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German Pages 512 Year 2014
♂♥♮♴ ♊⛶♲♧♥♮♳♥♮ Konfessionelle Selbst- und Fremdbezeichnungen
Colloquia Augustana
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Band 32
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Konfessionelle Selbst- und Fremdbezeichnungen Zur Terminologie der Religionsparteien im 16. Jahrhundert
DE GRUYTER OLDENBOURG
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Danksagung
Ein Projekt wie die vorliegende Untersuchung, deren Entstehung sich insgesamt über viele Jahre erstreckt hat, ist nicht das Werk eines Einzelnen, auch wenn letzten Endes nur ein Name auf dem Titelblatt steht. Stets braucht man Menschen, die einen begleiten, einem mit Rat und Tat zur Seite stehen und immer wieder Mut machen, wenn die Arbeit manchmal ins Stocken gerät und kein Ende zu nehmen scheint. All diesen Menschen möchte ich an dieser Stelle von Herzen danken! Mein erster großer Dank gilt dabei meinem Doktorvater Prof. Dr. Johannes Burkhardt, der überhaupt erst den Anstoß zu dieser Arbeit gegeben hat, hatte er doch die Wette angeboten, dass sich kein Quellenbeleg aus dem 16. und 17. Jh. finden ließe, in dem ein Anhänger der Reformation seine Überzeugung als ‚neu‘ bezeichnet hätte. Daraufhin habe ich mich auf die Suche nach den konfessionellen Selbst- und Fremdbezeichnungen gemacht und kann nun feststellen: Er hat die Wette gewonnen! Er ermöglichte es auch, dass diese Arbeit durch das Graduiertenkolleg ‚Wissensfelder der Neuzeit. Entstehung und Aufbau der europäischen Informationskultur‘ am Institut für Europäische Kulturgeschichte Augsburg gefördert wurde und damit schließlich in der Reihe ‚Colloquia Augustana‘ erscheinen konnte. In diesem Zusammenhang sei ganz besonders auch Prof. Dr. Wolfgang E. J. Weber, dem derzeitigen Geschäftsführenden Direktor des Instituts, herzlich gedankt, der den Fortgang des Projekts stets mit großem Interesse verfolgte und mir durch seine kritischen Anmerkungen viele Denkanstöße gab. Ein weiterer Dank gilt Prof. Dr. Bernd Oberdorfer, an den ich mich bei allen theologischen Fragen wenden durfte. Dr. Christian Schwarz möchte ich danken, weil er geduldig die langwierige Aufgabe übernahm, die Arbeit Korrektur zu lesen, sowie Elisabeth Böswald-Rid M. A., Tobias Brenner M. A. und Tobias Ranker M. A., die die Veröffentlichung redaktionell betreuten und mir bei allen entsprechenden Fragen mit Rat und Tat zur Seite standen. Besonders wichtig war stets auch meine Familie. Meine Großmutter Angela Jörgensen sowie meine Eltern Irmtraut und Knud Jörgensen haben mir in all den Jahren stets den Rücken freigehalten und mir geholfen, wo immer sie nur konnten. Ihnen ist diese Arbeit im Besonderen gewidmet. Waldkirch, im Januar 2014
Inhaltsverzeichnis
1
Vorbemerkungen
11
1.1 1.2 1.3
Zur Fragestellung Forschungsüberblick Der aktuelle konfessionelle Sprachgebrauch
11 17 25
2
Die Quellen
33
2.1 2.2 2.3
Zur Textsortenanalyse Mögliche Unterscheidungskriterien für Textsorten Die Klassifizierung des Quellenkorpus
34 37 43
3
Von ‚Christen‘, ‚Evangellosen‘ und ‚Katzenwollischen‘: Die konfessionelle Terminologie in theologisch-publizistischen Texten
49
Ein erster Überblick Selbst- und Fremdbezeichnungen in lutherischen Schriften
52 57
3.2.1 Luthers Ablassthesen von 1517 als Initialzündung
58
3.2.2 Lasst uns Christen heißen: Lutherische Selbstbezeichnungen
60
3.2.3 vnser wider part, Teufel, Papisten, Rotten vnd alle Welt: Katholiken und Reformierte im Urteil lutherischer Polemik
64
Selbst- und Fremdbezeichnungen der römisch-katholischen Partei
80
3.3.1 Pro fidei catholice defensione: Katholische Selbstbezeichnungen
81
3.3.2 So hat die Lutherey vil Secten bracht: Die Reformatoren und ihre Anhänger aus katholischer Sicht
86
Selbst- und Fremdbezeichnungen der Reformierten
97
3.4.1 Ein einfaltiger verkünder des euangelij Christi Jesu: Selbst- und Fremdbezeichnungen bei Zwingli und seinen Anhängern
98
3.1 3.2
3.3
3.4
3.4.2 La Religion Chrestienne: Selbst- und Fremdbezeichnungen bei Calvin
106
3.4.3 ‚Reformation‘ – ‚reformiert‘: Epochenbegriff und Selbstbezeichnung
112
8
Inhaltsverzeichnis
3.5 Die große Ausnahme: Irenische Tendenzen in der Publizistik 3.6 Zusammenfassung: Die gebräuchlichsten konfessionellen Namen in der polemischen Literatur
4 4.1 4.2 4.3
117 123
Zum offiziellen Sprachgebrauch der Kirchen im 16. Jahrhundert
129
Die päpstlichen Verurteilungsbullen gegen Luther Die Lehrdekrete des Trienter Konzils Evangelische Kirchenordnungen
129 139 143
4.3.1 Der ,amtliche Teil‘: Die Einführungsmandate der Obrigkeit
145
4.3.2 Der ,theologische‘ Teil: der christlichen kirchen notwendig stück
155
4.4 Zusammenfassung: Selbst- und Fremdbezeichnungen der Kirchen
167
5
Die Reichstage des 16. Jahrhunderts
169
5.1 5.2
Zur Reichstagsorganisation Zur Periodisierung der Reichstage
169 178
6
Was publice zu wissen nötig: Ausschreiben, Propositionen und öffentliche Texte als Rahmen der Reichstagsverhandlungen
181
6.1 Die Rahmentexte und ihre Eigenschaften 6.2 Die erste Reihe von Reichstagen unter Karl V. 1521–1532
182 186
6.2.1 Die reichsrechtliche Ausgangsbasis: Der Wormser Reichstag von 1521
191
6.2.2 Von der Verurteilung zur Duldung: Reichstage 1522–1526
202
6.2.3 Über den Konflikt zur erneuten Duldung: Reichstage 1529–1532
214
6.3 ,Das Jahrzehnt der Vergleichung‘: Wichtige Weichenstellungen in der reichstagslosen Zeit 1532–1541 6.4 Die zweite Reihe von Reichstagen unter Karl V. 1541–1555
231 246
6.4.1 Lösungsversuche zwischen Religionsgespräch und Krieg: Reichstage 1541–1551
247
6.4.2 Der Augsburger Reichstag 1555 als reichsrechtlicher Wendepunkt
266
6.5 Reichstage nach 1555
275
6.5.1 Das allmähliche Verschwinden der Religionssache von der Tagesordnung: Reichstage 1557–1608
276
6.5.2 Im Schatten des Dreißigjährigen Krieges: Reichstage 1613–1654
288
6.6 Zwischenresümee: Der offizielle reichsrechtliche Sprachgebrauch
305
Inhaltsverzeichnis
9
7
Exkurs: Wider den Feind gemeiner Christenheit: Das überkonfessionelle Vorgehen gegen Täufer und Türken 315
7.1
Die Täufer
315
7.1.1 Theologisch-publizistische Texte der Täufer und ihrer Gegner
316
7.1.2 Amtliche Texte gegen die Täufer auf regionaler und Reichsebene
321
7.2
Die Türken
327
7.2.1 Theologisch-publizistische Schriften zur Türkenbedrohung
328
7.2.2 Die Türkenbedrohung in den Reichsabschieden und ihr Zusammenhang mit der Glaubensspaltung
332
7.3
Zusammenfassung: Ungeahnte Gemeinsamkeiten
338
8
Die Verhandlungen auf den Reichstagen im Spiegel offizieller Quellen und persönlicher Stellungnahmen
339
8.1
Von den Gravamina bis zur Protestatio: Die Herausbildung zweier Konfessionsparteien 1521–1529 8.2 Der Sonderfall: Offizielle theologische Texte auf dem Augsburger Bekenntnisreichstag und die Folgen 8.3 Verhandlungen unter dem Eindruck der Türkenkriege 1542–1546 8.4 Verhandlungen zwischen Krieg und Frieden 1548–1555 8.5 Ausblick: Die Religionsgravamina bis 1613
9
Zusammenfassung und Ausblick
343 375 396 422 443 455
10 Anhang
469
10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 10.6
Abkürzungsverzeichnis Ungedruckte Quellen Gedruckte Quellen Literatur Personenregister Sachregister
469 470 470 481 498 503
10.6.1 Allgemeines Sachregister
503
10.6.2 Konfessionelle Selbst- und Fremdbezeichnungen
508
1
Vorbemerkungen
1.1 Zur Fragestellung Alfred Goetze hat in seinem Aufsatz über die Ursprünge des Begriffs ,lutherisch‘ aus dem Jahre 1903 die Namen der Glaubensparteien im Zeitalter der Reformation mit Fahnen verglichen, um die man sich im Kampf sammelt.1 Auch wenn dieses etwas pathetische Bild heutzutage eher unpassend erscheint, so trifft es doch einen sehr wichtigen Punkt. Es macht darauf aufmerksam, dass Namen nicht immer nur Schall und Rauch sind, wie der Volksmund so gerne behauptet, sondern dass man ihnen in bestimmten Bereichen eine erhebliche Bedeutung beimessen muss. Gerade in Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Entstehung der religiösen Parteien im 16. Jahrhundert war das Wort eine scharfe polemische Waffe. Die Begriffe, mit denen man die eigene und die gegnerische Partei belegte, waren mit bestimmten Konnotationen versehen und drückten aus, wie man sich selbst gerne sah und was man von den Anderen dachte. Dabei gingen die Ansichten naturgemäß sehr weit auseinander. Bestimmte Wendungen springen auch dem heutigen Betrachter noch als ,unfreundlich‘ ins Auge, z. B. wenn Luther und seine Anhänger ,Häretiker‘ genannt2 oder die Verfechter der Gegenposition in einer Schrift aus der Zeit des Augsburger Interims als ,Gottlose‘ bezeichnet wurden.3 Doch auch bei Begriffen, die aus heutiger Sicht zunächst harmlos klingen, darf man sich nicht täuschen lassen. Der päpstliche Legat Campeggio schlug beispielsweise 1530 für den Schlussabschnitt der Confutatio die Unterscheidung zwischen
1
2
3
Vgl. Alfred Goetze: Lutherisch. In: Zeitschrift für Deutsche Wortforschung. 3. 1902. S. 183–198, hier S. 183. So beispielsweise in einem Brief Papst Leos X. an Kaiser Karl V. vom 18. Januar 1521, in dem festgestellt wird, Luther und seine Anhänger seien notorios et pertinaces hereticos, in: Karl Eduard Förstemann (Hg.): Neues Urkundenbuch zur Geschichte der evangelischen Kirchen-Reformation. Bd. 1. Hamburg 1842. Nachdruck Hildesheim 1976. S. 28. Theodorus Henetus: Ein Kurtzer bericht vom Interim/ darauss man leichtlich kan die leer vnnd Geist desselbigen Buchs erkennen. o. O. 1548. 3. S.
12
Vorbemerkungen
,altgläubigen Ständen‘ und ,Neugläubigen‘ vor,4 Namen, die auch heute noch als neutral gedachte Bezeichnungen immer wieder in der Forschungsliteratur auftauchen. Doch im 16. Jahrhundert, als alles Neue eher suspekt war und man Veränderungen als Rückkehr zu vergangenen, besseren Zeiten verkaufte, barg diese Unterscheidung erhebliches Konfliktpotential.5 Die schon seit den frühen 20er Jahren als ,Neugläubige‘ Titulierten waren damit folglich überhaupt nicht einverstanden und kündigten auf dem Speyrer Reichstag von 1529 an, man werde noch sehen, wilchs die neue oder christenliche alte lere und di rechte messe seind.6 Die Confessio Augustana war dann ein entsprechender Versuch nachzuweisen, dass bej vns nichts weder mit der lere noch Ceremonien angenomen ist, Das eintweder der heiligen schrift oder gemeiner Christlichen kirchen Zuentgegen were,7 dass vielmehr die Gegenpartei in ihrem Verständnis von der Messe eine gar vnerhorte newigkeit, Inn der kirchen Leren8 eingeführt habe. Der Begriff ,Neugläubige‘ traf also eine empfindliche Stelle, während ,Altgläubige‘ im Verständnis jener Zeit der eindeutig ehrenvollere Titel war. Nicht umsonst fand die von Campeggio favorisierte Schlussvariante der Confutatio, vielleicht auf Betreiben Kaiser Karls V., der zu diesem Zeitpunkt auf Ausgleich bedacht war, keinen Eingang in die endgültige Fassung.9
4
5
6
7
8 9
Vgl. Herbert Immenkötter: Der Reichstag zu Augsburg und die Confutatio. Historische Einführung und neuhochdeutsche Übertragung. 2. Aufl. Münster i. W. 1981 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung. Bd. 39). S. 99f. Anm. 83. Vgl. hierzu die Bedeutung des Begriffes ,Reformation‘ im geistlichen wie im weltlichen Bereich, die nicht als Erneuerung, sondern als „Reinigung von Missständen und Wiederherstellung der alten Norm, die in Vergessenheit geraten war“, verstanden wurde: Eike Wolgast: Reform, Reformation. In: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. 8 Bde. Stuttgart 1972–1997. Bd. 5. S. 313–360, hier S. 321. Vgl. zu dieser Problematik auch Johannes Burkhardt: Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung 1517–1617. Stuttgart 2002. S. 77–80 sowie Ders.: Alt und Neu. Ursprung und Überwindung der Asymmetrie in der reformatorischen Erinnerungskultur und Konfessionsgeschichte. In: Peter Burschel u. a. (Hg.): Historische Anstöße. Festschrift für Wolfgang Reinhard zum 65. Geburtstag am 10. April 2002. Berlin 2002. S. 152–171. Deutsche Reichstagsakten. Jüngere Reihe. Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Herausgegeben durch die historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. München/Göttingen 1893–2006. Bd. VII. Nr. 118. S. 1211. Im Folgenden abgekürzt als RTA JR. Karl Eduard Förstemann (Hg.): Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530. Nach den Originalen und gleichzeitigen Handschriften herausgegeben. 2 Bde. Halle 1833–35. Nachdruck Hildesheim 1966. Bd. 1. Nr. 106. S. 439 bzw. für die lateinische Fassung Nr. 107. S. 558. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Anm. 7). Nr. 106. S. 408. Zur versöhnlichen Haltung Karls V. und ihren Einfluss auf den Text der Confutatio vgl. Immenkötter: Der Reichstag zu Augsburg (Anm. 4). S. 28f.
Zur Fragestellung
13
Diese Episode verweist auf die besondere Bedeutung, die man den konfessionellen Selbst- und Fremdbezeichnungen beimaß. Es war nicht etwa so, dass man dem Kind einfach nur einen Namen geben musste, sondern die entsprechenden Nomenklaturen brachten sehr viel mehr zum Ausdruck. In ihrer ursprünglichen Funktion dienten sie primär der Selbstdarstellung einer Religionspartei, indem sie das jeweilige Programm sozusagen in Kurzform vermittelten. Hinter einem solchen schlagkräftigen Namen konnte man seine Anhängerschaft sammeln und eine entsprechende Gruppenidentität herausbilden. Im Sinne der Propaganda verbreitete man scheinbar gottgegebene Erkenntnisse über die eigene und die gegnerischen Konfessionen, die die eigene Klientel davon überzeugen sollten, der einzig richtigen Glaubensgemeinschaft anzugehören. In erster Linie geschah dies durch Abgrenzung nach außen, da letztendlich kaum etwas so gut zusammenschweißt, wie ein gemeinsames Feindbild. Mit der Vermittlung des eigenen Selbstverständnisses ging also beinahe automatisch eine möglichst diffamierende Darstellung des Gegners einher.10 In Reinform wurde das in theologischen Flugschriften und Traktaten praktiziert, in denen man auf die Gegenseite keinerlei terminologische Rücksicht zu nehmen brauchte. Hier konnte man ruhig vom Leder ziehen und sich gegenseitig beschimpfen. Allerdings unterband dies zugleich jede Möglichkeit einer sinnvollen Kommunikation zwischen den Konfessionen. Wollte man auf gleicher Augenhöhe miteinander verhandeln und auf eine Verständigung hinarbeiten, war eine derartige Terminologie also vollkommen ungeeignet; man musste vielmehr Begriffe finden, unter die beide Seiten ihr Siegel setzen konnten. Im Laufe der 1520er Jahre waren die Stände, die der Reformation zuneigten, zu einer nicht mehr ignorierbaren Größe geworden, so dass genau diese Frage virulent wurde, wie man bei offiziellen Anlässen, v. a. auf den Reichstagen, miteinander umzugehen hatte, ohne durch Beleidigungen oder Missverständnisse jede Verständigungsmöglichkeit von vornherein zu unterbinden. Sollte das Reich als Ganzes handlungsfähig bleiben, war die Entwicklung entsprechender terminologischer Kompromisse unumgänglich. Besonders die Bedrohung durch das Osmanische Reich erforderte die Zusammenarbeit aller Reichsstände, aber auch innere Reformen, wie die Organisation des Reichskammergerichts, die Reichspolizeiordnung, eine gemeinsame Münzordnung etc., wären ohne eine überkonfessionelle Verständigung zum Scheitern verurteilt gewesen. Man hatte also die fast unmögliche Aufgabe zu bewältigen, Kommunikation zwischen Gegnern zu fördern, die sich im Prinzip unversöhnlich gegenüberstanden. 10
Ernst Ulrich Große spricht in diesem Zusammenhang von der „gruppenindizierenden Funktion“ eines Textes, der primär auf Schaffung gruppeninterner Solidarität bei gleichzeitiger Abgrenzung gegenüber Außenstehenden ausgerichtet ist. Vgl. hierzu Ernst Ulrich Große: Text und Kommunikation. Eine linguistische Einführung in die Funktionen der Texte. Stuttgart 1976. S. 35–38. Vgl. zur Textfunktion auch Kap. 2.2 dieser Arbeit.
14
Vorbemerkungen
Aus diesen ersten Beobachtungen wird bereits deutlich, dass wir es mit verschiedenen Ebenen im Gebrauch der Terminologie zu tun haben. Bislang sind wir auf eine theologisch-publizistische Ebene gestoßen, zu der die Flugschriften und andere polemisierende Texte gehören, und auf eine amtliche bzw. offizielle Ebene, auf der die politische Kommunikation stattfand. Die offizielle Ebene, hier in erster Linie die Institution des Reichstags, die im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen wird, lässt sich weiter untergliedern, denn die Reichstagsakten stellen keine homogene Größe dar, sondern ein Konglomerat verschiedenster Quellen mit ganz unterschiedlichen Produzenten, Adressaten und Intentionen. Auch hier ist wiederum ein je nach Textsorte unterschiedlicher Gebrauch der Terminologie zu erwarten.11 So konnten etwa die evangelischen Stände im Rahmen der internen Kommunikation zwischen Fürst bzw. Reichsstadt und ihren Gesandten am Reichstag in Fragen der konfessionellen Selbst- und Fremdbezeichnung wesentlich freier agieren als beispielsweise in einem Schreiben an den Kaiser oder in der Diskussion mit katholischen Ständen, wo jede Bedeutungsnuance des eigenen und gegnerischen Namens eine Rolle spielte. In diesen Textsorten wird nun abhängig von Gebrauchsebene und zeitgenössischem Hintergrund jeweils eine andere Form von Wissen vermittelt und vorausgesetzt. So diente das Medium der theologischen Flugschriften durch die Weitergabe religiöser Inhalte, wie bereits erwähnt, primär der Abgrenzung und Festigung der eigenen Gemeinschaft sowie der entsprechenden Vermittlung solcher Positionen an breitere Bevölkerungsschichten. Amtliche Dokumente konnten je nach Kommunikationszusammenhang einmal in ähnlicher Weise wirksam werden oder aber unter anderen Umständen versuchen, solche Eindeutigkeiten gerade zu umspielen bzw. ganz zu vermeiden, um die Möglichkeit zu fruchtbarer Kommunikation aufrechtzuerhalten. In diesem Bereich war eher pragmatisches Wissen um politische Abläufe und Kommunikationszusammenhänge gefragt. Der in den jeweiligen Situationen verwendete Name kann dabei gleichsam als Träger der entsprechenden Informationen in sehr verdichteter Form angesehen werden. Die im Zuge derartiger Positionskämpfe entstandenen Nomenklaturen vermögen daher in ihren nach Textsorte, zeitgenössischem Hintergrund, Adressat und Intention verschiedenartigen Nuancierungen interessante Auskünfte über den Stand der Gruppenbildung zu geben. Die entsprechenden amtlichen und theologisch-publizistischen Texte wurden zu Trägern und Vermittlern des konfessionellen Selbstverständnisses mit jeweils unterschiedlichem, der Situation und den Adressaten angepassten Informations- und Kommunikationszweck.
11
Zum Begriff der ,Textsorte‘ sowie zur Einteilung des Quellenmaterials bezüglich der verschiedenen Gebrauchsebenen s. u. Kap. 2.
Zur Fragestellung
15
Aus diesen Beobachtungen ergeben sich für die vorliegende Arbeit mehrere Fragestellungen. Zunächst werde ich unter diachroner Perspektive untersuchen, wie sich die Terminologie der konfessionellen Selbst- und Fremdbezeichnung auf den verschiedenen Ebenen entwickelte, wobei die amtliche Ebene, auf der sich die Entstehung der offiziellen Bezeichnungen für die einzelnen Konfessionen vollzog, im Mittelpunkt stehen wird, während die theologisch-publizistische Ebene als Vergleichsschablone dient. Dabei ist von Interesse, wie sich diese Ebenen gegenseitig beeinflussten, inwiefern also die Schriften der Theologen Auswirkungen auf den offiziellen Sprachgebrauch hatten und welche Partei sich dort wie weit mit ihren eigenen Vorstellungen durchsetzen konnte, also die besten Möglichkeiten bewahrte, um über den Namen ihr Programm zu transportieren. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls zu fragen, welche Strategien auf amtlicher Ebene entwickelt wurden, um Konflikte zu vermeiden, Kommunikation zu fördern und terminologische Kompromisse zu ermöglichen. Hier wird besonders auf etwaige sprachliche Unterschiede zwischen der Ebene offizieller überkonfessioneller Kommunikation und interner Kommunikation innerhalb einer Religionspartei zu achten sein. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf den drei großen bis 1648 reichsrechtlich anerkannten und durch Anhänger unter den Ständen auf dem Reichstag vertretenen Konfessionen der Katholiken, Lutheraner und Reformierten. Bezeichnungen für reformatorische Kleingruppen,12 wie etwa die Täufer, die zudem keine Klientel unter den Ständen besaßen, können nur am Rande berücksichtigt werden. Nach einigen Anmerkungen zur Forschungsgeschichte und zum heutigen konfessionellen Sprachgebrauch ist in einem ersten Schritt eine genaue Klassifizierung des zugrunde liegenden Quellenmaterials notwendig. Die Methode der Textsortenanalyse ermöglicht dabei eine Unterscheidung der einzelnen Dokumente nach Funktion, Adressat, Produzent und jeweiliger Kommunikationssituation. Auf der Basis der hier erstellten Einteilung werden anschließend Texte aus verschiedenen Gebrauchsebenen zu ihren konfessionellen Selbst- und Fremdbezeichnungen befragt, zunächst ausgewählte Flugschriften der theologisch-publizistischen Ebene, anschließend verschiedene amtliche Textsorten, untergliedert nach dem Grad ihrer Öffentlichkeit. Der in diesem Zusammenhang zu betrachtende Zeitraum ist nach vorne hin auf den Tag genau begrenzt. Luthers 95 Thesen vom 31. Oktober 1517 bilden dabei nicht nur den Auftakt zur Reformation, sondern auch den Beginn des entsprechenden theologischen Schrifttums, in dessen Rahmen in den folgenden Jahren die ersten Bezeichnungen für die sich allmählich bildenden religiösen Parteien entstanden. 12
Dieser Begriff ist übernommen aus Peter Blickle: Die Reformation im Reich. 2., überarb. und erw. Aufl. Stuttgart 1992. S. 127.
16
Vorbemerkungen
Auf offizieller Ebene begann diese Entwicklung zunächst mit den päpstlichen Verurteilungsbullen. Der Wormser Reichstag von 1521 befasste sich dann erstmals auf Reichsebene mit diesem Thema.13 Bis zur reichsrechtlichen Anerkennung der Lutheraner im Augsburger Religionsfrieden von 1555 blieb die jeweils verwendete Terminologie in ständiger Bewegung. Peter Blickle gliedert diesen Zeitraum in insgesamt drei Phasen.14 In den Jahren bis zum Augsburger Reichstag 1530 fand zunächst die territorialstaatliche Verfestigung der Reformation statt; hier entwickelten sich die Fürsten zu den eigentlichen Trägern dieser Bewegung. Neben den Eckpunkten 1521 und 1530 sind besonders die beiden Speyerer Reichstage von 1526 mit der berühmten Formel, jeder solle es mit der Religion so halten, wie er es sich vor Gott und Kaiser zu verantworten getrauen könne, und von 1529 mit der Protestation der lutherischen Stände von Bedeutung. Die zweite Phase wurde nach Blickle durch die militärische Auseinandersetzung um die Reformation geprägt und reicht von der Gründung des Schmalkaldischen Bundes 1531 über den Nürnberger Anstand im Folgejahr und den Schmalkaldischen Krieg bis hin zum ,Geharnischten Reichstag‘ von Augsburg im Jahre 1548, auf dem Karl V. mit seinem Interim den geschlagenen evangelischen Ständen eine Übergangslösung bis zur endgültigen Entscheidung der Religionsfrage durch das Konzil diktierte. Diese beiden Perioden waren abwechselnd geprägt von Zeiten der Annäherung und Konfrontationen zwischen den Konfessionen, die sich jeweils auch in der verwendeten Terminologie niederschlugen. Die dritte und letzte Phase schließlich zeichnete sich durch eine gesteigerte Friedenssehnsucht nach den Kriegserfahrungen aus und gipfelte im Augsburger Religionsfrieden von 1555, der die reichsrechtliche Anerkennung der evangelisch-lutherischen Reichsstände brachte. Der Rest des 16. Jahrhunderts wurde in erster Linie von den Auseinandersetzungen um diesen mühsam ausgearbeiteten Kompromiss bestimmt, weil beide Seiten versuchten, die Friedensartikel in ihrem Sinne parteiisch auszulegen.15 Seinen Ausdruck fand diese Situation in vielen Beschwerdeschriften, die dem Kaiser an jedem Reichstag aufs Neue vorgelegt wurden und in denen man jeweils die Vertragsbrüche des Gegners beklagte. Allerdings waren die Namen der beiden Konfessionen, die durch den Frieden einen offiziellen reichsrechtlichen Status erhalten hatten, in dieser Zeit nur noch geringen Veränderungen ausgesetzt, so dass die Jahre zwischen
13
14
15
Das Gespräch zwischen Luther und Cajetan auf dem Reichstag von 1518 fand nur am Rande des Geschehens statt und erscheint nicht in den offiziellen Akten. Die folgende Periodisierung ist eine kurze Zusammenfassung aus Blickle: Die Reformation im Reich (Anm. 12). S. 149–173. Vgl. Martin Heckel: Deutschland im konfessionellen Zeitalter. Göttingen 1983 (Deutsche Geschichte. Bd. 5). S. 67.
Forschungsüberblick
17
1555 und der Anerkennung der Reformierten im Westfälischen Frieden 1648 wesentlich knapper behandelt werden können.
1.2 Forschungsüberblick Aufgrund der großen Bedeutung, die der Terminologie der konfessionellen Selbstund Fremdbezeichnung in den religiösen Auseinandersetzungen zukam, ist es nicht verwunderlich, dass von den Anfangsjahren der Reformation an immer wieder von Theologen über den Namen der eigenen und der gegnerischen Partei reflektiert wurde. Bereits Luther höchstpersönlich äußerte sich in kurzen Passagen über die Verwendung der Bezeichnungen ,lutherisch‘ und ,christlich‘.16 Derartige Aussagen vor polemischem Hintergrund finden sich durch die Jahrhunderte in vielen theologischen Werken. Im Jahre 1859 legte der reformierte Theologe Heinrich Heppe eine Untersuchung zur Herkunft der Bezeichnungen ,reformirte‘ und ,lutherische‘ Kirche vor. Ausgangspunkt dieses Werkes war der Wunsch nach Beförderung einer Union zwischen den beiden evangelischen Konfessionen.17 Heppe ging dabei als Marburger Theologe vom reformierten Standpunkt aus, und man merkt recht deutlich, wie seine Sympathien verteilt waren. So bezeichnet er die katholische Seite mehrfach ganz selbstverständlich mit dem althergebrachten Schimpfnamen ,Papisten‘18 und weist zugleich den Lutheranern die Fragwürdigkeit ihres Namens nach.19 Dagegen hebt er immer wieder die Bezeichnung ,reformirt‘ als die einzig adäquate hervor20 und wird nicht müde zu betonen, dass die Schuld für die verderbliche Spaltung innerhalb der evangelischen Seite alleine bei den Lutheranern liege, die Reformierten dagegen immer wieder auf Einigkeit gedrängt hätten, um sich gemeinsam besser gegen den Katholizismus behaupten zu können.21 In diesem Zusammenhang analysiert er die entsprechende Flugschriftenliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts, bezüglich amt-
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Vgl. etwa Martin Luther: Erbieten (Oblatio sive protestatio). 1520. In: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. 120 Bde. Weimar 1883–2009 (Weimarer Ausgabe). Bd. 6. S. 474, 480–483, hier S. 480 (im Folgenden zitiert als WA). Vgl. auch Ders.: Eine treue Vermahnung zu allen Christen, sich zu hüten vor Aufruhr und Empörung. 1522. WA 8. S. 670/676–687, hier S. 685. Siehe hierzu ausführlich Kap. 3.2.2. Vgl. Heinrich Heppe: Ursprung und Geschichte der Bezeichnungen ,reformirte‘ und ,lutherische‘ Kirche. Gotha 1859. Vorwort. S. Vf. Zu seiner Person vgl. Ernst Bizer: Heinrich Ludwig Julius Heppe. In: NDB 8. S. 570. Vgl. z. B. Heppe: Ursprung (Anm. 17). S. 3, 8 und S. 22. Vgl. Heppe: Ursprung (Anm. 17). S. 11f. Vgl. Heppe: Ursprung (Anm. 17). S. 75–78. Vgl. Heppe: Ursprung (Anm. 17). S. 65f. und S. 99f.
18
Vorbemerkungen
licher Sprachregelungen greift er jedoch nur auf den Augsburger Religionsfrieden und den Westfälischen Frieden zurück. Kontroverse theologische Literatur zu konfessionellen Namen erscheint bis heute. Noch im Jahre 2000 hat die Veröffentlichung der Erklärung ,Dominus Iesus‘ durch die katholische Kongregation für die Glaubenslehre zahlreiche theologische Stellungnahmen zur Selbst- und Fremdbezeichnung der Konfessionen provoziert, da hier den reformatorischen Kirchen der Status einer Kirche abgesprochen wurde.22 Diese Texte zeigen zwar, dass das Interesse für Namen auf konfessioneller Seite nach wie vor vorhanden ist, sie bleiben aber stets der theologischen Diskussion verhaftet und bieten meist keine systematischen Darstellungen über einige wenige Begriffe hinaus. Daher sind sie für den theologischen Hintergrund und die Herkunftsbestimmung einiger Bezeichnungen von Interesse, tragen jedoch wenig zur Erhellung der eigentlichen Fragestellungen dieser Arbeit bei. Eine Beschäftigung mit der Terminologie außerhalb der Theologie begann mit den Lexika und Wörterbüchern seit dem 18. Jahrhundert. In dem Bestreben, das Wissen der Zeit enzyklopädisch zu sammeln, wurden auch die wichtigsten konfessionellen Namen einzelner Artikel gewürdigt, die Auskunft über Ursprung, Entwicklung und Verwendung gaben.23 Dabei beschränkte man sich allerdings auf allgemein gebräuchliche Bezeichnungen und stellte nur in Ausnahmefällen Bezüge zwischen einzelnen Namen her, so dass diese Werke ebenfalls v. a. der Hintergrundinformation zu einzelnen zentralen Begriffen dienen können. Auch späterhin lassen sich immer wieder Einzelartikel zu bestimmten Bezeichnungen in diversen Wörterbüchern und
22
23
Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre: Dominus Iesus. Über die Einzigartigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche. Art. 17. In: Michael J. Rainer (Hg.): ‚Dominus Iesus‘. Anstößige Wahrheit oder anstößige Kirche? Dokumente, Hintergründe, Standpunkte und Folgerungen. Münster i. W. 2001 (Wissenschaftliche Paperbacks. Bd. 9). S. 212–220. In diesem Band finden sich neben dem Text der Erklärung verschiedene Meinungsäußerungen katholischer und nicht-katholischer Theologen sowie eine erste Bibliographie, die bereits bis zum 30. November 2000 nicht weniger als 151 Titel aufweist. Insbesondere drei wichtige historische Nachschlagewerke sollen in Zusammenhang mit Begriffsdefinitionen mit zu Rate gezogen werden: Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste. 68 Bde. Halle/Leipzig 1732–54. Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. 4 Bde. 2. Aufl. Leipzig 1793–1801. Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. 33 Bde. Leipzig 1854–1971. Insbesondere die Werke von Zedler und Adelung haben den Vorteil, dass sie zu Zeiten des Heiligen Römischen Reiches entstanden sind und somit in ihrer Terminologie noch die entsprechende Verfassungswirklichkeit auf Basis des Augsburger Religionsfriedens und des Westfälischen Friedens widerspiegeln. Grimms Wörterbuch ist besonders aufgrund seiner historischen Belege von Interesse. Dabei muss allerdings immer berücksichtigt werden, dass die Begriffsdefinitionen den jeweiligen zeitgenössischen Stand zeigen und nicht unreflektiert auf das 16. Jahrhundert übertragen werden dürfen.
Forschungsüberblick
19
theologischen Lexika finden, eine systematische und vergleichende Darstellung der Terminologie unter historischen Gesichtspunkten fand hier aber nicht statt. Dieses Interesse an der Geschichte von Begriffen – Hegel prägte in diesem Zusammenhang die Bezeichnung ,Begriffsgeschichte‘24 – fand zu Beginn des 20. Jahrhunderts erstmals auch in speziellen Untersuchungen zu konfessionellen Namen der Reformationszeit im Bereich der Sprachwissenschaft seinen Niederschlag. In den Jahren 1902 und 1912 veröffentlichte Alfred Goetze zwei materialreiche Aufsätze zu Entstehung und Geschichte der Begriffe ,lutherisch‘ und ,evangelisch‘. Hier stellt er bedauernd fest, wie wenig bislang für die Untersuchung dieser Bezeichnungen getan worden war. Als einzige größere Abhandlung zu diesem Thema findet neben einigen Lexikonartikeln das Buch von Heppe Erwähnung, bei dem allerdings der theologische Hintergrund nicht aus dem Blick gelassen werden dürfe.25 Außerdem verweist er in seinem Aufsatz von 1912 auf das erste umfassende Werk zu Schlagwörtern des Reformationszeitalters von Friedrich Lepp, das gerade vier Jahre zuvor erschienen war.26 Die Schlagwortforschung war zu dieser Zeit eine noch sehr junge sprachwissenschaftliche Forschungsrichtung. Ihr Beginn ist 1900 mit dem Werk ,Vierhundert Schlagworte‘ von R. M. Meyer anzusetzen, das allerdings nur Begriffe aus der Zeit nach 1770 behandelt.27 Friedrich Lepps Untersuchung war die erste entsprechende Abhandlung zu dem Zeitraum, der uns interessiert. Hier wurde erstmals unter der strikten Vorgabe wissenschaftlich gebotener Neutralität gegenüber den einzelnen Konfessionen28 eine größere Anzahl von konfessionellen Begriffen beschrieben und systematisch geordnet. Lepp führt eine stattliche Liste von insgesamt 420 als Schlagwörter eingestuften Begriffen des 16. bis frühen 17. Jahrhunderts auf,29 von denen es sich bis auf 29 um Parteinamen handelt. Die Quellengrundlage bestand primär aus Flugschriften, was eine deutliche Dominanz polemisch-diffamierender Bezeichnungen zur Folge hat. 24
25 26
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29
Vgl. Reinhart Koselleck: Sozialgeschichte und Begriffsgeschichte. In: Wolfgang Schieder/Volker Sellin (Hg.): Sozialgeschichte in Deutschland. Entwicklungen und Perspektiven im internationalen Zusammenhang. Bd. I: Die Sozialgeschichte innerhalb der Geschichtswissenschaft. Göttingen 1986. S. 89–109, hier S. 90. Vgl. allgemein auch den Artikel zur Begriffsgeschichte von Helmut G. Meier in: HWP 1. Sp. 788–808. Vgl. Goetze: Lutherisch (Anm. 1). S. 183, insbesondere Anm. 1. Vgl. Alfred Goetze: Evangelisch. In: Zeitschrift für Deutsche Wortforschung. 13. 1911/12. S. 1–24, hier S. 1. Zur Geschichte der Schlagwortforschung vgl. Beatrice Wolter: Deutsche Schlagwörter zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Frankfurt a. M. 2000 (Europäische Hochschulschriften. Reihe I: Deutsche Sprache und Literatur. Bd. 1749). S. 14–16. Vgl. Friedrich Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters. Leipzig 1908 (Quellen und Darstellungen aus der Geschichte des Reformationsjahrhunderts. Bd. VIII). S. 15. Vgl. hierzu das Wortregister bei Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Anm. 28). S. 140–144.
20
Vorbemerkungen
Daher bietet diese Untersuchung für die konfessionelle Terminologie auf offizieller Ebene kaum Vorarbeiten, während sie für den theologisch-publizistischen Bereich von sehr großem Wert ist. Allerdings bleibt sie weitgehend auf der Ebene einer lexikalischen Behandlung der einzelnen Worte stecken und bietet keine theoretischen Überlegungen zu ihrer jeweiligen Funktion im Kommunikationsgeschehen.30 Während der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur kam dieser Forschungszweig weitgehend zum Erliegen und setzte erst nach 1945 wieder ein, nun allerdings unter dem Eindruck der vorhergehenden Ereignisse verstärkt unter pragmatischen und kontextuellen Gesichtspunkten. Es war jetzt eher von Interesse, wie das Schlagwort seine Hörer beeinflussen konnte, die rein historische Suche nach dem Erstbeleg trat dagegen in den Hintergrund.31 Dennoch hat es bis 1994 gedauert, bis Hans–Joachim Diekmannshenke mit seiner Untersuchung über Schlagwörter der Radikalen der Reformationszeit wieder einen frühneuzeitlichen Untersuchungsgegenstand aufgegriffen hat. Beatrice Wolter hat im Jahre 2000 eine Dissertation zu deutschen Schlagwörtern aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges vorgelegt und führt damit diese Linie fort. Diese Arbeiten reflektieren nun im Gegensatz zu Lepp ausführlich über die Theorie des Schlagworts, seine Strukturmerkmale und Funktionen. Zudem werden die zeitgenössischen Rahmenbedingungen stärker berücksichtigt.32 Nach Beatrice Wolter ist die Historische Schlagwortforschung ein interdisziplinäres Unterfangen,33 das sich „zwischen Geschichtsbetrachtung und linguistischer Analyse“ bewegt, wobei sie ihren Schwerpunkt jedoch eindeutig auf Letzteres legt.34 Das Schlagwort zeichnet sich nach Diekmannshenke durch zwei Konstituenten aus, den programmatischen Charakter und das affektive Moment. Es dient also zunächst der Ausbildung einer partei- oder gruppenspezifischen Ideologie und stellt gleichsam ein Kondensat des gesamten Programms dar. Damit weckt es natürlich Gefühle, es bindet an eine Gruppe, grenzt Anhänger gegnerischer Positionen aus und will Unentschlossene von der Richtigkeit der eigenen Meinung überzeugen. Zugleich wird daran aber auch die Zeitgebundenheit eines Schlagworts und die Abhängigkeit von der jeweiligen Kommunikationssituation deutlich, denn Gefühle sind aus dem rein semantischen Gehalt eines Begriffs nicht abzuleiten, dazu benö-
30 31 32
33 34
Vgl. zu Lepps Werk ausführlicher Kap. 3.1. Vgl. Wolter: Deutsche Schlagwörter (Anm. 27). S. 14–16. In diesem Zusammenhang ist für uns v. a. die Darstellung der Medienlandschaft in der Frühen Neuzeit sowie die Charakterisierung verschiedener Quellengattungen jener Epoche bei Wolter: Deutsche Schlagwörter (Anm. 27). S. 45–104 von Interesse. Vgl. Wolter: Deutsche Schlagwörter (Anm. 27). S. 16. Wolter: Deutsche Schlagwörter (Anm. 27). S. 19.
Forschungsüberblick
21
tigt man den Kontext, die Reaktionen der Zeitgenossen.35 Ein großes Problem stellt in diesem Zusammenhang die Abgrenzung des Schlagworts von Schimpfwörtern und dem in Flugschriften des 16. Jahrhunderts weit verbreiteten Grobianismus dar. Diekmannshenke kritisiert an der reichen Wortliste von Lepp gerade die Verwischung der entsprechenden Wortartgrenzen. Seiner Ansicht nach liegt der Unterschied darin, dass Schimpfwörter auf einer rein affektiven Ebene agieren, ihnen jedoch das zweite Grundmerkmal, der programmatische Ausdruck der eigenen Position, fehlt.36 Für eine Untersuchung der konfessionellen Terminologie greift diese Herangehensweise in zweifacher Hinsicht zu kurz. Bezüglich der theologischpublizistischen Schriften ist neben den Schlagwörtern auch eine Berücksichtigung von Schimpfwörtern notwendig, um die Einstellung der Konfessionen zueinander aus Sicht ihrer Theologen erst richtig würdigen zu können. Unter diesem Aspekt ist es durchaus erfreulich, dass Lepp in seiner Darstellung über Schlagwörter hinausgegangen ist. Da Schlagwörtern andererseits immer eine emotionale Komponente innewohnt und sie damit per se niemals neutral sein können, eignet sich diese Forschungsrichtung nicht als Grundlage für die Behandlung amtlicher Dokumente, in der ja gerade der Frage nachgegangen werden soll, wie man trotz einer möglichen Beibehaltung des programmatischen Moments den abgrenzenden affektiven Gehalt der konfessionellen Namen so weit abmildern oder umgehen konnte, dass eine effektive Kommunikation möglich blieb. Dennoch bietet die Schlagwortforschung nicht zuletzt durch ihren interdisziplinären Brückenschlag und die Betonung der situativen Bedingungen wertvolle Anregungen für diese Arbeit. Die Schlagwortforschung stellt einen Teilbereich der allgemeinen Begriffsgeschichte dar, die sich nach den bereits erwähnten Anfängen in der Aufklärung besonders im Bereich der Philosophie um die genaue Betrachtung und Reflexion von sprachlichen Grundlagen bemühte. Clemens Knobloch definiert als (Grund-)Begriff, „was Widersprüche indiziert, kristallisiert und an sich zieht. Am Streit um Worte wird der Streit um die Grenzen verbindlicher gesellschaftlicher Definitionsmacht greifbar. In den umkämpften Wörtern stecken die programmatischen Identitäten der gesellschaftlichen Gruppen, steckt die Selbsteinschätzung ihrer gesellschaftlichen Perspektive, steckt ihr Widerstand gegen die Verhältnisse oder ihre symbolische Unterwerfung unter diese.“37 35
36 37
Vgl. Hans-Joachim Diekmannshenke: Die Schlagwörter der Radikalen der Reformationszeit (1520–1536). Spuren utopischen Bewusstseins. Frankfurt a. M. 1994 (Europäische Hochschulschriften. Reihe I: Deutsche Sprache und Literatur. Bd. 1445). S. 13–16. Vgl. Diekmannshenke: Schlagwörter der Radikalen der Reformationszeit (Anm. 35). S. 22. Clemens Knobloch: Überlegungen zur Theorie der Begriffsgeschichte aus sprach- und kommunikationswissenschaftlicher Sicht. In: Archiv für Begriffsgeschichte. 35. 1992. S. 7–24, hier S. 12.
22
Vorbemerkungen
Grundlage zur Analyse von Grundbegriffen ist dabei die Untersuchung aller situativen Faktoren, in deren Zusammenhang ein Begriff verwendet wird. Dazu muss die reine Textebene verlassen und die Faktengeschichte, die zeitgenössische mentale Ökonomie sowie die sozial-kommunikative Praxis betroffener Personenkreise jener Zeit mit berücksichtigt werden, denn Begriffe entfalten ihr Potential im kommunikativen Prozess, nicht in der statischen Form eines Wortes innerhalb einer Quelle.38 Damit sind Schlagwörter zu Grundbegriffen zu zählen, zugleich wird aber der Kreis auf andere wirkmächtige Ausdrücke einer Epoche ausgeweitet. Reinhart Koselleck führt in diesem Zusammenhang beispielsweise neben Schlagworten „zentrale Verfassungsbegriffe“ sowie weitere „Schlüsselworte der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Organisation“39 als Untersuchungsgegenstand an. Besonders seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts erlebt diese Forschungsrichtung durch zwei ambitionierte historische Wörterbücher einen bedeutenden Aufschwung, durch das ,Historische Wörterbuch der Philosophie‘40 sowie die ,Geschichtlichen Grundbegriffe‘,41 denen das Verdienst gebührt, die Begriffsgeschichte für die Geschichtswissenschaft nutzbar gemacht zu haben. Joachim Ritter sieht im Vorwort zum Historischen Wörterbuch der Philosophie die Leistungen der Begriffsgeschichte v. a. darin, dass sie es ermögliche, sich anhand der Darstellung philosophischer Grundbegriffe um ein begründetes geschichtliches Selbstverständnis des Faches zu bemühen, statt sich von der Sprache treiben zu lassen. Sie befördert eine kritische Reflexion, „die einer ,abstrakten‘ Festlegung des Begriffs entgegenwirkt, indem seine geschichtliche Prägung und Bildung in das Bewußtsein gehoben wird.“42 Ebenso wie die Philosophie auf diese Weise historisch wird, kann nach Gunter Scholtz auf umgekehrtem Wege auch die Geschichtswissenschaft profitieren, indem 38 39
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41
42
Vgl. Knobloch: Überlegungen zur Theorie der Begriffsgeschichte (Anm. 37). S. 19–21. Reinhart Koselleck: Einleitung. In: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. 8 Bde. Stuttgart 1972–1997. Bd. 1. S. XIII–XXVII, hier S. XIV. Vgl. hier z. B. Wolfgang Beinert: Katholisch, Katholizität und Gottfried Hornig: Protestantismus. In: HWP 4. Sp. 787–798 bzw. Bd. 7. Sp. 1529–1536. Da dieses Werk sich primär mit der Entstehung der modernen Welt ab 1700 befasst, kommen nur wenige der etwa 130 behandelten Begriffe auch für diese Untersuchung in Frage. Lediglich die Einträge zu ,Christentum‘, ,Freiheit‘, ,Reform‘ bzw. ,Reformation‘, ,Toleranz‘ und ,Tyrannis‘ sind hier von Interesse. Zur Kritik an diesem Projekt von Seiten der Sprachwissenschaft vgl. Knobloch: Überlegungen zur Theorie der Begriffsgeschichte (Anm. 37). S. 11, wo er davor warnt, in Traditionen der Ideengeschichte steckenzubleiben und die kommunikative Komponente zu vernachlässigen. Eine Zusammenfassung zur sprachwissenschaftlichen Kritik findet sich auch bei Gunter Scholtz: Begriffsgeschichte als historische Philosophie und philosophische Historie. In: Ders. (Hg.): Die Interdisziplinarität der Begriffsgeschichte. Hamburg 2000 (Archiv für Begriffsgeschichte. Sonderheft). S. 183–200, hier S. 194–198. Joachim Ritter: Vorwort. In: HWP 1. S. V–XI, hier S. VII.
Forschungsüberblick
23
sie philosophisch wird und ihre eigenen sprachlichen Voraussetzungen bedenkt.43 Das ist umso wichtiger, als die Vergangenheit primär durch Sprache, v. a. durch schriftliche Quellen, vermittelt wird.44 Bei mangelnder Reflexion dieser Grundlage läuft der Historiker beispielsweise Gefahr, die Unterschiede zwischen Quellen- und Wissenschaftssprache zu übersehen. Die wichtigste Frage hat hier stets zu lauten, ob man die entsprechenden „Selbstbezeichnungen mit guten Gründen übernehmen kann, ja was sie denn näherhin überhaupt bedeuten.“45 Gerade diese Prämisse ist im Falle der konfessionellen Terminologie von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Die bereits zu Beginn erläuterte Verwendung von ,Alt‘- bzw. ,Neugläubigen‘ ist ein treffendes Beispiel für die mangelnde Berücksichtigung der in der Quellensprache implizierten Konnotationen und die unreflektierte Übernahme in die Wissenschaftssprache. Auf die Bedeutung von historischen Begriffen weist Reinhart Koselleck in seinem programmatischen Vorwort zu den ,Geschichtlichen Grundbegriffen‘ besonders hin. Er begreift die „gesamte Quellensprache der jeweils behandelten Zeiträume [als] eine einzige Metapher für die Geschichte, um deren Erkenntnis es geht.“46 Anders ausgedrückt schlägt sich Geschichte in bestimmten Begriffen nieder. Ohne eine Analyse von wichtigen Begriffen einer Epoche, lässt sich diese nicht verstehen.47 Damit stellen geschichtliche Grundbegriffe „Leitbegriffe der geschichtlichen Bewegung“ dar.48 Ausgehend von dieser theoretischen Prämisse umfasst seine begriffsgeschichtliche Methode zwei wichtige Grundprinzipien. Zunächst gilt es, das betreffende Wort historisch-kritisch zu analysieren und seine Bedeutung zu eruieren. In einem weiteren Schritt ist dann eine diachrone Betrachtung dieser Bedeutung durch die Abfolge der Zeiten notwendig, um etwaige Veränderungen in Abhängigkeit von neuen situativen Voraussetzungen bestimmen zu können. Dabei nimmt er sich im Unterschied zur strukturalistischen Linguistik die Freiheit, sich nur auf diejenigen Aspekte der Wortbedeutung zu beschränken, die für historische Fragen von Interesse sind.49 Der Zeitraum der ,Geschichtlichen Grundbegriffe‘ umfasst die Entstehung der modernen Welt zwischen etwa 1700 bis zur Gegenwart.50 Die Ähnlichkeit zum konfessionellen Zeitalter liegt auf der Hand: Auch hier handelt es sich um eine Epoche 43 44 45 46 47 48 49 50
Vgl. Scholtz: Begriffsgeschichte (Anm. 41). S. 187. Vgl. Koselleck: Sozialgeschichte und Begriffsgeschichte (Anm. 24). S. 97f. Scholtz: Begriffsgeschichte (Anm. 41). S. 187. Koselleck: Geschichtliche Grundbegriffe 1 (Anm. 39). S. XIII. Vgl. Koselleck: Geschichtliche Grundbegriffe 1 (Anm. 39). S. XXIII. Vgl. Koselleck: Geschichtliche Grundbegriffe 1 (Anm. 39). S. XIV. Vgl. Koselleck: Geschichtliche Grundbegriffe 1 (Anm. 39). S. XIX–XXIII. Vgl. Koselleck: Geschichtliche Grundbegriffe 1 (Anm. 39). S. XIV.
24
Vorbemerkungen
des Umbruchs und der Neuerungen. Insofern lassen sich Kosellecks Kriterien für die Auswahl seiner Grundbegriffe teilweise übernehmen. Die ,Ideologisierbarkeit‘ zahlreicher Begriffe sowie ihre ,Verzeitlichung‘, worunter Koselleck die gefühlsmäßige Aufladung überkommener Topoi versteht, ist auch auf das 16. Jahrhundert übertragbar. Man denke nur an die Bedeutungsverschiebungen der Bezeichnung ,Christ‘, die im Mittelalter weitgehend umfassend gebraucht wurde und in den konfessionellen Auseinandersetzungen häufig einen exklusiven Charakter für einzelne Glaubensrichtungen annahm. ,Demokratisierung‘ und ,Politisierung‘, die Leitthemen der Neuzeit, sind dagegen für das 16. Jahrhundert eher durch das Paradigma der ,Konfessionalisierung‘ zu ersetzen.51 Die Prämissen der Begriffsgeschichte im Rahmen der Geschichtswissenschaft verdienen somit im weiteren Vorgehen berücksichtigt zu werden. Ebenso wie die Schlagwortforschung weiten sie den Blick für das Umfeld und konkrete Verwendungsweisen eines Begriffs. Zudem machen sie auf allgemeine sprachtheoretische Problemfelder im Rahmen der historischen Forschung aufmerksam. Aber auch der Terminus ,Grundbegriff‘ kann nicht alle konfessionellen Namen erfassen, handelt es sich hier doch häufig nicht um epochemachende Bezeichnungen, sondern oft genug um einmalige Wortschöpfungen. Außerdem kann es nicht Aufgabe dieser Arbeit sein, Begriffsgeschichte in dem Sinne zu betreiben, dass nochmals der Entstehung und Entwicklung einzelner altbekannter Bezeichnungen nachgespürt wird, denn es geht hier nicht um eine Herausfilterung und Auflistung der entsprechenden Begriffe in der Art eines Wörterbuches, sondern um die Beziehungen zwischen den konfessionellen Namen untereinander, ihre gegenseitige Beeinflussung und ihre Abhängigkeit vom Zeitgeschehen. Für bestimmte grundlegende Ausdrücke gibt es aus dieser Richtung jedoch hervorragende Einzeluntersuchungen, die zeigen, dass dieser Ansatz bis heute fruchtbar ist.52 Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Terminologie der konfessionellen Selbstund Fremdbezeichnung unter systematischen Gesichtspunkten bislang weitgehend unerforscht geblieben ist. Erste Abhandlungen zu einzelnen Begriffen und ihren Bedeutungen entstanden zwar bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts, allerdings primär unter etymologisch-sprachwissenschaftlichen oder aber rein theologischen Gesichtspunkten. Weitere Werke betrafen das zugegebenermaßen sehr interessante 51
52
Vgl. zu Kosellecks Kriterien für geschichtliche Grundbegriffe Koselleck: Geschichtliche Grundbegriffe 1 (Anm. 39). S. XVI–XVIII. Vgl. z. B. den Aufsatz von Siegfried Bräuer zu den Begriffen ,Protestierende‘ bzw. ,Protestanten‘. Bei seinem Versuch einer Begriffsgeschichte für diese wichtigen Bezeichnungen kommt er zu dem Schluss, dass ihnen in einem neuen Lexikon geschichtlicher Grundbegriffe unbedingt ein Platz zustehen müsste. Vgl. Siegfried Bräuer: Protestierende – Protestanten. Zu den Anfängen eines geschichtlichen Grundbegriffs im 16. Jahrhundert. In: Erich Donnert (Hg.): Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt. Bd. 6: Mittel-, Nord- und Osteuropa. Köln 2002. S. 91–113, hier S. 113.
Der aktuelle konfessionelle Sprachgebrauch
25
Feld der theologischen Kontroversliteratur mit all ihren schönen Wortschöpfungen, sei es nun begrenzt auf Schlagwörter oder unter Berücksichtigung aller relevanten Beleidigungen. Diese Arbeit wird bei der Analyse theologisch-publizistischer Texte also weitgehend auf vorhandene Forschungsliteratur zurückgreifen können. Der amtliche Bereich ist dagegen meist nicht oder nur ganz am Rande berücksichtigt worden. Gerade hier muss also der Schwerpunkt dieser Untersuchung liegen. Dabei können die Schlagwortforschung und die Begriffsgeschichte methodische Anregungen und einige Hinweise zu konkreten Begriffen bieten, ansonsten wird hier jedoch ein bislang unbearbeitetes Feld betreten.
1.3 Der aktuelle konfessionelle Sprachgebrauch Bevor man sich in die begriffliche Vielfalt des 16. Jahrhunderts stürzt, empfiehlt es sich, zunächst von der Gegenwart auszugehen und einen Blick auf die heute gebräuchlichen und anerkannten Selbst- und Fremdbezeichnungen der drei großen nachreformatorischen Konfessionen zu werfen. Neben den offiziellen Namen der jeweiligen Glaubensgemeinschaften sind in diesem Zusammenhang besonders auch interkonfessionelle Vereinbarungen zu berücksichtigen, aus denen sich der Grad der gegenseitigen Anerkennung ablesen lässt. Dazu bieten sich für den innerprotestantischen Dialog ,Die Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa‘ oder kürzer ,Leuenberger Konkordie‘ (LK) aus dem Jahr 1973 sowie für das Verhältnis zu Rom die ,Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre‘ (GE) von 1999 an. Zunächst zur Selbstbezeichnung der beiden reformatorischen Konfessionen. In Deutschland ergibt sich heute im evangelischen Bereich ein sehr facettenreiches Bild mit insgesamt 22 Landeskirchen unter dem Dach der ,Evangelischen Kirche in Deutschland‘ (EKD).53 Unter ihnen befinden sich evangelisch-lutherische, reformierte sowie unierte Landeskirchen, in denen die beiden evangelischen Konfessionen vereint sind. Bis auf die ,Lippische Landeskirche‘ beinhalten alle Namen eine konfessionelle Selbstbezeichnung. Auf diese Weise lassen sie sich in drei Gruppen einteilen. Acht Kirchen nennen sich ,evangelisch-lutherisch‘, wie z. B. die ,Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern‘ oder die ,Evangelisch-Lutherische Landeskirche Schaumburg-Lippe‘, eine Kirche bezeichnet sich als ,evangelisch-reformiert‘, die übrigen tragen ausschließlich das Prädikat ,evangelisch‘, z. B. die ,Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck‘. Daraus ergeben sich als offizielle Selbstbezeichnungen die 53
Eine Auflistung aller deutschen evangelischen Landeskirchen auf dem Stand vom Februar 2012 findet sich im Internet auf der Homepage EKD unter http://www.ekd.de/kirche/3218_kirchen.html.
26
Vorbemerkungen
Namen ,Evangelisch-Lutherisch‘, ,Evangelisch-Reformiert‘ sowie als gemeinsamer Oberbegriff schlicht ,Evangelisch‘. Ein Blick in die Leuenberger Konkordie bestätigt diese Beobachtung. Hier setzte man einen Weg fort, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Bildung von Kirchenunionen zwischen Reformierten und Lutheranern in mehreren deutschen Staaten, allen voran in Preußen im Jahre des Reformationsjubiläums 1817, begonnen worden war.54 In diesem Dokument wird eine Kirchengemeinschaft vereinbart, der inzwischen 103 Kirchen beigetreten sind. Als Oberbegriff verwendet man die Bezeichnungen ,reformatorische Kirchen‘,55 ,Kirchen der Reformation‘56 oder ,konfessionell verwandte Kirchen‘.57 Im Einzelnen spricht man von ,lutherischen‘, ,reformierten‘ und ,unierten‘ Kirchen.58 Die Bezeichnung ,christliche Kirchen‘59 bezieht alle weiteren ‚Kirchen anderer Konfessionen‘60 mit ein. Auf Seiten Roms ist das Gesamtbild wesentlich eindeutiger. Ein Blick in einige für den Kirchenbegriff bedeutsame Dokumente des 2. Vatikanischen Konzils (1962– 1965), der dogmatischen Konstitution über die Kirche ,Lumen gentium‘ und dem Dekret über den Ökumenismus ,Unitatis redintegratio‘, zeigt als Selbstbezeichnung den Namen ,Katholische Kirche‘.61 Unter Bezugnahme auf den päpstlichen Primat kann auch vom ,Römischen Stuhl‘, dem ,Römischen Apostolischen Stuhl‘ oder dem ,Stuhl Petri‘ die Rede sein.62 Ihre Anhänger werden ,Katholiken‘,63 ,katholische 54
55
56 57 58 59 60 61
62
63
Vgl. Johannes Wallmann: Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation. 5., erw. Aufl. Tübingen 2000. S. 200f. LK 40. Dieser Text ist u. a. abgedruckt bei Wenzel Lohff: Die Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa: Leuenberger Konkordie. Eine Einführung mit dem vollen Text. Frankfurt a. M. 1985. LK 4, 5 (Anm. 55). LK 47 (Anm. 55). LK 1 (Anm. 55). LK 46 (Anm. 55). LK 49 (Anm. 55). Lumen gentium 8, 13, 14, 23, 28, 53; Unitatis redintegratio 3, 4, 9, 10, 14, 17, 18, 19, 20, 24; im lateinischen Original Ecclesia cattolica bzw. catholica Ecclesia. Diese Texte sind u. a. gedruckt in: Heinrich Denzinger: Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Verbessert, erweitert, ins Deutsche übertragen und unter Mitarbeit von Helmut Hoping herausgegeben von Peter Hünermann. 37. Aufl. Freiburg i. Br. 1991. Nr. 4101–4179 und Nr. 4185–4192. Römischer Stuhl: Unitatis redintegratio 13, 14 (Anm. 61); im lateinischen Original Sedes Romana; Römischer Apostolischer Stuhl: Unitatis redintegratio (Anm. 61). Überschrift zum 3. Kapitel, 19; im lateinischen Original Sedes Apostolica Romana; Heiliger Stuhl: Unitatis redintegratio 8 (Anm. 61); im lateinischen Original Sancta Sedes; Stuhl Petri: Lumen gentium 13 (Anm. 61); im lateinischen Original Petri Cathedra. Unitatis redintegratio 1, 4, 8, 9, 10, 15, 23 (Anm. 61); Lumen gentium 28 (Anm. 61); im lateinischen Original Catholici.
Der aktuelle konfessionelle Sprachgebrauch
27
Gläubige‘,64 ,Gläubige der katholischen Kirche‘65 oder ,Söhne der katholischen Kirche‘66 genannt. Im Jahre 1999 haben sich der Lutherische Weltbund und der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen auf eine ,Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre‘ (GE) geeinigt. Die entsprechenden Glaubensgemeinschaften nennen sich hier ,römisch-katholische‘ oder ,katholische‘ Kirche bzw. ,evangelisch-lutherische‘ oder ,lutherische‘ Kirchen67 und bezeichnen ihre Mitglieder als ,Katholiken‘ und ,Lutheraner‘.68 Diese Begriffe sind somit als von beiden Seiten akzeptierte Namen dieser Kirchen und ihrer Anhänger anzusehen. Zusammenfassend lässt sich somit folgende aktuelle terminologische Sprachregelung festhalten, die ich bei aller Problematik, solche Bezeichnungen bereits auf das frühe 16. Jahrhundert anzuwenden, wo es ja noch keine Konfessionen gab, im weiteren Verlauf der Untersuchung verwenden werde, um Sprachkonfusionen mit der zeitgenössischen Terminologie des 16. und 17. Jahrhunderts zu vermeiden: Die drei für unsere Thematik relevanten Konfessionen werden im folgenden ,katholisch‘ bzw. ,römisch-katholisch‘, ,lutherisch‘ bzw. ,evangelisch-lutherisch‘ sowie ,reformiert‘ bzw. ,evangelisch-reformiert‘ genannt. Mit der Bezeichnung ,evangelisch‘ sind immer Lutheraner und Reformierte zusammen gemeint. Außerdem findet dieser Begriff Verwendung für die Zeit vor der offensichtlichen Spaltung dieser beiden reformatorischen Richtungen. Eine Betrachtung der heutigen Sprachregelung macht zugleich deutlich, dass die Frage der gegenseitigen Bezeichnung zumindest auf theologischer Ebene noch immer akut ist. Das Konzilsdekret ,Unitatis redintegratio‘ äußert sich in Bezug auf christliche Gemeinschaften außerhalb der römisch-katholischen Kirche: Denn wer an Christus glaubt und in der rechten Weise die Taufe empfangen hat, steht dadurch in einer gewissen, wenn auch nicht vollkommenen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche. [...] darum gebührt ihnen der Ehrenname des Christen, und mit Recht werden sie von den Söhnen der katholischen Kirche als Brüder im Herrn anerkannt.69
64
65 66 67
68 69
Unitatis redintegratio 4 (Anm. 61); Lumen gentium 13, 14 (Anm. 61); im lateinischen Original fideles catholici. Unitatis redintegratio 4, 18 (Anm. 61); im lateinischen Original fideles Ecclesiae catholicae. Unitatis redintegratio 3, 17, 24 (Anm. 61); im lateinischen Original filii Ecclesiae catholicae. Vgl. Lutherischer Weltbund, Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen (Hg.): Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Gemeinsame offizielle Feststellung. Anhang (Annex) zur Gemeinsamen offiziellen Feststellung. Frankfurt a. M./Paderborn 1999. GE 3 und GE 5. Die Bezeichnung ,Katholische Kirche‘ taucht nur in der Gemeinsamen offiziellen Feststellung und ihrem Annex auf, vgl. z. B. Nr. 1, S. 39. Vgl. z. B. GE 22 (Anm. 67). Unitatis redintegratio 3 (Anm. 61): Hi enim qui in Christum credunt et baptismum rite receperunt, in quadam cum Ecclesia catholica communione, etsi non perfecta, constituuntur. [...]
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Vorbemerkungen
An dieser Aussage wird deutlich, welcher Wert den Bezeichnungen ,Christ‘ und ,Brüder‘ beigemessen wird und dass die Verleihung dieses Titels von Seiten der katholischen Kirche nicht immer selbstverständlich war. Aber neben dieser neuen Einmütigkeit im ökumenischen Geiste sind doch noch immer deutliche Spannungen im terminologischen Bereich zu spüren, auch wenn diese heutzutage meist eher in Fußnoten und Randbemerkungen auftauchen. So deutet das obige Zitat bereits an, dass der Kirchenbegriff zwischen den Konfessionen durchaus umstritten ist, wenn man die Definition der Bezeichnung ,katholische Kirche‘ mit betrachtet. In demselben Dekret heißt es einige Zeilen weiter, es sei das Ziel der angestrebten Ökumene, dass alle Christen [...] zur Einheit der einen und einzigen Kirche versammelt werden, die Christus seiner Kirche von Anfang an geschenkt hat, eine Einheit, die nach unserem Glauben unverlierbar in der katholischen Kirche besteht.70 Hier wird ein Anspruch auf Universalität der katholischen Kirche erhoben, den man in dem entsprechenden Dekret über die Lehre von der Kirche nochmals verdeutlichte: Dies ist die einzige Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen. Sie zu weiden, hat unser Erlöser nach seiner Auferstehung dem Petrus übertragen (Joh 21,17), ihm und den übrigen Aposteln hat er ihre Ausbreitung und Leitung anvertraut (vgl. Mt 28,18ff.), für immer hat er sie als ,Säule und Feste der Wahrheit‘ errichtet (1 Tim 3,15). Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfaßt und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird.71
Vor nur wenigen Jahren hat die Veröffentlichung der Erklärung ,Dominus Iesus‘ durch die katholische Kongregation für die Glaubenslehre in diesem Zusammenhang für einigen Diskussionsstoff gesorgt, da hier den reformatorischen Kirchen der Status einer Kirche abgesprochen wurde: Die kirchlichen Gemeinschaften hingegen, die den gültigen Episkopat und die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt haben, sind nicht Kirchen im eigentlichen Sinn.72 Dadurch bestritt man die Gültigkeit der evangelischen Selbstbezeich-
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ideoque christiano nomine iure decorantur et a filiis Ecclesiae catholicae ut fratres in Domino merito agnoscuntur. Unitatis redintegratio 4 (Anm. 61): omnes Christiani […] in unius unicaeque Ecclesiae unitatem congregentur quam Christus ab initio Ecclesiae suae largitus est, quamque inamissibilem in Ecclesia catholica subsistere credimus. Lumen gentium 8 (Anm. 61): Haec est unica Christi Ecclesia, quam in Symbolo unam, sanctam, catholicam et apostolicam profitemur, quam Salvator noster, post resurrectionem suam Petro pascendam tradidit (cf. Io. 21, 17), eique ac ceteris Apostolis diffundendam et regendam commisit (cf. Mt. 28, 18 ss.), et in perpetuum ut columnam et firmamentum veritatis [12] erexit (cf. 1 Tim. 3, 15). Haec Ecclesia, in hoc mundo ut societas constituta et ordinata, subsistit in Ecclesia catholica, a successore Petri et Episcopis in eius communione gubernata. Dominus Iesus 17 (Anm. 22).
Der aktuelle konfessionelle Sprachgebrauch
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nung als ,Kirche‘, was denn auch die Gegenseite zu teilweise recht heftigen Reaktionen veranlasst hat. Der Ökumenereferent der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern wertete diese Erklärung als „Ausdruck geistlichen Hochmuts“ und „die Folge eines tiefen Selbstmissverständnisses.“73 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die lutherische Seite sich für ihren Kirchenbegriff auf Artikel 7 der Confessio Augustana beruft, der besagt, dass eine Kirche dadurch zur Kirche werde, dass in ihr das Evangelium rein gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht würden. Rechtliche Fragen der Zeremonien oder Hierarchien spielen nach lutherischem Verständnis keine Rolle.74 Damit wird eine tiefgreifende Diskrepanz über die Bezeichnung ,Kirche‘ zwischen den Konfessionen sichtbar. Um den ökumenischen Prozess nicht zu behindern, hat man deshalb den Kirchenbegriff in der Gemeinsamen Erklärung mit der Klarstellung versehen, dass er lediglich „das jeweilige Verständnis der beteiligten Kirchen [wiedergebe], ohne alle damit verbundenen ekklesiologischen Fragen beantworten zu wollen.“75 Auch die Bezeichnung ,katholisch‘ ist bis heute nicht unumstritten. Es fällt auf, dass die erwähnten Dokumente der katholischen Seite immer nur von ,katholisch‘, niemals aber von ,römisch-katholisch‘ sprechen, während beispielsweise in der GE meist ,römisch-katholisch‘ erscheint.76 In evangelischen Texten taucht ebenfalls überproportional häufig die Bezeichnung ,römisch-katholisch‘ auf.77 Das hängt mit einer leichten Abneigung auf evangelischer Seite zusammen, die Bezeichnung ,katholisch‘ für die eigene Kirche vollständig aufzugeben. Im Apostolischen und Nizäno-Konstantinopolitanischen Credo bekennt man den Glauben an die „heilige katholische Kirche“ bzw. die „eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“.78 Dabei wird in den entsprechenden evangelischen Ausgaben meist betont, dass ,katholisch‘ hier im Sinne von ,allumfassend‘ zu verstehen und nicht auf eine bestimmte Konfession einzuschränken sei.79 Aus diesem Grund neigt die evangelische 73
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Ivo Huber: ,dominus iesus‘. Zu den Schwierigkeiten einer declaratio communis vom 6. August 2000. München 2000. S. 7. Vgl. CA 7. In: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Herausgegeben im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930. 10. Aufl. Göttingen 1986 (im Folgenden abgekürzt als BSLK). Nr. II. S. 64f. GE 5. Anm. 9 (Anm. 67). S. o. Anm. 67. Die bereits erwähnte Schrift des Ökumenereferats der bayerischen Landeskirche zu ,dominus iesus‘ verwendet abgesehen von Zitaten bis auf eine Ausnahme auf S. 3 nur die Bezeichnung ,römisch-katholische Kirche‘, vgl. Ivo Huber: dominus iesus (Anm. 73). Horst Georg Pöhlmann (Hg.): Unser Glaube. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Ausgabe für die Gemeinde. 4., überarb. Aufl. Gütersloh 2004. S. 31 und S. 39. Vgl. Pöhlmann: Unser Glaube (Anm. 78). S. 31. Anm. 3 sowie Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe für die Evangelisch-Lutherischen Kirchen in Bayern und Thüringen. München/Weimar o. J. S. 1549.
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Vorbemerkungen
Seite eher dazu, die katholische Kirche mit dem Zusatz ,römisch‘ zu versehen, um deutlich zu machen, dass es sich hierbei nur um eine Konfession unter mehreren und nicht um die eine Kirche Christi handelt.80 Diese mal mehr, mal weniger heftig geführte Auseinandersetzung, die obendrein außerhalb theologischer Kreise kaum Beachtung, geschweige denn großes Verständnis findet, beweist nichtsdestoweniger die Aktualität terminologischer Fragen. Auch wenn die Diskussionen nicht mehr im Geringsten mit der Reformationszeit vergleichbar sind, so zeigt dieser Exkurs doch, dass der Name selbst in unserer Zeit noch eine bedeutende Rolle für den Ausdruck des konfessionellen Selbst- und Fremdverständnisses spielt. Schließlich ist noch eine letzte terminologische Vorbemerkung vonnöten: In dieser Arbeit ist immer wieder von ,konfessionellen‘ Selbst- und Fremdbezeichnungen und ,Konfessionen‘ die Rede. ,Konfessionen‘ werden in diesem Zusammenhang definiert als „kirchliche Absonderungen innerhalb des Christentums, die sich als eigenständige kirchliche Körperschaft organisieren.“81 Diese Begrifflichkeit gilt jedoch noch nicht für die Reformationszeit! In unserem Untersuchungszeitraum bezeichnet ,Confessio‘, zu Deutsch ,Glaubensbekenntnis‘, eine bestimmte Textsorte, die v. a. den Evangelischen dazu diente, ihre Glaubensüberzeugungen zum Ausdruck zu bringen, so etwa in der Confessio Augustana und der Confessio Tetrapolitana von 1530. Auch in anderen Regionen wurden solche Dokumente formuliert, z. B. die Confessio Helvetica prior und posterior von 1536 bzw. 1562, die Confessio Gallicana von 1559 oder die darauf basierende Confessio Belgica von 1561. Nachdem im Zeitalter der Aufklärung das Interesse an einer ,vernünftigen‘ oder ,natürlichen‘ Religion ohne feste dogmatische Bindung dominiert hatte, fand im frühen 19. Jahrhundert eine Neubesinnung auf das eigene Bekenntnis statt. Im Zuge der innerevangelischen Auseinandersetzungen um eine Kirchenunion geschah dies besonders pointiert im sog. Neuluthertum, was von den Gegnern als ,Konfessionalismus‘ gebrandmarkt wurde. Erst jetzt erhielt ,Konfession‘ die heutige Bedeutung, zunächst allerdings als „Kampfbegriff zur Kennzeichnung einer [...] antiökumenischen kirchlichen Selbstidentifikation.“82 Bald fand diese Bezeichnung auch über die beiden Konfessionen innerhalb des Protestantismus hinaus für andere christliche Kirchentümer 80
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Noch im Jahr 2005 zeigte ein Rechtsstreit der Diözese Augsburg mit einem Verlag, der unter dem Programmtitel ,pro fide catholica‘ papstkritische Werke veröffentlicht, den exklusiven Anspruch der römisch-katholischen Kirche auf die Selbstbezeichnung ,katholisch‘. Vgl. hierzu die entsprechende Berichterstattung in der lokalen Presse: Rechtsstreit um Begriff ,katholisch‘ geht weiter. In: Augsburger Allgemeine. Nr. 45. 24.2. 2005. S. 8. Carl Heinz Ratschow: Konfession/Konfessionalität. In: TRE 19. S. 419–426, hier S. 419. Eberhard Jüngel: Einheit gewinnt durch Vielfalt. Das Gegenüber verschiedener Landeskirchen in der EKD führt zur Besinnung auf das eigene Bekenntnis. In: Zeitzeichen. Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft. 3. 2002. S. 36–39, hier S. 38.
Der aktuelle konfessionelle Sprachgebrauch
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Verwendung. Das Pendant für ,Konfession‘ in der Frühen Neuzeit war dagegen ,Religion‘. Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 erwähnt ausdrücklich die beede Religionen/ nemlich unsere alte Religion und der Augspurg. Confession-Verwandten Religion,83 und noch in Zedlers Universallexikon heißt es in dem entsprechenden Artikel: „In Deutschland gehet die Catholische, Lutherische und Reformirte Religion im Schwange“.84 Diese Bezeichnung ist allerdings vieldeutig, kann sie doch neben den einzelnen Glaubensparteien ebenso das Christentum als Ganzes meinen. Wenn in einer Quelle also von ,Religion‘ gesprochen wird, dann ist nur anhand des jeweiligen Kontextes ersichtlich, ob man damit die gesamte Christenheit oder nur die Katholiken bzw. Evangelischen meinte.85 Da ,Konfession‘ im heutigen Sinne jedoch in der Frühneuzeitforschung nicht zuletzt durch das Forschungsparadigma der Konfessionalisierung bereits fest etabliert ist,86 scheint mir hier eine Beibehaltung dieses Begriffs sinnvoll. Allerdings ist der Bedeutungsunterschied zur Sprache der zeitgenössischen Quellen stets unbedingt zu beachten.
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Heinrich Christian Senckenberg/Johann Jacob Schmauß (Hg.): Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, welche von den Zeiten Kayser Conrads des II. bis jetzo auf den Teutschen Reichs-Tägen abgefasset worden, sammt den wichtigsten Reichs-Schlüssen, so auf dem noch fürwahrenden Reichs-Tage zur Richtigkeit gekommen sind. 4 Bde. Frankfurt a. M. 1747. Nachdruck Osnabrück 1967. Bd. 3. S. 20. § 27. Art. Religion. In: Zedler: Universallexikon. Bd. 31 (Anm. 23). Sp. 448. Im Wormser Edikt versteht Kaiser Karl V. unter der wahren christenlichen religion und ordnung ausschließlich die katholische Lehre, RTA JR II. Nr. 92. S. 644. Dagegen legt die häufige Formulierung Zerrüttung und Zerspaltung Unsers Heil. Christlichen Glauben, und desselben Religion, die als eine Art Überschrift für die gesamte Thematik gelten kann und so erstmals im Abschied des prolongierten Augsburger Reichstages von 1526 verwendet wurde, nahe, dass man die ,christliche Religion‘ hier als Oberbegriff für alle Konfessionen zu verstehen hat, vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Anm. 83). S. 270. Ernst Walter Zeeden untersuchte die ,Konfessionsbildung‘ in der Reformationszeit, Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling erweiterten diese Gedanken und schufen den Leitbegriff ,Konfessionalisierung‘. Vgl. hierzu Wolfgang Reinhard: Glaube und Macht. Kirche und Politik im Zeitalter der Konfessionalisierung. Freiburg i. Br. 2004 (Herder Spektrum. Bd. 5458). S. 14–17 sowie die ebenfalls bezeichnend betitelte Darstellung von Maximilian Lanzinner: Konfessionelles Zeitalter. 1555–1618. In: Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. Bd. 10, 10. Völlig neu bearb. Aufl. Stuttgart 2001. S. 1–203, hier S. 97–99.
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Die Quellen
Um die Entwicklung der konfessionellen Selbst- und Fremdbezeichnungen adäquat erfassen zu können, wäre eine sehr breit angelegte Quellenbasis aus verschiedenen Bereichen heranzuziehen, denn im Prinzip existierte im 16. Jahrhundert kaum ein Wissensgebiet, in dem die Religion nicht auf irgendeine Weise thematisiert wurde. Um den Rahmen nicht zu sprengen, ist allerdings eine sinnvolle Beschränkung auf repräsentative Textbestände notwendig. Nur sehr wenige Quellenbestände konnten vollständig erfasst werden,1 während andere interessante Dokumente, wie beispielsweise die Akten des Reichskammergerichts oder der Reichskreise sowie die zahlreichen einschlägigen Unterlagen einzelner Territorien, vollkommen unberücksichtigt bleiben mussten. Dabei sind theologisch-publizistische Schriften v. a. deshalb wichtig, weil sie viel über das Selbstverständnis der einzelnen Glaubensparteien aussagen. Amtliche Texte zeigen dagegen den Grad der offiziellen Akzeptanz einer Konfession und sind häufiger von terminologischen Kompromissen geprägt. Allerdings existieren auch innerhalb dieser Bereiche deutliche Unterschiede zwischen den Aussageabsichten der einzelnen Quellen. Die Reichstagsakten, die dieser Untersuchung hauptsächlich zugrunde liegen, bilden keine homogene Gruppe von Texten, sondern ein Konglomerat verschiedenster Dokumente, die lediglich die eine Gemeinsamkeit aufweisen, mehr oder weniger direkt mit dem Geschehen auf den Reichstagen in Verbindung zu stehen. Ein Blick in die bereits erschienenen Bände der edierten Reichstagsakten zeigt, dass sie zu verschiedenen Zeiten von unterschiedlichen Bearbeitern unter z. T. erheblich voneinander abweichenden Prämissen ausgewählt und bearbeitet wurden. Das geht sogar so weit, dass sich einige Bände für bestimmte Untersuchungen, die wie diese auf eine Überprüfung des genauen Wortlauts angewiesen sind, über weite Strecken als ungeeignet erweisen.2 Auch wo eine wörtliche Wiedergabe ausgewählter Dokumente erfolgt, unterscheiden sich diese 1
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Da der Sprachgebrauch auf den Reichstagen im Mittelpunkt der Untersuchung steht, sind dies die von mir so genannten ,Rahmentexte‘ der Reichstage, nämlich Ausschreiben, Propositionen sowie Reichsabschiede, s. u. Kap. 6. Die anderen Reichstagsakten wurden aufgrund ihrer großen Anzahl nur in Auswahl aufgenommen. Vgl. hierzu das Urteil von Horst Rabe zum siebten Band der Reichstagsakten von Speyer 1529: „Der [...] von Johannes Kühn gewählte Weg, die Wiedergabe der Texte selbst weitgehend durch einen aktenmäßig fundierten Verhandlungsbericht zu ersetzen, konnte als Edition ja unmöglich befriedigen.“ Horst Rabe: Ein editorischer Neubeginn der deutschen Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. In: ZHF 22. 1995. S. 254–258, hier S. 254. Der gegenteilige Weg war das allzu aufwändig gewordene Streben nach Vollständigkeit aller überlieferten Materialien. Die neuen
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Die Quellen
doch deutlich nach Autor, Adressat, Intention, Grad der Öffentlichkeit, Normierung u. a. Aus diesen Gründen verspricht eine unreflektierte Übernahme des gesamten in den edierten Reichstagsakten zur Verfügung gestellten Quellenmaterials keinen besonderen Erkenntnisgewinn. Es ist vielmehr notwendig, die entsprechenden Texte zunächst genau zu klassifizieren und gemäß ihrer Eigenschaften einzuteilen. Dazu bietet sich als methodische Anleihe aus der Linguistik die sog. Textsortenanalyse an.
2.1 Zur Textsortenanalyse Seit Mitte der 1960er Jahre gab es in der Linguistik Versuche, Texte nach bestimmten Eigenschaften zu klassifizieren und eine möglichst vollständige und allgemeingültige Typologie zu erstellen, um auf diese Weise „Gruppen gleichartiger Texte“, sprich Textsorten, zu eruieren.3 Erste Klassifizierungsversuche gingen dabei noch von der Vorstellung aus, bei einem Text handle es sich primär um eine systematisch verbundene Menge von Sätzen und Zeichen, und suchten daher, ihre Unterscheidungskriterien an sprachlichen und grammatischen Merkmalen festzumachen. Andere Modelle betrachteten den Text dagegen unter einem geänderten Blickwinkel als eigenständige Basisgröße und legten ihrer Einteilung nun thematische bzw. semantisch-inhaltliche Merkmale zugrunde.4 Mit der sog. Pragmatischen Wende in der Sprachwissenschaft zu Beginn der 70er Jahre löste man sich von einer textimmanenten Betrachtungsweise und begann, nach Umfeld und Funktion von Texten zu fragen und sie als Produkte eines kommunikativen Prozesses zu verstehen.5 Damit wurde die Pragmatik, die sich nach Dieter Breuer mit den „Beziehungen zwischen Zeichengestalten und Menschen, die sie produzieren und zu kommuni-
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Editionen ab Band 10 setzen dagegen auf eine repräsentative Auswahl und verzichten insbesondere auf eine vollständige Wiedergabe der Instruktionen und Korrespondenzen. Diese etwas vorläufige und allgemeine Definition von Textsorte findet sich bei Angelika Linke/ Markus Nussbaumer/Paul R. Portmann: Studienbuch Linguistik. 2. Aufl. Tübingen 1994 (Reihe Germanistische Linguistik. Bd. 121). S. 248. Zur Änderung des Textverständnisses seit den 70er Jahren vgl. Linke: Studienbuch Linguistik (Anm. 3). S. 223. Eine Übersicht und Einteilung der verschiedenen Modelle liefert Wolfgang Heinemann: Textsorte – Textmuster – Texttyp. in: Klaus Brinker u. a. (Hg.): Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. 1. Halbband: Textlinguistik. Berlin/New York 2000 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft. Bd. 16.1). S. 507–523 hier S. 509f. Vgl. als Vertreter des Paradigmenwechsels Dieter Breuer: Einführung in die pragmatische Texttheorie. München 1974 (Pragmatische Texttheorie. Bd. 1). S. 10 und S. 22 sowie Siegfried J. Schmidt: Texttheorie. Probleme einer Linguistik der sprachlichen Kommunikation. 2., verb. Aufl. München 1976. S. 9f.
Zur Textsortenanalyse
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kativen Zwecken verwenden“,6 befasst, zum allgemeinen Bezugsrahmen der Textanalyse überhaupt. Die in diesem Zusammenhang entwickelten Situations- und Funktionsmodelle dienten der Typologisierung von Texten nach ihren jeweiligen kommunikativen Aufgaben, nach äußeren Faktoren des Kommunikationszusammenhanges und situativen Bedingungen der Textproduktion bzw. nach Funktionen der Texte innerhalb der Kommunikation. Diese Modelle suchten jeweils nur eindimensional nach einem einzigen relevanten Unterscheidungsmerkmal. Seit den 1990er Jahren versuchen dagegen sog. Mehrebenen-Modelle, Aspekte der älteren Ansätze integrativ zu vereinen und berücksichtigen sprachliche, thematische wie kommunikative Aspekte, wobei jedoch meist weiterhin die kommunikative Funktion als dominierendes Textunterscheidungskriterium gilt.7 Diese Mehrebenen-Modelle sind primär auf praktische Anwendbarkeit hin ausgerichtet und folgen bei der Aufstellung von Textsorten drei Grundprinzipien: Zunächst soll die ,Kompatibilität‘ der eruierten Textsorten mit Textsorten des Alltags gewährleistet sein, um bei den handelnden Sprachteilnehmern überhaupt Akzeptanz zu finden. Zudem muss die ,Multidimensionalität‘ und ,Komponentialität‘ von Textsorten beachtet werden, da diese abhängig vom jeweiligen Zweck durch ein kontemporäres Zusammenspiel von Merkmaltypen und Komponenten mehrerer Typisierungsebenen entstehen und damit keine isolierten und dauerhaften Größen, sondern komplexe integrative Ganzheiten darstellen. Schließlich ist bei der Erstellung von Typologien ,Flexibilität‘ vonnöten, die es ermöglicht, Texte auch mehreren verschiedenen Textsorten zuzuordnen.8 Damit wird das Prinzip der Eindeutigkeit aufgegeben. Die Ansätze dieser letztgenannten Forschungsrichtung sind gleichsam Folge des Eingeständnisses, dass trotz aller Bemühungen und Modelle bis heute noch immer kein Konsens über eine Gesamttypologie und verbindliche Analysemethoden von Texten und Textsorten besteht. In Anbetracht der spezifischen Eigenschaften von Kommunikation, die eine gewisse Unschärfe braucht, um Raum für Flexibilität und Kreativität der kommunikativ Handelnden zu lassen, ist dies wohl auch nicht anders zu erwarten gewesen.9 Nach Kirsten Adamzik ist die entscheidende Frage bei einer Textsortenklassifizierung letztendlich das 6 7 8
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Breuer: Pragmatische Texttheorie (Anm. 5). S. 35. Zur Bedeutung der Pragmatik vgl. S. 35–37. Vgl. Heinemann: Textsorte – Textmuster – Texttyp (Anm. 4). S. 508 sowie S. 510–513. Vgl. Wolfgang Heinemann: Aspekte der Textsortendifferenzierung. In: Klaus Brinker u. a. (Hg.): Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. 1. Halbband: Textlinguistik. Berlin/New York 2000 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft. Bd. 16.1). S. 523–546, hier S. 536–538. Diese Erkenntnis genießt inzwischen weitgehenden Konsens. Vgl. hierzu etwa Wolf-Dieter Krause: Zum Begriff der Textsorte. In: Ders. (Hg.): Textsorten. Kommunikationslinguistische und konfrontative Aspekte. Frankfurt a. M. 2000 (Sprache. System und Tätigkeit. Bd. 33). S. 11– 33, hier S. 30f., Kirsten Adamzik: Textsorten – Texttypologie. Eine kommentierte Bibliographie.
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Die Quellen
leitende Erkenntnisinteresse der entsprechenden Untersuchung10 oder mit etwas anderen Worten eben die praktische Anwendbarkeit.11 Im Sinne einer unspezifischen Lesart von ,Textsorte‘, nach der es sich dabei um „eine Sorte oder Menge von Texten [handelt], die entsprechend irgendeinem [Hervorhebung durch den Verf.] Differenzierungskriterium von anderen Mengen bzw. Klassen von Texten unterschieden werden kann“,12 ist es daher durchaus legitim, für eine bestimmte Fragestellung ein eigenes Corpus von Texten zusammenzustellen und relativ frei in Klassen einzuteilen, um den Einfluss bestimmter Faktoren zu überprüfen.13 Allgemeingültige und umfassende Typologisierungsversuche erweisen sich dabei eher als hinderlich, da Texte der jeweiligen Fragestellung entsprechend immer nach verschiedenen Kriterien unterschieden werden können. Bei der Benennung der so herausgearbeiteten Textsorten ist ein Rückgriff auf alltagssprachliche Ausdrücke sinnvoll.14 Gerade dieser weite Textsortenbegriff neuerer Modelle mit seiner besonderen Berücksichtigung kommunikationsspezifischer Faktoren erweist sich nun für die Einteilung der Reichstagsakten als besonders praktikabel, da es uns ja hauptsächlich um die Frage geht, wie eine bestimmte Wortwahl den Kommunikationsprozess beeinflussen kann. Leider existiert bislang kein Konzept, das sich direkt auf die Reichstagsakten anwenden ließe, denn alle bislang vorgelegten Modelle bleiben entweder auf einer zu allgemeinen Ebene oder beziehen sich in ihren Anwendungsbeispielen auf heutige Verhältnisse. Dennoch kann eine nähere Betrachtung als Ansatzpunkt zu einer eigenen Textsortentypologie dienen. Dabei werde ich zunächst auf das Modell zur Textsortenanalyse von Klaus Brinker zurückgreifen.
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Münster i. W. 1995 (Studium Sprachwissenschaft. Bd. 12). S. 12–14 und Heinemann: Textsortendifferenzierung (Anm. 8). S. 523–525. Vgl. Adamzik: Textsorten – Texttypologie (Anm. 9). S. 11–14. Vgl. Heinemann: Textsortendifferenzierung (Anm. 8). S. 536.
Adamzik: Textsorten – Texttypologie (Anm. 9). S. 14.
Vgl. Adamzik: Textsorten – Texttypologie (Anm. 9). S. 31. Vgl. Adamzik: Textsorten – Texttypologie (Anm. 9). S. 23. Ein Gegenkonzept stammt von Horst Isenberg, der alltagssprachliche Textsortenbezeichnungen lediglich als prätheoretisches Hilfskonstrukt akzeptierte, ansonsten aber eine allgemeingültige, Zuordnungsüberschneidungen von Texten ausschließende Typologie mit rein wissenschaftlichen Bezeichnungen entwerfen wollte. Dieses hehre Konzept erwies sich allerdings als unpraktikabel und unrealisierbar, so dass es in der jetzigen Diskussion keine ernsthafte Rolle mehr spielt. Vgl. hierzu Krause: Zum Begriff der Textsorte (Anm. 9). S. 23f., Adamzik: Textsorten – Texttypologie (Anm. 9). S. 18–21 und Heinemann: Textsorte – Textmuster – Texttyp (Anm 4). S. 512.
Mögliche Unterscheidungskriterien für Textsorten
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2.2 Mögliche Unterscheidungskriterien für Textsorten Klaus Brinkers Ansatz zur Textsortenanalyse ist den Mehrebenen-Modellen zuzurechnen, d. h. er berücksichtigt Merkmale verschiedener Typisierungsbereiche. Dementsprechend lautet seine Definition von Textsorten: „Textsorten sind konventionell geltende Muster für komplexe sprachliche Handlungen und lassen sich als jeweils typische Verbindungen von kontextuellen (situativen), kommentativ-funktionalen und strukturellen (grammatischen und thematischen) Merkmalen beschreiben. Sie haben sich in der Sprachgemeinschaft historisch entwickelt und gehören zum Alltagswissen der Sprachteilhaber; sie besitzen zwar eine normierende Wirkung, erleichtern aber zugleich den kommunikativen Umgang, indem sie den Kommunizierenden mehr oder weniger feste Orientierungen für die Produktion und Rezeption von Texten geben.“15
Auch wenn Brinker grammatische und thematische, also textinterne Merkmale erwähnt, so liegt der Schwerpunkt dieser Definition doch eindeutig auf der Bedeutung eines Textes in einer bestimmten Kommunikationssituation. Textsorten finden durch die Bereitstellung von Mustern für die Kommunikation gerade erst ihre Bedeutung.16 Daher fragt er nun primär nach Sinn und Zweck eines Textes in einer konkreten Kommunikationssituation sowie nach Möglichkeiten der Beteiligten, im Text auf ihr Gegenüber einwirken und ihr Ziel erreichen zu können.17 Diese Aspekte erfasst er mit dem Begriff der ,Textfunktion‘, die für ihn das wichtigste Textunterscheidungskriterium darstellt. Konkret versteht er darunter „die im Text mit bestimmten, konventionell geltenden, d. h. in der Kommunikationsgemeinschaft mit verbindlich festgelegten Mitteln ausgedrückte Kommunikationsabsicht des Emittenten. Es handelt sich also um die Absicht des Emittenten, die der Rezipient erkennen soll, sozusagen um die Anweisung (Instruktion) des Emittenten
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Klaus Brinker: Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden. 5., durchges. Aufl. Berlin 2001 (Grundlagen der Germanistik. Bd. 29). S. 32. Zum Begriff ,Textmuster‘ vgl. Heinemann: Textsorte – Textmuster – Texttyp (Anm. 4). S. 518f. Textsorten sind als Repräsentationsformen abstrakterer idealtypischer Textmuster zu verstehen. Textmuster dienen damit als Orientierungshilfe im kommunikativen Handeln, die je nach Bedarf aktiviert und in einer bestimmten Textsorte realisiert werden können. Umgekehrt wirkt natürlich auch das Textsortenwissen, das sich im alltäglichen Umgang und der Erfahrung mit Texten entwickelt und verändert, auf das Textmusterwissen ein, es handelt sich also auch bei idealtypischen Textmustern nicht um unveränderliche Größen. Vgl. Brinker: Linguistische Textanalyse (Anm. 15). S. 83–85 und Ders.: Textfunktionale Analyse. In: Klaus Brinker u. a. (Hg.): Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. 1. Halbband: Textlinguistik. Berlin/New York 2000 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft. Bd. 16.1). S. 175–186, hier S. 175f.
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Die Quellen
an den Rezipienten, als was dieser den Text insgesamt auffassen soll, z. B. als informativen oder als appellativen Text.“18
Es geht hier also um die Intention eines Textes im Rahmen der jeweiligen Kommunikationssituation, wobei allerdings zu beachten ist, dass die Funktion dabei nicht unbedingt der wahren Absicht des Emittenten entsprechen muss.19 Die zwei wichtigsten Funktionen sind bereits in der Definition genannt, die ,informative‘ und die ,appellative‘. Durch entsprechende Textsorten will der Emittent im ersten Fall Wissen weitergeben, im zweiten Fall dagegen die Meinung oder das Verhalten des Rezipienten beeinflussen. Daneben nennt Brinker als weitere Grundfunktionen die ,Obligationsfunktion‘, die eine Verpflichtung des Emittenten gegenüber dem Rezipienten zum Ausdruck bringt, die ,Kontaktfunktion‘ zur Pflege einer personalen Beziehung sowie die ,Deklarationsfunktion‘ zur Schaffung einer neuen Realität durch meist feste, ritualisierte Formeln, beispielsweise in einer Vollmachterklärung oder einer Ernennungsurkunde.20 Damit entstehen fünf übergeordnete Textsortenklassen.21 Bezüglich der Reichstagsakten lassen sich Beispiele für alle Bereiche finden: Informationen werden in jeder relevanten Textsorte weitergegeben; v. a. in Protokollen, in denen sich der Verfasser im Prinzip einer persönlichen Stellungnahme weitgehend enthalten sollte, steht diese Funktion eigentlich im Vordergrund. Den meisten anderen Quellen ist zusätzlich stets eine appellative Funktion zu eigen, schließlich geschehen die Eingaben, Gutachten, Instruktionen, etc. immer zu dem Zweck, andere von der eigenen Meinung zu überzeugen. Daran wird bereits deutlich, dass Texte in der Regel mehrere Funktionen haben. Kaiserliche Mandate werden beispielsweise meist mit einer rein informativen Einleitung über Zweck und Entstehung des Dokuments eröffnet, bevor man zu den eigentlichen Vorschriften kommt, die dann natürlich appellativen Charakter besitzen. Weil eine sinnvolle Unterteilung nach Funktionen in diesem Fall nicht mehr möglich wäre, ist nur die jeweils dominierende Funktion ausschlaggebend. Die Anweisungen stellen den eigentlichen Zweck des Mandats dar und nehmen auch den größten Raum innerhalb des Textes ein. Deshalb ist hier die appellative Funktion dominant. Eine Kontaktfunktion erfüllen diverse Korrespondenzen, allerdings spielt sie in diesem offiziell-institutionellen Bereich nur eine untergeordnete Rolle. Bei Briefen des Gesandten an seine Herrschaft handelt es sich 18 19
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Brinker: Linguistische Textanalyse (Anm. 15). S. 95. Vgl. Brinker: Linguistische Textanalyse (Anm. 15). S. 96 und Ders.: Textfunktionale Analyse (Anm. 17). S. 176. Zu den fünf grundlegenden Textfunktionen vgl. Brinker: Linguistische Textanalyse (Anm. 15). S. 107–124. Vgl. Brinker: Linguistische Textanalyse (Anm. 15). S. 136f.
Mögliche Unterscheidungskriterien für Textsorten
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eher um informative, in der Gegenrichtung um appellative Texte mit Vorschriften für das weitere Vorgehen. Ähnlich gestaltet sich die Situation bei der Deklarationsfunktion. Sie kommt bei der Akkreditierung von Gesandten, Belehnungen usw. zwar vor, ist aber aufgrund ihrer traditionellen Formelhaftigkeit und ihrer Inhalte, die nie mit religiösen Fragen zu tun haben, für unser Thema weitgehend uninteressant. Besonders wichtig ist dagegen die Obligationsfunktion, denn sie erscheint dominierend in den Reichsabschieden. Im Unterschied etwa zu kaiserlichen Mandaten handelt es sich bei den entsprechenden Bestimmungen nicht, wie man zunächst annehmen könnte, um appellative Texte, da sich Kaiser und Stände durch ihre Siegel wie in einem Vertrag selber verpflichteten, die gemeinsam getroffenen Regelungen zu befolgen.22 Dieser Überblick zeigt, dass eine Einteilung der Reichstagsakten nach diesen fünf Funktionstypen noch zu oberflächlich bleibt, da die mit Abstand meisten Quellen in die Gruppe der appellativen Textsorten eingereiht werden müssten. Eine weiterreichende Differenzierung ermöglicht die Typologie nach Ernst Ulrich Große. Auch er berücksichtigt zunächst die elementaren Textfunktionen des ,Informationstransfers‘ und der ,Aufforderung‘, also informative und appellative Texte.23 In einem weiteren Schritt ordnet er sie dann nach ,normativen‘ und ,nicht-normativen Funktionen‘. Unter den nicht-normativen Funktionen ist dabei neben der bereits bekannten ,Kontakt‘- und der ,poetischen Funktion‘ für uns v. a. die ,gruppenindizierende Funktion‘ von Interesse. Sie stärkt die Gruppensolidarität, sondert ab und provoziert Außenstehende.24 Damit eignet sie sich hervorragend zur Heraushebung von Quellen der theologisch-publizistischen Ebene, die ja in erster Linie der Darstellung des eigenen Selbstverständnisses dienen und alle Gegner polemisierend ausgrenzen sollten, aus der Gruppe der appellativen Texte. Die normativen Texte werden u. a. weiter untergliedert in Schriften mit ,legislativer Funktion‘, was auf alle Arten von Gesetzen und Satzungen zutrifft, mit ,proklamatorischer Funktion‘ sowie mit ,selbstverpflichtender Funktion‘, die Brinkers Deklarations- und Obligationsfunktion entsprechen.25 Gerade der Begriff der normativen Texte eignet sich dazu, Quellen wie Edikte und Reichsabschiede, die nach Brinker unter die appellativen bzw. obligaten Textsorten einzureihen wären, gesondert zu behandeln. Natürlich enthält eine Normierung appellative bzw. obligate Funktionen, der Unterschied liegt jedoch im Grad der Verbindlichkeit. Deshalb bietet sich im Bereich der Reichstagsakten eine grundsätzliche Unterscheidung zwi22
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Brinker zählt Verträge ausdrücklich unter Texte mit Obligationsfunktion, da die Unterzeichner als Emittenten anzusehen sind. Vgl. Brinker: Linguistische Textanalyse (Anm. 15). S. 121. Vgl. Große: Text und Kommunikation (Kap. 1, Anm. 10). S. 20. Vgl. Große: Text und Kommunikation (Kap. 1, Anm. 10). S. 35–38. Vgl. Große: Text und Kommunikation (Kap. 1, Anm. 10). S. 58–66.
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Die Quellen
schen normativen Textsorten, bestehend aus legislativen und obligaten Dokumenten mit hoher Verbindlichkeit, und nicht-normativen appellativen Textsorten mit allgemeinem Aufforderungscharakter an. Einen speziell aus frühneuzeitlichen Verhältnissen abgeleiteten Ansatz zur Unterteilung von Texten nach ihrer Funktion oder, wie sie es selber bezeichnen, nach ihrer kommunikativen Intention, bieten Oskar Reichmann und Klaus-Peter Wegera.26 Sie unterscheiden insgesamt neun Textgruppen. Bereits bekannt sind die ,informierenden Texte‘. ,Sozial verbindende Texte‘ wie z. B. Polizeiordnungen sollen sozialbereichsspezifische Handlungen von Menschen verbindlich und unter Androhung von Sanktionen festschreiben. Dieser Bereich entspricht den normativen Texten bei Große. ,Dokumentierende Texte‘ halten bestimmte Vorgänge fest, um sie auch zu einem späteren Zeitpunkt noch nachvollziehen und sich bei Streitfragen gegebenenfalls darauf berufen zu können. In diesen Bereich fallen ausdrücklich Protokolle. Sie werden durch diese Bezeichnung weitaus besser charakterisiert als durch eine Zuordnung zu den informativen Textsorten. Da sie im Zweifelsfalle zur Rechtsfindung herangezogen werden können, enthalten sie neben ihrem Informationsgehalt auch eine normative Komponente, selbst wenn sie keine Anweisungen im eigentlichen Sinne darstellen. ,Legitimierende Texte‘ dienen dazu, bestimmte gesellschaftliche Zustände zu begründen und aufrecht zu erhalten, beispielsweise das Festhalten an einer bestimmten Lehre im Bereich der Religion. Wird die entsprechende theologische Position jedoch, wie in den meisten Flugschriften üblich, primär durch polemisierende Verzerrung der gegnerischen Position legitimiert, haben wir es mit ,agitierenden Texten‘ zu tun. In theologisch-publizistischen Schriften können beide Funktionen erscheinen, wobei eine genaue Unterscheidung meiner Meinung nach im Zweifelsfalle schwierig ist, da eine Legitimation der eigenen Position leicht in einen Angriff auf den Gegner münden konnte.27 Beide Textsorten lassen sich der gruppenindizierenden Funktion von Große unterordnen, denn gleichgültig, ob man sich legitimiert oder angreift, es dient immer dem Zusammenhalt der eigenen Religionspartei. ,Belehrende Texte‘, wie beispielsweise Katechismen,
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27
Vgl. Oskar Reichmann/Klaus-Peter Wegera (Hg.): Frühneuhochdeutsches Lesebuch. Tübingen 1988. Dieses Buch ist primär eine Sammlung frühneuhochdeutscher Texte des 16. und 17. Jahrhunderts und keine sprachwissenschaftliche Abhandlung. Die Texteinteilung erfolgt eher der besseren Übersichtlichkeit halber und wird nicht weiter theoretisch fundiert, ist aber dennoch als Anregung sehr brauchbar. Zur Einteilung vgl. S. XIII sowie die kurzen Einführungen zu jeder Textgruppe, besonders S. 1, 26, 52 und S. 212. So wird hier beispielsweise Johannes Ecks ,Ableinung der verantwurtung burgermeisters unnd rats der stat Costentz, sy und irr Lutherisch predicanten betreffend‘ zu den legitimierenden Schriften gezählt, obwohl der Titel bereits verrät, dass sie primär gegen die Reformation gerichtet war: Reichmann: Frühneuhochdeutsches Lesebuch (Anm. 26). S. 39–42.
Mögliche Unterscheidungskriterien für Textsorten
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sowie ,erbauende‘, ,unterhaltende‘ und ,anleitende Texte‘ spielen in unserem Zusammenhang nur eine untergeordnete Rolle. Dietrich Busse liefert ein konkretes Anwendungsbeispiel für die funktionale Textsortendifferenzierung aus dem Gebiet des Rechtswesens der Gegenwart. Da es sich hier um einen offiziellen Bereich handelt, erhalten die entsprechenden Textsorten ihre Funktion im jeweiligen institutionellen Handlungszusammenhang mit all seinen besonderen Formeln, Regeln und Gesetzmäßigkeiten sowie ihren jeweiligen Auswirkungen auf die Kommunikation.28 Dabei werden insgesamt neun Kategorien unterschieden, z. B. ,Textsorten mit normativer Kraft‘ als Voraussetzung der Rechtsprechung, ,Textsorten der Normtext-Auslegung‘, also Gesetzeskommentare, ,Textsorten der Rechtsprechung‘ selber sowie des dahin führenden ,Rechtsfindungsverfahrens‘.29 Diese Aspekte lassen sich auch auf die Institution Reichstag übertragen, wobei hier nun allerdings die Rechtsprechung durch die Gesetzesfindung zu ersetzen ist. Dadurch ergibt sich in unserem Fall eine allgemeine Zweiteilung der Reichstagsakten in die bereits bekannten normativen Texte und die im Vorfeld situierten Verhandlungstexte im Rahmen der Gesetzesfindung. Um den Gehalt einer Quelle adäquat erfassen zu können, reicht eine Untersuchung der jeweiligen Funktion nicht aus. Es ist vielmehr notwendig, auf der einen Seite die textexternen Rahmenbedingungen der Textproduktion und -rezeption sowie andererseits die entsprechenden Auswirkungen auf textinterne sprachliche Merkmale in den Blick zu bekommen. Auf einer zweiten Analyseebene betrachtet Brinker deshalb zunächst kontextuelle oder situative Kriterien als Basis für eine weitere Unterteilung der Texte. Hier beschränkt er sich auf zwei Aspekte, die ,Kommunikationsform‘ und den ,Handlungsbereich‘ einer Quelle. Die Kommunikationsform bezieht sich dabei primär auf das Medium selbst, wobei die Kommunikationsrichtung, der zeitliche und räumliche Kontakt zwischen den Kommunikanten sowie die Frage nach Mündlichkeit oder Schriftlichkeit die entscheidende Rolle spielen. Bezüglich der Reichstagsakten lässt sich festhalten, dass aufgrund der reinen Schriftlichkeit eine monologische Kommunikationsrichtung und eine zeitliche wie räumliche Trennung zwischen Emittent und Rezipient vorliegt. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass beispielsweise Sitzungsprotokolle dazu dienten, mündliche Dialogsituationen aufzuzeichnen, und viele Dokumente auch direkt vor den versammelten Gesandten verlesen wurden, so dass wir uns hier gleichsam in einem Zwischenbereich zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit bewegen. 28
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Vgl. Dietrich Busse: Textsorten des Bereichs Rechtswesen und Justiz. In: Klaus Brinker u. a. (Hg.): Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. 1. Halbband: Textlinguistik. Berlin/New York 2000 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft. Bd. 16.1). S. 658–675, hier S. 661. Vgl. Busse: Textsorten (Anm. 28). S. 669–675.
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Die Quellen
Der Handlungsbereich umfasst die jeweilige Rahmensituation der Kommunikation. Dazu zählen als übergeordnete Gebiete Alltagswelt, Religion, Recht, Kunst, Politik, etc. mit ihren jeweils spezifischen Handlungs- und Bewertungsnormen.30 Eine entsprechende Einteilung für die Frühe Neuzeit haben Hannes Kästner, Eva Schütz und Johannes Schwitalla vorgelegt. Sie unterscheiden für das 15. und 16. Jahrhundert vier Kommunikationsbereiche: die Alltagswelt, die Religion, die Wissenschaft und die Dichtung, die allerdings noch nicht so stark voneinander getrennt waren, wie man heute annehmen würde. Gerade die Religion prägte alle anderen Ebenen, Glaubensfragen bestimmten ganz selbstverständlich einen Gutteil der alltäglichen Erfahrung.31 Man denke in diesem Zusammenhang nur an die relative Breitenwirkung der reformatorischen Schriften oder den durchschlagenden Einfluss der Konfessionalisierung auf alle Gebiete des öffentlichen wie privaten Lebens. Bezüglich unserer Quellen lassen sich die theologisch-publizistischen Werke zunächst der Religion, je nach Niveau auch der Wissenschaft oder Dichtung zuordnen. Das Gros der Reichstagsakten gehört dagegen zur Alltagswelt, nennen wir sie einmal etwas spezifischer ,politische‘ Alltagswelt. Hier existiert jedoch der Sonderfall, dass immer wieder Theologen als Gutachter auf Reichstagen tätig waren und im Auftrag der Stände bzw. des Kaisers einige wichtige Dokumente verfasst haben, wie beispielsweise die Bekenntnisschriften von 1530 oder das Augsburger Interim von 1548. Damit gehört ein kleinerer Teil der Reichstagsakten einer Zwischenstufe zwischen Religion und Politik an. Auf jeder dieser Handlungsebenen stehen die Kommunikationspartner in einem bestimmten Rollenverhältnis zueinander, das den gegenseitigen Umgang maßgeblich bestimmt. Hier unterscheidet Brinker den ,privaten‘, den ,offiziellen‘ und den ,öffentlichen Bereich‘. Dabei versteht er unter dem offiziellen Bereich die Kommunikationsebene, auf der die Partner im Gegensatz zum privaten Bereich nicht als Individuen, sondern als Amts- und Funktionsträger in festen Rollen auftreten. Dem öffentlichen Bereich gehören alle Texte an, die einem breiteren Personenkreis etwa durch ihre Drucklegung zugänglich gemacht wurden. Er kann sich dabei mit den zwei anderen Bereichen durchaus überschneiden. Alle Reichstagsakten sind demnach dem offiziellen Bereich zuzuordnen, da die Handelnden hier in bestimmten Ämtern agierten, z. B. als Kaiser, Kanzler oder Gesandter. Derjenige Teil der entsprechenden Quellen, der für die Veröffentlichung bestimmt war, ist darüber hinaus 30 31
Vgl. Brinker: Linguistische Textanalyse (Anm. 15). S. 138–141. Vgl. Hannes Kästner/Ea Schütz/Johannes Schwitalla: Die Textsorten des Frühneuhochdeutschen. In: Werner Besch/Oskar Reichmann/Stefan Sonderegger (Hg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Zweiter Halbband. Berlin/New York 1985 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft. Bd. 2.2). S. 1355–1368, hier S. 1356–1360.
Die Klassifizierung des Quellenkorpus
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noch dem öffentlichen Bereich zuzurechnen. Die Unterscheidung zwischen öffentlichen und nicht-öffentlichen Texten ist hier damit das für uns entscheidende Differenzierungskriterium.32 Die theologischen Flugschriften sind dagegen grundsätzlich öffentlich, nicht aber offiziell. In einem weiteren Schritt betrachtet Brinker die strukturellen Kriterien eines Textes, in erster Linie das Textthema sowie die Form seiner Entfaltung.33 Gerade die Thematik, in deren Zusammenhang konfessionelle Bezeichnungen auftauchen, ist dabei für unsere Fragestellung von Interesse. Es ist zu untersuchen, ob entsprechende Nomenklaturen durchgängig verwendet werden oder nur in Zusammenhang mit der Glaubensfrage erscheinen. Eine relativ gute Übersicht über die jeweils behandelten Themen liefern dabei v. a. die Proposition und der Reichsabschied. Auf einer letzten Ebene werden schließlich textsortenspezifische sprachliche und gegebenenfalls nichtsprachliche Mittel analysiert,34 was bei der Menge der zu bearbeitenden Quellen in unserem Falle jedoch zu weit führen würde. In diesem Punkt beschränken wir uns auf die Betrachtung der jeweiligen konfessionellen Namen und ihrer semantischen Besonderheiten.
2.3 Die Klassifizierung des Quellenkorpus Nach dieser ersten Sichtung möglicher Textunterscheidungskriterien gilt es nun, die entsprechenden Überlegungen konkret auf das dieser Arbeit zugrunde liegende Quellenmaterial anzuwenden. Dabei kann es nicht um eine gleichrangige Betrachtung aller Kriterien gehen, sondern es ist eine Auswahl danach zu treffen, welche Unterscheidungsmerkmale bezüglich der konfessionellen Terminologie den meisten Erkenntnisgewinn versprechen. In diesem Zusammenhang sei nochmals an die Regel erinnert, dass eine Texttypologie v. a. praktikabel und vom vorherrschenden Erkenntnisinteresse geleitet sein sollte. Aus diesem Grunde sind nicht alle von Brinker vorgeschlagenen Unterscheidungskriterien von gleicher Relevanz. Alternativen und Ergänzungsmöglichkeiten sind ja bereits genannt worden. Nun geht es darum, eine geeignete Auswahl zu treffen und ein stimmiges Modell zu erstellen.
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Vgl. hierzu die Einteilung amtlicher Quellen des 17. Jahrhunderts bei Beatrice Wolter. Sie unterscheidet zwischen Texten, die für die Veröffentlichung bestimmt waren, Dokumenten, die im Nachhinein an die Öffentlichkeit gelangt sind und zu denen auch Akten gehören, die auf Verhandlungsrunden bezogen sind, sowie internen Schriftstücken. Als besondere Gruppe führt sie außerdem die Protokolle auf. Vgl. Wolter: Deutsche Schlagwörter (Kap. 1, Anm. 27). S. 85–87. Vgl. Brinker: Linguistische Textanalyse (Anm. 15). S. 141–144. Vgl. Brinker: Linguistische Textanalyse (Anm. 15). S. 145.
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Die Quellen
Als oberstes Unterscheidungsprinzip dient die Einteilung der Quellen nach ihren ,Kommunikationsbereichen‘, also nach den bereits mehrfach erwähnten theologisch-publizistischen Schriften aus dem Gebiet der Religion und den amtlichen bzw. offiziellen Texten aus dem Bereich der Politik. Die theologisch-publizistische Ebene ist dabei recht einfach zu fassen. Es handelt sich um Schriften von Theologen, die für die Öffentlichkeit bestimmt waren und eine gruppenindizierende Funktion besaßen. Je nach Heftigkeit der polemischen Ausfälle lassen sich tendenziell legitimierende und agitierende Texte unterscheiden. In der Regel fällt diese Zweiteilung aber nicht sehr ins Gewicht, da die Übergänge fließend und nur schwer zu bestimmen sind. Wesentlich komplizierter stellt sich der Sachverhalt bezüglich der offiziellen amtlichen Dokumente dar. Als Ausgangspunkt bietet sich zunächst ein kurzer Blick auf die Textsortendifferenzierung aus dem Bereich politischer Institutionen durch Josef Klein an, der hier ebenfalls versucht, mehrere Analysekriterien zu verbinden. Er hat seiner Typologie drei pragmatische Basiskategorien zugrundegelegt. Als Hauptunterscheidungskriterium gelten ihm die Emittenten, er stellt also nicht so sehr die Funktion ins Zentrum seiner Überlegungen, sondern einen Aspekt aus dem Bereich des situativen Kommunikationszusammenhangs. Daneben zieht er zwei sekundäre Kriterien für die Charakterisierung seiner Textsorten heran, zunächst als Gegenstück die Adressaten und schließlich die kommunikative Grundfunktion.35 Da er von den politischen Verhältnissen der Gegenwart ausgeht und dementsprechend als Emittenten Volksvertretungen, Regierungen, Parteien und Einzelpolitiker eruiert, sind die von ihm auf dieser Basis festgestellten Textsorten für das 16. Jahrhundert nur von bedingtem Nutzen. Seine drei Grundkategorien lassen sich jedoch auf den alten Reichstag übertragen, wobei ich im Gegensatz zu Klein Adressaten und Emittenten als Kommunikanten gemeinsam betrachten möchte. Die ,Kommunikanten‘ im Bereich des Reichstages sind der Kaiser als Reichsoberhaupt, die Stände der drei Konfessionen und eine nicht näher fassbare Öffentlichkeit, womit hier alle diejenigen gemeint sein sollen, welche durch die in Druck ausgehenden Verlautbarungen des Reichstags erreicht werden konnten. Von außerhalb der Institution kommen noch Einzelpersonen oder Gruppen hinzu, die etwa durch Supplikationen oder fachliche Gutachten in Erscheinung traten. Zu erwähnen sind der Vollständigkeit halber auch die Kanzleiangehörigen, Sekretäre und Protokollanten, die die jeweiligen Quellen verfasst, kopiert und weitergeleitet haben, aber meist 35
Vgl. Josef Klein: Textsorten im Bereich politischer Institutionen. In: Klaus Brinker u. a. (Hg.): Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. 1. Halbband: Textlinguistik. Berlin/New York 2000 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft. Bd. 16.1). S. 732–755, hier S. 732–735.
Die Klassifizierung des Quellenkorpus
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weitgehend hinter den Texten verschwinden. Das bei dieser Untersuchung wichtigste Unterscheidungskriterium für den Umgang miteinander ist die Konfession. Daneben spielt aber gerade auf dem Reichstag der Rang der Kommunikanten eine bedeutende Rolle. Es steht beispielsweise kaum zu erwarten, dass irgendein Stand sich an den Kaiser wandte, ohne entsprechende Devotionsformeln zu verwenden. Umgekehrt wird er peinlich genau darauf geachtet haben, dass ihm selber alle ihm zustehenden Ehrbezeugungen zuteil wurden. Die daraus erwachsende terminologische Zurückhaltung bedeutete jedoch keinesfalls, dass man etwa gleicher Meinung war, sondern man kleidete den vorhandenen Dissens lediglich geschickt in möglichst unverfängliche Worte. Aus der Interaktion zwischen diesen Kommunikanten ergibt sich als Basis für die weitere Quelleneinteilung ein unterschiedlicher ,Grad an Öffentlichkeit‘. Hier sind zunächst gedruckte ,öffentliche Texte‘ zu nennen, die vom Kaiser oder von Kaiser und Ständen zusammen ausgingen. Eine zweite Gruppe besteht aus ,nicht-öffentlichen Dokumenten‘, die in Zusammenhang mit den Verhandlungen im Vorfeld der öffentlichen Verlautbarungen stehen. Als Kommunikanten agieren hier Kaiser und Stände untereinander, in besonderen Fällen traten auch Theologen als Fachleute in Erscheinung. Die entsprechenden Dokumente sollten gegenüber der Öffentlichkeit vertraulich behandelt werden, den Reichstagsangehörigen waren sie jedoch frei zugänglich.36 Schließlich existiert eine dritte Gruppe von ,internen Texten‘, die im Prinzip nur einem Emittenten und einem Adressaten bekannt waren. Dabei handelt es sich in unserem Falle um die Gesandtschaftskorrespondenz, um den Austausch von Noten unter Ständen der gleichen Konfession, um sich auf eine gemeinsame Verhandlungsstrategie in der Glaubensfrage zu verständigen, sowie einem etwaigen vertraulichen Gedankenaustausch zwischen konfessionsverschiedenen Ständen, der etwa der Vorbereitung offizieller Kompromisse dienen konnte. Bei dieser Einteilung muss allerdings beachtet werden, dass Übergänge möglich waren. So kam es immer wieder vor, dass vertrauliche Texte – sei es aus Versehen oder durch gezielte Indiskretion – bekannt gemacht wurden. Karl V. wusste um diese Gefahr und hat den evangelischen Ständen wohlweislich ihre Bitte verweigert, die Confutatio abschreiben zu dürfen, um eine polemische Diskussion in aller Öffentlichkeit, wenn auch letztendlich erfolglos, zu verhindern.37 Offizielle amtliche Dokumente wurden auch in Flugschriften eingebettet und wechselten dadurch die Verwendungsebene, 36
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Zur Geheimhaltung vgl. Karl Rauch (Hg.): Traktat über den Reichstag im 16. Jahrhundert. Eine offiziöse Darstellung aus der Kurmainzischen Kanzlei. Weimar 1905 (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reichs in Mittelalter und Neuzeit. Bd. 1. Heft 1). S. 95f. Anm. 1. Vgl. Herbert Immenkötter: Zur Theologie der Confutatio. In: Wolfgang Reinhard (Hg.): Bekenntnis und Geschichte. Die Confessio Augustana im historischen Zusammenhang. München 1981
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Die Quellen
wie die Bannandrohungsbulle ,Exsurge Domine‘ von 1520, die von Ulrich v. Hutten veröffentlicht und bissig kommentiert wurde.38 In einem weiteren Schritt ist nun ebenso wie bei Klein nach der ,Funktion‘ der entsprechenden Quellen zu fragen, wobei ich versuchen möchte, die im vorigen Abschnitt vorgestellten Modelle integrativ zu behandeln. Als übergeordnete Funktionen übernehme ich von Ernst Ulrich Große für den amtlichen Bereich die Unterscheidung zwischen ,normativen‘ und ,nicht-normativen‘ Quellen. Alle öffentlichen Dokumente auf offiziellem Gebiet sind dabei zugleich auch normativ, während die nicht-öffentlichen und internen Schriften zu den nicht-normativen Texten zählen. Die öffentlichen normativen Quellen sind nun weiter nach legislativen Dokumenten, z. B. Mandaten, die nur vom Kaiser ausgingen, und obligaten Texten, in erster Linie den Reichsabschieden in Form eines von Kaiser und Ständen besiegelten Vertrages, zu unterscheiden. Auf der Ebene der offiziellen Verhandlungsführung finden sich primär Textsorten mit appellativer Funktion. Die verschiedenen Eingaben, Gutachten, Vorschläge und Gegenvorschläge waren nie rein informativer Natur, sondern stellten immer auch den Versuch des jeweiligen Emittenten dar, die anderen Kommunikanten von der Richtigkeit seiner eigenen Meinung zu überzeugen. Daneben gibt es dokumentierende Texte in Form von Protokollen. Diese Quellen sind grundsätzlich neutral-beobachtend, wobei allerdings jeweils zu fragen ist, ob es sich um das offizielle Protokoll der Mainzer Reichskanzlei handelte, das im Zweifelsfall wohl auch nachträglich zur Klärung strittiger Fragen herangezogen werden konnte, oder nur um eine standesinterne Mitschrift zu Informationszwecken. Auf der internen Ebene finden sich schließlich sowohl informierende Quellen, vornehmlich in Berichten von Gesandten an ihre Herrschaft, als auch appellative Textfunktionen in den schriftlichen Weisungen an die Gesandten sowie im Gedankenaustausch verschiedener Stände untereinander.39 Natürlich existieren auf dem Reichstag auch
38
39
(Schriften der Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg. Nr. 20). S. 101–113, hier S. 103f. Vgl. die entsprechenden ,Annotationes‘ von Ulrich v. Hutten. In: Peter Fabisch/Erwin Iserloh (Hg.): Dokumente zur Causa Lutheri (1517–1521). 1. Teil: Vom Augsburger Reichstag 1518 bis zum Wormser Edikt 1521. Münster i. W. 1988 (Corpus Catholicorum. Werke katholischer Schriftsteller im Zeitalter der Glaubensspaltung. Bd. 41). S. 413–434 (im Folgenden abgekürzt als DCL 1). Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang auch polemische Werke, die durch eine Übernahme der entsprechenden Formeln offizielle Dokumente parodieren, wie z. B. eine ,Achterklärung‘ Gottes gegen Kaiser und Papst als Reaktion auf die Acht gegen den sächsischen Kurfürsten und den Landgrafen von Hessen im Vorfeld des Schmalkaldischen Krieges: Anonym.: Ewiger/ Göttlicher/ Allmechtiger Mayestat Declaration. Wider Kayser Carl/ Künig zu Hispanien etc. vnd Bapst Paulum den dritten. o. O. [1546]. Zu dieser Unterscheidung im Bereich der Korrespondenzen vgl. die entsprechende Einteilung der Akten bei Alfred Kohler: Der Augsburger Reichstag 1530. Von der Bilanz des Jubiläumsjahres 1980 zum Programm einer Edition der Reichstagsakten. In: Heinrich Lutz/Alfred Kohler
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Die Klassifizierung des Quellenkorpus
Texte mit weiteren Funktionen, z. B. proklamatorische Belehnungsurkunden oder zertifikatorische Beglaubigungsschreiben für Gesandte, doch da sie für unser Thema nicht weiter relevant sind, sollen sie im weiteren Verlauf unberücksichtigt bleiben. Der besseren Übersichtlichkeit halber sind die zentralen Textunterscheidungskriterien in folgender Tabelle zusammengefasst und jeweils mit Beispielen versehen: KommunikationsBereich theologischpublizistisch
Kommunikanten
Textfunktion legitimierend (1)
öffentlich
gruppenindizierend agitierend (2) obligat (3)
öffentlich
normativ legislativ (4) appellativ (5)
amtlich/offiziell
nicht-öffentlich
nicht-normativ dokumentierend (6) appellativ (7)
intern
nicht-normativ informativ (8)
(1) (2) (3) (4) (5)
(6) (7)
(8)
Theologische Rechtfertigungsschriften Polemisierende theologische Flugschriften Reichsabschiede Kaiserliche Mandate, beispielsweise das Wormser Edikt, als theologischer Sonderfall auch das Augsburger Interim Propositionen, Repliken, Dupliken und weitere Dokumente der Verhandlungsführung, theologische Texte wie die Confessio Augustana oder Confutatio Protokolle durch die Reichskanzlei und einzelne Gesandtschaften Meinungsaustausch zwischen den Ständen, interne theologische Gutachten wie Melanchthons Torgauer Artikel, Briefe der Herrschaft an ihre Gesandten Briefe der Gesandten an ihre Herrschaft
(Hg.): Aus der Arbeit an den Reichstagen unter Kaiser Karl V. Sieben Beiträge zu Fragen der Forschung und Edition. Göttingen 1986 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bd. 26). S. 158–193, hier S. 185f.
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Die Quellen
Die aufgeführten Textunterscheidungskriterien beeinflussen wesentlich die Terminologie. Alle öffentlichen Dokumente stehen in einer langen Traditionslinie mit einem formelhaften und konventionellen Sprachgebrauch, so dass bedeutende interkonfessionelle Wortgefechte in diesem Bereich kaum zu erwarten sind. Andererseits spiegeln die hier verwendeten konfessionellen Namen den Stand der reichsrechtlichen Anerkennung wider. Auf offizieller Verhandlungsebene waren etwas mehr terminologische Freiheiten erlaubt. Hier ist allerdings der soziale Rangaspekt zu berücksichtigen, der für gegenseitige Zurückhaltung sorgen konnte. Die internen und theologisch-publizistischen Texte sind schließlich wichtig, um das unverfälschte Selbstbild und die Selbstbezeichnung der einzelnen Gruppen sowie die wahre Meinung, die sie von der jeweils anderen Partei hatten, zu erschließen, da hier keine weitere Rücksicht auf andere Beteiligte genommen werden musste. Während nun das polemisierende Schrifttum eine Fülle an Wortschöpfungen präsentierte, um den Gegner öffentlich abzuqualifizieren, sind im internen amtlichen Bereich größere terminologische Veränderungen nicht zu erwarten, da eine einmal gefundene und akzeptierte Bezeichnung kaum bestimmten situativen Gegebenheiten angepasst zu werden brauchte und hier keinerlei Rechtfertigungsdruck anderen gegenüber bestand. Schließlich ist in unserem Zusammenhang noch die jeweilige ,historische Rahmensituation‘ zu berücksichtigen, die in den vorgestellten Modellen zur Textsortenanalyse weitgehend fehlt. Sie ist für uns jedoch gerade deshalb von Bedeutung, weil sich der Entstehungszeitraum der zu vergleichenden Quellen auf mehr als ein Jahrhundert erstreckt, in dem Zeiten der Annäherung und der Konflikte zwischen den Konfessionen immer wieder wechselten. Um die verwendete Terminologie angemessen beurteilen zu können, ist daher stets ein Blick auf den momentanen Stand der interkonfessionellen Auseinandersetzungen notwendig. Die konfessionellen Namen, die in Abhängigkeit von Kommunikanten, Funktion und Rahmenbedingungen ermittelt werden, lassen sich dementsprechend in drei Gruppen einteilen, je nachdem, ob sie auf gegenseitige ,Abgrenzung‘, einen ,Ausgleich‘ bzw. eine Annäherung der gegensätzlichen Positionen oder eine ,neutrale Haltung‘ zielten, die auch dadurch erreicht werden konnte, dass die Frage der Konfession überhaupt ausgeblendet wurde. Dabei sind Ausgleichstendenzen ausschließlich auf politischer Ebene zu erwarten, während die theologisch-publizistische Ebene schon per se abgrenzend wirksam war.40
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Zum besonderen Ausnahmefall irenischer Tendenzen im theologischen Schrifttum jener Zeit s. u. Kap. 3.5.
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Von ‚Christen‘, ‚Evangellosen‘ und ‚Katzenwollischen‘: Die konfessionelle Terminologie in theologisch-publizistischen Texten
Die Reformation war ein Medienereignis. Der noch junge Buchdruck verhalf den reformatorischen Ideen zu einer für jene Zeit geradezu unglaublich raschen und weiten Verbreitung. Davon profitierten beide Seiten, denn die Druckerkunst hatte nun erst einen geeigneten Stoff gefunden, der sie geradezu unentbehrlich werden ließ. Johannes Burkhardt konstatiert: „Die Reformation hätte ohne die neue Informationstechnologie nicht stattfinden können, und sie hat ihr umgekehrt zu tun gegeben und sie damit stabilisiert und weiter aufgewertet.“1 Ein kurzer Blick auf einige Zahlen mag dies belegen: Alleine in Augsburg stieg die Jahresproduktion zwischen 1517 und 1525 von ursprünglich maximal 50 Drucken auf zeitweise über 300 an.2 Ein ähnliches Bild zeigt sich auch andernorts. Insgesamt wuchs die Buchproduktion im Reich in diesem Zeitraum um beinahe 1 000 %. Nach 1525 sanken die Zahlen etwas ab, um in den 30er Jahren erneut anzusteigen und etwa 1546 zur Zeit des Schmalkaldischen Krieges einen zweiten Höhepunkt zu erreichen.3 Die in diesem Zusammenhang am häufigsten genutzte Textsorte war die ,Flugschrift‘, die ebenfalls erst durch die Reformation zu ihrer vollen Blüte gelangte. Stellte vor 1517 die Auseinandersetzung Johannes Reuchlins mit Johann Pfefferkorn und den Kölner Dominikanern um den Gebrauch der jüdischen Literatur den einzigen größeren über Flugschriften geführten Streit dar,4 so ist für die Zeit bis 1530 mit etwa 10 000 Flugschriften in 10 Millionen Exemplaren zu rechnen, von denen mehr als 95 % die Religionsfrage thematisierten.5 Hans-Joachim Köhler definiert die Flugschrift als „eine aus mehr als einem Blatt bestehende, selbständige, nichtperiodische und nicht gebundene Druckschrift, die sich mit dem Ziel der Agitation (d. h. der Beeinflussung
1 2 3
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Burkhardt: Reformationsjahrhundert (Kap. 1, Anm. 5). S. 48. Vgl. Burkhardt: Reformationsjahrhundert (Kap. 1, Anm. 5). S. 26–28. Vgl. Johannes Schwitalla: Deutsche Flugschriften 1460–1525. Textsortengeschichtliche Studien. Tübingen 1983 (Reihe Germanistische Linguistik. Bd. 45). S. 6f. Vgl. Schwitalla: Deutsche Flugschriften (Anm. 3). S. 251. Vgl. Burkhardt: Reformationsjahrhundert (Kap. 1, Anm. 5). S. 28f. sowie Schwitalla: Deutsche Flugschriften (Anm. 3). S. 273.
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Konfessionelle Terminologie in theologisch-publizistischen Texten
des Handelns) und/oder der Propaganda (d. h. der Beeinflussung der Überzeugung) an die gesamte Öffentlichkeit wendet.“6
Johannes Schwitalla präzisiert diesen allgemeinen Definitionsvorschlag für das 16. Jahrhundert. Er hält in diesem Zusammenhang den Begriff ,Agitation‘ für zu stark und spricht statt dessen neutraler von einem ,intentionalen Aspekt‘. Demnach behandeln Flugschriften aktuelle umstrittene Fragen und versuchen, eine Änderung oder Festigung der Einstellung zu diesen Punkten auf Seiten des Publikums zu erreichen.7 Auf diese Weise wird ein differenzierterer Blick auf die Themen der Flugschriften ermöglicht, die keineswegs nur agitatorischen Zwecken dienten, sondern beispielsweise mit Luthers ,Sermon von Ablass und Gnade‘ auch seelsorgerische Lehrtexte oder mit den 12 Artikeln der Bauern Bittschriften umfassten. Allerdings machen polemische Schriften insgesamt einen beträchtlichen Anteil an der Gesamtproduktion aus.8 Obwohl die Definition von Köhler dem Umfang von Flugschriften keine dezidierten Obergrenzen setzt, bevorzugt Kai Bremer in seiner jüngsten Untersuchung zu Religionsstreitigkeiten des 16. Jahrhunderts den Terminus ,Streitschrift‘, da zahlreiche Texte zu lang seien, um sie noch als konventionelle Flugschrift bezeichnen zu können.9 Auch wenn er eine exakte Abgrenzung beider Bezeichnungen schuldig bleibt, bewirkt Bremer damit doch eine Schwerpunktverschiebung von formalen hin zu thematischen Aspekten, denn „um gesichert sagen zu können, ob es sich um eine Streitschrift handelt, ist immer eine inhaltliche Beurteilung der einzelnen Schrift notwendig.“10 Damit bietet sich dieser Terminus als eine Art Oberbegriff an, 6
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Hans-Joachim Köhler: Die Flugschriften. Versuch der Präzisierung eines geläufigen Begriffs. In: Horst Rabe/Hansgeorg Molitor/Georg Rublack (Hg.): Festgabe für Ernst Walter Zeeden zum 60. Geburtstag am 14. Mai 1976. Münster i. W. 1976 (RST Suppl. 2). S. 36–61, hier S. 50. Vgl. Schwitalla: Deutsche Flugschriften (Anm. 3). S. 14 und S. 23. Johannes Schwitalla hat die Flugschrift deshalb nicht als eigene Textsorte, sondern vielmehr als ,Textsortenkomplex‘ betrachtet, den er in insgesamt 21 Textsorten unterteilt. Diese lassen sich in vier größere Gruppen zusammenfassen, in informierende, auffordernde, argumentative und beziehungsdefinierende Schriften. Spott und Polemik tauchen hauptsächlich in der letzten Gruppe auf. Hier macht die ,argumentative und anklagende Polemik‘ immerhin 16 % der gesamten Flugschriftenproduktion aus und stellt damit gemeinsam mit den Bittschriften die größte einzelne Textsorte dar. Vgl. Schwitalla: Deutsche Flugschriften (Anm. 3). S. 31 sowie S. 45–87. Vgl. Kai Bremer: Religionsstreitigkeiten. Volkssprachliche Kontroversen zwischen altgläubigen und evangelischen Theologen im 16. Jahrhundert. Tübingen 2005 (Frühe Neuzeit. Bd. 104). S. 6. Bremer: Religionsstreitigkeiten (Anm. 9). S. 31. Die Besonderheit einer ,Streitschrift‘ scheint nach Bremer darin zu bestehen, dass sie ihren Platz stets im Rahmen eines größeren Diskurses findet, da sie sich durch eine dialogische Grundkonzeption auszeichnet. Vgl. S. 6 sowie S. 45f. und S. 63f.
Konfessionelle Terminologie in theologisch-publizistischen Texten
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der verschiedene Textsorten mit gleicher Intention unter einem Dach vereint. Dennoch bleibt eine genaue Differenzierung im Einzelnen schwierig. So zählt Bremer etwa verschriftlichte Predigten als eigenständiges Medium der Glaubenspropaganda nicht zu den Streitschriften, wenn er zwischen ihnen auch einen engen Zusammenhang konstatiert.11 Dagegen stellen Predigten nach Bernd Moeller die häufigste literarische Form der Flugschriften dar. Ihnen komme gerade im reformatorischen Bereich sogar ein ganz besonderer Stellenwert zu, da eine Predigt hier – vergleichbar den Sakramenten – durch die Vermittlung des alleine seligmachenden Wortes dem Heilsempfang diente.12 Diese Beobachtung macht deutlich, dass eine exakte Gattungszuordnung im Einzelfall höchst strittig sein kann. Allerdings ist das in unserem Zusammenhang auch nicht unbedingt vonnöten, da alle entsprechenden Texte im Bereich der Selbst- und Fremdbezeichnung prinzipiell in die gleiche Richtung weisen.13 In der Wortwahl wurde jeweils keine besondere Rücksicht auf religiös Andersdenkende genommen, denn alle diese Schriften hatten nicht zum Ziel, sich sachlich mit der Religionsfrage auseinanderzusetzen und mit dem Gegner in eine fruchtbare Diskussion einzutreten.14 Sie wandten sich vielmehr an die eigene Anhängerschaft, um diese auf Linie zu bringen und mit verbaler ,Munition‘ zu versehen, sowie an Unentschlossene, die von der eigenen Position überzeugt werden sollten. Ihre Hauptfunktion bestand darin, gruppenindizierend zu wirken. Damit ging zugleich eine scharfe Abgrenzung von anderen Glaubensrichtungen einher; eine wirkliche Kommunikation zwischen den verschiedenen Religionsparteien war nicht intendiert. Aus diesem Grund zeichnete sich die entsprechende Terminologie
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Vgl. Bremer: Religionsstreitigkeiten (Anm. 9). S. 235. Vgl. hierzu die kurze Abhandlung von Bernd Moeller: Einige Bemerkungen zum Thema: Predigten in reformatorischen Flugschriften. In: Hans-Joachim Köhler (Hg.): Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit. Beiträge zum Tübinger Symposion 1980. Stuttgart 1981 (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit. Tübinger Beiträge zur Geschichtsforschung. Bd. 13). S. 261– 268, hier S. 261–268. Bei einer Betrachtung von Selbst- und Fremdbezeichnungen im theologisch-publizistischen Bereich können zudem ergänzend weitere wichtige Texte in Betracht gezogen werden, die eindeutig aus dem Rahmen von Flug- wie auch Streitschriften fallen, etwa Satiren, wie Thomas Murners ,Von dem großen Lutherischen Narren‘, umfangreiche Traktate und Lehrwerke, wie Philipp Melanchthons ,Loci communes‘ und Johann Calvins ,Institutio Christianae Religionis‘, historiographische Abhandlungen, wie Heinrich Bullingers ,Reformationsgeschichte‘, sowie Katechismen, Kirchenlieder, etc. Gerade in der Anfangszeit der Reformation gab es hier natürlich noch Ausnahmen. So dauerte es eine ganze Zeit, bis Luther sich dazu durchrang, das Papsttum öffentlich abzulehnen und mit entsprechenden Bezeichnungen zu versehen, während er zuvor immer noch gehofft hatte, den Papst durch Argumente überzeugen zu können.
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nicht gerade durch Zurückhaltung aus, sondern gab ungeschminkt die eigenen Ansichten über alle religiösen Fragen wieder.15 Ein kurzer Blick auf das polemische Schrifttum der Reformationszeit kann somit zweierlei leisten. Zum einen wurde hier am deutlichsten ausgedrückt, wie man sich selbst sah und was man von den anderen Konfessionen dachte. Damit enthalten die Flugschriften jene Selbstbezeichnungen, die man für die eigene Gruppe wünschte, und bieten zugleich einen Überblick über die große Bandbreite diffamierender Fremdbezeichnungen, von denen alle Konfessionen ein reichliches Arsenal ihr Eigen nennen konnten. Zugleich fanden auf dieser Ebene die ersten Ansätze zu einer religiösen Parteienbildung statt, denn bevor dieses Thema überhaupt auf politischer Ebene virulent wurde – 1521 in Worms kamen die Reichsstände erstmals offiziell mit Luthers Lehre in Berührung – war es bereits zum Gegenstand der Publizistik geworden. Im Zuge der Veröffentlichung seiner Ablassthesen im Jahre 1517 geriet Luthers Theologie in das Licht einer größeren Öffentlichkeit. Schon bald entsponnen sich auf publizistischer Ebene heftige Diskussionen, die schnell immer grundsätzlichere Differenzen zwischen Luther und Rom zutage förderten und dementsprechend in der Wortwahl zunehmend schärfer und distanzierender wurden. Auf diesem Gebiet der öffentlichen Auseinandersetzung wurden die Grundlagen für die konfessionelle Terminologie gelegt. Daher müssen die publizistischen Schriften zumindest der 1. Hälfte der 20er Jahre als Ausgangspunkt und Vergleichsschablone für die gesamte weitere begriffliche Entwicklung gesehen werden, während spätere Texte eher zeigen, wie sie nun umgekehrt auf die politische Behandlung der Glaubensfrage rekurrieren und entsprechende Begrifflichkeiten von amtlich-offizieller Seite reflektieren. Zudem lehrt die Polemik der Flugschriften alle Ausgleichsbemühungen auf Reichsebene umso höher schätzen. Wenn man die Feindschaft, ja den Hass betrachtet, der einem aus den entsprechenden Texten entgegenschlägt, hätte man es kaum für denkbar halten sollen, dass überhaupt gemeinsame Verhandlungen möglich gewesen wären, wie sie zwischen den Ständen, aber auch zwischen Theologen auf Reichstagen und bei offiziellen Religionsgesprächen stattgefunden haben.
3.1 Ein erster Überblick Aufgrund ihrer großen Anzahl ist eine umfassende Behandlung der einschlägigen Schriften in diesem Rahmen nicht annähernd zu leisten. Außerdem fand der schriftstellerische Erfindungsreichtum kaum Grenzen, wenn es darum ging, diffamierende Fremdbezeichnungen zu ersinnen und den Gegner schlechtzumachen. 1908 hat 15
Vgl. etwa Bremer: Religionsstreitigkeiten (Anm. 9). S. 58f. sowie S. 194.
Ein erster Überblick
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Friedrich Lepp eine Untersuchung zu Schlagwörtern des Reformationszeitalters vorgelegt. Dieses Werk wird in der modernen Schlagwortforschung immer wieder kritisiert, weil Lepp die Definition von Schlagwörtern zu weit gefasst und aus diesem Grund zahlreiche Begriffe aufgeführt habe, die aus heutiger Sicht eigentlich nicht berücksichtigt werden dürften.16 Im Prinzip versteht er darunter alle „Parteinamen“ auf der einen und sämtliche „Kampf- und Scheltworte“ auf der anderen Seite.17 Gerade für unser Erkenntnisinteresse stellt dieser Übereifer allerdings einen außerordentlichen Glücksfall dar, denn auf diese Weise vermittelt das Werk hervorragende Informationen über die gebräuchlichsten Beschimpfungen jener Zeit. Ein Blick in das Register zeigt die entsprechenden Dimensionen:18 Insgesamt führt Lepp hier 420 von ihm als Schlagwörter eingestufte Begriffe des 16. bis frühen 17. Jahrhunderts an, die in erster Linie aus Flugschriften stammen. Daneben berücksichtigt er auch einige Stadtchroniken, Akten der sächsischen Kanzlei, die Berichte des Hans von der Planitz, Humanistenbriefe, Kirchen- und Volkslieder sowie Schwankbücher.19 Bis auf 29 Begriffe wie etwa ,Reformation‘, ,Evangelium‘ oder ,Freiheit‘, die von ihm als die drei „wirkungsvollsten Schlagwörter der großen Zeit“ bezeichnet werden,20 finden sich ausschließlich Selbst- und Fremdbezeichnungen, von denen allerdings lediglich zehn Namen als positive Selbstbezeichnungen zu werten sind,21 so dass letztendlich eine stattliche Liste von insgesamt 381 diffamierenden Begriffen übrigbleibt. Sehr häufig handelt es sich dabei um einmalige Ad-hoc-Formulierungen, die keine gebräuchliche Fremdbezeichnung darstellten und damit auch keine weitere Wirkungsgeschichte hatten, weshalb sie in unserem Zusammenhang weitgehend vernachlässigt werden können. Dennoch seien in einem ersten allgemeinen Überblick wenigstens einige besonders schöne Beispiele des gesamten Zeitraums aus Lepps Sammlung genannt, die z. T. von einer außerordentlichen Kreativität der jeweiligen Autoren künden. Um die Masse der Schlagwörter zu systematisieren, teilt er die Begriffe in sechs Berei16
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Vgl. hierzu die Erläuterungen zur Schlagwortforschung im forschungsgeschichtlichen Überblick in Kap. 1.2. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 3. Auf eine besondere Definition des Schlagwortes hat Lepp in diesem Zusammenhang verzichtet. Er begnügt sich mit einer Beschreibung der entsprechenden Wirkungen und Ziele. Vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 140–144. Vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 14. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 17. ,Lutherisch‘ und ,Lutherischer‘ stellen Grenzfälle dar, da sie zunächst durch katholische Autoren als diffamierende Fremdbezeichnung verwendet wurden und sich erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts als positive Selbstbezeichnung etablierten. Hier zähle ich sie zu den negativen Fremdbezeichnungen. Vgl. Heppe: Ursprung (Kap. 1, Anm. 17). S. 4–9 und S. 18 sowie S. 24– 28. Vgl. hierzu auch ausführlich Kap. 3.2.
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che ein: „Schlagwörter des ganzen Zeitalters“, „Parteiwörter“, „Schlagwörter in Bezug auf Sekten und Spaltung“, „Schlagwörter aus dem Bereich der Bibel“, „Verächtliche Bezeichnungen alter und neuer Theologen“ sowie „Formgruppen aus zusammengesetzten Begriffen“.22 In diesen Rubriken finden sich neben Namen ganzer Glaubensrichtungen auch persönliche Diffamierungen für Einzelakteure. Besondere Freude hatten viele Autoren und wohl auch ihre Leser dabei an satirischen Verdrehungen und Umformungen.23 Luther nannte seine Kritiker Thomas Murner und Hieronymus Emser ,Murnarr‘ bzw. ,Bock Emser‘,24 Dr. Eck zog er zu ,Dreck‘ zusammen,25 nicht zu vergessen natürlich auch der berühmt-berüchtigte ,Papstesel‘.26 Er selber wurde im Gegenzug von Emser als stier zu Uuiettenberg,27 an anderen Stellen als wild Geyffernd Eberschwein28 oder ‚sächsisches Kalb‘29 bezeichnet. Bestimmte Gruppierungen innerhalb einer Konfession waren etwa die ,Jesuwider‘ und ,Esauiter‘ als Verballhornung der Jesuiten30 oder die ,Philippisten‘ und ,Adiaphoristen‘ für die Anhänger Philipp Melanchthons in den dogmatischen Konflikten nach dem Tode Luthers.31 In 22
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Allerdings wirkt diese letzte Rubrik, die den meisten Raum einnimmt, ein wenig als Notlösung und Sammelbecken für all jene Begriffe, die nicht in andere Bereiche gepasst haben, so dass die Systematik hier deutlich an Aussagekraft einbüßt. Gerade Beschimpfungen und Witz sorgten für besonders große Leseanreize, vgl. Bremer: Religionsstreitigkeiten (Anm. 9). S. 100f. Vgl. Martin Luther: Auf das überchristlich, übergeistlich und überkünstlich Buch Bocks Emsers zu Leipzig Antwort. Darin auch Murnarrs seines Gesellen gedacht wird. 1521. WA 7. S. 614/621– 688. Die Bezeichnung Emsers als Bock ergab sich dabei aus dessen Familienwappen. Vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 5f. Vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 138. Bremer: Religionsstreitigkeiten (Anm. 9). S. 77. Der Begriff könnte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, dass Luther in Emsers Augen alle herkömmlichen Lehren ohne Rücksicht auf Verluste umstößt. Vgl. Wilbirgis Klaiber (Hg.): Katholische Kontroverstheologen und Reformer des 16. Jahrhunderts. Ein Werkverzeichnis. Münster i. W. 1978 (RST 116). Nr. 180. Vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 28. Vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 7 sowie Wolter: Deutsche Schlagwörter (Kap. 1, Anm. 27). S. 261f. und S. 271–273. In diesem Zusammenhang sollte der Schimpfname ,Esauiter‘ zum einen an Esau und seine unangenehme Physiologie erinnern, andererseits war aber auch der Anklang an die ,Sau‘ in der Wortmitte beabsichtigt, noch deutlicher betont in der Abwandlung ,Sauiter‘. Im Übrigen wurde auch der heute geläufige Name ,Jesuiten‘ ursprünglich als Selbstbezeichnung abgelehnt und fand u. a. in der innerkatholischen Opposition gegen diesen Orden Verwendung. Als offizieller Name galt ,Gesellschaft Jesu‘. Vgl. hierzu etwa die Titel einiger Flugschriften bei Klaiber: Katholische Kontroverstheologen (Anm. 28). Nr. 18, 54, natürlich auch in der lateinischen Form als ,Societas Jesu‘, Nr. 2672. Diese Bezeichnungen wurden vornehmlich innerkonfessionell verwendet, vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 41–43. Die Bezeichnung ,Adiaphorist‘ bezieht sich auf die von Melanchthon im Zusammenhang mit dem Streit um das Augsburger und Leipziger Interim betonten ,Adiaphora‘ oder ,Mitteldinge‘, die als Äußerlichkeiten des Kultus annehmbar seien. Auf evangelischer Seite trat ihm hier besonders Matthias Flaccius
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späterer Zeit spielte man auch mit den jeweiligen Parteinamen. So wurde aus katholisch ,katzenwollisch‘, aus evangelisch machte man ,eigenwillich‘, ,ewighöllisch‘ oder ,evangellos‘, aus lutherisch ,lutziferisch‘.32 Von besonderem lautmalerischen Klang und damit akustisch sehr eingängig sind Bezeichnungen wie ,Blippenplapper‘ und ,Pfründenfresser‘ für die katholische Geistlichkeit oder auf der anderen Seite die ,Petristuhlstürmer‘.33 Viele Schimpfnamen nahmen Bezug auf umstrittene Glaubensgrundsätze und Riten, etwa ,Heiligenfresser‘, ,Fastenfeind‘, ,Kreuzschänder‘, ,Bilderstürmer‘, ,Marienfeind‘, ,Blutsäufer‘, ,Bußemörder‘.34 Andere wiederum entstanden in Zusammenhang mit bestimmten Grundsatzdokumenten, z. B. von katholischer Seite ,Confessionist‘ für Anhänger der Confessio Augustana sowie im innerevangelischen Bereich ,Interimist‘ bei den Auseinandersetzungen um das Augsburger bzw. Leipziger Interim oder ,Concordist‘ im Streit um die Konkordienformel, die 1577 eine Einigung innerhalb des Luthertums herbeiführen sollte.35 Gerade der Bezug auf die Confessio Augustana und das Augsburger Interim als Dokumenten, die unmittelbar mit Reichstagen in Verbindung standen, zeigt eine interessante Verschiebung der terminologischen Abhängigkeitsverhältnisse. War die Kontroversliteratur das Medium, das als erstes eine neue Begrifflichkeit zur Selbst- und Fremdbezeichnung der religiösen Parteien schuf und sie der amtlichen Ebene zunächst einmal vorgab, so nahm im weiteren Verlauf der Ereignisse der umgekehrte Einfluss offizieller Texte auf die Flugschriften deutlich zu. Ganze Wortfamilien wurden nach gleichem Schema gebildet. Lepp führt hier insgesamt sieben ,Formgruppen‘ auf: Zunächst fasst er alle Bildungen mit dem Suffix ,-los‘ zusammen, etwa ,schriftlos‘, das primär, aber nicht ausschließlich, auf evangelischer Seite Verwendung fand, oder der katholische Vorwurf an die Reformatoren, ,werklos‘ zu sein.36 Alle weiteren Gruppen bestehen aus Komposita. Eine Wortfamilie besitzt den Bestandteil ,-Schänder‘ bzw. ,-Schmäher‘, z. B. die von Luther für ande-
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entgegen, doch natürlich wurde diese Steilvorlage auch gerne von katholischer Seite aufgegriffen. Vgl. auch Gunther Wenz: Der Leisetreter. Philipp Melanchthon (1497–1560) als ökumenischer Vermittlungstheologe. In: Ders.: Lutherische Identität. Studien zum Erbe der Wittenberger Reformation. Bd. 1. Hannover 2000. S. 127–147, hier S. 139–142. Vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 5–7 und S. 104–106, Goetze: Evangelisch (Kap. 1, Anm. 26). S. 21f. sowie Klaiber: Katholische Kontroverstheologen (Anm. 28). Nr. 2308 und Nr. 3042. Vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 3. Vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 3. Vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 41–44 sowie zum Begriff ,Confessionist‘ auch Wolter: Deutsche Schlagwörter (Kap. 1, Anm. 27). S. 174, insbesondere Anm. 503. Diese Bezeichnung erscheint nach 1530, verschwindet aber relativ bald wieder und ist im 17. Jahrhundert nicht mehr nachweisbar. Vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 99f. und S. 103f.
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re reformatorische Richtungen reservierte, aber auch von katholischer Seite immer wieder aufgegriffene Bezeichnung ,Sacramentsschänder‘,37 eine weitere ,-Prediger‘, wie ,Winkelprediger‘ oder ,Fabelprediger‘38, und eine schließlich ,-Mörder‘, etwa ,Seelmörder‘.39 Zahlreiche Begriffe beginnen mit ,Wort-‘ oder ,Werk-‘, z. B. von katholischer Seite die ,Werkfeinde‘ und als evangelische Retourkutsche die ,Werkheiligen‘,40 sowie mit ,Bauch-‘, wie der ,Bauchdiener‘ als diffamierende Bezeichnung für die jeweils gegnerische Geistlichkeit.41 Besonders rüde waren Spottnamen auf ,-Esel‘, v. a. der bereits erwähnte ,Papstesel‘ Luthers.42 Durch einen Austausch einzelner Wortbestandteile der verschiedenen Formgruppen ließ sich eine beinahe unendliche Fülle von begrifflichen Kombinationen erzielen. Im Vergleich zu dieser eindrucksvollen und einfallsreichen Liste wirken die zehn Selbstbezeichnungen, die unter Lepps Schlagwörtern auftauchen, eher unscheinbar, besonders wenn man berücksichtigt, dass sie aufgrund des gleichen Wortstammes im Prinzip nochmals in ihrer Anzahl halbiert werden müssen. Es handelt sich dabei um ,christenlich‘, ,christisch‘ und ,christlich‘, um ,Galiläisch‘ und ,Galiläer‘, um ,Pauliner‘ und ,Paulinisch‘, um ,apostolisch‘ sowie um ,Altkirchischer‘ und ,kirchisch‘.43 Diese Namen weisen alle das gleiche Argumentationsmuster auf. Sie versichern sich jeweils einer unbestrittenen Autorität des Glaubens, an der die Wahrheit der eigenen Religion manifest werden sollte, v. a. biblische Größen wie den Galiläer Christus als den Religionsstifter, den ersten christlichen Theologen Paulus oder gleich alle Apostel zusammen. Die Betonung, ,(alt)kirchlich‘ zu sein, weist ebenfalls in diese Richtung, denn die Kirche war als ,Braut Christi‘ von allen Seiten anerkannter Garant für die rechte Glaubenspraxis.44 Auch hier handelt es sich aber abgesehen von
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44
Vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 107f. Vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 112. Vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 118–123. Vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 128–130. Vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 133f. Vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 136–138. Vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 31–41 und S. 53–55. Die meisten dieser Begriffe machen laut Lepp die Gruppe der ,Parteiwörter‘ aus. Nur ,kirchisch‘ und ,altkirchisch‘ zählt er zu „Schlagwörtern in Bezug auf Sekten und Spaltung“, weil diese primär dazu gebildet worden seien, um sich von den Schismatikern abzugrenzen. Der Anspruch auf die Selbstbezeichnung ,Kirche‘ findet sich bei allen Konfessionen, allerdings divergierte die Definition, was darunter nun eigentlich genau zu verstehen sei, teilweise erheblich. Da sich diese unterschiedlichen Lehren besonders gut anhand der kirchenrechtlichen Texte der Konfessionen, also in erster Linie der Bullen und Konzilsdekrete auf katholischer wie der Kirchenordnungen auf evangelischer Seite, aufzeigen lassen, folgt eine genauere Betrachtung des Kirchenbegriffs in Kap. 4.1 für die katholische und in Kap. 4.3.1 für die evangelische Sichtweise.
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den Bezügen auf Christus und die Kirche um Namen, denen keine besondere Nachhaltigkeit beschieden war. Dagegen fehlen bei Lepp solch wichtige Begriffe wie ,katholisch‘ und ,evange-
lisch‘, die im weiteren Verlauf eine besondere Wirkmächtigkeit entfalten sollten und daher unbedingt zu ergänzen wären.45 Aus diesem Grund werde ich nach dieser ersten allgemeinen und unspezifischen Übersicht in einem weiteren Schritt einen etwas genaueren Blick auf den Sprachgebrauch einiger ausgewählter Repräsentanten der drei großen Religionsparteien werfen, die maßgeblich an der Entwicklung des jeweiligen Selbst- und Fremdverständnisses beteiligt waren. In ihren theologischen Werken haben sie die Grundlagen für die wichtigsten konfessionellen Bezeichnungen gelegt, die sich im weiteren Verlauf tendenziell verfestigten und von den Epigonen meist nur durch zahlreiche unwichtigere Wortspielereien ergänzt wurden. Die Reihenfolge der Betrachtung ergibt sich dabei aus dem chronologischen Auftreten der Konfessionen.
3.2 Selbst- und Fremdbezeichnungen in lutherischen Schriften Der erste Rang gebührt hier Martin Luther. Er stieß 1517 die gesamte Diskussion mit seinem Aufbegehren gegen den päpstlichen Ablass an und war bis 1525 der produktivste und am häufigsten gelesene Verfasser von Flugschriften.46 Er und seine Anhänger waren auch diejenigen, die als erste die Möglichkeiten des Buchdruckes erkannten und das relativ neue Medium der Flugschriften zunächst am ausgiebigsten nutzten.47 Zudem war Luther mit seiner berühmten Sprachgewalt der bedeutendste Schöpfer neuer Selbst- und Fremdbezeichnungen. Zahlreiche Schlagworte und Begriffe, die in den Diskussionen der Reformationszeit Bedeutung erlangten, gehen letztendlich auf ihn zurück.48 Neben Luther ist besonders Philipp Melanchthon, der Theoretiker der Wittenberger Reformation, von Bedeutung. Bereits 1521 systematisierte er die evangelische Theologie in seinen ,Loci communes‘, daneben 45
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Dieser Befund überrascht umso mehr, da ,evangelisch‘ bei Wolter und Diekmannshenke und ,katholisch‘ zumindest bei Wolter als wichtige Schlagwörter aufgeführt werden, obwohl sie wesentlich strengere Auswahlkriterien angelegt haben als Lepp, vgl. Wolter: Deutsche Schlagwörter (Kap. 1, Anm. 27). S. 184 und S. 239 sowie Diekmannshenke: Schlagwörter der Radikalen der Reformationszeit (Kap. 1, Anm. 35). S. 238. Vgl. Schwitalla: Deutsche Flugschriften (Anm. 3). S. 286. Luther hat die erste große Flugschriftenwelle überhaupt erst ausgelöst, vgl. S. 273. Vgl. Burkhardt: Reformationsjahrhundert (Kap. 1, Anm. 5). S. 29f. Vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 7f. sowie Bremer: Religionsstreitigkeiten (Anm. 9). S. 28f.
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befasste er sich mit der Erarbeitung von Katechismen für die Volksbelehrung sowie von Bekenntnissen für die theologische Auseinandersetzung. Nach Luthers Tod war Melanchthon berufen, gleichsam dessen Nachfolge anzutreten, wenn es ihm ob seines eher auf Ausgleich bedachten Naturells und mangelnder Autorität auch nicht gelang, die Zügel der reformatorischen Bewegung straff zu halten und interne theologische Streitigkeiten zu verhindern.49 3.2.1 Luthers Ablassthesen von 1517 als Initialzündung Der Beginn der öffentlich geführten theologischen Auseinandersetzungen begann 1517 mit Martin Luthers 95 Thesen gegen den Ablass. Diese waren zunächst keine polemische Flugschrift und ursprünglich auch nicht für den Druck gedacht, sondern stellten als Einladung zu einer Disputation einen normalen innerakademischen Vorgang an der Universität Wittenberg dar. Trotzdem soll dieser Text aufgrund seiner besonderen Bedeutung und großen Wirkung am Anfang unserer Betrachtungen stehen. Natürlich findet zu diesem frühen Zeitpunkt noch keine konfessionelle Parteienbildung statt, dennoch lassen sich erste Rückschlüsse auf Luthers Selbstverständnis ziehen. Er spricht von der ecclesia als der einen universalen Kirche,50 der er sich mit allen ,Christen‘ zugehörig weiß. Alleine neun Thesen beginnen dementsprechend mit der Aufforderung Docendi sunt Christiani.51 Daneben existiert die Form populum Christi52 bzw. einfach nur populus53 zur Bezeichnung der einfachen Gläubigen oder ,Laien‘,54 die auch als Gruppe der fidelium oder gar pauperum fidelium erfasst werden können.55 Diese durchschnittlichen und geistig eher armen Christen stehen den doctissimis theologis56 gegenüber, die aufgrund ihres Amtes berufen und verpflichtet sind, in Glaubensfragen für Klarheit zu sorgen. Eben aus diesem Anspruch heraus trat Martin Luther den von ihm erkannten Missständen entgegen, und nur in diesem Theologenkreis sah er auch seine eigentlichen Gegner.57 49 50
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Vgl. Robert Stupperich: Philipp Melanchthon. In: NDB 16. S. 742–744. Martin Luther: Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum. WA 1. S. 234. These 28; S. 235. These 37; S. 236. Thesen 56, 59, 60, 62 sowie S. 238. Thesen 88 und 90. WA 1. S. 235. Thesen 42, 43, 45–51. Weitere Belege finden sich auch in den Thesen 35–37 sowie auf S. 238. These 94. WA 1. S. 236. These 56 und S. 238. These 92, 93. WA 1. S. 234. These 24; S. 235. Thesen 39, 41; S. 237. These 80. WA 1. S. 237. These 81; S. 238. These 90. WA 1. S. 233. These 1 bzw. S. 237. These 86. WA 1. S. 235. These 39. Vgl. auch die direkte Gegenüberstellung von doctos viris und laicorum auf S. 237. These 81. Zu Luthers Selbstverständnis vgl. u. a. die Vorrede seiner Schrift: An den christlichen Adel deutscher Nation. WA 6. S. 404f. Hier beruft er sich auf seinen Eid als Doktor der Heiligen Schrift,
Selbst- und Fremdbezeichnungen in lutherischen Schriften
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Es handelt sich dabei ganz konkret um ,gewisse Ablassprediger‘,58 vor denen man sich tunlichst zu hüten habe.59 Ihnen wirft er unchristliches Predigen60 und Gotteslästerung oder blasphemia vor.61 Da sie nach Luthers Meinung der Lehre Christi zuwiderhandeln, schließt er sie kurzerhand aus dem Kreis der Christen aus. Hier wird deutlich, wie schnell man zu jener Zeit bereit war, einem Andersdenkenden sein Christsein und auf diese Weise auch das ewige Heil rundweg abzusprechen.62 Dagegen lobt er jeden, der contra libidinem ac licentiam verborum Concionatoris veniarum curam agit,63 ohne allerdings zugleich den Ablass selbst zu verurteilen, deren Kritiker er ebenfalls mit dem anathema, also dem Bannfluch, belegt sehen will.64 Damit deutet sich schon sehr früh bei Luther die Tendenz an, die eigene Meinung stets als rechtgläubig darzustellen und sich von all jenen, die sie nicht teilen, scharf abzugrenzen. Das Papsttum fällt bezeichnenderweise nicht unter dieses Verdikt, denn Luthers Gegner sind gleichzeitig hostes Christi et Pape, d. h. sie stellen sich nicht nur gegen Christus, sondern auch gegen den Papst.65 Damit bekennt er sich zu diesem Zeitpunkt noch deutlich zu Rom.66 Dies sollte sich bald ändern, denn in den folgenden Jahren entfernte Luther sich immer weiter vom Papsttum, auf das er in diesem Zusammenhang seine ablehnenden Fremdbezeichnungen ausweitete. Die Selbstbezeichnungen blieben jedoch weitgehend identisch, wenn auch verbunden mit entsprechenden Bedeutungsverengungen, da die Zahl jener Personen und Gruppen, die aus diesem Kreis herausfielen, schnell anstieg.
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in dem er geschworen hatte, das Evangelium „treulich und lauter zu predigen und zu lehren“. Die übliche Eidesformel ist zitiert nach Reinhard Schwarz: Luther. Göttingen 1986 (Die Kirche in ihrer Geschichte. Ein Handbuch. Bd. 3. Lieferung I). S. I 26. WA 1. S. 234. These 27: indulgentiarum predicatores ii. Vgl. auch S. 235. Thesen 50, 51; S. 236. Thesen 52, 57, 67, 69 und S. 237. These 72. Gemeint ist hier natürlich in erster Linie Johann Tetzel, der auch gemeinsam mit Konrad Wimpina als erster scharf mit eigenen Gegenthesen auf Luthers Vorwürfe reagiert hat. Vgl. hierzu die 106 Frankfurter Thesen vom Januar 1518. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 321–337 sowie die 50 Positiones vom April/Mai desselben Jahres. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 340–363. Vgl. WA 1. S. 235. These 33. Vgl. WA 1. S. 235. These 35. WA 1. S. 237. Thesen 77, 79. Vgl. hierzu WA 1. S. 238. These 94, wo derjenige als Christ definiert wird, der Christus als caput suum folgt. WA 1. S. 237. These 72. Vgl. WA 1. S. 236. These 71. WA 1. S. 236. These 53. Vgl. in diesem Zusammenhang v. a. die Rückschauen Luthers auf den Beginn der Reformation in seinem Werk ,Wider Hans Worst‘ von 1541, WA 511. S. 543 sowie in der Vorrede zum 1. Band der Gesamtausgabe seiner lateinischen Schriften von 1545, WA 541. S. 79: Et sciat, me fuisse aliquando monachum, et papistam insanissimum.
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3.2.2 Lasst uns Christen heißen: Lutherische Selbstbezeichnungen Luther gab immer wieder deutliche Hinweise, welche Namen er für sich und seine Anhänger wünschte. In seiner Schrift ,Eine treue Vermahnung zu allen Christen, sich zu verhüten vor Aufruhr und Empörung‘ von 1522 bat er ausdrücklich darum, man wolt meynes namens geschweigen und sich nit lutherisch, sondern Christen heyssen. Was ist Luther? ist doch die lere nitt meyn. [...] last uns tilgen die parteysche namen unnd Christen heyssen, des lere wir haben.67
Aus heutiger Sicht überrascht diese Aussage, gilt doch ,evangelisch-lutherisch‘ inzwischen als offizielle Selbstbezeichnung.68 Ursprünglich verbanden sich mit derartigen personenbezogenen Parteinamen jedoch andere Konnotationen, denn hier schwang stets der implizite Vorwurf mit, die entsprechende Lehre stamme nicht von Gott oder Christus, sondern sei reines Menschenwerk. Bereits Paulus forderte die Korinther auf, sich nicht auf ihn zu berufen und damit einen Menschen zu rühmen, sondern Christus und Gott alleine die Ehre zu geben.69 In diesem Sinne wurde der Begriff ,lutherisch‘ von römisch-katholischer Seite eingeführt, um auszudrücken, dass die Reformation „nur auf Parteinahme für die Person Luthers beruhe, also keine objective, in der christlichen Wahrheit gegebene Berechtigung, d. h. keinen christlich-sittlichen Charakter habe.“70 Ein erster Nachweis findet sich bereits 1519 in einer Schrift des Jüterboger Franziskanermönchs Bernhard Dappen, der jedoch pikanterweise ausgerechnet Luthers späteren Gegner Thomas Müntzer auf diese Weise charakterisierte. Ein Jahr später erscheint der Begriff erstmals bei Johannes Eck.71 Auf diese Weise versuchte man nun, den evangelischen Glauben als Ketzerei darzustellen, denn die meisten Häresien wurden als Menschenlehre nach ihren Begründern genannt, man denke nur an frühchristliche Abspaltungen wie die Arianer, Donatisten, Nestorianer bzw. an das damals noch relativ junge Beispiel der Hussiten.72 Die Benennung nach ihrem geistigen Anführer mag die ,Lutherischen‘ 67 68 69 70 71
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WA 81. S. 685. Zum heutigen Sprachgebrauch s. o. Kap. 1.3. 1. Kor 3. Heppe: Ursprung (Kap. 1, Anm. 17). S. 4. Vgl. Diekmannshenke: Schlagwörter der Radikalen der Reformationszeit (Kap. 1, Anm. 35). S. 352 sowie Goetze: Lutherisch (Kap. 1, Anm. 1). S. 183f. Das Werk von Dappen ist genannt bei Klaiber: Katholische Kontroverstheologen (Anm. 28). Nr. 794. Zur katholischen Verwendung als abwertende Fremdbezeichnung siehe ausführlicher Kap. 3.3. Die Abneigung gegen personenbezogene Namen ist nicht auf das Christentum beschränkt. In ihrer Einführung zum Islam berichtet Annemarie Schimmel, der Begriff ,Mohammedaner‘ sei nicht gerne gesehen, da dieser in den Augen der Muslime eine unrichtige Parallele zur Selbstbezeichnung der ,Christen‘ darstelle. Vgl. Annemarie Schimmel: Die Religion des Islam.
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daher für die Zeitgenossen durchaus in eine Reihe mit jenen ,Erzketzern‘ gestellt haben. Auch die als abwertend verstandene Bezeichnung ,Philippisten‘ für die Anhänger Melanchthons in den innerprotestantischen Auseinandersetzungen nach Luthers Tod weist in diese Richtung. Luthers Ablehnung des Namen ,Lutherisch‘ ergibt sich somit aus seinem Selbstverständnis, keine eigene Lehre ,erfunden‘, sondern alleine dem Wort Gottes ohne jeden menschlichen Zusatz wieder die rechte Geltung verschafft und dabei der Bibel als einziger Richtschnur Folge geleistet zu haben.73 Die Tatsache, dass eine derart deutliche Aussage notwendig geworden war, zeigt zugleich, dass die Bezeichnung ,lutherisch‘ bei seinen Anhängern durchaus in Gebrauch gewesen sein muss. So beklagte Philipp Melanchthon 1524: vil geben sich auß vor dem gemaynen volck für lutherisch, die gar nit lutherisch seind.74 Gleichzeitig ging aber auch die Ablehnung dieses Namens über Luther selber hinaus. So wurde der katholischen Gegenseite in der deutschen Fassung der Apologie zur Confessio Augustana vorgeworfen, dieselbigen seligen Lehre, das liebe, heilige Evangelium nennen sie lütherisch.75 So ganz mochte Luther seinen eigenen Namen allerdings doch nicht beiseite geschoben sehen. In dem Traktat ,Von beider Gestalt des Sakraments zu nehmen‘, ebenfalls aus dem Jahr 1522, schrieb er nämlich: wenn du es dafur heltist, das des Luthers lere Euangelisch und des Babsts uneuangelisch sey, so mustu den Luther nicht ßo gar hyn werffen, du wirffist sonst seyn lere auch mit hyn.76
Mit derartigen Aussagen bereitete er die zunehmende Akzeptanz von ,lutherisch‘ oder ,Lutheraner‘ als positiver Selbstbezeichnung vor, wie sie heute üblich ist. Seit der Konkordienformel von 1577 und dem bald darauf folgenden Konkordienbuch von 1580, in dem alle grundlegenden lutherischen Lehrbekenntnisse verbindlich zusammengefasst wurden, etablierte sich dieser Name zusehends. Auch wenn die Konkordienformel selber noch nicht von einer lutherischen Kirche sprach, so be-
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Eine Einführung. Stuttgart 2001 (RUB. Bd. 8639). S. 17. In diesem Zusammenhang ist natürlich zu beachten, dass Christus im Islam lediglich als Prophet gilt, während die Christen in ihm Gott selber sehen. Die Muslime haben also die gleiche Abneigung gegen eine Benennung ihres Glaubens nach einem einfachen Menschen wie die Christen auch. Vgl. hierzu auch Goetze: Lutherisch (Kap. 1, Anm. 1). S. 189f. Philipp Melanchthon: Ein wahrhaftiges Urteil über Martin Luthers Lehre. In: Adolf Laube (Hg.): Flugschriften der frühen Reformationsbewegung (1518–1524). Bd. 1. Vaduz 1983. S. 614–616, hier S. 614. Melanchthon: Apologia. In: BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. III. S. 305. In diesem Fall ist zu beachten, dass diese Formulierung lediglich in der deutschen Übersetzung von Justus Jonas erscheint, nicht jedoch im lateinischen Original von Melanchthon! WA 10.2. S. 40.
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tonte sie doch deutlich Luthers Rolle als wichtigster Lehrer und bedeutendste Berufungsinstanz bei Lehrstreitigkeiten.77 Aus dieser Zentralstellung Luthers heraus entstand die altlutherische Orthodoxie.78 Die Schriften des Württemberger Theologen Jacob Andreä seit 1586 repräsentieren in diesem Zusammenhang „den Anfang des Sprachgebrauchs, nach welchem sich die Kirche der Concordienformel als ,Lutherische Kirche‘ bezeichnet.“79 Anstelle des eigenen Namens bevorzugte Luther für seine Lehre ,universale Bezeichnungen‘. Zum einen hielt er natürlich an dem Anspruch fest, ,christlich‘ zu sein, und betonte 1520 noch genauso wie in seinen Ablassthesen, er sei eyn untertheniger, gehorsamer son der heyligen Christlichen kirchen.80 Er selber sah sich also durchaus nicht als Schismatiker, der sich von der Kirche abgetrennt hätte, sondern fühlte sich dieser in jeder Beziehung zugehörig. Ein weiterer beliebter Begriff mit Universalanspruch, der so in den Thesen noch nicht erschienen war, ist ,evangelisch‘. Er galt exklusiv für die eigene Lehre; der Papst stand ihr demgemäß als ,unevangelisch‘ gegenüber.81 Die Vereinnahmung dieses Attributs durch die Lutheraner wurde auch von der Gegenseite bezeugt, denn Thomas Murner legte ihnen die Worte in den Mund: Hie flügt das ewangelisch fan; / Wer cristlich ist vnd wil daran / Vnd liebet ewangelisch ler, / Der lauff zuo disem fenlin her.82 Dabei handelt es sich nun keineswegs um einen Neologismus, sondern um eine Übernahme aus vorreformatorischer Zeit. Ausgehend von lateinisch ,evangelicus‘ bedeutet der Begriff „dem Evangelium entsprechend“,83 wobei man sich allerdings nicht nur auf die vier Evan-
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Vgl. Heppe: Ursprung (Kap. 1, Anm. 17). S. 21. Wallmann bezeichnet das Konkordienbuch als „die Eingangspforte zur klassischen Periode der lutherischen Orthodoxie.“ Wallmann: Kirchengeschichte (Kap. 1, Anm. 54). S. 94. Vgl. daneben auch Wolter: Deutsche Schlagwörter (Kap. 1, Anm. 27). S. 193f. Heppe: Ursprung (Kap. 1, Anm. 17). S. 28. Heppe urteilte selbst im 19. Jahrhundert aus reformierter Sicht noch im alten Sinne über diese Selbstbezeichnung, dass die lutherische Kirche „durch Annahme dieses Namens sich selbst in das Gewand einer Sekte einkleidete.“ Heppe: Ursprung (Kap. 1, Anm. 17). S. 68. WA 6. S. 480. Vgl. auch die lateinische Fassung: filius supplex et obediens Sancte Ecclesie Catholice, S. 482. Neben dem obigen Zitat finden sich zahlreiche weitere Aussagen in dieser Richtung. Vgl. etwa Luther: Warum des Papstes Bücher verbrannt sind. 1520. WA 7. S. 163, wo er das Papsttum und seine Endchristische, teufflische lere ganz bewusst in Gegensatz zu seiner eigenen ,Evangelischen Lehre‘ stellte. Thomas Murner: Von dem großen Lutherischen Narren. Herausgegeben von Paul Merker. Straßburg 1918 (Kritische Gesamtausgaben Elsässischer Schriftsteller des Mittelalters und der Reformationszeit: Thomas Murners Deutsche Schriften mit den Holzschnitten der Erstdrucke. Bd. IX). V. 2165–2168. Goetze: Evangelisch (Kap. 1, Anm. 26). S. 3.
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gelien beschränkte, sondern das gesamte Neue Testament mit einbezog.84 Wer sich ,evangelisch‘ nannte, erhob damit den universalen wie exklusiven Anspruch auf Bibeltreue. Ein bekanntes Beispiel für den Wortgebrauch vor dem 16. Jahrhundert stellen die sogenannten ,evangelischen Räte‘ oder ,consilia evangelica‘ dar, die in der Vorschrift von „Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam im Unterschied zu den Geboten des Dekalogs“ zu einem „vollständigen christl. Leben in der Nachfolge Christi und Jüngerschaft der Apostel“ führen sollten und so u. a. für die Entstehung der Bettelorden im 13. Jahrhundert von Bedeutung waren.85 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum Luther und seine Anhänger gerade diese Bezeichnung aufgriffen, wurden sie doch nicht müde, die zentrale Stellung der Bibel in ihrem Glauben immer wieder hervorzuheben.86 Letztendlich enthält jede Bezugnahme auf das Wort Gottes zugleich einen Anklang an den Namen ,evangelisch‘, auch Melanchthons erwähnter Seufzer, die Gegner würden das Evangelium lutherisch nennen. Man könnte schließlich noch einen Schritt weiter gehen und ,evangelisch‘ sogar mit ,christlich‘ gleichsetzen. In einer satirischen Schrift von 1524 wehrt sich etwa ein überzeugter Anhänger Luthers gegen die Bezeichnung ,lutherisch‘ mit dem Ausruf: Es heißt nit lutherisch, sonder christisch oder evangelisch.87 Der Sprecher sieht hier in beiden Begriffen offenbar Synonyme. Damit wird nochmals deutlich, dass die Reformatoren ,evangelisch‘ in einem „vorkonfessionel84
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Vgl. Diekmannshenke: Schlagwörter der Radikalen der Reformationszeit (Kap. 1, Anm. 35). S. 238f. Ludwig Hödl: Evangelische Räte. In: Robert-Henri Bautier u. a. (Hg.): Lexikon des Mittelalters. 9 Bde. München/Zürich 1977–1999. Bd. 4. Sp. 131f. Nicht zuletzt aus diesem Grund betonte Luther selber, von seinen Lehren erst dann abstehen zu wollen, ßo ich nach erbarer vorlegung mit bestendigen grund der heyligen schrifft unrecht befunden und überwunden wurdt, Luther: Erbieten. WA 6. S. 481. Auch Melanchthon fordert in seinen ,Loci Communes‘ bereits im einleitenden Widmungsbrief alle Christen dringend zur Bibellektüre auf: Philipp Melanchthon: Loci communes rerum theologicarum seu hypotyposes theologicae. In: Karl Gottlieb Bretschneider/Heinrich Ernst Bindseil (Hg.): Philippi Melanchthonis Opera Quae Supersunt Omnia. Bd. 21. Braunschweig 1854 (Corpus Reformatorum. Bd. 21). Sp. 81–227, hier Sp. 82 (im Folgenden abgekürzt als CR). Es ließen sich noch viele weitere Belege für diese Haltung anführen, denn der Bezug auf die Heilige Schrift erscheint in beinahe jedem evangelischen Text jener Zeit, er ist geradezu ein konstituierendes Merkmal. Angesichts der Frage, welche Flugschriften nun eigentlich als reformatorisch zu bezeichnen seien, sieht Heinz Scheible dementsprechend als theologische Grenze die Vertretung einer „Ausschließlichkeit der Schrift als Norm des Glaubens“: Heinz Scheible: Reform, Reformation, Revolution. Grundsätze zur Beurteilung der Flugschriften. In: Ders.: Melanchthon und die Reformation. Forschungsbeiträge. Hrsg. von Gerhard May und Rolf Decot. Mainz 1996. S. 442–468, hier S. 465. Anonym.: Ein Gesprech von dem gemeinen Schwabacher Kasten als durch Bruder Heinrich Knecht Ruprecht Kemerin Spuler und irem Maister des Hantwerks der wullen Tuchmacher. Anno MDXXIIII. In: Oskar Schade: Satiren und Pasquille aus der Reformationszeit. Bd. III. 2. Aufl. Hannover 1863. Nachdruck Hildesheim 1966. Nr. IX. S. 196–206, hier S. 197.
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len Gebrauch“88 und damit in einem allgemeinen, umfassenden Sinn verwendeten, eben gerade nicht als parteyschen namen. Im weiteren Verlauf der Ereignisse legte man sich verstärkt auf die Selbstbezeichnung ,Evangelische‘ und entsprechende Wendungen fest, wodurch diese allmählich den Charakter eines konfessionellen Namens annahm.89 3.2.3 vnser wider part, Teufel, Papisten, Rotten vnd alle Welt: Katholiken und Reformierte im Urteil lutherischer Polemik Die Verwendung von Begriffen, die einen universalen Anspruch auf den wahren Glauben zum Ausdruck brachten, ging automatisch mit einer deutlichen Bedeutungsverengung einher. Indem man für sich selbst reklamierte, christlich oder evangelisch zu sein, sprach man den Gegnern gerade diese Attribute schlichtweg ab. Im Kontext des polemischen Schrifttums ist also der Name ,Christen‘ nicht mehr wie in vorreformatorischer Zeit90 oder auch im heutigen Sinne als umfassender Oberbegriff für alle Gläubigen, sondern im Gegenteil exklusiv für die jeweils eigene Konfession zu verstehen, wenn auch dem jeweiligen Selbstverständnis nach nicht als Parteiname, weil man für sich ja den Alleinvertretungsanspruch auf die christliche Wahrheit reklamierte. Das gleiche gilt auch für ,evangelisch‘, nur dass dieser Begriff im alltagssprachlichen Gebrauch inzwischen seine universale Komponente weitgehend verloren hat. Aus diesem Grunde konnten die katholischen Theologen dem Gegner diesen Namen nicht einfach kampflos überlassen, sie mussten ihn zurückweisen, „wollten sie sich nicht sogleich durch die Namengebung ins Unrecht setzen lassen“91 und zugleich ihrem eigenen Selbstverständnis zuwiderhandeln. Wenn sie ihn dennoch als Fremdbezeichnung gebraucht haben, dann meist in Verbindung mit herber Kritik. So merkte Johannes Eck an: sie rümen sich des Euangeli/ vnd nennenn sich Euangelisch mitt dem mund/ man sicht aber kain Euangelisch werk von
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Goetze: Evangelisch (Kap. 1, Anm. 26). S. 2. Einige Beispiele aus der Zeit des Interims: Caspar Aquila spricht von den Euangelischen: Caspar Aquila: Wider den spöttischen Lügner vnd vnuerschempten verleumbder O. Isslebium Agricolam. Nötige verantwortung/ vnd Ernstliche warnung/ Wider das Interim. o. O. 1548. 8. S. Der Titel des anonymen Traktats ,Eine Schrift/ wie die Pfarherrn an den örtern/ da man die Papisterey widerumb auffricht/ die Euangelisch lehr/ welche sie Lutherisch nennen/ verloben und verschweren müssen‘, ebenfalls aus dem Jahr 1548, zeigt zugleich nochmals, dass man durch die katholische Seite als ,lutherisch‘ bezeichnet wurde. Hier ist natürlich einzuschränken, dass auch vor der Reformation jede Abspaltungsbewegung von Rom als unchristlich gebrandmarkt wurde, mit der Ausbreitung des evangelischen Glaubens veränderten sich im Prinzip lediglich die entsprechenden Dimensionen. Goetze: Evangelisch (Kap. 1, Anm. 26). S. 15.
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in.92 Dagegen betonte er selber ausdrücklich seinen Euangelisch glaub.93 Ebenso handelten umgekehrt auch die Reformatoren. Wollte Luther sich und die Seinen als alleinige Vertreter der allgemeinen Christenheit definieren, so musste er den Katholiken zugleich eben dieses Prädikat versagen und ihre Aussagen als Irrlehren abqualifizieren. Deshalb häufen sich in eigentlich allen Flugschriften lutherischer Provenienz entsprechende Ausdrücke wie ,unchristlich‘, ,gottlos‘, ,Irrtum‘, ,Missbrauch‘ usw.94 In erster Linie entzündete sich die Kritik jedoch an Amt und Person des Papstes als dem Anführer der katholischen Partei. Unter allen Beschimpfungen, denen der Papst ausgesetzt war, erwies sich die Gleichsetzung mit dem ,Anti‘- bzw. ,Endchrist‘95 als besonders wirkmächtig. Auch hier wirkte Luther als Vorreiter. Die Ursprünge der Antichrist-Vorstellung liegen in der Bibel. Im 2. Brief an die Thessalonicher wird vor dem Auftreten des Widersachers Christi gewarnt, der vorgeben wird, Gott zu sein, und auf diese Weise versucht, die Menschen vom wahren Glauben abzubringen. Im ersten Johannesbrief ist dann auch direkt vom ,Antichristen‘ die Rede.96 Er gilt stets als Zeichen der Endzeit, denn er tritt kurz vor Christi Wiederkehr in Erscheinung. Dieser eschatologische Charakter kommt besonders 92
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Johannes Eck: Enchiridion. Handbüchlin gemainer stell und Artickel der jetzt schwebenden Neuwen leeren. Faksimile-Druck der Ausgabe Augsburg 1533. Herausgegeben von Erwin Iserloh. Münster i. W. 1980 (Corpus Catholicorum. Werke katholischer Schriftsteller im Zeitalter der Glaubensspaltung. Bd. 35). S. 26. Eck: Handbüchlin (Anm. 92). S. 74. Ein Blick auf die Titel verschiedener katholischer Flugschriften zeigt ebenfalls, dass die römische Seite nicht bereit war, ihren Anspruch auf die Bezeichnung ,evangelisch‘ aufzugeben. So wird noch 1593 durch den Jesuiten Petrus Michael Brillenmacher eine Taffel der Evangelischen und Onevangelischen Lehr zusammen mit den irrthumben der ketzer präsentiert, vgl. Klaiber: Katholische Kontroverstheologen (Anm. 28). Nr. 411; ein ähnlicher Titel findet sich bei Caspar Ortrandus Franck im Jahre 1570, Nr. 1214. Vgl. daneben auch die Verwendung des entsprechenden Adjektivs in Nr. 723, 813, 910, 1068, 1072, 1218, 1319, 1399, 1754, 2137, 2330, 2555, 2673, 2839, 2970, 3014, 3040, 3043, 3062, 3356, 3381 und Nr. 3443. ,Gottlose‘ als Menschen, die sich vom Evangelium als der wahren Autorität zugunsten der falschen Autorität von Papst, Mönchen u. a. abgewendet haben, werden von Luther in seiner Auslegung des 36. Psalms von 1521 folgendermaßen definiert: Ich nenne impium eyn gotlößen, denn es heysset eygentlich den, der ynn got nit trawet, noch glewbt, der auß yhm selbs und seynem freyen willen noch ynn der natur lebt, alß den sonderlich sind die gleyßner, die gelereten und scheynend heyligen, alß zu unßern tzeytten sind Bapst, bischoff, pfaffen, Munich, doctores unnd des gleychenn volck, wilch von natur mussen wueten wider das heylig Euangelium, alß wir sehn, das sie auch weydlich thun. WA 8. S. 219. Vgl. auch Diekmannshenke: Schlagwörter der Radikalen der Reformationszeit (Kap. 1, Anm. 35). S. 120f. Zu dieser Thematik ist noch immer grundlegend Hans Preuß: Die Vorstellungen vom Antichrist im späteren Mittelalter, bei Luther und in der konfessionellen Polemik. Ein Beitrag zur Theologie Luthers und zur Geschichte der christlichen Frömmigkeit. Leipzig 1906. 2. Thess 2 sowie 1. Joh 3,18. Gerade die Aussage in 2. Thess 2,4, der Antichrist säße im Tempel Gottes, hat dazu geführt, den Papst, der ja nach seinem Selbstverständnis die Kirche leitet, mit ihm zu identizieren.
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deutlich in der volksetymologischen Variante ,Endchrist‘ zum Ausdruck.97 Die Gestalt des Antichristen wurde daher immer dann besonders populär, wenn die Menschen der Überzeugung waren, kurz vor dem Weltende zu stehen. Wenn sich also bereits seit dem Staufer Friedrich II. Kaiser und Päpste immer wieder gegenseitig als Antichrist bezeichneten, so verlieh dies dem entsprechenden Konflikt der mittelalterlichen Universalgewalten wahrhaft apokalyptische Ausmaße.98 Auch Luther war von Endzeiterwartungen geprägt. Daher verwundert es nicht, dass sich bei ihm der erste Nachweis für ,Antichrist‘ bereits 1509 findet, also noch lange vor dem Ausbruch des Konflikts mit Rom. Im Zuge des Ablassstreits übertrug er diese Vorstellung erstmals auf die Kurie, scheute sich aber noch davor, den Papst selber in die Kritik mit einzubeziehen. Erst im Vorfeld der Leipziger Disputation setzte sich bei Luther allmählich die Überzeugung durch, Papst und Antichrist könnten identisch sein.99 Bald fand diese Meinung auch Eingang in seine Schriften. Mit dem Werk ,Adversus execrabilem Antichristi bullam‘ setzte er Papst und Antichrist endgültig gleich.100 Auf Deutsch vertrat er diese Ansicht erstmals in seiner Schrift ,An den christlichen Adel deutscher Nation‘.101 Der Papst wird damit zum apokalyptischen Widersacher Gottes erklärt, der auf die vollkommene Verkehrung alles Christlichen abzielt.102 Sein Wirken resultiert in einer ,doppelten Tyrannis‘,103 zum einen über die Gewissen der Gläubigen, indem er sich an Christi Stelle zum Herrscher über die Kirche setzt, zum andern durch seine Herrschaftsansprüche über Könige und Kaiser und die damit verbundene Verquickung von geistlicher und weltlicher Macht. Nicht umsonst wurde dem Papsttum, seinen Gesetzen und Dogmen in zahlreichen reformatorischen Texten immer wieder ,Tyrannei‘ vorgeworfen.104 Auch dieses Wort wurde im deutschen Sprachraum zuerst v. a. von Luther geprägt.105 Damit verband 97 98 99 100 101 102
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Vgl. Preuß: Antichrist (Anm. 95). S. 14f. Vgl. Preuß: Antichrist (Anm. 95). S. 45. Vgl. Preuß: Antichrist (Anm. 95). S. 91–105. WA 6. S. 595/597–629. Vgl. Sven Hartmann u. a.: Art. Antichrist. In: TRE 3. S. 20–50, hier S. 29. Vgl. WA 6. S. 416. Vgl. Auch Preuß: Antichrist (Anm. 95). S. 116f. Vgl. Diekmannshenke: Schlagwörter der Radikalen der Reformationszeit (Kap. 1, Anm. 35). S. 147–149. Vgl. Hartmann: Antichrist (Anm. 100). S. 29f. Dieses Verdikt traf auch sehr häufig die Türken. Überhaupt schwankte Luther zeitweise, ob es sich beim Antichristen vielleicht doch um die Türken handeln könnte, entschied sich aber letztendlich für den Papst. Bei Juden und Gegnern innerhalb der reformatorischen Bewegung war er sich allerdings sicher, dass der Antichrist hier nicht am Werke sei. Vgl. Preuß: Antichrist (Anm. 95). S. 171–174. Zur Gleichsetzung von Papsttum und Türken siehe auch den entsprechenden Exkurs in Kap. 7.2. Vgl. Hella Mandt: Tyrannis, Despotie. In: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. 8 Bde. Stuttgart 1972–1997. Bd. 6. S. 651–706, hier S. 665.
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sich aus christlicher Sicht die Vorstellung, der Papst handle gegen die Grundnormen christlicher Ethik, wie ,pax‘, ,iustitia‘, ,caritas‘ oder ,pietas‘, und stelle letztendlich eine Strafe Gottes dar.106 Andere Reformatoren übernahmen dieses Bild bereitwillig. Im ersten Teil seines Traktates über die Gewalt und den Primat des Papstes verurteilt Melanchthon die Ansprüche des Romanus episcopus, den er bereits durch diese Bezeichnung als nur einen Bischof unter mehreren kennzeichnet, auf die geistliche wie weltliche Oberhoheit als falsos, impios, tyrannicos et perniciosos ecclesiae.107 Seine Lehren bedeuten abusus, horrendam idolatriam und errores, also Missbrauch, Götzendienst und Irrtum,108 und stehen auf diese Weise dem Evangelium entgegen.109 Letztendlich kommt er zu dem Schluss, dass der Papst alle Kennzeichen des Antichristen aufweise.110 Die christiani111 bzw. pii112 haben deshalb nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, sich ihm als dem Antichristen zu widersetzen.113 Diese ausführliche Papstkritik wurde 1580 als verbindliche Bekenntnisschrift in das Konkordienbuch aufgenommen, so dass seit diesem Zeitpunkt die Identifizierung des Papstes mit dem Antichristen sogar als offizielle Lehre der lutherischen Kirche gelten konnte.114 Der Antichrist ist zwar nicht mit dem Satan selbst gleichzusetzen, aber natürlich besteht eine enge Verbindung. Luther hat sie noch 1545 im Titel einer seiner letzten Schriften ,Wider das Papsttum zu Rom vom Teufel gestiftet‘ explizit zum Ausdruck gebracht.115 Die übliche Anrede ,Heiligkeit‘ hat er in diesem Zusammenhang in seine Hellischeit abgewandelt116 und den Papst an anderer Stelle sogar als Fürst der Hölle117 höchstselbst tituliert.
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Zu den Ausformungen des Begriffs bei Augustinus und Thomas v. Aquin vgl. Mandt: Tyrannis (Anm. 105). S. 661–663. Melanchthon : De potestate et primatu papae. In: BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. V. S. 471. BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. V. S. 486f. BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. V. S. 488: doctrinam pugnantem cum evangelio. BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. V. S. 484: Ac plane notae Antichristi competunt in regnum papae et sua membra. BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. V. S. 485. BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. V. S. 487, 489. Vgl. BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. V. S. 488f.: […] non debetur ei obedientia. Imo necesse est ei tamquam Antichristi adversari. Vgl. Wolter: Deutsche Schlagwörter (Kap. 1, Anm. 27). S. 253. WA 54. S. 195/206–299. Dabei handelte es sich um eine Reaktion auf ein päpstliches Tadelbreve an Kaiser Karl V. im Zuge des Speyrer Reichsabschiedes von 1544, in dem dieser den evangelischen Ständen zahlreiche Zugeständnisse gemacht hatte. Vgl. S. 195f. Siehe hierzu auch die Analyse dieses Abschieds in Kap. 6.4.1. WA 54. S. 213. Vgl. WA 6. S. 406.
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Da Luther im Papst den Anführer der katholischen Seite sah, stand auch die entsprechende Namensgebung für die gesamte Konfession vornehmlich in Zusammenhang mit seiner Person: Die Papisten habenn billich einen parteyschen namen, die weyl sie nit benuget an Christus lere unnd namen, wollenn auch Bebstisch seyn, szo last sie Bebstisch seyn, der yhr meyster ist.118
Neben den hier verwendeten Bezeichnungen Bebstisch und Papisten existieren zahlreiche weitere Varianten, etwa die umschreibenden Wendungen der Bapst und die seynen119 oder des Bapsts von Rhom und ettlich seyner Jungernn120 sowie Romanisten121 und besonders abwertend der Romische hauffe122 bzw. die Romischen buben.123 Auch hier liefert Thomas Murner den Nachweis, dass derartige Begriffe von der Gegenseite genau registriert wurden, wenn er schreibt, dass er und die Seinen von den Lutheranern Romanenses romanisten124 genannt würden. Namen und Umschreibungen nach diesem Muster wurden in der polemischen Literatur sehr häufig verwendet. Insbesondere ,Papisten‘ entwickelte sich auf evangelischer Seite zu einer selbstverständlichen und schon beinahe halboffiziellen Bezeichnung für die gegnerische Religionspartei.125 Zedler wies deshalb in seinem Universallexikon, stets auf den praktischen Nutzen bedacht, gesondert darauf hin, dass die Verwendung dieses Namens bei Eingaben an das Reichskammergericht eine Geldbuße nach sich ziehe,126 und noch im 19. Jahrhundert sprach ein reformierter Theologe wie Heinrich Heppe in seinen Werken ganz selbstverständlich von den ,Papisten‘.127 118 119
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Luther: Eine treue Vermahnung. WA 8. S. 685. Luther: Warum des Papstes Bücher verbrannt sind. WA 7. S. 165 und Ders.: An den christlichen Adel deutscher Nation. WA 6. S. 411. Luther: Warum des Papstes Bücher verbrannt sind. WA 7. S. 162. Luther: An den christlichen Adel deutscher Nation. WA 6. S. 406 und Ders.: Von den neuen Eckischen Bullen. WA 6. S. 582. Luther: An den christlichen Adel deutscher Nation. WA 6. S. 462. Luther: Von den neuen Eckischen Bullen. WA 6. S. 581. Vgl. auch Ders.: An den christlichen Adel deutscher Nation. WA 6. S. 422. Murner: Von dem großen Lutherischen Narren (Anm. 82). V. 1851. Als Beleg dafür, wie weit der Name ,Papisten‘ in polemischen Traktaten verbreitet war und wie lange er sich hielt, sei hier beispielsweise auf die Auseinandersetzung um das Augsburger Interim von 1548 hingewiesen, vgl. u. a.: Anonym.: Bedencken Etlicher Predicanten/ Als der zu Schwebischen Hall/ Der in Hessen Vnd der Stadt N.N. auffs Interim Ihrer Oberkeit Vberreicht. o. O. 1548. 18. S. oder Aquila: Wider Agricolam (Anm. 89). 3. S. Bereits etwas früher hatte Melanchthon den Versuch unternommen, dem, was Das Euangelium leret, das gegenüberzustellen, was Die Papisten leeren. Vgl. Melanchthon: Die fürnemisten unterschaid/ Zwischen rayner Christlicher Lere des Evangelii/ Vnd der Abgöttischen Papistischen Lere. Augsburg 1540. 2./3. S. Vgl. den Art. Papisten. In: Zedler: Universallexikon. Bd. 26 (Kap. 1, Anm. 23). Sp. 679. Vgl. z. B. Heppe: Ursprung (Kap. 1, Anm. 17). S. 3, 8, 22.
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Die Reformatoren verfolgten hier im Prinzip die gleiche Strategie wie ihre katholischen Kollegen. Ebenso wie diese die abweichende Lehre durch die personenbezogene Bezeichnung ,Lutherische‘ als unchristliches Menschenwerk abtun wollten, so geschah dies unter umgekehrten Vorzeichen auch mit dem amtsbezogenen Namen ,Papisten‘. Allerdings bleibt lange Zeit nicht ganz eindeutig, wer nun eigentlich genau mit dieser Bezeichnung gemeint war. Luther verstand in seiner Adelsschrift unter den ,Romanisten‘ ausdrücklich Bapst, Bischoff, pfaff, munch odder gelereten,128 und auch in Melanchthons Apologie handelt es sich bei seinen Gegenspielern konkret um theologi quidam ac monachi.129 Damit trafen Begriffe wie ,Papisten‘ ursprünglich nur dezidierte Anhänger und Verteidiger des Papsttums, nicht jedoch den einfachen Gläubigen. Erst im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung erweiterte sich der Sinngehalt. Die Bildung fester konfessioneller Parteien zog sich über mehrere Jahrzehnte hin, die Untersuchung der amtlichen Dokumente wird zeigen, dass zahlreiche Reichsstände noch viele Jahre versuchten, einen konfessionsneutralen Kurs zu fahren.130 Theologen und andere Fürsten verurteilten zwar immer wieder Versuche, neutral bleiben zu wollen,131 doch erst mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 waren die Reichsstände schließlich gezwungen, sich endgültig für eine Seite auszusprechen. In diesem Zusammenhang entwickelte sich ,Papisten‘ allmählich zu einer eindeutigen, wenn auch diffamierenden Bezeichnung für alle Anhänger der römisch-katholischen Kirche. So hieß es in einer evangelischen Flugschrift von 1548 von jedem Befürworter des Augsburger Interims, er sei aus einem Christen/ ein Papist worden.132 Hier wurde der Begriff als allgemeiner Parteiname bemüht. Die Lexika von Zedler und Adelung bezeugen schließlich auch
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Luther: An den christlichen Adel deutscher Nation. WA 6. S. 469. Melanchthon: Apologia. In: BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. III. S. 141. Vgl. hierzu etwa Albrecht Pius Luttenberger: Glaubenseinheit und Reichsfriede. Konzeptionen und Wege konfessionsneutraler Reichspolitik (1530–1552). Kurpfalz, Jülich, Kurbrandenburg. Göttingen 1982 (Schriftenreihe der historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Schrift 20). Anhand der Beispiele von Jülich-Kleve, Brandenburg und Kurpfalz zeigt Luttenberger hier die Politik jener Stände auf, „die sich ganz bewußt der zunehmenden konfessionspolitischen Polarisierung zu entziehen suchten und Vermittlungsfunktionen übernahmen“, S. 93. Vgl. etwa Luthers Aussage bezüglich des Streits mit den Schweizern: Ein teil mus des teufels und Gotts feind sein, Da ist kein mittel. Luther: Wider die Schwärmgeister. WA 23. S. 83. Auch die konfessionsneutrale Haltung einiger Stände erschien vor dem Hintergrund der heftigen religionspolitischen Auseinandersetzungen in zwiespältigem Licht, hier „herrschte der Eindruck religiöser Gleichgültigkeit und konfessionspolitischer Unzuverlässigkeit vor.“ Luttenberger: Glaubenseinheit und Reichsfriede (Anm. 130). S. 150. Aquila: Wider Agricolam (Anm. 89). 3. S.
