Identitätsentwürfe: Selbst- und Fremdbilder in der spanisch- und französischsprachigen Prosa der Antillen im 19 Jahrhundert 9783964562272

Die Analyse des umfangreichen Textkorpus bedient sich der komparatistischen Imagologie, der Ergebnisse der class-, race-

182 69 70MB

German Pages 720 Year 2006

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Table of contents :
Inhalt
1. Methodische Vorüberlegung
A. Materielle Voraussetzungen der Literaturproduktion im karibischen Raum im 19. Jahrhundert
B. Die ästhetische Basis der Literaturproduktion im karibischen Raum im 19. Jahrhundert
C. Literarische Spiegelungen: Fremd- und Selbstbilder in der erzählenden Prosa im karibischen Raum im 19. Jahrhundert
1. Die (zweite) Entdeckung der antillanischen Natur oder Amerika versus Europa
2. Kostumbrismus versus gesellschaftskritische Porträts oder die Dominanz der weißen Protagonistinnen
3. Hetero- versus Autostereotypen oder europäischer versus kreolischer Blick
4. Sklaverei, Abolitionismus, Rassismus und ihre Folgeerscheinungen oder die Dominanz des farbigen Protagonisten
5. Indianismus als Evasion und Engagement oder die Dominanz der indianischen Protagonistinnen
Ausblick
Bibliographie
Index
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Identitätsentwürfe: Selbst- und Fremdbilder in der spanisch- und französischsprachigen Prosa der Antillen im 19 Jahrhundert
 9783964562272

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Gudrun Wogatzke Identitätsentwürfe: Selbst- und Fremdbilder in der spanisch- und französischsprachigen Prosa der Antillen im 19. Jahrhundert

Editionen der I b e r o a m e r i c a n a Ediciones de Iberoamericana

Serie A: Literaturgeschichte und -kritik / Historia y Critica de la Literatura Serie B: Sprachwissenschaft / Lingüistica Serie C: Geschichte und Gesellschaft/Historia j> Sociedad Serie D: Bibliographien / Bibliografías Herausgegeben von /Editadopor : Mechthild Albert, Walther L. Bernecker, Frauke Gewecke, Jürgen M. Meisel, Klaus Meyer-Minnemann, Katharina Niemeyer A: Literaturgeschichte und -kritik / Historia y Crítica de la Literatura, 36

Gudrun Wogatzke

Identitätsentwürfe: Selbst- und Fremdbilder in der spanisch- und französischsprachigen Prosa der Antillen im 19. Jahrhundert

Vervuert Verlag • Frankfurt am Main

2006

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

Die vorliegende Arbeit wurde durch ein Habilitationsstipendium der DFG gefördert.

Alle Rechte vorbehalten © Vervuert Verlag, 2006 Wielandstr. 40 - D-60318 Frankfurt am Main T e l . + 4 9 69 597 46 17 Fax + 49 69 597 87 43 [email protected] www.ibero-americana.net

ISBN 3-86527-284-3 D.L.B-29.817-2006 Umschlagentwurf: Michael Ackermann Umschlagbild: Jean-Baptiste Debret (1768-1848) Gedruckt auf säure- und chlorfreiem, alterungsbeständigem Papier gemäß ISO-Norm 9706 Printed in Spain

Inhalt 1. 1.1. 1.2.

1.3. A.

Methodische Vorüberlegung 11 Gegenstand und Intention 11 Generierung von (nationalen) Identitätsbildungsprozessen durch literarische Modellfiguren oder zu den Begriffen Vorurteil, Image und (Stereo)Type 17 Struktur und Gliederung 31 Materielle Voraussetzungen der Literaturproduktion im karibischen Raum im 19. Jahrhundert

35

Historische Entwicklung auf den spanisch- und französischsprachigen Antillen

35

2.

Kulturelles Panorama im 19. Jahrhundert

48

B.

Die ästhetische Basis der Literaturproduktion im karibischen Raum im 19. Jahrhundert

83

1.

Zur Bedeutung von Kunst und Literatur im Allgemeinen

83

2. 2.1. 2.2.

Zur Diskussion literarischer Epochen- und Gattungsbegriffe Literarische Epochenbegriffe Literarische Gattungsbegriffe

91 91 116

C.

Literarische Spiegelungen: Fremd- und Selbstbilder in der erzählenden Prosa im karibischen Raum im 19. Jahrhundert

141

1.

1. 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 1.5. 1.6.

Die (zweite) Entdeckung der antillanischen Natur oder Amerika versus Europa 141 Die erhabene Natur Amerikas oder die Antillen als Projektionsfläche eines neuen historisch-kulturell codierten (Selbst)Bewusstseins 141 Die antillanische Natur als Mutterschoß und Jungbrunnen oder karibische Fertilität versus europäische Sterilität 144 Die antillanische Natur als Hort des kollektiven Gedächtnisses oder antillanische Natur versus europäische Geschichte 150 Natur als ästhetisch konfiguriertes Zeichen oder das Naturphänomen als Prophetie und Kommentar 152 "Las bellezas del fisico mundo/Los horrores del mundo morar oder locus amoenus versus sittlicher Verfall 159 Ästhetische Gestaltung und diskursive Funktion der antillanischen Natur 165

6

2. 2.1. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.2.4. 2.2.5. 2.2.6. 2.2.7. 2.2.8. 2.2.8.1. 2.2.8.2. 2.3. 2.4. 2.4.1. 2.4.2. 2.4.2.1. 2.4.2.2. 2.4.2.3. 2.4.2.4. 2.4.2.5. 2.4.2.6. 2.4.2.7. 2.4.3. 2.4.3.1. 2.4.3.2. 2.4.4. 2.4.4.1. 2.4.4.2. 2.4.4.3. 2.4.4.4. 2.5.

Inhalt

Kostumbrismus versus gesellschaftskritische Porträts oder die Dominanz der weißen Protagonistinnen 168 Der antillanische criollismo 168 Die Kreolin oder von Engeln und Teufelinnen 169 Das Privatleben als Domäne der Frau oder: "Die Frau sei dem Manne Untertan" 169 Jeanne d'Arc oder die edle kreolische Rebellin 173 "La belle créole" als sinnlich-keuscher Engel 176 "La belle créole" als verführerisch-morbide Teufelin 179 Die Heirat als Ziel von Mädchenträumen oder "La perfecta casada".... 182 Der gefallene Engel oder die ewige Verliererin 187 Die Pflanzerstochter 189 Kreolische Muttertypen 191 Die Metamorphose oder vom sanften Engel zur zänkischen Alten 191 Les misérables oder vom Elend der Mütter 194 Zur ästhetischen Gestaltung und diskursiven Funktion der weißen Kreolin 197 Der Kreole oder von Bauern, Bürgern, Banditen und Betrügern 209 Der "bon béké" oder "splendeurs et misères" des "grand blanc" 209 Der „neue Mensch" oder von guten Geistlichen, Lehrern, Agronomen, Ärzten, Juristen, Ingenieuren und Patrioten 218 Der Geistliche 218 Der Lehrer 222 Der Agronom 224 Der Arzt 226 Der Jurist 229 Der Ingenieur 230 Der Patriot 233 Heterogene Figurenentwürfe oder von (un)edlen Piraten und (un)verdorbenen Bauern 235 Von Piraten und Korsaren 237 Von Bauern, Landarbeitern und Sklavenjägem 250 Der „hässliche Kreole" oder von Libertins, Spielern, Schelmen, korrupten Beamten und lokalen Kaziken 261 Der Heiratskandidat oder von Parvenüs und Libertins 262 Der Spieler oder von Banditen und Mördern 266 Der Potentat oder von Eigennutz und Korruption 269 Die Ränke des Foro oder der Aufstieg vom Pikaro zum lokalen Kaziken 276 Zur ästhetischen Gestaltung und diskursiven Funktion des weißen Kreolen 287

Inhalt

3. 3.1. 3.2. 3.2.1. 3.2.2. 3.2.3. 3.2.4. 3.2.5. 3.3. 3.3.1. 3.3.2. 3.3.3. 3.3.4. 3.3.5. 3.4. 3.4.1. 3.4.2. 4. 4.1. 4.2.

4.2.1. 4.2.2. 4.2.3. 4.2.4. 4.2.5.

Hetero- versus Autostereotypen oder europäischer versus kreolischer Blick Das Bild des Kreolen der Nachbarinseln und das des Fremden in der karibischen Literatur Das Bild des Europäers aus dem (ehemaligen) Mutterland (Stief)Mutterland Europa oder von den ambivalenten Gefühlen der Kreolen Von Entdeckern und Eroberern oder die Fortschreibung der leyenda negra durch die Kreolen Von dummdreisten Kolonialherren und gebeutelten Kreolen Die wundersame Metamorphose des Einwanderers oder vom europäischen Schweinehirten zum kolonialen Grafen „Reich gefreit hat nie gereut" oder von europäischen Frauenräubern und kastrierten Kreolen Exkurs: Das Bild der Antillen und der Kreolen in der europäischen Literatur Die Antillen als Projektionsfläche für europäische Sehnsüchte nach dem verlorenen Paradies Der morbide Kreole oder von sexuellen Höhepunkten und "geistigen Tieffliegern" Die glücklichen Inseln oder das Schlaraffenland europäischer Abenteurer Der kreolische Autor im Kreuzfeuer metropol itaner Kritik Amerika als Hort ursprünglicher Werte oder "oü sont les neiges d'antan?" Zur ästhetischen Gestaltung und diskursiven Funktion kreolischer und europäischer Auto- und Heterostereotype Kreolische Auto- und Heterostereotype Europäische Auto- und Heterostereotype

1

293 293 300 300 303 318 323 327 331 331 333 341 344 347 349 349 357

Sklaverei, Abolitionismus, Rassismus und ihre Folgeerscheinungen oder die Dominanz des farbigen Protagonisten 362 Der karibische (Anti)Abolitionismus 362 Zur „condition (in)humaine" des schwarzen Protagonisten oder die Animalisierung und die Verdinglichung des Afrikaners als Proton pseudos der Sklaverei und ihre Widerlegung durch die Abolitionisten.,371 Primaten und Menschen oder zur Bildungs(un)fahigkeit des Afrikaners 371 Die „Ware" Sklave oder von Kohlensäcken, Bündeln und Frachtgut ....378 Sklaverei als Mission oder: Der Zweck heiligt die Mittel: Afrika versus Antillen oder Inferno versus Paradies 382 Menschenraub und Sklavenschiff oder der Anfang vom Ende des Menschseins 392 Sklavenkinder oder von der Annullierung der Sklavenfamilie 395

8 4.2.6.

Inhalt Edle Wilde und christliche Märtyrer oder der indirekte Existenzbeweis der 'cöndition humaine' des Afrikaners

400

4.3.

Psychische und physische Folter als Medium zur Domestizierung des Sklaven oder: Was, wie und wer wird bestraft?

406

4.3.1.

Die Strafenden oder von zartfühlenden und sadistischen Kreolen

407

4.3.2.

Die Strafen oder von (unberechtigten Korrekturen und psychophysischer Folter

409

4.3.3.

Das Delikt oder der (Un)Sinn des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.... 4 1 4

4.3.4.

Der erpresste B e i s c h l a f als Delikt und Strafe

4.4.

Psychosoziale Folgen von Sklaverei und Rassismus oder die Sklaverei als Geißel für Herren und Sklaven

4.4.1.

418 423

Die Sklaverei als Geißel des Sklavenhalters oder der Bumerang-Effekt 4 2 3

4.4.1.1.

Die Auflösung der kreolischen Familie

4.4.1.2.

D e r potenzielle Inzest oder die insidiöse Enttabuisierung eines Tabus 4 3 2

4.4.1.3.

426

Freiheit als fragiles Gut oder von versklavten Freien und freien Sklaven

439

4.4.2.

