deutschland | 59 2.5 Okzidentale Selbstbilder und Stereotypisierungen in der Medienberichterstattung | 62
TEIL II – VISUAL CULTURE, BILDSEMIOTIK UND DIE ERFORSCHUNG VISUELLER KOMMUNIKATION Bildsemiotik und visuelle Kommunikation | 69 3.1 Bilder als Zeichen – Theoretische Grundannahmen | 71 3.2 Die Rhetorik des Bildes – Denotative und konnotative Aspekte von Fotografien | 74 3.3 Soziosemiotische Bildanalyse nach Kress und van Leeuwen | 78 3
3.4 Visuelle Kommunikation: Methoden und Analyseansätze | 81 3.4.1 Die Erforschung von Medienbildern | 81 3.4.2 Bildinhaltsanalyse und visuelles Framing | 82 3.4.3 Studien zur Erforschung visueller Frames | 87 3.4.4 Studien zur Erforschung visueller Stereotypisierungen | 89 3.5 Zwischenfazit – Bildsemiotik und die Erforschung visueller Kommunikation | 93 Methodik und Forschungsdesign | 95 4.1 Analyseverfahren | 95 4.1.1 Aufbau der Studie und Datensample | 96 4.1.2 Diskurs- und frameanalytisches Arbeiten mit Fotografien | 101 4.2 Methodisches Vorgehen und Analysekategorien | 108 4.2.1 Analyse der Bildinhalte und Repräsentationsweisen | 108 4.2.2 Analyse der Interaktionalen Metafunktion | 109 4.2.3 Analyse der Kompositorischen Metafunktion | 114
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TEIL III – ANALYSE: DIE FOTOGRAFISCHE MEDIENBERICHTERSTATTUNG ÜBER MIGRATION, FLUCHT UND I NTEGRATION, 2006-2015 5
Visuelle Frames, Repräsentationen und Zugehörigkeiten | 121
5.1 Medienberichterstattung und Framing | 121 5.2 Rollen- und Geschlechterbilder | 129 5.3 Zugehörigkeitszuschreibungen und Interaktionale Bildanalyse | 131 6
Visuelle Feinanalyse: Stereotype, Darstellungsmuster, Grenzziehungen | 137
6.1 Integration, Migration und Islam | 137 6.1.1 Alltagsszenen im urbanen Raum | 137 6.1.2 Schule, Bildung und Integration | 146 6.1.3 Arbeit, Ausbildung und Karriere | 153 6.1.4 National-Symbole und Zugehörigkeiten | 158 6.1.5 Islam und Integration | 165 6.2 Flucht- und Asylpolitik | 172 6.2.1 Ankunft und Aufnahme von Geflüchteten | 172 6.2.2 Schule, Bildung und Arbeit | 180 6.2.3 Geflüchtete und die deutsche ‚Willkommenskultur‘ | 188
6.3 Deutsche Selbstbilder | 198 6.3.1 ‚Wir-Gemeinschaft‘ und ‚Migrationsandere‘ | 199 6.3.2 Selbstbilder und (neuer) deutscher Patriotismus | 207 6.3.3 Visuelle Repräsentationen der Mittelschicht | 211
TEIL IV – DIE DIFFERENZ DER ‚ANDEREN‘ UND DEUTSCHE SELBSTBILDER. POSTKOLONIALE UND RASSISMUSKRITISCHE ANALYSEPERSPEKTIVEN 7
Selbst- und Fremdbilder der Medienberichterstattung: Analytische und empirische Ausgangspunkte | 217
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Die Differenz der ‚Anderen‘ im Bild – Stereotypisierungen, visuelles Othering und ambivalente Anerkennung | 223
8.1 Islam und Migration: Repräsentationsmuster und Differenzsymbole | 223 8.2 Visuelles Othering von Muslim*innen – Grenzziehungen und soziale Distanzierung | 229 8.3 Flucht und Asyl: Krisenbilder, Massenwanderung und Portraits | 233 8.4 Integrationsbilder: Schule, Bildung und Arbeitsmarkt | 237 8.5 Migrant*innen und die Ambivalenzen der Anerkennung | 243 9
Deutsche Selbstbilder – Imaginationen einer nationalen ‚Wir-Gemeinschaft‘ und multiple Zugehörigkeiten | 247
9.1 Der Blick auf die ‚Anderen‘ und die ‚Dominanzgesellschaft‘ | 247 9.2 Nationale Zugehörigkeit(en) und Bilder einer postmigrantischen Gesellschaft | 250 9.3 Das neue Deutschland? Bilder der ‚Willkommenskultur‘ | 257 9.4 Un/Sichtbarkeiten – Visuelle Repräsentationen der Mittelschicht | 260 10
Schlussbetrachtung | 263
Literatur | 269 Abbildungsverzeichnis | 289 Anhang | 295
Dank
Zahlreiche Menschen haben mich bei der vorliegenden Forschungsarbeit unterstützt und begleitet. Ohne sie wäre das Verfassen einer Dissertationsschrift nicht realisierbar gewesen und bei einigen von ihnen möchte ich mich an dieser Stelle besonders bedanken. Prof. Dr. Joanna Pfaff-Czarnecka und Prof. Dr. Olaf Kaltmeier danke ich ganz herzlich für die langjährige Betreuung des Projekts. Ihre motivierenden Denkanstöße, kritischen Fragen und konstruktiven Kritikpunkte haben das kontinuierliche Voranschreiten und die erfolgreiche Fertigstellung der Arbeit erst möglich gemacht. Gerade die durch sie in das Projekt eingegangenen verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven auf den Themenbereich und die hier angewendeten Theorie-/Analyseansätze haben den Arbeitsprozess kontinuierlich bereichert. Dankbar bin ich auch für ihre Offenheit gegenüber meiner Arbeit und den verschiedenen Ansätzen der postkolonialen, weißseins- und rassismuskritischen Studien, die keinesfalls selbstverständlich ist. Ganz besonders danken möchte ich ebenfalls Paul Buckermann, Éva Rozália Hölzle, Jannik Kohl, Anne Koppenburger und Johanna Paul. Nicht nur durch die zahlreichen Diskussionen über (und rund um) die Arbeit, sondern vor allem auch durch ihre so wichtige Inspiration und Aufmunterung im Universitätsalltag haben sie ganz entscheidend zum Abschluss des Projekts beigetragen. Ihre unterschiedlichen Perspektiven und ihr großes Fachwissen in verschiedenen Theorieund Methodenbereichen haben zudem meine eigene Sichtweise in den vergangenen Jahren geprägt und geschärft. Für die Unterstützung, die vielen neuen Einsichten in wissenschaftliche wie politische Debatten und für ihre Freundschaft bin ich sehr dankbar! Ich danke außerdem Jelena Adeli, Sambalaye Diop, Naveen Dubey, Yaatsil Guevara González, Sandrine Gukelberger, Rebecca Knecht, Patricia Pielage, Sarah Potthoff, Tabea Schroer, Susanne Ursula Schultz, Raphael Susewind und allen weiteren Teilnehmer*innen des Forschungskolloquiums Sozialanthropologie
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an der Universität Bielefeld für den regen interdisziplinären Austausch. Die unzähligen Kommentare und kritischen Fragen zu meinem Projekt waren in den verschiedenen Phasen des Forschens und Schreibens hilfreich und gewinnbringend. Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle auch nochmal besonders bei Jannik, Kristina, Anne und Éva für die vielen konstruktiven Anmerkungen und das Korrekturlesen in der Abschlussphase des Dissertationsprojekts und im Zuge der Überarbeitungen für dieses Buch. Der Bielefeld Graduate School in History and Sociology danke ich für die Bereitstellung eines mehrmonatigen Mobilitätsstipendiums zur Weiterentwicklung des Projekts an der Boston University und Prof. Dr. Tobias Werron danke ich für die Unterstützung bei der Organisation des damit verbundenen Auslandsaufenthalts. Bedanken möchte ich mich hier auch bei Prof. Dr. Julian Go und dem Department of Sociology der Boston University sowie bei Felipe Augusto Franke und Kit Man für die Gastfreundschaft und die hervorragende Unterstützung während des inspirierenden und produktiven Gastaufenthalts im Winter/Frühjahr 2018. Außerdem haben es mir zahlreiche Gespräche mit Freund*innen und Kolleg*innen in den vergangenen Jahren ermöglicht, meine Gedanken zu entwickeln und zu schärfen. Neben den bereits genannten Personen möchte ich mich dafür – sowie für die wichtige freundschaftliche Unterstützung während der Promotionszeit – besonders bei Simon Hecke, Durcan Kaya, Daniel Krenz-Dewe, Marvin Krühler, Malissa Landsberg, Henning Middelschulte, Arne Müller und Wanda Schürenberg bedanken. Für den konstruktiven Austausch in verschiedensten wissenschaftlichen Feldern danke ich ebenfalls den zahlreichen Kolleg*innen, die ich in den vergangenen Jahren durch die Arbeit am Institute for World Society Studies sowie während der Teilnahme an der Studiengruppe Bildlichkeit an der Universität Bielefeld kennenlernen durfte. Mein ganz besonderer Dank gilt abschließend meinen Eltern, meiner Schwester und Kristina. Sie haben viel Verständnis für Probleme, Schwierigkeiten und die oftmals mangelnde Zeit während der langen Phase des Dissertationsprojekts sowie der Veröffentlichung dieses Buchs aufgebracht. Ich wurde während der Promotionszeit großartig von ihnen unterstützt und sie haben maßgeblich mit dazu beigetragen, dass ich meine Arbeit verwirklichen konnte.
Einleitung
Nachdem im Sommer 2015 hunderttausende Menschen das Mittelmeer überquert und den Weg über die nationalstaatlichen Grenzen Europas hinweg bis nach Deutschland gesucht hatten, folgte eine ungewöhnliche und rückblickend durchaus unerwartete migrationspolitische Episode der jüngeren deutschen Geschichte. So gaben zunächst die Regierungen in Deutschland und Österreich dem Druck der Migrationsbewegungen nach und ließen Menschen, die zu Tausenden unter anderem aus den Flüchtlingslagern in der Türkei oder in Jordanien ausund aufgebrochen waren, zumindest kurzzeitig ohne große bürokratische Hürden und Kontrollen einreisen. In vielen Städten wurden sie bei ihrer Ankunft daraufhin von großen Gruppen freiwilliger Helfer*innen willkommen geheißen und in den nachfolgenden Monaten entwickelte sich in der Bevölkerung eine bis dahin in Deutschland kaum gekannte Solidarität mit Geflüchteten. Auf medialer Ebene dominierte das Thema die Berichterstattung der überregionalen Tages- und Wochenzeitungen sowie der wichtigsten politischen Onlinemedien. Auch hier ließ sich im Vergleich zu den migrations- und integrationspolitischen Debatten der vorherigen Jahre etwas geradezu Unerwartetes beobachten: Die deutsche Presse berichtete nicht nur ausführlich, sondern größtenteils sehr positiv über die Ereignisse und über die Geflüchteten, die in Deutschland ankamen. Auffällig waren hierbei insbesondere auch die zahlreichen, oftmals großflächigen, fotografischen Bilder, denen viel Platz in den jeweiligen Berichten eingeräumt wurde und die das Ankommen der Menschen sowie die Hilfsbereitschaft innerhalb der deutschen Bevölkerung bildlich veranschaulichten.1 Gerade die Bilder der Willkommensszenen an den deutschen Bahnhöfen wurden dabei im Laufe der Ereignisse durch beständige Wiederholung zu schlagkräftigen Symbolbildern und tru-
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Einige dieser medialen Bilder aus der Flucht- und Asylberichterstattung sind Teil der empirischen Studie dieser Arbeit, siehe beispielsweise die Abb. 46-48 (S. 176) und Abb. 76 (S. 194).
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gen durch die deutlich positiv konnotierte visuelle Darstellungsweise dazu bei, dass die Migrationsbewegungen medial zumindest temporär in einem tendenziell zuversichtlichen und durchaus wohlwollend ausgerichteten Deutungsrahmen gesetzt wurden. Als komplexe Zeichengefüge sind Fotografien der Medienberichterstattung jedoch immer auch mehr als Illustrationen politischer Ereignisse oder gesellschaftlicher Debatten. Im Sommer 2015 gaben sie den Leser*innen auf Ebene der Personendarstellung beispielsweise ebenfalls Auskunft darüber, wer nach Deutschland einreist und wer zum Kreis der deutschen Helfer*innen gehört. Durch spezifische visuelle Darstellungsmuster werden dabei Botschaften über diese Gruppen erzeugt und bestimmte Bilderrepertoires sichtbar, die an der Konstruktion kollektiver Repräsentationen beteiligt sind und zur Herstellung kultureller Differenz beitragen. Im Feld medialer Sichtbarkeit kann hieraus einerseits ein essentialisierendes Differentmachen von Migrant*innen und Geflüchteten folgen – vor allem dort wo Bilder verwendet werden, die die dargestellten Personen auf wenige kulturalisierende und/oder rassifizierende Merkmale reduzieren. Anderseits deuten die Abbildungen der helfenden Bevölkerung, die verbal unter dem Schlagwort der ‚Willkommenskultur‘ und der Verkündung eines ‚neuen Deutschlands‘ eingerahmt worden waren, ebenfalls darauf hin, dass sich sowohl bestimmte Imaginationen über ein repräsentatives deutsches Selbstbild in den Visualisierungen widerspiegeln als auch die Frage der nationalen Zugehörigkeit und der In- und Exklusion bestimmter Menschen aus dem ‚WirKollektiv‘ verhandelt wird. Die Nation ist hier im Sinne Benedict Andersons als eine imagined community zu verstehen, die nicht auf die physische Nähe der Mitglieder dieser Gemeinschaft angewiesen ist, sondern durch bestimmte Narrative konstruiert und stabilisiert wird. Der Tageszeitung wird dabei eine überaus wichtige Bedeutung zugeschrieben, denn sie bietet als Massenmedium „die technischen Mittel, d.h. die Repräsentationsmöglichkeiten für das Bewußtsein von Nation“ (Anderson 1996: 32). Insbesondere die alltägliche Zeitungslektüre fungiere, so Anderson, als eine „außergewöhnliche Massenzeremonie“ und sei dabei durch den gewissermaßen gleichzeitigen Konsum in hohem Maße an der Imagination von Gemeinschaften beteiligt: „Indem der Zeitungsleser beobachtet, wie exakte Duplikate seiner Zeitung in der U-Bahn, beim Friseur, in seiner Nachbarschaft konsumiert werden, erhält er ununterbrochen die Gewißheit, daß die vorgestellte Welt sichtbar im Alltagsleben verwurzelt ist. Wie bei Noli Me Tangere sickert die Fiktion leise und stetig in die Wirklichkeit ein und erzeugt dabei jenes bemerkenswerte Vertrauen in eine anonyme Gemeinschaft, welches das untrügliche Kennzeichen moderner Nationen ist“ (ebd. 41f.).
Einleitung | 13
Die kurze Momentaufnahme aus dem Sommer 2015 und die damit einhergehende (visuelle) Berichterstattung lässt sich unter diesen Vorzeichen als potentielle Aushandlung einer vorgestellten Gemeinschaft betrachten. Wie Stuart Hall betont hat, eröffnen Medien als signifying institutions für soziale Gruppen hier die Möglichkeit, sich nicht nur eine Vorstellung von sich selbst, sondern auch von anderen Gruppen und Klassen zu machen und sich zusammengenommen daraus eine verständliche world-of-the-whole zu erschließen (vgl. Hall 1977: 339ff.). Mediale Berichterstattung wird so im Sinne Antonio Gramscis zu einer essentiell wichtigen Arena im hegemonialen Kampf um Bedeutungen. Empirische Studien aus den Bereichen der soziologischen, politikwissenschaftlichen oder auch kommunikationswissenschaftlichen Forschung haben in diesem Zusammenhang mitunter auch die Rolle der Medienberichterstattung im Bereich von Migration, Flucht und Integration analysiert. Hierbei wurde vor allem der Frage nachgegangen, wie bestimmte Personengruppen zu ‚Anderen‘ gemacht und in ein dichotomes Verhältnis zu einer als Mehrheit konstruierten Gruppe gesetzt werden. Im Mittelpunkt der Analysen standen beispielsweise die Forschungsfragen, wie in deutschen Medien koloniale Darstellungsweisen reproduziert werden, die auf einem Dualismus zwischen ‚Orient‘ und ‚Okzident‘ aufbauen (Hodaie 2009), wie die Repräsentation von Migrant*innen in der Sarrazin-Debatte auf Stereotype rekurriert und dabei die Abgrenzung zu einer weißen ‚Wir-Gemeinschaft‘ reproduziert wird (Friedrich/Schultes 2011) oder welche Bedeutung die Kategorie Geschlecht in gegenwärtigen antimuslimischen Diskursen hat (Shooman 2014). Auffällig an diesen Forschungsarbeiten ist, dass die Bedeutung von visuellen Aspekten zwar benannt wird, daraus jedoch keine ausführliche Analyse eben dieser Ebene der Berichterstattung resultiert. Der Fokus der Studien liegt immer sehr deutlich auf der Textebene der Bedeutungsproduktion und Bilder werden, wenn überhaupt, nur sehr beiläufig und unsystematisch oder als Musterbeispiele einzelner Visualisierungen in die Untersuchungen einbezogen. In diesem Zusammenhang haben María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan bereits vor einiger Zeit darauf hingewiesen, dass migrations- und repräsentationspolitische Forschungsthemen so gut wie nie Bilder einschließen würden und damit ein wichtiges Gegenstandsfeld vernachlässigt werde. Die „Gewalt“, die von Bildern im Bereich der Migration ausgehe, werde insbesondere von sozialwissenschaftlicher Forschung „zumeist ignoriert oder verharmlost“ (Castro Varela/Dhawan 2004: 29). Diese inzwischen über ein Jahrzehnt zurückliegende Beobachtung erweist sich als bemerkenswert zeitgemäß, obwohl die Bedeutung visueller Kommunikation in den vergangenen Jahren nicht zuletzt durch die hohe Nutzung und Verbreitung digitaler Medien und Social Media Plattformen noch ein-
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mal deutlich zugenommen hat.2 So haben ohne Zweifel gerade auch bildliche Repräsentationen im Feld von Migration, Integration und Flucht unter diesen Bedingungen weiter an Relevanz gewonnen. In sozialen Medien spielen sie spätestens seit der sogenannten Flüchtlingskrise eine immens wichtige Rolle – für linke, liberale und konservative aber vor allem auch für rechtspopulistische sowie rechtsextreme Akteure und ihre Kommunikationsstrategien. Ähnlich wie in der Migrationsforschung ließ sich im Bereich soziologischer Forschungsansätze ebenfalls lange Zeit eine eher zögerliche Auseinandersetzung mit Bildern und visueller Kultur beobachten. Auch wenn eine „Bildvergessenheit der Soziologie“ (Burri 2008) heute sicherlich angesichts des deutlich zunehmenden Interesses an visuellen Aspekten nicht mehr konstatiert werden kann, sind Analysen visueller Kommunikation im Gegensatz zu ausschließlich textbasierten Untersuchungen insgesamt nach wie vor deutlich weniger verbreitet. Diese anhaltende Ungleichgewichtung verwundert nicht zuletzt angesichts der hohen Sichtbarkeit von Bildern in unserem Alltag, welche beispielsweise für Forschungsbereiche relevant wären, die auf Prozesse sozialer Grenzziehung nationaler Gemeinschaften und Ethnien (z.B. Anderson 1996; Wimmer 2008), auf die Konstruktion von kultureller Identität und Hybridität in postkolonialen Diskursen (z.B. Ha 2004; Hall 2008b) sowie die Ein- und Ausgrenzung von Migrant*innen (Ulbricht 2017) gerichtet sind oder die auf die Analyse multipler Zugehörigkeiten (Pfaff-Czarnecka 2012) bzw. natio-ethno-kultureller (Mehrfach)Zugehörigkeit (Mecheril 2003) abzielen. Mit der vorliegenden Arbeit soll in diesem Sinne ein besseres Verständnis von der Funktion visueller Darstellungsaspekte und der Bedeutungsproduktion alltäglicher Repräsentationsweisen in und durch Bilder(n) gewonnen werden.
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Auch wenn die diagnostizierte Vernachlässigung migrations- und integrationspolitischer Medienbilder in der Forschung noch immer eine weitgehend richtige Einschätzung zu sein scheint, sollen die deutschsprachigen Studien, die in den vergangenen Jahren einzelne Analyseaspekte zu medialen Bildern von Migrant*innen erfasst haben, hier nicht unerwähnt bleiben. Zu nennen ist insbesondere die medienwissenschaftliche Untersuchung Migrantinnen in den Medien. Darstellungen in der Presse und ihre Rezeption von Margreth Lünenborg, Katharina Fritsche und Annika Bach (2011). Außerdem beinhaltet die Studie Wir und die Anderen? eine Analyse von Medienbildern zu den Themen Flucht, Migration und Integration in deutschen Printmedien. Margreth Lünenborg und Tanja Maier (2017) beziehen hierbei unter anderem auch die Selektions- und Darstellungskonventionen journalistischer Bildberichterstattung mit ein, wodurch spezifische Kommunikationslogiken von Mediendiskursen Berücksichtigung finden.
Einleitung | 15
Die Grundlage bildet eine ausführliche empirische Untersuchung, die die visuelle Berichterstattung anhand von vier verschiedenen Fallstudien auf Repräsentationsmuster von Selbst- und Fremdbildern analysiert. Als Ausgangspunkt dient die eingangs skizzierte Beobachtung, dass Mediendebatten, die Migration, Integration und Flucht thematisieren, gerade im Bereich der fotografischen Abbildung von verschiedenen Personengruppen eine hohe Dichte an wiederkehrenden Darstellungsmustern, (visuellen) Differenzmarkierungen und Stereotypisierungen aufweisen. Die in dieser Berichterstattung zum Tragen kommenden Artikulationen und Bedeutungen zeichnen sich durch zwei Ebenen aus: Zum einen transportieren sie Botschaften über dominante Zugehörigkeitskonstellationen auf unterschiedlichen Ebenen (national, kulturell, religiös), geben also Auskunft darüber wer wie zugehörig sein kann und wer nicht. Zum anderen spiegeln die medialen Bilder aber auch wider, wie die hegemoniale Imagination einer Dominanzkultur (Rommelspacher 1995) – also die Vorstellung davon wie die sogenannte ‚Mehrheitsgesellschaft‘ sich selbst sieht – konstruiert ist. Beide Ebenen stehen im Fokus der empirischen Studie. Die Bildanalyse soll somit aufzeigen, auf welche Weise Differenz durch fotografische Bilder in den genannten Mediendebatten produziert und reproduziert wird. Um dabei eine adäquate methodisch und theoretisch fundierte Vorgehensweise konzipieren zu können, stützt sich die Arbeit insgesamt auf ein interdisziplinär ausgerichtetes Analyseverfahren, welches insbesondere Bezüge zu den Postkolonialen Studien und der Rassismusforschung sowie zu den Visual Culture Studies und der Bildsemiotik aufweist. Wesentliche Bezugspunkte lassen sich nachfolgend zu einer ersten Übersicht einleitend zusammenführen. Postkoloniale Repräsentationen, kulturelle Differenz und die Erforschung visueller Kultur Postkoloniale Studien sind in den vergangenen Jahren vor allem im angloamerikanischen Wissenschaftsbereich verstärkt aufgegriffen und beständig weiterentwickelt worden. Inzwischen lässt sich für den US-amerikanischen Forschungsraum festhalten, dass sich postkoloniale Analyseansätze in unterschiedlichen wissenschaftlichen Bereichen etabliert haben (vgl. Castro Varela/Dhawan 2015: 7).3 Eine wesentliche Ausgangsüberlegung der Postcolonial Studies ist die Annahme, dass die europäische koloniale Expansion als „entscheidender Wende-
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Für den deutschsprachigen Raum kann ebenfalls konstatiert werden, dass Postkoloniale Studien zunehmend Eingang in bestimmte Forschungsbereiche finden, auch wenn sich hier nach wie vor oftmals eine etwas zögerlichere Haltung gegenüber den Ansätzen beobachten lässt.
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punkt“ betrachtet werden kann und dass hierdurch „politische, kulturelle und ökonomische Muster und Dynamiken sowohl in der Peripherie als auch in den Zentren entscheidend geprägt wurden“ sowie einer „wechselseitigen Konstitution von Kolonialisierendem und Kolonialisiertem“ Vorschub geleistet worden ist (Kaltmeier 2012: 203). Kolonialität wird dabei keineswegs als „abgeschlossener historischer Prozess“ verstanden – vielmehr wird „die Persistenz kolonialer Elemente hervorgehoben“ (ebd.). In der Soziologie findet sich ungeachtet dessen nach wie vor in vielen Bereichen eine eher skeptische und zum Teil ablehnende Haltung gegenüber Postkolonialen Studien, auch wenn hier seit einigen Jahren ebenfalls mehrfach dargelegt wurde, in welcher Weise eine Verbindung soziologischer und postkolonialer Ansätze gelingen kann.4 Wie Julian Go in Postcolonial Thought and Social Theory (2016) ausführlich diskutiert hat, lassen sich verschiedene analytische Dimensionen identifizieren, um eine wirksame Zusammenführung mit postkolonialen Ansätzen zu etablieren. Obwohl postkoloniales Denken und Soziologie in ihrer jeweiligen Entstehungsgeschichte weit voneinander entfernt und stellenweise konträr zu einander positioniert seien, plädiert Go für eine stärkere Bezugnahme aufeinander und legt dar, wie insbesondere auch die soziologische Forschung hiervon profitieren könnte: „What postcolonial thought offers, in sum, is a recognition that our social theories, our concepts, our frameworks might also have been shaped by imperial domination and its correlates. And the invitation of postcolonial thought follows: to try to imagine alternative post-colonial knowledges, to push our modalities of knowing further and cultivate critical understandings that transcend or circumvent the conventions of the imperial episteme; this not in a vain effort to overcome guilt, but, quite simply, in an effort to create new and better social knowledge“ (ebd.: 187).
Zugleich beschreibt Go ausführlich, dass mit der Verknüpfung postkolonialer und soziologischer Ansätze nicht nur ein einseitiger Prozess gemeint sein kann, sondern eben auch die Postkolonialen Studien deutlich von der Soziologie und ihren elaborierten Theorieansätzen und Methoden profitieren würden (vgl. ebd.: 103ff.). Eine stärkere Ausweitung und Fundierung mit Hilfe von empirischen
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Die Zusammenführung von Soziologie und Postkolonialen Studien wurde in den vergangenen Jahren insbesondere von Gurminder K. Bhambra (2007; 2014), Sèrgio Costa (2005; 2007) und Manuela Boatcă (2013; 2015) diskutiert. Für den deutschsprachigen Forschungsraum ist außerdem vor allem der von Julia Reuter und Paula-Irene Villa herausgegebene Sammelband Postkoloniale Soziologie (2010a) zu nennen.
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Untersuchungen, die soziologische Ansätze einbeziehen, erscheint hierbei gerade auch mit Blick auf die in den Literatur- und Kulturwissenschaften beheimateten ‚Klassiker‘ Postkolonialer Studien als äußerst sinnvoll. Vor diesem Hintergrund plädiert auch die nachfolgende Arbeit für eine stärkere gegenseitige Bezugnahme und zielt darauf ab, einen Beitrag zur Verankerung postkolonialer Analyseansätze in der Soziologie sowie zur Etablierung soziologischer Fragestellungen und Forschungsperspektiven in den Postkolonialen Studien zu leisten. Dabei kann hinsichtlich der zu analysierenden Repräsentationsdynamiken im Bereich von Migration, Integration und Flucht in Deutschland an Forschungsarbeiten im deutschsprachigen Raum angeknüpft werden, die eine sozial- oder kulturwissenschaftliche Analyse von bestimmten sozialen Phänomenen aus einer postkolonialen Perspektive betrieben haben. Wie Kien Nghi Ha betont hat, wurden Postkoloniale Studien aus dem angloamerikanischen Raum im deutschen Forschungskontext insbesondere von „jüngeren WissenschaftlerInnen of Color aufgegriffen […], die aus Schwarzdeutschen, feministischen und migrantischen Perspektiven nach lokalen Übertragungsmöglichkeiten suchen“ (Ha 2010a: 270). Während sich die Debatten um Postkoloniale Studien im Zuge dieser Entwicklung zunächst vor allem im Bereich kultur- und literaturwissenschaftlicher Fragestellungen sowie einer antirassistischen und feministischen Praxis bewegt haben, finden Ansätze der Postkolonialen Studien seit einigen Jahren vermehrt Eingang in sozialwissenschaftliche Forschungsprojekte und werden zum Beispiel zunehmend in Bereiche der Rassismusforschung einbezogen. Nur sehr selten werden jedoch auch hier neben den textbasierten Untersuchungsaspekten spezifische Gegenstandsbereiche der visuellen Kultur in den Blick genommen.5 Diese Leerstelle verwundert insoweit, als für die von Postkolonialen Studien aufgeworfenen Fragen nach neokolonialen Repräsentations- und Machtverhältnissen sowie für die damit einhergehende Analyse von Selbst- und Fremdbildern auch visuelle Konstruktionen des Sozialen in alltagskulturellen Diskursen relevant erscheinen. Als einer der Hauptbezugspunkte postkolonialer Ansätze gilt schließlich die Annahme, dass die Wissensproduktion über die ‚Anderen‘ als „Stützpfeiler kolonialer und neokolonialer Herrschaft“ (Ziai 2012: 283f.) identifiziert werden kann. Dementsprechend fokussiert eine Vielzahl der Beiträge auf die Auswirkungen des Kolonialismus in Hinblick auf Diskurse, Repräsentationen, Identitätskonstruktionen und Zugehörigkeitsverhältnisse – Dimensionen al-
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Zumeist richten sich diese postkolonialen Analysen dann primär auf bestimmte Aspekte der bildenden Kunst und weniger auf die Dimensionen der visuellen Alltagskultur (siehe z.B. Brandes 2010; Moser 2011).
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so, die immer auch in alltäglichen Prozessen visueller Kommunikation verhandelt werden. Eine Ausweitung postkolonialer Analysen auf bildliche Darstellungsaspekte kann dabei beispielsweise an Stuart Halls Überlegungen anschließen, die unter dem programmatischen Titel Das Spektakel des ‚Anderen‘ (2004) zusammengeführt worden sind. Hall legt hier mit beeindruckender analytischer Tiefe dar, wie ein rassifizierender und stereotypisierender Blick innerhalb des alltäglichen Bilderkonsums etabliert wurde und welche Auswirkungen dies für die Funktionsweise von Politiken der Repräsentation hat. Am Beispiel der fotografischen Berichterstattung über Schwarze6 Sportler verdeutlicht er die besondere Rolle, die visueller Kommunikation in Hinblick auf die allgegenwärtige Differenzproduktion in den Medien beigemessen werden kann: „Wir können nicht anders, als Bilder dieser Art als Aussagen nicht nur über Menschen oder Ereignisse, sondern auch über ihre ‚Andersheit‘, ihre ‚Differenz‘ zu lesen. ‚Differenz‘ ist kenntlich gemacht worden […] Differenz schafft Bedeutung. Sie ‚spricht‘“ (ebd.: 112). Auch wenn der Artikel von Hall vielfach rezipiert worden ist und repräsentationskritische Analysen zum festen Kern Postkolonialer Studien gehören, so ist eine Berücksichtigung spezifischer visueller Kommunikationsmodi in den entsprechenden Forschungsprojekten bislang noch recht selten vorzufinden. Dies lässt sich nicht zuletzt darauf zurückführen, dass die Analyse von Bildmaterialien in den Kultur- und Sozialwissenschaften, ungeachtet der wiederkehrenden Rede von der ‚Macht der Bilder‘, noch immer als ein eher unüblicher Forschungsgegenstand betrachtet wird. Zudem scheint in der Forschungspraxis auch eine gewisse Skepsis vorherrschend zu sein, nach der die Untersuchung visueller Kommunikation aufgrund der für Bilder charakteristischen Polysemie gegenüber der Analyse verbaler Zeichensysteme nur schwer zugänglich und nicht ohne weiteres umsetzbar sei. Und in der Tat stehen zur Untersuchung von schriftlicher Kommunikation inzwischen gut ausgearbeitete Methoden und ein großes Angebot an Analysesoftware zur Verfügung, welche insbesondere umfangreiche Materialerhebungen und -auswertungen erheblich erleichtern. Demgegenüber finden sich, mit Ausnahme inhaltsanalytischer Verfahren, weitestgehend nicht-stan-
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Mit der unterschiedlichen Groß-/Kleinschreibung von Schwarz und weiß soll aus einer analytischen, rassismuskritischen Perspektive gekennzeichnet werden, dass es sich hier nicht lediglich um Antagonismen handelt. Während „Weißsein als unkonnotierter, dominanter Marker, als privilegierte, aber unreflektierte Wissensperspektive fungiert“, bezeichnet „Schwarz in diesem Kontext eine bewußte politische Selbstpositionierung“ (Franzki/Aikins 2010: 20).
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dardisierte Analyseinstrumente zur Erforschung von Bildern, die interdisziplinär ausgerichtet sind und zumeist sehr zielgerichtet in Hinblick auf das zu erforschende Untersuchungsfeld entwickelt wurden. Insbesondere diese Einzelstudien bieten jedoch, wie gezeigt werden wird, fruchtbare Anknüpfungspunkte für die in der nachfolgenden Arbeit im Mittelpunkt stehenden Fragen der Repräsentations- und Machtverhältnisse und ermöglichen die Konzeption eines strukturierten Analyseverfahrens. Hierbei gilt es, vor allem Forschungsansätze und Theoriedebatten der sogenannten Visual Culture Studies in den Blick zu nehmen, haben diese doch den Versuch unternommen, das Forschungsfeld der visuellen Kultur als Gegenstand einer neuartigen Bildkulturwissenschaft zu konstruieren und die „Beziehungen zwischen Visualität und Repräsentation, Medialität und Identität“ (Holert 2000: 21) zu analysieren. Ein Hauptbezugspunkt der zumeist inter- bzw. transdisziplinär angelegten Ansätze ist der von W. J. T. Mitchell proklamierte pictorial turn (vgl. Mitchell 1997), welcher vor dem Hintergrund der ständig anwachsenden Bildproduktionen innerhalb der Medien- und Informationsgesellschaft weiter an Plausibilität gewinnt. Mitchell selbst definiert Visual Culture dabei als das „Studium der sozialen Konstruktion visueller Erfahrung“ (Mitchell 2003: 38) und fordert ein Konzept, welches sich nicht nur auf die Interpretation von Bildern verlassen könne, sondern auch der „Beschreibung des sozialen Feldes des Blicks […], der Konstruktion von Subjektivität, Identität, Begehren, Gedächtnis und Einbildungskraft“ (ebd.: 49) Aufmerksamkeit schenken müsse. Gemeint ist mit diesem turn zugleich weniger eine absolute Abwendung von bildwissenschaftlichen Theorien und Analyseansätzen, sondern vielmehr das Fokussieren auf visuelle Modi des alltäglichen Lebens. Ein wichtiger gemeinsamer Ausgangspunkt von Visual Culture Ansätzen besteht hierbei nach Mitchell (2008) in der Grundannahme, dass Sehen und visuelle Bilder generell als symbolische Konstruktionen betrachtet werden können. Anstatt jedoch ausschließlich von der gesellschaftlichen Konstruktion des Visuellen auszugehen, plädiert er für eine etwas andere Zielrichtung der Forschungsarbeit zur visuellen Kultur und fordert dazu auf, die „visuelle Konstruktion des sozialen Feldes“ (ebd.: 325) in den Blick zu nehmen. Wie Tom Holert betont hat, kann es durch diese Akzentuierung gelingen „gängige Kausalitäten und Abhängigkeiten in Frage zu stellen“ (Holert 2005: 234). Hiermit sei die Möglichkeit zu einer Konzeption der Visualität des Sozialen gegeben, in der Bilder nicht nur als Illustrationen oder Dokumente von gesellschaftlichen Prozessen, sondern „als Teilnehmer an diesen Prozessen“ (ebd.) betrachtet werden. Diese Perspektive widersetzt sich der üblichen Annahme, Bildern einen unmittelbaren und naturnahen Abbildungswert zuzusprechen und das einzelne Bild mit dem Abgebildeten gleichzusetzen (vgl. Maasen
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et al. 2006: 18). Anstatt dessen gilt der Grundsatz: „Bilder bilden Realität nicht einfach ab, sondern beteiligen sich an der Konstruktion von gesellschaftlicher Realität“ (ebd.: 19). Damit wird deutlich, dass in einem solchen Zugang zum Visuellen vor allem auch immer wieder danach gefragt wird, wie in Bildern Bedeutungen artikuliert werden und inwieweit Bilder an der Herstellung gesellschaftlicher Wirklichkeit und spezifischer Machtverhältnisse beteiligt sind. Es ist somit wenig überraschend, dass in den vergangenen Jahren eine Vielzahl an Beiträgen zur Analyse visueller Kultur im akademischen Feld macht- und gesellschaftskritischer Studien entstanden sind. Dies gilt insbesondere auch für Analysen, die den Konstruktionscharakter von Race und Gender7 in den Blick nehmen oder beispielsweise visuelle Kommunikationsmodi in den medialen Diskursen um Krieg und Terrorismus8 analysieren. Fragestellung der Analyse und konzeptionelle Vorannahmen Die empirische Studie dieser Arbeit schließt sowohl an die genannten machtund gesellschaftskritischen als auch an postkoloniale und rassismuskritische Analysen an und fragt nach der Konstruktion visueller Selbst- und Fremdbilder in der Berichterstattung deutscher Medien über Migration, Integration und Flucht im Zeitraum zwischen 2006 und 2015 anhand von vier exemplarisch ausgewählten politischen Debatten. Neben der einleitend aufgegriffenen Flucht- und Asylberichterstattung 2015 gehören hierzu integrationspolitische Medienberichte im Jahr 2006 und 2009 sowie die sogenannte ‚Sarrazin-Debatte‘ 2010, um ein breites Spektrum an Medienberichten und eine repräsentative Auswahl an fotografischen Bildern in die Analyse einbeziehen zu können. Auf einer übergeordneten Analyseebene lässt sich anhand der bislang dargestellten Überlegungen zunächst festhalten, dass eine Reflektion des Verhältnisses von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit im Mittelpunkt der Untersuchung steht. Die erste Leitfrage der empirischen Studie lautet in diesem Zusammenhang: Wer wird in den visuellen Bereichen dieser Berichterstattung wie gesehen, dargestellt und repräsentiert? Aus einer repräsentationskritischen und postkolonialen Analyseperspektive interessiert des Weiteren, welche medialen Botschaften über Kultur, Identität und damit verbundenen Konstruktionen kollektiver Gruppen innerhalb der Sichtbarkeitsfelder hergestellt bzw. reproduziert werden. Dabei gilt
7
Siehe u.a. Schaffer (2008); Kinnebrock/Knieper (2008); Dietze (2009b); Brandes
8
Hier sind u.a. zu nennen: Fahmy (2004); Fahmy/Kim (2008); Maier/Balz (2010); Mit-
(2010); Moser (2011). chell (2011).
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gleichwohl, sowohl das Verständnis von Kulturen als eingegrenzte Einheiten als auch die Vorstellung von der Existenz geschlossener Identitäten zurückzuweisen. Der analytische Blick richtet sich im Sinne der Postkolonialen Studien demgegenüber viel mehr auf „die vielfältigen Praktiken inmitten und zwischen Akteuren, Territorien und Orten, in denen kulturelle Ordnungen und Bedeutungen hergestellt, gelebt, repräsentiert und in Beziehung gesetzt werden“. Kulturelle Identität lässt sich in diesem Zusammenhang als ein „entgrenzter intersubjektiver Zirkulationsprozess“ verstehen, „der lediglich in Form kultureller Identitätszuschreibungen fixiert bzw. festgestellt wird“ (Reuter 2012: 306). Im Bereich visualisierter Zuschreibungen in Alltagskultur und Massenmedien hat Stuart Hall diesbezüglich auf eine Repräsentationspraxis verwiesen, die er als Stereotypisierung bezeichnet. Er fasst diese „als eine signifizierende Praxis“, welche Menschen „auf einige wenige, einfache Wesenseigenschaften, die als durch die Natur festgeschrieben dargestellt werden“ reduziert. Stereotypisierung ist nach Hall durch zwei Dimensionen gekennzeichnet: Erstens werden Personen auf einprägsame und einfache Eigenschaften begrenzt und auf diese in übertriebener Weise für die Ewigkeit festgeschrieben: „Stereotypisierung reduziert, essentialisiert, naturalisiert und fixiert ‚Differenz‘“ (Hall 2004: 144). Zweitens trennt die Stereotypisierung das Anormale und Inakzeptable von dem Normalen und Akzeptablen ab, um es – als andersartig und anpassend deklariert – letztendlich auszuschließen. Mit dieser Praxis, so Hall, schreibe Stereotypisierung „symbolisch Grenzen fest, und schließt alles aus, was nicht dazugehört“ (ebd.). Diese auf Prozesse der Zuschreibung und Identifikation ausgerichtete Analyseperspektive lässt sich mit soziologischen und sozialanthropologischen Ansätzen verbinden, die sich im Sinne einer dynamischen Prozesstheorie für die Beschaffenheit von Grenzziehungen (vgl. Lamont/Molnár 2002; Wimmer 2008) und Zugehörigkeiten interessieren (vgl. Anthias 2006; Pfaff-Czarnecka 2012). Für die nachfolgende empirische Studie erscheint in diesem Kontext die von Joanna Pfaff-Czarnecka (2012) verwendete analytische Unterscheidung zwischen den Begriffen Identität und Zugehörigkeit besonders relevant. Der prozessuale Zugehörigkeitsbegriff sei, so Pfaff-Czarnecka, wesentlich besser geeignet, „den gegenwärtigen Komplexitäten, Dynamiken und Feinheiten der menschlichen Beziehungen, ihrem situativen und prozesshaften Charakter, ihren Ambivalenzen und Paradoxien auf die Spur zu kommen“ (ebd.: 10f.). Der Identitätsbegriff wird hierbei zwar nicht vollständig verworfen, indem kollektive Identitäten als lediglich eine mögliche Form von Gemeinsamkeit gefasst werden, wird aber deutlich über die Begrifflichkeit hinaus gegangen und eine dichotome Wahrnehmung der sozialen Welt (so wie sie im kategorialen Begriff der Identität zum Ausdruck kommt) klar überschritten.
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Die Analyse zielt vor dem Hintergrund dieser konzeptionellen Überlegungen darauf ab, wiederkehrende Darstellungsmuster sowie dominante Stereotypisierungen und Zugehörigkeitszuschreibungen innerhalb der medialen Debatten zu identifizieren. Insbesondere wird untersucht, welche Aussagen über bestimmte Personen im Spannungsfeld von Race, Class und Gender auffallend häufig vorgefunden und welche positiv und negativ konnotierten Bildbotschaften hierbei (re-)produziert werden. Da es sich um vier exemplarisch ausgewählte Fallstudien bedeutsamer Mediendebatten um Migration, Integration und Flucht sowie um Zusatzmaterial aus medialer Berichterstattung zur Visualisierung deutscher Selbstbilder handelt, geht es weniger darum, quantitative Aussagen zu treffen. Vielmehr ist von Interesse, wie diese Darstellungsmuster beschaffen sind, welche Zuschreibungen zu bestimmten Zugehörigkeitsdimensionen besonders relevant zu seien scheinen und durch welche fotografischen Darstellungsmittel Selbst- und Fremdbilder konstruiert und bestimmte Grenzen auf visueller Ebene gezogen werden. Die zweite Leitfrage der Bildanalyse lässt sich somit wie folgt zusammenfassen: Durch welche visuellen Darstellungstechniken werden Personen als ‚Andere‘ ins Bild gesetzt sowie Imaginationen einer deutschen ‚WirGemeinschaft‘ artikuliert und welche Rolle spielen Zuschreibungen zu Zugehörigkeit(en) dabei? Die empirische Studie konnte zur Beantwortung dieser beiden Leitfragen auf eine Datensammlung mit insgesamt über 1100 Fotografien aus Online- und Printmedien zurückgreifen und basiert auf einem zweistufigen Analyseverfahren, um die beschriebenen Analysedimensionen zu berücksichtigen: Zunächst erfolgte eine ausführliche inhaltsanalytische und bildsemiotische Codierung des Gesamtmaterials, bei dem die Repräsentationsweisen und Darstellungsmuster herausgearbeitet wurden. Auf Grundlage dieser Ergebnisse wurde dann eine Feinanalyse anhand exemplarisch ausgewählter Fotografien durchgeführt, um die in den wiederkehrenden Darstellungen enthaltenen Stereotypisierungen des ‚Anderen‘ und die Imaginationen des deutschen Selbstbildes detailliert untersuchen zu können. Eine wichtige Rolle spielen hierbei bildsemiotische Ansätze, die das Interaktionsverhältnis zwischen abgebildeten Personen und Rezipient*innen sowie die Ebene der Bildkomposition in die Untersuchung von Bildern einschließen. Die Analyse kann anhand der ausgewählten migrations- und integrationspolitischen Mediendebatten aufzeigen, wie durch beständige Wiederholung fotografischer Darstellungsweisen einerseits dichotome Differenzkonstruktionen zwischen einer nationalen ‚Wir-Gemeinschaft‘ und nicht-dazugehörenden ‚Anderen‘ reproduziert und dabei Stereotype sowie hegemoniale Selbstbilder gefestigt werden. Andererseits deutet die empirische Untersuchung darauf hin, dass sich
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in den Abbildungen zum Teil ebenfalls äußerst komplexe Zugehörigkeitskonstellationen widerspiegeln, die diese dualistische Repräsentation unterlaufen und Botschaften zu Deutschsein transportieren, die von Ambivalenz, Mehrdeutigkeit und Hybridität gekennzeichnet sind. Struktur und Aufbau der Untersuchung Der Aufbau der Untersuchung besteht insgesamt aus vier Teilen. Im ersten Teil der Arbeit werden als Grundlage für die spätere Analyse wesentliche Ausgangsüberlegungen der Postkolonialen Studien, der Critical Whiteness Studies und der Rassismusforschung diskutiert sowie Analyseansätze und einschlägige Forschungsergebnisse zur Untersuchung visueller Kommunikation in der Medienberichterstattung zusammengefasst. Zunächst erfolgt hierzu in Kapitel 1 eine Darlegung postkolonialer Analyseansätze, die innerhalb des Untersuchungsfeldes von Selbst- und Fremdbildern nach der Funktion und Beschaffenheit von dominanten Stereotypisierungen, dichotomen Repräsentationsdynamiken und hybriden Zugehörigkeitskonstellationen sowie Narrationen der Nation unter postkolonialen Gesichtspunkten fragen. Daran anschließend werden in Kapitel 2 weißseins- und rassismuskritische Ansätze sowie einschlägige Forschungsergebnisse diskutiert, die zur Analyse der deutschen Selbstbilder und normalisierender Repräsentationsweisen beitragen können. Der zweite Teil dieser Arbeit umfasst zunächst theoretische und methodische Grundlagen, die besonders hilfreich sind, um wesentliche Spezifika visueller Kommunikation in der Bildanalyse der empirischen Studie zu erfassen. Kapitel 3 beinhaltet dazu eine Darstellung zeichentheoretischer Grundannahmen der Bildsemiotik, eine Zusammenfassung bildanalytischer Überlegungen zur Fotografie nach Roland Barthes sowie die Vorstellung der soziosemiotischen Bildanalyse nach Kress und van Leeuwen (2006). Mit dieser methodologischen Grundlage ist es möglich, fotografische Bilder zeichentheoretisch zu lesen, strukturiert zu analysieren und ihre Grammatik auch vor dem Hintergrund bestimmter kulturspezifischer Darstellungskonventionen zu entschlüsseln. Abschließend werden außerdem verschiedene Studien vorgestellt, die Bildinhalte, visuelles Framing und Stereotypisierungen von Personengruppen in medialer Berichterstattung untersuchen und somit einen Leitfaden für die empirische Analyse bereitstellen. Das aus diesen Überlegungen entwickelte zweistufige Analyseverfahren sowie das Forschungsdesign der Untersuchung werden in Kapitel 4 dargestellt und erläutert. Die visuelle Analyse der Medienberichterstattung über Migration, Flucht und Integration zwischen 2006 und 2015 ist dann Gegenstand des dritten Teils der Arbeit. Kapitel 5 umfasst die Übersicht der Untersuchungsergebnisse des ersten
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Analysebereichs, also der inhaltsanalytischen und bildsemiotischen Codierung der gesamten Datensammlung. Hierzu werden einleitend jeweils die ausgewählten Fallstudien vor allem hinsichtlich inhalts- und frameanalytischer Gesichtspunkte vorgestellt. Im Anschluss folgt eine Zusammenführung der wichtigsten Untersuchungsergebnisse, wobei vorzugsweise auf die vorgefundenen Rollenund Geschlechterbilder sowie auf die dominanten visuellen Darstellungsmuster entlang wiederkehrender Zugehörigkeitszuschreibungen eingegangen wird. Kapitel 6 beinhaltet dann die Ergebnisdarstellung der Feinanalyse dieser herausgearbeiteten visuellen Muster und Stereotypisierungen. Exemplarisch ausgewählte Fotografien, die besonders gut geeignet sind, um die wiederkehrenden Selbstund Fremdbilder sowie die damit einhergehenden Grenzziehungen und Zugehörigkeitskonstellationen im Detail auszuwerten, werden hier einer vergleichenden Analyse unterzogen. Im Mittelpunkt steht dabei nochmals die bildsemiotische Interaktion zwischen bildbetrachtenden und dargestellten Personen. Zusätzlich werden in der Feinanalyse ebenfalls zeichenspezifische Gestaltungsdimensionen wie Bildaufbau, Lichtführung und weitere kompositorische Aspekte einbezogen. Der erste Abschnitt der Feinanalyse umfasst die dominanten Darstellungsmuster in der integrationspolitischen Berichterstattung, wobei darauf fokussiert wird, wie Migrant*innen und Muslim*innen in Alltagsszenen des öffentlichen Raums, im Bildungs- und Arbeitsbereich sowie in Verbindung mit nationalen und/oder religiösen Symboliken abgebildet werden. Der zweite Bereich der Feinanalyse beinhaltet dann die medialen Debatten um Flucht und Asyl und fragt dementsprechend danach, wie Geflüchtete und Helfer*innen in unterschiedlichen Teilbereichen der Berichterstattung dargestellt sind. Der dritte Abschnitt der Feinanalyse zielt auf die Darstellungsweise deutscher Selbstbilder, wobei einerseits Bilder analysiert werden, die eine direkte bildliche Abgrenzung zu Migrant*innen und Muslim*innen visualisieren und andererseits Abbildungen im Mittelpunkt stehen, die im Zuge der Thematisierung des neuen Patriotismus sowie der Repräsentation der deutschen Mittelschicht eine nationale ‚WirGemeinschaft‘ imaginieren. Abschließend werden die Analyseergebnisse aus allen Bereichen der Untersuchung im vierten Teil der Arbeit zusammengeführt und unter Einbeziehung postkolonialer, weißseins- und rassismuskritischer Ansätze sowie einschlägiger Forschungsergebnisse aus der Migrationsforschung diskutiert. Ziel ist es dabei, die verschiedenen Bildgruppen und die durch beständige Wiederholung gekennzeichneten Stereotypisierungen in einen historischen, politischen und gesellschaftlichen Rahmen einzuordnen, mit Dynamiken der Dominanz und Machtförmigkeit abzugleichen sowie den in der Analyse herausgearbeiteten ambivalenten Prozess der Konstruktion von Selbst- und Fremdbildern theoriegeleitet
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auszuwerten. In Kapitel 7 werden dazu zunächst die wichtigsten Ergebnisse der beiden Analysebereiche nochmals zusammengefasst. Anschließend wird in Kapitel 8 unter anderem plausibilisiert, warum das Kopftuch in migrationspolitischen Mediendebatten als übergeordnetes und besonders sichtbares Differenzsymbol fungiert und weshalb die Darstellung der ‚Migrationsanderen‘ so häufig mit muslimischen Konnotationen verbunden wird. Des Weiteren wird unter Einbeziehung bildsemiotischer Ansätze aufgezeigt, durch welche spezifischen visuellen Darstellungsmittel Migrant*innen und Muslim*innen distanziert, entpersonalisiert und homogenisiert werden und welche Rolle dies im Prozess des Othering spielt. Auch die Darstellungsmuster der Flucht- und Asyldebatte, die mitunter von Symboliken der Massenbewegung und Flutrhetorik geprägt sind, werden erläutert. Zudem erfolgt eine vergleichende Diskussion der integrationspolitischen Darstellungsmuster im Bereich von Bildung und Arbeit. Dabei wird auch veranschaulicht, inwieweit einige Bildbereiche von einer deutlichen Ambivalenz gekennzeichnet sind und wie Migrant*innen und Geflüchtete in diesen Abbildungen mal positiv anerkennend und mal stereotypisierend abgebildet werden. Die Auswertung der Analyse deutscher Selbstbilder stellt in Kapitel 9 heraus, welche Rückschlüsse aus den stereotypisierenden Darstellungsweisen der ‚Anderen‘ für das dahinterliegende Selbstverständnis einer imaginierten nationalen ‚Wir-Gemeinschaft‘ gezogen werden können und inwieweit dabei auch europäisch-christliche Zuschreibungen eine Rolle spielen. Außerdem erfolgt eine ausführliche Diskussion der zahlreichen Abbildungen, die nationale Symboliken beinhalten. Die verschiedenen Darstellungsmuster werden hierbei als bildlicher Ausdruck ambivalenter Zugehörigkeitsdynamiken in Deutschland gedeutet, die zwischen der Zuschreibung von Mehrfachzugehörigkeit und binären Identitätskonstruktionen changieren können. Für die Analyse der Selbstbilder wird des Weiteren konkretisiert, wie bestimmte visuelle Darstellungsmittel dazu beitragen, die hierarchische Position deutscher Helfer*innen gegenüber Geflüchteten bildlich zu fixieren und wie dabei zum Teil rassifizierende Differenzmarkierungen akzentuiert werden. Anhand der Repräsentation der deutschen Mittelschicht lässt sich abschließend außerdem darstellen, wie die Imagination einer homogenen Nation auf visueller Ebene sichtbar wird und wie sich dabei ein repräsentatives Bild Deutschlands etabliert, aus der Schwarze Menschen, People of Color und migrantisierte Personen sehr oft schlicht ausgeschlossen sind. Abschließend werden die Ergebnisse dieser Arbeit in Kapitel 10 nochmals in einer Schlussbetrachtung zusammengeführt und resümierend diskutiert.
Teil I – Postkoloniale Studien, Critical Whiteness Studies und Rassismusforschung
1
Postkoloniale Studien
Nachdem Postkoloniale Studien lange Zeit gerade in der deutschsprachigen Soziologie wenig Beachtung zuteil wurde, findet seit einigen Jahren zumindest in einzelnen Forschungsbereichen ein Umdenken statt. Dies gilt sowohl für die Auseinandersetzung mit der eigenen Beteiligung an kolonialen Wissensproduktionen als auch für die zunehmende Einbeziehung postkolonialer Analyseansätze in die gegenwärtige soziologische Forschungspraxis. Da es sich bei Postkolonialen Studien um ein äußerst komplexes und transdisziplinäres wissenschaftliches Feld handelt, zielt das folgende Kapitel darauf ab, wichtige Entwicklungslinien und grundlegende Konzepte vorzustellen. Entlang der Fragestellung dieser Arbeit wird der Schwerpunkt der Übersicht vor allem darauf liegen, diejenigen Analyseaufsätze zusammenzutragen, die innerhalb des Untersuchungsfeldes von Selbst- und Fremdbildern nach der Funktion und Beschaffenheit von Stereotypisierungen, Repräsentationsdynamiken, hybriden Zugehörigkeitskonstellationen sowie Narrationen der Nation unter postkolonialen Gesichtspunkten fragen. Im ersten Teil des Kapitels wird hierzu in einer Zusammenfassung auf die theoriegeschichtliche Entwicklung Postkolonialer Studien eingegangen (1.1). Obwohl postkoloniale Studien vor allem durch eine äußerst große Heterogenität und Offenheit gekennzeichnet sind, können drei gemeinsame Bezugspunkte vorgestellt werden, auf die sich eine Vielzahl der Arbeiten zurückführen lassen: das gemeinsame Erkenntnisinteresse und die Forschungsziele, die Wahl der methodischen Zugänge sowie politische Positionierungen (1.2). Im Anschluss lassen sich relevante theoretische Ansätze und Konzepte der postkolonialen Studien diskutieren, wobei der Schwerpunkt zum einen auf der Repräsentationskritik und hier insbesondere auf den Schriften zu Orientalismus, Othering und der Konstruktion des westlichen ‚Selbst‘ liegt (1.3) sowie zum anderen auf die Theorieansätze eingegangen wird, die sich mit Stereotypisierungen, hybriden Kulturen und der Frage der nationalen Zugehörigkeit beschäftigen (1.4).
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1.1 THEORETISCHE HINTERGRÜNDE UND VERSUCH EINER GENEALOGIE Postkolonialen Studien können weniger als eine einheitliche Theorieschule, sondern vielmehr als ein hochgradig komplexes, ausdifferenziertes Projekt und als „antidisziplinäre Intervention“ (Castro Varela/Dhawan 2009: 9) verstanden werden, die im antikolonialen Widerstand verwurzelt ist, sich akademischen Normierungen widersetzt und eine „Vielzahl dissonanter Stimmen und Positionen“ (Ha 2010a: 266) ermöglicht. Sie fordern gleichwohl dazu auf, die Rolle wissenschaftlicher Disziplinen im Rahmen postkolonialer Machtverhältnisse zu hinterfragen und zielen nicht zuletzt auch auf eine Kritik an grundlegenden soziologischen Konzepten und Erklärungsmodellen, die bis heute Teil einer fortwährenden eurozentrischen Wissensproduktion sind (vgl. Franzki/Aikins 2010). Eine kurze, überblicksartige Zusammenfassung über den Postkolonialismus1, seine theoriegeschichtliche Entwicklung und die gegenwärtigen Perspektiven für eine kritische Wissenschaft zu schreiben, offenbart sich daher schnell als schwierige, wenn nicht gar unmögliche Aufgabe.2 Schon der Begriff postkolonial widersetzt sich einer exakten Markierung, da er weder eine spezifisch historische Periode, noch einen konkreten Inhalt oder ein klar bestimmbares Programm bezeichnet (vgl. Castro Varela/Dhawan 2015: 286). Bis in die 1970er Jahre war der Terminus postkolonial in erster Linie als imperialismuskritischer, historischer Epochenbegriff verwendet worden. Mit dem Aufkommen der Postcolonial Studies fand dann eine Bedeutungsverschiebung hin zu einem politisch-programmatischen und diskurskritischen Begriff statt (vgl. Bachmann-Medick 2006: 185). Vor allem der Einfluss marxistischer und poststrukturalistischer Annahmen war für die theoretischen Ausformungen des Postkolonialismus kennzeichnend und hat zu der besagten Vielfalt postkolonialer Arbeiten geführt:
1
Mit Postkolonialismus ist hier in Anschluss an die begriffliche Unterscheidung von Leela Gandhi die theoretische Ebene bzw. das wissenschaftlich-akademische Feld gemeint (vgl. Gandhi 1998: 4). Demgegenüber bezeichnet der Begriff Postkolonialität die postkoloniale Kondition oder auch Situation der ehemaligen Kolonien und der westlichen Metropolen (vgl. auch Münster 2007: 15).
2
Für eine ausführliche Erläuterung der Begriffe Kolonialismus, Imperialismus, NeoKolonialismus und Postkolonialismus, sei an dieser Stelle auf die einführenden Werke von Ania Loomba (2009) und Robert J. C. Young (2001) verwiesen.
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„Während poststrukturalistische Herangehensweisen zur Kritik an westlichen Epistemologien und zur Theoretisierung einer eurozentrischen Gewalt beigetragen haben, schafft die marxistische Perspektive eine Basis für eine Kritik, welche die internationale Arbeitsteilung und die aktuellen Prozesse des Neokolonialismus und der Rekolonisierung in den Blick nimmt. Postkoloniale Theorie gilt als die kontinuierliche Verhandlung dieser beiden scheinbar gegensätzlichen Erkenntnismodi“ (Castro Varela/Dhawan 2015: 12).
So verwundert es auch kaum, dass sich die meisten Arbeiten und Analysen der postkolonialen Studien nicht einer wissenschaftlichen Disziplin zuschreiben lassen, sondern über Fächergrenzen hinweg zu verorten sind. Autor*innen postkolonialer Kritik kommen beispielsweise aus den Literatur-, Kultur-, Politik- und Geschichtswissenschaften oder auch aus der Ethnologie und Soziologie.3 Ihre Arbeiten überlappen dementsprechend oftmals die gängigen Disziplingrenzen und zielen darauf ab, verschiedene Wissenschaftszweige zusammenzuführen (vgl. Münster 2007; Löw 2009). Sie bewegen sich dabei „undogmatisch in einem Theorierahmen“ und greifen unter anderem auf feministische, marxistische, poststrukturalistische und psychoanalytische Positionen sowie literatur- oder auch kulturwissenschaftliche Methoden zurück (Ha 2007a: 47). Bei aller Zugkraft aktueller Interventionen postkolonialer Kritik in den unterschiedlichen Feldern von Wissenschaft und Politik sollte jedoch nicht vergessen werden, in welchen historischen Entwicklungen die Wurzeln dieses postcolonial turn begründet sind. Entscheidend für den Aufbau postkolonialer Studien waren unter anderem Theoretiker*innen des antikolonialen Widerstandes sowie Intellektuelle, Feminist*innen und Aktivist*innen der afroamerikanischen Bewegung. Hierzu zählten sowohl Intellektuelle aus dem Umfeld der Unabhängigkeits- und Befreiungskämpfe der Négritude-Bewegung und des Pan-Afrikanismus der 1930er und 1940er Jahre als auch aus den antikolonialen Bewegungen der Nachkriegszeit (vgl. Reuter/Villa 2010b: 18). So benannte Aimé Césaire bereits 1955 (1968) in Über den Kolonialismus, einem der wohl einflussreichsten Texte des antikolonialen Widerstandes, die brutalen Verbrechen des Kolonialismus und klagte die Verdinglichung des kolonisierten Subjekts an. Frantz Fanon
3
Einen guten Überblick zu den frühen Werken bietet beispielsweise der von Ashcroft, Griffiths und Tiffin herausgegebene Post-Colonial Studies Reader (1995), der ein breites Themenfeld verschiedenster wissenschaftlicher Disziplinen bereitstellt. Im deutschsprachigen Raum vereint z.B. der Sammelband Jenseits des Eurozentrismus (2002), herausgegeben von Sebastian Conrad und Shalini Randeria, Autor*innen aus unterschiedlichen Fächern und präsentiert damit ein breites Themenfeld zur Debatte des Postkolonialismus.
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untersuchte unterdessen mit Hilfe psychoanalytischer Überlegungen in seinem Buch Schwarze Haut, weiße Masken (1985) die Auswirkungen der rassistischen kolonialen Unterdrückung auf die kolonialisierten Subjekte. Beide Theoretiker verwiesen in ihren Schriften außerdem „stets auf die Rolle der Kolonisierten als Widerständige und Kollaborateure und auf die materielle sowie die ideologische Aggression des Kolonialismus, die sich wechselseitig legitimierten und stärkten“ (Franzki/Aikins 2010: 17). Die aufkommenden Postcolonial Studies knüpfte in den 1980er Jahren nun an die Geschichte der Dekolonisierung sowie an die (theoretischen) Auseinandersetzungen der intellektuellen Aktivist*innen antikolonialer Kämpfe an. Die oben beschriebene Bedeutungsverschiebung ergab sich dann vor allem durch den zweiten wichtigen Bezugspunkt der postkolonialen Studien: „[D]ie Revolutionierung westlich intellektueller Traditionen, welche die gängigen Konzepte von Macht, Subjektivität und Widerstand herauszufordern wussten“ (Castro Varela/Dhawan 2015: 17). Gemeint sind hier vor allem die Impulse durch die zunehmende differenztheoretische Rezeption französischer Poststrukturalist*innen wie Derrida und Foucault sowie die aufkommende Debatte um die Postmoderne (vgl. Reuter/Villa 2010b: 19), die eine „kulturell-diskursive und epistemologische Prägung“ (Bachmann-Medick 2006: 189) postkolonialer Ansätze mit sich brachten. Gleichzeitig verstärkte sich hier gleichwohl auch die Einsicht, dass koloniale Macht nicht nur ökonomisch, sondern auch diskursiv über das (westliche) Wissenssystem ausgeübt wurde bzw. auch heute immer noch ausgeübt wird (vgl. ebd.: 187). Das zuweilen als „Gründungsmanifest“ (Conrad/Randeria 2002: 22) und „Meilenstein“ (Gutiérrez Rodriguez 2003: 23) betitelte Werk Orientalismus (2009) von Edward Said konnte mit Rückbezug auf die Macht- und Diskursperspektive Foucaults und den Hegemoniebegriff Gramscis aufzeigen, wie Autorität und Macht in der Produktion von (kolonialistischen) Diskursen hergestellt worden ist.4 Hierbei werden insbesondere die Verbindungslinien zwischen der dominanten Wissensproduktion und dem europäischen Kolonialismus offengelegt. Said fasst unter den Begriff Orientalismus im Wesentlichen eine Vielzahl von diskursiven Repräsentationstechniken des ‚Anderen', die auf der Grundlage von sprachlichen, darstellenden, institutionellen und wissenschaftlichen Praktiken erzeugt worden sind. Zugleich hebt er hervor, dass die Zivilisationsgeschichte Europas auf dem vom Westen konstruierten ontologischen und epistemologischen Unterschied zwischen ‚Orient‘ und ‚Okzident‘ fußt (vgl. Gutiérrez Rodriguez 2003: 23). Die in den Diskursen hergestellten Wirklichkeitsvorstellungen sind
4
Erstmalig erschien das Werk Orientalism von Edward Said 1978.
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bis in die Gegenwart und damit vor allem auch für ein hegemoniales europäisches weißes Selbstverständnis elementar: „Wenn die kolonisierten Menschen als irrational hergestellt worden sind, wurden die Europä_erinnen als rational verstanden, wenn die Kolonisierten als chaotisch eingelesen werden, sind im Umkehrschluss die Europä_erinnen ordentlich und geordnet usw.“ (Lann Hornscheidt 2010: 453).
Bei Saids Arbeit standen im Gegensatz zu politikgeschichtlichen und marxistischen Analysen der vorherigen Jahrzehnte vor allem der Diskurs sowie die kulturellen Dimensionen des Kolonialismus im Mittelpunkt der Betrachtung. In Anschluss an das Werk Orientalismus entfaltete sich, wie in wissenschaftlichen Diskursen zur Postkolonialer Theorie oft formuliert worden ist, die sogenannte Holy Trinity der Leitfiguren des Postkolonialismus, zu denen neben Said auch Gayatri C. Spivak und Homi K. Bhabha gezählt werden (vgl. z.B. BachmannMedick 2006: 189; Castro Varela/Dhawan 2015: 18). Dieses von Julian Go (2016) als zweite Welle postkolonialen Denkens bezeichnete Projekt lässt sich insbesondere auch vor dem Hintergrund der sich stark verändernden (neo)kolonialen Verhältnisse der späten 1970er und der 1980er Jahre verstehen: „If the first wave took up arms and called for decolonization, the second wave in the wake of decolonization picked up the mantle of epistemic decolonization, adopting for themselves the unfinished task of decolonizing knowledge and culture“ (Go 2016: 58).
Sowohl Spivaks als auch Bhabhas Arbeiten knüpfen dabei an die Ideen Saids an, setzen sich jedoch zugleich auch von einigen wesentlichen Annahmen ab und führen weitere Ansätze in die Überlegungen mit ein, die entscheidend zur Theoretisierung des postkolonialen Projektes beigetragen haben. So hat Bhabha unter anderem die Lacan’sche Spiegelmethapher und das Freud’sche Fetischkonzept in Hinblick auf die Identitätsbildungsprozesse kolonialisierter Subjekte angewendet (vgl. Reuter/Villa 2010b: 20). Entgegen der Annahme Saids argumentiert er, dass die Autorität der kolonialen Macht niemals ausschließlich im Besitz der Kolonisatoren war. Die Repräsentation des ‚Orients‘ in den Diskursen des ‚Westens‘ verweise auf eine produktive Ambivalenz des ‚Anderen‘, der gleichzeitig als Objekt des Begehrens und des Spotts erscheint. Spivak hat mitunter die marxistischen Konzepte der Subalternität und hegemonialen Macht auf die Situation der Frauen im indischen Kastenwesen angewendet (vgl. Spivak 2008). Sie geht in ihren Arbeiten vor allem Fragen bezüglich der Repräsentation und Essentiali-
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sierung von Subjekten nach und kritisiert zugleich materielle und diskursive Nord-Süd-Herrschaftsverhältnisse.
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1.2 FORSCHUNGSZIELE, METHODISCHE ZUGÄNGE UND POLITISCHE POSITIONIERUNGEN Erkenntnisinteresse und zentrale Gegenstandsbereiche Als wichtiger gemeinsamer Bezugspunkt Postkolonialer Studien kann zu allererst die Erforschung der Nachwirkungen des Kolonialismus genannt werden. Hierbei wird als zentrale Grundannahme davon ausgegangen, dass die Folgen kolonialer Herrschaft sowohl in den Ländern des ‚globalen Südens‘ als auch des ‚globalen Nordens‘ in so unterschiedlichen Bereichen wie Wissenschaft, Politik, Ökonomie, Recht und Kunst noch immer äußerst präsent sind. Die heutige Welt ist, so der gemeinsame Ausgangspunkt, nach wie vor geprägt von „imperialen und neokolonialen Herrschaftsverhältnissen und kulturellen Beziehungen, welche die alten Asymmetrien reproduzieren und verfestigen“ (Conrad/Randeria 2002: 24). Wichtig ist, dass Postkoloniale Studien nicht nur die Wirkungen der Kolonialisierung in den Blick nehmen, sondern, wie Castro Varela und Dhawan betont haben, ebenso die „aktuell bestehenden neokolonialen Machtverhältnisse und die diversen ‚kulturellen Formationen‘, die in Folge von Kolonialisierung und Migration in den Metropolen entstanden sind“ (Castro Varela/Dhawan 2015: 18), in den Fokus rücken.5 Im Wesentlichen konzentriert sich die Mehrzahl der Analysen auf die Auswirkungen des Kolonialismus auf der Ebene von Diskursen, Repräsentationen, Identitätskonstruktionen und Zugehörigkeitsverhältnissen. Die Vorsilbe ‚post‘ kann hierbei demzufolge nicht zwangsläufig als historische Kategorie im Sinne einer „nach-kolonialen Situation“ (Reuter/Villa 2010b: 17), also als „Ausdruck einer Abfolge“ (Bhabha 1997: 128), verstanden werden. Es wird demgegenüber die binäre Form des ‚damals‘ und ‚jetzt‘ in der kolonialen Begegnung in Frage gestellt und auf die Unabgeschlossenheit und weiterhin vorhandene Wirkungsmächtigkeit des Kolonialdiskurses verwiesen - denn, so konstatiert beispielsweise Leela Gandhi: „Colonialism does not end with the end of colonial occupation“ (1998: 17). Ein chronologisches, lineares Geschichtsverständnis wird von postkolonialen Ansätzen insgesamt kritisiert und zurückgewiesen. Anstatt dessen wenden sich die Arbeiten den Widersprüchen und Brüchen historischer Prozesse zu (vgl. ebd.; Reuter/Villa 2010b: 17). Dabei plädieren sie in Hinblick auf ein neues Zeitverständnisses „für eine nicht-lineare Multidimensionalität“, welche
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Gleichzeitig bezieht sich das ‚post‘, wie Stuart Hall (1997) hervorgehoben hat, auch auf eine epistemische Dimension, die in der Dekonstruktion und Verabschiedung zentraler Annahmen des kolonialen Diskurses besteht (vgl. auch Conrad/Randeria 2002: 25).
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die „Gleichzeitigkeit von Konkurrenzen kolonialer, spätkolonialer, neokolonialer und nachkolonialer Verhältnisse zu erfassen vermag“ (Ha 2004: 95). Dies wird beispielsweise in den konzeptionellen Überlegungen von Shalini Randeria zur ‚geteilten Geschichte‘ und ‚verwobenen Moderne‘ deutlich, bei dem die Ambivalenzen einer Geschichte des Austauschs und der Interaktion zum Ausdruck gebracht werden (vgl. Randeria 1999; 2005). Sie kann damit unter anderem aufzeigen, warum es unmöglich ist, „eine Geschichte des Westens ohne die Geschichte der Kolonialländer zu schreiben und vice versa“ (Castro Varela 2008: 22).6 Gleichwohl markiert die postkoloniale Kritik, wie Stuart Hall betont hat, einen entscheidenden Bruch mit historiographischen Großnarrativen, da sie „alternative Narrative anbietet und andere Zusammenhänge zentraler Geschehensabläufe als die klassische Geschichte der Moderne ins Licht rückt“. Die Kolonialisierung nimmt hierbei „den Rang und die Bedeutung eines zentralen, umfassenden, Strukturen sprengenden welthistorischen Ereignisses ein“ (Hall 1997: 231). Methodische Zugänge Die methodischen Zugänge Postkolonialer Studien zeichnen sich ebenfalls durch eine transdisziplinäre Offenheit und Vielfalt aus, konvergieren in vielerlei Hinsicht jedoch in einer gemeinsamen Ausrichtung, die sich zu einem großen Teil auf methodologische Hauptwerke des Poststrukturalismus beziehen. Hierbei sind insbesondere Diskursanalyse sowie Dekonstruktivismus zu nennen, die in Anschluss an die Überlegungen poststrukturalistischer Ansätze aufgegriffen und in Hinblick auf postkoloniale Fragestellungen angewendet werden.7 Beide Ver-
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Randeria betont einerseits die Gemeinsamkeiten und die Austauschbeziehungen der Welt, die es nahelegen, moderne Geschichte als „ein Ensemble von Verflechtungen“ (Conrad/Randeria 2002: 17) aufzufassen und den Tunnelblick, der die Geschichte einer Nation/Europas im Kern immer aus sich heraus erklärt, zu überwinden. Andererseits werden jedoch auch die Grenzziehungen und Brüche, die aufgrund der vielfältigen Interaktionen entstehen konnten, fokussiert. Dabei werden sowohl die zahlreichen Differenzen und Ungleichheiten innerhalb von Gesellschaften als auch die Abgrenzungen zwischen Nationalstaaten mit einbezogen.