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für spätere Jahrhunderte die Gleichsetzung von ,papistisch‘ und ,katholisch‘ auf evangelischer Seite.133 Dass sich die Kritik, wie bereits in Luthers Ablassthesen, auch weiterhin stark an den Theologen und anderen maßgeblichen Verantwortlichen der Gegenseite festmachte, zeigen nicht zuletzt die zahlreichen Bezeichnungen, die ausschließlich für diese Gruppe reserviert waren. Regelmäßig erscheint beispielsweise die Beschimpfung als ,Sophisten‘.134 Dieser Begriff wandte sich zunächst gegen die Scholastiker. Die Auseinandersetzung mit der Scholastik ist älter als der Ablassstreit. Ausgehend von Luthers Paulus-Exegese entwickelte sich daraus „ein Kampf für eine Grundlagenreform der Theologie“.135 Nach 1517 traf der Vorwurf der ,Sophisterei‘ im Prinzip alle theologischen Gegner Luthers.136 Unter einem ,Sophisten‘ ist in diesem Zusammenhang jemand zu verstehen, „welcher die Fertigkeit besitzet, andere durch Trugschlüsse oder falsche Schlüsse zu hintergehen.“137 Den Betroffenen wird vorgeworfen, eine rein spekulative Theologie mit nur auf Schein und Überredungskunst bedachten Schlussfolgerungen sowie ohne rechte Rückbindung an die Bibel zu betreiben bzw. die Leser mit übertriebener hermeneutischer Spitzfindigkeit bei der Schriftauslegung in die Irre zu führen.138 Im Hintergrund steht eine philosophische Richtung des antiken Griechenland. Die Sophisten des 5. vorchristlichen Jahrhunderts waren Gelehrte, die ihre Kunstfertigkeit professionell ausübten und weiterga133
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Vgl. Art. Der Papist. In: Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch. Bd. 3 (Kap. 1, Anm. 23). Sp. 652, wo es heißt, es handle sich dabei zwar um ein verächtliches, aber durchaus übliches Wort. Vgl auch Art. Religion (Catholische) oder auch Römisch-Catholische Religion. In: Zedler: Universallexikon. Bd. 31 (Kap. 1, Anm. 23). Sp. 453. Nach Lepp handelt es sich hierbei neben ,Papist‘, ,Antichrist‘ und ,Ketzer‘ um das geläufigste Schlagwort der Reformationszeit, vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 79. Schwarz: Luther (Anm. 57). S. I 34. Von 1515 bis 1518 hielt Luther Vorlesungen über den Galater-, den Römer- und den Hebräerbrief, vgl. S. I 132f. Kurz vor seinen Ablassthesen veröffentlichte Luther in diesem Zusammenhang eine weitere Thesenreihe, die ,Disputatio contra scholasticam theologiam‘. WA 1. S. 221/224–228. Hier klingen bereits deutlich Themen der Reformationsbewegung an, so z. B. die Auseinandersetzung um den freien oder unfreien Willen sowie in Verbindung damit die Unfähigkeit des Menschen zu guten Werken ohne die Gnade Gottes. Vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 79. Seltener fanden bei Luther und anderen Reformatoren mit gleicher Bedeutung auch ,Thomist‘, nach Thomas von Aquin, ,Summist‘, nach dessen Hauptwerk ,Summa theologiae‘, sowie ,Theologist‘ Verwendung. Vgl. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 85–89. Zu weiteren Nachweisen vgl. auch Grimm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 16 (Kap. 1, Anm. 23). Sp. 1751. Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch. Bd. 4 (Kap. 1, Anm. 23). Sp. 150. Diese negative Definition erscheint auch bei Zedler: Universallexikon. Bd. 38 (Kap. 1, Anm. 23). Sp. 882. Vgl. Th. Buchheim, R. H. Arning: Sophistik; sophistisch; Sophist. In: HWP 9. Sp. 1075–1086, hier Sp. 1083f. sowie Günter Mühlpfordt: Luther und die ,Linken‘. Eine Untersuchung seiner Schwärmerterminologie. In: Günter Vogler (Hg.): Martin Luther. Berlin (Ost) 1983. S. 325–345, hier S. 340.
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ben. Dabei ging es primär darum, eine Angelegenheit durch angemessenes Reden zu eigenen Gunsten zu beeinflussen. Nach Protagoras war das Ziel, „die schwächere Rede zur stärkeren [zu] machen.“ Platon und Aristoteles übten starke Kritik an dieser Praxis. Besonders Aristoteles begründete durch sein Verdikt, der Sophismus sei „Brutstätte aller Fehlschlüsse und Paralogismen“ den schlechten Ruf dieser Richtung.139 Sehr beliebt war daneben auch die Gleichsetzung mit einer weiteren philosophischen Schule der Antike, den ,Epikureern‘.140 Philipp Melanchthon sprach bisweilen gar in verschärfter Form von Epicurischen Sewen. Er verstand unter den Anhängern des Epikureismus Bauchknecht, die allein wollust dises lebens suchen und sehen,141 spielte also auf die sittlichen Zustände in Rom an. Die metaphorische Verbindung von Epikur und einem Borstentier hat bereits klassische Vorbilder, denn schon der römische Satiriker Horaz bezeichnete sich in einem Brief als Epicuri de grege porcum.142 Dabei verwendete er diesen Ausspruch zwar durchaus selbstironisch, nicht aber negativ, betrachtete er doch die Philosophie des Epikur im Sinne seines sprichwörtlich gewordenen Ausspruches carpe diem143 als durchaus erstrebenswerte Lebenseinstellung.144 Im Laufe der Zeit entstand mit der Schweizer Reformation und ihren Hauptvertretern Huldrich Zwingli und Johann Oekolampad noch eine weitere theologische Front innerhalb des evangelischen Lagers, mit der sich Luther ebenfalls auseinanderzusetzen hatte.145 Er beklagt, dass der Teufel heimlich seines samens unter uns ge139 140
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Vgl. Buchheim: Sophistik (Anm. 138). Sp. 1075–1077. Vgl. etwa WA 54. S. 206 und WA 54. S. 179, wo sich dieser Ausspruch ausdrücklich auf Eccius et sui similes, also Johannes Eck und die seinen bezieht. Philipp Melanchthon: Ursach, Warumb die Stende, so der Augspurgischen Confession anhangen/ Christliche leer erstlich angenommen/ vnnd endtlich dabey zuuerharren gedencken. Auch Warumb das vermaindt Trientische Concilium weder zubesuchen/ noch darein zu willigen sey. Augsburg 1546. 6. S. und 42. S. Quintus Horatius Flaccus: Epistulae I, 4, 16. In: Quintus Horatius Flaccus. Satiren – Briefe. Sermones – Epistulae. Lateinisch – deutsch. Übersetzt von Gerd Herrmann, herausgegeben von Gerhard Fink. Düsseldorf/Zürich 2000 (Sammlung Tusculum). S. 162. Quintus Horatius Flaccus: Oden I, 11, 8. In: Quintus Horatius Flaccus. Oden und Epoden. lateinisch und deutsch. Übersetzt von Christian Friedrich Karl Herzlieb und Johann Peter Uz. Eingeleitet und bearbeitet von Walther Killy und Ernst A. Schmidt. Zürich/München 1981 (Die Bibliothek der Alten Welt). S. 85. Die Verbindung dieses Ausspruches mit dem Epikureismus fand bereits in der Antike statt, auch wenn W. S. Maguinness betont, dass daraus noch keine eindeutige Anhängerschaft des Horaz nachgewiesen werden könne, da er, wie so viele Römer, in philosophischen Dingen ein Eklektiker gewesen sei. Vgl. William S. Maguinnes: Der Eklektizismus des Horaz. In: Gregor Maurach (Hg.): Römische Philosophie. Darmstadt 1976 (Wege der Forschung. Bd. 193). S. 169– 189, hier S. 169f. Zu diesen beiden Theologen siehe ausführlicher Kap. 3.4. In den entsprechenden Schriften werden sie immer wieder explizit genannt, vgl. etwa Luther: Erste Vorrede zum Schwäbischen Syngramm. WA 19. S. 458f. sowie zahlreiche Nachweise in: Ders.: Wider die Schwärmgeister.
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menget [hat], die unser lere und wort sollten fassen, so dass er jetzt zwischen zweyen feinden stehe.146 Damit ist zweierlei ausgesagt. Zum einen erkennt Luther die gemeinsame Herkunft aus der reformatorischen Bewegung an, allerdings bringt er die entsprechende Lehre genauso wie das Papsttum mit dem Teufel in Verbindung und zeigt damit das Bestreben nach klarer Abgrenzung,147 wenn er auch nicht so weit geht, die Schweizer ebenfalls als ,Antichristen‘ zu bezeichnen.148 Letztendlich erweist sich Luther in seiner Wortwahl den Reformierten gegenüber denn auch nicht gerade als zimperlich. Zwingli beschwert sich bitter über seine beleidigende und polternde Sprache: schwermer, tüfel, schalck, kätzer, mörder, ufrürer, glychßner oder hüchler, trotz, botz, plotz, plitzg, donder, po, pa, pu, plumps! Und derglychen schelt- schützund schentzelwort.149 Streitthema zwischen Wittenberg und der Schweiz waren die Einsetzungsworte des Abendmahls und die damit verbundene Frage, wie Christi Präsenz in Brot und Wein zu denken sei. Luther ging vom strengen Wortsinn aus: ,Das ist mein Leib‘ verweist für ihn eindeutig auf die Realpräsenz, während Zwingli und Oekolampad diese Worte mehr symbolisch verstanden wissen wollten als ,das bedeutet meinen Leib‘ oder ,das ist das Zeichen meines Leibes‘.150 Letztendlich ging es also gut evangelisch um das rechte Bibelverständnis. Nachdem Oekolampad den schwäbischen
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WA 23. S. 64–320 mit etwa 20 Belegen für Zwingli und sogar doppelt so vielen für Oekolampad. Hier wird zusätzlich auch einmal Martin Bucer als Anhänger ihrer Lehre erwähnt, vgl. WA 23. S. 279ff. Luther: Wider die Schwärmgeister. WA 23. S. 69. Luther wird nicht müde, dies zu betonen: Eben der selbige teufel ists, der uns itzt durch die schwermer anficht mit lesterunge des heiligen hochwirdigen sacraments unsers Herrn Jhesu Christi. WA 23. S. 71. Andererseits bekennt er, dass es ihm besonders um Oekolampad leid tue, da er von Gott mit reichen Gaben beschenkt worden sei, vgl. WA 23. S. 95, und wenn er es nicht besser wüsste, würde er nicht glauben, dass es solche hochgelerte treffliche menner weren, die derartige Lehren vertreten würden, WA 23. S. 167. In Luthers ,Großem Bekenntnis vom Abendmahl‘ von 1528 ist hier lediglich von Zwingli als ,Unchrist‘ die Rede. Vgl. Preuß: Antichrist (Anm. 95). S. 171f. Huldrich Zwingli: Daß diese Worte ,Das ist mein Leib‘ etc. ewiglich den alten Sinn haben werden etc. 1527. In: Emil Egli/Georg Finsler (Hg.): Huldreich Zwingli. Sämtliche Werke. 14 Bde. Leipzig 1905–1937 (Corpus Reformatorum. Bd. 88–101). Bd. V (Corpus Reformatorum 92). Nr. 107. S. 795/805–977, hier S. 811f., vgl. auch S. 861. Im Folgenden abgekürzt als CR. Zwingli deutet das ,est‘ der Einsetzungsworte als ,significat‘, während Oekolampad ,corpus‘ als ,figuram corporis‘ versteht, vgl. Luther: Wider die Schwärmgeister. WA 23. S. 290. Anm. zu S. 89, 34 und zu S. 91,1. Als Argument dient ihnen die Vorstellung, dass Christus gemäß dem Apostolischen Glaubensbekenntnis im Himmel zur Rechten des Vaters sitze und damit nicht mehr leiblich im Abendmahl anwesend sein könne, vgl. WA 23. S. 296. Anm. zu S. 115/20–27. Dagegen setzt Luther die Ansicht von der Ubiquität des Leibes Christi, die in der Allmacht Gottes begründet liege, vgl. u. a. WA 23. S. 145. Vgl. hierzu auch zusammenfassend Paul Tschackert: Die Entstehung der lutherischen und der reformierten Kirchenlehre samt ihren innerprotestantischen Gegensätzen. Göttingen 1910. Nachdruck Göttingen 1979. S. 174–179 sowie S. 235f.
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Reformatoren Brenz und Schnepf seine Ansichten vorgelegt hatte, verfassten diese Anfang 1526 mit weiteren Theologen eine Widerlegung in lutherischem Sinne, das ,Synagramma Suevicum‘. Luther gab dieser Schrift ein empfehlendes Vorwort bei, das als seine erste direkte Aussage zu dieser Angelegenheit gewertet werden kann. Hier bezeichnet er die Anhänger dieser Lehre als die newen rotten151 und warnt all frome Christen eindringlich, das sie sich fursehen vor diesen Secten und bleiben bey den reynen lautern worten Christi.152 Folgerichtig qualifiziert er ihre Lehre als ,Irrtum‘ ab.153 Der Begriff ,Rotte‘ ist besonders aus dem Titel jener berühmt-berüchtigten Schrift ,Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern‘ von 1525 bekannt. Es handelt sich hierbei ursprünglich um einen militärischen Terminus, der eine kleine Einheit von zehn bis 15 Mann bezeichnete. Für Luther steht er ursächlich mit Aufruhr und Auflehnung gegen die gottgegebene Ordnung in Verbindung.154 Dieser implizierte Vorwurf wird noch dadurch untermauert, dass Luther die Schweizer wiederholt in die Nachfolge Thomas Müntzers stellt und die Obrigkeit, besonders Basel und Straßburg, eindringlich vor ihnen warnt.155 Das Adjektiv ,neu‘ in Bezug auf diese Rotten verweist zudem darauf, dass ihre Aussagen keinen Anspruch erheben können, christlich zu sein, denn die biblische Lehre ist per se ,alt‘.156 Neue Zusätze stellen mithin stets Verschlechterungen, Missbräuche und Irrtümer dar. Damit ist auch die Verbindung zur Bezeichnung ,Sekte‘ gegeben, denn hier „präsentiert sich der Irrtum in organisierter Form.“ Sie steht für eine Gruppe, die sich durch ihre Irrlehren von Kirche und Christenheit abgesondert hat. Damit bedeutet das Abendmahlsverständnis der Schweizer letztendlich ,Ketzerei‘, auch wenn dieser Begriff selber hier
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Luther: Erste Vorrede zum Schwäbischen Syngramm. WA 19. S. 457, vgl. auch WA 19. S. 459. WA 19. S. 461. Mit den Worten Christi sind die Einsetzungsworte gemeint. Secten erscheint daneben noch auf S. 458 und S. 459. WA 19. S. 460. Vgl. Diekmannshenke: Schlagwörter der Radikalen der Reformationszeit (Kap. 1, Anm. 35). S. 340f., Mühlpfordt: Luther und die ,Linken‘ (Anm. 138). S. 237 und daneben natürlich nicht zuletzt auch den Inhalt der Bauernschrift, in der Luther den Bauern drei Vorwürfe macht: Sie brechen den Gehorsam gegen ihre gottgegebene Obrigkeit, zetteln Aufruhr und Blutvergießen an und rechtfertigen zudem ihr Handeln mit dem Evangelium, was den Reformator ganz besonders in Rage bringt. Daher kommt er zu dem harten Schluss: Drum soll hier zuschmeißen, wurgen und stechen, heimlich oder offentlich, wer da kann, und gedenken, dass nichts Giftigers, Schädlichers, Teuflischers sein kann denn ein aufruhrischer Mensch, gleich als wenn man einen tollen Hund totschlahen muß, WA 18. S. 358. Vgl. Luther: Wider die Schwärmgeister. WA 23. S. 263, 265 sowie S. 283. Auch wenn er durchaus einräumt, das die prediger, da widder ich schreibe, noch nichts böses yn synn haben, so bereiten sie doch zumindest das Feld für neuen Aufruhr, WA 23, 283. Dementsprechend ist auch in dieser Schrift mehrfach von ,Rotten‘ die Rede, vgl. WA 23. S. 107, 281 und S. 283. Auch 1527 bezeichnet er ihre Lehre als newe kunst, WA 23. S. 179, und eben weil sie new ist, verfallen die Deutschen ihr reihenweise, WA 23. S. 73.
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noch nicht erscheint.157 Später wird Luther deutlicher, wenn er ihnen vorwirft, alle alte ketzerey wieder zu beleben158 und damit zugleich die ban andern ketzern, die komen werden, zu bereiten.159 Erst 1544 sieht er jedoch in ihrer Lehre selbst ebenfalls eine lesterliche und lügenhafftige Ketzerey.160 Als wichtigen Urheber dieses Irrtums macht Luther den Spiritualisten Karlstadt aus, gegen den er bereits ein Jahr zuvor eine Stellungnahme ,Wider die himmlischen Propheten von den Bildern und Sakrament‘ verfasst hatte.161 Aus diesem Grund bezeichnet er auch Zwingli und Oekolampad als ,falsche Propheten‘, die von dem Sacrament newe trewme aufbringen.162 Dieser Vorwurf verweist auf ein weiteres Lieblingswort Luthers, die ,Schwärmer‘. Diese Fremdbezeichnung erscheint in den Titeln mehrerer Schriften zum Abendmahlsstreit, dem ,Sermon von dem Sakrament des Leibes und Blutes Christi, wider die Schwarmgeister‘ von 1526 sowie seiner ausführlicheren Abrechnung ,Daß diese Wort Christi ,Das ist mein Leib‘ noch fest
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Diekmannshenke: Schlagwörter der Radikalen der Reformationszeit (Kap. 1, Anm. 35). S. 359. Zum Begriff ,Ketzer‘ sowie zur Alt-Neu-Problematik siehe ausführlich das folgende Kapitel 3.3. Luther: Wider die Schwärmgeister. WA 23. S. 173. Luther bezieht sich hier auf die Manichei, Valentiniani etc., die behauptet hatten, Christus habe nur einen Scheinleib besessen und seine Präsenz auf Erden sei damit nur geistlich, nicht real gewesen. Die Schweizer tendieren nach Luthers Ansicht durch die Ablehnung der Realpräsenz in Brot und Wein deutlich in diese Richtung. Vgl. auch WA 23. S. 201f. WA 23. S. 253. Luther: Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament. WA 54. S. 141. Diese späte Schrift entstand im Zuge einer zweiten Etappe des Abendmahlsstreits, die durch die Auseinandersetzung mit Kaspar Schwenckfeld ausgelöst wurde. Zu dessen spiritualistischer Auffassung vom Abendmahl als verinnerlichter Akt der Mitteilung Christi vgl. Tschackert: Kirchenlehre (Anm. 150). S. 157–162. Insgesamt hält Luther sich im Bereich der Verketzerung sehr stark zurück, die meisten Belege stammen, wie auch in unserem Falle, aus späterer Zeit. Mühlpfordt vermutet, die Aversion gegen diese terminologische Ebene könnte damit zusammenhängen, dass er selber von Rom als Ketzer abgestempelt worden war, vgl. Mühlpfordt: Luther und die ,Linken‘ (Anm. 138). S. 342. Oekolampad wehrte sich gegen diese Diffamierung indem er schrieb: wir seind den secten als wenig hold als du, unnd begeren auch zu bleyben bey dem glauben durch die apostel in aller welt gepredigt. Johannes Oekolampad: Billige Antwort auf D. Martin Luthers Bericht des Sakraments halb. 1526. In: Adolf Laube (Hg.): Flugschriften vom Bauernkrieg zum Täuferreich (1526–1535). Bd. 1. Berlin 1992. S. 137–155, hier S. 149. Diese Schrift verfasste er als Reaktion auf das Syngramm der schwäbischen Prediger. Vgl. Luther: Erste Vorrede zum Schwäbischen Syngramm. WA 19. S. 458f., wo er Karlstadt, Zwingli und Oekolampad als Köpfe dieser ,Sekte‘ ausmacht, sowie zahlreiche Nachweise in Luther: Wider die Schwärmgeister. WA 23. S. 71, 79, 101, 103, 105, 107, 113, 121, 125, 161, 205, 207, 261 und S. 263. Zu Karlstadt vgl. Tschackert: Kirchenlehre (Anm. 150). S. 122–128. Karlstadts spezifisch spiritualistische Abendmahlslehre gab den Schweizer Reformatoren erste Anstöße. Nicht umsonst wurde er nach seiner Vertreibung aus Sachsen schließlich 1534 Professor an der Universität Basel. Luther: Erste Vorrede zum Schwäbischen Syngramm. WA 19. S. 457.
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stehen, wider die Schwärmgeister‘ aus dem Folgejahr.163 Hier tauchen die schwermer auf beinahe jeder Seite mindestens einmal auf und stellen auf diese Weise die mit Abstand häufigste Fremdbezeichnung für die Reformierten bei Luther dar. Auch das Verb schwermen bzw. das Substantiv schwermerey erscheinen immer wieder. Eine gleichsam verniedlichende Variante sind daneben meine schwermerlinge.164 Luther hat diesen Begriff aus der Imkersprache übernommen und neu geprägt. Er enthält „eine spöttische Komponente, die im summenden, schwirrenden Flug der jungen Bienen ein Zeichen von Unreife und Übermut erblickt. Schwärmen als Fehlen von ,Ruhe und Besonnenheit‘ charakterisiert aus der Sicht Luthers jugendliches Ungestüm, welches leicht zu religiöser Verworrenheit führt.“165 Wie bei ,Papisten‘ bezieht Luther diese Bezeichnung zunächst nur auf die theologischen Wortführer. So wendet er sich ausdrücklich an die einfeltigen und schwachen bzw. den pöfel, um sie gegen die Lehre der Schwärmer zu stärken bzw. wieder von ihr abzubringen.166 Wer ihr aus dem Volk bereits verfallen ist, wird allerdings grob als ,Sau‘ und ,Hund‘ abgetan!167 Mehrfach erscheint ,Schwärmer‘ in Verbindung mit der Bezeichnung ,Geist‘, in zwei Fällen sogar zusammengezogen zu schwermergeistern.168 Dieses Wort zeigt verschiedene Bedeutungsnuancen und wird ,abstrakt‘ oder ,personell‘ verwendet.169 Zum einen bezeichnet es die entsprechende innere Disposition, d. h. die Schwärmer besitzen einen Geist, der ihnen ihre Irrtümer vorgibt.170 In diesem Zusammenhang ist auch eine Beeinflussung durch den Geist eines anderen denkbar, so ist ihre Lehre noch der same von des Müntzers und Carlstads geist.171 Schließlich kann durch die Personifizierung dieses Abstraktums eine eigenständige Fremdbezeichnung ent163 164
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WA 19. S. 474/482–523 sowie WA 23. S. 38/64–320. Luther: Wider die Schwärmgeister. WA 23. S. 163. In solchen ,pseudopossessiven‘ Ausdrucksweisen, die Vertraulichkeit und Jovialität vortäuschten, kommt Luthers Ironie zur Geltung. Vgl. Mühlpfordt: Luther und die ,Linken‘ (Anm. 138). S. 333. Diekmannshenke: Schlagwörter der Radikalen der Reformationszeit (Kap. 1, Anm. 35). S. 337. Vgl. hierzu auch Mühlpfordt: Luther und die ,Linken‘ (Anm. 138). S. 332. Luther: Wider die Schwärmgeister. WA 23. S. 75 und S. 149. Diese widersprüchliche Beurteilung des einfachen Volkes als Pöbel und andererseits als schutzbedürftige Herde erscheint bei Luther häufiger, vgl. Mühlpfordt: Luther und die ,Linken‘ (Anm. 138). S. 329. Wenn Luther also alle Anhänger dieser Lehre zusammenfassend nennen will, dann kommt es zu Formulierungen wie der Folgenden: Hörestu es nu, du saw, hund odder schwermer, wer du unvernünfftiger esel bist, Luther: Wider die Schwärmgeister. WA 23. S. 149. Luther: Wider die Schwärmgeister. WA 23. S. 261 sowie natürlich nicht zu vergessen bereits im Titel dieser Schrift selber. Vgl. Mühlpfordt: Luther und die ,Linken‘ (Anm. 138). S. 335. So sagt Luther ganz deutlich unser schwermer haben den schwindel und fladdern geist, Luther: Wider die Schwärmgeister. WA 23. S. 193, oder spricht von dieser schwermer geist, WA 23. S. 263. WA 23. S. 261.
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stehen, wenn etwa synonym von schwermern und geistern die Rede ist.172 Luther spielt mit dieser Terminologie auf die Spiritualisten an, die in Nachfolge der Mystik neben der Schrift in der unmittelbaren Gotteserfahrung durch den Heiligen Geist eine zweite und zwar die eigentliche Wahrheitsquelle sahen. Luther als strenger Vertreter des Schriftprinzips griff solche Tendenzen natürlich scharf an. Für ihn sind derartige geistige Erfahrungen eben nichts als lose trewme.173 Die Gegner im Abendmahlsstreit fallen in Luthers Augen unter dieses Verdikt, da sie die Einsetzungsworte in ihrem Sinne verdrehen und nicht den eigentlichen Wortlaut beachten würden. Bei all ihren Aussagen blieben sie den Schriftbeweis schuldig, und genau das sei das Kennzeichen der Spiritualisten: Aber das sie solchs auch beweiseten, ist nicht von nöten, Ist gnug, wens der geist saget.174 Deshalb will und kann Luther sie von seinem Standpunkt aus nicht ernst nehmen. Sie trewmen,175 plaudern und schwetzen,176 sagen aber letztendlich nichts Gültiges damit aus, begehen vielmehr zugleich eine der größtmöglichen Gotteslästerungen: Sie sind leichtfertige verachter […] der schrifft,177 die Gots wort fur schertz und geucherey halten,178 und damit letztendlich götzer, Gotts wort verkerer, lesterer und lügener.179 Das Hauptunterscheidungsmerkmal blieb bei allem Streit prinzipiell auf das Abendmahl beschränkt. Das Marburger Religionsgespräch von 1529 zeigte deutlich, dass sich die Reformatoren beider Seiten in allen weiteren Fragen grundsätzlich einig waren.180 Die immer wieder erscheinende Bezugnahme auf das ,Sakrament‘ verweist damit auf das eigentliche Kernproblem. Bei Luther ist immer wieder von sacraments lestern, sacraments rotten,181 Sacramentsschendern oder Sacraments feinde[n]182 die Rede. Gewissermaßen als Kurzform diente das griffigere ,Sakramenter‘ bzw. ,Sakramentierer‘.183 Auch Luthers erster Gegner in der Abendmahlsfrage Karlstadt machte von diesem Wort Gebrauch, um die von ihm abweichenden Positionen zu charakterisieren. Die ausführliche Form bei ihm lautet jedoch Sakramentsknechte, womit er zum Ausdruck brachte, dass er sich im Unterschied zu Luther kei172 173 174 175 176 177 178 179 180 181 182 183
WA 23. S. 87. WA 23. S. 101. WA 23. S. 241. Vgl. auch WA 23. S. 139. WA 23. S. 133. WA 23. S. 139. WA 23. S. 105. WA 23. S. 115. WA 23. S. 87. Vgl. auch WA 23. S. 121 und S. 217. Vgl. Tschackert: Kirchenlehre (Anm. 150). S. 236f. Luther: Wider die Schwärmgeister. WA 23. S. 75 und S. 283. Luther: Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament. WA 54. S. 144. Vgl. Grimm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 14 (Kap. 1, Anm. 23). Sp. 1675. Dort finden sich auch entsprechende Nachweise.
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ner falschen Vorstellung vom Abendmahl bedingungslos unterwarf, sondern sich von der wortgetreuen, in seinen Augen knechtischen Auslegung der Einsetzungsworte gleichsam befreien konnte.184 Damit lässt sich dieser Begriff einer besonderen Gruppe von Bezeichnungen zuordnen, die sich von „einzelnen Glaubenssätzen und Kultusfragen“ ableiten,185 und die ich in Parallele zur personen- bzw. amtsbezogenen als zeremoniebezogene Terminologie bezeichnen möchte. ,Sakramentierer‘ entwickelte sich bald zu einem gängigen Begriff zur Bezeichnung der Reformierten.186 So verfasste etwa Nikolaus von Amsdorff Thesen gegen die Sacramentirer, in denen er synonym auch den Begriff schwermer verwendete.187 In der lateinischen Fassung dieses Textes wird Sacramentierer durch Zwinglianos ersetzt.188 Damit kommt abschließend nochmals die personenbezogene Terminologie in den Blick, denn wie im Falle von ,Lutherische‘ und ,Papisten‘ nannte man auch hier die entsprechende Religionspartei nach ihrem ,Gründer‘, als den man in diesem Falle zunächst Zwingli ausgemacht hatte. Luther gebraucht das Adjektiv ,zwinglisch‘ 1527 zunächst noch nicht als Gruppenbezeichnung, sondern verwendet es lediglich, um den Verursacher zu explizieren.189 1544 nennt er die Reformierten dagegen ausdrücklich die verfluchte Rotte der Schwermer, Zwingler und dergleichen.190 Hier ist ,Zwinglianer‘ zu einer Parteibezeichnung geworden. Andere lutherische Theologen griffen sie bereitwillig auf und machten sie ähnlich wie ,Papisten‘ zu einem allgemein gebräuchlichen Konfessionsnamen. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde dieser allerdings zugunsten eines anderen Reformators verdrängt. Nachdem Johannes Calvin die reformierte Theologie weitergeführt und zu einem gewissen Abschluss gebracht hatte, trat allmählich die Bezeichnung ,Calvinische‘ bzw. ,Calvi184 185 186 187
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Vgl. Tschackert: Kirchenlehre (Anm. 150). S. 126. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 3. Vgl. Grimm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 14 (Kap. 1, Anm. 23). Sp. 1676. Nikolaus v. Amsdorff: Widder die Widderteufer und Sacramentirer. Etliche sprüche oder schlussrede. 1535. In: Robert Stupperich: Schriften von evangelischer Seite gegen die Täufer. Münster i. W. 1983 (Die Schriften der Münsterischen Täufer und ihrer Gegner. Bd. III. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen. Bd. XXXII). Nr. 6a. S. 73–82, hier S. 73 und S. 78. Nikolaus v. Amsdorff: Contra Zwinglianos et Anabaptistas Themata Nicolai Amsdorfii. 1534. In: Robert Stupperich: Schriften von evangelischer Seite gegen die Täufer. Münster i. W. 1983 (Die Schriften der Münsterischen Täufer und ihrer Gegner. Bd. III. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen. Bd. XXXII). Nr. 6b. S. 69–73. Auch im deutschen Text aus dem Folgejahr erscheinen die zwingeler und die Zwinglianer, Amsdorff: Widder die Widderteufer und Sacramentirer (Anm. 187). Nr. 6a. S. 81. These 42 bzw. S. 82. These 65. Vgl. Luther: Wider die Schwärmgeister. WA 23. S. 101. Kurz zuvor hatte er in diesem Sinne auch seine eigene Lehre als lutherisch bezeichnet. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Verwendung von ,Müntzerisch‘: Wollen sie denn nu so fast Müntzerisch sein. WA 23. S. 261. Luther: Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament. WA 54. S. 141.
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nisten‘ in den Vordergrund.191 Dabei war die Unterscheidung zwischen Zwinglianern und Calvinisten fließend. Calvin selber bezeugte, dass der lutherische Theologe Andreas Osiander alle diejenigen, die seinen Lehren nicht folgen wollten, also auch Calvin selber, als Zuinglianos beschimpfte.192 Damit wird deutlich, dass die Anhänger Zwinglis und Calvins in den Augen der Lutheraner eine gemeinsame Glaubenspartei bildeten. In den Epitome der Konkordienformel erscheinen sowohl die Cingliani doctores als auch die Calvinistas. Beide Begriffe werden synonym zu Sacramentarii gebraucht, bedeuten also mithin dasselbe.193 Zedler führt noch immer beide Bezeichnungen als Namen der Reformierten im 16. Jahrhundert auf, konstruiert allerdings eine zeitliche Abfolge: Sie wurden zunächst „Zwinglianische Religion, hernach aber die Calvinische Religion, und endlich die Reformirte Religion genennet“.194 Adelung erwähnt dagegen nur noch Calvin als „Stifter“ und ignoriert Zwingli. Folglich führt er lediglich die Namen „Calvinist“ und „Calvinisch“ auf, verweist allerdings ausdrücklich darauf, dass diese von den Betroffenen als Beleidigung aufgefasst würden,195 denn ebenso wie die Lutheraner und auch mit den gleichen Argumenten wehrten sich die Anhänger Zwinglis und Calvins vehement gegen diese personenbezogenen Namen. Heinrich Bullinger, der ,Nachfolger‘ Zwinglis in Zürich, schrieb 1568: Quoties publice viva voce et scriptis nostris attestati sumus, nos nolle alio quam Christianorum nomine, et non Lutheranorum, non Zwinglianorum aliorumve appellationibus desumptis ab hominibus nuncupari?196
In einer Schrift der Zürcher Prädikanten von 1575 hieß es, sie seien weder Sacramentirer, sondern Christen. […] Zwinglianer sind wir ebensowenig als Lutheraner oder Calvinianer.197 191 192
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Vgl. Wolter: Deutsche Schlagwörter (Kap. 1, Anm. 27). S. 206. Johannes Calvin: Institutio Christianae Religionis. 1559. In: Johann Wilhelm Baum/August Eduard Cunitz/Eduard Reuss (Hg.): Ioannis Calvini Opera Quae Supersunt Omnia. 59 Bde. Braunschweig/Berlin 1863–1900. (Corpus Reformatorum. Bd. 29–87). Bd. 2. S. 541 (im Folgenden abgekürzt als CO). In der französischen Fassung fehlt dieser Parteiname, vielleicht nicht zuletzt deshalb, weil dem französischen Publikum diese Problematik nicht so geläufig war. Hier heißt es nur, Osiander condamne furieusement. Ders.: Institution de la Religion Chrestienne. CO 4. S. 238. FC. In: BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. VII. Epitome. Art. VII. S. 796 und Art. VIII. S. 804. Zedler: Universallexikon. Bd. 31 (Kap. 1, Anm. 23). Sp. 497. Vgl. auch Heppe: Ursprung (Kap. 1, Anm. 17). S. 77: „Daher wusten die Lutheraner die reformirte Kirche nur mit den Parteinamen Zwinglisch und Calvinisch zu belegen.“ Vgl. Art. Der Calvinist. In: Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch. Bd. 1 (Kap. 1, Anm. 23). Sp. 1294. Aus dem Vorwort zu einer Schrift von Simler: De aeterno Dei filio. Zit. nach Heppe: Urprung (Kap. 1, Anm. 17). S. 83. Zit. nach Heppe: Ursprung (Kap. 1, Anm. 17). S. 84.
Selbst- und Fremdbezeichnungen in lutherischen Schriften
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Die Terminologie, mit der die lutherische Seite die Reformierten belegte, zeigt deutlich, dass die Ablehnung trotz aller Ähnlichkeiten in der Lehre kaum geringer war als gegenüber den Katholiken. Luther fasste alle seine Gegner in den Worten zusammen: vnser wider part, teuffel, papisten rotten vnd alle welt.198 Gerade in der Abendmahlsfrage fühlte man sich Rom sogar näher, da hier in der Anerkennung der Realpräsenz Christi eine Gemeinsamkeit bestand. Anfang des 17. Jahrhunderts machte in diesem Zusammenhang der bekannte Spruch die Runde: „Lieber Papistisch als Calvinisch!“199 Allerdings gab es auch bedeutende Ausnahmen. Gerade unser zweiter theologischer Gewährsmann für die lutherische Sache, Philipp Melanchthon, hat sich in dieser Auseinandersetzung auffallend bedeckt gehalten. Luther sieht in ihm einen Anhänger seiner Lehre und wirft Martin Bucer vor, ihn zu Unrecht für die reformierte Seite vereinnahmt zu haben.200 In der Confessio Augustana verwirft Melanchthon denn auch pflichtschuldigst die Gegenlehr,201 in seinen ,Loci Theologici‘ in der Ausgabe von 1558 verurteilt er dagegen ausschließlich die katholische Abendmahlspraxis und ignoriert die Auseinandersetzungen innerhalb des evangelischen Lagers.202 Melanchthon bekundete durchaus Sympathien für die Lehre Johannes Calvins und suchte nach einem Ausgleich.203 Seine Anhänger waren deshalb von Seiten der lutherischen Orthodoxie als ,Kryptocalvinisten‘, also heimliche Calvinisten, verschrien.204 Nicht zuletzt dieser heftigen Auseinandersetzung ist es zu verdanken, dass man sich zur Beendigung aller Streitigkeiten 1577 auf die 198 199
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Luther: Wider Hans Worst. WA 51. S. 519. Heppe: Ursprung (Kap. 1, Anm. 17). S. 66. Vgl. auch die Worte von Leyser aus dem Jahre 1602, es könne nicht geleugnet werden, daß wir Lutherischen […] dennoch mit den Papisten (die Jesuiten ausgenommen,) lieber Gemeinschaft haben, verträglicher mit ihnen umgehen und gleichsam mehr Vertrauen zu ihnen tragen, denn zu den Calvinisten. Zit. nach Heppe: Ursprung (Kap. 1, Anm. 17). S. 40. Vgl. Luther: Wider die Schwärmgeister. WA 23. S. 281. Melanchthon: CA. In: BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. II. S. 64. Vgl. den entsprechenden Abschnitt über das Abendmahl in: Melanchthon: Heubtartikel Christlicher Lere. CR 22. S. 469–477. Bei diesem Werk handelt es sich um eine seiner Bearbeitungen der ,Loci communes‘ von 1521, die er bis zu seinem Lebensende immer wieder ergänzt und aktualisiert hat. Ein deutliches Zeichen in diese Richtung ist etwa die Umarbeitung der Confessio Augustana im Jahre 1540, die sog. ,Confessio Augustana Variata‘, in der die eindeutige Aussage, dass Leib und Blut Christi vere adsint et distribuantur durch das unverfänglichere exhibeantur ersetzt wurde. Vgl. Helmar Junghans: Kryptocalvinisten. In: TRE 20. S. 123–129, hier S. 123. Zeitweise konnte diese Richtung im Kurfürstentum Sachsen erheblichen Einfluss erringen. 1574 schritt Kurfürst August jedoch dagegen ein und sorgte für eine Rückkehr des Landes zum strengen Luthertum. Die Anführer der Kryptocalvinisten wurden verhaftet. Eine Renaissance des Kryptocalvinismus unter Kurfürst Christian I. endete 1601 sogar mit der Hinrichtung des Kanzlers Nikolaus Krell. Auf dem Richtschwert waren die Worte eingraviert: Cave Calviniae. Vgl. Karl Heussi: Kompendium der Kirchengeschichte. 18. Aufl. Tübingen 1991. S. 348f. § 92 n, q sowie Junghans: Kryptocalvinisten (Anm. 203). S. 125–127.
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Konkordienformel einigte, die das lutherische Bekenntnis unter Vermeidung von Extrempositionen der calvinfreundlichen wie der orthodoxen Seite streng an die Lehren Luthers sowie die Confessio Augustana von 1530 band und damit zwar die innere Einheit festigte, zugleich aber den Graben zu den Reformierten umso mehr vertiefte.205
3.3 Selbst- und Fremdbezeichnungen der römisch-katholischen Partei Nicht zuletzt der offensive Werbefeldzug des Dominikaners Johannes Tetzel, des wichtigsten jener ,gewissen Ablassprediger‘,206 hatte Martin Luther zu seinen 95 Thesen gereizt. Da Tetzel sich damit als Hauptbetroffener der Kritik aus Wittenberg sah, war es nur folgerichtig, dass er auch als erster öffentlich reagierte. 1518 publizierte er zunächst gemeinsam mit seinem Ordensbruder Konrad Wimpina 106 Thesen an der Universität Frankfurt/Oder, denen er im selben Jahr noch weitere 50 Thesen folgen ließ.207 Sie bilden als unmittelbares Gegenstück zu Luthers Ablassthesen den Ausgangspunkt der terminologischen Entwicklung im katholischen Lager. Da Tetzel 1519 verstarb, sind kaum weitere Schriften zur Luthersache von ihm überliefert.208 Schnell traten immer grundsätzlichere Divergenzen zwischen Wittenberg und Rom zutage. Für diese Zeit der eigentlichen publizistischen Auseinandersetzungen muss man vor allem Johannes Eck berücksichtigen, den theologisch vielleicht versiertesten Kontrahenten Luthers und den „bekanntesten, hervorragendsten und am meisten gehaßten Gegner der Reformation“,209 dann Thomas Murner, der neben seinen theologischen Schriften als wichtigster deutschsprachiger Satiriker des 16. Jahrhunderts Bekanntheit erlangte, Luther in der literarischen Qualität und der Sprachgewalt am nächsten kam210 und auf diese Weise zum „publizistischen Wortführer der 205
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Man beklagte hier ausdrücklich die Auseinandersetzungen nach Luthers Tod und wollte jene ,christliche Einigkeit‘ erhalten, die zu Lebzeiten Luthers bestanden habe, vgl. FC. In: BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. VII. S.742f. Vgl. Luther: Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum. WA 1. S. 234. These 27. Tetzel/Wimpina: Die 106 Frankfurter Thesen. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 321–337 sowie Tetzel: 50 Positiones. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 340–363. Vgl. Wallmann: Kirchengeschichte (Kap. 1, Anm. 54). S. 21. Neben den beiden Thesenreihen trat Tetzel lediglich mit einer weiteren Schrift gegen Luther auf: Vorlegung wider einen vermessenen Sermon. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 340–363. Hier reagierte er auf Luthers ,Sermon von Ablaß und Gnade‘. WA 1. S. 239/243–246. Erwin Iserloh: Johannes Eck. In: NDB 4. S. 274. Vgl. Hedwig Heger: Thomas Murner. In: Stephan Füssel (Hg.): Deutsche Dichter der Frühen Neuzeit (1450–1600). Ihr Leben und Werk. Berlin 1993. S. 296–310, hier S. 299 und S. 303.
Selbst- und Fremdbezeichnungen der römisch-katholischen Partei
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kath. Seite“ wurde.211 Beide hatten auch Kontakt zur Schweizer Reformation. Besonders Murner wurde zu einem direkten Gegenspieler des Zürcher Reformators Huldrich Zwingli, weil er von 1525 bis 1529 als Pfarrer in Luzern unmittelbar in die eidgenössischen Auseinandersetzungen involviert war.212 3.3.1 Pro fidei catholice defensione: Katholische Selbstbezeichnungen In der Einleitung zu Tetzels 106 Frankfurter Thesen heißt es, sie seien verfasst worden ad laudem Dei proque fidei catholice defensione obque sancte sedis apostolice honorem.213 Hier erscheinen bereits zwei Kernbegriffe der römischen Seite. Zunächst betont Tetzel die ,Katholizität‘ seines Glaubens.214 Der Garant ist der ,Heilige Stuhl‘ des Nachfolgers Petri,215 dessen Inhaber die oberste Instanz in der ,Kirche‘ darstellt, wie es gleich in der ersten der 50 Frankfurter Thesen mit Nachdruck festgestellt wird: in Ecclesia potestas Papae est suprema et a solo Deo instituta.216 Neben Ecclesia können ausführlichere Bezeichnungen wie universali Ecclesia und aufgrund des päpstlichen Primats auch Romana Ecclesia synonym verwendet werden, die römische und die allgemeine Kirche sind also deckungsgleich.217 Sie umfasst als omnium fidelium collectio218 die Gemeinschaft aller ,Gläubigen‘. Zudem erhebt Tetzel Anspruch auf den Namen ,Christen‘: Er eröffnet insgesamt 49 der 50 Frankfurter Thesen nach Luthers 211 212
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Peter Ukena: Thomas Murner. In: NDB 18. S. 616. Vgl. Wolfgang Pfeiffer-Belli: Einleitung. In: Ders. (Hg.): Thomas Murner im Schweizer Glaubenskampf. Münster i. W. 1939 (Corpus Catholicorum. Werke katholischer Schriftsteller im Zeitalter der Glaubensspaltung. Bd. 22). S. XVIII–XXIV. Tetzel: 106 Frankfurter Thesen. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 321. An anderer Stelle erscheint auch die Form catholica veritas: Tetzel: 106 Frankfurter Thesen. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 321 sowie wesentlich häufiger in den 50 Positiones. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 372. Thesen 14–20, S. 373. These 28 und 35 sowie S. 374. These 37–39 und 41; fides catholica erscheint dagegen nur ein weiteres Mal auf S. 374. These 42. Der ,Heilige Apostolische Stuhl‘ erscheint nochmals im Nachsatz zu den 106 Frankfurter Thesen. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 337 sowie in der Einleitung und der 18. These der 50 Positiones. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 369 und S. 372. Tetzel: 50 Positiones. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 369. Ecclesia erscheint daneben auch S. 372. These 13, 16, 17, 19 und S. 374. These 40, 42. Tetzel spricht von der ,universalen Kirche‘: Tetzel: 50 Positiones. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 371. These 3, S. 372. These 13 und S. 375. These 50. Die ,Römische Kirche‘ ist nun einerseits mit dieser identisch, stellt aber zugleich das Haupt aller anderen ,Kirchen‘ dar, vgl. S. 373. These 26, 27. Das hängt damit zusammen, dass im katholischen Bereich auch die einzelnen Diözesen als ,Kirche‘ bezeichnet werden können. Dieser spezifisch katholische Kirchenbegriff wird in den kirchenrechtlichen Schriften, v. a. in den Konzilsdekreten, systematischer behandelt, weshalb er erst im folgenden Kapitel ausführlicher dargestellt werden soll, s. u. Kap. 4.1. Tetzel: 50 Positiones. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 371. These 12. Die fideles erscheinen daneben S. 373. These 31 und S. 374. These 39.
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Vorbild mit der Formel docendi sunt Christiani.219 Da er anschließend den Ansichten des Reformators vehement widerspricht, macht er auf diese Weise zugleich deutlich, wer in ihrem Streit nun eigentlich die wahre Religionam christianam vertritt.220 Neben ,Gläubigen‘ und ,Christen‘ ist immer wieder unspezifisch von populus, homines oder vulgus, also dem einfachen, zu belehrenden ,Volk‘ die Rede, das zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht nach Konfessionen unterschieden werden kann.221 Tetzels Thesen zeigen in der Selbstbezeichnung die enge Verbindung zwischen Papsttum, Kirche und Gläubigen. Nur innerhalb der einen vom Papst geleiteten Kirche waren Christentum und rechter Glaube für ihn überhaupt denkbar, eine Ansicht, der Luther zu diesem Zeitpunkt noch grundsätzlich zustimmen konnte. Erst mit der zunehmenden Ablehnung und Verteufelung des Papsttums entfernte sich sein Verständnis dessen, was denn nun eigentlich die christliche Kirche sei, allmählich vom katholischen Standpunkt. Johannes Eck und Thomas Murner bewegten sich im gleichen terminologischen Rahmen wie Tetzel. Eck wandte sich 1520 an die frummen Christen, die da leben in eynigkeit der heyligen Kirchen. ,Kirche‘ wird auch hier als in Oboedienz dem Papst gegenüber verstanden, denn es handelt sich bei den Angesprochenen um einen hauff der frommen, gehorsamen Christen, gehorsam gegenüber Rom und den von dort sanktionierten Lehren.222 Thomas Murner schrieb ebenfalls immer wieder für
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In den 106 Frankfurter Thesen erscheinen die ,Christen‘ dagegen wesentlich seltener, vgl. Tetzel: 106 Frankfurter Thesen. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 324. These 20 sowie S. 336. Daneben wird in beiden Thesenreihen je einmal von den Christifidelibus gesprochen, S. 336 sowie S. 372. These 15. Tetzel: 50 Positiones. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 371. These 2. Das Adjektiv christianus findet in den 106 Thesen auch in anderen Verbindungen Verwendung, vgl. Tetzel: 106 Frankfurter Thesen. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 324. These 21, 24, 26 sowie S. 330. These 65 und in den Thesen 66 und 67 auf S. 330 im Rahmen eines Zitats aus Luthers 36. und 37. Ablassthese. WA 1. S. 235. populus: Tetzel: 106 Frankfurter Thesen. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 331. These 73–77, S. 332. These 80, S. 334. These 102 sowie Ders.: 50 Positiones. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 373. These 33; homines: Tetzel: 106 Frankfurter Thesen. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 336. These 6; vulgus: Tetzel: 50 Positiones. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 375. These 50. Johannes Eck: Des heilgen concilii tzu Costentz, der heylgen Christenheit und hochlöblichen keyßers Sigmunds und auch des teutzschen adels entschuldigung, das in bruder Martin Luder mit unwarheit auffgelegt, sie haben Joannem Huß und Hieronymum von Prag wider babstlich, christlich, keyserlich geleidt und eydt vorbrandt. Leipzig 1520. In: Karl Meisen und Friedrich Zoepfl (Hgg.): Johannes Eck. Vier deutsche Schriften gegen Martin Luther, den Bürgermeister und Rat von Konstanz, Ambrosius Blarer und Konrad Sam. Münster i. W. 1929 (Corpus Catholicorum. Bd. 14). S. 3–18. hier S. 3. Daneben ist im Titel wie im Text auch von der heylgen Christenheit die Rede, S. 5.
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die (heilige) christliche gemein,223 die kindren der Christlichen kirchen224 und die frum cristenheit,225 die dem woren alten vngezweiffleten christlichen glauben anhängen.226 Er berief sich in diesem Zusammenhang zusätzlich auf ein quantitatives Argument und betonte ausdrücklich: Den waren glauben hat allein/ Der grösser huff der cristenheit.227 Damit ist allerdings nicht gesagt, dass er im Gegenzug den huffen klein228 der Lutheraner ebenfalls als Christen anerkannte, sondern er wollte all seinen theologischen Beweisführungen lediglich die eher profane Weisheit beifügen, dass die Mehrheit automatisch im Recht sei.229 Auf politischer Ebene hatte sich Kaiser Karl V. desselben Mittels bedient, als er seine persönliche Ablehnung der lutherischen Lehre 1521 in Worms ebenfalls damit begründete, dass sich ung seul frère [...] contre toute la créstiennité doch zwangsläufig irren müsse.230 Mit solchen ,universalistischen‘ Aussagen definierte sich die römisch-katholische Partei exklusiv als alleinige Vertreterin der gesamten rechtgläubigen Christenheit, wobei sie sich zunächst auch durch die numerischen Verhältnisse noch durchaus bestätigt fühlen konnte.
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Murner: Von dem großen Lutherischen Narren (Anm. 82). V. 2265 und V. 2296. Thomas Murner: Hie würt angezeigt das vnchristlich freuel, vngelört vnd vnrechtlich vßrieffen vnd fürnemen einer loblichen herrschafft von Bern ein disputation zu halten in irer gnaden statt, wider die gemein Christenheit, wider das heylig gots wort, wider das Euangelion Christi Jhesu, wider die heyligen geschrifften des alten vnd nuwen testaments, wider den alten waren vnd vngezwifleten Christlichen glauben, vnd wider alle menschliche fromkeit vnd erberkeit. Dezember 1528. In: Wolfgang Pfeiffer-Belli (Hg.): Thomas Murner im Schweizer Glaubenskampf. Münster i. W. 1939 (Corpus Catholicorum. Werke katholischer Schriftsteller im Zeitalter der Glaubensspaltung. Bd. 22). S. 39–86, hier S. 45. Murner: Von dem großen Lutherischen Narren (Anm. 82). V. S. 2326. Vgl. etwa auch die entsprechenden Bezeichnungen der gmeinen Christenheit oder ir frommen Christen in: Ders.: Hie würt angezeigt (Anm. 224). S. 48 bzw. S. 58. Thomas Murner: Ein worhafftigs verantwurten der hochgelorten doctores und herren, die zu Baden uff der disputation gewesen sint vor den. XII orten einer loblichen eidtgenoschafft wider das schentlich, erstuncken, vnd erlogen anklagen Vlrich Zwinglyns, das der fierzig mal erloß diebsch bößwicht vff die frummen herren geredt hat vnd in den druck het lassen kummen. Von doctor Thoma. Murner gemacht, ob der Zwingly lüstig wurde das er im das überig ouch hin vß gebe noch dem rechten winckel meß. Mitte Juli 1526. In: Wolfgang Pfeiffer-Belli (Hg.): Thomas Murner im Schweizer Glaubenskampf. Münster i. W. 1939 (Corpus Catholicorum. Werke katholischer Schriftsteller im Zeitalter der Glaubensspaltung. Bd. 22). S. 7–38, hier S. 13. Murner: Von dem großen Lutherischen Narren (Anm. 82). V. 2266f. Murner: Von dem großen Lutherischen Narren (Anm. 82). V. 3620f. Eine solche Argumentation zählt bereits seit Augustinus, der gegenüber den Donatisten in Nordafrika stets „die geographische Universalität der Kirche betonte“, zu den Topoi der Ketzerpolemik, Bernd Oberdorfer: Katholizität der Kirche. In: Hans Dieter Betz u. a. (Hg.): Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. 8 Bde. 4. Aufl. Tübingen 1998–2007. Bd. 4. Sp. 902–905, hier Sp. 903. RTA JR II. Nr. 82. S. 595.
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Eine besondere Entwicklung nahm die dem heutigen Gebrauch wesentlich näher scheinende Selbstbezeichnung ,katholisch‘. Tauchte bei Tetzel lediglich das Adjektiv auf, so verwendete Eck daneben bereits die substantivierte Form catholici, die den Begriff weiter in Richtung eines Parteinamens rückte.231 Doch ebenso wie bei ,evangelisch‘ schwingt zu jener Zeit auch hier noch keinerlei konfessionelle Bedeutung mit. ,Katholisch‘ stammt von griechisch kαϑoliκóς: ,allgemein, allumfassend‘. Im Laufe der geistesgeschichtlichen Entwicklung bildeten sich zwei Bedeutungsrichtungen heraus.232 Einerseits wurde der Ausdruck qualitativ im Sinne von ,rechtgläubig‘ verwendet. Nach Juan de Torquemada gebührt in diesem Zusammenhang der Kirche der Ehrenname ,katholisch‘ gerade deshalb, weil diese über Jahrhunderte den wahren Glauben unverfälscht bewahrt habe.233 Daneben existiert eine eher quantitative ,antihäretische‘ Bedeutung, welche die „geographisch-numerische Universalität“ in den Mittelpunkt rückte. Demgemäß übersetzte Eck catholici in seiner deutschen Fassung des ,Enchiridion‘ von 1533 mit glaubigen,234 rechtglaubigen Christen,235 wol bettend Christ236 oder einfach nur mit Christen.237 ,Katholisch‘ oder ,Katholik‘ beinhaltete damit denselben universalen Anspruch wie ,christlich‘ und drängte auf diese Weise zugleich die Gegenpartei in den Bereich der Ketzerei ab. Nicht umsonst stellt catholici bei Eck ausdrücklich den Gegenbegriff zu den haeretici oder Ketzern dar.238 Ein Blick auf die Titel weiterer kontroverstheologischer Flugschriften des 16. Jahrhunderts zeigt, dass ,katholisch‘ sich im Laufe der Zeit zunehmend als eine der wichtigsten Selbstbezeichnungen etablierte, häufig auch in Verbindung mit anderen universalistischen Begriffen etwa als Ecclesia Christi Catholica bzw. die Catholische Kyrche Christi oder in einer Schrift von 1561 schließlich auch als Ecclesia Romano-Catholica.239 231
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Vgl. etwa Johannes Eck: Enchiridion locorum communium adversus Lutherum et alios hostes ecclesiae (1525–1543). Mit den Zusätzen von Tilmann Smeling O. P. (1529, 1532). Herausgegeben von Pierre Fraenkel. Münster i. W. 1979 (Corpus Catholicorum. Bd. 34). S. 97. Vgl. zum Folgenden Beinert: Katholisch, Katholizität. In: HWP 4 (Kap. 1, Anm. 40). Sp. 787–789 sowie Oberdorfer: Katholizität (Anm. 229). Sp. 902f. Vgl. Josef Finkenzeller: Katholische Kirche. In: TRE 18. S. 227–252, hier S. 239. Eck: Handbüchlin (Anm. 92). S. 26. Eck: Handbüchlin (Anm. 92). S. 33. Eck: Handbüchlin (Anm. 92). S. 94. Eck: Handbüchlin (Anm. 92). S. 34. Dieses Begriffspaar wird von Eck hier häufig verwendet, so z. B. Eck: Enchiridion (Anm. 231). S. 96f. Klaiber: Katholische Kontroverstheologen (Anm. 28). Nr. 2564 bzw. Nr. 3418 sowie Nr. 1881. Daneben findet sich ,katholisch‘ noch in den Titeln vieler weiterer Schriften, vgl. etwa Nr. 50, 64, 138, 152, 351, 354, 402, 582, 615, 626, 649, 729, 924, 1153, 1218, 1222, 1224, 1274, 1394, 1399, 1601, 1660, 1672, 1699, 1789, 1838, 1955, 2000, 2078, 2108, 2126, 2295, 2328, 2397, 2508, 2557, 2634, 2638, 2659, 2662, 2683, 2923, 3067, 3082, 3225 und Nr. 3326.
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Ebenso wie die römische Seite die Selbstbezeichnung ,evangelisch‘ nicht aufgeben durfte, ohne zugleich in ihrem Anspruch auf Rechtgläubigkeit Schaden zu nehmen, rechneten sich auch die Lutheraner weiterhin zur ,ecclesia catholica‘. Die Torgauer Artikel von 1530 definierten die Catholica Ecclesia als Oberbegriff für die kirch Inn ganntzer welt, der man natürlich ebenfalls angehörte.240 In diesem Zusammenhang berief man sich auf die drei altkirchlichen Glaubensbekenntnisse, in denen es heißt: sanctam ecclesiam catholicam und unam, sanctam, catholicam et apostolicam ecclesiam bzw. fides catholica.241 So schrieb auch Luther, dass die Seinen durch die rechte Taufe Glieder der ersten alten (vnd wie ym Symbolo stehet Catholice, das ist der gantz Christlichen kirchen) seien.242 Letztendlich konnten die Evangelischen ihren Anspruch jedoch nicht durchsetzen. ,Evangelisch‘ wie ,katholisch‘ verloren im allgemeinen Verständnis zunehmend ihren universalistischen Charakter und wurden schließlich primär im Sinne konfessioneller Parteinamen verwendet. Wie in Tetzels Thesen erscheinen neben solchen auf die gesamte Christenheit bezogenen Universalbegriffen auch fernerhin immer wieder direkt auf das Papsttum weisende Titulierungen, wenn beispielsweise bei Eck von der Sedis apostolicae et Petri243 bzw. dem Bäpstlichen Stul und der Apostolischenn Römischen kirchen244 die Rede ist. Sie bestätigen die Identität von Kirche, Christenheit und Papsttum, wie sie aus Sicht der Kurie und solch papsttreuer Theologen wie Tetzel sicher bestanden hat. Andere wussten hier allerdings sehr wohl zu unterscheiden. Für sie verwies diese Begriffsebene nicht nur auf die besondere Rolle des Papsttums innerhalb der katholischen Kirche, sondern deutete daneben auch an, dass Christentum und Papsttum nicht unbedingt in jedem Fall als deckungsgleich verstanden werden mussten. Nur auf diese Weise war eine innerkatholische Kritik an Missbräuchen der Glaubenspraxis überhaupt möglich, ohne die allgemeine Kirche an sich anzugreifen und sich damit von ihr abzusondern. Bevor er alle seine Kraft dem Kampf gegen die Reformation widmete, hatte Thomas Murner zunächst selber „schonungslose Kritik an den religiösen und sozialen Mißständen seiner Zeit“ geäußert.245 Dabei richtete er 240 241
242 243 244 245
Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 27. S. 70. In der deutschen Übersetzung des Konkordienbuches lauten diese Stellen jeweils ein heilige christliche Kirche, eine einige, heilige, christliche, apostolische Kirche sowie der rechte christliche Glaube, was einmal mehr auf die Gleichsetzung von ,katholisch‘ und ,christlich‘ bzw. ,rechtgläubig‘ verweist. Die drei Haupt-Symbola. In: BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. I. S. 21, 27 und S. 30. Vgl. hierzu auch Wolter: Deutsche Schlagwörter (Kap. 1, Anm. 27). S. 239. Luther: Wider Hans Worst. WA 51. S. 479. Eck: Enchiridion (Anm. 231). S. 231. Eck: Handbüchlin (Anm. 92). S. 14. Frauke Büchner: Thomas Murner. Sein Kampf um die Kontinuität der kirchlichen Lehre und die Identität des Christenmenschen in den Jahren 1511–1522. Masch. Diss. Berlin 1974. S. 5.
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seine Angriffe ausschließlich gegen die Kurie und ihre Protagonisten. Auch die ,Gravamina nationis Germaniae‘ der deutschen Reichsstände wandten sich gegen den Papst und seinen Hof, nicht aber gegen die Kirche als solche.246 Allerdings verlor diese Unterscheidung zunehmend an Bedeutung. In Folge der Auseinandersetzungen mit der Reformation wurde die Rolle des Papsttums deutlich gestärkt, da nur ein geschlossener Katholizismus sich entschieden genug gegen diese Bedrohung zur Wehr setzen konnte.247 An dieser großen Bedeutung Roms setzte nicht zuletzt die evangelische Bezeichnung ,Papisten‘ an, die sich, wie bereits beschrieben, nach anfänglicher Differenzierung zwischen Theologen und einfachen Gläubigen ebenfalls zunehmend auf alle Katholiken bezog.248 3.3.2 So hat die Lutherey vil Secten bracht: Die Reformatoren und ihre Anhänger aus katholischer Sicht Den reformatorischen Lehren gegenüber zeichnete sich die katholische Seite von Beginn an durch eine kompromisslose Haltung aus. Tetzel wies in seinen beiden Thesenreihen alle Vorwürfe Luthers ausnahmslos zurück. Ja, er verteidigte selbst seine auch aus römischer Sicht höchst bedenkliche Behauptung, der Ablass würde sogar helfen, wenn man die Jungfrau Maria vergewaltigt hätte.249 Entsprechend hart fielen die Fremdbezeichnungen bereits in diesem frühen Dokument aus. Die Gegner Tetzels – auch wenn keine Namen fallen, ist in erster Linie natürlich an Luther zu denken – werden in beinahe jeder These des ,Irrtums‘, also des Abweichens
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Vgl. etwa die Zusammenstellung der Gravamina auf dem 2. Nürnberger Reichstag von 1522/23, RTA JR III. Nr. 110. S. 645–688. Die weltlichen Stände stellen zumindest offiziell nicht die katholische Kirche selbst in Frage, denn sie versichern, sie wollten sich gegen irer bebstlichen Ht als gehorsame sone und gegen den andern geistlichen stenden als christliche bruder und glider halten, S. 688. Die Kritik richtet sich gegen dem (!) stul zu Rom, z. B. S. 648, sowie gewisse Missstände am bebstlichen hoff, z. B. S. 654. Man beachte in diesem Zusammenhang die deutliche Stärkung, die das Papsttum im Trienter Konzil gerade im Vergleich zu den Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts erfuhr. Vgl. hierzu auch den Art. Religion (Catholische) oder auch Römisch-Catholische Religion. In: Zedler: Universallexikon. Bd. 31 (Kap. 1, Anm. 23). Sp. 453: Weil ihre Lehre nicht nur aus der Bibel, sondern daneben aus der Tradition gemäß der Auslegung der Schrift durch den Papst stamme, werde sie auch „die Papistische Religion, die Päpstliche Religion, das Papstthum, ,Pontificatus‘, ,Papismus‘, ,Papistica Religio‘, von denen andern Religionsverwandten iezuweilen“ genannt. Vgl. Tetzel: 106 Frankfurter Thesen. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 334. These 100 und 101. Er bezieht sich damit auf Luthers 75. Ablassthese, WA 1. S. 227. Selbst katholische Theologen wie Cochlaeus, Emser und Eck bedauern das „unvorsichtige Vorgehen“ Tetzels, wie es Fabisch und Iserloh zurückhaltend umschreiben, DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 253.
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vom wahren Glauben bezichtigt.250 Sie widersprechen der Wahrheit,251 verführen das Volk252 und lästern Gott253 Vorwürfe, die deutlich in Richtung Ketzerei weisen. Dieses vernichtende Verdikt wird in den 106 Frankfurter Thesen noch nicht offen ausgesprochen, in den folgenden 50 Thesen sieht die Sache jedoch schon ganz anders aus. Hier erklärt Tetzel wiederholt jeden, der von seinen Ansichten abweicht, ausdrücklich zum Ketzer254 oder gar zum haeresiarchis, einem ,Erzketzer‘.255 Bereits in der Einleitung fährt er dazu ein ganzes Arsenal an Vorwürfen auf, die in ihrer Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen: Subscriptas Positiones [...] in quibus quisquis pro haeretico, schismatico, pertinaci, contumaci, erroneo, sedicioso, malesonanti, temerario et iniurioso censendus sit, primo intuitu plane videbitur.256
Die Gegner widersprechen der von Tetzel beanspruchten Katholizität, denn sie vertreten novas opiniones catholicae veritatis contrarias.257 Er geht sogar schon so weit, einen Angriff auf Luthers Obrigkeit zu starten und indirekt Kurfürst Friedrich den Weisen scharf zu kritisieren: eos pertinaciter errare, qui habent potestatem resistendi haereticae pravitati nec tamen resistunt atque per hoc ipsos haeresi erroribus favere.258 Damit beschränkte er seine Vorwürfe von Anfang an nicht auf Luther, sondern weitete den Kreis der Betroffenen sofort auf all jene aus, die seinen Lehren zustimmten oder ihn anderweitig unterstützten. Noch bevor der Prozess in Rom also überhaupt richtig begonnen hatte, zog Tetzel bereits eine klare Trennlinie zwischen katholischem Universalanspruch und den ketzerischen Lehren Luthers. Diese Verwendung der ,Ketzerterminologie‘, die rein 250
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Vgl. Tetzel: 106 Frankfurter Thesen. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 321. These 3, 4, S. 323. These 10, 13, 15, S. 324. These 16, 25–27, S. 325. These 36, S. 326. These 38, 40, 42–48, S. 327. These 49–52, 55, 56, S. 329. These 58–65, S, 330. These 66–70, S. 331. These 71, 75, 77, 78, S. 332. These 79, 80, 82–87, 89, S. 333. These 90–98, S. 334. These 100, 102–106 sowie S. 336. Auch in den 50 Positiones taucht dieser Vorwurf regelmäßig auf, etwa Tetzel: 50 Positiones. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 373. These 36, S. 374. These 41–43 sowie S. 375. These 48. Tetzel: 106 Frankfurter Thesen. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 327. These 55. Tetzel: 106 Frankfurter Thesen. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 331. These 76 und S. 332. These 80. In diese Richtung weisen die Vorwürfe, der Gegner blasphemat und ydolatrat, Tetzel: 106 Frankfurter Thesen. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 334. These 105 bzw. 106. Tetzel: 50 Positiones. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 372. These 21–24, S. 373. These 25, 26, 28, 34, 35, S. 374. These 37, 38, 40, 41, 43–46 und S. 375. These 49. Tetzel: 50 Positiones. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 374. These 36. Tetzel: 50 Positiones. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 369. Einige dieser Begriffe erscheinen mehrfach, so etwa der Vorwurf, ein schisma zu verursachen, S. 373. These 33, oder auch die Bezeichnung als temerarii und iniuriosi, S. 373. These 29 bzw. 31. Tetzel: 50 Positiones. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 374. These 37. Vgl. auch den Vorwurf des Neuen auf S. 373. These 25 und S. 374. These 45. Tetzel: 50 Positiones. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 375. These 47.
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rechtlich noch gar keine Grundlage besaß, da Luther und seine Anhänger frühestens mit der Bannandrohungsbulle vom 15. Juni 1520 offiziell der Ketzerei zu bezichtigen waren,259 findet ihre Erklärung vielleicht in der Rolle des Dominikanerordens als Träger der Inquisition. Nicht umsonst war es gerade dieser Orden, der auf die Aufnahme des Verfahrens gegen den Reformator drängte. Nach der offiziellen Verurteilung durch Rom ergab sich dagegen der Rückgriff auf die Ketzerterminologie durch katholische Theologen aus ihrer Sicht als durchaus legitim und gerechtfertigt. Eck gebraucht die Bezeichnung haeretici als Gegenstück zu den catholici bzw. ,Christen‘.260 Daneben findet sich eine Fülle weiterer Schriften, die den Reformatoren ebenfalls Ketzerei bzw. Häresie vorwerfen.261 ,Ketzer‘ leitet sich vom Namen ,Katharer‘ ab, einer Sekte, die die Kirche im 12. Jahrhundert vor eine Zerreißprobe stellte. In der Folgezeit weitete sich die Bedeutung auf jede Abweichung von der jeweils als wahr angesehenen Lehre aus. Im Deutschen ist der Begriff erstmals in einer Kölner Quelle von 1163 zur Bezeichnung einer ansonsten unbekannten Sekte belegt. Dieser Name für die Evangelischen blieb auf katholischer Seite noch lange in Gebrauch. Auch der Augsburger Religionsfrieden mit seiner reichsrechtlichen Anerkennung der Lutheraner änderte daran zunächst nichts. Im Gegenteil erlebte die Ketzerterminologie gerade in den religiös gefärbten Auseinandersetzungen des Dreißigjährigen Krieges wieder einen großen Aufschwung.262 Diese Begriffsebene erschöpft sich allerdings nicht in der Bezeichnung ,Ketzer‘, sondern greift auf weitere terminologische Bereiche aus, in denen Irrtum und Abspaltung von der Kirche thematisiert werden. Hierzu zählt nicht zuletzt der Vorwurf des ,Neuen‘ in Lehre und Zeremonie. In seiner Satire ,Von dem großen lutherischen Narren‘ trat Thomas Murner nach mehreren kleineren Prosaschriften 1522 zum Generalangriff auf die Evangelischen an. Hier spricht der Dichter von den nüwen cristen263, die es unternommen hätten, in unserm heiligen Cristlichen glauben vil dings zuo ernüwern.264 Bei Johannes Eck erscheint dieser Vorwurf bereits im Titel seiner 259
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Seit Erlass der Bannandrohungsbulle vom 15. Juni 1520 galten Luther und seine Anhänger vom kirchenrechtlichen Standpunkt aus als Häretiker. Vgl. Wilhelm Borth: Die Luthersache (causa Lutheri) 1517–1524. Die Anfänge der Reformation als Frage von Politik und Recht. Lübeck 1970 (Historische Studien. Heft 414). S. 78. Vgl. hierzu auch die Auswertung der entsprechenden Bannbullen in Kap. 4.1. Eck: Enchiridion (Anm. 231). S. 96 und S. 97. Vgl. etwa Klaiber: Katholische Kontroverstheologen (Anm. 28). Nr. 50, 51, 58, 61, 123, 332, 348, 411, 582, 1197, 1270, 1405, 1605, 1660, 2078, 2098, 2234, 2396, 2403, 2566, 2649, 2852, 2856, 2859, 2970, 3183, 3187, 3445. Vgl. Diekmannshenke: Schlagwörter der Radikalen der Reformationszeit (Kap. 1, Anm. 35). S. 331f. sowie Wolter: Deutsche Schlagwörter (Kap. 1, Anm. 27). S. 219–223. Murner: Von dem großen Lutherischen Narren (Anm. 82). V. 1299. Murner: Von dem großen Lutherischen Narren (Anm. 82). Vorrede. S. 89.
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1533 erschienenen deutschen Ausgabe des Enchiridion: ,Handbüchlin gemainer stell und Artickel der jetzt schwebenden Neuwen leeren‘. Er bezeichnet die Lutheraner ebenfalls wiederholt als Newchristen.265 Die Problematik derartiger Begriffe ist bereits mehrfach angedeutet worden. Das ,Neue‘ galt in diesem Zusammenhang stets als Verfälschung der ,alten‘ Wahrheit. Luther war diese Argumentationsstrategie nicht fremd. Er hat sich ihr selber hin und wieder bedient, wenn er beispielsweise den Reformierten gegenüber von ihren ,neuen Träumen‘ und ihrer ,neuen Auslegung‘ der Schrift sprach.266 Auf diese Weise liefert er einen deutlichen Beleg für eine konfessionsübergreifende Ablehnung ,neuer‘ Lehren. Nicht umsonst betonte die katholische Seite immer wieder ihren ,alten‘ Gauben und nannte sich schließlich ganz offiziell die ,alte Religion‘,267 die die Lehre Christi unverfälscht bewahrt habe, ein Anspruch, der ja auch im Attribut ,katholisch‘ bereits zum Ausdruck gekommen war. Damit tat man die lutherische Lehre als Menschenwerk ab und bezichtigte ihre Anhänger des Schismas, der Abspaltung von der alten Kirche. Eck übersetzte ,Neuchristen‘ in der lateinischen Ausgabe seines Handbuchs denn bezeichnenderweise auch mit haeretici bzw. Lutherani.268 Dadurch schuf er einen klaren Zusammenhang zwischen diesen drei Begriffen. Sowohl die Neuerungen als auch die Benennung nach einem geistigen Anführer deuten auf Ketzerei hin und weisen ihre Bewegung als Sekte aus.269 Mit der personenbezogenen Bezeichnung ,Lutherische‘ beschritt die römischkatholische Seite ähnliche Wege wie die Evangelischen. Warfen diese ihr vor, nicht Christus, sondern der Papst sei ihr meyster, so nannte man nun umgekehrt Luther den ,Patriarchen‘ der Evangelischen270 und stellte ihn damit in den Mittelpunkt der entsprechenden Terminologie. Johannes Eck sprach von bruder Martin Luder von Wittenberg und sein anhang sowie von Luthers iunger[n],271 Wendungen, die beinahe identisch ja auch von den Reformatoren auf den Papst und die Seinen angewandt worden waren. Die Bezeichnung Lutherani brachte kürzer und griffiger denselben 265 266
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Eck: Handbüchlin (Anm. 92). S. 6 und S. 26. Vgl. Luther: Erste Vorrede zum Schwäbischen Syngramm. WA 19. S. 457 und Ders.: Wider die Schwärmgeister. WA 23. S. 117. Vgl. etwa Klaiber: Katholische Kontroverstheologen (Anm. 28). Nr. 1733 und Nr. 2508. Eck: Handbüchlin (Anm. 92). S. 96 und S. 24. Die deutschen Begriffe finden sich bei Eck: Handbüchlin (Anm. 92). S. 3 und S. 89. Vgl. Johannes Eck: Anntwurt uff das ketzerisch büchlin Ambrosi Blarers, des abtrinnigen münchs, den selbigen handel belangend. 1526. In: Karl Meisen/Friedrich Zoepfl (Hg.): Johannes Eck. Vier deutsche Schriften gegen Martin Luther, den Bürgermeister und Rat von Konstanz, Ambrosius Blarer und Konrad Sam. Münster i. W. 1929 (Corpus Catholicorum. Bd. 14). S. 43–52, hier S. 49 und S. 52. Vgl. hierzu auch die Bezeichnungen der Ketzer patriarch Lutther, in: Ders.: Handbüchlin (Anm. 92). S. 106/Bl. 207, sowie im lateinischen Original Lutherus, patriarcha haereticorum, in: Ders.: Enchiridion (Anm. 231). S. 364. Eck: Des heilgen concilii tzu Costentz entschuldigung (Anm. 222). S. 3 und S. 12.
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Sachverhalt zum Ausdruck. Auch Thomas Murner geißelte die Irrwege der Luthery oder (lutherischen) gaucklerey und zählte genüsslich alle Laster auf, die man bräuchte, um lutherisch zu werden und in den lutherisch orden272 eintreten zu können: Wer guot lutherisch sein begert, / Von allen sacramenten kert, / Wie unß der Luther hat gelert. / Klöster vnd die kirchen brechen, / Der heiligen bild mit messern stechen, / Alle sacrament enteren, / Den nunnen ire klöster weren / Vnd die münch daruß zuo treiben: / Das thü, wer lutherisch wöl bleiben.273
Diese Luthrischen274 umschrieb er sehr anschaulich mit dem Bild des lutherischen Narren, der hier nicht Luther selber, sondern seine gesamte Anhängerschaft darstellen sollte.275 Narrheit bedeutet dabei eine Art von „Besessenheit durch außerweltliche, unheimliche Mächte“,276 in diesem Fall durch den Teufel höchstpersönlich.277 Daneben sprach Murner auch vom lumpen troß,278 also einem ‚aus allem möglichen Gesindel zusammengewürfelt[en]‘ Haufen, dessen Hauptmann Luther sei.279 Aus diesem bitterbösen Kontext ergibt sich der negative Sinn, der dem Namen ,Lutherische‘ beigelegt wurde. In Zusammenhang mit den lutherischen Selbstbezeichnungen ist bereits gezeigt worden, wie Luther sich gegen eine derartige Vereinnahmung seines Namens zur Wehr setzte, ohne letztendlich eine positive Bedeutungsverschiebung dieser ursprünglich verketzernden Bezeichnung auf evangelischer Seite verhindern zu können. Die katholischen Fremdbezeichnungen für die Lutheraner hängen also alle eng mit dem Bereich der Ketzerterminologie zusammen. Luther hat dies aus seiner Sicht folgendermaßen auf den Punkt gebracht: Christlich heiße nichts mehr denn Bepstlich und was seine hellischeit sampt seiner Bubenschule […] zu Rom urteilet und schleusst, Was aber da wider fürgenommen würde, solle unchristlich und ketzerisch sein.280 Seine Schrift ,Wider Hans Worst‘ ist ein besonders schönes Beispiel dafür, wie der Reformator solche Vorwürfe abwehrte und sogar ins Gegenteil verkehrte. Er wollte es sich hier zur Aufgabe machen, zu beweisen, das wir die rechte alte kirche sind, Ihr aber von vns, das ist, von der alten kirchen abtrunig worden, ein newe kirchen
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Murner: Von dem großen Lutherischen Narren (Anm. 82). S. 241. Murner: Von dem großen Lutherischen Narren (Anm. 82). V. 3808–3816. Murner: Von dem großen Lutherischen Narren (Anm. 82). V. 303. Zu dieser Interpretation vgl. Büchner: Thomas Murner (Anm. 245). S. 278–285. Büchner: Thomas Murner (Anm. 245). S. 166. Vgl. Büchner: Thomas Murner (Anm. 245). S. 275. Murner: Von dem großen Lutherischen Narren (Anm. 82). S. 174. Büchner: Thomas Murner (Anm. 245). S. 280. Vgl. hierzu Murner: Von dem großen Lutherischen Narren (Anm. 82). V. 2115–2120. Luther: Wider das Papsttum. WA 54. S. 213.
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angericht habt wider die alte kirche,281 was zugleich bedeuten würde, dass die Anhänger des Papstes die eigentlichen Ketzer sein müssten. Durch den Bezug auf die Glaubensbekenntnisse stellt Luther die Evangelischen in die direkte Nachfolge der frühchristlichen Kirche. Nach einer Aufzählung der entsprechenden Neuerungen durch die Katholiken kommt er daher zu dem Schluss, dass diese die alte kirche, vnd yhren alten breutgam als ein Ertzteuffelshüre verlassen, abtrunnig worden, vnd nicht allein ketzerisch (denn das wort ist zu geringe vnd zu ehrlich solcher schandbübin) sondern die Widerchristissche vnd Gottes widderige […] des teuffels letzte vnd schendlichste braüt ist.282
Luther sendet seinen katholischen Kollegen die regelmäßigen Vorwürfe der Neuerung und Ketzerei also postwendend zurück. Dennoch ist hier eine gewisse Vorsicht geboten. Nicht immer darf man hinter den Attributen ,alt‘ und ,neu‘ sofort ein Zeichen für Hochschätzung bzw. Ablehnung zu erkennen glauben, sondern es gibt auch eine neutrale und sogar positive Bewertung des Neuen. Martin Bucer etwa spricht ganz unbefangen von neüwerungen auf evangelischer Seite283 und lehnt damit diesen Begriff augenscheinlich nicht ab. Allerdings gibt er eine klare Vorstellung davon, was er darunter versteht, nämlich das widerbringen auff das recht, alt und ewig bzw. eine reformation, die ja ebenfalls eine Rückkehr zum alten Zustand impliziert.284 Damit wehrt er sich also nicht direkt gegen den katholischen Vorwurf des Neuen, ja er übernimmt das Wort vielmehr, interpretiert es aber in evangelischem Sinne um. Auf diese Weise unterscheidet er sich zwar in der Wortwahl von Luther und anderen Reformatoren, nicht aber in seiner Überzeugung, in Wahrheit das Alte zu vertreten. Die Brandenburger Kirchenordnung von 1540 liefert dagegen ein Beispiel für einen negativen Gebrauch von ,alt‘, wenn sie mit katholischen Lehren als den alten misbreuchen aufräumen will.285 Dagegen soll man die alten christlichen gebreuch und ceremonien beibehalten, solange 281
282 283
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Luther: Wider Hans Worst. WA 51. S. 479. Zu dem Anspruch aller Konfessionen, alt zu sein, vgl. Burkhardt: Reformationsjahrhundert (Kap. 1, Anm. 5). S. 77–80 sowie Burkhardts einschlägiger Aufsatz zu diesem Thema ,Alt und Neu‘ (Kap 1, Anm. 5). Luther: Wider Hans Worst. WA 51. S. 498. Martin Bucer: Grund und ursach auß gotlicher schrifft der neüwerungen an dem nachtmal des herren, so man die Mess nennet, Tauff, Feyrtagen, bildern und gesang in der gemein Christi, wann die zusamenkompt, durch und auff das wort gottes zu Straßburg fürgenomen. 1524. In: Robert Stupperich (Hg.): Martin Bucers deutsche Schriften. Bd. 1: Frühschriften 1520–1524. Gütersloh 1960. S. 185, 194–278. Neben dem Titel vgl. auch die Kapitelüberschrift Von neüwerung am nachtmal des Herren, S. 205. Bucer: Grund und ursach (Anm. 283). S. 207f. Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Begründet von Emil Sehling, fortgeführt von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. 19 Bde. Leipzig/Tübingen 1902–2008. Bd. III. Nr. 3. S. 85 (im Folgenden abgekürzt als EKO).
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sie nicht der reformatorischen Lehre widersprechen.286 ,Alt‘ bezieht sich in diesem Zusammenhang eindeutig auf Riten, die bis zur Reformation üblich gewesen waren, nicht jedoch auf die idealen urchristlichen Zustände. Ein neutraler Gebrauch von ,alt‘ und ,neu‘ im Sinne einer rein zeitlichen Abfolge ergab sich auch auf Reichsebene etwa mit der Einführung der doppelten Datierung im Zuge der Gregorianischen Kalenderreform, die dazu führte, dass im Abschied des Regensburger Reichstags von 1594 erstmals ein Deputationstag auf den dreyzehenden neuen, und dritten Julii alten Calenders einberufen wurde.287 Schließlich denke man noch an die Unterscheidung zwischen Altem und Neuem Testament, wo das Neue ausgesprochen positiv konnotiert wird, weil in den Augen der Christen natürlich die neutestamentliche Offenbarung Gottes in Christus alles bisher dagewesene übertrifft. So nennt Johannes Calvin die Juden des Alten Testaments populum veterem bzw. le peuble ancien, das aber trotz des eigentlich ehrenvollen Attributs alt von ihm durchaus als defizitär betrachtet wird.288 ,Alt‘ und ,neu‘ drücken in diesen Fällen primär und in ihrem ursprünglichen Wortsinne eine zeitliche Abfolge aus. In diesem Zusammenhang konnte Huldrich Zwingli die Empfänger der biblischen Paulus-Briefe sogar die nüwen Christen nennen.289 Auch wenn gerade diese Formulierung stark an die ,Neuchristen‘ bei Eck und Murner erinnert, will Zwingli damit lediglich zum Ausdruck bringen, dass das Christentum als solches zur Zeit des Paulus noch jung war. Diese Beispiele machen deutlich, dass es bezüglich der alt-neu-Problematik stets genau auf den jeweiligen Kontext zu achten gilt, um nicht voreilig auf mögliche Fehlinterpretationen zu verfallen! In seinem Enchiridion wandte sich Eck nicht nur gegen Luther, sondern in einem Rundumschlag auch gegen andere Richtungen der Reformation. Ebenso wie die Lutheraner machte er die reformierte Lehre namentlich an Karlstadt, Zwingli und Oekolampad fest. Nach bewährtem Muster formte er diese Namen dabei in Gruppenbezeichnungen um. In einem Überblick über seine zahlreichen Gegner bezeichnete er sie dementsprechend als Lutherani, Carolostatini, Zvingliani, Oecolampadii,
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EKO III. Nr. 3. S. 89. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 437. § 93. Seltsamerweise ist der Abschied selber nur nach dem neuen Kalender datiert, vgl. S. 439. Calvin: Institutio Christianae Religionis. CO 2. S. 252 bzw. Institution de la Religion Chrestienne. CO 3. S. 396. Zu den traditionellen Verstehensmodellen bezüglich des Verhältnisses zwischen Altem und Neuem Testament vgl. Erich Zenger u. a.: Einleitung in das Alte Testament. 4. Aufl. Stuttgart 2001 (Studienbücher Theologie. Bd. 1,1). S. 17. Wie negativ ,alt‘ in der heutigen Zeit gesehen werden kann, wird besonders augenfällig in der Diskussion, ob das ,Alte Testament‘ nicht besser als ,Erstes Testament‘ zu bezeichnen wäre, um abwertende Konnotationen zu vermeiden, vgl. S. 15. Zwingli: Von Erkiesen und Freiheit der Speisen. CR 88. Nr. 8. S. 96.
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Rebaptizatores, Capharnaitae.290 Dabei handelt es sich aber, abgesehen vielleicht von den Rebaptizatores, also den Täufern, noch nicht um feststehende Parteinamen, sondern eher um allgemeine Herkunftsbezeichnungen der entsprechenden Lehren, denn die Zvingliani291 und die Oecolampadii292 bilden eigentlich eine gemeinsame Gruppe. Auch die Capharnaitae293 beziehen sich gleichzeitig auf Karlstadt, Zwingli und Oekolampad, denn dieser Begriff verweist allgemein auf ihre abweichende Interpretation der Präsenz Christi im Abendmahl. Nach Augustinus waren die Leute von Kapernaum die ersten Ketzer in der Abendmahlsfrage, weil bereits sie daran zweifelten, Fleisch und Blut Christi wirklich aufnehmen zu können.294 Dieser Name war aufgrund seines eindeutigen biblischen Sakramentsbezuges auch bei den Reformatoren beliebt: Oekolampad verwendete ihn gegen Luther, der diese Kritik allerdings sofort zurückgab.295 Eck erkannte also genau wie Luther im Abendmahl einen zentralen Streitpunkt. Aus diesem Grund konnte er den Reformierten vorwerfen, sie seien wider das Sacrament, was stark an die lutherische Bezeichnung ,Sakramentierer‘ erinnert. Ebenfalls aus Wittenberg übernahm er die Begriffe Schwermerisch, gayster und prophetisch. Daneben erhob Eck die Klage, es gebe unter ihnen etlich Bilderstürmer.296 Auch wenn er unter die Schwärmer und Bilderstürmer primär Karlstadt und Thomas Müntzer subsumiert – er spricht ausdrücklich vom bildtstürmer Carlstat – wird Zwingli hiervon nicht vollständig ausgenommen, denn er fordert die Zürcher auf, anstelle von Zwingli lieber Karl d. Gr. nachzufolgen, der vier Bücher wider die bildtstürmer geschrieben habe.297 Eine weitere Parallele zu Luther findet sich in der Verbindung Zwinglis mit altkirchlichen Ketzerbewegungen. Eck bringt ihn als der new Pelagia-
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Eck: Enchiridion (Anm. 231). S. 308. Zwingliani erscheint daneben bei Eck: Enchiridion (Anm. 231). S. 81 und S. 295. In der deutschen Fassung wird es als die Zwinglischen übersetzt, vgl. Ders.: Handbüchlin (Anm. 92). S. 79, Bl. 153 sowie S. 83, Bl. 160. Auch als Adjektiv findet es mehrfach Verwendung, vgl. S. 75, Bl. 145 und S. 83, Bl. 161. Vgl. daneben auch die Form Oecolampadiani, Eck: Enchiridion (Anm. 231). S. 81. Das entsprechende Adjektiv erscheint in Eck: Enchiridion (Anm. 231). S. 289 bzw. Eck: Handbüchlin (Anm. 92). S. 78, Bl. 150. Vgl. Eck: Enchiridion (Anm. 231). S. 289, Kap. 1, Anm. 24. Die entsprechende Erzählung steht bei Joh 6, 48–59. Capernaiten erscheint u. a. bei Luther: Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament. WA 54. S. 144f. sowie Ders.: Wider die Schwärmgeister. WA 23. S. 191, 201, 205, 243, 251, 257 und S. 265. Für Luther sind die ,Schwärmer‘ die eigentlichen Kapernaiten, da sie das leibliche vom geistlichen Essen, also das Werk vom Wort trennten, vgl. Anm. zu S. 191 auf S. 308. Eck: Handbüchlin (Anm. 92). S. 5, Bl. 4 sowie S. 83, Bl. 160. Eck: Handbüchlin (Anm. 92). S. 51, Bl. 96.
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ner Zwingli mit Pelagius in Verbindung, der zu Zeiten des Augustinus die Erbsünde bestritten hatte und für den freien Willen eingetreten war.298 Geht Eck hier terminologisch also weitgehend mit Luther konform, so sieht er in seiner Bewertung doch letztendlich keinen bedeutenden Unterschied zwischen den verschiedenen Richtungen der Reformation. Wittenberg galt ihm als der Ausgangspunkt aller weiteren Bewegungen. Er fühlte sich hier den Lutheranern nicht näher als den Reformierten. Vielmehr betonte Eck mit besonderer Genugtuung die Tatsache, dass diese untereinander zerstritten waren: Lutherani nova schismata faciunt, et tam sibi quam aliis repugnant, ut iam dissectus est Carolostadius, et Luther, et Zvinglius, et Catabaptistae.299 In der deutschen Fassung heißt es an dieser Stelle: die Newchristen sind nit allain mit vns zwytrechtig […] sonder auch vnder ainander.300 Eine weitere Aufzählung reformatorischer Gruppen beginnt mit den Worten: So hat die Lutherey vil Secten bracht.301 Alle Reformatoren fallen damit gleichermaßen unter das Verdikt der ketzerey.302 Sie sind ohne Unterschied von der kirchen abtrent303 und dem irrsal verfallen.304 Die Bezeichnungen als Neuchristen, Ketzer und Sekten treffen damit auf jede dieser Richtungen zu.305 Thomas Murner geht in dieser Gleichsetzung trotz seiner größeren Nähe zu den Schweizer Verhältnissen sogar noch weiter. In einer Schrift, die 1526 in Zusammenhang mit der Badener Disputation entstanden ist, wendet er sich an Zwingli mit den Worten: du vnd alle Lutherischen. Hier subsumiert er die Reformierten also eindeutig unter die Lutheraner. Aber auch die Bezeichnung ,zwinglisch‘ ist ihm geläufig,
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Eck: Handbüchlin (Anm. 92). S. 88, Bl. 171, in der lateinischen Fassung et Pelagiani et Zvinglius auf S. 305. Vgl. hierzu auch S. 324, Anm. 114. Natürlich bestritten die Reformierten diesen Vorwurf heftig. Oekolampad wandte sich vielmehr selber gegen den pelagianisch kätzer, Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 144. Er bezog sich dabei jedoch nicht auf aktuelle Glaubensrichtungen, sondern tatsächlich auf die altkirchliche Ketzerbewegung. Damit konnte er sich gleichzeitig in den Traditionszusammenhang der ,Alten‘ Kirche stellen. Eck: Enchiridion (Anm. 231). S. 22. An anderer Stelle bezieht Eck den Streit ausdrücklich auf das Abendmahl: Pugnant inter se Lutherani, et Oecolampadiani, et Zwingliani de eucharistiae sacramento, S. 81. Eck: Handbüchlin (Anm. 92). S. 5, Bl. 4. Eck: Handbüchlin (Anm. 92). S. 83, Bl. 160. Eck: Handbüchlin (Anm. 92). S. 83, Bl. 161. Eck: Handbüchlin (Anm. 92). S. 5, Bl. 5. Vollständig spricht Eck vom irrsal Lutthers/ Zwinglij/ Oecolampadij/ vnd andrer, Eck: Handbüchlin (Anm. 92). S. 106, Bl. 207. Zwingli und Oekolampad sind für ihn duo vasa erroris bellantia, Ders.: Enchiridion (Anm. 231). S. 291. Bezogen auf die Reformierten ist ausdrücklich von Capharnaischen Newchristen bzw. haeretici Capharnaitae die Rede. Eck: Handbüchlin (Anm. 92). S. 78, Bl. 150 sowie Ders.: Enchiridion (Anm. 231). S. 289. Mehrfach heißt es auch Zvinglius haereticus, S. 185, 187 und S. 194. An anderer Stelle findet sich der Vorwurf der sectarum novitates, S. 308.
Selbst- und Fremdbezeichnungen der römisch-katholischen Partei
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denn er spricht von der Lutherischen, Zwinglischen oder euangelischen ketzery,306 setzt diese drei Begriffe also weitgehend synonym. In diesem Zusammenhang greift er auch die Selbstbezeichnung ,evangelisch‘ auf und redet abfällig-ironisch von der euangelischen buben art.307 In einem weiteren Pamphlet von 1528, in dem er sich ebenfalls wiederholt gegen die Luthery oder euangelischery wendet,308 streicht er heraus, dass dieser im Namen enthaltene ehrenvolle Bibelbezug natürlich nicht ernstzunehmen sei, denn bei der Grundlage ihrer Lehre handle es sich um das nuw euangelium, also gerade nicht um die Heilige Schrift, sondern um die Werke der Reformatoren, und bei ihnen selbst damit folgerichtig einmal mehr um die nuw gleübigen.309 Damit greift Murner auch hier auf die Diffamierung der evangelischen Lehren als neu gegenüber dem woren alten vngezweiffleten christlichen glauben zurück.310 Daraus ergibt sich ganz selbstverständlich die Bezeichnung als Ketzer, und Murner nennt sie denn auch die lutherisch vnd euangelisch ketzler zunfft.311 Ausdrücklich verbannt er sie damit als verleügknete christen aus der Gemeinschaft der frommen Christen.312 306 307
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Murner: Hie würt angezeigt (Anm. 224). S. 54. Murner: Ein worhafftigs verantwurten (Anm. 226). S. 15. Auch später wendet er sich gegen alle Lutherischen, S. 33. Murner: Hie würt angezeigt (Anm. 224). S. 48. disse euangelischerey erscheint nochmals auf S. 49. Daneben verwendet Murner die Parteibezeichnung die euangelischen, S. 67, sowie mehrfach das dazugehörige Adjektiv, vgl. S. 50, 51 und S. 54. Auch ,lutherisch‘ findet nochmals Verwendung, S. 54. Murner: Hie würt angezeigt (Anm. 224). S. 46. Vgl. auch die nuwe lere, Ders.: Ein worhafftigs verantwurten (Anm. 226). S. 24. Der Bezug auf ein weiteres fiktives Evangelium ist recht selten, vgl. etwa den Titel einer Flugschrift von 1552, in dem ebenfalls ein ,neues Evangelium‘ erwähnt wird, Klaiber: Katholische Kontroverstheologen (Anm. 28). Nr. 2021. Auch die Konkordienformel als verbindliches lutherisches Glaubensdokument konnte vielleicht als zusätzliches unbiblisches Evangelium kritisiert werden, wenn etwa Hans Fugger am 4. Januar 1583 an Anton von Montfort schrieb, der Kölner Kurfürst und Erzbischof Gebhard Truchsess von Waldburg wolle sich des 5. evangelij theilhafftig machen, und apostatiern. Zit. nach Regina Dauser: Informationskultur und Beziehungswissen. Das Korrespondenznetz Hans Fuggers (1531–1598). Tübingen 2008 (Studia Augustana. Bd. 16). S. 242. Murner: Ein worhafftigs verantwurten (Anm. 226). S. 13. Er wendet sich in diesem Zusammenhang an die frummen alten Christlichen Züricheren, deren ob got will noch die größer zal ist, S. 9 und ähnlich S. 23. Murner: Ein worhafftigs verantwurten (Anm. 226). S. 18. ketzler zunfft erscheint nochmals S. 35, vgl. daneben auch ketzerisch, S. 19, 26, 34, ketzer, S. 15 und Ders.: Hie würt angezeigt (Anm. 224). S. 51 und 73. Zwingli ist für ihn in diesem Zusammenhang sogar ein ertz ketzer, S.67. Außerdem spricht er von kätzerien, Ders.: Ein worhafftigs verantwurten (Anm. 226). S. 13 und Ders.: Hie würt angezeigt (Anm. 224). S.54. Wie Eck definiert auch Murner Ketzer ausdrücklich als abtrinnige von Christlicher kirchen, S. 73. Die Bezeichnung als nuwen ketzerischen glauben bringt sehr augenfällig das Neue mit der Ketzerei in Verbindung, S. 53. Murner: Hie würt angezeigt (Anm. 224). S. 58.
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Neben diese bereits bekannten Begriffsebenen tritt bei Murner noch eine weitere, die die Reformatoren nicht nur im Sinne des kirchlichen, sondern auch des weltlichen Rechts kriminalisiert. Damit berühren wir den Bereich der ,rechtlichen Terminologie‘, der sich bereits in der Bezeichnung ,evangelische Buben‘ angedeutet hat, denn der ,Bube‘ ist hier natürlich im Sinne von ,Spitzbube‘, also ,Verbrecher‘, zu verstehen. In die gleiche Kategorie fallen auch Namen wie bößwicht oder ertz schelmen.313 Die konkreten Anklagen lauten auf Diebstahl und Lüge. Wiederholt schilt Murner Zwingli einen kirchendieb oder rauber,314 da dieser sich in seinen Augen unrechtmäßig an Kirchengut vergriffen habe.315 Zudem nennt er ihn einen ertz lügner316 und verurteilt etwas später auch die Stadt Bern, weil sie die Christlichen prediger vertrieben und an ihre Stelle ketzer vnd lügner gesetzt habe.317 Dieser Vorwurf bezieht sich primär auf die Lehre, die nicht der Wahrheit entspreche, sondern die Gläubigen verführe. Raub und Lüge machen Zwingli schließlich zu einem vnderdrucker der vnschuldigen,318 also sinngemäß zu einem ,Tyrannen‘. Auf diese Weise entschärft Murner gleichzeitig die entsprechende Kritik an Rom und reicht sie an die Evangelischen zurück. Er lässt keinen Zweifel daran, was mit solchen Verbrechern zu geschehen habe: Als Ketzer wünscht er ihn in das feur, als Kirchendieb an den Galgen:319 das dir solches wider fare wel die heilige gots gerechtigkeit. Amen.320 Überhaupt bedient Murner sich einer sehr drastischen und derben Ausdrucksweise, die sehr gut den damals immer wieder bei allen Parteien aufscheinenden Grobianismus dokumentiert, wenn er Zwingli etwa zur Veröffentlichung weiterer Schriften auffordert, um seinen Bedarf an Toilettenpapier zu decken: so hant wir dester mer arß wisch.321 Nicht umsonst galt er für Heinrich Bullinger in kaum weniger deftigen Worten als ein verruchter münch böser Eydgnoß vnd ein vnverschampter lesterer.322
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Als Bösewicht bezeichnet Murner Zwingli in ,Ein worhafftigs verantwurten‘ (Anm. 226). S. 8, 26, 13, 15, 38, Schelm erscheint S. 9, 15. Murner: Ein worhafftigs verantwurten (Anm. 226). S. 15, vgl. auch S. 11, 12, 38. Dementsprechend spricht Murner auch von kirchen diebische leren, S. 26 und ähnlich S. 34. Vgl. Murner: Ein worhafftigs verantwurten (Anm. 226). S. 11. Murner: Ein worhafftigs verantwurten (Anm. 226). S. 14. Murner: Hie würt angezeigt (Anm. 224). S. 45. Er fällt das harte Urteil, es gebe kein verlogner volck vnder disser sonnen denn die euangelischen predicanten, S. 50. Murner: Ein worhafftigs verantwurten (Anm. 226). S. 12. Murner: Ein worhafftigs verantwurten (Anm. 226). S. 19. Murner: Ein worhafftigs verantwurten (Anm. 226). S. 20. Murner: Ein worhafftigs verantwurten (Anm. 226). S. 12. Am Ende entschuldigt er sich aber zumindest für seine vnzühtigen wort, S. 38. Heinrich Bullinger: Reformationsgeschichte. Bd. I. Hg. von Johann J. Hottinger und Hans H. Vögeli. Frauenfeld 1938–40. Nachdruck Zürich 1984. S. 413. Vgl. hierzu auch Pfeiffer-Belli: Thomas Murner im Schweizer Glaubenskampf (Anm. 212). S. XXXVII.
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3.4 Selbst- und Fremdbezeichnungen der Reformierten Die Schweizer Reformation liegt zeitlich am spätesten. Auch wenn ihr Hauptprotagonist Zwingli immer wieder seine Unabhängigkeit von Luther betonte und den Anfang seiner reformatorischen Predigt bereits auf das Jahr 1516 zurückdatierte,323 so begann sie doch eigentlich erst 1522 und zwar wie in Wittenberg mit einem besonderen symbolischen Akt. War es dort die Thesenveröffentlichung, so handelte es sich in Zürich um das Wurstessen im Hause des Druckers Froschauer, das demonstrativ die katholischen Fastengebote ad absurdum führen sollte. Zwingli verteidigte dieses Vorgehen in seiner ersten reformatorischen Schrift ,Von Erkiesen und Freiheit der Speisen‘ vom 16. April dieses Jahres. Bereits im folgenden Jahr führte Zürich nach zwei Disputationen offiziell die Reformation ein.324 Unterstützung fand Zwingli dabei in Johann Oekolampad, der ab 1522 im Sinne der Reformation in Basel wirkte. Obwohl er in seiner Zeit als Augsburger Domprediger seit 1518 zunächst mit der lutherischen Lehre in Berührung gekommen war, trat er im Abendmahlsstreit auf Zwinglis Seite. Auf den eidgenössischen Disputationen von Basel und Bern 1526 und 1528 spielte er eine führende Rolle, und auch beim Marburger Religionsgespräch von 1529 galt er neben Zwingli als wichtigster Opponent Luthers.325 Ebenfalls zu erwähnen ist Zwinglis Nachfolger in Zürich, Heinrich Bullinger, der besonders durch seine Reformationsgeschichte aus dem Jahre 1564 interessante Einblicke in das Selbstverständnis der Reformierten aus einer vermeintlich objektiven Position zu geben vermag.326 Als wichtigster reformierter Theologe neben Zwingli ist Johannes Calvin zu nennen. Er wandte sich erst 1533 der Reformation zu und setzte seit 1541 seine Glaubensvorstellungen in Genf um. 1549 wurde durch den Abschluss des ,Consensus Tigurinus‘ mit Heinrich Bullinger auf reformierter Seite die Kircheneinheit zwischen Zürich und Genf hergestellt. Als einziger der hier genannten Theologen gehört er 323
324 325 326
Er umschreibt dies in gut evangelischer Weise mit den Worten: sid ich das euangelion Christi ergriffen. Zwingli: Entschuldigung etlicher Zwingli unwahrlich zugelegter Artikel. CR 88. Nr. 19. S. 579. Vgl. hier auch S. 256, Anm. 4. Heinrich Bullinger, der Nachfolger Zwinglis in Zürich, betont diese Abgrenzung von Luther wiederholt in seiner Reformationsgeschichte, wenn er schreibt, Zwingli habe ee dann yemandts noch vzid von Doctor Luthern gehört, […] angehept, das Evangelium zu predigen. Bullinger: Reformationsgeschichte. Bd. I (Anm. 322). S. 8f. Vgl. Wallmann: Kirchengeschichte (Kap. 1, Anm. 54). S. 48–50. Vgl. Thomas Konrad Kuhn: Oekolampad. In: NDB 19. S. 435f. Zu Beginn seines Werkes betont Bullinger, er habe seine Informationen sowohl bei den widerwertigen als auch den vnsern eingeholt, um damit seine Objektivität zu beweisen. Natürlich erweist sich dieser Anspruch schon sehr bald als Fiktion, wenn es gleich darauf heißt, er wolle den häfftigen Stryt der waren religion, mitt der falschen beschreiben, aber immerhin enthält er sich weitgehend übermäßiger Polemik. Bullinger: Reformationsgeschichte. Bd. I (Anm. 322). S. 2.
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erst der zweiten Generation der Reformation an. Er griff weitgehend auf die bereits vorhandene reformatorische Theologie zurück, doch durch sein ,Lebensbuch‘, die ,Institutio Christianae Religionis‘, die 1536 erstmals erschienen sind, aber bis zu seinem Tod immer wieder neue Überarbeitungen erfuhren, wurde Calvin zum bedeutendsten Systematiker der reformierten Kirchenlehre.327 3.4.1 Ein einfaltiger verkünder des euangelij Christi Jesu: Selbst- und Fremdbezeichnungen bei Zwingli und seinen Anhängern In seiner ersten dezidiert reformatorischen Abhandlung ,Von Erkiesen und Freiheit der Speisen‘ behandelt Zwingli zwar zunächst die Frage des Fastengebots, ihm geht es aber um viel mehr, nämlich um die christliche Freiheit.328 Seine Ausführungen fasst er in dem Satz zusammen: Wiltu gern vasten, thuo es; wiltu gern das fleisch nit essen, iß es nüt, laß aber mir dabey den Christenmenschen fry.329 Er beruft sich in seiner Argumentation stets auf das Zeugnis des Evangeliums, weshalb er wie die Lutheraner von der euangelisch leer und fryheit sprechen kann.330 In diesem Zusammenhang charakterisiert er sich selber als einfaltiger verkünder des euangelij Christi Jesu,331 welches er als ein liecht in disen finstren irrsal tragen will,332 um auf diese Weise die euangelisch warheit333 leuchten zu lassen. Diejenigen, die dieser evangelischen Lehre folgen, vertrauen alleine auf Christi Verkündigung und können auf dieser Basis zu den Christen334 oder Christenmenschen335 gerechnet werden. Indem er die Adressaten der Paulusbriefe ebenfalls dezidiert als Christen bezeichnet, stellt Zwingli
327
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329 330
331 332 333 334
335
Vgl. Wallmann: Kirchengeschichte (Kap. 1, Anm. 54). S. 104f. Zum ,Consensus Tigurinus‘ vgl. Willem van’t Spijker: Calvin. Biographie und Theologie. Göttingen 2001 (Die Kirche in ihrer Geschichte. Ein Handbuch. Bd. 3. Lieferung J2). S. J 197–J 199 sowie zur Erstausgabe der ,Institutio Christianae Religionis‘ S. J 124– J 126. Vgl. Zwingli: Von Erkiesen und Freiheit der Speisen. CR 88. Nr. 8. S. 89, 107, 123 und S. 136. Daneben erscheint auch fryheit Christi, S. 135. CR 88. Nr. 8. S. 106. CR 88. Nr. 8. S. 89. Alle, die sich vom Evangelium führen und belehren lassen, nennt Zwingli in diesem Zusammenhang die euangelisch geleerten, S. 90. CR 88. Nr. 8. S. 88. CR 88. Nr. 8. S. 91. CR 88. Nr. 8. S. 127. Zwingli spricht dezidiert von uns Christen, CR 88. Nr. 8. S. 102. Daneben findet sich ,Christ‘ etwa S. 99, 101, 113, 117, 123, 124, 127 und S. 134. Bereits in der Anrede zu Beginn des Textes wendet sich Zwingli an alle frommen Christenmenschen in Zürich, CR 88. Nr. 8. S. 88. ,Christenmenschen‘ wird daneben verwendet auf S. 89, 101, 105, 113, 122. Weitere entsprechende Bezeichnungen lauten z. B. eim christgleubigen menschen, S. 98, Cristenvolk, S. 109, nachvolger Christi, S. 118, fromme diener Christi, S. 132.
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sich zugleich in die alte biblische Tradition des Glaubens.336 Alle diese Christen sind untereinander ,Brüder‘.337 Zusammen stellen sie, wie es in einem späteren Text gemäß dem Apostolischen Glaubensbekenntnis heißt, als die ,Heiligen‘ die gmeind und die kilchen gottes bzw. die eynig, allgemein kilch dar.338 Dabei differenziert er innerhalb dieser Gruppe durchaus, denn unter den Christen gibt es solche, die stark im Glauben sind und die ihren schwachen bzw. ,blöden‘ Brüdern beistehen müssen, damit diese sich nicht durch falsche Lehren verführen lassen.339 Zwingli lässt insgesamt also keinen Zweifel daran, dass seine Ansichten christlich, rechtgläubig und im Sinne der Kirche seien. Nun entstand dieser Text noch zu früh, um bereits hier von einem ausgeprägten Gruppenbewusstsein sprechen zu können. Das äußert sich besonders darin, dass Zwingli nur einige bestimmte Gegner kritisiert, aber noch keine eigentliche Gegenpartei erwähnt. So kommt der beginnende Gegensatz zu Rom eher am Rande zu tragen, wenn Zwingli beispielsweise erwähnt, dass ein ieder frommer die Pfründenvergabe durch den babst schon immer für unrecht gehalten, aber bislang aus Unwissenheit geschwiegen habe, bis das die euangelisch warheit gelüchtet hat.340 Auf diese Weise deutet er bereits an, dass er manche Praktiken und Lehren Roms für unevangelisch hält, verzichtet aber noch auf entsprechende diffamierende Fremdbezeichnungen. Oft spricht er nur allgemein von seinen widerwertigen und ,falschen Brüdern‘.341 Konkreter wird er mit den falschen propheten, die jene christliche Freiheit verheimlichen und sie vil lieber wie ein gehemte suw am strick führen.342 Mit diesem Vorwurf wendet er sich direkt gegen die irrenden theologi und die bösen bischove und pfaffen, denen er vorhält, die Christen bislang in Unwissenheit gelassen343 und mit menschlicher leer verführt zu haben,344 die nur ,geträumt‘,345 also als reine Erfindung nicht auf Gott und seine Schrift ge336 337 338
339
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344 345
Vgl. CR 88. Nr. 8. S. 93–96. Zwingli spricht ausdrücklich von allen brüderen (das ist Christenmenschen), CR 88. Nr. 8. S. 89. CR 88. Nr. 8. S. 118, 119, 127 sowie Zwingli: Die beiden Predigten zu Bern. CR 93/1. Nr. 116. S. 490. Die erste dieser Predigten ist v. a. deshalb interessant, weil Zwingli hier das Glaubensbekenntnis zum Ausgangspunkt nimmt, um in knapper Form seine Lehren und Überzeugungen zu präsentieren. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Bezeichnung als allgemein versamlung der Christen, CR 88. Nr. 8. S. 134. Die Aussage wir, die starck im glauben sind, CR 88. Nr. 8. S. 115, 125, wird den schwachen und blöden gegenübergestellt, vgl. S. 115, 116, 120, 122, 125. Dabei ist einmal direkt din blöder bruoder genannt, S. 116. CR 88. Nr. 8. S. 127. CR 88. Nr. 8. S. 119 bzw. S. 123. CR 88. Nr. 8. S. 101. CR 88. Nr. 8. S. 102 bzw. S. 113. Vgl. hier auch ir fleischlich geistlichen, S. 119, die falsch lerenden menschen, S. 131 und allgemein die bösen, S. 111. CR 88. Nr. 8. S. 89. Vgl. CR 88. Nr. 8. S. 102, 130.
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gründet sei. Diese Terminologie erinnert deutlich an jene Worte, mit denen Martin Luther die sog. Schwärmer charakterisiert hat. Zwingli bezeichnet die katholischen Theologen in diesem Zusammenhang wiederholt als glychßner,346 also Heuchler und Verführer. Ihre Lehren wurden ihnen von irsälichen geisten, ja von den tüflen ingeben, die sich flyssen, den menschen mit der glichßnery […] abfuoren von dem vertruwen in got zuo dem vertruwen in sich selb.347 Damit schaffen sie sich letztendlich einen ,neuen Gott‘,348 ganz im Sinne Luthers, der in seinem Großen Katechismus geschrieben hat: Worauf Du nu (sage ich) Dein Herz hängest und verlässest, das ist eigentlich Dein Gott.349 Zwingli erhebt damit zum einen den Anspruch, die Lehre des alten Gottes zu vertreten. Gleichzeitig bringt er seine Gegner dezidiert mit dem Teufel in Verbindung und schließt sie als gotloß350 aus dem Kreis der Christen aus: Es ist aber dhein Christ mer, so er der christlichen leer nit gloubt.351 Bei all dieser harschen Kritik zeigt sich Zwingli unbesorgt über den unwillen, der mir darus erwachset.352 Dass die Auseinandersetzung in der Tat bald größere Ausmaße annahm, zeigt die ,Entschuldigung etlicher Zwingli unwahrlich zugelegter Artikel, an die Tagsatzung zu Bern‘ vom 3. Juli 1523, in der er sich vor der Obrigkeit gegen die falschen Vorwürfe und persönlichen Verleumdungen seiner ungünstigen353 zur Wehr setzte, die ihn daby einen kätzer scheltend.354 Er selber weiß sich mit der Bibel auf der sicheren Seite. In allen weiteren untersuchten Texten blieb die Selbstbezeichnung weitgehend konstant. Zwingli und seine Befürworter zählen sich stets zu den Christen. Oekolampad betont etwa in einer Schrift gegen Luther: Unser fundament des glaubens ist eins mit der christenlichen warheyt.355 Die Berufung auf das Evangelium entwickelte sich daneben wie bei den Lutheranern zu einer eigenständigen Selbstbezeichnung. Bullinger verwendet in seiner Reformationsgeschichte regelmäßig das entsprechende Adjektiv und spricht immer wieder auch von den Evangelischen als Gruppe.356 346 347 348 349 350 351 352 353 354 355 356
CR 88. Nr. 8. S. 90, 122, 123, 130, einmal in der Verbindung die Phariseier oder glichßner, S. 113. CR 88. Nr. 8. S. 95. Vgl. CR 88. Nr. 8. S. 105. Martin Luther: Der große Katechismus deutsch. In: BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. VII. S. 560. CR 88. Nr. 8. S. 118. CR 88. Nr. 8. S. 99. CR 88. Nr. 8. S. 136. CR 88. Nr. 19. S. 574. CR 88. Nr. 19. S. 577. Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 144. Bullinger: Reformationsgeschichte. Bd. III (Anm. 322). S. 258, 259 und S. 319, hier jeweils ausdrücklich in Gegensatz zu den ,Päpstlern‘ oder ,Päpstischen‘. Zudem lieferte er eine zusammenfassende Gegenüberstellung beider Seiten: Gaegensatz unnd kurtzer Begriff der Evangelischen und Baeptistischen leer. Zürich 1551. Ansonsten finden sich entsprechende Bezugnah-
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Dagegen differenzierte sich die Gegnerschaft in unterschiedlicher Intensität aus. Zunächst trat bald die katholische Partei deutlicher hervor. In mehreren Texten konkretisierte Zwingli seine Polemik gegen die bislang noch anonymen Theologen durch direkte Angriffe auf Johannes Eck und Johannes Fabri.357 Eck wirft er beispielsweise vor, er missbrauche den Namen Gottes allein zu schirm des, der wider gott ist, und aller verfueren der conszientzen [...], damit das Christenvolck diner verfürnus und diner verwirrten zoubry, die du dem heiligen gotzwort anthust, verfällt.358 Aufgrund dieses Teufelswerks habe jeder Christ Eck für einen gotzfyend zu halten. Da Zwingli neben Eck auch die, so diner part sind, erwähnt, deutet er zugleich die Existenz einer größeren Gruppe um Eck an, denen er seine eigenen Befürworter als die, so gottes sind, gegenüberstellt.359 Wiederholt setzt er sich auch mit dem katholischen Anspruch auseinander, den alten, waren, christenlichen glouben und gebrauch zu vertreten.360 Zwingli betont, dass sein Glaube die alt leer, die got selber ufgethon hat, vertrete, während Ecks Lehre nicht hinter die Kirchenväter zurückreiche.361 Bullinger findet ebenfalls deutliche Worte, indem er dem allten (wie sy inn nennend), das ist, den Bapsts glouben seinen Evangelischen glouben entgegensetzt.362 Aber auch gegen die Lutheraner hatte man sich entsprechend zu verteidigen. So wehrte sich Oekolampad vehement gegen Luthers Vorwurf der neüwerung,363 denn alles, was er lehre, ist kein newer urhab, aber von den aposteln gelert und gehalten worden.364 Ähnlich streng ging Zwingli mit seinem zweiten großen katholischen Gegner Fabri ins Gericht. Auf dessen Forderung hin hatte die eidgenössische Tagsatzung beschlossen, die ,lutherischen‘ Bücher zu verbieten.365 Zwingli legte ihm dies nun so aus, als wolle er unter diesen Schriften auch Luthers ins Deutsche übersetzte Evangelium verbrennen lassen. Das lieferte ihm nun natürlich eine Steilvorlage, um Fabri und mit ihm auch Eck als ,unchristlich‘ und ,Feinde des Evangeliums‘ vorzuführen,366
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361 362 363 364 365 366
men auf Evangelium und Christentum in allen untersuchten Schriften in großer Zahl, so dass sich weitere genaue Angaben in diesem Fall erübrigen. Zwingli: Antwort auf Johannes Ecks Missiv. CR 90. Nr. 39. S. 300, 304–312. Ders.: Eine kurze Schrift an die Christen. CR 92. Nr. 92. S. 256, 262–271. Daneben finden sich aber gerade diese beiden Namen auch in anderen Schriften, so z. B. in seiner Berner Predigt vom 19. Januar 1528, Ders.: Die beiden Predigten zu Bern. CR 93/1. Nr. 116. S. 468. Zwingli: Antwort auf Johannes Ecks Missiv. CR 90. Nr. 39. S. 306. CR 90. Nr. 39. S. 307. Vgl. hierzu das entsprechende Missiv Johannes Ecks an die eidgenössische Tagsatzung, CR 90. Nr. 39. S. 304. CR 90. Nr. 39. S. 311. Bullinger: Reformationsgeschichte. Bd. I (Anm. 322). S. 142. Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 138. Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 146. Vgl. Zwingli: Eine kurze Schrift an die Christen. CR 92. Nr. 92. S. 256. Vgl. CR 92. Nr. 92. S. 262.
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die mit dem Teufel im Bunde stünden.367 Ebenso wie zuvor Eck, hat auch Fabri eine entsprechende Anhängerschaft, denn Zwingli spricht von Fabers part und von Faber und sin huff.368 Diesmal dehnt Zwingli jedoch seine Angriffe auf alles Römisch-Katholische aus. Er wettert gegen das bapstum […], die bösen antichristischen frucht369 sowie gegen die bäpstler.370 Dieser Begriff diente Zwingli noch als Grundlage zu einigen weitergehenden polemischen Ausfällen, wie etwa die jungen hurenbapstpfaffen.371 Damit hatte Zwingli nun einen Parteinamen gefunden, der in seinen weiteren Schriften sehr häufig erscheint und auch von seinen Mitstreitern, z. T. in der synonymen Form ,Papisten‘ oder ,Päpstische‘, übernommen wurde.372 Auch hier zeigt sich wieder die Nähe zu Luther. Beide Seiten gebrauchten den gleichen Namen zur Bezeichnung ihrer katholischen Gegner und stimmten zudem darin überein, dass es sich beim Papst um den Antichristen handeln müsse. Einig war man sich auch in der besonderen Betonung des Evangeliums, und tatsächlich gingen die Schweizer Reformatoren in der Rechtfertigungslehre wie in ihrem Kirchenverständnis grundsätzlich mit Wittenberg konform.373 Mehrfach macht Zwingli deutlich, wie sehr er Luther und seine Leistungen schätzt. Er spricht vom treffenlichen Luther,374 bringt seinen Namen mit luter, also lauter und rein, in Verbindung,375 verteidigt seine Bibelübersetzung gegen die Anfeindungen Fabris376 und erkennt seine Leistung an, in Sachsen den ,Christenglauben‘ verbreitet zu haben und gegen das Papsttum aufgestanden zu sein.377 Oekolampad war in seiner Zeit als Augsburger Domprediger mit den Lehren Luthers in Berührung gekommen und urteilte daher in seiner Frühzeit ebenfalls besonders positiv über ihn: Yetzund will ich […] frey von Doctor martin Luther reden, das er der evangelischen warhait meer zunahne dann seine widersacher. Ja, er geht sogar noch weiter und bejubelt seine 367 368 369 370
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Vgl. CR 92. Nr. 92. S. 270. CR 92. Nr. 92. S. 267 und S. 270. CR 92. Nr. 92. S. 265. CR 92. Nr. 92. S. 266, 269. Vgl. auch andere Schriften Zwinglis, etwa: Die beiden Predigten zu Bern. CR 93/1. Nr. 116. S. 477, 489, 490. In lateinischen Texten erscheint die Bezeichnung pontifici, vgl. etwa Ders.: Amica exegesis. CR 92. Nr. 104. S. 563. Zwingli: Eine kurze Schrift an die Christen. CR 92. Nr. 92. S. 266. Vgl. u. a. Bullinger: Reformationsgeschichte. Bd. I (Anm. 322). S. 321, hier auch als des Bapsts huffen, S. 314, oder die Bäpstischen, Bd. II. S. 51. Oekolampad verwendet sowohl papisten als auch bäpstler, z. B. Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 141, 143 bzw. S. 144, 147. Zu diesem Urteil kommt Blickle: Die Reformation im Reich (Kap. 1, Anm. 12). S. 51. Zwingli: Freundliche Verglimpfung. CR 92. Nr. 106. S. 771. Vgl. Zwingli: Das ist mein Leib. CR 92. Nr. 107. S. 828. Vgl. auch Ders.: Amica exegesis. CR 92. Nr. 104. S. 567, wo Zwingli Luther aufgrund der Klangähnlichkeit mit purus bzw. in Verbindung bringt. Vgl. Zwingli: Eine kurze Schrift an die Christen. CR 92. Nr. 92. S. 268. Vgl. Zwingli: Das ist mein Leib. CR 92. Nr. 107. S. 805f. sowie S. 817.
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Schriften überschwänglich, sie seien bey mir so ungezweyfelt gewiß war, das auch die engel von hymel (ob sy gleich denen widersprächen) mich meiner mainung und sententz nit abtreiben wurden.378 Noch 1526 erkennt er ihn als eyn wol verdienten, und theüren knecht des evangelions an379 und betont die Gemeinsamkeiten in der Rechtfertigungslehre, indem er mit andern christen [bekennt], das wir auß unsern wercken nicht vermögen.380 Bullinger bezeugt selbst auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen den gemeinsamen Kampf Luthers und Zwinglis wider das Bapsthumm und erklärt beide zu Vertretern der Eangellisch leer.381 Für das zunehmend schlechtere Verhältnis wird denn auch eindeutig Luther verantwortlich gemacht. Zwingli und Oekolampad beklagen sich bitter über seine schelt- schütz- und schentzelwort382 bzw. die ungerechtfertigten schmitznamen,383 und Oekolampad stellt schließlich enttäuscht die Frage: Warumb hastu das feür lassen über hand nemen?384 Man versuchte von Schweizer Seite zunächst, in einem freundlichen Ton zu reagieren. Bereits in den Titeln seiner Schriften machte Zwingli deutlich, dass es sich bei seiner Widerlegung Luthers um eine ,Amica exegesis‘ bzw. eine ,Freundliche Verglimpfung‘ handeln sollte. Er versuchte diese zwytracht under denen, die ouch dem euangelio seind,385 als brüderliche Auseinandersetzung darzustellen, wie es sie auch zwischen Petrus und Paulus gegeben habe,386 und warnte davor, dass alleine jene adversa pars, quae ab euangelio stat, also die Katholiken, aus einem Streit unter den Evangelischen Nutzen ziehen könnte. Allerdings stellt Zwingli gleichzeitig klar, dass es in der Sache selbst kaum Handlungsspielraum gebe. In seiner Auslegung der Einsetzungsworte irrt Luther und gibt der Schrift einen falschen Sinn.387 Damit schließt er sich selber aus der Gemeinschaft 378
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Johannes Oekolampad: Urteil und Meinung, Doktor Martin Luther belangend. In: Adolf Laube (Hg.): Flugschriften der frühen Reformationsbewegung (1518–1524). Bd. 1. Vaduz 1983. S. 541– 547, hier S. 541. Er übernimmt dieses Lob aus Gal 1, 8, wo Paulus sich allerdings auf das Evangelium bezieht. Daran erkennt man die besondere Wertschätzung von Luthers Lehre. Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 137. Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 144. Bullinger: Reformationsgeschichte. Bd. I (Anm. 322). S. 20 und S. 82. Zwingli: Das ist mein Leib. CR 92. Nr. 107. S. 811. Vgl. auch S. 861. Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 138. Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 150. Vgl. auch Bullingers Urteil, Luther habe den Streit begonnen, da er gegen Zwingli und Oekolampad gar gifftige vnbescheidne bücher geschriben habe, Bullinger: Reformationsgeschichte. Bd. II (Anm. 322). S. 223f. Zwingli: Freundliche Verglimpfung. CR 92. Nr. 106. S. 772. Vgl. Zwingli: Amica exegesis. CR 92. Nr. 104. S. 563 und Ders.: Freundliche Verglimpfung. CR 92. Nr. 106. S. 778. Dementsprechend wirft Oekolampad Luther vor, unbrüderlich reagiert zu haben, Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 137. Vgl. Zwingli: Freundliche Verglimpfung. CR 92. Nr. 106. S. 786 und Ders.: Das ist mein Leib. CR 92. Nr. 107. S. 806. Oekolampad kommt ausdrücklich zu dem Schluss: Das aber dein spruch dunckel sey, lygt am tag, Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 150. Luthers reformier-
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der Christen aus, denn wenn man seiner Auslegung Glauben schenken würde, dürfte man nit Christen, sunder Lutristen genannt werden.388 Durch diese personenbezogene Bezeichnung greift Zwingli auf das gleiche Argumentationsschema zurück wie die katholischen Theologen. Daneben konstituiert er eine entsprechende lutherische Partei mittels umschreibender Formulierungen, wie Lutherus et sui.389 Oekolampad geht ähnlich vor. Er spricht von dir und deinem anhang,390 dein anhenger oder gar Dein jünger391 sowie dich und ander Wittenberger.392 Die letzte Bezeichnung macht durch ihren Bezug auf die Universität Wittenberg deutlich, dass hier nur Theologen angesprochen sind, nicht jedoch der einfache Gläubige, der ,gemeine Mann‘ bzw. das ,Volk‘.393 In diesem Sinne verweist das Adjektiv ,lutherisch‘ lediglich auf eine allgemeine Herkunftsbezeichnung, noch nicht auf eine größere Glaubensgemeinschaft,394 und auch die Reformationsgeschichte von Bullinger versteht unter den Lutherischen primär die entsprechenden Teilnehmer des Marburger Religionsgesprächs.395 Eine weitere Strategie bestand darin, Luthers Abendmahlslehre in die Nähe des von ihm so angefeindeten Katholizismus zu rücken. Zwingli betonte mehrfach, dass Luther hier deutlich vom Papsttum beeinflusst worden sei.396 Er vertrete offen irrungen und gründ, uff die das gantz bapsttum möchte widrumb ufgericht werden,397 denn darin hastu gantz der bäpstler art an dir.398 Oekolampad parallelisiert die Auslegung der Einsetzungsworte auf katholischer und lutherischer Seite: Du aber und die dein, und mit eüch die bäpstler.399 Nicht umsonst wirft Oekolampad ihm Tyrannei vor, ein Verdikt, das ansonsten allenthalben die Kurie traf, da diese sich das Recht genommen hatte, alleine über die wahre Lehre zu entscheiden. Genau dies
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te Gegner bezeichnet er wiederholt als die jhenigen so deynem irrsal nit anhengig, S. 143 und S. 144. Zwingli: Freundliche verglimpfung. CR 92. Nr. 106. S. 785. Zwingli: Amica exegesis. CR 92. Nr. 104. S. 754. Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 138. Vgl. auch Du aber und die dein, S. 144. Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 143 und S. 144. Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 148. Vgl. Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 140, 148 bzw. S. 142. So spricht Oekolampad etwa von lutherischer anfechtung, Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 145. Zwingli erwähnt ein Lutherisch buch, Zwingli: Das ist mein Leib. CR 92. Nr. 107. S. 964. Bullinger: Reformationsgeschichte. Bd. II (Anm. 322). S. 225, 237, 238. Ganz deutlich wird dies in der Aussage: Ach, daß gott erbarme, vereerender Luther, das du daß wort ye geredt hast; dann es ein gantz bäpstlich wort ist. Zwingli: Freundliche Verglimpfung. CR 92. Nr. 106. S. 792. CR 92. Nr. 106. S. 793. Zwingli: Das ist mein Leib. CR 92. Nr. 107. S. 961. Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 144.
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macht nun auch Luther, er schwingt sich damit gleichsam von einem mitarbeyter in der gmein Christi zu einem neuen Papst auf.400 Die größtmögliche Steigerung dieser Gleichsetzung begegnet in der Bezeichnung als die newen Päpstler.401 Durch die Beifügung des Adjektivs ,neu‘ haben wir es hier sogar mit einer doppelten Diffamierung zu tun. Überhaupt erscheint der Vorwurf der Neuerung nicht nur gegenüber den Katholiken, sondern auch den Lutheranern. Für Zwingli lehrt Luther nüwe irrung.402 Er verstärkt diesen Angriff im Bereich der Ketzerterminologie durch die Bezugnahme auf alte Häresien, indem er Luther vorwirft, die ketzerischen Lehren Marcions zu vertreten.403 Das gipfelt schließlich in der Aussage, Luther sei ein größerer verfurer und verlöugner Christi, dann Marcion ye gewesen ist, wenn er auf seiner Meinung beharren sollte.404 Insgesamt werden hier lediglich gleiche Argumente ausgetauscht, denn auch Luther hatte die Reformierten mit bereits verdammten Ketzereien in Verbindung gebracht und ihnen Neuerungen vorgeworfen. Genauso geschieht es mit dem prominenten Namen ,Schwärmer‘, den der Wittenberger ins Spiel gebracht hatte. Bei Oekolampad deutet sich dies in Umschreibungen an, wenn er Luthers Meinung als ,Wahn‘, ,Traum‘ oder fantaseien abtut405 und sicher ist, er werde aufgrund seiner Anschuldigungen letztendlich selbs eyn unglückhafftiger treumer geachtet.406 Zwingli wird noch deutlicher und fragt schließlich, wer hier eigentlich der größere Schwärmer sei.407 Da Luther in den Augen der Schweizer die Einsetzungsworte nicht schriftgemäß, sondern schwärmerisch auslegt, sind seine Worte dunckel. Oekolampad wirft ihm gleichzeitig Wortklauberei vor: Du wendest das reyne wort für, und fürest damit auff onlernigkeit und wortstreyt.408 Zwingli bezeichnet Luthers Buch als ein offne Schmach unnd verdüncklung der unbefleckten euangelischen warheyt und liechtes.409 Er mahnt ihn, auch weiterhin gemäß seinem Namen ,lauter‘, klar und hell zu bleiben und nicht , also gerade unlauter wie schmutziges Wasch- oder Badewasser zu werden.410 Damit erkennt man den Lutheranern im Endeffekt ihren Anspruch ab, evangelisch zu sein und bezichtigt sie 400 401
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Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 138. Luther bezeugt den entsprechenden Namen: die Lutherischen odder newen Papisten (wie yhr uns schendet), Luther: Wider die Schwärmgeister. WA 23. S. 181. Vgl. hierzu auch die entsprechenden Nachweise in reformierten Schriften bei Sam: ir newen unnd alten bepstler, sowie Schnewil: ir newen Päpstler, WA 23. S. 307. Anm. zu S. 181. Zwingli: Das ist mein Leib. CR 92. Nr. 107. S. 813f. Vgl. CR 92. Nr. 107. S. 918, 919, 929, 937, 941f., 958 und S. 963. CR 92. Nr. 107. S. 918. Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 141 und S. 144. Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 138. Vgl. Zwingli: Die beiden Predigten zu Bern. CR 93/1. Nr. 116. S. 831f., 912, 936 und S. 956. Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 150. Zwingli: Die beiden Predigten zu Bern. CR 93/1. Nr. 116. S. 976. CR 93/1. Nr. 116. S. 977. Zur Bedeutung von vgl. hier auch Anm. 5.
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aufgrund ihres undurchsichtigen ,Wortstreits‘ nicht nur der Schwärmerei, sondern rückt sie sinngemäß auch in die Nähe der von allen Reformatoren so verachteten Sophisten. Luther führt weitere polemische Bezeichnungen auf, denen er sich von Seiten der Schweizer ausgesetzt sah. Insbesondere beschwert er sich darüber, das sie uns abgöttisch lestern und heißen unsern Gott den gebacken Gott, den freslichen und saufflichen Gott, den brödtern Gott, den weinern Gott,411 woraus sie als Fremdbezeichnung gots fleyschfresser bzw. gots blutseuffer ableiten.412 Oekolampad bedauert zwar, dass sich aus dem heftigen Streit solche wort ergäben, wo es ihm doch sonst […] nit wol mit spotten sei, daneben bleibt er allerdings bei seinen Aussagen, die Luther sich aufgrund seiner Lehre von der Realpräsenz Christi in Brot und Wein schließlich selber zuzuschreiben habe.413 Hier erkennt man nochmals deutlich das Schwanken zwischen zwei Extremen, der Suche nach einem Ausgleich innerhalb des evangelischen Lagers und der teils heftigen Polemik in der Sakramentsfrage. Immer wieder wird Mäßigung im Streit und Einigkeit in allen Fragen außerhalb des Abendmahls beschworen. Insgesamt scheinen Zwingli, Oekolampad und Bullinger sich Luther also trotz aller Meinungsverschiedenheiten eben doch noch enger verbunden zu fühlen als den Katholiken. Luther machte es sich hier wesentlich leichter. Mit Worten, die an Deutlichkeit und Härte nichts zu wünschen übrig lassen, verwirft er alle Bemühungen um Mäßigung: Verflucht sey solche liebe und einickeit ynn abgrund der Helle!414 3.4.2 La Religion Chrestienne: Selbst- und Fremdbezeichnungen bei Calvin In einem zweiten Schritt ist nun noch ein kurzer Blick auf den einflussreichsten reformierten Theologen nach Zwingli zu werfen, auf Johannes Calvin. Dabei wechseln wir in mehrfacher Hinsicht die Perspektive. Zum einen haben wir es hier mit einem Reformator der zweiten Generation zu tun. Die Grundlagen der Lehre waren bereits gelegt und die Protagonisten der ersten Stunde wichen vielerorts allmählich den Epigonen. So hatte Calvin kaum mehr Gelegenheit, sich mit Luther persönlich auseinanderzusetzen, stattdessen brach der streng lutherische Hamburger Pfarrer 411
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Luther: Wider die Schwärmgeister. WA 23. S. 77. Vgl. auch WA 23. S. 127, 177, 201, 267 sowie Ders.: Erste Vorrede zum Schwäbischen Syngramm. WA 19. S. 457. WA 19. S. 457. Vgl. auch Luther: Wider die Schwärmgeister. WA 23. S. 169, 257, 265 und S. 281 sowie Ders.: Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament. WA 54. S. 144f. Der Begriff ,Fleischfresser‘ erscheint bei Zwingli als , vgl. Luther: Wider die Schwärmgeister. WA 23. Anm. zu S. 169, 30 auf S. 305. Oekolampad: Billige Antwort (Anm. 160). S. 142. Luther: Wider die Schwärmgeister. WA 23. S. 81.
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Joachim Westphal 1552 den 2. Abendmahlsstreit vom Zaun. Außerdem geriet Calvin mit Andreas Osiander aneinander, dessen besondere Vorstellungen von der Rechtfertigung freilich auch im lutherischen Lager höchst umstritten waren.415 Daneben erhalten wir durch Calvin Einblick in den französischen Sprachraum, wo er mit anderen Problemen konfrontiert war als seine deutschen Kollegen. Bedeutende Konflikte gab es hier etwa im eigenen Lager mit den sog. Nikodemiten sowie mit dem Antitrinitarier Michael Servet. Ausgangspunkt der Betrachtungen zu Calvin ist sein bedeutendstes Werk, die ,Institutio Christianae Religionis‘ bzw. volkssprachlich die ,Institution de la Religion Chrestienne‘,416 die als umfassende Dogmatik eine Zusammenfassung der gesamten christlichen Lehre aus reformierter Sicht darstellt. Die Kapitelüberschriften bieten einen ersten Überblick über die gebräuchlichsten Selbst- und Fremdbezeichnungen.417 Bereits der Titel des Werkes zeigt durch die Verwendung des Adjektivs ,christlich‘ den Universalanspruch Calvins, der sich damit in keiner Weise von dem aller anderen behandelten Theologen unterscheidet.418 Immer wieder betont er in diesem Zusammenhang den Bezug auf das Evangelium, denn nihil est commercii cum Christo, nisi his qui rectam eius cognitionem ex verbo evangelii perceperunt. Alle anderen Richtungen bezeichnen sich dagegen zwar selber als Christiani, haben aber mit Christus nichts außer dem Titel gemein.419 Auf dieser Basis vertritt Calvin die vera ecclesia, die piorum omnium mater,420 was die eigene Anhängerschaft zugleich als ,Fromme‘ oder fideles bzw. ,Gläubige‘ ausweist.421 Sie steht in direkter Nachfolge 415
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Vgl. Wallmann: Kirchengeschichte (Kap. 1, Anm. 54). S. 91f. sowie Spijker: Calvin (Anm. 327). S. J 198f. Die Entstehung dieser Schrift erstreckte sich über mehrere Jahrzehnte. Der Erstausgabe von 1539 folgten immer wieder Neubearbeitungen und Ergänzungen. Den folgenden Ausführungen liegen die lateinische Ausgabe letzter Hand von 1559, CO 2, sowie die französische Fassung von 1560, CO 3 und CO 4, zugrunde. Eine derartige Herangehensweise bietet sich bei diesem umfangreichen Werk nicht zuletzt deshalb an, weil die 80 Kapitelüberschriften oft recht ausführlich sind und z. T. bereits kurze Inhaltsangaben des entsprechenden Kapitels darstellen. Die auf diese Weise eruierten Begriffe erscheinen natürlich auch häufig an weiteren Stellen des Textes und in anderen Schriften Calvins, aufgrund ihrer großen Anzahl soll hier jedoch auf besondere Nachweise verzichtet werden. Lediglich ergänzende Beobachtungen werden im Folgenden anhand weiterer Textpassagen behandelt. Vgl. daneben CO 2. S. 505; CO 4. S. 184; CO 2. S. 613; CO 4. S. 343. Die Bezeichnung als Hominis Christiani bzw. l’homme Chrestien erscheint CO 2. S. 501 und CO 4. S. 177. Innerhalb des Textes finden dementsprechend auch die Substantive Christianos und christianismus, etwa CO 2. S. 430, bzw. Chrestienté und Chrestiens, CO 4. S. 61, Verwendung. CO 2. S. 504; CO 4. S. 181f. Vgl. auch die Aussage bei Calvin: Articuli a facultate sacrae theologiae Parisiensi determinate. CO 7. S. 33: rectam fidem in solis scripturis fundatam esse. CO 2. S. 745; vgl. auch CO 4. S. 561. fideles erscheint im Text etwa CO 2. S. 233, 493 sowie CO 3. S. 367 und CO 4. S. 165.
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der ,Alten Kirche‘. Auch Calvin verwahrt sich also gegen alle Vorwürfe der Neuerung, im Gegenteil fordert er selber ein hartes Vorgehen gegen jeden, qui voudra inventer une religion nouvelle, wozu er neben dem Islam ausdrücklich auch das Papsttum rechnet.422 Auf katholischer Seite sind zahlreiche Missbräuche eingerissen, die es nicht mehr rechtfertigen, sie zur wahren Kirche zu zählen,423 Calvin stellt sie ihr deshalb als falsa Ecclesia gegenüber.424 An anderer Stelle schreibt er: la papauté il n’y a nulle Eglise, mais que c’est une synagogue infernale.425 Diese ,teuflische Synagoge‘ bringt zum einen den Satan als Feind Gottes ins Spiel und verweist zugleich auf das im Kampf um die göttliche Wahrheit durch das Neue Testament überwundene alttestamentarische Judentum, ein Bild, das damals gängiges antisemitisches Denken widerspiegelt und auf den Katholizismus überträgt.426 Die Katholiken stehen für Calvin in einer unauflöslichen Verbindung mit ihrer obersten Instanz. Deshalb dienen Begriffe wie papatus bzw. papauté,427 teils unter Bezugnahme auf den Sitz der Kurie auch Romani papatus und romanae sedis bzw. siege Romain, ganz anders als im katholischen Sprachgebrauch meist der Umschreibung der gesamten Konfession.428 Als häufigste Parteinamen erscheinen dement-
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Calvin: Sermons sur le Deutéronome III. CO 27. S. 261. Er bezeichnet Papisten, Türken und Juden gleichermaßen als apostats, weil sie sich von der vraye religion et pure getrennt hätten, Ders.: Sermons sur le Deutéronome IV. CO 28. S. 712. Vgl. das Kapitel De statu veteris ecclesiae ante papatum bzw. De l’estat de l’Eglise ancienne devant la Papauté, in: Calvin: Institutio Christianae Religionis. CO 2. S. 798; CO 4. S. 648. Vgl. hierzu das Kapitel Comparatio falsae ecclesiae cum vera bzw. Comparaison de la fausse eglise avec la vraye, CO 2. S. 767; CO 4. S. 598. Die reformierten Geistlichen sind dementsprechend Ministri […] ecclesiae christianae, Calvin: Commentarius in epist. Pauli ad Corinthios. CO 49. S. 444. Calvin: Sermons sur le Deutéronome V. CO 29. S. 149. Vgl. auch Ders.: Articuli a facultate sacrae theologiae Parisiensi determinati. CO 7. S. 32, wo Calvin den Katholiken vorwirft, den Titel ,Kirche‘ zu usurpieren. Der Triumph der ,Ecclesia‘ über die ,Synagoga‘ war ein gängiges Bild der christlichen Ikonographie, um die Überlegenheit des christlichen Glaubens darzustellen vgl. etwa Heinz Schreckenberg: Christliche Adversus-Judaeos-Bilder. Das Alte und Neue Testament im Spiegel der christlichen Kunst. Frankfurt a. M. 1999 (Europäische Hochschulschriften. Reihe XXIII: Theologie. Bd. 650). S. 426–428, hier auch entsprechende Beispiele, etwa Abb. 7, 12, 18c, 34a, 35, 86, 92e, 99 und 158. Calvin: Institutio Christianae Religionis. CO 2. S. 798; CO 4. S. 648; CO 4. S. 684; CO 2. S. 846; CO 4. S. 718; CO 2. S. 891; CO 4. S. 797. CO 2. S. 823 und CO 2. S. 812; CO 4. S. 668. Vgl. auch im Text die Bezeichnung Romanenses, CO 2. S. 769, 771; In der französischen Fassung erscheint hier interessanterweise eine Umschreibung als les defenseurs de l’eglise Romaine bzw. als les defenseurs du siege Romain, was beides deutlich darauf verweist, dass hier ausschließlich Theologen gemeint sein können, CO 4. S. 601 und S. 604.
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sprechend Papistae429 oder umschreibende Formulierungen wie Papa cum suis.430 Hier existieren keine relevanten Abweichungen von den anderen Reformatoren. Wie Luther bezeichnet Calvin daneben die entsprechenden Theologen als gesonderte Gruppe der Sophistae.431 In der französischen Fassung findet sich hier eine interessante Konkretisierung dieses allgemeinen Begriffs, die zeigt, dass Calvins katholische Hauptgegner zu jener Zeit an der Pariser Universität, der Sorbonne, zu finden waren: les theologiens Sorbonistes.432 Über diese ergehen zahlreiche Vorwürfe, die meist schon in anderen reformatorischen Schriften begegnet sind: Calvin bestreitet vehement den päpstlichen Primatanspruch433 und lehnt die Siebenzahl der Sakramente ab,434 er kritisiert das exklusive Recht der Bibelauslegung durch den Papst als impium,435 die Messe als sacrilegium,436 Ablass und Marienverehrung als blasphemia.437 Die entsprechenden Versammlungen sind daher durch idolatria, superstitione, impia doctrina contaminatos438 und durch pestilentissimo errore entweiht.439 Den Klöstern wirft er schließlich sogar vor, sich aufgrund ihrer eigenen Regeln und Gebräuche im Gegensatz zu ihm selber von der Kirche abgetrennt und als die eigentlichen Schismatiker schismaticorum conventicula gebildet zu haben.440 All diese Missbräuche sind Ausdruck der römischen Tyrannei über das Kirchenregiment wie über die Seelen der einzelnen Menschen.441 Päpstliche Theologen und Kleriker 429
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CO 2. S. 586. Hier fehlt eine französische Übersetzung, sondern es findet sich lediglich eine Umschreibung: ceux, qui […] se monstrent calomniateurs, CO 4. S. 304. An vielen weiteren Stellen verwendet Calvin aber den entsprechenden Begriff papistes, vgl. etwa CO 3. S. 123, 127, 142. CO 2. S. 867, vgl. auch CO 4. S. 757. CO 2. S. 455. Calvin setzt die scholasticos gleich mit vulgares papistas, also den gewöhnlichen Papisten, CO 2. S. 546. In der französischen Fassung kommt er an dieser Stelle mit nur einem Begriff aus: Sorboniques, CO 4. S. 247. CO 4. S. 103. Vgl. daneben die vorhergehende Anmerkung. Natürlich kennt Calvin auch die genaue französische Übersetzung les Sophistes, CO 4. S. 246. Vgl. das Kapitel De primatu romanae sedis bzw. De la primauté du siege Romain, CO 2. S. 812; CO 4. S. 668. Vgl. hierzu das Kapitel De quinque falso nominatis sacramentis bzw. De cinq autres ceremonies, qu’on a faussement appellé Sacremens, CO 2. S. 1056; CO 4. S. 1079. CO 2. S. 56; CO 3. S. 88. CO 2. S. 1051; CO 4. S. 1057. CO 2. S. 493; CO 4. S. 164. Vgl. auch Calvin: Articuli a facultate sacrae theologiae Parisiensi determinati. CO 7. S. 44. CO 2. S. 775; CO 4. S. 612. An anderer Stelle erscheint folglich auch die Bezeichnung als idolatres, wie etwa bei Calvin: Excuse a messieurs les Nicodemites. CO 6. S. 595 und S. 611. CO 2. S. 1051; vgl. auch die Fassung cest erreur pestilentieux, CO 4. S. 1057. CO 2. S. 936 sowie conventicules de schismatiques, CO 4. S. 869. Die Begriffe tyrannide und tyrannie erscheinen CO 2. S. 798; CO 4. S. 648 sowie CO 2. S. 867; CO 4. S. 757. Calvin definiert Tyrannei folgendermaßen: Videmus ergo eos facere quod tyranni solent: ut cum dominationem amplius tenere, moderate imperando, nequeunt, ad barbaram ferocitatem et traculentiam decurrant, Ders.: Articuli a facultate sacrae theologiae Parisiensi
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stellen damit Christi hostes, also keine Diener Gottes, sondern vielmehr des Teufels dar,442 der Papst selber gilt auch hier als der Antichrist.443 Insgesamt wird die katholische Seite also wie bei allen anderen Reformatoren der verschiedenen Richtungen als unchristlich und teuflisch abgelehnt und mit zahlreichen entsprechenden Schmähworten bedacht. Calvin sah sich einer mehrfachen Frontstellung ausgesetzt. Im eigenen Lager polemisierte er heftig gegen jene Evangelischen, die nicht wie er Frankreich verlassen hatten, sondern versuchten, dort ihren Glauben im Verborgenen zu leben. Als Argument diente gerade höhergestellten Personen nicht zuletzt die Hoffnung, auf diese Weise vielleicht Einfluss auf die religionspolitische Entwicklung ihrer Heimat nehmen zu können. Sie beriefen sich dabei auf die biblische Gestalt des Nikodemus, der Christus nachts aufsuchte, um seine Gesinnung vor den Juden geheim zu halten. Davon ausgehend entwickelte Calvin den Scheltnamen Nicodemites.444 Diese forderte er auf, auszuwandern oder aber der Messe unter Gefahr der Strafe fernzubleiben, denn un homme fidele conversant entre les papistes, ne peut communiquer à leurs superstitions, sans offenser Dieu.445 Durch die Verheimlichung ihres Glaubens und die Teilnahme an päpstlichen Zeremonien wenden sie sich ab von la droicte verité, la pure doctrine und le vray service de Dieu.446 Sie werden damit ebenso zu blasphemes wie die Katholiken.447 Mit solchen rigorosen Forderungen prägte er in Frankreich das Bild des strengen Calvinismus.448 Letztendlich geht es hier jedoch nicht um dogmatische Gegensätze, sondern um Fragen der rechten Lebensweise. Gegner aus dem reformatorischen Bereich, mit denen er in Lehrfragen uneins war, erscheinen dagegen unter dem Namen fanaticos, auf Französisch etwas ab-
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determinati. CO 7. S. 44. Er bringt Barbarei und Tyrannei auch an anderer Stelle in Verbindung, indem er etwa beides auf die katholische Beichtpraxis anwendet, vgl. Ders.: Institutio Christianae Religionis. CO 2. S. 462; CO 4. S. 113. Calvin: Commentarius in lib. Psalmorum II. CO 32. S. 211 sowie Ders.: Commentarius in Acta apostolorum. CO 48. S. 108. Er lehnt ihre Selbstbezeichnung als Dei ministros ab und sieht sie als Satanae ministrum. Vgl. hierzu den Gegenbegriff der Ministri […] ecclesiae christianae für die reformierte Geistlichkeit, Ders.: Commentarius in epist. Pauli ad Corinthios. CO 49. S. 444. So heißt es im Text ausdrücklich: romanum pontificem vocamus antichristum, Calvin: Institutio Christianae Religionis. CO 2. S. 842; CO 4. S. 712. Vgl. auch CO 2. S. 775; CO 4. S. 613 sowie CO 2. S. 1051; CO 4. S. 1057. Vgl. hierzu Eberhard Busch u. a. (Hg.): Calvin-Studienausgabe. Bd. 3: Reformatorische Kontroversen. Neukirchen-Vluyn 1999. S. 210f. sowie Calvin: Excuse a messieurs les Nicodemites. CO 6. S. 596 und S. 608f. Calvin prägte in diesem Zusammenhang auch das entsprechende Verb nicodemiser, CO 6. S 609. Vgl. zum Ursprung dieses Bildes Joh 3,2. CO 6. S. 593. CO 6. S. 598. CO 6. S. 605. Vgl. Busch: Calvin-Studienausgabe Bd. 3 (Anm. 444). S. 211.
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gewandelt als esprits escervelez.449 Dabei handelt es sich um eine Übertragung der deutschen Begriffe ,Schwärmer‘ und ,Geister‘, in diesem Falle verstärkt durch die Charakterisierung als unbesonnen und kopflos. Calvin umschreibt damit ebenso wie Luther jene Gruppen, die eine unmittelbare geistige Offenbarung Gottes außerhalb der Schrift lehrten. Hierzu zählt er etwa den Spiritualisten Kaspar Schwenckfeld450 und den Antitrinitarier Michael Servet.451 Soweit ging er noch mit Wittenberg konform. Schwenckfeld wird in der Konkordienformel ebenfalls ausdrücklich zu den Haereticis et Sectariis bzw. den Rotten und Sekten gezählt,452 und auch das harte Vorgehen gegen Servet, an dessen Ketzerprozess und Hinrichtung in Genf Calvin nicht unmaßgeblich beteiligt war, stieß u. a. bei Melanchthon auf ausdrückliche Billigung.453 Gegenüber den Lutheranern fiel Calvins Urteil in Anbetracht der großen Gemeinsamkeiten dagegen höchst zwiespältig aus. Überhaupt stand nicht von Beginn an fest, zu welcher Seite er eigentlich zu zählen war. In seiner Schrift gegen die Artikel der Sorbonne von 1544 bezeugt er, dass er und seine Anhänger in Frankreich unter die Lutherani subsumiert wurden.454 Calvin scheint damit keine größeren Schwierigkeiten gehabt zu haben, denn er zollte Luther selber höchste Anerkennung, indem er etwa sagte: quum Lutherus et alii similes initio crassiores papae abusus reprehenderent, vix tenuem habebant puri Christianismi gustum.455 Ihm war dementsprechend sehr an einer guten Beziehung zu Luther und an einem Ausgleich zwischen den verschiedenen Abendmahlsauffassungen gelegen. Als Melanchthon ihm Ende der 30er Jahre mitteilte, er stehe bei Luther in hohem Ansehen, war er darüber sehr erfreut.456 Nachdem 1549 eine Einigung mit den Anhängern Zwinglis und Bullingers im ,Con449 450
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Calvin: Institutio Christianae Religionis. CO 2. S. 69; CO 3. S. 110. fanatici homines (ut Schvincfeldius), Calvin: Commentarios in epistolas catholicas. CO 55. S. 268. Vgl. auch Heussi: Kompendium (Anm. 204). S. 330. § 85 t. fanatici quidam, et inter alios Servetus, Calvin: Commentarius in epist. Pauli ad Galatas. CO 50. S. 224. Calvin rechnet ihn aufgrund seiner Ablehnung der Kindertaufe auch zu den Täufern: Servetus, non minimus inter Anabaptistas, Ders.: Institutio Christianae Religionis. CO 2. S. 998; CO 4. S. 968. Daneben ist Servet primär durch die Ablehnung der kirchlichen Trinitätslehre hervorgetreten. 1553 wurde er in Genf als Ketzer verbrannt. Vgl. Heussi: Kompendium (Anm. 204). S. 330. § 85 u, v sowie Spijker: Calvin (Anm. 327). S. J 178– J 181. FC. In: BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. VII. S. 1091 und S. 1096. Vgl. Spijker: Calvin (Anm. 327). S. J 181. Diese Schrift folgt einem interessanten Aufbau und ist ein Beweis für Calvins satirische Ader. Er kommentiert jeden Artikel, indem er zunächst gleichsam in die Rolle der katholischen Theologen schlüpft und den Artikel voller Ironie ,verteidigt‘, bevor er ein Antidotum oder Gegengift anführt. Dabei verwendet er in seiner katholischen Rolle durchgängig Lutherani zur Bezeichnung der Reformierten, Calvin: Articuli a facultate sacrae theologiae Parisiensi determinati. CO 7. S. S. 1–44 passim. Calvin: Commentarius in evangelium Ioannis. CO 47. S. 232. Vgl. Spijker: Calvin (Anm. 327). S. J 150.
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sensus Tigurinus‘ geglückt war, hoffte er auch auf eine Annäherung an Wittenberg, umso die evangelischen Kräfte gegen die Katholiken sammeln zu können. Zu seiner großen Enttäuschung trat hier aber gerade das Gegenteil ein, und der Abendmahlsstreit brach mit erbitterter Härte erneut aus. Melanchthon, mit dem ihn ein freundschaftlicher Briefwechsel verband, geriet in dieser Zeit selber unter Druck und sah sich mit dem Vorwurf des ,Kryptocalvinismus‘ konfrontiert.457 In den ,Institutiones‘ sprach Calvin in der Frage des Abendmahls lediglich allgemein von alii, die einem ,Irrtum‘ verfallen seien,458 und forderte die adversarii auf, ihn und seine Anhänger nicht weiter tropistas, also Anhänger einer tropischen bzw. figürlichen Deutung der Einsetzungsworte, zu nennen, da er darauf beharrt, die einzig mögliche und damit wahre Deutung zu vertreten.459 Eine eigene Parteibezeichnung für die lutherische Seite erscheint hier jedoch nicht. Namentlich erwähnt er lediglich Andreas Osiander, dessen Lehren er mit impio errore460 und fanatico errori461 beschreibt. Gerade das Adjektiv fanaticus rückt Osiander in diesem Zusammenhang in Richtung der Schwärmerei. Letztendlich bildeten die Anhänger Zwinglis und Calvins seit 1549 eine gemeinsame Glaubenspartei, der die Lutheraner ablehnend und meist feindselig gegenüberstanden. Doch Calvin sah sich zumindest in seinem Selbstverständnis mit Luther einig, und aus seiner Überzeugung heraus, nur der Epigonenstreit hätte zu dieser schädlichen Spaltung geführt, seufzte er: Lebte Luther nur noch.462 3.4.3 ‚Reformation‘ – ‚reformiert‘: Epochenbegriff und Selbstbezeichnung Zum Abschluss dieses Kapitels ist noch ein letzter wichtiger Begriff zu erläutern, der als Selbstbezeichnung so bislang noch nicht aufgetaucht ist, obwohl er heute als gängiger Konfessionsname gilt: ,Reformierte‘. Damit ist zunächst einmal ganz allgemein jeder gemeint, der eine wie auch immer geartete ,Reformation‘ durchgeführt hat. Das Wort selber war nicht neu. Gerade das 15. Jahrhundert stand ganz im Zeichen großer Reformhoffnungen. Die Kirche sollte an Haupt und Gliedern ebenso reformiert werden, wie auf weltlicher Seite das Reich; man denke in diesem Zusammenhang etwa an die berühmte ,Reformatio Sigismundi‘ von 1438/39. Die Reformkonzilien und –reichstage jener Zeit waren beredter Ausdruck all dieser
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Vgl. Spijker: Calvin (Anm. 327). S. J 198f. Calvin: Institutio Christianae Religionis. CO 2. S. 1015; CO 4. S. 998. CO 2. S. 1020; in der französischen Fassung heißt es hier nur: ceux, qui nous appellent Tropistes, mit dem Zusatz, sie seien aufgrund ihrer falschen Auslegung barbares, CO 4. S. 1008. CO 2. S. 140; CO 3. S. 224. CO 2. S. 541; in der französischen Fassung heißt es resverie, also ,Träumerei‘, CO 4. S. 238. Zit. nach Spijker: Calvin (Anm. 327). S. J 199.
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Bemühungen.463 Unter einer Reformation verstand man dabei allerdings niemals eine Neuerung, sondern stets eine „Verbesserung durch Wiederherstellung der ursprünglichen Gestalt“.464 Wesentlich war also die Rückbesinnung auf das Althergebrachte, was im Falle des Reiches etwa im Bezug auf das Reichsherkommen als Verfassungsbasis deutlich zum Ausdruck kam. In diesem Sinne wurde der Begriff auch im 16. Jahrhundert noch verwendet. In den Reichsabschieden jener Zeit taucht er in weltlichem Kontext etwa im Bereich des Justizwesens auf, wo mehrfach eine Reformation der Reichsgerichte beschlossen wurde.465 In Zusammenhang mit der Religionsfrage versprach Karl V. wiederholt, sich um eine Abstellung der innerkirchlichen Missbräuche durch eine Christliche Reformation und Besserung zu bemühen466 und bezeichnete denn auch das Augsburger Interim von 1548 als declaration und reformation.467 Diese Wortwahl macht deutlich, dass Reformation auf Reichsebene noch bis ins 17. Jahrhundert nicht auf Veränderungen im Sinne der evangelischen Reformatoren beschränkt blieb. Als Epochenbezeichnung bzw. Konfessionsname erscheinen ,Reformation‘ und ,Reformierte‘ erst relativ spät. Nichtsdestoweniger spielten diese Worte in den konfessionellen Auseinandersetzungen von Beginn an eine bedeutende Rolle. Friedrich Lepp zählt sie daher zu den wichtigsten Schlagworten jener Zeit, und auch in den ,Geschichtlichen Grundbegriffen‘ werden sie ausführlich gewürdigt.468 Luther bedient sich dieser Begriffe noch verhältnismäßig selten. Die wichtigsten Nachweise finden sich in seiner Schrift ,An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung‘,469 in der er allgemein verbreitete Forderungen einer Kirchenreform aufnahm und sich auf diese Weise in eine Linie mit den ,Gravamina nationis Germaniae‘ stellte, jenem Beschwerdekatalog an Rom, in dem die
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Vgl. Wolgast: Reform, Reformation (Kap. 1, Anm. 5). S. 321–325. Scheible: Reform, Reformation, Revolution (Anm. 86). S. 449. Im Nürnberger Reichsabschied von 1543 einigte man sich etwa auf eine Visitation und Reformation des Reichskammergerichts, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 489. § 33, und auch im Jüngsten Reichsabschied von 1654 ist noch von einer Reformation des Justizwesens nach den Vorgaben des Westfälischen Friedens die Rede, vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 646. § 23. So etwa auf den Reichstagen von 1530, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 308. § 5 sowie S. 315. § 61, und von 1541, S. 433. § 18. Hier erging zu diesem Zweck ein eindeutiger Auftrag an die geistlichen Stände, ein Christlich Ordnung und Reformation fürzunehmen und aufzurichten/ die zu guter gebührlicher und heilsamer Administration der Kirchen fürderlich und dienlich sey, S. 434. § 25. So im Reichsabschied von 1551, RTA JR XIX. Nr. 305. S. 1581. § 10. Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 17–26 sowie Wolgast: Reform, Reformation (Kap. 1, Anm. 5). S. 313–360. WA 6. S. 381/404–469; vgl. auch Scheible: Reform, Reformation, Revolution (Anm. 86). S. 453.
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Reichsstände bei der Kurie eine Kirchenreform einforderten.470 Bereits der Titel liefert einen deutlichen Hinweis auf Luthers Reformationsverständnis, die ,Besserung‘ der aktuellen Zustände.471 Diese sollte wohlweislich „im Rahmen der bestehenden Ordnung“472 stattfinden und zu einer „Wiederherstellung der alten Kirche und der urchristlichen Gemeinschaft“473 führen. Heinz Scheible verweist ausdrücklich darauf, dass ,Reformation‘ in den Texten des 16. Jahrhunderts deshalb gleichbedeutend mit dem heutigen Begriff ,Reform‘ zu verstehen sei. Erst durch die nicht intendierte Sprengung des Rahmens der römisch-katholischen Kirche habe sie unbeabsichtigt revolutionär gewirkt.474 Aber auch so blieb die Reformation doch noch immer eine traditionsverhaftete „konservative Revolution“, die mit ihrem „Janusgesicht“ den Blick einerseits fest auf das Mittelalter gerichtet hielt, andererseits aber in ihrem radikalen Verständnis des Wortes Gottes als alleiniger Richtschnur mit allen entsprechenden ekklesiologischen Folgen deutlich in die Neuzeit wies.475 Entsprechend wurde der Begriff auch im reformierten Bereich verwendet. Heinrich Bullinger nannte seine Reformationsgeschichte enderung der religion, vnd anrichten Christenlicher Reformation,476 und Martin Bucer umschrieb mit reformation ausdrücklich die Rückkehr zum alten Zustand.477 Calvin verstand unter reformer un pais in gut evangelischem Sinne die alleinige Ausrichtung der kirchlichen Ordnung eines Landes am Evangelium478 und widmete eine ganze Schrift der Frage, wie die 470
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Vgl. Schwarz: Luther (Anm. 57). S. I 81f., Wolfgang Reinhard: Warum hatte Luther Erfolg? In: Ders. (Hg.): Fragen an Luther. Vortragsreihe der Universität Augsburg zum Luther-Jahr 1983. München 1983 (Schriften der Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg. Nr. 28). S. 11–31, hier S. 15 sowie Heinz Scheible: Die Gravamina, Luther und der Wormser Reichstag 1521. In: Ders.: Melanchthon und die Reformation. Forschungsbeiträge. Hrsg. von Gerhard May und Rolf Decot. Mainz 1996. S. 393–409, hier S. 402–404. Vgl. Scheible: Gravamina (Anm. 470). S. 326, Anm. 97 sowie Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 17f. Scheible: Reform, Reformation, Revolution (Anm. 86). S. 450. Wolgast: Reform, Reformation (Kap. 1, Anm. 5). S. 325. Vgl. Scheible: Reform, Reformation, Revolution (Anm. 86). S. 449f. Scheible: Reform, Reformation, Revolution (Anm. 86). S. 467. Angesichts der Frage, welche Flugschriften nun eigentlich als reformatorisch zu bezeichnen seien, sieht Scheible dementsprechend als theologische Grenze die Vertretung einer „Ausschließlichkeit der Schrift als Norm des Glaubens“, S. 465. Bullinger: Reformationsgeschichte. Bd. I (Anm. 322). S. 1. Auch sonst bedient er sich häufig der Worte reformiert und Reformation, so alleine in Bd. I u. a. auf S. 113, 123, 125, 157, 209 und S. 440. Bucer: Grund und ursach (Anm. 283). S. 208. Vgl. Calvin: Excuse a messieurs les Nicodemites. CO 6. S. 610. Etwas ungeschickt formuliert Beatrice Wolter in diesem Zusammenhang, ,reformiert‘ bedeute bei Calvin „nach der Ordnung des Evangeliums erneuert“, denn natürlich handelt es sich dabei in den Augen Calvins keinesfalls um eine Neuerung, sondern auch er versteht darunter die Rückkehr zu den alten Verhältnissen, vgl. Wolter: Deutsche Schlagwörter (Kap. 1, Anm. 27). S. 208. Anm. 619.
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Kirche zu reformieren und die Christenheit zu befrieden sei.479 Aus katholischer Sicht sprach Thomas Murner umgekehrt den Lutheranern die Fähigkeit zu einer wahren Reformation ab, da diese letztendlich nicht die versprochene Besserung, sondern lediglich Zerstörung und Umsturz gebracht habe. Deshalb fragt er sich, Was die selben knecht gewinnen, / Die mit vnsinnigen sinnen / Sich des grosen mutwils fleissen / Die kirchen, klusen hie zerreißen. / Ir habt ein schönen sturm gethon! / Ist das die reformation?480 Johannes Cochläus nannte die Schweizer Vorgänge ebenfalls nur eine vermeinte Reformation und hoffte dagegen auf eine rechte Reformation in katholischem Sinne.481 Alle diese Aussagen machen deutlich, dass die Forderung nach einer Reformation zunächst sprachliches Gemeingut darstellte. Keiner der hier bislang behandelten Theologen verwendete den Begriff bereits im Sinne eines konfessionellen Namens. Allmählich trat im Sprachgebrauch jedoch eine Bedeutungsverengung ein, die ,Reformation‘ und ,reformieren‘ auf die Kirchenspaltung des 16. Jahrhunderts eingrenzte und damit auch den Weg zu einem Parteinamen ebnete.482 Die Ursprünge als Konfessionsbezeichnung liegen dabei in Frankreich. Hier sprach man auf katholischer Seite spöttisch von der Religion prétendue réformée,483 was schließlich sogar zur offiziellen amtlichen Umschreibung wurde. Spätestens seit Ende der 50er Jahre, als sich die französischen Protestanten stärker zusammenschlossen und organisierten, setzten sie dem als Selbstbezeichnung ceux de la Religion réformée bzw. église réformée entgegen, um deutlich zu machen, dass bei ihnen gerade keine vermeintliche, sondern eine echte Reformation stattgefunden habe.484 1557 fand in Poitiers eine Synode statt, auf der man erstmals eine Kirchenordnung für die französischen Gemeinden konzipierte, die ,Articles Polytiques pour l’Eglise Réformée selon le S. Evangile‘.485 Nach diesem Vorbild fand ,reformiert‘ als Konfessionsname auch Eingang in den deutschen Sprachraum. 479 480 481
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Calvin: Interim adultero-germanum. CO 7. S. 545–674. Murner: Von dem großen Lutherischen Narren (Anm. 82). V. 3233–3238. Johannes Cochläus: An den Rat zu Bern wider ihre vermeinte Reformation. 1528. Zit. nach Lepp: Schlagwörter des Reformationszeitalters (Kap. 1, Anm. 28). S. 22. Zu einer verbindlichen Periodenbezeichnung wird ,Reformation‘ allerdings endgültig erst durch Leopold v. Rankes Werk ,Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ aus den Jahren 1839 bis 1847. Vgl. Scheible: Reform, Reformation, Revolution (Anm. 86). S. 449 sowie Wolgast: Reform, Reformation (Kap. 1, Anm. 5). S. 333. Vgl. etwa den Titel einer entsprechenden Schrift von 1570 bei Klaiber: Katholische Kontroverstheologen (Anm. 28). Nr. 1033. Vgl. hierzu Gottfried Seebaß: Reformation. In: TRE 28. S. 386–404, hier S. 392, Hans Helmut Eßer: Reformierte Kirchen. In: TRE 28. S. 404–419, hier S. 405, Wolgast: Reform, Reformation (Kap. 1, Anm. 5). S. 328f. sowie Heppe: Ursprung (Kap. 1, Anm. 17). S. 14. Spijker: Calvin (Anm. 327). S. J 226.
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Im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen Schweizern und Lutheranern sowie nach dem Scheitern aller innerprotestantischen Einigungsbemühungen erhoben jedoch bald beide Seiten einen exklusiven Anspruch auf diese Selbstbezeichnung. Deutlicher Ausdruck des entsprechenden lutherischen Selbstverständnisses ist der Wortgebrauch in der Konkordienformel, mit der sich das Luthertum gegen alle weiteren Richtungen der Reformation abschloss und so die Trennung für die nächsten Jahrhunderte besiegelte.486 Luthers Änderungen gelten hier als pia reformatione487 und die Confessio Augustana als communis pie reformatarum ecclesiarum confessio.488 Umgekehrt sprachen die Anhänger Calvins ihnen diesen Namen als Etikettenschwindel ab. Heinrich Heppe vertrat noch Mitte des 19. Jahrhunderts die Ansicht, in der „Kirche der Concordienformel“ sei vieles aus der katholischen Tradition beibehalten worden, was in den „an Calvins Reformation angeschlossenen kirchlichen Kreisen durchweg reformirt worden war.“ Aus diesem Grunde stand für ihn fest, „daß die Kirche der deutschen Reformation noch einer zweiten Reformation bedürfe, daß in ihr noch Wesentliches nach Gottes Wort reformirt werden müßte.“489 Nur jene Kirchen der zweiten Reformation tragen gemäß dieser Argumentation zu Recht das Prädikat ,reformiert‘, während die lutherische Lehre im Vergleich zur römischen zwar als deutlich fortschrittlicher gilt, nichtsdestotrotz aber noch immer defizitär bleibt. Als Selbstbezeichnung erschien dieser Begriff hier erstmals in einem reformierten Bekenntnis der Grafschaft Nassau-Dillenburg von 1578, in dem man neben der CA auch die Bekenntnisse der andern evangelisch-reformirten Kirchen außerhalb Deutschlands anerkannte.490 Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurde er jedoch als Name allgemein gebräuchlich. Deutlichen Ausdruck fand dies im Bereich des theologischen Schrifttums etwa in der Bearbeitung des wichtigen Heidelberger Katechismus von Ursinus, die 1598 unter dem Titel ,Corpus doctrinae Christianae ecclesiarum a papatu reformatarum‘ veröffentlicht wurde.491
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Vgl. Eßer: Reformierte Kirchen (Anm. 484). S. 405. FC. In: BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. VII. S. 830. FC. In: BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. VII. S. 835. Vgl. auch die entsprechenden Bezeichnungen reformatae nostrae ecclesiae, S. 835, und Ecclesiis Evangelicis et reformatis, S. 830. Heppe: Ursprung (Kap. 1, Anm. 17). S. 70. Vgl. auch Heussi: Kompendium (Anm. 204). S. 350. § 92 v sowie Euan Cameron: One Reformation or many? Protestant identities in the later Reformation in Germany. In: Ole Peter Grell/Bob Scribner (Hg.): Tolerance and intolerance in the European Reformation. Cambridge 1996. S. 108–127, hier S. 124–126. Zit. nach Heppe: Ursprung (Kap. 1, Anm. 17). S. 73. Vgl. auch S. 84. Heppe: Ursprung (Kap. 1, Anm. 17). S. 84.
Irenische Tendenzen in der Publizistik
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3.5 Die große Ausnahme: Irenische Tendenzen in der Publizistik Die vorhergehenden Schriften zeugen durch die Bank von einer kompromisslosen Haltung gegenüber allen Andersgläubigen. Der im Sinne der aktuellen ökumenischen Bemühungen heute so vertraute Gedanke der Toleranz oder gar der Religionsfreiheit fand in den Überlegungen der Theologen des 16. Jahrhunderts keinen Platz. Sogar Vertreter von Glaubensrichtungen, die selber Verfolgungen ausgesetzt waren, bildeten hier keine Ausnahme. In der Frühzeit der Reformation war die evangelische Bewegung durchaus noch offen für verschiedenartige Ansichten, schließlich predigte Luther selber die Freiheit der Gewissen. Im Zuge einer zunehmenden Verfestigung der kirchlichen Organisation durch die Bildung von evangelischen Gemeinden und die obrigkeitliche Normierung mittels Kirchenordnungen war es mit dieser Freiheit allerdings bald wieder vorbei.492 Die Kurpfälzer Kirchenordnung von 1556 bringt das deutlich zum Ausdruck: Es kann ausschließlich die ,rechte‘ Kirche und ihre ,Verfolger‘ geben, dazwischen existiert nichts; deshalb gelte der Grundsatz, die Menschen sollen auch nicht wollen neutrales sein.493 So erweist sich in erster Linie der Alleinvertretungsanspruch aller Konfessionen als Haupthindernis für eine gegenseitige Anerkennung und Tolerierung. Martin Luther war zwar für die Eindeutschung des lateinischen Begriffs tolerantia verantwortlich, gebrauchte diesen in einem Brief an Johann und Georg von Anhalt aber gerade ablehnend: Da es neben dem Evangelium keine weitere wahre Religion gebe, sehe er nichts, was gegen got die tollerantz mochte entschuldigen.494 Auch Calvin wandte sich gegen jede Form der Duldung in religiösen Fragen: […] et imprimis tenebant hoc principium, non esse poenas sumendas, si quis ab aliis dissideret in religionis doctrina: quemadmodum hodie videmus quosdam de hac re
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Vgl. Konrad Hoffmann. Einführung. In: Ohn’ ablass von Rom kann man wohl selig werden. Streitschriften und Flugblätter der frühen Reformationszeit. Herausgegeben vom germanischen Nationalmuseum Nürnberg. Nördlingen 1983. S. 7–46, hier S. 37. Luther war selber dafür eingetreten, den Häretikern nicht mit Gewalt, sondern mit dem Wort, also der Predigt, entgegenzutreten, wie er es denn auch 1524 im konkreten Falle Thomas Müntzers von Friedrich dem Weisen und Johann von Sachsen eingefordert hatte. Vgl. Gunther Wenz: Sine vi, sed verbo. Toleranz und Intoleranz im Umkreis der Wittenberger Reformation. In: Ders.: Lutherische Identität. Studien zum Erbe der Wittenberger Reformation. Bd. 1. Hannover 2000. S. 233–258, hier S. 243, bes. Anm. 30. EKO XIV. Nr. 7. S. 203. WA Br. 9. S. 441. Vgl. Schreiner: Toleranz (Anm. 499). S. 476f. Im Sinne von Wenz widerspricht diese ablehnende Haltung nicht unbedingt dem eigentlichen Toleranzgedanken, da dieser nicht mit Indifferentismus verwechselt werden dürfe, vgl. Wenz: Sine vi, sed verbo (Anm. 492). S. 257f.
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Konfessionelle Terminologie in theologisch-publizistischen Texten
nimis cupide contendere, saltem vellent nihil certum esse in religione – sunt impii Dei contemptores.495
Er forderte im Gegenteil grausame Härte in der Bekämpfung abweichender, ketzerischer Lehren: Voici un homme, un bigot, qui voudra inventer une religion nouvelle […] Or celui-la sans remission doit estre mis à mort, Dieu l’ordonne.496 Mit der Hinrichtung Michael Servets auf dem Scheiterhaufen am 27. Oktober 1553 in Genf wurde diese Forderung in die Tat umgesetzt, nachdem dieser sich einer Verurteilung durch die katholische Inquisition in Vienne zunächst noch durch Flucht hatte entziehen können! Bezeichnenderweise fand dieses Vorgehen die Zustimmung anderer führender Reformatoren jener Zeit, wie Heinrich Bullinger und Philipp Melanchthon.497 Wo eine faktische Tolerierung stattfand – eines der berühmtesten Beispiele ist hier der Augsburger Religionsfriede von 1555 – beruhte sie auf rein pragmatischen Erwägungen. Da die innere Überzeugung fehlte, blieb sie stets von den jeweiligen Interessenslagen und Machtverhältnissen abhängig und entsprechend unsicher.498 Nur sehr wenige Theologen setzten sich um des Friedens willen für eine wirkliche Duldung anderer Glaubensrichtungen ein. Solch irenische Haltungen speisten sich primär aus zwei Quellen, der ethisch-rationalen Religiosität des Humanismus sowie der mystischen Spiritualität bestimmter reformatorischer Nebenbewegungen.499 In diesem Zusammenhang ist zum einen der humanistische ,Übervater‘ Erasmus von Rotterdam zu nennen. Seine Haltung gegenüber der Reformation durchlief insgesamt drei Phasen.500 Da er wie viele andere Humanisten die Reformbedürftigkeit der spätmittelalterlichen Kirche erkannt hatte, stand er Luthers Forderungen zunächst durchaus positiv gegenüber. So hieß es in einer Schrift von 1521, aller Welt sei 495 496 497
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Calvin: Praelectiones in Danielem I. CO 40. S. 649. Calvin: Sermons sur le Deutéronome III. CO 27. S. 261. Vgl. Spijker: Calvin (Anm. 327). S J 179–J 182. Zumindest hatte Calvin für die mildere Todesart der Enthauptung plädiert, um sich nicht vollständig dem herkömmlichen Prozedere des Ketzerprozesses anzugleichen, war aber am Widerstand des Genfer Magistrats gescheitert. Vgl. auch Wenz: Sine vi, sed verbo (Anm. 492). S. 233–235. Vgl. Bob Scribner: Preconditions of tolerance and intolerance in sixteenth-century Germany. In: Ole Peter Grell/Bob Scribner (Hg.): Tolerance and intolerance in the European Reformation. Cambridge 1996. S. 32–47, hier S. 39. Insgesamt stellt Scribner neun Formen von Toleranz im 16. Jahrhundert fest, die alle auf rationalen politischen, wirtschaftlichen oder faktischen Verhältnissen beruhen, S. 35–38. Nicht umsonst fand der Augsburger Religionsfriede bei katholischen wie evangelischen Theologen wenig Gegenliebe. Vgl. Klaus Schreiner: Toleranz. In: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. 8 Bde. Stuttgart 1972–1997. Bd. 6. S. 445–605, hier S. 483. Vgl. Heinz Holeczek: Erasmus deutsch. Bd. 1. Die volkssprachliche Rezeption des Erasmus von Rotterdam in der reformatorischen Öffentlichkeit 1519–1536. Stuttgart/Bad Canstatt 1983. S. 133f.
Irenische Tendenzen in der Publizistik
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bekannt, das christlicher wandel gar wyt abgfallen ist und abgewichen von der lutern reinen heiligen evangelischen leer Christi. Der eigentliche Auslöser für Luthers verständlichen Zorn seien diejenigen gewesen, die vom Ablass und Papsttum unträglich allen gelerten lüten unnd christlichen gehör gelehrt hätten. Deshalb beurteilt Erasmus die Bulle gegen Luther als zu grausam, der Papst soll vielmehr seinem Amt gemäß die Milde zeigen, die ihm als statthalter des aller gütigsten Christi zukomme.501 Zur Lösung dieses Konflikts schlägt er ein Schiedsgericht durch Kaiser Karl V. sowie den Königen von England und Ungarn bzw. ein allgemeines Konzil vor.502 Im Laufe der Zeit traten immer deutlichere Differenzen zwischen Erasmus und den Reformatoren zu Tage, er zögerte jedoch lange, mit einer entsprechenden Schrift an die Öffentlichkeit zu treten. Erst 1524 wandte er sich mit seiner Verteidigung des freien Willens ,De libero arbitrio diatribe sive collocatio‘ direkt gegen Luther. Damit positionierte Erasmus sich deutlich auf katholischer Seite, versuchte aber, durch einen möglichst unkontroversen und sachlichen Stil den Streit zwischen den Religionsparteien nicht unnötig anzuheizen. Luthers Antwort ,De servo arbitrio‘, die seinem Naturell gemäß deutlich schärfer ausfiel, markiert den endgültigen Bruch zwischen Reformation und Humanismus.503 In den Abendmahlsstreit wurde Erasmus gegen seinen Willen hineingezogen, da er sich gegen eine Vereinnahmung seiner Aussagen durch die Schweizer Reformatoren zur Wehr setzen musste.504 Ähnlich lag der Fall auch bei seiner Auseinandersetzung mit den Straßburger Evangelischen. In diesem Zusammenhang verfasste er 1529 die ,Epistola contra quosdam, qui se falso jactant Eangelicos‘ bzw. ,Epistola contra pseudoevangelicos‘, seine „Generalabrechnung mit den süddeutsch-schweizerischen Reformatoren“.505 Erasmus sprach ihnen hier bereits im Titel die Selbstbezeichnung ,Evangelische‘ ab und machte unmissverständlich deutlich, dass er ihre Lehren für falsch und die gesamte Bewegung mithin für eine Sekte hielt.506 Trotz seiner Klagen über ketzerey vnnd zwitracht kritisierte Erasmus aber weiterhin auf der Basis christlicher Nächstenliebe jeden gewaltsamen 501
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Johannes Faber/Erasmus v. Rotterdam: Ratschlag eines, der von Herzen begehrt, daß die Würde des römischen Stuhls wie auch der Friede der Christenheit gewahrt werde. 1521. In: Adolf Laube (Hg.): Flugschriften der frühen Reformationsbewegung (1518–1524). Bd. 1. Vaduz 1983. S. 531–540, hier S. 532f. Faber verfasste diese Schrift auf Anregung von Erasmus. An der lateinischen Fassung hat dieser wohl auch selber mitgeschrieben. Die Frage der Verfasserschaft wurde immer diskutiert. Holeczek vertritt in diesem Zusammenhang die Meinung, dass der Inhalt eindeutig den Ansichten des Erasmus entsprochen habe und dieser von den Zeitgenossen für den Verfasser gehalten worden sei, so dass es gerechtfertigt ist, diesen Text als Beispiel für seine Haltung zur Reformation heranzuziehen. Vgl. Holeczek: Erasmus deutsch. Bd. 1 (Anm. 500). S. 151f. Faber/Erasmus: Ratschlag (Anm. 501). S. 536. Vgl. Holeczek: Erasmus deutsch. Bd. 1 (Anm. 500). S. 170–178. Vgl. Holeczek: Erasmus deutsch. Bd. 1 (Anm. 500). S. 182–184. Holeczek: Erasmus deutsch. Bd. 1 (Anm. 500). S. 223. Vgl. Holeczek: Erasmus deutsch. Bd. 1 (Anm. 500). S. 222–225.
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Konfessionelle Terminologie in theologisch-publizistischen Texten
Umgang mit religiös Andersdenkenden: Allein wundert mich wie diese vnmiltigkeit mit Christlicher sanffftmut verglicht werde.507 Dabei dachte er durchaus nicht nur an Rom, sondern er tadelte genauso die Unerbittlichkeit Martin Bucers und anderer evangelischer Theologen gegenüber den Täufern.508 Nach den gescheiterten Reichstagen von 1529 und 1530 sowie der Formierung des Schmalkaldischen Bundes trat Erasmus unter dem Eindruck der sich verfestigenden Kirchenspaltung und der zunehmenden Gefahr militärischer Auseinandersetzungen seit 1532 verstärkt für die Einheit der Kirche und einen gewaltlosen Umgang miteinander ein. So flehte er zu Gott, dz aller irthumb/ falsche leer/ zwitracht vnd auffrur/ aufhöre/ vnd Gottis wort widerumb regir vnd gepreist werde.509 In seinen zwei Schriften ,Von der Kirchen lieblichen Vereinigung‘ und ,Von der Einigkeit der Kirchen‘ aus den Jahren 1533 bzw. 1536 versuchte Erasmus, durch die Betonung von Gemeinsamkeiten zwischen Katholiken und Lutheranern sowie den Vorschlag einer entsprechenden Kirchenreform die unterschiedlichen Standpunkte einander anzunähern. Sollte eine Wiedervereinigung sich jedoch wider alle Hoffnungen als unmöglich erweisen, trat er für eine gegenseitige friedliche Tolerierung ein.510 Als Grundlage galt ihm neben der ethischen Forderung nach Einhaltung des christlichen Liebesgebots ein Bild aus der Bibel. Auf einem Feld soll das Unkraut nicht gejätet, sondern mit dem Weizen bis zur Ernte stehengelassen werden, um nicht das Getreide mit auszureißen. Das hieß nichts anderes, als die Entscheidung über wahre Lehre und Ketzerei Gottes Jüngstem Gericht zu überlassen.511 Für die Gegenwart jedoch forderte Erasmus: paterfamilias nolit eos extingui, sed tolerari.512
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Erasmus v. Rotterdam: Eine Antwort zur Frage der Ketzer. Straßburg 1529. In: Ohn’ ablass von Rom kann man wohl selig werden. Streitschriften und Flugblätter der frühen Reformationszeit. Herausgegeben vom germanischen Nationalmuseum Nürnberg. Nördlingen 1983. Nr. XVI. Bl. A IIr. Hoffmann: Einführung. In: Ohn’ ablass von Rom kann man wohl selig werden (Anm. 492). S. 38. Zit. nach Holeczek: Erasmus deutsch. Bd. 1 (Anm. 500). S. 261. Vgl. Holeczek: Erasmus deutsch. Bd. 1 (Anm. 500). S. 260–275. Interessanterweise existieren von der ,lieblichen Vereinigung‘ sowohl eine deutsche Übersetzung evangelischer und eine weitere katholischer Provinienz, die sich zwar an einigen tendenziösen Formulierungen festmachen lassen, aber nach dem Urteil Holeczeks dennoch beide insgesamt um eine exakte Wiedergabe bemüht sind. Alleine diese Tatsache zeigt bereits, dass Erasmus durchaus in der Lage war, Brücken zwischen beiden Konfessionen zu bauen. Vgl. auch Hans Peterse: Irenik und Toleranz im 16. und 17. Jahrhundert. In: Klaus Bußmann/Heinz Schilling (Hg.): 1648. Krieg und Frieden in Europa. Textband I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft. München 1998. S. 265–271, hier S. 265f. Mt 13, 29–30. Vgl. auch Schreiner: Toleranz (Anm. 499). S. 473. Zit. nach Schreiner: Toleranz (Anm. 499). S. 473.
Irenische Tendenzen in der Publizistik
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Ein weiterer Humanist, der sich aus gleichen Motiven für ein friedliches Miteinander aussprach, war der Basler Gräzist Sebastian Castellio.513 Unter dem Eindruck der Hinrichtung Servets verfasste er einen Appell gegen die Verfolgung von Ketzern: ,De haereticis an sint persequendi‘.514 Damit machte er sich Calvin und Theodor Beza, den Reformator von Lausanne, zum Gegner,515 der ihn sogar als ein instrument choisi de Satan beschimpfte.516 Es folgten weitere Schriften, etwa ,Contra libellum Calvini, in quo ostendere conatur haereticos jure gladii coercendos fidei‘ oder ,De haereticis a civili magistratu non puniendis‘ und schließlich ,Harpago sive defensio‘.517 Hier bat er schließlich darum, ihm doch die Freiheit zu lassen, seinen eigenen Glauben leben zu dürfen, denn man unterscheide sich nur in wenigen Dingen, und jeder könne letztendlich in Fragen des rechten Glaubens irren. Damit bereicherte Castellio die Diskussion um eine zukunftsweisende Erkenntnis. Erst ein Abschied vom alten Ideal der christlichen ,concordia‘ und die Akzeptanz der ,discordia‘ im Glauben schafft die Grundlage für wahre Toleranz.518 Für viele Theologen war eine solche Forderung kaum nachvollziehbar, bedeutete dies doch zugleich das Ende des von allen Glaubensparteien so gepflegten Anspruches auf Universalität. Weitere Toleranzforderungen kamen von einigen Vertretern des mystischen Spiritualismus. Hans Denck fand zwar über den Humanismus zur Reformation, wandte sich hier jedoch bald Münzterischem und täuferischem Gedankengut zu. Angesichts seiner hohen ethisch-sittlichen Ideale, die er schließlich auch im Täufertum enttäuscht sah, fand er sein Heil in einem mystischen Spiritualismus, der Idee von einem verinnerlichten Zugang zum Wort Gottes durch den Heiligen Geist. In diesem Zusammenhang vertrat er die Ansicht, keine Partei könne mit Fug und Recht von sich behaupten, alleine die volle Wahrheit zu kennen, da Irren menschlich sei.519 513
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Auch Castellio rekurrierte auf das Erntegleichnis, vgl. Peterse: Irenik und Toleranz (Anm. 510). S. 271, Anm. 6. Hans R. Guggisberg: Tolerance and intolerance in sixteenth-century Basle. In: Ole Peter Grell/ Bob Scribner (Hg.): Tolerance and intolerance in the European Reformation. Cambridge 1996. S. 145–163, hier S. 149. Vgl. Guggisberg: Tolerance and intolerance (Anm. 514). S. 150. Guggisberg: Tolerance and intolerance (Anm. 514). S. 158. Guggisberg: Tolerance and intolerance (Anm. 514). S. 154f. sowie S. 157. Vgl. Guggisberg: Tolerance and intolerance (Anm. 514). S. 157. Das erwies sich später als wichtige Voraussetzung für den Erhalt des politischen Friedens im Reich. Der Verzicht auf die religiöse ,concordia‘ auf Reichsebene bei gleichzeitiger Absicherung der ,concordia‘ in den Territorien der Stände bildete das Grundprinzip des Augsburger Religionsfriedens. Vgl. Winfried Schulze: Concordia, Discordia, Tolerantia. Deutsche Politik im konfessionellen Zeitalter. In: Johannes Kunisch (Hg.): Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte. Berlin 1987 (ZHF. Beiheft 3). S. 43–79, hier S. 56f. und S. 77f. Zur Person Hans Dencks vgl. Hoffmann: Einführung. In: Ohn’ ablass von Rom kann man wohl selig werden (Anm. 492). S. 37 sowie Robert Stupperich: Hans Denck. In: NDB 3. S. 599f.
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Die Forderung nach einem friedlichen Miteinander ergab sich für Denck zudem aus dem Wesen Gottes als der vollkommenen Liebe, die sogar so weit geht, sich selbst für die Menschen zu opfern. Der Gläubige ist nun aufgefordert, in Nachfolge Jesu diesem Ideal zu folgen.520 Nur das Streben nach dieser vollkommenen Liebe macht für Denck den wahren Christen aus: Mit gwalt faren vn herrschen/ ist gantz keynem Christen erlaubt/ der sich seins Herrn berümen will.521 Auch Sebastian Franck, der nach Jahren als katholischer Priester und lutherischer Prediger zur spiritualistischen Theologie fand, erinnert an die Fehlbarkeit menschlicher Erkenntnis. Gott dagegen sei unparteiisch und liebe alle Menschen gleich. Deshalb fordert er ebenfalls, man solle jedem sein gewißen und glauben vor got frey lassen.522 Insgesamt verhallten solche Stimmen im Tumult gegenseitiger Vorwürfe und Diffamierungen weitgehend ungehört. Die Vertreter von irenischem Gedankengut und Toleranz wurden vielmehr häufig selber Opfer von Verfolgungen. Die Werke des Erasmus gerieten 1559 auf den römischen Index der verbotenen Bücher, Melanchthon, der neben Erasmus als einer der Begründer der Irenik jener Zeit gilt, sah sich in seinen Ausgleichsbemühungen mit den Calvinisten heftigen Anfeindungen im eigenen lutherischen Lager ausgesetzt, spiritualistische Bewegungen wiederum wurden von Theologen aller großen Konfessionen wie von der weltlichen Obrigkeit gleichermaßen kriminalisiert.523 Nicht selten ist der Toleranzgedanke der Ireniker auch zu relativieren. Man denke hier nur an die Zustimmung Melanchthons zur Hinrichtung Servets sowie an polemische Äußerungen Melanchthons und Erasmus’, die deutlich zeigen, dass sie trotz ihrer Friedensbemühungen weiterhin davon überzeugt waren, mit ihrer Lehre den einzigen wahren christlichen Glauben zu vertreten. Toleranz bedeutete hier keineswegs die Anerkennung Andersgläubiger als gleichberechtigte Partner, sondern hieß oft eher, wie später im politischen Bereich, sich mit der Faktizität der realen Verhältnisse abzufinden.
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Vgl. Hans Denck: Von der wahren Liebe. Worms 1527. In: Ohn’ ablass von Rom kann man wohl selig werden. Streitschriften und Flugblätter der frühen Reformationszeit. Herausgegeben vom germanischen Nationalmuseum Nürnberg. Nördlingen 1983. Nr. XV. Bl. A Iv–A IIIr. Denck: Von der wahren Liebe (Anm. 520). Bl. B IVv. Zit. nach Schreiner: Toleranz (Anm. 499). S. 484. Vgl. daneben Robert Stupperich: Sebastian Franck. In: NDB 5. S. 320f. Vgl. Peterse: Irenik und Toleranz (Anm. 510). S. 266. Vgl. hierzu auch den Exkurs zum Umgang der großen Konfessionen mit den Täufern, Kap. 7.1.
Zusammenfassung
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3.6 Zusammenfassung: Die gebräuchlichsten konfessionellen Namen in der polemischen Literatur 1620 verfasste ein anonymer calvinistenfreundlicher Autor einen fingierten Brief im Namen des sächsischen Hofpredigers Polycarp Leiser, in dem er die traditionell kaiserfreundliche Politik Sachsens in Frage stellte und für eine verstärkte Zusammenarbeit der beiden reformatorischen Konfessionen eintrat. In diesem Zusammenhang liefert er einen Überblick über die gängigen pejorativen Fremd- und affirmativen Selbstbezeichnungen im Sprachgebrauch des 17. Jahrhunderts: Es ist eine hohe wichtige Frage/ unnd fleisiger betrachtung wol würdig/ da man fragt/ wie es komme/ dieweil jetziger Zeit im heiligen Römischen Reich/ fürehmlich drey unterschiedliche und sehr häfftig widereinander streitende Religiones gefunden werden/ als eine der Evangelischen/ die man die Lutherischen nennet/ die ander der Calvinisten/ die sich die Reformirten/ Und die dritte der Papisten/ die sich selbst die Catholischen nennen.524
Diese Aufzählung kennzeichnet den Endpunkt einer begrifflichen Entwicklung, die ihren Ausgang in den theologisch-publizistischen Texten seit den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts genommen hat. Lässt man die zahlreichen Grobianismen und Ad-Hoc-Formulierungen außer Acht, ergibt sich hier im Prinzip ein recht übersichtliches Schema, das über alle Konfessionsgrenzen hinweg erstaunlich einheitlich ausfiel. Die Selbstbezeichnungen jeder Religionspartei drücken stets einen Alleinvertretungsanspruch aus, zählen also zur ,universalistischen Terminologie‘. Alle bezeichnen sich selber exklusiv als ,Christen‘ und betonen ihren ,alten‘ Glauben, lassen damit jedoch gleichzeitig die jeweils andere Seite als neu und unchristlich außen vor. Auch die in der heutigen Alltagssprache als Parteinamen verstandenen Begriffe ,katholisch‘ und ,evangelisch‘ sind in diesem Sinne zu interpretieren. Die ,Reformierten‘ verweisen zwar in ihrer bevorzugten Selbstbezeichnung auf einen zeitgebundenen Vorgang, der allerdings die Wiederherstellung der alten schriftgemäßen Zustände zum Ziel hatte und auf diese Weise letztendlich ebenfalls Universalität und Rechtgläubigkeit zum Ausdruck bringen sollte. Folgerichtig schlossen sich alle diese Namen gegenseitig aus und waren immer wieder Gegenstand von Kontroversen, in denen man der jeweils anderen Konfession die Unrechtmäßigkeit ihrer Selbstbezeichnung nachzuweisen versuchte, ihre Ansprüche negierte und ins Gegenteil verkehrte.
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Zit. nach Wolter: Deutsche Schlagwörter (Kap. 1, Anm. 27). S. 210f.
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Auf dem Gebiet der Fremdbezeichnungen existiert dagegen ein großer Fundus an Wortschöpfungen, um den Gegner gekonnt und abwechslungsreich zu beleidigen. Neben dem interessanten, aber in diesem Rahmen eher unergiebigen Feld ,allgemeiner polemischer Ausfälle‘ bildeten sich auf jeder Seite einige Namen heraus, die besonders regelmäßig verwendet wurden und weite Verbreitung fanden. Auch hier existieren zahlreiche überkonfessionelle Parallelen. Alle Richtungen griffen mehr oder weniger konsequent auf eine ,personen- bzw. amtsbezogene Terminologie‘ zurück, um die gegnerische Lehre als menschliche Erfindung abzuqualifizieren. In bezug auf die Evangelischen ließ sich das leicht an der Person Luthers, Zwinglis und Calvins mit den Namen ,Lutherische‘, ,Zwinglianer‘ oder ,Calvinisten‘ festmachen. Auf katholischer Seite, die nach Ansicht ihrer Gegner schon seit Jahrhunderten in ihren Irrtümern gefangen war, musste dafür die gesamte zuständige Institution herhalten, weshalb man sich nicht etwa mit dem Namen des jeweils aktuellen Papstes begnügte, sondern sie allgemein als ,Papisten‘ bezeichnete. Diese personengebundene Begrifflichkeit steht in enger Verbindung zur ,Ketzerterminologie‘, da es schon in altkirchlicher Zeit üblich geworden war, die großen Häresien nach ihren Gründern und Anführern zu benennen. Daneben bemühte man natürlich regelmäßig deutliche Begriffe wie ,Ketzer‘, ,Sekte‘ oder ,Schismatiker‘. Besonders für Rom lag dies nach der Exkommunizierung Luthers in kirchenrechtlichem Sinne durchaus nahe, während die Evangelischen hier vielleicht gerade in Ablehnung dieser Bannpraxis zunächst etwas zurückhaltender agierten. Dennoch scheute auch Luther sich nicht, die Reformierten eine Sekte zu nennen und sie durch Verweise auf ihren ,neuen‘ Glauben immer wieder genauso mit Ketzerei in Verbindung zu bringen, wie es umgekehrt die Katholiken mit ihm taten. Daneben sei nochmals an Calvins brutales Vorgehen gegen Servets Antitrinitarismus erinnert. Gerade der Anspruch, in Nachfolge der Alten Kirche zu stehen, zog auf evangelischer Seite die Übernahme dieser Begriffsebene geradezu zwangsläufig nach sich, mussten sie doch in einer Bestätigung der altkirchlichen Urteile gegen Pelagianer, Arianer usw. ihre Kontinuität unter Beweis stellen. Zeitgenössische Gegner mit solch altkirchlichen Häresien zu parallelisieren und schließlich mit dem gleichen Verdikt zu belegen, war da letztendlich nur noch ein kleiner Schritt. Besonders beliebt waren in diesem Zusammenhang auch ,Verteufelungen‘, sei es, dass der Papst für die Evangelischen als ,Antichrist‘, die Lehre der Reformatoren für die Katholiken als ,teuflisch‘ oder Servet für Calvin als ,diable‘ galt. Konkrete Differenzen im Bereich von Zeremonie und Kultus wurden durch eine ,zeremoniebezogene Terminologie‘ zum Ausdruck gebracht. Neben zahlreichen Ad-Hoc-Formulierungen, die sich im Streit um den rechten Gottesdienst beinahe von selber ergaben, hat ein besonders prominentes Beispiel größere Wirksam-
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keit entfaltet. Die Bezeichnung der Reformierten als ,Sakramentierer‘ betonte den Abendmahlsdissens als den zentralen Streitpunkt zwischen den reformatorischen Richtungen. Ebenfalls primär als Fremdbezeichnung für die Reformierten lässt sich als eigener Bereich die ,Schwärmerterminologie‘ fassen. Neben ,Schwärmer‘ selber zählen hierzu auch Begriffe wie ,Propheten‘, ,Träumer‘, ,Geister‘, etc. Alle diese Namen stammen in erster Linie von Luther, wurden aber auch von zahlreichen katholischen Theologen dankbar übernommen. Schließlich existiert eine weitere Sprachebene, die bereits auf den weltlich-politischen Bereich verweist, die ,rechtliche Terminologie‘. Wenn Luther seine reformatorischen Gegner als ,Rotten‘ diffamiert, so bezieht er sich damit nur am Rande auf theologische Streitfragen. Im Zentrum steht vielmehr der Vorwurf von Aufruhr und Ungehorsam gegenüber der weltlichen Obrigkeit, auch wenn dies im damaligen Verständnis zugleich als Widerstand gegen die gottgewollte Ordnung galt. Die wechselseitige Beschuldigung der Tyrannei sowie direkte Kriminalisierungen, etwa die Anklage Zwinglis als Kirchendieb, sind ebenfalls unter diesen Bereich zu subsumieren. Hier deutet sich ein Argumentationsschema an, das gerade von kaiserlicher und katholischer Seite auf den Reichstagen noch große Bedeutung erlangen sollte. Die terminologischen Ähnlichkeiten zwischen den Konfessionen ergeben sich letztendlich aus der Tatsache, dass alle den gleichen Anspruch auf Wahrheit verteidigten und ihren Gegnern jeweils auch dasselbe vorwarfen, nämlich vom rechten Glauben abgefallen zu sein. Da die entsprechenden diffamierenden Fremdbezeichnungen aller Religionsparteien folglich meist in die gleiche Richtung zielten, konnten sie natürlich ohne großen Aufwand übernommen und an die eigene Argumentation angepasst werden. Gerade Versuche zu beweisen, dass die jeweiligen Beleidigungen letztendlich auf den Verursacher selber zurückfielen, führten dazu, dass entsprechende Namen meist postwendend in einen Gegenangriff umgemünzt wurden. Luthers Betonung, den alten Glauben zu vertreten, sowie seine Darstellung der papsttreuen Theologen als die eigentlichen Schismatiker fußt auf entsprechenden katholischen Ansprüchen und Verurteilungen, während sich etwa Zwingli regelmäßig gegen den Vorwurf der Schwärmerei wehrte, indem er umgekehrt Luther vorwarf, sich in seiner falschen Auslegung der Abendmahlsworte als der eigentliche Schwärmer unter ihnen zu erweisen. Neben solch polemischem Vokabular erscheint häufig eine Ebene ,neutraler Terminologie‘ zur Bezeichnung der Gegenseite, die in den vorigen Abschnitten nicht gesondert behandelt wurde. In Schriften aller Konfessionen ist immer wieder ganz allgemein von widerwertigen die Rede,525 wobei ,widerwertig‘ hier nicht in dem 525
Luther: Erbieten. WA 6. S. 40. Vgl. daneben z. B. disser widerwertigen lerer bei Murner: Hie würt angezeigt (Anm. 224). S. 52, womit er Karlstadt, Zwingli, Oekolampad sowie drei ungenannte
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heutigen pejorativen Sinn, sondern synonym zu widdersachern526 zu verstehen ist. Zwingli wandte sich in seiner Berner Predigt gegen seinen widerpart, ohne dabei deutlich zwischen evangelischen und katholischen Gegnern zu differenzieren.527 Die Erwähnung einer ,Partei‘ deutet in diesem Zusammenhang erneut auf die Ebene ,rechtlicher Terminologie‘, da man unter Parteien primär die Gegner im Rahmen einer juristischen Auseinandersetzung verstand.528 Noch unverbindlicher war zum Teil lediglich von nostri, also ,den Unsern‘, sowie den andern die Rede.529 Solche Worte heben zwar eine mehr oder weniger deutliche Differenz zwischen den Kontrahenten hervor, verzichten jedoch gleichzeitig auf reine Polemik. Allerdings konnte diese Ebene neutraler Begrifflichkeit durch entsprechende Attribute auch sehr leicht wieder verlassen werden, wenn Johannes Eck beispielsweise die allgemeine Bezeichnung ,Widersacher‘ durch Beifügung des Adjektivs ,verstockt‘ wieder deutlich in die Nähe des Ketzereivorwurfs rückte.530 Die Entstehung der beschriebenen konfessionellen Namen auf den unterschiedlichen terminologischen Ebenen im Bereich des theologisch-publizistischen Schrifttums macht deutlich, wie sich auf evangelischer Seite allmählich ein eigenständiges Gruppengefühl und Selbstverständnis herausbildete, von den Anfängen zu Beginn der 20er Jahre, in denen man zunächst noch zögerte, sich explizit von Rom loszusagen, bis hin zum selbstbewussten ,lutherisch‘ oder ,reformiert‘ späterer Zeiten. Aber auch die katholischen Theologen mussten in der Verteidigung gegen die Reformatoren eigene Standpunkte formulieren, bewusste begriffliche Unterscheidungen setzen und auf diese Weise überhaupt erst ein spezifisch römisch-katholisches Selbstverständnis entwickeln, ein Prozess, der seinen Abschluss schließlich in den verbindlichen Lehrdekreten des Trienter Konzils fand. Deshalb gilt es stets zu beachten, dass sich die entsprechenden Benennungen gerade in der Frühphase der Auseinandersetzungen meist nur auf relativ kleine Gruppen von Theologen und dezidierten Verfechtern der entsprechenden Lehre bezogen. Die große Mehrheit der Bevölkerung, primär selbstverständlich der Reichsstände, musste ja noch von
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Vertreter der Schweizer Lehre meinte, oder auch Zwingli, der oft von seinen widerwertigen spricht und darunter u. a. seine ,falschen Brüder‘, d. h. die Lutheraner, verstand, Zwingli: Von Erkiesen und Freiheit der Speisen. CR 88. Nr. 8. S. 119 bzw. S. 123. Vgl. auch die lateinische Form ,adversarii‘ in Melanchthon: Apologia. In: BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. III. S. 141. Luther: An den christlichen Adel deutscher Nation. WA 6. S. 468. Zwingli: Die beiden Predigten zu Bern. CR 93/1. Nr. 116. S. 477, 480, 483. An diesen Stellen lässt sich anhand der verurteilten Aussagen feststellen, dass es sich um Luther handeln muss. Dagegen wird beispielsweise auf S. 476 der Begriff widersächeren für die katholische Seite verwendet. Vgl. hierzu die Auswertung der Reichstagsakten in Kap. 6.2.3. Vgl. Melanchthon: Apologia. In: BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. III. S. 141 sowie Luther: Erbieten. WA 6. S. 480. Vgl. Eck: Des heilgen concilii tzu Costentz entschuldigung (Anm. 222). S. 49.