Rassistische Ausgrenzungsmechanismen oder die (un)freiwillige Internalisierung eines stigmatisierenden Fremdbildes

442

4.4.2.1.

Der Mulatte als (potenzieller) Rivale des weißen Kreolen

442

4 . 4 . 2 . 1 . 1 . Die Furcht vor und der Hass a u f den Mulatten

442

4 . 4 . 2 . 1 . 2 . Farbige und Weiße als Nebenbuhler

445

4 . 4 . 2 . 1 . 3 . Die Beziehungslosigkeit zwischen farbigen Männern und weißen Frauen

447

4 . 4 . 2 . 1 . 4 . Der Mulatte als Opfer

451

4 . 4 . 2 . 1 . 5 . Der Mulatte als Täter

454

4 . 4 . 2 . 1 . 6 . Klassismus statt Rassismus oder der farbige Menschenbruder

456

4.4.2.2.

459

Die Mulattin als (potenzielle) Rivalin der weißen Kreolin

4 . 4 . 2 . 2 . 1 . Die Mulattin als Projektion männlichen Begehrens oder die farbige Maitresse

459

4 . 4 . 2 . 2 . 2 . Die neue Mulattin oder die farbige Ehefrau

471

4 . 4 . 2 . 2 . 3 . Die verschmähte Frau oder die Rache der Mulattin

473

4 . 4 . 2 . 2 . 4 . Von den vermeintlichen Vorzügen des weißen Prätendenten

475

4 . 4 . 2 . 2 . 5 . Die erwerbstätige Mulattin oder von Prostituierten und dienstbaren Geistern 4.4.2.3.

Zur Rivalität zwischen Mulatten und Schwarzen oder:

4.4.2.4.

Die koloniale Hackordnung oder wer Hass sät, wird (Selbst)Hass

W i e (de)stabilisiert man eine Entente zwischen ihnen? ernten

478 481 486

4.4.3.

Verweigerungsstrategien des Sklaven oder der Versuch einer Selbstkonstitution

491

4.4.3.1.

Zum Bedeutungspotenzial der Begriffe Solidarität und Loyalität

491

4.4.3.2.

Der entflohene Sklave oder von Faulheit und Verzweiflung

495

4.4.3.3.

Das Saint-Domingue-Syndrom

504

4.4.3.4.

Die Revolte als ultima ratio

508

Inhalt 4.5.

Zur ästhetischen Gestaltung und diskursiven Funktion der farbigen Protagonistinnen in der antillanischen Literatur

4.5.1.

515

Ästhetische Gestaltung und diskursive Funktion in den abolitionistischen Texten

5.

513

Ästhetische Gestaltung und diskursive Funktion in den antiabolitionistischen Texten

4.5.2.

9

523

Indianismus als Evasion und Engagement oder die Dominanz der indianischen Protagonistinnen

537

5.1.

Der lateinamerikanische Indigenismus

537

5.1.1.

Indianismus als gesamtlateinamerikanische Bewegung oder die

5.1.2.

Der antillanische Indianer oder die Hinwendung zum "fossilen"

Hinwendung zum autochthonen Protagonisten

537

Protagonisten

541

5.1.3

Der literarische Indianismus: "Pasatismo" oder "Progresismo"?

545

5.2.

Die imaginierte Begegnung zwischen Indianern und Europäern oder von Unschuldslämmern und bösen Wölfen

548

5.2.1.

"A la recherche du temps perdu" oder der mythologisierte Indianer

548

5.2.2.

Die Begegnung zwischen dem präkolumbischen Indianer und dem Europäer oder der Anfang vom Ende tapferer Krieger und edler Kaziken

560

5.2.3.

Der indianische Kollaborateur oder die Mär von der zivilisatorischen

5.2.4.

V o n indianischen Opferlämmern und europäischen Wölfen im Schafspelz

567

5.2.5.

Strategien des Widerstands oder der kämpferische Indianer

570

5.2.6.

Der kastrierte Indianer oder die Beziehung zwischen der Indianerin

5.2.7.

Der kastrierte Indianer oder die Beziehungslosigkeit zwischen dem Indianer und der europäischen Frau

588

5.3.

Die Vergangenheit als Analogon der Gegenwart

594

5.3.1.

Der politisierte Indianer oder Historie als Spiegel der Aktualität

594

5.3.2.

Der symbolische Indianer oder Tainos versus Kariben und Kreolen

Überlegenheit der Europäer

und dem europäischen Eroberer

564

578

versus Europäer

606

5.3.3.

Der symbolische Indianer oder Kariben versus Europäer

610

5.3.4.

Der schweigende Indianer oder der Kreole als Sprecher und

5.3.5.

Der versklavte Indianer oder " l a solidarité dans le malheur": Caonabo

5.3.6.

Der 'bon sauvage' oder der Indianer als Projektionsfläche des

Rächer der Enterbten versus Toussaint Louverture europäischen "ennui" und "mal du siècle" 5.3.7.

612 616 624

Der "satanic savage" oder der Indianer als Projektionsfläche für die Ideologie des Positivismus und der "leyenda blanca"

634

10

5.4.

Inhalt

Zur ästhetischen Gestaltung und diskursiven Funktion der indianischen Protagonistinnen

646

Ausblick

659

Bibliographie

667

1.

667 667 671 672 674 675 676 678 717

2. 3. Index

Texte antillanischer Autoren bis 1900 Kuba Dominikanische Republik Puerto Rico Guadeloupe/Martinique Haiti Weiterhin zitierte Texte Kultur- und Literaturtheorie, Literaturkritik, Literaturgeschichte

1. Methodische Vorüberlegung 1.1. Gegenstand und Intention Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der erzählenden Prosa eines geographisch und zeitlich fest umrissenen Raumes. Die ihr zugrunde liegenden Primärtexte entstammen den französisch- und spanischsprachigen Antillen des 19. Jahrhunderts. Die geographische, zeitliche und gattungsspezifische Konzentration basierte auf folgenden Überlegungen. Die Literatur Lateinamerikas im 19. Jahrhundert, die von wenigen Ausnahmen abgesehen - lange Zeit sowohl aus der Perspektive des Europäers als auch aus der des europäisch sozialisierten bzw. akkulturierten Lateinamerikaners als epigonal abqualifiziert wurde, hat inzwischen eine Würdigung erfahren, die sich in der verstärkten Publikation von Texten aus dem 19. Jahrhundert und in der steigenden Zahl von Studien zu diesen Texten manifestiert, welche sich intensiver und von einem anderen Blickwinkel aus mit ihnen beschäftigen. Die lateinamerikanische Literatur des 19. Jahrhunderts in toto als bloße Verlängerung der europäischen Literatur zu lesen ist nicht nur Teil eines neokolonialen Hegemonialgebarens, sondern wird den Texten nicht gerecht, die nur auf ihre Ähnlichkeit, nicht aber auf ihre Originalität hin abgeklopft werden. Die Suche nach der Wiederholung verstellte dabei nicht selten den Blick für das Originelle. So wurde der lateinamerikanische Indianismus aus europäischer Perspektive häufig darauf reduziert, eine Kopie der Chateaubriandschen Indianerromane zu sein, ohne dass man seine mythenbildende Potenz für die jungen lateinamerikanischen Nationen überhaupt in Betracht gezogen hätte. Den Texten aus dem karibischen Raum ist diese neue, auf den lateinamerikanischen Kontinent konzentrierte Aufmerksamkeit jedoch bisher kaum zuteil geworden, da sie mit (mindestens) drei Problemen zu kämpfen haben. Die Literatur der Antillen wurde/wird nicht nur in den Literaturgeschichten und Studien der entsprechenden (Ex)Mutterländer, sondern auch in denen des lateinamerikanischen Kontinents und Resteuropas, das sich wiederum stärker auf den Kontinent konzentriert/e, oft vernachlässigt. 1 Außerdem ignorier(t)en die Bewohner der einzelnen Inseln aus unterschiedlichen Gründen ebenso häufig die Literaturproduktion auf den anderen Inseln. Die Verfasserin ist in ihrer Studie darum bemüht, diese Lücke auf dem Gebiet der erzählenden Prosa zu schließen. Sie möchte außerdem den Gegenbeweis zu Angel Ramas These antreten, dass es im 19. Jahrhundert in Lateinamerika gar keine Romane gegeben habe 2 und darüber hinaus eine differenzierte Stellungnahme zu den lite-

1

Eine besondere Rolle spielen dabei die Daten der Unabhängigkeit der einzelnen Inseln, die sich erheblich von denen des lateinamerikanischen Kontinents unterscheiden. Schon 1804 wird aus der französischen Kolonie Saint-Domingue Haiti, die erste Republik der Neuen Welt, die ihre Unabhängigkeit vor allen anderen lateinamerikanischen Staaten erkämpft. Der andere Inselteil hingegen, die Dominikanische Republik, wird erst 1865 unter eigener Regierung endgültig selbständig, und Kuba und Puerto Rico erlangen die Unabhängigkeit erst 1898. Martinique und Guadeloupe gehören nach wie vor als DOM zu Frankreich.

2

"(...) América Latina carece estrictamente de novelas en el siglo XIX. (...). Quienes fundan la novela latinoamericano (sie), echando mano de los recursos del naturalismo y del esteticismo

12

Methodische Vorüberlegung

rarischen Themen und Typen in der Literatur der Antillen durch eine vergleichende Betrachtung der französisch- und spanischsprachigen erzählenden Prosa liefern. Das Interesse am karibischen Raum, der sehr unterschiedlich konzeptualisiert wird, ist in den letzten Jahrzehnten beständig gewachsen, wovon zahlreiche historische, anthropologische, kultur- und literarhistorische oder literatursoziologische Studien, um nur einige wenige Richtungen zu nennen, Zeugnis ablegen. An der von James Arnold herausgegebenen A History of Literature in the Caribbean , in der sich die unterschiedlichen Arbeitsansätze zur Erforschung der Literatur aus diesem Raum manifestieren, haben sowohl viele derer mitgewirkt, die sich seit Jahren im internationalen Bereich mit dem Kulturraum Karibik beschäftigen, als auch die Spezialisten der unterschiedlichen Inseln. Im Mittelpunkt des Interesses dieser Studie steht die Frage nach einer spezifisch antillanischen Identität und nach den Faktoren, welche die Definition einer gemeinsamen Identität aller Antillenbewohner begründen könnten. Durch die Analyse der Konsequenzen des Zusammentreffens verschiedener Kulturen in der Karibik soll dabei die Frage nach einer kollektiven Identität näher bestimmt werden. Diese Frage, die sich im 19. Jahrhundert bereits einige Bewohner der spanischsprachigen Antillen (u.a. de Hostos, Espaillat, Betances oder Marti) gestellt haben, deren antikolonialistische und antirassistische Gesinnung sich in ihren Schriften dokumentiert, ist immer wieder kontrovers und auf unterschiedlichen Ebenen diskutiert worden. Zur Identifikation wurden stets neu überdachte inklusive und exklusive Identitätskonzepte angeboten, in denen sich die Bewohner der Karibik beheimaten und die den "Schoelcherismus"4 des 19. Jahrhunderts überwinden helfen sollten (z.B. ab den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts lösten die Konzepte négritude, antillanité, créolité einander ab). Bedingt durch Geographie und z.T. parallel verlau-

