Drama und Betrachtung: Meditative Theaterästhetiken im 16. Jahrhundert 9783110574180, 9783110572148

The study examines the aesthetics of religious theater in the 16th century based on theories and instructions for medita

199 95 2MB

German Pages 344 [346] Year 2018

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Table of contents :
Danksagung
Inhalt
I. Einleitung: Das innere Theater des äußeren Theaters
II. Tod
III. Endzeit
IV. Passion
V. Ausblick: Alteritäten und Umbrüche im geistlichen Theater des 16. Jahrhunderts
Literaturverzeichnis
Register der Autoren, Drucker und Werke
Register der Bibelstellen
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Drama und Betrachtung: Meditative Theaterästhetiken im 16. Jahrhundert
 9783110574180, 9783110572148

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Christian Schmidt Drama und Betrachtung

Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte Begründet als

Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker von

Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer

Herausgegeben von

Ernst Osterkamp und Werner Röcke

93 (327)

De Gruyter

Drama und Betrachtung Meditative Theaterästhetiken im 16. Jahrhundert von

Christian Schmidt

De Gruyter

Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft Sonderforschungsbereich 1015 Muße. Grenzen, Raumzeitlichkeit, Praktiken Teilprojekt G2: vita mixta. Zur Laikalisierung eines geistlichen Konzepts

ISBN 978-3-11-057214-8 e-ISBN (PDF) 978-3-11-057418-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-057272-8 ISSN 0946-9419 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Names: Schmidt, Christian, 1986- author. Title: Drama und Betrachtung : meditative Theaterästhetiken im 16. Jahrhundert / von Christian Schmidt. Description: Boston : De Gruyter, 2018. | Series: Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte : 93 (327) Identifiers: LCCN 2018008277 | ISBN 9783110572148 (hardcover) Subjects: LCSH: German drama--17th century--History and criticism. | Theater--Germany--History--17th century. Classification: LCC PT638 .S34 2018 | DDC 832/.409--dc23 LC record available at https://lccn.loc.gov/2018008277 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen www.degruyter.com

Danksagung Dieses Buch ist zu weiten Teilen im Hamburger Graduiertenkolleg ,Interkonfessionalit$t in der Fr#hen Neuzeit‘ entstanden und verdankt nicht nur seine generelle Ausrichtung, sondern auch zahlreiche Anregungen im Detail diesem Forschungs- und Diskussionszusammenhang. Meinen Betreuern Bernhard Jahn und Johann Anselm Steiger danke ich f#r die immer diskussionsbereite Begleitung der Arbeit und daf#r, mir beim Promovieren viel Freiraum gelassen zu haben. F#r die Erstellung des Drittgutachtens ist Michael Schilling zu danken. Werner Rçcke und Ernst Osterkamp danke ich f#r die Aufnahme des Buches in die Reihe ,Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte‘. Bei der Drucklegung habe ich außergewçhnliche Unterst#tzung durch den Freiburger Sonderforschungsbereich 1015 ,Muße. Grenzen, Raumzeitlichkeit, Praktiken‘ erhalten, an dem ich seit 2017 mitarbeiten darf. Vor Abschluss der Arbeit durfte ich meine Ergebnisse bei Promovierendentreffen zwischen Kiel und Hamburg, im medi$vistischen Forschungskolloquium in T#bingen sowie im Altgermanistischen Kolloquium in Gçttingen zur Diskussion stellen. Diesen Gelegenheiten verdanke ich viele wertvolle Perspektiven und freue mich #ber alle neuen Kontakte und Mçglichkeiten, die sich aus ihnen entwickelt haben. Meinen Hamburger Kommilitoninnen, Kolleginnen und Freundinnen Britta Wittchow, Anabel Recker und Lena van Beek danke ich f#r die schçnen Jahre des gemeinsamen Lernens und Wachsens in der Welt und der Fachwelt. Mirko Breitenstein und Malena Ratzke bin ich von ganzem Herzen f#r das akribische Lesen, Kommentieren und Kritisieren meiner Texte dankbar – Malena ganz besonders f#r das Gl#ck des gemeinsamen Herumirrens in hermeneutischen Zirkeln, das fast immer mit einem rettenden Einfall endet. Meinem Telefon danke ich daf#r, dass es mich seit vielen Jahren immer wieder mit Felix Lorenz verbindet. Und schließlich danke ich meinen Eltern f#r die bedingungslose Unterst#tzung und das Vertrauen, das sie mir bei allem schenken, was ich unternehme – ihnen ist dieses Buch gewidmet. Gçttingen, im Juni 2018

Christian Schmidt

Inhalt I.

Einleitung: Das innere Theater des $ußeren Theaters . . . . . . . 1. Die Unbeobachtbarkeit der Betrachtung und die Beobachtbarkeit ihrer Medien: Methodologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. betrachten, bedenken, ermessen und einbilden. Zur rezeptions$sthetischen Bedeutung kognitiver Verben . . . . . .

1 9 19

II. Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Furcht und Liebe. Affektmodelle und Stoffgef#ge der christlichen Bußmeditation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Erschrecken und Glauben. Zum Umbau der mittelalterlichen Affektmodelle in der Reformationszeit . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3. Der unvorbereitet sterbende S#nder als Imaginationsfigur . 36 4. Zwei theatrale Meditationslehren: Das ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ (1510) und Johannes Kolroß’ ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘ (1532) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 4.1. Metadrama und Betrachtung. Theatrale und meditierbare Szenen im ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ (1510) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 4.1.1. Zur Seuse-Rezeption des ,M#nchner Spiels‘ . . . 48 4.1.2. Der meditierende Kaufmann . . . . . . . . . . . . . . 50 4.1.3. B#hne, Buch, Herz. Zur Medialit$t der Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 4.2. Kolroß’ ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘ zwischen Basel und Augsburg. (berregionale Wirkungsgeschichte und lokale Rezeptionsformen . . . 64 4.3. Dramenhandlung und meditatives Stoffgef#ge . . . . . . 74 4.3.1. Sagen, Singen, Hçren, Lesen: Die Vermittlung des Schemas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 4.3.2. Die f#nf Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 5. Levin Brechts ,Euripus‘ (1548) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 5.1. Tragçdie zu Meditationszwecken: Brechts Praefatio . . 100 5.2. Drama und meditative Lyrik. Zur ,Lamentatio‘ im Anhang des ,Euripus‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

VIII

Inhalt

5.3. Die vers$umten Betrachtungen des Euripus . . . . . . . . 6. Meditative Aspekte der Jedermann-Dramen (15. und 16. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1. Zum meditativen Rezeptionskontext des Jedermann im Sp$tmittelalter (,Elckerlijc‘, ,Everyman‘) . . . . . . . . . . . 6.2. Meditative und rhetorisch-literarische Funktionen (,Homulus‘, ,Hecastus‘) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3. Affektregie und Selbsterkenntnis (,Homulus‘, ,Schlçmer‘) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

112

III. Endzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der meditierende Hieronymus in Weltgerichtsspielen vom Sp$tmittelalter bis Hans Sachs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ulrich Tenglers ,Laienspiegel‘ (1511) und das innere Theater des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Das Gewissen der Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Die imaginative Performanz des Gerichtsrituals . . . . . 3. Zwei theatrale Betrachtungsmedien f#r die st$dtische Obrigkeit: Hans von R#tes ,Ein Kurtzes Osterspil‘ (1552) und Philipp Agricolas ,Comedia von dem Letzten Tage‘ (1573) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Ratswahl und Schauspiel in Bern und Berlin . . . . . . . 3.2. „Mit geistlichen Ougen“. Kontemplation und Herrschaftspraxis im ,Osterspil‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Das Bedenken des J#ngsten Tages und die Macht des Gebets in Agricolas ,Comedia‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . .

149

IV. Passion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Intermedialit$t lutherischer Schriftmeditation: Valentin Voiths ,Ein schçn Lieblich Spiel‘ (1538) . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Strukturelle Hinweise auf ein meditatives Rezeptionsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Abraham und der leidende Christus. Oratio, meditatio und tentatio in der Dramenhandlung . . . . . . . . . . . . . 2. Die theatergeschichtliche Bedeutung von Luthers ,Sermon von der Betrachtung des heyligen leydens Christi‘ (1519): Joachim Greff und Cyriacus Spangenberg . . . . . . . . . . . . . .

122 122 128 135

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183 186 190 197 209 211 217 220 229

Inhalt

3. Drama und Passionsbetrachtung im interkonfessionellen Vergleich: Jakob Rufs ,Das lyden vnsers Herren Jesu Christi‘ (1545), das ,Kaufbeurer Passionsspiel‘ (1562) des Michael Lucius und das ,Villinger Passionsspiel‘ (1585/1600) . . . . . 3.1. Spiele und Passionstraktate: Medi$vistische Positionen 3.2. Rufs ,Lyden‘ und die lutherische Bearbeitung des Michael Lucius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Zur#ck zur compassio im ,Villinger Passionsspiel‘ . . . .

IX

249 249 256 273

V. Ausblick: Alterit$ten und Umbr#che im geistlichen Theater des 16. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nach Siglen zitierte Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

293 293 296 302

Register der Autoren, Drucker und Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Register der Bibelstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

I. Einleitung: Das innere Theater des $ußeren Theaters Ich schließe die Augen, konzentriere mich darauf, was ich INNEN sehe. Was ist das f#r ein Raum dort? Ich kann dort nichts ,sehen‘, hçre nichts. Gerade, daß ich das AUSSEN ausgeschlossen habe. Wenn ich mich konzentriere, kann ich das, was ich um mich herum hçre, wenn ich mit geschlossenen Augen dasitze, ausgrenzen. Es st#rmen Bilder auf mich ein; ich sehe sie nicht in dem Dunkel, das ich INNEN nenne, sie sind auch nicht draußen, stehen nicht vor Augen. Sie sind nirgends GEGENW!RTIG. Gewaltig rauschen die Assoziationen, die Selbstt$tigkeit dessen, was – das ist eine Vermutung – meine Hirnareale veranstalten.1

Alexander Kluge ist seinem „sogenannte[n] Bewußtsein“2 gegen#ber skeptisch. Die Sprache hat nichts anzubieten, das die Wahrnehmungen zu fassen kriegt, die sich bei geschlossenen Augen abspielen, wenn man sich auf das konzentriert, was man „innen“ sieht. Etwas kann sie aber anzeigen, wenn Kluge vom Einst#rmen der Bilder und vom gewaltigen Rauschen der Assoziationen berichtet: hier sind keine harmlosen Kr$fte am Werk. Es gibt eine lange Geschichte von Versuchen, sich mit Methode in das Wirken dieser Kr$fte einzumischen. Diese Arbeit beleuchtet einen Ausschnitt aus dieser Geschichte. Das Mittel der Einmischung ist das Theater und der zu beleuchtende Zeitraum ist das 16. Jahrhundert. Dass ausgerechnet das Theater ein wirksames Mittel in diese Richtung sein kann, haben bereits die Kirchenv$ter festgestellt – und zwar im Rahmen einer entschieden theaterfeindlichen Debatte. Tertullians vermutlich noch im 2. Jahrhundert entstandene Polemik ,De spectaculis‘ gilt als Klassiker der christlichen Kritik am Theater.3 Er verfasste sie vor dem Hintergrund einer lebendigen antiken Spektakelkultur, die nicht nur Schauspiele im engeren Sinne, sondern auch Wagenrennen, Tierhatzen, Gladiatorenk$mpfe sowie athletische Wettbewerbe einschloss.4 Jçrg Jochen 1 2 3 4

Kluge 2015, S. 528. Kluge 2015, S. 528. Zum Einfluss Tertullians auf die fr#hchristliche Theaterdebatte vgl. Weismann 1972, S. 69 – 72; Castelli 2005, S. 115. Zu Tertullians Werk und seiner Nachwirkung vgl. auch Butterweck 2002. Vgl. Weismann 1972, S. 25; Weeber 1988, S. 115. Vgl. auch die j#ngere forschungsgeschichtliche (bersichtsdarstellung zur antiken Spektakelkultur bei Castelli 2005, S. 105 – 112.

2

I. Einleitung: Das innere Theater des $ußeren Theaters

Berns hat nachdr#cklich auf die imaginations- und memorialpsychologische Stoßrichtung in der Theaterkritik Tertullians und seiner patristischen Nachfolger hingewiesen, unter denen er Novatian, Laktanz, Ambrosius, Augustinus, Quodvultdeus, Salvian und Cassiodor nennt.5 Sie greifen die paganen spectacula an, weil diese sich sch$digend auf den inneren Bildhaushalt der Christen auswirken und damit eine christliche T$tigkeit der Seelenkr$fte memoria und imaginatio, n$mlich die and$chtige Meditation #ber Bibel, Heilsgeschichte und Eschatologie unterlaufen: Die theatralen K#nste zerstçrten, laut christlicher Auffassung, den intendierten Seelenfrieden. Sie attackierten ihn nicht nur momentan durch unmittelbare sinnliche Faszination, sie untergruben ihn auch durch ihre nachhaltige imaginationslenkende Kraft: durch die Verweilkraft innerer Bildspiele, welche durch die spectacula – und inbesondere durch die blutr#nstig-grausamen oder geilen unter ihnen – in die Seele gesenkt w#rden, wo sie dann in der Imagination fortspielten und jedwede Andacht des meditationswilligen Subjekts vereitelten.6

Diese imaginationstheoretisch fundierte Theaterkritik wurde vor allem auch als Kritik an theaterbegeisterten Christen ge#bt.7 Wie Berns zeigt, entwickelten die Kirchenv$ter als Gegenmodell zu den antiken spectacula ein christliches Surrogat, ein „Anti-Theater“,8 das sich metaphorisch an die Rezeptionsmodi heidnischer Schauspiele anlehnt, diese jedoch zugleich negiert: „Dieses Anti-Theater war polemisch sowohl auf die Formen als auch auf die sakralen und politischen Implikationen des paganen Theaters bezogen. Entscheidend aber war, daß das christliche Anti-Theater pures Imaginationstheater, inneres Theater, Seelentheater war.“9 Bei Novatian etwa sind es die Vorstellung des #ber den Teufel triumphierenden Christus und die Stoffe des Alten und Neuen Testaments, „die der meditierende Christ auf seiner memoria-B#hne nach Belieben auff#hren kann.“10 5 6 7 8 9

Vgl. Berns 2003, S. 548 – 555; Berns 2004, S. 24 – 34. Berns 2004, S. 24. Vgl. Weismann 1972, S. 70 f.; Berns 2003, S. 549; Berns 2004, S. 26 f. Berns 2003, S. 549. Berns 2003, S. 549. Maximilian Benz hat das textinterne Rezeptionsmodell der fr#hchristlichen ,Petrus-Apokalypse‘ j#ngst vor dem Hintergund der christlichen Kritik an den paganen spectacula gedeutet. Er zeigt, dass sich die ,Petrus-Apokalypse‘ durch eine „transformativ-subversive[ ] Bezugnahme auf die Spektakelkultur der paganen Antike“ (Benz 2013, S. 109) auszeichnet. Mit der ,Petrus-Apokalypse‘ liegt somit eine fr#he literarische Ausgestaltung des imaginativen Anti-Theaters im Sinne von Berns vor. 10 Berns 2003, S. 551.

I. Einleitung: Das innere Theater des $ußeren Theaters

3

Eine einschl$gige Passage, die die Funktionsweise dieses inneren Theaters als Anti-Theater veranschaulichen kann, findet sich im letzten Abschnitt von Tertullians ,De spectaculis‘. Der Traktat kulminiert in einer Imagination des J#ngsten Gerichts, die sich als christliches Schauspiel nicht nur an die Stelle der heidnischen Spektakel setzt, sondern auch deren endg#ltigen Untergang feiert: At enim supersunt alia spectacula, ille ultimus et perpetuus iudicii dies, ille nationibus insperatus, ille derisus, cum tanta saeculi vetustas et tot eius nativitates uno igni haurientur. Quae tunc spectaculi latitudo! Quid admirer? Quod rideam? Ubi gaudeam, ubi exultem, tot spectans reges, qui in caelum recepti nuntiabantur, cum Iove ipso et ipsis suis testibus in imis tenebris congemescentes? […] Etiam poetas non ad Rhadamanthi nec ad Minonis, sed ad inopinati Christi tribunal palpitantes? Tunc magis tragoedi audiendi, magis scilicet vocales in sua propria calamitate; tunc histriones cognoscendi, solutiores multo per ignem; tunc spectandus auriga in flammea rota totus ruber; tunc xystici contemplandi, non in gymnasiis, sed in igne iaculati[.]11

Im imaginierten Schauspiel des Weltgerichts brennen die gottfernen $ußeren Spektakel in all ihren Erscheinungsformen effektvoll ab – unter den Schmerzensschreien der Tragçden, Wagenlenker und Athleten und unter den Jubelrufen des christlichen Publikums. Theatraler l$sst sich AntiTheater kaum verwirklichen. Berns h$lt als Grundzug des patristischen Seelentheaters fest, dass es das „reale Theater als imaginationssteuerndes und meditationsfeindliches 11 Tertullian 1988, S. 84 – 86. „Aber es kommen gewiß noch andere Schauspiele, jener letzte und endg#ltige Tag des Gerichts, jener Tag, der f#r die Heiden so unerwartet kommt, jener Tag, den sie verspottet haben, wenn diese so gealterte Welt und ihre so vielen Generationen von einem einzigen Feuer verzehrt werden. Was f#r ein umfassendes Schauspiel wird das dann sein! Was soll ich da bestaunen? Wor#ber soll ich lachen? Worauf soll sich meine Freude, soll sich mein Jubel richten, wenn ich dabei zuschaue, wenn so viele Kçnige, deren Aufnahme in den Himmel uns verk#ndet wurde, gemeinsam mit Jupiter selbst und ihren eigenen Zeugen in tiefster Finsternis aufstçhnen? […] Und dann die Dichter, wie sie vor dem Richterstuhl nicht eines Rhadamanthus oder eines Minos, sondern demjenigen Christi, mit dem sie nicht gerechnet haben, zittern? Dann werden die Tragçden noch vernehmlicher zu hçren sein, weil sie nat#rlich bei ihrem eigenen Ungl#ck noch stimmgewaltiger sind; dann wird man die Schauspieler gut erkennen kçnnen – sie werden dann durch das Feuer noch viel lockerer sein –; dann wird der Wagenlenker zu sehen sein, wie er am ganzen Kçrper rot auf seinem lodernden Wagen steht; dann wird man die Athleten betrachten kçnnen – nicht in ihren Ringschulen, sondern im Feuer, in das sie geschleudert wurden“ (ebd., S. 85 – 87).

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I. Einleitung: Das innere Theater des $ußeren Theaters

Bildmedium“12 interpretiere. Entscheidend ist, dass dies nur aus der normativen Perspektive der Kirchenv$ter zutrifft, die es f#r falsch halten, #ber Wagenrennen, Tierk$mpfe und Tragçdien zu meditieren. Wenn als Gefahr der heidnischen spectacula immer wieder ihre „nachhaltige Wirkung in memoria und imaginatio der Zuschauer“13 genannt wird, so ergibt sich daraus im Umkehrschluss, dass ein christlich besetztes, geistliches Theater sich als $ußerst fçrderlich f#r die Meditation erweisen m#sste – an diesem Punkt setzt diese Untersuchung an. Berns hat das Fortleben der Lehre vom inneren Theater vor allem in jesuitischen Meditationsanleitungen der Fr#hen Neuzeit, bei Ignatius von Loyola und bei Friedrich Spee, sp$ter auch in dominikanischen Rosenkranz-Lehrb#chern des 17. Jahrhunderts nachgewiesen und auf das Desiderat einer medi$vistischen Untersuchung zum Thema aufmerksam gemacht.14 Er weist zudem darauf hin, dass das Innere Theater, das die beiden Jesuiten Ignatius und Spee propagieren, anders als das Seelentheater der Kirchenv$ter, von einer genuin christlichen realen $ußeren Theaterpraxis begleitet wurde, der Praxis des sakralen „Kirchentheaters“ […], die es nicht zu ersetzen, sondern nur zu erg$nzen gilt.15

Die vorliegende Arbeit greift diese Beobachtung auf. Sie deutet das Verh$ltnis von realer $ußerer Theaterpraxis und theatralisierter Meditation jedoch nicht nur als ein bloß erg$nzendes, sondern mçchte zeigen, dass ihre Beziehung bereits vor der Gr#ndung des Jesuitenordens deutlich enger und wechselseitiger ist: Theorien und Anleitungen zur Meditation bedienen sich nicht nur theatraler Metaphern und Verfahren, sondern sie pr$gen umgekehrt auch schon seit dem Sp$tmittelalter die !sthetik des geistlichen Theaters. Ab den 1530er Jahren gewinnen sie eine theater$sthetische Bedeutung, die #ber die Grenzen der sich herausbildenden Konfessionen hinweg reicht. Die meditative Tradition stellt Stoffe, Szenentypen, Figurenkonzeptionen, Theorien der Affektwirkung sowie mnemotechnische und imaginative Modelle zur Verf#gung, die im Medium des Theaters ganz bewusst aufgenommen werden und Verwendung finden. Als Ignatius und Spee die Metapher vom Seelentheater reaktivieren, hatte sich in der Praxis ein Wandel vollzogen: Unter den Bedingungen einer christlichen Theaterpraxis war das innere Theater nicht l$nger Anti-Theater, sondern ein inneres Theater des $ußeren Theaters. 12 13 14 15

Berns 2003, S. 555. Berns 2003, S. 552. Vgl. Berns 2004, S. 38. Berns 2004, S. 38.

I. Einleitung: Das innere Theater des $ußeren Theaters

5

Das 16. Jahrhundert eignet sich besonders f#r eine Untersuchung meditativer Theater$sthetiken, denn die Entwicklungen in diesem Zeitraum werden bislang weder von der Sp$tmittelalter- noch von der Fr#hneuzeitforschung beachtet. In der germanistischen Medi$vistik finden sich in j#ngerer Zeit verst$rkte Bem#hungen, die sp$tmittelalterlichen Passionsspiele auf die meditative Passionsfrçmmigkeit ihrer Zeit zu beziehen.16 Die Forschung zum fr#hneuzeitlichen Drama ist bereits seit l$ngerem daran gewçhnt, das Theater der Jesuiten seit der Zeit um 1600 vor dem Hintergrund der jesuitischen Meditationspraxis zu deuten – d. h. konkret vor dem Hintergrund der ,Exercitia spiritualia‘ des bereits genannten Ordensgr#nders Ignatius von Loyola.17 F#r den Zeitraum zwischen ca. 1510 und 1590 liegen hingegen keine entsprechenden Untersuchungen vor. Indem die Arbeit ihr Interesse auf diese zentrale Scharnierzeit richtet, mçchte sie eine L#cke zu schließen, die zwischen den Forschungsans$tzen zum geistlichen Spiel des Sp$tmittelalters und zum Theater der Fr#hen Neuzeit besteht. Sie mçchte zeigen, dass es bereits vor dem Beginn eines meditativ angelegten Jesuitentheaters sowohl ein protestantisches als auch ein katholisches Meditationstheater gegeben hat, das in seiner !sthetik von sp$tmittelalterlichen Meditationslehren gepr$gt ist. Ein enger Bezug von Theater und Meditation ist in der Fr#hen Neuzeit demnach kein Alleinstellungsmerkmal der Jesuiten, sondern als Erbe der sp$tmittelalterlichen Frçmmigkeitskultur ein konfessions#bergreifendes Ph$nomen. Im 16. Jahrhundert sind bereits vor der Reformationszeit medien- und diskursgeschichtliche Umbr#che zu beobachten, die f#r das Verst$ndnis der sich nach der Reformation herausbildenden Dramentraditionen zentral sind. Neben einer fortbestehenden handschriftlichen Spiel#berlieferung werden Dramen vermehrt auch durch den Buchdruck distribuiert und erreichen als Lesetexte ein breites laikales Publikum.18 Das fr#heste ge16 Vgl. Ehrstine 2012; Ehrstine 2015. 17 Vgl. Valentin 1978, S. 194 – 199; zusammenfassend auch Metz 2013, S. 766 – 769. F#r j#ngere Einzeluntersuchungen zum meditativen Jesuitendrama vgl. die Arbeiten zu Johannes Paullins ,Philothea‘ (1643) von M#nch-Kienast 2000, bes. S. 90 – 93; die Arbeit zu Jacob Baldes Jephta-Drama (1639) von F#hrer 2006, bes. S. 679 – 686. Zu Bidermanns ,Cenodoxus‘ (1602) im Kontext der ignatianischen Exerzitien vgl. Oswald 2005, S. 90; Hong 2008, S. 86 – 125. Um die Bedeutung der Betrachtung f#r die deutschsprachige Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts insgesamt hervorzuheben, hat Gerhard Kurz eine gattungs#bergreifende Skizze vorgelegt, die auch ein Drama von Gryphius ber#cksichtigt (vgl. Kurz 2000). 18 Zum Verh$ltnis von Drama und Buchdruck vgl. Williams-Krapp 1985, S. 142 f.; Petersen 1998; Jahn 1999; Metz 2013, S. 43 f.

6

I. Einleitung: Das innere Theater des $ußeren Theaters

druckte Spiel, das in dieser Untersuchung behandelt wird, ist das vorreformatorische ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ (1510). F#r theater$sthetische Fragestellungen sind insbesondere die neuen Paratextsorten von Bedeutung, die die Spieltexte im Druck begleiten: Widmungsschreiben und Vorreden an die Leser bieten zus$tzlich zu spielinternen Paratexten wie Pround Epilogen eine Mçglichkeit, um dramen$sthetische Reflexionen zu $ußern. W$hrend sp$tmittelalterliche geistliche Spiele sich weitgehend als genuine Erzeugnisse der christlichen Frçmmigkeitskultur beschreiben lassen, erçffnet die humanistische Antikerezeption im 16. Jahrhundert neue Spannungsfelder in der Praxis vor allem des lateinischen und deutschsprachigen Schultheaters. Die Frage nach der Legitimit$t paganer Dramentraditionen, insbesondere der Komçdien des Plautus und des Terenz, f#hrt #ber Umwege auf Probleme zur#ck, mit denen sich bereits die Kirchenv$ter auseinandergesetzt hatten.19 Dramatiker wie Wilhelm Gnapheus, Christian Ischyrius, Georg Macropedius oder Levin Brecht suchen nach Modellen, die es erlauben, die sprachlichen und k#nstlerischen Formen der antiken Komçdien zu #bernehmen, ihre moralisch verd$chtigen Inhalte hingegen zu christianisieren.20 Insbesondere Levin Brechts ,Euripus‘ (1548), dem diese Arbeit ein Kapitel widmet, l$sst sich im Spannungsfeld von humanistischer Antikerezeption und sp$tmittelalterlich-meditativer Wirkungs$sthetik verorten – ein Spannungsfeld, das Brecht auch explizit thematisiert. Humanistische Einfl#sse f#hren in der geistlichen Theaterproduktion des 16. Jahrhunderts zu hybriden Formmodellen. Akt- und Szenengliederungen beginnen als Textsortenmerkmale allm$hlich auch das deutschsprachige Drama zu beeinflussen.21 Sie konkurrieren jedoch bisweilen mit sp$tmittelalterlichen Modellen, die den mnemotechnischen 19 Neben Kritikern gab es nat#rlich auch Verteidiger der antiken Komçdie, unter denen Luther der prominenteste sein d#rfte (vgl. Dietl 2005, S. 20 – 23; Metz 2013, S. 123 – 126). 20 Gnapheus’ Bibeldrama ,Acolastus‘ (1529), das die Parabel vom Verlorenen Sohn zum Gegenstand nimmt, bildet die erste christianisierte Terenzadaption, deren Methode in der Folgezeit vielfach imitiert wurde (vgl. Bloemendal 2013, S. 305 f.; Tilg 2015, S. 94 f.). Zu Ischyrius und Macropedius, die sich an Plautus und Terenz sowohl anlehnen als auch sich von ihnen abgrenzen, vgl. diese Arbeit, S. 130–132. 21 Wie Bernhard Jahn und Irmgard Scheitler j#ngst gezeigt haben, setzen sich Aktund Szenengliederungen im deutschsprachigen Theater des 16. Jahrhunderts allerdings noch keineswegs breitenwirksam durch und werden erst im 17. Jahrhundert zunehmend als #bliche Konvention angesehen (vgl. Jahn/Scheitler 2016, S. 14 f.). Vgl. zum F#nfakt-Schema auch Petersen 1998, S. 97 – 101.

I. Einleitung: Das innere Theater des $ußeren Theaters

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Erfordernissen meditativer Frçmmigkeit angepasst sind. Der protestantische Schulmeister Johannes Kolroß strukturiert z. B. sein ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘ (1532) einerseits durch Chçre, die eine Gliederung in drei Akte markieren. Andererseits #berblendet die F#nfzahl der im Spiel vermittelten Meditationsstoffe diese Gliederung – ohne dabei einen Bezug auf das F#nfakt-Schema zu suchen.22 !hnlich verh$lt es sich im katholischen ,Villinger Passionsspiel‘ (1585/1600), dessen f#nf Akte durch das mnemotechnisch ausgerichtete Septenar der Sieben !ngste Christi #berblendet werden. Entlang der Sieben !ngste l$sst sich der gesamte Spielverlauf unabh$ngig von Akt- oder Szenengrenzen memorieren und einer mitleidigen Betrachtung zuf#hren.23 Wie bereits erw$hnt lautet eine Grundannahme dieser Arbeit, dass sich aus sp$tmittelalterlichen Meditationslehren Elemente einer geistlichen Theater$sthetik gewinnen lassen, die noch im 16. Jahrhundert relevant bleiben. Im Zuge der Reformation findet jedoch auch ein meditationstheoretischer Umbau statt, der sich vor allem auf die entstehenden protestantischen Theater$sthetiken auswirkt. Valentin Voiths ,Ein schçn lieblich Spiel‘ (1538) l$sst sich als Beispiel f#r ein Drama nennen, das einen meditationstheoretischen Neuansatz der Reformationszeit, Luthers Trias oratio, meditatio und tentatio, als Rezeptionsmodell aufgreift.24 Luther publiziert bereits seit 1518 Traktate, in denen er die traditionellen Affekt- und Wirkungsmodelle der S#nden-, Todes- oder Passionsmeditation neu bewertet und Alternativen entwickelt, die auf der Lehre von der Rechtfertigung sola fide beruhen, also ohne die Vorstellung einer verdienstlichen Eigenleistung des frommen Subjekts auskommen.25 Zu betonen ist jedoch, dass Luther den traditionellen Bestand von Meditationsstoffen, mit Ausnahme des Fegefeuers, nicht antastet. Auch bleibt das Meditieren #ber die eigene S#ndhaftigkeit, den Tod, die Hçlle, den Himmel oder die Passion Christi weiterhin ein hochgradig affektiver Vollzug – nur sind die Affekte der Meditierenden aus Sicht der reformatorischen Theologie nicht l$nger heilswirksam im Sinne von meritorischen Eigenleistungen.26 22 23 24 25

Vgl. diese Arbeit, S. 76–79. Vgl. diese Arbeit, S. 275–277. Vgl. diese Arbeit, Kap. IV.1. Zur lutherischen Rechtfertigungslehre und ihrer sp$tmittelalterlichen Vorgeschichte vgl. Hamm 2010b. 26 Vgl. zu diesem Komplex diese Arbeit, S. 30; S. 135–149; S. 220–228; S. 260 f.; S. 267; S. 287 f.

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I. Einleitung: Das innere Theater des $ußeren Theaters

Der Aufbau der Arbeit orientiert sich grob an den meditativen Stoffkomplexen Tod (II), Endzeit (III) und Passion (IV). Grob bleibt diese Gliederung zwangsl$ufig, weil sich zwischen den genannten Stoffkomplexen zahlreiche (berschneidungen ergeben. So fordert z. B. Johannes Kolroß in seinem ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘ (II) nicht nur zur Meditation #ber den eigenen Tod, sondern auch zur Meditation #ber die Passion Christi, den Betrug der Welt, die Hçlle und den Himmel auf. In der dramatischen Darstellung hingegen liegt der Schwerpunkt auf der Todesthematik. Das Spiel behandelt zwar auch die Passion Christi oder die himmlischen Freuden, inszeniert sie jedoch nicht als performative Handlung. Umgekehrt kçnnen etwa Weltgerichtsspiele (III) zur meditatio mortis aufrufen, ohne dieses Thema extensiv als Dramenhandlung auszugestalten.27 Wo sich f#r die Einordnung einzelner Dramen ein besonderer Erkl$rungsbedarf ergibt, findet eine Diskussion in den einleitenden Abschnitten zum jeweiligen Kapitel statt. Die f#r diese Arbeit relevanten Meditationslehren werden nicht in einem geschlossenen Block vorgestellt, sondern in die Diskussion einzelner Dramen oder Dramentraditionen integriert. Bestimmte Traktate, z. B. Luthers ,Sermon von der Betrachtung des heyligen leydens Christi‘ (1519), sind in unterschiedlichen Argumentationskontexten von Bedeutung, sodass sie mehrfach unter je verschiedenen Gesichtspunkten Erw$hnung finden. Jçrg Jochen Berns hat eine Aporie in der patristischen Konzeption des inneren Theaters benannt, indem er auf die Spannung zwischen einer prinzipiell individuellen, idiosynkratischen und unzug$nglichen memoria und einem christlichen Anspruch auf Vereinheitlichung und Gemeinschaft verwiesen hat: Im Gegensatz zur rhetorischen Mnemotechnik stand „die christliche Didaktik […] vor der heiklen Aufgabe, den Arkanhaushalt der memoria als individuellen zu hegen und zugleich in meditativer Verstetigung #berindividuell zu vereinheitlichen.“28 Es ist die Innerlichkeit des Seelentheaters, „die ihm einen arkan-individuellen Status garantiert“,29 w$hrend es zugleich gemeinschaftsbezogen bleiben soll: „Denn alle Christen sollen auf ihrer Seelenb#hne dasselbe memorativ-meditative Bildprogramm abspielen.“30 Aus dem Arkanum-Charakter von memoria 27 Ein Weltgerichtsspiel mit inserierter Sterbehandlung hingegen bildet die ,Tragedia des j#ngsten Gerichts‘ (1558) von Hans Sachs (vgl. diese Arbeit, S. 161–163). 28 Berns 2003, S. 555. 29 Berns 2003, S. 555. 30 Berns 2003, S. 555.

1. Methodologische Grundlagen

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und imaginatio ergibt sich jedoch nicht nur eine Schwierigkeit in der historischen Konzeption des inneren Theaters, sondern auch ein methodisches Problemfeld f#r die wissenschaftliche Analyse: Arkanr$ume lassen sich von außen nicht beobachten.

1. Die Unbeobachtbarkeit der Betrachtung und die Beobachtbarkeit ihrer Medien: Methodologische Grundlagen Nach einer Formulierung Niklas Luhmanns kçnnen Gedanken nicht kommunizieren und Kommunikationen nicht denken.31 Auch daraus l$sst sich ableiten, dass Meditation als kognitiver Vollzug von memoria und imaginatio nicht direkt beobachtbar ist.32 F#r eine Analyse historischer Frçmmigkeitspraktiken hat diese vielleicht etwas triviale Feststellung weitreichende methodische Konsequenzen. Eine Konsequenz besteht darin, die Meditation als kognitiven Vollzug kategorial von den Medien zu unterscheiden, von denen sie ausgeht. Anders als meditative Vollz#ge besitzen diese Medien den Vorteil, dass sie sich beobachten und analysieren lassen. Sie ermçglichen es, normative Modelle oder Skripte zu rekonstruieren, an denen sich meditative Vollz#ge ausrichten sollen, auch wenn diese Modelle nicht mit tats$chlichen Vollz#gen gleichzusetzen sind. Da es f#r den Vollzug von Betrachtungen keine medien- oder textsortenspezifischen Beschr$nkungen gibt, sind Betrachtungsmedien nur pragmatisch zu definieren: Ein Medium ist dann ein Betrachtungsmedium, wenn es eine entsprechende Rahmung erh$lt und einem entsprechenden Gebrauch zugef#hrt wird.33 31 Vgl. Luhmann 1992, S. 30 f.; Luhmann 2000, S. 58. 32 Mit der einzigen Ausnahme, dass die Meditation in den eigenen Gedanken stattfindet. Aber dann kçnnen alle anderen sie nicht beobachten. Wenn sich die Meditation auf gedankliche und imaginative Vollz#ge bezieht, so muss sich eine Untersuchung von Meditation #ber die Beschr$nkung klar sein, die darin besteht, „daß das Bewußtsein im Wahrnehmen bzw. in der anschaulichen Imagination eine f#r Kommunikation unerreichbare Eigenart besitzt“ (Luhmann 1992, S. 20). 33 Den Begriff der Rahmung verwende ich in Anlehnung an Goffman 1977. Eine ,meditative‘ Rahmung l$sst sich prinzipiell mit jedem Medium, jeder Textsorte und jedem Gegenstand verkn#pfen, z. B. mit dem menschlichen Kçrper. Die ,Naturbetrachtungen‘ des Levinus Lemnius kçnnen dies veranschaulichen. Lemnius stellt das meditative Lesen im Buch der Natur zwar #ber die Lekt#re gelehrter B#cher, doch er verf$ngt sich dabei in dem Paradox, dass seine ,Betrachtungen‘ selbst, als gelehrtes Buch, die Natur erst rahmen und damit meditierbar machen. Es stimmt zwar: „[D]as lesen der b#cher / […] macht […] auch offt m#de und

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In der j#ngeren Forschung finden sich zwei methodologische Ans$tze, die es erlauben, Betrachtungsvollz#ge und ihre Medien im historischen Kontext aufeinander zu beziehen. Berndt Hamm und Christian Kiening haben je etwas unterschiedlich akzentuierte Modelle entwickelt, nach denen sich die ,Medialit$t des Heils‘, also die unterschiedlichen theologischen und materiellen Vermittlungsformen von Heil und Gnade, vor allem f#r den Zeitraum des Sp$tmittelalters systematisch beschreiben l$sst.34 Eine Integration beider Modelle bietet sich in dieser Arbeit an, weil Hamm einen exemplarischen Schwerpunkt auf die Meditation, Kiening aber einen exemplarischen Schwerpunkt auf das geistliche Spiel setzt. Berndt Hamm schl$gt eine dreistufige Typologie sp$tmittelalterlicher Gnadenmedialit$t vor. Die drei Typen beschreibt Hamm als Medialit$ten erster, zweiter und dritter Ordnung. Die Gnadenmedialit$t erster Ordnung, die Basismedialit$t des Heils, liegt in der Mittlerschaft Christi und begr#ndet alle anderen Medialit$ten: „Gott tritt durch Inkarnation und Passion und damit durch das Medium der Leibhaftigkeit des Erlçsers in innigste leiblich-seelische Kommunikation zu den Menschen aller Zeiten.“35 Die Gnadenmedialit$t zweiter Ordnung bezeichnet Hamm auch als Partizipationsmedialit$t. Als Beispiel dient die Meditationspraxis: „Auf dieser medialen Ebene [zweiter Ordnung] steht die Meditation; ist sie doch mit ihrem Zeichengef#ge und mit ihren semantischen Bez#gen ein Partizipationsmedium, durch das dem meditierenden Menschen die Basismedialit$t gnadenreicher Heiligkeit zugeeignet und von ihm subjektivverdrossen / Dargegen die betrachtung der Natur / […] solche lust und frewde mit sich bringet / das niemandts sich des noch ersettiget“ (Lemnius 1572, Bviijr). Doch erst wenn Lemnius z. B. Teile des menschlichen Kçrpers mit geistlichen Wissensgehalten besetzt und allegorisiert, schafft er damit die Voraussetzung, die es seinen Lesern ermçglicht, sie als Betrachtungsmedien zu verwenden. Die Strukturen des Kçrpers appellieren nach einer erfolgreichen Lemnius-Lekt#re daran, meditativ t$tig zu werden und sie auf geistliche Sinngehalte zu beziehen. Weil in dieser Weise jedes Medium ein potenzielles Betrachtungsmedium ist und sich die Meditation auf potenziell jedes Medium beziehen kann, ist es $ußerst prek$r, sie etwa als ,Gattung‘ zu definieren, wie dies Kl)ra Erdei versucht hat (vgl. Erdei 1990, S. 45 – 48). Bei einem Ph$nomen, das keine Medien- oder Textsortenspezifik besitzt, muss dieser Versuch scheitern. Auch die durchaus sinnvolle Gattungsdefinition einer meditativen Textsorte, z. B. des Soliloquiums, m#sste sich dar#ber klar sein, dass das Differenzkriterium zu anderen Textsorten nicht in der meditativen Funktion bestehen kann. Prinzipiell l$sst sich jede Textsorte als meditative Textsorte funktionalisieren. 34 Vgl. Hamm 2011; Kiening 2007; Kiening 2009; Kiening 2015. 35 Hamm 2011, S. 50.

1. Methodologische Grundlagen

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aktiv angeeignet wird“.36 Die dritte Ordnung schließlich bilden die materiellen Medien der Meditation, z. B. illustrierte Einblattdrucke, die Hamm auch als Hilfs- oder Erleichterungsmedien bezeichnet: Meditation als T$tigkeit des menschlichen Geistes kann ein hçchst anspruchsvolles Partizipationsmedium sein, ein m#hsamer Weg zum Heil. Durch die Bilder und ihre Inschriften aber soll Meditation erleichtert werden. Man hat hier deutlich den medialen Dreischritt vor Augen: die Medialit$t der Heilsmittlerschaft Jesu Christi, die Medialit$t der Meditation als vergegenw$rtigender Partizipation an diesem Christusgeschehen und die materielltechnische Medialit$t eines Bildblattes, das diesen meditativen Kontakt zwischen der Seele und Christus als nah erreichbare Gnade pr$sentieren mçchte.37

Auff$llig an Hamms Modell ist zun$chst ein flexibler Medialit$tsbegriff, der nicht nur materielle Medien, sondern auch performative Vollz#ge wie die Meditation einschließt, sofern sich ihnen heilsmediale Funktionen zuschreiben lassen. Zugleich bleibt die Partizipationsmedialit$t der Meditation in ihrem Vollzugscharakter klar von den materiellen Hilfs- oder Erleichterungsmedien unterschieden. Um die Ans$tze von Hamm und Kiening zusammenzuf#hren, ist es zun$chst nçtig, eine begriffliche Modifikation vorzunehmen und statt von einer Medialit$t erster, zweiter und dritter Ordnung eher von einer Medialit$t ersten, zweiten und dritten Grades sprechen. Damit l$sst sich der Begriff der zweiten Ordnung weiterhin verwenden, um Ph$nomene der Metareflexion beschreiben zu kçnnen. Die Analyse einer Medialit$t zweiter Ordnung in diesem Sinne ist f#r Kienings methodologisches Angebot zentral. F#r eine Untersuchung historischer Medialit$t sei es nçtig, die ganze Palette an Prozessen der Kommunikation, Wahrnehmung und Imagination zu analysieren, #ber die ein Text auch mit bestimmten historischen Modellen des Medialen […] verbunden ist, aber auch verschiedene Ebenen oder Beobachtungsordnungen des Gegenstands zu ber#cksichtigen: (1) die materielle Erscheinungsform des Gegenstands selbst (den (berlieferungstr$ger), (2) paratextuelle Formen, die […] vermittelnde Rahmen zwischen Dargestelltem und Darstellendem bilden, (3) diegetische Formen, die Medialit$t explizit ausstellen und zum Gegenstand einer Beobachtung zweiter Ordnung machen.38

Die Verquickung von materiellem (berlieferungstr$ger, von Prozessen der Wahrnehmung und Imagination sowie der Selbstreflexion von Medialit$t 36 Hamm 2011, S. 59. 37 Hamm 2011, S. 67. 38 Kiening 2015, S. 352.

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f#hrt Kiening am ,Innsbrucker Fronleichnamspiel‘ vor.39 Sein Anliegen ist es auch, die in der j#ngeren Spielforschung zunehmend hinterfragte Dichotomie von Auff#hrungs- und Lesetext zu #berwinden,40 um zu einem historisch ad$quateren Verst$ndnis der Medialit$t sp$tmittelalterlicher Spielhandschriften als einer Medialit$t des Heils zu gelangen. Die Schrift, welche die Spiele #berliefert, sei nicht einfach ein blasser Abklatsch der sinnlichen F#lle der theatralen Situation. Vielmehr stimuliert sie als ,kaltes Medium‘ (McLuhan) gerade aufgrund der Abwesenheit, die sie transportiert, die lebhafte Imagination von Anwesenheit. Sie erlaubt es im Sinne einer Partitur, die F#lle des Erscheinens im Schreiben, Lesen oder Hçren auch abseits einer realen Auff#hrung in einer imaginativen Performanz herzustellen: anhand der sprachlichen, dialogischen und szenischen Dynamiken, der pr$sentativen, evokativen und signifikativen Dimensionen des Textes, seiner syntagmatischen und paradigmatischen Spannungen. Sie alle machen die Schrift zur Vollzugsform einer Memoria, die im R#ckgriff auf die Vergangenheit zugleich den Ausgriff auf die Zukunft und die Verwandlung des Zeitlichen ins (berzeitliche perspektiviert, einer Memoria, die sowohl Heil zur Erscheinung bringt als auch in der Reflexion der Vermittlungsstrategien eine Steigerung von N$he und Unmittelbarkeit ermçglicht.41

Diese Ausf#hrungen lassen sich als Schnittstelle verwenden, um Kienings und Hamms Ans$tze f#r die Ziele dieser Arbeit zu verbinden. Denn eine „imaginative Performanz“ als „Vollzugsform einer Memoria“, die das Heil zugleich vergegenw$rtigt und vermittelt, hat im Sp$tmittelalter ihre theoretische und praktische Dom$ne in der Meditation.42 Was Kiening beschreibt, ohne es explizit zu benennen, ist das Zusammenwirken eines Spieltextes als Heilsmedium dritten Grades mit meditativen Vollz#gen als Heilsmedium zweiten Grades – das Zusammenwirken von Drama und Betrachtung. Die zentrale These dieser Arbeit ist es daher, dass sich aus der meditativen Tradition historisch konkrete Modelle f#r die !sthetik und Rezeption des vormodernen geistlichen Theaters gewinnen lassen. Sie sollen es ermçglichen, geistliche Theaterformen vor dem Hintergrund zeitgençssischer Theorien der kognitiven (bung, Konditionierung und Disziplinierung neu zu verstehen. Untersucht man Dramen im Sinne Hamms als Hilfs- oder Erleichterungsmedien f#r die Meditation, so ergeben sich jedoch nicht nur neue 39 Vgl. Kiening 2015, S. 366 – 373; vgl. auch Kiening 2007a. 40 Vgl. dazu Herberichs 2007, S. 169 – 174; Toepfer 2009, S. 107 – 110; Grafetst$tter 2013, S. 5 – 9; Herberichs 2015, S. 280 – 282. 41 Kiening 2015, S. 367. 42 Vgl. Lentes 1996, S. 361 – 376.

1. Methodologische Grundlagen

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Perspektiven, sondern auch methodische Probleme, die sich nicht immer elegant lçsen lassen. Wie bereits beschrieben, ist Meditation als kognitive Praxis prinzipiell frei auf materielle Medien jeglicher Art beziehbar, sofern diesen ein entsprechender Rahmen gegeben wird. Dadurch aber stellen sich die memorialen, imaginativen und emotionalen Vollz#ge der Meditation quer zu der medialen Alternative, die darin besteht, das Drama entweder als aufgef#hrten oder als gelesenen Text in den Blick zu nehmen. Die Ans$tze, die auf die imaginativen Dimensionen sp$tmittelalterlicher Spieltexte verweisen, haben dies bislang kaum ber#cksichtigt. Der von Kiening verwendete Begriff der imaginativen Performanz steht in der Forschung neben Varianten, die auf vergleichbare Sachverhalte abzielen. So spricht etwa Regina Toepfer mit Blick auf das ,Donaueschinger Passionsspiel‘ von einer impliziten Performativit$t, die in der Lekt#re ein „imagin$re[s] B#hnengeschehen“43 oder eine „imagin$re Inszenierung“44 evoziere. In der Anglistik verwendet Jessica Brantley den Begriff des „theatrical reading“,45 um die Auswirkung textueller Performativit$tssignale auf die fromme Lekt#re zu beschreiben. Mein eigener Vorschlag daf#r lautete: „innere Performanz“.46 Alle diese Ans$tze sind f#r die Konzeption der vorliegenden Arbeit zentral, sie lassen sich jedoch aus zwei Richtungen problematisieren: 1.) Die in der germanistischen Spielforschung auf einen Vorschlag von Bernd Neumann und Dieter Trauden zur#ckgehende Vorstellung eines imagin$ren B#hnengeschehens47 neigt dazu, die kategoriale Differenz zwischen einer prinzipiell beobachtbaren Auff#hrung und einem prinzipiell unbeobachtbaren kognitiven Vollzug zu nivellieren.48 Die Lesenden jedoch sehen nicht einfach einer Auff#hrung vor dem in-

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Toepfer 2009, S. 111. Toepfer 2009, S. 119. Brantley 2007, S. 278. Schmidt 2015a, S. 126. Ein deutlich offeneres Konzept ,imaginativer Theatralit$t‘ vertritt Manfred Kern in der Einleitung zum gleichnamigen Sammelband (vgl. Kern 2013). 47 Vgl. Neumann/Trauden 2004, S. 37. 48 Konkret lassen sich vormoderne Auff#hrungen nat#rlich nicht beobachten. Anders als individuelle kognitive Vollz#ge lassen sie sich jedoch bei einer guten Materiallage recht genau rekonstruieren. Vgl. z. B. die Kommentare zur hessischen Passionsspielgruppe von Wolf 2002 und Vogelgsang 2008, in denen die Rolle von B#hnentechnik, Requisiten, Kost#m, Bewegungsregie und Gestik detailliert aufgearbeitet wird.

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neren Auge zu49 wie sie einer theatral inszenierten Auff#hrung zusehen w#rden. Selbst eine hochkonzentrierte und disziplinierte Imagination erzeugt nicht den gleichen sinnlich stabilen und zeitlich linearisierten Ablauf wie ein reales B#hnengeschehen. Und die Meditation #ber ein zuvor rezipiertes B#hnengeschehen erzeugt nicht die gleichen Bilder wie die Meditation #ber einen Text.50 Doch was erzeugt sie? Bislang fehlt der historischen Spielforschung die Kompetenz daf#r, zu beschreiben, was auf der ,inneren B#hne‘ genau vor sich geht – sie bleibt, auch in dieser Arbeit, eine vereinfachende Metapher. 2.) Alle genannten Ans$tze neigen dazu, die imaginative Performanz, die historisch als Meditation zu konkretisieren ist, einseitig auf die Lekt#re von Texten zu beziehen. Wie ich zeigen mçchte, machen meditative Dramen ihren Anspruch jedoch nicht nur im Kontext der schriftlichen (berlieferung, sondern auch im Kontext von Auff#hrungen geltend, ohne dass einer der Pr$sentationsformen der Vorrang zuzuschreiben w$re. Die Betrachtung selbst besitzt keine Medien- oder Textsortenspezifik. Sowohl eine Auff#hrung als auch ein schriftlicher Text kçnnen also als Hilfs- oder Erleichterungsmedien dienen, die eine imaginative Performanz unterst#tzen sollen.51 In beiden F$llen stellt sich jedoch das gleiche Problem: Zwar lassen sich auf der Ebene der beobachtbaren Medien Differenzen festmachen – typographische Strukturen finden sich nur im Druck, Schauspieler agieren nur bei einer Auff#hrung. Es steht jedoch kein Instrumentarium zur Verf#gung, das es erlaubt, die Auswirkungen dieser medialen Differenzen (und ihres Zusammenspiels) auf den kognitiven Vollzug der Meditation angemessen komplex zu beschreiben. Was diese Arbeit also nicht entwickeln kann, ist ein kognitionstheoretisches Verst$ndnis davon, wie historische Dramenauff#hrungen und -texte jeweils

49 Carla Dauven-van Knippenberg hat das Wienh$user Osterspielfragment bereits 1998 als „Schauspiel f#r das innere Auge“ (Dauven-van Knippenberg 1998, S. 778) gedeutet und damit einen fr#hen Impuls f#r die Frage nach dem Verh$ltnis von geistlichem Spiel und meditativer Rezeption gegeben. 50 Man erinnere sich an das Gesicht eines Charakters, den man aus einer Fernsehserie kennt. Dann vergleiche man den Eindruck mit dem, der entsteht, wenn man versucht, sich das Gesicht einer Romanfigur vorzustellen. Don Draper steht mir anders vor Augen als Don Quijote. 51 Jan-Dirk M#ller hat hingegen zwischenzeitlich die These vertreten, dass das geistliche Spiel der meditativen Passionsfrçmmigkeit entgegenwirke (vgl. M#ller 1998; dazu diese Arbeit, S. 249 – 251).

1. Methodologische Grundlagen

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konkret mit Formen der geistlichen (bung zusammenspielen.52 Was sie hingegen anbieten kann, ist eine Rekonstruktion der historischen Selbstbeschreibungen und Wirkungsmodelle dieses Zusammenspiels. F#r die Darstellungsweise dieser Arbeit bedeutet der doppelte Bezug der Meditation auf Auff#hrung und Text, dass sich ein gewisses Schwanken in der medialen Perspektive kaum vermeiden l$sst – mal ergeben sich Beobachtungen zur meditativen Struktur eines Dramas aus der Anlage eines Drucks, mal aus dem liturgischen Zeitpunkt einer konkreten Auff#hrung. Immer wurde jedoch versucht, den jeweiligen Blickwinkel mçglichst klar erkennbar zu halten. Seit den Reformbewegungen des Sp$tmittelalters, insbesondere der Devotio moderna, verbindet sich mit der Meditationspraxis der Anspruch, nicht nur die Habitus von religiosen, sondern zunehmend auch von laikalen Gruppen zu formen.53 Glenn Ehrstine hat nachdr#cklich darauf hingewiesen, dass die Kenntnis solcher durch die Frçmmigkeitspraxis geformten Habitus zentral f#r das Verst$ndnis sp$tmittelalterlicher Publikumsgewohnheiten ist.54 Techniken der Meditation zielen auf einen kognitiven Habitus ab, der die Gedanken fortw$hrend auf bestimmte Gegenst$nde oder Stoffgef#ge konditioniert. Dieser Anspruch kommt bereits im ersten Psalm zum Ausdruck, der dazu auffordert, „Tag und Nacht“ #ber die Gesetze des Herrn zu meditieren.55 Auch f#r die Rekonstruktion meditativer Theater$sthetiken ist dies relevant: Wenn Dramen als Hilfsmedien der Betrachtung eingesetzt werden, soll sich ihre 52 Zu kognitionstheoretischen Ans$tzen in der Literaturwissenschaft und ihrer Kritik vgl. das Handbuch von Zunshine 2015 sowie f#r den deutschen Sprachraum die (berblicksdarstellungen von Wege 2013, S. 13 – 33 und Zymner 2009. Die vorliegende Arbeit teilt durchaus ein gemeinsames Interesse mit den Ans$tzen der kognitiven Literaturwissenschaft, die Wege unter den Stichworten ,textzentriert‘ und ,kontextzentriert‘ zusammenfasst. Textzentrierte Ans$tze fragen nach der literarischen Darstellung kognitiver Prozesse auf der Ebene von Motiven, Topoi, Figurenpsychologien etc.; kontextzentrierte Ans$tze fragen u. a. nach historischen Kognitionstheorien im Entstehungsumfeld literarischer Texte (vgl. Wege 2013, S. 26 f.). Auch wenn sich (berschneidungen ergeben, verortet sich diese Arbeit jedoch deutlich st$rker in einer literatur- und frçmmigkeitsgeschichtlichen Forschungstradition. 53 Vgl. Schuppisser 1993, S. 169 – 174; Kock 22002, S. 186 – 224; G#nthart 2005, S. 455 – 457. 54 Vgl. Ehrstine 2012; Ehrstine 2015. Vgl. dazu ausf#hrlicher diese Arbeit, S. 252 f. 55 „Beatus vir qui non abiit in consilio impiorum et in via peccatorum non stetit in cathedra derisorum non sedit sed in lege Domini voluntas eius et in lege eius meditabitur die ac nocte“ (Ps 1,1 – 2). Vgl. dazu Butzer 2001, Sp. 1017.

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Rezeption nicht in einem Auff#hrungsereignis oder in einem Lekt#revorgang erschçpfen, sondern sich in bestehende Frçmmigkeitsroutinen einf#gen und diese verstetigen. Eine wichtige Eigenschaft der hier untersuchten Dramen liegt darin, dass sie h$ufig zugleich Betrachtungsmedien erster und zweiter Ordnung sind. Der theatrale Rahmen erlaubt es, die Frçmmigkeitsvollz#ge, die das Drama anregen mçchte, in den Paratexten, in Druckvorreden, in Pro- und Epilogen oder in eingeschalteten Metakommentaren explizit zu thematisieren und in der B#hnenhandlung darzustellen bzw. vorzuf#hren. Die Szenen eines Dramas kçnnen direkte Umsetzungen der von meditativen Traktaten eingeforderten imaginativen Szenarien bilden – wobei die Imaginationen selbst von jeder medialen Pr$sentationsform kategorial unterschieden bleiben. Die Intermedialit$t des Dramas erlaubt es zus$tzlich, gel$ufige Betrachtungsmedien (z. B. Bilder oder Ges$nge) zu integrieren, sie auszustellen und auf ihren Gebrauch zu reflektieren. Aus einer Kombination dieser Mçglichkeiten entstehen regelrechte theatrale Meditationslehren. Die vielleicht deutlichsten Beispiele hierf#r sind das sp$tmittelalterliche ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ (1510) und Johannes Kolroß’ protestantisches ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘ (1532). Mit diesen beiden Spielen treten zugleich die theologischen Br#che ins Bewusstsein, die es nçtig machen, die beschriebenen Medialit$tsmodelle f#r den Untersuchungszeitraum der vorliegenden Arbeit zu modifizieren. Wie Berndt Hamm feststellt, ergibt die Unterscheidung der drei Typen sp$tmittelalterlicher Gnadenmedialt$t f#r die Reformation keinen Sinn mehr: Man kann sogar sagen, dass in der Abkehr der Reformation von diesem Medialit$tsgef#ge, das ich beschrieben habe, der Umbruch zwischen den Epochen besonders gut zu erkennen ist. […] Im Blick auf die Reformation insgesamt wird […] die Verwendungskategorie ,Erleichterungsmedialit$t‘ #berhaupt sinnlos. Wo Gnade und Heil absolut umsonst geschenkt werden und jede aktive Mitwirkung des Menschen ausgeschlossen ist, kann nichts mehr erleichtert werden.56

(brig bleibe „eine reduzierte, umgedeutete und biblisch gereinigte Partizipationsmedialit$t, die ausschließlich an die Erlçsungsmedialit$t Jesu Christi – den einzigen mediator – gebunden ist: als pures Beschenktwerden ohne Beimischung einer heilsrelevanten Aktivit$t des Menschen.“57 Es ist eines der kontraintuitiven, aber zentralen Ergebnisse auch der Forschungen 56 Hamm 2011, S. 81 f. 57 Hamm 2011, S. 82.

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Hamms selbst, dass die Reformatoren trotz dieses radikalen Bruchs im Verst$ndnis der Heilsmedialit$t tradierte Frçmmigkeitspraktiken wie die Meditation keineswegs verabschieden, sondern weiterhin aus#ben und verbreiten.58 Der Umbau im reformatorischen Medialit$tsverst$ndnis f#hrt weniger zu einem Traditionsabbruch als zu einer Umkehrung des Kausalverh$ltnisses von Heil und Frçmmigkeit: Reformatorische Frçmmigkeitsmedien sind keine Medien des menschlich aktiven Heilserwerbs mehr, aber die Partizipation am Heil findet ihren notwendigen Ausdruck im Vollzug von Frçmmigkeit und im Umgang mit unterschiedlichsten Medialisierungen des Gotteswortes als verbum externum. 59 Davon zeugen nicht zuletzt die hier untersuchten reformatorischen Dramen. Sie entstehen zwischen ca. 1530 und 1590 und fallen damit #berwiegend in einen Zeitraum, der in Teilen der Forschung zu Unrecht als eine Art meditatives Vakuum des Protestantismus gilt. Im Hintergrund dieser Position steht die von Winfried Zeller vertretene These einer Frçmmigkeitskrise des Luthertums im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts. Zeller konstatiert ein Auseinanderfallen von Theologie und Frçmmigkeit, das erst durch die seit dem Ende des 16. Jahrhunderts entstehenden Erbauungsliteraturen #berwunden worden sei.60 Sofern die Forschung diese Krisenerz$hlung fort- oder umschreibt, bindet sie die Entwicklung einer protestantischen Meditationstradition zeitlich an den von Zeller angenommenen Krisenverlauf. Meditationstexte entstehen demnach erst seit dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts, also erst in dem Moment, indem eine Krise Bedarf schafft. Besonders plakativ formuliert Kl)ra Erdei diese Position: „Durch die (berwindung der Glaubenskrise, die die verschiedenen Reformationen brachten, erschien die Funktion der Meditationen f#r immer #berfl#ssig, als h$tten sie sich #berlebt. In der Tat finden wir kaum Meditationswerke w$hrend des prophetisch-enthusiastischen Zeitraums von 1520 – 1560“.61 Elke Axmacher und Johann Anselm Steiger 58 Vgl. mit Blick auf Ars moriendi und Todesmeditation Hamm 2010a; allgemein Nicol 1984; Nicol 1992. 59 Vgl. Hamm 2010b, S. 264 – 271. Zur multimedialen Konzeption des $ußerlichen Wortes bei Luther vgl. auch Steiger 2002, S. 118 – 121; am Beispiel des Dramas vgl. diese Arbeit, S. 211 – 216. 60 Vgl. Zeller 1971, S. 87 – 95. 61 Erdei 1990, S. 2. Mit Blick auf das 17. Jahrhundert wurde dieses Modell von Udo Str$ter differenziert und umgedeutet. Str$ter sieht die zu Beginn des 17. Jahrhunderts entstehenden Meditationstexte seit Johann Arndt als Reaktion auf eine Krise der kirchlichen Verk#ndigung an (vgl. Str$ter 1995, 2000). Er geht dabei von einem Abreißen der Meditationstradition nach Luther aus (vgl. Str$ter 1995,

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I. Einleitung: Das innere Theater des $ußeren Theaters

haben dieser Auffassung nachdr#cklich widersprochen und Zellers Krisentheorie zur#ckgewiesen.62 Auch die hier untersuchten reformatorischen Dramen stehen ihr klar entgegen. Sie setzen als popul$re und niedrigschwellige Medien den Trend der sp$tmittelalterlichen Reformbewegungen fort, meditative Frçmmigkeit an ein laikales Publikum zu vermitteln. Eine grunds$tzliche methodische Herausforderung besteht darin, sich angesichts der theologischen Umbr#che des 16. Jahrhunderts nicht dazu verleiten zu lassen, vorreformatorische/katholische und protestantische Frçmmigkeit in zu einfachen Gegens$tzen zu beschreiben. Dass die Aktivit$t der Meditierenden aus Sicht der Reformation nicht l$nger heilsrelevant ist, f#hrt nicht zu einer Ablehnung des Meditierens, sondern zu neuen Deutungen dieser Aktivit$t. Dass die Reformation bestimmte Affekte der vorreformatorischen Passionsbetrachtung, z. B. die compassio, verwirft, f#hrt nicht zu einer distanzierten und affektbefreiten Passionsfrçmmigkeit, sondern zu neuen Modellen der N$he zu Christus und zu neuen Modellen der Emotionalisierung.63 Dass die Empfindung von Reue nichts mehr zum Heil beitr$gt,64 macht die Betrachtung des Todes und der eigenen S#ndhaftigkeit nicht #berfl#ssig, sondern spitzt sie affektiv zu. Und etwaige Kritik an der sp$tmittelalterlichen Schaufrçmmigkeit ist nicht

S. 29). Stephanie Wodianka kn#pft an Erdei und Str$ter an, vermutet den zur vermeintlichen Wiederentdeckung der Meditationspraxis f#hrenden Krisenauslçser jedoch in der missverstandenen protestantischen Rechtfertigungslehre. Auch sie nimmt an, dass „die Meditation […] erst im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts einsetzte“ (Wodianka 2004, S. 60 f.). 62 Wie Axmacher zeigt, ist Zellers These quellentechnisch nur mangelhaft fundiert, sie bleibe „eine Art Intuition“ (Axmacher 1989, S. 307). Dar#ber hinaus verweisen Axmacher und Steiger auf eine ganze Reihe von Quellen, die eine fr#he protestantische Meditationspraxis belegen. Diese lassen sich mit dem unterstellten Krisenverlauf nicht harmonisieren und hebeln in dieser Weise das Erkl$rungsmodell aus. Axmacher weist darauf hin, dass die f#r die (berwindung der unterstellten Frçmmigkeitskrise in Anspruch genommene Rezeption altkirchlicher und mystischer Autoren in der Erbauungsliteratur bereits lange vor dem angesetzten Krisenzeitraum zu beobachten sei (vgl. Axmacher 1989, S. 308). Steiger bietet eine umfangreiche Liste lateinischer Meditationswerke seit 1540 (vgl. Steiger 2000, S. 660 – 662). Meditation erscheint so nicht l$nger als Krisenph$nomen, sondern als kontinuierlicher Bestandteil der protestantischen Frçmmigkeitspraxis – ein Ergebnis, das sich durch die Befunde der vorliegenden Untersuchung best$tigen l$sst. 63 Vgl. zu den Affekten der lutherischen Passionsbetrachtung Steiger 2005. 64 Vgl. zum reformatorischen Verst$ndnis von Reue und Buße Hamm 2010.

2. Zur rezeptions$sthetischen Bedeutung kognitiver Verben

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gleichzusetzen mit einer allgemein bild- oder sinnlichkeitsfeindlichen Theologie.65 Dementsprechend lassen sich auch die Unterschiede in der !sthetik des katholischen und protestantischen Theaters im 16. Jahrhundert nicht #ber Oppositionen wie Gef#hl vs. Verstand, Sinnlichkeit vs. Didaxe, N$he vs. Distanz einholen. Um angemessen differenzierte Beobachtungen durchf#hren zu kçnnen, w$hlt diese Arbeit daher einen Zugriff, der protestantische und katholische Dramen in eine interkonfessionelle Forschungsperspektive stellt.66 Eine solche Perspektive leugnet weder die theologischen Differenzen noch die Polemik zwischen den Konfessionen. Sie erleichtert es jedoch, vor deren Hintergrund auch Gemeinsamkeiten und (berg$nge sichtbar zu machen, die leicht unbemerkt bleiben, wenn man lediglich die erwartbaren und bereits gut erforschten Abgrenzungsbem#hungen thematisiert. Dieses Vorgehen liegt schon mit Blick auf die textgenetischen Bedingungen der hier untersuchten Dramentraditionen nahe. So machen z. B. die Jedermann-Dramen oder die Passionsspiele deutlich, dass die Produktion geistlicher Dramen im 16. Jahrhundert oftmals ein genuin interkonfessionelles Feld ist: Selbst polemische Dramen der konfessionellen Gegenpartei kommen als Quelle f#r die je eigene Produktion in Frage.67 Dies ist nur unter der Bedingung mçglich, dass auch ihre $sthetischen Modelle gewisse (berschneidungen aufweisen.

2. betrachten, bedenken, ermessen und einbilden. Zur rezeptions$sthetischen Bedeutung kognitiver Verben Die These, dass die meditative Tradition einen wichtigen Bezugspunkt f#r die !sthetik vorreformatorischer, katholischer und protestantischer Dramen des 16. Jahrhunderts bildet, bedeutet auch eine historisch-semantische Herausforderung. Bereits Louis L. Martz hat mit Blick auf fr#hneuzeitliche Definitionen darauf hingewiesen, dass sich die Meditation als kognitiver Vollzug sowohl von einem unkontrollierten Prozessieren der Gedanken und Imaginationen als auch von kontrollierten, aber nicht-re65 Vgl. zur Rolle von Bildern und zur Sinnlichkeit des Gotteswortes bei Luther Steiger 2002, S. 106 – 139, bes. S. 128 f. 66 Zur Diskussion des Interkonfessionalit$tskonzeptes vgl. den Sammelband von von Greyerz [u. a.] 2003. Interkonfessionelle Perspektiven mit Blick auf fr#hneuzeitliche Dramen finden sich bei Jahn 2015. 67 Vgl. am Beispiel der Jedermann-Dramen Schmidt 2016, S. 69 – 80.

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I. Einleitung: Das innere Theater des $ußeren Theaters

ligiçsen Vollz#gen, wie z. B. dem wissenschaftlichen Nachdenken, unterscheidet.68 Die kognitiven Verben hingegen, mit denen die meditative Tradition operiert, schließen in ihrer Semantik fast immer auch nichtmeditative Vorg$nge ein. Auf einen s$kularisiert denkenden Beobachter kçnnen Verben wie ,betrachten‘, ,bedenken‘, ,ermessen‘ oder ,einbilden‘ daher unauff$llig wirken. So bleibt es oft unterhalb der Wahrnehmungsschwelle, dass sie auf spezifische Zusammenh$nge der religiçsen (bung und ihrer Theorie verweisen – d. h. im Kontext des geistlichen Theaters auf konzeptionell relevante und in sich differenzierte Modelle f#r die Rezeption. Johanna Thali hat die historische Semantik von ,andaht‘ und ,betrachtung‘ am Beispiel sp$tmittelalterlicher geistlicher Texte, Vokabularien und Glossare beschrieben. Sie verweist auf ein Nebeneinander religiçser und nichtreligiçser Bedeutungen und stellt fest, dass die Semantik von mhd. ,betrachten‘ und ,betrachtung‘ gegen#ber den oftmals enger denotierten lateinischen Lexemen vergleichsweise offen ist.69 F#r die vorliegende Arbeit ist es vor allem relevant, dass ,betrachten‘ in seiner religiçsen Bedeutung auf einen ausdifferenzierten frçmmigkeitspragmatischen Kontext bezogen ist. Thali verbindet in diesem Sinne Beobachtungen zur „Verwendung und Semantisierung der Wçrter und zu ihrer onomasiologischen Vernetzung […] mit Fragen nach dem (intendierten) performativen Vollzug – als religiçse Praktiken haben Andacht und Betrachtung auch eine 68 Vgl. Martz 1954, S. 13 – 20. 69 „Das Substantiv ,betrachtung‘ erscheint im ,Vocabularius Ex quo‘ als Interpretament zu den lateinischen Lemmata ,Contemplacio‘ (hier auch das alternative Abstraktum ,betrachtnis‘) und ,Imaginacio‘. Weit offener ist die Bedeutung des Verbs ,betrachten‘, kann es doch f#r ,Auisare‘, ,Contemplari‘, ,Conuicere‘ (,in sim herczen betrachten‘), ,Deliberare‘, ,Dubitare‘, ,Existimare‘, ,Fantasiari‘, ,Imaginari‘ und ,Premeditari‘ stehen. Einigermaßen fest scheinen lateinisch-deutsche oder deutsch-lateinische Entsprechungen nur in bestimmten Nischen, d. h. bei theologisch festgelegten Begriffen zu sein: Ein ,beschawlich‘ oder ,schowend leben‘ etwa ist die gel$ufige Eindeutschung von ,Vita contemplativa‘. Aber bereits die volkssprachigen Interpretamente zum Substantiv ,contemplatio‘ weisen wieder eine recht große Variationsbreite auf: In Vokabularien und Glossaren finden sich neben ,(be-)schawung‘ oder ,beschauwenisse‘ u. $. auch Angaben wie ,betrachtung‘, ,ynwendig trachtinge‘, ,betrachtunge des obersten gotis‘, ,(ynnige) andacht‘ usw. […]. Umgekehrt erscheint ,betrachtunge‘ nicht nur unter den volkssprachigen Interpretamenten zu ,contemplatio‘, sondern ebenso unter jenen zu ,meditatio‘“ (Thali 2012, S. 237). Eine auch das 16. und 17. Jahrhundert ber#cksichtigende Darstellung der Begriffsgeschichte von ,Betrachtung‘ und ,betrachten‘ findet sich bei Kurz 2000, S. 226 – 231.

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pragmatische Dimension.“70 Sie weist darauf hin, dass das mittelhochdeutsche ,betrachten‘ nicht prim$r auf einen Vorgang der visuellen Wahrnehmung, sondern auf einen kognitiven Vollzug ausgerichtet ist: Die gebr$uchlichen Doppelformeln ,#berdenken und betrachten‘ und ,gedenken und betrachten‘ zeigen, dass beim mittelhochdeutschen Wort ,betrahten‘ weniger die Bedeutungskomponente der physischen visuellen Wahrnehmung, sondern die des geistigen Durchdringens dominiert. Offensichtlich ist die urspr#ngliche Bedeutung von lateinisch ,tractare‘, von dem ,trahten‘ und ,betrahten‘ abh$ngen, noch immer virulent.71

Im religiçsen Kontext impliziert ,betrachtung‘/,meditatio‘ seit dem Sp$tmittelalter zunehmend eine methodisch fundierte Technik der kognitiven (bung als (bung der Gedanken, der Imaginationen, der Gef#hle und des Ged$chtnisses.72 An Beispielen aus der Viten- und Offenbarungsliteratur zeigt Thali, dass ,betrachten‘ als imaginative Technik darauf abzielt, „sich etwas innerlich so lange und intensiv vorzustellen, bis es gegenw$rtig wird.“73 Es handele sich um „eine Imaginationstechnik, mit der die Betende die Grenzen von Raum und Zeit #berwindet.“74 Diese Technik ist auf einen angemessen Vollzugsrahmen angewiesen und strebt, wie oben bereits beschrieben, eine habituelle Verstetigung an. Thali belegt diese Komponenten am Beispiel von Seuses ,Hundert Betrachtungen‘, in denen Betrachtung damit umschrieben wird, den leidenden Christus ,alle Zeit vor Augen‘ zu haben.75 Diese Formulierung zeige, „dass die Betrachtung mehr ist als eine zeitlich begrenzte geistliche (bung: sie ist eine Lebenshaltung.“76 Die Meditationspraxis verf#gt #ber eigene Traditionen der Theoriebildung und der methodischen Diskussion, #ber einen eigenen Diskurs. Wenn das Verb ,betrachten‘ und die mit ihm onomasiologisch vernetzen kognitiven Verben wie ,bedenken‘,77 ,erwegen‘, ,ermessen‘78 oder ,einbil-

70 Thali 2012, S. 232. 71 Thali 2012, S. 245. 72 Zur Methodisierung der Meditation seit dem Sp$tmittelalter vgl. Goossens [u. a.] 1980, Sp. 914 – 919; Nicol 1992, S. 339 – 341; Butzer 2001, Sp. 1019 f. 73 Thali 2012, S. 246. 74 Thali 2012, S. 246. 75 Vgl. Thali 2012, S. 249. 76 Thali 2012, S. 250. 77 Zur Bedeutungsverwandtschaft von ,betrachten‘ und ,bedenken‘ im geistlichen Kontext vgl. die Artikel im Fr#hneuhochdeutschen Wçrterbuch: Art. ,betrachten‘; Art. ,bedenken‘.

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I. Einleitung: Das innere Theater des $ußeren Theaters

den‘79 im Kontext geistlicher Dramen auftauchen, so verspricht es einen Erkenntnisgewinn, sie systematisch auf diesen Diskurs zu beziehen und auf ihre rezeptions$sthetischen Implikationen zu befragen. !hnliches gilt f#r die lateinischen Funktions$quivalente wie ,meditari‘, ,contemplari‘, ,considerare‘, ,imaginari‘, ,ruminare‘, ,expendere‘ u. $.80 Zahlreiche Dramen des 16. Jahrhunderts, die sich auf Stoffe beziehen, die traditionelle Meditationsstoffe sind, stellen einen solchen Bezug nahezu selbstverst$ndlich her: Im ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ (1510) $ußert ein Kaufmann, er wolle die dargestellten B#hnentode „offt in meinem herczen betrachten und ermessen“ (MS, V. 1475). Das ,Churer Weltgerichtsspiel‘ (1517) spricht #ber die gçttliche Gerechtigkeit im J#ngsten Gericht, die „ein jedes mensch betrachtten“ und „vor augen haben“ soll, um dann zusammenzufassen: „Das zuo bedencken so ist dis spil erdacht“ (DdW: L1, V. 23; 25; 27). Wie Ulrich Tengler in seiner Bearbeitung eines Weltgerichtsspiels (1511) betont, dass „des jungsten gerichts einbildungen nutzlich sein“ (UT, S. 166), so w#nscht sich auch Valentin Voith, dass sich die Gl$ubigen sein ,Schçn Lieblich Spiel‘ (1538) „fest einbilden“ (LS, Aiiijr). Jaspar von Gennep l$sst den Prologsprecher seines ,Homulus‘ (1540) erkl$ren, man habe diese ,Tragedi‘ allein aus dem Grund erdacht, „Vf das man alle stunt betracht j Den tod, der do ist der s#nden lohn“ (HJG, V. 8 f.). Jakob Ruf w#nscht sich in der Vorrede zu seinem Passionsspiel (1545), dass es der Jugend helfe, „das recht betrachten vnd ermessen deß lyden Christi vnsers Herren“ (RP, S. 252) einzu#ben. In einem Levin Brechts ,Euripus‘ (1548) vorangestellten Epigramm heißt es: „Livini Euripum multatum morte gehennae, j Contemplare frequens, ne patiaris idem“ (BE, S. 2).81 78 Anders als ,betrachten‘ und ,bedenken‘ stehen ,erwegen‘ und ,ermessen‘ in den hier untersuchten Spielen und Traktaten fast nie allein, sondern sind, sofern sie im Kontext religiçser (bung verwendet werden, h$ufig in Doppelformeln wie „betrachten und ermessen“ eingebunden. 79 Johann Anselm Steiger betont die meditative Relevanz des imaginativen ,Einbildens‘ von geistlichen Gehalten im Kontext der lutherischen Meditationspraxis der Fr#hen Neuzeit: „Die meditatio von gegenst$ndlich-$ußerlichen Bildern – diesem Aspekt kommt fundamentale theologisch-medientheoretische Relevanz zu – verhindert, anders als dies der reformierten Sicht der Dinge zufolge der Fall ist, nicht die innerliche Imagination. Vielmehr stehen der Umgang mit den sichtbaren Bildern und die Einbildung der in ihnen zur Darstellung gebrachten geistlichen Inhalte im Sinne der Herzens-Imagination in einem produktiven Wechselverh$ltnis miteinander“ (Steiger 2010, S. 124). Vgl. auch Steiger 2002, S. 123 f. 80 Vgl. dazu auch Kurz 2000, S. 226; Thali 2012, S. 237. 81 Anmerkung zur Zitierweise von Quellentexten: Aufgrund des breiten Spektrums von Konventionen in der Graphie der zitierten Quellen und Editionen w$hlt diese Arbeit eine vereinfachte Wiedergabe von Sonderzeichen. Dies ist eine bewusst pragmatische Entscheidung f#r eine Konvention, die im Umgang mit den hier schwerpunktm$ßig behandelten fr#hneuhochdeutschen Texten des 16. Jahrhun-

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In dieser skizzenhafte Reihe sind Schauspiele aus allen hier untersuchten Stoffkomplexen, Zeitr$umen und konfessionellen Kontexten vertreten. Sie ließe sich beliebig erg$nzen und fortsetzen. Wenn Spiele und Dramen dazu auffordern, die vorgef#hrte Handlung alle Zeit vor Augen zu haben, sie zu betrachten, zu bedenken, zu ermessen oder sich einzubilden, so tun sie dies im Bewusstsein g$ngiger Meditationsverfahren und mit R#ckgriff auf einen Vorrat von Topoi, Formeln, Sprichwçrtern und Zitaten. Diese lenken die Rezeption und sind dementsprechend interpretationsrelevant. Zu den wichtigsten im meditativen Kontext immer wieder verwendeten Bibelstellen z$hlen in den hier untersuchten Texten Sir 7,4082 und Thr 1,12.83 Als oft verwendetes außerbiblisches Zitat l$sst sich ein apokryphes Hieronymus-Diktum anf#hren.84 Wenn Dramatiker ihr Publikum #ber solche Zitate ansprechen, so ist davon auszugehen, dass sie mit ihrer Bekanntheit und mit ihrem Appellcharakter rechnen: Sie sollen einge#bte meditative Muster und damit ein spezifisches Rezeptionsverhalten aktivieren. Eine Alterit$t meditativer Theater$sthetiken gegen#ber dem neuzeitlichen Theater besteht darin, dass sie sich aus Frçmmigkeitspraktiken heraus entwickeln, die sich mit einem Begriff Foucaults als ,Selbstpraktiken‘ beschreiben lassen.85 Die Wirkungsmodelle der theatralen Publikumsaffizierung entsprechen den Wirkungsmodellen der meditativen

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derts #blicher ist als f#r mittelalterliche Quellen. Abbreviaturen und Ligaturen werden aufgelçst, superskribiertes e wird – unabh$ngig vom Lautwert – durch zwei superskribierte Punkte wiedergegeben, superskribiertes o, u und v werden ausgeschrieben. L$ngere lateinische Zitate im Haupttext werden in den Anmerkungen mit (bersetzungen versehen; (bersetzungen ohne Nachweis stammen vom Verfasser. „In omnibus operibus tuis memorare novissima tua et in aeternum non peccabis“ (Sir 7,40). Vgl. dazu Krummacher 1986, S. 517. „O vos omnes qui transitis per viam adtendite et videte si est dolor sicut dolor meus“ (Thr 1,12). Dieses Zitat wird h$ufig als Figurenrede eingesetzt: Eine Figur, z. B. eine Seele in der Hçlle oder Christus am Kreuz, richtet sich an das Publikum und fordert zum Innehalten und Betrachten ihres Leidens auf. Vgl. in dieser Arbeit im Kontext der Todes- und Hçllenmeditation S. 108–111; 130 sowie im Kontext der Passionsmeditation S. 279 (jeweils mit Literaturhinweisen). „Siue comedam, siue bibam, siue aliquid aliud faciam, semper insonare videtur auribus meis illa terribilis tuba, Surgite mortui, venite ad iudicium“ (zit. nach Gerhardt/Palmer 2002, S. 35). „Ob ich esse, ob ich trinke, oder ob ich irgendetwas anderes tue, immer scheint mir jene schreckliche Posaune in meinen Ohren zu ertçnen: Steht auf, ihr Toten, kommt zum Gericht.“ Wie in Sir 7,40 liegt auch hier der Akzent auf einer habitualisierten Meditation #ber die Letzten Dinge. Vgl. z. B. Foucault 1989, S. 55 – 94.

Selbstaffizierung. Alterit$r ist dies, weil die Theaterrezeption vor dem Hintergrund einer außertheatralen Kultur der geistlichen (bung zu denken ist – in etwa so, als w#rde man das heutige Theater als Medium der Sportdidaxe und des Trainings nutzen. Die von Berns und in einer $hnlichen Form auch von Jan-Dirk M#ller aufgeworfene Frage, wie sich das Theater von der Meditation abgrenzen lasse, ist aus dieser Perspektive falsch gestellt.86 Das folgende Kapitel macht einen ersten Vorschlag daf#r, wie sich aus Meditationslehren des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit Elemente einer geistlichen Theater$sthetik gewinnen lassen. Es besch$ftigt sich mit Modellen der meditativen und theatralen Erregung von Affekten der Reue und der Selbsterkenntnis und es stellt die Figur des unvorbereitet sterbenden S#nders als eine zu imaginierende Figur vor, die ihren Weg aus dem meditativen Schrifttum auf die Theaterb#hne findet.

II. Tod Im Zentrum dieses Kapitels steht eine Gruppe von Schauspielen, die sich mit Johannes Bolte unter der Bezeichnung ,Spiele vom sterbenden Menschen‘ zusammenfassen l$sst:87 Das ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ (1510), 86 „Was aber haben christliches Kirchentheater und christliches Seelentheater gemein, und was unterscheidet sie? Gemein haben sie Themen und Sujets, n$mlich solche der biblischen Geschichte und Heiligengeschichten. Sie unterscheiden sich aber zum einen dadurch, daß nur im inneren Theater, im Seelentheater, das eigene Ich zum Rollenspieler werden kann und muß. Und sie unterscheiden sich zum andern dadurch, daß das Kirchentheater nur hier und jetzt, im realen Wahrnehmungsakt, rezipiert werden kann, w$hrend die Seelentheaterszenen, sind sie erst einmal durch Exercitium implementiert, ubiquit$r und beliebig oft abgerufen werden kçnnen. Beide Vorteile zeitigen eine Individuation des frommen Subjekts, in der sich Selbstdisziplinierung und Selbstheiligung verquicken“ (Berns 2004, S. 38). Wenn das Theater nun aber dazu auffordert, die vorgef#hrten Szenen durch Exercitium zu implementieren, um sie beliebig oft abrufen zu kçnnen, so tr$gt diese Unterscheidung nicht l$nger. Meditationstraktate sind dem Theater in diesem Punkt nicht #berlegen: Auch sie kçnnen nur hier und jetzt, also im realen Wahrnehmungsakt, rezipiert werden. Und auch sie kçnnen nur dazu auffordern, die vorgeschriebenen Szenarien zu implementieren und einzu#ben – das Seelentheater selbst bleibt in beiden F$llen unbeobachtbar. !ußeres und inneres Theater unterscheiden sich nicht als zwei unterschiedliche Gattungen, sondern als Medium und Vollzug voneinander. Zu M#llers Ansatz, der das Verh$ltnis von Passionsspiel und Passionsbetrachtung im Sp$tmittelalter betrifft, vgl. diese Arbeit, S. 249 – 251. 87 Vgl. Bolte 1927.

1. Affektmodelle und Stoffgef#ge der christlichen Bußmeditation

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das ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘ (1532) von Johannes Kolroß, Levin Brechts ,Euripus‘ (1548) sowie die Jedermann-Dramen, die sich textgeschichtlich auf den sp$tmittelalterlichen niederl$ndischen ,Elckerlijc‘ (um 1490) zur#ckf#hren lassen. Zur Jedermann-Tradition z$hle ich alle Dramen mit dem Titel ,Homulus‘ und ,Hecastus‘ sowie Johannes Strickers niederdeutsches Drama ,De d#desche Schlçmer‘ (1584).88 Insbesondere die fr#hen Spiele vom sterbenden Menschen, das ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ und das ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘, zeigen deutlich, dass sie sich nicht nur thematisch mit der Meditationspraxis #berschneiden, sondern als Hilfsmedien der Betrachtung konzeptuell auf sie bezogen sind: Sie aktivieren Modelle der affektiven Wirkung, der Imagination und der Selbsterkenntnis, die in der meditativen Tradition verankert sind. Damit geben sie zugleich ein Interpretationsmodell f#r die mit ihnen verwandten Jedermann-Dramen vor. Um diese Bez#ge aufzuarbeiten, zeichnet ein erster Schritt nach, wie die patristische Bußtheologie einen Bestand von Meditationsstoffen gepr$gt sowie Affekt- und Erkenntnismodelle entwickelt hat, die im Mittelalter systematisiert und in der Reformationszeit neuen theologischen Grundannahmen angepasst wurden. Ein zweiter Schritt zeigt exemplarisch, dass sp$tmittelalterliche Meditationstechniken oftmals auf dialogischen Textstrukturen beruhen und damit eine Affinit$t zum Medium des Theaters aufweisen. Mit Blick auf die Spiele vom sterbenden Menschen sind hier Anleitungen zur meditatio mortis und insbesondere die zu imaginierende Figur des sterbenden S#nders von Interesse. Ein dritter Schritt widmet sich denjenigen Dramen, die eben diese Figur in den Mittelpunkt ihrer B#hnenhandlung stellen.

1. Furcht und Liebe. Affektmodelle und Stoffgef#ge der christlichen Bußmeditation Gregor der Große († 604) entwickelt im Rahmen seiner Bußtheologie eine Affektlehre, deren Vorzug darin besteht, dass sie sich, auch wenn sie im Detail nuancenreich ist, auf ein bin$res Inventar vereinfachen l$sst. Reue geht demnach aus zwei rudiment$ren Affekten hervor; sie entsteht als

88 Zur stoffgeschichtlichen Grundlage der Jedermann-Dramen vgl. diese Arbeit, Anm. 276.

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II. Tod

compunctio timoris oder als compunctio amoris aus Furcht oder aus Liebe.89 Gregor verbindet die Erregung dieser Bußaffekte in der Seele mit spezifischen Gegenst$nden der Betrachtung, um einen zweistufigen Prozess in Gang zu setzen: Zuerst erforscht die Seele ihre eigene S#ndhaftigkeit. Eingedenk des zu erwartenden gçttlichen Strafgerichts nach ihrem Tod wird sie dabei von Furcht (timor) ergriffen und durch diesen Affekt von ihrer Neigung zur S#nde gereinigt.90 Hat sich die Seele in dieser Weise purgiert, so l$sst sie sich von der Liebe (amor) zu den himmlischen G#tern entflammen. Die compunctio amoris besteht dann darin, dass sie, trotz ihres Verlangens, noch nicht an diesen partizipieren kann.91 In seinen ,Moralia in Iob‘ verkn#pft Gregor diese doppelte Erregung von Reue systematisch mit dem Meditieren von vier Seelenzust$nden, die er in einem vierteiligen topischen Schema zusammenfasst: Quattuor quippe sunt qualitates quibus iusti uiri anima in compunctione uehementer afficitur, cum aut malorum suorum reminiscitur, considerans ubi fuit; aut iudiciorum Dei sententiam metuens et secum quaerens, cogitat ubi erit; aut cum mala uitae praesentis sollerter attendens, maerens considerat ubi est, aut cum bona supernae patriae contemplatur, quae quia necdum adipiscitur, lugens conspicit ubi non est.92

Gregor koppelt die Erregung von compunctio also an ein Gef#ge spezifischer Gedanken und Imaginationen: an die eigenen S#nden, das postmortale gçttliche Gericht, das Elend der Welt, die G#ter des Himmels. Damit ist ein Modell vorgezeichnet, das seinen Niederschlag bei zahlreichen Theoretikern der Meditation im Mittelalter findet.93 89 Vgl. bereits Leclercq 1963, S. 39 f. Gr#ndlich und textnah aufgearbeitet ist Gregors Bußtheologie bei Schwarz 1968, S. 59 – 82. Zu Gregors Affektmodell als Grundlage der Bußmeditation vgl. ebd., S. 302; Nicol 1984, S. 102; Nicol 1992, S. 339 f. 90 Indem der Mensch sich selbst der S#nde #berf#hrt und straft, vermag er dabei das gçttliche Gericht vorwegzunehmen (vgl. Schwarz 1968, S. 63 f.). 91 Vgl. Schwarz 1968, S. 79. 92 Gregor der Große 1985, S. 1175. „Es gibt n$mlich vier Zust$nde, durch welche die Seele eines gerechten Mannes stark von Reue ergriffen wird: wenn sie sich entweder ihrer eigenen S#nden erinnert und daran denkt, wo sie war; oder wenn sie, sich vor dem Urteil des gçttlichen Gerichts f#rchtend und sich selbst pr#fend, daran denkt, wo sie sein wird; oder wenn sie, ihre Aufmerksamkeit auf das Elend des gegenw$rtigen Lebens richtend, mit Trauer bedenkt, wo sie ist; oder wenn sie die G#ter der jenseitigen himmlischen Heimat betrachtet und, weil sie diese noch nicht erreicht, mit Jammer sieht, wo sie nicht ist.“ Zum Kontext auch Schwarz 1968, S. 75 f. 93 Vgl. Schwarz 1968, S. 78 – 82.

1. Affektmodelle und Stoffgef#ge der christlichen Bußmeditation

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In Teilen der Forschung hat sich f#r die Meditationslehren, um die es nun gehen soll, der Begriff der Bußmeditation durchgesetzt94 – ein Begriff, der in doppelter Hinsicht erkl$rungsbed#rftig ist. Zum einen enth$lt er eine Tautologie, denn vermutlich k$me kaum ein christlicher Meditationstheoretiker auf den Gedanken, Meditation von Reue und Buße abzulçsen. Bußtheologie und Meditation sind oft so eng miteinander verzahnt, dass es wenig sinnvoll erscheint, eine Praxis der ,Bußmeditation‘ besonders hervorzuheben. Zum anderen suggeriert der Begriff, dass Bußmeditationen sich z. B. von S#nden-, Todes- oder Passionsmeditationen abgrenzen ließen, dass es also um einen spezifischen Meditationsstoff gehe. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Buße ist vielmehr ein #bergeordnetes Ziel, das durch das Meditieren unterschiedlicher Stoffe und deren affektive Wirkung erreicht werden soll. So erfasst der Begriff eine ganze Reihe heterogener Ph$nomene und Traditionslinien, von partikularen Einzelmeditationen bis hin zu umfangreichen Meditationstraktaten. Trotz seiner Offenheit ermçglicht er es jedoch, Meditationslehren dort zu greifen, wo sie sich selbst im Horizont von Konzepten der Reue (attritio, contritio, compunctio) und Buße (poenitentia) beschreiben und ihre strukturelle Abh$ngigkeit von diesen Konzepten erkennbar zu machen. Er richtet sich nicht isolierend auf S#nden-, Todes- oder Passionsmeditation, sondern lenkt den Blick darauf, wie ganze Gef#ge von Meditationsstoffen in den Rahmen eines #bergreifenden, auf Buße abzielenden Wirkungsmodells integriert werden.95 Eine gel$ufige und immer wieder durchgespielte Stoffdisposition bieten etwa die Vier Letzten Dinge (Tod, Gericht, Himmel und Hçlle).96 Es sind jedoch auch andere, teils deutlich umfangreichere Schemata #blich. Einige von ihnen werden im Folgenden skizzenhaft vorgestellt.

94 Pr$gend f#r die Diskussion in diesem Bereich sind Schwarz 1968; Nicol 1984; Nicol 1992. An sie kn#pfen (implizit oder explizit) zahlreiche j#ngere Beitr$ge an, die den Terminus verwenden (vgl. etwa Erdei 1987, S. 84 f.; Butzer 2001, Sp. 1016 f.; Hascher-Burger 2007, S. 96 – 98; Dietz 2009, S. 110 f.; Baier 2009, S. 49). 95 Dass jedoch auch Meditationen, die nicht in umfassendere Stoffgef#ge integriert sind, auf Buße abzielen, l$sst sich am Beispiel der Todesbetrachtung anschaulich machen. Diese ist zwar obligatorischer Bestandteil von Schemata, die unter dem Begriff der Bußmeditation beschrieben werden (vgl. Nicol 1992, S. 339 f.), weist aber auch als ,Einzelmeditation‘ einen eminenten Bußbezug auf (vgl. Wodianka 2004; diese Arbeit, Kap. II.3). 96 Vgl. dazu etwa den materialreichen Aufsatz von Krummacher 1986.

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II. Tod

Bei Gregor lassen sich Furcht- und Liebesreue im Spannungsverh$ltnis von Mensch und Gott, Diesseits und Jenseits, Gegenwart und Zukunft verorten. !hnliche Spannungsverh$ltnisse finden sich auch bei Meditationstheoretikern des Mittelalters: Einer gel$ufigen Vorstellung zufolge muss die Meditation einen doppelten Erkenntnisprozess auslçsen, in dem sich die Meditierenden #ber das Gef$lle zwischen sich selbst und Gott bewusst werden: Erst aus der Selbsterkenntnis als Erkenntnis der eigenen S#ndhaftigkeit und der damit verbundenen Reue kann die Gotteserkenntnis als Erkenntnis seiner Barmherzigkeit und G#te folgen: „per cognitionem mei valeam pervenire ad cognitionem Dei“,97 heißt es pr$gnant in den pseudobernhardischen ,Meditationes piissimae de cognitione humanae conditionis‘. In diesem Sinne verkn#pft auch Hugo von St. Viktor († 1141) in seinem einflussreichen gebetstheoretischen Traktat ,De modo orandi‘ die Erregung der Reue mit der Betrachtung des menschlichen Elends (miseria) auf der einen und der Betrachtung der gçttlichen Barmherzigkeit (misericordia) auf der anderen Seite.98 Eine der bekanntesten Meditationslehren des Sp$tmittelalters, die Gregors doppeltes compunctio-Konzept mit explizitem Rekurs auf sein bereits zitiertes vierteiliges Schema aufgreift, findet sich bei Gerhard Zerbolt von Zutphen († 1398), einem fr#hen Akteur der Devotio moderna.99 Zerbolts Traktate ,De reformatione virium animae‘ und ,De 97 Meditationes 1854, Sp. 485a. „Durch die Selbsterkenntnis soll ich im Stande sein, zur Gotteserkenntnis fortzuschreiten.“ Ein Passus, den auch Bonaventura in der Pr$ambel zu seinem ,Soliloquium‘ zitiert (vgl. Bonaventura 1898, S. 29 f.). Zum Motiv der Selbsterkenntnis in der christlichen Tradition vgl. Breitenstein 2012, S. 278 – 286; Scheel 2014, S. 209 – 241. 98 Vgl. dazu und zur Rezeption des Textes im 15. Jahrhundert Scheel 2014, S. 150 – 155. Das erste Kapitel steht unter der programmatischen (berschrift: „Quod ex propriae miseriae et divinae misericordiae consideratione ad orandum Deum incitari debemus“ (Hugo von St. Viktor 1854, Sp. 977b). Zum Zusammenhang von Selbsterkenntnis und Reue: „Meditatio namque assidua scientiam parit, scientia vero parta ignorantiam pellit, et compunctionem parit, compunctio autem parta desidiam fugat, et devotionem parit, devotio vero orationem perficit. Scientia est, quando homo ad agnitionem sui illuminatur. Compunctio est, quando ex consideratione malorum suorum cor interno dolore tangitur. Devotio est pius et humilis affectus in Deum, qui ex compunctione generatur“ (ebd., Sp. 978d-979a). Zum Modellcharakter von ,De modo orandi‘ vgl. ferner Nicol 1984, S. 30 f.; Nicol 1992, S. 339; Baier 2009, S. 49. Zur Vorstellung von der miseria hominis und ihren Hintergr#nden vgl. auch Kiening 1994, S. 410 f. 99 Zu Person, Werk und Quellen vgl. zusammenfassend van Dijk 2004, S. 287 – 290. Zum Ankn#pfen der Devotio moderna und Zerbolts an Gregors compunctioKonzept vgl. Goossens 1952, S. 132 – 141, bes. S. 138; Schwarz 1968, S. 138.

1. Affektmodelle und Stoffgef#ge der christlichen Bußmeditation

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spiritualibus ascensionibus‘ gelten als „f#r das 15. Jahrhundert maßgebliche ,Handb#cher f#r das devote Leben‘“.100 Sie erfuhren handschriftlich und im Druck auch noch im 16. Jahrhundert eine breite Rezeption.101 In beiden Schriften organisiert Zerbolt die Meditationsstoffe in Reihen, die zum einen auf die Erregung von Furcht- und zum anderen auf die Erregung von Liebesreue abzielen. So folgen in ,De reformatione‘ auf S#nde, Tod, Gericht und Hçllenstrafen die Freuden des Himmels und die Wohltaten Gottes (darunter Inkarnation, Vita und Passion Christi).102 Wie bei Gregor zielt die Erregung der Furchtreue auch bei Zerbolt auf einen Reinigungsprozess, der die Voraussetzung f#r die hçhere Form der Liebesreue schafft.103 Schwarz betont, dass, bei aller Heterogenit$t in der Durchf#hrung einzelner Meditationen, dem bin$ren Affektinventar Gregors dabei eine integrative Leistung zuzuschreiben ist. Diene Zerbolts Schema auch, „f#r sich genommen, zur Erweckung der verschiedensten Regungen des Menschen, so wird es doch mit der Idee verbunden, daß der Mensch haupts$chlich durch Furcht ersch#ttert und von Liebe entflammt werden soll.“104 Wie Ulrike Hascher-Burger zusammenfasst, wurden meditative Stoffgef#ge nach dem Muster Zerbolts in Gemeinschaften der Devotio moderna h$ufig aufgenommen, bearbeitet, in Zyklen angeordnet und einer individuellen Praxis zugef#hrt: Meditationsschemata verschiedener Art sind aus Kreisen der Devotio moderna im f#nfzehnten Jahrhundert in großer Zahl #berliefert. Oft sind sie in die Statuten aufgenommen, ein Hinweis auf die Bem#hung der Modernen Devoten, den Tagesablauf auch auf institutioneller Ebene bis ins Detail zu strukturieren. Die Schrift ,De spiritualibus ascensionibus‘ hatte als Meditationsanleitung auch in Statuten eine zentrale Bedeutung. Wochenmeditatio100 van Dijk 2004, S. 289. 101 Vgl. Gerrits 1986, S. 27 – 37; erg$nzend van Dijk 2004, S. 291 – 293. 102 Vgl. Schwarz 1968, S. 138 f. Zur $hnlichen Abfolge in ,De spiritualibus ascensionibus‘ vgl. ebd., S. 139. Eine schematische (bersicht #ber die Themenkreise dieses Traktats bietet Hascher-Burger 2007, S. 86. 103 So heißt es im 23. Kapitel von ,De spiritualibus ascensionibus‘: „Superius, cum per timorem tremefactus, cepisti coactus ascendere, medicinam quandam tibi dedimus malorum humorum quibus ab ascensu impediebaris purgativam. Sed, quia adhuc infirmitas tibi ex huiusmodi humoribus remansit et infectio gustus ut minus possis ascendere, quia minus spiritualia sapis, ideo ad sanitatem tuam recipe aliam medicinam de spe venie generatam, videlicet compunctionem ex amore“ (SA, S. 180). 104 Schwarz 1968, S. 139. Eine umfassende und detaillierte Aufarbeitung der Emotionalisierungskonzepte in ,De spiritualibus ascensionibus‘ findet sich bei Scheel 2014, S. 157 – 168.

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II. Tod

nen #ber ,De spiritualibus ascensionibus‘ wie auch #ber andere Texte in lateinischen wie in volkssprachlichen Quellen sind im sp$ten Mittelalter keine Seltenheit. Randnotizen zu Kapiteln in fortlaufender Z$hlung boten die Mçglichkeit, Zerbolts Text f#r die persçnliche Meditation fruchtbar zu machen.105

Festzuhalten ist, dass die Traktate selbst lediglich den Ausgangspunkt vielf$ltiger Vollzugsformen bilden. Die von Zerbolt und anderen vorgeschlagenen Stoffe und Verfahren lassen sich unterschiedlich organisieren, wobei etwa die „Reihenfolge der Meditationen innerhalb eines Bußzyklus […] erheblich variieren“106 kann. Zerbolts Entw#rfe stehen exemplarisch f#r heterogene und vielschichtige, jedoch methodisch geleitete Formen der Meditation, die mit einem Affektmodell operieren, das durch Gregor den Großen vorgezeichnet wurde. Im Mittelalter bleibt die Vorstellung dominierend, dass in den Affekten der Reue ein Schl#ssel zur S#ndenvergebung liegt.107 Die reformatorische Theologie mutet dies den menschlichen Affekten nicht l$nger zu.

2. Erschrecken und Glauben. Zum Umbau der mittelalterlichen Affektmodelle in der Reformationszeit Im ,Sermo de poenitentia‘ (1518) bezieht Luther Stellung zur Rolle der an der Bußmeditation beteiligten Affekte. Im Anschluss an seinen Lehrer und Beichtvater Johann von Staupitz weist er die Bedeutung der Furcht vor den Strafen (timor poenae) f#r die Erlangung der Reue zur#ck und argumentiert mit Rekurs auf Rçm 5,20, dass eine Zerknirschung, die nicht freiwillig, sondern nur aus Zwang und Furcht vor der Strafe einsetze, die S#nde nur noch m$chtiger werden lasse.108 Diese Argumentation f#hrt Luther mit 105 106 107 108

Hascher-Burger 2007, S. 96 f. Hascher-Burger 2007, S. 97. Vgl. auch Spanily 2010, S. 238 f. Vgl. Luther 2006, S. 36 f. Hier bezieht sich Luther im engeren Sinne auf die attritio (vgl. ebd., S. 36). Zum attritio-Konzept im Anschluss an Johannes Duns Scotus vgl. Hamm 2010, S. 11 – 13; zum Verh$ltnis von Luthers Bußtheologie zu Staupitz und der sp$tmittelalterlichen Kritik an der attritio vgl. ebd., S. 15 – 23. Von der Furcht, die #ber die attritio hinaus nicht aufzusteigen vermag und auf die sakramentale Absolution des Priesters angewiesen ist (vgl. ebd., S. 13), ist die oben genannte, reinigende compunctio timoris als Voraussetzung einer compunctio amoris funktional unterschieden. Luthers Kritik setzt im ,Sermo de poenitentia‘ vor allem bei der attritio an, auch wenn eine compunctio timoris ebenso von ihr betroffen w$re.

2. Zum Umbau der mittelalterlichen Affektmodelle in der Reformationszeit

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zwei Mçglichkeiten zusammen, #ber die Meditation der Gerechtigkeit statt #ber die Meditation der S#nden und Strafen zur Reue zu gelangen: Zum einen „per intuitum et contemplationem speciosissimae iusticiae: qua quis in pulchritudine et specie iusticiae meditatus/ in eam ardescit, et rapitur“.109 Zum anderen „[c]oncretive sive per aliud. hoc est (exempli gratia) ut intuearis homines/ qui tali virtute lucent: quorum omnium speculum primum est Christus/ deinde sancti in caelo“.110 Da die auf diese Weise affizierte Reue auf der Liebe zur Gerechtigkeit beruhe, zeichne sie allein den wahren B#ßer aus.111 Entscheidend ist jedoch – und darin geht Luther auch #ber Staupitz und andere Kritiker der attritio hinaus –, dass selbst die aufrichtigste Liebesreue niemals gen#gt, um den Menschen von der S#nde zu entlasten. Dies leistet allein der Glaube daran, durch Christus freigesprochen worden zu sein.112 „Der Glaube“, so fasst Berndt Hamm zusammen, bleibt zwar mit der Reue verbunden – es gibt keinen Glauben an Christus ohne den Schmerz der Buße –, aber der Glaube selbst verliert nun den Schmerzcharakter und gewinnt f#r Luther den Charakter des getrosten, freudigen Vertrauens, das sich an das Verheißungswort des Evangeliums klammert, an jene biblische Verheißung, die mir persçnlich verspricht: Dir sind deine S#nden vergeben. Luther ersetzt also die mittelalterliche Verkn#pfung von Liebesreue und S#ndenvergebung durch die Verbindung des Glaubens mit dem Vergebungswort.113

Man hat ausgehend vom ,Sermo de poenitentia‘ angenommen, dass Luther, weil er den timor poenae als Quelle der Reue ablehnt, auch die traditionellen Meditationsstoffe von S#nde, Tod, Gericht und Hçlle verwerfe. An ihre Stelle trete die Christusmeditation, wie Luther sie kurze Zeit sp$ter im ,Sermon von der Betrachtung des heyligen leydens Christi‘ (1519) 109 Luther 2006, S. 36. „[…] durch Anschauen und Betrachten der Gerechtigkeit in ihrer reinsten Form, indem einer bei der Betrachtung der Schçnheit und Herrlichkeit der Gerechtigkeit zu ihr entflammt und hingerissen wird“ (ebd., S. 37). 110 Luther 2006, S. 38. „[…] in konkreter Weise oder an anderem; das heißt zum Beispiel, dass du Menschen anschaust, die in solcher Tugend leuchten, unter denen allen Christus das Urbild [wçrtlich: der erste Spiegel, C. S.] ist, und nach ihm die Heiligen im Himmel“ (ebd., S. 39). 111 Vgl. Luther 2006, S. 36. 112 „Secundum vide ne ullo modo te confidas absolvi propter tuam contritionem. Sic enim super te et tua opera confides id est pessime praesumes: sed propter verbum Christi“ (Luther 2006, S. 48); „Cum sola fides iustificet, et accedentem ad deum oporteat credere“ (ebd., S. 50). 113 Hamm 2010, S. 21.

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II. Tod

entwickle.114 Gerade dieser Sermon insistiert jedoch zun$chst auf der Notwendigkeit der S#ndenbetrachtung – und er radikalisiert die Polarit$t der mittelalterlichen Modelle, indem er darauf besteht, dass es die je eigenen S#nden sind, die Christus kreuzigen: Zcum funfften / das du dir tieff eyn bildest / vnd gar nicht zweyffelst / du seyest der / der Christum alszo marteret dan deyn sund habens gewiszlich than […]. Drumb / wan du die negel Christi sihst / durch seyn hend dringen / glaub sicher das deynn werck / seynd / sichstu seyn dçrenn kron / glaub / es seyn deyn bçsz gedankcken etc.115

Die Betrachtung der eigenen S#nden wird durchaus nicht verworfen; die S#nden sollen vielmehr ,unzweifelhaft‘ als die Marterwerkzeuge Christi erkannt werden. Diese Erkenntnis ist jedoch in ein neues Affektmodell eingebettet. Zwar sieht der Sermon von 1519 den Nutzen der mit der Passionsbetrachtung verkn#pften S#ndenbetrachtung zun$chst auch darin, „das der mensch zu seyns selb erkentnisz kumme / vnd fuor yhm selbs erschrecke vnd zurschlagenn werde“.116 Dieses Erschrecken und Zerschlagenwerden vor sich selbst aber soll nicht zur Furchtreue f#hren, sondern zum entscheidenden von Gott bewirkten Glaubensakt, der den Menschen von der S#nde vollst$ndig entlastet und rechtfertigt.117 Das Erschrecken ist nurmehr ein Initialzustand, dessen alleiniger Zweck in der Selbsterkenntnis als Erkenntnis des r#ckhaltlosen Angewiesenseins auf

114 So heißt es bei Schwarz 1968, S. 303: „Die Christus-Meditation r#ckt beherrschend in den Mittelpunkt der Bußmeditation und steht im ausschließenden Gegensatz zur furchterregenden Meditation von S#nde, Tod, Gericht und Hçlle, w$hrend im Mittelalter diese beiden Meditationsformen verbunden wurden“. !hnlich $ußert sich Nicol 1984, S. 105. Vgl. auch Erdei 1987, S. 85: „Mit der Kritik des timor poenae verwirft Luther auch die g$ngige Form der Bußmeditation (Meditation von S#nde, Tod, Gericht und Hçlle). Allein die Christus-Meditation bringt die Hoffnung und den Glauben, ,wandelt den Menschen wesentlich‘, wie er in seinem ,Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi‘ sagt.“ So auch Wodianka 2004, S. 28: „Der Glaube allein, nicht Buße, Selbst- und S#ndenerkenntnis […] versprechen die Zuwendung des gçttlichen Heiles“, weiterhin sei zu bemerken, „dass die mittelalterliche S#nden-, Tod- und Hçllenmeditation im Sinne der Verwerfung der Furchtreue zugunsten einer st$rkeren Betonung der Passionsmeditation an Bedeutung verlor“; vgl. im Anschluss an Erdei $hnlich auch Fromholzer 2013, S. 51. 115 Luther 2012, S. 32. 116 Luther 2012, S. 34. 117 Vgl. dazu und zur Rezeption dieser Theologie in der Fr#hen Neuzeit Steiger 2005, S. 181 – 184; 199 – 201.

2. Zum Umbau der mittelalterlichen Affektmodelle in der Reformationszeit

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Christus liegt und sein Ziel nicht l$nger in der Erregung von Reue angesichts der ewigen Strafen sucht: Dan wirffestu deyn sunde / von dir auff Christum / wan du festiglich gleubst / das seyne wunden vnd leyden / seyn deyn sunde / das er sie trage vnd bezale […]. Aber wen wir sehn / das sie auff Christo ligen / vnd er sie vberwindet durch seyne aufferstund / vnd wir das kecklich gleuben / szo seynd sie todt vnd zu nichte wurden.118

Sofern man noch nicht zu glauben vermçge, solle man nicht l$nger das Leiden Christi bedenken, „dan das hatt nu seyn werck gethan vnd dich erschreckt“,119 sondern sich der Liebe Gottes zuwenden. Die Erkenntnis des gçttlichen Liebeserweises erregt auch im Menschen die Liebe zu Gott, st$rkt die Hoffnung und den Glauben und zieht ihn von den S#nden ab, sodass er Christus auch im eigenen Leben nachfolgen kann: „Wan alszo deyn hertz in Christo bestetiget ist / vnnd nu den sunden feynd worden bist ausz liebe / nit ausz furcht der peyn / szo soll hynfurter das leyden Christi auch eyn exempel seyn deynes gantzen lebens“.120 Diese Bewegung, die das zun$chst evozierte Erschrecken nicht im Sinne einer unvollkommenen attritio oder einer purgierenden und auf die Liebesreue vorbereitenden compunctio timoris fruchtbar macht, sondern in Liebe zu Gott und Glauben umschlagen l$sst, bestimmt auch Luthers Ans$tze zur Betrachtung von S#nde, Tod und Hçlle im zeitnah entstandenen ,Sermon von der Bereitung zum Sterben‘ (1519). Luther zieht dabei eine Grenze zwischen den im Leben und Sterben angemessenen Modi der Todes-, S#nden- und Hçllenmeditation und differenziert in dieser Weise zwischen der Meditation als Praxis des Lebens und als Praxis des Sterbens: Dan die sund betrachten / hatt da [im Sterben, C. S.] kein fug noch zeit / das soll man yn der zeit des lebens thun. Alszo vorkeret vnsz der bosze geyst alle ding / am leben / da wir sollten des todts / der sund der helle bild stetig voraugen haben. Als Ps. 50. stet / Meyn sund seyn mir alzeit vor augen / szo thut er vnsz die augen zu vnd vorbirget dieselben bild. Am todt da wir sollten / nur das leben / gnad / vnd selickeit voraugen haben / thut er vnsz dan aller erst die augen auff / vnd engstet vnsz mit den vnzeitigen bilden / daz wir der rechten bilde nit sehen sollen.121

118 Luther 2012, S. 38. 119 Luther 2012, S. 38. 120 Luther 2012, S. 40. Zum Verh$ltnis von Glaube und Liebe bei Luther vgl. Hamm 2010b, S. 266 – 268. 121 Luther 2012a, S. 52.

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Die Verkehrung des Teufels besteht darin, die im Leben durchaus gebotenen Betrachtungsgegenst$nde, die inneren Bilder von Tod, S#nde und Hçlle, erst im Sterben vor Augen zu f#hren.122 Um der Gefahr dieser be$ngstigenden, zu einem unwilligen Sterben f#hrenden Bilder zu entgehen, m#sse der Mensch „den tod / yn dem leben / die sund / yn der gnadenn / die hell / ym hymell ansehen“.123 Wie im ,Sermon von der Betrachtung des heyligen leydens Christi‘ steht dabei das rechtfertigende Glaubensgeschehen im Zentrum. Tod, S#nde und Hçlle sollen nicht im eigenen Inneren betrachtet werden, sondern außerhalb, in Christus, der sie #berwindet: szo du anders gleubst / das er dyr daz thut / vnd deynen todt yn yhm / nit yn dyr ansihest / alszo nympt er auch deyn sund auff sich / vnd yn seyner gerechickeit [sic] / ausz lauter gnaden / dir vbir windt / szo du das glaubist / szo thun si dyr nymmer schaden.124

Berndt Hamm hat diese f#r Luthers Glaubensbegriff zentrale Bewegung als „Verkn#pfung von anthropologischer Innen- und christologischer Außendimension“125 beschrieben. Hat die Betrachtung von S#nde, Tod und Hçlle im Leben ,ihre Zeit‘, so heißt dies also nicht, dass es hier verzichtbar w$re, sie schließlich im Glauben ganz auf Christus abzuladen. Diese Externalisierung macht die Schreckensbilder vielmehr erst in dem Kontext sichtbar, der f#r sie eigentlich gilt, n$mlich im Kontext ihrer (berwindung durch Christus.126 Erst in der radikalen ,Ver$ußerung‘ seiner miseria kann der Mensch gerechtfertigt werden – und nur in diesem Geschehen kann demnach das Ziel eines stetigen Betrachtens von Tod, S#nde und Hçlle in der Lebenszeit zu suchen sein.127 Der im Leben zu vollziehende Medita122 Hamm betont in diesem Kontext die Rolle der „meditativ ,betrachtenden‘ Einbildungskraft“ (Hamm 2010a, S. 141 f.). 123 Luther 2012a, S. 54. 124 Luther 2012a, S. 56. 125 Hamm 2010a, S. 148. „Gerade weil dieser Glaube ganz von außen her kommt, kann er den Ge$ngstigten in seinem Innersten treffen und verwandeln“ (ebd., S. 149). 126 So formuliert Johann Anselm Steiger: „Die Externalisierung der Schreckensbilder, die den s#ndigen Menschen gepr$gt haben, bevor er sie im Glauben auf Christus #bertragen hat, ist die Voraussetzung daf#r, daß nun erst – in Christus – #berhaupt wahrhaft erkannt werden kann, was es mit S#nde, Tod und Teufel auf sich hat. Denn erst in Christus werden die drei verderblichen Bilder als #berwundene recht sichtbar, indem sie von den Heilsbildern – um im Bild zu bleiben – gewissermaßen neue Bilderr$hmen erhalten“ (Steiger 2002, S. 134). 127 Hamm gelangt ausgehend vom lutherischen Rechtfertigungsgedanken zu dem Ergebnis, dass es widersinnig sei, noch von einer reformatorischen ,Ars moriendi‘

2. Zum Umbau der mittelalterlichen Affektmodelle in der Reformationszeit

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tionsschritt, der die eigene S#ndhaftigkeit und den Ernst des gçttlichen Zorns #berhaupt erkennbar macht und den Menschen #ber sich selbst erschrecken l$sst, ger$t jedoch durch seine gesteigerte Anfechtbarkeit im Sterben zu einer unkalkulierbaren Gefahr: sich von Schrecken und Zerschlagenheit wieder zu lçsen, setzt eine Zeitreserve voraus, #ber die der Sterbende nicht l$nger verf#gt.128 Dass Luther S#nde, Tod und Hçlle als Gegenst$nde der Bußmeditation nicht ausschließt, wohl aber die an ihrem Vollzug beteiligten Affekte in ihren Wirkungen neu bewertet, l$sst sich auch an die Lehre von Gesetz und Evangelium anbinden. Wie Washof zusammenfasst, dient der geistliche Gebrauch des Gesetzes (usus elenchticus oder paedagogicus) nichts anderem als der (berf#hrung des Menschen als S#nder und seiner Erziehung zur Buße – mit der entscheidenden Wendung, dass mit den Wirkungen des Gesetzes im Menschen, wie etwa der Reue, kein Heilsgewinn und keine Rechtfertigung vor Gott mehr verbunden sind: Nur durch seine [des Gesetzes, C. S.] Verk#ndigung und Anklage erkennt der ohne sie ahnungslose Mensch seine S#nde und erf$hrt von Gottes Zorn, dem Ernst des ihm drohenden Todes, der Hçlle. Auf diese Weise vermag das Gesetz den nat#rlichen Menschen in die Buße zu f#hren, es kann ihn jedoch nicht vor Gott rechtfertigen.129

Nach dieser Skizze sollen nun konkrete Meditationstechniken in den Blick genommen werden. So l$sst sich ein Hintergrund gewinnen, vor dem sich die Frage nach der !sthetik jener Dramen des 16. Jahrhunderts neu formulieren l$sst, die sich dem sterbenden Menschen widmen. zu sprechen. Das neue „Rechtfertigungsverst$ndnis wendet sich gegen jedes Kooperations-, Satisfaktions- und Verdienstdenken und damit auch prinzipiell gegen jene Ars-Konzeption kunstfertiger Tugendformung des inneren Menschen, die in der Sterbestunde ihr hçchstes Gelingen erreichen soll“ (Hamm 2010a, S. 135). Mit Luthers Sermon, so spitzt Hamm sp$ter zu, beginne „jener entscheidende Bruch mit dem sp$tmittelalterlichen cooperatio- und Tugendmodell der Ars moriendi, der einen neuen, reformatorischen Typ von Sterbeanleitung begr#ndet: eine ,Antikunst‘ des seligen Sterbens“ (ebd., S. 161). 128 Hierin folgt Luther der sp$tmittelalterlichen Ars moriendi-Tradition (vgl. dazu auch Reinis 2007, S. 56). Die Rede vom ,Meditationsschritt‘ soll dabei keinen Schematismus suggerieren, vielmehr ist mit Hamm zu betonen, „dass die schmerzliche, dem#tige und reuevolle Wahrnehmung der eigenen s#ndigen Nichtigkeit und absoluten Unf$higkeit, Gottes Heil zu erwerben, nicht nur dem rechtfertigenden Glauben vorausgeht, sondern stets seine dunkle R#ckseite bildet“ (Hamm 2010b, S. 266). 129 Washof 2007, S. 96.