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deren Richtigkeit überzeugt und durfte daher als potentielle Anhängerschaft nicht durch eine Einbeziehung in die gegenseitigen ,Bannflüche‘ abgeschreckt werden. Erst im weiteren Verlauf der Ereignisse bildeten sich zunehmend stabile und genau abgrenzbare Konfessionen heraus, was mit einer Verfestigung der entsprechenden Begriffe zu allgemeinen Parteinamen einherging. Die Terminologie konfessioneller Selbst- und Fremdbezeichnung steht im Spannungsfeld zwischen den Flugschriften und Traktaten, die den öffentlichen Diskurs bestimmten, und den politischen Ereignissen, die Einfluss auf die Verhandlungen der Reichstage und die entsprechende Mächtekonstellationen nahmen. Dabei umfasst die Gruppe der theologisch-publizistischen Texte diejenigen Quellen, die das Selbstbild der Konfessionen am pointiertesten vertraten und die Entwicklung einer entsprechenden Terminologie überhaupt erst anstießen. Der Fundus an geläufigen Selbst- und Fremdbezeichnungen, der in diesem Zusammenhang entstand, konnte nun zunächst anderen Gebrauchsebenen zur Verfügung gestellt werden. Im Laufe der Zeit büßte das polemisierende Schrifttum jedoch seine avantgardistische Rolle zunehmend ein. Neue Begriffe, die nicht der Lust an Wortspielen einiger Verfasser entsprangen, wurden nun meist aus der politischen Diskussion übernommen, wenn auch manchmal entsprechend bearbeitet. War die Kontroversliteratur also das Medium, das als erstes eine neue Terminologie zur Selbst- und Fremdbezeichnung der religiösen Parteien schuf und sie der amtlichen Ebene zunächst einmal vorgab, so drehte sich schließlich das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Flugschriften und politischen Ereignissen geradezu um. Daher ist es sinnvoll, sich nach Betrachtung dieser Grundlagen im Folgenden der Analyse von Dokumenten der amtlichen Ebene zuzuwenden.
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Zum offiziellen Sprachgebrauch der Kirchen im 16. Jahrhundert
Zwischen den eben betrachteten theologisch-publizistischen und den reichsrechtlich-amtlichen Texten stehen gleichsam als Bindeglied kirchenrechtliche Dokumente. Da sie von ihrer Funktion her einen normativen Charakter besitzen, zählen sie nicht zur Polemik, auch wenn die Wortwahl häufig in diese Richtung deutet, sondern gehören dem offiziellen Kommunikationsbereich an. Die Konflikte der Reformationszeit führten letztendlich dazu, dass dieser normativ-legislative Anspruch bereits frühzeitig von der Gegenseite nicht mehr akzeptiert wurde. Man denke in diesem Zusammenhang nur an die von Luther initiierte Verbrennung des ,Corpus Iuris Canonici‘, der Bannandrohungsbulle und einiger weiterer katholischer Schriften am 10. Dezember 1520 vor dem Elstertor in Wittenberg.1 Mit dieser Lossagung von der römischen Kirche war die evangelische Seite nun gefordert, eigene normierende Regeln zu erlassen, die an die Stelle des katholischen Kirchenrechts treten konnten. Eine kurze Analyse des daraus resultierenden offiziellen Sprachgebrauchs der evangelischen und katholischen Seite soll nun in Ergänzung zur entsprechenden theologischen Polemik den Reigen der amtlichen Texte eröffnen.
4.1 Die päpstlichen Verurteilungsbullen gegen Luther Bevor Luthers Lehre 1521 in Worms erstmals auf Reichsebene thematisiert wurde, gab es ein offizielles Vorspiel in Gestalt des römischen Ketzerprozesses gegen den Reformator, der auf amtlich-öffentlicher Ebene in drei päpstlichen Bullen seinen Niederschlag fand, zunächst in der Bannandrohungsbulle ,Exsurge Domine‘ vom 15. Juni 1520, die in weiten Teilen die Handschrift Johannes Ecks trägt, dann in der eigentlichen Bannbulle ,Decet Romanum Pontificem‘ vom 3. Januar 1521 und schließlich in der Gründonnerstagsbulle ,Consueverunt Romani Pontifices‘ vom 28. März desselben Jahres.2 Bullen sind offizielle normative Verlautbarungen, die von The1
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Zu Luthers Verwerfung der römischen Jurisdiktion vgl. den entsprechenden Abschnitt bei Schwarz: Luther (Kap. 3, Anm. 57). S. I 98–I 102. Alle drei Bullen in: Peter Fabisch/Erwin Iserloh: Dokumente zur Causa Lutheri (1517–1521). 2. Teil: Vom Augsburger Reichstag 1518 bis zum Wormser Edikt 1521. Münster i. W. 1991 (Corpus Catholicorum. Werke katholischer Schriftsteller im Zeitalter der Glaubensspaltung. Bd. 42).
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Zum offiziellen Sprachgebrauch der Kirchen im 16. Jahrhundert
men höchster dogmatischer und kirchenrechtlicher Bedeutung über Anweisungen, Privilegien und Ehrungen bis eben hin zur Androhung und Verkündigung der Exkommunikation reichen konnten. Die Bezeichnung ,Bulle‘ leitet sich dabei von der Art der Ausfertigung mit einem großen Bleisiegel, der eigentlichen ,Bulla‘, ab und stellt eine in der päpstlichen Kanzlei nie offiziell verwendete Sammelbezeichnung für alle Urkunden mit Bleisiegel dar.3 Aus diesem Grund taucht dieser Begriff in den Dokumenten selber nicht auf, war aber dennoch, wie sich an den Titeln der diversen Drucke ablesen lässt, bereits damals allgemein gebräuchlich.4 Alle drei Bullen beginnen mit der gleichen Formel Leo Episcopus Servus Servorum Dei ad perpetuam rei memoriam.5 Um im ewigen Gedächtnis bleiben zu können, mussten die entsprechenden Bestimmungen jedoch erst einmal bekannt gemacht werden, was den Öffentlichkeitscharakter dieser Texte unterstreicht.6 Sie enthalten damit die offiziell gewünschte kirchenrechtliche Terminologie in der Luthersache und lassen auch Rückschlüsse auf das Selbstbild Roms zu. Die Verurteilung Luthers in diesen Bullen bildete die Basis und den eigentlichen Auslöser für die entsprechenden Verhandlungen auf dem Wormser Reichstag von 1521, weil die Reichsacht dem Kirchenbann traditionell als reichsrechtliche Konsequenz zu folgen hatte.7 Damit stehen diese Quellen zeitlich wie strukturell an der Schnittstelle zwischen theologischen und reichsrechtlichen Texten.
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S. 364–411, 457–467 und S. 476–484 (im Folgenden abgekürzt als DCL 2). Am wichtigsten ist dabei allerdings die Bannandrohungsbulle, da die eigentliche Bannbulle im Reich weitgehend bedeutungslos blieb. Vgl. Armin Kohnle: Reichstag und Reformation. Kaiserliche und ständische Religionspolitik von den Anfängen der Causa Lutheri bis zum Nürnberger Religionsfrieden. Heidelberg 2001 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte. Bd. 72). S. 45. Vgl. Heiner Grote: Bullen und Breven. In: EKL 1. Sp. 564f. sowie Alfons M. Stickler: Bulle. In: LThK 2. Sp. 767f. Im amtlichen Sprachgebrauch der Zeit heißen diese Dokumente ,litterae apostolicae‘, vgl. Thomas Frenz: Papsturkunden des Mittelalters und der Neuzeit. 2., aktualis. Aufl. Stuttgart 2000 (Historische Grundwissenschaften in Einzeldarstellungen. Bd. 2). S. 28. Zu den Drucken von ,Exsurge Domine‘ vgl. DCL 2 (Anm. 2). S. 338–363 und von ,Decet Romanum Pontificem‘ vgl. S. 454–456. DCL 2 (Anm. 2). S. 364, 457 und S. 476. Statt perpetuam kann dabei auch futuram stehen. Dabei handelt es sich um den bei Bullen üblichen Eingang mit Papsttitel und ,Verewigungsformel‘. Im Gegensatz etwa zum ,Breve‘ fehlen jede Adresse und Grußformel, wodurch die Bulle eine allgemeingültigere Fassung erhält, vgl. Frenz: Papsturkunden (Anm. 3). S. 28 und S. 36. Das wird auch an den Bemühungen der mit der Verbreitung der Bullen beauftragten Nuntien Aleander und Eck deutlich, die jedoch die angestrebte Breitenwirkung nicht annähernd erreichten. Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Anm. 2). S. 46f. Vgl. Rainer Wohlfeil: Der Wormser Reichstag von 1521. In: Fritz Reuter (Hg.): Der Reichstag zu Worms von 1521. Reichspolitik und Luthersache. Worms 1971. S. 91. Die Gültigkeit dieses durch den Papst vom Kaiser eingeforderten ,Bann-Acht-Automatismus‘ aus dem mittelalterlichen Reichsketzerrecht war allerdings zu diesem Zeitpunkt bereits umstritten, vgl. S. 108.
Die päpstlichen Verurteilungsbullen gegen Luther
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Nachdem die Dominikaner Luther bei der Kurie angezeigt hatten, begann im Juni 1518 der Prozess wegen Verdachts auf Ketzerei. Luther erhielt eine Ladung nach Rom, stellte sich aber unter den Schutz seines Landesherrn Kurfürst Friedrich den Weisen, um ein Verhör im Reich zu erwirken, wo es für ihn sicherer schien. Inzwischen war der Prozess bereits im August 1518 in ein Verfahren gegen notorische Ketzerei umgewandelt worden, d. h. man hielt es für bewiesen, dass Luthers Lehren häretisch waren. Dementsprechend ging es bei dem im Oktober 1518 am Rande des Reichstags in Augsburg stattfindenden Verhör Luthers durch Kardinal Cajetan nicht mehr um eine Beurteilung seiner Aussagen, sondern im Prinzip nur noch um einen Widerruf, den Luther jedoch verweigerte. In diesem Moment kam ihm die politische Großwetterlage zugute. Kaiser Maximilian wollte seinen Enkel Karl, der bereits seit 1516 König von Spanien war, als Nachfolger im Reich durchsetzen, während der Papst die Gegenkandidatur des französischen Königs Franz’ I. unterstützte. Da Leo X. nun Kurfürst Friedrich auf seine Seite zu ziehen versuchte, musste er mit dessen Schützling Luther vorsichtig verfahren. Aus dieser Konstellation erklärt sich eine deutliche Verzögerung des Prozesses, die wesentlich zur Festigung und Verbreitung der Reformation beitrug. Nachdem Karl am 28. Juni 1519 zum Kaiser gewählt worden war, gab es keinen weiteren Grund mehr für politische Rücksichtnahmen. Deshalb wurde der Prozess in Rom wieder aufgenommen und durch die päpstlichen Bullen im Juni 1520 und im Januar 1521 kirchenrechtlich zum Abschluss gebracht.8 Die Bannandrohungsbulle ,Exsurge Domine‘ von 1520 verurteilte zunächst die Lehren des Reformators, forderte zur Verbrennung seiner Schriften auf und belegte ihn mit einem Predigtverbot. Luther selber wurde noch eine sechzigtägige Widerrufsfrist gewährt, bevor man ihn endgültig zum Ketzer erklären wollte. Von diesem Text liegt eine zeitgenössische deutsche Übersetzung vor, die Georg Spalatin noch im Herbst 1520 im Auftrag von Friedrich dem Weisen besorgt hatte. Sie hält sich ziemlich getreu an das lateinische Original, da sie ursprünglich nicht als Flugschrift für die Öffentlichkeit, sondern zur besseren Information des Kurfürsten verfasst worden war. Dennoch ist Luthers Verurteilung v. a. am Rhein und im Osten des Reiches in Form dieser Übersetzung bekannt geworden.9 8
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Zum reformationsgeschichtlichen Hintergrund vgl. Wallmann: Kirchengeschichte (Kap. 1, Anm. 54). S. 22–32. Vgl. DCL 2 (Anm. 2). S. 325f. An der Verbreitungsgeschichte der Bulle erkennt man sehr gut die teilweise fließenden Übergänge zwischen verschiedenen Textsorten. Die Bullen stellen per se amtliche Verfügungen mit Gesetzescharakter dar, die dem Volk offiziell zur Kenntnis gebracht werden sollten und mit entsprechenden Strafen bei Zuwiderhandlung belegt waren. Nun griffen Luther und seine Anhänger diese Texte auf, versahen sie mit bissigen Kommentaren und gaben sie in Druck. So besorgte Ulrich von Hutten noch im Jahre 1520 zwei kommentierte lateinische Ausgaben von ,Exsurge Domine‘ in Straßburg, die er mit Vorrede, Nachwort und Anmerkungen versah, vgl. DCL 2 (Anm. 2). S. 326, während Luther selbst sich der Gründonners-
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Zunächst werfen wir einen Blick auf die Selbstbezeichnung der römischen Seite. Es wird immer wieder von der Kirche – ‚ecclesia‘ – gesprochen.10 Dieser Name findet in den kirchenrechtlichen Texten als offiziellen Verlautbarungen der ,Amtskirche‘ deutlich häufiger Verwendung als im polemischen Schrifttum. Neben der Grundform erscheint er in verschiedenen weiteren Verbindungen, so betonen Adjektive wie ,sancta‘, ,universalis‘ oder ,catholica‘ den Universalcharakter wie die Rechtgläubigkeit der Kirche. Dass alle diese Worte in die gleiche Richtung weisen, wird besonders gut an Spalatins Text deutlich, der z. B. universalis ecclesia mit der ganzen christlichen kirchen bzw. der christlichen kirchen11 und Catholice ecclesiae mit der ganzen kirchen übersetzt.12 Daneben kann ,catholica‘ bei ihm auch ausdrücklich ,christlich‘ bedeuten, wenn er etwa Catholice fidei oder Orthodoxe fidei als christlichen glauben wiedergibt.13 Die Bezeichnung ecclesia sancta Dei bzw. heilig kirch Gotes drückt durch die Konstituierung eines exklusiven Gottesverhältnisses ebenfalls diesen hohen Anspruch aus.14 Häufig erscheint die Charakterisierung der Kirche als ,Mutter‘, und zwar in zweifacher Hinsicht. Zum einen ist sie die Mutter aller Gläubigen, die ihre Kinder hütet und beschützt, die aber gleichzeitig Gehorsam einfordern und als Lehrerin in Glaubensfragen einen deutlichen Wissensvorsprung beanspruchen darf, denn sie fungiert als Bewahrerin des katholischen Glaubens. Als Mutter steht sie dabei an der Seite des Vaters, also Gottes, weshalb sie in anderen Quellen auch als ,Braut Christi‘ bezeichnet werden kann.15 Daneben erscheint die Charakterisierung der ,Ecclesia‘ als mater omnium ecclesiarum.16 Hier ergibt sich nun ein scheinbarer Widerspruch, denn wie kann die eine Universalkirche zugleich Mutter mehrerer anderer Kirchen sein?
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tagsbulle annahm und diese 1522 unter dem Titel ,Bulla coenae domini, das ist, die Bulla vom Abendfressen des allerheiligsten Herrn, des Papstes, verdeutscht durch Martin Luther‘. WA 8. S. 688/691–720, veröffentlichte. Auf diese Weise wurde der ursprünglich amtliche Text in eine polemische Flugschrift der Gegenseite umgeformt. Vgl. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 365, 368/369, 396/397, 398/399, 400/401. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 366/367 und S. 400/401. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 388/389. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 370/371, 400/401, 402/403, vgl. auch die Übersetzung von veritas Catholica mit christlicher Wahrheit, S. 388/389. An einer Stelle erscheint im lateinischen Text auch Christiane Religionis [...] atque orthodoxe fidei, was im Deutschen zusammengezogen wird zu des heiligen christlichen glaubens, S. 370/371. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 366/367. Vgl. z. B. das Lehrdokument über das Messopfer, das in der 22. Sitzung des Trienter Konzils am 17. Sept. 1562 beschlossen wurde, wo es heißt: dilectae sponsae suae Ecclesiae, Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1740. Vgl. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 398/399.
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Um Klarheit zu schaffen, ist hier ein Blick auf den katholischen Kirchenbegriff zu werfen. ,Ecclesia‘ kann mehrere Bedeutungen annehmen, die teilweise nur aus dem Zusammenhang ersichtlich werden. Oft ist lediglich das Kirchengebäude als solches gemeint, wenn Leo X. beispielsweise in seiner Ablassbulle ,Sacrosanctis‘ für Albrecht von Mainz aus dem Jahre 1515 von ecclesiis, etiam cathedralibus vel metropolitanis seu eorum fabricis, monasteriis, hospitalibus spricht.17 Daneben kann auch jede einzelne Diözese als Kirche bezeichnet werden. In diesem Sinne gibt Albrecht von Mainz in seiner Titulatur am Beginn der ,Instructio Summaria‘ für die Ablassprediger von 1517 an, er sei Dei et Apostolicae sedis gratia sanctarum Magdeburgensis ecclesie ac Moguntinensis sedis Archiepiscopus.18 In beiden Fällen ist eine Verwendung des Begriffs im Plural möglich, während die Universalkirche selber natürlich in jeder Hinsicht singulär zu bleiben hat. Aus dieser Bedeutungsebene heraus ist auch die Bezeichnung Romana Ecclesia bzw. Sancta Romana Ecclesia19 entstanden, die zunächst lediglich die Diözese Rom meinte, aber in dem Moment mit der Universalkirche gleichgesetzt wurde, als der Bischof von Rom den Primat für sich beanspruchte.20 Durch Kombinationen dieser verschiedenen Begriffserweiterungen können nun teilweise recht umfangreiche Wortgebilde entstehen, wie z. B. die causam Sanctae Romanae Ecclesiae, Matris omnium ecclesiarum, ac fidei Magistre bzw. in der deutschen Übersetzung dis sach der heiligen römischen kirchen, der mutter aller kirchen und der meisterin des glaubens.21 Wie die Bezeichnung ,Römische Kirche‘ ja bereits zeigt, obliegt dem Papst als Nachfolger Petri die Leitung.22 So wie seine Diözese mit der Universalkirche gleichgesetzt wird, so fungiert der römische Bischof nach Cajetan auch als ,episcopus universalis‘, von dem sich jede weitere bischöfliche Gewalt in der Kirche ableitet.23 In konkreter Verbindung mit Amt und Würde des Papstes ist dabei von der sede 17
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Sacrosanctis. In: DCL 1. (Kap. 2, Anm. 38). S. 219. Dieses Dokument ist gleichsam der Ausgangspunkt der gesamten Reformation, da er den Ursprung des Ablassstreits markiert. Instructio Summaria. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 257. Vgl. zu dieser Verwendung des Kirchenbegriffs auch den Art. Kirche bei Adelung, wo festgestellt wird: „Bey den Katholiken werden auch einzelne Bißthümer Kirchen genannt.“ Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch. Bd. 2 (Kap. 1, Anm. 23). Sp. 1582. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 368, 386, 390. Vgl. hierzu den gesamten Artikel von Finkenzeller: Katholische Kirche. In: TRE 18 (Kap. 3, Anm. 233). S. 227–252. Nachdem im 15. Jahrhundert bereits Juan de Torquemada die ,ecclesia universalis‘ ausdrücklich mit der ,ecclesia Romana‘ gleichgesetzt hatte, wurde diese Tendenz, die besondere Rolle des Papsttums und der römischen Kirche hervorzuheben, unter dem Druck der Reformation noch verstärkt. So enthält die Römische Kirche nach Prierias ausdrücklich die Autorität der gesamten Kirche, vgl. S. 239f. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 364/365. Vgl. auch eine ähnliche Wendung auf S. 386/387. Vgl. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 364/365. Vgl. Finkenzeller: Katholische Kirche (Kap. 3, Anm. 233). S. 239.
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Apostolica oder dem bepstlichen stul die Rede.24 Als Amtssitz wird die Romana Curia genannt, übersetzt mit romischen hof.25 Während diese beiden Begriffsebenen von ,Kirche‘ und ,Christentum‘ einerseits und ,päpstlichem Stuhl‘ andererseits aus Sicht der Kurie wohl als weitgehend identisch verstanden wurden, wussten andere Instanzen auch im katholischen Bereich hier jedoch sehr wohl zu unterscheiden.26 Die Mitglieder dieser Kirche sind die fideles oder Christi fideles bzw. die christglaubigen.27 Auch hier drückt sich wieder der universelle und zugleich romzentrierte Anspruch aus, dass ein Christsein außerhalb katholischer Lehre und päpstlicher Oberhoheit überhaupt nicht denkbar ist. Besonders häufig wird dabei betont, dass die Vorschriften der Bulle auch wirklich ab omnibus utriusque sexus Christi fidelibus, also von allen beiden geschlecht christglaubigen, zu halten sind.28 Diese etwas umständliche Formulierung hängt mit dem rechtlichen Charakter der Bulle zusammen und ist der juristischen Sprache zuzuordnen, die durch umfassende Wortgebilde etwaige Grauzonen und Interpretationslücken vermeiden will. Vertreten Kirche und Papsttum die christliche Wahrheit, so werden die multos et varios errores oder vil und manchfeltige irrthumb Luthers und seiner Anhänger dagegengehalten, von denen viele bereits lange durch Konzilien verurteilt worden seien und die alte heresim etiam Graecorum et Bohemicam wieder aufnähmen.29 Luther wird damit in eine Traditionslinie mit den orthodoxen Kirchen und den Hussiten gestellt, wobei gerade letzteres in Anbetracht der Tatsache, dass die Hussitenkriege noch nicht vergessen waren, durchaus akute Ängste auslösen konnte und sollte. Im ersten Teil der Bulle werden diese Irrtümer zunächst anhand von 41 Sätzen Luthers aufgezeigt und als ketzerisch verdammt.30 Dabei wird der Reformator allerdings nie persönlich erwähnt, sondern man bemüht biblische Zitate bzw. alte Gegner des Christentums, um den Übeltäter allgemein zu charakterisieren. So wird in 24
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Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 390/391, 408/409. Interessanterweise bezeichnet sich auch Albrecht v. Mainz als Moguntinensis sedis Archiepiscopus, eine Titulatur, die in den Subskriptionslisten der Reichsabschiede als des heyligen stuls zu Meyntz Ertzbischoff erscheint. Vgl. etwa die Instructio Summaria. In: DCL 1 (Kap. 2, Anm. 38). S. 257 und den Abschied zu Augsburg von 1566. In: Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662. Herausgegeben durch die historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. München/Göttingen 1988–2007. Nr. 467. S. 1563 (im Folgenden abgekürzt als RTA RV). Wahrscheinlich geht auch diese Parallele auf eine Zeit zurück, als die Diözesen relativ gleichberechtigt nebeneinander standen und der römische Primat noch nicht so stark ausgeprägt war. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 396/397. S. o. Kap. 3.3.1. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 368/369, 402/403, 406/407. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 388/389. Vgl. auch S. 392/393, 394/395, 400/401, 402/403. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 368/369. Vgl. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 372–387.
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der Einleitung Gott persönlich aufgefordert, der Schmähung durch die insipientibus oder unweisen eingedenk zu sein, denn vulpes oder fuchs bzw. ein Aper de silva oder ein wild hauend swein aus dem wald drohen, die Kirche zu zerstören; lugenhaftige lerer führen zunft ader secten des verluses ein,31 ein novus Porphirius – der alte war ein Neuplatoniker des 3. Jahrhunderts, der polemische Schriften gegen die Christen verfasst hatte – ist aufgestanden.32 Diese Menschen sind vom pater mendacii oder vater der lugen, sprich vom Teufel höchstselbst, verblendet und legen die Schrift ex veteri hereticorum instituto oder nach alder gewonheit der ketzer ohne den Heiligen Geist aus.33 Sie sind falsis fidei cultoribus,34 d. h. sie geben sich nur den äußerlichen Anschein, Christen zu sein. Ihre Lehren, die schließlich als hereticos aut scandalosos aut falsos aut piarum aurium offensivos vel simplicium mentium seductios et veritati Catholice obviantes verdammt werden,35 verbreiten sich wie ein Krebsgeschwür.36 Man findet hier insgesamt eine reichhaltige Auswahl an abwertenden und verketzernden Bezeichnungen, die so auch in polemischen Schriften der theologisch-publizistischen Ebene hätten Verwendung finden können. Alle diejenigen, die solchen Lehren Glauben schenken, können damit nur Leichtsinnige – quosdam leviores in inclyta natione Germanica – sein.37 Schließlich wendet man sich den Urhebern dieser Lehren zu. Dabei wird Martin Luther selber insgesamt achtmal namentlich genannt, das erste Mal mit vollem Namen, danach nur noch als ipse [...] Martinus oder dictus Martinus.38 Der Text beschreibt die vergeblichen Bemühungen Roms, Luther von seinen Irrtümern abzubringen,39 so dass man ihn eigentlich schon jetzt als de fide notorie suspectum, immo vere Hereticum, also als überführten Ketzer, verdammen möchte, aus Barmherzigkeit jedoch noch eine Widerrufsfrist von 60 Tagen einräumt.40 Doch er steht nicht allein, denn es ist auch von seinen Complices, fautores, adherentes et receptatores bzw. sein beiphlichter, gunstige, anhengige und halter die Rede.41 Insgesamt taucht diese Formulierung so oder ähnlich siebenmal auf, daneben in einer 31
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Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 364/365. Die ,Unweisen‘ sind Ps 74,22 entnommen, die Tierwelt entstammt Hld 2,15 bzw. Ps 80,14, während die falschen Lehrer und Sekten sich auf 2. Petr 2,1 beziehen. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 364/365. Vgl. zu Porphyrius S. 366/367. Anm. 9. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 366/367. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 368/369. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 388/389. Vgl. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 386/387: pesti morboque canceroso. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 368/369. Zur vollen Namensnennung vgl. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 394/395, ansonsten vgl. etwa S. 400/401 und S. 402/403. Vgl. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 394/495. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 396/397. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 398/399.
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kürzeren Fassung als Martinum vel aliquem ex predictis.42 Hierbei handelt es sich um rechtliche Formulierungen wie sie auch auf Reichsebene gegen Geächtete gebraucht wurden. In der Landfriedensordnung von 1521 wendet man sich ebenfalls gegen die friedbrüchigen thetter, ire helfer, anhenger und furschieber.43 In den gleichen Zusammenhang gehört der Vorwurf der fehlenden ,obedientia‘,44 denn auch der ,Gehorsam‘ ist eine juristische Kategorie, die in reichsrechtlichen Dokumenten immer wieder erscheint.45 Da Luther und seine Anhänger aufgrund der Widerrufsfrist noch nicht offiziell als Ketzer gelten, bleibt es zunächst juristisch korrekt bei dieser neutralen Umschreibung. Man hebt allerdings sogleich hervor, dass sie für die Zeit danach als notorios et pertinaces hereticos oder offentliche und halsstarke ketzer46 bzw. als hereticos predictos declaratos et condemnatos bzw. gedachte declarirte, erkente und verdampte ketzer47 anzusehen und entsprechend zu behandeln seien. Luther ist als homine Orthodoxe fidei inimico im Sinne einer damnatio memoriae sogar gänzlich aus dem Gedächtnis der Gläubigen zu tilgen, weshalb alle seine Schriften unabhängig von Inhalt und Entstehungszeit ausnahmslos verboten werden.48 Nach Verstreichen der Widerrufsfrist folgte am 3. Januar 1521 die eigentliche Bannbulle ,Decet Romanum Pontificem‘. Dieses Dokument entspricht terminologisch weitgehend der Bulle ,Exsurge Domine‘, die sie auch in weiten Teilen rekapituliert. Die katholische Selbstbezeichnung ist identisch.49 Auch die Begrifflichkeit 42 43 44 45
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Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 404/405, vgl. auch S. 406/407 und S. 408/409. RTA JR II. Nr. 29. S. 320. Vgl. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 386/387. Als ,Ungehorsame‘ werden hier all jene bezeichnet, die sich einer kaiserlichen Anordnung widersetzen. Ein Blick in die Reichsabschiede beispielsweise der 40er Jahre zeigt zahlreiche Varianten. Alleine 1548 ruft man alle Stände auf, sich bezüglich der Religion als die gehorsamen zu erzaigen (RTA JR XVIII. Nr. 372b. S. 2657. § 14) und erwähnt ,Ungehorsame‘, die gegen den Landfrieden verstoßen (RTA JR XVIII. Nr. 372b. S. 2658. § 19), die Anschläge für das Reichskammergericht (RTA JR XVIII. Nr. 372b. S. 2662, § 34. Vgl. auch den Abschied 1541, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 435. § 34) oder die beschlossene Türkenhilfe nicht gezahlt haben (RTA JR XVIII. Nr. 372b. S. 2681. § 95). Schwerste Drohungen gegen die ,Ungehorsamen‘ erscheinen gerade im Bereich der Türkenhilfe in allen vier Abschieden zwischen 1542 und 1544 (Vgl. RTA JR XII. Nr. 285. S. 1194f. § 102 und § 104, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 473. § 14, S. 475. § 4, S. 477. § 33 sowie RTA JR XV. Nr. 565. S. 2249. § 9, S. 2264f. § 63, S. 2266f. § 70). Außerdem werden 1541 und 1544 alle als ,ungehorsam‘ bezeichnet, die sich in fremden Kriegsdienst gegen den Kaiser begeben (vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 440. § 68 und RTA JR XV. Nr. 565. S. 2267f. § 72). Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 400/401. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 402/403. Vgl. auch S. 406/407. Exsurge Domine. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 402/403. Die katholische Seite bleibt bei den bereits bekannten Bezeichnungen ecclesia Dei (Decet Romanum Pontificem. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 457, 464) und Sanctae Romanae Ecclesiae (S. 458).
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zur Umschreibung der lutherischen Seite bewegt sich im gleichen Rahmen. Es ist wieder die Rede von den falsi fidei cultores, die durch humani generis hoste verführt worden seien. Aus dem Tierreich tritt noch das Bild der vepris nociva hinzu,50 außerdem erscheinen weitere abwertende Bezeichnungen wie Petra scandali oder perversi.51 Luther und seine Anhänger nennt man jetzt ganz offiziell excommunicatos, anathematizatos, maledictos et Haereticos declaratos.52 In diesem Zusammenhang spricht man nun auch ausdrücklich von einer Sekte: ipsius Martini Pestiferam Haereticorum sectam.53 Kurz darauf erscheint sogar die Bezeichnung Lutherani für die Anhänger Luthers, die wie an seiner Halsstarrigkeit ebenso an seinem Namen und seinen Strafen teilhaben sollen.54 Hier wird erstmals von offizieller Seite ein eigener Parteiname gebraucht. Neben ihren angeblich ketzerischen Lehrmeinungen wirft man Luther und den seinen zudem erneut vor, ,inobedientes‘, also ,Ungehorsame‘ zu sein.55 An dieser Bezeichnung und an der wiederum bemühten formelhaften Wendung adhaerentes, complices, fautores et receptatores56 wird einmal mehr der rechtliche Charakter des Bannfluchs deutlich. Von besonderem Interesse ist nun die eigentliche Verurteilungsformel: […] decernimus et declaramus Martinum [Ulricum, Willibaldum ac Johannem] et alios, qui eundem Martinum in suo pravo et damnato proposito obstinatum sequuntur, ac etiam eos, qui eum etiam praesidio militari defendunt, custodiunt et propriis facultatibus vel alias quomodolibet sustentare non verentur, ac auxilium, consilium vel favorem quovis modo praestare et subministrare praesumpserunt et praesumunt [...] excommunicationis et etiam anathematis.57
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Die Mitglieder sind wiederum christifidelibus (S. 457, 459, 460, 461, 462, 463, 464, 465), einmal abgewandelt in populo Christiano (S. 465) bzw. populo Dei (S. 466). Die Lehre entspricht der Christianae Religionis (S. 458), orthodoxae fidei (S. 458, 461), Catholica fidei (S.458, 462, 463, 465) und veritati Catholicae (S. 458); der Sitz des Papstes wird als sedes Apostolica (S. 458) oder auch nur hanc sanctam sedem (S. 463, vgl. auch S. 466) bzw. Romana curia (S. 462) bezeichnet. Decet Romanum Pontificem. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 458. Decet Romanum Pontificem. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 463 und S. 457. Decet Romanum Pontificem. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 465, vgl. daneben z. B. S. 458, 462, 463, 464 und S. 466. Decet Romanum Pontificem. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 463. Decet Romanum Pontificem. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 463: ita poenarum et nominis participes fiant, secumque Lutherani vocem et debitas portent poenas. Decet Romanum Pontificem. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 464. Decet Romanum Pontificem. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 460. Decet Romanum Pontificem. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 463/364.
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In einer ersten Fassung der Bulle sind hier neben Luther auch die drei Humanisten Ulrich v. Hutten,58 Willibald Pirckheimer59 und Johannes Spengler60 genannt. In einer zweiten Fassung, die auf Wunsch des päpstlichen Nuntius Aleander für den Wormser Reichstag ausgefertigt wurde, verschwinden die drei Mitstreiter Luthers wieder aus dem Text, weil man durch ihre Nennung eine Verstärkung der antirömischen Stimmung im Reich befürchtete.61 Aber auch ohne namentliche Erwähnung sind durch diese Exkommunikation nicht nur die direkten Vertreter seiner Lehre betroffen, sondern auch alle diejenigen, die Luther Schutz geben und ihn unterstützen, also im Prinzip selbst Kurfürst Friedrich von Sachsen. Als Folge der Lehrverurteilungen und der Exkommunikation wurden Luther und seine Anhänger im gleichen Jahr 1521 erstmals in der Gründonnerstagsbulle ,Consueverunt Romani pontifices‘ als Ketzer aufgeführt. Da der Papst die Aufgabe habe, für puritatem religionis christianae et ipsius unitatem zu sorgen,62 erließ er traditionell an diesem Tag eine Bulle, die eine Liste mit Ketzern und Sachverhalten enthielt, die zur Exkommunikation führten, z. B. Seeräuberei, Hilfe für Türken, Sarazenen und andere Feinde der Christenheit, Fälschung von päpstlichen Dekreten, usw.63 Man stellte Martinum Lutherum et eius sequaces wegen der similitudem impietatis in eine recht prominente Reihe neben omnes hereticos, wie z. B. Cataros, Pauperes de Lugduno, womit die Waldenser gemeint sind, oder Viclifistas seu Ussitas, den Anhängern von John Wycliff und Jan Hus.64 Terminologisch gesehen bedient sich 58
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Die Exkommunikation Ulrichs v. Hutten erfolgte aufgrund seiner antirömischen Schriften, die ihn aber eigentlich nicht so sehr als Anhänger Luthers auswiesen, sondern als Vertreter der nationalen Opposition gegen die Kurie, die auch die Basis für die ,Gravamina nationis Germaniae‘ bildete. Nicht umsonst galt er 1521 auf dem Wormser Reichstag als ein wesentlicher meinungsbildender Faktor. Vgl. Heinrich Grimm: Ulrich v. Hutten. In: NDB 10. S. 99–102. Willibald Pirckheimer, ein wichtiges Mitglied des Nürnberger Rats, wurde aufgrund seiner Schrift ,Eckius dedolatus‘ von 1520 mit dem Bann belegt, woraufhin er zunächst auf weitere theologische Äußerungen verzichtete. Trotz Sympathien für Luther blieb er beim katholischen Glauben. 1526/27 drückte er seine Haltung zur Religionsfrage folgendermaßen aus: Nec Lutheranus neque Eckianus, sed Christianus sum. Vgl. Bernhard Ebneth: Willibald Pirckheimer. In: NDB 20. S. 475f. Der Nürnberger Stadtschreiber Lazarus Spengler war der einzige der drei Genannten, der wirklich uneingeschränkt auf Seiten der Reformation stand, sie von Beginn an verteidigte und im Rahmen seines Amtes tatkräftig unterstützte. Bereits 1519 verfasste er eine Schutzrede für Luthers Lehre, die wohl die Ursache des Bannfluchs darstellt. Er war auch an der Ausarbeitung der wichtigen evangelischen Kirchenordnung für die Markgrafschaft Brandenburg und die Reichsstadt Nürnberg von 1533 beteiligt. Vgl. Berndt Hamm: Lazarus Spengler. In: TRE 31. S. 666–670. Zur Nürnberger Kirchenordnung vgl. Kap. 4.3. Zu den entsprechenden Hintergründen vgl. DCL 2 (Anm. 2). S. 446–450. Consueverunt Romani Pontifice. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 476. Zum Hintergrund der Gründonnerstagsbulle vgl. den einleitenden Kommentar auf S. 452–454. Vgl. Consueverunt Romani Pontifices. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 478. Consueverunt Romani Pontifices. In: DCL 2 (Anm. 2). S. 477.
Die Lehrdekrete des Trienter Konzils
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dieser Text ansonsten weitgehend derselben Begriffe, die wir bereits in den beiden anderen behandelten Bullen gefunden haben. Ein zusammenfassender Blick auf die päpstlichen Bullen zeigt mehrere unterschiedliche terminologische Ebenen, die alle bereits auch in den theologisch-publizistischen Texten vorgekommen sind. Zur Selbstbezeichnung bedient man sich hauptsächlich einer ,universalistischen Terminologie‘. Komplementär dazu verwendet man zur Benennung des Gegners Bezeichnungen aus dem Arsenal der ,Ketzerterminologie‘, wobei auch der Name ,Lutherani‘ aus dem Bereich der ,personenbezogenen Terminologie‘ in diese Richtung weist. Gemäß ihrem Charakter als offizielle kirchenrechtliche Dokumente erscheinen daneben nun verstärkt Umschreibungen und formelhafte Wendungen aus der ,rechtlichen Terminologie‘, die besonders auf Reichsebene als unverfänglichere Alternative zu den anderen genannten Bereichen noch sehr wichtig werden wird.
4.2 Die Lehrdekrete des Trienter Konzils Eine besondere Gruppe amtlicher kirchlicher Dokumente in Zusammenhang mit der Reformation stellen die Trienter Konzilsakten dar. Mit der Einberufung des Trienter Konzils war Papst Paul III. endlich einer Forderung nachgekommen, die zumindest von Seiten des Reichs seit Anbeginn der Reformation im Raum stand. Von 1545 bis 1563 versuchte die römisch-katholische Kirche nun als Reaktion auf die Glaubensspaltung zweierlei, man wollte die Ketzereien ausrotten und zugleich die Kirche reformieren.65 Dabei war der Kurie ursprünglich in erster Linie die klare Formulierung des katholischen Dogmas sowie auf dieser Basis die Verdammung aller Irrlehren wichtig. Die gleichzeitigen Beratungen über eine Reform des kirchlichen Lebens, deren Missstände ja ein Hauptauslöser für die antirömische Stimmung im Reich und die Gravamina gewesen waren, kam dagegen nicht zuletzt erst auf heftigen Druck des Kaisers zustande.66 Eine vollständige Sichtung der entsprechenden Dokumente ist in diesem Rahmen nicht möglich, aber eine kleine Auswahl von Konzilsdekreten sollte genügen, um den Tenor dieser Schriften zu erfassen. Als Grundlage dient hier das Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen der römisch-katholischen Kirche von Heinrich Denzinger. In diesem 65
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Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1500–1870, hier Nr. 1501: duobus illis capitibus de exstirpandis haeresibus et moribus reformandis. Vgl. Wallmann: Kirchengeschichte (Kap. 1, Anm. 54). S. 115–118. Ebenfalls auf Veranlassung Karls V. nahmen evangelische Vertreter vom Januar bis April 1552 an den Sitzungen teil, was aber ohne Folgen blieb, vgl. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). S. 494.
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für die katholische Lehre bis heute grundlegenden Werk sind jene verbindlichen Texte zusammengefasst, die eine besondere Bedeutung für Fragen des Glaubens und der Ekklesiologie haben. Darunter befinden sich insgesamt 20 Konzilsdekrete sowie die Bestätigungsbulle ,Benedictus Deus‘ vom 26. Januar 1564, die ,Tridentinischen Regeln‘ für das Verbot von Büchern und die Bulle ,Iniunctum nobis‘ vom 13. November 1564, auch bekannt als ,Trienter Glaubensbekenntnis‘. Die wichtigste Selbstbezeichnung lautet in den weitaus meisten Fällen mit 124 Belegen ,Ecclesia‘. Dabei erscheint der Begriff rund 50 Mal in Reinform, daneben kann er aber auch, wie bereits in den Bullen der 20er Jahre, durch verschiedene Adjektive noch näher beschrieben werden. Etwa 30 Mal erscheint die ,Ecclesia catholica‘, manchmal auch erweitert zur ,sancta catholica Ecclesia‘ oder ,catholica et apostolica Ecclesia‘.67 Immer wieder wird das Adjektiv ,catholicus‘ auch in anderen Verbindungen gebraucht, z. B. ,catholica veritas‘ oder ,theologi catholici‘.68 Damit wird natürlich noch immer der Alleinvertretungsanspruch bezüglich des wahren Glaubens ausgedrückt, was das Trienter Glaubensbekenntnis, das die Lehren des Konzils gleichsam zusammenfasste, auch explizit formuliert: Hanc veram catholicam fidem, extra quam nemo salvus esse potest.69 Daneben erscheint ebenfalls wieder die ,sancta Romana Ecclesia‘,70 die als ,sancta Romana et universalis Ecclesia‘ auch ausdrücklich mit der Universalkirche gleichgesetzt werden kann.71 Die Anhänger der katholischen Kirche werden in erster Linie ,Christifideles‘ oder getrennt ,Christiani‘ bzw. ,fideles‘ genannt.72 In besonders offiziellem Ton heißt es auch wieder ,omnes et singulos Christi fideles utriusque sexus‘,73 was erneut verdeutlicht, dass es sich hier letztendlich um einen rechtlichen Text handelt. Das Adjektiv ,christianus‘ wird mehrfach zur näheren Umschreibung verwendet, z. B. die
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Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1642, 1732, 1738, 1760 sowie Nr. 1821. Diese Formulierungen stehen bereits im Nizäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis: unam sanctam catholicam et apostolicam Ecclesiam, Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 150. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1667, 1770 und Nr. 1852, 1858. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1870. In eine ähnlich Richtung weisen auch Ausdrücke wie ,universa Ecclesia‘ (Nr. 1644, 1679, 1683, 1687), ,Ecclesia Dei‘ (z. B. Nr. 1506, 1635, 1678, 1690, 1813), ,vera Christi Ecclesia‘ (Nr. 1637) oder ,dilecta sponsa sua Ecclesia‘ (Nr. 1740). Oft erscheint die Kirche auch einfach als ,sancta Ecclesia‘ (z. B. Nr. 1535, 1621, 1656, 1750) oder ,mater Ecclesia‘ (Nr. 1507, 1659, 1728, 1746, 1863). Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1500, 1699, 1718, 1848, 1862, in Nr. 1759 ohne ,sancta‘. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1579. Für ,christifideles‘ finden sich insgesamt 17 Belege, für ,christiani‘ 10 und für ,fideles‘ 14. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1659, 1708.
Die Lehrdekrete des Trienter Konzils
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,christiana religio‘ als Glaubensbasis,74 der ,vir christianus‘,75 der ,christianus homo‘76 oder der ,populus christianus‘.77 Weitere Umschreibungen ohne Bezugnahme auf den Christennamen sind ,pius‘ und ,pii homines‘, wobei an dieser Stelle allerdings jeweils ganz bestimmte Christen gemeint sind, die sich durch ein überdurchschnittlich großes Maß an Frömmigkeit auszeichnen.78 Noch relativ selten erscheint das Substantiv ,catholicus‘.79 Alle diese Bezeichnungen drücken den gleichen Anspruch auf Rechtgläubigkeit und Universalität aus wie der Name ,Ecclesia catholica‘. Nun kommen wir zu den Gegnern dieser Kirche, die, wie wir ja bereits gesehen haben, nur der Verdammnis anheim fallen können, da sie außerhalb des katholischen Glaubens stehen. Dabei bezog man sich zum einen auf altkirchliche Ketzer.80 Besonders wichtig waren aber natürlich die Reformatoren. Auch wenn sie niemals genannt werden, wird anhand der behandelten Themen offensichtlich, dass sie gleichsam die Tagesordnung des Konzils diktiert haben. Die einschlägigen Glaubensdekrete behandeln nicht umsonst Fragen der Rechtfertigung, der rechten Bibelübersetzung, der Sakramente, der Heiligenverehrung und des Ablasses, also genau die wichtigsten strittigen Punkte zwischen katholischen und evangelischen Theologen.81 Dabei wird im Prinzip in allen Fällen, vielleicht mit Ausnahme der Rücknahme einiger Missbräuche im Ablasswesen, gegen die evangelischen Lehrmeinungen entschieden. Dementsprechend ist in den Einleitungssätzen zu den jeweiligen Dekreten besonders häufig von ,haereses‘,82 ,errores‘ oder ,erronea‘83 die Rede. Die entsprechenden Lehren sind ,haereticus‘84 oder ,impius‘.85 Manchmal wird ein direkter Teufelsbezug hergestellt, wenn von jener ,serpens antiquus‘ die Rede ist, die einst den Sündenfall provoziert hatte, von den ,artes daemonis‘ oder von Lehren, die als ,satanica‘ zu be74 75 76 77
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Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1728, 1821. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1646. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1543, 1548. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1510, 1687, 1689, 1835, 1848, 1867. Ab und an erscheint ,populus‘ auch ohne nähere Kennzeichnung (Nr. 1656, 1747, 1824) oder als gläubiges Volk: ,fideles populi‘ (Nr. 1738, 1748, 1749). Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1534, 1856 sowie Nr. 1680. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1692, 1856. Die ,Novatianer‘ werden hier als Einzige ausdrücklich genannt, vgl. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1670. Die entsprechenden Texte finden sich an folgenden Stellen: Rechtfertigungslehre: Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1520–1538; Bibelübersetzung: Nr. 1501–1505; Sakramente: Nr. 1600–1630, 1635–1661, 1667–1719, 1725–1734, 1738–1760, 1763–1778, 1797–1816; Heiligenverehrung: Nr. 1821–1825; Ablass: Nr. 1835. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1500, 1600, 1635, 1650, 1738, 1800, 1869. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1510, 1600, 1667, 1689, 1725, 1738, 1750, 1763, 1770, 1800 sowie Nr. 1520. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1854. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1682.
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Zum offiziellen Sprachgebrauch der Kirchen im 16. Jahrhundert
zeichnen seien.86 Als Fremdbezeichnung für die Gegner ergibt sich hieraus in erster Linie ,haeretici‘ und ,schismatici‘.87 Die besonders hartnäckigen und gefährlichen Urheber jener Irrlehren sind die ,Haeresiarchae‘, die ,Erzketzer‘.88 Daneben kommt die Gegnerschaft durch die Bezeichnung als ,adversarii‘ oder ,inimicus homo‘ besonders zum Tragen.89 Durch ihre Abwendung vom wahren Glauben sind sie ,impii homines‘90 und aufgrund der Einführung neuer Lehren ,Novatores‘.91 Neben diesen Bezeichnungen, die alle auf den Vorwurf der Ketzerei abzielen, erscheinen allgemeine Diffamierungen. So werden die Vertreter dieser Lehren als leichtfertige Geister,92 verschlagen,93 unverständig,94 streitsüchtig und verdorben95 charakterisiert. Hinzu kommen v. a. in den ,Kanones‘, in denen die verdammten Lehren explizit aufgezählt werden, noch diverse allgemeine Umschreibungen. Sie beginnen meist mit si quis dixerit und schließen mit dem Bannfluch anathema sit.96 Aber auch in anderen Texten bezieht man sich nach diesem Muster auf konkrete Lehren. So wird z. B. davor gewarnt, dass nemo sibi in sola fide blandiri debet,97 was offensichtlich gegen Luther gemünzt ist, oder man spricht von illis, qui speciem pietatis habent, virtutem autem eius abnegarunt.98 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in den Konzilstexten wie gehabt die Rechtgläubigkeit der einen Seite mit universalistischen und die Häresie der Gegner durch verketzernde und einige allgemein diffamierende Bezeichnungen betont wird. Insgesamt hat sich der Sprachgebrauch im Vergleich zu den antilutherischen Bullen vom Beginn der 20er Jahre damit nicht wesentlich geändert. Die 1555 erfolgte reichsrechtliche Anerkennung der Lutheraner im Augsburger Religionsfrieden hat sich damit erwartungsgemäß im kirchlichen Sprachgebrauch Roms nicht niedergeschlagen.
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Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1510, 1725 und Nr. 1637. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1533, 1617, 1800, 1835, 1852, 1856, 1861 sowie Nr. 1533, 1800. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1852. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1539, 1644 sowie Nr. 1635. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1637, 1644, 1800. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1692. petulantia ingenia, Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1507. homo quidam callida ingenia, Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1544. homines [...] insanientes, Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1800. quidam contentiosi et preves homines, Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1637. Vgl. z. B. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1511–1515, 1551–1583, 1601–1630, 1651– 1661, 1701–1719, 1731–1734, 1751–1759, 1771–1778 und 1801–1812. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1538. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). Nr. 1689.
Evangelische Kirchenordnungen
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4.3 Evangelische Kirchenordnungen Es ist nicht ganz einfach, den römischen Dokumenten entsprechende Texte der evangelischen Seite zum Vergleich gegenüberzustellen. Das scheitert bereits daran, dass keine einheitliche evangelische Amtskirche existierte, die man als Gegenstück zur Kurie heranziehen könnte. Im Prinzip bildete jedes protestantische Territorium für sich eine eigene Kirche mit dem entsprechenden Landesherrn als Oberhaupt, eine Situation, die sich ja noch heute in den zahlreichen Landeskirchen unter dem Dach der EKD widerspiegelt. Zu den Bannbullen gibt es von vornherein kein Gegenstück, denn Martin Luther reagierte zwar in scharfer polemischer Form in seinen Flugschriften,99 doch diese Äußerungen sind keineswegs als amtlich-offizielle Gegenverurteilungen zu bewerten. Die Konzilsdekrete zu Glaubens- und Kirchenfragen sind dagegen zumindest ansatzweise mit den evangelischen Kirchenordnungen vergleichbar. Diese wurden auf obrigkeitliche Anordnung hin von teilweise sehr namhaften Theologen verfasst. Zu nennen wären hier beispielsweise so bekannte Reformatoren wie Philipp Melanchthon, Martin Bucer, Johannes Bugenhagen, Johannes Brenz, Huldrich Zwingli und Heinrich Bullinger.100 Fortan regelten diese normativen Texte das gesamte kirchliche Leben im Bereich der Lehre und der Zeremonien und traten damit an die Stelle des kanonischen Rechts bzw. der katholischen Missalien, Ritualien und Agenden.101 Da jedes evangelische Territorium seine eigene Kirchenordnung besaß, ist diese Textsorte sehr breit überliefert. Die Edition der evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts hat inzwischen bereits ganze 16 Bände erreicht und ist noch immer nicht abgeschlossen. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass viele Ordnungen voneinander abhängig waren, da man besonders renommierte Texte immer wieder in anderen Gebieten übernommen hat. Aus der Masse dieser Kirchenordnungen habe ich nun fünf repräsentative Beispiele ausgewählt, die einen Einblick in den offiziellen Sprachgebrauch der evangelischen Kirchen ermöglichen. Zunächst soll die gemeinsame Kirchenordnung für die Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach und die Reichsstadt Nürnberg aus dem Jahre 1533 betrachtet 99
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Vgl. hier besonders Luthers direkt gegen die römische Jurisdiktion gerichtete Schrift: Warum des Papstes und seiner Jünger Bücher von D. Martin Luther verbrannt sind. WA 7. S. 152/161– 186. Vgl. Anneliese Sprengler-Ruppenthal: Evangelische Kirchenordnungen. In: TRE 18. S. 670–707, hier S. 679–682. Melanchthon verfasste etwa eine Kirchenordnung für Mecklenburg, Bucer war am Reformationsversuch in Köln beteiligt und Bugenhagen brachte die Reformation durch seine Ordnungen für Pommern und besonders Dänemark nach Skandinavien. Vgl. Sprengler-Ruppenthal: Evangelische Kirchenordnungen (Anm. 100). S. 670. In gewisser Weise wären an dieser Stelle auch die Bekenntnisschriften zu nennen, die allerdings erst nachträglich als offizielle Grundlage des Glaubens anerkannt worden waren.
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werden.102 Sie hat im lutherischen Bereich einen großen Einfluss entfaltet und darf „als die Stammutter einer recht bedeutsamen Familie klar lutherischer Kirchenordnungen gelten“.103 In ihrer Nachfolge steht u. a. die Kirchenordnung der Mark Brandenburg von 1540.104 Kurfürst Joachim II. hatte erstmals im Vorjahr an einem evangelischen Abendmahl teilgenommen, suchte aber dennoch nach weitgehender kirchlicher Unabhängigkeit: So wenig ich an die römische Kirche will gebunden sein, so wenig will ich auch an die Wittenbergische Kirche gebunden sein; denn ich nicht spreche Credo sanctam romanam oder Wittenbergensem, sondern catholicam ecclesiam, und meine Kirche allhier zu Berlin und Cöln ist eben eine solche rechte christliche Kirche, wie die der Wittenberger.105
Obwohl viele Teile der Ansbach-Nürnberger Ordnung wörtlich übernommen wurden, fiel der Text so neutral aus, dass es Joachim gelungen ist, Zustimmung bei Luther, Melanchthon sowie Justus Jonas zu finden und ihn trotzdem zugleich offiziell von Kaiser Karl V. bestätigen zu lassen.106 Einen interessanten Vergleich hierzu erlauben zwei kurpfälzische Kirchenordnungen. 1556 erließ Kurfürst Ottheinrich eine lutherische Kirchenordnung,107 die bereits 1563 durch die wichtige calvinistische Ordnung Friedrichs III. abgelöst wurde.108 Für die reformierte Seite wird daneben ergänzend die frühe Zürcher Kirchenordnung Huldrich Zwinglis aus dem Jahre 1525 herangezogen.109 Natürlich lassen sich durch diese Texte weitaus nicht alle Facetten des deutschen Protestantismus abdecken. Für einen Überblick über die kirchenrechtliche Terminologie auf evangelischer Seite mag diese Auswahl jedoch genügen. Die Kirchenordnungen setzen sich aus zwei verschiedenen Textabschnitten zusammen. Den eigentlichen Hauptteil bilden die von den Fachleuten verfassten 102 103
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EKO XI. Nr. III 4a. S. 140–205. EKO XI. S. 124. Zu den Auswirkungen dieser Kirchenordnung zunächst auf die Reichsstädte und kleineren ritterlichen wie gräflichen Territorien in der Umgebung Nürnbergs und Ansbachs über ihre Verwendung für das Herzogtum Mecklenburg bis hin zu ihrem Einfluss auf Kirchenordnungen in solch wichtigen Gebieten wie Kurbrandenburg oder Württemberg vgl. S. 122–124. EKO III. Nr. 3. S. 39–90. Zit. nach EKO III. S. 18. Vgl. EKO III. S. 6 sowie Sprengler-Ruppenthal: Evangelische Kirchenordnungen (Anm. 100). S. 672. EKO XIV. Nr. 7. S. 113–220. EKO XIV. Nr. 31. S. 333–408. Die Pfalz war das erste größere Reichsterritorium, das sich zur reformierten Konfession bekannte. Entsprechende Bedeutung gewann natürlich auch die reformierte Kirchenordnung von 1563. Dieser Konfessionswechsel führte auf dem Reichstag von 1566 letztmals zu einer ausdrücklichen Thematisierung der Religionsfrage durch Kaiser Maximilian II. Vgl. Maximilian Lanzinner: Einleitung. In: RTA RV 1566. S. 65–160, hier S. 106. Zwingli: Ordnung der christlichen Kirche zu Zürich. CR 91. Nr. 70. S. 671, 680–706.
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theologisch-liturgischen Vorschriften. Da es sich aber um ein amtliches legislatives Dokument handelte, gibt es daneben immer eine obrigkeitliche Anweisung, ein Einführungsmandat, das die Kirchenordnung für verbindlich erklärt. Erst dieser Abschnitt verleiht dem gesamten Text seinen normativen Charakter. Beide Teile weisen gemäß ihrer unterschiedlichen Funktion und Produzenten gewisse terminologische Abweichungen auf, weshalb in einem ersten Schritt zunächst nur die Einführungsmandate betrachtet werden sollen. 4.3.1 Der ,amtliche Teil‘: Die Einführungsmandate der Obrigkeit Die Brandenburgisch-Nürnbergische Kirchenordnung besitzt noch kein Einführungsmandat im engeren Sinne. Hier wird die Ordnung durch ein Schlusswort in Kraft gesetzt, das zwar die Einhaltung aller Vorschriften befiehlt, das jedoch nicht im Namen der Obrigkeit verfasst ist, sondern vom namentlich nicht genannten Verfasser des übrigen Textes stammt.110 Zur Zürcher Kirchenordnung findet sich ebenfalls kein entsprechendes obrigkeitliches Dokument.111 Die Kurbrandenburger sowie die beiden kursächsischen Kirchenordnungen werden dagegen durch ein offizielles Einführungsmandat im Namen des jeweiligen Kurfürsten eröffnet, der in diesem Zusammenhang zugleich eine kurze Begründung für sein Vorgehen liefert.112 Dabei erweisen sich die Verhältnisse in der Pfalz als besonders wechselvoll. Nachdem Kurfürst Ludwig VI. 1576 seinen Vater Friedrich III. beerbt hatte, führte er sein Territorium zum lutherischen Glauben zurück und setzte in diesem Zusammenhang 1577 die alte Kirchenordnung Ottheinrichs wieder in Kraft, die er jetzt allerdings mit einer eigenen Vorrede versah.113 Sein Bruder Johann Casimir, der nach Ludwigs Tod als Vormund für dessen minderjährigen Sohn die Regierungsgeschäfte übernahm, kehrte dagegen zur reformierten Konfession zurück. 1584 erließ er zunächst ein terminologisch hochinteressantes Mandat gegen das condemnirn und lestern uf der cantzel und in den schuln, auf dessen rechtlicher Basis einige lutherische Prediger 110 111
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Andreas Osiander war maßgeblich an der Ausarbeitung dieser Kirchenordnung beteiligt. In den edierten Akten existiert lediglich eine Anweisung des Rates vom 12.4.25, das Abendmahl weiterhin nach der gedruckten Ordnung zu feiern, vgl. Emil Egli: Aktensammlung zur Geschichte der Zürcher Reformation in den Jahren 1519–1533. Zürich 1879. Nachdruck Aalen 1973. Nr. 684. S. 306. Dieser Befund könnte damit zusammenhängen, dass es sich bei dieser Ordnung im Prinzip nur um eine Zusammenstellung verschiedener bereits erschienener Werke, wie Zwinglis Abendmahlsordnung und die Regelung der Ehegerichtsbarkeit sowie Leo Juds Taufbüchlein, handelte, die textlich ergänzt und abgerundet wurden, vgl. Zwingli: Ordnung der christlichen Kirche zu Zürich. CR 91. Nr. 70. S. 671. Von der Brandenburger Kirchenordnung ist sogar bekannt, dass die Vorrede von Joachim II. persönlich stammt, vgl. EKO III. S. 7. Die entsprechende Vorrede in: EKO XIV. Nr. 7. S. 114–116. Anm. f–f.
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entlassen wurden.114 Im folgenden Jahr setzte er die Kirchenordnung seines Vaters von 1563 wieder in Kraft, allerdings ohne ihr eine eigene Vorrede oder ein neues Einführungsmandat beizugeben. Damit wollte er die Kontinuität in der Religionspolitik betonen, die eine ausdrückliche Erneuerung der väterlichen Verordnungen als unnötig erscheinen ließ.115 Alle Mandate wenden sich in erster Linie an die Geistlichen der jeweiligen Territorien, die Pfarrer, Prediger und Kirchendiener,116 denn sie sind es, die die Kirchenordnung in ihren Gemeinden umzusetzen haben. Die Ordnungen von 1533 und 1540 weisen daneben als sekundäre Empfänger die untertanen aus, denen befohlen wird, die ihnen von der Obrigkeit bestellten Pfarrer anzunehmen,117 während in der Vorrede von 1577 nach Art eines allgemeinen obrigkeitlichen Erlasses neben der Geistlichkeit alle Amtleute und Untertanen jedweden Standes angesprochen werden.118 Der neutral-rechtliche Begriff ,Untertanen‘ als Bezeichnung für die eigene Klientel taucht dabei lediglich in den Mandaten auf, in denen aus der Sicht der Obrigkeit gesprochen wird, in den ,theologischen‘ Abschnitten wird er nicht verwendet.119 1533 erscheint die Variante die christlichen herd der untertanen,120 die auf zwei weitere Begriffsebenen zur Bezeichnung der evangelischen Bevölkerung hindeutet. Zum einen reklamiert man für sich den Namen ,Christen‘ und stellt den eigenen Standpunkt auch häufig als ,christlich‘ heraus.121 Damit erhebt man zugleich, ebenso 114 115 116
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EKO XIV. Nr. 80. S. 510–515. Vgl. auch den entsprechenden Kommentar auf S. 75f. Vgl. hierzu ebenfalls den Kommentar, EKO XIV. S. 77–79. Die Kirchenordnung von 1533 wendet sich an alle pfarherr, prediger und diener der gemaine beder herrschaften gepiets, EKO XI. Nr. III 4a. S. 204. Statt diener der gemaine kann auch kirchendiener stehen, S. 205. Vgl. daneben z. B. auch die Aufforderung an alle christliche pfarrherrn, prediger und kirchendiener zur Bemühung um die rechte Lehre im ersten Abschnitt der Ordnung, S. 141. 1556 befiehlt Kurfürst Ottheinrich wie in Ansbach und Nürnberg allen und jeden unsern pfarrern, predigern und andern kirchendienern die Einhaltung, Friedrich III. in der reformierten Ordnung von 1563 dagegen etwas ausführlicher allen und jeden unsern superintendenten, pfarherren, predigern, kirchen- und schuldienern. EKO XIV. Nr. 7. S. 113 und Nr. 31. S. 333. EKO XI. Nr. III 4a. S. 205 und EKO III. Nr. 3. S. 39, 40. 1540 erscheint der Begriff auch im ,Beschluss‘, der ebenfalls die Form eines obrigkeitlichen Textes aufweist, vgl. EKO III. Nr. 3. S. 89. Vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 114. Anm. f–f. Vgl. die Vorreden zu den Kurpfälzer Kirchenordnungen EKO XIV. Nr. 7. S. 116f. und Nr. 31. S. 335 sowie die Vorrede zum Heidelberger Katechismus von 1563, EKO XIV. Nr. 31. S. 342f. Anm. 32. Die einzige Ausnahme stellt der Heidelberger Katechismus selber dar, wo in der Auslegung des dritten Gebots nach reformierter Zählung, Du solt den namen des herren, deines Gottes, nicht mißbrauchen, EKO XIV. Nr. 31. S. 361, ausdrücklich der Eid der underthanen gegenüber der oberkeyt gestattet wird, S. 363. EKO XI. Nr. III 4a. S. 204. Im Nachwort von 1533 erscheint dreimal das Adjektiv ,christlich‘, einmal wendet man sich gegen alle unchristliche ergernus, EKO XI. Nr. III 4a. S. 204f. Joachim bedient sich 1540 viermal dieses Attributs, zweimal davon in Verbindung mit der christlichen kirchen, EKO III. Nr. 3. S. 39f.
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wie in den katholischen Texten, einen entsprechenden universalen Anspruch auf den rechten Glauben. Der Ausdruck ,Herde‘ deutet dagegen auf die kirchliche Gemeinde unter der Aufsicht eines Pfarrers als Hüter und Seelsorger hin.122 Über diese Ebene werden die Untertanen in allen Kirchenordnungen am häufigsten definiert. In die gleiche Richtung weist die Bezeichnung ,Volk‘, das in diesem Zusammenhang nicht etwa im staatsrechtlichen Sinne die Bevölkerung eines bestimmten Territoriums, sondern die Kirchengemeinde umfasst. So spricht das Nachwort 1533 von dem christenlichen volk,123 die Vorrede von 1577 noch deutlicher von euerm bevolhenen pfarrvölcklin.124 Synonym zu verstehen ist auch die kirchenversammlung125 und letztendlich selbst die ,Kirche‘, die sich in ihrem Sinngehalt signifikant von dem katholischen Kirchenbegriff unterscheidet. Versteht man unter der ,Kirche‘ dort primär die einzelnen Diözesen und letztendlich die Gemeinschaft der Bischöfe unter dem römischen Primat, also die Amtskirche von oben, so geht man nach evangelischem Verständnis nun umgekehrt gerade nicht vom hierarchischen Gedanken, sondern von der Gemeinde aus. Nach Martin Luther soll man die Christlich gemeyne gewißlich erkennen: wo das lautter Euangelion gepredigt wirt.126 Hier nimmt er die berühmte Definition aus Artikel VII der Confessio Augustana vorweg, wo es heißt, die Kirche stelle gemäß des Glaubensbekenntnisses die Gemeinschaft der Heiligen, die congregatio sanctorum, dar, die sich dadurch auszeichne, dass in ihr das Evangelium rein gepredigt und die Sakramente dem Wort Gottes gemäß verwaltet würden.127 Mit den Heiligen sind da-
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Die Vorrede von 1556 verwendet das Adjektiv 14 Mal, einmal werden die ,wahren Bekenner Christi‘ und einmal die ,wahren Christen‘ genannt, vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 116f. Eine Besonderheit sind die gottliebenden, die jedoch in die gleiche Richtung weisen, EKO XIV. Nr. 7. S. 117. 1563 erscheint ,christlich‘ in der Vorrede zur Ordnung zweimal, in der Einleitung zum Katechismus viermal, 1577 insgesamt sechsmal und im Mandat von 1584 sogar 15 Mal. Daneben ist hier auch von der kirchen Christi bzw. der gantzen christgläubigen kirchen die Rede, vgl. EKO XIV. Nr. 80. S. 510, 511 und S. 514. Außerdem bezeichnet man sich selbst als die christgläubigen, christen oder gar rechtgläubigen christen, EVO XIV. Nr. 80. S. 512, 513 und S. 514, bzw. nur rechtgläubigen, S. 511. Dagegen wird unchristlichs condemnirn, verketzern und beunrüigung des gemeinen mans strengstens verboten, S. 511. Im Text der Züricher Kirchenordnung von 1525 erscheint ausdrücklich die Bezeichnung des Pfarrers als hirt, Zwingli: Ordnung der christlichen Kirche zu Zürich. CR 91. Nr. 70. S. 693 und S. 694. EKO XI. Nr. III 4a. S. 205. EKO XIV. Nr. 7. S. 115. EKO XI. Nr. III 4a. S. 205. Luther: Daß ein christliche Versammlung oder Gemeine Recht und Macht habe, alle Lehre zu urtheilen. WA 11. S. 408. Vgl. CA 7. In: BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. II. S. 64f. Entsprechend definiert auch die Kirchenordnung von 1556 die christliche kirche als ein sichtbare versamlung aller menschen, die reine leere des evangelii annemen und rechten brauch der sacrament haben. EKO XIV. Nr. 7. S. 203.
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bei nun allerdings keine kanonisierten Personen, sondern nach dem Heidelberger Katechismus alle und jede gläubigen gemeint, die als glieder an dem herren Christo [...] gemeinschaft haben.128 Entsprechend kann die wahre Kirche in der Brandenburg-Nürnberger Kirchenordnung von 1533 als geistlicher Leib Christi verstanden werden.129 ,Kirche‘ im evangelischen Sinne bezeichnet also die Gemeinschaft der Christen und ihren Gottesdienst.130 Wenn das Wort hin und wieder im Plural verwendet wird131 – in einigen Kirchenordnungen sprechen die Landesherren von ,ihren Kirchen‘132 –, so ist dies meist gleichzusetzen mit der entsprechenden Gemeinde, in einigen Fällen vielleicht auch mit dem Kirchengebäude, wobei die Übergänge fließend sind. Beklagt Friedrich III. in der Vorrede zum Heidelberger Katechismus etwa die mangelhafte religiöse Unterweisung in schulen und kirchen,133 dann ließe sich darunter durchaus sowohl die Institution als Unterrichtsträger wie auch das jeweilige Gebäude als Unterrichtsraum verstehen. Als Begründung für den Erlass der Kirchenordnungen wird jeweils auf die Verantwortung der Obrigkeit für das Seelenheil der Bevölkerung verwiesen, die auf diese Weise gleichsam das bischöfliche Hirtenamt übernommen hat. Die Vorrede von 1533 betont die Notwendigkeit, eine einheitliche und rechte Verwendung aller Kirchengebräuche gewährleisten zu müssen, weil Gott ein unordentlich wesen in der kirchen gar ernstlich und heftig strafe.134 Joachim II. sieht sich durch sein Amt als christlich churfurst ebenfalls in der Pflicht, die zahlreichen irthum, misbreuch und zwispalten, in der heiligen christlichen kirchen eingedrungen, zu beseitigen.135 Kurfürst Ottheinrich schließlich begründet sein Vorgehen noch ausführlicher. Er hat nach seinem Regierungsantritt in der Kurpfalz ,verführerische Seelsorger‘136 am Werke gesehen und die religion an leere und kirchendienst [...] irrig und dergestalt 128 129 130
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EKO XIV. Nr. 31. S. 353. Vgl. EKO XI.. Nr. III 4a. S. 186. Vgl. zu dieser Definition auch Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch. Bd. 2 (Kap. 1, Anm. 23). Sp. 1581. Im Nachwort 1533 ist z. B. in einem einzigen Satz einmal von der christlichen Zucht in den kirchen und kurz darauf von besonderen Anliegen, die die kirch habe, die Rede: EKO XI. Nr. III 4a. S. 205. 1556 erscheint die ,Kirche‘ siebenmal. 1563 spricht der Kurfürst von den kirchen unsers churfürstenthumbs, EKO XIV. Nr. 31. S. 335, und in der Vorrede zum Katechismus zweimal vom Unterricht in schulen und kirchen, EKO XIV. Nr. 31. S. 343, Anm. 32. 1577 wird die Kirche zehnmal genannt und 1584 13 Mal. In den Einführungsmandaten der Kurpfälzer Kirchenordnungen erscheint dieser ,Besitzanspruch‘ dreimal 1556, vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 116f., ebenfalls dreimal 1577, vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 114f., und einmal 1584, vgl. EKO XIV. Nr. 80. S. 514. EKO XIV. Nr. 31. S. 343. EKO XI. Nr. III 4a. S. 141. EKO III. Nr. 3. S. 39. EKO XIV. Nr. 7. S. 116.
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unrein befunden,137 dass er um sein eigenes und seiner Untertanen Seelenheil willen die in der kirchen eingerissnen mißbreuch und falschen gottesdienst abgeschafft und nach richtigkeit reiner, uralter apostolischer kirchenleer vleissigklich getracht habe.138 Hier wird deutlich, dass er die Reformation keinesfalls als Neuerung begreift, sondern als Verbesserung,139 um die Missbräuche und Verfälschungen, die im Laufe der Jahrhunderte eingeführt worden seien, wieder zu beseitigen und zum alten wahren Glauben zurückzukehren. Auch sein Nachfolger Friedrich III. will unsere liebe underthonen [...] zu rechter erkandnuß göttlichs worts und willens führen und daneben richtigkeyt und gleichförmigkeyt in den Zeremonien schaffen.140 Die Vorrede Ludwigs von 1577 und das Mandat Johann Casimirs von 1584 argumentieren ähnlich.141 Zur Umschreibung der eigenen Lehre beruft man sich dabei stets auf das Wort Gottes. So verbietet die Ordnung von 1533 ausdrücklich jede neuerung, enderung oder unschicklicheit zuvor wider Gottes wort,142 und Joachim vertritt den Anspruch, seine Bestimmungen seien in und aus dem heiligen göttlichen wort ergrundet.143 Ottheinrich begründet die Einführung der Reformation damit, er hätte sich zu dem bevelch seins [= Christi] göttlichen munds und worts von hertzen bekhennt und ergeben,144 und Friedrich III. sieht den Sinn seiner reformierten Ordnung ebenfalls in der außbreitung deß seligmachenden worts Gottes.145 Solche Wendungen sind gleichbedeutend mit der Bezeichnung ,evangelisch‘, die selber jedoch nur in der Brandenburger Ordnung von 1540 verwendet wird.146 Zuvor erscheint sie auf offizieller Ebene bereits in den als Grundlage zur Kirchenvisitation 1528 verfassten 30 Ansbacher Fragen in der Frage nach der rechte[n] evangelische[n] meß. Die auf dieser Basis erlassene erste gemeinsame Kirchenordnung für Ansbach und Nürnberg aus
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EKO XIV. Nr. 7. S. 117. EKO XIV. Nr. 7. S. 116. Vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 116: Ottheinrich erwähnt, dass er bereits in Neuburg in der leere und ceremonien besserung vorgenommen habe. EKO XIV. Nr. 31. S. 335. Die Beförderung des Seelenheils führt er daneben als Begründung für die Einführung des Heidelberger Katechismus in der Vorrede für die entsprechende Einzelausgabe des Katechismus von 1563 an. Vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 343. Anm. 32. Ludwig nennt 1577 das Seelenheil und die eingkeit und gleicheit in Glaubensfragen, EKO XIV. Nr. 7. S. 114. Anm. f–f. Johann Casimir bezeichnet in seinem Mandat gegen Schmähungen von der Kanzel ebenfalls die Förderung des seligmachenden wort Gottes zu der underthanen ewigen und zeitlichen wolfahrt und ihrer seelen seligkeit als seine obrigkeitliche Aufgabe, EKO XIV. Nr. 80. S. 510. EKO XI. Nr. III 4a. S. 205. EKO III. Nr. 3. S. 40. EKO XIV. Nr. 7. S. 116. EKO XIV. Nr. 31. S. 335, vgl. auch die Vorrede zum Heidelberger Katechismus, S. 343. Anm. 32. christliche evangelische lere, EKO III. Nr. 3. S. 44.
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dem gleichen Jahr spricht vom evangelischen bann.147 In dieser frühen Verwendung handelte es sich allerdings noch nicht um eine konfessionelle Selbstbezeichnung im eigentlichen Sinne, sondern man wollte lediglich allgemein die Schriftgemäßheit einzelner Handlungen hervorheben. Erst in späteren Dokumenten finden wir eine deutliche Änderung des Sprachgebrauchs. Johann Georg, der Sohn Joachims II., erließ 1572 eine eigene Kirchenordnung, die den bisherigen Mittelweg verließ und die Kurbrandenburgische Kirche eindeutig ins orthodoxe lutherische Lager einreihte. In diesem Zusammenhang spricht der Kurfürst von unserer wahren christlichen religion, der Augspurgischen confession, die 1530 von ezlichen evangelschen ständen überreicht worden sei und eine Zusammenfassung der rechten, reinen, lutherischen lehr darstelle.148 In der Vorrede von 1577 heißt es ähnlich, die Kirchenordnung habe zum Ziel, daß das reine und unverfelschte wort Gottes und rechter gebrauch der hochwirdigen sacramenten, in massen dann in allen der Augspurgischen Confession und unser waren religion und evangelischen kirchen gelehret [...] gepflantzt und erhalten werden möchte.149
Diese Passagen sind sehr aufschlussreich. Zum einen gilt ,evangelisch‘ nun ausdrücklich als eigener Parteiname. Dies wird mit dem universalen Anspruch verbunden, die wahre Religion darzustellen, deren Bekenntnisgrundlage die Confessio Augustana ist,150 auf die auch bereits die Kirchenordnung von 1556 verwiesen hatte.151 Zugleich erscheint hier auch die entsprechende reichsrechtliche Bezeichnung der Lutheraner nach ihrer maßgeblichen Bekenntnisschrift, wenn Ludwig etwa von den fürnemsten stenden und kirchen Augspurgischer Confession spricht.152
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Vgl. EKO XI. Nr. III 1. S. 126 sowie Nr. III 3. S. 138. EKO III. Nr. 5. S. 95. EKO XIV. Nr. 7. S. 114. Daneben wird auch die Gleichheit in Glaubensfragen mit den genachbarten evangelischen kirchen als Zweck genannt. Etwas später werden als Lehrgrundlagen genannt: Die Confessio Augustana invariata mit ihrer Apologie, die drei frühkirchlichen Glaubensbekenntnisse, die Schmalkaldischen Artikel und Luthers kleiner Katechismus. Vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 115. Damit ist beinahe der Bestand an Bekenntnisschriften erreicht, der wenig später im Konkordienbuch festgeschrieben wird. Der Hinweis auf die Confessio Augustana findet sich allerdings nicht im Einführungsmandat, sondern am Ende des Abschnittes über Lehre und Predigt, vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 119. Bereits das erste Reformationsmandat Ottheinrichs vom 16. April 1556, in dem er seinen Amtleuten zunächst die Abschaffung der katholischen Messe befiehlt und seine Kirchenordnung ankündigt, nennt als Grundlagen neben der Heiligen Schrift auch die Cofessio Augustana. Vgl. EKO XIV. Nr. 6. S. 112. EKO XIV. Nr. 7. S. 114. Zur genauen Entstehung und Bedeutung dieser Bezeichnung s. u. Kap. 6.3.
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Das Mandat Johann Casimirs von 1584, das die Rückkehr zum reformierten Bekenntnis einleitete, spricht ebenfalls mehrfach von der ,evangelischen Kirche‘.153 Bezüglich seines Glaubens beruft er sich wie auch unsere liebe vorfahrn [...] allein zum wort Gottes, die uhralte bewerte symbola christlicher kirchen wie auch der Augspurgischen Confession und derselben Apologi als demselbigen alleyn gemeß.154 Aus diesem Grund kann er sich auch als Reformierter zu den ständen Augspurgischer Confession zählen.155 Zwischen lutherischem und reformiertem Sprachgebrauch existiert also kein Unterschied. Das wirft ein bezeichnendes Licht auf den Umgang der beiden reformatorischen Konfessionen miteinander. Bereits Friedrich III. hatte sich in der Kirchenordnung von 1563 nicht scharf von seinem lutherischen Vorgänger distanziert, vielmehr heißt es in der Vorrede zum Heidelberger Katechismus, Ottheinrich habe allerhand christliche und nützliche ordnungen getroffen, die aber leider nicht die erhoffte Wirkung gezeitigt hätten, da es weiterhin unrichtigkeit und ungleichheit gebe.156 Die Einführung des Calvinismus stellt damit keine erneute Veränderung dar, sondern eine Vollendung des eingeschlagenen Weges. Zudem verfolgte Friedrich auf dem Augsburger Reichstag von 1566 die Strategie, trotz seines Konfessionswechsels als Stand der Augsburger Konfession anerkannt zu werden, um weiterhin den reichsrechtlichen Schutz für seinen Glauben genießen zu können, denn offiziell war das reformierte Bekenntnis auch nach dem Augsburger Religionsfrieden noch immer verboten.157 Dazu musste man natürlich an die innerevangelische Solidarität appellieren und sich terminologisch entsprechend zurückhalten. In diesem Sinne wollte sein Sohn Johann Casimir auch im eigenen Territorium den Streit der Theologen eindämmen. Sein Mandat gegen das Lästern in Kirche und Schule legt nahe, dass es hier zu heftigen verbalen Attacken gekommen sein muss. Dabei hat man den Gegner auch ,Lutheraner‘ bzw. ,Calvinist‘ genannt, was zu jener Zeit immer das Verdikt der Sektiererei anklingen ließ. Demgegenüber betonte Johann Casimir nun 153 154 155
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Vgl. EKO XIV. Nr. 80. S. 510, 511, 512 und 513. EKO XIV. Nr. 80. S. 514, vgl. auch eine ähnliche Aussage auf S. 512. EKO XIV. Nr. 80. S. 514, vgl. auch die Bezeichnung chur- und fürsten der Augspurgischen Confession, S. 511. Der feine Unterschied lag allerdings darin, dass sich die strengen Lutheraner wie Ludwig 1577 auf die unveränderte Fassung der Confessio Augustana invariata von 1530 beriefen, während die Reformierten sich auf die Variata bezogen, in die Melanchthon einige Zugeständnisse im Bereich der Abendmahlslehre eingebaut hatte. Vorrede zum Katechismus, EKO XIV. Nr. 31. S. 343. Anm. 32. Vgl. die Vorrede zur Ordnung, EKO XIV. Nr. 31. S. 335. Vgl. Walter Hollweg: Der Augsburger Reichstag von 1566 und seine Bedeutung für die Entstehung der Reformierten Kirche und ihres Bekenntnisses. Neukirchen-Vluyn 1964 (Beiträge zur Geschichte und Lehre der Reformierten Kirche. Bd. 17). S. 291f. sowie Wolter: Deutsche Schlagwörter (Kap. 1, Anm. 27). S. 209 und Hans Leube: Kalvinismus und Luthertum im Zeitalter der Orthodoxie. Bd. 1: Der Kampf um die Herrschaft im protestantischen Deutschland. Leipzig 1928. S. 58.
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deutlich die Verdienste gleichermaßen von Luther wie auch von Calvin und verbot die Verwendung ihrer Namen als Parteibezeichnung. Die Geistlichen sollten sich dern bey den papisten und andern der warheyt ungewogenen verhaßten Lutheri, Calvini und anderer gelehrten und umb die christliche kirchen wolverdienter männer verkleinerlichen nachnamen, die [...] die leuth auß der finsternuß des pabsthumbs gerissen, auf der cantzel enthalten, [...] sinthemal es an deme und gewiß ist, das solche gelehrte männer und kirchendiener [...] in allen haubtpuncten unsers christlichen glaubens [...] einig gewesen und einander für brüder erkennt, welches auch hernach von den fürnembsten autoren und bekenern der Augspurgischen Confession geschehen, wie dann auch sonst was die partheische namen anlangt, dasselb in Gottes wort gestraft [...], daß man sich uf die menschen berufen, einer cephisch, der ander apollisch, der dritt paulisch [1. Kor. 1,12] also auch jetziger zeit lutherisch oder calvinisch genandt wirdt, sonder wir uns alle eynig auf Christum [...] ziehen und referiren sollen.158
Auf diese Weise werden alle Anhänger Luthers und Calvins unter der nicht wirklich nachvollziehbaren Prämisse, die beiden Reformatoren hätten ihre Lehrstreitigkeiten letztendlich beigelegt, gemeinsam zu den ,Christen‘ gerechnet. Zugleich wird davor gewarnt, durch den leidigen Abendmahlsstreit das band brüderlicher lieb zwischen Lutheranern und Reformierten zu zerreißen.159 Wo die beiden Gruppen bezüglich der nun einmal vorhandenen religionsirrungen160 benannt werden müssen, bedient man sich neutraler Bezeichnungen und spricht von alle theyl und streitende partheyen, Begriffe, die aus der Gerichtssprache stammen und keinerlei theologische Implikation nahelegen.161 Der Konsens mit den Lutheranern lag aus reichsrechtlichen und politischen Gründen primär im Interesse der reformierten Obrigkeit. Doch auch die offizielle lutherische Seite übte sich in Zurückhaltung. Kurfürst Ludwig vermied eine Erwähnung seines reformierten Vorgängers Friedrich III. Die Tatsache, dass er alle unnötige, unerbauliche und ongewönliche gezenck und disputationes auf den Kanzeln untersagte, zeigt jedoch, dass auch er um Frieden zwischen den reformatorischen Konfessionen in der Pfalz bemüht war, selbst wenn er beinahe im selben Atemzug deutlich jede sönderung und trennung von den Glaubenssätzen seiner Kirchenordnung untersagte.162 Nachdem sich die offizielle Wortwahl zwischen der lutherischen und calvinistischen Konfession in der Pfalz im Vergleich mit den entsprechenden theologisch158 159 160 161
162
EKO XIV. Nr. 80. S. 512f. EKO XIV. Nr. 80. S. 511. Vgl. auch die Aufforderung zu brüderlicher lieb und einigkeit, S. 514. EKO XIV. Nr. 80. S. 514. EKO XIV. Nr. 80. S. 512. Vgl. auch die Formulierung der eine theyl, S. 513, sowie die Bestimmung, bis zu einem freyen gemeinen synodo solle aufgrund solches mißverstands und stritts von h. abendtmahl keyn theyl das ander antasten, lästern, schmähen oder belästigen, S. 514. EKO XIV. Nr. 7. S. 115.
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publizistischen Texten als außergewöhnlich moderat erwiesen hat, bleibt noch die Frage des terminologischen Umgangs mit Katholiken und anderen Glaubensrichtungen. Während im Nachwort von 1533 keine etwaigen Gegner genannt sind, fährt Joachim II. 1540 gemäß seiner Ausgleichsbestrebungen einen eher gemäßigten Kurs. Zunächst betont er, er habe seine Ordnung als Zwischenlösung bis zu einer Konzilsentscheidung erlassen, nachdem die Bemühungen Karls V. und anderer Fürsten am Widerstand der hohen geistlichen heubter gescheitert seien. Die Kritik wendet sich hier v. a. gegen die geistlichen Stände, nimmt jedoch den streng katholischen Kaiser ausdrücklich davon aus, ja honoriert vielmehr seine Anstrengungen zugunsten eines Religionsausgleiches. Zudem betont der Kurfürst, er wolle die ceremonien und gute breuche der kirchen, so immer müglich und zuleslig unverruckt bleiben lassen. Damit vermeidet er eine Generalverurteilung katholischer Lehren und Zeremonien, wie sie in so vielen anderen Texten evangelischer Provenienz zu finden war. Deutlicher wird die Aussage, an vielen Orten werde die helle göttlich warheit gehindert, auch dieses Verdikt bleibt jedoch so unspezifisch, dass es sich durchaus auf katholische, genauso aber auch auf reformierte Gebiete beziehen kann. Gerade der warnende Zusatz, dort seien andere kreftige irthum erschrecklich, unchristlich, teuflisch und verfürisch secten und leer eingerissen, deutet eher in Richtung der zweiten Interpretation, ist doch besonders das Täufertum vornehmlich in den von Zwingli geprägten Gebieten der Schweiz und Oberdeutschlands in Erscheinung getreten.163 In seinem Einführungsmandat von 1556 schlägt Ottheinrich bezüglich seines Vorgängers Friedrich II. ebenfalls gemäßigte Töne an. Obwohl dieser den katholischen Gottesdienst noch geduldet und sich selber nie endgültig zur Reformation bekannt hatte, verzichtet Ottheinrich auf jede Kritik und zeigt sich überzeugt, dass er bestimmt enderung und besserung fürgenommen hätte, wäre ihm nur ein längeres Leben vergönnt gewesen.164 Diese Zurückhaltung mag nicht zuletzt der dynastischen Zusammengehörigkeit geschuldet sein, auf jeden Fall beschränkte sie sich ausschließlich auf die Person Friedrichs II. Ansonsten spricht der Text von katholischen Pfarrern als verfürischen seelsorgern165, prangert ihre mißbreuch und falschen gottesdienst an166 und beklagt sich, die religion an leere und kirchendienst [...] irrig und [...] unrein befunden zu haben.167 Auch die immer noch gehegte Hoffnung auf die Einberufung eines freien Konzils oder einer Nationalversammlung zur Beilegung des Glaubensstreite, wie sie auf den Reichstagen ja immer wieder gefordert
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EKO III. Nr. 3. S. 40. EKO XIV. Nr. 7. S. 117. EKO XIV. Nr. 7. S. 113. EKO XIV. Nr. 7. S. 116. EKO XIV. Nr. 7. S. 117.
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worden war, ist nur aufgrund der widerwertigen wort, werck und anschlegen zunichte gemacht worden.168 In den Mandaten von 1563 und 1577 werden keine anderen Glaubensrichtungen explizit genannt. Johann Casimir distanziert sich dagegen 1584 mit polemischen und verketzernden Worten deutlich von allen Gegnern der wahren christlichen religion,169 in erster Linie dem pabstthumb,170 dem antichrist zu Rom und (sein) anhang171 bzw. die papisten und andere, so noch der warheit unerfahrn.172 Die letzte Umschreibung zeigt, dass noch weitere abzulehnende Glaubensrichtungen existierten, die aber nicht näher bezeichnet werden. Besonders interessant ist die Verwahrung gegen irrige lehren173 bzw. ketzerey, gotteslästerung oder irrthumb, so von der uhralten, rechtgläubigen christlichen oder zu unsern zeiten mit einhelligem consens der evangelischen kirchen verworfen.174 Hier greift der Text ein Argumentationsschema auf, das genauso in der Bannandrohungsbulle von 1520 gegen Luther eingesetzt worden war, als man dem Reformator vorwarf, alte Irrlehren der Griechen und Hussiten übernommen zu haben. Durch ihre Bestätigung der Verurteilung früherer Häresien stellten sich die Evangelischen in die Kontinuität der alten Kirche.175 Gleichzeitig wandten sie sich damit gegen zeitgenössische Gruppen wie die Täufer, denen ja auch immer wieder vorgehalten wurde, bereits seit langem verworfene Ketzereien wiederzubeleben. Die im Rahmen der Kirchenordnung erlassenen obrigkeitlichen Mandate heben durch die gewählten Selbst- und Fremdbezeichnungen also insgesamt die evangelische Position als die einzig rechtgläubige hervor, wobei gerade gegenüber der katholischen Seite immer wieder die Wortwahl der theologisch-publizistischen Schriften aufgegriffen wird. Auch die Betonung innerevangelischer Gemeinsamkeiten in calvinistischen Ordnungen fügt sich durchaus in die Argumentationslinie reformierter Theologen ein.
168
169 170 171 172 173 174 175
EKO XIV. Nr. 7. S. 116. Das Scheitern aller Konzilsbemühungen dient als ein Grund für den Erlass dieser Kirchenordnung. Das Trienter Konzil wurde in diesem Zusammenhang natürlich von den Evangelischen nicht anerkannt, da es sich der päpstlichen Autorität unterworfen hatte. Indem Ottheinrich jedoch zugleich betont, dass die Ordnung nur bis zu einer etwaigen Einigung zwischen den Konfessionen Geltung haben solle, hält er ebenso wie Joachim II. noch immer die Tür für Religionsgespräche offen. Vgl. S. 117. EKO XIV. Nr. 80. S. 511 EKO XIV. Nr. 80. S. 512 und S. 513. EKO XIV. Nr. 80. S. 513. EKO XIV. Nr. 80. S. 511. EKO XIV. Nr. 80. S. 510. EKO XIV. Nr. 80. S. 511. Siehe hierzu auch die ausdrückliche Verwerfung alter Sekten in der Confessio Augustana, wie z. B. der Manichäer in Art. 1, der Pelagianer in Art. 2, der Donatisten in Art. 8 oder der Novatianer in Art. 12, vgl. CA. In: BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. II. S. 51, 53, 62 und S. 67.
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4.3.2 Der ,theologische‘ Teil: der christlichen kirchen notwendig stück Neben den legislativen Einführungsmandaten besteht der Hauptteil der Kirchenordnungen aus theologischen Anweisungen. Dem evangelischen Kirchenbegriff gemäß, behandeln sie jeweils die Predigt und den rechten Vollzug der Sakramente, also der christlichen kirchen notwendig stück, wie es 1533 heißt.176 Die Zürcher Kirchenordnung ist dabei sehr knapp gehalten und beschränkt sich auf rein liturgische Fragen von Taufe, Eheschließung, Einleitung und Schluss der Predigt sowie Abendmahl. Dagegen bezieht sich die Brandenburgisch-Nürnbergische Ordnung in einem ersten Teil, der beinahe den halben Text umfasst, sehr ausführlich auf Lehrfragen als Grundlage der Predigt, bevor sie sich der Agende zuwendet. Der Aufbau der Kurpfälzer Kirchenordnung von 1556 zeigt grundsätzlich die gleiche Zweiteilung, allerdings fällt die Darstellung der Lehre nun wieder wesentlich kürzer aus, da inzwischen auf die Confessio Augustana als allgemein anerkanntes konfessionelles Basisdokument verwiesen werden kann.177 Zudem findet sich im Anhang eine Examensordnung für Pfarrer, die in Form eines katechetischen Frage-Antwort-Spiels die Grundlagen des evangelischen Glaubens nochmals zusammenfasst.178 Die reformierte Kirchenordnung von 1563 übernimmt weitgehend die Gliederung ihrer Vorläuferin. Die meisten Ordnungen zeigen dabei ein besonderes Interesse an der religiösen Erziehung der Jugend.179 Zu diesem Zweck beinhaltet die Ordnung von 1556 einen kurzen Katechismus von Johannes Brenz, der aber ausdrücklich auch durch den kleinen Katechismus Martin Luthers ersetzt werden konnte,180 1563 fügte man den Heidelberger Katechismus von Zacharias Ursinus und Kaspar Olevianus ein.181 Für Ansbach und Nürnberg wurde neben der eigentlichen Kirchenordnung ein sehr ausführlicher Catechismus oder Kinderpredig erlassen.182 Wie zu erwarten, dominieren im Bereich der konfessionellen Selbstbezeichnung wiederum Begriffe mit universalem Geltungsanspruch. Im Unterschied zu den 176 177 178
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EKO XI. Nr. III 4a. S. 141. Vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 119. Ein christenliche kurtze underricht und anlaitung für die kirchendiener, darnach sie ir leere richten sollen. EKO XIV. Nr. 7. S. 182–220. Melanchthon betont stolz die Pflege der Kinderkatechese bei den Evangelischen, die es so auf katholischer Seite nicht gebe, vgl. Melanchthon: Apologia. Art. 15. In: BSLK (Kap. 1, Anm. 74). Nr. III. S. 332. Vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 130–132. Der kleine Katechismus Luthers war für Schulen oder besonders gelehrige Kinder vorgesehen, vgl. S. 133. Nach dem Tod Friedrichs III. kehrte sein Nachfolger Ludwig VI. wieder zur lutherischen Konfession zurück und setzte 1577 die Kirchenordnung Ottheinrichs erneut in Kraft. Er ersetzte jedoch offiziell den Katechismus von Brenz durch denjenigen Luthers. Vgl. S. 133. Anm. f–f. Vgl. EKO XIV. Nr. 31. S. 342–368. Vgl. EKO XI. Nr. III 4b. S. 206–279.
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Mandaten erscheint hier jedoch kein Bezug auf die Confessio Augustana.183 Auch die Bezeichnung ,evangelisch‘ lässt sich mit Ausnahme des erwähnten Belegs in der Ordnung von 1540 nur in Umschreibungen finden, wie z. B. 1556 die kirchen, darin das heilig evangelion rein gepredigt [wird] oder die war christlich leer des heiligen evangelions.184 Zwei ,Wortfamilien‘, die auch in den begleitenden obrigkeitlichen Dokumenten Verwendung fanden, dominieren die gesamte Begrifflichkeit, die Bereiche ,Christ‘ und ,Kirchengemeinde‘. Alle Ordnungen erheben den Anspruch, der einzig wahren, christlichen Religion und Lehre zu folgen.185 Das Attribut ,christlich‘ ist dabei einer der am häufigsten verwendeten Begriffe überhaupt. 1525 wird es insgesamt acht Mal bemüht, 1533 aufgrund des größeren Umfangs 64 Mal, 1556 gar 73 Mal und 1564 immerhin noch 50 Mal. Beinahe alles, was mit der Religion zu tun hat, kann mit diesem Adjektiv ergänzt werden. So gibt es beispielsweise in der Ordnung von 1533 neben dem christlichen Glauben und der christlichen Lehre auch die christliche Kirche,186 die christliche Gemeinde,187 die christliche Freiheit,188 das christliche Gebet,189 etc. Natürlich existiert auch das entsprechende Substantiv. Im Katechismus von Johannes Brenz hat der Schüler auf die erste Frage, welchen Glauben er habe, stolz zu antworten: Ich bin ein christ.190 ,Christ‘ und ,Christenheit‘ finden sich besonders häufig in der Ordnung von 1533, aber auch in den Kurpfälzer Texten gibt es mehrere Belege.191 Daneben erscheinen gleichbedeutende Abwandlungen und Umschreibungen, wie z. B. diejenigen, die in Christo sein und leben,192 uns allen, die auf Christum warhaftig ver183
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186 187 188 189 190 191
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Lediglich die Kirchenordnung von 1556 verweist an einer Stelle außerhalb des Einführungsmandats auf die CA als Lehrgrundlage, vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 119. EKO XIV. Nr. 7. S. 143, 147, 162 sowie S. 127, 164, 212. Vgl. u. a. 1525 den ware[n] christene[n] glouben bei Zwingli: Ordnung der christlichen Kirche zu Zürich. CR 91. Nr. 70. S. 686f., und 1533 die ,christliche Lehre‘ und den rechten, christlichen glauben, EKO XI. Nr. III 4a. S. 144, 170 sowie S. 203; 1556 spricht man u. a. von unser einigen, rechten, warhaftigen christlichen religion, EKO XIV. Nr. 7. S. 118, 119, 126, sowie vom rechten christlichen glauben, S. 118, 120, 126, 127, 131, 156, und der ,christlichen Lehre‘, S. 182, 204. Auch 1563 lehrt man den waren christlichem glauben, EKO XIV. Nr. 31. S. 341, 397, und unser christlichen religion, S. 341, 342, 383. Hier spricht man in Zusammenhang mit dem Glaubensbekenntnis auch von den Artikeln unsers alten, algemeinen, ungezweifelten christlichen glaubens, womit wieder deutlich wird, dass die Evangelischen sich nicht als eine neue Glaubensrichtung betrachtet haben, S. 340, 392, 404 und S. 408. Vgl. EKO XI. Nr. III 4a. S. 141, 168, 174, 178, 180, 186, 187. Vgl. EKO XI. Nr. III 4a. S. 177, 178, 191, 202. Vgl. EKO XI. Nr. III 4a. S. 169, 170, 182 mit insgesamt neun Belegen. Vgl. EKO XI. Nr. III 4a. S. 165, 167, 175, 182, 200 mit insgesamt sieben Belegen. EKO XIV. Nr. 7. S. 130. Insgesamt finden sich 1533 25 Belege für ,Christ‘ und acht für ,Christenheit‘, 1556 sind es jeweils nur fünf, 1563 in einer ähnlichen Größenordnung sieben und fünf. EKO XI. Nr. III 4a. S. 159.
Evangelische Kirchenordnungen
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trauen193 bzw. wir aber, die an Christum glauben,194 mehrfach auch als entsprechende Kurzform ,die Gläubigen‘.195 Wahre Glaubensstärke zeigen auch diejenen, so die gewise leer von der gotseligkeit angenummen und gefast haben,196 die frommen Gotteskinder197 und alle, die zu Gott bekeret sind.198 Aber nicht jeder Christ ist zugleich ein guter Christ, sondern man erwähnt 1533 ausdrücklich die einfeltigen schwachen christen.199 1556 und 1563 werden die wahrhaft Gläubigen als ,Heilige‘ bzw. ,Auserwählte‘ hervorgehoben.200 Hier wird sozusagen aus seelsorgerischen Gründen eine genauere Differenzierung der Christen vorgenommen, die in den amtlichen Textteilen so nicht vonnöten war. Eine besondere Bewandtnis hat es mit der Umschreibung als glid Christi auf sich.201 Die Gemeinschaft aller Gläubigen stellt einen einzigen Leib mit Christus als dessen Haupt dar.202 Die Pfälzer Ordnungen übertragen dieses Bild auf die Kirche, indem Christus hier als das haubt der kirchen, die sein leib ist, beschrieben wird.203 Damit können die Christen auch als ,Glieder der Kirche‘ bezeichnet werden.204 Dies verweist auf die zweite der beiden erwähnten ,Wortfamilien‘, dem Bedeutungsfeld von Kirche und Gemeinde. Die ,Kirche‘ wird in der Zürcher Kirchenordnung mit drei und in der Brandenburgisch-Nürnbergischen Kirchenordnung mit insgesamt zehn
193 194 195
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EKO XIV. Nr. 31. S. 379. EKO XI. Nr. III 4a. S. 148. In die gleiche Richtung deutet alle, die an ine [= Gott] glauben, S. 154. Vgl. zur Ordnung von 1525 Zwingli: Ordnung der christlichen Kirche zu Zürich. CR 91. Nr. 70. S. 691f., zu 1533 EKO XI. Nr. III 4a. S. 173, 193, 199 und zu 1556 EKO XIV. Nr. 7. S. 155, 196. In der Ordnung von 1563 finden sich 12 Belege. EKO XI. Nr. III 4a. S. 142. Auch die Kirchenordnung von 1563 kennt den Begriff alle gottseligen sowie das zugehörige Attribut gottselig, EKO XIV. Nr. 31. S. 341, 363, 387. 1556 erscheint dieses Wort dagegen nicht. EKO XI. Nr. III 4a. S. 160. Vgl. hierzu auch EKO XIV. Nr. 7. S. 204 und Nr. 31. S. 349. Daneben findet sich in den Pfälzer Ordnungen die Formulierung gerechts, heiligs, liebes kind in Christo, EKO XIV. Nr. 7. S. 170 und S. 403. In einer gewissen verwandtschaftlichen Folgerichtigkeit spricht die Zürcher Ordnung mehrfach von brüder und schwöstern, Zwingli: Ordnung der christlichen Kirche zu Zürich. CR 91. Nr. 70. S. 683, 687, 694. Die ,Bekehrten‘ erscheinen nur in den beiden Pfälzer Kirchenordnungen EKO XIV. Nr. 31. S. 365 sowie Nr. 7. S. 196, 198, 204. EKO XI. Nr. III 4a. S. 142. Vgl. auch die zweifeler, schwachglaubigen, S. 167. Vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 196f., 203, 205, 206 und Nr. 31. S. 378. EKO XI. Nr. III 4a. S. 203, vgl. auch ein christenlich glid, S. 202. 1556 erscheint dieser Ausdruck immerhin acht Mal und 1563 14 Mal. Vgl. hierzu etwa EKO XIV. Nr. 7. S. 158 und Nr. 31. S. 379. EKO XIV. Nr. 7. S. 191. Vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 197, 203, 204 sowie Nr. 31. S. 339, 353, 359, 388. Daneben wird allerdings auch das Bild von der Kirche als Braut Christi verwendet, das uns bereits aus den kirchenrechtlichen Schriften der katholischen Seite begegnet ist. Vgl. Zwingli: Ordnung der christlichen Kirche zu Zürich. CR 91. Nr. 70. S. 684, EKO XI. Nr. III 4a. S. 202 und EKO XIV. Nr. 7. S. 168.
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Belegen noch relativ selten genannt.205 In den Kurpfälzer Ordnungen entwickelt sie sich dagegen wie in den entsprechenden offiziellen Dokumenten der katholischen Seite zur mit Abstand am häufigsten gebrauchten Selbstbezeichnung. 1556 erscheint sie in der eigentlichen Kirchenordnung 90 und in der Examensordnung 69 Mal, 1563 immerhin noch 52 Mal.206 In dieser Aufzählung wurden allerdings noch nicht die zahlreichen zusätzlichen Wortverbindungen wie KirchenOrdnung,207 kirchengebreuch208 oder kirchendiener209 berücksichtigt. Am häufigsten erscheint dabei die Gleichsetzung mit Gottesdienst und Gemeinde, was beispielsweise daran deutlich wird, dass sich die ,Kirche‘ versammeln und sogar singen kann.210 Ähnlich verhält es sich mit der auch heute noch gebräuchlichen Wendung zur kirchen gehen,211 die eigentlich soviel bedeutet wie ,den Gottesdienst besuchen‘. Daneben kann natürlich auch das Kirchengebäude gemeint sein.212 Die Ordnung von 1533 übernimmt mit der kirch zu Mailand als Diözese einmal sogar noch den katholischen Kirchenbegriff.213 Immer wieder betont man das hohe Alter dieser Institution. Sie ist eine ewige kirche,214 die von Anbeginn der Welt bis zu ihrem Ende Bestand haben wird.215 Aus diesem Grunde kann bereits der Brudermord von Kain an Abel in der Examensordnung von 1556 als Beispiel für Verfolgung und Abfall von der Kirche angeführt werden.216 Die Zeit des Alten Testaments wird in diesem Zusammenhang als die ,erste‘ bzw. ,alte Kirche‘ und die frühchristliche Kirche als die erste christliche kirch bezeichnet.217 Die Evangelischen sehen sich hier in der direkten Nachfolge. So wird die Ablehnung von Heiligenverehrung, Taufsegen, Ölweihe, etc. nicht zuletzt damit be205
206
207 208 209 210 211 212 213 214 215 216 217
Vgl. Zwingli: Ordnung der christlichen Kirche zu Zürich. CR 91. Nr. 70. S. 680, 684 und im Glaubensbekenntnis auf S. 691. In EKO XI. Nr. III 4a erscheint die ,christliche Kirche‘ auf S. 141, 168, 174, 178, 186, 187. Auf S. 187 wird die ,heilige Kirche‘ genannt, auf S. 180 im Glaubensbekenntnis die ,eine heilige christliche Kirche‘. Ohne Beifügungen wird der Begriff auf S. 140f. und S. 205 verwendet. Am Häufigsten erscheint die ,Kirche‘ ohne Beifügung, ebenfalls wichtig ist die ,heilige‘ und ,christliche‘ bzw. ,Gottes Kirche‘. Daneben erscheint in der Examensordnung mehrfach in unsern kirchen, EKO XIV. Nr. 7. S. 193f., 199, 201, und ein ewige kirche, S. 183, 198, 200, 203, 210. EKO XI. Nr. III 4a. S. 140. EKO XI. Nr. III 4a. S. 205. EKO XI. Nr. III 4a. S. 175. Vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 145 und S. 165. Vgl. etwa EKO XI. Nr. III 4a. S. 200 und EKO XIV. Nr. 31. S. 398. Vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 120, wo es heißt, die Gemeinde sei in der kirchen beyeinander versamlet. EKO XI. Nr. III 4a. S. 182. EKO XIV. Nr. 7. S. 183, 198, 200, 203, 210. Vgl. EKO XIV. Nr. 31. S. 353. Vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 204. Vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 120, 340 und Nr. 31. S. 388. Diese Terminologie kann inzwischen leicht zu Verwechslungen führen, da die heutige Forschung die frühchristliche Kirche als Alte Kirche bezeichnet.
Evangelische Kirchenordnungen
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gründet, dass die christenlich kirch solches im anfang nicht getan oder für notwendig befunden hätte.218 In diesem Zusammenhang findet sich in der Ordnung von 1556 ein äußerst bemerkenswerter Versuch, die Bezeichnung ,katholische Kirche‘ für die Lutheraner zu reklamieren: Die Irrtümer, die in der Pfalz bestanden haben, wurden mit kundtschaft der rechten catholischen kirchen verworfen und widerlegt.219 Dies ist die einzige Stelle in allen untersuchten Ordnungen, an der die Bezeichnung ,katholisch‘ verwendet wird. Begreift man die Kirche als Gemeinde, dann sind die Bezeichnungen ,Kirchenversammlung‘,220 ,christliche Gemeinde‘ oder ,Gemeinde Gottes‘221 synonym zu verstehen. Die gleiche Bedeutung hat das 1525 vier Mal, 1533 und 1556 insgesamt rund 30 Mal und 1563 17 Mal erwähnte ,Volk‘.222 Eine Besonderheit bildet daneben Gottes volck auf erden,223 das deutlich über die einzelne Gemeinde hinausweist und im Sinne von ,Christenheit‘ die Gemeinschaft aller Gläubigen darstellt. Diesem können nun andere heidnische völcker gegenübergestellt werden.224 Schließlich existiert auch das ,gemeine Volk‘,225 das ohne direkten kirchengemeindlichen Bezug mit der ,Bevölkerung‘ gleichzusetzen ist und damit einen konfessionsneutralen Charakter besitzt. Überhaupt findet sich ein hoher Anteil an allgemeinen neutralen Ausdrücken für die evangelische Untertanenschaft, die nicht durchgängig als christliche und gläubige Gemeinschaft dargestellt wird, sondern oft genug als eine weitgehend ungebildete Masse, die durch die berufene Geistlichkeit, an die sich jene Ordnungen ja primär wenden, zu lenken und unterrichten ist. Gerade in den Anfangsabschnitten über die rechte Lehre von 1533 erscheinen weitere entsprechende Begriffe wie den gemeinen, einfeltigen man,226 die einfeltigen leut227 oder sogar der gemain hauf.228 Recht häufig ist bezüglich der eigenen Klientel auch nur ganz unverbindlich
218 219 220
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222 223
224 225
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EKO XIV. Nr. 7. S. 168, 174. EKO XIV. Nr. 7. S. 119. 1533 wird die ,Kirchenversammlung‘ fünf Mal erwähnt, 1556 neun Mal. 1563 erscheint die ,Versammlung‘ dagegen lediglich zwei Mal, vgl. EKO XIV. Nr. 31. S. 398, 405. Die gemain erscheint 1525 mit allen Varianten insgesamt fünf Mal, 1533 13 Mal, 1556 12 Mal und 1563 sogar 27 Mal. Hier ist der Begriff synonym zu pfarrverwandten zu verstehen, vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 144. EKO XIV. Nr. 7. S. 118, 123, 149, 204. Vgl. hierzu auch in der Ordnung von 1563: wir sein das volck, daß du erlöst hast, EKO XIV. Nr. 31. S. 394. EKO XIV. Nr. 7. S. 204. EKO XI. Nr. III 4a. S. 147. Diese Bezeichnung erscheint ebenfalls 1556, vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 127, 162 und auch 1563, vgl. EKO XIV. Nr. 31. S. 337. EKO XI. Nr. III 4a. S. 144, 147. EKO XI. Nr. III 4a. S. 146. EKO XI. Nr. III 4a. S. 173.
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von ,Leuten‘229 oder ,Menschen‘230 die Rede. Dabei handelt es sich um einen unspezifischen Oberbegriff, der christliche verstendige leut231 neben gottlose oder glaublose leut232 stellen und sowohl den christlichen menschen233 wie den mit dem Teufel im Bund stehenden bösen menschen234 umfassen kann. Diese Namen stehen also je nach Zusammenhang und ergänzenden Adjektiven für die eigene evangelische Bevölkerung oder aber für die Gegner. Eine Position dazwischen ist nicht denkbar, denn laut der Kirchenordnung von 1556 gibt es ausschließlich die ,rechte‘ Kirche und ihre ,Verfolger‘. Jeder hat sich für eine dieser beiden Positionen zu entscheiden: Ausdrücklich wird gefordert, sie Sollen auch nicht wollen neutrales sein.235 Aus dieser Aussage wird bereits deutlich, dass es im Umgang mit anderen Konfessionen und Glaubensrichtungen eigentlich keine Kompromisse geben konnte, entweder man hatte den wahren Glauben oder war im Gegenteil ,unchristlich‘236 und folgte ,falschen Lehren‘,237 die nicht auf der Bibel gründeten, sondern von Menschen erdichtet worden waren.238 Eine Fülle abwertender und verketzernder Diffamierungen geht folglich auf alle diejenigen nieder, die die evangelischen Ansichten nicht teilen.239 Da ist immer wieder die Rede von ,Missbräuchen‘,240 ,Irrtümern‘241 und ,Aberglauben‘.242 Entsprechende Gebräuche und Zeremonien werden 229
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1533 erscheint der Begriff immerhin mehr als 20 Mal, 1556 18 Mal, davon 16 Mal in der Examensordnung, und 1563 vier Mal. 1533 finden sich fünf Belege. 1556 erscheint das Wort 13 und 1563 26 Mal. In den Einführungsmandaten findet sich nur ein Beleg im Text von 1556, vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 116. EKO XIV. Nr. 7. S. 195. EKO XI. Nr. III 4a. S. 160 und S. 185. Vgl. etwa EKO XIV. Nr. 7. S. 205, 213, 217, 219. Vgl. EKO XI. Nr. III 4a. S. 161, 165 sowie EKO XIV. Nr. 7. S. 218. Man beachte hier auch die ausdrückliche Feststellung, dass der Begriff ,Menschen‘ Christen wie Heiden umfassen kann, Nr. 7. S. 204. EKO XIV. Nr. 7. S. 203. Vgl. EKO XI. Nr. III 4°. S. 161, 165, 169, 182, 185, 186, 205; EKO XIV. Nr. 7. S. 120, Nr. 31. S. 359. Vgl. EKO XI. Nr. III 4a. S. 189, 190. Dazu findet sich sogar 1533 und 1556 je ein eigenes Kapitel: Von menschenleren, EKO XI. Nr. III 4a. S. 171–174, bzw. von den ceremonien, die von menschen in der kirchen erdacht sind, EKO XIV. Nr. 7. S. 211f. Die Zürcher Kirchenordnung stellt hier eine Ausnahme dar. Da aufgrund der Beschränkung auf liturgische Regelungen keine Auseinandersetzung mit abweichenden Meinungen stattfindet, erscheinen keine Fremdbezeichnungen anderer Glaubensrichtungen. Lediglich ein Gebet, Gott möge alle, so an sinem wort irrend, auf den rechten Weg weisen, deutet auf den ,Irrtum‘ aller anderen Glaubensrichtungen hin. Zwingli: Ordnung der christlichen Kirche zu Zürich. CR 91. Nr. 70. S. 686. Vgl. etwa EKO XI. Nr. III 4a. S. 167, 168, 169, 182, 184, 185; EKO XIV. Nr. 7. S. 143, 146. Vgl. EKO XI. Nr. III 4a. S. 143, 157, 163, 184, 187, 190, 199; EKO XIV. Nr. 7. S. 119, 146, 201, 202, 212, 214, 216 und Nr. 31, S. 395, 359, 405. Vgl. EKO XI. Nr. III 4a. S. 140, 167, 168; EKO XIV. Nr. 7. S. 173 und Nr. 31. S. 406.
Evangelische Kirchenordnungen
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als ,heidnisch‘,243 ,unnötig‘ und ,kindisch‘244 oder ziemlich ironisch als recht altvettelisch und nerrisch245 abgetan. Neben den bereits erwähnten ,bösen Menschen‘ und ,gottlosen Leuten‘ gibt es auch ,Heuchler‘ in der eigenen Gemeinde,246 ,Ungläubige‘247 sowie ,Feinde‘ Gottes bzw. der wahren Christen.248 Die Ordnungen rufen die Rechtgläubigen dazu auf, für alle irrige und verfürte sowie für die, so noch in finsternuß und irthumb stecken, zu beten.249 Verantwortlich für alle Formen des Unglaubens ist letztendlich der ,Teufel‘ oder ,Satan‘ höchstpersönlich. Besonders in der Kirchenordnung von 1533 ist er mit insgesamt rund vierzig Belegen einer der am häufigsten bemühten Begriffe.250 Aber auch die Kurpfälzer Ordnungen führen Missbrauch, Verfolgung und falsche Lehre auf ihn zurück.251 Damit sind also alle NichtEvangelischen im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Teufel im Bunde. Solch allgemein abwertende Umschreibungen wenden sich nun gegen verschiedene Glaubensrichtungen. Die Examensordnung von 1556 liefert eine Liste all derer, die aus der Kirche ausgeschlossen sind: heiden, die jetzigen juden, ketzer, Ebioniten, Manicherer, Arianer, Pelagianer etc. und alle verfolger reiner leer des evangelii, bapst, bischove und ire anhenger, die auch wissentlich zur verfolgung helfen.252 Auch 1563 werden diejenigen aufgezählt, die kein theil am reich Christi haben, z. B. alle abgöttische, alle, so verstorbene heiligen, engel oder andere creaturen anrufen, die bilder verehren, alle zauberer und warsager, [...] alle verächter Gottes und seins worts und der heiligen sacramenten, alle gottslesterer, alle, die spaltung und meuterey in kirchen und weltlichem regiment begeren anzurichten [...].253 243 244 245 246 247 248 249
250
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253
Vgl. EKO XI. Nr. III 4a. S. 147; EKO XIV. Nr. 7. S. 173, 182, 204, 210, 211. Vgl. EKO XI. Nr. III 4a. S. 203. Vgl. EKO XI. Nr. III 4a. S. 169. Vgl. EKO XI. Nr. III 4a. S. 147 sowie EKO XIV. Nr. 31. S. 359. Vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 122, 337 und Nr. 31. S. 359. Vgl. EKO XI. Nr. III 4a. S. 176, 178; EKO XIV. Nr. 7. S. 153, 155, 158, 160, 216; Nr. 31. S. 390, 391. EKO XIV. Nr. 7. S. 160 und Nr. 31. S. 395; vgl. auch Zwingli: Ordnung der christlichen Kirche zu Zürich. CR 91. Nr. 70. S. 686 und EKO III. Nr. 3. S. 72. Daneben ist für abweichende Kirchensatzungen von teufelslere die Rede, vgl. EKO XI. Nr. III 4a. S. 170f. Auch die Kurbrandenburger Ordnung von 1540 vertritt dieses Bild in den ergänzten Passagen, denn der teufel kämpft gegen die evangelische Lehre und erregt seine lestermeuler dagegen, EKO III. Nr. 3. S. 45, vgl. auch S. 52 und S. 85. Vgl. etwa für 1556 EKO XIV. Nr. 7. S. 146, 212, 216 und für 1563 Nr. 31. S. 342, 394. EKO XIV. Nr. 7. S. 203. Es fällt insgesamt auf, dass sich die eigentliche Kirchenordnung von 1556 mit Ausfällen gegen andere Konfessionen und Religionen eher zurückhält, während die anschließende Examensordnung eine solche Dichte an diffamierenden Bezeichnungen und Vorwürfen aufweist, dass dieser Text kaum mehr vom polemischen Schrifttum des theologisch-publizistischen Bereichs zu unterscheiden ist. Man versuchte hier wohl mit aller Macht, die angehenden Pfarrer ,auf Linie‘ zu bringen, während in den Bestimmungen der Ordnung eher seelsorgerische Tendenzen im Mittelpunkt des Interesses standen. EKO XIV. Nr. 31. S. 384.
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Zum offiziellen Sprachgebrauch der Kirchen im 16. Jahrhundert
In diesen Listen sind zahlreiche Gruppen versammelt. Zunächst wendet man sich gegen verdächtige Leute in den eigenen Reihen, die abergläubische Rituale praktizieren, abweichende Lehrmeinungen vertreten oder einfach einem lasterhaften Lebenswandel frönen. Dann werden natürlich alle nicht-christlichen Religionen verteufelt, die ,Türken‘ bzw. mahometischen Sekten,254 die ,Juden‘255 und schließlich allgemein die ,Heiden‘, die einen Sammelbegriff für alles Nichtchristliche darstellen.256 Innerhalb der christlichen Religion verdammt man in Kontinuität zur frühchristlichen Kirche verschiedene alte Häresien,257 wendet sich aber auch zeitgenössischen Nebenströmungen der Reformation zu, die genauso wie in katholischen Texten mit Begriffen aus dem Bereich der Ketzerterminologie als ,Ketzereien‘258 und ,Sekten‘259 abgetan werden. Namentlich werden der Spiritualist Kaspar Schwenckfeld sowie die sozialreformatorisch orientierten Thomas Müntzer und Jakob Strauß genannt.260 Als Gruppe erscheinen in den Ordnungen von 1533 und 1556 die widertaufer261 sowie 1533 und 1540 die ,Schwärmer‘. Dieser Ausdruck bleibt inhaltlich unscharf, denn hier können je nach Kontext die Täufer oder an anderer Stelle die Reformierten gemeint sein.262 1556 wendet man sich ausdrücklich gegen die Reformierten, indem ihre Auf-
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Zur Kirchenordnung von 1563 vgl. EKO XIV. Nr. 31. S. 390, 395. Die Ordnung von 1556 sieht ein Gebet um den Sieg des Kaisers gegen Gottes Feinde vor, EKO XIV. Nr. 7. S. 160, während die entsprechende Examensordnung deutlicher wird. Hier erscheint ,Türke‘, S. 184, 193, 199, 204, 208, 216, sowie mahometisch bzw. Mahomet, S. 181, 212. Vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 184 und S. 203. Die Bezeichnung die jetzigen juden in der Liste auf S. 203 hängt wohl damit zusammen, dass man die alttestamentlichen Juden vor Christus ja noch zur ,alten Kirche‘ zählte und somit nicht verdammte. Insgesamt erscheint der Begriff in der Examensordnung zehn Mal. Genannt werden die Ebioniten, Manicherer, Arianer, Pelagianer sowie etwas später nochmals Arius und Samosatenus, vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 203 und S. 205. Vgl. EKO III. Nr. 3. S. 63; EKO XI. Nr. III 4a. S. 143, 165, 168f., 187; EKO XIV. Nr. 7. S. 212, 216, 219. Vgl. auch die Klage darüber, selber von den Katholiken als ,Ketzer‘ verfolgt zu werden, EKO XI. Nr. III 4a. S. 171, 173, 185. Die reformierte Kirchenordnung von 1563 verzichtet auf diesen Begriff ebenso wie auf ,Sekte‘! Vgl. EKO XI. Nr. III 4a. S. 143, 165; EKO XIV. Nr. 7. S. 182, 184, 208, 216. Der Begriff erscheint 1563 nicht, ebenso wie ,Ketzer‘! Vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 203 und S. 214. EKO XI. Nr. III 4a. S. 163, 174, 177 und EKO XIV. Nr. 7. S. 120, 216, 217. Vgl. zu 1535 EKO XI. Nr. III 4a. S. 143, 163, 185. Bezüglich der Reformierten wird ganz konkret die Lehre verurteilt, dass Christus nicht leiblich im Abendmahl gegenwärtig sei. Vgl. dazu auch S. 143, Anm. 1. Zur Gleichsetzung mit den Täufern vgl. S. 163, wo vom irrtumb der widertaufer und anderer schwermer die Rede ist. In die gleiche Richtung wie ,Schwärmer‘ könnte der Ausdruck etliche widerspenstige gaister deuten, der vielleicht von ,Schwarmgeist‘ abgeleitet wurde, S. 186. 1540 erscheint die Bezeichnung schwermer und andere glaublose leut, EKO III. Nr. 3. S. 60.
Evangelische Kirchenordnungen
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fassung vom Abendmahl als Teufelswerk verurteilt wird.263 Die Kritik, man sehe zu diser zeit auch vil aufgeblasner reformatores, könnte ebenfalls auf diese Konfession gemünzt sein.264 Die Ordnung von 1540 nennt alle diese reformatorischen Gegenpositionen in einem Atemzug: sacramentirer, widerteufer, bildstürmer.265 Derartige Polemik ist auf die lutherischen Ordnungen beschränkt. Im Prinzip war man sich hier in der Verurteilung Dritter mit Rom weitgehend einig. Wie sich in den Mandaten allerdings bereits angedeutet hat, macht die reformierte Kirchenordnung von 1563 eine bemerkenswerte Ausnahme. Im Gegensatz zu ihren lutherischen Gegenstücken vermeidet sie jede Erwähnung anderer reformatorischer Bewegungen und verzichtet vollkommen auf den Gebrauch der Begriffe ,Ketzer‘ und ,Sekte‘. Lediglich die Verurteilung all derjenigen, die spaltung und meuterey in kirchen und weltlichem regiment begeren anzurichten,266 deutet sinngemäß in diese Richtung, bleibt jedoch zu allgemein, um bestimmte Gruppen daran festmachen zu können. Selbst im Bereich der Abendmahlslehre erfolgt kein indirekter Seitenhieb auf die Lutheraner, sondern die Kritik wird ausschließlich auf die Katholiken konzentriert.267 Dieser Befund stützt nochmals die Beobachtung, dass die Reformierten ein genuines Interesse hatten, zumindest auf offizieller Ebene einen Konsens im evangelischen Lager zu erreichen. Einig war man sich dagegen zumeist in der Verurteilung der katholischen Seite. Häufig erscheint die aus der polemischen Literatur bereits sattsam bekannte Bezeichnung papisten268 mit ihren entsprechenden Varianten und Umschreibungen.269 Als Verantwortliche für alle Missbräuche und falschen Lehren nennt die Examensordnung von 1556 die bepst und münche,270 1563 erscheint der Papst wiederum als antichrist.271 Andere Bezeichnungen ergeben sich jeweils aus dem konkre263 264
265 266 267 268 269
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Vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 146f. EKO XIV. Nr. 7. S. 205. Diese Annahme basiert lediglich auf der Wortähnlichkeit, lässt sich allerdings nicht aus dem Kontext verifizieren. Vielleicht handelt es sich um eine Ironisierung der reformierten Selbstbezeichnung, die aber in den untersuchten Kurpfälzer Dokumenten selbst nirgends auftaucht. EKO III. Nr. 3. S. 85. EKO XIV. Nr. 31. S. 384. Vgl. EKO XIV. Nr. 31. S. 358. EKO XI. Nr. III 4a. S. 183 und EKO XIV. Nr. 7. S. 188, 193. 1556 ist von bepstlichen die Rede (EKO XIV. Nr. 7. S. 193), 1563 vom bapst und sein hauf (EKO XIV. Nr. 31. S. 387) und dem bapsthumb (EKO XIV. Nr. 31. S. 342, 388). Die entsprechenden Adjektive lauten bäpstischen (EKO XI. Nr. III 4a. S. 182), bapistischen (EKO XI. Nr. III 4a. S. 186 sowie EKO XIV. Nr. 31. S. 406) oder bepstlichen (EKO XIV. Nr. 7. S. 193, 199, 201, 202, 211, 212 sowie Nr. 31. S. 358, 387). EKO XIV. Nr. 7. S. 200, 212. Vgl. auch S. 216: der bapst, seine bischove, thumherrn, münche und andere. EKO XIV. Nr. 31. S. 343, 388, 395.
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Zum offiziellen Sprachgebrauch der Kirchen im 16. Jahrhundert
ten Zusammenhang, so werden die katholischen Theologen einmal aufgrund ihrer angeblich allzu spitzfindigen Kritik an der reformatorischen Rechtfertigungslehre als sophisten bezeichnet.272 In schroffer Ablehnung der Eucharistie als Opferhandlung spricht man außerdem 1533 abfällig von meßopferer273 und behauptet, jene mißbreuch stammten von ungelerten und des glaubens unerfarnen leuten, was für studierte Theologen ein ziemlicher Schlag gewesen sein dürfte.274 Auch 1556 und 1563 verurteilt man die meß als eine vermaledeyte abgötterey.275 Genauso nennen diese drei Kirchenordnungen auch das Gebet zu verstorbenen Heiligen.276 1556 werden der Papst und die seinen aufgrund des Zölibats zu Gottes und rechter kirchen feinde erklärt,277 die katholische Exkommunikationspraxis gilt 1563 als greuliche tyranney.278 Es ließen sich noch zahlreiche weitere Beispiele anführen. Lediglich die Brandenburger Kirchenordnung von 1540 hält sich in diesem Bereich wohlweislich etwas zurück, obwohl auch sie den Opfercharakter der Messe als unchristlich abtut279 und von alten misbreuchen spricht.280 In diesem Zusammenhang fällt auf, dass letztendlich alle Vertreter gegnerischer Lehren über einen Kamm geschoren werden. Den Katholiken wirft man beispielsweise vor, sie würden sich ihren Glauben selber zusammenbasteln wie die phariseer, heyden und türcken281 und man betet für alle, die vom Türcken und bapst verfolgung leiden.282 Ebenso wie die ketzer und Mahomet auch durch den teufel getriben und von Gottes wort gewichen [...] also haben bepst und münche Gottes wort verlassen.283 Jeder landet damit schließlich im gleichen Topf, egal, ob es sich dabei um eine nichtchristliche oder christliche Glaubensrichtung handelt, denn alle sind gleicherma-
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EKO XI. Nr. III 4a. S. 157. Vgl. auch den Vorwurf der sophisterey in Zusammenhang mit der Begründung von Heiligenverehrung, EKO XIV. Nr. 7. S. 211. EKO XI. Nr. III 4a. S. 183. In der Begründung für die Ablehnung dieser Lehre bezieht sich der Verfasser der Kirchenordnung sogar auf die Kriechen, also die orthodoxe Kirche, die hier als Beleg im Sinne der lutherischen Argumentation herangezogen, aber keineswegs verdammt wird, S. 182. EKO XI. Nr. III 4a. S. 182. So auch EKO III. Nr. 3. S. 63. EKO XIV. Nr. 31. S. 358 und Nr. 7. S. 199. Vgl. etwa EKO XI. Nr. III 4a. S. 168 und EKO XIV. Nr. 7. S. 210, 211. 1563 wird das Thema im Rahmen des Katechismus in Zusammenhang mit dem 1. Gebot thematisiert und etwas später nochmals als ein Grund aufgeführt, nicht zum Reich Christi gehören zu können, vgl. EKO XIV. Nr. 31. S. 361 und S. 384. EKO XIV. Nr. 7. S. 216. EKO XIV. Nr. 31. S. 387. EKO III. Nr. 3. S. 64. EKO III. Nr. 3. S. 85. Z. B. EKO XIV. Nr. 7. S. 193. EKO XIV. Nr. 31. S. 390, 395. EKO XIV. Nr. 7. S. 212.
Evangelische Kirchenordnungen
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ßen vom christenlichen glauben abgewichen.284 Diejenigen, die ire seligkeyt und heil bey heiligen, bey inen selbst oder anderstwo suchen, glauben eben nicht wirklich an Christus, ob sie sich sein gleich rhümen.285 Damit sprechen die Kirchenordnungen der Gegenseite also das Recht ab, sich überhaupt ,Christ‘ nennen zu dürfen! Die einzige Ausnahme stellt, wie bereits mehrfach erwähnt, der Umgang der Reformierten mit den Lutheranern dar. Trotz aller Distanzierung der Evangelischen von den Katholiken werden in der Kirchenordnung von 1533 und natürlich besonders in derjenigen von 1540 noch einige katholische Bräuche gepflegt. So erscheint in Zusammenhang mit den Sakramenten als Zelebrant relativ häufig der Priester.286 Passend dazu hält man auch weiterhin an einer Ordnung der mess fest.287 Lateinische Gesänge erfreuen sich ebenfalls noch immer einer hohen Wertschätzung, wenn auch primär aus pädagogischen Gründen, um Latein an den Schulen zu fördern.288 Auch bei den Feiertagen existiert 1533 eine deutliche Kontinuität in der Beibehaltung der Marienfeste Lichtmess und Mariae Himmelfahrt, wobei letzteres aber ausdrücklich nicht aufgrund eines Schriftzeugnisses, sondern von des gemainen arbeitenden pauersvolks wegen beibehalten wurde.289 Die Ordnung von 1540 geht sogar noch wesentlich weiter. Hier sollen alle festa mit dem gedechtnis der hochlöblichen gebenedeiten mutter gottes, der jungfrauen Maria, der heiligen aposteln und etlicher heiliger merterer beibehalten werden.290 Insgesamt kommt man damit noch auf 35 Feiertage, wie etwa Geburt und Himmelfahrt Mariae, die Heiligen Martin, Laurentius und Katharina sowie Fronleichnam. Zudem bleiben die traditionellen Fastenzeiten und Prozessionen erhalten.291 Die Nähe zum katholischen Ritus zeigt sich nicht zuletzt in der Aufnahme einer deut-
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EKO XI. Nr. III 4a. S. 189. EKO XIV. Nr. 31. S. 349. EKO III. Nr. 3. S. 67 und EKO XI. Nr. III 4a. S. 178f., 188, 195, 198f., 200, 202. Auch 1525 wird neben der häufigen Bezeichnung diener in Zusammenhang mit der Taufordnung einmal vom priester gesprochen, Zwingli: Ordnung der christlichen Kirche zu Zürich. CR 91. Nr. 70. S. 680. EKO III. Nr. 3. S. 67 und EKO XI. Nr. III 4a. S. 188. Vgl. daneben S. 195 und S. 199. Zugleich deutet sich in der Bezeichnung meßopferer aber bereits eine negative Konnotation dieses Begriffs an. Vgl. EKO XI. Nr. III 4a. S. 199. In der Ordnung von 1540 soll dagegen wie bisher auch ohne didaktische Komponente in allen stiften und clöstern, auch den pfarkirchen […] latinisch gesungen und gelesen werden, EKO III. Nr. 3. S. 69. Daneben fordert man auch weiterhin die Beachtung der traditionellen Gebetszeiten der Mette, Prima, Tertia, Sexta, Nona, Vesper und Complet, S. 71. EKO XI. Nr. III 4a. S. 204. Es handelt sich dabei um wichtige Termine im bäuerlichen Jahreslauf, wie etwa den Einstellungstag von Mägden und Knechten. EKO III. Nr. 3. S. 86. EKO III. Nr. 3. S. 87 und S. 88.
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Zum offiziellen Sprachgebrauch der Kirchen im 16. Jahrhundert
schen Übersetzung des katholischen Taufrituals in die Agende.292 Daneben schreibt die Ordnung weiterhin die Ohrenbeichte vor,293 die Messe soll durch den Priester samt seinen ministranten in iren gewönlichen kirchenornaten zelebriert werden,294 und auch die Priesterehe wird lediglich gestattet, um Missbrauch vorzubeugen, diejenigen aber, welche sich des celibats halten können, sollen darzu nicht gedrungen werden.295 Schließlich behält selbst der Bischof seine angestammte Autorität, da er mit der heilsamen leer des heiligen evangelii allenthalben (gott lob) einig.296 Dementsprechend findet sich im Schlussabschnitt eine Bestätigung der Kirchenordnung durch Bischof Matthias von Brandenburg als den zuständigen Oberhirten.297 Dieses Festhalten an katholischen Traditionen wird damit begründet, dass in vielfaltiger unnötiger verenderung und verneurung der ceremonien allerlei unschicklichkeit und ergernis, zuweilen auch aufruhr, erfolgen pflegt.298 Deshalb soll möglichst alles beibehalten werden, was nicht der Rechtfertigungslehre als dem einen haubtartikel […] christliches glaubens direkt widerspricht.299 In dieser Reduzierung der Reformation auf das unbedingt Notwendigste findet das Bemühen Joachims um eine Mittelstellung zwischen den Konfessionen besonders deutlichen Ausdruck. In den folgenden Kirchenordnungen erkennt man allerdings eine zunehmende Distanzierung von allen katholischen Bräuchen. ,Messe‘ und ,Priester‘ tauchen für die evangelische Seite nicht mehr auf.300 Der lateinische Gesang wurde 1556 auf eine Übung für Schüler vor dem eigentlichen Gottesdienst reduziert und 1563 schließlich vollständig zugunsten einer deutschsprachigen Liturgie abgeschafft.301 Während Ottheinrich zumindest weiterhin am klerikalen Chorrock und an den beiden Marientagen festhielt,302 blieben diese beiden Punkte 1563 ebenfalls unerwähnt
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Vgl. dazu die einleitenden Bemerkungen, EKO III. Nr. 3. S. 7, die entsprechende Agende findet sich auf S. 56–59. Vgl. EKO III. Nr. 3. S. 50. EKO III. Nr. 3. S. 67f. EKO III. Nr. 3. S. 82. EKO III. Nr. 3. S. 85. Vgl. EKO III. Nr. 3. S. 89f. EKO III. Nr. 3. S. 53. EKO III. Nr. 3. S. 44, vgl. daneben auch S. 51 und 89. Die Examensordnung von 1556 spricht zwar insgesamt vier Mal von ,Priestern‘, meint damit aber eindeutig katholische Geistliche. Vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 199, 202 und S. 212. Bezüglich der Messe wird 1556 und 1563 jeweils deutlich zwischen der bepstlichen meß und dem rechten (ampt) bzw. dem abendtmal des herrn unterschieden. Vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 199 und Nr. 31. S. 358. Vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 162 und Nr. 31. S. 401. Vgl. EKO XIV. Nr. 7. S. 162f.
Zusammenfassung
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und fielen damit stillschweigend unter den Tisch.303 Auch die Kurbrandenburger Kirchenordnung von 1572 glich ihre Liturgie deutlich anderen lutherischen Kirchen an, obwohl etwa die Ohrenbeichte, Kirchengewänder und lateinische Gesänge sowie die zahlreichen Feste zunächst weiterhin bestehen blieben.304 Mit der Etablierung und Festigung der evangelischen Konfession ging also auch eine Beseitigung der im praktischen Bereich zunächst durchaus noch erkennbaren katholischen Traditionen einher.
4.4 Zusammenfassung: Selbst- und Fremdbezeichnungen der Kirchen Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die kirchenrechtlichen Dokumente sich terminologisch stark im Bereich der Polemik theologisch-publizistischer Streitschriften bewegen. Die eigene Position wird mit Begriffen aus der universalistischen Terminologie, wie ,Christen‘, ,Gottes Wort gemäß‘ bzw. ,evangelisch‘ oder ,Kirche‘ belegt, während die Gegner als ,Papisten‘, ,Feinde Gottes‘ oder ,Sekten‘ verketzert werden. Die amtlichen Einführungsmandate halten sich hier etwas mehr zurück als der jeweilige theologische Teil und nehmen etwa durch den Bezug auf die Confessio Augustana Elemente der reichsrechtlichen Ebene mit auf, wo die Evangelischen ja spätestens seit den Reichstagen der 40er Jahre zunehmend als ,Augsburger Confessionsverwandte‘ bezeichnet wurden. Damit unterscheiden sich die evangelischen Kirchenordnungen insgesamt gar nicht so sehr von ihren katholischen Gegenstücken, nur mit dem Unterschied, dass in den Bullen und Konzilsdekreten keine Trennung zwischen rein theologischen und obrigkeitlichen Textteilen stattfindet. Auch hier wird durch die Bezeichnung als ,Christen‘ und ,Katholiken‘ bzw. besonders in den Konzilsdekreten durch die Selbstbezeichnung ,Ecclesia‘ der eigene Universalanspruch und die Häresie der Gegner durch verketzernde und allgemein diffamierende Bezeichnungen betont. Dem offiziellen amtlichen Charakter sind v. a. in den Bullen einige rechtliche Formeln geschuldet, wenn Luther und den seinen beispielsweise vorgeworfen wird, ,inobedientes‘, also Ungehorsame, zu sein und mehrfach die formelhafte Wendung der ,adhaerentes, complices, fautores et receptatores‘ bemüht 303
304
Man beschränkte sich lediglich auf Weihnachten, Neujahr, Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten und schuf damit zugleich auch noch die Tage zu Ehren der Apostel, Johannes des Täufers und des Erzengels Michael ab, vgl. EKO XIV. Nr. 31. S. 397. Zur Kleidung der Geistlichen, von der lediglich gesagt wird, sie solle ,ehrbar und züchtig‘ sein, vgl. S. 401. Vgl. EKO III. Nr. 5. S. 96 und S. 102. Dagegen werden die Tauf- und die Trauordnung nun durch einen Verweis auf Luthers Katechismus ersetzt, vgl. S. 96 und S. 101, Fastenzeiten und Prozessionen fallen ganz weg, vgl. S. 102.
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Zum offiziellen Sprachgebrauch der Kirchen im 16. Jahrhundert
wird, Begriffe, die so auch auf weltlicher Seite, etwa in Achterklärungen des Reiches, auftauchen. Damit wird einmal mehr die Zwischenstellung der kirchenrechtlichen Schriften zwischen theologischer und amtlicher Ebene deutlich. Gerade im Bereich der Kirchenordnungen deutet sich im Umgang zwischen Lutheranern und Reformierten bereits an, welches terminologische Potential zur Konfliktvermeidung rechtliche Texte besitzen, da sie im Zweifelsfalle dem theologischen Streit enthoben waren und einen neutraleren Standpunkt über den Religionsparteien einnehmen konnten. Man denke in diesem Fall nur an das Mandat Johann Casimirs, das sämtliche Diffamierungen zwischen den evangelischen Glaubensrichtungen untersagte und große Anstrengungen unternahm, um die streitenden Lager der Theologen zu beruhigen. In diesem Zusammenhang darf man allerdings nicht übersehen, dass diese Konsensbereitschaft auch dem äußeren Druck von Seiten des Reichsrechts geschuldet war, über einen Ausgleich mit den Lutheranern die Anerkennung des reformierten Glaubens im Reich erreichen zu müssen. Die katholischen und lutherischen Texte zeigen sich unversöhnlicher, weil Papst und Landesherr hier keine ernstzunehmenden Widerstände zu befürchten hatten und deshalb nicht zu einer kompromissbereiten Haltung gezwungen waren. Darin unterscheiden sie sich wesentlich von den reichsrechtlichen Dokumenten. Aus diesem Grunde können es sich die kirchenrechtlichen Schriften leisten, trotz ihres amtlichen und normativen Charakters weiterhin einer polemisierenden Sprache verhaftet zu bleiben. Die untersuchten Quellen werfen ihren Schatten auf reichsrechtliche Vorgänge voraus – so setzte die Bannbulle die Behandlung der Luthersache auf Reichsebene überhaupt erst in Gang – oder sie nehmen umgekehrt darauf Bezug, wie an der Religionspolitik Friedrichs III. und Johann Casimirs deutlich wurde. Die entsprechenden Protagonisten waren auf beiden Bühnen vertreten. In der Leitung ihrer jeweiligen Kirche verantworteten sie die entsprechenden kirchenrechtlichen Vorschriften und mit ihrer Teilnahme am Reichstag nahmen sie Einfluss auf die reichsrechtlichen Beschlüsse. Damit bilden die kirchenrechtlichen Texte einen idealen Übergang von den theologischen-publizistischen zu den reichsrechtlich-amtlichen Quellen, die jetzt in den Blick rücken sollen.
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Die Reichstage des 16. Jahrhunderts
Nach der Behandlung von polemischer wie kirchenrechtlicher Terminologie kommen wir nun zum Kernpunkt der Untersuchung, der Analyse der konfessionellen Selbst- und Fremdbezeichnungen auf den Reichstagen. Um die entsprechenden Dokumente adäquat in das Reichstagsgeschehen einordnen zu können, ist jedoch zuvor noch ein kurzer Blick auf den institutionellen Rahmen und die Periodisierung der Reichstage im 16. Jahrhundert zu werfen.
5.1 Zur Reichstagsorganisation Vom Reichstag im engeren Sinne lässt sich nach Peter Moraw frühestens seit den 70er bzw. 80er Jahren des 15. Jahrhunderts reden, wobei die Bezeichnung selber nicht vor 1495 erscheint.1 Eigentliche Keimzelle des Reichstages stellte der Kurfürstenrat dar, der sich in Folge der Wahl- und Kurfürstentage des späten Mittelalters als erste Kurie formierte und von den anderen Ständen absonderte. Die übrigen Fürsten bildeten als zweite Kurie den Reichsfürstenrat, in dem auch Vertreter der Reichsprälaten und Reichsgrafen saßen. Als letztes entstand die Reichsstädtekurie, die frühestens seit 1489 nachweisbar ist.2 Der Reichstag an sich war somit zu Beginn der Reformationszeit noch eine relativ junge Einrichtung, auch wenn man sich immer wieder gerne auf altes Herkommen berief.3
1
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Vgl. Peter Moraw: Versuch über die Entstehung des Reichstags. In: Hermann Weber (Hg.): Politische Ordnungen und soziale Kräfte im Alten Reich. Wiesbaden 1980 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung Universalgeschichte. Beiheft 8. Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reichs. Nr. 2). S. 1–36, hier S. 6 und S. 33. Vgl. Moraw: Versuch über die Entstehung des Reichstags (Anm. 1). S. 24–31. So bemühten die Reichsstädte in ihrem Kampf um Sitz und Stimme im Reichstag bereits 1523 das alte Herkommen, während die anderen Stände dieses Ansinnen als unerhorte und allerhochst beschwerlichste neuerung ablehnten. Vgl. etwa das Schreiben der Städte an Erzherzog Ferdinand vom 9. Februar 1523, RTA JR III. Nr. 97. S. 536, sowie die Antwort der Stände, Nr. 99. S. 553. Nicht umsonst ist hier eine deutliche Parallele zur Diskussion um die ,alte‘ und die ,neue‘ Religion erkennbar, denn diese Argumentationen entspringen demselben Phänomen, der höheren Wertschätzung des Alters.
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Die Reichstage des 16. Jahrhunderts
Helmut Neuhaus definiert den Reichstag über drei Kriterien.4 Zunächst müssen wenigstens die wichtigsten Reichsstände an der Versammlung teilnehmen. Um diese dann von anderen reichsständischen Repräsentationsformen, wie Reichsdeputations- und Reichskreistagen, sowie diversen Fachtagungen, z. B. Reichsmünz- oder Reichsmoderationstagen, abgrenzen zu können, ist zweitens die Anwesenheit des Kaisers oder eines entsprechenden Bevollmächtigten vonnöten. Außerdem muss die entsprechende Versammlung Angelegenheiten zum Gegenstand haben, die das gesamte Reich und nicht etwa nur einen bestimmten Reichskreis betreffen.5 Diese erste eher oberflächliche Charakterisierung lässt sich nun in Blick auf strukturelle Merkmale vertiefen. Albrecht Luttenberger charakterisiert den Reichstag als ein komplexes ,Handlungssystem‘, das maßgeblich von den Möglichkeiten, normativen Vorstellungen und allgemeinen Fähigkeiten aller Beteiligten bestimmt wurde, die auf insgesamt vier in enger Wechselbeziehung stehenden Handlungsebenen zu agieren hatten.6 Auf der ritualisierten bzw. zeremoniellen Ebene konnten sich die Stände und besonders das Kaisertum ihrem Rang gemäß darstellen und versuchen, entsprechenden Einfluss auf die Verhandlungen auszuüben.7 Die zur Entscheidungsfindung sehr wichtige, aber in den Quellen kaum greifbare informelle Ebene
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Vgl. Helmut Neuhaus: Reichstag und Supplikationsausschuß. Ein Beitrag zur Reichsverfassungsgeschichte der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Berlin 1977 (Schriften zur Verfassungsgeschichte. Bd. 24). S. 26–28. Vgl. Helmut Neuhaus: Reichsständische Repräsentationsformen im 16. Jahrhundert. Reichstag – Reichskreistag – Reichsdeputationstag. Berlin 1982 (Schriften zur Verfassungsgeschichte. Bd. 33). S. 17 sowie zu den Fachtagungen S. 317ff. und S. 360ff. Mit dem Westfälischen Frieden verschwinden alle Versammlungsformen außer dem Reichstag, vgl. S. 521f. Vgl. Albrecht Pius Luttenberger: Reichspolitik und Reichstag unter Karl V.: Formen zentralen politischen Handelns. In: Heinrich Lutz/Alfred Kohler (Hg.): Aus der Arbeit an den Reichstagen unter Kaiser Karl V. Sieben Beiträge zu Fragen der Forschung und Edition. Göttingen 1986 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bd. 26). S. 18–68, hier S. 20–23. Luttenberger betont in diesem Zusammenhang u. a. die Bedeutung der kaiserlichen Ungnade als Mittel einer gewissen Disziplinierung der Stände, vgl. Luttenberger: Reichspolitik und Reichstag unter Karl V. (Anm. 6). S. 24 und S. 46. Der württembergische Kanzler Ber warnt Herzog Christoph denn auch im Vorfeld des Reichstages von 1555 ausdrücklich davor, durch falsches Auftreten kaiserliche Ungnade auf sich zu ziehen, vgl. Ber: Gutachten vom 25. Mai 1555. In: Viktor Ernst (Hg.): Briefwechsel des Herzogs Christoph von Wirtemberg. Bd. 3: 1555. Stuttgart 1902. Nr. 3, S. 4–33, hier S. 7. Die zeremonielle Seite der politischen Interaktion hat gerade in jüngerer Zeit verstärkte Beachtung gefunden. Barbara Stollberg-Rilinger betrachtet den Reichstag dezidiert als „theatrum praecedentiae“, als das zentrale „Forum symbolisch-zeremoniellen Handelns im Reich“, Barbara Stollberg-Rilinger: Zeremoniell als politisches Verfahren. Rangordnung und Rangstreit als Strukturmerkmale des frühneuzeitlichen Reichstags In: Johannes Kunisch (Hg.): Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte. Berlin 1997 (ZHF. Beiheft 19). S. 91–132, hier S. 94.
Zur Reichstagsorganisation
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umfasst Begegnungen und Gespräche am Rande des offiziellen Geschehens.8 Daneben existiert eine von Luttenberger so genannte variable Ebene mit Handlungselementen, die niemals in eine feste gewohnheitsrechtliche Form gebracht, sondern von Reichstag zu Reichstag jeweils unterschiedlich gehandhabt wurden, v. a. das in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts blühende Ausschusswesen. In unserem Fall ist besonders die formalisierte Ebene mit ihren besonderen Verhandlungsmodi von Interesse, die den offiziellen Ablauf der Beratungen bestimmte und deshalb etwas ausführlicher dargestellt werden soll.9 Die Organisationsstruktur des Reichstages ist im Gegensatz etwa zum Reichsregiment oder Reichskammergericht nicht schriftlich fixiert, sondern hat sich mit der Zeit gewohnheitsrechtlich ausgebildet. Es finden sich nur wenige vereinzelte Regelungen, z. B. die Vorschrift der jährlichen Zusammenkunft in der ,Handhabung Friedens und Rechts‘ von 1495, die allerdings 1519 wieder aufgehoben wurde, die Verbindlichkeit der Beschlüsse für abwesende Stände im Abschied von 1498 und die Zusage in der Wahlkapitulation Karls V. von 1519, einen Reichstag nur in Abstimmung mit den Kurfürsten auszuschreiben.10 Grundlegende Quelle für eine Darstellung der ,Geschäftsordnung‘ ist der ,Ausführliche Bericht, wie es uff Reichstägen pflegt gehalten zu werden‘, ein inoffizielles Dokument aus der Mainzer Reichskanzlei aus den Jahren vor 1576.11 Ergänzend habe ich das Gutachten des Württembergischen Kanzlers Ber für Herzog Christoph herangezogen, das im Vorfeld des Reichstages von 1555 erstellt wurde, um den Fürsten in das entsprechende Prozedere einzuführen. Nach Absprache mit den Kurfürsten wurde der Reichstag durch den Kaiser bzw. bei dessen Abwesenheit durch das Reichsregiment oder den Statthalter einberufen. Das entsprechende Ausschreiben an die Reichsstände enthielt die Gründe für die Einberufung und eine Aufzählung der geplanten Verhandlungsgegenstände. Die Kurfürsten und wichtigsten Reichsstände bekamen ein handschriftliches Exemplar, während ansonsten gedruckte Fassungen versandt wurden.12 Waren genügend 8
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Vgl. auch Rosemarie Aulinger: Das Bild des Reichstages im 16. Jahrhundert. Beiträge zu einer typologischen Analyse schriftlicher und bildlicher Quellen. Göttingen 1980 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Schrift 18). S. 282. Außerdem findet sich ebenfalls ein Hinweis bei Ber, der seinem Herrn empfiehlt, guten Kontakt mit den anderen Fürsten zu halten. Vgl. Ber: Gutachten (Anm. 7). S. 7. Vgl. Luttenberger: Reichspolitik und Reichstag unter Karl V. (Anm. 6). S. 23–26. Vgl. Friedrich Hermann Schubert: Die deutschen Reichstage in der Staatslehre der Frühen Neuzeit. Göttingen 1966 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Schrift 7). S. 61–65. Der entsprechende Abschnitt der Wahlkapitulation findet sich in RTA JR I. Nr. 387. S. 870. Rauch: Traktat über den Reichstag (Kap. 2, Anm. 36). Zur Datierung und Funktion des Textes vgl. etwa Aulinger: Das Bild des Reichstages (Anm. 8). S. 47–49. Vgl. Gerhard Oestreich: Zur parlamentarischen Arbeitsweise der deutschen Reichstage unter Karl V. (1519–1556). Kuriensystem und Ausschußbildung. In: MÖSA 25. 1972. S. 217–243. Wieder
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Die Reichstage des 16. Jahrhunderts
Stände am Ort des Geschehens eingetroffen, was im übrigen zum geplanten Termin nie der Fall war, begann der Reichstag offiziell mit einer gemeinsamen Messe de S. Spiritu.13 Anschließend fand eine erste Sitzung aller versammelten Stände, des sog. Reichsrates, statt, auf der im Namen des Kaisers die Proposition mit Festlegung der ,Tagesordnung‘ verlesen wurde. Die Stände verständigten sich auf eine gemeinsame Antwort, in der sie dem Kaiser für seine Bemühungen dankten und um eine Abschrift der Proposition baten, die mit der Bitte um eine vertrauliche Behandlung gewährt wurde.14 Überhaupt wurde größter Wert auf Geheimhaltung gelegt. Lediglich die endgültigen Beschlüsse sollten in Form von Mandaten und im Reichsabschied an die Öffentlichkeit gelangen.15 Die eigentliche Meinungsbildung erfolgte nun im Rahmen des sog. Re- und Correlationsverfahrens, bei dem nicht etwa der Kaiser, sondern der Mainzer Kurfürst als Reichserzkanzler die Fäden in der Hand hielt. Jeder proponierte Punkt wurde getrennt und geheim in den drei Kurien der Kurfürsten, Fürsten und Reichsstädte behandelt.16 Die Ratschläge der einzelnen Kurien ermittelte man durch Umfrage, d. h. das jeweilige Direktorium bat alle Stände nacheinander in einer festen Reihenfolge gemäß ihrer Session um ihr Votum. Dieser Vorgang wurde so oft wiederholt, bis sich eine mehrheitsfähige Meinung herauskristallisierte.17 Dabei kam es regelmäßig zum Streit um die Session sowie das Umfragerecht, was die Verhandlungen erheb-
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abgedruckt in: Heinz Rausch (Hg.): Die geschichtlichen Grundlagen der modernen Volksvertretung. Die Entwicklung von den mittelalterlichen Korporationen zu den modernen Parlamenten. Bd. 2: Reichsstände und Landstände. Darmstadt 1974 (Wege der Forschung. Bd. CCCCLXIX). S. 242–278, hier S. 247f. sowie Aulinger: Das Bild des Reichstages (Anm. 8). S. 170f. und Rauch: Traktat über den Reichstag (Kap. 2, Anm. 36). Cap. I. S. 45. Die Eröffnungsmesse erwies sich im Laufe der Zeit natürlich als Problem. Seit 1529 verweigerten die evangelischen Stände die Teilnahme, vgl. Aulinger: Das Bild des Reichstages (Anm. 8). S. 202f. Siehe auch Rauch: Traktat über den Reichstag (Kap. 2, Anm. 36). Cap. III. S. 51f.: Die Weltlichen Kurfürsten und die evangelischen Fürsten begleiten den Kaiser in die Kirche, verlassen sie aber sofort wieder und warten nach dem Ende der Messe vor der Kirche. An ihrer Stelle versehen die Reichserbämter den Dienst im Rahmen der Messe. Hier sehen wir bereits ein deutliches Beispiel für die symbolische Kommunizierung der Glaubensspaltung mittels eines formalisierten Aktes, der letztendlich selber ritualisiert wurde. Stollberg-Rilinger hat diese rituelle Verfestigung, die den Konflikt sichtbar bleiben ließ, ohne das Verfahren zu stören, am Beispiel der Sessionsstreitigkeiten nachgewiesen, vgl. Stollberg-Rilinger: Zeremoniell als politisches Verfahren (Anm. 7). S. 125f. Vgl. Oestreich: Arbeitsweise der deutschen Reichstage (Anm. 12). S. 247–249 und Rauch: Traktat über den Reichstag (Kap. 2, Anm. 36). Cap. III. S. 53–56. Vgl. Rauch: Traktat über den Reichstag (Kap. 2, Anm. 36). Cap. XII. S. 92: Der Kurfürst von Mainz lässt am Ende der Verhandlungen ein Konzept für den Reichsabschied erstellen, das alles enthält, so publice zu wissen nötig. Vgl. auch S. 95f. Anm. 1. Vgl. Oestreich: Arbeitsweise der deutschen Reichstage (Anm. 12). S. 249–251. Zur Umfrage vgl. allgemein Klaus Schlaich: Die Mehrheitsabstimmung im Reichstag zwischen 1495 und 1613. In: ZHF 10. 1983. S. 299–340, hier S. 317. Zum genauen Prozedere im Kurfürsten-
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lich behindern konnte. So verzögerte ein Umfragestreit im Kurfürstenrat zwischen Mainz und Sachsen den Beginn der Verhandlungen am Reichstag von 1524 um mehrere Wochen.18 Der Württembergische Kanzler Ber informierte Herzog Christoph vor dem Reichstag von 1555 über den bereits seit langer Zeit anhängigen Sessionsstreit mit Pommern, der meist durch eine tägliche Alternierung der Sitzordnung gelöst wurde, eine häufige, wenn auch ausdrücklich vorläufige Kompromisslösung, um die Kurie nicht dauerhaft zu blockieren und handlungsfähig zu bleiben. Außerdem warnte er ihn eindringlich davor, den Unwillen der anderen Stände und die Ungnade des Kaisers auf sich zu ziehen, indem er sich nicht an die Reihenfolge der Stimmabgabe halte, auch wenn er in der Session erst recht weit hinten rangiere.19 Offiziell galt damit innerhalb der Kurien das Majoritätsprinzip, das allerdings durch mehrere Faktoren eingeschränkt wurde. Eine Abstimmung nach dem Mehrheitsverfahren setzt eine Gleichheit der Stimmen voraus, die besonders im Fürstenrat nicht gegeben war. Hier saßen mächtige Reichsstände wie Bayern neben mindermächtigen kleineren Fürsten. Grafen und Prälaten hatten nicht einmal Anspruch auf eine Virilstimme, also eine Stimme pro Person, sondern mussten sich sog. Kuriatstimmen teilen. Dass der unbedeutendere Fürst nun in seinem Abstimmungsverhalten Rücksicht auf den übermächtigen Nachbarn zu nehmen hatte, ergibt sich im Prinzip von selbst.20 Die Glaubensspaltung stellte das Mehrheitsverfahren ebenfalls zunehmend in Frage. Spätestens die Protestation der evangelischen Stände auf dem Speyrer Reichstag von 1529 machte deutlich, dass die Minderheit nicht mehr gewillt war, sich in Glaubens- und Gewissensfragen einer Mehrheit unterzuordnen. Die ,Protestatio‘ war zwar bereits vorher ein anerkanntes Rechtsmittel, um gegen Mehrheitsbeschlüsse seinen Einspruch geltend zu machen, noch niemals zuvor war der fragliche Punkt allerdings von einer solch elementaren Bedeutung und
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rat vgl. Rauch: Traktat über den Reichstag (Kap. 2, Anm. 36). Cap. V. S. 62f. sowie zum Fürstenrat Ber: Gutachten (Anm. 7). S. 6. Auf der ersten Sitzung des Kurfürstenrates am 14. Januar 1524, dem Tag der ersten Proposition, begann der Streit und zog sich einen knappen Monat hin. Vgl. hierzu die protokollarischen Aufzeichnungen des Mainzer Sekretärs Andreas Rucker in: RTA JR IV. Nr. 22. S. 54–59. Nach dem Protokoll eines pfälzischen Sekretärs fand man erst am 13. Februar zu einem Kompromiss, der eine ordnungsgemäße Verhandlungsführung gestattete, vgl. Nr. 23. S. 95. Vgl. Ber: Gutachten (Anm. 7). S. 5 und S. 7. Dieses Einschwören auf das richtige Verhalten bei Abstimmungen zeigt nochmals in aller Deutlichkeit, welcher Wert allen Fragen der Zeremonie beigelegt wurde. Schließlich wurden die Sessionsstreitigkeiten der Stände so akut, dass sie sogar offiziell thematisiert werden mussten, vgl. etwa Proposition und Abschied des Reichstages zu Augsburg 1566: RTA RV 1566. Nr. 3. S. 197 und Nr. 467. S. 1562. Vgl. Schlaich: Mehrheitsabstimmung (Anm. 17). S. 301–305 und Luttenberger: Reichspolitik und Reichstag unter Karl V. (Anm. 6). S. 46.
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Die Reichstage des 16. Jahrhunderts
Sprengkraft.21 Der Kurfürstenrat, der nur aus sechs Mitgliedern bestand,22 versuchte trotzdem weiterhin, nach außen den Schein der Einhelligkeit aufrechtzuerhalten, denn die häufig beschworene ,Präeminenz‘ und Macht der Kurfürsten im Reichstag beruhte nicht zuletzt auf einem geschlossenen und entschiedenen Auftreten.23 Der Städterat wurde ebenfalls durch gleiche Interessen im wirtschaftlichen Bereich sowie den gemeinsamen Kampf um mehr Einfluss auf dem Reichstag und die Anerkennung als gleichberechtigte vollwertige Reichsstände zu einem hohen Maß an Einigkeit gezwungen.24 Innerhalb des Fürstenrates mit seinen rund 100 Stimmen war dies schon wesentlich schwieriger zu bewerkstelligen. Die zahlreichen, teilweise verhältnismäßig unbedeutenden, geistlichen Fürsten sorgten hier stets für eine katholische Mehrheit, was die evangelischen weltlichen Fürsten auf Dauer nicht hinnehmen wollten. Sollte der Reichstag also aufgrund konfessioneller Fragen nicht blockiert werden, musste die Suche nach einer Kompromisslösung als vordringliche Aufgabe erscheinen. Nach langen Auseinandersetzungen wurde in diesem Zusammenhang 1648 im Osnabrücker Friedensvertrag Art. V, 52 IPO die erste reichsrechtliche Verfahrensregelung für den Reichstag überhaupt festgelegt. Sie sah in Glaubensfragen die ,amicabilis compositio‘ und damit verbunden die ,itio in partes‘ vor. In einem solchen Fall wurde das übliche Kuriensystem aufgehoben und die Stände traten zu ihren Beratungen getrennt nach Konfessionen zusammen, wobei eine gegenseitige Überstimmung unmöglich war. Ansonsten sollte allerdings grundsätzlich nach dem Majoritätsprinzip verfahren werden.25 21
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Vgl. Klaus Schlaich: Maioritas – protestatio – itio in partes – Corpus Evangelicorum. Das Verfahren im Reichstag des Hl. Römischen Reiches Deutscher Nation nach der Reformation. In: ZRG KA 63. 1977. S. 264–299, hier S. 292–299. Gemäß der Goldenen Bulle gab es natürlich sieben Kurfürsten, die Böhmische Kur ruhte jedoch, da sie in den Händen des Kaisers lag. Vgl. Luttenberger: Reichspolitik und Reichstag unter Karl V. (Anm. 6). S. 26 und Oestreich: Arbeitsweise der deutschen Reichstage (Anm. 12). S. 252. Vgl. etwa das konsequente einmütige Vorgehen gegen einen Reichszoll auf den Nürnberger Reichstagen von 1523 und 1524, vgl. Luttenberger: Reichspolitik und Reichstag unter Karl V. (Anm. 6). S. 32. Die Diskussion um Sitz und Stimme der Städte im Reichsfürstenrat war bereits seit den zwanziger Jahren Thema auf mehreren Reichstagen. Vgl. Schlaich: Mehrheitsabstimmung (Anm. 17). S. 311–314 und Ders.: Maioritas – protestatio – itio in partes – Corpus Evangelicorum. Das Verfahren im Reichstag des Hl. Römischen Reiches Deutscher Nation nach der Reformation. In: ZRG KA 64. 1978. S. 139–179, hier S.139f. Der Augsburger Religionsfriede von 1555 hatte sich über solche Verfahrensfragen noch nicht geäußert. Auch der Traktat enthält keinerlei Bestimmungen zu etwaigen Verhandlungen zwischen den konfessionellen Corpora. Paritätisch besetzte Ausschüsse für Religionsverhandlungen, wie sie erstmals 1530 eingesetzt worden waren, hatten dieses Verfahren jedoch mit vorbereitet. Vgl. Helmut Neuhaus: Wandlungen der Reichstagsorganisation in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts. In: Johannes Kunisch (Hg.): Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte. Berlin 1987 (ZHF. Beiheft 3). S. 113–140, hier S. 133–135.
Zur Reichstagsorganisation
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Waren die einzelnen Kurien schließlich zu einem Ergebnis gelangt, wurden zunächst die Voten der Kurfürsten und Fürsten durch den Reichserzkanzler zu einem gemeinsamen Bedenken verglichen. Erst danach wurde die Stellungnahme der Städte eingeholt, die jedoch im 16. Jahrhundert noch kein ,votum decisivum‘ besaßen, sondern nur ein ,votum consultativum‘, d. h. man billigte ihnen lediglich eine beratende Funktion zu.26 Dann wurde den kaiserlichen Kommissaren eine gemeinsame Relation übergeben. Kam keine Einigung zustande, konnten auch die unverglichenen Antworten der einzelnen Kurien eingereicht werden. In dieser Phase der Verhandlungen galt das Mehrheitsprinzip nicht mehr, sondern Stände und Kaiser mussten einen Konsens finden, da keine Seite die andere überstimmen durfte.27 Der Kaiser legte seine Meinung zunächst in einer Replik an die Stände dar, die unter Umständen eine erneute Beratung in den Kurien zur Folge haben konnte, deren Ergebnis dem Kaiser als Duplik zugestellt wurde. Dieser Schriftwechsel konnte über eine Triplik, Quadruplik, Quintuplik usw. noch geraume Zeit fortgeführt werden, bis sich die jeweiligen Standpunkte so weit angenähert hatten, dass eine Einigung zustande kam.28 Waren alle Punkte der Proposition behandelt, entwarf die Mainzer Kanzlei ein Konzept für den Reichsabschied, das in einem gemeinsamen Ausschuss aus Vertretern des Kaisers und aller drei Kurien beraten und in seine endgültige Form gebracht wurde. Am Ende des Reichstags fand eine feierliche Schlusssitzung statt, auf der man den Abschied vortrug. Mit der Siegelung und dem Diktat des Abschieds an die Sekretäre der einzelnen Stände fand die Versammlung ihren Abschluss.29 Neben dieser Form der Verhandlung besaß der Reichstag ein in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts sehr differenziertes Ausschusswesen. Man setzte immer wieder Ausschüsse ein, um die Beratungen zu beschleunigen oder um Fachleute hinzuziehen zu können, z. B. Theologen für die Glaubensfrage, Juristen für die Reichskammergerichtsordnung oder Militärs in Zusammenhang mit den Türkenkriegen.30 Sie hatten jedoch lediglich vorbereitende und beratende Funktion, die eigentliche Be26 27 28
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Vgl. Oestreich: Arbeitsweise der deutschen Reichstage (Anm. 12). S. 254. Vgl. Schlaich: Mehrheitsabstimmung (Anm. 17). S. 300. Vgl. Aulinger: Das Bild des Reichstages (Anm. 8) S. 214–217, Rauch: Traktat über den Reichstag (Kap. 2, Anm. 36). Cap. X. S. 84–89 und Ber: Gutachten (Anm. 7). S. 7f. Aulinger verwendet für die Antwort der Stände an den Kaiser den Begriff ,Replik‘ und für die entsprechende Antwort ,Duplik‘. Ich halte mich jedoch an den Traktat, wo das Votum der Stände ausdrücklich als ,Relation‘ bezeichnet wird. In den neueren Reichstagsakten bezeichnet die ,Replik‘ dann die kaiserliche Entgegnung, vgl. etwa die Zusammenstellung der Verhandlungsakten in den Editionen der Reichstagakten von 1559 durch Josef Leeb aus dem Jahr 1999 (RTA RV 1559) sowie von 1566 durch Maximilian Lanzinner und Dietmar Heil aus dem Jahr 2002 (RTA RV 1566). Vgl. Oestreich: Arbeitsweise der deutschen Reichstage (Anm. 12). S. 256 sowie Rauch: Traktat über den Reichstag (Kap. 2, Anm. 36). Cap. XII. S. 91–94. Vgl. Neuhaus: Reichstag und Supplikationsausschuß (Anm. 4). S. 63–68 und Rauch: Traktat über den Reichstag (Kap. 2, Anm. 36). Cap. VIII. S. 69.
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Die Reichstage des 16. Jahrhunderts
schlussfassung blieb weiterhin den Kurien vorbehalten.31 Innerkuriale Ausschüsse wirkten sich dabei nicht wesentlich auf das Verhandlungsverfahren als solches aus, da sie lediglich die Beschlussfassung innerhalb einer Kurie betrafen, das Re- und Correlationsverfahren ansonsten aber nicht weiter tangierten. Wesentlich wichtiger waren in diesem Bereich die interkurialen bzw. interständischen Ausschüsse. Sie umfassten Vertreter der Kurfürsten, Fürsten und Städte, die hier gleichberechtigt und nach dem Mehrheitsprinzip miteinander verhandelten und damit gleichsam den Reichstag im Kleinen abbildeten.32 Besonders der zwischen 1521 und 1529 mehrfach eingerichtete Große Ausschuss avancierte zeitweilig zum Hauptversammlungsgremium, koordinierte alle weiteren Verhandlungen und setzte wiederum Unterausschüsse für Spezialfragen ein.33 Damit durchbrach er die relativ starre Struktur des Kuriensystems und schien es sogar durch ein effektiveres Prozedere ersetzen zu können.34 Die Reichsstädte befürworteten diese Entwicklung nachdrücklich, sahen sie hierin doch eine Chance, ihr Gewicht innerhalb des Reichstages aufzuwerten, da sie im Ausschuss eine gleichberechtigte Stimme besaßen. Die Kurfürsten sahen dagegen durch diese zunehmende Umgehung des Re- und Correlationsverfahrens ihre Präeminenz gefährdet, denn sie konnten in den Ausschüssen überstimmt werden. Deshalb wehrten sie sich seit 1530 zunehmend gegen die Bildung interständischer Großer Ausschüsse mit umfassender Aufgabenstellung.35 Bis Mitte des Jahrhunderts stimmte der Kurfürstenrat zwar immer wieder der Bildung von interkurialen Ausschüssen für Spezialaufgaben zu, so gab es 1547/48 gleich sieben zur Beratung der Reichskammergerichtsordnung, des Bundesplans, der Moderation der Anschläge etc., aber insgesamt setzte sich eine Tendenz zur ,Rekurialisierung‘ durch.36 Ein weiterer Grund für den Rückgang des interständischen Ausschusswesens liegt in der Glaubensspaltung. In Folge der Reformation traten Verhandlungen innerhalb und zwischen den Konfessionen immer mehr an die Stelle gemeinsamer Ausschüsse. So gab es beispielsweise bereits 1530 einen paritätisch besetzten sog. Vierzeh31
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Vgl. Neuhaus: Reichstag und Supplikationsausschuß (Anm. 4). S. 29f. sowie Ders.: Wandlungen der Reichstagsorganisation (Anm. 25). S. 117f. Vgl. Schlaich: Mehrheitsabstimmung (Anm. 17). S. 307f. So fanden beispielsweise die Verhandlungen mit Luther in Worms 1521 durch Unterausschüsse des Großen Ausschusses statt. Vgl. Oestreich: Arbeitsweise der deutschen Reichstage (Anm. 12). S. 262f. Vgl. Neuhaus: Reichstag und Supplikationsausschuß (Anm. 4). S. 31 und Oestreich: Arbeitsweise der deutschen Reichstage (Anm. 12). S. 260. Vgl. Neuhaus: Reichstag und Supplikationsausschuß (Anm. 4). S. 31–43 und S. 62 sowie Ders.: Wandlungen der Reichstagsorganisation (Anm. 25). S. 120–124. Vgl. Neuhaus: Reichstag und Supplikationsausschuß (Anm. 4). S. 48f. und Ders.: Wandlungen der Reichstagsorganisation (Anm. 25). S. 130f. Der Traktat erwähnt ebenfalls nur noch Ausschüsse für besondere Themen, der Große Ausschuss spielt zu jener Zeit keine Rolle mehr, vgl. Rauch: Traktat über den Reichstag (Kap. 2, Anm. 36). Cap. VIII. S. 68f.
Zur Reichstagsorganisation
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nerausschuss, der für die Verhandlungen über die verschiedenen Bekenntnisse zuständig war und in dem neben den Ständevertretern auch jeweils drei katholische und lutherische Theologen saßen. Auch auf dem Reichstag von 1556 errichtete man einen gemeinen Religions Außschuss, um den im Augsburger Religionsfrieden vorgesehenen Religionsausgleich zu beraten. Die entsprechenden Religionsgespräche und Verhandlungen wurden daneben meist von innerkonfessionellen Ausschüssen begleitet. Diese Entwicklung bereitete nach Neuhaus bereits die Entstehung der konfessionellen Corpora vor.37 Nur die gemeinsamen Ausschüsse mit Vertretern der Stände und des Kaisers blieben im gesamten 16. Jahrhundert relativ unumstritten. So setzte man kurz vor Ende jeden Reichstags einen Redaktionsausschuss ein, der für die endgültige Formulierung des Reichsabschieds zuständig war. Daneben war der Supplikationsausschuss eine feste Einrichtung. Er behandelte die zahlreichen Eingaben und Bittgesuche an den Reichstag, die nicht für so erheblich geachtet wurden, dass sie den normalen Verhandlungsweg gehen und damit die Behandlung der Proposition verzögern sollten.38 Im Zuge des Verzichts auf interkuriale Ausschüsse verschwindet aber auch er schließlich seit Beginn des 17. Jahrhunderts.39 Trotz der Umwälzungen des Dreißigjährigen Krieges scheint sich die Reichstagsorganisation danach nicht mehr grundlegend verändert zu haben. Im Westfälischen Frieden wurden 1648 lediglich zwei wesentliche Neuerungen beschlossen. Zum einen wurde die ,itio in partes‘, wie bereits erwähnt, als verfassungsrechtliches Instrument festgeschrieben. Außerdem erhielten die Reichsstädte ihr lange ersehntes und umkämpftes ,votum decisivum‘ zugesprochen, das sie endlich in den Rang gleichberechtigter Reichsstände erhob. Nach der Verstetigung des Reichtages zum Immerwährenden Reichstag seit 1663 kam noch hinzu, dass es natürlich keine Reichsabschiede mehr gab. Gleichzeitig wandelte sich die Versammlung endgültig in einen reinen Gesandtenkongress, womit eine Professionalisierung einherging, die es zuvor nur in den Fachausschüssen gegeben hatte.40
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Vgl. Neuhaus: Wandlungen der Reichstagsorganisation (Anm. 25). S. 133–135. Vgl. Neuhaus: Reichstag und Supplikationssausschuß (Anm. 4). S. 63–69 und S. 73 sowie Ders.: Wandlungen der Reichstagsorganisation (Anm. 25). S. 131. Vgl. zudem Rauch: Traktat über den Reichstag (Kap. 2, Anm. 36). Cap. IX. S. 79–83 und Cap. XII. S. 92f. Vgl. Neuhaus: Reichstag und Supplikationssausschuß (Anm. 4). S. 308. Vgl. Walter Fürnrohr: Der Immerwährende Reichstag zu Regensburg. Das Parlament des Alten Reiches. Zur 300-Jahrfeier seiner Eröffnung 1663. 2., überarb. Aufl. Regensburg/Kallmünz 1987. S. 17f.
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Die Reichstage des 16. Jahrhunderts
5.2 Zur Periodisierung der Reichstage Die 33 Reichstage zwischen 1521 und 1654, die dieser Untersuchung zugrunde liegen, lassen sich in insgesamt fünf größere Abschnitte gliedern. Armin Kohnle, der erst vor wenigen Jahren eine Habilitationsschrift zum Thema ,Reichstag und Reformation‘ vorgelegt hat, unterteilt die Reichstage unter Karl V. in zwei Perioden, getrennt von einer fast zehnjährigen ,reichstagslosen Zeit‘.41 Während der Reichstage des ersten zu behandelnden Jahrzehnts von 1521 bis 1532 vollzog sich die Herausbildung zweier konfessioneller Gruppen unter den Ständen. Diese Zeit war geprägt von der Frage nach der Durchsetzung des Wormser Edikts und fand ihren Abschluss im Nürnberger Anstand von 1532, der zunächst den inzwischen entstandenen Status Quo festschrieb. Bedingt durch die Abwesenheit Karls V. vom Reich gab es anschließend eine fast zehnjährige reichstagslose Periode, unterbrochen lediglich durch einige Reichskreis- und Reichsdeputationstage anlässlich akuter Bedrohungen durch das Täuferreich zu Münster und die Türken, auf denen jedoch keine konfessionspolitischen Fragen behandelt und die auch im Nachhinein durch den Kaiser nicht als Reichstage anerkannt wurden.42 Zwischen 1541 und 1555 setzt Kohnle eine zweite Reihe von Reichstagen an, die das Ziel hatten, das Problem der Glaubensspaltung einer politischen Lösung zuzuführen, zunächst durch Religionsgespräche, dann im kaiserlichen Sinne durch militärische Unterwerfung, nach dem Scheitern dieser Politik schließlich durch einen dauerhaften Religionsfrieden. Die Reichstage nach 155543 waren bis 1576 unter der Ägide Ferdinands I. und Maximilians II., dem man ja durchaus Sympathien für die Evangelischen nachsagte, zunächst geprägt von dem Ringen der Konfessionsparteien um die Auslegung des Augsburger Religionsfriedens, beispielsweise in der Frage der Freistellung, der Anerkennung der Reformieren, der Interpretation als Ausnahmerecht, usw. In einer vierten Phase trat die Religionsfrage dann in den Hintergrund. Die Reihe der sog. ,Türkenreichstage‘ bis 1608 stand ganz im Zeichen der Bewilligung von Hilfsgeldern 41
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Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Anm. 2). S. 12. Einen sehr guten Überblick bietet auch der Artikel ,Die Reichstage der Reformationszeit‘ von Armin Kohnle und Eike Wolgast. In: TRE 28. S. 457–470. Vgl. den Reichsabschied von 1541, in dem man sich ausdrücklich auf den Reichstag von 1532 als der letzten derartigen Versammlung bezog, in: Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 428. Auch wenn Helmut Neuhaus die drei Täufertage von 1535 aus strukturellen Gründen zu den Reichstagen zählt, ist das zeitgenössische Votum meiner Meinung nach in diesem Fall höher einzuschätzen. Vgl. Neuhaus: Reichsständische Repräsentationsformen (Anm. 5). S. 109, 123 und S. 135. Von hier ab hier folge ich der Einteilung der Reichstage durch Winfried Schulze: Deutsche Geschichte im 16. Jahrhundert. 1500–1618. Darmstadt 1997 (Moderne deutsche Geschichte. Bd. 1). S. 164–166.
Zur Periodisierung der Reichstage
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für den Kampf Habsburgs gegen die Osmanen. Andere Themen wurden meist auf Deputationstage abgeschoben oder umgangen. Dabei traten gerade in dieser Zeit wieder stärkere interkonfessionelle Konflikte auf, die in den Abschieden jedoch kaum Niederschlag fanden. Abschließend folgt die Zeit, die durch den Dreißigjährigen Krieg bestimmt war. Der Reichstag von 1613 scheiterte an den bereits vorhandenen Frontstellungen, der Reichstag von 1641 suchte nach Lösungen für die Beendigung des Krieges und die letzte derartige Versammlung von 1654 schuf schließlich die reichsrechtliche Basis für ein Zusammenleben der Konfessionen nach den Kriegwirren, die bis zum Ende des Alten Reichs gültig bleiben sollte. Terminologisch gesehen ist die Zeit bis zum Augsburger Religionsfrieden am wichtigsten, da sich hier allmählich ein Sprachgebrauch herausbildete, der nach seiner offiziellen Fixierung im Jahre 1555 kaum mehr größere Veränderungen erfuhr. Daraus ergibt sich für die folgende Untersuchung der öffentlichen Reichstagsdokumente eine Dreiteilung. Zunächst werde ich die Zeit vom Wormser Reichstag 1521 bis 1532 behandeln. Der zweite Abschnitt setzt nach der reichstagslosen Zeit im Jahre 1541 an und reicht bis zum Augsburger Religionsfrieden von 1555. Zu guter Letzt werde ich einen allgemeineren Blick auf die Reichstage bis zum Jüngsten Reichsabschied von 1654 werfen.
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Die Reichstage des 16. Jahrhunderts
Übersicht: Die Reichstage zwischen 1521 und 1654 1521 1522 1522/23 1524 1526 1526 1529 1530 1532
Worms Nürnberg Nürnberg Nürnberg Augsburg (prorogiert) Speyer Speyer Augsburg Regensburg
1541 1542 1542 1543 1544 1545 1546 1547/48 1550/51 1555
Regensburg Speyer 2. Reihe von Reichstagen unter Karl V. Nürnberg Herbeiführung einer politischen Lösung Nürnberg in der Religionsfrage Speyer Worms (prorogiert) Regensburg (prorogiert) Augsburg Augsburg Augsburg
1557 1559 1566 1567 1570
Regensburg Augsburg Augsburg Regensburg Speyer
1576 1582 1594 1597/98 1603 1608
Regensburg Augsburg Regensburg Regensburg Regensburg Regensburg (prorogiert)
1613 1640/41 1653/54
Regensburg (prorogiert) Regensburg Regensburg
1. Reihe von Reichstagen unter Karl V. Zerfall des Reichstags in konfessionelle Parteien
Reichstage nach dem ARF Auseinandersetzung um die Auslegung des Friedens
sog. ,Türkenkriege‘ Verdrängung konfessionspolitischer Fragen in den Hintergrund
Reichstage im Umfeld des Dreißigjährigen Krieges
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Was publice zu wissen nötig: Ausschreiben, Propositionen und öffentliche Texte als Rahmen der Reichstagsverhandlungen
Die erste Gruppe von reichsrechtlich-amtlichen Textsorten, die auf ihre konfessionelle Terminologie hin untersucht werden soll, besteht aus den Abschlussdokumenten der Reichstage, also primär den Reichsabschieden, aber auch Mandaten des Kaisers und des Reichsregiments oder etwa Reichskammergerichts-, Reichsmünzund Reichspolizeiordnungen. Diese Texte enthielten all jene Beschlüsse, die man für publice zu wissen nötig1 erachtete, und galten als Reichsgesetze. Bereits unter Maximilian I. wurde es daher üblich, die Abschiede zu drucken und an jeden Reichsstand zu verteilen.2 Im Jahre 1501 erschien in München bei Hans Schobsser mit dem ,buch des heiligen Romischen reichs underhaltung‘ eine erste Zusammenstellung von Reichsabschieden, die in den Folgejahren immer wieder durch weitere Sammlungen ergänzt wurde. Diese zusammenfassend als ,Corpus recessum imperii‘ bezeichneten Werke verschiedener Herausgeber erlebten insgesamt 39 Ausgaben. Die letzte maßgebliche Sammlung wurde 1747 durch den Verleger Ernst August Koch, den Reichshofrat Heinrich Christian Senckenberg und den Juristen Johann Jacob Schmauß publiziert.3 Bis zum Ende des Reiches stellte sie die wichtigste Quelle für die Reichsjuristen dar.4 Durch Flugschriften und Sammelausgaben waren die Reichsabschiede, Ordnungen und Mandate zumindest potentiell der Öffentlichkeit
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Rauch: Traktat über den Reichstag (Kap. 2, Anm. 36). Cap. XII. S. 92. Vgl. Rauch: Traktat über den Reichstag (Kap. 2, Anm. 36). S. 22f. Aufgrund dieser Bedeutung der Reichsabschiede betont Rosemarie Aulinger die besondere Wichtigkeit eines gedruckten und beglaubigten Exemplars als Grundlage rechtlicher Entscheidungen. Vgl. Aulinger: Das Bild des Reichstages (Kap. 5, Anm 8). S. 257. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede (Kap. 1, Anm. 83). Diese Ausgabe bildet im Folgenden die Grundlage für die Untersuchung jener Reichsabschiede, die noch nicht im Rahmen der Reichstagsakten ediert worden sind. Vgl. zum ,Corpus recessum imperii‘ insbesondere Schubert: Die deutschen Reichstage (Kap. 5, Anm. 10). S. 135–137. Vgl. auch die Dedikation an Kaiser Franz I. zu Beginn dieser Edition, wo es heißt, dass hier jene teutschen Reichs-Grund-Gesetze gesammelt worden seien, die den Teutschen Richter-Stülen die Regelen und Richtschnur ihrer Aussprüche geben sollen, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 1 (Kap. 1, Anm. 83) sowie Schubert: Die deutschen Reichstage (Kap. 5, Anm. 10). S. 46 und S. 134–139.
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Ausschreiben, Propositionen und öffentliche Texte
zugänglich5 und sind damit als einzige Textsorten für den offiziellen reichsrechtlich legitimierten Sprachgebrauch heranzuziehen.
6.1 Die Rahmentexte und ihre Eigenschaften Aufgrund ihres Gesetzescharakters zählen die Reichsabschiede zu den normativen Quellen. Im Gegensatz zu Mandaten,6 die alleine im Namen des Kaisers verantwortet wurden, sind sie jedoch nicht legislativ.7 Sie stellen vielmehr einen beidseitigen Vertrag zwischen Kaiser und Ständen dar, weshalb sie zu den selbstverpflichtenden obligaten Textsorten zu rechnen sind.8 Der Reichstagstraktat beschreibt den idealtypischen Aufbau des Abschieds aus insgesamt vier Teilen.9 Eröffnet wird der Text durch die Titulatur und den einleitenden Ingress, der das Ausschreiben rekapituliert. Die anschließenden Narrata folgen dagegen der Proposition. In diesen einleitenden Abschnitten wird nochmals an die Gründe für die Einberufung des Reichsta5
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Wolfgang E. J. Weber verweist auf die besondere Bedeutung, die den Reichsabschieden in diesem Zusammenhang gerade im Rahmen der existenziellen Fragen der Reformationszeit für die öffentliche Kommunikation zukam. Vgl. Wolfgang E. J. Weber: ,Bekennen und thun hiemit kunth und offentlich.‘ Bemerkungen zur kommunikativen Funktion der Reichsabschiede des 16. Jahrhunderts. In: Maximilian Lanzinner/Arno Strohmeyer (Hg.): Der Reichstag 1486–1613. Kommunikation – Wahrnehmung – Öffentlichkeiten. Göttingen 2006 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bd. 73). S. 281–311, hier S. 287 sowie S. 309f. Die Begriffe ,Mandat‘ und ,Edikt‘ werden synonym verwendet. Vgl. hierzu RTA JR III. Nr. 17. S. 748, wo es heißt, dass bezüglich der Unterstützung der geistlichen Ordinarien durch die weltlichen Obrigkeiten in der Durchsetzung des geistlichen Rechts offentlich mandata und edict ausgeen sollen. Eine interessante Ausnahme stellt das Regimentsmandat zur Luthersache vom 20. Januar 1522 dar, das nicht im Namen des Kaisers, sondern des Statthalters und Regiments ausgestellt worden war. Vgl. Felician Gess: Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen. Bd. 1: 1517–1524. Leipzig 1905. Nr. 288. S. 250–252. Zur Terminologie und Bedeutung dieses Mandats s. u. Kap. 6.2.2. Zum Vertragscharakter der Reichsabschiede vgl. Schubert: Die deutschen Reichstage (Kap. 5, Anm. 10). S. 84 sowie Schlaich: Mehrheitsabstimmung (Kap. 5, Anm. 17). S. 318. Der Unterschied zwischen Reichsabschieden und Mandaten lässt sich auch dadurch beschreiben, dass erstere gesetzestypologisch gesehen zum Satzungsrecht zählen, das auf Vereinbarungen zwischen Verhandlungspartnern beruht, Mandate jedoch Rechtsgebote darstellen, die ein klares Befehls- und Gehorsamsverhältnis voraussetzen. Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 12f. sowie Wilhelm Ebel: Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland. 2., erw. Aufl. Göttingen 1958 (Göttinger rechtswissenschaftliche Studien. Bd. 24). S. 20–27. Mit Blick auf die Struktur des Reiches wird bereits an der Definition der Rechtsgebote deutlich, dass diese in der politischen Praxis auf starke Widerstände stoßen mussten. Vgl. Rauch: Traktat über den Reichstag (Kap. 2, Anm. 36). Cap. XII. S. 92–94. Vgl. daneben auch die entsprechende Beschreibung bei Aulinger: Das Bild des Reichstages (Kap. 5, Anm. 8). S. 255f.
Die Rahmentexte und ihre Eigenschaften
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ges erinnert und ein Rückblick auf wichtige Ereignisse im Vorfeld der Versammlung geliefert. So teilt der Kaiser den anwesenden Ständen beispielsweise Informationen vom türkischen Kriegsschauplatz oder andere Aktivitäten mit, die einerseits seine Sorge um die Wohlfahrt des Reiches unterstreichen, häufig aber auch sein zu spätes Erscheinen oder gar Ausbleiben entschuldigen sollten. Der eigentliche Hauptteil, die Disposition, führt schließlich die jeweiligen Beschlüsse zu den einzelnen proponierten Punkten entsprechend der ständischen und kaiserlichen Gutachten im Rahmen des Re- und Correlationsverfahrens auf. Am Ende folgt die Subscription, eine Liste aller anwesenden Reichsstände, die diesen Abschied gesiegelt haben. Rosemarie Aulinger fügt zwischen Disposition und Subscription als gesonderten Teil noch die Korrobatio ein. Dabei handelt es sich um die gegenseitige Bekräftigung des Abschieds durch Kaiser und Stände, was dem Vertragscharakter des Dokuments Rechnung trägt. Aufgrund ihrer normativen Funktion und des streng gegliederten Aufbaus zeichnen sich die Reichsabschiede durch einen hohen Grad an Formalisierung aus. Jedes Wort ist hier mit Bedacht gewählt, und bewährte, von allen Ständen akzeptierte Formulierungen werden über Jahrzehnte hinweg immer weiter verwendet. Damit zeigen die Reichsabschiede in ihrem Sprachgebrauch eine deutliche Beharrungstendenz, die offiziellen amtlichen Dokumenten häufig eigen ist. Feine terminologische Nuancen erhalten daher höchste Bedeutung, und eine deutliche Veränderung der Wortwahl hin zu mehr Abgrenzung bzw. Konsens ist schon beinahe als kleine Sensation zu werten. Der Aufbau des Reichsabschieds zeigt direkte Bezüge zum Ausschreiben und der Proposition als den Schriften, die ganz am Beginn des Reichstages standen und die Verhandlungspunkte vorgaben. Eine weitere Beziehung zwischen Ausschreiben und Reichsabschieden bzw. Mandaten ergibt sich daneben aus der gemeinsamen zeitgenössischen Selbstbezeichnung Brief, die deutlich werden lässt, dass allen diesen Urkunden im 16. Jahrhundert eine ähnliche Funktion zugeschrieben wurde, aus der sich gewisse formale wie sprachliche Parallelen von selbst ergeben.10 Das Ausschrei10
Vgl. etwa das Wormser Edikt des ersten zu behandelnden Reichstages von 1521, RTA JR II. Nr. 92. S. 654, oder am Ende des Untersuchungszeitraums das Ausschreiben zum Reichstag von 1653/54 vom 27. April 1652, StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB 115. [Nr. 3], wo es heißt: Solchem allem nach/ so verkünden Wir Euch jetzt angeregten Tag vnd Mahlstatt mit disem Brieff. Zur Verwendung in den Reichsabschieden vgl. Wolfgang E. J. Weber: Der Reichsabschied 1555 in der Kommunikationsgeschichte des Reiches. In: Wolfgang Wüst (Hg.): Der Augsburger Religionsfriede 1555 im regionalen Kontext. Augsburg 2005 (Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben. Bd. 98). S. 37–48, hier S. 44f. In diesem Zusammenhang kommt gerade das Ausschreiben durchaus der literaturtheoretischen Definition des Briefes nahe, nach der es sich hier um einen nichtfiktionalen, an einen bestimmten Adressaten und nicht genuin für eine Veröffentlichung bestimmten Text handelt, während bei den Abschieden und Mandaten abgesehen von der Nichtfiktionalität gerade das Gegenteil der Fall ist, vgl. Jochen Golz: Art. Brief.
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Ausschreiben, Propositionen und öffentliche Texte
ben war zumeist recht knapp und allgemein gehalten. Es begann mit einer kurzen Begründung für die Einberufung des Reichstages und ging in diesem Zusammenhang meist auch auf einige wichtige zu behandelnde Punkte ein. Daneben enthielt es jedoch immer eine Klausel, die neben den ausdrücklich genannten nachträglich weitere Verhandlungsgegenstände zuließ.11 Dennoch lehnten etwa 1524 zahlreiche reformatorisch gesinnte Stände eine Behandlung der Luthersache ab, da sie nicht im Ausschreiben erwähnt worden sei und sie somit keine entsprechenden Instruktionen erhalten hätten. Philipp v. Feilitzsch, der kurpfälzische Gesandte im Kurfürstenkolleg, und der Vertreter Hagenaus im Städterat verweigerten von vornherein Verhandlungen zu diesem Punkt.12 Nachdem die Stände trotzdem einen Beschluss gefasst hatten, protestierte v. Feilitzsch gegen die entsprechenden Bestimmungen des Reichsabschieds: Dweil aber von andern artickeln, die im ausschreiben nit vermelt [...], furgenomen, wusste noch wolte ich mich in dasselbig (nachdem sich mein gewalt weiter nit dann wie angezeigt erstreckt) nit einlassen.13 Bernhard v. Solms und Georg v. Wertheim legten im Namen der Grafen und Herrn mit dem gleichen Argument Protest ein.14
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In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. 3 Bde. Berlin/New York 1997–2003. Bd. 1. S. 251–255. Im Rahmen der Urkundensprache bezeichnet der Brief dagegen Texte zur Übermittlung von Nachrichten, was auf das Ausschreiben zutrifft, sowie eine „Urkunde als rechtsgültiges Dokument“, womit die Mandate und Abschiede erfasst werden können, vgl. Art. Brief. In: Bettina Kirschstein u. a. (Hg.): Wörterbuch der mittelhochdeutschen Urkundensprache. 3 Bde. Berlin 1994–2010. Bd. 1. S. 289f. Hans-Hugo Steinhoff versteht unter solchen Dokumenten einen „offiziellen“ Brief im Unterschied zum eigentlichen „privaten“ Brief, vgl. Hans-Hugo Steinhoff: Art. Brief. In: Günther und Irmgard Schweikle (Hg.): Metzler-Literatur-Lexikon. Begriffe und Definitionen. 2., überarb. Aufl. Stuttgart 1990. S. 61f. Im Ausschreiben zum Reichstag von 1521 hieß es beispielsweise: all obgemelt sachen und ander des heiligen reichs Deutscher nation und gemainer cristenhait notturften, RTA JR II. Nr. 2. S. 138. Vor dem Reichstag von 1524 behielt man sich ausdrücklich eine Ergänzung der Tagesordnung vor: auch sunst in allen andern des reichs ehaften obligen und notdürften, so auf solchem reichstag ferrer angezaigt werden sollen, RTA JR IV. Nr. 14. S. 38. Auch in der zweiten Jahrhunderthälfte fehlt diese Rückversicherung nicht, so z. B. im Ausschreiben für den Reichstag 1566: solche oberzelte vnd andere dergleichen mehr Puncten, das gemain wesen belangent, RTA RV 1566. Nr. 1. S. 138. Vgl. hierzu die Aufzeichnungen des Wormser Dompropsts Simon Ribisen, RTA JR IV. Nr. 25. S. 160f. und das Protokoll des Hagenauer Stadtschreibers, RTA JR IV. Nr. 28. S. 235. RTA JR IV. Nr. 140. S. 578. Der Reichstagstraktat erwähnt ausdrücklich, dass die Instruktionen der Gesandten den Punkten des Ausschreibens folgten, vgl. Rauch: Traktat über den Reichstag (Kap. 2, Anm. 36). Cap. II. S. 50. Vgl. RTA JR IV. Nr. 145. S. 687. Georg v. Wertheim hatte bereits im Laufe der Verhandlungen am 6. April eine entsprechende Eingabe gegen eine Behandlung der Religionsfrage gemacht, vgl. das Protokoll Ribisens, RTA JR IV. Nr. 25. S. 162, und eines Pfälzer Sekretärs, RTA JR IV. Nr. 23. S. 99.
Die Rahmentexte und ihre Eigenschaften
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Der Kaiser befahl den Ständen bey den phlichten, damit dein L. uns und dem Reich verwandt ist, eine persönliche Anwesenheit oder eine Vertretung durch Botschafter.15 Ein Nichterscheinen wurde wiederholt als ,Ungehorsam‘ gegenüber Kaiser und Reich gewertet16 und wie etwa 1522 manchmal sogar ausdrücklich mit dem Verlust aller Regalien und Freiheiten bedroht.17 Immer wieder appellierte man an die Solidarität der Stände untereinander, da jene Fürsten und Gesandten, die rechtzeitig am Ort des Geschehens angekommen seien, auf die Unpünktlichen mit unstatten, schweren uncosten und unnuczer verzerung der zeit warten müssten.18 Jeder Stand, der trotz all dieser Mahnungen dem Reichstag fernblieb, wurde schließlich durch die sog. ,clausulam comminatoriam‘ an die zu treffenden Beschlüsse gebunden.19 Mit der Proposition wurde seitens des Kaisers die eigentliche Versammlung eröffnet. Dieser Text begann nochmals mit einer Begründung für die Einberufung des Reichstages, ging anschließend in aller gebotenen Ausführlichkeit auf die Verhandlungspunkte ein und forderte die Stände, nicht selten in Verbindung mit einer Mahnung zur Eile, auf, in die Beratungen einzutreten. Die Reihenfolge der einzelnen Artikel richtete sich dabei in der Regel nach ihrer Wichtigkeit. Dementsprechend nahm auch der Umfang der jeweiligen Ausführungen nach hinten hin meist kontinuierlich ab.20 Nun ist die Relevanz eines Tagesordnungspunktes natürlich Interpretationssache, und die Proposition gab hier lediglich die Ansicht des Kaisers wieder. Aus diesem Grunde kam es regelmäßig zu Diskussionen über die endgültige Reihenfolge. Die Proposition des Augsburger Reichstages von 1530 sah beispielsweise zunächst die Behandlung der Türkenhilfe vor und ergänzte diesen Artikel, der dem Kaiser als der forderst, daran nit allein dem hey. Reich, sonder auch gemeiner Cristenheit vil gelegen,21 galt, mit ausführlichen Schilderungen der Gefahr und Bedrohung 15
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So z. B. im Ausschreiben zum Reichstag 1546, RTA JR XVII. Nr. 1. S. 59. Diese Formel findet sich in diesem Wortlaut in den meisten Ausschreiben. Eine der wenigen Ausnahmen stellt jedoch gleich das Ausschreiben zum Wormser Reichstag 1521 dar, vgl. RTA JR II. Nr. 2. S. 136–138. So etwa in den Ausschreiben zu den Reichstagen von 1524 und 1566, vgl. RTA JR IV. Nr. 14. S. 39 und RTA RV 1566. Nr. 1. S. 139. Vgl. RTA JR III. Nr. 34. S. 188. So etwa im Ausschreiben zum Reichstag von 1546, RTA JR XVII. Nr. 1. S. 59. Vgl. Rauch: Traktat über den Reichstag (Kap. 2, Anm. 36). Cap. I. S. 45. Zu Beginn unseres Untersuchungszeitraums erscheint diese Klausel noch nicht, wird aber seit Ende der 1520er Jahre allmählich zu einem festen Bestand des Ausschreibens. Es gibt allerdings auch Ausnahmen: Die Proposition des Regensburger Reichstages von 1613 führt als ersten Punkt das Justizwesen und erst anschließend die auf den Reichstagen davor dominierende Türkenhilfe an. Trotzdem ist der Artikel der Türkenhilfe der längste und ausführlichste, vgl. StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB 89. Nr. 26. Im Abschied steht er dann wieder an erster Stelle, weil man die anderen Punkte zu keinem Abschluss bringen konnte. Vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 521–533. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 102. S. 304.