3 4

flnisecular, han de ser los realistas de comienzos del Siglo XX." Rama, Angel, "La formación de la novela latinoamericana", in: Sin Nombre IV, 1974, S. 5-9, hier: S. 7. Amsterdam, Philadelphia (John Benjamins Pub.) 1994. Zu Schoelcher vgl. Césaire, Aimé, "Victor Schoelcher et l'abolition de l'esclavage", in: Schoelcher, Victor, Esclavage et colonisation, Paris (PUF) 1948, S. 1-28; Lémery (1962), S. 69-132; Chauleau (1973), S. 254-259; dies. (1979). Das aufrichtige, uneigennützige, philanthropische Engagement Schoelchers wird von niemandem in Abrede gestellt, dennoch ist die Tatsache, dass die Sklaven Guadeloupes und Martiniques sich nicht wie die Haitis selbst befreiten, sondern ihre Freiheit einer positiv konnotierten weißen Vaterfigur verdanken, ein Problem in der Diskussion um die lebensweltliche und literarische Selbstfindung der farbigen Antillenbewohner, um ihre Antillanité bzw. Créolité, die in der Französisierung zu ersticken droht. Der Schoelcherisme gilt Glissant dabei als der Beginn einer Assimilationspolitik, die einseitig auf der Übernahme französischen Kulturgutes basiert und zur aliénation der Antillengesellschaft führte. Vgl. dazu Saint-Ruf, Germain, (1977), Glissant, Edouard, Le discours antillais, Paris (Seuil) 1981; Bader, Wolfgang, „Martinique, Guadeloupe, Guyane: eine periphere Literaturgeschichte", in: Französisch heute, 1986, S. 182-201; Chamoiseau, Patrick u. Raphael Constant, (1991); Adlai Murdoch, H., "(Re)figuring Colonialism. Narratological and Ideological Resistance", in: Callaloo, 15,1, Special Issue: The Literature of Guadeloupe and Martinique, Baltimore 1992, S. 2-11; Rumpf, Helmtrud, Kolonisierung und Krankheit. Der Begriff der "aliénation" in Texten aus den französischen kleinen Antillen, Frankfurt a.M. usw. (Lang) 1993; Pausch, Marion, Rückbesinnung - Selbsterfahrung - Inbesitznahme. Antillanische Identität im Spannungsfeld von Négritude, Antillanité und Creolité, Frankfurt (IKO) 1996.

Methodische

Vorüberlegung

13

fende Prozesse in der (Wirtschafts)Geschichte der Region wurde diese oft als Einheit präsentiert, die jedoch angesichts anderer Faktoren wie Sprache, Bevölkerungszusammensetzung oder politisches System nur als Einheit in der Vielfalt verstanden werden kann, da wegen der kulturellen Differenz zwischen den einzelnen Regionen eine globalisierende Vereinheitlichung der realen Situation nicht Rechnung tragen würde. Ohne auf den häufig problematisierten Begriff des „karibischen Raumes" im Hinblick auf seine geographische Ausdehnung, seine historische und kulturelle Einheit bzw. Diversität näher einzugehen, sei darauf verwiesen, dass gerade in der Folge der soziokulturellen Diskussionen das lange Zeit marginale Interesse an der karibischen Kultur - und Literaturproduktion sowohl von der (nord- und südamerikanischen als auch von der europäischen Perspektive einer neuen Betrachtungsweise gewichen ist. Abgesehen von der zuvor praktizierten allgemeinen Missachtung der auf den Inseln produzierten Literatur, die sich beispielsweise durch Auslassung sowohl in den amerikanischen als auch in den europäischen Literaturgeschichten und -kritiken manifestiert/e, war/ist auch die gegenseitige Ignoranz der einzelnen Bestandteile einer in viele Sprachen zersplitterten Region selbst Grund dafür, dass die Literatur einer Insel oft nur dort und nicht selbstverständlich im gesamten Raum bekannt war/ist. Die 1960 in Havanna gegründete Casa de las Américas versuchte diesem Tatbestand entgegenzuwirken, indem sie zahlreiche Artikel anderer prominenter Antillenbewohner ggfs. ins Spanische Ubersetzte und abdruckte und den von ihr inaugurierten Literaturpreis häufig antillanischen Autoren verlieh. Für die im Exil lebenden Autoren traf/trifft dann häufig das Gegenteil zu, will sagen, dass sie in Europa und Amerika bekannt waren/sind, nur nicht im offiziellen Kulturpanorama der eigenen Insel. Die Diaspora der Antillenbewohner bewirkte von jeher ein Gefühl der Zerrissenheit, das besonders den Kubanern vertraut und von José Marti bekanntlich als "partidos en dos" bezeichnet worden ist. Sie sorgte/sorgt für die Produktion zweier Literaturen, für die Spaltung in eine Insel- und in eine Exilliteratur, die ihren Anfang im 19. Jahrhundert findet.5 Im Zuge des verstärkten Interesses an der neueren lateinamerikanischen Literatur 6 in den sechziger Jahren, erfolgte auch eine Hinwendung zu den Vorgängern dieser innovativen Literatur sowie speziell zur lateinamerikanischen Romanliteratur des 19. Jahrhunderts. 7 Das allmählich aufkeimende, internationale Interesse an der 5 6

7

Vgl. z.B. Ette, Ottmar, '"Partidos en dos': zum Verhältnis zwischen insel- und exilkubanischer Literatur" in: Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte, 13, 1989, S. 440-453. Vgl. für die deutschsprachige Lateinamerikanistik die Schriften von Claudius Armbruster, Vittoria Borsö, Thomas Bremer, Dietrich Briesemeister, Ottmar Ette, Martin Franzbach, Karsten Garscha, Frauke Gewecke, Titus Heydenreich, Karl Hölz, Dieter Janik, Wolfgang Matzat, Klaus Meyer-Minnemann, Sebastian Neumeister, Michi Strausfeld, Harald WentzlaffEggebert u.v.a. In der deutschen Hispanistik manifestiert sich das Interesse an der Lateinamerikanistik und speziell am 19. Jahrhundert etwas später. Vgl. u.v.a. Grossmann, Rudolf, Geschichte und Probleme der lateinamerikanischen Literatur, München 1969. Erst in den 1990er Jahren erscheinen weitere deutschsprachige Geschichten zur Kultur und Literatur Lateinamerikas. Zum Roman des 19. bzw. 20. Jahrhunderts in Lateinamerika vgl. u.a.: Armbruster, Claudius,

14

Methodische Vorüberlegung

karibischen Literatur des 19. Jahrhunderts wurde zum einen durch die Prominenz einiger zeitgenössischer Autoren aus der Karibik geweckt, die sich in Theorie und literarischer Praxis mit ihrem Kulturraum befassten (u.v.a. A. Carpentier, R. Arenas, M. Condé, S. und A. Schwarz-Bart, E. Glissant, R. Constant, P. Chamoiseau) und zum anderen durch die allgemeine Aufmerksamkeit, die dem zuvor als epigonal postulierten 19. Jahrhundert geschenkt wurde. Insbesondere die Highlights (Carlos J. Alonso) der karibischen Literatur des 19. Jahrhunderts, C. Villaverdes Cecilia Valdés oder M. de J. Galváns Enriquillo haben eine neuerliche Würdigung in Form zahlreicher Einzelstudien auf internationaler Ebene erfahren. In der deutschen Karibikforschung sind seit den späten sechziger Jahren und verstärkt in den 1980er und 1990er Jahren sowohl monographische Studien zur Geschichte und Literatur der einzelnen Inseln entstanden als auch Darstellungen, die sich unter historischen, politischen und/oder literatursoziologischen Aspekten übergreifend aus unterschiedlicher ideologischer Perspektive mit dem karibischen Raum auseinander setzen, thematischen Schwerpunkten oder der Rezeption der Geschichte der Inseln in der deutschen Literatur nachgehen. Im Vordergrund stehen dabei eindeutig die Studien, die sich mit der Literatur der größten Antilleninsel beschäftigen, was nicht zufällig so ist, da die kubanische Literaturproduktion sowohl im 19. als auch im 20. Jahrhundert in Quantität und Qualität der Produktion der anderen Inseln überlegen ist. Die Existenz einer vielschichtigen, differenten und spannungsreichen Antillenliteratur im 20. Jahrhundert wirft die Frage danach auf, ob diese inzwischen stärker beachtete Literatur sich - abgesehen von den highlights - ohne Fundamente im eigenen Land herausbilden konnte. Der Blick ins 19. Jahrhundert als dem Jahrhundert der lateinamerikanischen Nationsbildungsprozesse und einem damit einhergehenden Interesse an der Ausbildung eines eigenen Literaturbetriebs soll Auskunft geben über die intrakulturellen Voraussetzungen der antillanischen Literatur und gleichzeitig das okzidentale Konstrukt von der Epigonenhafitigkeit der lateinamerikanischen Literatur i.a. und speziell im 19. Jahrhundert relativieren. Die Auswahl der der Studie zu Grunde liegenden Texte wurde von verschiedenen Kriterien geleitet. Herangezogen wurden sowohl diejenigen Texte, die aus europäischer und/oder amerikanischer Sicht als konstitutive Beiträge der Antillenliteratur des 19. Jahrhunderts betrachtet werden als auch diejenigen, die zwar aufgrund dessen, dass sie heute weitestgehend unbekannt sind, in der aktuellen Literaturkritik Das Werk Alejo Carpentiers, Frankfurt 1982; ders., "Discursos literarios y etnológicos. Intertextualidades en la descripción de las culturas afroamericanas en el Brasil y en Cuba", in: Klengel, Susanne (Hg.), Contextos, historias y transferencias en los estudios latinoamericanistas europeos, Frankfurt a.M. 1997, S. 167-182. Meyer-Minnemann, Klaus, Der spanischamerikanische Roman des Fin de siécle, Tübingen '1979, spanisch 1991, 2 1997; Dill, HansOtto et al. (Hg.), Apropiaciones de realidad en la novela hispanoamericana de los Siglos XIX y XX, Frankflirt 1994; Pollmann, Leo, Geschichte des lateinamerikanischen Romans, 2 Bde., Berlin 1982; Wentzlaff-Eggebert, Harald u. Volker Roloff, Der hispanoamerikanische Roman, 2 Bde., Darmstadt 1992; Rössner, Michael (Hg.), Lateinamerikanische Literaturgeschichte, Stuttgart 1995; Niemeyer, Katharina, Subway de los sueños, alucinamiento, libro abierto. La novela vanguardista hispanoamericana, Frankfurt a.M. 2004.