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Neben den zwei genannten methodischen Zugängen finden auch noch unterschiedliche andere theoretische Positionen Eingang in die Methodologie postkolonialer Arbeiten. So sind z.B. die „Lacansche Lesart von Freud“, sowie das „nomadische Denken bei Gilles Deleuze“ (Ha 2010a: 268) ebenfalls wichtige Ausgangspunkte postkolonialer Kritik. Das Verhältnis zu den Theorieansätzen ist unter den einzelnen postko-
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fahren gründen auf einem umfassenden Sprachbegriff nach dem alle Phänomene des individuellen und kollektiven Verhaltens als Ausdruck diskursiver Prozesse verstanden werden können. Die Diskursanalyse – vor allem in Anschluss an die Arbeiten von Michel Foucault – nimmt dabei eine Perspektive ein, die soziale Phänomene nicht nur beschreibt, sondern immer auch nach den diskursiven Bedingungen fragt, die historisch notwendig waren, damit ein spezifisches Phänomen als solches überhaupt auftauchen konnte (vgl. Quadflieg 2008: 105f.). Zudem wird auf die enge Verknüpfung von Wissen und Macht verwiesen.8 Diskurse schaffen, reproduzieren, modifizieren und naturalisieren Wissen, wobei dies in Abhängigkeit zu Machtprozessen und -positionen gesehen werden muss. In Bezug auf postkoloniale Studien ist die Diskursanalyse, wie Antje Lann Hornscheidt betont, vor allem geeignet, um „Verbindungen zwischen dem vermeintlich Sichtbaren und dem Verborgenen, zwischen dem Be_Nannten und Ent_Nannten und dem Ent_Erwähnten, zwischen dem Dominanten und dem Marginalisierten, zwischen Ideen und Institutionen aufzuzeigen“. Außerdem ermögliche sie, „zu sehen, wie kolonialistische Macht durch unterschiedlichste sprachliche Handlungen re_Produziert wird, durch Literatur, Kultur und durch die Institutionen, die das tägliche Leben regulieren und wie postkoloniale Vorstellungen diskursiv umgesetzt werden können“ (Lann Hornscheidt 2010: 453). Neben der Diskursanalyse gehen postkoloniale Arbeiten mitunter auch von der Methode aus, über „die Dekonstruktion von Essentialismen einen kritischen erkenntnistheoretischen Kontrapunkt zu den dominierenden Modernitätskonzepten zu entwickeln“ (Costa 2005: 221). Mit ‚dekonstruieren‘ ist eine LeseStrategie bzw. eine kritische Reflexion auf Texte gemeint, die in Anlehnung an Derrida „die immanente Kontextualität und die (machtgetränkte) Herstellung von sichtbaren ‚objektiven‘ Bedeutungen aufzeigt“ (Reuter/Villa 2010b: 16). Die dekonstruktivistischen Verfahren bedienen sich der Rekonstruktion ihres Gegenstandes, der akribischen Zerlegung und analytischen Zerstörung angeblicher Wahrheit und der daraus gewonnenen produktiven Verschiebung von Sinn (vgl.: Villa 2006: 93). Typischerweise nehmen die postkolonialen Ansätze hierfür eine Perspektive von ‚außen‘ bzw. den ‚Rändern‘ oder ‚Peripherien‘ ein und analysieren Gegenstände oder Phänomene von ihrer Grenzziehung her. So können, wie
lonialen Theoretiker*innen wiederum durchaus different (vgl. Castro Varela/Dhawan 2015: 18f.). 8
Foucault hat diesbezüglich zeigen können, wie die Etablierung wissenschaftlicher Wahrheiten mit institutionellen Machtgefügen einhergeht, welche wiederum produktiv wirken. Wissensdiskurse können dabei, als ‚neutrale‘ Wahrheitssuche getarnt, eine Normalisierungs- und Disziplinierungsfunktion erfüllen (vgl. Quadflieg 2008: 101).
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de Sousa Santos angemerkt hat, „die Macht- und Organisationsstrukturen des Wissens klarer sichtbar werden“ (de Sousa Santos 2005: 201). Postkoloniale Arbeiten gehen bei dieser Sichtbarmachung des Ausgeschlossenen – auch in Rückbezug auf Derridas Kritik am westlichen metaphysischen Denken und den darin fest verankerten binären Entgegensetzungen – von einer gemeinsamen Grundannahme aus: „Keine Bedeutung und keine Kategorie ist selbstevident, keine ist zwingend – insbesondere nicht vermeintlich selbstverständliche, faktisch asymmetrische Begriffspaare wie Okzident-Orient, Nord-Süd, modern-traditionell, entwickelt-unterentwickelt, rational-exotisch, eigen-fremd, progressiv-konservativ usw. und deren Gebrauch im (auch wissenschaftlichen) Alltag“ (Reuter/Villa 2010b: 16).
Politische Positionierung Kennzeichnend für die Etablierung Postkolonialer Studien in den vergangenen Jahrzehnten war nicht nur die Intervention in zahlreiche wissenschaftliche Felder und Disziplinen. Von ihrem Selbstverständnis her sind Postkoloniale Studien gleichwohl auch als ein politisches Projekt zu verstehen, welches sich vor allem unterdrückten Subjekten verpflichtet fühlt: „Sie sind bestrebt, gerade jene Perspektiven und Themen aufzuwerten, die innerhalb der bestehenden Ordnung keinen Platz beanspruchen dürfen“ (Ha 2010a: 260). Dies ist nicht zuletzt den diskurstheoretischen Überlegungen geschuldet, die auf den dominanten Mechanismus des Ausschlusses oder vielmehr des ‚zum Schwiegen bringen‘ derer, die auf der „anderen Seite der Wahrheit, Rationalität, Normalität, Normativität, Universalität und Wissenschaftlichkeit stehen“ (Castro Varela/Dhawan 2003: 279) verweisen. Die Aufgabe von Kritik sei es, „Räume zu schaffen, in denen die Anderen gehört werden, und andere bisher unbeachtet gebliebene Perspektiven freizulegen, die bisher nicht als wertvoll qualifiziert waren“ (ebd.). Es geht postkolonialen Arbeiten zumeist also neben den theoretischen Auseinandersetzungen und kritischen Analysen zu historischen Verstrickungen, Repräsentationsmechanismen, lokalen/globalen Machtverhältnissen usw. immer auch um praktische politische Interventionen - um ein activist writing, wie Robert Young es genannt hat (vgl. Young 2000: 241). Diese politische Situierung ist nicht zuletzt auf die Wurzeln postkolonialer Theorie zurückzuführen, die bis zu den Theoretiker*innen des antikolonialen Widerstandes zurückreichen. Als Teil der Unabhängigkeitsbewegungen waren diese immer auch „AktivistInnen der Tat“ (Ha 2010a: 267). So wurde beispielsweise in den Arbeiten von Aimé Césaire und Léopold Senghor Kolonialismus und Rassismus aus einer Schwarzen Perspektive analysiert. Während die euro-
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zentrierte Historiographie die koloniale Verdinglichung des ‚Anderen‘ nicht in Frage stellte, wurde den Kolonialisierten von Seiten der antikolonialen Theoretiker*innen ein Subjektstatus und eine eigenständige Geschichte unabhängig vom ‚Weißen Blick‘ eingeräumt. Außerdem inspirierten die Arbeiten von Frantz Fanon die kolonialen Befreiungsbewegungen im Trikont und die Black Panther Party in den USA (vgl. Ha 2010a: 268). Auch gegenwärtig vertreten viele postkoloniale Theoretiker*innen einen dezidiert politischen Anspruch und versuchen immer wieder in gesellschaftliche Kontroversen zu intervenieren oder auch auf die zum Schweigen gebrachten Stimmen zu verweisen. Anstatt eine bedingungslose Begeisterung für die antikolonialen Bewegungen zu teilen, haben postkoloniale Intellektuelle wie Said oder Spivak jedoch immer wieder gezeigt, wie der bürgerliche Charakter des antikolonialen Nationalismus viele der sozio-politischen Ungleichheiten der kolonialen Ära ein weiteres Mal reproduziert hat. In postkolonialen Schriften wird gegenwärtig auch daher dazu aufgefordert, die gesellschaftlichen Verhältnisse neu zu betrachten und die Veränderbarkeit der sozialen Welt offen zu legen. Zugleich formulieren postkoloniale Studien eine weitreichende Kritik an der modernen Wissensordnung und den theoretischen Grundlagen der europäischen Moderne (vgl. Conrad/ Randeria 2002: 34). Sie fragen nach der Produktion und Reproduktion von Machtverhältnissen in der Hervorbringung von Wissen und gehen von der zentralen Erkenntnis aus, dass Wissen bzw. Wissenschaft „nie unschuldig oder gar unpolitisch“ (Reuter/Villa 2010b: 33) ist. Das Wissen um die Welt hat sich demnach nicht in einem herrschaftsfreien Raum herausgebildet und gerade kulturelle und soziale Konstrukte der kolonialen Epoche haben in der europäischen Wissensordnung tiefgreifende Spuren hinterlassen (vgl. Steyerl/Gutiérrez Rodriguez 2003: 9). Hierbei geht es jedoch nicht nur um die Funktion der Wissenschaft bei der europäischen Kolonialisierung, also um den Beitrag, den verschiedene Disziplinen wie Soziologie, Ethnologie, Rechtswissenschaft, und Orientalistik zum Kolonialismus zweifelsfrei geleistet haben. Vielmehr betonen postkoloniale Ansätze, dass modernes Wissen selbst Produkt eines Kontextes diskursiver Praktiken war (vgl. Conrad/Randeria 2002: 34). Westliche Wissenschaftsparadigmen werden daher grundsätzlich hinterfragt, indem diese auf ihre geografischen, politischen und diskursiven Herstellungsränder hin dekonstruiert werden (vgl. Gutiérrez Rodriguez 2003: 23). Aus dieser postkolonialen Wissenschaftskritik heraus geht folglich außerdem die Grundaussage postkolonialer Theorie hervor, dass wissenschaftliche Aussagen immer politisch seien, da jede Aussage (auch die wissenschaftliche) ihrem Ursprungsund Entstehungsort verpflichtet ist (vgl. Costa 2005: 221). Eine vorgeblich ‚objektive‘ Wissensproduktion, die ihre eigene Perspektive nicht verortet, wird so-
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mit zurückgewiesen. Gerade durch das Sprechen aus einer nicht markierten Position können sowohl die Machtverhältnisse, die das soziale Feld strukturieren als auch die Machtposition im betrachteten Kontext ausgeblendet werden. Deshalb werfen postkoloniale Arbeiten Fragen der Situiertheit und Positionalität der Forschungsarbeiten auf (vgl. Franzki/Aikins 2010: 23). Das Projekt postkolonialer Kritik steht mit diesem politischen Selbstverständnis und der umfassenden Kritik an der eurozentrischen Wissensordnung in klarem Widerspruch zu positivistischen Annahmen und Wissenschaftsverständnissen mit all ihren „verdinglichenden Begriffen, klar konturierten Fachidentitäten, reduktionistischen Analysen einzelner sozialer Kategorien, ‚objektiven‘ Quantifizierungen und Repräsentationen usw.“ (Reuter/Villa 2010b: 23).
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1.3 POSTKOLONIALE REPRÄSENTATIONSKRITIK: ORIENTALISMUS, OTHERING UND DIE KONSTRUKTION DES WESTLICHEN SELBST Auch wenn keine spezifischen postkolonialen Methoden vorliegen, die als etablierte und erprobte Analyseinstrumente eine klare methodische Leitlinie vorgeben, so lassen sich dennoch bestimmte Strategien aus der ‚zweiten Welle‘ postkolonialen Denkens (vgl. Go 2016) zusammenführen, die eine postkoloniale Analyseperspektive auf die in dieser Arbeit zu analysierenden Repräsentationsdynamiken von Selbst- und Fremdbildern sowie den damit einhergehenden Stereotypisierungen und Markierungen von Differenz möglich machen. Ein Hauptbezugspunkt postkolonialer Ansätze ist hierbei die Beobachtung, dass die Wissens-produktion über die ‚Anderen‘ als „Stützpfeiler kolonialer und neokolonialer Herrschaft“ (Ziai 2012: 283f.) identifiziert werden kann. Die damalige und gegenwärtige Konstruktion des nicht-westlichen ‚Anderen‘ sowie die daraus hervorgehende Konstitution des westlichen Selbst stehen im Mittelpunkt der Analysen. Orientalismus Edward Said hat in der Studie Orientalismus (Said 2009) auf den Diskurs in westlicher Literatur und Wissenschaft aufmerksam gemacht, der die Repräsentation des ‚Orients‘ seit Ende des 18. Jahrhunderts tiefgreifend prägt. Das von westlichen Akademiker*innen und ‚Expert*innen‘ des sogenannten ‚Orients‘ produzierte Wissen führte zu einem dichotomen Repräsentationssystem, bei dem der Dualismus ‚Okzident‘/‚Orient‘ von Macht und Dominanz geprägt ist. Während der ‚Orient‘ mitunter als irrational, primitiv und feminin charakterisiert wird, steht dieses Konstrukt in klarem Gegensatz zum rationalen, fortschrittlichen und maskulinen ‚Westen‘.9 Die hierbei entstandenen Konstruktionsweisen sagen nach Said wenig über die Realitäten einer Region aus, die der ‚Westen‘ als ‚Orient‘ beschreibt, sondern sollten als Ausdruck der Wunschvorstellungen und Sehnsüchte des ‚Westens‘ betrachtet werden. Unter der sogenannten ‚OrientForschung‘ sei ein „komplexer Orient“ entstanden, der „gut geeignet für akademische Studien, für Exponate in Museen, für die Reorganisation in Kolonialämtern, für theoretisches Anschauungsmaterial in anthropologischen, biologischen, linguistischen, ethnologischen und historischen Abhandlungen“ gewesen
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Saids Werk hat eine weitreichende Kontroverse und äußert heterogene Kritik nach sich gezogen, auf die an dieser Stelle nicht ausführlich eingegangen werden kann. Siehe für einen Überblick beispielsweise Castro Varela/Dhawan (2015: 104ff.).
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sei (Said 2009: 16). Diese „imaginäre Erforschung des Orientalischen“ habe, so Said, „auf einem Bewusstsein der westlichen Souveränität [beruht], aus dessen unangefochten zentraler Stellung erst eine orientalische Welt resultierte – zunächst aufgrund allgemeiner Prinzipien darüber, wer oder was als orientalisch zu gelten hatte, und dann nach einer speziellen Logik, die indes nicht einfach der empirischen Realität folgte, sondern einem ganzen Bündel von Bedürfnissen, Verdrängungen, Unterstellungen und Projektionen“ (ebd.: 17). Der Orientalismus entspricht demnach einer imaginierten und zugleich institutionalisierten Vorstellung über eine Region der Welt, die letztendlich eine kulturelle und sinnstiftende Grenze markiert, von der ausgehend ein ‚Wir‘ und ein ‚Sie‘ definiert werden. In der hieraus entstehenden semantischen Korrelation zwischen ‚Wir‘ und dem ‚Anderen‘ tritt das ‚Andere‘ als minderwertig hervor und wird entweder als Karikatur oder Stereotyp dargestellt (vgl. Costa 2005: 223f.). Die Menschen des ‚Orients‘ werden demnach als das Gegenbild der Europäer*innen, als die unterlegenen ‚Anderen‘ konstruiert. ‚Der Westen und der Rest‘ Ganz ähnlich wie Edward Said argumentiert auch Stuart Hall in dem Artikel Der Westen und der Rest (2008a), wobei er die Konstruktion des ‚Anderen‘ als den kolonialen Diskurs Europas über den ‚Rest der Welt‘ fasst und hierbei an Überlegungen zum Orientalismus anknüpft. Wie Said so verdeutlicht auch Hall, dass es bei der Gegenüberstellung und Abgrenzung zum ‚Anderen‘ nicht ausschließlich um dessen Konstruktion, sondern gleichzeitig immer auch um die Bestimmung eines positiv besetzten europäischen/westlichen Selbst ging. Der ‚Westen‘ sei folglich nicht als geographisches, sondern vielmehr als historisches Konstrukt zu verstehen, das Gesellschaften bezeichne, die in einer bestimmten zeitlichen Periode entstanden sind und gemeinsame Zuschreibungen teilen: „Mit ‚Westen‘ meinen wir einen Gesellschaftstyp, der als entwickelt, industrialisiert, städtisch, kapitalistisch, säkularisiert und modern beschrieben wird“ (ebd.: 138). Die Entstehung der bis heute dominanten Selbstrepräsentation und ihre damit einhergehende Wahrnehmung als einzigartig (im Gegensatz zum minderwertigen ‚Rest‘) verortet Hall in der Herausbildung eines konkreten Bewusstseins des ‚Westens‘ von sich selbst. Dieses sei nicht nur durch einen inneren Prozess, der „die westeuropäischen Länder allmählich zu einem anderen Gesellschaftstyp formte“, sondern vielmehr vor allem auch durch „Europas Bewußtsein seiner Verschiedenheit von anderen Welten – die Weise wie es sich in Beziehung zu diesen ‚anderen‘ repräsentierte“ (ebd.: 141), entstanden. Hierbei macht Hall in Anschluss an Michel Foucault insbesondere deutlich, dass der ‚Diskurs des Westens über den Rest‘ notwendigerweise Machtverhält-
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nisse produziert hat und weiterhin produziert: „Das Wissen, das ein Diskurs produziert, konstituiert eine Art von Macht, die über jene ausgeübt wird, über die ‚etwas gewußt wird’“ (Hall 2008a: 154). Die moderne Wissensordnung hat in Verbindung mit dem kolonialen Diskurs nicht nur ein binäres Repräsentationsmodell hervorgebracht, sondern dieses auch als eine allgemein gültige Repräsentationsweise etabliert. Das Konzept ‚Westen‘ kann damit vor allem als diskursive Formation begriffen werden, die durch die stereotype Repräsentation kultureller Differenzen gekennzeichnet ist. Gleichwohl macht auch Hall deutlich, dass es sich nicht um eine unschuldige Unterscheidung, sondern um eine folgenreiche Klassifizierung handelt, bei der die Idee des ‚Westens‘ als Bewertungskriterium und Maßstab kultureller Differenzen gilt. Interne Unterschiede des ‚Westens‘ werden dabei genauso abstrahiert und negiert wie ökonomische, kulturelle und historische Unterschiede innerhalb des ‚Rests‘, also beispielsweise zwischen afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Regionen und Staaten. Othering – Prozesse des Differentmachens Unter dem von Gayatri Spivak (1985) in postkoloniale Debatten eingeführten Begriff Othering lässt sich auf einer allgemeinen theoretischen Analyseebene der Prozess des Differentmachens10 (Castro Varela/Dhawan 2015: 164) verstehen, der in die Produktion oppositioneller Dualismen eingebettet ist. Menschen werden hierbei aufgrund vermeintlicher oder tatsächlicher Unterschiede zu einer bestimmten Gruppe zusammengefasst und einer gesellschaftlich dominanten ‚WirGruppe‘ gegenübergestellt. Der abgrenzende Mechanismus dieses Prozesses homogenisiert demnach einerseits konstruierte Gruppen, legt zudem andererseits aber auch noch fest, wer als nicht-zugehörig zu einer hegemonialen sozialen Gruppe gilt. Aram Ziai fasst unter dem Schlagwort Othering deshalb „die Konstruktion einer (nach der weitgehenden Diskreditierung des Denkens in Rassekategorien heutzutage meist kulturell definierten) Gruppe als ‚anders‘, die dazu dient, die Identität einer ‚Wir-Gruppe‘ davon abzugrenzen und so zu konstituieren und somit politische Ansprüche und Ausschlüsse zu rechtfertigen“ (Ziai 2010: 403f.). Othering bezeichnet demnach die Hervorbringung, Homogenisierung und Essentialisierung bestimmter ‚Fremdgruppen’ und auch der Eigengruppe innerhalb einer Gesellschaft (vgl. Castro Varela/Dhawan 2004: 66).
10 Julia Reuter (2002) hat Othering mit dem Begriff Veranderung ins Deutsche übertragen, dieser Begriff wird daher ebenfalls in einigen deutschsprachigen Publikationen aufgegriffen.
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Auch Iman Attia betont den machtvollen und zugleich wechselseitigen Prozess des Othering, ordnet diesen aber darüber hinausgehend noch in die soziale Konstruktion von ‚Rassen‘ ein: „Erst der Otheringprozess bringt also verschiedene Rassen hervor, wobei hierzu biologische, kulturelle, religiöse und andere Merkmale und Zuschreibungen genutzt werden, um Andere zu rassialisieren. ‚Rasse‘, ‚Kultur‘, ‚Ethnie‘ und ‚Religion‘ als jeweils homogenes und essenzielles Merkmal einer Gruppe, das der eigenen dichotom gegenübersteht, ist demnach ein Effekt von Rassialisierung (und nicht umgekehrt)“ (Attia 2014: 9).
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1.4 HYBRIDE KULTUREN, STEREOTYPISIERUNG UND ZUGEHÖRIGKEIT Die Beschäftigung mit und die Neuformulierung von Identitätskonzepten gehört zu den wichtigsten Arbeitsfeldern der Postcolonial sowie der Cultural Studies und fällt insbesondere mit der umfassenden Kritik an gängigen Vorstellungen von Kultur zusammen. Ein homogenisierendes Modell, in dem Kultur als eine eingegrenzte, statische Einheit wahrgenommen wird, ist aus postkolonialer Sicht vielfach zurückgewiesen worden. Damit einher geht auch die Ablehnung eines Verständnisses von Identität als homogene, geschlossene und oftmals ortsgebundene Einheit. Postkolonialen Ansätzen geht es demgegenüber vielmehr darum, die entgrenzten Zirkulationsprozesse und die ‚ad hoc‘ artikulierten kulturellen Differenzen in den Mittelpunkt der Analyse zu rücken. Wie Julia Reuter in diesem Sinne zusammenfassend dargelegt hat, ist für postkoloniale Studien nicht Identität, sondern der Prozess der Identifizierung ausschlaggebend. Dies führe zu einer „Dezentrierung bzw. Dekonstruktion“ klassischer Subjekt- und Identitätstheorien, an denen auch die Soziologie nicht arm sei (Reuter 2012: 306). Kulturelle Differenzen, Stereotype und Hybridität Ausgangspunkt dieser postkolonialen Perspektive ist insbesondere die von Homi K. Bhabha konzeptionalisierte Vorstellung eines dynamischen und von Ambivalenzen gekennzeichneten Kulturmodells. Entgegen einer Vorstellung von Kulturen als natürliche, homogene und nach außen geschlossene Einheiten wird hier ein anti-essentialistisches Konzept entworfen, dass kulturelle Felder als Räume fasst, in denen fortlaufend um Macht und Bedeutung gerungen wird. Diese Denkweise zielt unter anderem darauf ab, die Geschlossenheit einer binär codierten Identitätslogik zu hinterfragen und auf ihre beständigen Neuformulierungen und Verschiebungen hin zu analysieren. Dabei geht es Bhabha in seinen Analysen komplexer Wechselverhältnisse vor allem darum, die von Said vorgenommene und nicht nur als dichotome, sondern auch als geschlossen konzeptualisierte Trennung von ‚Orient‘ und ‚Okzident‘ oder ‚Kolonisator*innen‘ und ‚Kolonisierten‘ zu überschreiten. In seinen Überlegungen, die in dem Werk Die Verortung der Kultur (2011) zusammengetragen wurden, zeigt sich sehr deutlich, dass Differenz keine statische bzw. fest fixierte Trennlinie meint. Differenz wird hier zum Ausgangspunkt der Analyse gemacht, um zu untersuchen was zwischen den kulturellen Räumen geschieht und auch, um aufzuzeigen was sie verbindet. So fokussiert Bhabha in seinen analytischen Betrachtungen der Kolonialzeit auf die Differenzkonstruktionen innerhalb des kolonialen Diskurses und verdeutlicht dabei, dass die Positionen zwischen Kolonialisierten und Kolonisatoren in äu-
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ßerst komplexer Weise aufeinander bezogen waren und die koloniale Macht niemals absolut gewesen sei, das heißt niemals ausschließlich auf Seiten der Kolonisatoren gelegen habe (vgl. Bhabha 2011: 97ff.). Die Wirkungs- und Funktionsweisen kolonialer Macht werden von Bhabha besonders eindrücklich anhand seiner analytischen Erläuterungen zur Bedeutung und Funktion kolonialer Stereotype dargelegt, welche er als „Hauptstrategie“ des kolonialen Diskurses ansieht und als „eine komplexe, ambivalente, widersprüchliche Form der Repräsentation“ bezeichnet (ebd.: 103). Bezugnehmend auf Franz Fanons Überlegungen in Schwarze Haut, weiße Masken (1985) legt Bhabha dar, wie sich die kolonialen Beziehungen jeder Statik und Abgeschlossenheit verwehrt hätten. Auch Stereotype, die als wesentliches Element der sich beständig wiederholenden Inferiorisierung des ‚Anderen‘ sowie der Selbstvergewisserung des ‚Selbst‘ angesehen würden, habe diese Dynamik entsprechend beeinflusst. So sei das Stereotyp nicht als falsches oder verzerrtes Abbild einer realen Wirklichkeit zu verstehen, sondern grundsätzlich darauf ausgerichtet, bestimmte Bedeutungen zu fixieren. Das dauerhafte Festschreiben sei aber nicht möglich. Dies führt Bhabha auf eine „Macht der Ambivalenz“ zurück (ebd.: 98), die darauf basiere, die kolonialen ‚Anderen‘ zugleich als abstoßend und bedrohlich sowie als bewunderns- und begehrenswert zu markieren. Eine solch widersprüchliche Dynamik zeige, dass die Fixierung der ‚Anderen‘ niemals abgeschlossen werden könne und die Grenzen des kolonialen Diskurses überschritten werden. In diesem Zusammenhang lässt sich auch an das von Bhabha entwickelte Konzept der Hybridität anschließen, dass keineswegs die oftmals in der deutschen Rezeption verwendete Bedeutung des Verschmelzens von Kulturen11 meint, sondern darauf ausgerichtet ist, „das Nebeneinander und sich ständig verschiebende, miteinander koalierende Moment der Identifikation“ zu bezeichnen (Gutiérrez Rodriguez 2003: 28). In der Herleitung des Konzepts spielt abermals die Ambivalenz der kolonialen Autorität eine entscheidende Rolle. Am Beispiel der Überlieferung der Bibel im kolonialen Indien verdeutlicht Bhabha, wie es zu einer ambivalenten Herrschaftssituation kam, in der Unterwerfung und Dominanz in Frage gestellt worden seien. So hätten die Kolonialisierten sowohl durch das Hinterfragen als auch durch bestimmte Nuancierungen der Bibeltexte in die für geschlossen gehaltenen kolonialen Machtverhältnisse interveniert. Diese Hybridisierung der Bibel habe laut Bhabha unter anderem dazu geführt, dass die
11 Diese Rezeption missdeutet Bhabhas Überlegungen grundsätzlich, denn er plädiert mitunter für die „Konzeptualisierung einer internationalen Kultur […], die nicht auf der Exotik des Multikulturalismus oder der Diversität der Kulturen, sondern auf der Einschreibung und Artikulation der Hybridität von Kultur beruht“ (Bhabha 2011: 58).
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Position der Kolonisatoren destabilisiert und die Möglichkeiten der Subversion offengelegt wurden: „Dadurch, daß sie solche hybriden, interkulturellen Forderungen erheben, stellen die Einheimischen nicht nur die Grenzen des Diskurses in Frage, sondern verändern auch auf subtile Art seine Basis, indem sie einen anderen spezifisch kolonialen Raum für die Verhandlungen über die kulturelle Autorität eröffnen“ (Bhabha 2011: 176).
Mit diesem Beispiel deutet Bhabha auf die Instabilität der Machtverhältnisse hin und zeigt auf, dass die Handlungsmacht niemals einseitig auf Seiten eines kolonialen Apparats lag, sondern Widerstandspotentiale in der Beziehung zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten selbst schon angelegt waren. Insbesondere die subversive Aneignung von kulturellen Herrschaftsmitteln und die beständige Verschiebung von Bedeutungen im Prozess der Übertragung dienen dabei als Bezugspunkt, um auf die Ambivalenzen und Zwischenräume innerhalb des kolonialen Diskurses hinzuweisen. Damit überschreitet Bhabha mit dem Konzept der Hybridität auch die Sicht auf die binär codierten Konstruktionsweisen der ‚Anderen‘ und des ‚Selbst‘, indem ihre jeweilige Einheit, Stabilität und Abgeschlossenheit in Frage gestellt wird: „Hybridität ist nach Bhabha ein Prozess, der dualistische wie statische Unterscheidungen wie das Eigene/das Andere, innen/außen, hoch/niedrig etc. unterläuft und ihre Konstruktionshaftigkeit bloßlegt“ (Ha 2005: 88).
Narrationen der Nation und Identitätskonstruktionen Nicht nur die kolonialen Herrschaftsverhältnisse, sondern auch die Narrationen der modernen Nation und die Prozesse der Migration sind Gegenstand postkolonialer Studien. Für die Analyse nationaler ‚Wir-Kollektive‘, so wie sie auch in dieser Arbeit durchgeführt wird, lässt sich als theoriegeleiteter Ausgangspunkt daran anknüpfen, dass Gemeinschaften – also auch nationale – nicht auf natürliche Weise auf der Grundlage von ‚Rasse‘ oder ‚Kultur‘ bestehen, sondern in einem beständigen Prozess produziert und verhandelt werden müssen. Homi K. Bhabha bezieht die oben beschriebenen Überlegungen zu kultureller Differenz und Hybridität nicht nur auf koloniale Diskurse, sondern überträgt sie auch auf die Konzeption der modernen Nation, die er als eine narrative Strategie versteht. Er widerspricht der vorherrschenden Vorstellung von der einheitlichen, auf einen Ursprung zurückgehenden und linear gedachten Nationengeschichte. Ausgehend von seiner eigenen Migrationserfahrung zeigt Bhabha in diesem Zusammenhang auf, dass Nationaldiskurse von einer bestimmten „Am-
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bivalenz“ gekennzeichnet sind, welche „ein andauerndes Flottieren von Kategorien wie Sexualität, Klassenzugehörigkeit, territoriale Paranoia oder ‚kulturelle Differenz‘ im Akt des Schreibens einer Nation“ bewirke (Bhabha 2011: 209). Migrant*innen, die sich „in den Nationen anderer“ sammeln würden, sind Ausgangspunkt, um die Nationen von ihren Rändern aus zu betrachten und offen zu legen, dass nationale ‚Wir-Gemeinschaften‘ keine homogenen Einheiten bilden. Bhabha wendet sich demnach hier in seinen Analysen auch der Frage der kollektiven Identitäten zu, die er entgegen essentialistischer Annahmen in einem Konstruktionsprozess der beständigen Aushandlung konstituiert. Auch Stuart Hall hat im Kontext seiner Überlegungen zu kultureller Identität und Nationalkultur herausgestellt, dass das Narrativ einer einheitlichen, homogenen Nation angesichts der deutlich vorfindbaren kulturellen Hybridität, die moderne Nationen per se kennzeichne, unterlaufen und in Frage gestellt werde (vgl. Hall 2008b). Kulturelle Identität ist aus dieser postkolonialen Perspektive somit ausschließlich als ein Prozess zu verstehen, der „lediglich in Form kultureller Identitätszuschreibungen fixiert bzw. festgestellt wird“ (Reuter 2012: 306). Die Aushandlung kultureller Differenzen im „Horizont asymmetrischer Dominanz- und Unterordnungsprozesse“ (ebd.) und die spezifischen Formen der Zuschreibung von homogenisierenden Identitätsaspekten stehen hier im analytischen Fokus.
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Critical Whiteness Studies und rassismuskritische Analyseansätze
Im nachfolgenden Kapitel wird eine mögliche Einbeziehung und Adaption weißseins- und rassismuskritischer Analyseansätze diskutiert, mit der zu einer aufschlussreichen Untersuchung deutscher Selbstbilder und den normalisierenden Repräsentationsweisen in Bildern beigetragen werden kann. Hierzu werden zunächst der Entstehungskontext (2.1) sowie wichtige Grundannahmen und relationale Differenzkategorien der Critical Whiteness Studies vorgestellt (2.2). Es folgt eine Kontextualisierung dieser weißseinskritischen Überlegungen für den deutschen Forschungskontext, wobei zunächst wichtige Bezugspunkte der Rassismusforschung in Deutschland (2.3) skizziert und Möglichkeiten einer Adaption der kritischen Weißseinsforschung dargelegt werden (2.4). Aufzeigen lässt sich dabei, dass Weißsein als Analysekategorie besonders produktiv gemacht werden kann, wenn sowohl vorherrschende Dominanzverhältnisse als auch unterschiedliche Ebenen der Grenzziehung in die Analyse mit einbezogen werden. Hilfreich erscheinen in diesem Zusammenhang ebenfalls Studien aus der deutschen Rassismusforschung, die aus einer postkolonialen Perspektive heraus analysieren, wie antimuslimische Diskurse in medialer Berichterstattung beschaffen sind und wie deutsche Selbstbilder unter den Vorzeichen eines Kritischen Okzidentalismus betrachtet werden können. Wichtige Grundüberlegungen und einschlägige Forschungsergebnisse werden deshalb im letzten Abschnitt des Kapitels vorgestellt (2.5).
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2.1 ENTSTEHUNGSKONTEXT UND FORSCHUNGSZIELE „My project is an effort to avert the critical gaze from the racial object to the racial subject; from the described and imagined to the describers and imaginers; from the serving to the served“ Toni Morrison (1992: 90)
Der von Toni Morrison 1992 in der Essaysammlung Playing in the Dark. Whiteness and Literary Imagination eingeforderte Perspektiv- und Blickwechsel in der Analyse von Rassismus gilt als einer der bedeutsamsten Ausgangspunkte in der Entstehung der sogenannten Critical Whiteness Studies. Die Literaturwissenschaftlerin hatte hier nicht weniger als eine neue Lesart des tradierten USamerikanischen Literaturkanons eingefordert, bei der Whiteness als bislang unmarkierte, unsichtbare Norm sichtbar gemacht und die Auswirkungen des Rassismus auf diejenigen, die ihn perpetuieren, untersucht werden soll (vgl. ebd.: 11). Damit gelang es nicht nur, Whiteness als Analyseinstrument der Literaturwissenschaft zu etablieren, sondern auch einen entscheidenden Impuls für eine neue Grundausrichtung der Rassismusforschung zu geben, welche bis zu Beginn der 1990er Jahre fast ausschließlich auf die Analyse der Auswirkungen des Rassismus auf die durch Rassifizierung markierten ‚Anderen‘ ausgerichtet war (vgl. Roth 2009: 492). Ihrem „Plädoyer für Weißsein als kulturwissenschaftlicher Analysekategorie“ (Arndt 2009: 345) folgte eine stetig zunehmende Formierung einer Forschungsrichtung, die heute zumeist unter dem Namen Critical Whiteness Studies zusammengefasst wird. Dennoch wäre es grundsätzlich falsch, den Beginn der Beschäftigung mit Whiteness in wissenschaftliche Auseinandersetzungen der 1990er Jahre einzuordnen. Inzwischen ist hierzu mehrfach angemerkt worden, dass diese Auseinandersetzung eine lange Vorgeschichte habe, nach der weiße Dominanz und Herrschaft schon zu Zeiten von Sklaverei und Kolonialismus durch „hegemonialkritische Gegenblicke“ (Eggers et al. 2009: 11) von Schwarzen und People of Color begleitet wurde. Maureen Maisha Eggers hat herausgestellt, dass ein „spezifisches Schwarzes Wissen von kolonialisierten Schwarzen Subjekten, von Schwarzen Sklavinnen und Sklaven entstand“ und dass dieses in „Sprichwörtern, verschlüsselten Predigten, Parabeln, Witzen über Weiße, in Liedgut (Blues Spirituals), in Legenden und Erzählungen und vor allem im erzieherischen Sprechen“ vermittelt und tradiert worden ist. Der Austausch dieses Wissens erfolgte zunächst vordergründig über verbale Kommunikation und hatte, wie bell hooks betont, als eine Art ‚Überlebenswissen‘ zum Ziel, „in der weißen herrschenden Ge-
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sellschaft den Alltag zu bewältigen und zu überleben“ (hooks 1994: 204). Neben der zumeist mündlichen Weitergabe dieses spezifischen Wissens über weiße Herrschaft fanden die Erzählungen ab Beginn des 20. Jahrhunderts ebenfalls Eingang in Romane, Gedichte und Theaterstücke. Weißsein als Analysekategorie, das betont auch Peggy Piesche nachdrücklich, konnte somit gerade auch „im Kontext Schwarzer Hegemonialkritik gebildet [werden] und ist ebenso Teil einer tradierten Schwarzen Überlebensstrategie wie auch Schwarzer politischer Bewegungen“ (Piesche 2009: 16). Die frühen wissenschaftlichen Studien zur Beschaffenheit weißer Hegemonie durch Schwarze Intellektuelle wie James Baldwin, W.E.B. Du Bois und Frantz Fanon sind auch deshalb wichtige Referenzpunkte einer sich ausformenden Forschungsrichtung, die die soziale Praxis von Weißsein in den Mittelpunkt der Analyse rückt. Als sich im Zuge der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Weißsein zu Beginn der 1990er Jahre im englischen Sprachraum die Forschungsrichtung unter dem Label Critical Whiteness Studies herausbildete, konnten diese demzufolge bereits auf ein „Schwarzes Wissensarchiv“ (Eggers 2009a) zurückgreifen. Toni Morrison, bell hooks, Ruth Frankenberg und andere vornehmlich feministisch ausgerichtete Wissenschaftler*innen waren es dann, die einen Perspektivwechsel in der Analyse von Rassismus – vom Blick auf die ‚Anderen‘ hin zur dominanten weißen Position – einforderten. Zugleich kritisierten sie die unhinterfragte Dominanz, Privilegierung und Zentrierung weißer Wissenschaftler*innen und Feministinnen und strebten eine damit verbundene dauerhafte Reflexion dieser weißen Positionalität ein. Die daraus hervorgegangenen Debatten mündeten letztlich mitunter in einem ansteigenden wissenschaftlichen Interesse der Erforschung von Weißsein und einer zunehmenden Etablierung dieser Analyse in geisteswissenschaftlichen Disziplinen. Der folgende Abschnitt skizziert diese theoretisch-analytischen Aspekte, bevor im Anschluss die Übertragbarkeit der Studien Kritischer Weißseinsforschung auf die spezifischen historischen und sozialen Bedingungen in Deutschland diskutiert werden kann.
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2.2 WHITENESS: UNMARKIERTE NORM UND RELATIONALE DIFFERENZKONSTRUKTION Die im Bereich der Kritischen Weißseinsforschung anzusiedelnden Forschungsarbeiten verfolgen das Ziel, die Blickrichtung vorherrschender Rassismusanalysen umzudrehen und die scheinbar unmarkierte Norm sichtbar zu machen. Vorausgesetzt ist hierbei die Annahme, dass rassifizierende Zuschreibungen und Markierungen sich auf vielfältige Weise in unserem Alltag auf den verschiedensten Makro- und Mikroebenen einer Gesellschaft auswirken und soziale Statussowie Machthierarchien bis heute entscheidend durch eine rassifizierte Ordnung beeinflusst werden. Weiße Menschen sind dabei genauso wie die durch Othering rassifizierten Menschen Subjekte des Rassismus, jedoch bleibt ihr Weißsein für sie zumeist unmarkiert und weitestgehend unsichtbar. In Deutschland lässt sich diese für viele als normal darstellende Unsichtbarkeit beispielsweise feststellen, wenn Weiße auf ihr Weißsein und auf ihre aus dieser Position hervorgehenden Privilegien angesprochen werden: „Weißsein ist in der Regel als Selbstkonzept nicht bewusst vorhanden. Werden Weiße damit konfrontiert, so erklären sie oft, dass Weißsein nichts über ihr ‚Eigenes‘ Leben aussage. Gern ergänzen sie dann auch, dass sie ‚Rasse‘ überhaupt unwichtig finden und auch Schwarze gar nicht als Schwarze wahrnehmen“ (Arndt 2009: 346).
Diese Ausweich- oder auch Abwehrstrategien sind vielfach dokumentiert und als ‚color-blindness‘ oder ‚Weißseins-Verleugnung‘ kritisiert worden. Auch bell hooks beschreibt für den US-amerikanischen Universitätsraum ausführlich, dass weiße Studierende in ihren Seminaren immer wieder mit Ungläubigkeit, Schock oder Wut darauf reagierten, wenn sie von Schwarzen Studierenden auf ihr Weißsein angesprochen wurden: „Normalerweise reagieren weiße Studierende mit naivem Erstaunen, daß Schwarze die Weißen kritisch einschätzen, und zwar von einem Standpunkt aus, der ‚Weißsein‘ als privilegierten Bedeutungsträger voraussetzt. Ihr Erstaunen darüber, daß Schwarze die Weißen mit einem kritischen ‚ethnologischen‘ Blick beobachten, ist als solches schon Rassismus. Oft geraten sie in Wut, weil sie denken, daß alle Sichtweisen, die Unterschiedlichkeit betonen, den liberalen Glauben an eine universelle Subjektivität (wir sind alle Menschen) untergraben. […] Viele sind schockiert, daß Schwarze eine kritische Einstellung zu Weißsein haben. Das rassistische Denken hält nämlich die Fantasie aufrecht, den unterworfenen, als Untermenschen geltenden Anderen fehle die Fähigkeit, die Vorgehensweise der Mächtigen zu erfassen, zu verstehen und zu erkennen“ (hooks 1994: 207).
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Eine weißseinskritische Analyseperspektive setzt genau an diesem Punkt der Ausblendung und vermeintlichen Unsichtbarkeit der weißen Subjektposition an und zielt darauf ab, auch weiße Menschen innerhalb rassistischer Strukturen zu positionieren. Entsprechende Studien wollen daher „der Weißen Dominanz diesen unsichtbaren Status entziehen, indem sie die soziale Konstruktion von Whiteness in das Zentrum der Analyse stellen“ (Walgenbach 2005: 14). Der Blick wird somit umgekehrt und richtet sich auf die „Herstellungsmechanismen der scheinbar unsichtbaren, unmarkierten weißen Norm […], um die Produktion von rassistischen Strukturen und Praktiken im Alltagshandeln aufzuspüren und dagegen zu intervenieren“ (Dietrich 2010: 388). Dementsprechend geht es einer Vielzahl der Forschungsarbeiten darum, Weißsein als das „universell maskierte Unbekannte“ zu benennen und zu hinterfragen (vgl. Amesberger/Halbmayr 2008: 75). Entscheidend ist hierbei, dass Weißsein nicht in einem biologischen Zusammenhang gesetzt wird und keinesfalls ausschließlich auf rassifizierte Merkmale fokussiert: „Weißsein beschreibt keine ‚Hautfarbe‘ und ist daher auch nicht als biologistischer oder somatisierender Begriff zu verstehen, der an Pigmentierung oder Komplexion gebunden ist, sondern dekonstruiert im Gegenteil die ideologische Konstruktion von ‚Hautfarben‘ und das Theorem der vermeintlichen Evidenz der Sichtbarkeit menschlicher ‚Rassen‘“ (Arndt 2009: 343).
Auch geht es nicht darum, das Spezifische einer ‚Weißen Kultur‘ oder einer essentialisierenden weißen Identität herauszuarbeiten. Viele weißseinskritische Forschungsarbeiten zielen demgegenüber vielmehr darauf ab, Prozesse der Dominanz und der Reproduktion gesellschaftlicher Hierarchien zu analysieren und offen zu legen (vgl. Walgenbach 2005: 14; 2009: 377). Weißsein wird hierbei als ein „Konstrukt des Rassismus“ (Arndt 2009: 343) identifiziert, womit sich nochmals verdeutlicht, dass hier immer eine Einbettung der sozialen Kategorie weiß in das System des Rassismus und den damit einhergehenden kollektiven Wissens- und Machtmustern gemeint ist. Die sich beständig wiederholende Selbst- und Fremdkategorisierung erschafft und stabilisiert dabei ein System, in dem „gesellschaftliche Machtpositionen sowie Ressourcen und Privilegien ausgehandelt und verteilt werden“ (Dietrich 2010: 391). Wie verschiedene Studien vor allem für die USA gezeigt haben, kann Weißsein innerhalb dieses strukturellen Zusammenhangs gleichwohl als historisch gewachsene und relationale Konstruktion gefasst werden, die spezifischen geographischen Bedingungen unterliegt. So wurden im Lauf der US-amerikanischen Geschichte unterschiedliche Bevölkerungsgruppen als weiß angesehen – irische
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und auch deutsche Immigrant*innen galten in den USA beispielsweise nicht von Beginn an als weiße Bürger*innen. Ihr Weißsein wurde ihnen erst nach längerer Zeit und insbesondere durch Abgrenzung zu Schwarzen Menschen zugeschrieben, so dass sie ihren Status als Weiße erst in einem fortlaufenden Prozess sozialer und politischer Kämpfe erhielten (vgl. Ignatiev 1995; Allen 1998; Jacobson 1998). Weißsein kann somit als eine soziale Position gelten, die umkämpft ist und Verschiebungen unterliegen kann. Wer in ein weißes Kollektiv inkludiert wird, hängt ganz entscheidend von gesellschaftlichen Zuschreibungen ab, die zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort dominant sind (vgl. Walgenbach 2009: 378). Verbunden ist die weiße Position gleichwohl immer mit einer Privilegierung, die systematischen Charakter besitzt und eine Vielzahl struktureller Vorteile für Weiße Menschen bedeutet. Frankenberg macht diesen Aspekt besonders deutlich, indem sie ihn an erster Stelle ihrer Beschreibung von Weißsein aufnimmt: „First, whiteness is a location of structural advantage, of race privilege“ (1993: 1). Entscheidend ist auch hierbei, dass diese durch das Weißsein begründete Privilegierung wiederum nicht als solche wahrgenommen wird, sondern zumeist unsichtbar bleibt. Die Privilegien werden von vielen Weißen als selbstverständlich erlebt, also als etwas das keiner besonderen Erwähnung bedarf. Erst im Vergleich, so stellt Katharina Röggla heraus, werde ersichtlich, dass für Nicht-Weiße diese Erfahrungen nicht selbstverständlich seien und die eigene Position daher sehr wohl mit Privilegien verbunden ist (vgl. Röggla 2012: 64). Insbesondere der von der weißen Feministin Peggy McIntosh (1989) publizierte Artikel White Privilege: Unpacking the Invisible Backpack ist in diesem Zusammenhang vielfach rezipiert worden, um der Frage nachzugehen, welche Privilegien die Herrschaftsposition Weißsein mit sich bringt. In dem Aufsatz vergleicht McIntosh weiße Privilegien mit einem „unsichtbaren Rucksack voller spezieller Versorgungen, Karten, Pässe, Codebücher, Visa, Kleider, Werkzeuge und Blankoschecks“ (Röggla 2012: 61) und zeigt in einer ausführlichen Liste, wie sie von diesen Privilegien im alltäglichen Leben profitiert.1 Dabei ist Weißsein immer auch mit anderen sozialen Differenzkategorien wie Klasse, Geschlecht und Religionszugehörigkeit verbunden, so dass je nach Positionierung auch unterschiedliche Privilegien wirksam werden. Während in den US-amerikanischen Forschungszusammenhängen zu Rassismus in den vergangenen 20 Jahren eine durchaus zunehmende Etablierung von Whiteness als kritische Analysekategorie festgestellt werden kann, lässt sich
1
Helga Amesberger und Brigitte Halbmayr haben auf Grundlage dieser Liste und verschiedener Studien die Privilegierung ausführlich erläutert (vgl. 2008: 82ff.).
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dies für den deutschsprachigen Raum nicht in gleicher Weise attestieren. Gerade in Deutschland wird die von den Critical Whiteness Studies eingeforderte selbstreflexive Betrachtung und Analyse von Weißsein noch sehr oft als irrelevant für die hiesige gesellschaftliche Situation eingestuft und nicht selten zu einer unangebrachten akademischen ‚Spielerei‘ US-amerikanischer Prägung degradiert. Maureen Maisha Eggers hebt beispielsweise in dem von ihr mit herausgegebenem Sammelband Mythen, Masken und Subjekte – Kritische Weißseinsforschung in Deutschland in einem Rückblick auf die Herausgeber*innenschaft des Buches hervor, dass „offensichtlich ein großer Widerstand gegen eine explizite Kennzeichnung und damit Markierung von Weißsein in Deutschland herrscht“ (Eggers 2009a: 19). Im folgenden Abschnitt wird diesem spezifischen Zusammenhang nachgegangen und gezeigt, dass trotz diverser Widerstände in vielen Fällen bereits eine sehr fruchtbare Adaption der Critical Whiteness Studies im deutschsprachigen Raum stattgefunden hat und dass die Anknüpfung an diese Studien eine vielversprechende Perspektiverweiterung darstellt.
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2.3 RASSISMUSFORSCHUNG IN DEUTSCHLAND Critical Whiteness Studies haben sich innerhalb der US-amerikanischen Forschungszusammenhänge vor allem im Kontext der Postcolonial und Black Studies herausgebildet. Für die Untersuchung von Rassismus stellen sie eine Erweiterung der Analyseperspektive dar, die diejenigen in den Fokus nimmt, die Rassismus perpetuieren. In Deutschland ist eine Adaption dieser Weißseinsforschung nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer weitaus geringeren Etablierung postkolonialer und rassismuskritischer Studien vor weitreichende Probleme gestellt (vgl. Wollrad 2005: 48f.). Hiermit einhergehend muss konstatiert werden, dass im deutschsprachigen Raum nicht nur in akademischen, sondern vor allem auch in politischen und massenmedialen Diskursen ein gänzlich anderes Verständnis von Rassismus als in den Vereinigten Staaten vorzufinden ist. Zahlreiche kritische Analysen zur Beschaffenheit rassistischer Dynamiken in Deutschland haben in den vergangenen Jahren diesbezüglich darauf hingewiesen, dass weiterhin ein Narrativ fest verankert sei, nachdem sich die hiesige Gesellschaft seit Beginn der Zeit nach der NS-Herrschaft auch des Rassismus entledigt habe.2 Daraus folge, Rassismus nicht als die deutsche Gesellschaft strukturierende Grundkonstante zu verstehen, sondern als etwas, das am Ende des rechten politischen Spektrums oder einfach in der Vergangenheit verortet werden kann (vgl. Amesberger/Halbmayr 2008: 3). In dieser Wahrnehmung sei der Ausdruck Rassismus, wie Mark Terkessidis zusammenfasst, „reserviert für die Vergangenheit – für Theorien von ‚rassischer Überlegenheit‘“. Die Fokussierung auf die extreme Rechte trage außerdem dazu, „Rassismus als eine Art Betriebsunfall im ‚normalen‘ Funktionieren der Gesellschaft zu deuten“ (Terkessidis 2010: 85).3 Einerseits führt dies zu einer weitgehenden Tabuisierung von Rassismus, anderseits jedoch auch zu dem Problem, für die gleichwohl immer noch existenten sozialen Phänomene alternative Begrifflichkeiten zu finden. Die häufige Verwendung von als weniger vorbelastet angesehenen Bezeichnungen wie ‚Fremde‘, ‚Ausländer*innen‘, ‚ethnische Gruppen‘ oder ‚Menschen mit Migrationshin-
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Siehe hierzu beispielsweise Bielefeld 1992; Terkessidis 2004; Heidenreich 2009; Dietze 2009a.
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Auch Nanna Heidenreich betont diesbezüglich, dass obwohl im Zuge neuer Rassismusdebatten in Deutschland seit Beginn der 1990er Jahre zumindest eine teilweise Verschiebung hin zur Bezeichnung Rassismus beobachtet werden kann, auch wenn gegenwärtig die Begriffe ‚Fremden‘- und ‚Ausländerfeindlichkeit‘ weiterhin sehr gebräuchlich sind (vgl. Heidenreich 2010b: 274f.).
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tergrund‘ belegt dies sehr deutlich (vgl. Hirsbrunner 2011: 246). So verwundert es auch kaum, dass in politischen Debatten, medialer Berichterstattung und auch wissenschaftlichen Studien anstelle des Begriffs Rassismus in den vergangenen Jahrzehnten eher von ‚Fremden‘- und ‚Ausländerfeindlichkeit‘ sowie von bestimmten ‚Vorurteilen‘ die Rede ist. Gegen diese Begrifflichkeiten ist seit Beginn der 1990er Jahre immer wieder vehement eingewandt worden, dass damit das eigentliche Problem ausgeblendet werden würde und dass die Begriffe immer „sowohl die Fremdheit der Anderen als auch Angst und Feindlichkeit als nachvollziehbare Reaktionen darauf“ bestätigen würden (Attia 2014: 13). Besonders problematisch erweisen sich Feindlichkeitsrhetoriken, da sie bestimmte Grundüberlegungen voraussetzen, die zu essentialisierenden Kategorisierungen führen. So wird als quasi gegeben angesehen, dass es zwei – nicht selten als natürlich existent verstandene – Gruppen gibt: Die ‚Deutschen‘ auf der einen Seite und die ‚Ausländer*innen‘/‚Fremden‘ auf der anderen Seite eines sich als bipolar ausformenden Zugehörigkeitsverhältnisses. In dieser Betrachtungsweise wird implizit angenommen, dass aus der Gruppe der Deutschen bestimmte Vorurteile gegenüber Menschen der anderen Gruppe bestehen und es deshalb zu Feindlichkeit kommen kann. ‚Fremde‘ und ‚Ausländer*innen‘ werden hierbei zugleich zur Ursache für bestimmte Reaktionsweisen der Deutschen, wie Angst und Feindlichkeit, erklärt (vgl. Terkessidis 2010: 85ff.; Heidenreich 2010b: 278). Gegen diese simplifizierende und enthistorisierende Grenzziehung in der deutschen Gesellschaft und die daraus resultierenden Diskussionen um Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit wendet Terkessidis ein: „Die Fremden scheinen immer gerade erst angekommen zu sein, sie wirken wie eine wiederkehrende Epiphanie, die immer aufs Neue für Überraschungen sorgt. Tatsächlich sind die ‚Fremden‘ längst Bestandteil der Bevölkerung geworden. Daher geht es, wenn man über Rassismus spricht, um eine Spaltung innerhalb einer Bevölkerung“ (2010: 86f.).
Wie Nanna Heidenreich herausstellt, geht es im Diskurs um Ausländer*innen auch keinesfalls um eine rein juristische Bezeichnung, nach der diejenigen Personen gemeint sind, die nicht über eine deutsche Staatsbürgerschaft verfügen. Mit dem Begriff sind vielmehr alle Menschen adressiert, die nicht für Deutsche gehalten werden (vgl. Heidenreich 2010a: 94). Wenn diese Zuweisung des Nicht-Dazugehörens nicht durch eine rechtliche Definition bestimmt ist, stellt sich die Frage, wie die Adressierung in der sozialen Praxis realisiert wird. Heidenreich identifiziert diesen Prozess als „Rassierung“, welcher vor allem durch den „Moment der (V)Erkennung“ gekennzeichnet sei. So entscheide sich, wer als Ausländer*in adressiert werde „nicht über die Passfrage […], sondern über
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eine Anordnung von Oberflächenlektüren, von ‚Evidenzen‘ (also selbstverständlich und unmittelbar gehaltene Momente der Wahrnehmung) und ‚Gewusstem‘, in denen ‚Hautfarbe‘ und Haarfarbe, ‚Physiognomie‘, Sprache, Nach- oder Vornamen, Habitus und andere typische Momente – von ‚Körper‘ und ‚Kultur‘ – die das Unterfangen der Rassifizierung ausmachen, zum Einsatz machen“ (Heidenreich 2010a: 97). Damit macht sie deutlich, dass diejenigen, die durch Bezeichnungen wie ‚Ausländer*innen‘ und ‚Fremde‘ adressiert werden, sehr wohl innerhalb von rassifizierten Zuschreibungen und Markierungen verortet sind. Indem vornehmlich von kulturellen Differenzen zwischen Deutschen und (vermeintlichen) Ausländer*innen in der Forschung die Rede ist, werden wichtige Kontinuitäten kolonialer und nationalsozialistischer Rassifizierungsprozesse ausgeblendet. Gleichwohl wird ersichtlich, warum eine Thematisierung von Weißsein innerhalb dieser Debatten vor große Probleme gestellt ist: So lange anstelle eines umfassenden gesellschaftlichen Phänomens wie Rassismus eher von ‚Feindlichkeit‘ und von ‚Angst vor dem Fremden‘ die Rede ist, wird eine Diskussion und analytische Betrachtung über die eigene hegemoniale Position und die unsichtbaren Normvorstellungen nur schwer möglich sein. Innerhalb der Diskurse um ‚Fremden-‘ und ‚Ausländerfeindlichkeit‘ ist schlicht kein Platz für die erforderliche Analyse Deutschlands als ein „unsichtbares, aber wirksames weißes Machtfeld“ (Eggers 2009a: 20). Fokussiert wird weiterhin auf die ‚Anderen‘, sei es in Begrifflichkeiten wie ‚Ausländer*innen‘, ‚Fremde‘, Menschen mit Migrationshintergrund‘ oder durch die Bezeichnung nach religiösen Gruppen. Die eigene Positioniertheit derjenigen, die innerhalb eines historisch gewachsenen und von Macht und Privilegien durchzogenen gesellschaftlichen Systems des Rassismus diese ‚Anderen‘ als solche hervorbringen, bleibt hingegen unmarkiert und wird dethematisiert.
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2.4 WEIßSEINSFORSCHUNG IN DEUTSCHLAND Auch wenn in Deutschland eine insgesamt eher zögerliche Rezeption und Adaption der Critical Whiteness Studies festgestellt werden kann, so haben sich in den vergangenen Jahren doch einzelne Analysen in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen ausführlich mit Weißsein beschäftigt. Ähnlich wie in den USA können Anfänge der kritischen Betrachtung von Weißsein für den deutschsprachigen Raum weit über die 1990er Jahre hinaus zurückverfolgt werden, denn eine „Tradition Schwarzer kritischer Reflexion über Weißsein, Weiße Menschen und Weiße Vorherrschaft“ (Wollrad 2005) lässt sich ebenfalls hier in vielfältiger Weise vorfinden. Wie Peggy Piesche (2009) deutlich macht, setzte eine akademische Auseinandersetzung mit Weißsein in Deutschland bereits in den frühen 1980er Jahren ein. Die Dissertation von Diana Bonnelamé gilt hier als eine der ersten ausführlichen wissenschaftlichen Analysen, in der Weißsein gezielt markiert und eine „völkerkundliche Betrachtung auch der weißen Deutschen“ eingefordert wird (ebd.: 14). Seit Ende der 1990er Jahre steigt die Anzahl an Arbeiten deutlich an, wobei Impulse der angloamerikanischen Critical Whiteness Studies aufgriffen und nun dezidiert auch für den deutschen und österreichischen Raum angewendet werden. Als wohl einschlägigste Publikation kann in diesem Zusammenhang der erstmals im Jahr 2005 von Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche und Susan Arndt herausgegebene Sammelband Mythen, Masken und Subjekte – Kritische Weißseinsforschung in Deutschland genannt werden. Hier sind zahlreiche Autor*innen aus unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen versammelt, um „Weißsein als eine kritische Analysekategorie in der bundesrepublikanischen Gesellschaft zu kontextualisieren und zu verankern“ (Eggers 2009a: 21). Zunehmend entstehen darüber hinaus inzwischen auch Arbeiten, die sich mit der Perspektive der Kritischen Weißseinsforschung auf bestimmte wissenschaftliche Disziplinen auseinandersetzen (vgl. Amesberger/Halbmayr 2008: 121f.). Gegen die Kritische Weißseinsforschung im deutschsprachigen Forschungskontext ist in den vergangenen Jahren dennoch wiederholt eingewandt worden, eine Übertragung und Anwendung sei ungeeignet, da sich die gesellschaftlichen Verhältnisse in den USA und in England gravierend von denen in Deutschland unterscheiden würden. Hierfür werden einerseits die unterschiedlichen Entstehungsgeschichten des Rassismus angeführt und betont, dass der europäische Rassismus auf dem Kolonialismus zurückgehe, während in den USA die Sklaverei als Hauptbezugspunkt auszumachen sei. Andererseits wird die Relevanz Kritischer Weißseinsforschung für Deutschland aufgrund einer geringeren Präsenz Schwarzer Menschen und – analog zu den Diskussionen um die Postcolonial
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Studies in Deutschland – vor dem Hintergrund einer angeblich zu vernachlässigenden Kolonialvergangenheit, von einigen Wissenschaftler*innen gleich ganz in Frage gestellt (vgl. Eggers 2009a: 19). Ein weiterer Kritikpunkt an der Kritischen Weißseinsforschung betrifft zudem einen Aspekt, der auch den Critical Whiteness Studies in den USA immer wieder entgegengehalten wird. Vor dem Hintergrund der von kritischer Weißseinsforschung eingeforderten Fokussierung auf Herstellungsprozesse und Funktionsweisen weißer Suprematie wird dabei vor einer Rezentrierung binärer Codes, sprich einer Aufteilung von Menschen, die entlang Hautfarbe unterschieden werden, gewarnt. Die Kritiker*innen übersehen hierbei jedoch, dass es, wie bereits Walgenbach (2005; 2009) und Dietrich (2007; 2010) ausführlich herausgestellt haben, nicht allein um simplifizierende Schwarz-Weiß-Dualismen, sondern vielmehr um gesellschaftlich vorherrschende Dominanzverhältnis sowie eine historisch informierte Dekonstruktion von Weißsein als (unsichtbarer) Norm geht.4 So stehen bei der Frage nach Weißsein/Whiteness nicht ausschließlich rassifizierende und essentialisierende Merkmale wie ‚Hautfarbe‘ sondern – wie auch in Abschnitt 2.2.2 hervorgehoben wurde – vor allem die Herstellungs- und Konstruktionsweise von Weißsein als sozialer Status im Vordergrund. Wie Susan Arndt betont, muss in Deutschland eine Reflektion von Weißsein im Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte und beständigen Reformulierung von Deutschsein und Christentum stattfinden. Hierbei kann, wie insbesondere Katharina Walgenbach (2005, 2009) deutlich gemacht hat, vor allem eine historisierende Analyse Aufschluss darüber geben, dass gerade auch das deutsche Nationenverständnis weiß markiert ist. Sie zeigt auf, wie die Konzepte von Weißsein und Deutschsein in kolonialen Diskursen miteinander verbunden wurden und sich die Grundlagen für eine rassifizierte nationale Identität herausgebildet haben. Darüber hinaus bleibt festzuhalten, dass in den Studien der Kritischen Weißseinsforschung nicht das Verhältnis von weißen und schwarzen Menschen zum Gegenstand der Analyse erhoben wird, sondern, dass die Herstellung von Weißsein durch das Differentmachen verschiedener Gruppen analysiert wird. So stellt Maureen Maisha Eggers beispielsweise eine analytische Deutungsperspektive auf Weißsein vor, die sie als „Rassifizierte Machtdifferenz“ bezeichnet und mit der sie aufzeigen kann, „wie die Konstruktion von Weißsein durch die komplementäre hierarchische Positionierung von Konstruktionen rassistisch markierter ‚Anderer‘ als unmarkiertes, normatives Zentrum hervorgebracht wird“ (Eggers
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Hierbei kann auch an die von Birgit Rommelspacher (1995) ins Feld geführten Überlegungen zu Dominanzkultur bzw. Dominanzgesellschaft angeschlossen werden, die ein Geflecht verschiedener Machtdimensionen berücksichtigen.
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2009b: 56). Im Mittelpunkt stehen somit Grenzziehungsprozesse entlang rassifizierender Praktiken und das ‚in Beziehung setzen‘ rassistisch markierter ‚Anderer‘ zu Gunsten eines unmarkierten weißen Kollektivs. Dieses rassifizierte Othering veranschaulicht Eggers in ihrem Beitrag nicht nur anhand von Beispielen in denen Schwarzsein als Markierung zur Abgrenzung fungiert, sondern verweist auch auf die gegenwärtig vielfach vorzufindende rassifizierte Konstruktion einer als ‚islamistisch‘ definierten Bedrohungsgemeinschaft (vgl. ebd.: 65ff.). ‚Othering‘ dient nach Eggers damit ebenfalls dazu, bestimmte Subjekte über eine Markierung als ‚muslimisch‘ vom Kollektiv eines weißen Deutschlands als nicht-dazugehörig abzugrenzen. Einen ganz ähnlichen Ausgangspunkt verfolgen ebenfalls Forschungsarbeiten, die unter Einbeziehung postkolonialer Ansätze einerseits antimuslimischen Rassismus analysieren oder andererseits das ‚okzidentale‘ Selbst als hegemoniale Position in den Fokus ihrer Untersuchung rücken.
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2.5 OKZIDENTALE SELBSTBILDER UND STEREOTYPISIERUNGEN IN DER MEDIENBERICHTERSTATTUNG Ausgehend von den Überlegungen Edward Saids zu der Herausbildung eines Orientalismus und in einem dialogischen Verhältnis zu den Critical Whiteness Studies ist für den europäischen und insbesondere den deutschen Forschungszusammenhang eine Denkfigur vorgeschlagen worden, die unter der Bezeichnung Kritischer Okzidentalismus zusammengefasst wird. Vor allem in dem von Gabriele Dietze, Claudia Brunner und Edith Wenzel herausgegebenen gleichnamigen Sammelband (2009) sind hierzu Ansätze zur Erweiterung des analytischen Blicks auf Othering-Prozesse und auf die Reproduktion eines hegemonialen Selbst in Europa zu finden. Die dort ausformulierte Denkfigur zielt in diesem Sinne darauf ab, für die spezifischen Zusammenhänge des europäischen Rassismus bestimmte Denk- und Theorieansätze zusammenzuführen und dabei vor allem die zunehmende (Re-)Konstruktion und Schließung einer europäischen/ deutschen ‚Wir-Gruppe‘ gegenüber dem orientalisierten ‚Anderen‘ zu berücksichtigen. Okzidentalismus verweist hierbei als Begrifflichkeit auf den Bezug zu Postkolonialen Studien und kann als Erweiterung sowie als Blickumkehr der kritischen Perspektive auf Orientalismus verstanden werden. Mit Fernando Coronil wird so auch darauf verwiesen, dass in bisherigen Studien zwar die ‚Oriental*innen‘ benannt sind, nicht jedoch auf diejenigen, von denen diese Markierung und Benennung ausgeht, fokussiert wird (vgl. Coronil 2002). Gegenwärtige Prozesse der „okzidentalistischen Selbstvergewisserung“ rücken in diesem Sinne in den Mittelpunkt der Analyse, wobei insbesondere auch Schnittstellen zur Kategorie Geschlecht berücksichtigt werden (Brunner/Dietze/Wenzel 2009: 13). Die verfolgte hegemonie- und selbstkritische Perspektive auf das europäische Selbst steht damit analog zu der von der Kritischen Weißseinsforschung anvisierten Perspektivumkehr in der Analyse von Rassismus. Wichtig ist hierbei, dass nicht darauf abgezielt wird, Weißsein als Analysekategorie zu verwerfen.5 Stattdessen lässt sich die entworfene Denkfigur als eine Erweiterung bestehender Ansätze zur Analyse von Rassismus verstehen, die zusätzliche Erkenntnisdimensionen miteinschließt. Der Kritik einer einfachen
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Gleichzeitig kann die Okzidentalismuskritik, wie auch Dietze selbst betont, keine umfassendere und ausdifferenzierte Rassismuskritik ersetzen, wohl aber durch die deutliche Einbeziehung postkolonialer Theorieansätze auf spezifische Verhältnisse Westeuropas in Hinblick auf Migration und daraus resultierende rassifizierende sowie orientalisierende Prozesse adäquat eingehen.
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Übertragung von Überlegungen der Critical Whiteness Studies auf hiesige Kontexte wird insofern Rechnung getragen, dass die vorgebrachte Hegemoniekritik die europäische Geschichte des Rassismus mit einbezieht und unter einer postkolonialen Perspektive ein weiter gefasster Rahmen für die Analyse gegenwärtiger Dominanzverhältnisse in Europa bereitgestellt wird. Ausgangspunkt ist die Grundannahme, dass Weißsein in Europa anders konstruiert wird als in den USA. Während in den Vereinigten Staaten Rassismus verstärkt im Zusammenhang von Sklaverei und einer weißen Suprematie gesehen werden muss, habe sich der europäische Rassismus vornehmlich über Kolonialismus sowie die damit einhergehende Zivilisationshierarchie entwickelt und dann über die postkoloniale Migration erneuert (vgl. Dietze 2009c: 221; Amesberger/Halbmayr 2008: 141). Die Studien zur Erforschung des Okzidentalismus verweisen daher auch auf den in Europa zunehmenden antimuslimischen Rassismus und das damit einhergehende orientalisierende Othering gegenüber bestimmten Personengruppen. So stellt Gabriele Dietze heraus, dass bei der Betrachtung gegenwärtiger kulturalistischer Rassismen schnell klar werde, dass eine Fixierung auf eine „innere und äußere muslimische Gefahr“ unübersehbar sei (2009c: 234). Es handle sich hierbei um ein „neo-orientalistisches Phantasma […], das sich auf OrientalInnen als MigrantInnen oder potentielle TerroristInnen bezieht“ (ebd.). Dietze hebt für Deutschland in diesem Zusammenhang eine sich immer weiter ausformende Schließung gegenüber diesen als ‚orientalisch‘ markierten Bevölkerungsgruppen hervor und verortet sie in den politischen Diskursen um Integration und Migration: „Begriffe wie ‚Leitkultur‘, ‚Wertegemeinschaft‘ und die Wiederkehr von verschüttet geglaubten Vokabeln wie ‚christliches Abendland‘ werden gegen einen angeblich drohenden kulturellen Identitätsverlust positioniert“ (Dietze 2009a: 29f.).
In einer ganz ähnlich ausgerichteten Analyseperspektive stehen im deutschsprachigen Forschungsraum solche Arbeiten, die eine postkolonial informierte Rassismuskritik formulieren und hierbei insbesondere antimuslimischen Rassismus untersuchen (siehe u.a. Attia 2009; Friedrich/Schultes 2013; Shooman 2014; Kuhn 2015; Attia 2017). In deutlicher Abgrenzung zur oben genannten Verkürzung von Forschungsarbeiten, die rassistische Prozesse konzeptionell lediglich als ‚Feindlichkeit‘ oder ‚Vorurteile‘ abhandeln, gehen diese Ansätze davon aus, dass Rassismus viel umfassender betrachtet werden muss und als ein soziales Verhältnis zu verstehen ist (vgl. Biskamp 2016: 199). Entscheidend ist hierbei, dass die Analyse von Differenzmarkierungen aus postkolonialer Perspektive und
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vor allem unter Einbeziehung gegenwärtiger Migrationsprozesse mit einer bedeutenden Perspektivumkehr einhergeht, in der der Blick auf die muslimisch markierten ‚Anderen‘ immer auch reflexiv analysiert wird, das heißt die Relationen zum Eigenen und die dahinterliegenden hegemonialen Selbstbilder ebenfalls als konstitutiv angesehen werden: „Diese Perspektive fragt danach, wie es dazu kommt, das zwischen ‚Eigenem‘ und ‚Fremden‘ unterschieden wird, warum dies entlang kultureller und religiöser Merkmale geschieht, wie Sichtweisen durchgesetzt werden, aus welcher Position heraus und mit welchen Mitteln dies geschieht, welche Bedeutungen die Differenzierungen nach Kultur und Religion im Alltag von Menschen haben“ (Attia 2009: 8).
Eine besonders umfangreiche und detaillierte Studie zu antimuslimischen Stereotypisierungen und dominanten Selbst- und Fremdbildern hat Yasemin Shooman in ‚…weil ihre Kultur so ist‘ – Narrative des antimuslimischen Rassismus (2014) vorgelegt. Sie stellt hier sehr ausführlich und mit analytischer Präzision dar, wie der antimuslimische Rassismus einerseits der Stabilisierung einer nationalen Gemeinschaftskonstruktion sowie der Formulierung eines deutschen Selbstbildes dient und andererseits im Kontext von Migrationsgesellschaften insbesondere zunehmend Muslime mittels kulturalisierenden Zuschreibungen als die defizitären, nicht-zugehörigen ‚Anderen‘ adressiert werden. Anhand verschiedener empirischer Untersuchungen zeichnet Shooman nicht nur die Funktionen von bestimmten Geschlechterstereotypen in antimuslimischen Diskursen nach und zeigt auf, wie der weibliche Körper als Aushandlungsobjekt zwischen dichotomen Identitäten dient, sondern arbeitet ebenfalls antimuslimische Argumentationsmuster in der massenmedialen Berichterstattung heraus (vgl. ebd.: 86ff.). Dabei unterstreicht sie, dass in der medialen Rezeption der ersten Deutschen Islamkonferenz6 auffallend häufig ein Deutungsmuster verwendet wurde, das eine Kulturalisierung von Integrationsfragen ins Zentrum stellte. Besonders deutlich sei hier zu beobachten gewesen, wie die Zuschreibung einer religiösen und/oder kulturellen Zugehörigkeit zu einer dominanten Problemursache geworden sei und die dichotomisierende Aufteilung zwischen ‚deutsch‘ und ‚muslimisch‘ sowie die Festschreibung der Muslime als ‚Andere‘ in der Berichterstattung reproduziert wurde (vgl. ebd.: 126ff.). Das Islambild in westlichen Medien ist seit Beginn der 1990er Jahre zum Gegenstand unzähliger Studien, wissenschaftlicher Konferenzen und Lehrveran-
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Die erste Islamkonferenz wurde im Juli 2006 von der damaligen Bundesregierung einberufen.
Critical Whiteness Studies und Rassismusforschung | 65
staltungen geworden.7 Hierbei wurde zum einen auf die Stabilität negativ besetzter Islambilder in Deutschland hingewiesen und zum anderen die Revitalisierung des kolonialen Orient-Okzident-Dualismus und die beständige Stereotypisierung von Muslim*innen in massenmedialen Diskursen betont (vgl. Hafez/Ahmed 1995; Schiffer 2005, Hafez 2009; Lünenborg/Fritsche/Bach 2011). Dass die Negativdarstellungen des Islams schon lange vor der Sarrazin-Debatte im Jahr 2010 und auch nicht erst im Zuge der terroristischen Anschläge vom 11. September 2001 entstanden sind, zeigt eine Langzeituntersuchung der überregionalen Presse in Deutschland von Kai Hafez (2002). Im Zeitraum von 1955 bis 1994 wurden etwa die Hälfte aller Beiträge, die den Islam betrafen, im Zusammenhang mit einem Gewaltereignis oder einem entsprechenden Thema wie Terrorismus erörtert. Darüber hinaus wurde der Islam bei weiteren zehn Prozent der Berichte mit Konflikten ohne physische Gewalt, also beispielsweise bei repressiven Handlungen, in Verbindung gebracht (vgl. Hafez 2002: 92ff.).8 Hafez kommt insgesamt zu dem Ergebnis, dass die Existenz eines ‚Feindbildes Islam‘ in Bezug auf die untersuchten Printmedien und für den Zeitraum bis 1994 bestätigt werden kann (vgl. ebd. 95f.). Neuere Analysen weisen demgegenüber gerade auch für die deutschen Mediendiskurse darauf hin, dass in den vergangenen Jahren eine zunehmende Verknüpfung der Religionszugehörigkeit mit Debatten der Migration und Integration hervortrete. So hat Riem Spielhaus (2013) beispielsweise hervorgehoben, dass sich die Figur der muslimischen Migrantin auch in fotografischen Bildern, die die Textberichterstattung über Integration begleiten, zum Prototyp der Migrantin mit Integrationsdefizit entwickelt habe. Auch Nazli Hodaie stellt in ihrer Analyse zur ‚Selbst und Orientwahrnehmung in der deutschen Presse‘ mit Bezug auf Said heraus, dass der ‚Orient‘ in der gegenwärtig dominanten Wahrnehmung des ‚Westens‘ als Gegenbild fungiere und auf tradierte Stereotypisierungen zurückgreife:
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Als groß angelegte Analyse gilt hier beispielsweise die von Kai Hafez 2002 vorgelegte Studie zum Nahost- und Islambild der deutschen überregionalen Presse seit 1945.