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durch die Osmanen. Erst als zweiter Punkt folgte die Religion, der allerdings umgekehrt vielen Ständen gerade als der wichtigere erschien. Aus Sorge, Karl V. könne den Reichstag vorzeitig beenden, wenn die notwendige Türkenhilfe erst einmal bewilligt worden sei, drängten sie deshalb darauf, zunächst über die Glaubensfrage zu verhandeln, womit sie sich schließlich auch durchsetzten.22 Ausschreiben, Propositionen, Abschiede und Mandate bilden gemeinsam den Rahmen der Reichstagsverhandlungen. Im Gegensatz zum Abschied waren die eröffnenden Dokumente zwar nicht öffentlich, sondern zählen zu den nicht-normativen appellativen Textsorten, da der Kaiser die Stände hier zunächst zum Erscheinen und dann zur Aufnahme der Verhandlungen über seine Vorschläge aufforderte, dennoch ist es meiner Ansicht nach durch die enge Beziehung zwischen allen drei Textsorten, die Parallelen bis in den Bereich einzelner Formulierungen aufweisen und einen ähnlich hohen Formalisierungsgrad besitzen, gerechtfertigt und sinnvoll, sie gemeinsam zu betrachten.
6.2 Die erste Reihe von Reichstagen unter Karl V. 1521–1532 Nach seinem ersten Reichstag von 1521 verließ Karl V. für neun Jahre das Reich und übergab die Verantwortung vor Ort dem in Worms aufgerichteten Reichsregiment bzw. seinem Bruder Ferdinand als Statthalter. Die folgenden sechs Reichstage bis einschließlich 1529 fanden ohne den Kaiser statt, bevor dieser 1530 in Augsburg erstmals wieder persönlich anwesend war. Die Versammlungen dieses Zeitraums lassen sich in drei Gruppen einteilen. Am Beginn steht die Verurteilung der reformatorischen Lehre auf dem Wormser Reichstag von 1521. Die entsprechenden öffentlichen Dokumente – in erster Linie das Wormser Edikt mit seinem Publikationsmandat – stellen den Ausgangs- und Bezugspunkt für alle weiteren Maßnahmen bezüglich der Glaubensspaltung dar. Offiziell ist die hier geschaffene Rechtslage bis zum Augsburger Religionsfrieden grundsätzlich in Kraft geblieben. Die fünf folgenden kaiserlosen Reichstage von 1522 bis 1526 zeigen den Umgang von Regiment und Ständen mit der kaiserlichen Vorgabe, der primär von der Bemühung um Ausgleich und Kompromiss geprägt war. In dieser Zeit spielte die Religionsfrage in den Plänen des Kaisers lediglich eine periphere Rolle, da er sich ganz auf seine Auseinandersetzungen mit Frankreich und den Osmanen konzentrierte. Dementsprechend beschränkte er sich auf punktuelle Interventionen wie das Verbot eines Nationalkonzils 1524, ließ den Ständen ansonsten aber relativ freie Hand. Erst Ende der 20er 22
Vgl. Wolfgang Steglich: Die Reichstürkenhilfe in der Zeit Karls V. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen. 11. 1972. S. 7–55, hier S. 44.
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Jahre erkannte er zunehmend die Bedeutung dieses Problems.23 Auf den Reichstagen von 1529, 1530 und 1532 fand schließlich der erste – gescheiterte – Versuch Karls und Ferdinands statt, die immer deutlicher zutage tretende Glaubensspaltung kraft kaiserlicher Autorität zu überwinden. In diesem Zeitraum vollzog sich allmählich die konfessionelle Spaltung des Reichs, die durch die Speyrer Protestation von 1529 erstmals im offenen Auftreten einer reformatorisch gesinnten Partei auf einem Reichstag manifest wurde. Dabei darf man jedoch nicht übersehen, dass die evangelischen Stände zunächst nur eine verschwindend geringe Minderheit bildeten. Erst im Laufe der 30er Jahre nahm ihre Zahl signifikant zu.24 Allerdings ist bei einer konfessionellen Zuordnung einzelner Stände stets größte Vorsicht geboten, denn es existierten keine eindeutigen Kriterien für den Zeitpunkt, ab dem ein Fürst zweifelsfrei als evangelisch zu bezeichnen war. Die evangelische Predigt in seinem Territorium zu gestatten, reichte hier sicher nicht aus, denn gerade in den 1520er Jahren waren viele Stände in diesem Punkt verhältnismäßig offen, weil sie sich über die reformatorische Lehre und ihre Folgen noch gar nicht ausreichend informiert hatten.25 Aber auch in späteren Jahren blieb man eine genaue Definition der evangelischen Lehre noch lange Zeit schuldig. Gerade Kirchenordnungen, deren Erlass oft als Zeichen für die Einführung der Reformation gewertet wird, lassen aufgrund ihrer bereits beschriebenen Heterogenität nur vage Erkenntnisse darüber zu, was einen evangelischen Stand als solchen überhaupt ausmachte. Neben genuin lutherisch geprägten Ordnungen, wie jener von Brandenburg-Ansbach und Nürnberg aus dem Jahre 1533, erließ etwa Kurfürst Joachim II. von Brandenburg 1540 eine Kirchenordnung, die besonders im rituellen Bereich sehr traditionsverhaftet blieb. Als Minimalkonsens darüber, was das ge23
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Vgl. Horst Rabe: Karl V. und die deutschen Protestanten. Wege, Ziele und Grenzen der kaiserlichen Religionspolitik. In: Ders. (Hg.): Karl V. Politik und politisches System. Berichte und Studien aus der Arbeit an der Politischen Korrespondenz des Kaisers. Konstanz 1996. S. 317–345, hier S. 322f. Gegen Ende seiner Regierung sieht er diese Haltung nachträglich als großen Fehler. Als er die Herrschaft in Burgund im Oktober 1555 seinem Sohn Philipp übergab, schärfte er diesem ein, die neuen Sekten sofort zu vertilgen, sollten sie einmal die Grenzen Burgunds überschreiten, um nicht seine eigenen Irrtümer zu wiederholen. Vgl. Alfred Kohler (Hg.): Quellen zur Geschichte Karls V. Darmstadt 1990 (FSGA 15). Nr. 117. S. 467. Einen groben Überblick über die Ausbreitung der Reformation gibt Wallmann: Kirchengeschichte (Kap. 1, Anm. 54). S. 74–77. Zu den Entwicklungen der 1530er Jahre, die in enger Beziehung zum Wirken des Schmalkaldischen Bundes stehen, vgl. Gabriele Haug-Moritz/Georg Schmidt: Schmalkaldischer Bund. In: TRE 30. S. 221–228, hier S. 222, sowie Gabriele Haug-Moritz: Der Schmalkaldische Bund 1530–1541/42. Eine Studie zu den genossenschaftlichen Strukturelementen der politischen Ordnung des heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Leinfelden-Echterdingen 2002 (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde. Bd. 44). S. 123– 125. Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 439f.
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nuin Evangelische ausmachen könnte, schält sich hier lediglich ein gemeinsames Verständnis der Rechtfertigungslehre heraus.26 In diesem Zusammenhang verweist die Person Joachims II. deutlich auf die Schwierigkeiten einer eindeutigen konfessionellen Zuordnung. 1539 hatte er am Rande der Verhandlungen zum Frankfurter Anstand öffentlich das Abendmahl unter beiderlei Gestalt genommen. Eine Zuweisung zur evangelischen Seite nach dem persönlichen Verhalten eines Fürsten, in diesem Falle der Teilnahme an einem bestimmten rituellen Akt, führt hier allerdings in die Irre. Der sächsische Kurfürst Johann Friedrich höchstpersönlich äußerte die Überzeugung, Joachim habe den evangelischen Gottesdienst nur aus politischer Rücksichtnahme mitgefeiert, werde aber aufgrund seiner dynastischen Bindungen – immerhin war er ein Neffe des Mainzer Kurfürsten Albrecht von Brandenburg – niemals offen die Konfession wechseln.27 Bei den Religionsgesprächen von 1540 und 1541 zählte Joachim denn auch trotz Abendmahl und Kirchenordnung weiterhin offiziell zu den katholischen Ständen, obwohl er durch seine offenkundigen Sympathien für die Lutheraner einen handfesten Streit innerhalb des katholischen Lagers über den Abstimmungsmodus verursachte.28 Fragt man nun danach, wie Joachim sich dabei selber sah, so stößt man auf den überraschenden Befund, dass dieser darauf bestand, weder ,römisch‘ noch ,wittenbergisch‘, sondern ,christlich‘ zu sein.29 Er sah sich also gerade keiner Konfessionspartei zugehörig. Albrecht Luttenberger spricht in diesem Fall von „konfessionsneutralen“ Ständen.30 Vielleicht sollte man sie jedoch besser als ,vorkonfessionell‘ bezeichnen, da sie sich der Parteibildung ja gerade ,noch‘ nicht unterworfen und ihrem Selbstverständnis nach den ursprünglichen Zustand der Religion beibehalten haben. Erst im Laufe der Zeit wurde der Anpassungsdruck durch die Konfessionalisierung so groß, dass sich jeder Stand einer Konfession zurechnen lassen musste, denn spätestens seit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 waren reichsrechtlich keine vorkonfessionellen Strukturen mehr vorgesehen. Der Fall Joachims II. zeigt, dass eine Definition durch andere grundsätzlich problematisch ist, denn niemand wollte sich die Definitionshoheit über eine solch sensible 26
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Vgl. hierzu die entsprechende Betonung der Rechtfertigungslehre als den einen haubtartikel […] christliches glaubens durch Joachim II., EKO III. Nr. 3. S. 44. Vgl. daneben auch S. 51 und S. 89. Vgl. Haug-Moritz: Der Schmalkaldische Bund (Anm. 24). S. 113f. Vgl. Thomas Fuchs: Konfession und Gespräch. Typologie und Funktion der Religionsgespräche in der Reformationszeit. Köln/Weimar/Wien 1995 (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit. Bd. 4). S. 411f. Vgl. EKO III. S. 18. Vgl. hierzu grundlegend Luttenberger: Glaubenseinheit und Reichsfriede (Kap. 3, Anm. 130). Zur Definition dieses Begriffs vgl. besonders S. 93–95. In den Augen der anderen Stände erschien diese Haltung oft in einem zwiespältigen Licht, denn hier „herrschte der Eindruck religiöser Gleichgültigkeit und konfessionspolitischer Unzuverlässigkeit vor“, S. 150.
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Frage wie den eigenen Glauben aus der Hand nehmen lassen. Weder durch seine Zeitgenossen noch durch heutige Forscher lässt sich der Kurfürst in eine eindeutige konfessionelle Kategorie drängen. Es existieren weitere Beispiele: Der Onoltzbacher Landtagsabschied der Markgrafen Casimir und Georg von Brandenburg-Ansbach mit ihren Landständen vom 10. Oktober 1526 sollte den Glauben im Lande bis zu einer Konzilsentscheidung regeln. Er enthielt u. a. die Bestimmung, es sollen sich auch alle Prediger in ihren Predigten alles [...] Papistischen/ Lutherischen oder ketzerischen Scheltens/ Ausschreyens [...] enthalten und vermeyden.31 Hier steht der abwertende Begriff ,papistisch‘ direkt neben dem ebenfalls pejorativ gefärbten ,lutherisch‘. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass ,ketzerisch‘ eine dritte Alternative darstellt. Die Fürsten waren somit keiner Seite eindeutig zuzuweisen, sondern vertraten eine mittlere Position. Selbst Luthers großer Gönner und Schutzherr Friedrich der Weise, der seit den Anfängen des Religionsstreits stets seine Hand über den Reformator gehalten hatte, wehrte sich bis kurz vor seinem Tode vehement gegen alle Vorhaltungen, lutherisch zu sein. In einem Brief an Karl V. vom 20. Dezember 1520 versicherte er, dass er sich doctor Martinus schreiben oder predigen zu vertretten oder zu verantworten nie angemast habe.32 Nach Karlheinz Blaschke stellte Friedrichs Haltung keine „diplomatische Scheinheiligkeit“ dar, sondern war durchaus ernst gemeint.33 Die Gründe für seine Hilfe müssen demnach in anderen Bereichen zu suchen sein, in dem landesherrlichen Interesse gegen die Rechte der Kurie, seiner Sorge um die Universität Wittenberg und einem subjektiven Rechtsbewusstsein, das nicht hinnehmen konnte, dass sich ein Angeklagter vor einem Gericht zu verantworten hatte, das zugleich selber Partei war.34 Erst 1525, ein Jahr nachdem Philipp von Hessen sich als erster bedeutender Stand überhaupt für den evangelischen Glauben erklärt hatte, trat er offen zur Lehre Luthers über.35 Die Fürsten bestanden 31
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34 35
Jean du Mont: Corps universel diplomatique du droit des Gens. Tome IV. Parties I–III. Amsterdam/La Hate 1726. IV,1. Nr. CC. S. 465. Die einzelnen Vorschriften zeigen, dass die Fürsten zu diesem Zeitpunkt tendenziell noch eher der katholischen Seite zuzurechnen waren, denn sie wünschten u. a., dass von nun an überall wieder ausschließlich Lateynisch Meß gehalten werden sollte. Selber sahen sie sich als Glieder der H. Christlichen Kirchen, S. 464. Casimir kümmerte sich insgesamt wenig um die Religion und stellte den Evangelischen daher in seinem Land kaum Hindernisse in den Weg, Georg führte schließlich nach 1527 die Reformation ein. Vgl. Heinz Scheible: Fürsten auf dem Reichstag. In: Fritz Reuter (Hg.): Der Reichstag zu Worms von 1521. Reichspolitik und Luthersache. Worms 1971. S. 381 und S. 383. RTA JR II. Nr. 63. S. 470. Karlheinz Blaschke: Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen und die Luthersache. In: Fritz Reuter (Hg.): Der Reichstag zu Worms von 1521. Reichspolitik und Luthersache. Worms 1971. S. 316–335, hier S. 325f. Vgl. Blaschke: Kurfürst Friedrich der Weise (Anm. 33). S. 320f. Vgl. Wolfgang Reinhard: Reichsreform und Reformation 1495–1555. In: Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. Bd. 9. 10., neubearb. Aufl. Stuttgart 2001. S. 109–356, hier S. 277.
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also darauf, selber zu bestimmen, welcher Religionspartei sie angehören oder ob sie sich überhaupt einer Konfession zurechnen lassen wollten. Im Zuge der allmählichen Verfestigung und reichsrechtlichen Absicherung der Konfessionsparteien wurde daneben auch die Akzeptanz durch die eigenen Glaubensgenossen immer wichtiger, weil die Aufnahme in die entsprechende Gruppe zusätzlichen Schutz bot. Da jeder Zuwachs zugleich eine Stärkung der entsprechenden Partei bedeutete, blieb man hier meistens trotz einiger Unterschiede in Lehre und Glaubenspraxis recht kulant. Ein entsprechender Fall führte auf dem Augsburger Reichstag von 1566 beinahe zum Eklat: Drei Jahre zuvor hatte der Pfälzer Kurfürst Friedrich III. in seinen Territorien mit einer neuen Kirchenordnung offiziell den reformierten Glauben eingeführt, der reichsrechtlich nicht durch den Augsburger Religionsfrieden abgesichert war. Die katholische Seite versuchte nun, einen Keil ins evangelische Lager zu treiben, indem sie die Augsburger Konfessionsverwandten aufforderte, gemeinsam mit ihnen gegen die ,Sekte‘ in der Kurpfalz vorzugehen, weil diese nicht der Confessio Augustana entspräche. Da dies letztendlich eine Schwächung der gesamten evangelischen Position bedeutet hätte, verwahrte man sich vehement gegen diese Einmischung von außen. Man wollte und konnte den Katholiken auf keinen Fall zugestehen, an einer Entscheidung über die Frage nach der Zugehörigkeit eines Standes zur Confessio Augustana beteiligt zu werden oder gar eine Richterrolle einzunehmen, da es hier um ein internes theologisch-dogmatisches Problem ging. Auf dieser Basis erklärten die CA-Verwandten den Pfälzer Kurfürsten trotz offenkundiger theologischer Unterschiede auch weiterhin für lehrkonform und sorgten damit indirekt für eine reichsrechtliche Sanktionierung der reformierten Konfession.36 Alle Versuche, einen Reichsstand mittels äußerlicher Kriterien der evangelischen Seite zuzurechnen, bleiben also stets defizitär. Letztendlich muss das Selbstverständnis des entsprechenden Fürsten als deutlichstes Indiz für seine Konfessionszugehörigkeit gelten. Erst wenn dieser sich offen für eine Religionspartei ausspricht, darf man ihn auch wirklich guten Gewissens dazu rechnen, denn eine „Obrigkeit wurde im Verständnis der Zeitgenossen erst in dem Moment unbestreitbar zu reformatorischer Obrigkeit, in dem sie sich gegenüber Dritten […] formell auf den neuen Glauben festlegte.“37 Ähnliches galt natürlich ebenso für die katholischen Stände. Vor dem Konzil von Trient gab es hier keine eindeutige und verbindliche Lehrgrundlage. Besonders augenfällig wurde dieses Manko im Vorfeld der Religionsgespräche von 36
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Zur Verwendung der Bezeichnung ,Sekte‘ in Ausschreiben und Proposition des Reichstages von 1566 vgl. RTA RV 1566. Nr. 1. S. 137 und Nr. 3. S. 175f. Grundlegend für die entsprechenden Verwicklungen ist Hollweg: Der Augsburger Reichstag von 1566 (Kap. 4, Anm. 157). S. 137f., 363f. und S. 373–376. Haug-Moritz: Der Schmalkaldische Bund (Anm. 24). S. 114.
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1540/41, als die katholische Seite sich auf keine einheitliche Position einigen konnte und insgesamt ein recht chaotisches Bild abgab. Man denke in diesem Zusammenhang nur nochmals an die Rolle Kurbrandenburgs oder die lavierende Haltung der Kurpfalz, die damals ebenfalls noch offiziell als katholisch galt, sich aber gleichzeitig zu einem immer unsichereren Kandidaten entwickelte.38 Auch hier galt das Selbstzeugnis des entsprechenden Standes in Verbindung mit einem irgendwie gearteten Bekenntnis zu Rom im Prinzip als ausreichend für eine konfessionelle Zuordnung. Homogene Konfessionsparteien hat es also im Reich lange Zeit nicht gegeben. Daher gilt es unbedingt zu beachten, dass es sich bei der Suche nach entsprechenden Namen von vornherein um Vereinfachungen des wirklichen Sachverhalts handelte! Im Folgenden werde ich in einem ersten Schritt zunächst die Terminologie der offiziellen Verurteilung der reformatorischen Lehre auf dem Wormser Reichstag von 1521 betrachten, die die Ausgangsbasis für alle weiteren Entwicklungen auf reichsrechtlicher Ebene darstellt.39 6.2.1 Die reichsrechtliche Ausgangsbasis: Der Wormser Reichstag von 1521 Der Wormser Reichstag von 1521 ist von besonderer Bedeutung, weil hier das Thema Luther zum ersten Mal, wenn auch vom Kaiser ungewollt, offiziell auf Reichsebene zur Sprache kam.40 Der Reformator war zwar bereits auf dem Augsburger Reichstag von 1518 anwesend, doch die Verhöre durch den päpstlichen Legaten Cajetan fanden nur am Rande statt und stellten keinen Verhandlungsgegenstand der Versammlung selber dar. Nach der Verurteilung Luthers durch Rom forderte die Kurie nun allerdings zur Durchsetzung der entsprechenden Bannbulle die hilf des welt38 39
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Vgl. nochmals Fuchs: Konfession und Gespräch (Anm. 28). S. 411f. Eine wertvolle Grundlage für die folgenden Ausführungen bildet die Habilitationsschrift von Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2), die das Wechselspiel von Reichspolitik und daraus resultierender Religionspolitik einzelner Stände sehr detailliert untersucht. Leider verwendet er mit Vorliebe die Begriffe ,Alt‘- bzw. ,Neugläubige‘ zur Bezeichnung der Konfessionen. Er ist sich der damit verbundenen Problematik durchaus in Ansätzen bewusst, verweist er doch darauf, dass diese Namen zeitgenössisch seien, vgl. S. 20. Eine Überprüfung der angegebenen Quelle, einem Basler Ratsmandat von 1528, zeigt jedoch deutlich, dass gerade diese Begriffe von den Zeitgenossen als diffamierend abgelehnt worden sind. Ihr Gebrauch wird untersagt, denn die Bürger sollen sich aufgrund des Glaubens weder hassen, schmehen, verachten, Papischdisch, Lutherisch, ketzerisch, nüw- oder altglöubig dheinerley wegs nemmen [!] noch schelten, in: Paul Roth (Hg.): Aktensammlung zur Geschichte der Basler Reformation in den Jahren 1519 bis Anfang 1534. Bd. III: 1528 bis Juni 1529. Basel 1937. Nr. 87. S. 68. Damit liefert Kohnle also vielmehr selber den Beweis dafür, dass ein neutraler Gebrauch von Alt- und Neugläubige einem anachronistischen Missverständnis unterliegt. Vgl. Reinhard: Reichsreform und Reformation (Anm. 35). S. 260.
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lichen schwerts zu rettung des christenlichen glaubens,41 wie es später im Wormser Edikt hieß. Aus diesem Grunde war Kaiser Karl V. jetzt seinerseits aufgerufen, klar Stellung zur Luthersache zu beziehen. Allerdings plante er, der Bannbulle lediglich eine kaiserliche Achterklärung folgen zu lassen, ohne dabei die von Rom bereits als abgeschlossen betrachtete Angelegenheit erneut aufzurollen. Luther sollte kein offizielles Verhandlungsthema werden. Daher wurde diese Angelegenheit, ganz im Gegensatz zu der großen Aufmerksamkeit, die ihr im weiteren Verlauf des Reichstages über weite Strecken zuteil wurde, im Ausschreiben wie in der Proposition nicht ausdrücklich erwähnt und fand folglich auch keinen Eingang in den Reichsabschied.42 In allen drei Dokumenten erscheint lediglich ein allgemeiner Bezug auf die ,gemeine Christenheit‘.43 Diese Formulierung darf nun allerdings nicht überbewertet und automatisch als Hinweis auf eine geplante Behandlung der Religionsfrage missverstanden werden. Das Heilige Römische Reich stellte, wie der Name schon nahelegt,44 eine sakrale Größe dar, und der Kaiser galt zumindest in der Theorie als universales Oberhaupt der Christenheit. Aus diesem Grunde wurde in offiziellen Texten neben dem Wohl des Reiches immer wieder auch das der gesamten Christenheit bemüht, unabhängig davon, ob es sich nun um die Religionsfrage und die Türkenkriege oder aber um die Aufstellung des Reichsregiments und die Ordnung des allgemeinen Landfriedens handelte.45 Einige weitere Formulierungen könnten zumindest einen indirekten Hinweis auf die Luthersache enthalten, denn in der Proposition betont Karl V., dass er naigung und begierd [...] tregt zu [...] merung und erhöhung unsers heiligen glaubens, [...] damit die veinde desselben dest leichter vertilgt werden.46 Ob neben den Türken auch Luther unter dieses Verdikt der Glaubensfeindschaft fallen sollte, blieb allerdings offen.47 Daneben existiert ein ähnlich unscharf formulierter Passus in der Regimentsordnung, wo es heißt, das Reichsregiment und der Statthal41 42
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RTA JR II. Nr. 92. S 645. Vgl. Borth: Luthersache (Kap. 3, Anm. 259). S. 111. Zum Reichsabschied vgl. Wohlfeil: Der Wormser Reichstag von 1521 (Kap. 4, Anm. 7). S. 148. Vgl. RTA JR II. Nr. 2. S. 138, Nr. 7. S. 154 und Nr. 101. S. 729. Zur Deutung dieser Bezeichnung vgl. Barbara Stollberg-Rilinger: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Vom Ende des Mittelalters bis 1806. München 2006 (Beck’sche Reihe. Bd. 2399). S. 10–13. Vgl. etwa auch den allgemein gehaltenen Passus in der Wahlkapitulation Karls V. vom 3. Juli 1519, in der es heißt, er habe das Amt eines römischen Königs Got zu lob, dem heiligen reich zu ern und umb der cristenheit und Deutscher nacion, auch gemains nutz willen auf sich geladen, RTA JR I. Nr. 387. S. 865. Zu den entsprechenden Formulierungen in den eröffnenden Passagen der Regiments- und der Landfriedensordnung von 1521 vgl. RTA JR II. Nr. 21. S. 223 und Nr. 29. S. 317. RTA. JR II. Nr. 7. S. 154. Die Verwendung des Plurals könnte durchaus darauf schließen lassen, dass Karl V. sich an dieser Stelle auf Luther bezieht, denn ,der Türke‘ erscheint in Dokumenten jener Zeit stets als Pars
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ter, die während der Abwesenheit des Kaisers die Regierungsgeschäfte im Reich zu führen hatten, sollten das Recht erhalten, des christlichen glaubens anfechter halben im reich und mit anderen christlichen stenden und gewelten zu handlen.48 Auch hier ist unklar, ob damit in erster Linie die akute Türkenbedrohung oder auch die reformatorische Bewegung gemeint war.49 Während also die im Prozedere verankerten Rahmendokumente zu diesem Thema weitgehend schwiegen, wurden alle öffentlichen Texte, die sich mit der Luthersache befassten, ohne offizielle Beteiligung der Stände alleine durch den Kaiser verantwortet. Eine erste Maßnahme von Seiten Karls erfolgte bereits am 10. März 1521, also noch vor der Ankunft Luthers, in Form eines Sequestrationsmandats gegen dessen Schriften, das ohne vorherige Konsultation des Reichstages erlassen worden war.50 Nachdem die Fürsten und Städte sich mit ihrer Forderung durchgesetzt hatten, Luther vor einer Verurteilung auf dem Reichstag zu Worte kommen zu lassen, war dies wohl als präjudizierende Maßnahme gedacht, um bereits im Vorfeld den Spielraum der Stände zu beschneiden und sie auf eine Verurteilung festzulegen.51 Karl berief sich bei diesem Schritt auf sein Amt als vogt, beschirmer und handhaber der hailigen kirchen cristenlichen glaubens und des bebstlichen stules.52 Diese Kirchenadvokatie, zu deren Ausübung er sich bereits in seiner Wahlkapitulation von 1519 verpflichtet hatte53 und auf die er bei zukünftigen Verlautbarungen zur Religionsfrage immer wieder Bezug nahm, stellte eine der wesentlichsten Grundlagen für den Universalanspruch des Kaisertums dar.54 Ein Brief des Großkanzlers Mercurino de Gattinara von 1519 beschreibt die sich daraus ergebenden Herrscherpflichten. Neben der Friedenswahrung und der Gesetzgebung besteht seine Aufgabe
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pro toto im Singular, s. u. Kap 7.2.2. Ein ähnliches Votum vertritt auch Wohlfeil: Der Wormser Reichstag von 1521 (Kap. 4, Anm. 7). S. 79. RTA JR II. Nr. 21. S. 225. § 3. Nach Armin Kohnle bezieht sich dieser Artikel in der ursprünglichen Textintention nicht direkt auf Luther, auch wenn man ihn natürlich durchaus in diesem Sinne umdeuten konnte. Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 105. Vgl. RTA JR II. Nr. 75. S. 529–533. Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 93. Die Stände konnten sich bei ihrer Forderung auf einen Passus der Wahlkapitulation von 1519 berufen, der besagte, dass kein Bewohner des Reiches on ursach, auch unverhort in die Acht getan werden durfte, RTA JR I. Nr. 387. S. 873. RTA JR II. Nr. 75. S. 531f. Hier versprach er, daz wir […] die cristenheit und den stul zu Rom, auch bebstliche Heiligkeit und die kirchen als derselben advocat in guetem bevelch und schirm haben, RTA JR I. Nr. 387. S. 865f. Vgl. Albrecht Pius Luttenberger: Kirchenadvokatie und Religionsfriede: Kaiseridee und kaiserliche Reichspolitik im 16. und 17. Jahrhundert. In: Rolf Gundlach, Hermann Weber (Hg.): Legitimation und Funktion des Herrschers. Vom ägyptischen Pharao zum neuzeitlichen Diktator. Stuttgart 1992 (Schriften der Mainzer Philosophischen Fakultätsgesellschaft. Nr. 33). S. 185–232, hier S. 185.
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als ,protector et defensor ecclesiae‘ demnach auch darin, die Christenheit vor äußeren und inneren Gegnern zu schützen sowie angesichts kirchlicher Missstände Reformen einzufordern und anzustoßen.55 Damit gehen genau jene Tätigkeitsfelder konform, die sich wie ein roter Faden durch Karls Regentschaft ziehen: die Sorge um Frieden im Reich und die Kriege mit Frankreich, die nach Auffassung Karls letztendlich der Befriedung der Christenheit als Ganzes dienten, die Abwehrkämpfe gegen die Türken, die Förderung einer Kirchenreform sowie natürlich das Vorgehen gegen die vermeintlichen Ketzer. Nach Horst Rabe ist die gesamte Religionspolitik Karls von dieser universalen Kaiseridee mit ihrer engen Verbindung von Kaisertum und römischer Kirche aus zu interpretieren. Es ging ihm demnach nicht in erster Linie um theologische Fragen und die Bekämpfung der Reformation als solcher, sondern um die Erhaltung der kirchlichen Einheit als Legitimationsgrundlage für sein Konzept der ,Monarchia universalis‘.56 Zusätzlich fiel die Frage nach der wahren Religion grundsätzlich unter die herrscherliche Fürsorgepflicht, war doch die Obrigkeit von Amts wegen berufen, durch einen Schutz des reinen Glaubens das Seelenheil ihrer Untertanen zu sichern.57 Karl erkennt die Verdammung von Luthers Werken durch den Papst als vollkommen gerechtfertigt an, in dieser Frage sieht er keinerlei weiteren Diskussionsbedarf. Damit folgt er nicht zuletzt auch dem Reichstagsbeschluss, dass Luther nicht nach Worms geladen wurde, um über seine Lehren zu disputieren, sondern nur, um ihm Gelegenheit zum Widerruf zu geben.58 Dementsprechend weist die Wortwahl des Mandats große Ähnlichkeit mit den Dokumenten der Kurie auf: Luthers Predigten und Schriften sind unserm heiligen glauben cristenlicher ler, satzung und gebrauch in vil weg ganz widerwertig und verletzlich59 und mit vil bösen substanzen und irrungen vermischet.60 Die kaiserlich-katholische Seite erhebt damit einen universalen Wahrheitsanspruch, während Luthers Lehre mit Begriffen aus dem Bereich der Ketzerterminologie als Irrtum abgetan wird. Die Begründung stützt sich dabei in erster Linie auf die Tradition: Luther verbreitet neuigkeit und irrsal und widerspricht 55
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Vgl. Kohler: Quellen zur Geschichte Karls V. (Anm. 23). Nr. 8. S. 59f. sowie Franz Bosbach: Monarchia Universalis. Ein politischer Leitbegriff der frühen Neuzeit. Göttingen 1988 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bd. 32). S. 38–41 und S. 51. Vgl. Rabe: Karl V. und die deutschen Protestanten (Anm. 23). S. 317 sowie S. 344f. sowie Burkhardt: Reformationsjahrhundert (Kap. 1, Anm. 5). S. 141–149. In diesem Sinne argumentierten in späteren Jahren auch die evangelischen Obrigkeiten, die in ihren Kirchenordnungen ebenfalls stets auf ihr Amt verwiesen haben, s. o. Kap. 4.3.1. Vgl. Wallmann: Kirchengeschichte (Kap. 1, Anm. 54). S. 32f. und Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 91. RTA JR II. Nr. 75. S. 531. RTA JR II. Nr. 75. S. 532.
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damit all jenem, was unser vätter und voreltern vil hundert jar her geglaubt und gehalten.61 Ebenso wie in den theologischen Texten zeigt sich hier die Hochschätzung des Alten und die Abqualifizierung von Luthers Gedanken als neu.62 Die meisten Punkte sind zudem bereits auf dem Konstanzer Konzil in Zusammenhang mit der Verurteilung von Jan Hus unter Zustimmung von Kaiser und Ständen verworfen worden. Dieser Rückbezug auf frühere Konzilien greift ebenfalls ein Argument der päpstlichen Bullen auf, wenn auch mit der bedeutsamen Einschränkung, dass man diesmal ausschließlich auf Konstanz rekurrierte und die Beteiligung des Reiches ganz besonders betonte. Auf diese Weise verpflichtete die kaiserliche Seite die Stände bereits im Vorfeld des Verhörs auf eine Verurteilung Luthers, da alles andere dem vom Reich maßgeblich mitverantworteten offiziellen Konzilsbeschluss widersprechen würde. Durch eine Parallelisierung mit Hus weckte sie zudem Erinnerungen an die Hussitenkriege, um entsprechende Ängste vor Aufruhr infolge religiöser Veränderungen auszulösen. Und schließlich konnte Karl sich in die direkte Nachfolge Kaiser Sigismunds und seiner besonderen Rolle im Rahmen der damaligen Kirchenreformbestrebungen stellen.63 Besondere terminologische Nuancen zeigen allerdings, dass Karl V. sich nicht ohne wenn und aber in das Fahrwasser Roms begab. Durch das Zugeständnis, Luthers Schriften könnten neben ketzerischen Lehren durchaus Gutes enthalten, das es zu bewahren gelte, stellt er sich eindeutig gegen eine Pauschalverurteilung nach dem Vorbild der Bannbulle.64 Auch ist niemals von der bereits erfolgten Exkommunizierung des Reformators die Rede. Aus diesem Grund findet die Ketzerterminologie lediglich auf die Lehre, nicht jedoch auf Luther selber Anwendung, der dagegen meist direkt bei seinem Namen genannt wird. Eine potentielle Anhängerschaft erscheint lediglich indirekt, wenn es etwa heißt, niemand dürfe dergleichen neuigkeiten und irsall, weder aus Martin Luthers noch ander haissen oder bevelh, noch in irem namen schreiben oder verbreiten.65 Damit ist angedeutet, dass es unter Theologen bereits eine ganze Gruppe gab, die in reformatorischem Sinne lehrte; ein eigener Parteiname existiert allerdings noch nicht. Angesichts dieses terminologischen Befunds kann von einer Annahme der Bannbulle durch Kaiser und Reich zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede sein. Auch wenn der Kaiser bereits vor dem Verhör Lu61 62 63
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RTA JR II. Nr. 75. S. 531. Zur Alt-neu-Problematik vgl. ausführlich Kap. 3.3.2. Diese Argumentation wird auch dadurch gestützt, dass Karl V. sich in seiner Erklärung zu Luthers Lehre vor den Ständen vom 19. April 1521 ebenfalls auf die Rolle seiner Vorgänger u. a. auf dem Konstanzer Konzil berief. Vgl. RTA JR II. Nr. 82. S. 595 sowie Luttenberger: Kirchenadvokatie und Religionsfriede (Anm. 54). S. 207. RTA JR II. Nr. 75. S. 532. RTA JR II. Nr. 75. S. 532. Hervorhebung durch den Verf.
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thers Fakten schaffen wollte, so vermied er es in diesem Punkt tatsächlich, der Entscheidung der Stände vorzugreifen. Nachdem jede Bemühung, Luther zum Widerruf zu bewegen, gescheitert und dieser am 26. April abgereist war, erhielt der päpstliche Nuntius Aleander den Auftrag, ein Edikt gegen den Reformator zu entwerfen. Am 8. Mai reichte er eine lateinische und eine deutsche Fassung ein, die zunächst genehmigt und dem Kaiser nach erfolgter Reinschrift am 12. Mai zur Unterschrift vorgelegt wurde. Karl V. zögerte seine Zustimmung jedoch noch hinaus, da er das Mandat zunächst den Ständen zur Kenntnis bringen wollte. Erst am 25. Mai erfolgte die öffentliche Verlesung des Mandats vor den noch in Worms verbliebenen Ständen, am nächsten Tag die Unterzeichnung durch den Kaiser. Daraufhin besorgte Aleander den offiziellen Druck, wie er veröffentlicht und gemeinsam mit dem Publikationsmandat an die Stände versandt wurde. Allerdings wurden zwischen dem 12. und dem 26. Mai noch Änderungen eingefügt, die im Druck zum Tragen kamen, nicht jedoch in den vom Kaiser unterzeichneten Texten. Aus diesem Grunde existieren sozusagen drei Fassungen, das deutsche und lateinische handschriftliche Original sowie der offizielle Druck. Da das Mandat im Reich auf der Basis des Druckes bekannt gemacht wurde, ist dieser als die eigentliche reichsrechtlich relevante Fassung zu interpretieren und soll deshalb im Folgenden als Grundlage für die weiteren Betrachtungen dienen.66 Das Edikt umfasst insgesamt drei Teile:67 Die Narratio mit einer Rekapitulation des Kirchenbanns und der Vorgänge auf dem Wormser Reichstag, die Dispositio mit der eigentlichen Verhängung der Reichsacht über Luther und seine Anhänger sowie ein allgemeines Zensurgesetz, das jedem Drucker vorschrieb, vor Veröffentlichung eines theologischen Werkes die Genehmigung des zuständigen Ortspfarrers sowie das Gutachten einer theologischen Fakultät einzuholen.68 Wie bereits in dem zuvor behandelten Mandat berief sich Karl V. auf sein kaiserliches Amt, das ihm den Schutz der heiligen Römischen und gemeiner kirchen auftrage.69 In dieser Funktion sei er durch den päpstlichen Gesandten gebeten worden, die Exekution des Banns 66
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Zur Entstehungsgeschichte des Wormser Edikts vgl. die Anmerkungen in RTA JR II. S. 453f. sowie S. 640f. Anm. 3. Mit der hauptsächlichen Berücksichtigung der Druckfassung vom 26. Mai 1521 folge ich der ebenfalls dort verwendeten Argumentation. Insgesamt wird hier die wichtige Rolle Aleanders deutlich, der auch sonst großen Einfluss auf den Kaiser genommen hatte, vgl. Wohlfeil: Der Wormser Reichstag von 1521 (Kap. 4, Anm. 7). S. 121. Zur Dreiteilung des Edikts vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 101–103. Darin folgt das Dokument zumindest partiell dem Aufbau eines Reichsabschieds. Vgl. RTA JR II. Nr. 92. S. 658. RTA JR II. Nr. 92. S. 643. Nochmals erscheint er auf S. 645 ausdrücklich als des christenlichen glaubens waren und obristen beschimer und des heiligen bäbstlichen stuls und der Römischen und gemeinen cristenlichen kirchen advocaten. Zudem bezieht Karl sich zu Beginn der eigentlichen Achterklärung allgemein auf sein kaiserliches Amt, vgl. S. 653.
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im Reich durchzusetzen.70 Daneben fühlt er sich aber auch seinen Vorfahren, seiner göttlichen Berufung zur Herrschaft über so zahlreiche Länder und – wie zuvor bezeichnenderweise bereits Luther – seinem Gewissen verpflichtet.71 Terminologisch gesehen erkennt man u. a. dank der Einflussnahme Aleanders unschwer die kurialen Texte wieder. Karl stellt sich voll und ganz hinter den universalen Anspruch Roms auf Rechtgläubigkeit. Die ,Römische Kirche‘, die mit der ,gemeinen‘, also katholischen, bzw. mit der ,christlichen Kirche‘ identisch ist,72 gilt ihm als alleinige Repräsentantin der wahren christenlichen religion und ordnung73 und des ,christlichen Glaubens‘.74 Ihr Oberhaupt ist der Papst als der hailigen Römischen und gemainen christenlichen kirchen obrister bischoff.75 Damit folgt das Wormser Edikt eindeutig der kurialen Sichtweise und übernimmt auch die entsprechende universalistischen Terminologie. Dieser ,christlichen‘ Seite steht nun Luthers Lehre entgegen. Hier spricht der Text in deutlichen und scharfen Worten aus dem Bereich der Ketzerterminologie von ketzereien, die bereits mit gemainer kirchen verwilligung warlich verdampt und itz von neuem aus der hellen gezogn sein.76 Besondere Erwähnung findet in diesem Zusammenhang erneut das Konstanzer Konzil, wodurch die Reformation wieder ausdrücklich mit der verdampten Beheim gewonheit und gebrauch sowie des Hussen irrsal parallelisiert wird.77 Die Ablehnung des freien Willens sei sogar heidnischem Gedankengut geschuldet.78 Im Gegensatz zum vorausgehenden Mandat wird die Ketzerterminologie nun allerdings nicht mehr nur auf die Lehre, sondern auch auf Luther direkt angewendet. Neben einigen nament-
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RTA JR II. Nr. 92. S. 645. Vgl. RTA JR II. Nr. 92. S. 643f. Zu Luthers berühmtem Auftritt vor dem Reichstag am 18. April 1521, wo er einen Widerruf gegen sein Gewissen und sein Verständnis der Heiligen Schrift verweigerte, vgl. den entsprechenden Bericht RTA JR II. Nr. 79. S. 555 sowie Schwarz: Luther (Kap. 3, Anm. 57). S. I 106f. Die Identität zwischen römischer und allgemeiner Kirche zeigt bereits die häufige Kombination beider Attribute. Die ,heilige Römische Kirche‘ taucht ebenso wie die ,gemeine Kirche‘ jeweils nur einmal alleine auf, vgl. RTA JR II. Nr. 92. S. 643 und S. 644. In Verbindung miteinander erscheint sie insgesamt dreimal, vgl. S. 643, 644, 645. Am häufigsten wird die ,christliche‘ bzw. ,heilige christliche Kirche‘ verwendet, vgl. S. 646, 647, 649, 651, 652, 655, 657, sowie die ,heilige Kirche‘, S. 646, 647, 649. Daneben erscheint sie auch als gotes kirchen, S. 654, 656, oder schließlich ohne weitere Beifügung, S. 645, 647. Zur Definition des Kirchenbegriffs s. o. Kap. 4.1 sowie Kap. 4.3.1. RTA JR II. Nr. 92. S. 644. Vgl. RTA JR II. Nr. 92. S. 644, 645, 646, 647, 648, 653, 658; Daneben erscheint der ,heilige Glaube, S. 643, 657, und der ,wahre, gerechte Glaube‘, S. 648. RTA JR II. Nr. 92. S. 644. RTA JR II. Nr. 92. S. 644. Vgl. auch S. 646. RTA JR II. Nr. 92. S. 646 und S. 648. Vgl. RTA JR II. Nr. 92. S. 647.
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lichen Nennungen79 belegt man ihn mit diffamierenden Bezeichnungen wie ein wüettender und unsinnig oder [...] mit dem pösen geist besessen.80 Man behauptet, er sei nit ein mensch, sonder […] der böss veinde in gestalt eins menschen mit angenomer münchskuten, der alte und neue Ketzereien in ein stinkende phützen zusamen versamelt.81 Solche persönlichen Ausfälle gegen Luther lassen die allgemein polemisierende Sprachebene der Flugschriften anklingen. Schließlich wird er ausdrücklich zu einem verdampten und in seiner verstopften verkerung verharten und von dem prauch der christlichen kirchen abgesunderten mensch und offenbaren ketzer erklärt, der zahlreiche neuerung und irrsal im glauben82 eingeführt habe, damit er den waren, gerechten glauben zerstöre und under dem namen und schein der ewangelischen lere allen ewangelischen frid und liebe [...] umbkere und niderdrucke.83 Hier erscheint ein deutlicher Hinweis auf den Begriff ,evangelisch‘ als Selbstbezeichnung der Lutheranhänger.84 Ebenso wie in der Publizistik wird der Anspruch Luthers, evangelisch zu sein, mit der angeblich entgegengesetzten Realität seiner Lehre konfrontiert, um der Gegenseite diesen universalen Begriff abzusprechen und für sich selber zu reklamieren. Daneben zitiert das Edikt auch einige Fremdbezeichnungen für die römische Seite aus polemischen Schriften Luthers. In seiner Ablehnung des Konstanzer Konzils spricht dieser mit seinem beflecten mund von einer sinagog des teufels und nennt alle die, so darin gewesen sein und Johansen Hussen umb seiner ketzereischen handlung willen zu verprennen verordent haben, [...] entchristen und des teufels appostel, totsleger und phariseier und sagt, das ales das, so in demselben concili von des Hussen irrsal wegen verdampt, christenlich und ewangelisch sei.85
Der Hinweis auf Luthers Selbstverständnis sowie die Präsentation seiner drastischen Sprache dienen hier als weiterer Beweis für die ketzerischen Ansichten des Reformators und sollen die Empfänger des Mandats gegen ihn einnehmen. Als Folge der Exkommunizierung wird schließlich die Reichsacht über Luther samt seinen mitverwandten, anhengern, enthaltern, fürschiebern, gönnern und
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Vgl. RTA JR II. Nr. 92. S. 644, 645, 646, 649, 652, 653, 654, 655, 656, 658. RTA JR II. Nr. 92. S. 646 und S. 653. RTA JR II. Nr. 92. S. 648. RTA JR II. Nr. 92. S. 649 und S. 650. RTA JR II. Nr. 92. S. 648. Nochmals erscheint dieser Begriff in Zusammenhang mit Luthers Aussagen zu Jan Hus, dessen Lehre christenlich und ewangelisch sei, er wird hier also direkt Luther in den Mund gelegt, RTA JR II. Nr. 92. S. 648. RTA JR II. Nr. 92. S. 647f.
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nachvolgern ausgesprochen.86 Diese juristische Formel ist uns bereits in den Bullen begegnet. Sie erweist sich damit als Bestandteil einer allgemeinen Rechtssprache, die so oder ähnlich auch in anderen Achterklärungen und Dokumenten Verwendung fand und sich per se weder auf die Religion bezieht noch eine tatsächlich existente Anhängerschaft voraussetzt. In enger Verbindung hierzu steht die Frage des ,Gehorsams‘. In seinen Lehren wie in der Weigerung, der Ladung nach Rom Folge zu leisten, hatte Luther sich als ,ungehorsam‘ erwiesen. Der Kirchenbann war die zwangsläufige Folge.87 Zudem wird ihm vorgeworfen, die christglaubigen durch seine Schriften zu auflauf, zertrennung und ungehorsam reizen zu wollen.88 Hier handelt es sich ebenfalls um eine allgemeine rechtliche Begrifflichkeit, die nicht genuin mit der Religionsfrage zusammenhängt. Jeder, der gegen Anweisungen von Kaiser und Reich verstieß, wurde mit dem Etikett des Ungehorsams versehen, man denke in diesem Zusammenhang etwa an die Einforderung des Gehorsams im Reichstagsausschreiben oder an die regelmäßigen Drohungen gegenüber jenen Ungehorsamen, die sich bei der Bezahlung der Türkensteuer als säumig zeigten.89 Diese Terminologie verweist damit auf die Glaubensfrage als Sache des Reichsrechts, denn letztendlich stellte das Wormser Edikt mit der Erklärung der Reichsacht ja in erster Linie eine juristische Maßnahme dar. Auch wenn Armin Kohnle anmerkt, dass die Achterklärung selbst nur implizit erfolgt sei, da die eigentliche Ächtungsformel gefehlt habe,90 lassen die weiteren Begleitumstände – die Vorladung Luthers zum Prozess im Vorfeld der Ächtung, das Verbot, mit dem Geächteten Gemeinschaft zu pflegen und ihn zu unterstützen sowie die übliche Bann- und Achtandrohung für jeden Übertreter des Edikts – kaum einen Zweifel, dass es sich insgesamt um eine gültige Reichsacht gehandelt hat.91 Am 26. Mai folgte schließlich noch ein kurzes offizielles 86
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RTA JR II. Nr. 92. S. 655. Vgl. dazu auch den Titel des offiziellen Drucks vom 26. Mai 1521: DEr Römischen Kaiser/ lichen Majestat Edict wider/ Martin Luther Bücher/ vnd lere seyne anhen-/ ger Enthalter vnd/ nachuolger vnnd/ Etlich annder/ schmeliche sch/ rifften. Auch/ Gesetz/ der Druckerey, RTA JR II. Nr. 92. S. 641. Vgl. RTA JR II. Nr. 92. S. 644f. Das ist der Grund für das abschließende Zensurgesetz, RTA JR II. Nr. 92. S. 656. Zu konkreten Beispielen s. o. Kap. 4.1. Anm. 45. Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 102. Es wird lediglich erklärt, dass man dem Urteil des Papstes als dem zuständigen ,ordentlichen Richter‘ folge und Luther von nun an auch von Reichs wegen als Ketzer betrachte, vgl. RTA JR II. Nr. 92. S. 654. Vgl. RTA JR II. Nr. 92. S. 654 und S. 658. Zur Definition der Reichsacht vgl. D. Landes: Art. Acht. IV. Neuzeit. In: Wolfgang Stammler u. a. (Hg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. 5 Bde. Berlin 1964–1998. Bd. 1. Sp. 32–36 sowie Matthias Weber: Zur Bedeutung der Reichsacht in der Frühen Neuzeit. In: Johannes Kunisch (Hg.): Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte. Berlin 1997 (ZHF. Beiheft 19). S. 55–90, hier S. 60. In seinen Beispielen führt Weber die Ächtung Luthers ausdrücklich als Beispiel für den Einsatz einer Achterklärung als politisches Instrument auf, der aus religionspolitischen Gründen noch die Ächtung Herzog Ulrichs
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Publikationsmandat, das diese Angelegenheit rechtlich zum Abschluss bringen sollte. Hier heißt es lediglich, der Kaiser habe mit rat und willen unser und des heiligen reichs churfürsten, fürsten und stende, hie bei uns versammelt, ein edict und gebotsbrief Martin Luther und ein gesetz die druckerei berurend ausgeen lassen,92 dessen Veröffentlichung und Befolgung nun angeordnet wird. Das Wormser Edikt wandte sich in erster Linie gegen Luther selber. Weitere Theologen sowie mögliche unspezifische Helfer erschienen nur indirekt, von einer eigenen Glaubenspartei war keine Rede. Die Reichsstände wurden durch diese scharfen antilutherischen Äußerungen nicht tangiert, denn offiziell waren zu diesem Zeitpunkt noch alle Fürsten und Städte treue Anhänger Roms. Trotzdem besaß der Reformator nicht wenige Sympathisanten. Dass Friedrich der Weise seine Hand über seinen Wittenberger Professor hielt, war natürlich allgemein bekannt. Diese Tatsache resultierte schließlich in dem etwas seltsamen Handel, dass der Kaiser aus politischer Rücksichtnahme darauf verzichtete, dem sächsischen Kurfürsten ein offizielles Exemplar des Wormser Edikts zukommen zu lassen, um ihm Loyalitätsprobleme zu ersparen, und dieser daher nicht verpflichtet war, in seinem Territorium aktiv gegen Luther vorzugehen.93 Dieser erste reichsrechtliche ,Kompromiss‘ in der Religionsfrage macht deutlich, dass es Karl darum ging, größere Konflikte tunlichst zu vermeiden, um sich den Rücken für seine Auseinandersetzungen mit Frankreich und den Osmanen frei zu halten – ein Vorgeschmack auf den im Gegensatz zur theologischen Ebene eher taktierenden Umgang mit der Reformation auf politischem Parkett, der bei aller zur Schau gestellten Rigorosität und Glaubensfestigkeit doch stets nach möglichen Hintertürchen und alternativen Handlungsoptionen Ausschau hielt. Neben Kurfürst Friedrich wollten auch andere Stände Luther und seinen antirömischen Kurs für ihre Zwecke einspannen, fand sich hier doch endlich ein Theologe, der ihren Vorbehalten gegen das Papsttum und den Forderungen nach kirchlichen Reformen Nachdruck verlieh, die gerade auf dem Wormser Reichstag einen ersten Höhepunkt erreichten. In seiner Schrift ,An den christlichen Adel deutscher Nation von des geistlichen Standes Besserung‘ aus dem Jahre 1520 hatte Martin Luther zahlreiche Kritikpunkte formuliert, die genauso auch in den Beschwerden der Reichsstände gegen Rom, den sogenannten ,Gravamina nationis Germaniae‘, hätten stehen können. Damit hatte er sich gleichsam „an die Spitze der antirömischen Be-
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v. Württemberg 1546, Johann Friedrichs v. Sachsen und Philipps v. Hessen im Zusammenhang mit dem Schmalkaldischen Krieg ebenfalls 1546 sowie Magdeburgs 1547 folgen. Bezeichnenderweise ergingen diese Ächtungen im Gegensatz zu derjenigen Luthers rechtswidrig ohne vorhergehenden Prozess, vgl. S. 63f. RTA JR II. Nr. 93. S. 659f. Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 103.
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wegung gesetzt“94 und konnte sich durchaus der Sympathien zahlreicher Fürsten gewiss sein. Das zeigen nicht zuletzt die zähen Verhandlungen einiger Ständevertreter mit Luther, die ihn zu einem Teilwiderruf bewegen wollten, um wenigstens seine Reformforderungen zu retten. Insgesamt gab es zu diesem Zeitpunkt kaum einen Reichsstand, der sich dezidiert gegen Luther gestellt hätte, nicht zuletzt auch deshalb, weil viele von ihnen in Worms erstmals überhaupt mit der reformatorischen Lehre in Berührung gekommen waren und sich bis zu diesem Zeitpunkt noch kein wirkliches Bild von ihr hatten machen können. Zu den wenigen Luthergegnern bereits im Vorfeld des Reichstages zählte Herzog Georg von Sachsen,95 während dagegen selbst ein so einflussreicher geistlicher Fürst wie der Salzburger Erzbischof Matthäus Lang von Wellenburg in einer eher mittleren Position gesehen werden muss.96 Wenn im Edikt wie im Publikationsmandat also ausdrücklich von einer Zustimmung der Stände die Rede ist,97 so entspricht dies den Tatsachen nur am Rande. Auch waren viele wichtige, v. a. weltliche Fürsten, wie die Kurfürsten von Sachsen und der Pfalz, bereits abgereist, als das Edikt verlesen wurde. Unter jenen Ständen, die sich am 25. Mai beim Kaiser versammelt hatten, war die Geistlichkeit deutlich im Übergewicht. Luther und seine Anhänger bestritten denn auch späterhin vehement die Rechtsgültigkeit dieses Dokuments.98 Natürlich konnte sich der Kaiser darauf stützen, dass die Stände bereits zuvor ihre Einwilligung gegeben hatten, Luther zu verurteilen, wenn er einen Widerruf verweigern würde,99 aber die Wirkungsgeschichte zeigt, dass eine solch scharfe Form dann doch nicht im Interesse aller Reichsstände lag. Insgesamt ließ die Befolgung des Edikts denn auch sehr zu Wünschen übrig. Armin Kohnle zieht hier eine eher ernüchternde Bilanz, derzufolge die Umsetzung aller Reichsreligionsbeschlüsse in den Territorien primär von der per94 95
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Reinhard: Warum hatte Luther Erfolg? (Kap. 3, Anm. 470). S. 15. Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 85 sowie Scheible: Fürsten auf dem Reichstag (Anm. 31). S. 397. Vgl. Scheible: Fürsten auf dem Reichstag (Anm. 31). S. 387f. Vgl. neben dem Publikationsmandat RTA JR II. Nr. 92. S. 653. Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 100. Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 101. Zudem verweist Kohnle darauf, dass eine Zustimmung der Stände rein rechtlich gesehen überhaupt nicht vonnöten gewesen wäre und Karl somit lediglich als zusätzliches Argument dient. Dagegen verweist Georg Schmidt darauf, dass das Wormser Edikt nicht als allgemeingültiges Reichsgesetz gewertet werden könne, da das Element der Aushandlung zwischen Kaiser und Ständen fehle. Damit habe Karl V. jedoch eindeutig gegen seine Wahlkapitulation verstoßen, was die großen Akzeptanzprobleme des Edikts erkläre, vgl. Georg Schmidt: ,Aushandeln‘ oder ,Anordnen‘. Der komplementäre Reichs-Staat und seine Gesetze im 16. Jahrhundert. In: Maximilian Lanzinner/ Arno Strohmeyer (Hg.): Der Reichstag 1486–1613. Kommunikation – Wahrnehmung – Öffentlichkeiten. Göttingen 2006 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bd. 73). S. 95–116, hier S. 103f.
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sönlichen Einstellung der Stände bestimmt gewesen sei. Eine wesentliche Änderung in der Haltung für oder gegen die Reformation haben sie niemals bewirkt!100 6.2.2 Von der Verurteilung zur Duldung: Reichstage 1522–1526 Nachdem Karl V. Deutschland verlassen hatte, nahm das Reichsregiment seine Arbeit auf. Wie bereits erwähnt, ließ die Regimentsordnung offen, ob es sich auch mit der Luthersache zu befassen hatte, aber es gehörte sicher zu seinen Aufgaben, dem Wormser Edikt als kaiserlicher Anordnung entsprechende Geltung zu verschaffen. Nach der Achterklärung gegen Luther schien die Angelegenheit allerdings fürs Erste erledigt, denn alle offiziell notwendigen rechtlichen Verfahren waren zu einem Abschluss gekommen. Daher beschäftigte sich das Regiment zunächst nicht weiter mit diesem Thema. Erst Herzog Georg von Sachsen bewirkte hier eine Wende. Seit er Anfang 1522 turnusmäßig im Regiment saß, drang er mit Nachdruck auf Maßnahmen gegen Luther. Schließlich konnte er sich nach heftigen Auseinandersetzungen mit dem Vertreter Kursachsens, Hans von der Planitz, durchsetzen: Am 20. Januar 1522 griff das Reichsregiment erstmals mit einem eigenen Mandat in die Glaubensfrage ein.101 Der Text beginnt mit einer Aufzählung einiger neuerungen und enderungen wider die aufsatzung und geprauch der Cristenlichen kirchen, so von unsern vorfordern vil hundert jar unverwechslet an uns herkomen. Ebenso wie im kaiserlichen Mandat vom 10. März 1521 und im Wormser Edikt bezieht man sich also auch hier auf den ,alten‘ Glauben der Vorfahren als Argument gegen die ,neuen‘ Lehren. Deren Inhalte werden anhand konkreter Beispiele veranschaulicht, etwa die Verwendung der deutschen Sprache in der Messe, der Laienkelch oder Eheschließungen von Klerikern und Ordensleuten. Als Verursacher solcher Änderungen nennt man etlich priester oder bestimmte gaistlichen und ordensleut. Daneben gibt es auch unter den Laien etlich personen, die es frevenlich gewagt hätten, die priester, so nach ordenlichem rechten herbrachten gebrauch mess lesen wollen, mit gwalt vom altar zu treiben. Schließlich erwähnt das Dokument noch dieselbigen, so solich erneuerung eingefurt heten und dem noch anhangen wolten. Solche allgemeinen Umschreibungen beziehen sich primär auf bestimmte Zeremonien und Vorgänge, sind also als zeremoniebezogene Terminologie zu bezeichnen. Diese bietet eine erste Möglichkeit, die Gegenseite von einem objektiven, eher beobachtenden Standpunkt aus zu umschreiben. Die Neuerungen durch die Geistlichkeit sowie die an Aufruhr und 100
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Diese Erkenntnis scheint überall in Kohnles Arbeit auf. Vgl. zusammenfassend Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 438–446. Gess: Akten und Briefe 1 (Anm. 7). Nr. 288. S. 250–252. Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 105f.
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Ungehorsam gemahnenden Gewaltakte der Laien lassen die reformatorische Bewegung zwar weiterhin in einem höchst bedenklichen Licht und in deutlichem Widerspruch zur universalen katholischen Rechtgläubigkeit erscheinen, doch eine Verketzerung oder polemisierende Diffamierung wie im Wormser Edikt findet sich hier nicht mehr. Daneben erscheint weder eine umfassende Gruppenbezeichnung für die Lutheranhänger noch eine Nennung des Reformators selbst. Das hängt vielleicht nicht zuletzt damit zusammen, dass die reformatorischen Bestrebungen als Ausnahmeerscheinung dargestellt werden, die erst an wenig orten und durch wenig personen verbreitet worden und deshalb noch leicht unter Kontrolle zu bringen seien. Ein eigener Parteiname schien in diesem Zusammenhang noch nicht angebracht. Die Bewohner des Reichs und mit ihnen die Stände zählen demgegenüber noch immer ausnahmslos zu den Christglaubigen unter dem Dach der einen ,gemeinen‘ oder ,christlichen Kirche‘ als Träger der alten Ordnung. Das Adjektiv ,römisch‘ wird hier bezeichnenderweise nicht verwendet, was der gesamten inhaltlichen Ausrichtung des Mandats entspricht: Es findet sich keinerlei Bezug auf den päpstlichen Bann und das Wormser Edikt. Die entsprechenden Maßnahmen und Strafandrohungen werden schlichtweg ignoriert, stattdessen will man verdächtige Personen zunächst nur gütlich ermahnen. Darüber hinaus verschiebt das Regiment ein endgültiges Urteil in der Religionsfrage auf eine der gemeinen reichstend cristliche versamlung oder consilia. Das widerspricht eindeutig der in Worms geschaffenen Rechtslage, nach der es eigentlich keinerlei weiterer Verhandlungen bedurft hätte. Nicht umsonst beurteilt Armin Kohnle das Regimentsmandat als ein neues, dem Edikt konkurrierendes Recht.102 Die beteiligten Stände hatten damit nach nicht einmal einem Jahr offiziell den strengen antireformatorischen Kurs von Kaiser und Papst verlassen und gegenüber Luthers Sympathisanten deutliche Zurückhaltung demonstriert. Auch wenn das Regimentsmandat die Luthersache auf einer Versammlung der Reichsstände abschließend behandelt wissen wollte, kam sie auf dem ersten Nürnberger Reichstag von 1522 nicht zur Sprache. Regiment und Stände schienen das Religionsproblem schlichtweg unter den Tisch fallen lassen zu wollen, denn kein Rahmendokument erwähnt dieses Thema – bis heute ein probates Mittel, um möglichen Konflikten von vornherein aus dem Weg zu gehen, die der Behandlung anderer Fragen hinderlich gewesen wären. Vordringlichstes Problem war die Türkenhilfe, die im Ausschreiben vom 12. Februar 1522 und in der Proposition vom 27. März als einziger Verhandlungspunkt aufgeführt ist und damit natürlich auch den Ab102
Vielleicht hängt damit auch die etwas merkwürdige Tatsache zusammen, dass das Mandat nur im Namen des Regiments und nicht des Kaisers ausgestellt worden war. Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 106f. und RTA JR II. S. 22.
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schied vom 30. April dominiert.103 In diesem Zusammenhang beschwor man zwar wiederholt die ,heilige Christenheit‘ und den Schutz des cristlichen namens und glaubens,104 anders als in den Rahmentexten von 1521 war diesmal aber eindeutig nur der Gegensatz zu den Türken impliziert, die Frage nach weiteren potentiellen Feinden des Glaubens wurde nicht aufgeworfen. An dieser Stelle lässt sich gleich vorausschicken, dass auch die weiteren in der Edition der Reichstagsakten zugänglichen Texte anderer Gebrauchsebenen keinen Hinweis auf die Glaubensfrage enthalten. Lediglich die Instruktion Georgs von Sachsen an seine Gesandten enthält prophylaktische Anweisungen zur Luthersache. Daneben finden sich einige verstreute Bemerkungen in der begleitenden Korrespondenz.105 Das Regiment blieb seiner Linie auch in den folgenden Jahren treu: Ausschreiben und Proposition zum zweiten Nürnberger Reichstag von 1522/23 konzentrierten sich wiederum vornehmlich auf die Türkenhilfe.106 Doch schließlich wurde die Angelegenheit durch eine Rede des päpstlichen Legaten Chieregati vor den Ständen sowie ein Breve Hadrians VI., das an die Durchführung des Wormser Edikts gemahnte, wieder aufs Tapet gebracht.107 Nun mussten sich die Stände nolens volens erstmals seit Worms wieder mit der Luthersache befassen. Der Reichsabschied vom 9. Februar 1523 enthält die Antwort auf das Ansinnen aus Rom. Die katholische Seite, der zu diesem Zeitpunkt offiziell noch immer alle Beteiligten angehörten, wird 103
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Vgl. RTA JR III. Nr. 1. S. 38–40, Nr. 4. S. 46–54 sowie Nr. 33. S. 170–185. Neben der Türkengefahr wurde im Abschied lediglich kurz die Finanzierung von Regiment und Reichskammergericht thematisiert. RTA JR III. Nr. 33. S. 171. § 1. Im Ausschreiben und der Proposition erscheint die Christenheit, z. B. RTA JR III. Nr. 1. S. 39 und Nr. 4. S. 46. Vgl. auch cristglaubigen stenden, Nr. 4. S. 53. Das Regimentsmandat zur Ausschreibung eines allgemeinen Bußtages vom 28. März spricht ebenfalls allgemein von der heiligen Christenheit und den christglaubigen bzw. christen, Nr. 6. S. 57 und S. 59. Die Instruktion Georgs v. Sachsen vgl. RTA JR III. Nr. 8. S. 61–69. Das Ausschreiben wurde am 30. April gleich im Anschluss an den ersten Nürnberger Reichstag erlassen, vgl. RTA JR III. Nr. 34. S. 185–188. Beigefügt war ein ausführlicher Entwurf zu einer Türkensteuer, RTA JR III. Nr. 35. S. 188–197. Die Proposition vom 18. November 1522 vgl. RTA JR III. Nr. 49, S. 252–263, mit Beilagen Nr. 50. S. 263–281. Die Ritterfehde stellt zwar einen wichtigen Punkt der Proposition dar und wird allgemein zu der Cristenheit und des Romischen reichs beschwerden gerechnet, aber man vermeidet jeden Bezug zur evangelischen Bewegung, obwohl Franz von Sickingen und Urich von Hutten schon vor dem Wormser Reichstag ihre Unterstützung für Luther erklärt hatten und die geplante Säkularisierung Triers durchaus auch mit reformatorischem Gedankengut begründet werden konnte, vgl. RTA JR III. Nr. 49. S. 255 sowie Schulze: Deutsche Geschichte (Kap. 5, Anm. 43). S. 111–117. RTA JR III. Nr. 73. S. 387–390 und Nr. 75. S. 399–404. Bereits zuvor hatte das Thema die Gemüter der Öffentlichkeit erregt, weshalb der Nürnberger Rat schon im September 1522 ein Mandat erlassen hatte, in dem die Bürger aufgefordert wurden, Legat, Stände und Gesandte nit [zu] schmehen oder [zu] beschwären, sondern ihnen gepürliche ererpietung, auch allen guten willen und fürderung [zu] erzeigen, RTA JR III. Nr. 47 I. S. 248f.
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in diesem Zusammenhang erneut mit universalen Bezeichnungen wie christliche bzw. heilige christliche Kirche108 belegt, ihre Mitglieder sind allgemein die cristenmenschen.109 Bezüglich der Fremdbezeichnungen muss dagegen deutlich zwischen zwei Textteilen unterschieden werden. Zunächst wird das Schreiben des Papstes rekapituliert. Dieser hatte die Stände ermahnt, endlich gemäß der Beschlüsse von 1521 gegen Martin Lutthers und desselben anhenger vilfaltigen schreibens und lere durchzugreifen. Neben dieser allgemeinen Nennung des Reformators ist auch von einer Lutterischen sect die Rede.110 Diese Rückkehr zur ungeschminkten Ketzerterminologie ist nun allerdings nicht als eine erneute Verschärfung der Gangart von Seiten der Stände misszuverstehen, sondern stellt lediglich einen Rückgriff auf die Aussagen Chieregatis und Hadrians dar. Der vom Reichstag verantwortete Textteil erinnert dagegen an das zurückhaltendere Regimentsmandat, denn hier begnügte man sich wiederum mit Umschreibungen, wie prediger oder lerer, die entsprechende Lehren verbreiten, geistlichen [...], so weiber nemen und ordens person [...] so aus iren clostern tretten.111 Zu einer ausdrücklichen Bestätigung des Wormser Edikts hat man sich nicht durchringen können, sondern man verwies die Angelegenheit auf ein frei cristlich concilium, das in Jahresfrist im Reich abzuhalten sei und die einzig praktikable Lösung des Problems darstelle.112 Diese geradezu zukunftsweisende Regelung erscheint hier erstmals auf offizieller Reichsebene und bildet den „Prototyp ständischer Konzilsforderungen in den kommenden Jahren.“113 Bis dahin blieb es lediglich bei dem Verbot ,neuer‘ Predigten und Schriften, wobei ,neu‘ in diesem Zusammenhang im Sinne von ,weiteren‘ Schriften zu verstehen ist und keine abwertende Konnotation enthält. Alle Prediger wurden zudem alleine auf die evangelisch warheit verpflichtet, um den Eindruck zu vermeiden, man wolle diese verhindern und vertrucken.114 Die Konzilsforderung und die Predigtklausel zielten nicht auf eine Änderung der aktuellen Situation ab. Anstatt aktiv gegen die Reformation vorzugehen, schrieb man hier vielmehr den erreichten Status quo fest. Der Verweis auf ein allgemeines Konzil enthob den Reichstag der Notwendigkeit, ein endgültiges Urteil zu fällen, und ließ die Situation mit Bedacht in einem Schwebezustand, der eine pauschale Ablehnung von Luthers Lehren zunächst ausschloss. Einem Konzil konnten außer108 109
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RTA JR III. Nr. 117. S. 746 und S. 747. RTA JR III. Nr. 117. S. 747. In einem anderen Zusammenhang ist mit der Exekution von Urteilen des Reichskammergerichts ebenfalls von ganzer Cristenheit die Rede, hier findet sich aber keinerlei Bezug auf den Religionsstreit, S. 754. RTA JR III. Nr. 117. S. 746, vgl. auch S. 747. RTA JR III. Nr. 117. S. 747f. RTA JR III. Nr. 117. S. 746. Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 120. RTA JR III. Nr. 117. S. 748.
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dem alle Seiten zustimmen, da es sich hierbei um eine altkirchliche Einrichtung handelte, auf die sich auch die Evangelischen gerne bezogen. Luther selber hatte nicht umsonst bereits in seiner Adelsschrift von 1520 das Konzil als den einzig möglichen Ausweg aus der theologischen Krise benannt.115 Eine ganz andere Frage war natürlich, unter welchen Bedingungen eine solche Versammlung stattzufinden hatte. Dieses Problem stellte sich aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht und blieb vorerst wohlweislich ausgespart, selbst wenn man dem Reichstag den echten Willen zu einem Konzil nicht absprechen darf, was u. a. an der recht knappen Fristsetzung und dem auf dem folgenden Reichstag in Angriff genommenen Projekt eines Nationalkonzils deutlich wird. Ähnlich verhielt es sich mit der Predigtklausel. Mit der Berufung auf die ,evangelische Wahrheit‘ wirkte man zwar zum einen, wie bereits im Wormser Edikt, einer exklusiven lutherischen Inanspruchnahme dieses Begriffs entgegen, da aber andererseits jede Glaubensrichtung ihre Lehre selbstverständlich als vollkommen evangeliumsgemäß betrachtete, konnten alle Beteiligten diesen Passus dahingehend interpretieren, dass die von ihnen favorisierten Theologen die Erlaubnis erhielten, weiter so zu predigen wie bisher. Die Unbestimmtheit dieser Regelung verweist auf die hohe politische Kunst des Dissimulierens.116 Hier deutet sich eine Taktik in der interkonfessionellen Kommunikation an, die in der Folgezeit auf offizieller Ebene immer häufiger zum Einsatz kommen sollte. Die Verwendung dissimulierender Kompromissformeln, also absichtlich weit gefasster und mehrdeutiger Wendungen, die jeder Partei einen genügend großen Interpretationsspielraum boten, um sich darin wiederzufinden und auf diese Weise Differenzen nach außen hin zu kaschieren, ermöglichte trotz größter Gegensätze eine Fortsetzung der Kommunikation und die Suche nach tragfähigeren Kompromissen.117 Auf diese Weise gelang es dem Reichstag immerhin, beinahe die gesamten 1520er Jahre hin115
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Für Luther stellt der päpstliche Anspruch, alleine über die Einberufung eines Konzils befinden zu können, eine der drei Mauern dar, mit denen sich die Kurie bisher gegen jeden Versuch gestellt hat, sie zu reformierenn, vgl. Luther: An den christlichen Adel deutscher Nation. WA 6. S. 406. Luther widerlegt diesen Anspruch, vgl. S. 413–415, und zählt im Anschluss all jene Punkte auf, die seiner Ansicht nach auf einem ordentlichen Konzil behandelt werden müssten. Armin Kohnle sieht gerade in der Predigtklausel eine der ersten „dissimulierenden Kompromißformeln“ im Rahmen des Religionsstreits, vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 125f. Martin Heckel hat das Dissimulieren als „grundlegendes methodisches Prinzip“ in der interkonfessionellen Kommunikation erkannt. Allerdings brachte er die Entwicklung dieser Methode erst mit den Formelkompromissen des Augsburger Religionsfriedens in Verbindung, vgl. Heckel: Deutschland im konfessionellen Zeitalter (Kap. 1, Anm. 15). S. 37, 44 und S. 50 sowie Ders.: Die Krise der Religionsverfassung des Reiches und die Anfänge des Dreißigjährigen Krieges. In: Konrad Repgen (Hg.): Krieg und Politik 1618–1648. Europäische Probleme und Perspektiven. München 1988 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 8). S. 107–131, hier S. 115–117.
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durch zumindest den Schein einer gemeinsamen Religionspolitik und damit auch der Concordia unter den Ständen aufrechtzuerhalten.118 Insgesamt blieb diese Antwort für die Kurie höchst unbefriedigend, denn die Stände hatten sich im Prinzip all ihren Forderungen verweigert. Darüber hinaus wurden dem Papst in diesem Zusammenhang erneut die Gravamina präsentiert, die auf einem Konzil ebenfalls zu behandeln seien, was der Intention des päpstlichen Schreibens nun so gar nicht entsprochen und die Bereitschaft, auf die Konzilsforderung einzugehen, auch nicht besonders gefördert haben dürfte. Auf der Basis dieser Beschlüsse erließ das Regiment am 6. März ein weiteres Mandat, in dem nochmals zusammengefasst wurde, wie man sich bis zu einem Konzil in der Religionssache zu verhalten habe. Im Prinzip enthält es die gleichen Bestimmungen wie der entsprechende Abschnitt des Abschieds und bedient sich auch der selben Formulierungen.119 Die Stände sind lediglich bereit, bei der öberkeit, da sich gemelter Lüther und etlich sein anhenger enthalten, sprich bei Friedrich dem Weisen, darauf zu dringen, dass diese hinfürter nichts neues schreiben oder drücken lassen,120 und selber darauf zu achten, das mitler zeit nichts anders, dann das heilig evangelium nach auslegung der schriften von den cristenlichen kirchen approbirt und angenommen gepredigt,121 und nichts neues ohne vorherige theologische Prüfung veröffentlicht werde.122 Die Predigt über disputirlich sachen bleibt ausdrücklich verboten,123 um weiterhin alles zu vermeiden, was dazu beitragen könnte, Aufruhr zu schüren oder die christenmenschen in irrung zu füren. In dieser Anordnung schlägt sich bereits deutlich die Angst der Obrigkeit vor Unruhen in der Bevölkerung nieder, die kurz danach im Bauernkrieg zur Realität werden sollte.124 Gerade vor diesem ernsten Hintergrund stellt sich dringend die Frage, wie man sölchem Lütherischen fürnemen zu begegnen habe. In diesem Zusammenhang erscheint erstmals in einem von reichsrechtlicher Seite verantworteten Text das Adjektiv ,lutherisch‘. Anders als bei der ,lutherischen Sekte‘ wird das personenbezogene Attribut hier meiner Ansicht nach allerdings nicht in einem verketzernden Sinne, sondern eher als neutrale Herkunftsbezeichnung verwendet. Auch in dieser Urkunde blieb daneben ein Seitenhieb auf die Ku118 119
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Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 202f. Vgl. RTA JR III. Nr. 84. S. 447–452. Der Text selber spricht von einem offen edict, S. 451. Im Unterschied zum ersten Regimentserlass in dieser Angelegenheit erging dieses nun auch im Namen des Kaisers und erhielt damit eine entsprechend höhere Verbindlichkeit. Das Mandat enthält zweimal den gleichen Text, erst als Rekapitulation der Beschlüsse auf dem Reichstag und anschließend nochmals als eigentliche Anweisungen. RTA JR III. Nr. 84. S. 451. RTA JR III. Nr. 84. S. 449 sowie nochmals S. 450f. RTA JR III. Nr. 84. S. 449 und S. 452. RTA JR III. Nr. 84. S, 450, nochmals S. 451. Vgl. RTA JR III. Nr. 84. S. 448.
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rie nicht aus, denn erneut erinnerte man an die Beschwerden der Weltlichen gegen dem [!] stul zu Rome, die man der Antwort an den Papst gleich beigefügt habe.125 Damit zeigte sich deutlich, dass die Reichsstände unabhängig von ihrer Einstellung zu Luther sehr genau zwischen Glauben und Institution zu unterscheiden wussten. Nur so war es einigen Ständen möglich, Luthers Ideen erbittert zu bekämpfen und gleichzeitig heftige Kritik am Zustand des Papsttums zu üben, ohne auf diese Weise auch die römische Kirche per se in Frage zu stellen. Die Stände sahen die Religionsfrage nun wiederum für erledigt an, denn weder das Ausschreiben für den dritten Nürnberger Reichstag vom 5. September 1523 noch die ausführliche Proposition des Regiments vom 14. Januar 1524 enthielt einen Hinweis auf die Luthersache.126 Allerdings wurden diese Dokumente hinfällig, als Johann Hannart, der Gesandte Karls V., den versammelten Ständen am 4. Februar eine neue Proposition vorlegte. Nach dem Papst im Vorjahr zwang hier nun der Kaiser den Ständen das ungeliebte Thema der Glaubensspaltung auf, indem er die Einhaltung seines Edikts wider denselben Luther, seine anhenger und derselben leer aufgericht einforderte.127 Folglich fand diese Frage erneut Aufnahme in den Reichsabschied. Im Namen des Kaisers wurde hier ausdrücklich bestimmt, dass die Stände das Edikt als gehorsame gleder des heiligen reichs und als schutzer und schirmer des heiligen cristlichen glaubens zum Wohle gemeiner Cristenheit zu befolgen hätten.128 Die Auseinandersetzung um die Reformation erhielt damit eine ganz neue Dimension: Hier und in den folgenden Reichsabschieden erschien anders als noch in der Proposition keinerlei Bezug auf die Person Luthers mehr, über die man den Religionsstreit bislang noch offiziell definiert hatte. Als verantwortliche Akteure traten dagegen von nun an die Stände selber in den Vordergrund. In diesem Zusammenhang wurde die Frage der Konfession auf eine rechtliche Ebene verlagert. Es ging nicht mehr so sehr um Glaubensinhalte, sondern um den rechten ,Gehorsam‘. Dieser Begriff basierte auf einem „Legalitätsprinzip, das aus der Übereinstimmung mit dem Kaiser abgeleitet war“, und wurde im weiteren Verlauf der Ereignisse immer wieder von katholischer Seite herangezogen, um die eigenen Beschlüsse als allgemeingültig und die Position ihrer Gegner als den Reichsinteressen zuwiderlaufendes Minderheitenvotum darzustellen.129 Die Tatsache, dass bezüglich des Wormser Edikts eine entsprechende Erinnerung und Abmahnung notwendig geworden war, zeigt deutlich, dass es unter den Ständen ,Ungehorsame‘ gegeben haben muss, die sich diesem Mandat widersetzt haben. 125 126 127 128 129
RTA JR III. Nr. 84. S. 449. Vgl. RTA JR IV. Nr. 14. S. 37–40 sowie Nr. 32. S. 270–287. RTA JR IV. Nr. 34. S. 295. RTA JR IV. Nr. 149. S. 603. § 28. Vgl. Luttenberger: Reichspolitik und Reichstag unter Karl V. (Kap. 5, Anm. 6). S. 63–65.
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Damit zeichnet sich eine beginnende Spaltung des Reichstags ab; nicht umsonst bekannte sich genau in diesem Jahr mit Landgraf Philipp von Hessen erstmals ein Fürst offen zu Luthers Lehre. Um in diesem Fall nicht auf die Ketzerterminologie zurückgreifen zu müssen, hatte man die Befolgung des Wormser Edikts als Bezugspunkt gewählt, anhand dessen man möglichst unverfänglich die Einstellung der jeweiligen Stände zur Reformation ausdrücken konnte. Hierbei handelt sich um ein offizielles reichsrechtliches Dokument, das per se einer religiös neutralen juristischen Ebene entstammt. Die Unterscheidung nach Einhaltung bzw. Ignorierung des Edikts blieb dennoch insofern heikel, als jene Stände, die das Edikt ablehnten, sich in den Augen des Kaisers natürlich eines offenen Rechtsbruchs schuldig machten. Allerdings blieb dieser erste terminologische Differenzierungsversuch äußerst unscharf. Zwar standen alle ,gehorsamen‘ Fürsten und Städte eindeutig auf der Seite Roms, umgekehrt hatten aber weitaus nicht alle katholischen Stände das Edikt vollständig in ihren Territorien umgesetzt, unter den Gehorsamsverweigerern befanden sich also zu diesem Zeitpunkt nicht nur Anhänger der Reformation. Ansonsten hielt man sich mit direkten Aussagen wiederum sehr bedeckt. Die Stände blieben ihrem Bestreben nach Ausgleich treu, und es gelang ihnen auch diesmal, trotz der kaiserlichen Intervention eindeutige Beschlüsse weitgehend zu vermeiden. Sie konnten sich zwar den Wünschen Karls V. nicht direkt verweigern, hielten sich jedoch ein Hintertürchen offen, indem sie lediglich versprachen, das Wormser Edikt nun gehorsamlich zu befolgen, so viel ihnen müglich. Neben diesem neuen Kompromiss finden sich erneut die bereits bekannten dissimulierenden Formeln: In der reformatorischen Lehre wird das gut neben dem bosen anerkannt, das es im Rahmen eins gemeinen freien universals concilii der ganzen Cristenheit zu erörtern gelte.130 Bis dahin schärft man den Predigern wiederum ein, alleine das Evangelium on aufrur und ergernus gemäß den Auslegungen der von gemeiner kirchen angenomen lerer zu verkünden, und verweist daneben auch die Gravamina erneut an das Konzil.131 Um eben diese Angelegenheit zu beschleunigen, beschloss der Reichstag bereits für den 11. November des gleichen Jahres die Einberufung eines Nationalkonzils nach Speyer. Der päpstliche Legat Campeggio verhinderte zwar 130 131
RTA JR IV. Nr. 149. S. 604. § 28. RTA JR IV. Nr. 149. S. 605. § 29. Die Predigtklausel erscheint hier in etwas verschärfterer Form, bezog man sich doch nicht mehr ausschließlich auf das Evangelium, sondern auch auf die Kirchenlehrer, worunter die Katholiken die Tradition als Wahrheitsquelle neben der Bibel verstanden. Auf dem vorherigen Reichstag war es Hans von der Planitz noch gelungen, die Aufnahme der Kirchenväter in die endgültige Fassung der Predigtklausel zu verhindern, vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 122f. Dennoch fiel es den reformatorisch gesinnten Ständen auch diesmal nicht schwer, die Klausel in ihrem Sinne auszulegen, hatte man doch immerhin auf eine ausdrückliche Nennung der zu beachtenden Kirchenlehrer verzichtet.
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die Aufnahme dieses Terminus in den Abschied, wo es nun etwas zurückhaltender um eine gemeine versamlung Teutscher nation ging, konnte die Stände in der Sache selber jedoch nicht umstimmen.132 Auch wenn der Kaiser das Speyrer Nationalkonzil letztendlich untersagte, so stieß alleine der Plan schon eine neue Entwicklung an: Im Vorfeld schmiedeten Campeggio und Ferdinand mit der Regensburger Einung ein erstes konfessionsgebundenes Bündnis, dem neben dem Statthalter selber die bayerischen Herzöge sowie insgesamt 12 Bischöfe des süddeutschen Raumes angehörten. Sie legten ein klares Bekenntnis zum Wormser Edikt ab und machten es sich zur Pflicht, für seine Einhaltung im Reich zu sorgen. In der Folgezeit entstanden weitere politische Bündnisse: 1525 der katholische Dessauer Bund mit Kurbrandenburg, Kurmainz, BraunschweigWolfenbüttel und dem Herzogtum Sachsen sowie im Folgejahr auf der Gegenseite der Torgauer Bund, dem neben Philipp von Hessen und Johann dem Beständigen von Sachsen, dem Nachfolger Friedrichs des Weisen, auch Braunschweig-Lüneburg, Braunschweig-Grubenhagen, Mecklenburg, Anhalt, die Grafschaft Mansfeld, die Reichsstadt Magdeburg sowie Albrecht von Preußen angehörten. Dieser Vorgang ist von großer Bedeutung, denn erstmals ist hier offiziell eine eindeutig lutherisch gesinnte Gruppe unter den Reichsständen greifbar.133 Gerade dieses Bündnis zeigt nochmals ganz deutlich, dass die Religionsfrage inzwischen eine Angelegenheit der Stände geworden war. Bis Mitte der 20er Jahre hatte sich das reformatorische Gedankengut weitgehend ungesteuert ausgebreitet. Die Rolle der Obrigkeiten war zumeist auf die Zulassung bzw. das Verbot der evangelischen Predigt beschränkt geblieben. Um den ,Wildwuchs der Reformation‘ unter dem Eindruck zahlreicher Unruhen in der Bevölkerung und natürlich des Bauernkriegs endlich in geordnete Bahnen zu lenken, ging diese von Wolfgang Reinhard so genannte „Evangelische Bewegung“ schließlich in eine von oben gelenkte ,Fürstenreformation‘ über.134 Da die Stände nun also die Verantwortung für den Glauben ihrer Untertanen in die Hand nahmen, mussten sie damit jedoch zugleich auch öffentlich Farbe zu ihrer eigenen theologischen Überzeugung bekennen, was die Aufspaltung des Reichstages in mehrere Religionsparteien evident werden ließ.
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RTA JR IV. Nr. 49. S. 604. § 28. Vgl. hierzu auch Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 216f. Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 222f., Wallmann: Kirchengeschichte (Kap. 1, Anm. 54). S. 60 sowie Reinhard: Reichsreform und Reformation (Anm. 35). S. 276f. Vgl. zum Begriff der ,Evangelischen Bewegung‘ Reinhard: Reichsreform und Reformation (Anm. 35). S. 277f. und zur Ausbreitung der Reformation unter obrigkeitlicher Ägide S. 313–320. Siehe auch Ders.: Warum hatte Luther Erfolg? (Kap. 3, Anm. 470). S. 28. Ihren Ausdruck fand diese Entwicklung in zahlreichen Visitationen und den darauf basierenden Kirchenordnungen.
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Diese Entwicklung schlug sich auch in der Sprache der Reichsabschiede nieder. Auf den folgenden Reichstagen verzichtete man zwar zunächst weiterhin auf konfessionsbedingte Parteinamen und setzte die Ausgleichspolitik verstärkt fort, aber im Abschied des aufgrund mangelhaften Besuchs prorogierten Augsburger Reichstages von 1525/26 wurde dem Thema der Zerrüttung und Zerspaltung Unsers Heil. Christlichen Glauben, und desselben Religion135 bzw. der Zerspaltung und Zwytracht Unsers H. Glaubens136 erstmals der Vorrang vor der bislang dominierenden Türkengefahr eingeräumt. Mit diesen Worten hatte man nun eine Art Überschrift gefunden, die so oder ähnlich in beinahe allen folgenden Reichsabschieden auftauchte.137 Gleichzeitig wurde auch das ebenfalls zukunftsweisende Ziel formuliert, man strebe nach Widerbringung, Vereinigung, und einhelliger Vergleichung Unsers H. Christlichen Glaubens, in diesem Fall erneut durch ein frey Universal-Concilium der gantzen Christenheit.138 Die ausdrückliche Erwähnung einer Spaltung im Glauben machte deutlich, dass man nun auch offiziell von mehreren Religionsparteien ausging. In diesem Zusammenhang erlebten die Bezeichnungen ,Christenheit‘ und ,christlich‘139 eine bemerkenswerte Bedeutungsverschiebung. Sie bezogen sich zwar wie bisher auf alle Fürsten und Städte, aber da es auf den Reichstagen theoretisch bislang ausschließlich katholische Stände gegeben hatte, war die Frage nach dem genauen Sinngehalt dieses Namens noch nie akut geworden. Ohne einen Fürsten auszuschließen und ernsthafte Widerstände befürchten zu müssen, konnte man bis 1524 ,christlich‘ in päpstlichem wie kaiserlichem Sinne mit ,katholisch‘ gleichsetzen. Seitdem immer mehr Stände offen zur Reformation übertraten, wurde dies allerdings höchst problematisch, zählten die Lutheraner doch nach Ansicht der Kurie und nach dem Wortlaut des Wormser Edikts als Anhänger eines Ketzers gerade nicht mehr zu den Christen. Damit erhält diese Bezeichnung einen mehrdeutigen Charakter: Die Untersuchung der theologischen und kirchenrechtlichen Texte hat gezeigt, dass alle Glaubensrichtungen den Christennamen exklusiv für sich beanspruchten; je nach Herkunft des entsprechenden Dokuments konnten also einmal nur die Katholiken, ein anderes Mal ausschließlich die Evangelischen gemeint sein. Im Wormser Edikt und auch in den reichsrechtlichen Dokumenten bis 1524 bezog sich ,Christ‘ 135 136 137
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Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 270. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 271. § 5. Diese und ähnliche Formulierungen zur Umschreibung der Religionsfrage sind vollkommen neutral und erscheinen auch in anderem Zusammenhang. So ist etwa im Abschied des Speyrer Reichstages von 1544 von allerley disputation und zwispalt der session halben sowie von entsprechender irrung die Rede, RTA JR XV. Nr. 565. S. 2252. § 24. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 271. § 5. Neben den bereits genannten Zitaten ist an anderer Stelle in Zusammenhang mit einer erneuten Wiederholung der Predigtklausel auch von gemeiner Christlichen Kirchen die Rede, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 270. § 1.
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auf die Anhänger Roms. In diesem Abschied verzichtete man nun bewusst auf eine nähere inhaltliche Definition und ließ ,Christ‘ damit als neutralen Oberbegriff für beide Seiten gelten, da die fehlende Spezifizierung jedem Stand erlaubte, sich zu dieser privilegierten Gruppe zu rechnen. Abhängig von Textsorte und Kontext diente dieser Name also sowohl abgrenzenden als auch ausgleichenden Tendenzen und konnte damit ähnlich wie der Konzilsappell und die Predigtklausel eine dissimulierende Funktion erfüllen. Der einzige Hinweis auf etwaige Lutheraner findet sich implizit in der Kritik, es gebe trotz aller Vorschriften weiterhin viel Prediger, die das heilig Evangelium und Wort Gottes in mancherley Meynung zu ziehen und zu theilen unterstehen, sowie in der dringenden Mahnung, unbedingt alle Lehren zu vermeiden, die einige Empörung, Auffstand und Ungehorsam von den Unterthanen gegen ihre Oberkeiten verursachen könnten.140 Hier zeigt sich der latente Vorwurf an die Reformatoren, weiterhin Neuerungen zu verbreiten und damit letztendlich für den Bauernkrieg verantwortlich gewesen zu sein.141 Konkrete Gruppenbezeichnungen werden in diesem Zusammenhang jedoch tunlichst vermieden. Auf dem folgenden Reichstag zu Speyer nahm man sich auf Betreiben Karls V. erneut der Frage nach der Durchsetzung des Wormser Edikts an, obwohl die gesamte Angelegenheit im Prinzip seit seinem Erlass, der mit churfursten fursten und anderer stende vorwissen und verwilligung als gehorsame glider des heiligen reichs erfolgt war,142 wie die Proposition vom 25. Juni 1526 ausdrücklich vermerkte, reichsrechtlich als abgeschlossen hätte gelten müssen. Damit verstoßen alle diejenigen Stände, bei denen täglich ie mer und mer allerhand beschwerlicher verdampter und irriger neuerung einreissen, gegen göttliches wie Reichsrecht. Diese uberfarer des Edikts sollen nun endlich bestraft werden.143 Überhaupt fand man hier recht deutliche Worte: Es ist die Rede von der Lutherisch secten und irsal, die als ketzerisch posshaftig und vergift […] verpoten worden ist. Sie besteht aus vil irrthumb neuerung und leer wider cristenliche religion.144 Der Kaiser war offensichtlich nicht mehr bereit, die lavierende Politik des Regiments und der Stände zu tolerieren, und bezog nochmals klar Stellung gegen die reformatorische Lehre. Gegen seinen Willen entwickelten sich daneben die Gravamina unter dem Eindruck der vorausgegangenen Revolten und dem Wunsch der Stände, Präventivmaßnahmen gegen eine Wiederholung der140 141
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Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 270f. § 1 und § 2. Umgekehrt gaben aber auch die Evangelischen den Katholiken die Schuld am Bauernkrieg, da diese ihnen das Evangelium verweigert hätten, vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 248. Walter Friedensburg: Archivalische Beilagen. In: Der Reichstag zu Speier 1526 in Zusammenhang der politischen und kirchlichen Entwicklung Deutschlands im Reformationszeitalter. Berlin 1887. Nachdruck o. O. 1970 (Historische Untersuchungen. Bd. V). Nr. VI. S. 524. Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Anm. 142). Nr. VI. S. 528f. Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Anm. 142). Nr. VI. S. 524 und S. 526.
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artiger Ereignisse zu ergreifen, zum Hauptverhandlungsgegenstand, auch wenn es einigen interpretatorischen Geschickes bedurfte, dieses Thema überhaupt aus der Proposition herauszulesen.145 Damit geriet neben Luther auch Rom wieder auf die Anklagebank. Der Abschied kam erneut ohne konfessionelle Parteinamen aus und zeigte sich in seiner Wortwahl wieder deutlich zurückhaltender als die Proposition. Er wiederholte zunächst die bereits bekannte Kritik gegenüber den Evangelischen: Wieder ist vom Heil. Christlichen Glauben und Religion sowie der Heil. Christlichen Kirchen die Rede, in deren Gebräuchen und Zeremonien bis zu einem Konzil oder einer Nationalversammlung kein Neuerung oder Determination beschehen oder fürgenommen werden sollen. Zudem wird nun direkt konstatiert, dass der Zwyspalt nicht die geringste Ursach sey der vergangenen Empörung des gemeinen Manns.146 Wie bereits im vorhergehenden Abschied ist die Wortwahl jedoch so allgemein gehalten, dass sich die evangelischen Stände nicht angesprochen fühlen mussten. In ihrem Selbstverständnis führten sie weder Neuerungen ein, noch waren sie für die Religionsspaltung verantwortlich zu machen. Außerdem haben sie sich im Kampf gegen diese erschreckliche, unerhörete und unchristliche Empörung der Unterthanen147 als mindestens ebenso ,christlich‘ wie ihre katholischen Mitstreiter gezeigt, denn nach Luthers hartem Urteil gegen die Bauern konnten auch die evangelisch Gesinnten die Unruhen getrost als ,unchristlich‘ abtun. In der Frage des Wormser Edikts kam man sich nicht näher. Statt dessen fand man jene berühmt-berüchtigte Kompromissformel, die sich bereits 1524 angedeutet hatte, dass ein jeglicher in Sachen, so das Edict, durch Käyserl. Majest. auf dem Reichstag zu Wormbs gehalten, außgangen, belangen möchten, für sich also zu leben, zu regieren und zu halten [verspricht], wie ein jeder solches gegen Gott, und Käyserl. Majestät hoffet und vertraut zu verantworten.148
In diese ,Verantwortungsklausel‘, die letztendlich das einzig greifbare Ergebnis dieses Reichstages in der Religionsfrage blieb, ließ sich nun so ziemlich alles hineininterpretieren. Als geradezu klassische dissimulierende Kompromissformel le145
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Hans-Christoph Rublack bezeichnet den Speyerer Reichstag von 1526 deshalb auch als „Gravaminareichstag“: Hans-Christoph Rublack: Gravamina und Reformation. In: Ingrid Bátori (Hg.): Städtische Gesellschaft und Reformation. Kleine Schriften. Bd. 2. Stuttgart 1980 (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit. Bd. 12). S. 292–313, hier S. 292. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 273. § 1. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 274. § 5. Daneben ist auch von Bäuerischer Empörung, dem Bäurischen Auffruhr und den ungehorsamen Auffrührigen die Rede, S. 275. § 7, 8 und § 9. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 274. § 4.
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gitimierte sie im Prinzip alle Überzeugungen und Maßnahmen für und wider die Reformation.149 Armin Kohnle hat insgesamt drei Interpretationsmuster herausgearbeitet: In der ,altgläubigen Minimalinterpretation‘ bestätigte diese Regelung die unveränderte Gültigkeit des Wormser Edikts und bedeutete keine Änderung der reichsrechtlichen Lage. Im Gegensatz hierzu sah die ,neugläubige Maximalinterpretation‘ hierin einen offiziellen Freibrief, das Edikt aus Gewissensgründen missachten und im Sinne der Reformation tätig werden zu dürfen, während eine ,vermittelnde Interpretation‘ den Text so verstand, als solle auf jeden steuernden Eingriff im Bereich der Religion überhaupt verzichtet werden.150 Insgesamt brachte der Speyrer Abschied eine deutliche Stärkung der reformatorischen Bewegung mit sich, da die Formel in der Praxis auf ein ,ius reformationis‘ hinauslief, unter dessen Schutz sich immer mehr Stände offen der evangelischen Lehre zuwandten.151 Der Speyrer Reichstag von 1526 bezeichnete den vorläufigen Höhe- und Endpunkt einer Reichsreligionspolitik, die auf Konsens ausgerichtet war und der Ausbreitung der Reformation sehr zugute kam. Das schlug sich auch in einer entsprechenden terminologischen Zurückhaltung nieder. Nachdem das Wormser Edikt noch deutlich verketzernde Worte gefunden hatte, vermied man nach 1523 direkte Nennungen von Lutheranhängern oder beschränkte sich auf allgemeine Umschreibungen. Die Ketzerterminologie trat dagegen vollständig zurück. Der Versuch einer genuin reichsrechtlichen Formulierung fand sich 1524 in der Unterscheidung zwischen gehorsamen und ungehorsamen Ständen gemäß ihrer jeweiligen Einstellung zum Wormser Edikt, die allerdings keine ausreichende konfessionelle Trennschärfe besaß, um sich auf Dauer etablieren zu können. Mitverantwortlich für diese Ausgleichspolitik war sicher die Tatsache, dass Karl V. dem Reich fernblieb und die Stände mehr oder weniger sich selbst überließ. Diese wollten ein solch heißes Eisen wie die Religionsfrage nicht von sich aus anfassen, dazu bedurfte es jeweils der päpstlichen oder kaiserlichen Intervention, und selbst dann zogen sie sich durch dissimulierende Kompromisse stets geschickt aus der Verantwortung. 6.2.3 Über den Konflikt zur erneuten Duldung: Reichstage 1529–1532 Auf dem Speyrer Reichstag von 1529 wehte schließlich ein anderer Wind. Das Ausschreiben vom 30. November 1528 ließ darauf zunächst noch nicht schließen, denn 149 150
151
Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 269–271. Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 361f. Die letztgenannte Position äußerte sich etwa darin, dass Heinrich von Mecklenburg zwar die evangelische Predigt zuließ, sonst aber keine weiteren Änderungen gestattete, vgl. S. 356. Vgl. Reinhard: Reichsreform und Reformation (Anm. 35). S. 314.
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die Formulierung, man wolle nach Wegen suchen, wie die irrung und zweiung im h. glauben und christlichen Religion bis auf ein künftig Concilium […] in ruhe und friden gestalt werden könne, fügt sich nahtlos in die bisherige Argumentationslinie des Regiments ein.152 Auch die erste Proposition Karls V. beklagt die Spaltung und erklärt die vergleichung und christenliche vereinigung zum vorrangigen Ziel.153 In diesem Zusammenhang wird zwar kritisiert, dass die letzten Beschlüsse von manchen nicht eingehalten worden seien, man geht jedoch nicht weiter auf Einzelheiten ein.154 Dieser eher zurückhaltende Text wurde hinfällig, da er zu spät aus Spanien eintraf und Ferdinand deshalb am 15. März 1529 eine eigene Verhandlungsvorlage präsentierte, die deutlich schärfer formuliert war:155 Im Glauben sind böse, swöre, sorgliche und verderbliche leeren und irsal […] entstanden, es ist sogar die Rede von unrat und misverstand wider unsern h. christlichen glauben.156 Wie bereits in der Proposition von 1526 verzichtete man hier also auf die integrative Wirkung des Christennamens und legte sich erneut auf eine exklusive katholische Sichtweise fest. Durch ihre ,Irrtümer‘ verstießen die Evangelischen nicht nur gegen der ksl. m. ausgangen edict, mandat und auch die abschid, so auf etlichen RTT von gemeinen stenden gemacht sein, was gleichbedeutend mit dem Vorwurf des Ungehorsams ist, sondern sie sind auch verantwortlich dafür zu machen, das bisher so vil weniger widerstand von gemainer cristenheit dem verfolger unsers h. glaubens beschehen ist.157 Gerade die Kritik, den allgemeinchristlichen Kampf gegen die Türken behindert zu haben, stellt die Anhänger der Reformation in ein denkbar schlechtes Licht und schließt sie gleichsam aus dem Kreis der wahren Christen aus. Alle diese Vorwürfe resultierten in einer Rückkehr zur Ketzerterminologie mit einer erneuten Bemühung des Alt-neu-Gegensatzes, denn Ferdinand will den evangelischen Ständen vorschreiben, dass unserm rechten cristenlichn glaubn zuwider keiner [...] den andern mit der tat des glaubens halber mit einziehung und entwerung geistlicher oder weltlicher oberkeiten, gueter, altem geprauch und herkomen zuwider nit vergweltig oder dringe, sich zu unrechtem und frembden glaubn zu geben oder den neuen secten anhengig zu machen.158
Mit dieser Proposition kehrte sich Ferdinand vollkommen von der bisherigen Ausgleichspolitik ab. Er forderte vehement eine Rückkehr zum Wormser Edikt und verwendete in diesem Zusammenhang eine Terminologie, wie sie in dieser Deutlich152 153 154 155 156 157 158
RTA JR VII. Nr. 70. S. 1074f. RTA JR VII. Nr. 72. S. 1081. RTA JR VII. Nr. 72. S. 1082. Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 365. RTA JR VII. Nr. 104. S. 1132 und S. 1134. Hervorhebung durch den Verf. RTA JR VII. Nr. 104. S. 1130f. RTA JR VII. Nr. 104. S. 1133.
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keit seit 1521 in keinem Rahmendokument mehr erschienen war. Folgerichtig wurde hier schließlich bereits im Vorfeld der Verhandlungen die Verantwortungsformel von 1526 aus ksl. macht volkomenheit ersatzlos cassirt.159 Diesmal fiel auch der Abschied terminologisch entsprechend scharf aus, da die katholische Reichstagsmehrheit ebenfalls nicht weiter an einer ausgleichenden Haltung interessiert war. Zwar versprach der Kaiser wie gewohnt, sich kraft seines Amtes als das obrist haubt und vogt der cristenhait für ein Konzil einzusetzen, damit die teutsch nacion im h. chr. glauben verainigt und der schwebent zwispalt erortert werden mug,160 und die Interimsregelungen griffen ebenfalls auf entsprechende Vorschriften der vorangegangenen Abschiede seit 1523 zurück,161 zugleich wurde jedoch konstatiert, dass der Kompromiss von 1526 bei vilen in einen großen misverstand, und zu entschuldigung allerlei erschrocklichen neuen leren und secten seither gezogen und ausgelegt hat werden wollen. In gleichem Sinne, wenn auch neutraler in der Wortwahl, ist daneben von stenden, bei denen die andere leren entstanden, die Rede. Ihnen gegenüber stehen diejenigen, so bei obgedachtem ksl. edict bis anher plieben.162 Erstmalig in einem Reichsabschied wird hier unmissverständlich zwischen zwei konfessionellen ständischen Parteien differenziert. Für die katholische Seite bezog man sich dazu erneut auf ihre gehorsame Haltung zum Wormser Edikt, bediente sich also in diesem Fall einer theologisch neutralen Rechtssprache. Die Definition der evangelischen Stände anhand ihrer Tolerierung und Unterstützung von ,neuen Lehren und Sekten‘ bringt diese dagegen deutlich mit Ketzerei in Verbindung, wenn man auch nicht so weit geht, sie selber ausdrücklich mit Häretikern gleichzusetzen. Da die ,Sekten‘ im Plural erscheinen, können hier nicht mehr ausschließlich die Lutheranhänger gemeint sein. Andere Formulierungen verweisen denn auch auf insgesamt zwei weitere Gruppen. Zum einen gibt es etliche lere und secten, sovil die dem hochwirdigen sacrament des waren fronleichnams und bluts unsers herrn Jhesu Christi zugegen. In dieser zeremoniebezogenen Umschreibung findet sich meiner Meinung nach die erste Nennung der Reformierten in einem Reichsabschied, denn wie die Untersuchung der theologischen Schriften gezeigt hat, galt Katholiken wie Lutheranern gerade ihr abweichendes Abendmahlsverständnis als das hauptsächliche Unterscheidungsmerkmal. Die Tatsache, dass Orte existieren, an denen diese andere lere [...] gehalten wirdet, verweist auf eine Duldung durch einige Reichsstände. Vielleicht sind damit jene oberdeutsche Reichsstädte gemeint, die wie Straßburg unter Führung Martin Bucers einen Mittelweg zwischen der Schweizer und der Wit159 160 161 162
RTA JR VII. Nr. 104. S. 1134. RTA JR VII. Nr. 148. S. 1299. RTA JR VII. Nr. 148. S. 1300f. RTA JR VII. Nr. 148. S. 1299, wörtlich in den Abschied übernommen aus Nr. 106. S. 1142.
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tenberger Reformation eingeschlagen hatten.163 Die zweite Gruppe genoss keinerlei obrigkeitliche Protektion: die neu sect des widertaufs.164 Im Anschluss an den Abschied erließ der Kaiser ein strenges Mandat gegen die Täufer mit harten Maßnahmen bis hin zur Todesstrafe.165 Die härtere Gangart in der Religionsfrage führte erstmals zu einer Spaltung des Reichstages. Die Aufhebung der Kompromissformel von 1526 nahm den evangelischen Ständen die Möglichkeit, weiterhin reformatorische Maßnahmen unter dem Schein des Gehorsams durchzuführen. Trotzdem handelte es sich entgegen der Wünsche Ferdinands in der Proposition keineswegs um eine Rückkehr zur Rechtslage des Wormser Edikts, sondern um eine Festschreibung des Status Quo bis zu einer bindenden Konzilsentscheidung. In Zukunft sollte lediglich ein Fortschreiten der Reformation verhindert werden, bereits eingeführte Änderungen durften dagegen nicht zuletzt in Blick auf mögliche Unruhen in der Bevölkerung bestehen bleiben: bei den andern stenden, bei denen die andere leren entstanden und zum teil one merglich ufrur, beschwerd und geferde nit abgewendt werden mogen, soll doch hinfuro alle weitere neuerung bis zu kunftigem concilio sovil muglich und mentschlich verhut werden.166
Durch den Zusatz so viel möglich und menschlich ist selbst hier noch eine Milderung eingebaut, die erneut für eine Interpretation im Sinne reformatorischer Maßnahmen offen blieb. Doch trotz solcher Rücksichtnahmen war der Grundtenor zu stark antireformatorisch, als dass die evangelischen Stände diesen Abschied hätten mittragen können. Kursachsen, Hessen, Brandenburg-Ansbach, Braunschweig-Lüneburg, Anhalt sowie 14 Reichsstädte reichten deshalb ihre berühmte Protestation ein, die im Abschied aber keine Erwähnung fand.167 Obwohl dieses Dokument in späterer Zeit von besonderer Bedeutung für das evangelische Selbstverständnis werden sollte, ist zu betonen, dass die Erhebung eines Einspruchs gegen Entscheidungen der Reichstagsmehrheit mittels einer 163
164 165 166
167
RTA JR VII. Nr. 148. S. 1299, übernommen aus Nr. 106. S. 1142f. Es handelt sich hier sozusagen um die umschriebene Langfassung des in den theologischen Schriften verwendeten ,Sakramentierer‘. RTA JR VII. Nr. 148. S. 1299. Vgl. RTA JR VII. Nr. 153. S. 1325–1327. RTA JR VII. Nr. 148. S. 1299 als Einschub aus Nr. 106. S. 1142. Vgl. auch Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 370. Obwohl die Protestation in Druck gegeben wurde, handelt es sich nicht um einen vom Reich verantworteten oder legitimierten öffentlichen Text, sondern blieb ein Dokument der evangelischen Seite. Sie spiegelt dementsprechend nicht die offizielle reichsrechtliche Terminologie wider und wird deshalb erst in Zusammenhang mit den Verhandlungsakten behandelt, s. u. Kap. 8.1.
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Protestatio weder neu noch selten war – seit 1521 hatte es bereits 19 Reichstagsprotestationen gegeben.168 Schon im römischen Recht besaß sie die Funktion, „durch eine klare Stellungnahme des Betroffenen zu verhindern, dass sein Verhalten andernfalls als stillschweigende Willenserklärung aufgefasst werden könnte“,169 und spielte besonders seit dem 13. Jahrhundert auch im mittelalterlichen Rechtsleben wieder eine wichtige Rolle.170 Damit fällt es schwer, die Protestation von 1529 bereits als Urkunde der Konfessionsspaltung zu interpretieren, wie sie häufig gerade von evangelischer Seite gesehen wurde, da sich der Widerstand nicht eigentlich gegen die katholische Lehre richtete, sondern gegen die rechtliche Verfahrensweise von Mehrheitsbeschlüssen in Glaubensfragen.171 Es handelte sich dabei um einen normalen formaljuristischen Vorgang. Außerdem repräsentierten die protestierenden Stände nicht die gesamte evangelische Partei, fehlten doch mit Braunschweig-Grubenhagen, Mecklenburg, den Grafen von Mansfeld, Albrecht von Preußen und der Reichsstadt Magdeburg immerhin fünf Stände, die drei Jahre zuvor noch dem Torgauer Bund beigetreten waren.172 Trotzdem liegt in diesem Dokument eine besondere Bedeutung für die weitere Entwicklung des ,Protestantismus‘,173 der in späteren Zeiten häufig auch deshalb so genannt wurde, weil zumindest einige evangelischen Stände hier in Speyer erstmals offiziell auf Reichsebene als Gruppe in Erscheinung getreten waren und sich damit „wie eine von zwei legitimen Religions-Parteien“ verhielten.174 Das Ende der Ausgleichspolitik und die daraus resultierende offene Spaltung der Versammlung weckten Befürchtungen, der Religionsstreit könne sich nun in Gewaltakten entladen. Da trotz der deutlichen Worte von katholischer Seite niemand einen Religionskrieg riskieren wollte, beschwor der Abschied schließlich den Friedenswillen aller Stände und schrieb vor, dass kainer vom geistlichen oder weltlichen stand den andern des glaubens halber vergeweltigen, dringen oder uberziehen dürfe.175 Es handelt sich hier um eine Friedensformel, die bereits auf die verschiedenen Friedstände und zeitlich befristeten Abkommen bis hin zum Augsburger Re168
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173 174 175
Vgl. Hans-Jürgen Becker: Protestatio, Protest. Funktion und Funktionswandel eines rechtlichen Instruments. In: ZHF 5. 1978. S. 385–412, hier S. 400. Becker: Protestatio (Anm. 168). S. 388. Vgl. Becker: Protestatio (Anm. 168). S. 392. Vgl. Becker: Protestatio (Anm. 168). S. 398f. und Klaus Schlaich: Die ,Protestatio‘ beim Reichstag in Speyer von 1529 in verfassungsrechtlicher Sicht. In: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht. 25. 1980. S. 1–19, hier S. 15. Die Protestation blieb bezüglich ihrer Anhänger bewusst offen, deshalb hieß es im entsprechenden Appellationsinstrument itzige und kunftige anhanger und adherenten, RTA JR VII. Nr. 167. S. 1353. Im Nachhinein schlossen sich denn auch die 14 Städte an, vgl. RTA JR VII. Nr. 167. S. 1354 sowie Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 375. Zu den Begriffen ,Protestanten‘ und ,Protestantismus‘ s. u. Kap. 6.3. Schlaich: Die Protestatio (Anm. 171). S. 16. RTA JR VII. Nr. 148. S. 1301.
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ligionsfrieden verweist. Dass eine solche vertrauensbildende Maßnahme notwendig geworden war, zeigt das inzwischen deutlich gestiegene Konfliktpotential. Die Glaubensfrage war nun nicht mehr nur eine Angelegenheit der Theologen, sondern durch das deutliche Auftreten der 19 evangelischen Reichsstände hatte sie sich endgültig zu einem Politikum entwickelt. Die Fronten waren inzwischen so verhärtet, dass ein bewaffneter Zusammenstoß nicht mehr ohne Weiteres ausgeschlossen werden konnte. Nicht umsonst rückten auf den folgenden Reichstagen die Themen Religion sowie Erhaltung von Friede und Recht immer näher zusammen. Bereits 1530 in Augsburg behandelte man diese Fragen gemeinsam und räumte ihnen im Abschied den größten Platz ein.176 Dieser Augsburger Reichstag zählt neben demjenigen von 1555 zu den wichtigsten Reichsversammlungen der Reformationszeit. Kaiser Karl V., der erstmals seit 1521 wieder persönlich zugegen war, wollte den Religionsstreit nun endgültig beilegen. Um der Irrung und zwispalt […] in dem hailigen glauben und der Christlichen Religion beizukommen, wünschte er ains yeglichen gutbeduncken: opinion und maynung zu hören, um auf dieser Grundlage zu ainer ainigen Christlichen warheit zu gelangen und alles so zu baiden tailen nit recht ist ausgelegt oder gehandelt abzuthun: durch uns alle ain ainige und ware Religion anzunemen und zuhalten.177 Ein derartiges Angebot zu einer gleichberechtigten Diskussion von Seiten des Kaisers war ein absolutes Novum. Die ablehnende Haltung des Speyrer Abschieds ist damit zunächst vollständig verschwunden, vielmehr werden die Evangelischen sogar wieder mit zu der einen christlichen Religion gerechnet, ,christlich‘ erscheint hier also wieder in integrativem Sinne. Parteinamen existieren noch immer nicht, doch ist nun deutlich von zwei ,Teilen‘ die Rede. Der rechtssprachliche Ausdruck ,Teil‘ ist gleichbedeutend mit ,Partei‘ und meint hier die an einem juristischen Streitfall beteiligten Gruppen, ohne im Vorfeld eines Urteils näher auf die Schuldfrage einzugehen.178 Damit bleibt diese Umschreibung vollkommen neutral und behandelt beide Seiten als Gleich176
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Hier ging es um die Erhaltung Unsers Heil. Christlichen Glaubens, Friedens und Rechtens, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 307. Alle Zitate des Ausschreibens stammen aus Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 1. S. 7f. Vgl. hierzu die Verwendung dieser Begriffe in anderem Zusammenhang, etwa in der Reichskammergerichtsordnung von 1523, wo von Partheyen, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 248. I § 6, einem oder beiden Theilen, der beweisenden Parthey Gegentheil, S. 248. III § 2, dem Widertheil, S. 249. IV § 2, aber auch vom ungehorsamen Theil und dem gehorsame[n] Theil, S. 250. VI sowie S. 251. VI § 1, die Rede ist. Auch die Reformation des Käyserlichen Cammer-Gerichts von 1531 spricht bezüglich der Kläger und Beklagten von Partheyen, Widerparthey oder beyden Theilen, vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 346. § 1 und § 3 sowie S. 347. § 6. Vgl. auch die entsprechende lateinische Form ,pars‘, die ebenfalls die Doppelbedeutung ,Teil‘ und ,Partei‘ besitzt.
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berechtigte in einem Rechtsstreit. Die Richterrolle sprach der Kaiser sich in diesem Zusammenhang als haubt der Christenhait selber zu! Einen ähnlichen Tenor hatte die Proposition vom 20. Juni. Allerdings konnte Karl es in diesem ausführlicheren Vortrag trotz aller zur Schau gestellten Verständigungsbereitschaft nicht unterlassen, mit einem kräftigen Seitenhieb auf die Evangelischen festzustellen, dass es bei einer Befolgung seines Edikts erst gar nicht so weit mit der Christenheit gekommen wäre.179 Neben dieser einen Andeutung, die die Evangelischen erneut als ungehorsam charakterisiert, unterließ er aber jede weitere Anspielung auf die Religionsparteien. Trotz dieses relativ vielversprechenden Anfangs blieb das Einvernehmen nicht lange erhalten. Gleich zu Beginn des Reichstages forderte Karl V. die lutherischen Stände am 15. Juni auf, die evangelischen Predigten am Rande der Versammlung einstellen zu lassen.180 Die evangelischen Fürsten lehnten dieses Ansinnen u. a. mit dem Argument ab, dass es dem Inhalt des Ausschreibens widerspräche. Da die Missbräuche auff beiden seyten besprochen werden sollten, würden sich die Evangelischen gleich ins Unrecht setzen, wenn nur sie auf ihre Predigten verzichten müssten.181 Besonders deutlich fand die konfliktgeladene Grundstimmung weiterhin in den Verhandlungen zwischen Karl V. und Kurfürst Johann von Sachsen um die Bestätigung der Kurwürde Ausdruck. Der Kaiser warf Johann zum wiederholten Male die Nichtbeachtung des Wormser Edikts und damit Ungehorsam vor.182 Johann zeigte sich überrascht, hatte er doch nach dem versöhnlichen Wortlaut des Ausschreibens eigentlich erwartet, das leidige Thema des Edikts sei nun endlich erledigt.183 Die Tatsache, dass der Kaiser in der Annahme des lutherischen Glaubens noch immer einen Straftatbestand sah, zeigte deutlich, auf welch dürftiger Grundlage die Verständigungsbereitschaft beider Seiten in Wirklichkeit stand. Auch Rolf Decot dämpft in diesem Zusammenhang überzogene Vorstellungen von dem gerade in der aktuellen Diskussion um die Ökumene vielbeschworenen Versöhnungswillen der Parteien, denn er geht davon aus, dass ein Scheitern der Verhandlungen aufgrund der unvereinbaren Ziele im Prinzip vorprogrammiert gewesen sei. Die Annäherungen in Lehrfragen seien zwar bemerkenswert, aber vollkommen sekundär gewesen, da dieser Bereich sowieso an ein Konzil hätte verwiesen werden sollen, während gerade in den wirklich relevanten Fragen der Kirchenverfassung von Beginn an unüber-
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Vgl. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 102. S. 307. Zu diesem sog. ,Predigtkampf‘ vgl. Immenkötter: Der Reichstag zu Augsburg (Kap. 1, Anm. 4). S. 19–24. Vgl. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 98. S. 285f. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 79. S. 221. Vgl. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 80. S. 230.
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brückbare Differenzen geherrscht hätten.184 Zudem darf nicht übersehen werden, dass der Kaiser zu Beginn des Reichstages die Königswahl seines Bruders Ferdinand im Auge hatte, die ihm gewisse Rücksichtnahmen abnötigte. Nachdem er diese noch während der laufenden Verhandlungen gesichert wusste, war die Notwendigkeit zu politischen Kompromissen von seiner Seite deutlich geschwunden. Im Abschied vom 19. November 1530 wurde das Scheitern des versöhnlich klingenden Vorstoßes dann in aller Deutlichkeit manifest. Dieses Dokument thematisierte die Glaubensfrage so ausführlich und jenseits der bisher eingeschliffenen Formeln, wie noch kein reichsrechtlicher Text zuvor, und ging dabei sogar auf einzelne konkrete theologische Aspekte ein. Die evangelische Seite hatte auf die Aufforderung des Kaisers hin insgesamt drei Bekenntnisschriften eingereicht: die lutherische ,Confessio Augustana‘, die Philipp Melanchthon im Auftrag Kurfürst Johanns von Sachsen verfasst hatte und die von fünf Fürsten sowie zwei Städten unterzeichnet worden war, Martin Bucers eher reformiert ausgerichtete ,Confessio Tetrapolitana‘ für die vier oberdeutschen Reichsstädte Straßburg, Konstanz, Lindau und Memmingen sowie Zwinglis ,Ratio fidei‘, die jedoch von keinem anwesenden Reichsstand unterstützt wurde. Die Unfähigkeit, sich auf ein gemeinsames Bekenntnis festzulegen, zeigte in aller Deutlichkeit, dass auf Reichsebene keine einheitliche evangelische Partei existierte.185 Darüber hinaus gab es noch weitere Sympathisanten der Reformation, die sich keiner dieser Schriften angeschlossen hatten, war doch der Protest im Vorjahr von immerhin 14 Städten mitgetragen worden, von denen hier nun lediglich sechs vertreten waren. Daran zeigt sich erneut, wie schwer die konfessionellen Parteien auf Reichsebene überhaupt zu fassen sind. Der Reichsabschied bezog sich ausschließlich auf die Confessio Augustana und die Confessio Tetrapolitana, da nur diese von Reichsständen verantwortet worden waren. In Ermangelung eines entsprechenden Parteinamens wurde die evangelische Seite zunächst durch eine explizite Nennung der entsprechenden Stände erfasst, so heißt es etwa der Churfürst zu Sachsen, samt seinen Mit-Verwandten oder
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Vgl. Rolf Decot: Confessio Augustana und Reichsverfassung. Die Religionsfrage in den Reichsverhandlungen des 16. Jahrhunderts. In: Herbert Immenkötter/Gunther Wenz (Hg.): Im Schatten der Confessio Augustana. Die Religionsverhandlungen des Augsburger Reichstages 1530 im historischen Kontext. Münster i. W. 1997 (RST. Bd. 156). S. 28–36, hier S. 28–36. Gerade in die Zeit zwischen den beiden Reichstagen von 1529 und 1530 fiel das Marburger Religionsgespräch, dessen Scheitern ein Zusammengehen zwischen den Anhängern Zwinglis und Luthers deutlich erschwerte und den Initiator Philipp von Hessen in seinem Bestreben, alle Evangelischen in einem Bündnis zusammenzuführen, immer mehr isolierte, vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 376–378.
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der Churfürst von Sachsen, die fünff Fürsten und sechs Städt.186 In dieser letzten Umschreibung wurden die sieben Stände der Confessio Augustana und die vier Städte der Confessio Tetrapolitana zu einer Partei zusammengefasst, man führte die gedachten vier Unser und des Reichs Städt an anderer Stelle aber auch gesondert auf.187 Diese rein auf die Beteiligten bezogene Umschreibung ist grundsätzlich neutral. Sie erhält ihre Brisanz jedoch durch die Gegenüberstellung mit der katholischen Seite als der Christlichen Kirchen, Päpstlicher Heiligkeit, Uns und den andern Churfürsten, Fürsten, und gemeinen Ständen des H. Römischen Reichs, auch andern Christlichen Häuptern und Gliedern der gemeinen Christenheit.188 Damit schrumpfen die evangelischen Stände zu einem kleinen Häuflein zusammen, das sich religiös wie politisch alleine gegen den Rest der Welt stellt. Von einer gemeinsamen christlichen Religion ist hier keine Rede mehr, sondern der Kaiser hält aufgrund der katholischen Gegenschrift, der maßgeblich von Johannes Eck erarbeiteten ,Confutatio Confessionis Augustanae‘, alle reformatorischen Lehren für widerlegt und fällt nun Kraft seines Schiedsrichteramtes die Entscheidung, gemeinsam mit Unsern und des Heiligen Reichs gehorsamen Churfürsten, Fürsten und Ständen fest bey dem alten wahren lange herbrachten Christlichen Glauben und Religion zu bleiben.189 In dieser Formulierung verbindet sich der über das Alter begründete katholische Universalanspruch mit der reichsrechtlichen Komponente des Gehorsams gegenüber dem Wormser Edikt sowie in diesem Falle auch gegenüber dem aktuellen Augsburger Abschied.190 Angesichts dieses Befundes ist zu fragen, ob die Bekenntnisschriften nicht sogar mitverantwortlich für die klare Ablehnung der reformatorischen Lehren waren, denn nun brauchte Karl sich nicht mehr dem Vorwurf auszusetzen, er habe jemanden verdammt, ohne zuvor dessen Position angehört zu haben. Im Gegenteil erhielt die Verurteilung auf diese Weise sogar mehr Gewicht. Deshalb ist durchaus zu vermuten, dass dieser Ausgang von vornherein feststand, womit die vielgepriesene kompromissbereite Haltung des Kaisers zu Beginn des Reichstags und sein „von ei-
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Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 308. § 2 und § 3. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem sächsischen Kurfürsten als ranghöchstem Fürst und Wortführer der lutherischen Partei, war er doch auch Landesherr Luthers und Melanchthons. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 309. § 8. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 308. § 1. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 309f. § 10. Vgl. auch die Formulierung gegen Ende des Abschieds: mit gemeldter Unserer gehorsamen Churfürsten, Fürsten und Ständ des Heil. Reichs, S. 316. § 64. Vgl. hierzu die Friedenserklärung am Ende des Abschieds mit der Wendung: Wir, auch Churfürsten, Fürsten, Prälaten, Graffen und Ständ, so diesen Abschied angenommen und bewilligt, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 316. § 65.
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ner irenischen Grundhaltung“ getragenes Ausschreiben191 in einem etwas fragwürdigeren Licht erscheinen würden. Wie schon 1529 ging mit der Ablehnung des evangelischen Glaubens auch diesmal ein Rückfall in die Ketzerterminologie einher. Hatte man bereits zu Beginn des Abschieds festgestellt, dass sich in der Christenheit viel schwärliche Sect ausgebreitet hätten,192 so wurden diese im weiteren Verlauf konkretisiert: Zunächst befahl man den Anhängern der Confessio Augustana, dass sie niemanden an sich und ihre Sect nicht ziehen oder nöthen sollen, und verbot ihnen, ihre Untertanen, die noch dem alten Christlichen Glauben und Wesen anhiengen, zu drangsalieren – einer der seltenen Anlässe, an denen nicht nur Theologen oder Reichsstände, sondern auch einfache Gläubige als Protagonisten in der Religionsfrage Erwähnung finden.193 Auch die vier Reichsstädte haben nicht allein im Glauben sich von allen andern Frey- und Reichs-Städten, sonder der gantzen Teutschen Nation, auch der gemeinen Christenheit abgesondert, und die schwere Irrsal wider das hochwürdige Sacrament, dergleichen der Bilderstürmung, und anderer Sachen unterzogen, und biß anhero viel widerwärtiger Sect gestattet.194
Ebenso wie in Speyer wird der reformierte Glaube hier anhand einer Umschreibung seiner besonderen Abendmahlslehre dargestellt. Hinzu kommt der Vorwurf des Bildersturms. Als dritte Sekte erscheint wiederum das Täufertum. Durch diese Bewegungen ist allerhand Beschwerung und Neuerung, dem Christlichen Glauben und Religion zuwider, eingerissen, die man in den folgenden Abschnitten anhand konkreter Beispiele näher ausführt.195 Bis auf die Bezeichnung Widertäuffer beschränkt man sich dabei auf umschreibende Formulierungen, wie etliche lehren oder die solche Neuerungen eingeführt haben. Ansonsten erinnert die Wortwahl sehr an die Verket191
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Zu dieser Einschätzung kommt etwa Kohler: Der Augsburger Reichstag 1530 (Kap. 2, Anm. 39). S. 163. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 307. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 308. § 3. Vgl. auch S. 314f. § 60: Da es in den evangelischen Gebieten noch viel standhafftiger Christen, dem alten wahren Christlichen Glauben anhängig, und denen die auffrührige, verführige und hievor verdammte Lehre höchlich zuwider gebe, garantiert der Kaiser denselben Bürgern, Bürgerin und Einwohnern, so noch des alten Christlichen Glaubens sind, und darauff verharren, seinen und des Reiches Schutz. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 309. § 8. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 310. § 11. Vgl. auch S. 310. § 14, wo es heißt, dass etliche bestimmte Neuerungen eingeführt haben, die wider den langen Gebrauch, Ordnung und Satzung der gemeinen Christlichen Kirchen stünden. Diese sei hingegen von Alters her geübt worden, S. 310. § 25 sowie ähnlich S. 311. § 30 und § 36. Vgl. auch den Heil. Christlichen Glauben, wie derselbig durch die heilige gemeine Christliche Kirch biß anhero ehrlich und löblich gehalten und vollzogen, S. 309. § 10.
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zerungen in den Bannbullen und im Wormser Edikt. So verdammt man beispielsweise die Lehre der Täufer als unchristlich und erschröcklich, den Reformierten wird vorgehalten, dass Bilderstürmer von gemeiner Christlichen Kirchen [...] verdammt worden seien, und den Lutheranern, dass die Ablehnung eines freien Willens nicht menschlich, sonder mehr viehisch, und ein Gottslästerung ist.196 Verantwortlich hierfür zeichnen verführige Prediger aus derselben Sect, die den Prediger[n] des alten rechten wahren Glaubens gegenübergestellt werden.197 Sie verbreiten eine unchristliche Ordnung, eine verführige, und hievor verworffene und verdammte Lehre und viel verführige Irrsal.198 Man kommt zu dem Schluss, dass solches alles nicht allein dem H. Evangelio und Schrifft, sonder auch dem alten löblichen Herkommen und Gebrauch der Christlichen Kirchen und Ceremonien zuwider sei. Damit weist der Abschied wieder einmal ausdrücklich den reformatorischen Anspruch zurück, evangelisch und alt zu sein. Auf dieser Basis wird bestimmt, dass alle andere, wider gemeiner Christlicher Kirchen Glauben, Ordnung, Religion, Ceremonien und alte löbliche Satzung, lang hergebrachten Gebrauch, so durch dieselbe gemeine Christliche Kirche, und vor etlichen hundert Jahren gehaltenen Concilia, verordnet, fürgenommen, Neuerung abgethan und cassirt seynd und daß sich diejenen, die solche Neuerung fürgenommen haben, mit Uns und berührten gemeinen Churfürsten und Ständen, biß zu einem nächstkommenden Concilio vereinigen und vergleichen.199
Auch wenn es zu Beginn des Textes noch wie in den vorhergehenden Abschieden heißt, die Evangelischen sollten lediglich nichts Neues, die Sachen des Glaubens hal-
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Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 312. § 40, 42 und § 43. Dass sich die letzten beiden Vorwürfe gegen Reformierte bzw. Lutheraner wenden, ergibt sich aus den angeprangerten Missständen: Die Reformierten wurden bereits zuvor mit Bilderstürmerei in Verbindung gebracht, vgl. nochmals S. 309. § 8, und die Auseinandersetzung um den freien Willen verweist auf den entsprechenden Streit zwischen Luther und Erasmus von Rotterdam. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 310. § 27 und § 26. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 310. § 23 sowie S. 311. § 36. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 311f. § 37. Vgl. auch die ähnlichen Wendungen daß sie von denselben grausamlichen Irrthumen abstehen und sich mit Uns, auch Churfürsten, Fürsten und Ständen des Heil. Röm. Reichs, und gemeiner Christenheit vergleichen, S. 309. § 8 sowie S. 312. § 46, wo den Betroffenen nochmals befohlen wird, alle Neuerung abzustellen und zu dem Stand zurückzukehren, wie in der Christlichen Kirchen von Alters herkommen, und vor dieser Zwyspaltung gebraucht worden. Besonders pointiert ist auch die direkte Gegenüberstellung aller versammelten Stände, ebensowohl diejenigen, die sich mit Uns und Unserm alten wahren Christlichen Glauben, wie der von der Heiligen Christlichen Kirchen bißher löblich gehalten ist, verglichen, als die, so die obgemeldte und andere Neuerung fürgenommen, S. 315. § 61.
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ben verbreiten,200 so gibt Karl sich in dieser letzten Anweisung nicht mehr mit einer Fixierung des Status quo zufrieden, sondern kehrt ausdrücklich zum rechtlichen Stand von 1521 zurück. Daran ändert auch nichts, dass er Missbräuche in der Christlichen Kirchen und in gemeiner Christenheit durchaus anerkennt und aus diesem Grund weiterhin an seiner Forderung gegenüber Rom festhält, zu Christlicher Reformation ein gemein Christlich Concilium einzuberufen.201 Allerdings erweist sich diese Konzilsforderung angesichts der Uneinigkeit zwischen den konfessionellen Lagern immer deutlicher als eine rein dissimulierende Formel, denn eine Unterwerfung der Evangelischen unter eine solche durch den Papst geleitete Versammlung wurde unter diesen Umständen immer unwahrscheinlicher.202 Interessanterweise ergeben sich gewisse Nuancen im Umgang mit den unterschiedlichen reformatorischen Gruppen, denn nachdem Karl die lutherischen Stände zunächst als ,Sekte‘ verurteilt hat, werden diese anschließend trotzdem aufgefordert, mit den Katholiken gemeinsam wieder diejenigen, so das hochwürdig Sacrament nicht halten, und die Widertäuffer vorzugehen.203 Er schätzt die Anhänger Wittenbergs um Kursachsen also immerhin mehr als andere Bewegungen. Ob dies am jeweiligen politischen Einfluss bzw. an der im Rahmen des evangelischen Spektrums relativen Nähe zur katholischen Lehre lag oder ob Karl einfach nur einen Keil in die Front der von ihm so gesehenen Ketzer treiben wollte, muss offen bleiben. Dass die evangelischen Stände auch diesen Abschied nicht mitgetragen haben, versteht sich eigentlich von selbst. Der Kaiser hatte einmal mehr die Standfestigkeit der Evangelischen unterschätzt und dadurch endgültig eine konfessionelle Spaltung des Reichstags provoziert. Dennoch muss die genaue Bruchlinie wiederum mit Vorsicht genossen werden, denn nicht alle reformatorisch gesinnten Stände verweigerten ihre Unterschrift unter den Abschied.204 Auch diesmal wollte es trotz der harten Worte niemand zum Äußersten kommen lassen. Deshalb erklärten jene Stände, die den Abschied angenommen hatten, erneut einen Frieden zwischen den Religionsparteien.205 Die Angst, Karl V. könnte sich 200 201
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Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 305. § 2. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 308. § 5. Vgl. daneben S. 315. § 61. In diesem Zusammenhang sind auch die Gravamina gegen dem Stul zu Rom Uns auf dem Reichs-Tag zu Worms fürbracht noch nicht vom Tisch, S. 326. § 132. Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 392 sowie Luttenberger: Reichspolitik und Reichstag unter Karl V. (Kap. 5, Anm. 6). S. 39f. und Ders.: Glaubenseinheit und Reichsfriede (Kap. 3, Anm. 130). S. 88. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 308. § 4. So erschienen mit Kempten, Nördlingen und Weißenburg hier die Siegel von drei jener acht Städte, die die Protestatio noch mitgetragen, sich aber keiner Bekenntnisschrift explizit angeschlossen hatten. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 331. § 150. Vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 316. § 65.
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nun entschließen, mit Waffengewalt gegen die evangelischen Stände vorzugehen, saß jedoch zu tief. Aus diesem Grund trafen sich im Dezember 1530 in Schmalkalden sechs evangelische Fürsten und zehn Städte, um ein Defensivbündnis gegen Karl V. zu schmieden. Luther hatte mit seiner Zustimmung lange gezögert, da er gemäß seiner Zwei-Reiche-Lehre im Kaiser die gottgegebene Obrigkeit erblickte, gegen die man sich in keinem Fall wenden dürfe. Die Juristen hatten ihm jedoch dargelegt, dass die Macht des Monarchen nur innerhalb seiner Wahlkapitulation gelte und den Ständen in allen Dingen, die er darüber hinaus unternehmen wolle, ein Widerstandsrecht zustehe. Letztendlich stellten die Theologen ihre Bedenken allerdings nur mit dem Argument hintan, dass sie sich für eine solche rechtliche Angelegenheit schlichtweg für nicht zuständig erklärten.206 Ganz in diesem Sinne war der Schmalkaldische Bund, den 17 Stände am 27. Februar 1531 offiziell gründeten, von Beginn an nicht primär als Bekenntnisgemeinschaft, sondern als politischer Zusammenschluss konzipiert worden. Dementsprechend blieb der Bundesvertrag in der Frage der konfessionellen Zugehörigkeit der Mitglieder zunächst sehr offen: Ziel und Zweck des Bundes sollte sein, zu verhindern, dass imants uns oder unser undertane mit gewalt oder der tat von dem wort Gots und erkanter warheit zu dringen […] understunde. Die einzige Aufnahmebedingung bestand darin, dass jedes Mitglied das hailig evangelion angenommen haben müsse.207 Diese Formulierungen deuten auf die Selbstbezeichnung ,evangelisch‘, bleiben allerdings vollkommen unspezifisch bezüglich der verschiedenen in Augsburg vorgelegten reformatorischen Bekenntnisse, die das Wort Gottes alle unterschiedslos als einzige Richtschnur des Glaubens anerkannt hatten. Auf diese Weise konnten sich neben solchen Ständen, die die Confessio Augustana vertraten, auch die vier Städte der Confessio Tetrapolitana am Bund beteiligen. Weil sich darüber hinaus mit Ansbach und Nürnberg trotz verschiedener Werbeversuche zwei wichtige lutherische Stände, die auch die CA unterzeichnet hatten, dem Bund auf Dauer entzogen, während dagegen solche Stände beitraten, die keinem Bekenntnis beigetreten waren, haben wir es hier nach dem Urteil von Gabriele Haug-Moritz insgesamt mit einer höchst „heterogenen Bekenntnissituation“ zu tun.208 Keinesfalls ist es daher möglich, die evangelische Partei im Reich über die Zugehörigkeit zum Schmalkaldischen Bund zu definieren! Trotzdem hatte diese Bündelung der Kräfte auf evangelischer Seite bedeutende Auswirkun-
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Vgl. Wallmann: Kirchengeschichte (Kap. 1, Anm. 54). S. 72f. und Haug-Moritz: Der Schmalkaldische Bund (Anm. 24). S. 96f. Zit. nach Ekkehart Fabian: Die Entstehung des Schmalkaldischen Bundes und seiner Verfassung 1524/29–1531/35. Brück, Philipp von Hessen und Jakob Sturm. 2. Aufl. Tübingen 1962 (Schriften zur Kirchen und Rechtsgeschichte. Bd. 1). S. 350 und S. 352. Haug-Moritz: Der Schmalkaldische Bund (Anm. 24). S. 100.
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gen auf die weitere Entwicklung der Reformation im Reich. Ein erster Erfolg stellte sich bereits 1532 ein. Die Vorgänge seit dem Augsburger Abschied hatten dem Kaiser deutlich gezeigt, dass er seine religionspolitischen Ziele wohl nicht ohne militärische Mittel würde erreichen können. Gerade dazu war er aber angesichts einer neuerlichen Bedrohung durch seine beiden großen äußeren Feinde, die Osmanen und Frankreich, nicht in der Lage. Im Gegenteil musste Karl V. unbedingt eine Annäherung zwischen den evangelischen Ständen und dem französischen König verhindern. Außerdem benötigte er dringend Ruhe im Reich und die finanzielle Unterstützung durch alle Reichsstände, um sich der Osmanen erwehren zu können.209 Sowohl die Proposition als auch der Abschied des Regensburger Reichstages von 1532 wiesen denn auch in aller Dringlichkeit auf die Türkengefahr hin: Es sei an christenlicher vereinigung [...] vil gelegen, weil der Turgk aus solchem zwispalt durch verhengknus des Allmechtigen zu straff unser sunden desto mehr hertz fassen, das cristlich konigreich Hungern [...] zu erobern.210 Diese Aussage ließ unterschiedlichste Interpretationen zu. Der Kaiser und mit ihm die katholische Reichstagsmehrheit wollten hier zum Ausdruck bringen, die Evangelischen hätten als Verursacher der Glaubensspaltung den göttlichen Zorn heraufbeschworen. In den kursächsischen Unterlagen findet sich jedoch eine erhellende Randbemerkung des Kanzlers Brück, die eben diesen Text in evangelischem Sinne bekräftigte: Ja eben ists das scilicet! Propter blasphemiam verbi!211 Er schob die Schuld an der ganzen Misere also gerade den Katholiken zu, da diese sich vom Evangelium abgewandt hätten. Diese äußeren Umstände erneuerten die Konsensbereitschaft des Kaisers, was die Evangelischen weidlich auszunutzen verstanden.212 Das schlug sich auch in der Terminologie nieder: Im Ausschreiben vom 1. Juli 1531 wurde nur allgemein die Angelegenheit unsers hl. cristlichen glaubens erwähnt, der Türkenkrieg erschien zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf der Agenda.213 In zwei weiteren Briefen vom 30. Dezember 1531 und vom 8. März 1532 forderte Karl die Stände auf, unbedingt persönlich auf dem Reichstag zu erscheinen. Hier existiert bezeichnenderweise je eine Fassung für 209
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Zur außenpolitischen Lage Karls V. vgl. etwa Reinhard: Reichsreform und Reformation (Anm. 35). S. 309–313 sowie Ilja Mieck: Europäische Geschichte der Frühen Neuzeit. Eine Einführung. 5., verb. Aufl. Stuttgart/Berlin/Köln 1994. S. 81–85 sowie S. 98–101. Einen guten Überblick über die Konflikte mit den Osmanen bietet Armin Kohnle: Türkenkriege. In: TRE 34. S. 181–183. Zum Zusammenhang zwischen Türkengefahr und Religionsstreit siehe ausführlich Kap. 7.2. RTA JR X. Nr. 303. S. 1059. Ähnlich auch in der Proposition Nr. 30. S. 295. Diese Randbemerkung findet sich an der entsprechenden Stelle in der Proposition, RTA JR X. Nr. 30. S. 295. Anm. 1. Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 402. RTA JR X. Nr. 1. S. 213.
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die katholischen und eine weitere für die evangelischen Stände. Zur Umschreibung der evangelischen Partei bezog der Kaiser sich in diesem Zusammenhang auf die Anführer des Schmalkaldischen Bundes: der Kf. von Sachssen, der Lgf. zu Hessen und ire anhenger.214 Er wollte ihren Sicherheitsbedenken entgegenkommen, indem er an seine Geleitbriefe erinnerte, die ihnen einen sicheren Besuch des Reichstages ermöglichen sollten.215 Gleichzeitig machte Karl jedoch aus seiner grundsätzlichen Ablehnung keinen Hehl, denn im Gegensatz zum Schreiben an die katholischen Fürsten und Städte fehlte hier bezeichnenderweise die sonst übliche Zusicherung kaiserlicher Gnade.216 In der Proposition betonte der Kaiser sein Streben nach einer friedlichen Vergleichung in der Religion und rief dringend zu Einigkeit angesichts der akuten Gefährdung durch die Türken auf, drohten diese doch mit der austilgung unsers gemainen hl. christlichen namens und glaubens, welches ain yeglicher christgelaubiger verhüten helfen muss.217 Der Abschied argumentierte entsprechend.218 Auf diese Weise nahm man die Lutheraner gerade in Blick auf die gemeinsame Frontstellung gegen den Islam wieder in den Kreis der Christen auf. Im Gegensatz zum Augsburger Abschied ist ,Christenheit‘ damit von einer universalistischen katholischen Selbstbezeichnung wieder zu einer alle umfassenden Kompromissformel geworden. Daneben ist zwar weiterhin davon die Rede, dass im glauben manicherhand zwispalt, sect und irrung, dergleichen in vill hundert jaren nie gehort, aufgestanden seien,219 diesmal führt man aber nicht weiter aus, wer mit dieser Ketzerterminologie wohl gemeint sein könnte. Überhaupt werden die Evangelischen wie die Katholiken nicht weiter umschrieben. Bezüglich des vergangenen Reichstages erinnert Karl zwar an die muehe, arbeit und vleyß, so wir mit den stenden […] der religion halben gehabt, aber es ist nicht mehr von einer Durchsetzung der entsprechenden Beschlüsse oder gar von einer Befolgung des Wormser Edikts die Rede, sondern alle Fragen werden wieder einmal an ein gemein cristlich concilium verwiesen und auf diese Weise ele-
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RTA JR X. Nr. 24. S. 283. Textapp. a. Vgl. RTA JR X. Nr. 16. S. 251. Textapp. d–d. Vgl. hierzu auch die Geleitforderung Kurfürst Johanns von Sachsen vom 24. August 1531 sowie den entsprechenden Geleitbrief Karls vom 30. September desselben Jahres, Nr. 5. S. 221–223 und Nr. 11. S. 241f. Vgl. RTA JR X. Nr. 16. S. 252. RTA JR X. Nr. 30. S. 296. Hier wird mehrfach die Notwendigkeit beschworen, die zwispalt in unserm hl. cristenlichen glauben [...] hinzulegen, RTA JR X. Nr. 303. S. 1058f. Vgl. auch S. 1061, 1062 und 1063. An einer Stelle ist sogar von der muetter unser cristenlichen kirchen die Rede, S. 1066. Zugleich beschwor man den gemeinsamen ,christlichen Namen und Glauben‘ gegenüber den Türken, unsern gemeinen und aller cristenmenschen vheindt, S. 1065. RTA JR X. Nr. 303. S. 1061.
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gant ausgeblendet.220 So ermöglichte man es den Evangelischen, nach zwei gescheiterten Reichstagen wieder einen Abschied mitzutragen und mit vereinten Kräften der Türkengefahr zu begegnen. Karl nahm auch Bezug auf den im gleichen Jahr abgeschlossenen Friedstand mit den Schmalkaldenern, erklärte dazu aber nur allgemein, dass er sich mit denselben stenden und sy widerumb mit uns miteinander vergleicht221 hätten. Dieser sogenannte Nürnberger Anstand vom 23. Juli 1532 war ein beidseitiger, wenn auch zeitlich befristeter Friedensschluss mit den Evangelischen und damit ein bedeutender Erfolg des Schmalkaldischen Bundes. Er bildete den ersten Schritt weg von der religiösen Concordia hin zu einem äußeren Frieden, wie er schließlich 1555 im Augsburger Religionsfrieden endgültig vollzogen werden sollte.222 Durch die Aufnahme in den Landfrieden brachte der Anstand de facto zumindest vorläufig eine offizielle Duldung der evangelischen Religion, wenn auch noch keine rechtliche Gleichstellung. Der Kaiser handelte hier aus Gründen politischer Vernunft sogar gegen den Willen der katholischen Reichstagsmehrheit, die weiterhin auf ein Festhalten am Abschied von 1530 beharrte und die Friedenspolitik strikt ablehnte. Der Anstand war dementsprechend nur eine Sondervereinbarung mit dem Kaiser ohne ausdrückliche Zustimmung des Reichstages! Durch diesen Schritt ,erkaufte‘ Karl sich die erwünschte militärische und finanzielle Hilfe gegen die Türken.223 Allerdings versuchte er, seinen Spielraum gegenüber den Evangelischen durch einige Finten zu wahren, so richtete er den Landfrieden in einer Proklamation vom 3. August 1532 nur zwischen den Ständen auf, nahm sich selber jedoch davon aus. Zudem ließ er den Vertragstext lediglich im Namen der vermittelnden Kurfürsten Albrecht von Mainz und Ludwig von der Pfalz ausstellen.224 Dieses Dokument225 zeigte entsprechend seiner auf Ausgleich bedachten Intention ebenso wie der Regensburger Abschied eine starke terminologische Zurückhaltung. Ganz allgemein war von der causa controversiae religionis die Rede. Alle damit verbundenen heiklen Fragen wurden jedoch aus den Verhandlungen ausgeklammert und auf ein Konzil verschoben, damit der Weg frei wurde, dass communis ac 220 221 222
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RTA JR X. Nr. 303. S. 1062. RTA JR X. Nr. 303. S. 1065. Vgl. Rosemarie Aulinger: Die Verhandlungen zum Nürnberger Anstand 1531/32 in der Vorgeschichte des Augsburger Religionsfriedens. In: Heinrich Lutz/Alfred Kohler (Hg.): Aus der Arbeit an den Reichstagen unter Kaiser Karl V. Sieben Beiträge zu Fragen der Forschung und Edition. Göttingen 1986 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bd. 26). S. 194–227, hier S. 194. Vgl. Kohnle: Reichstag und Reformation (Kap. 4, Anm. 2). S. 402–406 und Blickle: Die Reformation im Reich (Kap. 1, Anm. 12). S. 167. Vgl. Aulinger: Die Verhandlungen zum Nürnberger Anstand (Anm. 222). S. 203f. du Mont: Corps universel diplomatique IV,2 (Anm. 31). Nr. LXIII. S. 87.
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publica Pax, inter majestatem, & omnes Status Imperii Germanicae Nationis, tam Ecclesiasticos quam Seculares, constituatur, & firmetur. Über die Konfessionsgrenzen hinweg sprach man also nur von den ,Ständen des Reiches‘. Als Gegenpart zu den Türken, den Feinden communi Christiani nominis, zählte man diese alle unabhängig von ihren theologischen Ansichten zu den ,Christen‘. Daneben verwendete man den neutralen vertragsrechtlichen Begriff partes oder nannte alle Beteiligten einzeln, auf evangelischer Seite immerhin neun Fürsten und 24 Städte. Das waren deutlich mehr als jene, die die Protestatio von 1529, eine der Confessiones von 1530 oder den Schmalkaldischen Bundesvertrag von 1531 mitgetragen hatten. Durch diese Aufzählung und den Verzicht auf einen gesonderten Namen, der die evangelische Seite als eine eigene Glaubenspartei konstituiert hätte, wollte der Kaiser seine Friedenszusicherung auf einen möglichst kleinen Kreis von evangelischen Ständen begrenzt wissen.226 In der nachfolgenden kaiserlichen Ratifizierungsurkunde sowie im Publikationsmandat227 ist daneben aber in einer allgemeineren Form auch von dem Kf. zu Sachsen und sein zugewandten die Rede.228 Diese Umschreibung enthält nun ein klar dissimulierendes Moment, das es entgegen den kaiserlichen Intentionen ermöglichte, jene ,Zugewandten‘ aus evangelischer Sicht möglichst weit zu fassen und damit eine Beschränkung des Anstandes auf bestimmte Stände zu vermeiden oder diesen sogar für künftige Anhänger der Reformation offenzuhalten.229 Insgesamt zeichneten sich alle öffentlichen Dokumente im Rahmen der Verhandlungen von 1532 durch ein größtmögliches Maß an terminologischer Zurückhaltung und Offenheit aus. Verketzerungen fehlten vollkommen, die Bezeichnung ,Christenheit‘ erhielt wieder eine integrative Bedeutung, etwaige Kritik, wie eine mögliche Schuldzuweisung bezüglich der Türkengefahr, blieb so allgemein formuliert, dass sie von allen Beteiligten in ihrem Sinne ausgelegt werden konnte, das Konzil musste zur Dissimulierung der theologischen Streitfragen herhalten und überhaupt wurde auf eine Umschreibung der konfessionellen Parteien weitgehend verzichtet. Nur, wo es aus Verständnisgründen unbedingt notwendig schien, erfolgte eine möglichst allgemeine und unverfängliche Aufzählung der evangelischen Stände. Gerade im Vergleich zur Sprache der Abschiede von 1529 und 1530 wird deutlich, wie weit der Kaiser unter Verzicht auf jede weitere religionspolitische Intervention in diesen zwei Jahren zurückrudern musste, um wieder einen aufgrund der äußeren Umständen unbedingt notwendigen Konsens zu erzielen! 226 227 228
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Vgl. Aulinger: Die Verhandlungen zum Nürnberger Anstand (Anm. 222). S. 226f. Vgl. du Mont: Corps universel diplomatique IV,2 (Anm. 31). Nr. LXIII. S. 88 und Nr. LXIV. S. 89. So im Publikationsmandat, RTA JR X. Nr. 549. S. 1514. In der Ratifizierungsurkunde zählt der Kaiser die fünf Fürsten der CA auf und subsumiert die übrigen Stände unter der Formel und iren mitgewandten graven und stetten, Nr. 557. S. 1520f. Vgl. Haug-Moritz: Der Schmalkaldische Bund (Anm. 24). S. 116–118.
Wichtige Weichenstellungen in der reichstagslosen Zeit 1532–1541
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6.3 ,Das Jahrzehnt der Vergleichung‘: Wichtige Weichenstellungen in der reichstagslosen Zeit 1532–1541 Nach dem Reichstag von 1532 verließ Karl V. erneut für beinahe ein Jahrzehnt das Reich. Diesmal verzichtete er auf die Einrichtung eines Reichsregiments und übergab die Verantwortung alleine seinem Bruder Ferdinand, der 1531 zum Römischen König gewählt worden war. Bis 1541 fand kein ordentlicher Reichstag mehr statt. Die Versammlungen der 30er Jahre im Umkreis des Täuferreichs von Münster haben sich nicht mit der Religionsfrage beschäftigt und wurden von Karl V. im Nachhinein nicht als Reichstage anerkannt.230 Eine Analyse der offiziellen reichsrechtlichen Terminologie bezüglich der Konfessionsparteien findet daher erst mit dem Regensburger Reichstag von 1541 wieder eine entsprechende Quellenbasis.231 Trotzdem blieb die Religionsfrage natürlich akut, und in der reichstagslosen Zeit bahnten sich einige wichtige Entwicklungen an, die bedeutende Auswirkungen auf den weiteren Fortgang der Auseinandersetzungen haben sollten. Zum einen verfestigte sich die konfessionelle Bündnisbildung durch eine zunehmende Institutionalisierung des Schmalkaldischen Bundes. Unter seinem Schutz nahm die Zahl der offen evangelischen Stände im Laufe der 30er Jahre deutlich zu; bis Ende 1538 war das Bündnis auf immerhin 42 Mitglieder angewachsen.232 1538 trat ihm dann mit dem Nürnberger Bund auf katholischer Seite ein, wenn auch deutlich schwächer ausgeprägtes, Pendant gegenüber.233 Der inhaltliche Ausgleich zwischen den Konfessionen blieb auch in dieser Zeit das wichtigste religionspolitische Ziel des Kaisers. Winfried Schulze spricht deshalb von einem ganzen „Jahrzehnt der Vergleichung“, das 1529 und 1530 mit zwei gescheiterten Versuchen begonnen und erst mit den Religionsgesprächen von 1540 und 1541 230
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Zumindest das Wormser Schlussdokument vom 25. April 1535 wurde allerdings bei Senckenberg als Reichsabschied definiert, vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 407–419. Helmut Neuhaus verweist denn auch ausdrücklich auf die Schwierigkeit, die drei Wormser Versammlungen von 1535 adäquat zu bezeichnen. Er selber plädiert entgegen dem Votum Karls V. dafür, sie aus strukturellen Gründen alle als Reichstage zu behandeln, vgl. Neuhaus: Reichsständische Repräsentationsformen (Kap. 5, Anm. 5). S. 46, 109, 123 und S. 135. Die entsprechenden Abschiede erwähnen nirgends die Religionsfrage und enthalten keinerlei konfessionelle Parteinamen. Horst Rabe verweist ebenfalls auf das Problem, dass für die reichstagslose Zeit eine solide editorische Basis fehle, um sie angemessen würdigen zu können, vgl. Rabe: Editorischer Neubeginn (Kap. 2, Anm. 2). S. 258. Vgl. Haug-Moritz, Schmidt: Schmalkaldischer Bund. In: TRE 30 (Anm. 24). S. 222 sowie Dies.: Der Schmalkaldische Bund (Anm. 24). S. 123–125. So einigte sich der Schmalkaldische Bund 1535 auf eine ,Verfassung zur Gegenwehr‘, die einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur organisatorischen Ausgestaltung des Bundes darstellte. Vgl. Haug-Moritz: Der Schmalkaldische Bund (Anm. 24). S. 70–76.
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sein Ende gefunden habe.234 Das geeignete Forum für eine theologische Annäherung schien zunächst das bereits in mehreren Reichsabschieden von Rom verlangte Konzil zu sein. Im Laufe der reichstagslosen Zeit war in diese Frage nun tatsächlich einige Bewegung gekommen, denn 1536 hatte Papst Paul III. ein Konzil nach Mantua ausgeschrieben. Allerdings stellte sich jetzt mit aller Deutlichkeit heraus, dass die Konzilsforderungen lediglich als dissimulierende Kompromissformel gedient hatten. Indem man den Religionsvergleich übereinstimmend an eine andere Instanz verwies, war es möglich geworden, die Reichstage vom Streit über die Lehrunterschiede zu entlasten. Nun zeigte sich jedoch, dass die Meinungen darüber, was unter einem rechtmäßigen Konzil eigentlich genau zu verstehen sei und was man von ihm erwarten könne, konfessionsbedingt sehr stark differierten. Unter Führung des sächsischen Kurfürsten lehnte die Mehrheit der evangelischen Stände das päpstliche Konzilsprojekt ab, was im Februar 1537 auf einer Versammlung des Schmalkaldischen Bundes offiziell bestätigt wurde.235 Martin Luther lieferte in mehreren Schriften, die er in Zusammenhang mit der Konzilsdebatte verfasste, eine Begründung für diese Haltung. Bereits 1537 hatte er im Auftrag des Bundes die Schmalkaldischen Artikel erarbeitet, die in Blick auf eine mögliche Konzilsteilnahme als weitere Bekenntnisgrundlage dienen sollten. Im Gegensatz zur Confessio Augustana wurde hier bezeichnenderweise nicht mehr das Gemeinsame, sondern das Trennende zwischen den Konfessionen deutlicher betont, was auf eine deutlich verminderte Kompromissbereitschaft hindeutete.236 In seiner Vorrede bezweifelte Luther, ob es wirklich jemals zu einem recht frey Concilium kommen werde, da der Römisch hoff offensichtlich so sehr davor zurückschrecke, dass selbst seine eigenen Anhänger bereits alle Hoffnung aufgegeben hätten.237 Ein freies Konzil zeichnet sich für den Reformator in erster Linie dadurch aus, dass es dem Schutz der wahren ,alten‘ Lehre und damit verbunden der Abwehr von Neuerungen verpflichtet sei.238 Zu diesem Zweck solle ein Konzil wie ein Gericht arbeiten, das alle Parteien anhöre und dann neutral auf der Basis von Gottes Wort Recht 234 235 236
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Vgl. Schulze: Deutsche Geschichte (Kap. 5, Anm. 43). S. 130f. Vgl. Wallmann: Kirchengeschichte (Kap. 1, Anm. 54). S. 79f. Melanchthon konnte allerdings eine offizielle Annahme der Artikel durch die Bundesversammlung verhindern. Einen offiziellen Status erhielt diese Schrift daher erst mit der Aufnahme ins Konkordienbuch, vgl. Wallmann: Kirchengeschichte (Kap. 1, Anm. 54). S. 81. Luther: Die Schmalkaldischen Artikel. WA 50. S. 160/193–254. Luther hat die Aufgaben der Konzilien nach dem Vorbild der vier altkirchlichen ,Hauptkonzilien‘ von Nizäa, Konstantinopel, Ephesos und Calcedon in insgesamt zehn Punkten zusammengefasst, die sich aber unter diese beiden Aspekte subsumieren lassen, vgl. Luther: Von den Konziliis und Kirchen. WA 50. S. 607–614. Einmal mehr zeigt sich hier in aller Deutlichkeit Luthers Auffassung, die wahre alte Lehre entgegen den römischen Missbräuchen und Neuerungen zu vertreten.
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spreche.239 Da der Papst hier selber Partei sei, müsse dieser sich natürlich dem Konzil unterwerfen und dürfe es nicht im Gegenteil einberufen und kontrollieren; diese Aufgabe weist er nach dem Beispiel des römischen Kaisers Konstantin vielmehr den weltlichen Monarchen zu.240 Da Luther nicht mehr an das Zustandekommen eines solchen Konzils glaubt, plädiert er als Alternative für ein Nationalkonzil oder Provintial, das als Vorbild über die Reichsgrenzen hinauswirken könnte.241 Unter dem Eindruck der Ladung zum Trienter Konzil 1545 wurde Luther noch deutlicher: Er fragt sich, ob sich die Kosten und Mühen überhaupt lohnen, wenn zu vorhin der Bapst beschlossen hat, was im Concilio gemacht oder gethan wird, das solle im unterworffen und nichts sein, Es gefalle im denn recht wol, und will gewalt haben alles zu verdammen?242 Die wiederholten Konzilsforderungen auf den Reichstagen seit 1521 seien stets mit drei Bedingungen verknüpft gewesen: Frey, Christlich, Deudsch. Da ein solches Konzil die Macht hätte, über ihn zu richten, werde der Papst sie niemals erfüllen.243 Diese Argumentation verweist auf die Auseinandersetzungen zwischen Konzilien und Kurie im 15. Jahrhundert. Die Beseitigung des Großen Schismas durch das Konstanzer Konzil im Jahre 1415 kennzeichnete den Höhepunkt der konziliaren Suprematie über Rom. Dem Papsttum gelang es zwar in der Folgezeit, diese Ansprüche zunehmend einzudämmen und die Idee des Konziliarismus 1459 schließlich sogar für ketzerisch zu erklären, doch übrig blieb ein tiefes Misstrauen gegenüber allen Formen kirchlicher Versammlungen, ein ausgesprochener ,Konzilskomplex‘.244 Dieser hatte dazu geführt, dass die Päpste den Konzilsforderungen von Kaiser und Reich nur sehr zögerlich nachgekommen waren und das Projekt auch nach 1536 nicht mit vollem Einsatz vorantrieben. Da obendrein der französische König zu diesem Zeitpunkt dem Konzil ebenfalls ablehnend gegenüberstand, verpufften die ersten Ansätze. Karl V. durfte zunächst also nicht auf die Hilfe durch eine innerkirchliche Reform hoffen. Deshalb griff er zu einem neuen Mittel: Religionsgesprä-
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Vgl. WA 50. S. 615f. Vgl. WA 50. S. 622. WA 50. S. 623. Luther: Wider das Papsttum. WA 54. S. 207. WA 54. S. 208. Genau in diesem Sinne bestanden die evangelischen Vertreter im Abschied des Hagenauer Religionsgesprächs von 1540 auf die Ersetzung der von katholischer Seite eingebrachten Formulierung eins rechtmessigen Concilii durch eins Cristlichen, freien Concilii in teutscher nation: Klaus Ganzer/Karl-Heinz zur Mühlen (Hg.): Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche im 16. Jahrhundert. Bd. 1: Das Hagenauer Religionsgespräch (1540). Göttingen 2000. Nr. 37. S. 150. Vgl. hierzu Mieck: Europäische Geschichte (Anm. 209). S. 41f. sowie Heussi: Kompendium (Kap. 3, Anm. 204). S. 249–255.
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che auf Reichsebene und unter Beteiligung der Stände sollten zumindest vorläufig die theologischen Lehrunterschiede überwinden helfen. Religionsgespräche245 hatten die Reformation im Prinzip von Beginn an begleitet. Bereits Luthers 95 Thesen waren ja eigentlich als Einladung zu einer akademischen Disputation über Glaubensfragen gedacht gewesen.246 Im theologischen Bereich fanden solche Gespräche ihren Höhepunkt etwa 1519 in der Leipziger Disputation zwischen Johannes Eck und den Wittenbergern Karlstadt und Luther oder im innerreformatorischen Marburger Religionsgespräch von 1529.247 Auf politischer Ebene nutzten zunächst v. a. Städte das Instrumentarium öffentlicher Religionsgespräche, um eine legitimierende Basis für die Einführung der Reformation zu erhalten. Als Erfinder dieser Form der „politischen Disputation“,248 bei der die weltliche Obrigkeit die Rolle eines Schiedsrichters in Religionsfragen übernahm, gilt Zwingli. 1523 erreichte er so den Übergang Zürichs zum evangelischen Glauben. Ein Rückgriff auf dieses Mittel der Konsensfindung von Seiten des Reiches deutete sich in dem bereits erwähnten Plan des Speyrer Nationalkonzils von 1524 an, das als eine Art „Mischform aus Reichstag und Konzil“ gedacht gewesen war.249 Auch die Ausschussverhandlungen über die Confessio Augustana auf dem Augsburger Reichstag von 1530 sind immer wieder als Religionsgespräche gewertet worden.250 Die eigentliche Ära der insgesamt fünf „Reichsreligionsgespräche“251 begann jedoch erst Ende der 30er Jahre. Ein Vermittlungsvorschlag des Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg, der 245
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Der Terminus ist nicht zeitgenössisch. In den Quellen ist meist von disputation oder colloquium die Rede. Vgl. Marion Hollerbach: Das Religionsgespräch als Mittel der konfessionellen und politischen Auseinandersetzung im Deutschland des 16. Jahrhunderts. Frankfurt a. M./ Bern 1982 (Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften. Bd. 165). S. 6f. Vgl. Hollerbach: Das Religionsgespräch (Anm. 245). S. 8–13. Zu den Gesprächen von Leipzig und Marburg vgl. ausführlicher Hollerbach: Das Religionsgespräch (Anm. 245). S. 19–29 sowie S. 91–93. Hollerbach: Das Religionsgespräch (Anm. 245). S. 102. Vgl. zum Folgenden auch S. 44–47. Hollerbach: Das Religionsgespräch (Anm. 245). S. 49. Vgl. etwa Fuchs: Konfession und Gespräch (Anm. 28). S. 386f. Er wertet diesen Reichstag als Ersatz für das geplante Nationalkonzil. Marion Hollerbach sieht hier dagegen lediglich eine Vorform zu den eigentlichen Reichsreligionsgesprächen der 40er Jahre, vgl. Hollerbach: Das Religionsgespräch (Anm. 245). S. 109–111. Diese Bezeichnung wurde von Marion Hollerbach in die Diskussion eingeführt, vgl. Hollerbach: Das Religionsgespräch (Anm. 245). S. 112. Als Reichsreligionsgespräche gelten die Kolloquien zu Hagenau 1540, Worms 1540/41, Regensburg 1541, Regensburg 1546 sowie Worms 1557. Von wirklicher Bedeutung sind jedoch nur die ersten drei, da das Regensburger Gespräch von 1546 von den katholischen Ständen von vornherein abgelehnt wurde und das Gespräch von 1557 in Folge des Augsburger Religionsfriedens primär eine Alibifunktion hatte, weil man nach dem endgültigen politischen Frieden wenigstens noch einen Versuch zu einem theologischen Ausgleich starten zu müssen glaubte, vgl. Hollerbach: Das Religionsgespräch (Anm. 245). S. 171f. und S. 205f.
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sich selber als Vertreter eines Mittelweges zwischen den Konfessionen sah, brachte 1538 den Stein ins Rollen.252 Der Plan eines Religionsgesprächs folgte dem auf humanistischem Optimismus beruhenden Gedanken, dass es doch möglich sein sollte, „alle Schwierigkeiten durch Gespräche gebildeter und vernünftiger Menschen zu regeln.“253 Ein kurzer Blick auf einige offizielle Dokumente im Rahmen der Religionsgespräche erlaubt es, die Textlücke der 30er Jahre ein wenig zu verkleinern und die Betrachtung der terminologischen Entwicklung auf Reichsebene bereits einige Jahre vor dem Regensburger Reichstag wieder aufzunehmen. Als Vorbedingung für theologische Gespräche galt es zunächst, den politischen Frieden zu sichern. Zu diesem Zweck fanden 1539 in Frankfurt Verhandlungen zwischen dem Schmalkaldischen Bund und Vertretern des Kaisers unter Führung des Erzbischofs Johann von Lund statt. Als Vermittler traten die Kurfürsten Ludwig von der Pfalz und Joachim von Brandenburg auf.254 Das Ergebnis war der Frankfurter Anstand vom 19. April 1539, in dem man einen 15monatigen ,Nichtangriffspakt‘ beschloss. Diese Zeit wollte man nutzen, um den gantz nachtailig zwispalt unserer hailigen religion in christenlich ainigkait und vergleichung zu bringen. Im Hintergrund stand dabei ausdrücklich das Bestreben, sich mit geeinter Kraft gegen den grausamen veind der christenhait verteidigen zu können.255 Wie vorgesehen, schrieb man deshalb für den 1. August einen Tag nach Nürnberg zu ainem christlichen freundlichen gesprech der religion halber256 aus und verpflichtete die evangelischen Stände zugleich, eine geplante Türkenhilfeversammlung in Worms zu beschicken. Gemäß der ausgleichenden Tendenz dieses Dokumentes bezieht sich das Attribut ,christlich‘ in diesen Fällen eindeutig auf beide Konfessionen, die gleichzeitig auch 252
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Vgl. Hollerbach: Das Religionsgespräch (Anm. 245). S. 112f.; zur besonderen Rolle Joachims II. vgl. auch Rabe: Karl V. und die deutschen Protestanten (Anm. 23). S. 332 sowie Luttenberger: Kirchenadvokatie und Religionsfriede (Anm. 54). S. 197. Joachims konservative Kirchenordnung von 1540, die besonders gut über seinen konfessionellen Mittelweg Zeugnis ablegt, weil er hier versuchte, Elemente des Katholizismus mit reformatorischem Gedankengut zu verbinden, wurde bereits ausführlicher in Kap. 4.3.2 behandelt. Hollerbach: Das Religionsgespräch (Anm. 245). S. 119. Vgl. hierzu auch die Beobachtung von C. Augustijn, dass diese Unionspolitik in erster Linie von ,Erasmianern‘ getragen wurde: Cornelius Augustijn: Die Religionsgespräche der vierziger Jahre. In: Gerhard Müller (Hg.): Die Religionsgespräche der Reformationszeit. Gütersloh 1980 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte. Bd. 191). S. 43–53, hier S. 49. Die Verhandlungen fanden am Rande eines Bundestages statt. Zum genauen Verlauf vgl. ausführlich Paul Fuchtel: Der Frankfurter Anstand vom Jahre 1539. In: ARG 28. 1931. S. 145–206, hier S. 160–188. Der Frankfurter Anstand ist gedruckt bei Wilhelm H. Neuser (Hg.): Die Vorbereitung der Religionsgespräche von Worms und Regensburg 1540/41. Neukirchen–Vluyn 1974 (Texte zur Geschichte der evangelischen Theologie. Heft 4). S. 75–85, hier S. 75. Neuser: Die Vorbereitung der Religionsgespräche (Anm. 255). S. 76.
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ihre Zugehörigkeit zu der einen gemeinsamen ,heiligen Religion‘ bekennen. Klare Differenzen zwischen den Glaubensparteien treten dagegen in der Forderung der evangelischen Verhandlungspartner zu Tage, päpstlichen Vertretern die Teilnahme am Religionsgespräch zu verweigern, weil sie den Papst nicht fur das haupt der christlichen religion halten noch erkennen, und derhalben irer vor getaner protestation zuwider nit gehellen noch bewilligen wollen, ine in disem vertrag zu bestimmen.257 Damit bestreiten sie zwar nicht die Zugehörigkeit ihrer katholischen Gesprächspartner zum Christentum, machen jedoch unmissverständlich deutlich, dass über Form und Inhalt eben dieser Religion keine Einigkeit herrscht. In den Verhandlungen zeigte sich einmal mehr das politische Gewicht, das der Schmalkaldische Bund inzwischen gewonnen hatte, da er gegenüber dem Kaiser die Vertretung aller evangelischen Reichsstände wahrnahm.258 Aus diesem Grunde finden im Vertragstext sowohl der Schmalkaldische als auch sein Gegenpart, der Nürnberger Bund, als buntnus bzw. bundnus und gegenbundnus Erwähnung.259 Beide Vereinigungen werden damit terminologisch strikt gleich behandelt. Genauso fungiert die ebenfalls mehrfach verwendete neutral-rechtliche Umschreibung tail, die aber nicht immer eindeutig zuzuordnen ist, kann sie sich doch je nach Zusammenhang auf die gesamten Konfessionen, auf die beiden Bündnisse oder auf die beteiligten Vertragspartner, also den Schmalkaldischen Bund, den Kaiser und die beiden Vermittler, beziehen.260 Der Anstand wurde von den Schmalkaldenern Kursachsen, Hessen und Frankfurt im Namen aller anderer fursten, graven, herrn, stett und stend unserer Augspurgischen Confession und derselbigen aynigungsverwanten unterschrieben.261 Die Selbstbezeichnung ,Einigungsverwandte‘ rekurriert dabei auf jene Fürsten und Städte, die dem Schmalkaldischen Bund durch eine Siegelung des entsprechenden Bundesvertrages beigetreten waren. Der Bezug auf die Augsburger Konfession diente darüber hinaus der Umschreibung all jener Stände, die sich als evangelisch definierten, ohne gleichzeitig dem Bund anzugehören. Auf diese Wei257 258 259
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Neuser: Die Vorbereitung der Religionsgespräche (Anm. 255). S. 79. Vgl. zu dieser Bewertung Haug-Moritz: Der Schmalkaldische Bund (Anm. 24). S. 64f. Neuser: Die Vorbereitung der Religionsgespräche (Anm. 255). S. 78 und S. 81. In bundesinternen Dokumenten werden solche Bezeichnungen im Sinne des jeweiligen Selbstverständnisses meist durch universalistisch zu verstehende Zusätze spezifiziert, so ist im Abschied des Bundestages zu Nürnberg vom 12. Juni 1538 von einer Christlichen ainigung vnd Bunthnus die Rede: Franz Bernhard von Bucholtz: Geschichte der Regierung Ferdinand des Ersten. Aus gedruckten und ungedruckten Quellen. Bd. IX: Urkunden. Wien 1831–38. Nachdruck Graz 1968. S. 366. Vgl. etwa die Formulierungen baider tail bei Neuser: Die Vorbereitung der Religionsgespräche (Anm. 255). S. 78, 79, 80, allen tailn, S. 82, sowie den andern tail, S. 78. In diesem letzten Falle lässt sich der andere ,Teil‘ eindeutig auf den Nürnberger Bund beziehen. Neuser: Die Vorbereitung der Religionsgespräche (Anm. 255). S. 83. Die Bezeichnung stend, der Augspurgischen Confession und derselbigen religion verwant erscheint daneben noch mehrfach, z. B. S. 78, 79, 80, 81.
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se wurde hier erstmals in einem reichsrechtlich relevanten Dokument die gesamte evangelische Seite unter einem konfessionellen Parteinamen zusammengefasst. Im Prinzip ging man dabei nach dem gleichen Muster vor, das sich bereits in den 20er Jahren in dem Versuch angedeutet hatte, die Haltung eines Standes zur Reformation an seiner Verweigerung des Wormser Edikts festzumachen. Auch diesmal stand ein offizielles reichsrechtliches Dokument im Mittelpunkt. Im Unterschied zum Edikt wertete die Bezugnahme auf die Confessio Augustana die evangelische Seite allerdings deutlich auf. Zunächst fehlte hier der implizite Vorwurf des Ungehorsams gegen Kaiser und Reich. Außerdem wurden die evangelischen Stände nun nicht mehr nur über die Ablehnung eines ihnen von anderen aufoktroyierten und als Unrecht empfundenen Dokuments, also ausschließlich in einer negativen Abgrenzung von ihren katholischen Gegnern, definiert, sondern durch einen positiven Verweis auf ein von ihnen selbst verantwortetes Glaubensbekenntnis. Der Schmalkaldische Bund war maßgeblich an jener Aufwertung der Confessio Augustana im Sinne einer verbindlichen Glaubensgrundlage beteiligt gewesen, die es letztendlich erlaubt hatte, sie als Bezugspunkt zur Definition der gesamten Konfessionspartei zu verwenden. In Kursachsen genoss sie von Beginn an höchstes Ansehen, immerhin wurden bereits seit 1532 die Doktoranden in Wittenberg auf die CA verpflichtet.262 Auf Bundesebene war der sächsische Kurfürst deshalb bestrebt, alle Mitglieder an dieses eine Bekenntnis zu binden. Hier zeigte sich jedoch, dass die CA durchaus nicht unumstritten war, hielten doch die vier Städte der Confessio Tetrapolitana an ihrem eigenen Bekenntnis fest. Um das Bündnisprojekt als Ganzes nicht zu gefährden, verzichtete der Kurfürst deshalb zunächst auf seine Forderung nach einer einheitlichen Lehre. Bei der Diskussion um eine Verlängerung des Bundes 1535 versuchte er in einem weiteren Vorstoß, zumindest die Neuaufnahme von Mitgliedern an die Befolgung der CA und der Apologie zu binden, scheiterte diesmal jedoch am Einspruch Hessens, dem es mehr um die Stärkung des Bundes als um die reine Lehre seiner Mitglieder zu tun war.263 Dennoch wurde in den zweiten Bundesvertrag ein Bekenntnis auf die CA eingefügt: Die Mitglieder sollten dem hailwertigen gots wort und evangelion anhengig [sein], demselbelbigen und der reinen Lehr und unser Confession zu Augsburg.264 Auch wenn es im ersten Moment scheint, als habe Kursachsen sich letztendlich doch noch durchsetzen können, zeigt ein genauer Blick auf diese Formulierung, dass der Augenschein trügt. Zunächst war diese gemeinsame Basis nicht so eindeutig, wie man vielleicht vermuten möchte, für die Zeitgenossen existierten nämlich zwei Augsburger Bekenntnisse: Neben der heute unter dieser 262 263 264
Vgl. Wolter: Deutsche Schlagwörter (Kap. 1, Anm. 27). S. 174. Vgl. Haug-Moritz: Der Schmalkaldische Bund (Anm. 24). S. 100–105. Zit. nach Haug-Moritz: Der Schmalkaldische Bund (Anm. 24). S. 108. Anm. 79.
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Bezeichnung bekannten Schrift galt auch die Confessio Tetrapolitana der oberdeutschen Städte als eine Confessio Augustana.265 Indem man hier nicht, wie von Johann Friedrich ursprünglich gefordert, auch auf die Apologie verwies, die sich ausdrücklich auf die Wittenberger CA bezogen hätte, ließ man bewusst offen, welches Bekenntnis, deren Lehren von vielen Mitgliedern ohnehin als weitgehend identisch betrachtet wurden, genau gemeint war.266 Der Schmalkaldische Bund machte sich diese terminologische Zweideutigkeit also zu Nutze, um auch jene Stände an sich binden zu können, die der oberdeutschen Reformation zuneigten. Darüber hinaus interpretiert Gabriele Haug-Moritz die Einfügung des Wörtchens ,und‘ zwischen Evangelium und CA sogar als Hinweis auf eine noch weiterreichende Konzession im Sinne eines entweder/oder, die sogar den Eidgenossen, die der Lehre Zwinglis gefolgt waren, noch ein Hintertürchen offenhalten sollte, betonten diese doch trotz ihrer Ablehnung der CA ebenfalls stets ihre Orientierung am reinen Wort Gottes als der einzigen Richtschnur des Glaubens.267 Hier wurde durch entsprechende terminologische Finessen das Musterbeispiel eines dissimulierenden Kompromisses geschaffen. Mit dem Ziel, das Bündnis soweit wie möglich zu stärken, hatten sich jene Stimmen durchgesetzt, denen politische Belange wichtiger waren als theologische Einmütigkeit. Trotzdem setzte sich letztendlich jene Sichtweise durch, die den Bezug auf die CA eindeutig in sächsischem Sinne interpretiert wissen wollte. Die Schmalkaldener Versammlung von 1537, auf der jener Versuch gescheitert war, in Blick auf das geplante Konzil die Schmalkaldischen Artikel als gemeinsames Bekenntnis des Bundes festzuschreiben, schaffte es letztendlich doch noch, gegenüber den Katholiken eine gewisse Einheit zu demonstrieren: In den Verhandlungen mit Reichsvizekanzler Held bezeichneten sich die Evangelischen zum ersten Mal als Gruppe der Augsburgischen Confessionsverwandten.268 Von hier aus fand der Terminus Eingang in den Frankfurter Anstand und entwickelte sich schließlich zu einem allgemein verbreiteten und spätestens seit 1555 auch reichsrechtlich verbindlichen Konfessionsnamen.269 Damit hatte man sich nun Außenstehenden gegenüber auf ein bestimmtes Bekenntnis festgelegt. Diese wiederum versuchten nun, den Terminus in ihrem Sinne auszulegen: Der Kaiser wollte den Frankfurter Anstand nur mit jenen schließen, die bereits den Nürnberger Anstand unterzeichnet hatten, weigerte sich also, 265 266 267 268 269
Vgl. Haug-Moritz: Der Schmalkaldische Bund (Anm. 24). S. 98f. Vgl. Haug-Moritz: Der Schmalkaldische Bund (Anm. 24). S. 102f. Vgl. Haug-Moritz: Der Schmalkaldische Bund (Anm. 24). S. 107f. Vgl. Haug-Moritz: Der Schmalkaldische Bund (Anm. 24). S. 108–111. Wolter verweist auf die weite Verbreitung, die dieser Begriff als Schlagwort in den verschiedensten Textsorten gefunden hat, was deutlich zeigt, dass er in allen Bevölkerungsschichten bekannt war, vgl. Wolter: Deutsche Schlagwörter (Kap. 1, Anm. 27). S. 177.
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die Mehrheit jener Stände in den Frieden miteinzubeziehen, die erst im Verlaufe der 30er Jahre zur Reformation übergetreten waren. Wie bereits im Nürnberger Anstand war er also bestrebt, die Zahl der reichsrechtlich geschützten evangelischen Stände möglichst gering zu halten. Dagegen beharrte der Bund erfolgreich auf einer umfassenden Interpretation, die ihren Ausdruck im Vertragstext durch eine kleine, aber bedeutsame Nuance findet, wenn wiederholt von denen die Rede ist, die der Augspurgischen Confession und derselbigen religion itzt verwant sein.270 Allerdings gingen in diesem Zusammenhang die feineren Konnotationen des Parteinamens verloren, denn die Außenstehenden erblickten in dem Bezug auf die CA nur ,ein‘ Bekenntnis, nämlich das sächsische. Auf diese Weise förderte schließlich gerade die Übertragung dieses Parteinamens auf die Reichsebene eine allmähliche Festlegung auf Melanchthons Text, an der der sächsische Kurfürst bundesintern mehrfach gescheitert war.271 Damit trat die CA jenen Siegeszug an, der sie schließlich auf lutherischer Seite zur Norm der reinen Lehre werden ließ.272 Neben der evangelischen Seite erhielt 1539 auch die Gegenpartei einen eigenen Namen: die stend, der romischen kirchen anhängig.273 Ebenso wie der Bezug auf die Confessio Augustana ist diese Umschreibung erstaunlich neutral. Da nach katholischem Verständnis die römische mit der Universalkirche identisch ist, bleibt der eigene Anspruch zwar gewahrt, die ausschließliche terminologische Rückbindung an Rom als dem Sitz des Papsttums und das Fehlen jedes offen universalistischen Attributs, wie etwa ,christlich‘, ,katholisch‘ oder auch ,alt‘, erlaubt es den Schmalkaldenern aber gleichzeitig, diesen Namen im Sinne einer auf den Papst fixierten Religion, die in verstärkter Form ja in der bekannten Bezeichnung ,Papisten‘ zum Ausdruck kommt, zu verstehen. Eigentlich hatte man auch hier eine zukunftsweisende, für alle Beteiligten akzeptable Möglichkeit gefunden, die jedoch bezeichnenderweise in den folgenden reichsrechtlichen Dokumenten nicht weiter verfolgt wurde. Mit diesem neuen Einvernehmen zwischen Katholiken und Evangelischen ging eine gemeinsame deutliche Abgrenzung nach außen einher: Von dem Frieden ausgeschlossen blieben ausdrücklich jene Gruppierungen, die keiner der beiden Konfessionen angehörten und dementsprechend auch nicht als Christen anerkannt, sondern einmütig als Ketzer und Aufrührer abqualifiziert wurden, als da waren alle 270
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Neuser: Die Vorbereitung der Religionsgespräche (Anm. 255). S. 76, 77, 78, 81, 82. Hervorhebung durch den Verf. Vgl. hierzu Hollerbach: Das Religionsgespräch (Anm. 245). S. 115 sowie Haug-Moritz: Der Schmalkaldische Bund (Anm. 24). S. 120f. Vgl. Wolter: Deutsche Schlagwörter (Kap. 1, Anm. 27). S. 175. Vgl. hierzu auch die bedeutende Rolle der CA als Glaubensinstanz in der Konkordienformel sowie in verschiedenen Kirchenordnungen. S. o. Kap. 3.4.3 sowie Kap. 4.3.1. Neuser: Die Vorbereitung der Religionsgespräche (Anm. 255). S. 78. Vgl. auch die Formulierung under der romischen kirchen, S. 80.
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widertaufer und andere unchristliche secten und rotten, so der Augspurgischen Confession und derselbigen religion verwanten nit gemes leren, oder under der romischen kirchen nit weren.274 Der Frankfurter Anstand stieß bei den katholischen Ständen wie bei der Kurie auf eine solch breite Font der Ablehnung, dass Karl V. schließlich auf eine Ratifizierung verzichtete und den Termin für das vereinbarte Religionsgespräch ungenutzt verstreichen ließ. Unter dem Eindruck einer verstärkten Bedrohung durch Frankreich und die Osmanen nahm er jedoch im Herbst 1539 erneute Verhandlungen auf, die schließlich 1540 zum ersten Reichsreligionsgespräch in Hagenau führten. Der äußere Ablauf dieser Versammlung entsprach mit Ausschreiben, Proposition, Abschied und nach Ständen getrennten Verhandlungen dem Prozedere des Reichstages, wobei die katholische Seite in Kurien, die evangelische dagegen in Form eines interständischen Ausschusses tagte.275 Hier ging es noch nicht um theologische Fragen, sondern um die Rahmenbedingungen für ein kommendes Religionsgespräch, das im Hagenauer Abschied vom 28. Juli 1540 auf den 28. Oktober nach Worms einberufen wurde.276 Als Oberbegriff für die gesamte Thematik dienten die gleichen Wendungen wie in den Reichstagsdokumenten: Es geht darum, in sachen der strittigen religion […] sollichs zwispalts und irthumbs halb […] zu Christlicher vergleichung zu finden.277 Rechtlich-neutral ist in Blick auf die zwei Konfessionen von beidentheiln bzw. allentheiln die Rede.278 Die katholischen Stände werden dabei als diejenigen der alten religion präzisiert,279 können aber auch allgemein als die erscheinenden Chur und f. sampt der abwesenden Pottschafften und rethe bezeichnet werden.280 Damit ging im Vergleich zum Frankfurter Anstand ein erstaunlicher terminologischer Rückschritt einher: Man ersetzte den neutralen Rombezug wieder durch das umstrittene universalistische Attribut ,alt‘ und stellte die evangelischen Stände außer-
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Neuser: Die Vorbereitung der Religionsgespräche (Anm. 255). S. 80. Vgl. Hollerbach: Das Religionsgespräch (Anm. 245). S. 132–134. Diese organisatorischen Parallelen verweisen einmal mehr auf die untrennbare Verknüpfung von Politik und Religion als besonderem Merkmal der Reichsreligionsgespräche, vgl. Augustijn: Die Religionsgespräche der vierziger Jahre (Anm. 253) S. 44f. Ganzer: Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche. Bd. 1 (Anm. 243). Nr. 37. S. 146–155. Ganzer: Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche. Bd. 1 (Anm. 243). Nr. 37. S. 146. Das konfessionsübergreifend verwendete Attribut ,christlich‘ erscheint daneben auf jeder Seite des Textes mindestens einmal. Ganzer: Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche. Bd. 1 (Anm. 243). Nr. 37. S. 149 und S. 155. Vgl. auch die Formulierung von keinem theil, S. 155. di furnemsten chur und fursten des Heilln Ron Reichs, so noch der alten religion sein, Ganzer: Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche. Bd. 1 (Anm. 243). Nr. 37. S. 146, die chur und f. der alten religion, S. 147, und stenden der alten religion, S. 153. Ganzer: Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche. Bd. 1 (Anm. 243). Nr. 37. S. 147.
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dem an anderer Stelle durch den Verzicht auf eine ausdrückliche terminologische Kennzeichnung der katholischen Stände als Ausnahmeerscheinung dar. Von besonderem Interesse sind die Bezeichnungen für die Evangelischen, denn auch hier griff man nicht ausschließlich auf Formulierungen aus dem Anstand zurück. Als allgemeiner Oberbegriff für alle reformatorisch gesinnten Stände dienen zunächst wiederum die Bezeichnungen sie di stende der Augspurgischen Confession281 bzw. derselben religion verwandten,282 wobei jedoch genau zwischen denen, so vor dem Nurmbergischen anstant der Augspurgischen Confession anhengig worden, und jenen, so sich der Augspurgischenn Confession nach dem Nurmbergischen fridtstandt anhengig gemacht, unterschieden wird.283 Hier spiegelt sich erneut jene Auseinandersetzung zwischen Kaiser und Schmalkaldischem Bund über den rechtlichen Status der evangelischen Stände wider, da Karl weiterhin auf der Gültigkeit des Augsburger Abschieds beharrte und nicht bereit war, die Friedensgarantie des Nürnberger Anstands auf all jene auszuweiten, die erst nach 1532 evangelisch geworden waren. Allerdings begnügte man sich nicht mit dieser einen Bezeichnung, sondern differenzierte die evangelische Seite noch weiter aus. Mit Abstand am häufigsten spricht der Text von den Protestirenden bzw. den protestirenden Chur und f.284 Hier rekurrierte man neben der Confessio Augustana nun auf eine Protestatio, also ein weiteres reichsrechtliches Dokument, anhand dessen man die Evangelischen möglichst neutral und unverfänglich erfassen konnte. Die Bezeichnung ,Protestierende‘ war damit zunächst „rein politischer, nicht religiöser Natur“.285 Sie gehörte dem Bereich einer prinzipiell neutralen rechtlichen Terminologie an und entwickelte sich erst im Zuge einer allmählichen Bedeutungsverengung zu einem konfessionellen Parteinamen. Nach allgemeiner Forschungsmeinung bezog sich dieser Begriff dabei ganz konkret auf die Protestation zu Speyer.286 281 282
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Ganzer: Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche. Bd. 1 (Anm. 243). Nr. 37. S. 153. Ganzer: Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche. Bd. 1 (Anm. 243). Nr. 37. S. 152. An anderer Stelle ist von jenen die Rede, so ir religion annemen wollen, S. 153, ähnlich auch S. 149. Die Begriffe ,Augsburgische Konfession‘ und ,Religion‘ werden hier also synonym gebraucht. Ganzer: Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche. Bd. 1 (Anm. 243). Nr. 37. S. 149 und S. 152. Protestirenden, Ganzer: Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche. Bd. 1 (Anm. 243). Nr. 37. S. 146, 147, 148, 149, 151, 152, 153, 154, 155; den protestirenden Chur und f., S. 146, 147; die Protestirenden stende, S. 147. Becker: Protestatio (Anm. 168). S. 400. So heißt es bei Zedler kurz und bündig: „Protestanten, Protestirende Stände, ,Protestantes‘, ist der Name, welcher den Evangelischen seit 1529 beygeleget worden“, Zedler: Universallexikon. Bd. 29 (Kap. 1, Anm. 23). Sp. 960. Vgl. hierzu auch Becker: Protestatio (Anm. 168). S. 400f., Hornig: Protestantismus. In: HWP 7 (Kap. 1, Anm. 40). Sp. 1529f. sowie Hermann Fischer/Friedrich Wilhelm Graf: Protestantismus. In: TRE 27. S. 542–580, hier S. 542. Nach Siegfried Bräuer geht diese Ansicht auf den evangelischen Historiker Johannes Sleidanus zurück, der den Namen be-
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Bei Adelung finden sich zusammenfassend die Sinnverschiebungen, denen er im Laufe der Zeit unterworfen war: Zunächst umfasste er nur jene 19 Stände, die 1529 protestiert hatten, später dann im Sinne einer konfessionellen Bezeichnung alle Lutheraner und schließlich unter Einbezug der Reformierten „In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung […] die Glieder der Lutherischen und reformirten Kirche, im Gegensatze der katholischen.“287 In letzterem Sinne erscheint der Name etwa gegen Ende unseres Untersuchungszeitraumes im Westfälischen Frieden, wo von jenen theologischen Lehrstreitigkeiten die Rede ist, quae inter modo dictos Protestantes vertuntur.288 Insgesamt fällt dabei jedoch auf, dass sich auf Reichsebene zunächst kaum ein Beleg für eine Verwendung des Begriffs auf evangelischer Seite finden lässt,289 denn zum einen schwang hier ein negativer Beigeschmack mit, der die Protestierenden als von der Mehrheit der Reichsstände abgesonderte Sondergruppe, im Extremfall sogar als ungehorsam gegenüber Kaiser und Reich, kennzeichnete, denn eine Protestatio fand schließlich gegen die Reichstagsmehrheit statt und führte zum Schutz gegen Überstimmung zur Abspaltung einer Minderheit von den ,gemeinen‘ Ständen. Außerdem erhielt der Name im Munde der Gegner besonders in der lateinischen Form ,Protestantes‘, aber auch schon vereinzelt in der davon direkt abgeleiteten eingedeutschten Form ,Protestanten‘, eine kontroverstheologische Konnotation, einen „Wertakzent des Ketzerischen“,290 ließ sich der Blick auf die reformatorische Bewegung so doch sehr leicht auf das rein Negativ-Zerstörerische ihres Widerstandes, der schließlich zum Ende der kirchlichen Einheit geführt hatte, verengen.291 Als ausdrücklich positiv verstandene Selbstbezeichnung tauchen ‚Protestant‘ und die entsprechende Substantivierung ‚Protestantismus‘ dagegen erst im
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reits 1555 auf die Speyrer Protestation bezogen hat. Vgl. Bräuer: Protestierende – Protestanten (Kap. 1, Anm. 52). S. 92. Vgl. auch Friedrich Wilhelm Graf: Der Protestantismus. Geschichte und Gegenwart. München 2006 (Beck’sche Reihe. Bd. 2108). S. 12f. Art. Der Protestant. In: Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch. Bd. 3 (Kap. 1, Anm. 23). Sp. 849. Graf betont denn auch, dass ,Protestantismus‘, ein Begriff, der so erst seit dem 18. Jh. Verwendung fand, alle „christlichen Kirchen, Gruppen und Bewegungen, die aus der Reformation des 16. Jahrhunderts hervorgegangen sind und sich als Erben des reformatorischen Protests verstehen“, umfasse. Damit wird diese Bezeichnung so vieldeutig, dass er lieber von ,Protestantismen‘ sprechen möchte. Vgl. Graf: Der Protestantismus (Anm. 286). S. 7. Art. VII, 1 IPO. Siegfried Bräuer führt allerdings einige Beispiele auf, in denen ,Protestierende‘ als neutral verstandene Selbstbezeichnung v. a. im internen Schriftverkehr der oberdeutschen Städte auftaucht. Vgl. Bräuer: Protestierende – Protestanten (Kap. 1, Anm. 52). S. 100. Hornig: Protestantismus. In: HWP 7 (Kap. 1, Anm. 40). Sp. 1529. Vgl. auch Fischer: Protestantismus (Anm. 286). S. 542. Die deutsche Begriffsbildung ,Protestanten‘ lässt sich bereits mit einiger, wenn auch aufgrund einer fehlenden eindeutigen Datierung nicht endgültigen, Sicherheit in einem Text Fabris am Rande des Hagenauer Religionsgesprächs nachweisen, vgl. Bräuer: Protestierende – Protestanten (Kap. 1, Anm. 52). S. 109f. Vgl. Graf: Der Protestantismus (Anm. 286). S. 13.
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Zeitalter der Aufklärung auf. Ganz im Sinne der fortschrittsgläubigen Denkweise jener Zeit setzte man den Begriff nun mit „Wertorientierungen wie Selbständigkeit, Mündigkeit, Gewissensautonomie, Denkfreiheit, Kritikbereitschaft und Toleranz“ gleich292 und sah sich von einem Standpunkt theologischer wie kultureller Überlegenheit aus als „Streiter wider die unaufgeklärte, rückständige alte Kirche“.293 In diesem Zusammenhang verlor gleichzeitig das bis dahin als abwertend verstandene Attribut des Neuen seinen negativen Charakter. Dieses „kritische und emanzipatorische Potential der reformatorischen Einsichten“ wandte sich jedoch nicht nur gegen Rom, sondern wurde auch gegenüber orthodoxen Verengungen in der eigenen Kirche wirksam und sollte der Erkenntnis von Gemeinsamkeiten zwischen den beiden evangelischen Religionsparteien dienlich sein.294 Bei der ersten offiziellen Verwendung von ‚Protestierende‘ im Sinne eines konfessionellen Parteinamens in Hagenau295 müssen diese landläufigen Definitionen, die für spätere Zeiten natürlich durchaus zutreffend sind, jedoch mit einem deutlichen Fragezeichen versehen werden. Der Begriff selber war nicht neu, denn bereits im Reichsabschied von 1532 war in Zusammenhang mit einer aktuellen und überkonfessionellen Protestation bezüglich der Gravamina von den protestierenden Kff., Ff. und stenden die Rede gewesen.296 ,Protestierende‘ war also zunächst keinesfalls an die evangelischen Stände und schon gar nicht an eine bestimmte Protestation gebunden, sondern konnte grundsätzlich alle Stände umschreiben, die ein entsprechendes Dokument eingereicht hatten. Dabei fand dieses Instrument nicht nur auf Reichstagen Verwendung. Auch im theologischen Bereich wandten sich immer wieder Reformatoren mit verschiedenen Protestationen an Obrigkeiten oder Kollegen.297 In 292 293
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Fischer: Protestantismus (Anm. 286). S. 556. Becker: Protestatio (Anm. 168). S. 401. Vgl. auch Fischer: Protestantismus (Anm. 286). S. 555 sowie Graf: Der Protestantismus (Anm. 286). S. 14. Fischer: Protestantismus (Anm. 286). S. 543 und S. 555. Johannes Burkhardt betont in diesem Zusammenhang die „Vorstellung einer unvollendeten Reformation“ im Pietismus, die einen „Ansatz für eine innovativ-progressive Umwertung von Reformation und evangelischer Konfession“ in der Aufklärung bildet. Burkhardt: Alt und Neu (Kap 1, Anm. 5). S. 161. Vgl. hierzu auch zusammenfassend S. 163–170. Damit ist die Angabe bei Fischer und Graf nach vorne zu korrigieren, die als Erstbeleg eine Nennung durch den päpstlichen Legaten Contarini auf dem Reichstag von 1541 anführen, vgl. Fischer: Protestantismus (Anm. 286). S. 554. RTA JR X. Nr. 303. S. 1080. Martin Luther bezeichnete bereits 1520 ein entsprechendes Schreiben, in dem er sich offiziell gegen den Vorwurf ketzerischen Gedankenguts zur Wehr setzte als ,Erbieten (Oblatio sive protestatio)‘. WA 6. S. 474/480–483. Auch Calvin verwendete in seiner an den französischen König gerichteten ,Confession de foi des Eglises de France‘ von 1559 das Verb protester, um sich gegen Diffamierungen zur Wehr zu setzen, CO 9. S. 733. Im innerreformatorischen Streit bezog sich schließlich Oekolampad auf Luthers protestation und urteyl bezüglich der Abendmahlslehre, Oekolampad: Billige Antwort (Kap. 3, Anm. 160). S. 141.
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Ausschreiben, Propositionen und öffentliche Texte
Hagenau erinnerte die evangelische Seite nun ausdrücklich an ihren Protest gegen den Augsburger Abschied, nicht jedoch an die Vorgänge in Speyer!298 Dementsprechend gilt es zu differenzieren, wer mit diesem Namen hier eigentlich genau gemeint war, denn er umfasste nur jene Stände, die den Augsburger Abschied nicht mitgetragen und sich anschließend im Schmalkaldischen Bund organisiert hatten. Ihnen standen konfessionsübergreifend all jene gegenüber, die dem Augspurgischen reichs abschidt verwant waren.299 Darüber hinaus existierten schließlich noch solche Fürsten und Städte, die erst im Laufe der 30er Jahre evangelisch geworden und zum Bund gestoßen sind. Sie finden sich meiner Ansicht nach in der erweiterten Formulierung die Protestirenden chur und f. sambt derselben mit verwandten unter der Kategorie der ,Mitverwandten‘.300 Insgesamt werden die evangelischen Stände im Hagenauer Abschied also in drei Gruppen eingeteilt: Es gibt die ,Protestierenden‘, also jene, die den Augsburger Abschied 1530 nicht mitgetragen haben, ihre ,Mitverwandten‘, die Neumitglieder des Schmalkaldischen Bundes nach 1532, sowie als Oberbegriff die ,Augsburger Konfessionsverwandten‘, also alle evangelischen Stände einschließlich jener, die sich der Reformation zugewandt hatten, ohne gleichzeitig gegen den Abschied von 1530 protestiert zu haben oder dem Bund beigetreten zu sein, wobei hier zusätzlich noch unterschieden wurde, ob man vor oder erst nach dem Nürnberger Abschied evangelisch geworden war. Damit wird einmal mehr deutlich, wie schwer eine evangelische Konfessionspartei unter reichsrechtlichen Bedingungen überhaupt zu fassen ist. Umso eindeutiger fällt der Hinweis auf das Selbstverständnis der von außen so schlecht greifbaren evangelischen Seite aus: In Zusammenhang mit dem Streit um den Umfang der Friedensgarantie betonen die Anhänger der Reformation, dass ihre Principaln […] auf erinnerung des heill evangelii und waren, rechtgeschaffen gotsdienst von den ingerissen misbreuchen und supersticion abgestanden seien, und bezeichnen ihre Pfarrer dementsprechend als diener und prediger des evangelii.301 In beiden Fällen erscheint ein deutlicher Bezug auf das Evangelium als Basis der eigenen Lehre und damit ein Anklang an die Selbstbezeichnung ,Evangelische‘. Der Streit um die Ausweitung der Nürnberger Friedensgarantie auf alle reformatorischen Stände sowie um die Gültigkeit des Abschieds von 1530 blieb letztendlich unentschieden. Man half sich wieder einmal mit einer sehr vagen Aussage aus der Verlegenheit, indem beschlossen wurde, dass sowohl der Augsburger Abschied als
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Vgl. Ganzer: Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche. Bd. 1 (Anm. 243). Nr. 37, S. 150. Ganzer: Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche. Bd. 1 (Anm. 243). S. 149. Ganzer: Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche. Bd. 1 (Anm. 243). S. 147, ähnlich auch S. 146. Ganzer: Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche. Bd. 1 (Anm. 243). S. 151.