Methodische Vorüberlegung

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keine Beachtung mehr finden, aber von den Zeitgenossen als wichtige Monumente auf dem Weg zur Herausbildung eines eigenen Literaturkanons gewichtet wurden, der als Mittel zum Zweck der Entwicklung einer vom Mutterland verschiedenen Identität avancieren sollte. Nur die Texte der Antillaner, in denen der einheimische Raum als Handlungsort gewählt wurde, sind Gegenstand der Betrachtung, weil die Entscheidung, sich dem eigenen Lebensraum zuzuwenden, als Ausdruck eines sich entwickelnden Bewusstseins um eine vom (Ex)Mutterland unabhängige Identität als Vorstufe zum Entwurf einer eigenen Nation bewertet wird. Ausgeschlossen aus der Betrachtung wurden die antillanischen Epigonen der europäischen Romantik, die sklavisch die Liebes- und Schauerromane sowie die historischen Romane englischer, französischer, italienischer oder deutscher Provenienz imitierten, deren Schauplatz nicht die Antillen bzw. Lateinamerika, sondern das mittelalterliche bzw. das zeitgenössische Europa ist. Es lässt sich unschwer feststellen, dass dem karibischen Raum in den letzten Jahren ein erhebliches Interesse seitens der unterschiedlichsten Forschungsrichtungen entgegengebracht worden ist. Insbesondere Anthropologen, Ethnologen, Soziologen, Psychologen und Historiker haben sich immer wieder mit der Vergangenheit, speziell dem 19. Jahrhundert, als prägende Epoche fiir die heutigen Verhältnisse auseinandergesetzt. Für die Literaturwissenschaft, die sich in ihrer Forschung eher auf die zeitgenössische Literatur konzentriert, steht eine intensive und vergleichende Betrachtung der literarischen Produktion noch aus. Mit Ausnahme der Studien zum abolitionistischen Roman in Kuba, wobei sich der Roman in Kuba im 19. Jahrhundert keineswegs auf diesen Typus reduzieren lässt, liegen keine einschlägigen Studien zu Gattungen, Themen, (Stereo)Typen oder Motiven in der Literatur der Karibik im 19. Jahrhundert vor. Die Verfasserin strebt mit der vorliegenden Arbeit eine Vervollständigung der Kenntnisse im Kontext der lateinamerikanischen Literatur des 19. Jahrhunderts an. Da der allgemein bekannte Literaturkanon im Bereich der erzählenden Prosa des 19. Jahrhunderts aber häufig nur die Literaturproduktion auf dem Kontinent in Betracht zieht und damit einige der wichtigsten Werke der lateinamerikanischen Romanproduktion völlig vernachlässigt, stellt die vorliegende Schrift den bislang oft negligierten Kulturraum Antillen in das Zentrum ihres Interesses. Die freiwillige Beschränkung gerade auf die Gattung der erzählenden Prosa wurde v.a. dadurch motiviert, dass im Vergleich zu der von karibischen Autoren produzierten Dramatik, Lyrik oder essayistischen Schriften, die Romanproduktion i.a. noch stärker ignoriert wird. Darüber hinaus erwies sich die Konzentration auf nur eine Gattung, trotz des themenund typengeschichtlichen Ansatzes, aus arbeitsökonomischen Gründen als ratsam, da sich - entgegen eines verbreiteten Vorurteils - ein ausreichendes Textkorpus anbot. Des Weiteren schloss die Fokussierung auf die erzählende Prosa Verweise auf die Bearbeitung gleicher Themen oder (Stereo)Typen in Lyrik und Dramatik keinesfalls aus. Zu gegebenem Anlass helfen Verweise auf lyrische und dramatische Produktionen, die Bedeutung von Themen und (Stereo)Typen adäquat zu situieren. Im Gegensatz zu den auf jeweils eine Insel konzentrierten Studien sollen durch eine vergleichende Betrachtung zum einen die Parallelen und Divergenzen in der

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Methodische Vorüberlegung

Thematik bzw. in der Handhabung der Thematik auf den spanischsprachigen Antillen nachgewiesen werden. Ebenso wird für die Literatur der französischen Antillen verfahren. Daran schließt sich eine vergleichende Betrachtung zwischen den französisch- und spanisch sprach igen Texten, durch die dann Parallelen und Divergenzen in der Literatur beider Sprachräume aufzuzeigen sind. Durch die Erstellung eines Themen- und (Stereo)Typenkatalogs zur französisch- und spanischsprachigen Literatur der Antillen im 19. Jahrhundert, der aufgrund der kritischen Lektüre eines umfangreichen Textkorpus erstellt wurde, versteht sich die vorliegende Studie als ein Beitrag sowohl zur vergleichenden Literaturbetrachtung innerhalb der Romanistik als auch zur Lateinamerikanistik, der darüber hinaus den Grad der Abhängigkeit respektive der Selbständigkeit einer als marginal und epigonal erachteten Literatur und deren identitätsbildende Potenz ermitteln will. Im Hinblick auf den Vorwurf der sklavischen Abhängigkeit von europäischen Literaturparadigmen war es der Verfasserin ein besonderes Anliegen, die poetologischen Diskussionen der als Imitatoren Europas diffamierten Autoren zu verfolgen, die sich z.T. an europäische Vorstellungen anlehnten, dann aber souverän und selbstbewusst „Poetiken" entwickelten, die eklektisch und utilitaristisch ausgerichtet sind. Die Verfahrensweise des Eklektizismus gilt noch heute, zwar in modifizierter Form, als probates Mittel zur Generierung neuartiger Konzepte (Reinaldo Arenas). Die im 19. Jahrhundert entstandenen literarischen Themen und (Stereo)Typen sind, wenn auch unter anderem Vorzeichen, noch heute lebendig. Alejo Carpentier (El reino de este mundo, El siglo de las luces) und Daniel Maximin (L'Isolé Soleil) schreiben anders, aber immer noch über das Ereignis und die Konsequenzen der Französischen bzw. Haitianischen Revolution in der Karibik. Renaldo Arenas liefert in La Loma del Angel eine ästhetisch modernisierte Version der berühmtesten Figur der kubanischen Romanliteratur des 19. Jahrhunderts und Maryse Condé schneidert in La migration des cœurs aus Emily Brontës Wuthering Heights einen Roman mit den spezifisch karibischen Themen der afrikanischen Sklaverei, des Rassismus und der Dekadenz der weißen Oberschicht. Die Verfasserin intendiert durch den Blick in die Vergangenheit sowohl ein besseres Verständnis für die Identifizierungs- und Abgrenzungsprozesse der Gegenwart als auch die Aufhebung der Antillenliteratur des 19. Jahrhunderts im phänomenologischen Doppelsinn. Vor dem Hintergrund des vergangenen Jahrhunderts gewinnt die Gegenwartsliteratur, die eben nicht aus dem Nichts kommt, stärker an Kontur, treten traditionelle bzw. innovative Elemente als solche deutlicher in Erscheinung. Seitens der Historiker und Soziologen wird immer wieder unter negativem Vorzeichen die Bedeutung des 19. Jahrhunderts für die Gegenwart der Antillen konstatiert. Diese negative Betrachtung des 19. Jahrhunderts sorgte - im Verbund mit dem Epigonenvorwurf - zu lange für eine Missachtung der Literatur dieser Zeit, die als Komplizin der damals herrschenden Ideologie gerade auch vom antillanischen Lesepublikum selbst abgelehnt wurde. Inzwischen ist diese Haltung moderater bzw. neutraler geworden. Einige Texte erfahren zumindest eine Wertschätzung (verbunden mit einer Neuauflage bzw. Neubearbeitung auch in anderen Medien) als historisch interessante und relevante Quellen; bei anderen, die man mit einem neuartigen Stolz als Zeugnisse einer eigenen literarischen Vergangenheit

Methodische Vorüberlegung

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liest, hat man darüber hinaus eine identitätsstiftende Komponente und Kraft entdeckt, die für die Gegenwart nutzbar gemacht werden kann. Die (Stereo)Typen aus den Texten des 19. Jahrhunderts avancieren in aktuellen Identitätsbeschreibungen zu negativen oder positiven Referenzmodellen.

1.2.

Generierung von (nationalen) Identitätsbildungsprozessen durch literarische Modellfiguren oder zu den Begriffen Vorurteil, Image und (Stereo)Type

Die vorliegende Arbeit ist entstanden aus einem Verständnis der Literaturwissenschaft, das sich nicht als reine Textwissenschaft, sondern als Teil der Kulturwissenschaft begreift, was notwendig die Einbeziehung anderer kultureller Denkformationen mit sich bringt. Die Forschungsergebnisse von Geschichte, Soziologie, Anthropologie oder Psychologie, um nur einige wenige Wissenschaften zu nennen, haben zum Verständnis des zu präsentierenden Gegenstands entscheidend beigetragen und bei der Perspektivierung des Blicks auf ihn geholfen. Die in der Folge skizzierten Überlegungen explizieren die Art und Weise des Zugriffs auf das durch die Verfasserin zusammengetragene Material. Im 19. Jahrhundert lässt sich in Europa eine steigende Tendenz zur Ausbildung von (vor allem nationalen) Stereotypen konstatieren. Die damit einhergehende sich akzentuierende Bedeutung des Stereotyps im gesellschaftlichen Kontext basiert u.a. auf einemg Prozess der Kommunikationsverdichtung durch das Aufkommen der Massenpresse sowie auf der Dominanz nationaler Identitätsprojektionen im Zuge der Nationenbildungen und auf der positivistisch begründeten Überzeugung, dass die Beziehungen von Völkern und Nationen zueinander durch ein agonales, d.h. durch ein Konkurrenz- und Kräfteverhältnis charakterisiert seien. 9 Die Verbreitung und Akzeptanz von (nationalen) Stereotypen lässt sich "sowohl bei Nationen, die in ihrem eigenen Nationalstaat lebten, als auch in Nationen, deren Eliten sich erst einen Nationalstaat zu erkämpfen trachteten" 10 ausmachen. Obschon der Begriff'Stereotyp' 1922 erstmalig im Zusammenhang mit ethnischer Stereotypenbildung bei dem amerikanischen Publizisten Walter Lippmann auftaucht," stellt sich angesichts der Ubiquität des Phänomens der Stereotypisierung und des zunehmenden Interesses unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen an der Stereotypenbildung die Frage, ob es sich dabei nicht um eine "anthropologische Grundtatsache menschlicher sozialer

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9 10 11

Zum Verhältnis zwischen Massenmedien und Ausbildung von Stereotypen, Images und Vorurteilen vgl. Kleinsteuber, Hans J. "Was sind Feindbilder und Stereotype? Stereotype, Images und Vorurteil - die Bilder in den Köpfen der Menschen", in: Trautmann, Günter (Hg.), Die häßlichen Deutschen, Darmstadt 1991, S. 60-68. Vgl. Hahn, Hans Henning, "Stereotypen in der Geschichte und Geschichte im Stererotyp", in ders., Historische Stereotypenforschung, Oldenburg (1995), S. 197f. a.a.O., S. 198. in: Public Opinion, New York 1922; (deutsch: Öffentliche Meinung, München 1964). Vgl. dazu O'Sullivan, Emer, Das ästhetische Potential nationaler Stereotypen in literarischen Texten, Tübingen (1989), S. 17f.

18

Methodische

Existenz" beitung"

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Vorüberlegung

handelt, d i e p o s i t i v g e w e n d e t e i n e " Ö k o n o m i e v o n Wirklichkeitsverar-

e r m ö g l i c h t u n d der durch d i e S e d i m e n t i e r u n g v o n W i s s e n e i n e Orientie-

r u n g s f u n k t i o n bei der A s s i m i l a t i o n einer als k o n t i n g e n t erlebten W e l t z u k o m m t . 1 4 V o m w e i t e r g e f a s s t e n B e g r i f f d e s B i l d e s , d e s I m a g e unterscheidet s i c h das S t e r e o t y p in der Literatur nicht e t w a dadurch, d a s s e s als M a n g e l b z w . als Z e i c h e n v o n Trivialität b e w e r t e t w i r d . 1 5 Literarische S t e r e o t y p e m ü s s e n s c h l i e ß l i c h nicht z w i n g e n d in stereotyper M a n i e r inszeniert w e r d e n , s o n d e r n k ö n n e n durchaus ästhetisch originell und raffiniert gestaltet sein. Es unterscheidet s i c h v i e l m e h r dadurch, dass e s g e w i s s e A s p e k t e d e s I m a g e quasi "einfriert": " I m a g o l i s c h e F o r s c h u n g registriert mit b e s o n d e rer A u f m e r k s a m k e i t , w e n n e i n z e l n e Figuren Charakterzüge a u f w e i s e n , die v o r g e b lich alle P e r s o n e n ihrer s o z i a l e n G r u p p e o d e r Nationalität b e s i t z e n , o d e r w e n n v i e l e n Figuren einer G r u p p e d i e s e l b e n E i g e n s c h a f t e n z u g e s p r o c h e n w e r d e n . " 1 6 S t e r e o t y p e n sind k o l l e k t i v , w ä h r e n d in das e i g e n e B i l d v o m anderen Land, v o m anderen G e s c h l e c h t , v o n der anderen R a s s e , der anderen E t h n i e 1 7 u s w . auch i n d i v i d u e l l e A n 18 schauungen einfließen.