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3. Der unvorbereitet sterbende S#nder als Imaginationsfigur In einem Brief des Petrus Damiani an die Gr$fin Blanca aus der Mitte des 11. Jahrhunderts findet sich eine Passage, die sich in der (berlieferung gegen ihren Ausgangskontext verselbst$ndigt hat. Es handelt sich um eine Anleitung f#r die meditatio mortis, die dazu anregt, sich in den Zustand einer in S#nde sterbenden Seele hineinzuversetzen.130 F#r die Gr$fin, die gerade den (bergang von der Welt ins Kloster vollzogen hat, soll die Betrachtung des Todes und des Gerichts als Schild („clipeus“) dienen, um den Anfechtungen zu widerstehen, die sie vom verlassenen Weltleben her zu erwarten hat.131 Dass das von Petrus Ausgef#hrte, wie Lutz bemerkt, #ber die besondere Kommunikationssituation hinaus „f#r alle gilt“,132 zeigt die Rezeptionsgeschichte der in den Brieftraktat integrierten Meditationsanleitung. Sie z$hlt noch im 16. Jahrhundert zum festen Bestand des unterweisenden Sprechens #ber den Tod.133 Eine von Hiram K#mper edierte Kçlner Predigt ,Van dem dode‘ aus dem sp$ten 15. Jahrhundert zitiert die Passage (mit Quellenverweis) im Rahmen einer allgemein gehaltenen Sterbedidaxe. Sie sei hier als Rezeptionszeugnis angef#hrt: Och we bange sal dan werden der sundiger selen, as der lerer Petrus Damiani schryfft zo eynre grevynnen ind spricht alsus: It is wael oeverzodenken, we die sundige sele begynt zo untbunden werden van den benden des vleischs, myt wat bitterem ververnisse wirt sy verstuyrt, myt wat scharpen stichen der wederbyssen der conscientien sy zo rissen wirt.134

Die Betrachtung soll den entscheidenden Moment vergegenw$rtigen, in dem sich die s#ndige Seele vom Kçrper trennt: Ver$ngstigt und zerrissen von den scharfen Stichen und Bissen ihres Gewissens erinnert sie sich all ihrer S#nden; sie sieht die Gebote Gottes, die zu befolgen sie verweigert hat und – dieser Punkt ist zentral – sie „bedroefft sich, dar die zyt, die yr verhent

130 Vgl. Petrus Damiani 1988, S. 259 f. Ebd., Anm. 27 findet sich der Hinweis: „Dieses St#ck […] ist sehr oft außerhalb von Brief 66 – meistens anonym – handschriftlich verbreitet.“ Bei Migne lautet der Titel des Briefes ,Institutio monialis‘ (vgl. Petrus Damiani 1853). Vgl. zur Meditationsanleitung auch Palmer 1975, S. 226 f. 131 Vgl. Lutz 2013, S. 29 – 33. 132 Lutz 2013, S. 29. 133 Vgl. im Kontext des ,M#nchner Eigengerichtsspiels‘ diese Arbeit, S. 50 f. 134 K#mper 2007, S. 89. Vgl. die Passage bei Petrus Damiani 1988, S. 259: „Pensandum quippe est, cum iam peccatrix anima vinculis incipit carnis absolvi, quam amaro terrore concutitur, quantis mordacis conscientiae stimulis laceratur“.

3. Der unvorbereitet sterbende S#nder als Imaginationsfigur

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was zo penitentien, so ydelichen vergangen ist“.135 Mit der Zeit des Lebens ist auch die Zeit, Buße zu tun, verstrichen. In einem suggestiven Stil erçffnet der Text einen Zugriff auf die Gedanken, Affekte und sinnlichen Eindr#cke der sterbenden Seele. Sie erkennt erst jetzt das Verh$ltnis der Lebenszeit zur „zyt der unentlicher [sic] ewicheit“; sie beklagt, dass sie um der Lust kurzer, weltlicher Gen#sse willen die S#ße der ewigen Freuden verloren hat; sie erhebt den Blick ihres Herzens #ber sich und „beschauwet die vreude der unsterfflicher [sic] rycheit“, die nun unerreichbar ist; sie senkt schließlich die Augen zur#ck nach unten auf das irdische Jammertal und begreift, „dat it nacht ind duysternisse is gewesen, die werlt, die sy lieff gehat hait“.136 Erneut nimmt sie den Gedanken an die vers$umte Buße auf und verkn#pft ihn nun, als es bereits zu sp$t ist, mit dem Wunsch eines zeitlichen Aufschubs: „Och moechtu dan geboeren zo verkrygen eynche zyt, penitencie zo doin, wat harden levens strenger oevinge sy dan an sich wulde nehmen, we vlyslichen wulde sy sich verbynden den ynnigen werken.“137 An die Imagination dieses Wunsches schließt sich die Beschreibung der ,Zeichen des Todes‘ an, die zu den klassischen Versatzst#cken der Todesmeditation gehçren: Herna, wanne die ougen verdunkelen, die borst bevet, die heisse strosse suchter die zende allen zelen swatz werden ind krigen eynreley roste die lippen bleib [sic] werden ind alle ledere stryff werden. Wanne dese in deser gelych bewisen den zokomenden doit, so synt dem mynschen by alle syne werke ind worte ind oich die gedachten ensynt em neit aff.138

Gem$ß der Vorstellung vom Seelenkampf werden dann Engel und Teufel zu den Seiten der Seele stehen und von ihr Besitz ergreifen, je nachdem, ob sie mit Tugenden geziert oder von S#nden beschmutzt ist.139 Diese und 135 K#mper 2007, S. 89. 136 K#mper 2007, S. 89. 137 K#mper 2007, S. 89. Vgl. die Passage bei Petrus Damiani 1988, S. 259: „O si redivivum paenetentiae tempus mereri potuisset, quam durae conversationis iter arriperet, qualia et quanta promitteret, quantis se devotationum vinculis innodaret“. 138 K#mper 2007, S. 89. Vgl. die Passage bei Petrus Damiani 1988, S. 259 f.: „Interea dum hebescentes oculi contabescunt, dum pectus palpitat, raucum guttur anhelat, dentes paulatim nigrescunt et quandam velut eruginem contraunt. Pallescunt ora, membra cuncta rigescunt. Dum haec itaque et huiusmodi tamquam vicinae morti praecedentia famulantur offitia, adsunt omnia gesta simul et verba. Nec etiam ipsae cogitationes desunt“. Zu den Zeichen des Todes vgl. Palmer 1975, S. 227. 139 Vgl. K#mper 2007, S. 89 f. Zur Motivgeschichte des Seelenkampfes im Kontext fr#hchristlicher Jenseitsvisionen vgl. Angenendt 1984, S. 86 – 99. Zur Metaphorik

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$hnliche Vorg$nge, so kehrt der Text zum Ausgangspunkt zur#ck, seien „steetz in dem hertzen zo denken“,140 um die Verlockungen der Welt abzuwehren und im best$ndigen Willen zu verharren, ein heiliges Leben zu f#hren. Das Kalk#l dieser Meditation scheint offenkundig: Der in allen Einzelheiten imaginierte Sterbevorgang soll zur Buße f#hren, indem er die Konsequenzen mangelnder Buße virtuell erfahrbar macht.141 Die bei Petrus Damiani bereits ausgepr$gten dramaturgischen Elemente der Betrachtung – die Zeichen des Todes, das Umstelltsein von den Teufeln, die Angst der Seele beim Verlassen des Kçrpers und ihre Klagen #ber die S#nden und vers$umte Buße – verweisen auf eine Schematisierung der Todesmeditation, die weit #ber das Mittelalter hinaus die christliche Frçmmigkeitspraxis pr$gt und noch in Andachtsb#chern des 18. und 19. Jahrhunderts wirksam bleibt.142 (ber das vergleichsweise feste Inventar von Imaginationspunkten ist ein mnemotechnisches Raster vorgegeben, das durch wiederholte (bung dem Ged$chtnis der Meditierenden eingepr$gt werden kann. Die Bem#hung zahlreicher Meditationstexte besteht darin, dieses Raster wiederum zu dynamisieren und neu zug$nglich zu machen. Im Folgenden soll anhand einer bewusst begrenzten, aber repr$sentativen Textauswahl vom Sp$tmittelalter bis hin zum fr#hen Luther plausibel gemacht werden, dass es sich beim sterbenden S#nder um eine einerseits kontinuierliche, andererseits immer wieder neu und anders inszenierte Figur der Imagination handelt; um ein Modell f#r die imaginative Performanz, das #ber feste und wiedererkennbare Konturen verf#gt und zugleich in einer Vielzahl kommunikativer und theologischer Kontexte mit einer Vielzahl literarischer Techniken aktualisiert wurde, die sich in Teilen bereits als theatral charakterisieren lassen.143 Heinrich Seuses († 1366) ,B#chlein der ewigen Weisheit‘ und dessen sp$tere lateinische Fassung, das ,Horologium sapientiae‘, enthalten ein Ars

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von Schmutz und Reinheit in Bezug auf die Seele vgl. Schumacher 1996, S. 184 – 186. K#mper 2007, S. 90. Zum Begriff der Virtualit$t vgl. Lechtermann/Morsch 2004, S. VI–VIII. Vgl. etwa aus dem jesuitischen Bereich Croiset 1738; Vogel 1866. Es geht also weder um eine allgemeine Darstellung der Todesmeditation noch um eine erschçpfende Sammlung von Belegstellen zum sterbenden S#nder. Einschl$gige Quellen zur Todesmeditation von den Kirchenv$tern bis ins Sp$tmittelalter sind zusammengestellt bei Rudolf 1956, S. 11 – 25. Eine aktuelle Einf#hrung in die mittelalterliche Sterbeliteratur mit einem Ausblick auf die Fr#he Neuzeit bietet K#mper 2007a, S. 9 – 44.

3. Der unvorbereitet sterbende S#nder als Imaginationsfigur

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moriendi-Kapitel, das seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert auch als anonymer Einzeldruck vermarktet wurde.144 Das ,B#chlein‘ ist bekanntlich als Dialog zwischen der Weisheit bzw. Sapientia, also Christus, und dem Diener bzw. Discipulus, dem Alter ego Seuses, gestaltet. Am Beginn des Ars moriendi-Kapitels stimuliert die Weisheit die inneren Sinne des Dieners und l$sst ihn in einen Dialog mit der klagenden Seele eines sterbenden S#nders treten: „Nu tuo uf dine inren sinne und sihe und hçre, sih die geschçphde des grimmen tovdes an dime nechsten, nim eben war der kleglichen stimme, die du hçrest“ (BdEW, S. 280).145 Wie bei Petrus Damiani setzt die Imagination kurz vor dem Moment der Trennung von Kçrper und Seele an,146 doch sie bezieht aus der dialogischen Textgestaltung einen pr$sentischen Effekt, der die suggestive Wirkung noch intensiviert.147 Der Diener, der zugleich die Rezeptionsposition der Lesenden spiegelt, tritt in eine direkte Interaktion mit dem sterbenden S#nder und ruft am Ende des Dialoges aus: „Owe, got, wie ist mir der tovt so gegenwfflrtig worden! Ach, sel minffl, bist du noch in dem libe? Herr von himelrich, leben ich noch?“ (BdEW, S. 286.) In der imaginierten, vor den inneren Sinnen ausgestalteten Situation erf$hrt der Diener eine derartige Pr$senz des Todes, dass er sich mit der sterbenden Seele identifiziert, die Grenze von realer und virtueller Realit$t kurzzeitig außer Kraft setzt und in 144 Vgl. mit weiterer Literatur Haas 1995, S. 223 – 225. Der $lteste Einzeldruck, die venezianische Inkunabel von 1483, ist inzwischen abgedruckt bei K#mper 2007, S. 68 – 75 (Nr. 6). 145 Vgl. auch HS, S. 526 – 540. 146 Die Zeichen des Todes und das Umstelltsein der Seele von den Teufeln gestaltet Seuse in Form einer eindrucksvollen Teichoskopie: „Mir beginnent die hende tovden, daz antlfflt bleichen, dffl ovgen vergan. […] Ich beginne den avten vil tief suochen, daz liecht diser welt beginnet mir ab vallen, ich beginne an ene welt sehen. Owe, got, wel ein anblik! Es samnent sich dffl grfflwlichen bilde der swarzen moren, dffl helschen tier hein mich umbgeben; sffl luogent der armen sele, ob si in mug werden“ (BdEW, S. 285). Den Tod der eigenen s#ndhaften Seele und ihr Umstelltsein von den hçllischen Geistern zu imaginieren, empfiehlt auch das siebente Kapitel des ,Speculum peccatoris‘ (,De horrendo exitu damnandae animae‘): „Adtende ergo in illa terribili hora, de qua loquimur, misera peccatoris anima, quando de mundo exitura es, et quo itura es. Aderunt mox ministri maligni, illi scilicet maledicti, diaboli illi tartarei, illi spiritus horribiles et pessimi leones rugientes ut rapiant praedam, scilicet tuam peccatricem et miseram animam“ (zitiert nach Roth 1991, S. 210 f.; dort im Paralleldruck zwei deutsche (bersetzungen). Zuvor sollen auch die Zeichen des Todes imaginiert werden (vgl. ebd., S. 202). 147 Nigel Palmer beschreibt die Abschnitte bei Seuse als „pr$gnantes Beispiel f#r die ,Verbildlichung des Todes‘ im Rahmen der Meditation“ (Palmer 1993, S. 320).

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die Szene immergiert. Unmittelbar nachdem diese Grenze wieder etabliert ist, schließt der Diener sein Bußversprechen an: „Ach, herre, ich loben dich und geloben dir besserunge bis in den tovt“ (BdEW, S. 286). Er erkennt, dass er die ihm von Gott verliehene Gnadenzeit unbedingt zu nutzen hat und nimmt sich vor, sein weiteres Leben in asketischer Frçmmigkeit zu verbringen: Herr, gewerlich, ich sol min rfflwe und buoz nfflt bis an den tovt sparen. […] Tuo hin, tuo hin von mir wol ligen, lang schlafen, wol essen und trinken, zerganklich ere, zartheit und wollust! […] We mir, got, were ich also tovt, sturbe ich ietzent, wie sçlt es mir ergan! (BdEW, S. 286.)

Gegen#ber der st$rker narrativierten Anleitung von Petrus Damiani, in welche genau die gleichen Momente hineinspielen, nutzt Seuse die Strategie, mit der Umkehr des Dieners zugleich die Umkehr des Lesers in den Text zu integrieren. Es ist bemerkenswert und auch f#r die weiteren (berlegungen von Bedeutung, dass die Meditation hier von einer dramatisierten Textstruktur angeregt wird: Sie erçffnet den Lesenden mit der Figur des Dieners eine eigene Rolle im Text und bindet sie in dieser Weise direkt in die innere Szene ein.148 Die Affinit$t dieser inneren Szene zum Theater ist auff$llig und findet tats$chlich im fr#hen 16. Jahrhundert einen konkreten Niederschlag im ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ von 1510, das Seuses Dialog als Quelle verwendet.149 Im 19. Kapitel des bereits genannten Traktats ,De spiritualibus ascensionibus‘ bietet Gerhard Zerbolt von Zutphen eine allgemeine Anleitung zur Gestaltung von Todesmeditationen, die der compunctio timoris dienen sollen.150 Auch Zerbolt weist dazu an, die Affekte und Gedanken eines Sterbenden nachzuempfinden. Man solle sich geradezu so stellen, als ob man im Moment des meditativen Vollzugs selbst sterben m#sste.151 Wie Petrus und Seuse geht auch Zerbolt von der Angst, den Gewissensbissen (conscientiae remorsus) und der inneren Klage (internus clamor) aus, denen die Seele des S#nders im Moment ihres Todes angesichts ihrer bçsen Gel#ste, ihrer mangelnden Bußbereitschaft und ihrer Verletzungen der gçttlichen Gebote ausgesetzt sein wird.152 Was bei Petrus narrativ beschrieben und bei Seuse dialogisch ausgestaltet wird, formuliert Zerbolt als 148 Zur Struktur und Wirkung dramatisierter Andachtstexte vgl. auch Schmidt 2015a. 149 Vgl. diese Arbeit, Kap. II.4.1.1. 150 Zur Verortung des Kapitels im Gesamtgef#ge des Traktats vgl. Hascher-Burger 2007, S. 86. 151 Vgl. SA, S. 160. 152 Vgl. SA, S. 160.

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Anweisung an die Meditierenden, die sich selbst bereits in die Sterbesituation versetzt haben: Adduc ante oculos singulas delectaciones, vide singula vicia et passiones quibus modo dulciter delectaris. Cogita quam amarum erit tibi tunc a delectationibus separari et quantam dolebis quod vivens non fuisti concupiscencijs mortuus. Deinde, cogita et forma in te talem affectum ut, si anima tua statim deberet exire, quam libenter omnem delectationem relinqueres, quam gratanter omnem laborem et penitenciam arriperes, si vitam posses optinere (SA, S. 162).153

Erneut ist es der im virtuellen Sterben dringlich werdende Wunsch, Buße zu tun, der nach Beendigung der Meditation in das reale, noch verf#gbare Leben #berf#hrt werden soll. In einer sp$teren Passage, die den eigentlichen Moment des Sterbens fokussiert, sollen die Meditierenden eine Zuschauerposition einnehmen. Sie sollen sich das Bild irgendeines sterbenden Menschen vor Augen stellen und den Sterbevorgang zun$chst anhand der Zeichen des Todes betrachten, um sich dann die von D$monen umzingelte Seele vorzustellen; im Moment ihrer Trennung vom Kçrper werde die Seele plçtzlich vor dem Richtstuhl Gottes stehen und sich dem ewigen Urteil beugen m#ssen.154 !hnlich wie Petrus schließt auch Zerbolt sein Kapitel mit dem Hinweis, dass diese und $hnliche Meditationen zur erw#nschten Wirkung f#hren kçnnen – umgekehrt kçnne man sich jedoch auch die Freuden eines gut vorbereitet sterbenden Menschen vorstellen.155 Eine ,Salubris imaginatio de dispositione hominis morientis‘, die in ihrer literarischen Technik wiederum st$rker an Seuse erinnert, findet sich in dem Traktat #ber die Vier Letzten Dinge des Dionysius Carthusianus († 1471). Hier spricht der Sterbende die Meditierenden, die sich in eine Zuschauerposition versetzt haben, direkt an und evoziert damit eine $hnlich dialogische und partizipative Situation. Forderte Seuses Weisheit den Diener als Stellvertreter der Lesenden zur .ffnung der inneren Sinne 153 „Stelle dir die einzelnen L#ste vor Augen, sieh die einzelnen Laster und Leidenschaften, von denen du jetzt noch lieblich ergçtzt wirst. Denke daran, wie bitter es nachher f#r dich sein wird, von den L#sten getrennt zu werden und wie sehr du es bedauern wirst, dass du den Begierden nicht schon im Leben gestorben bist. Dann bedenke und bilde einen solchen Zustand in dir, als ob deine Seele plçtzlich hinscheiden m#sste; wie gern g$best du dann alle Lust auf, wie dankbar w#rdest du alle M#hsal und Buße auf dich nehmen, wenn du das Leben behalten kçnntest.“ 154 Vgl. SA, S. 164. Die Zeichen des Todes werden dabei nur anzitiert, $hneln aber stark den bereits genannten Beispielen: „Nigrescit totum corpus, omnia membra regescunt, oculi versantur et sic de alijs“ (ebd.). 155 Vgl. SA, 164.

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auf, so richtet sich bei Dionysius der Appell unmittelbar an die Leser: „Adverte ejus suspiria, singultus, querelas et lacrimas, poenitentiam seram atque (ut formidandum est) infructuosam. Audi eum dolorose dicentem: Heu, quam crudelis afflictio me inopinate invasit“ (QHN, S. 500).156 Wie bei Seuse ist die Sterbedidaxe auch bei Dionysius in den Rahmen einer umfangreichen und rhetorisch durchgeformten Figurenrede, einer Lamentatio, integriert. Explizit greift Levin Brecht in seinem ,Euripus‘ (1548) auf den Traktat des Dionysius zur#ck.157 Das Sprechen des Sterbenden ad spectatores l$sst sich in ganz $hnlicher Form jedoch auch in den Dramen Jaspar von Genneps und Johannes Strickers beobachten.158 In seiner ersten Psalmenvorlesung (1513/15) nimmt Luther die Auslegung eines Teilverses aus Ps 69,17, „benigna est misericordia tua“, zum Anlass, um eine detaillierte Meditationsanleitung einzuflechten.159 Dem in Hugos von St. Viktor ,De modo orandi‘ vorgepr$gten Schema entsprechend,160 l$sst sie der Betrachtung der eigenen miseria zur Affizierung der Furcht die Betrachtung der misericordia Gottes folgen.161 Luther regt dabei einen Imaginationsprozess an, der einen plçtzlich vom Tod #berraschten und nur durch Gottes Einwirkung erlçsten S#nder zum Ausgangspunkt nimmt.162 Weil es Luther um die misericordia geht, stellt er die in den vorangehenden Beispielen stets negativ bestimmte Mçglichkeit eines zeitlichen Aufschubs ins Zentrum der Betrachtung. Auch f#r seine Anleitung ist es entscheidend, dass sich die Meditierenden selbst in die imaginierte Szene einbinden:

156 „Achte auf seine Seufzer, sein Schluchzen, seine Klagen und Tr$nen, auf die zu sp$te und, wie man f#rchten muss, unfruchtbare Buße. Hçre ihn voller Schmerzen sprechen: Oh, welch schreckliches Elend hat mich unerwartet #berfallen.“ 157 Vgl. diese Arbeit, S. 106–107. 158 Vgl. diese Arbeit, S. 135–138. 159 Vgl. dazu auch Nicol 1984, S. 106 f. 160 Vgl. diese Arbeit, S. 28. 161 Luther geht es dabei im Sinne einer affektiven Gleichgestaltung mit Christus um das „bewusste Annehmen der Furcht vor der Hçlle bzw. dem Zorn Gottes“ (Dietz 2009, S. 110). Zum theologischen Kontext und zu den Parallelen in der Auslegung von Ps 76 vgl. ebd., S. 110 – 116. 162 Ob die Passage, wie Dietz meint, „vor dem biographischen Hintergrund Luthers“ (Dietz 2009, S. 111) zu lesen ist, l$sst sich schwer belegen. Luther greift hier zun$chst ein lange tradiertes Betrachtungsmodell auf und arrangiert es im Sinne seiner aktuellen Bußtheologie neu. Dass jedoch gerade auch biographische Erfahrungen mithilfe solcher Modelle einer Deutung zugef#hrt werden konnten, ist dabei nicht zu bestreiten.

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Et ut modum et manuductum magnificande misericordie dei accipias, consydera aliquem vel aliquos, qui subito in peccatis suis occisi vel mortui sunt. Puto autem, quod si sanus es, non acciperes totius mundi omnem gloriam, divitias et voluptates, et ita perires. Et si scires te ita periturum et totius mundi precio te ab eo interitu redimere posses, libentissime faceres. Diligenter obsecro intende et affectum taliter pereuntium tibi forma et indue. Credo videbis horrorem super horrorem et magnam bonitatem Dei estimares, si te sic eriperet.163

Um eine Identifikation mit dem sterbenden S#nder zu befçrdern, sollen sich die Meditierenden seinen Zustand in allen Einzelheiten ausmalen, sich in ihn hineinversetzen und schließlich fingieren, dass Gott sie errettet. Der plçtzliche Tod in der S#nde ist dabei kein Ausnahmefall, sondern ein jederzeit von den Meditierenden zu erwartendes Ereignis: „Nonne sicut illi perierunt, sic tu potuisti eodem momento et per momenta adhuc singula?“164 Der Abgrund der gçttlichen G#te zeige sich nicht erst in der Rettung aus dem Tod, sondern weitaus st$rker darin, dass Gott den Meditierenden diese Situation bislang erspart habe. Das imaginative Sich-Hineinversetzen in die Schrecken des sterbenden S#nders und die Erkenntnis, dass dieser bislang nur durch Gottes Gnade aufgeschobene Zustand der eigene sei, f#hrt so zur Erkenntnis der misericordia Dei: „Qui autem tali meditatione non exercentur, vilem reputant misericordiam suam.“165 Mit Verweis auf Zerbolt betont Nicol zu Recht, dass Luther in diesen Ausf#hrungen – wenigstens aus der technischen Perspektive, um die es hier geht – noch der sp$tmittelalterlichen Tradition verpflichtet ist.166 Er greift auf ein Modell der Imagination zur#ck, das zum festen Arsenal meditativer 163 WA 3, S. 431. „Und damit du Art und Wirkung der zu preisenden Barmherzigkeit Gottes begreifen lernst, denke an irgendeinen oder auch mehrere Personen, die plçtzlich in ihren S#nden getçtet wurden oder gestorben sind. Wenn du bei Vernunft bist, so denke ich doch, du wolltest nicht alle Herrlichkeit der Welt, Reichtum und Freuden mit einem solchen Tod erwerben. Und wenn du w#ßtest, daß du so umkommen solltest, dich aber um den Preis der ganzen Welt von diesem Ende loskaufen kçnntest, so w#rdest du das wohl sehr gern tun. Mit Eifer, so beschwçre ich dich, beachte und male dir den Zustand derer aus, die so ums Leben kommen, und denke dich ganz hinein. Ich glaube, du wirst Schrecken #ber Schrecken sehen und w#rdest Gottes G#te hoch sch$tzen, wenn er dich so herausreißen w#rde“ (Luther 1969, S. 78 f.). 164 WA 3, S. 431. „H$tte es dir nicht, so wie jene ums Leben gekommen sind, in demselben Augenblick und bis heute in jedem Augenblick ebenso ergehen kçnnen?“ (Luther 1969, S. 79.) 165 WA 3, S. 431. „Die sich aber in solcher Betrachtung nicht #ben, halten seine Barmherzigkeit f#r nichts wert“ (Luther 1969, S. 79). 166 Vgl. Nicol 1984, S. 107.

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II. Tod

Anleitungen gehçrte. Es ist diese, von Meditationstexten immer wieder neu und anders ausgef#hrte Imaginationsfigur, die seit dem Sp$tmittelalter den Weg in ein neues Medium findet – und zur B#hnenfigur wird.

4. Zwei theatrale Meditationslehren: Das ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ (1510) und Johannes Kolroß’ ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘ (1532) Seit Johannes Boltes Anthologie ,Drei Schauspiele vom sterbenden Menschen‘ (1927) werden das anonyme ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ und das ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘ des Basler Schulmeisters Johannes Kolroß regelm$ßig miteinander in Verbindung gesetzt. Es handelt sich um zwei fr#he deutschsprachigen Spiele dieser Art. W$hrend Bolte einen eher offenen Vergleich zwischen dem ,M#nchner Spiel‘ und dem „$hnlichem Zwecke dienenden“167 ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘ zieht, bemerkt etwa Barbara Kçnneker, dass dieses „dem M#nchner Spiel in Anlage und Aufbau so $hnlich ist, daß man dessen Kenntnis f#r Kolroß fast voraussetzen mçchte“.168 Auch Mark Chinca erw$gt in seinem Killy-Artikel von 2010 einen Einfluss des ,M#nchner Spiels‘ auf Kolroß.169 Diese Anregungen sollen hier aufgenommen werden. Der Vergleich der Spiele erweist sich allerdings erst jenseits der Textgenese als produktiv – eine direkte Wirkung des ,M#nchner Spiels‘ auf Kolroß ist nicht sicher nachweisbar. (ber topische Bez#ge hinaus decken sich auch die jeweiligen Quellen der Spiele nicht miteinander.170 Zwar gehen beide vom gleichen 167 Bolte 1927, S. VIII. 168 Kçnneker 1983, S. 101. Hellmut Rosenfeld postuliert in seinem VL-Artikel, dass Kçnnekers Ansicht „entschieden zu bestreiten“ sei (Rosenfeld 1987, Sp. 757). Kçnneker ignoriere „den Originaltitel ,Eigengericht‘ = judicium particulare und damit das eigentliche Anliegen des ,M. E.s‘“ (ebd.). Das im Titel formulierte Anliegen des ,M#nchner Spiels‘ besteht jedoch darin, Gott zu loben und den Menschen zur Buße zu bewegen: „Got zuo lob dem menschen zuv besserung sind dise figur vnd Exempel vom aygen gericht vnd sterbenden menschen zu munichen gehalten worden“ (MS, S. 1). Gerade darin deckt es sich aber auch mit dem im Titel von Kolroß genannten Anliegen: „Eyn schçn spil von F#nfferley betrachtnussen den menschen zuor Buoss reytzende“ (FB, S. 57). 169 Vgl. Chinca 2010, S. 423. 170 Das ,M#nchner Spiel‘ ist in dieser Hinsicht bereits in Grundz#gen erforscht. Es greift neben Bibel, Kirchenv$tern und mittelalterlichen Theologen, Traktaten und Formularen der Ars moriendi-Tradition auch auf Johannes von Tepls ,Ackermann‘

4. Zwei theatrale Meditationslehren

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Stoff aus, doch betten sie ihn in unterschiedliche Dramaturgien ein, w$hlen unterschiedliche theatrale Mittel und beruhen nicht zuletzt auf gegens$tzlichen theologischen Grundannahmen. Gegen#ber dem vorreformatorischen ,M#nchner Spiel‘ nimmt das ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘ eine nachdr#cklich protestantische Perspektive ein.171 Bei allen Differenzen teilen die Spiele jedoch eine gemeinsame Strategie, die ihren Vergleich attraktiv macht: Beide greifen gezielt auf das Medium des Theaters zur#ck, um eine f#r ein Laienpublikum konzipierte Meditationslehre zu vermitteln. Sie nutzen die Imaginationsfigur des sterbenden S#nders, um Drama und Betrachtung zusammenzuf#hren und suchen bewusst den Anschluss an tradierte Techniken und Schemata der Meditation. Wo lassen sich dabei Kontinuit$ten und wo lassen sich Br#che in den Betrachtungsmodellen sichtbar machen? Auf welchen bußtheologischen Pr$missen basieren die Spiele? Wie inszenieren sie Betrachtungsvorg$nge auf der B#hne und mit welchen Mitteln versuchen sie, das Publikum selbst zur Betrachtung anzuleiten? Das ,M#nchner Spiel‘ verspricht bereits auf struktureller Ebene, Aufschl#sse #ber seine !sthetik zu geben: In einem Rahmengespr$ch pr$sentiert ein Theologe einem Kaufmann vier Sterbeszenen mit unterschiedlichem Ausgang sowie Szenen von Seelen, die sich im Fegefeuer befinden. Jeweils anschließend diskutieren die beiden Figuren #ber die Darbietungen und heben das Spiel somit auf eine metadramatische Ebene, auf der die Bedingungen und Wirkungspotenziale des Theaters selbst verhandelbar werden.172

zur#ck (Nachweise bei Linke 2002, S. 141 mit Anm. 27 – 29; Kiening 1998, S. 250 – 259). 171 Wie es der Basler Entstehungskontext des Spiels vermuten l$sst, formuliert Kolroß die reformatorische Rechtfertigungslehre in Anlehnung an Zwingli. Vgl. dazu ausf#hrlicher diese Arbeit, S. 89. Michael geht davon aus, dass bei Kolroß „katholische Ideen neben protestantischer Auffassung“ stehen, da gute Werke positiv bewertet werden (Michael 1984, S. 224). Sie werden jedoch in Anlehnung an Mt 7, 16 eindeutig als Fr#chte des Glaubens bestimmt und nicht als Verdienste des Menschen (vgl. FB, V. 546 – 555; vgl. auch die durchaus polemisch gef#hrte sola gratia-Argumentation gegen den Ablass in V. 781 – 788; dazu auch Metz 2013, S. 233, Anm. 623). L$uchli scheinen die polemischen Passagen entgangen zu sein, wenn er behauptet, Kolroß halte sich „von einer theologischen Auseinandersetzung fern“ (L$uchli 1960, S. 172). 172 Zu dieser grunds$tzlichen Leistung metadramatischer Darstellungen vgl. ViewegMarks 1989.

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II. Tod

Die Forschung hat das in die Gespr$chsrahmung eingelassene ,Spiel im Spiel‘ fr#h wahrgenommen,173 ohne jedoch herauszuarbeiten, welche selbstreflexiven Aussagen darin #ber das Medium des Spiels getroffen werden. Als Metadrama, so mçchte das folgende Kapitel zeigen, unterlegt das ,M#nchner Spiel‘ seiner Auff#hrung ein meditatives Rezeptionskonzept: Es ist also als Metadrama zugleich ein Betrachtungsmedium zweiter Ordnung, weil es vorf#hrt, wie die wahrgenommenen Szenen dem Ged$chtnis eingepr$gt und ihre Meditation habitualisiert werden soll. Im Rahmengespr$ch verhandeln Theologe und Kaufmann zum einen, wie Laien, die weltlichen Gesch$ften nachzugehen haben, einen solchen meditativen Habitus organisieren kçnnen. Zum anderen f#hren sie vor, wie sich die im Hier und Jetzt der Auff#hrung rezipierten Szenenbilder in der memoria anw$hlen und mit weiteren Meditationsstoffen verkn#pfen lassen. So liegt der mçgliche „Eindruck des Spannungslosen und Undramatischen“ im ,M#nchner Spiel‘ nicht darin begr#ndet, dass „der Autor […] #berhaupt keine festumrissene Vorstellung eines B#hnen- oder Spielraums besaß, weil es ihm in erster Linie auf das sinnvermittelnde Wort ankam und die Frage nach den Mçglichkeiten theatralischer Realisierung f#r ihn von allenfalls sekund$rem Interesse war.“174 Vielmehr tr$gt die Maßgabe ,dramatischer Spannung‘ eine $sthetische Norm an das Spiel heran, die sein Anliegen verfehlt: Die Szenenfolgen sind bewusst additiv verkn#pft und diskursiv aufbereitet, um einen meditierenden Umgang mit ihnen zu ermçglichen. Ihre theatrale Inszenierung bleibt jedoch ebenso wie eine ,theatralisierte‘ Lekt#re f#r die Wirkungweise des Spiels konstitutiv.

173 Vgl. bereits Bolte 1927, S. VII. Mark Chinca nimmt an, dass der Status der Binnenszenen sich „wiederum dadurch verunkl$rt, dass die Binnenexempel ebenfalls von den Precursoren den realen Zuschauern pr$sentiert werden“ (Chinca 2012, S. 222). Solche „Momente ontologischer Nivellierung erzeugen eine schillernde Optik – sieht man jetzt ein Spiel im Spiel oder nicht? –, die zweifellos die Faszination der B#hnenrepr$sentation f#r den Zuschauer nur gesteigert hat“ (ebd.). Dieser Eindruck ist f#r heutige Leser leicht nachvollziehbar. Es sollte jedoch offengehalten werden, ob entsprechende Ebenenwechsel ein sp$tmittelalterliches Publikum, das eine semiotisch ,feste‘ Theatralit$t von vornherein nicht erwartete, in $hnlicher Weise faszinieren konnten (vgl. dazu das Kapitel ,Theater der Gegenw$rtigkeit‘ bei Petersen 2004, S. 226 – 229). Kiening geht davon aus, dass das Spiel im Spiel „den Illusionscharakter der Darstellung kenntlich“ macht (Kiening 2003, S. 43). Ich mçchte demgegen#ber, analog zu den beschriebenen meditativen Szenarien, den ,virtuellen‘ Charakter der Darstellung betonen, der es um einen Wechsel von immersiver Erfahrung und reflektierender Distanznahme geht. 174 Kçnneker 1983, S. 100.

4. Zwei theatrale Meditationslehren

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4.1. Metadrama und Betrachtung. Theatrale und meditierbare Szenen im ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ (1510) Formal gliedert sich das ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ in vier Teile, deren Grenzen jeweils von Precursorenreden markiert werden.175 Nachdem der erste der insgesamt vier Precursoren den Prolog gesprochen hat, beginnt das Spiel mit einem lose an das Buch ,Hiob‘ angelehnten Vorspiel im Himmel,176 das in die heilsgeschichtlichen und frçmmigkeitstheologischen Voraussetzungen der pr$sentierten Szenen einf#hrt.177 Daraufhin erkl$rt ein zweiter Precursor den „eingang des kauffmans und des gelerten“ (MS, S. 9) und installiert so den Rahmen des Lehrgespr$chs, der im gesamten weiteren Spielverlauf aufrecht erhalten bleibt: Hçrt zuo, was yetzund volgt hernach! ain kaufmann, der mit welltlicher sach Sich neren thuot mit seinem handel, (darinn merck ain yeder seinen wandel, Wie er sein narung gwinn unnd treyb, das er darinn unstraffper bleyb Unnd gotes zorn m#g empfliehen, sein leben zuo guoter tugend ziehen, Als dieser kauffmann hat gethan) der begeret rat, als ich verstan (MS, V. 246 – 254).

Die Auftrittsank#ndigung enth$lt in Parenthese zugleich eine Rezeptionsanweisung, die die Funktion der Kaufmannsfigur erkl$rt: Sie steht exemplarisch „f#r alle t$tigen Laien“178 und bildet demnach eine Variable, die durch einen (bertragungsakt vom Publikum selbst zu f#llen ist („darinn merck ain yeder seinen wandel“). Indem der Kaufmann auf der B#hne die Rezeptionsposition der Zuschauer spiegelt, wird die theatrale Auff#hrungssituation selbstreferentiell – die Wiederholung von B#hne und Zuschauerposition auf der B#hne konfiguriert das Drama als Metadrama.179 Die Lehre, die der Theologe dem Kaufmann – und damit den Zuschauern, die sich an seine Stelle setzen – erteilt, ist, so der zweite Precursor, eine Meditationslehre: „Dann kompt ain doctor unnd gibt im 175 Vgl. Kiening 1998, S. 251. Eine tabellarische (bersicht #ber den Spielverlauf bietet Linke 2002, S. 136. 176 Vgl. Kiening 1998, S. 252. 177 Vgl. dazu Kiening 2003, S. 43. 178 Linke 2002, S. 135. 179 Im Sinne der Typologie von Karin Vieweg-Marks handelt es sich um eine Form von fiktionalem Metadrama (vgl. Vieweg-Marks 1989, S. 22).

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ler, j das er sich von allem #bel beker j unnd betracht seinn tod unnd letztes endt“ (MS, V. 257 – 259). Diese Lehre beschr$nkt sich jedoch nicht auf die Todesbetrachtung, sondern ber#hrt im Spielverlauf zahlreiche in der sp$tmittelalterlichen Bußmeditation verankerten Stoffe und Verfahren. Sie kombiniert die Betrachtung von S#nde, Tod, Gericht, Hçlle und Fegefeuer mit der Betrachtung der himmlischen G#ter und der Passion Christi und impliziert somit die charakteristische Doppelperspektive auf das eigene Elend und die gçttliche Barmherzigkeit. Dem rahmenden Lehrgespr$ch hat dabei ein prominenter Meditationstext als Quelle gedient. 4.1.1. Zur Seuse-Rezeption des ,M#nchner Spiels‘ Christian Kiening hat in seiner Untersuchung der ,Ackermann‘-Rezeption im ,M#nchner Spiel‘ in einer Anmerkung darauf hingewiesen, wo nach mçglichen Parallelen f#r dessen Rahmungstechnik zu suchen w$re: !hnliche Modelle von Binnenexempeln existieren auch im Bereich der Ars moriendi, so in Seuses Ars-moriendi-Abschnitt im ,Horologium sapientiae‘ (dt.: ,B#chlein der ewigen Weisheit‘), der um- und ausgestaltet seit 1483 vielfach […] als ,Klage eines weltlich sterbenden Menschen‘ (oder $hnliche Titel) gedruckt wurde: Hier wird der Discipulus durch Sapientia dazu aufgefordert, vor seinem inneren Auge die Situation eines (unbußfertig) sterbenden J#nglings zu imaginieren.180

Der in den Rahmendialog von Diener und Weisheit eingefasste Binnendialog von Diener und sterbendem S#nder ruft jedoch nicht nur ein $hnliches Strukturmodell auf wie Rahmendialog und Sterbeszenen des ,M#nchner Spiels‘, sondern wurde von diesem auch ganz direkt als Vorlage genutzt.181 Am ,M#nchner Spiel‘ l$sst sich beobachten, wie Seuses medi180 Kiening 1998, S. 252, Anm. 214. 181 Auch Chinca bemerkt, dass „die erste Partie des Gespr$chs mit dem Beichtvater bis zum Auftritt des Teufels (V. 1279)“ an Seuses Ars moriendi „#berhaupt sehr eng angelehnt ist“ (Chinca 2012, S. 229, Anm. 29). Seuse wird auch noch dar#berhinaus verwendet; hier seien einige Beispiele anzitiert: BdEW, S. 287: „Oder hast du vergessen, wie ellffl dffl schrift ruoffet, was grozer wisheit lig an vorhte und emziger betrahtunge des tovdes; entspr. MS, V. 1165 – 1167: „Wann die gçtlich schrifft lert und riefft zuo aller zeyt, j was grosser kunst und weißhait an gçtlicher forcht leyt j Und an emssiger betrachtung des tods und letsten end“; Seuse BdEW, S. 281: „Owe got, wel ein bitters trçsten dis ist! Ich bin nit unverstanden, die sint unverstanden, die ime nit gelebt hant und nit ab dem tovde erschrekent“; entspr. MS, V. 1213 – 1216: „O wie ain pitters trçsten ist das yetz zehannden! j ich bin nit allain unweiß unnd unverstannden, j Die sind auch unverstanden und unweiß

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tativ-imaginiertes Szenario in eine theatrale Szenenfolge #bersetzt wird; wie aus einer zu imaginierenden Figur eine B#hnenfigur gestaltet wird. Das Lehrgespr$ch zeigt dabei, dass es die von Zuschauern und Lesern geforderte Aufgabe ist, die theatrale Szenenfolge des Spiels in meditativ-imaginierende Akte zur#ckzuf#hren. Das ,M#nchner Spiel‘ steht mit seiner Seuse-Rezeption nicht allein. Bereits ein mittelenglisches morality play des 15. Jahrhunderts, das unter dem Titel ,Wisdom‘ bekannt ist, verwertet einen volkssprachlichen Auszug aus Seuses ,Horologium sapientiae‘, den ,Treatise of the Seven Points of True Love and Everlasting Wisdom‘. Jessica Brantley sieht hierin einen Hinweis auf eben jene Grenz#berschreitung von Drama und Betrachtung, auf die sich auch das Interesse der vorliegenden Untersuchung richtet: Suso’s dialogic treatise inspired Wisdom’s opening dialogue between Anima and Christ; the first sixty-five lines of the play follow the Seven Points closely. It is perhaps the dramatist’s interest in the meditative tradition, and also the devotional author’s interest in dramatic forms, that draw the two genres together.182

Bezeichnenderweise zielt Brantleys Beobachtung dabei auf die Verwendung eines anderen Ausschnitts aus den ,Seven Points‘ ab, der sich nicht in einem Spiel, sondern in der kart$usischen Sammelhandschrift Additional 37049 der British Library in London befindet. Es geht ihr um den vierten der sieben Punkte, der dem im ,M#nchner Spiel‘ zitierten Ars moriendiKapitel entspricht und auch in England als Einzeltext zirkulierte.183 Die theatrale Rezeption der ,Seven Points‘ in ,Wisdom‘ st#tzt ihre These, dass die Einrichtung des Ars moriendi-Kapitels in Additional 37049 in struktureller N$he zu einem „dramatic script annotated for performance“184 zu gantz und gar, j dye ab dem tod nit erschricken noch sein nemend war“; Seuse BdEW, S. 283: „Setze in din herze iezent, als din sele in dem vegffflr si […]. Sih si also dik an, wie ellendklich si zuo dir ruoffe und spreche: ,owe, min aller liebste vrfflnt, bfflt mir din hand, erbarm dich fflber mich, hilf mir, daz ich schir usser disem grimmen vfflre kome“; entspr. MS, V. 1771 – 1774: „Laß dich beduncken, wie dein sel yetz im fegfe#r sey, j leyd umb ir s#nd unnd t$glich zuo dir schrey: j ,Mein allerliebster fre#nd, erbarm dich mein j unnd hilff mir auß diser graussamen pein!“ 182 Brantley 2007, S. 264. 183 Vgl. Brantley 2007, S. 260. 184 Brantley 2007, S. 261. Entscheidend sind die durch Rubrizierungen hervorgehobenen Sprecherrollen in Additional 37049, die eine N$he von Seuses Ars moriendi-Text zum Drama indizieren: „The physical disposition of the text on the pages of the Carthusian miscellany emphasizes its thoroughly dialogic, not to say dramatic, nature. Each time the ,discipil‘ adresses the dying young man, his name is rubricated to call the reader’s attention to the change of speaker“ (ebd., S. 261).

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beschreiben sei. Aus der theatralen Rezeption des Kapitels im ,M#nchner Spiel‘ w$re so zum einen ein weiteres – und deutliches – Indiz daf#r zu gewinnen, dass Brantleys Beobachtung zutrifft. Zum anderen erlauben es ihre an einer meditativen Sammelhandschrift aufgestellten Thesen auch, das ,M#nchner Spiel‘ im Kontext einer sp$tmittelalterlichen Meditationskultur zu verorten, die entscheidende Wirkungsmomente aus der ihr eigenen Theatralit$t bezieht. 4.1.2. Der meditierende Kaufmann Die erste vom Theologen vermittelte Maxime greift Sir 7,40 auf und setzt damit „eine der am h$ufigsten in der Literatur #ber die vier letzten Dinge zitierten Bibelstellen“185 an den Anfang des Gespr$chs: „In allen deinen wercken gedennck dein letste zeyt! j so wirstu nymermer s#nden in ewigkeyt“ (MS, V. 283 f.). Die pragmatische Ausrichtung der Lehre, die ja ein außerhalb der vita religiosa stehendes Laienpublikum adressiert, tritt darin hervor, dass dieser locus classicus nicht unangetastet bleibt.186 Vielmehr entz#ndet sich eine Diskussion #ber die Erf#llbarkeit seines Anspruchs: Der Kaufmann wendet ein, dass „allzeyt an den tod gedenncken“ (MS, V. 288) ihm kaum mçglich sei, da er in der Welt „hanndel unnd narung“ (MS, V. 291) nachzugehen habe, um sich, seiner Frau und seinen Kindern ein angemessenes Leben zu ermçglichen. Daraufhin modifiziert der Theologe seinen Appell und passt ihn der Lebenswirklichkeit des Laien an: du darfft nit allso an den tod gedencken zuo aller zeyt; Sonder wenn dich dein aygen fleisch raiczt zuon s#nden oder die wellt bewegt mit iren bçsen f#nden, Oder der te#fel mit seinem falschen list, dann so gedennck eben, das du sterblich bist! (MS, V. 296 – 300.)

Nicht permanent, sondern im Kampf gegen das Fleisch, die Welt und den Teufel ist die Betrachtung des Todes als Gegenmittel zu bem#hen. Diese Trias, gegen die sich der Kaufmann meditierend zur Wehr setzen soll, ist eng mit der Bildvorstellung vom Miles Christianus assoziiert.187 Ein Zitat aus dem oben zitierten Brieftraktat Nr. 66 des Petrus Damiani baut dieses Bild weiter aus – die Betrachtung des Todes und der Schrecken des Gerichts dienen als Harnisch und Schild gegen die teuflischen Pfeile: 185 Krummacher 1986, S. 517. 186 Vgl. dazu Chinca 2012, S. 224 f. 187 Vgl. dazu Wang 1974, S. 121 – 124.

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Unnd Petrus Damianus unns warnung geyt: ,zuo entrinnen den pfeylen der te#felischen streyt Bedunckt mich kain krefftiger harnasch noch schildt dann gedechtnus des tods, wer die einpildt, Darzuo des letsten urtails erschrockenlichaid‘ (MS, V. 305 – 309).188

Der erleichterte Kaufmann bedankt sich f#r diesen „guot unnderschaid“ (MS, V. 310) und fordert nun eine methodische Anleitung dar#ber, „wie ich die letst zeit sol betrachten fleissikleich j Und sollich gedechtnus in mein hercz m#g senncken“ (MS, V. 312 f.). Der Theologe beantwortet die Frage zun$chst mit einem Rekurs auf die seit Gregor dem Großen von der Bußmeditation her gel$ufige S#ndenbetrachtung: „so dir miessige zeyt wirt gegeben, j so betracht unnd durchsynn alles dein leben“ (MS, V. 315 f.). Die vom weltlichen Gesch$ft abgehobene Zeit der Muße soll f#r eine regelm$ßige Selbstreflexion und gr#ndliche Gewissensforschung eingesetzt werden: „Erfrag dich in dem gwissen dein j ob das sey lauter unnd auch rein“ (MS, V. 317 f.). Es sei n$mlich, wie Augustinus sagt, ein „erschrocklich ding“, dass der Mensch „in sollichen s#nden leben solt, j darinn er doch ungern sterben wolt“ (MS, V. 321 – 323). Der Meditationsstoff speist sich hier aus den eigenen Gedanken und Handlungen, die introspektiv zu vergegenw$rtigen und auf ihre S#ndhaftigkeit zu pr#fen sind.189 Wie l$sst sich aber das Ged$chtnis des Todes in das Herz senken? Die Antwort hierauf erfolgt nicht als abstrakte Anleitung, sondern nimmt die Form einer szenischen Darbietung an: Das du aber dein gedechtnuß zuo dem tod m#gest naygen, so wil ich dir ain figur und ebenpild zaygen, Wie der tod mit ainem jungen gesellen kriegt (MS, V. 373 – 375).

Der metadramatische Aspekt dieser Replik besteht darin, dass der Theologe dem Kaufmann das sich anschließende Spiel im Spiel so pr$sentiert, wie sich das ,M#nchner Spiel‘ selbst den realen Zuschauern pr$sentiert – als 188 „Ad evitanda sane istorum tela certaminum, nullus mihi videtur validior clipeus, quam meditatio mortis ac extremi terror examinis“ (Petrus Damiani 1988, S. 259). 189 Wie Wodianka am Beginn ihrer Arbeit festh$lt, wird „im Rahmen der meditatio mortis und der Betrachtung der Vier letzten Dinge erinnernde Selbstthematisierung im Sinne der Gewissensforschung als Verpflichtung institutionalisiert“ (Wodianka 2004, S. 1). Mit der Gewissensforschung #bertr$gt das ,M#nchner Spiel‘ eine lange monastische Tradition auf den laikalen Bereich. Zu Entwicklungen, Konzepten und Konsequenzen dieser Introspektionstechnik vgl. die umfassende Aufarbeitung bei Breitenstein 2012, bes. S. 263 – 266; 278 – 286. F#r den Kontext der Devotio moderna vgl. Scheel 2014, S. 230 – 233.

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„figur“.190 Wie Glenn Ehrstine gezeigt hat, liegt in dieser figural-bildlichen Qualit$t zugleich das mnemonische und meditative Potenzial des geistlichen Theaters.191 Es ist im Stande, affektgeladene Bilder („figur und ebenpild“) hervorzubringen, die sich als imagines agentes dem Ged$chtnis einpr$gen und vermag so auch, das Ged$chtnis des Todes zu erneuern und die Todesbetrachtung zu befçrdern.192 Dass dies einen Visualisierungsprozess voraussetzt, geht aus der Reaktion des Kaufmanns hervor: „So will ich sçlichen krieg von herczen sehen gern“ (MS, V. 377). Vor der ersten spielinternen Auff#hrung erscheint der Kaufmann so nicht l$nger nur als „vorbildlicher Sch#ler“,193 sondern auch als vorbildlicher Theaterzuschauer. Die nun folgende „figur“ verweist, so die Regieanweisung, auf die unbelehrbaren J#nglinge, die im Vertrauen auf ihre „jugend und sterck“ keinerlei Warnung annehmen wollen, „sonder der wellt fre#d unnd wollust nach leben“ (MS, S. 13). Wie in der ikonographischen Tradition stehen sich J#ngling und Tod dabei von Beginn der Szene an gegen#ber.194 In Anlehnung an die Todesdefinitionen des ,Ackermann‘ gibt sich der Tod in seiner heilsgeschichtlichen Dimension und seinem uneigentlichen Seinsstatus zu erkennen und vermittelt dem J#ngling damit das heilsnotwendige Wissen, das ihn zur Umkehr bewegen sollte.195 Diese Umkehr ist ebenso an die Bereitschaft zur meditatio mortis gebunden, wie an eine spezifische Affektdisposition: Nur, wer sich in der Betrachtung des Todes selbst erkennt und den Affekt der Furcht (timor) sowie die von ihm ausgelçste compunctio zul$sst, vermag zu einer Umkehr der Lebensweise und einer Abkehr von den S#nden bewegt zu werden. Dieser Bewegung verweigert sich der J#ngling, indem er die Lehre des Todes zur#ckweist und die Buße ins Alter aufschiebt: „Ich bin noch jung und starck, darumb dich von mir ker! j #ber dreyssig jar so wil ich volgen 190 Vgl. den in Anm. 168 zitierten Titel des Spiels. Auch der letzte Precursor bezeichnet das Spiel f#r das Publikum wiederholt als „figur“ (MS, V. 1823; 1841). Der Begriff kann sowohl einzelne Szenenbilder als auch Spiele im Ganzen bezeichnen (vgl. Michael 1946, S. 6; Schulze 1999, S. 324 – 326; Ehrstine 2001). 191 Vgl. Ehrstine 2001, bes. S. 427; 432 – 437. 192 Bereits Frances Yates hat am Beispiel der ,Rhetorica ad Herennium‘ festgehalten, dass sich insbesondere „human figures“ als imagines agentes anbieten (Yates 1974, S. 10). 193 Chinca 2012, S. 224. 194 Vgl. dazu Kiening 2003, S. 7 – 12. Auch das Bildprogramm des Drucks nimmt die Ikonographie von Tod und J#ngling an dieser Stelle auf (vgl. Got zuo lob 1510, Bl. 10v). 195 Zur Bearbeitungstendenz des Spiels vgl. Kiening 1998, bes. S. 254 – 257.

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deiner ler“ (MS, V. 433 f.). (ber den Topos der unbekannten Todesstunde und mit Verweis auf das dem Tod folgende Partikulargericht entlarvt der Tod die Haltung des J#nglings als Torheit: O du thor, du narr, deiner jugend der trçstu dich und waißt doch nit, zuo welicher stund gar schnelliklich Ich zuo dir kumm unnd nymm dir dein leben. so muostu dann volkummne rechnung geben Von allen wercken, wortten unnd gedenncken (MS, V. 435 – 439).196

Vergeblich versucht diese Mahnung, eine heilsame Ver$nderung in der Affektdisposition des J#nglings zu bewirken: „Du woltest mir geren anngst und forcht machen j ich volg dir ganntz nichts in disen sachen“ (MS, V. 441 f.). Indem sich der J#ngling der Furcht verschließt, verspielt er jedoch nichts weniger als die Mçglichkeit rechtzeitiger Selbsterkenntnis, wie der Tod einsch$rft: Vor ihm gebe es kein Entrinnen, er schleiche dem J#ngling zu jeder Zeit nach, bis Gott ihm kundtue, dass er seinem Leben ein Ende machen soll: „dann wolltestu, hettest dich bey zeyt erkennt“ (MS, V. 448). Der J#ngling beharrt auf seiner Haltung, schickt den Tod fort und unterstreicht noch einmal, diesmal zum Publikum sprechend, dass er „von des tods forcht kain fre#d lassen“ (MS, V. 454) will.197 Das Fortschicken des Todes verweist auf die Verkehrung im Ged$chtnis- und Vorstellungshaushalt des J#nglings: Noch am Beginn der Szene hatte dieser die „graussame[ ] figur“ und „grausammliche[ ] gestallt“ des Todes wahrgenommen und betont, dass alle Menschen vor ihm „erschricken“ (MS, V. 379 – 382). Mit dem Tod verweist der J#ngling also eine „figur“ aus seinem Blickfeld, die er zuvor in ihrem Affektpotenzial selbst als imago agens kenntlich gemacht hatte: Der Tod ist in einer Schrecken erregenden Weise verbildlicht, um effektiv ins Ged$chtnis gelangen zu kçnnen. Was es heißt, gerade diese „figur“ nicht vor Augen haben zu wollen, erf$hrt der J#ngling unmittelbar, nachdem er auch noch die Schelte des sich ins Spiel einschaltenden Theologen missachtet hat.198 Der Tod erschießt ihn mit seinem Pfeil, Gottes Gericht verdammt ihn aufgrund seiner superbia zu ewigen Strafen und der Teufel tr$gt ihn in „die pittern hellen“ (MS, V. 508).

196 In der Rede vom Rechnunggeben klingt zugleich der zentrale Topos der Jedermann-Dramen an. 197 Zuvor hieß es ausdr#cklich: „Du vindst wenig, die volgen deinem rat. j darumb so heb dich von mir drat!“ (MS, V. 451 f.). 198 Vgl. MS, V. 461 – 476.

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Wie planvoll das Spiel mit seinen didaktischen Optionen umgeht, zeigt sich an der Publikumsapostrophe des Todes, mit der die Szene schließt. Die Szene setzt den Akzent nicht auf die Darstellung des Sterbevorgangs oder der Hçllenqualen, sondern auf die Figur des Todes als Figur der Selbsterkenntnis: „o mensch, wie stoltz du bist, so wirstu gleich als ich“ (MS, V. 522).199 Diesen Umstand gelte es zu „betrachten“, um die S#nden, allem voran „#bermuot und hoffart“, niederdr#cken zu kçnnen (MS, V. 525 f.). Zwar beruft sich der Tod auch auf die „pein, so den menschen umb die s#nd wirt geben“ (MS, V. 534), doch das entscheidende Gewicht erh$lt das Erkenntnismoment, das von den S#nden Abstand nehmen l$sst: was hilfft ain mensch, das er alle ding erkenndt Unnd sich selber will erkennen nicht, sein schnçdigkait unnd sein letste zuoversicht? Darumb winsch ich allen menschen den gçtlichen rat (deutronomii am xxxij. es geschriben stat): „O das sich der mensch selb erkennet mit fleiß Unnd eben f#rsach sein letstes ennd! so w$r er weiß.“ Disen spruch lernet, frawen unde man! auf diser erd nit pessers ich euch lernen kan (MS, V. 536 – 544).

Ausgehend von Dtn 32,29 komprimiert der Tod seine Lehre in einem pr$gnanten „spruch“, den das Publikum aus dem umgebenden Versfluss isolieren und als Merkvers dem Ged$chtnis einpr$gen soll.200 Indem sich dieser Merkvers wie ein Motto oder eine subscriptio mit der Szene verbindet, r#ckt er vor allen anderen Aspekten die Dringlichkeit der Selbsterkenntnis und die Spiegelfunktion der Todesfigur in den Vordergrund.201 Es #berrascht nicht, dass auch der Kaufmann als theatrales Double des

199 Zur Allusion auf die Legende von den drei Lebenden und den drei Toten vgl. Linke 2002, S. 139. 200 Die Aufforderung „Disen spruch lernet“ konnte dabei durchaus mit einer praktischen Umsetzung rechnen. In seiner Lebensbeschreibung berichtet etwa Felix Platter (1536 – 1614), wie er als Zehnj$hriger gemeinsam mit seinen Freunden nach einer Auff#hrung von Valentin Boltz’ Spiel ,Pauli Bekehrung‘ auf dem Basler Kornmarkt 1546 (vgl. Platter 1976, S. 82 mit Anm. 255) selbst Theater zu spielen versuchte: „Wir knaben also iung wolten underwylen spil machen. In meins vaters hçflin wolten wir auch den Saulum spilen, wil wir ettlich spr#ch aus der burger spil gelernt hatten“ (Platter 1976, S. 85). Die im ,M#nchner Spiel‘ zitierte Bibelstelle ist ein Topos der Todesmeditation, den im Sp$tmittelalter z. B. auch die weit verbreiteten Varianten des ,Speculum peccatoris‘ zum Ausgangspunkt nehmen (vgl. dazu K#mper 2007a, S. 21). 201 Vgl. zu dieser Funktion Titzmann 1983, S. 386 f.

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Publikums dieses Deutungsangebot pr$feriert und synchron zu den Zuschauern seinen Memoriervorgang ausstellt: O lieber herr, das ist ain guoter rat, Den unns der tod in seiner red gegeben hat. Den wil ich behallten fleissigklich unnd wol, wie ich mich selb unnd mein leben erkennen sol (MS, V. 545 – 548).

Mit dieser ersten spielinternen Szene schließt der zweite Teil des Spiels. Stand bislang der Tod selbst in seiner Erkenntnisfunktion f#r den Menschen im Mittelpunkt, so pr$sentiert der Theologe nun drei alternative Sterbevorg$nge, die in Himmel, Hçlle und Fegefeuer einm#nden. Der Ausgang entscheidet sich dabei in der jeweils unterschiedlichen Bew$ltigung der Anfechtungen (temptationes) durch den Teufel in der Todesstunde. Damit greift das Spiel eine Lehre auf, die seit dem zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts im Rahmen zahlreicher Ars moriendi-Traktate systematisiert wurde.202 Wie in der Bilder-Ars die Eingebungen der Engel, so stehen den Anfechtungen des Teufels im Spiel die guten Ratschl$ge verschiedener Geistlicher gegen#ber.203 Bereits die Traktate weisen eine strukturelle Affinit$t zum Schauspiel auf, indem sie die Anfechtungen der Todesstunde in dialogischer Wechselrede von Engeln und Teufeln darbieten, sodass Nigel Palmer von einem „rhetorisch sehr wirksame[n] Drama“204 sprechen kann. Heike Sahm hat zudem mit Blick auf die Blockbuch-Ars auf die meditative Funktion der Traktate hingewiesen: „Text und Bild sollen helfen, den Tod als Schwellensituation zu ,betrachten‘, als ob dieser ,gegenw$rtig‘ sei.“205 202 Die f#nf Anfechtungen bilden den zweiten Teil des seit den 1430er Jahren breit #berlieferten ,Speculum artis bene moriendi‘ (vgl. Schneider 1995, Sp. 40) und wurden in den prominenten Bilder-Artes visualisiert (vgl. Rudolf 1978, Sp. 863). Die Lehre wird im 15. Jahrhundert auch im Rahmen eigenst$ndiger Traktate und Bilddrucke #berliefert (vgl. K#mper 2007, S. 132 – 143 (Nr. 24; 26 [= 25]). Auf Ber#hrungen des ,M#nchner Spiels‘ mit dem ,Speculum artis bene moriendi‘ verweist Kiening 1998, S. 252, Anm. 218. 203 Der „ander pruder“ soll ausdr#cklich einen Augustiner darstellen (vgl. MS, S. 31; dazu Linke 2002, S. 143). 204 Palmer 1993, S. 324. Vgl. dazu auch Sahm 2013, S. 42. 205 Sahm 2013, S. 55. Zur rezeptions$sthetischen Bedeutung des Betrachtens: „In der ,Folio-ars moriendi‘ finden wir – anders als im entsprechenden ,Speculum‘-Kapitel – wiederholt Termini wie ,speculare‘ […], ,meditare‘ […], ,pre oculis habere‘ […], ,cogitare‘ […], ,recogitare‘ […], ,considerare‘ […] – nachdenken, betrachten, vor Augen halten, bedenken. Diese Zwecksetzung des ,Betrachtens‘ zielt auf den umfassenderen Begriff der ,inneren Betrachtung‘ ab, wie er in der Frçmmigkeitsund Bußbewegung des 14./15. Jahrhunderts gepr$gt worden ist“ (ebd., S. 55 f.).

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Sofern die innere Verfasstheit des Menschen #ber seinen Erfolg oder Scheitern angesichts dieser Anfechtungen in der Todesstunde bestimmt, kommt der Meditation als Praxis der Ars vivendi eine entscheidende Rolle zu: Sie ermçglicht es bereits im Leben, den Menschen zum Sterben zu disponieren, indem sie ihn zur Selbsterkenntnis bef$higt und fr#hzeitig zur Umkehr bewegt. In diesem Sinne kann sich auch der dritte Precursor auf Gregor den Großen beziehen, indem er zitiert: „,So man die zuok#nfftigen graussamen ding offt betracht, j so werden sy uns deßter leichter und tr$glicher geacht‘“ (MS, V. 583 f.). Der zweite Teil des Spiels ging von Gewissensforschung und meditatio mortis aus und stellte mit S#nde und Tod zugleich den Affektbereich von Schrecken, Angst und Furcht in den Vordergrund; der dritte Teil erweitert und intensiviert dieses Spektrum. Die szenisch dargestellten Jenseitsoptionen ermçglichen es dem Theologen dabei, f#r den Kaufmann jeweils unterschiedliche Betrachtungspunkte abzuleiten. Nachdem der erste Sterbende die Anfechtungen des Teufels mithilfe des Geistlichen besiegt hat, wird seine Seele von einem Engel in den Himmel gef#hrt. Die Regieanweisung sieht daf#r einen theatralen Effekt vor, der, so Linke, im „gesamten geistlichen Drama des deutschen Mittelalters einzigartig“206 geblieben ist: „Jetz nympt ain engel die seel vom gestorben menschen, das ist ain klains kn$blein, verporgen under der deck ligend, und fiert sy f#r got“ (MS, S. 26). In Bildern des Hohenliedes vereinigt sich schließlich Gott mit seiner „fre#ndin“ und verheißt ihr seinen Anblick und die ewigen Freuden des Himmels.207 Das anschließende Rahmengespr$ch f#hrt den Kaufmann zu der Frage, „was doch die grossen fre#d im hymel weren“ (MS, V. 825). Dies gibt dem Theologen die Mçglichkeit, die himmlischen Freuden mit dem Affekt der Liebe zu verkn#pfen – er w#nscht die „naygung unnd lieb“ (MS, V. 838) im Kaufmann zu verst$rken – und diesen wiederum aus einem meditativen Vollzug hervorgehen zu lassen. Weil das Himmelreich in den Begriffen der Welt schlechterdings unartikulierbar bleibt und sich der Betrachtung des irdischen Menschen entzieht, bem#ht er dabei eine apophatische, der negativen Theologie entlehnte Rhetorik:208 Die unsagbaren Freuden des Himmelreichs #berbieten die hçchsten irdischen G#ter derart, dass diese nunmehr als ihr Gegenteil erscheinen (vgl. MS, V. 841 – 860). Durch diese 206 Linke 2002, S. 143. 207 Gottvater zitiert etwa Hl 4,8: „Kumm vom perg Libano, das ist vom jammertal, j in disen wollust unnd kayserlichen sal“ (MS, V. 775 f.). 208 Vgl. grundlegend Ruh 1990, S. 43 – 53.

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anschauliche Verkehrung wird es auch f#r den Kaufmann mçglich, #ber die himmlischen Freuden zu meditieren: Allso magstu dein vernunfft hyerein senncken und alle fre#d und weltlichen wollust bedenncken Unnd eben ermessen alle zeytliche ding, die sind gegen den ewigen g#tern schnçd und gering. Wann du die #bergrossen hymlischen fre#d offt betrachtest unnd bedechtest in dieser zeyt, F#rwar got zuo dienen wurd dich verdriessen nymermer, das du verdienen mçchtest die ewigen glori und eer (MS, V. 885 – 892).

Dieser der szenischen Darstellung einer unio von Seele und Gott nachgestellte Akt des Betrachtens, Bedenkens und Ermessens verfehlt seine Wirkung nicht, sondern lçst im Kaufmann vielmehr musterg#ltig jene compunctio aus, die nach Gregor aus der Liebe zu den himmlischen G#tern erw$chst: Auwe, wie hab ich mein tag sovil groser mie und arbait auf weltlich eer und auf das schnçd guot gelait! Das muoß mich rewen ewigklich (MS, V. 895 – 897).

Ist der Akt der Betrachtung die Voraussetzung f#r die Liebesreue des Kaufmanns, so werden die Exempel des Spiels zugleich als Material f#r seine geistlichen Exercitien ausgestellt. Der Theologe nutzt den Bußaffekt des Kaufmanns aus, um ihn zu einer Umkehr im Lebenswandel aufzurufen (vgl. MS, V. 900 f.) und schließt sogleich die n$chste Szene an, die bezweckt, „das du dich aber deßt bas darinn yeben thuost“ (MS, V. 914). Von der Liebe zu den himmlischen G#tern kehrt die Affektlage rasch zur Furcht vor dem Strafgericht zur#ck, denn der n$chste Sterbende, eine Variante des J#nglings aus der ersten Szene, erliegt allen Anfechtungen des Teufels und muss „in der helle grund“ (MS, V. 1128) die ewige Pein erleiden. Die Reaktion des Kaufmanns f$llt abermals musterg#ltig aus, nur ist es diesmal der timor poenae, der ihn, so die Regieanweisung, „klagen“ (vgl. MS, S. 38) und ein stetiges Erinnern der Szene geloben l$sst: „Dises sterben sol mir allweg vor meinen augen sein j damit ich nit auch kumm in sollich pein“ (MS, V. 1151 f.). Entscheidend ist, dass der Kaufmann f#r das Publikum erkennbar (und wiederholt) die theatralen Szenen in seine neu erlernte Meditationsroutine einspeist: Indem er sich auf „dises sterben“ bezieht, bezieht er sich auf einen unmittelbar zuvor rezipierten B#hnentod. Er macht das sinnliche Erinnerungsmaterial der Auff#hrung f#r die Betrachtung fruchtbar und demonstriert darin ein gezieltes (bersetzen der theatral rezipierten Szenen-

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bilder in imaginativ-meditierende Akte. Dabei verh$lt sich der Kaufmann nahezu exakt so, wie der Diener aus Seuses ,B#chlein der Ewigen Weisheit‘ oder wie es Luther nur wenige Jahre sp$ter in der Meditationsanleitung seiner ersten Psalmenvorlesung fordern wird.209 Er identifiziert sich mit dem sterbenden S#nder, erkennt die Situation als die eigene an – es h$tte ihm ebenso ergehen kçnnen (vgl. MS, V. 1153 – 1155) – und schreibt es allein der gçttlichen Barmherzigkeit zu, dass ihm ein solcher Tod bislang erspart geblieben ist: „darumb danck ich got seiner gnaden mit grosser freyd, j Das er mich hat lassen erleben dise stund“ (MS, V. 1156 f.). Indem der Theologe den Kaufmann darin bekr$ftigt, „was grosser kunst und weißhait an gçtlicher forcht leyt j Und an emssiger betrachtung des tods und letsten end“ (MS, V. 1166 f.), nimmt er die Worte der Weisheit an den Diener aus Seuses Ars moriendi auf, die unmittelbar auf den imaginierten Dialog von Diener und sterbendem S#nder folgen.210 Am Ende des dritten Teils, nachdem der letzte Sterbende ins Fegefeuer eingegangen ist, bestimmt der Theologe die ,Betrachtung‘ als #bergreifendes Rezeptionsmodell des Spiels. Er res#miert die drei B#hnentode, besteht erneut auf der Gef$hrlichkeit des Sterbens und der Notwendigkeit der Buße (MS, V. 1161 – 1166) und richtet sich schließlich mit einem Appell an den Kaufmann: „Darumb was du hierinn gehçrt unnd gesehen hast, j betracht gar eben unnd schleuß in dein hercz gar vast“ (MS, V. 1467 f.). Der Kaufmann selbst will „diser ding mein lebtag nymermer vergessen. j ich will sy offt in meinem herczen betrachten und ermessen“ (MS, V. 1475 f.). Die Erfahrung des Spiels initiiert f#r den Kaufmann ein neues Verhalten: Sie pr$gt sich seiner memoria ein und formt seinen gedanklichen Habitus um, sie liefert geistliches Anschauungs- und (bungsmaterial, auf dass er – betrachtend und ermessend – immer wieder zur#ckkommen will. Der Theologe verklammert den zweiten und dritten Teil des Spiels, indem er die Publikumsapostrophe des Todes wiederaufnimmt und erneut den auf Dtn 32,29 basierenden Merkvers unterstreicht: „O lieber fre#ndt, betracht eben dise Wort! j lern dich selbs erkennen! das ist ain grosser hort“ (MS, V. 1487 f.).211 Was es heißt, diese Worte zu betrachten, hat der 209 Vgl. diese Arbeit, S. 42–44. 210 Vgl. BdEW, S. 287. 211 Der „spruch“ des Todes wird noch einmal, mit erneuter Angabe der Bibelstelle, wçrtlich zitiert: „De#tronomii am zwayunddreissigisten capitel man list, j wie got spricht unnd unns trewlich raten ist: j ,O das sich der mensch selb erkennet mit fleyß j unnd sein lestes end eben f#rs$ch! so w$r er weyß‘“ (MS, V. 1483 – 1486).

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Kaufmann in seinen Reaktionen auf das Spiel bereits vorgef#hrt. Sein Interesse richtet sich nun auf den Zustand der Seelen im Fegefeuer, die zum Thema des vierten Teils werden. Als zentrales Problem erscheint dabei, dass viele Menschen das Fegefeuer aufgrund seiner zeitlichen Limitierung und seines (bergangscharakters als „gering unnd gar leydlich“ (MS, V. 1562) einsch$tzen. Damit der Kaufmann aber dessen Ernst „baß versteen“ kann und in seiner Neigung zur „tugendt“ best$rkt wird, will der Theologe „sehen lassen anngst unnd herczen layd, j So die armen seelen leyden in fe#rs pein“ (MS, V. 1563 – 1567). Die auf die vierte Precursorenvorrede folgenden Fegefeuerszenen thematisieren das Verh$ltnis von Diesseits und Jenseits als quasi-çkonomisches Tauschverh$ltnis: Vier Gruppen von Seelen im Fegefeuer wenden sich dabei an vier diesseitige Zielgruppen, die in unterschiedlicher Weise weltlich von ihnen profitieren (oder profitiert haben) und bitten um geistliche Gegenleistungen; Engel fungieren als Vermittler der jeweils von den Lebenden erbrachten Frçmmigkeitsdienste, welche die Qualen der Seelen im Fegefeuer lindern und ihre Zeit bis zum Eingehen ins Himmelreich verk#rzen (vgl. MS, V. 1595 – 1742).212 Durch „Peten, vasten, meß lesen unnd almuosen geben“ (MS, V. 1713) ist es den Lebenden mçglich, auf das Schicksal der Toten im Fegefeuer einzuwirken und zugleich das eigene Heil abzusichern.213 Eine darauf abzielende Imaginationsanleitung findet sich in der letzten Wiederaufnahme des Rahmengespr$chs nach der Frage des Kaufmanns, „wie ich entrinnen unnd außlçsch des fegfe#rs pein“ (MS, V. 1764). Zur Heilsvorsorge soll der Kaufmann in seinen „f#rsacz st$t beleiben“ (MS, V. 1769) und um dies zu erleichtern, empfiehlt der Theologe eine geistliche (bung, die wiederum Seuses ,B#chlein der Ewigen Weisheit‘ entlehnt ist: Der Kaufmann soll seine eigene Seele ins Fegefeuer imaginieren, sich also in die zuvor szenisch rezipierten Schrecken und Nçte hineinversetzen, und sich in dieser Weise selbst zu Werken der Barmherzigkeit bewegen: laß dich beduncken, wie dein sel yetz im fegfe#r sey, leyd umb ir s#nd unnd t$glich zuo dir schrey: ,Mein allerliebster fre#nd, erbarm dich mein unnd hilff mir auß diser graussammen pein! Ich hab nyemandt dann dich, der mir hilfft auf erden.‘ 212 Im Sp$tmittelalter entwickelte sich aus diesem Tausch- und Leistungsgedanken eine regelrechte Heilsarithmetik. Vgl. dazu grundlegend Lentes 1995, bes. S. 41 – 51. 213 Zum Hintergrund vgl. auch Angenendt 42009, S. 705 – 716.

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sich, lieber fre#nd, dardurch magstu wol bewegt werden (MS, V. 1771 – 1776).214

Der Ausruf der Seele imitiert spielintern den Ausruf der ersten auftretenden Seelengruppe, sodass die theatrale Szene auch auf sprachlicher Ebene zum Vorbild der imaginierten Szene wird.215 Eine weitere, durch die Darstellungen des Spiels selbst nicht direkt unterst#tzte Mçglichkeit der Heilssicherung bietet die Passionsbetrachtung, wie der Theologe anschließt: „auch soltu offt betrachten das leyden Jhesu Crist j Mit andacht groß; wann er dich damit erlçßt hat“ (MS, V. 1786 f.). Dass diese Anweisung in den folgenden zwanzig Versen von Autorit$tenzitaten flankiert wird, zeigt, dass sie dem Spiel nur auf den ersten Blick $ußerlich ist.216 In der meditativen Logik, die ihm zugrundeliegt, erg$nzt und vervollst$ndigt sie ein System ineinander verzahnter Betrachtungsstoffe und bildet folgerichtig den Schlussstein im Lehrgeb$ude des Theologen. Damit bietet das ,M#nchner Spiel‘ im Theatermedium ein Betrachtungskompendium f#r ein laikales Publikum, das in seinem Stoffgef#ge und seinem affektiven Kalk#l mit den Lehren f#r die Bußmeditation korrespondiert, die zeitgleich etwa in Kreisen der Devotio moderna zirkulierten. 4.1.3. B#hne, Buch, Herz. Zur Medialit$t der Betrachtung Das ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ wurde 1510 in M#nchen von Hans Schobser gedruckt und mit einem umfangreichen Bildprogramm versehen.217 Weil es nicht in Form eines Regieexemplars #berliefert ist, r#ckt es in seinem Zeugniswert ins Spannungsfeld von Auff#hrung und Lekt#re. Mit unterschiedlichen Argumenten hat man daher teils f#r seine Thea214 Vgl. BdEW, S. 283 f. 215 Die erste Seele ruft: „Erbarmbt ewch mein! erbarmt ewch mein, j o meine fre#nd, hellfft mir auß diser pein!“ (MS, V. 1597 f.) 216 Vgl. MS, V. 1789 – 1811. Genannt werden Gregor der Große, Bonaventura, Bernhard von Clairvaux und Johannes Chrysostomos. 217 Zur Diskussion der Druckgeschichte vgl. Chinca 2012, S. 218 – 220. Chinca widerlegt plausibel die Thesen Hellmut Rosenfelds zum Bildprogramm des Schobserschen Drucks. Demnach ist es nicht, wie Rosenfeld meint, „mit der eindrucksvollen M#nchner Auff#hrung vor dem inneren Auge“ durch den Stadtmaler Jan Pollack entwickelt worden und weist authentisch nach, „wie eine […] Auff#hrung in fl$chige Kunst umgesetzt werden konnte“ (Rosenfeld 1982, S. 233). Schobsers Druck greift vielmehr auf Bildformeln zur#ck, die in der Druckgraphik generell gel$ufig waren (vgl. Chinca 2012, S. 220 mit Anm. 11).

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tralit$t und teils f#r seinen Charakter als Erbauungsbuch pl$diert.218 F#r die Frage nach der meditativen Rezeption des Spiels erscheint die Opposition von Auff#hrung oder Buch jedoch als falsche Alternative. Wie oben ausgef#hrt, unterliegen Betrachtungsvollz#ge keinen medien- oder textsortenspezifischen Beschr$nkungen. Sowohl Auff#hrungen als auch B#cher kçnnen als Hilfsmedien der Betrachtung (Hamm) dienen. Das Rezeptionsmodell bleibt in beiden medialen Pr$sentationsformen intakt – w$hrend die konkrete meditative Rezeption in beiden F$llen unbeobachtbar und damit im Detail unrekonstruierbar bleibt.219 Es l$sst sich nur dar#ber spekulieren, wie weitreichend der Druck des ,M#nchner Eigengerichtsspiels‘ von der Textgestalt eines hypothetischen Regieexemplars abweicht.220 Dessen ungeachtet ist festzuhalten, dass auch der Druck des Spiels seinen theatralen Charakter nicht nivelliert, sondern bewahrt. Die Lekt#re des ,M#nchner Spiels‘ als Erbauungsbuch ist eine theatralisierte Lekt#re,221 die den imaginativen Bezug auf ein Auff#hrungsereignis anregt und sich dadurch von anderen Textsorten unterscheidet:222 Die Regieanweisungen etwa enthalten die auch f#r Auff#hrungsexemplare typischen Pr$sensformen und suggerieren das Hier und

218 Die Theatralit$t des Spiels sowie den sinnlichen Wahrnehmungsmodus, der ihm eingeschrieben ist, betont Linke 2002, S. 141 – 144. Christian Kiening und (ihm folgend) Mark Chinca heben demgegen#ber hervor, dass es sich um ein Erbauungsbuch handele, in dem der Auff#hrungscharakter nur noch anklingt (vgl. Kiening 1998, S. 251; Chinca 2012, S. 219). 219 Vgl. diese Arbeit, Kap. I.1. 220 Kiening und Chinca interpretieren insbesondere die zahlreichen Schrift- und Autorit$tenzitate als Indikatoren eines umfangreichen Bearbeitungsvorgangs (vgl. Kiening 1998, S. 251; Chinca 2012, S. 219). Da ihre implizite Pr$misse in der Dysfunktionalit$t dieser Zitate f#r eine Auff#hrung liegt, w$re jedoch zu fragen, ob hier nicht vielmehr eine Alterit$t im Auff#hrungskonzept des ,M#nchner Eigengerichtsspiels‘ hervortritt. Die Zitatpraxis des Spiels ließe sich plausibel aus der Didaxe #ber die Letzten Dinge herleiten, sind doch gerade die dem Spiel zugrundeliegenden Traktate wie das ,Speculum artis bene moriendi‘ oder diskurspr$gende Texte wie das ,Speculum peccatoris‘ oder das ,Cordiale de quatuor novissimis‘ in weiten Teilen Kompilationen aus Schrift- und Autorit$tenzitaten. Sofern die Meditation #berall entlang solcher Zitatbest$nde verl$uft, irritieren sie auch in der Auff#hrung des ,M#nchner Spiels‘ nicht, sondern erf#llen vielmehr eine Konvention des Genres. 221 In Anlehnung an den Begriff des „theatrical reading“ bei Brantley 2007, S. 278 f. 222 Zu diesem Abgrenzungskriterium vgl. Neumann/Trauden 2004, S. 37.

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Jetzt eines szenischen Vollzugs: „Jetzt kompt herf#r auß der cristenhayt ain kauffman“ (MS, S. 10).223 Besonders dort, wo sich diese Regieanweisungen zu den Holzschnitten wie Tituli verhalten, ermçglichen sie es, auch das Bildprogramm des Drucks in den Verlauf einer imaginierten Auff#hrung einzuspeisen. So befindet sich etwa der Holzschnitt, der J#ngling und Tod darstellt, direkt unter der Regieanweisung „Jetz kompt ain junger gesell, der bede#t die muotwilligen jungen menschen“ (MS, S. 13); der Holzschnitt, auf dem der J#ngling vom Pfeil des Todes getroffen wird, befindet sich direkt unter der Regieanweisung „Jetz schleicht der tod hinden zu dem jungen gsellen und scheust in, so vellt der jung gsell nyder und schreyt: Auwee, unnd stirbt g$chling“ (MS, S. 17). W$hrend Tituli in illustrierten Handschriften und Drucken eher ein deiktisches ,Hier‘ verwenden, indiziert das temporale ,Jetzt‘ der Regieanweisungen einen gegenw$rtigen Handlungsverlauf. Zugleich stellt die Verwendung von Lokaladverbien („hinden“) den Bezug auf einen szenischen Aktionsraum her.224 Formal dienen die Holzschnitte als situative Marker: So wiederholen sich etwa die Darstellungen von Kaufmann und Theologe im Diskussionsgestus jeweils vor der Wiederaufnahme des Rahmengespr$chs.225 (ber die Markierung von Szenentypen hinaus, lassen sich die Bilder jedoch auch an die meditative Funktion des Spiels anbinden. Der ins Bild gesetzte Kaufmann erzeugt dabei eine Identifikationsfigur, die sich analog zu Leserrepr$sentationen in illustrierten Privatgebetb#chern auffassen l$sst.226 Sie verst$rkt die rezeptions$sthetischen Signale des Textes, indem sie die Lesenden auch visuell ins Layout einbindet. Wie in zahlreichen vorreformatorischen Erbauungsdrucken kçnnen die Betrachtungsvollz#ge, die den Anleitungen des Theologen folgen, sich in der Lekt#re auf Bilder st#tzen. Soll der Kaufmann etwa seine Seele im 223 Zur Pr$sensform als Performanzsignal vgl. Williams-Krapp 1980, S. 27 mit Anm. 32; Williams-Krapp 1985, S. 139. 224 Die Holzschnitte sind #ber das Digitalisat des Drucks der Bayerischen Staatsbibliothek einsehbar (Got zuo lob 1510, Bl 10v; Bl. 13r). 225 Zur iterativen Verwendung der Holzschnitte vgl. ausf#hrlich Chinca 2012, S. 219 mit Anm. 11. 226 So h$lt etwa Henrike L$hnemann in Bezug auf die Darstellung knieender Nonnenfiguren in Gebetbuchminiaturen des Zisterzienserinnenklosters Medingen fest: „Die Darstellung der knienden Nonne fordert in der Rezeption zur direkten Identifizierung von Sprecherinnen-Ich und Szenen-Figur heraus“ (L$hnemann 2010, S. 111 f.). In $hnlicher Weise kçnnen sich die laikalen Leser des ,M#nchner Spiels‘ die Rolle des Kaufmanns aneignen.

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Fegefeuer imaginieren, so kçnnen die den Imaginationsvorgang umsetzenden Leser die Fegefeuerdarstellungen des Drucks als Meditationshilfe verwenden. Nicht nur die lineare Lekt#re von Text und Bild, sondern auch das Unterbrechen des Lekt#reverlaufs in der Betrachtung zeichnet aus dieser Sicht den Rezeptionsmodus des Buches aus.227 So scheint sich gerade die vom Spiel selbst angeregte und vorgef#hrte Rezeptionsweise nicht in der Opposition von Auff#hrung und Text zu erschçpfen. Beiden Formen kommt vielmehr der Status von Hilfsmedien zu, die im Idealfall die Selbstpraktiken der Zuschauer und Leser umformen. Der Umgang mit dem Spiel, auf den es ankommt, findet diesem Modell zufolge nicht nur vor der B#hne und nicht nur vor der Buchseite statt, sondern er besteht in einer habitualisierten imaginativen Performanz.228 Die Szenen sollen von ihren Tr$germedien gelçst ins Herz gelangen, um dort zum Gegenstand dauerhafter Betrachtung zu werden: „ich wil sy offt in meinem herczen betrachten und ermessen“ (MS, V. 1476).229 Diese Betrachtung impliziert, gewissermaßen als locus imaginis, eine innere B#hne. (ber die Beschaffenheit dieser B#hne l$sst sich jedoch nur Allgemeines sagen: dass mehr oder weniger kontrollierte Bildbewegungen und -wechsel stattfinden, dass einpr$gsame und affektbesetzte Figuren aufund abtreten und dass maximenartige Spr#che zirkulieren, um das Denken, F#hlen und Handeln anzuleiten.

227 Romy G#nthart hat am Beispiel des Basler Drucks vom ,Zeitglçcklein des Lebens und Leidens Christi‘ (1492) ein solches Lekt#rekonzept nachgewiesen: „Eine starre, formale Strukturierung wird zu Gunsten eines individuellen Leseprozesses weitgehend aufgelçst. Gelesen werden soll von Paragraphenzeichen zu Paragraphenzeichen. Nach jeder dieser Einheiten soll #ber das Gelesene nachgedacht und meditiert werden“ (G#nthart 2005, S. 472 f.). Im ,Zeitglçcklein‘ selbst heißt es: „Darumbe nach vnder=scheidunge der p#nctlyn mit disem zeichen also / { / wo das stat da machstu verheben ze lesen / vnd din gem#t daselbs vßstrecken in betrachtung“ (zit. nach G#nthart 2005, S. 472). 228 Vgl. dazu diese Arbeit, S. 13–15. 229 Berns spricht in Bezug auf die meditative Funktion von Bildern von ,Transfermedien‘ (vgl. Berns 2014, S. 1185), ein Begriff, der sich auch auf das Theater #bertragen l$sst.

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4.2. Kolroß’ ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘ zwischen Basel und Augsburg. (berregionale Wirkungsgeschichte und lokale Rezeptionsformen Das ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘ von Johannes Kolroß zeigt, dass meditative Theaterformen von Anfang an auch f#r protestantische Dramatiker interessant sind. Die Erfolgsgeschichte des Spiels ist nicht zuletzt an seiner #berregionalen Wirkungsgeschichte abzulesen. Soweit sich die deutschsprachige Theatersituation Basels im fr#hen 16. Jahrhundert rekonstruieren l$sst, ist sie durch Fastnachtsspiele gepr$gt und verbindet sich vor allem mit der Produktion des Druckers Pamphilus Gengenbach.230 F#r das Jahr 1503 ist ein fastn$chtlicher Umzug, f#r das Jahr 1511 ein Spiel unbekannten Inhalts belegt.231 In den n$chsten Jahren lassen sich #ber die Titelbl$tter der Drucke Auff#hrungen von Gengenbachs Spielen zur Fastnachtzeit nachweisen: 1515 werden die ,Zehn Alter‘ gespielt, 1517 folgt der ,Nollhart‘ und 1519 die ,Gouchmat‘.232 Dann schließt sich eine (berlieferungsl#cke an.233 Erst nach dem Abschluss der Reformation Basels im Jahr 1529 l$sst sich wieder eine Auff#hrungspraxis beobachten.234 Gegen#ber dem Fastnachtsspiel vollzieht diese jedoch einen Paradigmenwechsel: In engem Zusammenspiel zwischen den Schulmeistern Sixt Birck und Johannes Kolroß, den Institutionen der Lateinschule St. Theodor und der deutschen Schule zu Barf#ßern, dem Drucker Thomas Wolff und den Basler Sch#lern und B#rgern, die an den Auff#hrungen als Spieler beteiligt waren, entsteht eine Tradition, die sich auch selbst durchaus #ber ihren Neuansatz im Klaren ist.235 Mit Blick auf das dichte 230 Zu Gengenbach vgl. Prietzel 1999. 231 Vgl. die bei Simon edierten Belege (Simon 2003, S. 370 f.). 232 Vgl. Simon 2003, S. 371 f. Zur vielschichtigen und intermedialen Rezeption der ,Zehn Alter‘ im 16. Jahrhundert mit Fokus auf stadtb#rgerliche Wandmalereien vgl. Thali 2005, S. 545 – 561. 233 Levinger setzt die (berlieferungsl#cke nach der ,Nollhart‘-Auff#hrung 1517 an (vgl. Levinger 1931, S. 12). Auch das Auff#hrungsverzeichnis bei B$chtold #bergeht die ,Gouchmat‘-Auff#hrung von 1519 (vgl. B$chtold 1892, Anmerkungsteil, S. 57 – 62). 234 Zur Reformation in Basel vgl. von Greyerz 2012, S. 91 f. (mit Verweis auf weitere Literatur). 235 Im Prolog zu Bircks ,Susanna‘ heißt es etwa: „Ein zytlang haben sçllich spil j Bißhar by uns ist gschwigen stil“ (BS, V. 25 f.). Vgl. dazu Levinger 1931, S. 12. In Basel werden jedoch auch weiterhin Fastnachtsspiele rezipiert. So erscheint 1530 bei Thomas Wolff das im gleichen Jahr in Bern aufgef#hrte Fastnachtsspiel ,Elsli Tragdenknaben‘ (vgl. VD16, ZV 10359).

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Beziehungsnetz zwischen den beteiligten Akteuren l$sst sich diese Spielkultur sowohl als Schul- als auch als B#rgertheater beschreiben.236 Der Birck-Biographie des Johannes Nysaeus (1563) zufolge ließ Birck bereits im ersten Jahr seiner T$tigkeit an der Lateinschule St. Theodor in Kleinbasel (1530/31) die Dramen ,Ezechias‘ und ,Zorobabel‘ auff#hren, im Jahr 1532 folgte ,Susanna‘.237 Anders als die vorherigen erschien ,Susanna‘ noch im gleichen Jahr bei Thomas Wolff im Druck. Auf dem Titelblatt findet sich auch der Auff#hrungshinweis: „Im M. CCCCC. XXXII. Jar / offentlich inn Mindren Basel / durch die jungen Burger gehaltenn“ (BS, S. 1). Im gleichen Jahr f#hrte Johannes Kolroß sein ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘ auf, das ebenfalls 1532 bei Thomas Wolff gedruckt wurde. Auf dem Titelblatt ist das exakte Auff#hrungsdatum angegeben: „vff den ersten Sontag nach Ostern / jm M. CCCCC. XXXII. jar offentlich zuo Basel gehalten“ (FB, S. 57). Kolroß war zu diesem Zeitpunkt 236 Vgl. Levinger 1931, S. 17. 237 Die Biographie bildet den Anhang einer von Birck herausgegebenen LaktanzAusgabe (vgl. Levinger 1931, S. 3; Abdruck eines Auszugs bei Brauneck 1969, S. 297). Die weiteren von Nysaeus f#r Basel genannten Auff#hrungen des ,Joseph‘ und der ,Judith‘ verortet Levinger in die Jahre 1533 und 1534 (vgl. Levinger 1931, S. 21). Mit Ausnahme der ,Susanna‘ wurden Bircks Spiele allerdings erst in Augsburg bei Philipp Ulhart d. !. gedruckt. Die Autorfrage der 1535 anonym bei Wolff erschienenen und von Nysaeus Birck zugeschriebenen ,Tragedy wider die Abgçtterey‘ ist offen. Die ,Tragedy‘ wurde 1539 erneut in Augsburg bei Philipp Ulhart unter dem Titel ,Beel‘ gedruckt und nennt dort Sixt Birck als Verfasser (vgl. BB, S. 159). Einiges weist jedoch darauf hin, dass Kolroß und vielleicht auch der Lehrer an der deutschen Schule zu St. Martin in Basel, Christoffel Wyssgerber, an ihrer Entstehung beteiligt waren. F#r Kolroß’ Beteiligung spricht etwa der Gesang einer deutschen Fassung des 25. Psalms im dritten Akt (vgl. BB, V. 1936 – 1956). Dieser wird im Druck des Konstanzer Gesangbuchs von 1552 Kolroß zugeschrieben (vgl. Huck 2012, S. 186). Das Spiel enth$lt zwei Strophen des im Gesangbuch achtstrophigen Liedes. Jenny nimmt an, dass das Lied bereits vor dem Spiel entstand und dass es sich daher im Spiel um einen Auszug handelt (vgl. Jenny 1950, S. 68, Anm. 28). Da die Melodien zu drei Ges$ngen aus der ,Tragedy‘ von 1535 in der Liederhandschrift Christoffel Wyssgerbers #berliefert sind, pl$diert Jenny daf#r, auch ihn am Spiel beteiligt zu sehen (vgl. ebd., S. 67; Faksimile der Melodien in BB, S. 290 – 295). Eine Quelle, die Kolroß als Verfasser der ,Tragedy‘ nennt, ist die von Josias Simmler bearbeitete ,Bibliotheca‘ Conrad Gesners in der Ausgabe von 1555 (vgl. Levinger 1931, S. 20). Der vollst$ndige Eintrag zu Kolroß lautet: „Ioannes Carbonirosa Kirchouiensis, scripsit libellum de orthographica, excusum Basilae apud Thomam Vuolfium, anno 1530. Item tragicocomoediam ex Daniele propheta contra idolatriam, excusam Basileae anno 1535. Comoediam de pijs hominum meditationibus, excusam ibidem apud Thomam Vuolf. anno 1532. Vixit anno 1548“ (Simmler 1555, Bl. 93v).

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bereits seit (mindestens) zwei Jahren Lehrmeister an der deutschen Schule zu Barf#ßern, einer Einrichtung, die, wie Fechter vermutet, aus der Neuordnung des Basler Schulsystems im Zuge der Reformation von 1529 hervorging.238 (ber seine vorangegangene Laufbahn gibt es nur wenige Informationen. Am 10. August 1503 immatrikuliert sich „Johannes Kollrose de Kilikhofenen“ an der Universit$t Freiburg.239 Dabei w$re zu pr#fen, ob Kolroß sein Wissen #ber antike Dichtung, das sich etwa in den sapphischen Strophen der Chçre seines Spiels von 1532 niederschl$gt, bei einer prominenten Gestalt erworben haben kçnnte, die sich zeitgleich an der Universit$t aufhielt. Kurz zuvor, am 23. Juni 1503, hatte n$mlich Jacob Locher die planm$ßige Lektur f#r Poesie #bernommen.240 Im Jahr 1530 erscheint bei Thomas Wolff die vielleicht bekannteste Schrift von Kolroß, das ,Enchiridion‘, das ihn erstmals als deutschen Lehrmeister zu Basel ausweist.241 Das ,Enchiridion‘ ist auch f#r das Spiel von 1532 eine zentrale Quelle. Zum einen gibt es wichtige Aufschl#sse dar#ber, wie Kolroß seine T$tigkeit an der deutschen Schule verstand, die den institutionellen Rahmen seines Theaterschaffens bildete. Zum anderen enth$lt es auch Hinweise darauf, mit welchen Lekt#retechniken er sein Drama gelesen wissen wollte. In den vier Teilen des ,Enchiridions‘ versammelt Kolroß methodische Anleitungen zum Erlernen der an der deutschen Schule vermittelten F$higkeiten des Lesens, Schreibens und Rechnens. Wie aus dem Vorwort hervorgeht, sind diese Lehrinhalte jedoch keineswegs rein technisch zu verstehen. Sie sind vielmehr auf ein dezidiert religiçses Ziel ausgerichtet 238 Vgl. Fechter [1837], S. 27 f.; S. 101 f. Die fr#he Geschichte der deutschen Schulen in Basel ist weitgehend unerforscht. Fechters Arbeit aus dem Jahr 1837 ist problematisch, weil sie ihre Quellen vielfach nicht ausweist. Die h$ufiger zu lesende Auffassung, die deutsche Schule zu Barf#ßern sei aus einer Lateinschule hervorgegangen (vgl. Staehelin 1939, S. 547; Elschenbroich 1979, S. 477; Scheitler 2014, Sp. 581) l$sst sich bislang nicht absichern. Sie basiert wohl auf der eher beil$ufigen !ußerung Burckhardt-Biedermanns, die Lateinschule St. Theodor sei nach der Gr#ndung des Stadtgymnasiums 1589 in eine deutsche Schule umgewandelt worden, „wie es mit den fr#hern zu St. Martin und zu Barf#ssern gleich nach der Reformation muss geschehen sein“ (Burckhardt-Biedermann 1889, S. 15). Zu den Basler Lateinschulen vgl. Jenny 1989, S. 330 – 351. 239 Mayer 1907, S. 152. Vgl. dazu Elschenbroich 1979. 240 Vgl. Dietl 2005, S. 6. 241 Auf dem Titelblatt heißt es: „Durch Joannem Kolroß / t#dtsch Leermeystern zuo Basel“ (Kolroß 1882, S. 64). Vgl. dazu auch Hess 1897, S. 310.

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und sollen dem st$dtischen Laienpublikum als Prop$deutikum f#r die eigenst$ndige Bibellekt#re dienen: DIewyl es Gott dem allmechtigen in diser letsten zyt also gefallen / die heylig gschrifft […] dem einfaltigen leyen zuo heyl vnnd trost / ouch in verst$ndiger v$tterlicher sprach / durch den truck an das liecht zekummen lassen / Werdend nit wenig gereytzt jre kynd / […] in die t#dtsche schuol und leer zeschicken / ja ettlich der elltern selbs / ouch handtwercks gsellen / vnnd jungkfrowen […] t#dtsch schryben vnd l$ßen zelernen / sich bem#yend / die zyt vsserthalb jrer arbeit / in erlustigung heyliger gschrifft n#tzlich zuouertryben.242

Nicht nur Kinder, sondern auch Eltern, Handwerksgesellen und Jungfrauen suchen die deutsche Schule auf, um sich mit den erworbenen F$higkeiten die Zeit außerhalb ihrer Erwerbst$tigkeit n#tzlich, n$mlich mit dem Lesen in der Heiligen Schrift, vertreiben zu kçnnen. Dieser Zeitvertreib jedoch setzt nicht nur Schriftkompetenzen voraus, sondern erfordert auch Grundkenntnisse des Zahlenlesens. Denn nicht nur die Bibel, sondern auch die f#r ein Laienpublikum attraktive Erbauungsliteratur operiert mit Verweisstrukturen, die Buchstaben und Ziffern kombinieren. Diese gilt es, zu verstehen: „Dann so einer schon vil b#cher hett / vnd noch die anzeygungen vnd einhelligkeyten heyliger schrifft / noch die Ciffer (so n$ben dem text an çrtern verzeychnet) verst#nde / wurd er wenig frucht mit jnen schaffen.“243 Kolroß zielt auf einen ad$quaten Umgang mit Bibelverweisen ab, die sich im Marginalbereich der Buchseite („n$ben dem text“) befinden und zugrundeliegende Schriftstellen und (bereinstimmungen angeben. Dabei formuliert er eine f#r die Laienlekt#re entscheidende normative Vorgabe: Soll das Lesen geistliche Frucht abwerfen, so ist es notwendig, die aus Ziffern und Buchstaben zusammengesetzten Verweise nachzuvollziehen – und ihnen zu folgen. Dies setzt ein Lekt#rekonzept voraus, das nicht streng linear verl$uft, sondern zwischen verschiedenen Bezugstexten, etwa einem Erbauungsbuch und der Heiligen Schrift, hin- und herwandert. Nur in dieser Bewegung, die einen Ausgangstext verl$sst, um Schriftstellen aufzusuchen und durch diese angereichert zu ihm zur#ckzukehren, ist f#r Kolroß eine geistlich motivierte Lekt#re denkbar. Das ,Enchiridion‘ mçchte dies ermçglichen „Sçllichs aber mag ein verst$ndiger ley (der

242 Kolroß 1882, S. 65. 243 Kolroß 1882, S. 65.

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zimmlich l$ßen kan) vß disem b#chlin (so vil im nodt) ergryffen / vnd selbs lernen verston.“244 Dass die im ,Enchiridion‘ formulierte Norm auch f#r die Dramenlekt#re gilt, legen Titelblatt und Texteinrichtung des ,Spils von f#nfferley Betrachtnussen‘ nahe. Das Spiel ist nicht nur ausdr#cklich „vß der heyligen geschrifft gezogen“ (FB, S. 57), sondern verf#gt auch #ber einen umfangreichen Marginalapparat, der die zugrundeliegenden Bibelstellen verzeichnet und aufsuchbar macht. Es handelt sich um einen Modellfall jener Buchformen, die dem ,Enchiridion‘ zufolge ein Laienpublikum ansprechen, das die Basiskompetenzen f#r den Umgang mit B#chern in der deutschen Schule erlernt. Zugleich l$sst es sich als p$dagogisches Pendant des Lehrbuchs lesen. Das Spiel enth$lt ein Erziehungskonzept, das von den Eltern fordert, im je eigenen Haus am st$dtischen Reformprozess zu partizipieren. Sie kçnnen aus dem Spiel lernen, „Wie man dkind vfferziehen sol“ (FB, V. 46) – ein Appell, den auch der Beschlussredner aufgreift: „Ir Elltern, ziecht recht #wre kind“ (FB, V. 1191). Weil die Erziehung der Kinder zur Gottesfurcht und Tugend ein unmittelbarer Beitrag zur Fçrderung des Evangeliums ist, m#sse ein jeder „ann sym huß“ anfangen, „Zuo bessern und zuo Reformiern“ (FB, V. 1197 f.). Das inhaltliche Programm dieser Erziehungslehre basiert auf den f#nf Betrachtungen, die dem Spiel seinen Titel verleihen. So erscheint es als Aufgabe der Eltern, im h$uslichen Umfeld daf#r Sorge zu tragen, dass ihre Kinder einen meditativen Habitus erlernen. Die Attraktivit$t des Spiels f#r protestantische Theaterinstitutionen wird an seiner #berregionalen Wirkungsgeschichte sichtbar. Insbesondere in der Freien Reichsstadt Augsburg, sp$ter in N#rnberg, lassen sich bis in die zweite H$lfte des 16. Jahrhunderts hinein eigenst$ndige und vielschichtige Rezeptionsformen beschreiben. Die Augsburger Theatersituation des 16. Jahrhunderts ist j#ngst durch die Beitr$ge Bernhard Jahns und Silvia Serena Tschopps aufgearbeitet worden, wobei das ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘ im Hintergund bleibt.245 Seine Wirkungsgeschichte ist eng

244 Kolroß 1882, S. 65. Ein entsprechendes „Registerlin #ber die Allegationes und Concordantias der Bibli / sampt der cifer und gemeiner zaal erkl$rung“ schließt das ,Enchiridion‘ ab (vgl. ebd., S. 87 – 91). 245 Vgl. Jahn 2010; Jahn 2011; Tschopp 2010. Kolroß’ Spiel ist in anonymer Form in Jahns Auff#hrungsverzeichnis f#r die Meistersinger eingetragen (vgl. Jahn 2011, S. 63). Anhand der folgenden Darstellungen lassen sich die von Jahn angelegten Auff#hrungs- und Druckverzeichnisse um einige Dramen erg$nzen.

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mit dem personalen und wirtschaftlichen Beziehungsnetz verflochten, das zwischen den Druckzentren Basel und Augsburg bestand.246 Tats$chlich basiert die deutschsprachige Theatertradition Augsburgs im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts, bis etwa in die 1540er Jahre hinein, weitgehend auf Basler Importprodukten. Bereits 1518 druckt Johann Schçnsperger d. J. die ,Zehn Alter‘ des Pamphilus Gengenbach.247 Wie in Basel, so findet sich auch in Augsburg im Anschluss an diese GengenbachRezeption zun$chst eine (berlieferungsl#cke.248 Sie schließt sich jedoch erstaunlich rasch, nachdem die Schulmeister Birck und Kolroß im reformierten Basel ihren Neuansatz vollziehen: Schon im Jahr 1532 druckt Philipp Ulhart d. !. Kolroß’ ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘, das nun lautlich den Augsburger Verh$ltnissen angepasst und, vermutlich von Ulhart selbst, mit einer Vorrede an die Leser versehen wird.249 Auf diese ist weiter unten n$her einzugehen. Erneut bei Ulhart folgt ein Jahr sp$ter ein erster Nachdruck, sodass eine entsprechend hohe Nachfrage bestanden haben wird.250 Ein weiterer Ulhart-Druck ist undatiert und wird im VD16 auf 1535 gesch$tzt.251 Die Geschwindigkeit, mit der das Spiel von Basel nach Augsburg gelangte, legt die Vermutung nahe, dass bereits ein leistungsf$higes Verteilungsnetz etabliert war, bevor Sixt Birck 1536 an das Augsburger Gymnasium St. Anna berufen wurde.252 So scheint der Theatertransfer von Basel nach Augsburg nicht nur von den Dramatikern Birck und Kolroß, sondern vor allem von den Offizinen Wolff und Ulhart getragen worden zu sein.253 246 Basel nimmt noch vor N#rnberg, Straßburg und Leipzig in den #berregionalen Beziehungen des Augsburger Buchdrucks und -handels im 16. Jahrhundert den ersten Rang ein. Vgl. K#nast 1997, S. 140 – 153, bes. S. 149. 247 Vgl. VD16, G 1226. 248 Eine Ausnahme ist der von Sigismund Grimm und Marx Wirsung angefertigte Druck der ,Celestina‘ Christoph Wirsungs von 1520 (vgl. VD16, R 2930). Vgl. die Liste bei Jahn 2010, S. 224. 249 Vgl. VD16, K 1966. Die Vorrede ist abgedruckt bei Odinga 1890, S. 54. 250 Vgl. VD16, K 1968. 251 Vgl. VD16, K 1969. Ein auf 1535 datierter Druck, der auf den Ulhart-Drucken basiert, jedoch nicht selbst von Ulhart stammt, wird im VD16 dem Wiener Drucker Johann Singriener d. !. zugeordnet (VD16, ZV 16000). Dies w$re angesichts der protestantischen Marker im Spiel jedoch #berraschend. 252 Zu Bircks Laufbahn vgl. den Abriss bei Tschopp 2010, S. 187. 253 K#nast weist darauf hin, dass die Verteilungsnetze des Buchhandels im 16. Jahrhundert „nicht anonyme Organisationen“ waren, „sondern stark von persçnlichen Gesch$fts- und Vertrauensverh$ltnissen gepr$gt“ (K#nast 1997, S. 150). Ein mit entsprechender Logistik verbundener Gesch$ftskontakt zwischen Wolff und Ulhart kçnnte den schnellen Transfer von Koloß’ Spiel im Jahr 1532 erkl$ren.

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Druckte in Basel Thomas Wolff die Spiele von Kolroß und Birck, so #bernimmt in Augsburg Philipp Ulhart d. !. die Autoren in sein Programm.254 Aufschlussreich ist dabei der gegen#ber dem Basler Druck der ,F#nfferley Betrachtnusse‘ neu hinzugef#gte Paratext, die Vorrede, die den Ulhart-Drucken seit 1532 beigegeben ist. Indem sie das Spiel vor dem Hintergrund antiker oder antikisierender Dramen pr$sentiert, weist sie die zeitgençssische humanistische Theaterpraxis als seinen Bezugspunkt aus. Zu dieser steht es weniger in einem oppositionellen als in einem erg$nzenden Verh$ltnis. Zwar dienen, wie die Vorrede betont, alle Komçdien und Tragçdien zur Besserung des Lebens und zur Vermeidung allen Hochmuts, Dennocht m#ssen die Poeten offt ethwan hinein setzen damit sie die zuohçren mit lust erhalten / auch offtermal zuo schendlichen spr#chen fallen / das dann aines knabens gem#t vnd hertz bald zu ainem bçsern willen zeucht / so er nit erkhennnen kan oder mag warumb sollichs gesagt sey / Deshalben seindt wir bewegt worden nit aines Weltliches oder Haydenisches Poeten dichtung im Te#tsch zutrucken vnnd in die gemain auß lassen gehen / Sonder ain solliche kurtzweyl / die aus der hayligen geschrifft gegr#ndet vnnd verfast ist.255

Um die Aufmerksamkeit des Publikums zu erhalten, arbeiten die Komçdiendichter mit „schendlichen spr#chen“. Diese werden nicht grunds$tzlich angegriffen, sondern kçnnen, sofern sie auf eine geschulte Rezeptionshaltung treffen, einen legitimen Zweck erf#llen. Man muss jedoch erkennen, „warumb sollichs gesagt sey“. Da gerade junge „knaben“ #ber eine solche Rezeptionshaltung noch nicht verf#gen, kçnnen die „schendlichen spr#che“ bei ihnen negative Wirkungen zeitigen. Das Differenzkriterium, mit dem das Spiel beworben wird, besteht daher darin, dass es „aus der hayligen geschrifft gegr#ndet unnd verfast ist“.256 Vor dem Hintergrund der Augsburger Dramen#berlieferung konnte dies 1532 durchaus als Novum gelten: Ein in dieser Hinsicht vergleichbares deutschsprachiges Spiel war auf dem Augsburger Buchmarkt offenbar nicht vorhanden. Seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert gut bekannt waren hingegen die neulateinischen Komçdien von Joseph Gr#npeck, Jacob 254 F#r die Birck-Drucke vgl. Tschopp 2010, S. 190. Laut K#nast druckte Ulhart in Augsburg „fast ganz allein die deutschen Theaterst#cke“ (K#nast 1997, S. 242). Eine $hnliche Rolle #bernahm Wolff in Basel. 255 Zit. nach Odinga 1890, S. 54. 256 Dass gerade die Heilige Schrift nicht frei von Obszçnem ist, f#hrte freilich bereits Luther als Argument an, um das Theater wiederum gegen Obszçnit$tsvorw#rfe zu verteidigen (vgl. dazu Metz 2013, S. 125).

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Locher oder Conrad Celtis.257 Die Vorrede wird jedoch prim$r auf die Komçdien des Plautus und des Terenz anspielen. Nicht das klassische, st$ndisch definierte Komçdienpersonal tritt im Spiel auf, sondern der Leser selbst soll sich darin erkennen: „darinn du nit des knechts oder Herren ungl#ck sehest / sonder dein aygen leben erkhennest / vnnd dich widerumb zu sterben / geborn sein.“258 Dieses Erkenntnisversprechen ist vom meditativen Konzept des Spiels nicht ablçsbar. Es verschafft ihm ein Profil, das sich von dem der weltlichen Komçdien unterscheidet und sichert ihm in dieser Weise ein Alleinstellungsmerkmal. Ein wichtiges Zeugnis f#r die Rezeption des Spiels in Augsburg ist die Bearbeitung und Auff#hrung einer ,Zehn Alter‘-Fassung durch den Modisten und Rechenmeister Jçrg Dietle im Jahr 1539. Dietle legte seiner Bearbeitung die Wickramsche Fassung der ,Zehn Alter‘ zugrunde und interpolierte hierbei umfangreiche Passagen aus dem ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘.259 F#r den von Narziß Ramminger besorgten Druck wurden diese mit vier eigens angefertigten Holzschnitten versehen.260 Ins Jahr 1539 f$llt so auch die erste belegbare Auff#hrung von Szenen des Spiels in Augsburg. Dietles ,Zehn Alter‘-Fassung erf$hrt mindestens einen Nachdruck, dessen Titelblatt jedoch verloren ist. F#r diesen wurde das Bildprogramm des Ramminger-Drucks in grçberer Qualit$t nachgeschnitten.261 257 Vgl. Jahn 2011, S. 62. 258 Zit. nach Odinga 1890, S. 54. 259 Die Bearbeitung liegt in einer kommentierten Faksimileausgabe vor (Gengenbach 1980). Laut Germann finden sich bindende Parallelen zu den beiden Straßburger Frçlich-Drucken von 1531 und 1534 (vgl. Germann 1980, S. 12). F#r die Augsburger Rezeption der ,Zehn Alter‘ ist #berdies das Auff#hrungsgesuch Johannes Rogels vom 12. Dezember 1551 von Interesse (vgl. Schnell 1958, S. 113). Das Gesuch bezieht sich vermutlich auf eine der in Augsburg verf#gbaren Versionen der ,Zehn Alter‘ und ist nicht unbedingt mit einer verlorenen Handschrift in Verbindung zu bringen (so die Vermutung von Jahn 2010, S. 224). 260 Germann datiert den Druck ohne weitere Begr#ndung auf 1543. Aus dem Druck selbst geht dies nicht hervor. Von Narziß Ramminger sind bis 1550 Drucke – #berwiegend Liederdrucke – #berliefert (vgl. Germann 1980, S. 15 f.; Reske 2007, S. 40). Ramminger ist vermutlich identisch mit dem bei Fritz Schnell erw$hnten Schulmeister Narcis Ranninger, der in den 1550er Jahren Dramen auff#hren ließ (vgl. Schnell 1958, S. 113). Germann vermutet, dass Kolroß’ Spiel 1536 durch Sixt Birck persçnlich von Basel nach Augsburg #bermittelt worden sein kçnnte (vgl. Germann 1980, S. 29). Mit Blick auf die Augsburger Drucke seit 1532 er#brigt sich diese Hypothese. 261 Es handelt sich um den in der Wickram-Ausgabe Roloffs mit der Sigle Q versehenen Druck (vgl. Roloff 1997, S. 331). Roloff war der Ramminger-Druck of-

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Dass Kolroß’ Spiel eine kontinuierliche lokale Rezeption erfuhr, belegt schließlich die Chronik der Augsburger Meistersinger in der Handschrift des Augsburger Stadtarchivs, 48 Cod. Aug. 218.262 Die Chronik enth$lt auf wenigen Bl$ttern einen Abriss der zahlreichen Stationen der Augsburger Meistersingerschule von 1534, dem Jahr ihrer Neugr#ndung, bis 1594.263 Nach zahlreichen Ortswechseln gelangten die Meistersinger von den Stuben Sebastian Wilds #ber die Heilig-Kreuz-Kirche in die Kirche St. Martin. Dort sei man 1550 angekommen, zehn Jahre geblieben und habe auch das erste Spiel aufgef#hrt: Darnach von des Wildenstuben wider zum Creuocz, vom Creuocz zue St. Marthin, da hat man zelt 1550. Da hat der Pfenning angefangen, vnd sind 10 Jahr da gewesen, vnd haben daß Erst spil da gehalten, das ist gewesen die 5 betrachtnussen. Da ist der Abraham Ottendorfer die Junckfraw gewesen vnnd andreas der Altman, vnd der spuozendrat ist der Juongling gewest.264

Entgegen der in der Forschung gel$ufigen Datierung der ersten Spielauff#hrung auf 1550 l$sst der Text das Auff#hrungsjahr offen.265 Es scheint dem Chronisten weniger darauf angekommen zu sein, ein exaktes Datum

262 263 264 265

fenbar unbekannt. Im Anschluss an die Vorg$ngerausgabe Johannes Boltes wird die Datierung des Q-Drucks auf um 1560 (?) angegeben. Die urspr#nglich auf Dietles Interpolationen zur#ckgehenden Szenen aus den ,F#nfferley Betrachtnussen‘ druckt Roloff mitsamt der nachgeschnittenen Bilder ab (vgl. ebd., S. 332 – 338). Die Holzschnitte sind gegen#ber dem Ramminger-Druck durchgehend spiegelverkehrt und grçber ausgef#hrt, was darauf schließen l$sst, dass dieser unmittelbar als Vorlage gedient hat. An einigen Stellen finden sich im Q-Druck sinnver$ndernde Textvarianten oder versehentliche Dopplungen, welche die Reimbindung verletzen: „Dçrt spilt ein buob dem sich ich an j Das er [nit] das Vater vnser kan“ (ebd., S. 333); „Owee das Got erbarmen muoß j Das mirs mein Vatter ye nach luoß j O wee das Gott erbarmen muoß j Vatter unnd Muotter hand mirs nie gewerd“ (ebd., S. 334). Zur Handschrift vgl. RSM 1, S. 68 f. Die Chronik ist in separaten Publikationen ediert worden. Abdruck des Anfangs bei Hartmann 1880, S. 195 f.; Abdruck des Schlussteils bei Keinz 1893, S. 155. Zu dieser Neugr#ndung vgl. Schnell 1958, S. 11 – 13. Die entsprechende Supplication der Meistersinger an den Augsburger Rat ist bei Schnell im Anhang abgedruckt (vgl. ebd., S. 110). Zit. nach Hartmann 1880, S. 196. Die Jahresangabe bezieht sich zun$chst auf den Umzug nach St. Martin. Ob sich die Angabe #ber die Spielauff#hrung auf 1550 zur#ck- oder auf den zehnj$hrigen Zeitraum in St. Martin bezieht, ist nicht eindeutig bestimmbar. Die in der Forschung h$ufiger zu lesende Datierung auf 1540 geht wohl auf einen Druckfehler bei B$chtold zur#ck (vgl. B$chtold 1892, S. 300). Sie wird u. a. in den NDBEintrag zu Kolroß #bernommen (vgl. Elschenbroich 1979, S. 477 f.).