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auch der Nürnberger Friedstand von allentheiln gehalten werden sollten, ohne weiter auf den Kreis der jeweils Betroffenen einzugehen.302 Auch das Wormser Religionsgespräch war in seinem ersten Abschnitt von November 1540 bis Januar 1541 zunächst von Verhandlungen über organisatorische Fragen geprägt, bevor zwischen dem 14. und 18. Januar eine wirkliche Disputation zwischen Johannes Eck und Philipp Melanchthon über die Frage der Erbsünde stattfinden konnte. Es diente in erster Linie der Vorbereitung für endgültige Konsensgespräche auf dem folgenden Reichstag und ist damit im Prinzip als vorgezogener Reichstagsausschuss zu werten.303 Die Verhandlungen offenbarten deutlich die Zerrissenheit der katholischen Seite. Nachdem die evangelischen Vertreter die von Melanchthon 1540 überarbeitete Confessio Augustana Variata sowie die Apologie als Diskussionsgrundlage eingereicht hatten, konnten sich die katholischen Stände nicht auf ein gemeinsames Antwortgutachten einigen. Jülich-Kleve, Kurpfalz und Kurbrandenburg gaben Sondervoten ab, die eine deutlich günstigere Haltung zum lutherischen Bekenntnis einnahmen, als der Mehrheit der anderen katholischen Stände lieb war. Aus diesem Grund entbrannte anschließend ein Streit um den genauen Abstimmungsmodus, da die Evangelischen verständlicherweise eine Entscheidung nach Ständen und die Katholiken nach dem Mehrheitsvotum innerhalb der jeweiligen Konfessionspartei forderten.304 Auch hatten die Katholiken der Confessio Augustana nichts Ebenbürtiges entgegenzusetzen, denn im Vorfeld des Trienter Konzils existierte noch keine allgemein akzeptierte Bekenntnisgrundlage.305 Der Abschied vom 18. Januar 1541306 verkündete schließlich lediglich den Abbruch der Gespräche und eine Verschiebung auf den nächsten Reichstag. Konfessionen wurden dabei nicht erwähnt, sondern man sprach lediglich rechtlich-neutral von beydentheilen und ebenso wie im Hagenauer Abschied in umfassendem Sinne von ,christlich‘. Daneben existieren jedoch zwei weitere Schlussdokumente, die als Frucht der theologischen Disputationen eine Basis für nachfolgende Gespräche bieten sollten. Als offizielle Konsensschrift hatten Eck und Melanchthon einen äußerst knappen Vergleichstext über das Verständnis der Erbsünde erarbeitet, in dem aber keine konfessionelle Bezeichnung erscheint.307 Als deutlich wurde, dass die eigentlichen Verhandlungen nicht vorankamen, führte der kaiserliche Vertreter Granvelle 302 303 304 305 306
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Ganzer: Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche. Bd. 1 (Anm. 243). S. 155. Vgl. Hollerbach: Das Religionsgespräch (Anm. 245). S. 139–144. Vgl. Fuchs: Konfession und Gespräch (Anm. 28). S. 411f. Vgl. Augustijn: Die Religionsgespräche der vierziger Jahre (Anm. 253). S. 45f. Klaus Ganzer/Karl-Heinz zur Mühlen (Hg.): Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche im 16. Jahrhundert. Bd. 2: Das Wormser Religionsgespräch (1540/41). Göttingen 2002. Nr. 113. S. 210f. Ganzer: Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche. Bd. 2. (Anm. 306). Nr. 114. S. 211.
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daneben seit Mitte Dezember die als ausgleichend bekannten Theologen Bucer und Gropper zu geheimen Treffen in seinem Quartier zusammen. Diese verfassten das sog. ,Wormser Buch‘, das der Kaiser den vollkommen überraschten übrigen Beteiligten auf dem folgenden Reichstag in Regensburg als Ausgangspunkt für den Fortgang der Religionsgespräche präsentierte.308 Hierbei handelt es sich ganz deutlich um ein Konsensdokument, in dem versucht wurde, eine gemeinsame Lehrgrundlage zu finden. Deshalb gibt es kaum Gegenüberstellungen unterschiedlicher Positionen und dementsprechend auch keine konfessionellen Parteinamen. Es bleibt bei Bezeichnungen wie ,Kirche‘ und ,Christen‘, die in diesem Falle beide Konfessionen umfassen. Wenn an einer Stelle dann doch bose secten und rotten erwähnt werden, dann sind damit solche Leute gemeint, die sich mutwillig von dieser Kirche trennen, nicht jedoch Katholiken und Lutheraner.309 Lediglich der Abschnitt über den Gebrauch der Sakramente verzeichnet abweichende Positionen zwischen beiden Lagern. Hier heißt es etwa bezüglich des Abendmahls unter beiderlei Gestalt, es gebe Differenzen zwischen denen ex una parte und ex altera bzw. dem einem theil und dem andern theil.310 Abgesehen von dieser vollkommen neutralen und gleichberechtigten Formulierung wird nicht zwischen den Konfessionen unterschieden. Nach dem Abbruch der Wormser Verhandlungen sollte das Religionsgespräch noch im gleichen Jahr auf dem Reichstag von Regensburg fortgeführt werden. Hier hoffte der Kaiser, auf der Basis des Wormser Buches endlich zu einem Durchbruch zu gelangen. Damit münden diese ersten Religionsgespräche nun wieder in den Bereich der Reichstage ein, was es uns ermöglicht, mit der Analyse der entsprechenden Rahmendokumente fortzufahren.
6.4 Die zweite Reihe von Reichstagen unter Karl V. 1541–1555 Die folgenden Jahre waren zunächst geprägt durch weitere Ausgleichsbemühungen, bevor der Kaiser versuchte, die gesamte Angelegenheit mit militärischer Gewalt in den Griff zu bekommen. Nach dem Scheitern dieser Politik steuerte alles auf eine 308
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Vgl. Hollerbach: Das Religionsgespräch (Anm. 245). S. 152f. sowie Fuchs: Konfession und Gespräch (Anm. 28). S. 432f. Der Text findet sich lateinisch und deutsch bei Ganzer in den Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche. Bd. 2 (Anm. 306). Nr. 225/226. S. 574–701. Die lateinische Fassung stellt das Originaldokument dar, die hier verwendete deutsche Fassung wurde von Martin Bucer persönlich angefertigt. Ganzer: Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche. Bd. 2. (Anm. 306). Nr. 225/226. S. 643. Diese Übersetzung ist jedoch ohnehin sehr frei, im lateinischen Original heißt es hier deutlich zurückhaltender lediglich iniquis discissionibus, S. 642. Ganzer: Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche. Bd. 2. (Anm. 306). Nr. 225/226. S. 686f.
Die zweite Reihe von Reichstagen unter Karl V. 1541–1555
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rein politische Verständigung im Augsburger Religionsfrieden zu, der durch die reichsrechtliche Anerkennung der Lutheraner mit einem gleichzeitigen faktischen Verzicht auf einen theologischen Ausgleich das vollständige Scheitern von Karls Religionspolitik markierte. Nicht zuletzt diese Ereignisse bewogen Karl V. schließlich zu seiner Abdankung und legten die Verantwortung für die weitere Behandlung der Religionsfrage auf Reichsebene in andere Hände. 6.4.1 Lösungsversuche zwischen Religionsgespräch und Krieg: Reichstage 1541–1551 Nachdem 1533 ein Friede zwischen Habsburg und dem Osmanischen Reich die Teilung Ungarns besiegelt, zugleich aber für eine relative Ruhe an dieser Front gesorgt hatte, nahm der Druck von Seiten der Türken seit 1540 wieder deutlich zu. Der Regensburger Reichstag von 1541 wurde nicht zuletzt in Folge dieser akuten Bedrohung einberufen. Er eröffnete eine Reihe von insgesamt sechs Reichstagen bis 1545, als der Krieg durch einen Waffenstillstand beendet wurde, auf denen es dem Kaiser primär darum ging, die Reichsstände um finanzielle Unterstützung anzugehen. Dementsprechend verdrängte der Artikel der Türkenhilfe in den Rahmentexten der vier Reichstage von 1542 bis 1544 wie bereits 1532 die Religionsfrage auf den zweiten Platz. Aber auch 1541, als die Religion noch vorrangig behandelt werden sollte, geschah dies bereits mit Blick auf den Türkenkrieg. Um alle Kräfte des Reiches gegen die Osmanen mobilisieren zu können, benötigte Karl unbedingt Geschlossenheit unter den Reichsständen, denn die Reichstage von 1529 und 1530 hatten ja bereits deutlich gezeigt, dass die Evangelischen jederzeit bereit waren, Versammlungen um der Glaubensfrage willen platzen zu lassen. In der Frage der strittigen Religion, die der Abschied von Regensburg als die höchste und fürnehmste Beschwerung Teutscher Nation bezeichnete,311 stellte dieser Reichstag eine Fortsetzung des Wormser Religionsgesprächs dar. Der Kaiser hegte mit Blick auf das Wormser Buch die nicht unbegründete Hoffnung, hier und jetzt eine Lösung des Problems erreichen zu können. In diesem Zusammenhang präsentierte sich das Ausschreiben vom 14. September 1540 in einer für diese Textsorte außergewöhnlichen Ausführlichkeit.312 Karl V. betont, dass er von Beginn seiner Regierung an nichts sehnlicher gewünscht habe, als Mittel und Wege zu finden, dan wie die eingefallen zwispallt vnnser hayligen Cristlichen Religion/ durch fridliche/ billiche/ Christenliche mittel/ vnnd weg hingelegt/ vnnd in vergleichung gebracht werden könnten, um Frieden im Reich zu gewährleisten und – wohlgemerkt – um den Türken gemeinsam besser Paroli zu bieten. Er erinnert an die vergangenen Religi311 312
Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 429. § 1. StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB 49. Nr. 41.
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onsgespräche, auf denen er sich mitt den furnembsten fursten/ des Hailigen Reichs/ so der alten Religion sein/ vnd dann mit den protestierenden Chur/ vnnd Fürsten/ Sampt iren Zugewannten Stennden auf eine weitere Verhandlungsrunde geeinigt habe, darauff yederthail etliche gelerte/ verstendige/ vnnd schidliche personen/ in gleicher anzal verordnen sollte, um auf der Basis der Augspurgisch Confession vnnd Apologia der protestierenden313 nach Möglichkeiten einer Vergleichung zu suchen und alle Streitpunkte freuntlich/ Christlich (doch vnuerpuntlich) zu beraten. Diese bezeichnende Einschränkung verweist auf den umstrittenen Status solcher Religionsgespräche, denn gerade die katholische Seite musste darauf bestehen, dass durch wege aines Rechtmessigen Concilij oder sonnst Christenliche vergleichung die sach der strittigen Religion zugepurlicher Erörterung gepracht werde, da sie die Kurie nicht übergehen durfte. Die konfessionelle Terminologie schließt unmittelbar an den Abschied von Hagenau an. Unter dem Dach der gemeinsamen ,christlichen Religion‘ wird wiederum zwischen den Ständen der ,alten Religion‘ und den ,Protestierenden‘ unterschieden. Letztere umfassen wohl weiterhin nur diejenigen Fürsten und Städte, die den Augsburger Abschied von 1530 abgelehnt hatten, während die neu hinzugekommenen unter die Kategorie der ,Zugewandten‘ fallen. Die Betonung der CA und der Apologie als gemeinsamer Verhandlungsbasis macht gleichzeitig deutlich, dass mit den Protestierenden ausschließlich Lutheraner gemeint waren. Die durch den Schmalkaldischen Bund gepflegte Mehrdeutigkeit bezüglich des Bekenntnisstandes wurde also hier nicht auf die Reichsebene übertragen. Trotz der Erwähnung dieser Dokumente griff man hier aber nicht mehr auf die Bezeichnung ,Verwandte der Augsburgischen Konfession‘ zurück. Neben solchen Parteinamen erschien schließlich wiederum auch die rechtlich-neutrale Bezeichnung ,Teil‘. Die Wortwahl der anderen Rahmendokumente ist weitgehend identisch.314 Allerdings verzichtete man im Abschied auf die Bezeichnung ,alte Religion‘ und umschrieb die Katholiken nur sehr allgemein als Zugehörige der andern Seiten oder des andern Theils.315 Außerdem fehlt eine Unterscheidung zwischen den ,Protestierenden‘ und ihren ,Zugewandten‘, so dass nun implizit alle Lutheraner zu den protestierenden Ständen zählten. Die genauen terminologischen Nuancen dieses Begriffes beginnen also bereits zu verwischen. 313
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So auch nochmals im Reichsabschied, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 431. § 9. Im Abschied ist etwa von gemeiner Christenheit die Rede, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 433. § 18. Häufig wird Protestirende verwendet, S. 431. § 8, 9; S. 433. § 19; S. 434. § 24; S. 435. § 26; vgl. auch die adjektivische Verwendung die Protestirenden Colloquenten, S. 433. § 17. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 435. § 26. Auch an anderen Stellen findet sich Theil, S. 431. § 9; S. 432. § 16; S. 435. § 30, bzw. Partheyen, S. 435. § 30, zur Bezeichnung beider auf dem Religionsgespräch vertretenen Konfessionen.
Die zweite Reihe von Reichstagen unter Karl V. 1541–1555
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Letztendlich blieb der so groß angelegte Einigungsversuch erfolglos. Die parallel zu den Reichstagsverhandlungen geführten Gespräche scheiterten an der Uneinigkeit der Theologen, und die Stände schlossen sich dieser Haltung an.316 So blieb es bei einer Verlängerung des Nürnberger Friedstandes, einer Suspension der Kammergerichtsprozesse in Religionssachen und einem erneuten Verbot von Schmähschriften.317 Außerdem versprach der Kaiser, sich dafür einzusetzen, dass alle beschwerliche Mißbräuch/ so allenthalben im geistlichen und weltlichen Stand eingerissen/ abgestellt, und in eine Christliche Reformation und Besserung gebacht werden möchten.318 Durch dieses Eingeständnis der Reformbedürftigkeit hoffte er, die Protestirenden zu vermögen, sich in den übrigen streitigen Puncten auf ein Christliche billiche Maaß auch weisen zu lassen.319 Zu dieser eher versöhnlichen Haltung will es nun nicht so recht passen, dass daneben trotzdem die Rechtsverbindlichkeit des Augsburger Abschieds von 1530 betont wurde.320 Zwei geheime Deklarationen, in denen Karl V. dieses Dokument in Religionssachen für die Evangelischen aufhob, es gegenüber den Katholiken aber nochmals bestätigte, verwandelten diesen Beschluss jedoch letztlich in eine reine Farce, die nur dazu diente, den äußeren Schein zu wahren.321 Der Fall von Ofen und Pest rund einen Monat nach Ende des Regensburger Reichstages machte eine neue Versammlung zur Bewilligung weiterer Reichshilfen gegen die Osmanen dringend notwendig. Das Ausschreiben vom 16. Oktober 1541 und die beiden Propositionen König Ferdinands vom 9. Februar 1542 bezogen sich daher ausschließlich auf den Punkt der Türkenhilfe, der nun bis 1544 die Religionsfrage als wichtigsten Verhandlungsgegenstand verdrängte.322 Das Ausschreiben kündigte 316
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Zu den entsprechenden Verhandlungen vgl. Hollerbach: Das Religionsgespräch (Anm. 245). S. 154–160. Vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 434. § 26; S. 435. § 29 – erstmals erscheint in diesem Zusammenhang die Formel von Religion- oder Prophan-Sachen, S. 435. § 30 – sowie S. 436. § 40. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 433. § 18. Dazu erging ein eindeutiger Auftrag an die geistlichen Stände, ein Christlich Ordnung und Reformation fürzunehmen und aufzurichten/ die zu guter gebührlicher und heilsamer Administration der Kirchen fürderlich und dienlich sey, S. 434. § 25. Gerade dieser Passus veranlasste etwa den Kölner Erzbischof Hermann v. Wied letztendlich zu seinem Reformationsversuch, vgl. August Franzen: Bischof und Reformation. Erzbischof Hermann von Wied in Köln vor der Entscheidung zwischen Reform und Reformation. Münster i. W. 1971 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung. Bd. 31). S. 70. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 433. § 19. Vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 432. § 15 sowie S. 435. § 32. Vgl. hierzu auch Aulinger: Die Verhandlungen zum Nürnberger Anstand (Anm. 222). S. 205. In der ersten Proposition werden die Stände aufgefordert, sie sollten alles das, so etwo der sachen zu verzug oder lengerung ursach geben möchte, umbgeen und vermeiden, RTA JR XII.
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lediglich die Sendung päpstlicher Gesandter an, die neben der Türkenhilfe auch das Thema aines kunftigen concilium ansprechen könnten,323 und die erste Proposition hob durch die Erinnerung an die gescheiterten Einigungsbemühungen in Hagenau, Worms und Regensburg sowie an Karls Konzilsverhandlungen mit dem Papst den guten Willen des Kaisers hervor.324 Der Abschied befasste sich unter zwei Aspekten mit der Religionsfrage. Zunächst beschwor man unsern gmeinen christenlichen glauben ohne zwischen den Religionsparteien zu unterscheiden325 und war sich darüber einig, dass während des Kampfes gegen die Türken frid und rhue in der gemeinen christenhait gehalten werde[n] müssten.326 Außerdem sollten andere christenliche konig und potentaten gebeten werden, sich an der Türkenhilfe zu beteiligen. Die entsprechenden Verhandlungen mit dem dänischen König, der 1536 offiziell die Reformation eingeführt hatte, wurden bezeichnenderweise dem sächsischen Kurfürsten und dem Landgrafen von Hessen, also den Führern der evangelischen Partei im Reich, übertragen, da man sich durch Gespräche zwischen Fürsten gleicher Konfession wohl mehr Erfolg versprach.327 Der Reichstag befasste sich auch mit konkreten Kriegsvorbereitungen und bestimmte die Modalitäten für die Aufstellung einer Armee gegen die Osmanen. Da man von einer gemischtkonfessionellen Zusammensetzung ausging, sollten die Geistlichen im Heer, darzu ernstlich angehalten werden, das sie nichts zanckisch oder hoch disputierlichs, so zu wiederwillen und unfreuntschafft under dem kriegsvolck ursach geben mochte, leren oder predigen, und bevorab keiner des andern religion noch ceremonien verachten noch lestern, besonder dem gottlichen wort gemeß und zuchtiglich alles das leren und vermanen, das zu furderung dieses christenlichen gueten wercks, auch pflantzung und erhaltung bruderlicher lieb und einigkait zwuschen dem christenlichen kriegsvolck dienlich ist.328
Diese Regelung, die im Prinzip eine Übertragung der dissimulierenden Predigtklausel aus den 1520er Jahren auf die Situation in einem gemischtkonfessionellen Kriegs-
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Nr. 42. S. 244, und der Abschied erklärt diesen Artikel zum furnembsten und notwendigsten Verhandlungsgegenstand, Nr. 285. § 6. Aus diesem Grund kann diese Versammlung auch in die Reihe der ,Türkenreichstage‘ gestellt werden, vgl. die Einleitung zur Edition auf S. 62. RTA JR XII. Nr. 1. S. 73. RTA JR XII. Nr. 42. S. 239. Die zweite Proposition referierte lediglich die bereits geleistete Türkenhilfe Böhmens und der Habsburgischen Erblande und erwähnte keinen weiteren Aspekt, Nr. 43. S. 245–250. RTA JR XII. Nr. 285. S. 1181f. § 49. RTA JR XII. Nr. 285. S. 1184. § 59. RTA JR XII. Nr. 285. S. 1199. § 124. RTA JR XII. Nr. 285. S. 1180. § 40.
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heer darstellt, zeigt deutlich, wie die Reichsstände unter dem äußeren Druck seitens Andersgläubiger versuchten, den Religionsstreit zu umgehen und zugunsten einer Bündelung der Kräfte allenthalben für internen Frieden und Ruhe zu sorgen. Trotzdem blieb der Abschied nicht konfliktfrei. Der Kaiser hatte in seinen Verhandlungen mit der Kurie endlich die ersehnte Zusage für das versprochene Konzil erhalten. Doch wie bereits bei jenem ersten Vorstoß in den 30er Jahren kamen den Evangelischen erhebliche Bedenken. Sie fürchteten in erster Linie eine Dominanz des Papstes und damit eine Vorwegnahme aller Entscheidungen in katholischem Sinne. In ihren Augen war das Konzil damit entgegen der bisherigen Beschlüsse nicht frei und unparteiisch.329 Aus diesem Grunde haben aber die stend, der augspurgischen confession und religion anhengig, ain schriftliche protestation [...] ubergeben,330 in der sie eine Beschickung des Konzils zu den derzeitigen Bedingungen rundweg ablehnten.331 Hier erscheint die einzige konfessionelle Parteibezeichnung innerhalb der Rahmendokumente dieses Reichstags und zugleich der erste Nachweis der Bezeichnung ,Stände der Augsburgischen Konfession‘ in einem Reichsabschied. Der Name ,Protestierende‘ fand dagegen keine Verwendung mehr. Zum einen machte man damit unmissverständlich klar, dass die Evangelischen diesen Protest über den engeren Kreis des Schmalkaldischen Bundes und jener Stände, die 1529 und 1530 protestiert hatten, hinaus mittrugen. Zugleich wollte man vermutlich Verwechslungen vermeiden, da nicht mehr eindeutig gewesen wäre, auf welche Protestation genau dieser Name hätte verweisen sollen. Die katholische Seite erhielt keine besondere Bezeichnung, sie wurde vielmehr implizit mit jenen Kff., Ff. und gemainen stenden gleichgesetzt, die dem Konzil zugestimmt und von denen sich die evangelischen Stände durch ihre neuerliche Protestation einmal mehr abgesondert haben.332 Mit diesem Dissens wurde die Konzilsforderung nun endlich ganz offen als dissimulierende Formel entlarvt. Jetzt, wo die Konzilspläne konkrete Gestalt annahmen, zeigte sich, dass alle Seiten stets unterschiedliche Vorstellungen vertreten hatten. Damit war der Reichstag von nun an einer seiner wichtigsten Kompromissmöglichkeiten beraubt; theologische Streitfragen ließen sich nicht mehr länger an eine imaginäre Kirchenversammlung verweisen und so aus den aktuellen Verhandlungen ausblenden. Die Evangelischen fanden sich dabei eindeutig in der schlechteren 329
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Vgl. hierzu auch die Formulierung etwas später im Abschied: ein gemein, frey, christlich general- oder nationalconcilium, RTA JR XII. Nr. 285. S. 1202. § 131. RTA JR XII. Nr. 285. S. 1201. § 128. Der Nuntius Giovanni Morone hatte angekündigt, der Papst wolle zum 15. August 1542 ein Konzil ausschreiben. Unter Berufung auf die Beschlüsse zu einem gemein, frey, christenlich, unpartheysch concilium, in dem man sich nach Gottes wort richte, protestierten die Stände der augspurgischen confession am 30. März aufgrund der vorigen angesetzten bäbstlichen, partheylichen concilia gegen eine solche Konzilsankündigung. Vgl. RTA JR XII. Nr. 154. S. 842f. RTA JR XII. Nr. 285. S. 1200. § 127.
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Ausschreiben, Propositionen und öffentliche Texte
Position wieder, konnten die Katholiken ihnen doch vorwerfen, ihre eigenen langjährigen Konzilsforderungen Lügen zu strafen. Um die Türkenhilfe jedoch nicht zu gefährden, erhielten die CA-Verwandten trotz dieser Unstimmigkeiten einige Zugeständnisse: eine Verlängerung des Nürnberger Anstands um weitere fünf Jahre sowie die Garantie einer unparteiischen Rechtssprechung im Reichskammergericht ohne Ansehen der Konfession.333 Auch der folgende Nürnberger Reichstag, der noch im gleichen Jahr stattfand, stand ganz im Zeichen des Türkenkriegs. Die Religionsfrage trat noch weiter zurück. In der Proposition wie im Abschied wurde die ganze Angelegenheit gleichsam verschoben, denn der Kaiser plante, im folgenden Jahr persönlich ins Reich zu kommen, um dann In dem hochnachteiligen Irthumb der Religion betreffent, der selb […] zu Cristlich vnnd leidlich ainikhait vnnd vergleichung zebringen.334 Auch alle anderen Artikel sollten laut Proposition erst behandelt werden, nachdem die Frage der Türkenhilfe zu einem befriedigenden Abschluss gebracht worden sei. Deshalb beschränkte man sich auf eine Bestätigung der Speyrer Beschlüsse zur Erhaltung des gemeinen Land-Friedens und aufgerichten Fried-Standes.335 Religionsparteien wurden in keinem Rahmendokument eigens erwähnt. Von dem versprochenen Vorstoß Karls zur Regelung der Religionsfrage war auf dem Nürnberger Reichstag von 1543 jedoch keine Rede mehr. Ausschreiben und Proposition erwähnen wiederum ausschließlich den Türkenkrieg,336 und der Abschied beschränkt sich erneut auf die Bestätigung des Friedstands und die Suspendierung der Religionsprozesse.337 Allerdings erscheinen diesmal wieder konfessionelle Namen. Die Evangelischen werden mehrfach als ,Stände der Augsburgischen Konfession‘ bezeichnet,338 während die Katholiken als gemeine Stände auftreten.339 Auch wenn sich also die CA gegenüber den Protestationen als Bezugspunkt für die Namensgebung der lutherischen Seite durchzusetzen schien, schwang durch diese Gegenüberstellung doch weiterhin die Konnotation mit, bei ihnen handle es sich 333
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335 336 337
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In diesem Zusammenhang erscheint auch jeweils der rechtliche Begriff theil, RTA JR XII. Nr. 285. S. 1202. § 130 und § 132. StAA. Hochstift Augsburg MüB 1105 sowie der Abschied, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 472. § 5. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 478. § 39. StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB 53. Nr. 1 sowie Nr. 52. Vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 489. § 32 und S. 490. § 34. Insgesamt dreimal erscheinen die Stände der Augspurgischen Confeßion, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 490. § 36, bzw. Ständen/ der Augspurgischen Confeßion verwandt, S. 490. § 34 und 35. Bei wiederholter Nennung werden sie auch einfach als dieselbe Stände bezeichnet, S. 490. § 34 und § 35. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 490. § 36.
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anders als bei den Katholiken lediglich um eine zeitweise geduldete Ausnahmeerscheinung. Daneben wird eine weitere Gruppe evangelischer Fürsten genannt: die Stände der Braunschweigischen Kriegs-Übung verwandt.340 Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, der letzte dezidiert katholische Fürst im Norden des Reichs, befand sich seit den 1530er Jahren in einem Dauerkonflikt mit den Schmalkaldischen Bundesmitgliedern Goslar und Braunschweig. Kursachsen und Hessen strebten seit 1539 ein aktives Eingreifen des Bundes an und definierten die Angelegenheit trotz ihrer offenkundig territorialen und wirtschaftlichen Aspekte deshalb als Religionssache. Sie konnten den Bund bewegen, eine militärische Hilfe zugunsten der beiden Städte zu bewilligen. 1542 zogen Sachsen und Hessen gegen Heinrich und vertrieben ihn aus seinem Herzogtum. Als das Reichskammergericht dagegen einschreiten wollte, wurde dies von evangelischer Seite strikt zurückgewiesen.341 Mit jenen ,Kriegsverwandten‘ wird also eine besondere Untergruppe von Ständen des Schmalkaldischen Bundes spezifiziert. Dabei handelt es sich trotz des eindeutig konfessionellen Hintergrunds um eine neutrale und wertfreie Umschreibung. Überhaupt verzichtete Karl V. auf jede besondere Stellungnahme und forderte den Herzog sogar auf, aufgrund der Suspension der Religionsprozesse zunächst auf weitere juristische Schritte zu verzichten! Gerade die Tatsache, dass der Kaiser diesen Vorfall nicht gegen die Evangelischen nutzte, zeigt nochmals deutlich, dass er momentan zum Stillhalten gezwungen war. Ihren Höhepunkt erreichte diese kaiserliche Ausgleichspolitik schließlich auf dem Speyrer Reichstag von 1544. Bereits im Vorfeld hatte Karl V. am 2. Juni 1543 in Genua ein Mandat erlassen, das den Landfrieden und die Friedstände gemäß den vorausgegangenen Abschieden bestätigte.342 Die Proposition vom 20. Februar 1544 sah in der internen Schwächung durch die spaltung der strittigen religion eine wesentliche Ursache für den Türkenkrieg und forderte die Stände deshalb einmal mehr auf, sich verstärkt über entsprechende Lösungsmöglichkeiten Gedanken zu machen.343 Natürlich kam man in diesem Punkt zu keinem greifbaren Ergebnis. Der Abschied verwies wieder lediglich auf das inzwischen unmittelbar bevorstehende Konzil.344 Um die Angelegenheit zusätzlich zu befördern, plante der Kaiser daneben die Einberufung eines besonderen Reichstages nur zur Behandlung der Religions340 341
342
343 344
Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 490. § 37. Vgl. hierzu Schulze: Deutsche Geschichte (Kap. 5, Anm. 43). S. 147, Reinhard: Reichsreform und Reformation (Anm. 35). S. 335 sowie Haug-Moritz: Der Schmalkaldische Bund (Anm. 24). S. 82– 87. Gegen Heinrich von Braunschweig verfasste Luther 1541 seine Spottschrift ,Wider Hans Worst‘. WA 51. S. 461/469–572. Bis zu einer Entscheidung der Religionsfrage durch den Reichstag sollte sich niemand der strittigen religion noch kainer andern ursach halben bevehden, RTA JR XV. Nr. 2. S. 155. RTA JR XV. Nr. 74. S. 356 sowie S. 360. Vgl. RTA JR XV. Nr. 564. S. 2270. § 79.
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frage, für den die Stände wie er selber als Verhandlungsgrundlage durch Theologen eyn christliche reformation verfassen […] lassen sollten.345 Schließlich bestätigte Karl die bisher vereinbarten Friedstände. Im Gegensatz zu den vorhergehenden Reichstagen der 40er Jahre waren die katholischen Stände diesmal jedoch nicht mehr bereit, diesen ausgleichenden Kurs zu unterstützen und verweigerten ihre Zustimmung zu diesem artickel von religion, fride und recht lautendt.346 Karl V. stellte sich also durch seinen Alleinhang zugunsten der evangelischen Stände diesmal gegen die katholische Reichstagsmehrheit und zog sich darüber hinaus sogar noch einen offiziellen Tadel des Papstes zu!347 Indem die Katholiken jedoch trotzdem die Aufnahme der entsprechenden Bestimmungen in den Abschied im Namen des Kaisers zuließen, wiesen sie zwar jede Verantwortung für eine Duldung der gegnerischen Konfession von sich, verhinderten aber zugleich ein Scheitern der Türkenhilfe am Widerstand der Evangelischen. Die entsprechenden Bestimmungen fielen diesmal recht ausführlich aus: Zunächst schloss Karl V. durch eine Garantie, dass der zwispalt der religion anders nit dann durch christliche und freündtliche vergleichung eyns gemeynen, freyen, christlichen conciliums, nationalversammlung, oder reichßtag [...] hingelegt werden soll, jedes militärische Vorgehen in der Religionsfrage kategorisch aus.348 Er untersagte zwar, andere Stände oder ihre Untertanen zu einem Konfessionswechsel zu drängen,349 gestattete den Evangelischen aber das vorläufige Nutzungsrecht von Kirchengut unangesehen was Religion solcher stieft, closter, prelatur, spital, gottschauß oder krich [!] weren,350 setzte die Religionsprozesse am Kammergericht aus, garantierte unparteiische Prozesse, ließ evangelische Beisitzer zu und stellte sogar frei, ob man den Eid traditionell auf Gott und die Heiligen oder in evangelischem Sinne auf Gott und das Evangelium sprechen wolle.351 Einen deutlichen Schritt über bisherige Zugeständnisse hinaus bedeutete schließlich die offizielle Suspendierung des Augsburger Abschieds und aller Beschlüsse, so vil die religion, auch disen friedtstand belanget, biß zu obgemelter vergleichung,352 sowie
345 346 347
348 349 350 351 352
RTA JR XV. S. 2271. § 80. RTA JR XV. S. 2277. § 103. Dieser sandte dem Kaiser am 24. August 1544 ein Breve, in dem er ihm Kompetenzüberschreitung vorwarf, vgl. Hollerbach: Das Religionsgespräch (Anm. 245). S. 163f. Luther reagierte darauf mit seiner scharfen antirömischen Schrift ,Wider das Papsttum zu Rom vom Teufel gestiftet‘. WA 54. S. 195/206–299. RTA JR XV. Nr. 565. S. 2272f. § 82. Vgl. RTA JR XV. Nr. 565. S. 2273. § 83. RTA JR XV. Nr. 565. S. 2273. § 84. RTA JR XV. Nr. 565. S. 2275. § 92–94. RTA JR XV. Nr. 565. S. 2275. § 94.
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der Reichsacht gegen die Schmalkaldischen Bundesmitglieder Minden und Goslar, für die der Bund sich stark gemacht hatte.353 Terminologisch finden sich kaum Unterschiede zu den vorhergehenden Reichstagen. Dreimal werden die Evangelischen als die stende der augspurgischen confession verwandt bezeichnet,354 ansonsten ist von Partheyen355 oder Theilen356 die Rede. Für die katholischen Stände existiert wieder kein eigener Name.357 Die ausgleichende Tendenz der kaiserlichen Friedensregelung zeigt sich besonders schön in einer sprachlichen Nuance: Die Einführung der Reformation wird diesmal als veränderung der religion umschrieben, man vermeidet also mit Rücksicht auf das evangelische Selbstverständnis jeden Hinweis auf etwaige ,Neuerungen‘.358 Äußerst bemerkenswert ist schließlich die Feststellung, wer aus dieser gemeinsamen christlichen Religion letztendlich ausgeschlossen bleibt, denn neben einer Bestätigung des Täufermandats von 1529359 gerät aus politischen Gründen auch Franz I., der ,allerchristlichste‘ König von Frankreich, ins Visier. Dieser hatte sich mit dem Sultan gegen den Kaiser verbündet360 und wird deshalb nun nicht mehr zu den christliche[n] potentaten gerechnet, sondern von allen Ständen nit weniger dann den Türcken für eynen gemeynen feyndt der christenhayt erklärt.361 Auf diese Weise ergibt sich hier die paradoxe Situation, dass die Evangelischen dem Kaiser terminologisch gesehen näher stehen als ein benachbarter katholischer Monarch. Zugleich konnte Karl V. mit dieser konfessionsübergreifenden Ächtung Frankreichs einen großen Erfolg verbuchen, unterband er auf diese Weise doch jede potentielle diplomatische Annäherung des Schmalkaldischen Bundes an den französischen König.362 353
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Vgl. RTA JR XV. Nr. 565. S. 2276. § 97. Beide Achterklärungen erfolgten aufgrund von Reichskammergerichtsprozessen. Im Falle Mindens hatte die katholische Geistlichkeit der Stadt einen Prozess angestrengt und im Oktober 1538 die Acht erwirkt, Goslar wurde von Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel bedrängt und im Oktober 1540 mit der Acht belegt. In beiden Fällen erklärte der Schmalkaldische Bund die Angelegenheit zu einer Religionssache und intervenierte entsprechend. Der Kriegszug gegen Heinrich hatte seine Ursache nicht zuletzt auch in dem Gerichtsverfahren gegen Goslar. Vgl. hierzu Haug-Moritz: Der Schmalkaldische Bund (Anm. 24). S. 198–202. RTA JR XV. Nr. 565. S. 2271. § 82 sowie S. 2275. § 92 und § 94. Z. B. RTA JR XV. Nr. 565. S. 2274. § 89. Etwa RTA JR XV. Nr. 565. S. 2271. § 80; S. 2272. § 82; S. 2273. § 84; S. 2274. § 89 und § 91; S. 2275. § 92. So ist in direkter Gegenüberstellung zu den CA-Verwandten etwa nur von den andern die Rede, RTA JR XV. Nr. 565. S. 2271. § 82. RTA JR XV. Nr. 565. S. 2273. § 86. Vgl. RTA JR XV. Nr. 565. S. 2268f. § 74. Laut Proposition hatte er die Türken überhaupt erst auf die interne Schwächung des Reiches durch die Glaubensspaltung aufmerksam gemacht und damit den Krieg mitverantwortet, vgl. RTA JR XV. Nr. 74. S. 356. RTA JR XV. Nr. 565. S. 2247. § 4. Vgl. Schulze: Deutsche Geschichte (Kap. 5, Anm. 43). S. 148.
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Nun begannen „die Jahre des Kaisers“.363 Nach dem Frieden von Crépy mit Franz I. 1544364 und einem Waffenstillstand mit den Türken im Folgejahr, dem 1547 der Vertrag von Adrianopel folgte, war Karl V. mit einem Schlage von jedem außenpolitischen Druck befreit. Auf dem Wormser Reichstag von 1545 wurden die Türken im Abschied nur ein einziges Mal erwähnt, und die Frage von Religion, Friede und Recht rückte demgemäß wieder an die wichtigste Stelle.365 In der Proposition hatte dies noch ein wenig anders ausgesehen. Zwar war der Religionsartikel auch hier an den Anfang gestellt worden, unter Verweis auf das im gleichen Jahr eröffnete Trienter Konzil plante der Kaiser jedoch, disen articl auf dißmaln einzestelln und mitlerzeit ze sehen, wie das concilium seinen furgang haben und die obvermelt reformation daselbß furgenommen werden möge.366 Als die entsprechenden Verhandlungen aber aufgrund der ablehnenden Haltung von Seiten der evangelischen Stände steckenzubleiben drohten, griff man auf den bereits 1544 angedeuteten Kompromiss eines weiteren Religionsgesprächs zurück. Laut Reichsabschied sollten zu diesem christenlich gesprech und colloquium je vier Colloquenten unserer althergebrachten religion und der stende der augspurgischen confession verordnet werden.367 Erstmals seit dem Regensburger Abschied von 1541 erhielt die katholische Seite hier wieder eine eigene Bezeichnung und wurde nicht mehr stillschweigend mit den gemeinen Reichsständen gleichgesetzt, wobei man wie damals auf das Alter dieser Religion rekurrierte. Bezeichnenderweise waren auch 1541 gerade in Zusammenhang mit dem Religionsgespräch zwei konfessionelle Namen verwendet worden. Weil man auf einem streng paritätisch besetzten Kolloquium nicht weiterhin die Illusion aufrecht erhalten konnte, man habe es mit der Allgemeinheit und einer abgespaltenen Sondergruppe zu tun, zwang dieses Thema die Beteiligten also gleichsam dazu, auch terminologisch von zwei Parteien auszugehen. Karl V. traf bei seinem Vorstoß auf deutlichen Widerstand. Die Katholiken lehnten das erneute Religionsgespräch gerade in Hinblick auf das Konzil von vornherein ab, so dass die entsprechenden Verhandlungen im folgenden Jahr schließlich nur zwischen evangelischen und kaiserlichen Vertretern geführt werden konnten.368 Die Evangelischen verlangten dagegen eine offizielle Bestätigung der kaiserlichen Zugeständnisse von 1544. Als die stendt, der alten religion verwandt und wir, der augspurgischen confession verwandten sten363 364
365 366 367 368
Schulze: Deutsche Geschichte (Kap. 5, Anm. 43). S. 131. Die kaiserliche Seite bezeichnet den französische König damit auch prompt wieder als lieben brueder und schwager, vgl. die Proposition des Wormser Reichstages 1545, RTA JR XVI. Nr. 16. S. 125. Vgl. RTA JR XVI. Nr. 341. S. 1659f. RTA JR XVI. Nr. 16. S. 127. Konfessionsparteien werden hier nirgends ausdrücklich erwähnt. RTA JR XVI. Nr. 341. S. 1659. § 8. Vgl. Hollerbach: Das Religionsgespräch (Anm. 245). S. 171f. Es scheiterte bereits an Verfahrensfragen und endete vorzeitig mit der Abberufung der evangelischen Teilnehmer, vgl. S. 182.
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de fügten sie jeweils entsprechende Erklärungen in den Abschied ein.369 An diesen Formulierungen wird deutlich, dass beide Seiten die jeweiligen Parteinamen auch als Selbstbezeichnungen akzeptierten. Der folgende Reichstag zu Regensburg von 1546 war die letzte Versammlung vor dem Schmalkaldischen Krieg. Das Misstrauen auf allen Seiten war groß, und auch der Kaiser hatte sich nach den gescheiterten Religionsgesprächen und der Weigerung der Lutheraner, das Konzil anzuerkennen, zu diesem Zeitpunkt bereits für einen Religionskrieg entschieden.370 Das schlug sich deutlich in der Terminologie nieder. Schon in der Proposition vom 5. Juni 1546 beschuldigte Karl V. die stendt der augspurgischn confession,371 das letzte Religionsgespräch absichtlich verzögert zu haben, indem sie ihre Kolloquenten nicht früh genug benannt hätten. Den Reichstag selber nutzte er zu konkreten Kriegsvorbereitungen: Hinter den Kulissen schloss er Bündnisverträge mit dem Papst, Herzog Wilhelm IV. von Bayern sowie – für die evangelische Seite besonders verhängnisvoll – Herzog Moritz von Sachsen, einem der mächtigsten evangelischen Fürsten.372 In aller Öffentlichkeit verschuf er sich dagegen seine rechtliche Legitimationsbasis für den bevorstehenden Waffengang. Am 20. Juli erließ Karl V. die Reichsacht gegen die Hauptleute des Schmalkaldischen Bundes, Philipp von Hessen und Johann Friedrich von Sachsen, wegen Landfriedenbruchs durch ihren Angriff auf Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel.373 Hatte er auf den vorausgegangenen Reichstagen zu diesem Thema weitgehend geschwiegen und den Herzog sogar zur Zurückhaltung aufgefordert, so diente ihm gerade dieser Angriff nun, da er innenpolitisch freie Hand hatte, als Kriegsgrund. In diesem Dokument erschien zwar wieder die übliche neutrale Formel von der Irrung des Zweyspalts der streitigen Religion mit dem Ziel Christlicher Vergleichung, aber den beiden Fürsten wurde vorgeworfen, sich gerade nicht um ihres Glaubens willen gegen den Kaiser aufgelehnt und andere Stände aufgewiegelt, sondern unter dem [...] Schein der Religion rein machtpolitische Ziele verfolgt zu haben. Auch wenn Karl V. intern zugab, dass es ihm primär um den Glauben gehe,374 wollte er 369 370
371 372
373 374
RTA JR XVI. Nr. 341. S. 1662. § 18. Zu diesem Urteil kommt Heinrich Lutz: Das Ringen um deutsche Einheit und kirchliche Erneuerung. Von Maximilian I. bis zum Westfälischen Frieden 1490 bis 1648. Berlin 1983 (Propyläen Geschichte Deutschlands. Bd. 4). S. 276. RTA JR XVII. Nr. 58. S. 392. Vgl. Horst Rabe: Deutsche Geschichte 1500–1600. Das Jahrhundert der Glaubensspaltung. München 1991. S. 396f. Die entsprechenden Schriftstücke wurden wohlweislich geheim gehalten und zählen deshalb zu den internen Dokumenten. du Mont: Corps universel diplomatique IV,2 (Anm. 31). Nr. CXCVI. S. 314f. So beispielsweise in einem Brief an seine Schwester Maria vom 9. Juni 1546, in dem er zugibt, er wolle Sachsen und Hessen unter dem Vorwand des Krieges gegen Heinrich von Braunschweig angreifen, da er hofft, die Evangelischen zu spalten, wenn es nicht so offensichtlich
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unbedingt den Anschein eines reinen Religionskrieges vermeiden, um eine Solidarisierung der evangelischen Stände mit Sachsen und Hessen zu unterbinden und seinen Bündnispartner Moritz von Sachsen nicht zu kompromittieren. Außerdem konnte er auf diese Weise seinem öffentlichen Versprechen von 1544 treu bleiben, die Religionsfrage ausschließlich auf friedlichem Wege lösen zu wollen. Deshalb finden sich weder in der Achterklärung, noch in den Kapitulationsurkunden375 Philipps und Johann Friedrichs, die den Schmalkaldischen Krieg beendeten, konfessionelle Bezeichnungen. Zu einem ordentlichen Abschied ist es schließlich gar nicht mehr gekommen, da viele Stände aufgrund der drohenden Kriegsgefahr auf eine Beschickung des Reichstags verzichtet und die meisten evangelischen Stände ihre Gesandten vorzeitig abberufen hatten. Der Kaiser erließ lediglich wenige Tage nach der Acht eine abschließende Erklärung, an der keine weiteren Stände beteiligt waren. Es handelte sich also um kein Verhandlungsprodukt, sondern um eine einseitige kaiserliche Urkunde. Hier schob er die Verantwortung für das Scheitern des Reichstages verärgert den Gesandten der protestierenden Kff., Ff. und stendt zu, da diese zum größten Teil ohne Erlaubnis abgereist seien.376 Der neutrale Bezug auf die CA wurde nun also wieder durch einen Rückgriff auf eine nicht weiter zu spezifizierende Protestation ersetzt, bei der es sich theoretisch um jene von 1529, von 1530 oder auch um die Ablehnung des Konzils seit 1542 handeln könnte. Vielleicht wollte man nach so vielen Protesten inzwischen aber auch ganz allgemein auf eine opponierende Grundhaltung der evangelischen Seite verweisen. Damit ging erneut eine gewisse Abwertung einher, da in einem Protest ja, wie bereits mehrfach erwähnt, stets die Minderheitenposition sowie der Ungehorsam gegen Kaiser und Reich mitschwang. Dieser letzte Punkt wurde durch den Vorwurf der unerlaubten Abreise nur noch verstärkt. Dennoch bleibt festzustellen, dass auf öffentlicher Ebene kein vollkommener terminologischer Rückfall hin zu den Abschieden von 1529 und 1530 oder gar zum Wormser Edikt erfolgte. Mit keinem Wort wurde den Evangelischen auch nur in Andeutung Ketzerei vorgeworfen, sondern man blieb, wie schon in den Achterklärungen, konsequent auf einer reichsrechtlich-neutralen Ebene. Selbst im Krieg gegen die aus sei-
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376
sei, dass der Krieg pour cause de la religion stattfinde. Karl Lanz: Correspondenz des Kaisers Karl V. Bd. 2: 1532–1549. Leipzig 1845. Nachdruck Frankfurt a. M. 1966. Nr. 551. S. 488. Bezeichnenderweise enthält eine Instruktion bezüglich Herzog Ulrichs von Württemberg vom 14. Juni 1546 wiederum keinerlei Erwähnung der Religion, sondern hier geht es nur darum, gedachten vngehorsame vnd widerspennige fursten zu pillichem gepurlichem gehorsam anzuhalten, vgl. Nr. 552. S. 492. Vgl. du Mont: Corps universel diplomatique IV,2 (Anm. 31). Nr. CCI. S. 325 und Nr. CCVI. S. 332. Dennoch kann der Schmalkaldische Krieg als „deutscher Urtyp“ des Religionskriegs gelten, Johannes Burkhardt: Religionskrieg. In: TRE 28. S. 681–687, hier S. 682. RTA JR XVII. Nr. 109. S. 521. § 5.
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ner Sicht häretischen Lutheraner musste der Kaiser also inzwischen offizielle Rücksichten walten lassen, um die Tür für kommende Verhandlungen offenzuhalten. Das schlug sich sogar in der Wortwahl auf dem sog. geharnischten Reichstag zu Augsburg von 1547/48 nieder. Hier wollte Karl V. nach seinem Sieg über die Schmalkaldener die Religionsfrage im Reich als wichtigsten articul endgültig in seinem Sinne regeln, da sie ein gwisse wurtzel und hauptursach ist alles ubels, unglucks und ungefels teutscher nation.377 Der Krieg fand in diesem Falle wohlweislich keine Erwähnung, um auch nachträglich jede mögliche Verbindung zwischen der Achtexekution und dem Glaubensstreit zu vermeiden.378 Trotzdem war der Kaiser diesmal aus seiner Machtposition als Sieger heraus in der Lage, den evangelischen Ständen seine Bedingungen zu diktieren. Der Abschied vom 30. Juni 1548 betonte denn auch, dass das allgmein, frey, cristenlich concilium [...] ghein Trient der beste Weg zur Lösung der theologischen Streitpunkte sei, und verpflichtete alle Stände, sich seinen Beschlüssen nach dem Vorbild der hl. vetter und eltern zu unterwerfen.379 Mit dieser Anweisung nahm der Kaiser die von den Ständen immer wieder vorgebrachte Forderung nach einem freien, christlichen Konzil im Reich auf, interpretierte sie diesmal jedoch unter Übergehung ihres ursprünglich dissimulierenden Charakters offiziell in katholischem Sinne. Der Verweis auf die Kirchenväter sowie die persönlichen Vorfahren der Reichsstände diente dabei als zusätzliche Legitimation über das Alter der Institution und das Herkommen. Gleichzeitig versprach der Kaiser jedoch, sich dafür einzusetzen, dass auf dem Konzil allen affect hindangesetzt, eine christliche, nutzliche reformation der gaistlichen und weltlichen uffgericht und alle unrechte lehren und missbreuch der gepuer nach abgestelt werden sollten.380 Indem er nicht ausschloss, dass einige der erwähnten Missbräuche durchaus auf katholischer Seite liegen könnten, erinnerte er an die Gravamina, wirkte aber zugleich auch einer pauschalen Vorverurteilung reformatorischer Gedanken entgegen.381 Zwar hatte Karl mit der Unterwerfung der evangelischen Stände unter das Konzil nun sein religionspolitisches Hauptziel erreicht, aber gerade die Bereitschaft, die in früheren Abschieden aufgestellten Konzilskriterien beizubehalten, ließen diese 377 378
379 380 381
RTA JR XVIII. Nr. 372b. S. 2653. § 3. Das hatte im Ausschreiben noch etwas anders ausgesehen. Hier sprach er von seinen Kriegsgegnern als den ungehorsamen und machte auch eine Anspielung auf ihre Konfession, indem er schrieb, dass der merertheil irer mitverwanten sich an dem Krieg nicht beteiligt, sonden sich dem Kaiser im schuldigen gehorsam ergeben hätten, RTA JR XVIII. Nr. 11. S. 142. RTA JR XVIII. Nr. 372b. S. 2653. § 4 und § 5. RTA JR XVIII. Nr. 372b. S. 2654. § 6. In diesem Sinne sind auch die Forderungen Karls an das Konzil zu verstehen, mit Fragen der Kirchenreform zu beginnen und mit der Behandlung dogmatischer Probleme zu warten, bis die evangelische Seite in das Konzil eingewilligt habe, vgl. Rabe: Deutsche Geschichte (Anm. 372). S. 393.
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Forderung zunächst gegenstandslos bleiben, da Papst Paul III. die Versammlung aus Furcht vor dem übermächtigen Einfluss des Kaisers 1547 aus dem Reich heraus in den Kirchenstaat nach Bologna verlegt hatte.382 Aus diesem Grunde hatte der Kaiser bereits am 15. Mai 1548 als Übergangsregelung das sog. Augsburger Interim erlassen. Hier wurden zu uffrichtung und erhaltung bestendigs fridens, rechtens, einigkait und ringerung der stendt eingerissen unvertrauens, auch zu mehrer christenlicher vergleichung und messigung sowie zur Abwehr der viel eintringenden widerwertigen secten die Glaubensinhalte und Kirchenzeremonien bis zur endgültigen Entscheidung durch die Kirchenversammlung festgeschrieben.383 Ursprünglich wollte Karl diese ,Übergangsreligion‘ für alle Stände verbindlich machen, um auf diese Weise sofort die vollkommene Glaubenseinheit wiederherzustellen, scheiterte aber am Widerstand der katholischen Stände. Der Kaiser konnte die Bischöfe zwar zur Annahme einer ,Formula reformationis‘ bewegen, die auch auf innerkatholische Missstände hinwies und die Kirchenreform befördern sollte, aber die geistlichen Stände setzten sich gegen eine Erwähnung dieses Dokuments im Abschied erfolgreich zur Wehr. So blieb es bei einem Sondergesetz für die Evangelischen, das von vielen nicht nur als lehrwidrig, sondern darüber hinaus nun auch als äußerst diskriminierend betrachtet wurde.384 Durch die erzwungene Annahme des Interims hatte die Confessio Augustana in den Augen des Kaisers und der katholischen Stände ihre Funktion als gültige Glaubensgrundlage eingebüßt. Diese neue Situation spiegelt sich in der Bezeichnung der Evangelischen als diejhenigen, so der augspurgischen confession anhengich ,gewesen‘, wider.385 Der Kurfürst von Mainz hatte bei der Abfassung des Textes diese Abänderung der bisher üblichen Formulierung vorgeschlagen, da „durch das Ende des Schmalkaldischen Bundes und durch die Annahme des Interims doch auch die Augsburgische Konfession selbst ‚gefallen‘ sei“. Gegen den heftigen Protest der CA-Verwandten wurde sie vom Kaiser gebilligt.386 Die Verweigerung des auch als Selbstbezeichnung akzeptierten Namens stellt den deutlichsten terminologischen Hinweis auf die unterlegene und hochgradig gefährdete Position der evangelischen Seite dar.
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Vgl. Rabe: Deutsche Geschichte (Anm. 372). S. 401 und S. 413–416. RTA JR XVIII. Nr. 372b. S. 2655. § 7. Vgl. Rabe: Deutsche Geschichte (Anm. 372). S. 420–422 sowie Ders.: Reichsbund und Interim. Die Verfassungs- und Religionspolitik Karls V. und der Reichstag von Augsburg 1547/48. Köln/ Wien 1971. S. 452. RTA JR XVIII. Nr. 372b. S. 2654. § 6, Hervorhebung durch den Verf. Ansonsten findet sich im Abschied kein weiterer Verweis auf diese Formel. Rabe: Reichsbund und Interim (Anm. 384). S. 452. Ursprünglich war für diese Passage vorgesehen: die stend der augspurgischen confession; so der religion halben enderung furgenommen und derhalben bedencken gehapt, RTA JR XVIII. Nr. 372b. S. 2654. Anm. e–e.
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Karl V. hatte zur Formulierung des Interims mit Julius Pflug und Michael Helding primär Theologen gewählt, die zwar katholisch waren, aber durchaus als gemäßigt galten. Außerdem wurde der Brandenburger Hofprediger Johann Agricola als evangelischer Vertreter hinzugezogen. Dennoch blieb der Text beinahe ausschließlich auf dem Boden der römisch-katholischen Lehre. Das Interim beschrieb die römische Sicht der Rechtfertigung, der Kirchenhierarchie mitsamt päpstlichem Primat, der Heiligenverehrung, der sieben Sakramente und des Messopfers, mit der Einschränkung, dass es sich dabei um ein Dank- und nicht um ein Sühneopfer handle, und machte den Lutheranern lediglich im Falle von Laienkelch und Priesterehe vorläufige Zugeständnisse.387 Im Reichsabschied wie im Interim wird in diesem Zusammenhang wiederholt betont, dass die getroffenen Bestimmungen unser wharen christenlichen religion und kirchenleer ordnungen und satzungen (ausserhalb der zweier puncten, die comunion under beider gestalt und der priester ehe betreffendt) nicht zuwider, sonder zu befurderung und erlangung volkomner christenlicher vergleichung der strittigen religion [...] nutzlich seien.388
Auf diese Weise ist die ,wahre christliche Religion‘ nun wieder eindeutig mit der katholischen Konfession identisch, ein Wortgebrauch, den man seit den Reichsabschieden von 1529 und 1530 tunlichst vermieden hatte. Trotz solch einseitiger Tendenzen verstand der Kaiser das Interim als Text der Einheit, als Verwirklichung Christlicher Vergleichung und Mäßigung,389 mit dem die Glaubensspaltung als Wurzel allen Übels endgültig beendet sein sollte. Wenn daher im Zuge der Lehrartikel immer wieder von ,Christen‘ und ,Kirche‘ gesprochen wird, so sind diese Begriffe zwar in katholischem Sinne zu verstehen, aber alle evangelischen Stände, die das Interim angenommen haben, dürfen sich hier ebenfalls dazurechnen.390 Wo die Ket387
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Vgl. Rabe: Deutsche Geschichte (Anm. 372). S. 418f., Blickle: Die Reformation im Reich (Kap. 1, Anm. 12). S. 169f., Reinhard: Reichsreform und Reformation (Anm. 35). S. 341f. und Wallmann: Kirchengeschichte (Kap. 1, Anm. 54). S. 84. RTA JR XVIII. Nr. 372b. S. 2655. § 9. Vgl. auch die Formulierung im Interim, wo es ebenfalls heißt, dass die Regelungen zu rechtem Verstand unserer wahren Christlichen Religion und Kirchenlehr, Ordnungen und Satzungen (ausserhalb der zweyen Puncten die Communion unter beyder Gestalt/ und der Priester Ehe betreffend) nicht zuwider seien, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 551. § 7. Vgl. auch RTA JR XVIII. Nr. 210. S. 1912: a nostra vera catholica religione et ecclesiasticis doctrinis, statutis et ordinationibus, exceptis duobus articulis, communionem sub utraque specie et matrimonium sacerdotum concernentibus, non abhorrere. Hier fällt auf, dass der Übersetzer catholica mit christlich gleichgesetzt hat. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 551. § 5. Vgl. RTA JR XVIII. Nr. 210. S. 1912: ad maiorem christianam concordiam, moderationem. So ist das gesamte Dokument hindurch immer wieder von der ,Christenheit‘, z. B. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 350. § 1, von Christgläubigen, Christen, S. 556. Art. IX. § 1, Christen-Leut, S. 569. Art. XXII. § 36, oder Glaubigen, S. 569. Art. XXIII. § 1,
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zerterminologie zum Einsatz kommt und von widerwertigen secten,391 Schismatici, Ketzer/ und die vom Christlichen Glauben abfallen bzw. von Abtrünnigen die Rede ist, sind also nicht die Lutheraner, sondern andere Gruppen wie die Täufer oder die Reformierten gemeint.392 Nur wenn es unbedingt notwendig schien, wurde noch zwischen zwei Religionsparteien differenziert. Neben dem bereits erwähnten Bezug auf die CA unterschied man im Abschied die gmainen stendt des hl. Reichs, so bisher die satzungen und ordnungen gmainer christenlichen kirchen gehalten, und die andern stend, so enderung furgenommen. Letztere sollen entweders widerumb zu gmainen stenden tretten oder sich ans Interim halten393 und sich so als die gehorsamen erweisen.394 Fast identisch erscheint diese Passage auch im Interim, wo allerdings statt von einer ,Änderung‘ in schärferer Form von ,Neuerung‘ gesprochen wurde.395 Die katholischen Stände gelten damit wieder als die reichs- wie kirchenrechtlich folgsame Allgemeinheit, die stets am wahren und alten Glauben festgehalten und von der sich die evangelische Seite als Minderheit bewusst und sträflich abgesondert habe. Auch an anderer Stelle wird die katholische Lehre über das Alter legitimiert, so etwa, wenn man durch die Opfergaben Kains und Abels im Alten Testament zu beweisen versucht, dass das Messopfer alt sey.396 Im Interim werden die Evangelischen zudem anhand der zwei
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die Rede. Vgl. RTA JR XVIII. Nr. 210: universo orbi christiano (S. 1911), christifidelium, christianos (S. 1920. Art. 9), viros catholicos (S. 1940. Art. 22) bzw. credentium (S. 1940. Art. 23). Diese zählen zu gemeiner Christlichen Kirchen, z. B. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 551. § 8 und § 9, oder zur gantzen allgemeinen Kirchen, S. 561. Art. XVI. § 5. Es wird auch ausführlich die Apostolische und allgemeine Kirche Christi und GOttes genannt, S. 571. Art. XXIV. § 6. Vgl. RTA JR XVIII. Nr. 210: universalis ecclesiae bzw. universalis ecclesiae catholicae (S. 1912), totius ecclesiae catholicae (S. 1927. Art. 16) sowie apostolica et catholica ecclesia Christi et Dei (S. 1943. Art. 26). Im Vergleich des Originals mit der deutschen Übersetzung wird wiederum deutlich, dass ,christlich‘, ,katholisch‘ und ,allgemein‘ mithin als identisch verstanden werden. RTA JR XVIII. Nr. 372b. S. 2655. § 7. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 557. Art. IX. § 9 sowie S. 558. Art. X. § 4. Vgl. auch RTA JR XVIII. Nr. 210. S. 1922. Art. 9: schismatici, haeretici et a fide christiana desciscentes sowie S. 1923. Art. 10: schismaticorum. RTA JR XVIII. Nr. 372b. S. 2656. § 10, auch S. 2657. § 15. Als Oberbegriff für alle Seiten gilt die Formulierung gemeine stende und des hl. Reichs underthanen zu allen thailen, S. 2657. § 15. RTA JR XVIII. Nr. 210. S. 2657. § 14. die gemeine Stände/ so bißher die Ordnungen und Satzungen gemeiner Christlichen Kirchen gehalten, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 551. § 8, bzw. die andere Ständ/ so Neuerung fürgenommen, S. 551. § 9. Vgl. auch RTA JR XVIII. Nr. 210. S. 1912: status, qui hactenus ordinationes et statuta universalis ecclesiae observarunt sowie Reliquos vero status, qui innovationem instituerunt. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 565. Art. XXII. § 2. Vgl. RTA JR XVIII. Nr. 210. S. 1934. Art. 22: Cuius cultus antiquitatem duorum fratrum Cain et Abel sacrificia comprobant.
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ihnen zugestandenen Ausnahmen charakterisiert. So erwähnt der Text die Clerici [...] die im Stand der Geistlichen/ die Kirchen-Aempter verwalten, und an vielen Orten Weiber genommen haben397 sowie diejenigen, die im Abendmahl den Gebrauch beyder Gestalt vor dieser Zeit angenommen haben, und davon nicht abstehen wollen, wobei man auch bei dieser prinzipiell neutralen zeremoniebezogenen Wortwahl nicht auf einen Seitenhieb verzichten wollte, indem man klarstellte, dass die Gewonheit, die nun alt ist, unter einer Gestalt zu communiciren, natürlich die einzig richtige sei.398 Insgesamt gingen die Bezeichnungen für die Evangelischen – ausgenommen natürlich die Verweigerung der CA-Zugehörigkeit – in ihrer Schärfe kaum über die vorangegangenen Abschiede hinaus. Auch nach dem Triumph des gewonnenen Krieges verzichtete die katholische Seite also auf eine erneute Verketzerung ihres Gegners. Die Anhänger Luthers sollten vielmehr ohne weitere Sanktionen durch die Annahme des Interims wieder in den Schoß Roms aufgenommen werden, so dass für sie auch weiterhin solch universale Namen wie ,Christ‘ gültig blieben und wo immer möglich überhaupt auf eine begriffliche Differenzierung zwischen den Konfessionen verzichtet wurde. Obwohl das Interim von Theologen abgefasst worden war, findet sich hier keine Andeutung jener polemischen Sprache, die ihnen sonst so häufig aus der Feder floss. Die Terminologie stimmt weitgehend mit dem Abschied überein und ist über ganze Passagen hinweg sogar bis in den Wortlaut hinein identisch, man hatte also bewusst darauf geachtet, theologische und reichsrechtlichamtliche Ebene sprachlich zu harmonisieren. Gegen das Augsburger Interim formierte sich bald leidenschaftlicher Widerstand bei Reichsständen, Theologen sowie in der breiten Bevölkerung. In einer Flut von Flugschriften lief man gegen diese Zwischenreligion Sturm und verurteilte die Ab-
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Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S 573. Art. XXVI. § 20. Vgl. RTA JR XVIII. Nr. 210. S. 1946f. Art. 26: clericos […], qui ministerii ecclesiastici functiones tenent, iam multis in locis duxerint uxores. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 573. Art. XXVI. § 21. Vgl. RTA JR XVIII. Nr. 210. S. 1947. Art. 26: qui usum utriusque speciei antehac receperunt eumque relinquere nolunt sowie illam inveteratam sub una specie communicandi consuetudinem. Andere Passagen des Abschieds vermeiden jeden weiteren Hinweis auf Konfessionen, da sich entsprechende Fragen mit dem Interim in den Augen Karls erübrigt hatten. So ist selbst bei der Neubesetzung des Reichskammergerichts, bei der die Evangelischen bislang stets auf ihre Zulassung gepocht hatten, kein entsprechender Hinweis zu finden. Zudem wurden die Beisitzer ohnehin alle durch den Kaiser ernannt, vgl. RTA JR XVIII. Nr. 372b. S. 2660. § 27f. Ähnlich wie 1530 erließ der Reichstag mit der Landfriedens- und Polizeiordnung weitere öffentliche Dokumente, die zeigen, dass man nun für stabile Verhältnisse im Reich sorgen wollte. Auch hier wird die Religionsfrage nirgends thematisiert.
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trünnigen Interimistischen Christen.399 Der Kontroverstheologe Caspar Aquila ging sogar so weit zu behaupten, Wer [...] folget der falschen Teuffels lehre/ die in diesem Interim stecket/ der hat Christum verleugnet und könne daher nicht mehr zu den fromen Euangelischen Christen gezählt werden.400 Andere Autoren warnten hellsichtig für die realen Verhältnisse ihre Obrigkeiten davor, das Interim einzuführen, da zu befürchten sei, dass wir/ als ein newe secten werden/ vnd new Schisma machen/ aus vnser eigener verschuldung. Auf diese Weise würden nämlich aus zweyen secten drey werden,401 weil weder die Stende/ so das heilige Euangelium angenomen/ vnd ire Kirchen nach dem selbigen Reformirt haben,402 noch die Papisten403 sie als rechtgläubige Christen anerkennen würden. Obwohl aufgrund der momentanen Kräfteverhältnisse kein Stand gewagt hatte, den Abschied offiziell abzulehnen, so führte denn auch niemand bereitwillig das Interim ein, und nur wenige Fürsten waren letztendlich wirklich zu Zugeständnissen bereit. Zum symbolträchtigen Zentrum des Aufbegehrens entwickelte sich das darob noch immer geächtete Magdeburg.404 Der folgende Augsburger Reichstag von 1550/51, auf dem die Religionsfrage in allen drei Rahmentexten erneut als Hauptpunkt erschien, brachte diese Probleme zur Sprache. Bereits in der Proposition beklagte sich der Kaiser bitter darüber, dass ettliche Stennde vnnd vnderthonen deß hay. Reiches […] sollicher Jr Mt. Christlich billichen […] Ordnung nicht nachkämen, darunter auch solche, die dem Interim 1548 noch zugestimmt hätten. Sie verstießen damit offiziell gegen Reichsrecht; in den Nördlinger Aufzeichnungen erscheint an dieser Stelle als Randnotiz nicht umsonst die Bezeichnung Rebelles.405 Im Abschied ist ebenfalls von den stenden, so gemelten ordnungen nit aller ding nachkomen, die Rede.406 Auf diese Weise wurde wieder einmal die Haltung zu einem reichsrechtlichen Dokument zum konfessionellen Unterscheidungs399
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405 406
Anonym.: Copey der schönen vermanung/ Welche bey den Abtrünnigen Interimistischen Christen/ vor der Teuflischen Gottlosen opffermes/ dem armen einfeldigen volck/ inn schonem schein wirt fürgelesen [...]. o. O., o. J. 1. S. Aquila: Wider Agricolam (Kap. 3, Anm. 89). 3. S. und 4. S. Bedencken Etlicher Predicanten (Kap. 3, Anm. 125). 17. S. und 18. S. Bedencken Etlicher Predicanten (Kap. 3, Anm. 125). 1. S. Bedencken Etlicher Predicanten (Kap. 3, Anm. 125). 17. S. Besonders der süddeutsche Raum unterwarf sich unter militärischem Druck oder aus politischer Rücksichtnahme weitgehend den kaiserlichen Forderungen. Nur Joachim von Brandenburg konnte dem Interim aufgrund seiner vermittelnden Einstellung einige positive Seiten abgewinnen, und in Kursachsen entwarf Melanchthon auf Betreiben des frischgebackenen Kurfürsten Moritz das ,Leipziger Interim‘, in dem er immerhin gewisse Zugeständnisse in Adiaphora bzw. Mitteldingen machte, damit zugleich aber einen heftigen Streit im lutherischen Lager verursachte, vgl. Rabe: Deutsche Geschichte (Anm. 372). S. 422–424 und Wallmann: Kirchengeschichte (Kap. 1, Anm. 54). S. 84. StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB 60. Nr. 31. fol. 5r bzw. RTA JR XIX. Nr. 78. S. 252. Art. II. RTA JR XIX. Nr. 305. S. 1582. § 12.
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merkmal erhoben. Die Betroffenen lehnten das Interim auch diesmal nicht rundweg ab, sondern versuchten sich herauszureden. Um dem Vorwurf des Ungehorsams zu entgehen, präsentierten sie dem Kaiser allerhandt gemeine und sonderliche furfallende verhinderungen [...], derwegen berurte declaration und reformation nit durchauß an allen orten [...] in wurgckliche ubung gestellt weren.407 Für die evangelischen Stände findet daneben auch weiterhin jene abwertende Formulierung Verwendung, die bereits 1548 aufgetaucht war, um die Ungültigkeit der CA zu unterstreichen: bemelte stend, bey denen in der religion neurung furgenomen oder der augspurgischen confession anhengig gewesen.408 Die katholische Seite wird nicht explizit genannt. Wenn sich auf diesem Reichstag insgesamt auch bereits deutlich ein Scheitern des Interims abzeichnete, so konnte Karl V. doch zumindest erreichen, dass die Evangelischen sich nochmals zu einer Beschickung des Konzils bereit erklärten, dessen Rückführung nach Trient der neue Papst Julius III. inzwischen zugesagt hatte.409 Gemessen an der deutlichen Verweigerungshaltung vieler evangelischer Stände bleibt die Wortwahl sehr moderat. Karl V. erliegt nicht der Versuchung, reichsrechtliche Sanktionen wegen Ungehorsams einzufordern, sondern akzeptiert zunächst die Entschuldigungen und belässt es ansonsten bei einer neuerlichen Aufforderung, dem Interim Folge zu leisten. Wie er dagegen mit erklärten Ungehorsamen umspringt, zeigt sich am zweitwichtigsten Verhandlungspunkt, dem Fall Magdeburg, das sich dem Kaiser noch immer nicht unterworfen hatte. Hier wurden nun keinerlei Rücksichten genommen. Bereits im Ausschreiben kündigt Karl an, mit aller juristischer Härte gegen die ungehorsamen […], die sich von andern gehorsamen stenden absondern und auf irer verstockten, beharrlichen rebellion zu pleiben und furzutringen gedenckhen, vorzugehen.410 Auch in den anderen Rahmendokumenten ist von ,Ungehorsamen‘ und ,Rebellen‘ die Rede.411 Der konkrete Vorwurf lautet auf Landfriedensbruch. Deshalb gelten sie als friedbrecher und vergewaltiger [eben dieses Friedens].412 Aufgrund der über sie verhängten Reichsacht werden sie schließlich auch als echter bezeichnet.413 Die konfessionellen Hintergründe bleiben unerwähnt; erneut versucht Karl also, die Religion als Kriegsgrund außen vor zu lassen. Trotz407 408
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RTA JR XIX. Nr. 305. S. 1581. § 10. RTA JR XIX. Nr. 305. S. 1581. § 8, vgl. auch S. 1580. § 6, wo wieder von enderung in der religion die Rede ist. Vgl. hierzu die Proposition RTA JR XIX. Nr. 78. S. 251. Art. 1. Vgl. auch Rabe: Deutsche Geschichte (Anm. 372). S. 427. Tatsächlich nahmen evangelische Vertreter vom Januar bis April 1552 an den Sitzungen in Trient teil, vgl. Denzinger: Kompendium (Kap. 1, Anm. 61). S. 494. RTA JR XIX. Nr. 5. S. 82. Vgl. RTA JR XIX. Nr. 305. S. 1583. § 16, 18, 20 und S. 1585. § 26. RTA JR XIX. Nr. 305. S. 1583. § 20. Vgl. auch die andern landtfriedbruchigen, zu denen Magdeburg gerechnet wird, S. 1583. § 16. RTA JR XIX. Nr. 305. S. 1585. § 26.
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dem wird die Belagerung Magdeburgs als ein cristlich werck bezeichnet,414 da sich die Stadt durch ihren Ungehorsam gegen den Kaiser gleichsam der göttlichen Ordnung widersetzt hat. Denkt man allerdings nochmals an die Randbemerkung jenes Nördlinger Schreibers aus der Proposition zurück, zeigt sich, dass zumindest inoffiziell durchaus terminologische Parallelen zwischen der Ablehnung des Interims und dem Widerstand Magdeburgs hätten gezogen werden können. Gerade vor diesem Hintergrund erscheint die offizielle Haltung des Kaisers gegenüber den evangelischen Ständen auch zu Zeiten seines Triumphes noch als durchaus gemäßigt. 6.4.2 Der Augsburger Reichstag 1555 als reichsrechtlicher Wendepunkt Mit seinen Erfolgen hatte Karl V. den Höhepunkt seiner Macht erreicht. Doch barg sich für ihn darin zugleich eine große Gefahr, denn der Kaiser war den Reichsständen nun eindeutig zu stark geworden. Dazu trug nicht zuletzt Karls Sukzessionsplan bei, der vorsah, nach König Ferdinand seinem eigenen Sohn Philipp die Herrschaft im Reich zu übertragen, um weiterhin die spanische und die deutsche Krone in einer Hand zu wissen. Erst anschließend sollte Ferdinands Sohn Maximilian Kaiser werden, so er dies denn überhaupt noch erlebte. Dieses Vorhaben führte den Reichsständen das Schreckgespenst einer Erbmonarchie vor Augen, während es daneben einen ernsten Bruderzwist im Hause Habsburg verursachte, der wiederum der sich allmählich formierenden Opposition gegen das Interim unter den evangelischen Ständen zugute kam. Im Februar 1550 schlossen sich in Königsberg mit Hans von Küstrin, Albrecht von Preußen und Johann Albrecht von Mecklenburg bereits wieder drei evangelische Fürsten zu einem Defensivbündnis zur Rettung ihres Glaubens zusammen.415 Kurz darauf wechselte ausgerechnet der von Karl so sehr begünstigte und bei seinen Glaubensgenossen als der ,Judas von Meißen‘ verschriene Moritz von Sachsen das Lager. Noch Anfang Oktober 1550 hatte der Kaiser ihn mit der Vollstreckung der Reichsacht gegen Magdeburg betraut. Die hier pikanterweise auf Reichskosten versammelten Truppen konnte Moritz später gegen Karl führen. Im Februar 1551 schloss er mit anderen evangelischen Fürsten den Torgauer Vertrag, der die Befreiung von Philipp von Hessen und Johann Friedrich von Sachsen aus der kaiserlichen Gefangenschaft zum Ziel hatte.416 Der französische König Heinrich II. sagte den evangelischen Fürsten im Vertrag von Chambord vom Januar 1552 Hilfe 414 415
416
RTA JR XIX. Nr. 305. S. 1585. § 25. Vgl. Karl Erich Born: Moritz von Sachsen und die Fürstenverschwörung gegen Karl V. In: HZ 191. 1960. S. 18–66, hier S. 23–27. Vgl. zum Folgenden auch Rabe: Deutsche Geschichte (Anm. 372). S. 428–435. Vgl. Born: Moritz von Sachsen und die Fürstenverschwörung (Anm. 415). S. 43–46.
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im Kampf gegen Karl zur Erhaltung der deutschen libertet zu und erhielt als Gegenleistung das Reichsvikariat über Cambrai, Metz, Toul und Verdun zugesichert.417 Im März schlugen die Verbündeten schließlich gegen den Kaiser los. Dieser Fürstenaufstand machte alle Erfolge des Kaisers zunichte und leitete eine wichtige Wende in der Reichsreligionspolitik sowie das Ende von Karls Herrschaft ein. Auch in dieser Auseinandersetzung wurde die Religion bewusst außen vor gelassen, so dass die katholischen Fürsten und selbst König Ferdinand neutral bleiben konnten. Zwischen dem 19. April und dem 1. Mai verhandelten Moritz von Sachsen und Ferdinand in Linz über Möglichkeiten zur Beendigung des Konflikts und verabredeten ein Treffen in Passau, an dem zusätzlich noch mehrere geistliche wie weltliche Fürsten beider Konfessionen als neutrale Vermittler zwischen den Kriegsfürsten und dem Kaiser teilnehmen sollten.418 Gegen den heftigen Widerstand Karls konnte sich hier nun mit Billigung Ferdinands eine reichsständische ,Mittelpartei‘ durchsetzen, die angesichts der vorangegangenen Konflikte bereit war, den politischen Frieden dauerhaft vom Religionsvergleich zu trennen.419 Der Passauer Vertrag, den Ferdinand im Namen seines Bruders mit dem Churfürsten zu Sachsen, S.L: und derselben mit-Einigungs-Verwandten420 zu Abstellung und Verhütung Christliches Blut Vergiessens421 schloss, eröffnete den Weg hin zu einem endgültigen Religionsfrieden. Auch wenn dieses Dokument nicht zu den Reichstagsakten im engeren Sinne zählt, soll es als erstes Zeugnis dieser Wende mit berücksichtigt werden. Um dem Zwyspalt der Religion abzuhelffen/ und dieselbe zu Christlicher Vergleichung zu bringen,422 beschloss man hier erneut ein Gespräch zwischen etlichen schiedlichen verständigen Personen, beyderseits Religionen in gleicher Anzahl, während das umstrittene Konzil nun kein Thema mehr war.423 Man verzichtete auf weitere interimistische Regelungen und vereinbarte einen zunächst noch bis zum geplanten Reichstag befristeten politischen Frieden zwischen den Konfessionen: Keine Seite sollte die andere der Religion halber mit der That/ gewaltiger Weiß oder in andere
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421 422 423
Vgl. Born: Moritz von Sachsen und die Fürstenverschwörung (Anm. 415). S. 50f. Vgl. Born: Moritz von Sachsen und die Fürstenverschwörung (Anm. 415). S. 64. Vgl. Schulze: Deutsche Geschichte (Kap. 5, Anm. 43). S. 154f. und Blickle: Die Reformation im Reich (Kap. 1, Anm. 12). S. 149 und S. 170. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 4; vgl. auch S. 10. § 36. Daneben existiert die Fassung Mitverwandte Kriegs-Fürsten und Stände, S. 4. § 1, bzw. Kriegs-Verwandte Fürsten, S. 7. § 20, 21. Vgl. auch S. 5. § 9, S. 7. § 17, S. 8. § 23 sowie S. 9. § 33. In verkürzter Form kann auch nur vom Churfürsten zu Sachsen, und seinen Mitverwandten die Rede sein, S. 5. § 6, S. 6. § 13 und S. 7. § 15. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 3. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 5. § 6. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 5. § 7.
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Weg, wider sein Conscientz und Willen tringen [...] sondern bey solcher seiner Religion und Glauben ruhiglich und friedlich bleiben lassen. 424 Zur Bezeichnung der beteiligten Glaubensparteien griff man weitgehend auf Sprachregelungen vor 1548 zurück: Die Evangelischen waren nun wieder die Stände der Augspurg. Confession verwandt bzw. die Verwandten der Augspurgischen Confession.425 Die CA hatte damit ihre reichsrechtliche Gültigkeit wiedererlangt. Daneben gab es noch die der jetzigen Kriegs-Übung [...] Verwandte,426 also jene evangelischen Stände, die sich unter Führung Kursachsens gegen Karl V. verbündet hatten. Sie waren wohlweislich nicht identisch mit der evangelischen Partei im Reich, sondern bildeten, wie einige Jahre zuvor jene Schmalkaldener, die gegen Heinrich von Braunschweig gezogen waren, lediglich eine Untergruppe. Da die Religion in dieser Auseinandersetzung offiziell keine Rolle gespielt hatte, blieb diese Bezeichnung vollkommen neutral und enthielt keine bewusste konfessionelle Komponente. Die katholischen Stände wurden auf zweierlei Weise gekennzeichnet. Zum einen firmierten sie unter der Umschreibung die andern des Heil. Reichs Stände, so der alten Religion anhängig, nun wieder als Konfessionspartei neben den Evangelischen, konnten jedoch als Churfürsten, Fürsten und Stände deß H. Reichs auch noch immer als ,Normalfall‘ unter den Reichsständen auftreten.427 ,Christlich‘ fungierte in überkonfessionellem Sinne als gemeinsamer Oberbegriff. Weitere Regelungen griffen ebenfalls Bestimmungen der Reichstage vor dem Schmalkaldischen Krieg auf. Das Reichskammergericht etwa sollte seine Urteile wieder audrücklich ohne Ansehen der Religion fällen. Die Form des Eides wurde, wie es schon 1544 geregelt worden war, hinfüran frey gelassen.428 In Zusammenhang mit weiteren konfessionell bedingten Konflikten, wie dem Streit zwischen Herzog Heinrich v. Braunschweig und den Städten Braunschweig und Goslar, fand die Religionsfrage nach bewährtem Muster keinerlei Erwähnung.429 Der Passauer Vertrag verwies die endgültige Regelung des Friedens an einen Reichstag, der schließlich 1555 in Augsburg zusammentrat. In der Proposition vom 5. Februar dieses Jahres wurden konfessionelle Parteinamen von vornherein vermieden. König Ferdinand wandte sich vielmehr an Gemeine Stände oder die Stände 424
425 426 427
428 429
So in der Friedensgarantie für die Augsburger Konfessionsverwandten, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 5f. § 8. Die entsprechende Formel für die katholische Seite folgt im anschließenden Abschnitt. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 5. § 8, 9 sowie S. 6. § 11, 12. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 5. § 9. Vgl. hier wiederum die Friedensformeln bei Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 5f. § 8 und § 9. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 6. § 10. Vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 8f. § 29.
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beyderseits.430 Bei der Religionsfrage fanden umfassend-universalistische Begriffe Verwendung: unsere heilige wahre Christliche Religion bzw. unsern heiligen Christlichen Glauben.431 Dabei wurde besonders die wesenhafte Einheit des Christentums betont, die man um keinen Preis aufgeben dürfe, denn daß die/ so eines Tauffs/ Nahmens und Glaubens [...] sich in Einigkeit desselben Glaubens/ so sie von ihren Eltern von so vielen hundert Jahren her getragen/ so gar jämmerlich von einander absondern und scheiden sollen/ das hat ein jeder frommer gutherziger Christ bey ihme selbst ohn allen Zweiffel schmerzlich zu bedencken.432
Diese Aussage ist umso bemerkenswerter, als hier nicht ausschließlich die Katholiken ihren Anspruch auf die ,alte‘ Religion behaupten, sondern beiden Konfessionen die gleiche christliche Tradition zugesprochen und niemandem eine direkte Schuld an jener Spaltung gegeben wird. Der König beklagt weiter, dass es nicht einmal bei dieser Teilung geblieben sei, sondern darüber hinaus an vielen Orten allerhand Secten und Spaltungen entstanden seien. Diese ketzerterminologische Wendung betrifft in diesem Zusammenhang also nicht die Lutheraner, sondern die von beiden Seiten abgelehnten Reformierten, Täufer, etc. Ganz im Sinne einer obrigkeitlichen Verantwortung für das Seelenheil der Untertanen befürchtet Ferdinand, aus dieser Situation könne religiöse Indifferenz oder gar Unglaube entstehen. Den göttlichen Zorn über diese Zustände habe das Reich in den vorangegangenen innen- wie außenpolitischen Krisen bereits deutlich zu spüren bekommen.433 Als vorrangiges Ziel gilt Ferdinand deshalb noch immer die vollkommene Vergleichung, damit alle Stände und Unterthanen des H. Reichs in friedlichem ruhigem Wesen/ erbarem züchtigen Wandel und Leben/ unverletzte Ehre GOttes/ und Christlichen Gewissens/ erhalten würden. Der beste Weg ist für ihn trotz aller Widerstände noch immer das allgemeine Konzil.434 Ein Nationalkonzil hält er dagegen für bedenklich, und auch ein erneutes Religionsgespräch scheint ihm nicht besonders aussichtsreich, er schlägt es jedoch als Notlösung vor, da ihm zugegebenermaßen keine weitere Möglichkeit eingefallen sei. Als zweiten Artikel proponierte Ferdinand die Frage des allgemeinen Landfriedens. In diesem Zusammenhang 430
431 432 433 434
Christoph Lehmann: De pace religionis acta publica et originalia. Das ist: Reichs Handlungen/ Schrifften und Protocollen über die Reichs-Constitution des Religion-Friedens. 3 Bde. Frankfurt a. M. 1707. Bd. 1. Nr. 2. S. 8 und S. 10. Lehmann: De pace religionis acta 1 (Anm. 430). Nr. 2. S. 8 und S. 9. Lehmann: De pace religionis acta 1 (Anm. 430). Nr. 2. S. 9. Vgl. Lehmann: De pace religionis acta 1 (Anm. 430). Nr. 2. S. 8 und S. 9. Die Hindernisse in diesem Bereich lastet der König hier meiner Meinung nach allerdings nicht dem Widerstand der Evangelischen, sondern dem Konzil selber an, da sie gerade jenen Ständen, die das Konzil beschickt haben, unverborgen seien, Lehmann: De pace religionis acta 1 (Anm. 430). Nr. 2. S. 10.
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bleibt die Religion jedoch gänzlich unerwähnt, von dem späteren Religionsfrieden ist hier also noch nicht die Rede!435 Letztendlich arbeiteten die anschließenden Verhandlungen jedoch nicht auf die im Passauer Vertrag und in der Proposition eigentlich intendierte Vereinigung der Konfessionen hin, sondern man einigte sich schnell darauf, es bei einem politischen Kompromiss bewenden zu lassen.436 Durch den Augsburger Religionsfrieden, der formal nur einen Teil des Reichsabschieds darstellte, wurde eine neue kirchenrechtliche Grundordnung für das Reich geschaffen. Erstmals wurde die faktische Existenz zweier Konfessionen reichsrechtlich sanktioniert und eine entsprechende Integration in die Reichsverfassung vorgenommen.437 Damit schlug der Reichstag diesmal einen vollkommen neuen Weg ein: Nach ihrem jeweiligen Selbstverständnis repräsentierte jede Konfession das wahre Christentum. Dieser Alleinvertretungsanspruch entsprach der Überzeugung, dass es nur einen rechten Glauben geben könne. Die Religionsgespräche, aber auch solch einseitige Maßnahmen wie das Wormser Edikt und das Interim hatten deshalb das Ziel verfolgt, die religiöse Einheit des Reiches wiederherzustellen. Die rein weltlich-politischen Friedstände der 30er und frühen 40er Jahre waren stets zeitlich befristet geblieben, um eine dauerhafte Zementierung der Glaubensspaltung zu verhindern. Inzwischen hatte man jedoch die Fruchtlosigkeit solcher Versuche eingesehen. Nachdem Ferdinand bereits in der Proposition seine Ratlosigkeit eingestanden hatte, brachte es der Abschied vom 25. September 1555 schließlich auf den Punkt: In der Frage unsers heiligen Christlichen Glaubens/ Ceremonien und Kirchen-Gebräuchen/ [ist] die endliche Vergleichung dieses trefflichen Articuls in weniger Zeit nicht wol zu finden. Deshalb wolle man sich darauf beschränken, einen beständigen Fried/ Execution und Handhabung desselben im H. Reich aufzurichten.438 Der Religionsfrieden folgte zwei Grundprinzipien: Er stellte die Lutheraner unter den Schutz des allgemeinen Landfriedens und erkannte auf diese Weise zugleich offiziell ihren Glauben an. Im Unterschied zu allen bisherigen Friedständen war diese Regelung nicht mehr zeitlich begrenzt, so dass das Wormser Edikt und sämtliche weiteren Abschiede und Mandate gegen die Lutheraner, die bislang stets nur suspendiert gewesen waren, nun erst endgültig ihre reichsrechtliche Relevanz verloren. Außerdem erhielten die Fürsten das Reformationsrecht, d. h. die alleinige Entscheidung darüber, welche Konfession in ihren Herrschaftsbereichen gelten sollte, was später in die griffige Formel ,cuius regio eius religio‘ gegossen wurde. Das Reich zog 435 436 437 438
Vgl. Lehmann: De pace religionis acta 1 (Anm. 430). Nr. 2. S. 10f. Vgl. Reinhard: Reichsreform und Reformation (Anm. 35). S. 350. Vgl. Heckel: Deutschland im konfessionellen Zeitalter (Kap. 1, Anm. 15). S. 34 und S. 46. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 16. § 9.
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sich damit gleichsam aus dem Religionsstreit zurück. Es sorgte von nun an lediglich für die rechtlichen Rahmenbedingungen, die durch einen Schutz der friedlichen Koexistenz beider Konfessionen das Funktionieren des Reichsganzen gewährleisten sollten, während die eigentlichen konfessionellen Auseinandersetzungen auf die Territorialebene ausgelagert wurden. Weitere Bestimmungen betrafen in erster Linie Ausnahmen von diesem ,ius reformandi‘: Untertanen erhielten ein Auswanderungsrecht, wenn sie die Konfession ihres Landesherren nicht annehmen wollten, der Städteartikel schrieb den konfessionellen Bekenntnisstand der Reichsstädte fest, um in erster Linie katholische Minoritäten in mehrheitlich evangelischen Kommunen zu schützen, und der Geistliche Vorbehalt untersagte schließlich die Einführung der Reformation in geistlichen Territorien, um die Reichskirche zu erhalten und die Parität im Kurfürstenrat nicht zu gefährden. Besonders die letzte Bestimmung stieß bei den evangelischen Ständen auf heftigen Widerstand, sahen sie sich doch der durchaus realen Chance beraubt, einige weitere wichtige Hochstifte der Reformation zuzuführen.439 Als der Frieden an dieser Frage zu scheitern drohte, wurde der Geistliche Vorbehalt aus königlicher Machtvollkommenheit eingefügt, so dass die Lutheraner ihm zumindest nicht offiziell zuzustimmen brauchten. Darüber hinaus gewährte Ferdinand den evangelischen Städten und Rittern unter geistlicher Herrschaft mit der sog. ,Declaratio Ferdinandea‘ in seinem Namen das Recht zur Beibehaltung ihres Glaubens. Diese wurde jedoch nicht unter die offiziellen Schlussdokumente aufgenommen und existierte nur in zwei Ausführungen für die Reichskanzlei und für Kursachsen.440 Beide Bestimmungen blieben damit natürlich rechtlich anfechtbar und boten den Ansatzpunkt zu späteren teils heftigen Auseinandersetzungen um die Auslegung des Religionsfriedens. Für den Augenblick hatten sie jedoch die Verhandlungen gerettet. Durch diese Regelungen wurde das Zu439
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Wie berechtigt solche Hoffnungen waren, zeigen die Beispiele der Kölner Kurfürsten Hermann von Wied und Gebhard Truchsess von Waldburg, die beide erfolglos versuchten, ihr Hochstift der Reformation zuzuführen. So lud Hermann Ende 1542 den Reformator Martin Bucer nach Bonn ein, um eine entsprechende Kirchenordnung zu verfassen, vgl. Franzen: Bischof und Reformation (Anm. 318). S. 78–80. Zur gleichen Zeit sympathisierte auch Franz v. Waldeck, der Bischof von Minden und Osnabrück, mit der Reformation, vgl. Wolf-Dieter Hauschild: Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte. Bd. 2: Reformation und Neuzeit. 3. Aufl. Gütersloh 2005. S. 133. Zu Gebhard und dem Kölner Krieg vgl. Stollberg-Rilinger: Das Heilige Römische Reich (Anm. 44). S. 68. vgl. den Überblick über die Bestimmungen des Religionsfriedens bei Dietmar Willoweit: Religionsrecht im Heiligen Römischen Reich zwischen Mittelalter und Aufklärung. In: Carl A. Hoffmann u. a. (Hg.): Als Frieden möglich war. 450 Jahre Augsburger Religionsfrieden. Regensburg 2005. S. 35–50, hier S. 41–45 sowie bei Heckel: Deutschland im konfessionellen Zeitalter (Kap. 1, Anm. 15). S. 45–49. Zum Reichsstädteartikel vgl. daneben ausführlich G. Pfeiffer: Der Augsburger Religionsfrieden und die Reichsstädte. In: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben. 61. 1955. S. 213–321, hier S. 274–278.
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sammenleben der Konfessionen im Reich erstmals auf eine dauerhafte rechtliche Basis gestellt. Lediglich Kaiser und Papst wollten die Anerkennung der Lutheraner aufgrund ihres eigenen universalen Selbstverständnisses nicht akzeptieren und taten ihre Ablehnung kund, indem sie dem Reichstag von vornherein fern geblieben waren.441 Von den Ständen trug letztendlich nur die Stadt Straßburg aufgrund des Städteartikels den so mühsam erkämpften Kompromiss nicht mit.442 Den eigentlichen Kern der Abmachungen bildet das gegenseitige Friedensversprechen: So sollen die Kayserl. Maj., Wir, auch Churfürsten, Fürsten und Stände des H. Reichs, keinen Stand des Reichs/ von wegen der Augspurgischen Confession, und derselbigen Lehr/ Religion, und Glaubens halb/ mit der That gewaltiger Weiß überziehen/ beschädigen/ vergewaltigen/ oder in andere Wege, wider sein Conscientz, Wissen und Willen, von dieser Augspurgischen Confessions-Religion, Glauben, Kirchengebräuchen, Ordnungen und Ceremonien [...] tringen. [...] Dargegen sollen auch die Stände/ so der Augspurgischen Confession verwandt, die Röm. Kays. Maj. uns und Churfürsten/ Fürsten und andere des H. Reichs Stände der alten Religion anhängig […] gleicher Gestalt bey ihrer Religion, Glauben, Kirchengebräuchen und Ceremonien, auch ihren Haab, Gütern […] unbeschwert bleiben lassen.443
Diese Formeln erinnern an den Passauer Vertrag. Ebenso die konfessionelle Terminologie: Wieder ist von den ,Augsburger Konfessionsverwandten‘ die Rede, denen einmal der Kaiser und die Allgemeinheit der Stände, dann aber auch ganz spezifisch die Angehörigen der ,alten Religion‘ gegenübergestellt wurden.444 Daneben spricht man immer wieder rechtlich-neutral von beeder Religions-Stände445 bzw. Partheyen und Theil.446 Die Reformierten oder gar andere reformatorische Gruppen kamen nicht in den Genuss dieses Schutzes, denn es sollen alle andere so obgemelten bee-
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Vgl. Heckel: Deutschland im konfessionellen Zeitalter (Kap. 1, Anm. 15). S. 33. Vgl. Pfeiffer: Der Augsburger Religionsfrieden und die Reichsstädte (Anm. 440). S. 271. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 17f. § 15 und § 16. Die Bezeichnung als CA-Verwandte findet sich des Weiteren bei Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 19. § 20, 24 und § 27 sowie S. 33. § 104 und § 106. Der Bezug auf die alte Religion erscheint daneben S. 18. § 18, S. 19. § 21, 24, 27 und S. 33. § 106. Durch die Form ,unsere‘ alte Religion macht König Ferdinand in diesem Zusammenhang wiederholt deutlich, welcher Seite er selber zugehört. Einmal bezieht man sich hier nicht auf die Stände, sondern auch auf den katholischen ,Normalbürger‘: ein Person der alten Religion verwandt, S. 18. § 18. Die ,Declaratio Ferdinandea‘ bedient sich der gleichen Begriffe, vgl. Lehmann: De pace religionis acta 1 (Anm. 430). Nr. 28. S. 55f. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 18. § 18, vgl. auch § 20, und S. 33. § 107. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 19. § 22, vgl. auch S. 20. § 27 und S. 33. § 107, hier in enger Anlehnung an die Rechtssprache des Kammergerichts.
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den Religionen nicht anhängig/ in diesem Frieden nicht gemeynt, sondern gäntzlich ausgeschlossen seyn.447 Auch wenn man in der Frage der Vergleichung keinen Schritt vorangekommen war, mussten beide Religionsparteien aufgrund ihres Alleinvertretungsanspruchs darauf bedacht sein, zumindest zur oberflächlichen Gewissensberuhigung die konfessionelle Wiedervereinigung als Fernziel nicht außer Acht zu lassen. Aus diesem Grunde beraumte man ein weiteres Religionsgespräch an, um nochmals über eine theologische Annäherung zu verhandeln, und erklärte sämtliche Friedensregelungen damit im Prinzip zu vorläufigen Notlösungen.448 Dass direkt im Anschluss eine unbegrenzte Gültigkeit des Religionsfriedens beschworen wurde,449 offenbart diese Absichtserklärung allerdings nur als weitere Kompromissformel, die beiden Konfessionen eine Zustimmung zu dieser auf Dauer angelegten Anerkennung der gegenseitigen Existenzberechtigung ermöglichen sollte, ohne gegen ihr Selbstverständnis handeln zu müssen. Letztendlich beschränkte man sich auf das gegenseitige Versprechen, dass die streitige Religion, nicht anders, dann durch Christliche/ freundlich/ friedliche Mittel und Wege/ zu einhelligem Christlichen Verstand und Vergleichung gebracht werden solle, und schloss damit einen Religionskrieg als ,Überzeugungshilfe‘ endgültig aus.450 Bis dahin half man sich letztendlich mit der höchst vagen Bestimmung, die Stände sollten stets in Christlicher brüderlicher Lieb zusammenarbeiten.451 Der Religionsfriede bildet nur einen Teil des gesamten Abschieds.452 In diesem Zusammenhang fällt auf, dass konfessionelle Namen stets nur dann bemüht wurden, wenn es thematisch unvermeidbar war, zwischen mehreren Glaubensparteien zu differenzieren, also in den Abschnitten über den Religionsvergleich und den Frieden sowie etwas später im Text bei einigen Bestimmungen zu Änderungen in der Reichskammergerichtsordnung. Dabei ging es wieder einmal um eine paritätische Besetzung,453 die Gewährleistung einer konfessionsneutralen Rechtsprechung sowie 447 448
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Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 18. § 17. Vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 19. § 25 sowie S. 38f. § 139–140. Vgl. hierzu Heckel: Deutschland im konfessionellen Zeitalter (Kap. 1, Anm. 15). S. 43f. Vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 19f. § 25. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 17f. § 15. Vgl. auch S. 19. § 20, wo den Beschlüssen ebenfalls ausdrücklich nur ein Übergangscharakter biß zu endlicher Christlicher Vergleichung der Religion zugestanden wird. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 25. § 55. Ungefähr ein Drittel des Texts betraf die Religionsfrage im engeren Sinne, während der Rest sich mit „Details der Landfriedensgestaltung“ befasste, vgl. Weber: Der Reichsabschied 1555 (Anm. 10). S. 39. Alle Personen des Kammergerichts sollen von beyden der alten Religion und der Augspurgischen Confession, praesentirt und geordnet werden, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 33. § 106.
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die vor Gericht zugelassenen Eidesformeln. Gemäß dem Passauer Vertrag waren in Zukunft je nach Konfessionszugehörigkeit zwei Eidesformeln zugelassen: Die Evangelischen schworen auf das Wort Gottes, während die Katholiken weiterhin den traditionellen Eid auf die Heiligen sprachen.454 Um Missverständnisse aufgrund dieser Doppelungen zu vermeiden, sollte allerdings bei Beschwerden durch eine Konfession künftig nur noch der Eid auf GOTT und das Heilig Evangelium gelten, was ein bedeutendes Zugeständnis an die Evangelischen darstellte und damit nochmals den Friedenswillen aller Beteiligten unterstreicht.455 Diese Änderungen wurden entsprechend auch in die Reichskammergerichtsordnung übernommen.456 Insgesamt bot die konfessionelle Terminologie hier im Prinzip nichts mehr Neues. Die offiziellen Bezeichnungen ,Augsburger Konfessionsverwandte‘ und ,Stände der alten Religion‘ hatten sich bereits in den Rahmendokumenten seit Beginn der 40er Jahre allmählich als feste Namen etabliert. Während bislang jedoch, wie die Texte im Umfeld des Schmalkaldischen Krieges deutlich zeigten, stets noch Änderungen möglich gewesen waren, schrieb der Augsburger Religionsfriede als dauerhafte Basis für die rechtliche Stellung der Konfessionen damit gleichzeitig auch die offizielle Begrifflichkeit für die Zukunft weitgehend fest. In diesem Zusammenhang stellte der rechtlich-neutrale Bezug auf die CA, wie bereits beschrieben, eine ideale Kompromisslösung dar, mit der alle Beteiligten gut leben konnten, da sie zum einen auf ein wichtiges evangelisches Selbstzeugnis rekurrierte, zugleich jedoch auf jeden offen universalen Anspruch verzichtete. Umgekehrt hatten die Lutheraner mit der universalistischen Bezeichnung der katholischen Seite als ,alte Religion‘ durchaus eine Kröte zu schlucken, galt das Attribut ,alt‘ doch beiden Konfessionen als Ausdruck der Rechtgläubigkeit. Interne und Verhandlungstexte werden zeigen, wie sehr man sich immer wieder an dieser Begrifflichkeit gestoßen hat. Dennoch überwogen für die Evangelischen eindeutig die Vorteile: Nach Jahrzehnten der Unsicherheit hatten sie nun endlich die reichsrechtliche Anerkennung ihres Glaubens erreicht; gleichzeitig musste die römische Seite durch die Annahme eines eigenen Namens akzeptieren, dass sie nur noch eine unter zwei Religionsparteien darstellte. Der Frieden sollte durch einen Streit um diesen Namen nicht weiter gefährdet werden, sondern den Lutheranern erschien es letztlich wohl als kleineres Übel, den Katholiken den ehrenvolleren Namen zu überlassen.
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Im genauen Wortlaut schwört man zu GOTT und den Heiligen, oder zu GOTT und auf das Heilig Evangelium, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 33. § 104. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 33. § 107. Zur paritätischen Besetzung des Gerichts vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 46f. III. § 3, S. 51. X. § 10, S. 58f. XVIII. § 1 und S. 77. L. § 4; die Eidesformel lautet hier zu Gott, und auff das H. Evangelium, S. 79.
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6.5 Reichstage nach 1555 Mit dem Abschluss des Augsburger Religionsfriedens war der Religionsstreit offiziell zu einem Ende gekommen, denn durch ihn „wurde im Reich das Problem von einer religiösen Wahrheitsfrage zu einer politischen Frage verschoben“.457 Als Frucht politischer Vernunft über die theologischen Bedenken aller Seiten hinweg bescherte er dem Reich eine mehr als 60 Jahre währende Epoche relativer Ruhe und Stabilität, in der gerade Westeuropa im Chaos der Glaubenskriege versank.458 Zugleich besiegelte er aber auch das endgültige Scheitern von Karls Religionspolitik, da es ihm nicht gelungen war, die kirchliche Einheit als Basis seiner universalen Herrschaftskonzeption zu sichern.459 Dass sich trotz verschiedener Annäherungsversuche seine ablehnende Haltung gegenüber allen Anhängern der Reformation seit 1521 niemals grundlegend geändert hatte, zeigten die harten und verbitterten Worte, die er anlässlich der Übergabe der Regierung in Burgund an seinen Sohn Philipp im Oktober 1555 fand: Um den Fehler des Vaters nicht zu wiederholen, sollte Philipp die ,neuen Sekten‘ sofort beseitigen, wenn sie in Burgund Fuß zu fassen versuchten.460 Dem Kaiser musste die reichsrechtliche Anerkennung der Lutheraner unerträglich erscheinen. Daher hatte er alle entsprechenden Verhandlungen in Augsburg bereits vollständig seinem Bruder Ferdinand überlassen. Die Abdankung war nur noch die folgerichtige Konsequenz. Unter seinen Nachfolgern Ferdinand und seit 1564 Maximilian II., dem man sogar gewisse Sympathien für das reformatorische Gedankengut nachsagte, änderte sich die Rolle des Kaisertums in der Religionspolitik grundlegend, konnten sie doch unbelastet von den universalmonarchischen Ideen und Ambitionen Karls V. eine Funktion als überkonfessionelle Garanten des Religionsfriedens und der Parität im Reich übernehmen.461 Weil man 1555 die theologische Vergleichung zugunsten eines politischen Kompromisses verschoben hatte, wurde die Religionsfrage auf den folgenden Reichstagen zunächst weiterhin vor diesem Hintergrund thematisiert. Daneben enthielt der Re457
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Johannes Burkhardt: Das größte Friedenswerk der Neuzeit. Der Westfälische Frieden in neuer Perspektive. In: GWU 49. 1998. S. 592–612, hier S. 604. Zu den Auseinandersetzungen in England unter den Königinnen Maria der Blutigen und Elisabeth I., dem Konflikt zwischen Spanien und den Niederlanden sowie den insgesamt acht Hugenottenkriegen in Frankreich vgl. den Überblick bei Mieck: Europäische Geschichte (Anm. 209). S. 127–137 sowie bei Heussi: Kompendium (Kap. 3, Anm. 204). S. 337–342. Vgl. Rabe: Karl V. und die deutschen Protestanten (Anm. 23). S. 340–345. Vgl. Kohler: Quellen zur Geschichte Karls V. (Anm. 23). Nr. 117. S. 467. Vgl. Lanzinner: Konfessionelles Zeitalter (Kap. 1, Anm. 86). S. 51–55 sowie speziell zu Maximilians Anspruch der Unparteilichkeit Luttenberger: Kirchenadvokatie und Religionsfriede (Anm. 54). S. 222. Zu seiner evangelischen Gesinnung siehe auch Hollweg: Der Augsburger Reichstag von 1566 (Kap. 4, Anm. 157). S. 52–65.
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ligionsfrieden zahlreiche dissimulierende Kompromisse und Unklarheiten, die eine Zustimmung beider Seiten überhaupt erst möglich gemacht hatte, zugleich aber die Basis für permanente Auslegungskonflikte bildete.462 Bereits seit dem Reichstag von 1559 wurden dem jeweiligen Kaiser deshalb in schöner Regelmäßigkeit GravaminaListen über angebliche oder wirkliche Verletzungen des Religionsfriedens durch die Gegenpartei vorgelegt.463 Die Lutheraner forderten wiederholt die völlige ,Freistellung‘ der Religion, d. h. die Aufhebung des Geistlichen Vorbehalts und die Gültigkeit der Declaratio Ferdinandea, während die katholische Seite umgekehrt darauf beharrte, den Religionsfrieden als eng zu interpretierendes Ausnahmerecht behandelt zu wissen, das den grundsätzlich katholischen Charakter des Reiches bewahrte und den Evangelischen eine volle rechtliche Gleichstellung vorsagte. Alle diese Konflikte wurden von Ferdinand und Maximilian meist an das Reichskammergericht weitergeleitet und schlugen sich daher nicht in den öffentlichen Dokumenten der Reichstage nieder. Nur auf dem Augsburger Reichstag von 1566 fand vor dem Hintergrund der Einführung des Calvinismus in der Kurpfalz nochmals der umstrittene Status der Reformierten Eingang in die Rahmentexte.464 Doch schließlich trat die Religionsfrage zunehmend in den Hintergrund. Statt dessen beherrschte bald die Türkengefahr das gesamte Feld; nicht umsonst hat man bezüglich der Versammlungen zwischen 1576 und 1608 auch von den sog. ,Türkenreichstagen‘ gesprochen. Erst als die weiterhin schwelenden interkonfessionellen Konflikte, die seit den 1580er Jahren wieder deutlich an Schärfe zugenommen hatten, zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Reichsverfassung lahmlegten und schließlich der Dreißigjährige Krieg das Land erschütterte, erschien die Religionsfrage erneut auf der Agenda.465 6.5.1 Das allmähliche Verschwinden der Religionssache von der Tagesordnung: Reichstage 1557–1608 Bereits im Abschied von 1555 hatte man einen neuen Reichstag ausgeschrieben, um einen weiteren Versuch zur Vergleichung der Religion zu starten.466 Dieser fand 1557 462 463
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Vgl. Heckel: Deutschland im konfessionellen Zeitalter (Kap. 1, Anm. 15). S. 50f. Martin Heckel spricht hier gar von einem „große[n] Bombardement der evangelischen und katholischen Religions-Gravamina“, Heckel: Deutschland im konfessionellen Zeitalter (Kap. 1, Anm. 15). S. 70. Zu den Auslegungskonflikten in den ersten Jahren nach dem Augsburger Religionsfrieden vgl. Willoweit: Religionsrecht (Anm. 440). S. 45f., Axel Gotthard: Der Religionsfrieden und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation 1555–1648. In: Carl A. Hoffmann u. a. (Hg.): Als Frieden möglich war. 450 Jahre Augsburger Religionsfrieden. Regensburg 2005. S. 71–83, hier S. 71f. sowie Heckel: Deutschland im konfessionellen Zeitalter (Kap. 1, Anm. 15). S. 55–62. Vgl. Schulze: Deutsche Geschichte (Kap. 5, Anm. 43). S. 164f. Vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 38. § 141.
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in Regensburg statt. Auch wenn die entsprechende Proposition der Türkenhilfe aus Dringlichkeitsgründen den größten Platz einräumte, hielt man sich doch an die Vorgabe des Religionsfriedens, und wollte hier nochmals über Mittel und Wege beratschlagen, wie die strittige Religion vnnd glaubenns sachen zu Christlicher vergleichung, würcklich vnnd fruchtbarlich gebracht werdenn möge.467 Im Abschied erteilte man allerdings dem bislang in solchen Fällen stets beschworenen Konzil eine Absage und gab diese Kompromissformel damit endgültig auf, da sie sich angesichts der Trienter Verhandlungen schon lange überholt hatte und durch den Friedensschluss im Endeffekt auch überflüssig geworden war: Der Weg eines freyen Christlichen General Concilii, der ordentlichst und richtigst, von alters bey der Christlichen Kirchen, biß auf gegenwärtige Zeit, herkommen, so in gleichen Fällen und Spaltungen gebraucht und dardurch den Sachen erschießlich abgeholffen worden, wird zwar noch immer als beste Lösung anerkannt, aber man sah endlich ein, dass dieses schwerlich anzustellen, vielweniger möglich zu gewünschtem End zu bringen sei.468 Aus diesem Grund beschritt man einmal mehr den Weg eines Colloquii, freundlichen verträulichen Gesprächs.469 Das Prozedere des für Worms geplanten Religionsgesprächs wird recht ausführlich behandelt. Die Terminologie zeigt dabei im Prinzip keine Veränderungen gegenüber dem vorhergehenden Reichstag. Unter dem Vorsitz des Fürstbischofs von Speyer und seiner vier Assessores aus den Chur- und Fürsten, von wegen beyderseits Religions-Verwandten […]/ nemlich von wegen der Churfürsten/ Fürsten und Stände unser alten Religion – Trier und Salzburg – und dann von wegen der Churfürsten Fürsten/ und Stände/ der Augspurgischen Confession verwandt470 – Sachsen und Württemberg – sollen gottesfürchtige/ gelehrte/ schiedliche und friedliebende Personen [...] beyderseits in gleicher Anzahl darüber beraten, was zu Christlicher Vergleichung der strittigen Religion, zu Beförderung der Ehre Gottes, zu Ergründung der Warheit seines Heil. Worts, und gottseliger gemeiner Einigkeit, in der Christlichen Kirchen anzurichten und zu erhalten, immer dienstlich und ersprießlich seyn mag.471 Man 467
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StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB 67 fol. 96r. Als weiterer Artikel mit Bezug auf die Religion findet der gemeine Landfriede Erwähnung, der jnn Religion vnnd profan sachen […] aufgericht worden und dessen Umsetzung durch die Kreise nun zu beraten sei, fol. 98r. Auch im Abschied wird immer wieder eine notwendige Vergleichung der christlichen Religion beschworen, vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 136f.; S. 137. § 1; S. 138. § 8, 9; S. 139. § 11; S. 140. § 18. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 138. § 9. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 138f. § 10. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 139. § 16. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 140. § 18. Unterstützt werden sie durch je sechs Adjuncten und je sechs Auditoren, vgl. S. 141. § 30 und § 34. Man geht bei der Planung so sehr ins Detail, dass sogar die Kostenfrage thematisiert wird, vgl. S. 142. § 40.
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bekennt sich in diesen Aussagen zu einer gemeinsamen christlichen Kirche,472 die damit als von allen Seiten akzeptierter Oberbegriff gelten kann. Die konfessionsverschiedenen Stände werden als beyderseits Religions-Verwandten473 bzw. als Stände der alten Religion und der Augsburger Konfession bezeichnet.474 Das Attribut ,unser‘ bezüglich der alten Religion zeigt in diesem Zusammenhang deutlich, zu welcher Seite sich der Kaiser trotz seines Anspruchs auf Unparteilichkeit selbst zählt. Daneben erscheint wiederum die neutrale rechtliche Umschreibung als Parthey475 bzw. Theil476 sowie Seiten.477 Allerdings war das Interesse der Stände an einem theologischen Ausgleich nach dem Friedensschluss deutlich erlahmt. Von Beginn an besaß das Religionsgespräch eher eine Alibifunktion und diente darüber hinaus gegenseitigen Missionierungsversuchen, ein echter Wille zur Annäherung existierte dagegen nicht.478 Zudem erwiesen sich die dogmatischen Gegensätze inzwischen einfach als unüberbrückbar.479 472
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Daneben ist auch von einem jeden Christen die Rede, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 138. § 7. Vgl. daneben auch Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 138. § 8, S. 141. § 32 sowie S. 142. § 37 und § 40. Vgl. auch Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 140. § 18 und § 22, S. 141. § 24 und §26, S. 141f. §35 sowie S. 142. § 36. Dabei ist der Bezug auf die CA bereits so vertraut geworden, dass die ausführliche Umschreibung ,Augsburger Konfessions-Verwandte‘ parallel zur ,alten Religion‘ verkürzt werden kann, wie z. B. die Assessores unser alten Religion und die Assessores von der Augspurgischen Confession, S. 141. § 24. Daneben ist umgekehrt auch von unser alten Religion=Verwandten die Rede, S. 141. § 35. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 140. § 21. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 141. § 26, 28, 31, 34 und S. 142. § 40. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 141. § 30 sowie S. 142. § 37. In diesen Zusammenhang gehört auch beyderseits, S. 139. § 16, S. 140. § 18, S. 141. § 26 und § 27 sowie S. 142. § 40. Vgl. Rolf Decot: Religionsgespräch und Reichstag. Der Regensburger Reichstag von 1556/57 und das Problem der Religionsgespräche auf Reichstagen. In: Erich Meuthen (Hg.): Reichstage und Kirche. Kolloquium der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. München. 9. März 1990. Göttingen 1991 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bd. 42). S. 220–235, hier S. 220f. und S. 230, sowie Hollerbach: Das Religionsgespräch (Anm. 245). S. 205f. Das Gespräch scheiterte diesmal bezeichnenderweise nicht mehr an der Uneinigkeit auf katholischer, sondern auf evangelischer Seite. Das zeigt deutlich, dass das römische Lager im Zuge des Trienter Konzils seine Handlungsfähigkeit wiedererlangt hatte, während der Siegeszug der reformatorischen Bewegung allmählich an seine Grenzen stieß, vgl. Hollerbach: Das Religionsgespräch (Anm. 245). S. 221–224. Rolf Decot stellt in diesem Zusammenhang den für die katholische Seite einzig gangbaren Weg über ein vom Papst geleitetes Konzil dem evangelischen Primat der Heiligen Schrift gegenüber, die keine weitere Autorität über sich duldet, vgl. Decot: Religionsgespräch und Reichstag (Anm. 478). S. 233f.
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Auf dem Augsburger Reichstag von 1559 gestand man sich nach dem vergeblichen Versuch in Worms denn schließlich auch das Scheitern aller offiziellen Vergleichsbemühungen auf Reichsebene ein. Im Ausschreiben heißt es zwar noch, man wolle überlegen, was massen auff das nechst zu Wormbs verloffen Colloquium/ der spaltigen Religion weiter zuhelffen/ vnd dieselb zu Gottseliger Christlicher vergleichung zubefürdern sei,480 doch im Abschied wird diese Frage nurmehr sehr knapp abgehandelt, bevor man sich der drängenderen Türkengefahr zuwendet. Hier kommt man lediglich zu dem Schluss, man habe es für rathsam angesehen, die Tractation der Religion auf andere und bessere Gelegenheit einzustellen, sprich, sie auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Damit endet der letzte reichsrechtliche Versuch, eine Vergleichung zwischen den Konfessionen herbeizuführen!481 Gleichzeitig bekräftigt man jedoch den Willen zum politischen Frieden, indem man die Stände nochmals ausdrücklich auf den Passauer Vertrag und den Religion- und Land-Fried einschwört. Neben der Christlichen Religion als dem üblichen Oberbegriff erscheinen in diesem Zusammenhang keine konfessionellen Parteinamen.482 Ein letztes Mal vor dem Dreißigjährigen Krieg wurde die Religionsfrage in den Rahmendokumenten des Augsburger Reichstags von 1566 thematisiert. Mit der bereits behandelten Kirchenordnung von 1563 hatte sich die Kurpfalz als erstes größeres Reichsterritorium zur reformierten Konfession bekannt. Da die Reformierten vom Augsburger Religionsfrieden ausgeschlossen waren, nahm Kaiser Maximilian II. diesen Bruch des Reichsrechts zum Anlass, um auf seinem ersten Reichstag gegen die in seinen Augen sektiererischen Calvinisten vorzugehen.483 Dementsprechend forderte er die Stände bereits im Ausschreiben vom 12. Oktober 1565 auf, Mittel und Wege zu bedenken, welcher maßen Vnser Christliche Religion durch verleihung Göttlicher gnaden zu besserm, richtigerm verstand zubringen vnnd sonderlich den einreißenden schedlichen, verfürischen, beschwerlichen Secten mit notwendiger abschaffung ain mal abzuhelffen sei.484 Auch die Proposition verzeichnete den articul unserer heiligen christlichen religion diesmal wieder als ersten Punkt.485 Zunächst bekräftigte Maximilian in Anbetracht des gescheiterten Religionsvergleichs zunächst nochmals den hailsamen religion friden. Dann erst kam er auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen: Es sei unverborgen, was neben den obgemelten und in dem religion friden allein begriffenen alten religion und augspurgischen confession täglich fur
480 481 482 483 484 485
StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB 68. Nr. 36. Vgl. Hollerbach: Das Religionsgespräch (Anm. 245). S. 228. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 164. § 5. Vgl. hierzu Lanzinner: Einleitung. In: RTA RV 1566 (Kap. 4, Anm. 108). S. 106. RT RV 1566. Nr. 1. S. 137. RT RV 1566. Nr. 3. S. 174.
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abscheuliche secten, irrige, verfurische und schedliche lehren einreißen.486 Mit diesen ,Sekten‘ waren trotz fehlender Spezifizierung die Reformierten gemeint. Die Lutheraner fielen als reichsrechtlich anerkannte Konfession nun natürlich nicht mehr mit unter dieses Verdikt, sondern wurden im Gegenteil durch die Beschwörung christlicher Einmütigkeit deutlich von den Reformierten abgehoben und der katholischen Partei angenähert, da sie doch alle einer christlichen tauff unnd nhamens, eines reichs, ja einer zungen und nation seien. Man trennte also deutlich zwischen den häretischen Glaubensrichtungen und den beiden anerkannten Religionsparteien, um auf diese Weise einen Keil zwischen die evangelischen Stände lutherischer und calvinistischer Orientierung zu treiben. Darüber hinaus warnte Maximilian vor dem göttlichen Zorn über eine solche Ketzerei, der ja nicht zuletzt bereits in der Türkenbedrohung ihren Niederschlag gefunden habe.487 Auf diese Weise wurden also insgesamt drei Argumente gegen die Reformierten vorgetragen: Ketzerei, Rechtsbruch sowie die Gefährdung des Reiches durch Strafen Gottes. Die Lutheraner befanden sich nun in einer höchst zwiespältigen Situation, denn sie hatten zu entscheiden, ob sie der Proposition folgen und Kurfürst Friedrich III. nicht mehr länger als einen CA-konformen Stand anerkennen sollten. Einerseits hatte der Konfessionswechsel auch innerhalb des evangelischen Lagers für heftige Auseinandersetzungen gesorgt. Es sei in diesem Zusammenhang nur nochmals daran erinnert, wie erbittert gerade die lutherischen Theologen stets die abweichende reformierte Abendmahlslehre bekämpft hatten. Andererseits hätte ein Ausschluss der Kurpfalz nicht nur eine bedeutende Schwächung der eigenen Position bedeutet, sondern man hätte dem Kaiser und der katholischen Seite durch ein entsprechendes Nachgeben zugleich Einfluss auf die Auslegung der Confessio Augustana und damit auf interne dogmatische Fragen zugestanden.488 Dazu waren die lutherischen Stände trotz aller theologischen Bedenken nicht bereit. Eine wichtige Vorentscheidung zugunsten Friedrichs zeigte sich bereits darin, dass die Religions-Gravamina in der Anfangsphase des Reichstages von allen Evangelischen gemeinsam übergeben wurden.489 Der Abschied vom 30. Mai 1566 folgte zunächst weitgehend den Vorgaben der Proposition. Kaiser und Stände bestätigten den Religionsfrieden490 und forderten die Aufhebung aller spaltung vnd trennung in der einen christlichen Religion, ohne 486
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489 490
RT RV 1566. Nr. 3. S. 175. Die secten erscheinen mit entsprechenden Attributen daneben noch insgesamt zwei weitere Male, vgl. Nr. 3. S. 176. RT RV 1566. Nr. 3. S. 176. Zur Türkenbedrohung als Strafe Gottes vgl. Nr. 3. S. 187f. Vgl. Hollweg: Der Augsburger Reichstag von 1566 (Kap. 4, Anm. 157). S. 137f., S. 363f. und S. 373– 376. Vgl. Hollweg: Der Augsburger Reichstag von 1566 (Kap. 4, Anm. 157). S. 312. Vgl. RTA RV 1566. Nr. 467. S. 1514f.
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jedoch konkrete Maßnahmen zu beschließen. Es heißt nur vage und unverbindlich, man dürfe in diesem Bereich nichts vnuersucht lassen.491 Bei diesem Punkt handelte es sich damit inzwischen also um ein reines Lippenbekenntnis. Insgesamt ist in diesem Zusammenhang jeweils dreimal von der ,Augsburgischen Confession‘ und der ,alten Religion‘ die Rede. Auch die abschaffung der verfueerischen Secten, die sich von beyden, der alten Religion vnd Augspurgischen confession, absondern oder denselben zuwiderseyen, wurde ohne evangelisches Veto bestätigt.492 Damit schien Maximilian sich dem ersten Augenschein nach durchgesetzt zu haben, doch die Tatsache, dass sich unter dem Abschied auch das Siegel Kurfürst Friedrichs III. findet,493 deutet bereits darauf hin, dass wir es hier wieder einmal mit einer dissimulierenden Formulierung zu tun haben. Als ,Sekten‘ wurden jene Glaubensrichtungen umschrieben, die nicht den beiden reichsrechtlich anerkannten Konfessionen angehörten, ansonsten waren sie nicht näher definiert. Das eröffnete nun den Weg, eine reichsrechtliche Verurteilung Friedrichs zu verhindern. Die evangelische Seite bescheinigte dem Kurfürsten weiterhin die Zugehörigkeit zu den Ständen der Augsburgischen Konfession, so dass die Reformierten damit automatisch nicht mehr zu jenen verbotenen Glaubensrichtungen zählten und weiterhin unter dem Schutz des Religionsfriedens standen. Diese interne Einigung war durch eine erneute mehrdeutige Auslegung des Begriffs ,Confessio Augustana‘ möglich geworden. Hatte man in den Dokumenten des Schmalkaldischen Bundes in den 30er Jahren bewusst offengelassen, ob hier das sächsische oder das Vierstädtebekenntnis von 1530 gemeint sein sollte, so war inzwischen noch ein weiterer Text gleichen Namens hinzugekommen, der ebenfalls unterschiedliche Auslegungen zuließ. 1540 hatte Philipp Melanchthon unter dem Eindruck der innerevangelischen Lehrstreitigkeiten seine ursprüngliche Fassung der CA zugunsten einer von reformierter Seite akzeptierten Auslegung der Abendmahlslehre revidiert und so die ,Confessio Augustana variata‘ geschaffen. Wenn nun Friedrich III. immer wieder betonte, er stehe fest auf dem Boden des Augsburgischen Bekenntnisses, so dachte er dabei natürlich an diese veränderte Form.494 Die Lutheraner hielten dagegen streng an der Invariata von 1530 fest. Da in der offiziellen reichsrechtlichen Bezeichnung als CA-Verwandte jedoch terminologisch nicht zwischen diesen beiden Fassungen differenziert wurde, war es nun beiden evangelischen Konfessionen möglich, sich aus politischen Erwägungen heraus unter die491 492 493 494
RTA RV 1566. Nr. 467. S. 1514. RTA RV 1566. Nr. 467. S. 1513 bzw. S. 1514. Vgl. Hollweg: Der Augsburger Reichstag von 1566 (Kap. 4, Anm. 157). S. 388. Vgl. Hollweg: Der Augsburger Reichstag von 1566 (Kap. 4, Anm. 157). S. 291f. Vgl. auch nochmals die entsprechenden Aussagen in den reformierten Kirchenordnungen in Kap. 4.3.1. Zur ,Confessio Augustana variata‘ vgl. Junghans: Kryptocalvinisten (Kap. 3, Anm. 203). S. 123.
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sem einen Namen zusammenzufinden. Seit 1566 wurde er damit doppeldeutig und konnte sowohl Lutheraner als auch Reformierte umfassen. Ganz im Sinne dissimulierender Formeln wurde also die Unschärfe eines Begriffs bewusst dazu genutzt, um Konflikte zu verdecken und nach außen hin eine eigentlich nicht vorhandene Einmütigkeit zu demonstrieren. Auf den folgenden Reichstagen verschwand die Religionsfrage vollkommen von der Tagesordnung. Im Vorfeld des Speyrer Reichstages von 1570 hatte Kaiser Maximilian zwar nochmals mit dem Gedanken gespielt, die Frage der zugelassenen Konfessionen erneut aufzugreifen, um die Weichenstellungen von 1566 korrigieren zu können,495 die Kurfürsten wollten den Status Quo jedoch nicht antasten, so dass er seinen Plan schließlich fallenließ.496 Statt dessen nahm von nun an die Türkenhilfe den weitaus größten Raum ein. Die Proposition für den Regensburger Reichstag von 1597/98 verwies schließlich sogar alle Punkte neben der Türkenhilfe auf einen Deputationstag, um sich ausnahmslos der Finanzierung des Kriegs gegen die Osmanen widmen zu können.497 In diesem Zusammenhang wurde immer wieder überkonfessionell der gemeinsame christliche Glaube beschworen.498 Daneben bezog man sich in verschiedenen Fällen allgemein auf den religion vnd prophan frieden von 1555,499 aber lediglich im Umfeld diplomatischer Vermittlungsbemühungen sowie in Fragen des Reichskammergerichts wurden die Glaubensparteien nach 1566 noch direkt genannt. Außerhalb der offiziellen Reichsabschiede fanden die Konfessionen im Rahmen der Reichsdiplomatie bereits in einem Nebenabschied des Augsburger Reichstags von 1559 Erwähnung. Hier beschloss man die Abfertigung einer Gesandtschaft an den französischen König, um über eine Rückgabe von Metz, Toul und Verdun zu verhandeln, die dieser im Zuge des Vertrags von Chambord besetzt hatte. Gemäß der nun festgeschriebenen Mehrkonfessionalität in der Reichsverfassung sollte sie paritätisch mit zwo Personen, eine der alten Catholischen Religion/ die andere der Augspurgischen Confession verwandt besetzt werden.500 Erstmals in einem öffent495 496 497 498
499
500
Vgl. Lanzinner: Einleitung. In: RTA RV 1570 (Kap. 4, Anm. 108). S. 127. Vgl. Lanzinner: Einleitung. In: RTA RV 1570 (Kap. 4, Anm. 108). S. 123f. StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB 81. Nr. 9. fol. 18r. Vgl. hierzu ausführlicher den Exkurs zum Umgang der Konfessionen mit den Türken in Kap. 7.2.2. Reichsabschied Speyer 1570, RTA RV 1570. Nr. 567. S. 1212. § 17 sowie Reichsabschied Augsburg 1582, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 401. § 9. Darüber hinaus findet sich hier in keinem Rahmentext eine Erwähnung der Religion. Vgl. daneben auch den Reichsabschied Regensburg 1594, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 421. § 9. Nebenabschied vom 19. August 1559, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 181. § 2.
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lichen Dokument ist hier anstelle der ,alten‘ zusätzlich noch von der ,katholischen‘ Religion die Rede! Damit ist es den Katholiken gelungen, auf offizieller Reichsebene einen weiteren universalistischen Namen für sich zu reklamieren, auf den eigentlich auch die evangelische Seite stets Anspruch erhoben hatte.501 Diese Bezeichnung ging in ihrer Wertigkeit sogar deutlich über den einfachen Bezug auf das höhere Alter hinaus, erschien sie doch in den drei altkirchlichen Glaubensbekenntnissen als Umschreibung der einzig wahren Kirche. Obwohl die Evangelischen an diesem Namen also noch schwerer zu schlucken hatten, wurde der Abschied angenommen und damit zugleich ein Präzedenzfall geschaffen. Auf dieser Basis konnte ,katholisch‘ in Abänderung des Sprachgebrauchs von 1555 allmählich die ,alte Religion‘ als reichsrechtlich legitimierten Namen ablösen. Die Situation in Frankreich wurde nochmals 1569 auf einem Reichsdeputationstag zu Frankfurt thematisiert. Der Ergänzung halber soll der entsprechende Abschied kurz erwähnt werden, weil hier die besondere Wertschätzung des Augsburger Religionsfriedens zum Ausdruck gebracht wurde: Weil dann für Augen, in wessen betrübten Stand und Unwesen, die Christliche Landen in Franckreich durch bürgerliche innerliche Uneinigkeit jetzo gerathen/ haben wir beneben und mit den Churfürsten, Fürsten, und deputirten Gesandten [...] Uns erinnert, dessen zu Augspurg Anno 55. hoch betheuerten, und versprochenen Religion-Friedens.502
Angesichts der Hugenottenkriege im Nachbarland erinnerte man also – wohl nicht ganz ohne Stolz – an die eigene gelungene Lösung der Religionsfrage und ließ in diesem Zusammenhang auch gleich noch eine Bestätigung des entsprechenden Dokuments folgen.503 Weitere diplomatische Aktivitäten wurden in Zusammenhang mit dem Krieg in Niederlanden504 entfaltet. Dieser Konflikt stand neben handfesten wirtschaftlichen Motiven von Beginn an auch unter dem Zeichen der Religion, kämpften hier doch v. a. die calvinistisch dominierten Nordprovinzen für ihre Unabhängigkeit vom streng katholischen Spanien.505 Für Kaiser Maximilian lag der Fall klar: Zur Zeit 501 502 503
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Zum Begriff ,katholisch‘ vgl. nochmals Kap. 3.3.1. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 280. § 27. Johannes Burkhardt betont denn auch das „destabilisierende Entwicklungsgefälle zwischen dem vorangeschrittenen Reich“, das seine konfessionellen Konflikte bereits gelöst und alle Parteien institutionell in die Reichsverfassung eingebunden hatte, „und dem übrigen Europa“ als Grund für den Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. Burkhardt: Reformationsjahrhundert (Kap. 1, Anm. 5). S. 198. Reichsabschied Augsburg 1582, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 405. § 42. Zu Beginn der Auseinandersetzung hatten sich die Niederlande noch geschlossen und konfessionsübergreifend gegen das Regime Herzog Albas und die spanische Unterdrückung erhoben,
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des Regensburger Reichstags von 1567, auf dem die Religion ansonsten in keinem Rahmendokument Erwähnung fand, erließ er am 5. März in Prag ein gesondertes Mandat,506 in dem er seinem Vetter König Philipp von Spanien die Anwerbung von Truppen im Reich zur Niederschlagung S.L. vngetrewen vnd vngehorsamen vnderthanen thatliche Rebellion in den Nider Burgundischen Erblanden gestattete. Die Niederlande werden hier als Aufrührer gegen ihre Obrigkeit eindeutig ins Unrecht gesetzt, da sie damit gegen den auffgerichten außgekhündten Land vnnd Religion frieden bzw. Prophan vnd Religion frieden verstoßen haben. Aus diesem Grunde wertet der Kaiser auch jede Hilfe für die Rebellen als Verstoß gegen das Reichsrecht, eine Warnung, die sich besonders an die reformierten Stände gerichtet haben dürfte. Als sich der Konflikt in die Länge zog, befürchtete man zunehmend gefährliche Auswirkungen auch auf den ohnehin wackeligen konfessionellen Frieden im Reich. Aus diesem Grunde startete der Regensburger Reichstag von 1594 schließlich eine diplomatische Initiative zur Beendigung des Krieges. Der Kaiser, seit 1576 Rudolf II., wollte von beeden Religionen, etliche fridliebende Chur vnd Fürsten507 bzw. etliche aus des Reichs Churfürsten, Fürsten und Ständen [...] gleicher Anzahl von beyden der Catholischen Religion/ und Augspurgischen Confession zu Uns ziehen, und Uns mit denselben einer ansehnlichen Schickung zu beyden Theilen [...] vergleichen.508 Die paritätische Besetzung dieser Gesandtschaft spiegelte wie bereits im Falle Frankreichs einerseits die bikonfessionelle Struktur des Reiches seit dem Religionsfrieden wider und bot sich zum anderen natürlich schon deshalb als vertrauensbildende Maßnahme an, weil es sich bei den kriegführenden Parteien ebenfalls um Katholiken und Evangelische handelte. Hier hatte sich nun endgültig der bereits im Nebenabschied von 1559 angedeutete Namenswechsel von der ,alten‘ zur ,katholischen Religion‘ vollzogen. Nach dem Scheitern dieser Gesandtschaft nahm der Reichstag von 1603 einen erneuten Anlauf und beschloss wiederum eine paritätisch besetzte Legation mit Zuziehung anderer Stände gleicher Anzahl von beyden der Catholischen Religion und Augspurgischen Confession.509 Der Westfälische Kreis erhielt zudem als direkter
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mit der Konstituierung der Unionen von Arras, in der sich die katholischen Provinzen wieder dem spanischen König unterstellten, und von Utrecht, die 1581 schließlich endgültig die Unabhängigkeit der vornehmlich calvinistischen Nordprovinzen erklärte, kamen die konfessionellen Gegensätze jedoch voll zum Tragen, vgl. Mieck: Europäische Geschichte (Anm. 209). S. 129–131. StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB 71. Nr. 7. Proposition: StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB 80. Nr. 37. fol 19r. Vgl. auch ähnliche Formulierungen auf fol. 20v sowie im entsprechenden Reichsabschied, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 424. § 27 und S. 427. § 43. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 427. § 44. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 505. § 30. Vgl. auch die entsprechende Formulierung in der Proposition StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB 84. Nr. 13.
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Nachbar des niederländischen Kriegsschauplatzes eine Reichshilfe für etwaige Verteidigungsmaßnahmen. Um im Sinne der konfessionellen Gleichberechtigung eine Verwendung dieses Geldes ohne Partheylichkeit zu gewährleisten, setzte man zween Commissarien/ Einen der Catholischen Religion/ den Andern Augspurgischer Confession ein.510 Die Proposition von 1608 nahm letztmalig Bezug auf die Niederlendische kriegsunruehe, diesmal jedoch ohne Erwähnung der Konfessionen.511 Als wesentlich folgenreicher erwies sich das Thema der Justiz. Durch den Augsburger Religionsfrieden waren die interkonfessionellen Auseinandersetzungen verrechtlicht worden. Dem Reichskammergericht kam damit die wichtige Aufgabe zu, über die Einhaltung der Friedensbestimmungen zu wachen und über entsprechende Klagen zu entscheiden. Deshalb hatte man 1555 für eine paritätische Besetzung dieses Gremiums gesorgt, die im Abschied des Regensburger Reichstages von 1576 ausdrücklich bestätigt wurde, wo es hieß, daß auch keine andere praesentirte Personen/ dann die entweder der alten Religion, oder aber der Augspurgischen Confession sich gemäß verhalten/ von dem Collegio aufgenommen/ und daß im aufnehmen sonsten der Religion und anderer Qualitäten wegen stracks auf die Ordnung [...] gesehen werden soll.512
Gegen Ende des Jahrhunderts geriet das Justizwesen jedoch in eine schwere Krise, die ein deutliches Symptom für das sich zunehmend verschlechternde Verhältnis zwischen Katholiken und Evangelischen darstellte. Seit den 1580er Jahren nahmen die stets schwelenden Auslegungskonflikte um den Religionsfrieden allmählich friedensgefährdende Dimensionen an. Die Haltung der Glaubensparteien wurde durch die Ablösung jener Fürstengeneration, die noch den Frieden von 1555 ausgehandelt hatte und entsprechend irenisch eingestellt war, zunehmend kompromissloser.513 Um die Kurpfalz entstand eine angriffslustige calvinistische ,Aktionspartei‘, während sich die katholische Seite im Zuge der tridentinischen Reformen neu formieren und das Heft des Handelns an sich ziehen konnte.514 Bereits auf dem ersten Reichstag des neuen Kaisers Rudolf II. kam es 1582 in Augsburg zu einer Auseinandersetzung um die Freigabe des evangelischen Gottesdienstes in der Reichsstadt Aachen. Ebenfalls auf dieser Versammlung verweigerte die katholische Mehrheit dem evangelischen Administrator des Bistums Magdeburg Sitz
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fol. 19r sowie die allgemeine Form mit zuthun ettlich Churfürsten, Fürsten vnd Stände beeder Religion, fol. 18v. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 507. § 38. StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB 86. Nr. 1. fol. 36r–40r. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 363. § 62. Vgl. Lanzinner: Konfessionelles Zeitalter (Kap. 1, Anm. 86). S. 173. Vgl. Gotthard: Der Religionsfrieden und das Heilige Römische Reich (Anm. 464). S. 72f.
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und Stimme im Fürstenrat. Im folgenden Jahr floss zum ersten Mal Blut, als gegen den Kölner Erzbischof Gebhard Truchsess von Waldburg, der in seinem Hochstift die Reformation einführen wollte, mit Gewalt der Geistliche Vorbehalt durchgesetzt wurde. Seit 1588 war im Zuge des Magdeburger Sessionsstreits schließlich auch das Reichskammergericht blockiert, weil Magdeburg durch die katholischen Stände daran gehindert wurde, turnusmäßig seinen Platz in der Visitationskommission einzunehmen, was dieses für die Revision der Gerichtsurteile zuständige Gremium vollständig lahmlegte.515 Kaiser Rudolf II. tat nichts, um dieser bedrohlichen Konstellation entgegenzuwirken. Im Gegenteil gossen die ausnahmslos zugunsten der Katholiken gefällten Urteile des Reichshofrats nur noch mehr Öl ins Feuer.516 Den endgültigen Umschwung im Umgang der Religionsparteien miteinander brachte der Regensburger Reichstag von 1594. Er „öffnete [...] gleichsam die Büchse der Pandora, aus der die konfessionspolitischen Maximalforderungen entwichen“.517 Diese Auseinandersetzungen fanden jedoch nur in den Verhandlungen um die Gravamina statt, in den Rahmendokumenten schlug sich diese deutliche Verschärfung der Situation terminologisch dagegen nicht nieder. Auch auf dem folgenden Regensburger Reichstag von 1597/98 bestimmte der Abschied bezüglich der Reichsgerichtsbarkeit lediglich, dass Experten beyderseits Religionen die Kammergerichtsordnung revidieren sollten.518 Im 17. Jahrhundert entwickelte sich die Blockade des Justizwesens schließlich zu einem Hauptproblem der Reichstage. Kurz vor der Jahrhundertwende hatte das Reichskammergericht in vier Urteilen das Vorgehen evangelischer Obrigkeiten gegen Klöster in ihrer Umgebung für unrechtmäßig erklärt und die Betroffenen zur Widerherstellung des ursprünglichen Rechtszustandes aufgefordert.519 An diesem ,Vierklösterstreit‘ entzündete sich 1603 auf dem Regensburger Reichstag ein heftiger Konflikt zwischen den Konfessionen, da v. a. die Kurpfalz nicht bereit war, diese Urteile anzuerkennen. Ein Abschied kam nur noch mit Mühe zustande, indem man wegen allerhand erhebliche[r] Verhinderungen die schwebenden Revisionen am
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Vgl. Gotthard: Der Religionsfrieden und das Heilige Römische Reich (Anm. 464). S. 73–76, Willoweit: Religionsrecht (Anm. 440). S. 46f. sowie Lanzinner: Konfessionelles Zeitalter (Kap. 1, Anm. 86). S. 66–68. Vgl. Luttenberger: Kirchenadvokatie und Religionsfriede (Anm. 54). S. 225f. Vgl. Lanzinner: Konfessionelles Zeitalter (Kap. 1, Anm. 86). S. 177. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 464. § 69. In diesem Abschied ist auch zum einzigen Mal nach 1555 noch in einem anderen Zusammenhang kurz von den Konfessionen die Rede: Angesichts des Türkenkrieges will man einen Reichs-Muster-Commissario und Pfennig-Meistern bestellen, und zwar mit Zuziehung, zweyer nechstgesessenen Reichs-Fürsten beyderley Religion, S. 454. § 10. Vgl. Lanzinner: Konfessionelles Zeitalter (Kap. 1, Anm. 86). S. 176f.
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Reichskammergericht bis zu anderer besserer Gelegenheit verschob.520 1608 war die Krise des Justizwesens schließlich bereits zum zweitwichtigsten Punkt der Proposition aufgerückt. Hier wurde nun vorgeschlagen, daß ettliche, vnndt zum wenigsten sechs erfahrene beysitzer vonn der cathollischenn Religion vnnd augspurgischenn Confession nach Regensburg kommen sollten, um hier direkt mit den kaiserlichen Kommissaren und den Räten der Stände zu beraten.521 Doch nachdem der Frieden von Zsitvatorok 1606 den ,langen Türkenkrieg‘ beendet hatte, fehlte nun erstmals seit Langem das einigende Band einer notwendigen Türkenabwehr. Zudem war die Atmosphäre durch den Fall Donauwörth vergiftet worden. Nachdem es in der evangelischen Reichsstadt einige Übergriffe auf die durch den Religionsfrieden geschützte katholische Minderheit gegeben hatte, war ausgerechnet der katholische Herzog Maxmilian von Bayern vom Kaiser mit der Achtexekution beauftragt worden, obwohl die Stadt nicht einmal in die Zuständigkeit des bayerischen Reichskreises fiel. Aufgeschreckt durch dieses harte Eingreifen forderten die evangelischen Stände auf dem Reichstag eine offizielle Bestätigung des Augsburger Religionsfriedens, worauf die katholische Seite, die hier misstrauisch eine Finte vermutete, zuvor eine Restitution aller seit 1555 eingezogenen Kirchengüter verlangte. Diese für die Evangelischen unannehmbare Forderung verfestigte sich nachmals zu einem katholischen Grundprinzip, das seinen Höhepunkt 1629 im Restitutionsedikt erreichen sollte. Der Pfälzer Kurfürst reiste daraufhin mit seinem Anhang ab, während die Lutheraner unter Führung Sachsens zwar noch in Regensburg blieben, aber angesichts der nun erdrückenden katholischen Übermacht nicht mehr weiter verhandeln wollten. So kam dieser Reichstag zu keinem Ergebnis mehr, sondern wurde ohne Abschied vertagt.522 Nach der Judikative war damit auch die Legislative lahmgelegt worden. Da durch ihre parteiische Haltung auch das Ansehen des Kaisers und des Reichshofrats beschädigt waren, besaß das Reich nun kein konsensfähiges Verfassungsorgan mehr, das beschwichtigend auf die konfessionellen Konflikte hätte einwirken können.523 Jede Möglichkeit einer friedlichen Kommunikation war damit unterbunden, ein Waffengang schon beinahe vorprogrammiert. Nicht umsonst entstanden 1608 bzw. 1609 mit der evangelischen Union und der katholischen Liga wieder konfessionelle Militärbündnisse. Der Reichstag von 1608 bildet eine Schnittstelle im weiteren Verlauf der Ereignisse, denn er markiert den „Beginn 520 521 522
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Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 509. § 45 und § 46. StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB 86. Nr. 1. fol. 34r. Vgl. hierzu die Proposition des Regensburger Reichstages 1613, wo von der damahls vertagten Reichsversamblung die Rede ist, StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB 89 Nr. 26. fol. 8v. Zum Reichstagsgeschehen vgl. Gotthard: Der Religionsfrieden und das Heilige Römische Reich (Anm. 464). S. 78–80. Vgl. Heckel: Die Krise der Religionsverfassung (Anm. 117). S. 109.
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der Vorkriegszeit“.524 Von jetzt an steuerte das Reich direkt auf die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges zu! 6.5.2 Im Schatten des Dreißigjährigen Krieges: Reichstage 1613–1654 Der Regensburger Reichstag von 1613, der erste unter Kaiser Matthias, unterscheidet sich von seinen Vorläufern schon von Beginn an durch die veränderte Tagesordnung: Erstmals seit rund einem halben Jahrhundert steht nicht mehr die Türkenhilfe an erster Stelle, sondern das Ausschreiben erklärt nun die geliebte Iustitia zum dringlichsten Verhandlungsgegenstand. Von dieser Seite droht dem Reich höchste Gefahr: Durch dero streckhung ist man ein zeit hero in allerhandt Vnuertrewlich: vnd Mißhelligkeit/ auch Kriegs Verfaß: vnd Gegenuerfassungen gerathen, denn Union und Liga stehen sich bereits kampfbereit gegenüber. Um den Frieden zu wahren – und um gegebenenfalls auch einem möglichen erneuten Angriff der Osmanen begegnen zu können – muss das alt/ guet/ redliche vertrawen unbedingt wieder hergestellt werden.525 Die Proposition vom 13. August warnt ebenfalls eindringlich davor, dass aus dem gespert Justiti vnndt Cammergerichtsweßen526 letztendlich im fall manglender zeittlicher begegnung, andst nichts, alß entlicher vntergang obberürts Religion vnndt Prophanfridens ervolgen würde.527 Die Situation war jedoch bereits so verfahren, dass der Reichstag zu keinem Ergebnis mehr kam, sondern auf das Folgejahr verschoben wurde.528 der Abschied konnte lediglich die Worte der Proposition wiederholen529 und die Stände nochmals auf den hochbetheuerten ReligionProphan- und Land-Frieden einschwören.530 Konfessionsparteien wurden in diesem Zusammenhang jedoch nicht genannt. 524
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Gotthard: Der Religionsfrieden und das Heilige Römische Reich (Anm. 464). S. 78. Johannes Burkhardt betont in diesem Zusammenhang, dass all diese erneuten Konflikte um konfessionelle Fragen letztendlich von Außen in das Reich hineingetragen worden seien, da die Lutheraner und die Reichskirche mit ihren durchaus gemäßigten Positionen gleichsam unter die Räder der „radikalprotestantisch-calvinistische(n) Internationale“ bzw. ihres „römischjesuitische(n) Gegenstück(s)“ gerieten. Die Kriegsursachen erwiesen sich damit als exogenen Ursprungs. Burkhardt: Reformationsjahrhundert (Kap. 1, Anm. 5). S. 198f. StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB 89. Nr. 110. StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB 89. Nr. 26. fol. 1r. StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB 89. Nr. 26. fol. 2r. Vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 522. § 3. wie nemlich das gesperrte justiti- und Cammer-Gerichts-Wesen, vernittelst steiffer und unverbrüchlicher Haltung des bey so hohen Pflichten versprochenen Religion und Prophan-Friedens, in seinen richtigen Lauff wieder gebracht, das dahero entstanden, und je länger je mehr zunehmende Mißtrauen, auch erfolgte Verfassung und Gegen-Verfassung abgestellt, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 521. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 522. § 4.
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Der besorgte und drängende Ton zeigt deutlich, dass man sich der ernsten Krise bewusst war, doch das Reich war nicht mehr in der Lage, mäßigend auf die Situation einzuwirken. Ähnlich wie auf den letzten Reichstagen vor dem Schmalkaldischen Krieg, stellten die Reichsabschiede nur noch Dokumente einer vollends gescheiterten Kommunikation dar. Allerdings gibt es einen bedeutenden terminologischen Unterschied: Obwohl die Konflikte auch diesmal einen deutlich religionspolitischen Hintergrund hatten, wirkte sich das nicht mehr auf die konfessionellen Namen aus. Entweder griff man in offiziellen reichsrechtlichen Texten auf die seit 1555 etablierten Bezeichnungen zurück oder vermied wie in den meisten Fällen überhaupt jede Erwähnung. Selbst im Auseinanderbrechen der Reichsinstitutionen ergab sich also zumindest öffentlich kein Rückfall in einen diffamierenden Sprachgebrauch. Gerade dies zeigt, wie selbstverständlich man seit dem Religionsfrieden auf Reichsebene inzwischen von zwei anerkannten Religionsparteien ausging. Der 1613 geplante Reichstag fand nicht mehr statt, und fünf Jahre später begann der Dreißigjährige Krieg. Hier ist nicht der Ort, um näher auf Kriegsursachen und -verlauf einzugehen. Die Gründe für diesen Konflikt waren vielschichtig. Angesichts des Frontenverlaufs, der etwa durch die Unterstützung und schließlich sogar das offene Eingreifen Frankreichs auf evangelisch-schwedischer Seite deutlich über Konfessionsgrenzen hinwegreichte, wird man den Dreißigjährigen Krieg keinesfalls als reinen Religionskrieg bezeichnen können. Trotzdem ließen sich Politik und Religion zu jener Zeit nie vollkommen trennen, und wie Johannes Burkhardt gezeigt hat, dürfen die Reformationsjubiläen von 1617 und 1630, die sämtliche konfessionellen Ressentiments mit Macht wieder ins Bewusstsein der Zeitgenossen hievten, als kriegsbegünstigende und -verlängernde Faktoren keineswegs unterschätzt werden.531 Die Tatsache, dass eine Wiederherstellung des Friedens nur in Verbindung mit einer alle Religionsparteien befriedigenden Lösung für das zukünftige konfessionelle Miteinander im Reich möglich war und folgerichtig fast die Hälfte aller Regelungen des Osnabrücker Friedensvertrags von 1648 die Religionsverhältnisse betrafen, verweist ebenfalls auf den Charakter dieses Waffengangs als „halber Religionskrieg“.532 Nachdem die Glaubensfrage seit 1566 in den öffentlichen reichsrechtlichen Dokumenten höchstens eine indirekte Rolle gespielt hatte, trat sie nun also wieder mit Macht auf die Tagesordnung. In diesem Zusammenhang sollen zunächst zwei Dokumente näher betrachtet werden, die zwar nicht in Verbindung mit einem Reichstag entstanden sind, aber dennoch wichtige Stationen für die Behandlung der Religionssache 531
532
Zur Frage, ob der Dreißigjährige Krieg ein Religionskrieg war, vgl. Johannes Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg. Darmstadt 1997 (Moderne deutsche Geschichte. Bd. 2). S. 128–143. Die Religionsfrage kann hier als „Hauptnebenkonflikt“ gelten, Ders.: Religionskrieg (Anm. 375). S. 682. Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg (Anm. 531). S. 177.
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während des Krieges darstellen: das Restitutionsedikt Ferdinands II. von 1629 und der Prager Friede zwischen dem Kaiser und dem sächsischen Kurfürsten Johann Georg I. von 1635. Im Frühjahr 1625 hatte König Christian V. von Dänemark als Kreisoberster des niedersächsischen Kreises auf evangelischer Seite aktiv in den Kampf eingegriffen. Die Truppen der Liga und des Kaisers unter Tilly und Wallenstein wehrten den Angriff jedoch ab und konnten im Gegenzug fast ganz Norddeutschland unterwerfen. Im Lübecker Frieden vom 22. Mai 1629 musste Christian schließlich auf jede weitere Einmischung im Reich verzichten.533 Dieser militärische Erfolg ließ konkrete Rekatholisierungspläne für die eroberten Gebiete entstehen. Bereits 1627 forderten die katholischen Kurfürsten eine Restitution aller nach 1552 säkularisierten Kirchengüter. Darüber hinaus spielte auch die Stellung der Reformierten wieder eine Rolle, ergab sich hier doch nun eine Chance, ihre rechtlich stets bedenkliche und lediglich über den Weg der Dissimulierungen erreichte Anerkennung von 1566 zu revidieren.534 Am 6. März 1629 erließ Kaiser Ferdinand II. schließlich sein Restitutionsedikt, in dem er die Rückgabe aller seit dem Passauer Vertrag durch evangelische Stände säkularisierten geistlichen Territorien – immerhin zwei Erzbistümer, bis zu sieben Bistümer und mehr als 500 Klöster – anordnete. Der Kaiser nahm dabei für sich das Recht in Anspruch, den Augsburger Religionsfrieden gleichsam als Schiedsrichter authentisch auslegen zu dürfen. Auf diese Weise wollte er die Ursache aller derzeitigen Auseinandersetzungen, nämlich die falschen Interpretationen der Friedensartikel, die eigentlich das ruhige Zusammenleben der Stände beyder Religion535 im Reich hätten gewährleisten sollen, aus der Welt schaffen. Seine Entscheidungen fielen in rein katholischem Sinne aus: Bereits seit 1559 hätten die Evangelischen sich immer wieder über einige Friedensbestimmungen beschwert. Dabei sei es im Wesentlichen stets um drei Punkte gegangen, so das Reformationsrecht für landsässige Bistümer und Klöster, den Geistlichen Vorbehalt und die Declaratio Ferdinandea. Alle diese Gravamina seien jedoch vollkommen ungerechtfertigt gewesen: Die evangelischen Stände hätten Kirchengut in ihren Territorien nach 1552 überhaupt nicht mehr reformieren dürfen, da dieses alleine GOTT vnd der Kirchen zugehören sollte – womit er natürlich zwischen den Zeilen zugleich anzweifelt, ob eine evangelische Nutzung überhaupt gottgemäß und kirchlich sein kann.536 Zudem bestätigt der Kaiser nun 533
534 535
536
Vgl. Gerhard Schormann: Der Dreißigjährige Krieg 1618–1648. In: Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. Bd. 10, 10. neubearb. Aufl. Stuttgart 2001. S. 205–279, hier S. 226–231. Vgl. Schormann: Der Dreißigjährige Krieg (Anm. 533). S. 239–242. Caspar Michael Londorp: Actorum Publicorum Tomi quatuor. Dritter Theil. Frankfurt a. M. 1640. Nr. 1. S. 1. Londorp: Actorum Publicorum (Anm. 535). Nr. 1. S. 4.
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den stets umstrittenen Geistlichen Vorbehalt und bestreitet die Gültigkeit der Declaratio Ferdinandea. In allen drei Fällen seien nicht die Evangelischen beschwert worden, sondern vielmehr die Katholiken.537 Da die evangelischen Stände sich jedoch stets geweigert hätten, sich der Reichsjustiz und dem Wort des Kaisers zu unterwerfen und, um ihren Willen durchzusetzen, heimliche Bündnisse geschmiedet, sich zur Union vereinigt und Kontakte zu ausländischen Monarchen, ja sogar zu den Türken gesucht hätten, sei ihnen letztendlich die Schuld am Krieg anzulasten! Auf diese Weise stempelte Ferdinand die entsprechenden Stände zu Unruhestiftern und mithin zu ungehorsamen Friedbrechern ab, zu Turbatores.538 Neben diesem scharfen juristischen Urteil bezeichnet Ferdinand II. die Evangelischen in herkömmlichem Sinne als ,Augsburgische Konfessionsverwandte‘ bzw. ,Stände Augsburgischer Konfession‘.539 Zudem erscheint nun aber auch wieder der Name ,Protestierende‘ und ,protestierende Stände‘.540 Wie bereits in früheren Dokumenten scheint mir dieser Begriff hier noch immer ein wenig zwischen einer rechtlich-neutralen Bezeichnung und der Kritik an einer gewissen rebellischen Grundhaltung zu oszillieren, denn nicht umsonst findet sich gleich der erste Nachweis gerade in Verbindung mit den beharrlichen Gravamina. Schließlich spricht der Text an einer Stelle davon, dass diejenige/ so sich Correspondirende genennt, 1613 die Reichsjustiz und das kaiserliche Entscheidungsrecht vollständig abgelehnt und damit das gesamte Friedenssystem endgültig zu Fall gebracht hätten.541 Hier haben wir es mit einer Selbstbezeichnung jener evangelischen Stände zu tun, die sich im Zuge des Donauwörther Vorfalls in der Union zusammengeschlossen hatten, es handelte sich dabei also nicht um einen konfessionellen Parteinamen im engeren Sinne, sondern um die Umschreibung eines Bündnisses. Die Gegenseite bildeten die ,katholischen Stände‘ bzw. die ,Katholischen‘.542 Die ,alte Religion‘ erschien lediglich als Zitat aus dem Augsburger Religionsfrieden, fand aber ansonsten keine Verwendung mehr.543 Zum Abschluss des Dokuments holt Ferdinand II. noch zu einem letzten Schlag gegen die Evangelischen aus: Er nimmt die faktische Anerkennung der Reformierten von 1566 ausdrücklich zurück und beschränkt damit den Namen ,Augsburgische Konfessionsverwandte‘ eigenmächtig auf die Invariata von 1530: Der Frieden umfasst 537 538 539
540 541 542 543
Vgl. Londorp: Actorum Publicorum (Anm. 535). Nr. 1. S. 7. Londorp: Actorum Publicorum (Anm. 535). Nr. 1. S. 1. Vgl. Londorp: Actorum Publicorum (Anm. 535). Nr. 1. S. 3, 4, 5, 6, 7, 8. Als Zitat erscheinen solche Bezeichnungen daneben auf S. 3, 4, 6. Vgl. Londorp: Actorum Publicorum (Anm. 535). Nr. 1. S. 2, 3, 4, 5, 6, 7. Londorp: Actorum Publicorum (Anm. 535). Nr. 1. S. 2. Vgl. Londorp: Actorum Publicorum (Anm. 535). Nr. 1. S. 2, 4, 5, 6, 7, 8. Vgl. Londorp: Actorum Publicorum (Anm. 535). Nr. 1. S. 3, 4 und S. 6. Lediglich an einer Stelle dient dieses Attribut zur weiteren Verstärkung: der Vhralten Catholischen Religion, Nr. 1. S. 8.
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allein die/ der Vhralten Catholischen Religion, vnd dero Vnserm geliebten Vorfahren Kayser Carolo V. Anno Fünffzehenhundert vnd Dreyssig/ den Fünf vnd Zwantzigsten Junij/ vbergebener vngeenderten Augspurgischen Confession Verwandte angehe vnd begreiffe/ alle andere widrige lehren vnnd Secten aber/ wie dieselben auch genannt/ vnnd entweder bereits auffkommen/ oder noch auffkommen möchten/ als vnzulässig/ davon außgeschlossen/ verbotten/ auch nit geduldet oder gelitten werden sollen.544
Durch die Aufhebung dieses terminologischen Kompromisses werden die Reformierten also wieder offiziell zu einer ,Sekte‘ erklärt! Das Restitutionsedikt war damit ein ähnlicher Paukenschlag wie seinerzeit das Augsburger Interim und gab Anlass zu zahlreichen Auseinandersetzungen. Bei aller katholischer Einseitigkeit darf hier jedoch ein wichtiger Punkt nicht übersehen werden: Der Augsburger Religionsfriede und damit die grundsätzliche Existenzberechtigung zumindest der lutherischen Religion wird trotz aller Kriegserfolge des Kaisers und der Union nicht in Frage gestellt, die Bikonfessionalität des Reiches bleibt grundsätzlich anerkannt. Das Eingreifen des schwedischen Königs Gustav Adolf machte die katholischen Erfolge wieder zunichte. Nicht umsonst wurde er von weiten Teilen der evangelischen Zeitgenossen als Retter ihres Glaubens gefeiert.545 Doch nach der verheerenden Niederlage gegen die kaiserlichen und spanischen Truppen in der Schlacht von Nördlingen 1634 sahen sich die evangelischen Reichsstände ihrer Protektionsmacht beraubt. Der sächsische Kurfürst begann daraufhin Friedensverhandlungen mit Kaiser Ferdinand II., die am 30. Mai 1635 in den Prager Frieden mündeten.546 Dieser Vertrag beendete weitgehend den bewaffneten Konflikt zwischen Ständen und Kaiser und stellte damit im Prinzip die Einheit des Reiches wieder her.547 Für den Kaiser brachte er eine deutliche Stärkung seiner politischen Position, da den Ständen mit Blick auf die verhängnisvolle Rolle von Union, Liga sowie dem 1533 unter schwedischer Führung gebildeten Heilbronner Bund das Bündnisrecht sowie das ,ius armorum‘ abgesprochen wurde. Alle armierten Stände hatten ihre Truppen einer Reichsarmee zuzuführen, die unter dem Oberbefehl Ferdinands die ,fremden Kronen‘ Frankreich und Schweden aus dem Reich vertreiben sollte. Daneben bemühte man sich erneut um eine Bereinigung der interkonfessionellen Konflikte. Grundsätzlich wurden
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546 547
Londorp: Actorum Publicorum (Anm. 535). Nr. 1. S. 8. Vgl. Herbert Langer: Der ,Königlich Schwedische in Deutschland geführte Krieg‘. In: Klaus Bußmann/Heinz Schilling (Hg.): 1648. Krieg und Frieden in Europa. Textband I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft. München 1998. S. 187–196, hier S. 190–192. Vgl. Langer: Der ,Königlich Schwedische in Deutschland geführte Krieg‘ (Anm. 545). S. 194f. Vgl. Kathrin Bierther: Der Regensburger Reichstag von 1640/1641. Kallmünz 1971 (Regensburger Historische Forschungen. Bd. 1). S. 1–6. Zum Folgenden vgl. auch Schormann: Der Dreißigjährige Krieg (Anm. 533). S. 257f.
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zunächst der Passauer Vertrag und der Augsburger Religionsfriede bestätigt.548 Die Wiederherstellung des Justizwesens, dessen Krise schließlich nicht unerheblich zu diesem Krieg beigetragen hatte, sollte durch eine strikt paritätische Besetzung des Reichskammergerichts und nun auch des Reichshofrats gewährleistet werden.549 Allerdings stand damit noch immer die Frage der Kirchengüter und des Restitutionsedikts im Raum: Dieses wurde zwar nicht aufgehoben, aber zumindest für 40 Jahre suspendiert, was natürlich zugleich bedeutete, dass die katholische Seite weiterhin nicht gewillt war, ihre weitreichenden religionspolitischen Ziele grundsätzlich aufzugeben. Für diesen Zeitraum legte man den konfessionellen Besitzstand auf das Normaljahr 1627 fest.550 Über diesen Termin sollte bis zum Westfälischen Frieden noch viel gestritten werden, da er im Prinzip nur den evangelischen Status östlich der Elbe – also gerade auch im Territorium des sächsischen Kurfürsten – schützte, während die Gebiete des niedersächsischen Kreises zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend in katholische Hand geraten waren. Es lässt sich also festhalten, dass die Bestimmungen für die Evangelischen zwar im Vergleich zum Restitutionsedikt eine deutliche Verbesserung darstellten, die Katholischen jedoch hinsichtlich der Vorkriegszeit weiterhin die größeren Vorteile aus diesem Abkommen zogen. Der Vertrag wurde geschlossen zwischen der Röm. Kays. Maj. und denen sämptlichen Catholischen/ Ihr assistirenden Churfürsten und Ständen des Reichs, auch allen dero Kriegs-Verwandten an Einem/ und dann Sr. Churfürstl. Durchl. zu Sachsen/ wie auch allen andern Ihrer bißherigen Kriegs-Parthey zugethan gewesenen der Augspurgischen Confession-Verwandten Ständen, am andern Theil.551
Damit unterschied man die Kriegsparteien dezidiert nach ihrer konfessionellen Zugehörigkeit: Auf kaiserlicher Seite haben nur katholische, auf sächsischer ausschließlich evangelische Stände gekämpft. Dennoch sind diese Vertragspartner nicht unmittelbar mit den jeweiligen Konfessionen gleichzusetzen, denn daneben existierten als dritte Gruppe noch die bey der vorgangenen Kriegs-Ubung Neutral gebliebenen Stände.552 Obwohl schließlich fast alle Reichsstände dem Vertrag beigetreten sind, finden sich viertens auch unter den kriegführenden Parteien einige, die sich diesen Frieden-Schluß entweder gar nicht, oder doch nicht genugsam beque548
549 550 551
552
Die Verträge finden sehr häufig Erwähnung, vgl. etwa Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 535. § 3, 4, 6; S. 337. § 12, 13, 14; S. 538. § 22, 23; S. 547. § 81; S. 548. § 87. Vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 538f. § 26 und § 28. Vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 535 § 4. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 542. § 54. Vgl. auch S. 540. § 34; S. 541. § 37, 38, 4; S. 542. § 55; S. 547. § 90. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 544. § 62.
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men, bzw. die sich widersetzenden553 sowie solche, die dezidiert davon ausgenommen sind.554 Der Ausschluss vom Frieden betraf in erster Linie jene Fürsten, die noch immer auf Seiten Frankreichs und Schwedens standen. Zu ihnen zählten u. a. die im Prager Nebenrezess genannten evangelischen Stände der vier oberen Reichskreise, die sich im Heilbronner Bund zusammengeschlossen hatten, die Herzöge von Braunschweig-Lünburg, die Landgräfin von Hessen-Kassel, die weiterhin geächteten Pfalzgrafen sowie als einziger katholischer Vertreter Kurtrier.555 Trotz dieser Differenzierungen war der Vertrag darauf angelegt, dass im ganzen Reich ein Christlicher, allgemeiner, erbarer und sicherer Friede wiederhergestellt werde,556 um zwischen den Catholischen und Augspurgischen Confessions-Verwandten Ständen das alte gute aufrechte Teutsche Vertrauen wiederumb aufzurichten.557 An dieser Formulierung wird nochmals deutlich, dass man im Konfessionskonflikt eine erhebliche Ursache für den Ausbruch des Krieges sah. Die Namen der beiden Religionsparteien weisen auf den ersten Blick keine Veränderungen zu früheren Texten auf. In § 25 wird den Evangelischen allerdings ausdrücklich nur das freye Exercitium der ungeänderten Augspurgischen Confession zugesichert.558 Indem man so zugleich die Confessio Augustana variata verwarf, blieb man bei der bereits 1629 erfolgten Rücknahme der zuvor geduldeten Zweideutigkeit der Bezeichnung ,Augsburgische Konfessionsverwandte‘. Da inzwischen neben der Kurpfalz weitere Territorien und mit Brandenburg sogar ein zweiter Kurfürst zur reformierten Konfession übergetreten waren, sorgte der Prager Frieden in diesem wichtigen Streitpunkt nicht für eine Entschärfung der Situation. Weitere Auseinandersetzungen waren vielmehr vorprogrammiert. Nachdem der Krieg eine Zusammenarbeit unter den verfeindeten Ständen lange Zeit unmöglich gemacht hatte, eröffnete der Prager Frieden die Option, die dringlichsten Probleme wieder auf einem Reichstag zu verhandeln. Weil Kaiser Ferdinand II. den Konflikt jedoch gleichzeitig zum Ausbau seiner Machtstellung gegen553 554
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558
Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 546. § 73 bzw. § 74. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 544. § 65: Hier erfolgt die Einschränkung auf jene Stände, so nicht davon ausgenommen/ und sich darzu bekennen, ohne Unterschied der Catholischen Religion und Augspurgischen Confession. Vgl. Bierther: Der Regensburger Reichstag von 1640/1641 (Anm. 547). S. 1–6. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 534f. § 1. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 547. § 83. Auch sonst ist im gesamten Text sehr häufig von den Augsburgischen Konfessionsverwandten und den Catholischen die Rede. Insgesamt erscheint die CA 44 Mal, Verbindungen mit catholisch 35 Mal. Allgemein kann auch hier wieder von ,Parteien‘ oder ,Teilen‘ gesprochen werden, vgl. etwa S. 536. § 10–12. Diese Bezeichnung bezieht sich jedoch immer wieder auch auf die kriegführenden Parteien, ist in ihrer genauen Bedeutung also stets abhängig vom Kontext, vgl. etwa S. 542. § 54. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 538. § 25, Hervorhebung durch den Verf. Das Gegenstück ist das Exercitio Catholischer Religion, S. 535. § 7.
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über den Ständen nutzte und darüber hinaus eine an den dynastischen Interessen des Hauses Habsburg orientierte Politik verfolgte, verzichtete er in seiner gesamten Regierungszeit und wohlweislich auch nach 1635 auf die Einberufung eines Reichstages als einem möglichen Forum der Stände. Lediglich die Kurfürsten wussten sich diesem kaiserlichen Machtanspruch zu entziehen und trafen sich zur Wahrung ihrer Interessen regelmäßig auf Kurfürstentagen.559 So dauerte es noch weitere fünf Jahre, bis Kaiser Ferdinand III. 1640 in seinem dritten Regierungsjahr wieder eine allgemeine Reichsversammlung einberief. Dieses Reichstagsprojekt war im politischen Spannungsfeld zwischen Kaiser und Kurfürsten entstanden: Im Kurkolleg suchte man nach Möglichkeiten eines Friedensschlusses mit den Großmächten Frankreich und Schweden. Da Ferdinand jedoch aufgrund seiner dynastischen Verbindungen jeden Frieden mit Frankreich unter Verzicht auf seine militärische Hilfe für Spanien auf dem niederländischen Kriegsschauplatz strikt ablehnte, schlug Maximilian von Bayern dem Kurkolleg vor, einen geplanten Kurfürstentag durch Hinzuziehung der kreisausschreibenden Fürsten zu einer Reichsversammlung zu erweitern und den Kaiser auf diese Weise zu umgehen. Um dies zu vermeiden und nicht jeden Einfluss auf die entsprechenden Verhandlungen zu verlieren, schlug Ferdinand schließlich doch die Einberufung eines Reichstages vor und stieß damit bei den Kurfürsten auf breite Zustimmung.560 Im Ausschreiben vom 26. Mai und in der Proposition vom 13. September 1640 griff der Kaiser die Beratungsgegenstände des Nürnberger Kurfürstentages aus dem gleichen Jahr auf und setzte ihn damit in Regensburg gleichsam fort. Drei Punkte standen dabei im Mittelpunkt des Interesses: Die Regelung der innerdeutschen Verhältnisse, die Beförderung des Friedens mit Schweden und Frankreich sowie die Möglichkeiten einer Fortsetzung des Krieges bis zu einem Friedensschluss.561 Im Reichsabschied vom 10. Oktober 1641 erschienen die Religionsparteien unter den üblichen etablierten Namen. So sollten etwa die Gravamina so wol der Catholischen/ als Augspurgischen Confessions-Verwandten/ durch gewisse Deputatos von beyden Religionen/ […] ponderirt, erwogen und nach Möglichkeit beygelegt werden.562 559
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562
Vgl. Bierther: Der Regensburger Reichstag von 1640/1641 (Anm. 547). S. 1–6. Zur dynastischen Politik Habsburgs vgl. etwa Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg (Anm. 531). S. 35–42, zur Stellung des Kaisers gegenüber den Ständen vgl. S. 92–99. Vgl. Bierther: Der Regensburger Reichstag von 1640/1641 (Anm. 547). S. 31–38. Vgl. Bierther: Der Regensburger Reichstag von 1640/1641 (Anm. 547). S. 43–47. In der Proposition werden keine Religionsparteien genannt, vgl. Londorp: Actorum Publicorum (Anm. 535). Nr. 1. Nr. 87. S. 152–154. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 554. § 12. Vgl. daneben auch die Catholischen, S. 552. § 6, die Ständ von beyderley Religion, S. 555. § 12, die Augspurgische Confessions-Verwandte Chur-Fürsten und Ständ und etliche ihre Religions-Genossen, S. 555. § 13 sowie als Vertragspartner im Prager Frieden Chur-Sachsens Lbd. und dero Mitverwandten
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In Zusammenhang mit der Bestätigung des Augsburger Religionsfriedens griff man dagegen auf die Mitte des 16. Jahrhunderts noch verwendete Unterscheidung zwischen Churfürsten, Fürsten und Ständen, der alten Religion und der Augspurgischen Confession Zugethanen und Verwandten zurück.563 Eine ausdrückliche Festlegung auf die Invariata findet sich hier nicht mehr. Wie im Prager Frieden wurden die Stände daneben nach ihrer jeweiligen Parteinahme in den laufenden kriegerischen Auseinandersetzungen unterschieden. Auf Seiten des Kaisers standen die ,gehorsamen Stände‘.564 Mit dieser juristischen Bezeichnung, die uns in anderem Zusammenhang ja bereits mehrmals begegnet ist, waren diesmal konfessionsübergreifend all jene gemeint, die den Prager Frieden angenommen und damit den Kriegszustand mit Ferdinand III. beendet hatten. Diese Gruppe war in den vergangenen Jahren immer größer geworden, da sich seit 1635 weitere Stände mit dem Kaiser ausgesöhnt hatten. Ihnen gegenüber stehen aber noch immer einige ,wenige‘ Stände, welche mit Uns biß auff solche Zeit noch nicht ausgesöhnt/ oder ausgesöhnt zu werden, und sich in schuldigen Gehorsam zu begeben begehrt.565 Als Stände, welche vom Pragischen Frieden außgeschlossn waren, befanden sie sich gegenüber den andern im Frieden begriffenen Ständen in einer reichsrechtlich höchst bedenklichen Position,566 denn durch ihre Zusammenarbeit mit Frankreich oder Schweden gaben diese ,Ungehorsamen‘ das Reich der Unterdrückung durch fremde Mächte preis und handelten damit gegen die Interessen ihres Vatterlands.567 Auch zu dieser Gruppe zählt neben evangelischen Vertretern mit Kurtrier zumindest ein katholischer Fürst.568 Trotz dieses eigentlich religionsneutralen Befundes spielt die Konfessionszugehörigkeit dennoch immer wieder mit hinein, denn unter Ignorierung der Ausnahme Kur-
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Ausgspurgischer Confession und die jenige, so Chur-Sachsens Lbd. und dero Mitverwandten Ausgspurgischer Confession Zugethanen, und bey ihro biß zu Auffrichtung deß Prager FriedenSchluß verbliebenen Ständen Diensten sich befunden, S. 552. § 6. Die beschlossenen Ausgleichsverhandlungen fanden nie statt. Die Evangelischen stimmten diesem Punkt lediglich deshalb zu, weil sie ihre Hoffnungen auf einen Friedenskongress setzten, auf dem sie mit schwedischer Unterstützung rechnen durften, vgl. Bierther: Der Regensburger Reichstag von 1640/1641 (Anm. 547). S. 195–197. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 555. § 15. Vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 550. § 3 sowie S. 554. § 9. Nach Regelung der konfessionellen Fragen ging man über zum Umgang mit den Feinden des Reichs und möglichen Gegenmaßnahmen, vgl. z. B. S. 557. § 28. In diesem Zusammenhang werden nochmals die treu-gehorsame Stände, S. 559. § 41, bzw. des Heil. Reichs und dessen getreuer Chur-Fürsten und Ständen, S. 564. § 85, erwähnt. Kürzer heißen sie auch einfach die unaußgesöhnte Ständ, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 550f. § 3. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 552. § 6. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 554. § 9. Vgl. hierzu nochmals Bierther: Der Regensburger Reichstag von 1640/1641 (Anm. 547). S. 64 sowie S. 146–148.
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trier zählt der Abschied die Catholischen der Einfachheit halber schlichtweg alle zu den Ausgesöhnten, so dass sich implizit wieder einmal ausschließlich evangelische Stände als ungehorsam erzeigen.569 Schließlich existiert wie im Prager Frieden noch immer eine Mittelpartei, die bestrebt ist, sich aus den Kampfhandlungen herauszuhalten. Diese spielt allerdings durch ihre angemaste und unzuläßige hochschädliche Neutralität ebenso den Feinden des Reichs in die Hände, wie die Unausgesöhnten.570 Der Regensburger Reichstag zählt bereits zur direkten Vorgeschichte des Westfälischen Friedenskongresses in Osnabrück und Münster, der den Krieg endlich beenden sollte. Der schließlich am 24. Oktober 1648 verkündete Westfälische Friede ist für das Verhältnis der Konfessionen im Reich von höchster Bedeutung. Hier wurden nun abschließend jene Regeln festgelegt, die das Zusammenleben der Religionsparteien bis zum Ende des Alten Reichs bestimmen sollten. Mit diesem Dokument kam die rechtliche Entwicklung der Religionsfrage damit nach mehr als einem Jahrhundert seit ihrem ersten Erscheinen auf dem Wormser Reichstag von 1521 zu ihrem Abschluss. Der Westfälische Friede besteht aus zwei Verträgen, dem ,Instrumentum Pacis Osnabrugense‘ (IPO) mit Schweden sowie dem ,Instrumentum Pacis Monasteriense‘ (IPM) mit Frankreich. Neben dem lateinischen Original wurden noch im gleichen Jahr zwei offiziöse deutsche Übersetzungen veröffentlicht. Die in Mainz mit kurmainzer und kaiserlichem Privileg von Nikolaus Heyll hergestellte und von Philipp Jakob Fischer vertriebene Fassung war dabei am weitesten verbreitet. Die Ausgabe des späteren Wiener Hofdruckers Matthäus Cosmoverius griff im Wesentlichen auf die Übersetzung von Fischer und Heyll zurück, offensichtliche Schwächen waren aber überarbeitet worden, so dass sie insgesamt sogar als zuverlässiger gelten kann.571 Aufgrund dieses Entstehungszusammenhangs können die entsprechenden deutschen Texte neben dem lateinischen als Basis für die Untersuchung der reichsrechtlich verwendeten konfessionellen Terminologie herangezogen werden.572 569 570
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Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 552. § 6. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 564. § 87. Vgl. dazu auch § 86. Vgl. hierzu die Vorbemerkungen von Konrad Repgen zur Edition dieser Ausgaben in: Guido Braun/Antje Oschmann/Konrad Repgen (Hg.): Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden. 2. Teil: Materialien zur Rezeption. Münster i. W. 2007 (Acta Pacis Westphalicae. Serie III B. Verhandlungsakten. Bd. 1,2). S. 199–204 (im Folgenden zitiert als APW III B. Bd. 1,2). In diesem Rahmen kann keine Analyse des Vertragswerks geleistet werden. Ein allgemeiner Überblick über den Inhalt der Verträge findet sich bei Heinhard Steiger: Konkreter Friede und allgemeine Ordnung. Zur rechtlichen Bedeutung der Verträge vom 24. Oktober 1648 In: Klaus Bußmann/Heinz Schilling (Hg.): 1648. Krieg und Frieden in Europa. Textband I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft. München 1998. S 437–446. Johannes Burkhardt geht in seiner Zusammenfassung der Friedensverträge genauer auf die religionspolitischen Aspekte ein, vgl. Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg (Anm. 531). S. 166–178.
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Johannes Burkhardt sieht im Westfälischen Frieden „das größte und grundlegendste Friedenswerk der Neuzeit, vielleicht der Geschichte überhaupt.“573 Hier sollte nun im Rahmen einer neuen Friedensordnung für das Reich auch das Zusammenleben der Konfessionen endgültig geregelt werden, um religiös bedingte Kriege in Zukunft ein für allemal auszuschließen. Dazu bekräftigte man zunächst erneut den Passauer Vertrag und den Augsburger Religionsfrieden und setzte alle Dokumente außer Kraft, die der Intention dieses Friedenswerkes widersprachen, wie das Restitutionsedikt, den Prager Vertrag, die Reichskonkordate mit der Kurie sowie das Augsburger Interim von 1548.574 Gleichzeitig veränderte man jene Bestimmungen des Religionsfriedens, die am meisten für Unruhe gesorgt hatten. Dies geschah durch zwei Grundprinzipien: den „Einbau der Konfessionsverschiedenheit in die Reichsverfassung“ und die „Festschreibung der Konfessionsverteilung“.575 Im ersten Punkt ging man den bereits 1555 in Ansätzen beschrittenen Weg zu rechtlicher Parität, die aufgrund der katholischen Interpretation des Augsburger Religionsfriedens als bloßes Ausnahmerecht für die Evangelischen jedoch nie vollkommen anerkannt worden war, konsequent zu Ende, indem man die konfessionellen Corpora unter Einbeziehung der Reformierten als gleichberechtigte Verhandlungspartner institutionalisierte und bei religionspolitischen Fragen den paritätischen Verhandlungsmodus der ,itio in partes‘ vorschrieb.576 Das zweite Prinzip stellte eine Reaktion auf die Auseinandersetzungen um das ,ius reformandi‘ und seine Ausnahmeregelungen, den Reichsstädteartikel, das ,reservatum ecclesiasticum‘ sowie die ,Declaratio Ferdinandea‘, dar. Um weitere Unklarheiten in Zukunft zu vermeiden, ersetzte man das Reformationsrecht der Fürsten durch das Normaljahrsprinzip und schrieb so die Konfessionsverteilung im Reich auf Dauer fest. Nach längeren Auseinandersetzungen um den genauen Termin für die Restitutionen – die katholische Seite bevorzugte gemäß dem Prager Frieden das Jahr 1627, die evangelischen Verhandlungspartner wünschten die Wiederherstellung des Vorkriegszustandes von 1618 – einigte man sich auf den kursächsischen Kompromissvorschlag 1624. Beide Verträge beginnen nach der Präambel mit den berühmten programmatischen Worten Pax sit christiana.577 ,Christlich‘ wird hier wie im gesamten Dokument 573 574
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Burkhardt: Das größte Friedenswerk der Neuzeit (Anm. 457). S. 593. Zur Bestätigung des Religionsfriedens vgl. Art. V,1 IPO. Die Streichung der übrigen Dokumente zählt zu den Schlussbestimmungen in Art. XVII,3 IPO und § 113 IPM. Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg (Anm. 531). S. 155. Vgl. zu den folgenden zusammenfassenden Ausführungen S. 154–178. Auch Martin Heckel sieht ein Kernproblem darin, dass man 1555 versäumt hatte, die Corpora „von Widerstands- und Selbsthilfegruppen zu tragenden Institutionen der Reichsverfassung“ zu machen, Heckel: Die Krise der Religionsverfassung (Anm. 117). S. 111f. Art. I IPO. APW III B. Bd. 1,2. S. 220 sowie § 1 IPM. S. 516. Die hier verwendete lateinische Fassung folgt den zwei wahrscheinlich frühesten Drucken der Friedensverträge von Bernhard Raesfeld
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stets überkonfessionell verstanden. Evangelische wie katholische Monarchen und Stände finden sich unter diesem Attribut zu der einen gemeinsamen christlichen Religion zusammen.578 Die eigentlichen Religionsbestimmungen finden sich in den Artikeln V und VII des Osnabrücker Vertragswerks.579 Wie bereits erwähnt, verstanden diese sich nicht als ein neuer Religionsfrieden, sondern als Klärung einiger strittiger Punkte des Passauer Vertrages und des Augsburger Religionsfriedens, da die daraus entstandenen Grauamina, quae inter vtriusque Religionis Electores, Principes & Status Imperij vertebantur, den Krieg zu einem großen Teil mitverursacht haben.580 Die Terminologie in Art. V IPO folgt dabei dem bereits bekannten reichsrechtlichen Muster: Es stehen sich zwei partes bzw. Theile oder Partheyen gegenüber, die Catholicos oder Catholischen sowie die Confessioni Augustanae addictos bzw. consortes, zu Deutsch die Augspurgischen Konfessionsverwandten. Lediglich einmal ist anstelle der ,Katholischen‘ von denen Ständen der alten Religion die Rede, hier handelt es sich aber um ein auch als solches gekennzeichnetes Zitat aus dem Augsburger Religionsfrieden.581 Ein deutliches Defizit des Augsburger Religionsfriedens, das ja bereits auf dem Reichstag von 1566 zu einer ernsten Krise geführt und sich im Zuge der Diskussion um das Restitutionsedikt nochmals verschärft hatte, betraf den Status der Reformierten. In Art. VII,1 IPO wurde nun festgelegt, dass alle Rechte, die caeteris Catholicis, & Augustanae Confessioni addictis Statibus & subtitis tribuunt, id etiam jis, qui inter illos Reformati vocantur, competere debeat.582 Zum ersten Mal in einem offiziellen reichsrechtlichen Dokument erscheinen damit schließlich auch die Re-
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in Münster, die durch das kurmainzer Reichsdirektorium als authentische Fassung bestätigt worden waren. Vgl. Repgen: Vorbemerkungen. In: APW III B. Bd. 1,2 (Anm. 571). 199–201. In den Präambeln beider Verträge betont man die Sorge um die Wohlfahrt der Christianae Reipublicae, IPO. APW III B. Bd. 1,2. S. 220, IPM. S. 514, und der Christiani Orbis, IPM. S. 510, jeweils übersetzt mit Christenheit, IPO. S. 220 und S. 221 sowie IPM. S. 512 und S. 514. In § 92 IPM wird daneben ein Streit der Herzöge von Savoyen und Mantua um Montferrat entschieden, der in Christianae Reipublicae perniciem geführt habe. Heyll und Fischer übersetzen diese Wendung zu der allgemeinen Christenheit Schaden, Cosmerovius etwas abgewandelt der Christlichen Gemainde zum Vnhail, § 92 IPM. S. 618 und S. 619. Innerhalb der Bestimmungen bezüglich der Religion wird ausdrücklich von der Religione Christiana bzw. der Christlichen Religion als Oberbegriff für die Konfessionen gesprochen, Art. V,31 IPO. S. 320 bzw. S. 321. Auch hat man noch immer nicht die Hoffnung auf die Compositionem Christianam dissidij Religionis bzw. deß Religionstreits Christl. Vergleich aufgegeben, Art. V,48 IPO. S. 342 bzw. S. 343. Das Münsteraner Dokument verweist in § 47 IPM lediglich relativ knapp auf die entsprechenden Bestimmungen des IPO. Art V IPO. APW III B. Bd. 1,2. S. 274. In Art V,1 IPO werden deshalb der Passauer Vertrag wie der Augsburger Religionsfrieden zunächst ausdrücklich bestätigt. Art. V,45 IPO. APW III B. Bd. 1,2. S. 338. Art. VII,1 IPO. APW III B. Bd. 1,2. S. 362.
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formierten unter ihrer bevorzugten Selbstbezeichnung.583 In diesem Zusammenhang sei nochmals daran erinnert, dass es sich hierbei eigentlich nicht um einen genuin religiös besetzten Begriff handelte. So war auf verschiedenen Reichstagen mehrfach eine ,Reformation‘ der Reichsgerichte beschlossen worden,584 und noch im Regensburger Abschied von 1641 erschien sogar die Bezeichnung Reformirte zur Umschreibung eines umgestalteten, reformierten Reichsheeres, das die Untertanen angesichts der bereits erlittenen Kriegsschäden nicht über Gebühr belasten sollte.585 Bei näherem Hinsehen zeigt sich der genaue Wortlaut dieser Bestimmung in den verschiedenen Übersetzungen als uneinheitlich: In der lateinischen Originalfassung ist von denjenigen die Rede, qui inter illos [gemeint sind die CA-Verwandten] Reformati vocantur. Die Reformierten stellen hier also keine Konfession im eigentlichen Sinne dar, sondern bilden lediglich eine Untergruppe der Augsburger Konfessionsverwandten, was ja auch durch die Tatsache gestützt wird, dass außerhalb dieses Artikels stets nur von zwei Konfessionen, eben den Katholischen und den Anhängern der CA, die Rede ist. Um die Reformierten zu den CA-Verwandten rechnen zu können, musste dieser Name jetzt ganz offiziell jene Zweideutigkeit zwischen Variata bzw. Invariata annehmen, die 1566 von Seiten der Evangelischen noch als Finte zur Anerkennung der Reformierten genutzt und durch das Restitutionsedikt sowie den Abschied von 1641 unter katholischem Druck ausdrücklich wieder zurückgenommen worden war. Wenn jedoch unter den CA-Verwandten beide evangelische Konfessionen zu verstehen sind, ergibt sich gleichzeitig das Problem, dass kein eigenständiger reichsrechtlicher Name mehr für die Lutheraner existiert. Die deutsche Übersetzung sowie der Vertrag von Münster weichen dagegen im genauen Wortlaut ab, denn hier gibt es nur jene, welche die reformirte genennet werden, bzw. qui Reformati vocantur.586 In dieser Fassung stehen die Reformierten als eigene Konfessionspartei neben den lutherischen CA-Verwandten. Diese Lesart wird wiederum gestützt durch die Verwendung eines weiteren Namens, der beide evangelischen Parteien umfasste und den man in Rückgriff auf die 1540er Jahre nun ein Jahrhun-
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Zur Bezeichnung ,Reformierte‘ s. o. Kap. 3.4.3. Im Nürnberger Reichsabschied von 1543 einigte man sich etwa auf eine Visitation und Reformation des Reichskammergerichts, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 489. § 33, und auch im Jüngsten Reichsabschied von 1654 ist noch von einer Reformation des Justizwesens nach den Vorgaben des Westfälischen Friedens die Rede, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 646. § 23. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 562. § 64. Der Abschied beschloss einige Abschnitte vorher eine Reduction und Reformation der Regimenter und Officirer, S. 558. § 30. Art. VII,1 IPO. APW III B. Bd. 1,2. S. 362f. und § 47 IPM. S. 562f.
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dert später wieder ans Licht holte: Protestantes bzw. Protestirende.587 Es scheint sich hierbei primär um eine Verlegenheitslösung gehandelt zu haben, denn es fällt auf, dass diese Bezeichnung ansonsten nirgendwo mehr auftaucht. Die Tatsache, dass ,Protestierende‘ in diesem Konsensdokument mit Billigung aller Beteiligten benutzt werden konnte, legt die Vermutung nahe, dass dieser Name inzwischen seinen negativen Beigeschmack des Ungehorsams und der Ketzerei weitgehend verloren haben musste.588 Außerhalb der Religionsartikel erscheinen konfessionelle Bezeichnungen meist in Zusammenhang mit territorialen Bestimmungen. Dabei ergeben sich einige weitere interessante terminologische Nuancen. In Art. IV,19 IPO bzw. § 27 IPM589 wird den Augustanae Confessionis consortibus in der Kurpfalz der Besitzstand von 1624 sowie das exercitium Augustanae Confessionis garantiert. Bezüglich der Übergabe einiger Reichslehen an Schweden in Art. X IPO wird man dagegen genauer, denn hier heißt es, die Untertanen sollten ihre alten Rechte behalten cum libero Euancelicae Religionis exercitio iuxta inuariatam Augustanam Confessionem bzw. sampt dem freyen ReligionsExercitio/ vermoge der vnveranderten Augspurg. Confess.590 Im Gegensatz zu den Bestimmungen zur calvinistischen Kurpfalz, wo man unter der CA die Variata verstand, werden die künftig schwedischen Gebiete durch den bewussten Bezug auf die Invariata eindeutig auf den lutherischen Glauben festgelegt. Daneben erscheint in diesem Zusammenhang zum ersten Mal auf Reichsebene der von katholischer Seite sonst stets vermiedene Begriff ,evangelisch‘! Bezeichnenderweise wird er in keiner der hier zugrundegelegten deutschen Übersetzungen übernommen und bleibt eine Ausnahme. Selbst wenn es den Evangelischen also gelungen war, ihre bevorzugte Selbstbezeichnung an dieser einen Stelle in das Vertragswerk einzuschleusen, so schafften sie es doch nicht, ihren reichsrechtlichen Namen auf dieser Basis auch in Zukunft abzuändern, so, wie es die andere Religionspartei einige Jahrzehnte zuvor über den Wechsel von der ,alten Religion‘ zu ,katholisch‘ noch hatte durchsetzen können. Vielmehr deutet der Wortgebrauch in einem anderen Artikel darauf hin, dass man gerade den Bezug auf die Bibel als Grundlage der christlichen Religion 587
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Gerade die Erwähnung von controuersiae Religionis, quae inter modo dictos Protestantes vertuntur, zeigt deutlich, dass dieser Name als Oberbegriff für Reformierte und Lutheraner zu verstehen ist, Art. VII,1 IPO. APW III B. Bd. 1,2. S. 362. Vgl. hierzu die Beobachtung bei Siegfried Bräuer, dass ,Protestierende‘ bereits seit Ende des 16. Jahrhunderts in Verbindung mit einer zunehmenden Verklärung der Vorgänge von 1529 allmählich auch als positive Selbstbezeichnung aufgenommen wurde, so etwa in einem ,Helden-Lied von D. Martin Luther‘, in dem Valentin Hebeysen 1590 den Ursprung der Protestirenden Nam stolz auf die steiffe Protestation von Speyer zurückführt, zit. nach Bräuer: Protestierende – Protestanten (Kap. 1, Anm. 52). S. 92. APW III B. Bd. 1,2. S. 242 bzw. S. 540. Art. X,16 IPO. APW III B. Bd. 1,2. S. 398.
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für alle Seiten gelten lassen wollte: In Art. IV,19 IPO bzw. § 27 IPM werden die Pfarrer aller Konfessionen als verbi diuini Ministros bzw. in der Übersetzung nach Cosmerovius Diener deß Worts Gottes bezeichnet.591 Normalerweise erschienen solche Bezüge ja vorzugsweise in Texten evangelischer Provenienz. Durch ihre Übertragung auch auf katholische Priester wurde der exklusive Anspruch einer Seite auf das Evangelium hier nun gerade bewusst vermieden! In den territorialen Bestimmungen des Münsteraner Vertrages findet sich schließlich sogar noch eine Regelung, die einen deutlichen Seitenhieb auf die Evangelischen enthält: Der König von Frankreich soll in den von Österreich abgetretenen Gebieten Catholicam conseruare Religionem und die während des Krieges eingeschlichenen nouitates bzw. Newerungen wieder abschaffen.592 Hier wird die Reformation wieder einmal als etwas ,Neues‘ gegenüber dem ,alten‘ Glauben abgewertet. Abgesehen von diesem Abschnitt scheint der Alt-Neu-Gegensatz ansonsten jedoch keine besondere Rolle mehr zu spielen. Im Gegenteil: Inzwischen zählen auch juristische Regelungen, die dezidiert evangelische Belange betreffen, bereits zum ,alten‘ Herkommen. So heißt es etwa bezüglich jener Bistümer und Stifte, in denen konfessionelle Parität herrscht, hier solle statutis antiquis nihil de nouo admisceatur, da so das Recht einer Religion geschmälert werden könnte.593 Unter einer Neuerung versteht man hier also gerade nicht mehr die Einführung der Reformation, sondern eine Veränderung des bikonfessionellen Status Quo. Reichsrechtlich gesehen sind damit inzwischen auch die Evangelischen in gewissem Sinne ,alt‘ geworden. Zahlreiche Verhandlungspunkte hatte man in Münster und Osnabrück nicht endgültig geklärt, sondern auf eine spätere Gelegenheit verschoben. So wurden etwa die Truppen im Reich trotz des Friedensschlusses aufgrund der ausstehenden schwedischen Reparationsforderungen zunächst noch nicht abgemustert. Außerdem hatten die Verträge die genaue Durchführung der Restitutionen offengelassen. Über diese Angelegenheiten verhandelten seit 1549 in Nürnberg Vertreter des Kaisers, Schwedens, Frankreichs und der Stände. Das Ergebnis waren zwei Rezesse, der Interimsrezess vom 21. September 1649 sowie der Friedensexekutionshauptrezess vom 2. Juli 1650. Erst mit diesen Dokumenten war für die Zivilbevölkerung der Krieg wirklich beendet, was auch erklärt, warum sie bei den Zeitgenossen eine größere öffentliche Resonanz erfahren haben als das westfälische Vertragswerk.594 Bezüglich der Konfessionsparteien ist hier allerdings nur von beyden Religionen sowie von 591
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APW III B. Bd. 1,2. S. 242 und S. 343 bzw. S. 540 und S. 541. Daneben finden sich andere Übersetzungen: Bei Heyll heißt es Prediger, S. 242, bei der deutschen Fassung des IPM Pfarherrn, S. 540. § 75 IPM. APW III B. Bd. 1,2. S. 598. Art. V,16 IPO. APW III B. Bd. 1,2. S. 292. Vgl. Stefan Mayer-Gürr: Münster oder Nürnberg? Das Ende des Dreißigjährigen Krieges im Spiegel der zeitgenössischen Medien. In: Bent Jörgensen/Raphael Krug/Christine Lüdke (Hg.):
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den Catholischen und Augspurgischen Confeßions-Verwandten die Rede. Andere konfessionelle Namen, wie ,Reformierte‘ oder ,Protestanten‘, finden dagegen keine Verwendung, da sich diesmal keine Notwendigkeit ergeben hatte, innerhalb der evangelischen Partei weiter zu differenzieren.595 Um volle Gültigkeit zu erlangen, musste der Westfälische Frieden in das Reichsrecht integriert werden. Zu diesem Zweck hatte man bereits in den Verträgen selber eine Aufnahme aller Bestimmungen in den folgenden Reichsabschied sowie in die kaiserliche Wahlkapitulation festgeschrieben.596 Ersteres geschah auf dem Regensburger Reichstag von 1653/54. Hier sollten auch die sog. ,negotia remissa‘ behandelt werden, weitere Streitfragen, wie z. B. die Reichsmatrikel, das ,ius maiestatis‘ für die Stände oder die Formulierung einer beständigen Wahlkapitulation, für die man auf dem westfälischen Kongress noch keine für alle Beteiligten zufriedenstellende Lösung gefunden hatte.597 Diese unerledigten Punkte, die auch diesmal zu keinem endgültigen Ergebnis gebracht werden konnten, führten dazu, dass hier die letzte Reichsversammlung „alten Stils“ stattfand, bevor sie sich ab 1663 zu dem „dauerhafte[n] Provisorium“ des Immerwährenden Reichstages verstetigte.598 Gerade die Tatsache, dass man auch nach dem Dreißigjährigen Krieg wieder auf die Kommunikationsmöglichkeiten des Reichstages zurückgriff, um die kriegsverursachenden Konflikte endgültig aus dem Weg zu räumen und den Frieden für die Zukunft zu sichern, verweist auf das besondere Konsenspotential dieses Gremiums. Der Reichstag war bezüglich seiner Stellung in der Reichsverfassung sogar deutlich gestärkt aus der Krise hervorgegangen, hatte er doch alle alternativen reichsständischen Repräsentationsformen – Reichskreistage, Deputationen, Kurfürstentage und auch Kongresse – letztendlich als einziges offizielles und bald auch noch permanent tagendes Kommunikationszentrum des Reiches abgelöst.599
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Friedensschlüsse. Medien und Konfliktbewältigung vom 12. bis zum 19. Jahrhundert. Augsburg 2008 (Documenta Augustana. Bd. 18). S. 149–168, hier S. 166–168. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 626. § 5 sowie S. 630. § 28 und § 30. Vgl. Art. XVII,2 IPO und § 112 IPM. Vgl. Anton Schindling: Der Westfälische Frieden und der Reichstag. In: Hermann Weber (Hg.): Politische Ordnungen und soziale Kräfte im Alten Reich. Wiesbaden 1980 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung Universalgeschichte. Beiheft 8. Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches. Nr. 2). S. 113–153, hier S. 136–138. Schindling: Der Westfälische Frieden und der Reichstag (Anm. 597). S. 142 sowie Johannes Burkhardt: Vollendung und Neuorientierung des frühmodernen Reiches 1648–1763. 10., neubearb. Aufl. Stuttgart 2006 (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. Bd. 11). S. 77–79. Vgl. Schindling: Der Westfälische Frieden und der Reichstag (Anm. 597). S. 118 sowie Neuhaus: Reichsständische Repräsentationsformen (Kap. 5, Anm. 5). S. 521f. Nicht umsonst fand sich im Westfälischen Frieden mit der ,itio in partes‘ die einzige offizielle Vorschrift zur Geschäftsordnung des Reichstages überhaupt, vgl. Schlaich: Maioritas (1978) (Kap. 5, Anm. 25). S. 139f.
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Ausschreiben und Proposition fielen sehr knapp aus, da im Grunde alle Verhandlungspunkte bereits durch die Friedensverträge vorgegeben worden waren.600 Konfessionsparteien wurden in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Das Schlussdokument, der letzte bzw. in der zeitgenössischen Diktion ,jüngste‘ Reichsabschied, erklärte den Westfälischen Frieden wie vorgesehen vor ein gegebenes FundamentalGesetz des Heil Reichs und immerwährende Richtschnur, und ewige norma iudicandi.601 Die konfessionelle Terminologie zeigt keine besonderen Veränderungen mehr. Es ist die Rede von der Catholischen Religion zugethanen,602 aber auch von Cathol. Stände[n]603 oder einfach nur von den Catholischen604 sowie von den Augspurgischen Confeßions-Verwandten.605 Sehr häufig bedient man sich daneben allgemeiner Umschreibungen wie Chur-Fürsten und Stände des Reichs von beyderseyts Religionen.606 Man geht also weiterhin von nur zwei Konfessionen aus. Um hier jedoch mögliche Fehlinterpretationen von vornherein zu vermeiden, wird in Zusammenhang mit der Reformation des Justizwesens bestimmt, dass die Assessoren zukünftig beyderseits Religionen (mit Einschliessung der Reformirten) angehören dürften.607 Nach dem Westfälischen Frieden haben die ,Reformierten‘ damit also auch noch Eingang in den letzten Reichsabschied gefunden. Die juristische Bezeichnung ,Teil‘ oder ,Partei‘ kann hier dagegen nicht unbedingt als konfessioneller Begriff gesehen werden, auch wenn die Religionszugehörigkeit immer wieder mit hinein spielt, werden doch einmal die Beteiligten des vergangenen Krieges, ein anderes Mal die Gegner im Streit um die Restitutionen auf diese Weise umschrieben.608 Unbestritten bleibt, dass alle Seiten zu 600
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Das Ausschreiben vom 27. April 1652 verweist darauf, dass in demselben etlichen Puncten auff einen allgemeinen Reichstag verwiesen, StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB 115. [Nr. 3], während die Proposition vom 20./30. Juni 1653 nur kurz drei Punkte anspricht, die Befestigung des Friedens, die Vollziehung aller fälligen Punkte des Friedensvertrages sowie eine schnelle Durchführung all dieser Beschlüsse, StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB 115. Nr. 22. fol. 5r/v. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 642. § 6. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 657. § 93. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 671. § 169. Überhaupt wird ,catholisch‘ inzwischen recht häufig als Adjektiv in verschiedenen Zusammenhängen gebraucht, so etwa Catholischen Beysitzern, Catholische Churfürsten und Stände, Catholische Creyß. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S 676. § 191. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 657. § 93; S. 675. § 185; S. 676. § 191. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 641. Vgl. auch S. 642. § 6; S. 646. § 23; S. 668. § 158; S. 677. § 195. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 646. § 23. Vgl. allerseits kriegender Theilen Völcker sowie den beschwehrten anruffenden Partheyen in Fragen der Restitution, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 641. Besonders dieser letzte Bereich erweist sich dabei als sehr heikel, befürchtet man doch, der Streit um Kirchengüter und konfessionelle Zugehörigkeit könnte zu neuem Mißtrauen und
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den ,Christen‘ zählen, sollen die Regelungen doch zu einer Beendigung aller ChristenBluts Vergiessungen beitragen.609 Ein einziges Mal ist schließlich noch die Rede von den dreyen Augspurgischen Confeßions-Verwandten und protestirenden Churfürsten. Bei dem Attribut ,protestierende‘ ist hier allerdings wieder größte Vorsicht geboten, denn die erwähnte Protestation meint nicht etwa jene von 1529, sondern eine aktuelle Beschwerde der evangelischen Kurfürsten bezüglich der konfessionellen Stimmenparität im Kurfürstenkollegium, die sie durch die neue Kurstimme Bayerns gefährdet sahen.610 Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass es sich bei der Bezeichnung ,Protestierende‘ auch jetzt noch grundsätzlich um einen rechtlichen Begriff und nicht ausschließlich um einen konfessionellen Parteinamen handelte. Durch die Aufnahme des Westfälischen Friedens in den Jüngsten Reichsabschied fand die Entwicklung des Reichsreligionsrechts ihren Abschluss. Dieser Abschied stellt als letzter Vertreter dieser Textsorte überhaupt auch formal-institutionell eine deutliche Zäsur dar, die es rechtfertigt, die Darstellung der offiziellen konfessionellen Terminologie auf Reichsebene an dieser Stelle zu beschließen. Das bedeutet natürlich nicht, dass die konfessionell bedingten Auseinandersetzungen damit zum Erliegen gekommen wären, bedeutendere sprachliche Verschiebungen im öffentlich-normativen Bereich hat es jedoch kaum mehr gegeben.611
6.6 Zwischenresümee: Der offizielle reichsrechtliche Sprachgebrauch Die offiziellen konfessionellen Bezeichnungen auf Reichsebene haben sich in den öffentlichen Dokumenten auf insgesamt 32 Reichstagen zwischen 1521 und 1654 entwickelt. Nach der Ächtung Luthers und seiner Anhänger im Wormser Edikt, die mit einer Übernahme der Ketzerterminologie und einer kriminalisierenden Rechtsspra-
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Spaltungen Ursach und Anlaß geben, S. 641. § 1. Vgl. daneben auch die Bezeichnung partibus, S. 676. § 191. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 640. Daneben wird das Adjektiv ein weiteres Mal ohne Bezug auf die Religionsfrage gebraucht, wenn man fordert, bei einem Vergleich zwischen Gläubiger und Schuldner sollten beide Seiten neben dem Materiellen auch ihr Christliches Gewissen beachten, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 672. §171. Insgesamt wird diesmal nur sehr selten auf das Christentum rekurriert. Aus diesem Grunde wurde Sachsen, Brandenburg und der Kurpfalz für dieses eine Mal ein viertes unter ihnen alternirendes Votum zugestanden, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 676. § 191. Zu einzelnen konfessionell bedingten Konflikten vgl. Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg (Anm. 531). S. 177f. sowie Stollberg-Rilinger: Das Heilige Römische Reich (Anm. 44). S. 97–99. Siehe dazu ausführlicher den Ausblick in Kap. 9.