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Als wichtiger Ausgangspunkt für einen „sprunghaften Aufmerksamkeitszuwachs“ bei der Thematisierung des Islams in den Medien gilt die Iranische Revolution 1978/79. Seitdem hat sich laut Hafez nicht nur eine neue Qualität der Berichterstattung in Form einer verstärkten Hinwendung zur islamischen Religionsthematik in den politischen Sektor, sondern auch die langfristige Etablierung eines quantitativ hohen Niveaus vollzogen, welche das Thema ‚Islam‘ bis in die 1990er Jahre zu einem festen Bestandteil der medialen Agenda hat werden lassen (vgl. Hafez 2002: 58).
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„Speziell im Falle des Orients sind z.B. Vorwürfe der Frauenunterdrückung, der Despotie, der Grausamkeit, des Fanatismus, der Emotionalität, der Traditionsgefangenheit zu vernehmen. In einem Gegenentwurf wird der Westen als der Fürsprecher der Frauenemanzipation, demokratisch, aufgeklärt, rational, selbstreflexiv und den modernen Werten verpflichtet dargestellt“ (Hodaie 2009: 129).
Dieser Dualismus wird ebenfalls von Shooman in der Berichterstattung über den ersten Islamgipfel analysiert, wobei sie besonders hervorhebt, dass hier im westlichen Gegenentwurf immer auch die rhetorische Argumentationsfigur einer deutschen ‚Leitkultur‘ bzw. ‚Werteordnung‘ wichtiger Bestandteil des medialen Deutungsrahmens sei. Damit entstehe ein Selbstbild, in dem davon ausgegangen werde, dass alle Mitglieder der deutschen ‚Mehrheitsgesellschaft‘ einen Wertekonsens teilen würden, obwohl in medialen Debatten ständig zum Ausdruck komme, dass Wertekonflikte selbstverständlich zum Alltag gehören würden (vgl. Shooman 2014: 134ff.). Selbst- und Fremdkonstruktionen im heutigen Deutschland, so die hier plausibel gemachte Darstellung, greifen in gravierender Weise auf Dynamiken des Okzidentalismus und Orientalismus zurück und müssen als solche dementsprechend in einem historisierenden und machtanalytischen Rahmen analysiert werden.
Teil II – Visual Culture, Bildsemiotik und die Erforschung visueller Kommunikation
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Bildsemiotik und visuelle Kommunikation
Die Omnipräsenz von (fotografischen) Bildern in unserem Alltag ist unübersehbar. Ob in Print- oder Onlinemedien, im städtischen Raum in Form von Plakatwerbung oder Postkarten und Wahlkampfkampagnen: überall treffen wir auf das, was seit einigen Jahren unter dem Begriff der visuellen Kultur(en) subsummiert wird. Dabei meint die Bezeichnung nicht nur den Gegenstand, also die Bilder selbst, sondern vielmehr auch eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin, die sich seit Beginn der 1990er Jahre vor allem im englischsprachigen Raum durch eine zunehmende Publikationsintensität etablieren konnte und zumeist unter dem Schlagwort Visual Culture Studies zusammengefasst wird (vgl. Schaffer 2008: 32). Auch wenn die Rezeption im deutschsprachigen Raum bislang eher am Rand der Forschung zu visueller Kommunikation und Bildtheorie erfolgt ist, so zeigen mitunter neue Einführungsbände in das Forschungsfeld der Visual Culture Studies wie beispielsweise von Sigrid Schade und Silke Wenk (2011) sowie von Marius Rimmele und Bernd Stiegler (2012), dass auch hier die jeweiligen Debatten und Ansätze langsam einem größeren akademischen Publikum zugänglich gemacht werden. Für die nachfolgenden Überlegungen sollen Fragestellungen, Analyseergebnisse und theoretische Anregungen aus dem Forschungsfeld der Visual Culture Studies aufgegriffen und diskutiert werden – bieten sie doch gerade hinsichtlich einer postkolonial informierten Medienanalyse äußerst wertvolle Anknüpfungspunkte. Es empfiehlt sich hierbei, die Debatten zu Visual Culture und ihre transdisziplinären Analysemethoden weniger im Rahmen definitorischer Disziplindiskussionen wahrzunehmen, sondern vor allem in Hinblick auf einen möglichen Mehrwert für die Untersuchung visueller Kommunikation aus einem soziologisch orientierten Blickwinkel zu betrachten. Hierzu werden im Folgenden sowohl theoretische als auch methodische Grundlagen zur Analyse visueller Kommunikation vorgestellt, welche auch, aber nicht nur für die Visual Culture Studies von Bedeutung sind. Einleitend erfolgt im ersten Teil des Kapitels eine
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Darstellung zeichentheoretischer Grundannahmen der (Bild-) Semiotik (3.1) sowie eine Zusammenfassung analytischer Überlegungen zur Fotografie nach Roland Barthes (3.2), die jeweils besonders hilfreich sind, um wesentliche Spezifika visueller Kommunikation zu erfassen. Im Anschluss werden grundlegende Annahmen der soziosemiotischen Bildanalyse nach Kress und van Leeuwen dargestellt, die aus einer analytisch-theoretisch fundierten Perspektive aufzeigen, wie Bilder unter Vorzeichen der Semiotik gelesen und ihre Grammatik auch vor dem Hintergrund bestimmter kulturspezifischer Darstellungskonventionen entschlüsselt werden können (3.3). Der zweite Teil des Kapitels widmet sich dann verschiedenen empirischen Studien aus dem Bereich der Erforschung visueller Kultur (3.4). Hier stehen insbesondere Analysen im Mittelpunkt, die Bildinhalte, visuelles Framing und Stereotypisierungen von Personengruppen in medialer Berichterstattung untersuchen. Die Darstellung der jeweiligen Studien umfasst die Erläuterung der methodischen Vorgehensweise sowie eine Zusammenfassung der wichtigsten Analyseergebnisse und dient damit auch als methodologische Grundlage der empirischen Studie dieser Arbeit. Wesentliche Merkmale der bildsemiotischen Überlegungen und der Forschungsergebnisse werden dazu abschließend in einem Zwischenfazit zusammengeführt (3.5).
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3.1 BILDER ALS ZEICHEN – THEORETISCHE GRUNDANNAHMEN Die Bildsemiotik (oder auch Visuelle Semiotik) beschäftigt sich mit zwei grundlegenden Fragen zur Bildlichkeit, die insbesondere auch für sozialwissenschaftliche Analysen visueller Kommunikation von Bedeutung sind. Zum einen fragt sie danach, was Bilder repräsentieren und zum anderen widmet sie sich der Ebene der Bildbedeutungen, die, kultur- und sozialbedingt, ebenfalls in den Bildern mitgeteilt werden. Als zentrale Annahme gilt dabei die Überlegung, dass es sich bei Bildern immer um Zeichen handelt und dass sie somit, wie anderer Zeichensysteme auch, auf bestimmten Regeln bzw. Codes beruhen. Semiotische Zugänge zum Bild sind in den vergangenen Jahrzehnten vor allem in den Kommunikations- und Medienwissenschaften diskutiert und weiterentwickelt worden1 – hier gelang es besonders, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zur verbalen Zeichenkommunikation herauszuarbeiten (vgl. Lobinger 2012: 55). Zeichen- und sprachtheoretische Grundannahmen von Charles S. Peirce und Ferdinand de Saussure, die die theoretische Grundlage der Semiotik bilden, werden auch hier relevant. Entscheidend ist dabei die generelle Ausgangsthese, nach der Begriffe sich nicht unmittelbar auf konkrete Dinge beziehen und es somit keine natürliche Entsprechung zwischen Zeichen und Bezeichnetem gibt. Saussure fasst die sprachliche Einheit demgegenüber als etwas „Doppelseitiges […], das aus der Vereinigung zweier Bestandteile hervorgeht“ (de Saussure 1967: 77). Gemeint ist damit die analytische Unterscheidung verschiedener Aspekte von Zeichen, die sich wie folgt umreißen lässt: Auf einer allgemeinen Ebene erfolgt zunächst eine duale Unterteilung in Bezeichnetem (Signifikat) und Bezeichnendem (Signifikant). Während ersteres den Zeicheninhalt, also die Vorstellung von einer bestimmten Sache meint, ist unter dem zweiten Aspekt die Zeichenform, also das Lautbild oder Wort gemeint, das dieser Vorstellung zugeordnet ist. Um eine Beziehung zwischen diesen beiden Zeichenaspekten herzustellen, wird jedoch noch eine dritte Instanz benötigt, durch die ein Prozess der Interpretation in Gang gesetzt wird. Diese Vermittlungsinstanz wird als Interpretant bezeichnet und vervollständigt erst das triadische Verhältnis, welches dann zum allgemeinen Untersuchungsgestand der Semiotik wird (vgl. Volli 2002: 27). Für die Analyse visueller Kommunikation aus einer semiotischen Perspektive ist insbesondere die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem inner-
1
Eine ausführliche Diskussion über eine mögliche semiotische Fundierung der Theorie des Bildes findet sich bei Halawa (2008).
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halb dieser triadischen Zeichenrelation von Bedeutung. Hier lässt sich ebenfalls eine weitere allgemeine Überlegung der Semiotik hinzuziehen, nach der drei Arten der Zeichenbeziehung unterschieden werden können: Ikon, Index und Symbol (vgl. Volli: 33). Auch wenn in der Bildsemiotik davon ausgegangen wird, dass Bilder prinzipiell durch alle drei Zeichenverbindungen auf das Dargestellte verweisen können, so wird für Fotografien zumeist betont, dass diese vor allem als ikonische Zeichen gelten (vgl. Lobinger 2012: 58). Mit ‚ikonischer Zeichenrelation‘ ist in diesem Zusammenhang gemeint, dass die Verbindung zwischen Zeichen und Bezeichnetem durch eine wahrnehmbare Ähnlichkeit geprägt ist. Insbesondere Roland Barthes hat diese Überlegung auch für fotografische Bilder beschrieben und weiter ausformuliert. Er betont, dass die Fotografie in der gesellschaftlichen Wahrnehmung „als mechanisches Analogon des Wirklichen auftritt“ und ausschließlich „von einer denotierten Botschaft konstituiert und besetzt“ (Barthes 1990a: 14) zu sein scheint. Barthes verweist damit auf die vorherrschende Annahme der vollständigen „Objektivität“ (ebd.) von Bildern, bei der davon ausgegangen werde, dass einfach das abgebildet ist, was in der Wirklichkeit vorhanden sei. Er führt diese Überlegungen in der für Fotografien charakteristischen Formel des Es-ist-sogewesen zusammen (vgl. Barthes 1989: 87; sowie: Halawa 2008: 75) und verweist damit auf den weit verbreiteten Umgang mit Bildern, der diesen Evidenz und dokumentarisch-objektive Abbildungsleistungen zuschreibt. Auch Messaris und Abraham (2001) haben nachdrücklich auf die Konsequenzen dieser dominanten Zuschreibung gegenüber visueller Kommunikation verwiesen und betonen, dass es unzählige empirische Belege dafür gebe, dass Rezipient*innen Bilder oftmals als einen Beleg für die Wirklichkeit verstehen. Dieser analogische Faktor verschleiere den sozialen Prozess, welcher der Praxis der Bildproduktion inhärent sei: „Precisely because it can make images appear more natural, more closely linked to reality than words are, it can also inveigle viewers into overlooking the fact that all images are human-made, artificial constructions“ (Messaris/Abraham 2001: 218).
Entscheidend für das bildsemiotische Verständnis visueller Kommunikation ist in diesem Zusammenhang auch eine grundlegende Vorstellung, die insbesondere in den Cultural Studies und später den Visual Culture Studies ausformuliert wurde: Die Beziehung zwischen dem Zeichen und der Sache, die bezeichnet wird, ist weder eine natürliche noch eine willkürliche Beziehung. Sie ist, wie Hepp ausführt, vielmehr durch Konventionen geordnet und geregelt:
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„Dadurch, dass einzelne Sprecherinnen und Sprecher in einer Sprachgemeinschaft sozialisiert werden, lernen sie bestimmte ‚Regeln‘ der Bezeichnung, der Zuordnung von Vorstellungen, Lautbildern und Sachen. Diese ‚Regeln‘ werden so internalisiert, dass sie ‚quasi natürlich‘ erscheinen […]. Diese Vorstellung von Arbitrarität von Zeichen ist für die Cultural Studies grundlegend, da sie die kulturelle Lokalisiertheit von Bedeutung bereits auf der Zeichenebene begründet“ (Hepp 2010: 29f.).
So lässt sich sagen, dass auch die Zuschreibung der Abbildungsähnlichkeit durch Fotografien von sozial tradierten Seh- und Deutungskonventionen ermöglicht wird. Zu diesen Konventionen gehört gleichwohl die Vorstellung, dass Bildbedeutungen aufgrund des hohen Grades an Polysemie nur schwer bestimmbar sind. Dies schlägt sich unter anderem auch in der Erforschung visueller Kommunikationsprozesse nieder, denen im Vergleich zur Analyse verbaler Diskurse zugeschrieben wird, diese seien aufgrund ihrer Vieldeutigkeit und Zeichenoffenheit nur schwer zu operationalisieren. Aus bildsemiotischer Perspektive ist damit eine entscheidende Gegensätzlichkeit des Bildlichen bereits grob umschrieben: Bilder sind einerseits von einer sozial- und kulturspezifischen Polysemie, andererseits aber auch von einer bestimmten ikonischen Charakteristik, also von einer gesellschaftlich zugeschriebenen Ähnlichkeit und Evidenz gegenüber dem Abgebildeten, geprägt. Grundsätzlich gilt dies auch für andere Zeichensysteme, jedoch wird bei Fotografien in der Kommunikationsforschung von einem besonders hohen Maß dieser gleichzeitigen Strukturierung und Offenheit der Sinngebung ausgegangen. Michel hat diesen doppelten Charakter sehr treffend zusammengeführt: „Auf abbildlicher Ebene kommt gegenständlichen Bildern eine anschauliche Evidenz zu, mit der sie sich auf die abgebildete Szene beziehen. Auf sinnbildlicher Ebene weisen sie ein hohes Maß an semantischer Unbestimmtheit und Vieldeutigkeit auf“ (Michel 2006: 46). Für die Erforschung visueller Kommunikation sind neben den bislang vorgestellten allgemeineren zeichentheoretischen Aspekten insbesondere die von Roland Barthes und Stuart Hall abgeleiteten Aspekte der Denotation und Konnotation bedeutsam, um auf einer übergeordneten analytischen Ebene verschiedene Bedeutungsaspekte von Bildern unterscheiden zu können. Des Weiteren stellen die von Gunther Kress und Theo van Leeuwen vorgeschlagenen soziosemiotischen Kategorien für die Analyse von Fotografien ein wirkungsvolles Analyseinstrument bereit, das zur Untersuchung der Bedeutungsproduktion visueller Kommunikation elaborierte Forschungs- und Methodensätze zusammenführt. Beide bildsemiotischen Ansätze werden daher in den folgenden Abschnitten vorgestellt und diskutiert.
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3.2 DIE RHETORIK DES BILDES – DENOTATIVE UND KONNOTATIVE ASPEKTE VON FOTOGRAFIEN Nach Roland Barthes Überlegungen weisen Zeichen generell zwei verschiedenartige Bedeutungsaspekte auf, wobei zwischen einer denotativen und einer konnotativen Ebene unterschieden wird (vgl. Barthes 1979: 75ff.). Unter Denotation ist die Bedeutung zu verstehen, die innerhalb eines Zeichensystems durch Konvention festgelegt ist. Da Zeichen jedoch auch selbst wieder zur „Ausdrucksebene eines zweiten Zeichensystems“ (Hepp 2010: 33) werden können, kommt eine weitere Bedeutungskomponente hinzu: die Konnotation. Diese kann als Komponente begriffen werden, die „die Grundbedeutung überlagert und sich einer vom Kontext abstrahierenden Beschreibung entzieht“ (ebd.: 34). In Hinblick auf eine Analyse visueller Aspekte verdeutlicht Barthes vor allem in den beiden Essays Die Fotografie als Botschaft (1990a) und Rhetorik des Bildes (1990b), wie diese Überlegungen für die Fotografie fruchtbar gemacht werden können. Demnach würde es sich bei einer Fotografie um eine „Botschaft ohne Code“ handeln – eine Botschaft also, die scheinbar eine reine Denotation hervorbringt. Wie Barthes weiter ausführt, ist die fotografische Botschaft jedoch „ebenfalls konnotiert“ (ebd.: 14). Mit Konnotation ist hierbei „die Einbringung eines zusätzlichen Sinns in die eigentliche fotografische Botschaft“ (ebd.: 16) gemeint. Demzufolge gibt es eine zweite Ebene der Fotografie, die über die Denotation hinausgeht und „eine Ausdrucksebene und Inhaltsebene, Signifikanten und Signifikate“ (ebd.: 15) aufweist. Bilder transportieren somit immer auch eine „symbolische Botschaft“ (Barthes 1990b: 40), die jedoch, wie Barthes betont, vom denotierten Bild „naturalisiert“ (ebd.) wird. In der Fotografie bleibt somit „eine Art natürliches Dasein der Objekte“ (ebd.) und die Denotation lässt den „sehr differenzierten semantischen Trick der Konnotation unschuldig erscheinen“ (ebd.). Barthes Überlegungen folgend können also zwei unterschiedliche Botschaften von Fotografien unterschieden werden: Die denotierte und die konnotierte Botschaft. Bei der Verwendung von Bildern in der Werbung und der medialen Berichterstattung tritt noch eine weitere Ebene hinzu, da hier zumeist auch Textelemente (z.B. in Form von Werbeslogans und weiterführenden Erläuterungen zum Bildgeschehen) wichtige Bestandteile sind. Diese „sprachliche Botschaft“ (ebd.: 33) hilft, Elemente einer Szene und die Szene als Ganzes schnell und einfach zu identifizieren und zu interpretieren. Bei dem zweiten und dritten Schritt der Bildanalyse nach Barthes richtet sich der Fokus auf die ausgewählten Bilder und ihre jeweiligen denotativen und konnotativen Aspekte. Dabei können die Ausdrücke Denotation und Konnotation in
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Anschluss an Stuart Hall vor allem als analytisches Werkzeug gebraucht werden, um Unterschiede herauszuarbeiten: „Im Rahmen einer Analyse kann es äußerst sinnvoll sein, sich einer Daumenregel zu bedienen, die es erlaubt, zwischen jenen Aspekten eines Zeichens, die in jeder Sprachgemeinschaft zu jedem Zeitpunkt als ihre ‚wörtliche‘ Bedeutung (Denotation) wahrgenommen werden und den eher assoziativen Bedeutungen für das Zeichen zu unterscheiden, die es selbst erzeugen kann (Konnotation). Doch dürfen Unterscheidungen auf der analytischen Ebene keinesfalls mit Unterscheidungen in der wirklichen Welt verwechselt werden“ (Hall 2004: 72f.).
Die Unterscheidung zwischen denotativer und konnotativer Bildebene ist somit primär eine analytische und soll dazu dienen, die unterschiedlichen Schichten von Bedeutungen erfassen zu können. Ein wichtiger theoretischer Ausgangspunkt in Hinblick auf die Analyse sind die Zusammenhänge zwischen Wissensbeständen und Denotation/Konnotation. Barthes hebt hervor, dass die Lektüre von Bildern vom Wissen der Leser*innen abhängt (vgl. Barthes 1990b: 32). Bei der Ebene der Denotation handelt es sich quasi um eine „buchstäbliche Botschaft“ (ebd.: 33), die, um gelesen werden zu können, „kein anderes Wissen als das mit unserer Wahrnehmung verknüpfte“ (ebd.: 32) benötigt. Hier würde es beispielsweise bei der Abbildung einer Tomate genügen zu wissen, was eine Tomate ist, um die Fotografie als solche zu verstehen (vgl. ebd.). Neben dem tradierten Wissen hilft oftmals auch die sprachliche Botschaft dabei, „die Elemente der Szene und die Szene als solche ganz einfach zu identifizieren“ (ebd.: 34). Eine rein „buchstäbliche“ Wahrnehmung eines Bildes wird in der Realität jedoch nicht möglich sein, da durch das spezifische kulturelle Wissen einer Gesellschaft immer auch bestimmte Konnotationen mitgelesen werden, die über die einfache Erkennung dessen, was auf dem Bild tatsächlich zu sehen ist, hinausgeht: „Um überhaupt wahrgenommen zu werden, müssen Bildelemente einer Fotografie immer auch Träger von Ideen und Werten sein, weshalb Bildbetrachtende die denotativen Bedeutungen unweigerlich mit sozial konstruierten und individuell variierenden Konnotationen überlagern“ (Müller 2007: 56).
Es handelt sich demnach um eine zweite Bedeutungsebene, die über die Ebene der Denotation hinausgehende Werte, Ideen und Konzepte umfasst und somit eine „symbolische Botschaft“ (Barthes 1990b: 40) enthält. Hierbei wird auf die vorherrschenden kulturspezifischen Wissensbestände, bzw. auf einen „kulturel-
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len Code“ (Barthes 1990b: 38) zurückgriffen, welcher ganz bestimmte Assoziationen bei den Betrachter*innen weckt. Barthes macht hier in Hinblick auf die Analyse der Konnotationen darauf aufmerksam, dass es für die Fotografie spezifische Möglichkeiten zur Akzentuierung symbolischer Botschaften gibt. Produzent*innen von Fotografien sei es möglich, kulturelle Codes in die Bilder einzubringen. Er unterscheidet sechs Konnotationsverfahren, mit denen während der Produktion von Fotografien die symbolische Botschaft bewusst hergestellt wird und eine Akzentuierung bestimmter Konnotationen erfolgen kann: Fotomontage, Pose, Objekte, Fotogenität, Ästhetizismus und Syntax (vgl. Barthes 1990a: 16ff.). Demnach gelangen konnotierte Botschaften zum einen durch den spezifischen Einsatz von Objekten, Posen oder Anordnungen von Bildelementen in Fotografien. Zum anderen tragen fototechnische Verfahren wie Belichtung und Ausschnitt sowie Bildunterschriften oder auch die Syntax von Bildsequenzen zur Produktion der konnotierten Bedeutungen bei. Für die Analyse von Bildern bedeutet dies wiederum, dass durch eine Fokussierung auf diese Konnotationsverfahren die Möglichkeit zur ‚Dechiffrierung‘ bzw. Offenlegung der Konnotation besteht. Doch nicht nur die spezifischen Konnotationsverfahren können Auskunft über die symbolischen Botschaften des Bildes geben. Es sind gerade auch die sprachlichen Botschaften, welche die Betrachter*innen eines Bildes auf bestimmte Konnotationen lenken und eine gewisse „Erhellungsfunktion“ (Barthes 1990b: 35) innehaben. Die sprachliche Botschaft steuert hier nicht mehr die Identifikation (Denotation), sondern die Interpretation des Bildes und verankert die symbolischen Botschaften: „[D]er Text führt den Leser durch die Signifikate des Bildes hindurch, leitet ihn an manchen vorbei und läßt ihn andere rezipieren; durch ein subtiles dispatching wird er bis zu einem im Voraus festgelegten Sinn ferngesteuert“ (ebd.).
Zugleich macht Barthes deutlich, dass diese Funktion selektiv ist und sich als „Metasprache“ nicht auf die Gesamtheit der bildlichen Botschaften, „sondern nur auf manche ihrer Zeichen“ bezieht (ebd.). Die Analyse der konnotierten Bildebene umfasst daher zum einen die sprachlichen Botschaften, sollte zum anderen jedoch auch auf weitere Elemente der Konnotationen Bezug nehmen, die unabhängig von der Textebene Bedeutungen und symbolische Botschaften transportieren. Mit Hall kann der Blick hier auf einen Bereich gelenkt werden, der insbesondere auch für die Frage der stereotypisierenden Bildproduktion und die Markierungen von Differenz bedeutsam ist. Anhand des Beispiels der Darstellung Schwarzer Sportler in den britischen Medien hat er herausgestellt, dass die Bildbetrachtenden nicht umhin kommen würden, aus den Bildern eine Meta-
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Botschaft „bezüglich ‚Rasse‘, Hautfarbe, oder Andersheit“ zu empfangen: „Wir können nicht anders, als Bilder dieser Art als Aussagen nicht nur über Menschen oder Ereignisse, sondern auch über ihre ‚Andersheit‘, ihre ‚Differenz‘ zu lesen“ (Hall 2004: 112).
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3.3 SOZIOSEMIOTISCHE BILDANALYSE NACH KRESS UND VAN LEEUWEN In ihrem vielfach rezipierten Werk Reading Images. The Grammar of Visual Design beschäftigen sich der Sprachtheoretiker Gunther Kress und der Kommunikationstheoretiker Theo van Leeuwen ausführlich mit der Beschaffenheit visueller Kommunikation, ihrer Darstellungskonventionen (westlicher Prägung) sowie den historischen, sozialen und kulturellen Bedingungen, welche die ‚Bildsprache‘ (re-)produzieren (vgl. Kress/van Leeuwen 2006: 3ff.).2 Der bereits im Titel anklingende Begriff der Grammatik verweist auf die programmatische Anwendung grammatikalischer Zeichenmodi auf die Bildsprache im anvisierten Forschungsansatz: „Just as grammars of language describe how words combine in clauses, sentences and texts, so our visual ‚grammar‘ will describe the way in which depicted elements – people, places and things – combine in visual ‚statements‘ of greater or lesser complexity and extension“ (ebd.: 1).
Die beiden Autoren zeigen anhand zahlreicher Fallbeispiele auf, wie Bilder gelesen werden können und eine Entschlüsselung ihrer Grammatik möglich ist. Sie widmen sich, wie Wolf resümierend festgehalten hat, „Schritt für Schritt den ‚Erzählweisen‘ der bildlichen Darstellung“ und fragen beispielsweise danach, durch welche Formen der Darstellung „Aktivität von Passivität“ oder auch „Dynamik von Statik“ differenziert wird (Wolf 2006: 138). Wichtig ist hierbei die Betonung der kulturspezifischen Bedeutungsproduktion von Bildern und damit die Verneinung einer universellen Bildsprache mit globaler Gültigkeit: „Visual language is not – despite assumptions to the contrary – transparent and universally understood; it is culturally specific“ (Kress/van Leeuwen 2006: 4). Daraus leitet sich zugleich ab, dass sich die Konzeptualisierung einer visuellen Grammatik von Kress und van Leeuwen auf die visuelle Kommunikation in westlichen Gesellschaften bezieht und dementsprechend lediglich Aussagen über die möglichen Bedeutungsproduktionen und Bildbotschaften unter Berücksichtigung dieser kulturspezifischen „language of visual design“ zu treffen vermag (ebd.). Reading Images beinhaltet aus analytisch-theoretischer Perspektive eine äußerst detaillierte methodische Beschreibung zur Anwendung der Soziosemiotik für die Untersuchung von Bildern und stellt regelgeleite und gut strukturierte
2
Sie verorten ihre Ansätze hierbei selber in einem weiter gefassten Sinn innerhalb des Forschungsfeldes der Kritischen Diskursanalyse (vgl. Kress/van Leeuwen 2006: 14).
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Analysemittel für die empirische Forschungspraxis bereit. Als grundlegende Unterscheidung führen Kress und van Leeuwen diesbezüglich in Anlehnung an Michael Hallidays Metafunktionen3 der Sprache auch für Bildkommunikate drei Metafunktionen ein: eine repräsentierende Funktion (representational function), eine interaktionale Funktion (interactional function) und eine kompositorische/ gestalterische Funktion (compositional function) (vgl. Kress/van Leeuwen 2006: 41ff. sowie Meier 2010: 8ff. und Lobinger 2012: 248ff.). Diese Basisfunktionen wurden auch in zahlreichen späteren Forschungsarbeiten aufgegriffen und ausführlich erläutert (vgl. Bell/Milic 2002; Jewitt/Oyama 2006; Konstantinidou 2008, Meier 2010). Unter Berücksichtigung dieser Studien und der Ausführungen von Kress und van Leeuwen (2006) können die drei Metafunktionen von Bildkommunikaten wie folgt zusammengefasst werden: Repräsentierende Metafunktion Auf dieser Ebene geht es primär um die Gegenstände, Ereignisse und Personen, welche in multimodalen Zeichenensembles dargestellt werden. Die Analyse umfasst eine Beschreibung der denotativen Bildinhalte genauso wie die der bildlichen Syntax, das heißt der „symbolhaften oder metaphorischen Verweisfunktionen und Aussagemöglichkeiten, die durch die Verbindung von mehreren Zeichen entstehen“ (Lobinger 2012: 249). Interaktionale Metafunktion Diese zweite Funktionsebene betrifft die „interaktionale Beziehung zwischen Rezipient und den dargestellten Inhalten mittels Bildausschnitt und Perspektive“ (Meier 2010: 8). Hierbei werden in der Analyse insbesondere drei Faktoren fokussiert, welche die Interaktion zwischen dargestellten Personen und Betrachter*innen beeinflussen: Distanz, Kontakt und Blickwinkel (vgl. Jewitt/Oyama 2006: 145). Durch das Hinzuziehen weiterer sozialwissenschaftlicher Forschungsergebnisse lassen sich diese drei Faktoren operationalisieren und bieten für die empirische Forschung eine klar definierte Analysemöglichkeit visueller Bedeutungsproduktion. Kompositorische Metafunktion Die dritte Funktion umfasst vor allem die Analyse der Komposition der Bildelemente oder genauer, die der Bildgestaltung und des Bildaufbaus. Kress und van Leeuwen fragen nach vier Aspekten der kompositorischen Funktion: Information
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Halliday unterscheidet für Sprache zwischen den drei Metafunktionen ideational, interpersonal und textual (vgl. Kress/van Leeuwen 2006: 41ff.).
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value, Framing, Salience und Modality (vgl. auch Jewitt/Oyama 2006: 147). Mit Information value ist die Anordnung einzelner Bildelemente auf der Bildfläche gemeint, die Rückschlüsse auf die Funktionen zulassen. So macht es einen Unterschied, wo einzelne Elemente im Bild angelegt sind (Bildmitte, links unten, rechts oben etc.), da beispielsweise die konventionalisierte Leseweise von links nach rechts Einfluss auf die Entschlüsselung des Bildes nimmt. Framing bedeutet demgegenüber das Verbinden oder Abtrennen einzelner Bildelemente durch bestimmte Bildstrukturen. Es zielt also auf die Frage, wie verschiedene Zugehörigkeiten unter den einzelnen Bildelementen beispielsweise durch eine spezifische Linienführung in der Komposition hergestellt werden. Die Hervorhebung bestimmter Elemente durch das Setzen in den Vorder- oder Hintergrund des Bildes, die Schärfeverteilung oder auch die Lichtführung wird unter dem Begriff Salience zusammengefasst (vgl. Kress/van Leeuwen 2006: 175ff.). Darüber hinaus ist mit Modality der Wahrheitsgehalt und die Glaubwürdigkeit von Darstellungen gemeint (modality: reality value). Es geht hier um die Art und Weise, in wieweit versucht wird, ein Bild realitätsnah oder eher künstlich zu gestalten (vgl. ebd.: 154 sowie Lobinger 2012: 250).
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3.4 VISUELLE KOMMUNIKATION: METHODEN UND ANALYSEANSÄTZE 3.4.1 Die Erforschung von Medienbildern Empirische Bildanalysen werden gegenwärtig - trotz einer wiederkehrenden Rede von der ‚Macht der Bilder‘ und dem sogenannten Pictorial Turn - in den Sozialwissenschaften nach wie vor seltener durchgeführt als Textanalysen. Das randständige Auftreten der Analyse visueller Aspekte und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung überrascht – nicht zuletzt vor der allgemein anerkannten kommunikationstheoretischen Erkenntnis, dass der Stellenwert bildhafter Kommunikation gerade im Zeitalter einer sich immer stärker ausdifferenzierenden Medien- und Informationsgesellschaft beständig anzusteigen scheint. In der Forschungspraxis zeigt sich jedoch teilweise noch immer eine gewisse Skepsis gegenüber der Untersuchung visueller Kommunikation – unter anderem aufgrund der Annahme, diese sei im Vergleich zur Analyse verbaler Zeichensysteme nur schwer zugänglich und nicht ohne weiteres umsetzbar. Die Analyse von Textmaterialien verfügt in der Tat inzwischen über gut ausgearbeitete Methoden und zahlreiche Möglichkeiten der computergestützten Analyse, wodurch auch große Materialerhebungen und -auswertungen erheblich erleichtert werden. Dem gegenüber stehen, auch wenn sich hier in den vergangenen Jahren durchaus positive Veränderungen abzeichnen, weitestgehend nicht-standardisierte Analyseinstrumente zur Erforschung von Bildern, die interdisziplinär ausgerichtet sind und zumeist sehr zielgerichtet in Hinblick auf das zu erforschende Untersuchungsfeld entwickelt werden. Als weiterer Grund für diese teils zögerliche Haltung in der sozialwissenschaftlichen Forschung gilt zudem der Umstand, dass Bildern ein weitaus höherer Grad an Polysemie zugeschrieben wird als der Sprache. Bilder erscheinen gegenüber anderen Zeichensystemen als extrem interpretationsoffene Darstellungsformen und reduzieren die Frage nach einer möglichen Standardisierung daher zumeist auf inhaltsanalytische Aspekte, die primär auf die Häufigkeitsverteilungen bestimmter Aspekte abheben. Die Erarbeitung standardisierter Methoden zur Analyse von Bildbedeutungen und Bildbotschaften ist bislang weitaus weniger erfolgt. Dennoch lässt sich inzwischen eine noch immer überschaubare, aber leicht anwachsende Anzahl an Forschungsinstrumenten und sozialwissenschaftlichen Studien für den Bereich der visuellen Kommunikation identifizieren, so dass zur Konzipierung eines angemessenen Analyseverfahrens ein genauerer Blick auf einschlägige Methoden und Erhebungsergebnisse sehr lohnenswert ist.
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Hierbei soll vor allem auf Studien und Analyseansätze Bezug genommen werden, die ebenfalls nach spezifischen Darstellungsmodi in der Medienberichterstattung fragen und die an einer Analyse stereotypisierender Personendarstellungen im Kontext von hegemonialen Differenzproduktionen sowie sozialen Machtund Zugehörigkeitsverhältnissen interessiert sind. Es bietet sich daher an, auf verschiedene Analyseansätze und empirische Studien der Medienforschung und der Visual Culture Studies zurückzugreifen. Vor dem Hintergrund der analytischen Unterscheidung von Bildbedeutungen lassen sich für die Ebene der Denotation zunächst inhaltsanalytische Ansätze sowie Überlegungen der FrameAnalyse hinzuziehen, um ein elaboriertes methodisches Instrumentarium der Sozialwissenschaften zu konzipieren. Für die konnotativen Aspekte und die von Kress/van Leeuwen (2006) genannten drei Metafunktionen von Bildkommunikaten werden dann Analyseinstrumente aus der kommunikationswissenschaftlichen Bildforschung zusammengeführt, die über valide Ergebnisse verfügen und fruchtbare Ansätze zur Untersuchung der Bildbedeutungen bereitstellen. 3.4.2 Bildinhaltsanalyse und visuelles Framing Analyse von Bildinhalten Die Bildinhaltsanalyse gilt als die am häufigsten verwendete Methode der visuellen Kommunikationsforschung (vgl. Lobinger 2012: 225). Auf einer allgemeinen Ebene kann nach Bell hiermit aufgezeigt werden, welchen Inhalten in einem spezifischen bildkommunikativen Bereich (Print- und Onlinemedien, Werbung, politische Kommunikation durch Parteien etc.) oder in einer bestimmten thematischen Berichterstattung eine hohe Priorität zukommt und ob dominante Darstellungsweisen sich im historischen Verlauf verändert haben (vgl. Bell 2001: 14). Ein Teil der Studien widmet sich der Untersuchung des generellen Stellenwerts von Bildkommunikation in Print- und Onlinemedien. So fragen Uli Bernhard und Wilfried Scharf in ihrer Analyse zum Infotainment in der Presse (2008) beispielsweise nach dem quantitativen Bildanteil in regionaler Tagespresse und deuten mit Hilfe einer Frequenzanalyse einen Anstieg visueller Kommunikationselemente als eine Zunahme der Entertainmentsegmente im Printsektor. Für die nachfolgende empirische Untersuchung ist jedoch ein zweiter Forschungsstrang der Bildinhaltsanalyse von größerer Bedeutung: die quantitativ ausgerichtete Analyse von Personendarstellungen in den Medien. Verschiedene empirische Analysen von Bildinhalten in medialer Berichterstattung beschäftigen sich hierbei mit den Repräsentationsweisen bestimmter Personen und fragen nach der spezifischen Darstellungsweise visueller Stereotype und Zugehörigkeiten (vgl. Fahmy 2004; Kahle/Yu/Whiteside 2007; Fahmy/Kim 2008; Kinnebrock/Knieper
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2008). Teil dieser Untersuchungen ist zunächst eine inhaltsanalytische Erhebung der Häufigkeitsrelationen von unterschiedlichen Personengruppen in einem bestimmten Nachrichtenresort oder in einer speziellen thematischen Berichterstattung über einen längeren Zeitraum. In einer Studie zu visuellen Geschlechter- und Machtkonstruktionen auf Titelseiten der Nachrichtenmagazine Der Spiegel und Focus analysieren Susanne Kinnebrock und Thomas Knieper (2008) auf einer ersten Untersuchungsebene die Geschlechterverteilung in den Bildern. Sie stellen dabei heraus, dass insgesamt knapp ein Drittel der dargestellten Personen als Frauen erkennbar gemacht wurden und diese überdurchschnittlich häufig im Kontext des Themas Kultur gegenüber den ‚Männerthemen‘ Wirtschaft, Außenpolitik und Krieg vorzufinden waren (vgl. ebd.: 94). Ganz ähnlich ermittelt auch Christiane Schmerl (2004) in ihrer Analyse der Kopf- und Körperbetonung von weiblichen und männlichen Darstellungen in den Printmedien zunächst die Häufigkeitsverteilung von Frauen und Männern in den jeweiligen Tages- und Wochenzeitungen, um eine generelle Tendenz der Geschlechterverteilung in der visuellen Kommunikation feststellen zu können. Neben der Geschlechterdarstellung analysieren Bildinhaltsanalysen vor allem im angloamerikanischen Raum seit einigen Jahren auch ethnisierende und rassifizierende Stereotypisierungen in den Medien. Als Beispiel sei hier auf die von Shannon Kahle, Nan Yu und Erin Whiteside (2007) durchgeführte Untersuchung zur Berichterstattung über den Hurrikan Katrina im Jahr 2005 verwiesen. In einer einfachen Häufigkeitsanalyse wird ebenfalls zunächst festgehalten, wie die Verteilung von Darstellungen afro-amerikanischer und anglo-amerikanischer Personen für die jeweils untersuchten Tageszeitungen ausfällt, um eine erste quantitative Einschätzung zu erhalten. Bei all diesen Analysen sind die Häufigkeitsverteilungen jedoch immer nur eine erste Grundlage mit der allgemeine Visualisierungstrends festgehalten werden. Aussagen über die Dimension der Bildbedeutungen und -botschaften lassen sich damit noch nicht treffen. Framing-Analyse zur Untersuchung von Medienberichten Ein zunehmend wichtiger Ansatz zur Analyse von Bildinhalten kann unter dem Schlagwort Visuelles Framing zusammengefasst werden. Sowohl in der Kommunikations- als auch in der Bewegungsforschung wird hiermit schon seit längerem untersucht, wie einzelne Themen in den Medien oder beispielsweise bei der Protestmobilisierung4 behandelt und bestimmte Botschaften eingeordnet oder
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Der Framing-Ansatz zur Erforschung sozialer Bewegungen geht im Wesentlichen auf die Arbeiten von David A. Snow und Robert D. Benford zurück, die Mitte der 1980er
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auch gewichtet werden. Bezogen auf mediale Berichterstattung meint Framing demnach die Art und Weise, wie Medien über Ereignisse, Probleme oder beispielsweise politische Prozesse berichten und wie die Selektion einzelner Nachrichtenelemente Inhalte zu einem Deutungsrahmen verdichtet. Dabei greifen Frame-Analysen je nach Erkenntnisinteresse mehr oder weniger stark auf Theoriestränge der (Sozial-)Psychologie und der Soziologie zurück und fokussieren auf unterschiedliche Ebenen der Kommunikationsprozesse. So fragen einige Untersuchungen eher auf Akteursebene nach den Strategien, mit denen bestimmte Themen bewusst in den Medien platziert werden sollen. Die Nähe zur sogenannten Agenda-Setting-Forschung ist hier deutlich sichtbar. Andere Analysen zielen demgegenüber stärker auf die Effekte des Framings, beziehen sich also vor allem auf die inhaltlichen Deutungsrahmen, die in den Medien vorzufinden sind. Hierbei lassen sich entsprechende Verbindungen zu sozialwissenschaftlichen Diskursanalysen ausmachen. Erving Goffman analysierte Frames in den Medien, um bestimmte Differenzen in der Geschlechterdarstellung in der Werbung herausarbeiten zu können (vgl. Goffman 1979). In den Medienwissenschaften wurden diese Überlegungen später unter anderem von Robert M. Entman (1993; 2004) aufgegriffen und seitdem anhand zahlreicher Studien weiterentwickelt.5 Aufgrund der uneinheitlichen Vorgehensweise und der ungleichen Konzeptualisierung der allermeisten Studien schlägt Hannah Schmid-Petri vor, Framing aus medienanalytischer Perspektive in erster Linie als eine „Forschungsstrategie“ zu verstehen, „mithilfe derer bestimmte thematische Muster in Medien- und politischen Texten identifiziert werden können“ (2012: 63). Hieran lässt sich mit Entman eine generelle Grundüberlegung zur Funktionsweise von Deutungsrahmen anschließen:
Jahre damit begonnen haben, Goffmans Konzept für die spezifischen Fragestellungen der Bewegungsforschung fruchtbar zu machen (vgl. Snow/Benford 1988; 2000). Die kollektiven Deutungsrahmen werden von Benford und Snow insgesamt als „action oriented set of beliefs and meanings that inspire and legitimate the activities and campaigns of a social movement organization“ (Snow/Benford 2000: 614) definiert. 5
Siehe hierzu beispielsweise den von Reese/Gandy/Grant (2001) herausgegebenen Sammelband Framing Public Life. Ein allgemeiner Überblick über verschiedene Methoden der Inhaltsanalyse von Medien-Frames findet sich zudem bei Matthes/Kohring (2008).
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„Frames highlight some bits of information about an item that is the subject of a communication, thereby elevating them in salience. The word salience itself needs to be defined: It means making a piece of information more noticeable, meaningful, or memorable to audiences“ (Entman 1993: 53).
Ganz ähnlich argumentiert auch Scheufele wenn er resümiert, dass Frames als „Interpretationsmuster“ verstanden werden können, die einerseits „helfen, neue Ereignisse und Informationen sinnvoll einzuordnen und effizient zu verarbeiten“ sowie andererseits „die Beurteilung von Sachverhalten [strukturieren], indem sie bestimmte Aspekte in den Vordergrund rücken, während sie andere vernachlässigen“ (Scheufele 1999: 92). Visuelles Framing und Schlüsselbilder in Medienberichten Obwohl der Framing-Ansatz vor allem im Bereich der textbasierten Medienanalyse eingesetzt wird, lassen eine stetig anwachsende Anzahl von Studien im Bereich der medialen Bildanalyse inzwischen auch Rückschlüsse auf die Anwendbarkeit der Frame-Analyse auf visuelle Kommunikation zu. Die Relevanz für derartige Studien scheint überdies durchaus zu bestehen: Wie Lobinger betont, kommt gerade Bildern bei der medialen Rahmung von Themen eine wichtige Rolle zu, da insbesondere der visuelle Anteil von Botschaften besonders gut in Erinnerung bleibt und kognitive Schemata durch visuelle Darstellungen leichter als durch verbale Texte aktiviert werden (vgl. Lobinger 2012: 92f.). Ganz ähnlich unterstreicht auch Scheufele diesen Aspekt, wenn er festhält, dass visuelle Informationen „grundsätzlich salienter als verbale Informationen“ sind (1999: 95). Er betont hier zusätzlich, dass visuelle Informationen in der medialen Berichterstattung aus kognitionspsychologischer Sicht gegenüber verbalen Inhalten noch besser geeignet sind, um Schlüsselreize anzuregen und die Informationen in Einklang mit bekannten Rastern einzuordnen und zu interpretieren (vgl. ebd.: 94f.). In der medialen Berichterstattung kann der Fotografie aus kommunikationstheoretischer Sicht eine weitere spezifische Funktion zugeschrieben werden: Sie dient gegenüber verbaler Informationsvermittlung in besonderem Maße der Komplexitätsreduktion der zu vermittelnden Inhalte. Der Framing-Prozess bedeutet aus Sicht der Rezipient*innen hierbei, dass bereits in der Phase der Nachrichtenproduktion eine Entscheidung für eine bestimmte Darstellungsweise und damit zugleich auch immer eine Entscheidung gegen andere mögliche Darstellungsweisen gefallen ist. Durch diese Reduktion von Möglichkeiten werden bestimmte Interpretationsmuster nahegelegt und Ereignisse oder politische Diskurse insoweit gerahmt, dass eine schnelle und strukturierte Informationsvermitt-
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lung möglich wird. Gerade in der Print- und Onlineberichterstattung von politischen Ereignissen, Debatten und Entscheidungsfindungsprozessen gelingt es vor allem der visuellen Kommunikation, ein Ereignis oder eine diskussionswürdige Problemstellung auf eine kurze Formel zu bringen. Diese Bilder stellen dann entsprechend den Schlüssel für die Deutung einer bestimmten Nachricht dar, weshalb die naheliegenden Bezeichnungen Schlag- und Schlüsselbilder für dieses Phänomen geprägt wurden (vgl. Schütte/Ludes 1996; Diers 1997; Ludes 2001; Ludes 2011). Claudia Wolf betont, dass hiermit zwei Dimensionen angesprochen werden: Einerseits Bilder, die spezifische Ereignisse auf einen einfachen visuellen ‚Nenner‘ bringen und sich in das kollektive Bildgedächtnis einer Gesellschaft einprägen. Gemeint sind beispielsweise Fotografien von leeren Autobahnen während der Ölkrise der 1970er Jahre. Andererseits können aber auch bestimmte Bilder in den Medien zu Schlüsselbildern werden, die bewusst durch den wiederholten Einsatz in der politischen Routineberichterstattung konventionalisiert werden. Zu denken ist dabei mitunter an die täglich wiederkehrenden Pressefotografien von Politiker*innen, die sich die Hände reichen oder gemeinsam Verträge unterzeichnen. Auch hier gelingt es vor allem durch den Einsatz von Fotografien, konkrete Sinnzusammenhänge verdichtet in der Abbildung symbolhafter Handlungen zum Ausdruck zu bringen. Das schnelle Erfassen der visuellen Botschaft liegt wiederum insbesondere in der routinisierten Darstellungsweise begründet (vgl. Wolf 2006: 42). Der Ansatz des Visual Framing und auch die Schlüsselbild-Untersuchungen fragen somit nach den dominanten Darstellungsmustern visueller Kommunikation in den Medien und versuchen herauszuarbeiten, mit welchen Mitteln bestimmte Darstellungsweisen gegenüber anderen hervorgehoben werden. Auch wenn die kritische Einschätzung von Scheufele von 1999 zum relativ geringen Stellenwert und zur begrenzten Aussagekraft der bisherigen Erforschung visueller Frames gegenwärtig noch immer nicht ganz von der Hand zu weisen ist (vgl. Scheufele 1999: 94), so zeigen einige Forschungsarbeiten aus dem Bereich der Medienwissenschaften und dem Umfeld der Visual Culture Studies der vergangenen Jahre einen deutlichen Trend an: Studien, die nach der Beschaffenheit visueller Kommunikationsmodi in der medialen Berichterstattung fragen, haben vor allem im Framing-Ansatz ein wirkungsvolles und anpassungsfähiges methodisches Analyseinstrument vorgefunden und arbeiten dieses unter Berücksichtigung interdisziplinärer Diskussionen kontinuierlich weiter aus. So wurden zunächst vor allem in angloamerikanischen Studien in den vergangenen Jahren einige Analysen durchgeführt, die dezidiert von Visual Framing sprechen und hierbei eine Untersuchung anschließen, die sich sowohl aus quantitativen als auch qualitativen Methoden zusammensetzt. Zusammenfassend lässt sich dies-
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bezüglich sagen, dass diese Untersuchungen in erster Linie danach fragen, welche Sinnzusammenhänge in einem bestimmten medialen Diskurs besonders betont werden und mit welchen Mitteln dies geschieht. 3.4.3 Studien zur Erforschung visueller Frames Die Fragestellungen und das Erkenntnisinteresse der Frame-Analysen können recht unterschiedlich ausfallen. Eine generelle Grundfrage der Analyse visueller Frames nehmen Paul Messaris und Linus Abraham in ihrem vielfach rezipierten Beitrag The Role of Images in Framing News Stories (2001) in den Blick und zeigen anhand einer Analyse des visuellen Framings von Afro-Amerikaner*innen in den Fernsehnachrichten auf, dass im Zusammenhang mit der Berichterstattung über soziale Probleme stereotypisierende, rassistische Frames viel deutlicher auf der visuellen als auf der textlichen Ebene vorzufinden sind. Sie plädieren daher sehr deutlich für eine stärkere Fokussierung der empirischen Forschung auf visuelle Frames (vgl. ebd.: 225). Ein anderer Schwerpunkt der Forschung liegt bislang in der vergleichenden Analyse, wobei z.B. Unterschiede in der Berichterstattung über ein Ereignis in zwei verschiedenen Ländern analysiert oder die Berichte über zwei ähnliche Ereignisse miteinander verglichen werden. Bei der Analyse von Porismita Borah (2009) steht beispielsweise ein thematischer Schwerpunkt im Mittelpunkt der empirischen Studie. Sie vergleicht die Medienberichterstattung über die Tsunami-Katastrophe an den Küsten des Indischen Ozeans 2004 mit Berichten über Hurrikan Katrina im Süden der USA 2005. Dabei fokussiert sie insbesondere auf Differenzen in der Darstellung von getöteten Menschen in Zeitungsartikeln der US-amerikanischen Tagespresse. Hierbei konnte herausgestellt werden, dass die Pressefotografien, die für die Visualisierung der Katastrophe im Zuge des Tsunamis gewählt wurden, eine deutlich stärkere Betonung zur Darstellung von Leid und Tod aufweisen als in der Berichterstattung über den Hurrikan, der im Süden der USA ebenfalls katastrophale Auswirkungen mit sich brachte. Dieses Ergebnis wurde von Borah dahingehend gedeutet, dass das explizite visuelle Berichten über Zerstörungen und tödlichen Unglücke eher dann möglich zu sein scheint, wenn die Opfer der Katastrophe weit entfernt von der eigenen Lebenswelt verortet werden (vgl. Borah 2009: 56). Eine andere Analyseperspektive nimmt demgegenüber die Studie von Ying Huang und Shahira Fahmy (2011) ein. Sie untersuchen die visuelle Berichterstattung über die Proteste gegen China und die Olympiade 2008 in einem nationalen Vergleich. Dabei ist vor allem von Interesse, welchen Themen und Ereignisse in der chinesischen und der US-amerikanischen Presse eine besonders hohe Auf-
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merksamkeit geschenkt wird und wie sich die Darstellungsweisen in den Fotografien unterscheiden. Mit Hilfe einer Codierung von über 400 Fotografien aus vier chinesischen und vier US-amerikanischen Tageszeitungen konnte dabei nachgewiesen werden, dass die visuellen Deutungsmuster der Ereignisse in den nationalspezifischen Medien sehr different ausfallen und unterschiedliche Interpretationen für die Bildlektüre nahelegen. Während die chinesische Presse beispielsweise sehr viele Ausschreitungen von anti-chinesischen Demonstrant*innen abbildete und diese durch die Art der Betonung eines gewaltsamen Protestes in ein kriminelles Feld gerückt wurden, stellte die US-amerikanische Presse vor allem pro-tibetische Proteste dar und ergänzte diese häufig auch durch die Fotografien des Dalai Lama, der gerade auch in westlichen Gesellschaften Forderungen nach Freiheit und Menschenrechten symbolisiert. Diese pro-tibetischen Aspekte innerhalb der Proteste wurden wiederum gar nicht in den untersuchten chinesischen Medien visuell dargestellt. Huang und Fahmy konnten damit aufzeigen, wie durch die Pressefotografien sehr deutliche Unterschiede in der Themensetzung und der medialen Botschaft an die Leser*innen in den beiden verschiedenen Nationen produziert wurden (vgl. Huang/Fahmy 2011: 744ff.) Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie von Shahira Fahmy und Daekyung Kim aus dem Jahr 2008, in der in einer vergleichenden Untersuchung nach den Differenzen in der visuellen Berichterstattung über den Irak-Krieg 2003 in der britischen und der US-amerikanischen Tagespresse gefragt wird. Im Fokus stehen hier neben einem allgemeinen inhaltlichen Framing des Krieges vor allem die Darstellung von Todesopfern und die Visualisierung der Unterstützung des Kriegseinsatzes. Insgesamt 1305 Pressefotografien wurden dementsprechend entlang der folgenden vier Variablen codiert: Inhalt, Todesopfer und Zerstörungen, Nationalität, Unterstützung des Kriegseinsatzes (vgl. Fahmy/Kim 2008: 450). Für die Auswertung der Codierung war neben dem Ländervergleich insbesondere ein Vergleich zu den Ergebnissen einer Studie von Griffin und Lee (1995), welche die visuelle Berichterstattung des ersten Golfkrieges analysiert hatte, von Interesse. Hierdurch konnte u.a. herausgestellt werden, dass gegenüber der Kriegsberichterstattung zu Beginn der 1990er Jahre eine deutliche Zunahme in der Darstellung von zivilen Todesopfern sowohl in englischer als auch US-amerikanischer Tagespresse zu verzeichnen ist. War der erste Golfkrieg noch geradezu als clean war visualisiert worden, so konnte dies in der Berichterstattung im Jahr 2003 nicht mehr aufrechterhalten werden. In dem Vergleich zwischen US-amerikanischer und englischer Presse konnten darüber hinaus ebenfalls einige Unterschiede deutlich gemacht werden. So fanden sich in den US-amerikanischen Medien beispielsweise deutlich mehr Bilder der Befreiung und wohlwollenden Begegnung der alliierten Truppen mit der irakischen Zivil-
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bevölkerung als in der britischen Presse, die mitunter auch explizite Aufnahmen von Kriegsgefechten und konflikthaften Szenerien verwendete. Diese Unterschiede werden von Fahmy und Kim (2008) insoweit kontextualisiert, als dass sie auf eine deutliche Differenz in der Zustimmung zu dem Kriegseinsatz in der US-amerikanischen und der britischen Bevölkerung verweisen und eine gewisse Erwartungshaltung der jeweiligen Leserschaft andeuten: „Thus, a plausible explanation is that the US media may have felt the need to frame the news in a more patriotic framework in an effort to meet readers’ expectations“ (ebd.: 456). Die Skizzierung dieser Forschungsergebnisse macht deutlich, dass die Analysen zumeist inhaltsanalytisch arbeiten und zunächst auf die Benennung der jeweiligen vorherrschenden Deutungsmuster abzielen. Aussagekraft und analytischen Gehalt gewinnen die Studien jedoch erst durch eine weitergehende Kontextualisierung in soziale und politische Prozesse (vgl. Fahmy/Kim 2008) oder durch eine erweiterte Operationalisierung, in der der methodischen Vorgehensweise qualitative Elemente hinzugefügt werden, um unterschiedliche Wirkungsweisen von Frames auf die Berichterstattung deuten zu können (vgl. Huang/ Fahmy 2011; Borah 2009). Neben den bislang vorgestellten Forschungsarbeiten befasst sich ein zweiter Schwerpunkt der Erforschung visueller Frames in den Medien mit der Darstellung von Personen und fragt dabei nach stereotypisierenden Deutungsmustern und wie diese durch den Einsatz visueller Mittel konstruiert werden. Da diese Studien zumeist auch dezidiert semiotische Aspekte der Bildanalyse mit aufnehmen und nach wiederkehrenden Darstellungsmustern aus einer macht- und gender- oder rassismuskritischen Analyseperspektive fragen, soll im Folgenden auf einige dieser Analysen und auf ihre methodische Vorgehensweise eingegangen werden. 3.4.4 Studien zur Erforschung visueller Stereotypisierungen Eine zunehmende Zahl von Studien zur visuellen Darstellung von Personen befasst sich mit der Analyse visueller Stereotypisierungen im Forschungsfeld von Race, Class und Gender, wobei der Schwerpunkt hier im Bereich der angloamerikanischen Kommunikationsforschung zu verorten ist.6 Hierbei werden oftmals verschiedene inhaltsanalytische Methoden sowie Elemente der Frame-Analyse und der Bildsemiotik auf kreative Weise zusammengeführt, um spezifische Forschungsfragen mit einem angemessenen Untersuchungsinstrument beantworten zu können. Nach einer ersten Erfassung der Frequenz von Darstellungen
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Eine ausführliche Überblicksdarstellung zu Analysen der visuellen Stereotypisierung in Printmedien und Werbung findet sich bei Lobinger (2012: 231ff.).
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verschiedener Personengruppen hinsichtlich der Kategorien Geschlecht oder nationaler und ethnischer Zugehörigkeit schließt sich in diesen Studien zumeist die Frage an, wie sich die Muster der visuellen Repräsentation bestimmter Personen ausformen und welche Darstellungsaspekte und Fototechniken verwendet werden, um Stereotypisierungen bildspezifisch zu produzieren und aufrecht zu erhalten. Die Analyseergebnisse aber auch die methodisch-analytische Vorgehensweise dieser Studien sind somit von besonderem Interesse für die in der nachfolgenden Untersuchung verfolgten Forschungsfragen. Einen ersten thematischen Schwerpunkt bilden hierbei Studien, die sich mit der Berichterstattung US-amerikanischer Medien zu dem Hurrikan ‚Katrina‘ im Sommer 2005 beschäftigen. Die Untersuchung von Kahle, Yu und Whiteside (2007) hat diesbezüglich in einer Analyse von Pressefotografien der vier auflagenstärksten Tageszeitungen der USA nach den Darstellungsunterschieden in den Abbildungen von afro- und angloamerikanischen Personen gefragt. Als Ausgangspunkt der Konzeption der Studie diente die durch zahlreiche Analysen von Rassismus bestätigte Stereotypisierung von Schwarzen durch die Darstellung als passives Subjekt. Um zu überprüfen, wer in den Fotografien in aktiven und wer in passiven Rollen dargestellt wurde, konzipierten Kahle, Yu und Whiteside ein umfassendes Codier-Schema um den sogenannten ‚bildimmanenten Handlungskontext‘ der jeweils dargestellten Menschen bestimmen und vergleichen zu können. Teil dieses Schemas waren drei Variablen, die bei der Codierung der Fotografien berücksichtigt wurden: Erstens die Rollen der dargestellten Personen, zweitens die Tätigkeiten, die diese Personen in dem Foto ausführen und drittens eine Bewertung dieser Handlungen als aktiv oder passiv. Unter Berücksichtigung dieser Kategorien und der Codierung von aktiven oder passiven Handlungen und sozialen Rollen konnten in einer Analyse von insgesamt 1160 Fotografien sehr eindeutige Ergebnisse hinsichtlich der unterschiedlichen Darstellungsweise nachgewiesen werden: „African-Americans were shown in passive activities 72.28 percent of the time, while Anglos were shown in passive activities 27.72 percent of the time. […] African-Americans were identified in an active social role 20.89 percent of the time, while Anglos were identified in active social roles 74.44 percent of the time“ (Kahle/Yu/ Whiteside 2007: 82f.).
Der Fokus auf den Handlungskontext der dargestellten Personen wies somit nach, dass durch visuelle Kommunikation in den Medien bekannte rassistische Stereotype des hilfsbedürftigen und passiven African-American reproduziert werden. Eine Studie von Fahmy, Kelly und Kim (2007) befasste sich ebenfalls mit der US-amerikanischen Berichterstattung über den Hurrikan Katrina, fokus-
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sierte jedoch weniger auf die Beschaffenheit rassifizierter Stereotype, sondern vielmehr auf einen Vergleich des Framings der Titelseiten von Tageszeitungen und der Pressefotografien, die von den Agenturen AP und Reuters angeboten worden waren. Besonders interessant vor dem Hintergrund der Frage nach visuellen Stereotypen ist hierbei der Vergleich in der Darstellungsweise von nichtweißen Opfern des Hurrikans: Während das Angebot der Presseagenturen lediglich ca. 30 Prozent solcher Abbildung beinhaltete, waren es auf den Titelseiten ca. 50 Prozent. Damit konnten Fahmy, Kelly und Kim der wiederholt vorgebrachten These, vor allem die Presseagenturen würden mit ihrer eigenen Bildselektion eine determinierende Instanz innerhalb des visuellen Framingprozesses einnehmen, widersprechen. In diesem Fall waren es vielmehr die jeweiligen Zeitungsredaktionen, welche die Zentrierung der Rolle der nicht-weißen Bevölkerung als hilfsbedürftige und passive Opfer durch ihre Bildauswahl mitbestimmt haben (vgl. Fahmy/Kelly/Kim 2007: 554ff.). Ein weiterer Forschungsschwerpunkt der sich mit rassifizierten/ethnisierten oder geschlechtsbezogenen Stereotypisierungen auseinandersetzt, greift in der methodischen Ausrichtung implizit oder explizit auf die von Kress und van Leeuwen beschriebenen Metafunktionen von Bildkommunikaten zurück. Hierbei werden neben Häufigkeitsverteilungen insbesondere Darstellungsaspekte in den Abbildungen analysiert, denen ein entscheidender Einfluss auf die Bildwirkung zugeschrieben wird. Dazu zählt unter anderem die Untersuchung des Bildausschnitts, also die Frage, ob beispielsweise eher körper- oder eher kopfbetonte Portraits vorliegen sowie die Analyse von Kameraperspektive und Position der dargestellten Person im Bildaufbau (vgl. Grittmann/Lobinger 2011: 153). Hier werden dann beispielsweise Aufnahme- und Darstellungstechniken analysiert, um Aussagen über die in Bildern produzierte soziale Distanz zwischen Bildbetrachtenden und abgebildeten Personen treffen zu können. Philip Bell und Marko Milic (2002) haben in Anschluss an Erving Goffmans Studie Gender Advertisement (1979) eine Fragestellung entwickelt, die die Theorie der Visuellen Grammatik von Kress und van Leeuwen (2006) aufgreift und insbesondere die auf Ebene der interaktiven Metafunktion verortete soziale Distanz für eine empirische Erhebung operationalisiert (vgl. Bell/Milic 2002: 208ff.). Durch die Art der Darstellung und den Grad an Distanz zu dargestellten Personen in Bildern, lassen sich, so die bildsemiotische Überlegung, Aussagen darüber treffen, ob in der Bildwirkung abgebildete Menschen zum Beispiel eher als Freunde oder Fremde wahrgenommen werden (vgl. Kress/van Leeuwen 2006: 126f.). Für die Frage nach visuellen Stereotypisierungen findet sich somit ein wirkungsvolles Analyseinstrument einer spezifischen Darstellungstechnik, das je nach Fragestellung operationalisiert werden kann. So wurden für die Un-
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tersuchung von Bell und Milic verschiedene Abstufungen in der Erfassung der genderspezifischen Intimisierung oder Distanzierung in Produktwerbekampagnen entwickelt, die in der Codierung von 827 Bildern Berücksichtigung fanden. Dazu gehörten mitunter die Aufnahmeperspektiven long shot, close up und medium close shot. In der Auswertung wurden diese Kategorien dann zu drei unterschiedlichen Stufen der sozialen Distanz zusammengefasst: persönliche, soziale und öffentliche Distanz (vgl. ebd.: 216). Als Ergebnis wurde geschlussfolgert, dass Frauen in den untersuchten Werbebildern in größerer sozialer Nähe dargestellt werden und damit häufiger als männliche Personen eine persönliche Interaktion zu den Bildbetrachtenden aufnehmen. Ganz ähnlich fragt auch Shahira Fahmy (2004) in ihrer vergleichenden Analyse zur Darstellungsweise afghanischer Frauen in Pressefotografien vor und nach dem Sturz des Taliban-Regimes nach der Kategorie der sozialen Distanz. Diese ermittelt sie ebenfalls durch die Codierung der Aufnahmedistanz (Closeup, Medium shot oder Long shot) sowie über die Art der fotografischen Portraits von afghanischen Frauen (Background oder Foreground). Durch den Vergleich zwei verschiedener Datensets – Fotografien vor und nach dem Sturz des TalibanRegimes – konnte Fahmy herausstellen, dass Frauen offensichtlich nach dem Ende des Regimes viel häufiger in ‚nahen‘ Aufnahmepositionen dargestellt wurden. Die visuelle Kommunikation baute nach der ‚Befreiung‘ der afghanischen Frauen somit eine größere soziale Nähe zwischen ihnen und den betrachtenden Leser*innen auf (vgl. ebd.: 102f.). Fahmy erhob des Weiteren noch einen zweiten spezifischen Darstellungsaspekt, der ebenfalls das Blickverhältnis zwischen den abgebildeten Frauen und den Betrachter*innen betrifft. Der Aufnahmewinkel (point of view) entscheidet nach Forschungsergebnissen der Bildsemiotik darüber, in welchem Machtverhältnis die abgebildeten Personen zu den Rezipient*innen gesetzt werden. Der herabschauende Blick auf eine Person erhebt die Bildbetrachtenden beispielsweise in eine machtvollere Position als in einem Aufnahmewinkel, der auf Augenhöhe zu dem dargestellten Menschen angesetzt ist (vgl. ebd. 96). So zeigte die Analyse von Fahmy durch die Codierung der Einstellungsperspektive (Low angle, Equal angle oder High angle), dass die Darstellungsweise nach dem Regime-Ende häufiger als zuvor eine Interaktion zu den Bildbetrachtenden auf Augenhöhe etablierte (vgl. ebd.: 108).
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3.5 ZWISCHENFAZIT – BILDSEMIOTIK UND DIE ERFORSCHUNG VISUELLER KOMMUNIKATION Die Bildsemiotik ermöglicht ein Verständnis von visueller Kommunikation, das nicht nur auf die für das Wesen von Bildern prägenden strukturellen Relationen aufmerksam macht, sondern auch auf den konventionalisierten Umgang mit Bildern hindeutet. Bilder in einer Pierceschen Lesart als Zeichen zu betrachten, ermöglicht dabei mitunter, diese als „ein Produkt soziokultureller Praxis“ (Halawa 2008: 46) zu verstehen, das heißt, vor allem auch die sozial bedingten Prozesse der Wahrnehmung von Bildern in die Analyse mit einzubeziehen. Die für die ikonische Zeichenrelation postulierte Ähnlichkeit zwischen Bild und Abgebildetem ist dabei nur ein Kriterium, dass zum besseren Verständnis von Bildlichkeit und der vielfach beschworenen Formel von der ‚Macht der Bilder‘ beitragen kann. So lässt sich mit der von Barthes und Hall ins Feld geführten analytischen Unterscheidung der Bildebenen zwischen Denotation und Konnotation gerade auch für die praktische Umsetzung von Bildanalysen ein übergeordnetes Unterscheidungsmerkmal aufgreifen, das die Untersuchung zunächst in zwei Analyseebenen unterteilt. Auf Ebene des Denotativen kann danach gefragt werden, wer oder was in dem Bild dargestellt wird. Die Ebene der Konnotationen rückt dagegen eher die Frage in den Mittelpunkt, welche Ideen und Wertvorstellungen in dem Bild zum Ausdruck kommen. Diese zweite Ebene bezieht sich auf spezifische kulturelle Assoziationen, die das Dargestellte mit sich führen sowie auf die Darstellungsweisen und -mittel, die die Bildelemente in eine bestimmte Bedeutungsdimension rücken können. Barthes beschreibt in seinen Schriften zwar analytische Unterscheidungsebenen und verdeutlicht diese anhand von einigen wenigen (Werbe-) Fotografien, bietet jedoch kein ausgearbeitetes methodisches Instrumentarium, um verschiedenen Aspekte visueller Bedeutungsproduktion in einer empirischen Analyse eines umfassenderen Gegenstandsbereiches herausarbeiten zu können. Die von Kress/van Leeuwen (2006) konzipierte soziosemiotische Bildanalyse hat demgegenüber ein stärker ausformuliertes, regelgeleitetes analytisches Vorgehen entwickelt. Hier liegt der Schwerpunkt des Erkenntnisinteresses auf der bedeutungsstiftenden Funktion von Design und visueller Inszenierung (vgl. Meier 2010: 8). Dabei gilt die Grundannahme, dass visuelle Kommunikation in ihrer hier untersuchten westlichen Ausprägung, kulturspezifischen Konventionen folgt, die bei der Entschlüsselung von Bildbedeutungen einbezogen werden sollten. Durch die von Kress und van Leeuwen vorgestellten drei Metafunktionen von Bildkommunikaten sind ganz wesentliche bildspezifische Kategorien für eine zeichenhafte Analyse visueller Kommunikation skizziert. Wie diese theorie-
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geleiteten Überlegungen in der empirischen Forschung angewandt werden können, wurde anhand der Vorstellung verschiedener Studien der neueren Medienforschung erläutert. Zusammen mit den ebenfalls erläuterten Ansätzen der Bildinhaltsanalyse und der Frame Analyse sowie den jeweiligen Beispielen der Umsetzung in der Bildforschung kann dieser analytische Blick auf die Forschungspraxis des Feldes visueller Kommunikation im folgenden Kapitel dazu dienen, elaborierte Analysemethoden für die eigene empirische Untersuchung zusammenzustellen. Ein besonderes Augenmerk soll hierbei auf die qualitativen Darstellungsaspekte der interaktionalen Metafunktion (Distanz, Kontakt und Blickwinkel) und auf die kompositorische/gestalterische Metafunktion gelegt werden.
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Methodik und Forschungsdesign
4.1 ANALYSEVERFAHREN In den vorhergehenden Kapiteln wurden theoretische Aspekte zur Differenzproduktion hegemonialer Selbst- und Fremdbilder unter dem Blickwinkel einer postkolonialen, rassismuskritischen Perspektive behandelt sowie verschiedene Dimensionen visueller Kommunikation, insbesondere aus bildsemiotischer Forschungssicht, dargestellt. Im Folgenden wird das für diese Arbeit entwickelte Analyseverfahren zur Untersuchung visueller Darstellungsaspekte in medialen Diskursen um Migration, Integration und Deutschsein vorgestellt. Dieses Verfahren besteht aus einem zweistufigen Analyseinstrument, welches es ermöglicht, sowohl Darstellungsmuster und Motivserien in den Mediendebatten zu identifizieren als auch ihre spezifischen Kommunikationslogiken in der medialen Bedeutungsproduktion offen zu legen (Tab. 1). Der erste Analysebereich umfasst die inhaltsanalytische und bildsemiotische Codierung der Datensammlung. Insgesamt wurden hierzu vier Fallbeispiele aus der Print- und Onlineberichterstattung über Migration, Integration und Flucht zwischen 2006 und 2015 ausgewählt und in MAXQDA analysiert. Auf Grundlage dieser Codierung konnten Darstellungsmuster und wiederkehrende Stereotypisierungen induktiv herausgearbeitet werden. Der zweite Analysebereich beinhaltet dann die Feinanalyse dieser visuellen Muster und Stereotype anhand von elf Bildgruppen. Um die Konstruktion von Selbst- und Fremdbildern und die damit einhergehenden Grenzziehungen im Detail auszuwerten, wurden hierzu exemplarisch Fotografien der Berichterstattung ausgewählt und einer vergleichenden Analyse unterzogen.