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festzuhalten, als das Initialereignis des Augsburger Meistersingertheaters auf çrtlicher, inhaltlicher und personaler Ebene zu dokumentieren.266 Dabei wirft der Eintrag die Frage auf, in welcher Form die Meistersinger die Auff#hrung vor der Niederschrift in Cod. Aug. 218 konservierten: Lag dem Chronisten ein Regieexemplar mit Personenverzeichnis vor, wurden die Informationen m#ndlich weitergegeben oder handelt es sich mçglicherweise noch um persçnliche Erinnerungen?267 Geht man davon aus, dass die erste Theaterauff#hrung von den Meistersingern auch um 1550 als bedeutsames Ereignis wahrgenommen wurde, so erh$lt die Entscheidung f#r Kolroß’ ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘ in jedem Fall besonderes Gewicht. Die Meistersinger kn#pften mit dieser Wahl an eine lokal bew$hrte Tradition an. Sie griffen auf ein popul$res Spiel zur#ck, das in Augsburg bereits seit etwa zwanzig Jahren durch den Druck bekannt war und das auch der Spielleiter Jçrg Dietle 1539 heranzog, um seine ,Zehn Alter‘-Auff#hrung anzureichern. Eine bemerkenswerte Rezeption des Spiels um die Mitte des 16. Jahrhunderts bilden zwei Liedflugschriften, von denen eine mit dem N#rnberger Drucker Friedrich Gutknecht in Verbindung gebracht werden kann.268 Es handelt sich um eine Auskopplung der vierstimmigen, je drei sapphische Strophen umfassenden Chçre, die das Spiel strukturieren.269 In direkter Abfolge ergeben sie auch unabh$ngig vom Dramenkontext ein 266 Abraham Ottendorfer ist noch 1596 als Rechtsbeistand der Witwe Johann Reinholds belegt (vgl. Bobinger 1969, S. 22). Sofern die Chronik um 1594 verfasst wurde, lebte er zu diesem Zeitpunkt also noch. 267 F#r das Schreiben aus Erinnerung spricht die etwas willk#rlich erscheinende Auswahl der Spieler, die nicht immer der Relevanz der Figuren entspricht. Auff$llig ist auch, dass der Spieler des alten Mannes, Andreas, nur beim Vornamen genannt wird. 268 Eine Liedflugschrift ist bei Wackernagel nachgewiesen und wird von diesem auf 1550 gesch$tzt (vgl. Wackernagel 1855, S. 238 [Nr. DXCVII]). Vgl. VD16, K 1964. Sie ist auch heute noch aufzufinden (anders Scheitler 2013, S. 413) und ist in einen Sammelband der Universit$tsbibliothek Frankfurt unter der Signatur W 1154, Nr. 29 eingebunden. Den Gutknecht-Druck datiert Eberhard Nehlsen auf um 1565 (vgl. Nehlsen 2008, S. 174 [Nr. 432]). Vgl. VD16, ZV 9125. Digitalisat einsehbar (vgl. Ein schçn Lied 1570). Gutknecht war auf Liedflugschriften spezialisiert (vgl. Reske 2007, S. 680 f. und die Eintr$ge im VD16). 269 Vgl. dazu den Eintrag bei Scheitler 2013, S. 413. Der passende Tonsatz wurde vermutlich aus den ,Melopoiae‘ des Petrus Tritonius (1507) #bernommen (vgl. ebd., S. 413). Eine Aufnahme des ebenfalls sapphischen Chores ,Wir sçnd alleyne Lieben Gott vertruwen‘ aus der oben genannten ,Tragedy wider die Abgçtterey‘, dem das gleiche Muster des Tritonius zugrundeliegt, befindet sich auf der CD bei Scheitler 2013.

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koh$rentes ,Lied‘, das sich mit geringem Aufwand separat vermarkten ließ: Der erçffnende, prologhafte Chor, der das Spiel situativ verortet,270 wurde ausgespart, Referenzen auf den Spielkontext wurden umformuliert,271 eine Strophenfolge wurde vertauscht und eine weitere Strophe fehlt.272 Die Liedflugschriften dokumentieren nicht nur eine originelle Zweitvermarktung, sondern lassen auch (berlegungen dar#ber zu, wie die Ges$nge im Dramendruck vom zeitgençssischen Publikum wahrgenommen und rezipiert wurden: Standen sie funktional in unmittelbarer N$he zum Lied, so liegt es nahe, dass bereits die Dramendrucke einen entsprechenden Gebrauch angeregt haben und dass die Chçre des Spiels auch im privaten Rahmen gesungen werden sollten.273 4.3. Dramenhandlung und meditatives Stoffgef#ge Die Handlung der ,F#nfferley Betrachtnusse‘ ist auf den ersten Blick unscheinbar. Kolroß geht f#r sein Spiel vom Figurentypus des weltverfallenen J#nglings aus, der auch die Reihe der B#hnentode im ,M#nchner Eigengerichtspiel‘ erçffnet. Doch w$hrend der J#ngling im ,M#nchner Spiel‘ selbst angesichts des Todes uneinsichtig bleibt und folgerichtig in die Hçlle eingeht, kommt es bei Kolroß zur conversio: Vom Pfeil des Todes getroffen, bereut der J#ngling seinen Lebenswandel und erh$lt einen zeitlichen Aufschub. Mithilfe der geistlichen Unterst#tzung eines Pr$dikanten gelingt es ihm, allen Anfechtungen der Welt und des Teufels zu widerstehen und schließlich ins Paradies zu gelangen. An diese Handlung schließt sich ein weiterer Teil an, der den p$dagogischen Aspekt des Spiels entfaltet. Hier agieren vor allem Kinder, die den im Publikum anwesenden Eltern und Altersgenossen die Konsequenzen mangelnder Erziehung vorf#hren. Auf diese Erziehungslehre weisen sowohl der Prolog als auch der Epilog 270 Inc.: „Gott gr#ß #ch schone, hie in einer gmeyne“ (FB, V. 1). 271 So heißt es in der zweiten Strophe des dritten Chors: „Diss spil und lieder #ch dasselb bed#dten“ (FB, V. 584). Im Gutknecht-Druck wird daraus: „Das Spilen vnnd liegen / was euch dasselbig thut bedeuten“ (Ein schçn Lied 1570, o. S.). 272 Im Gutknecht-Druck folgt die erste Strophe des vierten Chors auf die zweite Strophe des dritten Chors. Die zweite Strophe des vierten Chors fehlt. 273 War die (bernahme bereits tradierten, insbesondere kirchlichen Liedguts im Schauspiel des 16. Jahrhunderts der weitaus gel$ufigere Fall, so ist doch auch die Auskopplung von Liedern aus Dramen çfter bezeugt. Zum Gebrauch von Kirchenliedern im Drama vgl. Scheitler 2010; zum Export von Liedtexten aus Dramen vgl. Huck 2012, S. 186 – 188.

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deutlich hin. Sie ist konzeptuell in das Spiel integriert, sodass es wenig plausibel erscheint, den Teil als nachtr$gliche Zutat oder als Konzession an den Publikumsgeschmack zu bewerten.274 Man hat das Drama aufgrund der Umkehr des J#nglings h$ufiger als eine Verbindung des Jedermannstoffes und des Gleichnisses vom Verlorenen Sohn beschrieben.275 Dies ist insofern irref#hrend, als die Rezeption der Jedermann-Dramen, die textgeschichtlich auf den niederl$ndischen ,Elckerlijc‘ und auf dessen Dramatisierung der Parabel von den drei Freunden zur#ckgehen, im deutschen Sprachraum erst einige Jahre sp$ter einsetzt.276 Kolroß hat den Stoff vom sterbenden S#nder unabh$ngig von dieser literarischen Reihe dramatisiert. Das Gleichnis vom Verlorenen Sohn (Lk 15,11 – 32) wird im Spiel lediglich als Exempel f#r Umkehr und Buße im Allgemeinen zitiert und steht hier in keiner direkten Verbindung zu der entsprechenden noch jungen Dramentradition.277 Als innovative Leistung hat die Forschung seit Goedeke vor allem die erstmalige Verwendung sapphischer Strophenformen im deutschsprachigen Drama hervorgehoben.278 274 Vgl. etwa L$uchli 1960, S. 164. 275 Vgl. Odinga 1890, S. 54; Elschenbroich 1979; Michael 1984, S. 224; Scheitler 2014, Sp. 583. 276 Zur Parabel als stoffgeschichtlicher Grundlage der Jedermann-Dramen vgl. Dammer/Jeßing 2007, S. 2 – 7; Jeßing 2008, S. 87; Thiel 1990, S. 165. Zur (berlieferung und Rezeption der Parabel immer noch grundlegend ist Goedeke 1865. Das erste deutschsprachige Spiel, das sich textgeschichtlich auf den ,Elckerlijc‘ zur#ckf#hren l$sst, ist der ,Homulus‘ Jaspar von Genneps, der 1539 aufgef#hrt und 1540 in dessen eigener Offizin gedruckt wurde; der Auff#hrungsbeleg findet sich in der Vorrede des Drucks (vgl. Wiemken 1965, S. XVf.). Bereits 1536 hatte Gennep den lateinischen ,Homulus‘ des Christian Ischyrius gedruckt und damit das Jedermann-Drama in den deutschen Sprachraum eingef#hrt (vgl. ebd., S. XIII). 277 In einer Ansprache des Engels an den J#ngling heißt es: „T$glich Gott selber opffer dich, j Bycht jmm von hertzen innigklich j Dyn s#nd mit dem verlornen Son“ (FB, V. 805 – 807). Vor 1532 waren nur zwei dramatisierte Fassungen des Gleichnisses im Umlauf: Burkhart Waldis’ konfessionspolemisches niederdeutsches Drama von 1527 und der ,Acolastus‘ des Wilhelm Gnapheus von 1529 (vgl. Holstein 1880, S. 3; 10). 278 Allerdings nicht, ohne dabei $sthetische Vorbehalte zu $ußern: „[E]in Versuch, der sehr unbefriedigend ausgefallen und mit den schulmeisterlichen Bem#hungen des Paul Rebhun, andre antike Metra in deutschen Versen wiederzugeben, auf dieselbe Stufe zu stellen ist“ (Goedeke 1865, S. 77). Wiemken, dessen Einleitung zur Anthologie ,Vom Sterben des Reichen Mannes‘ noch immer als Quelle f#r die Geschichte der Jedermann-Dramen genutzt wird (vgl. etwa Dammer/Jeßing 2007), macht daraus gar den „dubiosen Versuch des Verfassers, die sapphische

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Die eigentliche Pointe des Spiels liegt jedoch weniger in den Metren, Figurentypen, Stofftraditionen oder Handlungsmomenten, die es aufruft. Viel wichtiger ist, auf welche Praxis Kolroß sein Spiel ausrichtet: es kommt ihm in erster Linie darauf an, dass sein Publikum die Meditation f#nf verschiedener Stoffe ein#bt.279 Darin liegt eine innovative und in dieser Form auch einzigartige Verkn#pfung von Dramenhandlung und meditativem Stoffgef#ge. Kolroß verschr$nkt die Szenenfolgen seines Spiels mit einem Strukturmodell, das weniger in der humanistischen Dramentradition als in der sp$tmittelalterlichen Traktat#berlieferung seinen Bezugspunkt hat.280 Das f#nfteilige Betrachtungsschema ist an die Szenen angebunden, ohne einen Bezug auf das antike F#nfakt-Schema zu suchen.281 Eine Einteilung des Spiels in drei Akte ließe sich #ber die Chorges$nge plausibel machen, doch das Betrachtungsschema ist geradezu darauf angelegt, diese Gliederung in der Rezeption zu #berformen. 4.3.1. Sagen, Singen, Hçren, Lesen: Die Vermittlung des Schemas Eine Engf#hrung von dramatischer Handlung und Anleitung zur Meditation findet sich bereits im ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘. W$hrend dessen Betrachtungsstoffe aus dem Spielverlauf erschlossen werden m#ssen, extrapoliert Kolroß seine Meditationslehre und gibt der Verbindung von Drama und Betrachtung einen systematischen Rahmen. Ein ganzes Ensemble aus Para- und Nebentexten ist daran beteiligt, das Betrachtungsschema des Spiels zu vermitteln und wiederholt ins Ged$chtnis zu rufen. So ist das Titelblatt des Drucks mit zwei Summarien ausgestattet, in denen die f#nf Betrachtungspunkte geb#ndelt werden. Einem lateinischen Distichon folgt ein deutschsprachiger gereimter Vierzeiler, der #ber ersteres hinaus auch die intendierte Wirkung des Meditierens verr$t: Strophe als Dramenvers einzuf#hren“ (Wiemken 1965, S. XXIV). Kolroß verwendet als Metrum des Sprechtextes jedoch den #blichen Knittelvers. Eine belastbare und aktuelle (berblicksdarstellung zu den Spielen vom sterbenden Menschen ist zur Zeit ein Desiderat. 279 Der meditative Anspruch des Spiels blieb bislang nahezu unbeachtet. In einem popul$rwissenschaftlichen Portr$t des Spiels spricht Ernst L$uchli von den „f#nf Meditationen, die das Spiel beherrschen“ (L$uchli 1960, S. 173), ohne dieser Beobachtung weiter nachzugehen. 280 Vgl. etwa die oben besprochenen Traktate Gerhard Zerbolts van Zutphen. Diese wurden auch im sp$tmittelalterlichen Basel gedruckt (vgl. G#nthart 2007, S. 388 – 390). 281 Zur Rezeption des F#nfakt-Schemas im Drama des 16. Jahrhunderts vgl. Petersen 1998, bes. S. 97 – 101.

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Summa Spectaculi. Mors Christi, & tua mors: Fraus mundi, gloria coeli, Et dolor inferni, sunt meditanda tibi. Die Summ des spils. Den tod Christi / das sterben dyn / Den btrug der welt / der helle pyn / Des hymels frçud / glori / und eer Betracht allzyt / so s#ndtst nit meer (FB, S. 57).282

Das Distichon ist bei Hans Walther in einer Reihe sp$tmittelalterlicher Manuskripte nachgewiesen und fand als handschriftliche Rezeptionsspur auch Eingang in das von Sabine Griese untersuchte, um 1500 entstandene ,Franziskanische Tagzeitenblockbuch‘.283 Der protestantische Dramatiker Kolroß nutzt damit einen deutlich in der vorreformatorischen Meditationstradition verankerten Merkvers, um ein Muster f#r die Dispositio seines Spiels zu gewinnen. Ganz $hnliche Merkverse finden sich auch in anderen Meditationstraktaten des Sp$tmittelalters. So bezieht sich etwa das ,Cordiale de quatuor novissimis‘ des Gerhard von Vliederhoven auf folgenden Merkvers #ber die Vier Letzten Dinge: „Bis duo sunt que cordetenus sub pectore misi, j Mors mea, iudicium, baratri nox, lux paradisi“.284 Auff$llig ist, dass die Abfolge der Betrachtungspunkte bei Kolroß von den tradierten Schemata abweicht, in denen die Betrachtung des menschlichen Elends der Betrachtung der gçttlichen Barmherzigkeit und Wohltaten vorangestellt ist – Schemata, die auch im ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ ihre Spuren hinterlassen haben.285 Kolroß entwickelt ein Stoffgef#ge, das auf dem Primat der Passionsbetrachtung beruht und das 282 In der lateinischen Variante sind die letzten beiden Punkte vertauscht; der im Spiel vermittelten Ordnung entspricht jedoch der deutsche Text. In den Augsburger Drucken ist das lateinische Argumentum neu formuliert und weicht in der Anordnung der Betrachtungsstoffe noch weiter vom deutschen Vierzeiler ab. Die himmlischen Freuden wurden #berdies ausgelassen: „Argumentum. Si cupis summam dramatis uidere, j Mors ferox Christi celebratur, atque j Mors tuae uitae, dolor inferorum, j Fraus quoque mundi“ (Kolroß 1533, o. S.). 283 Vgl. Walther 1964, S. 942 [Nr. 10]. Dort ist allerdings der eigene Tod dem Tod Christi vorangestellt: „Mors tua, mors Christi, fraus mundi, gloria coeli j Et dolor in ferni sunt meditanda tibi.“ Zum Kontext des ,Franziskanischen Tagzeitenblockbuchs‘ vgl. Griese 2013, S. 300 f. 284 Zit. nach Chinca 2008, S. 369. „Zweimal zwei Dinge sind es, die ich unter meiner Brust fest ins Herz geschlossen habe: Meinen Tod, das Gericht, die Nacht der Hçlle, das Licht des Paradieses.“ 285 Zwar sind die verschiedenen Betrachtungsstoffe auch hier nicht streng blockhaft angeordnet, doch es f$llt auf, dass die meditatio mortis den Beginn des Spiels dominiert, w$hrend die Passionsbetrachtung erst am Ende erw$hnt wird.

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II. Tod

weniger in Blçcken als in komplement$ren Paaren organisiert ist. Der Tod Christi im ersten Halbvers geht dem eigenen Tod im zweiten Halbvers voran; dem Betrug der Welt und der Hçllenpein sind die himmlischen Freuden gegen#bergestellt. Sofern die Meditation von der Erlçsung und nicht von S#nde und Tod ausgeht, l$sst diese Konfiguration auch Auswirkungen auf die beteiligten Affekte vermuten. Neben den Summarien bildet der Marginalapparat ein druckspezifisches Vermittlungsinstrument. Er verzeichnet und nummeriert die jeweils in der Dramenhandlung eingef#hrten Betrachtungspunkte und erleichtert der Lekt#re ein schnelles Auffinden der entsprechenden Passagen.286 Im theatralen Vollzug erf#llt die Schauspielmusik eine vergleichbare Funktion. Die Chçre, die den Spielverlauf strukturieren, verbinden die aus der jeweils vorangegangenen Handlung ableitbaren Betrachtungspunkte mit Appellen an das Publikum. Bereits der prologhafte Chor, der das Spiel erçffnet, lenkt die Aufmerksamkeit des Publikums auf die F#nfzahl und reflektiert dabei auch die Aufgabe des Gesangs: Hie w$rdt ir klore von f#nff grossen dingen Fry, offenbore hçren sagen, singen. So jr die fassen, werdt jr ds#nd verlassen und die welt hassen (FB, V. 5 – 8).

Die sowohl im Medium des gesprochenen Vortrags („sagen“) als auch im Medium der Chçre („singen“) transportierten „f#nff grossen dinge“ gelte es zu fassen, um sich von der S#nde bekehren und zu einer Haltung der Weltverachtung finden zu kçnnen. Dass diese „dinge“ inhaltlich zun$chst unbestimmt bleiben, ist Teil einer Strategie, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu binden. Dieses wird dazu herausgefordert, sich die Betrachtungen selbst aus dem Spielverlauf zu erschließen, wobei die Chçre sukzessive Hilfestellungen geben. Im zweiten Chor finden sich die ersten beiden Betrachtungspunkte wieder, im dritten Chor der dritte Punkt, im vierten Chor schließlich der vierte und f#nfte Punkt.287 Der Herold, der im Anschluss an den ersten Chor den Prolog vortr$gt, macht diese Strategie explizit. Auch er verweist auf „F#nff betrachtnus […], j Welche den menschen billich bkeeren“ (FB, V. 37 f.), ohne diese inhaltlich zu bestimmen. Die Zuschauer sollen aufmerksam zuhçren, um ihre Bedeutung 286 FB, S. 62 („Die erst betrachtnus“); S. 68 („Die ander betrachtnus“); S. 75 („Die dritt betrachtnuss“); S. 85 („Die fierd betrachtnuss“; „Die f#nfft betrachtnuss“). 287 Da die musikalische Realisierung der vierstimmigen Ges$nge vermutlich auf einen streng homorhythmischen Satz zur#ckgriff, war eine gute Verst$ndlichkeit des Textes gew$hrleistet (vgl. Scheitler 2013, S. 413).

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zu erfahren: „Was yedes bd#dt, werdt ir wol bhricht, j So jr vffloßen, wie man spricht“ (FB, V. 49 f.). Erst der Beschlussredner tr$gt im Epilog eine nummerierende ,Auflçsung‘ vor, die funktional mit den Summarien des Titelblatts vergleichbar ist (vgl. FB, V. 1214 – 1248). Neben diesen Paratexten und epischen Instanzen sind es drei handlungsinterne Figuren, die in l$ngeren unterweisenden Passagen die Betrachtungen an den J#ngling und an das Publikum vermitteln: Ein Pfarrer, der den J#ngling zur Passionsbetrachtung ermahnt und zun$chst scheitert; der Tod, der den J#ngling zur Umkehr bringt und zur meditatio mortis anleitet; ein Predikant, der den Betrug der Welt vor Augen f#hrt und schließlich ein Engel, der auf die himmlischen Freuden und auf die hçllischen Strafen verweist. 4.3.2. Die f#nf Betrachtungen Die erste Szene ist eng auf den liturgischen Zeitpunkt der Erstauff#hrung, den letzten Tag der Osteroktav 1532, bezogen. Sie produziert Aktualit$t, indem sie die Handlung in die unmittelbare Gegenwart des Publikums verlegt. Der J#ngling, der „vff das aller h#pschest (nach der welt) gekleydet“ (FB, S. 60) sein soll, greift die liturgische Vergegenw$rtigung der Passionsund Osterereignisse auf, indem er ein von ihm und seinen Gesellen veranstaltetes Gelage damit begr#ndet, dass Christus auferstanden sei und „vns all mit sym bittren todt j Erlçßet hat vß aller nodt“ (FB, V. 59 f.). Weil Christus den Zorn des Vaters ges#hnt habe, sei es nur legitim, frçhlich zu sein, bis in den Morgen hinein zu tanzen und ausgiebig zu prassen (vgl. FB, V. 61 – 68). Bewusst plakativ demonstriert die Figur eine selektive Deutung des Leidens Christi, die sich zwar auf das Faktum der Erlçsung beruft, dessen theologische Bedeutung jedoch verkennt. Der Pfarrer, der sich nun in die Szene einschaltet, ist darum bem#ht, diese Sicht zu korrigieren und die weltliche Ausgelassenheit des J#nglings geistlich umzuformen: „Doch hçr, was frçud du sçllist han j Vnds dantzen vnderw$gen lan!“ (FB, V. 73 f.) Angefangen beim S#ndenfall rekonstruiert seine Unterweisung das gesamte heilsgeschichtliche Narrativ, in das die Passion einzubetten ist (vgl. FB, V. 75 – 110). Erst in diesem – theologisch gedeuteten – Kontext kann die Passion meditiert und ihre Erlçsungsbedeutung erkannt werden. Die daraus resultierende Freude ist jedoch nicht von Trunkenheit, sondern von Dankbarkeit gepr$gt: Den w$g [zum Paradies, C. S.] hat Christus wider gmacht Durch synen tod: dasselb betracht!

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II. Tod

Vß lieb thett Gott von himmel senden Syn Sun, all vnser nodt zuowenden. Dess sçllend wir uns fre#wen nun Vnd dancken Gott, das er syn Sun Jesum Christum, Marien kind, Herab hatt gschickt f#r vnser s#nd Zuo lyden; das sçnd wir btrachten wol Vnd nit by dem wyn vns f#llen vol (FB, V. 113 – 122).

Indem der Pfarrer die Passionsbetrachtung in einen direkten Gegensatz zum geplanten Gelage bringt, qualifiziert er sie als die einzige dem liturgischen Anlass angemessene T$tigkeit. Der J#ngling solle sich das Leben Christi wie einen Spiegel vorhalten, dieser habe ihm „nit s$mlich byspil geben“ (FB, V. 126), sei nie zum Wein gegangen oder habe getanzt (vgl. FB, V. 127 – 129). Der Nachdruck, der auf die Menschwerdung Gottes „Vß lieb“ (FB, V. 115) gelegt wird, kn#pft an Akzentsetzungen der Passionstheologie und -betrachtung des Mittelalters an, die auch Luther aufgreift.288 So betont etwa Luther, „das Christus die liebe / dir nit hette mocht erzeigen / wan es got nit hett gewolt / yn ewiger liebe haben“ und weiter: „das heist dann got recht erkennet / wan man yhn […] bey der gute vnd liebe ergreifft / da kan der glaub vnd zuuorsicht dan besteen“.289 Erst wenn das Herz die gçttliche Liebe erkennt, vermag es sich in Christo best$tigt zu f#hlen und den S#nden feind zu werden – „ausz liebe / nit ausz furcht der peyn.“290 Ein $hnlicher Gedanke liegt auch der Aufforderung des Pfarrers zugrunde: Mit s#nden Gott nit wyther btr#b, Besunder btracht die grosse lieb, Die Gott vns hatt erzeyget nun In Christo Jesu, synem Sun! (FB, V. 137 – 140.)

Der meditative Vollzug bildet dabei das erste Glied einer Kette: Die Betrachtung der gçttlichen Liebe ist die Voraussetzung ihrer Erkenntnis; die Erkenntnis der gçttlichen Liebe affiziert die Liebe zu Gott und den Glauben; aus Glaube und Liebe erw$chst schließlich eine Dankbarkeit, die ihren pragmatischen Ausdruck in der Lebensf#hrung findet: „Dann wer da gloubt und liebet Gott j Vber all ding“ (FB, V. 146), so f$hrt der Pfarrer fort, der folge auch seinen Geboten und #be sich in Akten der N$chs288 Vgl. Hamm 2010, S. 5 f.; Schuppisser 1993, S. 198. 289 Luther 2012, S. 38 – 40. 290 Luther 2012, S. 40.

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tenliebe. Nur ein solcher Mensch aber „danckt Gott recht“ (FB, V. 151).291 Hier wird deutlich, wie eng geistliche (bung und allt$gliches Handeln aufeinander bezogen sind. Es sind nur wenige Verse nçtig, um den Schritt von der meditativen Durchdringung der Passion #ber Liebe und Glauben hin zu einer praktischen, sich im Leben manifestierenden Haltung der Dankbarkeit zu vollziehen. Die Handlung w$re jedoch beendet, wenn der J#ngling bereits hier eine $hnliche docilitas an den Tag legen w#rde wie der Kaufmann aus dem ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘. Stattdessen weist er die Predigt von sich und bezichtigt im Gegenzug den Pfarrer der Heuchelei: „Du thuost doch selbs nit, was mich leerst“ (FB, V. 163). Indem der J#ngling die Geltung der Unterweisung nicht von Christus, sondern von der Person des Pfarrers abh$ngig macht, verfehlt er jedoch maximal, was dieser ihm vermitteln wollte. Die Gesellen best$tigen ihn in seinen Angriffen (FB, V. 171 – 190) und motivieren damit jenes Handlungsmoment, das zur Begegnung des J#nglings mit dem Tod und schließlich zu seiner conversio f#hrt. Wie in keiner sp$teren Szene nutzt Kolroß das gesamte Register theatraler Ausdrucksmçglichkeiten, um diesen Umschlagspunkt zu inszenieren, der mit dem entscheidenden Erkenntnisakt des J#nglings zusammenf$llt. Er schafft ein kin$sthetisches Wahrnehmungsangebot f#r Spieler und Publikum, das darauf abzielt, die Erfahrung der performativen Darstellung zu steigern, um das Eintreten des dargestellten Ereignisses in der Realit$t abzuwenden.292 Das Theater soll Erkenntnis ermçglichen, indem es den Ernstfall virtuell erfahrbar macht. F#r die Wirkungsabsicht des Spiels ist es entscheidend, dass dieses virtuelle Erproben des Ernstfalls in der theatralen Performanz die Schwelle zur imaginativen Performanz #bertritt, um eine habitualisierte geistliche (bung zu ermçglichen.293 Kolroß gestaltet die Szene in Form einer intermedialen Bezugnahme, die insbesondere auf das Basler Publikum abgestimmt zu sein scheint. Sie zitiert zahlreiche Elemente der Totentanztradition und enth$lt eine Allu291 Es ist auff$llig, dass Liebe und Glauben in diesem Kontext nahezu synonym verwendet werden. Erst, wenn es unmittelbar um die Frage des Heilsgewinns geht, hebt Kolroß den allein rechtfertigenden Glauben in einer sola fide-Formel hervor (vgl. FB, V. 546). 292 Christina Lechtermann und Carsten Morsch verstehen Kin$sthetik als „eine grundlegende F$higkeit von Medien, Bewegung wahrnehmbar zu machen und zwar als Darstellungsinhalt und Erfahrungsangebot zugleich“ (Lechtermann/ Morsch 2004, S. VI). 293 Zum Begriff der Virtualit$t, der ein Sich-Einbringen des Beobachters in die virtuelle Situation impliziert vgl. Lechtermann/Morsch 2004, S. VI–VIII.

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sion auf den Text des Großbasler Totentanzes, der auf einer L$nge von knapp 60 Metern die Innenseite der nçrdlichen Mauer des Laienfriedhofs beim ehemaligen Dominikanerkloster ausf#llte.294 Interferenzen von Totentanz und Drama werden seit langem diskutiert: Sie teilen nicht nur die dialogische Textgestaltung und verfolgen $hnliche Visualisierungsstrategien, sondern wirken bereits im Sp$tmittelalter in vielf$ltiger Weise aufeinander ein.295 Die $ltere Forschung versuchte so auch, die monumentalen Bild-Text-Kombinationen der Totent$nze aus performativen Inszenierungen abzuleiten.296 Dass Kolroß diese Darstellungsform in seinem Spiel aktiviert, l$sst sich mit ihrer Gebrauchsfunktion begr#nden, denn Totent$nze waren exponierte Medien der Todesbetrachtung. Sie waren in die st$dtische Infrastruktur integriert, verf#gten #ber einen hohen Grad an .ffentlichkeit und ermçglichten es einem breiten, insbesondere auch laikalen Publikum, an Praktiken der meditatio mortis zu partizipieren.297 Waren sie, wie im Fall des Großbasler Totentanzes, auf Mauern von Friedhçfen angebracht, so besetzten sie zugleich einen Raum, den etwa auch Luther als besonders geeignet f#r bildgest#tztes Meditieren ansah.298 Kolroß gewinnt das Wirkungspotenzial seiner Bezugnahme auf den Totentanz daraus, dass k#nstlerisches Medium, st$dtischer Raum und 294 Die $ltere Forschung hat das Spiel aufgrund dieser Szene vage als ,Totentanz im Kleinen‘ bezeichnet (vgl. B$chtold 1892, S. 299; Hess 1897, S. 309). Ernst L$uchli geht dar#ber hinaus und verweist auf die Parallelen zum Großbasler Totentanz (L$uchli 1960, S. 173 f.). Zu dessen Verortung in der Stadt vgl. Warda 2011, S. 227. Wie alle st$dtischen Klçster, so wurde auch das Dominikanerkloster im Zuge der Reformation von 1529 aufgelçst (vgl. von Greyerz 2012, S. 95). 295 So etwa im Fall des Redentiner Osterspiels und des L#beck-Revaler Totentanzes (vgl. Claußnitzer 2007, S. 147 – 217; weitere Beispiele bei Warda 2011, S. 53 f.). 296 Vgl. Warda 2011, S. 53. 297 Bereits Nigel Palmer pl$diert daf#r, „daß man bei der Interpretation der Totentanzbilder und bei den Bildern der ,Ars moriendi‘ eine Kontinuit$t zwischen der meditativen Praxis der Mçnche, die schon im 14. Jahrhundert an ein breiteres Publikum vermittelt wurde, und den Bildertexten des 15. Jahrhunderts voraussetzen sollte“ (Palmer 1993, S. 321). 298 In einem Brief Luthers an den Breslauer Pfarrer Johannes Hess aus dem Jahr 1527 heißt es: „Denn ein begrebnis solt ja billich ein feiner stiller ort sein, der abgesondert were von allen çrten, darauff man mit andacht gehen und stehen k#ndte, den tod, das J#ngst gericht und aufferstehung zu betrachten und betten, also das der selbige ort gleich eine ehrliche, ja fast ein heilige stete were, das einer mit furcht und allen ehren drauff kundte wandeln, weil on zweifel etliche heiligen da liegen. Und daselbst umbher an den wenden kund man solche andechtig bilder und gemelde lassen malen“ (WA 23, S. 375). Vgl. dazu Steiger 2002, S. 118. Zum Friedhof als Ort der Todesbetrachtung vgl. auch Kurz 2000, S. 232.

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meditative Praxis in dieser Form miteinander verzahnt sind. Die Erwartungshaltung des Publikums wird durch eine geschickt platzierte Anspielung geweckt. Nachdem der J#ngling und seine Gesellen den Pfarrer von sich gewiesen haben und sich auf das Tanzen vorbereiten, ruft der J#ngling dem Spielmann zu: „Spilman, mach vff den schwartzen knaben! j So welln wir frçlich vmbh$r traben j Vnd wend ein guots frygs m#tlin haben“ (FB, V. 205 – 207). Beim „schwartzen knaben“ handelt es sich um einen expressiven Tanz im schnellen Dreiertakt, der bereits in der Basler Musikalien#berlieferung des fr#hen 16. Jahrhunderts bezeugt ist.299 Auch im Großbasler Totentanz taucht der „schwartze knabe“ auf und ist, wie bei Kolroß, mit einem Spielmann, dem Kirchweihpfeiffer, assoziiert. In der $ltesten #berlieferten Fassung des Textes, die in Huldrich Frçlichs Basler Stadtlob von 1581 integriert ist, wendet sich der Tod dem Kirchweihpfeifer ironisch mit der Frage zu: WAS wçlln mir f#r ein T$ntzle haben / Den Bettler oder schwartzen Knaben / Mein Kylbehans / Spil wer nit gantz / Werst du auch nicht an diesem Tantz.300

W$hrend der Totentanz die entsprechende Tanzmusik bildlich evoziert,301 erklingt sie im Drama als intradiegetische Schauspielmusik, die von der Figur des Spielmanns auf der B#hne realisiert wird. Die Szene kalkuliert mit dem Effekt, den eine abrupte Unterbrechung des Tanzes mit sich bringt. Die Musik versetzt die Schauspieler zun$chst in einen ungest#men Bewegungsablauf, der von den lauten Rufen des J#nglings – „Was kans! was kans!“ (FB, S. 66) – begleitet werden soll. Doch der hinzutretende Tod l$sst sie noch im gleichen Moment in Klagerufe umschlagen: „So kumpt der tod im selben vnnd sch#ßt ihn. So schrygt der j#ngling also. O wee! wer hat mich gschossen hie? j Ich ward myn l$btag wunder nie“ (FB, V. 214 f.). Der Abschuss des Pfeils l$sst die Bewegung des weltlichen Tanzes kollabieren und bringt eine neue Tanzsemantik ins Spiel, die durch die 299 Vgl. Scheitler 2013, S. 412. Ein ,Tancz der schwarcz knab‘ ist in Johann Kotters Basler Tabulaturbuch von 1513 #berliefert (ediert bei Merian 1927, S. 52 f.). 300 Frçlich 1581, Djvv. Zur (berlieferung und Geschichte des Großbasler Totentanzes vgl. Warda 2011, S. 226 – 255. 301 So sind etwa Tod und Kirchweihpfeiffer auf dem Merian-Kupferstich, der wohl dem Zustand des Großbasler Totentanzes nach dessen zweiter Restaurierung durch Emanuel Bock im Jahr 1616 entspricht, mit Musikinstrumenten ausgestattet: Der Tod spielt springend auf einer Fidel, der Pfeifer tr$gt eine Schalmei in der Hand, zu seinen F#ßen liegt ein Zink (vgl. die Abbildung bei Kaiser 1993, S. 248).

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Allusion auf den „schwartzen knaben“ bereits vorbereitet wurde. Die junge Gesellschaft erkennt die Situation und verl$sst fluchtartig die B#hne. Nur der J#ngling wird von der hçlzernen Sense des Todes zur#ckgehalten (vgl. FB, S. 66), der ihn mit einem Knochen niederschl$gt (vgl. FB, S. 67)302 und mit R#ckgriff auf eine Rhetorik adressiert, die einer Totentanzreplik nachgebildet ist: Beyt, stoltzer gsell, vnd stand hie still! Dyn kallen ich dir glegen will, Du muost ein vortantz thuon mit mir, Der nit vast wol w#rt schmecken dir. Dyn tantzen will gelegen ich, Bald ich das l$ben dir abbrich. Des Pfarrhers leer hast du veracht Vnd hast ouch nie an mich gedacht, Besunder gar vergessen myn; Dorumb dyn frçud yetz vß muoss syn (FB, V. 228 – 237).

Die Aufforderung des Todes zum „vortantz“, d. h. zum Anf#hren des Reigens, ist ein in zahlreichen Totent$nzen verarbeiteter Topos. Sofern ,Vortanz‘ in der historischen Tanzpraxis einen geschrittenen Reigen im Vierertakt bezeichnet, der dem gesprungenen ,Nachtanz‘ im Dreiertakt konventionell vorangeht,303 kçnnte die Aufforderung zugleich die Verkehrung der Ordnung pointieren, die mit den Exzessen des J#nglings und seines Umfelds einhergeht. In jedem Fall verdr$ngt der Tanz des „schwartzen knaben“ den vorrangigen und eigentlichen Tanz, der ein Totentanz ist. In diesem Sinne ist das Ged$chtnis des J#nglings depraviert – er hat den Tod „gar vergessen“ und sieht sich ihm nun #berraschend und unvorbereitet gegen#bergestellt. Anders als im ,M#nchner Spiel‘ hat der J#ngling jedoch die Mçglichkeit, diesen Mangel zu beheben. Er bereut, der Lehre des Pfarrers nicht gefolgt zu sein, betet zu Gott, gelobt Besserung und erh$lt schließlich einen zeitlichen Aufschub (vgl. FB, V. 238 – 246). Die zweite ,betrachtnus‘ des Spiels soll als meditatio mortis das Ged$chtnis des Todes erneuern. Sie wird vom Tod selbst in einer Mahnrede vermittelt, die sich an J#ngling und Publikum zugleich wendet. Wie im ,M#chner Spiel‘ operiert die Todesfigur dabei mit Selbstbeschreibungen; doch bei Kolroß hat nicht die Todesdefinition aus dem ,Ackermann‘ Pate gestanden, sondern die St$ndereihe des Totentanzes:

302 Zu den Requisiten der Todesfigur vgl. Titzmann 1983, S. 358 f. 303 Vgl. Brainard/Dahms [u. a.] (1998), Sp. 268.

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Mit myner ax ich niderfell All welt, das btracht, du junger gsell! Ich schon des Babsts noch Keyßers nit, Darzuo des K#ngs, es hilft keyn bitt (FB, V. 252 – 255).

Um zur Betrachtung seiner Unausweichlichkeit anzuleiten, evoziert der Tod erneut die Bildvorstellung des Reigens, in den die hçchsten St$ndevertreter ebenso eingebunden sind wie die niedrigsten. Damit regt ein Netz aus Anspielungen („schwartzer knabe“), Begriffen („vortantz“) und anderen Gattungssignalen (Rhetorik, St$ndereihe) kontinuierlich dazu an, den Totentanz als Bezugsmedium aufzurufen und die mit ihm assoziierte meditative Rezeptionshaltung zu aktivieren. Die Szene stellt ein mediales Muster zur Verf#gung, an dem sich die imaginative Performanz abst#tzen kann, um den eigenen Tod meditierbar zu machen. Isoliert betrachtet erf#llt die Mahnrede des Todes alle Erwartungen an eine Kompilation einschl$giger Zitate, Topoi und Sentenzen,304 doch sie bezieht aus dem Vollzug der Auff#hrung ein entscheidendes Wirkungsmoment. Zum einen folgt sie auf die b#hnenwirksame Destruktion des weltlichen Tanzes und auf dessen Verwandlung in einen Totentanz; zum anderen tr$gt die Figur des Todes selbst sie vor und bedient sich ihrer sinnlichen Wirkung im Hier und Jetzt der theatralen Szene: „Vnd sich mich hie glych eben an, j Dann wie ich bin, w#rst ouch gethan! j Dyn lyb, der w#rt den w#rmen ztheyl“ (FB, V. 282 – 284, Hervorhebung CS). Vers 283 ist ein Versatzst#ck aus der ,Legende von den drei Lebenden und den drei Toten‘305 und spielt hier effektvoll mit Kost#mierung und Requisiten der Todesfigur zusammen. Wenn der Tod seine Unterweisung mit dem Ausruf „Vnd gdenck, was dir hie begegnet ist!“ (FB, V. 290, Hervorhebung CS) abschließt, so richtet sich dies an die Figur des J#nglings ebenso wie an das Theaterpublikum, das sich in diesem erkennen soll. Kolroß entwickelt in seinem Spiel eine Szene, die die Situation des sterbenden S#nders effektvoll ausagiert und deren Imagination durch ihre 304 Die Nennung des zweiten Betrachtungspunktes f$llt mit dem Zitat aus Sir 7,40 zusammen: „Lychtlich der mensch all ding veracht, j der allzyt sinen tod betracht. j Dyn letste zyt btracht allweg seer, j So w#rst du s#nden nimer meer“ (FB, V. 268 – 271). Nahezu jeder der umgebenden Verse basiert auf einer oder auf mehreren Bibelstellen, einem Autorit$tenzitat oder einem Topos: Apk 3,3; Apk 16,15; Mt 25,13; Lk 21,34; Seneca; Topos von der Gewissheit des Todes und der Ungewissheit der Todesstunde; Hiob 21,26; Sir 10,11; Jes 14,11; Lk 12,39 f. Die Angabe „Seneca in moralibus de morte“ (FB, S. 68) bezieht sich vermutlich auf den 101 Brief des Seneca an Lucilius. 305 Vgl. Warda 2011, S. 47.

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intermedialen Bezugnahmen auf den Totentanz unterst#tzt. Nach dem sich anschließenden zweiten Chor, der erneut zur Todesbetrachtung auffordert und dem Publikum Zeit zur Reflexion gibt, kehrt das Spiel in einen deutlich diskursiveren Modus zur#ck. Erkenntnisakt und conversio des J#nglings finden ihren sichtbaren Ausdruck in einem Kleiderwechsel, der w$hrend des Gesangs vollzogen werden soll: „Nach dem gsang kumpt der j#ngling herf#r in gantz dem#tiger kleydung, sicht niemands an“ (FB, S. 70).306 Von der Weltverfallenheit hat der J#ngling zum contemptus mundi gefunden und sieht sich nun folgerichtig, wie zuvor der Pfarrer, den Anfeindungen seiner ehemaligen Gesellen ausgesetzt (FB, V. 332 – 359).307 Die soziale Grenze zwischen J#ngling und Gesellen ist als Differenz in der Weltwahrnehmung zugleich eine Grenze der Erkenntnis. Ein alter Mann, der die Angriffe gegen den bekehrten S#nder angehçrt hat und sich daraufhin einmischt, macht dies explizit: „Bkantnus syn selb ist gantz vnd gar j Ein anfang alles heyls f#rwar“ (FB, V. 366 f.). Niemand aber, der #ber Selbsterkenntnis – als Erkenntnis der eigenen S#ndhaftigkeit und Pr$destination zum Sterben – verf#gt, tadelt arglistig seinen N$chsten: „Richt niemands vß durch argelist, j Erkenn dich selbs, gdenck, wer du bist“ (FB, V. 370 f.). Zwar trennt die Selbsterkenntnis den J#ngling von seinen Gesellen, doch ist diese Grenze labil und permanent durch die Anfechtungen der Welt gef$hrdet. Als ein Geselle versucht, den J#ngling von der prinzipiellen Vergeblichkeit der Weltabkehr unter den Bedingungen der Welt zu #berzeugen,308 bleibt dieser jedoch standhaft. Er fl#chtet sich zu einem Predikanten, um dort „trost vß der gschrifft“ (FB, V. 445) zu suchen und bittet um eine Unterweisung, „Das mich dwellt nit verf#re meer“ (FB, V. 449). Die Argumentation des Predikanten, die auf die dritte ,betrachtnus‘ des Spiels ausgerichtet ist, verl$uft entlang der Antithese von der Verg$nglichkeit alles Irdischen und der Ewigkeit Gottes (FB, V. 450 – 473).

306 Vgl. dazu auch Scheitler 2013, S. 412. 307 Diese Szene hat eine auff$llige Parallele in dem dialogisch angelegten vorreformatorischen ,Spiegelbuch‘. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Spiegelbuch eine Vorlage von Kolroß war, die er allerdings stark bearbeitete. Direkte Zitate lassen sich nicht ausmachen. Auch im ,Spiegelbuch‘ wird ein bekehrter und geistlich neu eingekleideter J#ngling von seinen ehemaligen Gesellen verspottet und der Gleisnerei bezichtigt (vgl. SB, V. 305 – 354). Zum ,Spiegelbuch‘ vgl. diese Arbeit, S. 122–124. 308 „Du meinst, du wellest dwelt verlon; j Das mag nit gsyn, so lang du l$bst, j Vnd dwyl du noch vff erden schw$bst“ (FB, V. 415 – 417).

4. Zwei theatrale Meditationslehren

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Wenn dabei betont wird, dass es der Wille Gottvaters sei, „Das, welcher mensch erkent den Sun j Vnd gloubt inn jhn, sy wyb old man, j Der w#rt das ewig l$ben han“ (FB, V. 475 – 477), so sind Gotteserkenntnis und Glaube innerhalb der Kette zu verorten, die der Pfarrer am Beginn des Spiels im Kontext der Passionsbetrachtung entfaltet hatte: Aus dem meditativen Vollzug folgt die Erkenntnis der gçttlichen Liebe; aus dieser folgt die Liebe zu Gott und der Glaube; aus Liebe und Glauben schließlich folgt eine Lebensf#hrung, die im Einklang mit den gçttlichen Geboten steht. Darauf rekurriert der Predikant mit Bezug auf Joh 15,10: „Ists, das ir hallten myn gebott, j So blybend jr inn myner lieb“ (FB, V. 487 f.). F#hrt die Betrachtung der Passion zur Erkenntnis der gçttlichen Liebe, so muss im Gegenzug die Betrachtung der Welt zur Erkenntnis ihrer Trughaftigkeit f#hren: Dwellt ist nichts anders dann ein btrug, Gloub mir, ich sag dir keynen lug; Dann vyl hand gmeint noch lange zyt Zel$ben, deren lyb yetz lydt Fulen vnd stincken inn dem grab. Dasselb betracht, du junger knab! (FB, V. 490 – 495)

Der Trughaftigkeit der Welt steht der Schçpfer als ihr Gegenbild gegen#ber: „Lass dich die wellt nit tryben ab, j Dyn schçpffer du vor ougen hab!“ (FB, V. 506 f.) Es ist die Aufgabe der Meditation, die Weltwahrnehmung des Subjekts auf diesen Gegensatz zu konditionieren: Sieht sich der Gl$ubige erst im Spannungsfeld der widerstreitenden Kr$fte von Gott und Welt, so muss das Leben als st$ndiger Kampf erscheinen, den er im Anschluss an die paulinische Bildvorstellung vom Miles Christianus (Eph 6,10 – 20) ritterlich aufzunehmen hat: „Wider dry feind, merck wyther mich, j Muost du hie strydten ritterlich: j Wider den T#fel, Sfleysch vnd dwellt“ (FB, V. 518 – 520). Auf das meditativ einzu#bende Bild der feindlichen Welt antwortet das Selbstbild des christlichen Ritters, sodass Weltwahrnehmung und Selbstwahrnehmung einander entsprechen. Die Trias von Teufel, Fleisch und Welt ruft ein Modell auf, das die Vorlage des Epheser-Briefes um den Aspekt des Fleisches („caro“) erweitert; auf das gleiche Modell rekurriert auch das ,M#nchner Spiel‘. Wie Andreas Wang zeigt, hatte es sich bereits im Mçnchstum des 9. und 10. Jahrhunderts zu einem Topos verfestigt und war im 16. und 17. Jahrhundert weit verbreitet.309 309 Vgl. Wang 1974, S. 121 – 124; vgl. zur Bildlichkeit im ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ diese Arbeit, S. 50.

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Unter den Waffen, die der Miles gegen seine drei Feinde einzusetzen hat, findet sich bei Kolroß, ganz im Sinne der protestantischen sola fideLehre, nur eine einzige, die eine Teilhabe an den himmlischen Freuden garantiert: „Der waar gloub inn Christum hilfft allein“ (FB, V. 546). Alle weiteren Tugenden und gute Werke sind „fr#cht, daby der gloub w#rt erkent“ (FB, V. 550); sie sind notwendige Zeichen des rechten Glaubens (vgl. FB, V. 552 f.), ohne dass ihnen selbst eine heilsvermittelnde Potenz zukommt. Sofern der J#ngling im best$ndigen Gebet Gott anrufe, werde ihn dieser beh#ten „Vnd durch syn geyst regieren dich, j Das dich kein feynd mee #berwind“ (FB, V. 565 f.). Der J#ngling dankt dem Predikanten f#r seine Lehre und verabschiedet sich, bevor der dritte Chor das Publikum zur Meditation #ber den Betrug der Welt aufruft (vgl. FB, V. 579 – 590). Wie der J#ngling nach der zweiten Szene $ußerlich die Kleidung des B#ßers anlegte, so legt er nach der dritten Szene innerlich die R#stung des Miles Christianus an.310 Musste er angesichts der weltlichen Anfechtungen noch zum Predikanten fliehen, so ist er nun bereit, sich dem teuflischen Feind im direkten Kampf zu stellen. Der Teufel tritt dem J#ngling in ehrbarer Gestalt, doch durch ein Kost#m mit G$nsef#ßen und schwarzen Gamshçrnern (vgl. FB, S. 78) eindeutig gekennzeichnet, entgegen. Bereits das Layout der Druckseiten pr$figuriert dabei das Ergebnis der Auseinandersetzung, denn im Gegensatz zu den ersten Szenen sind die Repliken des J#nglings nun von Bibelverweisen ges$umt – im Kampf gegen den Teufel hat er buchst$blich die Schrift auf seiner Seite (vgl. FB, S. 81). In Anlehnung an die Anfechtungen Jesu in der W#ste versucht der Teufel, den J#ngling durch das Versprechen weltlichen Reichtums (vgl. Mt 4,8 – 10; Lk 4,5 – 8) von seiner Haltung abzubringen (vgl. FB, V. 591 – 604). Man kçnne seine S#nden auch im Alter b#ßen, Gott werde sich barmherzig zeigen, denn schließlich habe er das Paradies nicht f#r G$nse, Hunde und Affen erschaffen (vgl. FB, V. 605 – 627). Durch seinen neuen, durch die Betrachtungen umgeformten Habitus hat der J#ngling jedoch 310 Anders als etwa in dem Miles Christianus-Drama Friedrich Dedekinds wird dieser Vorgang bei Kolroß jedoch nicht visualisiert. Dedekind gewinnt einen komischen Effekt daraus, dass die den Ritter anfechtenden Feinde die entsprechenden Requisiten nicht in ihrer allegorischen Bedeutung verstehen. Als der ger#stete Miles von Franciscus und Simon entdeckt wird, ruft Franciscus aus: „da ist der Mann j Vnd hat ein blancken Harnisch an /j Warumb mag er denselben tragn“? Und Simon: „Gott gr#s euch Rittr / wie stehn die sachn /j Was wolt jr mit der r#stung machn“? (Dedekind 1590, Lv.) Zu Dedekind und seinem dramatischen Œvre vgl. Metz 2013, S. 662 f.

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anderes vor Augen als die Verlockungen der Welt, sodass er sein Einverst$ndnis verweigert: „Der tod gab mir nit sçlchen bscheyd“ (FB, V. 652). Den Anfechtungen des Teufels wirkt eine intakte memoria mortis entgegen, die unmittelbar befolgt, was der Tod am Ende der zweiten Szene als Imperativ formuliert hatte: „gdenck, was dir hie begegnet ist“ (FB, V. 290). Als der Teufel daraufhin seine Strategie wechselt und die Unmçglichkeit der Buße angesichts der #bergroßen S#nden postuliert, kann der J#ngling ihn vollends entlarven: „Du bçßer geyst, yetz kenn ich dich!“ (FB, V. 663.) Dieses Erkennen des Teufels evoziert zugleich den Gegengedanken an die Heilstat Christi: „Myn s#nd hatt gb#st herr Jesus Christ, j Am cr#tz hatt er gnuog f#r mich gthon“ (FB, V. 670 f.). Das nachdr#ckliche S#ndenbekenntnis des J#nglings – „An myner seel ich mich befind j Gantz kranck von wegen großer s#nd“ (FB, V. 675 f.) – begleitet die Einsicht, dass er „On Christo nichts guots […] thuon kan“ (FB, V. 678). Dass der J#ngling Christus dabei mit Rekurs auf 1 Kor 1,30 als „F#rsprech, mittler und ghrechtigkeit, j Die vor Gott gilt in ewigkeit“ (FB, V. 681 f.) adressiert, weist darauf hin, dass dem Spiel ein zwinglianisches Rechtfertigungsverst$ndnis zugrundeliegt.311 Der J#ngling verl$sst sich r#ckhaltlos auf seinen Erlçser, „Der mit syner vnschuld #berwunden hodt j Dwelt, ds#nd, T#fel, hell vnd ewigen tod“ (FB, V. 683 f.) und ruft aus: „Von gantzem herzen gloub ich das. j Dorumb heb dich, du Sathanas!“ (FB, V. 684 f.) Der J#ngling zitiert in V. 685 die Antwort Jesu auf die dritte Anfechtung des Teufels (Mt 4,10).312 Seine Replik verdichtet in wenigen Versen die entscheidenden Pr$missen reformatorischer Passionstheologie 311 Dass „Christi Gerechtigkeit […] f#r unsere Ungerechtigkeit eintritt und in Gottes Urteil als ,unsere‘ Gerechtigkeit gilt“, ist, so Berndt Hamm, „der fundamentale Gedanke in Zwinglis Darstellung des Evangeliums. Ausgehend von 1 Kor 1,30 […] betont Zwingli seit der Ersten Z#rcher Disputation in stereotyper Wiederholung, daß Christus unsere Gerechtigkeit ist“ (Hamm 1988, S. 54; zahlreiche Belegstellen ebd., S. 54 f.). Auch die vom J#ngling gebrauchte Formel „in ewigkeit“ (FB, V. 682) ist offenbar ein zwinglianischer Marker: Bemerkenswert sei, „wie Zwingli die G#ltigkeit der uns beschirmenden Christusgerechtigkeit immer wieder betont durch das Pr$dikat ,in die Ewigkeit‘ charakterisiert“ (Hamm 1988, S. 57; zahlreiche Belegstellen ebd., S. 57 – 59). F#r die konfessionelle Verortung des Spiels ist auch die Rede des Engels an den J#ngling relevant, in der diese Formeln wieder aufgenommen werden: „Vnd lernt suochen die ghrechtigkeit j By Christ alleyn (FB, V. 791 f.); „Der ein mol selbs hat gopffert sich j Am cr#tz dem vatter willigklich. j Diss opffer w$rdt innd ewigkeyt“ (FB, V. 797 – 799). 312 Vgl. L$uchli 1960, S. 163.

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und #berf#hrt sie in einen performativen Vollzug: Indem der J#ngling sein eigenes, fundamentales Unvermçgen erkennt und seine S#nden in einem Akt des Glaubens ganz auf den gekreuzigten Christus abwirft, realisiert er das Ziel jeder meditativen Besch$ftigung mit der Passion.313 Im selben Moment ist der Feind #berwunden: „Hie fl#cht der t#fel“ (FB, S. 81). Ein letzter Akt der Frçmmigkeit, den der J#ngling nach dem Sieg #ber den Teufel vollzieht, ist ein Gebet (FB, V. 687 – 692), das wçrtlich eine vorangehende Gebetsanweisung des Predikanten (FB, V. 562 – 566) umsetzt. Im Druck ist das Gebet durch ein Paragraphenzeichen gesondert hervorgehoben und bietet sich in dieser Weise auch dem privaten Gebrauch der Leser an.314 Wie die in separaten Flugschriften publizierten Chçre gehçrt es zu den Formteilen des Dramas, die sich aus dem literarischen Kontext herauslçsen und anderen Praktiken zuf#hren lassen.315 Deutlicher als in diesem typographisch nahegelegten Transferprozess kçnnte kaum sichtbar werden, dass die Rolle des J#nglings sich radikal gewandelt hat; er ist von einer negativen zu einer positiven Exempelfigur konvertiert, deren Gebete nun sogar dem Publikum anempfohlen werden.316 Dass der Regieanweisung zufolge dann ein Engel „vß dem Paradyß“ (FB, S. 81) kommen soll, gibt einen wichtigen Hinweis auf das B#hnenkonzept, das, wie Michael vermutet, eine Variante der Terenzb#hne vorsehen kçnnte.317 Die Unterweisung des Engels bringt die Handlung um den J#ngling zum Abschluss. Sie entfaltet nochmals die Thematik der Buße (vgl. FB, V. 697 – 706), insistiert auf der Gef$hrlichkeit weltlichen Reichtums (vgl. FB, V. 707 – 730) und der Notwendigkeit, Gottes Wort anzunehmen (vgl. FB, V. 731 – 754). Sie enth$lt schließlich auch eine Invektive gegen die „falsch geystlichen“ (FB, V. 781), die das Heil nicht an den Glauben, sondern an Ablasszahlungen binden (vgl. FB, V. 782 – 800). So erf#llt die Unterweisung nicht zuletzt die Funktion, das Spiel in der aktuellen konfessionspolitischen Diskussion zu verorten. Bewusst l$sst Kolroß die Figur des Engels erneut das Zielmoment der protestantischen Passionsmeditation aufrufen, bevor mit der vierten und 313 So formuliert auch Luther: „Dan wirffestu deyn sunde / von dir auf Christum / wan du festiglich gleubst / das seyne wunden vnd leyden / seyn deyn sunde / das er sie trage vnd bezale“ (Luther 2012, S. 38). 314 Zur typographischen Markierung von Gebetstexten in Dramendrucken vgl. Jahn 1999, S. 148. 315 Vgl. oben, S. 73 f. 316 Zur Nachahmung von Exempelfiguren im Gebet vgl. auch Schmidt 2015a. 317 Vgl. Michael 1984, S. 224. Gegen eine Simultanb#hne spricht, dass weder im Paradies noch in der Hçlle im eigentlichen Sinne agiert wird.

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f#nften Betrachtung des Spiels die Jenseitsoptionen der Seele zur Sprache kommen: „Das lyden Christi btzalt die schuld. j Gloubst duß, so hast schon Gottes huld“ (FB, V. 813 f.). Nur wer aus diesem Glauben heraus handelt, hat Aussicht auf die ewigen Freuden und dieser Freuden solle man ebenso „yngedenck syn“ (FB, V. 883) wie „der hellschen pyn“ (FB, V. 884), die gleichermaßen ewige Geltung beansprucht. Im Kontext des Monologs f$llt kaum auf, dass die beiden Punkte dem eingef#hrten Betrachtungsschema gegen#ber in ihrer Reihenfolge vertauscht sind. Das Schema nennt zun$chst die Hçllenstrafen, der Engel zun$chst die Freuden des Himmels. Hier scheinen zwei Ordnungen miteinander zu konfligieren, ohne dass freilich ein grçßerer Stçrfall daraus entstehen w#rde. Der Engel folgt der szenischen Narration, die zun$chst den J#ngling ins Paradies entr#ckt (vgl. FB, V. 862 f.) und erst in der folgenden Szene erneut den Teufel auftreten l$sst, der einen Knaben in die Hçlle verschleppt. Die Logik des Schemas hingegen sieht vor, dass die Freuden des Himmels die Hçllenstrafen #berbieten.318 Mit seiner Entr#ckung ins Paradies ist so zwar der J#ngling an sein Ziel gekommen, nicht aber das Spiel. Der Schulkontext, in dem das Spiel entsteht, findet vielleicht in keiner anderen Szene einen so deutlichen Niederschlag wie in der letzten, in der erneut Tod und Teufel das B#hnengeschehen dominieren. Kolroß bindet hier die Kinder selbst in das Schauspiel ein, indem er f#nf Knaben auftreten l$sst, die k#rzere Rollen zu sprechen haben. Es ist diese Szene, die der Augsburger Modist und Rechenmeister Jçrg Dietle 1539 in sein ,Zehn Alter‘-Spiel integriert und im Druck mit Holzschnitten illustrieren l$sst.319 Doch auch wenn sie sich f#r einen solchen Exportvorgang eignet, f#gt sie sich konsequent in die Logik des Spiels: Nachdem die Handlung um den J#ngling abgeschlossen wurde, geht es nun darum, die soziale Reichweite und die p$dagogische Relevanz der Meditationslehre auszuhandeln. Sie ist pr$ventiv konzipiert und soll nicht erst, wie im Spiel, nach einer durch den gef$hrlichen Ernstfall angestoßenen conversio greifen, sondern verhindern, dass sich das dargestellte Geschehen im Leben #berhaupt realisiert. Um aber prophylaktisch wirken zu kçnnen, muss sie an einem mçglichst fr#hen biographischen Punkt ansetzen; und so erh$lt sie die Form einer Erziehungslehre, die ihren Ort im h$uslichen Umfeld hat. 318 Auch in den Marginalien ist die Reihenfolge vertauscht (vgl. FB, S. 85). Im Epilog hingegen wird die Reihenfolge des Vierzeilers wiederhergestellt und auch entsprechend nummeriert (vgl. FB, S. 98). 319 Vgl. oben, S. 71 f.

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!hnlich wie die Szenen des ,M#nchner Spiels‘ ist auch die Kinderszene von metadramatischen Momenten durchzogen. Der Teufel tritt mit einem an einer Kette h$ngenden Rotulus („Rodell“), der sich an die Vorstellung vom liber vitae anlehnt,320 aus der Hçlle heraus, bezieht seinen Platz neben dem Tod und erl$utert diese Konstellation:321 Ereilt der Tod einen Menschen, so pr#fe der Teufel, ob es sich um einen seiner Diener handele, um diesem „syn sold und lohn“ (FB, V. 904) geben zu kçnnen. Nach einer Belehrung #ber die Sieben Tods#nden (vgl. FB, V. 905 – 965) nimmt er auf die Auff#hrungssituation Bezug und kommentiert ironisch die Anforderungen, die das Genre an seine Figur stellt: „Ich weyss, diss spil w#rt nit zergon, j Es w#rt mir ouch ein p#dt daruon“ (FB. V. 971 f.). Diese Beute ist ein „buob“ (FB, V. 973), der zwar nicht das Vaterunser sprechen kann, daf#r aber alle erdenklichen Fl#che und Spiele kennt, weil „Syn vatter ihmß nit weeren wil“ (FB, V. 976). Es zeigt sich, dass die Erziehung des Kindes durch einen doppelten Mangel gekennzeichnet ist, einen Mangel sowohl an positiver als auch an negativer Disziplinierung: Zum einen unterbleibt die basale religiçse Wissensvermittlung, zum anderen unterbleiben die Strafen f#r das Fehlverhalten. Die Szene richtet sich mit gleichem Nachdruck an Eltern und Kinder: Ruft sie die Kinder dazu auf, den Eltern zu folgen, so f#hrt sie den Eltern die Schuld vor Augen, die sie bei nachl$ssiger Erziehung auf sich laden. Als der Tod den Knaben mit seinem Pfeil erschießt, ruft der Teufel: „H$r, h$r, du muost inn dhell hinyn! j Dyn vatter wol daruor w$r gsyn“ (FB, V. 983 f.). Und auch der Knabe klagt: „Das mirs min vatter ye nach liess! j Vatter vnd muotter handt mir nichts gweert“ (FB, V. 988 f.). Der Teufel spricht nun dezidiert „zun kindern“ (FB, S. 91) und warnt sie vor dem abschreckenden Beispiel. Auch ihnen werde er nachstellen und sie, sofern sie sich nicht bessern, in den „abgrund der hellen“ (FB, V. 1006) f#hren. Kolroß gestaltet die Hçllenfahrt des Knaben als Szene kindlicher Theaterrezeption. Zwei weitere Knaben, die sich als „gsellen“ (FB, V. 1010) des ersten zu erkennen geben, treten als Augenzeugen auf und f#hren ihren Altersgenossen im Publikum die Wirkungsabsicht der Szene vor, indem sie das B#hnengeschehen aus ihrer Perspektive kommentieren: „Ach, lieber gsell, hast du ouch gs$hen, j Was grosßen wunders hie ist bsch$hen“ (FB, V. 1007 f.), fragt der erste, und der zweite antwortet: 320 Zum schreibenden Teufel vgl. Brenk 1994, Sp. 297; Wackernagel 1848, S. 149 f. 321 Zur vorangehenden kurzen Narrenszene, in welcher der Tod erneut auftritt, vgl. L$uchli 1960, S. 164; zum Lied des Narren vgl. Scheitler 2013, S. 412 f.

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Meyn ouch! ich habs ges$hen wol, Myn l$btag ich dran dencken sol. Ich bin so #bel erschrocken gsyn, Das ich wondt, der T#fel fuort mich hin; Jo sçlche forcht mich do vmbfieng, Das mir all myn hoor zuo b$rg gieng (FB, V. 1011 – 1016).

Die Szene setzt auf einen mnemotechnischen Effekt: Sie erregt einen starken, von physischen Symptomen (FB, V. 1016) begleiteten Affekt des Schreckens und dieser Affekt pr$gt die Szene nachhaltig dem Ged$chtnis ein (FB, V. 1012). Der Knabe immergiert in die Szene, sodass es ihm erscheint, als f#hre der Teufel ihn selbst in die Hçlle.322 Indem die Kinder #ber das Schicksal ihres Gesellen erschrecken, erschrecken sie #ber sich selbst und dieser Erkenntnisaffekt323 f#hrt sie schließlich auf den Weg der Besserung: „Gibt spil vnd schweeren sçlchen lohn, j So wellend wir syn m#ssig gon“ (FB, V. 1019 f.). Sie nehmen sich vor, sich von nun an im Gebet zu #ben und regelm$ßig zur Predigt zu gehen (vgl. FB, V. 1021 f.). Dem Programm des Spiels entsprechend bringt Kolroß mit der Verschleppung des Knaben eine Initialszene der Hçllenmeditation auf die B#hne, die im weiteren Leben von Kindern und Eltern permanent durchdacht werden soll. Dies hatte bereits der zweite Geselle unterstrichen („Myn l$btag ich dran dencken sol“). Ein gottesf#rchtiger Knabe, der den Dialog mit angehçrt hat, wiederholt diesen Appell und insistiert erneut auf der Verantwortung der Eltern: „H$dtend syß kind recht gtzogen ghan, j So h$dts nit gnon der schwartz heytzman. j Nun bessert #ch vnd dencken dran!“ (FB, V. 1034 – 1036.) Die beiden Gesellen und ein dritter „buob“ (FB, S. 92) beteuern daraufhin ihre gute Absicht (vgl. FB, V. 1037 – 1042). Es geht hier erkennbar nicht darum, reales kindliches Rezeptionsverhalten zu dokumentieren. Vielmehr ist das Modell, wie im ,M#nchner Spiel‘, bewusst schematisch gehalten, um regulierend auf unschematische und dynamische Reaktionsweisen einwirken zu kçnnen. Einen Eindruck von der Bedeutung des Theaters f#r Kinder im Basel des 16. Jahrhunderts kann eine Passage aus der Lebensbeschreibung Felix Platters vermitteln, die 322 Ganz $hnlich reagiert der Diener in Seuses ,B#chlein der Ewigen Weisheit‘ auf die Erfahrung der Todesmeditation, wenn er vermeint, selbst gestorben zu sein: „Owe, got, wie ist mir der tovt so gegenwfflrtig worden! Ach, sel minffl, bist du noch in dem libe? Herr von himelrich, leben ich noch?“ (BdEW, S. 286.) Vgl. dazu oben, S. 38 – 40. 323 Auch bei Luther sind Erschrecken und Selbsterkenntnis explizit miteinander verkn#pft: „das der mensch zu seyns selb erkentnisz kumme / vnd fuor yhm selbs erschrecke“ (Luther 2012, S. 34). Vgl. dazu oben, S. 32 f.

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sich vermutlich auf Ereignisse um das Jahr 1546 bezieht. Platters Darstellung steht in einer indirekten Beziehung zu dem hier untersuchten Drama, denn sie erinnert an Simon Kolroß, den Sohn von Johannes Kolroß, der 1552 in Basel an der Pest starb: In des Langbuoms haus an den Steinen, so des herr Iselins war und ietz Coveti erben haben, machten wir buoben, dorunder der Langbuom und Simon Colroß, so hernoch peste gestorben ins Lycosteni haus, war ein feiner knab, und Lucas Just, Roll etc. auch spil: die zechen alter und den Saulus probierten wir oft; wardt doch n#t drus.324

Es sind Bibeldramen wie die 1546 auf dem Basler Kornmarkt aufgef#hrte ,Bekehrung Pauli‘ des Valentin Boltz, aber auch Spiele vom Typ der ,Zehn Alter‘, die Kinder zu eigenen Theaterinitiativen anregen.325 Platters Erinnerungen belegen, dass çffentliche Theaterauff#hrungen in eine vielgestaltige private Praxis #bergehen und mit ihr rechnen konnten. F#r die Relevanz, die Kolroß der Kinderszene seines Spiels zugeschrieben hat, spricht, dass sie mit einem eigenen Epilog ausgestattet ist. Unmittelbar vor der allgemeinen Beschlussrede tritt ein Schultheiß auf, der mit der doppelten Autorit$t des Rechts und des Alters (vgl. FB, V. 1044) ausgestattet ist und die Notwendigkeit der Erziehung durch eine Reihe von Exempeln unterstreicht (vgl. FB, V. 1059 – 1099). Er bindet die Szene in doppelter Weise an die Lebenswelt an. Zum einen repr$sentiert er das st$dtische Gemeinwesen, zum anderen bezieht er den symbolischen Tod des Knaben auf reale Gefahren und Krankheiten: „Dpestilenz hat den buoben ghr#ert“ (FB, V. 1055). !hnlich geht der Beschlussredner in seiner „Erkl$rung des spils“ (FB, S. 95) vor, die ebenso darauf bedacht ist, Anschl#sse an den konkreten Rezeptionskontext der Stadt herzustellen. Einem allgemeinen Bußappell folgt der Aufruf, sich in die von Gott gegebene soziale Ordnung einzuf#gen: „Ein yeder th# inn synem stodt, j Was jhm Gott zthuon beuolhen hodt“ (FB, V. 1174 f.). So m#sse der Predikant dem von ihm gepredigten Wort auch im Leben nachfolgen (vgl. FB, V. 1176 f.). Das Hçren der Predigt, die Ausrichtung des Lebens auf das Wort Gottes und die Anerkennung des st$dtischen Regiments sind voneinander nicht ablçsbare Aspekte eines gottgef$lligen Lebens: Wer vß Gott ist, hçrt syn wort gern, Wer nit Gotts ist, der mags nit hçrn. Das wort Gottes ewigklichen blybt, 324 Platter 1976, S. 86. Zum Tod von Simon Kolroß vgl. ebd., Anm. 302. 325 Zur Auff#hrung von 1546 vgl. Platter 1976, S. 82.

5. Levin Brechts ,Euripus‘ (1548)

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Als der Prophet Esaias schrybt, Inn dem synr Oberkeyt gar schon Soll ghorsam syn der vnderthon Ouch btracht die welltlich Oberkeyt, Das syß schw$rd nit verg$bens treytt (FB, V. 1182 – 1189).326

Wie die Obrigkeit Ordnung und Frieden gew$hrleisten muss, so m#ssen die Eltern der Erziehung ihrer Kinder nachkommen; jeder soll in dieser Weise am st$dtischen Reformprozess partizipieren: „Ein yegklichs heb ann sym huß an j Zuo bessern und zuo Reformiern“ (FB, V. 1197 f.). An diese Botschaften, die dem Einzelnen seine Verantwortung f#r das Gemeinwesen ins Bewusstsein rufen, schließt sich das ,Summarium‘ des Epilogsprechers an und lçst die f#nf aus dem Spielverlauf zu extrahierenden Betrachtungen auf (vgl. FB, V. 1204 – 1248). Der gemeinsame Wunsch, das in der f#nften Betrachtung vergegenw$rtigte Ziel des Himmelreichs zu erreichen, ermçglicht es der Gemeinde, sich im letzten Vers im kollektiven Sprechakt ihrer Einheit zu versichern: „Das gesch$ch, spr$cht alle samen j Mit mir armen s#nder Amen!“ (FB, V. 1264 f.) Der vierte Chor, der die Auff#hrung beschließt, wiederholt den Wunsch, ins Himmelreich einzugehen, in einem gesungenen Gebet, das sich an den Aufruf zur Betrachtung von Hçlle und Himmel anschließt (vgl. FB, V. 1266 – 1281). Die Stadt Basel imaginiert ihre Einheit als eine Gemeinschaft von Meditierenden.

5. Levin Brechts ,Euripus‘ (1548) Livini Euripum multatum morte gehennae, Contemplare frequens, ne patiaris idem.327

Der 1548 am P$dagogium de Valk in Lçwen uraufgef#hrte ,Euripus‘ des niederl$ndischen Franziskaners Levin Brecht ist eines der bekanntesten Dramen der Gegenreformation und beeinflusste maßgeblich die Genese 326 Die von Kolroß in diesem Kontext zitierten Bibelstellen (Rçm 13,1; 4) legitimieren sowohl Zwinglis als auch Luthers Auffassung der weltlichen Obrigkeit. Vgl. Z 2 [21], S. 500 (,Von gçttlicher und menschlicher Gerechtigkeit‘); WA 11, S. 247; 253; 257 (,Von weltlicher Obrigkeit‘). Zur N$he Zwinglis und Luthers in diesem Punkt vgl. Kaufmann 2009, S. 409. 327 BE, S. 2. „Betrachte oft Levins Euripus, der mit dem Hçllentod bestraft wurde, damit du nicht das gleiche erleidest.“ Aus einem dem ,Euripus‘ vorangestellten Epigramm des Augustinus Hunnaeus.

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des Jesuitentheaters.328 Es entstand in engem Bezug auf die seit 1520 andauernden Auseinandersetzungen der Lçwener theologischen Fakult$t mit Luther. Wie Fidel R$dle zeigt, schließt Brecht sich in seinem Drama an Thesen zur Buße, Rechtfertigung und zu den jenseitigen Strafen an, die von den Lçwener Theologen im Jahr 1545 im Kontext einer 32 Artikel umfassenden dogmatischen Schrift publiziert worden waren; Luther hatte noch im gleichen Jahr mit 75 Gegenthesen reagiert.329 Die 32 Artikel sollen zum einen H$resieverd$chtigten dabei helfen, sich durch ein Bekenntnis zu den b#ndig kodifizierten katholischen Wahrheiten von Anschuldigungen befreien zu kçnnen. Zum anderen sollen sie die Predigtt$tigkeit regulieren und auf diesem Weg die Verbreitung von Irrlehren unterbinden.330 Der vierte Artikel formuliert Pr$missen #ber Reue und Buße, die auch f#r den ,Euripus‘ von Bedeutung sind: Contritio est dolor de peccatis propter Dei offensam susceptus cum propositio […] confitendi et satisfaciendi, non autem (ut quidam hoc seculo perniciose docent) terror conscientiae propter apprehensum gehennae supplicium peccatis debitum. Praeparat tamen hic terror et gehennae metus ad veram animi contritionem.331 328 Zur Biographie Brechts vgl. R$dle 1978, S. 405 – 409; zur Auff#hrungs- und Wirkungsgeschichte des Spiels bei den Jesuiten vgl. ebd., S. 428 – 437. Zur Druckund Textgeschichte vgl. Valentin 1990a, S. 185 – 190; R$dle 1979, S. 525 – 530. Dass im ,Euripus‘ tats$chlich „die erste, bewußt katholische, dramatische Antwort auf das evangelische Theater zu sehen“ sei (Valentin 1990, S. 123), ist jedoch fragw#rdig. Bevor etwa der ,Euripus‘ 1554 im Wiener Karmeliterkloster die jesuitische Theaterpraxis im deutschen Sprachraum erçffnete, hatte hier bereits rund f#nfzehn Jahre zuvor Wolfgang Schmeltzl als Schulmeister am Schottenstift eine eigene Variante katholischen Schultheaters etabliert. Er brachte seit 1540 Bibeldramen zur Auff#hrung und in den Druck; eine Praxis, die in die gegenreformatorischen Agitationen des Schottenstifts eingebettet war (vgl. Dietl/Knedlik 2009, bes. S. 256). Der Kçlner Drucker Jaspar von Gennep, der 1555 auch die einzige nicht in Lçwen gedruckte ,Euripus‘-Ausgabe vorlegte (vgl. Valentin 1990a, S. 185) verfasste seinen ,Homulus‘ bereits 1540 in dezidiert antilutherischer Absicht. 329 Vgl. R$dle 1978, S. 412 – 414 mit Abdruck der f#r den ,Euripus‘ relevanten Thesen und Gegenthesen. Die 32 Artikel und Luthers Gegenschrift sind vollst$ndig ediert in WA 54, S. 412 – 458. 330 Vgl. WA 54, S. 412. 331 WA 54, S. 418. „Reue ist der Schmerz #ber unsere S#nden, den man wegen der Beleidigung Gottes empfindet, zusammen mit dem Vorsatz zu beichten und Genugtuung zu leisten, nicht aber (wie manche in diesem Jahrhundert verderblicherweise lehren) das Erschrecken des Gewissens, weil es begreift, daß es f#r seine S#nden die Strafe der Hçlle verdient hat. Jedoch bereitet dieser Schrecken und die Hçllenangst zur wahren Reue vor“ ((bersetzung: R$dle 1978, S. 413).

5. Levin Brechts ,Euripus‘ (1548)

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Die Lçwener Theologen vertreten zum einen ein nachdr#cklich sakramentales Bußverst$ndnis, das auf dem Dreischritt von Reue (contritio), Beichte (confessio) und Genugtuung (satisfactio) beruht.332 Zum anderen schreiben sie dem Affekt der Hçllenangst (metus gehennae) eine im Sinne der attritio auf die contritio vorbereitende und produktive Funktion zu: Die Furcht vor den Strafen, die Luther als fruchtlos und gef$hrlich ansieht,333 ist in ein graduell strukturiertes Modell eingebettet und f#hrt hin zur wahren Reue, durch welche die S#ndenvergebung erlangt wird. An der Furcht als Initialaffekt der Bußbewegung setzt auch Brechts ,Euripus‘ an.334 Brecht geht es jedoch nicht in erster Linie darum, dogmatisches Wissen zu vermitteln; vielmehr sollen Todes- und Hçllenangst performativ hervorgebracht werden, um so die innere Disposition der Zuschauer umzuformen. Hierf#r nutzt Brecht ein meditatives Rezeptionsmodell. Darauf deutet bereits das dem Spiel im Druck vorangestellte Epigramm des Augustinus Hunnaeus hin, dass die Leser dazu auffordert, den mit dem Hçllentod bestraften Euripus h$ufig zu betrachten („contemplare frequens“).335 Wie in den vorangegangenen Beispielen macht das Drama die zu imaginierende Figur des sterbenden S#nders – und #ber sie hinaus auch die des gestorbenen S#nders – bewusst als B#hnenfigur verf#gbar. Die meditative !sthetik des ,Euripus‘ l$sst sich auf drei Ebenen analysieren: auf der Ebene der in der Praefatio formulierten poetologischen Aussagen, auf der Ebene der Appendices, die dem Drama im Druck beigegeben sind und auf der Ebene der Dramenhandlung. W$hrend das ,M#nchner Spiel‘ und die ,F#nfferley Betrachtnusse‘ jeweils auf ein umfassendes Stoffgef#ge abheben, priorisiert Brecht in seiner Praefatio die Betrachtungsstoffe S#nde, Tod und Hçlle. Er trifft aus dem tradierten Bestand eine Auswahl, die ganz auf den Furchtaffekt zugeschnitten ist. Brecht stellt sein Drama in die sp$tmittelalterliche Tradition, indem er sich auf den Meditationstraktat ,De quatuor hominis novissimis‘ des Dionysius Carthusianus († 1471) beruft und dessen Affektlehre aufgreift.336 Zugleich ist der ,Euripus‘ in hçherem Maße als die bislang untersuchten Dramen 332 333 334 335

Zu heterogenen Bußkonzepten seit dem Mittelalter vgl. Hamm 2010. Vgl. diese Arbeit, S. 30. Vgl. auch Valentin 1990, S. 125. Es erscheint mir daher zu einseitig, den ,Euripus‘ als „Predigt mit anderen Mitteln“ (Wimmer 1982, S. 111) zu beschreiben. 336 Auf die Dionysius-Rezeption verweisen bereits Valentin und R$dle, ziehen jedoch keine Verbindung zwischen Drama und Meditation (vgl. Valentin 1990a, S. 182; ferner Valentin 1990, S. 123; R$dle 1978, S. 408).

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vom sterbenden S#nder am humanistischen Theaterdiskurs orientiert. Der von der Forschung in Bezug auf Brechts Œuvre konstatierte Zwiespalt von Antikerezeption und Religion337 $ußert sich in der Praefatio als Spannungsverh$ltnis von humanistischer Theater- und sp$tmittelalterlicher Meditationstheorie. Im Appendix des Drucks folgt dem ,Euripus‘ die ,Lamentatio‘ einer knapp der Verdammnis entgangenen Seele im Fegefeuer. Wie dem Haupttext ist ihr ein Epigramm des Augustinus Hunnaeus vorangestellt. Die in elegischen Distichen verfasste ,Lamentatio‘ bildet ein lyrisches Pendant zum Drama und reiht sich in die Tradition meditativer Klagen des Sp$tmittelalters ein, wie sie in Prosaform etwa von Heinrich Seuse oder Dionysius Carthusianus bekannt sind.338 In versifizierter Form wurden ganz $hnliche Klagen seit dem fr#hen 15. Jahrhundert als ,Planctus animae damnatae‘ bzw. ,Lessus damnati‘ #berliefert und vielfach in die Volkssprache #bersetzt.339 Dass Brecht Drama und Lyrik in dieser Weise miteinander kombiniert, verweist jedoch nicht nur auf den gattungs- und medien#bergreifenden Charakter der Betrachtung. Aus dem Textensemble ergibt sich dar#ber hinaus auch eine meditative Makrostruktur: W$hrend der ,Euripus‘ auf die miseria nostra bezogen ist, ruft die ,Lamentatio‘ die misericordia Dei ins Ged$chtnis. So erçffnet der Druck jene f#r die Bußmeditation typische Polarit$t, die bereits Hugo von St. Viktor formuliert hatte340 – eine Polarit$t, die Brecht in der Praefatio und Hunnaeus im Epigramm zur ,Lamentatio‘ auch ganz explizit benennen.341 337 „Der Zwiespalt zwischen dem Anspruch der !sthetik (verkçrpert in der Literatur der Antike und ihrer humanistischen Nachahmer) und der Religion beherrscht thematisch alle Schriften Brechts und kennzeichnet auch sein Verh$ltnis zu seiner eigenen literarischen Produktion“ (R$dle 1978, S. 409). 338 Vgl. diese Arbeit, S. 38–42. 339 Vgl. Honemann/Roth 2006, S. 9 f.; zur meditativen Funktion dieser Texte vgl. Palmer 1975, bes. S. 229 – 239. 340 Vgl. diese Arbeit, S. 28. 341 „Quarto, nullum inter tot mala ac pericula vel oportunius consilium vel efficacius esse remedium, quam ut homo diligenter expensa infirmitate et multiplici miseria sua se totum humiliter substernat prosternatque Deo: tantoque studiusius ac flebilius divinam imploret gratiam et misericordiam, quanto se propensiorem esse sentit ad perditionem atque ruinam.“ „Viertens: Bei so viel (bel und Gefahren gibt es keinen besseren Rat und kein wirksameres Heilmittel, als daß der Mensch seine eigene Schw$che und sein vielf$ltiges Elend wohl bedenkt und sich in Demut ganz Gott unterwirft und umso dringender und flehentlicher die gçttliche Gnade und Barmherzigkeit erbittet, je mehr er sich dem Verderben und Absturz nahe f#hlt“ (BE, S. 18 f.). W$hrend der ,Euripus‘ auf die Strenge des schrecklichen Richters

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Claudia Spanily hat herausgearbeitet, dass Brechts allegorische Figuren – der personifizierte Furchtaffekt Timor und Tempus Gratiae, aber auch ihre Antagonisten Venus und Cupido – der Handlung eine psychologische Dimension verleihen.342 Wie ich zeigen mçchte, ist die B#hne des Inneren, die Brecht entwirft, eine B#hne der Meditation. Euripus schl$gt zun$chst den Weg des Heils ein, indem er sich mithilfe Timors der Todesbetrachtung widmet. Als er zu schwanken beginnt, ruft Timor ihn wiederholt dazu auf, seine schweifenden Gedanken durch die Betrachtung von Tod, Gericht und Hçlle (und in geringerem Maße auch der himmlischen Freuden) zu disziplinieren. Die Verdammung des Euripus ist eine Folge seiner Tr$gheit (ignavia) als mangelnder Bereitschaft, sich der Betrachtung hinzugeben. Im gleichen Zug, in dem er die intensive Besch$ftigung mit den Letzten Dingen verdr$ngt, verdr$ngt er den Furchtaffekt, der ihn in die heilsame Buße f#hren kçnnte und verf$llt den durch Venus und Cupido verkçrperten weltlichen Freuden.343 5.1. Tragçdie zu Meditationszwecken: Brechts Praefatio In seiner Widmungsvorrede an den Erzbischof von L#ttich, Georg von .sterreich,344 fordert Brecht f#r den ,Euripus‘ eine ausgesprochen aktive („tremendi iudicis severitas“ [BE, S. 78]) verweise, so Hunnaeus, sei die ,Lamentatio‘ ein Exempel f#r die Barmherzigkeit Gottes: „Quem tibi Livinus subiunxit, ut inde doceret, j Iusti Dei sit quanta misericordia.“ „Diesen Fall beschrieb Livinus im folgenden, um damit zu zeigen, wie groß die Barmherzigkeit des gerechten Gottes ist“ (BE, S. 278 f.). Auch Luther hatte in seiner ersten Psalmenvorlesung auf ganz $hnlichem Weg, n$mlich #ber die Imagination eines erretteten S#nders, zur Betrachtung der misericordia Dei angeleitet (vgl. diese Arbeit, S. 42– 44). R$dle vermutet, dass die Elegie einen kompensatorischen Charakter aufweist. Brecht habe „offenbar den entmutigenden Effekt seines St#cks gesp#rt und wenigstens f#r den Leser des ,Euripus‘ ein elegisches Gedicht folgen lassen, in dem ein Verstorbener spricht, der dem ewigen Verderben, wenn auch knapp, entkommen ist“ (R$dle 1978, S. 426). Mir geht es um den Nachweis, dass das Textensemble des Drucks spezifische meditative Prinzipien umsetzt. 342 Vgl. Spanily 2010, S. 121 – 162, bes. S. 128. Spanilys Kapitel umfasst auch einen Vergleich mit der protestantischen Adaption des ,Euripus‘, der ,Tragedia j Der Irrdisch pilgerer genandt‘ (1562) des Schulmeisters Johannes Heros. Diese kn#pft jedoch nicht an die meditative Dimension des ,Euripus‘ an. 343 Ganz $hnlich, wenn auch nicht im Darstellungsmodus einer protopsychologischen Innenansicht, verh$lt sich der J#ngling des ,M#nchner Spiels‘, der „von des tods forcht kain fre#d lassen“ (MS, V. 454) will. 344 Zum Widmungstr$ger vgl. R$dle 1979, S. 531.

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Rezeptionshaltung ein. Wer Nutzen aus dem Drama ziehen will, solle sich bem#hen, „vitam suam cum Euripi moribus diligenter conferre: humiliter persuasum habens, sub alieno sibi nomine nimis seriam ac domesticam fabulam narrari“ (BE, S. 6).345 Der Stoff sei mitten aus dem menschlichen Leben genommen und ziele darauf ab, ut iuventus caeca plerunque et lubrica, inconstantiam suam, vanitatem, foeditatem, velut in speculo diligenter inspiciat: inspectam agnoscat et exhorreat: agnitam damnare discat et odisse: damnatam atque exosam relinquere studeat et perpetuo deplorare (BE, S. 6).346

Das Ziel, so wird deutlich, ist ein Akt der Selbsterkenntnis, der aus einem vom Drama angeregten Prozess der Introspektion und Gewissensforschung hervorgehen soll. W$hrend die Zuschauer und Leser die Figur des Euripus in ihrer S#ndhaftigkeit wie in einem Spiegel („velut in speculo“) betrachten,347 sollen sie der je eigenen Unbest$ndigkeit, Verg$nglichkeit und Sch$ndlichkeit gewahr werden, um davor zu Erschrecken und zur Reue zu gelangen.348 Bereits diese Passage formuliert ein meditatives Rezeptionsmodell. Wie beschrieben, nehmen Meditations#bungen seit Gregor dem

345 „[…] sein eigenes Leben sorgf$ltig mit den Sitten des Euripus zu vergleichen und sich dabei in aller Demut bewußt sein, daß ihm hier unter einem fremden Namen eine #beraus ernste und ihn selbst unmittelbar betreffende Geschichte erz$hlt wird“ (BE, S. 7). 346 „[…] daß die Jugend, die meist blind und von schwankendem Sinn ist, die Unbest$ndigkeit, Eitelkeit und Abscheulichkeit ihres Lebens wie in einem Spiegel sorgf$ltig betrachte, sie erkenne und davor erschrecke, nach dieser Erkenntnis ein solches Leben zu verdammen und zu hassen lerne und das so verdammte und verhaßte Leben aufzugeben und in dauernder Reue zu beweinen sich bem#he“ (BE, S. 7). 347 Die Spiegelmetapher als Theatermetapher geht auf ein von Donat #berliefertes Cicero-Zitat zur#ck (vgl. R$dle 1978, S. 410 mit Anm. 22). 348 Claudia Spanily hat die Praefatio zum ,Euripus‘ im Hinblick auf die allegorische Konzeption des Dramas interpretiert und Brechts Erkenntnis- und Affektkalk#l mit Postulaten der modernen Emotionspsychologie in Verbindung gesetzt (vgl. Spanily 2010, S. 128 mit Anm. 187). Dies ist ein anregender Ansatz, der jedoch dazu tendiert, die rekonstruierbaren historischen Hintergr#nde auszuklammern. Dass f#r Brecht wie f#r die ,Gef#hl als Information-Theorie‘ „Gef#hle eine wichtige Grundlage von Werturteilen sind und daß sie damit eben auch der Handlungssteuerung dienen“ (ebd., Anm. 187), mag zutreffen. Es lassen sich jedoch dar#ber hinaus auch historische Traditionsbest$nde nachweisen, an die Brecht anschließt und aus denen er auch das ,psychologische‘ Wissen bezieht, das er „offenbar durchaus voraus[setzt]“ (ebd.).

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Großen regelm$ßig die introspektive Betrachtung der eigenen S#ndhaftigkeit zum Ausgangspunkt.349 Im Verh$ltnis zur Rezeptionst$tigkeit sind die f#nf Akte des Dramas auf unterschiedlichen Zeitebenen angesiedelt, die sich ebenso einer meditativen Logik f#gen: Die ersten drei Akte stehen in einem Vergangenheits- und Gegenwartsbezug, sofern die Zuschauer und Leser ihr eigenes – vergangenes und gegenw$rtiges – Leben mit dem dargestellten Lebensweg des Euripus vergleichen und zur Selbsterkenntnis gelangen sollen. Die letzten beiden Akte hingegen weisen auf die Letzen Dinge und damit auf die Zukunft voraus, auf die das Leben jedes Einzelnen unvermeidlich zul$uft.350 Dass Brecht in spezifischer Weise am Verh$ltnis von Drama und Betrachtung interessiert ist, geht auch aus den !ußerungen seiner Praefatio hervor, die am humanistischen Theaterdiskurs orientiert sind. Die im vierten und f#nften Akt dargestellten novissima Tod und Hçlle treten hier in eine eigent#mliche Konstellation zum Begriff der Tragçdie. Die Bezeichnung ,Tragçdie‘ ist f#r den ,Euripus‘ #ber das Kriterium des traurigen Endes motiviert und dieses ist durch den Tod und durch die Hçllenqualen der Hauptfigur gegeben: Addidimus etiam inde actioni Tragoediae titulum, quod in ea plus quam tragica mala describantur, dum perditi adolescentis infraenis nequitia turbulentissimo clauditur exitu, et funesta mors desperantis, calamitatibus, poenis, opprobriisque excipitur, nec finiendis unquam, nec mitigandis (BE, S. 6).351

Wimmer hat darauf hingewiesen, dass Brechts Formulierungen an die Tragçdiendefinition aus der Schrift ,De Fabula‘ des Evanthius anklin349 Vgl. zu Gregor diese Arbeit, S. 26. Diese Struktur ist noch in den ignatianischen Exerzitien zu beobachten. Hier konzentriert sich nahezu die gesamte erste Woche auf Gewissensforschung und S#ndenbetrachtung (vgl. Ignatius von Loyola [1966], S. 27 – 44). 350 Die vorausnehmende Betrachtung der Letzten Dinge ist auch in den sp$tmittelalterlichen Meditationslehren, etwa bei Zerbolt, der Introspektion nachgelagert. Die Meditationen in ,De spiritualibus ascensionibus‘ beginnen im Zeichen der compunctio timoris mit der Gewissensforschung, ihr folgen Meditationen #ber Tod, Gericht und Hçlle (vgl. SA, S. 156 – 176 [Cap. XVII–XXI]). 351 „Wir haben dem Drama auch deshalb die Bezeichnung Tragçdie beigegeben, weil darin schlimme Dinge behandelt werden, die mehr als tragisch sind, da die z#gellose Schlechtigkeit des verlorenen J#nglings #beraus traurig endet und der schreckliche Tod des Verzweifelnden in Elend und Qualen und Schm$hungen m#ndet, die niemals ein Ende haben und nie gemildert werden“ (BE, S. 7).

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gen.352 Dass der ,Euripus‘ mit dem Vorsatz des Titelhelden beginnt, den Weg des Heils zu gehen, aber in seiner Verdammung endet, entspricht in jedem Fall der bereits im Mittelalter gel$ufigen Auffassung eines ,tragischen‘ Handlungsverlaufs.353 Die Forschung konnte plausibel begr#nden, dass Brechts Drama quer zur aristotelischen Tragçdienkonzeption steht und sich entsprechend auch nicht mit eigenen Argumenten in die um 1548 in den Niederlanden bereits laufende Auseinandersetzung um die ,Poetik‘ einschaltet.354 Brecht bezieht sich vielmehr negativ auf die humanistische Diskussion, indem er sich mit einer (berbietungsgeste außerhalb ihres Geltungsbereiches positioniert: Die vom ,Euripus‘ vorgestellten Begebenheiten werden „jeder herkçmmlichen Tragik #berordnet.“355 Es handelt sich, in Brechts Worten, um eine ,mehr als tragische‘ Tragçdie: „in ea plus quam tragica mala describantur“. Fidel R$dle hat auf eine Passage des spielinternen ,Euripus‘-Prologes aufmerksam gemacht, die sich nur in der Editio princeps findet und diesen Gestus des Sich-Ausnehmens noch unterstreicht. Dort heißt es: Quodsi decorum forte cui videbitur, Tragicaeve leges parcius servarier: Haec mente secum non iniqua cogitet. Non est prophanis legibus gentilium Tam Christiana veritas obnoxia, Pietasque strictis sic premenda regulis, Ut examussim scrupolosis debeat Parere scitis ethnicorum et voculis. Sed Christianis debet hic scriptoribus Scopus esse summus, ac labor primarius, Ut digna Christo, proximis salubria In vulgus aedant […].356 352 Vgl. Wimmer 1982, S. 109 mit Anm. 11. ,De Fabula‘ wurde im 16. Jahrhundert Donat zugeschrieben und gemeinsam mit Donats ,De Comedia‘ als Teil seines Terenzkommentars gelesen (vgl. Herrick 1950, S. 58; Dietl 2005, S. 26). 353 So etwa Vinzenz von Beauvais: „Tragaedia vero poesis, & laeto principio in tristem finem desinens“. „Die Tragçdie aber ist eine Dichtung, die nach einem heiteren Anfang in einem traurigen Schluß endet“ (zitiert nach George 1972, S. 27). 354 Vgl. Valentin 1990a, S. 147; Wimmer 1982, S. 109. 355 Wimmer 1982, S. 108. 356 Zitiert nach R$dle 1979, S. 585. „Wenn einer den Eindruck gewinnt, daß [in diesem St#ck] das ,decorum‘ und die klassischen Gesetze der Tragçdie zu wenig beachtet sind, so soll er sich daran nicht stçren und folgendes bedenken: Die christliche Wahrheit ist nicht in einem solchen Maße den profanen Gesetzen der Heiden unterworfen, und die Religion darf nicht so sehr von strengen Regeln eingeengt werden, daß sie peinlich genau den pedantischen Lehrs$tzen und [eitlen] Worten der Heiden

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Auch wenn, wie R$dle zurecht bedauert, offen bleibt, was genau Brecht unter den klassischen Gesetzen der Tragçdie versteht, ist entscheidend, dass er sich ihnen mit Bezug auf die christliche Wahrheit („Christiana veritas“) und Frçmmigkeit („pietas“) verweigert. Genau in diesem Sinne aber bietet Brecht in der Praefatio auch einen positiven Bezugsrahmen an. Seine ,mehr als tragische‘ Tragçdie hat n$mlich einen ausgesprochenen Nutzen f#r die Todes- und Hçllenmeditation als Vorbereitung auf die zuk#nftige Todesstunde.357 Nachdem die Bezeichnung ,Tragçdie‘ aus Tod und Hçllenqualen des Euripus abgeleitet wurde, f$hrt Brecht fort: Quae duo, mortem dico et inferos, utinam diu multumque secum expenderent quotquot dulci fortuna ebrii, novissima sua seri+ providere negligunt, dissimulant, contemnunt: Nimirum quia gens sunt absque consilio et sine prudentia: gens (inquam) quae caeco praesentium amore fascinata, futura non prospicit: ignem illum inextinguibilem, nec cogitat, nec expavescit: Christoque illum terribiliter comminanti, revera non credit. Et hic quidem Tragoediae scopus, prout in prologo apertius testamur, nec Christiana professione, nec monastica (opinor) religione indignus (BE, S. 6).358

In dieser Verbindung von çffentlichem Schauspiel und monastisch gepr$gter Frçmmigkeitspraxis liegt die Begr#ndung daf#r, dass Brecht seinen gehorchen m#ßte. Vielmehr muß es das hçchste Ziel und die vornehmste Aufgabe der christlichen Schriftsteller sein, Werke herauszugeben, die Christi w#rdig und den N$chsten heilsam sind“ ((bersetzung: R$dle 1978, S. 421). 357 Brecht bezieht sein Argument gegen das antike Decorum vermutlich aus der Vorrede zum ,Acolastus‘ des Wilhelm Gnapheus (vgl. R$dle 1978, S. 423). R$dle vermutet daher, dass Brecht seine !ußerungen „nicht aus eigenen (berlegungen am Gegenstand ,Euripus‘ ableitet“ (ebd., S. 422). Ein anderes Bild ergibt sich, wenn der negative Bezug auf die antiken Normen mit dem positiven Bezug auf die christliche Meditationspraxis korreliert wird. Brecht #bernimmt zwar Formulierungen von Gnapheus, er bettet sie jedoch produktiv in eine eigene Poetik des ,Euripus‘ ein. 358 BE, S. 6. „Wenn doch nur diese beiden Dinge, – ich meine den Tod und die Hçlle –, von all jenen lange und gr#ndlich bedacht w#rden, die es, berauscht vom s#ßen Gl#ck, vers$umen, aufschieben und f#r unwichtig halten, sich im Ernst auf ihre letzte Stunde einzustellen. Es sind eben gedankenlose und unbedachte Menschen, das heißt Menschen, die ber#ckt sind durch blinde Liebe zu den gegenw$rtigen Dingen und deshalb die zuk#nftigen nicht vorausschauen, das unauslçschliche Feuer der Hçlle nicht bedenken und f#rchten und auch Christus, der dieses Feuer auf furchtbare Weise androht, in Wahrheit keinen Glauben schenken. Und ein solcher Zweck einer Tragçdie ist immerhin, wie wir im Prolog noch deutlicher hervorheben, weder des christlichen Bekenntnisses noch der Frçmmigkeit eines Mçnches unw#rdig“ (BE, S. 7). Es ist zu vermuten, dass der Verweis auf den Prolog sich urspr#nglich auf die sp$ter getilgte zitierte Passage aus der Editio princeps bezieht.

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,Euripus‘ nicht nur als „Tragoedia“, sondern als „Tragoedia Christiana“ bezeichnet.359 Macht sich die Tragçdie durch ihren heidnisch-antiken Ursprung verd$chtig, so gew$hrleistet Brecht ihre Legitimit$t, indem er sie einer genuin christlichen Zweckbestimmung unterwirft: Seine „Tragoedia Christiana“ ist eine Tragçdie zu Meditationszwecken. Dass Brecht die Legitimit$t antiker Tragçdien grunds$tzlich in Zweifel zieht und darauf mit einer (berlagerung von Theater und Meditation reagiert, r#ckt ihn in eine auff$llige strukturelle N$he zur in der Einleitung dieser Arbeit skizzierten patristischen Theaterkritik, die als Gegenkonzept zu den antiken spectacula ein meditatives, christliches Seelentheater entwickelt.360 Doch w$hrend Tertullian und seine Nachfolger ein „pures Imaginationstheater“361 anstreben, geht es Brecht darum, die Auff#hrungsform selbst christlich zu besetzen und das antikisierende Drama meditativ umzudeuten. W$hrend die patristische Vorstellung vom Seelentheater „das reale Theater als imaginationssteuerndes und meditationsfeindliches Bildmedium“362 interpretiert, kann Brecht das reale Theater als Hilfsmedium der Meditation nutzen. Die Forschung hat gezeigt, dass der ,Euripus‘ sprachlich, metrisch und im formalen Aufbau – etwa durch das F#nfakt-Schema und die Chçre – deutlich humanistisch gepr$gt ist.363 Das Wirkungsmodell jedoch, das der „Tragoedia Christiana“ zugrundeliegt, hat einen vorhumanistischen Ursprung und verweist auf die sp$tmittelalterliche Meditationspraxis. Wie sehr Brecht dieser Tradition verpflichtet ist, zeigt auch ein Unsagbarkeitstopos, der viele gel$ufige Elemente f#r die Imagination eines sterbenden S#nders verdichtet. F#r den zu bew$ltigenden Stoff sei, so Brecht, ein ganz anderer K#nstler erforderlich gewesen; er selbst sei bei weitem nicht in der Lage, die im vierten und f#nften Akt behandelten Dinge, n$mlich den Tod und die Hçllenqualen des Euripus, angemessen darzustellen: Quis enim iusto […] inenarrabiles peccatoris animam agentis angustias explicet, mortem iniqui ut pessimam, ita amarissimam: teterrimorum cacoda-

359 So lautet die Gattungsbezeichnung auf dem Titelblatt (vgl. BE, S. 1). 360 An anderer Stelle, in einem Gedicht aus der Sammlung ,Sylva piorum carminum‘ (1555) greift Brecht explizit auf Argumentationsfiguren der patristischen Theaterfeindlichkeit zur#ck (vgl. R$dle 1978, S. 419). 361 Berns 2003, S. 549; Berns 2004, S. 27. 362 Berns 2003, S. 555. 363 Vgl. R$dle 1978, S. 421 f.

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emonum horribiles aspectus, acerbissimos terrores, asperrimas insultationes, atrocissima convicia, durissima verbera? (BE, S. 8.)364

Man hat die Verdammung des Euripus bislang im Kontrast zum gl#cklichen Ausgang der Jedermann-Dramen interpretiert und Brechts ,tragische‘ Wendung des Handlungsverlaufs konfessionspolitisch begr#ndet: „Zum ersten Mal in der Geschichte der Moralit$t“, so Valentin, werde „hier tats$chlich der Titelheld verdammt“.365 Die Rettung im letzten Augenblick bleibe aus, „weil sie n$mlich eine allgemein menschliche, d. h. allgemein christliche Grundhaltung voraussetzte, die es dann nicht mehr gab.“366 Auch Wimmer vermutet, „die Rigorosit$t, mit der das Moralit$tenthema hier abgewandelt ist, mag die Ersch#tterungen der Reformation widerspiegeln“.367 Es ist nicht zu bestreiten, dass der ,Euripus‘ von den konfessionspolitischen Auseinandersetzungen seines Entstehungsumfeldes gepr$gt ist und sich offensiv gegen die lutherische Lehre positioniert. Zu fragen w$re jedoch, ob die ,Moralit$ten‘, d. h. f#r Valentin und Wimmer die Jedermann-Dramen in der Tradition des ,Elckerlijc‘, den entscheidenden Bezugspunkt f#r die Bewertung seines tragischen Ausgangs bilden.368 Zwar l$sst sich der ,Euripus‘ aufgrund seiner allegorischen Anlage problemlos als Moralit$t beschreiben.369 Sein ganzer Aufbau, der von der Bivium-Situation der Hauptfigur ausgeht, unterscheidet ihn jedoch von den JedermannDramen; es handelt sich hier um einen eigenst$ndigen und unabh$ngigen Entwurf.370 364 „Denn wer vermçchte auf angemessene Weise […] die unaussprechlichen !ngste des S#nders in seiner Todesstunde wiederzugeben, den ebenso schlimmen wie bitteren Tod des Gottlosen, den furchterregenden Anblick finsterer Teufel, die qualvollen Schrecken, den bitteren Hohn, den unbarmherzigen Spott, die harten Schl$ge, die ihn erwarten?“ (BE, S. 9.) 365 Valentin 1990, S. 125. Auch R$dle bekr$ftigt, dass Valentin zu Recht betone, „wie sich der ,Euripus‘ durch seinen tragischen Schluß von den gl#cklich endenden ,Moralit$ten‘ unterscheidet und auf sp$tere Gestalten wie Faust, Udo und Cenodoxus vorausweist, die gleich Euripus verdammt werden“ (R$dle 1978, S. 415). 366 Valentin 1990, S. 126. 367 Wimmer 1982, S. 114. 368 Dass konfessionspolemische Zuspitzungen zudem nicht zwangsweise die Verdammung des Titelhelden nach sich ziehen, zeigt etwa Naogeorgs ,Mercator‘ (1540). 369 Zur Position des ,Euripus‘ im Gattungskontext vgl. Valentin 1990a, S. 163 – 169; Wimmer 1982, S. 112 – 114; R$dle 1972, S. 198; R$dle 1978, S. 410. 370 Vgl. dazu Valentin 1990a, S. 169.

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Sofern Brecht den ,Euripus‘, wie die Praefatio nahelegt, weniger vor dem Gattungshintergrund der Moralit$t als vor dem Hintergrund der Meditation #ber die Letzten Dinge entwirft, kann von der Neuheit und Rigorosit$t des tragischen Ausgangs jedoch nicht die Rede sein. In der Meditationspraxis gehçrt es bereits seit dem Mittelalter zum Standard, die Verdammung und die Hçllenqualen der unbußfertigen S#nder ausf#hrlich und systematisch zu imaginieren.371 Den Anspruch einer extensiven Betrachtung von Tod und Hçlle macht Brecht schließlich auch geltend, um die ,(berl$nge‘ des vierten und f#nften Aktes zu rechtfertigen: Porro Actum quartum et quintum (quanquam in actione nonnullis visi sint prolixiores) non ita multum breviavimus. Verbosius enim ea peccatoribus inculcanda putamus, quae merito deberent expendere frequentissim*, et efficaciter sibi in memoriam revocare (BE, S. 20).372

Die Proportionen des ,Euripus‘ sind f#r Brecht nicht in Kategorien des dramatischen Decorums verhandelbar, sondern stehen unter der Maßgabe angemessenen Meditierens. Was aber ununterbrochen zu bedenken und ins Ged$chtnis zur#ckzurufen ist, kann gar nicht ausf#hrlich genug dargestellt werden. Es ist daher nur konsequent, dass Brecht sich in diesem Argumentationszusammenhang nicht auf eine dramenpoetische Autorit$t, sondern auf einen prominenten Meditationstraktat beruft: Quae si cui insuavia, prolixiora, et nimis rigida videbuntur, legat obsecro, vel unum Dionysium Chartusiensem in libello de Quatuor novissimis, et inveniet nos pro argumenti ubertate perpauca, pro immensa rei mole scripsisse exigua (BE, S. 22).373 371 Vgl. auch hier noch einmal exemplarisch Gerhard Zerbolt von Zutphen (SA, S. 170 – 176 [Cap. XXI]). Wie etwa das ,M#nchner Spiel‘ zeigt, konnten Verdammungsurteile zudem bereits vor der Reformationszeit b#hnenwirksam inszeniert werden. 372 „Den vierten und f#nften Akt haben wir allerdings nicht so kurz gefaßt (obwohl sie bei der Auff#hrung manchen allzu lang vorkamen). Wir glauben n$mlich, daß man den S#ndern mit besonders deutlichen Worten einsch$rfen muß, was sie richtigerweise ununterbrochen bedenken und sich gehçrig ins Ged$chtnis zur#ckrufen m#ßten“ (BE, S. 21). 373 BE, S. 22. „Wenn einem das alles unerquicklich, zu weitschweifig und allzu streng vorkommt, soll er doch nur einmal Dionys den Karth$user in seinem Buch ,(ber die vier letzten Dinge‘ lesen, und er wird finden, daß wir, gemessen an der F#lle des Stoffes, recht wenig und, gemessen am ungeheuren Gewicht der Sache, Unerhebliches geschrieben haben“ (BE, S. 23). ,De quatuor hominis novissimis‘ z$hlt zu den nach 1500 am h$ufigsten gedruckten Schriften des Dionysius (vgl. Schmidt 1980, Sp. 176).

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Dass Brecht sich auch dar#ber hinaus eng an Dionysius anlehnt, geht aus der affektiven Wirkung hervor, die er sich vom ,Euripus‘ erhofft: „si fort* quidam acerrimis gehennae suppliciis velut coram se positis exterriti, salubriter paveant, sibi ipsis metuant, medullitus compungantur“ (BE, S. 22).374 Es geht ihm um den metus gehennae im Hinblick auf die compunctio, um einen Affektbereich also, der traditionell am Beginn der Bußmeditation steht. „O quam salubre plerisque foret“, so f$hrt Brecht etwas weiter unten fort, „haec potius, hisque similia subinde revolvere, quam tot bonas horas ignavo otio perdere“ (BE, S. 22).375 Die Rede von der heilsamen Furcht und von der Reue, die durch ein permanentes Bedenken von Tod und Hçlle auszulçsen sind, um Faulheit und M#ßiggang zu vertreiben, findet sich auch bei Dionysius unter dem oben bereits erw$hnten Articulus, der zur Imagination eines sterbenden S#nders anleitet: Itaque ad provocandum in se compunctionem atque salubrem mortis timorem, ad expellendum negligentiam et omnem acediam, ad aggrediendum viriliter et absque dilatione opera poenitentiae virtuosamque vitam, plurimum confert diligenter imaginari ac intueri dispositionem hominis agonizantis qui improvise letalem aegritudinem incidit (QHN, S. 500).376

Traktat und Drama zielen in unterschiedlichen Medien auf einen ganz $hnlichen inneren Vorgang und kalkulieren auf eine ganz $hnliche Affektwirkung. Wie eng der ,Euripus‘ auf die meditative Praxis bezogen ist, zeigen auch die Texte, die dem Drama im Anhang beigegeben sind.

374 „[…] vielleicht daß dann manche, aufgeschreckt durch die grausamen Hçllenstrafen, die hier gleichsam vor sie hingestellt werden, von heilsamer Furcht ergriffen werden, Angst um sich selbst bekommen und in ihrem Innersten von Reue gepackt werden“ (BE, S. 23). 375 „Wie heilsam w$re es f#r die meisten, doch lieber solches und $hnliches immer wieder zu bedenken, als so viele kostbare Stunden faul und m#ßig zu vertun“ (BE, S. 23). 376 „Um in sich die Reue und die heilsame Furcht vor dem Tod zu erregen, um den Leichtsinn und alle Tr$gheit zu vertreiben, um entschlossen und ohne Aufschub die Werke der Buße und ein tugendhaftes Leben in Angriff zu nehmen, ist es daher #beraus zutr$glich, sich sorgf$ltig den Zustand eines mit dem Tod ringenden Menschen vorzustellen und anzuschauen, der unversehens in eine tçdliche Krankheit geraten ist.“ !hnlich heißt es in einem Kapitel #ber die Hçllenstrafen: „Qui autem jam coepit introire viam virtutum, ex horum [der Hçllenstrafen] consideratione omnem instabilitatem et torporem abjiciat“ (QHN, S. 551). „Wer aber bereits begonnen hat, den Weg der Tugenden zu betreten, soll aus deren [der Hçllenstrafen] Betrachtung alle Unbest$ndigkeit und Tr$gheit abwerfen.“

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5.2. Drama und meditative Lyrik. Zur ,Lamentatio‘ im Anhang des ,Euripus‘ Die Klagelieder Jeremias enthalten eine Aufforderung, die sich durch ein raffiniertes performatives Moment auszeichnet. Sie erreicht es, die Angesprochenen in einen Zustand des Innehaltens zu versetzen, indem sie zun$chst ihre Bewegung im Raum evoziert: „o vos omnes qui transitis per viam adtendite et videte si est dolor sicut dolor meus“ (Thr 1,12).377 Diesen Trick, die Unterbrechung einer Bewegung, die der Text selbst erst hervorgebracht hat, #bernehmen zahlreiche geistliche Gedichte des Sp$tmittelalters, um f#r ihre Rezeption die Bedingung einer „meditativen Pause“378 zu schaffen. H$ufig sind es Gedichte, in denen sich Christus am Kreuz mit klagendem Gestus an die Lesenden richtet und zur Betrachtung seiner Passion anleitet und h$ufig setzen diese Gedichte den Bezug auf ein Andachtsbild voraus, ohne dabei konsequent als Medienkombination #berliefert zu sein.379 Die direkte Ansprache an die Lesenden zielt auf einen Pr$senzeffekt ab, der die Grenze von heilsgeschichtlicher Vergangenheit und Gegenwart außer Kraft setzt.380 Zugleich erhalten die Gedichte eine ,theatrale‘ Qualit$t: Unter den Bedingungen eines imaginierten Raumes kommt es zu einer dialogischen Interaktion zwischen Christus und dem Leser.381 Seit dem fr#hen 15. Jahrhundert finden sich auch lateinische und volkssprachliche Verstexte, die das Zitat aus Thr 1,12 mit der Rolle einer klagenden Seele verkn#pfen, die aus der Hçlle zu den Lesenden spricht. Geht es bei den Passionsgedichten um eine (berbr#ckung von heilsgeschichtlicher Vergangenheit und Gegenwart, so geht es bei den Klagegedichten um eine (berbr#ckung der Grenze von Diesseits und Jenseits. Der 377 Vgl. mit Beispielen aus der englischen Literatur Kern-St$hler 2005, S. 104 mit Anm. 69. 378 Hodapp 1999, S. 242 („meditative pause“). 379 Vgl. Woolf 1968, S. 183. Zu Thr 1,12 im Kontext von Passionsspielen vgl. diese Arbeit, S. 279 f. 380 Vgl. Hodapp 1999, S. 241 f. 381 Die Technik dieser Passionsgedichte ist im Sp$tmittelalter gattungs#bergreifend zu beobachten (vgl. Kern-St$hler 2005, S. 104). Sie findet sich auch im Zusammenhang von Gebeten und Betrachtungen in Prosa. Ein Beispiel hierf#r bietet ein Passionsgebet aus dem Engelberger Gebetbuch (2. H$lfte des 14. Jahrhunderts). Auch hier tritt Christus, ohne dass ein reales Bild mit#berliefert w$re, vor der betenden Person „selbst ,in Erscheinung‘ und spricht diese an, um ihr den ,Anblick‘ seines von der Marter gezeichneten Kçrpers zuzumuten und seine Qual zu ,offenbaren‘“ (Thali 2009, S. 260, Zitat des Gebets ebd.).