V o m Vorurteil unterscheidet s i c h d a s S t e r e o t y p e i g e n t l i c h

nicht grundsätzlich, sondern nur dadurch, d a s s das Vorurteil eher durch e m o t i v e u n d konative

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und

das

Stereotyp

eher

durch

kognitive

Faktoren

bestimmt

zu

sein

Hahn (1995), S. 191. Kleinsteuber in: Trautmann (1991), S. 66. Vgl. Thome, Horst, in: Florack, Ruth, Nation als Stereotyp, Tübingen 2000, S. 1. Vgl. auch Seeber, Hans Ulrich, "Zur Rolle von Klischee und Stereotyp in der englischen Literaturkritik und Literaturtheorie des 20. Jahrhunderts", in: Blaicher, Günther, Erstarrtes Denken. Studien zu Klischee, Stereotyp und Vorurteil in englischsprachiger Literatur, Tübingen (1987), S. 260-271, hier: S. 261. Vgl. dazu O'Sullivan, (1989), S. 12f. Vgl. dazu Stüben, Jens, "Deutsche Polen-Bilder. Aspekte ethnischer Imagotype und Stereotype in der Literatur", in: Hahn (1995), S. 42. Der Begriff 'Imagologie' tauchte erstmalig 1964 in einer ethnopsychologischen Zeitschrift auf, während die vergleichende Literaturwissenschaft sich bereits seit 1950 mit literarischen Völkerbildern beschäftigt hatte (vgl. ebd.f.). Vgl. dazu Fischer, Manfred, Nationale Images als Gegenstand Vergleichender Literaturgeschichte. Untersuchungen zur Entstehung der komparatistischen Imagologie, Bonn 1981. Einen komprimierten Überblick sowie eine weiterführende Bibliographie bietet Michael Schwarze unter dem Stichwort 'Imagologie' in: Nünning, Ansgar, Metzler Lexikon Literaturund Kulturtheorie, Stuttgart/Weimar 1998, S. 232ff. Die Begriffe Rasse und Ethnie werden in der Folge unterschiedslos gebraucht, obschon die Verf. sich bewusst ist, dass der Begriff der Rasse eher auf biologische und der Begriff der Ethnie eher auf soziokulturelle Merkmale abzielt. Im karibischen Raum sind beide Begriffe häufig aneinandergekoppelt. Zur Diskussion beider Begriffe sowie zum Für und Wider ihres Gebauchs vgl. Potthast-Jutkeit, Barbara " Women are more Indian - Zum Verhältnis von Rasse/Ethnie, Klasse/Stand und Geschlecht in der hispanoamerikanischen Kolonialzeit", in: Domnick, Heinz-Joachim, Müller, Jürgen u. Hans-Jürgen Prien, Interethnische Beziehungen in der Geschichte Lateinamerikas, Frankfurt 1999, S. 115-130; Schüller, Karin, "Konzeptionen für die Stellung verschiedener Rassen in der Unabhängigkeitsgeschichte Lateinamerikas. Ein Beitrag zur Gleichstellung von 'Minderheiten' im Revolutionszeitalter.", in: a.a.O., S. 131-147. O'Sullivan (1989), S.42f.

Methodische Vorüberlegung

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scheint.19 Die komparatistische Imagologie untersucht im Gegensatz zur Politologie, Soziologie, Sozialpsychologie oder zur Geschichte supranationale, jedoch vorwiegend europäische Auto- und Hetero-Images in der Literatur, der Literaturwissenschaft und -kritik mit dem Ziel Genese, Evolution und Wirkkraft dieser Bilder 20

aufzudecken und durch ihre Dekonstruktion entideologisierend zu wirken. Sie verweist jedoch mit Recht darauf, dass ihre Konzepte prinzipiell auf andere Bereiche zu übertragen sind. Es muss sich einerseits keineswegs stets um literarische Fremdund Eigenbilder europäischer Nationen handeln21 und ergänzend lässt sich konstatieren, dass Stereotypen andererseits nicht zwingend nationenbezogen sein müssen, sondern überall dort entstehen, wo Menschen miteinander in Kontakt treten.22 Neben nationalen können prinzipiell auch biologische, ethnische oder gesellschaftliche Stereotypen in der Literatur Gegenstand einer Forschung sein, die die Entwicklung tiefenstruktureller kultureller Alteritätskonzepte, die Ergebnisse der class-, race- und gender-Forschung bzw. die der postkolonialen Literaturkritik und -theorie mit einbezieht.23 Im Teil C wird die Verfasserin diese unterschiedlichen, aber durchaus kompatiblen Ansätze miteinander kombinieren, um nicht nur einen literarischen Typenkatalog zu erstellen, sondern darüber hinaus Aussagen zur diskursiven und zur ästhetischen Funktion einzelner Figurengruppen machen zu können sowie zum Verfahren und zur Übertragbarkeit von Alteritätskonstrukten zwecks Formulierung einer inklusiven bzw. exklusiven Identität im Allgemeinen. Auf die Ergebnisse der postko19

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23

O'Sullivan (1989), S. 18ff.; zur Stereotypenforschung als Teilgebiet der Vorurteilsforschung vgl. a.a.O., S. 20ff.; zur Begriffsverwirrung bzw. zur mangelnden definitorischen Schärfe bei der Verwendung von Begriffen wie Bild, Image, Vorurteil, Stereotyp, Imagotyp, Klischee usw. vgl. a.a.O., S. 22ff„ S. 41ff.; Blaicher (1987), S. 7. Vgl. dazu Dyserinck, Hugo, Komparatistik. Eine Einführung, Bonn 1977; ders., "Komparatistik als Europaforschung", in: ders. u. Karl Ulrich Syndram, Komparatistik und Europaforschung (Bonn) 1992; Fischer, Manfred, "Literarische Imagologie am Scheideweg. Die Erforschung des 'Bildes vom anderen Land' in der Literatur-Komparatistik", in: Blaicher (1987), S. 55-71. Fischer schlägt vor, in der Literatur nicht den von der Sozialpsychologie verwendeten Begriff "stereotyp" zu verwenden, sondern auf die Bezeichnung "imagotyp" auszuweichen, die sich aber nicht durchsetzen konnte (a.a.O., S. 58). "Der esprit européen hingegen war von vornherein supranational und kulturell neutral orientiert. Er war das Gegenteil des nationalen Denkens und seiner Varianten; und daher durfte sich unser jenseits des Nationalen entwickeltes komparatistisches Denken auch getrost "europäisch" nennen, ohne sich der Gefahr bzw. dem Verdacht des Eurozentrismus auszusetzen, oder genauer: ohne einem Europa zu huldigen, das sich als eine Art "Supernation" (...) denselben Stil aneignen würde, der einst bei der Bildung der großen Nationalstaaten das Merkmal gewisser europäischer Reiche geworden war." Dyserinck, in: Dyserinck/Syndram (1992), S. 41. Zur potenziellen Übertragbarkeit imagologischer Arbeitsmodelle auf ähnliche Phänomene vgl. Dyserinck/Syndram in: dies. (1988), S. 29: "Es ist in der Tat durchaus legitim und aus mehr als einem Grund angebracht festzustellen, daß unsere an Hand von europäischen Erscheinungen entwickelten imagologischen Arbeitsmodelle in ihrer Gültigkeit keinswegs auf Europa beschränkt sind, sondern letztlich auch andernorts Anwendung finden können, wo menschliche Gruppen (...) in ähnlicher Weise miteinander in geistige Konfrontationsprozesse treten." Zur Kompatibilität der Komparatistischen Imagologie mit der Konstruktivistischen NationTheorie vgl. Bock, in: Florack (2000), S. 32f.

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Methodische

Vorüberlegung

lonialen Literaturtheorie, der class-, race und gewt/er-Forschung wird dabei in den entsprechenden Kapiteln rekurriert werden. Wenn die komparatistische Imagologie z.T. mit Instrumentarien anderer Disziplinen arbeitet und Grenzen überschreitet, weil sie die Geschichte der Literatur als Teil einer umfassenderen Geschichte betrachtet, so deklariert sie die Rückbindung an die Literatur und die Einbettung in den literarischen Kontext dennoch als ihr Spezifikum, durch das sie sich als Teil der Literaturwissenschaft ausweist.24 Die Analyse des gesellschaftlichen Kontextes, in dem die Bilder vom Anderen entstehen, bleibt dennoch eine wichtige Voraussetzung für deren Verständnis: Die komparatistische Imagologie (...) interessiert sich konsequenterweise auch für die außerästhetischen Faktoren, die diese Literaturbeziehungen unter geschichtlichen Bedingungen bestimmen. Dementsprechend konzentriert sich die komparatistische Imagologie auf j e n e images, die als verallgemeinernde Urteile über Eigenschaften, den 'Charakter' oder die Wesensmerkmale von Nationen, Nationalkulturen, Völkern etc. Literatur im weitesten Sinne betrefrfen. 25

Sie gibt Auskunft über die Hintergründe, die die Entstehung, Entwicklung, ästhetische Gestaltung und die diskursive Funktion dieser Bilder explizieren.26 Ästhetische Erscheinungsweise und außerästhetische Faktoren erhellen einander. Die Analyse der intra- und der extratextuellen Funktion eines literarischen Stereotyps beantwortet die Frage danach, zu welchem Zweck und auf welche Weise sich ein(e) Autor(in) eines bestimmten Bildes bedient, wobei die Analyse sich lange Zeit, wenn sie sich nicht nur auf eine positivistische Bestandsaufnahme von Merkmalbündeln beschrän27 ken wollte, auf die extratextuelle Funktion konzentrierte : Die komparatistische Imagologie hat zu berücksichtigen, daß in ihrem Gegenstandsbereich nationale Vorstellungen mit ästhetischen Sachverhalten ver-

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Vgl. Fischer in: Blaicher (1987), S. 68. Im Gegensatz zur imagerie culturelle von DanielHenri Pageaux ist die "literaturwissenschaftliche Rückkoppelung" (ebd.) unabdingbar. Insbesondere nachdem R. Wellek die komparatistische Imagologie als Teil der Kulturwissenschaften und nicht als der Literaturwissenschaft zugehörig definierte, sahen sich ihre Vertreter beständig genötigt, ihre Zugehörigkeit zur Literaturwissenschaft unter Beweis zu stellen. Im Zuge der Tendenz der Geisteswissenschaften i.a., sich als einen integrativen Bestandteil der im Aufwind begriffenen Kulturwissenschaften zu begreifen, tritt der Legitimationsdruck jedoch ganz offensichtlich in den Hintergrund. Syndram, Karl Ulrich, "Ästhetische und nationale Urteile. Zur Problematik des Verhältnisses von künstlerischem Wert und nationaler Eigenart", in: Dyserinck, Hugo und Karl Ulrich Syndram (Hg.), Europa und das nationale Selbstverständnis. Imagologische Probleme in Literatur, Kunst und Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts, Bonn (1988), S. 229-243, hier: S. 235. "Da die Vorstellungsbilder vom anderen Land immer als Funktionen gesamtgesellschaftlicher Verhältnisse betrachtet werden können, erscheint es notwendig, der Genese der Bilder Rechnung zu tragen, die historischen Zusammenhänge in ihrer ideologischen Bedingheit aufzudecken, die politischen Interessensituationen und Postulate zu analysieren, die bei der Entstehung des Bildes eine Rolle gespielt und die Form des Bildes geprägt haben." Leiner, Wolfgang, Das Deutschlandbild in der französischen Literatur, Darmstadt 2 1991, S. 12. Vgl. dazu O'Sullivan (1989), S. 58ff.