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Tabelle 1: Zweistufiges Analyseverfahren zur Untersuchung der Medienbilder Analysebereich I 4 Fallstudien, Codierung in MAXQDA, Fotografien: 1.131
Bestandteile der Analyse: • Bildinhalte/Framing der Berichterstattung • Personendarstellungen/Repräsentationsweisen • Interaktionale Metafunktion (Soziale Distanz, Kontakt und Blickwinkel)
Analysebereich II 11 Bildgruppen, Feinanalyse basierend auf Ergebnissen von Analysebereich I, Fotografien: 94 (Auswahl)
Bestandteile der Analyse: • Dominante Stereotypisierungen • Darstellungsmuster/ambivalente Bedeutungen • Interaktionale Metafunktion (Soziale Distanz, Kontakt und Blickwinkel) • Kompositorische Metafunktion (Information Value, Salience, Framing)
Quelle: Eigene Zusammenstellung
4.1.1 Aufbau der Studie und Datensample Die Herausforderung bei der Erfassung und Analyse visueller Kommunikation besteht, wie in Kapitel 3 dargelegt wurde, nicht zuletzt darin, den zeichenspezifischen Besonderheiten von Bildern und der Eigenlogik von Pressefotografie gerecht zu werden. Zudem legt die für diese Arbeit formulierte Leitfrage nach hegemonialer Repräsentation und visueller Differenzproduktion des ‚Eigenen‘ und des ‚Anderen‘ einen deutlichen Schwerpunkt in der Analyse der Medienbilder fest. Die Untersuchung der verschiedenen Fallbeispiele zielt dabei vor allem darauf ab, die regelhaften Momente in der visuellen Kommunikation, also wiederkehrende, musterhafte Bildbedeutungen zu analysieren. Um an theoretischmethodische Überlegungen zu visuellen Medieninhalten anknüpfen und ihre soziale Bedeutung innerhalb gesellschaftlicher Wissensordnungen skizzieren zu können, bietet sich ein Rückgriff auf diskursanalytische Ansätze an. Die Analyse visueller Kommunikation innerhalb einer bestimmten politischen Berichterstattung legt zudem das Hinzuziehen framingtheoretischer Ansätze nahe, mit denen visuelle Deutungsrahmen, also bestimmte Darstellungsmuster und Abbildungsregelmäßigkeiten innerhalb der zu untersuchenden Mediendiskurse identifiziert
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werden können. Beide Ansätze werden deshalb im nachfolgenden Abschnitt auf ihre methodischen Anwendungsmöglichkeiten im Bereich der visuellen Kommunikationsforschung befragt, wobei insbesondere auf den aktuellen Forschungsstand der beiden noch jungen Forschungsfelder eingegangen wird. Analysebereich I Frame- und diskursanalytisches Arbeiten mit Bildern ist dazu geeignet, einen Analyserahmen für die Untersuchung bereitzustellen. In der Forschungspraxis müssen jedoch elaborierte Instrumente der sozialwissenschaftlichen Forschung hinzugezogen werden, damit Bildinhalte und -bedeutungen erfasst und analysiert werden können. Die Umsetzung der Analyse erforderte somit eine Einbeziehung weiterer Methoden, um für den Gegenstandsbereich angemessene Analyseschritte und -kategorien zu gewinnen. Diese müssen einerseits den besonderen Zeichenmodalitäten von Fotografien gerecht werden und andererseits die Herausarbeitung wiederkehrender visueller Deutungsrahmen und Stereotypisierungen innerhalb der zu untersuchenden Themen ermöglichen. In der Erforschung von Medien-Frames wird hierzu häufig auf inhaltsanalytische Verfahren zurückgegriffen. Auch für die Identifizierung visueller Deutungsrahmen in medialer Berichterstattung kann die Methodik Auskunft über Häufigkeit, Priorität und Salienz verschiedener Bildinhalte geben und wurde deshalb in den ersten Analysebereich integriert. Wesentliche methodologische Überlegungen werden hierzu unter 4.2.1 zusammengeführt. Um Aussagen über die visuelle Repräsentation und die spezifischen Bildbedeutungen visueller Medien-Frames treffen zu können, reicht jedoch eine inhalts- und frameanalytische Untersuchung – gerade vor dem Hintergrund der zeichentheoretischen Eigenlogik von Bildern – nicht aus. Die bereits dargestellten bildsemiotischen Überlegungen von Gunther Kress und Theo van Leeuwen (2006) wurden daher in der Arbeit hinzugezogen, um diese Erfordernisse zu berücksichtigen und zugleich ein regelgeleitetes Analyseverfahren zu konzipieren. Insbesondere sozial- und kulturspezifische Konventionen, die bei der Entschlüsselung von Bildbedeutungen eine entscheidende Rolle spielen, können damit in die Analyse visueller Kommuniaktion einbezogen und differenziert ausgewertet werden. Kress und van Leeuwen haben auf drei Metafunktionen von Bildkommunikaten verwiesen, mit denen zeichenspezifische Gestaltungsdimensionen wie Bildaufbau, Lichtführung, Schärfeverteilung und andere visuelle Stilmittel der Fotografie Berücksichtigung finden und auch die Ebene der interaktionalen Beziehung zwischen Bild und Rezipient*in analysiert werden kann (siehe 3.3). Unter Berücksichtigung dieser bildsemiotischen Ansätze wurden die fotografischen Materialien somit insbesondere daraufhin befragt, wie unterschiedliche Perso-
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nengruppen repräsentiert werden und wie dies in Interaktion zu den Bildbetrachtenden realisiert ist. Der erste Bereich der visuellen Analyse basiert daher neben den oben genannten frame- und diskursanalytsichen Ansätzen ganz entscheidend auch auf den analytischen Überlegungen zur Interaktionalen Metafunktion, welche in Hinsicht auf die gegenstandsbezogenen Forschungsfragen unter 4.2.2 operationalisiert werden. Die Ergebnisse der in MAXQDA vorgenommenen Codierung sind in Kapitel 5 zusammengefasst und bilden die Basis für den zweiten Analysebereich. Analysebereich II Im zweiten Bereich der visuellen Analyse geht es insbesondere um die tiefergreifende Auswertung der empirischen Ergebnisse sowie um die Zusammenführung einzelner Darstellungsmuster und bildlicher Stereotypisierungen, die häufig in der Berichterstattung sichtbar werden. Hierzu erfolgte eine ausführliche bildsemiotische Untersuchung von verschiedenen Bildgruppen, denen nach Auswertung des ersten Analysebereichs eine besondere Relevanz beigemessen werden konnte. Die in der Codierung des Datensatzes bereits angewandte methodische Vorgehensweise wurde dabei abermals als Basis aufgegriffen, um die Ergebnisse zu verdichten und auszudifferenzieren. Zusätzlich erfolgte eine Erweiterung der Bildanalyse um die Ebene der Kompositorischen Metafunktion, auf die vor dem Hintergrund der aufwendigen und umfangreichen Bildcodierung im ersten Bereich der Analyse verzichtet worden war. Im Zuge der Feinanalyse, die vor allem auf eine Vertiefung sozial- bzw. bildsemiotischer Untersuchungsdimensionen abzielt, wurden somit auch zeichenspezifische Gestaltungsdimensionen wie Bildaufbau, Lichtführung und weitere kompositorische Techniken einbezogen. Unter 4.2.3 werden in einer Überblicksdarstellung deshalb die wichtigsten konzeptionellen Überlegungen hierzu zusammengeführt und drei Aspekte der bildsemiotischen Methodologie erläutert: Information Value, Salience und Framing. Die Ergebnisse der Feinanalyse werden dann in Kapitel 6 anhand von elf Bildgruppen und jeweils unter Einbeziehung exemplarisch ausgewählter Fotografien aus der Medienberichterstattung zusammengefasst und miteinander verglichen. Datensammlung und Auswahl der Fallanalysen Zur Analyse wurden entlang einschlägiger politischer Ereignisse im Themenfeld Migration, Flucht und Integration verschiedene Fallbeispiele ausgewählt, die in einem Gesamtzeitraum von 10 Jahren Einblicke in deutsche integrations- und migrationspolitische Diskurse der Gegenwart geben sollen. Die Analyse verfolgt damit keinen quantifizierenden Anspruch, sondern zielt darauf ab, anhand exemplarisch ausgewählter medialer Debatten bestimmte stereotypisierende Darstel-
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lungsmuster und wiederkehrende Bildmotive der Selbst- und Fremdbilder herauszuarbeiten. Aus den identifizierten integrations- und migrationspolitischen Debatten, die alle eine breite mediale Resonanz erfahren haben, wurden vier Fallstudien ausgewählt: Die erste Fallstudie umfasst die genannte Berichterstattung des gesamten Jahres 2006, da sich aus einer ab Januar/Februar geführten Diskussion um Integration in deutschen Schulen eine ausführliche, mehrmonatige mediale und politische Debatte zur Integrationspolitik entwickelt hatte. Hierzu können auch die Beiträge zu dem im Sommer 2006 erstmals durchgeführten ‚Integrationsgipfel‘ der damaligen Bundesregierung sowie die Berichterstattung über das neue deutsche Selbstbild im Zuge der Fußballweltmeisterschaft gezählt werden. Ausgangspunkt von Fallstudie zwei ist die Berichterstattung über die empirische Studie ‚Ungenutzte Potentiale‘, die von Mitte Januar bis Mitte Februar 2009 andauerte und eine Debatte über die Integrationsleistungen von Migrant*innen verschiedener Herkunftsregionen ausgelöst hatte. Die dritte Fallstudie umfasst dann die sogenannte ‚Sarrazin-Debatte‘, die mit einem Vorabdruck des Buches Deutschland schafft sich ab von SPD-Politiker Thilo Sarrazin im August 2010 begann und bis Ende des Jahres andauerte. Die Berichterstattung entwickelte sich bis Ende 2010 zu einer Grundsatzdebatte über Integration und Zuwanderung und schloss auch die Frage der Zugehörigkeit von Muslim*innen zu Deutschland mit ein. Abschließend greift die vierte Fallstudie die vielfältige und umfassende Berichterstattung zu Migration, Flucht und Asyl des Jahres 2015 auf. Die Auswahl der jeweiligen Medienberichte (und der entsprechenden Fotografien) erfolgte entlang der bereits genannten inhaltlichen Kriterien. Es wurden demnach nur diejenigen Artikel (und die darin enthaltenen fotografischen Bilder) in die Analyse einbezogen, die sich klar auf die Themen Integration, Zuwanderung sowie Flucht/Asyl beziehen.1 Angrenzende Bereiche der Berichterstattung über Integration und Migration, insbesondere im Bereich Islam (Islamismus, Terrorismus, Gewalt etc.), wurden aus Gründen der thematischen Eingrenzung nicht in die Studie aufgenommen. Ebenso waren in der Berichterstattung über Flucht und Asyl solche Artikel von Interesse, die sich inhaltlich in der Nähe von inländischer Themensetzung orientieren, also im Zusammenhang mit Integrationspolitik, der Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten in Deutschland und der sogenannten Willkommenskultur stehen. Berichte über die Fluchtwege nach Europa, die Krisen auf und rund um das Mittelmeer oder auch um die euro-
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Hierzu wurden die ausgewählten Print- und Onlinemedien anhand entsprechender Begriffe durchsucht: Integration, Migration, Zuwanderung, Einwanderung, Flucht, Asyl, Zugehörigkeit zu Deutschland, Deutschsein.
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päische Asylpolitik sind nicht Gegenstand der Analyse. Aufgrund der hohen Anzahl in den Print- und Onlinemedien hätte eine Hinzunahme den Forschungsrahmen dieser Arbeit bei weitem überschritten. Ebenfalls wurden solche Fotografien, die lediglich ein fotografisches Portrait einer Politikerin/eines Politikers darstellen und häufig in der tagesaktuellen, parteipolitischen Berichterstattung vorzufinden sind, nicht in die Datensammlung aufgenommen, da sie für die vorliegende Fragestellung nicht von Interesse sind. Dies gilt insbesondere auch für die unzähligen Fotografien von Thilo Sarrazin in der Fallanalyse 2010. Insgesamt beinhaltet der analysierte Datensatz 1.131 Fotografien, die sich auf die vier Fallstudien wie folgt verteilen: Tabelle 2: Anzahl der analysierten Fotografien nach Zeitraum Fallstudie
Zeitraum
Fotografien
2006
01.01.2006 – 31.12.2006
289
2009
15.01.2009 – 15.02.2009
41
2010
23.08.2010 – 31.12.2010
241
2015
01.01.2015 – 31.12.2015
560
Fotografien insgesamt
1.131
Quelle: Eigene Zusammenstellung
Mediensample: Auswahl der Tages-/Wochenzeitungen und Onlinemedien Um eine gewisse Spannbreite der medialen Berichterstattung zur berücksichtigen, wurden in das Mediensample sowohl überregionale Tages- als auch Wochenzeitungen sowie Berichte von Onlinemedien einbezogen. Zudem erfolgte die Auswahl anhand der unterschiedlichen politischen Spektren, die die jeweiligen Medien repräsentieren, so dass einerseits eine linke bzw. linksliberale und andererseits eine bürgerlich-konservative Ausrichtung abgedeckt wurden.2 Zu den analysierten Printmedien gehören daher der SPIEGEL, Die Tageszeitung, die Süddeutsche Zeitung sowie die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Frankfurter
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Für eine detaillierte Übersicht der Auswahl von Print- und Onlinemedien siehe Anhang, Tabelle 3, S. 295.
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Allgemeine Sonntagszeitung, Die Welt und die Welt am Sonntag.3 Die Analyse der Onlinemedien umfasst des Weiteren die Newsportale spiegel-online.de, n24.de, n-tv.de und den Webbereich der Lokalberichterstattung von waz.de. 4.1.2 Diskurs- und frameanalytisches Arbeiten mit Fotografien Bilddiskurse – Fotografien als Gegenstand der Diskursforschung Diskursanalytische Forschung hat lange Zeit vor allem mit textbasierten Quellen gearbeitet und visuelle Daten nur selten einbezogen. Seit einigen Jahren lassen sich jedoch – ganz im Zeichen des vielfach beschworenen pictorial turn – auch im Bereich der Diskursanalyse vermehrt Arbeiten finden, die sich ganz konkret auf Bilder, Fotografien, Grafiken oder Karikaturen beziehen und diese zu einem Hauptbezugspunkt der eigenen Untersuchung erklärt haben. Hierbei ist zunächst festzuhalten, dass es keine einheitliche Diskursanalyse gibt, sondern eine Vielzahl an Zugängen, die in ihrer Ausrichtung ganz unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Methodologisch orientiert sich die nachfolgende empirische Untersuchung an dem Forschungsstrang, der sich auf poststrukturalistische Diskurstheorien stützt und insbesondere auf die Arbeiten von Michel Foucault zurückgeht. Auch hier haben sich unterschiedlich ausgerichtete Forschungsansätze herausgebildet. Für den deutschsprachigen Raum sind beispielsweise die Kritische Diskursanalyse, die Dispositivanalyse, die Interdiskursanalys und die Wissenssoziologische Diskursanalyse zu nennen. Statt eine dieser spezifischen Ansätze zu wählen und auf die Analyse von visuellen Materialien zu übertragen, kann sinnvollerweise an die Überlegungen von Cornelia Renggli zur visuellen Diskursanalyse angeknüpft werden, um eine dem Gegenstand angemessene Vorgehensweise zu entwickeln und um den besonderen Herausforderungen der „diskursanalytischen Arbeit mit Bildern“ gerecht zu werden (Renggli 2014: 46). Theoretischer Ausgangspunkt ist dabei, Diskurse als Formationssysteme von Wissen zu begreifen, die Ausschließungs- und Produktionsbedingungen für Äußerungen steuern. Foucault hat unter anderem in Archäologie des Wissens (1973) erläutert, welche methodologisch-theoretischen Ziele mit seinem Ansatz verbunden sind. Es geht hierbei um die Herstellung von gesellschaftlichen Wissensord-
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Auch wenn die visuelle Berichterstattung der großen Boulevardzeitungen hier ebenfalls von Interesse sein sollte, wurde diese nicht in die Analyse einbezogen. Aufgrund des hohen Umfangs an fotografischen Materialien wäre eine umsetzbare und aussagekräftige Untersuchung im Rahmen dieser Forschungsarbeit nicht mehr möglich gewesen, so dass die Boulevardberichterstattung zu Gunsten der genannten anderen Medienangebote unberücksichtigt bleiben musste.
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nungen in ihren spezifischen sozialen und historischen Kontexten. Diskurs bezeichnet demnach, wie Rainer Keller hervorhebt, „eine Menge von an unterschiedlichen Stellen erscheinenden, verstreuten Aussagen, die nach demselben Muster oder Regelsystem gebildet worden sind, deswegen ein- und demselben Diskurs zugerechnet werden können und ihre Gegenstände konstituieren“ (Keller 2011: 46). Für die Umsetzung einer diskursanalytisch ausgerichteten Untersuchung bedeutet dies wiederum, die Rekonstruktion dieser Regelsysteme in den Mittelpunkt der Analyse zu stellen (vgl. ebd.) – eine Ausgangsüberlegung, die auch für die Frage nach spezifischen visuellen Mustern und Regelmäßigkeiten in der Medienberichterstattung von Bedeutung ist. Hierzu werden im Folgenden einige Überlegungen aus dem gegenwärtigen Stand der bildzentrierten Diskursforschung vorgestellt und übergreifende Leitfragen für die Analyse formuliert. Torsten Mayerhauser hat herausgearbeitet, wie aus den vorliegenden Theorieansätzen der Diskursforschung und aus den von Foucault vorgeschlagenen Annahmen auch Bilddiskurse analysiert werden können. Zentral ist hier die Überlegung Foucaults, dass Diskurse „Ordnungen des Aussagens, des Wahrsprechens errichten“. Sie befinden darüber, „wer was zu welchem Zeitpunkt an welchem gesellschaftlichen Ort aussagen kann und wer was wo und wann nicht aussagen kann“ (Mayerhauser 2006: 78f.). Neben Sprache sind mitunter auch Bilder wichtiger Bestandteil dieser Ordnungen und können in die Analyse mit einbezogen werden. Erfolgt diese Übertragung also auf visuelle Kommunikationsmodi, dann lassen sich nach Mayerhauser Bilder folglich „als sichtbar gemachte ‚Oberflächen‘ entsprechender Felder oder Ordnungen des Sichtbaren, d.h. entsprechender Macht-Wissens-Dispositive bezeichnen“ (ebd.: 83). Damit ist ein erster analytischer Ausgangspunkt bereits umrissen: Bilder sind Teil einer historisch-spezifischen diskursiven Ordnung und müssen innerhalb eines Feldes von Sichtbarkeit verortet werden. Auch John Rajchman hebt diesen Punkt hervor und betont die historische Dimension der Sichtbarkeitsverhältnisse: „Eine Periode lässt nur einige Dinge zu sehen zu und andere nicht. Sie ‚beleuchtet‘ manches und verbannt anderes in den Schatten. In dem was wir sehen können, liegt vielmehr Regelmaß, viel mehr Zwang, als wir annehmen“ (Rajchman 2000: 42).
Die zu analysierenden Bilder sind somit aus dieser Analyseperspektive nicht danach zu befragen, welche Intentionen die Fotograf*innen verfolgt haben könnten oder wie sich eine dargestellte Situation tatsächlich ereignet hat. Das Interesse ist demgegenüber vielmehr darauf gerichtet, inwieweit diese Bilder zu einem bestimmten Zeitpunkt Teil einer bestimmten diskursiven Ordnung werden und damit auch zur machtvollen Produktion von kollektiven Wissensordnungen beitra-
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gen. Für den konzeptionellen Transfer auf den Bereich visueller Kommunikation hat Philipp Sarasin treffend herausgestellt: „Der Diskurs ist eine Ordnungsfunktion, der die Aussagemöglichkeiten einzelner Sprecher oder einzelner Texte reguliert, und folglich müssen wir lernen, die Aussagen von Bildern in diesem Sinne als reguliert, als eingeschränkt durch bestimmte Bilddiskurse wahrzunehmen“ (Sarasin 2008: 77f.).
Eine Einordnung dieser visuellen Regelsysteme in spezifische Macht-WissensKonstellationen verfolgt zugleich das Ziel, neben den Ordnungen der Sichtbarkeit immer auch die der Unsichtbarkeit in den Blick zu nehmen, denn „[w]as aktuell sichtbar und damit ‚evident‘ ist, wirft immer die Frage auf, an die Stelle welcher früheren und möglicherweise außer Kurs geratenen Sichtbarkeiten es getreten ist“ (Holert 2000: 20). Für die Analyse von Bild-Diskursen ist somit davon auszugehen, dass – wie im Bereich der textlichen Ebene – nicht nur nicht alles an jedem Ort, zu jeder Zeit sagbar, sondern eben auch nicht immer alles an jedem Ort, zu jeder Zeit darstellbar ist. Für eine diskuranalytische Perspektive auf visuelle Kommunikation hat die Historikerin Silke Betscher diesen Umstand zusammengefasst und mit der Formulierung entsprechender Leitfragen an die empirischen Materialien verbunden: „Erst das Geflecht, die vielen unterschiedlichen Motive und Bildgruppen, die Bilder und Gegenbilder, das Visualisierte und das ins Unsichtbare Verschobene, definieren den visuellen Gesamtdiskurs. Das bedeutet, dass sich die Analyse visueller Diskurse nicht auf das Abgebildete in den materiellen Bildern beschränken darf, sondern auch fragen muss: Was ist abgebildet, was nicht? Was ist durch den Bildrand ins Nicht-Sichtbare verschoben? Wo sind wortwörtlich die blinden Flecken im Diskurs?“ (Betscher 2014: 67).
Bilder sind somit immer auch im Kontext von Sicht- und Sagbarbarkeit zu verorten und auf ihr Eingebundensein in spezifische Macht-Wissensverhältnisse hin zu befragen. Hinsichtlich der methodischen Vorgehensweise lassen sich weitere diskursanalytische Ansätze zusammenführen und für den Gegenstandsbereich der visuellen Kommunikation ausformulieren. Es bietet sich hierbei an, sich an den Grundbedingungen diskursanalytischen Arbeitens mit Bildern, die Stefan Meier vorgeschlagen hat, zu orientieren:
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„Ausgangspunkt der [visuellen] Diskursanalyse ist die Bestimmung eines gesellschaftlichen Themas, das hinsichtlich seiner bildlichen Repräsentation in den (Massen-) Medien untersucht werden soll. Leitende Fragestellung hierbei ist das WAS und das WIE dieser Repräsentation. Damit kann auch die Frage nach dem WARUM verbunden werden. Diese nimmt die nicht gezeigten, weniger hegemonialen Gegenstände und -positionen in den Blick und erörtert die zugrundeliegenden möglichen Machtspiele“ (Meier 2014: 230f.).
Unter Berücksichtigung der Annahme, dass gerade Fotografien im gesellschaftlichen Gebrauch ein hoher Wert an Evidenz und Wahrheit beigemessen wird, wäre anzufügen, dass nicht allein die Beschaffenheit der Repräsentation zu analysieren ist, sondern letztlich auch danach gefragt werden sollte, wie Selbstverständlichkeiten in diesen regelmäßig wiederkehrenden Darstellungsformen hergestellt werden (vgl. auch Renggli 2014: 51f.). Zur Umsetzung dieser analytischen Vorgehensweise können, ähnlich wie im Bereich der textbasierten Diskursforschung, keine vollständig standardisierten Forschungsabläufe und methodischen Vorgehensweisen herangezogen werden. Die jeweiligen Studien entwickeln demgegenüber ein Analyseinstrument, welches sich an der Fragestellung orientiert und in direktem Bezug zum Forschungsgegenstand steht. Ziel der nachfolgenden Erforschung von vorherrschenden Repräsentationsweisen (insbesondere das Was und das Wie dieser Repräsentation) in der visuellen Berichterstattung um Migration, Integration und Deutschsein ist daher auf einer analytischen Ebene zunächst weniger das einzelne Foto als vielmehr die „Identifizierung von Serien und deren regelhaftes Moment, um so die Kohärenz von Aussagefolgen aufdecken zu können“ (Fegter 2011: 213). Gegenüber der Inhalts- oder Rezeptionsanalyse einzelner Bilder wird somit eher die Suche nach Bildmustern und visuellen Regalhaftigkeiten zum Gegenstand der Untersuchung erhoben: „Eine bildzentrierte Diskursanalyse kann somit nicht an einem einzelnen bildlichen Diskursfragment vorgenommen werden, sondern nur im Vergleich mit anderen Bildern, die im gleichen thematischen Diskurs verwendet werden“ (Meier 2014: 230). Das Suchen nach ähnlichen Motiven und Darstellungsweisen wird also zur Leitfrage des analytischen Vorgehens. Wie bei den textorientierten Diskursanalysen lassen sich auch im Bereich des diskursanalytischen Arbeitens mit Fotografien unterschiedliche Methoden heranziehen, um bestimmten Fragen an das empirische Material nachzugehen. So haben verschiedene Studien bereits gezeigt, wie beispielsweise kunsthistorische, ikonographische Methoden (Fegter 2011), interpretative und strukturanalytische Verfahren (Traue 2013) oder auch sozialsemiotische Ansätze für die jeweilige diskursanalytische Fragestellung nutzbar gemacht und in das jeweilige methodische Untersuchungsinstrument integriert werden können. Bevor auf diese spezi-
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fischen methodischen Zugriffe auf die visuellen Materialien eingegangen wird, soll der analytische Rahmen, der auf Basis diskursanalytischer Grundannahmen herausgearbeitet wurde, noch um einige Überlegungen zu Konzepten und Methoden aus dem Forschungsbereich der visuellen Framingforschung erweitert werden. Visuelle Medienframes Der praktische Nutzen des Framing-Ansatzes im Bereich der Erforschung von Medienberichten liegt, wie Matthias Potthoff hervorgehoben hat, vor allem darin, „öffentliche Diskurse im Hinblick auf ihre Inhalte zu analysieren“ (Potthoff 2012: 391). Im vorigen Kapitel wurde bereits anhand einiger Studien aufgezeigt, dass die Frame-Analyse von medialer Berichterstattung nicht nur auf die Textsondern ebenfalls auf die Bildebene bezogen werden kann. Auch wenn die Übertragung frametheoretischer Ansätze auf die Analyse visueller Medien bislang erst in einer überschaubaren Zahl von Studien und Theoriediskussionen thematisiert worden ist, lässt sich dennoch plausibilisieren, warum gerade für die Analyse visueller Kommunikation in medialen Diskurszusammenhängen der Rückgriff auf framing-theoretische Ansätze eine sinnvolle Methodenerweiterung zur Konzeption eines theorie- und regelgeleiteten Instrumentariums darstellt. Frame- und diskursanalytische Ansätze verfolgen insoweit ein ähnlich gelagertes Erkenntnisinteresse, als dass sie an der Ermittlung kollektiver Wissensbestände und den damit einhergehenden Prozessen der Bedeutungsgenerierung interessiert sind. Bezogen auf mediale Berichterstattung kann mit Hilfe des Framing-Ansatzes danach gefragt werden, in welcher Art und Weise über Ereignisse, Probleme oder beispielsweise politische Prozesse berichtet wird und wie sich durch die Selektion einzelner Nachrichtenelemente, also durch das Hervorheben und das Ausblenden bestimmter Informationen, Inhalte zu einem Deutungsrahmen verdichten. Entscheidend ist hierbei, dass in der Berichterstattung immer sowohl bestimmte Probleme und Ursachen als auch bestimmte Bewertungen und Lösungsvorschläge sichtbar gemacht, andere jedoch ignoriert oder vernachlässigt werden (vgl. Meier 2010: 7). Robert M. Entman hat diese Überlegung zu einem Kernelement der Frameanalyse erhoben und mit den Begriffen selection und salience umschrieben: „To frame is to select some aspects of a perceived reality and make them more salient in a communicating text, in such a way as to promote a particular problem definition, causal interpretation, moral evaluation, and/or treatment recommendation for the item described“ (Entman 1993: 52).
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Mit Blick auf die zuvor dargestellte diskursanalytische Perspektive lässt sich hier anschließen, dass ein so definierter Framing-Ansatz besonders gut geeignet ist, um bestimmte politische Diskurse bzw. Diskurse über einzelne Politikfelder in den Medien zu analysieren und danach zu fragen, welchen spezifischen Inhalten, Problemen und Lösungsvorschlägen Bedeutung und Aufmerksamkeit zukommt und welchen nicht. Elke Grittmann hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass Medien in politischen Diskursen eine argumentative Ebene konstituieren, das heißt, „auch durch Medien selbst werden Diskurse gerahmt, indem beispielsweise gesellschaftliche Entwicklungen in einem Beitrag als Problem definiert werden“ (Grittmann 2013: 99). Ähnlich wie im Forschungsbereich sozial- und kulturwissenschaftlicher Diskursanalysen, hat sich auch die Framingforschung bislang zumeist für die Analyse textlicher Materialen interessiert (vgl. Geise/Baden 2013: 144). Die eher textzentrierten Konzepte können dennoch Auskunft darüber geben, wie eine Einordnung von visueller Kommunikation in Medien-Frames gelingen und methodologische Anknüpfungspunkte zur Erforschung von Medienbildern herausgefiltert werden können. So machen Geise, Lobinger und Brantner mit direktem Bezug zu der vielfach rezipierten Frame-Definition von Entman (s.o.) deutlich, dass visuelle Kommunikation dazu genutzt wird, spezifische Problemlagen, Interpretationen, Bewertungen und Handlungsempfehlungen in Mediendiskursen salienter zu machen und somit die Informationsverarbeitung und Einordnung zu formen (vgl. Geise/Lobinger/Brantner 2013: 47). Visuelle Aspekte sind demnach Teil medialer Frames, erhalten jedoch – auch im Vergleich zu textbasierter Kommunikation – einen besonderen Status, der nicht zuletzt auf die spezifischen Zeichenmodalitäten von Bildern zurückgeführt werden kann. Elke Grittmann hebt diesbezüglich hervor: „Bilder bieten damit visuelle Wissens- und Deutungsangebote innerhalb des Mediendiskurses. Sie bringen durch ihre eigene visuelle Logik und unabhängig vom Text Bedeutungen und Werte in diesen Diskurs ein“ (Grittmann 2013: 101).
Bezogen auf diskursanalytische Überlegungen gilt hierbei gleichwohl, dass sich visuelle Medien-Frames nicht durch Einzelbildanalysen identifizieren lassen, sondern nur durch die Untersuchung von Bildserien, also von einer Vielzahl von Bildern:
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„Visuelle Medien-Frames manifestieren sich in einer Reihe von Bildern, die innerhalb eines Diskurses ähnliche Deutungsmöglichkeiten eines Themas nahelegen. Der visuelle Medien-Frame ist dabei durch eine Gruppe von Bildern gekennzeichnet, die ein ähnliches Muster bestimmter Elemente aufweisen und lässt sich daher auch erst durch die Analyse einer Vielzahl von Bildern innerhalb eines Diskurses identifizieren. Sein Bedeutungsgehalt ist kontextabhängig“ (Herbers/Volpers 2013: 85).
Hieraus lässt sich schlussfolgern, dass eine Analyse visueller Kommunikation innerhalb von Medien-Frames notwendigerweise die Einbettung in einen spezifischen Diskurs erfordert. Erst die Untersuchung von Bildserien innerhalb der visuellen Berichterstattung zu einem Thema ermöglicht die angemessene Klassifizierung visueller Medien-Frames. Aus diesen Ausführungen soll zugleich nicht geschlossen werden, Text- und Bildebenen in Medien-Frames isoliert voneinander zu analysieren. Ganz im Gegenteil wird in den vorliegenden Studien dafür plädiert, bei der Erforschung visueller Medien-Frames immer auch den Kontext der schriftlichen Frameebene einzubeziehen. Dies kann je nach Umfang der Studie und nach Ausrichtung der Fragestellung bedeuten, Text- und Bildebene gleichgewichtet zu analysieren und das Verhältnis zueinander zu untersuchen. Liegt der Fokus hingegen explizit auf der Erfassung der Spezifika visueller Medien-Frames, so sollte nach Herbers und Volpers zur Erfassung des Bedeutungsgehalts von Bildern „mindestens der direkte mediale Kontext (Bildunterschrift und textueller Frame aus dem Beitrag) berücksichtigt werden“ (ebd. 2013: 89).
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4.2 METHODISCHES VORGEHEN UND ANALYSEKATEGORIEN 4.2.1 Analyse der Bildinhalte und Repräsentationsweisen Zur Analyse der visuellen Repräsentation bestimmter Personengruppen in der Medienberichterstattung bieten sich, wie der Überblick an empirischen Studien in Kapitel 3 erläutert hat, insbesondere inhaltsanalytische Methoden der visuellen Kommunikationsforschung an (siehe 3.4.2). Verschiedene empirische Analysen von Bildinhalten in medialer Berichterstattung können bei der Konzeption der methodischen Vorgehensweise als wichtige Orientierungs- und Bezugspunkte dienen (vgl. Fahmy 2004; Kahle/Yu/Whiteside 2007; Fahmy/Kim 2008). Die Durchführung einer Bildinhaltsanalyse kann damit auf einer allgemeinen Ebene aufzeigen, welchen Inhalten und visuellen Thematiken eine hohe Priorität zukommt (vgl. Bell 2001: 14). Ausgangspunkt sind hierbei einerseits die Analysekategorien, die sich aus der Fragestellung ergeben, also insbesondere aus den Bereichen der Zugehörigkeitsverhältnisse und Repräsentationsweisen bestimmter Personengruppen. Um die spezifische Beschaffenheit des empirischen Feldes zu berücksichtigen, werden andererseits die in den Materialien vorfindbaren Inhalte nach und nach in das Codierschema aufgenommen. Die Codierung wird hierbei in Anlehnung an die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2003) als eine Paraphrasierung der inhaltstragenden Stellen im Material vollzogen, die in der späteren Auswertung zu dominanten Frames der medialen Berichterstattung verdichtet werden. Von Interesse sind somit zum einen die auf denotativer Bildebene vorzufindenden Codes und zum anderen die auf Textebene auszumachenden Kontextualisierungen, welche die Fotografien umgeben. Hierzu müssen im Sinne der Frame-Analyse sowohl Bildunterschriften als auch Texttitel und Textuntertitel in die Codierung einbezogen werden. Insgesamt lässt sich hierzu für das Codierschema4 zwischen drei verschiedenen Aspekten der inhaltlichen Analyse unterscheiden: Erstens wird nach der inhaltlichen Themensetzung und nach den Deutungsrahmen der jeweiligen Berichte auf Textebene gefragt. Hierzu gehört neben der Codierung der wichtigsten Inhalte, die in dem Artikel angesprochen werden, auch die Zuordnung von relevanten positiv und/oder negativ konnotierten Formulierungen. Zweitens erfolgt eine Codierung der Personendarstellung entlang der Leitfrage Wer wird in den Fotografien dargestellt? Von Interesse sind dabei das Alter, das Geschlecht und Ka-
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Für eine ausführliche Übersicht des Codierschemas zu Inhalten, Personendarstellungen und Repräsentationsweisen siehe Anhang, Tabelle 4, S. 296.
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tegorien der religiösen, nationalen und ethnisch-kulturellen Zugehörigkeit, die den dargestellten Personen zugeschriebenen werden – sei es durch eine Erklärung in den Untertiteln oder durch das Abbilden bestimmter kollektiver Symboliken. Drittens steht dann die Frage Wie sind die jeweiligen Personen dargestellt? im Mittelpunkt der Codierung. Hierbei wird zunächst die Art der fotografischen Darstellung bestimmt und dann auf die soziale Rolle, in der die Personen dargestellt sind, sowie auf den räumlichen Darstellungskontext der Abbildungen eingegangen. 4.2.2 Analyse der Interaktionalen Metafunktion Bildsemiotische Ansätze zielen auf die den Bildern immer zu Grunde liegenden spezifischen formalen oder vielmehr grafisch-visuellen Konfigurationen, denen die Bildbetrachter*innen „mehr oder weniger stabile soziale Bedeutungen (Funktionen) zuschreiben“ (Stöckel 2014: 394). Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass auch visuelle Kommunikation bestimmten regelgeleiteten Mustern folgt, die auf ein gemeinsames Wissenssystem von Bildproduzent*in und Bildkonsument*in rekurrieren können, welches wiederum durch ein potentiell geteiltes und sozial-kulturell verankertes Verständnis aktiviert wird. Für die methodologische Konzeption des Codierschemas wurde auf den soziosemiotischen Analyseansatz von Kress und van Leeuwen zur interaktionalen Bildebene (siehe Kap. 3.3) sowie auf verschiedene empirische Studien, die visuelle Stereotypisierungen analysiert haben (siehe 3.4.4), zurückgegriffen. Ausgangspunkt der ‚Interaktionalen Metafunktion‘ ist hierbei die Annahme, dass jedes Bild eine Form der sozialen Interaktion mit den Bildbetrachter*innen etabliert und dass die hierbei hergestellte Positionierung zwischen dargestellten und bildbetrachtenden Personen einen entscheidenden Einfluss auf die Bedeutungsproduktion hat. Für die zu untersuchende visuelle Einordnung und Typisierung von Personen innerhalb des Diskurses um Integration, Migration und Deutschsein rücken demnach die in den Fotografien vorzufindenden fototechnischen Mittel in den Blick der Analyse, wobei unter Bezugnahme der sozialsemiotischen Annahmen Aussagen über die Muster der Bildbedeutungen möglich werden. Bedacht werden muss hinsichtlich des analytisch-empirischen Gehalts dieses Ansatzes gleichwohl, wie Jewitt und Oyama (2006) betont haben, dass die genannten Faktoren, welche die Interaktion beeinflussen, im Sinne eines Bedeutungspotentials (meaning potential) verstanden werden sollten. Es geht demnach weniger um absolut fixierte Bildbedeutungen, die bei allen Betrachter*innen der Fotografien gleichermaßen aktiviert werden, sondern eher um die auf Basis sozialer Interak-
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tionsweisen möglichen Bedeutungen, die aufgrund geteilter sozialer Zeichenverständigung von den Leser*innen und den Produzent*innen der Fotografien in potentiell gleicher Weise aktiviert werden.5 Die Interaktionsweise zwischen dem Dargestellten und den Personen, die das Bild betrachten, wird insbesondere über die Wahl verschiedener Darstellungsmittel beeinflusst. Durch diese werden die Bildbertrachter*innen in ein bestimmtes Verhältnis zum abgebildeten Geschehen und/oder den dargestellten Personen gesetzt (vgl. Kress/van Leeuwen 2006: 114). Kress und van Leeuwen verweisen hierzu auf drei Faktoren, die aus sozialsemiotischer Sicht Einfluss auf dieses Interaktionsverhältnis ausüben: Die Art des Kontaktes und die Dimension der sozialen Distanz zu den dargestellten Personen sowie der gewählte Blickwinkel auf das Bildgeschehen: Kontakt Die dargestellten Personen können die Betrachter*innen je nach Art der Abbildung in eine bestimmte (imaginierte) Handlung, in ein „image act“ (ebd.: 116) versetzen. Zwei verschiedene Formen werden hierbei unterschieden. Der direkte Augenkontakt oder eine ähnliche körperliche Geste des ‚Ansprechens‘ wird hier als direktes Adressieren/Auffordern verstanden („demand“). Bleibt dieser direkte (Augen-)Kontakt aus, wird hingegen angenommen, dass eine Interaktion stattfindet, bei der dargestellte Personen eher als Informationsangebot wahrgenommen werden. In jedem Fall ist die Frage nach der Art des Augenkontaktes konstitutiv für die Einordnung des jeweiligen Bildes in Hinblick auf das etablierte Kommunikationsverhältnis: „There is, then, a fundamental difference between pictures from which represented participants look directly at the viewer’s eyes, and pictures in which this is not the case. When represented participants look at the viewer, vectors, formed by participants’ eyelines, connect the participants with the viewer. Contact is established, even if it is only on an imaginary level“ (ebd.: 117).
Soziale Distanz Die Wahl der räumlichen Darstellungsdistanz zu einer fotografisch abgebildeten Person (oder mehreren Personen) und damit die Frage, ob diese den Betrachtenden beispielsweise sehr nah oder sehr fern erscheint, gibt aus bildsemiotischer Analyseperspektive Auskunft über die Form der sozialen Interaktion, die im
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Kress und van Leuuwen beziehen sich hierbei immer – das betonen sie mehrmals – auf die Lektüre visueller Artefakte in ‚westlichen Gesellschaften‘.
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Prozess des Blickes auf das Abgebildete hergestellt wird. Diese Überlegungen gehen auf Arbeiten des Kulturanthropologen Edward T. Hall zurück, der die soziale Bedeutung von Raum- und Distanzverhalten analysiert hat (1966). Er verweist auf vier Distanzbereiche: intime Distanz, persönliche Distanz, soziale Distanz und öffentliche Distanz.6 Je nach Art der sozialen Beziehung nehmen Menschen demnach in alltäglichen Interaktionen verschiedene Distanzräume zueinander ein. Wer in einem engen sozialen Verhältnis zueinander steht, lässt dies somit auch auf Raumebene zum Ausdruck kommen. Zugleich lässt sich bei der Interaktion mit einem uns nicht bekannten Menschen davon ausgehen, dass eine höhere Distanz zu dieser Person eingenommen wird. Für die visuelle Kommunikation wurden diese Überlegungen in verschiedenen Studien auf die bildliche Darstellung von Personen übertragen (vgl. u.a. Bell/Milic 2002 und Fahmy 2004). Generell gilt dabei, dass sich, je nach Distanz, die zu den dargestellten Personen aufgrund der Art der Bildeinstellung eingenommen wird, auch die soziale Beziehung zu diesen Personen verändert (vgl. Lobinger 2012: 239). Kress und van Leeuwen (2006) verweisen hinsichtlich der bildspezifischen Funktion darauf, dass die räumliche Form der Personendarstellung, also ob ein naher oder ein ferner Distanzbereich geschaffen wird, darüber entscheidet, ob die dargestellten Personen als Freunde oder als Fremde wahrgenommen werden: „Images allow us to imaginarily come as close to public figures as if they were our friends and neighbours – or to look at people like ourselves as strangers, ‚others‘“ (126). Für die Operationalisierung der nachfolgenden empirischen Untersuchung lässt sich an diesen Analyseaspekt anschließen und ebenfalls festhalten, dass die Form der sozialen Distanz Rückschlüsse zulässt, wer von den Bildbetrachtenden eher als zugehörig und wer als nicht-zugehörig betrachtet werden wird. Einer Darstellungsweise, die Personen in einer sehr nahen Distanzzone zeigt, wird demnach ein höherer Grad an Zugehörigkeit zugesprochen, als einer Darstellungsweise, aus der Personen nur in großer Entfernung zu sehen sind. Intimisierung und Distanzierung können somit als visuelle Darstellungstechnik zur Markierung von Differenz, also als eine Form visueller Grenzziehung zwischen Selbst- und Fremdbild verstanden werden. Verschiedene Studien haben die Dimensionen sozialer Distanz für empirische Untersuchungen auf die Ebene visueller Kommunikation übertragen und umfangreiche empirische Analysen durchgeführt. Hierbei hat sich ein forschungspragmatisches, vereinfachtes Modell etabliert, das eng an die von Hall vorgeschlagenen Distanzdimensionen angelehnt
6
Hierbei gilt nochmals, dass diese Bereiche kulturspezifisch zu verstehen sind und in ihrer westlichen Prägung analysiert wurden.
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ist und zwischen drei verschiedene Entfernungsgrößen unterscheidet (vgl. Jewitt/ Oyama 2006; Bell/Milic 2002; Fahmy 2004; Lobinger 2012): •
•
•
Close shot: Ein Teil der Person (bzw. der Personen) wird gezeigt und eine Gesamtdarstellung des Körpers ist nicht möglich. Typisch für diese Distanzdimension ist beispielsweise ein klassisches Kopf-Schulter-Portrait einer einzelnen Person. Die soziale Nähe in der Interaktion und damit auch zur abgebildeten Person ist hier sehr hoch, so dass von einer persönlichen Distanz ausgegangen werden kann. Mid shot: Die dargestellten Personen werden mit der Umgebung abgebildet, wobei diese aber eine untergeordnete Rolle spielt. Oftmals sind die Personen hier bis zur Höhe der Hüfte oder zur Höhe der Knie sichtbar. Aus der mittleren Entfernung folgt nach Kress und van Leeuwen dementsprechend ein mittleres Interaktionsniveau, das eine soziale Distanz bzw. ein soziales Verhältnis ermöglicht. Long shot: Die gesamten Personen sowie die Umgebung sind auf dem Bild zu sehen. Die Bildbetrachtung erfolgt somit aus der Ferne auf die dargestellten Personen. Hier ist der Grad an Distanziertheit zu den abgebildeten Subjekten dementsprechend am höchsten und als öffentliche Distanz kategorisiert.
Blickwinkel (vertikaler Winkel) Die durch die Art der Kameraeinstellung gewählte Perspektive auf die dargestellte(n) Person(en) führt zu verschiedenen Blickverhältnissen innerhalb der interaktionalen Beziehung. So entstehen Betrachtungseinstellungen, die je nach Art des Blickwinkels eine bestimmte Position von bildbetrachtenden und dargestellten Personen etablieren und das Verhältnis zwischen ihnen mitbestimmen. Besonders relevant für die vorliegende Fragestellung ist hierbei die Art des Blickverhältnisses, die im Bereich des ‚vertikalen Winkels‘ realisiert wird. Gemeint ist damit, Bilder dahingehend zu analysieren, ob der Blick der Betrachter*innen von oben oder unten auf die dargestellten Menschen gerichtet wird oder ob ein Blickwechsel auf Augenhöhe stattfinden kann (vgl. Kress/van Leeuwen 2006: 133ff.). Aus der politikwissenschaftlichen Forschung ist diese Dimension der Wahrnehmung von Personen (hier insbesondere von Politiker*innen) bekannt. Kepplinger (2010) hat diesbezüglich beispielsweise herausgestellt, dass Aufnahmen auf Augenhöhe und aus der leichten Untersicht einen positiven und homogenen Eindruck vermitteln, während Aufnahmen aus der starken Untersicht einen negativen und diskrepanten Eindruck hervorrufen. Aus sozialsemiotischer Sicht kann
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erweiternd hinzugefügt werden, dass aus den verschiedenen Blickwinkeln ebenfalls unterschiedliche Machtpositionen resultieren, die den abgebildeten Menschen zugeschrieben werden. Der gewählte Betrachtungswinkel auf ein abgebildetes Geschehen und auf dargestellte Personen lässt hierarchische interaktionale Blickverhältnisse und damit einhergehende Positionierungen entstehen: Während der Blick von oben auf eine Person eher die Bildbetrachtenden mit einer machtvolleren Position ausstattet, führt der von unten gerichtete Blick zu einer dominanteren Position der dargestellten Person. Ein Bildwinkel, der einen Blick auf gleicher Höhe zulässt, ist demgegenüber Ausdruck einer gleichberechtigten Interaktion, ein Verhältnis der Unter- oder Überlegenheit wird hierbei vermieden. Dies kann – wie bei der Erfassung sozialer Distanz – in bildlichen Darstellungen anhand verschiedener Forschungsstudien belegt werden. Für die Analyse parteipolitischer visueller Berichterstattung wurde beispielsweise von Lobinger hervorgehoben, dass Rezeptions- und Wirkungsstudien nachgewiesen haben, dass die „leichte Untersicht Personen vorteilhafter erscheinen lässt und die Zuschreibung von politischer Kompetenz, besonders in leicht seitlicher Aufnahme, forcieren kann“ (Lobinger 2012: 262). Visualisierungen, die ein solches Blickverhältnis ‚auf Augenhöhe‘ zulassen, gelten darüber hinaus als Ausdruck einer Darstellungsweise, die die Interaktion zu der abgebildeten Person anregt – also eher dazu neigt, eine Verbindung zwischen bildbetrachtenden und dargestellten Personen aufzubauen. Zusammenfassung und Erweiterung der Analysekategorien Die hier vorgestellten Analyseebenen zur Erforschung der interaktionalen Bilddimension7 von Fotografien nach Kress und van Leeuwen ermöglichen es, die ‚Bedeutungspotentiale‘ von Fotografien unter Einbeziehung der spezifischen visuellen Strukturen des Bildlichen zu untersuchen und Aussagen über das personale Verhältnis zwischen bildbetrachtenden und dargestellten Personen zu treffen. Sie sind insoweit aufschlussreich für die Frage nach der Herstellung und Verbreitung von Selbst- und Fremdbildern, als dass sie zu den Visualisierungstechniken der Fotografie gezählt werden können, die stereotypisierende Darstellungsweisen verstärken und bestimmte soziale Machtverhältnisse auf die Bildebene und den ‚image act‘ übertragen (vgl. Bell/Milic 2002). Wichtig ist dabei, der Frage nachzugehen, inwieweit eine stereotypisierende Bildwirkung auch durch den wiederkehrenden Einsatz dieser interaktionalen Bedeutungsmodi des Visuellen realisiert wird.
7
Für eine graphische Übersicht der interaktionalen Analyseebene siehe Anhang, Abb. 95, S. 298.
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Eine weitere Dimension der interaktionalen Bildebene, die nicht von Kress und van Leeuwen berücksichtigt wird, aber insbesondere bei der Analyse von Personendarstellung eine wichtige Rolle spielt, betrifft die Einbeziehung der mimischen/gestischen Ausdrucksmerkmale. Gerade hinsichtlich der Interaktion zu den abgebildeten Menschen und der damit einhergehenden emotionalen Wahrnehmung einer Person sind unterschiedliche Gesichtszüge ein wichtiges Kriterium, dass auch bei der ‚Lektüre‘ von Medienbildern Berücksichtigung finden sollte. Helen Caple (2013) verweist in ihrer ausführlichen sozialsemiotischen Studie zur Pressefotografie ebenfalls auf diese Leerstelle in dem von Kress und van Leeuwen erarbeiteten Instrumentarium und schlägt vor, die Mimik der abgebildeten Personen – soweit diese erkennbar ist – mit zu analysieren und eine Kategorisierung in positiv, neutral und negativ vorzunehmen (vgl.: 74f.). Im Analyseprozess dieser Arbeit wurde des Weiteren ersichtlich, dass eine zusätzliche Erweiterung der interaktionalen Analyse notwendig ist: Zur Präzisierung der Analyse der Interaktion, die ein Blick- und Machtverhältnis etabliert, ist es wichtig festzuhalten, wie auf die abgebildeten Personen – und hierbei vor allem auf ihr Gesicht – geblickt wird. Gemeint ist damit insbesondere, ob es sich um eine frontale oder seitliche Ansicht auf diese Menschen handelt oder ob nur eine Rückansicht möglich ist. Auch hier lassen sich wiederum spezifische Bedeutungen sowohl der Nähe und Distanz als auch der grundsätzlichen Beschaffenheit der Kontaktmöglichkeit erheben, um nochmals ein differenzierteres Bild der wiederkehrenden Darstellungsmodi zu erhalten. Die oben skizzierten sozialsemiotischen Analyseebenen lassen in diesem Zusammenhang einen zu großen Spielraum. Wichtig ist diese Präzisierung dabei beispielsweise, um der Frage nachzugehen, warum eine Bewertung der Mimik in einem hohen Anteil der Abbildungen gar nicht möglich ist und wie dieser Befund mit dem Blickverhältnis in Verbindung steht. 4.2.3 Analyse der Kompositorischen Metafunktion Neben der Analyse des sozialen Interaktionsverhältnisses erschien für diese Arbeit auch die Einbeziehung der kompositorischen Bilddimensionen aus bildsemiotischer Perspektive als besonders relevant. Kress und van Leeuwen beziehen sich diesbezüglich bei der compositional/textual metafunction von Bildkommunikaten auf die Gestaltung und den Bildaufbau der Fotografien.8 Hierzu haben
8
Die drei Ebenen der Komposition können nach Kress und van Leeuwen nicht nur auf Einzelbilder bezogen werden, sondern eignen sich gleichwohl auch zur Analyse multimodaler Zeichensysteme und werden beispielsweise in entsprechend aufwendig
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sie für westliche Gesellschaften eine schematisch aufgebaute Übersicht erarbeitet, welche die verschiedenen Dimensionen des visuellen Raumes mit unterschiedlichen bedeutungsstiftenden Funktionen in Verbindung setzt. Mittels älterer Bildbeispiele aus der klassischen Malerei und mit Hilfe neuerer, moderner Beispiele aus medialer Berichterstattung und kommerzieller Werbung veranschaulichen Kress und van Leeuwen die genannten bildgestalterischen Kommunikationsaspekte und setzen diese in einen (kunst-) historischen und populär-kulturellen Zusammenhang. Insgesamt unterscheiden sie hinsichtlich der Komposition der Bildelemente zwischen drei Aspekten: Information Value, Salience und Framing (vgl. Kress/van Leeuwen 2006: 177ff.).9 Information Value Die Positionierung von einzelnen Bildelementen ist nach Kress/van Leeuwen mit verschiedenen Funktionen verknüpft. Es ist demnach relevant, ob sich das dominante Element eines Bildes auf der linken oder der rechten Seite, oben oder unten und mittig oder am Rand des Bildgeschehens befindet. Die Leserichtung (im Fall westlicher Gesellschaften von links nach rechts) ist hierbei ein Kriterium, dass Einfluss auf die Bedeutungsdimension im Zusammenhang des Bildaufbaus nimmt. Entscheidend ist jeweils, wo sich die dominanten Bildelemente innerhalb der Bildaufteilung befinden: Auf der horizontalen Achse werden Bildelemente, die links platziert sind, eher als ‚gegeben‘ und solche die rechts angeordnet sind als ‚neu‘ hinsichtlich ihres Informationswertes wahrgenommen. Die gewohnte Leserichtung von links nach rechts führt die Bildbetrachter*innen demnach zur rechten Seite, auf der die Aufmerksamkeit dann länger liegen soll (vgl. ebd.: 179ff.). Sind die wichtigen Bildelemente hingegen auf der vertikalen Achse angeordnet, erfolgt eine Wahrnehmung des oberen Bildelements eher als das ‚Ideelle‘ und das untere Element wird tendenziell als das ‚Reale‘ wahrgenommen (vgl. ebd.: 186ff.). Des Weiteren ist auch eine Orientierung der Bildelemente entlang der ‚Mitte-Rand-Dimension‘ möglich. Diese ist mit der bildkompositorischen Grundüberlegung verbunden, nach der die Bildmitte eine höhere Bedeutung und Publikumsaufmerksamkeit erhält als die Ränder eines Bildes. Ist ein Element in der Mitte des Bildes positioniert und es befinden sich um dieses Element herum weitere Bildelemente, so stellt die Mitte den Kern des Infor-
konzipierten Untersuchungen zur multimodalen Bedeutungskonstruktion von Webseiten oder ganzseitigen Zeitungsberichten angewendet (siehe u.a. Meier 2014). 9
Zur Übersicht der hier vorgestellten Aspekte der Komposition aus Sicht der Sozialsemiotik siehe auch van Leeuwen (2005).
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mationsgehaltes dar und die weiteren Bildelemente am Rand sind diesem Zentrum untergeordnet (vgl. ebd.: 194ff.).10 Salience Eine visuelle Hervorhebung von einzelnen Bildelementen wird durch verschiedene bildtechnische Mittel realisiert. Hierzu gehören: • • • •
Lichtführung: Hervorhebung durch Aufhellen/Abdunkeln von Bildteilen Schärfe/Unschärfe: Akzentuierung von Bildelementen durch Tiefenschärfe Farbgebung: Betonung einzelner Elemente beispielsweise durch satte oder leuchtende Farben Verhältnis von Bildvordergrund und -hintergrund: Fokussierung auf Bildelemente, die in den Vordergrund der Abbildung gesetzt sind
Während bestimmte Aspekte des Bildes durch diese visuelle Betonung eine größere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, erhalten andere Bildelemente zugleich eine geringere Bedeutung. Oftmals handelt es sich dabei um ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Kompositionstechniken, so dass eine Hierarchie von hervortretenden Bildelementen vorgefunden werden kann (vgl. ebd.: 201ff.). Framing Bestimmte Bildstrukturen und Verbindungslinien im Aufbau des Bildes führen zur Ordnung visueller Zugehörigkeits- und Abgrenzungselemente. Trennlinien im Bildaufbau können somit beispielsweise bei der Darstellung von mehreren Personen eine wichtige Rolle einnehmen, um anzuzeigen, wer zugehörig zueinander (oder zu einer bestimmten Gruppe, Institution, Nation, Religion etc.) ist und wer nicht. Auch können Bildvektoren Einfluss darauf nehmen, wie Einzelelemente innerhalb des Bildaufbaus miteinander verbunden oder voneinander getrennt werden. Hierbei können ebenfalls leere Flächen (z.B. schlichte einfarbige Elemente) dazu dienen, einen kompositorischen Rahmen zu erstellen, der Bildteile und die darin befindlichen Elemente voneinander abtrennt (vgl. ebd.: 203f.).
10 Zur Kritik an diesem Analyseaspekt siehe Bucher 2011: 133ff. Da sich diese kritischen Ausführungen aber vordergründig auf multimodale Zeichensysteme und weniger auf einzelne Bilder beziehen, kann sie an dieser Stelle vernachlässigt werden.
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Diese von Kress und van Leeuwen konzipierten semiotischen Funktionen im Bereich der Bildkomposition stehen – wie die repräsentierende und die interaktionale Metafunktion – durchaus im Zusammenhang mit kunsthistorischen Überlegungen der Ikonografie/Ikonologie, konzentrieren sich jedoch stärker auf die bedeutungsstiftende Funktion visueller Kommunikation (vgl. Meier 2010: 8).11 Grundlegend ist auch hier die sozialsemiotische Ausgangsposition der geteilten Darstellungskonventionen, die in der Rezeption bestimmte Regeln für bildhafte Kommunikation festlegen und die Vieldeutigkeit des Visuellen begrenzen. Kress und van Leeuwen fragen somit nach den sinnstiftenden Modi visueller Kommunikation durch formale Strukturen. Für die Feinanalyse der exemplarisch ausgewählten Abbildungen in den einzelnen Bildgruppen ist diese Vorgehensweise von Vorteil, da entlang der Hauptfragestellung insbesondere die Bildbedeutungsproduktion von Personendarstellungen und die damit verbundenen Zugehörigkeitskonstellationen sowie das visuelle Othering bestimmter Gruppen im Fokus stehen.
11 Zur Bedeutung der ikonografischen und ikonologischen Methode siehe auch: Lobinger (2012) und Müller (2003).
Teil III – Analyse: Die fotografische Medienberichterstattung über Migration, Flucht und Integration, 2006-2015
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Visuelle Frames, Repräsentationen und Zugehörigkeiten
5.1 MEDIENBERICHTERSTATTUNG UND FRAMING Fallstudie 2006: Integration, Bildung und Islam Die Fallstudie 2006 umfasst als ersten Schwerpunkt die mediale Berichterstattung über die Einführung der sogenannten ‚Deutschpflicht‘ auf zwei Berliner Schulhöfen (Januar/Februar 2006) sowie die Diskussionen zu den Ereignissen in der Berliner Rütli-Hauptschule (März 2006). Letztere lösten eine große Debatte über die grundsätzlichen Fragen von ‚Integration‘ in Deutschland aus, die über mehrere Monate anhielt und zahlreiche Artikel in den deutschen Print- und Onlinemedien nach sich zog. Ausgangspunkt für diesen integrations- und migrationspolitischen Diskurs war ein Brief der Leiterin der Rütli-Schule, der am 30.03.2006 im Tagesspiegel veröffentlicht wurde. Gewalt, Kriminalität, Chaos und respektloses Verhalten gegenüber Lehrer*innen würden den Schulalltag beherrschen und die Arbeit an der Schule unmöglich machen, hieß es in diesem von den Medien als ‚Brandbrief‘ betitelten Schreiben. Die Schulleitung und das gesamte Kollegium forderten als Konsequenz die Abschaffung der Hauptschulen in Deutschland. Es folgte einerseits eine bundesweite politische Debatte um Gewalt an Schulen und um das dreigliedrige deutsche Bildungssystem. Andererseits wurde in dem Brief die Zusammensetzung der Schüler*innen, die die Rütli-Schule besuchen, besonders hervorgehoben: Der Gesamtanteil der Jugendlichen ‚nichtdeutscher Herkunft‘ betrage 83,2 Prozent und besonders der Anteil der Schüler*innen mit ‚arabischem‘ und mit ‚türkischem Migrationshintergrund‘ sei (zu) hoch. Auch wenn die ‚Schulkrise‘ in dem Schreiben nicht direkt mit diesen ethnischen und nationalen Zugehörigkeitszuschreibungen in Verbindung gesetzt wurde, so war doch zumindest ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen Gewalt, Disziplin-/Respektlosigkeit, Kriminalität und ‚nicht deutscher Herkunft‘
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hergestellt worden. Es wurden zahlreiche mediale Berichte über Integration von ‚Ausländern‘, ‚Migranten‘ oder ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘ veröffentlicht. In vielen Beiträgen wurde zudem ein besonderer Fokus auf die politischen und sozialen Missstände sowie auf die unterstellte Verweigerung und mangelnde Eingliederung der zu integrierenden Menschen gelegt – insbesondere im Bereich Schule/Bildung. Nach Ende der Debatte um die Rütli-Schule folgten im Verlauf des Jahres 2006 weitere mediale Berichte über Integration und Zuwanderung. Hintergrund war vor allem die Initiierung von zwei gesellschaftspolitischen Organisationsformen: dem im Juli 2006 erstmals einberufenen ‚Integrationsgipfel‘ und der ‚Deutschen Islamkonferenz‘ (DIK), die erstmalig im September stattfand.1 Diese von der Bundesregierung ausgehenden Initiativen nahmen die Integration von Migrant*innen und von Muslim*innen in den Fokus und wurden von der politischen Berichterstattung mit viel Aufmerksamkeit bedacht. Des Weiteren verknüpften zahlreiche Artikel im Zuge der Berichterstattung zur im Sommer 2006 in Deutschland ausgetragene Fußballweltmeisterschaft die Thematisierung eines neuen, positiv besetzten deutschen ‚Wir‘ mit der Frage nach Integration, Zuwanderung und Zugehörigkeit zum nationalen Kollektiv. Die analysierten Medienberichte spiegeln sehr deutlich die oben genannten politischen Ereignisse in dem Erhebungszeitraum wider. Drei wiederkehrende Deutungsrahmen konnten dabei identifiziert werden. In dem ersten Frame wird das Thema Integration mit allgemeinen migrationspolitischen Themen verknüpft. Die Einbürgerung von Migrant*innen spielte hierbei eine besonders wichtige Rolle. Positiv ausgerichtete Berichte und würdigende Beispiele für gelungene Integration waren in diesem Frame deutlich öfter vertreten als negative. Für den zweiten Frame ist die Verknüpfung von Integration mit den Themenbereichen Schule und Bildung elementar. Berichtet wurde über konkrete Integrationsprobleme, politische Maßnahmen und vor allem über Sprachkenntnisse und damit zusammenhängende Missstände. Dabei waren diese Beiträge deutlich häufiger mit problematisierenden und negativen Codes verknüpft als mit positiven. Der dritte Frame verbindet Integration mit dem Themenbereich Islam, wobei insbesondere allgemeine Debattenbeiträge vorlagen. Die Berichterstattung war hier insgesamt neutraler ausgerichtet und die Verteilung von negativen Codes ausgeglichen.
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Zur Entwicklung der Integrationsgipfel und der DIK ab 2006 siehe Hierl (2012).
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Fallstudie 2009: ‚Ungenutzte Potenziale‘ Die Fallstudie 2009 umfasst die Medienberichterstattung zur Debatte um die Studie Ungenutzte Potenziale der Stiftung ‚Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung‘, die zahlreiche mediale Reaktionen von Mitte Januar bis Mitte Februar initiierte. Hierzu hatte insbesondere die Ausrichtung der Studie beigetragen, die nicht nur eine Definition dessen, was gute Integration sein soll beinhaltete, sondern auch bestimmte Kriterien ins Feld geführt hatte, mit denen die Integration messbar und bewertbar werden sollte. Außerdem wurden die Integrationsleistungen von Migrant*innen verschiedener Herkunftsregionen verglichen, wobei neben der Feststellung, dass bei allen Herkunftsgruppen deutliche Defizite vorlägen, vor allem Migrant*innen aus der Türkei besonders schlechte ‚Integrationswerte‘ bescheinigt wurden.2 In der Berichterstattung führte dies mitunter zu Artikelüberschriften wie „Die Türken verweigern sich eisern der Integration“ (Die Welt, 24.01.2009) oder „Für immer fremd“ (DER SPIEGEL 5/2009). Ein Schwerpunkt der Kritik bezog sich hierbei auf den Bereich Schule/Bildung, für den vielen Migrant*innen eine problematische bis schlechte Leistung attestiert wurde. Darüber hinaus lassen sich jedoch ebenfalls einige Artikel – vor allem in der regionalen Berichterstattung – finden, die sich kritisch mit der Studie auseinandersetzen und Gegenargumente und Positivbeispiele anführen. In der Analyse der ausgewählten Medienberichte ließen sich zwei Deutungsrahmen identifizieren. Der erste Frame verknüpft das integrationspolitische mit allgemeinen migrationspolitischen Themen. Viele Berichte fokussierten hierbei auf die „Problemgruppe türkischstämmige Migrant*innen“ und wollten anhand von Beispielen aufzeigen, was von den Ergebnissen der Studie zutreffe und was nicht. Negative Konnotationen zum Thema Integration und Einwanderung waren hier etwas stärker vertreten als positive. Im zweiten Frame findet eine Thematisierung von Integration im Zusammenhang mit Schule und Bildung statt. Auch in diesem Kontext waren häufiger negativ ausgerichtete Artikel als positive Einschätzungen zur Integration Teil der Berichterstattung.
2
Siehe hierzu auch die von zwei der Autor*innen der Studie verfasste Nachbetrachtung. Dort heißt es: „In keinem Bereich sind die Integrationsindikatoren der türkeistämmigen MigrantInnen als gut zu bezeichnen“ (Kröhnert/Woellert 2013: 159). Eine kritische Betrachtung der Studie haben u.a. Kunz (2009) und Werth (2009) vorgenommen.
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Fallstudie 2010: Sarrazin-Debatte Gegenstandsbereich der Fallstudie 2010 ist die umfassende Medienberichterstattung zur sogenannten Sarrazin-Debatte – ausgehend von der Vorveröffentlichung eines Ausschnitts aus Thilo Sarrazins Buch Deutschland schafft sich ab (SPIEGEL und BILD-Zeitung) im August bis zum Ausklingen der Debatte Ende Dezember 2010. Der SPD Politiker und ehemalige Berliner Finanzsenator Sarrazin befasst sich in dem äußerst kontrovers diskutierten Buch mit dem demografischen Zustand Deutschlands und problematisiert insbesondere die nach seiner Auffassung fehlgeschlagene Integration ‚muslimischer‘ und ‚arabischer‘ Migrant*innen gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen. Er unterstellt dabei mitunter große Probleme in den Bereichen Bildung, Sprache und Arbeitsmarktintegration sowie eine höhere Gewaltbereitschaft unter jungen Muslimen. Zudem behauptet er, diese Gruppe der Zugewanderten hätte überdurchschnittlich häufig Sozialleistungen des deutschen Staates in Anspruch genommen und verursache große Kosten für die ‚deutsche Bevölkerung‘. Als Grund für diese Integrationsdefizite nennt Sarrazin insbesondere den islamischen Glauben und eine traditionelle Lebensführung. Außerdem warnt er vor einer weiteren Verschärfung der von ihm konstatierten kulturellen Überfremdung Deutschlands durch die überdurchschnittliche Fertilitätsrate3 türkischer Migrant*innen (vgl. Hierl 2012: 76ff.). Die von Sarrazin vertretene Argumentation wurde zwar im Nachhinein vielfach hinterfragt und empirisch widerlegt, seine ‚Thesen‘ – oder wie Kien Nghi Ha es passender betitelt hat, seine „rassistische[n], islamfeindliche[n], eugenische[n] und nicht zuletzt antisemitische[n] Phantasmagorien“ (Ha 2010b) – fanden ihren Weg dennoch in die deutsche Öffentlichkeit und lösten im Verlauf des Jahres 2010 eine breite gesellschaftliche Debatte über Integration, Islam und Zuwanderung nach Deutschlands aus. Schon die ersten Berichte zu Sarrazins Buch zogen eine Vielzahl an öffentlichen Aussagen aus Politik und Medien nach sich. Deutliche Kritik und klare Abgrenzung erfolgte zunächst aus allen demokratischen politischen Lagern, als der Autor in einem Interview am 29. August mit der Welt am Sonntag äußerste, ‚alle Juden‘ würden ‚ein bestimmtes Gen teilen‘. Auch der Ausschluss Sarrazins aus der SPD wurde zu diesem Zeitpunkt bereits mehrfach gefordert. Nachdem zunächst vor allem Empörung über diese Äußerungen im Mittelpunkt standen, fand sich kurz darauf dann doch auch Zu-
3
Diese Behauptung, nach der sich unerwünschte Bevölkerungsgruppen überproportional vermehren, steht, wie Yasemin Shooman betont hat, in „historischer Kontinuität rassistischer und eugenischer bzw. sozialdarwinistischer Diskurse des 19. Jahrhunderts“ (Shooman 2014: 60f).
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stimmung zu den vorgetragenen ‚Thesen‘ zu Integration und Islam. So wurde innerhalb der Medienberichterstattung zunehmend die Unterstützung von Sarrazin durch prominente Personen hervorgehoben und verschiedene bekannte Politiker*innen äußersten öffentlich ihr Verständnis für die vorgetragenen ‚Ängste und Sorgen‘ aufgrund einer scheinbar verfehlten Integrations- und Zuwanderungspolitik. Die eingangs primär auf die Buchveröffentlichung gerichteten Diskussionen schlugen zu diesem Zeitpunkt in eine große Integrations- und Islamdebatte um und in der medialen Berichterstattung fanden sich in den nachfolgenden Wochen zahlreiche Berichte und mitunter ganze Themenseiten, die nach der Wahrheit über die Integration von Migrantinnen und Migranten fragten. Wie Sebastian Friedrich in einer zeitnah erschienen Analyse zur SarrazinDebatte festhielt, wurde in Form einer „Reportagen-Offensive“ dazu übergangen, „Sarrazins Thesen einen qualitativen Faktencheck gegenüber zu stellen“. In dieser Phase der Mediendebatte folgte, nicht nur die (Re-)Produktion von „klischeebeladenen und rassistischen Mustern bei der Zeichnung des Bildes des ‚Anderen‘“, sondern auch eine „Zuspitzung der Einteilung ‚erfolgreicher‘ versus ‚unnützer Migrant‘ anhand der ‚Integrationsleistung‘ und ‚Verwertbarkeit‘“ (Friedrich 2011: 14). Im Herbst 2010 wandte sich der damalige Bundespräsident Christian Wulff nochmals der Thematik zu und betonte in seiner Rede zum 20. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober, dass neben dem Christentum und dem Judentum inzwischen auch der Islam zu Deutschland gehöre. Hierauf folgten zwar zunächst durchaus positive Aussagen aus Politik und Medien, diese wurden jedoch schon wenige Tage später von einer Diskussion abgelöst, die nach der Stellung des Islams in der deutschen Gesellschaft fragte und die Begrifflichkeiten wie ‚Deutschenfeindlichkeit‘, ‚fremde Kulturkreise‘ und ‚deutsche Identität‘ ins Feld führte (vgl. ebd.: 14f.). Auch das Scheitern der sogenannten ‚Multikulti-Gesellschaft‘ und die Notwendigkeit einer ‚deutschen Leitkultur‘ wurde hier insbesondere aus dem national-konservativen Lager in die Öffentlichkeit getragen und danach vielfach in den Medien diskutiert. Zum Ende des Jahres 2010 verlagerte sich die Debatte dann zunehmend hin zu wirtschaftspolitischen Fragen und der Problematisierung eines Fachkräftemangels. Die Diskussion endete somit in einer weniger kontrovers geführten Debatte um die Frage, inwieweit Deutschland hoch qualifizierte Arbeitnehmer*innen ins Land holen solle, um im globalen Wettkampf bestehen zu können (vgl. ebd.: 16). Die Untersuchung der ausgewählten Medienberichte konnte insgesamt drei Deutungsrahmen identifizieren. Der erste Frame beinhaltet Beiträge, die Integration aus einer allgemeinen Perspektive behandeln und als Debattenbeiträge verstanden werden können. Berichtet wurde hier über generelle integrationspoliti-
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sche Aspekte, über Sprachkenntnisse bestimmter Personengruppen und über die Frage welche Zuwanderungspolitik Deutschland anstreben solle. Eine Kritik an den von Sarrazin vorgebrachten Thesen wurde ebenfalls in einigen dieser Beiträge formuliert. Die positive oder negative Ausrichtung der Artikel in diesem Frame ist insgesamt ausgeglichen. Der zweite Frame verknüpft die Themen Integration und Islam miteinander. Hierbei wurden einerseits das Kopftuch und die Verschleierung muslimischer Frauen behandelt und andererseits in einigen wenigen Berichten auch Formen von Diskriminierung angesprochen. Diese Artikel waren insgesamt wesentlich häufiger mit einer problematisierenden und negativen Ausrichtung verbunden als mit positiven Konnotationen. Der dritte Frame thematisiert Integration im Zusammenhang von Bildung und Schule, wobei neben allgemeinen Beiträgen zum Zustand von Bildungs- und Integrationspolitik insbesondere über fehlende Sprachkenntnisse von Migrantinnen und Migranten berichtet wurde. Es finden sich auch hier gegenüber der allgemeinen Berichterstattung deutlich mehr Artikel, die negativ über Integration in diesem Zusammenhang berichten als solche mit einer eher positiven Ausrichtung. Fallstudie 2015: Asylpolitik, Flucht und ‚Willkommenskultur‘ Im Laufe des Jahres 2015 stieg die Zahl der in Europa ankommenden Geflüchteten deutlich an. Insgesamt stellten laut offizieller Statistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge allein in Deutschland deutlich mehr als 400.000 Menschen einen Asylantrag, über ein Drittel davon wurde von Geflüchteten aus Syrien eingereicht (vgl. Graumann 2017: 53). Für die Fallstudie 2015 wurde insbesondere die migrationspolitische Phase berücksichtigt, die im Rückblick auch als der lange Sommer der Migration betitelt worden ist (vgl. Hess et al. 2017). Die mediale Berichterstattung in Deutschland setzte zwar erst im August ein, zahlreiche Geflüchtete erreichten jedoch bereits im Frühjahr die südeuropäischen Grenzen und eine Einbeziehung der Berichte über Migration und Flucht des Gesamtjahres wurde deshalb als sinnvoll erachtet. Dies gilt umso mehr, wenn berücksichtigt wird, dass sich spätestens seit dem ‚Arabischen Frühling‘ 2011 eine Krisenkonstellation verstärkt hatte, die rückblickend zu einer „Erosion des europäischen Grenz- und Migrationsregimes“ führte (ebd.: 9). Debatten um (illegalisierte) Migration und Asyl wurden seitdem auch vermehrt in der deutschen Medienberichterstattung geführt, wobei der Fokus hier noch wesentlich stärker auf den Mittelmeerraum, die damit verbundenen humanitären Katastrophen und den Schutz der EU-Außengrenzen gelegt wurde.4
4
Dieser Teil der Berichterstattung wurde, wie in Kapitel 4 dargelegt worden ist, nicht in der Untersuchung berücksichtigt. Die 2017 erschienene Studie Wir und die Anderen
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Die mediale Präsenz der Themenbereiche Asyl, Flucht und Migration stieg ab der zweiten Jahreshälfte nochmals an, wobei die Hochphase der Berichterstattung deutscher Medien im September 2015 lag. Die Bundesregierung um Bundeskanzlerin Merkel hatte zunächst beschlossen, tausende Geflüchtete, die zuvor lange Zeit in Ungarn festgesessen hatten, ohne bürokratische Hürden und Kontrollen nach Deutschland einreisen zu lassen. Täglich kamen große Menschengruppen in Süddeutschland an und wurden zügig auf die Bundesländer verteilt. An den Bahnhöfen in den großen Städten fanden sich in diesen Tagen zahlreiche Menschen ein, um die ankommenden Flüchtlinge willkommen zu heißen. Neben den Medienberichten über die Fluchtbewegungen und politischen Entscheidungen nahm ein großer Teil der Beiträge diese Hilfsbereitschaft zum Anlass für eine sehr positiv konnotierte Berichterstattung. Schnell wurde das Phänomen von Tages- und Wochenzeitungen wie der FAZ, der SZ und dem SPIEGEL als ‚deutsche Willkommenskultur‘ betitelt und in ausführlichen Artikeln darüber berichtet. In den nachfolgenden Monaten thematisierte die Medienberichterstattung dann vor allem die Aufnahme und Unterbringung der Geflüchteten sowie die politischen und bürokratischen Maßnahmen, deren Umsetzung im Zuge der Fluchtbewegungen mitunter zu chaotischen Zuständen geführt hatte. Daran anschließend wandte sich ein Teil der Beiträge auch immer stärker der Frage zu, wie eine Integration der Geflüchteten in die deutsche Gesellschaft realisiert werden könnte. Auch wurden im Laufe des Herbstes immer mehr Stimmen laut, die die politischen Entscheidungen der Bundesregierung kritisierten und über die zunehmenden Proteste von Teilen der Bevölkerung diskutierten. In der Analyse der ausgewählten Medienberichte über die Flucht- und Asyldebatte 2015 konnten vier Deutungsrahmen identifiziert werden. Der erste Frame umfasst die allgemein ausgerichteten Beiträge zum Themenbereich Flucht/Asyl. Hierzu zählen Berichte über das Ankommen, die Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten in Deutschland, das Bleiberecht und die Asylverfahren, die Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung, die lokalen Projekte für Geflüchtete sowie Artikel, die Finanzierungsfragen thematisierten. Der zweite Frame umfasst diejenigen Berichte, die Flucht und Asyl zusätzlich mit Fragen der Integration diskutieren. In diesen Artikeln wurden zumeist konkrete integrationspolitische Aspekte der Flucht- und Asyldebatte behandelt, wobei insbesondere auf die Umsetzung der ‚Integration von Flüchtlingen‘ in die deutsche Ge-
von Margreth Lünenborg und Tanja Maier bietet in diesem Zusammenhang einen guten Einblick in die mediale Berichterstattung zu den ‚Fluchtbewegungen über das Mittelmeer‘ und geht insbesondere auch auf die visuellen Darstellungsmuster und Stereotypisierungen ein (vgl. Lünenborg/Maier 2017: 53).