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in dieser Hinsicht einflussreichste Text, der ,Planctus animae damnatae‘, beginnt wie folgt: O vos omnes, qui transitis Figuram hanc inspicite, Memores mei semper sitis Et mundum hunc despicite.382

!hnlich wie bei den angesprochenen Passionsgedichten geht der Bezug auf ein Bild („figura“) beim ,Planctus‘ und seinen volkssprachlichen (bersetzungen h$ufig mit einer monomedialen (berlieferung einher. Dies l$sst mit Nigel Palmer darauf schließen, dass entweder die Aufforderung „eine imaginative Reaktion von seiten des Lesers beabsichtigt, oder daß dieser Text zu der Bilderbogenliteratur zu z$hlen ist, und daß nur die in Codices erhaltenen Abschriften das Mittelalter #berlebt haben“.383 F#r die zentrale Rolle, die der Imagination auch im Fall einer Medienkombination zukommt, spricht, dass der Text selbst dazu auffordert, aus der „figura“ ein Erinnerungsbild zu formen: „Memores mei semper sitis“. Mit Blick auf Seuses ,Ein erschrçcliche beclagung von einem sterbenden menschen‘384 und auf vergleichbare Texte wird deutlich, dass die ,Planctus‘-Tradition ein ganz $hnliches Ziel verfolgt wie die Prosameditationen. Verschoben ist vor allem die zeitliche Perspektive: Im ,Planctus‘ klagt nicht mehr der sterbende S#nder, sondern der bereits gestorbene und verdammte. Es ist bemerkenswert, dass Levin Brecht in mindestens drei Gedichten die skizzierte meditative Lyrik des Sp$tmittelalters aufgreift. Wichtiger als ein Passionsgedicht, das Brecht zum ,Dialogus de Isaacci Immolatione ad

382 Honemann/Roth 2006, S. 28 f.. „O ihr alle, die ihr vor#bergeht, schaut euch dieses Bild an, seiet meiner immer eingedenk und verachtet diese Welt.“ 383 Palmer 1975, S. 235. Es sind dabei auch F$lle der ,Planctus‘-(berlieferung bekannt, in denen ein Medientransfer von einer Wandmalerei ins Buch paratextuell reflektiert wird. Judith Theben weist auf ein entsprechendes Beispiel aus der Handschrift Kçln, Hist. Archiv d. Stadt, Best. 7002 (GB 28) 47 aus der Mitte des 15. Jahrhunderts hin. Dort heißt es auf Bl. 88va–88vb: „Hyr nach volget eyne klage eyns virtumeten menschen den man molet wy her steit nackt in dem fuer vnd wernet alle lebenden menschen daz sy ir leben sullen bossen uff daz sy nicht nicht [!] komen in so vnussprechliche grosse pyn dor ynne her ist die materia geschreben vnd gemolet in vnserm gasthuße hyr zu Trier in latyn vnd ist hyr in dutz gemacht von bede guter geistlicher menschen vnd spricht alsus der verloren mensche: Alle menschn dy hyr gaen j vnd diße figuren syhen an […]“ (zitiert nach Theben 2010, S. 275). 384 Vgl. K#mper 2007, S. 68 – 75 (Nr. 6).

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puerilem captum accomodatus‘ seines Freundes Philicinus beisteuerte,385 ist hier, dass die Struktur des ,Planctus‘ sowohl einem Gedicht aus der Sammlung ,Sylva piorum carminum‘ als auch der ,Lamentatio‘ im Anhang des ,Euripus‘ zugrundeliegt. Das Gedicht aus der Sammlung ,Sylva‘ hat Fidel R$dle kursorisch mit der ,Lamentatio‘ im Anhang des ,Euripus‘ verglichen, ohne auf mçgliche Pr$texte einzugehen.386 Es tr$gt den Titel ,Lamentatio spiritus damnati‘ und bezieht sich bereits dar#ber auf die ,Planctus animae damnatae‘-Tradition. Es weist außerdem auch den Bildbezug des ,Planctus‘ auf und variiert den „adtendite et videte“-Topos aus Thr 1,12, um zu einer meditativen Pause einzuladen: Fixius hanc avido qui respicis ore figuram, Resiste, paucis convenire te volo: Conspicis immersam crepitantibus undique flammis Animam voraci mancipatam incendio, Quam vinctam et graviter tortam discerpere certant Rabido furore daemones teterrimi: Scilicet ista hominis damnati tristis imago est, Crassam per umbram cuius horror hic patet.387

Entscheidend ist, dass die Rezeption von Text und – realem oder imaginiertem – Bild im Kontext von ,Planctus‘ und ,Lamentatio spiritus damnati‘ in vielen Punkten mit der Rezeption des ,Euripus‘ vergleichbar ist. Insbesondere dessen f#nfter Akt, in dem die Seele des Euripus unter vielen Klagen gefesselt vor dem Hçllentor von den Teufeln Venus und Cupido gepeinigt wird, l$sst sich als Dramatisierung der lyrischen Tradition lesen. Brecht vollzieht einen Medienwechsel, der es ihm erlaubt, den Umfang und die sinnliche Wirkung der Bild-Gedichte durch die bewegten Bilder des Theaters zu #berbieten. Der meditative Impetus bleibt jedoch erhalten: Sowohl die Bild-Gedichte als auch das Drama wollen ihr Publikum in einen betrachtenden Zustand versetzen, in dem es die Grenze von Diesseits und Jenseits virtuell #berschreitet. 385 Es handelt sich um ein Gedicht in elegischen Distichen, „in dem Christus am Kreuz die S#nder zur Buße ermahnt“ (R$dle 1978, S. 406). 386 Vgl. R$dle 1978, S. 427. 387 Zitiert nach R$dle 1978, S. 427. „Der du mit neugierigem Blick dies Bild betrachtest, bleib stehen, ich will ein wenig mit dir reden. Du siehst eine Seele tief eingetaucht in rings um sie prasselnde Flammen und dem gefr$ßigen Feuer preisgegeben. Gefesselt ist sie und schwer gefoltert, und die furchtbaren Teufel bem#hen sich in ihrer tollen Wut, sie zu zerreißen. Ja, das ist das traurige Bild eines verdammten Menschen, dessen Schrecken hier in tiefer Finsternis dargestellt ist“ ((bersetzung: R$dle 1978, S. 428).

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F#r eine besondere N$he des f#nften Aktes zu den Gedichten spricht auch, dass die dem ,Euripus‘ nachgestellte ,Lamentatio‘ sich als Alternative auf diesen bezieht.388 Sie variiert das Thema der Hçllenklage zu einer Klage aus dem Fegefeuer, ist also einer Seele zugeschrieben, die, anders als Euripus, dem Verdammungsurteil durch aufrichtige Reue entgehen konnte. Sie erinnert an die misericordia Dei, auf die der Mensch in seiner miseria angewiesen ist, sodass in der Verbindung von Drama und ,Lamentatio‘ das f#r die Bußmeditation typische Spannungsfeld entsteht.389 Die ,Lamentatio‘ verlagert die meditative Pause der Lesenden in einen Sakralraum und bindet die Verse nicht an ein Bild, sondern an eine in diesem Sakralraum aufgeh$ngte Eichentafel („querna tabella“): Securus quicunque Dei spaciaris in aede, Audacique teris limina sacra gradu, Vanaque nugacis tractans commercia mundi, Nec defunctorum, nec memor es super'm: Vixque genu flectis, populus quum procidit omnis, Corde ferus crudo, luminibusque vagus: Praecipites, quaeso, gressus compesce parumper, Teque quid haec doceat querna tabella vide (BE, S. 280).390

Das vom Gedicht evozierte (bertreten der Schwelle zum Gotteshaus soll eine Zustands$nderung im Leser bewirken; bereits die Imagination des Sakralraums erzeugt eine Rahmung, die zu einer meditativen Rezeptionshaltung anregt. Die ,Lamentatio‘, in der die Seele im Fegefeuer auf ihr s#ndhaftes Leben zur#ckblickt und damit das Leben der Lesenden spiegelt, verarbeitet erwartungsgem$ß zahlreiche Topoi aus der Literatur #ber die Letzten Dinge. In ihrer meditativen Funktion verhalten sich Drama und Gedicht komplement$r zueinander – und das Drama selbst f#hrt durch die Figur des Euripus vor, was geschieht, wenn die von ihm angeregten Meditationen vernachl$ssigt werden. 388 Vgl. das vorangestellte Epigramm von Hunaeus (BE, S. 278). 389 In den erweiterten, von R$dle nicht edierten Appendices der Ausgaben E und F findet sich unter dem Titel ,De multiformi hominis miseria‘ auch ein Gedicht, das eine umfangreiche Betrachtung des menschlichen Elends ermçglicht (vgl. R$dle 1979, S. 544). 390 BE, S. 280. „Wer immer du bist, der du unbek#mmert im Gotteshaus umhergehst und mit keckem Schritt die Schwelle des heiligen Raumes betrittst, der du eitlen Umgang pflegst mit der nichtsw#rdigen Welt und weder an die Toten denkst noch an den Himmel und, wenn alles Volk sich niederwirft, kaum das Knie beugst und unbeeindruckt und mit rohem Herzen die Blicke schweifen l$sst – halte doch ein wenig ein in deinem #berst#rztem Gang und sieh, was dich diese Eichentafel lehrt“ (BE, S. 281).

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5.3. Die vers$umten Betrachtungen des Euripus Soll die Meditation als regelm$ßige geistliche (bung die Gedanken, Imaginationen, Sinne und Affekte disziplinieren, d. h. auf stabile Operationsweisen einstellen, so l$sst bereits der sprechende Name des Euripus vermuten, dass die Figur das Scheitern einer solchen Bem#hung inszeniert. Der Name stammt aus den ,Adagia‘ des Erasmus von Rotterdam, der ihn erstmals auf einen schwankenden und unbest$ndigen Menschen bezieht.391 Die Unbest$ndigkeit des Euripus, sein Schwanken zwischen den zwei b#hnentechnisch verbildlichten Wegen – dem schmalen Weg, der ins Himmelreich, und dem breiten Weg, der in die Hçlle f#hrt (Mt 7,13 – 14)392 – ist ein Schwanken im Umgang mit Gedanken, inneren Bildern, Sinneseindr#cken und Affekten. Dies macht der Text in der vierten Szene des ersten Aktes deutlich. Euripus ist noch darum bem#ht, seinen Vorsatz, die Welt zu verachten und den Weg des Heils zu gehen, umzusetzen; er droht jedoch bereits, an seiner Tr$gheit zu scheitern. Nachdem ihn Timor best$ndig zum Weitergehen ermahnt hat und ihn auffordert, das Schwanken seines Geistes („mentis fluctuatio“; BE, V. 342) unter Kontrolle zu bringen, versucht Euripus, sich durch eine Reihe rhetorischer Fragen zu rechtfertigen: Quis namque ab omni segregatus gaudio Moerere, flere, iugiterque plangere, Famemque possit, frigus ac sitim pati? Vigilque semper excubare in praelio? Quis possit, inquam, (mortuus tanquam foret) Oculos et aures, caeteris cum sensibus, Linguamque sic fraenare ubique lubricam, Ut nusquam aberret, cespitet vel corruat, Carnalis expers perpetim solatii? (BE, V. 369 – 377.)393

Die Unterstellung, dass niemand imstande sei, seine Sinne so zu z#geln, dass er den weltlichen Freuden und den Verlockungen des Fleisches wi391 Vgl. R$dle 1979, S. 531; Valentin 1990, S. 123. 392 Zur Rezeption des Bivium-Motivs vgl. Valentin 1990a, S. 152 – 163; zur b#hnentechnischen Realisierung vgl. R$dle 1972, S. 204 f. 393 „Wer n$mlich kann, von aller Freude getrennt, dauernd trauern, weinen und klagen und Hunger, K$lte und Durst aushalten? Und in der Anfechtung immer munter wachsam sein? Wer kann, sage ich, als w$re er bereits gestorben, die Augen, Ohren und die lose Zunge, gemeinsam mit den #brigen Sinnen, #berall so z#geln, dass er niemals vom Weg abkommt, stolpert oder st#rzt, immer frei von fleischlichem Trost?“

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derstehen kann, zeigt deutlich, dass Euripus genau dieser Z#gellosigkeit seiner Sinne ausgeliefert ist. Dabei bietet Timor auf die rhetorisch gestellten Fragen eine durchaus pragmatische Antwort an: Rogas, quis ista possit? ille scilicet, Durum severi qui furorem iudicis, Tubaeque murmur horridum novissimae Volvit subinde cordis in fundo sui: Exaestuantis qui gehennae perpetem Expendit ignem, daemonesque aterrimos, Ac mille poenas criminum stipendia. Haec nam profunda mente quisquis ruminat, Poterit caminum vel subire flammeum (BE, V. 378 – 386).394

Der Verf#hrbarkeit der $ußeren Sinne ist eine permanente (bung der inneren Sinne in Form von Meditationen #ber das J#ngste Gericht und die Hçlle entgegenzuhalten. Diese bilden die Voraussetzung f#r einen asketischen Lebenswandel, der die Anspr#che des contemptus mundi erf#llen kann. Die meditative Aufgabe, die Timor Euripus stellt, kommt in einer H$ufung einschl$giger kognitiver Verben und Formeln zum Ausdruck („subinde volvere“; „expendere“; „ruminare“). Dass die Imagination des J#ngsten Gerichts hier vor allem auditiv, #ber das Getçse der letzten Posaune (1 Kor 15,52) verlaufen soll, bezieht sich zum einen auf die von Euripus zuvor genannten „aures“ (BE, V. 374) zur#ck. Zum anderen lehnen sich Timors Formulierungen an ein h$ufig Hieronymus zugeschriebenes Zitat an. Brecht kçnnte es von Dionysius Carthusianus bezogen haben, der es in ,De quatuor hominis novissimis‘ anf#hrt: Studeamus nos imbecilles, imperfecti et defectuosi, multis culpis obnoxii, metuendum Dei judicium tam jugiter reminisci, considerare, vereri, quam vehementer et assidue formidavit illud gloriosus et sanctus doctor Hieronymus, dicens: Quoties diem illum considero, toto corpore contremisco. Sive enim comedo, sive bibo, sive aliud aliquid facio, semper videtur mihi tuba terribilis sonare in auribus meis (QHN, S. 516).395 394 „Du fragst, wer das kann? Jener nat#rlich, der den unbarmherzigen Zorn des strengen Gerichtes und das f#rchterliche Getçse der letzten Posaune unabl$ssig im Grunde seines Herzens bewegt: Derjenige, der das ewige Feuer der brodelnden Hçlle erw$gt und die schw$rzesten D$monen sowie die unz$hligen Strafen als Lohn f#r die S#nden. Jeder n$mlich, der diese Dinge tief in seiner Seele wiederk$ut, wird dem Hçllenofen und den Flammen entgehen kçnnen.“ 395 „Wir Schwachen, Unvollkommenen und Mangelhaften, mit vieler Schuld Beladenen, sollen uns darum bem#hen, das zu f#rchtende Gericht Gottes st$ndig so zu erinnern, zu bedenken und zu scheuen, so heftig und unabl$ssig wie es der ber#hmte und heilige Lehrer Hieronymus gef#rchtet hat, der sagt: So oft ich jenen

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Jede $ußere T$tigkeit, so die Forderung, soll von einer inneren, spirituellen T$tigkeit begleitet werden, von Imaginationen, die den eschatologischen Horizont des Lebens gegenw$rtig halten. Timor ruft eine Leitmetapher der monastischen Meditationspraxis auf, wenn er in Bezug auf die Hçllenstrafen fordert, dass sie mit dem Geist ,wiedergek$ut‘ werden sollen (BE, V. 385). Die ruminatio-Metaphorik verbildlicht den Konnex von Meditation und Erinnerung, indem sie das wiederholende Durchdenken einmal aufgenommener Wissens- und Sinnesdaten mit dem Kauen und Wiederk$uen tierischer Nahrungsaufnahme und Verdauung assoziiert.396 Sie fand #blicherweise im Bereich der klçsterlichen Lectio divina Anwendung. Im ,Euripus‘ ist die ruminatio zugleich eine Rezeptionsmetapher, denn auch laut der Praefatio sind es ja die Letzten Dinge, die sich Zuschauer und Leser mithilfe des Dramas unabl$ssig in Erinnerung rufen und durchdenken sollen.397 Auf der Handlungsebene entwirft Timor also ein Programm geistlicher (bungen, das der „mentis fluctuatio“ des Euripus, dem Schwanken seines Geistes, aber auch dem Tr#gerischen seiner $ußeren Sinne entgegenzusetzen w$re. Dass Euripus seinen urspr#nglichen Vorsatz unter Einfluss eines solchen Programms gefasst hatte, zeigt bereits die erste Szene des Dramas, in der Venus und Cupido dar#ber beraten, wie Euripus von diesem Vorsatz wieder abzubringen sei. Schuld an der Umkehr des Euripus habe, so Cupido, Timor, der Euripus zu seinem Entschluss bewogen habe: Hic atrae mortis territum formidine, Ac fascinatum occulta per susurria, Euripum ad istam perpulit vaesaniam, Ut laeta mundi blandientis abdicans, Meditetur arctam permeare semitam (BE, V. 123 – 127).398 Tag bedenke, erzittere ich am ganzen Kçrper. Sei es n$mlich, dass ich esse, dass ich trinke oder dass ich irgendetwas anderes tue, immer scheint mir die schreckliche Posaune in meinen Ohren zu tçnen.“ Dieses apokryphe Hieronymus-Zitat ist seit dem 13. Jahrhundert in eschatologischen Kontexten nachweisbar; vgl. Gerhardt/ Palmer 2002, S. 35 – 38 mit zahlreichen Belegstellen; weitere Belege bei Krummacher 1986, S. 529. 396 Zur Geschichte der Metapher in Antike und Christentum vgl. Berns 2003, S. 568 – 571; zur monastischen Verwendung vgl. Nicol 1992, S. 338 mit Verweis auf die Exegese von Lev 11,3 und Dtn 14,6. 397 Vgl. BE, S. 20. Siehe dazu oben, S. 106 f. 398 „Dieser hat den durch das Schreckbild des finsteren Todes in Furcht versetzten und durch heimliche Einfl#sterungen verhexten Euripus zu diesem Wahnsinn veranlasst, dass er, der Freude der schmeichelnden Welt absagend, dar#ber nachsinnt, den schmalen Pfad zu durchwandern.“

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Cleophas Distelmeyer, der zeitgençssische (bersetzer des ,Euripus‘, #bersetzt V. 123 mit „Durch Tods bittere betrachtung“ (DE, V. 175) und versteht das ,Schreckbild‘ („formido“) des Todes deutlich als ein inneres, meditativ imaginiertes Bild. Solche Bilder f#hren Euripus zun$chst auf den rechten Weg, doch dass er sie nicht aufrechterh$lt, sondern best$ndig fallen l$sst, zeigt erneut die vierte Szene des ersten Aktes. Nicht lange nachdem Timor zum intensiven und andauernden Bedenken des J#ngsten Gerichts und der Hçlle aufgerufen hat, zeigt Euripus wieder alle Symptome der Tr$gheit. Er w#nscht, sich schlafen zu legen, sodass Timor ihn tadeln muss: „Ut imbecillem, delicate, te facis, j Aeterna dum consyderare negligis j Tormenta vecors, perpetemque gloriam“ (BE, V. 535 f.).399 Dass Euripus gerade den Verlockungen der $ußeren Sinne nicht mit einem inneren Gegenprogramm zu begegnen weiß, l$sst auch die erste Szene des zweiten Aktes erkennen, in der sich Venus und Cupido der Verf#hrungskraft der Musik bedienen, um Euripus aus seinem Schlaf zu wecken. Als ihr Lied erklingt, ger$t dieser sogleich ins Schw$rmen: Hui, quid hoc est? he0c melos quod audio, A parte laeva? quam canorum ac tinnulum Demulsit aures qualis oh symphonia (BE, V. 611 – 613).400

Es ist naheliegend, die bereits erw$hnte auditive Imagination der letzten Posaune (BE, V. 380 f.) hier als jenen inneren ,Gegenklang‘ anzusetzen, der Euripus vor der verf#hrerischen Musik sch#tzen kçnnte. Einen engen Bezug auf die vierte Szene des ersten Aktes, in der diese Imagination gefordert wurde, stellt auch Timor her, indem er die Formulierungen des Euripus aus V. 373 – 375 wieder aufnimmt und ihn inst$ndig darum bittet, seine Augen und Ohren zu verschließen: „oculos et aures claude quaeso lubricas“ (BE, V. 691).401 Euripus hçrt jedoch weder auf diesen Rat, noch erinnert er sich an mçgliche Gegenkl$nge zur weltverfallenen Musik. (ber deren Sinnlichkeit gelingt es Venus und Cupido so zun$chst, Euripus auf den linken Weg zu ziehen.402 Im dritten Akt scheitert der letzte Versuch, 399 „Wie schwach machst du dich, du Weichling, solange du es unterl$sst, die ewigen Dinge zu bedenken, die wahnsinnigen Foltern und die ewige Glorie.“ 400 „Oh, was ist das? Dieser Gesang, den ich auf der linken Seite hçre? Wie sehr hat das Singen und Klingen den Ohren geschmeichelt; oh, welch eine Harmonie!“ 401 „Ich bitte dich, verschließe die tr#gerischen Augen und Ohren!“ 402 Vgl. BE, V. 715 – 743. Als Euripus sein Bußgewand ablegt, weist Timor erneut auf sein mangelndes Ged$chtnis der Hçlle und des Gerichts hin: „Nec te gehennae flamma, nec vindex Deus j Ab instituta retrahunt insania?“ (BE, V. 784 f.) „Halten dich weder die Flammen der Hçlle noch der strafende Gott von dem begonnenen Wahnsinn ab?“

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den rechten Weg erneut einzuschlagen, sodass Euripus den Verf#hrungen von Venus und Cupido ganz erliegt.403 Weil Euripus nicht bereit war, sich durch ein permanentes Bedenken der Letzten Dinge auf seinen Tod vorzubereiten, wird er f#r das Theaterpublikum nun selbst zum Gegenstand entsprechender Betrachtungen. Er wird zur Figur eines unvorbereitet sterbenden S#nders, dessen B#hnentod im vierten Akt als realer Tod imaginiert werden soll, und zur Figur einer verdammten Seele, deren Anblick und Klagen im f#nften Akt der Hçllenmeditation dienen. Die Sterbeszenen des vierten Aktes folgen dabei in B#hnenbild und Dramaturgie einem Muster, das Meditationstexte seit Petrus Damiani f#r die Imagination eines sterbenden S#nders vorgepr$gt haben. Der erkrankte Euripus liegt auf seinem Sterbebett404 und verweist auf die kçrperlichen Zeichen des Todes („mortis […] praesagia“, vgl. BE, V. 1612); Pestis beschreibt den keuchenden Atem des Euripus, wie seine Augen und Wangen einfallen und wie die Nase spitz wird: „Spiritus anhelo erumpit aegre a pectore, j Oculi, genaeque concidunt, nares rigent“ (BE, V. 1615 f.).405 Als Euripus sich an der Grenze von Diesseits und Jenseits bewegt, erscheint ihm Cupido als hçllischer Drachen, sodass der Topos des Umstelltseins von den Teufeln in der Todesstunde realisiert wird.406 Die versp$teten Klagen #ber die eigene S#ndhaftigkeit beim (bergang vom Diesseits ins Jenseits

403 Die entscheidende Geste besteht dabei in der (bergabe eines den Glauben und das Himmelreich symbolisierenden Ringes an Venus (vgl. BE, V. 1206 – 1221). Vgl. dazu R$dle, 1972, S. 199. 404 In Anlehnung an die Ikonographie der Bilder-Ars moriendi war das Sterbebett auch im ,M#nchner Spiel‘ ein entscheidendes Requisit. Auch Dionysius sieht es f#r die Imagination des sterbenden S#nders vor: „Adspice quam desolatus in lecto decumbat“ (QHN, S. 500). „Sieh, wie verlassen er im Bett liegt“. Zur b#hnentechnischen Realisierung vgl. R$dle 1972, S. 205. 405 „Der Atem bricht mit M#he aus der keuchenden Brust hervor, die Augen und die Wangen fallen ein, die Nase wird spitz.“ Bei Petrus Damiani heißt es ausf#hrlicher: „Interea dum hebescentes oculi contabescunt, dum pectus palpitat, raucum guttur anhelat, dentes paulatim nigrescunt et quandam velut eruginem contraunt. Pallescunt ora, membra cuncta rigescunt“ (Petrus Damiani 1988, S. 259 f.). Eine $hnlich kurze Variante wie im Euripus findet sich auch bei Gerhard Zerbolt: „Nigrescit totum corpus, omnia membra rigescunt, oculi versantur et sic de alijs“ (SA, S. 164). Distelmeyer geht geschickt #ber die lateinische Vorlage hinaus, wenn er den stockenden Atem des Euripus performativ durch eine Halbierung der Versl$ngen umsetzt (vgl. DE, V. 2459 ff.). 406 Vgl. BE, V. 1667 – 1681; vgl. diese Arbeit, Kap. II.3.

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fehlen ebensowenig wie die qu$lende Angst und Ungewissheit dar#ber, was Euripus im Jenseits erwartet.407 Die sich hier niederschlagende Schematisierung des Sterbevorgangs, seine Zerlegung in kombinierbare und variabel ausgestaltbare Einzelelemente, erf#llt im Kontext der Traktatliteratur eine mnemotechnische Funktion. Sie st#tzt die imaginativen Vollz#ge der Meditierenden, indem sie ihnen ein topisches Raster, eine Reihe memorierbarer und gedanklich ausgestaltbarer Stationen vorgibt. Indem das Drama diese Stationen theatral ausagiert, externalisiert es den Imaginationsvorgang auf eine andere Weise; es liefert anhaltenden sinnlichen ,Input‘ auf hohem Reizniveau und entlastet so zun$chst die Zuschauer.408 Wie dem ,M#nchner Spiel‘ und Kolroß geht es jedoch auch Brecht darum, die externe Performanz des Theaters in eine innere Performanz des Ged$chtnisses und der Imagination zu #berf#hren. Der starke Reiz- und Affektwert des Theaters soll durch die ruminatio des Auff#hrungsereignisses – und auf ein solches ist auch die Lekt#re des Drucks bezogen –, durch ein immer wieder neues Ins-Ged$chtnis-Rufen des ,Euripus‘ f#r die Reueempfindung fruchtbar gemacht werden.409 Eine Paradoxie des ,Euripus‘ scheint dabei in seiner offenkundigen Sinnlichkeitskritik zu liegen. Verwickelt sich das Drama nicht bereits durch seine Medialit$t in den Widerspruch, Sinnlichkeit mit Sinnlichkeit austreiben zu wollen? Tats$chlich geht es jedoch nicht um die Austreibung der Sinnlichkeit, sondern um deren Disziplinierung. Dem Publikum sollen #ber das Schauspiel gezielt Sinnesdaten zugef#hrt werden, deren meditatio mit einem geistlichen Nutzen verbunden ist; sie sollen die Aufmerksamkeit des Geistes binden und von unn#tzen Gegenst$nden abziehen. Die seelentheoretischen Annahmen, auf denen dieser Vorgang beruht, fasst 407 Vgl. BE, V. 1667 – 1688; V. 1707 – 1713; vgl. diese Arbeit, Kap. II.3. 408 Mit der Notwendigkeit, die Reizschwelle etwa gegen#ber der Predigt zu erhçhen, hatte Brecht in der Praefatio argumentiert, um die dramatische Darstellungsform zu rechtfertigen (vgl. BE, S. 20). In dem „Problem einer immer hçheren Reizschwelle“ sieht Christian Kiening allgemein die sp$tmittelalterliche Suche nach neuen Ausdrucksformen f#r den contemptus mundi-Gedanken begr#ndet (Kiening 1994, S. 412). 409 Der Dramendruck als Meditationshilfe kompensiert dabei gewissermaßen das Defizit, das Glenn Ehrstine f#r die ephemere Inszenierung von geistlichen Spielen des Mittelalters festgehalten hat. W$hrend Andachtsbilder als Betrachtungsmedien verf#gbar blieben, sei der Aufwand einer Auff#hrung nicht beliebig wiederholbar: „Diesen Nachteil musste eine Inszenierung durch Einpr$gsamkeit wettmachen, so dass der Betrachter sich mçglichst lange danach mit seinen verbliebenen Sinneseindr#cken besch$ftigen konnte“ (Ehrstine 2001, S. 432).

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Gerhard Zerbolt von Zutphen unter der Rubrik ,De modo meditandi‘ in die Metapher der Seelenm#hle und veranschaulicht so die Notwendigkeit geistlicher (bung: Primum est ut animo tuo de quibusdam utilibus materijs provideas quibus intentus proficiat et fructuose occupetur. Siquidem, ut aiunt sancti, anima tua est sicut mola, quidquid ei imponitur molit; si nil imponitur, se consumit et vanis et ociosis implicatur. Si autem nil certi vel determinati ad quod utilioribus non occurentibus recurras tibi prefigas, necesse est te quibuslibet rebus occurrentibus aditum in te prebere, facile enim cor tuum quibuslibet occurrentibus adheret, si non alicui intense sit affixum (SA, S. 284).410

Wie ein best$ndig arbeitendes Mahlwerk befindet sich die Seele immer in T$tigkeit und so kommt es darauf an, ihr die richtige „materia“ zuzuf#hren, um sie auf feste Gegenstandsbereiche zu fixieren. Wo dies nicht geschieht, beginnt sie notwendig, sich mit nichtigen Dingen zu besch$ftigen, mit allem, was Eingang ins Innere findet. Es sind dabei die Sinne, die das Innen der Seele auf das Außen der Welt hin durchl$ssig machen. Sich vor der Wirkung sch$dlicher Sinneseindr#cke zu sch#tzen und die T$tigkeit der Seele durch selbstgew$hlte Stoffe kontrollierbar zu machen, ist erkl$rtes Ziel der meditatio. Thomas Lentes hat dies so beschrieben, dass „in Gebet und Betrachtung ein innerer Bildaustausch angestrebt“411 werde. „Die ,bçsen Bilder‘, die Besch$ftigung mit den Dingen der Welt, verhindern letztlich die rechte Betrachtung.“412 Bleibt ein kontrollierter Bildaustausch aus, so tritt ein, was der ,Euripus‘ regelm$ßig unter dem Schlagwort der „fluctuatio“ verhandelt.413 Das Schwanken des Euripus ist als mangelnde Fixierung seines Geistes auf n#tzliche Gegenst$nde ein Symptom vers$umter Betrachtungen. Wenn Timor Euripus beim Erklingen der Musik am Beginn des zweiten Aktes dazu auffordert, Augen und Ohren zu verschließen und so die sinnlichen Eing$nge ins Innere zu blockieren, ist dies 410 „Das Wichtigste ist, dass du deinen Geist mit etlichen n#tzlichen Stoffen versorgst, durch die er eifrig fortschreiten und fruchtbar besch$ftigt werden soll. Denn, wie die Heiligen sagen, ist deine Seele wie eine M#hle, die mahlt, was immer in sie hineingef#llt wird; wenn nichts hineingef#llt wird, verbraucht sie sich selbst und wird in eitle und m#ßige Dinge verwickelt. Falls du dir aber nichts sicheres oder bestimmtes festsetzt, worauf du zur#ckkommst, wenn sich keine n#tzlicheren Dinge darbieten, ist es unvermeidlich, den erstbesten Dingen, die erscheinen, Zugang zu dir zu gew$hren; leicht n$mlich h$ngt sich dein Herz an die erstbesten Erscheinungen, wenn es nicht stark an etwas angeheftet ist.“ 411 Lentes 2002, S. 185. 412 Lentes 2002, S. 185. 413 Vgl. BE, V. 342; 464; 1058; 1107.

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nur aufgrund der mangelnden Fixierung seines Geistes durch regelm$ßige (bungen nçtig. Als sich die gefesselte Seele des Euripus im f#nften Akt mit Venus und Cupido vor dem Tor der Hçlle wiederfindet, kommt dieser Mangel mehrfach zur Sprache.414 Auf die Anschuldigungen und Fl#che der Seele entgegnet Cupido lapidar: „Haec si ante mortem cogitasses sedul+, j Elapsa nostras forsitan manus fores“ (BE, V. 1891 f.).415 Und als sie dar#ber klagt, dass sie der himmlischen Freude beraubt ist, wiederholt Cupido: „Praecogitasse scilicet ea oportuit“ (BE, V. 1954).416 Weil Euripus sich dem vorwegnehmenden Durchdenken, dem prospektiven Erinnern des Todes und der Hçlle verweigert und das Schwanken seines Geistes zugelassen hat, f$llt er nun dem ewigen Tod und der ewigen Strafe anheim. Die Fl#che, die Euripus angesichts der Hçlle #ber seinen Kçrper, seinen Geist und seine Sinne verh$ngt, unterstreichen dabei die mangelnde Disziplinierung, die er ihnen in der Lebenszeit zugedacht hat.417 Gerade die ,d#stere Sichtweise‘ Levin Brechts,418 der seiner Figur die Erlçsung vorenth$lt, ist es dabei, die es den Zuschauern ermçglicht, ja aufdr$ngt, mithilfe des Dramas eben jene Betrachtungen durchzuf#hren, die Euripus vers$umt hat. Dass Brecht „zum Schluß nirgends eine sinnenf$llige Verkçrperung von Heil und Hoffnung“419 findet, erscheint weniger trostlos, wenn der Zukunftsbezug der letzten Akte einerseits und der virtuelle Charakter der Darstellungen andererseits in Rechnung gestellt werden. Brecht stellt das trostlose Ende eines lasterhaften Menschen nicht vor Augen, um zu entmutigen, sondern um die virtuelle Erfahrung einer Zukunft zu ermçglichen, die der realen Erfahrung dieser Zukunft vorbeugt.420 Ließ sich bereits die Inszenierung des Sterbens der Hauptfigur in struktureller Anlehnung an die von Imaginationsanleitungen vorgegebenen Raster lesen, so nehmen auch die Szenen vor dem Hçllentor Elemente 414 Zuvor fordert der Chor am Schluss des vierten Aktes noch einmal eindringlich zum Bedenken von Tod, Gericht und Hçlle auf, wobei Euripus als konkretes Exempel fungiert (vgl. BE, V. 1808 – 1847). 415 „Wenn du dies vor dem Tod fleißig bedacht h$ttest, w$rest du unseren H$nden vielleicht entschl#pft.“ 416 „Diese Dinge h$tten nat#rlich vorher bedacht werden m#ssen.“ 417 Vgl. bes. BE, V. 2088 – 2099; 2119 – 2143. 418 So Valentin 1990a, S. 183 („La vision de Brechtus est sombre“). 419 R$dle 1978, S. 426. 420 Dies bleibt noch bis ins sp$te 17. Jahrhundert ein konfessions#bergreifndes Ziel der Hçllenbetrachtung (vgl. Berns 2000, S. 152).

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der meditativen Literatur auf. Die Klagen und Fl#che des Euripus sowie die Hçllenbeschreibungen und -musik von Venus und Cupido passen in diesen Kontext.421 Sie korrelieren zudem mit ikonographischen Mustern, denen meditative Funktionen eingeschrieben sind, sodass sie den ,inneren Bildaustausch‘ der Betrachtung fçrdern. Dass sich die klagende und gefesselte Seele des Euripus vor dem Hintergrund der Vers und Bild verbindenden ,Planctus animae damnatae‘-Tradition verstehen l$sst, habe ich weiter oben zu plausibilisieren versucht. Brecht verlegt die Klageszene jedoch aus der Hçlle vor das vielleicht als Rachen zu gestaltende Hçllentor und ruft damit eine der gel$ufigsten Darstellungsformen der Hçllenikonographie auf.422 Die meditationsfçrdernde Leistung des B#hnenbildes besteht darin, an ein bei Zuschauern und Lesern mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits eingepr$gtes Erinnerungsbild anzukn#pfen – ein Bild, das, wie R$dle vermutet, die gesamte Auff#hrung hindurch sichtbar gewesen ist423 – und dieses Bild durch theatrale Mittel, durch Handlung, Bewegung, Musik und Ger$usch neu zu aktivieren und erfahrbar zu machen. Glenn Ehrstine hat dieses Dispositiv des B#hnenraums mit Blick auf sp$tmittelalterliche Spiele treffend als „memoriale[ ] Topologie“424 beschrieben. Wie der ,Planctus‘ und verwandte Formen von Text-Bild-Kombinationen regt dabei auch der ,Euripus‘ eine virtuelle (berschreitung der Grenze von Diesseits und Jenseits an. Und wenn Euripus von Venus und Cupido unter eindringlichen Beschreibungen und akustischen Spezialeffekten durch eine hçllische Topographie gef#hrt wird, am Fegefeuer vorbei und auf den

421 In der dritten Szene des f#nften Aktes tritt ein „chorus daemonum“ auf, der mit Venus und Cupido ein Lied intoniert, zu dem Euripus tanzen muss. Dies bezieht sich zum einen als spiegelnde Strafe zur#ck auf den Beginn des zweiten Aktes, in dem sich Euripus durch die weltliche Musik verf#hren ließ. Zum anderen ruft es die Vorstellung vom Hçllentanz auf, in dem die Verdammten von den Teufeln zum Tanzen gezwungen werden (vgl. Hammerstein 1974, S. 38 f.). Den peinigenden Charakter des Tanzes artikuliert Euripus: „Ah quam fatigat anxiam haec saltatio, j Quam torquet ista me chorea et canticum“ (BE, V. 2229 f.). „Ah, wie erm#det dieses Springen die !ngstliche [= die Seele des Euripus], wie foltert mich dieser Reigen und dieser Gesang.“ 422 In V. 2302 spricht etwa Cupido vom Rachen oder Schlund („faux“) der Hçlle, was die entsprechende Bildvorstellung evoziert. Vgl. zu Umsetzungsmçglichkeiten R$dle 1972, S. 203 f. Zur meditativen Funktionalisierung der Bildformel des Hçllenrachens vgl. Berns 2000, S. 156 f. 423 Vgl. R$dle 1972, S. 203. 424 Ehrstine 2001, S. 434.

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Hçllenschlund zu,425 so kçnnen die Zuschauer und Leser daran in Anlehnung an Jenseitsreisen oder -visionen teilnehmen.426 Wie das ,M#nchner Spiel‘ von 1510 und wie Johannes Kolroß’ ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘ von 1532 partizipiert Levin Brechts ,Euripus‘ nicht nur an der Geschichte des Theaters, sondern auch an der Geschichte der Meditation. Im Jahr 1548, dem Jahr seiner Urauff#hrung, erscheinen in Rom erstmals die lateinischen, p$pstlich approbierten ,Exercitia spiritualia‘ des Ignatius von Loyola, die vor allem im 17. Jahrhundert einen konkreten Einfluss auf die jesuitische Theater$sthetik nehmen.427 In Florenz legt im gleichen Jahr Robortellos ,Poetik‘-Kommentar eine Grundlage f#r die Rezeption der aristotelischen Tragçdientheorie. Gewissermaßen steht Levin Brechts „Tragoedia christiana“ damit sowohl auf einer theater- als auch auf einer meditationsgeschichtlichen Epochenschwelle. Es scheint kein Zufall zu sein, dass ,Euripus‘ als vorignatianisches und nicht-aristotelische Meditationsdrama gerade in der Fr#hzeit des Jesuitentheaters seine grçßten Erfolge verbuchen konnte.

425 Vgl. BE, V. 2287 – 2321. Zu den Effekten vgl. R$dle 1972, S. 204. 426 Auf eine strukturelle N$he von Jenseitsvision und theatraler Auff#hrungsform hat j#ngst Maximilian Benz hingewiesen (vgl. Benz 2013, S. 99 – 111). Benz sieht die fr#hchristliche Rezeption von Visionstexten wie der ,Petrus-Apokalypse‘ in struktureller Analogie zur Rezeptionssituation paganer spectacula, sodass seine (berlegungen denen von Berns $hneln (vgl. dazu oben, Anm. 9). Die von Benz beschriebene Technik des demonstrativen Dialogs (vgl. Benz 2013, bes. S. 48 – 55), bei dem eine textinterne Figur, in der Regel ein Engel, durch Demonstrativpronomina einen Jenseitsraum beschreibt und diesen so der Imagination zug$nglich macht, findet sich auch im Euripus. Allerdings sind es hier die D$monen Venus und Cupido, die der Seele des Euripus die Ph$nomene der Hçlle deuten. W$hrend es sich bei der lesenden Rezeption von Jenseitsreisen – gleiches gilt f#r die Lekt#re des Dramentextes – im Anschluss an B#hler um eine „Deixis am Phantasma“ (Benz 2013, S. 50) handelt, ist die zu imaginierende Welt in der theatralen Vorf#hrung bereits vor Augen gestellt und somit ,externalisiert‘. 427 Vgl. die Einleitung dieser Arbeit, Anm. 17 mit Literaturhinweisen.

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6. Meditative Aspekte der Jedermann-Dramen (15. und 16. Jahrhundert) 6.1. Zum meditativen Rezeptionskontext des Jedermann im Sp$tmittelalter (,Elckerlijc‘, ,Everyman‘) Jessica Brantley hat in Bezug auf die mittelenglischen Texte ,Christ’s Burial‘ und ,Resurrection‘ die Frage aufgeworfen, auf welches Erfahrungsbed#rfnis meditative Literaturformen des Sp$tmittelalters antworten, die von dramatisierten Textstrukturen gepr$gt sind. Beide genannten Texte changieren n$mlich in ihren Gattungsbezeichnungen zwischen Traktat („treyte“), Betrachtung („meditatione“) und Spiel („play“). Sie konnotieren damit sowohl Praktiken der çffentlichen Auff#hrung als auch Praktiken der privaten Meditation.428 Wie Brantley zeigt, liegt ein $hnlicher Mix auch in der mittelenglischen Moralit$t ,Everyman‘ vor. Deren Incipit lautet: „Here begynneth a treatyse how the hye Fader of Heven sendeth Dethe to somon every creature to come and gyve a counte of theyr lyves in this worlde, and is in maner of a morall playe.“429 Es handelt sich demnach um einen Traktat ,in Form‘ einer Moralit$t: The conflation of these multiple possibilities – ,treatyse‘ and ,morall playe‘ – implies that they are not so far distant from each other, and that the medieval reader or spectator gained something from imagining them together. Thinking about the stage while reading in private added a layer of performative meaning to the experience of the text.430

Auf eine solche Kopplung von Traktatlekt#re und Auff#hrungserfahrung scheint bereits der fr#he niederl$ndische ,Elckerlijc‘ abzuzielen. Sein Titel greift die in der Traktatliteratur $ußerst verbreitete speculum-Metaphorik auf. Titel und Incipit nennen den Text erst einen Spiegel („Spyeghel“), dann ein B#chlein („boecxken“) und erst dann ein Spiel oder Esbattement („speel ofte esbatemente“): „Den Spyeghel der Salicheyt van Elckerlijc Hoe dat elckerlijc mensche wert ghedaecht Gode rekeninghe te doen. Hier beghint een schoon boecxken ghemaeckt in den maniere van eenen speele ofte esbatemente op elckerlijc mensche“.431 In der geistlichen Textkultur des Sp$tmittelalters sind die Gattungsgrenzen zwischen Spiel, Traktat oder ,B#chlein‘ durchl$ssig. Auch im 428 429 430 431

Vgl. Brantley 2007, S. 297 – 299. Everyman, S. 17. Brantley 2007, S. 299. Elckerlijc, S. 2 f.

6. Meditative Aspekte der Jedermann-Dramen (15. und 16. Jahrhundert)

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deutschen Sprachraum finden sich immer wieder Andachts- und Meditationstexte, die teils illustriert und weitgehend dialogisch gestaltet sind, sodass sie mit den dramatischen Formen ihrer Zeit interferieren. Zu denken ist vor allem an das ,Spiegelbuch‘, das wie der ,Elckerlijc‘ die speculum-Metaphorik aufgreift,432 und an die dialogisierten contemptus mundi-Gedichte. Es lassen sich aber auch Druckgraphiken wie z. B. der Kupferstich ,Tod und J#ngling‘ des Meisters BR hinzuziehen: Hier wenden sich Todes- und J#nglingsfigur szenenhaft dem Betrachter zu, vollziehen theatrale Gesten und treten in einen rudiment$ren Dialog.433 Die $ltere Forschung tendierte aufgrund der dramatisierten Struktur des ,Spiegelbuchs‘ und der illustrierten contemptus mundi-Gedichte zu der Ansicht, es habe sich um tats$chlich aufgef#hrte Schauspiele in der Art des ,Elckerlijc‘ und ,Everyman‘ gehandelt.434 Dem hat die j#ngere Forschung nachdr#cklich widersprochen. Christian Kiening bemerkt zum dialogischen Bild-Gedicht ,Die welt wirt vns bezeichent hie‘: „Trotz seines teilweise szenischen Charakters hat das Contemptus-mundi-Gedicht ebensowenig wie das erheblich umfangreichere ,Spiegelbuch‘ Auff#hrungscharakter im Sinne eines geistlichen Spiels.“435 Es biete zwar „den Stoff f#r eine dramatische ,Moralit$t‘ wie ,Elckerlijc‘ (zuerst gedruckt 1495) oder ,Everyman‘ (1509), noch nicht aber diese selbst.“436 Kiening ist zun$chst zuzustimmen: Das ,Spiegelbuch‘ und das Gedicht wurden vermutlich nie in Form eines Schauspiels çffentlich aufgef#hrt. Das Gleiche kçnnte allerdings auch f#r den englischen ,Everyman‘ gelten, dessen potenzieller Auff#hrungscharakter in der Forschung außer Frage 432 Der Titel leitet sich aus der (berschrift in der Handschrift T1 ab: „He hebt ain ein spegel buch j der welt lauff und der sunden fluch“ (zitiert nach Bolte 1932, S. 3). 433 Vgl. Kiening 2003, S. 11, Abb. 4. Weitere Beispiele f#r Einblattdrucke mit Todesthematik finden sich bei Griese 2011, S. 92 – 104. 434 Vgl. zum contemptus mundi-Gedicht vor allem Cosacchi 1965, S. 486; 546 – 550. Das ,Spiegelbuch‘ wurde von Wackernagel als wahrscheinliches Drama eingestuft und von Adalbert von Keller in die Nachlese seiner Edition von Fastnachtspielen aufgenommen (vgl. Bolte 1932, S. 3 f.; Bolte selbst lehnt die Dramenhypothese ab, betont jedoch die strukturelle N$he des ,Spiegelbuchs‘ zum Drama). 435 Kiening 1994, S. 425. Gegen die Schauspielhypothese vgl. auch Palmer 1995, Sp. 137; Kiepe 1984, S. 239 [zum contemptus mundi-Gedicht]; etwas vorsichtiger Kottmann 2000, S. 368 [zum contemtpus mundi-Gedicht]; 375 f. [zum ,Spiegelbuch‘]. 436 Kiening 1994, S. 426. Zum Verh$ltnis dieser Untersuchung zur j#ngeren medi$vistischen Diskussion #ber die Medialit$t geistlicher Spielhandschriften vgl. die Einleitung dieser Arbeit, S. 11–15.

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steht.437 Die berechtigte Absicht, die spekulativen Hypothesen der $lteren Forschung zu entkr$ften, r#ckt die Moralit$ten in eine vielleicht zu starke Opposition zu den dialogisierten Bild-Gedichten, Erbauungsb#chern oder Kupferstichen. Was aber verbindet den Dialog von Tod und Mundanus aus dem contemptus mundi-Gedicht, den Dialog von Tod und Jungfrau aus dem ,Spiegelbuch‘,438 den dialogisierten Kupferstich von Tod und J#ngling und die Dialoge von Tod und ,Elckerlijc‘ oder ,Everyman‘?439 Sie alle versuchen in unterschiedlichen medialen Pr$sentationsformen ein szenisches Hier und Jetzt zu evozieren, das die medien- und textsortenspezifischen Grenzen #berschreitet, indem es auf eine imaginative Performanz der Leser, Zuschauer oder Betrachter abzielt. Allen genannten Medien ist gemeinsam, dass sie sich in einen direkten Bezug zur Meditationspraxis setzen lassen. Unmittelbar bevor der Tod im ,Spiegelbuch‘ die Jungfrau heimsucht, insistiert ein Prediger auf der Heilsrelevanz und dem Primat der Todesbetrachtung. Seine Rede liest sich wie ein Prolog zu dem sich anschließenden Dialog: also kumbt der dott #ber uns alle. den sollend wir stetenklich in unserm hertzen han; wenn im niemand engat, frowen noch man, und darumb kein artznye noch kein lere #berwindet die sunde also sere noch verlçschet die bçse wollust uff erden als die betrachtung des ellenden sterbens (SB, V. 460 – 466).440

Im contemptus mundi-Gedicht wendet sich nach dem Tod des Mundanus ein Leichnam an die Leser und ermahnt sie zu einem permanenten Bedenken ihres eigenen Todes: „Gedenck, was wir sind vnd werden, j vnd wir fulend in der erden“ (V. 107 f.); „Gedenck, armer sunder, was du tust, j von tag zetag du des warten must“ (V. 115 f.); „Gedenck, das du so mengen claren tag j must ligen fulen in dem grab“ (V. 127 f.); „o sunder, gedenk, wes warten wir“ (V. 130).441 Mit Blick auf Bild-Text-Ensembles wie den genannten Kupferstich des Meisters BR rekonstruiert Kiening ein entsprechendes Anliegen: „Leser oder Betrachter werden zu einer christlichen meditatio mortis aufgefordert“ und zu einem „vorlaufenden Bedenken jenes 437 Das gesamte 16. Jahrhundert hindurch gibt es keinen Hinweis auf eine Auff#hrung des ,Everyman‘ (vgl. Broos/Davidson/Walsh 2007, S. 11.) 438 Vgl. SB, V. 477 – 520 [Fassung A]. 439 Vgl. z. B. Elckerlijc, V. 56 – 160; Everyman, V. 85 – 183. 440 Vgl. auch SB, V. 243 – 262; 405 – 416. 441 Ediert bei Kiening 1994, S. 421 f. Alle Zitate folgen diesem Abdruck.

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letzten Moments angeregt, in dem […] einerseits retrospektiv Gelingen oder Mißlingen im Diesseits sichtbar wird, andererseits prospektiv die Entscheidung #ber Heil oder Verdammnis im Jenseits vorweggenommen ist.“442 In allen F$llen erleichtert es die Anschaubarkeit einer im Hier und Jetzt vor Augen gestellten dialogischen Sterbeszene, den unvorbereiteten Tod des S#nders der Imagination zuzuf#hren. Wie oben beschrieben, wurde genau dies von Meditationstexten seit dem Mittelalter immer wieder eingefordert. Ganz deutlich wird der Bezug der angef#hrten Frçmmigkeitsmedien auf die Meditationspraxis in der dialogischen Vision, die der Discipulus in Seuses ,Horologium sapientiae‘ erf$hrt. Sapientia stellt diesem n$mlich ein Bild vor die inneren Augen, auf dem der Tod, wie auf dem Kupferstich, einen J#ngling ereilt: „Discipulus haec audiens coepit se ab exterioribus colligere et in seipso similitudinem propositam diligentissime considerare. Erat autem ante eum simulitudo iuvenis pulcherrimi qui morte praeventus […] erat“ (HS, S. 528).443 Dieses Bild beginnt schließlich zu sprechen und zu klagen, sodass sich ein langer Dialog zwischen dem Discipulus und dem sterbenden S#nder entwickelt: Seuse imaginiert die Bildbetrachtung als innere, affektiv bewegenden Szene, in der Betrachter und S#nder miteinander interagieren.444 Vor diesem Hintergrund l$sst sich die These formulieren, dass auch ,Elckerlijc‘ und ,Everyman‘ in diesem Kontext zu lesen sind. Fr#her als die bislang untersuchten Dramen setzen sie ein meditatives Rezeptionsmuster in Kraft. Die Moralit$ten pr$sentieren den geforderten Meditationsstoff als sinnlich anschaubare und r$umlich bewegte Handlung und erleichtern es ihrem Publikum so, sich mit inneren Bildern und Dialogen selbst zu affizieren. 442 Kiening 2003, S. 8 f. 443 „Als er dies hçrte, begann der J#nger von den $ußeren Dingen weg sich innerlich zu sammeln und, in sich versunken, das ihm dargebotene Bild aufmerksam zu betrachten. Vor ihm befand sich das Bild eines sehr schçnen jungen Mannes, den der Tod ereilt hatte“ (SW, S. 155). 444 Sapientia betont ausdr#cklich, dass die sinnliche Wahrnehmbarkeit der Sterbeszene eine affektive und ged$chtnisst#tzende Funktion erf#llt: „Et ut ardentius te mea haec doctrina moveat et in corde tuo semper fixa permaneat, ideo sub exemplo sensibili doctrinae huius mysterium tibi tradam, quod tibi valde proderit ad salutis initium et ad cunctarum virtutum proficiet stabile fundamentum“ (HS, S. 527 f.). „Und damit dich meine Lehre um so st$rker bewegt und immer in deinem Herzen haften bleibt, vermittle ich dir an einem wahrnehmbaren Beispiel das Geheimnis dieser Lehre, welches dir sehr n#tzlich ist als ein Heilsbeginn und eine feste Grundlage f#r alle Tugenden schafft“ (SW, S. 155).

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Es ist ein Topos der Forschung, dass die Jedermann-Dramen im Kontext der Ars moriendi-Literatur zu lesen sind.445 Die Frage nach ihrer meditativen Konzeption ist damit insofern eng verkn#pft, als auch Ars moriendi-Traktate genuin meditative Funktionen erf#llen kçnnen.446 Doch es geht hier nicht so sehr um das praktische Wissen zur Sterbebegleitung, das die Trakate vermitteln – auch wenn sich ein solches Wissen zweifellos in den Jedermann-Dramen niederschl$gt.447 Es soll vielmehr 445 Vgl. exemplarisch bereits Bolte 1889, S. *15; Wiemken 1965, S. X; FuhrichLeisler/Prossnitz/Fuhrich 1979, S. 6; Duclow 1983; Thiel 1990; Kçnneker 1997, S. 287 f. Konkrete Beziehungen und aus dem Bereich der Traktatliteratur in die Dramen eingegangene Traditionsbest$nde wurden bislang allerdings nur gelegentlich herausgearbeitet. Gudrun Thiels Beitrag etwa, der explizit danach fragt, inwiefern es sich bei den Jedermann-Dramen um eine Form der Ars moriendi und bei den Lazarus-Dramen um eine Form der Ars vivendi handele, zieht keinen einzigen Traktat zum Vergleich heran. Das Hauptargument daf#r, dass sich die Jedermann-Dramen als Ars moriendi beschreiben lassen, leitet Thiel aus der Dramenstruktur ab. In den Jedermann-Dramen nehme das Ereignis des Todes einen grçßeren Raum ein, daher zeige schon „die einfache strukturell-inhaltliche Gegen#berstellung der Dramen vom Reichen Mann und Armen Lazarus und der Jedermanndramen […], inwieweit erstere eine ars vivendi und letztere eine ars moriendi sind“ (Thiel 1990, S. 178). Duclow hingegen arbeitet Parallelen des ,Everyman‘ insbesondere zur Bilder-Ars heraus und vergleicht beide hinsichtlich ihres performativen Charakters. Die Artes konstituierten mit ihren Dialogreihen und ihren Vorschriften f#r Sterbegebete ein „script for a dramatic performance: Moriens’ bedroom becomes a stage; the interrogations and prayers supply texts to be recitet“ (Duclow 1983, S. 103); ,Everyman‘ schließlich „simultaneously enacts the art of dying and calls its audience to practice this art. ,Everyman‘ itself is a rehearsal for that more urgend drama at the hour of death“ (ebd., S. 107). 446 Vgl. etwa Nicol 1992, S. 340; Palmer 1993, S. 321; Chinca 2008, bes. S. 369 – 372; Sahm 2013, S. 54 – 56. 447 So finden sich etwa die in der Traktatliteratur vermittelten Verhaltensregeln zur Begleitung von Sterbenden und die in der Todesstunde zu sprechenden Gebete auch in den Sterbeszenen der Jedermann-Dramen des 16. Jahrhunderts verarbeitet. Nur ein Beispiel: In Macropedius’ ,Hecastus‘ (1539) #bernimmt Fides die Funktion des Sterbebegleiters und spricht dem Hecastus die S$tze vor, die er dem Tod zu entgegnen hat. Das von Hecastus nachzusprechende Bekenntnis, freudig im christlichen Glauben zu Sterben (vgl. MH, V. 1694 – 96) ist im Rahmen der sog. Anselmischen Fragen in zahlreichen Traktaten enthalten (vgl. den Abdruck der Anselmischen Fragen bei Fischer 1987, S. 1364 f.; 1366 f.). Ebenso ist das an die letzten Worte Jesu am Kreuz (Lk 23,46) angelehnte Sterbegebet: „in manus tuas, j Domine Deus, commendo spiritum meum“ (MH, V. 1704 f.) ein fester Bestandteil der Ars moriendi-Literatur (vgl. exemplarisch nur das von R$dle edierte ,De arte moriendi‘ des Johannes Gerson: R$dle 2003, S. 728 – 737, hier S. 733; zu diesem Gebet im ,Everyman‘ vgl. Duclow 1983, S. 106). In Jaspar von Genneps ,Homulus‘ (1540) #bernimmt Dugend eine $hnliche Rolle wie Fides im ,He-

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gezeigt werden, dass die Dramen in ihrem oft betonten didaktischen oder p$dagogischen Anliegen auch die Imaginationen und Affekte ihres Publikums involvieren. Die Strukturen hierf#r importieren sie aus der Meditationspraxis. Sie wollen ihr Publikum so affizieren, wie es sich in der meditativen Versenkung selbst affizieren sollte – und sie versuchen, eine solche Selbstaffizierung durch die Dramenrezeption in Gang zu setzen. Entscheidend ist, dass dieses Modell auch aktuell bleibt, als die Best$nde der sp$tmittelalterlichen Frçmmigkeitskultur einer Revision unterliegen. Wie in den bislang untersuchten Spielen vom sterbenden Menschen ist auch den Bearbeitern des ,Jedermann‘ im 16. Jahrhundert #ber die Konfessionsgrenzen hinweg das meditative Potenzial des Spiels bewusst. Dieses Potenzial steht nicht nur quer zu konfessionellen, sondern auch zu textgeschichtlichen Abgrenzungsversuchen. So lassen sich die Jedermann-Dramen zwar philologisch sinnvoll von Dramen unterscheiden, die in keiner direkten Beziehung zum ,Elckerlijc‘ stehen,448 nicht jedoch im Hinblick auf ihre Rezeptionsmodelle. Der Stoff vom unvorbereitet sterbenden S#nder ist unabh$ngig von seiner Textgeschichte und #ber Gattungs- und Mediengrenzen hinweg immer auch ein Meditationsstoff. Die Geschichte der Jedermann-Dramen wurde bislang vor allem aus der Perspektive einer zunehmenden Konfessionalisierung geschrieben.449 Die folgenden Kapitel setzen daher den Versuch fort, einen Zugriff auf die Spiele zu entwickeln, der das legitime, aber einseitige Interesse f#r ihre „konfessionelle Programmierung“450 um eine interkonfessionelle Perspektive erg$nzt.

castus‘. Wie es den Sterbebegleitern in der Ars moriendi-Literatur geraten wird, h$lt sie Homulus in der Anfechtungssituation ein Kreuz vor Augen und erinnert ihn an die Passion Christi (vgl. HJG, S. 30; dazu exemplarisch R$dle 2003, S. 736: „Presentetur infirmo imago crucifixi vel alterius sancti, quem sanus et incolumis specialiter venerabatur“). Da Homulus zu geschw$cht ist, um selbst seinen Geist in die H$nde des Vaters zu befehlen, #bernimmt dies Dugend: „O Maria, mutter der barmherzigkeit, j Sta im bei in seim lesten end. j O vatter, disen geist befel ich in dein hend“ (HJG, V. 2056 – 58). Auch diesen Fall beschreibt bereits Gerson (vgl. R$dle 2003, S. 736). 448 So vom ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘, von Kolroß’ ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘ und vom ,Euripus‘. Keines dieser Spiele weist textgeschichtlich auf ,Elckerlijc‘ zur#ck. 449 Vgl. exemplarisch Best 1987; Valentin 1990; Kçnneker 1997, S. 287 – 294; Dammer/Jeßing 2007. Vgl. f#r die Jedermann-Rezeptionen des 17. Jahrhunderts auch Schmidt 2016. 450 Dammer/Jeßing 2007, S. 7.

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6.2. Meditative und rhetorisch-literarische Funktionen (,Homulus‘, ,Hecastus‘) Das Jedermann-Drama des 16. Jahrhunderts, das vielleicht am deutlichsten darauf abhebt, ein meditatives Rezeptionsmuster zu aktivieren, ist Jaspar von Genneps ,Homulus‘ (1540), die erste deutschsprachige Moralit$t in der Tradition des ,Elckerlijc‘.451 Bereits der Vorredner l$sst keinen Zweifel an der priorisierten Wirkung des Spiels aufkommen: Seit stil vnd hçrt das argument, Darvf sich dis tragedi ent; Die wir allein drumb hon erdacht Vf das man alle stunt betracht Den tod, der do ist der s#nden lohn (HJG, V. 5 – 9).

Auch im Vorwort zur Ausgabe von 1554 bekr$ftigt Gennep den Bezug seines Spiels auf die meditatio mortis, indem er ein Motto aus Pred 9,12 voranstellt und auslegt: Der mensch weiß sein end nit, sonder wie die fisch mit dem angel vnd die vçgel mit dem strick gefangen werden, also auch die menschen etc. Eccl. 9. Diese wort hat der weiß man geschriben, vff das der mensch allezeit betrachte sein end vnd wache, weil er nit weiß, wan der deib (der tod) kommen vnd das haus der seel vndergraben wirt (HJG, S. 36).452

Das Muster ist bekannt – das Drama soll Zuschauer und Leser dazu anregen, sich kontinuierlich in der Betrachtung des Todes zu #ben. Verschiedene Strategien, die auf $hnliche Wirkungen abzielen, wurden bereits herausgearbeitet. Das ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘, Kolroß’ ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘ und Levin Brechts ,Euripus‘ bedienen sich je eigener Instrumente, um Drama und Meditationspraxis miteinander zu verbinden: Das ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ demonstriert sein Rezeptionsmodell im metadramatischen Lehrgespr$ch zwischen Kaufmann und Theologen, Kolroß schließt seine Dramenhandlung mit einem f#nfteiligen Betrachtungsschema zusammen, Brecht schließlich entfaltet sein meditatives Programm in einer umfangreichen Praefatio und versieht den ,Euripus‘ mit einem komplement$ren Textanhang. Inwiefern rahmt Jaspar von Gennep seinen ,Homulus‘ als Medium der Todesbetrachtung? Es sind zun$chst die zitierten Paratexte, die eine solche Rahmung vornehmen. Der ,Homulus‘ enth$lt zudem ein ganzes Netz aus Appellen, 451 Vgl. Dunze 2012, Sp. 551. 452 Das Bild des Vogelstricks aus Pred 9,12 greift auch der Vorredner HJG, V. 71 – 76 auf.

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die spielintern und ad spectatores immer wieder zum Betrachten und Bedenken des Todes, der Passion Christi oder der eigenen S#ndhaftigkeit aufrufen, um die Erfahrung von Auff#hrung und Lekt#re an eine meditative Aktivit$t r#ckzubinden.453 Homulus schließlich ist, wie Euripus, eine Figur, die es vers$umt hat, sich in der Lebenszeit der Todesbetrachtung hinzugeben. Sie bringt dieses Vers$umnis in ihren Klagemonologen auch deutlich zum Ausdruck und bietet sich im gleichen Zug selbst als Gegenstand der Betrachtung an.454 Es w$re mçglich, dies im Detail zu entfalten. In diesem Kapitel soll es jedoch zun$chst um ein anderes Problem gehen, das sich insbesondere an den Jedermann-Dramen entwickeln l$sst, weil sie in einer engen textgenetischen Beziehung zueinander stehen: Obwohl alle Bearbeitungen des Jedermann auf die Figur des unvorbereitet sterbenden S#nders rekurrieren, sucht nicht jedes Drama in gleicher Ausdr#cklichkeit Anschluss an die Meditationspraxis wie Jaspar von Genneps ,Homulus‘. Zwar legt bereits 453 HJG, V. 59 – 61: „Darumb ir lieben herren mein, j Bedenckt die sach, vorwar sie ist nit klein, j Darvon wir jetz willen handlen klar. j Wir stan al stunt in tods gefair“; V. 71 – 76: „Min lieben freund, bedenckt die zeit, j Der tag des herren ist nit weit, j Der vns al in eim augenblick j Vberfallen wirt gleich wie ein strick, j In dem die vçgel werden gefangen, j Von vçgler #ber sie ausgespannen“ [Vorredner ad spectatores]; V. 320: „Wçlst du dich selb recht besinnen j Vnd betrachten, was dir n#tz wer, j Du w#rtz gern folgen meiner lehr“ [Cl$usner zu Homulus]; V. 428 f.; 434 – 437: „Si vergessen Gots von seins heligen leiden, j Das sçlten sie bedencken zu allen zeiten j […] O das der mensch doch bedecht in disem leben, j Das in alle creaturen werden begeben j Warlich in seiner meisten not, j Niemant g$t mit im in den tod“ [Engel ad spectatores]; V. 509 – 511: „Wist ir nit, das ir seit geschaffen von erden? j Das sult ir billich alzeit betrachten, j Den tag des herren mit fleiß verwachten“ [Bruder an Freunde]; V. 699 f.: „Mich dunckt, du hast gelebt wie ein suw j Vnd nit bedacht das zuk#nftig leben“ [Tod an Homulus]; V. 1522 – 1525: „Auch hat ir in der schrift zugesagt, j So balt der s#nder sein leben betracht j Vnd durch bußwirckung von s#nden ker, j Keiner s#nd wilt ir gedencken mer“ [Maria an Christus]; V. 1950 f.: „Das bedenck, o menschenkint, vnd merck doch an, j Wie im tod den menschen al ding verlan“ [Dugendt ad spectatores]; V. 2059: „Homulus hat bezalt, dar ir noch seit schuldig. j Daran gedenckt vnd sit alzeit geduldig“ [Bekentnis ad spectatores]; V. 2070: „Bedenckt mit ernst, was ir hie habt gehçrt vnd gesehen“ [Beschlussredner ad spectatores]. 454 HJG, V. 798 f.: „O himmel, o sternen, o große not, j Wie weinig hab ich bedacht den Tod“; V. 840 f.: „Dar ich das minste vf hab gedacht, j Wirt mir #berkommen disen heutigen tag“; V. 1004 f.: „Ich war min tag nie so gar allein, j Ach, dis bedenck al menschen groß vnd klein“; V. 1120 f.: „O wie ist das verstant der menschen so blint j Dis solt man bedencken, wan wir gesunt sint“; V. 1937 f.: „O we, mein hertz muß brechen, ich f#el wol, ich muß fort. j Nempt an mir exempel al, die dis hçrt oder sehet“.

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der ,Homulus‘ des Christian Ischyrius (1536), eine wichtige Vorlage f#r Gennep, eine meditative Rezeption nahe.455 Zieht man jedoch den ,Hecastus‘ von Macropedius (1539), dessen deutsche (bersetzung von Laurentius Rappolt und die geringf#gig variierte Fassung dieser (bersetzung von Hans Sachs hinzu,456 so verst$rkt sich der Eindruck, dass Gennep, der auch Szenen von Macropedius #bernimmt,457 durch seine paratextuelle Rahmung und durch die zahlreichen eingeflochtenen Appelle ganz bewusst und nachdr#cklicher als andere Bearbeiter das meditative Potenzial des Spiels in den Vordergrund stellt. Zwar lassen sich auch bei Macropedius vereinzelte Wendungen an das Publikum als Aufforderung zur Meditation deuten, so etwa im Prolog: „talemque se j Tandem futurum quisque vestrum cogitet!“ (MH, V. 17 f.)458 Ein auff$lliges Signal sendet auch Hecastus selbst, der in einem Klagemonolog auf den oben besprochenen „adtendite et videte“-Topos aus Thr 1,12 zur#ckgreift, um das Publikum zum Innehalten und Bedenken seines Leides zu bewegen.459 Damit sind die Meditationsappelle bei Macropedius jedoch weitgehend erschçpft. Eine vergleichbare Funktion 455 Siehe unten in diesem Kapitel. 456 Zum Verh$ltnis der ,Hecastus‘-Fassungen von Rappolt und Sachs vgl. Schmidt 2016, S. 77 – 79. In der Forschung galt das Verh$ltnis dieser eng verwandten Fassungen lange Zeit als ungekl$rt, da beide mit dem Jahr 1549 assoziiert sind. Um Hans Sachs kein Plagiat vorwerfen zu m#ssen, entwickelte Goedeke die Hypothese, Rappolt habe aus dem Lateinischen eine Prosa#bersetzung angefertigt, die Sachs dann in Reime #bertrug (vgl. Goedeke 1865, S. 74). Diese Hypothese wurde zuletzt in den Rezensionen von Dammers und Jeßings synoptischer Edition der ,Hecastus‘-Dramen von Macropedius und Sachs ins Spiel gebracht (vgl. Holzberg 2007, S. 541; Seidel 2008). Dagegen spricht jedoch, dass der Lateinschullehrer Rappolt explizit angibt, er habe das St#ck, „welches der hochgelerte Georgius Macropedius zuuor in Latein gestelt […] nun in Deutsche sprach vnd reim verfasset / vnd durch meine befolhne jugent gehalten“ (Rappolt 1552, Aijv). Ein starkes Argument f#r eine ,Versautorschaft‘ von Hans Sachs gibt es m. E. nicht – man m#sste gegen die Aussage Rappolts argumentieren. 457 Vgl. Norrenberg 1873, S. 40 – 49. 458 „[…] und ein jeder unter euch bedenke dabei, dass es auch ihm einmal schließlich so ergehen wird“ (MH, S. 197). 459 „Attendite et videte quaeso singuli, j Qui praeteritis, num dolor quisquam meae j Sit calamitati comparandus maximae!“ (MH, V. 1026 – 1028) „Bitte hçrt und seht her, die ihr vorbeigeht, ein jeder von euch, ob es wohl irgendeine Pein gibt, die vergleichbar w$re mit meinem unermesslichen Ungl#ck“ (MH, S. 231). Vgl. zur meditativen Funktion dieses Topos oben, S. 108 – 112. Mit einem $hnlichen Appell richtet sich auch Homulus bei Christian Ischyrius im f#nften Akt an das Publikum: „Videte obsecro auditores, vt me deserunt omnes“ (IH, V. 1503). „Ich bitte euch, ihr Zuhçrer, seht, wie mich alle im Stich lassen“.

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ließe sich noch den Chçren zuschreiben, mit denen die ersten vier Akte schließen; sie alle drehen sich um den Tod und um die Verg$nglichkeit des menschlichen Lebens.460 In den Fassungen von Rappolt und Sachs, die auf den Einsatz von Chçren verzichten, ist die Dichte ausdr#cklicher Meditationsappelle $hnlich gering wie bei Macropedius.461 Eine Erkl$rung f#r diese geringere Dichte kçnnte im hohen Literarizit$tsgrad des ,Hecastus‘ liegen, denn Macropedius #berblendet die mittelalterliche Moralit$t fortlaufend mit antiken Hypotexten.462 Sein Drama lehnt sich in Form, Stil, Handlungsf#hrung und bis in die Figurengestaltung hinein an die Komçdien des Plautus und Terenz an.463 Der Reiz beruht gerade darauf, dass die Handlung aus der allegorischen Abstraktion herausgelçst und in einen antiken Oikos verlegt wird. Oeconomus, um nur ein auff$lliges Beispiel zu nennen, ist ein Freigelassener, eine Figur also, die sich ohne den Hintergrund der Palliata kaum angemessen verstehen l$sst. Dieses intertextuelle Spiel #berlagert das meditative Potenzial des Stoffes, ohne es vçllig auszuschalten. Es wirkt sich so auch auf die Fassungen von Rappolt und Sachs aus, die sich inhaltlich eng an Macropedius anlehnen.464 Bei Ischyrius liegen die Dinge zun$chst $hnlich. Wie Elisˇka Pol)cˇkov) detailliert herausgearbeitet hat, entfaltet auch dieser ein elaboriertes intertextuelles Spiel mit der rçmischen Komçdie. Dabei entstehe sowohl 460 Zu den Chçren vgl. Janning 2005, S. 109 f. 461 Anders als Sachs stellt Rappolt den einzelnen Akten seiner Fassung kurze Argumenta voran. Im Argumentum zum zweiten Akt findet sich in Anlehnung an Mt 24,42 auch eine Mahnung, die sich im Kontext der meditatio mortis deuten l$sst: „Deshalb so wacht vnd seyt bereit /j Ir Christen leut zu aller zeit. j Weil wir kein tag noch st#ndlin wissn /j Wenn wir von dieser welt m#ssen“ (Rappolt 1552, Biijr). Bei Sachs weist der Ehrnhold kurz darauf hin, dass Hecastus „Das zuk#nfftig gar nit betracht“ (SH, V. 11); in beiden Fassungen wirft der Tod Epicuria vor, es besch$ftige sie nur „Wie du f#lst deinen Madensack j Und denckest nit auff diesen tack j An jenes, das ewige Leben“ (SH, V. 239 – 241; Rappolt 1552, Bvjr); als Hecastus #ber das Ungl#ck seines Todes klagt, entgegnet der Tod: „Das solt du lang haben betracht“ (SH, V. 415; Rappolt 1552, Cijv); der Ehrnhold schließlich fordert das Publikum auf: „bedenck hertzlich darbey, j Wie ungewis die Stunde sey j Des Todtes, das du von deim leben j Dort must ein schwere rechnung gegeben“ (SH, V. 1265 – 1268; Rappolt 1552, fiijr). 462 Vgl. Genette 1993, S. 14 f. 463 Vgl. Dammer/Jeßing 2007, S. 7 f. sowie die zahlreichen entsprechenden Anmerkungen bei Dammer/Jeßing 2007a, S. 264 – 297. Das Vorbild f#r diese (berblendungstechnik ist Wilhelm Gnapheus’ ,Acolastus‘ (1529) (vgl. dazu Bloemendal 2013, S. 305 f.; Tilg 2015, S. 94 f.). 464 Zur inhaltlichen N$he von Sachs zu Macropedius vgl. Dammer/Jeßing 2007, S. 27 f.

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konzeptuell als auch sprachlich und stilistisch „tension between the classical and medieval background“.465 Ischyrius folgt zwar weitgehend dem Plot des ,Elckerlijc‘, doch auch er lockert dessen allegorische Anlage auf, indem er Personifikationen wie Freundschaft oder Verwandtschaft in einzelne, teils der Palliata entlehnte Typenfiguren auff$chert.466 Entscheidend ist jedoch, dass Ischyrius Plautus und Terenz zugleich als Negativfolie nutzt, um die Frçmmigkeitsfunktion seines ,Homulus‘ zu profilieren. So entsteht ein paradoxes Spannungsverh$ltnis von Imitation und Ablehnung der Palliata. In der Vorrede zum ,Homulus‘ ist Ischyrius darum bem#ht, diese Paradoxie durch eine (berbietungsgeste aufzulçsen. In seiner Komçdie, so versichert er, „non turpes amorum illecebras, non vitae infamem luxum, non denique amandi conciliationes, vt in Terentianis et Plautinisque comoedijs deprehendes“ (IH, S. 1).467 Ischyrius kontrastiert die fleischlichen und verg$nglichen Hochzeiten bei Plautus und Terenz mit der geistlichen und ewigen Hochzeit der menschlichen Vernunftseele mit ihrem Br$utigam Christus, die am Ende des ,Homulus‘ steht.468 In seiner Komçdie finde sich die erhabenste Unterweisung f#r das christliche Leben und dazu die seligste Kunst, gut zu sterben: „Estque in ea augustissima Christianae vitae institutio, atque bene moriendi ars felicissima“ (IH, S. 2). Es gibt einen wichtigen Hinweis darauf, dass Ischyrius diese ars bene moriendi in einem Sinne versteht, der auch auf die meditatio mortis abzielt, denn er hatte zehn Jahre zuvor bereits eine ganz $hnliche Argumentation gef#hrt. Auch in den Paratexten zur ,Passio Iesu Christi amarulenta‘ (1526) grenzt sich Ischyrius, wie Cora Dietl zeigt, „vehement von der humanis465 Pol)cˇkov) 2011, S. 335. 466 Vgl. Pol)cˇkov) 2011, S. 332 – 335. 467 „…wirst du nicht die sch$ndlichen Verlockungen der Liebschaften, nicht die schimpflichen Ausschweifungen des Lebens, schließlich nicht die Liebesvereinigungen, wie in den Terentianischen und Plautinischen Komçdien, entdecken.“ !hnliches findet sich auch bei Macropedius, der seinen Prologredner versichern l$sst: „Non hic amator virginum, non leno, non j Scortum impudicum, vel quod offendat pios j Oculos, modo spectator adsit candidus“ (MH, V. 12 – 14). „Hier gibt es keinen Liebhaber junger M$chen, keine Kuppler, schamlose Hure oder was sonst f#r fromme Augen anstçßig w$re (sofern denn da ein redlicher Zuschauer sitzt)“ (MH, S. 197). 468 „Illae [nuptiae] nimirum carnales sunt & periturae, istae vero quae in Homulo conciliantur nuptiae, spiritales sunt & aeternae, quippe rationalis animae cum sponso Christo“ (IH, S. 1). „Jene freilich sind fleischlich und werden vergehen, diese Hochzeit allerdings, die im Homulus gestiftet wird, ist geistlich und ewig, das ist n$mlich die der Vernunftseele mit ihrem Br$utigam Christus.“

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tischen Liebesdichtung und von antiken Liebeskomçdien ab und lobt gegen#ber der verf#hrerischen Kraft weltlicher Liebe die wahre Schçnheit des Kreuzes und der Erlçsung. Er empfiehlt die Betrachtung der Passion Christi als ein Mittel der S#hne.“469 Die Passionsmeditation r#ckt in der ,Passio‘ damit in einen ganz direkten Gegensatz zur Rezeption antiker Liebes- und Komçdiendichtung.470 Das Gleiche gilt mutatis mutandis im ,Homulus‘ f#r die Todesmeditation. Wie sp$ter Levin Brecht geht es bereits Ischyrius um eine christliche Okkupation des paganen Theatermediums. Die imaginationsbindende Kraft der Palliata, die das Begehren auf fleischliche Verlockungen („illecebrae“) lenkt, l$sst sich abzweigen und f#r die christliche Meditation kanalisieren. Die sp$tmittelalterlichen Moralit$ten ,Elckerlijc‘ und ,Everyman‘ f#hren den Bezug auf ein geistliches Programm mit, ohne ihn gegen konkurrierende Deutungen geltend machen zu m#ssen. Wie der Vergleich mit analog gestalteten Frçmmigkeitsmedien plausibel machen sollte, lassen sie sich im Horizont einer christlichen Meditationskultur verorten, die auch jenseits des ,Theaters‘ mit dialogisch-vergegenw$rtigenden Wirkungsstrategien operiert. Die humanistischen Bearbeitungen des ,Elckerlijc‘ tendieren dazu, diesen Funktionshorizont hinter das Spiel mit literarischen Imitationen, klassizistischen Allusionen und rhetorisch-stilistischen Leistungen zur#cktreten zu lassen. Dies ist nicht zuletzt dem pragmatischen Kontext des lateinischen Schultheaters geschuldet. Die Frçmmigkeitsfunktion muss, wie bei Ischyrius, gegen den verd$chtigen Bezugsrahmen der Palliata erst neu behauptet werden. F#r Gennep stellt sich dieses Problem nicht, weil er die Antikerezeptionen seiner Vorg$nger Ischyrius und Macropedius weitgehend neutralisiert.471 469 Dietl 2014, Sp. 467. Es handelt sich bei dem Text um eine von Ischyrius besorgte illustrierte Ausgabe von Passionsgedichten des Benedictus Chelidonius (vgl. ebd.). 470 In der sapphischen Ode, die Ischyrius dem Buch voranstellt, finden sich die sp$teren Formulierungen aus der Vorrede zum ,Homulus‘ deutlich vorgepr$gt: „Non leges turpis Veneris sodales j Non choros molles theatricos plausus, j Vel quod in spurcos stimulare possit j Carnis amores“ (Ischyrius [1526], Av). 471 Dies ergibt sich zum einen von selbst aus der (bertragung der neulateinischen Dramen in deutsche Knittelverse, zum anderen aber auch aus der Formensprache, die Gennep w$hlt, indem er die Akt- und Szenengliederung auflçst, die er bei Ischyrius und Macropedius vorfand. Die von Macropedius #bernommenen Szenen werden aus dem antikisierenden Oikos in ein zeitgençssisches Milieu verlegt. Gennep verzichtet außerdem weitgehend auf gelehrte Anspielungen, die eine Teilhabe an antiken Wissens- und Literaturbest$nden voraussetzen w#rden. Eine

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Dass sein ,Homulus‘ einen gezielten Versuch bildet, die Frçmmigkeitsfunktion des Spiels freizusetzen und ein meditatives Rezeptionsmodell zu instituieren, l$sst sich mit Blick auf das Profil nicht nur des Dramenautors, sondern auch des Druckers Jaspar von Gennep wahrscheinlich machen. Gennep war in doppelter Hinsicht ein Spezialist f#r die Spiele vom sterbenden Menschen. Er verarbeitet in seinem ,Homulus‘ nicht nur die Jedermann-Dramen von Ischyrius und Macropedius, sondern er l$sst auch Pamphilus Gengenbachs ,Zehn Alter‘ (um 1516) und Leonhard Culmanns ,Spil wie ein S#nder zur Buoß bek$rt wirdt‘ (1539) einfließen.472 Sowohl Macropedius’ ,Hecastus‘ als auch Culmanns Spiel hatten zur Entstehungszeit des ,Homulus‘ noch den Status von Neuerscheinungen. Als Drucker ist Gennep maßgeblich an der Distribution dieses Dramentyps beteiligt. Er ist es, der 1536 den ,Homulus‘ des Christian Ischyrius druckt,473 bevor 1540 sein eigener ,Homulus‘ erscheint. Und noch 1555 legt er den einzigen Druck des ,Euripus‘ außerhalb der Niederlande vor.474 Schon diese intensive und kontinuierliche Besch$ftigung mit den Spielen vom sterbenden Menschen spricht daf#r, dass sich in Genneps ,Homulus‘ ein eigener konzeptueller Anspruch geltend macht. Es sind zudem Schaltstellen wie der Prolog, der auf keine direkte Vorlage zur#ckf#hrbar ist, in denen Gennep sein Spiel mit der Meditationspraxis verkn#pft. Akzentuiert man diese Bearbeitungstendenz und lenkt man den Blick auf das eingeflochtene Netz von Appellen, die das Publikum dazu auffordern, sich in der Betrachtung des Todes zu #ben, so ergibt sich eine Perspektive auf den ,Homulus‘, die seinen konfessionellen Standpunkt #berschreitet. Er mag sich in seinen polemischen Passagen als „k$mpferisch katholisches Drama“475 pr$sentieren. In seiner Wirkungsabsicht weist er hingegen eine deutlich grçßere N$he zu den ,F#nfferley Betrachtnussen‘ des Protestanten Kolroß auf als etwa zum ,Hecastus‘ des Katholiken Macropedius. Genneps ,Homulus‘ selbst wurde sp$ter zur Vorlage f#r ein lutherisches Jedermann-Drama, f#r den ,D#deschen Schlçmer‘ (1584) des Pfarrers Johannes Stricker.476 Dessen Bearbeitung liest sich wie ein vormodernes Lehrst#ck f#r theatrale Strategien der Affekterregung. Die bei Gennep

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Ausnahme bildet allerdings das im Kontext des ersten Gelages gesungene MartialEpigramm (Mart. 10,47) (vgl. HJG, S. 4). Vgl. Norrenberg 1873, S. 40 – 49; Dunze 2012, Sp. 551. Bis 1539 folgen noch zwei weitere Auflagen (vgl. Dunze 2012, Sp. 551). Vgl. Valentin 1990a, S. 185. Michael 1984, S. 255. Zu Stricker vgl. Thomke 1996; Harms 2011.

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rudiment$r angelegten Szenen, in denen Homulus !ngsten und Anfechtungen ausgesetzt ist, l$sst Stricker #ber eine Strecke von mehr als 1000 Versen anwachsen. Beide Dramen versuchen dabei, den gleichen Imaginationsraum zu erçffnen, den auch die meditatio mortis f#r sich in Anspruch nimmt. 6.3. Affektregie und Selbsterkenntnis (,Homulus‘, ,Schlçmer‘) Der sterbende S#nder, der sich in dem Traktat #ber die Vier Letzten Dinge des Dionysius Carthusianus an die meditierenden Leser wendet, spricht in seinem letzten Moment eine eindringliche Mahnung aus: „Nunc ergo, o universi adstantes, me miserrimum tanquam speculum intueamini, ex meo periculo et dolore cauti efficiamini: felix enim quem faciunt aliena damna peritum“ (QHN, S. 501).477 An dieser Passage – eine ganz $hnliche Wendung findet sich auch im Ars moriendi-Kapitel aus Seuses ,Horologium sapientiae‘478 – sind mehrere Punkte bemerkenswert: Erstens adressiert der Sterbende nicht nur den einzelnen Leser, sondern eine ganze Gruppe von Anwesenden im Hier und Jetzt („nunc“). Die Lekt#re des Traktats regt zur Imagination eines Sterbezimmers an,479 in dem neben dem Meditierenden noch weitere Zeugen des Geschehens versammelt sind. Es wird also eine Szene suggeriert, in der sich der Sterbende an ein ihn umstehendes Publikum wendet und ad spectatores spricht. Claudia Resch hat darauf hingewiesen, dass noch reformatorische Sterbeb#chlein mit einem solchen Publikum rechneten und das konkrete Sterbezimmer als B#hne f#r eine affektintensive Anweisung zur meditatio mortis nutzbar machten. Die im Sterbezimmer anwesenden Zuhçrer (,Vmbstender‘) wurden durch die Sterbeb#chlein „in den Sterbeprozeß anderer eingebunden und gleichzeitig 477 „Nun also, oh ihr alle Umstehenden, schaut mich Ungl#cklichen wie einen Spiegel an, ihr sollt durch meine Gefahr und durch meinen Schmerz vorsichtig gemacht werden: Gl#cklich n$mlich ist derjenige, den die Sch$den anderer verst$ndig machen.“ 478 „Eya vos omnes, qui adestis, qui meam miseriam videtis, qui flore iuventutis adhuc gaudetis, et qui adhuc tempus aptum habetis, me respicite, measque miserias considerate, et in meo periculo damnum vestrum declinate“ (HS, S. 530 f.). „Eya, ihr alle, die ihr anwesend seid, mein Ungl#ck seht, euch der Bl#te eurer Jugend freut und noch gen#gend Zeit habt: schaut mich an, bedenkt mein Elend und wendet euren Schaden angesichts meines gef$hrlichen Zustandes ab!“ (SW, S. 159.) 479 Ausdr#cklich erw$hnt wird etwa das Bett des Sterbenden (vgl. QHN, S. 500).

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dazu angeregt, ihre eigene Sterblichkeit zu bedenken.“480 In seiner Schrift ,Wie man die krancken trçsten vnd den sterbenden vorbeten sol‘ (1551) weist Leonhard Culmann die Zimmer von Kranken und Sterbenden ausdr#cklich als pr$destinierte Orte der Todesbetrachtung aus: SEhet lieben Christen wie n#tz vnd gut es vns ist / das wir viel vnd offt bey den sterbenden sein / vnd offt an den tod / an vnser end / an Gottes gericht gedencken / dann was zeucht den menschen mer ab von s#nden dann die betrachtung des todts. Wie Syrach sagt / Gedenck an dein letztes ende / so wirstu nimer s#ndigen [Sir 7,40] / Wie wol die gedechtnus des tods ist bitter / Jedoch wer sein leben recht / vnd wol wil regieren / der bedenck vnd betracht nur offt / das ende seines lebens / vnnd sey gern bey den krancken vnd sterbenden / do sihet er was wir sein / was vnser leib / hab / gut / gewalt vnd ehr ist / wie es alles zergencklich ist / vnd nichts bestendig / yetzund der / schier ein ander dahin fert / bald ist es an vns auch / es ist nur ein schat / das gantz menschlich leben / das wir leben / der leib den wir zerteln / f#llen / heut mesten / morgen wirt er ein speiß der w#rmen. Also sol vns die gedechtnus des tods / Das zuosehen der sterbenden / dem#tig from / Gotsfçrchtig machen / das wir buß thun / vns vor den s#nden h#ten / den nit raum vnd stat geben / mit denen vnsere gewissen nicht beschweren / Got nit beleidigen / die Hell nit verdienen / das fleisch dempffen / seine bçse lust / neygung / begird / vnter drucken.481

Doch vom realen Meditationsort bei Culmann zur#ck zum imaginierten Sterbezimmer bei Dionysius. Die hier evozierte Szene ist zweitens bemerkenswert, weil sie mit der Metaphorik des Spiegels verkn#pft und damit in ihrem Erkenntnispotenzial markiert ist. Die das Bett Umstehenden sollen anhand des vor ihren Augen ablaufenden Sterbevorgangs zur Selbsterkenntnis gelangen; sie sollen sich durch das Ansehen der fremden Gefahr #ber die Gef$hrlichkeit des zuk#nftigen eigenen Todes bewusst werden und dieser durch Umkehr und Buße vorbeugen. Drittens ist diese 480 Resch 2006, S. 152. In einem sp$teren Aufsatz fasst Resch zusammen: „Schließlich waren neben dem Sterbenden, dem die uneingeschr$nkte Aufmerksamkeit des Sterbebegleiters gelten sollte, oftmals weitere Zuhçrer (sogenannte ,Vmbstender‘) anwesend, bei denen man – anhand des konkreten Sterbefalles erkl$rt – mit entsprechend rhetorischen Mitteln Gef#hle wie Schauer, Grauen oder Ehrfurcht erzeugen konnte. Will man sich ein solches ,Anwendungsbeispiel‘ vergegenw$rtigen, wird man das Emotionalisierungspotenzial, #ber welches solche Texte verf#gen, nicht #bersehen d#rfen“ (Resch 2011, S. 302). 481 Culmann 1551, Kiiijr-Kiiijv. Vgl. den Hinweis auf diese Stelle bei Resch 2006, S. 152. Es ist naheliegend, auch die Anfechtungsszenen in Culmanns ,Spil wie ein S#nder zur Buoß bek$rt wirdt‘ (1539) vor diesem Hintergrund zu deuten – auch wenn der S#nder letztlich #berlebt und kein ,Sterbender‘ im eigentlichen Sinne ist (vgl. Culmann 1982, V. 826 – 1354).

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Passage bemerkenswert, weil sie sowohl im ,Schlçmer‘ als auch im ,Homulus‘ eine nahezu wçrtliche Entsprechung findet, ohne dass allerdings ein direkter Einfluss vorausgesetzt werden muss. Als der Schlçmer unmittelbar vor seinem Tod vom Engel die Botschaft erh$lt, dass Christus f#r seine S#nden bezahlt habe, wendet er sich mit einer ganz $hnlichen Mahnung an das Publikum. Wie der Sterbende bei Dionysius ruft er dabei die Metapher des Spiegels auf und verschr$nkt sie mit der Warnung vor der Gef$hrlichkeit des Sterbens: „Ein yder spegel sick an my /j Denck, in wat v$r ick gewest sy“ (DS, V. 5171 f.).482 Bereits bei Gennep ist es der Moment des Sterbens, in dem sich Homulus an das Publikum wendet: „O we, mein herz muß brechen, ich f#el wol, ich muß fort. j Nempt an mir exempel al, die dis hçrt oder sehet“ (HJG, V. 1937 f.). Kurz darauf erg$nzt Dugend: „O mensch nim hie ein exempel und spiegel j Vnd laß dich die welt nit l$nger betriegen“ (HJG, V. 1946 f.).483 In beiden F$llen nimmt das apostrophierte Publikum die Position der .ffentlichkeit ein, die das Sterbebett umsteht. Es findet sich in dem gleichen Situationstyp wieder wie die Lesenden, die sich vom Traktat des Dionysius – oder von Seuses Ars moriendi-Kapitel – zur Meditation anleiten lassen; und im gleichen Situationstyp wie die ,Vmbstender‘, die ein reales Sterbezimmer aufsuchen, um den Tod zu betrachten. Unabh$ngig von den theologischen Differenzen, die zwischen den Spielen bestehen, versetzen Gennep und Stricker das Publikum also in eine Szene, die mithilfe gel$ufiger Betrachtungstechniken auch imaginativ vergegenw$rtigt werden soll. Im ,Schlçmer‘ bereitet schon das Argumentum diese Zuschauerposition vor. Der Prologsprecher macht dabei auf ein fragw#rdiges Verhalten aufmerksam, das die Freunde des Schlçmers erkennen lassen. Nachdem der bekehrte Schlçmer seine Frau zu einem gottgef$lligen Leben ermahnt hat, 482 Der Spiegelmetapher wird im ,Schlçmer‘ ab dem dritten Akt quasi-leitmotivisch verwendet. DS, V. 3176: „Du Godtlose Werldt spegel dy“ [Schlçmer ad spectatores]; V. 3440 – 3446: „So moth ick dy ein Ordel spreken /j Als du jtzt schalt hçren und sehn /j Dat by dem Schlçmer wert gescheen. j Jck vçer ein schrecklick strenge Ampt /j By den S#nderen allesampt. j Daran gedencke yderman /j Vnd spegel sick nu wol hyran.“ [Moses ad spectatores]; V. 4455 f.: „Fl#cht he nicht als ein Schem daruan? j Och kçnd wy vns spegeln hyran“ [Swager zu den Freunden #ber den Schlçmer]; V. 4487 f.: „Speglt juw an my / rad ick mit flyth /j Denckt wo wech fl#chtich disse tydt“ [Schlçmer zu Freunden und Verwandten]. 483 Vgl. auch bereits die Spiegelmetapher im Epilog zum ,Elckerlijc‘: „Merct desen spieghel, hebten voer oghen j Ende wilt u van hovardien poghen j Ende oec van allen sonden met“ (Elckerlijc, V. 871 – 873). Zur meditativen Konnotation der Spiegelmetapher im Kontext der Ars moriendi vgl. auch Sahm 2013, S. 55.

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so referiert er, „Kçnden de Fr#nd nicht ansehen /j Syne pyne vnd lesten End“ (DS, V. 172 f.). Die Freunde verlassen im entscheidenden Moment die Szene und entziehen sich damit eben jenem Anblick, dem sie sich im Sinne der Todesbetrachtung aussetzen m#ssten. „Wil gy nicht mynen End ansehn“ (DS, V. 4637), fragt auch der sterbende Schlçmer seine Freunde nochmals nachdr#cklich, bevor sie schließlich fortgehen. Rezeptions$sthetisch gesehen ist dies ein geschickter Zug: Stricker mutet dem Publikum, das dem weiteren Verlauf der Szene folgt, ganz bewusst den Anblick des Sterbenden zu, dem sich die Freunde zuvor verweigert hatten. Das auff$llige Beharren auf der Relevanz dieses Anblicks findet seine Begr#ndung in der meditativen Praxis. Das Sterbezimmer ist ein meditierbarer Ort und ein Ort der Meditation. Wie die Textbeispiele vom Beginn dieses Kapitels belegen, zieht sich dieses Wissen von der sp$tmittelalterlichen Traktatliteratur bis in die reformatorischen Sterbeb#chlein, die seit dem zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts entstehen.484 Es handelt sich demnach um ein Wissen, das von transkonfessioneller Bedeutung ist. Und so verwundert es nicht, dass es sich auch in den Sterbeszenen zwei konfessionell gegens$tzlich agitierender Jedermann-Dramen niederschl$gt. Gennep und Stricker teilen ein Wirkungsmodell, bei dem die in der Sterbeszene kulminierende Affektregie ihrer Spiele einen Prozess der Selbsterkenntnis beim Publikum auslçsen soll. Stricker expliziert diese Strategie auch in seiner Widmungsvorrede an Eberhard von Holle, den Bischof von L#beck. Es gehe ihm um eine Darstellung des Lebenswandels unbußfertiger Menschen, die in ihrem Verhalten „g$r varlick in aller sekerheit / dumkçnlick stedes vort varen“ (DS, S. 571). Dieser Lebenswandel sei es, den Stricker ihnen „im Exempel disses Schlçmers vnd syner Geselschop / alse in einem Spegel / sick darinne tho beschouwen / vor de Ogen stelle / se tho warer Bothe vnd bekeringe tho Godt dardçrch tho vormanen vnd tho beweken“ (DS, S. 571 f.). So sollen die S#nder „tho erer s#luest erkentenisse / warer r#we vnd leidt auer ere begangene S#nde gebracht“ (DS, S. 572) werden. In zahlreichen Meditationstraktaten findet sich das zugrundeliegende affektive Kalk#l ausformuliert. So heißt es etwa bei Dionysius:

484 Resch ordnet die seit ca. 1540 erscheinenden reformatorischen Sterbeb#chlein einer „zweiten Generation“ zu, die sich etwa dadurch auszeichnet, dass sie „Elemente der sp$tmittelalterlichen Ars moriendi-Tradition erg$nzt“ (Resch 2006, S. 12).

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Aliqui vero ita indurati sunt corde, quod nec ex inspectione morientium, nec ex memoria mortis, nec ex intuitu sepulcrorum et ossium mortuorum compunguntur […]. Veruntatem, si frequenter et attente cogitent mortem et quae eam sequuntur, dispositionemque morientis et ejus tentamenta, pressuras atque pericula, cito emollientur ad poenitendum, ad metuendum, ad emendandum vitam suam in omnibus (QHN, S. 501).485

Die h$ufige und eindringliche Vorstellung des Sterbenden in seinen Anfechtungen, seinen Angstzust$nden und seiner Gef$hrdung ist es, die im Betrachtenden selbst die Affekte erregt, die zur Buße und Besserung des Lebens f#hren. Grunds$tzlich kçnnen sowohl Gennep als auch Stricker hier ankn#pfen – wenn auch mit jeweils unterschiedlichen theologischen Pr$missen.486 Die Dramen unterscheiden sich gegen#ber der Meditationsliteratur allerdings in ihrem diegetischen Rahmen: Sie akzentuieren den an der Bußempfindung beteiligten Furchtaffekt dadurch, dass sie ihn in die Darstellung der falschen Freude weltlicher Exzesse einbrechen lassen. Es geht ihnen um eine Affektregie, in der Anfechtung, Angst und Gefahr umso st$rker hervortreten, als sie als direkte Folge s#ndhafter Frçhlichkeit erscheinen. Mit dem ,D#deschen Schlçmer‘ erreicht die Inszenierung von Anfechtung, Angst und Gefahr in der literarischen Reihe der JedermannDramen zweifellos einen Hçhepunkt. In kaum einem anderen Spiel ist die Hauptfigur in ihrer letzten Stunde derart in die Enge getrieben wie bei Johannes Stricker. Es ist jedoch irref#hrend, daraus wie Barbara Kçnneker ein Figurenkonzept abzuleiten, das durch „[a]nn$hernde psychologische Stimmigkeit“ charakterisiert ist, sodass der Zuschauer „anstelle einer ex485 „Manche sind wirklich so verstockt im Herzen, dass sie weder durch das Anschauen der Sterbenden, noch durch das Ged$chtnis des Todes, noch durch den Anblick der Gr$ber und der Knochen der Toten von Reue ergriffen werden. Wahrlich, wenn sie oft und fleißig den Tod und die Dinge, die ihm folgen, bed$chten, und den Zustand des Sterbenden und seine Anfechtungen, Beklemmungen und Gefahren, w#rden sie rasch zur Buße, zur Furcht und zur Besserung ihres Lebens in allen Belangen bewegt werden.“ Ein Lutheraner wie Leonhard Culmann kann dies, wie oben bereits zitiert, nahezu identisch formulieren: „Also sol vns die gedechtnus des tods / Das zuosehen der sterbenden / dem#tig from / Gotsfçrchtig machen / das wir buß thun / vns vor den s#nden h#ten / den nit raum vnd stat geben / mit denen vnsere gewissen nicht beschweren / Gott nit beleidigen / die Hell nit verdienen / das fleisch dempffen / seine bçse lust / neygung / begird / vnter drucken“ (Culmann 1551, Kiiijv). 486 Bei Gennep sollen die aus der Betrachtung entstehenden Erkennnitsaffekte zu Werken der Buße animieren, die zum Heil beitragen; bei Stricker zum Glauben, aus dem die Bußwerke folgen, ohne noch verdienstlich zu sein.

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emplarischen Vorf#hrung der ars bene moriendi auf der B#hne den spannenden Vorgang persçnlich durchlittenen Sterbens“487 erlebe. Laut Kçnneker werde bei Stricker erstmals in der Geschichte der Jedermann-Dramen „etwas von dem existenziellen Grauen der letzten Stunde, der puren Unmçglichkeit, sie als Faktum zu akzeptieren, greifbar“.488 In der pointierten Formulierung, der Schlçmer sei „ein Jedermann, der fast schon ein Charakter ist“,489 wird allerdings deutlich, dass diese Aufwertung des Dramas mit einer literaturgeschichtlichen Teleologie erkauft ist.490 Strickers extrem anmutende Affektdarstellung ist jedoch kein Vorgriff auf individualisierte Figurenkonzepte, sondern kn#pft an Muster zur Imagination der Todesstunde an, die seit dem Mittelalter etabliert sind. Zu erinnern w$re etwa an die Meditationsanleitungen des Petrus Damiani, des Gerhard Zerbolt van Zutphen, an Seuse oder an Luther, die alle darum bem#ht sind, anhand der Figur des sterbenden S#nders die Schrecken der Todesstunde affektiv zu vergegenw$rtigen.491 Es ist dieser Hintergrund, vor dem auch Johannes Stricker die inneren Zust$nde seines Schlçmers modelliert. 487 Kçnneker 1997, S. 292. 488 Kçnneker 1997, S. 293. Rund 100 Jahre nach dem Beginn der Jedermann-Tradition sei aus „dem einfachen Voranschreiten auf der Stufenleiter des Wissens […] ein qualvolles inneres Ringen geworden, das der Schlçmer mit den Widerst$nden der eigenen Seele ausficht“ (ebd., S. 293). Kçnneker sieht diese Entwicklung bei Stricker als Folge der „Thematisierung der Schwierigkeit des Lutherischen Heilsweges“ (ebd.). 489 Kçnneker 1997, S. 293. 490 Diese Teleologie geht jedoch aus zwei Gr#nden nicht auf: Zum einen muss sie ausblenden, dass bereits vor der Entstehungszeit der ersten Jedermann-Dramen $hnlich intensiv-affektbetonte Darstellungsweisen f#r das ,qualvolle innere Ringen‘ des Sterbenden in Gebrauch waren wie im ,Schlçmer‘ (z. B. in der in dieser Untersuchung angef#hrten Traktatliteratur). Zum anderen muss sie ignorieren, dass z. B. Jaspar von Genneps ,Homulus‘ im Gegensatz zu Strickers ,Schlçmer‘ noch bis ins sp$te 17. Jahrhundert rezipiert wurde (vgl. Schmidt 2016). Eine teleologische Sichtweise m#sste sich damit behelfen, solche langlebigen Rezeptionsph$nomene als Anachronismen einzustufen. Eine $hnliche Teleologie wie Kçnneker konstruiert bereits Wiemken, der zum ,Schlçmer‘ schreibt, „der Schlußpunkt eines allm$hlichen Wandels von der Allegorie zum Charakterdrama scheint nahezu erreicht, die Rollen spiegeln fast abgerundete Individualit$ten wider“ (Wiemken 1965, S. XXVII). Bei Wiemken scheint ein Fehlschluss von der im ,Schlçmer‘ ge#bten Kritik an konkreten Missst$nden im holsteinischen Landadel (vgl. Bolte 1889, S. *4–*9) auf die vermeintliche Individualit$t der Figurenzeichnung vorzuliegen. 491 Vgl. diese Arbeit, Kap. II.3.

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Um die fundamentale Gef$hrdung des S#nders zu unterstreichen, hatte bereits Gennep eine dramaturgische Neuheit in die Jedermann-Tradition eingef#hrt, die Stricker aufgreifen und erweitern konnte: Beide lassen ihre Protagonisten nach einer ersten Umkehr, die durch eine scheinbar tçdliche Krankheit ausgelçst wird, in ihre alten S#nden zur#ckfallen.492 Dieser R#ckfall erlaubt es, das darauf folgende zweite und endg#ltige Bedrohungsszenario in einer affektiven Zuspitzung zu pr$sentieren. Durch den doppelt dargestellten und sich steigernden Kontrast von sorgloser Frçhlichkeit und hochgradiger Angst potenzieren die Dramen auf der Ebene der Affektregie das Wirkungsmoment, das die Zuschauer zur Erkenntnis ihrer eigenen Gef$hrdung f#hren soll. Ein Umschlagen der Affekte f#hrt sowohl bei Gennep als auch bei Stricker zum vorl$ufigen Ende der Exzesse, an denen Homulus und Schlçmer teilnehmen. Dieses Umschlagen wird sorgf$ltig vorbereitet. Homulus betont zun$chst mehrfach, dass er mit seinen Gesellen und der Hure Melusina „frçlich sein“ (HJG, V. 188; 206) will, was Hans, nachdem die ersten Gl$ser Wein geleert wurden, best$tigend aufnimmt: „Der teufel sçlt nu trawrig sein“ (HJG, V. 218). Musikalisch begleitet und unterstrichen wird dies sowohl von einem Spielmann als auch von einer vermutlich vierstimmig vorzutragenden Gesangseinlage, einem Epigramm des Martial #ber die Zutaten f#r ein gl#ckliches Leben (Mart. 10,47).493 Gebrochen wird die Ausgelassenheit dagegen zum einen von der ironischerweise zusehenden Figur des Teufels, welche die S#nden des Homulus in ihr Buch notiert. Zum anderen ist es ein Mçnch, der hinzutritt und die Zechgemeinschaft an Tod und Hçlle erinnert. Nachdem er abgewiesen wurde beschließt Gott, Homulus durch seinen Engel mit Krankheit schlagen zu lassen, um ihn zu „erschrecken“ (HJG, V. 410) und so zur Umkehr zu bewegen. Der Stoß des Engels verkehrt die Frçhlichkeit des Gelages in Klagen des Schmerzes: Ach jamer #ber jamer groß, Woher k#mpt mir der harde stoß? Ein beul hab ich an meiner seit, 492 Vgl. dazu bereits Bolte 1889, S. *30. Bei Gennep ist der R#ckfall des Homulus dadurch motiviert, dass ihn die Hure Melusina mit einer (freilich entscheidend verk#rzten) Version der Lutherischen Rechtfertigungslehre zum S#ndigen anh$lt (vgl. HJG, V. 545 – 571). Diese Passage von knapp dreißig Versen f#hrte zu der bis heute vorherrschenden Deutung des ,Homulus‘ als katholisches Kampfdrama (vgl. Duntze 2012, Sp. 551). 493 „(Hier mag man spilen oder singen:) Vitam quae faciunt beatiorem, j Jucundissime Martialis haec sunt“ (HJG, S. 4). Vgl. dazu Scheitler 2013, S. 162.

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Daran ich großen schmerzen leit. Mein haupt thut mir so grausam we, Solch pin hon ich gehabt noch nee. Der stoß hat mir geracht das herz, O we, wie leit ich jez so großen schmerz (HJG, V. 448 – 455)

Stricker gestaltet den (bergang von Frçhlichkeit in Angst und Schmerz als deutlich abrupteres Umschlagsmoment. Unmittelbar nachdem der Schlçmer ausruft: „Juchey / yuchey / suep y#mmer her /j Dat Glesslin mit dem Eimschen Beer /j De Wyn brendt my im Lyue als V#r“ (DS, V. 1877 – 1879) trifft ihn der Schlag des Engels: „Dat lachent schal dy werden d#r“ (DS, V. 1880). Das Lachen des Exzesses verkehrt sich nach einem kurzen Schlagabtausch von Engel und Schlçmer in Angst und Schrecken angesichts des drohenden Todes: Dat ys warlick ein dçtlick stoth / O weh / O weh / O angst vnd nodt. Jn der Syden vçl ick ein Swell / Wol weth wor dat doch henuth wil. Dith wert syn mynes Leuens end / O we wo groth ys dith elend (DS, V. 1911 – 1916).494

Die von zahlreichen Exklamationen (o, ach, we) gepr$gte Rhetorik der Klage verbindet bereits die fr#hesten Jedermann-Figuren mit der Figur des unvorbereitet sterbenden oder bereits gestorbenen S#nders aus der Meditationsliteratur.495 Zu denken ist dabei nicht nur an die umfangreichen Klagemonologe bei Seuse oder Dionysius, sondern auch an die ,Planctus animae damnatae‘-Tradition.496 Wie die Texte deutlich machen, werden die Sterbenden und Toten klagend imaginiert, um in den Meditierenden selbst die von der Klage artikulierten Affekte zu erregen. Nachdem etwa Seuses Discipulus mit dem lamentierenden Bild des sterbenden J#nglings interagiert hat, wendet er sich unter dem Eindruck der heilsamen Furchterfahrung an Sapientia: „Magno namque nimis perterritus sum timore. Neque enim in tota vita mea sic evidenter adverti indispositae mortis pericula sicut in hac hora. Ego pro certo credo, quod haec horrenda visio

494 Ein $hnlich abrupter Affektwechsel findet sich bereits in Kolroß’ ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘, wenn der Tanz des ,Schwartzen knaben‘ in einen Totentanz umschl$gt (vgl. diese Arbeit, S. 82–84). 495 Vgl. z. B. die Klagemonologe in Elckerlijc, V. 114 – 125; 161 – 175 und Everyman, V. 131 – 139; 184 – 196. 496 Vgl. diese Arbeit, Kap. II.3.

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semper valebit animae meae“ (HS, S. 538).497 Auf die N$he dieser vor den inneren Sinnen erlebten Szene zu einer theatralen Vorf#hrung wurde bereits im Kapitel zum ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ hingewiesen. Auch die Klageszenen im ,Homulus‘ und im ,Schlçmer‘ lassen sich als theatrale Externalisierung dessen beschreiben, was vom Publikum meditativ zu vergegenw$rtigen ist. Die Scheinbekehrungen von Homulus und Schlçmer tragen jedoch eine Ambivalenz in das idealtypische Wirkungsmodell hinein, die sich bei Seuses Discipulus oder beim Kaufmann des ,M#nchner Eigengerichtsspiels‘ nicht findet. Denn ihre Klagen #ber die vers$umte Buße, die gel$ufigerweise dem sterbenden S#nder zugeschrieben werden, f#r den es bereits zu sp$t ist,498 erweisen sich, als die Mçglichkeit zur Buße schließlich gegeben ist, als wenig nachhaltig. Dieses Moment hat Johannes Stricker deutlich ausgestaltet. W$hrend Genneps Homulus dem Bruder in wenigen Versen Besserung gelobt,499 zeigt sich der Schlçmer in hçchstem Maße von seiner Angst bewegt und scheint seine S#nden vor dem Prediger aufrichtig zu bereuen: Och ick hebb my nicht wol bedacht. Och mçcht ick genesen dith m$l / Vnd loss werdn disser angst vnd qu$l / Wo fr$m wold ick henuçrder syn / Vçren ein Christlick leuend fyn / Dçrch mynes gantzen Leuends tydt / Wold ick Bothe dohn mit gantzem flyth (DS, V. 2050 – 2056).

Anders als bei Gennep schließt sich bei Stricker nicht die sofortige Linderung der Krankheit an. Es folgt vielmehr ein Dialog, in dem der Prediger wiederholt auf das Risiko eines R#ckfalls in die S#nde verweist. Auch als der Schlçmer schließlich Besserung seiner Krankheit versp#rt, l$sst der Prediger in seinen Ermahnungen nicht nach und deutet auf die Folgen eines potenziellen R#ckfalls voraus. Der Schlçmer solle sich fortan vor S#nden h#ten, „S#s wert das leste veel erger /j Als dith erste gewesen ys“ (DS, V. 2106 f.). 497 „Denn ich bin in gewaltige Furcht versetzt worden. In meinem ganzen Leben bin ich nie so deutlich der Gefahr des unvorbereiteten Todes gewahr geworden wie in dieser Stunde. Ich bin mir sicher, daß diese schreckliche Vision immer Einfluß auf meine Seele haben wird“ (SW, S. 166). 498 Vgl. diese Arbeit, Kap. II.3. 499 „Ach lieber her, m#cht ich werden gesunt, j Ich wolt euch folgen alle stunt j Vnd thun alzeit, was ir mich heischen, j Anders solt ir von mir nit hçren or freischen“ (HJG, V. 494 – 497).

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Bemerkenswert ist, dass der Schlçmer, nachdem ihn der Prediger erneut vor dem schlechten Einfluss seiner Freunde gewarnt hat – „Se bringen juw wedder darby“ (DS, V. 2113) – mit einer ganz $hnlichen Formulierung antwortet wie Seuses Discipulus im Anschluss an seine Vision. Beide berufen sich auf den starken Ged$chtniseindruck, den die jeweilige Erfahrung des nahen Todes in Vision bzw. Krankheit hinterlassen hat. W$hrend der Discipulus sich in gewaltige Furcht versetzt sieht und sicher ist, dass die furchterregende Vision seine Seele immer Einfluss auf seine Seele haben wird, beteuert der Schlçmer: Jdt was tho schwar myn angst vnd nodt / Jck weer yo schyr gebleuen dodt. Der qu$l vorgeth ick n#mmermehr (DS, V. 2115 – 2117).500

Die Empfindung der Furcht angesichts des vergegenw$rtigten Sterbens bewirkt bei Seuses Discipulus eine musterg#ltige conversio, sodass der Nutzen der Todesbetrachtung unterstrichen wird: „Discere mori propono, differe paenitentiam nolo, prolongare conversionem nullatenus volo. Emendare vitam meam absque retractione dispono. In tantum quippe territus sum de sola memoria; quid ergo fieret de praesentia?“ (HS, S. 538).501 Um das Ged$chtnis des Todes als prospektive Erinnerung geht es auch bei Stricker. Doch dieser f#hrt zun$chst kein idealtypisches Inkrafttreten der memoria mortis vor, sondern problematisiert ihre Unzuverl$ssigkeit. Er zeigt, wie labil eine in Angst und Todesgefahr emergierte Bußempfindung sein kann, sobald der akute Gef$hrdungszustand wieder abgeklungen ist. Das scheinbar Unvergessliche ist schnell verdr$ngt. Es sind kaum 150 Verse bis der Schlçmer konstatiert: „Vorgeten ys myn weh vnd schmert /j Freydich vnd frçlick ys dat Hert“ (DS, V. 2261 f.). Anders als bei

500 Dass die Vision als $hnliche Nahtoderfahrung konzipiert ist wie die Krankheit wird deutlich, wenn der Discipulus gegen#ber Sapientia ausruft: „Docere me sapientiam voluisti, et nunc usque mortem deductus sum. O mi Deus, quantum me tenet mortis visae praesentia. Sic me totum imago mortis rapuit, ut paene ignorem, utrum hoc, quod vidi, sit in re vel in similitudine“ (HS, S. 537 f.). „Du wolltest mich Weisheit lehren und hast mich bis zum Tode gef#hrt. O mein Gott, wie sehr h$lt mich die Gegenwart des geschauten Todes in ihrem Bann! So sehr hat sich das Bild des Todes meiner bem$chtigt, daß ich kaum weiß, ob das, was ich gesehen habe, wahr ist oder eine Erscheinung“ (SW, S. 166). 501 „Ich nehme mir vor, das Sterben zu lernen. Ich will die Reue nicht aufschieben. Ich will die Umkehr keineswegs hinauszçgern. Ich nehme mir vor, mein Leben ohne Aufschub zu bessern. So erschrocken bin ich bereits bei der bloßen Erinnerung – was also wird da erst sein, wenn es gegenw$rtig ist?“ (SW, S. 166.)

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Seuse oder auch im ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ liegt hier zun$chst kein imitierbares Muster vor. Doch woran scheitert das Ged$chtnis des Todes? Es ist aufschlussreich, wie Stricker und Gennep jeweils den R#ckfall ihrer Figuren aus dem Bußaffekt in die exzessive Frçhlichkeit gestalten, die allererst zu ihrer Krankheit gef#hrt hatte. Denn in beiden F$llen ist die Lutherische Rechtfertigungslehre maßgeblich an diesem Prozess beteiligt. W$hrend jedoch Gennep in polemischer Absicht darum bem#ht ist, die Lehre selbst zu diffarmieren, geht es Stricker darum, ihre Fehlinterpretation zu entlarven. Bußaffekt und weltliche Frçhlichkeit stehen einander in beiden F$llen gegen#ber. Bei Gennep versichert die Hure Melusina: Fasten vnd beten ist gar verloren, Darumb hab ich mich auserkoren Ein frçhlich wesen in diser zit, Keins guten wercks bedarf man nit (HJG, V. 548 – 551).

Die Bußwerke, so die Botschaft, tragen nichts zum Heil bei und sind daher verzichtbar, man kçnne sich ebensogut einem frçhlichen Dasein hingeben. Nachdem Melusina eine polemisierende und kaum verh#llte Skizze von Luthers theologischem Werdegang geliefert hat,502 ist Homulus sogleich #berzeugt: „Kan vns der glaub allein selig machen, j Narren sins, die Gots zorn groß achten“ (HJG, V. 568 f.).503 Bei Stricker #bernehmen die Freunde und Verwandten diese Argumentation, um den Schlçmer von der R#ckkehr zu ihrem Gelage und in den Affekt der Frçhlichkeit zu #berzeugen: „Frçlicheit Godt nicht missgefelt“ (DS, V. 2160), behauptet der Ohm (Oheim) und der Vetter schließt sich an: „Godt kendt vnse gebrecklicheit /j Giff dy mit vns thor frçlicheit“ (DS, V. 2177 f.). Im Vergleich mit Homulus, der bei der ersten Versuchung durch seinen Gesellen Hans sogleich bemerkt, dass ihm trotz seines Bußversprechens „die zen noch wessern“ (HJG, V. 543), ist der Widerstand des Schlçmers 502 „Er ist gewesen ein ordensman, j Die kap die hat er ausgethan, j Ist jez sein eigen apt vnd her, j Nu mach er volnbringen sins fleischs beger. j Sin leben ist so streng vnd schwindt, j Das man in selten nuchteren fint“ (HJG, V. 560 – 565). 503 Dieser verk#rzten Deutung war Luther bereits in seiner Reformationsschrift ,Von der Freiheit eines Christenmenschen‘ (1520) mit entschiedener Ablehnung begegnet: „Ey so denn der glaub / alle ding ist vnd gilt allein gnugsam frum zumachen. Warumb sein denn die gutten werck gepotten? so wollen wir gutter ding sein / vnd nichts thun. Neyn lieber mensch nicht also. Es were wol / also / wen du allein ein ynnerlich mensch werist / vnd gantz geystlich ynd ynnerlich worden / wilchs nit geschicht bisz an I#ngsten tag. Es ist vnd bleybt auff erden nur ein anheben vnd zu nehmen / wilchs wirt in yhener welt volnbracht“ (Luther 2012b, S. 298).