Methodische

Vorüberlegung

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knüpft sind und als Urteile vermischter Art artikuliert werden. Sie wird neben dem jeweiligen argumentativen Textzusammenhang zugleich die literaturübergreifenden kunst- und kulturpolitischen Z u s a m m e n h ä n g e und Rezeptionsbedingungen beachten müssen, um Aufschlüsse über Genese, Vermittlung und Wirkung von images zu erhalten und deren Bedeutung im Prozeß europäischer Kulturbeziehungen klären zu können. N i c h t v o n u n g e f ä h r erfahrt parallel z u m Interesse der Literaturwissenschaft an den M e c h a n i s m e n der S t e r e o t y p e n b i l d u n g auch der v o r n e h m l i c h durch d i e S o z i o l o g e n , Kulturanthropologen und P s y c h o l o g e n der P h i l o s o p h i e entlehnte und n e u definierte B e g r i f f der Identität in der Literaturwissenschaft ab den 1 9 6 0 e r Jahren e i n e verstärkte A u f m e r k s a m k e i t , dient d o c h d i e B i l d u n g v o n A u t o - und H e t e r o - I m a g e s der Identi29

tätssuche, - b i l d u n g und -Sicherung.

D i e E x i s t e n z b z w . d i e B i l d u n g v o n Stereotypen

k o m m t s o w o h l e i n e m Integrations- als auch e i n e m A b g r e n z u n g s b e d ü r f n i s

entge-

g e n . 3 0 Selbst- und Fremdbilder h a b e n s o w o h l e i n e integrative als auch e i n e s e g r e g a tive Funktion. In einer d o p p e l t e n Operation fördern sie Loyalität und Solidarität innerhalb einer G r u p p e und b e w i r k e n die A b s c h o t t u n g nach außen, 3 1 w o d u r c h die A n g e h ö r i g e n dieser Gruppe quasi i m m u n i s i e r t w e r d e n g e g e n außerhalb der Gruppe stattfindende M e i n u n g s b i l d u n g s p r o z e s s e . D a d u r c h erklärt sich die b i s w e i l e n erstaunliche R e s i s t e n z v o n Stereotypen, die durch unreflektierte Tradierung f e s t g e s c h r i e b e n w e r d e n , sich in erstarrter Form ad infinitum

perpetuieren, durch V e r b l e n d u n g e i n e

w i r k l i c h e A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit den d e m Stereotyp zugrunde l i e g e n d e n Vorurteilen verhindern und einer P s e u d o k o m m u n i k a t i o n , die nicht m e h r d i a l o g i s c h ist und in 32 der nicht m e h r kritisch reflektiert wird, V o r s c h u b leisten. Stereotypen haben eine

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Syndram in: Dyserinck/ders. (1988), S. 237. Zum Aufschwung und zur Definition des Identitätsbegriffs in den verschiedenen Wissenschaften im 20. Jahrhundert vgl. Gewecke, Frauke, Der Wille zur Nation, Frankfurt a.M. 1996, S. 209-239; Siebenmann, Gustav, "Sprache als Faktor kultureller Identität (Der Fall Kataloniens)", in: Dyserinck/Syndram (1992), S. 231-251. Vgl. auch Erikson, Erik H., Identität und Lebenszyklus. Drei Aufsätze, Frankfurt a. M. "1989; Marquard, Odo u. Karlheinz Stierle (Hg.), Identität, (Poetik und Hermeneutik 8), München 1979; Mead, George Herbert, Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus, Frankfurt a.M. 7 1988; Reck, Siegfried, Identität, Rationalität und Verantwortung. Grundbegriffe und Grundzüge einer soziologischen Identitätstheorie, Frankfurt a.M. 1981; Schmidt, Gerold, "Identität. Gebrauch und Geschichte eines modernen Begriffs", in: Muttersprache, 86, 1976, S. 333-354; Scheffer, Bernd, Interpretation und Lebensroman: zu einer konstruktivistischen Literaturtheorie, Frankfurt 1992 (insbesondere: Kap. 2, S. 63-161).

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Vgl. Hahn (1995), S. 10. "(...) jokes and clichés may function as criteria by which natives and strangers, insiders and outsiders can be distinguished, and, if need be, separated. This, of course, is a matter of social control: jokes and clichés do not only keep certain individuals or groups outside a particular in-group, they also and simultaneously keep the members ot this in-group within its very boundaries. In fact, jokes and clichés are very crucial to the sense of collective identity within a group, or sub-culture." Zijderveld in: Blaicher (1987), S. 38. Vgl. zum Begriff der Pseudokommunikation: Habermas, Jürgen, "Der Universalitätsanspruch der Hermeneutik", in: Apel, Karl-Otto (Hg.), Hermeneutik und Ideologiekritik, Frankfurt a.M. 1971, S. 120-159.

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Methodische Vorüberlegung

individuelle oder kollektive "Selbstbehauptungs-, Abwehr- und Entlastungsfunktion". 33 Sie beglaubigen, legitimieren und konsolidieren ideologische Überzeugungen: Das Denken in Stereotypen unterstützt die Abwehrfunktion der Ideologie gegen kognitive Bemühungen, die geschlossenen Denkschemata einer Ideologie aufzubrechen; gleichzeitig fordert ideologisches Denken die Genese und Fixierung von Stereotypen. (...) Mit ihrer Hilfe wird versucht, die eigenen Anhänger in der konkreten Konfliktsituation durch einen Apparat irrationaler Überzeugungen abzuschirmen, j a zu immunisieren gegen die Übernahme durch den Gegner, d.h. eine fremde Gruppe oder gegnerische Partei. Politisch instrumentalisiert stehen nationale Stereotypen in Korrelation zu "nationbuilding"-Prozessen, da sie ein Reservoir an Identifikationsmustern bereitstellen, die das nationale vor dem regionalen bzw. vor dem übernationalen Identitätsgefiihl 35

favorisieren und stabilisieren. Stereotypen werden deshalb seit dem 19. Jahrhundert gezielt und vermehrt als Kampfmittel zur politischen Manipulation eingesetzt. Das Konstrukt 'Stereotyp', seine Funktion, seine Praktikabilität und Wirkkraft beschreibt Gewecke wie folgt: Ein Stereotyp ist (...) ein strukturiertes System von zugeschriebenen Merkmalen, das relativ wenige, eine bestimmte Gruppe charakterisierende Merkmale enthält, auffällige, häufig sogar zu Unrecht zugeschriebene Merkmale betont, zumeist mit negativer oder positiver Wertung belastet ist und sich schließlich gegenüber differenzierender oder widersprechender Erfahrung oder Information als äußerst änderungsresistent erweist. Als monolithische Meinung mag das Stereotyp eine rasche und eindeutige Orientierung in unserer alltäglichen Weltbewältigung ermöglichen, hinsichtlich seines Erkenntniswertes erweist es sich jedoch schlichtweg als Vehikel zur Verinnerlichung und Propagierung von Scheinwissen. Stereotypen sind weder wertneutral noch entstehen sie voraussetzungslos. Sie werden geprägt durch die diskursiven Konfigurationen und durch die Wissensformationen der sie hervorbringenden Gesellschaft. Sie sind maßgeblich beeinflusst durch Geschichte, Wirtschaft, Politik, Kultur und ästhetische Usancen sowie durch soziogenetische und psychogenetische Faktoren, 37 wobei eine Kollision von Interes33 34 35

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Gewecke (1986), S. 277f. Hahn (1995), S. 194. Hahn (1995), S. 10ff., 201. Vgl. auch Dyserinck, Hugo, "Komparatistische Imagologie: Zur politischen Tragweite einer europäischen Wissenschaft von der Literatur", in: ders. u. K.U. Syndram (1988), S. 13-37; Horatschek, Annegreth, Alterität und Stereotyp. Die Funktion des Fremden in den 'international Novels' von E.M. Forster und D.H. Lawrence, Tübingen (1998), S. 36; Florack, Ruth (Hg), Nation als Stereotyp, Tübingen (2000); dies. (Hg.), Tiefsinnige Deutsche, frivole Franzosen. Nationale Stereotype in deutscher und französischer Literatur, Stuttgart (2001). Gewecke, Frauke, Wie die neue Welt in die alte kam, München (1986), S. 274. Vgl. dazu auch Chamot, Marek, "Polnische Auto- und Heterostereotypen während des 19. und am Beginn des 20. Jahrhunderts", in: Hahn (1995), S. 139. "Es ist wohl eine zulässige Hypothese, daß kollektive Erfahrungen, die stark mit Emotionen besetzt sind, eine wichtige Rolle als stereotypenbildende Faktoren spielen. Konflikte zwi-

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senkonstellationen zum Diskursdissens fuhrt, der seinerseits Stereotypisierungsbestrebungen Vorschub leistet. Der (un)bewusste Rückgriff auf die Historie und die Literatur als Reservoir von Materialien, die eine stereotypisierte Perzeption von Welt favorisieren, gehört zu den am häufigsten verwendeten Medien zur Bildung, Erweite38

rung und Stabilisierung von Stereotypen. Durch diesen Rückgriff auf Literatur und Geschichte und durch die bemerkenswerte Resistenz des Stereotyps gegenüber dem Wandel der Zeit werden Emotionen auf ewig festgeschrieben, erhält die (Pseudo-) Wahrheit der Vergangenheit, die sich stets unverändert aufs Neue in die Gegenwart einschreibt, immerwährende Gültigkeit. 39 So vererben sich mit dem Stereotyp auch die diesem zugrunde liegenden Vorurteile, können Konstrukte der Vergangenheit als historische Wahrheiten tradiert werden. Während sich im Auto-Image die Selbstperzeption kondensiert, findet im HeteroImage die Perzeption des Anderen ihren Ausdruck. In Gestalt der binären Opposition "wir - sie" wird - zwecks Definition der eigenen und zur Abgrenzung der fremden Identität - (un)bewusst ein positives Selbstbild und (häufig) ein negatives Fremdbild entworfen, wobei die Qualität des Verhältnisses zwischen dem Selbst und dem Fremden konstitutiv ist fiir die Qualität des Heterostereotyps, das auf der Basis einer Werteskala entworfen wird, an deren Endpunkten sich die Werte Sympathie, Zuneigung, Akzeptanz versus Antipathie, Hass, Ablehnung befinden. Je problematischer das Verhältnis zum Anderen ist, um so negativer fallt das Heterostereotyp aus. Es wird zum Feindbild. 40 Je unproblematischer die Beziehung zum Anderen ist, um so positiver fallt das Fremdbild aus. Es wird dem Autostereotyp bisweilen sogar auffällig ähnlich. Die dem Anderen zugeschriebene Qualität bzw. die Bewertung dieser Qualität kann dabei epochenspezifisch variabel sein. Sie steht in einem Interdependenzverhältnis zu den jeweiligen ideologischen Vorstellungen der Epoche. Die Qualitäten der anderen Nation, des anderen Geschlechts, der anderen Ethnie, der anderen

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sehen nationalen (und sozialen) Gruppen, Situationen kollektiver Konkurrenz, Bedrohungsängste, Krieg, Besatzung, Unterdrückung - dies alles sind kollektive Erlebnisse, die von starken Emotionen begleitet sind, und durch die aus relativ variablen Völkerbildern emotional aufgeladene Stereotypen werden und sich verfestigen." Hahn (1995), S. 195. Vgl. dazu auch Elias, Norbert, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische undpsychogenetische Untersuchungen, 2 Bde., Frankfurt a. M. 5 1978. "Viele nationale Stereotypen werden von ihren Trägern erklärt, legitimiert, gerechtfertigt mit Hinweisen auf die Vergangenheit. "Die Anderen sind so, denn die Geschichte zeigt, daß sie schon immer so waren", (...). Die Geschichte wird benutzt als ein riesiges Reservoir zur Rechtfertigung von Auto- und Heterostereotypen, d.h. mit anderen Worten zur Rechtfertigung der eigenen jetzigen emotionalen Befindlichkeit, der Bedrohungsängste oder der Überlegensheitsgefiihle." Hahn (1995), S. 199. Vgl. auch Poenicke (2001), S. 7. Vgl. dazu Hofstätter, Peter, Das Denken in Stereotypen, Göttingen (1960), S. 10. Hofstätter rekurriert auf eine der unzähligen Varianten des folgenden Witztypus: "Es befinden sich drei Personen an einem Ort, ein Amerikaner, ein Japaner und ein Deutscher (die Nationalität variiert je nach Pointe)." In der Folge beurteilen die Vertreter der unterschiedlichen Nationen ein und dasselbe Ereignis dann aus der ihnen zugeschriebenen Perspektive, wobei sich in ihrer Antwort ein oder mehrere Bestandteile des Hetero- bzw. des Autostereotyps wiederfinden. Vgl. Thome, in: Florack (2000), S. 2.