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sellschaft im Bereich der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik eingegangen wurde. Der dritte Frame beinhaltet die Berichterstattung, die Asyl und Flucht dezidiert mit den Themen Arbeit/Ausbildung in Verbindung setzt. Dabei spielte die Frage nach dem Zugang zu Arbeitsplätzen und zur Hochschulausbildung eine besondere Rolle. Vielfach wurden auch Unternehmen vorgestellt, die Geflüchtete aufgenommen haben oder ihnen die Möglichkeit zur Ausbildung geben wollten. Der vierte Frame umfasst die Beiträge, die Asyl und Flucht mit dem Themenbereich Bildung und Schule verbunden haben. Berichtet wurde vor allem über die spezifische Förderung und Einbindung von jungen Geflüchteten innerhalb des deutschen Schulsystems sowie über die Durchführung von Sprachkursen. Gegenüber den anderen drei Fallstudien ist die Ausrichtung der Artikel hinsichtlich einer eher positiven oder eher negativen Berichterstattung zu Asyl und Flucht anders codiert worden. Insgesamt fanden sich hier nur sehr wenige Artikel, die stark negativ konnotierte Formulierungen wie ‚Flüchtlingskrise‘, ‚Fluchtchaos‘ und ‚Flüchtlingsansturm‘ verwenden. Auch die Sorge vor einer Überlastung oder Überforderung aufgrund der Zuwanderung war selten vorzufinden. Deutlich häufiger wurden in der Berichterstattung insgesamt aber bestimmte Herausforderungen und Hürden erwähnt, die die Zuwanderung von Geflüchteten mit sich bringen würde. Sehr positiv ausgerichtete Beiträge, die beispielsweise vielversprechende Effekte der Zuwanderung hervorheben oder die konkreten Aktionen und Projekte für Geflüchtete positiv bewerten, fanden sich demgegenüber relativ selten. Für die einzelnen Deutungsrahmen lassen sich bei der Verteilung teilweise leichte Differenzen feststellen. Dies gilt insbesondere für den Bereich, der Flucht und Asyl im Zusammenhang mit Schule und Bildung thematisiert. Fast die Hälfte der Bilder erschienen hier in Berichten, die die Zuwanderung von Geflüchteten als Herausforderung und Schwierigkeit deuten. Positive Effekte wurden weitaus seltener in den Berichten hervorgehoben. Bei der Berichterstattung über Integration und Flucht/Asyl ist die Ausrichtung demgegenüber deutlich ausgeglichener.
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5.2 ROLLEN- UND GESCHLECHTERBILDER Soziale Rollen Die Analyse der Personendarstellungen in den Fallstudien macht deutlich, dass die Repräsentations- und auch die Interaktionsweisen der Bildkommunikation je nach sozialer Rolle und/oder nach Zuschreibung zu bestimmten Zugehörigkeitskonstellationen sehr unterschiedlich ausfallen können. In den empirischen Materialien der Zeiträume 2006, 2009 und 2010 lassen sich zunächst drei verschiedene Rollenbilder in den empirischen Materialien finden, die besonders häufig dargestellt werden: die der Migrant*in, die der Muslim*in und die der Schüler*in. Im Erhebungszeitraum 2015 dominiert hingegen vor allem die Rolle des Flüchtlings und die der Flüchtlingshelfer*in. Auffällig ist zudem, dass nur in wenigen Berichten weiterführende Rollenausdifferenzierungen in den Darstellungen der Personen vorgenommen werden. Überschneidungen finden sich zwar zwischen den genannten dominant auftretenden sozialen Rollen und im Bereich der Thematisierung von Bildungspolitik zumindest auch für das Rollenbild der Schüler*innen. Eine weitere Ausdifferenzierung ist jedoch insgesamt nur selten vorhanden und insgesamt betrachtet ohne besondere Relevanz. So verbleiben gerade Rollenbilder von Migrant*innen und Muslim*innen in den Fallstudien 2006, 2009 und 2010, die eine insgesamt große Anzahl an Visualisierungen von Migrations- und Integrationsthemen aufweisen, auffallend eindimensional und stereotypisierend. Nur in sehr wenigen Teilen der visuellen Berichterstattung werden beispielsweise auch Bildaussagen zu beruflichen oder politischen Positionen der abgebildeten Personen getroffen.5 Die vorgefundenen Rollenbilder sind somit zumeist stark auf eine einseitige Darstellungsweise beschränkt, in der Repräsentationen auf die Merkmale migrantisch und muslimisch reduziert werden. Weitestgehend unsichtbar bleibt dabei die soziale Bedeutung migrantischer/ migrantisierter sowie muslimischer Personen für gesamtgesellschaftliche Prozesse und Entwicklungen. Geschlechterspezifische Darstellungsmuster Die Analyse von männlichen und weiblichen Personendarstellungen weist insgesamt auf unterschiedliche Repräsentationsmuster in zwei Bereichen der untersuchten Bildmaterialien hin. Für die integrations- und migrationspolitische Be-
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Innerhalb der Sarrazin-Debatte wurde beispielsweise bei der visuellen Darstellung von Migrant*innen nur in äußerst wenigen Bildern auch auf die berufliche Position verwiesen (z.B. Facharbeiter*in/Angestellte: 4 Prozent; Wissenschaftler*in/Lehrer*in: 4 Prozent).
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richterstattung 2006, 2009 und 2010 ist auffällig, dass deutlich mehr Frauen im Kontext der Darstellung des Islams abgebildet werden und dass Frauen dabei auch wesentlich öfter als Männer aus der Perspektive der Rückansicht und ohne Sichtbarkeit der Mimik dargestellt sind. Männliche Personendarstellungen sind hingegen häufiger mit einer direkten Adressierung durch Augenkontakt und mit einer positiven Mimik abgebildet. Die Repräsentation von Muslim*innen ist auch durch den räumlichen Darstellungskontext geschlechterspezifisch in zwei Dimensionen aufgeteilt. Während Frauen vielfach im öffentlichen Raum und in urbanen Straßenszenen abgebildet werden, sind Männer vor allem in Moscheen und Gebetssituationen sichtbar. Die Darstellungsweise weist somit insbesondere in diesem Bildbereich stark stereotypisierende Darstellungsmuster auf. Für die Sarrazin-Debatte 2010 lässt sich zudem feststellen, dass der Bereich Bildung viel eher mit weiblich konnotierten Darstellungen verbunden wird. Hier wurden zahlreiche Abbildungen vorgefunden, in denen muslimische Schülerinnen im Unterricht oder an Schulen gezeigt werden. Die Flucht- und Asyldebatte 2015 zeichnet sich demgegenüber insgesamt betrachtet sehr viel stärker durch männlich konnotierte Personendarstellungen aus. Die Repräsentation von Flüchtlingen ist deutlich öfter durch Männer als durch Frauen visualisiert. Die weiblichen Personendarstellungen fallen häufiger mit einer positiven Mimik zusammen als die der männlichen Darstellungen. Hinzu kommen in der Berichterstattung 2015 zudem noch zahlreiche Abbildungen, die sowohl männlich als auch weiblich konnotierte Personendarstellungen zusammen abbilden. Dies gilt insbesondere für die Darstellung großer Menschengruppen oder einzelner Familien, welche vor allem zu Beginn der sogenannten Flüchtlingskrise immer wieder in der Medienberichterstattung vorgefunden wurde.
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5.3 ZUGEHÖRIGKEITSZUSCHREIBUNGEN UND INTERAKTIONALE BILDANALYSE Die vier Fallstudien wurden hinsichtlich der Zuschreibung von Zugehörigkeit auf zwei Ebenen analysiert – die der kulturellen/religiösen Zugehörigkeitszuschreibungen einerseits und die der nationalen Zugehörigkeitszuschreibungen andererseits. Im Bereich der visuellen Zugehörigkeitszuschreibungen zu einer bestimmten Religion ist in der analysierten Medienberichterstattung fast ausschließlich die des Muslimischseins sichtbar. Besonders bedeutsam ist hierbei die Darstellung von Frauen mit Kopftuch, die sich in allen vier Erhebungszeiträumen in deutlich mehr als der Hälfte der Fotografien wiederfinden, in denen Muslim*innen abgebildet werden. Auffällig ist auch, dass in einer Vielzahl dieser Abbildungen kein weiterer textlicher Verweis auf den Islam vorhanden ist. Die Kopftuchsymbolik ist somit oftmals in den Medienberichten der einzige Verweis darauf, dass es sich bei den dargestellten Personen um Muslime handelt. Durch die hohe Verbreitung der Kopftuchsymbolik wird zugleich die Anzahl an religiösen Zugehörigkeitszuschreibungen in der Migrations- und Integrationsberichterstattung insgesamt erheblich erhöht. Zuschreibungen zum Christentum, Judentum und Hinduismus spielen in der visuellen Berichterstattung der Fallstudien hingegen keine besondere Rolle, sie bleiben fast vollständig unsichtbar. Die Zuschreibung zu kultureller Zugehörigkeit beschränkt sich auf zwei verschiedene Bereiche: die des Flüchtling- oder die des Migrantischseins. Lediglich 2006 und 2009 finden sich auch noch einige wenige Markierungen, die Personen als ‚ausländisch‘ bezeichnen. Die Benennung von bestimmten ethnisierenden Zuschreibungen ist nur in äußerst wenigen Berichten vorhanden und auch die verbale Benennung von Schwarz- und Weißsein spielt keine besondere Rolle. Auf Ebene der nationalen Zugehörigkeit gibt es insgesamt ebenfalls eher wenige Markierungen und diese beschränken sich in den Fallstudien 2006, 2009 und 2010 auf die des Türkisch- und die des Deutschseins. Eine Vielzahl dieser Darstellungen verwenden eine auffällige Bildsymbolik, um die nationale Zugehörigkeit im Bild anzuzeigen – oftmals spielen entsprechende Farben der Nationalflaggen dabei eine wichtige Rolle. In der Berichterstattung von 2015 wurde außerdem noch eine kleinere Anzahl an Fotografien gefunden, die syrische oder afghanische Personen darstellen. Hier wurde in einzelnen Berichten die nationale Herkunft der abgebildeten Geflüchteten benannt. Weitere nationale Bezeichnungen werden insgesamt nur sehr selten verwendet und auch die Benennung oder visuelle Darstellung von nationalen Mehrfachzugehörigkeiten, wie deutschtürkisch oder deutsch-russisch, spielt eine weitestgehend untergeordnete Rolle in allen Fallstudien.
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Aus der Zusammenfassung der Rollenbilder und Zugehörigkeitskonstellationen sowie unter Einbeziehung der Analyseergebnisse der Codierung der interaktionalen Metafunktion lassen sich für die Ergebnisübersicht folgende Darstellungsmuster und visuelle Stereotypisierungen für die Fallstudien zusammenführen: Migrant*in/migrantisch Die Darstellung von Personen als Migrant*in ist insbesondere in den ersten drei Fallstudien sehr häufig vorzufinden. Im Erhebungszeitraum 2006 kann die Darstellungsweise auf Ebene der interaktionalen Kommunikation insgesamt noch als weitgehend neutral bis positiv bezeichnet werden. Dies gilt nicht nur für die hohe Anzahl an Fotografien, die eine Kommunikation auf Augenhöhe und in naher oder mittlerer Distanz ermöglichen, sondern auch für den Bereich der Blickrichtung und Mimik, bei der in der deutlichen Mehrzahl der analysierten Abbildungen eine frontale Personendarstellung vorgefunden wurde, die ein Erkennen der Mimik ermöglicht. Diese neutral bis positiv konnotierte Darstellungsweise nimmt bei den späteren Fallstudien jedoch ab. Insbesondere der Blick auf die Rückseite der abgebildeten Personen, der kein Erkennen der Mimik mehr zulässt, nimmt in den Erhebungszeiträumen 2009 und 2010 deutlich zu.6 Auffallend viele Darstellungen zeigen Migrant*innen in einer Straßenszene, wobei dies häufig mit einer langen Distanz zwischen den Bildbetrachtenden und abgebildeten Personen einhergeht. In den Fallstudien 2009, 2010 und 2015 wurde in der Analyseauswertung zudem auch eine deutlich höhere Anzahl an Fotografien vorgefunden, bei denen der Blick auf die Rückseite der dargestellten Menschen in Verbindung mit einer gar nicht zu erkennenden Mimik und Gestik auf ein besonders hohes Maß an entpersonalisierender Bildkommunikation hinweist. Muslim*in/muslimisch Personendarstellungen, die mit Konnotationen des Muslimischseins markiert sind, finden sich ebenfalls in den ersten drei Fallstudien in hoher Anzahl, wobei vor allem in der Sarrazin-Debatte sehr häufig Muslim*innen fotografisch abgebildet werden (etwas mehr als die Hälfte aller analysierten Abbildungen der Fallstudie 2010). Es zeigt sich hierbei insbesondere im direkten Vergleich zu den anderen Zugehörigkeitszuschreibungen, dass Muslimischsein häufiger in solchen Fotografien zu finden ist, die negativ konnotierte Darstellungsweisen auf der in-
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Während 2006 noch 9 Prozent der analysierten Darstellungen von Migrant*innen aus Rückansicht erfolgte, waren es 2009 bereits 24 Prozent und 2010 noch immer 19 Prozent.
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teraktionalen Bildebene realisieren. Dies gilt generell für alle analysierten Bereiche der Bildsemiotik, lässt sich jedoch besonders deutlich bei der Art der Blickrichtung auf die dargestellten Personen und bei der Mimik feststellen. Hier ist die Darstellungsweise, die Personen nur rückseitig zeigt und damit weder die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme noch zum Erkennen der Mimik bietet, im Vergleich zu anderen Personenabbildungen konstant hoch. Während 2006 bereits ein Viertel aller Abbildungen mit den als muslimisch markierten Personen die Rückansicht als Blickrichtung aufweisen, steigt die Anzahl in den Fallstudien 2009 und 2010 auf über ein Drittel an.7 Auch der Anteil an Darstellungen, in denen keine Mimik erkannt werden kann, ist hier sehr hoch. Im Erhebungszeitraum 2006 waren bereits in einem Viertel der Abbildungen, in denen muslimische Personen sichtbar sind, Gesichter und damit auch die Mimik aufgrund der gewählten Darstellungsweise nicht identifizierbar. 2009 und 2010 folgt dann nochmal eine deutliche Steigerung auf über die Hälfte der Bilder, in denen muslimische Personen abgebildet sind. Auf Ebene der sozialen Distanz zeigt sich eine konstant hohe Anzahl an Abbildungen, die Muslim*innen aus weiter Entfernung darstellen. Im direkten Vergleich zu den Darstellungen von Migrant*innen ist diese Darstellungsweise in allen vier Fallstudien wesentlich häufiger vorzufinden. Ebenfalls hoch ist hier die Anzahl der Bilder, bei denen ein Blickwinkel etabliert ist, der von oben auf muslimische Personen herabblickt. Diese Darstellungsweise nimmt in den Fallstudien 2010 und 2015 jedoch leicht ab und wird weniger dominant8. Des Weiteren ist die direkte Kontaktaufnahme zwischen dargestellten und betrachtenden Personen in der realisierten Interaktion insgesamt nur äußerst selten möglich. Besonders häufig lassen sich auch hier – wie bei den Darstellungen von Migrant*innen – Abbildungen finden, die muslimisch markierte Personen in einer alltäglichen Szene auf einer Straße im urbanen Umfeld zeigen. Gewählt wird dabei sehr oft eine weite soziale Distanz sowie eine Betrachtungsposition, die ausschließlich einen Blick auf die Rückseite der abgebildeten Muslim*innen etabliert. Das Erkennen des Gesichts und der Mimik ist dementsprechend in einer Vielzahl dieser urbanen Alltagsszenen nicht möglich. Hervorzuheben ist hierbei
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In der Fallstudie 2006 werden Muslim*innen zu 21 Prozent, in der Fallstudie 2009 zu 44 Prozent und in der Fallstudie 2010 zu 30 Prozent aus einer rückseitigen Ansicht dargestellt.
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Abbildungen, die Muslim*innen darstellen und dabei eine Obersicht auf diese Personen etablieren: Fallstudie 2006: 30 Prozent, Fallstudie 2009: 25 Prozent, Fallstudie 2010: 20 Prozent und Fallstudie 2015: 11 Prozent.
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auch, dass die genannte Darstellungsweise noch häufiger vorgefunden wurde, wenn Frauen, die ein Kopftuch tragen in den Fotografien abgebildet sind. Flüchtling/Geflüchtete*r Die Darstellung von Flüchtlingen bezieht sich fast ausschließlich auf den Analysezeitraum 2015, da in den vorherigen Fallstudien nur äußert wenige Berichte zum Thema Asyl und Flucht vorgefunden wurden. Auf interaktionaler Kommunikationsebene ist insbesondere der Bereich der sozialen Distanz hervorzuheben, da mehr als ein Drittel der Fotografien, die Flüchtlinge/Geflüchtete zeigen, eine weite Distanz zu den Bildbetrachter*innen herstellen. Ein direkter (Augen-) Kontakt zu den dargestellten Personen ist zudem in nur einem Viertel der Bilder möglich, so dass eine deutliche Mehrzahl der Abbildungen so ausgerichtet ist, das Visualisierte primär als Informationsangebot über das Thema Flucht und Asyl wahrzunehmen. Die personale Darstellung rückt somit sehr häufig in den Hintergrund der Abbildung von Geflüchteten. Im direkten Vergleich zur Darstellungsweise von Migrant*innen und Muslim*innen liegen insgesamt betrachtet weniger Abbildungen mit negativ konnotierter Interaktionsweise vor. So lässt sich nur eine geringe Anzahl Fotografien finden, die Personen aus der Rückansicht abbilden. Die Einstellung des Blickwinkels erlaubt zudem in der deutlichen Mehrzahl der Darstellungen ein Betrachten der Personen auf Augenhöhe und die Mimik ist in den meisten Bildern eher neutral bis positiv konnotiert. Auffällig ist dennoch, dass in einigen Zeitabschnitten der Fallstudie 2015 deutliche Abweichungen dieser Positivkonnotationen festgestellt wurden. Eine Ausdifferenzierung der Ergebnisse wird in der Feinanalyse im nachfolgenden Kapitel erfolgen. Nationale Zugehörigkeiten Zuschreibungen zu einer nationalen Zugehörigkeit ist in allen vier Zeiträumen vertreten, wobei insbesondere Markierungen zu Deutsch-, Syrisch und Türkischsein vorgefunden wurden. Insgesamt ist eine neutrale bis positive Darstellungsweise bei diesen Personendarstellungen festzustellen. In vielen Bildern wird eine direkte Adressierung mit den Betrachter*innen sowie ein Blickverhältnis auf Augenhöhe etabliert. Unterschiede zwischen verschiedenen nationalen Zugehörigkeitsmarkierungen fallen dabei gering aus. Im direkten Vergleich zu den anderen Zugehörigkeitszuschreibungen sind jedoch weitaus weniger Fotografien in den Fallstudien enthalten, die Personen eine nationale Zugehörigkeit zuschreiben und gleichzeitig eine Blickrichtung wählen, die diese Personen aus der Rückansicht zeigen und/oder kein Erkennen der Mimik ermöglichen. Starke Unterschiede sind insbesondere zwischen Markierungen von Muslimisch- und Deutschsein auszumachen: Während zwischen 2006 und 2010 in den analysierten Materialien
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deutsche Personen in äußerst wenigen Fotografien aus der Rückansicht gezeigt werden, ist der Anteil bei Abbildungen, die Muslim*innen darstellen mit über zwei Drittel deutlich höher. Auch die Verbreitung von Abbildungen, bei denen das Erkennen der Mimik unmöglich ist, stellt sich sehr unterschiedlich dar. Der Anteil von Bildern, in den Personen als deutsch markiert werden liegt hier ebenfalls deutlich unter dem Anteil von Abbildungen mit muslimischen Personen.
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Visuelle Feinanalyse: Stereotype, Darstellungsmuster, Grenzziehungen
6.1 INTEGRATION, MIGRATION UND ISLAM Das folgende Kapitel beinhaltet die Feinanalyse von Bildern, die aus der integrations- und migrationspolitischen Berichterstattung der Fallanalysen 2006, 2009 und 2010 stammen. Hierzu wurden entlang der beschriebenen Auswahlkriterien und auf Grundlage der Ergebnisse des ersten Analysebereichs fünf verschiedene Bildgruppen identifiziert und repräsentative Fotografien ausgewählt, um eine vergleichende Analyse durchzuführen. Die Bildgruppen umfassen erstens Abbildungen, die Alltagsszenen der Integration darstellen und Migrant*innen im öffentlichen Raum zeigen (6.1.1); zweitens Visualisierungen der Integrationspolitik, die den Bereich Schule und Bildung aufgreifen (6.1.2); drittens Bilder der Integrationspolitik, die eine Verbindung zu dem Themenfeld Arbeit, Ausbildung und Karriere herstellen (6.1.3); viertens Abbildungen in denen nationale Zugehörigkeiten durch bestimmte Symboliken zugeschrieben werden (6.1.4) und fünftens Bilder, in denen die Zugehörigkeitszuschreibung des Muslimischseins im Mittelpunkt steht (6.1.5). 6.1.1 Alltagsszenen im urbanen Raum Bildinhalte und Repräsentation der Personen Besonders hervorzuheben ist für dieses Darstellungsmuster, dass zur Visualisierung von alltäglichen Szenen, die Integration illustrieren sollen, immer Frauen abgebildet sind, die eine Straße entlanggehen oder sich in einem Park aufhalten. Durch das Tragen eines Kopftuchs sind diese Frauen deutlich als Musliminnen markiert. Ihr Alter ist nicht genau identifizierbar, da die Gesichter nicht erkennbar sind: Die Bildbetrachter*innen blicken auf die Rückseite der dargestell-
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ten Frauen und sehen auf Kopfhöhe ausschließlich ein Kopftuch. Durch die Körpergröße kann jedoch auf Frauen im jugendlichen bis erwachsenen Alter geschlossen werden. Des Weiteren sind in den Abbildungen 4, 5, 6 und 7 auch Kinder zu sehen oder ihre Anwesenheit wird durch einen Kinderwagen angedeutet. In Abbildung 4 sind neben den Frauen zudem zwei Männer zu erkennen, beide im erwachsenen Alter. Die Straßenszenen in den Abbildungen 7 und 8 zeigen außerdem weitere Passanten: Eine Frau ohne Kopftuch mit Kind (Abb. 7) und ein Kind auf einem Fahrrad mit weiteren Erwachsenen, die aufgrund des Bildausschnitts aber nicht näher bestimmt werden können (Abb. 8). Unter Einbeziehung der Textebene der Berichte werden neben der durch die Symbolik des Kopftuchs erkennbare Markierung zum Muslimischsein der dargestellten Frauen auch noch weitere Zugehörigkeitszuschreibungen markiert. Hierbei lassen sich sehr differente Benennungen vorfinden. In den Abbildungen 1, 2 und 9 wird die Zugehörigkeit zum Islam auch durch die Bildunterschrift jeweils noch einmal unterstrichen: „Musliminnen (in Berlin)“ (Abb. 1), „Muslime sollen bei der Einbürgerung spezielle Fragebögen beantworten“ (Abb. 2), „Muslimin in Berlin-Kreuzberg“ (Abb. 3). Eine zusätzliche Markierung der Frauen zur türkischen Nationalität findet sich hingegen in den Bildern 4 und 10: „Türkische Zuwandererfamilien“ (Abb. 4); „Türkische Frauen mit Kopftuch“ (Abb. 10). Außerdem erfolgt durch die Titelüberschrift in Abbildung 3 eine Markierung der dargestellten Frauen als Ausländer*innen und durch die Bildunterschriften in Abbildung 6 als Migrant*innen: „Ausländer fühlen sich wohl“ (Abb.3); „Migrantinnen in Berlin“ (Abb. 6). Die weiteren verbalen Bezeichnungen (Abb. 5, Abb. 7 und Abb. 8) nehmen keine zusätzliche Markierung vor. Auffällig ist des Weiteren, dass diese Zugehörigkeitsmarkierungen – Muslimin; Migrantin; Ausländerin und/oder Türkin – oftmals nicht an den inhaltlichen Rahmen der Berichterstattung gekoppelt sind, sondern geradezu willkürlich verwendet werden. Die Frage der Repräsentation führt die analytische Betrachtung zu der Darstellung sozialer Rollen. Hier lassen sich weder auf bildlicher noch auf verbaler Ebene in der Mehrzahl der Abbildungen weiterführende Rollenbilder finden. Lediglich die zusätzliche Rolle als Mutter und Ehefrau wird durch die Präsenz der Kinder (oder Kinderwagen) und durch Beschreibungen („Zuwandererfamilie“) zum Teil angedeutet. Andere soziale Rollen – z.B. berufliche oder politische – sind hingegen nicht erkennbar. Am ehesten lässt sich zu der Rolle der Muslimin/Migrantin noch eine Überschneidung zu der Figur ‚Passantin im öffentlichen Raum’ feststellen. Die Handlungen sind in diesem Sinne weder als besonders aktiv noch als passiv zu beschreiben: So laufen die dargestellten Frauen eine Straße entlang oder halten sich in einem Stadtpark auf. Die genannten Bildunterschriften geben neben der Markierung zu den Zugehörigkeiten der ab-
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gebildeten Personen ebenfalls zum Teil auch spezifizierende Informationen zur räumlichen Darstellungsumgebung der Aufnahmen preis. Auf der visuellen Ebenen lässt sich zunächst jeweils durch die Straßen, Häuser, Parkanalgen und weiteren Passant*innen auf einen urbanen Raum schließen. Die Bilduntertitel weisen zusätzlich auf den Aufnahmeort Berlin im Allgemeinen (Abb. 1, 4 und 6) oder auf einen bestimmten Berliner Stadtteil hin: „Hermannplatz in Neukölln“ (Abb. 7); „Kreuzberg“ (Abb. 9) und „Friedrichshain-Kreuzberg“ (Abb. 10). Diese Abbildungen legen nahe, dass es sich bei den abgebildeten Frauen vermutlich um Bewohner*innen dieser Stadtviertel handelt und dass diese repräsentativ für das Straßenbild in den als migrantisch geltenden Stadtteilen Berlins angesehen werden können. Textebene der Berichterstattung Die Textteile der jeweiligen Artikel fungieren auf Ebene der Bildlektüre zunächst als Hinweisgeber für die übergeordnete Frage wer dargestellt wird bzw. um welche Personengruppe es sich hierbei handelt. Zum einen wird durch die Artikelüberschriften sofort ersichtlich, dass es sich bei den Abbildungen um diejenigen handelt, über die in der Integrationsdebatte gesprochen wird: die zu integrierenden Migrant*innen. Mittels der Bildunterschriften wird zum anderen in einer Mehrzahl der Berichte eine genauere Benennung der dargestellten Personen (Muslime; Migrant*innen; Ausländer*innen) und/oder der Orte, an denen die Fotografie aufgenommen wurde (Berlin; Hermannplatz; Görlitzer Park etc.), vorgenommen. Die verbale Ebene der Berichterstattung setzt die Bilder des Weiteren auch in einen bestimmten wertenden Rahmen, der Einfluss auf die Art der Bildlektüre nimmt. So sind neben eher sachlich-neutralen Formulierungen zu bestimmten integrationspolitischen Themen (Abb. 2 und Abb. 3) ebenfalls sehr negativ-konnotierte Schlagworte und Formulierungen vorzufinden, die im deutschen Integrations- und Zuwanderungsdiskurs häufig verwendet werden und nach denen insbesondere die Integration von Personen, die als nicht-deutsch gelten ein Problem oder zumindest eine große Herausforderung darstellt. So ist der Artikel aus dem Spiegel (2006/21), in dem Abbildung 1 abgedruckt wurde, beispielsweise mit dem von Wolfgang Schäuble stammenden Zitat „Unser Problem ist die Integration“ betitelt. In dem einleitenden Satz zum Interview mit dem CDU Politiker und damaligen Innenminister folgt zudem die Ankündigung, etwas über die „Versäumnisse der deutschen Ausländerpolitik“ zu erfahren. Der Bericht aus der Welt vom 26.01.2009 (Abb. 4) warnt angesichts der veröffentlichten Integrationsstudie davor, dass ein Teil der „15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund“ in Deutschland in „Parallelgesellschaften“ abdriften würde und betont deutlich, wer damit vordergründig gemeint ist: „besonders bei
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den Türken“. Der abgebildeten türkischen „Einwandererfamilie“ wird zusätzlich mittels Bildunterschrift unterstellt, sie würde „Unter sich“ bleiben wollen. Auch die ausgewählten Artikel aus der Sarrazin-Debatte 2010 beinhalten ähnlich negativ konnotierte Formulierungen. Während der Titel des Berichts aus dem Spiegel 2010/42 (Abb. 6) direkt über dem Bild der drei muslimischen „Migrantinnen in Berlin“ fragend formuliert, ob Integrationsverweigerer die Ausnahme seien, ist die aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ausgewählte Fotografie auf der Textebene von den pauschalisierenden und teils rassistischen Thesen und ausgesuchten Zitaten des Buchs Deutschland schafft sich ab umgeben. Zugleich findet sich sowohl eine Zusammenfassung der Kritik an der Veröffentlichung (Abb. 9, Begleittext) und am „Stil der Migrationsdebatte“ (Abb. 8) als auch ein Bericht über die Unterstützung aus der SPD für Sarrazin (Abb. 10). Bildsemiotische Analyse Der ungewöhnlichste und zugleich bedeutsamste Darstellungsaspekt auf Ebene der bildsemiotischen Analyse ist die in allen Abbildungen vorzufindende auffällige Blickrichtung der Leser*innen auf die fotografierten Frauen: Der Blick fällt immer auf die Rückseite der Personen, so dass weder ein Augenkontakt, noch das Erkennen der Mimik möglich ist. Nach Kress und van Leeuwen ist hier zunächst festzustellen, dass durch das Fehlen der Kontaktmöglichkeit keine direkte Adressierung der Betrachter*innen erfolgt und damit ein interpersonales Verhältnis etabliert wird, welches die abgebildeten Personen als solche in den Hintergrund rückt. Die dargestellte Szene wird somit primär als Informationsangebot wahrgenommen und die behandelten Themen der Berichterstattung rücken auch visuell vor die Darstellung einzelner Personen, die hier in erster Linie zur Repräsentation einer inhaltlichen Aussage fungieren. Durch die fehlende Sichtbarkeit des Gesichtsausdrucks können Leser*innen außerdem keine Einschätzung vornehmen, ob die dargestellten Personen positive, negative oder neutrale Emotionen aussenden. Eine face-to-face Situation – und damit einhergehend (suggerierte) Intimität (vgl. Meier 2010: 10) – kann nicht realisiert werden. Und auch wenn der gewählte Blickwinkel in allen Fotografien ein Blickverhältnis auf Augenhöhe zulassen würde, so ist die Etablierung dieser wechselseitigen Bezugnahme durch die Art der Blickrichtung (‚rückseitig’) deutlich gestört und hebt die Bildbetrachtenden durch diese distanzierende Darstellungsweise in eine machtvolle, über den abgebildeten Personen stehende Position der Beobachter*in. Der für die Bildlektüre gewohnte Blick auf eine frontal oder seitlich abgebildete Person, der auch ein Erkennen von Mimik und Gestik ermöglicht, wird hier also deutlich irritiert und lenkt die bildkompositorische Aufmerksamkeit auf ein anderes wichtiges Bildelement: Die Betrachter*innen erblicken auf Höhe des
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Gesichts das rückseitig gezeigte Kopftuch der abgebildeten Frauen, welches durch diese Zentrierung eine deutlich erhöhte Aufmerksamkeit erfährt und damit an Bedeutung innerhalb des Bildaufbaus gewinnt. Zwei weitere kompositorische Aspekte verstärken diese Betonung der Kopftuchsymbolik in einigen Abbildungen noch: Einerseits werden die dargestellten Frauen in allen Fotografien in das Zentrum des jeweiligen Bildaufbaus gerückt und mittels Schärfezeichnung teils deutlich vom Hintergrund abgehoben (Abb. 5 und 9). Durch die Farbgebung der Kleidung wird andererseits ein starker Kontrast zu den weiteren Bildelementen erzeugt (insbesondere in den Abb. 1, 4, 5, 6, 8 und 9). So sind beispielsweise die in Abbildung 8 dargestellten Frauen mittig angeordnet und durch die sehr dunkle Farbe ihrer Kleidung deutlich von der hellen Straße auf der rechten Bildseite und von der bunten Kleidung des entgegenkommenden Kindes auf der linken Bildseite abgehoben. Die braune und schwarze Farbe kann hierbei im Kontrast zur hellen und bunten Umgebung als negative Konnotation ihrer Personendarstellung gelesen werden. Ein ähnlicher Kontrast stellt sich in Abbildung 9 durch die Farbgebung der als Muslimin markierten Frau in der Mitte des Bildes ein, die sich deutlich von der bunt eingefärbten Beschilderung rechts im Bild abhebt. Das weiße Kopftuch erfährt hier außerdem im Zusammenspiel mit der Farbgebung des schwarzen Gewands und des Bildhintergrunds eine klare Akzentuierung und wird noch stärker in den Bildmittelpunkt gesetzt (ähnliche Akzentuierung des Kopftuches in Abb. 2). Sowohl die Anordnung der Frauen im Zentrum der Bildkomposition (Information Value) als auch die aufmerksamkeitssteigernde Farbgebung, Kontrastierung und Schärfeeinstellung (Salience) sind also Teil der Strukturierung von Aufmerksamkeit. Diese wird in der Lektüre insbesondere auf die Kopftuchsymbolik und damit vornehmlich auf die Hervorhebung einer muslimischen Zugehörigkeitszuschreibung gelenkt. Auf Ebene der kompositorischen Bedeutungsgenerierung ist des Weiteren die Frage nach bildimmanenten Verbindungs- und Trennlinien bedeutsam. Dieses bildgestalterische Element findet sich insbesondere in Abbildung 1, in der die Gruppe der vier „Musliminnen“ durch eine horizontale Linie (Fußweg) von der oberen Hälfte des Bildes abgetrennt wird. Der Blick der vier Frauen ist in die Ferne des Stadtparks gerichtet, wird aber durch diese abgrenzende Linie unterbrochen und die vier Frauen sind noch stärker als zusammengehörige Gruppe gekennzeichnet, die die Muslime repräsentieren sollen. Neben dieser visuellen Akzentuierung und kompositorischen Hervorhebung einzelner Bildelemente etabliert sich durch die beschriebene Kombination von nicht-direkter Kontaktaufnahme und rückseitiger Sicht auf die Personen insgesamt ein interpersonales Interaktionsverhältnis zwischen Bildbetrachter*innen und dargestellten Personen,
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welches sich als stark distanziert beschreiben lässt. Während der indirekte Kontakt in Fotografien medialer Berichterstattung nach einer Studie von Helen Caple (2013) eine häufig verwendete Darstellungsweise ist, um Themen in der alltäglichen Berichterstattung zu visualisieren und Leser*innen in eine beobachtende Position zu versetzen, zählt der rückseitige Blick und das damit einhergehende Nichterkennen der Mimik von Personen nicht zur üblichen Darstellungsweise der politischen Medienberichterstattung. Auf Ebene der sozialen Distanz wird diese Dynamik in einzelnen Abbildungen nochmals deutlich verstärkt. Insbesondere der Blick aus der Ferne, umgesetzt durch die Wahl einer ‚long-shot-Einstellung’, führt zu einem höheren Grad an Distanzierung innerhalb der bedeutungsgenerierenden Interaktion (realisiert insbesondere in den Abb. 1, 2, 4, 6 und 7). Die Entfernung zwischen den abgebildeten Personen und den Bildbetrachtenden nimmt hierbei die einer öffentlichen Distanz ein und erhöht die Effekte der Abgrenzung im Zusammenspiel mit der nichtsichtbaren Mimik. Hinsichtlich der verbalen Bedeutungsebene ist darüber hinaus auffällig, dass sich diese negativ konnotierten Visualisierungsmuster sowohl in den Artikeln finden lassen, die Kritik an der integrationspolitischen Debattenausrichtung aufnehmen (Abb. 8 und 9) als auch in solchen, die Integration als Problem der migrantisierten ‚Anderen’ darstellen und eine deutlich negativ konnotierte Sprache verwenden (Abb. 1, 4, 6 und 7). Abbildung 1: DER SPIEGEL, 2006/21
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Abbildung 2: spiegel-online.de, 01.03.2006
Abbildung 3: waz.de, 05.02.2009
Abbildung 4: Die Welt, 26.01.2009
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Abbildung 5: waz.de, 06.09.2010
Abbildung 6: DER SPIEGEL, 2010/42
Abbildung 7: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 12.09.2010
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Abbildung 8: n-24.de, 20.09.2010
Abbildung 9: DER SPIEGEL, 2010/35
Abbildung 10: Die Welt, 07.09.2010
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6.1.2 Schule, Bildung und Integration Bildinhalte und Repräsentation der Personen Die ausgewählten Darstellungen zu bildungspolitischer Themensetzung im Bereich Integration und Zuwanderung zeigen zumeist Personen in einer Unterrichtssituation an einer Schule oder in einem Deutsch- bzw. Integrationskurs. Wie bereits zuvor herausgestellt wurde, ist dieser Bereich der untersuchten Berichterstattung deutlich von Fotografien dominiert, in denen Frauen und Mädchen abgebildet werden, um Bildung zu visualisieren. Dabei wird entweder eine Gruppe von 5-10 vorwiegend weiblichen Personen oder ein Einzelportrait einer Schülerin dargestellt. Neben der Abbildung von Schüler*innen ist in zwei Fotografien ebenfalls eine Lehrerin zu sehen (Abb. 19 und 20), wobei es sich um die gleiche Person aus unterschiedlicher Aufnahmeperspektive zu handeln scheint. Die Beitragstitel und die Bilduntertitel benennen die dargestellten Personen in den meisten Abbildungen als Migrant*innen (oder „Migrantenkinder“) (Abb. 11, 14, 18, 19 und 20). Zudem finden sich in der Bildbeschreibung die Bezeichnungen „Ausländer“ (Abb. 12) und „Türken und Türkeistämmige“ (Abb. 16). In der Mehrzahl der Darstellungen wird einzelnen Frauen und Mädchen durch das Tragen eines Kopftuchs eine Zugehörigkeit zum Islam zugeschrieben. Der Islam wird auf Ebene der Beitragstitel und der Bilduntertitel hingegen lediglich einmal thematisiert (Abb. 15). Der Fokus liegt insgesamt durch das Zusammenspiel von verbalen und visuellen Elementen der Berichterstattung in allen Bildern nur am Rande auf religiösen oder nationalen Zugehörigkeitszuschreibungen. Primär geht es bei der Repräsentation der Personen darum, diese in den Kontext der Migration zu stellen – beispielsweise durch die Benennung „Migrantenkinder“ (Abb. 14) oder „Zuwandererkinder“ (Abb. 15). Die visuelle Berichterstattung dient in allen Abbildungen dazu, die beschriebenen Probleme oder Herausforderungen bildlich zu belegen. Hierzu werden die als Migrant*innen markierten Personen in einer Unterrichts- oder Lernsituation gezeigt. Sie bearbeiten bestimmte Lernaufgaben (Abb. 12, 13 und 18), lesen (Abb. 15), hören dem Unterricht zu oder stehen an einer Tafel und schreiben Zahlen und Wörter (Abb. 11, 16 und 17). Die Tätigkeiten können somit insgesamt als aktiv bezeichnet werden – die verbalen Beschreibungen legen es in der Bild-Lektüre jedoch nahe, die Abbildungen als eine Bestätigung der mangelhaften/verfehlten Integrationspolitik zu lesen.
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Textebene der Berichterstattung Die verbale Ebene der Berichterstattung ist zum einen von stark problematisierenden („Integration voll gescheitert“, Abb. 15) und negativen Ausdrucksweisen („Integrationsverlierer“, Abb. 16/„Integrationsdisput“, Abb. 19) gekennzeichnet. Dies fällt direkt auf die in den Abbildungen dargestellten Personengruppen (Migrant*innen; Ausländer*innen; Türkischstämmige etc.) zurück und beeinflusst die Bildlektüre zu Gunsten einer Betrachtung dieser Personen als ‚Problemgruppe‘ innerhalb der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um Integration und Migration. Zum anderen finden sich Formulierungen, die eher auf die mangelhafte oder problematische politische Dimension von Integration und Bildung schließen lassen: „Integrationskurse - Migranten in der Warteschleife“ (Abb. 18) oder auch „Neue Studie zu den Bildungschancen von Migranten fällt für Deutschland ungünstig aus“ (Abb. 11). Auch wenn die Problemzuschreibung hier weniger stark auf die abgebildeten Personen gerichtet ist und eher die politischen Prozesse der Integrationspolitik adressiert werden, so erhält die Thematik dennoch eine inhaltliche Rahmung, die Integration und Migration als etwas Schwieriges und Herausforderndes für die deutsche Gesellschaft behandelt. Bildsemiotische Analyse Die Analyse der semiotischen Funktionsebene führt zunächst zu der Beobachtung, dass in nahezu allen Abbildungen ein hoher Grad an Involviertheit der Bildbetrachterinnen erreicht wird. Dieser Effekt wird insbesondere durch die Wahl einer geringen sozialen Distanz zu den abgebildeten Personen umgesetzt. Aus der Einstellung mid shot erfolgt nach Kress und van Leeuwen (2006) die Etablierung eines sozialen Interaktionsverhältnisses mit mittlerer bis hoher Einbeziehung in das Bildgeschehen. Nochmals erhöht wird dieses Involvieren der Leser*innen durch die Wahl einer close shot Einstellung in den Abbildungen 13, 16 und 17. Hier rückt die Kamera noch näher an die abgebildeten Schüler*innen heran und es ergibt sich eine persönliche Distanz. Diese Bildwirkung wird auch durch die Blickrichtung auf die Personen verstärkt, bei der der seitlich-frontale Blick auf die Personen gelenkt wird (ohne dass diese den Blickkontakt zu den Betrachter*innen suchen). Die Mimik der abgebildeten Personen ist für die Betrachter*innen in der Mehrzahl der Bilder lesbar und lässt sich als neutral und auf den Unterricht konzentriert deuten. Die Leserinnen sind zwar durch die indirekte Kontaktmöglichkeit zu den Personen dazu angehalten, das Gesehene primär als Informationsangebot zu deuten. Durch die mittlere bis nahe Distanz und die Erkennbarkeit der Mimik kann dennoch ein Interaktionsverhältnis aufgebaut werden, das ein ‚Involviertsein‘ in das Bildgeschehen zulässt. Auf dieser Ebene der Darstellungsweise lässt sich somit feststel-
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len, dass die Betrachter*innen grundsätzlich nicht in eine abgrenzende Position zu den Schüler*innen gesetzt werden, sondern eher in die eines/r teilnehmenden Beobachters/in. Dieser Effekt wird zusätzlich zur nahen bis mittleren Distanz noch durch zwei weitere Darstellungstechniken verstärkt: Erstens wird durch den Blickwinkel, der zwischen den dargestellten Personen und den Bildbetrachtenden etabliert ist, eine Sichtposition auf Augenhöhe hergestellt (eine Ausnahme ist die Untersicht auf die Schülerin in Abb. 11). Die Leser*innen werden hierdurch noch stärker in die Szenerie des Unterrichts eingebunden. Mittels Bildaufbau und Bildlinienführung wird zweitens in mehreren Abbildungen der üblicherweise von links nach rechts lesende Blick dazu genutzt, die Betrachter*innen noch weiter in das Bildgeschehen einzubeziehen und zugleich die Aufmerksamkeit auf die unterschiedlichen migrantisierten Schüler*innen und ihre sichtbaren Merkmale – insbesondere weiß/schwarz sowie Kopftuch/Kein-Kopftuch zu richten (farblicher Kontrast vor allem in den Abb. 12, 13 und 14). Die nebeneinandersitzenden Schüler*innen und ihre jeweilige Kopfhöhe bilden eine Blicklinie, die die Lektüre von links nach rechts durch das Bild führt. Ein hoher Grad an Nähe und Einbindung findet sich ebenfalls bei den beiden Abbildungen, in denen jeweils ein*e Schüler*in rückseitig an einer Tafel stehend und das Wort ‚Integration‘ schreibend, dargestellt wird (Abb. 16 und 17). Hier ist die Darstellungsweise jedoch im Vergleich zu den anderen Abbildungen deutlich weniger auf eine Interaktion mit den Leser*innen ausgerichtet und weist starke Parallelen zu den zuvor analysierten Abbildungen von Migrant*innen in einer Straßenszene auf. Das Besondere ist hier, dass beide Schüler*innen in der Hierarchie der Bildbedeutung in den Hintergrund rücken und das aktive Schreiben des Wortes Integration an eine Schultafel in den Mittelpunkt der Bildlektüre gerichtet ist. Das Abheben des Kopftuchs und der schwarzen Haare vom Hintergrund (Tafel) dient dabei als zusätzliche visuelle Markierung zu der auf Textebene vorgenommenen Benennung der Problemgruppen innerhalb der Integrationsdebatte. Auf der Ebene der Bildkomposition lassen sich weitere bedeutungsstiftende Besonderheiten ausmachen, die Einfluss auf die Bildlektüre nehmen. So wird die Markierung der Zugehörigkeit zum Islam durch das Tragen eines Kopftuchs in einigen Abbildungen durch farbliche Kontrastierung zum Bildhintergrund nochmals besonders hervorgehoben (deutlich in dem Einzelportrait der Abb. 11). Eine textliche Benennung der Frauen als Muslimin findet sich in diesen Darstellungen nicht, die religiöse Symbolik verbleibt auf der visuellen Bedeutungsebene.
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Abbildung 11: Süddeutsche Zeitung, 15.05.2006
Abbildung 12: Süddeutsche Zeitung, 30.12.2006
Abbildung 13: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 09.07.2006
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Abbildung 14: Die Welt, 06.04.2006
Abbildung 15: Welt am Sonntag, 26.11.2006
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Abbildung 16: n-24.de, 24.01.2009
Abbildung 17: n-24.de, 03.09.2010
Abbildung 18: DER SPIEGEL, 2010/43
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Abbildung 19: n-24.de, 08.09.2010
Abbildung 20: spiegel-online.de, 08.09.2010
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6.1.3 Arbeit, Ausbildung und Karriere Bildinhalte und Repräsentation der Personen Bei den ausgewählten Fotografien handelt es sich um Darstellungen aus Artikeln, die über den Arbeitsmarkt in Deutschland und die Jobchancen von Migrant*innen berichten oder die einzelne Personen und ihren beruflichen Erfolg portraitieren. Hierzu sind in den Abbildungen 21 und 22 jeweils männliche Angestellte an ihrem Arbeitsplatz in einem Industriebetrieb abgebildet. Durch die verbale Berichterstattung werden die Personen als Zuwanderer und Migranten benannt und ihre soziale Rolle wird darüber hinaus durch die Bezeichnungen „Facharbeiter“, „Techniker“ (Abb. 21) und „Auszubildende(r)“ (Abb. 22) noch weitergehender ausformuliert. In Abbildung 22 ist zudem auch der Firmenchef abgebildet und hier werden sowohl er als auch sein Angestellter namentlich in der Bildunterschrift genannt. In beiden Darstellungen gehen die abgebildeten Personen einer technischen Tätigkeit nach, die ihre Position als Facharbeiter nochmals unterstreicht und zugleich auf den damit verbundenen aktiven Handlungskontext im Bildgeschehen hinweist. Der abgebildete deutsche Firmenchef nimmt zudem die Rolle des Ausbilders ein und begutachtet die Tätigkeit des Angestellten. Die Abbildungen 23 bis 26 zeigen demgegenüber jeweils das fotografische Portrait von Personen, die durch die Textebene als türkische Migrant*innen benannt werden und deren berufliche Rolle als Unternehmer*innen (Abb. 23, 24 und 25) sowie erfolgreicher Angestellter (Abb. 26) umschrieben sind. Auch die Namen der dargestellten Personen werden jeweils genannt. Als Ort der Aufnahme wurde für alle Portraits das Arbeitsumfeld gewählt: die eigene Apotheke oder der eigene Teeladen, die Büroräume der eigenen Firma sowie der Bürokomplex eines großen Unternehmens. Textebene der Berichterstattung Alle hier ausgewählten Fotografien sind Teil einer positiv konnotierten Berichterstattung über die beruflichen und wirtschaftlichen Perspektiven und (türkischen) Migrant*innen in Deutschland. So wird in den Abbildungen 21 und 22 auf allgemeiner Ebene über die guten Chancen für Zuwanderer auf dem Arbeitsmarkt sowie anhand des Beispiels eines regionalen Unternehmens über die positiven Erfahrungen mit der Ausbildung von jungen Migrant*innen berichtet. Die Formulierungen sind dementsprechend positiv ausgerichtet: „Die Zukunft der Zuwanderung“ (Abb. 21); „Mit der Arbeit junger Zuwanderer äußerst zufrieden“ (Abb. 22). Ähnliche Konnotationen finden sich ebenfalls auf der Textebene der Abbildungen 23 bis 26. Hier werden die Personen in den Bilduntertiteln und
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Begleittexten als erfolgreiche Unternehmer*innen bezeichnet und die Fotografien sind ganz generell in eine Berichterstattung eingebettet, die „Gegenbeispiele“ (Abb. 26) zu der vorherrschenden und primär negativ ausgerichteten Integrationsdebatte aufzeigen wollen. Es wird dabei zusätzlich angemerkt, dass Deutschland sich als nationaler Standort im globalen Wettbewerb um gut ausgebildete Fachkräfte selbst schaden würde, wenn die begonnenen Diskussionen um Zuwanderung in dieser Negativität weitergeführt werden würden (Begleittext zu Abb. 24 und Abb. 25). Bildsemiotische Analyse Die Darstellungsweise ist auf bildsemiotischer Ebene entsprechend der beiden Teilbereiche ‚Facharbeiter*innen im Industriebetrieb‘ (Abb. 21 und 22) und ‚Portraits erfolgreicher Unternehmer*innen/Angestellter‘ (Abb. 23-26) unterschiedlich ausgerichtet. Die Szenerie der Facharbeit in der Industrie zeigt die abgebildeten Personen jeweils aus mittlerer Distanz und etabliert ein Blickverhältnis auf Augenhöhe (Abb. 21) sowie aus einer leichten Untersicht (Abb. 22). Auch wenn die Kontaktaufnahme zu den Bildbetrachtenden nicht durch Augenkontakt gesucht wird, so ergibt sich dennoch insgesamt eine positiv konnotierte Blickposition, in der die Betrachter*innen in die Position einer Beobachter*in der Arbeitsszenerie gesetzt werden. Im Bildaufbau stehen die Personen und insbesondere die von ihnen durchgeführten Arbeitstätigkeiten im Mittelpunkt und werden durch den Kontrast der Kleidung vom Arbeitsumfeld abgehoben. Der konzentrierte Blick auf das Arbeitsgeschehen sowie die Sichtbarkeit technischer Gegenstände am Arbeitsplatz weisen zudem auf die notwendige Qualifizierung der Fachkräfte hin. Außerdem unterstreicht die Hervorhebung der technisch anspruchsvollen Arbeit, dass die migrantischen Fachkräfte diese Herausforderungen in der Industrie annehmen und dass sie in den Betrieben erfolgreich sein können. Die Fotografien der Unternehmer*innen und des Angestellten in den Abbildungen 23 bis 26 orientieren sich ebenfalls an der sehr positiv ausgerichteten textlichen Berichterstattung und unterstreichen den dort genannten Erfolg durch eine äußerst positive Darstellungsweise. Besonders auffällig ist hier der direkte Augenkontakt zu den Bildbetrachtenden sowie die freundliche Mimik aller abgebildeten Personen. Die direkte Adressierung der Betrachter*innen und das Lächeln lassen eine persönliche und sehr positiv konnotierte Interaktionsebene in der Bildlektüre entstehen. Durch den gewählten Blickwinkel auf Augenhöhe (Abb. 23, 24 und 25) wird dieser Effekt nochmals verstärkt und durch die leichte Untersicht auf den Angestellten in Abbildung 26 rückt dieser in eine machtvolle
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Position, die, ähnlich wie bei Portraitbildern von Politiker*innen, Selbstvertrauen und Erfolg symbolisiert. Die mittlere Aufnahmedistanz in allen Portraits stellt vor allem in Verbindung mit dem realisierten Blickkontakt sowie der positiven Mimik eine gewisse Nähe und eine persönliche Kommunikationsebene zu den Betrachter*innen her. Die Einbindung und Hervorhebung des jeweiligen Arbeitsfeldes rückt zusätzlich den beruflichen Arbeitskontext der „türkischen Migranten“ in den Mittelpunkt des Bildes: Hierzu werden eine kontrastierende Farbgebung oder auch die Einrahmung der Personendarstellung in die Warenauslage des eigenen Geschäfts (‚Teeladen‘ in Abbildung 25) verwendet. Zudem überragt das im Bildhintergrund zu sehende Hochhaus in Abbildung 26 deutlich die abgebildete Person und erfährt durch die auffällige Sonnenreflexion auf der Glasfassade nochmals verstärkt Aufmerksamkeit. Dabei stellt im Bildaufbau vor allem die Anordnung dieser Arbeitssymboliken und die direkte bildliche Nähe zu den dargestellten Personen auch auf visueller Ebene eine Verbindung von Migrant*innen und beruflichen bzw. wirtschaftlichem Erfolg her. Abbildung 21: Süddeutsche Zeitung, 25.01.2006
Abbildung 22: Süddeutsche Zeitung, 07.08.2006
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Abbildung 23: Süddeutsche Zeitung, 18.11.2006
Abbildung 24: Süddeutsche Zeitung, 15.10.2010
Abbildung 25: Süddeutsche Zeitung, 15.10.2010
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Abbildung 26: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.02.2009
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6.1.4 National-Symbole und Zugehörigkeiten Bildinhalte und Repräsentation der Personen Die ausgewählten Fotografien zeigen jeweils Personen in Verbindung mit der deutschen Nationalflagge – ein visuelles Darstellungsmuster, das auffallend häufig in der Migrations- und Integrationsberichterstattung vorgefunden wurde. Hierbei sind vor allem Frauen sichtbar, die ein Kopftuch tragen und die entweder als Muslim*innen (Abb. 27, 28, 30 und 32) oder als Türk*innen (31 und 33) auf Textebene benannt werden. Außerdem werden in Begleittexten darüber hinaus auch die Bezeichnungen „Ausländer“ (Abb. 29 und 34), „Migranten“ (28 und 34) sowie „Einwanderer“/„Zuwanderer“ (30, 32 und 34) verwendet. Die Darstellungen 28, 31 und 35 sind zudem Teil der Berichterstattung über die Unterstützung der deutschen Fußballnationalmannschaft und kennzeichnen die abgebildeten Personen dementsprechend als Fußballfans. Eine darüberhinausgehende Markierung der sozialen Rollen kann in den anderen Abbildungen jedoch nicht identifiziert werden. Die Zuschreibung fokussiert hier eindeutig auf die Rolle der Muslim und der (türkischen) Migrant*in. Die Zugehörigkeitszuschreibung erfolgt dabei nicht nur auf textlicher Ebene, sondern auch durch die Sichtbarkeit des Kopftuchs, das von den Frauen getragen wird. In den Berichten, die die Personen als Migrantinnen oder Zuwandererinnen bezeichnen, findet indes keine Benennung des Islams statt. Dargestellt sind in den Fotografien sowohl Kinder und Jugendliche als auch Personen im jungen Erwachsenenalter. Es werden keine Namen der abgebildeten Personen genannt. Der räumliche Darstellungskontext ist – wenn erkennbar – immer der öffentliche Raum: die Personen laufen oder stehen auf der Straße/dem Gehweg oder nehmen an einem öffentlichen (Fan-) Fest teil. In den Abbildungen 28 und 31 sind zusätzlich zu den portraitierten muslimischen und türkischen Fans der deutschen Nationalmannschaft am Bildrand und im Hintergrund noch weitere Fußballfans abgebildet, die aber nicht näher benannt werden. Zum Bildinhalt gehört ebenfalls die in allen Abbildungen auffällig platzierte deutsche Nationalflagge. Diese wird von den dargestellten Personen entweder in Kamerarichtung präsentiert oder sie wird geschwenkt bzw. festgehalten. In Abbildung 32 dient die Flagge außerdem zur Verschleierung der dargestellten Frau. Dabei sind nur die Augen sichtbar und die Nationalflagge bedeckt das restliche Gesicht. Außerdem wird die Flagge in zwei Darstellungen als Bildhintergrund verwendet, wobei in Abbildung 33 ebenfalls eine türkische Nationalflagge zu sehen ist. Die männlichen Fußballfans in Abbildung 35 präsentieren den Betrachter*innen außerdem eine modifizierte Flagge, bei der auf den roten Ab-
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schnitt der deutschen Nationalfarben noch das Symbol des Halbmondes der türkischen Nationalflagge gedruckt wurde. Textebene der Berichterstattung Die Fotografien sind Bestandteil sehr unterschiedlich ausgerichteter Artikel über integrations- und migrationspolitische Themen und Ereignisse. Hierzu zählen tagesaktuelle Berichte – beispielsweise über den Integrationsgipfel im Juli 2006 (Abb. 30), über den Plan einen Einbürgerungstest für Muslime einzuführen (Abb. 27) sowie über Bildungs- und Arbeitsmarktchancen von Migrant*innen im Zuge der Sarrazin Debatte 2010 (Abb. 33, 34 und 35). In dieser Berichterstattung wird Integration – wie bereits in Kapitel 6 beschrieben wurde – sowohl mit sehr negativ konnotierten Schlagwörtern wie „Sozialer Sprengstoff“ (Abb. 34) oder der Forderung nach „Integrationsbemühungen“ versehen als auch mit kritisierenden Kommentaren zu einzelnen integrationspolitischen Debatten (z.B. Abb. 27 und Abb. 30). Zusätzlich sind die Unterstützung und das sichtbare ‚Flaggezeigen‘ von migrantisch und muslimisch markierten Personen bei den FußballWeltmeisterschaften 2006 und 2010 in den Artikeln thematisiert, in denen Fans abgebildet sind (Abb. 28, 31 und 35). Hier findet sich eine eher positiv konnotierte Ausrichtung der Berichterstattung: Die Verwendung der titelgebenden Bezeichnung „Die Integrierten“ und die Formulierung „Neubürger, die in diesem Land eine Heimat gefunden haben und nicht Fremde geblieben sind“ (28) oder auch die Betonung, dass Jugendliche „ihre Begeisterung für zwei Nationen“ (Abb. 31) während der Fußball-WM zum Ausdruck bringen, zeigen dies an. Bildsemiotische Analyse Die Analyse der bildsemiotischen Funktionsebene verdeutlicht, dass die visuelle Symbolisierung von Zugehörigkeit zu Deutschland in der Berichterstattung über Integration und Migration sehr unterschiedliche Darstellungsweisen beinhalten kann. So finden sich insbesondere in den drei Abbildungen von Fußballfans (Abb. 28; 31 und 35) positiv konnotierte Visualisierungen: Der direkte Augenkontakt sowie der lächelnde Gesichtsausdruck, der hier im Bildaufbau besonders hervortritt, etablieren ein persönliches sowie freundlich ausgerichtetes Interaktionsverhältnis und adressieren die Bildbetrachtenden unmittelbar. Die mittlere Distanzeinstellung und die Blickrichtung auf Augenhöhe verstärken diese Interaktionsdynamik. Im Zentrum der Abbildungen stehen jeweils zwei Elemente: Die Personen – markiert als Muslime und deutsch/türkische Fans – sowie die Deutschlandflagge, die den Bildbetrachter*innen entweder mit einer Geste direkt präsentiert wird oder die sich die dargestellten Personen um die Schultern gehängt haben. Beide Handlungen rücken damit die von den Fans gezeigte Unter-
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stützung für die deutsche Fußballnationalmannschaft in den Mittelpunkt des Bildaufbaus und betonen durch direktes Adressieren (s.o.) das Statement der muslimischen und deutsch/türkischen Personen, sich aktiv mit Deutschland zu identifizieren. Für die Fotografien aus der tagespolitischen Berichterstattung zu Integration und Migration (Abb. 27, 29, 30, 32 bis 34) lässt sich demgegenüber keine einheitlich ausgerichtete Darstellungsweise feststellen. Hier finden sich sowohl eher positiv als auch eindeutig negativ konnotierte Personendarstellungen. Die Abbildungen 27 und 29 weisen viele Ähnlichkeiten zu der positiven Ausrichtung der Darstellung von Fußballfans auf: mittlere Distanz, Blickwinkel auf Augenhöhe und lächelnde Gesichter der abgebildeten Kinder und Jugendliche, die alle jeweils eine Deutschlandflagge in der Hand halten und diese schwenken. Der Blick zu den Betrachter*innen ist jedoch nicht durchgehend direkt in die Kamera gerichtet, so dass eher ein Informationsangebot visualisiert wird. Dies gilt auch für Abbildung 34, bei der zwei als ‚Ausländerinnen‘ bezeichnete Frauen auf einem Gehweg an einer großen Deutschlandflagge vorbeigehen und der Blick aus einer weiten Distanz seitlich auf die Personen gerichtet ist. Es entsteht hier ein unpersönliches und distanzierendes Interaktionsverhältnis zwischen den Betrachter*innen und den abgebildeten Frauen. Die Handlung des Vorbeilaufens an der Fahne trennt die Personen auch von der nationalen Symbolik ab und dient gegenüber den oben beschriebenen Gesten der Identifikation stärker dazu, die deutsche Gesellschaft als Symbol in der Bildbedeutung zu visualisieren. Ganz ähnliche bildsemiotische Aspekte lassen sich in Abbildung 33 finden, in der eine Frau rückseitig dargestellt und ihr Gesicht nicht erkennbar ist. Trotz einer nahen Distanz zu den Betrachter*innen des Bildes wird hier somit ein stark entpersonalisierendes und distanzierendes Interaktionsverhältnis etabliert, dass die Personendarstellung in der Hierarchie der Bildelemente den Symboliken ‚Kopftuch‘ und ‚Nationalflagge‘ unterordnet. In Abbildung 32 ist die soziale Distanz noch geringer und zeigt das Gesicht mittels eines close shot. Da der Blick aber nicht zu den Leser*innen sondern in die Ferne gerichtet ist und das Gesicht zu einem Großteil von der Nationalflagge verdeckt wird, kommt auch in dieser Abbildung kein persönlich ausgerichtetes Interaktionsverhältnis zu Stande. Die Personendarstellung in dieser stark inszenierten Fotografie ordnet sich klar der Symbolik der Deutschlandfarben unter. Der Mittelpunkt des Bildgeschehens ist auf die Verschleierung einer muslimischen Frau gerichtet, wobei der Kontrast zwischen deutscher Nation und muslimischer Zuwanderung betont wird. Nicht nur in dieser, sondern in allen Abbildungen wird der Deutschlandflagge auf bildgestalterischer Ebene eine besondere Rolle beigemessen. Einerseits nehmen die Flaggen jeweils sehr viel Raum neben den Personendarstellungen
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ein und andererseits hebt sich die dreifarbige Nationalfahne mit der bunten Farbgebung auch von der hellen oder dunklen Kleidung oder von der um die Personen befindliche Umgebung ab. In den Abbildung 32 und 33 dient die Flagge überdies als einrahmendes Element, das bildgestalterische Linien zwischen Person und Nationalsymbolik etabliert. Die mit der deutschen Flagge in Verbindung gesetzte Symbolik der türkischen Nationalfahne betont außerdem die Dimension der doppelten nationalen Zugehörigkeitskonstellation vieler Migrant*innen in Deutschland. Auch hier wird durch die visuelle Darstellungsebene eine unterschiedliche Bildbedeutung nahegelegt. In Abbildung 33 stehen beide nationale Symbole nebeneinander und die Person ist zwischen den jeweiligen Flaggen platziert. Die Bildelemente nehmen damit jeweils eine hervorstechende Fläche im Bild ein und die Person in der Mitte des Bildaufbaus rückt in das Zentrum der Darstellung. In Abbildung 35 wird der Bildmittelpunkt hingegen von der Gruppe der männlichen Fußballfans zusammen mit der deutsch-türkischen Flagge gebildet. Der Symbolik der zweifachen Identifikation wird damit eine größere Bedeutung im Bildaufbau zugeschrieben. Des Weiteren spielt auch das Kopftuch als Symbol eine wichtige Rolle in allen Abbildungen: Je nach Darstellungsweise und Textbotschaft markiert das Kopftuch hier aber eine unterschiedliche visuelle Botschaft. Einerseits sind die Abbildungen der Fußballfans mit einer positiven Konnotation zur Zugehörigkeit zu Deutschland ausgestattet. Hier symbolisiert das Kopftuch insbesondere durch das direkte Adressieren und die positive Ausrichtung der Bildgestaltung, dass Deutschland und der Islam zusammengehörig sein können. Andererseits führt die eher negativ konnotierte, auf Distanz und abgrenzende Interaktion beruhende Personendarstellung insbesondere in den Abbildungen 32, 33 und 34 zu einer anderen Bedeutung des Kopftuchs in der Bildbotschaft. Hier fungiert das Symbol eher dazu, einen Gegensatz zwischen deutscher Gesellschaft und den zu integrierenden Menschen („Muslime“; „in Deutschland lebende Türken“; „Migranten“) zu visualisieren.
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Abbildung 27: DER SPIEGEL, 2006/02
Abbildung 28: DER SPIEGEL, 2006/27
Abbildung 29: spiegel-online.de, 02.02.2006
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Abbildung 30: Welt am Sonntag, 09.07.2006
Abbildung 31: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.06.2006
Abbildung 32: Welt am Sonntag, 02.07.2006
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Abbildung 33: n-24.de, 03.09.2010
Abbildung 34: Süddeutsche Zeitung, 01.09.2010
Abbildung 35: Welt am Sonntag, 03.10.2010
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6.1.5 Islam und Integration Bildinhalte und Repräsentation der Personen Die ausgewählten Fotografien sind Teil der Berichterstattung über Integration, bei der eine konkrete inhaltliche Verbindung zum Islam hergestellt wird. Im Vergleich zu den vorherigen Analysen einzelner Darstellungsbereiche, bei denen das Muslimischsein ebenfalls eine Rolle spielt, liegt hier eine starke Betonung der religiösen Zugehörigkeit der dargestellten Personen auf der verbalen Ebene vor. Dementsprechend sind die Abbildungen mit einer textlichen Benennung (Bildunterschrift oder Artikelüberschrift) versehen, die die Personen deutlich als Muslime bezeichnet. Darüberhinausgehende Zuschreibungen benennen entweder, dass es sich bei den Abgebildeten auch um Migrant*innen (Abb. 42, 44 und 45) oder um Muslime in Deutschland/Berlin (Abb. 37, 38 und 40) handelt. Die naheliegende Personenbezeichnung „deutsche Muslime“ findet sich hingegen nicht, wohl aber die in einem Bericht verwendete Betitelung „Moderner deutscher Islam“ (Abb. 40). Auffällig ist hier zudem, dass in den Berichten zur negativen Einstellung der „Mehrheit der Deutschen“ gegenüber dem Islam wiederum Bilder zu sehen sind, die muslimische (und hier verstanden als nicht-deutsche) Personen abbilden und nicht die thematisierte ‚mehrheitsdeutsche‘ Personengruppe visualisiert wird (Abb. 43 und 44). Die Berichte beinhalten Bilder, die entweder Muslime in einer Straßenszene (Abb. 37 und 44), bei einer öffentlichen Veranstaltung (Abb. 38), in einem Kopf-/Schulterportrait (Abb. 36 und 45) oder beim gemeinsamen Gebet in einer Moschee (Abb. 39-43) zeigen. Dabei ist ein deutlicherer Unterschied auf Ebene der genderspezifischen Repräsentation festzustellen: Während Männer insbesondere beim Gebet in einer großen Personengruppe abgebildet sind, werden Frauen vor allem im öffentlichen Raum in einer kleineren Gruppe von drei bis vier Personen dargestellt. Fast alle Personen (Ausnahme: Abb. 45) tragen muslimische Kleidung, insbesondere in Form einer Kopfbedeckung (Kopftuch und Gebetsmützen). Das Alter reicht hierbei von jugendlich bis erwachsen, wobei jedoch in vielen Fotografien aufgrund der Aufnahmeperspektive keine genauere Identifizierung vorgenommen werden kann. Die Darstellung der sozialen Rolle verläuft entsprechend der Unterteilung in die Figur der ‚Passantin im öffentlichen Raum‘ und die Figur des ‚gläubigen Muslims‘. Letztere betont durch die Abbildung der religiösen Handlungen (Gebet und Koran-Lektüre) deutlich die aktive Rolle der abgebildeten Personen im Zusammenhang mit der Zuschreibung zum Muslimischsein. Die Repräsentation der männlichen Personen ist in der visuellen Berichterstattung somit besonders stark mit der Glaubensausübung verknüpft.
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Textebene der Berichterstattung Auf Ebene der verbalen Berichterstattung ist neben der bereits genannten Markierung des Muslimischseins auch die integrationspolitische Themensetzung von Bedeutung: Es geht um den „Integrationsgipfel“ (Abb. 36); den sogenannten „Muslim-Test“ (Abb. 37); die „Islamkonferenz“ (38), aber auch um Organisationen von Muslimen in Deutschland (Abb. 40) oder um die negativen Einstellungen von „Deutschen“ gegenüber dem „Islam (Abb. 43 und 44). Dabei finden sich einerseits eher positive Konnotationen zur Integration von Muslim*innen (Abb. 36: „Kopftuch ein Stück Integration“, Abb. 40: „Moderner deutscher Islam“) und die Verneinung der vermeintlichen „Integrationsmisere“ (Abb. 42). Zudem werden die durch empirische Studien bestätigten negativen Haltungen der „Mehrheit der Deutschen“ gegenüber Muslimen benannt (Abb. 43 und 44). Andererseits sind jedoch auch negativ ausgerichtete Formulierungen zur Integration von Muslimen (Abb. 39: „erbitterter Kulturkampf“) sowie Warnungen vor einer „Gefährliche(n) Machokultur“ unter muslimischen Jungen (Abb. 45) Teil der verbalen Berichterstattung. Bildsemiotische Analyse Die Darstellungsweise der ausgewählten Fotografien stellt sich insgesamt betrachtet als sehr unterschiedlich dar und kann analytisch in zwei Gruppen aufgeteilt werden. Die Abbildungen von männlichen Muslimen beim Gebet bilden hierbei die erste Bildgruppe (Abb. 39-43). Auf interaktionaler Ebene finden sich – mit Ausnahme der Abbildung 40 – jeweils eine weite soziale Distanz zu den Bildbetrachtenden sowie eine Aufnahmeperspektive von oben und ein entsprechender Blickwinkel, der die betenden Männer so darstellt, dass ein Erkennen des Gesichtes und der Mimik nicht möglich ist. Die Aufmerksamkeit bei der Bildlektüre wird mittels Bildaufbau auf die ästhetisch besonders hervorstechende Anordnung der Personen gelenkt. Es findet sich hier kein wirklicher Bildmittelpunkt. Durch die anordnende, symmetrische Linienführung wird eine sich wiederholende und serialisierende Personendarstellung etabliert, die zu einer starken Fokussierung auf die Personengruppe führt (vgl. hierzu Caple 2013: 116). Repräsentiert wird dabei demnach in erster Linie die Zugehörigkeit der Männer zur Gruppe gläubiger Muslime, die in Deutschland leben (nicht aber zur Gruppe deutscher Muslime, s.o.). In Kombination mit dem entpersonalisierenden Blickverhältnis, der die Leser*innen nahezu vollständig von den einzelnen Personen wegführt und diese in eine hohe Distanz zur eigenen Blick- und Machtposition setzt, entsteht hier ein Symbolbild für die Visualisierung der Integration von den Muslimen, verstanden als homogene Gruppe gläubiger Männer.
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Die weiteren Abbildungen beinhalten unterschiedliche Darstellungsweisen: Es werden muslimische Frauen aus einer nahen bis mittleren sozialen Distanz gezeigt, wobei dies sowohl auf Augenhöhe zu den Bildbetrachtenden und mit lächelnder, positiver Mimik (Abb. 36 und 38), als auch mit rückseitigen Blick auf die Frauen, der kein Lesen des Gesichtsausdruck zulässt (Abb. 44), geschieht. Ebenso findet sich eine Fotografie, die eine kleine Gruppe von muslimischen Frauen auf der Straße laufend abbildet und dabei rückseitig und in weiter sozialer Distanz zu den Betrachter*innen dargestellt ist (Abb. 37). Die Aufmerksamkeit wird in diesen Abbildungen entweder auf das personalisierende Portraitieren und die muslimische Bekleidung (Abb. 36 und 38) oder, wenn das Gesicht nicht erkannt werden kann, vordergründig nur auf die religiöse Kleidung der Frauen gelegt (Abb. 37 und 44). Die Repräsentation der Frauen wird somit insbesondere verwendet, um die sichtbare Anwesenheit von Muslim*innen im öffentlichen Raum anzuzeigen. Die Betonung liegt dabei wiederum deutlich auf der Zugehörigkeitszuschreibung zum Islam, insbesondere in den Abbildungen, in denen das Kopftuch durch hohen Kontrast vom Umfeld abgehoben und damit nochmals stärker betont wird (Abb. 36 und 44). Eine andere Darstellungsweise findet sich hingegen in Abbildung 45, in der ein muslimischer Junge unter dem Titel „Gefährliche Machokultur“ in naher sozialer Distanz zu den Bildbetrachtenden portraitiert wird. Hier werden die Leser*innen durch den Blickkontakt auf Augenhöhe direkt adressiert und es entsteht eine persönliche Interaktionsebene. Diese ist jedoch durch das halbbedeckte Gesicht und durch die Überbetonung der Handgesten im Bildaufbau im Zusammenspiel mit den verbalen Botschaften des Berichtes als negativ konnotiert anzusehen. Unter den Schlagwörtern „hohe Gewaltbereitschaft“, „problematische Rollenbilder“ und „Deutschenfeindlichkeit“ steht das Foto als Repräsentation für eine fehlgeschlagene Integrationsleistung muslimischer Männer, die durch die Art der visuellen Adressierung durchaus als Bedrohung aufgefasst werden sollen. Die Bildzentrierung auf den Jungen und die um ihn herum sichtbaren Gesten sollen gleichwohl auch auf die Abgrenzung zur deutschen Mehrheitsgesellschaft und die damit einhergehende Separation in muslimische/migrantische Räume, in denen ‚eigene Codes und Regeln‘ gelten, hinweisen.