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che aus den theologischen und den kirchenrechtlichen Texten einherging, zeichnete sich der anschließende Umgang des Reichsregiments und der Stände mit der Reformation und damit auch der allgemeine Sprachgebrauch in den 20er Jahren durch weitgehende Zurückhaltung und Kompromissbereitschaft aus. Seinen Höhepunkt erreichte diese Politik mit dem Speyrer Abschied und der Verantwortungsformel von 1526, die jedem Reichsstand die Haltung zu Luthers Lehre als persönliche Gewissensentscheidung freistellte. In dieser Zeit griff man auf möglichst unverfängliche Bezeichnungen der reformatorischen Bewegung zurück, indem man sich noch bis 1523 auf die Person Luthers selber bezog oder Veränderungen im religiösen Bereich mittels einer zeremoniebezogenen Terminologie umschrieb. Häufig versuchte man auch, die gesamte Angelegenheit einfach zu umgehen. Universalistische Begriffe wie etwa ,Christenheit‘ besaßen zu jener Zeit noch kein Konfliktpotential. Weil sich zunächst kein Reichsstand zur Reformation bekannt hatte, ließen sich von Seiten des Reiches und des Kaisers alle Beteiligten problemlos zu der einen christlichen Religion zählen. Erst als 1524/25 mit Hessen und Kursachsen zwei wichtige Stände zur evangelischen Lehre übertraten, erhielten derartige umfassende Bezeichnungen einen dissimulierenden Charakter. Auch die seit dem 2. Nürnberger Reichstag aufkommende Konzilsforderung und die Predigtklausel als Interimsregelung konnten als dissimulierende Formeln dienen, um die sich allmählich abzeichnende konfessionelle Aufspaltung des Reichstages zu überspielen. Dass die Fürsten und Städte damit in der Religionsfrage zunehmend als die eigentlichen Akteure in den Vordergrund traten, zeigt sich neben dem Verschwinden des Namens ,Luther‘ aus den öffentlichen Texten auch in einem ersten Versuch, möglichst neutral zwischen zwei Parteien unter den Ständen zu differenzieren: Auf dem 3. Nürnberger Reichstag von 1524 brachte die Proposition die Einstellung zum Wormser Edikt und damit verbunden die Frage des ,Gehorsams‘ ins Spiel. Die Unterscheidung zwischen gehorsamen Befolgern des Edikts und jenen, die es nicht umgesetzt hatten, wurde auch in den entsprechenden Abschied aufgenommen. Zwar fehlte dieser Bezeichnung noch die nötige konfessionelle Trennschärfe, trotzdem hatte man über eine solch relativ neutrale Verwendung der Rechtssprache nun eine Möglichkeit für eine weitgehend unverfängliche Umschreibung der Evangelischen gefunden, auf die später immer wieder zurückgegriffen wurde: Ihre Stellung zu bestimmten (reichs)rechtlichen Dokumenten. Auf diese Weise gelang es dem Reichstag noch bis Ende der 20er Jahre, zumindest nach außen hin den Anschein der Concordia zu wahren. Aber bereits die kaiserliche Proposition von 1526 deutete durch einen Rückgriff auf die Ketzerterminologie sowie dem juristischen Vorwurf des Ungehorsams auf eine deutliche Verschärfung der Situation hin. Die Verantwortungsklausel konnte die Situation noch einmal
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retten, aber 1529 spaltete sich der Reichstag endgültig an dieser Frage, da die katholische Mehrheit auf den kompromissloseren Kurs von Karl V. und Ferdinand einschwenkte. Deshalb fand sich nun zum ersten Mal überhaupt auch in einem Reichsabschied die Ketzerterminologie in Verbindung mit einer Betonung des AltNeu-Gegensatzes. Universalistische Begriffe blieben in diesem Zusammenhang auf die katholische Seite beschränkt. Über die rechtliche Ebene erfolgte anhand der jeweiligen Haltung zum Wormser Edikt und dem damit verknüpften Gehorsam eine klare Unterscheidung zwischen zwei Parteien unter den Ständen. Auch wenn der Abschied letztendlich keine Rückkehr zum Edikt bedeutete, veranlasste die Aufhebung der Verantwortungsformel insgesamt 19 evangelische Stände, erstmals auf einem Reichstag offen als Gruppe aufzutreten und gegen die Beschlüsse zu protestieren. Damit rückte zugleich die Frage der Friedenssicherung im Reich in den Blick, die bis zum Augsburger Religionsfrieden 1555 akut bleiben sollte. In einem Rundumschlag wurden in Speyer auch die Täufer und die über ihr abweichendes Abendmahlsverständnis als Lehr und Secten, so viel die dem Hochwürdigen Sacrament des wahren Fronleichnams und Bluts unsers Herrn Jesu Christi zugegen, in Form einer zeremoniebezogenen Terminologie definierten Reformierten verketzert und kriminalisiert. Im Abschied des Konfessionsreichstages von 1530 setzte sich dieser Trend fort, nachdem der Kaiser in seiner Rolle als Schiedsrichter über die verschiedenen Bekenntnisse gegen die Confessio Augustana entschieden hatte. In diesem Zusammenhang wurden im Abschied zahlreiche reformatorische Lehren wie Zeremonien ablehnend umschrieben und häretisiert. Die Ergebnislosigkeit dieser Versammlungen verweist deutlich auf den Zusammenhang zwischen einer auf Ausgleich bedachten Terminologie und der Kommunikationsfähigkeit des Reichstages. Ein Scheitern spiegelte sich in einem kompromisslosen Sprachgebrauch wider, während jede Ausgleichsbemühung eine zurückhaltende Wortwahl voraussetzte und bedingte. Das zeigte sich gleich auf dem nächsten Reichstag von 1532: Unter dem Eindruck äußerer Gefahren musste Karl V. deutlich zurückrudern. Universale Begriffe wie ,Christenheit‘ wurden wieder integrativ für alle Beteiligten gebraucht, die evangelischen Stände zählte man unter Vermeidung jeder theologischen oder rechtlichen Wertung namentlich auf, ansonsten sprach man immer wieder unverfänglich von ,Parteien‘ oder umging eine konfessionelle Terminologie vollständig. Im Nürnberger Anstand erfolgte gleichzeitig ein erster Schritt weg von der religiösen Concordia hin zu einem rein politischen Frieden. Die Religionsgespräche zu Beginn der 1540er Jahre – Höhepunkt und Abschluss des ,Jahrzehnts der Vergleichung‘ – sowie die Tatsache, dass die Zahl der evangelischen Stände unter dem Schutz des Schmalkaldischen Bundes deutlich zugenom-
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men hatte, was eine namentliche Aufzählung zunehmend unökonomisch werden ließ, machten die Entwicklung von Parteinamen notwendig: Die katholischen Stände wurden im Frankfurter Anstand von 1539 zunächst als Anhänger der ,römischen Kirche‘ und auf dem Religionsgespräch zu Hagenau erstmals als ,alte Religion‘ bezeichnet, was sich im Prinzip schon mit der Konstruierung des Alt-Neu-Gegensatzes seit dem Wormser Edikt abgezeichnet hatte. Die Evangelischen galten 1539, soweit sie dem Bund angehörten, als ,Einigungsverwandte‘ bzw. allgemein als ,Augsburgische Konfessionsverwandte‘. Allerdings ergaben sich bei diesem Namen einige Unklarheiten, da er zum einen durch seine Mehrdeutigkeit im Sinne der sächsischen Confessio Augustana sowie der Confessio Tetrapolitana selber ein innerevangelisches Kompromissprodukt war und es zugleich eine Diskussion mit dem Kaiser darüber gab, ob jene Stände, die erst nach dem Nürnberger Anstand die Reformation eingeführt hatten, überhaupt zu dieser reichsrechtlich privilegierten Gruppe zu zählen seien. Auf dem Religionsgespräch von Hagenau trat schließlich die Bezeichnung ,Protestierende‘ hinzu, mit der in diesem Fall konkret auf den Protest gegen den Abschied von 1530 Bezug genommen wurde. Doch bereits der Abschied von 1541 verschleifte derartige Nuancen und fasste im Prinzip alle Lutheraner unter diesem Namen zusammen. Die Bildung dieser Begriffe erfolgte jeweils nach dem gleichen Muster, indem man die evangelischen Stände über ihre Haltung zu einem rechtlich relevanten Dokument definierte. Dabei handelte es sich allerdings stets um Vereinfachungen des wahren Sachverhalts, denn zum einen ließen sich zahlreiche Fürsten, wie beispielsweise Kurfürst Joachim II. von Brandenburg, nicht auf eine bestimmte Glaubensrichtung festlegen, sondern blieben bewusst auf einem vorkonfessionellen Stand. Andererseits zeigt folgende Aufstellung deutlich, dass sich strenggenommen niemals alle reformationsfreundlichen Stände über ein einziges Dokument fassen ließen:
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Zwischenresümee
Torgau 1526: Bundesvertrag
Speyer 1529: Protestation
Augsburg 1530: Confessio Augustana
Schmalkalden 1531: Bundesvertrag
Kursachsen Hessen Anhalt-Bernburg BraunschweigLüneburg BraunschweigGrubenhangen -
Kursachsen Hessen Anhalt-Bernburg BraunschweigLüneburg -
Kursachsen Hessen Anhalt-Bernburg BraunschweigLüneburg -
Kursachsen Hessen Anhalt-Bernburg BraunschweigLüneburg -
BrandenburgAnsbach -
-
Mecklenburg Grafen v. Mansfeld Albrecht v. Preußen .............................. Magdeburg
BrandenburgAnsbach .............................. Nürnberg Reutlingen Ulm Isny Kempten Nördlingen Heilbronn St. Gallen Weißenburg Windsheim -
.............................. Nürnberg Reutlingen Confessio Tetrapolitana
.............................. Reutlingen Ulm Isny Biberach Lübeck Bremen Magdeburg
-
Straßburg Konstanz Lindau Memmingen
Straßburg Konstanz Lindau Memmingen
Straßburg Konstanz Lindau Memmingen
Grafen v. Manfeld -
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Ausschreiben, Propositionen und öffentliche Texte
Bis auf die Ausnahmen Kursachsen, Hessen, Anhalt und Braunschweig-Lüneburg wechselten die an diesen vier wichtigen Urkunden beteiligten Stände regelmäßig. So waren etwa dem ersten evangelischen Bündnis, dem Torgauer Bund von 1526, mit Mecklenburg und Albrecht von Preußen zwei Fürsten beigetreten, die anschließend weder die Speyrer Protestation noch eines der Bekenntnisse des Augsburger Reichstages von 1530 oder den Schmalkaldischen Bundesvertrag unterzeichnet hatten. Auch solch wichtige Vertreter wie Ansbach und Nürnberg trugen zwar die Protestation und die CA mit, blieben aber anschließend dem Schmalkaldischen Bund fern. Wenn man zudem noch bedenkt, dass der Nürnberger Anstand von insgesamt 33 evangelischen Ständen unterzeichnet wurde, so zeigt sich, dass viele Anhänger der Reformation in dieser Tabelle überhaupt nicht auftauchen. Trotz solcher Probleme setzte sich ,Augsburgische Konfessionsverwandte‘ schließlich seit dem Abschied von 1542 als offizielle reichsrechtliche Bezeichnung für die Evangelischen durch. Da sie keinerlei offen universalistische Ansprüche transportierte und der Schmalkaldische Bund unter dem Einfluss Kursachsen andererseits selber für eine bedeutende innerevangelische Aufwertung dieses Dokuments gesorgt hatte, konnte dieser Name von allen Beteiligten akzeptiert werden. Erst auf dem Reichstag von 1546 sprach Karl V. wieder von den ,Protestierenden‘, da er im Vorfeld des Schmalkaldischen Krieges evtl. auch seiner Verärgerung über die in seinen Augen störrische Haltung der evangelischen Stände Ausdruck verleihen wollte. Dennoch fällt auf, dass sich diese Konfession inzwischen so sehr etabliert hatte, dass der Kaiser den Krieg als Achtexekution verbrämte, konfessionelle Terminologie weitgehend vermied und selbst nach seinem Sieg nicht in die Ketzerterminologie zurückfiel. Lediglich durch eine kleine aber nichtdestoweniger bedeutsame Abwandlung ihres bisher üblichen reichsrechtlichen Namens machte er den Evangelischen 1548 und 1551 das von ihm intendierte Ende der Glaubensspaltung deutlich, indem er sie als Stände bezeichnete, die der Augsburgischen Konfession anhängig ,gewesen‘ seien. Seit dem Passauer Vertrag von 1552 griff man jedoch wieder auf den Sprachgebrauch vor 1546 zurück. Im Augsburger Religionsfrieden wurde schließlich der Alleinvertretungsanspruch beider Konfessionen und damit die religiöse Concordia zugunsten eines politischen Friedens aufgegeben. In diesem Zusammenhang beschwor man die wesenhafte Einheit der Christenheit und verwendete diese universalistische Bezeichnung von nun an auf Reichsebene ausschließlich integrativ. Zugleich wurde hier der Name ,Augsburgische Konfessionsverwandte‘ endgültig festgeschrieben, der zunächst aber nur die Lutheraner umfasste. Eine letzte Bedeutungsverschiebung erfolgte auf dem Reichstag von 1566, als der Begriff erneut eine bewusste Zweideutigkeit im Sinne der Invariata von 1530 und der Variata von 1540 erhielt, um die hier von Kaiser Maximilian II. nochmals
Zwischenresümee
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als ,Sekte‘ diffamierten Reformierten vor weiterer rechtlicher Verfolgung zu schützen und entgegen aller theologischen Vorbehalte die politische Einheit der evangelischen Stände zu bewahren. Danach war die Religion bis zum Dreißigjährigen Krieg kein Thema auf Reichstagen mehr. Auf katholischer Seite stellt sich die terminologische Entwicklung etwas anders dar. Seit 1542 vermied man zunächst wieder eigene konfessionelle Bezeichnungen und setzte die Katholiken stillschweigend mit den ,gemeinen Ständen‘ gleich, was die Evangelischen zugleich implizit als abgespaltene Minderheit kennzeichnete. Außerdem wurde dadurch immer wieder verdeutlicht, dass es sich bei allen Zugeständnissen, die 1544 ihren ersten Höhepunkt erreichten, nur um Ausnahme- und Sonderrechte handelte, nicht um eine Gleichstellung. Derartige Verallgemeinerungen finden sich vereinzelt selbst noch im Augsburger Religionsfrieden. Erst 1545, als in Zusammenhang mit einem weiteren Religionsgespräch eine erneute Differenzierung zwischen zwei Glaubensparteien notwendig wurde, griff man notgedrungen wieder auf die ,alte Religion‘ zurück und blieb auch über den Augsburger Religionsfrieden hinaus zunächst bei dieser Bezeichnung. Schon 1559 erschien in einem Nebenabschied zusätzlich das Attribut ,katholisch‘. Seit 1594 stellte ,katholische Religion‘ oder ,Katholische‘ den offiziellen reichsrechtlichen Namen dar. Damit hatte die katholische Seite im Gegensatz zu den Evangelischen auf Reichsebene die von ihnen bevorzugte universalistische Selbstbezeichnung durchsetzen können. In Anbetracht des Erfolgs, den die reformationsfreundlichen Stände alleine schon durch ihre offizielle Anerkennung erreicht hatten, sperrten diese sich jedoch nicht öffentlich gegen diese Bezeichnung und führten die Kommunikation nichtsdestoweniger fort. Selbst als es um die Wende zum 17. Jahrhundert zu einer konfessionell bedingten Krise des Reichsjustizwesens und schließlich zum Dreißigjährigen Krieg kam, folgte daraus keine weitere Veränderung des konfessionellen Sprachgebrauchs. Da die Zeitgenossen den Religionsstreit als eine Hauptursache des Konflikts ausmachten, kam dieses Thema nun erstmals seit 1566 wieder direkt auf die Tagesordnung. Im Restitutionsedikt von 1629 legte Kaiser Ferdinand II. den Augsburger Religionsfrieden einseitig in katholischem Sinne aus und schloss auch die Reformierten als ,Sekte‘ erneut aus dem Kreis der anerkannten Glaubensgemeinschaften aus, grundsätzlich wurde das System aber nicht angetastet; stets blieb es offiziell bei der Rechtslage des Passauer Vertrages und des Religionsfriedens! Eine etwaige Abwertung auch der Lutheraner erfolgte lediglich indirekt durch eine erneute Verwendung der Bezeichnung ,Protestierende‘ sowie über die Betonung ihrer Zugehörigkeit zu gegnerischen Kriegsparteien und einem daraus resultierendem Ungehorsam gegenüber dem Kaiser.
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Ausschreiben, Propositionen und öffentliche Texte
Im Westfälischen Frieden blieb es schließlich bei der Unterscheidung zwischen ,Katholiken‘ und ,Augsburgischen Konfessionsverwandten‘, zu denen die ,Reformierten‘ unter diesem von ihnen selbst bevorzugten Namen nun offiziell als dritte reichsrechtlich anerkannte Konfession gerechnet wurden. Der dissimulierende Kompromiss von 1566 erfuhr damit eine nachträgliche Legitimierung. ,Protestantes‘ wurde hier als gemeinsamer Oberbegriff für Lutheraner und Calvinisten verwendet, im Gegensatz zu vorhergehenden Dokumenten diesmal aber wohl ohne jede abwertende Konnotation. Hier bereitete sich allmählich der positive Gebrauch dieses Namens vor, der besonders seit der Aufklärung üblich wurde. Schließlich finden sich im Vertragstext noch einige gegenläufige Tendenzen, wenn etwa einmal erneut die Abschaffung von ,Neuerungen‘ gefordert wurde und es den CA-Verwandten dagegen an einer anderen Stelle doch gelungen war, das Attribut ,evangelisch‘ einzufügen. Diese Abweichungen blieben aber Ausnahmeerscheinungen.612 Betrachtet man die öffentlichen Dokumente dieser beinahe anderthalb Jahrhunderte, so fällt auf, dass Konfessionen stets nur dort ausdrücklich genannt wurden, wo es unbedingt nötig schien, primär natürlich in Zusammenhang mit Verhandlungen über die Glaubensspaltung selber. Daneben erscheinen entsprechende Bezeichnungen immer wieder bei Regelungen zum Reichskammergericht, etwa in Zusammenhang mit einer Suspendierung der Religionsprozesse oder einer Regelung der paritätischen Besetzung, seltener im Rahmen der Türkenproblematik und diplomatischer Aktivitäten. Man legte also in den meisten Fällen großen Wert darauf, die verschiedenen Themen sauber auseinanderzuhalten. Aus diesem Grund wurde die Religion auch in anderen öffentlichen Dokumenten neben den Reichsabschieden kaum thematisiert. Bedeutende Ausnahmen waren selbstverständlich das Wormser Edikt, einige weitere Mandate des Kaisers oder des Regiments in der Glaubenssache sowie mehrere Anstände und Verträge. Die Kammergerichtsordnungen spiegeln in ihren Bestimmungen zur Ämterbesetzung die jeweilige reichsrechtliche Akzeptanz der Evangelischen wider: Während die Ordnung von 1521 noch keinerlei Bezug auf die Religion nahm, verpflichteten die Fassungen von 1531 und 1533 die Mitarbeiter am Gericht bezeichnenderweise auf die ,christliche Religion‘ und den Reichsabschied von 1530, ein Zusatz, der deutlich gegen die Evangelischen gerichtet war.613 1555 wurde die Ordnung dann den Beschlüssen von Passau und Augsburg angepasst und eine paritätische Aufteilung der Ämter angeordnet.
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In den folgenden Jahrzehnten versuchte man, die bevorzugte Selbstbezeichnung ,evangelisch‘ über die in der ,itio in partes‘ angelegten Corpora im Namen des ,Corpus evangelicorum‘ doch noch reichsrechtlich sanktionieren zu lassen, hatte damit aber aufgrund des katholischen Widerstands keinen nachhaltigen Erfolg. Vgl. hierzu den Ausblick in Kap. 9. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 352. § 58 sowie S. 406. § 16.
Zwischenresümee
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Als eine weitere große Gruppe von öffentlichen Anweisungen nahmen sich die Polizeiordnungen dem moralischen und damit auch religiösen Lebenswandel der Untertanen an. Die Polizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577 betonten, sie sollten dem Wohle gemeiner Christenheit dienen.614 Dennoch finden sich am Rande Spuren des Glaubensstreits: Untersagte man 1530 lediglich allgemein die Gotteslästerung,615 so wurde die Ordnung von 1548 deutlicher, als man darüber hinaus ganz konkret auch die lesterung der muotter Christi und Gottes heyligen ahndete.616 Zur pflantzung und erhaltung christenlicher lieb und eynigkeyt sollte überdies jedes Buch geprüft werden, ob es der lehr der christlichen kirchen bzw. genauer der catholischen allgemeynen lehr sowie dem Augsburger Abschied von 1548 entspräche.617 Diese Passagen blieben 1577 grundsätzlich erhalten, mit der Einschränkung, dass das Adjektiv ,katholisch‘ vermieden wurde und die Werke nun der Christl. allgemeinen Lehr sowie dem Augsburger Religionsfrieden entsprechen mussten; man hatte also die Einschränkung auf die römische Sichtweise gestrichen und den reichsrechtlichen Bezugspunkt ersetzt.618 Abgesehen von solchen Ausnahmen sind Religionsparteien und Glaubensfrage außerhalb der Abschiede weitgehend umgangen worden. Die Konfessionen bestimmten also keineswegs sämtliche Verhandlungsgegenstände jener Zeit, sondern gerade die Trennung der Themen und die zeitweilige Ausblendung bestimmter Konfliktfelder war nicht unwesentlich mit dafür verantwortlich, dass der Reichstag seine Funktionsfähigkeit in der Reformationszeit über weite Strecken aufrechterhalten konnte.
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Vgl. etwa Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 333. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 336. VII. RTA JR XVIII. Nr. 238. S. 2074. Art. 3, übernommen aus der Ordnung von 1545, RTA JR XVI. Nr. 94. Art. 3. RTA JR XVIII. S. 2078. Art. 34. 1545 wurden lediglich Schmähschriften aller Art verboten, eine Prüfung auf rechtgläubige Inhalte war dagegen noch nicht vorgesehen, vgl. RTA JR XVI. Nr. 94. S. 1023. Art. 48. § 2. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 396. XXXV. § 2. Zum Lästerungsverbot gegen Maria und die Heiligen vgl. S. 382. V. § 1.
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Exkurs: Wider den Feind gemeiner Christenheit: Das überkonfessionelle Vorgehen gegen Täufer und Türken
Wie bereits im letzten Kapitel deutlich geworden ist, gab es neben den drei großen Konfessionen noch weitere Glaubensrichtungen, die auf den Reichstagen des 16. Jahrhunderts thematisiert wurden. Außer mit den Juden, die im Rahmen von Polizei- und Kammergerichtsordnungen sowie in Zusammenhang mit Steuern immer wieder Erwähnung fanden, beschäftigte sich der Reichstag insbesondere mit den Täufern als einer weiteren Erscheinung aus dem Umkreis der Reformation und mit dem Osmanischen Reich, dessen akute Bedrohung Mitteleuropas ein beinahe noch drängenderes Problem als die konfessionelle Spaltung darstellte. Hier hatte man es nun bei den Täufern mit einem innerchristlichen, bei den Türken mit einem außerchristlichen, nämlich muslimischen Gegner zu tun. In diesem Zusammenhang stellt sich zwangsläufig die Frage, wie die Konfessionen bei allen Auseinandersetzungen untereinander nun eigentlich mit gemeinsamen andersgläubigen Gegnern umgingen. Gab es hier eine überkonfessionelle Zusammenarbeit oder verhinderten die theologischen Unterschiede eine gemeinsame Linie?
7.1 Die Täufer Die ,Täufer‘ an sich hat es eigentlich nie gegeben.1 Im Prinzip fasst man hier verschiedene Bewegungen der radikalen Reformation zusammen und benennt sie nach ihrem kleinsten gemeinsamen Nenner, der Erwachsenentaufe. Hans-Jürgen 1
In der neueren Forschung hat man die Bezeichnung ,Wiedertäufer‘ zunehmend durch ,Täufer‘ ersetzt, da dieser Begriff polemisch gefüllt war und dem Selbstverständnis der so bezeichneten nicht entsprach. Vgl. hierzu James M. Stayer: Täufer. In: TRE 32. S. 597–617, hier S. 597 sowie Ralf Klötzer: Die Täuferherrschaft von Münster. Stadtreformation und Welterneuerung. Münster i. W. 1992 (RST. Bd. 131). S. 11. Interessanterweise schuf man damit jedoch einen Namen, der weitgehend unhistorisch ist und weder als Selbstbezeichnung noch wie ,Wiedertäufer‘ als zeitgenössische Fremdbezeichnung gebräuchlich war. Zudem gibt es Verwechslungsmöglichkeiten, da mit ,Täufer‘ natürlich auch der Geistliche gemeint ist, der die Taufhandlung vornimmt. Es handelt sich also gleichsam um einen terminologischen Kompromiss. Wir haben hier einen Beleg dafür, wie wichtig terminologische Fragen im religiösen Bereich bis in die Gegenwart sind.
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Das überkonfessionelle Vorgehen gegen Täufer und Türken
Goerz charakterisiert die Täufer folgendermaßen: Sie waren wie Luther und Zwingli mit den zeitgenössischen kirchlichen Zuständen unzufrieden, schritten aber aus Enttäuschung über die lutherische und zwinglische Reformation weiter, als sich herausstellte, dass diese nicht bereit waren, „die engen Bindungen zwischen Kirche und Obrigkeit [...] zu lösen“.2 In der neueren Forschung seit den 1960er Jahren werden drei Wurzeln des Täufertums benannt.3 Die älteste Richtung entwickelte sich bereits seit 1523 in der Schweiz aus ehemaligen Gefolgsleuten Zwinglis. Bei Zürich fand denn auch am 21. Januar 1525 die erste Wiedertaufe der Geschichte statt. Die zweite Wurzel ist das ober- und mitteldeutsche Täufertum, das besonders in Mähren beheimatet war und unter Führung von Balthasar Hubmaier zunächst in Waldshut und später in Nikolsburg sogar eine von der Obrigkeit geförderte Täuferreformation durchführen konnte. Von besonderem Interesse sind schließlich als dritte Richtung die nach Melchior Hoffmann benannten Melchioriten in Niederdeutschland, denn sie bildeten die Basis für das berühmt-berüchtigte Täuferreich in Münster. Alle diese Gruppen lehnten zwar die Kindertaufe ab, ansonsten gab es allerdings z. T. bedeutende Unterschiede in der Lehre und eine weitgehend voneinander unabhängige Weiterentwicklung der verschiedenen Richtungen.4 7.1.1 Theologisch-publizistische Texte der Täufer und ihrer Gegner Das Selbstverständnis der Täufer und die daraus resultierenden Selbstbezeichnungen sollen kurz anhand von drei Theologen skizziert werden, die jeweils eine der vorgestellten Richtungen repräsentieren: Michael Sattler, der in seinen sieben Schleitheimer Artikeln dem Schweizer Täufertum ein Programm gegeben hat, Balthasar Hubmaier, der Reformator von Nikolsburg, sowie Bernhard Rothmann, der Theologe des Münsteraner Täuferreichs. Es ist gleich vorauszuschicken, dass die Bezeichnung ,Täufer‘ oder gar ,Wiedertäufer‘ niemals als Selbstbezeichnung auftaucht. Da sie die Erwachsenentaufe als einzig gültige Taufhandlung sahen, wehrten sie sich
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Hans-Jürgen Goertz: Die Täufer. Geschichte und Deutung. München 1980. S. 11. Einen Überblick über die verschiedenen Richtungen des Täufertums liefern Goertz: Die Täufer (Anm. 2). S. 12–39 sowie Frank Staeck/Caroline Welsch: Ketzer, Täufer, Utopisten. Pfaffenweiler 1991 (Forum Sozialgeschichte. Bd. 2). S. 256–277. Täuferische Gruppen haben sich bis heute erhalten, etwa die Hutterer und die Amischen bzw. Amish People in den USA sowie die Mennoniten. Vgl. Goertz: Die Täufer (Anm. 2). S. 28 sowie Horst Reller u. a. (Hg.): Handbuch Religiöse Gemeinschaften. 4., überarb. u. erw. Aufl. Gütersloh 1993. S. 68–72.
Die Täufer
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vehement gegen diesen Namen, der den Vorwurf einer zweiten Taufe enthält.5 Statt dessen nannten alle drei Theologen sich und ihre Anhänger ,Christen‘.6 Bei Hubmaier und besonders Sattler spielt auch die Bezeichnung als ,Brüder und Schwestern‘ eine große Rolle.7 Sattler spricht sogar von der eigenen Ehefrau als seiner eelichen schwester. Er begründet diesen Namen nicht zuletzt damit, dass die Täufer sün vnd töchter Gottes seien, woraus sich die geschwisterliche Verwandtschaftsbeziehung ja von selbst ergibt.8 An der Terminologie lassen sich auch die Heterogenität der Täufer und ihre zuweilen heftigen internen Auseinandersetzungen ablesen. Hubmaier spricht davon, dass er von vielen Brüdern als bluot sauffer beschimpft wurde, weil er als Vertreter einer obrigkeitlichen Reformation Gehorsam gegen eben diese Obrigkeit lehrte.9 Sattler mahnt mehrfach eindringlich vor etlichen falschen brüdern, die des Teufels seien und aus der Gemeinde ausgeschlossen werden müssten.10 Ebenso wie Katholiken und Reformatoren vertraten die Täufer also einen universalen Anspruch und grenzten sich zugleich deutlich von ihren inneren wie äußeren Gegnern ab, die sie häufig als ,Ungläubige‘ oder ,Gottlose‘ bezeichneten.11 Dabei lässt sich allerdings feststellen, dass die Vorwürfe gegen die Katholiken meist schärfer ausfielen 5
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Vgl. Balthasar Hubmaier in seiner wichtigsten theologischen Schrift ,Von der christlichen Taufe der Gläubigen‘ von 1525. In: Quellen zur Geschichte der Täufer. Bd. IX: Balthasar Hubmaier. Schriften. Hg. v. Gunnar Westin und Torsten Bergsten. Heidelberg 1962 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte. Bd. XXIX). S. 116/118–163, hier S. 119, 133, 140, 149. Auch bei Bernhard Rothmann findet sich eine entsprechende Stelle in seinem ,Bekenntnis des Glaubens und Lebens der Gemeinde Christi zu Münster‘ von 1534. In: Robert Stupperich (Hg.): Die Schriften Bernhard Rothmanns. Münster i. W. 1970 (Die Schriften der Münsterischen Täufer und ihrer Gegner. Bd. I. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen. Bd. XXXII). S. 195/196–208, hier S. 206. Vgl. z. B. Hubmaier: Von der christlichen Taufe (Anm. 5). S. 119, Rothmann: Bekenntnis (Anm. 5). S. 203 sowie Michael Sattler: Brüderlich Vereinigung etzlicher Kinder Gottes sieben Artikel betreffend. Jtem ein Sendbrief Michael Sattlers an eine Gemeine Gottes samt seinem Martyrium. 1527. Hg. v. Walther Köhler. In: Otto Clemen (Hg.): Flugschriften aus den ersten Jahren der Reformation. Bd. II. Halle 1907–1911. Nachdruck Nieuwkoop 1967. S. 277/305–337, hier S. 311, 313, 322. Dieses Werk wird meist als ,Schleitheimer Artikel‘ bezeichnet. Vgl. Hubmaier: Von der christlichen Taufe (Anm. 5). S. 145, 157, 160 und Sattler: Brüderlich Vereinigung (Anm. 6). S. 305, 306, 310. Vgl. Sattler: Brüderlich Vereinigung (Anm. 6). S. 321, 324. Zur Bezeichnung als Söhne und Töchter bzw. Kinder Gottes vgl. S. 309, 316, 321f. Vgl. Balthasar Hubmaier: Eine kurze Entschuldigung. 1526. In: Quellen zur Geschichte der Täufer. Bd. IX: Balthasar Hubmaier. Schriften. Hg. v. Gunnar Westin und Torsten Bergsten. Heidelberg 1962 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte. Bd. XXIX). S. 269/272–283, hier S. 277. Vgl. Sattler: Brüderlich Vereinigung (Anm. 6). S. 306f., 315. Vgl. z. B. Sattler: Brüderlich Vereinigung (Anm. 6). S. 311, 318, Hubmaier: Eine kurze Entschuldigung (Anm. 9). S. 273 und Rothmann: Bekenntnis (Anm. 5). S. 196, 197, 198, 204, 205, 207, 208. Daneben erschienen, wie in polemischen Schriften üblich, natürlich zahlreiche weitere Bezeichnungen, deren Aufzählung hier den Rahmen sprengen würde.
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Das überkonfessionelle Vorgehen gegen Täufer und Türken
als gegen die Evangelischen, da man sich der gemeinsamen reformatorischen Wurzeln durchaus bewusst war. Besonders Hubmaier, der durch seine Zusammenarbeit mit der Obrigkeit ein sehr gemäßigtes Täufertum vertrat, hoffte auf einen Ausgleich mit Zwingli.12 Die theologischen Gegner nannten die Täufer unabhängig von der jeweiligen Konfession zunächst ,Wiedertäufer‘. Luther verwendet in diesem Zusammenhang auch gerne die Abwandlung teuffler, um zum Ausdruck zu bringen, dass ihre Lehre teuflisch sei.13 Unterschiede treten v. a. in der jeweiligen lateinischen Version des Namens auf. Am geläufigsten ist ,anabaptistae‘.14 Johannes Eck macht hier eine Ausnahme, indem er sie als ,parabaptistae‘ bezeichnet. Unter diesem Namen wurde bereits auf dem 5. Konzil von Konstantinopel die Häresie der Pelagianer geführt. Damit kann Eck darauf verweisen, dass die Täufer im Prinzip schon lange als Sekte verurteilt seien, die gleiche Argumentation, die er auch gegen die Reformatoren gebraucht hat.15 Zwingli steuert als weitere Spielart ,catabaptistae‘ bei, womit er evtl. 12
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Vgl. Hubmaier: Von der christlichen Taufe (Anm. 5). S. 156, wo er einen nicht näher genannten Gegner als lieben bruoder und lieber fründ bezeichnet. Vgl. auch die Einleitung zu dieser Schrift auf S. 116. In die gleiche Richtung deutet auch die Tatsache, dass der ersten Ausgabe der Flugschrift über Michael Sattler neben den Schleitheimer Artikeln, Sattlers Sendbrief und dem Bericht über sein Martyrium auch Lutherworte beigefügt waren, die aber bezeichnenderweise in einem späteren Druck fortgelassen wurden, vgl. die Einleitung zu Sattler: Brüderlich Vereinigung (Anm. 6). S. 300. Vgl. Luther: Von der Wiedertaufe. WA 26. S. 145, 149, 159 und S. 173. Ein Überblick über alle Schriften Luthers gegen die Täufer findet sich bei Ji-Hoon Hong: Luthers Auseinandersetzung mit dem täuferischen Taufverständnis. Bonn 1995. S. 125–152. Vgl. von katholischer Seite etwa Johann Heller: Contra anabaptistas unici baptismatis assertio Autore Johanne Corbachio Franciscano [= Johann Heller]. Coloniae, mense Decembri 1534. In: Robert Stupperich (Hg.): Schriften von katholischer Seite gegen die Täufer. Münster i. W. 1980 (Die Schriften der Münsterischen Täufer und ihrer Gegner. Bd. II. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen. Bd. XXXII). S. 227–229 oder Johannes Cochläus: XXI articuli anabaptistarum Monasteriensium per Doctorem Iohannem Cochleum confutati, adiuncta ostensione originis, ex qua defluxerunt. M.D. XXXIIII. In: Robert Stupperich (Hg.): Schriften von katholischer Seite gegen die Täufer. Münster i. W. 1980 (Die Schriften der Münsterischen Täufer und ihrer Gegner. Bd. II. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen. Bd. XXXII). S. 111–127. Einen Überblick über die katholische Auseinandersetzung mit den Täufern liefert Christoph Dittrich: Die vortridentinische katholische Kontroverstheologie und die Täufer. Cochläus – Eck – Fabri. Frankfurt a. M. 1981 (Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften. Bd. 473). Von evangelischer Seite vgl. beispielsweise Philipp Melanchthon: De deliriis et furoribus anabaptistarum. 1535. In: Robert Stupperich (Hg.): Schriften von evangelischer Seite gegen die Täufer. Münster i. W. 1983 (Die Schriften der Münsterischen Täufer und ihrer Gegner. Bd. III. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen. Bd. XXXII). S. 55–58 und Amsdorff: Contra Zwinglianos et Anabaptistas Themata (Kap. 3, Anm. 188). S. 69–73. Zur Bezeichnung als ,parabaptistae‘ vgl. Eck: Enchiridion (Kap. 3, Anm. 231). S. 406, 409, 411, 412, 413, 414. Zur Begründung dieses Namens vgl. Ders.: Handbüchlin (Kap. 3, Anm. 92). S. 209 und
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den Doppelsinn des deutschen Wortes ,Wi(e)dertäufer‘ ausdrücken wollte. Hier ließ sich zu jener Zeit orthographisch nicht genau entscheiden, ob damit diejenigen gemeint waren, die ,wieder‘ taufen oder jene, die gegen, also ,wider‘ die Taufe sind.16 Die meisten Theologen werfen ihnen zudem vor, sie seien ,Ketzer‘ und gehörten einer ,Sekte‘ an,17 daneben werden sie häufig als ungebildet dargestellt.18 Eck und Zwingli betonen ihre ,novitas‘.19 Von Seiten eines Katholiken ist dieser Vorwurf nicht verwunderlich, wird doch alles, was der alten Wahrheit der katholischen Kirche widerspricht, als Neuerung diffamiert. Von einem Reformator aber, der selber oft genug diesen Vorwurf zu hören bekommen hat, wäre dieses Verdikt weniger zu erwarten gewesen. Neben der theologischen Kritik findet sich ebenfalls bei allen Konfessionen bereits vor der Episode von Münster der Vorwurf des Aufruhrs. Besonders Luther wirft ihnen in diesem Zusammenhang vor, ,Schwärmer‘ und ,Rottengeister‘ zu sein,20 Begriffe, die auch auf katholischer Seite, z. B. von Johannes Cochläus, aufgenommen wurden.21 Mit ,Rotten‘ ist dabei der Aufruhr gegen die Obrigkeit gemeint, man denke nur an Luthers Schrift ,Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern‘. Philipp Melanchthon fordert 1535 die Obrigkeit sogar auf: So nun die widerteuffer offenlich auffrürer sind, so sollen sie [...] als die offentlich mörder und reu-
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Enchiridion (Kap. 3, Anm. 231). S. 303, 305, 406. Hier besonders auch S. 305, Anm. 35. Vgl. Zwingli: In catabaptistarum strophae elenchus. CR 93/1. Nr. 108. S. 114. Vgl. zur Worterklärung S. 21f., Anm. 1. Vgl. Heller: Contra anabaptistas (Anm. 14). S. 227 sowie Johannes Cochläus: XXI Artickel der widderteuffer zu Munster durch Doctor Johan Cocleum widerlegt mit anzeigung des ursprungs, daraus sie herfliessen. M.D.XXXIIII. In: Robert Stupperich (Hg.): Schriften von katholischer Seite gegen die Täufer. Münster i. W. 1980 (Die Schriften der Münsterischen Täufer und ihrer Gegner. Bd. II. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen. Bd. XXXII). S. 96–110, hier S. 98, 99, 105, 109, und Eck: Handbüchlin (Kap. 3, Anm. 92). S. 160, 163 bzw. Ders.: Enchiridion (Kap. 3, Anm. 231). S. 306, 312, 370. Eher seltener erscheint dieser Vorwurf bei evangelischen Theologen, vgl. Luther: Von der Wiedertaufe. WA 26. S. 161, Philipp Melanchthon: Etliche Propositiones wider die lehr der Widertauffer gestellt durch Philippum Melanth(onem). In: Robert Stupperich (Hg.): Schriften von evangelischer Seite gegen die Täufer. Münster i. W. 1983 (Die Schriften der Münsterischen Täufer und ihrer Gegner. Bd. III. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen. Bd. XXXII). S. 59–61, hier S. 59, sowie Zwingli: In catabaptistarum strophae elenchus. CR 93/1. Nr. 108. S. 32. Vgl. Luther: Vorrede zur Neuen Zeitung. WA 38. S. 348, Zwingli: In catabaptistarum strophae elenchus. CR 93/1. Nr. 108. S. 23 und Eck: Enchiridion (Kap. 3, Anm. 231). S. 312. Natürlich äußert Eck den Vorwurf, die Wiedertäufer könnten nicht einmal auf Latein schreiben, nur in der lateinischen Fassung seines Werkes! Eck: Handbüchlin (Kap. 3, Anm. 92). S. 161, 217. Ders.: Enchiridion (Kap. 3, Anm. 231). S. 308, 413, Zwingli: In catabaptistarum strophae elenchus. CR 93/1. Nr. 108. S. 24. Vgl. Luther: Von der Wiedertaufe. WA 26. S. 148, 158, 166 und S. 173. Ders.: Vorrede zu Menius. WA 30.2. S. 211 sowie Ders.: Vorrede zu Urbanus Rhegius. WA 38. S. 338. Vgl. Cochläus: XXI Artickel der widderteuffer (Anm. 17). S. 104, 110.
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Das überkonfessionelle Vorgehen gegen Täufer und Türken
ber gestrafft werden.22 Die Theologen scheinen sich also weitgehend einig in ihrer konfessionsübergreifenden Verurteilung der Täufer. Johannes Eck zieht sogar Oekolampad, den Reformator von Basel und Anhänger Zwinglis, als Gewährsmann für seine Argumentation gegen die Täufer heran. Aber dieser Anflug von Brüderlichkeit trügt, denn Eck betont danach sofort, dass auch Oekolampad von der kirchen abgeschnitten sei.23 Zudem dreht er die Tatsache, dass man über weite Strecken gleicher Meinung ist, sofort gegen die Evangelischen, denn alle diese argument seint geleich wider sie/ als wider die widertauffer.24 Überhaupt schiebt er die eigentliche Schuld an der ganzen Misere letztendlich Luther in die Schuhe, denn wie die mythologische Hydra, der immer mehrere Köpfe nachwuchsen, wenn man einen abschlug, hat die Lutherey vil Secten bracht/ Zwinglisch/ Schwermerisch/ Widertauffer/ gayster/ auch auffruor vnd bluottuergiessen.25 In das gleiche Horn stößt auch Cochläus. Er stellt die Täufer bei aller Verurteilung letztendlich als arme, verführte Menschen dar und wendet seine ganze Argumentation gegen Luther, so dass im Prinzip eher eine antilutherische denn eine antitäuferische Streitschrift herauskommt.26 Man sieht also sowohl bei Eck als auch bei Cochläus ganz deutlich, dass sie die Täufer, Zwingli und Luther in einen Topf werfen und alle gleichermaßen verdammen. Die Reformatoren verhalten sich nicht viel anders. Zum einen beschränkt Luther die Bezeichnungen ,Schwärmer‘ und ,Rotten‘ nicht auf die Täufer. Er belegt mit diesem Verdikt ebenso die Sacraments feinde, also die Reformierten.27 Auch Nikolaus v. Amsdorff sieht gar kein Problem darin, 1535 einer Thesenreihe gegen die Wiedertäufer in der gleichen Schrift eine zweite Gruppe von Thesen Widder die Sacramentirer bzw. Contra Zwinglianos folgen zu lassen.28 Man kann also keineswegs von Einmütigkeit im evangelischen Lager sprechen. Besonders heftig fallen jedoch die Angriffe gegen das Papsttum aus. Luther beschuldigt einige ,Papisten‘ sogar, selbst Wiedertäufer zu sein, da er von Fällen gehört habe, in denen katholische Geistliche eine auf Deutsch vollzogene Taufe nicht anerkannt und auf Lateinisch wiederholt haben.29 Tiefer geht der Vorwurf, die Täufer hätten gleichsam die Nachfolge des Papsttums angetreten, denn der Teufel habe sich ein neues Betätigungsfeld gesucht,
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29
Melanchthon: Propositiones (Anm. 17). S. 61. Eck: Handbüchlin (Kap. 3, Anm. 92). S. 159. Eck: Handbüchlin (Kap. 3, Anm. 92). S. 160. Eck: Handbüchlin (Kap. 3, Anm. 92). S. 208. Vgl. etwa das Schlussplädoyer gegen Luthers Lehre und Bücher als Wurzel der Wiedertäufer, Schwärmer und Rotten bei Cochläus: XXI Artickel der widderteuffer (Anm. 17). S. 110. Vgl. etwa Luther: Von der Wiedertaufe. WA 26. S. 146, 163 und S. 173. Vgl. Amsdorff: Widder die Widderteuffer und Sacramentirer (Kap. 3, Anm. 187), sowie die lateinische Fassung: Contra Zwinglianos et Anabaptistas Themata (Kap. 3, Anm. 188). Vgl. Luther: Von der Wiedertaufe. WA 26. S. 146.
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nachdem das Papsttum als Teufelswerk entlarvt worden sei.30 Auch Zwingli behauptet, die Katholiken würden die Täufer unterstützen, was er darin belegt sieht, dass eben diese Täufer über die, qui a pontifice [stant], viel weniger lästern würden als über die, qui ab euangelio stant,31 ein Argument, dass sich mit der Realität aber nicht unbedingt vereinbaren ließ. Dieser kurze Überblick über die theologischen Aussagen zu den Täufern zeigt deutliche Parallelen zwischen den drei großen Konfessionen. Wir sehen eine gemeinsame Frontstellung, die sich häufig sogar der gleichen Argumente bedient. Das ist nicht weiter erstaunlich, wenn man bedenkt, dass gerade die Taufe das einzige Sakrament darstellte, in der es keine gravierenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Reformatoren und Katholiken gab. Dabei zielen die Vorwürfe immer zum einen gegen die Ketzerei, auf der anderen Seite gegen den Aufruhr. Zwischen den unterschiedlichen Gruppen der Täufer wird dabei nicht differenziert, sondern man begreift sie als Einheit. Alleine die Münsteraner werden immer wieder als besonders aufrührerisch aus der Masse herausgehoben. Gleichzeitig benutzen aber alle Konfessionen die Täuferfrage dazu, um sich gegenseitig die Schuld an ihrer Entstehung zuzuschieben und heftig gegeneinander zu polemisieren. Somit waren die Voraussetzungen für ein gemeinsames Vorgehen gegen die Täufer von Seiten der Theologen denkbar schlecht. Die Frage ist nun, wie sich dies in den amtlichen Texten niederschlug. 7.1.2 Amtliche Texte gegen die Täufer auf regionaler und Reichsebene Das bekannte reichsweit geltende Täufermandat, das Karl V. auf dem Reichstag von Speyer 1529 erlassen hatte, war nicht die erste amtliche Maßnahme gegen die Täufer. Zur Vorgeschichte gehören zahlreiche regionale Edikte. Die ersten Mandate gegen die Täufer erschienen selbstverständlich in der Schweiz. Bereits vom 18. Januar 1525 datiert ein Mandat des Zürcher Rates, das aus Anlass einer irtung [...] von des touffs wegen vorschreibt, binnen acht Tagen alle bislang ungetauften Kinder taufen zu lassen.32 Hier wird aber noch keine Gruppe genannt. Im Folgejahr verschärfte man die Gangart zunehmend. Zugleich erschien erstmals die Bezeichnung ,Wiedertäufer‘. Am 7. März 1526 erließ der Rat das erste Mandat, in dem jedem die Todesstrafe durch Ertränken angedroht wurde, der wyter den andern touffe. Man wollte dadurch erreichen, die verfuorten, irrigen wydertöffer von iro irsall abzestellen. Be30 31 32
Vgl. Luther: Vorrede zu Menius. WA 30.2. S. 211. Zwingli: In catabaptistarum strophae elenchus. CR 93/1. Nr. 108. S. 28f. Leonhard v. Mundt/Walter Schmid (Hg.): Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz. Bd. 1. 2. Aufl. Zürich 1974. Nr. 25. S. 35.
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gründet wurde das Mandat u. a. damit, dass die Betreffenden gemeinem regiment und oberkeit zuo nachteil und zerstörung, gmeins nutzes und rechten cristenlichen wesens ungehorsam erschinen.33 Man erkennt hier ganz deutlich, dass es der Obrigkeit nicht nur um theologische Meinungsverschiedenheiten ging, sondern dass sie gerade aufrührerisches Treiben befürchtete. Felix Manz wurde auf Basis dieses Mandats als erster Täufer hingerichtet. Die Eidgenossenschaft war konfessionell gespalten. Der Abschied der drei katholischen Schirmorte der Abtei St. Gallen – Luzern, Schwytz und Glarus – vom 1. März 1526 ist ein Beispiel für das katholische Vorgehen gegen die Täufer in der Schweiz. Zürich zählte ebenfalls zu den Schirmorten, war aber wohlweislich nicht an dieser Versammlung beteiligt, denn das entsprechende Mandat richtete sich nicht nur gegen den kätzerischen, tüfelischen widertouff und ander uncristenlich sachen, sondern ausdrücklich auch gegen die nüwen luterschen oder zwinglichen kätzer, die sich gegen den waren rechten, cristenlichen glouben wenden.34 Hier werden wie bei den katholischen Theologen Täufer, Lutheraner und Reformierte in einem Atemzug genannt. 1527 findet sich auch das erste übergreifende Mandat in der Eidgenossenschaft, zunächst allerdings nur mit Beteiligung einiger weniger evangelischer Städte. Zürich, Bern und St. Gallen einigen sich darauf, dass die Anhänger jener versammlung, rottierung und sect der widerteüffer35 von ihnen als christenliche und ordenliche oberkaiten 36 zu ermahnen und zu bestrafen seien. Die drei Städte laden alle Eidgenossen zur Zusammenarbeit ein. Aber erst von 1530 datiert ein gemeinsamer konfessionsübergreifender eidgenössischer Abschied. Er ist sehr knapp gehalten und gibt keine nähere Begründung für die Verfolgung der Wiedertäufer, erwähnt natürlich auch keine anderen Sekten. Es wird nur beschlossen, in der gesamten Eidgenossenschaft die Prediger der widerthöiffer hart zu strafen und ihre Anhänger einzusperren, damit sölliches unchristenlichen vychs abkommen möge.37 Ein Blick nach Österreich in das Herrschaftsgebiet Ferdinands zeigt ähnliche Tendenzen wie der katholische Abschied von St. Gallen. Ferdinand erließ sein erstes Täufermandat am 20. August 1527. Er erneuert zunächst in aller Form das Wormser Edikt, das Karl V. gegen die Ketzerei Luthers erlassen hatte, denn nicht nur dessen Lehren breiten sich noch immer aus, sondern es sind noch weitere new erschrockhenlich unerhört leren hinzugekommen, und zwar die vernewung des tauffs und myss-
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Mundt/Schmid: Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz. Bd. 1 (Anm. 32). Nr. 172. S. 181. Heinold Fast (Hg.): Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz. Bd. 2: Ostschweiz. Zürich 1973. Nr. 357. S. 275. Fast: Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz. Bd. 2. (Anm. 34). Nr. 1. S. 2. Fast: Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz. Bd. 2. (Anm. 34). Nr. 1. S. 4f. Fast: Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz. Bd. 2. (Anm. 34). Nr. 3. S. 8.
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brauch des hochwirdigen sacraments des zarten fronleichnams Christi.38 Mit dieser Umschreibung sind Täufer und Reformierte gemeint. In Bezug auf den widertauff betont Ferdinand, dass dieser bereits seit langem verdammt und durch kaiserliches Recht unter Strafe gestellt worden sei, womit er sich wie Eck auf die frühchristlichen Konzilien beruft.39 Diese Feststellung ist ihm wohl besonders deshalb wichtig, weil sich das Wormser Edikt ja zunächst ausschließlich auf Luther bezog und als Rechtsgrundlage für ein Vorgehen gegen die Täufer nicht zu Unrecht immer wieder angezweifelt wurde.40 Als Begründung für die Notwendigkeit zur Bekämpfung dieser Sekten führt er neben theologischen Gründen auch ihre angebliche Schuld am Bauernkrieg und die erweckhung aller ungehorsam und aufruer an.41 Ähnlich wie die katholischen Theologen und das Mandat aus St. Gallen ist dieses Edikt ein Rundumschlag, der nicht zwischen Lutheranern, Reformierten und Täufern differenziert. Im gleichen Sinne sind auch alle folgenden Erlasse zu diesem Thema zu verstehen.42 Die Situation änderte sich erst mit dem Patent vom 18. Mai 1529, in dem das Speyrer Mandat verkündet wurde. Hier ist erstmals ausschließlich die erschrecklich new sect des widertauffs ohne Bezugnahme auf andere reformatorische Richtungen genannt.43 Unter dem Eindruck der Ereignisse zu Münster steht ein weiterer Erlass vom 5. April 1534, der nochmals die strenge Verfolgung der Täufer einschärft. Dieser Text ist v. a. aufgrund einer Formulierung interessant: Die widertaufferischen, wie sie hier genannt werden, haben alle Befürchtungen über ihren aufrührerischen Charakter bestätigt und sich gegen die alten christglaubigen in tatliche handlung eingelassen. Mit diesen ,alten Christen‘ sind die katholischen Stände gemeint, die aber in ihrem Kampf gegen die Täufer Unterstützung finden durch die evangelischen Fürsten, die gleychwoll der newen opinion [sind], aber dise sect so wenig leiden mügen als ander.44 Hier wird in deutlichem Gegensatz zu früheren Erlassen und der theologisch-katholischen Sichtweise ein Unterschied zwischen den ,neuen Sekten‘ und den Fürsten der ,neuen Opinion‘ gemacht. Ja man kann sogar sagen, dass das Engagement der Evangelischen eine gewisse Anerkennung findet. Diese Veränderungen in der Formulierung gingen nicht zuletzt auf die Beschlüsse der reichsrechtlichen Ebene zurück und deuten bereits an, warum eine reichsrechtlich geregelte Verfolgung der Täufer durchaus im Sinne der evangelischen Stände sein musste. 38
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Grete Mecenseffy (Hg.): Quellen zur Geschichte der Täufer. Bd. XI: Österreich. I. Teil. Heidelberg 1964 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte. Bd. XXXI). Nr. 3. S. 5. Vgl. Mecenseffy: Quellen zur Geschichte der Täufer XI (Anm. 38). Nr. 3. S. 6. Vgl. etwa Sattler: Brüderlich Vereinigung (Anm. 6). S. 327. Mecenseffy: Quellen zur Geschichte der Täufer XI (Anm. 38). Nr. 3. S. 9. Vgl. Mecenseffy: Quellen zur Geschichte der Täufer XI (Anm. 38). Nr. 31, 39, 98, 126. Mecenseffy: Quellen zur Geschichte der Täufer XI (Anm. 38). Nr. 130. S. 195. Mecenseffy: Quellen zur Geschichte der Täufer XI (Anm. 38). Nr. 209. S. 281.
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Auf Reichsebene finden die Täufer in insgesamt vier Reichsabschieden ausdrückliche Erwähnung: 1529, 1530, 1544 und 1551. Hinzu kommen noch drei Versammlungen aus dem Jahr 1535, die zusammengetreten waren, um über die Belagerung von Münster zu beratschlagen, von Karl V. aber im nachhinein nicht als Reichstage anerkannt wurden. Grundlage für das reichsrechtliche Vorgehen gegen die Täufer bildete das Mandat von 1529. Wie bereits ausgeführt, werden im Reichsabschied insgesamt drei ,Sekten‘ erwähnt, zum einen die im Wormser Edikt verurteilten Lutheraner, dazu die Reformierten sowie die neue sect des widertaufs.45 Diese Gleichsetzung von Lutheranern, Reformierten und Täufern entsprach ganz der üblichen katholischen Linie, die wir bereits kennengelernt haben. Dennoch wurde allein gegen die Täufer ein strenges Mandat erlassen, die Lobby der Lutheraner und Reformierten war offensichtlich bereits zu stark. Das entsprechende Edikt ist auf den 23. April datiert, also einen Tag nach dem Abschied. Der Kaiser beruft sich hier, wie bereits im Wormser Edikt, auf sein Amt als oberster vogt und beschirmer unsers h. christlichen glaubens. Er wendet sich gegen den kürzlich neuen aufgestanden irsal und sect des widertaufs und derselben mutwilligen, verfürigen und aufrürigen anhang. Einerseits bezeichnet er hier die Täufer als neue Sekte, betont aber zugleich, dass es sich um eine vor viel hundert jaren verdampte und verpotene sect handle, wie wir das auch schon in den österreichischen Mandaten Ferdinands gesehen haben. Er verfügt die Todesstrafe für alle und jede widertaufer und widergetauften. Ihre Anführer sowie alle diejenigen, die sich nicht lossagen wollen oder wieder rückfällig geworden sind, dürfen auf keinen Fall begnadigt werden. Ansonsten hat die jeweilige Obrigkeit im Falle eines Widerrufs die Möglichkeit, auf Strafe zu verzichten. Gleichzeitig wird verfügt, das ein jeder sein kinder nach christlicher ordnung herkommen und geprauch in der jugent taufen lassen soll.46 Im Prinzip unterscheidet sich dieses Mandat nicht allzusehr von jenen, die bereits zuvor auf regionaler Ebene erlassen worden waren. Besonders wichtig ist allerdings Folgendes: Hier werden nur die Täufer verurteilt, andere vermeinte Ketzer werden nicht erwähnt. Der Wortlaut legt vielmehr sogar nahe, dass alle Stände, die dieses Mandat unterstützen, christlich handeln. Den evangelischen Fürsten konnte das eigentlich nicht ungelegen kommen. Ihre Theologen verurteilten die Täufer, wie wir gesehen haben, nicht weniger als ihre katholischen Kollegen. Vermeidung von Aufruhr und Umsturz war ein Argument, dem sich grundsätzlich alle Obrigkeiten anschließen konnten. Zudem muss man bedenken, dass es für die Evangelischen ziemlich gefährlich war, wenn Täufer wie bisher auf Grundlage des Wormser Edikts abgeurteilt wurden, denn das bedeutete eine offizielle Gleichsetzung von Evangeli45 46
RTA JR VII. Nr. 148. S. 1299f. RTA JR VII. Nr. 153. S. 1326f.
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schen und Täufern. Andererseits ermöglichte eine Zustimmung zu diesem Mandat in gewisser Weise eine Entkräftung der Vorwürfe der Ketzerei und des Ungehorsams im Reichsabschied. Selbst die Tatsache, dass die Evangelischen mit ihrer berühmten Protestation den Abschied ablehnten, stellte keinen Hinderungsgrund dar, da das Mandat unabhängig vom Abschied erlassen worden war. Aus diesen Gründen schlossen sich die evangelischen Stände der reichsrechtlichen Linie gegen die Täufer vorbehaltlos an. Dass sie hier eigentlich potentielle Leidensgenossen vor sich hatten, die sich ebenso wie die Reformatoren auf Gottes Wort und ihr Gewissen beriefen, um Missbräuche im Glauben abzustellen, spielte dabei keine Rolle. Damit verhielten sich die evangelischen Obrigkeiten nicht weniger intolerant als ihre katholischen Kollegen. Umgekehrt scheinen auch der Kaiser und die Mehrheit der katholischen Stände trotz ihrer ablehnenden Haltung gegenüber den Protestanten ein starkes Interesse an ihrer Zustimmung gehabt zu haben, sonst wäre es ein Leichtes gewesen, wie auf regionaler Ebene einen Rundumschlag gegen alle Ketzer auszuführen. Diese Haltung bestätigte sich im Abschied des folgenden Reichstages von 1530. Nach Ablehnung der Bekenntnisse durch den Kaiser wurden alle Gruppen gleichermaßen als ,Sekten‘ und aufrührerisch gebrandmarkt, und Karl befahl, alle Neuerung wieder abzustellen.47 Trotzdem verlangt er von den lutherischen Ständen um Kursachsen, gemeinsam mit den Katholiken wieder diejenigen, so das hochwürdig Sacrament nicht halten [also die Reformierten], und die Widertäuffer vorzugehen,48 eine in Anbetracht der Lage ziemlich dreiste Forderung! Dennoch fand sie Gehör, nicht in einer Befolgung des Abschieds, aber in der Unterstützung des Speyrer Mandats. Kurze Zeit später änderte sich die Gesamtsituation grundlegend. Zum einen nahm die Türkengefahr Druck von den evangelischen Ständen, andererseits forderte das Täuferreich in Münster 1534/35 die Stände zu einmütigem Handeln auf. Im Jahre 1535 fanden insgesamt drei Reichsversammlungen statt, die sich ausschließlich mit der Belagerung von Münster befassten. Die entsprechenden Abschiede fanden konfessionsübergreifende Zustimmung. Dennoch gab es im Vorfeld einiges Konfliktpotential: Bernhard Rothmann hatte in Münster zunächst die lutherische Lehre eingeführt. Philipp von Hessen und andere evangelische Fürsten waren im Vertrag von Dülmen 1533 als Schutzmacht der Stadt gegen ihren katholischen Landesherrn, den Münsteraner Fürstbischof Franz von Waldeck, aufgetreten und hatten auf diese Weise die Durchsetzung der Reformation maßgeblich unterstützt.49 Es 47 48 49
Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 312. § 46. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 308. § 4. Vgl. Klötzer: Die Täuferherrschaft von Münster (Anm. 1). S. 34–37. Während der Belagerung von Münster versuchte Rothmann Philipp v. Hessen eingedenk dessen früherer Hilfe durch die Übersendung zweier Abhandlungen auf die Seite der Täufer zu ziehen, vgl. S. 173.
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war bestimmt recht peinlich für die entsprechenden Stände, dass Rothmann Münster kurz darauf dem Täufertum öffnete, konnte das doch Wasser auf die Mühlen der Katholiken bedeuten, die ja schon früher behauptet hatten, die Täufer seien aus Luthers Lehre hervorgegangen. Hier war eine Zusammenarbeit mit den katholischen Ständen politisch sicher von Vorteil, um etwaige Vorwürfe zu entkräften. Es blieb allerdings die große Frage, welcher Konfession Münster nach einem Sieg gegen die Täufer zugehören sollte. Die evangelischen Stände wünschten eine Rückkehr zum Vertrag von Dülmen, der Bischof natürlich eine Rekatholisierung. Der Abschied vom April 1535 klammerte diese Frage wohlweislich aus, indem man sie einem künftigen Beschluss des Reiches vorbehielt.50 Im dritten Abschied vom November 1535 wurde nach der Eroberung Münsters eine Entscheidung über die religiöse Zukunft der Stadt notwendig. Als die katholische Mehrheit faktisch eine Rekatholisierung beschloss, wurde von der evangelischen Seite zwar eine offizielle Protestation eingelegt, allerdings begnügte sie sich mit der Aufnahme des Protestes in den Abschied, da man die Beschlüsse nicht als Ganzes blockieren wollte.51 Die Diskussion um die konfessionelle Zukunft Münsters hat das Engagement der Evangelischen an der Seite der Katholiken also nicht verhindert. Als Rechtsgrundlage für das Vorgehen gegen Münster bediente man sich dabei allerdings nicht des Speyrer Mandats, wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre, sondern mehrerer Reichs-Abschied, der aufrührigen Unterthanen halben, die in Folge des Bauernkriegs eine verstärkte Zusammenarbeit der Stände gegen Aufstände festgelegt hatten.52 Damit zog man zumindest offiziell nicht in erster Linie gegen religiöse Abweichler, sondern gegen Aufrührer zu Felde, doch natürlich spielt auch das Vorgehen gegen die verdammte/ aufrührische/ und unchristliche Sect des Widertaufs53 an sich eine Rolle. Mehrmals wird ihnen vorgeworfen, unchristlich/ tyrannisch und unmenschlich54 zu sein, was aber nicht weiter ausgeführt wird. Um die Täufer wirksam zu bekämpfen beschließt man eine gemeinsame finanzielle Hilfe, die die Stände zu Beförderung diß nothwendigen Christlichen guten Wercks [...] sonderlich zu Erhaltung aller Ober- und Ehrbarkeit zu zahlen haben.55 In diesem Zusammenhang werden alle Stände, die den Kampf unterstützen, als gehorsame und getreue Glieder des Heil. Reichs bezeichnet,56 ein Prädikat, das den Protestanten 50 51 52
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Vgl. Neuhaus: Reichsständische Repräsentationsformen (Kap. 5, Anm. 5). S. 85f. Vgl. Neuhaus: Reichsständische Repräsentationsformen (Kap. 5, Anm. 5). S. 139–142. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 407. Gemeint sind hier die Reichsabschiede von Speyer 1526, S. 274f. § 5–10, von Speyer 1529, RTA JR VII. Nr. 148. S. 1307, und von Augsburg 1530, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 316f. § 70/71. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 407. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 407, 408 und S. 409. § 1. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 414. § 33. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 417. § 49.
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vor noch gar nicht allzu langer Zeit vehement abgesprochen worden war. Auch hier wird wieder deutlich, dass die evangelischen Stände durch ihre Zusammenarbeit mit den katholischen Fürsten mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen konnten: Sie bekämpften eine Gruppe, die zu Ungehorsam gegen die Obrigkeit und zum Umsturz der Weltordnung aufrief, ein Fanal, das alle Obrigkeiten konfessionsübergreifend fürchteten, und zusätzlich erhielten sie die Gelegenheit, sich als gehorsame Untertanen des Kaisers zu profilieren und damit von der Frage der Glaubensspaltung abzulenken. Bleibt am Ende wie bei jeder obrigkeitlichen Verfügung noch die Frage der Durchführung. Die Abschiede von 1544 und 1551 wiederholten die Vorschriften gegen die Täufer von 1529, weil viele Stände sich nicht streng genug daran hielten.57 Tatsächlich scheinen gerade die evangelischen Stände das Edikt eher locker gehandhabt und sich meist mit Ausweisungen oder Gefängnis begnügt zu haben. Sie hatten offensichtlich Bedenken, das herkömmliche Ketzerrecht anzuwenden.58 Man muss in diesem Zusammenhang nur bedenken, dass Melchior Hoffmann, immerhin einer der geistigen Urheber der Täuferherrschaft in Münster, nach seiner Gefangennahme in Straßburg lediglich mit lebenslanger Haft bestraft und nicht hingerichtet wurde.59 Den Protestanten ist durchaus vorzuwerfen, mit der Unterstützung des kaiserlichen Edikts ihre Ideale zugunsten politischer Vorteile verraten zu haben, schließlich hat sich die reformatorische Lehre zu Beginn in einer ähnlichen Lage befunden. Doch vielleicht lässt sich aus der unterschiedlichen Umsetzung folgern, dass sie in Erinnerung an ihre eigene Situation doch ein wenig mehr Rücksicht im Umgang mit sogenannten Ketzern und Sekten zeigten als katholische Stände.
7.2 Die Türken Der zweite andersgläubige Gegner, mit dem die Reichsstände zu tun hatten, waren die Osmanen, die seit der Eroberung Konstantinopels im Jahre 1453 eine dauernde Gefahr für das Abendland darstellten. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts breitete sich eine teilweise an Hysterie grenzende ,Türkenfurcht‘ aus. Seit 1520 regierte Sultan Süleyman der Prächtige, der sogleich nach seinem Herrschaftsantritt die Expansion nach Nordwesten vorantrieb. Nachdem der Ungarische König Ludwig 1526 in 57 58
59
Vgl. RTA JR XV. Nr. 565. S. 2268f. § 74 sowie RTA JR XIX. Nr. 305. S. 1599ff. § 87–94. Vgl. Stayer: Täufer (Anm. 1). S. 603. Untersuchungen für den oberdeutschen Raum zeigen, dass 85 % aller Hinrichtungen durch katholische Obrigkeiten verfügt worden waren. Zudem verhängten nur sie die Feuerstrafe und richteten auch Täufer hin, die widerrufen hatten. Vgl. Goertz: Die Täufer (Anm. 2). S. 33 und Peter Kawerau: Melchior Hoffmann. In: NDB 9. S. 389f.
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der Schlacht bei Móhacs gegen die Türken gefallen war und Erzherzog Ferdinand als sein Erbe den ungarischen Thron beanspruchte, standen Habsburg und das Heilige Römische Reich in vorderster Front. 1529 konnte Süleyman die ungarische Hauptstadt Ofen erobern und kam Ende September sogar bis vor Wien. Nach einem weiteren türkischen Vorstoß im Jahre 1532 schloss man im Folgejahr einen Frieden, der die Teilung Ungarns zwischen Habsburg und den Osmanen besiegelte. Seit 1540 flammten die Kämpfe allerdings wieder auf und dauerten fort bis 1545, als zunächst ein Waffenstillstand geschlossen wurde, der dann 1547 in einen Friedensvertrag mündete. Seit 1552 kam es erneut zu Grenzkonflikten, die sich aber nicht ausweiteten. Nach dem Versuch Maximilians II., Siebenbürgen zu erobern, brach 1565 ein Krieg aus, der 1568 unter Selim II., seit 1566 Nachfolger Süleymans, im Frieden von Adrianopel beigelegt wurde. Von 1593 bis 1606 währte dann der sog. ,lange Türkenkrieg‘, der Ferdinand II. zwar keinen Sieg, aber immerhin die Anerkennung als ein ebenbürtiger Partner der Osmanen und ein Ende der demütigenden Tributzahlungen für den habsburgischen Teil Ungarns brachte. Die heißen Phasen waren also etwa 1529–1532, 1540–1545, 1565–1568 und 1593– 1606, wobei auch dazwischen an den Grenzen keine Ruhe einkehrte und kleinere Auseinandersetzungen an der Tagesordnung waren.60 7.2.1 Theologisch-publizistische Schriften zur Türkenbedrohung Das Schrifttum über und gegen die Türken ist Legion.61 Dabei gab es verschiedene Sorten von Texten. ,Neue Zeitungen‘ etwa informierten den Leser über Ereignisse an der christlich-türkischen Kriegsfront, daneben entstanden aber auch Werke über Religion, Gesellschaft, Politik, Geschichte sowie Sitten und Bräuche der Osmanen. Hier wurde natürlich nicht gerade vorurteilsfrei berichtet, sondern man erschreckte die Leser mit Darstellungen der Macht und der Grausamkeit des Türken, der schließlich als Inbegriff des Bösen schlechthin galt.62 Er war in aller Munde, und das auch im wahrsten Sinne des Wortes, denn ,Türke‘ war ein beliebtes Schimpfwort. So hat beispielsweise der Schweizer Täufer Michael Sattler seinen Gegnern, den vermeynten Christen, vorgeworfen, türcken nach dem geist zu sein, die man eher bekämp60 61
62
Vgl. Kohnle: Türkenkriege (Kap. 6, Anm. 209). S. 181–183. Carl Göllner führt in seiner Bibliographie insgesamt 2463 europäische Drucke aus den Jahren 1501 bis 1600 auf. Vgl. Carl Göllner: Turcica. Die europäischen Türkendrucke des XVI. Jahrhunderts. 2 Bände. Bukarest/Baden-Baden 1961 und 1968 sowie Ders: Turcica. Bd. III: Die Türkenfrage in der öffentlichen Meinung Europas im 16. Jahrhundert. Bukarest/Baden-Baden 1978 (Bibliotheca bibliographica Aureliana. Bd. LXX). Vgl. Winfried Schulze: Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung. München 1978. S. 54.
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fen müsse als die Osmanen.63 Damit kommen wir zu jenem Bereich, der uns hier am meisten interessiert, nämlich dem theologisch-publizistischen Schrifttum. Im 16. und 17. Jahrhundert gab es eine Fülle von sog. Türkenpredigten, die das Volk vor der Bedrohung warnten, zugleich aber auch Trost spenden sollten, um der Türkenfurcht ein wenig abzuhelfen. Unabhängig von der Konfession waren diese Predigten meist gleich aufgebaut. In einem ersten Schritt stellte der Prediger die türkische wüterey dar. Anschließend führte er die Türkengefahr auf die Sündhaftigkeit der Welt und der Menschen zurück, die Gott veranlasst habe, die Christenheit zu strafen. Schließlich bot er drittens eine Lösung an: Durch Buße und Gebet sollte Gott bewogen werden, die Welt vor den Türken zu retten.64 Daneben wurde aber auch dieser Bereich zu gegenseitigen Vorwürfen und Angriffen genutzt. Johannes Eck widmet sich der Türkengefahr in einem kurzen Abschnitt seines Enchiridion. Er zählt die Untaten der Türken auf, ihre gewalt und tyranney, den falschenn Gotts dienst seines Machumets sowie die Praxis der Knabenlese, und er erwähnt auch Vergewaltigungen an Christinnen in eroberten Gebieten. Schließlich kommt er zu der etwas erstaunlichen und wohl auch ziemlich einzigartigen Folgerung, Gott wolle den Türcken straffen durch die Christenn, und fordert deshalb in Erinnerung an die Kreuzzüge zum Kampf auf.65 Doch wie wir bereits gesehen haben, versteht Eck unter den ,Christen‘ ausschließlich die Katholiken. Dies wird besonders darin deutlich, dass er nicht nur zum Krieg gegen die Türken aufruft, sondern auch gegen die Ketzer/ vnd vngehorsamen, die damit in eine ziemliche Nähe zu den Osmanen gerückt werden.66 Wie gewohnt erfolgt eine Einred des Newchristen, also der Reformatoren: Man dürfe den Türken nicht bekämpfen, weil er eine Strafe Gottes sei und ein Christ grundsätzlich keine Gewalt anwenden solle.67 Diese Aussage geht nun tatsächlich auf Worte Luthers zurück, die er 1518 in einer Resolution zu seiner fünften Ablassthese geäußert hatte. Sie ist in der päpstlichen Bannandrohungsbulle ausdrücklich verdammt worden und hat die Protestanten angesichts der akuten Türkengefahr in ein ziemlich schiefes Licht gerückt.68 Eck widerspricht natürlich dieser Meinung. In einer anderen Schrift geht er sogar so weit zu behaupten, die Türken seien eine Strafe Gottes für die Ketzerei Luthers und Zwinglis, und es sei
63 64 65 66 67 68
Sattler: Brüderlich Vereinigung (Anm. 6). S. 329. Vgl. Schulze: Reich und Türkengefahr (Anm. 62). S. 40f. Eck: Handbüchlin (Kap. 3, Anm. 92). S. 126f. Eck: Handbüchlin (Kap. 3, Anm. 92). S. 125. Eck: Handbüchlin (Kap. 3, Anm. 92). S. 127. Vgl. Luther: Resolutiones disputationum. WA 1. S. 535. Zur Verurteilung dieses Satzes vgl. die Bulle ,Exsurge Domine‘. In: DCL 2 (Kap. 4, Anm. 2). S. 384. Satz XXXIV. Vgl. hierzu auch Göllner: Turcica. Bd. III (Anm. 61). S. 183.
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besser inter Turcas vivere, quam inter apostates istos et perfidos Christianos.69 Cochläus äußert sich in seinem ,Dialogus de bello contra Turcas‘ von 1529 ähnlich, wenn er behauptet, Luther habe die Kirche stärker beschädigt als der Türke. Bereits 1523 schreibt der päpstliche Nuntius Chieregati vom Nürnberger Reichstag, dass Luther ein größeres Übel für die Christenheit darstelle als die Türken.70 Luther hat gegen diese Vorwürfe in seiner Schrift ,Vom Kriege wider die Türcken‘ aus dem Jahr 1529 Stellung genommen, die unter dem Eindruck der Belagerung Wiens entstanden ist. Hier versucht er, sich gegen solche lester meuler zu wehren.71 Wie kaum anders zu erwarten, führt er dabei einen heftigen Angriff auf die papisten, die die Türkenkriege nur dazu genutzt hätten, Deutschland das Geld aus der Tasche zu ziehen.72 Eine wirkliche Gefahr habe 1518 zur Zeit seiner ,Resolutiones‘ noch nicht bestanden, nur deshalb sei er gegen einen Türkenkrieg gewesen, jetzt sehe die Sache natürlich ganz anders aus.73 Er betont, dass der Türcke [...] Gottes [strafende] rute und des Teüffels diener sei.74 Er nennt sie feinde Christi und den Türckischen glauben einen hauffen [auf dem] alle grewel, alle yrthum, alle Teuffel […] ligen.75 Nach seinen Ausfällen gegen den Islam lässt er sich über ihr wüst leben und wesen76 aus, das durch Lugen, Mord, Unehe77 bestimmt werde. Er kommt zu dem Schluss, dass jeder lieber tot sein, als unter der Herrschaft der Türken leben wolle. Durch ihren unprovozierten Angriff auf die Christenheit seien sie nicht besser als ein rechter morder odder strassen reuber.78 Die Aufgabe zur notwendigen Verteidigung fällt nun aber nicht dem Papst und einem Kreuzzugsheer zu, sondern dem wahren Christen, der zunächst einmal durch Gebet und Buße Gott versöhnen müsse, um die Strafe abzuwenden und den Teufel schlagen zu können, und dann Kaiser Karl, der als zuständige weltliche Obrigkeit seine Untertanen zu schützen habe.79 69
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Johannes Eck: Sperandam esse in brevi victoriam adversus Turcam. 1532. Zitiert nach Göllner: Turcica. Bd. III (Anm. 61). S. 196. Vgl. Göllner: Turcica. Bd. III (Anm. 61). S. 195f. Luther: Vom Kriege wider die Türken. WA 30.2. S. 108. Vgl. WA 30.2. S. 110, vgl. dazu auch die Vorwürfe der Reichsstände in den ,Gravamina nationis Germaniae‘, etwa auf dem Reichstag 1521, RTA JR II. Nr. 96. S. 674f. In der Beschwerde über die Annaten ist sogar ausdrücklich die Türkenhilfe als vermeintlicher Verwendungszweck genannt. Vgl. Luther: Vom Kriege wider die Türken. WA 30.2. S. 109. WA 30.2. S. 116. WA 30.2. S. 122f. WA 30.2. S. 121. WA 30.2. S. 127. WA 30.2. S. 123. Vgl. WA 30.2. S. 116 und S. 129–131. Dem Kaiser wird in diesem Zusammenhang ausdrücklich abgesprochen, das weltliche Haupt der Christenheit zu sein, er handelt ausschließlich als weltliche Obrigkeit.
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Bei aller Abscheu gegen die nichtchristlichen Türken sieht Luther aber ebenso wie umgekehrt die katholische Seite nicht die überkonfessionellen Gemeinsamkeiten, die sich hier auftun. Er dichtete ein populäres Kirchenlied, dessen Anfang lautet: ERhalt uns HErr bey deinem Wort/ Und steur des Bapst und Türcken Mord.80 Luther hält also den Papst für mindestens ebenso schlimm, wie die Osmanen. Er parallelisiert Mohammed und den Papst sowie den Koran und die Päpstlichen Decretalen.81 Schließlich kommt er sogar zu dem Schluss, der Türke sei der Teufel, der Papst jedoch ein rechter Endechrist, was eigentlich noch schlimmer ist.82 Aber er beschränkt sich mit seinen Vorwürfen nicht auf die katholische Seite, er denkt auch an andere reformatorische Strömungen. Alle Rottengeister, allen voran Müntzer, sind vom gleichen Lügengeist besessen wie Mohammed, und er klagt: Was verzweiüelter boser secten vnd ketzerey haben sich erfur gethan, als Muntzer, Zwingeler, widerteuffer, vnd viel mehr, alle vnter des Euangelii namen und schein. Dafür und für des Bapsts bann vnd Tyranney zieht Gott die Welt nun durch den Türken zur Rechenschaft.83 Zusammenfassend kann man sagen, dass die Situation sich hier ähnlich darstellt, wie im Falle der Täufer. Man hat im Prinzip eine gleiche Frontstellung, die Argumentation gegen die Osmanen geht über weite Strecken in dieselbe Richtung. Gleichzeitig wirft man jedoch der jeweils anderen Konfession die Schuld an der Bedrohung vor, ja man erklärt sie sogar für schlimmer als den Türken! Theologisch gesehen wäre auch hier kein Ausgangspunkt für eine überkonfessionelle Zusammenarbeit gegeben. Im Gegenteil, wenn man die entsprechenden Aussagen wörtlich nimmt, macht es fast den Anschein, als müsste man sich über einen Sieg der Osmanen sogar freuen, da diese immer noch besser seien als der innerchristliche Gegner. Doch auch hier hat auf amtlicher Ebene politische Vernunft über theologische Raserei gesiegt.
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Luther: Ein Kinderlied, zu singen, wider die zween Ertzfeinde Christi und seiner heiligen Kirchen, den Bapst und Türcken, etc. WA 35. S. 467f. Vgl. Luther: Vom Kriege wider die Türken. WA 30.2. S. 121f. und S. 141f. Andere reformatorische Theologen folgten dieser Einschätzung, vgl. etwa Andreas Musculus: Beider Antichrist des Constantinopolitanischen, vnd Römischen, einstimmig vnd gleichförmig Leer, Glauben vnd Religion, wieder Christum den Son deß lebendigen Gottes. Anno M.D.L.VII. In: Göllner: Turcica. Bd. II (Anm. 61). Nr. 973. Luther: Vom Kriege wider die Türken. WA 30.2. S. 125. Luther: Vermahnung zum Gebet. WA 51. S. 587.
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7.2.2 Die Türkenbedrohung in den Reichsabschieden und ihr Zusammenhang mit der Glaubensspaltung Bis zum Dreißigjährigen Krieg fanden insgesamt nur drei Reichstage statt, in deren Abschied die Türken nicht erwähnt wurden: 1521, 1546 und 1555. Zählt man die drei Täufer-Reichstage von 1535 hinzu, die von Karl V. nicht anerkannt worden waren, erhöht sich diese Zahl auf sechs. Ansonsten stellt die Türkenbedrohung noch vor der Religionsfrage das am ausführlichsten behandelte Thema dar, denn während die Glaubensfrage nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 zunehmend von der Tagesordnung verschwindet, rückt die Türkengefahr weiter in den Vordergrund. Von 1567 bis zum Dreißigjährigen Krieg ist die Türkenhilfe mit einer Ausnahme 1570 der wichtigste Artikel des Abschieds. Am Ende, als man sich wegen des Konflikts zwischen den Konfessionen gegenseitig blockierte, war er sogar der einzige, der überhaupt noch zu einem Abschluss gebracht werden konnte. Zuvor gab es bereits 1532 sowie von 1542 bis 1544 eine Phase, in der die Türkenfrage das Religionsproblem auf den zweiten Platz verdrängte. Oft wurden die entsprechenden Reichstage aufgrund der akuten Gefahr überhaupt erst einberufen. So fällt beispielsweise auf, dass die reichstagslose Zeit unter Karl V. 1541 genau mit einem erneuten Türkenkrieg endet. Auch zwischen 1559 und 1566 klafft eine recht große Lücke, deren Ende mit einem Türkenkrieg zusammenfällt. In den Reichsabschieden ist meist von ,dem‘ Turcken die Rede. Mit einer Ausnahme von 1551 verwendet man dabei stets die Singularform,84 womit wahrscheinlich der türkische Sultan pars pro toto für sein ganzes Volk gemeint ist, denn es heißt beispielsweise im Abschied von Speyer 1542, dass der Turck, eigner person85 das Heer begleite. Dieser Türke ist zunächst einmal ein ,Feind‘ wie andere Kriegsgegner auch.86 Bezeichnenderweise ist erstmals auf dem Deputationstag von Eßlingen im Jahre 1526, der nach der Niederlage bei Móhacs einberufen worden war, vom Erbfeind, dem Türcken die Rede.87 Diese Bezeichnung wird danach so sehr zum gängigen Begriff, dass man die nähere Umschreibung im Speyrer Abschied von 1542 schließlich fortlässt und immer häufiger einfach nur noch vom ,Erbfeind‘ spricht.88 Damit ist der Türke zu einem Gegner geworden, der schon per se auch ohne einen aktuel84 85
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RTA JR XIX. Nr. 305. S. 1604. § 101. RTA JR XII. Nr. 285. 1169. § 3. Vgl. hierzu den Art. der Türk. In: Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch. Bd. 4 (Kap. 1, Anm. 23). Sp. 723. Vgl. etwa den Reichstag von 1522 (RTA JR III. Nr. 117. S. 737), von 1524 (RTA JR IV. Nr. 149. S. 591) oder den Speyrer Reichstag 1526 (Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 275. § 12). Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 281. Vgl. RTA JR XII. Nr. 285. S. 1168. § 1.
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len Anlass zu bekämpfen ist; die Feindschaft erscheint geradezu als naturgegeben.89 Erst seit Maximilian II. geht man auch etwas spezifischer auf Personen und Hintergründe im Ottomanischen Reich ein, das 1567 erstmals so bezeichnet wird.90 So erwähnen die Abschiede von 1567 und 1570 den Regierungswechsel von Suleyman zu Selim,91 dessen Nachfolger Murad wird 1576 und 1594 genannt.92 Gleichzeitig wird auch die Polemik persönlich. Der Nachruf auf Suleyman abscheulicher Gedächtnus fällt dementsprechend nicht gerade herzlich aus.93 Man vergleiche dazu die Erinnerung an Kaiser Ferdinand hochmilder Gottsel. Gedächtnuß.94 Sultan Selim ist nicht viel besser, denn er bereitet ungescheucht seines schweren grossen Leibs, und in neuer Antretung seiner tyrannischen Regierung bereits wieder einen neuen Feldzug gegen die Christen vor.95 Die allgemeine Polemik bediente sich der bereits bekannten Vorwürfe aus der theologischen Literatur. Nur sehr selten gibt es allerdings wirklich berichtende Passagen über etwaige Greueltaten, meist begnügt man sich mit Adjektiven. Der durchgängigste Vorwurf in insgesamt 18 Abschieden besteht darin, dass der Türke ,tyrannisch‘ sei.96 Viermal wird seine Herrschaft in diesem Zusammenhang auch als ,viehisch‘ bezeichnet.97 Besonders oft betont man die Grausamkeit und die Mordlust,98 1566 und 1594 bezeichnet man ihn als ,barbarisch‘.99 Diese Vorwürfe darf man allerdings nicht überbewerten, denn sie sind gängige Stereotype zur Bezeichnung eines Gegners. Im Abschied von 1535 hieß es auch von den Täufern, sie 89 90 91 92 93 94 95 96
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Vgl. Schulze: Reich und Türkengefahr (Anm. 62). S. 55. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 249. § 8. Vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 249. § 8 und S. 291. § 24. Vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 353. § 1 und S. 419. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 250. § 12. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 254. § 38. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 249. § 8. Vgl. z. B. für 1524 RTA JR IV. Nr. 149. S. 606. § 30; für 1530 Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 322. § 100; für 1541 Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 430. § 3; für 1566 RTA RV 1566. Nr. 467. S. 1513 sowie für 1582 und 1613 Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 401. § 12 und S. 522. § 4. Auch wenn es sich hier nur um eine kleine Auswahl handelt, so wird doch deutlich, dass sich der Begriff durch den gesamten Untersuchungszeitraum zieht. Vgl. für Speyer 1542 RTA JR XII. Nr. 285. S. 1173. § 11; für Nürnberg 1542 Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 475. § 21; für 1544 RTA JR XV. Nr. 565. S. 2253. § 26 und S. 2262. § 57. Vgl. z. B. die Reichsversammlung von 1527, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 284, den Reichstag 1541, S. 430. § 3, von 1567, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 251. § 15, von 1594, S. 420. § 2, sowie von 1603, S. 503. § 13 und § 17. Vgl. RTA RV 1566. Nr. 467. S. 1524. § 35 und Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 419. § 1.
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seien tyrannisch und unmenschlich,100 ebenso gab es unter den Ständen das Schlagwort von der ,viehischen spanischen Servitut‘, das auf Karl V. gemünzt war.101 Seit dem Speyrer Reichstag von 1542 wird neben der Grausamkeit zusätzlich häufig die große Macht des Türken betont.102 Zudem kehrt seit 1570 wiederholt der Vorwurf der Treulosigkeit wieder, weil die Türken durch Angriffe die Friedensverträge und Waffenstillstandsabkommen wider aller Völcker Recht, wie es 1594 heißt, gebrochen haben.103 Neben diesen eher ,weltlichen‘ Vorwürfen, spielt natürlich der Glaubensgegensatz eine große Rolle. 1522 bezeichnet man die Osmanen als veind des creuz Christi,104 mehrfach spricht man auch von den ,Ungläubigen‘.105 In den meisten Abschieden ist aber vom ,Feind des christlichen Namens und Glaubens‘ die Rede.106 Dass der Vorwurf des Unglaubens ganz selbstverständlich auf Gegenseitigkeit beruhte, beweist ein in diesem Bereich höchst seltenes und interessantes muslimisches Selbstzeugnis: In der Proposition des Regensburger Reichstages von 1594 wird von der Äußerung einer türkischen Abordnung berichtet, nach der sie mit den Gauren, das ist den vnglaubigen, darfür sy die Christen halten, eigentlich keinen Frieden schließen dürften.107 Während jener Reichstage, die in Zeiten akuter Gefahr einberufen worden waren, griff man gerne auf das theologische Argument zurück, die Türken seien eine Strafe Gottes für die Sünden der Menschen wie für den Glaubensstreit, und rief zu Gebeten und Buße auf.108 Im Gegensatz zu den theologischen Schriften blieb allerdings die Schuldfrage außen vor, welche Konfession denn nun im Besonderen den Zorn
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Vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 408. Dieses Schlagwort entstand infolge von Karls Übermacht nach dem Schmalkaldischen Krieg, wodurch die Fürsten ihre ,Libertät‘ bedroht sahen; primär bezog man sich dabei auf den Plan der spanischen Sukzession im Reich, vgl. etwa Rabe: Deutsche Geschichte (Kap. 6, Anm. 372). S. 451. Vgl. z. B. RTA JR XII. Nr. 285. S. 1196. § 110. Bis 1603 erscheint die Bezeichnung ,mächtig‘ noch in acht weiteren von insgesamt 18 Abschieden. Vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). Reichstag 1570: S. 291. § 94; 1576: S. 354. § 6; 1594: S. 420. § 2; 1603: S. 499. § 1. RTA JR III. Nr. 33. S. 172. § 2. Vgl. etwa den Reichstag 1522, RTA JR III. Nr. 33. S. 175. § 12; Speyer 1542, RTA JR XII. Nr. 285. S. 113. § 11; Nürnberg 1542, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 475. § 21. Vgl. u. a. den Reichstag von 1526, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 275. § 12; von 1530, S. 322. § 100; von 1541, S. 429. § 1; von 1557, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 142. § 42; von 1566, RTA RV 1566. Nr. 467. S. 1513; von 1603, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 499. StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB 80. Nr. 37. fol. 7v. Vgl. z. B. den Reichstag von 1532, RTA JR X. Nr. 303. S. 1059; von 1566, RTA RV 1566. Nr. 467. S. 1534. § 67f.; von 1598, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 460. § 44.
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Gottes heraufbeschworen habe.109 Überhaupt fällt auf, dass die Religionsparteien in der Terminologie kaum eine Rolle spielen. Im Mittelpunkt stehen dagegen eindeutig die Begriffe ,Christ‘, ,Christenheit‘ oder ,christlich‘, die hier so häufig bemüht werden, wie sonst bei keinem anderen Verhandlungsgegenstand, nicht einmal der Glaubensspaltung. Schon fast gebetsmühlenartig wird die ,gemeine Christenheit‘ beschworen, der Kaiser bittet für seine ,christlichen Länder‘ um ,christliches Mitleiden‘ und ,christliche Hilfe‘, man stellt ,christliche Heere‘ zum Schutz der ,christlichen Grenzen‘ auf und betont bei der Forderung nach Türkenhilfe regelmäßig, dass dies ein ,notwendig christlich Werk‘ sei.110 Wiederholt wird zu Frieden zwischen den ,christlichen Häuptern‘ bzw. in der ,Christenheit‘ aufgerufen111 und man bittet insgesamt 14 Mal ausländische ,christliche‘ Potentaten um Beistand. Dabei zeigt man sich bezüglich der konkreten Glaubenspräferenz als nicht mehr sehr wählerisch. Neben dem Papst und dem streng katholischen Spanien wendet man sich auch an die lutherischen Mächte Dänemark und Schweden und schließlich sogar an den orthodoxen Großfürsten zu Moscaw.112 Ist in anderen Zusammenhängen von ausländischen Potentaten die Rede, werden diese dagegen nie mit dem Adjektiv ,christlich‘ versehen.113 Die permanente Wiederholung scheint Teil einer Werbestrategie zu sein, denn niemand im Reich konnte sich guten Gewissens gegen ein christliches Werk 109
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Bei aller offiziellen Polemik gegen die Osmanen sollte trotzdem nicht vergessen werden, dass es daneben noch das Feld der Diplomatie gab, auf dem die Terminologie ganz anders aussah. Selbst in einer internen Gesandtschaftsinstruktion Ferdinands wird der Sultan hier als serenissimum et potentissimum principem Dominum Solymanum imperatorem Turcarum ac Asiae et Graeciae bezeichnet, daneben auch als Turcarum caesar und sogar als fratre nostro, er wird damit ausdrücklich auf eine Stufe mit Kaiser Karl gestellt. Auch im Bericht der Gesandten ist dann von dem grosmechtigissten kaiser die Rede, Karl Nehring: Austro-Turcica 1541–1552. Diplomatische Akten des habsburgischen Gesandtschaftsverkehrs mit der Hohen Pforte im Zeitalter Süleymans des Prächtigen. München 1995 (Südosteuropäische Arbeiten. Bd. 95). Nr. 1. S. 1 und S. 4 sowie Nr. 2. S. 6. Vgl. z. B. Reichstag 1529, RTA JR VII. Einschub von Nr. 106. S. 1150 in Nr. 148. S. 1303 und S. 1543; Reichstag 1559, RTA RV 1559. Nr. 806. S. 2008f. § 6–10. Die gleiche Terminologie erscheint 1535 auch in Bezug auf die Hilfe gegen die Täufer, vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 414. § 33. Vgl. Reichstag von 1524, RTA JR IV. Nr. 149. S. 608. § 34; von 1529, RTA JR VII. Einschub von Nr. 106. S. 1152 in Nr. 148. S. 1303 und S. 1530; von 1541, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 430. § 3; Speyer 1542, RTA JR XII. Nr. 285. S. 1184. § 59. Vgl. etwa die Proposition des Regensburger Reichstages von 1594, StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB 80. Nr. 37. fol. 15r. Andererseits konnte auch ein christlicher Monarch wie der König von Frankreich, der sich dem Sultan zu sehr angenähert hatte, wie die Osmanen zu einem ,gemeinen Feind der Christenheit‘ erklärt werden, vgl. hierzu den Speyrer Abschied von 1544, RTA JR XV. Nr. 565. S. 2247. § 4. Vgl. z. B. den Reichstag Nürnberg 1542, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 477. § 32 sowie den Reichstag 1576, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 359. § 38; oder von 1582, S. 404. § 32.
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stellen. Nur zum Vergleich: Im Abschied von 1555, der sich immerhin mit dem Religionsfrieden befasste und die Türkenfrage nicht anschnitt, kommt in 141 Paragraphen acht Mal ,christlich‘, ,Christenheit‘ oder ,Christ‘ vor. Der Nürnberger Abschied von 1542, der ganz im Zeichen des Türkenkrieges stand, verzeichnet dagegen 92 Nennungen in etwa 130 Paragraphen, der folgende Speyrer Abschied aus dem gleichen Jahr 42 Nennungen in nur 40 Paragraphen! Zwischen der Türkenbedrohung und der Durchsetzung der Reformation besteht ein enger Zusammenhang. Ein kurzer Blick auf die Geschichte der Reichstage zeigt, wie die Evangelischen die Türkenfrage für sich zu nutzen wussten. Sie setzten den Hebel bei den Hilfsgeldern an, um die der Kaiser die Stände in schöner Regelmäßigkeit bitten musste. Dieses Spiel war gewagt, denn eine Weigerung, den Kaiser gegen die Feinde der Christenheit zu unterstützen, wäre einer Bestätigung der schlimmsten katholischen Vorurteile gleichgekommen. Andererseits bestand bei einer Zustimmung immer die Gefahr, der Kaiser könne das bewilligte Geld gegen die Evangelischen selber einsetzen.114 Zunächst verwendeten die Stände den Artikel der Türkenhilfe als Druckmittel, um die Glaubensspaltung überhaupt auf die Tagesordnung zu bringen. So hätte beispielsweise schon 1530 die Türkenhilfe vorrangig behandelt werden sollen, doch die Evangelischen fürchteten eine Auflösung des Reichstages, wenn der Kaiser sein Geld erst einmal bekommen sollte. Deshalb weigerten sie sich, über etwaige Zahlungen überhaupt zu verhandeln, bevor man nicht über die Religionsfrage gesprochen hatte.115 Noch wesentlich offenkundiger ist allerdings der Zusammenhang zwischen den Friedständen mit den Protestanten und den Türkenkriegen. Er hat sich bei der Betrachtung der konfessionellen Terminologie in den Rahmendokumenten der Reichstage bereits angedeutet, soll an dieser Stelle jedoch nochmals im Überblick wiederholt werden: 1529 und 1530 hatten die Evangelischen die Reichsabschiede und damit auch die jeweilige Türkenhilfe nicht mitgetragen. Als nun 1532 ein erneuter osmanischer Angriff drohte, brachte der Abschied erstmals Religionsspaltung und Türkenbedrohung in einen direkten Zusammenhang. Man befürchtete, dass der Turgk aus solchem zwispalt [im Glauben] durch verhengknus des Allmechtigen zu straff unser sunden desto mehr hertz fassen [könne], das cristlich konigreich Hungern [...] zu erobern.116 Von einer ausdrücklichen Verurteilung der evangelischen Stände ist plötzlich keine Rede mehr, vielmehr wird die Religionsfrage an ein Konzil verwiesen und unterdessen an Friede und Einigkeit im Reich appelliert zu beschiermung derselben [= teutscher nation] und unsers hl. glaubens und gemeines nutz der 114 115 116
Vgl. Steglich: Reichstürkenhilfe (Kap. 6, Anm. 22). S. 40. Vgl. Steglich: Reichstürkenhilfe (Kap. 6, Anm. 22). S. 44. RTA JR X. Nr. 303. S. 1059.
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cristenheit wider unsern gemeinen und aller cristenmenschen vheindt.117 Hier besteht kein Zweifel, dass mit der ,Christenheit‘ im Gegensatz zu 1530 nun auch die evangelischen Stände gemeint sind. Der Kaiser war auf die Hilfe der Protestanten angewiesen und musste deshalb seinen Kurs ihnen gegenüber ändern. Sie stimmten dann auch erstmals seit 1526 wieder einem Abschied zu und konnten zudem im gleichen Jahr den Nürnberger Anstand durchsetzen. Ganz ähnlich sah die Situation auch in der ersten Hälfte der 40er Jahre aus. Von 1541 bis 1543 wurde der Friedstand unter dem Eindruck des erneuten Türkenkriegs immer wieder verlängert. 1544 gewährte der Kaiser dann eigenmächtig weitreichende Konzessionen gegen den Widerstand der katholischen Stände.118 Als Gegenleistung beteiligten sich die Evangelischen an der Türkenhilfe und konnten so ihre Treue zu Kaiser und Reich sowie nicht zuletzt auch ihre christliche Gesinnung unter Beweis stellen. Auf dem Speyrer Reichstag von 1542 wurde eine ausführliche Kriegs- und Heeresverfassung für eine ,christliche Expedition‘ ausgearbeitet. Hier zeigt sich die Rücksichtnahme auf die evangelischen Stände besonders deutlich. Zum Obersten FeldHauptmann bestimmte man Kurfürst Joachim von Brandenburg, der sich immer wieder als ein ausgesprochener Vermittler zwischen den Konfessionen gezeigt hatte und selber deutlich der evangelischen Lehre zuneigte.119 Zudem wurde beschlossen, nicht im Zeichen der St. Georgs-Fahne zu kämpfen, um allerlei unordnung zu verhuetten.120 Meiner Meinung nach könnte dies mit einer Ablehnung von HeiligenSymbolen durch die Evangelischen zusammenhängen. Man war auch sehr auf Aufrichtung bruderlicher lieb und einigkait zwuschen dem christenlichen kriegsvolck bedacht,121 weshalb die Prediger und Geistlichen aller Konfessionen gegenseitige Schmähungen im Heerlager zu vermeiden hatten. Schließlich bat man Kursachsen als Anführer der evangelischen Partei im Reich, Dänemark um Hilfe gegen die Türken anzugehen, das als einziger direkter Nachbar des Reiches seit 1536 lutherisch war und trotzdem ganz selbstverständlich zu den christlichen Potentaten gerechnet wurde.122 Man erkennt deutlich, dass der Abschied um die Vermeidung jedweder konfessioneller Auseinandersetzung bemüht war. Bezeichnenderweise schlug die Stimmung nach dem Waffenstillstand mit den Osmanen von 1545 sehr schnell auch 117 118
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RTA JR X. Nr. 303. S. 1065. Vgl. Reichstag 1541, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 434. § 26; Speyer 1542, RTA JR XII. Nr. 285. S. 1201f. § 130; Nürnberg 1542, Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 2 (Kap. 1, Anm. 83). S. 478. § 39; Nürnberg 1543, S. 489. § 32; Speyer 1544, RTA JR XV. Nr. 565. S. 2271–2276. § 81–98. Vgl. auch Steglich: Reichstürkenhilfe (Kap. 6, Anm. 22). S. 48–52. Vgl. RTA JR XII. Nr. 285. S. 1176. § 22. RTA JR XII. S. 1179. § 38. RTA JR XII. S. 1180. § 40. Vgl. RTA JR XII. S. 1199. § 124.
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Das überkonfessionelle Vorgehen gegen Täufer und Türken
wieder um, denn von diesem Druck befreit rüstete sich Karl V. sofort wieder zum Kampf gegen die Evangelischen im Reich. Dennoch hatte sich der Protestantismus bis zu diesem Zeitpunkt auch durch die Hilfe der Türken so sehr stabilisieren können, dass inzwischen an eine vollständige Rückkehr des Reiches zum Katholizismus nicht mehr zu denken war.
7.3 Zusammenfassung: Ungeahnte Gemeinsamkeiten Insgesamt bedeuteten die Täufer und die Türken für die reformatorische Bewegung Chance und Gefahr zugleich. Die Gefahr bestand v. a. darin, dass die katholische Mehrheit im Reich dazu neigte, die Reformation für diese Bedrohungen mitverantwortlich zu machen. Die Tatsache, dass die ersten Urteile gegen die Täufer noch auf der Basis des Wormser Edikts gefällt worden waren, zeigt, wie schnell sich solche Maßnahmen auch zum Nachteil der Protestanten hätten auswirken können. Zudem befanden sich die evangelischen Stände beständig in einer Zwickmühle. Folgten sie der katholischen und kaiserlichen Linie nicht, so standen sie als Ungehorsame und im Falle der Türkenhilfe sogar als Verräter an der Christenheit da, bewilligten sie jede Hilfe anstandslos, fehlte ihnen ein Druckmittel zur Durchsetzung ihrer konfessionspolitischen Ziele. Daraus ergaben sich bestimmte Handlungszwänge. Ganz abgesehen davon, dass sie eine Täuferherrschaft natürlich ebenso fürchteten und ablehnten wie ihre katholischen Kollegen, musste ihnen ein gesondertes Mandat gegen die Täufer schon deshalb am Herzen liegen, um sie dadurch als Gruppe deutlich von den Lutheranern und Reformierten abzusondern. Außerdem war eine aktive Mitarbeit gegen alle Andersgläubigen eine Möglichkeit, dem Kaiser gegenüber Gehorsam zu demonstrieren und sich zugleich als eine christliche und rechtgläubige Obrigkeit zu profilieren. Hier lag denn auch die große Chance für die Reformation. Eine Betrachtung des Reformationsverlaufs und der Türkenkriege zeigt, dass sich gerade in Zeiten größter Gefahr und Hilfsbedürftigkeit der Habsburger der evangelische Glaube am ungehindertsten ausbreiten konnte, während er immer dann Repressalien ausgesetzt war, wenn Frieden mit den Osmanen herrschte. Die Meinungen der Theologen spielten bei diesem Taktieren nur eine untergeordnete Rolle. Diese unterstützten zwar den Kampf gegen Täufer und Türken, waren aber nicht zu einer überkonfessionellen Zusammenarbeit bereit. Hier zeigt sich denn auch nochmals in aller Deutlichkeit der politische Pragmatismus aller Reichsstände und die Flexibilität des Reichssystems, die es erlaubten, im Ernstfall ohne größere theologische Bedenken auch über konfessionelle Grenzen hinweg Realpolitik betreiben zu können.
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Die Verhandlungen auf den Reichstagen im Spiegel offizieller Quellen und persönlicher Stellungnahmen
Die reichsrechtliche Terminologie in der Religionsfrage, wie sie in den öffentlichen Dokumenten zum Ausdruck kam, war in den meisten Fällen ein Kompromissprodukt. Da den entsprechenden Begriffen durch ihre Aufnahme in eine Art ,Reichsgesetz‘ etwas Endgültiges innewohnte, war man hier nach einigen gescheiterten Reichstagen umso mehr bestrebt, Formulierungen zu finden, die von allen Konfessionsparteien weitgehend akzeptiert werden konnten. Anschließend wurde selbst in solch kritischen Phasen wie während des Dreißigjährigen Krieges der Boden des inzwischen festgelegten reichsrechtlichen Sprachgebrauchs kaum mehr verlassen. Diskussionen und Auseinandersetzungen um die konfessionelle Terminologie selbst finden in solchen Dokumenten selten ihren Niederschlag. Dennoch hat es sie gegeben: Wie bereits angedeutet, bestand besonders für die evangelische Seite ein schwerwiegendes Problem in der offiziellen Bezeichnung ihrer konfessionellen Gegner als ,Stände der alten Religion‘ bzw. ,katholische Stände‘, war damit doch ein Universalanspruch verbunden, den auch Lutheraner und Reformierte stets für sich reklamierten. Noch im Zuge der Verhandlungen zum Augsburger Religionsfrieden verwendeten sie daher Bezeichnungen wie die Stände so sich der alten Religion nennen oder vielgemeldte der angemasten alten Religion Stände,1 die deutlich machten, dass man eigentlich nicht bereit war, die reichsrechtliche Terminologie anstandslos zu akzeptieren. Um solche Konflikte sichtbar werden zu lassen, die der Öffentlichkeit weitgehend verborgen geblieben sind, ist es notwendig, die Perspektive zu wechseln und die bisherigen Beobachtungen durch einen Blick auf nicht-öffentliche Reichstagsakten zu ergänzen. Es handelt sich dabei um Dokumente, die die inner- und interkurialen Beratungen selber widerspiegeln. Solche „Hauptverhandlungsakten“2 unterscheiden sich von dem bislang untersuchten Quellenmaterial in erster Linie dadurch, dass sie zumindest in der Theorie nicht nach außen dringen sollten, keine Normen setzten und deutlicher als die verbindlichen Schlussdokumente die Meinungen der unter1
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Diese Formulierungen erscheinen in einem Schreiben der evangelischen Stände mit der Forderung nach Freistellung der Religion vom 21. Juni 1555: Lehmann: De pace religionis acta 1 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 15. S. 31f. Diesen Begriff verwendet Eike Wolgast: ,Die Geschichte der Reichstage ist die Geschichte der Regierung von Deutschland ...‘. In: Akademie Aktuell. 01. 2005. S. 39–44, hier S. 43.
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Verhandlungen auf den Reichstagen im Spiegel von Quellen und Stellungnahmen
schiedlichen Parteien aufzeigten. Obwohl hier natürlich ebenfalls auf gemäßigte Umgangsformen geachtet werden musste, wenn die Kommunikation zwischen den Verhandlungspartnern einigermaßen ungestört vonstatten gehen sollte, boten sie mehr terminologische Freiheiten als die Texte der öffentlichen Ebene, war hier doch der Ort, an dem alle Seiten versuchen mussten, das Reichstagsgeschehen und zugleich den entsprechenden Sprachgebrauch in ihrem Sinne zu beeinflussen. Besondere, wenn auch seltene Glücksfälle stellen in diesem Zusammenhang Aufzeichnungen aus Votenprotokollen3 dar, die das Ringen um die konfessionellen Selbst- und Fremdbezeichnungen im Verlauf der Debatte selber widerspiegeln. Allerdings ist bei der Betrachtung dieser Textsorte stets eine gewisse Vorsicht geboten, da sich in den jeweiligen Aufzeichnungen immer wieder Hinweise auf Kürzungen und Glättungen im Dienste einer besseren Übersichtlichkeit finden, die es fraglich erscheinen lassen, inwieweit die verzeichneten Voten tatsächlich den real getätigten Aussagen entsprechen.4 Um in diesem Zusammenhang erkennen zu können, inwieweit sich letztendlich welche Religionspartei mit ihren Wünschen durchsetzen konnte, ist diese Perspektive noch durch einen Blick hinter die Kulissen zu ergänzen. Nur im internen Schriftverkehr zwischen der Obrigkeit und ihren Vertretern auf dem Reichstag sowie zwischen Ständen der gleichen Konfession ließen sich 3
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Insgesamt gibt es nach Fritz Wolff vier Formen des Protokolls, eine einfache Aktennotiz, die lediglich über den Termin der Sitzung aufklärt, ein ‚summarisches Protokoll‘ als zusammenfassende Schilderung der Sitzung, ein verkürztes Protokoll des Direktoriums, das im Prinzip nur die Proposition und das Conclusum der einzelnen Verhandlungspunkte sowie das eigene Votum enthält, und schließlich das vollständige ‚protocollum votorum‘, in dem die gesamte Aussprache aufgezeichnet war. Vgl. Fritz Wolff: Einleitung. In: Ders. (Hg.): Die Beratungen der katholischen Stände. 1. Teil: 1645–1647. Münster i. W. 1970 (Acta Pacis Westphalicae. Serie III A: Protokolle. Bd. 4,1). S. XXV–LXVII, hier S. XXXIX. Seit 1542 wurden Votenprotokolle regelmäßig im Kurfürstenrat und teilweise auch durch Gesandte in anderen Kurien oder Ausschüssen geführt, wobei Wolff die Ursache für diese Entwicklung möglicherweise gerade in einem steigenden Misstrauen zwischen den Ständen aufgrund der Glaubensspaltung begründet sieht, das es wünschenswert erscheinen ließ, die jeweiligen Argumentationen und Beschlüsse der Reichstagskurien auch nach Abschluss der Verhandlungen einigermaßen lückenlos nachvollziehbar zu machen. Vgl. S. XXXVIf. Zum Ablauf der Verhandlungen in Form der Umfrage vgl. nochmals die Ausführungen zur Reichstagsorganisation in Kap. 5.1. Ein deutlicher Hinweis auf Übernahmen aus dem genauen Wortlaut stellt meiner Ansicht nach die Verwendung besonderer Redewendungen dar. So äußert der Brandenburgische Vertreter 1550/51, Man muß zuletste zum Bert geen, was von den Editoren als „dort, wo der Bartel den Most holt“, erklärt wird. RTA JR XVI. Nr. 61. S. 702. Zur Erläuterung dieser Aussage vgl. hier Anm. 4. Ähnlich verhält es sich mit einer Stellungnahme Kursächsischer Räte auf dem Reichstag von 1547/48. Zur Konzilsfrage heißt es, die Gegenseite habe befunden, das die protestirenden bisanher das concilium wie der teufel den weirach geflohen. RTA JR XVIII. Nr. 371. S. 2626. Im entsprechenden Votenprotokoll liest sich diese Aussage deutlich abgemildert, denn hier ist für Bayern lediglich verzeichnet, diese stend hetten alwegen concilium begert, aber nie kheinem gehorsamen wollen. RTA JR XVIII. Nr. 370. S. 2603
Verhandlungen auf den Reichstagen im Spiegel von Quellen und Stellungnahmen
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letztendlich die jeweils bevorzugten Selbst- und Fremdbezeichnungen ohne weitere Rücksichtnahme auf Andersgläubige gebrauchen, da der Kreis der möglichen Kommunikanten hier sehr begrenzt blieb. Die Masse jener Texte, die den Verhandlungsgang begleiteten oder dokumentierten, ist nahezu unüberschaubar. War der Quellenbestand für die ersten Reichstage der 1520er Jahre noch einigermaßen begrenzt, was bereits am Umfang der auf Vollständigkeit bedachten Edition der Reichstagsakten zwischen 1521 und 1524 deutlich wird, so nahm die Anzahl der entsprechenden Schriftstücke im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts kontinuierlich zu.5 Das erforderte eine immer stärkere Beschränkung der edierten Reichstagsakten auf einen direkt mit der Versammlung in Verbindung stehenden Kernbestand sowie eine nur exemplarische Dokumentation einiger Textgruppen, wie den Instruktionen, Supplikationen und dem weiten Feld der Korrespondenzen.6 Eine vollständige Behandlung der relevanten Dokumente ist daher auch im Rahmen dieser Untersuchung nicht zu leisten. Aus diesem Grunde werde ich mich bei den folgenden Überlegungen zur Terminologie der konfessionellen Selbst- und Fremdbezeichnung in den Verhandlungsakten der Reichstage auf eine vergleichsweise kleine repräsentative Auswahl beschränken. Dazu bietet sich in erster Linie eine Sichtung der bereits im Druck vorliegenden und damit leicht zugänglichen Quellen an. Eine gewisse Schwierigkeit besteht in diesem Zusammenhang darin, dass gerade einige der wichtigsten Reichstage, wie diejenigen von 1526 und besonders 1555, noch nicht vollständig ediert worden sind oder, wie jene von 1529 und 1530, nur in einer bedingt brauchbaren Fassung vorliegen.7 Dennoch darf man nicht dem Trugschluss erliegen, jene Versammlun5
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Vgl. Wolgast: Die Geschichte der Reichstage (Anm. 2). S. 39f. sowie Dietmar Heil: Verschriftlichung als Modernisierung des Reichstags (1495–1586). In: Maximilian Lanzinner/Arno Strohmeyer (Hg.): Der Reichstag 1486–1613. Kommunikation – Wahrnehmung – Öffentlichkeiten. Göttingen 2006 (Schriftenreihe der Historischen Akademie bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bd. 73). S. 55–76, hier S. 68–71. Zu den aktuellen Editionsprinzipien der Reichstagsakten vgl. Wolgast: Die Geschichte der Reichstage (Anm. 2). S. 42 sowie Rabe: Editorischer Neubeginn (Kap. 2, Anm. 2). S. 254–258. Der Band RTA JR VII zum Speyrer Reichstag 1529 von Johannes Kühn bietet lediglich einen auf Aktenstücke gestützten Bericht der Verhandlungen und gibt in einem Anhang nur einige wenige Quellen vollständig wieder. Zur berechtigten Kritik an diesem umstrittenen Vorgehen vgl. etwa Rabe: Editorischer Neubeginn (Kap. 2, Anm. 2). S. 254 sowie Aulinger: Das Bild des Reichstages (Kap. 5, Anm 8). S. 27f. Der Reichstag von 1530 ist bislang durch das zweibändige Urkundenbuch von Karl Eduard Förstemann einigermaßen erschlossen worden, das jedoch primär auf das kursächsische und Ansbacher Archiv zurückgreift und damit gerade für katholische Positionen nur bedingte Aussagekraft besitzt (Kap. 1, Anm. 7). Zu den anderen ,wichtigen‘ Reichstagen finden sich verstreute Quellen in verschiedenen reichsjuristischen Aktensammlungen seit dem 18. Jahrhundert, wie etwa das ,Corps universel diplomatique du droit des Gens‘ von J. du Mont (Kap. 6, Anm. 31) oder die ,De pace religionis acta‘ von Christoph Lehmann (Kap. 6, Anm. 430) sowie im Rahmen von Einzeluntersuchungen und
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gen, auf denen besondere Weichenstellungen für den weiteren Verlauf der reformatorischen Ereignisse gelegt wurden, wären zugleich auch für die terminologische Entwicklung am wichtigsten gewesen, entstanden doch beispielsweise die Bezeichnungen ,Protestierende‘ oder ,Augsburger Konfessionsverwandte‘ gerade nicht auf dem Protestationsreichstag von 1529 bzw. dem Konfessionsreichstag von 1530 selber, sondern bildeten sich auf der Basis der dort vorgelegten Schriften erst im Verlauf des folgenden Jahrzehnts bei ,unwichtigeren‘ Versammlungen heraus. Aus diesem Grund sind die ‚kleineren‘ Reichstage für die Betrachtung des konfessionellen Sprachgebrauchs also mindestens ebenso relevant wie jene paar herausragenden Ereignisse. Eine weitere notwendige Einschränkung ergibt sich bezüglich des Betrachtungszeitraums. Die Untersuchung der öffentlichen normativen Dokumente hat gezeigt, dass die terminologische Entwicklung mit dem Augsburger Religionsfrieden als weitgehend abgeschlossen zu gelten hat. Mit wenigen Ausnahmen, dem Wechsel der Bezeichnung ‚Stände der alten Religion‘ zu ‚katholische Stände‘ sowie der Aufnahme der ‚Reformierten‘ in den Kreis der reichsrechtlich legitimierten Glaubensgemeinschaften, fanden auf den folgenden Reichstagen bis 1654 keine bedeutenden Veränderungen im Sprachgebrauch mehr statt. Deshalb sollen die Verhandlungsakten nur für jene Jahrzehnte ausführlicher berücksichtigt werden, in denen die Herausbildung konfessioneller Namen noch in Fluss war. Für die Zeit nach 1555 beschränke ich mich auf einen knappen Ausblick auf die Religionsgravamina, in denen sich beide Glaubensparteien beim Kaiser über Verletzungen des Friedensvertrages durch die jeweilige Gegenseite beschwerten. Die eigentlichen Reichstagsverhandlungen schlugen sich primär in einem Schriftwechsel zwischen Kaiser und Ständen nieder, der mit der Proposition seinen Ausgang nahm und sich über Repliken, Dupliken, Tripliken, etc. sowie über begleitende Gutachten und Eingaben immer mehr der endgültigen Formulierung im Reichsabschied annäherte. Der Abschied von 1529 etwa zeigt in der Art seiner Wiedergabe in Band VII der Reichstagsakten durch zahlreiche Querverweise sehr deutlich, dass die jeweiligen Beschlüsse meist wortwörtlich aus den entsprechenden Verhandlungstexten übernommen und lediglich die verbindenden Textteile in
Analekten, z. B. zum Reichstag von 1526 durch Walter Friedensburg (Kap. 6, Anm. 142) und Julius Ney: Analekten zur Geschichte des Reichstags zu Speier im Jahre 1526. In: ZKG 8. 1886. S. 300–317, 9. 1888. S. 137–181 und 12. 1891. S. 334–361, zum Reichstag von 1529 durch A. Jung: Aktenstücke. In: Geschichte des Reichstages zu Speyer in dem Jahre 1529. Straßburg/Leipzig 1830 (Beiträge zu der Geschichte der Reformation. Erste Abtheilung). S. I–CXVII oder für 1530 von Theodor Brieger: Beiträge zur Geschichte des Augsburger Reichstages von 1530. In: ZKG 12. 1891. S. 123–187.
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der Schlussredaktion eingefügt worden waren.8 Diese Beobachtung deutet bereits darauf hin, dass die Terminologie in den Rahmendokumenten und den offiziellen Verhandlungsakten über weite Strecken identisch war. Dennoch finden sich immer wieder charakteristische Abweichungen, die besonderes Zeugnis von den terminologischen Konflikten ablegen, die im Zuge der Religionsfrage auf den Reichstagen ausgetragen wurden. Die interne Korrespondenz lässt sich daneben mit dem noch relativ überschaubaren Feld der Instruktionen abdecken, in denen der Landesherr seinen Gesandten im Vorfeld des Reichstages auftrug, wie sie sich zu verhalten und welche Grundpositionen sie zu vertreten hätten. Als erster Punkt erfolgte dabei zumeist die Entschuldigung und eine Begründung für das Nichterscheinen des Fürsten. Recht häufig schlossen sich einige Anweisungen darüber an, mit welchen Ständen der Gesandte besonders eng zusammenarbeiten sollte. Je nach Stand ging es immer wieder auch um Fragen der Session, die sich ja meist über Jahre erstreckten und auf jeder Versammlung von Neuem akut wurden.9 Ansonsten referierte der Landesherr kurz seine Ansicht zu den einzelnen Punkten des Ausschreibens oder zu den erwarteten Propositionsartikeln und verband dies mit entsprechenden Verhaltensvorgaben. Dabei konnten die Instruktionen in ihrer Ausführlichkeit mitunter stark variieren. Während gerade die wichtigsten Fürsten nicht selten auf jeden Aspekt der Verhandlungen eingingen, beschränkten sich die Anweisungen bei kleineren Ständen durchaus schon einmal auf den Auftrag, sich einem bestimmten Territorium anzuschließen oder gleich stets mit der Mehrheit zu stimmen. Weitere Schreiben sollen lediglich herangezogen werden, um das entsprechende Bild gerade für solche Reichstage ein wenig abzurunden, für die kaum Instruktionen vorliegen, da zahlreiche Fürsten persönlich erschienen waren.
8.1 Von den Gravamina bis zur Protestatio: Die Herausbildung zweier Konfessionsparteien 1521–1529 Auch die Betrachtung der nicht-öffentlichen und internen Texte muss natürlich 1521 mit dem Wormser Reichstag einsetzen. Formal-institutionell steht er noch am Beginn der Entwicklung hin zu jener ausgeklügelten Verfassung, wie sie etwa im 8
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Vgl. etwa RTA JR VII. Nr. 148. S. 1296–1314. Hier wird gesondert auf die weitgehend wortwörtlichen Zitate zur Religionsfrage und zur Türkenhilfe aus dem ständischen Bedenken zur Proposition, Nr. 106. S. 1138–1155, verwiesen. Die Session galt als „symbolisches Kapital“, da sie den Rang im Reich widerspiegelte, und wurde entsprechend ernst genommen, vgl. Stollberg-Rilinger: Zeremoniell als politisches Verfahren (Kap. 5, Anm. 7). S. 107.
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Reichstagstraktat sichtbar wird. Die Schriftlichkeit und damit der Aktenausstoß war auf den Versammlungen der 20er Jahre noch nicht sehr stark ausgeprägt. Daher sind nur relativ wenige offizielle Verhandlungsdokumente überliefert. 1521 kam noch erschwerend hinzu, dass Karl V. die Religionsfrage in der Proposition überhaupt umgangen hatte. Dennoch lässt sich die religionspolitische Haltung der Kurie, des Kaisers und schließlich der bis auf wenige Ausnahmen noch unentschiedenen übrigen Reichsstände anhand einiger ausgewählter Texte gut dokumentieren. Der kursächsische Kanzler Brück berichtet von einer Rede, in der der päpstliche Nuntius Aleander am 13. Februar 1521 die Reichsstände zu einem Vorgehen gegen Luther zu bewegen suchte. In diesem Zusammenhang verlas dieser ein Schreiben Papst Leos X. an Karl V., das durch den öffentlichen Vortrag den Charakter einer offiziellen Verhandlungsgrundlage erhielt.10 Der Papst forderte den Kaiser darin auf, vt per publicam edictum omnibus declarent et significent, se contra eundem Martinum ac hereticos ipsos damnatos et ei adherentes eorumque fautores iuxta tenorem literarum nostrarum esse processuros.
Er bezieht sich auf die bereits veröffentlichte Bannbulle, wenn er betont, dass Luther und seine Anhänger als notorios et pertinaces hereticos entlarvt seien. Auf diese Weise macht er deutlich, dass weitere Verhandlungen zu diesem Thema nicht notwendig seien und einer sofortigen Ächtung eigentlich nichts im Wege stünde. Es verwundert nicht weiter, dass die Terminologie in ihrer Verbindung von häretisierenden und kirchenrechtlich verurteilenden Elementen in genau dieselbe Richtung weist, wie die entsprechenden Bullen. Auch die universalistischen Selbstbezeichnungen sind identisch, so ist hier etwa von Catholice fidei bzw. orthodoxe fidei, von omnibus Christi fidelibus und Catholicis omnibus die Rede. Dieser Sprachduktus findet sich entsprechend im internen Briefwechsel. Hier erscheint beispielsweise sanctae sedis apostolicae,11 sancta Romana Ecclesia und damit gleichbedeutend Ecclesiam Dei.12 Eck ruft in einem Schreiben an Aleander aus: ve fidei catholice.13 Zur Charakterisierung der Gegenpartei verwendet Aleander oft das Adjektiv Lutheriana, v. a. in Verbindung mit der Lutheriano negocio oder zur Kennzeichnung seiner 10
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Der Bericht über die mit deutlicher Ketzer- bzw. universalistischer Terminologie durchsetzte Rede Aleanders findet sich in: RTA JR II. Nr. 67. S. 494–507. Die folgenden Zitate aus dem Brief Leos X. stammen aus: Förstemann: Neues Urkundenbuch (Kap. 1, Anm. 2). S. 27–29. So in den Briefen Aleanders an Leo X. vom 25.10.1520, RTA JR II. Nr. 59 B. S. 458, und vom 6.11.1520, Nr. 59 D. S. 460. Diese Begriffe finden sich in einer kurialen Anweisung an Aleander vom 18.7.1520, Joachim Rogge (Hg.): 1521–1971. Luther in Worms. Ein Quellenbuch. Witten 1971. S. 19f., die sich insgesamt eines sehr offiziösen Tones bedient. Schreiben an Aleander vom 9.2.1521, RTA JR II. Nr. 136. S. 795.
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Bücher.14 In substantivierter Form bezeichnet dieser Begriff jene Anwesenden, die Luther günstig gesonnen sind, wenn er etwa konstatiert, dass die Berater Friedrichs des Weisen fere omnes magis Lutheranos quam ipse Luther seien.15 In einem Brief an den päpstlichen Vizekanzler Giulio de’ Medici stellt er fest, dass viele Fürsten Lutherani und die kursächsischen Räte gar Lutheranissimi seien.16 Daneben erwähnt er noch weitere sanctae sedis apostolice hostes, als welche er prinzipiell alle laici principes versteht, was deutlich darauf verweist, dass es sich bei diesen Gegnern nicht unbedingt um Lutheranhänger, sondern um Unterstützer der ,Gravamina nationis Germaniae‘ handelt.17 Auch wenn in der Bezeichnung ‚lutherisch‘ und in vereinzelt vorkommenden Begriffen wie errores18 oder heresibus19 die Ketzerterminologie durchscheint, so tritt die Polemik doch insgesamt eher zurück. Dieser Befund ist nicht weiter verwunderlich, wenn man die entsprechende Textfunktion bedenkt und in Relation zur Sprache setzt. Solche zumindest weitgehend internen Schreiben leisteten ja gerade nicht wie die theologisch-publizistischen Schriften oder die offiziellen Auftritte auf den Reichstagen religiöse Überzeugungsarbeit. Die Glaubenshaltung des jeweiligen Gegenübers war bekannt und wurde akzeptiert, man war in diesem Punkt grundsätzlich gleicher Meinung. Eine solche Korrespondenz diente dem Informationsaustausch innerhalb der eigenen Partei. Eine ausufernde Polemik war hier also nicht angebracht und hätte meist sogar störend gewirkt. Dennoch blieb sich gerade Rom in der Wortwahl über alle Textsortengrenzen hinweg recht treu. Die terminologischen Grundtendenzen waren im theologischen, offiziellen und internen Schrifttum weitgehend identisch. Das änderte sich auch im weiteren Verlauf der Ereignisse nicht. Die Kurie verweigerte sich stets allen konfessionspolitischen Ausgleichsbemühungen und war deshalb auch nicht bemüht, ihre Wortwahl entsprechend anzugleichen. Die Ablehnung des Augsburger Religionsfriedens sowie des Westfälischen Friedens markieren in diesem Zusammenhang wichtige Stationen einer Entwicklung, in der das Papsttum in Folge seiner Haltung zunehmend an 14
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Zur Lutheriano negocio vgl. die Schreiben an Leo X. vom 23.10.1520, RTA JR II. Nr. 59 A. S. 455 und S. 457, und vom 30.10.1520, Nr. 59 C. S. 459. In einem Schreiben an Karls Großkanzler Gattinara vom 8.5.1521 spricht er synonym von der re Lutherana, Nr. 90. S. 639. Der Kanzler verwendete diesen Begriff in einem Brief an den Kardinal von Sitten, vgl. Nr. 89. S. 638. Die Lutheriani […] libelli bzw. Lutherianos libros erscheinen ebenfalls in Aleanders Schreiben vom 23.10., Nr. 59 A. S. 455 und S. 456. RTA JR II. Nr. 59 D. S. 461. Schreiben vom 14.2.1521, Rogge: Luther in Worms (Anm. 12). S. 48 und S. 50. Auch Johannes Eck schreibt am 9.2.1521 an Aleander: in omnibus angulis lateant Lutherani. RTA JR II. Nr. 136. S. 795. RTA JR II. Nr. 59 D. S. 460. In einem Schreiben an Leo X. vom 30.10.1520 prangert Aleander die Lutherianos errores an, RTA JR II. Nr. 59 B. S. 458. So etwa bei Eck, RTA JR II. Nr. 136. S. 795.
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politischem Einfluss im Reich wie auch in der europäischen Staatengemeinschaft verlor.20 Karl V. wäre der päpstlichen Aufforderung zur Verurteilung Luthers gerne nachgekommen, doch die Stände erwirkten unter Verweis auf die Wahlkapitulation eine Vorladung des Reformators. Am 19. April, einen Tag nach Luthers Auftritt vor dem Reichstag, eröffnete der Kaiser den Ständen dann seine eigene Meinung in einer von ihm persönlich verfassten Erklärung.21 Sein Hauptargument gegen den Wittenberger war dabei mehr quantitativ denn qualitativ: yl est certain que ung seul frère erre en son opinion, laquelle est contre tout la crestiennité.22 Er selber stellte sich in die Tradition seiner Vorfahren, die stets filz fidèles de l’église Romaine sowie deffenseurs de la foy catholique gewesen seien, und folgte damit jener Linie, die der Papst in seinem Brief schon vorgegeben hatte. Die Verteilung von gut und böse ist deutlich: Auf der einen Seite stehen alle bons Crestiens in Gehorsam gegenüber der Römischen Kirche, die alleine den katholischen bzw. allgemeinen christlichem Glauben vertritt. Luther blieb als einsamer Kämpfer und kirchenrechtlich verurteilter notoire érétique außen vor – von etwaigen Befürwortern oder Helfern war, anders als in den rechtlichen Formeln des päpstlichen Schreibens und später des Wormser Edikts, jedoch nicht die Rede. Ähnlich wie auf Seiten des Papstes lässt sich in den Folgejahren zunächst kein bedeutender terminologischer Unterschied zwischen öffentlichen und internen Schriften feststellen, allerdings kommen hier nun auch Luthers Anhänger in den Blick. Erzherzog Ferdinand bezeichnet die evangelische Lehre in einem Brief an seinen Bruder 1523 etwa als la doctrine et secte Luthérianne.23 Der kaiserliche Kommissar Johann Hannart berichtet der niederländischen Statthalterin Margarete 1524 von der secte Luthériane sowie ihren abbuz, erreus et nouvellitéz24 und trennt sie scharf von den autres Chrestiens.25 Karl V. selber schließlich verurteilt 1526 ebenfalls zum wiederholten Mal die erreurs et heresies de Luthere26 und be20 21
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Vgl. Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg (Kap. 6, Anm. 531). S. 150–154. Die Tatsache, dass er sie mit der Bemerkung Fait de ma main beschloss, zeigt, dass wir es hier wohl tatsächlich mit Karls ureigenster Meinung zu tun haben. RTA JR II. Nr. 82. S. 596. Vgl. hierzu auch Hans Wolter: Das Bekenntnis des Kaisers. In: Fritz Reuter (Hg.): Der Reichstag zu Worms von 1521. Reichspolitik und Luthersache. Worms 1971. S. 222–236, hier S. 235. Dieses und die folgenden Zitate stammen aus RTA JR II. Nr. 82. S. 595. Schreiben vom 12.5.1523, RTA JR III. Nr. 220. S. 894. Anm. 1. Schreiben vom 30.3.1524, RTA JR IV. Nr. 237. S. 742, sowie vom 16.4.1524, Nr. 257. S. 766. Auch Ferdinand sprach in einem Brief vom 27.4.1524 gegenüber Karl V. erneut von der Lutherana secta, Nr. 268. S. 787. Schreiben vom 10.4.1524, RTA JR IV. Nr. 253. S. 759. Schreiben Karls V. an Ferdinand vom 26.7.1526, Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Kap. 6, Anm. 142). Nr. XIV. S. 569. Daneben sprach er auch wieder von der secte de Luthere, S. 571.
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zeichnet dessen Anhänger nun einerseits als Lutheriens, bezüglich ihrer Weigerung, die kaiserlichen Edikte zu befolgen, jedoch auch reichsrechtlich als rebelles.27 Die Stände reagierten auf Karls Erklärungen, indem sie sich sogleich bemühten, jeden möglichen Vorwurf, sie seien Anhänger Luthers, da sie Widerstand gegen seine sofortige Ächtung leisteten, zu zerstreuen.28 Bereits in ihrer Replik zum ersten Ediktentwurf des Kaisers vom 19. Februar 1521 hatten sie versichert, dass alle churfursten, fursten und ander stend des heiligen reichs neben und bei Ro. kai. Mt. auf irer vetter und voreltern glauben und artigkel cristlichs glaubens an ferrer disputacion bleiben und anhangen [...].29 Sie stimmen Kaiser und Papst zunächst darin zu, dass gewisse Aussagen Luthers dem alten Glauben der Vorfahren widersprächen. Wenn er diese widerriefe, wollten sie ihn allerdings bezüglich der von ihm angeprangerten kirchlichen Missstände durchaus anhören, was eine von Rom geforderte Pauschalverurteilung zunächst ausschloss. Auch in ihrer Antwort auf das Bekenntnis des Kaisers nahmen sie Karls Worte auf und bekannten sich zur foy catholique bzw. foy christienne. Sie gingen sogar so weit, Martin Luther als ung héréticque endurcy30 verdammen zu wollen – aber wohlweislich erst dann, wenn er nach einer weiteren Verhandlungsrunde seinen Lehren noch immer nicht entsagen würde!31 Selbst nach dem Scheitern des von ihnen geforderten Verhörs waren sie also noch immer nicht bereit, ihn vollends fallenzulassen. Nur durch eine ausdrückliche Verketzerung Luthers hätten sich die Stände als dezidierte Gegner des Reformators positioniert. Indem eine solch klare Stellungnahme aufgeschoben wurde, setzten sie sich im Prinzip über den päpstlichen Bann und den erklärten Willen des Kaisers hinweg und hielten sich so weit wie möglich neutral, ohne sich gleichzeitig dem Vorwurf auszusetzen, sie würden einen Ketzer unterstützen.32 Die deutlichen Worte, die das Wormser Edikt schließlich gegen Luther und seine Anhänger gebrauchte, finden sich also in den Verhandlungstexten der Stände nicht wieder! Identisch ist dagegen der eigentliche Bezugspunkt: Stets kreist man bezüglich der reformatorischen 27
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Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Kap. 6, Anm. 142). Nr. XIV. S. 573 und S. 572. Als rechtgläubiger Gegenpart fungiert allgemein die Chrestiente, S. 573. So nach Wolter: Das Bekenntnis des Kaisers (Anm. 21). S. 234. RTA JR II. Nr. 69. S. 516f. RTA JR II. Nr. 84. S. 599. In diese Richtung weist auch ein Referat des Brandenburger Kurfürsten Joachim I. vom 20. April 1521, in dem er feststellte, dass es in Luthers Büchern permultae atroces et abhorrendae hereses gebe, weshalb Luther, huius adhaerentes et hospitio aut quovis faventes etc. der ecclesiae und religione christiana widersprächen. Joachim distanziert sich zusammen mit den electoribus, principibus et statibus tanquam christianitatis membris dezidiert von solchen Aussagen, verketzert aber auch hier lediglich einige Lehrmeinungen, nicht jedoch alle Werke und schon gar nicht der Reformator selber. RTA JR II. Nr. 83. S. 597. Vgl. Wohlfeil: Der Wormser Reichstag von 1521 (Kap. 4, Anm. 7). S. 120.
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Lehren ausschließlich um Luther selber, während sich alle Fürsten und Städte noch selbstverständlich als treue Anhänger des alten Glaubens gemäß der römischen Kirche präsentieren. Die internen Schreiben sprechen hier teilweise bereits eine etwas andere Sprache. Besonders der kursächsische Schriftverkehr zeigt eine deutliche Zustimmung zu Luther. Kanzler Brück erwähnt die widersacher und die Romer33 und stellt diesen Luther und sein anhang gegenüber.34 Veit Warbeck berichtet Friedrichs Sohn Herzog Johann über die Ankunft Luthers und sieht darin ein deutliches Zeichen göttlichen Willens: der alt got lebt noch.35 Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt findet sich damit ein Hinweis darauf, dass Luthers Lehre mit der ‚alten‘ Christenheit konform gehe. Er fügt hinzu, dass die Romanisten gehofft hätten, der Reformator werde nicht nach Worms kommen.36 Der Bezug auf Rom erscheint dabei jeweils als etwas abwertende Bezeichnung der Geistlichkeit in ihrer Abhängigkeit von der Kurie und steht damit Luthers Bezeichnung Mein Widerwärtigen, die Päpstischen – ein Vorläufer von ‚Papisten‘ – sehr nahe, die dieser in einem Schreiben an seinen Landesherrn gebraucht hatte.37 Selbst Kurfürst Friedrich, der sich offiziell nie offen für Luther ausgesprochen und auf dieser Ebene dementsprechend jede terminologische Festlegung vermieden hatte,38 lässt seine Meinung intern durchscheinen. Seinem Sohn gegenüber bekennt er, dass er Martinus gerne helfen würde, aber fürchtet, dass jeder, der zu ihm stehe, schon bald als ain keczer gelte.39 Die eigentlichen Gegner Luthers sieht er in diesem Zusammenhang lediglich in der Geistlichkeit, die er in Anspielung auf ihre Kleiderordnung durchaus scherzhaft umschreibt: Die rothen hyttlein sein fast wider inen mit irem anhang.40 Friedrichs vorsichtige Taktik zeitigte nach Außen hin übrigens durchaus Erfolg, äußerte sich doch sogar Aleander gegenüber Papst Leo X. im November 1520 positiv über den Kurfürsten, indem er ihm bescheinigt, er sei maxime religiosus inque templis frequentissimus.41 33
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Schreiben an Spalatin vom April 1521, RTA JR II. Nr. 77. S. 534. Romer erscheint auch in Brücks Schreiben vom 14.2.1521, Nr. 66. S. 479. RTA JR II. Nr. 77. S. 537. RTA JR II. Nr. 190. S. 851. Schreiben vom 16.4.1521, RTA JR II. Nr. 190. S. 851. Luther an Kurfürst Friedrich, 25.1.1521, RTA JR II. Nr. 65. S. 476f. Der genaue Wortlaut in: Rogge: Luther in Worms (Anm. 12). S. 43. Es sei nochmals an sein Schreiben vom 20. Dezember 1520 erinnert, in dem er Karl V. versicherte, dass er sich doctor Martinus schreiben oder predigen zu vertretten oder zu verantworten nie angemast habe, RTA JR II. Nr. 63. S. 470. Schreiben vom 23.4.1521, RTA JR II. Nr. 199. S. 871. Schreiben vom 30.1.1521, RTA JR II. Nr. 127. S. 785. Schreiben vom 6.11.1520, RTA JR II. Nr. 59 D. S. 461. Auch andere Stände verlegten sich darauf, ihre Gesinnung nach außen hin zu verschleiern. So berichtet etwa der Straßburger Vertreter Klaus Kniebis 1522 über die feindselige Haltung dreier Fürsten, die ihn würden […] zu dem feur
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Auch die Gesandten weiterer Stände beziehen sich in ihren Schreiben immer wieder zustimmend auf die Luthersache. Hieronymus Vehus berichtet dem Markgrafen von Baden, der Reformator habe die rechten funklin evangelischer lere in seinen Schriften guter maß an tag pracht,42 und liefert damit einen sehr frühen Nachweis der Bezeichnung ‚evangelisch‘ im Umfeld des Reichstags. Andererseits spricht er direkt von den Romischen missbruchen und derselben anhenger bzw. Luthers anfechter oder widderwertigen.43 Peutinger verwendet ähnliche Worte: sein [Luthers] widersacher – seiner missgonner – der ewangelischen leer.44 Der Frankfurter Gesandte Fürstenberg geht sogar noch weiter, indem er die Bezeichnung Romanisten als Gegensatz zu uns Cristen gebraucht. Ansonsten seufzt er über die gesamte Angelegenheit: Der monch macht viel arbeit; es wollten in ein theil je gern ans crutz schlagen; furcht, er wird in kaum entrinnen, allein zu besorgen, wo es geschehe, er werde am dritten dage widder entstehen; got schick alle ding zum besten.45 Der Eßlinger Caspar Mart steht tendenziell ebenfalls auf Seiten Luthers, denn er informiert den Altbürgermeister der Stadt über dessen Verschwinden, nimmt jedoch an, sein besten frund hätten ihn gefangen in schein, als hetten es sein veind thon, aber er ist noch am leben, ob got will lang und gang im wol. Man müsse solhem grossen sturmwind und gwalt der pfaffen auch mit maß begegnen.46 Selbst das spätere katholische Bollwerk Bayern zeigt sich zu diesem Zeitpunkt noch recht zurückhaltend, schreibt Herzog Ludwig doch an seinen Bruder Wilhelm, dass die Stände den Kaiser gebeten hätten, den Abschied in bedenkung des gemainen mans, so dem Luther anhangt, auf das mal ze miltern.47 Die Wortwahl des Gesandten sieht da allerdings schon etwas anders aus: C. v. Schwarzenberg schreibt an seine Herren ausdrücklich von Luthers ketzerischen furnemen.48 Als einer der wenigen dezidierten Luthergegner zu diesem frühen Zeitpunkt wird immer wieder Herzog Georg von Sachsen hervorgehoben, der ja auch in den
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verdampt haben, wenn sie von seiner pro-lutherischen Gesinnung gewusst hätten, die er aber wohl verbirgt. Daneben gebe es aber sonst vil, die im [Luther] nit gar fiend sein. Brief an den Straßburger Stadtschreiber vom 23.3.1522, RTA JR III. Nr. 123. S. 779. Schreiben vom 3.6.1521, RTA JR II. Nr. 86. S. 620. Auch an weiteren Stellen erwähnt Vehus die evangelische lere, S. 614, 616, 618, das wort gottes und ewangelische warheit, S. 619, 620, bzw. nur die ,evangelische Wahrheit‘, S. 621, us evangelischen […] schriften sowie in ewangelischer satzung, S. 614. RTA JR II. Nr. 86. S. 614. Schreiben vom 19.4.1521, RTA JR II. Nr. 194. S. 860. Schreiben vom 20.2.1521, RTA JR II. Nr. 143. S. 803. In einem weiteren Brief vom 19. April spricht er ebenfalls von christliche und evangelische lere, uns Cristen, seine feind und widderige sowie Romanisten, Nr. 195. S. 864. Schreiben vom 27.5.1521, RTA JR II. Nr. 245. S. 950. RTA JR II. Nr. 198. S. 869. RTA JR II. Nr. 211. S. 893.
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folgenden Jahren maßgeblich daran beteiligt war, dass sich das Reichsregiment überhaupt mit dieser Angelegenheit befasste. Doch sogar er gab zu, dass in den Büchern des Reformators nicht alles unwahr sei und auch nicht unnötig, dass es an den Tag kommt.49 Das verweist auf eine bedeutende Ursache für die Bemühungen der Stände um Luther: Gegen jede Intention des Kaisers brachten sie diese Angelegenheit mit den ‚Gravamina nationis Germaniae‘ in Verbindung.50 Ihren Ursprung hatten die Gravamina bereits auf dem Konstanzer Konzil, auf dem die deutschen Teilnehmer erstmals eine Liste mit zu reformierenden Missständen in der Kirche aufgestellt hatten. Diese betrafen in erster Linie drei Themenkreise: Die kuriale Ämtervergabe, Eingriffe Roms in die Jurisdiktion des deutschen Episkopats sowie die päpstliche Finanz- und Abgabenpraxis.51 Auf dem Augsburger Reichstag von 1518 erreichte die Konfrontation zwischen Kurie und Ständen ihren ersten Höhepunkt, als eine von Kardinal Cajetan mit Unterstützung Kaiser Maximilians I. geforderte Steuer zur Finanzierung eines Kreuzzuges gegen die Türken unter Verweis auf die ohnehin schon zu hohe finanzielle Belastung der Untertanen durch Rom rundweg abgelehnt wurde.52 Mit seiner Schrift ‚An den christlichen Adel deutscher Nation‘ hatte Luther die Reformforderungen aufgegriffen und dadurch die Sympathien vieler Stände erlangt, die in ihm nun eine Stütze ihres eigenen antirömischen Kurses sahen.53 In Worms erarbeitete ein speziell eingesetzter Ausschuss eine ausführliche Liste mit der stattlichen Zahl von immerhin 102 Beschwerden gegen die Kurie. Auch wenn dieser Entwurf zunächst im Sande verlief, so bildete er doch die Grundlage für alle weiteren Verhandlungen zu diesem Thema.54 Im Reichsregiment sowie auf dem folgenden Nürnberger Reichstag von 1522, als Luther nicht nur in den Rahmentexten keinerlei Erwähnung gefunden hatte, sondern die ganze Angelegenheit auch in den Verhandlungen selber vollkommen unter 49 50
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Zit. nach Scheible: Gravamina (Kap. 3, Anm. 470). S. 404. Karl V. hatte ebenso wie die Religionsfrage auch die Gravamina nicht als Verhandlungspunkt vorgesehen, vgl. Scheible: Gravamina (Kap. 3, Anm. 470). S. 405. Vgl. Annelies Grundmann: Die Beschwerden der deutschen Nation auf den Reichstagen der Reformation. Erläuterung und Begründung der Sonder-Edition. In: Heinrich Lutz/Alfred Kohler (Hg.): Aus der Arbeit an den Reichstagen unter Kaiser Karl V. Sieben Beiträge zu Fragen der Forschung und Edition. Göttingen 1986 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bd. 26). S. 69–129, hier S. 72. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Gravamina aus der Mitte des 15. Jahrhunderts findet sich auch bei Scheible: Gravamina (Kap. 3, Anm. 470). S. 399. Vgl. Scheible: Gravamina (Kap. 3, Anm. 470). S. 401f. Vgl. Reinhard: Warum hatte Luther Erfolg? (Kap. 3, Anm. 470). S. 12 und Scheible: Gravamina (Kap. 3, Anm. 470). S. 402–404. Vgl. Grundmann: Die Beschwerden der deutschen Nation (Anm. 51). S. 78. Bezeichnenderweise lieferte Georg von Sachsen eine der Vorlagen für die Beschwerdeschrift, vgl. Scheible: Gravamina (Kap. 3, Anm. 470). S. 406.
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den Tisch gefallen war, bestätigte sich zunächst die neutrale Haltung der Stände. Dies zeigen auch die Briefe des Hans von der Planitz, dem Vertreter Friedrichs des Weisen im Reichsregiment von Oktober 1521 bis Mai 1524, anhand derer sich der interne kursächsische Sprachgebrauch weiterverfolgen lässt. Er war zwar ein starker Verfechter des reformatorischen Gedankenguts und entsprach auf diese Weise ganz dem Bild, das Aleander von den kursächsischen Räten gezeichnet hatte. Dennoch finden sich zu Beginn seiner Tätigkeit im Reichsregiment noch keine Spuren religionspolitischer Auseinandersetzungen. Erst mit der Ankunft Herzog Georgs wird diese Angelegenheit schlagartig akut. In einem Brief vom 2. Januar 1522 berichtet Hans von der Planitz, dass der Herzog sich ihm gegenüber beklagt habe, sein Land würde schir gar keczerisch; wolden alle die Behemische weiß an sich nehmen und sub utraque specie communiciren, und er fordert, diesen Punkt unbedingt im Regiment zu beraten. Er selber habe dagegen – sehr zur Entrüstung des Herzogs – doctor martinus lehr verteidigt. Außerdem berichtet er, dass der Kaiser in Antwerpen einen Prior habe festnehmen lassen, weil dieser wider den babst und seine gesecz geprediget und die ewangelische lehr vorkondiget hatt.55 Wie in vielen Schreiben des vorausgegangenen Reichstags beschränkt sich die Umschreibung der Religionsfrage also auch bei Hans von der Planitz zunächst auf eine allgemeine Nennung Luthers.56 In diesem Zusammenhang kann sogar das entsprechende Adjektiv auftauchen, schreibt er doch über den neuen Papst Hadrian, dieser sei nicht sehr gutt Luterisch.57 Daneben erscheint bereits hier auch das Adjektiv ‚evangelisch‘. Zur genaueren Charakterisierung und Umschreibung der reformatorischen Lehre nimmt von der Planitz dagegen wie das Regimentsmandat vom 20. Januar 1522 Bezug auf entsprechende Zeremonien.58 So werde es sich schon wegen des Vorgehens von Seiten Herzog Georgs kaum vermeiden lassen, von dem gebrauch, der sich iczunt in E. cfl. G. lande begeben 55
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Hans von der Planitz: Berichte aus dem Reichsregiment in Nürnberg. 1521–1523. Gesammelt von Ernst Wülcker und Hans Virck. Leipzig 1899. Nachdruck Hildesheim/New York 1979. Nr. 27. S. 59f. Am 16. Januar kann Hans von der Planitz dann vermelden, dass Georg sein Vorhaben wahr gemacht und dem Regiment in drastischen Worten von der keczerei berichtet habe. Dabei verweist er auf dessen großen Eifer in dieser Angelegenheit: Machet sein fl. G. die sach vast heiß und heftig. Vgl. Nr. 29. S. 67f. Ein weiterer Disput erscheint im Brief vom 28. Januar 1521, Nr. 31. S. 73, wo der Herzog sich darüber auslässt, dass Luther sulch unkristlich dinge schreib und lehr. Vgl. hierzu auch die Formulierungen weiterer Briefe, wo es bezüglich der Verhandlungsgegenstände im Regiment etwa heißt: wirt man auch meins vorsehens vornemen zu handeln von wegen doctor Martinus und von dem, ßo iczunt vorgenomen wirt, Schreiben vom 8. Februar 1522, Planitz: Berichte aus dem Reichsregiment (Anm. 55). Nr. 35. S. 81, ähnlich auch am 19. Februar 1522, Nr. 39. S. 90, oder am 28. Februar, Nr. 43. S. 99. Schreiben vom 21. Januar 1522, Planitz: Berichte aus dem Reichsregiment (Anm. 55). Nr. 30. S. 69. Zu diesem Mandat s. o. Kap. 6.2.2.
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sall, under zweiherlei gestalt das heilige sacrament zu entphahen, zu reden, und auch das die pfaffen weiber nehmen, und die monch aus den clostern laufen.59 Etwas später legt er seine Meinung zu diesen Punkten etwas genauer dar: Es ist am tage, das vill ubels geschicht von pristern, die nicht eheweiber haben. Were meins vorstehens besser, sie hetten weiber, dan das sie der poßheit gebrauchen. Hier fällt er mithin ein ziemlich vernichtendes Urteil über den Zölibat. Für die Vorwürfe über die geflohenen Mönche hält er den Kurfürsten dagegen erst gar nicht für zuständig, da dies in den Bereich der Ordensoberen falle. Die Abendmahlsausteilung unter beiderlei Gestalt verteidigt er schließlich, da dies unßerm heiligen glauben nicht entgegen ader der selen seligkeit undinstlich sei.60 Kurfürst Friedrich spricht in seinen Antworten ebenfalls von Doctor martinus sachen halbn oder Lutters sachen.61 Allerdings lässt er sich hier nicht weiter über einzelne Streitpunkte aus, sondern wünscht, dass das Thema im Reichsregiment tunlichst umgangen werde, da bereits der Wormser Reichstag in dieser Frage zu keinem Ergebnis gekommen sei, oder er zieht sich mit der Bemerkung aus der Affäre, er kenne sich mit Fragen des Zölibats, der Mönche und des Sakraments als Laie nicht aus. Auf dem zweiten Reichstag zu Nürnberg kam die Verbindung zwischen der Reformation und den Gravamina schließlich voll zum Tragen. Zunächst war nach inzwischen bewährtem Muster keines dieser Themen proponiert worden. Lediglich Georg von Sachsen forderte seinen Gesandten in seiner Instruktion audrücklich dazu auf, den kaiserlichen Statthalter Pfalzgraf Friedrich an die Behandlung der Luthersache zu erinnern und bei Friedrich dem Weisen auf eine Bestrafung des Reformators zu drängen.62 Dieses Vorgehen durch Martinum Lutter, seinen anhang und andere gereicht seinen gotlichen namen, ernstlich auch den lieben heiligen zu schmacheit und unere, weshalb solche Umtriebe unbedingt ausgerodt werden müssten.63 In einem direkten Schreiben an den Pfalzgrafen bekräftigt Georg, die Martinischen vermöchten got und unserm glouben, wo wirs mit ernst angreifen, nicht zu widerstehn.64 Auch Georgs Gesandter D. v. Werther bewegt sich im gleichen sprachlichen Rahmen wie
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Schreiben vom 1. Februar 1522, Planitz: Berichte aus dem Reichsregiment (Anm. 55). Nr. 33. S. 77. Schreiben vom 19. Februar 1522, Planitz: Berichte aus dem Reichsregiment (Anm. 55). Nr. 39. S. 90f. Vgl. hierzu etwa die Schreiben vom 22. Februar, Planitz: Berichte aus dem Reichsregiment (Anm. 55). Nr. 42. S. 95 und 3. März 1522, Nr. 45. S. 104. Vgl. die entsprechende Instruktion vom August 1522, RTA JR III. Nr. 43. S. 240f. Für den ersten Nürnberger Reichstag von 1522 finden sich in der Instruktion Georgs von Sachsen lediglich einige prophylaktische Anweisungen zur Luthersache, vgl. RTA JR III. Nr. 8. S. 61–69, während andere interne Schreiben kaum auf dieses Thema eingehen. RTA JR III. Nr. 43. S. 242. Schreiben vom 4.6.1522, RTA JR III. Nr. 145. S. 797.
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sein Herr, wenn er Luther als teufelische[n] monch bezeichnet.65 Hier bleibt es also bei einem klaren Bezug auf den Reformator selber, wie er sich in zahlreichen anderen Briefen jener Zeit findet. Eindeutig abwertend heißt es etwa bei Kurfürst Ludwig von der Pfalz: solliche Leuterischen und ander neu ufgestanden meinungen und disputacion.66 Herzog Ludwig von Bayern berichtet an Wilhelm, Chieregati habe sich ausdrücklich bei ihm bedankt, dass sie die Luterisch ler verboten hätten und auch sunst genaigt guet Kristen zu sein, wie unser vorfordern auch gewessen. Als gewiefter Poltiker verweist er gleichzeitig darauf, dass dies eine gute Gelegenheit wäre, etwaige Forderungen an den Papst zu stellen.67 Letztendlich war es aber der durch den neuen Papst Hadrian VI. gesandte Nuntius Chieregati, der eine entsprechende Diskussion ins Rollen brachte. Seine Rede vom 10. Dezember 1522 bleibt ebenso wie die öffentlich verlesenen päpstlichen Schreiben68 der bisherigen terminologischen Linie Roms treu. So verleiht er etwa der Hoffnung Ausdruck, die Stände würden als christiane fidei propugnatores endlich das Wormser Edikt befolgen und gegen pernitiosissimum Lutheriane hereseos fomentum vorgehen, das inzwischen sogar schon begonnen habe, über die Grenzen des Reiches auszugreifen.69 In diesem Zusammenhang ist erstmals in einem offiziellen Rahmen auf einem Reichstag von der secte Lutherane bzw. damit gleichbedeutend von den Lutherani als einer größeren Gruppe die Rede.70 Neu ist auch die Parallelisierung der Reformation mit der Türkengefahr, die Chieregati in seiner Rede als Druckmittel bemüht.71 Auf der anderen Seite sollte ein Schuldeingeständnis Hadrians, verbunden mit dem Versprechen, alle vorhandenen Missstände sobald wie möglich abzustellen, den Gravamina von vornherein den Wind aus den Segeln nehmen.72 Damit hatte die Kurie allerdings selber einen Konnex zwischen Luther und
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Schreiben an Georg vom 19.12.1522, RTA JR III. Nr. 207. S. 880. Schreiben vom 2.4.1522, RTA JR III. Nr. 127. S. 781. Schreiben vom 6.11.1522, RTA JR III. Nr. 173. S. 841. Hierzu zählen zwei Instruktionen des Papstes an Chieregati, RTA JR III. Nr. 73. Anm. 1. S. 388f. und Nr. 74. S. 390–399, sowie ein Breve an die Stände, Nr. 75. S. 399–404. RTA JR III. Nr. 73. S. 389f. So in der Instruktion vom November 1522, RTA JR III. Nr. 74. S. 393, 394, 396. RTA JR III. Nr. 73. S. 389. Damit folgt der Nuntius der Instruktion Papst Hadrians, der ebenfalls von venenum Lutheriane heresos sowie der secte Lutherae spricht und auch den Bezug zum Islam vorgibt: RTA JR III. Nr. 73. S. 388. Anm. 1 und Nr. 74. S. 393. Der Vergleich mit Machometus ille spurcissimus erfolgt in der Parallelisierung von Vielehe und Abschaffung des Zölibats, Nr. 74. S. 395. Die Türken als Druckmittel erscheinen intern bereits etwas früher in der Instruktion Georgs von Sachsen, da man nur bei einem Vorgehen gegen Luther hoffen könne, dass Gott uns Cristen wider dem Turken, auch die bose Cristen den Sieg verleihen werde. RTA JR III. Nr. 43. S. 242. Vgl. RTA JR III. Anm. 1. S. 389.
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den ständischen Reformforderungen hergestellt und dieses Thema überhaupt erst wieder auf die Tagesordnung gehoben. Die Stände hatten nun über eine gemeinsame Antwort an den Nuntius zu beraten. Zunächst verfasste der Kleine Ausschuss ein Gutachten den Lutterischen handel betreffend.73 In diesem Text gab man der gesamten Angelegenheit erstmals im Rahmen der Verhandlungsakten einen eigenen Namen. Dabei übernahm man eine intern bereits 1521 verwendete Umschreibung. Damals hatte Aleander in einem Schreiben an Karls Großkanzler Gattinara von der re Lutherana und re Martini74 bzw. in einem Brief an Papst Leo X. von der negocio Lutherano75 gesprochen, so wie umgekehrt auch Kurfürst Friedrich von Sachsen seinen Sohn Herzog Johann über Martinus sache auf dem Laufenden hielt.76 Als ‚lutherische‘ bzw. als ‚Luthers Sache‘ wird die Angelegenheit in zahlreichen weiteren Briefen von Vertretern aller Seiten umschrieben, wobei die Gegner der Reformation tendenziell eher das Adjektiv bemühen.77 Dabei handelt es sich grundsätzlich um einen rechtlich-neutralen Begriff, der in der zeitgenössischen Sprache „im rechtstechnischen Sinn von ‚Rechtsfall‘ bzw. ‚Rechtsstreit‘ gebraucht [wurde]“.78 Durch diesen Rückzug auf rechtliche Formeln ließ sich auf offizieller Ebene die verketzernde Sprache der Kurie umgehen, intern aber durch einen entsprechenden Kontext bzw. die Betonung der Variante ‚lutherisch‘ durchaus eine Wertung ausdrücken. Auch im weiteren Verlauf der offiziellen Verhandlungen ist lediglich von Martini Lutthers und seiner nachvolger leere und 73 74 75 76 77
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RTA JR III. Nr. 79. S. 419. RTA JR II. Nr. 90. S. 639. RTA JR II. Nr. 59 C. S. 459. RTA JR II. Nr. 127. S. 785. Als Beispiele seien genannt die Schreiben Herzog Ludwigs von Bayern an Wilhelm vom 21.11.1522, RTA JR III. Nr. 185. S. 851 (doctor Lutters sach), Johann Schads an Herzogin Katharina von Braunschweig vom 5.12.1522, RTA JR III. Nr. 196. S. 868 (der Lutherisch handel), des Memminger Gesandten Hans Schultheiß vom 9.2.1524, RTA JR IV. Nr. 183. S. 665 (die Luterisch handlung), Johann Rehlingers an Nördlingen vom 31.3.1524, RTA JR IV. Nr. 238. S. 743 (der Lutherischen sachen halben) sowie Johann Hugs an Hagenau vom 10.2.1524, RTA JR IV. Nr. 185. S. 671 (Des Lutters halben). Auf römisch-katholischer Seite tut sich Simon Ribisen dabei in seinen Briefen an den Straßburger Bischof besonders hervor, wenn er neben der Lutterischen sach (Schreiben vom 27.2.1524, RTA JR IV. Nr. 205. S. 706 sowie vom 4.4.1524, Nr. 245, S. 751) auch von einem Lutherischen pfaffen und doctor (Schreiben vom 6.2.1524, RTA JR IV. Nr. 181. S. 661), der Lutherisch buberei (Schreiben vom 7.3.1524, RTA JR IV. Nr. 215. S. 719) und der Lutterisch seckt (Schreiben vom 29.3.1524, RTA JR IV. Nr. 236. S. 739) spricht. Auch den Hochmeister Albrecht von Preußen umschreibt er als etwas Lutterisch, was aber wohl doch darauf verweist, dass er sich über dessen Haltung noch nicht vollkommen im Klaren ist (Schreiben vom 27.2.1524, RTA JR IV. Nr. 205. S. 707). Borth: Luthersache (Kap. 3, Anm. 259). S. 9. Vgl. hier auch Anm. 1. Da diese Bezeichnung nicht in den Reichsabschieden erschien, kann man ihn jedoch nicht als offiziellen Oberbegriff für die Glaubensfrage sehen.
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schreiben79 oder von lutherischen irrungen80 die Rede. ‚Irrungen‘ ist dabei trotz des gleichen Wortstammes nicht etwa mit ,Irrtum‘ zu verwechseln, denn gleich im Anschluss heißt es weiter, dass auch zwischen den cristenlichen menschen, geistlichen und weltlichen einige Irrungen bestünden. Gemeint sind also keine ketzerischen Lehren, sondern allgemeine Meinungsverschiedenheiten, die zwar durchaus zu einer ernsten Krise führen können, aber nichtsdestoweniger keinerlei häretisierende Wertung beinhalten. Schließlich greift das Gutachten die Gravamina auf und schlägt einige höchst kritische Töne gegen Rom an: Die Mandate widder den Luther ausgangen seien häufig nicht zu befolgen gewesen, weil dieser in seinen Schriften über die unbezweifelten manigfeltig missbrauch des hofs zu Rom und geistlicher stende berichtet habe, so dass eine Verfolgung nun so aussähe, als wolt man evangelische warheit vertrucken und uncristliche, beschwerliche missbreuche handhaben.81 In diesem Fall wird ‚unchristlich‘ nicht mit den reformatorischen Lehren, sondern mit den Missbräuchen Roms in Verbindung gebracht, während Luther durchaus zugestanden wird, ‚evangelisch‘, also im Sinne des Evangeliums, gegen die Zustände in der Kurie geschrieben zu haben! Ebenso argumentierte man im Falle einiger Nürnberger Prediger, denen die Verbreitung reformatorischer Lehren vorgeworfen wurde: Um Aufruhr zu vermeiden, dürfe man sie nicht aufgrund ihrer unerfunden uncristlicher leer festnehmen, sondern müsse sie erst eindeutig überführen. Im Falle der verheirateten Priester und der ausgetretten ordensleut erklärt man sich erst gar nicht für zuständig, da hierfür im weltlichen Recht keine Strafe vorgesehen sei.82 Im Prinzip weist dieses Gutachten Chieregatis Forderungen auf ganzer Linie zurück. Stattdessen bringt man hier erstmals ein Konzil ins Spiel, auf dem die Luthersache und die Gravamina geklärt werden könnten. Trotzdem gab man sich unterwürfig, bezeichnete den Papst als getreuen vater und obersten hirten der christlichen schefflein83 und versprach, sich alle zeit als frome, cristlich churfursten, fursten und stende zu halten und sich gegen bapstlicher Ht zu cristlichen gehorsam aller gepur zu erzeigen.84 Theologisch wie juristisch sah man sich damit vollkommen im Recht. Die Reichsstädte stimmten diesen Gutachten ausdrücklich zu. Sie schlossen sich der Ansicht an, der Luterisch handel werde durch strenge Mandate nur noch verschlimmert. Das Konzil 79 80 81
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RTA JR III. Nr. 79. S. 420. RTA JR III. Nr. 79. S. 424. RTA JR III. Nr. 79. S. 421. Auch ein weiteres Gutachten kritisiert, man sei inzwischen so weit, dass die Kurie und die Geistlichkeit ain ewangelisch leben sogar verachten würden, RTA JR III. Nr. 80. S. 431. RTA JR III. Nr. 79. S. 428. RTA JR III. Nr. 79. S. 419, diese Hirtenmetapher erscheint ähnlich auch auf S. 420 und S. 422. RTA JR III. Nr. 79. S. 429.
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zur Abstellung der schwebenden irrungen in der cristenlichen kirchen sei dagegen ein Vorschlag, den kein Cristenmensch, der gottes eer lieb hat und zu furderung und handhabung gemains nutz des heiligen ewangeliumbs geneigt ist, missbilligen könne – ein deutlicher Seitenhieb auf die latent ablehnende Haltung der Kurie.85 Auch hier fällt die Betonung des Evangeliums auf, an dem der reformatorischen Lehre so sehr gelegen war, während diesmal umgekehrt jede Devotionsformel gegenüber dem Papst fehlt. Damit lässt sich anhand der Terminologie bereits nicht mehr eindeutig ablesen, auf welcher Seite die Städte eigentlich genau standen! Hier sind also erste leichte Unterschiede zwischen den Ständen in der Bewertung der Luthersache im Rahmen der Verhandlungen erkennbar, die sich so in den öffentlichen Dokumenten noch nicht widerspiegelten.86 Die auf dieser Basis erarbeitete offizielle Antwort an Chieregati vom 5. Februar 1523 fiel in der Argumentation entsprechend aus, war allerdings in ihrer Wortwahl deutlich ‚romfreundlicher‘. Die Stände wandten sich ehrerbietig an den Papst als sancte Romane et universalis ecclesie pontificis optimi et maximi.87 Wie im Gutachten vorgesehen, wurde er auch als pius pater et verus pastor angesprochen.88 Dementsprechend blieb also kein Zweifel an der Identität von universaler katholischer und römischer Kirche unter päpstlicher Herrschaft.89 Auf der anderen Seite ist von der negotio Lutherane factionis90 die Rede, eine Abwandlung der bereits bekannten rechtlichen Wendung, die Luthers Bewegung als ,factio‘ allerdings in die Richtung eines bedenklichen Unruheherdes rückt. Zudem spricht der Text deutlich verketzernd von secta Lutherana oder Lutherano errori sowie von Lutherus et sui sectatores.91 Die Wortwahl ist hier also nicht so neutral wie in den entsprechenden Gutachten. Die Stände selber bleiben allerdings über jeden Verdacht erhaben: Kurfürst Friedrich wird von seinen Standesgenossen sofort gegen mögliche Vorwürfe, Anhänger Luthers zu sein, in Schutz genommen, denn sie bescheinigen ihm in religionem christianam pietate et in sacrum Romanum imperium observantia et obedientia, also rechten Glauben und Gehorsam.92 In der Sache selber entzog man sich trotz 85 86
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RTA JR III. Nr. 81. S. 434. Neben den Städten positionierten sich besonders die geistlichen Fürsten früh, aber in diesem Fall natürlich gegen Luther. So notiert Paul Röttinger in seinem Bericht an Nördlingen: der merer tail gaistlicher fursten seinend im [Luther] vast gehässig: Schreiben vom 4.12.1522, RTA JR III. Nr. 195. S. 867. RTA JR III. Nr. 82. S. 435. RTA JR III. Nr. 82. S. 437. Das Adjektiv ,catholicus‘ erscheint denn auch mehrfach synonym zur ,römischen‘ Kirche, vgl. RTA JR III. Nr. 82. S. 436, 439, 443. RTA JR III. Nr. 82. S. 436. RTA JR III. Nr. 82. S. 437, 440, 441. RTA JR III. Nr. 82. S. 441.
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der entgegenkommenden Terminologie auch weiterhin den Ansprüchen Roms und übernahm vollständig die im Gutachten des Kleinen Ausschusses vorgeschlagene Argumentation. Chieregati zeigte sich in seiner Antwort entsprechend enttäuscht: Weder Kaiser und Papst nec ullus christianorum principum hätten eine derartig ausflüchtige Entschuldigung für die Nichteinhaltung des Wormser Edikts erwarten können.93 Implizit wirft er den Ständen durch diese Gegenüberstellung mit allen ‚christlichen‘ Gewalten sogar ‚unchristliches‘ Handeln vor! Aber es sollte Rom noch härter treffen, denn nachdem der Nuntius die innerkirchlichen Missstände angesprochen und daraufhin auch der Kleine Ausschuss dieses Thema aufgegriffen hatte, bemühte man sich nun um eine Fertigstellung der 1521 liegengebliebenen Gravamina der weltlichen Stände gegen Rom und die Geistlichkeit.94 Trotz der erneuten Versicherung, sich gegenüber dem Papst als gehorsame sone und den geistlichen Ständen als christliche bruder und glider halten zu wollen, weisen einige dieser unleidlich beswerden eindeutig reformatorische Tendenzen auf.95 Um nur zwei besonders auffällige Beispiele zu nennen: Der Ablass, der ja Luthers Vorgehen überhaupt erst ausgelöst hatte, wird ganz in seinem Sinne als großes ergernis und verfirung der Christenmenschen verurteilt.96 An anderer Stelle beklagt man, dass viele Pfarrer ihrer Gemeinde das Evangelium vorenthalten und statt dessen unnutz und unbewert legenden der heiligen und ander erticht, ergerlich heidenisch fabeln predigen würden, wodurch sie die Menschen vom rechten christlichen glauben und vertrauen in gott abbrächten und zu ander aberglauben und menschenwerk trieben.97 Solch deutliche Aussagen könnten genauso gut aus evangelischen Flugschriften stammen! Unter dem Deckmantel der Gravamina war es also einigen lutherfreundlichen Ständen gelungen, ein paar reformatorische Forderungen zur offiziellen Meinung des Reichstages zu erheben. Bislang hatten sich die Stände in der Glaubensfrage nach Außen hin noch weitestgehend als eine christliche und Papst wie Kaiser gehorsame Einheit präsentiert und die Reformationsbewegung vornehmlich an der Person Luthers festgemacht. Gerade in Zusammenhang mit den Gravamina zeigten sich jedoch auf dem dritten Nürnberger Reichstag von 1524 erste deutliche Bruchstellen innerhalb dieser Gemeinschaft. Vom 4. bzw. 5. April 1524 datiert ein Beschluss der Stände betreffend die neu verfurig ler. Der Kaiser hatte nochmals die Befolgung seines Edikts angemahnt. Die Stände versichern nun, sie hätten sich daran erinnert, das inen dawider zu thun nit gebueren, sunder den wie billich gehorsamlich zu leben schuldig erkennen, auch 93 94 95 96 97
RTA JR III. Nr. 83. S. 444. Vgl. RTA JR III. Nr. 79. S. 424. RTA JR III. Nr. 110. S. 687f. RTA JR III. Nr. 110. S. 651. RTA JR III. Nr. 110. S. 657.
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sovil inen muglich nachzukomen und zu volnziehen geneigt sein. Deshalb solle jeder Fürst bei seinen Untertanen darauf achten, dass solchen irer Mt ausgangen mandata nachmals gelept wert. Neben dieser Zusage, die in Ansätzen bereits die Verantwortungsformel von 1526 anklingen lässt, erhalten sie ihre Konzilsforderung aufrecht und ziehen sich ansonsten mit der bereits aus den Abschieden bekannten dissimulierenden Predigtklausel aus der Affäre.98 Auch in ihrer Antwort an den päpstlichen Legaten Campeggio sprechen die Stände abwertend von der neuen lere, fordern aber ein Konzil bzw. eine versamlung Teutscher nacion, um dafür zu sorgen, dass alles, was gut ist, nit undergedruckt werde.99 Obwohl sie durch die Verwendung der Attribute ‚neu‘ oder gar ‚verführend‘ ziemlich deutlich Stellung gegen Luthers Lehre beziehen, wehren sie sich also noch immer gegen eine Pauschalverurteilung des Reformators. Trotzdem formierte sich diesmal gleich von mehreren Seiten offener Widerstand gegen die Ständemehrheit, da einige Beteiligte des Lavierens allmählich überdrüssig wurden und klare Aussagen zugunsten Luthers wünschten. In zwei Eingaben meldeten sich die Reichsstädte zu Wort und lehnten die Bezeichnung ‚neue Lehre‘ ab: der neuen leer halben, wie man der namen geben will.100 Sie bezeichnen sich zwar auch als gehorsame glieder der christenlichen kirchen, des heiligen reichs und keir Mt – der Papst findet wohlweislich keine Erwähnung mehr –, machen aber zugleich deutlich, dass sie Gott natürlich mehr verpflichtet seien als allen weltlichen Gewalten. Deshalb bestehen sie darauf, dass jeder von ihren Predigern die von ihnen als richtig erkannten Lehren weiterhin vertreten dürfe, er wurde dann ains andern mit solicher gottlichen schrift uberwunden. Diese Argumentation erinnert stark an Luthers Auftritt in Worms, wo dieser ebenfalls versichert hatte, von seinen angeblich ketzerischen Lehren sofort abstehen zu wollen, sobald man ihn anhand der Heiligen Schrift eines Besseren belehren würde.101 Die Städte sehen sich dabei mit der Predigtklausel des vorangegangenen Reichstages in Einklang. Gegen jede Abweichung von dieser Regelung, also auch gegen die bloße Andeutung einer möglichen Rückkehr zum Wormser Edikt, legen sie dagegen offiziellen Protest ein! Auch wenn sie dies mit der Furcht vor einem möglichen Aufruhr entschuldigen, da der gemain man allenthalben zum wort gottes und heiligen ewangelio ganz begirig ist, so wird doch durch die Ablehnung der Bezeichnung ,neu‘ sowie den wiederholten Bezug auf das Evangelium deutlich, dass die reformatorische Lehre in zahlreichen Reichsstädten bereits deutlich Raum gegriffen hatte. Simon Ribisen bestätigt dieses Bild, schreibt 98 99
100 101
RTA JR IV. Nr. 110. S. 500f. RTA JR IV. Nr. 116. S. 514. die neue lere erscheint auch in der offiziellen Ständeantwort an den kaiserlichen Statthalter, Nr. 119. S. 520. RTA JR IV. Nr. 113. S. 507 sowie Nr. 118. S. 517. Zu Luthers Rede in Worms vgl. Schwarz: Luther (Kap. 3, Anm. 57). S. I 106f.
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er doch an den Straßburger Bischof, die Anhänger Luthers fänden sich primär in den Reichsstädten, während die Kurfürsten und Fürsten sowie die Eidgenossen seiner Ansicht nach eher gegen die Reformation seien.102 Noch wesentlich eindeutiger fiel die Erklärung Graf Georgs von Wertheim aus, der als Vertreter der Reichsgrafen im Fürstenrat saß: es ist augenscheinlich, das wir durch den babst und sein anhang seint betrogen; herwiderumb das Martin Luter und ander mehr uns itz die warheit der leer unsers hern Jesu Cristi angezeigt. Deshalb dürfe diese fur kein neue ler geacht werden.103 Damit stellt er sich ohne wenn und aber hinter die Reformation, während in der Bezeichnung ‚der Papst und sein Anhang‘ ganz klar das abwertende ‚Papisten‘ aus dem polemischen Arsenal des theologischen Schrifttums anklingt. Ebenso wie die Städte sieht er sich dabei vollkommen in Einklang mit den bisherigen Reichstagsbeschlüssen. Allerdings entlarvt seine Argumentation die Predigtklausel deutlich als einen dissimulierenden Formelkompromiss. Im Abschied von 1523 hatte es geheißen, dass nichts anderes gepredigt werden dürfe als das heilig evangelium nach auslegung der schrieften von der cristlichen Kirchen approbirt, während man 1524 etwas deutlicher die von gemeiner kirchen angenomen lerer als Wahrheitsgaranten anführte.104 Es blieb nun die Frage, wer mit diesen Schriften und Lehrern eigentlich genau gemeint war. Die römische Seite wollte darunter im Sinne der katholischen Tradition vornehmlich die sog. Kirchenväter verstanden wissen. Graf Georg legt diesen Passus für sich nun jedoch vollkommen anders aus: Ihm galten als Kirchenlehrer die Verfasser der neutestamentlichen Briefe Johannes, Jakobus, Petrus und Paulus. Bezüglich der Kirchenväter zweifelte er dagegen, ob diese überhaupt den Heiligen Geist oder nicht vielmehr den geist des segkels gehapt hätten.105 Am 17. April protestieren die Grafen Bernhard von Solms und Georg von Wertheim schließlich offiziell gegen den Reichsabschied in der Luthersache und eine erneute Erwähnung des Wormser Edikts. Da ihre eigentlichen Beweggründe jedoch kaum dazu geeignet waren, den Protest offiziell zu rechtfertigen, behalfen sie sich mit dem formaljuristischen Argument, dieser Punkt sei nicht im Ausschreiben erwähnt worden. Auf diese Weise verwahrten sie sich gleichzeitig gegen jeden möglichen Vorwurf, ungehorsam zu sein.106 Auch wenn der neutral gehaltene Abschied dies noch nicht widerspiegelte, so zeigten die Eingaben der Städte und Grafen erste deutliche Ansätze zu einer konfessionellen Spaltung des Reichstags. Diese bemühten sich wie bisher, als rechtlich wie religiös korrekt und gehorsam zu erscheinen, neu war allerdings das damit verbundene klare Bekenntnis 102 103 104 105 106
Schreiben vom 7.3.1524, RTA JR IV. Nr. 215. S. 719. RTA JR IV. Nr. 112. S. 505f. RTA JR III. Nr. 117. S. 756f. sowie RTA JR IV. Nr. 149. S. 605. § 29. RTA JR IV. Nr. 112. S. 505f. RTA JR IV. Nr. 145. S. 587f.
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zu Luthers Lehre, das so bislang noch in keinem offiziellen Text auf Reichsebene zu finden gewesen war. Der Speyrer Reichstag von 1526 stellte nicht nur den Höhepunkt der religionspolitischen Ausgleichsbemühungen durch das Regiment dar, sondern er gilt darüber hinaus auch als ‚Gravaminareichstag‘, da diese Beschwerden den eigentlichen Schwerpunkt der Verhandlungen bildeten.107 Nachdem Karl V. das in Nürnberg beschlossene Nationalkonzil verboten hatte, gelang es den Ständen auf diese Weise, den theologischen Aspekt gleichsam durch die Hintertür doch wieder auf die Agenda zu bringen.108 Allerdings hatte sich die konfessionelle Spaltung seit 1524 deutlich verschärft, nachdem inzwischen mit Kursachsen und Hessen neben Grafen und Städten auch wirklich einflussreiche Stände offen auf die Seite der Reformation getreten waren. Diese Ausdifferenzierung lässt sich an den Aussagen der internen Schriften schon recht deutlich ablesen. Bei zahlreichen Ständen findet sich noch immer eine unschlüssige Haltung gegenüber Luther. So betont Pfalzgraf Friedrich in seiner Instruktion für den Reichstag von 1526 einerseits, er habe das Wormser Edikt befolgt, damit die Luterisch leer oder neur gebrauch in seinem Herrschaftsbereich entwurzlet und ausgereut werde, wie einem cristenlichen fursten geburt.109 Wenn er allerdings anschließend auf die Gravamina zu sprechen kommt, klingen seine Anweisungen erstaunlicherweise recht reformatorisch. So fordert er u. a., das das wort gottes […] lauter nach dem buchstaben verdeutscht, recht gepredigt wird, spricht von dem römischen Klerus als den papisten cardinalen erzbischoffen oder bischoffen und will sogar die Einführung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt prüfen lassen.110 Die Umschreibung der entsprechenden Parteien fällt denn auch meist nur sehr vage aus. Auf Seiten der Befürworter der Reformation festigt sich dagegen die Betonung des Evangeliums zur Umschreibung der eigenen Position. Besonders stark tut sich etwa Nürnberg hervor. Obwohl sich der Rat der Stadt 1524 in einem Brief an Erzherzog Ferdinand111 noch gegen den Vorwurf verwahrte, dass wir in der Lutterischen leer und sachen allerlei beschwerlicher handlung furnemen und gestatten sollten und sie etliche prediger in unser statt [hetten], die der Lutterischen sect verwandt weren und durch ire predig allerlei unchristenlicher irrungen verursachten, sondern versicherte, 107 108
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Vgl. Rublack: Gravamina und Reformation (Kap. 6, Anm. 145). S. 292. Vgl. Rublack: Gravamina und Reformation (Kap. 6, Anm. 145). S. 312. Hans-Christoph Rublack wertet es bereits als einen ‚Kunstgriff‘, eine Behandlung der Gravamina überhaupt aus der Proposition herauslesen zu können, vgl. S. 304. Instruktion für P. Probst vom 17.10.1525, Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Kap. 6, Anm. 142). Nr. III. S. 506. Vgl. Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Kap. 6, Anm. 142). Nr. III. S. 507, 512 und S. 513. Die folgenden Zitate stammen aus RTA JR IV. Nr. 105. S. 478f.
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dass Nürnberg dem angezeigten kair Mt ausgangen mandat gelebt und wir daraus als die gehorsamen glider des heiligen reichs vermerkt und vor schaden verhuttet wurden, sprachen interne Schreiben bereits eine ganz andere Sprache. In einem Brief an Schwäbisch Hall heißt es nämlich im gleichen Jahr, Gott habe seine christenliche glider an vil orten mit dem liecht seins gottlichen worts erleucht und von der vinsternus, grosser, verfurischer und unchristenlicher irrsal erledigt. Zugleich zeigt sich eine deutliche Ablehnung des gegnerischen Sprachgebrauchs in der Umschreibung: diese sachen, die man auch die neuen verfurischen leer genennt hat.112 Zwei Jahre später schrieb der Nürnberger Stadtschreiber an den landgräflich hessischen Kanzler,113 um diesen von der evangelischen Gesinnung der Stadt zu überzeugen. Er versicherte, dass dasjenige, so in laut seines gotlichen worts bei uns hie und an andern orten aufgericht, erhalten werde. Damit bezog er sich auf die Zeremonien, wie denn auch die Katholiken als diejenigen bezeichnet wurden, die bei den alten kirchen gepreuchen [...] pleiben solten, die nicht von Gott, sondern von den Babstischen aufgerichtet worden seien. Des Weiteren verwies der Schreiber auf das Wort Gottes. An anderer Stelle hieß es: wer das wort hat gefasset, sol sovil es ime got genad verleicht, demselben nachgeen. Weitere Beispiele finden sich natürlich bei Landgraf Philipp von Hessen, der den lutherischen Markgrafen Georg von Brandenburg einen fromen redlichen und christlichen fursten nennt und über den sächsischen Kurfürsten Johann sagt, dass dieser dem gotlichen wort, daran alle unser seligkeit hangt, vast gewogen sein.114 Überhaupt zeigt er sich erfreut, das viel fursten und reichsteth dem evangelio zufall thun, er sieht die reformatorische Bewegung also inzwischen deutlich im Aufwind. Andererseits verwahrt er sich ebenfalls gegen die alte boese misspreuch.115 In einem Schreiben an den inzwischen zum Kurfürsten von Sachsen avancierten Johann äußert er sich entsprechend abfällig über die geistliche rott.116 Der kursächsische Gesandte Balthasar von Wolfsthal erwähnt 1524 die evangelische ler117 und in einem Gutachten der kursächsischen Räte von 1526 wird als Selbstbezeichnung die 112
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Schreiben vom 25.4.24, RTA JR IV. Nr. 265. S. 780. Der Hagenauer Gesandte Johann Hug charakterisiert denn die Nürnberger Bevölkerung auch bereits 1524 als gut evangelisch und macht dies u. a. an den Eheschließungen vieler Pfarrer und Mönche fest. Schreiben vom 10.2.1524, RTA JR IV. Nr. 185. S. 671. Die folgenden Zitate stammen aus einem Schreiben vom 17.5.1526, Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Kap. 6, Anm. 142). Nr. V. S. 520f. Auch Anton Forner meint mit die Remischen und ir anhenger tatsächlich die päpstlichen Gesandten, Schreiben vom 25.3.1524, RTA JR IV. Nr. 233. S. 736. Schreiben vom 14.1.1526, Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Kap. 6, Anm. 142). Nr. I. S. 497f. Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Kap. 6, Anm. 142). Nr. I. S. 499. Schreiben vom Juni 1526, Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Kap. 6, Anm. 142). Nr. IX. S. 541. Schreiben vom 16.4.24, RTA JR IV. Nr. 259. S. 772.
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Umschreibung gebraucht dieselben, so dem gotlichen wort anhengig.118 Interessanterweise erscheint aber das Adjektiv ‚lutherisch‘. So schätzt Johann 1524 Einigungschancen über Vermittler als recht gering ein, da kaum Leute zu finden seien, die unparteisch, entweder nur zu seher Luterisch oder zu gar widerpartisch.119 Aus der bislang eher intern geäußerten Zustimmung zur Reformation machten Kurfürst Johann und Philipp von Hessen 1526 nun auch öffentlich keinen Hehl mehr, sondern sie bekundeten ihre Haltung bereits in ihrem Auftreten vor aller Augen: Alle Personen ihres Gefolges trugen gleiche Farben und zeigten auf ihren Ärmeln das evangelische Motto: ‚verbum Dei manet in aeternum‘. Damit demonstrierten sie, dass sie Luthers Lehre folgten und zudem gewillt waren, gemeinsam für ihren Glauben einzustehen. Diese Aktion ist ein bezeichnendes Beispiel für die nicht zu unterschätzende Bedeutung symbolischer nonverbaler Kommunikation auf den Reichstagen der Frühen Neuzeit.120 Ohne offizielles Statement war allen Beteiligten so bereits im Vorfeld der Gespräche klar vor Augen geführt worden, wie mögliche Fronten verlaufen mussten, was zugleich die Möglichkeit bot, Verhandlungsstrategien entsprechend anzupassen und abzustimmen. Durch diese Vorgabe sensibilisiert, achteten die katholischen Fürsten nun verstärkt darauf, dass die Gravamina der weltlichen Stände gegen die Geistlichen sich nicht erneut zu einem Forum für reformatorisches Gedankengut entwickeln konnten. Forderungen, wie eine Predigt gemäß dem Wort Gottes, blieben in diesem Sinne bewusst unspezifisch und wenig aussagekräftig.121 Im Gegenteil enthielt das entsprechende Gutachten des Fürstenrats eine deutliche Spitze gegen die lutherische Abendmahlslehre, da das Sakrament nur vnter dem ampt der messe mit all ihren Gebräuchen, wie die von alter an vns kamen, gefeiert werden sollte. Damit wurde die evangelische Praxis eindeutig als ‚Neuerung‘ abgetan. Zudem findet sich hier ein erster offener Angriff auf die Lehre Zwinglis: Niemandem solle gestattet werden, 118
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Schreiben von Anfang Juni 1526, Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Kap. 6, Anm. 142). Nr. II. S. 503. Schreiben vom 25.7.1524, RTA JR IV. Nr. 273. S. 794f. Anm. 1. Vgl. Rublack: Gravamina und Reformation (Kap. 6, Anm. 145). S. 306 sowie Friedensburg: der Reichstag zu Speier 1526 (Kap. 6, Anm. 142). S. 287. Anm. 1. Zur Bedeutung solch augenfälliger Aktionen vgl. nochmals Stollberg-Rilinger: Zeremoniell als politisches Verfahren (Kap. 5, Anm. 7). S. 94. Das Motto selber ist intern schon seit einigen Jahren in Gebrauch, denn bereits 1524 beschließt Johann von Sachsen einen Brief an seinen Vater Friedrich den Weisen mit dem entsprechenden Kürzel V.D.M.I.E.: Schreiben vom 15.2.24, RTA JR IV. Nr. 190. S. 681. In diesem Brief preist er Gott geradezu pathetisch dafür, dass nun von den gnaden gottes so weit eingerissen das wort gottes, das weder babst, der teufel oder die ganze welt kann umbstossen. Angesichts etwaig drohender Verfolgungen schätzt er sich sogar glücklich, denn es stehe in der Schrift, das der liebe Christus alweg dem Kleinisten heuflein will beistehen, was die Evangelischen in seinen Augen denn auch eindeutig als die wahren Christen auszeichnet. Vgl. Rublack: Gravamina und Reformation (Kap. 6, Anm. 145). S. 300.
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zu lehren, Leib und Blut Christi seien nicht in Brot und Wein gegenwärtig, wie etlich bose, teufflische, ketzerische geister gethan.122 Wie bei ihrer ersten öffentlichen Nennung im Reichsabschied von 1529, werden die Reformierten auch hier bereits über ihr abweichendes Abendmahlsverständnis definiert und entsprechend verketzert. Die geistlichen Stände setzten sich diesmal gegen die Gravamina zur Wehr und verfassten ihrerseits eine eigene Beschwerdeliste. Dieser Text dokumentiert, wie weit die Reformation im Reich bereits vorangeschritten war, denn die Geistlichen klagen, dass sie von vielen weltlichen Obrigkeiten daran gehindert würden, Prediger zur Rechenschaft zu ziehen, die wider die heiligen sacramenta, auch die heiligen evangelien vnd gottes wort mit neuen vnd inen selbst erdichten vnd vnbestendigen außlegungen wider den waren rechten verstandt deren (von gemainer christlichen kirchen angenommenen) lerern vnd mer zu auffrur, ergernus des gemeinen mans, dan zu lob gottes das volck vnterweisen.123
Ja, ihre Vorwürfe gehen sogar noch weiter: es werden auch an etlichen ortten die heiligen messen vnd lobliche althergebrachte ceremonien in der kirchen vnd andere gute werck vnd vbung von den weltlichen obrigkeiten nit allein veracht, sonder gantz abgethan vnd neue vngehorte ceremonien an derselben stat vffgericht vnd geordnet.124
Damit stellen die geistlichen Fürsten klar, dass sie die Predigtklausel ganz anders als 1524 die Grafen und Städte eindeutig im Sinne der katholischen Tradition verstanden wissen wollten und deshalb jede evangelische Predigt als klaren Verstoß gegen das Reichsrecht ansahen. Außerdem bemühten sie zur Charakterisierung des konfessionellen Unterschieds den bereits aus anderen Texten hinlänglich bekannten Alt-Neu-Gegensatz. War dieser bislang allerdings auf Verhandlungsebene stets nur relativ knapp durch die Verwendung des Adjektivs ,neu‘ angeklungen, so wird die evangelische Lehre hier in aller Deutlichkeit als menschliche Erfindung disqualifiziert, die sich entgegen dem lutherischen Selbstverständnis gerade nicht an Gottes Wort halte und zudem – wohl in Erinnerung an den Bauernkrieg – zu Aufruhr Anlass gebe. Schließlich formulierten auch die Reichsstädte einige Beschwerdeartikel gegen die Geistlichen, die nun allerdings im Gegensatz zu den Entwürfen aus dem Fürstenrat dezidiert evangelisch geprägt waren. Ebenso wie die geistlichen Stände befürworteten sie zunächst, dass die alten wol herbrochten christlichen gebruch und 122 123 124
Ney: Analekten. In: ZKG 9 (Anm. 7). Nr. 2. S. 142. Ney: Analekten. in: ZKG 12 (Anm. 7). Nr. 3. S. 339. Ney: Analekten. in: ZKG 12 (Anm. 7). Nr. 3. S. 340f.
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ceremonien gehanthabt und was missbruch vorhanden, abgethan werden sollen.125 Für die Städte ergaben sich daraus aber völlig andere Konsequenzen, so forderten sie etwa die Aufhebung der Klöster und eine Zulassung der Priesterehe.126 In diesem Sinne habe man an einigen Orten bereits mere enderung gethan. Bewusst wird hier das Wort ‚Neuerung‘ umgangen. Anderswo würden die kirchlichen Verhältnisse dagegen noch in irem alten stand gehalten.127 In diesem Dokument wird der Alt-NeuGegensatz nicht konsequent durchgehalten: Der Bezug auf die ‚hergebrachten‘ Zeremonien verweist in Verbindung mit den anschließend aufgeführten Missbräuchen auf den evangelischen Anspruch, selber die alte Form des Glaubens zu vertreten. Dagegen ist der ‚alte Stand‘, in dem sich die katholischen Gebiete noch befinden, wohl nicht wertend, sondern eher im Sinne einer rein zeitlichen Abfolge gemeint. Um Aufruhr in der Bevölkerung zu vermeiden, will man die Änderungen bis zu einem Konzil zunächst beibehalten und beruft sich darüber hinaus auf die Predigtklausel, um die rechtliche Konformität dieser Haltung zu beweisen.128 Die Gutachten der Geistlichen und der Städte zeigen, dass man inzwischen von zwei Religionsparteien unter den Ständen auszugehen hat, die mit unterschiedlichen Konnotationen jeweils über das Festhalten an bestimmten kirchlichen Zeremonien bzw. ihrer Veränderung definiert wurden. Mit diesen Dokumenten begannen sich Reformation und Gravamina, die einige Jahre lang den gleichen Weg gegangen waren, unter dem Eindruck der verschärften Glaubensunterschiede nun wieder auseinanderzuentwickeln.129 Als die Gravamina 1530 noch einmal verhandelt wurden, hatten sie sich bereits zu einer rein innerkatholischen Angelegenheit entwickelt. Die evangelischen Stände verzichteten auf eine weitere Beteiligung.130 Außerhalb der Gravamina-Diskussion bedienten die Stände sich einer deutlich gemäßigteren Sprache, die bereits auf den bekannten Kompromiss des Reichsabschieds verwies. Während die Proposition an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig gelassen und heftig gegen die ketzerischen Neuerungen der lutherischen Sekte und den reichsrechtlichen Ungehorsam einiger Stände gewettert hatte, vermied schon die entsprechende Ständeantwort eine Übernahme dieser Ketzerterminologie. Man betonte den einen heiligen cristlichen glauben und religion, in dem nur durch ein Konzil eine etwaige neuerung eingeführt werden dürfe.131 Auf diese Weise griff man den entsprechenden Vorwurf aus der Proposition auf, brachte ihn elegant mit der 125 126 127 128 129 130 131
Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Kap. 6, Anm. 142). Nr. X. S. 543. Vgl. Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Kap. 6, Anm. 142). Nr. X. S. 544 und S. 546. Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Kap. 6, Anm. 142). Nr. X. S. 550. Vgl. Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Kap. 6, Anm. 142). Nr. X. S. 551. Vgl. Rublack: Gravamina und Reformation (Kap. 6, Anm. 145). S. 311–313. Vgl. Grundmann: Die Beschwerden der deutschen Nation (Anm. 51). S. 95. Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Kap. 6, Anm. 142). Nr. X. S. 535.
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eigenen Konzilsforderung in Verbindung und entkleidete ihn so seiner auf die Lutheraner bezogenen häretisierenden Konnotationen. Nach Abschluss der entsprechenden Verhandlungen berieten die Stände schließlich über eine Gesandtschaft an Karl V., die ihm die Ergebnisse ihrer Beratungen mitteilen sollte. In einem Gutachten vom 7. August 1526 sowie in der offiziellen Gesandtschaftsinstruktion selbst wurde die bekannte Verantwortungsklausel des Abschieds referiert. Bezüglich des Wormser Edikts gaben die Stände zu, dass danach an allen orten nit gelebt worden sei.132 Allerdings baten sie den Kaiser nun, er möge vorerst nicht einschreiten, sondern die Exekution des Wormser Edikts gnediglich in ruhe stellen.133 Damit war genau das Gegenteil von dem erreicht worden, was die Proposition eigentlich gefordert hatte. Anstelle einer Bestätigung des kaiserlichen Mandats und einer Verurteilung der Ungehorsamen wünschten die Stände nun sogar seine Suspendierung! Die konfessionelle Spaltung des Reichstages ließ sich dabei nicht mehr übersehen. Die Fürsten und Städte wurden rechtlich-neutral über ihre Haltung zum Edikt differenziert. Demgemäß sprach man auch unverbindlich von beiden teilen.134 Dagegen verzichtete man auf jede theologische Wertung, sondern verwies bezeichnenderweise auf das jeweilige Selbstverständnis: nachdem aber etwa viel von hohen und nidern geistlichs und weltlichs stands und underthanen des reichs dem bis anher irer achtung geubten christl gl. u. d. kirchen lere u, cerimonien anhangen u. ein ander theil […] irer achtung auch christl. Lere u. derselbigen cerimonien anhengig sein.135
Sowohl Katholiken als auch Lutheraner definieren sich hier jeweils selber als Christen. Diese Aussage wird nicht etwa in Frage gestellt, sondern die im Zuge der Glaubensspaltung entstandene Mehrdeutigkeit des Christennamens wird vielmehr bewusst stehengelassen. Damit ist es beiden Seiten möglich, sich gemeinsam zu den christlichen stenden rechnen136 und mit Fug und Recht von sich behaupten zu können, den Anweisungen des Kaisers entsprechend nichts getan zu haben, das unserm heiligen christlichen glauben oder den loblichen gesetzen und altherkommen der kirchenlere ordenungen ceremonien und gebreuchen entgegen wäre.137 Die Stände wussten das dissimulierende konfliktvermeidende Potential der universalistischen 132
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So im Gutachten über die Gesandtschaftsinstruktion, Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Kap. 6, Anm. 142). Nr. XII. S. 556. So in der eigentlichen Gesandtschaftsinstruktion, Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Kap. 6, Anm. 142). Nr. XIII. S. 566. Vgl. Nr. XII. S. 556. Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Kap. 6, Anm. 142). Nr. XII. S. 557. Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Kap. 6, Anm. 142). Nr. XIII. S. 563. Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Kap. 6, Anm. 142). Nr. XII. S. 557. Friedensburg: Der Reichstag zu Speier 1526 (Kap. 6, Anm. 142). Nr. XII. S. 555.