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II. Tod

beachtlich. Als sein Ohm ihn mit Rekurs auf die paulinische sola gratiaFormulierung (Rçm 3,24) von der Unfruchtbarkeit der Bußwerke zu #berzeugen versucht (vgl. DS, V. 2184 – 2192), lenkt er ein: „Dat ys yo wol Gades syn Wordt /j W#rdt ydt allein recht ingeuçrt“ (DS, V. 2193 f.). Es ist der Schlçmer selbst, der den Fehlschluss von der Vorstellung einer Erlçsung allein aus Gnade auf die Verzichtbarkeit der Buße aufdeckt und seinerseits mit Paulus kontert: „Daryegen ock geschreuen steith /j Neen S#per eruet de Salicheit [1 Kor 6,9 f.]“ (DS, V. 2195 f.). Stricker stellt auf diese Weise sicher, dass sich das Gelage mit Lutherischer Theologie nicht legitimieren l$sst. Erst dann und nach weiterem Insistieren der Freunde l$sst er seinen Schlçmer in die S#nde zur#ckfallen: Jck mach wedder mit frçlick syn. Godt ys der G#d vnd Gnade vull / De wert ydt my vergeuen wol (DS, V. 2226 – 2228).

Sowohl im ,Homulus‘ als auch im ,Schlçmer‘ suspendiert die rauschhafte Frçhlichkeit des Gelages den Bußaffekt, der aus der systematischen Erinnerung an die nur knapp #berstandene Gefahr kultiviert werden kçnnte. Der Exzess als Modus des Vergessens ist dem Ged$chtnis des Todes diametral entgegengesetzt. Entsprechend kommt etwa in Culmanns Sterbeb#chlein der N#chternheit und Wachsamkeit eine besondere Bedeutung zu.504 Und so sind Homulus und Schlçmer auf die Gefahren des Sterbens vçllig unvorbereitet als der Tod schließlich ins Spiel tritt. Die Selbstreflexionen des Schlçmers unterstreichen dies: Wo bin ick arme Minschen Kindt / Jn disser Werldt gewest so blindt? Dat ick nicht hebbe kçnnen sehn / Wat andern Minschen sy gescheen? De vor my wech gescheiden syn / Jn groter angst / qu$l / weh vnd pyn / (DS, V. 3093 – 3100).

Die Blindheit, die sich der Schlçmer vorwirft, ist seine mangelnde Selbsterkenntnis in jenen anderen Menschen, die vor ihm „in groter angst / qu$l / weh vnd pyn“ gestorben sind. Seine Klage #ber die vers$umte Erkenntnisleistung zeichnet damit zugleich das Rezeptionsmuster f#r die Szenen vor, in denen er selbst den Gefahren von Anfechtung, Angst und Schmerz ausgesetzt ist. Was der Schlçmer an anderen Sterbenden nicht hat sehen kçnnen, wird f#r das Publikum am Schlçmer selbst sicht- und erkennbar gemacht. F#r das historische Verst$ndnis des Dramas ist es rele504 Vgl. Culmann 1551, Avv; Avijr mit Bezug auf Mt 24,42 und 1 Petr 5,6.

6. Meditative Aspekte der Jedermann-Dramen (15. und 16. Jahrhundert)

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vant, diese Strategie in ihrem Bezug zur Meditatitationspraxis herauszustellen, denn ihr Wirkungspotenzial ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass die Erwartungshaltung des Publikums bereits im Hinblick auf diese Praxis vorstrukturiert ist. Als Medien der Todesbetrachtung zielen die Dramen auf die Erregung eines heilsamen Schreckens.505 Bei Stricker ziehen sich entsprechende Klagen des Schlçmers, die mit einschl$gigen Emotionswçrtern durchsetzt sind, durch den gesamten vierten und f#nften Akt. Der dritte Akt schließt mit einem gewissermaßen programmatischen Ausruf, der auf den Leitaffekt des vierten und f#nften Aktes vorausweist: „O wy / O wy / O wach / O weh / j Den Dodt ick nu vor Ogen seh“ (DS, V. 3383 f.). Einen ersten Klimax erreicht die Angstdarstellung in einer Anfechtungsszene (DS, IV,2), in der Moses, S#nde, Tod und Teufel den Schlçmer in Bedr$ngnis bringen. Es handelt sich um eben jene Instanzen, von denen Luther in seinem ,Sermon von der Bereitung zum Sterben‘ fordert, dass man sie nicht erst im Sterben, sondern in der Lebenszeit „stetig voraugen“ haben soll.506 Dieses bei Luther meditativ gedachte Voraugenstellen externalisiert Stricker im Medium des Dramas. Auch die physischen Symptome des Angstzustandes kommen dabei zur Sprache, etwa wenn der Schlçmer bemerkt: „Jck lyde nodt vnd groth beschwer. j Tho berge st$n all myne H$r“ (V. 3466 f.). Er f$hrt fort: „Och myner Seel ys bang vnd weh“ (DS, V. 3471). Dass dieser Zustand auch stimmlich ausagiert werden soll, geht aus der Frage hervor, die Moses an den Schlçmer richtet: „Wor#mme schryestu also?“ (DS, V. 3473) Der Schlçmer antwortet: „Frucht / qu$l vnd angst bringt my dartho“ (DS, V. 3474). Und weiter: Des Dodes angst bringt my beschwer. Jm Lyff beuet my myn Hert g$r / My schreckt sehr de gr#wlike Sch$r (DS, V. 3476 – 3478).

Die Reihe l$sst sich fortsetzen. Bis zu seiner Erlçsung am Ende des f#nften Aktes verbleibt der Schlçmer, auch wenn er zwischenzeitlich Trost durch den Prediger erh$lt, in einem Zustand der Anfechtung und Angst. In der Gebetsszene (DS, IV, 4), die sich der ersten Anfechtungsszene anschließt, vergleicht der Schlçmer, der nun Gott um Beistand bittet, seine Gewissensangst mit der Strafe, die ihn in der Hçlle erwartet: „Hetr kan nicht syn 505 Mit Bezug auf die sp$tmittelalterlichen Weltgerichtsspiele und mit zahlreichen Beispielen aus der mittelalterlichen Theologie vgl. auch Barton 2011. 506 Luther 2012a, S. 52 (vgl. dazu oben, S. 33 f.).

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II. Tod

de Hellsche glodt /j Als disse angst / qu$l / weh und pyn“ (DS, V. 3886 f.). Das Gebet endet mit einer wçrtlichen Wiederholung von V. 3471, die einen Kreis zur#ck zum Beginn des Aktes schl$gt: „Mçde bin ick van s#chtende /j Myner Seel ys angst / bang und weh“ (DS, V. 3897 f.). An den Prediger wendet sich der Schlçmer mit den Worten: „Vndrechlick ys myn angst vnd nodt“ (DS, V. 4042) und als seine Frau ihn auffordert, sich zur Ruhe zu begeben, antwortet er: „Neen schlap k#mpt in de Ogen myn /j Van groter angst / weh / qu$l vnd pyn“ (DS, V. 4243 f.). Auch gegen#ber seinen Verwandten erkl$rt er nochmals: Moses / Gesette / de S#nd myn / Angest vnd frucht der Hellschen pyn / De D#uel vnd de bitter Dodt / Hebbn my vordçmpt thor Hellschen gloth (DS, 4257 – 4260).

Obwohl beide Dramen, wenn auch aus entgegengesetzter Perspektive, vom Problem der falschen Sicherheit (securitas) ausgehen,507 die von der Lutherischen Rechtfertigungslehre bzw. ihrer Fehldeutung provoziert wird, findet eine derart intensive Emotionalisierungsstrategie bei Jaspar von Gennep keine Entsprechung. Der Vergleich zeigt daher auch, warum der in der Forschung oft verallgemeinernd konstruierte Gegensatz zwischen einer affektbetonten vorreformatorischen bzw. katholischen und einer rationallehrhaften lutherischen !sthetik des geistlichen Theaters problematisch ist. Es ist jeweils im Einzelfall und in aussagekr$ftigen Vergleichen zu evaluieren, wann Affektdarstellungen konfessionell von Bedeutung sind und wann nicht.508 Der theatral evozierte Affekt der Furcht ist als Affekt der Selbsterkenntnis sowohl bei Gennep als auch bei Stricker vor dem Hintergrund der Todesmeditation konzeptualisiert; er bezieht sich auf eine Praxis, die #ber die Konfessionsgrenzen hinweg relevant bleibt. Beide Dramatiker bespielen den gleichen Imaginationsraum. Ihre Strategien und Techniken der Affekterregung unterscheiden sich nicht grundlegend, sondern nur graduell. Es w$re zu kurz gegriffen, diese graduellen $sthetischen Differenzen zwischen den Dramen umstandslos mit konfessionelltheologischen Differenzen zu erkl$ren.509 Dagegen spricht auch, dass sich Genneps ,Homulus‘ bei protestantischen Dramatikern bis ins sp$te 507 Vgl. dazu Thomke 1996, S. 1101 f. 508 Vgl. dazu auch Kap. V dieser Arbeit. 509 Die gegens$tzliche Auffassung der Rechtfertigungslehre greift in Bezug auf den Furchtaffekt gewissermaßen erst nachtr$glich, n$mlich bei seiner theologischen Bewertung, nicht jedoch bereits bei der Art und Weise seiner Hervorbringung.

17. Jahrhundert einer hohen Beliebtheit erfreute – ohne dass andere protestantische Bearbeiter in dessen Affektregie eingegriffen h$tten.510 Ein Grund f#r die bei Stricker gesteigerte Emotionalisierungsstrategie kçnnte weniger vor einem theologischen als vor einem sozialpolitischen Hintergrund zu suchen sein. Wie die Forschung seit Bolte weiß, kritisiert Stricker nicht nur im ,Schlçmer‘, sondern auch in seinem vorangehenden Spiel vom S#ndenfall mehrfach den holsteinischen Landadel f#r seinen Lebenswandel.511 Im ,Schlçmer‘ kommt insbesondere die Praxis einer widerrechtlichen Aneignung s$kularisierter Kircheng#ter mehrfach direkt zur Sprache.512 Stricker versucht dieser Praxis entgegenzuwirken, indem er nicht nur nachdr#cklich auf ihre eschatologischen Konsequenzen hinweist, sondern diese auch extensiv imaginierbar macht. Die von Thomke festgestellte funktionale Parallele des Dramas zu einer Bußpredigt trifft in diesem Punkt zu.513 Die Frage nach der allgemeinen Funktionsebene sollte jedoch erg$nzt werden um die Frage, welche konkreten Modelle sich f#r die vom Medium jeweils angeregten imaginativen und emotionalen Vollz#ge rekonstruieren lassen. Die Analyse des Dramas bleibt unvollst$ndig ohne eine Analyse der meditativen Praktiken, die es beantworten sollen.

III. Endzeit Wie der ,D#desche Schlçmer‘ zeigt, ist die Betrachtung des Todes nicht nur unmittelbar f#r das Seelenheil, sondern mittelbar auch f#r sozialpolitische und sozialethische Fragen von Bedeutung. In denjenigen Spielen und Dramen, die sich apokalyptischen Themen wie dem J#ngsten Gericht zuwenden, erh$lt dieser Aspekt besonderes Gewicht. Die mittelalterliche und fr#hneuzeitliche Regierungs- und Rechtspraxis verortet sich selbst in einem eschatologischen Horizont. Politische und juristische Entscheidungen wirken sich nicht nur auf das Hier und Jetzt aus, sondern pr$figurieren auch die Entscheidungen, die Gott im J#ngsten Gericht f$llen wird. Entscheidungstr$ger wie Ratsmitglieder, Richter oder Schçffen sind daher dazu aufgerufen, permanent ihr Gewissen zu pr#fen und sich die eschatologischen Konsequenzen ihres Handelns zu vergegenw$rtigen. Die 510 511 512 513

Vgl. Schmidt 2016. Vgl. Bolte 1889, S. *6 f. Vgl. Thomke 1996, S. 1098. Vgl. Thomke 1996, S. 1099.

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III. Endzeit

Meditation #ber den Tod, die Endzeit und das J#ngste Gericht sind also auch als Praktiken der juristischen, politischen und sozialethischen Selbstdisziplinierung zu verstehen. Das vorliegende Kapitel n$hert sich diesem Zusammenhang, indem es, zun$chst mit Blick auf ein allgemeines Laienpublikum, auf die meditative Konzeption einer Zentralfigur sp$tmittelalterlicher Weltgerichtsspiele, des Kirchenvaters Hieronymus, aufmerksam macht. In einem zweiten Schritt untersucht es die Bearbeitung eines Weltgerichtsspiels, die Ulrich Tengler seinem Rechtsbuch ,Der ne# Layenspiegel‘ (1511) angef#gt hat. Damit r#cken juristische Laien als Adressaten in den Blick. Tengler nutzt die dramaturgische Struktur des Weltgerichtsspiels, um die Performanz eines juristischen Rituals, des ,entlichen Gerichtstages‘, mit der imaginativen Performanz des J#ngsten Gerichts zu #berlagern. In einem dritten Schritt untersucht das Kapitel zwei Schauspiele, die anl$sslich des Zeremoniells der Ratsversetzung in den St$dten Bern und Berlin verfasst wurden. Hans von R#tes ,Osterspil‘ (1552) und Philipp Agricolas ,Comedia von dem Letzten Tage‘ (1573) adressieren die neu gew$hlten Ratsmitglieder und B#rgermeister und wenden sich somit an konkrete st$dtische F#hrungsgruppen. Beide Schauspiele lassen sich im Kontext des Zeremoniells der Ratsversetzung als theatrale Betrachtungsmedien analysieren, die deutlich machen, wie eng Meditations- und Regierungspraxis aufeinander bezogen sind.

1. Der meditierende Hieronymus in Weltgerichtsspielen vom Sp$tmittelalter bis Hans Sachs Die meisten Weltgerichtsspiele des 15. und 16. Jahrhunderts sind einem ,einfachen Typ‘ zuzuordnen, d. h. sie tradieren eine allen Spielen gemeinsame Grundstruktur und enthalten keine Metatexte wie Precursorenreden.514 Spiele des einfachen Typs erçffnen mit einem reihenartigen Vorspiel, in dem Propheten und Kirchenlehrer das J#ngste Gericht ank#ndigen. Auch wenn die Reihenfolge der Figuren dabei im einzelnen variiert, bildet den Abschluss immer der Auftritt des Hieronymus.515 Die Forschung hat das Propheten- und Kirchenlehrervorspiel bislang vor allem 514 Zur Typologie der Weltgerichtsspiele vgl. Schulze 2007; zusammenfassend Schulze 2012, S. 166 – 169. Die Spiele des einfachen Typs werden in der Forschung auch als Vulgatfassung bezeichnet (vgl. etwa Linke 2002, S. 50; Linke 2007, S. 385; Trauden 2000, S. 147). Zur Kritik an diesem Begriff vgl. Schulze 2007, S. 239. 515 Vgl. die tabellarische (bersicht bei Trauden 2000, S. 240.

1. Der meditierende Hieronymus in Weltgerichtsspielen

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aus #berlieferungsgeschichtlicher Sicht untersucht und seine dramaturgischen Wirkungen herausgearbeitet, der Funktion einzelner Figuren hingegen weniger Aufmerksamkeit geschenkt.516 Seit Hansj#rgen Linkes Beitrag von 1972 findet insbesondere die im Vorspiel angelegte Zeitregie Beachtung. Die Reden der Propheten und Kirchenlehrer suggerieren, dass das J#ngste Gericht zeitlich in eine immer grçßer werdende N$he zur Gegenwart r#ckt.517 Hieronymus ruft die 15 Zeichen vor dem J#ngsten Gericht auf, die wie ein retardierendes Moment wirken, sodass sich die Zeitwahrnehmung zun$chst wieder verlangsamt.518 Mit dem Einsatz der Engelsposaunen schlage dann sein „epischer Bericht in dramatische Aktion und damit vision$r geschaute Zukunft in reale Gegenwart“519 um. Die Figur besitzt demnach eine Scharnierfunktion und wirft auch Fragen nach den Pr$senzeffekten oder dem Realit$tsstatus der Gerichtshandlung auf.520 Hieronymus ist aber nicht nur im Kontext der Weltgerichtsspiele eine pr$gnante Figur. Die Weltgerichtsspiele erleben ihre hçchste Rezeptionskonjunktur zwischen dem letzten Drittel des 15. und dem zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts.521 Damit fallen sie in die Zeit der großen Hieronymus-Begeisterung des ausgehenden Mittelalters, die Berndt Hamm am Beispiel N#rnbergs detailliert aufgearbeitet hat. Hieronymus verband als b#ßender Asket und polyglotter Bibel#bersetzer die Ideale der sp$tmittelalterlichen Frçmmigkeitstheologie mit denen humanistischer Gelehrsamkeit und war als Identifikationsfigur hochgradig anschlussf$hig.522 Der Typus des gelehrten Hieronymus ist dabei f#r die Weltgerichtsspiele nur von untergeordneter Bedeutung; entscheidend ist der Typus des b#ßenden Hieronymus als Vorbild einer intensiven Frçmmigkeitspraxis: „In Hieronymus hatte man den Typ des durch satisfaktorische und meritorische Askese und Gebetsmeditation den Himmel erobernden Heiligen vor Augen“, er bot „in einer Person die ideale Verbindung von militanter 516 Vgl. Trauden 2000, S. 238 – 250; Linke 1972, S. 214 – 218; Barton 2011, S. 488 f.; Dietl 2014a, S. 36 – 41. 517 Vgl. Linke 1972, S. 215 am Beispiel des ,Berner Spiels‘. 518 Barton spricht von „einer Art Countdown“ (Barton 2011, S. 488). 519 Linke 1972, S. 215. 520 W$hrend Linke von einem Umschlagen von ,vision$r geschauter Zukunft‘ in ,reale Gegenwart‘ spricht, formuliert Barton: „Vision wird theatrale Wirklichkeit“ (Barton 2011, S. 488). Im vorliegenden Kapitel wird gefragt, ob die Begriffe ,Vision‘ und ,reale Gegenwart‘ bzw. ,theatrale Wirklichkeit‘ sich historisch kontextualisieren und pr$zisieren lassen. 521 Vgl. die tabellarische (bersicht bei Trauden 2000, S. 137. 522 Vgl. Hamm 2011, S. 178 f.

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III. Endzeit

Gl$ubigkeit und sch$rfster Sittenkritik einerseits und entsagungsvoller Demut und meditativer Verinnerlichung andererseits.“523 Wenn es einen Heiligen gibt, der seit dem Sp$tmittelalter und bis weit in die Fr#he Neuzeit hinein mit der Meditation #ber die Letzten Dinge assoziiert wird, dann ist es Hieronymus. Dies hat vor allem die kunstgeschichtliche Forschung immer wieder gezeigt524 – mit Ergebnissen, die auch f#r die Weltgerichtsspiele aufschlussreich sind. Um 1400 entsteht in Italien ein Bildtyp, der den b#ßenden Hieronymus in der Meditation #ber das J#ngste Gericht zeigt und ein besonderes Attribut einf#hrt, das nicht bildlicher, sondern verbaler Art ist. Es handelt sich um ein apokryphes Hieronymus-Diktum, das sich seit dem sp$ten 13. Jahrhundert nachweisen l$sst und in der Forschung als sive comedamZitat bekannt ist.525 In der fr#hesten belegten Variante bei Wilhelm Peraldus lautet es: „Siue comedam, siue bibam, siue aliquid aliud faciam, semper insonare videtur auribus meis illa terribilis tuba, Surgite mortui, venite ad iudicium“.526 Das Zitat l$sst sich aufgrund seiner K#rze und Pr$gnanz problemlos in einen ikonographischen Kontext integrieren. Das fr#heste Beispiel, ein Fresko der Klosterkirche von Santa Marta in Siena, zeigt das nur noch bruchst#ckhaft erhaltene Zitat auf einer Schriftrolle, die Hieronymus in der erhobenen rechten Hand tr$gt; aus der oberen linken Bildecke bl$st ein Engel mit einer Posaune in sein Ohr. Mit der linken Hand weist Hieronymus unter sich auf verwesende Kçrper, Sch$del, Knochen und sich windende Schlangen.527 Ein weiteres, f#r die Weltgerichtsspiele wichtiges Beispiel ist ein Fresko in der Gregorskapelle des Benediktinerklosters in Subiaco. Denn hier thront zentral in einem oberen Register zus$tzlich Christus als Weltenrichter auf dem Regenbogen. Hieronymus kniet links darunter vor einem Krucifix und aus seinem Mund f$llt eine Schriftrolle, die eine Variante des sive comedam-Zitats enth$lt. Die voneinander getrennten Register zeigen also zum einen den meditierenden Hieronymus und zum anderen das von ihm meditierte Weltgericht. Auff$llig ist, dass eine Schriftrolle mit dem surgite mortui-Teil des Zitats auf dem Bild in 523 Hamm 2011, S. 175. 524 Vgl. aus j#ngerer Zeit die Arbeit von Jeon 2005, bes. S. 46 – 66; S. 210 – 214. 525 Vgl. Gerhardt/Palmer 2002, S. 36 – 38; Krummacher 1986, S. 529. F#r die Rezeption dieses Zitats im Kontext des ,Euripus‘ vgl. diese Arbeit, S. 113 f. 526 Zitiert nach Gerhardt/Palmer 2002, S. 35. „Ob ich esse, ob ich trinke, oder ob ich irgendetwas anderes tue, immer scheint mir jene schreckliche Posaune in meinen Ohren zu ertçnen: Steht auf, ihr Toten, kommt zum Gericht.“ 527 Vgl. Rice 1985, S. 162 mit Abb. 40; Ridderbos 1984, S. 63 – 65 mit Abb. 26.

1. Der meditierende Hieronymus in Weltgerichtsspielen

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Subiaco nicht Hieronymus selbst, sondern einem posauneblasenden Engel zugeordnet ist, der im Feld rechts von Hieronymus #ber einer Auferstehungsszene schwebt.528 Diese Verteilung des Zitats auf zwei Rollen wird f#r die Welgerichtsspiele noch von Bedeutung sein. Das auf 1466 datierte Fresko ist laut Rice das letzte Beispiel f#r diesen Bildtyp „for over a hundred years.“529 Doch auch ohne die Darstellung der Posaune, die erst im Barock eine breitere Wirkung entfaltet habe, sei das sive comedam-Zitat im Sp$tmittelalter zu einem gel$ufigen Topos in der Ikonographie des b#ßenden Hieronymus geworden: „Its presence“, so res#miert Rice, „gives the subject of St. Jerome in penitence the added meaning of a meditation on death and the Last Judgement, thus making explicit what was latent in images of the penitent Jerome from the beginning“.530 Entscheidend ist nun, dass es genau diese Variante der HieronymusFigur ist, die in der Propheten- und Kirchenlehrerreihe der Weltgerichtsspiele die B#hne betritt. Wie ich zeigen mçchte, bleibt dies vor allem f#r die Spiele des einfachen Typs nicht ohne Konsequenzen. Im ,Berner Spiel‘, das als fr#hester Vertreter dieses Typs gilt, pr$sentiert sich Hieronymus mit folgendem Text: IEronimus bin ich genant, Min ler schilt durch alle land Mannen wiben ich hffltte klagen Das ich an minem herczen tragen Wenne ich isse trinke schlaffe oder wache Oder was ich vff ertrich mache So kumpt jemer das grffllich horn Vsser minen sfflndigen oren Das da tçnet vnmassen grimme Vnd spricht mit grffllicher stimme 528 Vgl. Rice 1985, S. 162 mit Abb. 41. 529 Rice 1985, S. 162; vgl. $hnlich auch Ridderbos 1984, S. 72; Gerhardt/Palmer 2002, S. 36. 530 Rice 1985, S. 163, dort auch weitere Beispiele. Ein Holzschnitt des sp$ten 15. Jahrhunderts aus dem deutschen Sprachraum ist bei Pçllmann 1920, S. 469 abgedruckt und zeigt den b#ßenden Hieronymus mit einem sive comedamSchriftband. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts entstehen weitere Bildtypen, die den #ber das J#ngste Gericht meditierenden Hieronymus zeigen. Hieronymus sitzt dabei z. B. auf einen Totenkopf weisend vor einem aufgeschlagenen Buch, das eine Miniatur des J#ngsten Gerichts zeigt. Mitunter ist das sive comedam-Zitat auch auf einem vor Hieronymus liegenden Papierbogen zu lesen (vgl. Rice 1985, S. 165 – 167; Jeon 2005, S. 210 – 214).

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III. Endzeit

Nu stand vff jr totte lffltte Ze gericht m#ssent ir hffltte (DdW: B, V. 127 – 138).531

Vor dem Hintergrund der zeitgençssischen Hieronymus-Verehrung ist es sicher keine (bertreibung, wenn die Figur in den ersten Versen ihre eigene Popularit$t hervorhebt. In die gleiche Richtung weist auch das sive comedam-Zitat, das Hieronymus direkt im Anschluss bringt (V. 128 – 135). Es ist das verbale Attribut einer popul$ren Figurenvariante, das in $hnlicher Weise charakterisierend wirkt wie etwa der obligatorische Kardinalshut oder der Stein, mit dem sich Hieronymus auf vielen Bildern an die Brust schl$gt. Dieses verbale Attribut korreliert mit der Erwartungshaltung, die beim Publikum eines Weltgerichtsspiels bereits durch den Gegenstand vorstrukturiert sein d#rfte: Die Zuschauer haben es mit dem auch aus anderen Kontexten vertrauten b#ßenden Hieronymus zu tun, der sich in allen T$tigkeiten – „siue comedam, siue bibam, siue aliquid aliud faciam“ – einer permanenten Meditation #ber das J#ngste Gericht hingibt. Im Kontext des Vorspiels erh$lt die Figur damit eine rezeptionssteuernde Funktion: sie demonstriert dem Publikum vor Beginn der Haupthandlung eine vorbildliche Rezeptionshaltung. Ist Hieronymus in der Alltagskultur ein allgemeines Vorbild meditativer Frçmmigkeit, so wird er auf dem Theater zu einem spezifischen Vorbild im Umgang mit den eschatologischen Sinnesdaten, die das Schauspiel seinen Zuschauern anbietet. Nimmt man diese Dimension der Hieronymus-Figur ernst, so hat das zugleich Folgen f#r die Realit$tsebene, auf der die Spielhandlung anzusiedeln ist. Denn das sive comedam-Zitat ist nicht nur ein verbales Attribut des Hieronymus, sondern es bildet auch die Schaltstelle, die das Vorspiel in die Gerichtshandlung #berf#hrt. Nachdem Hieronymus die 15 Zeichen vor dem J#ngsten Gericht referiert hat, kehrt er zum sive comedam-Zitat zur#ck, doch diesmal kommt es zu dem von Linke und anderen beschriebenen Umschlagen der erz$hlten Handlung in dramatische Aktion – ein Vorgang, der in allen Spielen des einfachen Typs auf $hnliche Weise umgesetzt wird: Alle toten erstand denn von dem grab Alls vns cristus geschriben gab Der engel mit grossem zorne R#fft denne har f#r mit dem horne 531 Das ,Berner Spiel‘ wird stellvertretend f#r die Spiele des einfachen Typs zitiert. Die Varianten fallen an dieser Stelle wenig ins Gewicht und sind #ber die synoptische Ausgabe von Linke (DdW) leicht zu vergleichen.

1. Der meditierende Hieronymus in Weltgerichtsspielen

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Zehand so blasent die engel mit vier hornen gar eigenlich und gar erschrokenlich Der erste engel spricht also Stand vff jr totten lfflte Cze gericht m#ssent jr hfflte (DdW: B, V. 233 – 238).532

Hieronymus nimmt zun$chst das Motiv des „grffllich horn“ („terribilis tuba“) aus dem sive comedam-Zitat wieder auf und w#rde auch das „stant vff jr totte lffltte“ („surgite mortui“) wçrtlich wiederholen, wenn nicht die Regieanweisung einen ganz anderen Effekt fordern w#rde; n$mlich die von Hieronymus zuvor beschriebenen Vorg$nge in performative B#hnenhandlung umzuwandeln. Die Hçrner sind nun „Zehand […] gar eigenlich und gar erschrokenlich“ zu hçren und der erste von vier Engeln weckt die Toten mit dem „surgite mortui“-Teil des Zitats. Sofern die Hornsignale plçtzlich („zehand“) erklingen, ist davon auszugehen, dass Hieronymus zu diesem Zeitpunkt noch immer eine zentrale Position im Spielraum einnimmt. Zudem werden die Darsteller der Engel mit den Instrumenten nicht nur zu hçren, sondern auch zu sehen gewesen sein. Trifft dies zu, so w$re auf der B#hne der Weltgerichtsspiele eine ganz $hnliche Figuren- und Textkonstellation realisiert wie auf dem oben beschriebenen Bildtypus des meditierenden Hieronymus in der Variante aus Subiaco von 1466: Hieronymus meditiert – und das von ihm meditierte Szenario wird von der B#hnenhandlung sichtbar vor Augen gestellt. Die Spiele w$ren außerdem ein Beleg daf#r, dass der entsprechende Bildtypus nicht so wirkungslos geblieben ist, wie die Forschung #blicherweise annimmt.533 532 Die Regieanweisungen an dieser Scharnierstelle sind in der (berlieferung unterschiedlich ausf#hrlich gestaltet. Nah am ,Berner Spiel‘ sind SchaWg: „Denn ze hand blausent si vf die vier horn mit grime vnd sprechent denn allso“; JWg: „Denn blasent vier engel mit ir hornen vnd spricht der erst engel“. BlWg, G#Wg, KoWg enthalten eine einfache Sprecherangabe, setzen das Hornsignal aber implizit durch die Hieronymusrede voraus; WaWg, aus einer heute verlorenen Handschrift des 17. Jahrhunderts (vgl. Trauden 2000, S. 59 – 63), erg$nzt eine gereimte Sprecherangabe (alle Zitate nach DdW, S. 132). 533 Die von der $lteren Forschung vertretene These, dass sich bestimmte Auspr$gungen der bildenden Kunst von der dramatischen Praxis des Sp$tmittelalters ableiten ließen, wird heute allgemein vor dem Hintergrund eines den Darstellungsmedien gemeinsamen Diskurses relativiert. Vgl. aus j#ngerer Zeit etwa Thali 2005, S. 566 f. Vgl. die Diskussion zusammenfassend auch Sladeczek 1993, S. 364 – 369. Sladeczek pl$diert dabei f#r eine st$rkere Ber#cksichtigung der materiellen Vorgaben des jeweiligen ikonographischen Mediums. Die oben angestellte Beobachtung ikonographischer Parallelen bezieht sich auf die Wirkung einer spezifischen Bildformel und behauptet keine Identit$t oder Austauschbarkeit

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III. Endzeit

F#r die Spielhandlung bedeutet dies also, dass sie sich, wie die bildlichen Darstellungen, auf der Ebene einer externalisierten Meditation verorten ließe. Die Weltgerichtsspiele des einfachen Typs realisieren sinnlich die Imaginationen des b#ßenden Hieronymus, die zu den Imaginationen des b#ßenden Publikums werden sollen. Das J#ngste Gericht wird als meditiertes und zu meditierendes Geschehen gegenw$rtig. Auch vor dem Hintergrund anderer zeitgençssischer Bildkonventionen w$re dies nicht ungewçhnlich. So ist es ein kunstgeschichtlicher Deutungstopos, dass etwa bei Stifterbildern die Darstellung von imaginierenden Akteuren (Stifterfiguren) mit der Darstellung von inneren Bildern oder Visionen (z. B. einer Szene aus der Passion) kombiniert wird.534 Zugespitzt l$sst sich f#r die Weltgerichtsspiele des einfachen Typs also eine Verschachtelungspointe anbringen: Die Haupthandlung der Weltgerichtsspiele erscheint als ,Spiel im Spiel‘, n$mlich als das Spiel, das sich auf der inneren B#hne des Hieronymus ereignet. Gegen eine zu starke Pointierung der k#nstlerischen Form spricht jedoch, dass sie erst unter der Lupe eines modernen Theoriebewusstseins wirklich z#ndet. Sie setzt ein Rezeptionsverhalten voraus, das darauf konditioniert ist, systematisch zwischen #ber- und untergeordneten Sequenzen zu unterscheiden, weil ein selbstreferentielles Spiel mit verschachtelten Ebenen nur so einen Effekt erzielen kann.535 Es geht den Weltgerichtsspielen des einfachen Typs vermutlich weniger um selbstreferentielle Formeffekte als um die Einordnung der Spielhandlung in ein Rezeptionsdispositiv, das die Figur des Hieronymus vervon Bildmedium und Schauspiel. Sie behauptet jedoch, dass die Bildformel als Interpretament des Schauspiels herangezogen werden kann und dass sich daraus ein Erkenntnisgewinn ergibt. 534 Auch wenn sich dieser Deutungstopos, wie Johanna Scheel j#ngst gezeigt hat, durchaus kontrovers diskutieren l$sst (vgl. Scheel 2014, S. 77 – 117). 535 Vgl. Pfister 2001, S. 294 – 306. Pfisters Kategorien sind am modernen Drama entwickelt und kçnnen daher nur modifiziert #bernommen werden. Auf die Weltgerichtsspiele des einfachen Typs tr$fe dann am ehesten der Fall einer szenischplurimedial pr$sentierten Traumeinlage zu: „Tr$ume im Drama stellen Handlungs- oder Geschehenssequenzen dar, die von den fiktiven Figuren imaginiert werden“, wobei „die B#hne […] zum Innenraum des Bewußtseins der tr$umenden Figur“ werden kann (Pfister 2001, S. 295). Eine historisch vergleichbare Darstellungsform im Schauspiel findet sich etwa in Hans von R#tes ,Osterspil‘ (1552), das auf mehreren Visionen aus der Johannes-Apokalypse beruht. Sowohl der Vision$r als auch die vor dessen inneren Augen empfangenen Visionen werden dabei theatral inszeniert (vgl. diese Arbeit, Kap. III.3.2). Die Hieronymus-Figur funktioniert der hier aufgestellten These zufolge in $hnlicher Weise, sie schaltet sich jedoch anders als die Johannes-Figur bei R#te nicht erneut in den Spielverlauf ein.

1. Der meditierende Hieronymus in Weltgerichtsspielen

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kçrpert. Anders als das ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘, das seine #ber- und untergeordneten Sequenzen durch den Dialog von Kaufmann und Theologe vergleichsweise stark markiert, bleibt der Rahmungseffekt in den Weltgerichtsspielen des einfachen Typs auch deswegen eher schwach, weil der Rahmen zwar geçffnet, aber nicht wieder geschlossen wird – Hieronymus schaltet sich nicht erneut ein. Wichtig ist die Rahmung dennoch, weil sie einen starken Appell an das Rezeptionsverhalten des Publikums enth$lt und damit erf#llt die Figur des Hieronymus am Ende des Propheten- und Kirchenlehrervorspiels eine zentrale metadramatische Funktion. Wenn es zutrifft, dass die Hieronymus-Figur in den Weltgerichtsspielen des ,einfachen Typs‘ die Gerichtshandlung als meditiertes und zu meditierendes Geschehen markiert, wenn sich die Gerichtshandlung also in Anlehnung an Pfister als szenisch-plurimedial pr$sentierte Imaginationseinlage verstehen l$sst, so stçßt dieser Effekt in den drei bekannten Spielen des ,erweiterten Typs‘ teilweise an seine Grenze. Diese verf#gen #ber unterschiedlich umfangreiche Apparate von Precursorenreden, die die einzelnen Handlungsabschnitte voneinander trennen und so verhindern kçnnen, dass die Gerichtshandlung in direkter Weise auf die Imaginationen des Hieronymus bezogen wird. Im ,Luzerner Weltgerichtsspiel I‘ ist das sive comedam-Zitat noch direkt mit der Gerichtshandlung verbunden.536 Neu ist hier, dass der Proclamator, der nun vor die Propheten- und Kirchenlehrerreihe geschaltet ist, ausdr#cklich die Intention des Spiels benennt – es soll dazu anzuregen, das J#ngste Gericht zu ,betrachten‘ und zu ,bedencken‘. Wie Gott im J#ngsten Gericht seiner Gerechtigkeit gem$ß urteilen wird, Das sol ein jedes mensch betrachtten Vnd gottes gebott nit verachtten Er sol got stetz vor ougen haben Vff das gott nit werd von jm clagen Das zuo bedencken so ist dis spil erdacht (DdW: L1, V. 23 – 27).537

536 Eine Regieanweisung weist jedoch darauf hin, dass die himmlischen Figuren vor dem real erklingenden Hornsignal die Sitzordnung zum J#ngsten Gerichts einnehmen sollen: „Jetzund sol der saluator kumen vnd zu gericht j Sitzen vff den regenbogen jm dar zuo bereitt [ ] j Item jetzund so die kçr all geseßen sind j zuo hand Blassen die engell vff mit den j Her hçrnern ernstlich vnd grusamlich vnd spricht j [ ] Der Erst Engell gegen orient“ (DdW: L1, V. 272a–f ). 537 Dies wird in der „Conclußio“ des Spiels erneut hervorgehoben: „Darumb so mercken vff / vnd hand guot acht j Worumb diß spil jst worden gemacht j Darumb

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Hier korreliert also die metadramatische Funktionsbestimmung mit dem impliziten Appell, der von der Hieronymus-Figur ausgeht.538 Sowohl das ,M#nchner‘ als auch das ,Churer Weltgerichtsspiel‘ trennen die Prophetenreihe und die Gerichtshandlung hingegen durch eine Precursorenrede. Dies ist nicht zuletzt die Folge eines st$rker artikulierten Bewusstseins von Theatralit$t als Darstellungsmodus sui generis. 539 In den Prelocutorenreden des in der Osterzeit 1517 aufgef#hrten ,Churer Weltgerichtsspiels‘ etwa finden sich die fr#hesten Belege f#r die explizite Gliederung eines deutschsprachigen Schauspiels in Akte.540 Nach dem Auftritt des Hieronymus erklingen nicht unmittelbar die Engelsposaunen bzw. Hçrner, sondern der Prelocutor wendet sich an das Publikum: „N#n schwig vnnd los jetz yeder man, j Yetz facht der ander actus an“ (ChWg, V. 200 f.). Damit erh$lt die Gerichtshandlung die neue Rezeptionsvorgabe, dezidiert auch als Formteil eines Schauspiels verstanden zu werden. Dass dies einem meditativen Rezeptionsmodell nicht widerspricht, geht jedoch bereits aus der ersten Prelocutorenrede des ,Churer Weltgerichtsspiels‘ hervor, die die $ußeren Bilder des Schauspiels nachdr#cklich auf die inneren Bilder des Publikums bezieht: Vnns spricht der lerer Augustin: Wer wil vermiden ewig pin Vnnd bringennz sel jns ewig rich, Der bild das iungste gricht in sich (ChWg, V. 5 – 8).

Darauf hat auch Hildegard Elisabeth Keller hingewiesen: „Das ,in sich bilden‘, in dem die Kernintention des Spiels begrifflich gefaßt ist, reflektiert die […] Wirkungs$sthetik im Sp$tmittelalter. Das Spiel will eine Heilsbedingung so vor das $ußere Auge f#hren, daß das Bildprogramm innerlich wirksam werden kann.“541 Genau diese Wirkung ist jedoch auf eine entsprechend Rezeptionspraxis angewiesen; die Bilder d#rfen nicht

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das gedencken sol ein jeder crist j Das vrteil gottes zuo aller frist“ (DdW: L1, V. 2747 – 2750). Wie Johanna Thali j#ngst gezeigt hat, bricht das ,Luzerner Weltgerichtsspiel II‘, das 1549 auf dem Weinmarkt aufgef#hrt wurde, mit der sp$tmittelalterlichen Tradition und wird deutlich st$rker als konfessionspolitisches Medium funktionalisiert (vgl. Thali 2015). Bislang ist das Spiel schlecht zug$nglich, eine Edition ist jedoch nun im Rahmen des Dissertationsprojektes von Hanna Witteveen (Freiburg i. Br.) in Vorbereitung. Zu den Theatralit$tssignalen der Spiele des ,erweiterten Typs‘ vgl. Schulze 2007, S. 246 – 248; Schulze 2011, S. 478. Vgl. Schulze 1993, S. 18; Schulze 2007, S. 246. Keller 2004, S. 62.

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passiv vor den $ußeren Augen stehen bleiben, sondern m#ssen durch eine aktive meditative Anstrengung im inneren Bildraum des Ged$chtnisses animiert werden. Dies sind, so Thomas Lentes, „die Leitmarken der sp$tmittelalterlichen Betrachtung […]: Das Ged$chtnis des Menschen wird als innerer Bildraum verstanden, der mit den Bildern […] der Heilsgeschichte angef#llt werden soll.“542 Mit Blick auf das Rezeptionsmodell des ,in sich bildens‘ und mit Blick auf die theatrale Semantik in den Prelocutorenreden kann man davon sprechen, dass mit dem ,Churer Weltgerichtsspiel‘ eine fr#he Form meditativen Theaters vorliegt. F#r das ,M#nchner Weltgerichtsspiel‘, das dritte Beispiel des erweiterten Typs, lassen sich Argumente f#r eine solche These nicht nur aus den Selbstaussagen des Spiels, sondern auch aus seinem unmittelbaren Entstehungskontext gewinnen. Denn es wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit im Jahr 1510 gemeinsam mit dem ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ auf dem M#nchner Marktplatz aufgef#hrt,543 d. h. gemeinsam mit einem Spiel, das sich selbst nachdr#cklich als theatrale Meditationslehre profiliert.544 Auch wenn die Forschung auf den Umstand einer gemeinsamen Auff#hrung oft hingewiesen hat, wurden beide Spiele bislang vorwiegend isoliert voneinander untersucht. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass sie eine konzeptuelle Einheit bilden. Daf#r sprechen nicht nur die analog formulierten Titel in der (berlieferung und der sich in seiner Abfolge erg$nzende eschatologische Stoff, sondern auch eine $hnliche dramatische Faktur, die immer wieder von der Handlungs- auf die Metaebene wechselt.545 Vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Auff#hrung, so die These, lassen sich die metadramatischen Aussagen und Rezeptionsanweisungen des ,M#nchner Eigengerichtsspiels‘ auch f#r das ,M#nchner Weltgerichtsspiel‘ in An542 Lentes 2002, S. 180. 543 Vgl. die edierten Belege bei Neumann 1987, S. 598 f. [= Nr. 2313 – 2315]; Schattenhofer 1972, S. 404, Anm. 712. Demnach lassen sich die Auff#hrungen in die Woche nach Fronleichnam 1510, d. h. in die Woche nach dem 30. Mai datieren. Dazu Linke 2002, S. 133 f. Linke hat die durch Rosenfeld 1987, Sp. 754 vorgenommene Festlegung eines genauen Auff#hrungsdatums zu Recht relativiert: „Ob sie nacheinander an ein- und demselben Tag aufgef#hrt wurden, wie Rosenfeld will […], oder an zwei verschiedenen, unmittelbar oder in kurzem Abstand aufeinander folgenden Tagen, l$ßt sich nicht entscheiden“ (Linke 2002, S. 134). Daf#r, dass das ,Eigengerichtsspiel‘ vor dem ,Weltgerichtsspiel‘ aufgef#hrt wurde, spricht dabei die Chronologie der dargestellten Ereignisse. 544 Vgl. diese Arbeit, Kap. II.4.1. 545 Zu den Titeln vgl. Linke 2002, S. 133. Beide Spiele werden durch eine Vielzahl von Precursorenreden gegliedert.

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III. Endzeit

spruch nehmen. Der meditierende Kaufmann verkçrpert gewissermaßen das Idealpublikum f#r beide Spiele. Einen Hinweis darauf, dass ein Transfer des Rezeptionsmodells vom ,Eigengerichtsspiel‘ ins ,Weltgerichtsspiel‘ intendiert war, gibt eine Szene, die zum Sondergut des ,M#nchner Weltgerichtsspiels‘ gehçrt, sich also in keinem anderen Spiel nachweisen l$sst. Es handelt sich um die Klage sieben auferstandener Seelen nach den Weckrufen der Engel.546 Die letzte der sieben Seelen gibt sich als reicher Herr zu erkennen und hebt ihr Vers$umnis hervor, sich in der Welt nicht der Selbsterkenntnis evozierenden Todes- und Hçllenmeditation gewidmet zu haben: Auf erd thet man mich ain grossen herren nennen, darumb wollt ich mich selbs nye erkennen Und hab nye recht betracht mein todt oder die grossen angst und not, Die ich mues leiden umb die s#nde mein in unaussprechlicher hellischer pein (M#Wg, V. 425 – 430).

Die Figur $hnelt damit deutlich dem J#ngling, der im ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ auftritt und dem das gleiche Vers$umnis zum Verh$ngnis wird.547 Geht man davon aus, dass beide Spiele in einer gemeinsamen Unternehmung geplant und aufgef#hrt wurden, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass diese Figurenkorrespondenz gezielt eingesetzt wurde, um an das Modell des ,Eigengerichtsspiels‘ zu erinnern. Neben einem mçglichen Transfer des Rezeptionsmodells korrespondieren zudem einzelne Paratexte und Motivkreise miteinander. So stellt der letzte Precursor des ,M#nchner Eigengerichtsspiels‘ in seiner Gebetsbitte bereits einen motivischen Anschluss zum ,Weltgerichtsspiel‘ her: darumb bitt got umb ain s$lig enndt, Das wir am jungsten tag mit freyden von den verdampten werden gescheyden Unnd erlanngen zuo der selbten stund den segen auss gçttlichem mund! (MS, V. 1842 – 1846.)

546 Vgl. die Tabelle bei Trauden 2000, S. 140. 547 Im ,Eigengerichtsspiel‘ wendet sich der Tod anschließend mit einer Mahnung zur Betrachtung des Todes an das Publikum, an die auch die Formulierungen der siebenten Seele aus dem ,Weltgerichtsspiel‘ anklingen: „o mensch, gedennck deiner anngst unnd not, j Die du wirst haben in dem sterben dein! […] die pein, so den menschen umb die s#nd wirt geben, j Die ist ewig unnd hat nymermer kein endt. j was hillft ain mensch, das er alle ding erkenndt j Unnd sich selber wil erkennen nicht“ (MS, V. 514 f.; 534 – 537).

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Diese Alternative wird dann vom ,M#nchner Weltgerichtsspiel‘ ausagiert. Die Spiele stehen zugleich f#r sich erg$nzende eschatologische Zeitkonzepte. Das ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ betont die Gefahr des individuellen Todes in der Zeit der Gnade, aber damit zugleich die Mçglichkeit der Umkehr, das ,M#nchner Weltgerichtsspiel‘ betont die Gefahr, die von der Zeit der Gerechtigkeit ausgeht, in der keine Umkehr mehr mçglich ist. Daf#r steht nicht zuletzt die unterschiedliche Funktionalisierung der Marienfigur. W$hrend Maria im ,Eigengerichtsspiel‘ erfolgreich als F#rsprecherin des Menschengeschlechts eintritt, wird ihre aufwendig inszenierte Interzession im ,Weltgerichtsspiel‘ von Christus zur#ckgewiesen.548 Gerade vor einem gemeinsamen Rezeptionshintergrund treten diese Differenzen besonders wirksam hervor. Die Tendenz des ,Churer‘ und ,M#nchner Weltgerichtsspiels‘, die Gerichtshandlung von den Meditationen des Hieronymus abzulçsen und auf eine als theatral markierte Ebene zu transferieren, l$sst sich auch in einem Spiel beobachten, das vermutlich aufgrund seiner hybriden gattungsgeschichtlichen Position von der Forschung bislang eher stiefm#tterlich behandelt worden ist. Hans Sachs’ ,Tragedia des j#ngsten Gerichtes‘ (1558) schließt jedoch in vielen Punkten an die vorreformatorischen Weltgerichtsspiele des erweiterten Typs an und ist ein aufschlussreiches Beispiel f#r die Transformation sp$tmittelalterlicher Frçmmigkeitsmedien in einem lutherischen Milieu.549 Wie f#r Hans Sachs typisch, sind die 548 Dies trifft auf alle Weltgerichtsspiele zu, ist jedoch sowohl im ,M#nchner Weltgerichtsspiel‘ als auch im sp$teren ,Luzerner Weltgerichtsspiel I‘ zus$tzlich durch den von den Verdammten Seelen vorgetragenen Gesang des ,Salve regina‘ bzw. durch den Einsatz einer ,Salve Regina‘-Glossierung zugespitzt, die zu einer st$rkeren Profilierung der dann entt$uschten Erlçsungshoffnung f#hrt (vgl. dazu Schulze 1994a). Im Kontext der Doppelauff#hrung von 1510 in M#nchen kontrastiert die gescheiterte Interzession im ,Weltgerichtsspiel‘ wirkungsvoll mit dem Vorspiel des ,Eigengerichtsspiels‘, in dem Maria als Mutter Barmherzigkeit auftritt und allen S#ndern ihre F#rsprache zusichert (vgl. MS, V. 227 – 244). Diese Option wird jedoch zuvor deutlich auf die Zeit der Gnade, d. h. auf die Zeit vor dem Weltgericht limitiert. So wendet sich Christus an Maria: „hyemit ich dir allen gwallt hin geb j Iber all s#nnder: hye im zeyt der gnaden“ (MS, V. 222 f.). 549 Seit dem 19. Jahrhundert gibt es die These, dass Sachs das verlorengegangene Freiberger Weltgerichtsspiel von 1516 bearbeitet haben kçnnte, denn sein Rollenverzeichnis stimmt weitgehend mit dem #berein, das Andreas Mçller im zweiten Teil seiner Freiberger Theatergeschichte (,Theatri Freibergensis chronici pars posterior‘ [1653]), f#r das Freiberger Spiel referiert. Schon Reuschel war jedoch skeptisch und $ußerte die Vermutung, Mçller kçnnte seinerseits das Personenverzeichnis von Sachs benutzt haben (vgl. Reuschel 1906, S. 151 – 154; vgl. auch Klein 1988, S. 115 f.).

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III. Endzeit

Theatralit$tssignale stark ausgepr$gt und der Ehrnhold kl$rt das Publikum vor Beginn des Spiels ausdr#cklich #ber dessen Form- und Gliederungsprinzipien auf.550 Anders als in den sp$tmittelalterlichen Weltgerichtsspielen hat die Figur des Hieronymus bei Hans Sachs keinen eigenen Auftritt mehr. Als Referenzpunkt meditativer Praxis wird sie dennoch herangezogen, wenn der Priester im ersten Actus das Publikum dazu auffordert, sich habituell an Hieronymus zu schulen. Der in den Weltgerichtsspielen des ,einfachen Typs‘ implizit bleibende Appellcharakter der Figur kommt somit ganz deutlich zum Ausdruck: Thut wie sanctus Jeronimus! Der sagt: Was ich auff erden mach, Ich eß, ich trinck, schlaff oder wach, So dunckt mich st$ts, wie ich hçr grim Der posaunen erschrçcklich stim Vor mein ohren, welliche spricht: Steh auff, ir todten! kombt f#r ghricht (TJG, S. 405, V. 27 – 33).

Das sive comedam-Zitat, das auch der Priester bringt, ist hier mit der Handlungsaufforderung verbunden, Hieronymus in seiner permanenten Betrachtung des J#ngsten Gerichtes nachzuahmen. Wenn Sachs sich in dieser Weise auf den Heiligen bezieht, gibt dies vielleicht einen Hinweis darauf, dass die ausgepr$gte sp$tmittelalterliche Hieronymus-Tradition in N#rnberg auch nach der Reformation weiterhin anschlussf$hig blieb. !hnlich wie das sive comedam-Zitat verweist auch das Zitat von Sir 7,40, mit dem der Priester seinen Appell unterstreicht, auf die meditative Praxis: Es spricht Ecclesiastes fein: Wer dise letzte ding bedecht, Kein s#ndt er nimmer mehr verbrecht. Denn mçcht ir vor dem richter bsten Und mit den außerwelten gehn (TJG, S. 405, V. 37 – 41).551

Das Gegenmodell zu Hieronymus bildet bei Sachs ein weltverfallener J#ngling, der im zweiten Actus gerade nicht die Letzten Dinge bedenkt, sondern „nichts helt auff den j#ngsten tag“ (TJG, S. 406, V. 9). Er f#hrt das Gegenteil eines meditativen Habitus vor, wenn er sich offen dazu bekennt, 550 „Nun, das man klerer m#g versthan, j Das spiel wir außgeteilet han j In sieben theil hie an dieser stadt, j Da ieder theil sein vorredt hat“ (TJG, S. 401, V. 20 – 23). Zu den Gattungssignalen in den Dramen von Hans Sachs vgl. Klein 1988, S. 112 f. 551 Sir 7,40 blieb dabei nicht nur f#r Handwerker, sondern auch f#r lutherische Theologen des 16. Jahrhunderts ein locus classicus in der Betrachtung der Letzten Dinge. Vgl. dazu etwa die Ausf#hrungen zu Andreas Musculus in dieser Arbeit, S. 198.

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„ein epicurisch leben“ (TJG, S. 407, V. 25) f#hren zu wollen, in dem er r#cksichtslos allen sinnlichen Freuden und Gen#ssen nachgehen kann. Folgerichtig wird er vom Tod #berfallen und kann nur mit $ußerster Not und durch die Hilfe eines Priesters, der ihm zum Glauben verhilft, den Teufeln entgehen.552 Die Dichotomie von meditativem und epikureischem Habitus strukturiert als Dichotomie von Gottes- und Teufelskindern bei Andreas Musculus und in Philipp Agricolas ,Comedia von dem letzten Tage‘ (1573) den ganzen Diskurs #ber die Betrachtung der Letzten Dinge und wird weiter unten ausf#hrlicher thematisiert. Wichtig ist zun$chst, dass auch Hans Sachs der Endzeit- und Gerichtshandlung seiner ,Tragedia‘ zwei umfangreiche Actus vorschaltet, die sich vor allem damit besch$ftigen, wie sich das Publikum in geistlicher (bung auf das J#ngste Gericht vorbereiten soll – daf#r steht der meditierende Hieronymus – und welcher Gefahr es sich aussetzt, wenn es sich einer solchen (bung verweigert – daf#r steht der epikureische J#ngling. Die meisten Weltgerichtsspiele in sp$tmittelalterlicher Tradition adressieren ein allgemeines st$dtisches Publikum und f#hren vor, was „ein jedes mensch betrachtten“ (DdW: L1, V. 23) soll. Es liegt daher in der Verantwortung jedes einzelnen Zuschauers, die Inszenierungen mit einer Andachtspraxis zu beantworten, die dem eigenen Stand und der eigenen Lebenssituation angepasst ist. Dieser Vorgang entzieht sich normalerweise dem Beobachtungsbereich einer historischen Untersuchung. Einige Texte in der Tradition des endzeitlichen Theaters adressieren jedoch eine engere Publikumsschicht und erlauben R#ckschl#sse darauf, wie solche Anpassungsprozesse ausgesehen haben kçnnten.

2. Ulrich Tenglers ,Laienspiegel‘ (1511) und das innere Theater des Rechts Im Jahr 1511 druckte Johann Otmar f#r den Buchf#hrer Johannes Rynmann in Augsburg eine Neuausgabe von Ulrich Tenglers popul$rem Rechtsbuch ,Der Layenspiegel‘ (1509) unter dem Titel ,Der ne# Layenspiegel‘.553 Diese Fassung wurde mit einer Reihe von Erweiterungen versehen, unter denen sich auch ein dramatisierter Text befindet – es handelt sich um die Bearbeitung eines Weltgerichtsspiels, das dem ,M#nchner Weltgerichtsspiel‘ von 1510 sehr nahe steht. Was hat Tengler dazu ver552 Vgl. TJG, S. 408 – 415. 553 Zur Druckgeschichte des ,Laienspiegels‘ vgl. K#nast 2011.

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III. Endzeit

anlasst, seinem ,Laienspiegel‘ einen derartigen Text hinzuzuf#gen? Ursula Schulze hat dieser bemerkenswerten Rezeption zwei eingehende Untersuchungen gewidmet und den Text j#ngst zusammen mit dem ,M#nchner Weltgerichtsspiel‘ ediert.554 Im Folgenden sei daher zun$chst umrissen, wie sich die wichtigsten ihrer Ergebnisse zum Beobachtungsinteresse dieser Arbeit verhalten. Tenglers Weltgerichtsspiel findet sich am Ende des dritten Teils des ,Laienspiegels‘, der sich mit „peynlichen sachen“,555 d. h. mit den Verfahren des Strafprozesses und der Blutgerichtsbarkeit, also auch mit Kçrperstrafen, Folter und Todesurteilen befasst.556 Es kn#pft, wie Tengler schreibt, an die Gewohnheit an, dass man in vielen Gerichtsr$umen „die figurn des jungsten gerichts tuot f#rpilden“ (UT, S. 124). Ziel solcher „figurn“ sei es, dass jede in die Prozessf#hrung involvierte Person „allein die gerechtikeit, so am jungsten tag gebraucht und erscheinen wirt, vor augen haben und betrachten sol, wie er am jungsten tag volkommen rechnung und antwurt geben muß“ (UT, S. 124). Tengler verweist bereits hier auf jene N$he von ,figur‘ und ,betrachtung‘, von bildlicher Form und Meditation, auf die Glenn Ehrstine unter anderem in Bezug auf das ,Luzerner Weltgerichtsspiel‘ von 1549 hingewiesen hat.557 Darauf wird weiter unten zur#ckzukommen sein. Das Spiel jedenfalls ist laut Tengler als Komplement zu den bildlichen figurae anzusehen.558 Dabei folgt er der Vorstellung, dass die Prozessf#hrung der peinlichen Gerichtsbarkeit auch selbst insofern figurativ ist, als sie allegorisch auf das J#ngste Gericht vorausweist, es „prefiguriert und bedeut“ (UT, S. 124). Seine Bearbeitung des Weltgerichtsspiels ist von dieser Grundannahme gepr$gt. Ursula Schulze hat nachgewiesen, dass Tengler die dramatisierte Darstellung des J#ngsten Gerichts und die Abl$ufe von Strafprozessen systematisch miteinander parallelisiert – teils auch gegen die Eigenlogik des 554 Vgl. Schulze 1994; Schulze 2011; UT. Vgl. auch die allgemein informierende Darstellung bei Trauden 2000, S. 75 – 86. 555 Tengler 1511, Bl. 182r. 556 Zu Aufbau, Inhalt und Quellen des Laienspiegels vgl. zusammenfassend Deutsch 2011, S. 21 – 31. 557 Vgl. Ehrstine 2001, S. 425 – 427. Zum Verh$ltnis des Luzerner Weltgerichtsspiels von 1549 zu den Weltgerichtsdarstellungen in der Hauskapelle des Ratsherrn Jost Pfyffer vgl. Thali 2004, S. 180 – 193. 558 Vgl. dazu Schulze 1994, S. 254 – 256; Schulze 2011, S. 480 f. Vgl. auch den umfassenden Katalog von Weltgerichtsbildern in Rath$usern und Gerichtsst$tten in dem ansonsten ideologisch korrumpierten Beitrag von Troescher 1939, S. 157 – 205.

2. Ulrich Tenglers ,Laienspiegel‘ (1511) und das innere Theater des Rechts

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heilsgeschichtlichen Ereignisses. So finden sich in den eingeschalteten Prosapassagen Bez#ge auf den ,entlichen Gerichtstag‘, d. h. auf das abschließende und çffentliche Ritual des Strafprozesses, in dem das Urteil verk#ndet und #blicherweise auch vollstreckt wird. Tengler setzt die Rufe der Engel an Lebende und Tote mit der Ladung der (belt$ter vor das Gericht in Analogie. Das Urteil Gottes wird, anders als in der biblischen Vorlage und anders als in allen anderen Weltgerichtsspielen, erst nach einer Verhandlung, d. h. nach dem Auftritt von Kl$gern und Beschuldigten ausgesprochen. Das Personal wird um Figuren aus dem Bereich der geistlichen und weltlichen Obrigkeit erweitert und so dem Benutzerspektrum des ,Laienspiegels‘ angepasst; zus$tzlich werden Vorw#rfe, die Verstçße gegen das Richteramt betreffen, hinzugef#gt. Tengler stellt Analogien zur gerichtlichen Zeugenvernehmung her, indem er gute und bçse Engel auftreten und Zeugenbeweise f#hren l$sst. Die Beratung des Richters ist durch ein Streitgespr$ch von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit repr$sentiert. Marias Gnadengesuch ist, anders als in anderen Weltgerichtsspielen, vor der Urteilsverk#ndung eingef#gt. Vor der eigentlichen Urteilsszene finden sich noch einmal explizite Rekurse auf die Rechtspraxis; schließlich treten die Apostel, Maria und Johannes der T$ufer in die Funktion der Mitrichter, die Teufel in die der Nachrichter. Petrus verk#ndet im Namen der Apostel die Urteilsbest$tigung.559 F#r die vorliegende Untersuchung ist es entscheidend, dass Tengler seine Spielbearbeitung vor dem Hintergrund dieser Prozessanalogien ausdr#cklich als Imaginationsmedium kennzeichnet. So begr#ndet er im letzten Prosaabschnitt, dass „des jungsten gerichts einbildungen nutzlich sein“ (UT, S. 166). Die Richtenden n$mlich setzen sich der eminenten Gefahr aus, gegen die gçttliche Erkenntnis von Recht und Unrecht zu urteilen, darumb sol ein yeder richter das aller grausamtlichst gericht gottes wol bedencken und vor augen haben, das ob im ist der gerecht tzornig richter, auch under im die offenbar hellisch peen, aber in im die nagend conscientz und gewissen, ausserhalb sein die klagent welt, an der gerechten seiten die schreiend missehandlungen unnd tzu der lincken seiten die groß antzal pçser und erschreckenlicher teufel, die vom gerechten und tzornigen richter der urteil umb des sunders ubelthat warten (UT, S. 166).

„Die Imagination des J#ngsten Gerichts“, so fasst Schulze zusammen, „soll also dazu dienen, die Reflexion der Richtenden #ber ihr Handeln sub specie aeternitatis zu aktivieren; denn mit einem gerechten oder unge559 Vgl. zu den hier aufgef#hrten Punkten Schulze 1994, S. 264 – 279.

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rechten Urteil richtet der Richter auch immer sich selbst.“560 Wie der ,Laienspiegel‘ insgesamt, so tr$gt damit auch das Weltgerichtsspiel zur „Mentalit$tsbildung von Richtern und Schçffen“561 bei. Diese Deutungen kçnnen hier aufgenommen und weiterentwickelt werden. Tenglers Rede von den „einbildungen“ des J#ngsten Gerichts ist dabei in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Sie schließt die Klammer zum „fuorpilden“ der figurae im ersten Abschnitt und zielt damit auf einen Vorgang, den Johann Anselm Steiger in anderem Kontext als „doppelten Prozeß der Imagination“ beschrieben hat, der sowohl „das $ußerliche VorAugen-Stellen als auch die hiermit korrelierende Einbildung ins Herz“562 umfasst. Sie unterstreicht, dass Tengler sein Spiel wie die bildlichen Darstellungen in Gerichtsr$umen als Medium der Betrachtung auffasst. Es soll, wie es bereits im ersten Abschnitt heißt, dazu beitragen, dass ein yeder verwalter, richter, urteiler, regent, ratgeb und die besunder in peinlichen sachen uber des menschen leib und leben auch sunst umb eern und gut urteiln, raten und richten, sollen tzu tzeiten erspiegeln und dess ee den weg der waren gerichtikeit suchen und alle tzeit betrachten, wie swerlich all sachen vor dem allmechtigen got am jungsten tag mussen verantwurt und gericht werden (UT, S. 124).

Steiger hat dem Vorgang des Sich-Einbildens eine „theatralische Qualit$t“563 zugeschrieben und so liegt es nahe, gerade im theatralischen VorAugen-Stellen des J#ngsten Gerichts bei Tengler eine Methode zu sehen, die dem Sich-Einbilden in besonderer Weise zuspielt. Fasst man Tenglers Weltgerichtsspiel als theatralisiertes Betrachtungsmedium auf und legt man ein bewusst offenes Konzept von Theatralit$t zugrunde, so ergibt sich eine zus$tzliche Perspektive. Die rechtsgeschichtliche Forschung schreibt insbesondere demjenigen Ritual des fr#hneuzeitlichen Strafprozesses theatrale Eigenschaften zu, das Tengler mit dem Weltgericht in Analogie setzt: dem ,entlichen Gerichtstag‘.564 Wolfgang Schild hat in einem Aufsatz von 1984 560 Schulze 1994, S. 280. 561 Schulze 1994, S. 283. 562 Steiger 2010, S. 106. Steiger untersucht diese charakteristische Doppelfigur des F#rbildens und Einbildens insbesondere bei Luther; vgl. auch Steiger 2002, S. 122 – 126. 563 Steiger 2002, S. 124 mit Bezug auf Luther als Prediger. 564 Auf die zahlreichen Interdependenzen von Theater und Recht in Sp$tmittelalter und Fr#her Neuzeit ist auch aus literaturwissenschaftlicher Perspektive h$ufig hingewiesen worden. Vgl. aus j#ngerer Zeit und am Beispiel des fr#hneuzeitlichen Luzern Greco-Kaufmann 2009, S. 523 – 542; am Beispiel der N#rnberger Fastnachtsspiele Nçcker 2009 (dort auch zahlreiche Literaturhinweise). Einen pr$g-

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das von der $lteren Forschung pejorativ gebrauchte Schlagwort vom ,entlichen Gerichtstag‘ als „Theater des Rechts“565 positiv umgedeutet. Er hat damit ganz im Sinne des sp$ter einsetzenden Forschungsschubs zu Ritualen und Symbolischer Kommunikation argumentiert.566 Schild ging dabei nicht von Tenglers ,Laienspiegel‘, sondern von der ,Constitutio Criminalis Carolina‘ von 1532 aus. Diese enthalte ein echtes Drehbuch f#r die auftretenden Akteure, schreibt ihre Rollen fest und sogar die Worte vor, die diese zu sprechen haben, ja l$ßt sogar anstelle der unge#bten Parteien erfahrene Schauspieler (die F#rsprecher) auftreten. […] So ist der endliche Rechtstag in der Tat ein Theater. Aber auch damit ist zun$chst nichts Besonderes gesagt. Denn die Soziologie […] zeigt uns, daß fast jedes çffentliche Handeln von Menschen den Charakter von Theater hat.567

Als Drehbuch oder Skript f#r den ,entlichen Gerichtstag‘ lassen sich auch Tenglers Ausf#hrungen im dritten Teil des ,Laienspiegels‘ auffassen. Dieser enth$lt detaillierte Regieanweisungen und Rollenformulare f#r das çffentliche Gerichtsritual. Damit lassen sich im dritten Teil des ,Laienspiegels‘ zwei Skripte aufeinander beziehen: Die Anleitungen zur Durchf#hrung des ,entlichen Gerichtstags‘568 als Skript f#r die $ußere Performanz des Rechts und das sich daran anschließende Spiel vom J#ngsten Gericht569 als Skript f#r die imaginative Performanz der Richtenden, die mit dieser $ußeren Performanz zu #berblenden ist. Das $ußere Theater des Rechts und

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nanten Fall, der das Medium des Theaters als Prop$deutikum des Gerichtswesens nutzt, bildet das ,Belial‘-Drama Sebastian Wilds von 1556 (vgl. Jahn 2010, S. 232 f.). Dieses w$re auch vor dem Hintergrund des Teufelsprozesses im zweiten Teil von Tenglers ,Laienspiegel‘ produktiv zu deuten (zum Teufelsprozess im ,Laienspiegel‘ vgl. Schmitz 2011). Schild 1984, S. 119. Vgl. dazu zusammenfassend Stollberg-Rilinger 2004; Stollberg-Rilinger 2013, S. 41. Schild 1984, S. 126. Der Vorwurf der $lteren Forschung lautete, dass es sich beim entlichen Gerichtstag um eine ,bloße Inszenierung‘ handele, da das Urteil vor dem Vollzug des çffentlichen Zeremoniells bereits feststand. Schild hat jedoch gezeigt, dass dieser Vorwurf den wirklichkeitskonstitutiven Charakter dieser Inszenierung verkennt: „Was nicht çffentlich geschah, konnte keine Verbindlichkeit beanspruchen, weil es einfach nicht verbindlich existent geworden war. Das çffentliche Rechtsprechen war nicht erforderlich, damit die kritische Stimme der .ffentlichkeit zufrieden war; sondern es war çffentlich, damit #berhaupt Recht entstehen konnte. Was nicht in dieser Weise çffentlich war, war nicht in der Welt“ (Schild 1984, S. 136 f.). Vgl. Tengler 1511, Bl. 200r–221v. Vgl. Tengler 1511, Bl. 222v–235r.

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III. Endzeit

das innere Theater des Weltgerichts gelangen diesem Modell zufolge parallel zur Auff#hrung. F#r Tengler besteht der strukturelle Vorteil der Textsorte ,Spiel‘ darin,570 dass sie, anders als die erw$hnten Bildmedien, eine spezifische Dramaturgie impliziert. Ein Weltgerichtsbild bietet zwar auch Stimulationsmçglichkeiten f#r die Meditation, aber kein linear verlaufendes Skript.571 Bildmeditationen lassen sich nicht in einer $hnlich kontrollierten Weise mit rituellen Vollz#gen verschalten. Unter diesem Gesichtspunkt ergibt sich eine Erkl$rung f#r das Einf#gen eines dramatisierten Weltgerichtstextes in den ,Laienspiegel‘, die #ber die Annahme eines gegen#ber Bildern erhçhten Wirkungsgrades hinausgeht.572 Es ginge dann weniger um gesteigerte Eindringlichkeit, Plastizit$t und emotionale Wirkung als um die Anpassung eines Betrachtungsmediums an eine spezifische Gebrauchsfunktion. Das Spiel ist nicht das bessere Bild, aber es strukturiert den Rezeptionsprozess in einer Form, die es Tengler erlaubt, die Performanz der Imagination und die Performanz des Rechts parallel zu f#hren. Die folgenden Kapitel sollen diese These erproben. Ein erster Schritt zeigt, dass das Weltgerichtsspiel an einen im ,Laienspiegel‘ immer wieder aufgerufenen Diskurs um das Gewissen der gerichtlichen Akteure angeschlossen ist. Dies ist von Bedeutung, weil das Spiel damit in den Kontext introspektiver Selbsttechniken r#ckt; in den Kontext von Gewissenspr#fung und Gewissensforschung.573 Das Gewissen ist die innere Instanz, die sich von der Meditation #ber das

570 Zum Weltgerichtsspiel als Textsorte vgl. Schulze 2007. 571 In der Nichtlinearit$t liegt in anderen Gebrauchszusammenh$ngen gerade der imaginationspsychologische Vorteil von Meditationsbildern gegen#ber Texten (vgl. dazu Berns 2000a, S. 30 – 39). 572 So verstehe ich die Thesen von Schulze 1994, S. 256: „Die verbale Darstellung [bei Tengler] soll also die bildliche Veranschaulichung erg$nzen, allen am Gerichtsvorgang beteiligten ihre Verantwortung vor Gott bewußt machen und verdeutlichen, daß die irdischen Prozesse ein Nachspiel im Himmel haben. (ber den konzentrierenden Appell der bildenden Kunst hinaus vermag sie die Zukunftsvision eingehender und reflektierend zu entfalten“; und Schulze 2011, S. 487: „In narrativen Passagen mit kommentierenden Bemerkungen wird ein Zukunftsbild imaginiert und in diese ,Erz$hlung‘ werden Figurenreden eingef#gt […]. Diese Stimmen Gottes, seiner Engel, der Kl$ger, Zeugen und Angeklagten geben den imaginierten Vorg$ngen besondere Plastizit$t und eine emotionale Wirkung.“ 573 Zur Gewissensforschung als meditativer Technik vgl. Wodianka 2004, S. 1; Scheel 2014, S. 232 f.

2. Ulrich Tenglers ,Laienspiegel‘ (1511) und das innere Theater des Rechts

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J#ngste Gericht sensibilisieren lassen soll.574 Ein zweiter Schritt geht dem (berlagerungsverh$ltnis von ritueller, $ußerer Performanz und meditativer, innerer Performanz nach und interpretiert dieses vor dem Hintergrund vergleichbarer Ph$nomene aus dem Kontext der sp$tmittelalterlichen Frçmmigkeitskultur. 2.1. Das Gewissen der Richter Das Gewissenskonzept, das im christlichen Mittelalter vor allem im klçsterlichen Bereich entwickelt wird, ist von einer eschatologischen Perspektive bestimmt. Der Zustand des Gewissens entscheidet dar#ber, ob Gott den Menschen im J#ngsten Gericht annimmt oder verdammt. Gem$ß der etymologischen Deutung der conscientia als cordis scientia und als con-scientia ist das Gewissen ein Wissen von sich selbst, das zugleich durch das Mitwissen Gottes #berboten wird.575 W$hrend Gott jederzeit vollst$ndige Einsicht in das ,Buch des Gewissens‘ hat, ist der eigene Zugriff auf das Gewissen prinzipiell eingeschr$nkt. Das Wissen von sich selbst ist als Wissen von den eigenen S#nden jedoch hochgradig heilsrelevant und daher ist das Gewissen auf eine permanente und methodisch geleitete Erforschung angewiesen.576 Dies geschieht in einem eschatologischen Horizont mit dem Ziel, durch Selbsterkenntnis zur Verurteilung der aufgedeckten eigenen S#nden und zu Reue und Buße zu finden, um sich vom Urteil Gottes im J#ngsten Gericht zu entlasten.577 574 Franz Fromholzer hat in exemplarischen Analysen von Agricola bis Schiller vorgef#hrt, wie Gewissensentscheidungen auf dem Theater der Fr#hen Neuzeit inszeniert werden konnten. In Johannes Agricolas ,Tragedia Johannis Huss‘ (1537) kommt dabei das Spannungsverh$ltnis von gerichtlichem Prozess und meditativer Gewissensforschung vielf$ltig zum Tragen (vgl. Fromholzer 2013, S. 33 – 70). Die theatrale Inszenierung dieses Spannungsverh$ltnisses r#ckt die ,Tragedia‘ in eine thematische N$he zum hier untersuchten Material. Hus widerruft seine Lehren nicht, um nicht sein Gewissen zu beschweren: „Denn nicht die Furcht vor der Verbrennung als Ketzer, sondern die innere Vorstellung vom baldigen Gottesgericht hindert Hus am Widerruf“ (ebd., S. 48). Tenglers Weltgerichtsspiel hilft gerichtlichen Akteuren dabei, diese Vorstellung in geistlicher (bung bei sich selbst zu kultivieren. 575 Vgl. die Darstellungen bei Breitenstein 2012, S. 264 – 266; 278 – 286; Breitenstein 2014, S. 39 – 42. 576 Vgl. Breitenstein 2012, S. 281 – 286; Scheel 2014, S. 230 – 232. 577 Die Gewissenserforschung stellt „gleichsam das vorweggenommene Forum des Eschaton dar, in dem der Mensch die Veranwortung f#r sein Leben zu #bernehmen hatte. Der Selbsterkenntnis kam somit eine prop$deutische Funktion zu, insofern

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III. Endzeit

Das ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ von 1510 ist ein gutes Beispiel daf#r, dass solche meditativen Techniken der Gewissenserforschung seit dem Sp$tmittelalter an ein immer breiteres laikales Publikum vermittelt werden.578 In etwa zeitgleich entsteht mit Ulrich Tenglers ,Laienspiegel‘ eine Schrift, die es ermçglicht, die Relevanz der Gewissensforschung f#r ein ganz spezifisches Laienpublikum zu beschreiben. Tengler richtet sich an juristische Laien, die sich durch ihre T$tigkeit im Gerichtswesen einer besonderen eschatologischen Gef$hrdung aussetzen.579 Das Rechtssystem des Mittelalters und der Fr#hen Neuzeit ist seinem Selbstverst$ndnis nach gçttlich begr#ndet und steht zugleich unter eschatologischem Vorbehalt, denn nach Mt 7,2 werden auch die Richter in ihrem Urteil gerichtet: „in quo enim iudicio iudicaveritis iudicabimini“. „Komplement$r zur Herkunft der Gerechtigkeit oder des Rechts“, so formuliert Ursula Schulze, „erscheint deren Vollendung im J#ngsten Gericht.“580 Diese Verschr$nkung von irdischem und himmlischem Gericht ist seit dem ,Sachsenspiegel‘ ein Topos zahlreicher Rechtstexte.581 Das Agieren im gerichtlichen Bereich ist #ber den eschatologischen Horizont des Rechts unmittelbar an das Gewissen der Richter gekoppelt. Urteile sind nie nur Urteile #ber andere, sondern schreiben sich als Urteile #ber sich selbst immer auch in das eigene Gewissen ein, dessen Zustand #ber das Urteil im J#ngsten Gericht entscheidet. In dem bereits zitierten Abschnitt #ber die „einbildungen“ des J#ngsten Gerichts bringt Tengler dies deutlich zum Ausdruck: jeder Richter soll imaginieren, „das ob im ist der gerecht tzornig richter, auch under im die offenbar helisch peen, aber in im die nagend conscientz und gewissen“ (UT, S. 166). Es ist aufschlussreich, der Geschichte dieser Imagination nachzugehen, die in ihrer topologischen Struktur (oben, unten, innen) auch an die meditatio mortis bei Petrus Damiani erinnert.582 Tengler entnahm die Passage dem Kapitel ,De adventu Domini‘ aus der ,Legenda aurea‘ des

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sie das J#ngste Gericht antizipierend probte und – noch wichtiger – dem Menschen die Mçglichkeit erçffnete, sein Leben durch Korrektur seines Gewissensbuches zu $ndern, um vor dem wahren Gericht zu bestehen“ (Breitenstein 2012, S. 282). Vgl. diese Arbeit, Kap. II.4.1.2. Zum Publikum des ,Laienspiegels‘ vgl. Schulze 1994, S. 283 – 286. Schulze 1994, S. 247. Vgl. Schulze 1994, S. 246 f. Vgl. dazu auch den Holzschnitt bei Tengler 1511, Bl. 34r. Vgl. diese Arbeit, S. 37.

2. Ulrich Tenglers ,Laienspiegel‘ (1511) und das innere Theater des Rechts

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Jacobus de Voragine.583 Sie hat jedoch noch eine l$ngere Tradition und findet sich bereits in dem Traktat ,De interiori domu‘ aus dem 12. Jahrhundert.584 Dieser gilt als „eine der fr#hesten Auseinandersetzungen mit der Problematik von Schuld, Gewissen und Selbstverantwortung, die aus dem hohen Mittelalter #berliefert sind.“585 Damit l$sst sich Tenglers Spielbearbeitung in eine Tradition stellen, die auf die Begr#ndung einer methodisch regulierten Gewissensforschung im monastischen Bereich zur#ckverweist. Der ,Laienspiegel‘ macht den Doppelcharakter von Urteil und Selbstverurteilung immer wieder zum Thema und r#ckt dabei die Folgen f#r das Gewissen der Richter in den Blick. Im zweiten Teil fordert das Kapitel „Von richters bedacht vnd radtsuochen“ von Laienrichtern, ihr Urteil durch professionelle Beratung und Gebete an den Heiligen Geist abzusichern, um der Unzuverl$ssigkeit der eigenen Vernunft entgegenzuwirken: darumb ainem yeden richter gep#rt nitz zuo vil in sein aigen vernunft vertrauen / vnd on vnderlaß vmb gnaden vnd einsprechen / gots des hailigen gaists zuopiten / er ist auch schuldig / all sachen mit hçchstem fleiß zuo erkunden / da mitt er sein gewissen / noch die partheyen mit ungerechten vrtaylen in kainen weg beschw$ren.586

Es f$llt auf, dass Tengler das beschwerte Gewissen der Richter hier noch vor dem Nachteil nennt, der f#r die streitenden Parteien aus einem ungerechten Urteil erwachsen kçnnte. Die wohl eindringlichste Mahnung zur Vorsicht, die zugleich auf die Folgen ungerechter Entscheidungen im J#ngsten Gericht hinweist, findet sich jedoch zu Beginn des dritten Teils des ,Laienspiegels‘ in Bezug auf die Blutgerichtsbarkeit: Auch den malefitz richtern / so den pan #ber das bluot zuo richten empfahen / deßgleich den vrtailern / die erwelt vnd verordent werden / vrteil darinn zuo schçpffen vnd mit zuo handeln wol geb#rt / will des gewislicher / vnnd mitt hçchster sorckfaltikait vast f#rsichtigklich / vnnd nach radt #ber des menschen bluot zuo richten vnd vrttailn / geflissen vnd bedacht sein / das dem allm583 Vgl. Schulze 1994, S. 280. Zur Rezeption der ,Legenda aurea‘ in weiteren Weltgerichtsspielen vgl. Schulze 1994, S. 281. 584 Vgl. den Hinweis auf Tenglers N$he zu ,De interiori domu‘ bei Sch$ufele 2011, S. 513, Anm. 78. Zur Rezeption von ,De interiori domu‘ in der Legenda aurea vgl. Jacobus de Voragine 2014, S. 98, Anm. 59. 585 Breitenstein 2012, S. 263. 586 Tengler 1511, Bl. 137v. Abbreviaturen werden hier und im Folgenden aufgelçst. Vgl. zu dieser Stelle, ohne Bezug auf die Gewissensthematik, auch Schulze 1994, S. 285.

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echtigen gott am jungsten gerichtt / Auch im zeitt darumb schwarlich antwurt vnd rechnung zuogeben ist.587

Die rhetorische Emphase, die auf der Formulierung „des gewislicher / vnnd mit hçchster sorckfaltikait vast f#rsichtigklich“ liegt, ergibt sich ganz aus den eschatologischen Konsequenzen, mit denen die an der peinlichen Gerichtsbarkeit beteiligten Akteure zu rechnen haben.588 Wann immer es um Entscheidungen geht, die konkret in Leib und Leben anderer eingreifen, betont Tengler die Gefahr, die f#r die Richtenden darin besteht, ihr Gewissen zu belasten. So heißt es etwa zur Anwendung der Folter: Darinn sol ain yeder richter zuouor mit fleiß ansehen sein aigen gewissen vnd ber$tenlich damit vmbgeen damit die warhait nit betrogen / wann etliche sein solher hertigkait vnnd leidlich / das sy der peen oder marter wenig achten. So sein auch ettlich an jn selbst vnleidlich / waich vnd so zart das sy vil ee liegen weder marter leiden.589

Es sei angemessen f#r einen verst$ndigen Richter, dass er in Sachen Folter nicht voreilig („eylends“) oder ohne ausreichende Hintergrundinformationen („vnerfarn“) vorgehe, vnnd nitzuo pald mitt der schw$rn marter auß vnwissenhait / oder geuarlicher grimigkait anfahen / den vnschuldigen jre glider oder leben abbrechen / sunst mçcht er damit sein gewissen beschw$rn / oder in der obern straff vallen.590

Bei der Urteilsfindung kann das Gewissen der Schçffen („vrtailer“) mitunter auch dazu f#hren, dass der Zeugniswert eines durchaus legitim erfolterten Gest$ndnisses („urgicht“) herabgestuft wird. Wie es im Kapitel „Von ertze#gen der urgicht“ heißt, ist es daher zu vermeiden, Ratsmitglieder, die h$ufig auch das Schçffenkollegium bilden,591 an der Folter zu beteiligen: An mer enden ist ain gebrauch das man etlich erber m$nner des rats zuo peinlicher frag nimpt / solhs mçcht aber mislich / wann wenn die selben sehen hçren vnd wissen / das die vrgicht mit marter anßgetruckt [sic] / das mçcht sy in jrer ze#cknuß auch die vrtailer am gewissen besw$rn vnd nit f#r ain rechtm$sige bekantnus zuo achten.592

587 588 589 590 591 592

Tengler 1511, Bl. 183r. Vgl. dazu auch Sellert 2011, S. 259. Tengler 1511, Bl. 197v. Tengler 1511, Bl. 198v. Vgl. dazu Isenmann 2012, S. 490 – 499. Tengler 1511, Bl. 213v.

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Auch in der Performanz der Urteilsverk#ndung spielt das Gewissen der Richter und Schçffen eine zentrale Rolle. Tengler druckt eine „Forma der endurtailen“ ab, in der zun$chst die gçttliche Gerechtigkeit #ber die gçttliche Barmherzigkeit gestellt wird593 und in der die Richter und Schçffen ihr Urteil nachdr#cklich an das eigene Gewissen binden: So erkenn vnd sprechen wir / vel / ich in krafft der obernhannd Regalien / da mitt dißer herrschafft hochgericht / von alter her loblichen gefreyt ist / nach radt der rechtuersteendigen / vnd vnser / vel / mein selbs aigen gewissen im namen gotes auff vnser / vel / meinen ayd zuo recht […].594

Es ist nicht zu untersch$tzen, dass das „selbst aigen gewissen“ hier in einem çffentlichen, rechtskonstituierenden und mit gçttlicher Dignit$t aufgeladenen Sprechakt die Verantwortung f#r das Urteil auf sich nimmt. Die performative Kraft der Formel wirkt damit zugleich als irdischer Rechtsspruch auf den Angeklagten und in eschatologischer Perspektive auf den Richtenden. Tenglers Weltgerichtsspiel bietet das Skript f#r imaginative (bungen, durch welche sich die gerichtlichen Akteure auf eine mçglichst gerechte Urteilsfindung konditionieren kçnnen, um ihr Gewissen in diesem hochsensiblen Moment zu entlasten.595 2.2. Die imaginative Performanz des Gerichtsrituals Dass die sp$tmittelalterlichen Weltgerichtsspiele einen starken Appell an das Gewissen ihres Publikums enthalten, hat Hildegard Elisabeth Keller am Beispiel des Berner und Churer Weltgerichtsspiels gezeigt. Was f#r die Passionsspiele als ,Schulen des Leidens‘ (Ohly) gelte, ließe sich mutatis 593 Vgl. Tengler 1511, Bl. 215r. 594 Tengler 1511, Bl. 215r. An „zuo recht“ lassen sich die Formeln f#r unterschiedliche Urteile anschließen, z. B. im Fall einer Geldstrafe: „So erkenn vnd sprechen wir / vel / ich […] zuo recht, […] Das .N. vmb sein mißhandlungen / hundert guldin Reynisch inner zehen tagen der herrschafft zuo peen betzalen schuldig sein vnd wo er das in sollicher zeyt nitt th#e / des viertails mer geben soll“ (Tengler 1511, Bl. 215r). 595 Eine vergleichbare These entwickelt Fromholzer an Agricolas ,Tragedia Johannis Huss‘ (1537). Hus tritt hier in die Rolle eines Akteurs, der den irdischen Ketzerprozess imaginativ mit dem Gericht Gottes #berblendet. Dies impliziert einen entsprechenden rezeptions$sthetischen Appell: „Im pinzipiellen Misstrauen gegen#ber der irdischen Gerechtigkeit“ werde „der Zuschauer dazu angeleitet, das Stehen vor dem gçttlichen Gericht zu #ben, vor dem inneren Auge zu meditieren“ (Fromholzer 2013, S. 47).

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mutandis auch auf die Weltgerichtsspiele #bertragen: „Die ,Schulung‘ n$hme sich dann des individuellen Gewissens und der F$higkeit zur Schulderkenntnis an.“596 Unter den Bedingungen einer zur Buße disponierten Rezeptionshaltung werde das „B#hnengeschehen als Ort zur Gewissenspr#fung“597 angenommen. F#r Kellers These, die impliziert, dass das Theater der Weltgerichtsspiele auch ein Theater der Introspektion sei, ist Tenglers Bearbeitung ein guter Beleg. Sie kn#pft im ,Laienspiegel‘ ganz explizit an einen Diskurs #ber das Gewissen der Richter an, das sich inbesondere im Kontext der peinlichen Gerichtsbarkeit einer immensen eschatologischen Gef$hrdung aussetzt. Als meditatives Skript erçffnet sie die Mçglichkeit, den ,entlichen Gerichtstag‘ als çffentlich wirksames Ritual des Strafprozesses mit Imaginationen des J#ngsten Gerichts zu #berlagern und so das Gewissen der Richtenden zu sensibilisieren. Eine solche (berlagerung von ritueller, $ußerer Performanz und meditativer, innerer Performanz ist im Sp$tmittelalter vor allem im Bereich der vita religiosa verbreitet. Nur sind es hier #blicherweise keine juristischen, sondern liturgische Rituale, die mit einem inneren Parallelgeschehen synchronisiert werden sollen. W$hrend liturgische B#cher wie libri ordinarii die Regie f#r die $ußere Performanz des Ritus im Kirchenraum enthalten, stellen Gebets- und Meditationstexte die Regie f#r die innere Performanz der an der Liturgie Teilnehmenden zur Verf#gung.598 Tenglers Regie zur Durchf#hrung des ,entlichen Gerichtstags‘ und die angeh$ngte Bearbeitung eines Weltgerichtsspiels stehen in einem vergleichbaren Verh$ltnis. Wie weit die Parallelen gehen, kann ein Beispiel verdeutlichen. Im Zuge der Reformen der L#neburger Frauenklçster entstand im sp$tmittelalterlichen Norddeutschland ein Gebetbuchtyp, der sich eng auf die Liturgie des Kirchenjahres bezieht und eine detaillierte Regie f#r deren innere Performanz bereitstellt.599 Innerhalb dieser Orationalien erf#llen zahlreiche Andachtsanweisungen die Aufgabe, Zeitpunkte des liturgischen Tagesverlaufs, liturgische Handlungen und die Gebete und Meditationen 596 597 598 599

Keller 2004, S. 52. Keller 2004, S. 67. Vgl. Schmidt 2015a mit weiterer Literatur. Am bedeutendsten f#r die Buchproduktion dieser Reformkultur war das 1479 reformierte Zisterzienserinnenkloster Medingen, aus dessen Skriptorium sich #ber 30 solcher Orationalien erhalten haben. Zur Liturgie und Reform dieses Klosters vgl. Hascher-Burger/L$hnemann 2013; zu den Medinger Gebetb#chern auch den Artikel von Malm 2011; zur Ausstrahlung der Reformkultur in Norddeutschland vgl. Schmidt 2015.

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der am Ritus teilnehmenden Frauen miteinander zu koordinieren.600 Auff$llig ist, dass besonders liturgische Hçhepunkte mithilfe dramatisierter Gebets- und Meditationstexte inszeniert werden. Die Gebetb#cher #berblenden den Ritus an einigen exponierten Stellen mit dialogisierten Imaginationen und modellieren so ein inneres Theater der Liturgie.601 Eine zu imaginierende Szene, die in einem engen Verh$ltnis zum geistlichen Spiel bzw. zur theatral inszenierten Osterfeier steht, findet sich in vielen Osterorationalien im Kontext von Gebeten und Meditationen, die als inneres Parallelgeschehen zur Feier der Elevatio Crucis des Ostermorgens konzipiert sind.602 Es handelt sich um eine Hçllenfahrtsszene, die mit R#ckgriff auf eine niederdeutsche Paraphrase der Antiphon ,Cum rex glorie‘ gestaltet ist. Dieser auch als ,Canticum triumphale‘ bekannte Gesang ist zugleich f#r die Hçllenfahrtsszenen zahlreicher Osterspiele konstitutiv. Eine Andachtsanweisung gibt den Hinweis auf den liturgischen Zeitpunkt, an dem die Meditationen und Gebete einsetzen sollen: An der vterweleden Oster-Nacht, wan me metten lut an der honnichuletender [sic] stunde der vnbegripelken vpstandinghe vses heylandes, wan me to deme graue gheyt. So bedenk, leue minsche, mit welker vroude de koningh der ere de helle to-brak vnde ver-storede vnde de vterkornen sele dar-vth brochte vnde welk vroude dar was!603

Es ist zun$chst ein auff$lliges akustisches Signal, das L$uten der Glocken zur Matutin w$hrend der Prozession zum Heiligen Grab, an dem sich die Meditierenden orientieren sollen. Nach der Angabe dieses Zeitpunkts folgt die Aufforderung zur inneren Vergegenw$rtigung der Hçllenfahrt Christi und der Befreiung der Seelen der Altv$ter. Gleich doppelt akzentuiert ist dabei die affektive Dimension dieses Ereignisses, die Freude, die mit ihm verkn#pft ist und sich im Akt der Vergegenw$rtigung auch auf die Meditierenden #bertragen kann. Das Christus-Epitheton „koningh der ere“ sucht dabei gezielt Anschluss an die liturgische Hçllenfahrts-commemoratio und findet sich als rex glorie auch im ,Canticum triumphale‘. Dieser detailliert auf die imaginative Performanz vorbereitenden Regieanweisung folgt die im Text entscheidende Schaltstelle. Sie gibt dem 600 Vgl. L$hnemann 2012. 601 Vgl. zur Theatralit$t der Gebetb#cher L$hnemann 2010, S. 120; Schmidt 2015; Schmidt 2015a. 602 Zur Elevatio Crucis im liturgischen Kontext vgl. Brinkmann 1966; Gschwend 1965, S. 14 – 19. 603 Gebetbuch 1960, S. 42. Das hier zitierte Orationale Trier, Bistumsarchiv, Nr. 528 wurde 1960 von Axel Mante mit einer fehlerhaften Datierung herausgegeben; es handelt sich jedoch bislang um die einzige Edition eines Medinger Gebetbuchs.

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„bedenken“ der Hçllenfahrt eine dramatisierte Form, indem sie den Text aus einem narrativ-pr$teritalen in einen performativ-pr$sentischen Modus #berf#hrt: „Do de leuen sele eren loser seghen“, heißt es zun$chst noch erz$hlend, „do repen se: ,Cum, alder-gnedegheste here, vnde help vns verlornen luden! Ver-barme dik ouer vs iammerghen lude, de ewelken verdomet sin!‘“604 Gezielt akzentuiert der Text den Moment, in dem der Erlçser f#r die im limbus patrum gefangenen Seelen sichtbar wird. Sichtbarkeit ist die handlungsinterne Voraussetzung einer dialogischen Interaktion und spricht rezeptions$sthetisch zugleich das innere Auge als sinnliche Instanz der Vergegenw$rtigung an. Es ist die erste Replik Gottes, die den (bergang in einen dramatisierten Modus ermçglicht. Der Text, der den Vergegenw$rtigungsakt – situativ noch immer im Kontext der Liturgie – steuern soll, vollzieht einen Tempuswechsel. Er lçst die Pr$teritalformen durch Pr$sensformen ab, blendet die Erz$hlerstimme aus und markiert die einzelnen Repliken nun durch einfache rubrizierte Sprecherangaben oder durch pr$sentische Inquitformeln: De Loser : ,O min creature, o min schippinghe! Ik hebbe di dar nicht to schapen, dat du in desse plaghe vnde in desse not scholdest komen. Ik hadde di beret dat paradis vnde nicht de helle, de wunne vnde nicht den iammer, de vroude vnde nicht dat wenent, dat leuent vnde nicht den dot.‘ Adam: ,Seet de hant, de mi scapen heft! Seet den loser, de vs ghe-loset heft mit sineme duren blude!‘ De Loser : A-dam, wor hefstu mi to ghe-brocht vnde mi darto ghe-dwunghen, dat ik van deme stole der almechticheyt in dessen kerkener ghe-komen bin? […] Ik hebbe di nenen enghel sent, mer ik bin suluen komen vnde hebbe mi dodet laten vnde bin also in desse helle komen.‘ De leuen sele spreken mit groter vroude: ,Wes wilkome, du alderbegherlikeste, des we langhe wachtet hebbet in den dusternissen, dat du in desser nacht de vanghenen losedest vth den sloten!‘605 604 Gebetbuch 1960, S. 42 f. Ich weiche hier in der Zeichensetzung geringf#gig von Mantes Edition ab, der hinter „vns“ und „ouer vs“ Kommata setzt. 605 Gebetbuch 1960, S. 43. Adams erste Replik zitiert einen in der volkssprachlichen Literatur h$ufiger verwendeten Satz aus dem Nicodemus-Evangelium. Eine niederdeutsche Redaktion aus dem Kloster Klus bei Gandersheim #berliefert ihn in einer Handschrift von 1456 in folgender Form: „do Adam des milden heren hant gesach do screy hey alzo lude dat ot dor dey helle irschal vnde sprak: ,Ek sey dey hant dey mek gheschop, hey is dey here de mek in dat paradis satte vnde mek

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Hier trifft zweifellos zu, was Carla Dauven-van Knippenberg hypothetisch f#r das ,Wienh$user Osterspielfragment‘ angenommen hat, n$mlich dass es sich um ein Schauspiel f#r das innere Auge handele.606 Es ist ein meditatives Schauspiel, das sich durch die Andachtsanweisungen mit dem liturgischen Ritus verschaltet, indem es akustische Signale wie das L$uten der Glocken zur Matutin als Synchronisierungspunkte nutzt. Tenglers Weltgerichtsspiel ist zwar anders strukturiert als ein liturgienahes Gebetbuch, aber dennoch kann das Zusammenspiel von Prosapassagen und dramatisierten Abschnitten $hnliche Effekte bewirken wie das beschriebene Zusammenspiel von Andachtsanweisung und dramatisiertem Meditationsskript. So nutzt auch Tengler ein akustisches Signal des Gerichtsrituals als Synchronisationspunkt f#r die Imaginationen der gerichtlichen Akteure: Vom ersten als das gemein volkck tzum peinlichen gericht gewonlichen mit einem geleut ermant, das man ubeltheter verurteiln und richten werd, also sein und werden wir auch zum jungsten gericht ermant, anfencklich durch die propheten und weissagen im alten testament (UT, S. 124).607

Tengler semantisiert das L$uten der Glocken vor dem ,entlichen Gerichtstag‘ eschatologisch, indem er die akustischen ,Vorzeichen‘ des Gerichtsrituals in Analogie zu den alttestamentlichen Prophezeiungen des J#ngsten Gerichts setzt. Die Glocken sollen so zum Bedenken der Vorzeichen des J#ngsten Gerichts anregen. Eine $hnliche Verkn#pfung von Glockenl$uten und Meditation ist auch aus dem Bereich der sp$tmittelalterlichen Passionsfrçmmigkeit bekannt. So zitiert Glenn Ehrstine eine Stiftungsurkunde des Wiener Stephansdoms von 1459, in der die Anweisung enthalten ist, jeden Freitag nach dem Hochamt die große Glocke byldede na syme gotliken antlate‘“ (Dat Ewangelium Nicodemi 1978, S. 94). Adams Ausruf ist u. a. auch in die ,Urstende‘ Konrads von Heimesfurt (vgl. Konrad von Heimesfurt 1991, V. 2047) sowie in einige Osterspiele eingegangen (vgl. etwa Redentiner Osterspiel 2000, V. 499). Die Replik der Seelen ist dem ,Canticum triumphale‘ nachgebildet: „Advenisti desiderabilis, quem expectabamus in tenebris, ut educeres hac nocte vinculatos de claustris“ (zitiert nach Young 1933, S. 151). 606 Vgl. Dauven-van Knippenberg 1998. 607 Die entsprechende Regieanweisung f#r den ,entlichen Gerichtstag‘ lautet: „Am gesatzten gerichtztag / so die gewonlich tagtzeit erscheint / sollen sich mit ainem gele#t die richter / vrtailer vnd gerichtzschreiber / so sy ain mess gehçrt haben / an die gerichtzstat f#gen / der #belt$ter auß gef$ncknuss allso gepunden wol verwart ofentlich in den stock gesetzt / vnd darinn beheft werden“ (Tengler 1511, Bl. 203r).

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l$uten zu lassen. F#r diejenigen, die sich durch dieses akustische Signal w$hrend ihrer jeweiligen T$tigkeit zur Passionsmeditation animieren lassen, wird ein Ablass in Aussicht gestellt.608 Tenglers Verfahren weist zudem Analogien zur Messallegorese auf. Wie die Allegorese die liturgischen Zeichen mit einer heilsgeschichtlichen Bedeutung aufl$dt, so Tengler die gerichtlichen Zeichen. Tenglers Text liefert jedoch nur im Ansatz eine Hermeneutik des Rituals und ihm sind, anders als dies f#r die Messallegorese diskutiert wird, theatrale Qualit$ten ganz sicher nicht abzusprechen.609 Die Glocken evozieren das Bedenken der f#nfzehn Vorzeichen des J#ngsten Gerichts und der Erscheinung des Antichrists „vor dem jungsten tag“ (UT, S. 126), die Tengler zun$chst in Prosa referiert. Der zweite Synchronisationspunkt ist verbaler Natur und motiviert einen dramatisierten Imaginationsakt: Zum andern wie man einem ubelteter tzu peinlichen gericht verkundt, also werden die lebenden und todten sunder durch der engel hçrhorn mit grausamer stymme f#r das jungst gericht geheischen auff nachfolgende meinung: 608 Vgl. Ehrstine 2015a, S. 112. 609 Zur allegorischen Codierung der Messe vgl. Petersen 2004, S. 20 – 34. Petersens Argument gegen eine theatrale Zeichenhaftigkeit der Messe lautet, dass die Zeichen der Liturgie in keinem mimetischen Verh$ltnis zum Bezeichneten stehen: „Daß die Methode [der Messallegorese] und ihre Schriftform die Zeichenrelationen somit vermitteln, unterscheidet die allegorische Kodierung der Zeichen fundamental von einer theatralen Kodierung, die auf der Selbstevidenz der Zeichenrelationen beruht“ (ebd., S. 22). Die oben angesprochenen Gebetb#cher erçffnen dagegen einen anderen Weg zur Theatralisierung der Liturgie. Sie kommen ohne mimetische Zeichenhaftigkeit aus, weil es ihnen um eine imaginativ geleistete Theatralisierung geht. Die sinnliche Evidenz ist hier vom Zeichentr$ger der Ritualhandlung abgelçst und entsteht vor den inneren Sinnen. Ein theatersemiotisches Modell, wie es Petersen f#r seinen Begriff von Theatralit$t zugrundelegt (vgl. ebd., S. 12 f.), kann diesen Umstand nicht einholen. An Petersens Argumentation kn#pft auch Thomas Lentes an. Lentes betont unter der (berschrift „Ikonographische Repr$sentation versus Dramatisierung“ (Lentes 2009, S. 363) den bildlich-figurativen Charakter der Liturgie, der ihrer Deutung als Drama entgegenstehe. Dies mag in Bezug auf die Zeichenhaftigkeit der liturgischen Handlungen zutreffen, wie sie etwa Wilhelm Durandus beschreibt (vgl. ebd., S. 365 f.). Gerade die „imaginative[ ] Vergegenw$rtigung“ (ebd., S. 366) des Heilsgeschehens in der Feier der Liturgie kann jedoch, wie von $ußeren und inneren Bildern (vgl. ebd., S. 366 f.), so auch von dramatisierten Texten und ihrer imaginativen Performanz ausgehen. Bildliche Figuration und Drama, Mnemonik und Mimesis sind in Mittelalter und Fr#her Neuzeit keine Gegens$tze, sondern Korrelate (vgl. dazu noch einmal Ehrstine 2001).

2. Ulrich Tenglers ,Laienspiegel‘ (1511) und das innere Theater des Rechts

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Wol auff stet ir todten leut, F#r gericht seit geladen heut (UT, S. 128, V. 1 f.).

Die Hornsignale und die auf das pseudohieronymitische sive comedamZitat zur#ckgehende surgite mortui-Rufe der Engel an Lebende und Tote bewirken in den Weltgerichtsspielen des einfachen Typs den (bergang vom narrativen Modus in dramatische Aktion.610 Tengler #bernimmt und modifiziert dieses Prinzip, um Anschl#sse an die Dramaturgie des Strafprozesses zu schaffen. Im Prozessverlauf geht die Verk#ndung an den Angeklagten dem Bel$uten des ,entlichen Gerichtstags‘ allerdings voraus.611 Anders als Liturgie und dramatisierte Meditation in den beschriebenen Gebetb#chern sind Gerichtstag und meditiertes Weltgerichtsspiel also nicht streng chronologisch aufeinander bezogen. Dies l$sst sich zum Einen auf die Gattungsvorgaben der Spieltradition zur#ckf#hren. Zum Anderen ist eine strenge Synchronisierung kaum sinnvoll, da lokale Gerichtsrituale der Zeit vielfach voneinander abwichen.612 Einen Umgang mit diesem Problem erçffnet die Abschnittsgliederung von Tenglers Weltgerichtsspiel. Sie bringt bewegliche Versatzst#cke hervor und lockert so die Beziehung der einzelnen Handlungsabschnitte zueinander. Die in der privaten Besch$ftigung mit dem Weltgerichtsspiel meditierten und memorierten, d. h. ,eingebildeten‘ Szenen lassen sich so mit je passenden Segmenten des Gerichtsprozesses #berblenden. Der introspektive, auf das Gewissen der Richter abzielende Appell des Spiels kommt insbesondere in den Szenen zum Tragen, in denen Ankl$ger und Angeklagte vor den Richtergott treten. Denn neben der ganzen Schçpfung und den Teufeln #bernimmt noch eine dritte, letztlich entscheidende Instanz die Aufgabe der Anklage – das Gewissen: „Die dritten kleger sein die eigen gewissen, so eynen yeden sunder hoch antzihen“ (UT, S. 134). Sp$testens hier wird die performative R#ckbindung des Urteils beim ,entlichen Gerichtstag‘ an das „selbst aigen gewissen“613 der Richter und Schçffen in ihrer eschatologischen Dimension erkennbar. Die Formel des Urteilsspruchs bildet so einen weiteren potenziellen Bezugspunkt f#r die vom Spiel angeregten Imaginationen des J#ngsten Gerichts.

610 Vgl. diese Arbeit, S. 154; Linke 1972, S. 215 f.; Barton 2011, S. 488. 611 Vgl. Tengler 1511, Bl. 200. 612 Gerade darauf reagiert ja Tenglers ,Laienspiegel‘ einerseits mit Ziel einer strengeren Regulierung des Verfahrens, anderseits mit dem Offenlassen von Spielr$umen (vgl. Schulze 1994, S. 243 f.). 613 Tengler 1511, Bl. 215r.

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III. Endzeit

Unter dem Druck ihres Gewissens treten Juden, Heiden, geistliche und weltliche Obrigkeiten sowie die ganze s#ndhafte Christenheit auf und klagen sich in umfangreichen Schuldbekenntnissen selbst an. Wie eine Szene der Introspektion f#r gerichtliche Akteure aussehen kann, zeigen die Redepartien der weltlichen Obrigkeit: O wee, herr gott von himelreich, Wir heten gewalt auf erdtreich, Der uns von dir verlihen ward. Darinn hab wir das recht gespart Und die armen gedruckt seer Mit gewalt wider got recht und eer (UT, V. 187 – 192) […] Wir strafften das unrecht noch dieb, Schmeichler verreter hett wir lieb. Wir solten frid und einigkeit machen, So hab wir in allen sachen Das hinder gentzlich kert herfur, Die recht geworffen hinder thur, Und vil falscher urteil geben Umb groß gut, eern, leib und leben, Damit beschwert den armen man, Geurteilt nach der alten wan (UT, V. 211 – 220).

Die anschließende Prosapassage betont, dass „die sunder als ob steet und nemlich mit iren eigen gewissen und bekentnus auch des almechtigen gots unbetriglich wissen gnugsam beweisen“ (UT, S. 144). Doch selbst wenn Gewissen und Bekenntnis die S#nden vor Gott „gnugsam beweisen“, ist der eschatologische Strafprozess damit noch nicht abgeschlossen. Es scheint fast so, als sei auch das J#ngste Gericht einer Ritualdynamik unterworfen, in der die Vollst$ndigkeit der Inszenierung unabh$ngig von ihrer formallogischen Notwendigkeit gegeben sein muss. Jedenfalls werden die S#nder „ferrer durch die heiligen guoten engel, die yden menschen von seiner empfencknuß in mutter leib tzu lermeistern und schirmern gegeben sein, auch mit den pçsen engeln, die sy anfechten, ubertzeugt“ (UT, S. 144). Diese zus$tzlichen Zeugenbeweise sind eine Erg$nzung Tenglers.614 614 Wie Schulze bemerkt, markiert Tengler die logische Redundanz dieser weiteren Zeugenbeweise selbst (vgl. Schulze 1994, S. 268 f.). Dass er sie dennoch hinzuf#gt, um „eine weitere Mçglichkeit der Tatsachenermittlung zu parallelisieren“ (ebd., S. 269) ist plausibel. Zugleich weist das J#ngste Gericht f#r einen ritualskeptischen Beobachter aber im Ganzen eine $hnliche Redundanz auf wie der ,entliche Gerichtstag‘, denn die Urteilsfindung ist auch hier (f#r Gott) bereits vor ihrer Inszenierung abgeschlossen.

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Sucht man im Skript f#r den ,entlichen Gerichtstag‘ nach Bezugspunkten f#r die sich anschließende Beratungsszene von gçttlicher Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, so wird man erneut in der Formel f#r den Urteilsspruch f#ndig. F#hrte Tengler im ersten Teil des ,Laienspiegels‘ in Bezug auf die Richter noch aus, dass „ir gerechtigkait […] zuo zeiten mitt barmhertzigkeit vermischt vnd temperiert sein“615 soll, so tritt im Einleitungsteil der Urteilsformel die Gerechtigkeit deutlich in den Vordergrund: Herr richter wiewol wir alle / gçtlicher barmhertzigkait zuo yeden zeiten begeren vnd der selben notd#rfftig sein / darumb wir ainander auch erbarmung beweißen solten. Die weil ir [der Richter] aber auß beuelch der obern hand des rechtens auff den ayd gefragt So ist billich vnd recht / das wir allain den allmechtigen got vnd die gerechtikait vor augen haben[.]616

Dieses Vor-Augen-Haben der gçttlichen Gerechtigkeit hat einen Doppelsinn: Es zielt sowohl auf das Vorbild der gçttlichen Gerechtigkeit f#r das zu sprechende Urteil im Strafprozess als auch auf die meditative Vergegenw$rtigung der gçttlichen Gerechtigkeit im J#ngsten Gericht. Um sich die Gerechtigkeit im Streit mit der Barmherzigkeit performativ vor das innere Auge stellen zu kçnnen, bietet Tenglers Spiel zun$chst einen Dialog zwischen beiden als allegorischen Figuren.617 Erst nachdem sich Maria als Mutter der Barmherzigkeit an Christus wendet, um f#r die S#nder zu bitten, entscheidet dieser apodiktisch im Sinne der Gerechtigkeit: „Die werden all verurteilt heut“ (UT, V. 514). Das Urteil im Strafprozess, bei dem der Richter die gçttliche Gerechtigkeit vor Augen hat, pr$figuriert das eschatologische Urteil Gottes #ber die S#nder und damit auch #ber die ungerechten Richter selbst. Dass die Urteilsverk#ndung als Segment des Rituals und die inneren Szenen des Weltgerichtsspiels sich im Vollzug gegenseitig evozieren, ist dabei nur als Hypothese formulierbar. Daf#r sprechen die beschriebenen Parallelen zu liturgienahen Gebetb#chern, die insofern ein eindeutigeres Modell enthalten, als die Andachtsanweisungen eine pr$zise Synchronisierung der rituellen und meditativen Vollz#ge einfordern. Tenglers Text setzt keine solchen Andachtsanweisungen ein, weist jedoch in den rahmenden Metatexten auf seine meditative Funktion hin und sorgt daf#r, dass zahlreiche 615 Tengler 1511, Bl. 3r. 616 Tengler 1511, Bl. 215r. 617 Zum Streit von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit und seiner Motivgeschichte vgl. Schulze 1994, S. 269 – 277. Ein solcher Dialog findet sich sonst nur im ,M#nchner Weltgerichtsspiel‘ und, was von der Forschung oft #bersehen wird, in der ,Tragedia des j#ngsten Gerichts‘ von Hans Sachs (vgl. TJG, S. 442 – 444).

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III. Endzeit

Parallelen zum Verlauf des Strafprozesses entstehen, die potenzielle, wenn auch nicht immer explizite Synchronisationspunkte generieren. Neben den szenischen, mit dem Gerichtsritual direkt verschaltbaren Abschnitten, stellt Tengler auch auf anderen Wegen Parallelen von J#ngstem Gericht und irdischem Recht her. So #bernimmt er, wie Ursula Schulze zeigt,618 aus der ,Legenda aurea‘ eine dreifache Begr#ndung f#r die Unwiderruflichkeit und Unanfechtbarkeit des Urteils im J#ngsten Gericht: Das gçttlich urteil ist unwiderruflich auch da von nit tzu appelliern auß dreyen ursachen, die auch im tzeit stat haben, das man nit appelliern mag: Die erst von ubertreffenlicheit des richters, wann er hat kein çbern richter, darfur man sich berufen oder appellirn mçg. Die ander von der kuntlichen und offenbarn missetat wegen, so dem richter und aller meniglich kunt und wissentlich am tag gelegen ist. Die dritt, das die sachen tzu voltziehen keiner lengerung mer erleyden mçgen, wann was da geurteilt, das wirdt im augenblick voltziehung empfahen (UT, S. 158).

Es #berrascht nicht, dass sich vergleichbare Argumentationsstrategien auch in ausgewiesenen Meditationstraktaten finden lassen. So begr#ndet auch Dionysius Carthusianus in ,De quatuor hominis novissimis‘ die Furcht vor dem Partikular- und Weltgericht zun$chst mit der Unmçglichkeit, an eine hçhere Stelle zu appellieren: „Ex parte etiam Judicis metuendum est utrumque istud judicium multis modis. Primo, ratione altissimae auctoritatis et excellentiae ejus, a qua nullus potest appellare“ (QHN, S. 518).619 All diese Texte – seien es Legendensammlungen, Traktate oder Rechtsb#cher – thematisieren das J#ngste Gericht nicht, um sachlich #ber einen heilsgeschichtlichen Gemeinplatz zu informieren, sondern um die Lesenden zu einer hochgradig affizierten Betrachtung anzuleiten, die zwar von der Lekt#re ausgeht, aber auch #ber sie hinausgeht. Das mag eine triviale Feststellung sein, sie ist jedoch nçtig, wenn man die Texte nicht auf ihre Aussagen, die Bilder nicht auf ihre Ikonographie und die Dramen nicht auf ihre Handlung reduzieren will. Aus dem Weltgerichtsspiel des ,Laienspiegels‘ l$sst sich rekonstruieren, wie Tengler, der selbst gerichtlicher Akteur war, die Wechselwirkung von „f#rbildung“ und „einbildung“, Imagination und Gewissenspr#fung sowie ritueller und meditativer Performanz f#r ein spezifisch juristisches Laien618 Vgl. Schulze 1994, S. 277. 619 „Auch in Anbetracht des Richters ist dieses Gericht in seinen beiden Formen auf vielfache Weise zu f#rchten. Erstens, aufgrund seiner hçchsten Autorit$t und Erhabenheit, an welche niemand appellieren kann.“

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publikum nutzbar zu machen versucht. Es dokumentiert einen Transfer des allgemeinen Weltgerichtsszenarios in konkrete lebensweltliche Praxis und damit einen Vorgang, den prinzipiell jedes Weltgerichtsspiel seinem Publikum abverlangt. Tenglers Strategie, das Ritual des ,entlichen Gerichtstags‘ mit imaginierten Szenen des Weltgerichts zu #berblenden, wird vor dem Hintergrund der zeitgençssischen Frçmmigkeitskultur verst$ndlich. Wie liturgische, so sollen auch gerichtliche Rituale von einem inneren Parallelgeschehen begleitet werden und um ein solches Parallelgeschehen inszenieren zu kçnnen, bietet sich ein dramatisiertes Skript an. Damit kçnnen historische Ritual-, Theater- und Meditationsforschungen gleichermaßen von Tenglers Bearbeitung eines Weltgerichtsspiels profitieren. Die causa des Menschengeschlechts ist, so gesehen, ein Gl#cksfall.

3. Zwei theatrale Betrachtungsmedien f#r die st$dtische Obrigkeit: Hans von R#tes ,Ein Kurtzes Osterspil‘ (1552) und Philipp Agricolas ,Comedia von dem Letzten Tage‘ (1573) Die auf den ersten Blick disparat wirkenden Dramen Hans von R#tes und Philipp Agricolas weisen einen gemeinsamen Bezugsrahmen auf, der ihren Vergleich produktiv erscheinen l$sst. Beide entstanden anl$sslich einer Ratswahl, adressieren die neuen Amtstr$ger und vergegenw$rtigen sowohl den Transzendenzbezug der st$dtischen Ordnung als auch ihren eschatologischen Horizont. Mit dieser Vergegenw$rtigung korreliert jeweils der Appell an die Obrigkeit, in permanenter Betrachtung der Letzten Dinge zu regieren. In Hans von R#tes ,Osterspil‘ kommt dies vor allem in der Memento mori-Par$nese des vierten Herolds zum Ausdruck, die sich an die Spielhandlung anschließt: „Die Mahnung, das individuelle Endgericht zu bedenken“, so kommentiert Klaus Jaeger, „war Teil der religiçsen Repr$sentation st$dtischer Herrschafts- und Jurisdiktionsgewalt. Keine andere Funktion hatten die zahlreichen Weltgerichtsbilder, die die Rath$user und Gerichtsst$tten zierten.“620 Damit r#ckt Hans von R#tes ,Osterspil‘ in eine auff$llige N$he zu Tenglers Bearbeitung eines Weltgerichtsspiels. Auch Agricolas ,Comedia‘ ist in diesem Funktionsrahmen zu verorten. W$hrend die Auff#hrungsbedingungen und der Adressatenkreis des Berner ,Osterspils‘ durch die Arbeiten Klaus Jaegers und Glenn Ehrstines detailliert erschlossen worden sind, hat die Forschung Agricolas Berliner 620 Jaeger 2000, S. 293.