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sozialen Gruppe usw. werden zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich aktualisiert. 41 Stereotype können also in Abhängigkeit von Zeit, Ort und Sprecher positiv oder negativ besetzt sein. Ein positives Hetero-Image entsteht dadurch, dass das Fremde dem Eigenen anverwandelt wird, wodurch als störend empfundene Differenzen minimiert werden. 4 2 Ein zu fremdes Fremdes erzeugt Xenophobie, während ein vertrautes Fremdes weniger Angst als Neugier hervorruft. 43 Das Fremde wird bei diesem Verfahren als Fremdes neutralisiert, weil im Fremden stets nur das Eigene gesucht und wahrgenommen wird. Es löst sich im Eigenen auf, wird von ihm quasi absorbiert: La Sympathie est une instance du Même si forte et si pressante qu'elle ne se contente pas d'être une des formes du semblable; elle a le dangereux pouvoir d'assimiler, de rendre les choses identiques les unes aux autres, de les mêler, de les faire disparaître en leur individualité, - donc de les rendre étrangères à ce qu'elles étaient. U m das Fremde hingegen als Fremdes zu konservieren darf entweder die Annäherung nicht durch Anverwandlung unternommen werden, sondern muss asymptotisches Ziel bleiben, um die Differenz fortzuschreiben oder muss die Inkompetenz des Selbst in der Rede über das Andere eingestanden werden. 4 5 Der Wunsch danach, das Fremde als Fremdes zu konservieren entsteht entweder aus dem egoistischen Motiv, sich selbst das Fremde als Projektionsfläche für eigene Sehnsüchte zu erhalten 4 6 oder aus der emanzipatorischen Einsicht, dass der Andere ein Recht daraufhat, 41 42

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a.a.O., S. 3. Vgl. dazu Foucault im Vorwort zu Les mots et les choses, in dem er die Intention dieses Werk mit der in der Histoire de la folie verfolgten vergleicht: "L'histoire de la folie serait l'histoire de l'Autre, - de ce qui, pour une culture, est à la fois intérieur et étranger, donc à exclure (pour en conjurer le péril intérieur) mais en l'enfermant (pour en réduire l'altérité); l'histoire de l'ordre des choses serait l'histoire du Même, - de ce qui pour une culture est à la fois dispersé et apparenté, donc à distinguer par des marques et à recueillir dans des identités." Foucault, Michel, Les mots et les choses, Paris (1966), S. 15. "Abwehrhaltung gegenüber dem Fremden und Faszination durch das Fremde treten aber nur dann auf, wenn die andere Kultur nicht als absolut fremd erfahren wird; wenn zu dieser Fremdkultur ein Minimum an Beziehung geknüpft werden kann, wenn schließlich die Distanz nicht als unüberwindbar erscheint." Gewecke (1986), S. 292. Foucault, Les mots et les choses (1966), S. 39. Vgl. dazu auch: Gadamer, Hans-Georg, Wahrheit und Methode: Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen (1965), S. 1 lu. S. 279f. sowie die Kritik von Alois Wierlacher in: ders. und Dietrich Krusche (Hgg.), Hermeneutik der Fremde, München (1990), S. 58ff. Für Foucault bleibt die Bewahrung der Einzigartigkeit innerhalb der Gleichheit durch den beständigen Kampf zwischen Sympathie und Antipathie erhalten: "L'identité des choses, le fait qu'elles peuvent ressembler aux autres et s'approcher d'elles, mais sans s'y engloutir et en préservant leur singularité, - c'est le balancement constant de la sympathie et de l'antipathie qui en répond." Foucault (1966) ebd. Zum Exotisierungsbestreben des Europäers bemerken Thomas Koebner und Gerhard Pickerodt, Die andere Welt. Studien zum Exotismus, Frankfurt (1987), S. 7: "Was die andere Welt jeweils ausmacht, ist durch den Blickwinkel dessen bestimmt, der dem Eigenen das Andere entgegensetzt. Das Andere soll anders bleiben, um als Projektionsfläche der Wünsche nach vollkommener, unsublimierter Existenz Bestand zu haben. Zugleich soll das Andere zum Ei-

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um seinetwillen in seiner Andersheit neben dem Eigenen zu existieren, keine Identifikation also des Eigenen mit dem Anderen, kein Absorbieren, sondern ein "Vertrautwerden in der Distanz". 47 Literarische Stereotype können durch Äquivalenz- oder Kontrastverfahren gebildet werden. 48 Im Kontrast verfahren, das die Unterschiede hervorhebt, sind Autound Hetero-Images diametral zueinander angelegt, wobei im Autostereotyp zur Selbstaufwertung in der Regel das Eigene positiv und im Heterostereotyp das Fremde zur Diskriminierung negativ imaginär überschrieben wird. 49 Auto- und Heterostereotype bedingen und definieren einander: "The image of seif and of other are said to form two sides of the same coin; or the two are described as interacting in a process of mutual interdependence and interdetermination."50 Die Frage danach, ob das Auto-Image das Hetero-Image oder ob das Hetero-Image das Auto-Image generiert, ist schwer zu beantworten. In jedem Fall sind sowohl die Inszenierung des Anderen als Gegenentwurf zum Selbst als auch die eigene Inszenierung durch den Anderen wichtige Bestandteile der eigenen Identitätsbestimmung. 51 Die Formulierung einer eigenen Identität "geschieht zumeist im Zeichen eines Antagonismus." 52 Der (oder das) Andere - ob nun die andere Nation oder - qua Extrapolation - das andere Geschlecht, die andere Ethnie, die andere gesellschaftliche Gruppe usw. - wird dabei stets als Folie aus der eigenen Perspektive wahrgenommen und für eigene Zwecke (un)bewusst positiv oder negativ moduliert. 53 Die eigene Perspektive bestimmt in einem Verwertungszusammenhang, was einzuschließen und was auszugrenzen ist:

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genen werden. Beide Seiten dieser Antinomie der europäischen Sehnsucht und Begierde zeigen sich etwa schon im Verhältnis zu Leitfiguren wie dem „guten Wilden" oder den „unschuldigen Kindern der Natur"." Plessner, Helmuth, "Mit anderen Augen", in: ders., Zwischen Philosophie und Gesellschaft, Bern 1953, S. 204-217, hier: S. 215. Vgl. dazu Poenicke (2001), S. 47f. "Da dieses Fremde als bizarr dargestellt wird, erhalten eigene Werte und Lebensweise automatisch eine Aufwertung." Poenicke (2001), S. 30. Leerssen, Joseph Th., "Identity and Self-image: German Auto-Exoticism as Escape from History", in: Dyserinck/Syndram (1992), S. 117. Vgl. dazu auch Gewecke (1996), S. 219: "Die Identität eines Individuums oder Kollektivs formiert sich, (...) in der Konfrontation und wechselseitigen Spiegelung von Selbstbild und Fremdbild, so daß die Vorstellung von der Eigenart der jeweils erlangten Identität eine Vorstellung von der Andersartigkeit oder Fremdheit anderer Identität(en) impliziert. So gesehen, bedeutet die Herausbildung von Identität stets auch eine Abgrenzung und damit Ausgrenzung des jeweils Anderen und Fremden: ein kognitiver Vorgang, dem auf der Ebene der Einstellung und des Verhaltens dadurch entsprochen werden mag, daß das Fremde bzw. die Fremdgruppe stigmatisiert und abgelehnt, möglicherweise sogar zum Feindbild stilisiert und bekämpft wird." Vgl. dazu Luhmann, Niklas, Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie, Frankfurt 1987, S. 129f. Siebenmann, in: Dyserinck/Syndram (1992), S. 233. Vgl. dazu Curtius, Hans Robert, Die französische Kultur, Bern/München 2 1976, S. 1; Stanzel, Franz K., "Der literarische Aspekt unserer Vorstellungen vom Charakter fremder Völker", in: Anzeiger der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 111,4 (1974), S. 6382, hier: S. 73; Bock, Hans Manfred, "Nation als vorgegebene oder vorgestelte Wirklichkeit?", in: Florack (2000), S. 11-36.

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Methodische Vorüberlegung Die fremden Länder werden gedanklich mit den Ideenkomplexen des eigenen Sinnhorizonts besetzt und bewertet. Sie wandeln sich nach der Definition von Foucault zu europäischen „Heterotopien", d.h. zu Orten, die in die eigene Kulturwelt eingeschlossen sind und doch gleichzeitig wegen ihrer Andersartigkeit ausgegrenzt werden. Die Heterotopien werden im kolonialen Diskurs so vereinnahmt, daß die Geschichte des Anderen sich als problematische Geschichte des Eigenen lesen läßt. In ihr ist das Andere gemäß seinem doppelten Charakter verortet. Es ist auszuschließen, um die innere Gefahr zu bannen, und gleichzeitig einzuschließen, um seine Andersartigkeit zu reduzieren.

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Ein dezidiert positives Auto-Image kann als Replik auf ein Negativheterostereotyp entworfen werden, wobei häufig die Tendenz dazu besteht, gerade das, was im Negativheterostereotyp besonders kritisiert wird, ins Auto-Image zu übernehmen, es positiv zu wenden und aggressiv zu verteidigen. 55 Ein Negativheterostereotyp kann zur Abgrenzung vom Anderen durch Inversion des positiven Eigenen kreiert werden. Zum Negativheterostereotyp eines beliebigen Anderen gelangt man über die Inszenierung der biologischen, ethnischen, sozialen und/oder kulturellen Alterität des Anderen als minderwertiges Pendant zum Eigenen. 56 Der Andere wird in diesem Fall nicht als bloße Andersheit wahrgenommen, sondern negativ als Differenz in Opposition zum positiven Selbst definiert. Die Verfasserin geht in ihrer Studie davon aus, dass zwischen den Konstruktionsverfahren von Auto- und Heterostereotypen auf der Basis nationaler, sexueller, ethnischer, sozialer und/oder kultureller Alterität eine strukturelle Analogie besteht. Die Medien zur Konstruktion von Stereotypen sind zwar mannigfaltig; das Verfahren zur Erstellung von Negativheterostereotypen aber, die Verwendung einer normativen Dichotomie, die das Eigene favorisiert und das Fremde stigmatisiert, ist identisch. Die trotz aller Differenz bestehende „Familienähnlichkeit" der Stigmatisierten untereinander basiert darauf, dass die negativen Heterostereotype einer bereits wirksam stigmatisierten Gruppe auf eine noch zu stigmatisierende Gruppe transponiert werden. Die literarische Inszenierung vermeintlicher Defizite einer bestimmten Figurengruppe lässt sich prinzipiell auf eine andere Figurengruppe Ubertragen und umgekehrt gewendet lassen sich positive Heterostereotype selbstverständlich auch auf das Autostereotyp übertragen. Der assoziative Verlauf von Stereotypen durch Verschiebungen und Übertragungen verdunkelt manchmal die Genese und die Evolution

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Vgl. Hölz, Karl, Das Fremde, das Eigene, das Andere, Berlin (1998), S. 25. Vgl. dazu z.B. die Strategie Carmens aus Miguel Delibes' Cinco horas con Mario. Spaniens technologische Rückständigkeit in den 1960 Jahren bewertet sie als Bekenntnis zu den wahren Werten. Vgl. dazu ferner: Pageaux, Daniel-Henri, "La péninsule ibérique et l'Europe. Ouvertures, fermetures, dérives", in: Dyserinck/Syndram (1992), S. 253-264. Zu den Dimensionen des auf Lévi-Strauss zurückgehenden Alteritätsbegriffs in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen vgl. Mecklenburg, Norbert, "Über kulturelle und poetische Alterität", in: Krusche, Dietrich und Alois Wierlacher ( 1990), S. 80-102; vgl. ebd. Wierlacher, "Mit fremden Augen oder: Fremdheit als Ferment", S. 51-79.