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Bezeichnung ‚Christ‘ also in ihrem Sinne zu nutzen, um den bereits immer deutlicher werdenden Konflikt noch einmal zu überspielen! Bis 1529 haben sich der Begriff ‚evangelisch‘ bzw. entsprechende Umschreibungen intern bereits zu gebräuchlichen Selbstbezeichnungen verfestigt.138 Ein Gutachten der kursächsischen und hessischen Räte verweist daneben auf die reichsrechtliche Unterscheidung nach der Befolgung des Wormser Edikts, jedoch nicht ohne zu betonen, dass man selber diese Anweisung aus Gehorsam Gott gegenüber ignorieren müsse.139 Im Briefwechsel der Straßburger Gesandten Jacob Sturm und Mathis Pfarrer mit dem Rat der Stadt wird schließlich die Betonung des Evangeliums mit zeremoniebezogenen Wendungen vermischt, indem evangelische Gebiete als Orte beschrieben werden, da die Meß schon abgestellt ist worden.140 Schließlich kann eine Umschreibung der reformatorischen Stände auf dem Reichstag auch reichsrechtlich-neutral über eine Anhängerschaft an Kursachsen, Hessen oder die Markgrafschaft Brandenburg erfolgen.141 Die Gegenseite wird als unser Widertheil bezeichnet, der sich jedoch dadurch auszeichnet, dass er sich understond mit Gewalt ihren Pomp und Pracht zu erhal138
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In der Memminger Instruktion für den Speyrer Reichstag ist etwa von der evangelisch ler und den evangelischen steten die Rede, RTA JR VII. Nr. 74. S. 1089. Markgraf Georg von Ansbach spricht von den liebhabern gottes worts als der einigen ewigen seligkeit und hochsten guts, RTA JR VII. Nr. 77B. S. 1093. Ähnlich lautet auch der Text des Ulmer Bedenkens: die dem wort gottes und dem wort, das da weist, das allain Christus selig mach, anhangen. RTA JR VII. Nr. 80. S. 1095. In einem Gutachten der kursächsischen und hessischen Räte vom 1.4.1529 heißt es: stenden, so das gotlich wort angenommen, RTA JR VII. Nr. 118. S. 1205, disem teil des evangeliii, S. 1206, den evangelischen, S. 1207, diejenigen, so dem evangelio anhengig, S. 1211. In den Briefen der Straßburger Gesandten ist die Rede von der Evangelii Parthey bzw. von denen, so Gottes Parthie und by sim heilgen Wort bliben wollen, Schreiben von M. Pfarrer am 30.3.1529. In: Jung: Geschichte des Reichstages zu Speyer (Anm. 7). Nr. XIII. S. XIII, sowie am 13.4.1529, Nr. XXIX. S. XXXVII. Sie rechnen sich zu den Stett so sich des Evangelium annemen, Schreiben von Daniel Mieg am 17.4.1529. In: Jung: Geschichte des Reichstages zu Speyer (Anm. 7). Nr. XXXVII. S. XLVI. Entsprechend werden auch die evangelisch gesinnten Herzöge von Lüneburg als Frynd Gottes bezeichnet, Schreiben von M. Pfarrer am 22.4.1529. In: Jung: Geschichte des Reichstages zu Speyer (Anm. 7). Nr. LI. S. LXII. die jenen, so dasselbige [Edikt] vor sich selbst und bei iren unterdanen gehalten bzw. der ander teil, so das evangelion predigen und die das noch gotlicher ordenunge und aus gotlichem gehorsam anderst halten lassen, dan das edict vermag sowie dieser teil, wilcher die gotliche warheit durch die gnade des almechtigen erkannt, gleich denen, so sich das edict zu halten verpflichten wollten, RTA JR VII. Nr. 118. S. 1206. Daneben findet sich auch die vollkommen unverfängliche Unterscheidung zwischen ander teil und diser teil, RTA JR VII. Nr. 118. S. 1207. So auch in einem weiteren Gutachten vom 5.4.1529, Nr. 119. S. 1214. Schreiben von J. Sturm und M. Pfarrer am 24.3.1529 bei Jung: Geschichte des Reichstages zu Speyer (Anm. 7). Nr. VIII. S. VIII. Vgl. hierzu das Schreiben J. Sturms und M. Pfarrers vom 16.4.1529, Jung: Geschichte des Reichstages zu Speyer (Anm. 7). Nr. XXXIV. S. XLIII: der Churfürst von Sachsen, Hessen, Brandenburg sampt ihrem Anhang.
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ten, wider Gott und sin heilig Wort bzw. by ihrem alten Herkommen zu bleiben.142 Wiederholt ist nun bereits von Seiten der Reformationsanhänger eine Verwendung des Adjektivs ‚alt‘ in Verbindung mit einer Umschreibung der katholischen Lehre aufgetaucht. Vielleicht handelt es sich hierbei um eine bewusste Konterkarierung der katholischen Selbstbezeichnung ‚Altgläubige‘. Durch eine Uminterpretation des Namens im Sinne von ‚überholtem‘ missbräuchlichen Menschenwerk konnte der gegnerische Anspruch gleichsam ad absurdum geführt werden. Besonders bezeichnend ist auch eine geheime Mitteilung Ulms an die Städte Nürnberg und Straßburg, die in bester Agentenmanier mit Geheimtinte unter einem Scheinbrief verborgen war und nur über einer Flamme lesbar gemacht werden konnte.143 Hier wandte man sich dem Gegner mit sehr offenen Worten zu. Auch wenn auf Reichsebene immer wieder von dem wort gottes geret werde, gebe es kaum jemanden, der es cristenlich oder des evangeliums halben gut gemaint. Vielmehr sei in Wahrheit geplant, die luterisch sect auszureuten. In diesem Zusammenhang wird der Papst wie in theologisch-publizistischen Texten sogar als entencrist bezeichnet und es ist von heftigem tiranischem gewalt sowie bezüglich der geistlichen Kurfürsten von der pfaffhait am Rainstrome die Rede.144 Die dermaßen geschmähte katholische Seite bewertete die Situation natürlich genau konträr. Bischof Konrad von Würzburg beklagt etwa, dass inzwischen ain jeder will, das sein mainung allain gerecht, dem evangelio gemeß und der andern glaub ungerecht und nichts sei.145 Damit stieß sich der Bischof gerade an der Selbstbezeichnung ‚evangelisch‘. Georg von Sachsen spielte dagegen in seiner Instruktion auf den Alt-Neu-Gegensatz an, indem er wettert, einige Stände hätten ein ergernus und nauigkeit uber die andere eingefurt,146 und diesen die wol hergeprachten gepreuch der christlichen kirchen gegenüberstellt.147 In einer Anweisung des Bistums Breslau heißt es schließlich wieder einfach Lutheranos bzw. Lutheranismum.148 Wie der interne Sprachgebrauch bereits andeutet, markierte die Speyrer Versammlung von 1529 die endgültige Spaltung des Reichstages in zwei Religionspar142
143 144 145
146 147 148
Schreiben von M. Pfarrer am 8.4.1529, Jung: Geschichte des Reichstages zu Speyer (Anm. 7). Nr. XXIII. S. XXV, sowie von Daniel Mieg am 17.4.1529, Nr. XXXVII. S. XLVI, in dem nur von dem Widerdeill die Rede ist. Vgl. hierzu die entsprechenden Erläuterungen RTA JR VII. Nr. 56. S. 1045. RTA JR VII. Nr. 56. S. 1045f. Diese Instruktion war ursprünglich für den geplanten Reichstag von 1527 verfasst worden, RTA JR VII. Nr. 12. S. 988, der Wortlaut wurde jedoch in die Anweisungen für 1529 übernommen, vgl. RTA JR VII. Nr. 81. S. 1098. RTA JR VII. Nr. 92B. S. 1115f. RTA JR VII. Nr. 92B. S. 1114. RTA JR VII. Nr. 93. S. 1118. Auch sein Basler Amtskollege bezeichnet die Evangelischen als lutherische sect, RTA JR VII. Nr. 115. S. 1202.
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teien. Hatten die Stände es bislang noch geschafft, zumindest in öffentlichen Dokumenten den Schein der Concordia zu wahren, auch wenn erste Verwerfungen in den Verhandlungsakten ja bereits deutlich hervorgetreten sind, so führten die Unterredungen diesmal zur berühmten Protestation und Ablehnung des Reichsabschieds durch insgesamt 19 evangelische Fürsten und Städte. Die Ursache lag v. a. darin, dass sich die katholischen Stände religionspolitisch auf die Seite des Kaisers und seines Statthalters Ferdinand stellten. Angesichts einer immer weiteren Verbreitung der evangelischen Lehre hatte man eingesehen, dass es geraten schien, allmählich zusammenzurücken, um größeren Terrainverlust tunlichst zu vermeiden. Gerade die Folgen der Kompromissformel von 1526 hatten gezeigt, welche Dynamik die lutherische Partei zu entwickeln vermochte. Deshalb war man nicht länger bereit, weitere ‚Deuteleien‘ zuzulassen. Bereits in ihrer Antwort auf die Proposition stimmte folglich die katholische Mehrheit der Stände in dem artikel unsern h. cristlichen glauben belangend149 einer Streichung dieser Formel zu, weil sie bei vilen in einen großen misverstand und zu entschuldigung allerlei erschrocklichen neuen leren und secten seither gezogen und ausgelegt hat werden wollen. Anders als noch auf dem vorigen Reichstag, kam die Ketzerterminologie hier nun also in einem offiziellen Verhandlungstext ständischer Provenienz zum Zuge. Daneben sprach man allerdings auch neutraler von den stenden, bei denen die andere leren entstanden.150 Alle diese Formulierungen wurden schließlich größtenteils wörtlich in den Reichsabschied übernommen, der Sprachgebrauch der katholischen Verhandlungsdokumente und der öffentlichen Texte blieb also identisch. Natürlich konnten die evangelischen Stände dieser Haltung weder inhaltlich, noch terminologisch zustimmen, Widerstand war diesmal also von Beginn an vorprogrammiert. Anhand zweier Beispiele soll nun ein näherer Blick auf die Verhandlungen selber geworfen werden: Zum einen der Streit um den Ausschluss des Straßburger Gesandten Daniel Mieg aus dem Reichsregiment und dann natürlich die Dokumente im Umfeld der Protestation selber. Die Reichsstädte befanden sich in einer besonders prekären Situation. Einerseits zeigen die internen Schreiben deutlich, dass viele von ihnen bereits zu Anhängern der Reformation zählten, andererseits waren gerade sie darauf angewiesen, gegenüber den anderen Ständen auch über Konfessionsgrenzen hinweg zusammenzuhalten, um ihre oft bestrittenen Ansprüche zu verteidigen.151 Entsprechend dieser ,Zwischenposition‘ wünschte der Städterat eine Beibehaltung der bisherigen Kompromisspolitik, was sich auch in der Sprachwahl niederschlug, die auf diese Weise 149 150 151
Vgl. RTA JR VII. Nr. 106. S. 1141. RTA JR VII. Nr. 106. S. 1142. Es wurde sogar immer wieder bestritten, ob die Reichsstädte überhaupt die Reichsstandschaft für sich beanspruchen durften. Vgl. Pfeiffer: Der Augsburger Religionsfriede und die Reichsstädte (Kap. 6, Anm. 440). S. 219–222.
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doch deutlich neutraler erscheint als in den entsprechenden Instruktionen. So trug er seinen Gesandten für den Ständeausschuss auf, die Streichung des ersten Speyrer Abschieds unbedingt abzulehnen.152 Ansonsten stellten sich die Städte jedoch hinter die kaiserliche Forderung, unserm rechten christlichen glauben nit zuwider zu kommen noch jemantz [...] zu unrechtem und frembdem glauben oder sect zu tringen, hielten es aber für überzogen und mit Blick auf den Aufruhr von 1525 sogar für gefährlich, dass der oder dieselbigen übertreter des wenigsten kirchengeprauchs von Reichs wegen bestraft würden.153 Die Zustimmung zu diesem Passus der Proposition wurde nur möglich, indem man die Bezeichnung ,Sekte‘ absichtlich falsch verstand und sie nicht etwa auf die lutherische Lehre bezog, sondern auf die Zwinglianer oder die Täufer einschränkte, gegen die auf diesem Reichstag ebenfalls gesondert vorgegangen wurde, während man die evangelischen Städte zu Anhängern des ,rechten christlichen Glaubens‘ zählte. Etwaige Änderungen im zeremoniellen Bereich wurden in diesem Zusammenhang bewusst marginalisiert und heruntergespielt. Doch Ferdinand war entschlossen, diesmal konsequent gegen reformatorische Tendenzen in den Reichsstädten vorzugehen. So warf er etwa Konstanz vor, allerlai nuwrung und angriff gegen das Kloster Petershausen vorgenommen zu haben, und gibt den Befehl, dieses wieder zu restituieren. Basel hatte ebenfalls nach Bildersturm und Neuerungen dafür zu sorgen, dass die Messe und andere göttliche Ämter wieder eingesetzt würden.154 Schließlich geriet auch Straßburg ins Blickfeld: Das Regiment richtete eine offizielle Anfrage an die Stände, wie mit der Stadt zu verfahren sei, die man wegen der dortigen Abschaffung der Messe bereits angeschrieben habe.155 Straßburg rechtfertigte sich für seine Reformation und Besserung156 damit, dass alle Änderungen auf dem ‚göttlichen‘ Wort beruhen und sie entschlossen seien, bei dem zu bleiben, was wir dazumal für christlich Leer erkandt.157 Zudem verwiesen sie darauf, dass sie schließlich nicht die ersten seien, sondern bereits andere Fürsten und Städte etwas reformacion und enderung schon fürgenommen, die Opfermessen abgestellet und nach dem Wort Gottes rechte Uebung fürgenommen hetten.158 Straßburg schwächte also den immer wieder von katholischer Seite gebrauchten Vorwurf 152
153 154 155 156 157
158
Vgl. RTA JR VII. Nr. 109. S. 1184–1186. Auch in einer Supplikation der Stände vom 8. April forderten sie nochmals die Beibehaltung des 1. Speyrer Abschieds, da die irrung des glaubens bis zu einem Konzil am besten dadurch abgestellt werden könne, dass keiner den andern zu seinem glauben dringen oder zwingen mocht, Nr. 122. S. 1222. RTA JR VII. Nr. 109. S. 1185. RTA JR VII. Nr. 161. S. 1340f. und Nr. 163. S. 1342. Vgl. RTA JR VII. Nr. 107. S. 1158. Jung: Geschichte des Reichstages zu Speyer (Anm. 7). Nr. LV. S. LXXVII. Jung: Geschichte des Reichstages zu Speyer (Anm. 7). Nr. LV. S. LXXI. Der Bezug auf das göttliche Wort und seine Verkündigung erscheint mehrfach, etwa S. LXX, LXXI, LXXII, LXXIV, LXXVI. Jung: Geschichte des Reichstages zu Speyer (Anm. 7). Nr. LV. S. LXXV.
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der ‚Neuerungen‘ in bloße zeremonielle ‚Änderungen‘ oder gar ‚Besserungen‘ ab, die zudem christlich und evangeliumsgemäß seien. Schließlich betonte die Stadt ihre Rechte und Pflichten, als Gemeyne christliche Oberkeit für den rechten Glauben zu sorgen.159 Alle Rechtfertigungen blieben letztendlich fruchtlos. Die Einführung der Reformation hatte vielmehr zur Folge, dass der Straßburger Gesandte Daniel Mieg aus dem Reichsregiment ausgeschlossen wurde. Die Städte reichten daraufhin am 19. April eine gemeinsame Supplikation zugunsten ihrer frund von Stroszburg ein. Die dortigen Vorgänge wurden dabei deutlich heruntergespielt: Wenn dieselben von Stroszburg in den gebrüchen der kirchen bei inen etwas enderung geton haben solten, was diesem Wortlaut nach nicht einmal hundertprozentig erwiesen zu sein scheint, so stehe eine endgültige Entscheidung darüber ohnehin erst einem Konzil zu. Die gesamte Angelegenheit sei noch in der Schwebe, deshalb dürfe man der Stadt bis dahin ihre Session nicht streitig machen.160 Auf diese Weise wurde versucht, den Vorwurf etwaiger Neuerungen zu entkräften und Straßburg weiterhin als gehorsame Stadt darzustellen. Diese lavierende Haltung konnte sich jedoch in Anbetracht der verhärteten Fronten in den anderen Kurien nicht mehr durchsetzen. Die Zeichen standen diesmal auf Konfrontation. Am 12. April 1529 wandten sich Kurfürst Johann von Sachsen, Philipp von Hessen, Georg von Brandenburg-Ansbach, Wolf von Anhalt und der lüneburgische Kanzler Forster in einer Eingabe über den artickel, den zwaispalt in unserm h. glauben berurent,161 an die anderen Stände, in der sie für die Beibehaltung des ersten Speyrer Abschieds warben. Sie betonten, dass sie die andere lehre, wie sie genant wirdet,162 bzw. die lehre, die wir fur gotlich und christlich achten163 und die auf gotlicher geschrift beruhe, aufgrund ihres Gewissens nicht aufgeben könnten noch wollten. Diese Aussage zeigt eine exklusiv-universalistische Tendenz, die den katholischen Ständen deutlich Kontra bot. Wenn sie die Gegenseite nicht direkt ansprachen, griffen die evangelischen Fürsten dabei auf eine neutrale rechtsbezogene Terminologie zurück: diejenige, so bei dem ksl. edict zu Wormbs bis anher plieben.164 War diese Aussage aus 159
160 161
162 163 164
Jung: Geschichte des Reichstages zu Speyer (Anm. 7). Nr. LV. S. LXXVIf. Dieses Argument wurde von allen Beteiligten verwendet, in den evangelischen Kirchenordnungen erscheint es ebenso wie bei der Berufung Karls V. auf sein Amt als weltliches Oberhaupt der Christenheit und Advokat der Kirche. Vgl. nochmals Luttenberger: Kirchenadvokatie und Religionsfriede (Kap. 6, Anm. 54). S. 185. RTA JR VII. Nr. 139. S. 1266. RTA JR VII. Nr. 127. S. 1236. Auch die evangelische Seite verwendet damit diesen neutralen Ausdruck zur Bezeichnung der Glaubensfrage. RTA JR VII. Nr. 127. S. 1239. RTA JR VII. Nr. 127. S. 1238. RTA JR VII. Nr. 127. S. 1238.
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katholischem Munde stets mit dem Vorwurf des Ungehorsams gegenüber den Lutheranern einhergegangen, so wiesen diese sich hier nun ebenfalls als gehorsame Fürsten aus, hätten sie doch stets gemäß des letzten Abschieds gehandelt und sich bemüht, weiter neuerung ader secten zu unterbinden.165 Auch zeigten die Fürsten ihren Willen zu einer weiteren Zusammenarbeit, indem sie versprachen, alle religionspolitischen Maßnahmen des Reichstages zu unterstützen, die gemainer christenhait und dem reich deutscher nation zum Nutzen gereichen, worunter sie allerdings wohlweislich nur die Einhaltung der ohnehin weit auszulegenden Predigtklausel und das Vorgehen gegen die Wiedertäufer verstanden wissen wollten.166 Die Eingabe blieb folgenlos. Am 19. April akzeptierten die kaiserlichen Vertreter das Bedenken der Ständemehrheit, das in gehorsam gegen den Kaiser und zur erhaltung unsers cristenlichen glaubens verfasst worden sei. Die Schrift der fünf Fürsten nahmen sie zwar zur Kenntnis, erwarteten aber, dass diese sich dem Abschied dennoch fügen würden, den man mit großer Mehrheit nach des reichs altem löblichen geprauch beschlossen habe.167 Da sich folglich keine Änderung in der Haltung der katholischen Stände abzeichnete, legten die gleichen fünf Fürsten dem Reichstag ebenfalls am 19. April eine erste Protestation vor, in der sie zunächst allgemein die Religionsbeschlüsse ablehnten und erklärten, weiterhin den Abschied von 1526 befolgen zu wollen.168 Tags darauf reichten sie eine erweiterte Fassung nach. Sie beinhaltete eine ausführliche Begründung ihrer Haltung und stellte dabei eine terminologische Gratwanderung zwischen Zurückhaltung und deutlicher Betonung der eigenen Meinung dar. Einerseits bekannte man sich zum Wohle gemainer christenheit und erkannte Karl V. den Titel als christlicher kaiser169 zu. Wenn von den Religionsparteien die Rede war, griff man häufig auf neutrale Begriffe zurück, wie gegenthail und uns oder andern unsers thails bzw. ganz allgemein wir,170 was sich allein auf die Unterzeichneten, nicht auf eine Religionspartei bezog. Aber die Fürsten äußerten auch dezidiert ihre eigene Ansicht zur Glaubensfrage, denn sie sahen sich vor allem anderen Gott verpflichtet und wollten nicht gegen ihn, sein h. wort, unser aller selen heil und gut gewissen handeln.171 Eine Unterscheidung der Konfessionsparteien erfolgte wie schon früher durch ihre Haltung zum Wormser Edikt. Allerdings suchten die fünf Fürsten nun bezeichnenderweise keine Ausflüchte mehr, um dem Vorwurf des Ungehorsams zu entge165 166 167 168 169 170 171
RTA JR VII. Nr. 127. S. 1243. RTA JR VII. Nr. 127. S. 1244. RTA JR VII. Nr. 136. S. 1259f. Vgl. RTA JR VII. Nr. 137. S. 1260–1265. RTA JR VII. Nr. 143. S. 1275 und S. 1276. RTA JR VII. Nr. 143. S. 1279, S. 1284 und S. 1285. RTA JR VII. Nr. 143. S. 1286. Vgl. auch S. 1277.
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hen, sondern gaben ihre Ablehnung unumwunden zu: Während die Katholiken bei dem [...] ksl. edict bis anher pliben, bezeichneten sie sich selber als diejenigen, die sölch edict in allen stucken mit gutem gewissen nit halten noch volziehen mögen, wie dann [...] zum hochsten beschwerlich und vor got mit nichten zu verantworten were, jemand [...] von der lere, die wir aus grundlichem bericht gottes ewigen worts unzweifelich fur gotlich und cristlich achten, abzesondern.172
Auf diese Weise setzten sie die rechtliche Wendung in Beziehung zu universalistischen Ausdrücken und nahmen ihr damit den neutralen Charakter. Ähnlich sind die diversen Umschreibungen von ,evangelisch‘ zu verstehen, die hier nun offiziell Verwendung fanden, beispielsweise unsers herrn und hailands Cristi und seins h. worts, das wir on allen zweifel pur, lauter, rain und recht haben, oder uns und andern, so diser lere (das ist dem lautern rainen wort gottes) anhangen.173 Die Abgrenzung ging sogar noch weiter: Im Bereich der Zeremonie stellten sie z. B. der evangelisch meß, die sich alleine auf Gottes Wort gründe, die bebstischen meß gegenüber, die schon durch den personenbezogenen Zusatz abgewertet wurde und von der es dann auch ausdrücklich hieß, sie sei wider gott und sein h. wort.174 Eine solch deutliche Gegenüberstellung beider Lehren hatte es von evangelischer Seite auf Reichstagen bislang noch nicht gegeben. Man war zwar weiterhin bemüht, nicht sämtliche Brücken abzubrechen, machte aus der Überzeugung der eigenen Rechtgläubigkeit aber keinen Hehl mehr! Hier nähert sich der Sprachgebrauch damit deutlich den internen Schriften an. Obwohl der Statthalter und die kaiserlichen Kommissare zunächst recht negativ reagierten, ir vermainte protestation für nichtig erklärten und ihre Berufung auf den Abschied von 1526 mit dem bereits mehrfach wiederholten Argument ablehnten, dass dieser von vilen ubel verstanden und gebraucht worden ist,175 begann man alsbald mit Verhandlungen, um den Reichsabschied vielleicht doch noch zu retten. Am 21. April legten die fünf Fürsten einen Vermittlungsvorschlag für eine Umformulierung des Schlussdokuments vor, der wieder deutlich zurückhaltender formuliert war. Sie wollten den ersten Speyrer Abschied bestehen lassen, versahen diese Regelung aber mit der Einschränkung, dass die Stände, so die herprachten breuch, ceremonien und andere ubungen der gemeinen kirchen bishere gehalten und dapei blieben, sowie jene, bei denen die ander lere entstanden, dardurch obbenante herprachte preuch in abgang komen, bis zum Konzil bei ihrem jeweiligen Glauben 172 173 174 175
RTA JR VII. Nr. 143. S. 1279. RTA JR VII. Nr. 143. S. 1280 und S. 1282. RTA JR VII. Nr. 143. S. 1281. RTA JR VII. Nr. 140. S. 1268.
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bleiben dürften. Man versuchte auch dadurch eine gewisse Einmütigkeit herzustellen, dass man gemeinsam gegen alle weitere neuerung oder secten in christlichem glauben, gemeint sind wiederum die Täufer und die Reformierten, vorgehen müsse.176 Nachdem der Abschied am 22. April trotzdem ohne Änderung erlassen worden war, unternahm die Reichstagsmehrheit einen letzten Versuch, eine Spaltung der Versammlung zu verhindern, und wandte sich ohne jede Anspielung auf religiöse Fragen an die vilgemelte kurfurst und fursten.177 Man legte ihnen nochmals dar, dass es sich um einen bislang nie dagewesenen Vorgang handle, wenn eine Minderheit sich dem vollkommen verweigere, was durch das mehrer auf ain mainung beschlossen worden sei, und bat sie, zumindest auf eine Veröffentlichung ihres Protests zu verzichten, um nach außen hin den Schein der Einmütigkeit aufrecht zu erhalten.178 Doch die Angesprochenen wiederholten ihre Berufung auf die ehre gottes, seins h. worts und unser aller seelen seligkeit179 und wiesen das Argument der Mehrheitsentscheidung zurück. Dabei blieben sie meist im Rahmen einer neutralen Terminologie, sprachen von den unsern oder den andern kurfursten fursten und stenden180 bzw. von zwo parteien,181 versicherten aber wiederum, dass ihnen als christglaubigen nichts anderes gebühre, dan […] uns seins gotlichen worts zu halten,182 und bezeichneten sich dementsprechend als dem evangelio verwandt.183 Dennoch betonten sie erneut ihren Willen zu frid und ainigkait184 und sagten zu, den Frieden zwischen den Ständen wahren zu wollen.185 Die fünf Fürsten, denen sich inzwischen noch 14 Reichsstädte angeschlossen hatten, verfassten schließlich am 25. April ein sog. ,Appellationsinstrument‘, eine offizielle notariell beglaubigte Zusammenstellung aller relevanten Dokumente, in der sie ihren Protest nochmals rechtsgültig niederlegten.186 Der verbindende Text ist zum Teil geradezu feierlich abgefasst und beginnt bereits demonstrativ mit den Worten: 176
177 178 179 180 181 182 183 184 185
186
RTA JR VII. Nr. 147. S. 1295. Die Reformierten werden hier wie im Abschied als secten, sovil die dem hochwurdigen sacrament des waren fronleichnams und bluts unsers herren Jesu Christi zugegen, bezeichnet. RTA JR VII. Nr. 151. S. 1319. RTA JR VII. Nr. 151. S. 1319f. RTA JR VII. Nr. 157. S. 1337. RTA JR VII. Nr. 157. S. 1331 und S. 1334. RTA JR VII. Nr. 157. S. 1336. RTA JR VII. Nr. 157. S. 1335f. RTA JR VII. Nr. 157. S. 1338. RTA JR VII. Nr. 157. S. 1337. Auch wenn es zu keiner Einigung mehr kam, so erließen doch zumindest beide Parteien gegenseitige Friedenszusagen, um einen Religionskrieg zu vermeiden. Vgl. RTA JR VII. Nr. 164 und Nr. 165. S. 1342f. RTA JR VII. Nr. 167. S. 1345–1356. Hier wiederholten sie ihre Eingabe vom 12. April, die Erklärung des Orators und der kaiserlichen Kommissare vom 19. April, die beiden Protestationen, die
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Im Nahmen unsers herren Jhesu Christi. Amen.187 Damit wird sofort auf die theologische Tragweite dieses Dokuments verwiesen. Gegen die Beschlüsse des Abschieds und den Angriff auf ihren Glauben protestirn, recusirn, provocirn, appellirn, supplicirn und berufen wir, die obgemelten Kurfursten und fursten, fur uns selbst, unsere unterdanen und vorwanten auch itzige und kunftige anhanger und adherenten an den Kaiser, an das Konzil, an eine Nationalversammlung oder an jeden dieser sachen bequemen unparteischen und christlichen richter.188 Der Protest ist bereits prophylaktisch auf die Zukunft gerichtet: Die Beteiligten erwarteten und erhofften ein weiteres Fortschreiten der Reformation, deshalb sprachen sie nicht nur für sich, sondern bezogen alle Stände mit ein, die später vielleicht noch dazustoßen wollten. Als Selbstbezeichnung dienten wiederum mehrfach Umschreibungen von ,evangelisch‘, teilweise mit einer gewissen Abwertung der Gegenseite, etwa allen den jenigen, so ietzt und zukunftiger zeit der predigt gotlichs worts und warheit und mit abtuung gotloser breuche und wideraufrichtung christenlicher ceremonien verwandt.189 Durch die Betonung, man habe die christlichen Zeremonien wieder aufgerichtet, scheint hier sogar der Anspruch durch, selber die ‚alte Religion‘ zu vertreten. Auch das Adjektiv ‚evangelisch‘ erscheint erneut: die christliche gotliche und evangelische lere.190 Auf dem Speyrer Reichstag traten die Stände zum ersten Mal öffentlich in zwei Konfessionsparteien auseinander. Damit beschränkte sich die Parteinahme nun endgültig nicht mehr wie bisher nur auf den internen Sprachgebrauch, sondern auch die Wortwahl in den Verhandlungsakten verschärfte sich deutlich, so dass sich die Sprache beider Textsorten immer mehr annähert. Hatten in den Jahren zuvor v. a. Kaiser und Papst eine eindeutig häretisierende Sprache bemüht, so waren die Dokumente ständischer Provenienz mit wenigen Ausnahmen von dem Willen geprägt gewesen, die Concordia zu retten. Selbst wenn Seitenhiebe gegen Luther nicht ausgeblieben waren, so beeilte man sich doch stets, die Standesgenossen in Schutz zu nehmen, den gemeinsamen christlichen Glauben zu beschwören und im Falle der Gravamina gegen Rom sogar zeitweilig am gleichen Strang zu ziehen. Erste Verwerfungen zeigten sich bereits in den Eingaben der Grafen und Städte auf dem Nürnberger Reichstag von 1524. Doch da diese keinen großen Einfluss auf die Verhandlungen nehmen konnten, wirkte sich das noch nicht auf den Abschied aus. Erst 1529 ließen auch die Kurfürsten und Fürsten ihre bisherige Rücksichtnahme fallen und brachten in den entsprechenden Dokumenten ziemlich deutlich ihr religiöses
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Werbung der Mehrheit vom 22. April sowie ihre Antwort vom 23. und die beiden Friedenszusagen vom 24. April. RTA JR VII. Nr. 167. S. 1346. RTA JR VII. Nr. 167. S. 1353. RTA JR VII. Nr. 167. S. 1347. RTA JR VII. Nr. 167. S. 1349.
Offizielle theologische Texte auf dem Augsburger Bekenntnisreichstag und die Folgen
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Selbstverständnis zum Ausdruck. Durch den Verzicht auf eine ausgleichende bzw. dissimulierende Terminologie und die Verwendung einer eindeutigen Sprache wurde die Kompromissfähigkeit der vorhergehenden Reichstages zunächst zerstört. Die Wortwahl und das Scheitern der Speyrer Versammlung sind zwei Seiten der gleichen Medaille.
8.2 Der Sonderfall: Offizielle theologische Texte auf dem Augsburger Bekenntnisreichstag und die Folgen Nur selten berührten sich auf den Reichstagen der amtliche und der theologische Bereich direkt. Einige Fürsten und Stände ließen sich in ihren Entscheidungen intern durch theologische oder juristische Gutachten beraten, aber auf offizieller Reichsebene wurden solche Texte kaum wirksam. Eine bedeutende Ausnahme ist bereits in Zusammenhang mit den öffentlichen Dokumenten behandelt worden: Das Augsburger Interim erhielt 1548 als genuin theologischer Text reichsrechtliche Verbindlichkeit. Hier hatten mehrere Theologen im Auftrag Karls V. die Regeln einer ‚Zwischenreligion‘ für die Evangelischen bis zu einer Konzilsentscheidung aufgestellt. Auf dem Gebiet der Verhandlungsakten sind besonders die verschiedenen Bekenntnisse des Augsburger Reichstages von 1530 zu beachten, deren Erarbeitung der Kaiser als Diskussionsgrundlage eingefordert hatte. Von besonderer Bedeutung ist hier natürlich Philipp Melanchthons ‚Confessio Augustana‘, die einen sehr großen Einfluss auf die weitere Entwicklung des Luthertums und auch auf ihre reichsrechtliche Namensgebung nehmen sollte. Die katholische ‚Confutatio‘, die maßgeblich von Johannes Eck verfasst worden war, stellte kein Bekenntnis im eigentlichen Sinne dar. Die katholischen Stände hatten sich im Vorfeld strikt geweigert, einen entsprechenden Text einzureichen, um sich nicht auf eine Ebene mit den Evangelischen stellen zu müssen. In ihren Augen bedurfte der Glaube Roms keiner Rechtfertigung, sondern es kam lediglich eine direkte Widerlegung der CA in Frage. Mit dieser Haltung brachten sie ihren Universalanspruch sinnfällig zum Ausdruck.191 Die ‚Confessio Tetrapolitana‘ von Martin Bucer sowie Zwinglis ‚Ratio Fidei‘ spielten nur eine vergleichsweise untergeordnete Rolle, weshalb ich mich bei den folgenden Ausführungen auf die beiden erstgenannten Texte beschränken werde. Dabei ist nun v. a. zu fragen, wie zwei Theologen, die uns bereits in Zusammenhang mit der theologisch-publizistischen Literatur begegnet sind, den Spagat zwischen ihrer normalerweise exklusiv-universalistischen, wenn nicht gar polemisierenden Sprache 191
Vgl. Immenkötter: Zur Theologie der Confutatio (Kap. 2, Anm. 37). S. 105.
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Verhandlungen auf den Reichstagen im Spiegel von Quellen und Stellungnahmen
und der von Karl V. in Ausschreiben und Proposition gebotenen und der reichsrechtlichen Ebene angemessenen Zurückhaltung zuwege brachten. Allen Beteiligten war sicher bewusst, dass nur eine möglichst zurückhaltende Formulierung der eigenen Standpunkte überhaupt die gewünschten Verhandlungen würde ermöglichen können, eine Aufgabe, vor der Luther selber schon im Vorfeld kapituliert hatte.192 Diese zunächst versöhnliche Linie schlug sich auf die internen Schreiben allerdings nicht weiter nieder. Die Gesandtschaftsinstruktion des Administrators des Hochstifts Regensburg, Pfalzgraf Johann, dokumentiert dies besonders eindrücklich. Hier ist von luterischen secten vnnd Irrsall, ernennt irrung, secten, Neuerung vnnd Lere wider Cristliche Religion sowie lesterlich vnnd geverlichst ketzerey vnnd vnordnung die Rede.193 Die Gegenseite wurde häretisiert, für die eigene Position exklusiv die universale Bezeichnung ‚christliche Religion‘ beansprucht. Auch Karl V. gebrauchte den ansonsten tunlichst vermiedenen personenbezogenen Begriff luttherische fursten194 bereits im Juli in einer internen Aufforderung an die katholischen Stände, die ‚Confessio‘ abzulehnen, was an sich schon zeigte, wieviel von der Verständigungsbereitschaft des Kaisers im Grunde zu halten war. Umgekehrt behielten die Evangelischen intern ebenfalls meist die bereits geläufigen Benennungen bei. Zwar erschien häufig die allgemeine Wendung sachenn, denn glaubenn belangendt,195 doch daneben sprach etwa der sächsische Kanzler Brück diffamierend von den bebstelern196 und an anderer Stelle von dem alt greuell.197 Markgraf Georg von Brandenburg betonte in einem Schreiben an seine Räte: Dann do gedencken wir mit der gnad vnnd hilff gottes bej gottes rainem allain seligmachendem wort zupleiben.198 In einem internen Bericht vom 25. Juni hieß es schließlich: die Euangelischen
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196 197 198
Luther gab selber zu, dass er nicht so ‚leise treten‘ könne wie Melanchthon, so dass dieser für ausgleichende Verhandlungen wohl besser geeignet war, vgl. Wenz: Der Leisetreter (Kap. 3, Anm. 157). S. 127. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 78. S. 209. Zitiert nach Herbert Immenkötter: Die Rahmenbedingungen der Augsburger Religionsverhandlungen. In: Herbert Immenkötter/Gunther Wenz (Hg.): Im Schatten der Confessio Augustana. Die Religionsverhandlungen des Augsburger Reichstages 1530 im historischen Kontext. Münster i. W. 1997 (RST. Bd. 156). S. 10–18, hier S. 10. Dieser Ausdruck erscheint mehrfach bei dem kursächsischen Gesandten Hans von Dolzig: Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 70. S. 178 und Nr. 67. S. 174. Auch Kanzler Brück greift darauf zurück, vgl. Nr. 71. S. 184. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 71. S. 185. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 125. S. 92. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 34. S. 121. Vgl. auch ein Schreiben Johanns an die Wittenberger Reformatoren: wir vnnd andere Stende, so die Rayne leher bey Inen angenomen vnnd zugelassenn, Nr. 12. S. 43.
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Fursten sampt Iren verwanndten.199 Es gab also in diesem Bereich keine nennenswerten Verschiebungen. Da bereits das Ausschreiben andeutete, dass diesmal wohl theologisches Fachwissen vonnöten sein würde, forderte der sächsische Kurfürst Johann seine Wittenberger Theologen Luther, Melanchthon, Bugenhagen und Jonas in einem Schreiben vom 14. März 1530 auf, ihm bei den folgenden Verhandlungen als Ratgeber zur Seite zu stehen.200 Kurz darauf legten diese ihm die sogenannten ,Torgauer Artikel‘ vor, in denen sie nachzuweisen versuchten, das auch die ler Cristlich vnnd allen gotsforchtigen Trostlich vnnd heilsam sej, welch Ir Churfurstlich gn. In Iren landen zugelassen.201 Neben ‚christlich‘ bezeichneten sie ihren Glauben als lahr des Euangelij und zählten sich sogar zur Catholica Ecclesia.202 Die Katholiken galten dagegen allgemein als die widersacher. In Bezug auf die Kurie nahm man auch den Namen Papistenn203 aus der Flugschriften-Literatur ins sprachliche Repertoire auf. Anhand konkreter Lehrunterschiede entzündete sich dann noch weitere Polemik: Die Messe auf römischer Seite wurde beispielsweise als offennliche abgotterei und damit Bestandteil einer gotlossen lere abgetan.204 Schließlich stellte man zusammenfassend die personenbezogene kirchen des Bapsts mit ihren offenntlichen mißbreuchen der in diesem Fall eindeutig exklusiv-universalistisch verstandenen kirchen Cristi gegenüber205 und kam damit zu der natürlich rein rhetorischen Frage: nun solle das ware Euangelion vnd die alte Rechte Lere [...] ein Neuigkeit vnnd ketzerei sein?206 Damit wollten die Theologen den Anspruch der Katholiken, die ‚alte‘ Religion zu sein, aushebeln. Dieses interne Gutachten war sicher nicht geeignet, ausgleichend zu wirken. So diente es Philipp Melanchthon denn auch nur als Vorarbeit zu seiner Confessio Augustana, die zur öffentlichen Verlesung vor Kaiser und Reich gedacht war. Die Augsburger Konfession muss von der Textgattung her unter zwei Gesichtspunkten betrachtet werden, da die Vorrede durch die Verfasserschaft des sächsischen Kanzlers Brück zur amtlichen Ebene und der Hauptteil aus der Feder Melanchthons zum theologischen Bereich zu zählen ist. Dementsprechend kommt die Einleitung ohne größere theologische Bezeichnungen aus, sondern es ist nur neutral von wir die vnden benante Churfurst vnd Fursten sambt vnsern verwanten sowie den andern Churfursten, Fursten vnd Stennden die Rede.207 Der eigentliche Hauptteil 199 200 201 202 203 204 205 206 207
Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 108. S. 4. Vgl. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 12. S. 44. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 27. S. 69. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). S. 89 und S. 70. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). S. 69 und S. 92. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). S. 95f. Vgl. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). S. 98–108. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). S. 105. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 106. S. 376.
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zerfällt in zwei Partien, von denen die erste die Gemeinsamkeiten in der Lehre, die zweite dagegen die Unterschiede in Zeremonien und Kirchengebräuchen thematisiert. Entsprechend zeigt sich auch die Wortwahl. Im ersten Teil dominieren neutrale Bezeichnungen. Meist beginnen die einzelnen Abschnitte mit einer Passivkonstruktion, z. B. [es] wurdet bej vnns gelert, ohne weiter auf dieses ,uns‘ einzugehen.208 Die Katholiken sind einfach nur Vnser widerparth.209 Ein solch abwertender Begriff wie die gottlosen210 bezog sich dagegen nicht auf die Papstanhänger, sondern auf alle Sünder über die Religionsgrenzen hinweg. Am Ende und als Höhepunkt dieses Abschnittes betonte Melanchthon, dass die dargestellte Lehre dem Rainen gotlichen wort vnd christlicher warheit gemeß sei. Diese Wendung, die zunächst wieder an die Selbstbezeichnung evangelisch denken lässt, ergänzte er um die Feststellung, dass sie auch Römischer kirchen, souil auß der veter schriften zuuermercken, nicht Zuwider noch entgegen ist.211 Damit betonte er zum einen die über weite Strecken noch immer bestehende Einheit unter den Christen, bekräftigte aber gleichzeitig nochmals den Anspruch, niemals von der alten Kirche abgefallen zu sein. Gerade wenn man zum Vergleich jene pamphletischen Schriften hinzuzieht, mit denen sich die Theologen häufig an die Öffentlichkeit wandten, ist die terminologische Zurückhaltung wirklich erstaunlich. In etwas vertrauteres Fahrwasser gerät man im zweiten Teil. Auch hier diffamierte Melanchthon die Gegner nicht persönlich, und Karl V. selber wird gar als christlicher hochloblicher kayser212 gepriesen. Insgesamt versuchte er, die beschriebenen etlich mißbreuch, die man bei den Evangelischen jetzt abgeschafft hätte,213 ausschließlich den katholischen Klerikern anzulasten und dadurch Kaiser und Stände als wohlwollende Schiedsrichter zu gewinnen. Nicht umsonst beschäftigte sich der Verfasser im Schlussabschnitt mit der Bischoffen gewallt als der Ursache etlicher beschwerung in Kirche und Christenheit.214 Dazu gehörte es auch, diese ‚Missbräuche‘ als Neuerung Zu wider der heyligen schrift oder gemeiner Christlichen kirchen und als Ergebnis gottloser Maynung vnd Irthumb215 hinzustellen. Da sich diese Äußerungen aber ausschließlich unpersönlich auf Zeremonien oder kirchliche Ämter bezogen, konnten sie die Anwesenden – die Fürstbischöfe und den Nuntius vielleicht ausgenommen – nicht direkt beleidigen. 208
209 210 211 212 213 214 215
Vgl. z. B. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Art. 2. S. 382 oder Art. 4. S. 383 bzw. Art. 6. S. 384. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Art. 20. S. 393. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Art. 19. S. 392. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). S. 399. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Art. 23. S. 404. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). S. 400. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Art. 28. S. 427 und S. 437. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). S. 400 und Art. 27. S. 426f.
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Nach Verlesung der Confessio Augustana war die katholische Seite zu einer Darlegung ihres Standpunktes aufgefordert. Diese Erwiderung hatte eine komplizierte Entstehungsgeschichte. Im Gegensatz zu den Evangelischen konnten die Theologen der Gegenpartei nicht auf spezielle Vorarbeiten zurückgreifen, da sie sich im Vorfeld einer Darlegung ihrer Lehre mit dem Argument verweigert hatten, sie wollten nicht den Anschein der Gleichrangigkeit beider Glaubensrichtungen erwecken. Aus diesem Grund griffen sie nun zunächst auf die sogenannten Häresienkataloge zurück, die als ketzerisch erkannte Aussagen der Gegner ziemlich zusammenhanglos aufreihten.216 Entsprechend fielen auch die ersten Entwürfe einer Erwiderung aus, die sogenannte ,Responsio Theologorum‘, von der nur vier Artikel überliefert sind, und als erste vollständige Fassung die ,Catholica Responsio‘, die „von zahllosen polemischen Ausfällen gegen Luther und viele andere Reformatoren [durchsetzt war]“.217 So wurden die Fürsten in der Responsio Theologorum unablässig aufgefordert, die Irrtümer der evangelischen Theologen, die häufig unter dem Namen Lutherani218 zusammengefasst wurden, zu verdammen.219 Aufgrund ihrer Schärfe lehnten Karl und viele katholische Stände diese Texte als zur Veröffentlichung ungeeignet ab.220 Wir können sie somit als rein interne theologisch-amtliche Dokumente der katholischen Seite betrachten, die sich im Rahmen der üblichen Ketzerterminologie der Pamphletik bewegt haben. Ab dem 16. Juli 1530 begann schließlich die Arbeit an der eigentlichen Confutatio. Sie bediente sich eines weitaus milderen Tones, hob wie die Confessio vorhandene Gemeinsamkeiten hervor und mahnte in den strittigen Punkten zur Umkehr, ohne den Gegner direkt zu beschimpfen.221 Sie folgte dabei genau der Einteilung der Confessio und arbeitete jeden Artikel einzeln ab. Man orientierte sich weitgehend an der Terminologie der rechtlich-amtlichen Ebene, bezeichnete die katholische Seite in der Einleitung als die überigen Chur- und Fürsten222 und wandte sich an die Fürsten und Stett [...] sampt Irem Anhang bzw. nur die Fürsten223 oder ganz allgemein an die gegenparthey.224 Der Begriff ,evangelisch‘ taucht selbstredend nur in ausdrücklich vorkonfessionellem Gebrauch auf, beispielsweise in Zusammenhang mit euangelische Werck oder der Evangelischen Freyhait,225 womit Eck implizit natürlich gleich216 217 218 219 220 221 222 223 224 225
Vgl. Immenkötter: Der Reichstag zu Augsburg (Kap. 1, Anm. 4). S. 15 und S. 25f. Immenkötter: Der Reichstag zu Augsburg (Kap. 1, Anm. 4). S. 26. Responsio Theologorum. CR 27. S. 86. Vgl. z. B. Responsio Theologorum. CR 27. S. 92. Vgl. Immenkötter: Der Reichstag zu Augsburg (Kap. 1, Anm. 4). S. 28. Vgl. Immenkötter: Der Reichstag zu Augsburg (Kap. 1, Anm. 4). S. 29. Confutatio. CR 27. S. 189. U. a. CR 27. S. 190, 191, 202, 204 und S. 227. CR 27. S. 215. CR 27. S. 220 und S. 226.
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zeitig den Anspruch aufrecht erhielt, selber evangelisch zu sein. Trotz dieser weitgehend neutralen Wortwahl traten wie im 2. Teil der Confessio die Gegensätze in den Kirchengebräuchen besonders deutlich hervor. Wenn die Evangelischen auch nicht ausdrücklich als Ketzer bezeichnet wurden, so war doch von Misbrauch und Ungehorsam, falscher lere sowie Lehren wider Got226 die Rede. Darüber hinaus wurden die lutherischen Gedanken mehrfach mit bereits verurteilten alten Häresien in Verbindung gebracht.227 In diesem Sinne sind umgekehrt auch die synonym gemeinten Begriffe heilig gemeine Christliche Kirche und Christenheit sowie Catholischen Kirchen228 zu verstehen. An mehreren Stellen wird deutlich, dass die Verfasser dabei keinen Unterschied zwischen der allgemeinen und ihrer ‚Römischen Kirche‘ machten. So sprachen sie am Ende des Dokuments von der gemainen gantzen, auch Römischen Kirchen229 und übersetzten ecclesia catholica Romana aus der lateinischen Fassung mit der gemainen Christenheit ins Deutsche.230 Indem sie darüber hinaus noch mehrfach an die evangelischen Stände appellierten, das sie [...] von der gemainen Christenhait hie nit abweichen wollen,231 zeigten sie eindeutig, dass sie für die katholische Seite Universalität beanspruchten. Der Schluss, der wegen seiner harten Wortwahl und der Unterscheidung zwischen ,Alt‘- und ‚Neugläubigen‘ sogar nochmals umgearbeitet werden musste,232 zeigt dann auch wieder das übliche kaiserliche Selbstverständnis und bedeutet schon das Ende der Verständigungsbereitschaft: Mit der Aufforderung an die Lutheraner, sich in den durch die Confutatio widerlegten Punkten wieder der ‚Römischen Kirche‘ zu unterstellen, und der anschließenden „unverhohlenen Drohung“,233 ansonsten entsprechende Schritte zu unternehmen, wie es ihm als Schutzherr der Kirche zukomme,234 nahm Karl hier bereits den terminologischen Rückschritt des Reichsabschieds inhaltlich vorweg. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der öffentliche Auftritt der Theologen in erstaunlich moderaten Formen ablief, was besonders verwundert, wenn man dabei ihre sonstige Streitlust im Blick behält. Selbst Martin Luther fürchtete, man
226 227 228
229 230 231 232 233
234
CR 27. S. 204, 219 und S. 224. Vgl. u. a. CR 27. S. 210, 214 und S. 218. CR 27. S. 190 und S. 218. Die lateinische Fassung verwendet an diesen Stellen jeweils ecclesia catholica! CR 27. S. 85, 88 und S. 160. CR 27. S. 227 und S. 228. CR 27. S. 184 und S. 228. CR 27. S. 204. Vgl. auch CR 27. S. 227f. Vgl. Immenkötter: Der Reichstag zu Augsburg (Kap. 1, Anm. 4). S. 99f., Anm. 83. Immenkötter: Die Rahmenbedingungen der Augsburger Religionsverhandlungen (Anm. 194). S. 17. Vgl. Confutatio. CR 27. S. 228.
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werde sich nie wieder so nahe kommen wie in Augsburg.235 Allerdings zeigen die Unterschiede zwischen den internen bzw. nicht veröffentlichten Texten und den offiziellen Dokumenten starke terminologische Unterschiede. Die Theologen haben sich also offiziell wohl eher unfreiwillig aufgrund des politischen Drucks zurückgehalten. Besonders deutlich wird dies in Blick auf die Entstehungsgeschichte der Confutatio, der zunächst mehrfach die kaiserliche und ständische Approbation verweigert worden war, bevor die dritte Überarbeitung endlich den richtigen Ton traf. Die theologisch-amtlichen Texte von 1530 stellten den vorläufig letzten Versuch einer Einigung auf Reichstagsebene dar, auch wenn die Bemühungen in mehreren offiziellen Religionsgesprächen in den 30er Jahren fortgeführt wurden. Ganz entgegen ihrer ursprünglichen Intention wurden sie jedoch zu Dokumenten der endgültigen Trennung. Herbert Immenkötter kommt zu dem Schluss: „Der Graben zwischen Alt- und Neugläubigen war durch zwei offiziell eingeforderte Schriftstücke nun auch reichsrechtlich offenkundig dokumentiert, ohne dass eine Brücke zur Überwindung der Distanz in greifbarer Nähe stand.“236 Hier lag die Geburtsstunde der ‚Konfessionen‘, ein Begriff, der nicht umsonst auf entsprechende Bekenntnisschriften rekurrierte. Die Confessio Augustana nahm indirekt sogleich Einfluss auf die konfessionelle Terminologie in anderen Akten, denn über dieses Dokument ließ sich die lutherische Seite nun relativ genau definieren. Bei den Verhandlungen zwischen Karl V. und der katholischen Reichstagsmehrheit, wie nach der Übergabe der CA weiter zu verfahren sei, bezog man sich stets auf die entsprechenden Funff Chur vnd Fürsten.237 Dieser Kreis wurde teilweise mit den zwo Stetten erweitert – gemeint sind Nürnberg und Reutlingen, die neben den fünf Fürsten ebenfalls unterzeichnet hatten238 – sowie allgemein mit derselben Anhang.239 Solche unverfänglichen Aufzählungen finden sich ebenso bei den direkten Verhandlungen mit den evangelischen 235
236 237
238
239
Vgl. Herbert Immenkötter: Die Ausschußverhandlungen und ihr Scheitern. In: Wolfgang Reinhard: Bekenntnis und Geschichte. Die Confessio Augustana im historischen Zusammenhang. München 1981 (Schriften der Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg. Nr. 20). S. 115–127, hier S. 115. Immenkötter: Der Reichstag zu Augsburg (Kap. 1, Anm. 4). S. 31. Vgl. hierzu den Austausch von Noten zwischen den katholischen Ständen und Karl V. zwischen dem 27. Juni und 13. Juli 1530 bei Brieger: Beiträge zur Geschichte des Augsburger Reichstages (Anm. 7). Nr. I 1. S. 126; Nr. I 2. S. 128, 129, 130; Nr. I 3. S. 130f., 131, 133; Nr. I 5. S. 134, 135, 136; Nr. II 4. S. 157, sowie Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 110. S. 9, 10, 11; entspricht Brieger: Beiträge zur Geschichte des Augsburger Reichstages (Anm. 7). Nr. I 4. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. II 3. S. 152, 153, 154. Daneben ist etwas allgemeiner von den funff Churfursten fursten vnd den stetten die Rede: Nr. II 4. S. 156, 157 und S. 158. Vgl. hierzu auch die Unterschriften unter der CA, Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 106. S. 439ff. Brieger: Beiträge zur Geschichte des Augsburger Reichstages (Anm. 7). Nr. I 3. S. 132.
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Ständen. Als diese die Aushändigung der Confutatio verlangten, beschied Karl V. die Bitte deß Churfurstenn vonn Sachssenn vnnd der anndern Furstenn vnnd Zwaier Stete abschlägig und forderte von ihnen, sich auf der Basis der katholischen Widerlegung mit ihm und derselbigen Churfursten, Fursten vnnd Stennden [zu] verainigen vnnd [zu] vergleichen.240 Auch Kurfürst Joachim I. von Brandenburg wandte sich als Sprecher der Churfursten, furstenn vnnd andere[n] Stende offiziell an Sachsen vnnd seine[n] verwanndten241 bzw. griffiger an die Sechßischenn vnd die anndern.242 Dass die lutherische Partei anhand der CA allerdings noch immer nicht genau erfasst werden konnte, zeigt sich etwa in einem Schreiben an die katholischen Stände vom 9. August 1530, das nicht nur die Vertreter der CA, sondern darüber hinaus auch die vier Städte Kempten, Windsheim, Heilbronn und Weißenburg unterzeichnet hatten.243 Soweit die Terminologie Bezug auf die CA nahm, erwies sie sich als durchaus konsensfähig und wurde auch von evangelischer Seite verwendet. Sie sprach ebenfalls vom Churfurst zu Sachssen sambt seinen mitverwanten,244 sie die Sechsischen sambt den andern,245 wir sambt vnsern mituerwanten246 oder ganz knapp auch nur von wir247 oder die vnnsern.248 In ihrem rechtlich-neutralen Bezug auf die Confessio Augustana antizipierten derartige Umschreibungen im Prinzip bereits die spätere Bezeichnung ‚Augsburgische Konfessionsverwandte‘. In den Augen der Gegenseite hatten die Lutheraner sich von der Allgemeinheit der Stände wie vom wahren Glauben abgesondert. Deshalb bezeichneten die Katholiken sich selber ganz unspezifisch als die Churfursten Fursten vnd Stende249 oder gar als die Churfursten Fursten vnd ander, so cristlich sein bzw. Sy, die Cristlichen.250 Besonders auffällig ist in diesem Zusammenhang der relativ häufige Bezug auf das Evangelium: vnser cristenlicher warer glaub auch mit Ewangelischem
240 241 242 243 244
245 246 247
248 249
250
Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 137. S. 179f. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 260. S. 756. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 260. S. 757 sowie Nr. 262. S. 758f. Vgl. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 139. S. 187. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 234. S. 658, 659 und S. 660. Vgl. daneben etwa auch Jrer Churf. vnd f. g. zuuerwanndten, Nr. 261. S. 757. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 261. S. 758. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 113. S. 17. Vgl. etwa Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 139. S. 183. Nr. 151. S. 249. Nr. 153. S. 257. Nr. 157. S. 273. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 142. S. 213. Brieger: Beiträge zur Geschichte des Augsburger Reichstages (Anm. 7). Nr. I 1. S. 126; Nr. I 5. S. 134, 135, 136; Nr. II 3. S. 154; Nr. II 4. S. 156, 157, 158. Verkürzt erwähnt man auch nur die Fursten vnd Stende, Nr. I 3. S. 130, 131, 132, 133. Vgl. auch Nr. II 3. S. 152 und Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 110. S. 9, 10, 11. Brieger: Beiträge zur Geschichte des Augsburger Reichstages (Anm. 7). Nr. I 2. S. 128.
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grundt vnd schrifften beuestnet.251 Wie schon im Wormser Edikt diente er einer klaren Zurückweisung des reformatorischen Selbstverständnisses. In solch universalistischem Sinne ist auch die bereits hier verwendete Umschreibung Stände des alten glaubens zu verstehen,252 mit der diese sich zugleich deutlich von jeder Neuerung wider vnsern heiligen glauben vnd die kirch253 distanzierten. Deshalb forderten sie die fünf Fürsten, in deren Territorien vil erschrocklicher vncristenlicher leren eingedrungen seien, schließlich auf, sich in Glaube und Zeremonien mit gemainer Christenheit und der gemainen cristenlichen kirchen ainig [zu] machen und bis zu einem Konzil alle Neuerung ab[zu]thun vnd in den allten standt [zu] stellen.254 Karl V. stellte in diesem Zusammenhang die Stände des Allten vnnd Newen glaubens direkt gegenüber.255 Gerade nach den großen Anstrengungen der Lutheraner, in der CA ihre Neuartigkeit zu widerlegen,256 war diese Wendung ein herber Rückschlag und musste bereits wie ein vorweggenommenes abschlägiges Urteil wirken. Hinzu trat in Verbindung mit einer Erinnerung an das Wormser Edikt erneut der Vorwurf des Ungehorsams, definierten sich die Katholiken doch als cristenliche gehorsame Fursten,257 die bisher bey dem waren cristenlichen glauben, dem heiligen Ewangelio der cristenlichn kirchen vnd Irer Mt. Edict beliben vnd verharrt.258 In eine ähnliche Richtung zielte die prinzipiell rechtlich-neutrale Selbstbezeichnung Churfursten, fursten, Prelaten vnd stende, so diesen abschied angenomen vnd bewilligt in der Friedenszusage vom 22. Oktober 1530,259 denn natürlich galt die Ablehnung des Abschieds in den Augen der katholischen Reichstagsmehrheit ebenfalls als ein Akt des Ungehorsams. Die evangelischen Stände wurden also wie im späteren Abschied mit Ketzerei und Rechtsbruch in Verbindung gebracht, während die Gegenseite sich als rechtgläubig und gesetzeskonform präsentierte. Insgesamt war auf einer solchen Basis keine Verständigung möglich, da man sich auf Appelle zur Aufgabe der abweichenden Positionen beschränken, selber jedoch 251
252
253 254 255 256 257 258
259
Brieger: Beiträge zur Geschichte des Augsburger Reichstages (Anm. 7). Nr. I 3. S. 133 sowie wortgleich bei Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 110. S. 10. Brieger: Beiträge zur Geschichte des Augsburger Reichstages (Anm. 7). Nr. I 3. S. 130 und Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 110. S. 9. Auch an anderer Stelle betonten sie ihren alden christlichen glauben vnd Religion, Nr. 258. S. 753. Brieger: Beiträge zur Geschichte des Augsburger Reichstages (Anm. 7). Nr. I 2. S. 129. Brieger: Beiträge zur Geschichte des Augsburger Reichstages (Anm. 7). Nr. I 3. S. 132. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 110. S. 11. Vgl. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 106. S. 439. Brieger: Beiträge zur Geschichte des Augsburger Reichstages (Anm. 7). Nr. I 3. S. 133. Brieger: Beiträge zur Geschichte des Augsburger Reichstages (Anm. 7). Nr. I 3. S. 131. Zum Ediktbezug vgl. auch Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 110. S. 9. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 258. S. 753.
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zwangsläufig unbeweglich und kompromisslos bleiben musste, wenn man den eigenen Standpunkt nicht ad absurdum führen wollte. Dieser Universalanspruch wirft ein interessantes Licht auf den ‚Partei‘-Begriff, der in den öffentlichen Dokumenten immer wieder als neutrale Umschreibung der Konfessionen gedient hatte. Der Kaiser wollte erreichen, dass die Evangelischen ihn in der Glaubensfrage als Richter anerkennen. Damit würden sie rechtstechnisch zu einer ‚Partei‘ vor Gericht werden. Karl forderte die katholischen Stände nun für diesen Fall auf, sie sollten ebenfalls parthey machen. Er traf aber auf Ablehnung: Da sie stets den wahren Glauben bewahrt hätten, seien sie entschlossen, sich für khain parthei zeachten noch zuhalten.260 Der grundsätzlich rechtlich-neutrale Parteibegriff wird hier zurückgewiesen, weil er die Existenz zweier gleichberechtigter Gruppen voraussetzt, und dies erweist sich zu diesem eher auf Konfrontation ausgerichteten Zeitpunkt als unvereinbar mit dem katholischen Universalanspruch! Trotz dieser eindeutig antilutherischen Haltung sollten die Verhandlungen auch diesmal nicht vollständig zum Erliegen kommen: Der Kaiser wurde von den katholischen Ständen gebeten, alles in der CA anzunehmen, das dem Euangelio, gottes wort vnd der heiligen christlichen kirchen gleichformig vnd einig were, und zudem dafür zu sorgen, dass die mißbreuch innerhalb der römischen Kirche reformiert oder abgestellt würden, 261 und auch Karl selber versprach, alle lutherischen Abweichungen sollten mit den Ewangelischen vnd aus cristlicher vnd des negsten lib herfließende Protestationen vnd ermanungen widerlegt werden, also auf biblischer Grundlage und ohne jede Gewaltanwendung.262 Überhaupt legte man Wert darauf, im persönlichen Umgang bestimmte Grenzen nicht zu überschreiten, um die Diskussion durch zu scharfe persönliche Diffamierungen nicht vollständig abbrechen zu lassen. Denn als nach Verlesung des ersten Abschieds in der Religionsfrage am 22. September263 in der anschließenden Debatte einige besonders harte Worte fielen, distanzierten sich Kurfürst Ludwig von der Pfalz und Pfalzgraf Friedrich in einer Botschaft an Georg von Brandenburg klar von entsprechenden
260
261 262 263
Brieger: Beiträge zur Geschichte des Augsburger Reichstages (Anm. 7). Nr. I 2. S. 128 sowie Nr. I 3. S. 131. Brieger: Beiträge zur Geschichte des Augsburger Reichstages (Anm. 7). Nr. I 1. S. 126f. Brieger: Beiträge zur Geschichte des Augsburger Reichstages (Anm. 7). Nr. I 2. S. 129. Zu den beiden Abschieden vom 22. September und 19. November vgl. Immenkötter: Der Reichstag zu Augsburg (Kap. 1, Anm. 4). S. 41–43. Die Katholiken wurden im ersten Abschied als diejenigen umschrieben, die noch dem alten Cristlichen glauben vnd wesen anhangen, während man in Bezug auf die Lutheraner von Ire Sect sprach, Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 206. S. 477, was natürlich umgehend durch den sächsischen Kanzler Brück zurückgewiesen wurde, vgl. Nr. 207. S. 480.
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Aussagen.264 Sogar der Kaiser selber habe auf ihre Vorhaltung hin geantwortet: Es ist vnrecht vnnd zw vil gewest.265 Ihren deutlichsten Ausdruck fanden solche Ausgleichsbemühungen in den Verhandlungen des Vierzehner- bzw. des Sechserausschusses, in denen man versuchte, in Hinblick auf die allgemeine Türkenbedrohung die Differenzen zwischen CA und Confutatio auszuräumen, um doch noch zu einem gemeinsamen Abschied zu gelangen. In diesen genau paritätisch besetzten Ausschüssen trafen erstmals auf Reichsebene lutherische und katholische Vertreter gleichberechtigt aufeinander. Damit bildete dieser Vorgang nicht nur eine wichtige Vorstufe zu den Religionsgesprächen der 1540er Jahre, sondern auch zur Bildung der erst 1648 durch die ,itio in partes‘ endgültig festgeschriebenen konfessionellen Corpora.266 Gemäß ihrer ausgleichenden Intention ging man bei diesen Verhandlungen gegenseitig mit größter terminologischer Vorsicht zu Werke. Obwohl die katholischen Stände sich eigentlich nicht als Partei definieren wollten, erkannten sie die Lutheraner hier implizit als eine eben solche an. Bereits zuvor hatten sie die Begriffe theil und gegentheil immer wieder ganz unspezifisch verwendet.267 Besonders die evangelischen Stände hatten dagegen unter Bezug auf das Ausschreiben, in dem der Kaiser eins itzlichen tailhs Opinion vnd meynung eingefordert habe,268 regelmäßig von wir […] vnnsers taihls,269 beden teiln270 oder von ihrem widerteyl gesprochen, um die Gleichberechtigung beider Glaubensrichtungen herauszustellen.271 Im Zuge der paritätischen Gespräche in den Ausschüssen wurden nun gerade diese neutralen Bezeichnungen besonders wichtig.272 Eine weitere relativ unproblematische Umschreibung fand im Vierzehnerausschuss Verwendung, als die Katholiken unter Bezugnahme auf die 264
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Vgl. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 220. S. 618–620. Vgl. auch Max Ziegelbauer: Johannes Eck. Mann der Kirche im Zeitalter der Glaubensspaltung. St. Ottilien 1987. S. 226f. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 220. S. 620. Zu Besetzung, Verlauf und Bedeutung dieser beiden Ausschüsse und ihrer Verhandlungen vgl. Immenkötter: Die Ausschußverhandlungen und ihr Scheitern (Anm. 235). S. 115–127. Brieger: Beiträge zur Geschichte des Augsburger Reichstages (Anm. 7). Nr. II 4. S. 157. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 139. S. 185. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 139. S. 184. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 234. S. 660. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 113. S. 18. In den Verhandlungsdokumenten des Vierzehnerausschusses sprechen die Evangelischen von Wir (Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 151. S. 249 und Nr. 157. S. 273) oder dises teils (Nr. 151. S. 259 und Nr. 157. S. 273) bzw. von eur Liebdn vnnd der anndern (Nr. 151. S. 249 und Nr. 157. S. 273). Die Katholiken bezeichnen sich ebenfalls als vnser seiten (Nr. 158. S. 274). Im Sechserausschuss unterscheiden die katholischen Stände ausdrücklich zwischen beiden seitten bzw. beiden teilen (Nr. 163. S. 293), die lutherischen Vertreter zwischen Haltungen des widerteyls und vnnsers teyls (Nr. 164. S. 298).
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abweichenden Zeremonien die Jhenen, so vnder einer gestallt entpfahen, von jenen unterschieden, die bej vns vnder beiden gestallten das Sacrament empfingen.273 Trotz dieser Bemühungen befanden sich die lutherischen Stände insgesamt in einer deutlich defensiven Position. Vehement setzten sie sich gegen die wiederholte Stigmatisierung als abgespaltene und mithin ungehorsame Minderheit unter den Reichsständen zur Wehr und betonten, dass sie nit die wenigsten des heyligen Reichs glieder vnd Stennde seien.274 Da sie alle Grundsätze des heiligen Cristlichenn glaubenns haltenn, hätten sie sich folglich nicht von des Reichs vnd der heiligen Cristennheit ainigkeit gewendet.275 Sie betonten immer wieder, kein vnchristliche lehr angenomen, sondern sich stets an gottes wot alls der warhait gehalten zu haben. Alle Änderungen beträfen ausschließlich vngewisse vnd vnrechte lehr vnd mißbreuch.276 Damit gingen sie gleichzeitig zum Gegenangriff über, warfen sie doch den Katholiken auf diese Weise implizit vor, falsche Lehren bei sich zu dulden. In diesem Sinne sprachen sie ausdrücklich von vnnser vbergebenn Cristlichenn confession und bezeichneten die Anhänger des sächsischen Kurfürsten als seine Christliche mituerwanten.277 Auch wenn die Gegenseite niemals ausdrücklich verurteilt wird, scheint hier doch deutlich der Universalanspruch der Lutheraner durch. Die Schuld, dass Sectenn ann anndern orttenn entstanden seien, wiesen sie dagegen klar von sich.278 Weil die secten wider das heylig Sacrment des leybs vnd pluts Jhesu Christi vnd deß widertaufs gänzlich wider das rain wort gottes stünden, akzeptierten sie hier vielmehr die katholischerseits beschlossenen Sanktionen!279 Darin lässt sich wie in der CA selber durchaus wieder ein Angebot an die katholischen Stände und den Kaiser erblicken, durch ein gemeinsames Vorgehen gegen abweichende Gruppen die religiösen Gemeinsamkeiten hervorzuheben. In gewisser Weise sahen die Katholiken die Angelegenheit sogar ähnlich: Für sie stellten die Lutheraner trotz aller Kritik nicht die schlimmsten Neuerer dar, waren doch noch andere in teutscher nation, so dieser zeit das reich nit erkennen, in dieser sachen auch begriffen vnd darin etwas dieffer vnd weither verwickelt […] dan die funff Chur vnd fursten.280 Die Anhänger Zwinglis unter den Eidgenossen, die sich zu dieser Zeit bereits deutlich reichsfern gaben, schienen 273 274 275 276 277
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Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 158. S. 274. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 234. S. 658. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 142. S. 212. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 113. S. 18. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 142. S. 208 und Nr. 234. S. 658, 659. Hervorhebung jeweils durch den Verf. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 142. S. 213. Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 234. S. 659. An anderer Stelle sprechen die Lutheraner noch differenzierter von den widertauffern, Sacrament schenndern, pildsturmern vnnd garttenn brudern vnnd schwestern, Nr. 142. S. 205. Brieger: Beiträge zur Geschichte des Augsburger Reichstages (Anm. 7). Nr. II 4. S. 157.
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den katholischen Ständen in ihren Lehrabweichungen also noch verwerflicher, eine Einstellung, die ja auch in den Abschieden von 1529 und 1530 deutlich zum Tragen kam. Letztendlich zeitigen die lutherischen Rechtfertigungsbemühungen und die Ausschussverhandlungen jedoch bekanntermaßen keinen Erfolg. So konnten die Lutheraner am Ende nur konstatieren, dass in der Religionssache ein beschwerlicher abschied beschlossen worden sei, den vnnser glr vnnd genedige herrn vnd verwanten Jrer gewissen halben nicht annehmen konnen noch mugen!281 Auf dem folgenden Reichstag von 1532 sah die Situation bereits ganz anders aus. Parallel zu der Regensburger Versammlung ließ der Kaiser durch die Kurfürsten von Mainz und der Pfalz in Schweinfurt und Nürnberg mit den Lutheranern über einen Friedstand verhandeln. Sowohl für den Reichstag selber als auch für die Friedensverhandlungen liegen Instruktionen vor. Auf katholischer Seite finden sich entsprechende Dokumente der Herzöge Wilhelm und Ludwig von Bayern sowie der Reichsstadt Überlingen. Die bayerischen Fürsten betonen, sie seien entschlossen, allwege bei der christnlichen kirchen glauben und religion, wie von unsern voreltern auf uns gewachsen und in der gemainen christenhait bisher ob vil hundert jarn löblichen gehalten worden ist, mittlst göttlicher hilf zu verharren und darinnen unsere tage zu beschließen.
Hier handelt es sich um eine recht ausführliche Umschreibung des Terminus ‚alte Religion‘, deren universalistischer Anspruch durch die Erwähnung der ‚christlichen Kirche‘ noch verstärkt wird. Bezüglich der evangelischen Stände heißt es lediglich, dass sich die irrtungen [!] vor der gemainen cristenlichen kirchen in vilerlai wege, tailung und absonderung beschwerlich zugetragen und zu lange zugesehen worden ist.282 Überlingen als Reichsstadt beschreibt seine konfessionelle Zugehörigkeit wesentlich zurückhaltender und bezieht sich dabei ausschließlich auf reichsrechtliche Vorgaben. So heißt es in der entsprechenden Instruktion lediglich, die Stadt habe sich bisher in allem dem unsern hl. cristenlichen glouben und ander der ksl. Mt. und des hl. Reichs an- und obligen irer ksl. Mt. in aller underthenigster gehorsame erczaigt. So wollten sie es auch weiterhin halten und sich deshalb stets dem anschließen, was der merertail der stend des Reichs beschließe, auch wenn einige andere Städte sich dagegen wehren würden.283 Georg von Sachsen hat als einer der wichtigsten katholischen Exponenten leider auf konkrete Anweisungen in der Glaubensfrage verzichtet.284 Als Ersatz mag aber 281 282 283 284
Förstemann: Urkundenbuch 2 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 268. S. 776. RTA JR X. Nr. 9. S. 236. RTA JR X. Nr. 10. S. 238 und S. 239. Vgl. RTA JR X. Nr. 18. S. 255.
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ein Gutachten zur Proposition aus seiner Feder dienen. Dieses war vielleicht sogar als Rede vor den Ständen vorgesehen, ist aber als solche in keinem Bericht nachgewiesen.285 Hier stellt der Herzog seinen Standpunkt einmal mehr kompromisslos dar. Er verwendet die ketzerterminologischen Umschreibungen lutterische lere bzw. lutterische secten und behauptet, Luther habe, damit er sein gift mit unwarhait vermenge ausgosse, die mißbreuch, so laider in der cristlichen kirchen vor augen sein, mit dem schein und namen des hl. ewangeli belegen wollen, womit er die Selbstbezeichnung ‚evangelisch‘ als Etikettenschwindel brandmarkt. Schließlich sei die Wittenberger Reformation die Ursache für die zwingliche und vil andere grausame ketzerien. Einen Friedstand will er nur unter der Bedingung akzeptieren, dass das Luthertum weitter nit einrissen und andere durch zwang oder wegerung der sacrament nit gedrungen werden.286 Angesichts der reichsrechtlichen Verurteilung unterscheidet er auch zwischen gehorsamen und ungehorsamen.287 Das Druckmittel der Türkenhilfe lässt Georg dabei keinesfalls gelten, vielmehr seien alle Mitglieder des Reiches, sie seindt was standts oder secten sie wollen, schuldig, ihren Beitrag zur Bekämpfung des Feindes der Christenheit zu leisten.288 Sollten diese Aufzeichnungen tatsächlich als Grundlage eines Vortrages gedient haben, so ist die politisch rücksichtslose Haltung recht erstaunlich. Die Verwendung einer derartigen Terminologie dürfte für den vom Kaiser erwünschten Ausgleich und für eine gemeinsame Reaktion auf die Bedrohung durch die Osmanen alles andere als förderlich gewesen sein. Eine kompromissbereite Haltung zeigt sich dagegen natürlich in der Instruktion Karls V. für die Kurfürsten von Mainz und der Pfalz, die in seinem Namen als Vermittler bei den Verhandlungen in Schweinfurt und Nürnberg auftreten sollten. Als katholische Selbstbezeichnung erscheint zwar denen, so in dem alten glauben verharren,289 die Gegenseite wird dagegen vollkommen neutral anhand ihrer Vertreter unter den Ständen erfasst: dem Hg. von Sachsen, seinem son, dem Lgf. von Hessen und andern iren anhengern bzw. ihren verwanten. In diesem Zusammenhang erfolgt auch bereits ein Bezug auf die Confessio Augustana als einem neuen reichsrechtlichen Bezugspunkt, denn es handelt sich um die Stände, so sich in der bekantnus und assertion, unsern christlichen glauben belangende, zu Augspurg in schriften ubergeben, eingelassen haben. Die Erwähnung des ‚christlichen‘ Glaubens entspringt dabei allerdings lediglich einer Zitierung des Titels, nicht einer etwaigen Anerkennung durch den
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Vgl. RTA JR X. Nr. 31. S. 298. Anm. 1. RTA JR X. Nr. 31. S. 300. RTA JR X. Nr. 31. S. 301. RTA JR X. Nr. 31. S. 299. RTA JR X. Nr. 314. S. 1175.
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Kaiser.290 In der direkten Gegenüberstellung beider Seiten ist auch von parthey die Rede.291 Kein Entgegenkommen gibt es allerdings weiterhin gegenüber den zwinglischen und widertauffern.292 Der Rückgriff auf reichsrechtliche Formeln unter Verzicht auf ketzerterminologische Bezeichnungen kennzeichnet hier einmal mehr den Verhandlungswillen des Kaisers unter außenpolitischem Druck. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass es sich bei dieser Instruktion nicht wirklich um ein internes Schriftstück handelt, da es ja nicht an eigene Gesandte, sondern immerhin an zwei der mächtigsten Fürsten des Reiches gerichtet war. Repräsentierte Georg von Sachsen den katholischen ‚Hardliner‘, so ist sein lutherisches Gegenstück zweifelsohne in Philipp von Hessen zu finden. Er verwendet inzwischen regelmäßig das universalistisch belegte Adjektiv ‚evangelisch‘ zur Bezeichnung seiner eigenen Partei.293 Daneben bezieht er sich wie der Kaiser auf die CA, lässt dabei aber keinerlei Zweifel an der Rechtgläubigkeit dieses Dokumentes, denn er hat sampt anderer christlichen evangelischen stenden uff nechstgehaltem reichstag zu Augspurg ein christlich confession unsers waren, unwiddersprechlichen glauben gethan. Außerdem bekräftigt er die Ablehnung der vermeint confutation und sagt, er wolle bei unser derhalben furgenomen appellation und protestation mit Gots hilf zu verharren gentzlichen vermaint sein.294 Interessanterweise liest sich diese Bestätigung des Protests von 1530 – wohlgemerkt bezieht er sich nicht auf die Protestation von 1529! – wie eine Abwandlung der Bezeichnung ‚Protestierende‘ und verweist damit nochmals deutlich auf die neutrale reichsrechtliche Komponente dieses Begriffs. Während Georg einen Frieden nur unter der Bedingung akzeptieren wollte, dass niemand mehr zur Annahme des evangelischen Glaubens gezwungen werde, sieht dies bei Philipp natürlich ebenfalls ganz anders aus. Seiner Ansicht nach kann ein christlicher Friede nur dann bestehen, wenn man das wort Gots allenthalben verkundigen und unverhindert arbeiten lasse, denn er ist überzeugt, dass sich die Reformation dann ganz von alleine ausbreiten werde. Dazu gehört, daß auch die oberkeiten, so noch des pabstes ordenungen anhangen, ire underthan, so das evangelion annemen und lieben, nicht bestrafen.295 Hier werden die Katholiken wieder durch ihren Bezug zum Papsttum definiert. In der Instruktion für Nürnberg 290
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294 295
RTA JR X. Nr. 314. S. 1174. Vgl. auch die verkürzte Formulierung die benanten hertzogen, der lantgrave und ire mitverwanten, S. 1175. RTA JR X. Nr. 314. S. 1175 und S. 1176. RTA JR X. Nr. 314. S. 1174. Vgl. etwa die evangelischen chur- und fursten und den evangelischen stend in der Reichstagsinstruktion, RTA JR X. Nr. 20. S. 260, sowie in der Instruktion zu den Friedensverhandlungen die evangelische parthei, RTA JR X. Nr. 321. S. 1197, und die evangelische stende, S. 1197 und S. 1198. RTA JR X. Nr. 20. S. 259. RTA JR X. Nr. 20. S. 260.
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und Schweinfurt ist dann auch direkt von den papisten die Rede.296 Lediglich in der Bezeichnung anderer reformatorischer Gruppen zeigt Philipp sich schließlich mit Georg einig und spricht ebenfalls personenbezogen von ein zwinglischer.297 Wesentlich zurückhaltender gibt sich der zweite Kopf der evangelischen Seite Kurfürst Johann von Sachsen. Er spricht häufig nur von wir und andere, derselben sachen mitverwanten.298 In der Instruktion für die Verhandlungen in Schweinfurt und Nürnberg heißt es auch einmal die der confession verwanth gewesen.299 Allerdings muss man bei der Verwendung dieser Begriffe aufpassen, denn zum einen erwähnt der Kurfürst auch außerhalb der Religionsfrage bei inhaltlichen Übereinstimmungen mit anderen Ständen häufig seine ‚Verwandten‘ und bezeichnet die unbestreitbar katholischen Herzöge von Bayern etwa bezüglich der umstrittenen Königswahl als der walh sachen mitverwanth.300 Auf der anderen Seite werden durch den Bezug auf die CA zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle evangelisch gesinnten Stände mit erfasst, vielmehr entspannte sich die bereits weiter oben erläuterte Debatte, ob Mitglieder des in Reaktion auf den vorangegangenen Reichsabschied gegründeten Schmalkaldischen Bundes, die die Confessio nicht unterzeichnet hatten, ebenfalls in den Friedstand aufgenommen werden dürften.301 In diesem Zusammenhang erscheint bei Johann eine erste Umschreibung dieses Bundes: Er habe sich mit andern, die zum teil dem Reich ane mittel, zum teil aber nit dermaßen dem Reich verwanth weren, zu erlichem und unvorweißlichen uffenthalt unrechtlichs gewaldes vereinigt, womit er gleichzeitig die Rechtmäßigkeit dieser Unternehmung betont.302 Ansonsten begnügt er sich ebenso wie der Kaiser mit einer bloßen Aufzählung aller betroffenen Fürsten und Städte.303 Daneben ist auch wieder von ‚Seiten‘, ‚Parteien‘ bzw. ‚Teilen‘ die Rede.304 Ein Bezug auf das von Philipp so gerne verwendete ‚evangelisch‘ taucht nur einmal in der Wendung unsere bekanthe christenliche leher und das hl. evangelion auf.305 Dagegen findet sich auch bei Johann eine deutliche Abwertung
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RTA JR X. Nr. 321. S. 1198. RTA JR X. Nr. 321. S. 1197. RTA JR X. Nr. 22. S. 269. RTA JR X. Nr. 319. S. 1188. RTA JR X. Nr. 319. S. 1187. Zu den entsprechenden Verhandlungen vgl. nochmals Kap. 6.2.3. RTA JR X. Nr. 319. S. 1188. Vgl. etwa die Auflistung aller Stände, so uf negstgehaltenem reichstag zu Augspurg die confession mit uns gethan, RTA JR X. Nr. 319. S. 1187, bzw. die Nennung aller betroffenen neun Fürsten und 21 Städte, die für Johann inzwischen zur evangelischen Partei zählten, Nr. 319. S. 1189. Vgl. etwa von diesem und unserem teil, RTA JR X. Nr. 319. S. 1189, zu baiden seitten, Ein jede parthey und baide teilh, Nr. 319. S. 1192. RTA JR X. Nr. 319. S. 1189.
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der zwinglischen und widerteuffer lhere, damit sie wider die sacrament des leibs und bluts Christi und die tauffe leren.306 Eine gewisse Mittelstellung zwischen Hessen und Kursachsen stellt die Instruktion Markgraf Georgs von Brandenburg-Ansbach dar. Seine Gesandten sollen den Kf. zu Sachsen, und ander unsere christliche mitverwante um Zusammenarbeit angehen, besonders aber die Reichsstadt Nürnberg, mit der man ja bereits eine gemeinsame Kirchenordnung erstellt hatte.307 Dabei sei aber darauf zu achten, ob die sächsischen Vertreter wirklich dem wort Gottes genaigt und der schwirmerey widerwertig sein; wären es nit solche leut, die allein zu erhaltung Gottes rainen worts und christlichen frids genaigt weren, müsse man mit Nürnberg darüber beraten, inwieweit man sich mit ihnen vergleichen könne.308 Hier zeigt sich neben einer Ablehnung jeder abweichenden ‚schwärmerischen‘ Haltung gleichzeitig wieder der deutliche Bezug auf das Evangelium. In diesem Sinne und unter gleichzeitiger Bezugnahme auf die CA trägt der Fürst seinen Vertretern auf, sie sollten stets betonen, dass sie mit der gnad und hilf Gottes bey seinem rainen wort und unser christlichen confession pleiben wollen, wir werden dann ains anderen und pessern mit hl. gottlicher schrift bericht, welchs aber durch des gegentails vermainte confutacion, wie aus der ausgangen apologi gnugsam zu versteen, noch sunst bisher nit geschehen sey.309
Hier wird der eigene Standpunkt durchaus universalistisch vertreten und der katholische Versuch einer Widerlegung deutlich zurückgewiesen. Entsprechend ablehnend ist auch einmal von den bebstischen reichstenden die Rede.310 Als Gegenstück zur Überlinger Instruktion ist von evangelischer Seite ein entsprechendes Schreiben aus Konstanz überliefert. Hier ergibt sich ein bemerkenswerter Befund: Konstanz spricht anders als alle seine Glaubensgenossen ausschließlich von protestierenden bzw. den protestirenden stenden.311 Eine lavierende Zwischenstellung nahmen schließlich die Wetterauischen Grafen ein, die sich diesmal keiner Seite zuordnen lassen wollten: Wenn es bei Beratungen zu einer sonderung der stende käme, dann hätte sich der Gesandte mit einem Hinweis auf die theologische Unerfahrenheit der Grafen aus der Affäre zu ziehen. Allerdings sollte er versichern, sie wollten alles unterstützen, was zur ehr Gottes und seins hl. evangelium, auch ksl. Mt. zu gehorsam und in gedeyen gemeyner christenheit dinstlich weren.312 Im Bezug 306 307 308 309 310 311 312
RTA JR X. Nr. 319. S. 1192f. RTA JR X. Nr. 8. S. 227 und S. 228. RTA JR X. Nr. 8. S. 228. RTA JR X. Nr. 8. S. 229. RTA JR X. Nr. 8. S. 228. RTA JR X. Nr. 26. S. 288 und S. 289. RTA JR X. Nr. 7. S. 225.
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auf das Evangelium lässt sich die Nähe zur Reformation zwar erkennen, insgesamt bleiben die konfessionspolitischen Aussagen jedoch weitgehend unverfänglich, was angesichts der deutlichen Worte, die von Seiten der Grafen Bernhard von Solms und Georg von Wertheim bereits in den Verhandlungen von 1524 gefunden worden waren, ebenfalls einigermaßen überrascht.313 Die Instruktionen zeigen deutlich, dass die Fronten weitgehend verhärtet waren. Die katholischen Stände lehnten den Friedstand denn auch mit der Begründung ab, die Friedenszusage des Augsburger Abschieds reiche vollkommen aus.314 Karl V. geriet damit also plötzlich zwischen die konfessionellen Linien: Hatte das katholische Lager 1530 noch eine gemeinsame Strategie verfolgt, so musste der Kaiser gegenüber seinen Glaubensgenossen diesmal seine Zugeständnisse an die Lutheraner verteidigen – entgegen seinen ureigensten Überzeugungen! Die Terminologie der entsprechenden Dokumente spiegelt die Verwerfungen innerhalb des katholischen Lagers deutlich wider: Am 9. Juni 1532 baten die Stände den Kaiser um einen Bericht über seine Verhandlungen mit dem Papst zu den Gravamina und dem Konzil. Dabei erwähnten sie zwar mancherhand zwispalt, sect und ketzery, eine Formulierung, die so auch in den Abschied übernommen wurde, aber bewusst offenließ, wer hier im Speziellen gemeint sein sollte.315 Im Gegenteil fanden sich die unterschiedlichen Konfessionen sogar in ihrem Konzilswunsch zusammen: Da ein Konzil von allen teylen […] gesucht und gebeten wirdet, forderte man den Kaiser dazu auf, sich um der erhaltung christlichs glaubens willen in Rom dafür stark zu machen. Die Verhandlungen mit dem Kf. von Sachssen und seinen mitverwandten über den Nürnberger Anstand sollten nach dem Wunsch der katholischen Stände dagegen zunächst ausgesetzt werden.316 Diese neutrale Umschreibung für die Lutheraner fand in Regensburg auf katholischer wie kaiserlicher Seite durchgängig Verwendung.317 Selber sahen sie sich dagegen weiterhin als Vertretung der Allgemeinheit und nannten sich folglich noch immer gemeine stende318 bzw. unter Betonung ihres Wahrheitsanspruchs stende der
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S. o. Kap. 8.1. Vgl. etwa RTA JR X. Nr. 109. S. 609f. RTA JR X. Nr. 105. S. 596. RTA JR X. Nr. 105. S. 598f. Die Bezeichnung ‚Teil‘ erscheint nochmals auf katholischer Seite, wenn des widerteils apologi erwähnt wird, Nr. 116. S. 632. Vgl. etwa RTA JR X. Nr. 107. S. 604, 605, 606; Nr. 110. S. 611; Nr. 111. S. 613f.; Nr. 112. S. 615; Nr. 115. S. 623, 624, 626; Nr. 116. S. 635. Auch die evangelischen Fürsten bezeichneten sich entsprechend, so protestierten ihre Gesandten etwa in der zweiten Junihälfte im Namen unser gnedigsten und gnedigen herrn und irer mitverwanten wegen gegen die Veröffentlichung einer Konstitution über die Gravamina, da dieses Thema sie nichts mehr anginge, Nr. 124. S. 673. RTA JR X. Nr. 109. Nr. 113. S. 616, 617; Nr. 114. S. 619, 620, 621, 622 sowie durchgängig in Nr. 116. S. 629–636.
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alten religion319 oder der alten cristlichen religion anhengig.320 Wenn sich der Kaiser an die katholischen Fürsten und Städte wandte, bezeichnete er diese meist als die stendt.321 Damit erkannte er zwar an, dass sie in rechtlichem Sinne für den gesamten Reichstag sprachen, verzichtete dagegen aber auf jedes theologisch-universalistische Attribut. Am 20. Juni informierte Karl V. den Reichstag über den Stand der Friedensverhandlungen mit den Lutheranern. Er wollte ihnen u. a. zugestehen, bis zu einem Konzil bei irer confession, zu Augspurg übergeben, und apologi bleiben zu dürfen und darin allain nach Gottes rainem wort zu determiniern.322 Umgekehrt versprachen die lutherischen Stände, all jenen ihre Unterstützung zu versagen, die von baiden sacramenten der tauff und des leibs und pluet Cristi, wie sie in der CA festgelegt worden waren, abwichen. Würden diese aber iren irtumb verlassen, sollten sie wohlgemerkt auf lutherischer Seite in den Frieden aufgenommen werden.323 Auf diese Weise wollten die Lutheraner ihre Rechtgläubigkeit betonen, gaben aber zugleich zu, dass Täufer und Reformierte ihnen näher standen als Rom. Über eine zeremoniebezogene Terminologie wurden auch die evangelischen Untertanen der entsprechenden Fürsten von Seiten des Kaisers umschrieben: Sie waren diejenigen, die das gotswort heren und die communion des leibs und pluet Christj in beder gestalt emphahen wollten.324 Gerade die deutliche Betonung des Gotteswortes als Grundlage reformatorischer Predigt weist dabei eine deutliche Nähe zur Selbstbezeichnung ‚evangelisch‘ auf, weshalb die Vermutung naheliegt, dass der Kaiser diese Formulierungen aus einem Forderungskatalog der lutherischen Seite übernommen haben dürfte. Gleichzeitig beweist ihre Verwendung die starke Zurückhaltung Karls, dem viel an einem Erfolg der Friedensverhandlungen gelegen war. Die katholischen Stände wiesen die Wünsche der Lutheraner dagegen als völlig überzogen zurück, da sie den loblichen hergebrachten gepruchen zuwider seien.325 Der Kaiser rechtfertigte sich zwar mit dem Hinweis, dass der sächsische Kurfürst gegen die Türkenhilfe protestiert habe, sollten seine Forderungen nicht berücksichtigt werden326, aber die katholischen Stände bestanden auf dem Festhalten am Augsburger Abschied, der den protestierenden chur- und fursten und ire[n] zugewanten schon
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RTA JR X. Nr. 114. S. 619, 620, 621. RTA JR X. Nr. 110. S. 611. Vgl. etwa RTA JR X. Nr. 115. S. 622–629. RTA JR X. Nr. 107. S. 605. RTA JR X. S. 606. RTA JR X. S. 606. RTA JR X. Nr. 109. S. 609f. RTA JR X. Nr. 111. S. 613f.
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mehr als genug entgegengekommen sei.327 Diese juristische Bezeichnung erscheint damit in den nichtöffentlichen Dokumenten bereits ein gutes Jahrzehnt früher als in offiziellen Texten. In diesem Zusammenhang sei nochmals daran erinnert, dass ‚Protestierende‘ nicht automatisch mit der Speyrer Protestation von 1529 in Verbindung zu bringen ist, sondern zunächst nur allgemein auf das Rechtsinstrument der Protestatio verweist! In diesem Falle könnte er mit der als unrecht empfundenen Ablehnung des Augsburger Abschieds oder aber auch mit dem neuerlich angedrohten Protest gegen die Hilfszahlungen zusammenhängen. Doch die katholischen Stände entfernten sich in ihrem Ärger über die evangelischen Forderungen noch weiter von einem rein neutralen Wortgebrauch und erwähnten ausdrücklich die lutherischen, zwinglischen und andere irthumb.328 Mit dieser verketzernden Aussage ließen sie den evangelischen Versuch ins Leere laufen, sich den romtreuen Fürsten durch ein gemeinsames Vorgehen gegen Reformierte und Täufer anzunähern. Vielmehr betonten sie durch die gleichwertige Verwendung der personenbezogenen Adjektive ‚lutherisch‘ und ‚zwinglisch‘ die in ihren Augen vorhandenen Parallelen zwischen den verschiedenen reformatorischen Spielarten.329 Sie befürchteten zudem, durch ein zu großes Entgegenkommen werde ein abfall vill frommer christlicher menschen verursacht. Sie rechneten die Lutheraner hier also entgegen der im Abschied immer wieder unspezifisch verwendeten Bezeichnung ‚Christenheit‘ eigentlich gerade nicht zu den Christen!330 Um ihre ablehnende Haltung durchzusetzen, übten sie deutlichen Druck auf den Kaiser aus: Sie wiesen nicht nur den möglichen sächsischen Protest gegen die Türkenhilfe zurück, da es sich hier um keine Gewissensentscheidung handle331 und die Lutheraner sich damit von dem gemeinen guten christlichen werck abwenden würden,332 sondern setzten nun vielmehr genau das gleiche Mittel ein, um Karl ihrerseits zu erpressen: Sollte es wieder keine Konzilszusage geben, sähe sich vielleicht der merertail stend genötigt, ire hilf und vermogen mehr zu ihrem inneren Schutz
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RTA JR X. Nr.113. S. 616. Vgl. auch S. 618 sowie die Kurzform die protestirenden auf S. 617. Nochmals erscheint diese Bezeichnung Nr. 116. S. 635. RTA JR X. Nr. 113. S. 617. An anderer Stelle erscheinen die ,Zwinglischen‘ als Parteiname, diesmal bleibt die personenbezogene Terminologie jedoch auf die Reformierten beschränkt: Die katholischen Stände forderten eine Drucklegung der Confutatio, weil der Kf. von Sachsen und sein zugewanten oder die zwinglischen ir confession gegen jede Absprache veröffentlicht haben, RTA JR X. Nr. 110. S. 611. Karls Antwort, in der er diese Angelegenheit an den Legaten verweist, ist in der Wortwahl identisch, vgl. Nr. 112. S. 615. RTA JR X. Nr. 116. S. 632. RTA JR X. Nr. 113. S. 618. RTA JR X. Nr. 116. S. 635.
Offizielle theologische Texte auf dem Augsburger Bekenntnisreichstag und die Folgen
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als für einen Türkenzug aufzuwenden.333 Der Kaiser reagierte entsprechend gereizt: Er ermahnte sie, seine Bemühungen mit aufsehen und eererbiettung so zu schätzen, wie es sich ihm gegenüber zu thun woll aignet und geburt.334 Die so Gemaßregelten waren empört, weil ihnen ein solches Schreiben von eurer ksl. Mt. und iren vorfordern bißhere nit begegnet sei. Sie konnten sich dieses unerhörte Vorgehen nur dadurch erklären, dass einige kaiserliche Räte, die unserer sprach und handlung unerfarn und villeicht unserer nacion nit gewegen sein mochten, zwischen Kaiser und Ständen unwillen erwecken wollen.335 Hier bedienten sie die tiefen Ressentiments gegen die spanischen Berater Karls, ein Argument, das im Prinzip bereits auf die spätere Ablehnung der ‚spanischen Servitut‘ als Begründung für den Fürstenaufstand von 1552 verweist. An diesem Schriftwechsel lässt sich genau ablesen, wie der Streit innerhalb des katholischen Lagers zunehmend eskalierte. Hatten die Stände noch in den 20er Jahren weitgehend gemeinsam versucht, ein hartes Vorgehen des Kaisers gegen die Reformation zu verhindern, um die Concordia des Reichstages zu wahren, so hatten sich die Verhältnisse inzwischen geradezu umgedreht: Jetzt war es der Kaiser, der aus außenpolitischen Gründen eine Verständigung mit den Ständen um Kursachsen suchte und darüber in Konflikt mit seinen eigenen Glaubensgenossen geriet. Diese Konstellation, die sich in den öffentlichen Dokumenten zunächst noch nicht niederschlug, sollte auch die Reichstage der 40er Jahre bis zum Schmalkaldischen Krieg bestimmen. Ebenfalls zwischen den Fronten standen weiterhin die Reichsstädte, da sie aufgrund ihrer bereits erwähnten unsicheren Rechtsstellung stärker als die Fürsten auf Einheit bedacht sein mussten. Am 9. Juni 1532 wandten sie sich daher über konfessionelle Grenzen hinweg geschlossen an den Kaiser, um u. a. gegen eine befürchtete Aufnahme der Begriffe ketzer bzw. ketzerei in den Abschied und für eine Beibehaltung der bewährten neutralen Umschreibung spaltung oder irtumg des cristlichen glaubens zu plädieren. Am meisten war natürlich den evangelischen Städten an dieser Forderung gelegen. Diese wurden in dem entsprechenden Dokument auf zweifache Weise umschrieben, einmal als die protestierenden auß uns sowie als diejenigen, die der handlung, so jetz zu Nurmberg […] in ubung ist, anhengig seien.336 Beide Formulierungen beschränkten sich in Anbetracht der konfessionell gemischten Zusammensetzung des Städterats auf eine rechtliche Umschreibung. Obwohl die Bezeichnung ‚Protestierende‘ auf katholischer Seite, wie bereits erwähnt, noch bis ins 17. Jahrhundert hinein mit einigen negativen Konnotationen versehen war, scheint 333 334 335 336
RTA JR X. Nr. 114. S. 621. RTA JR X. Nr. 115. S. 629. RTA JR X. Nr. 116. S. 630. RTA JR X. Nr. 119. S. 649f.
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sie von den evangelischen Kommunen also bereits zu diesem frühen Zeitpunkt als neutral angesehen worden zu sein.
8.3 Verhandlungen unter dem Eindruck der Türkenkriege 1542–1546 Anhand der öffentlichen Dokumente ist bereits gezeigt worden, welche Bedeutung gerade die lange reichstagslose Zeit zwischen 1532 und 1541 für die weitere Entwicklung und Konsolidierung der evangelischen Konfession sowie die Herausbildung entsprechender Parteinamen besaß, die auf den folgenden Versammlungen bis 1555, auf denen man zwischen einer gewaltsamen und einer friedlichen Lösung der Glaubensfrage schwankte, auch Eingang in die Verhandlungsakten fanden. In den letzten Jahren hat die Edition der Reichstagsakten für die 1540er Jahre erfreulicherweise deutlich an Fahrt gewonnen, so dass die nichtöffentlichen Dokumente für insgesamt vier von sieben Versammlungen bis zum Schmalkaldischen Krieg sowie für 1547/48 und 1550/51 bereits im Druck zugänglich sind. Der erste Reichstag, der in diesem Rahmen untersucht werden kann, fand 1542 in Speyer statt. Ebenso wie zehn Jahre zuvor, so verliefen die Verhandlungen auch diesmal zwischen drei Polen, den evangelischen Ständen, die sich ausschließlich von Gesandten vertreten ließen,337 ihrem katholischen Widerpart und König Ferdinand, dem die undankbare Aufgabe zukam, es beiden Seiten recht machen zu müssen. In eben dieser Reihenfolge sollen auch die entsprechenden Selbst- und Fremdbezeichnungen untersucht werden, wobei die internen Texte bereits in Zusammenhang mit diesem ersten Reichstag weitgehend im Überblick betrachtet werden können, da sich hier in den folgenden Jahren kaum mehr bedeutende Veränderungen ergaben. Bei den evangelischen Fürsten und Städten hatte sich die Umschreibung fursten und stende der augspurgischen confession und religion inzwischen mit Abstand zur am häufigsten verwendeten Selbstbezeichnung entwickelt.338 In Kurzform konnte auch von den confession- und religionsverwanten oder nur von den confessionsverwanten die Rede sein.339 Die Terminologie der Instruktionen für diesen wie auch für die folgenden Reichstage zeigt sich hier entsprechend,340 wobei einige Stände ihre Gesandten 337
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Vgl. hierzu die entsprechende Meldung im Protokoll der Stadt Frankfurt, RTA JR XII. Nr. 120. S. 718. Vgl. RTA JR XII. Nr. 122. S. 737, 740; Nr. 124. S. 746, 750f., 754; Nr. 125. S. 757; Nr. 127. S. 761; Nr. 130. S. 771, 773; Nr. 132. S. 778, 780; Nr. 134. S. 788. Vgl. RTA JR XII. Nr. 122. S. 738 (hier nur confessionsverwanten), S. 740, 741, 743 sowie Nr. 124. S. 748. Zur regelmäßig erscheinenden Umschreibung als ‚Augsburgische Konfessionsverwandte‘ vgl. etwa für den Reichstag 1542 die Instruktionen der Markgrafen Georg und Albrecht von Bran-
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noch besonders darauf einschworen, in allen Glaubensfragen strikt uff der ainfeltigkeit des christlichen glaubens und irer zu Ougspurg gethanen confession und daruff gevolgter appologia stiff zu beharren.341 Die Evangelischen hatten diese reichsrechtlich-neutrale Umschreibung, die nach den Verhandlungen um den Frankfurter Anstand zunehmend auch in den Reichsabschieden Verwendung gefunden hatte, also vollkommen akzeptiert. Etwas überraschend erscheint nach den bisherigen Beobachtungen dagegen der Befund, dass in den Instruktionen einiger Stände mit der Selbstbezeichnung ‚Protestierende‘ zwar ein weiterer Bezug auf reichsrechtliche Dokumente zu finden ist, der ansonsten aber eher von katholischer Seite Verwendung fand.342 Allerdings handelte
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denburg, RTA JR XII. Nr. 18a. S. 162, Herzog Philipps von Pommern für den Reichstag 1544, RTA JR XV. Nr. 47. S. 233f., für den Reichstag 1545 Hermanns von Wied, RTA JR XVI. Nr. 23a. S. 157 und S. 158, des Markgrafen von Brandenburg-Küstrin, Nr. 37a. S. 218, der Herzöge von Pommern, Nr. 44a. S. 245 und S. 257, Nr. 44b. S. 259, 260 und S. 262 sowie Nr. 44d. S. 278, und der Reichsstadt Straßburg, Nr. 58a. S. 344, 345 und S. 348, sowie schließlich für den Reichstag 1546 die gemeinsame Instruktion Kursachsens und Hessens, RTA JR XVII. Nr. 13. S. 94, 95 und S. 97, sowie die entsprechenden Schreiben Kurfürst Johann Friedrichs von Sachsen, Nr. 25a. S. 135, der Herzöge von Pommern, Nr. 38a. S. 211, 212, 213, der Wetterauer Grafen, Nr. 41a. S. 226 und S. 227 sowie Nr. 41b. S. 228, und schließlich Frankfurts, Nr. 45a. S. 247, 251. Natürlich konnte diese Bezeichnung auch für die Gegenseite umfunktioniert werden, so etwa in der Instruktion Frankfurts für den Reichstag 1542: der stett, so der augspurgischen confession nit verwant, RTA JR XII. Nr. 30a. S. 208. Die synonym zu verstehende Variante ‚Religionsverwandte‘ bzw. ‚religionsverwandte Stände‘ erscheint v. a. in den Schreiben Johann Friedrichs von Sachsen, RTA JR XII. Nr. 7d. S. 100 und S. 102 sowie Nr. 7e. S. 110 und 115; RTA JR XVI. Nr. 25a. S. 173; RTA JR XVII. Nr. 25a. S. 135 sowie Nr. 93. S. 485, Philipps von Hessen, RTA JR XII. Nr. 19a. S. 169 sowie Nr 19c. S. 172; RTA JR XVI. Nr. 40a. S. 234 und S. 235; RTA JR XVII. Nr. 35d. S. 197, und in von beiden Fürsten gemeinsam verantworteten Texten, RTA JR XVII. Nr. 13. S. 96 sowie Nr. 95. S. 488. Daneben findet sich diese Wendung bei den Markgrafen Georg und Albrecht von Brandenburg, RTA JR XII. Nr. 18a. S. 159 und S. 163, bei Dinkelsbühl, RTA JR XII. Nr. 28. S. 202 und Nördlingen, RTA JR XVII. Nr. 49a. S. 265. ‚Konfessionsverwandte‘ bzw. ‚konfessionsverwandte Stände‘ verwenden Johann Friedrich von Sachsen, RTA JR XVII. Nr. 25b. S. 141 sowie Nr. 25d. S. 148, 150 und S. 153, Barnim und Philipp von Pommern, RTA JR XVII. Nr. 38a. S. 212, Frankfurt, RTA JR XVII. Nr. 45c. S. 252, sowie Nürnberg, RTA JR XVII. Nr. 50a. S. 265, 267 und S. 268. Instruktion der Reichsstadt Konstanz für den Reichstag 1542, RTA JR XII. Nr. 33a. S. 223. Auch Ulrich von Württemberg besteht darauf, dass eine Vergleichung zwischen den Konfessionen nur auf der Basis göttlicher geschrift und der augspurgischen confession, dergleichen daruff gevolgter apologia stattfinden könne, RTA JR XVII. Nr. 42a. S. 232f. Philipp von Hessen betont 1546 ausdrücklich, man habe unserer religion halben ein confession ubergeben, wilch pillich und christlich sey, RTA JR XVII. Nr. 35b. S. 193. Vgl. etwa die Verwendung des Begriffs bei Joachim von Brandenburg, RTA JR XII. Nr. 5b. S. 90, Johann Friedrich von Sachsen, RTA JR XII. Nr. 7e. S. 111 und RTA JR XVII. Nr. 25a. S. 135, Georg und Albrecht von Brandenburg, RTA JR XII. Nr. 18a. S. 159, 162 und S. 163, Konstanz, RTA JR XVII. Nr. 33a. S. 223, Hermann von Wied, RTA JR XVI. Nr. 23a. S. 157, Ulrich von Württemberg, RTA JR XVI. Nr. 48a. S. 293 und Nr. 48b, Nürnberg, RTA JR XVI. Nr. 55/1a. S. 333 und RTA JR XVII. Nr. 50a. S. 265, Straßburg, RTA JR XVI. Nr. 58a. S. 348, Philipp und Barnim von Pommern, RTA JR XVI.
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es sich auch diesmal nicht immer ausdrücklich um eine Anspielung auf die Protestation von Speyer, sondern man erwähnte immer wieder andere aktuelle oder erst geplante Einsprüche. So wies etwa der Rat von Konstanz seinen Gesandten an, dieser solle gegen ein päpstliches Konzil ‚protestieren‘ und ouch by den protestirenden besten vermogens anhalten, das sy glicherwyß in kains bewilligent.343 Andere Passagen zeigen eindeutig, wie neutral und mithin überkonfessionell dieser Begriff von einigen evangelischen Ständen verstanden wurde, bezeichnete doch etwa die Reichsstadt Augsburg Sachsen, Hessen und Bayern sowie die Städte Köln und Nürnberg auf der Versammlung von 1544 als die gedachten protestierenden stende, da diese eine entsprechende Beschwerde gegen den gemeinen Pfennig eingelegt hatten!344 Eine genaue Zuordnung zu den verschiedenen Protestationen ist auf diese Weise meist kaum möglich. Durch den regelmäßigen Bezug auf das Evangelium als der eigentlich präferierten Bezugsgröße brachte man natürlich weiterhin seinen Anspruch auf Rechtgläubigkeit und universale Geltung zum Ausdruck, wenn etwa laut der Esslinger Instruktion dem hl. gotteswort sein freyer, straxer gang und lauf unverhindert gelassen werden müsse, falls man die als Strafe Gottes verstandene Türkengefahr endlich bannen wolle.345 Der Gebrauch des Adjektivs ‚evangelisch‘ oder der entsprechenden
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Nr. 44a. S. 254 und Nr. 44b. S. 259, 260, 262 sowie RTA JR XVII. Nr. 38 b. S. 221 und S. 222, hier auch in der Variante die protestationsverwandten, S. 221. Diese Kennzeichnung ließ sich auch als Unterscheidungsmerkmal einsetzen, so trennt etwa das Frankfurter Gutachten von Dr. Hieronymus zum Lamb die protestirenden stet von den stetten, so nit protestirent, RTA JR XII. Nr. 30a. S. 208f. RTA JR XII. Nr. 33°. S. 223. Auch die Gesandten Kurfürst Joachims von Brandenburg sollen den Augsburger Reichsabschied von 1530 nicht annehmen, sondern, wie zweifelsohne auch Sachsen und Pfalz, dowieder protestirn, RTA JR XV. Nr. 62. S. 310, ähnlich nochmals RTA JR XVII. Nr. 24a. S. 129. Hermann von Wied befürwortet eine Protestation im Namen aller CA-Verwandten für die Ausweitung des Friedstandes auch auf die neu hinzugekommenen Stände, RTA JR XVI. Nr. 23a. S. 158. Zur Protestation selber vgl. RTA JR XVI. Nr. 342. RTA JR XV. Nr. 49a. S. 302. RTA JR XII. Nr. 29. S. 203. Auch Philipp von Hessen fordert, man müsse das wort Gottes vortsetzen und befordern, RTA JR XV. Nr, 50. S. 247. und der Markgraf von Brandenburg-Küstrin versichert recht pathetisch, er hoffe, bey bekenthnus deß hl lauthern worth Gottes und ewangeliums biß in unser gruben bestendigklich […] zu beharren. RTA JR XVI. Nr. 37a. S. 218. Ähnlich äußert sich auch Nördlingen, das bey der waren, cristlichen religion und dem heilwertigen gotteswort […] beharlichen zu pleiben gesinnt ist, RTA JR XVII. Nr. 49a. S. 264f., oder Kursachsen und Hessen in einer gemeinsamen Instruktion für den Reichstag von 1546, in der man die eigene Seite umschreibt mit wir und andere stende, so unser religion fur christenlich und dem gotteswort gemeß erkennen, RTA JR XVII. Nr. 13. S. 96. Vgl. dazu ebenfalls die Instruktion der Herzöge von Pommern, RTA JR XVII. Nr. 38a. S. 211. Weitere Bezüge auf das ‚Evangelium‘ bzw. ‚Gotteswort‘ finden sich etwa bei Johann Friedrich von Sachsen, RTA JR XV. Nr. 53. S. 263, Straßburg, RTA JR XVI. Nr. 58a. S. 346, Memmingen, RTA JR XVI. Nr. 55a. S. 329, Herzog Ernst von BraunschweigLüneburg, RTA JR XVII. Nr. 34a. S. 180, Joachim von Brandenburg, RTA JR XVII. Nr. 24a. S. 129,
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Substantivierung erscheint dagegen nun verhältnismäßig selten.346 Daneben finden sich weitere universalistische Wendungen, wenn etwa der eigene Standpunkt einfach nur als ‚christlich‘ bezeichnet wird.347 Besonders ausführlich und mit einer deutlichen Spitze gegen die katholische Selbstbezeichnung ‚alte Religion‘ äußerten sich Barnim und Philipp von Pommern 1546: Dieweil wir aus verleihung gotlicher gnaden gewiß seindt, das die confession, so zu Augspurgk ubergeben, dem wort Gottes und der alten apostolischen kyrchenlher gemeß ist.348 Ein weiterer sprechender Beleg für die Überzeugung, den wahren Glauben zu vertreten, findet sich in der Forderung Philipps von Hessen aus dem Jahr 1545, man solle das Wormser Edikt wie den Augsburger Reichsabschied von 1530 aufheben, damit man Cristum eymalh aus der acht und banne thue.349 Neben solchen Selbstbezeichnungen, die im Prinzip Gemeingut aller reformationsfreundlichen Stände waren, zeichnet sich aber noch ein weiterer Bereich ab, der die im Vergleich zur katholischen Seite deutlich heterogenere Struktur der
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oder Philipp von Hessen, der erwähnt, man habe an vielen Orten im türkisch besetzten Teil Ungarns das evangelium angenomen und müsse diese im Falle einer Rückeroberung bei ihrem Glauben lassen, RTA JR XVII. Nr. 35a. S. 189. Vgl. etwa die Instruktionen der Herzöge von Pommern, RTA JR XII. Nr. 21. S. 178 und RTA JR XV. Nr. 47. S. 230, Philipps von Hessen, RTA JR XII. Nr. 19a. S. 164, 165, 167 und S. 168, Augsburgs, RTA JR XVI. Nr. 49a. S. 297, 298, 300, 301, 304 und S. 306, sowie RTA JR XVII. Nr. 43a. S. 237, 238, 239, 240 und Nr. 70. S. 437, und die Schreiben des Esslinger Gesandten, RTA JR XVII. Nr. 52. S. 307. Anm. 52, sowie des kursächsischen Kanzlers Gregor Brück, RTA JR XVII. Nr. 12. S. 92. Einen vorkonfessionellen Gebrauch im Sinne der Bibeltreue zeigen Barnim und Philipp von Pommern in ihrer Appellation an ein freies christliches Konzil im Reich nach wharer evangelischer außlegung, RTA JR XVII. Nr. 38 b. S. 221. Das Adjektiv ‚christlich‘ findet sich in den verschiedensten Kombinationen: Memmingen spricht z. B. vom cristenlich volckh, RTA JR XV. Nr. 63. S. 320, Joachim von Brandenburg schwört seine Gesandten auf die Vorgaben in unserer cristlichen kirchenordnung ein, RTA JR XV. Nr. 62. S. 310, Hermann von Wied behauptet, er werde sich von unserm fürhaben christlicher reformation durch seine Gegner im geistlichen Lager nicht abbringen lassen, RTA JR XVI. Nr. 23a. S. 155, Philipp von Hessen betont unsere ware christliche religion, RTA JR XII. Nr. 19a. S. 164, und Johann Friedrich von Sachsen fordert, in einem Heer gegen die Türken müsse es cristliche predicanten geben, damit die evangelischen Soldaten das sacrament nach Cristi aussatzung in beider gestalt entpfahen könnten, RTA JR XII. Nr. 7e. S. 112. Weitere Belege gibt es u. a. in den Instruktionen Straßburgs, RTA JR XVI. Nr. 58a. S. 344, 345, 346, Augsburgs, RTA JR XVI. Nr. 49a. S. 298, oder der Herzöge von Pommern, RTA JR XVII. Nr. 38a. S. 211 und S. 212, wobei hier im Zusamenhang mit dem Türkenkrieg dann auch wieder in umfassendem Sinne von der christliche[n] religion die Rede ist, S. 218. Vgl. hier auch Wendungen wie der warhaftigen religion vorwandt bei Johann Friedrich von Sachsen, RTA JR XVI. Nr. 25c. S. 181, bzw. die offne, erkante warhait bei Joachim von Brandenburg, RTA JR XVII. Nr. 24a. S. 129. RTA JR XVII. Nr. 38a. S. 211. Auch Philipp von Hessen äußert sich zugunsten der Reformation durch den Kölner Erzbischof Hermann von Wied, dieser habe nur getan, was der hl. Schrift und eltesten und wahren canonibus und leeren gemeß sey, Nr. 35a. S. 188. RTA JR XV. Nr. 50. S. 247.
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evangelischen Partei widerspiegelt und sich so bereits seit 1530 abgezeichnet hat. Mehrfach weisen die Instruktionen nämlich gerade Kursachsen und Hessen eine besondere Rolle als Anführer zu. So vertraute Memmingen 1545 darauf, dass unser gnedigster und gnediger herr, der churfürst und landtgraff, sampt iren zugewanten sich in der Religionsfrage cristenlich und nach inhalt deß getlichen worts stattlich und wol verfast haben werden, und Kurfürst Joachim II. von Brandenburg empfahl seinen Vertretern für den Reichstag von 1546 ausdrücklich darauf zu achten, was dieselben in der doctrin und christlichen religion nachgeben.350 Ihren Ausdruck fand diese Position ja nicht zuletzt auch darin, dass diese beiden Fürsten als Hauptleute des Schmalkaldischen Bundes fungierten. Gerade in diesem Bereich begannen allerdings auch die deutlichen internen Unterscheidungen. Die Bezeichnung dieser Verbindung als ‚christliche Einung‘, ‚christlicher Verein‘ oder ‚christliches Verständnis‘351 versieht diese mit einer entsprechenden religiösen Legitimation und verweist nochmals auf den Bereich universalistischen Geltungsanspruchs. Ihre Mitglieder erscheinen v. a. als ‚Einungsverwandte‘ bzw. ‚einungsverwandte Stände‘,352 seltener 350
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RTA JR XVI. Nr. 55a. S. 329 sowie RTA JR XVII. Nr. 24a. S. 130. Vgl. auch die Instruktion der Stadt Braunschweig für den Reichstag von 1544, in der als Protagonisten der Braunschweigischen Defension ebenfalls ausdrücklich Sassen, Hessen unde irer kfl. und fstl. Gn. mitvorwanten genannt sind, RTA JR XV. Nr. 61. S. 306. ‚Christliche Einung‘ oder auch ‚Einigung‘ erscheint bei Barnim und Philipp von Pommern, RTA JR XV. Nr. 47. S. 240 sowie RTA JR XVII. Nr. 38b. S. 222, Johann Friedrich von Sachsen, RTA JR XVI. Nr. 25b. S. 173, Ulrich von Württemberg, RTA JR XVI. Nr 48b. S. 295, Augsburg, RTA JR XVI. Nr. 49a. S. 299, Frankfurt, RTA JR XVI. Nr. 52b. S. 319, und Nürnberg, RTA XVII. Nr. 50a. S. 269. Zum ‚christlichen Verein‘ vgl. Kursachsen, RTA JR XII. Nr. 7e. S. 111, RTA JR XV. Nr. 52. S. 254 und S. 259 sowie RTA JR XVII. Nr. 25b. S. 141, Frankfurt, RTA JR XVII. Nr. 45c. S. 251, Hessen, RTA JR XV. Nr. 50. S. 246, Ulrich von Württemberg, RTA JR XV. Nr. 55. S. 279, und Braunschweig, RTA JR XV. Nr. 61. S. 305. ‚Christliches Verständnis‘ findet schließlich Verwendung bei Kursachsen, RTA JR XII. Nr. 7e. S. 111, Augsburg, RTA JR XVI. Nr. 49a. S. 304, Konstanz, RTA JR XVI. Nr. 54b. S. 327, sowie bei Esslingen, RTA JR XVII. Nr. 44a. S. 244, 245 und S. 246. Auch der gegnerische Nürnberger Bund findet einmal Erwähnung, wenn Philipp von Pommern die Notwendigkeit zum Frieden zwischen den evangelischen eins, Hg. Heinrichen zu Braunschweig und dem jegenbundt andersteils betont, RTA JR XV. Nr. 47. S. 230f. Auch Braunschweig spricht von Heinrichs egen buntsvorwanten, RTA JR XV. Nr. 61. S. 306. Vgl. z. B. die Schreiben von Johann Friedrich von Sachsen, RTA JR XII. Nr. 7d. u. a. S. 105, 109 und Nr. 7e. S. 110, 113, 116; RTA JR XV. Nr. 52. S. 254; RTA JR XVI. Nr. 25b. S. 175, Nr. 25c. S. 180, Nr. 25d. S. 184 sowie RTA JR XVII. Nr. 25a. S. 135, 137 und Nr. 25d. S. 153, Barnim und Philipp von Pommern, RTA JR XII. Nr. 21. S. 178; RTA JR XV. Nr. 47. S. 233, 234, 238; RTA JR XVI. Nr. 44b. S. 260, 262 und RTA JR XVII. Nr. 38b. S. 221, 222, Ulrich von Württemberg, RTA JR XII. Nr. 25. S. 188; RTA JR XVI. Nr. 48a. S. 293, Nr. 48b. S. 295 bzw. RTA JR XVII. Nr. 42a. S. 232, 234, Augsburg, RTA JR XII. Nr. 26. S. 199 und RTA JR XVI. Nr. 49a. S. 306, Joachim von Brandenburg, RTA JR XII. Nr. 5b. S. 91, hier in der Variante unser miteinigungsvorwanten, Frankfurt, RTA JR XV. Nr. 58. S. 289; RTA JR XVI. Nr. 52b. S. 320 Memmingen, RTA JR XV. Nr. 63. S. 318 sowie RTA JR XVI. Nr. 55a. S. 328, Braunschweig, RTA JR XV. Nr. 61. S. 307, Heilbronn, RTA JR XVI. Nr. 53b. S. 323 und schließlich Konstanz, RTA JR XV.
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als ‚Bundsstände‘.353 Daneben existieren auch Mischformen. In den Instruktionen Johann Friedrichs von Sachsen ist etwa immer wieder von unsern confession- und eynungsvorwanten bzw. unsern religion- und einungsvorwanten die Rede.354 Auch Philipp von Hessen nennt andere fursten und stend unser religion und aynung.355 In solchen Fällen wird aus der Bezeichnung selber nicht mehr immer ersichtlich, wer jeweils genau gemeint sein soll. Der Landgraf schreibt etwa 1546 in einer Anweisung, wie seine Gesandten dem kaiserlichen Vorwurf des Ungehorsams zu begegnen hätten, es handle sich bei dem Vorgehen einiger Bundesmitglieder gegen Heinrich von Braunschweig lediglich um Verteidigungs- und Schutzmaßnahmen durch ihn und seine mitverwandten stend.356 Nur der Kontext zeigt, dass die ‚Mitverwandten‘ in diesem Fall nicht etwa alle ‚Religions‘- oder die Schmalkaldischen ‚Einungsverwandten‘, sondern lediglich die Braunschweigischen ‚Defensionsverwandten‘ umfassten. Auch in anderen Dokumenten ist nicht selten nur noch verhältnismäßig unspezifisch von unseren ‚Verwandten‘ bzw. ‚Mitverwandten‘ die Rede.357 Allerdings dürfte die Gefahr von Missverständnissen aufgrund derartiger Verkürzungen gerade im internen Schriftverkehr nicht nennenswert gewesen sein. Einige Stände maßen nun aber einer genauen Unterscheidung der einzelnen Gruppierungen im eigenen Lager immer wieder größte Bedeutung bei, während gerade die Gegner auf derartige Feinheiten meist verzichteten. So legten etwa die Herzöge von Pommern 1546 besonderen Wert auf die Feststellung, das die protestationsverwandten zum theil von den christlichen eynungsverwandten geschieden, wobei der besondere Unterschied u. a. darin liege, dass der protestierenden verwandtnuns [...] unverbintlich, der christlichen eynung verwandtnus [...] verbintlich sei.358
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Nr. 54a. S. 325, 326 und S. 327. Memmingen spricht in diesem Zusammenhang ausdrücklich von unsern cristenlichen ainungsverwanten, RTA JR XVI. Nr. 55a. S. 329. Vgl. die Instruktion Augsburgs, RTA JR XVII. Nr. 43a. S. 240 und S. 241, sowie Nürnbergs, RTA JR XVII. Nr. 50a. S. 267, wo daneben auch von den bundsstet die Rede ist, S. 267 und S. 268. Philipp von Hessen spricht von den stenden der verstentnus, RTA JR XII. Nr. 19c. S. 172, und Johann Friedrich von Sachsen will sich mit der stedte gesandten unser vorein abstimmen, RTA JR XVI. Nr. 25c. S. 181. RTA JR XII. Nr. 7d. S. 99 bzw. S. 100 und S. 102. RTA JR XVI. Nr. 40a. S. 233. Entsprechend werden auch in der gemeinsamen Abberufung der sächsischen und hessischen Gesandten vom 3. Juli 1546 unser ainungs- und religionsverwanten stende erwähnt, RTA JR XVII. Nr. 95. S. 487. Interessant ist ebenfalls die Zusammenziehung zu unsern religionseynungsverwanten stenden, Hessen, RTA JR XVI. Nr. 40d. S. 239. RTA JR XVII. Nr. 35d. S. 197. Vgl. Johann Friedrich von Sachsen, RTA JR XII. Nr. 7d. S. 100, 108 und S. 109 sowie Nr. 7e. S. 113; RTA JR XVII. Nr. 25a. S. 136 und Nr. 93. S. 484 und S. 485, Philipp von Hessen, RTA JR XII. Nr. 19a. S. 168; RTA JR XV. Nr. 50. S. 246; RTA JR XVI. Nr. 40a. S. 235 sowie Nr. 40b. S. 236, 237, wobei man sich hier jeweils auf die Defensionsverwandten bezog, sowie Ernst von Braunschweig-Lüneburg, RTA JR XVI. Nr. 38a. S. 227. RTA JR XVII. Nr. 38b. S. 221.
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Die Reichsstadt Frankfurt zählt unter Hinzuziehung jener Stände, die sich gegen Heinrich von Braunschweig engagierten, gar drei unterschiedliche Gruppierungen: alle drei der augspurgischen confession, der christlichen ainigung und braunschweigischen defension verwandter stend.359 Noch weiter geht die Instruktion des Kölner Erzbischofs Hermann von Wied für den Reichstag von 1545, die nicht nur die Stände des Bundes gesondert anführt, sondern darüber hinaus sogar zwischen den protestierenden und den anderen stenden der augspurgischen confession unterscheidet.360 Eine Zusammenarbeit war dabei trotz gleicher Konfession nicht immer automatisch vorauszusetzen. Nördlingen weist seinen Gesandten 1546 ausdrücklich an, er solle sich weder mit den ainungsverwanten, deßgleichen mit den stenden der bapistischen religion kainswegs einlassen, sondern mit andern religionverwanten stenden, die der ainung nit anhenig, zusammenarbeiten.361 Verschärfend traten mit der Zeit auch noch die internen Auseinandersetungen in theologischen Fragen hinzu. Dementsprechend warnte Philipp von Hessen bereits 1545 davor, die eigene Position nicht unnötig durch den Abendmahlsstreit zu schwächen.362 Für die katholische Seite verwendete man das bereits sattsam bekannte ‚papistisch‘ bzw. ‚Papisten‘.363 Daneben konnte es aber durchaus auch immer wieder zu 359
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RTA JR XVII. Nr. 45c. S. 251. Auch Johann Friedrich von Sachsen unterscheidet 1544 zwischen den defensionstenden der Braunschweigischen Defension und den andern stenden der religion, RTA JR XV. Nr. 52. S. 255 und S. 259. RTA JR XVI. Nr. 23a. S. 157. RTA JR XVII. Nr. 49a. S. 263. In dieser Richtung ist wohl auch die Einschränkung in der kursächsischen Instruktion von 1546 zu verstehen, die Türkenhilfe solle erst nach einer Klärung der Friedensfrage im Reich durch die andern unser confession- oder zum wenigsten einungsvorwanten erörtert werden, Nr. 25d. S. 153. Auch der Hildesheimer Kanzler Johann Katzmann verzeichnet in seinem Protokoll von 1546 die Aussage einiger evangelischer Stände, die betonten, dass ihr etliche nit protestierend, aber sonst der religion halb verwandthe wheren. RTA JR XVII. Nr. 53. S. 321. RTA JR XVI. Nr. 40a. S. 234. Der Streit führe nur dazu, dass die widerwertigen große frolockung empfangen und das gotlich wort nit furtgeseczt wurde. Deshalb solle man bei der Wittenberger Konkordie von 1534 bleiben. Das Adjektiv ‚papistisch‘ erscheint in verschiedenen Verbindungen, etwa als eitele papistische personen bei Johann Friedrich von Sachsen, RTA JR XII. Nr. 7d. S. 101, dem papistischen teil bei Philipp von Hessen, RTA JR XII. Nr. 19a. S. 165, Kursachsen, RTA JR XVII. Nr. 25d. S. 148, hier auch als der bebstische teil, S. 149, und Augsburg, RTA JR XII. Nr. 70. S. 435, dem papistischen kriegsvolck bei Barnim und Philipp von Pommern, RTA JR XII. Nr. 21. S. 178, oder auch die papistischen stend bei Nürnberg, RTA JR XVI. Nr. 55/1a. S. 333 und RTA JR XVII. Nr. 50a. S. 268, und bapistischen religion bei Nördlingen, RTA JR XVII. Nr. 49a. S. 263. ‚Papisten‘ findet Verwendung in den Instruktionen Johann Friedrichs von Sachsen, RTA JR XVI. Nr. 25a. S. 170 sowie Nr. 25c. S. 178, Philipps von Hessen, RTA JR XVI. Nr. 40a. S. 234, der Herzöge von Pommern, RTA JR XVI. Nr. 44b. S. 260 und RTA JR XVII. Nr. 38a. S. 211, Augsburgs, RTA JR XVI. Nr. 49a. S. 298 und RTA JR XVII. Nr. 70. S. 435, Nürnbergs, RTA JR XVI. Nr. 55/1a. S. 333 sowie Ernsts von BraunschweigLüneburg, RTA JR XVII. Nr. 34a. S. 180. Daneben existieren noch weitere auf den Papst bezogene
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ausführlicheren verbalen Angriffen kommen, wenn es etwa bei Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen heißt, der Papst werde fur ainen idolatren und abtrutzigen von Got und der cristlichen kirchen gehalten.364 Dennoch bleibt letztendlich festzuhalten, dass sich die meisten Instruktionen mit neutralen Wendungen begnügten, wenn sie die Gegner nicht gleich ganz unerwähnt ließen. Häufig war als Selbstbezeichnung lediglich von ‚diesen Ständen‘365 die Rede. Dementsprechend unterschied man nicht selten einfach zwischen ‚diesem‘ bzw. ‚unserem‘ und dem ‚anderen‘ bzw. ‚Gegenteil‘.366 Grundsätzlich in die gleiche Richtung, wenn auch mit etwas ablehnenderer Konnotation, zielte die Umschreibung der Katholiken als ‚Widersacher‘ oder ‚Widerwertige‘.367
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Umschreibungen, etwa der pabst mit seinem hauffen bzw. mit seinen gesalbten (Ulrich von Württemberg, RTA JR XII. Nr. 25. S. 193), der bapst und die röm. Kirchen (Konstanz, RTA JR XII. Nr. 33a. S. 223), dem babst und seinem anhang und des babstes und der seinen (Johann Friedrich von Sachsen, RTA JR XVII. Nr. 93), die bapistischen (Barnim und Philipp von Pommern, RTA JR XII. Nr. 21. S. 178), die babstischen (Augsburg, RTA JR XVI. Nr. 49a. S. 304) oder bebstlern (ebenfalls Augsburg, RTA JR XVII. Nr. 43a. S. 239) und das babsthumb (Philipp von Hessen, RTA JR XVII. Nr. 35b. S. 194). Instruktion Johann Friedrichs von Sachsen für den Reichstag 1542, RTA JR XII. Nr. 7d. S. 100. Vgl. Augsburg, RTA JR XVI. Nr. 49a. S. 300 und RTA JR XVII. Nr. 70. S. 436, Frankfurt, RTA JR XVI. Nr. 52b. S. 319 und RTA JR XVII. Nr. 45c. S. 252, Straßburg, RTA JR XVI. Nr. 58a. S. 345, Sachsen und Hessen, RTA JR XVII. Nr. 13. S. 95, sowie Esslingen, RTA JR XVII. Nr. 44a. S. 244. Ebenso sprach man dann natürlich auch von ‚den anderen Ständen‘, etwa bei Georg und Albrecht von Brandenburg, RTA JR XII. Nr. 18a. S. 162, und den Herzögen von Pommern, RTA JR XII. Nr. 21. S. 178. Sinngemäß war auch die Rede von stenden unser religion, vgl. die Instruktionen Philipps von Hessen, RTA JR XVI. Nr. 40a. S. 239 und RTA JR XVII. Nr. 35b. S. 194, sowie die Gemeinschaftsinstruktion von Hessen und Kursachsen, RTA JR XVII. Nr. 13. S. 96, bzw. kürzer von den unsern, vgl. Kursachsen, RTA JR XVII. Nr. 25a. S. 136 und S. 137. Daneben sprach man von dieser religion, vgl. Hessen, RTA JR XVII. Nr. 35a. S. 188 und Nr. 35b. S. 193, bzw. von irer religion, womit Augsburg den Glauben der katholischen Geistlichen umschrieb, RTA JR XVII. Nr. 43a. S. 240, und schließlich von den stenden baiderlai religion, vgl. Augsburg, RTA JR XVII. Nr. 70. S. 435. Vgl. die Verwendung dieser Bezeichnung in den Instruktionen Johann Friedrichs von Sachsen, RTA JR XII. Nr. 7d. S. 100, 101 und S. 107 sowie Nr. 7e. S. 111; RTA JR XVI. Nr. 25a. S. 170 und Nr. 25b. S. 175, 176; RTA JR XVII. Nr. 25a. S. 135, 136, 137 sowie Nr. 25b. S. 142 und Nr. 25d. S. 147, 148, 149, 150 und S. 151 bzw. Nr. 93. S. 485, Philipps von Hessen, RTA JR XVI. Nr. 40a. S. 233; RTA JR XVII. Nr. 35a. S. 189 und Nr. 35b. S. 193, und ebenso in der gemeinsamen Instruktion Kursachsens und Hessens, RTA JR XVII. Nr. 13. S. 95, in den Schreiben Ernsts von Braunschweig-Lüneburg, RTA JR XVI. Nr. 38a. S. 225, Ulrichs von Württemberg, RTA JR XVI. Nr. 48a. S. 293, von Augsburg, RTA JR XVI. Nr. 49a. S. 298; RTA JR XVII. Nr. 43a. S. 238 und Nr. 70. S. 437, Straßburg, RTA JR XVI. Nr. 58a. S. 344, 346, 347, Joachim von Brandenburg, RTA JR XVII. Nr. 24a. S. 129, Esslingen, RTA JR XVII. Nr. 44a. S. 244, und schließlich Nürnberg, RTA JR XVII. Nr. 50a. S. 265. Von ‚Part‘ ist die Rede bei Philipp von Pommern, RTA JR XV. Nr. 47. S. 230, Heilbronn, RTA JR XVI. Nr. 53a. S. 321, und Hessen, RTA JR XVII. Nr. 35b. S. 194. In eine ähnliche Richtung weist auch die Umschreibung bey den stenden beiderseits religion bei Philipp von Hessen, RTA JR XVI. Nr. 40a. S. 233. Vgl. Hermann von Wied, RTA JR XVI. Nr. 23a. S. 156, Straßburg, RTA JR XVI. Nr. 58a. S. 347, Kursachsen, RTA JR XVI. Nr. 25a; RTA JR XVII. S. 137, sowie Esslingen, RTA JR XVII. Nr. 44a. S. 244, 246.
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Das Bild zeigt sich in den Instruktionen auf katholischer Seite in einigen Bereichen recht ähnlich, denn auch hier bleiben die Konfessionen neben zahlreichen prinzipiell neutralen Ausdrücken368 häufig vollkommen unerwähnt. Nicht selten belassen es die entsprechenden Stände bei der Anweisung, sich in der Religionssache mit bestimmten anderen Fürsten abzusprechen,369 oder übergehen diese Thematik vollständig.370 Selbst die Instruktionen König Ferdinands für die Reichstage von 1545 und sogar von 1547/48 enthalten keinerlei konfessionelle Selbst- und Fremdbezeichnungen!371 In den Anweisungen des Salzburger Erzbischofs sowie der bayerischen Herzöge ist von den protestierenden die Rede.372 Daneben verwendet die Salzburger Instruktion auch einmal die Bezeichnung der augspurgischen confession anhengigen, was zwar die Ausnahme bleibt, nichtsdestoweniger jedoch darauf verweist, dass sich diese Umschreibung inzwischen zu einem überkonfesionell anerkannten Begriff entwickelt hat.373 Als Selbstbezeichnung erscheinen neben den sonst immer wieder verwendeten ‚catholiques‘ oder ‚catholici‘ die altglaubigen.374 Mit der universalistischen Umschreibung gemainen christnlichen ständen sind höchstwahrscheinlich ebenfalls nur die Katholiken gemeint. Daneben kann aber auch die ganz neutrale Formulierung bei andern unserer parthei Verwendung finden.375 Diese Wortwahl bleibt auch auf den folgenden Reichstagen im Wesentlichen identisch. Als Fremdbezeichnung für die Evangelischen hat sich weitgehend ‚Protestierende‘, als Selbstbezeichnung dagegen meist die ‚alte Religion‘ durchgesetzt.376 Dabei finden sich immer wieder 368
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Vgl. etwa die thail in der bayerischen Instruktion für 1544, RTA JR XV. Nr. 54. S. 269, bzw. den widerwertigern in der Speyrer Instruktion für 1545, RTA JR XVI. Nr. 57a. S. 340. So wies der Bischof von Bamberg seine Gesandten 1545 und 1546 an, sich mit den anderen geistlichen Ständen zu vergleichen, vgl. RTA JR XVI. Nr. 26a. S. 189 sowie RTA JR XVII. Nr. 26a. S. 157, während sein Freisinger Amtskollege ausdrücklich eine Absprache mit Bayern und Salzburg suchte, RTA JR XVII. Nr. 28a, S. 160. Vgl. etwa die Instruktionen des Propstes zu Ellwangen, RTA JR XVI. Nr. 27a. S. 193–196, sowie des Würzburger Bischofs, RTA JR XVI. Nr. 35a. S. 208–210. 1545 ist nur allgemein vom Artikel über die christlich vergleichung in der strittigen religion die Rede, vgl. RTA JR XVI. Nr. 20a. S. 143 sowie RTA JR XVIII. Nr. 14b. S. 152–158. Vgl. die Vorberatungen der Salzburger Räte, RTA JR XII. Nr. 14a. S. 127, 128, sowie die Instruktion Ernsts von Salzburg, Nr. 14b. S. 136, 137, 143, und die Instruktion Wilhelms IV. und Ludwigs X. von Bayern, Nr. 17a. S. 156, 157. RTA JR XII. Nr. 14b. S. 143. RTA JR XII. Nr. 14b. S. 136. Vgl. auch der mererteil der fursten und stende, so noch der alten religion sein, Nr. 14b. S. 137. So in der Instruktion der bayerischen Herzöge Wilhelm und Ludwig, RTA JR XII. Nr. 17a. S. 157. Vgl. etwa die Instruktionen der Städte der Landvogtei Hagenau für den Reichstag von 1544 und 1546 (die protestierenden stend bzw. die protestierenden stett, RTA JR XV. Nr. 45. S. 219 und 220, sowie die protestierenden, RTA JR XVII. Nr. 46c. S. 257) sowie der Herzöge Wilhelm und Ludwig von Bayern von 1544 (wie es mit der religion auf peeden seitten der al-
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noch einige Nuancierungen, etwa in der Instruktion der Städte der Landvogtei Hagenau von 1544, in der die Bezeichnung die gehorsamen stett der alten religion einen reichsrechtlichen Aspekt ins Spiel bringt.377 Eine recht ausführliche zeremoniebezogene Umschreibung verwendete der Speyrer Bischof in seiner Anweisung für den Wormser Reichstag von 1545: erstlich in haltung der hl. sacramenten und loblichen herkhumen ceremonien in der kirchen, in ehrung und anrufung der heiligen furpit, des celibats und ander vill mher puncten halben. Die Evangelischen bezeichnet er in diesem Zusammenhang als die stend teutscher nation, so sich disser zwispaltigen puncten angenuhmen.378 Daneben erscheinen immer wieder auch unspezifische universalistische Andeutungen, wenn etwa 1546 der Bischof von Ratzeburg und Lebus dem Hildesheimer Bischof Valentin von Tetleben, der ihn auf dem Reichstag vertritt, versichert, dass wir von eurer L. und den christlichen stenden nicht weichen wollen.379 Bezeichnete sich die evangelischen Seite in den Verhandlungstexten von 1542 wie in den internen Schriften selber meist als ‚Augsburgische Konfessionsverwadte‘, so vermied man es hier umgekehrt noch immer, die katholischen Stände mit einem eigenen Namen zu belegen, sondern man behalf sich mit der Unterscheidung zwischen distheils stende380 und dem andern theil381 bzw. den andern stenden.382 Diese Bezeichnung ist zwar theologisch vollkommen unverfänglich,383 betonte aber zumindest die Existenz zweier mehr oder weniger gleichberechtigter Gruppen un-
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ten und protestierenden gehalten werden soll, RTA JR XV. Nr. 54. S. 268, vgl. auch S. 269 und S. 270), wobei auch ihr Nachfolger Albrecht dieser Terminologie treu bleibt und in seiner Anweisung für den Reichstag von 1551 betont, er habe stets die ware, recht, altglaubige, cristliche religion gehalten, RTA JR XIX. Nr. 76. S. 242. Ganz ähnlich äußerte sich 1545 der Speyrer Bischof (unsers herprachten alten, waren, cristlichen glaubens, RTA JR XVI. Nr. 32a. S. 200), während die Reichsstadt Speyer wiederum die protestirenden chur- und fursten und stende erwähnt, RTA JR XVI. Nr. 57a. S. 340. Kurfürst Ludwig von der Pfalz, der sich ansonsten insgesamt recht neutral verhält und 1544 in der Religionsfrage selber die Konfessionen nicht direkt benennt, spricht in Zusammenhang mit der Neubesetzung des Reichskammergerichts ebenfalls von Forderungen der protestirenden, RTA JR XVI. Nr. 59. S. 293. RTA JR XV. Nr. 45. S. 220. Ähnlich verhält es sich unter umgekehrten Vorzeichen bei der Colmarer Instruktion für den Wormser Reichstag von 1545, in der die Stadt betont, sie lebe der cristenlichen reformation halber unsersteils gehorsamlich, RTA JR XVI. Nr. 50a. S. 312. RTA JR XVI. Nr. 32a. S. 200 und S. 201. Schreiben vom 19.5.1546, RTA JR XVII. Nr. 31a. S. 164. Vgl. RTA JR XII. Nr. 122. S. 737, 741, 742; Nr. 124. S. 747f., 754, 755; Nr. 125. S. 757, 758; Nr. 132. S. 781; Nr. 134. S. 789. Vgl. RTA JR XII. Nr. 122. S. 738, 740, 741, 742, 743; Nr. 124. S. 754; Nr. 132. S. 781, 782. Daneben wird auch der gegentheil erwähnt, Nr. 122. S. 737; Nr. 134. S. 791. Vgl. RTA JR XII. Nr. 125. S. 758; Nr. 132. S. 779; Nr. 134. S. 791. An anderer Stelle wird etwa gefordert, dass die Last der Anschläge für die Türkenhilfe nicht dem einen theil ufgelegt und der ander freygelassen werden solle. Diese Unterscheidung bezieht sich in diesem Falle nicht auf die Konfessionen, RTA JR XII. Nr. 122. S. 743.
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ter den Ständen.384 Auch im Streit zwischen Heinrich von Braunschweig und dem Schmalkaldischen Bund war nur von theil bzw. partheyen die Rede. Konfessionsparteien fanden in Texten zu dieser Angelegenheit wohlweislich keine Erwähnung, sondern man war wie im Abschied darauf bedacht, die Religion aus den entsprechenden Verhandlungen auszublenden, um die Situation nicht noch weiter zu verkomplizieren.385 Trotz dieser prinzipiell neutralen Terminologie schien ab und an auch auf dieser Ebene der christliche Alleinvertretungsanspruch durch. Die evangelischen Stände behaupteten etwa, dass die Rechtfertigung, wie sie in unsern kirchen inhalt der augspurgischen confession gelert würde, die Kommunion unter beiderlei Gestalt und die Priesterehe der hl. schrieft und dem brauch der alten kirchen gemeß seien. Aus diesem Grunde solle man diese Lehren zumindest an jenen Orten offiziell zulassen, do man sie fur christenlich und dem wort Gottes gemeß versteet.386 In solchen Aussagen präsentierten die Lutheraner sich und ihre Lehre als evangelisch, altgläubig und christlich. Dagegen setzten sie sich vehement gegen die Ketzerterminologie des Wormser Edikts und Augsburger Reichsabschieds von 1530 zur Wehr und verwahrten sich ausdrücklich dagegen, fur ketzer und abtrinnige gehalten zu werden.387 Da sie sich angesichts dieser Dokumente in ihrer reichsrechtlichen Position bedroht sahen, forderten sie eine ausdrückliche Friedenszusage und drohten für den Fall einer Verweigerung wie schon auf den vorhergehenden Reichstagen mit einer Ablehnung der Türkenhilfe. Allerdings schoben sie dieses höchst problematische Druckmittel geschickt den katholischen Ständen in die Schuhe: Sollten diese nicht zu Zugeständnissen bereit sein, so wären im Endeffekt sie es, wilche die turckenhulf verhindern theten.388 Außerdem werde man mit Gottes Hilfe erfolgreicher gegen die Türken kämpfen, wenn niemand wider sein gewissen und das clare gotlich wort bedrangt oder beschwert wurde.389 Durch derartige Seitenhiebe gelang es der lutherischen Sei-
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In diesem Zusammenhang sei nochmals daran erinnert, dass die katholischen Stände 1530 gerade aus diesem Grund jegliche ‚Partei‘nahme abgelehnt hatten, vgl. Brieger: Beiträge zur Geschichte des Augsburger Reichstages (Anm. 7). Nr. I 2. S. 128 sowie Nr. I 3. S. 131. RTA JR XII. Nr. 124. S. 752 und S. 753. Auf S. 753 werden daneben der Kurfürst von Sachsen und der Landgraf von Hessen als Anführer des Bundes namentlich genannt, vgl. auch Nr. 130. S. 773. In den Vermittlungsvorschlägen Joachims II. wird ebenfalls jede konfessionelle Terminologie vermieden, vgl. Nr. 126. S. 760. RTA JR XII. Nr. 124 S. 750, vgl. auch Nr. 127. S. 761 und Nr. 130. S. 772. RTA JR XII. Nr. 130. S. 774. In die gleiche Richtung zielt auch die Kritik an der exception der vermeinten hereseos an dem ksl. cammer- oder andern gerichten, Nr. 124. S. 754 sowie Nr. 130. S. 774, Hervorhebung durch den Verf. RTA JR XII. Nr. 122. S. 743. RTA JR XII. Nr. 127. S. 761.
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te trotz ihrer vorwiegend neutralen Terminologie immer wieder, ihr Selbstverständnis in die Verhandlungen einzubringen. Die katholischen Stände bedienten sich dagegen einer deutlicheren Wortwahl. Sie bezeichneten sich als Anhänger der alten religion,390 deren Lehren unser hl. christlichen religion, der hl. khirchen und derselben ordnung […] nit zuwider seien.391 Dementsprechend konnten mit solch universalistischen Umschreibungen, wie vil christlicher fromber leut oder gueten christen, ausschließlich Katholiken gemeint sein. Darüber hinaus standen sie natürlich weiterhin fest auf dem Boden des Abschieds von 1530, in dem die haubtstukh unsers christlichen glaubens begriffen, darzue alle secten, so derselben zeit sich erzaigt, verpoten worden seien.392 Im Bereich der Fremdbezeichnung erschien bezeichnenderweise kein Bezug auf die CA, sondern auf den Protest der Lutheraner.393 Daneben finden sich aber auch noch wesentlich stärkere Worte: Den evangelischen Ständen wird vorgeworfen, durch ihre Forderungen müsse entlich der abfal christlicher religion und glaubens volgen.394 Die reformatorische Rechtfertigungslehre, ihr Abendmahlsverständnis und die Priesterehe, die allesamt als irrig leer abgetan werden, haben die Evangelischen von gemainer kirchen abgesondert, man habe es also mit schismaticis und hereticis und mit der lutterischen, wie auch mit der zwinglischen und aller unchristlichen secten zu tun.395 Die katholischen Stände machen damit im Gegensatz zu den öffentlichen Texten jener Zeit in den Verhandlungsakten aus ihrer ablehnenden und verketzernden Haltung keinen Hehl und bleiben damit sehr nahe an der Sprache der Instruktionen. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass die meisten Eingaben direkt an den König gerichtet waren, so dass die Evangelischen mit dem Angehörigen einer gegnerischen Konfession verhandelten, während der Schriftverkehr der Katholiken mit Ferdinand glaubensintern blieb. In einer direkten Ansprache des Salzburger Kanzlers an die evangelischen Stände waren die Bezeichnungen weit weniger diffamierend, wandte er sich doch an die ,Stände der Augsburgischen Konfession‘ bzw. etwas abwertender an die confessionirer oder ,Protestierenden‘.396 König Ferdinand hatte nun beide Seiten zufriedenzustellen, um die Türkenhilfe nicht zu gefährden. Demgemäß wandte er sich ganz neutral an die stende der 390 391 392 393
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RTA JR XII. Nr. 144. S. 810 und in die gleiche Richtung S. 811. RTA JR XII. Nr. 145. S. 813. RTA JR XII. Nr. 144. S. 810f. Meist war also von den protestierenden die Rede, RTA JR XII. Nr. 144. S. 809, 810, 811; Nr. 145. S. 813, 814. RTA JR XII. Nr. 144. S. 809. An der gleichen Stelle warnt man auch vor der zerstörung […] aller christlicher religion, Nr. 144. S. 809f. RTA JR XII. Nr. 145. S. 813f. RTA JR XII. Nr. 146. S. 815f.
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augspurgischen confession und sprach von ider theil bzw. den gegentheiln.397 Dass er sie allerdings weiterhin als abgespaltene Minderheit betrachtete, offenbart sich in der Unterscheidung zwischen den gemeinen reichsstenden und inen, den stenden selbst.398 Schließlich erschien in den in seinem Namen mündlich vorgetragenen Antworten auch das von katholischer Seite bevorzugte protestirenden stenden bzw. protestirenden.399 Ferdinands lavierende Haltung gipfelte schließlich darin, dass er beiden Seiten jeweils eine zuvor genau ausgehandelte Deklaration überreichte, in der er ihren jeweiligen Forderungen nachgab und den Evangelischen die gewünschte Friedenszusage, den Katholiken aber gleichzeitig die Gültigkeit des Augsburger Abschieds bestätigte, wodurch er eine vollkommen zwiespältige und unvereinbare Rechtslage schuf. Auf bewährte Art und Weise wurde das Problem damit aufgeschoben. In diesen Dokumenten wandte er sich zum einen an die stände der augspurgischen confession, zum anderen an die cristenlichen Kff., Ff. und der abwesenden potschaften400 und nahm damit auf das jeweilige Selbstverständnis der entsprechenden Konfession Rücksicht.401 Abschließend soll anhand eines kurzen Beispiels gezeigt werden, wie sich im Laufe der Verhandlungen allmählich eine konsensfähige Formulierung für den Abschied herausschälte. Der Artikel über Friede und Recht beinhaltete letztendlich einen fünfjährigen Friedstand mit den Lutheranern. Dieser sollte nach einem Vorschlag Ferdinands vom 1. bzw. 2. April hinfällig werden, wenn es im Verlauf dieser Zeitspanne zu einem Generalkonzil oder einer entsprechenden Reichsversammlung käme, auf der man zu einer einhelligen christlichen vergleichung und ainigkait finden würde.402 Einige Tage später folgte ein präzisierender Gegenvorschlag der evangelischen Seite: Das Konzil müsse ausdrücklich gemain, frey, christlich sein und eine Vergleichung dem wort Gottes gemes erfolgen.403 Auch die katholischen Stände gaben ein Votum ab, welches an dieser Stelle zunächst mit Ferdinand übereinstimmte.404 Ein weiterer Kompromissvorschlag vom 7. April näherte sich dagegen dem evangeli397 398 399
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RTA JR XII. Nr. 129. S. 766f. RTA JR XII. Nr. 129. S. 769. RTA JR XII. Nr. 131. S. 776, 777 und S. 778. Interessant ist hier auch die Unterscheidung zwischen beiden Konfessionen über diese Bezeichnung. So lässt Ferdinand daran erinnern, dass auf dem letzten Reichstag durch den Kaiser ein Friedstand mit allen chur- und fursten, auch den andern protestirenden und nit protestirenden stenden aufgerichtet worden war, Nr. 131. S. 776. RTA JR XII. Nr. 148. S. 818 sowie Nr. 149. S. 820. Intern sah das natürlich anders aus. Karl V. unterscheidet in seinen Anweisungen für Ferdinand und die kaiserlichen Kommissare zwischen protestants und catholiques und bewegt sich damit vollkommen auf der katholischen Linie: RTA JR XII. Nr. 3a. S. 81. RTA JR XII. Nr. 139. S. 803. RTA JR XII. Nr. 140. S. 805. Vgl. RTA JR XII. Nr. 141. S. 807.
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schen Text an, enthielt allerdings die bezeichnende Ergänzung, dass ein Vergleich nicht nur dem Wort Gottes, sondern auch dem christenlichem verstand gemes – hierunter fiel wohl die katholische Traditionslehre – sein solle.405 Auf diese Weise ließ sich eine Beschränkung auf eine rein evangelische Sichtweise verhindern. Am 8. April einigte man sich schließlich auf eine endgültige Formulierung, die so auch in den Abschied Eingang fand und ein gemein, frey, christlich Konzil sowie einen Ausgleich nach dem wort Gottes und warem christlichem verstand gemeß vorsah.406 Bedenkt man, dass die Evangelischen zuvor bereits gegen die Konzilsankündigung des Nuntius Morone protestiert hatten, weil eine solche Versammlung gerade nicht frei und christlich, sondern parteiisch und päpstlich sei,407 so erweist sich der gesamte Artikel als eine rein dissimulierende Formel. Man hatte nun zwar eine Wortwahl gefunden, die beide Seiten zufriedenstellte, aber letztendlich so weit gefasst war, dass sich keine konkreten Folgerungen daraus ableiten ließen. Sie diente also letztendlich nur dazu, die Kommunikation zu diesem Thema weiterführen und ein konsensfähiges Abschlussdokument vorlegen zu können. Der nächste im Rahmen der Reichstagsakten edierte Reichstag war die Speyrer Versammlung von 1544. Sie stellte, wie bereits erwähnt, den Höhepunkt des kaiserlichen Entgegenkommens unter dem Eindruck der Türkengefahr dar. Die Verhandlungen zwischen den Ständen beider Konfessionen liefen diesmal über einen Vermittlungsausschuss, der aus den Kurfürsten von der Pfalz und Brandenburg sowie von kaiserlicher Seite dem Reichsvizekanzler Naves und dem Bischof von Trient bestand.408 Die Zeichen standen deutlich auf Konfrontation, denn die katholische Seite konnte sich nun nicht mehr dazu durchringen, die Zugeständnisse an die Lutheraner wenigstens pro forma mitzutragen. Der Reichstag wurde lediglich dadurch gerettet, dass beide Parteien dem Monarchen die Formulierung der Friedensartikel aus eigener Machtvollkommenheit anheimstellten und versicherten, den Landfrieden halten zu wollen, obwohl die Artikel des Abschieds nicht von allen thailn […] nit angenomen werden mogen.409 Auf diese Weise war gewährleistet, dass diese Regelungen offiziell in das Schlussdokument aufgenommen wurden, ohne dass die Stände ihnen ausdrücklich hätten zustimmen müssen. Die konfessionelle Terminologie in den entsprechenden Eingaben erwies sich trotz dieser schwierigen Situation gerade im Vergleich zum Reichstag von 1542 als insgesamt recht moderat. Die evangelischen Stände bezeichneten sich weiterhin als Stände der augspurgischen confession und religion, wurden diesmal aber auch von 405 406 407 408 409
RTA JR XII. Nr. 142. S. 808. Vgl. RTA JR XII. Nr. 143. S. 808f. sowie den Abschied, Nr. 285. S. 1202. § 131. Vgl. RTA JR XII. Nr. 154. S. 842. Zum Verlauf dieser Verhandlungen vgl. den groben Überblick in RTA JR XV. S. 1319. RTA JR XV. Nr. 243. S. 1499.
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katholischer Seite durchgängig so genannt.410 Zudem unterschieden beide Konfessionen ganz neutral zwischen ‚diesen‘ bzw. ‚den anderen Ständen‘411 oder ‚Teilen‘.412 Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang die Eingaben des Kölner Kurfürsten Hermann von Wied, der zu diesem Zeitpunkt bereits den evangelischen Glauben angenommen hatte.413 In seinem offiziellen Bedenken vom 22. Mai 1544 hieß es dazu: wiewol sein kfl. Gn. mit der protestierenden einigung oder bundtnus nit zu thun hat, so ist doch sein kfl. Gn. mit inen, sovill die augspurgische confeßion berurt, in den haubtpuncten der religion einig.414 Der Erzbischof nahm sich also ausdrücklich vom Schmalkaldischen Bund aus, den er bezeichnenderweise mit dem Begriff ‚Protestierende‘ in Verbindung brachte, während der Bezug auf die CA hier als Oberbegriff für alle Lutheraner fungiert. Ansonsten erschien ‚Protestierende‘ eher im halboffiziellen Bereich: im Zwischenbericht des Vermittlungsausschusses an Karl V., in einem Antwortschreiben des Kaisers an die katholischen Stände415 sowie überraschenderweise als Selbstbezeichnung in einem vorbereitenden Gutachten der evangelischen Stände.416 Direkte Diffamierungen und Verketzerungen wurden weitgehend umgangen, was aber nicht zuletzt auch damit zusammenhängen dürfte, dass die Verhandlungen diesmal nicht über das katholische Reichsoberhaupt, sondern über ein paritätisch besetztes Gremium liefen. Der Wunsch nach einem Verzicht auf eine harte Wortwahl zeigt sich deutlich in der bayerischen Instruktion. Die Herzöge Wilhelm und Ludwig bleiben in der Sache deutlich, sie betonen nämlich, ihre Gesandten sollten in Blick auf das Konzil in khain ändrung, neuerung, gespräch oder verordnung 410
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So etwa in den evangelischen Antworten auf die Vorlagen des Vermittlungsausschusses, RTA JR XV. Nr. 206. S. 1361; Nr. 217. S. 1414; Nr. 238. S. 1481, sowie in den entsprechenden katholischen Eingaben, Nr. 207. S. 1373 und Nr. 220. S. 1430 und 1431 oder Nr. 228. S. 1455. Bei den Lutheranern differenzierte man darüber hinaus zwischen den Angehörigen ihrer Konfession und jenen Ständen des Schmalkaldischen Bundes, die der braunschweigischen defension vorwant waren und die ebenfalls in den allgemeinen Frieden mit einbezogen werden sollten, Nr. 206. S. 1370 sowie Nr. 218. S. 1418f. Karl V. nennt sie allgemeiner den churfurst und seine zuverordneten, Nr. 208. S. 1382. Natürlich gilt ,diese‘ oder auch nur ,die Stände‘ meist als Selbst-, ,die anderen Stände‘ als Fremdbezeichnung, vgl. etwa von evangelischer Seite RTA JR XV. Nr. 206. S. 1361, 1362; Nr. 218. S. 1416, 1417, 1418; Nr. 238. S. 1481, 1482, 1483 sowie in katholischen Dokumenten Nr. 207. S. 1372, 1373, 1376, 1379; Nr. 220. S. 1424, 1425, 1427, 1429, 1430, 1431, 1432; Nr. 228. S. 1451, 1452, 1453, 1454, 1455. Vgl. etwa RTA JR XV. Nr. 206. S. 1362; Nr. 207. S. 1376; Nr. 228. S. 1456; Nr. 238. S. 1481 und S. 1482. Bereits seit Ostern 1543 ließ er das Abendmahl unter beiderlei Gestalt feiern und gab auch die Priesterehe frei, vgl. Franzen: Bischof und Reformation (Kap. 6, Anm. 318). S. 90. RTA JR XV. Nr. 230. S. 1464. Vgl. RTA JR XV. Nr. 211. S. 1390, 1391, 1392 sowie Nr. 234. S. 1470, 1471, 1472. Im Bericht ist zudem von den catholici die Rede, Nr. 211. S. 1389, 1390, 1391. Vgl. RTA JR XV. Nr. 200. S. 1342, 1343, 1344.
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sonderer personen der religionssachen einwilligen, da hierbei nur zwayungen, scismata und unordnung entstünden. Darüber hinaus lehnen sie alle evangelischen Forderungen nach einer erneuten Bestätigung der Friedstände ab, da die Abschiede in diesen Punkten klar genug formuliert seien. Dies sollten ihre Vertreter jedoch nicht offen sagen, sondern ausdrücklich mit höflichen worten und ursachen einkleiden.417 Im Vergleich insbesondere mit den Tiraden Herzog Georgs von Sachsen ist der sprachliche Umgang mit der Glaubensspaltung bei den katholischen Vertretern in den 1540er Jahren damit insgesamt verhältnismäßig unaufgeregt. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass ihre Position vom Kaiser gestützt und mithin reichsrechtlich nicht so stark gefährdet war wie die ihrer Gegenpartei. Trotz dieser vorsichtigen Grundhaltung blitzten hier und dort doch immer wieder Seitenhiebe durch. So sprach etwa ein vorbereitendes evangelisches Gutachten, das wohl von Philipp v. Hessen persönlich stammte, offen von der papistischen religion.418 Davon abgesehen verbargen die evangelischen Stände ihre Angriffe eher in umschreibenden Formulierungen, wenn sie etwa den ersten Vorschlag des Vermittlungsausschusses deshalb ablehnten, weil hier der Anschein erweckt werde, also ob die stende dieses teils durch ire religion diesen zwispald erregt hätten, obwohl die eigentliche Ursache doch allerlei beschwerliche mißbreuche seien, die sie aus christlichen ursachen und ihres gewissens halb ausschließlich auf der Basis gotlicher schrift beseitigen wollten.419 Hier versteckt sich ein deutlicher Seitenhieb auf die katholische Kirche, die jene Missbräuche noch immer verteidige, während die Betonung des Gottesworts wieder auf das evangelische Selbstverständnis verweist. Die Dokumente katholischer Provenienz transportierten ihre universalistischen Ansprüche dagegen weiterhin über ihre Selbstbezeichnungen. Als stende unser hl. alten christlichen religion verstärkten sie das Attribut ‚alt‘ demonstrativ durch ‚heilig‘ und ‚christlich‘.420 In die gleiche Richtung wies die Betonung ihres Gehorsams gegenüber 417
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Als Argument sollten die Gesandten vielmehr angeben, es gebühre sich nicht, dem Kaiser in diesem Bereich irgendwelche Vorschriften machen zu wollen, RTA JR XV. Nr. 54. S. 269 und S. 270. RTA JR XV. Nr. 194. S. 1320. Zur Herkunft vgl. bes. Anm. 1. Diese vorbereitenden Gutachten finden sich auch in Wien, so dass sie der kaiserlichen Seite zumindest bekannt gewesen sein müssen. Allerdings bleibt dabei natürlich die Frage, inwiefern es sich dabei um originalgetreue Abschriften handelt oder ob der entsprechende Sekretär gerade im Falle der Bezeichnung ,Protestierende‘ eine Anpassung an den Sprachgebrauch der Hofkanzlei vorgenommen hat. RTA JR XV. Nr. 206. S. 1361f. Ähnlich äußert sich nochmals Hermann v. Wied: Die Ursache für die Spaltung liege darin, das vill mißbreuchne bey der kirchen mit der zeit eingerissen seien, Nr. 210. S. 1384; dem müsse man mit recht warer, christlicher reformation, so im wort Gottes gegründet, begegnen, Nr. 230. S. 1463. RTA JR XV. Nr. 220. S. 1424. Daneben finden sich Varianten mit ‚alt‘ und ,christlich‘, S. 1425, 1427, 1428, 1430, 1431, mit ,heilig‘ und ,christlich‘, S. 1428 und S. 1432, oder auch nur mit ,alt‘, S. 1427.
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der christenlichen kirchen sowie gleichzeitig durch die Befolgung aller vorausgegangenen Abschiede auch gegenüber Kaiser und Reich.421 Überhaupt zeigen die verschiedenen Eingaben, welcher Stellenwert den einzelnen Formulierungen zukam und wie hart um die genaue Wortwahl gerungen wurde. Ein paar ausgewählte Beispiele sollen dies erneut veranschaulichen: Die Evangelischen forderten eine Änderung des Eides vor dem Reichskammergericht des anhangs halb (und alle heiligen), statt dessen präferierten sie einen Schwur auf das Evangelium.422 Der Vermittlungsausschuss hatte dagegen grundsätzlich nichts einzuwenden, während die katholischen Stände die Formel mit Verweis auf die Goldene Bulle bis zu einer Konzilsentscheidung unangetastet lassen wollten.423 Der Vermittlungsausschuss versuchte nun, beide Seiten zufriedenzustellen, indem er die Freistellung des Eides als zeitlich befristete Übergangsregelung kaschierte, unabruchlich der gulden bullen und bis solange es anders durch uns und gemeine stend verordnet wird.424 Ein weiterer Punkt, der auf katholischer Seite einen empfindlichen Nerv traf, war die evangelische Forderung nach einer ‚christlichen Reformation‘. Man sah deutlich den dissimulierenden Charakter dieser Formel und fürchtete, sie könne entgegen dem katholischen Verständnis ausgelegt werden. Deshalb betonten die Katholischen Stände, sie hätten grundsätzlich nichts gegen eine Reform einzuwenden, wenn sie von beden theilen gleich verstanden wurden, so aber solle man bis zu einer künftigen Entscheidung warten. Überhaupt gebühre es ihnen als gehorsamen glidern der christenlichen kirchen nicht, in solche reformationshandlung zu willigen.425 Umgekehrt war die evangelische Seite nicht bereit, auf diesen Passus zu verzichten, bot er ihnen doch eine nachträgliche Legitimation für ihre reformatorischen Maßnahmen. Besonders deutlich äußerte sich hierzu Hermann v. Wied: Es sei die Pflicht der Obrigkeit, zu handeln, wenn ire underthanen durch mangel guter, gesunder, oder auch durch infuerung solcher betrieglicher, ungewisser lere von dem rechten, waren wege abgefuert, item das die hl. hochwirdige sacramenten nit nach der einsatzung Christi gereicht und das die ceremonien nit allein nit beßerlich, sonder auch unchristlich und abgöttisch gebraucht werden,
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Vgl. hierzu auch die verschiedenen Varianten in Nr. 207. S. 1371, 1373, 1377, 1382 und Nr. 228. S. 1450, 1453, 1454, 1456. Sie bezeichnen sich als gehorsame(n) glider(n) der christenlichen kirchen bzw. reichsrechtlich als die gehorsamen stendt, RTA JR XV. Nr. 220. S. 1424 und S. 1425. RTA JR XV. Nr. 200. S. 1346. Vgl. hierzu die erste Vorlage des Vermittlungsausschusses RTA JR XV. Nr. 204. S. 1359 sowie die katholische Antwort Nr. 207. S. 1379. RTA JR XV. Nr. 235. S. 1477. RTA JR XV. Nr. 207. S. 1377 und Nr. 220. S. 1424.
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denn er habe sich vor Christus zu verantworten, der am Jüngsten Tage nit nach unserm gefallen, sonder nach seinem ewig werenden wort richten wirdet. Nur so sei eine Abwendung beschwerlicher, verfurischer opinionen, secten und ketzereien möglich.426 Hier grenzt Hermann sich klar von den Reformierten und anderen reformatorischen Bewegungen ab, präsentiert sich als rechtgläubig und legitimiert zugleich die Einführung der Reformation in seinem Bistum. Er sah die gesamte Angelegenheit überhaupt sehr pessimistisch: nachdem wenig leut seien, sie wollten die religionsache fridt und einigkeit gern gehalten sehen, wiewol doch ein jeder das wort religion uf seine seite verstehet und aber keiner zu dem andern umb der religion willen sich fridens, rechtens oder etwas guts versicht.427
Auf dem folgenden Wormser Reichstag von 1545 waren die Fronten aufgrund des inzwischen in Trient eröffneten Konzils so verhärtet, dass die Stände nicht einmal mehr eine gemeinsame Antwort auf die Proposition zustande brachten. 1542 hatte man noch beschlossen, dass alle Friedstände hinfällig sein sollten, sobald man über ein Konzil eine Vergleichung der Religion erreicht habe. Für die katholische Seite war genau dieser Fall nun eingetreten, weshalb sie weitere Religionsverhandlungen für überflüssig erachtete. Die Reichsstädte und etwas später auch die Gesamtheit der evangelischen Stände verweigerten der Trienter Versammlung dagegen ihre Anerkennung und forderten nun gerade eine Bestätigung aller Friedenszusagen. Gleichzeitig stellten sie in bewährter Manier die Türkenhilfe in Frage.428 In ihrer Antwort auf den Artikel zu Friede und Recht vom 9. April 1545 machten die Evangelischen schließlich ihre Drohung wahr und behaupteten, die Türkenhilfe diesmal nicht mittragen zu können!429 Die weiteren Verhandlungen zu diesem Thema fanden anschließend zunächst nur zwischen Ferdinand und den Lutheranern statt, während sich die katholischen Stände gemäß ihrem bereits abgegebenen Votum heraushielten. Nach seiner Ankunft in Worms schaltete sich Karl V. ein und forderte alle Stände zu weiteren Gesprächen auf. Schließlich bot sich der Pfälzer Kurfürst Friedrich II. wie bereits 1544 als Vermittler an und brachte den Vorschlag eines erneuten Religionsgesprächs ins Spiel. Die verschiedenen Antworten auf die Proposition zeichneten sich nun interessanterweise dadurch aus, dass jede Seite versuchte, sich über numerische Mehrheiten zu legitimieren. Die katholische Eingabe geschah ausdrücklich durch die kfstl. rethe 426 427 428
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RTA JR XV. Nr. 230. S. 1462f. RTA JR XV. Nr. 230. S. 1460f. Vgl. die entsprechenden Antworten auf die Proposition durch die Reichsstädte, die katholischen und die evangelischen Stände, RTA JR XVI. Nr. 153–155. Vgl. RTA JR XVI. Nr. 159. S. 1225.
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Meincz und trier sambt dem merertheill im furstenrathe bzw. durch die gemeine[n] stende,430 während das evangelische Bedenken im Namen deß mererthailß des kfstl. rats, auch der fursten und graven, der augspurgischen confession verwandtn, sambt aller frey- und reichßstötte räthn und gesandten vorgebracht wurde.431 Die Katholiken beriefen sich damit auf ihre Mehrheit im Fürstenrat, während die Evangelischen die durch die Einführung der Reformation in Köln gekippten Mehrheitsverhältnisse im Kurfürstenrat ins Feld führten und zudem ungeachtet einiger katholischer Ausnahmen gleich den gesamten Städterat für sich reklamierten. Darüber hinaus verwendeten sie auch diesmal die Bezeichnung stende der augspurgischen confession und religion, fügten aber selbstbewusst hinzu, dass es sich dabei um eine christenliche religion und lere handle.432 In den weiteren Verhandlungsakten erschien neben dieser etablierten Bezeichnung auch wieder der Bezug auf beeder theil religion verwandten.433 Besonders deutlich wurden die Lutheraner in diesem Zusammenhang bei ihrer Ablehnung des Konzils: Ihre Weigerung erfolge aus christlichen Ursachen,434 da diese Versammlung nicht dem ewigen wort Gottes und dem brauch der alten, wahren, apostolischen kirchen entspreche. Vielmehr werde sie durch den bapst und die seinen dominiert, die ihm als Geistliche durch Eide verpflichtet und damit zur Unparteilichkeit unfähig seien.435 Auch wenn das Wormser Edikt und der Abschied von 1530 die Lutheraner als keczer diffamiert habe, so könnten sie gegen ihr Gewissen von irer religion und reformation in iren kirchen (als die sie fur christlich und dem wort Gottes gemes halten) nit abstehn.436 In einem späteren Gutachten führten sie darüber hinaus an, das Konzil werde durch den Papst gehalten nach seinem eigen rechten und eingefurten mißbrauch437 und diene zu becreftigung seiner angemasten superioritet und eingefurten irthumben und mißbreuche.438 In diesen äußerst papstkritischen Aussagen spiegelte sich unter dem Eindruck der verhärte-
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RTA JR XVI. Nr. 154. S. 1212, 1213 und S. 1214. So nochmals in der Antwort der Stände zu Friede, Recht und Türkenhilfe, Nr. 159. S. 1225. RTA JR XVI. Nr. 155. S. 1215f. RTA JR XVI. Nr. 155. S. 1217. So etwa RTA JR XVI. Nr. 165. S. 1242; Nr. 167. S. 1249; Nr. 184. S. 1296; Nr. 187. S. 1303 und S. 1306. Als Selbstbezeichnung wird durchgängig der Bezug auf die CA verwendet, etwa Nr. 159. S. 1224 und S. 1225; Nr. 161. S. 1232 und S. 1234 sowie im weiteren Schriftverkehr mit König Ferdinand, schließlich auch gegenüber Kaiser Karl, Nr. 184. S. 1295 und S. 1298, sowie im Rahmen der Verhandlungen mit dem Pfälzer Kurfürsten um ein erneutes Religionsgespräch, Nr. 187. S. 1303, 1306 und S. 1307 sowie Nr. 193. S. 1327 und S. 1328, u. a. RTA JR XVI. Nr. 167. S. 1248, 1249. RTA JR XVI. Nr. 167. S. 1250. RTA JR XVI. Nr. 167. S. 1251. RTA JR XVI. Nr. 184. S. 1296. RTA JR XVI. Nr. 187. S. 1306.
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ten Fronten der Anspruch der Lutheraner auf den rechten Glauben deutlicher als in den Eingaben der vergangenen Reichstage wider. Ferdinand richtete seine Antworten zunächst nur an die protestierenden stend bzw. die protestierenden.439 Auch Karl V. und Kurfürst Friedrich verwendeten wiederholt diesen Namen,440 allerdings konnte er durchaus variieren: Immer wieder umschrieben sie die Lutheraner auch als Stände der augspurgischen confession441 oder verwendeten beide Begriffe synonym im gleichen Text.442 Daneben wandten sie sich wiederholt an die stende, zu allen thaillen bzw. beder thail reichstendt443 und erkannten damit durchaus zwei gleichberechtigte Verhandlungspartner an. Dennoch zeigen die Bezeichnungen für die katholischen Stände deutlich, wo letztendlich die konfessionspolitischen Präferenzen der Monarchen lagen: Ferdinand forderte die Lutheraner auf, sich bezüglich des Konzils nicht von andern christlichn stenden abzusondern,444 womit die katholische Sichtweise als die eigentlich ‚christliche‘ hervorgehoben wird. In die gleiche Richtung weist Karls Eingabe an die Stände der alten religion und glaubens,445 was bei Ferdinand noch verstärkt wird zu unserer alten cristenlichen religion verwandten stend.446 Im gleichen Atemzug wertet er die Reformation ab, indem er fordert, alle Stände, die noch nicht lutherisch geworden sind, sollten bis zu einer endgültigen Vergleichung bey der herbrachten cristenlichen kirchenordnung und religion verharren und davor fur sich khain neuerung noch enderung furnemen.447 Vor allem reichsrechtlich bedenklich war schließlich die wiederholte Bezeichnung der katholischen Fürsten als gemayne stend.448 Während die Evangelischen die Namen ‚Protestierende‘ und auch ‚Stände der alten Religion‘ offiziell weitgehend hinnahmen, setzten sie sich diesmal doch gegen 439 440
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RTA JR XVI. Nr. 162. S. 1235 und S. 1236. Vgl. daneben etwa auch Nr. 164. S. 1240 und S. 1241. So in einem Pfälzer Gutachten, RTA JR XVI. Nr. 188. S. 1307, 1308, 1309, 1310, 1311, und einer Stellungnahme Karls vom 6.7.1545, Nr. 197. S. 1335. So etwa in einem Memorial des Reichsvizekanzlers Johann v. Naves, RTA JR XVI. Nr. 183. S. 1289, 1290, 1291, 1292, 1293, in den Vermittlungsvorschlägen Friedrichs II., Nr. 189. S. 1313, sowie in einer Stellungnahme Ferdinands, Nr. 196. S. 1332, 1334 und S. 1335. Vgl. beispielsweise eine Resolution Karls vom 12.7., RTA JR XVI. Nr. 201. S. 1342, 1344, sowie ein Gutachten Ferdinands vom 15.7., Nr. 203. S. 1348, 1349. Hier erscheint auch die Bezeichnung protestanten, Nr. 203. S. 1349, 1350. So in der Replik Ferdinands vom 12.4.45, RTA JR XVI. Nr. 160. S. 1226, bzw. in seiner Stellungnahme zum Vorschlag eines Religionsgesprächs, Nr. 196. S. 1332, 1334, 1335. Vgl. auch bei Karl V. die Wendung bayden thailln, Nr. 197. S. 1336, oder ides theils, Nr. 201. S. 1343. RTA JR XVI. Nr. 168. S. 1254. RTA JR XVI. Nr. 175. S. 1270. RTA JR XVI. Nr. 196. S. 1335; vgl. auch alle stend, so der alten warn, christlichen religion bisher anhengig gewesen, Nr. 203. S. 1350. RTA JR XVI. Nr. 196. S. 1334. RTA JR XVI. Nr. 183. S. 1290, 1291; vgl. auch Nr. 201. S. 1342.
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die reichsrechtliche Ausgrenzung als ständische Minderheit zur Wehr: In ihrer Antwort auf den ersten kaiserlichen Formulierungsvorschlag für den Artikel über das Religionsgespräch wandten sie ein: Als dann in ksl. Mt. ubergeben schrift im anfang und im end des ersten versickels von gemeinen stenden, do doch allein die stend der andern religion gemeint werden, meldung geschicht, so erfordert die notturft, das fur die wort ,gemaine stend‘ geseczt werde ,die andern stend‘.449
Ferdinand wollte diese Kritik nicht gelten lassen: die stende, so der augspurgischen confession nit anhengig seyn, [sind] bisher in allen reychshandlungen fur die gemaynen stende gehalten und genennt worden. Darumb von disen worten nit leychtlich abzeweychen sein will, man wollte dan denselben zum uberfluß disen zuesatz thuen und setzen ,die gemayne stend außerhalb deren, so der augspurgischen confession anhengig seyen‘ etc.450
Letztendlich setzten sich die evangelischen Stände allerdings durch. Nachdem Karl nochmals die Formulierung in namen gemeiner stendt, unser althergebrachten religion verwandt, und die Lutheraner erneut eine Änderung in der stendt, unser althergebrachten religion verwandt angemahnt hatten, erschien im Abschied schließlich nur unserer althergebrachten religion.451 Damit hatten beide Parteien terminologisch nachgegeben: Die katholischen Stände galten nicht weiter als das reichspolitische Maß aller Dinge, hatten dafür aber ihren theologischen Anspruch gewahrt. Nachdem der Wormser Reichsabschied bereits nur noch mit Mühe zustande gekommen und der gesamte Reichstag aufgrund des insgesamt mangelhaften Besuchs auf das folgende Jahr prorogiert worden war, stand die Versammlung von Regensburg von Beginn an unter einem denkbar schlechten Stern, leitete sie doch praktisch unmittelbar in den Schmalkaldischen Krieg über. Hier fanden die letzten Kriegsvorbereitungen des Kaisers statt und noch in Regensburg erfolgte auch am 20. Juli, vier Tage vor dem Abschied, die Achterklärung gegen die Anführer der evangelischen Partei, Kurfürst Johann Friedrich v. Sachsen und Landgraf Philipp v. Hessen. Die eigentlichen Verhandlungen dauerten effektiv nicht einmal einen Monat: Am 5. Juni 1546 wurde die Proposition verlesen und bereits gegen Ende des Monats begannen die evangelischen Stände mit der Abberufung ihrer Gesandten.452 449 450 451
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Eingabe des evangelischen Ausschusses vom 14.7.45, RTA JR XVI. Nr. 202. S. 1346. RTA JR XVI. Nr. 203. S. 1349. Karls Formulierung siehe RTA JR XVI. Nr. 206. S. 1357, den evangelischen Veränderungsvorschlag siehe Nr. 206. S. 1375. Anm. a. Zum Abschied vgl. Nr. 341. S. 1659. Herzog Ulrich v. Württemberg sandte als erster am 28. Juni eine entsprechende Anweisung, vgl. RTA JR XVII. Nr., 94. S. 486. Anm. 2.
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Diese deutliche Verschärfung des interkonfessionellen Klimas zeigt sich bereits in den internen Vorhaltungen Johann Friedrich gegenüber einigen seiner Räte, die Eröffnungsmesse des Reichstages besucht und dort den abgottischen und greulichen papistischen ceremonien beigewohnt zu haben, was nur Wasser auf den Mühlen der Gegenseite bedeute. In der gleichen Instruktion lässt er sich bezüglich des gescheiterten Religionsgesprächs recht derb über die gotlose[n] seue vom andern teil aus und spielt damit auf das bekannte Sprichwort an, man solle seine Perlen nicht vor die Säue werfen.453 Eine solche Grundstimmung schlug sich natürlich auch in der Terminologie der Verhandlungsakten, in diesem Fall v. a. der Repliken der Stände auf die kaiserliche Proposition, nieder. Die entsprechenden Eingaben erfolgten erneut nach Konfessionen getrennt. Auf katholischer Seite agierte man dabei recht unaufgeregt. Hier fanden als Selbstbezeichnung wieder die Stände der alten cristlichen religion bzw. catholische Stände Verwendung.454 Die Gegenseite erhielt die inzwischen üblichen Namen der augspurgischen confession verwandten sowie die protestierenden, wobei man sich hier allerdings auf die Ablehnung des Konzils und nicht auf die Protestation von 1529 bezog.455 Die Katholiken erinnerten in diesem Zusammenhang erneut daran, dass schließlich alle Gruppen seit den 20er Jahren immer wieder ein Konzil gefordert hätten, und zwangen die evangelische Seite aufgrund ihrer Weigerung, die Trienter Versammlung als ein solches anzuerkennen, zum wiederholten Male, sich entsprechend zu rechtfertigen. Beredter Ausdruck dafür war die außergewöhnliche Direktheit, mit der die Protestanten diesmal ihr Selbstverständnis in Glaubenssachen gegenüber dem Kaiser vertraten: Als Gott der Almechtig durch sein götliche verleihung numer ain gutte zeit her sein gotlich wort rain und lautter im hl. Reich teutscher nation erscheinen lassen, dardurch 453
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RTA JR XVII. Nr. 25d. S. 147 und S. 149. Ähnlich besorgt um den Ruf seines Gefolges zeigt sich Johann Friedrich bereits zwei Jahre zuvor, als er ankündigt, auch an Orten, do das hl. evangelion nit allenthalben geprettiget ader zu predigen gestattet wirdet, regelmäßig berurth evangelion unseres H. Christ in den kirchen, do es uns vorstattet, oder in unser herberge predigen zu lassen, und davor warnt, dass den vorachtern desselben gotlichen worths Ursache zum Lästern gegeben werde, wenn diese Gottesdienste nicht ausreichend besucht seien, RTA JR XV. Nr. 53. S. 263. Auch andere Stände wettern gegen die katholische Gottlosigkeit, so beschwert sich Hermann von Wied über die unchristlichen, unbillichen, unrechtmessigen verhinderungen unser widerwertigen geistlichen, RTA XVI. Nr. 23a. S. 154f., und Augsburg befürchtet, auf dem Konzil wolle die päpstliche Seite nur iren gotlosen stand und pracht mit dem schwert und plut erhalten und bezichtigt sie obendrein der abgötterei, RTA JR XVI. Nr. 49a. S. 298 und S. 299. Vgl. RTA JR XVII. Nr. 62. S. 403 und 404, Nr. 67. S. 429 sowie Nr. 69. S. 432. Vgl. zur Bezeichnung als ,CA-Verwandte‘ RTA JR XVII. Nr. 62. S. 404; Nr. 67. S. 429; Nr. 69. S. 432. Die ‚Protestierenden‘ erscheinen dagegen nur in der ersten Replik Nr. 62. S. 405 und S. 406 in Zusammenhang mit der Forderung an den Kaiser, die Evangelischen zum Besuch des Trienter Konzils zu bewegen.
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die hoch- und wolgedachte Kff., Ff. und stende die irrthumb und missbreuch, so zum tail durch unwissenhait, zum tail aus andern ursachen sovil jar here in der cristlichen kirchen erwachsen und eingerissen, aus Gottes gnaden erkhannt und irem schuldigen amt und gewissen nach als cristenliche oberkhaiten in iren chur- und furstenthumben, landen und gebietten abschaffen und bede, die cristlich leere und ceremonien, nach der richtschnuer des götlichen worts iren underthannen verkhundigen und aufrichten lassen, so hat anfenglich der babst dieser stendt ware, cristliche religion zum hechsten angefochten und alle eingerissne irrthumb und missbreuch wider das götlich wort verthädigen und erhalten wollen aus den ursachen, die menigclich woll abzunemen, daraus dann der gegenwurtig missverstandt und zwispaldt in der religion ervolgt.456
In dieser Aussage behauptet die evangelische Seite direkt und unverblümt, die einzige wahre christliche Religion nach Gottes Wort zu besitzen und mit der Verteidigung der Reformation nichts weniger als ihre Pflicht zu tun, während der Gegenseite, genauer dem Papsttum, das Beharren auf Irrtümer und Missbräuche vorgeworfen wird. Da die Kurie sich keines Besseren belehren lasse, trage sie letztendlich die eigentliche Schuld an der Glaubensspaltung! In einem weiteren Schreiben an Karl V., in dem sie am 13. Juni die vorzeitige Abberufung ihrer Vertreter vom Regensburger Religionsgespräch rechtfertigten, bestritten die Lutheraner darüber hinaus den katholischen Anspruch, die alte Religion zu vertreten, denn erst das Religionsgespräch hätte schließlich an den Tag bringen sollen, welche meynungen dem gottlichen wort und dem alten brauch der ersten kirchen änlicher und gemesser geweßt.457 Auch der Protest gegen das vermaint pertheyisch concilium458 – und damit im Prinzip die Bezeichnung als ‚Protestierende‘ – wird bekräftigt und die Konzilsforderung darüber hinaus endgültig als dissimulierende Formel entlarvt, da es sich hier nicht um die Art Konzil handle, dessen Forderung sie sich in den Abschieden stets angeschlossen hätten.459 Schließlich beklagen die Lutheraner sich mehrfach über ihre Verketzerung im Reichsrecht, weil 1530 dieser stende religion verdampt und dieselbig mit allen iren anhengern den beschwerlichen peenen, so im rechten wider die ketzer gesezt, unterworfen worden sei,460 sowie in der publizistischen Literatur, wo etwa Cochläus, der immerhin als katholischer Kolloquent am Religionsgespräch beteiligt sein sollte, geschrieben habe, dass er alle dises theils […] nicht catholicos, das ist von gemeiner christlichen kirchen, sein lassen will, sondern sie fur abtrinnige und verdampte ke456 457 458
459 460
RTA JR XVII. Nr. 64. S. 412. RTA JR XVII. Nr. 65. S. 419. RTA JR XVII. Nr. 64. S. 413; vgl. auch das babstisch partheyisch concilium, Nr. 64. S. 416, sowie das vermeint concilium zu Trient, Nr. 65. S. 424. Vgl. RTA JR XVII. Nr. 64. S. 416. RTA JR XVII. Nr. 64. S. 414.
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czer halte, mit denen man nicht reden dürfe.461 Da die Evangelischen nicht zuletzt dieses Argument heranzogen, um den vorzeitigen Abbruch des besagten Religionsgesprächs zu rechtfertigen, wirft dieses Beispiel ein Schlaglicht darauf, wie die Wahrnehmung entsprechender Terminologie auf publizistischer Ebene die interkonfessionelle Kommunikation auf Reichstagen durchaus behindern konnte. Neben diesen deutlichen Worten verwenden die Evangelischen weiterhin durchgängig die übliche Bezeichnung Stände der augspurgischn confession,462 während die katholische Seite nie direkt benannt wird. Die Namen ‚alte‘ oder ‚katholische‘ Religion werden bewusst vermieden, da sie dem Selbstverständnis der Evangelischen zuwiderlaufen. Dagegen erscheint relativ häufig die Bezeichnung beider Konfessionen als ‚Teile‘ im Sinne von ‚Parteien‘, also eine rein rechtliche Begrifflichkeit, die in diesem Falle auch wieder dazu dienen sollte, eine strikte Gleichrangigkeit beider Gruppen auszudrücken.463 Auch in den Verhandlungen selber wurde diesmal offensichtlich die Frage der korrekten Bezeichnung der Konfessionsparteien thematisiert, das kursächsische Votenprotokoll verzeichnet nämlich gleich für die erste Sitzung des Kurfürstenrats am 8. Juni eine entsprechende Diskussion zwischen den Vertretern der Kurpfalz und von Mainz. Der Pfälzer Gesandte Wolf von Affenstein beschwert sich über das Wort ‚catholici‘, das zuvor mehrmals in der Diskussion gefallen war, und bittet, solchs zu vormeiden und sie nit aus der catholischen kirchen zu slissen, dan sie eben so wol christen und zur kirchen gehorten als andere. Der Mainzer Kanzler entschuldigt sich damit, er Wisse nit anderß, habens in den vorigen acten befunden, das die der alden relligion stende die catholici genent. […] Will aber horen, wie er sie sol nennen und sich 461
462 463
RTA JR XVII. Nr. 65. S. 424. Auch in den Instruktionen zu verschiedenen Reichstagen erscheint mehrfach die verbitterte Beobachtung, dass die evangelischen Stände noch immer als Ketzer gebrandmarkt würden. So lehnen die Herzöge von Pommern das Trienter Konzil mit der Begründung ab, der Papst habe sie bereits vor abtrunnige keczer bzw. hereticos erklärt, bevor er sie ordentlich nach Gots wort probiret habe, RTA JR XVI. Nr. 44b. S. 262. Straßburg warnt, die Katholiken glaubten, man sei uns als keczern (wie sie oder iren etliche uns unpillich nennen) nichtz ze halten schuldig, RTA JR XVI. Nr. 58a. S. 347. Ähnlich äußern sich auch Augsburg, RTA JR XVI. Nr. 49a. S. 298 und RTA JR XVII. Nr. 43a. S. 239, sowie Kursachsen und Hessen, RTA JR XVII. Nr. 13. S. 94. Weitere Hinweise auf recht verbreitete Fremdbezeichnungen durch die katholische Seite finden sich etwa bei Philipp von Hessen in der Umschreibung diese religion, die man lutterisch nennet, RTA JR XVII. Nr. 35a. S. 189, oder in einem Schreiben der Reichsstadt Augsburg, in dem die Forderung nach einer Freistellung der Religionsausübung gemäß dem Abschied von 1526 sich ausdrücklich nicht auf widerteuffer, gartenpruder und dergleichen schedlich secten erstrecken solle, wobei freilich mit Blick auf die römisch-katholische Sichtweise hinzugefügt ist: Notum. Es missen alles gartenbruder und schedlich secten sein, wer nit das babsstom hölt, RTA JR XVII. Nr. 43a. S. 238. RTA JR XVII. Nr. 64. S. 410, 415; Nr. 65. S. 424, 425; Nr. 72. S. 439. Vgl. etwa RTA JR XVII. Nr. 64. S. 410, 411, 412, 416 sowie Nr. 65. S. 419, 420, 421, 422, 423, 424, 425.
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demselben nach halden, wie man inen das heißen und bevelchen wirdet. Affenstein bittet darum, sie die stende der augspurgischen confession und relligion zu nennen, damit nit weiter vorbieterung erfolge. Der Mainzer Kanzler betont, er wolle die anderen keinesfalls ausschließen, schiebt allerdings noch eine Retourkutsche nach: Wenn sich die Gegenseite evangelische stende nennet, so wollten sie selber umgekehrt aber auch nicht vom Evangelium ausgeschlossen werden. Deshalb plädiert er für einen Verzicht auch auf die Bezeichnung ‚evangelisch‘.464 Diese Szene zeigt zweierlei. Zum einen verweist sie deutlich auf die Empfindlichkeiten in Bezug auf die konfessionellen Bezeichnungen und bestätigt den universalistischen Charakter der Begriffe ‚evangelisch‘ und ‚katholisch‘, die dem Selbstverständnis beider Parteien am ehesten entsprachen, zugleich aber immer auf den größten Widerstand stießen. Zugleich wird hier aber noch der Wunsch deutlich, die Kommunikation nicht an solchen Fragen scheitern zu lassen.465 Die Verschärfung des Tones von evangelischer Seite spiegelt die allmähliche Zuspitzung der Situation im Vorfeld des Schmalkaldischen Krieges deutlich wider. Während die Katholiken den kommenden Ereignissen gelassen entgegensehen konnten, machte sich unter den Anhängern der CA zunehmend Nervosität breit, die sich auf dem Reichstag in einer latenten Abwehr- und Verteidigungshaltung äußerte. Größere terminologische Rücksichtnahme schien in diesem Zusammenhang nicht mehr vonnöten. Es ging nun eher darum, den eigenen Standpunkt mit einer gewissen Aggressivität zu vertreten, die auf den vorangegangenen Versammlungen der 1540er Jahre, als die Evangelischen sich ihrer vorteilhaften Position vor dem Hintergrund der außenpolitischen Lage gewiss sein konnten, so noch nicht in Erscheinung getreten war. Zum Abschluss dieses Überblicks, der ja gegen Ende hin eher wieder in Richtung einer terminologischen Verschärfung zielte, muss noch eine Gruppe von Ständen erwähnt werden, die so in den Verhandlungstexten kaum auftaucht. Die entsprechenden Vertreter sehen sich auch jetzt noch immer als konfessionsneutral und machen in ihren instruktionen deutlich, dass sie sich am liebsten aus der gesamten Angelegenheit heraushalten würden. Kurfürst Friedrich von der Pfalz weist seine Gesandten 1545 an, sie sollten sich uff kein parthei, dieweil wir hievor in diesen sachen underhandler geweßen, inlassen.466 Der Hildesheimer Kanzler Johann Katzmanns verzeichnet in seinem Protokoll vom Reichstag 1546 ein Votum des Gesandten Markgraf Albrechts von Brandenburg in dem es heißt, sein Herr sei auf vorigen 464 465
466
RTA JR XVII. Nr. 52. S. 278f. Intern sah das natürlich anders aus, was eine Bemerkung am Rand des Protokolls deutlich zeigt: Notum. Pfalcz beschwert sich, dass sich die papisten die catholischen nennen. RTA JR XVII. Nr. 52. S. 278. Anm. a. RTA JR XVI. Nr. 24c. S. 165.
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Reichstagen bei konfessionell getrennten Verhandlungen nye zu eynigem theill, weder catholicos noch protestantes, gefordert oder darbey gewest, und er trage auch diesmal Bedenken, zu eynem oder dem andern theyll einzudringen.467 Auch Markgraf Ernst von Baden-Hachberg zeigt in seiner Instruktion zwar durchaus evangelische Präferenzen, schreibt er doch, er halte diejenigen Prediger für die wahren geistlichen diener, die das hl. Evangelium verkunden, wogegen die anderen menschlicher, zergengcklicher religion (wölliche vor etlichen vil jaren von unsern eltern dermaßen herkommen und gestift und fur gerecht gehalten worden) anhangen. Allerdings verweist er anschließend sofort auf seine irenische Einstellung, fordert er doch unter Bezug auf das Gleichnis Jesu vom Sämann, man müsse mit letzteren Geduld haben, damit das gesacz der liebe under uns allen, so den namen Christi fuern, nit gebrochen werde.468 Nach der Aufspaltung des Reichsrates in Konfessionen befiehlt er schließlich, das wir uns keiner parthy anhencken, sondern unparthysch bleiben, da er sowohl geistlichen als auch weltlichen Ständen beider Konfessionen lehensrechtlich verpflichtet sei.469 Seine neutrale Haltung, die also durchaus politischen Notwendigkeiten geschuldet sein mochte, kommt nicht zuletzt auch darin zum Ausdruck, dass er die Gegenseite mit dem Ehrennamen catholischen versieht.470 Aber auch Stände, die wesentlich eindeutiger Stellung für den evangelischen Glauben bezogen, haben sich aus politischen Gründen immer wieder selber Zurückhaltung verordnet. So sollten die Vertreter der Wetterauer Grafen zwar durchaus den ‚Protestierenden‘ gegenüber bekennen, das disse graven und hern der augsburgischen cnfession anhengig seyn und pleyben wollen,471 sich jedoch wie bereits in den 30er Jahren bei konfessionell getrennten Beratungen keiner Seite anschließen, mit dem etwas ausweichenden Argument, sie seien zu derartigen Auseinandersetzungen theologisch einfach nicht versiert genug.472
467 468
469 470 471 472
RTA JR XVII. Nr. 53. S. 312. RTA JR XVII. Nr. 33c. S. 171f. Das Gleichnis vom Sämann (Mt 13,3–8) wurde gerne von Irenikern verwendet, um zu zeigen, dass Gott am Ende der Zeit selber die wahre von den falschen Lehren trennen werde, die Menschen hier also nicht vorgreifen sollten. Vgl. hierzu nochmals Kap. 3.5. RTA JR XVII. Nr. 33d. S. 173f. RTA JR XVII. Nr. 33d. S. 174. RTA JR XVII. Nr. 41a. S. 226. Vgl. die entsprechenden Instruktionen für die Reichstage von 1544, 1545 und 1546 RTA JR XV. Nr. 57. S. 288f.; RTA JR XVI. Nr. 47b. S. 288; RTA JR XVII. Nr. 41b. S. 228.
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8.4 Verhandlungen zwischen Krieg und Frieden 1548–1555 Der Sieg Karls V. im bereits von allen Seiten erwarteten Schmalkaldischen Krieg mischte die Karten schließlich zunächst vollkommen neu. So zeigt etwa die Terminologie der evangelischen Instruktionen für den geharnischten Reichstag von 1547/48, dass nun alle internen Unterscheidungen hinfällig geworden waren. Hinweise auf den Schmalkaldischen Bund und auf diverse Protestationen erscheinen nicht mehr. Auch von einer zahlenmäßigen Überlegenheit der evangelischen Seite konnte inzwischen keine Rede mehr sein.473 Die entsprechenden Schreiben verweisen dagegen weiterhin auf die Bedeutung des Evangeliums als Richtschnur für Entscheidungen bezüglich der Religion. So heißt es bei Kurfürst Joachim von Brandenburg, die Gesandten sollten alleine uf Gott, sein hl. wort und uf die warheit sehen.474 Barnim und Philipp von Pommern fürchten zwar, der Kaiser könne gegen uns und die andern reichsstende als scismaticos und ungehorsamen vorgehen, wollen aber dennoch von der erkanten warheit in unserm gewissen nicht abstehen. Vielmehr warnen sie vor göttlichem Zorn und Strafe, Sollten auch wir den lauff des gotlichen worts verhindern.475 Dementsprechend findet sich bei Selbstbezeichnungen auch wieder das Adjektiv ‚evangelisch‘476 bzw. die Umschreibung als Stände, so am evangelio hangen.477 Moritz von Sachsen erwähnt daneben die stende der augsburgischen confession,478 und auch ein Württembergisches Gutachten betont, man wolle sich weiterhin an die Bibel, die Confessio Augustana und die Apologie halten.479 Schließlich erscheinen weiterhin neutrale Umschreibungen wie unserstheills, unser gegentheil oder jede parthei.480 Trotz der prekären Situation zeigen sich aber gerade 473
474
475 476 477
478 479 480
Nach seiner Exkommunizierung musste Hermann v. Wied im Januar 1546 auf kaiserlichen Druck hin seine Ämter aufgeben, vgl. Franzen: Bischof und Reformation (Kap. 6, Anm. 318). S. 105f. RTA JR XVIII. Nr. 15b. S. 160. Ähnlich äußert sich auch Moritz von Sachsen, der sich in allem gehorsam erweisen möchte, was der götlichen schrieft gemes ist, RTA JR XVIII. Nr. 16. S. 167. Markgraf Johann von Brandenburg-Küstrin ist nur zu einer Unterwerfung unter das Trienter Konzil bereit, soviell da Gottes wort gemess geschlossen werde, RTA JR XVIII. Nr. 20. S. 179, und Herzog Ulrich von Württemberg weist seine Gesandten ebenfalls an, allem zuzustimmen, was one verletzung der conscientz, auch one nachteil der hl. göttlichen geschrift alts und neues testaments yngerompt und bewilligt werden mögen, RTA JR XVIII. Nr. 23a. S. 190. RTA JR XVIII. Nr. 22d. S. 186. Vgl. etwa die evangelischn christlichen prediger, RTA JR XVIII. Nr. 22d. S. 186. RTA JR XVIII. Nr. 22d. S. 187. In einem Gutachten für die Württembergischen Gesandten heißt es entsprechend, es solle jedem freigestellt sein, zu oder von dem ewangelio zu fallen, da der Glaube eine göttliche Gnade und ein frei ding sei, RTA JR XVIII. Nr. 23b. S. 194. RTA JR XVIII. Nr. 16. S. 167. Vgl. RTA JR XVIII. Nr. 23b. S. 193. RTA JR XVIII. S. 193 und S. 194.
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die Herzöge von Pommern und Württemberg noch immer als recht angriffslustig, bezeichnen die katholische Geistlichkeit als das bapsthumb oder den bäbstischen hauffen481 und werfen ihr irthumb sowie gröbste haidnische laster, die auch kein haid billichen mag, vor.482 In den Verhandlungen selber bildete die Religionsfrage bei zwei Themenfeldern eine Ursache für Auseinandersetzungen, zum einen natürlich beim Augsburger Interim, daneben aber auch im Bereich der Reichskammergerichtsordnung. Dabei ging es um die Frage der Konfessionszugehörigkeit der Gerichtsmitglieder, die nach dem Entwurf der Ordnung sich der religion der gemainen catholischen, cristlichen kirchen gemes halten und sich keiner sondern secten anhengich machen sollten, und, wie bereits auf den vorangegangenen Reichstagen, erneut um die Eidesformel zu Gott und den heyligen.483 Das Bedenken des interkurialen Ausschusses weist ausdrücklich auf die Ablehnung dieser Formulierungen durch Pfalz, Sachsen, Brandenburg, Simmern und die Reichsstädte hin.484 Die drei geistlichen Kurfürsten – auch Köln zählte nun ja wieder fest zum katholischen Lager485 – sowie die Mehrheit des Fürstenrates wollten den Entwurf dagegen übernehmen, unangesehen, das sich etlich wenig im furstenrhat mit den weltlichen churfursten in diesem fall zu vergleichen vernemen haben lassen.486 Anhand des Votenprotokolls aus dem Kurfürstenrat lässt sich die entsprechende terminologische Debatte etwas genauer nachverfolgen. Brandenburg setzte sich zur Wehr, indem man behauptete, daß sie bisher der rechten catholischen kirchen anhengig. Lediglich sacramentirer, widerteuffer und dergleichen sollten als eindeutig nichtkatholisch außen vor gelassen werden.487 Dieses Zitat verweist auf zwei wichtige Aspekte, auf den schwelenden innerreformatorischen Konflikt zwischen 481 482 483
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RTA JR XVIII. Nr. 22d. S. 186 und Nr 23b. S. 192. RTA JR XVIII. Nr. 22d. S. 186 sowie Nr. 23b. S. 193. RTA JR XVIII. Nr. 116. Nr. I 3. S. 1244 sowie Nr. I 57. S. 1316. Der umstrittene Entwurf wurde trotz der nachfolgenden Verhandlungen so in die Endfassung übernommen. Vgl. RTA JR XVIII. Nr. 81 a. S. 1119 und S. 1121. Bezüglich des Eides sollte auch die Formel bei Got und dem (!) hl. evangelien zugelassen werden, S. 1121. Im August 1546 erfolgte die Exkommunizierung Hermanns v. Wied durch Rom, die endgültige Absetzung fand im Januar 1547 unter kaiserlichem Druck statt. Am 25. Februar gab er schließlich offiziell alle seine Ansprüche auf. Diese Entwicklung wurde nicht zuletzt durch die militärischen Erfolge Karls V. gefördert, vgl. Franzen: Bischof und Reformation (Kap. 6, Anm. 318). S. 105f. Auch Bischof Franz von Waldeck, der Osnabrück der Reformation geöffnet hatte, musste seine Ambitionen unter dem Eindruck des Schmalkaldischen Krieges aufgeben, durfte sein Amt aber behalten, vgl. Hauschild: Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeshichte 2 (Kap. 6, Anm. 439). S. 133. Siehe hierzu die Duplik des Fürstenrates auf das kurfürstliche Bedenken, RTA JR XVIII. Nr. 89. S. 1158. Zum Bedenken des Kurfürstenrates vgl. Nr. 84. S. 1132, zu dem des Fürstenrats Nr. 85. S. 1137 sowie S. 1141. RTA JR XVIII. Nr. 62. S. 476.