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,Comedia‘ bislang nur vereinzelt wahrgenommen und h$ufig $sthetisch abgewertet.621 Das folgende Kapitel vergleicht die Spiele daher zun$chst hinsichtlich ihrer Anlassgebundenheit und ihrer Rezeptionsmilieus, auch um f#r Agricolas ,Comedia‘ neue Kontextualisierungsangebote zu schaffen. In einem zweiten Schritt sollen die unterschiedlichen frçmmigkeitspraktischen Traditionen herausgearbeitet werden, an welche die Spiele ankn#pfen. Hans von R#tes ,Osterspil‘ beruht auf einer Reihe von Visionen aus der Johannes-Apokalypse: „It […] transposes the visionary imagery of Revelation 4 – 5 directly to the stage, resulting in a monumental living tableau that continues the tradition of Protestant Apocalypse illustrations begun by Luther’s September Testament in 1522.“622 Die Vision des Throns Gottes, der vom ,Magistrat‘ der 24 !ltesten umgeben ist, dient dabei im Anschluss an zeitgençssische Apokalypse-Kommentare als „allegory of God-ordained government“.623 Das Spiel steht jedoch nicht nur in protestantischen Bildund Kommentartraditionen. Auff$llig ist, dass bereits der Prolog ein Spannungsverh$ltnis zwischen den $ußeren Bildern des Theaters und der inneren Schau des Johannes erçffnet. Aus diesem Spannungsverh$ltnis, so die These, gewinnt das ,Osterspil‘ sein Rezeptionsmodell, indem es ein urspr#nglich mystisch gepr$gtes Konzept der contemplatio im Sinne einer Technik politischer Selbstdisziplinierung umdeutet. Sowohl durch die Kontemplation des himmlischen Regiments als auch durch die Betrachtung des eigenen Todes und des Gerichts soll sich die st$dtische F#hrungsschicht zu einer gerechten Herrschaftspraxis anregen lassen. Agricolas ,Comedia‘ verfolgt ein nachdr#cklich sozialethisches Anliegen, indem sie an den eschatologischen Horizont der Herrschaftsaus#bung erinnert. In einer Reihe genrehafter Szenen imaginiert sie das J#ngste Gericht als Ereignis, das insbesondere von den Armen, die unter dem Druck einer reichen Oberschicht leiden, als Anlass zu Hoffnung und Freude gedeutet und im permanenten Gebet herbeigesehnt wird.624 Die Reichen hingegen bedenken weder das Elend ihrer N$chsten noch ihr eigenes Ende oder das J#ngste Gericht – und erleiden die entsprechenden 621 Vgl. Reuschel 1906, S. 171 – 177; Michael 1984, S. 117 f.; Michael 1989, S. 94. Meyer 1976, S. 227 – 229 behandelt einige Topoi der Endzeiterwartung in Agricolas ,Comedia‘ etwas ausf#hrlicher im Kontext einer Analyse der Weltgerichtsszene in Bartholom$us Kr#gers ,Newer Action‘ (1580). 622 Ehrstine 2002, S. 186. 623 Ehrstine 2002, S. 190; vgl. zu dieser Auslegungstradition auch Jaeger 2000, S. 276 – 278. 624 Vgl. dazu Reuschel 1906, S. 172; Meyer 1976, S. 228.

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eschatologischen Konsequenzen. (ber die Figur des Propheten Elias integriert Agricola eine Bußpredigt, die diesen Zusammenhang explizit macht. Die Weltgerichtsthematik sowie die eminente Rolle von Gebet und Meditation legen die Vermutung nahe, dass Agricolas ,Comedia‘ von den Schriften des Andreas Musculus beeinflusst sein kçnnte, der als fr#her Vertreter einer genuin protestantischen Erbauungsliteratur gilt.625 Musculus stand in einem Vertrauensverh$ltnis zu Philipps Vater Johann Agricola und #bernahm nach dessen Tod im Jahr 1566 das Amt des Generalsuperintendenten in Brandenburg.626 Im Jahr 1572 erschien sein von Sir 7,40 ausgehendes Meditationskompendium ,Bedencks Ende‘ bei Johann Eichhorn in Frankfurt an der Oder, der 1573 auch Philipp Agricolas ,Comedia‘ druckte.627 Zahlreiche Parallelen zwischen Drama und Meditationstraktat ermçglichen es, ein ihnen gemeinsames Frçmmigkeitsprofil zu rekonstruieren.

625 Zu Musculus’ Rolle bei der Vermittlung meditativer Traditionen vgl. Str$ter 1995, S. 2. 626 Vgl. Koch 1992, S. 250. Musculus war #berdies in erster Ehe mit einer Schwester von Johann Agricolas Frau verheiratet (vgl. ebd.). Johann Agricola ist theologiegeschichtlich durch sein zun$chst enges Verh$ltnis zu Luther sowie seine sp$teren Kontroversen mit Luther und Melanchthon #ber das Verh$ltnis von Gesetz und Evangelium im sog. Antinomismusstreit bekannt (vgl. dazu Rogge 1978, S. 112 – 115). Theatergeschichtlich ist seine ,Tragedia Johannis Huss‘ (1537) zu nennen (vgl. Metz 2013, S. 110, Fromholzer 2013). Mit Musculus kam er in seiner Wittenberger Zeit in Kontakt (vgl. dazu Spieker 1858, S. 8 – 10). Dass Philipp Johann Agricolas Sohn gewesen ist, wird in der Forschung i. d. R. als wahrscheinlich eingestuft (vgl. etwa Meyer 1976, S. 227). Dass dies tats$chlich zutrifft, l$sst sich aus einer Reihe von Quellen belegen. So #bernahm Philipp den Namenszusatz ,Eisleben‘, den er auch in der ,Comedia‘ verwendet, von seinem Vater. Im Berliner B#rgerbuch, in das Philipp 1564 aufgenommen wurde, wird auf den Einfluss seines Vaters hingewiesen, dessen Bekanntheit vorausgesetzt wird. Dies deutet auf eine Prominenz hin, die zu dem damaligen Generalsuperintendenten, Hofprediger und Visitator (vgl. Rogge 1978, S. 115) passen w#rde. Der Eintrag lautet: „Eisleben, Philip Agricola, ist burger worden und hat 1 fl. zur burgerschaft geben, dieweil sein vater fur ihn gebeten, die gunst ertzeigt. Januar 21“ (von Gebhardt 1927, S. 99). Dass Johann Agricola einen Sohn mit dem Namen Philipp hatte, geht aus den Gr#ßen hervor, die Luther in einem Brief aus dem Jahr 1526 an Agricolas Familie ausrichten l$sst: „Saluta Elsen maiorem tuam et vestram minorem et Hannam vestram simul cum Philippo“ (zit. nach Kordes 1817, S. 416). 627 Zu Eichhorn vgl. Reske 2007, S. 269 f.

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3.1. Ratswahl und Schauspiel in Bern und Berlin Das Rezeptionsmilieu und die Auff#hrungsbedingungen von Hans von R#tes ,Osterspil‘ sowie die sich daraus ergebenden Patronagebeziehungen des Verfassers sind außerordentlich gut dokumentiert. Glenn Ehrstine und Klaus Jaeger haben die Hintergr#nde des Spiels gr#ndlich aufgearbeitet, sodass auf der Grundlage ihrer Forschungen eine Folie f#r die historische Bewertung von Philipp Agricolas ,Comedia‘ gewonnen werden kann, die in einem vergleichbaren Kontext entstand. (ber den Anlass des ,Osterspils‘ informiert der erste Herold im Proçmium: Das aber yetz n#w wurdint gmacht Jn e#werm Regiment die st$t Der Schultheiß d’Venner / vnd die R$t Do hand wir die hie wçllen ehren Jr gnaden z’gfallen ettwas leeren (RO, V. 8 – 12).

Es ist die j$hrlich in der Osterzeit stattfindende Erneuerungswahl des Berner Rats, die das Spiel als eine von zahlreichen Repr$sentationsformen begleitet.628 Auf seine spezifischen Leistungen ist sp$ter einzugehen. Das Zeremoniell der Ratswahl zog sich, so Jaeger, „beginnend am Aschermittwoch, #ber Ostern bis zum darauffolgenden Mittwoch hin, wobei sehr bewußt das Ende des alten und der Anfang des neuen Amtsjahres mit dem Tod und der Auferstehung Christi konnotiert wurden.“629 Es handelt sich also um ein Osterspiel mit politischer Funktion: Es #berblendet die Bez#ge auf das Hochfest des Kirchenjahres und die Vergegenw$rtigung des zentralen Heilsereignisses mit der Erneuerung der st$dtischen Ordnung und

628 Eine fundierte (bersichtsdarstellung zu vormodernen Ritualen der Ratswahl findet sich bei R#ther 2008. Jaegers skeptische Perspektive auf das Berner Zeremoniell ließe sich vor dem Hintergrund j#ngerer Forschungen zu Ritualen und Symbolischen Kommunikationsformen vielleicht revidieren: „Das feierlich-umst$ndliche Prozedere mit seinen schier endlosen Wahl-, Instaurations- und Eideshandlungen, mit dem wiederholten Verlesen zentraler Stadrechtsnormen und nicht zuletzt mit den zahlreichen Festm$hlern auf den Gesellschaftsstuben und anderen Belustigungen, die den zeremoniellen Vorgang immer wieder unterbrachen […], atmete ganz und gar den Geist eines st$ndisch verfaßten Gemeinwesens“ (Jaeger 2000, S. 271). Es w$re etwa zu pr#fen, inwiefern es sich bei den vermeintlichen Belustigungen tats$chlich um Unterbrechungen eines abgrenzbaren ,harten‘ politischen Vorgangs handelt oder um konstitutive Elemente des politischen Zeremoniells selbst. 629 Jaeger 2000, S. 271.

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verleiht ihr damit einen sakralen Charakter.630 Die Auff#hrung des Spiels fand, wie das Titelblatt mitteilt, am Sonntag Quasimodogeniti (vgl. RO, S. 617), also am ersten Sonntag nach Ostern statt und wurde von der Berner Gesellschaft zu Schmieden in der Lateinschule im ehemaligen Franziskanerkloster ausgerichtet.631 Anwesend waren die hçchsten W#rdentr$ger der Stadt, mit denen der Gerichtsschreiber Hans von R#te in teils engem Vertrauensverh$ltnis stand: Das im Prolog genannte Amt des Schultheißen hatte Hans Franz N$geli inne, der auch aufgrund seiner milit$rischen Verdienste als einer der profiliertesten Berner seiner Generation galt und zugleich Pate von Hans von R#tes Tochter Ursula war; das Amt des Venners bekleidete Andreas Z#lli. Geehrt wurde außerdem Beatus Ludwig von M#linen, der wie Z#lli und R#te auch der Gesellschaft zu Schmieden angehçrte.632 Auch wenn Hans von R#te vor dem Hintergrund der Tradition des geistlichen Theaters ein „ungewçhnliches und singul$res Spiel“633 verfasst hat, ergeben sich aus seinem Anlass, seinem Adressatenkreis und seinen eschatologischen Bez#gen Vergleichsmçglichkeiten mit Philipp Agricolas ,Comedia‘. Ihr Widmungstr$ger, der Berliner B#rgermeister Christoph Rauch bzw. Christoff Roech, ist bereits auf dem Titelblatt genannt. Den Anlass der Widmung nennt Agricola am Ende seiner Vorrede: Vnd wil E. W. zu Newer angefangener gl#ckseligen Regierung / jres Burgermeisters Stuls / in welchem E. W. Gott der Allmechtige lange gesund spare / solch mein gemeldt Gedicht der Comedien / k#rtzlich hiemit Dediciret vnd dem#tig zuhanden bracht / Auch mich derselben E. W. mit schuldigem gehorsam vnd willigen diensten freundlichen vnterworffen vnnd zuforderst / E. W. in den Ewigen schutz Christi / seiner gnaden beuohlen haben / Datum Berlin / des Montags nach Quasimodogeniti / Anno 1573 (AC, Aiiijv-Avr).

!hnlich wie Hans von R#te nutzt auch Agricola die j$hrliche Ratswahl bzw. Ratsversetzung, um sein Spiel dem neuen B#rgermeister zu widmen. Dieser von der Forschung bislang nicht ber#cksichtigte Anlass scheint mir f#r das Verst$ndnis der ,Comedia‘ zentral zu sein, denn sie l$sst sich in ihrer eschatologischen Stoffwahl und ihrem sozialethischen Impetus nun auf ein politisches Zeremoniell beziehen, das f#r die Konstituierung der st$dtischen Ordnung und f#r das Selbstverst$ndnis ihrer F#hrungsgruppe von 630 Dies kommt u. a. auch darin zum Ausdruck, dass am Ende des Spiels das Osterlied ,Christ ist erstanden‘ erklingt (vgl. RO, V. 805 – 813). 631 Vgl. Jaeger 2000, S. 271; Ehrstine 2002, S. 189. 632 Vgl. Jaeger 2000, S. 272; Ehrstine 2002, S. 189. 633 Jaeger 2000, S. 270.

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entscheidender Bedeutung war. Der Rat der Stadt Berlin setzte sich aus zwçlf Mitgliedern zusammen,634 deren Spitze von zwei B#rgermeistern gebildet wurde.635 Vom jeweils regierenden Rat wurde j$hrlich ein neuer Rat gew$hlt, der nach kurf#rstlicher Best$tigung vereidigt wurde und den alten Rat ablçste. Dies geschah im Rahmen der Ratsversetzung, eines aufwendigen Zeremoniells, dessen Ablauf Ernst Fidicin wie folgt beschreibt: An diesem Tage ward durch dreimaliges L$uten der Rathsglocke der Rath und die Stadtgemeinde auf das Rathhaus berufen. Hatte der Rath sich unter dem Vorbau des Rathhauses, die B#rgerschaft vor demselben versammelt, so verlas der Stadtschreiber die kurf#rstliche Konfirmation mit lauter Stimme, daß Jeder es vernehmen konnte, und hierauf erfolgte ebenso die Vereidigung derjenigen Rathsglieder, welche etwa nicht bereits im Dienste der Stadt waren und daher noch keinen Rathseid geleistet hatten. Zugleich ward von dem abgehenden Rathe çffentlich Rechnung abgelegt, von der jeder Einwohner Kenntniß erhielt.636

In den $ltesten K$mmereirechnungen der Stadt Berlin haben sich Eintr$ge erhalten, die den finanziellen Aufwand f#r die sich anschließenden Feierlichkeiten dokumentieren.637 Neben Festmahl, Gesang und Tanz kamen im Rahmen des Zeremoniells laut Fidicin regelm$ßig auch Schauspiele zur Auff#hrung; f#r das Jahr 1589 nennt er ein offenbar allegorisches Spiel mit dem Titel ,Apoll mit den Musen‘.638 F#r Agricolas ,Comedia‘ gibt es bislang keinen Auff#hrungsbeleg. Der Wortlaut der zitierten Widmung ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Zum einen belegt er, dass Christoph Rauch im Jahr 1573 erstmals als B#rgermeister Berlins hervortrat. In der Forschung wird Rauch bereits dem Jahr 1572 zugeordnet.639 Da Agricolas Angaben mit dem $ltesten B#rgerbuch der Stadt Berlin #bereinstimmen, kann 1573 als Jahr 634 Zur apostolischen Symbolik der Zwçlfzahl in diesem Kontext vgl. R#ther 2008, S. 37. 635 Vgl. Fidicin 1842, S. 120. Bei Fidicin finden sich die ausf#hrlichsten Angaben zur Verfassung des Berliner Rats seit dem Mittelalter sowie zu den Ritualen seiner Wahl. Oft ist jedoch nicht nachgewiesen, aus welchen Quellen die jeweiligen Informationen stammen, sodass Fidicin mit Vorsicht gelesen werden muss. Eine aktuelle historische Aufarbeitung des Themas fehlt bislang. 636 Fidicin 1842, S. 122 f. Die Formel f#r den Eid der B#rgermeister ist abgedruckt bei von Gebhardt 1927, S. 5. 637 Vgl. Kaeber 1964, S. 122 f. 638 Vgl. Fidicin 1842, S. 123; 463 f. 639 Vgl. Goeters 1992, S. 631.

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seines Amtsantritts jedoch als gut gesichert gelten.640 Zum anderen ist das Datum der Widmung auff$llig. Es weist darauf hin, dass die Ratsversetzung in den 1570er Jahren auch in Berlin in der Osterzeit durchgef#hrt werden konnte und nicht prinzipiell auf den 1. Mai festgesetzt war, wie Goeters nahelegt.641 Der Sonntag Quasimodogeniti fiel 1573 auf den 29. M$rz. Ein Termin in der Osterzeit w$re zudem nicht nur im Vergleich mit Bern, sondern auch mit anderen St$dten nicht un#blich.642 Die Widmung verr$t, dass Philipp Agricola, $hnlich wie Hans von R#te, gute Beziehungen zur st$dtischen F#hrungsschicht hatte, die er als Zielgruppe seiner ,Comedia‘ anspricht – auch wenn offen bleiben muss, welches Amt er selbst zu diesem Zeitpunkt aus#bte.643 Daf#r spricht auch die durch Johann Agricola begr#ndete hohe Stellung der Familie in Berlin: Kurz nach der Widmung der ,Comedia‘ an Christoph Rauch wurde Philipps Bruder Johann Agricola d. J. im Jahr 1574 selbst B#rgermeister von Berlin, um dieses Amt im #blichen Turnus bis zu seinem Tod im Jahr 1594 auszu#ben.644 Ebenso, wie Tengler sich mit seiner Bearbeitung eines Weltgerichtsspiels an ein Publikum juristischer Laien wendet, um ihnen ein Medium zur permanenten Betrachtung des eschatologischen Rechtshorizontes anzubieten, so adressieren Hans von R#te und Philipp Agricola die Ratsmitglieder ihrer Stadt. Im Kontext des j$hrlichen Wahl- und Einsetzungszeremoniells des Rats sind ihre Spiele nicht nur Medien der Repr$sentation, sondern auch Medien der Kontemplation, in denen 640 Vgl. von Gebhardt 1927, S. 26. Von Gebhardt edierte aus dem Berliner B#rgerbuch, das offenbar auch Hinweise #ber das Zeremoniell der Ratsversetzung in den jeweiligen Jahren enth$lt (vgl. ebd., S. XI), leider nur die Namen und Daten der amtierenden B#rgermeister. 641 Vgl. Goeters 1992, S. 623 f. Folgt man den Angaben bei Fidicin, so waren die Termine der Ratsversetzung im 16. Jahrhundert durchaus flexibel (vgl. Fidicin 1842, S. 122). W#rde Agricola sich auf den 1. Mai beziehen, w$re der Regierungsantritt Christoph Rauchs ein Ereignis, das bereits ein knappes Jahr zur#ckgelegen h$tte. Da die Berliner B#rgermeister j$hrlich alternierten, w$re die Widmung erst kurz vor dem Ende von Rauchs erster aktiver Amtszeit anzusetzen. Die ,Comedia‘ kçnnte so kaum anl$sslich „Newer angefangener […] Regierung“ #berreicht worden sein. 642 Vgl. Poeck 2003, S. 85 (Quedlinburg); 106 (Attendorn und Olpe); 299 (Br#nn); 320 (N#rnberg und Augsburg). 643 In einem Dialoggedicht von 1582 nennt sich Agricola jedoch „zu Berlin B#rger vnd Aduocat“ (Agricola 1582, A3v), was auf eine juristische Beratungst$tigkeit schließen l$sst. Zur Berufsbezeichnung Advokat vgl. Buchda/Cordes 2008. 644 Vgl. Goeters 1992, S. 631 f.

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Frçmmigkeits- und Herrschaftspraxis unmittelbar aufeinander bezogen werden. 3.2. „Mit geistlichen Ougen“. Kontemplation und Herrschaftspraxis im ,Osterspil‘ Der das Proçmium des ,Osterspils‘ sprechende erste Herold deutet das, was im vierten und f#nften Kapitel der Johannes-Apokalypse zu lesen ist, als einen bildlich sichtbaren Ausdruck der ewigen Freuden des Himmels: „Da wirt f#rbildt ein Ougenschyn j Wie dçrt die ewig frçud w$rd syn j Die von vns allen wirt beg$rt“ (RO, V. 19 – 21). Wie die Schrift der Offenbarung externalisieren die theatralen Bilder und Ges$nge des ,Osterspils‘ die Visionen und Auditionen, die Johannes auf Patmos empfangen hat. Das ,Osterspil‘ ist auff$llig darum bem#ht, immer wieder die inneren Sinne des Johannes als den urspr#nglichen Ort des Visionsereignisses auszuweisen, in dem das sonst unsichtbare himmlische Regiment in anschaubare Bilder transformiert wurde: Er [Johannes] gsach im geyst ans Herren tag Das sunst kein mensch nit sehen mag Jm Himmel sitzen die Gottheit Jn aller jrer Herrligkeyt Mit jren geistlichen Regenten (RO, V. 35 – 39).

W$hrend die Formulierung „Er gsach im geist ans Herren tag“ noch auf Apk 1,10 („fui in spiritu in dominica die“) beruht, geht Hans von R#te anschließend mehrfach #ber den Bibeltext hinaus, um den Status der vision$ren Bilder zu kl$ren. Das „gsicht“ (RO, V. 43) vom Buch mit den Sieben Siegeln etwa empf$ngt Johannes ausdr#cklich „Mit geistlichen Ougen“ (RO, V. 44). !hnlich unterstreicht auch die gçttliche Stimme, die ihn beauftragt und auf die eschatologischen Visionen vorbereitet: „Du wirsts in dynem gm#t alls sehen“ (RO, V. 64). Der Johannes-Figur wird damit gezielt Profil verliehen: Seit dem Mittelalter ist der Evangelist, der vom Johannes der Offenbarung noch nicht unterschieden wurde, „[e]in h$ufig genanntes Beispiel f#r den homo contemplativus“.645 Dem insbesondere durch Hugo von St. Viktor gepr$gten Aufstiegsmodell zufolge bildet die contemplatio nach cogitatio und meditatio die hçchstmçgliche und nur gnadenhaft erreichbare Erkennt645 Schleusener-Eichholz 1985, S. 289.

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nisstufe, die auf eine „sichere und freie weite (berschau des Begreifens #ber eine F#lle von Dingen“646 abzielt und sich in grçßtmçglicher Distanz von der defizit$ren Wahrnehmung der $ußeren Sinne ereignet.647 Zahlreiche Exegeten beziehen daher das Adlersymbol des Evangelisten auf den ,Flug‘ der Kontemplation.648 Diesen Hintergrund aktiviert das ,Osterspil‘, ohne an einem spezifischen Stufen- oder Aufstiegsmodell interessiert zu sein. Durchaus wichtig ist jedoch, dass die innere Schau als solche deutlich markiert wird. Damit erzeugt das Spiel ein Spannungsverh$ltnis zwischen dem kontemplativen Wahrnehmungsmodus des Johannes und dem sinnlichen „Ougenschyn“ (RO, V. 19), den es selbst hervorbringt; ein Spannungsverh$ltnis, das bereits in der Verschriftlichung der Offenbarung angelegt ist und notwendig auftritt, sobald es zur Medialisierung eines inneren Ereignisses kommt. Das Rezeptionsmodell des ,Osterspils‘ nutzt das entstehende Auseinandertreten von inneren und $ußeren Bildern, um das Publikum selbst t$tig werden zu lassen: Die Bild- und Gesangssequenzen aus Apk 4 – 5 werden zu visuell und musikalisch inszenierten Meditationssequenzen, wobei bereits der in die Schau versunkene Johannes andeutet, wie die Betrachtung der himmlischen Freude zur Ehre Gottes und f#r die Herrschaftspraxis der irdischen Regierung nutzbar zu machen ist. So wendet er sich, nachdem er die Anbetung der Majestas Domini durch die vier Tiere und die 24 !ltesten wahrgenommen hat, an das Publikum: Soß himmelsch Heer jm ehr erb#t / Wie vil mer sçnd wir armen l#t Dem selben Herren vnserm Gott Ehr geben / halten syne bott Vnd f#r syn angsicht ylen / fl$chten (RO, V. 154 – 158). 646 Meier 1990, S. 40. 647 Zu den verschiedenartig ausdifferenzierten Stufenmodellen des Mittelalters vgl. Goossens [u. a.] 1980, Sp. 911 – 913. 648 Vgl. Schleusener-Eichholz 1985, S. 289 f.; Meier 1990, S. 44. Auf die Vermittlungsrolle, die dem kontemplierenden Johannes zugeschrieben wurde, hat David Ganz hingewiesen. So sei „der Platz des Vision$rs Johannes im ApokalypseKommentar Richards von St. Viktor ein doppelter: Johannes dringt zun$chst zur hçchsten Stufe der bildlosen contemplatio Dei vor. Doch auf den Appell des Engels hin begibt er sich auf die niedrigere Stufe der bildhaften Schau. Wichtig ist die Begr#ndung f#r diesen Schritt: Nicht um den Vision$r selbst geht es, sondern um die Weitergabe der empfangenen Offenbarung an die Gl$ubigen […]. Der Visionsbericht wird bei Richard von vornherein als Botschaft an ein Publikum verstanden, auf das die mediale Struktur der Visionsbilder abgestimmt ist“ (Ganz 2008, S. 17).

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Deutlich bezieht der dritte Herold, der die eigentliche Spielhandlung nach dem Triumphgesang ,Gelobet sy Gott vnser Herr‘ f#r beendet erkl$rt (vgl. RO, V. 642 – 644), die apokalyptische Bildlichkeit vom Lamm Gottes, das liturgisch vergegenw$rtigte Osterereignis, die theatrale ,figur‘ und die Herrschaftspraxis des neu gew$hlten Rates aufeinander. Er weist zun$chst #ber das Theatermedium hinaus auf das Medium der Schrift. Die vom ,Osterspil‘ nicht inszenierten endzeitlichen Ereignisse der Siegelvisionen sollen bei Bedarf in den entsprechenden Kapiteln der Offenbarung nachgelesen werden. Wer wissen will, „Was plagen / lyden / wee vnd sorgen“ (RO, V. 646) in den Siegeln verborgen seien, der „gange zum gemelten Buoch /j Vnd sçmlichs in Capitlen suoch“ (RO, V. 652 f.). Entscheidend angesichts der zu erwartenden endzeitlichen Schrecken ist, dass das Lamm Gottes die Welt bereits #berwunden und seine Heiligen in das himmlische Regiment eingesetzt habe, das in der ,figur‘, dem Szenenbild, zu erkennen sei: Dann ß’L$mmli Gots in synem bluot Hat dwelt schon gwaltig vberwunden / Den synen gnad bym vatter funden / Sy gsetzt in sçmlichs Regiment Wies ist in der figur erkennt / Wçlch vns bed#t die Christlich gmein Von allen s#nden gweschen rein Nit eigner macht / sig / gwalt / manheit / Allein durch Gots Barmhertzigkeit Das ist durch L$mmlis sig vnd krafft / Es helff vns ouch zuo der herrschafft. Amen (RO, V. 671 – 681).

Die Schau der himmlischen Herrschaft wird zum Anlass f#r ein Gebet um Hilfe f#r die irdische Herrschaft. Es ist der vierte Herold, der die Ratsmitglieder nun zu einer doppelten Betrachtung anleitet, die nicht nur die himmlischen Freuden, sondern auch Tod und Gericht miteinbezieht. Im Anschluss an Mt 24,42 sollen sie zu einer Haltung permanenter Wachsamkeit und eschatologischer Erwartung finden (vgl. RO, V. 683 – 691). Die im Evangelium ausgesprochene Mahnung, so f#hrt der Herold weiter aus, Meint nit allein den J#ngsten tag. Vff das ich #ch ermanen muoß Ghaltend den spruch [Mt 24] in #wern buoß / Vnd trachtend schnellen vndergang Das nieman hie mag blyben lang / Betrachtend ja / wer schon hie blypt

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Ein kleine zyt syn wollust trybt / Das es doch alls verbittert wirt Vnd frçud in leyd verkert vngirt (RO, V. 692 – 700).

Es ist zu betonen, dass diese zun$chst durchaus konventionelle Anleitung zur Todesbetrachtung sich nicht wie im ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘, bei Johannes Kolroß oder in den Jedermann-Dramen an ein allgemeines Publikum richtet, sondern im Zeichen des erneuerten Stadtregiments zu lesen und eng auf dessen politisches Handeln zu beziehen ist.649 Die Betrachtung des Todes ist hier auch eine Praxis politischer Selbstdisziplinierung. Mit ihrer Hilfe sollen die Ratsmitglieder zu einer gerechten Herrschaftsaus#bung gebracht werden, die im Einklang mit Gottes Geboten und der himmlischen Ordnung steht, von der sie sich ableitet. Der Betrachtung der Verg$nglichkeit des irdischen Lebens steht die Betrachtung der unverg$nglichen himmlischen Freuden gegen#ber, die das ,Osterspil‘ durch seine sinnlich anschaubaren Bilder selbst unterst#tzt: dMateri ist zerstçrlich gar / Da der mensch hat syn vrsprung har / Dargegen trachtend flyßig wol Wie ßhimmelrych ist frçuden vol Die w$rt on end von welt zuo welt Wies #ch ist yetz f#r dougen gstellt (RO, V. 707 – 712).

Ausdr#cklich werden die theatralen Sequenzen hier als meditative Sequenzen gekennzeichnet: Die Szenen, die den Ratsmitgliedern „yetz f#r dougen gstellt“ sind, sollen eine „flyßige betrachtung“ der himmlischen Freude anregen, eine T$tigkeit, die nach dem Vorbild des Johannes wiederum die „geistlichen Ougen“ involviert. Das ,Osterspil‘ zielt auf einen Rezeptionsvorgang, der von den $ußeren Bildern des Theaters ausgehend in Richtung auf die innere Schau des Johannes aktiv wird, ohne dass dabei die mit einer Aufstiegslogik verbundene Zielvorstellung im Hintergrund steht, eine $hnliche Intensit$t der Kontemplation zu erreichen. Vielmehr geht es um eine Kontemplation zweiten Grades, die nicht die Erfahrung des Johannes selbst als Ziel-, 649 Daf#r spricht auch eine Passage aus dem Berner Reislaufmandat von 1529, die Klaus Jaeger als Parallelstelle zitiert. Diese hebe darauf ab, „daß wir [die Obrigkeit] ,vor dem str$ngen gerichts gots am j#ngsten tag dest baß bestan und unser verwaltung guot r$chnung g$ben mogent, allweg in betrachtung des zerg$ncklichen ougenblicklichen l$ben‘ [!]“ (zit. nach Jaeger 2000, S. 293). Zahlreiche $hnliche Formulierungen finden sich auch in Tenglers ,Laienspiegel‘ und in anderen Rechtsquellen (vgl. diese Arbeit, Kap. III.2).

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sondern deren externalisiertes Produkt, die vision$ren Bilder, als Ausgangspunkt eigener Betrachtungen nimmt. !hnlich wie die HieronymusFigur in den Weltgerichtsspielen des einfachen Typs evoziert bereits die Figur des Johannes als homo contemplativus eine solche Herangehensweise. Die Aufgabe des vierten Herolds besteht darin, dieses implizite Rezeptionsmodell zu explizieren und daf#r zu sorgen, dass das theatral inszenierte Visionsmaterial der Johannes-Apokalypse nicht vor den $ußeren Sinnen stehen bleibt, sondern in einen imaginativ-aneignenden Prozess #berf#hrt und f#r eine gerechte Herschaftspraxis fruchtbar gemacht wird. Die Betrachtung der himmlischen Freude und die Betrachtung des eigenen Todes sind dabei nicht voneinander ablçsbar, sondern bilden, wie in anderen meditativen Kontexten auch, ein komplement$res Stoffgef#ge.650 Daher fordert der Herold sp$ter erneut: „So sind deß Tods yndenck allzyt /j Denckend / das er schon in vns lyt“ (RO, V. 755 f.). Ziel der zu habitualisierenden Betrachtungen ist dabei die Verachtung des irdischen sowie die Liebe651 und Begierde zum himmlischen Leben, d. h. im Kontext des ,Osterspils‘ auch eine Haltung, die zu einer unkorrumpierten Herrschaftspraxis f#hrt: Drumb lernend diß leben verachten / Das gschicht / wenn jr nun kçnnen trachten Das / weinen / ist deßin anfang / Sin mittel m#y / vnd sin vßgang Jst z’letst der Todt alls trurens vol / Wem wot diß leben gfallen wol? Ein ander leben hoffendt jr Dem stellend nach mit aller b’gir Da dann kein weinen / vnd kein m#y Noch ouch der Todt #ch schaden th#y (RO, V. 771 – 780). 650 So etwa ausdr#cklich bei Dionysius Carthusianus: „Denique, sicut diligens consideratio mortis ac divini judicii suo timore retrahit hominem a peccatis, et ad poenitendum ac juste vivendum inducit, ut jam ante est declaratum; sic vigilans ac intenta consideratio futurae beatitudinis suo desiderio et amore a peccatis nos abstrahit, et allicit ad virtutes, ad spiritualem profectum, ad puritatem internam“ (QHN, S. 570). „Schließlich, so wie die sorgf$ltige Betrachtung des Todes und des gçttlichen Gerichts den Menschen durch Furcht von den S#nden zur#ckzieht und zur Buße und zum gerechten Leben hinf#hrt, wie zuvor bereits erkl$rt, so reißt uns die aufmerksame und eifrige Betrachtung der zuk#nftigen Gl#ckseligkeit durch Verlangen und Liebe von den S#nden fort und zieht uns hin zur Tugend, zum geistigen Fortschritt, zur inneren Reinheit.“ Vgl. auch diese Arbeit, S. 29. 651 „Liebend den himmel / himmelsch sachen j Sçllend #ch also lustig machen“ (RO, V. 741 f.).

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Hans von R#te ist einer der wenigen Dramatiker, die aus dem Repertoire der gel$ufigen Meditationsstoffe die himmlischen Freuden ins Zentrum einer B#hnenhandlung stellen.652 Bei Johannes Kolroß etwa tauchen diese zwar im Rahmen des f#nfteiligen Betrachtungsschemas auf, das sein Spiel strukturiert: „Des hymels frçud / glori / und eer j Betracht allzyt / so s#ndst nit meer“ (FB, S. 57). Anders als bei R#te bleibt eine szenische Unterst#tzung hier jedoch aus. In engem Zusammenhang mit der Aufforderung zur Betrachtung der himmlischen Freuden steht die Affektregie des ,Osterspils‘, die maßgeblich von den spielinternen Ges$ngen bestimmt ist. Ulrike Hascher-Burger hat an Quellen aus dem Bereich der Devotio moderna gezeigt, dass Meditation und Musik bereits in der Frçmmigkeitspraxis des Sp$tmittelalters vielf$ltig aufeinander bezogen wurden: „Music was intended to awaken the proper and desired affectio, the emotion that, based on the text or reading (lectio), should result from the meditatio and be directed into effective prayer to God (oratio).“653 Auch wenn es wenig sinnvoll ist, dem ,Osterspil‘ das Schema von lectio, meditatio und oratio zugrundezulegen, so sind seine Ges$nge dennoch maßgeblich daran beteiligt, eine emotional involvierte ,flyßige betrachtung‘ der himmlischen Freuden zu ermçglichen. Insbesondere im letzten Drittel des Spiels dienen die Ges$nge der Affektevokation.654 So kommentiert Johannes das apokalyptische Neue Lied (Apk 5,9): „Ein n#w Lied hçren ich sy singen j Macht mir von frçud min hertz vffspringen“ (RO, V. 453 f.).655 Auch das vierstimmige Lied, das bald darauf nach den preisenden Repetitionen der himmlischen Heerscharen einsetzt, stellt den Affekt der Freude programmatisch aus: DAs truren ist vergangen / Hat sich in frçud verkeert / 652 Eine szenisch ausdifferenzierte Himmelstopographie findet sich sp$ter in der auf Bartholom$us Ringwaldts ,Trewem Eckart‘ (1588) beruhenden ,Comoedia vom Zustande im Himmel vnnd in der Hellen‘ (1600) Andreas Hartmanns. Vgl. dazu Ratzke 2016. 653 Hascher-Burger 2014, S. 264. 654 Die vorherigen Ges$nge beziehen sich eher res#mierend oder kommentierend auf die Handlung (vgl. RO, V. 112ab; V. 414a; vgl. dazu Jaeger 2000, S. 87 f.). 655 Der Text des Neuen Liedes selbst ist in dem Gesang ,Dignus es Domine accipere librum‘ (RO, V. 414a) aufgegriffen (vgl. Jaeger 2000, S. 88). Die Aussage des Johannes bezieht sich jedoch auf das direkt anschließende Lied ,WJe hat es sich doch mit vns verkeert‘ (RO, V. 455 – 493), das sich eher inhaltlich paraphrasierend auf das Neue Lied bezieht (vgl. Jaeger 2000, S. 88 f.).

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Nach frçud that vns verlangen / Die hat sich t$glich gmeert / Vnd wirt sich f#rbaß meeren / Biß inn die ewigkeyt / Das kumpt alles vom Heren / Dem singen wir zuo ehren / Diß Lied mit frçligkeyt (RO, V. 530 – 538).656

Wenn Johannes daraufhin den Jubel „alle[r] Creatur“ (RO, V. 557) und die „frolockend stimmen“ (RO, V. 564) des gesamten Kosmos konstatiert, so f#hrt er damit Formulierungen aus Apk 5,13 mit dem Osterjubel der gegenw$rtigen liturgischen Zeit zusammen. Die Visionssequenzen des ,Osterspils‘ enden schließlich mit einem Gesang, den der dritte Herold ausdr#cklich als „Triumph vnd frçuden lied“ (RO, V. 642) bezeichnet.657 Klaus Jaeger hat versucht, die Dramatisierungstechnik Hans von R#tes mit einer gel$ufigen Vorstellung von der Funktion protestantischen Theaters zu harmonisieren. Anders als etwa die Apokalypse-Tableaus der Rederijker gehe R#te nicht den Weg, die Visionsbeschreibung des Johannes in unkommentierte Bilder zu #bersetzen. Vielmehr bleibe er „der Tradition des Bibeldramas verhaftet, das die Verk#ndigung des Gotteswortes durch die Aussagekraft der Bilder verst$rken, nicht aber ersetzen will.“658 Jaeger argumentiert vor dem Hintergrund einer traditionsreichen Position, die vom reformatorischen Primat des Wortes ausgeht, dem andere Medien tendenziell unterzuordnen seien. Fasst man R#tes Dramatisierungstechnik im Kontext einer meditativen !sthetik auf, so verliert diese Hierarchisierungsthese an Plausibilit$t. Das Spiel selbst rekurriert ja von Anfang an weniger auf das Modell der Wortverk#ndigung als auf das Modell der inneren Schau. Es interessiert sich f#r das, was Johannes „im geyst“ (RO, V. 35), „Mit geistlichen Ougen“ (RO, V. 44) oder in seinem „gm#t“ (RO, V. 64) gesehen hat.659 Damit l$sst sich das Visualit$ts- und Sinnlichkeitsverst$ndnis des Spiels historisch ad$quater verstehen. Es pr$sentiert seine Bilder und Kl$nge zun$chst als 656 Vgl. zur traditionsgeschichtlichen Einordnung des Liedes Jaeger 2000, S. 84 f. 657 Der Text basiert auf Ps 148 und stammt vermutlich von R#te selbst (vgl. Jaeger 2000, S. 85 f.). 658 Jaeger 2000, S. 273. 659 Darauf verweisen gerade auch die deskriptiven Reden des Johannes, die Jaeger als Argument f#r die Wortlastigkeit des ,Osterspils‘ anf#hrt (vgl. Jaeger 2000, S. 273 f.). In seinen descriptiones weist Johannes immer wieder darauf hin, was er aktuell, d. h. vor seinen geistigen Sinnen, hçrt oder sieht (vgl. RO, V. 67; 87; 93; 97; 166; 185; 210 etc.).

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solche der contemplatio Dei und fordert sein Publikum schließlich dazu auf, diese externalisierten inneren Bilder und Kl$nge in eigene Betrachtungen zu #berf#hren und politisch handlungsleitend wirksam werden zu lassen. 3.3. Das Bedenken des J#ngsten Tages und die Macht des Gebets in Agricolas ,Comedia‘ Das Gegenteil eines meditativen Habitus ist der Habitus des Epikureers. W$hrend es einem Christen darum gehen sollte, in permanenter Betrachtung und Erwartung der Letzten Dinge zu leben, weist der Epikureer alle Gedanken, die ihn vom unmittelbar sinnlichen Genuss weltlicher G#ter abhalten und zu einer gottesf#rchtigen Haltung bringen kçnnten, systematisch von sich.660 Agricola assoziiert diesen Topos von den „Epicurischen Menschen und Teuffels kindern“ in der Vorrede zu seiner ,Comedia‘ in erster Linie mit den „grossen Herren und Hansen / die in der Welt allenthalben genug / vnd nirgent wo / am gelde oder g#tern mangel haben“ (AC, Aijv-Aiijr). Der Mangel, der diese Menschen auszeichnet, ist kein Mangel an G#tern, sondern ein Mangel an gedanklicher (bung. Sie kçnnen, so vermutet Agricola, wol nicht einmal die gedancken fassen / das hier kein bleibende stat / dis leben hier im jammerthal bald ein ende nehme / vnd dort ein anders / bessers / so ewig vnd vnuorgenglich zugewarten sey / Sondern viel mehr das gemeine Epicurische bçse Wort / ,Ede bibe lude post Mortem nulla voluptas‘, gehab dich hier wol / friß / sauff vnd spiele / dort ist auch kein frewd vnd leben mehr / jres hertzens im schwange der gedancken gehen lassen (AC, Aiijr).

Hier zeigt sich erneut die Bedeutung, die maximenartigen Spr#chen oder Merkversen zugeschrieben wurde, die „im schwange der gedancken“ zirkulieren, um das Handeln anzuleiten.661 Doch w$hrend etwa Hans von R#te von Mt 24,42 und der Mahnung zum Bedenken des J#ngsten Gerichts ausging, um sein Publikum dazu aufzufordern, sich „den spruch in #wern buoß“ (RO, V. 694) einzupr$gen, wirkt das „Epicurische bçse Wort“ in die entgegengesetzte Richtung: Es verdr$ngt die Gedanken an die 660 Dieser Topos steht in der Tradition einer vulgarisierten christlichen Epikurrezeption, in der „das Etikett ,epikureisch‘ die pejorative Kollektivbezeichnung f#r die Grundhaltung nicht nur des (sei es wissenschaftlichen, sei es praktisch gelebten) Materialismus u. Naturalismus, sondern dar#ber hinaus des in der Gottferne verharrenden, in ihr sich wohlf#hlenden Agnostizismus #berhaupt abgeben kann“ (Schmid 1962, Sp. 779). 661 Vgl. dazu diese Arbeit, S. 23; 54; 58; 76; 77; 218.

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Letzten Dinge, die ein Christ in permanenter geistlicher (bung kultivieren sollte. Dass Agricolas Bezug auf die „Epicurischen Menschen“ genau auf diesen Zusammenhang abzielt, zeigt ein Blick auf die neueste protestantische Erbauungsliteratur der Zeit, die im unmittelbaren sozialen Umfeld der ,Comedia‘ entstand. Im Jahr 1572 publizierte der damalige Generalsuperintendent Brandenburgs und Berater des Kurf#rsten in Berlin, Andreas Musculus, sein Meditationskompendium ,Bedencks Ende‘, das er den Tçchtern des Kurf#rsten Johann Georgs, Anna Maria und Sophie, widmete.662 Musculus entfaltet darin eine umfangreiche Auslegung von Sir 7,40, dem locus classicus der Betrachtung der Letzten Dinge, und greift dabei auf eine Vielzahl sp$tmittelalterlicher Vorstellungen zur#ck, die er mit lutherischer Theologie harmonisiert.663 Der erste Teil dieser Schrift beginnt mit einer begrifflichen Erkl$rung der Novissima und stellt darin zwei Gruppen von Menschen einander gegen#ber. Die Novissima, so f#hrt Musculus aus, seien die Letzten Dinge oder „das End / welches alle Gottes kinder sollen bedencken / stets fur augen haben / vnd nicht eins aus den gedancken vnd sinne kommen lassen / als nemlich / das wissen vnd stets bedencken / das dieß zeitlich leben sein End habe vnd neme“.664 Auf der einen Seite stehen demnach die Gedanken der Gotteskinder, die sich in permanenter (bung die Letzten Dinge vergegenw$rtigen. Auf der anderen Seite hingegen stehen die Gedanken, die Musculus sp$ter als die „gedancken / des andern haufen […] vnd meisten theil der Menschen“665 ausweist. Diese Menschen n$mlich

662 Vgl. Musculus 1572, Aijr. Die Widmung an die zu diesem Zeitpunkt vier- bzw. f#nfj$hrigen Tçchter des Kurf#rsten ist einerseits eine versteckte Widmung an den Kurf#rsten selbst, wie Musculus in einer captatio benevolentiae deutlich macht: „E. Churf. G. selbst habe ich diese meine geringe Erbeit nicht dçrffen zuschreiben / weil das b#chlein zu klein vnd zugering“ (ebd., Aviijv). Sie verweist jedoch, $hnlich wie Kolroß’ ,F#nfferley Betrachtnusse‘, zugleich darauf, dass die Grundlagen f#r einen meditativen Habitus bereits in der Kindheit zu legen sind. 663 So besch$ftigt sich der zweite Teil des ,Bedencks Ende‘ mit der Frage, „wie das zuuorstehen das Jesus Syrach sagt / wer diese Nouissima / oder das end bedencke / nimmermehr werde sundigen / so doch alle heiligen / wie from / Gottfurchtig / vnd in fleissiger guter betrachtung / der letzten dinge sie leben vnd sterben / sundigen vnd sunder sind / vnd allein in steter vergebung / von teglicher abwaschung jrer sunden im blut Christi gerecht / from / selig sein vnd bleiben“ (Musculus 1572, Br-Bv). 664 Musculus 1572, Bv. 665 Musculus 1572, Cijr.

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denken „wie vorzeiten die Epicurischen sew, ,Pereat qui crastina curat, Ede bibe, lude, post mortem nulla uoluptas‘“.666 Dass in Agricolas Formulierungen wçrtliche Ankl$nge an Musculus zu finden sind und dass er auf die gleichen Zitate zur#ckgreift, muss nicht heißen, dass ein Quellenverh$ltnis zwischen seiner Vorrede und dem ,Bedencks Ende‘ besteht. Es belegt jedoch, dass sich Agricola und Musculus im gleichen diskursiven Feld bewegen.667 Wie Musculus setzt Agricola an den gedanklichen Routinen seines Publikums an und die ,Comedia von dem Letzten Tage‘ ist zweifellos ein Schauspiel, das ein permanentes Bedenken der Letzten Tage unterst#tzen soll. Es setzt in seinem Rezeptionskalk#l die Existenz von Frçmmigkeitsroutinen voraus, die durch eine lange Tradition geistlicher (bungen vorgepr$gt worden sind und die im Umfeld Agricolas durch Andreas Musculus eine charakteristische lutherische Ausgestaltung erfuhren.668 Das verzerrte Bild, das die Forschung von der ,Comedia‘ gezeichnet hat, ist nicht zuletzt durch die Ausblendung dieses frçmmigkeitspraktischen Bezugsrahmens entstanden.669 Mit der Rekonstruktion dieses Bezugsrahmens ist zwar nicht gerade die viel gescholtene Reimtechnik der ,Comedia‘ zu retten, aber durch eine $sthetische Rehabilitierung w$re ohnehin wenig f#r ihr historisches Verst$ndnis gewonnen. Agricola verkn#pft mit der Weltgerichtsthematik seiner ,Comedia‘ vor allem den Appell an die Obrigkeit, den sozialethischen Anforderungen ihres Regierungsauftrags nachzukommen; daher entspricht Musculus’ Antithese von Gotteskindern und Epikureern bei ihm der Antithese von Armen und Reichen. Den Widmungstr$ger und neu gew$hlten B#rgermeister Christoph Rauch nimmt er dabei in einer captatio benevolentiae allerdings von den „grossen Herren und Hansen“ aus, die er zuvor mit 666 Musculus 1572, Cv. 667 Wenig fraglich ist dabei, dass dieses Feld im Berliner Milieu maßgeblich von Musculus gepr$gt wurde. Zum kirchenpolitischen Einfluss von Musculus vgl. Baumann-Koch 2001, S. 25 – 27; zum eschatologischen Schwerpunkt seiner Schriften vgl. Kolb 2015, Sp. 535 f. Neben den Endzeitdiskursen in zahlreichen seiner Schriften w$ren hier u. a. ,Vom j#ngsten Tag‘ (1557), ,Vom Himmel vnd der Hellen‘ (1559) oder die ,Betrachtung des zunahenden J#ngsten Gerichts‘ (1578) zu nennen. 668 Zur Aneignung meditativer Traditionen im fr#hen Luthertum mit Fokus auf lateinische Quellen vgl. Steiger 2000, S. 657 – 662. 669 So etwa bei Michael, der sich #ber Agricolas vermeintliche „Geschw$tzigkeit, ungeschickte Reimereien“ und seine „groteske Schwarz-Weiß-Zeichnung“ beschwert (Michael 1984, S. 117). !hnlich schon Scherer 1875, S. 151: „[S]chlechte Verse, trockene Ausf#hrung, wortreiche Predigt.“

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einem epikureischen Habitus assoziiert hatte. Rauch habe sein Herz, obwohl er „von Gott mit geld vnd gute begabet / Nicht an diesen zeitlichen Rust / sondern alweg an den Ewigen vnd hçchsten schatz […] gehangen / geneigt vnd gericht“ (AC, Aiijv). Seine ,Comedia‘, so f$hrt Agricola fort, enthalte die zuk#nftigen Dinge, wie sie auch albereit ,cum luctibus hominum‘, mit harten seufftzen vnd bittern wehklagen der Armen / im schwange gehen / Die dann Gott reitzen vnd hçgst bewegen / einmal vmb dieses seufftzen vnd vielen weheklagens / auch vmb der ausserwelten willen / die tag zuuerkuortzen / vnd einmal als der Oberste Richter auch gericht zuhalten / vmbzufragen vnd Rechenschafft zunemen / Wie allhier die Grossen Herrn / denen er das schwerd zur Gerechtigkeit beuohlen / hausgehalten / etc. (AC, Aiijv-Aiiijr).

Mit dem Seufzen und Wehklagen der Armen, das f#r Agricola, wie zu zeigen ist, immer ein Seufzen und Wehklagen im Gebet ist, ist ein zentrales Motiv der ,Comedia‘ angesprochen. Denn die „Grossen Herrn“ kçnnen zwar in der Welt die ihnen von Gott verliehene Macht missbrauchen, doch die Gebete der Armen sind ihrerseits ein m$chtiges Medium, das Gott reizt und dazu bewegt, sein J#ngstes Gericht n$her r#cken zu lassen. Um diese Vorstellung zu kontextualisieren, ist wiederum ein Blick auf die Schriften von Andreas Musculus hilfreich. Musculus hat in seiner ,Unterrichtung der alten heiligen Lehrer vom Gebet‘ – einer Kompilation von patristischen Gebetslehren in katechetischer Form, die seinem ,Betb#chlein‘ (1559) angeh$ngt ist – auch Aussagen zur Macht des Gebets zusammengestellt, die f#r Agricolas ,Comedia‘ relevant sind.670 Die siebente von der ,Unterrichtung‘ beantwortete Frage lautet: „Wie krefftig vnd mechtig ist das gebet f#r Gott / was f#r nutz vnd frommen hat es in sich?“ Sie wird mit Origenes zun$chst dahingehend beantwortet, dass das fromme Gebet st$rker sei und mehr ausrichte „als die gewapnete hand grosses kriegsuolcks / Denn dieweil das gebet den Himmel durchdringet / solte es denn nicht auch auff Erden mechtig sein / vnd alle feindschaft vberwinden?“671 Tats$chlich f#hrt die Macht des Gebets in der ,Comedia‘ nicht nur dazu, dass Gott die Armen erhçrt und zum J#ngsten Gericht erscheint, sondern auch dazu, dass ein zahlenm$ßig unterlegenes christliches Heer 670 Das ,Betb#chlein‘ gilt als „das erste lutherische nach systematisch-theologischen Gesichtspunkten geordnete Gebetbuch“ (Baumann-Koch 2001, S. 50). BaumannKochs Untersuchung widmet sich eingehend dem Verh$ltnis des deutschen ,Betb#chleins‘ zu seiner lateinischen Vorlage, den ,Precandi Formulae‘ (1553). Zur ,Unterrichtung‘ im Verh$ltnis zur lateinischen ,Instructio‘ vgl. ebd., S. 59 – 97. 671 Musculus 1576, b [zweite Z$hlung].

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eine ganze t#rkische Armee besiegen kann.672 Die Haltung, in der die Armen bei Agricola das J#ngste Gericht im Gebet herbeisehnen, entspricht der Haltung der Gotteskinder, die Musculus im ,Bedencks Ende‘ beschreibt. Durch ihren Glauben seien diese „aller furcht frey / vnd kçnnen von hertzen beten / vnnd w#nschen die zukunfft Christi zum Gericht / vnd f#r jm mit auffgerichtem Heupt zu stehen / vnd warten auff das vrtheil des Gerichts“.673 Damit wird auch deutlich, dass der meditative Habitus, der die Letzten Dinge permanent in den Gedanken bewegt, von einem Habitus des permanenten Gebets nicht ablçsbar ist.674 Wie eng das Bedenken des J#ngsten Gerichts und die Macht des Gebets auch in der ,Comedia‘ aufeinander bezogen sind, zeigt bereits ihr Prolog, der die Rezeptionshaltung des Publikums durch dessen performative Einbindung in das paratextuelle Feld des Spiels zu steuern versucht. Der Prologsprecher $ußert zun$chst eine eindringliche Bitte um Aufmerksamkeit, um das „in acht haben“ und „betrachten“ seines Gegenstandes: ACh lieben Christen habt in acht / Vnd hoch mit ernst mein redt betracht / Die jch in kurtz euch melden wil / Darmit jr vorstet das folgend spil / Der J#ngste Tag naht vns zu hand / Das last euch allen sein bekand (AC, Avjr).

Vom Publikum wird daher verlangt, die Bilder des Schauspiels als Glaubensinhalte zu behandeln. Was das Spiel ihnen vorf#hrt, ist keine Fiktion, sondern eine verbindliche Variante der nahen Zukunft, die sich genau so abspielen wird, wie es die ,Comedia‘ modelliert: Vnd gleubt mit mir gantz sicherlich / Das wie jrs seht f#r augen klar / So wirts geschen sag jch f#rwar /

672 Das christliche Heer betet und singt „Ein Feste Burg ist vnser Gott“ (AC, Cr). Gott sendet daraufhin den Erzengel Gabriel zu Hilfe, sodass beim Angriff der T#rken ein klassischer Deus bzw. angelus ex machina zum Einsatz kommt: „In jrem anlauff feldt Fewer vom Himmel / sie sincken vnd fallen mit / vnd der Engel tilget sie jm streit plçtzlich“ (AC, Cijr). 673 Musculus 1572, E3v. 674 Im Hintergrund steht hier Lk 21,36, wie Musculus ausf#hrt. Christus selbst lehre die Gotteskinder: „Vigilate omni tempore deprecantes, Das sie mit stetm wachen vnnd vnauffhçrlichem Gebet / auff seine zukunfft sollen warten“ (Musculus 1572, D5v).

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III. Endzeit

Vnnçtig ist das jch mehr red / Weil hier die menge f#r augen stet (AC, Avjr).

Zwar ist die sinnliche Evidenz von Schauspielen ein $ußerst gel$ufiger Prologtopos,675 doch im eschatologischen Kontext der ,Comedia‘ ist das von ihr „f#r augen“ gestellte auch auf die Semantik geistlicher (bungen bezogen, denn das Spiel medialisiert nur das, was laut Musculus „alle Gotteskinder sollen bedencken“ und „stets fur augen haben“.676 Das theatrale Vor-Augen-Stellen, diese These sei hier noch einmal erneuert, entlastet Zuschauer und Leser, indem es den Imaginationsakt externalisiert, den die Meditationsliteratur fordert, wenn sie dazu aufruft, sich in geistlicher (bung selbst etwas vor Augen zu stellen.677 Eine auff$llige Wendung des Prologs besteht nun darin, dass der Prologsprecher das Publikum zum gemeinsamen Gebet auffordert, sodass Frçmmigkeitsvollzug und Rezeption des Schauspiels unmittelbar miteinander verzahnt sind: Allein fald mit mir auff die Erd / Vnd sprecht ein Vater vnser werdt / Vnd den Glauben an HErrn Jhesum Christ / Der vnser aller Heiland ist (AC, Avjr).

Der Gebetsakt, dessen Emphase durch die gemeinschaftlich zu vollziehenden Demutsgeste des Erdfalls zum Ausdruck gebracht werden soll, realisiert mit dem Vaterunser und dem Glaubensbekenntnis nicht nur die insbesondere von Luther nachdr#cklich akzentuierten christlichen Basisgebete bzw. -texte schlechthin.678 Indem er den Glauben an den Gottessohn, der kommen wird, „zu richten die Lebenden und die Toten“, performativ bekr$ftigt, verleiht er zugleich auch der sich im Schauspiel anschließenden Handlung, die eben dies zeigt, eine gesteigerte Verbind675 Dazu Ehrstine: „The most ubiquitous expression of Reformation drama’s participation in what Roloff has termed the ,visueller Kommunikationsbereich‘ is the phrase ,vor die Augen stellen‘. Indeed, this metaphor seems to represent the lowest common theoretical denominator among Protestant playwrights“ (Ehrstine 1998, S. 532). Allerdings hat die Phrase ,vor die Augen stellen‘ ihren theoretischen Ursprung in der Rhetorik (evidentia/hypotyposis) und ist daher vielleicht weniger als spezifisch protestantisches, sondern eher als interkonfessionelles Ph$nomen aufzufassen. 676 Musculus 1572, Bvr. 677 Vgl. gel$ufige Formulierungen wie „Adduc ante oculos“ (SA, S. 162) oder „propone oculis tuis“ (SA, S. 164). 678 Zur Rolle katechetischer Texte in Luthers Gebets- und Meditationsverst$ndnis vgl. Steiger 2013, S. 13 – 15.

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lichkeit.679 Glenn Ehrstine hat j#ngst nachdr#cklich gezeigt, dass man f#r die Rekonstruktion sp$tmittelalterlicher Publikumsgewohnheiten den Kontext der in Meditation und Gebet einge#bten innern und $ußeren Haltungen ber#cksichtigen muss.680 Agricolas ,Comedia‘ belegt, dass dies auch noch in der Reformationszeit gilt. Die Erwartung des J#ngsten Gerichts im Gebet ist auch die Haltung, die die erste auftretende Figur an den Tag legt. Es ist ein Mathematicus, der am mangelnden Schein des Mondes und der Sterne erkennt, dass Gottes Wiederkehr und der J#ngste Tag nicht weit sein kçnnen. Er entschließt sich: „So will ich mit gefalten henden warten /j Seiner herrlichen Zukunfft“ (AC, Avjv). Der Mathematicus steht fest im Glauben, d. h. auf der Seite der Gotteskinder, sodass f#r ihn das J#ngste Gericht kein Grund zum Erschrecken, sondern ein Grund zur Freude ist: „Darumb erschreck jch gantz gar nicht /j Dann frçlich ist mir sein Gericht“ (ebd.). Wie Agricola in der Vorrede weiß er um die Macht des Gebets, welche die Zeit bis zum J#ngsten Gericht verk#rzt. Das „grosse seufftzen der Armen“, so erkl$rt er, dringe stets zu Gott in den Himmel und f#hre dazu, dass „er einmal wird thun kommen /j Vmb der ausserwelten Gottes frommen“ (ebd.). Damit spricht der Mathematicus zugleich eine Art Prolog f#r die folgende Szene, in der ein „Armer Pawersman“ mit seiner Familie auftritt, die sich in ihrer Not ganz dem Gebet hingibt: ACH frommer Gott biß du nicht lang Wie ist vns auff Erd also bang/

679 Ein $hnliches Publikumsgebet mit einer noch st$rker ausdifferenzierten gestischen Regie findet sich, freilich mit katholischem Standpunkt, im ,Luzerner Antichrist‘ (1549). Dort fordert der Proclamator das Publikum nach seinem eigenen Gebet an die Dreifaltigkeit auf: „All, die des bg$ren, sond r#sten sich,j ein patter noster, ein aue maria andechtigklich, j ein cristlichen glouben betten jn tr#w. j hiemitt sich mencklich neig vff dkn#w, j dman mitt zertan armen sb$tt zfollenden, j wybsbild vnd kind mitt vffghebten henden!“ (AZB, V. 83 – 88). Zu dieser Gebetspraxis und ihrer Bedeutung f#r das sp$tmittelalterliche Theaterpublikum vgl. jetzt Ehrstine 2015, S. 120 – 125. 680 Infolge einer mangelnden theatergeschichtlichen Quellenbasis „ist man auf verwandte Frçmmigkeitspraktiken angewiesen, um zeitgençssische Publikumsgewohnheiten zu rekonstruieren. Gerade Quellen aus dem Umfeld der sp$tmittelalterlichen Passionsbetrachtung sind hervorragend geeignet, Einblicke in ein etabliertes Schauverhalten unter Zeitgenossen zu gew$hren, das etlichen Formen der visuellen Andacht vor der Reformation gemein war und somit auch die Rezeptionsbedingungen des Geistlichen Spiels mitbestimmte“ (Ehrstine 2015, S. 116; vgl. auch Ehrstine 2012).

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III. Endzeit

Ja wann wir dich zum trost nicht hetten / Kçndten wir schir wider ruffen schreyen noch beten / (AC, Avjv).

Die Wirkung des Gebets zeigt sich konkret darin, dass die Familie einen weiteren Tag mit Nahrung versorgt ist, obwohl am Vortag bereits alles aufgebraucht war. Nach diesem Nahrungswunder ruft der Vater seine Kinder zu sich: „IR Kinderlein kompt schnel her getreten /j Vnd helffet mit mir zum HErren beten“ (AC, Aviijr). Das gemeinsame Gebet beinhaltet nicht nur den Dank f#r die erhaltenen Wohltaten, sondern auch den Wunsch, dass das J#ngste Gericht mçglichst bald eintreten mçge. Nicht nur die Kçrper soll Gott speisen, sondern auch die Seelen: „Vnd mach ein end zu deinem Tag /j Da sich thut enden not vnd klag“ (AC, Aviijv). Es gebe viele Heilige Gottes, „die solchs von hertzen w#nschendt sein“ (AC, Aviijv). All diese „Schreyen ruffen durch geengsten Geist“ (AC, Aviijv) zu Gott, da sie sonst unter dem Joch der Gottlosen vernichtet w#rden, die ihr Dasein in der Welt „Allein auff wollust Gut vnd Geldt“ (AC, Aviijv) ausrichten. Ganz $hnlich wie den Bauern geht es einer armen Witwe, die unrechtm$ßig allen Besitz verloren hat und nun nur noch auf die Gerechtigkeit Gottes hoffen kann: Ich send dir nauff hir mein Gebet / Weil all mein hoffnung zu dir stett / Kom du doch einmal auch herein / Vnd sprich schier selbst das Vrtel fein (AC, Br).

Auch die Witwe und ihre Kinder werden durch Gottes Hilfe einen Tag l$nger mit Nahrung versorgt. Dass die Gebete nicht wirkungslos bleiben, zeigt nun eine innertrinitarische Beratungsszene, in der sich Gottvater und Sohn dazu entschließen, das J#ngste Gericht nicht l$nger aufzuschieben.681 Auch im himmlischen Diskurs spielt dabei die habituelle Differenz von Armen und Reichen als Differenz von Gotteskindern und Epikureern eine entscheidende Rolle. Christus selbst betont, dass es zwar viele gebe, die f#r seine Passion keinen Dank empfinden, zugleich aber finde man immer noch „from Kind“ (AC, Bijv), die ihn in angemessener Weise preisen. Diese Gotteskinder sind in permanenter geistlicher (bung begriffen, sie rufen und schreien 681 So wendet sich Gottvater an Christus: „WOlan du lieber einiger Sohn j Dieweil du hier hçrst den Elendt thon /j Vnd seuffzen so zu vns tringt rein / In Himmel durch die wolcken fein /j So werden wir auch nun in der Thatt j Durch deinen willen vnd ernsten rath /j Den wir vns zu der stund behalten j Auch einmall hin zum vrtel walten“ (AC, Bijr).

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Emsig hart fleissig jm gebet / Das ich soll kommen zum gericht / Die grossen Hanssen begerens nicht / Die Leben auff Erden in fressen vnd sauffen (AC, Bijv).

Dass die Reichen dem Elend der Armen keine Aufmerksamkeit schenken, ist eine Folge ihrer Diesseitsorientierung, ihrer ,Gerichtsvergessenheit‘. Wie die Betrachtung der himmlischen Freuden bei R#te dient das Bedenken des J#ngsten Gerichts bei Agricola daher auch als selbstdisziplinierende Buß#bung einer reichen F#hrungsschicht, die in eine karitative soziale Praxis einm#nden soll. Nicht zuletzt ist dies mit Blick auf die Ratsversetzung von 1573 und den „von Gott mit geld vnd gute“ (AC, Aiijv) begabten B#rgermeister und Widmungstr$ger der ,Comedia‘ zu lesen.682 Das Exempel schlechthin bildet in diesem Kontext Lk 16,19 – 31, das Gleichnis vom Reichen Mann und vom Armen Lazarus, dessen eschatologische Bedeutung Christus selbst unterstreicht. Die Reichen n$mlich sehen Lazarus nicht an, „Do sie doch solten thun bedencken /j Das ich jn solchs werd eben schencken /j Gleich es dem Reichen Man bequam“ (AC, Bijv). Eben dies nicht zu bedenken, sich nicht in der Betrachtung der eschatologischen Konsequenzen einer epikureischen Lebensweise zu #ben, f#hrt demzufolge #berhaupt erst zu jenem Zustand sozialen Elends, den die ,Comedia‘ beschreibt. Die Figur, die diesen Zusammenhang explizit macht, ist der endzeitliche Prophet Elias, der von Gott mit dem Auftrag zur Erde gesandt wird, Buße zu predigen und das J#ngste Gericht anzuk#ndigen.683 Elias wendet sich in seiner Predigt an die weltlichen Obrigkeiten, die er zun$chst mit einem klassischen ,Memento mori‘ an ihre eigene Sterblichkeit erinnert. 682 Eine aufschlussreiche Verkn#pfung von Ratswahlritual und Vergegenw$rtigung von Heilsgeschichte und J#ngstem Gericht beschreibt Stefanie R#ther im Kontext des Amtseides der L#neburger Ratsherren: „Die Kreuzigungsszene hatten [wie in Iglau] auch die L#neburger Ratsherren vor Augen, wenn sie ihren Amtseid leisteten, denn sie legten dazu ihren Finger auf einen aufwendig gestalteten Schwurbock, der neben dem heiligen Georg und Johannes dem T$ufer eine Kreuzigungsszene und das Weltgericht zeigte“ (R#ther 2008, S. 36). 683 Auch bei seinem Auftrag an Elias betont Gott erneut die Macht des Gebets, die ihn zum J#ngsten Gericht veranlasst: „So mach dich wieder nab vff Erden /j Vnd zeig der Welt an jn gemein /j Das sie sich schnell thu bessern fein /j Dan alle ding ist hin gestaldt /j Das wir nicht lang sondern ie gar baldt /j Den tag des gerichts wollen kommen lan /j Dan die Welt nicht lenger stehen kan /j Wegen der grossen vnerhort vnbarmhertzigkeit /j Darin der arm vnd Elendt zu boden leit /j Vnd schreit teglich mit zeren viel /j Zun vns in Himmel vberfiell“ (AC, Ciiijr).

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III. Endzeit

Die soziale Verantwortung und die Verantwortung f#r das eigene Seelenheil sind dementsprechend eng aufeinander bezogen: Ihr grossen F#rsten vnd auch Herrn / Ihr woldt euch jha zu Gott bekeren / Vnd gedencken das jhr Menschen seidt / Den armen zu sch#tzen alle zeitt / Den jhr doch last vorstossen gehn (AC, Cvv).684

Die karitative Praxis der Herrschenden ist abh$ngig von den Gedanken, die ihr Handeln regulieren; die Handlungen selbst wiederum wirken sich unmittelbar auf das Urteil im J#ngsten Gericht aus. Daher setzt der Bußaufruf immer wieder neu mit dem Versuch an, #ber die Erinnerung an die eschatologischen Folgen des Handelns in den Fluss der Gedanken einzugreifen: „das bedenckt doch eben jha /j Wie jr bestehen werdet da /j Vor dem gerichts stull des Herren Jhesu Christ“ (AC, Cvjr). Wenn die Gedanken von weltlichen G#tern und sinnlichen Gen#ssen dominiert werden, so m#ssen diese durch die Gedanken an die Verg$nglichkeit alles Irdischen und den Tod ersetzt werden: „Bedenckt wie Job inschrifften spricht /j Nackend bin ich kommen in die Welt /j Bloß fahr jch wieder wans Gott gefelt“ (AC, Cvjr). Nachdem Elias zur#ck in den Himmel entr#ckt wurde, tritt ein vorbildlicher alter Mann auf, um noch einmal den Einfluss der Gedanken auf das Handeln und die Gefahr eines Defizits in der gedanklichen Disziplin zu betonen. Er lobt die Lehre des Elias und $ußert mit Blick auf die Obrigkeit: „Wollen nun die Herrn nicht dencken tran /j So mçgen sie drob die fahr aus stan“ (AC, Dv). Es #berrascht nicht, wenn er dann seine Knechte dazu auffordert, sich regelm$ßig im Gebet zu #ben und durch die Wachsamkeit der Gedanken an das J#ngste Gericht eine eschatologische Erwartung einzu#ben: Darumb bett fleissig libet Gott / Wan ir vff steht beidt fr#e vnd spatt / Vnd gedenckt das wan er kom herein / Ihr ia vnd wir alle muntter sein (AC, Dv) 684 Zum Konnex von Herrschaft und Todesmeditation f#hrt Musculus aus: „Also lieset man auch in der historien das aus angeerbtem Memorial / vnnd Adams gedenck zettel / etliche Kçnige vnd mechtige potentaten / damit sie sich jrer gewalt vnd macht / nicht zuseer erh#ben / vnd gedechten / das sie demnach auch nicht mehr / als sterbliche Menschen / durch einen dazu verordnet vnd bestellet / haben des tags vnd des Nachts / ein mal lassen inen zu schreien / Memento mori, Gedencke das du sterblich / vnd der mal eins auch sterben must“ (Musculus 1572, Biijv-Biiijr).

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Das Gegenmodell zu diesem Figurentypus bildet nun der demonstrative Epikureer und Edelmann Hans, der mit seinen Gesellen ein großes Gelage veranstaltet. Dort wird Bacchus als alleiniger Gott vereehrt und die Gedanken werden systematisch von Elias, Gott und seinem J#ngsten Gericht abgelenkt.685 Der Pfarrer des Ortes, der das Gelage mit seinen Kindern angesehen hat, f$llt mit diesen auf die Knie und ins Gebet, um sich selbst vor einer solchen Verirrung zu bewahren.686 Die Gefahr, der sich der Edelmann mit seinen Gesellen aussetzt, so macht er deutlich, ist die Gefahr mangelnder Erinnerung an das J#ngste Gericht und an das Ewige Leben. So wundert er sich #ber Hans, Das er so fehrlich hin thut leben / Vnd so gar nicht wil gedencken eben / Das ein ander leben nach dieser zeitt / Vnd diese stundt jm schwalge leidt (AC, Dvijr).

Der gleiche Impuls liegt auch dem Brief zugrunde, den der Pfarrer vergeblich an die Exzessgemeinschaft sendet, um sie zur Umkehr zu bewegen: „O weh vnd weh euch Bachi kindt /j Die jr frest saufft nicht denckent sind /j Das euch der tagk wirdt thun erreichen“ (AC, Dviijv).687 Wie viele andere 685 Als etwa Stefan, ein Teilnehmer des Gelages, das Gespr$ch auf den Propheten Elias und seine Predigt vom J#ngsten Gericht lenkt und dessen Glaubw#rdigkeit anzweifelt, erwidert Hans sogleich: „EI wie anders es sind nort lame zotten /j Das solche Narren in die welt gerahten /j Sitzt nieder das wir ein bißlein essen /j Solcher newen mehr ist baldt vorgessen“ (AC, Dvv). Das Trinkritual der Zechgemeinschaft weist Z#ge einer Messparodie auf und kennzeichet das Gelage damit als ketzerisch: „Ihr Herren legt f#r so gut jrs find /j Damit wir nun auch singendt sindt /j Die metten sampt der recht Collect /j Ihr diener vns den Bachum gebt“ (ebd.). Die Trinkformel spielt dabei auf die Einsetzungsworte des Abendmahls an: „Nembt hin herr vnser ernen Gott /j Wan eim d#rst hilfft er baldt aus noth /j Vnd last denselben rum frey springen / So macht er das gelack baldt gutter dinge“ (AC, Dvjr). Zu der dann gesungenen blasphemischen Parodie des ,Benedicamus Domino‘, ,Benedicamus Bacho in der hellen‘ (vgl. AC, Dvjv) vgl. Scheitler 2013, S. 17. 686 Der Kniefall ergibt sich aus der Aufforderung des Pfarrers an die Kinder, sich wieder zu erheben (vgl. AC, Dvijr). 687 Eben dieses Problem der ,Bacchuskinder‘ entfaltet Musculus in einer ganz $hnlichen Weise: „Aber nu solt es ja mehr angelegen ein [sic] / solchen Weltkindern zugedencken / an das / was jren Leib / Natur / Fleisch vnd Blut / ja auch jhrem hertzen zu wider sein wird / in dem ewigen brennenden fewer / das nimmermehr wird ausleschen / vnnd das brennen vnd qual im selbigen fewer am Leib vnnd im Hertzen / nicht eine kleine zeit / sondern ewig / ewig / f#r vnd f#r wird sein vnnd bleiben / das / das solten sie itzunder zur buß / besserung vnd solchem ewig werendem hetzen leid zu entflihen / betrachten aus jhrem sinn vnnd gedancken nicht kommen lassen“ (Musculus 1572, F6r).

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III. Endzeit

meditative Dramen zeichnet sich auch Agricolas ,Comedia‘ durch die Selbstreferenz aus, ein Medium f#r die gedanklichen (bungen zu sein, die sie selbst einfordert. Sie kombiniert ihre Appelle mit einem konkret ausgestalteten Szenario des J#ngsten Tages, um das zu bedenkende Ereignis virtuell erfahrbar zu machen. Die Anstrengung, mit der Agricola dabei explizit und implizit an die gedanklichen Routinen seines Publikums appelliert, l$sst sich durch eine fundamentale Rezeptionsunsicherheit erkl$ren. Gerade weil die ,Comedia‘ ihrem Publikum den J#ngsten Tag ,f#r Augen‘ stellt, ist durch nichts garantiert, dass es nicht genau dabei bleibt. Um ihren meditativen Auftrag zu erf#llen, muss sie eine Rezeptionshaltung verhindern, die Jçrg Jochen Berns versuchsweise als ,Versehen‘ bezeichnet hat, n$mlich als „ein Sehen, das keine (bertragung auf innere Bildbewegung und Reflexion mehr leistet.“688 Das J#ngste Gericht bedenken bedeutet im Fall der ,Comedia‘ aber genau dies, die Szenarien des Dramas in den eigenen Imaginationsfluss einzuspeisen und dort als Teil einer Frçmmigkeitspraxis zu habitualisieren, deren eine Seite das Bedenken des J#ngsten Gerichts und deren andere Seite eine Haltung des permanenten Gebets bildet, dessen Macht das J#ngste Gericht mit herbeif#hren kann. Diesem allgemeinen Habitus entspricht f#r das obrigkeitliche Spezialpublikum der ,Comedia‘ eine politische Praxis der Armenf#rsorge. Aufschlussreich am epikureischen Gegenmodell dieses Habitus ist, dass es zu allen seinen Elementen negative Entsprechungen aufweist. Es handelt sich gewissermaßen um das Modell einer voll funktionsf$higen ,Unfrçmmigkeitspraxis‘.689 W$hrend auf der einen Seite Gott, die Gotteskinder, das Bedenken des J#ngsten Gerichts und das Gebet stehen, stehen 688 Berns 2000a, S. 10. Das ,Versehen‘ ist f#r Berns einerseits das immer mçgliche Scheitern einer Meditationsstrategie, der es darum geht, durch den Einsatz von Bildmedien an den inneren Bildfluss, den „inneren Film“ (ebd., S. 7 u. passim) der Meditierenden anzuschließen, andererseits ein in der Mediengeschichte sich durchsetzendes Ph$nomen: „Bei Rekonstruktion der Versehensgeschichte sind Wahrnehmungs$sthetik und Wahrnehmungskritik wiederum durch weitr$umigen [sic] R#ckgriffe in die mittelalterliche und fr#hneuzeitliche Theologie- und Psychologiegeschichte zu fundieren. Kino- und Fernsehfilm des 20. Jahrhunderts w$ren aus dieser uns fremd gewordenen Perspektive als sieghafte Hybridform einer urspr#nglich theologisch gemeinten und mnemonisch angelegten Seelenbeeinflussungsstrategie zu interpretieren. Einer Meditationsstrategie n$mlich, die im Versehen scheiterte und in den modernen Medien der laufenden Bilder ihre objektive Negation fand“ (ebd., S. 10). 689 Die Wortschçpfung stammt aus dem Titel eines Vortrags, den Kristin Skottki am 28. 10. 2015 im Arbeitsbereich Mittelalterliche Geschichte an der Universit$t Hamburg gehalten hat.

auf der anderen Seite Bacchus, die Bacchuskinder, das Bedenken epikureischer Handlungsmaximen und das Gelage. Vor dem Hintergrund dieser Alternative bietet die ,Comedia‘ durch ihre Exempelfiguren selbst zahlreiche positive Handlungsmodelle an, sie zeigt vor allem immer wieder Figuren, die sich in unterschiedlichen sozialen Umfeldern angesichts des J#ngsten Gerichts in vorbildlicher Frçmmigkeit #ben. Dass es Agricola vor allem um die Darstellung solcher Habitus geht, zeigt auch, dass die durchaus plastisch mit Teufelsszenen und S#nderklagen ausgestaltete Gerichtshandlung demgegen#ber einen vergleichsweise geringen Umfang von nur knapp zehn Druckseiten einnimmt. Nach den Gerichtsszenen ist die Performanz jedoch noch nicht abgeschlossen. Den Publikumsgebeten am Beginn des Spiels entspricht n$mlich „[e]iner der wenigen F$lle gemeinsamen Gesangs am Ende eines Spiels“.690 „Last euch des ein warnung sein“, so fordert der Beschlussredner das Publikum auf, „Vnd singt mit mir von hertzen grundt /j Zu gleich alhier zu dieser stundt. j ES wird schier der letzte Tag herkommen“ (AC, Evjr). Das genannte Lied ist vollst$ndig abgedruckt. Es meditiert erneut das Gerichtsgeschehen und l$sst die ,Comedia‘ auf diese Weise in die Praxis einm#nden, die sie anregen soll.

IV. Passion Es kann im Gesamtbild der Forschung als Konsens gelten, dass die theatergeschichtlichen Umbr#che der Reformationszeit sich vor allem am Umgang der Reformatoren mit der Tradition des Passionsspiels festmachen lassen. Auch wenn die Urteile teils differenzierter ausfallen, hat sich die Vorstellung von der reformatorischen Ablehnung des Passionsspiels als Topos verfestigt: Die theatrale Darstellung des leidenden Christus sei tabuisiert worden und mit wenigen Ausnahmen seien keine reformatorischen Passionsspiele mehr entstanden. Das folgende Kapitel mçchte dazu beitragen, die Diskussion komplexer zu gestalten. Die Kritik am Passionsspiel stand keineswegs im Zentrum des reformatorischen Diskurses. Sie ist nur als Teil einer Kritik an der sp$tmittelalterlichen Passionsfrçmmigkeit im Allgemeinen und an den Pr$missen der sp$tmittelalterlichen Passionsmeditation im Besonderen zu verstehen. Luthers ,Sermon von der Betrachtung des heyligen leydens Christi‘ (1519), der in der Forschung als fr#hestes spielfeindliches Zeugnis der 690 Scheitler 2013, S. 17.

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IV. Passion

Reformation gilt, ist keine theatertheoretische, sondern eine meditationstheoretische Schrift. Der Sermon rekurriert an keiner Stelle explizit oder gar exklusiv auf das Passionsspiel. Seine Uneindeutigkeit hatte den bislang noch nicht beschriebenen Effekt, dass er nicht nur von reformatorischen Kritikern, sondern auch von reformatorischen Bef#rwortern des Passionsspiels herangezogen wurde, um die eigene Position zu untermauern. Das Modell der Passionsbetrachtung, das Luther in seinem Sermon entwirft, wurde in den 1530er Jahren von Joachim Greff und noch in den 1550er und 1590er Jahren von Cyriacus Spangenberg als Folie f#r die Konzeption bzw. positive Bewertung von Passionsspielen herangezogen. Diese Beobachtung widerspricht der Deutung, dass es sich bei dem Sermon um einen eindeutig spielfeindlichen Text handele. Mit Blick auf Greff und Spangenberg schl$gt Kap. IV.2 daher eine offenere Interpretation vor. Kap. IV.3 f#hrt die These aus, dass die !sthetiken von Passionsspielen im 16. Jahrhundert eng auf konfessionell differierende Modelle der Passionsbetrachtung bezogen sind. Dies l$sst sich besonders gut an einer interkonfessionellen Passionsspielrezeption demonstrieren: Das Passionsspiel des reformierten Dramatikers Jakob Ruf liegt sowohl in einer lutherischen als auch in einer katholischen Bearbeitung vor. Es ist zu zeigen, dass die signifikantesten Abweichungen dieser Bearbeitungen sich aus abweichenden Annahmen #ber die Wirkungsweise der Passionsbetrachtung ergeben. Das Passionsspiel in sp$tmittelalterlicher Tradition ist jedoch nicht das einzige Feld, auf dem sich ein neuer Umgang mit der Passionsthematik auf der B#hne beobachten l$sst. Zun$chst soll daher ein Spiel analysiert werden, das auf den ersten Blick nicht in dieses Kapitel zu gehçren scheint: Valentin Voiths auf dem lutherischen Bildtypus von ,Gesetz und Gnade‘ beruhendes ,Ein schçn lieblich Spiel‘ (1538). Voith greift in diesem Spiel die von Luther entwickelte Trias von oratio, meditatio und tentatio auf. Luther gestaltet im Rahmen dieser Trias ein Modell der Schriftmeditation, das auf einen intermedialen Umgang der Gl$ubigen mit dem Wort Gottes als verbum externum abzielt. Das verbum externum erscheint in allen verf#gbaren medialen Pr$sentationsformen, in Text, Bild, Predigt, Musik und Theater. Der permanente Umgang (meditatio) mit dem ,$ußerlichen Wort‘ f#hrt die Gl$ubigen in die Anfechtung (tentatio) und zwingt sie zum Gebet (oratio). Als Exempelfiguren des angefochtenen Beters, an die sich die Gl$ubigen in ihren eigenen Anfechtungen klammern m#ssen, nutzt Voith Abraham, der von Gott den Befehl erh$lt, seinen Sohn Isaak zu opfern – und vor allem den leidenden Christus selbst.

1. Die Intermedialit$t lutherischer Schriftmeditation

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1. Die Intermedialit$t lutherischer Schriftmeditation: Valentin Voiths ,Ein schçn Lieblich Spiel‘ (1538) Valentin Voiths ,Ein schçn Lieblich Spiel / von dem herlichen vrsprung: Betr#btem Fal. Gnediger widerbrengunge. M#seligem leben / Seligem Ende / vnd ewiger Freudt des Menschen‘ umspannt nicht nur die gesamte Heilsgeschichte, sondern steht auch in einem engen Verh$ltnis zu einem prominenten lutherischen Bildtypus. In seiner Widmungsvorrede an den Rat der Stadt Magdeburg bezieht sich Voith ausf#hrlich auf ein Gem$lde, das etwa drei Jahre zuvor, also um 1535, vom Rat in Auftrag gegeben worden sei: Als vor dreyen Jaren Vngeuerlich / E. E. W. vnd der selbigen vorfaren jn eins Erbarn Raths vnd E. E. W. Stube / Ein austermassen Schon / Lieblich / vnd trçstlich gemelde haben malen / lassen Nemlich das alte vnd Newe Testament den zorn vnd die gnade / den Todt vnd das Leben / Daraus jder clerlich sehen vnd lehrnen mag / was doch der Arme Blosse gnadlosse Mensch ist / wer seine Veinde seint die ym tag vnd nacht / ane vnderlas vnd alle augenblick mit aller list vnd krafft so hefftich noch setzen anfechten / Inn vorzweifelung zureissen / Das nicht wunder were / Das kein mensch selig w#rde / wu nicht der selbige Arme vorlassen vnd trostlose mensch / widerumb auff der Anderen Seithe / getrostet vnd vnderricht w#rde wie ym zuhelffen / domit er solchen seinen Grausamlichen veinden Entgehn Wenn vnd wie er den widerstehn vnd vberwinden mçge etc. Habe ich bey mir offtmals gew#nschet vnd hertzlich begert / nach dem solich gemelde nu gemein worden ist / Das doch ymandes dasselbige entworffen gemelde / Weiter austreichen vnd vorkleren mçchte / Damit der gemein man wissen kçnde / aus welchem Brun Quel solchs doch herfl#sse vnd wie man solchen Quel Inn die grossen Rifir vnd geweldige wasser strome / Ja jnn das grosse wilde tieffe mehr (ich mein jnn aller menschen hertzen / welche die Seligkeit begern) brengen vnd austeilen mçchte / So hab ich noch bisher niemants vornomen / der sich zu solch ein Trçstlichen vnd Seligem werck (so viel mir wissentlich ist) begeben hette / Der halben ich vor vrsacht / vnd mich wie wol vngeschickt vomessentlich vnderstanden vnd solich lieblich gemelde / vnd bilde / aus jhrem Rechten vrsprunge der Bibelischen hewbt Historien mit gebundenen Teutschen Reymen / wie wol weitleufftig vmb der Simpelen willen Inn ein Spiel / eins ader mehr zuteilen / vorfasset (LS, Air-Aijv).691

Wie Almut Agnes Meyer und Glenn Ehrstine in ihren grundlegenden Arbeiten zu Voiths ,Lieblich Spiel‘ gezeigt haben, ergibt sich aus der Dramenhandlung, dass das beschriebene Gem$lde dem sog. Gothaer 691 Das Spiel wird nicht nach der Ausgabe von Hugo Holstein, sondern nach dem als Digitalisat leicht zug$nglichen Magdeburger Druck von 1538 zitiert (LS). In der Ausgabe von Holstein ist u. a. die Vorrede des Spiels nicht mitediert worden.

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Typus der ,Gesetz und Gnade‘-Bilder zuzuordnen sein d#rfte.692 Voith beschreibt in der Vorrede einen Bedarf, diesen inzwischen „gemein“ gewordenen Bildtypus „auszustreichen“, um ihn in die Herzen der Betrachter zu bringen. Es geht ihm also um einen Mediengebrauch, der das $ußere Bild des Gem$ldes in ein inneres Bild des Herzens umwandelt. Um diesen Vorgang zu beschreiben, nutzt Voith eine Emanationsmetapher: Was aus der Ursprungsquelle der zentralen heilsgeschichtlichen Erz$hlungen, der „Bibelischen hewbt Historien“, in das Gem$lde ausgeflossen ist, soll nicht dort stehen bleiben, sondern in das „wilde tieffe mehr“ der menschlichen Herzen einstrçmen. Sein Spiel soll diesen (bergang katalysieren. Der Medienwechsel vom ,Gesetz und Gnade‘-Bild in ein ,Gesetz und Gnade‘Drama zielt also darauf ab, die $ußeren Bilder als innere Bilder wirksam werden zu lassen. Mit den „Bibelischen hewbt Historien“ spielt Voith auf konkrete Bildbestandteile des ,Gesetz und Gnade‘-Typus an, auf S#ndenfall, Passion Christi, Auferstehung, J#ngstes Gericht sowie ausgew$hlte typologisch gedeutete Erz$hlungen des Alten Testaments. Die einzelnen Szenen und Figuren des Spiels lassen sich in einer noch n$her zu beschreibenden Form auf die entsprechenden Bildelemente beziehen. Voith mçchte eine Rezeptionskultur fçrdern, in der die unterschiedlichen Medien miteinander wechselwirken. Er sei auch trçstlicher zuuorsicht Das E E W. hertzlich begeren Das es [das Gem$lde] allen Lewten nicht allein vor das Blosse gesicht gestelt / S#ndern Tieff yns hertz gebildet vnd gedruckt w#rde / welchs dann durch kein andere weise geschen magk dann durch das Eusserliche wort vnd solch gemelde / Domit vns der Almechtige Ewige Barmhertzige Gott inn dieser jtzigen argen zeit (Gott lob) so reichlich begnadet / Das es vns nicht alleine klar vnd hell geprediget / S#ndern auch vberfl#ssig vorgeschrieben / gesungen / gemalet vnd gespilt wirdt (LS, Aijv-Aiijr).

Das Bild erçffnet als Gem$lde lediglich ein Potenzial, dass es in der Rezeption erst noch zu realisieren gilt. Zu unterscheiden sind das materielle 692 Vgl. Meyer 1976, S. 20 f.; Ehrstine 1998, S. 516 – 518. Ehrstine hat Meyers Hypothese widersprochen, dass es sich bei dem Gem$lde im Magdeburger Rathaus um das 1535 von Georg Lemberger angefertigte gehandelt haben kçnnte (vgl. auch Fleck 2010, S. 120 f.). Die Frage nach der konkreten Bildquelle f#r Voiths Spiel ist f#r die rezeptions$sthetischen Aspekte, um die es mir geht, allerdings nur von untergeordneter Bedeutung (dazu diese Arbeit, S. 218 f.). Wolfram Washof, der sich zuletzt mit Voiths Spiel besch$ftigt hat, ignoriert die Forschungsergebnisse von Meyer und Ehrstine und reduziert das Spiel auf ein Exempel f#r die Erbs#nde (vgl. Washof 2007, S. 162 – 166).

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Bildmedium, das vor den $ußeren Sinnen, vor dem „Blossen gesicht“ steht und das innere Bild, das durch einen Imaginationsakt, durch einen Akt der „Einbildung“ aktiv ins Herz eingedr#ckt wird und somit einer anderen epistemischen Ordnung angehçrt.693 Um diese Einbildung zu ermçglichen, ist wiederum ein Akt der Externalisierung notwendig: Es kann auf keine andere Weise geschehen, sagt Voith, als durch das „Eusserliche wort“ – und hier ist nun zu betonen, dass mit dem „Eusserlichen wort“ nicht nur das geschriebene oder gesprochene Wort der Heiligen Schrift gemeint ist, sondern das Wort Gottes in allen erdenklichen Medien: als Predigt, als Schrift, als Lied, als Gem$lde, als Theaterspiel.694 Erst durch eine vielgestaltige $ußere Medienpraxis kann das Wort Gottes ins Herz gelangen.695 693 In seinen ,Soliloquia de Passione Jesu Christi‘ formuliert Martin Moller sp$ter $hnliche Pr$missen mit Blick auf Ecce homo-Darstellungen oder Bilder des Gekreuzigten Christus: „Wenn du aber / O Christen Mensch / diß Bilde / oder sonst ein gemalet Crucifix ansihest / must du daran mit deinen Gedancken mit nichten kleben bleiben / Sondern dich schwingen in die Schrifften der heyligen Propheten vnd Aposteln / welche dir das rechte lebendige ECCE HOMO vorbilden / vnd das allerheyligste Leyden deines Heylandes gantz lieblich vorhalten vnd erkleren. Denn das gemalte Bilde weiset dich in die Schrifft / Die Schrifft aber / streichet dirs recht aus nach allen Farben vnd Puncten“ (Moller 1597, Aiijr-Aiijv). 694 Vgl. zu dieser multimedialen Konzeption auch Steiger 2002, S. 120 f. Diese Lesart relativiert Glenn Ehrstines These, dass es Voith in einer typisch protestantischen Weise um eine Verst$rkung des Bildes durch das Wort und insbesondere um die (berlegenheit des gesprochenen Wortes geht: „In a typically Protestant manner, Voith wishes to augment images through text, but not through the inscriptions or labels that were frequently part of Law and Gospel panels. Rather, he argues for the superiority of the spoken word (,das Eusserliche wort‘) as it occurs in drama“ (Ehrstine 1998, S. 514; vgl. auch Ehrstine 2002, S. 219). Die zitierte Passage beschreibt unter dem Begriff des $ußerlichen Wortes jedoch medien#bergreifende Externalisierungen der Heiligen Schrift, ohne dabei eine Hierarchie zu erçffnen. 695 Einen analogen Prozess beschreibt Johann Anselm Steiger im Kontext der lutherischen Passionsmeditation: „Sinn und Zweck der meditatio passionis ist es […], das Passionsgeschehen derart zu betrachten, daß es der Glaubende in sich bildet, also durch das Ansehen des Bildes des Gekreuzigten per imaginationem selbst von eben diesem ins Bild gesetzt wird, indem der crucifixus zum inneren Bild, zum Herzensbild wird“ (Steiger 2010, S. 123). Wie Steiger an fr#herer Stelle ausf#hrt „interagieren in der lutherischen Bildhermeneutik $ußerliche und innerliche Bilder in einer Weise, daß keineswegs die ersteren einfach verzichtbar w$ren“ (ebd. S. 98; vgl. umfassend auch Steiger 2002, S. 107 – 143). Niklaus Largier hat herausgearbeitet, dass das Verh$ltnis von Außen und Innen bereits in der mittelalterlichen Frçmmigkeitspraxis $hnlich dynamisiert war: „Where theories of religious anthropology seem to propose an opposition between interior and exterior in postlapsarian human existence, practices of prayer formulate a dynamic relationship where ,interior‘ and ,exterior‘ turn into aspects of a process of communication,

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Und hierin liegt eine ganz entscheidende N$he zu dem, was Luther kurze Zeit sp$ter, in der Vorrede zur Wittenberger Ausgabe seiner deutschen Schriften aus dem Jahr 1539, ganz explizit unter dem Begriff der Meditation behandelt. Ausgehend von Ps 119 stellt Luther die zirkul$r angelegte Trias oratio, meditatio, tentatio auf 696 und setzt sich damit gezielt von den tradierten Stufen- und Aufstiegsmodellen des Mittelalters – lectio, meditatio, oratio, contemplatio – ab.697 Meditatio bedeutet f#r Luther zun$chst ruminatio, also eine an permanenter Wiederholung orientierte Mnemotechnik, f#r die das „eusserliche Wort“ im eben beschriebenen Sinne, n$mlich in allen verf#gbaren Medien, konstitutiv ist: Zum Andern / Solt du Meditirn / das ist / Nicht allein im hertzen / sonder auch eusserlich / die m#ndliche rede / vnd buchstabische wort im Buch jmmer treiben vnd reiben / lesen vnd widerlesen / mit fleissigem auffmercken vnd nachdencken / was der heilige Gaist damit mainet. […] Darumb sihest du […] / wie Dauid jmmerdar rh#met / Er wçlle reden / tichten / sagen / singen / hçren / lesen / tag vnd nacht / vnd jmmerdar / Doch nichts denn allein von Gottis wort vnd Gepotten. Denn Gott will dir seinen Gaist nicht geben / on das eusserliche wort / da richt dich nach / Denn er hats nicht vergeblich befolhen / eusserlich zu schreiben / predigen / lesen / hçren / singen / sagen etc.698

Die Notwendigkeit des „eusserlichen Worts“ ergibt sich f#r Luther aus einer Erfahrung, die wir heute vermutlich kognitionstheoretisch begr#nden w#rden: Wir kçnnen unsere Gedanken und unsere Bewusstseinszust$nde nicht leicht ohne die Hilfe $ußerer Medien stabilisieren und unter Kontrolle halten. „[W]ie wir alle bey uns finden“, schreibt Luther 1528 in einer Predigt #ber Joh 17, „das unsere sinn und gedancken so ungewis, conversion, and transformation. In this process ,inner‘ feelings and sensations are not only induced through ,outer‘ means. Instead, the ,inner‘ turns into a form of mediation of the ,outer‘ and the ,outer‘ into a form of mediation of the ,inner‘, making both part of the production of experiential events in spiritual practice“ (Largier 2014, S. 58). 696 Diese Trias ist zwar erst in der Vorrede von 1539 prominent ausgef#hrt, l$sst sich in Luthers !ußerungen aber bereits in den fr#hen 1530er Jahren nachweisen (vgl. Bayer 1988, S. 23 mit Anm. 88). Sie konnte Voith, der in Wittenberg studierte und engen Kontakt zu Wittenberger Theologen wie Georg Major hielt, also vertraut gewesen sein. Zu Voiths Netzwerken vgl. Ehrstine 1998, S. 525 f. 697 Vgl. Nicol 1984, S. 92. Dabei ist zu bedenken, dass auch die mittelalterlichen Stufenmodelle an eine zirkul$re Praxis angebunden sind, die zwar einen Aufstieg erreichen will, daf#r aber immer wieder neu ansetzen muss und also zyklisch verf$hrt (vgl. z. B. Hascher-Burger 2007, S. 96 – 98). 698 Luther 2012e, S. 664.

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schlipfferig und unstete sind, das ob wir gleich wollen anheben etwas ernstlichs zu bitten oder von Gott zu dencken on wort und schrifft, gehet es gewislich also, das wir ehe man sich umbsihet, wol hundert meil von den ersten gedancken faren.“699 Das ist der Grund, warum „solch eusserlich wort und weise nutz und not sey, nemlich das man damit das hertz zusamen halte, das nicht zurstrewet werde, und sich mit den gedancken an die buchstaben heffte, […] auff das wir nicht gleiten odder zu weit fladdern und jrre faren mit eigenen gedancken.“700 Wie ich oben zu zeigen versucht habe, dramatisiert Levin Brechts ,Euripus‘ das Scheitern eines solchen gedanklichen Fixierungsvorgangs. Euripus l$sst seine Gedanken unkontrolliert fluktuieren und produziert damit die Tragçdie seiner Verdammung. Doch anders als Brecht geht es Luther nicht um die Erregung von Furchtreue, die einen Aufstieg zur Gottesliebe ermçglicht. Wer Gottes Wort meditiert, d. h. gest#tzt auf $ußere Medien mit Gottes Wort umgeht, wird vielmehr notwendig vom Teufel angefochten. Der Zustand der Anfechtung, also die tentatio, wird dabei zum Pr#fstein des Meditierenden. Es ist ihm nun auferlegt, Gottes Wort zu suchen, zu lieben und an ihm festzuhalten, denn etwas anderes bleibt ihm unter den Angriffen seiner Feinde nicht #brig – es ist mitunter sogar der Teufel selbst, der den Gl$ubigen erst zum rechten Schriftgelehrten macht: Darumb sihest du / wie Dauid jnn dem genanten Psalm so offt klagt / vber allerley Feinde / freuele F#rsten oder Tyrannen / vber falsche Gaister vnd Rotten / die er lyden muosz / darumb das er Meditirt / das ist / mit Gottis wort vmbgehet (wie gesagt) allerley weyse. Denn so bald Gottis wort auffgehet durch dich / so wirdt dich der Teuffel haimsuchen / dich zum rechten Doctor machen / vnd durch seine anfechtungen leren Gottis wort zu suchen vnd zu lieben.701 699 WA 28, S. 76. Vgl. zu dieser Stelle Bayer 1988, S. 42 f. 700 WA 28, S. 77. Die Erfahrung der Schl#pfrigkeit, Unbest$ndigkeit und Flatterhaftigkeit unserer Gedanken hat Niklas Luhmann im 20. Jahrhundert wiederholt beschrieben, um die Unterscheidung von Bewusstsein und Kommunikation zu veranschaulichen: Wenn das Denken „f#r sich alleine l$uft, sieht das Ergebnis ungef$hr so aus wie das, was Samuel Beckett unter dem Titel ,Comment c’est‘ aufgeschrieben hat. Fast nimmt die Eigenproduktion von Worten und Satzst#cken dann die Form von Wahrnehmungen, von fluktuierenden Wortwahrnehmungen an – befreit von jeder R#cksicht auf Verst$ndlichkeit. Operativ gesehen besetzen und reproduzieren Wort- und Satzfetzen dann das Bewußtsein mit der Evidenz ihrer Aktualit$t, aber nur f#r den Moment“ (Luhmann 1992, S. 32). Oder poetischer ausgedr#ckt: „Das eigene Bewußtsein tanzt wie ein Irrlicht auf den Worten herum“ (Luhmann 2000, S. 60). 701 Luther 2012e, S. 666.

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Sowohl die ,Gesetz und Gnade‘-Bilder als auch Voiths Spiel sind im Rahmen einer solchen intermedialen Meditationspraxis zu deuten, einer Praxis, die den Meditierenden, der mit Gottes Wort „allerley weyse“ umgeht, sowohl in die Anfechtung hineinf#hrt als auch vor der Verzweiflung bewahren kann. Das Spiel und die Bilder visualisieren diesen Zustand nicht nur, sie erkl$ren ihn nicht nur, sondern wollen auch dazu beitragen, dass er f#r den Gl$ubigen erreichbar wird. Sie regen dazu an, Gottes Wort und die ganze Heilsgeschichte mediengest#tzt zu betrachten, sie sich so ins Herz „einzubilden“ und damit die zirkul$re Dynamik von oratio, meditatio und tentatio in Gang zu setzen. Diese Dynamik aber ist im Sinne Luthers nichts weniger als Gotteserfahrung. Es geht, um es mit einer Formulierung von Martin Nicol zu sagen, um die „Erfahrung Gottes durch sein Wort in der Situation der Anfechtung.“702 Gerade weil der Mensch ohne Gottes Wort den Anfechtungen des Teufels schutzlos und mitunter unbemerkt ausgeliefert ist, ist es nçtig, Gott im Gebet um sein Wort zu bitten (oratio), multimedial mit diesem umzugehen (meditatio) und es sich durch diesen Umgang einzubilden: Derhalb wer wol hoch von nçthen / den Almechtigen Gott getrewlich zu bitten / Das er vnser hertzen mit seim lieben wort vnd geist gnediglich erweichen vnd stercken wçlle / Das wir solchs jo nicht vorachten / viel weniger vor volgten / noch mit worten oder leben schendeten S#nder das mit hertzlichen begerde hçrten lesen singen / vnd mit solchen trçstlichen gemelden einbildeten / Do mit vnser Gott aus seiner milden grundlosen Barmhertzigkeit solche straffe seines zorns gnediglich von vns abwenden mçchte (LS, Aiijv).

In der Forschung hat man sich daran gewçhnt, lutherische Bildmedien und lutherisches Theater in den Kontext einer n#chtern-rationalen und affektbefreiten Didaxe einzuordnen.703 Die Annahme eines vorwiegend 702 Nicol 1984, S. 92. Die ,Gesetz und Gnade‘-Bilder gehçren schon deshalb in diesen Kontext, weil die Erkenntnis der Anfechtung die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium voraussetzt: „Dies, daß man die Anfechtungen als solche erkennt und trotz allem seine Zuflucht bei Gott sucht, setzt voraus, daß man Umgang hat mit Gottes Wort. Meditatio und tentatio gehçren also aufs engste zusammen. Zur Funktion dieses Wortes gehçrt es, daß es der gçttlichen Zielsetzung in der Anfechtung zur Durchsetzung verhilft, indem es zu dem Menschen in der doppelten Gestalt von Gesetz und Evangelium spricht“ (ebd., S. 95). 703 Aus kunsthistorischer Perspektive bemerkt Weniger zur Interpretation des Bildtypus ,Gesetz und Gnade‘: „So weiß die Mehrzahl der Autoren schon ohne n$here Auseinandersetzung mit dem Gegenstand, wie sie diese Arbeiten einzusch$tzen hat: als ,konsequente Verbildlichung der Kerngedanken von Luthers Erlçsungstheologie‘ und als Inbegriff eines neuen, protestantischen Bildverst$ndnisses, welches das Lehr- an die Stelle des Andachtsbildes setzt“ (Weniger 2004, S. 115).

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lehrhaften, auf dogmatischen Decodierungen beruhenden Programms vertritt auch Glenn Ehrstine in seinem Aufsatz zu Voiths Spiel: „Protestant playwrights understood drama as a visual representation of scripture that served not to promote an emotional reaction in the viewer, but as a mnemonic device towards the better retention and dissemination of Protestant doctrine.“704 Es soll nicht bestritten werden, dass die Vermittlung theologischer Lehre einen zentralen Aspekt des protestantischen Mediengebrauchs bildet. Doch l$sst sich die Rezeption von ,Gesetz und Gnade‘ in Bild und Spiel nicht auf die Aneignung von Lehrs$tzen reduzieren. Sie ist ebenso eine Form der Meditation der Heiligen Schrift, die auf Gotteserfahrung zielt, und sie ist, auch weil die Anfechtung notwendig immer die andere Seite der Rechtfertigung bildet, ganz sicher nicht ohne Affekte oder Emotionen denkbar.705 1.1. Strukturelle Hinweise auf ein meditatives Rezeptionsmodell Voiths Spiel ermçglicht es den Betrachtenden, die im ,Gesetz und Gnade‘Typus angelegten Bildmotive, z. B. den S#ndenfall, die Passion oder die Auferstehung szenisch zu imaginieren und sich in dieser Weise in die Heilsgeschichte zu versenken. Die Szenen des Spiels sind in diesem Modus der Betrachtung nicht an ihre lineare Abfolge gebunden, sondern kçnnen Pointiert und symptomatisch f#r die Diskussion ist Hans Beltings Deutung von Cranachs Gothaer ,Gesetz und Gnade‘-Bild. Belting setzt eine Reihe von Buchund Lekt#remetaphern ein, um zu insinuieren, dass das Bild einem verstandesorientierten Lehrtext entspricht. Schon die antithetische Bildformel fordere „zu einer Lesehaltung“ heraus, weil sie „wie die Doppelseite eines aufgeschlagenen Buchs“ (Belting 21993, S. 522) geteilt sei. Der Betrachter wandere dann zwischen den Bildh$lften „wie zwischen zwei Texten mit verschiedenen Begriffen“ (ebd.) hin und her. Er erblicke „kein Erlebnisbild, in das er sich einf#hlen kann, sondern eine bildhafte These, die sich an seinen Verstand wendet“ (ebd.). Inwiefern erlaubt aber eine $ußere Analogie zur Buchform schon R#ckschl#sse auf eine verstandeszentrierte Rezeption? Und angenommen, der Textvergleich w$re tragf$hig: Was h$lt einen gl$ubigen Leser biblischer Geschichten davon ab, seine Gef#hle zu investieren? Andererseits: W$re die Analogie zur Doppelseite eines Buchs nicht immer noch die zu einer illustrierten Doppelseite? Dann w$re wiederum nach dem Bild als Bild zu fragen. Beltings Cranach h$ngt jedenfalls schief. 704 Ehrstine 1998, S. 533. !hnlich verallgemeinernd argumentieren auch Schulze 2003, S. 232 und Toepfer 2010, S. 151; 155 f. 705 Auf der Ebene der Affekte entspricht das Verh$ltnis von Anfechtung und Rechtfertigung der von Berndt Hamm konstatierten Dialektik von Reueschmerz, Glaube und Liebe (vgl. Hamm 2010b, S. 266 f.).

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sich nach den Aufmerksamkeitspr$ferenzen des meditativen Vollzugs immer wieder neu und anders aktualisieren. Die Struktur des Dramas selbst kommt dem entgegen: Im Druck ist dem Spiel ein geschlossener Apparat von Merkversen, Summarien und Argumenta vorgeschaltet, die vor jedem Akt und vor jeder Szene wiederholt werden. Diese Streuung von Paratexten ist nicht redundant, sondern hat einen meditationspsychologischen Hintergrund. Sie zeichnet sich durch eine hohe Memorierbarkeit aus und nimmt in ihrer Wiederholungsstruktur auf das Prinzip der ruminatio Bezug. Sie portioniert das Drama in Einheiten, die sich im Ged$chtnis leicht wiederk$uen lassen.706 !hnliche Portionierungsstrategien und Paratextanlagen sind in Meditationsschriften vom 15. bis ins 17. Jahrhundert hinein zu beobachten, von Johannes Mauburnus bis zu Justus Georg Schottelius.707 Die Summarien selbst beziehen sich vielfach auf den Umgang mit dem Wort Gottes in der Anfechtung durch Gesetz, S#nde, Tod und Teufel, die im Bild und im Spiel personifiziert werden. So heißt es etwa zu III, 2: Wer gsetz s#nt / tod Satan ich mein Bestreiten wil er greiff allein / Mit glauben fest stets Gottes wort So gewinnet er an allem ort (LS, Avv).

Ein weiteres meditationsfçrderndes Instrument neben den Paratexten bietet der Titelholzschnitt, eine Variante des Prager Typus der ,Gesetz und Gnade‘-Bilder,708 der mit Blick auf die konkrete Rezeption des Dramendrucks auch in die Interpretation einzubeziehen ist.709 Karl Enenkel und Wolfgang Neuber haben vor einiger Zeit gefordert, die Medialit$t fr#hneuzeitlicher B#cher in diesem Sinne ernst zu nehmen. Es gehe ihnen „nicht mehr nur um die Entstehung des Titelblattes als Ph$nomen eines 706 Vgl. dazu Jahn 1999, S. 148 f. Zu $hnlichen typographischen Portionierungsstrategien im Kontext der sp$tmittelalterlichen Meditationspraxis vgl. G#nthart 2005, S. 472 f. 707 Zu den Merkverskonstruktionen bei Mauburnus vgl. Schuppisser 1993, S. 201 f. Jçrg Jochen Berns beobachtet zu Schottelius’ meditativer ,Beschreibung der Hçlle‘ (1676), die #ber einen ausgekl#gelten Apparat von Summarien verf#gt: „Wiederk$uen vollzieht sich f#r Schottelius in der Sprachanstrengung, die durch das aufwendige vielteilige Paratextarrangement geboten wird“ (Berns 2000, S. 148). 708 Vgl. Ehrstine 1998, S. 518. 709 Der Titelholzschnitt taucht erstmals 1532 in einem Erfurter Druck von Luthers Propheten#bersetzung auf. In Magdeburg verwendet Michael Lotther den Druckstock seit 1534 f#r unterschiedliche B#cher (vgl. Reinitzer 2006a, S. 75 – 84; Fleck 2010, S. 113 – 115).

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expandierenden Buchmarktes, sondern um die Frage, was das Titelblatt f#r kognitive Folgen bei der Lekt#re des Textes nach sich zieht.“710 Im Falle von Voiths Spiel ist das Titelblatt ein rezeptions$sthetisch produktiv wirkendes Element, das in Kombination mit dem Drama und seinem Paratextarrangement einen intermedialen Umgang mit dem Wort Gottes ermçglicht. In der Forschung wurde die Frage nach Voiths konkreter Bildquelle kontrovers diskutiert.711 Vor dem Hintergrund einer meditativen Rezeption des Spiels verliert diese Frage jedoch an Bedeutung. Ein quellengeschichtlicher Zugriff auf das Verh$ltnis von Bild und Drama f#hrt hier nicht weiter, weil er ein tendenziell eher starres Filiationsmodell zugrundelegt, w$hrend Voith das Verh$ltnis seines Spiels zum ,Gesetz und Gnade‘-Typus $ußerst dynamisch interpretiert. Die Quellengeschichte fragt gewissermaßen nach dem materiellen Gem$lde, wie es vor dem „Blossen gesicht“ (LS, Aijv) steht, w$hrend Voith darum bem#ht ist, eine Wechselwirkung von $ußerer und innerer Medialit$t zu initiieren. Das „Einbilden“ des Bildes jedoch l$sst Kontaminationen unterschiedlicher Typen nicht nur zu, sondern regt sie, im Sinne einer Vielfalt geregelter assoziativer Bez#ge auf das Wort Gottes, sogar an. Sie d#rften zudem auch nicht nur gew#nscht, sondern #berhaupt nicht vermeidbar sein. Es ist daher nicht als problematische Inkoh$renz anzusehen, dass das Titelblatt auf dem Prager ,Gesetz und Gnade‘-Typus beruht, im Spiel hingegen deutliche Einfl#sse des Gothaer Typus auszumachen sind, zumal es auch zentrale Szenen enth$lt, die sich auf keinen der beiden Typen quellengeschichtlich zur#ckf#hren lassen. Das materielle Bild bietet einen mnemonisch strukturierenden Rahmen an, der die meditative Praxis st#tzt, aber nicht in dem Sinne beschr$nkt, dass neben den tats$chlich abgebildeten Motiven nicht weitere hinzuimaginiert werden kçnnten.712 Gerade die typologische Anlage von ,Gesetz und Gnade‘ regt die Betrachtung weiterer Typologien an, die nicht ins Bild gesetzt wurden. Diese rezeptions$sthetische Offenheit macht Voith in seinem Spiel produktiv. 710 Enenkel/Neuber 2005, S. 2. 711 Vgl. oben, Anm. 692. 712 Ehrstine weist in Bezug auf die Opferung Isaaks auf Parallelen zu einem fr#her Geofroy Tory zugeschriebenen franzçsischen Holzschnitt (1523/24) hin, die er aber verst$ndlicherweise nicht als Hinweis auf eine Quellenbeziehung interpretiert (vgl. Ehrstine 1998, S. 519; zur Frage des K#nstlers vgl. Weniger 2004, S. 115; Reinitzer 2006, S. 17 f.). Voith gelangt #ber die Logik des Bildschemas zu den gleichen Szenen wie der Holzschnitt. Dieses Vorgehen w$re auch einem Betrachter zuzutrauen, der imaginierend #ber die im Bild tats$chlich dargestellten Szenen hinausgeht.

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!hnliches gilt nicht nur f#r das Drama als Druck, sondern auch f#r eine mçgliche Auff#hrung.713 Glenn Ehrstine hat plausibel gemacht, dass Voiths B#hnenkonzept an die antithetische Struktur der ,Gesetz und Gnade‘-Bilder ankn#pft und vorsieht, dass viele Bildelemente des Gothaer Typus visualisiert werden.714 Schon technische Gr#nde werden die genaue ,Kopie‘ eines konkreten Bildes jedoch verhindert haben. Es geht also auch beim visuellen Konzept einer mçglichen Auff#hrung darum, dass vor allem das Schema der ,Gesetz und Gnade‘-Bilder erkennbar bleibt. Ausgehend von diesem antithetischen Schema werden die in ihm angeordneten Figuren dann in szenische Aktion versetzt. Voiths ,Lieblich Spiel‘ ist ein gutes Beispiel daf#r, dass die starre Opposition von Auff#hrungstext und Lesetext, die in der j#ngeren Forschung zum geistlichen Spiel des Mittelalters zunehmend hinterfragt und dynamisiert wird, zu kurz greift.715 Voith setzt den Wechsel von Auff#hrung, ruminierender Textlekt#re und Bildbetrachtung voraus und erhebt ihn zum Rezeptionsprinzip. Erst der Wechsel der Rezeptionsmodi ermçglicht im Sinne des lutherischen meditatio-Konzepts einen intermedialen Umgang mit dem Wort Gottes. Und gerade darum soll Gott ja gebeten werden, dass wir sein Wort „mit hertzlichen begerde hçrten lesen singen / vnd mit solchen trçstlichen gemelden einbildeten“ (LS, Aiijv). 1.2. Abraham und der leidende Christus. Oratio, meditatio und tentatio in der Dramenhandlung Dass der meditierende Umgang mit Gottes Wort auch auf der Ebene der Dramenhandlung eine zentrale Rolle spielt, l$sst sich an den Szenen um die Opferung Isaaks zeigen. Aus der Geschichte Abrahams ergibt sich ein Extrembeispiel f#r die Dynamik von oratio, meditatio und tentatio, denn Abraham wird bekanntlich nicht vom Teufel, sondern von Gott selbst angefochten. Gott schließt einen ewigen Bund mit Abraham und verheißt ihm, dass seine Frau Sara gegen alle Wahrscheinlichkeit in ihrem bereits hohen Alter einen Sohn, Isaak, geb$ren werde. Auch mit diesem will Gott 713 Hinweise auf eine Auff#hrung ergeben sich aus einem Brief des mit Voith befreundeten Theologen Georg Major im Kontext des sog. Dessauer Zwischenfalls. Vgl. Meyer 1976, S. 56 f.; Ehrstine 1998, S. 524 – 526. Der Brief ist ediert bei Neumann 1987, S. 903 [Nr. 3745]. 714 Vgl. Ehrstine 1998, S. 520. 715 Vgl. dazu die in Anm. 40 dieser Arbeit zitierte Literatur.

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einen ewigen Bund schließen (vgl. LS, Fv-Fijv). Diese Zusage l$sst Abraham gegen die Anfechtungen der Welt handeln: Dein wort mir altzeit viel mehr gilt / Dann der welt spot vnd vorachten Dein wort ich thu altzeit betrachten / Darumb ich thus von hertzen ger[n] (LS, Fiijr).

Abraham weist sich hier explizit als Meditierender aus, der das Wort Gottes „altzeit betrachtet“. Voith verleiht der Bedeutung des Gotteswortes rhetorisch, durch eine Anapher, zus$tzliches Gewicht. Der Intensit$t, in der Abraham mit Gottes Wort umgeht, entspricht die Intensit$t der Anfechtungen, die er erleidet.716 Die hçchste Anfechtung besteht darin, dass Gott Abraham entgegen seiner urspr#nglichen Verheißung befiehlt, seinen Sohn Isaak zu opfern.717 Bekanntlich zeichnet sich der Bibeltext in dieser Episode durch eine besondere Lakonie und K#rze aus.718 Voith nutzt die Lizenz, die sich Exegeten von Gen 22, auch Luther, schon immer genommen haben und imaginiert hinzu, was fehlt.719 Abraham erh$lt bei Voith somit die Mçglichkeit, sein Leid unter dem Druck der gçttlichen Anfechtung zu artikulieren: Er beginnt zu beten. Was auf David zutrifft, der laut Luther „so offt klagt / vber allerley Feinde […] / die er lyden muosz / darumb das er Meditirt“,720 trifft auch auf Abraham zu. Die meditatio f#hrt ihn in die tentatio und die tentatio zwingt ihn zur oratio. Das Klagegebet Abrahams ist im Marginalapparat des Drucks besonders akzentuiert und wird als „Eines gerechten klage“ (LS, Fvijv) bezeichnet: Gott von himel wie komet das Ich erschrecke des ane mas /

Eines gerechten klage.