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Abbildung 36: Süddeutsche Zeitung, 17.07.2006
Abbildung 37: spiegel-online.de, 19.01.2006
Abbildung 38: spiegel-online.de, 28.09.2006
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Abbildung 39: DER SPIEGEL, 2006/45
Abbildung 40: Die Welt, 27.09.2006
170 | Visualität und Zugehörigkeit
Abbildung 41: waz.de, 11.10.2010
Abbildung 42: spiegel-online.de, 07.09.2010
Abbildung 43: n-24.de, 02.12.2010
Visuelle Feinanalyse – Stereotype und Darstellungsmuster | 171
Abbildung 44: n-24.de, 30.09.2010
Abbildung 45: Die Welt, 27.11.2010
172 | Visualität und Zugehörigkeit
6.2 FLUCHT- UND ASYLPOLITIK Die zweite Feinanalyse von Darstellungsmustern und Stereotypisierungen der Medienberichterstattung umfasst Bilder, die Flucht- und Asylpolitik thematisieren und die in der Fallstudie 2015 analysiert worden sind. Dazu wurden auf Grundlage des inhaltlichen Verlaufs der medialen Debatte drei verschiedene Bildgruppen erstellt und entlang der Auswertungsergebnisse des ersten Analysebereichs (Kapitel 5) exemplarisch Abbildungen für eine vertiefende Analyse ausgewählt. Die Bildgruppen umfassen dementsprechend erstens Darstellungen, die das Ankommen und die Aufnahme von Geflüchteten im Sommer und Herbst 2015 thematisieren (6.2.1); zweitens Bilder, die Asyl- und Integrationspolitik verbinden und insbesondere die Themenfelder Schule, Bildung und Arbeit in den Mittelpunkt stellen (6.2.2) und drittens fotografische Portraits von Geflüchteten und Flüchtlingshelfer*innen sowie weitere Abbildungen aus der Berichterstattung über die ‚Willkommenskultur‘ (6.2.3). 6.2.1 Ankunft und Aufnahme von Geflüchteten Bildinhalte und Repräsentation der Personen Die ausgewählten Fotografien thematisieren die Phase des Ankommens und der Erstunterbringung von Geflüchteten in Deutschland im Sommer/Herbst 2015. Drei verschiedene Inhalte sind dabei innerhalb dieser Berichterstattung zu unterscheiden: Der größte Teil der Medienberichte behandelt das Ankommen von Flüchtlingen an den großen deutschen Bahnhöfen oder an der Grenze (Abb. 4652). Außerdem finden sich Berichte zum Umgang der deutschen Behörden mit der Aufnahme der Geflüchteten und der daraus hervorgehenden Überforderung staatlicher Stellen (Abb. 53-56) sowie zu der Unterbringung der Personen in Erstaufnahmeeinrichtungen (Abb. 57-59). Durch die Bilduntertitel und Artikelüberschriften werden die dargestellten Menschen in der Mehrheit der Fotografien als Flüchtlinge bezeichnet, zusätzlich wird „Asylsuchende“ (Abb. 55) und „Asylbewerber“ (Abb. 57) verwendet. Lediglich zweimal erfolgt hingegen die Benennung „Migranten“ (Abb. 49 und 54). Weitere verbale Zugehörigkeitszuschreibungen (zu Religion oder Nationalität) finden sich darüber hinaus nicht. In zwei Abbildungen sind jedoch Frauen durch das Tragen eines Kopftuchs nicht nur als Flüchtlinge, sondern auch als Musliminnen visuell markiert (Abb. 46 und 51). Insbesondere die Szenen des Ankommens in Deutschland zeigen große Menschengruppen, die gemeinsam in eine Richtung laufen oder aneinandergereiht zur Registrierung anstehen. Durch die Anwesenheit der Polizei (Abb. 46, 48, 49
Visuelle Feinanalyse – Stereotype und Darstellungsmuster | 173
und 50) oder durch den Einsatz von Absperrgittern (Abb. 53, 54 und 56) sind die Handlungen in einen klaren ordnenden Rahmen gesetzt, so dass die Geflüchteten tendenziell in einem begrenzt-aktiven Handlungskontext dargestellt sind. Die abgebildeten Gruppen setzen sich insgesamt aus jungen und älteren sowie männlichen und weiblichen Personen zusammen, werden aber deutlich zu einem Großteil von Männern im jungen bis mittleren Erwachsenenalter dominiert (insbesondere in den Abb. 46, 48, 50, 53, 55 und 56). Des Weiteren zeigt eine Fotografie das Portrait eines ankommenden jungen Mannes, der ein Bild der Bundeskanzlerin Angela Merkel hochhält (Abb. 47). Zwei Abbildungen stellen zudem jeweils eine kleine Gruppe von Männern, Frauen und Kindern dar, die zu einer Erstaufnahmestelle laufen (Abb. 51 und 52). Die Darstellung der Unterkünfte umfasst außerdem sehr unterschiedliche Bildmotive: Neben zwei Abbildungen, die jeweils Personen in einer umfunktionierten Turnhalle zeigen (Abb. 57 und 58), ist ebenfalls eine kleine Gruppe von Geflüchteten in einem Zeltlager zu sehen (Abb. 59). Alle dargestellten Personen in den Unterkünften sind in passiven Handlungskontexten abgebildet, die das Warten und die Erschöpfung der angekommenen Flüchtlinge unterstreichen. Textebene der Berichterstattung Auf Ebene der textlichen Berichterstattung wird insbesondere die große Anzahl von ankommenden Geflüchteten kommentiert und bewertet. Dabei gibt es positive Konnotationen zum Umgang Deutschlands mit der Aufnahme der Flüchtlinge (z.B. Abb. 46: „Herzlich und ordentlich“, Abb. 47: „freundliche Aufnahme“) und den damit einhergehenden Chancen: „Sie (Anm.: die Flüchtlinge) zwingen das Land weltoffener zu werden, großzügiger – und ein bisschen chaotisch“ (Abb. 53). Auf die im politisch-medialen Diskurs aufgeworfene Frage, ob Deutschland die Aufnahme bewältigen könne, wird ebenfalls positiv eingegangen: Die Herausforderung sei von Deutschland zu „schultern“ (Abb. 52) und es gäbe bei der Frage der Unterbringung durchaus „genug Platz für Flüchtlinge“ (Abb. 59). Daneben finden sich jedoch auch eher negativ ausgerichtete Formulierungen, die im Verlauf der Berichterstattung zunehmend Probleme, Herausforderungen und Konflikte des Ankommens der Geflüchteten in den Mittelpunkt rücken. Die inhaltliche Rahmung der Berichte deutet hierbei darauf hin, dass für die deutsche Bevölkerung Nachteile durch die ankommenden Flüchtlinge entstehen würden und dass ein Teil der Deutschen eine skeptische bis ablehnende Haltung gegenüber der Aufnahme vertritt (Abb. 51: „Flüchtlingskrise drückt auf die Stimmung der Verbraucher“, Abb. 58: „Wettstreit um die Sportstätten“, Abb. 48: „Die Deutschen werden zunehmend skeptisch“). Formulierungen wie „Zustrom“ (Abb. 50 und 53) oder „Massenwanderungen“ (Abb. 54) weisen außerdem da-
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rauf hin, dass schon hier Assoziationen transportiert werden, die die Fluchtbewegungen für die deutsche Gesellschaft als Bedrohung und Gefahr sehen. Bildsemiotische Analyse Bei der visuellen Darstellungsweise dominieren Aufnahmeperspektiven, die eine eher weite soziale Distanz zwischen den Personen und den Bildbetrachter*innen herstellen. Dies wird durch das Verwenden von Gruppenaufnahmen begünstigt, jedoch lassen sich sehr unterschiedlichen Formen der Distanzierung feststellen: Während die Personen in den Abbildungen 46 und 56 jeweils aus einer mid shot Einstellung und damit verbundenen mittleren persönlichen Distanz zu den Leserinnen dargestellt sind, wird in den Fotografien 48, 49 und 54 eine deutlich höhere Distanz mittels einer long shot Einstellung hergestellt. Für die Bildbetrachter*innen zieht dies einen entscheidenden Unterschied in der Bildlektüre nach sich. Die nähere Distanz lässt nicht nur ein detaillierteres Erkennen der jeweiligen Menschen innerhalb der Gruppen zu, sondern ermöglicht auch die Identifizierung der Mimik, die insgesamt positiv ausfällt (z.B. in den Abb. 46 und 53). Einzelne Personen innerhalb der Gruppe der ankommenden Geflüchteten sind somit auf interaktionaler Ebene erkennbar und können als Individuen gelesen werden. Eine größere Distanz in Verbindung mit dem von oben auf diese Gruppen gerichteten Blick sorgt hingegen für eine stärkere Abgrenzung zu den Bildbetrachter*innen und lässt die einzelnen Menschen deutlich in den Hintergrund der Bildbedeutung treten. Der Bezugspunkt der Bildbedeutungen liegt hier stärker auf der Betonung der verbal als „Massenwanderung“ bezeichneten Form der Migrationsbewegungen und wird mittels vertikaler und horizontaler Linienführung in der Bildtiefe nochmals verstärkt (Abb. 49, 54 und 57). Entscheidend ist auch, dass diese Aufnahmen so zugeschnitten sind, dass kein Ende der Menschenmengen zu erkennen ist. Die visuelle Botschaft der massenhaften Zuwanderung nach Deutschland wird damit nochmals unterstrichen (vor allem in den Abb. 46, 48, 49, 50 sowie 53, 54 und 56). Der Bildaufbau der Gruppenbilder stellt deutlich die Menschenmenge und die gemeinsame, in eine Richtung zielende Bewegung dieser Gruppe in den Mittelpunkt. Die an den Bahnhöfen ankommenden Personen sind durch eine positive, mitunter lächelnde Mimik gekennzeichnet (Abb. 46, 48 und 50). Dies gilt auch für das Einzelportrait eines Flüchtlings, der während seiner Ankunft eine Fotografie von Angela Merkel in den Händen hält und dessen Darstellung zum Symbolbild für die Dankbarkeit vieler Geflüchteter gegenüber der deutschen Bundeskanzlerin wird (Abb. 47). Verstärkt werden die positiven Konnotationen bei diesen ersten Bildern des Ankommens auch durch die bunte Farbgebung, die vor allem durch die Kleidung der abgebildeten Personen unterschiedliche Ab-
Visuelle Feinanalyse – Stereotype und Darstellungsmuster | 175
schnitte des Bildaufbaus mit kontrastierenden Farben versieht. In den im weiteren Verlauf der Berichterstattung verwendeten Darstellungen der Flüchtlingsgruppen ändert sich das Darstellungsmuster deutlich. Bei den Abbildungen, die große Gruppen von Geflüchteten bei der Registrierung zeigen, sind insbesondere auch Erschöpfung und Anspannung in den Gesichtsausdrücken der Menschen zu erkennen (v.a. in den Abb. 55 und 56). Farbgebung und Kontrast verändern sich ebenfalls, wobei tendenziell eher dunklere Farbflächen dominieren und die Bilder im Gegensatz zur ersten Phase der Berichterstattung weniger bunt ausgestaltet sind. Auf Ebene der visuellen Botschaft geht es zudem darum, auf die Bewältigung, Organisierung und Ordnung der ankommenden Menschengruppen hinzudeuten. Dabei bringt der Standpunkt aus der die Leser*innen auf die Gruppe der Geflüchteten schauen, zusätzlich eine machtvolle Blickposition hervor, in der diese auf die Gruppe aus einer Obersicht, also von oben auf die Flüchtlinge hinabblicken (insbesondere in den Abb. 49 und 54). Des Weiteren finden sich auch in dieser Berichterstattung mehrmals Abbildungen, die eine rückseitige Personendarstellung aus mittlerer bis weiter sozialer Distanz zeigen und damit ein zunehmend entpersonalisiertes und distanziertes Blickverhältnis zu der Gruppe der ankommenden Flüchtlinge etablieren (Abb. 51, 52, 58 und 59). Die Fotografien zeigen jeweils kleinere Personengruppen von der Rückseite, die sich in einer Erstaufnahmeeinrichtung befinden oder auf einer Straße laufen und dabei in die gleiche Blickrichtung wie die Bildbetrachtenden schauen. Auch hier liegt der Hauptbezugspunkt der Bildbedeutung auf der Gruppe der Geflüchteten sowie auf der Regulierung und Ordnungsdynamik, womit gleichfalls die Subjektposition einzelner Personen in den Hintergrund rückt.
176 | Visualität und Zugehörigkeit
Abbildung 46: Die Welt, 07.09.2015
Abbildung 47: Die Welt, 07.09.2015
Abbildung 48: DER SPIEGEL, 2015/42
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Abbildung 49: DER SPIEGEL, 2015/44
Abbildung 50: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.09.2015
Abbildung 51: n-24.de, 14.09.2015
Abbildung 52: spiegel-online.de, 20.08.2015
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Abbildung 53: DER SPIEGEL, 2015/36
Abbildung 54: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.10.2015
Abbildung 55: Die Welt, 06.10.2015
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Abbildung 56: n-24.de, 12.10.2015
Abbildung 57: Süddeutsche Zeitung, 25.09.2015
Abbildung 58: Die Welt, 17.09.2015
Abbildung 59: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.09.2015
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6.2.2 Schule, Bildung und Arbeit Bildinhalte und Repräsentation der Personen Nach der anfänglichen Berichterstattung zur Situation des Ankommens und zur Erstunterbringung folgte ab Herbst 2015 die mediale Thematisierung der ‚Integration‘ von Geflüchteten, wobei insbesondere der Arbeitsmarkt sowie das Bildungssystem in den Fokus gerückt wurden. Die ausgewählten Fotografien stellen Szenen aus diesen beiden Bereichen der integrationspolitischen Berichterstattung dar und zeigen sowohl junge Flüchtlinge als auch deutsche Ausbilder*innen oder Lehrer*innen in einer entsprechenden Arbeits- und Lernsituation in Unternehmen, (Lern-) Werkstätten, Schulen oder in der Universität. Neben der auf Textebene fast immer verwendeten Bezeichnung Flüchtling werden die abgebildeten Personen ebenfalls häufig als „Asylbewerber“ (Abb. 60, 65, 67 und 68) sowie vereinzelt auch als „Migranten“ (Abb. 65 und 69) benannt. Nationale und religiöse Zugehörigkeitszuschreibungen spielen hingegen nur in einer Fotografie eine Rolle (Abb. 67). Alle ausgewählten Szenen, die die Integration in den Arbeitsmarkt symbolisieren sollen, sind in Betrieben mit handwerklicher Arbeit und technischen Berufsgruppen zu verorten. Tätigkeiten im Dienstleistungs-, Wirtschafts- oder Wissenschaftsbereich werden hingegen nicht abgebildet. Auffällig ist des Weiteren, dass in nahezu allen Abbildungen, die eine Arbeitssituation in einem Betrieb oder einer Werkstatt zeigen, Geflüchtete und Ausbilder durch Männer repräsentiert werden. Lediglich Abbildung 65 stellt eine Frau bei der Arbeit in einer Werkstatt dar. Die Visualisierung der Lernsituation an Schulen und in anderen Bildungseinrichtungen zeigt ebenfalls in den meisten Fällen männliche Geflüchtete in der Rolle des Schülers oder Studenten (Ausnahme: Abb. 67). Hier werden die Lehrkräfte jedoch jeweils durch weibliche Personen repräsentiert. Die Repräsentation der Personendarstellungen unterscheidet sich zusätzlich sowohl im Bereich der Arbeits- als auch der Schul- und Lernszenen auf einer weiteren Ebene: Während alle Geflüchtete durch Schwarze Personen oder People of Color dargestellt sind, werden alle Ausbildungs- und Lehrkräfte durch weiße Personen repräsentiert. Im Bereich des Handlungskontextes lassen sich hierbei ebenfalls zwei bedeutsame Unterschiede feststellen, der diese beiden Personengruppe weiter voneinander abgrenzt. So werden die weißen Ausbilder und Lehrer*innen immer in einer sprechenden bzw. erklärenden oder prüfenden Rolle gezeigt. Die abgebildeten Geflüchteten nehmen demgegenüber immer die Rolle des zuhörenden und lernenden Schülers oder Auszubildenden ein. Die aktivere und machtvollere Position liegt hier eindeutig auf Seiten der Lehrerinnen und Aus-
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bilder, da von ihnen die sprechende und erklärende Handlung ausgeht, während die Geflüchteten die Hinweise und Anweisungen entgegennehmen. Textebene der Berichterstattung Die verbale Berichterstattungsebene behandelt in vielen Artikeln die Nachfrage an Arbeitskräften in deutschen Unternehmen und die potentielle Ausbildung und Beschäftigung von Flüchtlingen. Eine Anstellung wird dabei vor allem als gelungene Integration der Geflüchteten in die deutsche Gesellschaft verstanden (Abb. 64: „So sieht Integration aus“) und es werden dementsprechende Forderungen für eine bessere Eingliederung in den Arbeitsmarkt formuliert (Abb. 65: „Jobhürden für Flüchtlinge senken“). Die Einschätzung zum ökonomischen Nutzen und zu den Chancen einer erfolgreichen Integration schwankt dabei zwischen Optimismus (Abb. 60: „Überwiegend hochmotivierte Menschen“, Abb. 61: „Die Flüchtlinge haben Deutschlands Unternehmen aufgerüttelt“) und Skepsis (Abb. 63: „Jähes Ende der Euphorie“). Im Bereich der Bildungspolitik wird hingegen die Notwendigkeit des Erlernens der deutschen Sprache betont (Abb. 68: „Ohne Deutsch geht nichts“) und darauf verwiesen, dass ein Handeln auf politischer Ebene erfolgen muss, um die Situation zu verbessern („Es gibt überall Wartelisten“, Abb. 69: „Deutschkurs für Migranten in Potsdam: Es muss mehr davon geben“). Bildung und Sprache werden dabei als Schlüssel für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt verstanden. Als insgesamt positiv wird die Situation in den (Sprach-) Schulen und den Universitäten eingeschätzt. In lediglich einem Bericht wird zudem angesprochen, dass die Aufnahme der Geflüchteten Veränderungen für die deutsche Gesellschaft mit sich bringen wird und dass diese nur in einem beidseitigen Prozess des ‚Aufeinander-zu-gehens‘ bewältigt werden können (Abb. 66). Bildsemiotische Analyse Die ausgewählten Fotografien sind auf Ebene der bildsemiotischen Elemente alle durch eine sich ähnelnde Darstellungsweise gekennzeichnet. Durch die Wahl einer mittleren bis nahen sozialen Distanz und einer Blickperspektive auf Augenhöhe oder mit leichter Untersicht (insbesondere Abb. 60, 61 und 69) auf die abgebildeten Personen wird eine persönliche und visuell positiv konnotierte Interaktion hergestellt. Auch wenn keine direkte Adressierung der Leser*innen – etwa durch Augenkontakt – erfolgt, so werden diese doch in die Position von räumlich-nahen Beobachter*innen versetzt und durch die Art der Blickperspektive in das Bildgeschehen involviert. Die Bildlektüre vermittelt somit insgesamt betrachtet auf visueller Ebene den Eindruck eines positiv verlaufenden Integrationsprozesses in deutschen Unternehmen und der Schule oder anderen Bildungs-
182 | Visualität und Zugehörigkeit
einrichtungen. Dieser sei zwar – wie auf verbaler Ebene vermittelt wird – mit Herausforderungen konfrontiert, aber bislang durchaus erfolgsversprechend einzuschätzen. In allen Abbildungen stehen einzelne Personen – zumeist in einer kleinen Gruppe von zwei bis vier Menschen – im Mittelpunkt des Bildaufbaus. Der Fokus der Bildbotschaft liegt dabei vor allem auf den Arbeits- und Lernhandlungen der Ausbildenden und Lehrer*innen auf der einen und der Geflüchteten und Auszubildenden auf der anderen Seite. Dabei wird die Position der Lehrer*innen und Ausbilder in mehreren Darstellungen durch den Bildaufbau besonders betont: Entweder indem die Personen im Zentrum der Gruppendarstellung zu sehen sind (Abb. 64 und 67), einen großen Teil des Bildes ausmachen (Abb. 61) oder auf der linken Bildseite stehend einen höheren Punkt gegenüber den Geflüchteten einnehmen (Abb. 69 und 70). Die beiden Personengruppen sind in nahezu allen Darstellungen räumlich nah beieinander angeordnet und befinden sich gemeinsam im Bildmittelpunkt, durch die oben beschriebenen Rollenverteilungen sind sie jedoch auch klar voneinander abgegrenzt. Der aktivere Part der Arbeiter*innen und Lehrer*innen gegenüber den Geflüchteten wird hierbei durch Mimik und Gestik der Personendarstellungen unterstrichen. Insbesondere die gehobenen oder auf etwas hindeutenden Zeigefinger symbolisieren die hierarchisierte Differenz und werden zu einem wichtigen Teil des Bildaufbaus (Abb. 61, 62, 63, 66 und 69). Sie deuten zudem auf die starke Verknüpfung des Fluchtund Asyldiskurses mit dem Integrationsparadigma innerhalb dieser Berichterstattung hin. Zwei Botschaften stehen dabei im Mittelpunkt der Bildlektüre: Einerseits wird die Bereitschaft Deutschlands zur Aufnahme von Geflüchteten signalisiert und positiv in einen Darstellungskontext eingerahmt, der eine Integration in die Gesellschaft vor allem durch die Bereiche Bildung und Arbeit gewährleisten soll. Die Fotografien akzentuieren dabei auch den Aspekt des ökonomischen Gewinns, der dem nationalen Wohlstand im Zuge einer erfolgreichen Eingliederung der Geflüchteten zu Gute kommen wird. Andererseits betonen die analysierten Abbildungen sehr deutlich, dass diese Förderung für die Geflüchteten implizit immer auch Forderung nach Integration beinhaltet, die vor allem als Eingliederung und Anpassung verstanden wird und eine hohe Lern- und Arbeitsbereitschaft voraussetzt.
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Abbildung 60: spiegel-online.de, 02.11.2015
Abbildung 61: Süddeutsche Zeitung, 08.09.2015
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Abbildung 62: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.12.2015
Abbildung 63: Die Welt, 06.11.2015
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Abbildung 64: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.09.2015
Abbildung 65: n-24.de, 15.08.2015
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Abbildung 66: Süddeutsche Zeitung, 18.11.2015
Abbildung 67: Die Welt, 24.11.2015
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Abbildung 68: n-24.de, 14.09.2015
Abbildung 69: spiegel-online.de, 30.12.2015
Abbildung 70: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.11.2015
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6.2.3 Geflüchtete und die deutsche ‚Willkommenskultur‘ Bildinhalte und Repräsentation der Personen Der letzte Abschnitt der Bildanalyse aus der Berichterstattung über den ‚langen Sommers der Migration‘ umfasst die Darstellung von Geflüchteten und ihrer Situation in Deutschland sowie Abbildungen von deutschen Helferinnen und Helfern, die durch Freiwilligenarbeit bei der Organisation der Ankunft und Unterbringung von ankommenden Flüchtlinge mitgewirkt haben. Die Bildauswahl kann in drei Bereiche unterteilt werden. Der erste Teil portraitiert einzelne Geflüchtete (oder Familien) und stellt ihre Lebens- und Arbeitssituation in Deutschland nach ihrer Ankunft dar (Abb. 71-74). Hierbei werden Frauen in ihrer sozialen Rolle als Auszubildende in einer Konditorei (Abb. 71) oder als Mutter (Abb. 72) dargestellt. Der männliche Geflüchtete wird hingegen als Gasthörer an der Humboldt Universität und als Student portraitiert (Abb. 73). Bei der Darstellung der beiden Männer findet sich zudem jeweils die Zuschreibung der nationalen Herkunft (Abb. 73: Sudan, Abb. 74: Syrien). Religiöse Zugehörigkeitszuschreibungen spielen hingegen keine Rolle. In allen Berichten wird jeweils der Name der Personen genannt, wobei die Beschränkung auf die Vornamen eine Anonymisierung nahelegt (Abb. 71 und 73). Der zweite Bereich der Bildauswahl portraitiert deutsche Helfer*innen, berichtet über ihre Beweggründe und stellt ihre Arbeit in der „Flüchtlingshilfe“ vor. Dabei werden die Personen in einem Garten, am Bahnhof (zur Begrüßung der ankommenden Flüchtlinge), an ihrem Arbeitsplatz oder auf der Straße gezeigt (Abb. 75-78). Auch hier sind sowohl Frauen als auch Männer repräsentiert und die Namen der Personen werden mit Ausnahme der Abbildung 76 genannt. Zudem wird neben der Bezeichnung ‚Flüchtlingshelfer*innen‘ einmal eine nationale Zugehörigkeitszuschreibung verwendet: Während die syrische Herkunft der jungen Frau in Abbildung 78 genannt wird, verzichten die anderen Berichte darauf, die naheliegende deutsche Herkunft der Personen explizit zu nennen. Auch religiöse Markierungen finden sich in den Portraits der Helfer*innen nicht. Der dritte Teil der ausgewählten Bilder zeigt schließlich Geflüchtete und Helfer*innen in einem gemeinsamen Portrait oder in einer Szene der „Flüchtlingshilfe“ (Abb. 79-84). Als räumliche Umgebung sind dementsprechend die (privaten) Unterkünfte der Geflüchteten und ihrer Helfer*innen (Abb. 81 und 84) sowie Orte der Flüchtlingshilfe und -unterstützung zu erkennen. Die Repräsentation von Frauen und Männern ist in diesem Bereich anders verteilt und es werden insbesondere Frauen als Helfer*innen und ausschließlich Männer als Geflüchtete abgebildet (in Abb. 83 wird dies gleichwohl auf verbaler Ebene thematisiert). Die Namen der Personen werden nur teilweise genannt, wobei auffällig ist, dass auch
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hier die Vor- und Nachnamen der deutschen Helfer*innen und nur die Vornamen der Geflüchteten verwendet werden (Abb. 81 und 84). Neben der Markierung als Flüchtling findet sich lediglich einmal eine weitere soziale Zuschreibung (Abb. 82: „Kochkursleiter“) und zweimal wird auf die nationale Herkunft verwiesen (Abb. 81: Eritrea, Abb. 84: Afghanistan). Die Helfer*innen werden zusätzlich als „Gutmenschen“ (Abb. 79) sowie „Ehrenamtliche“ und „Freiwillige“ (Abb. 83) bezeichnet und es wird ihre Rolle als „Initiatorin“ einer Hilfsaktion (Abb. 82) oder ihre Rolle bei der Unterbringung von Geflüchteten in der eigenen Wohnung (Abb. 81 und 84) betont. Durch die verbale Berichterstattung wird zudem durch die Verwendung nationaler Konnotationen deutlich gemacht, dass es sich um Personen deutscher Herkunft handelt, die Hilfe leisten (insbesondere in den Abb. 79, 81, 82 und 84). Alle ausgewählten Bilder, die eine Szene der Unterstützung zeigen, transportieren darüber hinaus bestimmte Handlungskontexte. Hierbei wird besonders die Hilfstätigkeit der deutschen Personen in den Mittelpunkt gerückt: Sie leisten Hilfe bei der Verteilung von Kleiderspenden oder Nahrungsmitteln (Abb. 79 und 83), unterrichten die deutsche Sprache (Abb. 80) oder initiieren Projekte für Geflüchtete (Abb. 82). Die als Flüchtlinge markierten Personen sind hingegen klar als diejenigen abgebildet, die diese Hilfsleistungen entgegen- (Abb. 79 und 83) und die Angebote der Unterstützung (Abb. 80) wahrnehmen. Die Darstellung der Helfer*innen steht in diesen gemeinsamen Abbildungen somit in einem deutlich aktiveren Handlungskontext als die der Geflüchteten. Textebene der Berichterstattung Die verbale Berichterstattung verwendet in allen drei Bildbereichen positive Konnotationen zur Bewertung der Aufnahme von Geflüchteten und zum ehrenamtlichen Engagement deutscher Helfer*innen. Dabei wird in Form von Zitaten auf die Dankbarkeit und positive Bezugnahme der portraitierten Geflüchteten zur neuen Lebenssituation in Deutschland Bezug genommen (Abb. 73: „Endlich wieder ein bisschen Selbstbewusstsein“, Abb. 74: „Hier darf ich in Frieden leben“). Zudem wird betont, dass bürokratische Hemmnisse zur besseren Integration abgebaut werden müssen (Abb. 71) und dass die abgebildete Familie „auf keinen Fall“ zurück in das Herkunftsland kehren möchte (Abb. 72). Die Helfer*innen werden durch die Beschreibungen als gut vernetzt und organisiert (Abb. 76 und 77) sowie als glückliche (Abb. 75) und sehr motivierte Persönlichkeiten (Abb. 78) charakterisiert. Auch wird – insbesondere in den gemeinsamen Portraits der beiden Personengruppen – ein deutlich positiver Bezug zu den ehrenamtlichen Tätigkeiten der deutschen Bevölkerung im Zuge des Ankommens der Geflüchteten hergestellt. So heißt es beispielsweise: „Millionen helfen ehrenamtlich“ (Abb.
190 | Visualität und Zugehörigkeit
80), „Überall fassen Freiwillige mit an“ (Abb. 83) und „Sie (Anm.: die Helfer*innen) springen ein, wenn der Staat versagt, sie zeigen Mitgefühl und geben Zuversicht“ (Abb. 82). Zudem wird mehrmals betont, dass die freiwillige Arbeit auch dem Ansehen Deutschlands zu Gute komme. Berichte über „Die guten Deutschen“ (Abb. 82) oder „Das neue Deutschland“ (Abb. 75) und auch Kommentare, die „Eine Liebeserklärung an alle Gutmenschen, die Deutschland nicht den Ängstlichen, Zynikern und trüben Tassen überlassen wollen“ (Abb. 79) verfassen, sind überaus wohlwollend und positiv ausgerichtet, wenn es um die Einschätzung der Hilfsleistungen für die Gesellschaft und insbesondere für das deutsche Selbstbild geht. Bildsemiotische Analyse Die Darstellungsweise der ausgewählten Fotografien lässt sich insgesamt in zwei unterschiedliche Bereiche aufteilen. Der erste Bereich umfasst alle Portraits von Einzelpersonen und kleinen Gruppen, die die Betrachter*innen mittels Augenkontakt direkt adressieren und damit auf Ebene der kommunikativen Interaktion eine Verbindung zwischen abgebildeten und dargestellten Personen anstreben (Abb. 71-75, 77, 78, 81 und 84). Hierbei wird eine mittlere bis lange soziale Distanz etabliert und ein Blickverhältnis auf Augenhöhe, also im Sinne einer gleichberechtigten Positionierung, hergestellt. Die Mimik der dargestellten Geflüchteten und Helfer*innen ist neutral, freundlich oder lächelnd. Die Portraits stellen die Personendarstellung jeweils eindeutig in den Mittelpunkt des Bildaufbaus (z.B. in den Abb. 72, 74, 77 und 78). Verstärkt wird dieser Effekt durch die gezielte Lichtführung (Abb. 75) oder die Vorder- und Hintergrundfokussierung der Personen (Abb. 71). Die räumliche Umgebung der Aufnahme, also der Arbeitsplatz (Abb. 71 und 77) oder die gemeinsame Unterkunft (Abb. 81 und 84), werden zum nebensächlichen Bildinhalt, der vor allem dazu dient, die Portraitierten weiter zu charakterisieren. Insgesamt wird der auf verbaler Berichterstattungsebene akzentuierte Frame damit auch auf visueller Ebene unterstrichen und fortgesetzt. Die persönliche Adressierung der Leser*innen durch Augenkontakt und die Zentrierung der Personen im Bild verstärken diese grundsätzlich positiv konnotierte Botschaft über die Geflüchteten als auch über die Helfer*innen und lassen ein persönliches und nahes Interaktionsverhältnis zu. In den Darstellungen, in denen beide Personengruppen gemeinsam portraitiert werden, weist der Bildaufbau darüber hinaus deutlich auf eine visuelle Grenzziehung zwischen diesen beiden unterschiedlichen Gruppen hin. So stehen die deutschen Helfer*innen in den Abbildungen 81 und 84 deutlich im Mittelpunkt der Gruppenaufnahme und auch im Zentrum der Bildkomposition. Die beiden Geflüchteten sind demgegenüber jeweils an der Au-
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ßenseite der Gruppe und am Bildrand angeordnet. Diese bildliche Aufteilung begünstigt einerseits die Position der Helfer*innen und rückt die Geflüchteten an den Rand des Bildgeschehens. Andererseits erfährt die auf verbaler Ebene hervorgehobene Hilfsbereitschaft hiermit nochmals einen visuellen Beleg. Diejenigen, die helfen und unterstützen werden im Bildaufbau besonders hervorgehoben. Die Lichtführung in Abbildung 81 unterstreicht zudem die Zentrierung des weißen Ehepaares sowie die Randposition der Geflüchteten, die auch farblich in den Hintergrund tritt. Betont wird auf Ebene der Repräsentation somit nicht nur die Rolle der Helfenden, sondern ebenfalls die visuelle Grenzziehung zwischen weißen Deutschen und nicht-weißen Flüchtlingen. Der zweite Bereich der visuellen Darstellungsweisen umfasst diejenigen Fotografien die jeweils eine Szene der Flüchtlingshilfe und -unterstützung abbilden (Abb. 76, 79, 80, 82 und 83). Auch hier wird eine mittlere Distanz auf Augenhöhe zu den Bildbetrachter*innen hergestellt, wobei jedoch kein direkter Augenkontakt möglich ist. Durch die Nähe zu den Personen und den dargestellten Handlungen sowie durch die freundlich-lachende Mimik wird dennoch eine positive Darstellungsweise etabliert, die die Leser*innen in das Bildgeschehen involviert und dabei besonders auf die Hilfsleistungen fokussiert. Der Bildaufbau betont gleichwohl auch hier die Helfer*innen, entweder durch gezielte Lichtführung (Abb. 76), die Hervorhebung der Größe der Person (Abb. 79) oder durch Platzierung im Bildmittelpunkt (Abb. 80 und 82). In Abbildung 80 wird diese Zentrierung durch die Lichtführung sowie durch die farblichen Hell-Dunkel-Kontraste zwischen der Helferin und den Geflüchteten, die um sie herumsitzen und die auf sie schauen, nochmals unterstrichen. Ähnlich wie in Abbildung 81 wird auch hier die Helferin gegenüber den Flüchtlingen durch visuelle Darstellungsmittel hervorgehoben. Die Grenzziehung verläuft dabei einerseits durch die Anordnung der Geflüchteten am Bildrand und die damit einhergehende räumlich Gegenüberstellung von weißen und schwarzen Personen im Bildgeschehen. Andererseits führt die Aufnahmeperspektive dazu, dass die Mimik der Geflüchteten nicht richtig erkannt werden kann, so dass eine Identifizierung der abgebildeten Personen trotz der relativ nahen räumlichen Distanz fast nicht möglich ist. Der Fokus der Bildbedeutung wird damit nochmals zusätzlich auf die weiße Helfer*in gelegt, die lächelnd in die Runde der Flüchtlinge schaut. Ein weiterer visuell-semiotischer Bezugspunkt betrifft den Bildaufbau und die Verwendung von Verbindungslinien zwischen Geflüchteten und Helfer*innen, die insbesondere durch das in der Abbildungsanordnung etablierte Blickverhältnis zwischen diesen beiden Personengruppen realisiert wird. So ist beispielsweis das Blickverhältnis zwischen Helferin und Geflüchtetem in Abbildung 79, bei dem der Blick des jungen Kindes von unten nach oben auf die helfende Person
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gerichtet ist, eine weitere visuelle Symbolisierung der verbal hervorgehobenen ‚engagierten Hilfsleitung‘ deutscher Personen. Die deutlich im Bildmittelpunkt stehende Hilfe und Unterstützung sind wichtigster Bestandteil der Bildbotschaft. Zugleich unterstreicht der Blick die Positionierung der Helferin als aktiv handelnde auf der einen Seite sowie die Dankbarkeit für die Unterstützung durch die Geflüchteten als passiv empfangende Personengruppe auf der anderen Seite. Abbildung 71: DER SPIEGEL, 2015/35
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Abbildung 72: DER SPIEGEL, 2015/52
Abbildung 73: spiegel-online.de, 05.12.2015
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Abbildung 74: Süddeutsche Zeitung, 23.05.2015
Abbildung 75: DER SPIEGEL, 2015/36
Abbildung 76: Süddeutsche Zeitung, 02.10.2015
Visuelle Feinanalyse – Stereotype und Darstellungsmuster | 195
Abbildung 77: Süddeutsche Zeitung, 10.12.2015
Abbildung 78: waz.de, 18.09.2015
Abbildung 79: DER SPIEGEL, 2015/39
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Abbildung 80: n-tv.de, 21.12.2015
Abbildung 81: Die Welt, 15.07.2015
Visuelle Feinanalyse – Stereotype und Darstellungsmuster | 197
Abbildung 82: DER SPIEGEL, 2015/34
Abbildung 83: Die Welt, 21.08.2015
Abbildung 84: n-24.de, 21.09.2015
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6.3 DEUTSCHE SELBSTBILDER In der visuellen Analyse der Berichterstattung über Integration, Zuwanderung und Flucht/Asyl konnten ausgehend von den Fallstudien insgesamt nur wenige Darstellungsmuster und stereotypisierende Visualisierungen herausgearbeitet werden, die aussagekräftige Botschaften zu deutschen Selbstbildern ermöglichen. Eine Ausnahme stellen dabei die im vorherigen Kapitel analysierten Abbildungen der deutschen Hilfsbereitschaft dar, bei denen nicht nur die Geflüchteten, sondern explizit auch die deutschen Helfer*innen in der Berichterstattung sichtbar wurden. Ähnliches konnte ebenfalls für die Bereiche Bildung und Arbeit festgestellt werden, jedoch auch hier ausschließlich in der Berichterstattung über Flucht und Asyl. Bilder, die die deutsche Mehrheitsgesellschaft repräsentieren sollen, werden in der integrations- und migrationspolitischen Medienberichterstattung insgesamt scheinbar nur selten verwendet. Dies verwundert insoweit, da es gerade im Zusammenhang der vorherrschenden Deutungsmuster der integrationspolitischen Berichterstattung erwartbar wäre, auch das Verhältnis zwischen denjenigen, die integriert werden sollen und denjenigen, die die deutsche Gesellschaft repräsentieren, in Form von symbolischen Gegenüberstellungen zu visualisieren. Aufgrund dieser Unsichtbarkeit der Dominanzgesellschaft in weiten Teilen der ausgewählten Berichterstattung musste zur Analyse deutscher Selbstbilder eine Erweiterung der Untersuchung über die vier Fallstudien hinaus vorgenommen werden. Nach einer erneuten Sichtung der Medienberichterstattung des Zeitraums 2006 bis 2015 gelang es, zusätzliche Bildmaterialien aus dem Bereich Selbstbilder und Deutschsein einzubeziehen. Auch wenn die Anzahl der Visualisierungen in dieser Erweiterung insgesamt ebenfalls niedrig blieb, wurde dennoch ein Analysevorgehen möglich, mit dem eine vergleichende Untersuchung dominanter Repräsentationsweisen und normalisierender Imaginationen des ‚Selbst‘ realisiert werden konnte. Hierzu erfolgte die Identifizierung von drei Darstellungsmustern, die zu entsprechenden Bildgruppen zusammengefasst wurden. Die erste Gruppe umfasst die wenigen Visualisierungen in der integrationsund migrationspolitischen Berichterstattung von 2006 bis 2015, die explizit Personen als deutsch markieren. Dabei wurden insbesondere Abbildungen vorgefunden, die das Verhältnis der ‚Mehrheitsgesellschaft‘ zu migrantischen/muslimischen Personen thematisieren, dabei eine Abgrenzung vollziehen und Bildbotschaften über nationale Zugehörigkeitsverhältnisse transportieren (6.3.1). Für die zweite Bildgruppe wurden Abbildungen aus der Berichterstattung über den neuen deutschen Patriotismus, der im Zuge der Fußballweltmeisterschaft 2006 in den deutschen Medien zum Thema wurde, ausgewählt. Sie geben – vor allem
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auch im Vergleich zu den in Kapitel 6.1.4 untersuchten Abbildungen der Fußballfans, die als Migrant*innen benannt werden – einen Einblick in die Repräsentationsweise von Deutschsein und den damit einhergehenden Selbstbildern der Deutschen Dominanzgesellschaft (6.3.2). Die dritte Bildgruppe umfasst abschließend eine Auswahl von drei Berichten über die deutsche Mittelschicht, in denen diese als bedroht und von gesellschaftlichen Krisen betroffen dargestellt wird. Die Abbildungen von verschiedenen Familien haben explizit die Funktion, Menschen aus der ‚Mitte‘ der deutschen Gesellschaft darzustellen und sind daher für die Analyse des Selbstbildes einer deutschen ‚Mehrheitsgesellschaft‘ ebenfalls von Interesse (6.3.3). 6.3.1 ‚Wir-Gemeinschaft‘ und ‚Migrationsandere‘ Bildinhalte und Repräsentation der Personen Die ausgewählten Fotografien können zur Analyse in zwei verschiedene Bereiche eingeteilt werden. Der erste Teil umfasst die Verwendung von jeweils zwei in den Zeitungsartikeln direkt nebeneinanderstehenden Abbildungen (Abb. 85 und 86). Beide Bilder sind in die Berichterstattung über Integration und Zuwanderung eingebettet, so dass für die Bildlektüre eine Gegenüberstellung von Deutschen und Migrant*innen nahegelegt wird. Abbildung 85 stammt aus der Berichterstattung um die „Diskussion über Deutsch als Pflichtsprache auf Pausenhöfen“ zu Beginn des Jahres 2006 und zeigt in der linken Fotografie Schülerinnen einer Hauptschule und auf der rechten Seite Schülerinnen eines Gymnasiums. Durch den Gesamtdiskurs der politischen Debatte und insbesondere durch die Nennung der Namen der Schülerinnen im Untertitel wird ersichtlich, dass es hier nicht nur um die verschiedenen Schulformen, sondern auch um eine kontrastierende Visualisierung von migrantisierten (und wie oftmals hervorgehoben wird ‚nicht ausreichend deutschsprechenden‘) jungen Frauen auf der einen und Schülerinnen deutscher Herkunft auf der anderen Seite handeln muss. Diese Gegenüberstellung wird auch durch die Markierung des Muslimischseins sowie durch die Repräsentation einer Schwarzen Schülerin auf der linken und durch die Repräsentation von weißen Schülerinnen auf der rechten Fotografie verdeutlicht, wobei in der Bildlektüre an die gesellschaftlich dominante Gleichsetzung von Deutschsein und Weißsein angeknüpft werden kann. Auf Ebene des bildimmanenten Handlungskontextes wird eine eindeutige Unterscheidung vorgenommen: Während die als migrantisch markierten Schülerinnen in einer passiven und zuhörenden Haltung abgebildet sind, werden die als deutsch markierten Schülerinnen in einer aktiveren Handlung gezeigt, die durch die Gestik des ‚Aufzeigens‘ stärker auf die Beteiligung am Unterricht hindeutet. Die aufgeschlagenen Bü-
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cher, die von den Schülerinnen festgehalten werden, zeigen ebenfalls eine sehr aktive Beteiligung am Schulunterricht an. Die andere Gegenüberstellung von Fotografien (Abb. 86) ist Teil eines Artikels zur Sarrazin-Debatte im Herbst 2010. Hier wird vor allem durch die Bildunterschrift eine abgrenzende Repräsentation der Deutschen (durch das „Ehepaar Guttenberg“) und der ‚Anderen‘ (durch die Darstellung der drei „Musliminnen“) hervorgehoben. Die Personen sind dabei durch die Betonung von Kleidungsstücken, die symbolisch auf unterschiedliche kulturelle Herkünfte verweisen sollen, visuell deutlich mit differenten Zugehörigkeitszuschreibungen ausgestattet. Die deutsche Trachtenkleidung steht der muslimischen Kleidung und dem Kopftuch gegenüber. Verstärkt wird die Differenzmarkierung zusätzlich noch durch die unterschiedliche Laufrichtung der Personen, da das Ehepaar Gutenberg auf die Leser*innen zuläuft, während die jungen Musliminnen sich von den Betrachter*innen des Bildes wegbewegen. Insgesamt dient die Gegenüberstellung damit deutlich zur visuellen Grenzziehung zwischen deutscher und muslimischer Zugehörigkeit, die als entgegengesetzt symbolisiert werden. Die Fotografien des zweiten Teilbereichs (Abbildung 87 und Abbildung 88) visualisieren ebenfalls das Verhältnis zwischen ‚deutsch‘ und ‚migrantisch/muslimisch‘. Beide Darstellungen wurden der Berichterstattung über die kontrovers geführte Debatte um die Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland entnommen, die im Oktober 2010 nach der Rede des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff geführt worden war. In diesen Fotografien wird die Frage des deutschmuslimischen Zugehörigkeitsverhältnisses anhand des Zusammentreffens von jeweils zwei bekannten Persönlichkeiten thematisiert. Die Darstellung in Abbildung 87 wurde in der deutschen Print- und Onlineberichterstattung besonders häufig verwendet und hatte sich zu einem Symbolbild für die Frage der Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland entwickelt. Es zeigt die Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Fußballspieler Mesut Özil nach dem Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen die Türkei in der Kabine des Fußballstadions. Die Bundeskanzlerin gratuliert per Handschlag zum Sieg über die Mannschaft der Türkei. Özil wird in der Berichterstattung zu einem prominenten Repräsentanten für Muslim*innen in Deutschland und viele Medienberichte werfen die Frage auf, wer zu Deutschland in welcher Weise zugehörig ist und wie die Bundesregierung mit dieser Debatte umgeht. Entscheidender Bezugspunkt im Bild ist die soziale Handlung der Gratulation, durch die eine ganz bestimmte Bedeutung betont wird. Das Beglückwünschen geht hier von der Bundeskanzlerin aus, so dass eine doppelte Botschaft in den Mittelpunkt des Bildinhalts gerückt ist: Die Bundeskanzlerin gratuliert scheinbar nicht nur zum Fußballsieg, sondern vielmehr
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auch zur erfolgreichen Integration Özils, der als Repräsentant für die Muslim*innen in Deutschland steht. In einem ganz ähnlichen symbolischen Zusammenhang steht die in Abbildung 88 dargestellte Begegnung des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff mit dem bekannten Filmregisseur Fatih Akin, die im Rahmen der Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen wurde. Wulff überreicht dem Regisseur aus diesem Anlass eine entsprechende Urkunde und einen Orden. Auch hier wird ein Ereignis dazu genutzt, die Frage der Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland zu thematisieren und anhand einer prominenten Person zu diskutieren. Textebene der Berichterstattung Die Berichterstattung enthält auf Ebene der verbalen Kommunikation neben den bereits in die Analyse einbezogenen Benennungen und Markierungen der dargestellten Personen auch unterschiedliche positive und negative Konnotationen zur jeweiligen Thematik der Artikel. So schreibt die Überschrift des Berichtes aus Abbildung 85 „Zwei Schulen – zwei Welten“ die durch die visuelle Gegenüberstellung vollzogene Trennung zwischen zwei Schulformen und zwischen ‚deutschen‘ sowie ‚migrantischen‘ Schüler*innen weiter fort. Die Aufteilung in unterschiedliche ‚Welten‘ erinnert hierbei stark an das in integrationspolitischen Debatten verbreitete Narrativ, das von der Existenz nahezu unvereinbarer sowie sich gegenüberstehender Entitäten ausgeht und das häufig auch eine Gegenüberstellung von ‚deutscher (Leit-)Kultur‘ und ‚migrantischen Parallelgesellschaften‘ vornimmt. Durch diese verbale Betonung der Gegensätzlichkeit erhöht sich die bildlich vollzogene Grenzziehung nochmals erheblich und mögliche verbindende Aspekte rücken in den Hintergrund. Auch die Bildbedeutungen der Abbildungen 87 und 88 werden durch die verbalen Botschaften in eine jeweils entscheidende Richtung gelenkt. Die von der Bundeskanzlerin ausgehende Beglückwünschung und damit verbundene Anerkennung des Fußballspielers Özil in Abbildung 87 wird durch die im Titel aufgeworfene Frage, ob der Islam „zu uns“ gehören würde oder nicht, wieder eingeschränkt. Der Verweis, dass es in Deutschland aufgrund der Äußerungen zum Islam derzeit ‚rumoren‘ würde, stellt den positiv konnotierten bildlichen Bezug der Gratulation ebenfalls in Frage. Demgegenüber steht in Abbildung 88 eine verbale Rahmung der visuellen Botschaft, die die positive und anerkennende Konnotation der Darstellung noch verstärkt. Hier wird betont, dass der Regisseur Fatih Akin, der als „türkischstämmig“ bezeichnet wird, „sicher zu Deutschland“ gehöre.
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Bildsemiotische Analyse Im ersten Abbildungsbereich, der jeweils eine Gegenüberstellung von zwei Fotografien zur Visualisierung von Deutschsein und Migrantischsein beinhaltet (Abb. 85 und Abb. 86), werden die kontrastierenden Abbildungen durch eine grundsätzlich ähnlich aufgebaute Darstellungsweise auf einer formalen Ebene miteinander verbunden, um sie vergleichbar zu machen. So stehen in Abbildung 85 in beiden Fotografien jeweils drei Schülerinnen innerhalb einer Unterrichtssituation im Mittelpunkt des Bildaufbaus, die durch die räumliche Nähe zueinander als zusammengehörige Personengruppe erkannt werden können. Die Bildbetrachtenden nehmen dabei eine mittlere Distanz zu den Schülerinnen ein und werden durch die Blickposition so platziert, dass sie in das Bildgeschehen und damit in die Situation des Unterrichts involviert werden. Der Blick auf die Personen im Bild ist zudem jeweils so gewählt, dass Mimik und Gestik erkannt werden können. Auf dieser Interaktionsebene werden jedoch auch klare Unterschiede in der Darstellungsweise ersichtlich: Während die Gestik der drei Schülerinnen in der linken Abbildung das konzentrierte Zuhören betont und der Blick auf den Boden eher auf Anstrengung und Passivität hindeutet, unterstreichen die in die Höhe gehaltenen Zeigefinger sowie der nach vorne oder in das Lehrbuch gerichtete Blick viel stärker die aktiv-teilnehmende Handlung der drei Schülerinnen. Zusätzlich ergeben sich durch die gewählte Kameraperspektive verschiedene Blickverhältnisse zu den abgebildeten Personen. Die leichte Untersicht in der rechten Fotografie erhöht die vorteilhafte Darstellungsweise der Schülerinnen im Gegensatz zu der aus leichter Obersicht zu sehenden Personendarstellung der Schülerinnen im linken Bild. Durch die Betonung des Handlungskontextes im Bildaufbau (Gestik, Mimik und Blickrichtung der dargestellten Personen) sowie durch den jeweils gewählten Blickwinkel auf die Schülerinnen entsteht somit eine deutlich positiver konnotierte Abbildung der deutschen Schülerinnen gegenüber der Darstellung der als migrantisch bezeichneten Schülerinnen. Ganz ähnlich lässt sich in Abbildung 86 ebenfalls die grundsätzlich gleiche Darstellungsweise als visuell verbindendes Element erkennen, die dazu genutzt wird, die beiden getrennten Fotografien in der Bildlektüre in ein Verhältnis zueinander zu setzen. So zeigen beide Bilder Personen aus mittlerer bis weiter sozialer Distanz, die eine Straße entlanggehen. Die Betrachter*innen des Bildes blicken dabei auf Augenhöhe auf die Personengruppen, die durch die räumliche Nähe zueinander und das gemeinsame Laufen in eine Richtung jeweils als zusammengehörig erkannt werden können. Der Bildaufbau zentriert die Personen in beiden Abbildungen zudem in den Mittelpunkt der Bildaussage. Durch Farbgebung und Kontrastierung zum Bildhintergrund wird insbesondere die Bekleidung der abgebildeten Personen betont, die deutsche Trachtenkleidung des Ehe-
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paares Guttenberg auf der einen und die muslimische Bekleidung der drei „junge(n) Musliminnen“ auf der anderen Seite. Diese visuelle Hervorhebung unterstreicht nochmals die Zugehörigkeitszuschreibungen ‚deutsch‘ und ‚muslimisch‘/‚migrantisch‘ und setzt sie in ein entsprechendes Gegensatzverhältnis, das im Kontext der Sarrazin-Debatte vor allem die Botschaft der Nichtvereinbarkeit der ‚verschiedenen Kulturen‘ verankert. Die Differenz zwischen den beiden Personengruppen verstärkt sich auf visueller Ebene insbesondere auch durch die jeweilige Interaktionsweise, die zwischen Betrachter*innen und dargestellten Personen etabliert wird: Das Ehepaar Guttenberg läuft auf die Bildbetrachtenden frontal zu, wodurch eine gewisse Nähe und eine Verbindung zu diesen hergestellt wird. Außerdem kann durch die gewählte Blickposition eine positive, lächelnde Mimik erkannt werden. Diese wird nochmals durch die Lichtführung betont, die von vorne auf die Gesichter fällt und diese aufhellt. Demgegenüber entfernt sich die Gruppe der jungen Musliminnen von den Bildbetrachter*innen, da sie sich von der Blickposition wegbewegen. Die Darstellungsweise ist hierbei mit der häufig vorgefundenen visuellen Figur der Muslimin/Migrantin im öffentlichen Raum vergleichbar (siehe 6.1.1): Das Gesicht und die Mimik der Frauen können nicht erkannt werden, da die Personen nur rückseitig zu sehen sind. Auf Augenhöhe ist demgegenüber zweimal ein Kopftuch zu erkennen, dass deutlich in den Mittelpunkt des Bildaufbaus gesetzt ist. Diese Form der Darstellung etabliert gegenüber der linken Abbildung eine wesentlich distanziertere und entpersonalisiertere Interaktionsmöglichkeit zwischen Betrachter*innen und abgebildeten Personen. Kontrastierung und visuelle Differenz zwischen den links zu sehenden ‚deutschen‘ Personen und den rechts abgebildeten ‚muslimischen‘ Frauen werden dabei insbesondere durch eine positiv konnotierte, nahe Blickposition einerseits und eine distanzierende, negativ konnotierte Blickposition andererseits realisiert. Während die Abbildung des Ehepaares Guttenberg vor allem die lächelnde Mimik und die Persönlichkeit der beiden Personen unterstreicht, führt die gewählte Darstellungsweise der Musliminnen zu einer Interaktionsebene, die dem klar entgegensteht und eher auf abgrenzende als auf verbindende Kommunikation hindeutet. Die Abbildungen 87 und 88 setzen demgegenüber deutlich stärker auf eine visuelle Darstellungsweise, die jeweils die beiden im Bild zu sehenden Personen und das symbolische Verhältnis zwischen ihnen in den Mittelpunkt der Bildaussage rückt. Hierbei wird eine mittlere Distanz zu den Betrachter*innen hergestellt und die Mimik ist durch die seitliche oder frontale Blickweise auf die Personen erkennbar. Wichtiger Bestandteil des Bildaufbaus ist die Gestik der Beglückwünschung. In Abbildung 87 nimmt diese Gratulation, symbolisiert durch den Handschlag zwischen Angela Merkel und Mesut Özil, einen besonderen vi-
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suellen Bezugspunkt ein. Während die Personendarstellung jeweils am linken und am rechten Bildrand angeordnet ist, wird in der Mitte des Bildaufbaus der Handschlag besonders unterstrichen. Die Gratulation geht dabei von Angela Merkel aus, die durch die gewählte Perspektive etwas deutlicher zu erkennen ist und damit mehr Präsenz in der Bildhandlung erhält. Die Bildbotschaft akzentuiert hier im Zusammenhang mit den inhaltlichen Frames ‚Integration‘ und ‚Zugehörigkeit‘, dass die Bundeskanzlerin sich positiv zu der Frage nach Vereinbarkeit von islamischem Glauben und deutsch-nationaler Gemeinschaft positioniert. Ganz ähnlich ist ebenfalls die Bildbedeutung der Gratulation und Übergabe des Verdienstordens an den Regisseur Fatih Akin durch Bundespräsident Wulff in Abbildung 88 ausgerichtet. Auf verbaler Ebene wird bereits die Zugehörigkeit Akins besonders hervorgehoben („gehört sicher zu Deutschland“). Dieser Aspekt wird mit Hilfe der positiv konnotierten Darstellungsweise – nahe bis mittlere soziale Distanz und lächelnde Mimik der beiden Personen – noch verstärkt. In beiden Abbildungen kommt demnach eine klare Anerkennung gegenüber den in den Fotografien als ‚muslimisch‘ und/oder ‚migrantisch‘ markierten Personen zum Ausdruck. Durch die Gratulation und besondere Auszeichnung werden bestimmte Leistungen der jeweiligen Personen Özil und Akin gewürdigt, wobei die Bedeutung für den nationalen Kontext (Nationalmannschaft/Verdienstorden) besonders hoch ist.
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Abbildung 85: Welt am Sonntag, 12.02.2006
Abbildung 86: DER SPIEGEL, 2010/44
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Abbildung 87: Welt am Sonntag, 10.10.2010
Abbildung 88: Süddeutsche Zeitung, 09.10.2010
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6.3.2 Selbstbilder und (neuer) deutscher Patriotismus Bildinhalte und Repräsentation der Personen Das zweite Darstellungsmuster der Feinanalyse deutscher Selbstbilder wurde exemplarisch aus der Berichterstattung zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland ausgewählt – wobei hier weniger das sportliche Ereignis, als vielmehr die damit einhergehende Thematisierung des zunehmend sichtbaren Patriotismus im Fokus der medialen Berichte stand (Abb. 89, 90 und 91). Die Identifikation mit der Nationalmannschaft und die erhöhte Sichtbarkeit nationaler Symboliken im öffentlichen Raum war Ausgangspunkt für eine mediale Debatte um ein neues Nationalgefühl der Deutschen. Zwei großformatige Fotografien zeigen im Kontext dieser Berichterstattung jeweils eine junge weiße Frau auf einem großen Fanfest (Abb. 89 und 90). Ihre Rolle als Fan der Fußballnationalmannschaft ist durch verschiedene schwarz-rot-goldene Kleidungsstücke und aufgemalte Deutschlandflaggen im Gesicht sowie durch die Bildunterschrift erkennbar. Durch das Hervorheben des neuen nationalen Selbstbildes in der Berichterstattung stehen beide Personen jedoch ebenfalls repräsentativ für die beschriebenen deutsche Bevölkerung, die – über die Begeisterung für das Sportereignis hinausgehend – ein neuformuliertes patriotisches Selbstverständnis in die Öffentlichkeit trägt. Die vielfach zu sehenden nationalen Farben sowie das begeisterte Präsentieren eines Fanschals im Bildmittelpunkt unterstreichen dies auf besonders deutliche Weise (Abb. 89) und auch in der ausgewählten Bildreihe (Abb. 91) steht die Identifikation mit Deutschland im Mittelpunkt des Bildinhalts. Hier sind in den drei nebeneinander angeordneten Abbildungen jeweils Fußballfans mit Nationalfahne, Fankleidung oder schwarz-rot-goldener Frisur dargestellt, wobei sowohl Frauen als auch Männer sowie ein Kleinkind abgebildet werden, um die in den Berichten thematisierten Gruppen der ‚DeutschlandFans‘ zu repräsentieren. Textebene der Berichterstattung Die Artikel sind deutlich von positiv ausgerichteten Beschreibungen bestimmt, um über den Charakter des aufkommenden Patriotismus und neuen Nationalgefühls der Deutschen zu berichten. So wird vor allem die Harmlosigkeit des Phänomens (Abb. 89: „nur das Synonym für die Bereitschaft zur ganz großen Party“) und auch eine entspannte und ausgelassene Atmosphäre (Abb. 91: „mit mediterranem Frohsinn und unverklemmtem, weltoffenem Patriotismus“), die mit dem Stolz auf die eigene nationale Identität einhergehe, betont. Eine deutliche Abgrenzung von der deutschen Vergangenheit und vom ‚alten Patriotismus‘ ist ebenfalls von Bedeutung (Abb. 90: „Sie haben ein gelassenes Selbstbewusstsein
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entwickelt, das weit entfernt ist vom säbelrasselnden Nationalismus der Vergangenheit“). Die als modern und weltoffen beschriebene deutsche Identität ist dabei jeweils Mittelpunkt der Textbotschaft. Zugleich verstärkt die verbale Ebene der Berichterstattung die oben benannte Repräsentation der abgebildeten Personen. Bildsemiotische Analyse Im Mittelpunkt des Bildaufbaus stehen in beiden Abbildungen jeweils die Personen, ihre positive und begeisterte Mimik sowie die nationalen Symboliken, die sie umgeben. In Abbildung 89 ragt die junge Frau in der Mitte des Bildes aus einer jubelnden Menge deutscher Fußballfans heraus und streckt den Bildbetrachter*innen aus mittlerer sozialer Distanz und auf Augenhöhe einen Fanschal mit den deutschen Nationalfarben und der Aufschrift ‚Deutschland‘ entgegen. Auch wenn die Frau deutlich ins Zentrum der Bildbotschaft gerückt ist, nimmt die räumliche Umgebung ebenfalls einen wichtigen Stellenwert im Aufbau des Bildes ein. Die dicht gedrängte Menschenmasse und die sich wiederholende, sehr kontrastreiche schwarz-rot-goldene Farbgebung durch Flaggen und andere Fanutensilien betonen die Zusammengehörigkeit der abgebildeten Gruppe sowie die gemeinsame Identifikation. Die auf Textebene deutlich hervortretende Botschaft vom Phänomen des neuen, jungen Patriotismus in Teilen der Bevölkerung wird damit auch visuell bestätigt. Im Mittelpunkt des Bildaufbaus der zweiten Abbildung ist ebenfalls eine Frau positioniert (Abb. 90), die aus mittlerer Distanz und aus einer leichten Untersicht von den Bildbetrachter*innen gesehen wird. Durch die Lichtführung wird sie besonders deutlich vom dunklen Hintergrund abgesetzt, wo weitere Fußballfans erkannt werden können. Der Fokus liegt hier eindeutig auf dem begeisterten und freudigen Blick der Frau, der nach oben rechts (aus dem Bild hinaus) gerichtet ist. Dabei bleibt unklar, auf wen oder was geblickt wird. Naheliegend wäre aufgrund der räumlichen Umgebung sicherlich eine Leinwand, auf der ein Fußballspiel mit Beteiligung der deutschen Nationalmannschaft verfolgt werden kann. Die unsichtbar bleibende Fläche im Bildaufbau realisiert jedoch zusammen mit der etablierten Blickachse ebenfalls Raum für Mehrdeutigkeit. Damit eröffnet sich die Möglichkeit, den inhaltlichen Zusammenhang der Fußball-WM zu überschreiten und die Bildbotschaft auf eine allgemeinere Ebene zu auszurichten. Die kontrastreiche schwarz-rot-goldene Farbgebung – nicht zuletzt durch die an markanter Stelle im Mittelpunkt des Bildhintergrunds platzierte Nationalflagge – spielt auf visueller Ebene ebenfalls eine besondere Rolle. Sie unterstreicht das im Text genannte Nationalgefühl und vermittelt durch visuelle Hervorhebung die Symbolik der Zugehörigkeit zu Deutschland. Die drei Bilder
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in Abbildung 91 zeigen die unterschiedlichen Personen jeweils aus einer mittleren Distanz und auch hier stehen die nationalen Symbole, verstärkt durch die kontrastreiche Farbgebung sowie durch die Positionierung im Bildaufbau, deutlich im Mittelpunkt der Komposition. Der Bilduntertitel unterstreicht zudem die emotionale Ebene der nationalen Identifikation, die bereits in der Mimik gut erkennbar ist („Patriotische Gefühle“, „Stolz“). Insgesamt fällt auf Ebene der visuellen Kommunikationsmittel in allen Abbildungen besonders die äußerst positive Mimik und Gestik der dargestellten Personen auf. Die ebenfalls positiv konnotierte Textbotschaft vom freundlichen Patriotismus wird damit in der visuellen Berichterstattung nochmals bestätigt. In beiden Bildern ist die durch den Bildaufbau begünstigte Gestik der Begeisterung nicht nur ein Ausdruck für die Unterstützung der Fußballnationalmannschaft, sondern auch ein Symbol für das neue Selbstbild Deutschlands. Die Bilder legen hier in den Medienberichten als visueller Nachweis dar, dass der aufkommende Patriotismus positiv wahrgenommen werden darf – auch weil dieser sich sichtbar vom „säbelrasselnden Nationalismus der Vergangenheit“ (Abb. 90) unterscheide. Abbildung 89: DER SPIEGEL, 2006/24
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Abbildung 90: DER SPIEGEL, 2009/19
Abbildung 91: DER SPIEGEL, 2006/25
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6.3.3 Visuelle Repräsentationen der Mittelschicht Bildinhalte und Repräsentation der Personen Der dritte exemplarisch ausgewählte Bereich visueller Sichtbarkeit von Deutschsein umfasst drei Medienberichte über die Situation der Mittelschicht in Deutschland. Diese auch als „Mitte“ der deutschen Gesamtbevölkerung bezeichnete Gruppe wird in den ausgesuchten Fotografien durch Familien-Portraits dargestellt (Abb. 93 und 94). Zudem sind in Abbildung 92 zwei Kinder mit Musikinstrumenten abgebildet. Auf bildlich-repräsentativer Ebene ist erstens auffällig, dass für die Personendarstellungen jeweils ein ‚traditionelles‘ Familienbild abgebildet wird, um die Mittelschicht in Deutschland zu visualisieren. Auffallend ist zweitens, dass ausschließlich die Darstellung weißer Personen sichtbar ist, um Mittelschichtsfamilien Deutschland repräsentativ abzubilden. Weitere Zugehörigkeitszuschreibungen sind dagegen nicht vorfindbar. Das Abbilden der Mittelschicht wird außerdem auf zwei zusätzlichen Bildebenen inhaltlich ausformuliert: Auf Ebene der Rollendarstellung wird eine dynamische und aktive Haltung der jeweiligen Personen angezeigt. Diese ist besonders durch die in Bewegung dargestellten Kinder (Abb. 94) und das Musizieren hervorgehoben (Abb. 92). Zudem übt auch der Darstellungsort Einfluss auf die Bildbedeutung aus. Die vier Familien in Abbildung 94 werden alle in der räumlichen Umgebung ihres Zuhauses – entweder in der Wohnung, im Stadthaus oder im Garten – gezeigt, wodurch die Leser*innen einen Einblick in die für die Mittelschicht stehenden Lebensverhältnisse erhalten. Textebene der Berichterstattung Die Abbildungen der deutschen Mittelschicht sind Teil einer Berichterstattung, der insbesondere positive Konnotationen zur Bedeutung der Bevölkerungsgruppe für die nationale Gesellschaft hervorhebt und diese z.B. in Abbildung 92 als „das Rückgrat jeder Volkswirtschaft“ bezeichnet. Dementsprechend werden die dazugehörigen Personen als bedeutende gesellschaftliche Gruppe beschrieben: „Sie arbeiten, zahlen Steuern und stützen das Land“ (Abb. 94). Zugleich berichten die Artikel von der drohenden Abnahme der Mittelschicht durch „die Steuerpolitik, von der in der Vergangenheit vor allem die Reichen profitierten“ (Abb. 93), von den „Abstiegssorgen der Mittelschicht“ (Abb. 92) und es wird vor einer Gefahr der zunehmenden Armut für Familien (Abb. 94) gewarnt. Die deutsche Mittelschicht laufe insgesamt Gefahr, immer weiter an Bedeutung zu verlieren und Mittelschichtfamilien würden dementsprechend zunehmend in die Unterschicht ‚absteigen‘. Eine solche Entwicklung werde dann auch zur Problemlage für die ‚nationale Volkswirtschaft‘.
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Bildsemiotische Analyse Die ausgewählten Darstellungen rücken alle jeweils die Personendarstellungen in den Mittelpunkt des Bildaufbaus. In Abbildung 93 werden die Betrachter*innen durch den Blickkontakt auf Augenhöhe und aus einer nahen sozialen Distanz direkt adressiert – es entsteht dementsprechend ein Interaktionsverhältnis, das persönlich ausgerichtet ist. Besonders hervorgehoben sind dabei die in der linken Bildseite zu sehende Mutter, die ihren Sohn auf dem Arm hält. Mittels Schärfeverteilung werden sie zusätzlich von der Darstellung des Vaters und der Tochter visuell abgesetzt. Auch die gewählte Lichtführung trägt zur Betonung der linken Bildhälfte bei. Die lächelnden Gesichter und der direkte Augenkontakt erhalten damit eine weitere Hervorhebung und verstärken die Aufforderung an die Leser*innen zur Interaktion mit der Mutter und dem Kind. Durch die besonders sichtbare Nähe der Eltern zu ihren Kindern – vor allem in Form der Gestik des Festhaltens – sowie durch die positiv konnotierte Mimik werden die auf Textebene kommunizierten positiven Bezüge zu den Familien der deutschen Mittelschicht visuell unterstrichen. Eine ähnliche Ausrichtung der Darstellungsweise lässt sich ebenfalls in den vier Fotografien des Berichtes der Abbildung 94 feststellen. In allen Darstellungen der Mittelschichtsfamilien wird ein Interaktionsverhältnis auf Augenhöhe etabliert. Trotz der mittleren bis weiten sozialen Distanz, enthält diese Interaktion durch die lächelnde, freundliche Mimik der Personen eine positiv und persönlich konnotierte Kommunikationsebene. Der direkte Augenkontakt zu den Leser*innen wird von immer mindestens einem Familienmitglied gesucht. Im Mittelpunkt des Bildaufbaus stehen auch hier die Portraits der jeweiligen Familien, deren Zusammenhalt durch die räumliche Nähe zueinander oder durch den gegenseitigen Blickkontakt symbolisiert wird. Außerdem transportieren die einzelnen Aufnahmeorte eine spezifische Bildbotschaft: Die häusliche Umgebung („Mietwohnung“, „Altstadthaus“, „Garten ihres Hauses“ und „Reihenhaus“) und das Abbilden bestimmter Gegenstände (Musikinstrumente, Bücher und Sportgeräte) verdeutlichen den sozialen Status und die habituellen Kapitalien der Mittelschichtsfamilien. Sie fügen die Personendarstellungen in einen typischen Ort bildungsbürgerlichen Lebens ein. Dieser Aspekt der Bildbedeutung steht auch in Abbildung 92 im Zentrum. Hier werden zwei Kinder aus mittlerer sozialer Distanz und auf Augenhöhe zu den Betrachter*innen gezeigt. Das junge Mädchen auf der linken Bildseite führt ins Bildgeschehen von links nach rechts hinein und wird besonders durch die Schärfeeinstellung vom hinteren Teil des Bildes abgehoben. Neben der eigentlichen Personendarstellung steht vor allem das Spielen der Geige im Mittelpunkt des Bildaufbaus, da dieses in der Bildmitte angeordnet
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ist. Auch hier wird somit der bildungsbürgerliche Habitus betont, der besonders durch das Erlernen eines (klassischen) Musikinstruments symbolisiert ist. Abbildung 92: Süddeutsche Zeitung, 28.07.2010
Abbildung 93: waz.de, 13.12.2012
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Abbildung 94: Süddeutsche Zeitung, 04.07.2013
Teil IV – Die Differenz der ‚Anderen‘ und deutsche Selbstbilder. Postkoloniale und rassismuskritische Analyseperspektiven
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Selbst- und Fremdbilder der Medienberichterstattung: Analytische und empirische Ausgangspunkte
Im Zuge des zweistufigen Analyseverfahrens wurden in der empirischen Studie dieser Arbeit zahlreiche fotografische Bilder aus der Berichterstattung über Integration, Migration und Flucht/Asyl analysiert, die stereotypisierende Bildbotschaften über Migrant*innen, Muslim*innen und Geflüchtete sowie Aussagen zu bestimmten Zugehörigkeitskonstellationen beinhalten. Durch die Untersuchung der vier Fallstudien und die daran anschließende Feinanalyse dominanter Bildgruppen konnte aufgezeigt werden, welchen inhaltlichen sowie bildspezifischen Darstellungsmustern in diesen medialen Debatten eine hohe Bedeutung zukommt und durch welche Repräsentationsweisen sich die Darstellung unterschiedlicher Personengruppen auszeichnet. Zusätzlich wurde unter Einbeziehung bildsemiotischer Analyseansätze herausgearbeitet, inwieweit visuelle Kommunikationsaspekte an den Prozessen der Stereotypisierung und Differenzmarkierung beteiligt sind. Insgesamt konnte so mit dem konzipierten zweistufigen Analyseverfahren eine Identifizierung sehr unterschiedlicher visueller Dimensionen der medialen Repräsentation von Selbst- und Fremdbildern realisiert werden. In diesem letzten Teil der Arbeit werden die Ergebnisse aus den beiden Analysebereichen (Kapitel 5 und 6) zusammengeführt, vergleichend ausgewertet und in eine theoriegeleitete Diskussion übertragen. Die in Kapitel 2 beschriebenen postkolonialen sowie rassismus- und weißseinskritischen Analyseansätze bilden hierzu einen geeigneten Ausgangspunkt, um die in den untersuchten empirischen Fallanstudien vorgefundenen Repräsentationen, Identitätskonstruktionen und Zugehörigkeitsverhältnisse gegenstandsbezogen kontextualisieren zu können. Als Erweiterung der analytischen Auswertung werden für einzelne Ergebnisbereiche außerdem einschlägige empirische Studien sowie neuere Forschungsergebnisse aus der Migrationsforschung einbezogen, die die Beschaffenheit des sogenann-
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ten Integrationsdiskurses sowie gegenwärtig relevante Deutungsrahmen zu Deutschsein und postmigrantischen Zugehörigkeiten aufzeigen. Wie in der Fragestellung der Arbeit einleitend bereits ausgeführt worden ist, zielt eine solche Analyseauswertung darauf ab, die vorgefundenen Darstellungsmuster der Medienberichterstattung und die durch beständige Wiederholung gekennzeichneten Stereotypisierungen in einen historischen, politischen und gesellschaftlichen Rahmen einzuordnen und mit Dynamiken der Dominanz und Machtförmigkeit abzugleichen (vgl. Attia 2009). Von Bedeutung sind hierbei für die Leitfrage nach der Konstituierung dominanter Selbst- und Fremdbilder vor allem die Prozesse des Othering, also die (visuellen) Konstruktionsprozesse, die auf den Dualismus zwischen einer ‚WirGruppe‘ und den differentgemachten ‚Anderen‘ zielen (vgl. Spivak 1985; Castro Varela/ Dhawan 2004, Ziai 2010). Um auch die visuellen Darstellungsmuster kontextualisieren zu können, die über die dualistisch codierten Identitätszuschreibungen hinausgehen und auf die multiplen Zugehörigkeitskonstellationen in der medialen Visualisierung von Selbst- und Fremdbildern in nationalen Narrativen verweisen, sind zudem konzeptionelle Überlegungen zu Hybridität und ambivalenten Repräsentationsweisen besonders relevant (vgl. Bhabha 2011). Für die Konstruktion deutscher Selbstbilder spielt gleichwohl ebenfalls eine Rolle, wie normalisierende Repräsentationen auf Bildebene dazu beitragen, die Imagination von Deutschland als eine weiße, christliche und okzidentale Nation zu fixieren und festzuschreiben (vgl. Walgenbach 2005; Eggers 2009a; Dietze 2009a; Shooman 2014). Die nachfolgende Analyseauswertung orientiert sich hinsichtlich der Aufteilung insbesondere an den Ergebnissen der Bildcodierung sowie an den im Anschluss herausgearbeiteten dominanten Bildgruppen und Darstellungsweisen. Zunächst werden im ersten Teil (Kapitel 8) die wichtigsten Dimensionen der vorgefundenen Fremdbilder zusammengeführt und entlang auffälliger Differenzmarkierungen, visueller Darstellungsmuster und stereotypisierender Repräsentationsweisen ausgewertet. Einleitend erfolgt hierzu die Kontextualisierung der hohen Sichtbarkeit von muslimischen Personen in aktuellen medialen Berichten zu migrations- und integrationspolitischen Themen. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass das Kopftuch in den analysierten Debatten nicht nur als religiös codiertes Kleidungsstück, sondern als kulturelles Symbol der ‚Migrationsanderen‘ vielmehr als ein allgemeiner, schnell erfassbarer Differenzmarker sowie als Schlüsselbild für eine ‚gescheiterte Integration‘ verwendet wird. Unter Einbeziehung postkolonialer Ansätze werden diese beiden Ergebnisdimensionen historisierend eingeordnet und vor dem Hintergrund gegenwärtiger Entwicklungen deutscher Integrationsdebatten erläutert (8.1). Im Anschluss da-
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ran liegt der Fokus auf der im Analysematerial herausgearbeiteten, vielfach sichtbaren Darstellungsweise von Muslim*innen, die sowohl Frauen als auch Männer in einer entpersonalisierenden und stark distanzierenden Form abbildet. Hierbei wird vor allem das zwischen bildbetrachtenden und abgebildeten Personen etablierte Interaktionsverhältnis einbezogen, um zu plausibilisieren, wie durch den Einsatz bestimmter bildlicher Darstellungsmittel ein folgenreiches Zusammenspiel von Entindividualisierung, Vereinheitlichung und Negativkonnotation realisiert wird. Muslim*innen werden hierdurch sehr deutlich als ‚Andere‘ konstruiert und auf Bildebene in widerkehrender Form stereotypisierend fixiert (8.2). Auch die Darstellungsmuster in der Berichterstattung über Geflüchtete in der Fallanalyse 2015 erwiesen sich als besonders relevant, um die visuelle Konstruktion von Fremdbildern analysieren zu können. Die Auswertung dieser Bildgruppe (8.3) zeigt, dass die Abbildungen sehr häufig an die seit mehreren Jahrzehnten bekannte visuelle Symbolisierung von Fluchtbewegungen anknüpfen, wobei sich jedoch, wie dargelegt werden wird, ein deutlicher Wandel im Verlauf der Berichterstattung einstellen kann. Zudem werden diese homogenisierenden Visualisierungen von Flucht und Asyl mit den Portraits einzelner Geflüchteter verglichen, die eine positivere und persönlichere Darstellungsebene etablieren und damit eine ganz andere Form der visuellen Berichterstattung repräsentieren. Daran anschließend erfolgt eine Analyseauswertung der Bildgruppen, die sowohl Geflüchtete als auch Migrant*innen und Muslim*innen innerhalb der integrationspolitischen Berichterstattung im Bereich von Bildung und Arbeit darstellen (8.4). Hier stehen einerseits die sich stark ähnelnde bildliche Darstellungsweise und andererseits die sehr unterschiedlichen Repräsentationsweisen von verschiedenen Personengruppen im Mittelpunkt. Gezeigt werden kann dabei auch, wie abhängig die visuelle Stereotypisierung von der Bild-Text-Kombination ist. Abschließend erfolgt die Analyseauswertung der Abbildungen, die als ‚Gegenbilder‘ zu den negativ ausgerichteten Darstellungen der integrationsunwilligen und defizitären ‚Migrationsanderen‘ in der Berichterstattung zirkulieren (8.5). Auf Text- und Bildebene sind diese Darstellungen deutlich positiver konnotiert und transportieren eine anerkennende Botschaft gegenüber einzelnen Migrant*innen. Im Zuge dessen werden auch die häufig vorgefundenen binär codierte Vorstellungen davon, wer zu Deutschland gehört und wer als nicht-zugehörig gilt, überschritten. Gleichwohl zeigt sich in diesem Teil der Auswertung ebenfalls, dass ein solcher Wandel sehr häufig mit individuellen Leistungsnarrativen im Arbeits-, Kultur- oder Sportbereich verbunden wird und damit letztlich auch die weiterhin existenten negativen Stereotypisierungen verfestigt werden können.