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eines Stereotyps und verschleiert dadurch u.U. die wahre Intention bei der Evozierung und Transponierung eines Stereotyps. 57 Ästhetisch konfiguriert werden Stereotype durch Komplexitätsreduzierung, durch Simplifizierung oder Generalisierung, durch periphrastische Umschreibung und Karikierung. Positive Auto-Images werden durch Idealisierung, durch Idyllisierung und Glorifizierung des Eigenen erzielt. Negative Hetero-Images basieren auf der Dämonisierung, Animalisierung und der Vandalisierung des Anderen. Stereotype defigurieren das Eigene durch Heroisierung oder durch Verniedlichung und Verharmlosung und das Fremde durch Überzeichnung und Verteufelung. Sie sind eher interessierte Projektionen als auf Beobachtung basierende vorurteilsfreie Abstraktionen, weshalb sie nur selten die Intention verfolgen, die Wahrheit über den Anderen in einem Bild zu kondensieren. Sie spiegeln keineswegs geschichtliche Realitäten. Stereotype sagen nicht die Wahrheit über den Stereotypisierten, verraten dafür aber um so mehr über den Träger und Vermittler bestimmter stereotypisierter Projektionen: Stereotypes s p e a k a b o u t an emotively felt, not cognitively reflected u p o n ess e n c e o f existence, and the stange (sic) thing is that this existential e s s e n c e o u g h t to b e searched f o r in those w h o use the stereotypes and not in t h o s e a b o u t w h o m the stereotypes speak. Racist stereotypes a b o u t the J e w s in Hitler G e r m a n y said m u c h a b o u t the N a z i s - a b o u t their fears a n d anxities, their insecurity and their hatred - and very little a b o u t the J e w s . Similary, the socalled N e g r o Problem of the 1950's in the U S A was, of course, primarily a w h i t e m a n ' s p r o b l e m , and t h e racist stereotypes by w h i c h t h e N e g r o P r o b l e m w a s phrased said m u c h a b o u t the mentality of t h e w h i t e racist, w h o e m p l o y e d and e n j o y e d t h e m .

Die Wahrnehmung des Anderen durch das Selbst ist nicht kongruent mit dem Anderen. Selbst wenn man sich dem Anderen objektiv und vorurteilsfrei annähern wollte, was oft nicht einmal intendiert ist, bleibt jeder Mensch im Denken und Erkennen durch die ihn kulturell prägenden Faktoren beeinflusst. Deshalb kann der Andere in seiner Seinsweise auch nicht wirklich durch den Wahrnehmenden definiert werden. Der Wahrnehmende definiert sich hingegen selbst qua Analyse jener Emotionen und

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Vgl. zum assoziativen Verlauf des Häretikerstereotyps in Polen (Häretiker = Hussit = Tscheche oder Lutheraner/Calvinisten = Deutsche = Teufel): Hahn (1995), S. 196. Zijderveld, Anton C., "On the Nature and Functions of Clichés", in: Blaicher (1987), S. 2640. Vgl. auch Hofer, Hermann, "Befreien französische Autoren des 18. Jahrhunderts die schwarzen Rebellen und die Sklaven aus ihren Ketten? oder Versuch darüber, wie man den guten Wilden zur Strecke bringt", in: Koebner/Pickerodt (1987), S. 127-170, hier: S. 137: "Die Figur des guten Wilden, eine Replik auf die Realität der Sklaverei, enthält eine fast totale Unkenntnis der Wilden und eine große Kenntnis der Sehnsüchte und Frustrationen der Zivilisierten. Er sagt nichts über den Wilden aus, viel aber über den Europäer und seine Abwehrhaltung dem Wilden gegenüber. Er steht für die Evasionsträume des Europäers, und auch die sind eine Vorform kolonialer Betätigung." Vgl. ferner O'Sul Ii van (1989), S. 64f.; Scheffer (1992), S. 63f.

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Interessen, die ihn dazu fuhren, ein bestimmtes Stereotyp zu verwenden. Die Differenzierung zwischen den legitimen, z.T. unbewussten und nicht in böser Absicht verwendeten Vorurteilen als grenzüberschreitendes, kollektives Wissen voneinander und denjenigen, die bewusst konstruiert werden, um den Anderen zu dominieren,60 dekuvriert beispielsweise die wahren Motive, die die Generierung eines negativen Fremdbildes maßgeblich beeinflussten und die gewöhnlich sorgsam hinter Scheinmotiven und Scheinbegründungen verborgen werden, damit das Stereotyp seine Wirkkraft nicht verliert. Historische Realität ist also nicht das Stereotyp selbst, sondern die Art und Weise der Wahrnehmung des Anderen durch das Selbst, die ihrerseits historisch und kulturell kontingent ist.61 Das Stereotyp ist zwar eine Fiktion, aber, ob seiner Konstanz und Universalität, eine mit großer historischer und soziokultureller Wirkkraft.62 Voraussetzung für die breite Akzeptanz eines Image als Stereotyp durch eine Gruppe ist ein "Stereotypenkonsens"63 innerhalb der Gruppe, die sich über diesen consensus omnium4 definiert. Gruppenzugehörigkeit ist nur durch die Übernahme der Bewusstseinsstruktur der Bezugsgruppe zu erzielen. Wer sich aufgrund kritischer Überprüfung der dem Stereotyp zugrunde liegenden Prämissen der Akzeptanz des Stereotyps verweigert, findet entweder keinen Zugang zur Gruppe oder wird, bei vorhergehender Gruppenzugehörigkeit, von dieser ausgeschlossen. Er verlässt sie freiwillig, wenn sich die eigenen Vorstellungen und Interessen nicht mehr mit denen der Gruppe decken. Weil ein System Geschlossenheit als konstitutiven Faktor impliziert, toleriert es nur Abweichungen, die nicht an seinen Fundamenten rütteln. Affirmiert werden positive Selbstbilder deshalb in der Regel nur durch die eigene Gruppe, während die fremde Gruppe versucht diese durch Destereotypisierung zu subvertieren. Ästhetisch destereotypisiert wird durch Gegendarstellung, durch Parodie, Travestie, Ironie, durch komische oder groteske Verzerrung des Stereotyps, weil dadurch die dieses fundierenden Vorurteile als Vor-Urteile sichtbar werden und der Weg zu einer objektiveren Sicht auf den Anderen frei gemacht wird. Die ästhetische Gestaltung eines Stereotyps, seine Affirmierung, seine Subvertierung und seine Transzendierung sagen viel über seine diskursive Funktion. 59

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O'Sullivan (1989) bezeichnet beispielsweise das Bild vom lächerlichen Europäer in der afrikanischen bzw. das vom lächerlichen Engländer in der irischen Literatur als eine "intertextuelle Reaktion", durch die sich die zuvor Stigmatisierten am Urheber ihrer Stigmatisierung literarisch rächten (S. 65f.). Zur Differenzierung zwischen tiefenstrukturell begründeten und willkürlich unbegründeten bzw. auf der Trägheit des Denkens basierenden Vorurteilen vgl. Gadamer, der mit der Differenzierung zwischen wahren und falschen Vorurteilen den negativ konnotierten Vorurteilsbegriff rehabilitierte (1965), S. 251 ff.; vgl. auch ders., "Rhetorik, Hermeneutik und Ideologiekritik", in: Apel, Karl-Otto (1971), S. 57-82; vgl. ferner O'Sullivan (1989), S. 14-16; Florack (2001). Vgl. dazu Blaicher, Günther, Das Deutschlandbild in der englischen Literatur, Darmstadt 1992. Vgl. dazu Six, Bernd, "Stereotype und Vorurteile im Kontext sozialpsychologischer Forschung", in: Blaicher (1987), S. 41-54. Hahn (1995), S. 201. Gewecke (1986), S. 279.

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Autostereotypen sind deshalb fast immer positiv, weil sie das Selbstwertgefuhl der Gruppe und das des einzelnen, der sich über die Gruppe definiert, stärken sollen. Ein negatives Autostereotyp findet sich aus diesem Grund nur dann, wenn entweder mit dem bewussten Negativ-Entwurf die Korrektur einzelner Aspekte des AutoImages zum Wohle der Gruppe intendiert ist oder wenn ein negatives Heterostereotyp in einem negativen Autoexotisierungsprozess (un)freiwillig als Autostereotyp intemalisiert wird. 65 Beim zuerst genannten Fall figuriert das Autostereotyp als exemplum ex negativo. Das gezielte Aufzeigen von Defiziten dient dabei nicht zwingend wie im Negativheterostereotyp der Stigmatisierung der Gruppe an sich. Es werden z.B. nur diejenigen Eigenschaften, die korrekturbedürftig erscheinen, negativ zensiert, die Werte der Gruppe aber nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Manchmal sind es nicht einzelne Merkmale eines Stereotyps, die angeprangert werden, sondern einzelne Figuren der eigenen Gruppe, die sich nach Ansicht des Zensors nicht (mehr) gruppenkonform verhalten. Die Figur der eigenen Gruppe wird dann zum Zwecke der Korrektur einer idealisierten Figur der fremden Gruppe gegenüberstellt. Die Figur der fremden Gruppe oder die gesamte fremde Gruppe wird in diesem Fall nicht negativ, sondern positiv stereotypisiert und als "imaginäre Bezugsgruppe" 66 - beispielsweise in der Gestalt des guten Wilden - stilisiert. Zeitigt das exemplum ex negativo keine Wirkung, da sich nicht der Kritisierte, sondern der Kritiker als nicht gruppenkonform erweist, so kann/muss der Kritiker, der es zur Reformierung der Gruppe konstruierte, die Gruppe, mit deren Selbstbild - beispielsweise in der Gestalt des bon béké - er sich nicht mehr identifizieren kann/will, verlassen. Im zweiten Fall wird das negative Autostereotyp weder selbst gebildet noch dient es der Korrektur der eigenen Gruppe. Der Andere wird vielmehr durch massive oder subtile Persuasionsstrategien von seiner Minderwertigkeit überzeugt, was Selbsthass und/oder -Verachtung erzeugt, die wiederum das Bild der eigenen Minderwertigkeit konsolidieren. Er stimmt (un)freiwillig den ihn stigmatisierenden Charakterisierungen zu, indem er sich in einem Selbstindoktrinationsverfahren die negativen Eigenschaften attribuiert, die andere zu seiner Definition ersonnen haben. Er nimmt die Sündenbockrolle als Teil seines Selbst an und ermöglicht dadurch die Dominanz der ihn defavorisierenden Ideologie: "Um der Stabilisierung der eigenen Identität willen und um Widersprüche im eigenen Lager zu übertünchen, werden fremde Gruppen zu 'Sündenböcken' gemacht, die gerade dadurch gekennzeichnet sind, daß sie sich gegen diese stigmatisierenden Überstülpungen nicht zu wehren vermögen." 67 Der Stigmatisierte lebt nicht nur in einem Zustand der Entfremdung, sondern konsolidiert durch die Intemalisierung seiner Minderwertigkeit die Position der ihn stigmatisierenden Gruppe und hilft dabei, das ihn negativ stereotypisierende Bild zu seinem Nachteil

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Chamot, in: Hahn (1995), S. 146. Gewecke(1986), S. 291. Kleinsteuber in: Trautmann (1991), S. 66.

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fest- und fortzuschreiben.68 Zu diesen Ergebnissen gelangten auch in anderem Kontext die postkoloniale Literaturtheorie und die class-, race-, ge«