716 Vgl. dazu Steiger 2006, S. 189. 717 Johann Anselm Steiger fasst die zugespitzte Situation mit Blick auf Gen 22 zusammen: „Innerhalb der bisherigen tentationes war dem Erzvater abverlangt worden, kontrafaktisch zu glauben, also gegen Empirie und Augenschein den promissiones Glauben zu schenken […]. [I]n Gen 22 konfrontiert Gott Abraham mit vçllig Neuem, n$mlich mit einem Befehl, der in absolutem Widerspruch zu der dem Erzvater gegebenen promissio steht, die zu glauben ohnehin schon schwer genug f$llt“ (Steiger 2006, S. 190). 718 Vgl. Mahlmann-Bauer 2006, S. 309. Abrahams innerer Zustand bleibt ungeschildert, der Dialog mit Isaak bleibt rudiment$r. Luther erkl$rte dies damit, dass Moses, dort angelangt, wo Isaak Abraham nach dem Opfertier fragt, vor lauter Tr$nen nicht weiterschreiben konnte (vgl. Steiger 2006, S. 194). 719 Vgl. mit Blick auf das theatrale Potenzial der Episode und zu den Auslegungen Zwinglis, Luthers, Calvins und des Cornelius a Lapide Mahlmann-Bauer 2006, S. 325 – 339. 720 Luther 2012, S. 666.

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IV. Passion

Bek#mmert mir hertz sin vnd mut Ach herr nimpst mir das hçchste gut Das ich hab alhie auff erden Het gehofft mein son solt werden / Der sam von welchem solt komen Der heilandt vns aln zu fromen / So nimpst du jhn auch gar dohin Das krencket mir hertz mut vnd sin (LS, Fvijv).

Abrahams Klage ist nicht die erste und nicht die letzte des Spiels. Zuvor waren bereits die Klage Adams angesichts der Anfechtungen durch Gesetz, S#nde, Tod und Teufel als „klag eins trostlosen menschen“ (LS, Bviijr) und die Klage Kains nach dem Brudermord als „Wort eins vortzweifelers“ (LS, Eijr) hervorgehoben worden. Abrahams Klage ist jedoch die erste des Spiels, die sich den Lesenden durch ihre positive Markierung zur Imitation anbietet. Hier wird den Lesenden ganz offensiv ein Angebot zum Ausdruck starker Affekte gemacht. Abraham tritt in seiner emotionalen Extremsituation gerade nicht als moralisches Exempel, sondern als exemplum fidei auf und sein Gebet bildet ein Klageformular, an dem sich die Lesenden in ihren eigenen Anfechtungen orientieren kçnnen.721 Voith folgt im weiteren Verlauf der Isaak-Szenen ziemlich genau Luthers Exegese von Gen 22. Abraham verh$lt sich entsprechend der von Luther aufgestellten Maxime, immer an der ersten Zusage Gottes festzuhalten.722 Auch dies wird im Marginalapparat eigens hervorgehoben: Vnd gleub gantz fest dem ersten wort Dem ersten wort gleuben. Das ist altzeit mein trost vnd hort / Glaub / du Gott werst mir nicht liegen Inn der vorheischung nicht betriegen (LS, Fviijr).

Dass Abraham in dieser Weise an Gottes erstem Wort festhalten kann, ist nur mçglich, weil er sich in einem permanenten Umgang mit ihm #bt. Nur weil er das Wort „altzeit betrachtet“, kann er es in der Anfechtung auch 721 Zu Abraham als exemplum fidei vgl. Steiger 2006, S. 193. Zum Begriff des exemplum fidei im Kontext einer protestantischen Dramen$sthetik vgl. Metz 2013, S. 148. 722 W$hrend in der patristischen Tradition der Gehorsam Abrahams im Zentrum stand, ist es „die fides, die Luther zuvçrderst interessiert – der Umstand, daß Abraham gegen Gott an der ihm von diesem gegebenen Verheißung festh$lt, obgleich Gott selbst an dieser nicht festh$lt. Darum hat Luther innerhalb der poimenisch ausgerichteten applicatio seiner Auslegung von Gen 22 die Regel aufgestellt, daß der Glaubende gegen Gottes zweites Wort, also gegen die tentatio, aufbegehrend, sich immer an dessen erstes verbum, mithin an das der Verheißung klammern soll“ (Steiger 2006, S. 192).

1. Die Intermedialit$t lutherischer Schriftmeditation

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ergreifen.723 Voith fordert in seiner Vorrede zum Gebet dazu auf, dass „wir dann jo sein heiliges wort jnn solchen ader der gleichen gemelden oder bilden / An vnserem ende mit festem glauben ergreiffen / fest einbilden / vnd also alle vnsere veinde jn vnd durch den Triumphirenden Herrn Jhesum krefftig vberwinden“ (LS, Aiiijr). (ber die Figur Abrahams f#hrt Voith in der Dramenhandlung vor, wie dies in dem paradoxen Extremfall aussehen kann, in dem Gott selbst als Feind auftritt, also Gott mit Gott zu #berwinden ist. Abrahams Klage deutet zudem auf orationes voraus, die f#r den Gebrauch in der eigenen Anfechtung noch weitaus bedeutender sind: Die Klagen Christi am Kreuz. Ihnen widmet Voith eine umfangreiche Szene, deren Summarium ausdr#cklich auf eine Aneignung durch die Lesenden abzielt: Wenn des menschen veint so gros Sein gwissen st#rmen ane mos / So ist es zeit das er erwisch Gott vnd sein wort erhelt ihn frisch (LS, Iiiijr).

Daran schließt sich der Klagemonolog des gekreuzigten Christus unmittelbar an, sodass sein Exempelcharakter f#r die Lesenden deutlich hervortritt. Barbara Kçnneker hat versucht, Voiths Christus-Figur in Abgrenzung zur sp$tmittelalterlichen Spieltradition zu deuten. Voith verzichte darauf, die einzelnen Stationen des Leidensweges vorzuf#hren und habe im Sinne der protestantischen Skepsis am Passionsspiel „die gçttliche W#rde Christi gewahrt, da er nur noch redend, nicht aber als Mensch unter Menschen leidend und handelnd auf der B#hne pr$sent ist“.724 Voith sei es zudem gelungen, „den Zuschauern die heilsgeschichtliche Bedeutung seines Erlçsungswerkes weit eindringlicher als durch seine Umsetzung in eine b#hnengerechte Aktion einzupr$gen. Denn wo es sich um Vermittlung von ,Sinn‘ handelt, besitzt das belehrende Wort stets den Vorrang vor dem illustrierenden Vorgang.“725 Gegen diese Bewertung lassen sich zwei Einw$nde vorbringen. Der erste Einwand ist traditionsgeschichtlicher Art: Es ist wenig sinnvoll, Voiths Passionsszenen vor dem Hintergrund vorreformatorischer Spiele zu deuten. Dass der Leidensweg 723 „Und wenn ich auch angefochten werde“, heißt es in einer Tischrede Luthers von 1532, „so ergreife ich bald einen Text oder Spruch der Bibel, der mir Jesum Christum f#rh$lt, daß er f#r mich gestorben sei, davon ich denn Trost haben mçge“ (WA TR 2, S. 67). Vgl. dazu im Kontext der Trias oratio – meditatio – tentatio Bayer 1988, S. 23. 724 Kçnneker 1994, S. 342. 725 Kçnneker 1994, S. 343.

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IV. Passion

nicht dramatisiert wird, ergibt sich nicht aus einer Abgrenzungsbem#hung zum Passions- oder Fronleichnamsspiel, sondern aus der Struktur der ,Gesetz und Gnade‘-Bilder, in denen der gekreuzigte und der auferstandene Christus im Vordergrund stehen. Diese Bildelemente sind es, die Voith dramatisiert. Er hat die Szenen des Kreuzwegs also nicht „konsequent durch das Christus in den Mund gelegte berichtende, illustrierende und deutende Wort in Form einer Predigt ersetzt“,726 sondern er hat sie von vornherein nicht f#r eine Dramatisierung im Blick gehabt. Der zweite Einwand zielt auf die Bewertung Christi, der nicht als Leidender auftrete, im distanzierten Modus predigthafter Rede dargestellt werde und eine belehrende Funktion #bernehme. Dieses Urteil ist weniger vom Material geleitet als von einer Vorentscheidung #ber „protestantische Tabus“.727 Das ist bereits daran zu erkennen, dass Kçnneker die Szene V,8, um die es hier geht, gar nicht als Kreuzigungsszene beschreibt, sondern im Garten Gethsemane verortet.728 Die Vorannahme besagt, dass Christus auf protestantischen B#hnen nicht als Gekreuzigter denkbar ist und lediglich im Modus einer ,belehrenden‘ Predigt das Wort ergreifen kann.729 Letzteres ist aber in V,8 nicht der Fall. Mit keinem Wort richtet sich Christus hier an die Zuschauer. Sein Monolog ist weder eine belehrende Predigt noch ein Bericht, sondern ein Gebet – ein hochaffektives Gebet, das nicht den ,Sinn‘ der Heilsgeschichte erkl$rt, sondern mit allen Mitteln der rhetorischen Kunst die Not des Erlçsers am Kreuz vergegenw$rtigt. Christus darf leiden, 726 Kçnneker 1994, S. 342. 727 Kçnneker 1994, S. 341. 728 Vgl. Kçnneker 1994, S. 342. Christus beklagt jedoch mit Bezug auf Ps 22,17 ausdr#cklich, dass seine H$nde und F#ße durchbohrt worden sind: „Sie han mir hent f#s durch graben“ (LS, Iv). Die Figur zitiert außerdem zwei der Sieben Kreuzesworte: „Mein Gott mein Gott wie hastu mich j Vorlassen [Ps 22,2; Mk 15,34; Mt 27,46]“ (ebd.) und – als Sterbegebet und Schlusswort der Szene – „Inn deine hend befehl ich dir j Mein geist mein vater [Ps 31,6; Lk 23,46]“ (LS, Ivjr). Metz folgt Kçnneker in der Ansicht, dass das zentrale Heilsgeschehen bei Voith nicht gezeigt werde (vgl. Metz 2013, S. 147). Ehrstine hat die Kreuzigungsszene als solche gedeutet, ohne Kçnnekers Fehlkontextualisierung zu benennen. Auch er geht jedoch davon aus, dass Voith den Akzent „from Christ’s human suffering to his role as Death’s vanquisher“ verschiebe, um im Einklang mit Luthers ,Sermon von der Betrachtung des heyligen leydens Christi‘ (1519) zu stehen (Ehrstine 1998, S. 521). Dass dort die compassio der Gl$ubigen in den Hintergrund tritt, heißt jedoch nicht, dass auch der leidende Christus in den Hintergrund tritt (vgl. diese Arbeit, Kap. IV.1.2). 729 Im folgenden Kapitel mçchte ich die These zur Diskussion stellen, dass weder Luther noch die Lutheraner im 16. Jahrhundert a priori eine feste Position zum Passionsspiel vertreten.

1. Die Intermedialit$t lutherischer Schriftmeditation

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auch auf einer protestantischen B#hne. Die Frage ist, wie sich Zuschauer und Leser dazu verhalten sollen. Die Antwort, die ich vorschlagen mçchte, f#hrt nicht auf vorreformatorische compassio, sondern auf die Trias oratio – meditatio – tentatio zur#ck. Sie sieht dennoch keine Distanzierung vom leidenden Christus vor, sondern eine grçßtmçgliche N$he zu ihm. F#r Luthers Trias spielen die Psalmen eine entscheidende Rolle. Wie beschrieben, entwickelt er sein Modell ausgehend von Ps 119 und sieht in David den Prototypus des Meditierenden, der in seinen Anfechtungen immer wieder zum Klagegebet anheben muss. Die Psalmen sind daf#r pr$destiniert, das in der tentatio erfahrene Leid #berhaupt artikulierbar zu machen. Wie Johann Anselm Steiger gezeigt hat, „gehçrt es auch zu Luthers tentatio-Verst$ndnis dazu, daß erst in der Begegnung mit der Heiligen Schrift tentatio gestiftet wird bzw. umgekehrt nur die Anfechtung lehrt, die biblischen Texte mit trçstlicher Anwendung auf sich selbst zu lesen.“730 Daher sei die oratio nicht ein Akt neben der meditatio, sondern letztere vollzieht sich in ersterer und umgekehrt. Die Meditation, die die Anfechtung verbalisiert und sich als sprachlichen Leitfaden z. B. die Klagepsalmen aneignet, w$hlt nicht nur die oratio als sprachliche Form, sondern nimmt Bezug auf menschliche Verbalisierungen von Not im Psalter. Ihnen kommt nicht zuletzt deswegen die Dignit$t des gçttlichen Wortes zu, weil sie integrale Bestandteile des biblischen Kanons sind und zudem der Gottmensch Christus selbst die Worte des Psalters in seiner tiefsten Erniedrigung zitiert hat. Das heißt: Der tentatus, der meditiert, indem er die Klagepsalmen als oratio nachspricht, begibt sich erinnernd in ein colloquium mit dem gekreuzigten Sohn Gottes […]. Das betende Gespr$ch mit dem Psalter und der Dialog mit dem leidenden Christus koinzidieren in der meditativen Klage, die sich das zentrale Heilsereignis – die Passion – in Erinnerung ruft.731

Das umfangreiche Klagegebet der Christus-Figur bei Voith ermçglicht genau dies. Es versteht sich vor diesem Hintergrund fast von selbst, dass es ausschließlich aus Zitaten derjenigen Psalmen zusammensetzt ist, die Christus am Kreuz gebetet haben soll: Ps 69, 22 und 31.732 Man muss die bereits zitierte Aussage im Summarium der Szene wçrtlich nehmen, dass es in der Erfahrung der Anfechtung durch die Feinde des Menschen, durch Gesetz, S#nde, Tod und Teufel, Zeit werde, Gott und sein Wort zu „er730 Steiger 2000a, S. 45. 731 Steiger 2000a, S. 45. 732 Vgl. LS, Iiiijr-Ivjr. Voith weist die Psalmen im Marginalbereich des Drucks nach und erleichtert damit seinen zeitgençssischen Lesern (und postmodernen Exegeten) das Auffinden der Textstellen in der Bibel.

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IV. Passion

wischen“ (vgl. LS, Iiiijr). Erwischt der Angefochtene die genannten Psalmentexte, so versetzt er sich betend und meditierend in das Heilsgeschehen der Passion. Indem er selbst klagt und seiner Anfechtung Raum gibt, vergleichzeitigt er sich, im Sinne eines exemplum fidei, mit dem leidenden Christus am Kreuz.733 Er wird aber dann auch unweigerlich dazu aufgefordert, im Glauben ganz von sich abzusehen und auf den Erlçser zu vertrauen – dadurch erh$lt er Trost.734 Und an diesem entscheidenden Punkt beginnt Voith nun, Christus als Auferstandenen, der die Feinde des Menschen besiegt hat, in ein colloquium, in einen Dialog mit den Rezipienten treten zu lassen: 733 Wie Franz Fromholzer plausibel machen kann, ist es dieses Verhalten, das Johann Agricola in seiner ,Tragedia Johannis Huss‘ (1537) am Beispiel des Jan Hus vor seiner Hinrichtung auf die B#hne bringt (vgl. Fromholzer 2013, S. 53 – 58). Cora Dietl hingegen betont Agricolas Abwendung von sp$tmittelalterlicher compassio, ohne dass ein alternatives Meditationsmodell in den Blick ger$t: „Freilich geht es ihm [Agricola] nicht um eine meditative compassio mit dem Gçttlichen, sondern es geht ihm darum, seinem Publikum die Parallele zwischen Christus, Hus und Luther bzw. zwischen den Verfolgern Christi im NT, dem Konzil und dem Antichrist eindr#cklich und warnend vor Augen zu stellen, um so die Emotionen seiner Zuschauer gegen die Feinde Gottes zu entfachen“ (Dietl 2015, S. 420 f.). 734 Glenn Ehrstine hat die Passions- und Auferstehungsszenen bei Voith vor dem Hintergrund von Luthers ,Sermon von der Betrachtung des heyligen leydens Christi‘ (1519) gedeutet. Luthers Zweischritt, der von dem Erschrecken vor der eigenen S#ndhaftigkeit (Selbsterkenntnis) zum Glauben an Christus f#hrt, spiegele sich in der Abfolge der Szenen V, 8-V, 10 (vgl. Ehrstine 1998, S. 522 f.). Vielleicht l$sst sich eher von einer (berlagerung unterschiedlicher Konzepte sprechen, denn genau l$sst sich das Schema des Passionssermons nicht auf Voiths Spiel #bertragen. Die Passionsszene ist keine Szene, in der die Zuschauer dem Kreuz gegen#berstehen, um zum Schrecken der Selbsterkenntnis zu gelangen. Dies h$tte sich z. B. durch entsprechende Publikumsansprachen leicht realisieren lassen. Es ist vielmehr eines Szene des Gleichzeitigwerdens mit Christus im Gebet, das Selbsterkenntnis bei den Betenden bereits voraussetzt. Gerade die Summarien des Spiels weisen immer wieder auf den Exempelcharakter der Szenen f#r die Gl$ubigen hin. Wo Christus klagt, #bertragen die Summarien die Situation auf den ,Menschen‘ im Allgemeinen; wo Christi Feinde sich #ber seine Angst und Pein freuen, sprechen die Summarien von der Angst und Pein ,des Menschen‘ (vgl. LS, Iiiijr – Ivjr). Voith orientiert sich zudem an der Sprache, die der sp$tere Luther im Bereich einer allgemeinen Konzeption von Schriftmeditation verwendet. Er interessiert sich zentral f#r die Begriffe von Anfechtung und Trost, die im Betrachtungssermon von 1519 jedoch keine systematische Rolle spielen. Gerade die Psalmen, die Voith in seiner Passionsszene einsetzt, f#gen sich jedoch gut in die zirkul$re Dynamik von oratio – meditatio – tentatio. An diese Dynamik scheint mir ein direkterer Anschluss – nicht nur der Passions- und Auferstehungsszenen, sondern des gesamten Spiels – mçglich zu sein als an den Sermon von 1519.

1. Die Intermedialit$t lutherischer Schriftmeditation

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Seht jhr Christen vnd br#der mein Diese vier ewer veindt auch sein / Die hab ich euch allen zu guth Vberwunden das halt jnn hut / Vnd zum zeichen das solchs sey war So wil ich sie auch binden dar / Vnd sçln euch forder schaden nicht (LS, Iviijr).

Diese ad spectatores gesprochene Passage ist nicht nur im Rahmen einer Auff#hrung tragf$hig, sondern erh$lt auch im Kontext der Meditation eines ,Gesetz und Gnade‘-Bildes hohes Wirkungspotenzial. Gelingt es einem Betrachter, das Bild durch die Rede des Auferstandenen zu animieren, so ergibt sich die Pointe, dass nun Christus als Figur des Bildes auf andere Bildelemente verweist, auf die #berwundenen Allegorien von Gesetz, S#nde, Tod und Teufel, um diese auszudeuten.735 Eine solche dialogisierende oder, st$rker formuliert, theatralisierende Technik der Bildbetrachtung war in der sp$tmittelalterlichen Frçmmigkeitspraxis vielf$ltig erprobt.736 In einem in Norddeutschland weit verbreiteten Gebetszyklus findet sich ein Passionsgebet, das die Betenden dazu auffordert, ein Bild des Gekreuzigten zur Hand nehmen. Der Text bietet anschließend eine Rede Christi ad spectatores, in welcher der Gekreuzigte sich selbst beschreibt und die Zuschauer, rhetorisch ganz $hnlich wie Christus bei Voith, zum Sehen und Betrachten auffordert.737 Nicht in der Theologie, aber in der Inszenierungstechnik, in der !sthetik, ist hier eine deutliche N$he Voiths zur vorreformatorischen Frçmmigkeitspraxis zu beobachten. Nachdem Christus bei Voith die Feinde des Menschen auch 735 Erst hier l$sst sich nun auch mit Recht von Belehrung und einem predigthaften Duktus sprechen. Das ,jnn hut halten‘, also das gl$ubige im-Ged$chtnis-Behalten des siegreichen Christus regt auch das Summarium der Szene an: „Mit seinen veinden triumphirt j Christus / der gleich ein yder wirdt /j Seine veindt baldt st#rtzen gar j Wo er solchs fast mit glauben klar /j Das Christus vberwunden hat j Jdem zu guth solch veindt vorstadt“ (LS, Ivijv). 736 Vgl. Brantley 2007, S. 269 – 300; Ochsenbein 1997, S. 153 f.; Thali 2009, S. 260 f. 737 „[W]an de leue god dyne ynnecheid sut“, heißt es in der vorangehenden Andachtsanweisung, „zo sprikt he dy alduß weder to: O leue mynsche, zee myk konningheß hemmelß vnde der erde nu al degher an vor dy hanghen, naked vnde bloet. Ik hebbe zo bittere pyne dorch dynen willen gheleden, dat ik eyn led an myneme lyue nicht en hadde, dat nicht sundergen pyneget were. Zee, myn houed iß ghekroned myd der dornen kronen, de wart my zo zere dorch dat vlesch in myn houed ghedrucket, dat de steke des dorneß my gynghen bet up den knoken to deme braghene“ (Hamburg, SUB, cod. conv. 12, Bl. 58v). Zum Gesamtkonzept des Gebetszyklus und seinen theatralen Aspekten vgl. Schmidt 2015; Schmidt 2015a.

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IV. Passion

argumentativ entkr$ftet hat, wendet er sich nicht mit einer Aufforderung zur compassio, sondern mit einer Aufforderung zum Glauben an die aus der Vorhçlle befreiten Altv$ter und zugleich an die Zuschauer und Leser: Mein lieben aus erwelten zardt Also hab ich jtzt zu der farth / Euch vber wunden alzu guth Der Christen trost. Al ewer veindt das halt jnn hut / Vnd weil jhr das habt glaubet vest So solt jhr sein mein lieben gest (LS, Rijv).

Die Marginalie ,Der Christen trost‘ setzt die Bedr$ngnis der Gl$ubigen in der Anfechtung voraus – wovon sollten sie sonst getrçstet werden? Dies f#hrt zur#ck auf die (berlegung, dass die Szenen des Spiels nicht nur als linearer Handlungsablauf zu rezipieren sind, sondern sich auf die religiçse Erfahrung des Einzelnen hin çffnen. Der Angefochtene, der sich in seiner individuellen Leidenssituation mithilfe der Klagepsalmen mit dem leidenden Christus vergleichzeitigt, kann sich vom Auferstandenen Christus ansprechen und trçsten lassen. Die dialogische Struktur und der performative Charakter des Spieltextes ermçglichen es, die Erfahrung des Heils f#r die einzelnen Gl$ubigen leichter zug$nglich zu machen. Akzeptiert man diesen Vorschlag, so muss man Abstand davon nehmen, die Differenz vorreformatorischer compassio zur protestantischen Passionsfrçmmigkeit als Opposition von N$he und Distanz, von Affekt und Verstand oder von Sinnlichkeit und Didaxe zu beschreiben. Glenn Ehrstine hat in seiner Arbeit zu Voith mehrfach darauf hingewiesen, dass protestantische Dramen$sthetik allgemein unter dem Aspekt einer „visual contemplation of scripture“738 zu fassen sei. Diesen Hinweisen ist dieses Kapitel gefolgt – auch wenn es in Teilen andere Annahmen #ber die Wirkungsweise protestantischer Medien zugrundelegt. Sein wichtigstes Ergebnis ist, dass lutherische Konzepte der Schriftmeditation in einer sehr direkten Weise mit der Rezeptions$sthetik von Voiths Spiel verkn#pfbar sind. Das Spiel erçffnet nicht nur die Mçglichkeit einer visuellen Schriftbetrachtung, sondern zielt auf eine genuin intermediale Form des Umgangs mit dem Wort Gottes. Es schafft Zugang zu einer religiçsen Erfahrung, die nicht nur den Verstand, sondern den Menschen als Ganzen erfasst.

738 Ehrstine 1998, S. 527; 533.

2. Die theatergeschichtliche Bedeutung von Luthers ,Sermon‘

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2. Die theatergeschichtliche Bedeutung von Luthers ,Sermon von der Betrachtung des heyligen leydens Christi‘ (1519): Joachim Greff und Cyriacus Spangenberg Im gleichen Jahr, in dem Valentin Voith in seinem ,Lieblich Spiel‘ den leidenden Christus als exemplum fidei inszeniert, verçffentlicht der Rektor der Dessauer Lateinschule, Joachim Greff,739 eine deutschsprachige Passionsdichtung, die auf der 1530 in Wittenberg gedruckten deutschen Passionsharmonie Johannes Bugenhagens beruht.740 Wie Voith hatte auch Greff in Wittenberg studiert. Beide waren miteinander bekannt und werden in der Forschung dem sog. Wittenberger Kreis zugeordnet.741 Greffs Passionsdichtung ist f#r die Geschichte des lutherischen Dramas vor allem deshalb von Bedeutung, weil er in der Vorrede seinen Plan mitteilt, die Passion Christi auch in die Form eines çffentlich auff#hrbaren Spiels bringen zu wollen. Dieses Vorhaben f#hrte zu einer zun$chst sachlich gef#hrten Diskussion innerhalb der lutherischen Geistlichkeit und eskalierte nach einigen Wendungen schließlich 1543 in der wohl ber#hmtesten Kontroverse um die Legitimit$t geistlicher Spieltraditionen im fr#hen Luthertum, dem sog. Dessauer Zwischenfall.742 (ber ein zentrales Ergebnis dieser Entwicklungen besteht in der Forschung Konsens und die (berlieferungssituation scheint diesem Konsens Recht zu geben: Die Passion Christi und die lutherische B#hne passen nicht zusammen. Es hat sich in der Forschung zu einem Topos verfestigt, dass die Lutheraner das Passionsspiel #berwiegend abgelehnt haben.743 Eine Nebenwirkung dieser Verfestigung besteht in der Tendenz, die Entwicklung der 1530er Jahre zu sehr von ihrem Ergebnis her zu denken. Viele Darstel739 Zu Greffs Laufbahn vgl. Meyer 2014. 740 Vgl. Bieber-Wallmann 2013, S. 95; zur Fassung von 1530 vgl. ebd., S. 88. Kçnneker ging noch davon aus, dass Greff die lateinische Fassung verwendete (vgl. Kçnneker 1994, S. 311 f.). Greffs Vorrede ist inzwischen im Rahmen der Bugenhagen-Ausgabe ediert worden und wird daher aus der Edition zitiert (Greff 2013). Zitate aus der Passionsdichtung selbst entstammen dem Exemplar der Staats- und Universit$tsbibliothek Hamburg (Greff 1538). 741 Vgl. Metz 2013, S. 104 – 115. 742 Vgl. die j#ngste (berblicksdarstellung bei Metz 2013, S. 151 – 157. 743 Vgl. Bacon 1976, S. 42 – 44; Michael 1978; Michael 1984, S. 54 f.; Seidel 1997, S. 36 f.; Kçnneker 1994, S. 312 – 314; Dietl 1997; Petersen 1998, S. 101; Schulze 1999, S. 346 – 349; Ehrstine 2002, S. 21 – 26; Washof 2007, S. 52 – 54; Toepfer 2010, S. 138; Toepfer 2014, S. 219; Schulze 2012, S. 126; Metz 2013, S. 131 – 133; Lorenz 2014, S. 198.

230

IV. Passion

lungen neigen dazu, eine einheitliche Position Luthers und der Lutheraner zum Passionsspiel zu unterstellen, sodass Ambiguit$ten oder Widerspr#che in den Quellen ausgeklammert werden. Dass Greff es 1538 als wenig problematisch ansieht, çffentlich ein Passionsspiel anzuk#ndigen, gibt jedoch nicht zuletzt aufgrund seiner theologischen Sozialisation in Wittenberg zu denken. Aus seiner Vorrede zur Passionsdichtung geht hervor, dass er es durchaus f#r mçglich h$lt, ein solches Projekt mit lutherisch gepr$gter Frçmmigkeit zu vereinbaren: Er verortet es im Rahmen der Passions- und Katechismusmeditation. Die Diskussion um das geistliche Theater ist im fr#hen Luthertum in eine Auseinandersetzung um legitime Praktiken der Meditation und des Gebets eingebettet. Dies ist auch daran erkennbar, dass es sich bei der Quelle, die in der Forschung als fr#hestes Zeugnis f#r die Ablehnung mittelalterlicher Passionsspiele durch Luther gilt, in erster Linie um eine Schrift #ber die rechte Meditation des Leidens Christi handelt: ,Eyn Sermon von der Betrachtung des heyligen leydens Christi‘.744 Wie ich zeigen mçchte, ist Greffs Spielprojekt vor allem deswegen aufschlussreich, weil es diesen vermeintlich spielfeindlichen Sermon als positiven Bezugsrahmen voraussetzt. Es erscheint daher lohnenswert, dessen theatergeschichtliche Bedeutung erneut zu befragen. Bevor Greff die n$heren Gr#nde f#r seine Versifizierung von Bugenhagens Passionsharmonie ausf#hrt, fordert er seine Leser dazu auf, unabl$ssig um die Gabe der rechten Gotteserkenntnis und Meditation des Leidens Christi zu beten: O, vmb solch ein hertz solten wir alle sampt Gott stette on vnterlos dem#tiglich bitten, das wir jnn rechtschaffener erkentnis Gottes vnd seines lieben Sons Jhesu Christi mit betrachtung seines heiligen leidens, fur der gantzen welt sunde erlidden, mit busfertigem hertzen vnser leben mochten seliglich zubringen. Wol alle denen, jmerdar vnd jnn ewickeit wol, die sich darnach tag vnd nacht durch jr gantzes leben von allen jren krafften vnd verm#gen beuleissen. Aber wie nu solches (wie jederman wol weis) furwar nicht des menschen werck, sondern nur ein Gotes gabe ist, also mus auch solch erkentnis nur aus Gottes wort vnd aus einer rechtschaffenen sonderlichen lust vnd liebe zu dem Edlen waren wort entspringen vnd herkomen.745

Damit bezieht sich Greff auf ein zentrales Argument aus Luthers Betrachtungssermon. Die fruchtbare Meditation des Leidens Christi ist nur als Wirkung gçttlicher Gnade zu haben, um die Gott im Gebet angerufen 744 Eine Diskussion der unterschiedlich akzentuierten theatergeschichtlichen Deutungen des Sermons erfolgt weiter unten in diesem Kapitel. 745 Greff 2013, S. 121.

2. Die theatergeschichtliche Bedeutung von Luthers ,Sermon‘

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werden muss. Sie kann nicht aus eigener Kraft und eigenem Vermçgen entspringen.746 Greff bietet im Anschluss eine niedrigschwellige geistliche Mnemotechnik an, die den Kern der ganzen Heiligen Schrift in sich fasse: Ja, was kan edlers, hçhers vnd bessers, trçstlichers vnd seligers vnter der sonnen sein, denn das ein solcher mensche die gantze Summa der gantzen heiligen schrifft, daran der gantzen welt heil vnd seligkeit gelegen, mit zehen worten an seinen zehen fingern teglich daher zelen vnd begreiffen kann, sich auch auff die selben zehen wort verlassen, dran hangen vnd gleuben, all seine hoffnung vnd trost auff dise wort setzen, Als wenn er spricht: Der gecreutzigte Jhesus Christus ist mein einiger vnd ewiger Heiland.747

Dies ist als Anleitung zu einer t$glichen geistlichen (bung durchaus wçrtlich zu nehmen – die zehn Finger sind eine klassische Memorier- und Meditationshilfe. Die Passage macht deutlich, dass es Greff darum geht, seine Passionsdichtung in den Rahmen ganz ,greifbarer‘ Frçmmigkeitsvollz#ge einzubetten. Als #berzeugter Lutheraner lehnt er jedoch einen Zentralaffekt der sp$tmittelalterlichen Passionsmeditation, die compassio, ab.748 F#r Luther ist das Mitleiden mit Christus problematisch, weil es von der Erkenntnis der eigenen S#ndhaftigkeit ablenkt, von der Erkenntnis, dass es die S#nden jedes Einzelnen sind, die Christus ans Kreuz gebracht haben. Um seine Kritik zu begr#nden, verweist Luther auf Lk 23,27: Wer Christus beklagt und beweint wie einen unschuldigen Menschen, verhalte sich „gleych wie die weyber / die Christo von Ierusalem nach folgeten / vnd von yhm gestrafft wurden / Sie solten sich selb beweynen vnd yhre kinder.“749 Diese Bibelstelle wird in Greffs Passionsdichtung deutlich her746 „Darumb soltu gott bitten / das er deyn hertz erweiche / vnd lasze dich fruchtparlich Christus leyden bedencken / dan es auch nit muglich ist / das Christus leydenn von vnsz selber m#g bedacht werdenn gruntlich / gott senck es dan yn vnszer hertz. Auch noch disze betrachtung / noch keyn andere lere dir drumb geben wirt / das du solt frisch von dir selb drauffallen / dasselb zu volnbrengen / sondernn zuuor gottis gnaden suchen vnd begeren / das du es durch seyn gnad / vnd nit durch dich selb volnbringst / dann daher ist es kommen / das die / die oben angezeigt seynd / Christus leyden nit recht handelnn / dann sie gott nit drumb anruffen / sondernn ausz yhrenn eygen vorm#gen / eygene weysze darzu erfunden / gantz menschlich vnd vnfruchtbarlich da mit vmbgehen“ (Luther 2012, S. 34 – 36). 747 Greff 2013, S. 122. 748 Zur Ablehnung der compassio in der lutherischen Passionsbetrachtung vgl. auch Steiger 2005, S. 184. 749 Luther 2012, S. 30.

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IV. Passion

vorgehoben.750 Sie spielt bereits in Bugenhagens Passionsharmonie eine wichtige Rolle und wird dort explizit im Sinne einer Kritik an der compassio ausgelegt.751 Auch f#r Greff ist es selbstverst$ndlich, dass die Passionsbetrachtung zur Erkenntnis der eigenen S#ndhaftigkeit und zur Buße f#hren soll: Es wird ja freilich so gar blos nicht abgehen, wird er [der gemeine Mann] gerne vnd offt von Christo vnd seinem leiden hçren, Gott wird jm sein hertz ein mal erweichen, jn r#ren vnd treffen, das er sich fur einen armen sunder ernstlich bekenne, Christi wolthat anneme vnd zur seligen busse kome.752

Greffs Passionsdichtung steht damit ganz im Rahmen lutherischer Theologie und Passionsfrçmmigkeit. !hnlich wie Voiths ,Lieblich Spiel‘ soll seine Dichtung dazu beitragen, einen meditierenden Umgang mit dem Leiden Christi zu fçrdern. Greff stellt die Passionsbetrachtung dabei unter 750 „Ihesus aber da wandte sich /j Wandte sich zu jn vnd sprach so j Jr tçchter Jerusalem do /j Weinet nicht also vber mich j Sonder vber euch selbs sag ich /j Vber ewer kinder darneben j Denn sehet vnd mercket eben /j Es wird die zeit kommen gleubt mir j Inn welcher man sagen wirt schir /j Selig sind die vnfruchtbaren zwar j Die leib die nicht geborn vorwar /j Die br#st die nicht geseuget han j Denn sie werden als dan anfahn /j Zu sagen zu den bergen all j Fallet vber vns alzumall /j Zun h#geln werden sagen sie j Deckt vns itzund all alhie /j Denn so man das nach itzund thut j Am gr#nen holtz welchs frisch vnd gut /j Frisch vnd gut wechst aus der erden j Was will denno am durren werden?“ (Greff 1538, Eviiijr-Eviiijv). 751 „Yhr tçchter von Jerusalemm, weynet nicht vber mich etc.: Also sollen wir auch nicht weynen vmb Christus’ willen, wie denn etwan geleret haben die heuchler vnd werckheiligen, zuuoran, wenn man Christus’ leyden gepredigt hat, sondern wir sollen weynen vber vns; das ist vber vnsere sunde, welche so gros sind, das sie haben denen, der Gottes son ist, gecreutziget“ (Bugenhagen 2013, S. 502). Wie Ulrich Barton gezeigt hat, spielen die Tçchter Jerusalems im sp$tmittelalterlichen Passionsspiel aufgrund der Mitleidskritik aus Lk 23,27 eine spannungsreiche Rolle. W$hrend die Ablehnung des Mitleids von Christus im engen Anschluss an den Bibeltext klar zum Ausdruck gebracht wird, kann dies vor dem Hintergrund der zahlreichen compassio-Aufforderungen der Spiele dennoch nicht als prinzipieller Einwand interpretiert werden. Um diesen Widerspruch aufzulçsen, muss die Strafandrohung Christi paradoxerweise auf diejenigen Zuschauer bezogen werden, die nicht mit ihm mitleiden: „Das Mitleid des Zuschauers mit dem theatral dargestellten Christus h$ngt zusammen mit dem Mitleid oder der Furcht des Zuschauers mit bzw. um sich selbst. Christi Worte lassen sich demnach so lesen, dass sie eine reflexive Dimension des Zuschaueraffekts Mitleid verdeutlichen. Die Affekte Mitleid und Furcht werden im Passionsspiel einander so zugeordnet, dass derjenige, der kein Mitleid mit Christus hat, f#r sich selbst f#rchten m#sse; dagegen befreie Mitleid mit Christus den Zuschauer von der Furcht f#r sich selbst“ (Barton 2016, S. 183). 752 Greff 2013, S. 123.

2. Die theatergeschichtliche Bedeutung von Luthers ,Sermon‘

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die Bedingung der Textkenntnis und vergleicht sie in diesem Zusammenhang mit der Katechismusfrçmmigkeit. Es sei gewis seer n#tzlich vnd gut zu einem Christlichen wandel, leben vnd sterben, so sich ein mensch mit betrachtung des leidens Christi, wie es die heiligen Euangelisten geschrieben, allzeit vben thut, Nemlich das er den text vom leiden Christi gleich wie seinen Catechismon fein wisse, offt lese odder lesen hçre vnd sonderlich fest dran gleube.753

Die Notwendigkeit einer festen Textkenntnis f#r die katechetische Laienunterweisung hatte Luther bereits 1529 in seinem ,Kleinen Katechismus‘ hervorgehoben. Man solle „auch beyden iungen vnnd einfeltigen volck / solche st#ck also leren / das wir nicht eine sylben verrucken / odder ein iar anders denn das ander / f#r halten odder f#r sprechen“.754 Nicht als theologische Notwendigkeit, sondern als p$dagogische Strategie fordert Luther von den Predigern, bei Jugendlichen und Laien auf einer unver$nderlichen Textgestalt zu beharren und diese als Grundlage f#r das Memorieren zu nutzen: „lere sie f#r das aller erst / diese st#ck / nemlich / die Zehen gebot / Glauben / Vater vnser / etc. nach dem text hin / von wort zu wort / das sie es auch so nach sagen kçnnen vnd auswendig lernen.“755 Erst eine solche Textkenntnis ermçglicht das intensive Bedenken einzelner katechetischer St#cke. In seiner Schrift an Meister Peter von 1535 macht Luther Vorschl$ge f#r die konkrete Gestaltung von meditativen (bungen an katechetischen Basistexten. Ausgehend vom Text z. B. der Zehn Gebote oder des Vaterunser kçnnen die Gedanken dann ins ,Spazieren‘ kommen, wie Luther schreibt. W$hrend der Bezugstext durch wiederholtes Sprechen, Lesen oder Hçren memoriert und in meditierbare Portionen zerlegt wird,756 kçnnen die Gedanken, die von ihm ausgehen, eine Eigendynamik entfalten. Und anders als die memorierten Texte, sollen 753 Greff 2013, S. 122. 754 Luther 2012c, S. 574 – 576. 755 Luther 2012c, S. 576. Bei einem gelehrten Publikum hingegen komme es nicht darauf an: „Wenn du aber bey den gelerten vnd verstendigen predigst / da magstu deine kunst beweisen / vnd diese st#cke so bund kraus machen / vnnd so meisterlich drehen / als du kanst“ (ebd.). 756 Luther etwa macht die Zehn Gebote meditierbar, indem er sich jedes einzelne Gebot vornimmt und metaphorisch ein „vierfaches gedrehetes krentzlin“ (Luther 2012d, S. 612 – 614) daraus flicht, d. h. eine Lehre daraus ableitet, einen Dank, eine Beichte und ein Gebet formuliert (vgl. ebd.). Diese Methode ist in $hnlicher Weise mnemotechnisch angelegt wie das Zehnfingersystem bei Greff. Zu Luthers vierfachem Kr$nzlein im Kontext der Katechismusmeditation vgl. Nicol 1984, S. 160 – 167; Steiger 2013, S. 13 – 15.

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IV. Passion

die Gedanken und Gebete, die sich den zu bedenkenden St#cken anschließen, in ihrer sprachlichen Form gerade nicht automatisiert erfolgen: Denn ich auch selber mich an solche wort vnd sillaben nicht binde / sondern heute so / morgen sonst / die wort spreche / darnach ich warm vnd luestig bin / Bleibe doch so nahe ich jmer kann gleich wol bey den selben gedancken vnd sinn / Kompt wol offt / das ich jnn einem st#cke oder bitte / jnn so reiche gedancken spacieren kome / das ich die andern Sechse lasse alle anstehen / Vnd wenn auch solche reiche gute gedancken komen / so sol man die andern gebete faren lassen / vnd solchen gedancken raum geben / vnd mit stille zuhçren vnd bey leibe nicht hindern / Denn da predigt der Heilige geist selber.757

Wenn Greff die Katechismusmeditation als Vergleichsfolie der Passionsmeditation nutzt, so ist davon auszugehen, dass es ihm um ein $hnliches Verh$ltnis von Textmemorierung, Portionierung, Betrachtung und Gebet geht.758 Eine zentrale Implikation seiner Vorrede, die auch die Legitimit$t seines projektierten Passionsspiels betrifft, lautet, dass der Text der Passion, solange er durch die Evangelien gedeckt ist, nicht an eine spezifische Form gebunden ist. Die „Histori“ vom Leiden Christi ist unabh$ngig von ihrer sprachlichen und medialen Aufbereitung Gottes Wort.759 F#r ein Milieu halbliterater Laien h$lt Greff es f#r zutr$glich, eine gereimte Kurzfassung zur Verf#gung zu stellen. Deswegen habe er seine Passion auf Grundlage von Bugenhagens Passionsharmonie in den Druck gegeben: Dardurch vnd damit jderman zu reitzen vnd zu bitten, das jm ein jglicher fromer Christ die selbige Histori des leidens Christi, die weils auffs k#rtzte gefast, wolle gemein machen mit offtem lesen, vnd wie solchs alles jm zu nutz 757 Luther 2012d, S. 610. 758 Die zahlreichen Zwischen#berschriften in Greffs Passionsdichtung legen eine portionierende und memorierende Textrezeption nahe. 759 Ganz deutlich kommt diese Ansicht im Prolog zu Greffs Judith-Drama zum Ausdruck: „Denn das mans also speilweis macht j Wird niemand scheldn ders recht betracht /j Gotts wort traun lern man nur mit vleis j Vnd wens auch gleich wehr spielweis /j Ob mans (sag ich) gleich jnn solch speil brengt j So ists ein klug man der so gedenckt /j Des guten kann man nicht zu viel thun j Man machs wies sey das mans nur lernen kann j Dr#mb thun die recht vnd vbel nicht j Die da machen solche geticht“ (Greff 1536, Br). Wie oben bereits erw$hnt, schließt ja auch Luthers Auffassung vom ,eusserlichen Wort‘ im Rahmen seines meditatioKonzepts das Dichten mit ein: „Darumb sihest du […] / wie Dauid jmmerdar rh#met / Er wçlle reden / tichten / sagen / singen / hçren / lesen / tag vnd nacht / vnd jmmerdar / Doch nichts denn allein von Gottis wort vnd Gepotten. Denn Gott will dir seinen Gaist nicht geben / on das eusserliche wort / da richt dich nach / Denn er hats nicht vergeblich befolhen / eusserlich zu schreiben / predigen / lesen / hçren / singen / sagen etc“ (Luther 2012e, S. 664; vgl. diese Arbeit, S. 214– 216).

2. Die theatergeschichtliche Bedeutung von Luthers ,Sermon‘

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geschehen sey, einbilden jnn sein hertz vnd gleuben. Ob jemands wolde das furwenden vnd mir furwerffen, das dasselbige B#chlin sonst wol zu lesen were gewest, obs gleich jnn Deudsche Reim nicht gefast wer worden, So sage ich also, das ichs aus keinem f#rwitz gethan, denn ich dartzu vermanet vnd hochlich gebeten vnd auch als der lieber dem gemeinen man ja sonderlich zu dienst vnd den Simpeln, groben Leyen, jn anzuzeigen, begir zu gewinnen zu solcher trçstlichen Histori. Denn ich weis wol, ist gewis vnd mir niemand leugnen wird, das der gemeine man allweg das lieber lieset vnd gemeiniglich grçsser lust hat zu dem, das so Reimweis gemacht, denn sonst was schlecht geschrieben.760

Es ist f#r Greff eine unbestreitbare Tatsache, dass die Differenz von Vers und Prosa mit einer sozialen Differenz korreliert. Seine Versdichtung soll dazu beitragen, die „histori des leidens Christi“ in einem Laienmilieu zu verbreiten, das Verstexte pr$feriert, damit ihr Nutzen f#r den je einzelnen Gl$ubigen in das Herz „eingebildet“ und geglaubt wird. Auf dieses Milieu zielt bereits das mnemonische Zehnfingersystem, das Greff zur t$glichen (bung im Kontext der Passionsbetrachtung empfiehlt – und auch der Plan, der Dichtung ein Passionsspiel folgen zu lassen: Doch mit erbittung, so mir Gott mein leben fristet, wil ich auch die Passion, so mir anderes m#glich, mit Gottes h#lff vnd gnad sampt etlichen mirakeln vnd dem leben Christi (wie ich zum teil ein wenig mein Disposition schon drauff gestellet vnd geordnet) jnn ein Spiel vnd Action bringen vnd mit der zeit besser an tag geben, darmit Gott gelobet vnd abermal jderman zu guter andacht, wo solch Spiel durch Personen Agirt vnd gespielet (wie vormals jnn viel Stedten geschehen) anbracht vnd gereitzt w#rde. Wil auch zu diesem herrlichem wercke alle Deudsche Reimer vnd Poeten, beide bekandte vnd vnbekandte, hertzlich vnd br#derlich vermanen, sie wollen sich versuchen daran, vnd ob ich darzu zu gering vnd vngeschickt, sich etwas bessers mit der zeit beweissen vnd auch sonst mit andern Geistlichen Spielen vnd Historien vben, sich hierin vnbeschweret vnd vnuerdrossen machen.761

Es ist von Bedeutung, dass die lutherische Tradition geistlichen Theaters zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Passage immer noch vergleichsweise jung ist. Wenn Greff „alle Deudsche Reimer vnd Poeten“ dazu auffordert, $hnliche Projekte zu betreiben, dann spricht daraus zun$chst die Zuversicht, das geistliche Repertoire erweitern und die st$dtischen Spieltraditionen des Mittelalters im Sinne der lutherischen Lehre fruchtbar machen zu kçnnen. Entscheidend ist, dass Greff sein Passionsspiel nicht in naiver Unkenntnis, sondern mit dezidiertem Bezug auf das lutherische Modell der Passionsmeditation ank#ndigt: Es steht f#r ihn außer Frage, 760 Greff 2013, S. 122 f. 761 Greff 2013, S. 123.

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IV. Passion

dass die ,betrachtung des leidens Christi‘ nicht aus eigener Kraft und nur durch die Gnade Gottes erfolgen kann, dass das Ziel der Passionsbetrachtung in der Erkenntnis der eigenen S#ndhaftigkeit und der Buße liegt und dass der Affekt der compassio in diesem Zusammenhang zu verwerfen ist. Die theatergeschichtliche Rolle von Luthers ,Sermon von der Betrachtung des heyligen leydens Christi‘ stellt sich vor diesem Hintergrund etwas komplizierter dar als es in der Forschung #blicherweise angenommen wird. Greffs Spielprojekt jedenfalls legt die Vermutung nahe, dass er von zeitgençssischen Lutheranern nicht als Pl$doyer f#r einen Abbruch der Passionsspieltradition gelesen werden musste. In der Forschung lassen sich tendenziell eine starke und eine gem$ßigte Deutung des Sermons f#r die Theatergeschichte unterscheiden. Die starke Deutung geht von Thomas I. Bacon aus und liest den Sermon – mit unterschiedlichen Gewichtungen – als explizit ablehnenden Kommentar zur Passionsspieltradition.762 Die gem$ßigte Deutung geht davon aus, dass sich aus dem Sermon lediglich Argumente gegen das Passionsspiel ableiten lassen, ohne dass es zu einem regelrechten Verdikt kommt.763 Im Zentrum 762 „Protestant schoolmasters were undoubtedly aware that the Reformer would not tolerate performances of the Passion, as he had denounced Passion Plays in his first commentary on the drama, ,Eyn Sermon von der Betrachtung des heyligen leydens Christi‘“ (Bacon 1976, S. 42 f.). „In seiner Fastenpredigt aus dem Jahr 1519 [= Sermon von 1519] kritisiert der Reformator die Passionsfrçmmigkeit und v. a. die Passionsspiele heftig. Sie steigerten nicht die christlichen Tugenden, sondern den Zorn gegen die Juden; sie seien rein $ußerliche Werke, und Gott werde in ihnen nicht verehrt, sondern auf die menschliche Ebene herabgezerrt. Schließlich seien sie so grausam, daß sie ihre Zuschauer aus Entsetzen verzagen ließen“ (Dietl 1997, S. 265). Die genannten Punkte beziehen sich im Sermon jedoch nicht auf Spiele, sondern auf vorreformatorische Prinzipien der Passionsbetrachtung (vgl. Luther 2012, S. 30 – 32). Das Verzagen gehçrt zudem nicht mehr zur Kritik, sondern wird deutlich affirmiert: „Die bedenckenn das leyden Christi recht / die yhn alszo ansehn / daz sie hertzlich darfur erschrecken / vnd yhr gewissen gleych sincket / yn eyn vorzagen“ (Luther 2012, S. 32). Auch Knedlik 2009, S. 39 nennten den ,Sermon‘ als Text, der Passionsspiele verurteile. 763 So formuliert Metz: „Im ,Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi‘ von 1519 macht Luther auf bestimmte Gefahren bei der Betrachtung der Passion aufmerksam. Zwar bezieht sich seine Kritik an dieser Stelle prim$r auf mit dem Bedenken der Passion verbundene Beg$ngnisse und Br$uche, doch trifft sie deutlich auch die Passionsspiele“ (Metz 2013, S. 131 f.). Ursula Schulze konstatiert, Luther habe die Passionsspiele „nicht pauschal verworfen. Ablehnung und bedingte Bef#rwortung verteilen sich #ber einen Zeitraum von mehr als zwei Jahrzehnten. 1519 hat er in dem ,Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi‘ […] zu der zeitgençssischen Passionsfrçmmigkeit generell Stellung ge-

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der st$rkeren Lesart stehen dabei Passagen des Sermons, die als Kommentar zum Passionsspiel teils gar nicht belastbar oder wenigstens uneindeutig sind. So deuten Bacon und Dietl Luthers Aussage, man solle nicht l$nger das Leiden Christi ansehen und vor sich selbst erschrecken, sondern sich dem freundlichen Herzen Christi und seiner Liebe zum Menschen zuwenden, als Einspruch gegen Passionsspiele. Im Kontext des Sermons ist diese Aussage jedoch nicht auf Spiele oder andere Medien bezogen, sondern auf die emotionale Dynamik der rechten Passionsbetrachtung.764 Luther verwirft dabei die Auseinandersetzung mit dem Leiden und den Affekt des Schreckens keineswegs: Ebenso notwendig wie die Betrachtung der Passion, das Erschrecken vor der eigenen S#ndhaftigkeit und die Erkenntnis des eigenen Unvermçgens, zum Heil beizutragen, ist es f#r die Meditierenden jedoch, nicht beim Schrecken stehen zu bleiben, sondern sich der Liebe Gottes zuzuwenden und im Vertrauen auf Christus an die eigene Erlçsung sola gratia zu glauben.765 Das Eine ist ohne das Andere nicht zu haben. Eine Passage des Sermons von 1519, die sich in direkterem Bezug auf Spiele lesen l$sst, schließt sich unmittelbar Luthers Kritik an der compassio an. Diejenigen, die das Mitleiden mit Christus ins Zentrum stellen, seien auch diejenigen, die mytten / yn der passion / weyt ausz reyszen / vnd von dem abschied Christi zu Bethanien / vnd von der Iunckfrawen Marien schmertzen / viel eyntragen / vnd kummen auch nit weyter / da kumpt es / das man die passion szo vill stund vorzeugt / weysz gott / ab es mehr / zum schlaffen ader zum wachen erdacht ist.766 nommen, und diese Auseinandersetzung schließt die Spiele ein“ (Schulze 2012, S. 126; vgl. auch Schulze 1999, S. 347). 764 „Magst dich aber da zu reitzen. Zum ersten / nit das leyden Christi mehr an zusehen (dan das hatt nu seyn werck gethan vnd dich erschreckt) Sundern durch hyn dringen / Vnd ansehen seyn fruntlich hertz / wie voller lieb das gegen dir ist“ (Luther 2012, S. 38). Vgl. Bacon 1976, S. 43. Dazu Dietl 1997, S. 266: „Mit anderen Worten, er lehnt die Pr$sentation des Leids Christi ab; die Betrachtung der G#te Gottes sei wichtiger als der Schrecken der Passion.“ Der R#ckverweis Luthers, die Passion habe nun ihr Werk getan „vnd dich erschreckt“ zeigt jedoch gerade, dass diese Wirkung zun$chst notwendig und unverzichtbar ist (vgl. in diesem Sinne auch Ehrstine 2002, S. 25 f.). 765 Diese Polarit$t von S#ndenerkenntnis und Erschrecken, Liebe und Glaube bezieht Luther metaphorisch auf die Karwoche und auf Ostern: „Zcum zwelfftenn / bisz her / seyn wir yhn der marter wochen geweszen / vnd den karfreytag recht begangen. Nu kummen wir zu dem Ostertag / vnd aufferstehung Christi“ (Luther 2012, S. 36). 766 Luther 2012, S. 30.

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IV. Passion

Zun$chst geht es hier weiterhin um Formen der compassio-Frçmmigkeit, die von Maria als Vorbild ausgehen. Zwar bleibt offen, in welchem Medium die von Luther monierten Zus$tze zur Passionsgeschichte „eingetragen“ werden, aber es liegt nahe, neben Traktaten und Predigten auch an Spiele und Marienklagen zu denken. Uneindeutig ist auch die Formulierung vom stundenlangen „Vorzeugen“ der Passion. Sie l$sst sich auf Darbietungen als Spiel, aber auch auf andere Medien beziehen.767 Der Begriff ,Spil‘ selbst f$llt nicht und eine schroffe Ablehnung des Passionsspiels im Besonderen l$sst sich aus der lakonischen Frage, ob das nun alles zum Schlafen oder zum Wachen erdacht sei, kaum ableiten. Dies w$re auch #berraschend: Die Kritik des Sermons richtet sich gegen spezifische theologische Pr$missen der vorreformatorischen Passionsfrçmmigkeit und nicht gegen die Formate der Predigt, der Meditation, des Gebets oder des Spiels. Das Spiel steht auch keineswegs im Zentrum der Argumentation. Was Luther vorschwebt, ist eine Reform der Passionsfrçmmigkeit, nicht die Abschaffung einzelner medialer Formate. Und in diesem Sinne hat Greff den ,Sermon‘ offenbar gelesen und ernstgenommen – als Aufforderung, das Passionsspiel vor dem Hintergrund lutherischer Betrachtungsmodelle neu zu konzeptualisieren. Greff konnte sich auch von einem prominenten theaterbezogenen Text Luthers anregen lassen, mit dem er vermutlich gut vertraut war: von der Vorrede zum Buch Judith von 1534. Gemeinsam mit der Vorrede zum Buch Tobias gilt sie bekanntlich als zentrales Dokument f#r die Begr#ndung des reformatorischen Bibeldramas.768 Luther vermutet in seiner Judith-Vorrede, dass bereits die Juden den Stoff in Form eines Spiels aufgef#hrt haben kçnnten. Auff$llig ist, dass er in diesem Kontext ausgerechnet das Passionsspiel zu einem positiven Vergleich heranzieht – ein Umstand, den die Forschung bislang kaum diskutiert hat: „VND mag sein / das sie [die Juden] solch Geticht gespielet haben / Wie man bey vns die Passio spielet / vnd ander Heiligen geschicht. Da mit sie jr Volck vnd die Jugend lereten / als in einem gemeinen Bilde oder Spiel / Gott vertrawen /

767 Ehrstine versteht die Passage als direkten Bezug auf Spiele, wenn er #bersetzt: „Hence the hour-long performances of the passion; only God knows whether they’re performed more for sleeping or for waking“ (Ehrstine 2002, S. 24). Thorsten Dietz hingegen #bersetzt: „Deshalb weitet man die Passionsbetrachtung #ber so viele Stunden aus; weiß Gott ob das mehr zum Schlafen oder zum Wachen gedacht ist“ (Luther 2012, S. 31). 768 Vgl. zusammenfassend Metz 2013, S. 139 – 143.

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from sein / vnd alle h#lffe vnd trost von Gott hoffen“.769 Kurze Zeit sp$ter, im Jahr 1536, publiziert Greff sein eigenes Judith-Drama, in dessen Prolog Passagen aus Luthers Vorrede anklingen.770 1538 folgt seine Passionsdichtung mit der Ank#ndigung eines Passionsspiels, das vor dem frçmmigkeitstheologischen Hintergrund von Luthers Betrachtungssermon gestaltet werden sollte. Einw$nde gegen dieses Projekt kamen zun$chst nicht aus Luthers Schriften, sondern von den Lutheranern aus Greffs Umfeld. (ber die nach 1538 entstehende Diskussion informiert die an den Rat der Stadt Freiberg, Greffs Geburtsstadt, gerichtete Widmungsvorrede zu Greffs ,Osterspiel‘ von 1542. Hier erkl$rt Greff, warum er von seinem Plan, ein Passionsspiel zu verfassen, abger#ckt ist und sich schließlich f#r eine Dramatisierung des Geschehens nach Christi Auferstehung entschieden hat. Vor vier Jahren habe er das Projekt angek#ndigt, von dem er dann zun$chst durch andere Dinge abgehalten worden sei.771 Als er es sich erneut vornehmen wollte, holte er sich vorab Rat bei dem befreundeten, inzwischen verstorbenen Prediger Nikolaus Hausmann: Hab mich aber in solcher sache / guttes vnd getrewen radts zu erholen erwogen / Bey dem Erhwirdigen fromen vnd heiligen manne / Hern Magistro Nicolao Hausman / meinem freundtlichen allerliebsten Hern vnd geuattern / seliger gedechtnus / ewern eingezogenen Stadt kinde / trewen vnd lieben Predigern / welcher mit wolbedachtem gutten Radt / mich von diesem meinen furnemmen gebracht / aus vrsach / Das diese selige histori / einen grossen ernst fordere / vnd es dem lieben Son Gottes vnserm Herren Jhesu Christo / kein spil / sondern freilich nur ein sehr grosser / ia der allerhçchste ernst / schwere angst vnd pein gewesen ist / fur der gantzen Welt s#nde sterben vnd genugsam zu thun / Vnd solchs ist geschehen / weil der frome Magister Hausman noch bei dem Durchlauchten Hochgebornen F#rsten zu Anhalt etc. meinen Gnedigen Herrn sein vnderhalt gehabt.772 769 Luther 1974, S. 1675. Seidel leitet daraus ab, dass Luther mit der geistlichen Spieltradition vertraut war und auch den Passionsspielen „nicht g$nzlich ablehnend“ gegen#berstand (Seidel 1997, S. 37). Auch Schulze bemerkt, dass Luther die Passionsspiele an dieser Stelle „nicht problematisiert“ (Schulze 1999, S. 348). 770 „Hie haben wir dergleich ein geschicht j Ein schçn vnd h#bsch geistlich geticht /j Genomen aus dem alten Testament“ (Greff 1536, Aviijr). „ETliche wollen / Es sey kein Geschicht / sondern ein geistlich schçn Geticht“ (Luther 1974, S. 1674). Vgl. dazu L$hnemann 2006, S. 374, die die Parallelen allerdings etwas irref#hrend in der Widmungsvorrede verortet. 771 Vgl. Greff [1542], Aijv. 772 Greff [1542], Aiiv-Aiijr. Da Hausmann bereits 1538 von seinem Amt als Hofprediger in Dessau abberufen wurde, um die Superintendentur in Freiberg zu #bernehmen, wo er im selben Jahr starb (vgl. Beyer 2000, Sp. 1484), muss der Rat bald nach der Verçffentlichung der Passionsdichtung von 1538 erfolgt sein. Bei

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IV. Passion

Barbara Kçnneker hat darauf hingewiesen, dass Hausmanns „Satz von dem ,allerhçchste[n] ernst‘ der Passion, der es verbiete, sie als ,spil‘ aufzuf#hren“, ein „fast wçrtliches Zitat aus dem 1519 erschienenen ,Sermon von der Betrachtung des heyligen leydens Christi‘“ sei, „in dem sich Luther zum erstenmal abf$llig #ber die Passionsspiele $ußerte.“773 Dass es sich um eine Allusion handelt, trifft zu, aber es ist dennoch wichtig zu sehen, dass sich die entsprechende Passage im Sermon selbst nicht auf Passionsspiele bezieht. Bei Luther geht es um die Ursache, die den Meditierenden angesichts der Passion Christi erschrecken lassen soll: „Das erschrecken sol da her kummen / das du sihest / den gestrengen zorn vnd vnwanckelbarn ernst gottis / vber die sund vnd sundere / das er auch / seynem eynigen allerliebsten / sun hat nit wollen die sunder losz geben“.774 Diesem Umstand m#sse ein „vnsprechlicher vntreglicher ernst“775 zugeschrieben werden. Im Anschluss an einen Spruch Bernhards von Clairvaux formuliert Luther dann: „Awe / es ist myr nit mehr zu spielen / vnd sicher seyn / Wan eyn solcher ernst dahynden ist“.776 Dies zielt nicht auf Schauspiele, sondern auf die zu vermeidende falsche securitas der Gl$ubigen. Ernst und Schauspiel in Antithese zu setzen, ist eine Eigenleistung Hausmanns.777 Hausmann #bernimmt also nicht ein Argument gegen Passionsspiele von Luther, sondern er leitet aus dem Sermon lediglich ein Argument ab, das Greff post festum als #berzeugend darstellt. Dass die Situation f#r ihn jedoch auch nach Hausmanns Rat noch nicht vollst$ndig gekl$rt war, l$sst sich daraus schließen, dass er es nicht dabei bewenden ließ, sondern sich einige Zeit sp$ter mit einer $hnlichen Anfrage an Luther selbst richtete: Weiter hab ich aller erst / noch nicht fur ein jar / den hoch vnd Ehrwirdigen vnsern lieben vatern / Hern Doctor Martinum Luther selbs auch hier#ber zu radt gefraget / da ich mir dann gewis furgesetz / seinem rad vnd Geiste Hierin zu folgen / vnd darbey zu beharren / Hat mir sein Achtbar Ehrwirde / gantz gleicher weise geantwortet / Nemlich das doch nichts anders / dan nur ein lecherey (wie man dann erfaren) daraus werden w#rde.778

773 774 775 776 777

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Knedlik taucht Hausmann versehentlich unter dem Namen „Herrmann“ auf, gemeint ist jedoch der genannte Prediger (vgl. Knedlik 2009, S. 37 f.). Kçnneker 1994, S. 313. Luther 2012, S. 32. Luther 2012, S. 32. Luther 2012, S. 32. Metz schreibt sie, mit Verweis auf Kçnneker, Luther zu, stellt eine „starke Reminiszenz an den fr#hen Sermon vom Leiden Christi“ fest und kommt daher zu dem Schluss, Luther habe „in dieser Frage kontinuierlich die gleiche Position“ (Metz 2013, S. 132) vertreten. Greff [1542], Aiijr.

2. Die theatergeschichtliche Bedeutung von Luthers ,Sermon‘

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Dieses kurze Lutherzitat bezieht sich zwar eindeutig skeptisch auf Greffs konkretes Projekt, l$sst sich jedoch kaum als „weithin beachtetes Verdikt gegen die Weiterf#hrung der Tradition der Passions- und Osterspiele“779 deuten. Greffs Vorreden zeigen sehr deutlich, dass die 1530er und 1540er Jahre weniger eine Zeit der Festlegungen als eine Zeit intensiver Auseinandersetzungen sind. Lutherische Theologen sind dabei nicht auf eine eindeutige Positionierung Luthers angewiesen, um sich gegen oder f#r die Fortsetzung geistlicher Spieltraditionen auszusprechen.780 Greff ist nicht der einzige Lutheraner geblieben, der sich mit Bezugnahme auf Luthers Betrachtungssermon positiv zum Passionsspiel ge$ußert hat. !hnliche Argumentationen f#hrt auch Cyriacus Spangenberg seit den 1550er Jahren. Ich beginne jedoch mit einem sp$teren Beispiel, das dramentheoretisch das aufschlussreichere ist. In der Vorrede zu seiner Comoedia ,Vom Euangelio am Sontage Oculi‘ (1590) verortet Spangenberg das geistliche Theater im Allgemeinen und das Passionsspiel im Besonderen im Spannungsfeld $ußerer und innerer Frçmmigkeitsvollz#ge. Ausgehend von der paulinischen Aufforderung aus Eph 5,19, wir sollten „dem Herrn singen vnd spielen in vnserm Hertzen“,781 entwickelt Spangenberg aus der biblischen Semantik des Verbs ,spielen‘ eine Legitimation des geistlichen Schauspiels. Der $ußere Vollzug des Singens und Spielens soll dabei immer auf den inneren, affektiv bewegten Vollzug des Betens und Betrachtens bezogen bleiben. Darauf ziele die paulinische Rede vom Spielen im Herzen: Wiewol nu solches spielen im Hertzen sonderlich auff die geistliche jnnerliche frewde gehet / so man vber dem beten / betrachten / vnd eusserlichem m#ndlichem singen der Psalmen vnd geistlichen Lieder im geist vnd Hertzen 779 Washof 2007, S. 52 im Anschluss an Michael, der formuliert: „Luther took religion exceedingly seriously. He obviously could not tolerate what some of the plays offered: the lighthearted intrusion of farce into the sacred events on Easter morning. This sensibility caused Luther to ban all passion plays“ (Michael 1978, S. 365). Von einem Verdikt spricht, mit Blick auf Luthers Sermon von 1519, auch Petersen 1998, S. 101. 780 Das zeigt nicht zuletzt der sog. Dessauer Zwischenfall, der sich der Publikation des ,Osterspiels‘ unmittelbar anschließt. Greffs Konzession, auf die Darstellung der Passion zu verzichten, ging den çrtlichen lutherischen Pfarrern nicht weit genug, sodass Greff sich gençtigt sah, von lutherischen Theologen und auch von Luther selbst Gutachten einzuholen. Diese Gutachten, die sich nicht auf das Passionsspiel, sondern auf geistliche Spiele im Allgemeinen beziehen, fielen durchgehend positiv aus (vgl. Metz 2013, S. 151 – 157; Seidel 1997; Kçnneker 1994, S. 317 – 321). 781 Spangenberg 1590, Aijr.

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IV. Passion

hat vnd vbet / one welche jnnerliche bewegung auch das eusserliche singen (so es alleine mit dem Munde geschicht) mehr andern / denn einem selbs n#tzet / so wird doch das wçrtlein spielen in der Schrifft auch offt verstanden / von frçlichem vnd frewdenreichem Gesange / vnd allerley Seytenspiel / vnd andern instrumenten / damit man sich f#r vnd gegen Gott frçlich vnd danckbar erzeiget.782

Die Bedeutung eines solchen $ußeren und inneren Singens und Spielens st#tzt Spangenberg auf eine Reihe von Schriftzitaten, um dann zu dem Schluss zu gelangen: hieher auch billich gerechnet vnd gezogen werden / die geistlichen Spiel vnd Comedien oder Tragedien / aus heiliger gçttlicher Schrifft / vnd derer schçnen Historien gezogen / welche nichts weniger als die Psalmen vnd geistliche Lieder (doch nach jrer art) in Reimen gefast / vnd mit vnterschiedenen eingemischten Choren vnd Ges$ngen gezieret.783

F#r Spangenberg steht die Auff#hrung geistlicher Spiele also als Genre eigener Art im gleichen Funktionszusammenhang wie das Singen von Psalmen und geistlichen Liedern, zumal die Verwendung von Chçren und Ges$ngen f#r die Schauspiele selbst konstitutiv sind. Seine weitere Argumentation ist theatergeschichtlich angelegt und versucht nachzuweisen, dass die Auff#hrung geistlicher Spiele die gesamte Kirchengeschichte hindurch kontinuierlich gepflegt wurde. Spangenberg zitiert daf#r ausf#hrlich Luthers Vorreden zu den B#chern Judith und Tobias.784 Wenn schon Luther in seiner Vorrede zum Buch Judith die Passionsspiele positiv mit der vermuteten j#dischen Spielpraxis verglichen hatte, geht Spangenberg in diesem Punkt noch einen Schritt weiter. Er mçchte zeigen, dass das Passionsspiel die Dignit$t einer altkirchlichen Tradition besitzt, die sich bereits bei Gregor von Nazianz nachweisen l$sst: Das auch nach der Apostel zeiten in der ersten Kirchen solche spiel gewesen / ist aus der Historia des h. Bischoffs Grego. Nazian. abzunemen / welcher gelebet hat vmb das 370. Jhar nach Christi Geburt / vnd eine sonderliche Tragedia gemacht hat / von des Herrn Christi Leyden vnd Sterben / so noch vnter seinen B#chern vorhanden. Dergleichen er vnd andere one zweiffel mehr werden gemacht haben / welchs gewislich von jnen nit were geschehen / wenn man nicht auch solche Tragedien oder Comedien gespielet hette.785

782 783 784 785

Spangenberg 1590, Aijv. Spangenberg 1590, Aiijr-Aiijv. Vgl. Spangenberg 1590, Aiijv-Avv. Spangenberg 1590, Avv.

2. Die theatergeschichtliche Bedeutung von Luthers ,Sermon‘

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Spangenberg bezieht sich hier auf eine Quelle, die Luther noch nicht zug$nglich war, n$mlich auf den durch Antonius Bladus 1542 erstmals im Westen publizierten byzantinischen ,Christos paschon‘, ein zur Gattung des Cento gehçrendes Passionsdrama, das #berwiegend aus EuripidesVersen kollagiert ist.786 Dass solche und $hnliche Tragçdien in patristischer Zeit auch aufgef#hrt wurden, setzt Spangenberg voraus – warum h$tte man sie sonst verfasst?787 Entscheidend ist, dass Spangenberg die sp$tmittelalterlichen und auch noch die zeitgençssischen Passionsspiele in eine direkte Linie mit der altkirchlichen Praxis stellt. Und hier kommt nun Luthers Konzept der rechten Passionsmeditation ins Spiel: Es ist aber solche weise / die Passion Christi jh$rlich / oder je in drey oder mehr jaren einmal zu spielen / hernach auch biß auff vnsere zeit im brauch geblieben / vnd ist vermutlich / das dardurch mehr nutz geschaffet worden / denn durch der Mçnche lange Passionspredigten / darinn sie doch wenig von der rechten betrachtung des Leidens vnsers Herrn Jhesu Christi / wie wir vns selbs in warer rew vnd leid f#r seine Creutziger vnd Peiniger (wie wir jn mit vnsern S#nden in solche angst / jammer vnd not gebracht) erkennen / vnd dagegen in rechtem glauben vns seines willigen gehorsams vnd thewren verdienstes / vnd also der gantz volkomenen erf#llung des Gesetzes f#r vns trçsten solten / gesagt vnd geleret haben / sondern nur Spectackelpredigten gethan / vnd gezeiget / wie sich die J#den vnd jre Kriegsknechte gegen den HErrn Christum gestellet / vnd dieselbigen beneben dem armen Juda auff das grewlichste gescholten / Vnd gemeinet / wenn sie damit die Leute jammerig / vnd mit dem HErren Christo mitleidig / auff die J#den aber vnd Judam bitter vnd zornig gemacht / so hetten sie es wol ausgerichtet / vnd die Passion gar schçn gepredigt / vnd derer betrachtung also den Leuten zu jhrer Seligkeit gar verdienstlich gemacht.788

Spangenberg unternimmt das kuriose Mançver, exakt die Argumente f#r eine Verteidigung des Passionsspiels zu nutzen, die Luther gegen die vorreformatorische Passionsfrçmmigkeit ins Feld f#hrt. Dies gelingt nur unter der Pr$misse, dass Luther mit seiner Kritik #berhaupt nicht auf die Spiele, sondern vor allem auf die Predigtpraxis sowie auf vorreformatorische Passionslieder wie ,O du armer Judas‘ abzielt.789 Die verruchten mçnchi786 Zum ,Christos paschon‘ vgl. Barton 2016, S. 216 – 226. 787 Gregors Urheberschaft wurde bereits in der fr#hen Neuzeit in Frage gestellt; vieles spricht daf#r, dass das Drama erst ins 11./12. Jahrhundert zu datieren ist und nie aufgef#hrt wurde (vgl. Barton 2016, S. 216 f.). 788 Spangenberg 1590, Avv-Avjv. 789 Das in verschiedenen Kontexten parodierte Lied wurde seit den 1520er Jahren programmatisch im Sinne der lutherischen Passionsfrçmmigkeit umgedeutet, so z. B. in den Liedern ,Ein neuer armer Judas, dass #ber uns zu klagen ist, im alten Thone‘ (1527) oder ,O wir armen S#nder‘ (1543) (vgl. Taylor 1920, S. 337). Vgl.

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IV. Passion

schen Predigten, nicht aber die Spiele haben die rechte Betrachtung der Passion Christi verhindert, indem sie zur compassio mit Christus angeregt und den Zorn auf die Juden gesch#rt haben, anstatt zur Erkenntnis der eigenen S#ndhaftigkeit und zur Reue und Buße zu f#hren. !hnlich hatte Spangenberg bereits 1557 in der Vorrede zu seinen Passionspredigten argumentiert, die er dem B#rgermeister und Rat der Stadt Freiberg widmet. Wie Greff in seiner Vorrede zum ,Osterspil‘ erinnert Spangenberg an die Freiberger Spieltradition des Mittelalters und setzt die st$dtische Theaterpraxis in eine dezidierte Gegenposition zur Passionsfrçmmigkeit der damaligen Geistlichkeit. Gutherzige Leute h$tten darauf gehofft, „durch offentliche Actiones vnd Spiele solchem vnrath zuhelffen / vnd dadurch dem gemeinen man vnd Leien / die Historia vnd geschichte der Passion einzubilden“.790 Die entschieden positive Bewertung der „Actiones“ ist auch daran abzulesen, dass Spangenberg die Passionsgeschichte in seinem Predigtzyklus in zu memorierende „Actus“ einteilt und der Passionsmemoria damit ein explizit theatrales Modell zugrundelegt.791 Wie Anselm Steiger gezeigt hat, ist dieses Vorgehen bei lutherischen Theologen bereits seit den 1540er Jahren belegt und setzt sich im zu Spangenberg auch Metz 2013, S. 132 f., Anm. 163. Metz geht allerdings davon aus, dass sich Luthers Argumente direkt gegen Passionsspiele wenden. W$re das eindeutig der Fall, m#sste man Spangenberg entweder unterstellen, Luther absichtlich gegen den Strich gelesen oder nicht verstanden zu haben. Dass er den Betrachtungssermon genau gelesen hat, zeigt sich jedoch darin, dass er sich auch gegen die dort kritisierten Zus$tze zur Passionsgeschichte ausspricht (vgl. Spangenberg 1590, Avjv). Die Mçglichkeit, den Sermon spielfreundlich auszulegen scheint mir weniger in Spangenbergs Unzul$nglichkeit als in der Ambiguit$t des Sermons begr#ndet zu sein. 790 Spangenberg 1557, Avijv. 791 Spangenberg teilt die Vita Christi zun$chst in zwei Teile, in die Handlungen kurz vor Christi Leiden und in die Passionsgeschichte selbst; diese beiden Teile werden dann in je vier Actus gegliedert. „Nu aber wollen wir zum handel greiffen / vnd damit jr ordentlich behalten mçget / wo von wir hernach sagen werden / so wollen wir die gantze Historia in zwey st#ck teilen. Das erst sol sein von dem / was Christus kurtz zuuor / ehe sich sein letztes ernstlichs leiden angefangen / gethan vnd gesagt hat. Das ander sol sein die geschicht seines leidens an jm selbs. Den ersten teil / von den dingen / die sich mit jm fur seinem letzten leiden zugetragen haben / wollen wir widder teilen in vier handlungen“ (Spangenberg 1557, Cvr). Diese „handlungen“ sind jeweils mit „Primus Actus“ (Spangenberg 1557, Cvjr) etc. #berschrieben. Vor dem zweiten Teil schreibt Spangenberg: „NV aber folget weiter das ander Teil / nemlich / die Historia vnd Geschicht an jr selbs / wie man mit dem HErrn Christo ist vmbgangen / vnd wie er sich in solchem seinem Leiden vnd Sterben gehalten. Vnd die selbige Historia wollen wir auch inn vier St#ck / Actus oder Handelung teilen“ (Spangeberg 1557, Tvr).

2. Die theatergeschichtliche Bedeutung von Luthers ,Sermon‘

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17. Jahrhundert fort792 – ein Umstand, den die Spielforschung, soweit ich sehe, bislang noch nicht beachtet hat, der aber auch f#r die Bewertung von gelesenen Passionsdramen von einiger Bedeutung ist. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht sind Spangenbergs Vorreden eine schçne (berraschung – auch, weil sie dem tats$chlichen Befund vieler sp$tmittelalterlicher Passionsspiele widersprechen. Doch Spangenberg argumentiert wahrscheinlich nicht bewusst kontrafaktisch. Die Theatergeschichte war noch nicht geschrieben; Spangenbergs Vorrede von 1590 ist selbst eine sehr fr#he Skizze der Geschichte des geistlichen Spiels, die auf unterschiedliche Quellen zur#ckgreift, um ein kultur#bergreifendes Narrativ zu konstruieren.793 Es ist zu vermuten, dass Spangenberg die handschriftlich #berlieferten mittelalterlichen Passionsspiele nicht in einem repr$sent$tiven Ausmaß bekannt gewesen sind. Daher kann er behaupten, dass sich bereits in vorreformatorischer Zeit „guthertzige Christverstendige Leute“794 der Missst$nde bei der Verk#ndigung der Passion angenommen h$tten, um durch solche çffentliche einfeltige Spiele der sachen zu helffen / vnd dardurch den gemeinen Layen (die mehrerteils vnter den langen Passionspredigten / die offt 3. 4. 5. auch wol 6. oder 7. stunden geweeret / geschlaffen) vnd der Jugend die Historia vnd Geschicht der Passion besser / reiner vnd einfeltiger einzubilden / wie denn auch geschehen / vnd solches ohne frucht nicht ist abgan-

792 Vgl. Steiger 2002a, S. 492 – 494. Johann Gerhard etwa baut in seiner ,Erkl$hrung der Historien des Leidens vnd Sterbens vnsers Herrn Christi Jesu‘ (1611) die theatrale Semantik der Passionsmeditation deutlich aus: Er schl$gt eine Einteilung in „f#nff vnterschiedliche Actus oder Heupthandlungen“ (Gerhard 2002, S. 16) vor und nutzt dar#berhinaus dramentheoretisches Vokabular, um die Handlungsverl$ufe der Passionsgeschichte zu charakterisieren: „Daß nun auff solche Weise die Histori des Leidens Christi gleich als eine Comoedi / weil es vnserer Vernunfft nach wunderlich vnd seltzam sich anfangs mit jhm anlesset / aber es folget darauff eine herrliche Catastrophe, ein seliger vnnd frçlicher Außgang / nemlich / seine Aufferstehung / Himmelfahrt vnnd Sitzen zu der Rechten GOTtes / was aber den Teuffel vnd seine Organa oder Werckzeuge […] anlanget / ist es jhnen eine schreckliche Tragoedi / weil es sich anfangs mit jhnen frçlich vnnd gut anlesset / aber einen bçsen schrecklichen Außgang nimpt“ (Gerhard 2002, S. 17). 793 Neben Luthers Vorreden zu den B#chern Judith und Tobias f#hrt Spangenberg die „Historia des h. Bischoffs Grego. Nazian.“ (Spangenberg 1590, Avv) und die Chronik der Stadt Freiberg des Johannes Bocerus (vgl. ebd., Avijv-Aviijr) an. Bei letzterer handelt es sich um dessen versifizierte Stadtlobdichtung ,Fribergum in Misnia‘ (1553). 794 Spangenberg 1590, Avjv.

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IV. Passion

gen / sonderlich wo auch die Obrigkeit mit auffsehen gehabt / das man solche Spiele ohne leichtfertigkeit mit grossem ernst vnd tapferkeit halten m#ssen.795

Aufschlussreich ist, wie Spangenberg hier zwei Aspekte aus Luthers Betrachtungssermon miteinander verbindet: Er bezieht die Passage, die moniert, „das man die passion szo vill stund vorzeugt / weysz gott / ab es mehr / zum schlaffen ader zum wachen erdacht ist“,796 eindeutig auf Predigten, nimmt also auch hier die Spiele aus, und schreibt diesen zugleich dort besonderen Nutzen zu, wo sie mit jenem ,grosse[n] ernst‘ betrieben wurden, den Luther f#r die Betrachtung der Passion einfordert.797 F#r die vorliegende Untersuchung ist es von Bedeutung, wie selbstverst$ndlich Greff und Spangenberg die Passionsspiele auf das ihnen vertraute Modell der Passionsmeditation beziehen. Die Passionsbetrachtung und ihre Theorie erscheinen als prim$rer Bezugsrahmen f#r die $sthetische Konzeption der Spiele. Mit Greff und Spangenberg liegen außerdem zwei Stimmen vor, die belegen, dass die Haltung zur Passionsspieltradition in lutherischen Milieus zwischen dem zweiten und dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts nicht a priori festgelegt ist und dass Luthers Betrachtungssermon nicht zwangsl$ufig als spielfeindlicher Text rezipiert wurde. Angesichts einer nicht festgelegten theologischen Position zum Passionsspiel stellt sich die Frage, ob die vermeintliche Passionsspielfeindlichkeit wirklich der entscheidende Faktor f#r die (mit vier Spielen) vergleichweise zur#ckhaltende protestantische (berlieferung in diesem Bereich war.798 Dass die eher geringe Dichte der schriftlichen Spieltext#berlieferung allerdings nicht ohne weiteres R#ckschl#sse auf ein historisches Abbrechen der Spielpraxis erlaubt, zeigen weitere Quellen, die von der j#ngeren Theaterforschung wenig diskutiert werden. Im lutherischen Kurf#rstentum Brandenburg war es bis um 1600 #blich, an weite Teile der paraliturgischen, teils dramatisierten Zeremonien des Mittelalters anzukn#pfen. Die Brandenburgische Kirchenordnung von 1540 sieht z. B. f#r die Karwoche vor, die Br$uche der Depositio und Elevatio Crucis „wie von alters“ 795 Spangenberg 1590, Avijr. 796 Luther 2012, S. 30. 797 Auch diese Darstellung hatte Spangenberg bereits 1557 erprobt: „Wiewol an etlichen çrten eine leichtfertigkeit darauss worden / doch sind widerumb in vielen Stedten solche spiele mit grossem ernst vnd tapfferkeit gehalten“ (Spangenberg 1557, Avijv). 798 Zu nennen sind die Passionsspiele von Jakob Ruf (1545), Hans Sachs (1558), das Kaufbeurer Passionsspiel des Michael Lucius (1562) und das Passionsspiel Sebastian Wilds (1566). Zu Sebastian Wild vgl. Knedlik 2009; zu Lucius vgl. Janota 2001, zu Sachs vgl. Buschinger 2015.

2. Die theatergeschichtliche Bedeutung von Luthers ,Sermon‘

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durchzuf#hren und auch Prozessionen zu begehen.799 Diese Vorschriften f#hrten im Kurf#rstentum immer wieder zu Konflikten und kontroversen Auseinandersetzungen mit einzelnen Pfarrern. Nachweisbar sind solche Konflikte im Kontext einer Kirchenvisitation des Jahres 1558.800 Dass das Thema weiterhin pr$sent blieb, zeigt ein im Jahr 1582 gedruckter Dialogtext Philipp Agricolas, in dem er sich f#r das Weiterf#hren der #berkommenen Zeremonien einsetzt.801 In der $lteren Theatergeschichtsschreibung ist zudem darauf hingewiesen worden, dass in Berlin offenbar bis 1598 am Palmsonntag çffentliche Auff#hrungen von Passionsspielen stattgefunden haben. Erst nach einem Erlass des Kurf#rsten Joachim Friedrichs vom 27. Februar 1598 sprachen sich f#hrende Brandenburger Theologen am 30. M$rz des Jahres daf#r aus, diese und $hnlichen Traditionen fallen zu lassen.802 In dem von Nikolaus M#ller edierten Schreiben der Theologen an den Kurf#rsten heißt es: Im Pallmfest hat man pflegenn die angst vnnd schmertzen Christi in seinen leidenn etwa zu repraesentiren in oder bey einem he#ßlein, welches, sintemall es keinen grunnd hat vnnd auf andere Christliche weise vnns das leidenn des Herrn Christi, welches kein Creatur im Himmell oder auff Erdenn gnugsam außdenckenn, geschweig mit geberden darstellen kan, billich nachzulassenn, damit die geistliche betrachtung des leidens Christi nicht dad#rch verhindert oder gleichsam in ein Comoedien spiell verwandelt werde. Denn auch die Exemplaris meditatio nicht in eusserlichenn geberden stehet, sonndernn viell mehr in innerlicher gedult vnter dem Cre#tz, welches vnnser Herr Gott einen ieden nach seinen V$terlichen willen zuschickt.803 799 „Den palmentag sol man halten mit der procession und gesengen wie von alters, doch das die weihung der palmen vorbleibe, folgende die andern tage mit lesung der passionen, nach dem text der evangelisten. […] Am guten freitag sol frue die passion aus allen vier evangelisten zusamen gezogen vollend dem volk furgetragen werden und zu rechter zeit sol das gewonliche amt volbracht werden, mit der representation der sepultur, wie von alters, doch das drinnen volkçmliche consecration und administration des sacraments geschehe. […] So sol auch die osternacht mit der representation der auferstehung Christi, wie vor alters, gehalten werden […]“ (Kirchen-ordnung 1909, S. 88). Vgl. dazu auch Zeeden 1985, S. 155. 800 Vgl. Engel 2017, S. 155; Kawerau 1917. 801 Vgl. Agricola 1582. Ein Aufsatz des Verfassers zu diesem Text befindet sich zur Zeit in Vorbereitung. 802 Vgl. Holstein 1886, S. 131. 803 M#ller 1906, S. 526 – 539, hier S. 531. Als Begr#ndung f#r die Abschaffung bis dahin #blicher Zeremonien wird ein konfessionspolitischer Druck geltend gemacht, der nicht zuletzt von calvinistischer Seite ausge#bt wurde. So heißt es, dass die Zeremonien „vielen so woll einheimischenn, alls frembdenn nicht wenig bey dem klaren hellen licht des H. Euangelii ergerlichenn furkommen vnnd allerley

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IV. Passion

In welchem Rahmen und Umfang die Passion bis dahin aufgef#hrt worden war, l$sst sich aus diesen Angaben nicht genau erschließen.804 Wie bei Greff und Spangenberg ergibt sich jedoch auch hier das entscheidende Argument aus der Bewertung des Veh$ltnisses von Spiel und Meditation: Greff und Spangenberg unterstreichen die meditationsfçrdernde Wirkung der Spiele, w$hrend die Brandenburger Theologen die Innerlichkeit der Meditation gegen die !ußerlichkeit der repraesentatio ausspielen und behaupten, dass letztere die „geistliche betrachtung des leidens Christi“ verhindere. Dabei ist zu betonen, dass sich diese Position in Brandenburg offenbar erst knapp 80 Jahre nach dem Erscheinen von Luthers ,Sermon‘ gegen die bestehende Praxis durchsetzt. Sollte es tats$chlich bis 1598 eine kontinuierliche Spieltradition in Berlin gegeben haben, so w$re dies ein weiterer Grund daf#r, die gel$ufigen theatergeschichtlichen Bewertungen des Luthertums zu revidieren. Die lutherische Sichtweise auf das Passionsspiel ist uneinheitlich und von innerkonfessionellen Kontroversen gekennzeichnet; sie ist Teil einer komplizierten Gemengelage liturgischer und frçmmigkeitstheologischer Argumentationen – und sie ist noch nicht abschließend erforscht. Zwar l$sst sich die Brandenburger Passionsspieltradition nicht #ber konkrete Spieltexte greifen, doch ist die Rezeptionsgeschichte der #berlieferten protestantischen Passionsspiele nicht zu vernachl$ssigen. Sie bleiben nicht wirkungslos, sondern nehmen auch f#r das Verst$ndnis der katholischen Passionsspiele des konfessionellen Zeitalters eine Schl#sselstellung ein. F#r die Frage nach dem Verh$ltnis von Drama und Passionsbetrachtung im 16. Jahrhundert bietet sich daher im Folgenden ein interkonfessioneller Vergleich an.

seltzamen schein habenn, bey vnnsern adversariis, die solche Ceremonien monumenta Idololatriae Papisticae zu heißen pflegen“ (ebd., S. 528). 804 M#ller zitiert in einem anderen Kontext eine Rechnung der Stadt Kçlln a. d. Spree aus dem Jahr 1589 [1598?], in der es heißt: „11 gr. 2 pf. dem Manne, so die Passion mit den figuren vorm Rathe Agirt“ (M#ller 1906, S. 515, Anm. 1). Er deutet dies als Marionettendarstellung (vgl. ebd., S. 514 f.).

3. Drama und Passionsbetrachtung im interkonfessionellen Vergleich

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3. Drama und Passionsbetrachtung im interkonfessionellen Vergleich: Jakob Rufs ,Das lyden vnsers Herren Jesu Christi‘ (1545), das ,Kaufbeurer Passionsspiel‘ (1562) des Michael Lucius und das ,Villinger Passionsspiel‘ (1585/1600) 3.1. Spiele und Passionstraktate: Medi$vistische Positionen Das Verh$ltnis von Passionsspielen zur meditativen Praxis wurde bislang kaum systematisch untersucht, auch wenn in der Forschung schon seit einiger Zeit auf motivische Parallelen zwischen mittelalterlichen Spielen und Passionstraktaten hingewiesen wird.805 J#ngere medi$vistische Ans$tze, die auch rezeptions$sthetische Implikationen dieser Bez#ge ber#cksichtigen, stammen von Jan-Dirk M#ller und Glenn Ehrstine. Da sie zu gegens$tzlichen Ergebnissen kommen, die sowohl f#r die Spiele des 16. Jahrhunderts als auch f#r die Thesen dieser Arbeit insgesamt relevant sind, werden ihre Beitr$ge an dieser Stelle diskutiert. M#ller bietet in seiner Untersuchung ,Mimesis und Ritual‘ einen Katalog von Kriterien an, durch die sich die Rezeption von Passionsspielen von der Rezeption meditativer Traktate abgrenzen l$sst. Wie Spiele bem#hten sich zwar auch Traktate „um sinnliche Vergegenw$rtigung der Passion, doch im Dienste meditierender Aneignung des religiçsen Gehalts.“806 Die Spiele verlagerten diesen Akzent „st$rker auf seine Anschaubarkeit und seine emotionale Wirkung.“807 Da der heilsgeschichtliche Sinn dabei an den Rand gerate, seien in zahlreichen Spielen „explizite Korrekturen erforderlich (Kommentare, Dispute, Aufforderungen zu Betrachtung und Gebet).“808 M#ller unterscheidet Spiel- und Traktatrezeption insbesondere auch in Bezug auf die von den Traktaten geforderten kçrperlichen Andachtshandlungen und mimetischen actus conformationis. Dazu z$hlen z. B. kreuzfçrmige Gebetshaltungen oder das Zuf#gen physischer Schmerzen, die den Kçrper des Meditierenden an Christus angleichen sollen, um die compassio zu erhçhen.809 Das Spiel hingegen

805 Vgl. zusammenfassend Ehrstine 2012, S. 303 f. Das derzeitige Standardwerk zu mittelalterlichen Passionstraktaten ist die motivgeschichtliche Studie von Kemper 2006. 806 M#ller 1998, S. 545. 807 M#ller 1998, S. 545. 808 M#ller 1998, S. 545. 809 Vgl. M#ller 1998, S. 555.

250

IV. Passion

verlagert die Mimesis aus dem eigenen Kçrper auf den bloß noch anschaubaren fremden. Die geistliche Wirkung und der mimetische Akt werden entkoppelt. Der Zuschauer muß nichts sp#ren, der Spieler ist nicht Objekt, sondern bloß Medium der frommen Botschaft. Die szenische Repr$sentation nimmt dem Betrachter die Anstrengung der Imagination ab, indem sie zur Sprache […] das anschaubare Geschehen f#gen. Die Spiele ersetzen die zu kontrollierende und kontrollierbare Autosuggestion durch ein kollektives Spektakel.810

W$hrend in den Spielen die religiçse Heilsbotschaft hinter der wahrnehmungsabsorbierenden, sinnlich vergegenw$rtigten Handlung zu verschwinden drohe, seien in den Traktaten „die Greuel des Leidens immer im Blick auf die Heilsbotschaft perspektiviert, und zwar nicht nur, was den Verst$ndigungsrahmen allgemein betrifft, sondern in jeder einzelnen Passage.“811 Einen weiteren Gegensatz sieht M#ller in der Verfasstheit des Publikums: Das Spiel richtet sich nicht an den Einzelnen, sondern zielt auf die Emotionalisierung des Kollektivs. In der Passionsmeditation ist die Emotionalisierung zwar durch den Text induziert, jedoch dem einzelnen Gl$ubigen als asketische Leistung aufgegeben, indem er dauernd angehalten wird, er solle betrachten, erw$gen, sich vorstellen. Im Spiel wird ihm diese Leistung zu einem Teil abgenommen, denn er bekommt vor Augen gestellt, was jener sich erst noch vor Augen rufen muß.812 810 M#ller 1998, S. 556. Vgl. $hnlich auch M#ller 2004, S. 127 – 132. Allerdings formuliert M#ller hier etwas abschw$chend, Meditation und Spiel gemeinsam sei „das Ziel, der Imagination des Heilsgeschehens Sukkurs zu leisten und so die religiçse Betrachtung zu fçrdern. Auch das Spiel will den Rezipienten imaginativ in das Geschehen verwickeln, doch es betrifft ihn nicht – wie die Meditationspraxis – in seiner kçrperlichen Verfassung. Kçrperliche Erfahrung ist ausgeschlossen. Die conformatio wird nach außen verlagert in die mimische Repr$sentation mittels fremder Kçrper. […] Auch dies zielt zwar letztlich wieder auf eine religiçse Erfahrung, aber sie gleicht schon jener vermittelten, in ihren kçrperhaften Symptomen geschw$chten Wirkung, die die aristotelische Tragçdie als ,Furcht und Mitleid‘ anstrebt“ (ebd., S. 132). Dies m#sste kosequenterweise auch die sp$tmittelalterlichen Meditationsanleitungen betreffen, die auf die Empfehlung kçrperlicher actus conformationis verzichten. 811 M#ller 1998, S. 557 f. 812 M#ller 1998, S. 562. Das letzte Argument l$sst außer Acht, dass die Traktatliteratur nat#rlich auch #ber sprachlich-textuelle Strategien verf#gt, die es den Lesenden erleichtern, sich etwas vor Augen zu stellen – hier sei nur auf die rhetorische Erzeugung von evidentia verwiesen. Auch ein Traktat nimmt den Meditierenden damit die Imaginationsleistung zum Teil ab. Es ist auff$llig, dass M#ller „Aufforderungen zu Betrachtung und Gebet“ (ebd., S. 545) im Kontext von Spielen lediglich als „Korrekturen“ (ebd.) einer tendenziell eigendynamischen Sinnlichkeit

3. Drama und Passionsbetrachtung im interkonfessionellen Vergleich

251

Im Verlauf der Argumentation zeichnet sich eine konsequente Dichotomisierung ab. Welchem Argumentationsziel dient sie? M#ller nutzt den Gegensatz von Meditationsliteratur und Spiel letztlich, um eine literaturgeschichtlich relevante Differenz zu konstruieren. Ebenso wie vom neuzeitlichen Drama sieht er das geistliche Spiel, „vielleicht nur durch einen Haarriß, auch von jenen liturgischen und paraliturgischen Frçmmigkeits#bungen getrennt, denen es Texte, Motive und Deutungen entnimmt. Es ist ,auf dem Weg zur Literatur‘, wenn man diesen metaphorischen Ausdruck gestatten will.“813 Indem das Spiel den Gl$ubigen in die Rolle des Zuschauers entl$ßt, entl$ßt es ihn aus der Kontrolle der meditativen Askese, die auch seine Imagination steuern sollte. […] Die theatralische Mimesis des Passionsgeschehens droht den meditativen Vollzug christlicher Passionsfrçmmigkeit zu sprengen, indem sie, statt die Imagination mçglichst vollst$ndig zu lenken, sie freigibt.814

Die Kontrastierung von Meditation und Theater l$uft, bei aller Vorsicht in den Formulierungen, auf eine Kontrastierung von $sthetischer Heteronomie und Autonomie hinaus.815 Doch reicht ein nur vielleicht sichtbarer Haarriss wirklich schon aus, um das Spiel auf den Weg zur Literatur zu schicken? Gefahren und Ambivalenzen ließen sich auch gewinnbringend im Kontext der Frçmmikgeitspraxis thematisieren – jedoch unter der Voraussetzung, dass sie nicht exklusiv das geistliche Spiel betreffen.816

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gelten l$sst, w$hrend sie im Kontext von Traktaten als gattungstypische Muster bewertet werden. M#ller 1998, S. 570. Dies dreht die These Rainer Warnings von der Ambivalenz des geistlichen Spiels gewissermaßen mit dem Gesicht zur Zukunft: Aus dem R#ckfall in den Mythos wird ein Vorauseilen zur Literatur. Zum Anschluss an Warning vgl. ebd., S. 541 – 543. M#ller 1998, S. 570. Darauf verweist auch die Metapher der im Theater „aus ihren theologischen Bedeutungsfesseln entbundenen Mimesis“ (M#ller 1998, S. 562) bzw. der „Entfesselung theatralischer Mimesis“ (ebd., S. 568). Ein solcher Gegensatz bewertet das Verh$ltnis von Theologie und Theater weniger aus einer historischen als aus einer $sthetisch-normativen Perspektive. Er setzt voraus, dass das Theater erst in der Befreiung von der Theologie zu sich selber komme – also zu dem Begriff von Theater, den der Theaterforscher f#r richtig h$lt. 2004 deutet M#ller die referierten Abgrenzungsbem#hungen st$rker heuristisch, wenn er schreibt: „In der Realit$t sp$tmittelalterlicher Devotion mçgen die skizzierten Unterscheidungen nur eine geringe Rolle gespielt haben. Vermutlich wurden sie von den Besuchern der Messe, den Teilnehmern einer Feier, den #ber ein imagin$res Passionstheater Meditierenden oder den Zuschauern der Spiele nicht einmal wahrgenommen“ (M#ller 2004, S. 132). Es geht an dieser Stelle also eher um wissenschaftliche Kategorienbildung, die helfen soll, kulturhistorische

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IV. Passion

Glenn Ehrstine hat in zwei Aufs$tzen die entscheidenden Punkte in M#llers Darstellung mit Blick auf die sp$tmittelalterliche Passionsmeditation relativiert.817 Er zeigt, dass sich historisch keine scharfe Trennlinie zwischen gemeinschaftlich-çffentlicher und privater Frçmmigkeit ziehen l$sst.818 So forderten auch Meditationstraktate dazu auf, „die individuelle Meditationspraxis in die .ffentlichkeit hinauszutragen oder auch Menschen und .rtlichkeiten der eigenen Stadt als imaginative Kulisse f#r die innere Pr$sentmachung von Christi Leiden zu gestalten.“819 Die von den Traktaten geforderten kçrperlichen actus conformationis wie das kreuzweise Beten sind, wie Ehrstine zeigen kann, durchaus als typische Rezeptionshaltungen des mittelalterlichen Spielpublikums nachweisbar.820 Damit eignet sich die mimetische Involvierung des eigenen Kçrpers nicht als Abgrenzungskriterium von Traktat- und Spielrezeption. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass Auff#hrungen geistlicher Spiele einen Rahmen erçffnen, der die im religiçsen Alltag einge#bten gedanklichen, emotionalen und kçrperlichen Frçmmigkeitshabitus aktiviert.821 Eine weitere (berlegung zielt auf die zeitliche Entkopplung von Auff#hrung und meditativem Nachvollzug: We must allow […] for the ability of performances to transform familiar surroundings into a common devotional, indeed, liminal space, in which the quotidian commercial and social functions of a market square were consciously suspended, replaced by the enactment of communal piety. Within such devotional space, the thresholds between public and private became porous, and audience members, particularly those practiced in passion contemplation, could engage in an inner pilgrimage to Calgary [sic], witnessing the crucifixion as participants. The liminal suspension of daily life may have been temporary, but the site remained marked, inscribing Christ’s sacrifice on the fabric of the community and lingering for future contemplation.822

Dass sich die Meditation gerade nicht im Auff#hrungsereignis selbst erschçpfen darf, sondern in der Zukunft habitualisiert werden soll, fordern auch die in dieser Arbeit untersuchten Spiele immer wieder ein.823 Ein

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Ausdifferenzierungsprozesse zu beschreiben (vgl. ebd.) und weniger um eine Analyse der Verflechtung historischer Frçmmigkeitspraktiken und -medien. Vgl. Ehrstine 2012; Ehrstine 2015. Eine anglistische Monographie zum Thema bietet Brantley 2007. Ehrstine 2015, S. 119; vgl. auch Ehrstine 2012, S. 305 – 308. Vgl. Ehrstine 2012, S. 308 – 311; Ehrstine 2015, S. 119 – 126. Vgl. Ehrstine 2015, S. 125. Ehrstine 2012, S. 311. Erinnert sei an den Kaufmann im ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘, der gelobt, er wolle die im Spiel rezipierten Szenen „offt in meinem herczen betrachten und

3. Drama und Passionsbetrachtung im interkonfessionellen Vergleich

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letztes Argument Ehrstines bezieht schließlich die Medialit$t der Spiele mit ein, die nicht nur zur Auff#hrung, sondern auch zur Lekt#re bestimmt waren. Im Anschluss an anglistische und romanistische Forschungsergebnisse schl$gt er vor: „[C]ommemorative play manuscripts […] served not just as souvenirs or gifts, but on occasion allowed their owner or readers to recreate past performances for devotional purposes.“824 Ehrstine demonstriert dies an dem von Konrad Waldeck-Yben in Auftrag gegebenen Manuskript des Heidelberger Passionsspiels: While there are numerous scribal errors in the manuscript, Waldeck-Yben may have been interested less in a sumptuous souvenir of the play than in a simple text that might allow him to meditate at home on the experienced performace, even if the text was subsequently revised for reading.825

Es liegt nahe, dass diese Gebrauchsfunktion f#r die vielfach gedruckten Dramen der fr#hen Neuzeit noch erheblich an Relevanz gewinnt.826 Neben den genannten lassen sich noch weitere Argumente gegen eine Dichotomisierung von Passionsspiel und Betrachtung erw$gen. So wirft M#llers These, vor allem die theatrale Mimesis drohe den meditativen Vollzug zu sprengen, die Frage auf, inwiefern es sich hierbei tats$chlich um eine medienspezifische Gefahr handelt. Warum sollte die Schauspielrezeption prinzipiell st$rker bedroht sein als z. B. die Rezeption eines weitgehend unkommentierten Andachtsbildes mit drastischer Passionsdarstellung?827

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ermessen“ (MS, V. 1475 f.) oder an die Verse aus dem Epigramm, das Levin Brechts ,Euripus‘ vorangestellt ist: „Livini Euripum multatum morte gehennae, j Contemplare frequens, ne patiaris idem“ (BE, S. 2). Ehrstine 2012, S. 318. Am Beispiel des ,Donaueschinger Passionsspiels‘ hat Regina Toepfer den Begriff der impliziten Performativit$t vorgeschlagen, um das Spiel als Lesetext von einer realisierten Auflçsung unabh$ngig zu machen, ohne jedoch seinen Bezug auf eine imaginierte Auff#hrung aufgeben zu m#ssen (vgl. Toepfer 2009). Ehrstine 2012, S. 318. Vgl dazu bereits Williams-Krapp 1985, S. 142 f.; Jahn 1999. M#ller argumentiert an anderer Stelle mit der szenischen und sprachlichen Pr$sentation der Gewalt im Kontext einiger Spiele, die im Gegensatz zur piktoralen Darstellung des Leidens „der Betrachtung keinen Raum“ gebe (M#ller 1997, S. 80; vgl. auch ebd., S. 77). Diese Annahme ist schwer zu #berpr#fen und r$umt einem Zusammenspiel von Auff#hrung und einge#bten Frçmmigkeitshabitus, wie Ehrstine es vorschl$gt, kaum Mçglichkeiten ein. In diese Richtung gehend wendet auch Ursula Schulze ein, dass Rezeptionen, die im Sinne Warnings der erw#nschten Frçmmigkeitswirkung entgegenlaufen, zwar mçglich sind, „da einsinnige Reaktionen und Identifikationsvorg$nge der Zuschauer auf das Spielgeschehen nicht sicher programmierbar waren, aber die einge#bte und in der

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IV. Passion

Und auch Traktate kçnnen, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, nicht garantieren, dass ihre Leser das ihnen eingeschriebene Rezeptionsmodell auch realisieren.828 Die Meditation ist nicht nur ausgehend vom geistlichen Spiel, sondern grunds$tzlich ein prek$rer Vollzug. Auff#hrungen, Texte, Bilder oder Lieder kçnnen versuchen, ihn zu stabilisieren, sie kçnnen aber nicht restlos die Eigendynamik kontrollieren, die von den Medien selbst auf der einen und von den kognitiven Prozessen auf der anderen Seite ausgeht. Damit ist nicht bestritten, dass konkrete Frçmmigkeitsmedien ihre Ambivalenz st$rker oder schw$cher zu regulieren versuchen. Allgemeine Aussagen zur meditativen Qualit$t einzelner Gattungen oder Medienformen lassen sich hingegen nicht treffen. Zwar bezieht sich M#ller vorwiegend auf das Sp$tmittelalter, doch er gewinnt aus der Epochenz$sur der Reformation ein zus$tzliches Argument: Dass es nie vollst$ndig gelungen sei, die Passionsspiele dogmatisch zu kontrollieren, zeige „vor allem die Ablehnung des Genres durch die Reformation sowie die Bem#hungen gegenreformatorischer Bearbeiter $lterer Spiele, Kraßheiten zu mildern, wo sie die fromme Wirkung beeintr$chtigen und zu einem Kippen der Wirkung – offen oder verdeckt – f#hren konnten.“829 Dies lçst die reformatorische Ablehnung der Spiele jedoch aus Spielstruktur immer wieder zur Geltung gebrachte Blickrichtung auf den Schmerz des Leidenden sollte auf keinen Fall untersch$tzt werden“ (Schulze 2003, S. 219). So wenig #berzeugend es ist, Spiele als grunds$tzlich ambivalentere Medien zu bewerten, so wenig #berzeugend ist es, die Diskussion von Ambivalenz allein f#r Spiele zu reservieren. 828 Zur Rezeptionssteuerung in den Traktaten schreibt M#ller: „Einige Details [der Passionsgeschichte] sind noch grausamer als in den Spielen – vielleicht weil sie szenisch nicht dargestellt werden m#ssen –, aber alles ist aufgefangen in einem dichten Netz theologischer Deutung und religiçsen Kults. Selbst wo […] der theologische Rahmen nur schwach ausgepr$gt ist, steuert wenigstens der Erz$hler Wahrnehmung und Bewertung des Rezipienten. Der Leser hat keine Wahl“ (M#ller 1998, S. 558). Das Postulat, der Leser habe keine Wahl, setzt das Rezeptionsmodell des Textes bruchlos mit dem meditativen Vollzug gleich, w$hrend diese Ebenen in Bezug auf das Theater gegeneinander ausgespielt werden. Der meditative Vollzug ist jedoch auch bei der Lekt#re eines Traktats bedroht – der Leser hat eine Wahl. Er kann sich auch von textuell evozierten grausamen Details auf eine theologisch fragw#rdige Weise faszinieren lassen. Die Gedanken sind schl#pfrig, wie Luther und Luhmann wissen (vgl. oben, Anm. 700). Kein Text kann sicherstellen, dass die Gedanken seiner Leser sich so verhalten, wie er es w#nscht. 829 M#ller 1998, S. 546. In einer Anmerkung verweist M#ller f#r diese Tendenz auf Jakob Rufs protestantisches Passionsspiel sowie auf das katholische ,Villinger Passionsspiel‘, um die es auch hier im Folgenden gehen soll (vgl. M#ller 1998,

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ihrem Kontext. Es gerieten ja nicht exklusiv Spiele, sondern s$mtliche Medien und Vollzugsformen vorreformatorischer Passionsfrçmmigkeit in die Kritik, sofern sie bestimmte Annahmen wie z. B. die Heilswirksamkeit der compassio teilten. Gerade die Reformatoren sahen hier keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Spielen, Traktaten oder Predigten. Wie ich in den letzten Kapiteln zu zeigen versucht habe, l$sst sich die reformatorische Kritik an den Passionsspielen nur als Teil einer #bergreifenden Kritik an der bestehenden Meditationspraxis verstehen. Und auch dort, wo Reformatoren selbst Passionsspiele konzipieren oder verteidigen, geschieht dies mit Blick auf ihre meditative Funktion. Die behandelten Entw#rfe Joachim Greffs und Cyriacus Spangenbergs sind dabei insofern abstrakt geblieben, als keiner der beiden Autoren ein eigenes Passionsspiel verfasst hat. Wie weitgehend Modelle der Passionsbetrachtung jedoch auch die Faktur konkreter Spiele pr$gen, sollen die folgenden Kapitel zeigen. Jakob Rufs 1545 in Z#rich gedrucktes ,Lyden vnsers Herren Jesu Christi‘ darf als das bekannteste reformatorische Passionsspiel gelten. Schon die fr#he Spielforschung hat dabei den Umstand hervorgehoben, dass ausgerechnet der Protestant Ruf erheblichen Einfluss auf die katholische Passionsspielproduktion des 16. Jahrhunderts genommen hat.830 Dass die Passionsspiele des 16. Jahrhunderts vielfach auf interkonfessionellen Austauschprozessen beruhen, ist im Vergleich mit anderen Dramentraditionen jedoch nicht verwunderlich, sondern ein fr#hneuzeitlicher Normalfall. Selbst polemische Dramen basieren nicht selten auf Quellen der konfessionellen Gegenpartei, sodass es zu der Konstellation kommen kann, dass gegens$tzlich agitierende Spiele sich einzig in ihren konfessionellen Markierungen oder in polemischen Einsch#ben voneinander unterscheiden, w$hrend weite Teile des #brigen Textbestandes identisch sind.831 Paradoxerweise verweisen gerade solche F$lle auf eine weitgehende interkonfessionelle Anschlussf$higkeit in der Dramenproduktion. Ein f#r die vorliegende Untersuchung aufschlussreicher Fall liegt im Verh$ltnis von Jakob Rufs Z#rcher ,Lyden‘ zum lutherischen ,Kaufbeurer S. 546, Anm. 12). An ihnen lasse sich die entsprechende „Ver$nderung der Darstellungskonventionen“ (ebd.) demonstrieren. Es liegt nahe, dass diese Ver$nderungen auf eine theologische Domestizierung hinauslaufen, aus der sich die mittelalterlichen Spiele bereits befreit hatten. 830 Vgl. Knorr 1976, S. 67 – 107; Thoran 1984, S. 4 f.; Schellenberg Wessendorf 2008, S. 243. 831 Vgl. am Beispiel der Jedermann-Dramen Schmidt 2016.

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IV. Passion

Passionsspiel‘ (1562) des Michael Lucius832 sowie zum katholischen ,Villinger Passionsspiel‘ (1585/1600)833 vor. Wie Antje Knorr nachgewiesen hat, nutzt das ,Villinger Spiel‘ Rufs ,Lyden‘ als Hauptquelle und stimmt in etwa 80 % des Textbestandes mit ihm #berein.834 Kein anderer Verfasser eines katholischen Passionsspiels habe Ruf „in solchem Umfang und mit solcher Treue und Genauigkeit kopiert wie der des Villinger Spiels. Unser Kompilator zeigt sich also als der am wenigsten selbst$ndige; seine eigene Produktivit$t bleibt weit hinter seiner Abschreibert$tigkeit zur#ck.“835 Die von Knorr etwas bedauernd festgestellte Unselbst$ndigkeit bietet jedoch auch eine literaturwissenschaftliche Chance: Passagen, in denen das Villinger Spiel von Ruf abweicht, sind als ganz gezielte Eingriffe identifizierbar und gewinnen eine hohe Aussagekraft. Wie ich zeigen mçchte, lassen sich viele dieser Eingriffe als Arbeit an der meditativen !sthetik des Spiels beschreiben. !hnlich, wenn auch in geringerem Ausmaß, verh$lt es sich mit dem ,Kaufbeurer Passionsspiel‘ des Lutheraners Michael Lucius,836 das immerhin etwa zur H$lfte auf Rufs ,Lyden‘ beruht837 und daher auch in die Untersuchung einbezogen wird. Mit diesem doppelten Vergleich soll ein Zugriff vorgeschlagen werden, der bei der Beschreibung meditativer Rezeptionsmodelle nicht nur zwischen protestantischen und katholischen Spielen unterscheidet, sondern es auch erlaubt, innerprotestantische Differenzierungen vorzunehmen. 3.2. Rufs ,Lyden‘ und die lutherische Bearbeitung des Michael Lucius Jakob Ruf entwickelt mit seinem Passionsspiel ein Theater f#r den inneren Menschen. Die dem Druck vorangestellte Widmungsvorrede an den Konstanzer Reformator Ambrosius Blarer838 ist durchgehend von Hie832 Vgl. Metzler 1996; Janota 2001. 833 Das Villinger Passionsspiel ist in einer Handschrift #berliefert, die um 1599 entstand, wobei es sich vermutlich um eine Abschrift des bereits zuvor vorliegenden Spiels handelt. Wie die Vorrede zum ersten Tag des Spiels mitteilt, gab es in Villingen seit 1585 eine Bruderschaft, die sich der regelm$ßigen Auff#hrung des Passionsspiels in Kooperation mit den çrtlichen Franziskanern widmete (vgl. Knorr 1976, S. 5 – 7). 834 Vgl. Knorr 1976, S. 105. 835 Knorr 1976, S. 106. 836 Zu Lucius und seiner theologischen Laufbahn vgl. Metzler 1996, S. 2 f. 837 Vgl. Metzler 1996, S. 15; Janota 2001, S. 136. 838 Zum Widmungstr$ger vgl. Schellenberg Wessendorf 2008a, S. 422.

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rarchisierungen gepr$gt, die das Innere dem !ußeren und das Geistliche dem Leiblichen #berordnen. Bereits bei den heidnischen Gelehrten, schreibt Ruf, sei es Brauch gewesen, die eigenen Gaben zum Nutzen des N$chsten einzusetzen und durch Schriften und Lehren auf das Gemeinwohl zu wirken, „dardurch nitt nun deß lybes nutz vnnd wolfart / sonder vil mer der seelen vnd conscientzen frucht gef#rderet“ (RP, S. 250).839 In einer typischen humanistischen Steigerungsfigur fordert Ruf dieses Verhalten umso mehr von den Christen ein, die „mit voller erkanntnuß Gottes vnd siner heilgen heimlichkeiten / rychlich begaabt / das sy ouch vßteilt vnnd geben vmb der seelen heil willen“ (RP, S. 250 f.). Die bereits von den Heiden gepflegte Regel der N$chstenliebe habe schließlich Christus selbst den Seinen als Zeichen gegeben, an dem man sie erkennen solle.840 Sie ist dabei nicht nur auf das !ußere, sondern vor allem auf das Innere ausgerichtet: Welche [Regel] ouch so vil sy den menschen begryfft vnd anr#rt / nit nun allein in vsserlichen / sonder ouch in innerlichen wercken sich erzçgt vnd offenbar macht / als mit leeren / straaffen / raaten / warnen vnd ermanen. Diewyl dann nun diser gneist vnnd funcken der liebe deß nechsten / ouch by den vnglçubigen Heiden / die etwas erkantnuß Gottes von Gott geoffnet gehept / doch mit jrem vnw#ssenheit verduncklet / befindet / so vil golten vnnd vermçgen hat / das sy vermeint das geschriben werden sçlle zuo gemeinem wolstand reichen / vnnd mit allem flyß beschehen / ouch da n#tzid gespart werden / sol billich das vnd vil mer by den rechtglçubigen in innerlichen vnd geistlichen sachen / als die seel vnd inneren menschen betreffen / beschehen / vnd glycher maß kein flyß / m#y / arbeit vnd tr#w gespart werden (RP, S. 251).

Diese zun$chst allgemein gehaltene Argumentation ist im Kontext der Vorrede nat#rlich auf Rufs Passionsspiel zu beziehen. Es weist sich ethisch als Werk der N$chstenliebe aus und beansprucht, als ,innerliche vnd geistliche sache‘, den ,inneren menschen‘ zu betreffen. Dass Ruf Schritt f#r Schritt eine Semantik des Inneren festigt, noch bevor er #berhaupt auf seinen eigenen Text zu sprechen kommt, ist Teil einer bewusst eingesetzten Legitimationsstrategie. Sie beugt erstens dem Verdacht vor, es kçnne sich bei seinem Spiel um ein $ußerliches Werk, um ein bloßes Spektakel im 839 Zur Semantik von ,conscientz‘ vgl. Schellenberg Wessendorf 2008a, S. 423. 840 „Namlich das wird die selbigen gaaben von Gott einem yeden mitteilt vnd geben / gegen vnseren nechsten #bend vnd bruchend. Nach diser regel der alten vnd sonderlich vß tr#w vnd lieb Christenlicher vnd br#derlicher Schuld vnd pflichten / die Christus selb allen sinen als ein gw#ß zeichen / daran sy sçllend vnd m#ssend erkennt werden / in sinem Euangelio geben hat“ (RP, S. 251).