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Der zweite Teil der Analyseauswertung (Kapitel 9) bezieht sich dann auf die in der Medienberichterstattung vorgefundenen deutschen Selbstbilder, die auf ihre spezifischen Darstellungsmuster hin untersucht worden sind. Die Analyse hat hier insgesamt gezeigt, dass in der Berichterstattung über Integration, Migration und Asyl/Flucht eine deutliche Ungleichmäßigkeit im Sichtbarkeitsverhältnis von Selbst- und Fremdbildern vorherrscht. Insbesondere in den Fallstudien 2006, 2009 und 2010 stand eine Vielzahl an Darstellungen, die Migrant*innen und Muslime als Andere markieren, einer äußerst geringen Anzahl an Bildern gegenüber, die explizit als Repräsentation von Personen der sogenannten deutschen ‚Mehrheitsgesellschaft‘ eingeordnet werden können. Die Fallstudie der Fluchtund Asyldebatte (2015) beinhaltete deutlich mehr deutsche Selbstbilder, wobei vor allem die mediale Visualisierung der ‚Willkommenskultur‘ eine entscheidende Rolle spielte. Insgesamt betrachtet stellte sich das Motivspektrum der Selbstbilder innerhalb der vier Fallstudien dennoch als wenig aussagekräftig heraus. Um einen tiefergehenden Einblick in die Beschaffenheit der Imagination eines deutschen ‚Wir-Kollektivs‘ zu erhalten, wurde die Analyse deshalb auf weitere Themenbereiche der medialen Berichterstattung ausgeweitet. Bevor die Ergebnisse dieser Analysebereiche zusammengeführt und einzelne Aspekte historisch, politisch und gesellschaftlich unter Einbeziehung postkolonialer sowie insbesondere rassismus- und weißseinskritischer Ansätze kontextualisiert werden, soll einleitend auf das Selbstverständnis einer deutschen ‚Wir-Gemeinschaft‘ eingegangen werden, das immer schon in den stereotypisierenden Repräsentationsmustern der differentgemachten ‚Anderen‘ enthalten ist (9.1). Gezeigt wird hierbei, welche Rückschlüsse auf eine deutsche Identitätsvorstellung durch das Othering der ‚Migrationsanderen‘ gezogen werden können und wie eine visuell hergestellte Dichotomie zwischen ‚deutsch‘ und ‚nicht-deutsch‘ auch das dominante Selbstbild bestimmt. Im Anschluss erfolgt eine ausführliche, theoriegeleitete Einordnung der Darstellungen, die Personen zusammen mit einer nationalen Flaggensymbolik zeigen. Da die Fotografien hierbei sowohl Personen, die als ‚deutsch‘ als auch Personen, die als ‚migrantisch‘ und/oder ‚muslimisch‘ markiert werden, abbilden, erweist sich dieser Bildbereich als besonders geeignet, um auf verschiedene Dimensionen nationaler Zugehörigkeitsdynamiken in gegenwärtigen medialen Debatten einzugehen (9.2). Dabei zeigt sich einerseits, dass in Mediendebatten auch solche Darstellungen zirkulieren, die die Anwesenheit multipler Zugehörigkeitsverhältnisse in Deutschland widerspiegeln und anderseits, dass zu bestimmten Zeitpunkten durch die Neuformulierung einer deutschen Identität ein äußerst homogen gedachtes Selbstbild sichtbar wird. Ein solches Selbstbild steht anschließend ebenfalls im Mittelpunkt der Auswertung von Darstellungen über die soge-
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nannte Willkommenskultur in der Flucht- und Asylberichterstattung (9.3). Durch die vergleichende Analyse der dominanten Darstellungsweisen wird hier deutlich, wie Grenzen zwischen Helfer*innen und Geflüchteten durch bestimmte bildliche Mittel verstärkt werden und wie die abgebildeten deutschen Personen dabei zum Teil eine hierarchisch höher stehende Position einnehmen. Abschließend erfolgt die analytische Einordnung der Repräsentation der deutschen Mittelschicht, welche als Erweiterung der Analyse deutscher Selbstbilder hinzugezogen wurde. Exemplarisch lässt sich hier veranschaulichen, wie Normvorstellungen über Deutschsein auf visueller Ebene artikuliert werden (9.4). Hierbei wird gezeigt, dass die visuelle Repräsentation ein homogenes, weißes Bild der deutschen ‚Dominanzgesellschaft‘ zeichnet und dass dieses im Gegensatz zu den Darstellungen der ‚Migrationsanderen‘ keine kulturalisierenden oder rassifizierenden Zuschreibungen aufweist, sondern das Partikulare an Weiß- und Deutschsein deutlich in den Hintergrund tritt. Abschließend werden wesentliche Ergebnisse und Analyseschwerpunkte nochmals in einer kurzen Schlussbetrachtung zusammengeführt (Kapitel 10).
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Die Differenz der ‚Anderen‘ im Bild – Stereotypisierungen, visuelles Othering und ambivalente Anerkennung
8.1 ISLAM UND MIGRATION: REPRÄSENTATIONSMUSTER UND DIFFERENZSYMBOLE Die Darstellung von Muslim*innen gehört in der analysierten integrations- und migrationspolitischen Berichterstattung zu den dominantesten visuellen Repräsentationsmustern. Andere Markierungen, die beispielsweise die Zugehörigkeit zu einer nationalen Herkunft oder zu einer ethnischen/kulturellen Gruppe betonen, spielen eine wesentlich geringere Rolle. Durch die inhaltsanalytische Codierung des Gesamtmaterials konnte außerdem aufgezeigt werden, dass Muslim*innen sehr häufig auch in solchen integrationspolitischen Berichten dargestellt sind, in denen die Deutungsrahmen auf Textebene gar keinen Bezug zum Islam herstellen. Insbesondere durch religiös codierte Kleidung wird eine muslimische Differenzmarkierung in die visuelle Berichterstattung über Integration und Migration eingefügt – ganz unabhängig davon, ob auch auf verbaler Bedeutungsebene migrantische und muslimische Zugehörigkeitszuschreibungen vorgenommen werden. Muslim*innen werden somit zu einer omnipräsenten Personengruppe in den migrationspolitischen Debatten um Integration. Sie sind in verschiedensten Zusammenhängen der Berichterstattung bildlich dargestellt. Auf eine tatsächliche Zusammensetzung der Gruppe von Migrant*innen in Deutschland lässt sich diese sehr hohe Sichtbarkeit nicht zurückführen, denn nur etwa ein Viertel der Migrantinnen und Migranten gelten als muslimisch (vgl. Foroutan 2012: 24). Diesbezüglich lässt sich aus Perspektive der Migrationsforschung gleichwohl einwenden, dass die gesellschaftliche Aushandlung migrations- und integrationsbezogener Themen in Deutschland seit einigen Jahren ganz generell einem deutli-
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chen Wandel unterliegt. Levent Tezcan (2011) und Riem Spielhaus (2013) verweisen zum Beispiel in ihren Studien auf den Wechsel von einer ethnisierten und nationalisierten hin zu einer religiösen Terminologie, der seit den frühen 2000er Jahren stattgefunden habe. Religion wurde seit der Jahrtausendwende immer stärker in die deutsche Integrationspolitik einbezogen und entwickelte sich zu einem starken Bezugspunkt und Erklärungsmuster migrationspolitischer Debatten. Daraus resultieren mitunter eine immer stärker werdende Kulturalisierung von Integrationsfragen und die zunehmende Stereotypisierung von Muslim*innen als nicht-dazugehörende ‚Andere‘. Auch in der medialen Berichterstattung lässt sich dieser Wandel nachweisen, wie Yasemin Yildiz (2009) in einer Untersuchung von Artikeln des SPIEGEL dargelegt hat. Zu Beginn der 1990er Jahre sei „‚Türkisch‘ als alles rahmendes und erklärendes Stichwort und als Determinante aller beschriebenen Handlungen“ eingesetzt worden (ebd.: 94). Selbst bei der am Rande auftauchenden Thematisierung der Religion, so Yildiz, sei von Nationalität, nicht aber vom Islam oder den Muslim*innen die Rede gewesen. In den Artikeln 2004 sei eine weitreichreichende Verschiebung bereits deutlich sichtbar geworden: „Religion, d.h. Islam, wird als Erklärungsmuster für ein breites Spektrum von Taten und Einstellungen angeboten, die in weiten Teilen denen in dem Artikel von 1990 entsprechen und dort national-kulturell erklärt werden“ (ebd.: 95). Aus einer postkolonialen Analyseperspektive lässt sich diese Dynamik migrations- und integrationspolitischer Debatten sowie die damit einhergehende „Muslimisierung des Einwanderers“ (Schiffauer 2007: 117) zusätzlich auch als eine Form der Zuspitzung von Othering-Prozessen deuten. Das Zusammenführen von „‚Migrationsanderen‘ mit ‚Religionsanderen‘“ mündet hierbei, wie Riem Spielhaus hervorgehoben hat, in der Figur eines geradezu „perfekten ‚Anderen‘“ und grenzt diese noch weiter „von der so konstituierten ‚Mehrheit‘ der Gesellschaft“ ab (Spielhaus 2013: 190). Wie die Analyseergebnisse der empirischen Untersuchung deutlich belegen, fungiert insbesondere das Kopftuch als ein beständig wiederkehrendes visuelles Symbol, um eine solche Verknüpfung herzustellen. Als kultureller Code ist das Kopftuch (und die Verschleierung) „mehrfach determiniert“, weist also eine „Vielzahl unterschiedlicher Bedeutungen“ auf, welche aber „selbst meist nicht explizit gemacht werden“ (Rommelspacher 2002: 113). Im Bereich der visuellen Darstellungen fungiert es auf einer übergeordneten Bedeutungsebene – darauf verweisen die Ergebnisse der Fallstudien sehr nachdrücklich – in Form einer religiösen Zuschreibung zunächst als „Symbol für das, was die hegemoniale Mehrheitsgesellschaft für den Islam hält“ (Kreutzer 2015: 12). Die hohe Sichtbarkeit der Verschleierungssymbolik lässt sich gleichwohl nicht auf die tatsächliche Verbreitung des Kopftuchs unter deut-
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schen Musliminnen zurückführen, denn gut 70 Prozent der muslimischen Frauen tragen laut der Studie Muslimisches Leben in Deutschland (BAMF 2009) niemals Kopftuch.1 Durch die Ergebnisse der Bildanalyse deutet sich vielmehr an, dass sich das Kopftuch in den behandelten Feldern von Migration, Integration und Deutschsein als besonders anschlussfähiges, schnell erfassbares visuelles Markierungssymbol zum Einsatz kommt. Die religiöse Codierung wird im Zuge der essentialisierenden Stereotypisierung häufig überschritten und es erfolgt eine vielseitig einsetzbare visuelle Differenzmarkierung der ‚Migrationsanderen‘. Im Folgenden sollen hierzu drei Aspekte plausibilisiert werden, die sowohl auf Ebene der postkolonialen Repräsentation als auch im allgemeinen bildlichen Bedeutungszusammenhang besonders wichtig erscheinen. Erstens sind in diesem Zusammenhang historische Bezugspunkte zu nennen, die auf die europäische Kolonialisierung zurückgehen und die die Wissensproduktion über den Orient sowie die Herausbildung eines spezifischen machtvollen Blickverhältnisses betreffen. Dem Kopftuch oder vielmehr der Verschleierung wurde von Seiten europäischer Kolonisator*innen, wie Frantz Fanon für den Kolonialismus Frankreichs dargelegt hat, eine entscheidende Funktion zugewiesen. In Aspekte der Algerischen Revolution erläutert Fanon (1969) ausführlich, wie die „gedemütigte, beiseite gedrängte, eingeschlossene Frau“ (ebd.: 22) zum Schlüssel für die erfolgreiche Beherrschung der kolonialisierten Gesellschaft gemacht wurde. Nur durch sie sei es möglich gewesen, „die algerische Gesellschaft in ihrem Zusammenhang, in den Grundfesten ihres Widerstands (zu) treffen“ (ebd.). Die Kollaboration der Algerierinnen und die Mobilisierung gegen die diagnostizierte paternalistische und hierarchische Geschlechterbeziehung rückte damit in den Mittelpunkt kolonialer Maßnahmen. Dem Schleier wurde hierbei als „das Statussymbol der Algerierin“ (ebd.: 21) eine ganz besondere Bedeutung beigemessen: Um die Frauen und damit auch die gesamte algerische Gesellschaft dauerhaft erobern und beherrschen zu können, müssten sie aus Sicht der Kolonisatoren „hinter dem Schleier […], hinter dem sie sich verbergen“ gesucht werden (ebd.: 22). Während die Entschleierung der kolonialisierten Frauen mit dem Durchsetzen der Geschlechtergerechtigkeit begründet wurde, stellt Fanon deutlich heraus, dass es in Wirklichkeit um die Veränderung innerhalb der Kolonialbeziehung zu Gunsten der Kolonialherren ging. Der Schleier habe ein spezifisches Blickverhältnis erschaffen, in dem die Kolonisatoren einen deutlichen Machtverlust hinnehmen mussten. Die vollständige Beherrschung und Un-
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Auch eine besonders starke Religiosität von Musliminnen ließe sich nur bedingt durch das Kopftuch symbolisieren: Nur jede zweite stark religiöse Muslimin trägt ein Kopftuch (vgl. BAMF 2009: 15).
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terwerfung sei damit unmöglich: „Eine Frau, die sieht, ohne selbst gesehen zu werden, erzeugt im Kolonisator ein Gefühl der Ohnmacht. Es gibt keine Wechselbeziehung. Sie gibt sich nicht hin, verschenkt sich nicht, bietet sich nicht an“ (Fanon 1969: 28). Meyda Yeğenoğlu (1998) hat in Colonial Fantasies: Towards a Feminist Reading of Orientalism ebenfalls den kolonialen Blick auf die Verschleierung kolonialisierter Frauen analysiert. Sie betont, dass die Spekulation darüber, was sich hinter dem Schleier verberge, eine wichtige Funktion innerhalb des Kolonialsystems eingenommen habe. Die beständige Suche des ‚Westens‘ nach Transparenz und Kontrolle werde demnach maßgeblich durch die Verschleierung gestört (vgl. ebd.: 40ff.). Auch Yeğenoğlu kommt zu dem Schluss, dass der Schleier aus westlicher Sicht als Verkörperung repressiver Traditionen des Islams angesehen wurde, die der Orient überwinden müsse, um auf die Entwicklungsstufe zu gelangen, die westliche Gesellschaften bereits vor langer Zeit erreicht hätten (vgl. ebd.: 98). Das Bild der kopftuchtragenden bzw. verschleierten Frau ist somit spätestens seit der Kolonialzeit innerhalb westlicher Diskurse nicht nur Ausdruck einer als ‚fremd‘ geltenden Religion, sondern steht immer auch in einem Bedeutungszusammenhang, der das Kopftuch mit Unterdrückung, Unfreiheit und einer patriarchalen ‚Kultur‘ in Verbindung setzt. Dabei sind gerade auf visueller Bedeutungsebene die Fokussierung und Fixierung auf negativ konnotierte Zuschreibungen bedeutsam. Leila Ahmed betont in diesem Zusammenhang: „Veiling – to Western eyes, the most visible marker of differentness and inferiority of Islamic societies – became the symbol now of both the oppression of women (or, in the language of the day, Islam’s degradation of women) and the backwardness of Islam, and it became the open target of colonial attack and the spearhead of the assault on Muslim societies“ (Ahmed 1992: 151f.).
Das Kopftuch erweist sich zweitens als überaus anschlussfähiges Symbol in der analysierten Berichterstattung, da der religiös codierten Verschleierung innerhalb der europäischen Migrations- und Integrationsdebatten der vergangenen zwei Jahrzehnte eine besondere Bedeutung beigemessen wurde. Dabei zeigt sich sehr deutlich, wie Kontroversen über das Kopftuch zu einem Kristallisationspunkt der Aushandlung nationaler Zugehörigkeit in Deutschland geworden sind (vgl. Korteweg/Yurdakul 2016). So wurde in einer 2014 veröffentlichten Studie nachgewiesen, dass knapp 40 Prozent der Bevölkerung der Meinung seien, wer ein Kopftuch trage, könne nicht Deutsch sein (vgl. Foroutan et. al 2014: 6). Diese Dynamik spiegelt sich gleichwohl auch in der visuellen Berichterstattung wider:
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„In der Bebilderung von Zeitungsartikeln und TV-Beiträgen wie auch von Fachliteratur zum Themenfeld Integration hat sich eine Ikonographie etabliert, die Kopftuchträgerinnen pauschal im Migrationsbereich verortet und als integrationsbedürftig darstellt“ (Spielhaus 2013: 173).
Das Kopftuch wird hier als beständig wiederkehrendes Symbol zum wesentlichen Bezugspunkt im Prozess der Differenzproduktion, die festlegt, wer zur nationalen ‚Wir-Gemeinschaft‘ dazugehört und wer nicht. Wie Homi Bhabha (2011) für den kolonialen Diskurs hervorgehoben hat, ist eine solche Wiederholung ein fundamentaler Bestandteil der Stereotypisierung des ‚Anderen‘. Er führt dies darauf zurück, dass herrschaftslegitimierende Diskurse keineswegs nur von Stabilität und Geschlossenheit, sondern immer auch von Instabilität und Ambivalenz gekennzeichnet sind. Das Stereotyp, verstanden als „Hauptstrategie dieses Diskurses“ begreift Bhabha als „eine Form der Erkenntnis und Identifizierung, die zwischen dem, was immer ‚gültig‘ und bereits bekannt ist, und etwas, was ängstlich immer von neuem wiederholt werden muss, osziliert“ (ebd.: 97). In diesem Sinne lässt sich die hohe Sichtbarkeit des Kopftuchs in der visuellen Berichterstattung über Migration und Integration als notwendige Neueinschreibung in den Diskurs über die nicht-dazugehörenden ‚Anderen‘ verstehen. Wie Analysen zum antimuslimischen Rassismus dargelegt haben, ist eine solche stetige Wiederholung von Zuschreibungen und Markierungen essenzieller Bestandteil der Muslimisierung von Muslim*innen (vgl. Biskamp 2016: 200f.). Mit Blick auf die überpräsente Gleichsetzung von Muslim*innen und Migrant*innen in der visuellen Berichterstattung ließe sich gleichwohl ergänzen, dass das Kopftuch als sich beständig wiederholende Differenzmarkierung auch zur Migrantisierung von Migrant*innen dient. In diesem Zusammenhang lässt sich abschließend der dritte Aspekt ausführen, der die Bedeutung des Kopftuchs ebenfalls vor dem Hintergrund postkolonialer Analyseansätze einordnet und dabei die Frage nach den hinter den Differenzmarkierungen liegenden Selbstbildern hervorhebt. Yasemin Yildiz (2009) hat in Anschluss an das von Louis Althusser theoretisierte Konzept der Interpellation dargelegt, wie im Akt der (verbalen) Adressierung – also in der Art sich an jemanden zu wenden bzw. ihn oder sie anzusprechen – signalisiert wird, wer auf welche Weise dazugehört und wie das Selbst derjenigen, die adressieren, definiert ist. Hierdurch werden den Angesprochenen bestimmte Positionen zugeschrieben, die einen (zumeist) marginalisierten Platz, im Verhältnis zu dem was als Norm gilt, einnehmen. Auf visueller Ebene zeigt sich, dass eine solche Adressierung der ‚Anderen‘ in der Medienberichterstattung vielfach durch die Kopftuchsymbolik bestimmt ist. Als mehrfach codiertes Symbol kann es – wie
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bereits erläutert wurde – als anschlussfähiges Kommunikationselement sowohl auf den Aspekt des Muslimischseins als auch auf den Bedeutungszusammenhang der Migration verweisen. Entscheidend ist hierbei, dass die Differenz der abgebildeten Personen zur Dominanzgesellschaft im Mittelpunkt der Zuschreibung steht und dass die Form der Adressierung die Verbindung zu einem bedeutsamen medialen Feld herstellt: Das Kopftuch stellt die Subjekte „in ein Netz neuer diskursiver Assoziationen – wie beispielsweise dem 11. September, der Gesellschaftsordnung der Taliban, dem Mord an Theo van Gogh oder dem dänischen Karikaturenstreit“ (Yildiz 2009: 96). Die abgebildeten Frauen stehen demnach repräsentativ für den Islam und damit wächst die „Größe der durch Adressierung und Kategorisierung konstituierten Gruppe in der Mehrheitsimagination um ein Vielfaches“ (ebd.). Durch die Form der Adressierung wird jedoch nicht nur die Person an die sich gewendet wird an einem bestimmten Ort von Subjekten (innerhalb, außerhalb und am Rande der Adressierbarkeit) angesiedelt, sondern auch das Selbst der Adressierenden in ein bestimmtes Verhältnis gesetzt. Wie Shooman in ihrer Analyse zum antimuslimischen Rassismus abschließend festgehalten hat, ist die Negierung der Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft immer mit der „Stabilisierung einer nationalen Gemeinschaftskonstruktion“ und „der Anrufung einer übernationalen ‚abendländischen‘ Identität“ verbunden (Shooman 2014: 222). Gerade die Figur der Muslimin mit Kopftuch nimmt in diesem Markierungsprozess eine besondere Funktion ein. So betont auch Astrid Messerschmidt: „In der bundesdeutschen Einwanderungsgesellschaft wird gegenwärtig die Unterscheidung von Muslime und den als ‚abendländisch‘ adressierten Deutschen eingesetzt, um Grenzen der Zugehörigkeit zu markieren. Als Prototyp für die ‚Fremden‘ dient dabei die muslimische Frau, die sich mit islamischen Attributen ausstattet. Sie gilt als defizitär, unemanzipiert und rückständig, insbesondere dann, wenn sie das ‚Kopftuch‘ trägt. Als orientalisierte Andere symbolisiert sie das, was westliche Frauen und die westliche Gesellschaft hinter sich gelassen zu haben glauben. Sie kann als Kontrastfolie eingesetzt werden für ein Selbstbild emanzipierter Fortschrittlichkeit“ (Messerschmidt 2016a: 163).
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8.2 VISUELLES OTHERING VON MUSLIM*INNEN – GRENZZIEHUNGEN UND SOZIALE DISTANZIERUNG Die Bildanalyse hat nicht nur eine hohe Sichtbarkeit von Muslim*innen in der Berichterstattung aufgezeigt, sondern auch wiederkehrende Darstellungsmuster auf bildlicher Ebene herausarbeiten können. In der Feinanalyse wurden hierzu zwei Bildgruppen detailliert untersucht: zum einen die stereotypisierende Darstellung von Musliminnen in Alltagsszenen und zum anderen Abbildungen, in denen eine inhaltliche Verknüpfung der Themenbereiche Integration und Islam im Mittelpunkt steht. Für beide Bildgruppen konnte unter Einbeziehung der bildsemiotischen Analyseansätze plausibilisiert werden, wie die abgebildeten Personen visuell durch ganz bestimmte fotografische Darstellungsweisen differentgemacht und damit als ‚Andere‘ dargestellt sind. Besonders auffällig ist die vor allem in der integrationspolitischen Berichterstattung häufig verwendete Form der Darstellung muslimischer Frauen, bei der diese perspektivisch so abgebildet werden, dass ein Erkennen ihres Gesichts und auch die Identifizierung der Mimik, die weitere Rückschlüsse auf die Personen geben würde, nicht möglich sind. Die Bildbetrachtenden schauen hierbei auf die Rückseite der abgebildeten Frauen und nehmen eine mittlere bis weite soziale Distanz zu ihnen ein. Die Darstellungsweise etabliert in diesen Abbildungen eine Interaktion, in der die Leser*innen die muslimischen Frauen in einer distanzierten und weitgehend entpersonalisierten Position wahrnehmen. Anstelle des Gesichts ist durch die rückseitige Ansicht ausschließlich das Kopftuch der abgebildeten Frauen zu sehen. Zudem spielen bei dieser fotografischen Differenzmarkierung auch der Bildaufbau sowie eine kontrastierende Farbgebung eine wichtige Rolle: Das Kopftuch erhält durch die Platzierung in der Komposition (zumeist mittig) und durch eine kontrastreiche Farbe, die sich vom Bildhintergrund absetzt, nochmals weitere Aufmerksamkeit in der Bildlektüre (siehe beispielsweise Abb. 4 und Abb. 9, S. 143ff.). Der bildsemiotische Teil der Analyse zeigt demnach sehr deutlich, dass die sich beständig wiederholende Abbildung von muslimischen Frauen mit Kopftuch in vielen Bereichen der Berichterstattung durch eine Darstellungsweise charakterisiert ist, die die Personendarstellung in Distanz setzt und negativ konnotiert. Die Rezipient*innen nehmen in der Interaktion eine Machtposition ein, die deutlich höher als die der abgebildeten Frauen angelegt ist und durch die eine klare visuelle Grenzziehung vollzogen wird. Außerdem wird der KopftuchSymbolik durch die Platzierung im Bildaufbau zusätzliche Aufmerksamkeit auf Ebene der Bildbotschaft zuteil. Durch die Unsichtbarkeit von Gesicht und Mimik wird auf der Darstellungsebene eine deutliche Entindividualisierung der darge-
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stellten Frauen etabliert. Eine kollektivierende und homogenisierende Repräsentationsweise wird damit begünstigt und die Subjektposition der Muslim*innen rückt sehr deutlich in den Hintergrund der Bildbotschaft. Eine ganz ähnliche Darstellungsdynamik lässt sich ebenfalls innerhalb der Berichterstattung über Integration und Islam feststellen. Die wiederkehrende Darstellungsweise zeichnet sich in dieser Bildgruppe durch das Abbilden von Männergruppen aus, die in große Distanz zu den Bildbetrachtenden gesetzt sind und auf die oftmals von oben geblickt wird. Durch die Anordnung der nebeneinander knienden Männer, die sich zum Gebet zusammengefunden haben, wird eine Linienführung im Bildaufbau begünstigt, die die Personendarstellung vor allem hinsichtlich der kollektiven Zugehörigkeit betont (siehe Abb. 42 und Abb. 43, S. 170). Das Erkennen des Gesichts und der Mimik ist hier aufgrund der Perspektivwahl und der hohen Distanz zumeist nicht möglich, so dass auch die muslimischen Männer häufig gesichtslos bleiben. Die Abbildungen fokussieren in der Bildbedeutung damit deutlich auf die Repräsentation der muslimischen Glaubensgemeinschaft und einzelne Personen verschwinden hinter der großen, weitgehend anonymen Gruppe von Muslimen. Beide Darstellungsmuster in den analysierten Bildgruppen verdeutlichen sehr eindrücklich, wie spezifische Visualisierungsformen dazu beitragen können, Differenz zu fixieren und Grenzen festzuschreiben. Die abgebildeten Muslim*innen werden einerseits entindividualisiert und erhalten den Status eines visuellen Symbols für die Gruppe der Migrationsanderen, welche in die Dominanzgesellschaft integriert werden soll. Andererseits erfolgt durch die Darstellungsform immer auch die Einbindung in ein negativ ausgerichtetes Interaktionsverhältnis, das zu einer Stereotypisierung von Muslim*innen führt. Dieses Zusammenspiel von Entindividualisierung, Vereinheitlichung und Negativkonnotation ist, wie Kien Nghi Ha herausstellt, konstitutiv für die „Imaginierung der Anderen als gänzlich anders“ (Ha 2016: 186). Entscheidend ist dabei in den analysierten Abbildungen beider Bildgruppen, wie die Etablierung einer größtmöglichen sozialen Distanz nicht nur durch eine räumliche Distanz zu den Betrachter*innen, sondern zusätzlich aufgrund der wiederkehrenden Darstellungsweise der gesichtslosen ‚Anderen‘ realisiert wird. Die interaktionale Beziehung zwischen Rezipient*innen und abgebildeten Personen wird deutlich beeinträchtigt. Das daraus resultierende, negativ ausgerichtete Kommunikationsverhältnis verweist hier auf die Etablierung eines stereotypisierenden Prozesses des Differentmachens, der darauf ausgerichtet ist, „die Anderen kognitiv, emotional und sozial in die Distanz zu schieben“ (Rommelspacher 2002: 14).
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Muslimische Frauen und Männer werden in den Abbildungen somit in ein Verhältnis zu den Rezipient*innen gesetzt, das das Trennende sowie die Dynamik der „Fremdheit des Anderen“ (Rommelspacher 2002: 14) besonders betont. Dieses distanzierende ‚Ins-Verhältnis-setzen‘ verortet sie zugleich – auch das zeigt die Feinanalyse deutlich an – immer in einer von der unsichtbar bleibenden Dominanzgesellschaft weit entfernten Sphäre, die in den politischen und medialen Debatten häufig unter dem Schlagwort ‚Parallelgesellschaften‘ behandelt wird. Gemeint ist damit eine von der deutschen Mehrheitsgesellschaft abgeschottete, eigenständige Lebenswelt, welche neben und nicht in der deutschen Gesellschaft existiert (vgl. Bukow et al. 2007: 11). Die ‚Migrationsanderen‘ werden nicht nur in Distanz gesetzt, sondern an einen imaginierten Ort platziert, der räumlich, sozial und kulturell wie eine Parallelwelt zur deutschen Gesellschaft beschaffen sein soll. Wie Manuela Bojadžijev (2006) dargelegt hat, handelt es sich hier nicht nur um ein Narrativ der jüngeren deutschen Migrationsgeschichte. Der Vorwurf gegenüber migrantisierten Personen sich in Parallelgesellschaften abzusondern kann vielmehr an ein Bedrohungsszenario anschließen, das bereits in den 1970er Jahren vielfach verbreitet wurde. Medial war schon damals vor der drohenden Gefahr sogenannter ‚Ausländerghettos‘ in deutschen Städten gewarnt worden. Innerhalb der analysierten Debatten findet sich dieses Narrativ ebenfalls vielfach wieder – beispielsweise, wenn in der Sarrazin-Debatte in Form von ausführlichen Reportagen Versuche unternommen werden, journalistische Einblicke in die angeblich abgeschottete Lebenswelt der Migrant*innen zu erhalten. Dementsprechend spiegeln die in der Feinanalyse herausgearbeiteten visuellen Darstellungsmuster muslimischer Frauen und Männer dieses Narrativ einer parallel existierenden Gesellschaft geradezu idealtypisch wider. Sie nehmen innerhalb der Medienberichterstattung sehr häufig die Funktion der fotografischen Evidenzführung ein und sollen – begünstigt durch den dokumentarisch anmutenden Realismus der Visualisierungen – das verbal beschriebene bildlich belegen. Insbesondere die Aufnahmeumgebung bei der Darstellung von Musliminnen bzw. Migrantinnen mit Kopftuch spielt hier eine entscheidende Rolle, um anschlußfähige Kommunikation zu realisieren. Die räumliche Darstellungsumgebung schließt an die für viele Menschen in Deutschland sichtbare Präsenz muslimischer und migrantischer Communities insbesondere im urbanen Raum an und bringt zum Ausdruck, wie aus einer dominanten Position und mit hoher sozialer Distanz auf diese ohne Zweifel existenten, aber zugleich als nichtzugehörig geltenden Lebensräume geblickt wird. Vor allem die entpersonalisierte und distanzierte Darstellungsweise übersetzt die narrative Figuration der ‚Parallelgesellschaft‘ auf die Ebene der visuellen Bedeutungsproduktion. Die
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Unmöglichkeit der personalen Interaktion mit den abgebildeten Migrant*innen symbolisiert in diesem Sinne die Imagination einer räumlichen, kulturellen und sozialen Abschottung. Der Bildbotschaft folgend ist es wiederum nahliegend anzunehmen, dass diese Abgrenzung von den ‚Anderen‘ so gewollt ist. Eine deutliche Differenz zwischen denjenigen, die aus einer Dominanzposition auf die ‚migrantischen‘ Lebenswelten blicken und denjenigen, die sich scheinbar abgrenzen, distanzieren und in eine parallel existierende Gesellschaft zurückziehen, wird damit in diesen beiden Bildgruppen durch die beständige Wiederholung reproduziert und visuell festgeschrieben.
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8.3 FLUCHT UND ASYL: KRISENBILDER, MASSENWANDERUNG UND PORTRAITS Die Berichterstattung über das Ankommen und die Unterbringung von Geflüchteten im Sommer und Herbst 2015 wurde durch zahlreiche fotografische Abbildungen begleitet, die Geflüchtete unter Schlagwörtern wie ‚Massenwanderung‘, ‚Zustrom‘ oder auch ‚Flut‘ in großen Menschengruppen an einem Bahnhof oder auf einer Straße zeigen. Dieses Darstellungsmuster schließt an einen dominanten medialen Deutungsrahmen an, in dem die Thematisierung von Flucht und Asyl mit bildhaften Narrativen der ‚Überflutung‘, ‚Überfremdung‘ und ‚Unordnung‘ verbunden wird. Bekannt geworden sind solche Motive insbesondere in den medialen Berichten und politischen Debatten um Flucht und Asyl zu Beginn der 1990er Jahre. Schon damals wurden in der tagesaktuellen Berichterstattung vielfach Abbildungen verwendet, die den Andrang von großen Menschenmassen an zentralen Asylstellen darstellten. Wie Cord Pagenstecher hervorgehoben hat, standen hierbei weniger die schlechte Behandlung der Betroffenen, sondern vielmehr die bedrohlich und gefährlich wirkenden, herandrängenden Menschenmassen im Mittelpunkt der Bildbotschaft (vgl. Pagenstecher 2012: 131f.).2 Für die aktuellere Berichterstattung haben Margarete Jäger und Regina Wamper in einer Untersuchung zum Fluchtdiskurs in den deutschen Medien 2015 und 2016 zusammenfassend dargelegt, dass Flüchtlinge auch in diesem Zeitraum oftmals als „subjektlose Masse“, die „von ‚Außen‘ nach ‚Innen‘“ in die BRD eindringen würde, dargestellt wurden (vgl. Jäger/Wamper 2017: 112). Die in der Fallanalyse 2015 untersuchte Berichterstattung bestätigt diese Beobachtung. Durch die Feinanalyse exemplarisch ausgewählter Bilder konnte zudem erläutert werden, durch welche visuellen Darstellungsmuster das Narrativ der Massenbewegung noch verstärkt wird und wie sich im Laufe des Jahres 2015 ein deutlicher Wandel auf visueller Ebene vollzogen hat. So ist zwar in allen zeitlichen Abschnitten der Berichterstattung eine zumeist hohe soziale Distanz etabliert und die Bildkomposition ist dahingehend ausgerichtet, die Menschengruppen als schwer überblickbare, nicht enden wollende Masse erscheinen zu lassen, dennoch veränderte sich die Art der Personendarstellung im Verlauf der Berichterstattung auf ganz spezifische Weise. Zu Beginn kennzeichneten eine
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Die stereotypisierende Erzählung, nach der Migrant*innen und Geflüchtete in Deutschland mit ‚Überfremdung‘ sowie mit ‚Strömen‘ und mit ‚Fluten‘ in Verbindung gebracht werden, findet sich gleichwohl bereits seit der imperialen Kaiserzeit und weist damit eine weit in die Nationalgeschichte zurückreichende Kontinuität auf (vgl. Ha 2003: 86f.).
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frontale Blickperspektive und eine deutlich positiv konnotierte Mimik und Gestik die Abbildungen der Flüchtlingsgruppen. Desto weiter die Berichterstattung voranschritt, desto häufiger fanden sich Abbildungen, in denen die dargestellten Geflüchteten weniger als Einzelpersonen erkennbar sind und immer häufiger als Großgruppe abgebildet wurden. Zunehmend steht hier auch auf Bildebene die Betonung der Menschenmassen im Vordergrund. Dies wird im Interaktionsverhältnis insbesondere durch die sehr hohe soziale Distanz sowie durch die rückseitige oder von oben herabblickende Betrachtungsperspektive auf eine Gruppe von Geflüchteten (siehe Abb. 54 und Abb. 56, S. 178f.) realisiert. Wie schon bei den zuvor beschriebenen Bildmustern von Muslim*innen resultiert aus dieser besonderen Form der Darstellungsweise eine deutlich entpersonalisierende Interaktion. Die Mimik der abgebildeten Geflüchteten bleibt vielfach unsichtbar, so dass die soziale Distanz noch zusätzlich verstärkt wird und die Menschenmenge tatsächlich immer häufiger als ‚subjektlose Masse‘ erscheint. Der anfänglich im politischen und medialen Diskurs tendenziell positiv ausgerichteten ersten Phase der Berichterstattung folgte damit eine zweite Phase, die stärker auf die drohenden Belastungen und die kaum abschätzbaren Folgen für die deutsche Gesellschaft ausgerichtet war. In beiden Phasen wurden die verbalen Botschaften jeweils durch deutlich sichtbare Emotionalisierungen in der Personendarstellung unterstrichen. Vor allem durch die Verknüpfung der distanzierenden und homogenisierenden Darstellungsweise mit verbalen Schlagwörtern wie ‚Flut‘ und ‚massenhafte Zuwanderung‘ zirkulierten im Verlauf der Berichterstattung zunehmend Bildbotschaften, die die ankommenden Menschen mit Konnotationen der Bedrohung, der Unsicherheit und des Chaos in Verbindung setzten. Der Fluchtdiskurs wird an dieser Stelle vor allem zum ‚Krisendiskurs‘, in dem Geflüchtete als Last bewertet werden und in dem das Thematisieren von Problemen und möglichen Gefahrenlagen deutlich mehr Aufmerksamkeit zueil wird (vgl. auch Jäger/Wamper 2017: 111). Bis heute wird im politischen Diskurs vorwiegend die Bezeichnung ‚Flüchtlingskrise‘ verwendet, wenn über die zunehmenden Migrationsbewegungen nach Deutschland seit 2014 gesprochen wird (vgl. Albrecht 2018: 63). Dass solche negativ ausgerichteten Wahrnehmungen in der deutschen Gesellschaft zu Ende des Jahres 2015 bereits sehr verbreitet waren, hat auch die Studienreihe ZuGleich – Zugehörigkeit und Gleichwertigkeit des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) in einem Zwischenbericht dargelegt. In einer Bevölkerungsumfrage, die zum Jahreswechsel 2015/2016 – also während der sogenannten ‚Flüchtlingskrise‘ durchgeführt worden war, wurde herausgestellt, dass fast die Hälfte der Befragten Geflüchtete mit der Bedrohung von Terrorismus in Verbindung setzen. Ein Drittel sah außerdem die Zukunft Deutsch-
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lands durch die ankommenden Flüchtlinge in Gefahr (vgl. Zick/Preuß 2016: 26). In einer ebenfalls Ende 2015 durchgeführten Umfrage von Infratest-Dimap gab die Hälfte der Befragten an, sie hätten Sorgen, der Islam würde durch die nach Deutschland kommenden Geflüchteten einen zu großen Einfluss bekommen (vgl. Infratest-Dimap 2015). In der Berichterstattung und insbesondere innerhalb der analysierten fotografischen Thematisierung der ankommenden Geflüchteten spielt der Islam demgegenüber keine besondere Rolle.3 Dennoch spiegelt sich hier in der visuellen Berichterstattung sehr deutlich wider, wie die anfangs eher positive Ausrichtung des Fluchtdiskurses im Verlauf des Herbstes auch in der medialen Auseinandersetzung nachlässt. Die auf Distanz gehenden Bilder der großen Menschenmassen, in denen die einzelnen Personen kaum noch erkennbar sind sowie die von Chaos geprägten Szenen des Ankommens und der Unterbringung verdeutlichen die starke Problematisierung dieser Ereignisse. Ein wichtiges Ergebnis der Bildanalyse ist in diesem Zusammenhang jedoch auch, dass in der Berichterstattung neben den Darstellungen der Massenbewegungen ebenfalls Bilder in den Mediendebatten zirkulierten, die deutlich positiver ausgerichtet sind und die versuchen, die Bewegründe für die Fluchtbewegungen anhand von persönlichen Portraits einzelner Geflüchteter zu erläutern. Diese Form der Berichterstattung zielt insbesondere darauf ab, persönliche Beweggründe für die Flucht nach Europa anhand einzelner Personen oder Familien vorzustellen. Dabei wird unter anderem auf die familiären oder beruflichen Rollen eingegangen und auch die Fotografien stellen diese teilweise dar. Verstärkt wird die positiv konnotierte Berichterstattung zudem durch die Etablierung eines persönlichen und nahen Interaktionsverhältnisses, in dem die Leser*innen durch direkten Blickkontakt auch oftmals unmittelbar adressiert werden (siehe exemplarisch die Abbildungen 71-74, S. 192ff.). Somit stehen die Abbildungen in deutlichem Kontrast zu den beschriebenen Abbildungen großer Menschengruppen, die nach Deutschland kommen. Die Bezugnahme zu den dargestellten Personen fällt hier insgesamt positiv aus und das etablierte Interaktionsverhältnis deutet vor allem darauf hin, dass die nach Deutschland geflüchteten Menschen in ihrer jeweiligen Individualität wahrgenommen werden. Die thematisierten persönlichen Hintergründe der dar-
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Die Berichterstattung schlägt nach den Terroranschlägen in Paris im November 2015 eine andere Richtung ein und fokussiert auch im Fluchtdiskurs stärker auf die terroristischen Gefährdungslagen und die Bedrohungen durch den Islam. Nach der hohen Anzahl an Übergriffen auf Frauen in der Silversternacht 2015/2016 in Köln wurde der Diskurs zusätzlich mit dem Geschlechterdiskurs verschränkt (vgl. Jäger/Wamper 2017: 146).
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gestellten Personen auf Textebene sind hierbei durchaus divers und zeigen auf, warum Menschen nach Europa fliehen müssen.4 Durch die personalisierende Darstellungsweise etabliert sich in diesem visuellen Bereich der Berichterstattung ein Interaktionsverhältnis, das die Individualität der abgebildeten Flüchtlinge besonders betont und ein Hauptaugenmerk auf ihr Sprechen und ihre jeweilige Geschichte legt. Für die Betrachter*innen entsteht dadurch eine deutlich höhere Involvierung in das Bildgeschehen als in den anderen fotografischen Abbildungen der Berichterstattung. Das Adressieren der Bildbetrachtenden durch den Augenkontakt betont zusätzlich die Aufforderung, die persönlichen Statements der dargestellten Personen wahrzunehmen und verstärkt den Aufbau einer gewissen Empathie für die jeweiligen Lebenssituationen der Geflüchteten. Die dargestellten Personen werden dabei als aktiv-sprechende Subjekte in die Mediendebatte einbezogen und die nahe und positiv konnotierte Darstellungsweise ermöglicht es, einen individuellen Zugang zu den diversen Fluchtgeschichten und ihren Hintergründen zu finden. Damit stehen die Abbildungen in starkem Kontrast zu den Bildmotiven, die vorwiegend große Menschengruppen zeigen. Diese Personen bleiben für die Leser*innen weitgehend anonym, erscheinen begrenzt-handlungsfähig und sind zumeist in eine hohe soziale Distanz gesetzt.
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Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die bereits genannte Studie von Margreth Lünenborg und Tanja Maier (2017), wobei der Fokus dieser Analyse auf der Berichterstattung über Fluchtbewegungen über das Mittelmeer liegt. Auch hier finden sich zahlreiche fotografische (und gezeichnete) Portraits von Geflüchteten. Lünenborg und Maier heben hervor, wie durch die Verbindung visueller Portraits mit persönlichen Zitaten die Individualität und Singularität der abgebildeten Personen unterstrichen werden (vgl. Lünenborg/Maier 2017: 57f.).
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8.4 INTEGRATIONSBILDER: SCHULE, BILDUNG UND ARBEITSMARKT Wichtiger Bestandteil der Berichterstattung über Integration, Migration und Flucht ist die Darstellung von Migrant*innen und Geflüchteten im Bildungssowie Arbeits-/Ausbildungsbereich. Insbesondere wurden in den verschiedenen Fallstudien zahlreiche Fotografien vorgefunden, die eine Unterrichts- oder Arbeitssituation in einen integrationspolitischen Rahmen einordnen. Die Darstellungsmuster dieser Bildgruppen werden im Folgenden analysiert, miteinander verglichen und hinsichtlich der spezifischen Differenzmarkierungen und Stereotypisierungen auf visueller Ebene diskutiert. Die bildkommunikative Ebene der Berichterstattung ist im Bereich der Bildungspolitik insgesamt sachbezogen und stark dokumentarisch ausgerichtet. Realisiert wird diese Darstellungsweise insbesondere durch die Wahl der Blickperspektive auf das Unterrichtsgeschehen, welche die abgebildeten Personen so darstellt, dass sie frontal oder seitlich und auf Augenhöhe erkannt werden können. Zudem erfolgt die Abbildung der Personen zumeist in Form einer mittleren bis kurzen Distanz zu den Rezipient*innen. So entsteht eine vergleichsweise persönliche und nahe Betrachtungsposition, in der die Leser*innen quasi als außenstehende Beobachter*innen situativ mit in die Lernsituation einbezogen werden (siehe Abb. 12 und Abb. 13, S. 149). Die Darstellungen erweisen sich damit im Vergleich zu den oben analysierten Abbildungen muslimsicher Frauen und Männer als weitaus weniger distanzierend und abgrenzend. Sie vermitteln bildkommunikativ in erster Linie einen dokumentarisch wahrnehmbaren Einblick in den integrationspolitischen Alltag des Schul- und Bildungsbereichs, der es ermöglichen kann, sich als Bildrezipient*in in die abgebildete Situation hineinzuversetzen. Während sich dieses visuelle Darstellungsmuster in allen Fallstudien wiederfindet, lässt sich im Bereich der personalen Repräsentationsweise ein deutlicher Unterschied zwischen den Erhebungszeiträumen der Analyse feststellen. Besonders auffällig ist hierbei, dass in den Abbildungen von 2006, 2009 und 2010 fast ausschließlich diejenigen Personen dargestellt sind, die laut Bildbotschaft als Migrant*innen und Muslim*innen in das deutsche Bildungssystem integriert werden sollen. Die Schüler*innen und Kursteilnehmer*innen sind fast immer weiblich und werden entweder alleine oder in einer kleinen Gruppe gezeigt. Zudem sind sehr häufig junge Frauen dargestellt, die ein Kopftuch tragen. Damit wird eine muslimische Zugehörigkeitszuschreibung markiert, auch in diesem Bereich der Berichterstattung zumeist ohne eine textliche Thematisierung des Islams. Deutsche Personen sind hingegen nicht abgebildet (und verbal nicht be-
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nannt), obwohl dies im entsprechenden Themenkontext und bei der Darstellung einer Unterrichtssituation an einer deutschen Schule naheliegend wäre.5 Die durch den textlichen Deutungsrahmen als migrantische Schüler*innen benannte Personengruppe wird somit immer getrennt von den anderen Schüler*innen dargestellt. Im Zusammenspiel mit der verbalen Bedeutungsproduktion, die die Integration von Migrant*innen im Bildungsbereich mit einer Rhetorik der ‚gescheiterten Eingliederung‘ verbindet und bestimmte Personen als ‚Integrationsverlierer‘ beschreibt, erfüllen die Medienbilder auch hier besonders eindrücklich die Funktion der fotografischen Evidenzführung. Sie sollen das im integrationspolitischen Diskurs dominant auftretende Deutungsmuster visuell belegen, bei dem Problemlagen ausschließlich auf Migrant*innen und die ihnen zugeschriebene kulturelle/religiöse/nationale ‚Andersheit‘ zurückgeführt werden. Dementsprechend sind diejenigen, die als Schüler*innen dargestellt sind, als ‚kaum bildungsfähig‘ und ‚schlecht integriert‘ gekennzeichnet und es wird immer wieder betont, dass ihre Integration ‚gescheitert‘ sei. Anhand dieses verbalen Framings und der alleinigen Fokussierung auf die migrantisierten Schüler*innen dominiert hier eine Bildbotschaft, die eine klare Grenzziehung zur nicht sichtbaren Mehrheitsgesellschaft verankert und die Schüler*innen ungeachtet der sachlich-dokumentarischen Darstellungsweise deutlich als nichtdeutsche ‚Andere‘ markiert. Dabei verknüpfen die Bilder den integrationspolitischen Deutungsrahmen mit einem Narrativ, das soziale Probleme kulturalisiert und von der Gesamtgesellschaft abtrennt. Anstatt Versäumnisse in der Sozial- und Bildungspolitik in den Mittelpunkt der Berichte zu rücken, wird fast ausschließlich die kulturelle oder religiöse ‚Andersheit‘ betont und in die Ursachendiagnose einbezogen. Auf Ebene der visuellen Repräsentation sind in diesem Prozess der kulturalisierenden Differenzmarkierung zwei Zuschreibungen von besonderer Bedeutung. Entscheidend ist einerseits, wie die dargestellten Schüler*innen in der Berichterstattung benannt werden: Die Betonung liegt in Form von Bezeichnungen wie ‚Migrantenkinder‘, ‚Zuwandererkinder‘ oder auch ‚Türkischstämmige‘ immer auf der familiären Abstammung, die als ‚fremd‘ und als ‚nicht-deutsch‘ markiert ist. Differenzzuschreibungen werden somit in diesem Darstellungsbereich auf die Kinder (und Kindeskinder) von Migrant*innen übertragen. Damit erfolgt, wie auch Fatima El-Tayeb in ihrer Analyse der gegenwärtigen Konstruktion des ‚Anderen‘ in der postmigrantischen Gesellschaft besonders betont hat, eine klare Zuschreibung der Nicht-Zugehörigkeit, obwohl ein großer Teil dieser
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Auch Lehrer*innen werden vor allem dann dargestellt, wenn es sich laut Textebene ebenfalls um ‚Migrant*innen‘ handelt (siehe Abb. 19 und 20, S. 152).
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Schüler*innen in Deutschland geboren wurde und sozialisiert worden ist (vgl. El-Tayeb 2016: 152f.). Auf visueller Ebene findet sich andererseits auch in diesem Teil der Berichterstattung insbesondere das Kopftuch als wiederkehrendes Symbol der Differenzmarkierung. In Verbindung mit den negativ konnotierten Deutungsrahmen auf Textebene deutet diese auch hier vielfach zu sehende Symbolik auf eine dominante Argumentationsfigur in den Integrationsdebatten hin: Muslim*innen werden in diesem Kontext der medialen Berichterstattung häufig als besonders bildungsfern stereotypisiert. Obwohl kein direkter Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zum Islam und dem Bildungsniveau besteht und Unterschiede viel stärker auf die historische Gegebenheit der Anwerbung von Arbeitsmigrant*innen in der BRD zurückgeführt werden können (vgl. Haug/Müssig/Stichs 2009: 220), tritt eine negativ konnotierende Markierung sehr häufig auf – nicht zuletzt seit der Sarrazin-Debatte. Im direkten Vergleich zu diesen Abbildungen weisen auch die Fotografien der Flucht- und Asyldebatte, die den Bildungsbereich hervorheben, auf visueller Ebene eine ganz ähnlich strukturierte Darstellungsweise auf und können ebenfalls als dokumentarisch und sachbezogen bezeichnet werden. Eine Veränderung stellt sich jedoch in der Zusammensetzung der Personendarstellungen und damit auch im Bildaufbau ein. Neben den Schüler*innen, die als ‚Flüchtlinge‘, ‚Flüchtlingskinder‘ oder auch ‚Migrant*innen‘ bezeichnet werden, sind im Gegensatz zu den anderen Erhebungszeiträumen oft auch deutsche Lehrer*innen in den Abbildungen dargestellt. Hierbei fällt zunächst eine Aufteilung der Rollen entlang einer sichtbaren Differenzmarkierungen auf: Während die Lehrkräfte sehr oft durch weiße Frauen repräsentiert werden, sind die Schüler*innen und Sprachkursteilnehmer*innen sehr viel häufiger durch nicht-weiße Männer dargestellt. Im Mittelpunkt des Bildes stehen oftmals die Lehrkräfte – ihre Position wird vor allem durch das mittige Platzieren im Bildaufbau (Abb. 67, S. 186) oder durch die höhere Anordnung der am Tisch sitzenden Schüler*innen (Abb. 69 und Abb. 70, S. 187) begünstigt. Die verbalen Deutungsrahmen sind gegenüber den dargestellten Geflüchteten, die in den Bildungs- und Schulbereich integriert werden sollen, deutlich positiv ausgerichtet. Auch wenn ebenfalls die bildungspolitischen Aspekte als Herausforderung betont werden, so sind diese seltener auf die Geflüchteten selbst und deutlich stärker auf die staatlichen Maßnahmen gerichtet, die eine Verbesserung der Situation erreichen sollen. Insgesamt lässt sich demnach festhalten, dass die visuelle Darstellung von Geflüchteten im Bildungsbereich viel positiver konnotiert ist als die Abbildung von Migrant*innen in den Berichten über Integration und Bildung. Aufgrund der ähnlichen Darstellungsweise in allen Untersuchungszeiträumen zeigt sich, dass Textbotschaften – also die Art des verbalen Framings – die Personendarstellung
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entscheidend beeinflussen können. Außerdem weisen die Abbildungen aus dem Flucht- und Asyldiskurs darauf hin, dass die deutschen Selbstbilder nicht immer unsichtbar bleiben, sondern punktuell ebenfalls Teil der visuellen Berichterstattung werden können. Dieses Sichtbarkeitsverhältnis zwischen Geflüchteten und Deutschen zeigt sich, wie die Feinanalyse herausgestellt hat, nicht nur im Bildungs- sondern auch im Arbeitsbereich. So wurden zahlreiche Abbildungen vorgefunden, die Arbeits- und Ausbildungssituationen in Handwerks- und Industriebetrieben darstellen und meistens mit Fragen des Arbeitsmarktes und der Integration von Geflüchteten verbunden sind. Die verbale Berichterstattung stellt diese Fotografien im Kontext der Integrationsdebatte insgesamt betrachtet zumeist in einen positiven Deutungsrahmen. So wird die Nachfrage nach neuen Mitarbeiter*innen in deutschen Unternehmen betont und die ausbaufähige staatliche Unterstützung von Geflüchteten bei der Integration in den deutschen Arbeitsmarkt wird thematisiert. Auf visueller Darstellungsebene finden sich ähnliche Merkmale wie im Bereich der bildungspolitischen Themensetzung. Die Abbildungen stellen aus einer dokumentarisch ausgerichteten Perspektive Szenen aus den (Ausbildungs-) Betrieben dar und etablieren dabei eine Interaktion zu den Bildbetrachtenden, die durch eine gewisse Nähe sowie durch eine Involvierung ins Bildgeschehen gekennzeichnet ist. Die Fotografien dienen somit vor allem als visuelle Veranschaulichung der positiv ausgerichteten Berichte über die Integration von Geflüchteten in den deutschen Arbeitsmarkt. Eine solche Argumentation in öffentlichen Debatten stellt, wie Benjamin Etzold betont, eine bemerkenswerte Änderung dar, denn durch zahlreiche bürokratische und politische Hürden seien Geflüchtete bislang stark daran gehindert worden, eine Arbeit in Deutschland aufzunehmen (vgl. Etzold 2018: 320f.). Die Textbotschaften der analysierten Berichte sind übereinstimmend darauf gerichtet, die integrative Funktion von Arbeit sowie den wirtschaftlichen Nutzen der potentiellen Arbeitnehmer*innen für den ‚Standort Deutschland‘ im globalen Wettbewerb zu beschreiben. Der erleichterte Zugang zu Arbeit folgt dabei der Grundüberlegung, wie die ankommenden Menschen angesichts eines drohenden Arbeitskraftmangels dazu beitragen sollen, die nationale Wirtschaft zu stabilisieren. So hebt auch Etzold hervor: „Im Vordergrund der Debatte für eine schnelle Integration von Geflüchteten über den Arbeitsmarkt steht somit kein humanistisches, sondern ein wirtschaftliches Motiv. Auch wer als Flüchtling ankommt, soll als Arbeiter oder Dienstleistungsprofi bleiben und so dazu beitragen, die strukturellen Ungleichgewichte auf dem nationalen Arbeitsmarkt auszugleichen“ (Etzold 2018: 328f.).
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In den analysierten Bildern zeigt sich dabei auch anhand der Auswahl der räumlichen Umgebung in welchem Teil des Arbeitsmarkts eine Integration für möglich gehalten wird: Die Geflüchteten werden ausschließlich in Industrie- und Handwerksbereichen dargestellt, andere Bereiche wie der Dienstleistungssektor bleiben in der Berichterstattung hingegen unsichtbar. Ein auffälliges Muster in den Darstellungen findet sich des Weiteren auf Ebene des bildimmanenten Handlungskontextes: Im Mittelpunkt der jeweiligen Abbildungen steht, visuell hervorgehoben durch die Anordnung im Bildaufbau, sehr häufig eine erklärende und anleitende Gestik der Angestellten und Ausbilder gegenüber den Geflüchteten. Während einerseits gesprochen und teils mit getrecktem Zeigefinger besonders nachdrücklich auf etwas hingewiesen wird, steht andererseits eine zuhörende und mitunter geradezu erstaunt wirkende Mimik (siehe Abb. 61 und Abb. 62, S. 183f.). Hier erfolgt eine deutlich sichtbare Grenzziehung zwischen den beiden Personengruppen in ‚sprechende/aktive‘ und ‚zuhörende/begrenzt aktive‘ Subjekte. Ein solches Repräsentationsverhältnis findet sich auch in anderen Bereichen politischer Kommunikation, die durch Stereotypisierungen und dichotome Differenzmarkierungen gekennzeichnet sind. So haben Timo Kiesel und Daniel Bendix (2010) in einer postkolonialen Analyse entwicklungspolitischer Plakatwerbung beispielsweise darauf verwiesen, dass die Zuschreibung sprechen zu können zur wichtigsten Eigenschaft der Personendarstellungen gehört, um als Subjekt wahrgenommen zu werden. Für die entwicklungspolitische Werbung sei dieses Privileg – von wenigen Ausnahmen abgesehen – weißen Menschen vorbehalten, die hierdurch in eine höhere Machtposition gegenüber den dargestellten Schwarzen Menschen und People of Color gesetzt würden (vgl. ebd.: 491). Ein ganz ähnlich strukturiertes Darstellungsmuster kennzeichnet auch die hierarchisierende Unterscheidung von weißen Ausbildern und Geflüchteten. Die Visualisierungsform begünstigt jedoch nicht nur die weiße Position in den fotografischen Bildern, sondern transportiert darüber hinaus eine stark stereotypisierende Darstellungsweise, in der gravierende Unterschiede auf Ebene der Wissens- und Arbeitskenntnisse manifestiert sind. Wissen und Erfahrungen sollen dabei in einem einseitig verlaufenden Prozess von den Ausbildern zu den Geflüchteten transferiert werden. Dabei entsteht der Eindruck, dass die Ausbildung und Inklusion von Geflüchteten auf einem sehr niedrigen Bildungs- und Arbeitsniveau starten muss. Durch die Wiederholung dieser Darstellungsweise wirkt es insgesamt so, als würden Flüchtlinge weitgehend unwissend in die Arbeitsprozesse in Deutschland einsteigen und bedürften einer Grundausbildung. Die Visualisierung der Integration in den Arbeitsmarkt stellt sich damit als äußerst eindimensionaler Vorgang dar und reproduziert ein Deutungsmuster, das nahelegt an-
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zunehmen, durch die Fluchtbewegungen der vergangenen Jahre seien vorwiegend bildungsferne und unqualifizierte Menschen nach Deutschland gekommen. Verschiedene statistische Erhebungen weisen in diesem Zusammenhang demgegenüber darauf hin, dass Geflüchtete häufig nicht nur über mittlere bis hohe Schulabschlüsse und teilweise auch über eine Hochschulbildung, sondern nicht selten auch über vielfältige Berufserfahrungen und -qualifikationen verfügen (vgl. Wiedner/Salikutluk/Gieseke 2018: 14f.). Diese Dynamik ist jedoch in der visuellen Berichterstattung kaum sichtbar, so dass die beschriebene Darstellungsweise an dieser Stelle trotz einer weitgehend positiv konnotierten Textebene bestimmte stereotypisierende Differenzvorstellungen gegenüber Geflüchteten im Bereich der bildlichen Kommunikation festschreibt. Im Gegensatz zu den Abbildungen des Schulbereichs sind es hier nicht die textlichen Botschaften, die die bildlichen Darstellungen negativ beeinflussen, sondern die visuellen Darstellungsmuster im Bereich des Handlungskontextes, die eine stereotypisierende Wirkung auf die weitestgehend positiv ausgerichtete Berichterstattung ausüben. Im Feld der Repräsentation von Selbst- und Fremdbildern entsteht somit das stereotype Bild sowohl von den unwissenden, schlecht ausgebildeten Geflüchteten auf der einen und von den wissenden, gut ausgebildeten Deutschen auf der anderen Seite.
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8.5 MIGRANT*INNEN UND DIE AMBIVALENZEN DER ANERKENNUNG Migrant*innen und Muslim*innen werden in der analysierten Berichterstattung, wie bereits aufgezeigt wurde, sehr häufig als ‚integrationsunwillig‘ und ‚leistungsschwach‘ dargestellt. Die in der Feinanalyse exemplarisch untersuchten Portraits türkischer Migrant*innen sind als ‚Gegenbeispiele‘ zu dieser Stereotypisierung aufzufassen und betonen vor allem, dass die abgebildeten Personen beruflich erfolgreich und sehr gut in die deutsche Gesellschaft integriert seien. Sowohl auf Text- als auch auf Bildebene finden sich entsprechende positive Konnotationen: So wird eine direkte und persönliche Adressierung der Leser*innen mittels Blickkontakt auf Augenhöhe, eine Positionierung im Bildmittelpunkt sowie eine positive, oftmals deutlich selbstbewusste Gestik und Mimik in der Interaktion zwischen Bildbetrachter*innen und abgebildeten Migrant*innen etabliert (siehe Abb. 24 und Abb. 26, S. 156f.). Der verbale Deutungsrahmen hebt besonders den wirtschaftlichen und beruflichen Erfolg der Portraitierten hervor. Insgesamt ergibt sich demnach eine äußerst positiv ausgerichtete Darstellungsweise, die anhand ausgesuchter Personen bildhaft illustrieren soll, dass Integration bei entsprechender Leistungserbringung und Anpassung an die Erfordernisse des Arbeitsmarkts gelingen kann. Gleichwohl stellen diese durchaus anerkennenden Portraits immer eine Ausnahme zur viel häufiger in der medialen Berichterstattung vorzufindenden Figur des Integrationsverweigerers und -verlierers dar. Als ‚Gegenbeispiel‘ weisen sie außerdem implizit auf eine Dichotomie zwischen einigen wenigen ‚integrierten‘ und vielen ‚nicht-integrierten‘ Migrant*innen hin, die spätestens seit der Sarrazin-Debatte6 als dominante Differenzkategorie in der Integrationsdebatte verbreitet ist und die Migrant*innen als Belastung und Problem für die Gesellschaft darstellt (vgl. Friedrich/Schulte 2013). Durch den Bezug auf das Leistungs- und Verwertungsprinzip werden in diesem Zusammenhang ‚Migrationsandere‘ primär nach ihrem ‚Nutzen‘ für die Mehrheitsgesellschaft bewertet und eingeord-
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Siehe ausführlich hierzu die Diskursanalyse zur Sarrazin-Debatte von Friedrich und Schulte (2011). Den rassistischen Thesen Sarrazins wurden auf Ebene der medialen Berichterstattung vielfach Reportagen entgegengesetzt, die anhand erfolgreicher Einzelbeispiele aufzeigen sollten, dass es auch ‚gut integrierte‘, da ökonomisch erfolgreiche Migrant*innen in Deutschland gibt.
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net. Die Integrationsleistung wird dabei vor allem am wirtschaftlichen Erfolg der Migrant*innen gemessen (vgl. hierzu auch Haupt 2012: 726). Integrationsleistung, Verwertbarkeit und ökonomischer Erfolg sind in dieser Aufteilung die Maßgabe, Migrant*innen auf positive oder auf negative Weise zu repräsentieren – im textlichen Deutungsrahmen und auf visueller Darstellungsebene. Auffällig ist dabei auch, dass die dargestellten Personen immer mit einer Zugehörigkeit zur Türkei, nicht aber wie in den meisten anderen Teilen der analysierten Berichterstattung mit einer Zuschreibung des Muslimischseins markiert werden. Diese Dynamik findet sich auch in der Analyseauswertung des Gesamtmaterials, die nachweisen konnte, dass eine Verbindung zum Islam zumeist dort erfolgt, wo negative Konnotationen den Deutungsrahmen bestimmen. Die Portraits spiegeln somit nicht nur die Aufteilung in ‚integrierte‘ und ‚nichtintegrierte‘ Migrant*innen wider, sondern verweisen auch auf die ebenfalls dominante „binäre und stereotype Einteilung in ‚gute‘ (säkulare/liberale) und ‚schlechte‘ (organisierte/praktizierende/orthodoxe) Musliminnen und Muslime“ (Shooman 2014: 139). Als Positivbeispiel für eine gelungene Integration in die deutsche Gesellschaft werden des Weiteren auch bekannte Persönlichkeiten aus dem Sport- oder Kulturbereich abgebildet. Das Bild des Fußballspielers Mesut Özil, dem nach dem Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft gegen die Türkei von Kanzlerin Angela Merkel gratuliert wird, erlangte besondere mediale Aufmerksamkeit und wurde vielfach in der Print- und Onlineberichterstattung verwendet (Abb. 87, S. 206). Das Foto scheint dabei besonders gut geeignet zu sein, eine doppelte Botschaft zu transportieren, die eine anschlussfähige Kommunikation sowohl an den Sport- als auch an den Integrations- und Zugehörigkeitsdiskurs möglich macht. Ausgangspunkt ist hierbei der im Mittelpunkt der Darstellung stehende Handschlag, bei dem aufgrund der zweifachen inhaltlichen Ausrichtung der Berichterstattung – Sportereignis und Integrationspolitik – offen bleibt, zu welchem Anlass hier eine Gratulation erfolgt. Offensichtlicher erster Bezugspunkt ist das erfolgreiche Spiel der deutschen Nationalmannschaft, der sich aus dem tagesaktuellen Ereignis ergibt. Darüber hinaus steht die Abbildung in einem weiter gefassten Deutungsrahmen, der die Frage der Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland verhandelt. Die Botschaft lautet hier, dass der Fußballspielspieler Özil als Enkelkind türkischer Migrant*innen ebenfalls Anerkennung für seine sichtbar ‚gelungene Integration‘, die durch den positiven Einsatz in der Nationalmannschaft belegt wird, erfährt. In Verbindung mit dem integrationspolitischen Diskurs kann die positive Darstellung Mesut Özils einerseits für die zunehmende Diversität der deutschen Nationalmannschaft und andererseits repräsentativ für die Idee, Deutschland als
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Einwanderungsland zu betrachten, gelesen werden (vgl. Dietze 2012: 58f.). Hierbei steht die vorbildliche Loyalität zur deutschen Nation im Fokus, denn prinzipiell wäre für den Fußballer Özil zu Beginn seiner Karriere auch eine Teilnahme als Spieler in der türkischen Nationalmannschaft möglich gewesen. Positiv besetzt wird demnach die aktive Identifikation mit der deutschen Nation – gerade im direkten sportlichen Vergleich mit der Nationalmannschaft der Türkei. Ein ganz ähnlich ausgerichtetes Bild mit hohem Symbolcharakter stellt die Darstellung des Regisseurs Fatih Akin dar, dem im Oktober 2010 der Bundesverdienstorden vom damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff verliehen wurde (Abb. 88, S. 206). Auch hier ist die Visualisierung nicht direkt auf das Ereignis bezogen, sondern steht durch die inhaltliche Rahmung des Artikels in einem weiter gefassten Zusammenhang, der wie bei der Abbildung von Mesut Özil insbesondere die Frage der Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland in den Mittelpunkt rückt. Durch die Bildunterschrift wird sehr deutliche betont, dass der ‚türkischstämmige‘ Regisseur ‚sicher‘ zu Deutschland gehöre. Sein Erfolg wird in den Dienst einer kosmopolitischen und leistungsfähigen Nationalkultur gestellt (vgl. Ha 2005: 104ff.). Die Darstellung Akins wird, genau wie die Abbildung Özils, als Musterbeispiel für eine gelungene Integration herangezogen. Beide Bilder spiegeln damit wider, dass die Frage der nationalen Zugehörigkeit dort positiv besetzt ist, wo bestimmte Erfolge (beruflich/wirtschaftlich, sportlich, kulturell) vorliegen und daraus ein Gewinn für die deutsche Gesellschaft abgeleitet wird. Hervorgehoben ist dabei auffallend deutlich, dass diese Leistungen vor dem Hintergrund einer ‚türkischen Herkunft‘ erzielt worden seien. Der Ausgangspunkt dieser positiv konnotierten Bilder ist somit das stereotypisierende Bild der ‚migrantischen‘ und vor allem ‚türkischstämmigen Anderen‘ von dem sich bei entsprechenden Erfolgen, die honoriert werden, abgegrenzt werden kann. Die jeweilige Leistung der Einzelpersonen steht klar im Vordergrund und die Botschaft lautet dementsprechend, dass es auf individueller Ebene möglich sei, einen Ausweg aus der als negativ und problematisch beschriebenen Position der Migrant*innen zu finden. Auch eine (Neu-)Aushandlung der Zugehörigkeit zu Deutschland scheint dabei realisierbar, wobei diese Möglichkeit unter den Bedingungen leistungsbezogener Verwertungskriterien steht und eine Anerkennung durch die Dominanzgesellschaft in den ausgewählten Visualisierungen die Ausnahme zu sein scheint.