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Lutheranern und Reformierten, in dem die Anhänger Wittenbergs durchaus bereit waren, mit den Katholiken zusammenzuarbeiten, sowie auf den bereits bekannten Anspruch der Evangelischen, niemals den Boden der katholischen Kirche verlassen zu haben. Da ihre Gegner den entsprechenden Abschnitt der Gerichtsordnung aber durchaus exklusiv verstanden wissen wollten, forderte Brandenburg wenig später, das wort ,chatolisch‘ zu ercleren, die augspurgischen confession zu begreifen488 und konstatierte: Wo die augspurgischen confessionverwandten under dem wort ‚chatolisch‘ nit begrieffen, hetten sie bevelch, dagegen zu protestiern.489 Entsprechend dieser Verhandlungslinie erklärten sich die weltlichen Kurfürsten im interkurialen Ausschuss nur dann zu einem Vergleich bereit, wenn sichergestellt würde, dass die augspurgischen confession verwante durch das wortlin ,catholisch’ nit ausgeschlossen sein sollten.490 In die gleiche Richtung zielt ein entsprechendes Sonderbedenken, in dem es heißt, man solle die Unterscheidung zwischen den Konfessionen tzu vermeidung allerley weitleufftigkeit und misverstand des worts ,catholici‘ am besten ganz fortlassen, da die stende der augspurgischen confession alle artikel unsers hl. glaubens bekennen und lehren und die Erörterung dieser Fragen auf eyn gemeyn, frey, christlichs concilium in deutzscher nation geschoben worden sei. Auch der Eid solle bey Got und seynem hl. evangelio geschworen werden, da er so von beiderseitz religionsverwanten one beschwerung gehalten werden kann.491 Diese Argumentation zielte darauf ab, der evangelischen Seite einen Anspruch auf die Bezeichnung ‚katholisch‘ zu erhalten. Doch der Kaiser ließ sich mit dem rein zeitlichen Argument, dass diese Formulierungen bereits seit 1 000 Jahren in Gebrauch wären, auf keine weiteren Änderungswünsche ein.492 Bezüglich der Konfessionszugehörigkeit war er allerdings bereit, auch die Annahme des Interims als Kriterium für die Zulassung zum Gericht gelten zu lassen.493 In ihrer Triplik stimmten Kurfürsten- und Fürstenrat schließlich offiziell konfessionsübergreifend zu, solich wortlein ,catholischen‘ […] pleiben zu lassen, wobei das Nachgeben auf evangelischer Seite nicht zuletzt durch die klaren Machtverhältnisse nach dem Krieg bedingt gewesen sein dürfte.494 Wesentlich bedeutsamer waren natürlich die Verhandlungen über das Augsburger Interim. Bereits bei der Formulierung einer Antwort auf die kaiserliche Propo488 489
490 491 492 493 494
RTA JR XVIII. Nr. 62. S. 583. RTA JR XVIII. Nr. 62. S. 585. Sachsen ließ sich hier ähnlich vernehmen: wo man Sachsen under dem wort ‚chatolisch‘ auch gemaint, wellen sie des zufrieden sein. Sollten aber die augspurgischen confessionverwandten ausgeschlossen sein, mußt solichs an die ksl. Mt. bracht werden. Vgl. hierzu nochmals Kap. 8.3. RTA JR XVIII. Nr. 94. S. 1178. RTA JR XVIII. Nr. 97. S. 1185. Vgl. RTA JR XVIII. Nr. 98. S. 1186 und S. 1188. Vgl. RTA JR XVIII. Nr. 98. S. 1187. RTA JR XVIII.Nr. 102. S. 1202. Gleiches galt für die Eidesformel, S. 1204.
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sition zeigten sich dabei erste Verwerfungen, da sich Kurfürsten und Fürsten nicht auf einen gemeinsamen Text einigen konnten. Die Ursache hierfür lag v. a. darin, dass der Kurfürstenrat aufgrund seiner paritätischen Besetzung durch geistliche und weltliche Kurfürsten wesentlich zurückhaltender agierte als der Fürstenrat mit seiner dominierenden katholischen Mehrheit. In ihrem ersten Bedenken ließen die Kurfürsten die Konfessionen vollkommen unerwähnt und wollten bezüglich der Religionsfrage zunächst die Vorschläge des Kaisers abwarten.495 Der Fürstenrat erneuerte dagegen die altbekannte Konzilsforderung und bat Karl deshalb, auf die Fortführung des Konzils von Trient zu dringen, auf dem auch die stend der augspurgischen confession erscheinen und sich diesem neben allen andern stenden unterwerfen sollten.496 Das Votum Kursachsens zeigt allerdings, dass man das Trienter Konzil von evangelischer Seite weiterhin als parteiisch ansah, solange sich nicht auch der Papst seinen Entscheidungen unterwerfen würde. Bezüglich der eigenen Konfession sprach Sachsen dabei von den unsern bzw. den stende[n] der augsburgischen confession, die auf dem Konzil mitberaten und die Angelegenheiten nach gotlicher schrieft schließen helfen sollten.497 Der Kurfürstenrat nahm die Forderung Kursachsens tatsächlich auf und betonte, der Papst dürfe nicht president sein, da es sich sonst nicht um ein freies Konzil handle. In diesem Zusammenhang unterschied er zwischen den stende(n) der augspurgischen confession und dem merern teil der anderen stende der christenheit, was die numerische Überlegenheit der katholischen Seite zum Ausdruck brachte, ansonsten aber als weitgehend neutral zu werten ist.498 Da die Fürsten weiterhin bei ihrem Bedenken bleiben wollten, wandte man sich in zwei getrennten Repliken an den Kaiser, wobei der Fürstenrat an Stelle des Bezuges auf die CA bezeichnenderweise die reichsrechtlich abwertendere Bezeichnung die protestierenden verwendete.499 Die Reichsstädte reichten eine dritte Antwort auf die Proposition ein, weil sie bei den vorhergehenden Verhandlungen nicht berücksichtigt worden waren. Diese fiel erwartungsgemäß stärker zugunsten der evangelischen Position aus, schlugen sie doch erneute Beratungen über einen Religionsvergleich nach dem wort Gottes auf Reichsebene vor und forderten den Kaiser zudem auf, das Trienter Konzil in Anbetracht seiner Parteilichkeit als eines
495 496 497
498 499
Vgl. RTA JR XVIII. Nr. 40. S. 235f. RTA JR XVIII. Nr. 41. S. 250. RTA JR XVIII. Nr. 44. S. 259; Stände der Augsburgischen Konfession erscheint in dem Dokument noch mehrfach, vgl. S. 260, 261f. RTA JR XVIII. Nr. 45c. S. 264. RTA JR XVIII. Nr. 49. S. 273. Der Kurfürstenrat wiederholt den Text aus der Triplik an den Fürstenrat, Nr. 48. S. 270.
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pabstlichen concilii nicht mehr weiterzuführen.500 Konfessionsparteien blieben in diesem Dokument unerwähnt. Karl V. zeigte sich in seiner Antwort erfreut, dass Kurfürsten wie Fürsten bereit seien, die Frage der strittigen Religion auf das allgemain, frey, christenlich concilium, so alberait geen Triendt indiciert und daselbst angefangen, zu verweisen, auch will er dafür sorgen, dass die stende der augspurgischen confession sicheres Geleit und Gehör erhalten sollten.501 Die evangelischen Bedenken hat er auf diese Weise schlicht übergangen und das Trienter Konzil ausdrücklich mit jener allseits geforderten Versammlung gleichgesetzt. Dennoch stimmten die beiden Kurien dieser Antwort zunächst konfessionsübergreifend zu.502 Lediglich die Städte zeigten sich nicht einverstanden und legten erneut den Finger in die Wunde: Sie erklären sich durchaus bereit, sich einem vorhabenden concilio zu unterwerfen,503 lehnten das Trienter Konzil jedoch im Namen aller Augsburger Konfessionsverwandten nochmals mit deutlichen Worten ab, denn sie befürchten, dass diejhenen, so nun vil zeither auch in iren aigen conciliis ware, christenliche reformacion verhindern, auch wider euer ksl. Mt. gnedigsten willen und naigung uff andere wege, die dem wort Gottes und der hl. vattern und leeren nit gemess, sonder entgegen weren, gericht, auch die wort ,das das concilii zu Trienndt continuiert‘ dohin wollen gezogen und gedeutet werden, das dasjenig, so allgerait durch die wenig personen daselbst in religionssachen beschlossem, fur ain gemainen beschluss aines freyen, christlichen generalconcilii gehalten und angenomen werden sollte, so wollte dem mererntail der gesanten der stett und sonderlich denen, so der augspurgischen confession und religion verwant, sich solchen beschlussen anhengig und underwurfig zu machen, zum hochsten beschwerlich sein.504
Auf diese Weise diskreditierten sie das Trienter Konzil nicht nur als Versammlung einer parteiischen Minderheit, drehten das wahre Zahlenverhältnis damit also gleichsam um, sondern warfen ihm sogar ausdrücklich vor, notwendige Reformen verhindert sowie unchristliche Entscheidungen getroffen zu haben, denen sich die evangelische Seite nicht fügen könnte. Allerdings war der Einfluss der Städte zu gering, um nach der Zustimmung der anderen Kurien noch irgendwelche Änderungen durchzusetzen. War man sich insgesamt auch über die Konzilsforderung einig, so ergaben sich in den Verhandlungen darüber, wie man bis dahin mit der Religion verfahren wol500 501 502
503 504
RTA JR XVIII. Nr. 53. S. 291. RTA JR XVIII. Nr. 55. S. 298. Vgl. hierzu die mündliche Quadruplik der Kurfürsten und Fürsten an Karl, RTA JR XVIII. Nr. 59. S. 308–310. RTA JR XVIII. Nr. 60 b. S. 312. RTA JR XVIII. Nr. 60 b. S. 313.
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le, doch naturgemäß wieder einige Unstimmigkeiten. Der Erzbischof von Mainz berichtete an den Kaiser, dass es im interkurialen Ausschuss schnell zur Bildung zweier Parteien gekommen sei, die, obwohl er dies nicht ausdrücklich erwähnt, ziemlich genau der jeweiligen Konfessionszugehörigkeit entsprochen haben dürften. So heißt es, etlich der verordneten seien der Meinung, man müsse zuerst die mißbreuch durch christliche reformation abstellen, um danach auch einen äußeren Frieden schaffen zu können.505 Ansonsten dürfe man in theologischen Fragen nicht vorgreifen, da bis zu einem Konzilsentscheid noch nicht feststehe, welches theils religion und ceremonien antzunemen sei.506 Hier kommt eindeutig die evangelische Sichtweise zum Ausdruck, die jede Vorverurteilung der eigenen Lehre unterbinden und zugleich durch den Ruf nach Reformen die Missstände der Gegenseite betonen wollte. Dagegen ist der ander und mehrertheil der verordneten der Meinung, dass man im Glauben nur deshalb strittig sei, da ein theil under dem schein seiner religion den andern von seinem glauben, auch wolherbrachten religion, ceremonien und kirchengebreuch getrungen habe. Sie selber seien dagegen stets der alten religion, wie die von zeit der apostel uff sie khomen, anhengig blieben.507 Zudem sei es besonders beschwerlich, dass daneben nit allein die juden, sonder auch zwinglische, schwenckfelderische und sunst allerhandt irrige und verbottne secten neben und bei inen geruiglichen geduldet und gelietten werden sollen.508 Auch in dem zweiten Bericht wird deutlich, dass sich die katholische Seite primär durch den Alt-Neu-Gegensatz sowie ihrer daraus abgeleiteten Universalität definiert und deshalb ausdrücklich zwischen der alten religion bzw. den catholici und der neuen religion, die es doch noch nicht länger als 30 Jahre gebe, unterscheidet.509 Umgekehrt lehnen nun allerdings auch die Evangelischen jede Änderung des Status quo ausdrücklich gerade mit dem Argument ab, sie würden dadurch irstheils […] irer christlichen ceremoni und kirchen ent505 506 507
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RTA JR XVIII. Nr. 178. S. 1732. RTA JR XVIII. Nr. 178. S. 1733. Vgl. dazu auch ihre Behauptung sich nur daran zu halten, was an im selbst gottlich, der hl. apostolischen kirchen ordnung gemess und viel hundert jhar und der mehrertheil von zeit der hl. apostel her also loblich herbracht und gehalten worden, RTA JR XVIII. Nr. 178. S. 1735. RTA JR XVIII. Nr. 178. S. 1735. Laut dem entsprechenden Votenprotokoll des Ausschusses äußerte sich v. a. der bayerische Vertreter Leonhard v. Eck in diese Richtung, indem er seinen theologischen Widersachern vorwarf, dass die protestirende under sich getheilt, die sein zum theil zwinglisch, schwengfeldisch, lutterisch […]. Leiden allerhand secten. Wollen die nit leiden, die von zeit der apostel haben ir religion herbraacht. RTA JR XVIII. Nr. 177. S. 1721. RTA JR XVIII. Nr. 179. S. 1740–1742. Laut Votenprotokoll sprach besonders Leonhard v. Eck immer wieder von der ‚alten Religion‘, vgl. RTA JR XVIII. Nr. 177. S. 1714, 1721 und S. 1727, und unterstellte den Evangelischen gleichzeitig Sektierertum sowie Neuerungen. Auch Mainz lässt sich einmal in diese Richtung vernehmen, als es feststellt, man wiss noch woll, was die catholisch, cristlich ler sei. RTA JR XVIII. Nr. 177. S. 1720. Bayern spricht neben der ‚alten Religion‘ ebenfalls von den catholici, S. 1728.
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setzt, ire recht, alte, christliche religion umbgestossen, was aber den augßpurgischen confessionsverwandten stenden und anderen, die irs glaubens und gemuts, zuwider sein müsse.510 Besonders der Straßburger Gesandte Jakob Sturm setzte sich nach den Aufzeichnungen des Ausschussprotokolls deutlich gegen die katholischen Vorwürfe und Ansprüche zur Wehr: Werd geredt, das ir alte religion nit alt, sonder nheu. Werdt doruff fundirt, dieweil sie ein irrige sect eingefurt, das dieselbig gehindert und die ander gefurdert. […] Der haubtpunct sey, welches die recht alt religion sey: Dorin sey man spaltig. Wo sie ein neue dem evangelio nit gemess eingefurt, solt die ksl. Mt. solches nit gedulden, sonder ausgereitten.511 Mit diesem Votum betonte Sturm nochmals den evangelischen Anspruch, selber die alte Religion zu repräsentieren, und wiederholte die bereits von Luther in Worms vorgebrachte Forderung, man solle ihren Glauben am Evangelium messen. Letztendlich stieß Karl V. mit seinem Vorhaben bei allen Seiten auf Widerstand, wenn das Interim auch offiziell von den Ständen angenommen wurde.512 Naturgemäß wehrten sich in erster Linie die Evangelischen auf unterschiedliche Weise gegen diese Übergangsregelung. So beschwerte sich etwa Moritz v. Sachsen, dass das Interim allein dem einen teil zu halten auferlegt sein solle,513 will aber trotzdem mit meinen getreuen underthonen erwegen und was ich und sy mit Gott und guettem gewissen immer tuen mogen.514 Damit hat er die Entscheidung im Prinzip lediglich geschickt hinausgeschoben. Ähnlich ging Markgraf Johann v. Brandenburg-Küstrin vor: Er behauptet, er könne das Interim aus Gewissensgründen nicht annehmen, solange er seinen Inhalt noch nicht genau kenne, verspricht aber, sich weiter damit zu befassen. Um weiteren direkten Verhandlungen aus dem Wege zu gehen, reiste er schließlich schnell vom Reichstag ab.515 Pfalzgraf Wolfgang v. Zweibrücken schrieb an Karl V., sein Gesandter habe gegen das Interim protestiert, weil seine Vollmacht 510 511 512
513 514
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RTA JR XVIII. Nr. 179. S. 1739. RTA JR XVIII. Nr. 177. S. 1729. Am 15. Mai 1548 nahmen Kff., Ff. und gemeine stende das Interim als die gehorsamen an. In diesem Dokument wurde dabei nicht zwischen Konfessionen unterschieden. RTA JR XVIII. Nr. 192. S. 1802. RTA JR XVIII. Nr. 193 a. S. 1804. RTA JR XVIII. Nr. 193 a. S. 1805. Tatsächlich verfasste Melanchthon für Kursachsen das Leipziger Interim, wodurch im lutherischen Lager der ‚Adiaphoristische Streit‘ ausgelöst wurde, vgl. Wallmann: Kirchengeschichte (Kap. 1, Anm. 54). S. 84. Vgl. hierzu RTA JR XVIII. Nr. 195 b. S. 1814 sowie Nr. 197. S. 1847. Bereits während der Verhandlungen im März hatte er gegenüber König Ferdinand geäußert, nicht aus Unkenntnis Dingen zustimmen zu wollen, die wider Gott, sein hl. wort und mein gewissen sein könnten, Nr. 183. S. 1768. Dagegen hat er immer noch gehofft, bey meiner religion und der reinen leer der augspurgischen confession verwanten stende gelassen zu werden, Nr. 183. S. 1769.
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nicht so weit gereicht habe, etwas zu bewilligen, was ich meiner conscientz und gewissen halb leisten möchte.516 Außerdem entschuldigt er sich damit, dass er bereits im evangelischen Glauben aufgewachsen sei und es ihm deshalb schwerfalle, von dieser im hertzen und gewissen uberzeugter religion abtzusteen und ein andere, in deren er nit erboren, ertzogen, gelert und underrichtet ist, antzunemmen und zu glauben.517 Aus diesem Grunde benötige er noch eine gewisse Frist, um das Interim eingehend zu prüfen.518 Auch die Reichsstädte versuchten Zeit herauszuschinden, indem sie sich darauf beriefen, erst eine Antwort ihrer Stadtoberen abwarten zu müssen.519 Nachdem der Kaiser allerdings mit Nachdruck auf einer sofortigen Annahme seines Vorschlags bestanden hatte,520 richteten die evangelischen Städte eine eigene Supplikation an Karl, in der sie etwas deutlicher wurden. Der Vorschlag sei ihnen aus allerhandt beweglichen cristlichen und zum thail hernach volgenden ursachen in vil dingen des gewissene und gefhar der ewigen seligkait halb zum hochsten beschwerlich, auch derhalb nit wol bei iren kirchen ins werckh gericht werden moge. Dagegen halten sie ihre seit 25 oder 26 Jahren gehaltene Lehre für die recht, whar und gottgefellige lehr und gottsdinst. Da hier nun ohne ein Konzil Änderungen durchgesetzt und noch dazu dem andern thail sein religion frey gelassen werde solle,521 bitten sie den Kaiser, er wolle sie bei der augspurgischen confession und religion bis auf gedacht frey, cristlich concilium […] pleiben lassen, mithin also ganz auf das Interim verzichten. Sie seien zuversichtlich, dass auf dem Konzil letztendlich nachgewiesen werden könne, dass diese unser bisher bekannte augspurgische confession und lehre dem wort Gottes und der wharen alten kirchen brauch nit zuwider seie.522 Auch wenn in diesem Dokument deutlich auf das Selbstverständnis der evangelischen Seite verwiesen wurde, so ist die Terminologie der lutherischen Stände doch angesichts der politischen Situation als insgesamt sehr zurückhaltend zu bewerten. Der Widerstand gegen das Interim erfolgte dementsprechend auch nicht offen, sondern voll516 517 518 519 520
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RTA JR XVIII. Nr. 199. S. 1850. RTA JR XVIII. Nr. 199. S. 1851. RTA JR XVIII. Nr. 199. S. 1852. Vgl. RTA JR XVIII. Nr. 202. S. 1856. Am 30. Mai richtete Karl V. ein entsprechendes Schreiben an die Städte, in dem er wie später im Abschied betonte, dass das Interim in rechtem christlichem verstandt unserer waren christenlichen religion und kirchen leren, ordnungen und satzungen (außerhalb zwayer puncten, die communion under baider gestalt und der priester ehe belangend) nicht zuwider sei, RTA JR XVIII. Nr. 204 a. S. 1867. Zudem wiederholte er den Vorwurf, dass in vielen Städten darüber hinaus weitere leren und secten eingedrungen seien, Nr. 204 a. S. 1868. Eine 2. Fassung an katholische Städte fällt hier etwas kürzer aus, so fehlt etwa der Hinweis auf die Sekten und das Verbot weiterer Verhandlungen, sondern er fordert einfach nur ihre Meinung ein, wahrscheinlich in der Erwartung, dass diese sowieso positiv ausfallen werde, vgl. Nr. 204 b. S. 1869. RTA JR XVIII. Nr. 208. S. 1904. RTA JR XVIII. Nr. 208. S. 1906.
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zog sich eher im Rahmen einer Hinhaltetaktik, die zum Ziel hatte, dem Kaiser nicht zu direkt Kontra zu bieten, seine Vorschläge jedoch dadurch zu hintertreiben, dass man sie letztendlich mehr oder weniger stillschweigend unter den Tisch fallen ließ. Nun waren aber auch die geistlichen Reichsstände in vielen Dingen mit der Behandlung der Religionsfrage durch Karl V. unzufrieden, äußerten ihre Kritik jedoch wesentlich deutlicher, da sie konfessionspolitisches Oberwasser spürten. Die geistlichen Kurfürsten forderten, die Artikel des Interims sollten nur von denen eingehalten werden, dha soliche neuerung eingerissen, nicht aber von denen, so bisher bey der waren, alten religion blieben.523 Zudem müsse es auch angesichts dieser Übergangsregelungen ausdrücklich verboten werden, dass jemand der alten religion […] zu solicher neuer religion abfalle. Neben dieser terminologischen Betonung des Alt-Neu-Gegensatzes erscheint wiederum die Selbstbezeichnung catholicos.524 Terminologisch ähnlich zeigt sich die Stellungnahme der katholischen Fürsten, die sich ebenfalls selber christliche stend, catholicis und stend, so der althen religion anhangen, nennen,525 während die Gegenseite als die abgesunderten oder diejhenigen, so abgefallen, bezeichnet werden,526 was einer deutschen Übersetzung der Bezeichnung ‚Häretiker‘ schon sehr nahe rückt. Karl V. zeigte sich über diese Antwort höchst verärgert, da sie an vielen orten auf die scherpf dermaßen gestelt, das ir Mt. sollichs stilschweigend umbzegeen keinswegs thuenlich sei.527 Das liegt u. a. daran, dass er sich dem Vorwurf ausgesetzt sah, dem Konzil vorgreifen zu wollen bzw. durch seine Forderungen gar Anlass zu Aufruhr zu geben. Er hält ihnen im Gegenzug vor, bislang die notwendige ‚christliche Reformation‘ verhindert528 und an einer friedlichen Lösung des Konflikts überhaupt kein Interesse zu haben, sondern den Kaiser bei allen Seiten verhasst machen zu wollen.529 Überhaupt sollten sie die Gefahren bedenken, die mit ihrer Forderung nach gantzlicher ausreuttung und vertilgung des gegentheils religion verbunden seien.530 Der Kaiser zeigt damit im Gegensatz zu den Geistlichen eine durchaus realpolitische Einschätzung der Gesamtsituation. Allerdings bedeutet dieser Zornesausbruch nicht, dass er etwa Verständnis für die Evan523 524
525 526 527
528 529 530
RTA JR XVIII. Nr. 185. S. 1775. RTA JR XVIII. Nr. 185. S. 1776. Vgl. hierzu auch die Bezeichnung der alten catholischen kirchen, die gleichgesetzt wird mit der algemeinen christlichen kirchen, Nr. 185. S. 1775. RTA JR XVIII. Nr. 186. S. 1778–1783. RTA JR XVIII. Nr. 186. S. 1782 und S. 1783. RTA JR XVIII. Nr. 187. S. 1785. Er spricht auch von ungeschieckter, hässiger antwort, Nr. 187. S. 1788. Vgl. RTA JR XVIII. Nr. 187. S. 1786. Vgl. RTA JR XVIII. Nr. 187. S. 1788. RTA JR XVIII. Nr. 187. S. 1789. Überhaupt sei es zu diesem Zeitpunkt ein unvernünftiges Begehren, die Evangelischen aufzufordern, ganz von der augspurgischen confession Abstand zu nehmen, Nr. 187. S. 1787.
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gelischen aufbrächte, was daran deutlich wird, dass sich die Terminologie in diesem Bereich nicht grundsätzlich von derjenigen der kritisierten Eingabe unterscheidet. Auch Karl spricht nicht nur neutral vom ‚Gegenteil‘531 oder zumindest von den protestierenden,532 sondern nennt sie ebenfalls die von der christlichen religion bzw. der gmainen christenlichen kirchen unrechtmäßig abgefallne stend,533 während die Katholiken natürlich den alten religionsverwandten entsprechen.534 Die geistlichen Fürsten ruderten, erschreckt durch die heftigen Worte des Kaisers, sofort wieder zurück, entschuldigten sich und schlossen sich der Meinung der geistlichen Kurfürsten an, die von Karl als christenlich, catholisch und wolbedacht beruembt worden sei. Darüber hinaus erklärten sie sich auch zu einer entsprechenden reformation bereit, da sie ebenfalls wünschten, dass die christenlich kirch widerumb in einen rechten gottseligen standt gebracht und erhebt werde.535 Die entsprechende ‚Formula reformationis‘, die der Kaiser schließlich für die katholischen Stände erließ, stieß aber letztendlich auf den gleichen hinhaltenden Widerstand, wie das Interim bei den Evangelischen. Zunächst lobten die Geistlichen den Text noch als fast aus der gotlichen geschrift und den hl. conciliis, auch alten canonibus und geistlichen rechten gezogen,536 sie fügten aber sogleich einschränkend hinzu, sie müssten zunächst mit all ihren Suffraganen, Kapiteln, Klöstern, etc. darüber verhandeln und könnten deshalb nicht sofort zustimmen.537 Karl V. erkennt diese Hinderungsgründe an, fordert sie aber auf, bereits vom Reichstag aus die Vorbereitungen für entsprechende Provinzialsynoden zu treffen und sich ansonsten mit ihm zu vergleichen.538 Daraufhin werden die geistlichen Stände deutlicher und sagen plötzlich, dass gemelthe reformation bedencklich und ihnen durchauß zu verrichten zum theill unmuglich sei.539 Für ihre eigene Person seien sie jedoch bereit, das Dokument vorerst anzunehmen, sovill ihnen immer menschlich thuenlich und sovherr ihr bevelch und gwalt sich erstreckt.540 Im Prinzip verwenden sie hier genau die gleichen Argumente für ihre Ablehnung der Formula wie die Evangelischen bei ihrer Untergrabung des Interims. Prinzipiell zeigte sich durch diese Unbeweglich-
531 532 533
534 535 536 537 538 539 540
Vgl. RTA JR XVIII. Nr. 187. S. 1787, 1788 und S. 1789. RTA JR XVIII. Nr. 187. S. 1787. RTA JR XVIII. Nr. 187. S. 1785. An anderer Stelle nennt er sie die abgesonderte stend, Nr. 187. S. 1787. RTA JR XVIII. Nr. 187. S. 1789. RTA JR XVIII. Nr. 189. S. 1793. RTA JR XVIII. Nr. 212 a. S. 1950. Vgl. RTA JR XVIII. Nr. 212 a. S. 1951f. Vgl. RTA JR XVIII. Nr. 213. S. 1955f. RTA JR XVIII. Nr. 214. S. 1959. RTA JR XVIII. Nr. 214. S. 1958.
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keit aller Seiten die prekäre Lage Karls V., dem es so unmöglich gemacht wurde, überhaupt in der Religionsfrage vermitteln zu können. Schließlich ergab sich noch eine Auseinandersetzung um die Formulierung des Reichsabschieds, die sich im Protokoll des entsprechenden interkurialen Ausschusses findet. Die katholische Seite regte an, die Worte Augspurgisch confession herauszulassen und diese statt dessen so zu bezeichnen, wie die ksl. Mt. sie nent.541 In einer Stellungnahme der kursächsischen Räte wird dieser Vorgang genauer beschrieben: Die Mehrheit hat beschlossen, das man sie nicht ferner die stende der augspurgischen confession, sondern stende, so in der hl. religion nauerunge und enderunge vorgenommen, kunftiglich nennen solt etc. Dan nachdeme der bund, der zue handhabunge und schuzunge solcher confession aufgerichtet, getrant, auch alle Kff., Ff. und stende in das interim gewilliget, wer nhu solche confession gefallen.542
Diese Forderung stieß bei den evangelischen Ständen natürlich keineswegs auf Verständnis. Brandenburg wehrt sich ausdrücklich gegen eine solche Änderung der reichsrechtlichen Terminologie, da er vermeint, khein neuerung furgenomen, sonder alles das gethan haben, das der hl. cristenlichen kirchen gemes.543 Ähnlich äußern sich auch die Pfalz und Sachsen, doch wollen sie sich notfalls der Mehrheit anschließen.544 Das interne sächsische Gutachten führt interessanterweise noch weitere Gründe für die Vorbehalte gegen die Namensänderung an. Hier geht es nicht mehr so sehr um eine Ablehnung der ‚Neuerungen‘, sondern vielmehr um den inzwischen entstandenen Begriffsinhalt. Die vorgeschlagene Umschreibung ist ihnen zu allgemein, da hier im Gegensatz zu den ‚CA-Verwandten‘ sacramentirer, wiedertauffer, etc. nicht ausgeschlossen würden und die Lutheraner folglich mit ihnen in einen Topf geworfen werden könnten.545 In diesem Text findet sich zugleich ein deutlicher Hinweis darauf, dass auch die Protokolle und Berichte nicht immer das ganze Ausmaß der konfessionellen Auseinandersetzungen im Rahmen der Reichstagsverhandlungen wiedergeben, denn es haben sich auch sonsten bei diesen artickeln allerlei beschwerliche und vordriesliche wort zuegetragen, die der feder nicht zue vertrauen.546 Letztendlich fanden die Evangelischen mit ihren terminologischen Einwänden diesmal kein Gehör, da die Position des Kaisers nach seinem Sieg unangreifbar war. Die Formulierung des Reichsabschieds fiel bekanntermaßen entsprechend aus. 541 542 543 544 545 546
RTA JR XVIII. Nr. 370. S. 2602. RTA JR XVIII. Nr. 371. S. 2626. RTA JR XVIII. Nr. 370. S. 2605. Vgl. RTA JR XVIII. Nr. 370. S. 2605 und S. 2616. RTA JR XVIII. Nr. 371. S. 2626. RTA JR XVIII. Nr. 371. S. 2627.
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Auf dem folgenden Augsburger Reichstag von 1550/51 sind für uns v. a. drei Verhandlungspunkte von besonderem Interesse: Die Durchsetzung des Interims bzw. der Formula Reformationis, die Fortführung des Konzils und der Umgang mit den noch immer geächteten Städten Bremen und Magdeburg. Die Instruktionen bleiben auf evangelischer Seite in ihrer Wortwahl insgesamt eher zurückhaltend und schwanken angesichts der noch immer nachteiligen politischen Lage zwischen Gehorsam und Widerspruch. Zum einen ging es natürlich um die Umsetzung des 1548 aufgezwungenen Interims. Kurfürst Friedrich von der Pfalz agiert hier besonders vorsichtig, bittet er doch lediglich um Geduld, wenn Interim und Formula Reformationis noch nicht vollständig umgesetzt worden seien, was besonders aus dem Grund auch nicht solch große Bedeutung besitze, da man schließlich in den waren hauptartickeln unsers allgemeynen, chrislichen hl. glaubens ohnehin einig sei.547 Interessanterweise sieht er sich hier mit den betroffenen katholischen Ständen in einem Boot, wodurch er wohl hofft, umgekehrt auch von dieser Seite Zustimmung und Unterstützung zu erhalten.548 Daneben beschwert er sich jedoch auch darüber, dass seine Pfarrer von katholischen Bischöfen trotz des Interims noch immer als ketzer bezeichnet würden umb der zugelaßen rechten leren willen sub utraque, womit er am Rande doch wieder den Wahrheitsanspruch der evangelischen Abendmahlslehre durchscheinen lässt.549 Joachim von Brandenburg entschuldigt sich mit der recht fadenscheinigen Ausrede, seine Untertanen seien schon zu lange an die reformatorischen Lehren gewöhnt, so dass man nicht ohne Weiteres Änderungen einführen könne,550 während Herzog Barnim von Pommern betont, er habe sich an das Interim gehalten, da hier die Rechtfertigungslehre sowie der rechte brauch der von Christo ingesetzter sacrament freygeben sein.551 Andere Punkte, in denen das Interim signifikant von evangelischen Überzeugungen abweicht, lässt er dabei wohlweislich unter den Tisch fallen. In einem Frankfurter Schreiben an seinen Gesandten heißt es, dass man diese Angelegenheit am liebsten erst überhaupt nicht thematisieren möchte, verweist aber als 547 548
549 550 551
RTA JR XIX. Nr. 69. S. 198. Grundsätzlich ging er in der Ablehnung des Interims ja auch durchaus mit den katholischen Ständen konform. So betont Herzog Albrecht von Bayern in seiner Instruktion für 1551, er müsse das Interim nicht beachten, da er stets beim alten Glauben geblieben sei. Aber er wünsche, dass die andern stend, dabei allerlei mißverstand in der religion eingerissen und ermelte resolution oder interim angenomen, dieses einhielten und die, so es gar nicht bißher angenomen, dieses noch annehmen würden. Damit wird sogleich deutlich, dass die katholischen Stände trotz dieser ‚Gemeinsamkeit‘ natürlich keinesfalls gemeinsame Sache mit den evangelischen machen würden. RTA JR XIX. Nr. 76. S. 243. RTA JR XIX. Nr. 69. S. 199. Vgl. RTA JR XIX. Nr. 70. S. 207. RTA JR XIX. Nr. 74. S. 239.
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mögliche Entschuldigung zugleich darauf, dass das Interim in Frankfurt nit weniger als in andern der augspurgischen confession verwandten furstenthumbem, herschaften und stetten in das wergk pracht were.552 Bezüglich der zweiten großen Forderung, der Unterwerfung unter das Konzil von Trient, betonen alle Beteiligten, dass sie einem freien, allgemeinen, christlichen Konzil zugestimmt hätten, lassen aber wie bereits auf den vorangegangenen Reichstagen noch immer deutlich durchblicken, dass sie darunter lediglich Beschlüsse auf der Basis der Bibel verstehen wollen. Kurfürst Friedrich von der Pfalz äußert sich dahingehend recht ausführlich, es müsse sich um eine Versammlung handeln, so der hl. gotlichen, prophetischen und evangelischen geschrift und rechter alten apostolischen kirchen, sampt derselben ceremonien und lere gemeß.553 Brachte er damit indirekt auch das Adjektiv ‚evangelisch‘ wieder ins Spiel, so wurde Herzog Barnim von Pommern sogar noch deutlicher, wollte er einem Konzil doch nur zustimmen, wenn es nach herkomen der waren, alten, catholischen, christlichen kirchen gehalten und darin das wort Gottes als das richtescheidt gebraucht werde, während Beschlüsse, die nach altem misbrauch gegen die schrift abgefasst worden wären, abzulehnen seien.554 Damit beansprucht er die Bezeichnung ‚katholisch‘ für die eigene Partei, während die Anhänger Roms zwar durchaus als ‚alt‘, aber eben nur im Bereich von Missbräuchen, angesehen werden. Die mit den Reichstagsbeschlüssen von 1548 verbundene offizielle Abschaffung der reichsrechtlichen Bezeichnung ‚Augsburger Konfessionsverwandte‘ schlägt sich in den internen evangelischen Schriften nicht nieder. Vielmehr erscheinen bei Moritz von Sachsen, Barnim von Pommern und der Reichsstadt Frankfurt jeweils Bezüge auf die Confessio Augustana.555 Am freimütigsten äußert sich in diesem Zusammenhang jedoch wieder einmal Barnim von Pommern, der den Evangelischen einerseits die Anhänger der bapstlichen religion gegenüberstellt und sogar soweit geht zu behaupten, man könne alles zu irthumb und ketzerei erklären, was dem wort 552 553
554 555
RTA JR XIX. Nr. 217. S. 1116. RTA JR XIX. Nr. 69. S. 197. Joachim von Brandenburg fordert, der Kaiser solle ihnen die Verweigerung derjenigen Konzilsartikel gestatten, die etwan dem gotlichen worte und dem brauch der hl. sacrament […], wie die in unser kirchen gelert und gehalten werden, nicht gar gemeß, die wir auch mit Got und gewissen nicht annhemen noch halten kondten, Nr. 70. S. 207. In der Frankfurter Instruktion heißt es lediglich allgemein, dass der mehrer tail der erbarn stet sich ausschließlich einem freien, christlichen und allgemeinen Konzil unterworfen hätte, Nr. 77. S. 245. Moritz von Sachsen betont, ein solches Konzil habe in all den Jahren gar nicht stattgefunden, vgl. Nr. 72. S. 219, und verbietet seinen Gesandten ausdrücklich, etwas zu bewilligen, was Gottes wort zuwider sei, Nr. 72. S. 221. RTA JR XIX. Nr. 73. S. 228. Vgl. RTA JR XIX. Nr. 72. S. 219 und S. 220; Nr. 73. S. 228, 229 und S. 230; Nr. 77. S. 245. Joachim von Brandenburg spricht lediglich zurückhaltend von unserer religion, Nr. 70. S. 206.
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Gottes zuwider geordent ist, worunter seiner Ansicht nach denn wohl gerade der Papst fallen dürfte.556 An diesen Aussagen erkennt man deutlich, dass die evangelische Seite unter dem Eindruck der kaiserlichen Machtposition zwar Zugeständnisse machen musste, die sich naturgemäß auch in den internen Anweisungen niederschlugen, nichtsdestotrotz aber in dieser Situation nicht gewillt war, ihre Ablehnung des Papsttums sowie ihre eigene religiöse Überzeugung tatsächlich aufzugeben. In den Verhandlungen über das Konzil zeigten alle Beteiligten über konfessionelle Grenzen hinweg prinzipielle Einigkeit darüber, dass es sich hierbei um den besten Weg zur Beilegung der Religionsstreitigkeiten handle. In diesem Sinne wurde in diesem Bereich nicht besonders viel debattiert, dennoch finden sich ein paar Aspekte, die einigen Ständen besonders aufstießen. So betonten die bekanntermaßen mehrheitlich evangelischen Reichsstädte in ihrem Bedenken auf die Proposition zum wiederholten Male, man müsse ein frei, cristenlich, allgemain concilium […] halten, darinnen auch der augspurgischen confession anhengigen gnugsamlich zu hörn. Bis dahin sollten Interim und Formula reformationis ausgesetzt werden.557 Auch wenn man sich angesichts der derzeitigen Machtverteilung nicht mehr direkt gegen das Konzil aussprechen durfte, so versuchte man durch die Aufnahme der Formel vom freien, christlichen Konzil doch zumindest einen gewissen Vorbehalt zu formulieren, der vielleicht späterhin eine Ablehnung der entsprechenden Beschlüsse rechtfertigen könnte. Auch die Erwähnung der CA-Verwandten stellte diesmal ein ganz besonderes Zeichen dar, war diese Bezeichnung doch im Abschied von 1548 mit der Annahme des Interims offiziell hinfällig geworden. Die Kurfürsten und Fürsten stellten sich ebenfalls hinter das Konzil, störten sich jedoch bezeichnenderweise daran, dass bezüglich der Trienter Versammlung von einer continuation die Rede ist, da sie befürchteten, dass die bereits verhandelten Punkte dann nicht mehr zur Debatte stünden. Stattdessen baten sie darum, dass diejhenigen, so vermog des nechst alhie gehaltnen reichstagsabschiedt dartzu erfordert werden sollen, auch uber die puncten, so zuvor alberaidt decidirt sein mogen, der gebure und nach notturft gehort wurden.558 In ihrer Quadruplik erwähnen sie schließlich sogar ausdrücklich die stende der augspurgischen confession, die auf dem Konzil adäquat angehört werden müssten.559 Karl V. verspricht denn auch, dafür zu sorgen, dass das Konzil nach den Maßgaben des letzten Abschieds stattfinden und dass jeder, die haben enderung in der religion furgenommen oder auch andere, ohne Sorge erscheinen und seine An556 557
558 559
RTA JR XIX. Nr. 73. S. 229. RTA JR XIX. Nr. 84. S. 741. Ähnlich äußerten die Städte sich auch in ihrer offiziellen Antwort an den Kaiser, die Bezeichnung als CA-Verwandte wird hier allerdings umgangen, vgl. Nr. 90. S. 764. RTA JR XIX. Nr. 94. S. 787. RTA JR XIX. Nr. 96. S. 805.
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sicht vorbringen solle.560 Er ging also auf diese grundlegende Forderung der Stände ein, umging aber bezeichnenderweise die bisher übliche reichsrechtliche Bezeichnung der Evangelischen und zog sich mit einer neutralen Umschreibung aus der Affäre. Darüber hinaus baten die Kurfürsten und Fürsten den Kaiser, er solle die stend, so gemelte resolution und reformation angenomen und bewilligt und doch denselben in vil weg nit nachgesetzt, oder sich dargegen bißher gar widersetzt hetten, nochmals auß gnedigstem, vätterlichen gemut auffordern, dem nachzukommen.561 Die Geistlichen begründeten die zögerliche Umsetzung der Formula reformationis u. a. mit Exemptionen, Freiheiten, Indulten, Dispensen, etc. und bedauerten, dass man an einigen orten, dha das interim zu halten angericht und wo man die predicanten abgeschafft habe, keine andere catholische priester einsetzen könne.562 Die Stände, welche undter dem interim begriffen, konnten dagegen noch nicht alle Bestimmungen durchführen, weil diese religion in 30 Jahren sehr eingewurzelt sei.563 Viele Untertanen würden sich widersetzen, da sie glaubten, das Interim sei nit allenthalben in iren puncten und artickeln der gottlichen geschrieft ebenmeßig, und schließlich bekämen sie keine Priester, die das Interim halten wollten, da diese bei der alten religion zu pleiben hätten.564 Gegen dieses Argument wandten sich allerdings die fursten und stende mit dem Vorwurf, dass u. a. die Jugend nit im wharen, alten und catholischen glauben, welchen die ksl. declaration lernet, ertzogen, sonder durch widderwertige doctrin und authores, die ir furgelesen, davon gewiesen wirdt.565 Der Kaiser zeigte für derartige Einwände keinerlei Verständnis. Er forderte vielmehr nochmals die Einhaltung aller Beschlüsse ein und betonte, er habe mit den stenden, so obberuerte resolution und reformation angenomen und bewilligt und doch nit volkommenlich ins werck gesetzt, deßgleichen mit denen, so sich demselben bißher widersetzt hetten, bereits ausreichend versucht, gütlich zu verhandeln.566 Er äußerte sich besonders befremdet darüber, dass das Interim nun nach aines jeden idioten, der kain weitern verstand hat, sonder allain seinem einen kopf nachgeet, guetbedencken kritisiert
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RTA JR XIX. Nr. 98. S. 819. So im Bedenken des Fürstenrats, RTA JR XIX. Nr. 85. S. 742. Vgl. hierzu auch das Bedenken des Kurfürstenrats, Nr. 86. S. 742, sowie die gemeinsame Antwort an den Kaiser, Nr. 87. S. 749. RTA JR XIX. Nr. 94. S. 788. RTA JR XIX. Nr. 94. S. 789. Ähnlich argumentieren die Städte: Sie wünschten nichts mehr, dann das alle stend in ainhelligem verstandt der christlichen religion leben würden, aber in so kurzer Zeit ließe sich eben nur schwer ändern, was lenger dann 30 jar in breuchlichem wesen gestanden, Nr. 92. S. 779. RTA JR XIX. Nr. 94. S. 789. RTA JR XIX. Nr. 94. S. 790. RTA JR XIX. Nr. 91. S. 770.
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werde.567 Damit wendet er sich ausdrücklich und eigentlich recht beleidigend gegen die Argumentationen von evangelischer Seite, lässt in der Sache selber allerdings keine weiteren Maßnahmen folgen. Eine unmittelbare Folge des Schmalkaldischen Krieges stellte der noch immer währende Widerstand Magdeburgs und Bremens dar. In diesem Falle waren sich Kaiser und Stände terminologisch einig, dass es sich hierbei um die ungehorsamen und rebellen handle.568 Unterschiede ergaben sich lediglich in der Härte des Umgangs mit diesen Städten, denn während Karl V. eigentlich ein Exempel hätte statuieren wollen und nur aus Rücksicht auf die benachbarten gehorsamen stende darauf zu verzichten bereit war,569 setzten sich die Stände von vornherein für eine möglichst gütliche und auch kostengünstige Lösung ein.570 Die Konfession fand hier wie bei den direkten Verhandlungen über die Achtexekution gegen Magdeburg wohlweislich keinerlei Erwähnung, wurde doch der lutherische Kurfürst Moritz von Sachsen mit ihrer Ausführung betraut! Eine solche terminologische Rücksichtnahme findet sich in den Eingaben der direkt Betroffenen nicht, hier werden zur Untermauerung des jeweiligen Standpunkts vielmehr bewusst Verbindungen zur Religion geschaffen. So beschwert sich das Magdeburger Domkapitel bitter über das Verhalten der rebellischen Reichsstadt, deren Vertreter ihre Bürger mit etlichen zugenöttigten und daheergetrungenen spruchen der hl. schrift in die Irre geführt hätten, indem sie behauptet hätten, das sy allein wegen der religion und das sy dem wort Gottes anhangen und das sy das öwig umb des zeitlich nit verlassen khonnden in die Acht erklärt worden seien.571 Damit verletze die Stadt in viehischer, turckischer und uncristlicher weise ihre Pflichten gegenüber der Obrigkeit und gebare sich wider Got, erbarkeit, guette sitten und alle menschliche vernunft.572 Bürgermeister und Rat von Bremen weisen den Vorwurf der Rebellion dagegen zurück, da sie nie gegen den Kaiser selber hätten handeln wollen. Ihr Beitritt zum Schmalkaldischen Bund sei vielmehr geschehen zu billicher, naturlicher gegenwehr, ob wir der angenomben und ainmal 567 568
569 570 571 572
RTA JR XIX. Nr. 95. S. 801. Siehe hierzu die Ständeantwort auf die Proposition, RTA JR XIX. Nr. 89. S. 750, vgl. auch die entsprechenden Antworten der Städte, Nr. 90. S. 764 und Nr. 92. S. 780, sowie die Replik Karls V., Nr. 91. S. 773. Das Votenprotokoll der Kurmainzer Kanzlei verzeichnet einen für die evangelische Seite gefährlichen Vorstoß von Mainz, es sollten neben den Städten Bremen und Magdeburg ebenso diejenigen rebellen zuo achten seyn, auch die das interim nit annemen. RTA JR XIX. Nr. 82. S. 277. Ansonsten schlossen sich auch hier alle Vertreter der Bezeichnung dieser Städte als rebellen an, vgl. etwa die verschiedenen Voten auf S. 276f. RTA JR XIX. Nr. 91. S. 773. Vgl. RTA JR XIX. Nr. 89. S. 751 sowie Nr. 90. S. 764. Supplikation vom 15. August 1550, RTA JR XIX. Nr. 159. S. 961. Eingabe der Gesandten des Hochstifts an die Reichsstände vom 12. Oktober 1550, RTA JR XIX. Nr. 162. S. 965.
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erkhanten warhait und rainen wort Gottes halben angefahen solln werden.573 Ebenso betont Magdeburg, man dürfe es ihnen durchaus nicht übel nehmen, wenn sie gedenckhen, bei dem rainen wort Gottes und der augspurgischen confession one allen menschlichen zuesatz zu bleiben, da man in sachen Gottes eer, unser und allen cristen seligkhait unserm lieben Got und seinem allainseligmachenden wort mer dann den menschen gehorchen müsse.574 Die Städte legen also entgegen der offiziellen Linie des Reichstages die direkte Verbindung zwischen dem Krieg und der Religionsfrage offen, indem sie ihre Haltung offiziell mit dem Festhalten am Evangelium sowie mit ihrem Gewissen rechtfertigen.575 Insgesamt fällt auf, dass die Terminologie der offiziellen Verhandlungsakten abgesehen von den Eingaben bezüglich der Rebellion deutlich an Schärfe verloren hat. Man bemühte sich im Allgemeinen um einen neutralen und zurückhaltenden Ton. Selbst der Kaiser, der über die wohlgemerkt überkonfessionelle Verschleppungstaktik keineswegs erfreut war, ließ sich in diesem Zusammenhang keineswegs zu harten religionspolitischen Aussagen hinreißen. Als besonders interessanter Aspekt erscheint zudem die Tatsache, dass die im Abschied von 1548 eingeführte Bezeichnung ‚Stände, die der Augsburgischen Konfession anhängig gewesen‘, weder in den Verhandlungensakten im Vorfeld des Interims noch in den Dokumenten auf diesem ersten Reichstag nach dem Interim irgendeinen Niederschlag gefunden hat. Der Kaiser vermeidet in seinen Antworten an die Stände zwar jeden Bezug auf die CA, doch die Kurfürsten und Fürsten sehen offensichtlich kein besonderes Problem darin, weiterhin von den ‚Ständen der Augsburgischen Konfession‘ zu sprechen. Alle diese Befunde deuten bereits an, dass Interim wie Formula reformationis aufgrund des ständischen Widerstands letztendlich zum Scheitern verurteilt waren. Der Fürstenaufstand machte die Hoffnungen des Kaisers schließlich endgültig zunichte und leitete den Wendepunkt der Reichsreligionspolitik im Augsburger Religionsfrieden von 1555 ein. Auch wenn gerade die Akten dieses wichtigen Reichstags noch nicht in befriedigender Weise in einer Edition zugänglich gemacht worden sind, so bietet Christoph Lehmann mit seiner Sammlung ,De pace religionis acta publica et originalia‘ aus dem Jahre 1707 doch zumindest einen groben Einblick in den Verhandlungsgang im Vorfeld des Religionsfriedens. Wie bereits weiter oben ausgeführt, erfuhr die konfessio573 574 575
RTA JR XIX. Nr. 164. S. 972. RTA JR XIX. Nr. 165. S. 975. Mit Bremen kommt es schließlich zu Kapitulationsverhandlungen, wobei die entsprechenden Kapitulationsartikel natürlich auch eine Unterwerfung unter den Abschied von 1548 vorsehen, vgl. RTA JR XIX. Nr. 169. S. 980. § 13. Die Bremer Gesandten erklären dazu schließlich, sie würden dem Abschied Folge leisten, außer dort, wo die Regelungen der augspurgischen confession zuwider sein mochten, Nr. 179. S. 1011.
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nelle Terminologie in diesem Dokument ihre weitgehend endgültige reichsrechtliche Festschreibung. Die grundsätzliche Kompromissbereitschaft spiegelte sich aber natürlich auch in den anderen Unterlagen dieser Versammlung wider. Ein kurzer Blick auf die offiziellen Verhandlungsakten ist allerdings dennoch gerade unter dem Aspekt von besonderem Interesse, dass die evangelische Seite mit der im Abschied verwendeten Bezeichnung ‚Stände der alten Religion‘ aufgrund des dort weiterhin enthaltenen Universalanspruches nicht vollständig zufrieden sein konnte. Auch die katholischen Stände taten sich mit der Anerkennung zweier Religionsparteien noch immer schwer. So protestierte etwa gleich zu Beginn der Verhandlungen der Bischof von Augsburg gegen jedwede Diskussion in Lehrfragen und behauptete, er wolle wie ein beständiger Christ bei seinen Pflichten gegenüber Papst, Kaiser und Reich bleiben.576 Er verzichtete hier auf eine terminologische Unterscheidung der Konfessionen, verwendete für sich aber einen rein universalistischen Begriff und ließ die Gegner gleich ganz unerwähnt. Eine solche Wortwahl war der interkonfessionellen Kommunikation natürlich keineswegs förderlich und taucht in den eigentlichen Verhandlungsdokumenten so auch nicht auf. Statt dessen hielt man sich hier in konfessionsübergreifenden Bedenken wie auch in Eingaben nur einer Partei weitgehend an die hinlänglich bekannte, bereits im Passauer Vertrag verwendete und schließlich in den Abschied aufgenommene Unterscheidung zwischen den ‚Augsburger Konfessionsverwandten‘ und den ‚Ständen der alten Religion‘.577 Dennoch finden sich auf beiden Seiten einige bemerkenswerte Abweichungen von dieser gleichsam offiziellen Begrifflichkeit, die deutlich auf weiterhin vorhandene Vorbehalte und eine unterschwellige Abneigung gegen eine Gleichstellung der Konfessionen verweisen. Die Katholiken hatten mit einer Übernahme dieser Ter576 577
Lehmann: De pace religionis acta 1 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 3. S. 12. Als Beispiel für überkonfessionelle Dokumente vgl. etwa das Bedenken des Kurfürsten- und Fürstenrates vom 19. Juni, Lehmann: De pace religionis acta 1 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 10. S. 25, oder die Duplik vom 7. September, Nr. 18. S. 39. Auch in Texten evangelischer Provenienz werden die Katholiken immer wieder unter ihrem üblichen reichsrechtlichen Namen geführt, vgl. z. B. die Eingabe der evangelischen Städte zur Freistellung der Religion, Nr. 6. S. 19, sowie ein Schreiben der evangelischen Stände an König Ferdinand, Nr. 15. S. 30, und das Konzept für die Formulierung der Freistellung vom 20. September, Nr. 22. S. 48. Die Selbstbezeichnung als ,Augsburger Konfessionsverwandte‘ erscheint hier mit gewissen weiter unten angeführten Abweichungen ohne Ausnahme. Die katholische Seite verwendet diese Bezeichnung ebenfalls durchgängig, vgl. beispielsweise das katholische Bedenken vom 21. Mai 1555 gegenüber den Botschafften der Augspurgischen Confessios (sic!)-Verwandten Ständen, Nr. 7. S. 19. In einem Verhandlungsbericht taucht neben der Augspurgischen Confession Stände die Bezeichnung Confessionisten auf, Nr. 23. S. 49. Dieser Ausdruck kommt nur sehr selten vor und ist evtl. als Versuch zu sehen, den umständlichen offiziellen Namen etwas abzukürzen, wobei mit der Endung –ist zugleich durchaus eine gewisse Abwertung mitschwingen kann, man denke etwa an Papist. Vgl. Wolter: Deutsche Schlagwörter (Kap. 1, Anm. 27). S. 174, besonders Anm. 503.
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minologie insgesamt weniger Schwierigkeiten, da der Name ‚Augsburger Konfessionsverwandte‘ keinerlei universalistische Implikationen beinhaltete und folglich an sich schon vollkommen neutral war. Im Gegenzug brachte die offizielle Bezeichnung der Katholiken als ‚alte Religion‘ ja durchaus einen von evangelischer Seite nur äußerst widerwillig hingenommenen höheren Wahrheitsanspruch zum Ausdruck und konnte so als Selbstbezeichnung problemlos akzeptiert werden. Trotzdem erscheinen immer wieder Varianten, die durch in universalistischem Sinn verstärkende Adjektive die besonderen Stellung des eigenen Glaubens hervorzuheben suchen. Nach einem Bericht über die Verhandlungen bezüglich des Geistlichen Vorbehalts und des Städteartikels betonte beispielsweise der Ausschuss der katholischen Stände den Lutheranern gegenüber, Sie wären in Uhralter unverbrüchlicher Possession ihrer Catholischen Christlichen Apostolischen Religion.578 Die Konfession ist hier nicht mehr nur ‚alt‘, sondern gar ‚uralt‘. Sie wird im Sinne der apostolischen Sukzession in direkte Nachfolge der Jünger Christi gestellt und erhebt durch die aus dem Glaubensbekenntnis übernommene Bezeichnung ‚katholisch‘ den Anspruch, allumfassend zu sein. In diesem Sinne war bereits zuvor in einem Bedenken der katholischen Mehrheit des Fürstenrats auch einfach von den Catholischen die Rede.579 Noch größere Vorbehalte mussten die Evangelischen hegen, die durch eine Annahme der offiziellen Terminologie ihrem ureigensten Selbstverständnis zuwiderhandelten. Dass sie in diesem Punkt letztendlich nachgaben, mag der politischen Vernunft geschuldet gewesen sein sowie der Überlegung, dass alleine durch die Tatsache einer gleichberechtigten Anerkennung für die Augsburger Konfessionsverwandten bereits sehr viel gewonnen war. Dennoch finden sich in den Verhandlungsakten immer wieder deutliche Spuren des Widerwillens gegen eine als falsch verstandene Begrifflichkeit. Zum einen fällt auf, dass man eine direkte Benennung der Katholiken tunlichst umging, wo immer es sich nur vermeiden ließ, und stattdessen lieber von dem andern theil sprach.580 An anderer Stelle setzte man an der Bezeichnung ‚Stände der alten Religion‘ selber an und versah sie wie die katholische Seite mit einigen bemerkenswerten Ergänzungen, wenn auch in eine gegenteilige Richtung. So erschien etwa in einem Schreiben vom 21. Juni mit der Forderung nach Freistellung der Religion neben der üblichen Bezeichnung für die katholische Seite auch die Stände so sich der alten Religion nennen oder vielgemeldte der angemasten alten Religion Stände.581 Dadurch brachten die Lutheraner klar zum Ausdruck, dass sie den reichsrechtlichen Namen der Gegenseite zwar notgedrungen tolerierten, 578 579 580 581
Lehmann: De pace religionis acta 1 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 23. S. 49. Lehmann: De pace religionis acta 1 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 7. S. 19. Lehmann: De pace religionis acta 1 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 21. S. 46. Lehmann: De pace religionis acta 1 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 15. S. 31 und S. 32.
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aber nicht akzeptieren konnten und mithin für eine ungerechtfertigte Anmaßung hielten. In Zusammenhang mit der Planung eines neuen Religionsgespräches wurde man noch deutlicher, denn dort sollte nach dem Wort Gottes/ und der H. Schrift/ und nicht Menschen Satzungen/ und traditionen geurtheilt/ alle Irrthum/ Gotteslästerungen und Aergernis abgeschafft/ die Warheit an Tag bracht werden.582 Wegen der besonderen Hervorhebung der Tradition, die katholischerseits eine bedeutende Rolle spielte, geht aus dieser Passage recht deutlich hervor, welche Partei in ‚Irrtum‘, ‚Gotteslästerungen‘ und ‚Ärgernis‘ verfallen und auf welcher Seite die ‚Wahrheit‘ zu finden war. Dementsprechend nannten sie sich selber durchaus mit universalistischem Anspruch immer wieder die Stände der Christlichen Augspurgischen Confession583 oder sprachen von ihrem Glauben als ihrer christlichen Religion, in der Augspurgischen Confession verfast.584 In diesem Zusammenhang wurde sogar betont, dass alle ihre Zeremonien und Gebräuche sich streng nach der Evangelischen Lehr, also nach Gottes Wort, richten würden.585 Besonders deutlich legten die Kurfürsten Joachim von Brandenburg und August von Sachsen sowie Philipp von Hessen ihren Standpunkt in einem offiziellen Schreiben an König Ferdinand dar, das sie von einem Treffen in Naumburg aus nach Augsburg gesandt hatten. In der Proposition hatte Ferdinand noch beklagt, dass an vielen Orten allerhand Secten und Spaltungen entstanden seien.586 Diese ketzerterminologische Wendung könnte auf calvinistische Strömungen unter dem Deckmantel der Augsburger Konfession gemünzt gewesen sein. Gegen etwaige Vorwürfe dieser Art und gegen jeden Zweifel an der evangelischen Rechtgläubigkeit stellten die Fürsten nun fest, das es ja mit unserer (GOtt Lob) Christlichen und bekandten Religion wie die in der Augspurgischen Confession begriffen/ die Gelegenheit nicht hat/ daß darinnen einige Ketzereyen/ Secten/ und auffrührische Lehren vertheidiget oder verfochten würden/ sondern es seind darinn allein die Stück verfast/ so in dem Wort GOttes und der wahren Heil. Göttlichen und Apostolischen Schrift/ auch der Lehre der allgemeinen Christlichen Catholischen Kirchen gemäß.587
582 583 584 585 586 587
Lehmann: De pace religionis acta 1 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 25. S. 52. Lehmann: De pace religionis acta 1 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 25. S. 52. Lehmann: De pace religionis acta 1 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 21. S. 47. Lehmann: De pace religionis acta 1 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 21. S. 48. Lehmann: De pace religionis acta 1 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 2. S. 9. Lehmann: De pace religionis acta 1 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 26. S. 54. Die Naumburger Versammlung wurde mit einem gemeinsamen Abschied beendet, in dem ebenfalls betont wurde, dass es unter ihnen keine Sekten gebe, und in dem sich die beteiligten Fürsten gegenseitig versicherten, bey gemeldter Augspurgischen Confession [...] hinfürter gäntzlich bleiben zu wollen, Nr. 27. S. 54. Der Gegenseite wurde dabei ebenfalls ihre ,alte Religion‘ verwehrt, und man be-
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Damit wurde von evangelischer Seite kurz vor der Einigung auf dem Reichstag nochmals ganz offiziell deutlich gemacht, dass man sich selber als christlich, apostolisch und katholisch verstand und somit auf die gleichen Attribute Anspruch erheben konnte wie die Gegenseite. Trotz grundsätzlicher Kompromissbereitschaft waren die alten Denkschemata also bei weitem nicht überwunden und blitzten in der Wortwahl immer wieder mehr oder weniger deutlich auf. Die konfessionelle Terminologie wurde im Zuge der politischen Annäherung und in der Aussicht auf einen dauerhaften reichsrechtlichen Kompromiss zwar auch in den Verhandlungsakten weitgehend auf zwei offizielle Bezeichnungen eingeschränkt, der äußere Ausgleich wirkte jedoch nicht auf die Lehrunterschiede ein, so dass beide Parteien in ihren Selbstzeugnissen wo immer möglich weiterhin auf ihrem jeweiligen christlichen Alleinvertretungsanspruch beharrten. Das schlug sich nun in zahlreichen Versuchen nieder, diese Position durch gewisse sprachliche Ergänzungen auch in der reichsrechtlichen Begrifflichkeit zum Ausdruck zu bringen. Dabei tat sich die evangelische Seite etwas mehr hervor als ihr Gegenpart, da sie den offiziellen Namen ‚Stände der alten Religion‘ schon per se schwerer mit ihrem Selbstverständnis vereinbaren konnte und deshalb entsprechend dagegenhalten musste. Die internen Schreiben und Instruktionen bestätigen in vielerlei Hinsicht das Bild der Verhandlungsakten, denn auch hier erfolgte ein Trend zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der Terminologie. Nach der Konsolidierungsphase der 20er und 30er Jahre setzte sich in den 1540er Jahren schließlich auf katholischer Seite weitgehend die Fremdbezeichnung ‚Protestierende‘ und die Selbstbezeichnung ‚alte Religion‘ sowie zunehmend auch ‚Katholiken‘ durch, während die reformatorischen Stände demgegenüber eher von ‚Papisten‘ und über sich selber von den ‚Augsburgischen Konfessionsverwandten‘ oder in meist umschriebener Form den ‚Evangelischen‘ sprachen, wobei allerdings immer wieder auch ‚Protestierende‘ als neutral verstandene Anspielung auf entsprechende reichsrechtliche Vorgänge und sogar zur weiteren innerevangelischen Differenzierung erschien, die seitens der Katholiken aber nicht selten unter den Tisch fiel. Wie erwartet, tauchen natürlich immer wieder polemische Ausfälle auf, wie sie aus der theologischen Literatur bekannt waren. Sie nehmen aber im Laufe der Zeit eher ab und spielen mit einigen Ausnahmen in päpstlichen Dokumenten oder bei Georg von Sachsen nie eine wesentliche Rolle. Vielmehr dominieren auch intern schon aus Gründen der Praktikabilität eher kurze und allgemeine Umschreibungen, wie ‚uns‘ und ‚die anderen‘, die automatisch neutral wirken. Bemerkenswert ist auch die Beobachtung, dass die evangelische Terminologie in den Zeiten besonderer Bedrohung gegen Ende der 40er Jahre auch in den gnügte sich mit einem negativ abgrenzenden Ausdruck: den Ständen der Augs. Confession zu wider, Nr. 27. S. 55.
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Instruktionen meist zurückhaltender ausfiel, wenn sie auch nicht so weit ging, den reichsrechtlich verordneten Verzicht auf die Bezeichnung ‚CA-Verwandte‘ zu übernehmen. Man kann also nicht davon sprechen, dass die internen Aussagen von den äußeren Ereignissen vollkommen unbeeinflusst geblieben seien. Dennoch verweisen sie deutlicher als alle anderen Textsorten gerade auf die wirklich bevorzugten Selbstbezeichnungen, die besonders für die Evangelischen nicht immer ganz dem offiziellen Sprachgebrauch entsprachen, und zeigen daneben hin und wieder eine freiere Wortwahl und eine ungeschminktere Sicht der Dinge, die tatsächlich nicht unbedingt für die Ohren anderer Reichstagsteilnehmer bestimmt gewesen sein dürfte.
8.5 Ausblick: Die Religionsgravamina bis 1613 Wie die Analyse der Rahmendokumente bereits deutlich gemacht hat, nahm die Religionsfrage auf den nachfolgenden Reichstagen immer weniger Raum ein. Lediglich der Reichstag von 1566 ist noch von besonderer Bedeutung für die Stellung der Reformierten im Reich. Außerdem begannen bald am Rande der offiziell proponierten Reichstagsverhandlungen die Auseinandersetzungen um die Auslegung des Religionsfriedens, die sich v. a. in Beschwerden über angebliche Vertragsbrüche der Gegenseite beim Kaiser niederschlugen. Um die Entwicklung der konfessionellen Terminologie in den Verhandlungsakten noch ein wenig über den Wendepunkt von 1555 hinausverfolgen zu können, sollen daher in einem letzten Schritt diese Beschwerdeschriften etwas genauer betrachtet werden. Der Augsburger Religionsfriede war nicht zuletzt durch die virtuos angewandte Technik des Dissimulierens überhaupt zu einem Abschluss gekommen. Doch er enthielt deshalb zahlreiche Formelkompromisse, die fundamentale Divergenzen nur notdürftig kaschierten, aber keineswegs beseitigten, so dass in der Folgezeit ein gutes Auskommen für viele Juristen geschaffen wurde, die den Vertrag zu interpretieren hatten.588 Daher nimmt es nicht Wunder, dass die konfessionellen Auseinandersetzungen bis zum Westfälischen Frieden wesentlich von der Diskussion um die Auslegung des Augsburger Religionsfriedens bestimmt waren. Bereits 1559 beginnt „das große Bombardement der evangelischen und katholischen ReligionsGravamina“,589 in denen sich seither beide Seiten in schöner Regelmäßigkeit über ihre konfessionellen Gegner beklagten. Dabei ist es für uns primär von Interesse, ob sich in diesem Zusammenhang die Terminologie des Augsburger Vertragstex588 589
Vgl. Heckel: Deutschland im konfessionellen Zeitalter (Kap. 1, Anm. 15). S. 37, 44 und S. 50f. Heckel: Deutschland im konfessionellen Zeitalter (Kap. 1, Anm. 15). S. 70.
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tes auch auf Verhandlungsebene zunehmend verfestigt hat oder ob wieder versucht wurde, gleichsam durch die Hintertür Modifizierungen im eigenen Sinne einzubringen. Die evangelischen Reichsstände eröffneten den Reigen 1559, als sie gegenüber dem nunmehr zum Kaiser aufgestiegenen Ferdinand beklagten, daß angeregtem Religions Frieden nicht allein von der andern Religion Ständen zum Theil nicht gelebt/ und stracks darwider gehandelt/ sondern auch durch ungeräumte Deutungen und Außlegungen desselbigen sie der Augspurgischen Confession zu gethane höchlichen beschwert worden.590
Wie in dieser Passage, so wurde die Gegenseite auch im weiteren Text durchgängig neutral mit [Angehörige] der andern Religion bezeichnet.591 Benötigte man einen allgemeinen Oberbegriff für alle Beteiligten, dann sprach man unverbindlich von den Ständen.592 Die Wendung ‚Stände der alten Religion‘ wurde also wie bereits in den Akten von 1555 sorgsam vermieden, um eine Anerkennung der damit verbundenen universalen Tendenz zu umgehen, denn wer hier die alleinige Glaubenswahrheit vertrat, daran ließ der Text mit Hilfe der Selbstbezeichnung keinen Zweifel. Zunächst verwendete er die reichsrechtliche Benennung die Augspurg. Confessions verwande, die entsprechend auch in der Unterschrift erschien.593 Sobald man aber ganz konkret bei den einzelnen Beschwerden angelangt war, glitt die Wortwahl in eine universalistische Richtung ab. So beklagten sich die evangelischen Stände über Hindernisse, ihre wahre Christliche Religion in ihren Ländern aufrichten und ihre Klöster, Stifte und Pfarreien christlich [...] reformiren zu können.594 In Anlehnung an den offiziellen Namen, der dadurch seine rechtsterminologische Neutralität zugunsten einer deutlich universalistischen Lesart aufgab, war auch von ihrer wahren Christlichen Confession und Religion die Rede. Zudem bezog man sich natürlich immer wieder auf das Wort Gottes und damit auf die bevorzugte Selbstbezeichnung 590
591
592 593 594
Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 1. S. 79. Zu den Religionsgravamina der CA-Verwandten und der katholischen Stände sowie zur Antwort des Kaisers vgl. auch RTA RV 1559. Nr. 608. S. 1520–1529; Nr. 610. S. 1533–1548; Nr. 612. S. 1556f. Da diese Texte allerdings leicht gekürzt sind, wird hier weiterhin die bei Lehmann edierte Fassung zugrundegelegt. So z. B. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 1. S. 80. Durch die Unterscheidung zwischen der eigenen und der anderen ,Religion‘ war dieses Wort endgültig von einem Oberbegriff für den christlichen Glauben zu einem Vorläufer des Begriffes ,Konfessionen‘ geworden, der selber erst seit dem 19. Jahrhundert in Gebrauch kam. Vgl. Lothar Weber: Die Parität der Konfessionen in der Reichsverfassung von den Anfängen der Reformation bis zum Untergang des alten Reiches im Jahre 1806. Diss. Bonn 1961. S. 33 sowie Kap. 1.3 dieser Arbeit. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 1. S. 79f. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 1. S. 79 und S. 83. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 1. S. 80.
Ausblick
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‚Evangelische‘, z. B. in der Wendung: den Christen/ und Liebhabern des seeligmachenden Worts Gottes.595 Die Antwort der katholischen Seite folgte auf dem Fuße und wurde dem Kaiser noch am gleichen Tag überreicht. Hier erinnerte man zunächst an den Vertragsschluss zwischen damals der Röm. Kays. und Königl Maj. Churfürsten/ Fürsten und Ständen/ der alten wahren Christlichen/ und Catholischen Religion an einem/ so dann auch Churfürsten/ Fürsten und Ständen der Augspurgischen Confession andern Theils.596
Dieser Auszug deutet bereits die wichtigsten terminologischen Besonderheiten an. Einerseits fand in der Unterscheidung von dem ‚einem‘ und dem ‚andern Theil‘ eine neutrale vertragsrechtliche Terminologie Verwendung. Auch an anderer Stelle sprach man übergeordnet von beyden Theilen, und zwar dem Cathol. Theil und dem andern Theil.597 Andererseits versuchte man trotzdem, über die Wortwahl die Wahrheitsfrage zu entscheiden. Bei der Selbstbezeichnung gingen die katholischen Stände dabei ähnlich vor wie die evangelischen, sie übernahmen ihren reichsrechtlichen Namen ‚Stände der alten Religion‘ und werteten ihn wie schon 1555 durch ergänzende universalistische Begriffe auf. Dabei fand jetzt besonders ‚katholisch‘ eine immer breitere Verwendung. Dieser Begriff war im Augsburger Religionsfrieden wohlweislich vermieden worden, da er durch seine Herkunft aus den Glaubensbekenntnissen für die Lutheraner nicht akzeptabel war, die ihn ja gleichermaßen auch für sich selbst immer wieder beansprucht hatten. Nun verwendete ihn die römische Seite immer häufiger und bemühte sich, ihn dadurch reichsrechtlich auf ihre Partei zu fixieren. Dabei verstand sie ihn aber durchaus noch nicht als konfessionellen Namen, sondern gab auf diese Weise ihrem Anspruch Ausdruck, die allgemeine Kirche zu repräsentieren. Die Behauptung, sie würde in ihrem Gebrauch der H. Sacrament/ und aller andern ceremonien den Regeln der allgemeinen Christlichen Kirchen folgen, stützt diese Interpretation. Eine weitere Möglichkeit, die eigene Universalität hervorzuheben, bestand in einer noch stärkeren Betonung des Alters, indem man beispielsweise behauptete, die alte Catholische Religion [sei] von Anfang/ der Christliche Glauben an die Teutschen gelanget/ in Ubung gewesen.598 Die Evangelischen wurden im Gegenzug meist mit ihrem offiziellen Namen belegt, der auch zu Confessions-verwandte verkürzt werden konnte, oder mit dem neutralen Ausdruck [die Angehörigen] der andern Religion.599 Äußerst bemerkenswert 595 596 597 598 599
Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 1. S. 82. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 2. S. 83. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 2. S. 83. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 2. S. 88. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 2. S. 84.
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ist allerdings folgende Wendung: Diejenigen Obrigkeiten/ so der Evangelischen oder Augs. Confess. verwand.600 Dieses unerwartete Zugeständnis einer Bezeichnung als ‚Evangelische‘ auf solch offizieller Ebene stellt eine große Ausnahme dar. Es ist kaum glaublich, dass hier der Ansatz zu einer Anerkennung dieses Namens liegen sollte. Zwei andere Erklärungsmöglichkeiten scheinen daher plausibler. Vielleicht muss man sich den Begriff gleichsam in Anführungszeichen oder mit dem Zusatz ‚wie sie sich selbst bezeichnen‘ vorstellen. Eine derartige Verwendungsmöglichkeit ist ja schon des Öfteren vorgekommen. Andererseits könnte es sich aber auch um ein ‚Versehen‘ handeln. Mit dem häufigen Gebrauch dieses Begriffs durch die Gegenseite könnte ein allmählicher Gewöhnungsprozess eingesetzt haben, in dessen Verlauf er zunehmend die Qualität eines einfachen konfessionellen Namens annahm und die ursprüngliche universalistische Bedeutung allmählich in den Hintergrund rückte. Beide Parteien wandten sich in ihren Schriften an den Kaiser, der damit als eine neutrale überkonfessionelle Instanz anerkannt wurde. Das war durchaus nicht selbstverständlich, hatte sich Ferdinand doch im Abschied von 1557 noch selber zu den Angehörigen ‚unserer alten Religion‘601 gezählt, womit er im Prinzip keine Überparteilichkeit mehr für sich beanspruchen konnte. Seine jetzige Relation dürfte aber zumindest die Evangelischen nicht in ihrer Hoffnung auf Neutralität enttäuscht haben. Der Kaiser sprach allgemein von Partheyen, Theil oder beydertheil Religion Verwandten. Ansonsten nannte er sie [Stände] der Augspurgischen Confession bzw. [Stände] der alten Religion [verwandte].602 Damit hielt er sich im Gegensatz zu den Konfessionsparteien genau an den Wortlaut des Religionsfriedens oder gebrauchte vertragsrechtliche Begriffe. Auf diese Weise nahm er tatsächlich eine neutrale Position ein, die auch im Inhalt seiner Verlautbarung Bestätigung fand, er verwies nämlich die Beschwerden beider Gruppen zur Begutachtung an das Reichskammergericht und damit an Rechts-verstandige unpartheyische Ehr-liebende Leute.603 Nach dem Urteil Martin Heckels blieb der Ton dieser ersten Gravamina insgesamt noch eher „juristisch unterkühlt“ und mithin relativ neutral, folgte er doch prinzipiell jener Terminologie, die auch in den Verhandlungsakten von 1555 Verwendung gefunden hatte. Nach Abschluss des Tridentinums im Jahre 1563 wurde die Wortwahl jedoch deutlich schärfer.604 Hinzu kam die Diskussion, wie nach dem offenen Übertritt des Pfälzer Kurfürsten Friedrich III. zum Calvinismus reichsrechtlich mit 600 601
602 603 604
Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 2. S. 89. Vgl. Senckenberg: Sammlung der Reichsabschiede 3 (Kap. 1, Anm. 83). S. 139. § 16. Ähnlich lauten ja auch die Friedensformeln von 1555, S. 17f. § 15 und § 16. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 3. S. 89. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 3. S. 89. Vgl. Heckel: Deutschland im konfessionellen Zeitalter (Kap. 1, Anm. 15). S. 74.
Ausblick
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dieser Glaubensrichtung zu verfahren sei. Aus diesen Gründen ist der Augsburger Reichstag von 1566 für die Analyse der konfessionellen Terminologie von besonderem Interesse. Die evangelische Seite hatte sich nach heftigen internen Diskussionen entschlossen, Friedrich weiterhin als Stand der Augsburger Konfession anzuerkennen und ihn als solchen vor etwaigen Maßnahmen von Seiten Kaiser Maximilians und der katholischen Stände zu schützen.605 Bezeichnenderweise wurden die Gravamina in der Anfangsphase des Reichstages von allen Evangelischen gemeinsam übergeben,606 was bereits als wichtige Vorentscheidung zu werten war, denn schon hier betonten sie angesichts der Situation doch recht dreist, sich kainer sectirischen opinion tailhafftig zumachen.607 Dabei geriet die Wortwahl des gesamten Textes recht scharf, was die Gegenseite denn auch zu herber Kritik und zu der Vermutung veranlasste, er sei nit von churfursten, fursten und stennden der augspurgischen confession [...] sonnder vil mehr durch die jhenige erpracticirt, welche ain sonndern lusst, sich der unruwigen federn zugebrauchen. Aber wenig lussts gehabt [...] das im Heiligen Reich zwischen ihr ksl. Mt. unnd den stennden beeder religionen [...] frid, rhue und einigkhait gepflanntzt und erhallten werden möchte.608
Es zeugte durchaus von einem grundsätzlichen Friedenswillen, die Stände selber durch diese Sichtweise gleichzeitig von jeder ‚Schuld‘ zu entlasten und die nunmehr wieder sehr kontrovers ausgerichtete Terminologie dem furor theologicus in die Schuhe zu schieben. Neben solchen Begriffen, die bereits 1559 Verwendung gefunden hatten, tauchte als Bezeichnung für die Katholiken, denen auch dieses Mal ihr offizieller Name versagt blieb, die Wendung stende, der bäbstischen religion zugethan, auf.609 Das ist ein deutlicher, wenn auch abgemilderter Rückgriff auf das in der polemischen Literatur so gerne abwertend verwendete ‚Papisten‘. Daneben verstieg sich die evangelische Seite zu einer scharfen Verurteilung der haidnische[n] grewel unnd abgötterey, so im babstumb gewesen und noch sind,610 und grenzte die eigene, der hailigen christlichen kirchen gemäße Lehre scharf von der bäbstlichen röm. kirchen ab.611 Im Bereich der Selbstbezeichnung fand sich neben den üblichen universalistischen Begriffen noch eine weitere schöne Umschreibung von ‚Evange605
606 607 608 609 610 611
Vgl. Hollweg: Der Augsburger Reichstag von 1566 (Kap. 4, Anm. 157). S. 137f., S. 363f. und S. 373– 376. Vgl. Hollweg: Der Augsburger Reichstag von 1566 (Kap. 4, Anm. 157). S. 312. RTA RV 1566. Nr. 297. S. 1213. RTA RV 1566. Nr. 299. S. 1224. RTA RV 1566. Nr. 297. S. 1186. RTA RV 1566. Nr. 297. S. 1185. RTA RV 1566. Nr. 297. S. 1199.
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lische‘, die sich hier sogar einmal auf den Normalbürger bezog: die underthanen, so der bäbstlichen lehr nit anhengig sein wellen, sonder die reine lehre deß hailigen evangelii belieben und annemen.612 Angesichts der vergleichsweise gemäßigten Töne unmittelbar nach dem Augsburger Religionsfrieden stellt sich natürlich die Frage, warum auf evangelischer Seite eine solche radikalisierende Wende stattgefunden hat. Nach Walter Hollweg lag der Grund in einer aktuellen Verstimmung über Maximilian II. und besonders über die katholischen Stände, die gemeinsam mit der Kurie den Kaiser dazu gedrungen hatten, seinen ursprünglichen Plan eines Nationalkonzils mit dem Ziel einer Wiedervereinigung der Glaubensparteien fallenzulassen und den entsprechenden Punkt aus der Proposition zu streichen.613 Nun sagte man dem Monarchen ja durchaus evangelische Neigungen nach und erhoffte sich daher auf evangelischer Seite von einer solchen durch das Papsttum weitgehend unbeeinflussten Versammlung gewisse Vorteile.614 Daher versuchte man wohl, durch einen forschen Angriff die Glaubensfrage doch wieder aufs Tapet zu bringen und den Kaiser zu einer entsprechenden Stellungnahme zugunsten der Evangelischen zu veranlassen.615 Aus diesem Grund erkannte man Maximilian auch weiterhin demonstrativ als das haupt der christenhait an.616 Gleichzeitig könnte dieser Ausfall meiner Meinung nach auch durch die Frage der ‚Sekten‘ innerhalb der Augsburger Konfession motiviert worden sein, die den Gegnern so viele Ansatzpunkte zu scharfer Kritik bot. Frei nach dem Motto ‚Angriff ist die beste Verteidigung‘ könnte dies die Gemüter entsprechend erhitzt und zu einem derartigen Gegenschlag veranlasst haben. Auf jeden Fall bleibt festzuhalten, dass wir es hier nicht mit einer grundsätzlichen Verschärfung der Lage zu tun haben, sondern nur mit einer temporären Krise, was auch aus der bereits erwähnten Anerkennung des Kaisers als neutrale Instanz sowie aus der Haltung der katholischen Stände ersichtlich wurde, den evangelischen Fürsten die Wortwahl ihrer Eingabe nicht persönlich anzurechnen. Nichtsdestotrotz hielt die katholische Seite natürlich mit ihrer Kritik keineswegs hinter dem Berg und weigerte sich demonstrativ, sich auf das Niveau herabzulassen, das die Evangelischen mit solchen ehrruerigen, geschwinden unnd ainem christen unleidigen calumnien und iniurien erreicht hätten.617 In diesem Zusammenhang griffen die Verfasser in der Selbstbezeichnung auch wieder auf die bereits bekann612 613
614 615 616 617
RTA RV 1566. Nr. 297. S. 1210. Vgl. Hollweg: Der Augsburger Reichstag von 1566 (Kap. 4, Anm. 157). S. 312f. Zu den Bemühungen der Kurie und den konkreten Abänderungen in der Proposition vgl. S. 293–300. Vgl. Hollweg: Der Augsburger Reichstag von 1566 (Kap. 4, Anm. 157). S. 52. Vgl. Hollweg: Der Augsburger Reichstag von 1566 (Kap. 4, Anm. 157). S. 298f. RTA RV 1566. Nr. 297. S. 1199. RTA RV 1566. Nr. 299. S. 1223.
Ausblick
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te universalistische Terminologie zurück und sprachen von unß, der allten waren catolischen religion anhenngig, oder in einer altersmäßigen Steigerung sogar von solcher urallter katolischen, christlichen religion.618 In die gleiche Richtung zielte der Begriff die römische unnd apostolische kirch,619 der einen Wahrheitsanspruch aus der Rückführung auf die Jünger Christi und damit auch zugleich wieder auf das hohe Alter herleitete. Daneben fällt eine Wendung auf, die dem Gegner gleichsam seine Selbstbezeichnung streitig machte: dieselbig unser religion, darinne wir auf die gnadenreiche barmhertzigkhait deß allmechtigen Gottes unnd evangelische, apostolische wahrheit zur ewigen seeligkhait unnsere gewisse hofnung haben.620 Mit der Aufnahme von ‚evangelisch‘ brachten die katholischen Stände einmal mehr ihren Anspruch auf diesen universalen Begriff zum Ausdruck und verwahrten sich damit zugleich gegen seine Okkupation durch die andere Seite. Ansonsten bewegte sich der Text im üblichen Rahmen. Die Evangelischen wurden entweder mit ihrem reichsrechtlichen Namen oder mit neutralen Bezeichnungen angesprochen. Diffamierende Ausdrücke wurden sorgsam vermieden, vielleicht, um damit einen deutlichen Unterschied zu der Wortwahl der evangelischen Eingabe zu wahren und sich sozusagen positiv davon abzuheben. Alleine gegenüber den Reformierten sprach man offen von den sacramentarirn unnd andern dergleichen sectarien,621 allerdings darf dabei nicht vergessen werden, dass die Lutheraner die Sacramenter 1530 noch selbst als die irrenden ketzer bezeichnet hatten,622 eine Wortwahl, die die katholischen Stände jetzt nur zu übernehmen brauchten. Kaiser Maximilian zeigte in seiner Resolution dieselbe Zurückhaltung wie sein Vorgänger. Auch er verwendete die Terminologie des Augsburger Religionsfriedens und wandte sich an die Stände der augspurgischen confession, der allten religion bzw. beeder religionen. Dabei blieb er seiner ursprünglichen Hoffnung treu, dass ein gemaine christliche concordia befurdert und alle spalltung unnd trennung der religion gotseeligclich aufgehaben werden möge.623 Die Gravamina von 1559 und 1566 haben von dem Willen gezeugt, den Gedanken des Religionsfriedens grundsätzlich weiterzutragen. Obwohl jede Partei weiterhin an ihrem Wahrheitsanspruch festhielt und dies auch im Bereich der Selbstbezeichnung kundtat, enthielt man sich doch größerer polemischer Ausfälle. Einzige Ausnahme stellte das evangelische Beschwerdedokument von 1566 dar, das allerdings einer temporären Verstimmung entsprang und, bemerkenswert genug, keine dau618 619 620 621 622 623
RTA RV 1566. Nr. 299. S. 1223 und S. 1226. RTA RV 1566. Nr. 299. S. 1223. RTA RV 1566. Nr. 299. S. 1224. RTA RV 1566. Nr. 299. S. 1237. Förstemann: Urkundenbuch 1 (Kap. 1, Anm. 7). Nr. 27. S. 97. RTA RV 1566. Nr. 302. S. 1252f.
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erhaften negativen Folgen für den interkonfessionellen Umgang miteinander zeitigte. Insgesamt konnte der Reichsverband bis zum Ende der 60er Jahre durch die Festigung des Religionsfriedens weitgehend konsolidiert werden. Damit ging eine Fixierung der Fremdbezeichnungen auf Reichsebene einher, die sich weitgehend an dem Abschied von 1555 orientierte. Die einzige besondere Neuerung bestand darin, dass die katholische Seite zunehmend den Namen ‚katholisch‘ ins Spiel brachte, der aber von den Evangelischen und auch von den Kaisern nicht aufgegriffen wurde. Ferdinand I. und Maximilian II. bewahrten sich in den Auseinandersetzungen um die Auslegung des Augsburger Religionsfriedens eine weitgehend überparteiliche Position, die auch in der Wortwahl ihrer Dokumente Ausdruck fand. Damit konnten sie trotz ihres katholischen Glaubens das Vertrauen der evangelischen Stände gewinnen und trugen auf diese Weise wesentlich zur Festigung des Friedens bei.624 Aus verschiedenen Gründen wurde die Atmosphäre allerdings seit den 80er Jahren wieder konfliktträchtiger. Als bekannte Beispiele größerer Auseinandersetzungen seien nur der Streit um den konfessionellen Status der Reichsstadt Aachen auf dem ersten Reichstag Rudolfs II. von 1582 und der Kölner Krieg 1583/84 genannt.625 Die Haltung der Glaubensparteien wurde auch durch die Ablösung jener Fürstengeneration, die noch den Frieden von 1555 ausgehandelt hatte und entsprechend irenisch eingestellt war, zunehmend kompromissloser.626 Dabei traten die Reichstage von 1594 und 1613 als Stationen hin zu einer Verschärfung des konfessionellen Konflikts besonders hervor, auf die zur Abrundung dieses Überblickes zum Abschluss noch kurz eingegangen werden soll. Nachdem der Reichshofrat 1593 im Fall Aachen zugunsten der katholisch-kaiserlichen Position entschieden hatte und zudem sogar noch weitere Zankäpfel hinzugekommen waren, stellte der Reichstag von 1594 den endgültigen Wendepunkt im Umgang der Religionsparteien miteinander dar, er „öffnete [...] gleichsam die Büchse der Pandora, aus der die konfessionspolitischen Maximalforderungen entwichen“.627 Fortan waren Kaiser und Reichsversammlung nicht mehr in der Lage, einen Ausgleich zwischen katholischen und evangelischen Ständen zu schaffen.628 Damit begann eine Entwicklung, die zunächst eine Lahmlegung der Reichsorgane nach sich zog und schließlich in den Dreißigjährigen Krieg mündete. 1613 fand der letzte Reichstag vor dem Krieg statt, aber er „hatte nicht nur seine Steuerungsfunkti-
624 625 626 627 628
Vgl. Lanzinner: Konfessionelles Zeitalter (Kap. 1, Anm. 86). S. 51–55. Vgl. Lanzinner: Konfessionelles Zeitalter (Kap. 1, Anm. 86). S. 66–68. Vgl. Lanzinner: Konfessionelles Zeitalter (Kap. 1, Anm. 86). S. 173. Lanzinner: Konfessionelles Zeitalter (Kap. 1, Anm. 86). S. 177. Vgl. Lanzinner: Konfessionelles Zeitalter (Kap. 1, Anm. 86). S. 173–178.
Ausblick
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on verloren, vielmehr vertiefte er [...] die Spannungen“.629 Ein Blick auf die an diesen beiden Reichsversammlungen übergebenen Gravamina soll Aufschluss darüber geben, inwieweit sich diese neuerliche Erhärtung der Positionen auch terminologisch niedergeschlagen hat. Die evangelische Beschwerdeschrift vom 16. Juni 1594 gebrauchte zum einen die übliche Formel Stände der Augspurgischen Confession.630 Häufiger jedoch tauchte nun ausdrücklich der Begriff ‚evangelisch‘ auf, etwa als Adjektiv bei die Evangelischen [...] Stände bzw. in Kombination mit dem reichsrechtlich sanktionierten Namen bei die Evangelische Augspurgische Confessionsverwande Stände oder einfach nur als Substantiv die Evangelischen.631 Irgendwelche langatmigen Umschreibungen, wie sie früher so häufig bemüht worden waren, kamen hier nicht mehr vor. Die Gegenseite bezeichnete man als Angehörige der Römischen Religion oder nun sogar der Röm. Catholischen Religion.632 Die Bezeichnung ‚katholisch‘ konnte wie ‚evangelisch‘ aber auch attributiv gebraucht werden: an unterschiedlichen Catholischen Orten.633 Wir finden in dieser Wortwahl tatsächlich eine Veränderung im Vergleich zu den Texten kurz nach dem Religionsfrieden, doch sie zeugt eigentlich nicht von einer konfessionellen Verhärtung, sondern zeigt eher Spuren einer zunehmenden Routine. Der Trend ging eindeutig zur Kürze und Einfachheit der Selbst- und Fremdbezeichnungen. In diesem Zusammenhang hatte man jetzt auf evangelischer Seite sogar den Namen ‚katholisch‘ akzeptiert. Das bedeutete zugleich, dass der universalistische Hintergrund dieser Bezeichnung zum größten Teil verlorengegangen sein muss und man darin nur noch den Namen einer Religionspartei sah. Ein letzter Vorbehalt wurde in der Verbindung ‚römisch-katholisch‘ sichtbar, denn dadurch schränkte man den Universalbegriff auf die Anhänger Roms und der Kurie ein. Insgesamt ist hier das auch heute vertraute Begriffspaar ‚evangelisch‘ – ‚katholisch‘ zur bevorzugten Nomenklatur geworden. Die Gegenseite verwendete für sich ebenfalls ‚katholisch‘ in attributiver Form und als Substantiv die Catholischen.634 Sie verzichtete aber selbstverständlich auf die Einschränkung ‚römisch-katholisch‘; eine Passage, wo diese doch einmal auftauchte, war ein Zitat aus der evangelischen Beschwerdeschrift.635 Nur an einer einzigen Stelle wurde noch das hohe Alter des eigenen Glaubens in der Wendung die uhralte Ca629
630 631 632 633 634 635
Lanzinner: Konfessionelles Zeitalter (Kap. 1, Anm. 86). S. 196. Für einen Überblick über die seit den 1580er Jahren zunehmende Krise vgl. auch Stollberg-Rilinger: Das Heilige Römische Reich (Kap. 6, Anm. 44). S. 67–73. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 65. S. 224. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 65. S. 221 und S. 219. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 65. S. 218f. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 65. S. 223. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 66. S. 227. Vgl. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 66. S. 225.
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tholische Religion636 betont. Ansonsten hielt es aber auch die katholische Seite nicht mehr für nötig, dem eigenen Standpunkt durch besondere Umschreibungen mehr Gewicht zu verleihen. Die Evangelischen erhielten ihren üblichen reichsrechtlichen Namen,637 daneben wurden sie in Bezugnahme auf ihre Gravamina auch neutral als klagende Stände638 bezeichnet. Interessanterweise störten sich die katholischen Stände aber noch immer an der Aufnahme des reformierten Bekenntnisses unter den Schutz der CA, denn sie wiesen gesondert auf die Calvinisten unter dem Schein und Titul der Augspurgischen Confession639 hin. Ein ähnliches Bild zeigte der Reichstag von 1613. In den evangelischen Gravamina dominierten die Begriffe ‚evangelisch‘ und ‚römisch-katholisch‘.640 ‚Katholisch‘ alleine tauchte nicht mehr auf, dafür konnte die Bezeichnung allerdings auf [Stände] so der Römischen Religion zugethan641 verkürzt werden. Der Name ‚Augsburger Konfessionsverwandte‘ wurde überhaupt nicht mehr verwendet, diesen Kompromiss haben die Evangelischen zugunsten ihrer bevorzugten Selbstbezeichnung nun endgültig aufgegeben. Eine interessante Neuerung erschien in der Unterschrift, in der man sich die Evangelischen Correspondirenden642 nannte. Dieser Begriff wurde von katholischer Seite offensichtlich dankbar aufgenommen, denn dort bezeichnete man die Evangelischen ebenfalls als correspondenten oder Correspondirende.643 Dieser Name verwies auf die Zusammenarbeit und vorherige Abstimmung der evangelischen Stände im Rahmen der Union, die 1608 als Reaktion auf die zwangsweise Rekatholisierung Donauwörths gegründet worden war. Ebenso wie in den 1530er und 40er Jahren die ‚Einigungsverwandten‘ des Schmalkaldischen Bundes ist er damit in die Gruppe rechtlich-neutraler Begriffe einzuordnen. Neben einer gemeinsamen Verwendung der Bezeichnung ‚Korrespondierende‘ befanden sich die Katholiken auch in der Vermeidung des Bezuges auf die Augsburger Konfession in erstaunlicher Übereinstimmung mit ihren Gegnern. Sich selbst nannten sie wiederum Catholische Stände und Abgesande oder die offt- und dickbemeldte gehorsame Stände.644 Der letzte Ausdruck kann, wenn man ihn nicht als bloße Formel sehen will, durchaus wieder als Seitenhieb auf die evangelische Seite verstanden werden, die sich in der Schlussphase der Auseinandersetzungen 636 637 638 639 640
641 642 643 644
Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 66. S. 225. Vgl. z. B. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 66. S. 225. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 66. S. 226. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 66. S. 227. Für den Namen ,evangelisch‘ vgl. z. B. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 74, S. 256 und S. 257. Für die Bezeichnung ,römisch-katholisch‘ vgl. Nr. 74. S. 258 und S. 259. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 74. S. 260. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 74. S. 261. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 79. S. 268f. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 79. S. 268f.
Ausblick
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vor dem Krieg ja tatsächlich des Öfteren den Anordnungen des Kaisers widersetzt hatte. Dazu muss allerdings gesagt werden, dass Kaiser Matthias die unparteiische Haltung seiner Vorgänger endgültig aufgegeben hatte und eindeutig die katholische Seite bevorzugte, was ihm dann in den Gravamina bezüglich der Besetzung des Reichshofrats von Seiten der Evangelischen auch in aller Deutlichkeit vorgeworfen wurde.645 Bezeichnenderweise leitete er die Beschwerden der evangelischen Stände nicht mehr an ein unparteiisches Gremium weiter, sondern wies sie in zwei Dekreten, die für die Betroffenen natürlich nicht akzeptabel waren, gleich vollständig zurück. Dabei vermied er aber jede Nennung einer Religionspartei.646 Die Inhalte der behandelten Texte sowie die Tatsache, dass die evangelischen Gravamina kompromisslos abgeschmettert wurden, wobei die Evangelischen umgekehrt freilich auch nicht viel Bereitschaft zum Nachgeben zeigten, spiegeln die Verschärfung der konfessionellen Auseinandersetzung deutlich wider. In der gegenseitigen Namensgebung ist diese Entwicklung allerdings bezeichnenderweise kaum mehr nachzuvollziehen. Seit der reichsrechtlichen Anerkennung der evangelischen Religion im Augsburger Religionsfrieden schien der Streit um Worte zunehmend an Wichtigkeit verloren zu haben, auch wenn ein derartiger Fall in der Auseinandersetzung um die Begriffe ‚Corpus Evangelicorum‘ und ‚Corpus Catholicorum‘ an der Wende zum 18. Jahrhundert noch einmal aufflammen sollte.647 Beide Seiten verwendeten zunehmend kürzere Bezeichnungen und schränkten gleichzeitig das terminologische Repertoire auf ein paar wenige Namen ein, womit sie grundsätzlich der Tendenz der öffentlichen Dokumente folgten. Die evangelischen Stände kamen dabei mit den Bezeichnungen ‚evangelisch‘ und ‚römisch-katholisch‘ dem heutigen Sprachgebrauch schon sehr nahe. Die Gegenpartei hatte dagegen noch immer Probleme, ‚evangelisch‘ in ihr Programm aufzunehmen, und hielt sich lieber weiterhin an den reichsrechtlichen oder aber einen neutralen Sprachgebrauch.
645 646 647
Vgl. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 74. S. 257. Vgl. Lehmann: De pace religionis acta 2 (Kap. 6, Anm. 430). Nr. 77. S. 264f. und Nr. 80. S. 269. Siehe hierzu den Ausblick in Kap. 9.
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Zusammenfassung und Ausblick
Martin Luthers 95 Thesen stießen fulminante Veränderungen an. Das Reich spaltete sich in mehrere konfessionelle Lager und drohte zeitweise sogar an der Glaubensfrage zu zerbrechen. Gerade der Sprachgebrauch der Theologen, der durch die kirchenrechtlichen Texte, wenn auch in abgeschwächter Form, selber Eingang in einen amtlich-offiziellen Bereich gefunden hatte, zeigt überdeutlich, wie kompromisslos, ja feindselig man sich grundsätzlich begegnete. Demgegenüber muss es beinahe schon überraschen, konstatieren zu können, dass das Reich die Krise der Religionsstreitigkeiten im Ganzen erfolgreich gemeistert hat und ein Auseinanderbrechen letztendlich verhindert werden konnte. Diese Arbeit hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, mit einer Betrachtung der konfessionellen Selbst- und Fremdbezeichnungen der Lutheraner, Katholiken und Reformierten auf amtlicher Ebene zu untersuchen, inwieweit die entsprechende Terminologie mit den Bemühungen um Einheit auf Reichsebene korreliert, welchen Beitrag sie also geleistet hat, um die interkonfessionelle Kommunikation trotz aller Konflikte nie vollständig abreißen zu lassen. Dabei handelt es sich keineswegs um eine rein akademische Frage aus der Perspektive der Nachgeborenen, denn Diskussionen um einzelne Formulierungen und Begriffe, wie sie sich etwa in den Votenprotokollen niederschlugen, zeigen, dass sich bereits die Zeitgenossen der Bedeutung sprachlicher Feinheiten in diesem Bereich wohl bewusst waren. An den endgültigen Formulierungen der öffentlichen Dokumente wurde so ausgiebig gefeilt, dass der genaue Wortlaut letztendlich nie dem Zufall überlassen blieb. Der Sprachgebrauch steht dabei stets in Abhängigkeit vom jeweiligen Kommunikationsbereich mit seinen spezifischen Kommunikanten und entsprechend differierenden Aussageabsichten. In diesem Zusammenhang zeigt gerade ein Blick auf das theologisch-publizistische Schrifttum überdeutlich die besondere Integrationsleistung des Reiches, brachten die Verfasser hier doch ihren jeweiligen religiösen Alleinvertretungsanspruch vehement zur Geltung, der seinen Ausdruck zum einen in universalistischen Selbstbezeichnungen, besonders aber in einem geradezu erstaunlichen Einfallsreichtum in der Erfindung diffamierender Fremdbezeichnungen fand. Aus diesem Anlass entfaltete man die volle Bandbreite polemischer Grobianismen, häufig auch in Form einmaliger Ad-hoc-Formulierungen. Dabei ist zu betonen, dass diese zutiefst empfundene Abneigung sich nicht nur auf die Auseinandersetzungen zwischen Papsttum und Reformatoren beschränkte, sondern gerade auch innerhalb
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Zusammenfassung und Ausblick
des evangelischen Lagers vorhanden war. Besonders die lutherische Seite wetterte heftig gegen Zwingli und seine Anhänger, während die Schweizer umgekehrt eine etwas stärkere Zurückhaltung zeigten. Sie waren eher bestrebt, neben Kritikpunkten weiterhin die Gemeinsamkeiten zu betonen, was wohl nicht zuletzt auch daran gelegen haben mochte, dass ihre reichsrechtliche Position durch das Fehlen potenter fürstlicher Fürsprecher zunächst lange Zeit deutlich gefährdeter schien als diejenige, der bereits früh von Kursachsen und Hessen gestützten Wittenberger. Einigkeit herrschte dagegen über alle Konfessionsgrenzen hinweg in der Ablehnung weiterer reformatorischer Randgruppen wie der Täufer oder auch in der Verurteilung der Osmanen und ihres islamischen Glaubens. Hier bot sich später auf Reichsebene immer wieder ein Ansatzpunkt zur Formulierung von Gemeinsamkeiten und etwa im Falle des Kampfes gegen das Täuferreich zu Münster auch zur konkreten Zusammenarbeit. Eine Übergangsform zu den amtlich-offiziellen Schriften stellen kirchenrechtliche Dokumente dar, wie sie auf römischer Seite in den päpstlichen Bullen oder Konzilsdekreten und bei den Evangelischen in Form einer großen Bandbreite diverser landesherrlicher Kirchenordnungen vorliegen. Auch hier erscheint neben universalistischen Selbstbezeichnungen stets ein diffamierender Sprachduktus. Diese primär auf deutliche konfessionelle Abgrenzung und Herstellung einer eigenen Gruppenidentität ausgerichteten Textsorten stellen gleichsam die Vergleichsschablone dar, auf deren Basis der reichsrechtliche Sprachgebrauch, dem das Hauptaugenmerk dieser Arbeit gilt, untersucht werden sollte. Vier Leitfragen standen dabei im Hintergrund: Wie entwickelte sich die reichsrechtliche Terminologie vom ersten Auftreten der Luthersache auf dem Reichstag zu Worms 1521 bis zum Augsburger Religionsfrieden 1555 bzw. bis hin zum Jüngsten Reichsabschied 1654? Inwieweit konnten sich die drei wichtigsten Konfessionen dabei mit ihren Vorstellungen durchsetzen? In welchem Maße ließ sich der amtlich-offizielle Sprachgebrauch vom polemischen Schrifttum beeinflussen? Welche Strategien wurden in Blick auf einen Konsenszwang entwickelt, um die Handlungsfähigkeit des Reiches nicht dauerhaft zu gefährden? Dabei muss zwischen insgesamt drei wesentlichen Gebrauchsebenen unterschieden werden. Zum einen gab es öffentliche Dokumente, in erster Linie die Reichsabschiede, daneben aber auch noch zahlreiche weitere Ordnungen und Mandate, die grundsätzlich jedermann zugänglich waren. Sie setzten die reichsrechtlichen Normen und konstituierten damit den offiziell verpflichtenden konfessionellen Sprachgebrauch. Bei den eigentlichen Verhandlungsakten und den parallel dazu geführten dokumentierenden Protokollen war dagegen keine Öffentlichkeit intendiert. Diese Texte dienten der Beratung und Vorbereitung der endgültigen öffentlichen Beschlüsse oder sollten im Nachhinein ihr Zustandekommen nachvollziehbar
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bleiben lassen. Einerseits entsprach die Terminologie hier bereits häufig den jeweiligen Schlussdokumenten, andererseits lassen sich auch immer wieder einige im Verlaufe der Beratungen aufgetretene Auseinandersetzungen um die endgültigen Formulierungen nachvollziehen, die in den öffentlichen Dokumenten natürlich weitestgehend ausgeblendet blieben. Daneben ermöglichten gerade die Votenprotokolle teilweise einen kleinen Einblick in den mündlichen Sprachgebrauch einiger Reichstagsteilnehmer, wobei natürlich stets zu beachten ist, dass Aussagen immer wieder geglättet und angepasst wurden, so dass sich bei zahlreichen Voten durchaus die Frage stellt, ob sich hier neben der Meinung der Protagonisten nicht vielmehr die Ansicht des jeweiligen Protokollanten widerspiegelt. Die Protokolle stellen gewissermaßen einen Übergang zur dritten Gebrauchsebene, der internen Korrespondenz, dar, aus der sich die persönlichen Standpunkte einzelner Reichsstände am deutlichsten herausarbeiten lassen, waren diese hier doch keinen interkonfessionellen Rücksichtnahmen mehr unterworfen. Da gerade dieser Bereich jedoch einen nahezu unerschöpflichen Quellenfundus bietet, musste sich die Untersuchung in erster Linie auf einige Gesandtschaftsinstruktionen als repräsentativen Beispielen internen Schrifttums beschränken. Zeitlich lassen sich die insgesamt 32 Reichstage zwischen 1521 und 1654, auf denen die konfessionelle Terminologie ihre weitgehend endgültige Ausgestaltung erfahren hat, in vier Phasen unterteilen: Die Versammlungen bis 1532 standen im Zeichen der Herausbildung einzelner Konfessionsparteien unter den Reichsständen. Die anschließend durch die lange Abwesenheit Kaiser Karls V. bedingte Lücke in der Reihe der Reichstage zwischen 1532 und 1541 brachte gerade auf evangelischer Seite durch die Formierung des Schmalkaldischen Bundes eine deutliche Festigung der Gruppenidentität, wobei besonders die zunehmende Betonung der Confessio Augustana als konfessionelles Basisdokument eine wichtige Rolle auch für die weitere terminologische Entwicklung spielte. Auf den Reichstagen von 1541 bis 1551 zeigten sich dann zwei divergierende Grundtendenzen. Zunächst war Karl V. in Blick auf außenpolitische Zwänge genötigt, teilweise sogar gegen den Willen der römisch-katholischen Reichstagsmehrheit Kompromisse mit den evangelischen Fürsten und Städten einzugehen und ihnen weitreichende Bestandsgarantien zu gewähren. Seit Mitte der 40er Jahre verschärfte sich dann der Ton wieder in dem Maße, in dem der Krieg gegen den Schmalkaldischen Bund näherrückte. Wurde dieser auch offiziell als Strafmaßnahme gegen Johann Friedrich von Sachsen und Philipp von Hessen deklariert, weshalb in den entsprechenden öffentlichen Dokumenten meist keine konfessionelle Terminologie erscheint, so stand doch die Religionsfrage unausgesprochen stets im Hintergrund. In einer letzten Phase wurde schließlich mit dem Augsburger Religionsfrieden ein weitgehender reichsrechtlicher Ausgleich zwi-
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schen Katholiken und Lutheranern gefunden, in den auch die Reformierten inoffiziell 1566 und offiziell mit dem Westfälischen Frieden bzw. dem Jüngsten Reichsabschied einbezogen wurden. Die zunehmenden interkonfessionellen Spannungen seit Ende des 16. Jahrhunderts zeitigten keine nennenswerten Auswirkungen auf die reichsrechtlich anerkannte konfessionelle Terminologie mehr. Die Untersuchung der Selbst- und Fremdbezeichnungen in den unterschiedlichen Textsorten der verschiedenen Gebrauchsebenen ergab trotz einer insgesamt großen sprachlichen Bandbreite gewisse wiederkehrende Muster, die es erlauben, einzelne Wendungen der besseren Übersichtlichkeit halber bestimmten Begriffsfamilien zuzuordnen. Dabei lassen sich insgesamt sieben Kategorien feststellen: 1. Universalistische Terminologie 2. Ketzerterminologie 3. Personen- bzw. amtsbezogene Terminologie 4. Schwärmerterminologie 5. Zeremoniebezogene Terminologie 6. Rechtliche Terminologie 7. Neutrale Terminologie Die universalistische Terminologie dominiert naturgemäß besonders im Bereich der Selbstbezeichnungen, unterstreicht jede Konfession hier doch bereits durch die Namensgebung als ‚Christen‘ oder Anhänger des ‚alten‘ Glaubens, aber auch durch die heutzutage eher als Parteinamen verstandenen Begriffe ‚katholisch‘ und ‚evangelisch‘ ihren theologischen Alleinvertretungsanspruch und schließt damit zugleich alle anderen Konfessionen aus dem Kreis der Rechtgläubigen aus. Lediglich ‚Christen‘ kommt immer wieder auch ein gewisses einigendes Potential zu. Gerade in der gemeinsamen Abgrenzung gegenüber den Osmanen wurde unermüdlich das Christentum beschworen, ohne weiter auf konfessionelle Unterscheidungen einzugehen. Allerdings zeigt sich hierin keineswegs eine sich anbahnende gegenseitige Anerkennung, sondern man griff lediglich auf ein beliebtes Mittel zurück, um vorhandenes Konfliktpotential einfach auszublenden: Dissimulierende Wendungen sollten allen Beteiligten ermöglichen, entsprechende Begriffe und Textpassagen in ihrem Sinne zu verstehen. Der bewusste Verzicht auf weitere Spezifizierungen trug damit nicht zur eigentlichen Problemlösung bei, hielt den Streit aber zumindest unentschieden in der Schwebe. Gleichsam als direktes Gegenstück zur universalistischen Terminologie ist die Ketzerterminologie zu verstehen. Die Diffamierung der Gegner als ‚Ketzer‘, ‚Schismatiker‘, ‚Sekte‘ oder auch ‚Neugläubige‘ spricht diesen explizit jeden Anspruch auf Wahrheit ab. In die gleiche Richtung zielt die personen- bzw. amtsbezogene Terminologie, die mit Bezeichnungen wie ‚Lutheraner‘, ‚Zwinglianer‘ oder auch ‚Papisten‘
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zum Ausdruck bringen soll, dass hier nicht Christus nachgefolgt wird, sondern einem irrenden Menschen, sei es nun ein Reformator oder im Falle der römisch-katholischen Kirche der jeweilige höchste Amtsträger. Dabei bediente man sich eines bewährten Schemas, denn bereits seit altkirchlicher Zeit wurden Häresien immer wieder nach ihren Urhebern benannt, so etwa die Arianer oder Pelagianer. Besonders die Reformierten traf mit dem Vorwurf der ‚Schwärmerei‘ oder ‚Träumerei‘ ein ähnliches Verdikt, sich ihre Lehre mehr oder weniger selber ausgedacht zu haben. Diese Begriffe lassen sich zu der eigenen kleinen Gruppe der Schwärmerterminologie zusammenfassen. Bezeichnungen aus diesen drei Bereichen mussten automatisch den Widerstand der Gegenseite provozieren und waren damit grundsätzlich nicht konsensfähig. Einzige Ausnahme bildet ‚Lutherische‘, das in den innerevangelischen Auseinandersetzungen nach Luthers Tod aufgrund der besonderen Wertschätzung des Reformators und seiner Aussagen v. a. von orthodoxer Seite zunehmend als Selbstbezeichnung adaptiert wurde. Andererseits konnte aber natürlich auch eine einfache namentliche Nennung der Vertreter einer Konfession dazu dienen, genauere Festlegungen zu umgehen und mithin neutral zu bleiben. Durchaus ambivalent ließ sich ebenso die zeremoniebezogene Terminologie einsetzen. Eine reine Umschreibung etwaiger konfessionstypischer Gebräuche und Rituale war zunächst vollkommen neutral. Dass sich etwa evangelische Pfarrer nicht dem Zölibat unterwarfen oder die Reformatoren das Abendmahl unter beiderlei Gestalt eingeführt hatten, war schließlich von keiner Seite zu bestreiten. Allerdings konnte die Verwendung wertender Ausdrücke, die das jeweilige Geschehen als falsch und frevelhaft abtaten, die Grundaussage solcher Darstellungen natürlich schnell wieder in die Nähe der Ketzerterminologie verschieben. So verhält es sich auch mit der regelmäßig für die Reformierten verwendeten Bezeichnung ‚Sakramentierer‘, die auf Unterschiede im Abendmahlsverständnis verwies und diese gleichzeitig mit dem Vorwurf versahen, das Sakrament auf diese Weise zu missbrauchen. Ähnliches gilt für die rechtliche Terminologie, die in ihrem Bezug auf reichsrechtliche Dokumente, wie etwa dem Wormser Edikt, diversen Protestationen oder der Confessio Augustana, grundsätzlich einer neutralen Begriffsebene angehört. Durch den Vorwurf der ‚Rottenbildung‘ oder des ‚Ungehorsams‘ gegenüber reichs- bzw. kirchenrechtlichen Bestimmungen konnten besonders Anhänger der reformatorischen Konfessionen wieder sehr leicht als Rebellen und Unruhestifter kriminalisiert werden. Bezeichnungen wie ‚Partei‘ und ‚Gegenpart‘ gehören als Entlehnungen aus der Gerichtssprache prinzipiell ebenfalls der rechtlichen Terminologie an, verweisen aber zugleich auf den weiten Bereich der neutralen Terminologie, unter den in erster Linie eher unspezifische Begriffe fallen, etwa ‚wir‘, ‚die Unsern‘, ‚die anderen‘, ‚die Gegner‘ bzw. ‚die Widerwärtigen‘. Aber auch hier gilt, dass nur ein
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abwertendes Attribut, wie z. B. ‚verstockt‘, ausreichen konnte, um den neutralen Sprachduktus wieder in Richtung der Verketzerung oder Kriminalisierung abgleiten zu lassen. Auf diese Weise entstanden schließlich eine ganze Reihe verschiedenster Mischformen, die natürlich ebenso umgekehrt zur Aufwertung der eigenen Position eingesetzt werden konnten, wenn etwa die lutherische Seite in Verknüpfung von neutral-reichsrechtlicher und exklusiv-universalistischer Terminologie von der ‚christlichen Augsburgischen Konfession‘ sprach. Alle diese Beispiele machen deutlich, auf welch schmalem terminologischen Grat man sich hier stets bewegte. Auf reichsrechtlich-amtlicher Ebene spiegelte die Art des Einsatzes jener sprachlichen Möglichkeiten zur Umschreibung der Konfessionen deutlich den Stand der Bemühungen um das Zusammenleben der Religionsparteien im Reich wider. Dabei finden sich abhängig von den jeweiligen historischen Rahmenbedingungen diachrone Veränderungen sowie synchrone Differenzen im Vergleich zwischen der öffentlichen, nicht-öffentlichen und internen Textebene. Besonders auf evangelischer Seite fanden daneben auch konfessionsinterne Divergenzen ihren terminologischen Niederschlag in verschiedenen abweichenden Selbstbezeichnungen, da beispielsweise in den 1540er Jahren nicht alle evangelischen Stände gleichzeitig auch dem Schmalkaldischen Bund nahestanden und dies auch sprachlich genau wiedergeben wollten. Alle offiziellen Dokumente hatten sich zumindest implizit mit dem Wormser Edikt von 1521 als reichsrechtlichem Ausgangspunkt für die Religionsfrage auseinanderzusetzen, das juristisch gesehen erst mit dem Augsburger Religionsfrieden wieder seine Gültigkeit verlor. Blieb dieser Text als Ausdruck strikter kaiserlicher Ablehnung aller reformatorischen Bestrebungen noch stark der theologisch-publizistischen Polemik mit ihrer Gegenüberstellung von universalistischer und Ketzerterminologie sowie einer kriminalisierenden Rechtssprache verhaftet, so schlug der Reichstag schon sehr bald andere Wege ein. Bereits von Beginn an lassen sich Bemühungen erkennen, einen Konflikt zwischen den Reichsständen grundsätzlich zu vermeiden, was zunächst dazu führte, dass man mit wenigen Ausnahmen die Religionsfrage ausblendete und sich ansonsten an die Person Luthers oder an die Umschreibung etwaiger zeremonieller Veränderungen hielt. Hinzu traten schließlich auch erste dissimulierende Formeln wie die Konzilsforderung und die Predigtklausel. Schließlich entwickelte sich seit dem 3. Nürnberger Reichstag von 1524 mit der Unterscheidung der Parteien nach ihrer Einstellung zum Wormser Edikt die zukunftsweisende Taktik, Konfessionen mit Hilfe der rechtlichen Terminologie gemäß ihrer Stellung zu reichsrechtlichen Beschlüssen neutral zu umschreiben. Bei allen zur Schau gestellten Bemühungen um die Bewahrung der Concordia blieb sich der Kaiser intern stets seiner ablehnenden und verketzernden Haltung treu. Daneben tat sich besonders Herzog Georg von Sachsen als Feind des Luthertums hervor. Auf
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der anderen Seite begann gerade in kursächsischen und hessischen Dokumenten bereits frühzeitig mit der Betonung des Evangeliums als einziger Glaubensbasis bis hin zum ersten vereinzelten Auftauchen des Adjektivs ‚evangelisch‘ in den Berichten des Hans von der Planitz die Herausbildung dieser später bevorzugten und durchaus universalistisch zu verstehenden Selbstbezeichnung. Eine erste deutliche Verschärfung erfuhr die Situation, als die katholische Reichstagsmehrheit 1529 und 1530 auf den kompromisslosen Kurs Ferdinands und Karls V. einschwenkte, womit denn auch erstmals seit 1521 die Ketzerterminologie wieder Eingang in öffentliche Dokumente fand. Die rechtliche Terminologie wurde in diesem Zusammenhang eindeutig kriminalisierend eingesetzt, indem man den Lutheranern bezüglich des Wormser Edikts Ungehorsam vorwarf. Letztendlich bewirkte dieses Vorgehen aber lediglich die offene Spaltung des Reichstages in zwei Glaubensparteien, wobei sich die evangelische Seite mit der Speyrer Protestation und der Confessio Augustana gewissermaßen Grundlagentexte schuf, die für die weitere terminologische Entwicklung von großer Bedeutung waren. Die kompromisslose Sprache korreliert hier eindeutig mit einer drohenden Handlungsunfähigkeit des Reichstages, denn die reformationsfreundlichen Stände trugen die Abschiede von 1529 und 1530 nicht mit, was denn auch zu einem baldigen Umdenken des Kaisers führte. Bereits 1532 signalisierte die Terminologie ein Einlenken. Erneut wurde nun in den öffentlichen Texten auf jegliche theologische Wertung verzichtet und vorwiegend die neutrale Sprachebene bemüht. In den 1530er Jahren fand vor allem auf evangelischer Seite ein deutlicher Konsolidierungsprozess statt. Der Schmalkaldische Bund unter kursächsischer und hessischer Führung wirkte über weite Strecken vereinheitlichend und bereitete durch die Aufwertung der CA als Grundlage ihrer Konfession die Wendung ‚Augsburgische Konfessionsverwandte‘ als offizielle Selbst- und Fremdbezeichnung vor, wie sie seit spätestens 1542 auf Reichsebene üblich wurde. Hinzu trat in offiziellen Texten auch immer wieder die Umschreibung als ‚Protestierende‘, wobei es hier nicht immer eindeutig um eine Bezugnahme auf die Protestation von 1529 ging. Vielmehr schien gerade die katholische Seite eher auf eine gewisse störrische Grundhaltung verweisen zu wollen, die sich in regelmäßigen Protesten auf beinahe allen Reichstagen niederschlug. Auf diese Weise erhielt diese grundsätzlich neutrale rechtliche Nomenklatur einen durchaus kritischen Beigeschmack und fand demnach meist dann Verwendung, wenn sich die Situation, wie im Vorfeld des Schmalkaldischen Krieges, wieder verschärfte. Trotzdem griffen auch interne evangelische Texte neben dem Bezug auf das Wort Gottes und die CA immer wieder darauf zurück. Ketzerterminologie erschien dagegen selbst im Umfeld des Krieges in offiziellen Texten nicht mehr, da die reformationsfreundlichen Stände inzwischen zu zahlreich und damit
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zu mächtig geworden waren, um sie dermaßen vor den Kopf zu stoßen. Für die katholische Seite bildete sich seit den 40er Jahren die Bezeichnung ‚alte Religion‘ als reichsrechtliche Bezeichnung heraus. Daneben setzte sie sich als ‚gemeine Stände‘ immer wieder auch einfach mit der Reichstagsmehrheit gleich, um auf diese Weise ihre Weigerung zur Parteienbildung, was ja implizit die Anerkennung eines gleichberechtigten Partners bedeutet hätte, und ihre numerische Überlegenheit deutlich zu machen. Gerade nach dem Übertritt des Kölner Kurfürsten Hermann von Wied zur Reformation bedienten sich die Evangelischen allerdings des gleichen Mittels, indem sie im Laufe der Verhandlungen regelmäßig auf ihr Übergewicht sowohl im Kurfürsten- wie auch im Städterat verwiesen. Nach dem Zwischenspiel des Interims von 1548, in dessen Zuge Karl V. die Bezeichnung ‚der Augsburgischen Konfession anhängig gewesene Stände‘ prägte, bildeten die ‚CA-Verwandten‘ und die ‚Anhänger der alten Religion‘ schließlich auch die Bezeichnungen, die im Augsburger Religionsfrieden reichsrechtlich festgeschrieben wurden. In der Folgezeit ergaben sich nur noch drei wesentliche Verschiebungen: Seit Ende des 16. Jahrhunderts gelang es den ‚Katholiken‘, eben diese bereits von jeher in den internen Dokumenten bevorzugte Selbstbezeichnung auch auf Reichsebene zu etablieren. Da dieser Name aus den altkirchlichen Glaubensbekenntnissen stammte und damit natürlich auch die Evangelischen darauf Anspruch erhoben, bedeutete dies eine deutliche terminologische Aufwertung. Zwar drückte auch die ‚alte Religion‘ bereits eine überlegene Position aus, doch ließ sich dieses Attribut mit etwas Geschick durchaus noch im Sinne von ‚überholt‘ umformen, wenn in evangelischen Texten etwa intern immer wieder von ‚alten Missbräuchen‘ die Rede ist. Letztendlich leistete man aber offiziell kaum Widerstand, da im Prinzip ja bereits die Anerkennung mehrerer mithin gleichberechtigter Religionsparteien durchaus als Erfolg zu werten war. Daneben wurden seit 1566 die Anhänger Zwinglis und Calvins unter die Confessio Augustana subsumiert, die damit die Funktion einer dissimulierenden Formel erhielt, musste doch von nun an offenbleiben, ob es sich hier um die lutherische Invariata oder die konziliantere Variata handeln sollte. Im Westfälischen Frieden wurden sie unter der Bezeichnung ‚Reformierte‘ dann auch offiziell anerkannt. Auf offizieller Ebene hatte insgesamt ein begrifflicher Verengungsprozess stattgefunden, der schließlich prinzipiell zu einer Reduzierung auf zwei wichtige Bezeichnungen führte. In diesem Zusammenhang ist es den katholischen Ständen besser gelungen, ihre eigenen Vorstellungen einzubringen, als den evangelischen, was einfach an den faktischen Mehrheits- und Machtverhältnissen gelegen haben mag, nicht zuletzt auch an der Unterstützung durch den Kaiser. Die evangelische Seite musste sich als ‚Augsburger Konfessionsverwandte‘ mit einem Namen aus dem rechtlichen Bereich zufriedengeben, der zwar mit ihrem Selbstverständnis ver-
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einbar war, aber eben nicht dem bevorzugten ‚Evangelische‘ entsprach. Bei der Bezeichnung der Katholiken musste sie hingegen mit ‚Stände der alten Religion‘ und zunehmend auch ‚Katholische‘ Wendungen mit universalistischem Hintergrund hinnehmen, die ihrer eigenen Meinung zutiefst widersprachen. Ein gewisses Widerstreben lässt sich immer wieder in den Verhandlungsakten erkennen, in denen besonders die Evangelischen wo immer möglich weiterhin auf ihrem jeweiligen Alleinvertretungsanspruch beharrten. Dies schlug sich in einigen terminologischen Mischformen nieder, in denen versucht wurde, die offizielle Nomenklatur durch universalistische bzw. abwertende Attribute etwas ‚zurechtzurücken‘, so etwa in der bereits erwähnten Formulierung ‚christliche Augsburgische Konfession‘ oder in der Titulierung der Gegner als ‚angemaßte alte Religion‘. Noch deutlicher wurden solche Positionen natürlich in den Instruktionen vertreten. Zwar spielte ausufernde Polemik schon aus textfunktionalen Gründen nie eine wichtige Rolle, schließlich trugen diese Schreiben einen primär informativen Charakter und dienten nicht der Indoktrination, dennoch blieb der katholischen Seite ihr reichsrechtlicher Name hier natürlich versagt. Vielmehr griff man meist auf das abwertende ‚Papisten‘ zurück. Umgekehrt findet sich auch in Texten katholischer Provenienz immer wieder ‚Lutherische‘ oder gar noch ‚lutherische Sekte‘, insgesamt dominieren aber meist kurze und neutrale Ausdrücke wie ‚wir‘ und ‚die anderen‘. Schließlich verweisen gerade die internen Schreiben noch auf eine weitere Besonderheit. Sie zeigen wiederholt, dass es sich bei den konfessionellen Selbst- und Fremdbezeichnungen besonders in den Augen zahlreicher evangelischer Stände nicht selten um unrechtmäßige Vereinfachungen handelte. Diese unterschieden teilweise genau, ob man sich denn nun den ‚CA-Verwandten‘, den ‚Protestierenden‘ oder den ‚Einungsverwandten‘ des Schmalkaldischen Bundes zugehörig fühlte. Hinzu kam, dass einige Fürsten, wie Joachim II. von Brandenburg, Friedrich von der Pfalz oder Ernst von Baden-Hachberg, bis weit in die 1540er Jahre hinein bewusst einen vorkonfessionellen Standpunkt vertraten und sich aus den religionspolitischen Auseinandersetzungen tunlichst heraushalten wollten. Anhand dieser Beobachtungen kristallisieren sich nun mehrere Strategien heraus, wie man auf Reichsebene sicherstellte, dass interkonfessionelle Kommunikation auch unter erschwerten Bedingungen möglich blieb. Hier sind zunächst nochmals die dissimulierenden Formeln zu nennen, die mit der Konzilsforderung wie der Predigtklausel bereits seit den 1520er Jahren Eingang in die Debatte gefunden haben. Gerade anhand des Konzils lässt sich erkennen, wie ein derartiger sprachlicher Kompromiss seine integrative Kraft mit einem Schlag verlieren, ja mithin sogar umkehren kann, sobald die Grundvoraussetzung der Mehrdeutigkeit nicht mehr gegeben ist. Seit das Konzil von Trient tagte, gerieten die evangelischen Stände in einen permanenten
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Rechtfertigungsdruck, warum sie diese Versammlung nun gerade nicht als Entscheidungsforum anzuerkennen bereit waren, und lieferten den katholischen Ständen damit zahlreiche Angriffsflächen. Auch gezielte Missverständnisse konnten durchaus den Frieden wahren, selbst wenn sie von der Gegenseite ursprünglich keineswegs intendiert gewesen sein sollten. So wurde das Vorgehen der christlichen Stände gegen Sekten von evangelischer Seite wiederholt in dem Sinne uminterpretiert, dass es dabei lediglich um Reformierte oder andere Gruppen ginge. Auf diese Weise konnte sie sich selber zu den Christen zählen und die entsprechenden Beschlüsse annehmen. Auch die Subsumierung der Reformierten unter die CA auf dem Reichstag von 1566 war nur möglich, indem man die Confessio Augustana absichtlich anders verstand als die Katholiken. Höchst problematisch war das Mittel, mehrdeutige Rechtslagen herzustellen, indem man einmal getroffene Beschlüsse durch neue Mandate konterkarierte ohne sie offiziell aufzuheben, wie dies in den 20er Jahren etwa mit dem Wormser Edikt geschehen ist, oder verschiedenen Gruppen durch teilweise geheime Zusatzdokumente Zugeständnisse machte, die untereinander gar nicht vereinbar waren, so geschehen beispielsweise auf dem Reichstag von 1544 oder besonders prominent durch die Declaratio Ferdinandea im Umfeld des Augsburger Religionsfriedens. Ebenfalls 1544 fand auch eine weitere Möglichkeit Verwendung: Um eine offizielle Zustimmung vermeiden zu können, ohne den Beschluss selber zu verhindern, stellten die Stände die religionspolitischen Entscheidungen dem Kaiser anheim, die er dann aus eigener Machtvollkommenheit in den Abschied einfügte. Ebenfalls primär zur Wahrung des Prinzips dienten zeitliche Befristungen. So bedeutete ein auf mehrere Jahre befristeter Friedstand mit den Lutheranern eben noch keine tatsächliche Anerkennung eines mehrkonfessionellen Reichswesens. In den meisten Fällen konnte Einigkeit auch dadurch erzielt werden, indem man das problematische Thema Religion überhaupt vermied. Bereits zu Beginn der Auseinandersetzungen bedurfte es ja stets des Eingreifens einzelner Akteure wie Georgs von Sachsen, Karls V. oder der Kurie, die das ‚Stillhalteabkommen‘ der Ständemehrheit nicht mittragen wollten, um überhaupt entsprechende Verhandlungen in Gang zu bringen. Ließ sich auf diese Weise nichts erreichen, so konnte immer noch eine Hinhaltetaktik ohne direkten Widerspruch zum Erfolg führen. So stimmten die evangelischen Stände 1548 zwar nolens volens dem kaiserlichen Interim zu, brachten aber anschließend allerlei Hinderungsgründe vor, die es ihnen nicht erlaubt hätten, den Beschluss auch tatsächlich umzusetzen. Genauso verfuhren auch die geistlichen Fürsten mit der Formula Reformationis. Aufgrund dieser Strategien, die die Frage der Konfessionen im Reich über einen langen Zeitraum bewusst in der Schwebe hielten, ist wohl letztendlich ein gewisser Gewöhnungsprozess nicht zu unterschätzen, der letztendlich dazu führte, dass man sich mit der Situation abfand und sie nicht mehr grundsätzlich in
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Frage stellte. Damit griff man letztendlich auf ein gängiges Mittel der Reichspolitik zurück, das so auch auf anderen Ebenen Verwendung fand. Man denke hier etwa an die häufig umstrittenen Sessionen, die als Ausdruck des Ranges von großer Bedeutung waren. Alternierende Sessionen und lange Prozesse vor den Reichsgerichten hielten den Zustand bewusst in der Schwebe. Solange keine endgültige Entscheidung gefallen war, konnte sich jede Seite damit abfinden. Der Konflikt wurde gleichsam ritualisiert und damit stets gegenwärtig gehalten, so dass das Selbstverständnis der beteiligten Parteien berücksichtigt blieb, ohne jedoch die Funktion des Reichsganzen zu stören.1 Diese Charakteristik der Reichsverfassung lässt sich also durchaus über das Zeremoniell hinaus auch auf die terminologische Ebene anwenden! Selbst wenn mit dem Jüngsten Reichsabschied die terminologische Entwicklung weitgehend als abgeschlossen zu gelten hat, so bedeutete das natürlich nicht, dass die konfessionell bedingten Auseinandersetzungen zum Erliegen gekommen wären. Die konfessionelle Gemengelage führte auch weiterhin immer wieder zu teils heftigen Konflikten, etwa in Zusammenhang mit der Ryswijker Klausel von 1697, nach der sämtliche während der französischen Besetzung im Pfälzischen Erbfolgekrieg rekatholisierten Gebiete nach ihrer Rückgabe katholisch bleiben sollten, oder noch 1731/32 mit der aufsehenerregenden Ausweisung der Salzburger Protestanten.2 Ein besonderes Kuriosum stellte auch der Streit um die Bezeichnung ‚Heilige Römische Kirche‘ dar, der erst 1717 durch die Einfügung eines Bruchstriches nach Vorbild der doppelten Datumsangaben nach dem Kalenderstreit gelöst wurde.3 Derartige Vorkommnisse ließen die evangelischen Stände auf dem Immerwährenden Reichstag teilweise zu einer nahezu vorkriegszeitlichen Blockadepolitik zurückkehren.4 1
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Vgl. hierzu nochmals Stollberg-Rilinger: Zeremoniell als politisches Verfahren (Kap. 5, Anm. 7). S. 125f. und S. 132. Vgl. Burkhardt: Vollendung und Neuorientierung (Kap. 6, Anm. 598). S. 160–164 sowie S. 341– 346. Vgl. Schlaich: Maioritas (1978) (Kap. 5, Anm. 25). S. 171. Auf diese Weise trug man dem unterschiedlichen Kirchenverständnis der Konfessionen Rechnung, da die evangelische Seite natürlich die Bezeichnung ‚heilig‘ in Bezug auf die ‚römische‘ Kirche strikt ablehnte. Nun standen die Bezeichnungen ‚Heilige Römische Kirche‘ und ‚Heilige Kirche‘ gleichberechtigt nebeneinander. Vgl. hierzu etwa die doppelte Angabe des Kardinalstitels des Prinzipal-Kommissars in den entsprechenden Reichsgutachten, bei der daneben auch der Titel des Legaten mit einem Bruchstrich doppelt angegeben wird: Einmal fungiert er als Legat des ‚Heil. Apostol. Stuhls‘ und daneben neutraler als Legat des ‚Stuhls zu Rom‘. Reichsgutachten vom 13. Januar 1717. In: Johann Joseph Pachner von Eggenstorff: Vollständige Sammlung aller von Anfang des noch fürwährenden Teutschen Reichs-Tags de Anno 1663 biß anhero abgefaßten Reichs-Schlüsse. Teil 3: 1701 bis 1718. Herausgegeben von Karl Otmar Freiherr von Aretin und Johannes Burkhardt. Hildesheim/Zürich/New York 1996 (Historia Scientarum. Fachgebiet Geschichte und Politik). Nr. DI. S. 722. Vgl. Weber: Die Parität der Konfessionen in der Reichsverfassung (Kap. 8, Anm. 397). S. 254. Anm. 290 und S. 255f. sowie Ulrich Belstler: Die Stellung des Corpus Evangelicorum in der Reichs-
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Die zunehmend heraufbeschworene Verfassungskrise führte um 1720 schließlich nochmals zu einer Ausweitung der Diskussion um eine prinzipielle Existenzberechtigung jener in der Regelung der ,itio in partes‘ angelegten konfessionellen Corpora.5 Es ging dabei nicht zuletzt auch um die Bezeichnungen ‚Corpus Evangelicorum‘ und ‚Corpus Catholicorum‘, die es der evangelischen Seite ermöglicht hätte, gleichsam durch die Hintertür doch noch ihre präferierte Selbstbezeichnung auf eine reichsrechtlich anerkannte Ebene zu hieven. Heraus kam „eine der elendsten Logomachien, welche jemals unser deutsches Staatsrecht verunstaltet haben“,6 wie die aufgeklärte ‚Deutsche Encyclopädie‘ in den 1780er Jahren tadelnd vermerkte. Die Entstehungsgeschichte der Corpora begann im Prinzip bereits mit der Protestation von 1529 durch die Absonderung der protestierenden Fürsten und Städte von den anderen Ständen.7 In der Folgezeit fanden dann religionspolitische Verhandlungen immer häufiger nicht mehr nach Kurien, sondern nach Konfessionen getrennt statt, so dass Fritz Wolff konstatiert, die konfessionellen Parteien hätten sich bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts so fest etabliert, dass „die beiden Corpora zur Zeit des Beginns der Friedensverhandlungen durchaus schon als feste Institutionen der Reichsversammlung betrachtet werden [können]“.8 Auf dem westfälischen Kongress berichteten die Kurkölner und Kurtrierer Gesandten, dass sich das corpus protestantium zu Osnabrück und catholicorum allhie zu Münster versammle.9 Hier wird wohlweislich der Bezug auf das Evangelium vermieden, während sich die evangelische Seite selbst als „evangelischer Reichsfürstenrat“ bezeichnete.10 ‚Corpus Evangelicorum‘ selber war hier noch nicht in Gebrauch, obwohl der Begriff erstmals bereits auf einem Konvent der evangelischen Stände zu Heilbronn im Jahre 1633 intern Verwendung gefunden hatte.11 Als sich die Versammlung der evangelischen Gesandten
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verfassung. Bamberg 1968. S. 19–21 und S. 25. Johannes Burkhardt verweist in diesem Zusammenhang auch auf den konfliktverstärkenden Einfluss des Reformationsjubiläums von 1717, vgl. Burkhardt: Vollendung und Neuorientierung (Kap. 6, Anm. 598). S. 333. Vgl. Fritz Wolff: Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum auf dem Westfälischen Friedenskongreß. Die Einfügung der konfessionellen Ständeverbindungen in die Reichsverfassung. Münster i. W. 1966 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e. V. Bd. 2). S. 194f. Art. Corpus Evangelicorum. In: Heinrich Martin Gottfried Köster/Johann Friedrich Roos (Hg.): Deutsche Encyclopädie oder Allgemeines Real-Wörterbuch aller Künste und Wissenschaften. 23 Bde. Frankfurt a. M. 1778–1807. Bd. 6. S. 400–402, hier S. 400. Vgl. Wolff: Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum (Anm. 5). S. 11. Wolff: Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum (Anm. 5). S. 98. Zit. nach Wolff: Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum (Anm. 5). S. 105. Wolff: Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum (Anm. 5). S. 104f. Die Selbstbezeichnung als ‚Corpus Evangelicorum‘ erscheint hier nicht, vgl. S. 126. Vgl. Wolff: Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum (Anm. 5). S. 126 sowie Art. Corpus Evangelicorum. In: Deutsche Encyclopädie. Bd. 6 (Anm. 6). S. 400.
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auf dem Immerwährenden Reichstag allmählich zu einer stehenden Einrichtung verfestigte, wurde ‚Corpus Evangelicorum‘ zu einer regulären Bezeichnung,12 die in diesem Zusammenhang nun auch öfter neben den herkömmlichen Umschreibungen als gesambte Augspurg. Confessionsverwandten, Chur: Fürsten und Stände in offiziellen reichsrechtlichen Dokumenten auftauchte.13 Über diesen Umweg ist es damit also nachträglich auch noch den Evangelischen gelungen, die von ihnen bevorzugte Selbstbezeichnung gleichsam reichsrechtlich legitimieren zu lassen. Allerdings verweist Ulrich Bestler darauf, dass das ‚Corpus Evangelicorum‘ „nach 1648 weder gesetzlich sanktioniert noch von der katholischen Partei je anerkannt“ worden sei,14 und versucht es dementsprechend nicht als Reichstagsinstitution, sondern als „eine späte Bildung des reichsständischen Einungsgedanken“ zu fassen.15 Auf dieser Basis argumentierten auch die katholischen Stände, die 1720 schließlich sogar durchsetzten, dass den Evangelischen das Auftreten als Corpus durch mehrere kaiserliche Kommissionsdekrete überhaupt untersagt wurde. Seither vermieden die Katholiken jeden weiteren Gebrauch dieser Bezeichnung und schwiegen die Gegenseite gleichsam tot.16 Die tieferen Ursachen dieser Auseinandersetzung lagen nicht zuletzt in Befürchtungen der katholischen Seite, durch ein Auseinandertreten des Reichstags in zwei konfessionelle Corpora ihre Stimmenmehrheit im Fürstenrat de facto zu verlieren, weshalb sie das Verfahren der ,itio in partes‘ möglichst restriktiv gehandhabt wissen wollte.17 Dazu trat meiner Meinung nach ein ideologischer Aspekt. Um ihren Anspruch auf Universalität wenigstens theoretisch aufrecht zu erhalten, weigerten sich die katholischen Stände, als ein Corpus neben anderen aufzutreten und dementsprechend das ‚Corpus Evangelicorum‘ als reichsrechtliche Institution anzuerkennen.18 In diesem Zusammenhang ist jedoch bemerkenswert, dass es in diesem Streit mehr um den juristischen Begriff ‚Corpus‘ als um die Bezeichnung ‚evangelisch‘ 12 13
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Vgl. Belstler: Corpus Evangelicorum (Anm. 4). S. 17 und S. 54. Zit. nach Belstler: Corpus Evangelicorum (Anm. 4). S. 51. Vgl. auch Wolff: Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum (Anm. 5). S. 192. Hier v. a. Anm. 54. Belstler: Corpus Evangelicorum (Anm. 4). S. 47. Fritz Wolff behauptet dagegen, „die Einrichtung der Corpora [kann] seit etwa 1725 als allgemein anerkannt gelten“, Wolff: Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum (Anm. 5). S. 197. Belstler: Corpus Evangelicorum (Anm. 4). S. 50. Das Recht zu einem derartigen Zusammenschluss auf gleichsam ‚privater‘ Ebene ist den Evangelischen denn auch nicht bestritten worden, vgl. S. 96–98. Vgl. Wolff: Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum (Anm. 5). S. 198, Schlaich: Maioritas (1978) (Kap. 5, Anm. 25). S. 150–157 und Belstler: Corpus Evangelicorum (Anm. 4). S. 3. Vgl. Wolff: Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum (Anm. 5). S. 40. Umgekehrt war das natürlich kein Problem, weil die evangelischen Stände genau aus diesen Gründen ein Interesse an einer Anerkennung zweier Corpora hatten. Vgl. Art. Corpus Evangelicorum. In: Deutsche Encyclopädie. Bd. 6 (Anm. 6). S. 398.
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gegangen zu sein scheint, denn die evangelischen Stände schrieben 1720 an Kaiser Karl VI., es könne ihnen gleich gelten, ob man sie pro Corpore, Societate, Collegio, Universitate, oder vor einen Reichsteil halten wolle.19 Der konfessionelle Namensbestandteil kam dabei überhaupt nicht zur Sprache. Auch die katholische Seite machte ihre Kritik nicht an diesem Begriff fest. Grundsätzlich schwelte hier also eher ein politischer Verfassungskonflikt um die Rolle der Corpora, denn ein erneuter Religionsstreit.20 Damit scheint nach beinahe zwei Jahrhunderten der konfessionellen Auseinandersetzung die Frage der terminologischen Selbst- und Fremdbezeichnung auf Reichsebene doch allmählich zur Ruhe gekommen zu sein. Vielleicht hatte man sich inzwischen einfach weitgehend an den Begriff ‚evangelisch‘ gewöhnt und sah darin nicht mehr den ursprünglichen universalen Anspruch, sondern lediglich einen Parteinamen. Für weiterreichende Aussagen bedürften die entsprechenden Akten des Reichstags und der Corpora allerdings noch einer genaueren Untersuchung. Nicht zuletzt durch einen genau berechneten Einsatz der konfessionellen Terminologie war es dem Reich gelungen, die Krise der Religionsspaltung zu überstehen. Neben der Suche nach möglichst unverfänglichen Begriffen, die von allen Seiten akzeptiert werden konnten, bediente sich der Reichstag eines weiteren bewährten Mittels, das auch in anderen Fällen immer wieder erfolgreich angewandt worden war: Man hielt den Konflikt möglichst lange unentschieden in der Schwebe. Entweder wurde er durch dissimulierende Formelkompromisse überdeckt oder man blendete das Thema aus, wo immer es nur möglich war. Man darf nicht übersehen, dass die Konfessionen über die Verhandlungen zur Religion hinaus kaum Erwähnung fanden, wenn man einmal von Fragen der paritätischen Besetzung des Reichskammergerichts und einigen diplomatischen Aktivitäten im Umfeld der Türkenkriege absieht. Erst recht nach dem Augsburger Religionsfrieden spielte diese Thematik in den offiziellen Verhandlungen nur noch eine höchst marginale Rolle, denn die Religionsgravamina blieben wohlweislich aus dem eigentlichen Verhandlungsgang ausgeblendet. Dieses taktische wie sprachliche Geschick im gegenseitigen Umgang der Religionsparteien auf den Reichstagen schuf letztendlich die Grundlage für eine Koexistenz, für ein territoriales Nebeneinander und auf Reichsebene sogar für ein Miteinander in Frieden.
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Zit. nach: Art. Corpus Evangelicorum. In: Deutsche Encyclopädie. Bd. 6 (Anm. 6). S. 400. Vgl. Burkhardt: Vollendung und Neuorientierung (Kap. 6, Anm. 598). S. 338–341.
10 Anhang
10.1 Abkürzungsverzeichnis APW ARG BSLK CA CO CR DCL EKL EKO FC GE GWU HWP HZ IPM IPO LK LThK MÖSA NDB RST RTA JR RTA RV StAA TRE WA ZKG ZHF ZRG KA
Acta Pacis Westphalicae Archiv für Reformationsgeschichte Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche Confessio Augustana Calvini Opera Corpus Reformatorum Dokumente zur Causa Lutheri Evangelisches Kirchenlexikon Die evangelischen Kirchenordnung des XVI. Jahrhunderts Formula Concordiae Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Historisches Wörterbuch der Philosophie Historische Zeitschrift Instrumentum Pacis Monasteriensis Instrumentum Pacis Osnabrugensis Leuenberger Konkordie Lexikon für Theologie und Kirche Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs Neue Deutsche Biographie Reformationsgeschichtliche Studien und Texte Deutsche Reichstagsakten. Jüngere Reihe Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662 Staatsarchiv Augsburg Theologische Realenzyklopädie Weimarer Ausgabe: Martin Luther, Werke. Kritische Gesamtausgabe Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift für Historische Forschung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung
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Anhang
10.2 Ungedruckte Quellen Reichstagsakten des Hochstifts Augsburg und der Reichsstadt Nördlingen aus dem Bestand des Staatsarchivs Augsburg: StAA. Hochstift Augsburg MüB. Nr. 1105. StAA. Reichsstadt Nördlingen MüB. Nr. 49, 53, 60, 67, 68, 71, 80, 81, 84, 86, 89, 115.
10.3 Gedruckte Quellen Anonym.: Bedencken Etlicher Predicanten/ Als der zu Schwebischen Hall/ Der in Hessen Vnd der Stadt N.N. auffs Interim Ihrer Oberkeit Vberreicht. o. O. 1548. Anonym.: Copey der schönen vermanung/ Welche bey den Abtrünnigen Interimistischen Christen/ vor der Teuflischen Gottlosen opffermes/ dem armen einfeldigen volck/ inn schonem schein wirt fürgelesen [...]. o. O., o. J. Anonym.: Eine Schrift/ wie die Pfarherrn an den örtern/ da man die Papisterey widerumb auffricht/ die Euangelisch lehr/ welche sie Lutherisch nennen/ verloben und verschweren müssen. o. O. 1548. Anonym.: Ein Gesprech von dem gemeinen Schwabacher Kasten als durch Bruder Heinrich Knecht Ruprecht Kemerin Spuler und irem Maister des Hantwerks der wullen Tuchmacher. Anno MDXXIIII. In: Oskar Schade (Hg.): Satiren und Pasquille aus der Reformationszeit. Bd. III. 2. Aufl. Hannover 1863. Nachdruck Hildesheim 1966. Nr. IX. S. 196–206. Anonym.: Ewiger/ Göttlicher/ Allmechtiger Mayestat Declaration. Wider Kayser Carl/ Künig zu Hispanien etc. Vnd Bapst Paulum den dritten. o. O. [1546]. Amsdorff, Nikolaus v.: Widder die Widderteufer und Sacramentirer. Etliche sprüche oder schlussrede. 1535. In: Robert Stupperich (Hg.): Schriften von evangelischer Seite gegen die Täufer. Münster i. W. 1983 (Die Schriften der Münsterischen Täufer und ihrer Gegner. Bd. III. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen. Bd. XXXII). Nr. 6a. S. 73–82. Der 2. Teil gegen die Sakramentierer ist ebenfalls abgedruckt in: Adolf Laube (Hg.): Flugschriften vom Bauernkrieg zum Täuferreich (1526–1535). Bd. 1. Berlin 1992. S. 326–331. Ders.: Contra Zwinglianos et Anabaptistas Themata Nicolai Amsdorfii. 1534. In: Robert Stupperich (Hg.): Schriften von evangelischer Seite gegen die Täufer. Münster i. W. 1983 (Die Schriften der Münsterischen Täufer und ihrer Gegner. Bd. III.
Gedruckte Quellen
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Senckenberg, Heinrich Christian/Schmauß, Johann Jacob (Hg.): Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, welche von den Zeiten Kayser Conrads des II. bis jetzo auf den Teutschen Reichs-Tägen abgefasset worden, sammt den wichtigsten Reichs-Schlüssen, so auf dem noch fürwahrenden Reichs-Tage zur Richtigkeit gekommen sind. 4 Bde. Frankfurt a. M. 1747. Nachdruck Osnabrück 1967. Zwingli, Huldrich: Von Erkiesen und Freiheit der Speisen. 1522. In: Emil Egli/Georg Finsler (Hg.): Huldreich Zwingli. Sämtliche Werke. 14 Bde. Leipzig 1905–1937 (Corpus Reformatorum. Bd. 88–101). Bd. I. Nr. 8. S. 74/88–136 (Im Folgenden abgekürzt als CR). Ders.: Entschuldigung etlicher Zwingli unwahrlich zugelegter Artikel, an die Tagsatzung zu Bern. 3. Juli 1523. CR 88. Nr. 19. S. 570/574–579. Ders.: Antwort auf Johannes Ecks Missiv und Entbieten. 1524. CR 90. Nr. 39. S. 300/ 304–312. Ders.: Ordnung der christlichen Kirche zu Zürich. 1525/1535. CR 91. Nr. 70. S. 671/ 680–706. Ders.: Eine kurze Schrift an die Christen, vor dem unchristlichen Vorhaben Fabers warnend. 1526. CR 92. Nr. 92. S. 256/262–271. Ders.: Amica exegesis, id est: expositio eucharistiae negocii ad Martinum Lutherum. 1527. CR 92. Nr. 104. S. 548/562–758. Ders.: Freundliche Verglimpfung über die Predigt Luthers wider die Schwärmer. 1527. CR 92. Nr. 106. S. 763/771–794. Ders.: Daß diese Worte ‚Das ist mein Leib‘ etc. ewiglich den alten Sinn haben werden etc. 1527. CR 92. Nr. 107. S. 795/805–977. Ders.: In catabaptistarum strophae elenchus. 31. Juli 1527. CR 93/1. Nr. 108. S. 1, 21–196. Ders.: Die beiden Predigten Zwinglis zu Bern. 19./20. Januar 1528. CR 93/1. Nr. 116. S. 443/450–498.
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Anhang
Art. Corpus Evangelicorum. In: Heinrich Martin Gottfried Köster/Johann Friedrich Roos (Hg.): Deutsche Encyclopädie oder Allgemeines Real-Wörterbuch aller Künste und Wissenschaften. 23 Bde. Frankfurt a. M. 1778–1807. Bd. 6. S. 400–402. Adamzik, Kirsten: Textsorten – Texttypologie. Eine kommentierte Bibliographie. Münster i. W. 1995 (Studium Sprachwissenschaft. Bd. 12). Adelung, Johann Christoph: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. 4 Bde. 2. Aufl. Leipzig 1793–1801. Augustijn, Cornelius: Die Religionsgespräche der vierziger Jahre. In: Gerhard Müller (Hg.): Die Religionsgespräche der Reformationszeit. Gütersloh 1980 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte. Bd. 191). S. 43–53. Aulinger, Rosemarie: Das Bild des Reichstages im 16. Jahrhundert. Beiträge zu einer typologischen Analyse schriftlicher und bildlicher Quellen. Göttingen 1980 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Schrift 18). Dies.: Die Verhandlungen zum Nürnberger Anstand 1531/32 in der Vorgeschichte des Augsburger Religionsfriedens. In: Heinrich Lutz/Alfred Kohler (Hg.): Aus der Arbeit an den Reichstagen unter Kaiser Karl V. Sieben Beiträge zu Fragen der Forschung und Edition. Göttingen 1986 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bd. 26). S. 194–227. Becker, Hans-Jürgen: Protestatio, Protest. Funktion und Funktionswandel eines rechtlichen Instruments. In: ZHF. 5. 1978. S. 385–412. Beinert, Wolfgang: Katholisch, Katholizität. In: Joachim Ritter/Karlfried Gründer/ Gottfried Gabriel (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. 12 Bde. Basel 1971–2005. Bd. 4. Sp. 787–798. Belstler, Ulrich: Die Stellung des Corpus Evangelicorum in der Reichsverfassung. Bamberg 1968. Bierther, Kathrin: Der Regensburger Reichstag von 1640/1641. Kallmünz 1971 (Regensburger Historische Forschungen. Bd. 1). Bizer, Ernst: Heinrich Ludwig Julius Heppe. In: Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode u. a. (Hg.): Neue Deutsche Biographie. 24 Bde. Berlin 1953–2010. Bd. 8. S. 570. Blaschke, Karlheinz: Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen und die Luthersache. In: Fritz Reuter (Hg.): Der Reichstag zu Worms von 1521. Reichspolitik und Luthersache. Worms 1971. Blickle, Peter: Die Reformation im Reich. 2., überarb. und erw. Aufl. Stuttgart 1992. Born, Karl Erich: Moritz von Sachsen und die Fürstenverschwörung gegen Karl V. In: HZ. 191. 1960. S. 18–66.
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10.5 Personenregister Affenstein, Wolf von 419, 420 Agricola, Johann 64, 68, 69, 261, 264 Albrecht V., Herzog von Bayern 405, 433 Albrecht von Brandenburg, Kurfürst von Mainz 133, 134, 188, 229 Albrecht, Markgraf von Brandenburg 396f., 397, 403, 420 Albrecht, Herzog von Preußen 210, 218, 266, 309, 310, 354 Aleander, Hieronymus 130, 138, 196, 196, 197, 344, 344, 345, 348, 351, 354 Amsdorff, Nikolaus von 77, 77, 318, 320, 320 Andreä, Jacob 62 Aquila, Caspar 64, 68, 69, 264, 264 Aristoteles 71 August, Kurfürst von Sachsen 79, 441 Augustinus 67, 83, 93, 94 Barnim IX., Herzog von Pommern 397, 398, 399, 399, 400, 401, 402, 403, 419, 422, 423, 433, 434 Ber, Württembergischer Kanzler 170, 171, 173 Bernhard von Solms 184, 359, 392 Beza, Theodor 121 Brenz, Johannes 73, 143, 155, 155, 156 Brück, Gregor 207, 227, 344, 348, 348, 376, 376, 377, 384, 399 Bucer, Martin 72, 79, 91, 91, 114, 114, 120, 143, 143, 216, 221, 246, 246, 271, 375 Bugenhagen, Johannes 143, 143, 377 Bullinger, Heinrich 51, 78, 96, 96, 97, 97, 100, 100, 101, 101, 102, 103, 103, 104, 104, 106, 111, 114, 114, 118, 143
Cajetan, Thomas 16, 131, 133, 191, 350 Calvin, Johannes 51, 77, 78, 78, 79, 80, 92, 92, 97, 98, 98, 106, 107, 107, 108, 108, 109, 109, 110, 110, 111, 111, 112, 112, 114, 114, 115, 116, 117, 118, 121, 124, 152, 243, 462 Campeggio, Lorenzo 11, 12, 209, 210, 358 Casimir, Markgraf von BrandenburgAnsbach 189, 189 Castellio, Sebastian 121, 121 Chieregati, Francesco 204, 205, 330, 353, 353, 355, 356, 357 Christian V., König von Dänemark 290 Christian I., Kurfürst von Sachsen 79 Christoph, Herzog von Württemberg 170, 171, 173 Cochläus, Johannes 86, 115, 115, 318, 319, 319, 320, 320, 330, 418 Cosmoverius, Matthäus 297 Dappen, Bernhard 60, 60 Denck, Hans 121, 121, 122, 122 Dolzig, Hans von 376 Eck, Johannes 40, 54, 60, 64, 65, 68, 71, 80, 80, 82, 82, 84, 84, 85, 85, 86, 88, 88, 89, 89, 92, 93, 93, 94, 94, 95, 101, 101, 102, 126, 126, 129, 130, 138, 222, 234, 245, 318, 318, 319, 319, 320, 320, 323, 329, 329, 330, 344, 345, 375, 379, 385 Eck, Leonhard von 427 Emser, Hieronymus 54, 54, 86 Epikur 71 Erasmus von Rotterdam 118, 118, 119, 119, 120, 120, 122, 224
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Personenregister
Ernst I., Markgraf von Baden 421, 463 Ernst I., Herzog von BraunschweigLüneburg 398, 401, 402, 403 Ernst, Bischof von Salzburg 404 Fabri, Johannes 101, 102, 242, 318 Feilitzsch, Philipp von 184 Ferdinand I., Kaiser 169, 178, 186, 187, 210, 215, 217, 221, 231, 236, 249, 266, 267, 268, 269, 270, 271, 272, 275, 276, 307, 322, 323, 324, 328, 333, 335, 346, 346, 360, 368, 369, 396, 404, 407, 408, 408, 413, 414, 415, 415, 416, 428, 439, 441, 444, 446, 450, 461 Ferdinand II., Kaiser 290, 291, 292, 294, 311, 328 Ferdinand III., Kaiser 295, 296 Fischer, Philipp Jakob 297, 299 Flaccius, Matthias 54 Forner, Anton 361 Forster, Johann 370 Franck, Caspar Ortrandus 65 Franck, Sebastian 122, 122 Franz I., Kaiser 181 Franz I., König v. Frankreich 131, 227, 233, 255, 256, 256 Friedrich III. der Weise, Kurfürst von Sachsen 87, 117, 131, 138, 189, 189, 200, 207, 210, 345, 348, 348, 351, 352, 354, 356, 362 Friedrich II., Kaiser 66 FriedrichII.,KurfürstderPfalz[=Pfalzgraf Friedrich als Statthalter vor 1544] 153, 352, 360, 384, 413, 415, 415, 420, 433, 434, 463 Friedrich III., Kurfürst der Pfalz 144, 145, 146, 148, 149, 151, 152, 155, 168, 190, 280, 281, 446, 447
Froschauer, Christoph 97 Fugger, Hans 95 Fürstenberg, Philipp 349 Gattinara, Mercurino de 193, 345, 354 Gebhard I. Truchsess von Waldburg, Kurfürst von Köln 95, 271, 286 Georg III., Fürst von Anhalt-Zerbst 117 Georg, Markgraf von BrandenburgAnsbach 189, 189, 361, 366, 370, 376, 391, 396, 397, 403 Georg, Herzog von Sachsen 182, 201, 202, 204, 204, 349, 350, 351, 351, 352, 352, 353, 367, 387, 388, 389, 390, 411, 442, 460, 464 Georg, Graf von Wertheim 184, 184, 359, 392 Granvelle, Nicolas Perrenot de 245 Gropper, Johannes 246 Gustav II. Adolf, König von Schweden 292 Hadrian VI., Papst 204, 205, 351, 353, 353 Hannart, Johann 208, 346 Hebeysen, Valentin 301 Heinrich II., König von Frankreich 243, 266 Heinrich II., Herzog von BraunschweigWolfenbüttel 59, 79, 85, 90, 91, 253, 253, 255, 257, 257, 268, 400, 401, 402, 406 Heinrich V., Herzog zu Mecklenburg 214 Held, Matthias von 238 Helding, Michael 261 Heller, Johann 318, 319 Hermann V. von Wied, Kurfürst von Mainz 249, 271, 397, 398, 399, 402,
500 403, 410, 411, 412, 413, 417, 422, 423, 462 Heyll, Nikolaus 297, 299, 302 Hoffmann, Melchior 316, 327, 327 Horaz 71, 71 Hubmaier, Balthasar 316, 317, 317, 318, 318 Hug, Johann 354, 361 Hus, Jan 138, 195, 197, 198, 198 Hutten, Ulrich von 46, 46, 131, 138, 138 Joachim I., Kurfürst von Brandenburg 347, 382, Joachim II., Kurfürst von Brandenburg 144, 145, 146, 148, 149, 150, 153, 154, 166, 187, 188, 188, 234, 235, 235, 264, 308, 337, 397, 398, 399, 400, 400, 403, 406, 422, 433, 434, 441, 463 Johann Albrecht I., Herzog zu Mecklenburg 266 Johann Casimir, Pfalzgraf von PfalzSimmern 145, 149, 149, 151, 154, 168 Johann der Beständige, Kurfürst von Sachsen 117, 210, 220, 221, 228, 348, 354, 361, 362, 362, 370, 376, 377, 390, 390 Johann Friedrich I., Kurfürst von Sachsen 188, 200, 238, 257, 258, 266, 397, 398, 399, 400, 401, 401, 402, 403, 403, 416, 417, 417, 457 Johann Georg I., Kurfürst von Sachsen 290 JohannGeorg,KurfürstvonBrandenburg 150 Johann IV., Fürst von Anhalt-Zerbst 117 Johann, Markgraf von BrandenburgKüstrin [= Hans von Küstrin] 266, 397, 398, 422, 428
Anhang
Johann von Weeze, Erzbischof von Lund 235 Johann III. von der Pfalz, Bischof von Regensburg 376 Jonas, Justus 61, 144, 377 Jud, Leo 145 Julius III., Papst 265 Karl der Große 93 Karl V., Kaiser 11, 12, 12, 16, 31, 33, 45, 46, 47, 67, 83, 113, 119, 131, 139, 144, 153, 170, 171, 171, 173, 174, 178, 180, 186, 186, 187, 187, 189, 192, 192, 193, 194, 194, 195, 195, 196, 196, 197, 200, 201, 202, 208, 208, 209, 212, 214, 215, 219, 220, 222, 225, 225, 226, 227, 227, 228, 228, 229, 229, 231, 231, 233, 235, 240, 241, 246, 247, 249, 250, 252, 253, 254, 255, 256, 257, 258, 259, 259, 260, 260, 261, 263, 265, 266, 266, 267, 268, 275, 275, 307, 310, 321, 322, 324, 325, 330, 332, 334, 334, 335, 338, 344, 345, 346, 346, 347, 348, 350, 354, 360, 365, 370, 371, 375, 376, 378, 379, 380, 381, 381, 382, 383, 384, 388, 392, 393, 394, 394, 395, 408, 410, 410, 413, 414, 415, 415, 416, 416, 418, 422, 423, 425, 426, 426, 428, 429, 429, 430, 431, 432, 435, 437, 437, 457, 461, 462, 464 Karl VI., Kaiser 468 Karlstadt, Andreas Bodenstein von 74, 74, 76, 92, 93, 125, 234 Katharina, Herzogin von Braunschweig 354 Katzmann, Johann 402, 420 Kniebis, Klaus 348 Koch, Ernst August 181
Personenregister
Konrad II. von Thüringen, Bischof von Würzburg 367 Konstantin der Große 233 Krell, Nikolaus 79 Leiser, Polycarp 123 Leo X., Papst 11, 130, 131, 133, 344, 344, 345, 348, 354 Ludwig X., Herzog von Bayern 349, 353, 354, 387, 404, 410 Ludwig V., Kurfürst der Pfalz 229, 235, 353, 384, 405 Ludwig VI., Kurfürst der Pfalz 145, 149, 149, 150, 151, 152, 155 Ludwig II., König von Ungarn 327 Luther, Martin 11, 11, 15, 16, 17, 17, 46, 50, 51, 52, 54, 54, 55, 56, 57, 57, 58, 58, 59, 59, 60, 61, 61, 62, 62, 63, 63, 65, 65, 66, 66, 67, 68, 68, 69, 69, 70, 70, 71, 71, 72, 72, 73, 73, 74, 74, 75, 75, 76, 76, 77, 77, 79, 79, 80, 80, 81, 82, 82, 85, 85, 86, 86, 87, 88, 88, 89, 89, 90, 90, 91, 91, 92, 93, 93, 94, 97, 97, 100, 100, 101, 102, 102, 103, 103, 104, 104, 105, 105, 106, 106, 109, 111, 112, 113, 114, 114, 116, 117, 117, 118, 119, 124, 125, 125, 126, 129, 129, 130, 130, 131, 131, 132, 134, 135, 136, 137, 138, 138, 142, 143, 143, 144, 147, 147, 150, 152, 154, 155, 155, 167, 167, 176, 189, 191, 192, 192, 193, 193, 194, 195, 195, 196, 197, 197, 198, 198, 199, 199, 200, 200, 201, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 206, 207, 208, 209, 210, 213, 221, 222, 224, 226, 232, 232, 233, 233, 234, 243, 253, 254, 263, 301, 305, 306, 316, 318, 318, 319, 319, 320, 320, 321, 322, 323, 326, 329, 329, 330, 330, 331, 331,
501 344, 344, 345, 345, 346, 346, 347, 347, 348, 348, 349, 349, 350, 350, 351, 351, 353, 353, 354, 355, 356, 356, 357, 358, 358, 359, 360, 362, 374, 376, 376, 377, 379, 380, 388, 428, 455, 459, 460 Manz, Felix 322 Marcion 105 Margarete von Österreich, Statthalterin der habsburgischen Niederlande 346 Mart, Caspar 349 Matthias von Jagow, Bischof von Brandenburg 166 Matthias, Kaiser 288, 453 Maximilian I., Kaiser 131, 181, 257, 350 Maximilian II., Kaiser 144, 178, 266, 275, 275, 276, 279, 280, 281, 282, 283, 310, 328, 333, 447, 448, 449, 450 Maximilian I., Herzog/Kurfürst von Bayern 295 Medici, Giulio de 345 Melanchthon, Philipp 47, 51, 54, 54, 55, 57, 58, 58, 61, 61, 63, 63, 67, 67, 68, 69, 69, 71, 71, 79, 79, 111, 112, 114, 118, 122, 126, 143, 143, 144, 151, 155, 221, 222, 232, 239, 245, 364, 281, 318, 319, 319, 320, 375, 376, 377, 378, 428 Mieg, Daniel 366, 367, 368, 370 Montfort, Anton von 309 Moritz, Herzog/Kurfürst von Sachsen 257, 258, 264, 266, 266, 267, 267, 422, 422, 428, 434, 434, 437 Morone, Giovanni 251, 409 Müntzer, Thomas 60, 73, 75, 93, 117, 162, 331 Murad III., Sultan 333
502 Murner, Thomas 51, 54, 62, 62, 68, 68, 80, 80, 81, 81, 82, 83, 85, 85, 88, 88, 90, 90, 92, 94, 95, 95, 96, 96, 115, 115, 125 Naves, Johann von 409, 415 Nikodemus 110 Oekolampad, Johannes 71, 72, 72, 74, 74, 92, 93, 94, 97, 97, 100, 100, 101, 101, 102, 102, 103, 103, 104, 104, 105, 105, 106, 106, 125, 243, 320 Olevianus, Kaspar 155 Osiander, Andreas 78, 78, 107, 112, 145 Ottheinrich, Kurfürst von der Pfalz 144, 145, 146, 148, 149, 149, 150, 151, 153, 154, 155, 166 Paul III., Papst 46, 139, 232, 260 Pelagius 94 Peutinger, Konrad 349 Pfarrer, Mathis 366, 366, 367 Pfefferkorn, Johann 49 Pflug, Julius 261 Philipp II., König von Spanien 187, 266, 275, 284 Philipp I., Herzog von Pommern-Wolgast 397, 399, 399, 400, 402, 403, 422 Philipp I., Landgraf von Hessen 189, 200, 209, 210, 221, 226, 257, 258, 266, 325, 325, 361, 362, 370, 389, 390, 397, 398, 399, 399, 401, 401, 402, 402, 403, 411, 416, 419, 441, 457 Pirckheimer, Willibald 137,138, 138 Planitz, Hans von der 53, 202, 209, 351, 351, 352, 461 Platon 71 Porphyrius 135, 135
Anhang
Rehlinger, Johann 354 Reuchlin, Johannes 49 Ribisen, Simon 184, 354, 358 Rothmann, Bernhard 316, 317, 325, 325, 326 Röttinger, Paul 356 Rudolf II., Kaiser 284, 285, 286, 450 Sattler, Michael 316, 317, 317, 318, 323, 328, 329 Schad, Johann 354 Schmauß, Johann Jacob 31, 181 Schnepf, Erhard 73 Schobsser, Hans 181 Schultheiß, Hans 354 Schwarzenberg, C. von 349 Schwenckfeld, Kaspar 74, 111, 162, 427 Selim II., Sultan 328, 333 Senckenberg, Heinrich Christian 31, 181, 181, 231 Servet, Michael 107, 111, 111, 118, 121, 122, 124 Sickingen, Franz von 204 Sigismund, Kaiser 112, 195 Sleidanus, Johannes 241 Spalatin, Georg Burkhardt 131, 132, 348 Spengler, Lazarus 137, 138, 138 Strauß, Jakob 162 Sturm, Jakob 226, 366, 366, 428 Süleyman I., Sultan 327, 328, 333, 335 Tetleben, Valentin von 405 Tetzel, Johannes 59, 80, 80, 81, 81, 82, 82, 84, 85, 86, 86, 87, 87 Tilly, Johann Tserclaes, Graf von 290 Torquemada, Juan de 84, 133
Sachregister
503
Ulrich, Herzog von Württemberg 199, 258, 397, 400, 403, 416, 422 Ursinus, Zacharias 116, 155 Vehus, Hieronymus 349, 349
Wolfgang,HerzogvonPfalz-Zweibrücken 428 Wolfsthal, Balthasar von 361 Wycliff, John 138
Waldeck, Franz von 271, 325, 423 Wallenstein, Albrecht von 290 Warbeck, Veit 348 Werther, D. von 352 Westphal, Joachim 107 Wilhelm IV., Herzog von Bayern 257, 349, 353, 354, 387, 404, 410 Wimpina, Konrad 59, 80, 80 Wolfgang, Fürst von Anhalt-Köthen [= Wolf von Anhalt] 370
Zwingli, Huldrich 71, 72, 72, 74, 74, 77, 78, 81, 92, 92, 93, 94, 94, 95, 96, 96, 97, 97, 98, 98, 99, 99, 100, 101, 101, 102, 102, 103, 103, 104, 104, 105, 105, 106, 106, 111, 112, 124, 125, 125, 126, 126, 143, 144, 144, 145, 147, 153, 156, 157, 158, 160, 161, 165, 221, 221, 234, 238, 316, 318, 319, 319, 320, 321, 321, 329, 362, 375, 386, 456, 462
10.6 Sachregister 10.6.1
Allgemeines Sachregister
Ablass 50, 52, 57, 58, 59, 62, 66, 70, 70, 80, 82, 86, 86, 109, 119, 133, 133, 141, 141, 329, 357 Acht 46, 130, 130, 136, 168, 193, 192, 196, 196, 198, 199, 199, 202, 255, 255, 257, 258, 259, 264, 265, 266, 287, 294, 310, 399, 416 433, 437 Augsburger Interim 11, 16, 42, 47, 54, 55, 64, 68, 69, 113, 260, 261, 261, 262, 263, 263, 264, 264, 265, 266, 270, 292, 298, 375, 423, 424, 428, 428, 429, 429, 430, 431, 432, 433, 433, 434, 435, 436, 437, 438, 462, 464 Augsburger Religionsfriede 16, 18, 18, 31, 69, 88, 118, 118, 121, 142, 151, 174, 177, 178, 179, 186, 188, 190, 206, 229, 229, 234, 247, 267, 270, 271, 271, 272,
273, 273, 274, 275, 276, 276, 277, 277, 279, 280, 281, 282, 283, 284, 285, 287, 288, 289, 290, 291, 292, 293, 294, 296, 298, 298, 299, 299, 307, 310, 311, 313, 332, 336, 339, 342, 345, 438, 439, 443, 445, 446, 448, 449, 450, 451, 453, 456, 457, 460, 462, 464, 468 Bann (s. a. Exkommunikation) 46, 59, 88, 88, 124, 127, 129, 130, 130, 131, 136, 137, 138, 142, 143, 154, 168, 191, 192, 195, 196, 199, 203, 224, 329, 331, 344, 347, 399 Bauernkrieg 207, 210, 212, 212, 323, 326, 363, 369
504 Braunschweigische Defension 253, 268, 400, 401, 402, 402, 410 Bulle 16, 46, 56, 88, 88, 119, 129, 130, 130, 131, 131f., 133, 134, 136, 138, 138, 139, 140, 142, 143, 154, 167, 168, 174, 191, 192, 195, 199, 224, 329, 344, 412, 456 Confessio Augustana 12, 29, 30, 42, 47, 55, 61, 79, 79, 80, 116, 147, 150, 150, 151, 151, 152, 154, 155, 156, 156, 190, 221, 222, 223, 226, 230, 232, 234, 237, 238, 239, 239, 241, 241, 245, 248, 252, 258, 260, 262, 265, 268, 272, 274, 278, 280, 281, 281, 285, 294, 294, 301, 307, 308, 309, 310, 375, 376, 377, 379, 380, 381, 381, 382, 383, 384, 385, 386, 388, 389, 390, 391, 393, 394, 397, 397, 399, 406, 407, 410, 422, 424, 429, 430, 432, 434, 438, 438, 441, 441, 444, 448, 452, 457, 459, 460, 461, 462, 463, 464 Confessio Tetrapolitana 30, 42, 221, 222, 226, 230, 237, 238, 281, 308, 309, 394, 375 Confutatio 11, 12, 12, 45, 47, 222, 375, 379, 380, 381, 382, 385, 389, 391, 394 Consensus Tigurinus 97, 98, 111, 112 Corpus Catholicorum 385, 453, 466, 467 Corpus Evangelicorum 312, 385, 453, 466, 467 Declaratio Ferdinandea 271, 272, 276, 290, 291, 298, 464 Deputationstag 92, 178, 179, 282, 283, 332 Dessauer Bund 210 Dreißigjähriger Krieg 20, 88, 177, 179, 180, 276, 279, 283, 288, 289, 289, 303, 311, 332, 339, 450
Anhang
Exkommunikation (s. a. Bann) 124, 130, 137, 138, 138, 164, 195, 198, 422, 423 Flugschrift 13, 14, 15, 17, 19, 21, 40, 43, 45, 47, 49, 50, 50, 51, 51, 52, 53, 54, 55, 57, 57, 58, 63, 65, 65, 69, 84, 114, 127, 131, 132, 143, 181, 198, 263, 357, 377 Frankfurter Anstand 188, 235, 235, 236, 238, 240, 241, 270, 336, 308, 397 Fürstenaufstand 267, 395, 438 Geistlicher Vorbehalt 271, 276, 286, 290, 291, 298, 440 Gravamina nationis germaniae 86, 113, 138, 139, 200, 207, 209, 212, 213, 225, 243, 259, 330, 345, 350, 350, 352, 353, 355, 357, 360, 360, 362, 363, 364, 374, 392, 392 Heilbronner Bund 292, 294, 466 Immerwährender Reichstag 177, 303, 304, 465, 467 itio in partes 174, 177, 298, 303, 312, 385, 466, 467 Jüngster Reichsabschied 113, 179, 300, 304, 305, 456, 458, 465 Kirchenordnung 56, 91, 115, 117, 138, 143, 143, 144, 144, 145, 145, 146, 146, 147, 147, 148, 148, 149, 150, 150, 151, 152, 153, 154, 154, 155, 155, 156, 156, 157, 157, 158, 159, 160, 160, 161, 161, 162, 162, 163, 164, 164, 165, 166, 167, 168, 187, 188, 190, 194, 210, 235, 239, 271, 279, 281, 370, 391, 399, 456 Kölner Krieg 271, 450
Sachregister
Konkordienformel 55, 61, 62, 78, 80, 95, 111, 116, 239 Konzil 119, 134, 153, 154, 186, 189, 195, 205, 206, 206, 207, 209, 210, 211, 212, 213, 215, 216, 217, 220, 224, 225, 228, 229, 230, 232, 232, 233, 233, 234, 234, 238, 248, 250, 251, 251, 252, 253, 254, 259, 269, 277, 278, 306, 318, 323, 336, 340, 355, 358, 360, 364, 365, 369, 370, 372, 374, 375, 383, 392, 393, 394, 398, 399, 408, 409, 410, 412, 417, 418, 424, 425, 426, 429, 431, 434, 434, 435, 448, 456, 460, 463 Konstanz 82, 112, 195, 195, 197, 198, 233, 350 Trient 71, 86, 126, 132, 139, 140, 141, 142, 154, 167, 190, 233, 245, 256, 257, 258, 259, 259, 265, 265, 267, 269, 277, 278, 413, 414, 415, 417, 417, 418, 418, 419, 422, 425, 426, 427, 429, 430, 433, 434, 434, 435, 463 Landfriede 136, 136, 192, 192, 229, 253, 257, 263, 265, 269, 270, 273, 277, 409 Leipziger Disputation 66, 234, 234 Leipziger Interim 54, 55, 264, 428 Liga 287, 288, 290, 292 Marburger Religionsgespräch 1529 76, 97, 104, 221, 234, 234 Nürnberger Anstand 16, 178, 229, 230, 238, 239, 241, 245, 249, 252, 253, 254, 270, 307, 308, 310, 336, 337, 387, 388, 390, 392, 398 Nürnberger Bund 231, 236, 236, 395, 400
505 Passauer Vertrag 267, 268, 270, 272, 274, 279, 290, 293, 298, 299, 299, 310, 311, 439 Polizeiordnung 13, 40, 181, 263, 313, 315 Prager Friede 290, 292, 294, 295, 296, 296, 297, 298 Protestation 16, 173, 184, 187, 217, 217, 218, 218, 221, 225, 230, 236, 241, 241, 242, 242, 243, 243, 244, 251, 251, 252, 258, 301, 305, 307, 308, 309, 310, 325, 326, 342, 358, 359, 368, 371, 372, 373, 373, 374, 384, 389, 392, 393, 394, 398, 398, 407, 409, 417, 418, 422, 424, 428, 439, 459, 461, 466 Ratio fidei 221, 375 Regensburger Einung 210 Reichshofrat 286, 287, 293, 450, 453 Reichskammergericht 13, 33, 68, 113, 136, 171, 175, 176, 181, 204, 205, 219, 249, 252, 253, 254, 255, 263, 268, 272, 273, 273, 274, 276, 282, 285, 286, 287, 288, 288, 293, 300, 312, 315, 405, 412, 423, 424, 446, 468 Reichsregiment 171, 181, 182, 186, 192, 192, 202, 203, 203, 204, 204, 205, 207, 207, 208, 212, 215, 231, 306, 312, 350, 351, 351, 352, 360, 368, 369, 370 Reichsreligionsgespräch 52, 154, 177, 178, 234, 234, 235, 240, 248, 257, 269, 270, 381, 385, 413, 441 Nürnberg 1539 235, 236, 240 Hagenau 1540 188, 190, 191, 231, 233, 234, 240, 241, 242,242, 243, 244, 250, 307, 308 Worms 1540/41 188, 190, 191, 231, 234, 240, 245, 246, 246, 247, 248, 248, 250, 256, 307
506 Regensburg 1541 188, 190, 191, 231, 234, 246, 250, 307 Regensburg 1546 234, 256, 256, 257, 311, 414, 415, 416, 417, 418, 419 Worms 1557 234, 273, 277, 277, 278, 278, 279 Reichstag Augsburg 1518 16, 131, 191, 204, 350 Worms 1521 16, 52, 83, 129, 130, 136, 138, 176, 180, 183, 184, 185, 186, 191, 192, 192, 193, 194, 195, 195, 196, 196, 197, 197, 198, 198, 199, 199, 200, 201, 201, 202, 205, 258, 270, 343, 344, 345, 346, 347, 348, 349, 350, 357, 359, 365, 366, 370, 371, 406, 414, 456, 460, 461, 464 Nürnberg 1522 180, 185, 203, 204, 332, 334, 334, 350, 352, 450 Nürnberg 1522/23 86, 169, 174, 180, 204, 205, 206, 207, 208, 306, 346, 352, 353, 354, 355, 356, 357, 359 Nürnberg 1524 173, 174, 180, 184, 184, 185, 208, 209, 210, 213, 214, 234, 306, 332, 333, 335, 346, 354, 357, 358, 359, 360, 361, 361, 362, 362, 363, 374, 392, 460 Augsburg 1526 31, 211, 212, 180 Speyer 1526 16, 180, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 306, 326, 332, 334, 341, 346, 347, 347, 358, 360, 361, 362, 363, 364, 365, 368, 369, 372, 373, 374 Speyer 1529 12, 16, 33 f., 120, 173, 180, 187, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 223, 230, 241, 241, 242, 244, 247, 255, 258, 261, 307, 321, 323, 324, 325, 326, 335, 336, 341, 341, 342, 343, 363, 366, 367, 368, 369, 370, 371, 372, 374, 375, 387, 389, 394, 398, 461, 466
Anhang
Augsburg 1530 16, 113, 120, 174, 176, 180, 185, 186, 187, 219, 220, 221, 222, 223, 224, 225, 228, 229, 230, 234, 234, 244, 247, 248, 249, 258, 261, 307, 324, 325, 326, 333, 334, 335, 336, 341, 342, 364, 375, 376, 377, 378, 379, 380, 381, 382, 383, 385, 386, 387, 389, 392, 399, 406, 407, 414, 418, 461 Regensburg 1532 178, 180, 187, 227, 228, 229, 230, 231, 243, 247, 307, 334, 336, 337, 387, 388, 389, 390, 391, 392, 393, 394, 395, 396, 461 Worms 1535 (,Täufer-Reichstage‘) 178, 178, 231, 231, 324, 325, 326, 327, 332, 333, 334, 335 Regensburg 1541 113, 136, 178, 180, 231, 243, 247, 248, 249, 256, 333, 335, 337 Speyer 1542 136, 180, 249, 250, 251, 252, 258, 310, 332, 333, 334, 334, 335, 336, 337, 337, 396, 397, 398, 399, 400, 401, 402, 403, 404, 405, 406, 407, 408, 409, 461 Nürnberg 1542 136, 180, 252, 333, 334, 335, 336, 337 Nürnberg 1543 113, 136, 180, 252, 253, 337 Speyer 1544 67, 136, 180, 211, 253, 254, 255, 256, 258, 268, 324, 327, 333, 335, 337, 337, 397, 398 399, 400, 402, 404, 405, 409, 410, 411, 412, 413, 464 Worms 1545 180, 256, 257, 311, 397, 398, 399, 400, 401, 402, 403, 404, 405, 413, 414, 415, 416, 420 Regensburg 1546 180, 185, 199, 200, 257, 258, 259, 310, 397, 398, 399, 400, 401, 402, 403, 404, 405, 416, 417, 418, 419, 420, 421
Sachregister
Augsburg 1547/48 16, 136, 176, 180, 200, 310, 259, 260, 261, 262, 263, 264, 265, 270, 298, 313, 340, 375, 404, 422, 423, 424, 425, 426, 427, 428, 429, 430, 431, 432, 433, 434, 435, 438, 462, 464 Augsburg 1550/51 180, 264, 265, 266, 310, 324, 327, 340, 433, 434, 435, 436, 437, 438 Augsburg 1555 170, 174, 171, 173, 179, 180, 219, 229, 268, 269, 270, 271, 272, 273, 274, 275, 276, 282, 298, 336, 341, 438, 439, 440, 441, 442, 443, 444, 446, 450, 456, 460, 462 Regensburg 1557 180, 276, 277, 278, 334, 446 Augsburg 1559 180, 276, 279, 282, 283, 284, 311, 335, 443, 444, 445, 446, 447, 449 Augsburg 1566 134, 144, 173, 180, 184, 185, 190, 190, 276, 279, 280, 281, 282, 291, 299, 300, 310, 311, 333, 333, 334, 443, 447, 448, 449, 458, 462, 464 Regensburg 1567 180, 284, 333, 333 Speyer 1570 180, 282, 282, 333, 334, 334 Regensburg 1576 180, 285, 333, 334, 335 Augsburg 1582 180, 285, 286, 333, 335 Regensburg 1594 180, 282, 284, 285, 286, 311, 333, 333, 334, 334, 335, 450, 451, 452 Regensburg 1597/98 180, 282, 286, 334 Regensburg 1603 180, 284, 285, 286, 287, 333, 334 Regensburg 1608 180, 285, 287, 288 Regensburg 1613 179, 180, 185, 287, 288, 289, 333, 450, 451, 452, 453
507 Regensburg 1640/41 179, 180, 295, 296, 297, 300 Regensburg 1653/54 113, 179, 180, 183, 300, 303, 304, 305, 456, 458, 465 Religionsgravamina 276, 276, 280, 286, 290, 291, 295, 342, 443, 444, 446, 447, 449, 451, 452, 453, 468 Restitutionsedikt 1629 287, 290, 292, 293, 298, 299, 300, 311 Schmalkaldische Artikel 150, 232, 238, Schmalkaldischer Bund 16, 120, 187, 226, 228, 229, 230, 231, 231, 232, 235, 236, 237, 238, 239, 241, 244, 248, 251, 253, 255, 255, 257, 259, 260, 268, 281, 307, 309, 310, 390, 400, 401, 406, 410, 410, 422, 437, 452, 457, 460, 461, 463 Schmalkaldischer Krieg 16, 46, 49, 200, 257, 258, 258, 259, 268, 274, 289, 310, 334, 395, 396, 416, 420, 422, 423, 437, 461 Torgauer Artikel 47, 85, 377 Torgauer Bund 210, 218, 309, 310 Torgauer Vertrag 266 Türken, Türkenkriege 13, 66, 108, 136, 138, 162, 162, 164, 175, 178, 179, 180, 183, 185, 185, 186, 192, 192, 193, 193, 194, 199, 200, 203, 204, 204, 211, 215, 227, 227, 228, 228, 229, 230, 235, 240, 247, 249, 250, 250, 252, 253, 254, 255, 255, 256, 276, 277, 279, 280, 280, 282, 282, 286, 287, 288, 291, 312, 315, 325, 327, 328, 329, 330, 330, 331, 332, 333, 334, 335, 335, 336, 337, 338, 343, 350, 353, 353, 385, 388, 393, 394, 395, 398, 399, 402, 405, 406, 407, 409, 413, 414, 437, 456, 458, 468
508
Anhang
Union 287, 288, 291, 292, 452 Wahlkapitulation 171, 171, 192, 193, 193, 201, 226, 303, 346 Westfälischer Friede 17, 18, 18, 113, 170, 174, 177, 242, 289, 293, 297, 298, 300, 302, 303, 303, 304, 305, 312, 345, 443, 458, 462, 466
10.6.2
Wormser Edikt 31, 47, 178, 183, 186, 192, 196, 196, 197, 198, 199, 200, 201, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 208, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 220, 222, 224, 228, 237, 258, 270, 305, 306, 307, 308, 312, 322, 323, 324, 338, 346, 347, 353, 357, 358, 359, 360, 365, 366, 366, 370, 371, 372, 383, 383, 399, 406, 414, 459, 460, 461, 464
Konfessionelle Selbst- und Fremdbezeichnungen
Die folgende Auflistung soll einen schnellen Überblick über einige gängige konfessionelle Selbst- und Fremdbezeichnungen bieten. Der Übersichtlichkeit halber werden allerdings nur die wesentlichsten Begriffe aufgeführt. Ad-hoc-Formulierungen sowie allgemeine, neutrale Umschreibungen sind nur ganz am Rande berücksichtigt. Auch die zahlreichen Varianten oder lateinische Fassungen werden nicht eigens benannt, sondern unter die entsprechenden Oberbegriffe subsumiert. So finden sich beispielsweise unter ,Papisten‘ auch die lateinische Form ,papistae‘ und Umschreibungen wie ,der Papst und sein Anhang‘. Umfassende Begriffe wie ,Christen‘ oder ,Kirche‘ werden ebenfalls nicht gesondert aufgeführt, da sich alle Beteiligten durchgängig so bezeichnet haben und sie demgemäß in nahezu allen behandelten Texten über den gesamten Zeitraum hinweg auftauchen. Alter Glaube 83, 83, 89, 95, 101, 123, 125, 156 195, 202, 214, 222, 223, 223, 224, 224, 262, 302, 323, 347, 348, 383, 383, 384, 388, 405, 415, 433, 436, 458 Altgläubige, altgläubig 12, 23, 191, 367, 380, 381, 404, 405, 406 Alte Kirche 56, 56, 85, 89, 90, 91, 94, 108, 108, 114, 124, 141, 154, 158. 158, 162, 206, 224, 224, 239, 243, 378, 406, 414, 429, 430, 434 Alte Lehre 12, 73, 100, 101, 149, 232, 232, 362, 363, 364, 367, 377, 399 Alte Religion 31, 89, 169, 222, 240, 240, 248, 256, 268, 269, 272, 272, 273, 274,
277, 278, 278, 279, 281, 282, 283, 284, 285, 291, 291, 292, 296, 299, 301, 308, 311, 339, 342, 374, 383, 387, 393, 399, 404, 404, 405, 405, 407, 411, 411f., 415, 415, 416, 417, 418, 419, 427, 427, 428, 430, 431, 436, 439, 440, 441f., 442, 444, 445, 446, 449, 451f., 462, 463 Andere Lehre, andere Religion 216, 217, 292, 367, 368, 370, 372, 416, 429, 444. 444, 445 Änderung der Religion 114, 149, 153, 166, 202, 255, 260, 262, 265, 364, 369, 370, 415, 432, 435
Sachregister
Antichrist (s. a. Endchrist) 65, 65, 66, 66, 67, 67, 70, 72, 102, 110, 110, 124, 154, 163, 331 Apostaten 95, 108, 330 Apostolisch 26, 26, 28, 28, 29, 56, 63, 74, 81, 81, 85, 85, 101, 130, 133, 134, 137, 140, 140, 149, 262, 344, 345, 414, 427, 427, 434, 440, 441, 442, 449, 449, 465 Augsburger Konfessionsverwandte, Stände der Augsburgischen Konfession 31, 141, 150, 151, 151, 167, 190, 230, 236, 236, 238, 239, 240, 241, 244, 248, 251, 251, 252, 252, 255, 255, 256, 257, 260, 260, 263, 265, 268, 272, 272, 274, 278, 278, 280, 281, 291, 294, 294, 295, 295f., 296, 299, 300, 301, 303, 304, 305, 308, 310, 312, 342, 382, 388, 390, 390, 396, 396f., 397, 398, 401, 402, 402, 404, 405, 407, 408, 409, 414, 414, 415, 416, 417, 417, 419, 420, 422, 424, 424, 425, 425, 428, 428, 426, 432, 434, 435, 435, 438, 439, 439, 440, 441, 442, 442, 443, 444, 444, 445, 446, 447, 449, 451, 452, 461, 462, 463 467 Bilderstürmer 55, 90, 93, 163, 223, 224, 224, 369, 386 Buben 68, 90, 95, 96, 354 Calvinisten, calvinistisch 77, 78, 78, 79, 79, 112, 123, 124, 151, 152, 452 Confessionist, Confessionierer 55, 55, 407, 439
509 Einungs-, Einigungsverwandte (bezogen auf den Schmalkaldischen Bund) 228, 230, 236, 236, 244, 308, 390, 400, 400, 401, 401, 402, 402, 410, 452, 463 Einigungsverwandte (bezogen auf den Fürstenaufstand) 267, 267, 268 Endchrist (s. a. Antichrist) 62, 65, 66, 198, 331 Evangelisch 19, 25, 26, 27, 29, 53, 55, 57, 57, 59, 61, 62, 62, 63, 63, 64, 64, 65, 65, 67, 67, 68, 83, 84, 85, 95, 95, 96, 96, 97, 98, 98, 99, 100, 100, 101, 101, 102, 103, 105, 107, 114, 114, 117, 119, 123, 147, 147, 149, 149, 150, 150, 151, 154, 156, 161, 166, 167, 187, 188, 190, 198, 198, 205, 206, 210, 210, 224, 226, 237, 243, 244, 254, 264, 274, 278, 301, 302, 312, 312, 321, 331, 349, 349, 351, 355, 355, 356, 358, 360, 361, 361, 362, 366, 366, 367, 370, 372, 373, 374, 376, 377, 378, 379, 382, 383, 384, 388, 389, 389, 390, 391, 393, 398, 398, 399, 400, 406, 412, 417, 420, 421, 422, 422, 424, 425, 428, 434, 438, 441, 442, 445, 446, 448, 449, 451, 452, 452, 452, 453, 458, 461, 463, 466, 467, 468 Evangelisch-lutherisch 25, 26, 27, 60 Evangelisch-reformiert 25, 26, 27, 116 Gehorsame, gehorsam (s. a. Ungehorsame) 62, 73, 82, 86, 132, 136, 136, 208, 209, 212, 214, 216, 217, 219, 222, 222, 258, 259, 262, 265, 296, 296, 306, 307, 326, 327, 338, 346, 355, 356, 357, 358, 359, 361, 366, 366,
510 370, 371, 383, 387, 388, 391, 405, 405, 411, 412, 412, 422, 428, 433, 437, 452 Geister 74, 75, 75, 76, 93, 111, 125, 142, 162, 319, 320, 328, 331, 363 Häretiker (s. a. Ketzer) 11, 11, 84, 87, 88, 89, 89, 94, 111, 121, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 141, 142, 262, 344, 345, 346, 347, 347, 353, 353, 406, 407, 419, 430 Interimisten 55, 264 Kapernaiten, capharnaitae 93, 93, 94 Katholiken, Katholische, katholisch 26, 26, 27, 27, 28, 28, 29, 30, 30, 31, 55, 57, 57, 62, 70, 81, 81, 84, 84, 85, 85, 87, 88, 89, 123, 132, 132, 133, 135, 137, 140, 140, 141, 144, 159, 167, 211, 239, 242, 261, 262, 282, 283, 283, 284, 285, 287, 291, 291, 292, 293, 294, 294, 295, 295, 297, 299, 301, 302, 303, 304, 304, 311, 312, 313, 339, 342, 344, 346, 347, 356, 377, 379, 380, 380, 404, 408, 410, 417, 418, 419, 420, 420, 421, 423, 424, 427, 430, 430, 431, 434, 436, 440, 441, 442, 445, 449, 450, 451, 452, 453, 458, 462, 463, 466 Ketzer, Ketzerei, ketzerisch (s. a. Häretiker) 65, 70, 72, 74, 74, 88, 89, 90, 91, 94, 94, 95, 95, 96, 100, 105, 119, 124, 126, 135, 136, 147, 154, 161, 162, 162, 163, 164, 189, 191, 197, 198, 212, 242, 262, 319, 322, 329, 331, 348, 349, 351, 351, 363, 376, 377, 388, 392, 395, 406, 413, 414, 418, 419, 419, 433, 434, 441, 449, 458 Korrespondierende (in Bezug auf die Union) 291, 452
Anhang
Lutheraner, Lutherische, lutherisch 11, 17, 17, 19, 25, 26, 27, 31, 40, 53, 55, 60, 61, 62, 62, 63, 64, 69, 77, 77, 78, 78, 79, 88, 89, 90, 92, 94, 94, 95, 95, 101, 104, 104, 105, 111, 111, 123, 124, 126,135, 137, 137, 138, 138, 139, 150, 151, 152, 189, 191, 198, 205, 207, 208, 212, 242, 306, 320, 322, 344, 345, 345, 346, 346, 347, 348, 349, 351, 352, 353, 353, 354, 354, 355, 356, 357, 360, 362, 367, 367, 376, 379, 388, 394, 407, 419, 427, 458, 459, 463 Neuchristen 88, 89, 92, 94, 94, 329 Neuer Glaube 88, 95, 198, 323, 383 Neuerung 91, 91, 101, 105, 114, 142, 149, 166, 169, 194, 195, 198, 202, 212, 213, 217, 223, 223, 224, 224, 232, 232, 255, 262, 262, 265, 302, 312, 319, 325, 362, 363, 364, 367, 369, 370, 371, 373, 376, 377, 378, 383, 410, 415, 430, 432 Neugläubige, neugläubig 12, 23, 95, 191, 380, 381, 458 Neue Ketzereien 105, 197, 198, 322 Neue Kirche 90 Neue Lehre 12, 65, 73, 74, 89, 95, 216, 322, 353, 357, 358, 358, 359, 360, 361, 363, 368 Neue Religion 118, 108, 427, 428, 430 Neue Sekten 215, 216, 217, 264, 275, 323, 324, 368 Nikodemiten 107, 109, 110, 110 Papisten, Päpstler, Päpstische, papistisch 17, 59, 64, 68, 68, 69, 70, 70, 75, 77, 79, 79, 86, 86, 89, 90, 100, 102, 102, 104, 104, 105, 105, 108, 108, 109, 109, 110, 123, 124, 152, 154, 161, 163,
Sachregister
163, 166, 167, 189, 191, 239, 264, 320, 321, 330, 348, 359, 360, 361, 372, 376, 377, 390, 391, 402, 402, 403, 411, 414, 417, 420, 423, 434, 439, 442, 447, 448, 458, 463 Partei, Teil, Seite 69, 126, 152, 219, 219, 220, 230, 236, 236, 240, 240, 245, 246, 248, 248, 251, 252, 255, 262, 267, 269, 272, 272, 277, 278, 278, 284, 286, 293, 294, 299, 304, 304, 307, 362, 365, 366, 366, 371, 373, 378, 379, 384, 385, 385, 389, 389, 390, 390, 391, 392, 392, 400, 402, 403, 403, 404, 404, 405, 405, 406, 406, 408, 409, 410, 411, 412, 413, 414, 415, 415, 417, 418, 419, 420, 421, 422, 424, 427, 428, 429, 430, 431, 440, 445, 446, 459 Pharisäer 100, 164, 198 Philippisten 54, 61 Propheten 74, 93, 99, 125 Protestierende, Protestanten 24, 218, 218, 241, 241, 242, 242, 243, 244, 248, 248, 249, 251, 258, 291, 301, 301, 303, 305, 308, 310, 311, 312, 340, 342, 389, 391, 393, 394, 394, 395, 397, 398, 398, 401, 402, 402, 404, 404, 405, 407, 407, 408, 408, 410, 411, 415, 415, 417, 417, 418, 421, 425, 427, 431, 442, 461, 463, 466 Reformierte, reformiert 15, 17, 25, 26, 27, 31, 78, 78, 112, 113, 114, 114, 115, 116, 116, 123, 126, 163, 242, 264, 300, 300, 303, 304, 312, 342, 384, 462 Romanisten, Römer 68, 69, 108, 348, 349, 349, 361 Römische Kirche, römische Religion, römischer Stuhl 26, 26, 81, 81, 85,
511 108, 108, 109, 133, 133, 134, 136, 137, 140, 144, 188, 196, 196, 197, 197, 203, 232, 239, 239, 240, 308, 344, 346, 356, 356, 378, 380, 449, 451, 452, 465, 465 Römisch-katholisch 27, 29, 29, 30, 70, 84, 380, 451, 452, 452, 453 Rotten 73, 73, 76, 77, 79, 111, 125, 240, 246, 319, 320, 320, 322, 331, 361, 459 Sächsische, Der Kurfürst von Sachsen und seine Mitverwandten 221, 222, 228, 230, 267, 267, 293, 295, 296, 366, 382, 388, 390, 391, 392, 394, 400, 400 Sakramentierer 56, 72, 74, 76, 77, 78, 90, 93, 94, 106, 125, 161, 163, 216, 217, 223, 225, 307, 320, 323, 325, 373, 386, 386, 391, 393, 423, 432, 449, 459 Schismatiker, Schisma, schismatisch 62, 87, 87, 89, 94, 109, 109, 124, 125, 142, 262, 262, 264, 407, 411, 422, 458 Schwärmer 72, 72, 74, 75, 75, 76, 77, 93, 93, 100, 105, 106, 111, 112, 125, 162, 162, 319, 320, 320, 391, 458, 459 Sekte 62, 73, 73, 74, 88, 89, 94, 94, 111, 119, 124, 135, 135, 137, 151, 153, 154, 162, 162, 163, 167, 187, 190, 190, 205, 207, 212, 215, 216, 217, 223, 224, 225, 228, 240, 246, 260, 262, 264, 269, 275, 279, 280, 280, 281, 292, 307, 311, 318, 319, 320, 322, 323, 324, 325, 326, 327, 331, 346, 346, 353, 353, 356, 360, 364, 367, 367, 368, 369, 371, 373, 373, 376, 384, 386, 388, 392, 407, 413, 419, 423, 427, 427, 428, 429, 441, 441, 447, 448, 449, 458, 463, 464 Sophisten 70, 71, 106, 109, 109, 164, 164
512 Träumer, Träumerei 89, 99, 105, 112, 125, 459 Tyrannei, tyrannisch 22, 66, 67, 96, 104, 109, 109, 110, 125, 164, 326, 329, 331, 333, 334, 367 Ungehorsame, ungehorsam (s. a. Gehorsame) 125, 136, 137, 167, 168, 185, 199, 203, 208, 209, 212, 213, 214, 215, 219, 220, 237, 242, 258, 258, 259, 264, 265, 266, 284, 291, 294, 296, 297, 301, 306, 307, 311, 322, 323, 325, 327, 329, 338, 340, 347, 359, 361, 365, 371, 380, 383, 386, 388, 401, 422, 437, 437, 459, 461 Unierte 25, 26 Wiedertäufer, Täufer (auch: anabaptistae, catabaptistae, parabaptistae, rebaptizatores) 15, 93, 94, 111, 120, 121,
Anhang
122, 153, 154, 162, 162, 163, 178, 178, 217, 223, 224, 225, 231, 240, 255, 262, 269, 307, 315, 315, 316, 316, 317, 318, 318, 319, 319, 320, 320, 321, 322, 323, 324, 325, 325, 326, 327, 327, 328, 331, 332, 333, 335, 338, 369, 371, 373, 386, 386, 389, 391, 393, 394, 419, 423, 432, 456 Stände, die das Wormser Edikt einhalten 208, 209, 212, 216, 237, 306, 307, 346, 365, 366, 366, 370, 371, 372, 383, 460 Stände, die das Wormser Edikt nicht einhalten 212, 215, 237, 306, 307, 347, 357, 365, 366, 366, 371, 372, 460, 461 Zwinglianer, zwinglisch 77, 77, 78, 78, 92, 93, 93, 94, 94, 95, 124, 320, 322, 331, 369, 388, 389, 390, 391, 394, 394, 407, 427, 427, 458