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Deutsche Selbstbilder – Imaginationen einer nationalen ‚Wir-Gemeinschaft‘ und multiple Zugehörigkeiten
9.1 DER BLICK AUF DIE ‚ANDEREN‘ UND DIE ‚DOMINANZGESELLSCHAFT‘ Zentraler Ausgangspunkt einer postkolonialen Analyseperspektive auf westliche Gesellschaften ist die Annahme, dass das Differentmachen der ‚Anderen‘ – also die spezifische Weise bestimmte Personengruppen als ‚Andere‘ zu konstruieren und als nicht-zugehörig zu markieren – als relationale Konstruktion immer auch der Selbstvergewisserung derjenigen dient, die dieses Othering vornehmen. Um das ‚Eigene‘ bestimmen zu können, so die Ausgangsüberlegung von Said (2009), Spivak (1999), Hall (2004; 2008a) und anderen Vertreter*innen Postkolonialer Studien, müssen die ‚Anderen‘ erst als ‚Andere‘ konstruiert und als nicht-zugehörig markiert werden (vgl. auch Attia 2009; Shooman 2014). So wird zugleich das Selbstverständnis des ‚Okzidents‘ als ‚Okzident‘ (in Abgrenzung zum ‚Orient‘) und das Selbstverständnis des ‚Westens‘ als ‚Westen‘ (in Abgrenzung zum ‚Rest‘) herausgebildet und immer wieder (re-)formuliert. Vor diesem Hintergrund gilt es im Folgenden, die im vorherigen Kapitel herausgearbeitete stereotypisierende Darstellungsweise des ‚Anderen‘ auf das dahinterliegende Selbstverständnis der ‚Dominanzgesellschaft‘ zu befragen. Zuallererst ist dabei auf die Beobachtung zurückzukommen, dass religiöse Zuschreibungen in gegenwärtigen Debatten um Migration und Integration besonders häufig sichtbar sind und bei der Differenzproduktion eine entscheidende Funktion innehaben. Mit Bezugnahme auf die seit langem in Europa verbreitete Dichotomie zwischen ‚Westen‘ und ‚Orient‘ wird der Islam zu einem wichtigen Gegenbild des eigenen Selbstverständnisses. Dabei rekurriert die Formulierung einer deutschen Identität nicht nur auf das rein nationalstaatlich gedachte Selbst, sondern ebenfalls auf das
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gemeinsame Europäischsein (vgl. Shooman 2011: 67). Die zunehmend vorfindbare Abgrenzung zum transnational gedachten Kollektiv der Muslime führt in diesem Zusammenhang auch zu einer stärker wahrnehmbaren Ausweitung der zuvor eher national ausgerichteten Selbstwahrnehmung. Durch die Position der Adressierenden lässt sich nachvollziehen, in welches Verhältnis sie sich zu den adressierten Anderen setzen und wie sich das ‚Selbst der Mehrheitsgesellschaft‘ definiert (vgl. Yildiz 2009: 90). Die Transnationalisierung der ‚Anderen‘ deutet darauf hin, dass sich auch das Selbst „in ein transnationales Feld“ einschreibt (ebd.: 97). Während also einerseits insbesondere die Zugehörigkeit zum Islam in den Mittelpunkt gerückt wird, lässt sich andererseits beobachten, dass das gegenüberstehende Selbstbild ‚deutsch‘ und/oder ‚europäisch‘ sowie ‚christlich‘ und ‚okzidental‘ gedacht wird.1 Anhand von zwei wiederkehrenden Darstellungsmustern der empirischen Untersuchung lässt sich diese These plausibilisieren: So ist erstens die sich beständig wiederholende Figur der kopftuchtragenden Muslimin nicht nur Ausdruck eines historisch verankerten Othering-Prozesses, sondern führt als stark verbreitete visuelle Stereotypisierung auch auf die dominante Blickperspektive zurück, von der das Differentmachen ausgeht. Werden diese Bilder vornehmlich konnotativ mit Abgrenzung, (sozialer) Distanz und Entindividualisierung verbunden, lässt sich dementsprechend nach dem dahinterliegenden Selbstbild fragen. Die deutliche Fixierung auf die verschleierte bzw. kopftuchtragende Frau kann als Ausdruck einer Selbstidealisierung gelesen werden. Wie Yasemin Shooman (2014) in ihrer Analyse von Geschlechterstereotypen in ‚antimuslimischen Diskursen‘ hervorgehoben hat, würden muslimische Frauen sehr häufig als rechtlos dargestellt und es werde oftmals angenommen, dass sie in einem patriarchalen, konservativen Geschlechterrollenverständnis gefangen seien. In diesem Deutungsrahmen scheine die Geschlechtergerechtigkeit in der Dominanzgesellschaft nahezu realisiert. Die Rolle deutscher Frauen und Männer bestünde daher vordergründig darin, muslimische Frauen aufzuklären und zu beschützen (vgl. ebd.: 87). Das herausgebildete Gegensatzverhältnis, welches stark auf das Emanzipationsdefizit von Muslim*innen Bezug nimmt, lässt somit ebenfalls Rückschlüsse auf die idealisierte Selbstwahrnehmung zu. Als Kontrastfolie transportiert das beständig in der Berichterstattung wiederkehrende ‚Kopftuch‘ ein unsichtbar bleibendes, aber implizit enthaltenes Selbstbild, welches assoziativ mit Emanzipation und Fortschrittlichkeit verbunden ist.
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Zuschreibungen zum Jüdischsein bzw. zur jüdischen Religion waren in der analysierten Medienberichterstattung hingegen nicht sichtbar.
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Ganz ähnlich lässt sich zweitens die (visuelle) Abwesenheit weißer sowie nichtmigrantischer und nicht-muslimischer Personen in der Berichterstattung über Integrationsprobleme im Bildungsbereich deuten. So verweist die klare visuelle Trennung von migrantisierten und deutschen Schüler*innen nicht nur auf Prozesse des Othering. Zuschreibungen und negative Konnotationen, welche die ‚Anderen‘ als integrationsbedürftig, defizitär und teilweise als integrationsunwillig markieren, deuten ebenfalls auf die unsichtbar bleibende Selbstbeschreibung einer Dominanzgesellschaft hin, die durch entgegengesetzte, positiv konnotierte Werte und Normen gekennzeichnet ist. Wie aufgezeigt werden konnte, wird die Ursachendiagnose bestimmter Probleme im Bildungsbereich kulturalisiert, also allein auf die religiöse und/oder kulturell-ethnische ‚Andersheit‘ der dargestellten Personen zurückgeführt. Eine nationale ‚Wir-Gruppe‘ bleibt zwar unsichtbar, fungiert aber als leitkulturell gedachte Norm, an der sich Migrant*innen und Muslim*innen messen lassen müssen. In den Teilbereichen der analysierten Berichterstattung, in denen deutsche und migrantisierte Schüler*innen als zwei sich gegenübergestellte Einheiten visualisiert werden (siehe Abb. 85, S. 205), bestätigt sich diese Dichotomie in der Repräsentation auf anschauliche Weise: pro-aktiven, leistungsstarken und bildungsbürgerlichen Schüler*innen der ‚Dominanzgesellschaft‘ werden passive, leistungsschwache und eher bildungsferne Schüler*innen entgegengestellt, die als Migrant*innen und/oder Muslim*innen gekennzeichnet sind. Das hierbei sichtbar werdende Repräsentationsverhältnis spiegelt zugleich eine wichtige Dynamik in der Visualisierung nationaler Zugehörigkeit wider: Deutsche Schüler*innen sind durch weiße Personen dargestellt, während migrantischen und muslimischen Schüler*innen eine Position außerhalb der nationalen ‚WirGemeinschaft‘ zugewiesen wird.
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9.2 NATIONALE ZUGEHÖRIGKEIT(EN) UND BILDER EINER POSTMIGRANTISCHEN GESELLSCHAFT „Zugehörigkeit lässt sich nur noch im Plural denken; Menschen leben gleichzeitig und nacheinander in verschiedenen Räumen der Zusammengehörigkeit, die sich nicht immer leicht miteinander verbinden lassen“ Joanna Pfaff-Czarnecka (2012: 17f.)
Zu den visuell auffälligsten und bedeutungsvollsten Motiven der analysierten Medienberichte zählen die zahlreichen Darstellungen, die eine nationale Flaggensymbolik in den Mittelpunkt der Bildbotschaft stellen. Viele der Abbildungen wurden in der journalistischen Berichterstattung über Fußball-Weltmeisterschaften vorgefunden. Zwei Deutungsrahmen koppeln die Fotografien hier mit unterschiedlichen thematischen Bedeutungsebenen. Einerseits spielen integrationspolitische Inhalte eine entscheidende Rolle. Die Darstellungen sind dann eng mit der Frage der nationalen Zugehörigkeit von Migrant*innen und Muslim*innen verflochten (siehe 6.1.4). Andererseits stehen die Medienbilder in einem Deutungsrahmen, der die zunehmende Sichtbarkeit eines ‚neuen Nationalgefühls‘ während großer Fußballturniere zum Anlass nimmt, um über Patriotismus und Deutschsein zu diskutieren (siehe 6.3.2). Die Darstellungen spiegeln damit in beiden Bereichen der Berichterstattung wider, wie deutsche Selbstbilder medial verhandelt und vor allem visuell repräsentiert werden. Sie verweisen auf das Repertoire höchst heterogener Bilder, die nationale Zugehörigkeit und NichtZugehörigkeit, kulturelle Ein- und Ausgrenzung sowie punktuell auch postmigrantische Verortungen sichtbar machen. Die visuelle Analyse dieser Bildmotive zeigt zunächst auf einer allgemeinen Ebene, dass die Personendarstellungen – auch im Vergleich zu anderen Bereichen der Berichterstattung über Migration und Integration – oftmals sehr positiv ausgerichtet und durch eine freundliche/lächelnde Mimik geprägt sind.2 Zugleich sind die Visualisierungen auf konnotativer Bildebene von einer deutlichen Ambivalenz gekennzeichnet, was gerade auch auf den spezifischen Symbolcharakter der Nationalflagge zurückgeführt werden kann. Wie Tom Holert (2014) in An-
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Die deutliche Sichtbarkeit junger Frauen in diesem Bildmotivmuster lässt sich gleichwohl darauf zurückführen, dass durch eine solche Repräsentationsweise eine Konnotation der Freundlichkeit und Offenheit innerhalb der Bildbedeutung begünstigt wird (vgl. Eggers 2014: 78).
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lehnung an Raymond Firths (1973) ethnologische Überlegungen zur Flaggensymbolik herausgestellt hat, erweist sich die nationale Flagge als ein „zutiefst heterologisches Symbol“. Sie sei damit besonders „offen für widersprüchliche Deutungen und Anwendungen“ (Holert 2014: 329). Auf visueller Kommunikationsebene ist die Nationalflagge außerdem mit einer bestimmten Funktion ausgestattet: Sie fügt der Fotografie „ein zusätzliches semiotisches Register hinzu; es ‚beschriftet‘ das Foto, organisiert maßgeblich dessen Wahrnehmung, Deutung und Verwendung“ (ebd.: 346). In allen exemplarisch ausgewählten Abbildungen der Feinanalyse (Abb. 27-35, S. 162ff. und Abb. 89-91, S. 209f.) tritt diese Symbolfunktion deutlich hervor. Die nationale Flagge dominiert die Bildbotschaft und lenkt die Lektüre der Personendarstellungen in eine ganz bestimmte Richtung, wobei durch den textlichen Rahmen ein Feld von Zuwanderung, Integration und Patriotismus abgesteckt ist. Auf bildsemiotischer Ebene fällt hierbei besonders die flächenmäßige Anordnung der Flaggen im Zentrum des Bildaufbaus auf. Zudem wird die Bedeutung des Nationalen in der Bildbotschaft besonders stark durch die satten, kontrastreichen Farben der Flaggen sowie durch die Dynamik des Schwenkens betont. Diese in allen Abbildungen vorgefundenen Darstellungsynamiken lassen sich hinsichtlich der Aushandlung von nationalen Zugehörigkeiten, Abgrenzungen und ambivalenten Verortungen noch weiter ausdifferenzieren. Drei unterschiedliche Darstellungsmuster können hierbei unterschieden werden: Die Bildbotschaft kann erstens auf die Identifikation von migrantisierten und muslimisch markierten Personen mit Deutschland hinweisen und die nationalen Symbole werden als Ausdruck einer Mehrfachzugehörigkeit dargestellt. Zweitens fungiert die Nationalflagge als ein Kontrast-Symbol, mit dem angedeutet werden kann, dass die abgebildeten Migrant*innen eine Position zwischen verschiedenen nationalen Kulturen einnehmen. Außerdem wird das öffentliche Präsentieren der deutschen Nationalflagge drittens dazu verwendet, die Rhetorik vom neuen, friedvollen Patriotismus darzustellen und das dahinterliegende, (re-)formulierte Selbstbild zu visualisieren. Das erste Darstellungsmuster umfasst demnach Abbildungen, auf denen die als Migrant*innen und Muslim*innen markierten Personen mit einer Nationalflagge gezeigt werden. Entscheidend auf visueller Ebene ist hierbei, dass durch das Präsentieren oder Schwenken der Flagge in der Bildbotschaft ein „Ritual des Bekenntnisses zur Nation“ (Holert 2014: 345) hervorgehoben wird.3 Die Text-
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Auch Dagmar Schediwy argumentiert in ihrer Analyse der Mediendiskurse der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, dass die Darstellung von fahnenschwenkenden Migran-
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ebene bestätigt diesen Deutungsrahmen und hebt beispielsweise hervor, dass die abgebildeten Migrant*innen in Deutschland eine neue Heimat gefunden hätten (Abb. 28, S. 162) oder dass im Zuge der Fußballweltmeisterschaft eine Begeisterung für zwei Nationen (hier: Deutschland und Türkei) kombiniert werde (Abb. 31, S. 163). Text- und Bildebene betonen damit nicht nur die evidente Identifikation von Migrant*innen und Muslim*innen mit Deutschland, sondern verankern vor allem auch die Botschaft von der Möglichkeit einer multiplen Zugehörigkeitskonstellation. Im Gegensatz zu den dominanten Stereotypisierungen von Migrant*innen und Muslim*innen entziehen sich die Repräsentationsmuster hier einer binären Codierung, in der ein Entweder-oder zur entscheidenden Frage der identitätsstiftenden Darstellung wird. Die situative Identifikation mit Deutschland verbindet sich insbesondere auf bildkommunikativer Ebene der Berichte mit der Zuschreibung, nach der sich die abgebildeten Personen zugleich auch dem Islam (Abb. 28, S. 162) und/oder der Türkei (Abb. 31, S. 163) zugehörig fühlen. Es spiegelt sich damit in diesem Darstellungsmuster eine soziale Konstellation wider, in der Mehrfachzugehörigkeiten, wie Joanna Pfaff-Czarnecka herausstellt, in „‚Sowohl-als-auch‘-Situationen“ entstehen und „multiple ethnische und/oder nationale Bezüge“ ineinandergreifen (Pfaff-Czarnecka 2012: 53f.). Besonders eindrucksvoll lässt sich diese Dynamik anhand von Abbildung 35 (S. 164) aufzeigen: Das ritualisierte ‚Flaggezeigen‘ zu Fußballballspielen verbindet sich in der Darstellung einer Männergruppe, die eine deutsche Nationalfahne in ihrer Mitte präsentiert, mit einer Symbolik, die auf die multiple Identifikation der abgebildeten Personen hinweist. Ausschlaggebend ist hierfür die in die deutsche Nationalflagge eingearbeitete Symbolik des Halbmondes, welche auf die türkische Nationalflagge verweist und damit eine zweifach-codierte (nationale) Zugehörigkeit signalisiert. Ganz ähnlich lässt sich die Kombination der Symboliken des Kopftuchs und der deutschen Nationalflagge in den Abbildungen 27, 28 und 31 lesen (siehe S. 162f.). Eine Identifikation mit Deutschland und mit dem Islam greifen hier ineinander und belegen bildkommunikativ, dass eine Einbindung in mehrere Zugehörigkeitskonstellationen nicht nur möglich, sondern auch längst zur Realität in der deutschen Gesellschaft geworden ist. Erol Yildiz beschreibt diesen Prozess, der vielfach in alltäglichen Lebensräumen wahrnehmbar ist, in Anlehnung an postkoloniale Denkansätze als postmigrantische Verortungspraktiken. Er legt dar, dass es hierbei nicht mehr um „Eindeutigkeit und binäre Zuordnungen“ gehen würde, sondern um „Über-
tinnen und Migranten als Symbol der Zugehörigkeit, aber auch der Integrationsbereitschaft gedeutet wurde (vgl. Schediwy 2012: 89f.).
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schneidungen, Grenz- und Zwischenräume, um Kreuzungen und simultane Zugehörigkeiten, die eine völlig andere Sicht auf die Migrationsgesellschaft eröffnen“ (vgl. Yildiz 2013: 145). Argumentativer Ausgangspunkt ist die von Homi Bhabha entworfene Perspektive auf Zwischenräume der Identifikationen, in denen sich neue Konstellationen und Praktiken herausbilden, die nicht mehr auf Eindeutigkeit und binär-codierten Differenzlogiken sondern auf Ambivalenz und Hybridität basieren. In postmigrantischen Diskursen rücken somit insbesondere auch Prozesse der Neuverortung und der Mehrdeutigkeit ins Blickfeld (vgl. Yildiz 2015: 20f.). Die Visualisierungen spiegeln diese Dynamik deutlich wider und zeigen gerade auch im Vergleich zur dichotom ausgerichteten Stereotypisierung von Muslim*innen und Migrant*innen, dass Mehrfachzugehörigkeiten und Positionierungen, die binären Zuschreibungen entgegenlaufen, punktuell sichtbar sind. Damit werden die in der medialen Berichterstattung dominant auftretenden Dualismen der Identität, die als entweder-oder Kategorisierung entworfen und auch visuell fixiert sind, durch diesen Teil der Medienbilder aufgebrochen und in Frage gestellt. Auch im zweiten Darstellungsmuster wird mittels nationaler und religiös codierter Symbole auf unterschiedliche Zugehörigkeitsdimensionen der dargestellten Personen verwiesen. Wie sich exemplarisch anhand der Abbildungen 33 und 34 (S. 164) verdeutlichen lässt, liegt der Unterschied jedoch darin, dass nicht die selbstgewählte Identifikation im Mittelpunkt der Bildbotschaften steht, sondern verschiedene Zugehörigkeiten viel mehr als Spannungsverhältnis ausgelegt werden. So handelt es sich in Abbildung 33 bei den dargestellten Personen laut Untertitel um „in Deutschland lebende Türken“. Die nationalen Symbole im Bildhintergrund teilen das Bild in eine türkisch codierte und eine deutsch codierte Fläche ein, die in der Mitte von einer rückseitig dargestellten Frau mit Kopftuch unterbrochen wird. Bildsemiotisch kann diese Aufteilung hinsichtlich der Bedeutungsproduktion nochmals präzisiert werden: Die Flagge der Türkei lässt sich im Bildaufbau als das linke Bildelement identifizieren, welches nach Kress und van Leeuwen das ‚Gegebene‘ oder ‚Alte‘ repräsentiert, während die deutsche Nationalflagge auf der rechten Seite des Bildes das ‚Neue‘ symbolisiert (vgl. Kress/van Leeuwen 2006: 179ff.). Durch diese Darstellungsweise ergibt sich eine spezifische Position der abgebildeten Frau. Sie wird als eine Muslimin (markiert durch das Kopftuch) dargestellt, die zwischen den nationalen Zugehörigkeitskontexten der Türkei und Deutschlands steht. Dabei dient die deutsche Nationalflagge weniger dazu, eine Zugehörigkeit zu Deutschland zu signalisieren. Sie unterstreicht vielmehr symbolisch die Text-Botschaft, nach der die ‚türkische‘ Migrantin in Deutschland lebe, aber eben auch ganz eindeutig eine ‚Türkin‘ bleibe (auf der visuellen Be-
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deutungsebene symbolisiert als das ‚Gegebene‘). Ganz ähnlich zeigt sich auch in Abbildung 34 (S. 164), dass die verschiedenen national und religiös codierten Zugehörigkeitsmarkierungen in der Darstellung vor allem als ein visuelles Mittel zur Kontrastierung unterschiedlicher Zugehörigkeiten eingesetzt werden, um auf ein im Text benanntes Spannungsverhältnis zwischen deutscher ‚Wir-Gemeinschaft‘ und zugewanderten Muslim*innen hinzuweisen. Die als ‚muslimische Migrantinnen‘ und ‚Ausländerinnen‘ bezeichneten Frauen laufen an einer Deutschlandflagge vorbei, welche den Bildhintergrund vollständig ausfüllt. Hier zeigt sich im Vergleich zu den anderen Abbildungen, dass die unterschiedlichen Symboliken eher als Mittel der Grenzziehung eingesetzt werden und so eine binär codierte Bildbotschaft zum Ausdruck kommt. Die Differenz zwischen deutscher ‚Dominanzgesellschaft‘ und migrantisierter/muslimisch markierter ‚Anderer‘ wird demnach betont. Entscheidend ist dabei, dass keine Selbstidentifikation der Personen abgebildet wird, sondern eine Zuschreibung ‚von Außen‘ im Zentrum der Bildbotschaft steht. Zudem zeigt die Form der Adressierung auf Textebene (‚Türken‘, ‚Migranten‘, ‚Ausländer‘) an, dass Markierungen fokussiert werden, die auf Nicht-Zugehörigkeit und Exklusion gerichtet sind. Die Zweifach-Codierung legt somit weniger ein Ineinandergreifen verschiedener Zugehörigkeitsdynamiken und viel mehr die Idee einer Entweder-Oder-Identität nahe, die an den Dualismus von ‚Deutsch‘/‚Türkisch‘ oder auch ‚Inländer‘/ ‚Ausländer‘ anschließt. Im Mittelpunkt der Bildbotschaften stehen dabei Zugehörigkeitskonstellationen, die im textlichen Bezugsrahmen der Integrationsdebatte als voneinander getrennt und sich gegenüberstehend dargestellt werden. Das dritte Darstellungsmuster umfasst Abbildungen aus dem Teil der Berichterstattung, der das ‚neue‘ Nationalgefühl und den aufkommenden Patriotismus im Zuge der Fußball-WM diskutiert. Medial wurde das Phänomen des euphorischen ‚Zur-Schau-Stellens‘ der patriotischen Einstellung mit Konnotationen des Spielerischen, des Friedvollen sowie vor allem auch mit der nationalen Erneuerung hin zu einer offenen und toleranten Form der Identifikation in Verbindung gesetzt. Die ‚Feierstimmung‘ habe, so die überwiegende Deutung in der medialen Berichterstattung, nichts Bedrohliches an sich (vgl. Schediwy 2012: 2f.).4 Dieser dominante Deutungsrahmen wird durch die fotografische Darstel-
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Schediwy verweist darauf, dass die in den Medien hervorgebrachte Argumentation, nach der die überraschend gute sportliche Leistung der deutschen Nationalmannschaft 2006 ausschlaggebend für die Euphorie und nationale Begeisterung gewesen sei, nicht haltbar ist. So habe unter anderem die BILD-Zeitung, also das auflagenstärkste Boulevardblatt Deutschlands, bereits im Vorfeld gezielt eine ‚Ja-zu-Deutschland‘-Haltung propagiert und ein neues, starkes Selbstbewusstsein der Deutschen eingefordert (vgl.
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lung der begeisterten, feiernden Fans, die von einer großen Menschenmenge auf einer öffentlichen Veranstaltung umgeben sind, illustriert. Auch hier steht die Identifikation der einzelnen Personen mit der nationalen Zugehörigkeit im Zentrum der Bildbotschaft. Der inhaltliche Zusammenhang zum Sportevent und zum Phänomen des neuen deutschen ‚Fußballpatriotismus‘ wird dabei allerdings überschritten, denn die Debatte kreist auch um die Frage, ob sich in der euphorischen Identifikation mit Deutschland im Vergleich mit anderen Nationen nicht letztlich auch eine Normalisierung des nationalen Selbstbildes zeige. Diese diskursive Ausweitung ermöglicht es, die ausgewählten Abbildungen in einen weiteren Deutungsrahmen deutscher Selbstbilder einzubeziehen und auf die Repräsentationsweisen und spezifischen Vorstellungen einer neuen ‚Wir-Gemeinschaft‘ zu befragen. Wichtiger Bezugspunkt ist in diesem Zusammenhang nicht nur die Thematisierung, sondern auch die deutliche Abgrenzung des neuen, modernen und offenen Patriotismus gegenüber den alten, überkommenen Formen des deutschen Nationalismus der Vergangenheit (siehe z.B. Abb. 90, S. 210). Eine solche Grenzziehung ist unumgänglicher Bestandteil für die Konstruktion eines positiv zu besetzenden Patriotismus, da der Nationalsozialismus die Identifikation mit der deutschen Nation erschwert (vgl. Dietze 2009a; Attia 2013). Das offene Bekenntnis zur Nation war, dies ist eine dominante Position in der Berichterstattung, im Nachkriegsdeutschland stark eingeschränkt und nicht vollumfänglich möglich gewesen. Die ‚freundlichen‘ und ‚harmlosen‘ Bekenntnisse zu Deutschland seien längst überfällig, um eine Angleichung an andere Nationen zu realisieren und das als ‚gestört‘ bezeichnete kollektive Verhältnis zur eigenen Nation endlich hinter sich zu lassen (vgl. Schediwy 2012: 83ff.). Ausgeblendet wird hierbei einerseits, dass die Neuformulierung eines nationalen ‚Wir‘ in Deutschland bereits in den 1990er Jahren vielfach eingefordert worden war. Diese war im Zuge der deutschen Wiedervereinigung unter anderem von Pogromen, Brandanschlägen, rassistischer Gewalt und gravierenden Einschnitten in das Asylrecht begleitet worden. Andererseits kann deutlich gemacht werden, dass die in den Medienbeiträgen vorgebrachte These von der allein positiv gedachten Neuformulierung des kollektiven Zugehörigkeitsgefühls keineswegs haltbar ist. Wie die Studie Deutsche Zustände (2007) direkt nach der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 herausgestellt hat, habe nicht nur der Nationalismus während des Fußballevents in der deutschen Bevölkerung deutlich zugenommen, es lasse sich
Schediwy 2012: 77ff.). Es ist somit davon auszugehen, dass zumindest ein Teil der medialen Berichterstattung an dem Phänomen des neuen Patriotismus ab 2006 beteiligt gewesen ist bzw. dieses selbst mit hervorgebracht hat.
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auch nicht nachweisen, dass es sich hier um eine „neue, offene und tolerantere Form der Identifikation mit dem eigenen Land handelt“ (Becker/Wagner/Christ 2007: 145). Die Neuformulierung einer deutschen Identität, die medial sowohl in klarer Abgrenzung zur Zeit des Nationalsozialismus als auch zur rassistischen Pogromstimmung der ersten Hälfte der 90er Jahre verortet wird und sich ein normalisiertes, ungestörtes und stolzes Selbstbild wünscht, kommt auch in aktuellen nationalen Narrationen deutlich zum Ausdruck. Laut einer von Naika Foroutan und anderen Migrationsforscher*innen durchgeführten Untersuchung gab fast die Hälfte der Befragten an, die Wiedervereinigung sei für sie das wichtigste Ereignis, das ihr ‚Deutschlandbild‘ bestimme. Nationalsozialismus (15,9%) und Holocaust (0,5%) wurden demgegenüber äußerst selten genannt, so dass die Autor*innen schlussfolgern, dies könne als ein Ausdruck für die beständig hervorgebrachten Forderungen nach dem Ziehen eines ‚Schlußstriches‘ unter die NSVergangenheit gedeutet werden (vgl. Foroutan et al. 2014: 20f.). Wie Astrid Messerschmidt ebenfalls betont hat, ist die Beziehung zum Nationalsozialismus gegenwärtig deutlich von einem Distanzierungsbedürfnis geprägt. Die Grenze verlaufe hierbei in der als ‚postnationalsozialistisch‘ zu bezeichnenden Gesellschaft zwischen dem demokratischen Selbst der Gegenwart und den Rassisten der Vergangenheit. Der Nationalsozialismus werde daher zu einer Kontrastfolie, die herangezogen wird, um die Gegenwart Deutschlands als friedlich und gerecht zu beschreiben (vgl. Messerschmidt 2016b: 33). Für das deutsche Selbstbild, das hier in diesem Teilbereich der Berichterstattung entworfen wird, ist demnach der Wunsch nach einer Normalisierung patriotischer Bekenntnisse sowie die Imagination einer vollkommen offenen und toleranten Gesellschaft konstitutiv. Die Abbildungen spiegeln dabei auch wider, wie diese ‚Wir-Gemeinschaft‘ aus medialer Perspektive gedacht wird, denn diese ist fast immer von weiß-positionierten Personen repräsentiert (siehe Abb. 89-91, S. 209f.). Andere Personen werden in diesem Bereich der Berichterstattung hingegen nicht abgebildet – weder muslimisch oder anders religiös markierte Menschen noch Schwarze oder PoC sind in den Abbildungen zu sehen. Diese Unsichtbarkeit verweist gleichwohl nicht nur auf eine verzerrte Repräsentationsdynamik, sondern auf das hegemoniale Selbstverständnis, nach dem Deutschsein noch immer von der Vorstellung einer weitgehend homogenen nationalen Gemeinschaft gekennzeichnet zu sein scheint. Aufbauen kann eine solche Repräsentation nicht zuletzt auch auf dem jahrzehntelang fest in der Öffentlichkeit verankerten Mythos, nach dem Deutschland kein Einwanderungsland sei (vgl. Rommelspacher 2002: 152f.).
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9.3 DAS NEUE DEUTSCHLAND? BILDER DER ‚WILLKOMMENSKULTUR‘ Zur Visualisierung der vielfach in den Medien thematisierten ‚Willkommenskultur‘ gehören zahlreiche Abbildungen, die Szenen der Unterstützung und Hilfsbereitschaft bildlich veranschaulichen. Im Vergleich zu anderen Bereichen der Berichterstattung wird hier sehr oft auch die deutsche Bevölkerung in den Fotografien dargestellt. Der textliche Deutungsrahmen ist dabei positiv konnotiert und betont die hohe Bedeutung des zivilgesellschaftlichen Engagements (vgl. auch Jäger/Wamper 2017: 103f.). Wie in der Feinanalyse dieses Teilbereichs der Berichterstattung von 2015 erläutert wurde, visualisieren die Bilder jedoch nicht nur die große Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung, sondern beinhalten immer auch Botschaften über das Verhältnis zwischen Helfer*innen und Geflüchteten. Es zeigt sich dabei, dass ein wiederkehrendes Darstellungsmuster auf bildlicher Ebene auftritt, welches eine Grenzziehung zwischen den verschiedenen Personengruppen verstärkt und eine Hierarchisierung zu Gunsten der deutschen Helfer*innen/Ausbilder*innen beinhaltet. Besonders deutlich tritt diese Dynamik in den Abbildungen hervor, in denen deutsche Personen und Geflüchtete in einem Bild gemeinsam dargestellt sind. Im Bildaufbau erfahren erstere oftmals eine stärkere Gewichtung, bedingt vor allem durch die Anordnung in der Bildmitte (siehe Abb. 81 und Abb. 84, S. 196f.), durch die flächenmäßige Verteilung (siehe Abb. 82 und 83, S. 197) oder durch die bereits beschriebene besondere Hervorhebung der Gestik und des Sprechens (Abb. 61 und 62, S. 183f.). Die dargestellten Geflüchteten sind um dieses Bildzentrum herum angeordnet, befinden sich also am Rand des Bildgeschehens.5 In einigen Abbildungen erfolgt außerdem eine deutliche Betonung der Helfer*innen durch die Lichtführung und farbliche Kontrastierung, wodurch die Aufmerksamkeit klar zu ihrer Bildposition gelenkt wird. Durch diese Form der Visualisierung wird eine Aufwertung der Subjektposition der Helfer*innen gegenüber der an den Rand der Bildbotschaft gesetzten Geflüchteten vollzogen. Während die Handlungsfähigkeit und eine individuelle Position im Bildgeschehen zumeist vordergründig auf Seiten der Helfer*innen/Ausbilder*innen liegt, wirken die abgebildeten Geflüchteten zum Teil wie ein für die Bildbotschaft notwendiger, aber auch zu vernachlässigende Faktor (siehe z.B. Abb. 80, 81 und 84, S. 196f.).
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Ein solches Darstellungsmuster, in dem weiße Personen deutlich im Bildzentrum positioniert werden, findet sich auch in anderen visuellen Repräsentationen migrationspolitischer Diskurse, wie Jihan Jasmin Dean (2015) anhand eines Beispiels der Visualisierung der Deutschen Islam Konferenz herausgestellt hat.
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Die Differenz zwischen den Personengruppen vollzieht sich auf visueller Ebene jedoch nicht nur entlang der Unterscheidung in deutsche Helfer*innen/Ausbilder*innen und Geflüchtete, sondern auch anhand eines „rassifizierten Otherings“ (Eggers 2009b: 65). So ist das Motivmuster deutlich dadurch gekennzeichnet, dass die deutschen Helfer*innen durch weiße Personen und die abgebildeten Flüchtlinge durch People of Color dargestellt werden und dass diese Unterscheidung visuell hervorgehoben wird. Eine solch einseitige Repräsentationsdynamik lässt sich zunächst vor dem Hintergrund der tatsächlichen Zusammensetzung der Gruppe der Helfer*innen hinterfragen. Eine Studie von Alexander K. Nagel und Yasemin El-Menouar (2017: 44f.) hat in diesem Zusammenhang herausgestellt, dass dieser Personenkreis keineswegs so homogen ist, wie in den analysierten Berichten vermittelt wird. Beispielsweise seien Muslim*innen in überdurchschnittlich hohem Maße in der Gruppe der aktiven Flüchtlingshelfer*innen vertreten gewesen. Im visuellen Diskurs spielt dieser Aspekt jedoch keine besondere Rolle. Im Gegensatz zur deutlichen Markierung in anderen Teilbereichen der analysierten Berichterstattung bleiben Muslim*innen hier weitestgehend unsichtbar.6 Auf visueller Kommunikationsebene ist zudem von Bedeutung, wie die weiße Position der Helfer*innen durch bestimmte Darstellungsmittel akzentuiert wird. So wie durch visuelle Merkmale eine Identifizierung von ‚männlich‘ oder ‚weiblich‘ in der Bildlektüre vorgenommen wird, ist hier die sichtbare Differenz in den farblichen Abstufungen der Hautfarbe ausschlaggebend für die Zuschreibung unterschiedlicher Subjektpositionen. Diese Differenz wird mittels mehrerer fotografischer Darstellungstechniken hervorgehoben. Besonders explizit stellt sich die Differenzmarkierung in der Darstellung einer Helferin dar, die mittig im Bild platziert ist und dabei von einer Männergruppe umgeben wird (siehe Abb. 80, S. 196). Durch die Anordnung des Bildaufbaus und durch die Tiefenschärfe ist sie als einzige Person für die Bertrachter*innen klar erkennbar und erhält damit eine deutliche Aufwertung und höhere Position im Machtgefüge des Bildgeschehens. Die Männer, die einen Kreis um die Frau herum bilden, sind dabei so ins Bild gesetzt, dass ihre Konturen erkennbar bleiben, sie jedoch eine nahezu gesichtslose Gruppe bilden. Besonders prägnant ist hierbei die starke Kontrastierung zwischen dunklen Flächen, die durch die Männergruppe der Flüchtlinge gebildet wird und die sehr helle, von der Lichtführung und Fokussierung deutlich begünstigte zentrale Bildmitte, in der die weiße Helferin hervorgehoben ist. Eine rassifizierte Differenzmarkierung wird durch diese bildlichen Darstellungsmittel
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Die einzige Ausnahme findet sich im Bereich der persönlichen Portraits einzelner Helfer*innen (siehe Abb. 78, S. 195).
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deutlich betont und zu einem wichtigen Bestandteil der Bildbotschaft über die deutsche ‚Willkommenskultur‘. Eine ganz ähnliche Darstellungsweise findet sich außerdem in Abbildung 67 (S. 186): Die mittig im Bild positionierte, deutlich hervorgehobene Lehrerin wird von zwei Frauen umgeben, die als Musliminnen markiert sind und das einrahmende Element des Bildaufbaus darstellen. Während die Lehrerin identifizierbar ist, ermöglicht die gewählte Blickperspektive auf das Bildgeschehen keinen Blick auf die Gesichter der beiden anderen Frauen – sie bleiben, wie in anderen Darstellungen muslimischer Frauen auch, gesichtslos. Die religiös codierte Kleidung visualisiert gerade im Zusammenspiel mit der weißen Lehrerin in der Mitte des Bildes die kollektivierende Grenzziehung zwischen ‚deutsch‘ und ‚nicht-deutsch‘. Auch die jeweilige Farbgebung ist hier deutlich an der Grenzziehung beteiligt. Die Frau in der Mitte wird durch die Lichtführung besonders hell dargestellt, während die um sie herum positionierten Geflüchteten durch die schwarze Farbe der Kleidung und das weitestgehend unsichtbar bleibende Gesicht zugleich deutlich dunkler dargestellt werden. Es zeigt sich anhand dieser Darstellungen aus der Berichterstattung über die ‚Willkommenskultur‘, dass auf visueller Ebene eine Akzentuierung und Hierarchisierung weißer Personen einerseits durch die betonte bildliche Differenzsetzung körperlicher Merkmale, hier durch die Kontrastierung der Haut- und Haarfarbe (Abb. 80, S. 196), aber andererseits auch durch die markierende Zuschreibung einer muslimischen Zugehörigkeit mittels religiös codierter Kleidung und farblicher Kontrastierung (Abb. 67, S. 186) realisiert wird.
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9.4 UN/SICHTBARKEITEN – VISUELLE REPRÄSENTATIONEN DER MITTELSCHICHT Zur Erweiterung der Analyse deutscher Selbstbilder wurden Abbildungen untersucht, die die deutsche Mittelschicht portraitieren. Die fotografischen Bilder sind in einen Deutungsrahmen eingebunden, der darauf verweist, dass sie als visualisierte Repräsentationen von Menschen aus der Mitte der deutschen Gesellschaft gelesen werden können. Damit zeigen sie auf, wie bestimmte Normvorstellungen über Deutschsein beschaffen sind. Für die analytische Frage nach entsprechenden Repräsentationsmustern ergeben sich hieraus zwei Bezugspunkte, die im Folgenden dargestellt werden. Die Feinanalyse zeigt erstens, dass die fotografischen Bilder der deutschen Mittelschicht – ähnlich wie in den Berichten über die ‚Willkommenskultur‘ und über das ‚neue‘ Nationalbewusstsein – ein äußerst homogenes Selbstbild konstruieren. So wird die Mittelschicht Deutschlands in allen Abbildungen ausschließlich durch weiße Personen repräsentiert. Angesichts einer seit Jahrzehnten durch vielfältige Migrationsbewegungen geprägten Bevölkerungszusammensetzung und auch vor dem Hintergrund der postkolonialen Vergangenheit fällt diese Repräsentationsweise nicht nur äußerst einseitig aus, sondern bestätigt viel mehr die dominante Vorstellung, nach der Deutschsein und Weißsein immer noch gleichgesetzt werden. Es zeigt sich hierbei, dass nicht-weiße Menschen gerade in solchen Bereichen öffentlicher Debatten unsichtbar bleiben, in denen ein repräsentatives Bild der deutschen Bevölkerung hergestellt wird. Diese Repräsentationsdynamik ist nach Adibeli Nduka-Agwu und Antje Lann Hornscheidt kennzeichnend für gegenwärtige hegemoniale Bilderpolitiken. Schwarze Menschen, People of Color und Migrantisierte würden äußerst selten „als Normalität abgelichtet, dargestellt oder verbildlicht“. So komme es zum „Ausgeschlossensein aus einer deutschen, auch visuellen Wirklichkeit“ und dieses Exkludieren der genannten Bevölkerungsgruppen trage mit dazu bei, die Normalität ihrer „Existenz und Anwesenheit“ weiterhin in Frage zu stellen (Nduka-Agwu/Lann Hornscheidt 2010: 510f.). Die analysierten Abbildungen verdeutlichen zweitens, dass im Vergleich zu den Darstellungen von Migrant*innen, Muslim*innen und Geflüchteten keine nationalen oder religiösen Zugehörigkeitsbeschreibungen notwendig sind, um Deutschsein repräsentativ abzubilden. Im Zentrum der Personendarstellungen steht immer die Zugehörigkeit zur Mittelschicht. Diese wird wiederum deutlich positiv konnotiert und differenziert dargestellt. So werden die hohe soziale Position und das kulturelle Kapital der Mitteschicht sowohl durch die räumliche Umgebung (Abb. 94, S. 214) als auch durch bestimmte Statussymbole wie Musikin-
Deutsche Selbstbilder | 261
strumente oder Bücher (Abb. 92 und 94, S. 213f.) hervorgehoben. Während migrantisch oder muslimisch markierte Personendarstellungen sehr häufig primär auf die Differenzkonstruktionen fokussiert sind und entsprechende kulturalisierende Aspekte in den Vordergrund treten, zeigt sich hier ein sehr positiv besetztes Selbstbild, das sich vordergründig auf die Klassen- bzw. Schichtzugehörigkeit, nicht aber auf andere Kategorisierungen bezieht. Charakteristisch ist in diesem Zusammenhang auch, dass Deutschsein und Weißsein nicht nur gleichgesetzt werden, sondern keine besondere Hervorhebung dieser Markierungen identifiziert werden kann. Richard Dyer hat anhand einer Analyse von bekannten US-amerikanischen Filmen darauf aufmerksam gemacht, dass Weißsein zwar häufig sichtbar sei, aber das Partikulare an Weißsein zugleich immer in den Hintergrund trete. Es bedürfe keiner besonderen (verbalen) Erwähnung. Andere Aspekte in den Personendarstellungen seien immer wichtiger und würden vor den des Weißseins treten (vgl. Dyer 1988; 1997). Eine solche Darstellungsdynamik lässt sich gleichwohl ebenfalls auf Ebene der analysierten Repräsentationsweise der deutschen Mittelschicht wiederfinden. Weißsein wird auch in diesen Abbildungen nicht als etwas Besonderes markiert, sondern als Norm dargestellt.
10 Schlussbetrachtung
Wie im vierten Teil der Arbeit ausführlich dargelegt wurde, ermöglicht die regelgeleitete Untersuchung von fotografischen Bildern im Sinne der zuvor erläuterten bildsemiotischen Erforschung visueller Kultur eine tiefgreifende analytische Reflektion alltäglich wahrnehmbarer Bedeutungsproduktionen in und durch Massenmedien. Für den Bereich der Migrations- und Fluchtberichterstattung zeigt sich insgesamt, dass gerade auch auf visueller Kommunikationsebene zahlreiche, regelmäßig sichtbare Bilder von verschiedenen Personengruppen in Medien zirkulieren, die sehr stark durch eine essentialisierende sowie kollektivierende Markierung von Differenz und ‚Andersheit‘ gekennzeichnet sind. Besonders relevant ist in diesen Migrationsdebatten einerseits die hohe Sichtbarkeit von Muslim*innen, die oftmals über die Darstellung von Frauen mit Kopftuch erfolgt. Die Abbildungen sind häufig in einem Deutungsrahmen vorzufinden, der negativ konnotierte Zuschreibungen hervorhebt, Integrationsversäumnisse betont und eine fehlende Anpassung an die ‚Mehrheitsgesellschaft‘ diagnostiziert. Andererseits ist ebenfalls bedeutsam, dass Darstellungsmuster in der Berichterstattung verbreitet sind, die gerade muslimische Personen auf visueller Kommunikationsebene ganz deutlich als ‚Andere‘ abbilden und damit eine symbolische Grenzziehung vornehmen. Unter Einbeziehung bildsemiotischer Analyseverfahren konnte aufgezeigt werden, dass sich dieses visuelle Othering in der Medienberichterstattung vor allem durch eine Entpersonalisierung und Vereinheitlichung etabliert. Das wesentliche Merkmal der stark stereotypisierenden Darstellungsweise ist die gesichtslose, auf Distanz gehende visuelle Repräsentation von Muslim*innen/Migrant*innen, durch die das Interaktionsverhältnis zu den Bildbetrachtenden deutlich negativ beeinflusst wird. Die abgebildeten Personen werden hierbei oftmals nicht nur räumlich in eine hohe soziale Distanz gesetzt. Entscheidend ist vielmehr das Zusammenspiel mit einer Blickposition, die den Betrachter*innen der Bilder kein Identifizieren der Mimik ermöglicht und damit eine weitgehend entpersona-
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lisierte Interaktion realisiert. Die damit einhergehende visuelle Betonung des Kopftuchs in vielen Abbildungen fügt den Bildern außerdem ein stark kulturalisierendes Register hinzu, das deren Deutung gravierend beeinflusst. Insgesamt zeigt sich anhand dieses Darstellungsmusters und in Anlehnung an Stuart Halls Figuration eines Spektakels des Anderen (2004) am eindrücklichsten, wie Differenz in visueller Medienberichterstattung kenntlich gemacht und zugleich durch distanzierende Visualisierungsweisen in hohem Maße betont wird. Eine besonders bedeutsame Funktion der Bilder liegt dabei – wie auch für andere Bereiche der Berichterstattung plausibilisiert wurde – im Bereich der fotografischen Evidenzführung bestimmter Deutungsmuster auf Migration und Integration. So wird gerade die wiederkehrende Erzählung von der sogenannten migrantischen/muslimischen und in jedem Fall als nicht-deutsch kategorisierten ‚Parallelgesellschaft‘ visuell bestätigt. Die Deutung integrations- und migrationspolitischer Themen als Problem, Bedrohung oder geradezu unlösbare gesellschaftliche Aufgabe erhält damit einen bildlichen Nachweis. Die entpersonalisierende sowie distanzierende Darstellungsweise erweist sich zugleich als besonders produktives Mittel der Differenzproduktion, anhand der in der Medienberichterstattung eine bereits hervorgehobene Grenze zwischen nicht-dazugehörenden Anderen und deutscher ‚Wir-Gemeinschaft‘ zusätzlich durch Bilder verankert wird. Die analysierte Berichterstattung zu Flucht und Asyl fällt demgegenüber vielseitiger aus und weist ambivalentere Darstellungsmuster auf. Insbesondere zu Beginn der sogenannten ‚Flüchtlingskrise‘ 2015 waren Medienberichte zumeist durch eine positiv konnotierte Darstellungsweise gekennzeichnet. Die bildsemiotische Analyse konnte hier darlegen, wie einzelne Teilbereiche der Berichterstattung jedoch im Verlauf der Flucht- und Asyldebatte ebenfalls immer stärker auf stereotypisierende Bildsymboliken rekurrierten. Die Fluchtbewegungen wurden zunehmend als unübersehbare, bedrohliche Masse dargestellt und tendierten deutlich dazu, eine negativ konnotierte, homogenisierende Darstellungsweise in den Mittelpunkt zu stellen. Gleichwohl lässt sich abschließend festhalten, dass die Repräsentation von Migrant*innen, Muslim*innen und Geflüchteten in der analysierten visuellen Berichterstattung neben diesen dichotom ausgerichteten Stereotypisierungen in einigen Bereichen auch Darstellungen umfasst, die deutlich positiver konnotiert und viel stärker auf Personalität sowie Nähe gerichtet sind. So wurden anhand von Fotografien, deren Bildbotschaft vor allem von einer NationalflaggenSymbolik dominiert wird, ambivalentere Darstellungsweisen und ein weit auseinandergehendes Spektrum an Bildbedeutungen zur Frage der Zugehörigkeit(en) entschlüsselt. Die Visualisierungen changieren hier zwischen binären Identitäts-
Schlussbetrachtung | 265
konstruktionen, erneuerten patriotischen Bekenntnissen zur deutschen Nation und der Darstellung von ‚Sowohl-als-auch‘-Situationen, die die Verbreitung von Mehrfachzugehörigkeiten in der postmigrantischen Gesellschaft Deutschlands widerspiegeln. Auf visueller Abbildungsebene zeichnen sich die fotografischen Portraits von Migrant*innen und Geflüchteten ebenfalls durch eine weitaus weniger stereotypisierende Darstellungsweise aus, die durch soziale Nähe und direkte Adressierung der Leser*innen gekennzeichnet ist. Sie geben den Leser*innen einen individualisierten und teilweise persönlichen Eindruck von Integrationserfolgen, beruflichen Aussichten oder von den Fluchtgeschichten einzelner Personen. Diese durchaus in einigen Teilen der Berichterstattung sichtbar werdende Vielfalt an Repräsentationen und die unterschiedlich ausgerichteten Markierungen von Deutschsein können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das analysierte Feld der Migrationsdebatten insgesamt betrachtet sehr deutlich von einem Blickverhältnis dominiert wird, das bestimmte Menschen nicht nur zu ‚Anderen‘ macht, sondern durch das diese Menschen primär als Problem und Last für die imaginierte Wir-Gemeinschaft wahrgenommen werden. Letztlich verbleiben auch diese positiv konnotierten Abbildungen als vereinzelte ‚Gegenbilder‘ eher randständig in einem medialen Motivspektrum, das klar zwischen deutscher ‚Wir-Gemeinschaft‘ und migrantischen/muslimischen ‚Anderen‘ unterscheidet. Die Positivdarstellungen finden sich offenkundig in der medialen Berichterstattung nicht zufällig sehr häufig dort, wo ein ökonomischer und beruflicher Erfolg einzelner Migrant*innen bescheinigt werden kann oder wo die Integration mit einem Nutzen für die ‚Aufnahmegesellschaft‘ verbunden ist. Sie verweisen darauf, dass nationale Zugehörigkeit eng mit ökonomischen Verwertungsdiskursen verknüpft wird oder – wie beispielsweise im Bereich der Fußballnationalmannschaft – dann verhandelbar zu sein scheint, wenn das Ansehen Deutschlands in der globalen Außenwahrnehmung von einer Diversitäts- und Multikulturalismus-Rhetorik profitieren kann. Ganz ähnlich zeigte in diesem Kontext die Analyse von Abbildungen der sogenannten ‚Willkommenskultur‘, wie im Zusammenhang mit der Flucht- und Asylberichterstattung ein deutsches Selbstbild visualisiert wird, das auf die Herausbildung eines erneuerten nationalen Selbstverständnisses verweist, in dem Verantwortung und Humanität eine wichtige Rolle spielen sollen. In der visuellen Analyse verschiedener Fallstudien wurde ebenfalls deutlich, dass dieses Nationenverständnis die Imagination einer homogenen Wir-Gemeinschaft aufrechterhält und Differenzmarkierungen zu den nicht-dazugehörenden ‚Anderen‘ auch dort vollzogen werden, wo Selbstbilder sichtbar sind. Dies zeigt sich zum einen an der Darstellungsverteilung in der Gesamtanalyse, in der deut-
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sche Helfer*innen, Ausbilder*innen, Lehrer*innen und die Bevölkerung der deutschen Mittelschicht fast ausschließlich durch Personen repräsentiert werden, die weiß positioniert sind. Zum anderen sind gerade spezifische Darstellungsmittel auf visueller Berichterstattungsebene daran beteiligt, eine Grenzziehung zwischen ‚deutsch‘ und ‚nicht-deutsch‘ zu etablieren, eine hierarchisierende Positionierung vorzunehmen und dabei durch die gezielte visuelle Hervorhebung verschiedenartiger Oberflächenlektüren (beispielsweise durch sichtbare Hervorhebung von Haut- und Haarfarbe, aber auch von religiös codierter Kleidung) Differenz herzustellen. Die Kontextualisierung der Analyseergebnisse visueller Darstellungsschemata hat, wie abschließend festgehalten werden kann, deutlich von der Verbindung mit postkolonialen sowie weißseins- und rassismuskritischen Ansätzen profitiert. Eine analytische Reflektion massenmedialer Bedeutungsproduktionen, die nach dominanten Selbst- und Fremdbildern gerade in Bezug zu den gegenwärtigen migrationspolitischen Dynamiken sowie den damit einhergehenden symbolischen Grenzziehungen, Identitätskonstruktionen und Zugehörigkeitsverhältnissen fragt, lässt sich hierdurch nicht nur machtkritisch diskutieren. Die Einbindung dieser Analyseansätze kann darüber hinaus hilfreich sein, einzelne Ergebnisbereiche auf historischer und politischer Ebene zu plausibilisieren und dabei die für das Selbstverständnis der deutschen Gesellschaft zentralen, aber oftmals unhinterfragten Unterscheidungen wie ‚Eigenes‘ und ‚Fremdes‘, ‚Westliches‘ und ‚Nicht-Westliches‘ oder ‚Orient‘ und ‚Okzident‘ zur Disposition zu stellen. Zugleich zeigt sich, dass gerade die Zusammenführung postkolonialer Ansätze mit elaborierten Analysestrategien der Erforschung visueller Kultur eine wechselseitige Perspektiverweiterung darstellt. So umfasst das untersuchte empirische Feld der Migrations- und Integrationsberichterstattung insgesamt betrachtet sowohl binär codierte Konstruktionen von Differenz als auch Zugehörigkeitskonstellationen, die stärker in ambivalente und hybride Bedeutungszuschreibungen münden. Wie anhand der inhalts-/frameanalytischen und bildsemiotischen Verfahren gezeigt wurde, ist hierbei entscheidend, dass eine postkoloniale Analyse medialer Botschaften vor allem von einer Kombination verschiedener Methoden profitieren kann. Diese hat einerseits die Muster- und Strukturhaftigkeit von Repräsentationen berücksichtigt, andererseits aber ebenfalls die analytische Einordnung von Bedeutungsstrukturen und spezifischen (visuellen) Funktionsweisen ermöglicht. Somit kann es insbesondere durch den Einsatz elaborierter sozialwissenschaftlicher Analyseansätze gelingen, in unserem Alltag beobachtbare Differenzproduktionen und ihre dualistischen sowie hybriden Zugehörigkeitsmarkierungen auf einer breiten empirischen Basis zu überprüfen. Die nach wie vor stark in Literatur- und Kulturwissenschaften verwurzelten postkolonialen
Schlussbetrachtung | 267
Analyseperspektiven lassen sich mit einer solchen methodischen Vorgehensweise zu gesellschaftlichen Gegenwartsdiagnosen erweitern, in denen die kategorisierende Wissensproduktion über Zugehörigkeiten und entsprechende Konstruktionen von Kultur, ‚Rasse‘, Geschlecht, Klasse und Nation systematisch aufgeschlüsselt werden kann. Gleichwohl lässt sich abschließend ebenfalls festhalten, dass die postkoloniale Analyseperspektive im Feld der Erforschung von Migrationsgesellschaften zwar äußerst gewinnbringende soziale, politische und historische Kontextualisierungen ermöglicht. Diese Analyseform sollte jedoch als eine mögliche Perspektive verstanden werden, die, um weitere Ebenen der Bedeutungsproduktion in den Blick zu nehmen, durchaus mit anderen Analyseperspektiven verbunden werden kann. Die in dieser Arbeit analysierten Selbst- und Fremdbilder ließen sich mitunter – darauf deuten die Ergebnisse der Untersuchung der visuellen Berichterstattung bereits hin – auch noch detailliert auf die für die deutsche Gesellschaft konstitutiven postnationalsozialistischen Konstellationen hin kontextualisieren. Anhand des beschriebenen ‚neuen‘ deutschen Patriotismus sowie in Form der durch rechte/rechtsextreme Akteure1 immer häufiger in die Öffentlichkeit getragenen Forderungen nach einem erneuerten deutschen (oder europäischen) Selbstbild, zeigt sich sehr deutlich, dass das Verhältnis der deutschen Gesellschaft zum Nationalsozialismus und die soziale Verankerung in den Nachwirkungen desselben ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Das Verhältnis/Zusammenspiel von kolonial-rassistischem und antisemitischem Wissen, von postkolonialen und postnationalsozialistischen Repräsentationsdynamiken und von entsprechenden Visualisierungskonventionen wäre dementsprechend ein wichtiger Bezugspunkt für weitere analytische Betrachtungen der medialen Aushandlung von Selbst- und Fremdbildern in Deutschland.
1
In Deutschland ist diese Forderung besonders durch (extrem) rechte Bewegungsakteure präsent, die das sogenannte ‚christliche Abendland‘ (Pegida) in den Mittelpunkt ihrer identitätsstiftenden Rhetorik stellen und eine umfassende Wende in der deutschen Erinnerungspolitik (AfD, Identitäre Bewegung) durchsetzen wollen – sowohl in der Erinnerung an den deutschen/europäischen Kolonialismus also auch an die Zeit des Nationalsozialismus. Wichtiger Bestandteil ihrer politischen Mobilisierung ist dabei der Einsatz „poppiger Bildinszenierungen“ sowie provokativer Aktionsformen unter Einbeziehung ideologischer Vorstellungen des Ethnopluralismus (Weiß 2017: 93ff.).
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: DER SPIEGEL, 21/2006, S. 38, Foto: Silke Reents, Picture Alliance, DPA (Originalbild in Farbe). Abbildung 2: spiegel-online.de, 01.03.2006, Foto: DDP. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/integration-sonderbefragung-fuermuslime-a-393204.html (letzter Zugriff: 17.12.2019). Abbildung 3: waz.de, 05.02.2009, Foto: keine Angaben. https://www.nrz.de/staedte/duisburg/west/auslaender-fuehlen-sich-wohlid730289.html (letzter Zugriff: 17.12.2019). Abbildung 4: Die Welt, 26.01.2009, S. 3, Foto: CARO. Abbildung 5: waz.de, 06.09.2010, Foto: keine Angaben. https://www.waz.de/daten-archiv/grosse-runde-zur-integrationid3663277.html (letzter Zugriff: 17.12.2019). Abbildung 6: DER SPIEGEL, 42/2010, S. 15, Foto: Bernhard Freisen, GlobalPicture.net. Abbildung 7: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 12.09.2010, S. 4, Foto: Andreas Pein. Abbildung 8: n-24.de, 20.09.2010, Foto: AFP, DDP, Archiv. Nicht mehr abrufbar (n24.de existiert seit 2017 nicht mehr) Abbildung 9: DER SPIEGEL, 35/2010, S. 124, Foto: Anne Schönharting, Ostkreuz. Abbildung 10: Die Welt, 07.09.2010, S. 2, Foto: Sike Reents, PA. Abbildung 11: Süddeutsche Zeitung, 15.05.2006, S. 6, Foto: Paul Glaser, SZ-Archiv. Abbildung 12: Süddeutsche Zeitung, 30.12.2006, S. 10, Foto: Xpress. Abbildung 13: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 09.07.2006, S. 4, Foto: Frank Röth. Abbildung 14: Die Welt, 06.04.2006, S. 3, Foto: Akud, Reimann (Originalbild in Farbe).
290 | Visualität und Zugehörigkeit
Abbildung 15: Welt am Sonntag, 26.11.2006, S. B2, Foto: Ellerbrock, Bilderberg (Originalbild in Farbe). Abbildung 16: n-24.de, 24.01.2009, Foto: keine Angaben (Originalbild in Farbe). Nicht mehr abrufbar (s.o.). Abbildung 17: n-24.de, 03.09.2010, Foto: keine Angaben (Originalbild in Farbe). Nicht mehr abrufbar (s.o.). Abbildung 18: DER SPIEGEL, 43/2010, S. 18, Foto: Brigitte Hiss, berlinphoto.com (Originalbild in Farbe). Abbildung 19: n-24.de, 08.09.2010, Foto: keine Angaben (Originalbild in Farbe). Nicht mehr abrufbar (s.o.). Abbildung 20: spiegel-online.de, 08.09.2010, Foto: DPA (Originalbild in Farbe). http://www.spiegel.de/politik/deutschland/integrationsdebatte-regierungwill-migranten-als-lehrer-gewinnen-a-716372.html (letzter Zugriff: 17.12.2019). Abbildung 21: Süddeutsche Zeitung, 25.01.2006, S. 39, Foto: Grabowsky (Originalbild in Farbe). Abbildung 22: Süddeutsche Zeitung, 07.08.2006, S. 54, Foto: Stephan Rumpf (Originalbild in Farbe). Abbildung 23: Süddeutsche Zeitung, 18.11.2006, S. 56, Foto: Haas (Originalbild in Farbe). Abbildung 24: Süddeutsche Zeitung, 15.10.2010, S. 18, Foto: Crytek (Originalbild in Farbe). Abbildung 25: Süddeutsche Zeitung, 15.10.2010, S. 18, Foto: privat (Originalbild in Farbe). Abbildung 26: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.02.2009, S. 12, Foto: Kai Nedden (Originalbild in Farbe). Abbildung 27: DER SPIEGEL, 02/2006, S. 44, Foto: Ronald Wittek, DPA. Abbildung 28: DER SPIEGEL, 27/2006, S. 58, Foto: Jörg Carstensen, DPA. Abbildung 29: spiegel-online.de, 02.02.2006, Foto: DPA. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/auslaenderintegration-die-neokons-proben-den-aufstand-a-398682.html (letzter Zugriff: 17.12.2019). Abbildung 30: Welt am Sonntag, 09.07.2006, S. 6, Foto: IMAGO. Abbildung 31: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.06.2006, S. 44, Foto: actionpress. Abbildung 32: Welt am Sonntag, 02.07.2006, S. NRW 1, Foto: Suzan Sari, Das Fotoarchiv. Abbildung 33: n-24.de, 03.09.2010, Foto: keine Angaben. Nicht mehr abrufbar (s.o.). Abbildung 34: Süddeutsche Zeitung, 01.09.2010, S. 19, Foto: Getty Images.
Abbildungsverzeichnis | 291
Abbildung 35: Welt am Sonntag, 03.10.2010, S. 19, Foto: Caro Kruppa. Abbildung 36: Süddeutsche Zeitung, 17.07.2006, S. 6, Foto: Christian Ditsch, version-foto, action-press (Originalbild in Farbe). Abbildung 37: spiegel-online.de, 19.01.2006, Foto: DDP (Originalbild in Farbe). http://www.spiegel.de/politik/debatte/muslim-test-liberaler-doppelpassim-bundestag-a-396185.html (letzter Zugriff: 17.12.2019). Abbildung 38: spiegel-online.de, 28.09.2006, Foto: DPA (Originalbild in Farbe). http://www.spiegel.de/politik/deutschland/muslime-in-berlin-die-konferenz-die-keiner-kennt-a-439864.html (letzter Zugriff: 17.12.2019). Abbildung 39: DER SPIEGEL, 45/2006, S. 68, Foto: Cristian O. Bruch, Visum (Originalbild in Farbe). Abbildung 40: Die Welt, 27.09.2006, S. 2, Foto: DDP (Originalbild in Farbe). Abbildung 41: waz.de, 11.10.2010, Foto: Torsten Silz, DDP (Originalbild in Farbe). https://www.waz.de/politik/laschet-warnt-vor-zuzugsstopp-fuer-muslime-id3820530.html (letzter Zugriff: 17.12.2019). Abbildung 42: spiegel-online.de, 07.09.2010, Foto: DDP (Originalbild in Farbe). http://www.spiegel.de/politik/deutschland/sarrazin-debatte-es-gibtkeine-integrationsmisere-in-deutschland-a-716081.html (letzter Zugriff: 17.12.2019). Abbildung 43: n-24.de, 02.12.2010, Foto: AFP (Originalbild in Farbe). Nicht mehr abrufbar (s.o.). Abbildung 44: n-24.de, 30.09.2010, Foto: AFP (Originalbild in Farbe). Nicht mehr abrufbar (s.o.). Abbildung 45: Die Welt, 27.11.2010, S. 7, Foto: Volker Roloff, Agentur Focus (Originalbild in Farbe). Abbildung 46: Die Welt, 07.09.2015, S. 5, Foto: Nicolas Armer, DPA. Abbildung 47: Die Welt, 07.09.2015, S. 6, Foto: Sven Hoppe, DPA. Abbildung 48: DER SPIEGEL, 42/2015, S. 27, Foto: Christian Thiel. Abbildung 49: DER SPIEGEL, 44/2015, S. 36, Foto: Michael Dalder, Reuters. Abbildung 50: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.09.2015, S. 22, Foto: DPA. Abbildung 51: n-24.de, 14.09.2015, Foto: DPA. Nicht mehr abrufbar (s.o.). Abbildung 52: spiegel-online.de, 20.08.2015, Foto: DPA. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fluechtlinge-andrea-nahles-stelltsich-gegen-terror-von-rechts-a-1048984.html (letzter Zugriff: 17.12.2019). Abbildung 53: DER SPIEGEL, 36/2015, S. 18, Foto: Hermann Bredehorst, Der Spiegel. Abbildung 54: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.10.2015, S. 19, Foto: Reuters.
292 | Visualität und Zugehörigkeit
Abbildung 55: Die Welt, 06.10.2015, S. 4, Foto: Michael Kappeler, DPA. Abbildung 56: n-24.de, 12.10.2015, Foto: DPA. Nicht mehr abrufbar (s.o.). Abbildung 57: Süddeutsche Zeitung, 25.09.2015, S. 2, Foto: Kai Pfaffenbach, Reuters. Abbildung 58: Die Welt, 17.09.2015, S. 4 Foto: Wolfram Kastl, PA, DPA. Abbildung 59: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.09.2015, S. 26, Foto: DPA. Abbildung 60: spiegel-online.de, 02.11.2015, Foto: DPA (Originalbild in Farbe). http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/fluechtlingskrise-iab-chefwill-fluechtlinge-nicht-rumsitzen-lassen-a-1060725.html (letzter Zugriff: 17.12.2019). Abbildung 61: Süddeutsche Zeitung, 08.09.2015, S. 15, Foto: Sven Hoppe, DPA (Originalbild in Farbe). Abbildung 62: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.12.2015, S. 17, Foto: Henning Bode. Abbildung 63: Die Welt, 06.11.2015, S. 10, Foto: Patrick Pleul, DPA (Originalbild in Farbe). Abbildung 64: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.09.2015, S. 26, Foto: Jan Roeder (Originalbild in Farbe). Abbildung 65: n-24.de, 15.08.2015, Foto: DPA (Originalbild in Farbe). Nicht mehr abrufbar (s.o.). Abbildung 66: Süddeutsche Zeitung, 18.11.2015, S. R7, Foto: Claus Schunk (Originalbild in Farbe). Abbildung 67: Die Welt, 24.11.2015, S. 10, Foto: Sean Gallup, Getty Images (Originalbild in Farbe). Abbildung 68: n-24.de, 14.09.2015, Foto: DPA (Originalbild in Farbe). Nicht mehr abrufbar (s.o.). Abbildung 69: spiegel-online.de, 30.12.2015, Foto: Getty Images (Originalbild in Farbe). http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fluechtlinge-indeutschland-die-grosse-aufgabe-der-integration-a-1069830.html (letzter Zugriff: 17.12.2019). Abbildung 70: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.11.2015, S. 29, Foto: DPA (Originalbild in Farbe). Abbildung 71: DER SPIEGEL, 35/2015, S. 60, Foto: Jörg Glaescher, Der Spiegel (Originalbild in Farbe). Abbildung 72: DER SPIEGEL, 52/2015, S. 39, Foto: Johannes Arlt, Der Spiegel (Originalbild in Farbe).
Abbildungsverzeichnis | 293
Abbildung 73: spiegel-online.de, 05.12.2015, Foto: Carolin Wiedemann (Originalbild in Farbe). http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/fluechtlinge-ander-uni-endlich-wieder-etwas-selbstbewusstsein-a-1065545.html (letzter Zugriff: 17.12.2019). Abbildung 74: Süddeutsche Zeitung, 23.05.2015, S. R7, Foto: Schmidt (Originalbild in Farbe). Abbildung 75: DER SPIEGEL, 36/2015, S. 23, Foto: Milos Djuric, Der Spiegel (Originalbild in Farbe). Abbildung 76: Süddeutsche Zeitung, 02.10.2015, S. R5, Foto: Florian Peljak (Originalbild in Farbe). Abbildung 77: Süddeutsche Zeitung, 10.12.2015, S. R6, Foto: Juri Gottschall (Originalbild in Farbe). Abbildung 78: waz.de, 18.09.2015, Foto: Michael Dahlke (Originalbild in Farbe). https://www.waz.de/staedte/muelheim/junge-syrerin-will-anderen-beiintegration-in-muelheim-helfen-id11103242.html (letzter Zugriff: 17.12.2019). Abbildung 79: DER SPIEGEL, 39/2015, S. 107, Foto: Christof Stache, AFP (Originalbild in Farbe). Abbildung 80: ntv.de, 21.12.2015, Foto: Picture Alliance, DPA. https://www.n-tv.de/panorama/Jeder-Zehnte-hilft-Fluechtlingenarticle16620416.html (letzter Zugriff: 17.12.2019). Abbildung 81: Die Welt, 15.07.2015, S. 8, Foto: Martin U. K. Lengemann. Abbildung 82: DER SPIEGEL, 34/2015, S. 40, Foto: Anne Schönharting, Ostkreuz (Originalbild in Farbe). Abbildung 83: Die Welt, 21.08.2015, S. 5, Foto: Jörg Carstensen, DPA (Originalbild in Farbe). Abbildung 84: n-24.de, 21.09.2015, Foto: Jakob Hoff (Originalbild in Farbe). Nicht mehr abrufbar (s.o.). Abbildung 85: Welt am Sonntag, 10.02.2006, S. HH2, Foto: Reto Klar (Originalbild in Farbe). Abbildung 86: DER SPIEGEL, 44/2010, S. 27, Fotos: Rolf H. Seyboldt, Seyboldt-Press (l.); Georg Hilgemann, Action Press (r.). Abbildung 87: Welt am Sonntag, 10.10.2010, S. 1, Foto: Guido Bergmann, DPA (Originalbild in Farbe). Abbildung 88: Süddeutsche Zeitung, 09.10.2010, S. 42, Foto: DPA (Originalbild in Farbe). Abbildung 89: DER SPIEGEL, 24/2006, S. 25, Foto: Wiegmann, Reuters. Abbildung 90: DER SPIEGEL, 19/2009, S. 146, Foto: Johannes Eisele, DDP.
294 | Visualität und Zugehörigkeit
Abbildung 91: DER SPIEGEL, 25/2006, S. 76, Fotos: Bernhard Kreutzer (l.); Waltraud Grubitzsch, DPA (m.); Michael Gottschalk, DDP (r.). Abbildung 92: Süddeutsche Zeitung, 28.07.2010, S. 11, Foto: plainpicture (Originalbild in Farbe). Abbildung 93: waz.de, 13.12.2012, Foto: omgimages (Originalbild in Farbe). https://www.waz.de/wirtschaft/die-mittelschicht-in-deutschland-schrumpftdahin-id7389577.html (letzter Zugriff: 17.12.2019). Abbildung 94: Süddeutsche Zeitung, 04.07.2013, S. 3, Fotos: Jörg Jäger; Norman Konrad (u. l.) (Originalbilder in Farbe). Abbildung 95: Interaktionale Analyse (Codierschema), eigene Darstellung.
Anhang
Tabelle 3: Übersicht Print- und Onlinemedien Printmedien Kriterium • • • •
Hohe Auflage Überregionale Verbreitung Politische Ausrichtung Tages- und Wochenausgaben
Onlinemedien Kriterium • • • • •
Auswahl Linke/linksliberale Ausrichtung: Der Spiegel Die Tageszeitung (TAZ) Süddeutsche Zeitung Bürgerlich-konservative Ausrichtung: Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Die Welt Welt am Sonntag
Auswahl
Hohe Verbreitung (hohe Online Zugriffszahlen) Überregionale Berichterstattung Politische Ausrichtung
Linksliberale Ausrichtung: spiegel-online.de Bürgerlich-konservative Ausrichtung: N24.de N-TV.de
Hohe Online-Verbreitung (hohe Zugriffszahlen) Regionale Verankerung
waz.de (Westdeutsche Allgemeine Zeitung)
Quelle: Eigene Zusammenstellung
296 | Visualität und Zugehörigkeit
Tabelle 4: Übersicht Codierschema 1 (dargestellt sind die dominantesten Codes) I. Themensetzung und Deutungsrahmen auf Textebene Integration Themen
Debatte, Integrationsmaßnahme, Integrationskurse, Sanktionen, Diskriminierung, Sarrazin, Arbeit, Sprache/Sprachkenntnisse
Konnotationen
erfolgreich, positiv, gelungen, Würdigung, Problem, negativ, schwierig, Herausforderung, Hindernis
Islam Themen
Islam allgemein, Kopftuch, Moschee, Islamkritik
Konnotationen
modern, traditionell, Problem, Gefahr
Schule/Bildung Themen
Förderung, Schulpolitik/Maßnahmen, Deutschpflicht/Sprache
Konnotationen
Erfolg, gelungen, positiv, negativ, schwierig, Problem
Flucht/Asyl Themen
Arbeit/Wirtschaft, Schule/Hochschule, politische Maßnahme, Unterbringung, Sport, Kultur, Asylverfahren/Asylantrag, Kritik an Asylpolitik, ‚Willkommenskultur‘, Helfer/innen
Konnotationen
Erfolg, gelungen, positiv, negativ, schwierig, Problem
Alter
Kind, Jugendliche/r, Erwachsene/r, Senior/in
Geschlecht
männlich, weiblich, Zuschr. uneindeutig
Anhang | 297
Religiöse Zugehörigkeitszuschreibungen
christlich, muslimisch, jüdisch, nicht erkennbar
Nationale Zugehörigkeitszuschreibungen
deutsch, türkisch, deutsch-türkisch, vietnamesisch, afghanisch, nicht erkennbar
Ethnisch-kulturelle Zugehörigkeitszuschreibungen
migrantisch, ausländisch, asylsuchend/ geflüchtet
II. Repräsentationsweisen, soziale Rollen und räumlicher Darstellungskontext Art der Darstellung
Einzelportrait, kleine Gruppe (2-3 Personen), große Gruppe (mehr als 3 Personen)
Soziale Rolle
Schüler/in, Lehrer/in, Facharbeiter/in, Angestellte/r, Muslim/in, Migrant/in, Flüchtling, Leitende Position in Unternehmen/ Organisation, Künstler/in, Sportler/in, Wissenschaftler/in
Räumlicher Darstellungskontext
Schule/Bildungseinrichtung, Straße, Flüchtlingsunterkunft, Öffentlicher Platz/Park, Sportplatz, Moschee/Gebetsraum, Betrieb/Firma, Werkstatt, Büro, Wohnung, Veranstaltungsraum
Quelle: Eigene Zusammenstellung
298 | Visualität und Zugehörigkeit
Abbildung 95: Interaktionale Analyse (Codierschema)
Quelle: Eigene Darstellung, basierend auf dem bildsemiotischen Analyseverfahren nach Kress/van Leeuwen (2006) und angelehnt an die Arbeiten von Bell/Millic (2002); Jewitt/Oyama (2006); Lobinger (2012); Caple (2013).
Soziologie Naika Foroutan
Die postmigrantische Gesellschaft Ein Versprechen der pluralen Demokratie 2019, 280 S., kart., 18 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4263-6 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4263-0 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4263-6
Maria Björkman (Hg.)
Der Mann und die Prostata Kulturelle, medizinische und gesellschaftliche Perspektiven 2019, 162 S., kart., 10 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4866-9 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4866-3
Franz Schultheis
Unternehmen Bourdieu Ein Erfahrungsbericht 2019, 106 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-4786-0 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4786-4 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4786-0
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Soziologie Sybille Bauriedl, Anke Strüver (Hg.)
Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten 2018, 364 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-4336-7 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4336-1 EPUB: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4336-7
Weert Canzler, Andreas Knie, Lisa Ruhrort, Christian Scherf
Erloschene Liebe? Das Auto in der Verkehrswende Soziologische Deutungen 2018, 174 S., kart. 19,99 € (DE), 978-3-8376-4568-2 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4568-6 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4568-2
Juliane Karakayali, Bernd Kasparek (Hg.)
movements. Journal for Critical Migration and Border Regime Studies Jg. 4, Heft 2/2018 2019, 246 S., kart. 24,99 € (DE), 978-3-8376-4474-6
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