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Sinne der traditionellen christlichen Theaterkritik handeln.841 Zweitens bezieht sie das Spiel gezielt auf die gleichen anthropologischen Instanzen („seel“, „conscientz“, „innerer mensch“), auf die sich auch die Frçmmigkeitspraktiken der Meditation und des Gebets beziehen. Drittens schließlich kn#pft sie mit der Kontrastierung von Materie und Geist an eine Leitunterscheidung der Theologie Zwinglis an842 und verankert das Spiel damit im regionalen protestantischen Diskurs.843 Ruf geht dann ganz $hnlich wie Joachim Greff vor, der seine gereimte Passionsdichtung dar#ber rechtfertigt, dass sie den literarischen Pr$ferenzen eines halbliteraten laikalen Milieus entspricht. Die Form, so l$sst sich Rufs Argument paraphrasieren, muss sich sowohl der Beschaffenheit des Gegenstandes als auch der Zielgruppe und ihrer Auffassungsgabe anpassen.844 Der f#r einen Christen hçchste denkbare Gegenstand ist das Erlçsungswerk Christi selbst und daher sei es nçtig, „das diser ernstlich vnd th#r handel in guoten tr#wen allen menschen f#rgestelt werde“ (RP, S. 252). Die Zielgruppe, die Ruf mit seinem Spiel adressiert, ist vor allem die Jugend, dar#ber hinaus aber auch allgemein ein ,einf$ltiges‘, d. h. nur schwach gebildetes Publikum. Weil die Jugend oft noch nicht dazu im Stande sei, die Heilsbotschaft aus den Evangelien selbst heraus zu verstehen, sei es durchaus angebracht, sie ihrem Sinn entsprechend #ber den Weg der Dichtung und der anschaubaren Auff#hrung (,action‘) zu vermitteln: Vnnd aber sçlicher ernstlicher handel der bl#yenden vnd schwach vern#nfftigen jugend noch zuo schwer zeuerston vnd zefassen ist / acht ich den Christenlichen glouben nitt zewider syn / sçliche histori nach dem verstand zemachen oder zedichten. Nit darumb das es durch die rymen oder verß in spyls wyß / vndd mit sçlicher action in die verachtung bracht / besunder vil mer das zuo nutz guotem vnd merem verstand / der jugend (wie gemelt) 841 Vgl. dazu Berns 2003, S. 548 – 560. 842 Zu dieser Leitunterscheidung Zwinglis vgl. zusammenfassend Leppin 2004, S. 801 – 804. 843 Schellenberg Wessendorf 2008a, S. 423 verortet Rufs Semantik des Inneren und des inneren Menschen vor einem allgemeinen christlichen bzw. erasmianischen Hintergrund. Dass Ruf jedoch dar#ber hinaus spezifisch zwinglianisch denkt, l$sst sich einem predigthaften Monolog von Johannes dem T$ufer entnehmen, der die Dichtomie des !ußeren und Inneren wieder aufnimmt und opfertheologisch interpretiert (vgl. diese Arbeit, S. 268 f.). 844 „Derhalben die liebe vnd der gloub z#get vnd nachlat / in was gestalt joch es geschehen mçge durch das schryben / das da gemeinen nutz der kilchen vnd der seelen heil f#rderen / meeren vnd vfnen mçge / beschehen sçl / es syge in Spils wyß / mit schimpff der arden oder ernst. Wie sich sçlichs mçchte zuotragen ye nach glegenheit der sachen / vnd vnglyche der menschen hertzen“ (RP, S. 251).

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beschehe vnd gewendt werde. Ouch dem vnuerstand etlicher einfalten sçlcher wyß geholffen werde. Dann wie kan die jugend baß geleert vnd vfgericht werden / dann mit dem das jr anm#tig vnd verstendig ist / in dem das lyden / darinn alle s$ligkeit stat ougenschynlich gefaßt / gesehen vnd verstanden wirt (RP, S. 252).

Wie in der Forschung bemerkt worden ist, reflektiert Ruf die doppelte Medialit$t seines Spiels als Auff#hrungs- und als Lesetext und empfiehlt den Dramendruck dezidiert als Schullekt#re.845 Es wurde jedoch bislang #bersehen, dass Ruf sein Spiel nicht nur mit anderen bekannten B#chern vergleicht, sondern diese selbstbewusst in einem entscheidenden Punkt #berbietet: Darumb diß b#chlin glych als wol vnd baß der jugend dienen vnd f#gen wirt / daruß zuo lernen vnd studieren / als alle vnd andere b#chlin die man hat vnnd brucht / als die Tisch zucht / der Wysen radt / ouch was der b#cheren mer sind die zucht vndd tugend leerend. Dann vß disem nit nun die jugend mag lernen l$sen oder schryben / sonder kumpt vil mer in das recht betrachten vnd ermessen deß lyden Christi vnsers Herren / in dem sy vfwachßt vnd in erkantnuß kumpt (RP, S. 252).

Rufs Passionsspiel ist nicht nur genauso gut, sondern besser als andere „b#chlin“, weil es die Jugend nicht nur im Lesen und Schreiben unterrichtet, sondern auch in die rechte Passionsmeditation einf#hrt. Vor dem Hintergrund der Semantik des Inneren, die Ruf zuvor mit einigem Aufwand entfaltet, liegt hierin nicht nur ein erw#nschter Nebeneffekt, sondern ein zentrales Rezeptionsziel seines Spiels.846 Der bislang einzige Ansatz, der den meditativen Aspekt des Spiels ber#cksichtigt, findet sich in einer Fußnote zu den zitierten Passagen bei Christoph Petersen. Petersen beobachtet, dass Ruf der Auff#hrung und der Lekt#re zwei unterschiedliche Rezeptionsmodi zuordne: „Dem zuvor der Auff#hrung zugeordneten Rezeptionsmodus des Sehens wird […] der dem Druck als Textmedium zugeordnete Rezeptionsmodus des Lesens diffe845 Vgl. Thoran 1984, S. 5; Petersen 1998, S. 103; Schellenberg Wessendorf 2008, S. 232. 846 Es ist daher etwas zu kurz gegriffen, wenn Schellenberg Wessendorf formuliert: „Das konkret fassbare ,b#chlin‘ […] sollte Sch#lern im Unterricht als protestantisches und zugleich der Lesefçrderung dienendes Lehrmittel zur Verf#gung stehen und dadurch zu mçglichst grosser Verbreitung gelangen“ (Schellenberg Wessendorf 2008, S. 232). !hnlich Dietl: „Die Passion Christi soll also nicht (wie im katholischen Passionsspiel) zur Volksbelustigung herangezogen und geschm$ht werden, sondern sie soll der Jugend zur Lehre dienen. Das heißt, sie soll demselben Zweck folgen wie das Schultheater der Zeit“ (Dietl 1997, S. 268).

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renziert und kontrastiv gegen#bergestellt.“847 In der darauf folgenden Anmerkung f#hrt er diesen Gedanken weiter und bietet eine konfessionelle Interpretation der unterschiedlichen Rezeptionswege an. Im ersten Fall erreiche Ruf sein didaktisches Ziel #ber die sensuelle Wahrnehmung, im zweiten #ber die von der Wahrnehmung des Drucktextes in den Intellekt transponierte „geistige Schau“ (,betrachten vnd ermessen‘, Z. 135). Daß letztere explizit nicht mit dem „Augenschein/ Sehen“, sondern mit dem „Lesen“ in Verbindung gebracht wird, entspricht der reformatorischen Pr$mierung der vom Schriftwort ausgehenden intellektuellen Betrachtung gegen#ber einer auf sinnliche Wahrnehmung beschr$nkten Heilsvergewisserung.848

Petersen f#hrt zun$chst einen hermeneutischen Schritt aus, der auch zu den basalen Methoden dieser Arbeit gehçrt: Er liest #ber die Kollokation ,betrachten und ermessen‘ nicht hinweg, sondern bewertet sie als rezeptions$sthetisch aussagekr$ftig und belastbar. Anschließend bezieht er jedoch die sich herausbildende Opposition von Auff#hrung, Sehen, Sinnlichkeit auf der einen und Drucktext, Betrachtung, Intellekt auf der anderen Seite auf konfessionelle Pr$ferenzen. Dies impliziert, dass es dem Protestanten Ruf in erster Linie auf den Drucktext ankomme. Petersen entwickelt seine (berlegung vor dem Hintergrund einer gel$ufigen kulturhistorischen Dichotomie:849 Auf der vorreformatorischen/katholischen Seite steht eine sinnlich und emotional vermittelte religiçse Naherfahrung, auf der protestantischen Seite steht eine verstandesorientierte Frçmmigkeit, die sich emotional vom Heilsgeschehen distanziert.850 Dass es sich in dieser Zu847 Petersen 1998, S. 103. 848 Petersen 1998, S. 103, Anm. 21. 849 Wohlgemerkt nicht im Rahmen seiner eigentlichen Argumentation, sondern als Nebenbemerkung in einer Fußnote, die hier etwas #ber Geb#hr strapaziert wird. 850 Diesem Muster folgt auch Dietl. Ruf pr$sentiere „sein Spiel auch als ein gedrucktes Buch – die katholischen Spiele wurden nie gedruckt. Das bedeutet, daß sich Rueff zumindest auch, wenn nicht vornehmlich, an ein Lesepublikum richtet. Die Distanz zwischen Publikum und Handlung ist damit weit grçßer als beim mittelalterlichen Spiel“ (Dietl 1997, S. 270). An anderer Stelle spricht Dietl von „einem extrem didaktischen Passionsspiel […], einem Spiel, das auf drastische Szenen weitgehend verzichtet und eher den Verstand als die Gef#hle der Zuschauer oder Leser ansprechen will“ (Dietl 1998, S. 117). !hnlich formuliert Knedlik mit Blick auf das Passionsspiel des Sebastian Wild: „Gegen#ber der alten Spieltradition ereignet sich die Aufnahme der Botschaft nicht – oder zumindest nicht ausschließlich – durch die sinnlich-emotionale Teilhabe an der Inszenierung (z. B. durch eine compassio), sondern zuallererst durch das Wort“ (Knedlik 2009, S. 54 f.). Solche Gegen#berstellungen tendieren dazu, sowohl die mittelalterlichen

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spitzung um eine falsche Alternative handelt, habe ich im Kontext von Valentin Voiths ,Lieblich Spiel‘ (1538) zu plausibilisieren versucht.851 Der Begriff der Betrachtung unterl$uft dieses Deutungsmuster, weil er quer zu der medialen Opposition von Auff#hrung und Lesetext, damit aber auch quer zu der rezeptions$sthetischen Opposition von sinnlicher Anschauung und intellektualisierter Lekt#re steht.852 So findet sich die Aufforderung zur Passionsbetrachtung bei Ruf nicht nur in der Druckvorrede, sondern auch an prominenter Stelle in der Dramenhandlung.853 Sie k$me auch bei der ausdr#cklich empfohlenen Auff#hrung zur Geltung, l$sst sich also nicht einseitig auf die Lekt#re als Rezeptionsform verrechnen. Dass theatrale Auff#hrung und Passionsmeditation sich f#r Protestanten nicht ausschließen, zeigt auch Michael Lucius’ lutherische Bearbeitung von Rufs ,Lyden‘. In der von Lucius selbst verfassten Beschlussrede des ersten Tages heißt es: Ersame edle, arm und reich, jetzund wellen wir feyrabent han. Drumb megt ir wol zu hause gan unds leiden Christe wol betrachten. Wan morgen dglockh thut schlagen achten, so wellen wir bringen ein freidenspill (KP, V. 2340 – 2345).

Diese Passage ist vor allem deswegen bemerkenswert, weil es sich um einen der wenigen Belege handelt, der es erlaubt, die Meditation #ber ein rezipiertes Spiel konkret im sozialen Raum und zeitlich zwischen zwei Auff#hrungstagen zu verorten. Sie macht plastisch eine zeitgençssische Vorstellung davon greifbar, wie çffentliche Auff#hrung und private als auch die reformatorischen Spiele zu einseitig zu bewerten: Auf der mittelalterlichen Seite wird das Wort als Gotteswort unzul$ssig stark ausgegrenzt, auf der reformatorischen Seite die Emotionalit$t und Sinnlichkeit einer Schauspielinszenierung. Mit Blick auf die mittelalterlichen Passionstraktate w$re zu fragen, ob eine Auseinandersetzung mit dem Leiden Christi in der Lekt#re schon per se zu einer Distanzierung f#hrt. Es ist zudem fragw#rdig, ob eine Abstandnahme von compassio zwangsl$ufig mit einem allgemeinen Affektverzicht einhergeht. 851 Vgl. diese Arbeit, Kap. IV.1. 852 In Anlehnung an Berndt Hamm l$sst sich die Betrachtung als Vollzug auf einer (heils)medialen Ordnung des zweiten Grades ansiedeln, w$hrend Auff#hrung und Text auf einer medialen Ordnung dritten Grades zu verorten w$ren (vgl. Hamm 2011a, S. 67 u. passim; zur Modifikation von Hamms Modell vgl. diese Arbeit, Kap. I.1. Zur Unabh$ngigkeit von Betrachtung und Gebet von ihrer medialen Vermittlung vgl. auch Toepfer 2009, S. 131 f. 853 Vgl. RP, V. 71 – 75; RP, V. 2210 – 2218; RP, V. 2332 – 2335.

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Frçmmigkeitspraxis ineinandergreifen sollten.854 Auch Luthers oben bereits beschriebene Kopplung der meditatio an das medien#bergreifende Konzept des ,$ußerlichen Wortes‘ belegt, dass das reformatorische Verst$ndnis des Schriftwortes und seiner Betrachtung sich nicht auf Textmedien und ihre Lekt#re beschr$nkt.855 Dies f#hrt in einen methodisch komplizierten Bereich: Denn dass die Betrachtung nicht an spezifische Medien gebunden ist, nivelliert noch nicht die Unterschiede zwischen den Medien, von denen sie ausgehen soll. Es w$re ein Fehler, die mediale Unbestimmtheit der Betrachtung als methodischen Joker einzusetzen, um die Frage nach den medialen Differenzen aus dem Spiel zu nehmen. Eine solche Frage dr$ngt sich bei Rufs Passionsspiel wie bei kaum einem anderen auf, denn es handelt sich auf der Ebene des Dramendrucks um eines der typographisch auff$lligsten Erzeugnisse seiner Zeit. Zwar sind glossierte Dramendrucke seit den 1530er Jahren konfessions#bergreifend #blich,856 doch Jakob Ruf geht #ber die gel$ufige Praxis hinaus und bietet die dem Dramentext zugrundeliegenden Bibelstellen im Marginalbereich nicht nur als Verweis, sondern als Vollzitat an. Es liegt hier also durchaus nahe, eine Perspektive einzunehmen, die das Passionsspiel als emphatisches Lesedrama auffasst.857 Dies darf jedoch nicht vorschnell zu der Annahme eines Primats der Lekt#re #ber die Auff#hrung verleiten – ein solches postuliert Ruf gerade nicht.858 Die medialen Pr$854 Allerdings kann die Passage jedoch nicht als Dokumentation der Praxis des Jahres 1562 gesehen werden, denn die Konzeption des Spieltexts passt in diesem Fall nicht mit der Auff#hrungsnachricht zusammen, die dem Spielerverzeichnis vorangestellt ist. Diese gibt an, dass zwischen der Auff#hrung des Passionsspiels und des Osterspiels vier Tage gelegen haben: „Anno Domini 1562, auff den afftermontag [= Dienstag] zu ostern und den sontag darnach, seind dise zwo vergschribne comedien […] gehalten worden“ (Metzler 1996, S. 259). Vgl. dazu Janota 2001, S. 128 f.; 141. 855 Vgl. diese Arbeit, S. 214–216. Im Gegesatz zu Luther trennt allerdings Zwingli das $ußere Wort als kreat#rlich-sinnliches Zeichen strikt vom inneren, geistigen Wort, #ber das der Mensch nicht verf#gen kann (vgl. Hamm 1988, S. 27 – 34). 856 Ein Beispiel f#r ein stark glossiertes katholisches Bibeldrama ist Wolfgang Schmeltzls ,Comoedia der hochzeit Cana Galilee‘ (1543) (vgl. Schmeltzl 2009). 857 Petersen 1998 untersucht vor einem $hnlichen Hintergrund detailliert das Verh$ltnis zwischen den Elementen des Spiels, die sich nur im typographischen Kode rezipieren lassen und denjenigen, die auch f#r den theatralen Kode einer Auff#hrung relevant sind. 858 Bereits der Titel legt eine Auff#hrung ausdr#cklich nahe: „Das lyden vnsers Herren Jesu Christi das man nempt den Passion / in verß oder rymen wyß gesetzt / also das man es spylen mçcht“ (RP, S. 250).

3. Drama und Passionsbetrachtung im interkonfessionellen Vergleich

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sentationsformen des Dramendrucks und der Auff#hrung spielen sich nicht gegenseitig aus, sondern greifen ineinander. Rufs Glossierungspraxis wird in der Forschung bislang vor allem als Legitimationsstrategie gedeutet: „Dem Anspruch nach zumindest bietet Rueff ein Passionsspiel ,sola scriptura‘. Er betont […] seine Bibeltreue f#r ein Lesepublikum, indem er in den Marginalien die entsprechenden Bibelzitate mitliefert.“859 Ruf reagiere „mit seiner Texttreue auf die besonders von Luther, aber auch von Melanchthon und Sixt Birck vertretene Ablehnung zeitgençssischer Passionsspiele.“860 Dass eine protestantische Skepsis gegen#ber dem Passionsspiel im Hintergrund steht, mag durchaus zutreffen. Der Fokus auf den vielleicht etwas #bersch$tzten Rechtfertigungsdruck f#hrt jedoch auch dazu, dass eine andere als die apologetische Funktion der Marginalien nicht in den Blick ger$t. H$tte eine Glossierung mit einfachen Verweisen nicht ausgereicht, um die Bibeltreue des Spiels zu betonen? Ruf selbst weist in seiner Vorrede darauf hin, dass die Marginalien nicht nur der Autorisierung des Textes, sondern auch einer frçmmigkeitspraktischen Gebrauchsfunktion dienen: Das aber der text so flyssig nebend besytz der Concordantz nach gestellt vnd geordnet worden / ist darumb beschehen / das man sehe das in disem gerym deß Passion n#t anders vnd #brigs herzuo gesetzt syge / dann was der text selber vermag / vnd zierlich syn mçchte dem Spyl vnd siner action / damit menglick w#sse vnd erkennen mçge / was flyß vnd ernst dahin verwendt syge worden. Angesen das wider den text n#t yngef#rt ald zuogsetzt ist / das dise histori deß lydens vnsers heilands in verachtung bringen / sonder das ein yeder durch dises in flyssigere vnd ernstlichere betrachtung deß selbigen kommen mçchte (RP, S. 253 f.).

Die Marginalien bekr$ftigen nicht nur die weitgehende Bibeltreue des Spiels, sondern sie sollen es den Lesenden auch ermçglichen, in eine intensivierte Meditation #ber das Leiden Christi einzutreten. Rufs Bitte an Ambrosius Blarer, das „b#chlin“ in den Schulunterricht einzuf#hren, nimmt diese Funktion wiederum mit Blick auf die „action“ des Spiels auf. Er habe ihm das Spiel vor allem aus dem Grund gewidmet, das dises b#chlin der Passion genannt / durch #wer radt vnd that / der jugend in die schuolen verordnet werde / vff das sy durch sçlchen anfang zuo mererem verstand jres heils / vnd eins rechtgeschaffnen l$bens kommen mçgend / dardurch dann ouch andere die mer frçud vnd lusterbarkeit an der action hand 859 Dietl 1997, S. 269. Zu den dennoch vorhandenen nichtbiblischen Traditionen in Rufs Spiel vgl. ebd., S. 272 – 274. 860 Schellenberg Wessendorf 2008, S. 230.

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sich darinnen #bend / den handel deß heils bedenckend vnd ermessend (RP, S. 254).

In der typographischen Anlage des Drucks spiegelt sich ein spezifischer Anspruch an die laikale Passionsbetrachtung, den bereits Joachim Greff in seiner Passionsdichtung von 1538 formuliert hatte. Es sei nçtig, so Greff, dass ein Mensch, der sich „mit betrachtung des leidens Christi, wie es die heiligen Euangelisten geschrieben, allzeit vben thut […] den text vom leiden Christi gleich wie seinen Catechismon fein wisse, offt lese odder lesen hçre vnd sonderlich fest dran gleube.“861 Jakob Ruf lçst diesen Anspruch ein, indem er den Text der Heiligen Schrift im vollen Wortlaut mit dem gereimten Spieltext kombiniert und damit eine mnemotechnisch nutzbare typographische Struktur aufbaut. Das Layout legt ein portionierendes Lekt#reverfahren nahe, das den Reimtext immer wieder unterbricht, um den Bibeltext im Marginalbereich aufzusuchen, zu memorieren und zu meditieren. Explizit hatte der Basler Schulmeister Johannes Kolroß in seinem ,Enchiridion‘ (1530) die zentrale Bedeutung thematisiert, die den Marginalien deutschsprachiger Drucke zuzuschreiben ist: „Dann so einer schon vil b#cher hett / vnd noch die anzeygungen vnd einhelligkeyten heyliger schrifft / noch die Ciffer (so n$ben dem text an çrtern verzeychnet) verst#nde / wurd er wenig frucht mit jnen schaffen.“862 Und wie Kolroß, der sein ebenfalls glossiertes ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘ (1532) ausdr#cklich in den Erziehungskontext stellt, sieht auch Ruf es als p$dagogische Notwendigkeit an, dass bereits Schulkinder die Betrachtung des Leidens Christi systematisch ein#ben.863 Christoph Petersen hat ausblickhaft darauf hingewiesen, dass auch Luthers ,Sermon von der Betrachtung des heyligen leydens Christi‘ (1519) aufschlussreich f#r die diskutierten Passagen bei Ruf sei.864 Dies trifft vor allem im Vergleich mit den hier untersuchten lutherischen Ans$tzen zum Passionsspiel zu. Die Lutheraner Greff und Spangenberg schließen sich in ihren theoretischen (berlegungen eng, teils wçrtlich, an den Sermon an. 861 Greff 2013, S. 122. 862 Kolroß 1882, S. 65. Vgl. dazu ausf#hrlich diese Arbeit, S. 66–68. 863 !hnliches ist auch bei Andreas Musculus zu beobachten, der sein ,Bedencks Ende‘ (1572) den jungen Tçchtern des Brandenburgischen Kurf#rsten widmet (vgl. diese Arbeit, S. 198). 864 Vgl. Petersen 1998, S. 103, Anm. 21. Auch Cora Dietl nutzt den Sermon punktuell als Interpretationsfolie (vgl. Dietl 1997, S. 274 f.). Allerdings ist Dietls Verst$ndnis des Sermons problematisch, da sie dessen Nachdruck auf Erschrecken, Schuld- und S#ndenerkenntnis ausblendet (vgl. diese Arbeit, S. 237). Davon sind auch die auf dem Sermon beruhenden Deutungen Rufs betroffen.

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Und auch Lucius’ Spiel l$sst sich in seiner Makrostruktur auf die Folie des Sermons beziehen. Luther setzt eine starke Z$sur zwischen dem meditativen ,Begehen‘ des Karfreitags und dem sich anschließenden ,Begehen‘ des Ostertags,865 die aus Sicht des Gl$ubigen einer affektiven Z$sur entspricht: W$hrend die Betrachtung der Passion den S#nder vor dem Zorn Gottes und vor seiner eigenen S#ndhaftigkeit erschrecken lassen soll, soll die Betrachtung der Auferstehung sein Gewissen entlasten, ihn s#ß und zuversichtlich stimmen und zum r#ckhaltlosen Vertrauen auf die Erlçsungstat Christi animieren.866 Dieser Zweiteilung entspricht bei Lucius die Grenze zwischen den zwei Spieltagen als Grenze zwischen dem Passionsund dem Osterspiel.867 Auf deren affektiven Gegensatz verweist der Beschlussredner des ersten Tages: Nach der bereits zitierten Aufforderung, das Leiden Christi zwischen den Spieltagen im Privathaushalt weiter zu meditieren, k#ndigt er f#r den folgenden Tag ein „freidenspill“ (KP, V. 2345) an: Wer solches dan auch sehen will, wirt sich wissen darauff zuristen. Hiemit winsch ich all fromen Christen ein guten abent und frelichen morgen. Schlafft ir all wol. Wir wellen sorgen, das nach erwisner trawrigkeit ir auch solt haben ergetzlichait (KP, V. 2346 – 2352). 865 „Zcum zwelfftenn / bisz her / seyn wir yhn der marter wochen geweszen / vnd den karfreytag recht begangen. Nu kummen wir zu dem Ostertag / vnd aufferstehung Christi“ (Luther 2012, S. 36). 866 Nach seinen eigenen S#nden soll der Meditierende „ansehen seyn [Christi] fruntlich hertz / wie voller lieb das gegen dir ist / die yhn da zu zwingt / das er deyn gewissen / vnd deyn sund szo schwerlich tregt. Alszo wirt dir das hertz gegen yhm sussze / vnd die zuuorsicht des glaubens gestercket“ (Luther 2012, S. 38). 867 Das Osterspiel ist bei Lucius anfangs noch an Ruf angelehnt, dann unabh$ngig von ihm gestaltet. Metzler hat, ohne es pr#fen zu kçnnen, vermutet, dass Lucius auf Joachim Greffs Osterspiel zur#ckgegriffen haben kçnnte (vgl. Metzler, S. 7 f.). Eine erste Durchsicht hat ergeben, dass sich zwischen Lucius und Greff sehr deutliche Strukturparallelen, aber nur wenige wçrtliche (bereinstimmungen finden lassen. Dass Lucius Greff als Vorlage verwendet hat, liegt aber schon deshalb nahe, weil er sein Osterspiel mit einem prozessionsartigen allegorischen ,Triumphus Christi‘ (vgl. KP, S. 211) beendet, der dem sechsten Akt bei Greff deutlich $hnelt und der, wie dies auch bei Greff der Fall ist, von Lucius als eine Art Anhang ausgezeichnet wird: „Hie endt sich des ostertags historia. Was nun folgt, ist nit im text, sonder zierlichait, freiden unnd erinerung halb hinzugethan“ (KP, S. 211). Greff hatte die Szenen seinerseits von Voith #bernommen und sich daf#r ausf#hrlich gerechtfertigt (vgl. dazu Kçnneker 1994, S. 340 – 342).

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IV. Passion

Die Makrostruktur des Kaufbeurer Spiels ist nicht zuletzt deswegen aussagekr$ftig, weil sie bei Ruf in dieser Form nicht angelegt ist.868 F#r den reformierten Dramatiker scheint Luthers Sermon nicht die gleiche Bedeutung einer verbindlichen dramen$sthetischen Folie erlangt zu haben. Zwar #berschneiden sich die Prinzipien der Passionsbetrachtung, die Ruf voraussetzt, weitgehend mit denen des Sermons, teils ist aber auch ein auff$llig entspannter Umgang mit Meditationsprinzipien zu beobachten, die der Sermon dezidiert verwirft. (berschneidungen ergeben sich mit Blick auf die Emphase des Ernstes, die im vorangehenden Kapitel ausf#hrlich thematisiert wurde. Besonders auff$llig ist hier eine Passage aus Rufs Beschlussrede zum ersten Tag. Luther hatte in seinem Betrachtungssermon einen Gegensatz zwischen dem hçchsten Ernst der Passion und der Spielhaltung des Menschen konstruiert, den Greff dann in der Vorrede zu seinem Osterspiel als spezifischen Gegensatz von Ernst und Schauspiel fasste: Auf ein Passionsspiel sei zu verzichten, weil die Passion f#r Christus kein Spiel gewesen sei, sondern der allerhçchste Ernst.869 Ruf gewinnt aus dem gleichen Gegensatz eine paradox gestrickte Pointe, indem er wiederum den Ernst des Spiels betont: Daß er [Christus] mçcht bringen sheil vns allen Ja vns erlçßte von der not Deß Adams durch sin bitteren todt Daß jr zum teil jr biderben l#t Hand ghçrt vnd gsehen all s#nd h#t870 Mit grossem ernst in disem spil (RP, V. 2203 – 2208).

Wie aus der Beschlussrede hervorgeht, steht der Ernst auch hier in direktem Zusammenhang mit der Aufforderung, die im Spiel pr$sentierte Leidensgeschichte zu meditieren: Wie Jesus vnser Herr vnd Christ Vor sim tod gschm$cht gschendt gewesen ist Ouch wie der sun Gotts smenschen kind Jst kommen in die hend der s#nd Mit jamer / angst vnd grosser not 868 Die Grenze zwischen den beiden Spieltagen liegt bei Ruf noch vor der Kreuzigung und parallel zur biblischen Tagesgrenze nach Mt 27,1: „Des morgens aber hieltend alle hohen priester vnd die eltesten deß volcks einen radt #ber Jesum / daß sy jm zum tod hulffind“ (RP, S. 328). 869 Vgl. diese Arbeit, S. 240. 870 Vermutlich ist „all s#nd“ als „all sand“, d. h. „alle gemeinsam“ zu lesen. „Alle S#nden“, wie der Kommentar vorschl$gt (vgl. RP, S. 324), f#gt sich weder semantisch noch syntaktisch in den Zusammenhang ein.

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Vmb vnschuld vor sim bitteren todt Daß er kein wort darwider seit Wie gmeld von jm hat der Prophet Das sond jr allsand trachten eben (RP, V. 2210 – 2218).

Die Formel vom Ernst im Spiel nimmt auch der Prologsprecher des zweiten Tages wieder auf.871 Mit der Emphase des Ernstes eng verkn#pft ist das Ziel der S#ndenerkenntnis und Buße, das auch f#r Luther ins Zentrum der Passionsbetrachtung r#ckt. Ruf betont den Bußaspekt seines Spiels bereits in der Widmungsvorrede an Ambrosius Blarer, wobei er mit der Instanz des Gewissens die Semantik des Inneren wieder aufgreift, die er zuvor etabliert hatte. Das Spiel soll es den Rezipienten ermçglichen, dass sie „ouch die besserung / penitentz vnd wolfart jrer seelen vnd conscientz daruß lernend / vnd mit nutz empfahend“ (RP, S. 252). In der Dramenhandlung selbst finden sich neben expliziten Funktionsbestimmungen872 auch rezeptionssteuernde Szenen, in denen Figuren als imitierbare Exempel agieren. Zu Beginn des f#nften Aktes, der sich dem Kreuzestod unmittelbar anschließt, ber$t ein Centurio mit seinen Soldaten #ber die Zeichen, die sich beim Tod Christi ereignen. Der in dieser Szene zentrale und immer wieder betonte Affekt ist der des Schreckens: Der Centurio, ein mutiger Krieger, der nie eine Schlacht verloren hat, sieht sich ergriffen von „grosser forcht / erschrockenheit“ (RP, V. 4122). Das Zerreißen des Tempelvorhangs, die Erdbeben, die sich auftuenden Abgr#nde und die sich „Mit grossem gwalt / erschrockenheit“ (RP, V. 4134) çffnenden Gr$ber #berzeugen ihn davon, dass nicht ein Mensch, sondern Gottes Sohn selbst am Kreuz gestorben sei. Seine Soldaten stimmen zu: „Wir / sgmein volck alls erschrocken sind“ (RP, V. 4141), sagt der erste Kriegsmann und auch der dritte hebt hervor, er wolle „Vor forcht vnd angst […] ertoben“ (RP, V. 4158). Das Erschrecken #ber die aus den Fugen geratene Natur ist dabei kein Erschrecken vor unerkl$rlichen Ph$nomenen, sondern ein Erschrecken vor dem Zorn Gottes und ein Erschrecken #ber die eigene S#ndhaftigkeit. Dies kommt in der Replik des sechsten Kriegsmanns deutlich zum Ausdruck: 871 „Vnd wirt kein mittel gfunden werden j Danns slyden vff der gantzen erden j Ja vnsers Herren Jesu Christ j Das yeder glçubig ist gew#ß j Darumb eerenfest / insunders wyß j Das wir ankerind ernst vnd flyß j Vff disen tag / in disem spyl j Dazuo zyt fordret / stund und wyl j Kunst / arbeit / m#y zuo diser sach j Bschicht alls darumb daß niemant mach j Kein gespçtt noch speywerch vß der gschrifft j Die vnser seelen heil antrifft“ (RP, V. 2310 – 2321). 872 Vgl. z. B. RP, V. 2300 – 2302.

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Lond vns hie all von s#nden ston Dann Gott erz#rnt ist wunderbar Damit vns #tzid widerfar Dann gw#ßlich gw#ßlich diser ist Vnser Gott Herr Jesus Christ (RP, V. 4173 – 4177).

Auch durch die Gestik der Figuren sollen die Bußaffekte sichtbar werden: Die zwei vor dem Kreuz stehenden Heiden schlagen sich an die Brust (vgl. RP, S. 387), bekehren sich in Reue zu Christus und bitten um die Vergebung ihrer S#nden. So wendet sich der erste Heide an Christus: Darumb dich Christe bitt ich nun Verzych mir h#t all mine s#nd Die dinem tod zuo wider sind Vß diner gnad / barmhertzigkeit Dann sy mir sind von hertzen leidt (RP, V. 4185 – 4189)

Und der zweite Heide schließt sich an: Die buoß wil nemmen f#r vnd f#r Darzuo din gnad Herr schick gib mir Das ich din wort erkenn / mçg leeren Von s#nden mich zuo dir mçg bkeeren (RP, V. 4196 – 4199)

Entscheidend ist, dass diese Szenen des Erschreckens, der Reue und der Buße sich direkt unter dem Kreuz und mit Blick auf den gestorbenen Christus abspielen. Die Figuren vergegenw$rtigen nicht nur ein heilsgeschichtliches Ereignis, sondern f#hren einen Bekehrungsprozess vor, der f#r jeden einzelnen Gl$ubigen unter dem Kreuz, d. h. in der Betrachtung des Leidens Christi, immer wieder aktuell werden soll. Es ist zu vermuten, dass Luther, der in seinem Sermon ja gerade die Notwendigkeit des Erschreckens vor dem Zorn Gottes und der eigenen S#ndhaftigkeit betont hatte, mit dieser Szenengestaltung durchaus einverstanden gewesen w$re. Johannes der Evangelist, der unter dem Kreuz einen l$ngeren predigthaften Monolog h$lt, nimmt im Anschluss an diese Szene die Hierarchisierung des Leiblichen und Geistlichen aus der Widmungsvorrede wieder auf und bezieht das Opfer Christi auf das sich im Gewissen ereignende Bußgeschehen. Christus sei der rechte und einzige Priester, B#rg vnd f#rsprech der vereingung Aber nit der lyblichen reingung Nit der g#teren diser welt Die zytlich sind als gold vnd gelt Besunder der himmlischen nutzung Ist er der g#lt vnd recht vrsprung (RP, V. 4331 – 4336).

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W$hrend man durch Brand- und Tieropfer dem Volk „Heiligs vsserlich geben hat j Das lyblich sich verglychen lat“ (RP, V. 4367 f.), so sei Christi Opfer „nit durch das fh#r j Besunder durch den geist“ (RP, V. 4371 f.) vollzogen worden und bis ans Ende der Welt g#ltig. Christus habe sich dem Vater aufgeopfert, „Daß er vns reinget vom vnradt j Nit vnser lyb sonder conscientz j Ouch vnser seel mit reuerentz“ (RP, V. 4378 – 4380). Diese pneumatologisch gepr$gten Formulierungen lehnen sich eng an Zwingli und die offizielle Theologie Z#richs an,873 sodass es hier vermutlich weniger um eine konfessionspolemische Spitze in Richtung der Katholiken874 als um eine konfessionelle Standortbestimmung in Richtung der lokalen Autorit$ten handelt.875 Zugleich bringt Johannes aber auch die anthropologischen Instanzen des Gewissens und der Seele zur Sprache, die Rufs Passionsspiel adressiert und die eng mit seiner meditativen Funktion verkn#pft sind.876 W$hrend sich die Emphase des Ernstes und die Szenen der Buße unter dem Kreuz mit Luthers Konzept der Passionsbetrachtung gut harmoni873 Zu Zwinglis pneumatologischer Gotteslehre bzw. zu seiner Geist-Theologie vgl. Hamm 1988, S. 127 – 129; Leppin 2004, S. 801. 874 Zu dieser Vermutung vgl. Schellenberg Wessendorf 2008a, S. 457. 875 So heißt es 1524 in einem Schreiben des Z#rcher B#rgermeisters und Rats an den Bischof Hugo von Konstanz: „So das bluot der stieren und bçcken und die $schen der kuo angesprengt die vermaßgeten s#bret oder heiliget zuo reinigung des fleischs, wie vil me wirt das bluot Christi, der sich selbs unbefleckten durch den ewigen geyst gott ufgeopferet hat, unsere gew#ßne reinigen von den todten wercken, etc. Der ewig geist, von dem hie stat, ist kein andrer denn er selbs, der ewig gott. Durch den ist Christus, das ist: durch sich selbs, ufgeopfret. So ist ouch das opfer ewig w$rend“ (Z 3 [37], S. 216). Und in Zwinglis Schrift ,Von dem touff, vom widertouff unnd vom kindertouff‘ (1525) heißt es: „Als aber alle sacrament, das ist: verzeichnungen, im alten testament mit bluot beschahend, Hebre. 9. [Hebr. 9,22], – dann die reingungen, die nun lyplich warend, beschahen nit one bluot –, habend sy bed#tet uff den herren Jesum Christum, des bluot die conscientzen reiniget, welches die vichblueter nit vermochtend. So aber nun das bluot kummen ist, das, einist vergossen, unser conscientzen gereiniget hat, so ist alles bluot gestelt worden“ (Z 4 [56], S. 219). Dieses von Ruf zitierte Opferverst$ndnis ist f#r Zwinglis Lehre von den Sakramenten zentral (vgl. Leppin 2004, S. 802). Es betrifft also auch das Verst$ndnis des Abendmahls und damit den zentralen Streitpunkt zwischen Lutheranern und Zwinglianern. Wie wichtig lokale Kontexte f#r das Z#rcher Theater der Reformationszeit waren, zeigt auch Stephen Wailes am Z#rcher Lazarus-Drama (1529), indem er die subtilen Anspielungen aufdeckt, die das Drama zu einer politischen Satire mit Blick auf die eidgençssische Sçldnerpolitik machen (vgl. Wailes 1986; Wailes 1997, S. 66 – 92). 876 Lucius streicht den Monolog des Johannes, was auch daf#r spricht, dass er dessen theologische Positionsbestimmung nicht teilt.

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IV. Passion

sieren lassen, finden sich bei Ruf jedoch auch Passagen, die ein theologisch in Wittenberg sozialisierter Dramatiker wie Lucius877 eher vermeidet. Zwar hat die Forschung zurecht darauf hingewiesen, dass Ruf Marienklagen und $hnliche Szenen, die der Erregung von compassio dienen, deutlich reduziert oder im Sinne der protestantischen Rechtfertigungslehre umdeutet.878 Dennoch ist das Mitleid mit Christus #berraschend positiv besetzt. Bereits am ersten Spieltag beklagt der angefochtene Christus im Garten Gethsemane selbst, dass seine schlafenden J#nger mitleidlos seien: „Keinr kein mitlyden hat mit mir“ (RP, V. 1281). Wie auch Ulrich Barton j#ngst beobachtet hat,879 thematisiert vor allem Pilatus wiederholt das mangelnde Mitleid der Juden mit Christus: „Wils volck dann nit mit disem man j Gedult / mitlyden mit jm han j So muoß ichs lassen fluochen“ (RP, V. 3334 – 3336). Sein eigenes Mitleid hingegen hebt er im Dialog mit Christus hervor: „Drumb bis getrçst du armer man j Mit dir ich ein mitlyden han j Vnd wil dich gw#ßlich lassen gan“ (RP, V. 3422 – 3424).880 Es d#rfte kaum Zufall sein, dass der Lutheraner Lucius in seinem Passionsspiel zwei dieser drei positiv konnotierten Referenzen auf die compassio gestrichen hat, darunter auch die Klage im Garten Gethsemane, die von Christus selbst ausgeht.881 Ruf ist zwar weit davon entfernt, durch seine Einsprengsel bei Zuschauern und Lesern eine heilswirksame compassio im Sinne der vorreformatorischen Passionsbetrachtung erwecken zu wollen. Es scheint f#r ihn jedoch durchaus tolerierbar zu sein, Mitleid im Passionskontext nicht nur zu nennen, sondern auch positiv zu besetzen. Auch der von Luther an der sp$tmittelalterlichen Passionsbetrachtung kritisierte Zorn auf die Juden,882 877 Vgl. Metzler 1996, S. 3. 878 Vgl. Dietl 1997, S. 274; Schellenberg Wessendorf 2008, S. 233; Schellenberg Wessendorf 2008a, S. 457. 879 Vgl. Barton 2016, S. 291 f. 880 Zur positiven Darstellung der Pilatus-Figur bei Ruf vgl. Dietl 1997, S. 273. Dietl beobachtet auch das Mitleid, das Pilatus zum Ausdruck bringt, ohne dies jedoch zu bewerten. 881 Lediglich die letzte Mitleidsbezeugung von Pilatus ist erhalten geblieben: „Mit dir ich ein mitleiden han“ (KP, V. 1660). Zu dieser Tendenz passt, dass Lucius auch die Ecce homo-Szene weitgehend streicht, die bei Ruf noch einigen Raum einnimmt (vgl. RP, V. 3425 – 3442; KP, V. 1735 f.). 882 „Zcum ersten / bedencken ettlich das leyden Christi alszo / das sie vber die Iuden tzornig werden / singen vnd schelten vber den armen Iudas / vnd lassen es alszo gnug seynn / gleich wie sie gewont / andere leuth zu clagen vnd yhre widdersacher vordamen vnd vorsprechen / das mocht wol nit Christus leyden / sondern Iudas vnd der Iuden bçsheyt bedacht heyszen“ (Luther 2012, S. 30).

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den noch Spangenberg mit der katholischen Praxis in Verbindung bringt,883 scheint f#r Ruf nicht grunds$tzlich problematisch zu sein. Zwar mçgen die Folter- und Kreuzigungsszenen in seinem Passionsspiel gegen#ber einigen vorreformatorischen Spielen zur#ckgenommen wirken – sie sind jedoch immer noch drastisch884 und zudem mit einer antijudaistischen Intention verbunden. So hebt etwa Pilatus immer wieder den Zorn, Hass und Neid der Juden gegen#ber dem unschuldigen Christus hervor und lenkt damit auch die Rezeption der Folter- und Kreuzigungsszenen in eine entsprechend emotionalisierte Richtung.885 Eine Szene, in der sich die unterschiedlichen Haltungen von Ruf und Lucius zur compassio und zum Zorn auf die Juden miteinander vergleichen lassen, bilden die Marienklagen w$hrend der Kreuztragung und die auf Lk 23,27 beruhende Apostrophe Christi an die Tçchter Jerusalems. Bei Ruf klagen zun$chst Maria Salome, Maria Jacobi, Maria Magdalena und Maria Cleophe #ber das Leiden Christi und dr#cken auch ihre Angst aus, durch die Juden dabei entdeckt zu werden: „Wo ich vorn Juden kçnde yenen“ (RP, V. 3688), sagt Maria Magdalena, so w#rde sie Christus etwas zur St$rkung anbieten. Und Joseph von Arimathia weist die Frauen aus dem gleichen Grund zur Zur#ckhaltung in ihren Klagen an: „Sind stiller red mit grynen / weinen j Daß keinr der Juden gs$he yenen j Es wurd vns sicher #bel gon“ (RP, V. 3695 – 3797). Dann wendet sich Christus an die Frauen, die er als „fromme[ ] Dçchtren von Sion“ (RP, V. 3698) apostrophiert. Nicht #ber ihn, sondern #ber sich selbst sollten sie weinen (vgl. RP, V. 3699 – 3724). Dass Ruf Lk 23,27, den locus classicus der lutherischen compassioKritik,886 durchaus eher im vorreformatorisch-traditionellen Sinne einsetzt, zeigt der Umgang des Michael Lucius mit seiner Vorlage. Lucius streicht hier jede Bezugnahme auf die Juden.887 Die Replik des Joseph 883 Die mçnchischen Prediger, so Spangenberg, h$tten nur „Spectackelpredigten gethan / vnd gezeiget / wie sich die J#den vnd jre Kriegsknechte gegen den HErrn Christum gestellet / vnd dieselbigen beneben dem armen Juda auff das grewlichste gescholten / Vnd gemeinet / wenn sie damit die Leute jammerig / vnd mit dem HErren Christo mitleidig / auff die J#den aber vnd Judam bitter vnd zornig gemacht / so hetten sie es wol ausgerichtet / vnd die Passion gar schçn gepredigt / vnd derer betrachtung also den Leuten zu jhrer Seligkeit gar verdienstlich gemacht.“ (Spangenberg 1590, Avjv). 884 Vgl. Dietl 1997, S. 272. 885 Vgl. RP, V. 3232 f.; 3320 – 3323; 3458; 3539 – 3541; 3539 – 3595. 886 Vgl. auch diese Arbeit, S. 231 f. 887 Maria Magdalena $ußert lediglich: „Im geren wolt ich geben eine j ein labung, sterckung auff dem weg. j In seinem mund er ist gar ed“ (KP, V. 1814 – 1816).

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IV. Passion

erh$lt dadurch eine neue Wirkung und weist die Klagen der Frauen deutlich sch$rfer und ohne die Begr#ndung einer $ußeren Bedrohung zur#ck: „Ich wil euch frewla trewlich warnen j Seit stiller und mit greinen, weinen. j Mit trewen ich euch alle meine“ (KP, V. 1819 – 1821). Dadurch geraten nicht die Juden, sondern es ger$t die compassio der Frauen selbst in den Fokus der Kritik.888 Auch die Apostrophe Christi an die Tçchter Jerusalems ist sch$rfer formuliert. Sie sind nicht l$nger die ,frommen Tçchter‘, sondern nur noch die Tçchter: „Ir techter von Jherusalem, j ir solt nit weinen uber mich. j Ein jegclich weine uber sich“ (KP, V. 1826 f.). Lucius verhindert in dieser Weise gezielt, dass die Klagen als ad$quate Andachtshaltung missverstanden werden.889 Diese Beobachtungen sollen keine katholisierende Deutung von Rufs Passionsspiel nahelegen, sondern vielmehr daf#r pl$dieren, auch eine allzu lutherische Deutung zu vermeiden.890 Wie Greff und Spangenberg in ihren theoretischen Ausf#hrungen, stellt auch Ruf sein Spiel rezeptions$sthetisch in den Kontext einer protestantisch gepr$gten Passionsmeditation. Wie Greff betont er die Relevanz einer guten Kenntnis des Bibeltextes und ermçglicht dessen meditierende Aneignung durch das Layout seines 888 Johannes Janota hat darauf hingewiesen, dass die Rollen der j#dischen W#rdentr$ger laut dem Spielerverzeichnis des Kaufbeurer Passionsspiels vorwiegend durch Vertreter der st$dtischen Oberschicht besetzt waren: „Dies beugte zum einen antij#dischen Ausf$llen vor, zum anderen konnte diese Rollenbesetzung aber auch als ein identifikatorischer Appell verstanden werden, den rechten Glauben in den konfessionellen Auseinandersetzungen durch die st$dtische F#hrungsschicht nicht preiszugeben und zu verraten“ (Janota 2001, S. 143 f.). 889 Das Gegenteil ist im katholischen Villinger Passionsspiel der Fall, das die bei Ruf angelegte Frçmmigkeit der Frauen im Kontext von Lk 23,27 emphatisch unterstreicht. Christus spricht die Marien nicht nur als „fromme[ ] dçchter[ ]“ (VP, V. 4506) an, sondern wendet sich in einem Zusatz von sechs Versen mit einer weiteren Ansprache an sie, die erneut ihre Frçmmigkeit, ihre N$he zum Erlçser und vor allem auch das große Leiden Christi selbst unterstreicht. Dadurch wird die compassiokritische Tendenz der Passage ausgehebelt: „Darumb, ir frumen, meine kindt, j Von hinnen muß ich also gschwindt j Durch mein groß leiden zum vatter gohn, j Darmit e#ch ds#nd werd nachgelon. j Durch mein bitter leiden vnnd sterben j Will ich der welt das hail erwerben“ (VP, V. 4534 – 4539). Zu Lk 23,27 im Kontext vorreformatorischer Spiele vgl. Barton 2016, S. 179 – 183. 890 Ein Hinweis auf eine Abgrenzungsbem#hung des Lutheraners Lucius von Ruf ist auch jenseits der Betrachtungsthematik im Kontext des Abendmahls zu erkennen. W$hrend Ruf die Verba Christi in Prosa widergibt und der Wortlaut „das ist min lyb“ (RP, V. 725) die zwinglianische zeichenhafte Deutung des Brotes (est=significat) zul$sst, vereindeutigt Lucius die Passage mit Blick auf die Realpr$senz Christi im Sakrament: „Nempt hin und est den leichnam mein“ (KP, V. 329). Zum theologischen Kontext vgl. Leppin 2004, S. 802 f.

3. Drama und Passionsbetrachtung im interkonfessionellen Vergleich

273

Dramendrucks. Und wie die Lutheraner legt auch er einen besonderen Akzent auf den Ernst der Passion und auf die Buße und Umkehr, die von ihrer Betrachtung ausgehen sollen. Doch Ruf grenzt sich deutlich weniger rigoros von denjenigen vorreformatorischen bzw. katholischen Prinzipien ab, f#r die die Lutheraner vor dem Hintergrund von Luthers ,Sermon von der Betrachtung des heyligen leydens Christi‘ besonders sensibilisiert sind. Dies l$sst sich dem Passionsspiel des Michael Lucius entnehmen, der sowohl den compassio- als auch den Zornaspekt im Vergleich mit seiner Vorlage zus$tzlich abschw$cht. 3.3. Zur#ck zur compassio im ,Villinger Passionsspiel‘ Die Bedeutung, die das ,Villinger Passionsspiel‘ einer meditativen Rezeptionshaltung zuschreibt, l$sst sich bereits seinem Prolog entnehmen, in dem sich der Prologsprecher mit einem expliziten Appell an das Publikum wendet. Aus der Erlçsungstat Christi leitet dieser eine frçmmigkeitspraktische und ethische Verpflichtung der Gl$ubigen ab: Darumb ir menschen, trachtens eben, Bedencken Christi strenges leben, Was er vßstanden hat In seinem leben fr#e vnnd spatt! Dardurch vnns ein exempel geben, Wie mir anstellen vnnser leben, Damit mir Gott gefallen all In zeit der gnaden #beral (VP, V. 100 – 107).

Wichtiger als dieser vergleichsweise topisch formulierte Appell ist jedoch ein textlicher Zusatz, den der Kompilator in die Abendmahlsszenen integriert hat. Nachdem Christus seinen J#ngern das Vaterunser vermittelt hat, schließt er ein nichtbiblisches Gebet an Gottvater an, das sich bei Jakob Ruf nicht findet. Es enth$lt drei Bitten: Erstens soll der Vater Christus in seinem zuk#nftigen Leiden beistehen und daf#r Sorge tragen, dass es an keinem S#nder verloren gehe; zweitens sollen seine J#nger und seine Mutter zu Lebzeiten nicht vom Vater verlassen werden, sondern Trost erhalten. Drittens schließlich bittet Christus darum, das all christglaubigen hertzen, Von den btracht wirt mein leiden, schmertzen Mit andacht, auch innigkhait, Erlangen, bs#tzen dseeligkhait (VP, V. 1238 – 1241).

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IV. Passion

Wer das Leiden Christi and$chtig meditiert, soll die Seligkeit erlangen. Berndt Hamm hat mit Blick auf vergleichbare Bedingungsgef#ge von „Zweiseitigkeitsformel[n]“891 und von der „latente[n] Vertragsstruktur“892 der sp$tmittelalterlichen Frçmmigkeit gesprochen – eine Struktur, die auch in der katholischen Frçmmigkeit des 16. Jahrhundert erhalten bleibt. Die eigentliche Pointe der Zweiseitigkeitsformel im Villinger Spiel ergibt sich aus ihrem situativen Kontext: Das Spiel imaginiert in dieser Szene nichts Geringeres als den historischen Ursprung der meditativen Passionsfrçmmigkeit; es bildet gewissermaßen den Vertragsschluss zwischen Christus und Gottvater ab, von dem die Gl$ubigen seither profitieren. Die Botschaft lautet, dass es das Gebet Christi selbst war, das die and$chtige Betrachtung der Passion zum heilswirksamen Mittel erhoben hat. Die unmittelbare N$he dieses Gebets zum Vaterunser ist dabei kein Zufall, sondern eine geschickte Platzierung, die dazu dient, die Passionsbetrachtung an die gleiche heilsgeschichtliche Situation r#ckzubinden, die auch eines der Basisgebete des Christentums schlechthin instituiert. Damit f#hrt das Villinger Spiel in die Abendmahlsszene ein selbstreflexives Moment ein – es inszeniert den historischen Begr#ndungsakt der Passionsbetrachtung, um sein eigenes Rezeptionsmodell zu begr#nden. In der vom Villinger Spiel postulierten Heilswirksamkeit der Passionsbetrachtung liegt eine entscheidende Differenz zu den Protestanten Ruf und Lucius, die dem meditativen Vollzug keine heilsvermittelnde oder verdienstliche Wirkung zuschreiben. Das Villinger Spiel kehrt zudem ganz offensiv zu einem Affektmodell zur#ck, das die compassio der Meditierenden in den Vordergrund r#ckt. Wie bei Lucius, so bildet auch hier die Grenze zwischen zwei Spieltagen eine Z$sur, die es ermçglicht, Aussagen #ber das Rezeptionsmodell des Spiels zu treffen. Lucius interpretiert diese Grenze, wie bereits beschrieben, im Sinne der lutherischen Passionsbetrachtung als affektive Grenze zwischen Bitterkeit und Freude und fordert sein Publikum dazu auf, das Leiden Christi im privaten Raum zu meditieren, um am n$chsten Tag an der Auferstehungsfreude partizipieren zu kçnnen. Das Villinger Spiel hingegen zieht eine solche affektive Grenze nicht. Es legt den Akzent durchgehend auf das Leiden Christi und #berblendet die heilsgeschichtliche Zeit des Spiels mit der realen Zeit zwischen den Auff#hrungstagen. Am Ende des ersten Spieltages wird der bereits gegeißelte Christus von den Schergen des Pilatus gefesselt, die ihn #ber Nacht ins Gef$ngnis ein891 Hamm 2011a, S. 48. 892 Hamm 2011a, S. 75.

3. Drama und Passionsbetrachtung im interkonfessionellen Vergleich

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schließen. Der dritte Scherge stellt ihm die Martern des kommenden Tages in Aussicht und spricht eine sarkastische Beruhigung aus: Du armer man, drumb biß on sorgen! Wir wendt dir wartten biß am morgen Vnd wçllen dich ietzt feßlen woll; Gwiß du vnns nicht endtrinen solt. Mit vnns muost ietzt in gfenckhnuß gohn, Vff morgen muost dein tag verstohn. (VP, V. 3976 – 3981.) […] Darumb mach dich ietzt in gfengkhnuß nein, Biß morgen vnnser wart darin! (VP, V. 3990 f.)

Wenn anschließend der Beschlussredner das Publikum dazu auffordert, nach Hause zu gehen, um am n$chsten Tag „vmb sechste stundt“ (VP, V. 4066/6)893 zur Spielst$tte zur#ckzukehren, so geschieht dies im Bewusstsein, dass Christus auf der vergegenw$rtigten heilsgeschichtlichen Zeitebene w$hrenddessen im Gef$ngnis auf seine Kreuzigung wartet. Es ist naheliegend, dass Meditierende, die sich zwischen den zwei Spieltagen dieser frommen Fiktion hingeben, es leicht haben werden, bei der Erregung von compassio erfolgreich zu sein. Die rezeptions$sthetisch weitestreichende !nderung, die das ,Villinger Spiel‘ gegen#ber Ruf vornimmt, schließt an diese (berblendungsstrategie an und findet sich in der neu verfassten Vorrede zum zweiten Spieltag. Die Vorrede arbeitet auf zwei Ebenen: Zum Einen leitet sie das Publikum systematisch zur Meditation #ber die am Vortag und am aktuellen Spieltag vergegenw$rtigten Ereignisse an. Zum Anderen f#hrt sie performativ die emotionale Wirkung dieser Meditationen vor, indem sie durch den Einsatz rhetorischer Exclamationes einen von compassio ergriffenen Vorredner inszeniert. Die Vorrede l$sst sich technisch gut mit Kolroß’ ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘ vergleichen, denn $hnlich wie dieses bezieht sie die vergangene und zuk#nftige Spielhandlung auf ein memorierbares Zahlenschema: Ihr habt verstanden, gnuogsam vnnd klar, Was gesterigs tags verhandlet offenbar: Wie Christus große angst vßstanden, Deren dann syben sindt mit namen (VP, V. 4084 – 4087).

893 Die Beschlussrede zum ersten Tag ist in der Handschrift durch eine Reihe von Streichungen, Einsch#ben und Erg$nzungen #berarbeitet worden (vgl. die Anmerkungen in VP, S. 356 – 361).

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IV. Passion

Mit dem Septenar der Sieben !ngste Christi baut die Vorrede eine mnemotechnisch nutzbare Struktur auf, die quer zur Akt- und Szenengliederung des Dramas steht, die es aber ermçglicht, die Rezeption des Spiels an katholisch gepr$gte Frçmmigkeitshabitus anzuschließen.894 Es ist etwas irref#hrend, dass der Vorredner sich dabei nur auf den gestrigen Tag bezieht, denn tats$chlich l$sst sich das gesamte Spiel entlang der Sieben !ngste memorieren. Septenare gehçren seit dem Mittelalter nicht nur in der Frçmmigkeitspraxis, sondern auch dar#ber hinaus zu den gel$ufigsten ged$chtnisst#tzenden Strukturen.895 Einen wichtigen Hintergrund f#r die Sieben !ngste des Villinger Spiels bilden vermutlich die $hnlich ausgerichteten, in Text- und Bildmedien #berlieferten ,Sieben Schmerzen Mariens‘.896 Tobias Kemper hat darauf hingewiesen, dass die Passionsmeditation bereits seit dem 12. Jahrhundert vielfach nach den Sieben Gebetsstunden gegliedert wurde.897 Daran kn#pfen auch die #beraus erfolgreich #berlieferten deutschsprachigen Tagzeitentexte und -gedichte an, in denen h$ufig das Leiden Christi und das Mitleiden Mariens im Zentrum stehen.898 Der sperrige Eindruck, den solche Septenare bei heutigen Beobachtern erwecken kçnnen, d#rfte sich daher bei frommen Katholiken des 16. Jahrhunderts nicht eingestellt haben. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass das Villinger Passionsspielpublikum ganz selbstverst$ndlich im Umgang mit solchen Mustern ge#bt war. Ein direktes Vorbild f#r die Sieben !ngste Christi ließ sich bislang nicht ermitteln, es ist daher wahrscheinlich, dass der Kompilator sie aus dem Spiel selbst generiert hat. Im Einzelnen setzt sich das Septenar wie folgt zusammen: 1.) Christi Gebet am .lberg (VP, V. 4088 – 4097) 2.) Gefangennahme (VP, V. 4098 – 4111) 3.) Christus vor den vier Richtern (VP, V. 4112 – 4119) 4.) Geißelung und Dornenkrçnung (VP, V. 4120 – 4137) 5.) „Ecce homo“ und Kreuztragung (VP, V. 4138 – 4157) 894 Zu konkurrierenden typograpischen und auff#hrungstechnischen Gliederungsmitteln bei Ruf vgl. Petersen 1998. Auch bei Kolroß steht die mnemotechnisch brauchbare Gliederung in f#nf Betrachtungspunkte quer zur dramenspezifischen Gliederung in drei Abschnitte, die von den Chçren des Spiels vorgenommen wird (vgl. diese Arbeit, S. 76–79). 895 Allein Texte, die die Siebenzahl im Titel aufrufen, f#llen drei Spalten im Register des Verfasserlexikons (vgl. VLR, Sp. 570 – 571). 896 Vgl. Sauser 1972; Treutwein 1992. 897 Vgl. Kemper 2006, S. 72 – 76. 898 Vgl. Palmer 1995a.

3. Drama und Passionsbetrachtung im interkonfessionellen Vergleich

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6.) Kreuzannagelung (VP, V. 4158 – 4183) 7.) Aufrichtung des Kreuzes (VP, V. 4184 – 4199) Bis zur Ecce homo-Szene beziehen sich die Sieben !ngste auf den ersten Spieltag, ab der Kreuztragung auf den zweiten Spieltag, sodass eine Struktur entsteht, die das gesamte Spiel f#r eine mitleidige Betrachtung zug$nglich macht. Der Vorredner z$hlt die Sieben !ngste Punkt f#r Punkt auf und verkn#pft sie mit emotional aufgeladenen Appellen an das Publikum, diese zu betrachten und zu bedenken. Zun$chst ruft der Vorredner das Gebet Christi am .lberg in Erinnerung:899 Vor seinen augen stuondens offenbar, All sein marter vnnd leiden groß, Die er wurd vß stohn also bloß. Dann Christus sagt gantz milttigklich: Mein seel betriebt sich innigclich Biß in mein todt. Die angst vnnd not, O mensch, bedenckh, sein schwaiß rott! (VP, V. 4091 – 4097)

Der blutige Schweiß l$sst sich im Sinne der Lehre von den imagines agentes als pr$gnantes Erinnerungszeichen900 mit der ersten Angst verkn#pfen, die darin besteht, dass Christus seine zuk#nftigen Martern bereits im Garten Gethsemane vor Augen stehen. Diese Tendenz setzt sich bei der Beschreibung der Geißelung und Dornenkrçnung fort: Die vierte angst mit iamers grauß Christus der herr stuondt g#ettig vß, Wie er seinr klaider warde beraubt. Sein gantzer leib ward bloß beschaubt, Gebunden an ein saul so hart, Mit ruoten, gaißlen, riemen gschlagen wart, Das ihm sein hailiges rosenfarbes bluot (ber seinen reinen zarten leib abfloß. Ain kron von mçer dornen scharpff Ward in sein hailiges haupt getruckht so hart, Das sein rossenfarbes bluot so rott (ber sein haupt abfloß. Bei dißer nott Betracht, o mensch, die große angst! (VP, V. 4120 – 4132.) 899 Zum Gebet am .lberg im sp$tmittelalterlichen Passionsspiel vgl. auch Kun- 2002, S. 37 – 50. Kun- zitiert auch das Villinger Spiel in seinem Vergleich unterschiedlicher Gebetsdarstellungen gelegentlich, geht jedoch nicht auf Jakob Ruf als dessen Quelle ein. Eine Analyse der .lberg-Szenen in sp$tmittelalterlichen Spielen mit Blick auf die Erregung von compassio bietet Barton 2016, S. 281 – 285. 900 Vgl. Yates 1974, S. 10.

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IV. Passion

Auch hier verkn#pft die Vorrede den Aufruf zur Betrachtung der Angst mit einem stark markierten und ikonographisch weit verbreiteten Kçrperbild, indem sie die am Vortag inszenierte Figur des Christus als blut#berstrçmten Schmerzensmann aufruft.901 Dass der Vorredner selbst auch als Teilnehmer der von ihm angeregten Betrachtungen gestaltet ist, zeigt sich darin, dass er sich nicht nur an das Publikum wendet, sondern auch Christus selbst anspricht und dessen Leiden und Leidensbereitschaft mit Exclamationes und rhetorischen Fragen unterstreicht.902 Bei der sechsten Angst, der Kreuzannagelung, leitet der Vorredner das Publikum dazu an, die Schmerzen Christi in ganz plastischer Form zu meditieren. Er beschreibt, wie grausam Christus auf das Kreuz geworfen, wie j$mmerlich er ausgespannt und an H$nden und F#ßen durchschlagen worden ist; dann fordert er das Publikum zu einem Gedankenexperiment auf: O christen mensch, bedenckh den großen schmertzen, Den er hat glitten in seinem hertzen! Fasß woll, zu ewiger gedechtnuß dein! Betracht, wann nur ein dorn in finger dein Solt khommen oder mit deinem fuoß darein dretten, Wurdest du nit leiden großen schmertzen, Biß das er wurd heraußer gschnitten? Ach, wieuil grçßern schmertzen hat er gelitten, Christus der herr, als ihm war durchgraben Sein h$ndt vnnd f#eß! [Ps 22] Die waren durchgschlagen Mit den kumpffen eyßen n$gel groß (VP, V. 4166 – 4176).

Die Vorrede rechnet damit, das durch Alltagserfahrungen vorgepr$gte Schmerzged$chtnis des Publikums aktivieren zu kçnnen. Sie versucht, die konkrete kçrperliche Empfindung wachzurufen, die eine Verletzung durch Dornen an H$nden und F#ßen mit sich bringt, um diese dann durch die Vorstellung der gewaltsamen Annagelung Christi mit stumpfen und großen Eisenn$geln zu #berbieten.903 Die Kreuzannagelung ist zu diesem Zeitpunkt theatral noch nicht ausagiert, sodass sich dieses Gedankenexperiment auch als Rezeptionsverhalten bei der Kreuzigungsszene wieder901 In diesem Sinne schreibt auch Berns #ber das Prinzip der imagines agentes: „Lorbeer und Purpur sind zur Affektevokation ebenso gut nutzbar wie Blut und Kot, denn Entz#cken wie Entsetzen ziehen beide ihre tiefen Ged$chtnisspuren. (Hier gibt es so etwas wie planm$ßige Schmerzerregung durch Bilder.)“ (Berns 2003, S. 546 f.) 902 Z. B.: „O Christe, zuleiden warst willig vnd berait!“ (VP, V. 4137); „O Christe, wer war da dein trost?“ (VP, V. 4154). 903 Das Motiv der großen und dicken N$gel geht bereits auf die ,Interrogatio Sancti Anselmi‘ aus dem 13. Jahrhundert zur#ck, seit dem 14. Jahrhundert wird es #blich, sie auch als stumpf zu charakterisieren (vgl. Kemper 2006, S. 271 f.).

3. Drama und Passionsbetrachtung im interkonfessionellen Vergleich

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holen l$sst. Nach dieser Anleitung bringt auch der Vorredner selbst seine compassio erneut zum Ausdruck, wenn er ausruft: „Ach, wie hangt der gedulltig herr so bloß j Am stammen deß cre#tz, an todtbeth sein!“ (VP, V. 4177 f.) Und weiter: „Ach Gott, ach Gott, des strenngen leben, j Das er die zeit vßgstanden hat j In seiner martter fr#e vnnd spatt!“ (VP, V. 4181 – 4183.) Dass es den Meditationsanleitungen der Vorrede dezidiert darum geht, das Publikum mitleidig zu stimmen und zu entsprechend expressiven Reaktionen zu bewegen, macht der Vorredner im Kontext der siebenten Angst deutlich: O, ir menschen, f#ehren diß zu hertzen: Ob auch dißem gleich ein schmertz? Bedenckhs ein iedes christenhertz! Wer diß bedenckht vnnd wolbetracht, Zu wainen wirt er gwißlich bracht (VP, V. 4193 – 4197).

Die Frage „Ob auch dißem gleich ein schmertz?“ spielt auf eine Stelle aus den Klageliedern Jeremias an, die f#r die Passionsmeditation von Bedeutung ist und auch im weiteren Spielverlauf wieder aufgenommen wird: „O vos omnes qui transitis per viam adtendite et videte si est dolor sicut dolor meus“ (Thr 1,12). Dieser Passus wird in der Karsamstagsliturgie als f#nfte Laudes-Antiphon gesungen;904 Franz von Assisi deutet sie in seinem Passionsoffizium als Rede des gekreuzigten Christus.905 In der Handlung des Villinger Spiels nimmt Nicodemus den Topos auf und fordert das Publikum w$hrend der Kreuzabnahme zum Innehalten und zur intensiven Betrachtung der Schmerzen auf, die Christus erlitten hat: Ach, ir menschen alle, die So f#r#ber wandlen hie, Trachten fleißig vnnd sehen an, O ir Christen, weib vnnd man, Trachten, ob auch sey ein schmertzen Komen in aines menschen hertzen, Der sich vergleicht dem schmertzen sein! Ewig das woll im hertzen dein, Ach mensch, das laß dir gohn zu hertzen Vnnd denckh an seinen großen schmertzen, Den er durch deinet wegen erlitten hat Vnnd vmb vnser s#nd vnnd m#ssethat! (VP, V. 5403 – 5414.)

904 Vgl. Vogelgsang 2008, S. 576. 905 Vgl. Kemper 2006, S. 80. Zu Thr 1,12 in anderen Kontexten der Meditationspraxis vgl. auch diese Arbeit, S. 108 – 112; 130.

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IV. Passion

Diese Wiederaufnahme nach #ber eintausend Versen zeigt, dass der Kompilator des Villinger Spiels bei der Bearbeitung von Rufs ,Lyden‘ ganz bewusst an ,meditativen Schaltstellen‘ ansetzt, um die Rezeption im Sinne einer mitleidigen Betrachtung der Passion umzustrukturieren. (ber die bereits bei Ruf angelegten Marienklagen hinaus906 f#hrt er mit der Heiligen Veronica zudem eine weitere Figur ein, die dieser Strategie entgegenkommt.907 Nachdem Christus sein Gesicht in ihren Schleier gedr#ckt hat, zeichnet er die so entstandene Vera Icon als Erinnerungszeichen f#r die Meditation seiner Marter, Angst und Not aus. Damit kn#pft die Szene zugleich an das Septenar der Sieben !ngste aus der Vorrede zum zweiten Tag an: Frow, nim hin in deinen gwalt Ain bildt nach meines angschichts gstalt! Das laß dir immer befohlen sein, Gedenckh darbei der marter mein, Der großen angst vnnd iammers noth, Die ich erlit biß in den todt! (VP, V. 4460 – 4465.)

!hnlich wie sp$ter Nicodemus wendet sich auch Veronica mit der Aufforderung zum Schauen und Betrachten an das Publikum: Nun schowendt ihr all, frow vnd man, Hie das groß wunder zaichen an Vnnd betrachtens in ewerm hertzen Die grose martter vnnd schmertzen, Die da Ihesus hat gelitten (VP, V. 4466 – 4470).

Das „wunder zaichen“ der Vera Icon soll nicht nur $ußerlich angeschaut werden, sondern eine innere Betrachtung der Martern und Schmerzen Christi anregen. !hnlich wie das Gebet Christi im Umfeld des Abendmahls die Heilswirksamkeit der Passionsbetrachtung historisch verb#rgt, so verb#rgt die Veronica-Szene den Ursprung und die Gebrauchsfunktion eines #beraus popul$ren zeitgençssischen Mediums der Passionsbetrachtung. Das Schweißtuch der Veronica war integraler Bestandteil zahlreicher 906 Neu bei den Marienklagen des Villinger Spiels ist, dass Maria anders als bei Ruf als F#rsprecherin auftritt: „Ihr lieben fre#ndt, nun helfft mir klagen j Vnnd meines hertzens iammers tragen. j Ich bit dich, mein vil liebes kindt, j F#r alle, die in s#nden s#nd, j Die mit mir bwainnendt deinen todt, j Das du in helffest auß der nodt“ (VP, V. 5511 – 5516). 907 Eine allgemein erschließende Arbeit zur Veronica-Figur im Passionsspiel bietet Zwijnenburg 1988. Zum Villinger Spiel vgl. ebd., S. 47 – 53; 98 f. Zur Veronica als Mitleidsfigur im sp$tmittelalterlichen Passionsspiel vgl. Barton 2016, S. 175 – 179.

3. Drama und Passionsbetrachtung im interkonfessionellen Vergleich

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Arma Christi-Darstellungen908 und wurde so zu einem gel$ufigen „Meditationssymbol“909. Es geht dem Villinger Spiel m. E. st$rker um eine Medienreflexion auf dieser Ebene, als um den Reliquiencharakter des Tuches oder um das Oszillieren von Pr$senz und Absenz Christi in der Vera Icon.910 Dass diese Aspekte des Bildtypus dazu tendieren kçnnen, die Zeichenhaftigkeit des Theaters zu #berschreiten, hat Ulrich Barton am Beispiel des ,Alsfelder Passionsspiels‘ (1501) beschrieben.911 Was den Veronica-Szenen beider Spiele gemeinsam ist, ist ihre Selbstreflexivit$t, die sowohl den meditierenden Umgang mit dem Bild als auch mit dem das Bild rahmenden Spiel betrifft.912 Die meditative !sthetik des Villinger Spiels wird also auch daran erkennbar, dass es seine Plurimedialit$t nutzt, um popul$re Betrachtungsmedien zu integrieren und ihren Gebrauch zu reflektieren. Es l$sst sich hier als Betrachtungsmedium zweiter Ordnung beschreiben. Im Vergleich von Rufs ,Lyden‘ mit seinen lutherischen und katholischen Bearbeitungen wird deutlich, wie sehr die Faktur einzelner Spiele davon abh$ngen kann, welches Modell der Passionsbetrachtung ihre Verfasser pr$ferieren. Die Unterschiede zwischen Ruf und Lucius sind zun$chst formaler Art: Der Lutheraner Lucius unterscheidet ein Passionsund ein Osterspiel und setzt eine starke affektive Z$sur zwischen den beiden Spieltagen an, die sich auf die affektive Z$sur beziehen l$sst, die Luther in seinem ,Sermon von der Betrachtung des heyligen leydens Christi‘ (1519) zwischen dem meditativen ,Begehen‘ des Karfreitags und des Ostertags ansetzt. Ansonsten Fallen die Differenzen zwischen den protestantischen Spielen vergleichsweise subtil aus und betreffen bei Lucius z. B. die Tilgung katholisch deutbarer Affektausdr#cke. Das katholische ,Villinger Spiel‘ dagegen f#hrt ein ganzes System von Modifikationen ein, die sich im Sinne einer R#ckkehr zu einem vorreformatorischen Modell der Passionsmeditation deuten lassen: Es begr#ndet die Heilswirksamkeit der Passionsbetrachtung, indem es ein 908 Vgl. Berns 2000a, S. 25 – 42, Abb. 6; 11; 12; Hamburger 1998, S. 374, Abb. 7; 43. 909 Vgl. zu diesem Begriff Hamm 2011a, S. 51 – 58. 910 Vgl. dazu Hamburger 1998, S. 323; 327; 332 – 334. Zur Vera Icon als Ablassmedium vgl. Schlie 2009. 911 Vgl. Barton 2011a, S. 463 – 465. Vgl. auch Barton 2016, S. 175 f. 912 So heißt es bei Barton zum Alsfelder Spiel: „Indem Veronica aus dem Spielgeschehen heraustritt und in ihren Worten auf das Schauen selbst reflektiert – die Schau des Bildes wie die Schau Gottes –, schafft sie die Mçglichkeit zur Reflexion auf die Medialit$t sowohl des Bilds als auch des Spiels. Sie nennt das Bild ein ,bedechteniß‘ und ein ,zeichen‘ zum ,bedencken‘“ (Barton 2011a, S. 465).

entsprechendes Gebet Christi im direkten Umfeld des Vaterunser imaginiert; es baut #ber die Sieben !ngste Christi eine mnemotechnisch nutzbare Struktur auf, die das gesamte Spiel f#r eine mitleidend betrachtende Rezeption erschließt; es integriert traditionelle Topoi der Passionsmeditation wie das Zitat aus Thr 1,12 sowohl in die Vorrede zum zweiten Tag als auch in die Spielhandlung; es erweitert den Figurenbestand um Mitleidsfiguren wie Veronica und es reflektiert anhand des Bildtypus der Vera Icon den meditativen Gebrauch vorreformatorisch/katholisch konnotierter Bildmedien. Dass es zu kurz greift, die protestantischen und katholischen Modelle #ber einfache Oppositionen wie z. B. Emotion vs. Verstand voneinander abzugrenzen, zeigen etwa Rufs Bußszenen unter dem Kreuz. Hier spielen Emotionen, insbesondere das Erschrecken vor dem Zorn Gottes und der eigenen S#ndhaftigkeit sowie die Reue eine zentrale Rolle und sollen auch auf die Zuschauer #bertragen werden. Mit Blick auf zeitgençssische Theorien der Passionsmeditation lassen sich theater$sthetische Modelle erarbeiten, die Br#che und Ver$nderungen in der Konzeption von Passionsspielen im konfessionellen Zeitalter erkl$rbar machen und zugleich zeigen, dass diese nicht mit dichotomen Gegen#berstellungen erfassbar sind.

V. Ausblick: Alterit$ten und Umbr#che im geistlichen Theater des 16. Jahrhunderts Alterit$t ist ein Leitkonzept in der Forschung zum geistlichen Spiel des Mittelalters. Bereits 1992 hat Hans Ulrich Gumbrecht „[f ]#r eine Erfindung des mittelalterlichen Theaters aus der Perspektive der fr#hen Neuzeit“913 pl$diert, um mit der Beobachtung umzugehen, dass mittelalterliche Theatralit$t sich den Beschreibungskategorien f#r neuzeitliches Theater widersetzt. Um die Alterit$t mittelalterlichen Theaters besser verstehen zu kçnnen, schl$gt Gumbrecht vor, die historischen Umbr#che in der Theaterpraxis zu rekonstruieren, die zu einer neuzeitlichen Auffassung theatraler Zeichenhaftigkeit und zur Ausdifferenzierung einer gesellschaftlichen Institution des Theaters gef#hrt haben:

913 Gumbrecht 1992, S. 827.

V. Ausblick

283

Zwar kann man auf diesem Weg nicht zu einer positiven Beschreibung jener Situations- und Interaktionselemente gelangen, welche die verschiedenen Formen mittelalterlicher Auff#hrungspraxis konstituierten; doch ein pr$gnanteres Wissen um jene Voraussetzungen, die man bei ihrer Rekonstruktion nicht machen darf, w$re im Zusammenspiel mit der einschl$gigen Text#berlieferung und anderen – positiven – Wissenselementen eine probate Methode, um das ,mittelalterliche Theater‘ aus der Perspektive der fr#hen Neuzeit historiographisch neu zu erfinden.914

Bei Gumbrecht gilt das 16. Jahrhundert als der Zeitraum, in dem die Ausdifferenzierung neuzeitlicher Theatralit$t anzusiedeln ist: Es liegt auf der Hand, daß f#r eine neu zu konzipierende Geschichte des europ$ischen Theaters dem 16. Jahrhundert entscheidende Bedeutung zukommen wird – ganz unabh$ngig davon, ob man diese Epoche als (bergang vom mittelalterlichen zum neuzeitlichen Theater oder als Ende des mittelalterlichen und als Beginn des neuzeitlichen Theaters konzipieren will.915

In der germanistischen Medi$vistik hat Jan-Dirk M#ller in einem j#ngeren Beitrag noch einmal die „Differenzen zum neuzeitlichen Theater“916 zusammengefasst, die das geistliche Spiel als alterit$res Ph$nomen auszeichnen: Es sind die verschwimmenden Grenzen zwischen Zuschauen und Partizipieren, zwischen gespielter und kultischer Handlung, zwischen theatraler Darstellung und religiçser Praxis, zwischen zeichenhafter Repr$sentation und auratischer Pr$senz und zwischen fiktionaler Darstellung und Verk#ndigung nicht-fiktionaler Wahrheit.917 Wie Gumbrecht setzt auch M#ller im 16. Jahrhundert die (berg$nge zum neuzeitlichen Theater an.918 Die Konstruktion von historischer Alterit$t ist auf die Konstruktion eines Umbruchs angewiesen, hinter dem ein kulturell vertrauter Hintergrund beginnt. Ein solcher Hintergrund ist methodisch notwendig, l$sst sich aber nur mit Schwierigkeiten pr$zise datieren. Ein Einwand dagegen, den Beginn des neuzeitlichen Theaters ins 16. Jahrhundert zu datieren, 914 915 916 917 918

Gumbrecht 1992, S. 833. Gumbrecht 1992, S. 831. M#ller 2012, S. 263. Vgl. M#ller 2012, S. 263. „Seit seiner Institutionalisierung, d. h. etwa seit der Renaissance, schneidet das Theater eine besondere Zeit aus dem Kontinuum der allt$glichen Zeit, in der die Zuschauer leben, heraus. Das setzt die mehrfach erw$hnte Grenze [von Auff#hrungszeit und Alltagszeit] voraus“ (M#ller 2012, S. 271). Das geistliche Spiel hingegen „umgreift erinnertes Geschehen, dessen theatrale Vergegenw$rtigung und die allzeit verbindliche kultische Praxis der Teilnehmer/Zuschauer“ (ebd., S. 272).

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kçnnte z. B. lauten: Klare Grenzen zwischen Zuschauer- und Spielrealit$t, die eine semiotisch ,feste‘ Theatralit$t hervorbringen, bestimmen eigentlich erst im Illusionstheater des 18. und 19. Jahrhunderts vergleichsweise fl$chendeckend das Bild. Es ist nat#rlich leicht, die Setzung eines Anfangs oder eines Endes zu kritisieren – sie ließen sich immer auch anders setzen. Wichtiger als die Frage, ob die theatergeschichtliche Neuzeit im 16. Jahrhundert beginnt oder nicht, kçnnte daher die Feststellung sein, dass die Unterscheidung von Mittelalter und Neuzeit nicht auf der gleichen Ebene liegen muss wie die Unterscheidung von Alterit$t und Vertrautheit.919 Vieles spricht daf#r, das 16. Jahrhundert als eine Zeit entscheidender theatergeschichtlicher Umbr#che aufzufassen.920 Es spricht aber auch vieles daf#r, f#r das geistliche Theater des 16. Jahrhunderts eigene Bezugsrahmen anzusetzen, die sich sowohl von denen des mittelalterlichen geistlichen Spiels als auch von denen des neuzeitlichen Theaters seit dem 18. Jahrhundert unterscheiden. Es w$re dann davon auszugehen, dass wichtige Kontexte, in dem das geistliche Theater besser verst$ndlich werden kçnnte, beim heutigen Forschungsstand erst noch erarbeitet werden m#ssen. Das hat auch damit zu tun, dass das Theater des 16. Jahrhunderts in der Germanistik bislang nicht mit der gleichen Intensit$t untersucht worden ist wie das geistliche Spiel des Mittelalters. Es ist daher sehr zu begr#ßen, dass zur Zeit eine neue Diskussion #ber Kontinuit$ten und Umbr#che in der Theatergeschichte des 16. Jahrhunderts entsteht. Regina Toepfer hat 2010 einen Vergleich des ,Frankfurter Passionsspiels‘ mit Paul Rebhuns ,Susanna‘ angestellt und die „Fr#hneuzeitliche Wende“921 auf der Frankfurter B#hne skeptisch befragt. Cora Dietl hat 2015 am Beispiel von Johann Agricolas ,Tragedia Johannis Huss‘ „[f ]#r oder wider Br#che in der Theatertradition des 16. Jahrhunderts“922 argumentiert. Beide Beitr$ge nutzen das mittelalterliche Passionsspiel als Bezugsrahmen, um Br#che und Kontinuit$ten sichtbar zu machen, und beide Beitr$ge pl$dieren aus unterschiedlichen Perspektiven daf#r, neue 919 Ein Epochenkonzept, das Mittelalter und Neuzeit #ber die Unterscheidung von Alterit$t und Vertrautheit voneinander abgrenzt, wird sich immer mit Differenzierungen entkr$ften lassen, die auf die Alterit$t der Neuzeit verweisen. Wie aus der Darstellung von Anja Becker und Jan Mohr hervorgeht, f#hrt eine enge Kopplung von Alterit$t und Epochenkonzept leicht dazu, dass das methodologische Potenzial des Alterit$tsbegriffs nicht ausgeschçpft wird (vgl. Becker/Mohr 2012, S. 29 f.). 920 Vgl. dazu in der Einleitung dieser Arbeit, S. 5–7. 921 Toepfer 2010, S. 137. 922 Dietl 2015, S. 411.

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Differenzierungen vorzunehmen. Im Folgenden werden die Ergebnisse dieser Beitr$ge vorgestellt und mit ausgew$hlten Ergebnissen der vorliegenden Arbeit konfrontiert. Welche Richtung kçnnen die hier entwickelten Sichtweisen der Diskussion um Br#che und Kontinuit$ten im geistlichen Theater des 16. Jahrhunderts geben? Darum geht es in diesem Ausblick. Toepfer entwickelt ihre Argumentation vor dem Hintergrund der skizzierten Alterit$tsdebatte. F#r eine Klassifizierung von Rebhuns Bibeldrama m#sse die Frage von besonderer Bedeutung sein, „ob es den ambivalenten Status zwischen Theater und Kult teilt, der als charakteristisch f#r die Geistlichen Spiele des Mittelalters gilt und sie von dem Theater der Neuzeit unterscheidet.“923 Toepfer kommt zu dem Ergebnis, daß es nicht angemessen ist, die Auff#hrung von Rebhuns ,Susanna‘ als eine fr#hneuzeitliche Wende auf der Frankfurter B#hne zu bezeichnen. Die grçßten Differenzen zwischen dem ,Frankfurter Passionsspiel‘ und dem reformatorischen Bibeldrama treten in der Rezeptionslenkung zutage, deren Schwerpunkt sich von der Compassio zur Moralisatio verschiebt. Beide sind jedoch theologische Strategien, um Frçmmigkeit und Gotteslob zu fçrdern. Zwar deutet sich ein (bergang zum Theater der Neuzeit an, wenn das Geistliche Spiel seinen Pr$senzcharakter verliert und die Repr$sentation in den Vordergrund r#ckt. So exemplifiziert die ,Susanna‘ theologische Heilslehren, wohingegen das Passionsspiel das Heilsgeschehen noch zu vergegenw$rtigen sucht. Gleichzeitig findet jedoch eine gegenl$ufige Entwicklung statt, indem der $sthetische (berschuß an Sinnpotential, den das Passionsspiel mit seinen Gewaltdarstellungen bietet, minimiert wird. Durch die strenge Funktionalisierung aller Textelemente f#r die Didaxe l$ßt das protestantische Drama den Rezipienten kaum Spielraum f#r eine eigene Interpretation. Gemeinsam ist beiden Geistlichen Spielen, daß sie die Verantwortlichen weder prim$r als literarische Gattung noch als kulturelles Großereignis interessieren, sondern als Medium religiçser Erfahrung und Belehrung. […] Bei ihrer Einordnung in die lokale Theatergeschichte weisen das ,Frankfurter Passionsspiel‘ und Rebhuns ,Susanna‘ somit deutlich mehr (bereinstimmungen auf, als es die reformatorische Polemik und das wissenschaftliche Paradigma mittelalterlicher Alterit$t glauben machen.924

Wie aus dem letzten Satz hervorgeht, setzt sich Toepfer gegen die Konstruktion einer starken Epochenz$sur und f#r die Aufrechterhaltung eines Alterit$tspostulats ein. Gegen die Vorstellung einer fr#hneuzeitlichen Wende spricht demnach, dass sowohl das vorreformatorische Passionsspiel als auch das reformatorische Bibeldrama kultische, frçmmigkeitspraktische 923 Toepfer 2010, S. 140. 924 Toepfer 2010, S. 161.

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und religiçs-didaktische Funktionen erf#llen. Der Katalog von Differenzen, den Toepfer gleichzeitig aufstellt, erweckt allerdings den Eindruck, dass ihre Beobachtungen sich auch f#r eine theatergeschichtlich deutlich konservativere Umbruchsargumentation nutzen ließen. Die f#r die ,Susanna‘ zusammengetragenen Merkmale entsprechen durchgehend den gel$ufigen Stereotypen einer protestantischen !sthetik: Das Bibeldrama bietet rationale Didaktik zum Zweck des Memorierens der lutherischen Lehre,925 es vermeidet $sthetischen (berschuss und l$sst kaum Interpretationsspielraum. Es erscheint durch seine Orientierung am Wort Gottes ferner als Hçr- und nicht als Schau-St#ck,926 das jeden Ansatz zur Emotionalisierung „im Keim erstickt“.927 Toepfer deutet die „verschiedenen Rezeptionshaltungen, zu denen die Zuschauer angeleitet werden“ als „Reflex der zugrunde liegenden Theologien“.928 Sie beschreibt einen allgemeinen Paradigmenwechsel, „der aus der reformatorischen Theologie erw$chst und Auswirkungen auf die gesamte Frçmmigkeitspraxis hat“.929 In diesem sieht sie mit Schulze eine „Absage an die emotionale Frçmmigkeit“.930 Eben solche Charakteristiken sind immer wieder eingesetzt worden, um einen protestantischen Bruch mit der vorreformatorischen Tradition zu markieren. Toepfer pl$diert also gegen eine Wende, ohne auf die klassischen Argumente f#r eine Wende zu verzichten. Sie bevorzugt lediglich die Kriterien aus der Alterit$tsdebatte gegen#ber den Kriterien aus der Konfessionalisierungsdebatte: Neuzeitlich ,gewendet‘ w$re das Theater demnach erst nach seiner Ablçsung vom religiçsen Kult. Im Ergebnis steht jedoch nur das Etikett einer Wende in Frage, ohne dass sich die Bewertung der Ph$nomene grunds$tzlich ver$ndert. Trotz Kontinuit$tsbehauptung 925 Das nachreformatorische Spiel wolle „sein Publikum dazu anleiten […], die dargestellten Lehren Luthers rational zu erkennen und sich zu merken“, w$hrend das vorreformatorische Spiel versuche, „die Zuschauer an der Auff#hrung affektiv zu beteiligen und sie zum Mitleiden zu bewegen“ (Toepfer 2010, S. 151). 926 „Durch die Reformation verschiebt sich der Akzent bei der Auff#hrung der Geistlichen Spiele von der sakramentalen Schau zu der Verk#ndigung des heilsvermittelnden Wortes. Die mehrfache Bezugnahme in der ,Susanna‘ auf das Hçren […], nicht das Sehen des Spiels dokumentiert, worin das Entscheidende der Rezeption nach Ansicht des protestantischen Verfassers besteht“ (Toepfer 2010, S. 160). 927 Toepfer 2010, S. 155. 928 Toepfer 2010, S. 155. 929 Toepfer 2010, S. 155 f. 930 Zit. bei Toepfer 2010, S. 155, Anm. 69. Vgl. $hnlich auch Toepfer 2014, S. 216 f.

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wird ein Bild protestantischer Dramen$sthetik fortgeschrieben, das bereits seit den 1980er Jahren vertraut ist. Eine Schwachstelle im Aufbau der Argumentation liegt im direkten Vergleich des Frankfurter Passionsspieltextes mit der ,Susanna‘. Der gemeinsame Bezug auf die Frankfurter Lokaltradition kann diesen Direktvergleich nicht ausreichend begr#nden, weil beide Spieltraditionen im System der Frçmmigkeitspraxis unterschiedliche Stellen besetzen. Der Vergleich ist nicht problematisch, weil Rebhuns ,Susanna‘ einer anderen Epoche angehçrt,931 sondern weil die ,Susanna‘ kein Medium protestantischer Passionsfrçmmigkeit ist. Dass Rebhuns ,Susanna‘ #ber keine dem Passionsspiel vergleichbare Emotionalisierungsstrategie verf#gt, trifft sicher zu. Man kçnnte jedoch zu $hnlichen Ergebnissen gelangen, wenn man statt des protestantischen Bibeldramas ein katholisches Bibeldrama, z. B. von Wolfgang Schmeltzl, zum Vergleich heranzçge. Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, dass ein Vergleich textgenetisch verwandter, aber konfessionell unterschiedlich besetzter Passionsspiele die Dichotomie von Emotionalisierung und rationaler Didaxe unterl$uft, sofern die vorhandenen Modelle der Passionsbetrachtung als Bezugsrahmen ber#cksichtigt werden (Kap. IV.3). Die Abstandnahme der lutherischen Passionsfrçmmigkeit von compassio f#hrt nicht zu einem allgemeinen Affektverzicht, sondern begr#ndet neue Emotionalisierungsmodelle. Schrecken und tristitia angesichts der eigenen S#ndhaftigkeit treten an die Stelle der compassio – dies schl$gt sich z. B. in der Struktur des ,Kaufbeurer Passionsspiels‘ nieder. In Voiths ,Lieblich Spiel‘ ist die Passionsmemoria in den Kontext der Trias von oratio, meditatio und tentatio eingebettet und erh$lt eine zentrale Funktion f#r den im emotionalen Extremzustand der Anfechtung befindlichen Gl$ubigen (Kap. IV.1). Zieht man die interkonfessionell rezipierte Jedermann-Tradition hinzu, so zeigt sich, dass theologische Differenzen keineswegs notwendig zu unterschiedlichen Emotionalisierungsstrategien f#hren m#ssen (Kap. II.6). Da f#r die Todesbetrachtung konfessions#bergreifend $hnliche Modelle der Affekterregung und der Selbsterkenntnis gelten, kann ein lutherischer Dramatiker wie Johannes Stricker mitunter eine weitaus extremere Affektregie einsetzen als sein katholischer Vorg$nger Jaspar von Gennep 931 Die Gegen#berstellung der zwei St#cke wurde laut Toepfer „bislang durch ihre Zuordnung zu verschiedenen Epochen a priori vereitelt“ (Toepfer 2010, S. 140). Ihr „gemeinsamer Bezugspunkt“ sei „die B#hne auf dem Rçmerberg, auf der das ,Frankfurter Passionsspiel‘ und Rebhuns ,Susanna‘ im Abstand von vier Jahrzehnten aufgef#hrt werden“ (ebd.).

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(Kap. II.6.3). Von diesen Beispielen aus gesehen, kann von einer theologisch begr#ndeten Absage an die emotionale Frçmmigkeit keine Rede sein. Hier sind Differenzierungen nçtig, die es ermçglichen, im konkreten Fall die ver$nderte Rolle von Emotionen in der Theater- und Frçmmigkeitspraxis zu beschreiben, ohne pauschal Emotionalisierung gegen Rationalisierung auszuspielen. Anders als Toepfer geht Dietl bei der Frage nach Kontinuit$ten und Br#chen nicht von der Alterit$tsdebatte, sondern von der Konfessionalisierungsdebatte aus. Sie setzt in ihrer Kritik daher an den Gegens$tzen an, die bei Toepfer trotz Kontinuit$tsbehauptung bestehen bleiben. Die Forschung habe einen Gegensatz zwischen protestantischem (lutherischem) und katholischem Drama rekonstruiert, der ein (weitgehend) geschlossenes Drama, das eher als Lesedrama gedacht sei, einem f#r die Simultanb#hne entworfenen offenen Drama, welches den Spektakel-Charakter in den Vordergrund r#ckt, gegen#berstellt. Die Betonung des Wortes, der Treue zur Bibel oder zur ,historia‘ und die Lehrhaftigkeit des protestantischen Dramas begegnen der Bildhaftigkeit, der bunten, legendenhaften oder komischen Ausschm#ckung des Geschehens und den Emotionalisierungsstrategien des geistlichen Spiels.932

Diese Vorstellung scheine „große Teile des tats$chlichen Befunds der lutherisch-protestantischen Dramen aus dem 16. Jahrhundert auszublenden“.933 Um die beschriebenen Gegens$tze zu hinterfragen, untersucht Dietl eine Auswahl von Szenen aus dem f#nften Akt von Johann Agricolas ,Tragedia Johannis Huss‘ (1537). Es handelt sich um Szenen, in denen Hus sich kurz vor seiner Hinrichtung in der Imitatio Christi #bt, indem er w$hrend der Erniedrigungen, die er auf dem Konstanzer Konzil erleiden muss, die Passion meditiert.934 Dietls Pointe besteht darin, in der Auff#hrung der ,Tragedia‘ szenische Zitate der mittelalterlichen Passionsspiele zu vermuten, die das Publikum emotionalisieren und damit die vermeintlichen lutherischen Vorbehalte gegen das Genre unterlaufen. Was im Lesetext und in der historiographischen Quelle Agricolas „Bibelzitate und Versatzst#cke aus der Passionsgeschichte sind, um die Christusnachfolge eines M$rtyrers zu verdeutlichen, wird auf der B#hne zu szenischen Zitaten und Anlehnungen an die Passionsspiele“.935 Gerade aufgrund von Luthers Kritik an den „wilden Schm$hungen und Verspottungen Christi in den 932 933 934 935

Dietl 2015, S. 413. Dietl 2015, S. 413. Vgl. dazu auch Fromholzer 2013, S. 53 – 58. Dietl 2015, S. 420.

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Passionsspielen […] kann dieses Element in der ,Tragedia Johannis Huss‘ kaum ohne diese Parallele gesehen werden.“936 Agricolas ,Tragedia‘ zeige damit durchaus einen Bruch mit dem geistlichen Spiel des Mittelalters. Es ist jedoch kein radikaler Bruch; vielmehr werden in einer neuen Form des Dramas alte Versatzst#cke neu verwendet. Dabei macht Agricola und machen die anderen lutherischen Dramenautoren auch nicht Halt vor den als kritisch erkannten Elementen des geistlichen Spiels, wie der Emotionalisierung des Publikums oder der Verspottung des Heiligen, sondern sie setzen diese gezielt ein, um ihren Zwecken zu dienen.937

Dietl lçst die stereotypen Gegens$tze von protestantischen und katholischen Dramen auf, indem sie eine N$he der ,Tragedia‘ zum Passionsspiel konstatiert. Ihre Argumentation funktioniert allerdings nur dann, wenn die Imitatio Christi-Elemente der ,Tragedia‘ tats$chlich als szenische Zitate zu deuten sind. Den Dramendruck nimmt Dietl von dieser Interpretation aus. Ihre These beruht auf der Annahme, dass die Kombination von Passionsthematik und B#hne beim Publikum Assoziationen zum Passionsspiel auslçsen sollte und ausgelçst hat. Sie entscheidet sich also an der Frage, ob die inszenierte Imitatio Christi als heilsgeschichtliche Referenz auf die Passion oder als Gattungsreferenz auf das Passionsspiel wirkt. Textgenetisch lassen sich die Szenen, in denen Hus sich dem leidenden Christus angleicht, bis ins Detail auf Agricolas historiographische Quelle zur#ckf#hren; auf den Text der ,Tragedia‘ haben die Passionsspiele also keinen Einfluss gehabt.938 F#r eine starke Gattungsreferenz spricht laut Dietl, dass gerade Luthers Kritik an den Passionsspielen entsprechende Empfindlichkeiten geschaffen haben muss. In Kap. IV.2 dieser Untersuchung wurde herausgearbeitet, dass der Status von Passionsspielen f#r lutherische Dramatiker in den 1530er Jahren zwar nicht vollst$ndig gekl$rt, aber auch nicht grunds$tzlich problematisch war. Luthers ,Sermon von der Betrachtung des heyligen leydens Christi‘ von 1519 enth$lt keine Kritik, die exklusiv und eindeutig die Passionsspiele betrifft, w$hrend seine Vorrede zum Buch Judith von 1534 durchaus positiv auf sie bezugnimmt. Joachim Greff projektiert 1538, kurz nachdem Agricolas ,Tragedia‘ erscheint, auf der Folie des Sermons ein Passionsspiel, ohne dass er dies als besonderes Wagnis empfindet. Obwohl Nikolaus Hausmann ihm bereits 1538 von seinem Vorhaben abgeraten hat, wird er 936 Dietl 2015, S. 420. 937 Dietl 2015, S. 421. 938 Vgl. Mladonˇovicz 1529, Bl. Mvijr–Mviiijv; Agricola 1537, Bl. Fijr–Fvjr.

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erst Anfang der 1540er Jahre von Luther selbst davon #berzeugt, es lieber sein zu lassen. Es ist daher chronologisch nicht zul$ssig, dass Dietl die Dem#tigungen von Jan Hus in der ,Tragedia‘ mit dem von Greff kolportierten Lutherzitat von der ,lecherey‘ der Passionsspiele zusammenbringt.939 Luther hatte die Aussage zum Auff#hrungs- und Erscheinungszeitpunkt noch nicht getroffen, sodass sie auch nicht als geltende Norm angesehen werden kann. Der Dessauer Zwischenfall von 1543 schließlich entz#ndet sich nicht an Greffs Passionsspiel, sondern an seinem Osterspiel und hier fallen die Gutachten der Wittenberger Theologen durchgehend spielfreundlich aus. Noch in den 1550er Jahren $ußert sich Cyriacus Spangenberg mit dezidiertem Bezug auf den Sermon von 1519 $ußerst positiv #ber vorreformatorische Passionsspiele und beh$lt diese Position bis in die 1590er Jahre hinein bei; im Kurf#rstentum Brandenburg wurden offenbar bis 1598 regelm$ßig Passionsspiele aufgef#hrt. Selbst wenn man die Mçglichkeit szenischer Zitate gelten l$sst, ist es vor diesem Hintergrund eher zweifelhaft, dass Agricola sich mit den Imitatio Christi-Szenen seiner ,Tragedia‘ bewusst #ber eine kritische Grenze hinweggesetzt hat. Im Luthertum des Jahres 1537 l$sst sich noch keine hitzig gef#hrte Kontroverse #ber das Passionsspiel greifen, die eine solche Grenze gezogen h$tte. Es l$sst sich vielleicht noch ein grundlegenderer Einwand formulieren: Mit der Annahme von szenischen Zitaten zieht Dietl in $hnlich problematischer Weise das Passionsspiel als Bezugsrahmen der ,Tragedia‘ heran, wie Toepfer dies f#r Paul Rebhuns ,Susanna‘ tut. Vergleichbar geht bereits Barbara Kçnneker vor, die die Christusthematik in Voiths ,Lieblich Spiel‘ vor dem Hintergrund des Passions- bzw. Fronleichnamsspiels deutet, obwohl Voith nicht von der sp$tmittelalterlichen Spieltradition, sondern vom Bildtypus ,Gesetz und Gnade‘ ausgeht.940 Es ist wenigstens denkbar, dass hier ein literaturwissenschaftliches Interesse an Ph$nomenen der Gattungsreflexion den Blick auf historische Wahrnehmungsmaßst$be erschwert.941 Der hier vorgeschlagenen Sichtweise nach w$re es wenig sinnvoll, die ,Tragedia‘ als Bruch oder Fortsetzung des mittelalterlichen geistlichen Spiels zu beschreiben, weil sie keiner theatralen, sondern einer historiographischen bzw. hagiographischen Tradition angehçrt. Das heißt nicht, 939 „Sehr weit weg von der ,lecherey‘ der Passionsspiele, in der das Heilige verlacht wird, ist diese Szene nicht entfernt“ (Dietl 2015, S. 419). 940 Vgl. diese Arbeit, S. 223–227. 941 Unklar bleibt, welchen Wert die gattungstechnische Provokation, von der Dietl ausgeht, f#r Agricolas ,Tragedia‘ haben kçnnte.

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dass bei Agricola s$mtliche Kontinuit$ten zum Sp$tmittelalter abgerissen w$ren – das Gegenteil ist der Fall. Was Agricola bearbeitet, ist jedoch kein Passionsspiel, sondern der Bericht #ber den Prozess gegen Jan Hus von Peter von Mladonˇovicz aus dem 15. Jahrhundert.942 Hier liegt zum einen ein neuer und innovativer Bezugsrahmen f#r das Theater und zum anderen eine vielleicht #berraschende Kontinuit$t zu mittelalterlichen Konzepten von Geschichte und Heiligkeit. Dies ist, zugegeben, eine Sichtweise, die der Textgenese einerseits und dem theologisch-heilsgeschichtlichen Bezugsrahmen der Passionsthematik andererseits eine tendenziell st$rkere Rolle zugesteht als dem Theater als eigendynamischer Auff#hrungsform mit starker Selbstreferenz, die auch jenseits von positiv fassbaren Anspielungen oder Zitaten zum Tragen kommt. Mir scheint die ,Tragedia‘ mit ihrem historiographischen und hagiographischen Bezugsrahmen jedoch einen Hinweis darauf zu geben, dass die Frage nach Br#chen oder Kontinuit$ten in der Theatertradition eben nicht nur von der Theatertradition aus gestellt werden sollte. Die in dieser Arbeit untersuchten Spiele und Dramen mit Endzeitthematik kçnnen dies veranschaulichen (Kap. III). W$hrend das Weltgerichtsspiel des Hans Sachs sich gewinnbringend mit den mittelalterlichen Weltgerichtsspielen des erweiterten Typs vergleichen l$sst, weil es zahlreiche Versatzst#cke dieser Tradition verarbeitet, w$re ein solches Vorgehen weder f#r Hans von R#tes ,Osterspil‘ noch f#r Philipp Agricolas ,Comedia von dem Letzten Tage‘ sinnvoll. Beide wurden anl$sslich des st$dtischen Zeremoniells einer Ratsversetzung verfasst und weisen sowohl einen anderen kasualen als auch einen anderen textgenetischen Hintergrund auf als die Weltgerichtsspiele. So steht Agricolas ,Comedia‘ z. B. in einem engen Bezug zur eschatologisch gepr$gten lutherischen Erbauungsliteratur des Andreas Musculus. Kontinuit$ten zur sp$tmittelalterlichen Meditationspraxis im politisch-rechtlichen Kontext, wie sie sich etwa in Ulrich Tenglers ,Layenspiegel‘ greifen l$sst, bestehen trotz konfessioneller Br#che jedoch sowohl bei R#te als auch bei Agricola und Musculus. Toepfer und Dietl geben aus unterschiedlichen methodischen Perspektiven einen wichtigen Impuls f#r die weitere Erforschung des geistlichen Theaters im 16. Jahrhundert: den Impuls, sich von vertrauten Grenzziehungen und Dichotomisierungen zu lçsen, um zu neuen und historisch angemesseneren Bewertungen zu gelangen. Diese Grenzziehungen und Dichotomisierungen lassen sich jedoch nur wirksam in Frage stellen, wenn man sich auf eine Revision #berkommener Stereotype, auf 942 Vgl. dazu auch Roloff 1998; Roloff 2015.

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eine Neubewertung der theater- und frçmmigkeitsgeschichtlichen Quellen und auf eine Erweiterung der Bezugsrahmen f#r die Analyse insgesamt einl$sst. Wo sich Br#che, Wenden oder Kontinuit$ten feststellen lassen, ist immer hochgradig davon abh$ngig, welche Kriterien die Analyse bevorzugt. Es kann nur gelingen, neue Differenzierungen in die Theatergeschichte einzuf#hren, wenn die traditionsgeschichtlichen, konfessionellen und $sthetischen Ebenen, auf denen sich Br#che und Kontinuit$ten jeweils beobachten lassen, in ihrem Verh$ltnis zueinander neu bestimmt werden. Den Versuch einer solchen Neubestimmung hat diese Arbeit unternommen, indem sie die Verschr$nkung von zwei Bereichen in der Frçmmigkeitspraxis der beginnenden Neuzeit rekonstruiert hat: Drama und Betrachtung.

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Literaturverzeichnis Die Abk#rzungen von Zeitschriften und Reihentiteln folgen dem Usus der literaturwissenschaftlichen Verfasserlexika (vgl. 2VL 1 [1978], S. XI–XXIII; VL16 1 [2011], S. XVII–XVIII). Alte Drucke werden unter Angabe des verwendeten Digitalisats bzw. Exemplars nachgewiesen. Die Druckorte werden in modernisierter Form angegeben. Abbreviaturen und Ligaturen werden aufgelçst, superskribiertes e wird durch zwei superskribierte Punkte wiedergegeben, superskribiertes o, u und v werden ausgeschrieben.

Nach Siglen zitierte Literatur AC

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Register der Autoren, Drucker und Werke Agricola, Johannes – ,Tragedia Johannis Huss‘ 169, 173, 185, 226, 284, 288–291 Agricola, Philipp – ,Comedia von dem Letzten Tage‘ 150, 163, 183–190, 197–209, 291 – ,Dialogus vnd schon Christlich Gesprech‘ 189, 247 ,Alsfelder Passionsspiel‘ 281 ,Anselmische Fragen‘ 126 Arndt, Johann 17 Augustinus 2, 51, 95, 97 f., 158 Balde, Jacob – ,Jephte‘ 5 ,Berner Weltgerichtsspiel‘ 151, 153– 155, 173 Bernhard von Clairvaux 60, 240 Bidermann, Jakob – ,Cenodoxus‘ 5 ,Bilder-Ars moriendi‘ 55, 116, 126 Birck, Sixt 64 f., 69–71, 263 – ,Ezechias‘ 65 – ,Joseph‘ 65 – ,Judith‘ 65 – ,Susanna‘ 64 f. – ,Zorobabel‘ 65 Bladus, Antonius 243 Blarer, Ambrosius 256, 263, 267 Bocerus, Johannes – ,Fribergum in Misnia‘ 245 Bonaventura 28, 60 – ,Soliloquium de quatuor mentalibus exercitiis‘ 28 Brecht, Levin 133 – ,De multiformi hominis miseria‘ 111 – ,Euripus‘ 6, 22, 25, 42, 95–121, 128, 134, 152, 215, 253 – ,Lamentatio spiritus damnati‘ 110

– ,Sylva piorum carminum‘ 104, 110 Bugenhagen, Johannes – ,Passionsharmonie‘ 229 f., 232, 234 ,Canticum triumphale‘ 175, 177 Celtis, Conrad 71 ,Christos paschon‘ 243 ,Christ’s Burial‘ 122 ,Churer Weltgerichtsspiel‘ 22, 158 f., 161, 173 ,Constitutio Criminalis Carolina‘ 167 Cranach, Lukas d.!. 217 Culmann, Leonhard – ,Spil wie ein S#nder zur Buoß bek$rt wirdt‘ 134, 136 – ,Wie man die krancken trçsten vnd den sterbenden vorbeten sol‘ 136, 139, 146 Dedekind, Friedrich – ,Der Christliche Ritter‘ 88 ,De interiori domu‘ 171 Dietle, Jçrg 71–73, 91 – ,Zehn Alter‘ 71, 73, 91 ,Die welt wirt vns bezeichent hie‘ 123 f. Dionysius Carthusianus 98 – ,De quatuor hominis novissimis‘ 41 f., 97, 106 f., 113, 116, 135, 139, 182, 194 Distelmeyer, Cleophas 115 f. ,Donaueschinger Passionsspiel‘ 13, 253 Eichhorn, Johann 185 ,Ein neuer armer Judas‘ 243 ,Elckerlijc‘ 25, 75, 105, 122–125, 127 f., 132 f., 137

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Register der Autoren, Drucker und Werke

,Elsli Tragdenknaben‘ 64 ,Engelberger Gebetbuch‘ 108 Erasmus von Rotterdam – ,Adagia‘ 112 Evanthius – ,De Fabula‘ 101 f. ,Everyman‘ 122–126, 133 ,Frankfurter Passionsspiel‘ 285, 287 ,Franziskanisches Tagzeitenblockbuch‘ 77 ,Freiberger Weltgerichtsspiel‘ 161 Frçlich, Huldrich – ,Basler Stadtlob‘ 83 Gengenbach, Pamphilus – ,Gouchmat‘ 64 – ,Nollhart‘ 64 – ,Zehn Alter‘ 64, 69, 134 Gerhard, Johann – ,Erkl$hrung der Historien des Leidens vnd Sterbens vnsers Herrn Christi Jesu‘ 245 Gerhard von Vliederhoven – ,Cordiale de quatuor novissimis‘ 61, 77 Gerhard Zerbolt von Zutphen 76 – ,De reformatione virium animae‘ 28 – ,De spiritualibus ascensionibus‘ 29 f., 40 f., 101, 106, 116, 118, 202 Gesner, Conrad – ,Bibliotheca‘ 65 Gnapheus, Wilhelm – ,Acolastus‘ 6, 75, 103, 131 Greff, Joachim 210, 246, 248, 255, 272, 289 f. – ,Das Leiden vnd Aufferstehung vnsers Herrn Jhesu Christi‘ 229– 236, 239, 258, 264 – ,Ein geistliches schçnes newes spil‘ 239–241, 244, 265 f., 290 – ,Judith‘ 234, 239 Gregor der Große 25 f., 28–30, 51, 56 f., 60, 100 f., – ,Moralia in Iob‘ 26 Grimm, Sigismund 69

,Großbasler Totentanz‘ 82 f. Gr#npeck, Joseph 70 Gryphius, Andreas 5 Gutknecht, Friedrich 73 f. Hartmann, Andreas – ,Comoedia vom Zustande im Himmel vnnd in der Hellen‘ 195 Hausmann, Nikolaus 239 f., 289 Hieronymus 23, 113 f., 150–158, 161–163, 194 Hugo von St. Viktor 98, 190 – ,De modo orandi‘ 28, 42 Ignatius von Loyola 4, 101 – ,Exercitia spiritualia‘ 5, 121 ,Innsbrucker Fronleichnamspiel‘ 12 ,Interrogatio Sancti Anselmi‘ 278 Ischyrius, Christian 6 – ,Homulus‘ 75, 130–134 – ,Passio Iesu Christi amarulenta‘ 132 f. Jacobus de Voragine – ,Legenda aurea‘ 170 f., 182 Johannes Chrysostomos 60 Johannes Duns Scotus 30 Johannes Gerson – ,De arte moriendi‘ 126 Johannes Mauburnus 218 Johannes von Tepl – ,Ackermann‘ 44, 48, 52, 84 Johann von Staupitz 30 Kluge, Alexander 1 Kolroß, Johannes 117, 193 – ,Enchiridion‘ 66–68, 264 – ,Spil von f#nfferley Betrachtnussen‘ 7 f., 16, 25, 44 f., 64–95, 121, 127 f., 134, 142, 195, 198, 264, 275 Konrad von Heimesfurt – ,Urstende‘ 177 Kr#ger, Bartholom$us – ,Newe Action‘ 184 Lemnius, Levinus – ,Naturbetrachtungen‘

9 f.

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Register der Autoren, Drucker und Werke

Locher, Jacob 66, 71 ,L#beck-Revaler Totentanz‘ 82 Lucius, Michael – ,Kaufbeurer Passionsspiel‘ 246, 249, 256, 261, 265, 269–274, 281 Luther, Martin 6–8, 17, 30–35, 38, 42 f., 58, 70, 80, 82, 90, 93, 95– 97, 99, 140, 145, 147, 166, 185, 202, 209 f., 214–216, 218, 221– 226, 229–231, 233 f., 236–246, 248, 254, 262–270, 273, 281, 286, 288–290 – ,Dictata super psalterium‘ 1513/15 42 f., 58, 99 – ,Eine schlichte Weise zu beten‘ 233 f. – ,Kleiner Katechismus‘ 233 – ,Sermo de poenitentia‘ 30 f. – ,Sermon von der Bereitung zum Sterben‘ 33, 147 – ,Sermon von der Betrachtung des heyligen leydens Christi‘ 8, 31– 34, 80, 90, 93, 221, 231, 236–238, 240, 246, 265, 270 – ,Von der Freiheit eines Christenmenschen‘ 145 – ,Von weltlicher Obrigkeit‘ 95 – ,Vorrede auff das Buch Judith‘ 238 f., 242, 289 – Vorrede zur Wittenberger Ausgabe der deutschen Schriften (1539) 214 f., 234 – ,Wochenpredigten #ber Joh 16– 20‘ 215 ,Luzerner Antichrist‘ 203 ,Luzerner Weltgerichtsspiel I‘ 22, 157 f., 161, 163 ,Luzerner Weltgerichtsspiel II‘ 158, 164 Macropedius, Georg 6 – ,Hecastus‘ 126, 130–134 Major, Georg 214, 220 ,Meditationes piissimae de cognitione humanae conditionis‘ 28 Mladonˇovicz, Peter – ,History vnd warhafftige geschicht‘ 289, 291

Mçller, Andreas – ,Theatri Freibergensis chronici pars posterior‘ 161 Moller, Martin – ,Soliloquia de Passione Jesu Christi‘ 213 ,M#nchner Eigengerichtsspiel‘ 6, 16, 22, 24 f., 40, 44–63, 76 f., 81, 87, 99, 127 f., 143, 145, 157, 159– 161, 170, 193, 252 f. ,M#nchner Weltgerichtsspiel‘ 159, 160 f., 163 f., 181 Musculus, Andreas 162 f., 291 – ,Bedencks Ende‘ 185, 198–202, 206 f., 264 – ,Betb#chlein‘ 200 – ,Betrachtung des zunahenden J#ngsten Gerichts‘ 199 – ,Unterrichtung der alten heiligen Lehrer vom Gebet‘ 200 – ,Vom Himmel vnd der Hellen‘ 199 – ,Vom j#ngsten Tag‘ 199 Naogeorg, Thomas – ,Mercator‘ 105 ,Nicodemus-Evangelium‘ Nysaeus, Johannes 65

176

,O du armer Judas‘ 243 Otmar, Johann 163 ,O wir armen S#nder‘ 243 Paullin, Johannes – ,Philothea‘ 5 ,Petrus-Apokalypse‘ 2, 121 Petrus Damiani 38–40, 140, 170 – ,Institutio monialis‘ 36–38, 50 f., 116 Platter, Felix – ,Lebensbeschreibung‘ 54, 93 f. Plautus 6, 71, 131 f. Ramminger, Narziß 71 f. Rappolt, Laurentius – ,Hecastus‘ 130 f. Rebhun, Paul – ,Susanna‘ 284–287, 290 ,Redentiner Osterspiel‘ 82, 177

332

Register der Autoren, Drucker und Werke

,Resurrection‘ 122 ,Rhetorica ad Herennium‘ 52 Ringwaldt, Bartholom$us – ,Trewer Eckart‘ 195 Robortello, Francesco 121 Ruf, Jakob 210, 246 – ,Das lyden vnsers Herren Jesu Christi‘ 22, 249, 254–273, 277, 280–282 Rynmann, Johannes 163 ,Sachsenspiegel‘ 170 Sachs, Hans 246 – ,Hecastus‘ 130 f. – ,Tragedia des j#ngsten Gerichts‘ 8, 161–163, 181, 291 Schmeltzl, Wolfgang 96, 287 – ,Comoedia der hochzeit Cana Galilee‘ 262 Schobser, Hans 60 Schçnsperger, Johann d. J. 69 Schotellius, Justus Georg – ,Beschreibung der Hçlle‘ 218 Seuse, Heinrich 98, 109, 137, 140 – ,B#chlein der Ewigen Weisheit‘ 38–42, 48 f., 58–60, 93 – ,Horologium sapientiae‘ 38 f., 48 f., 125, 135, 142–144 – ,Hundert Betrachtungen‘ 21 Simmler, Josias 65 Singriener, Johann d. !. 69 Spangenberg, Cyriacus 210, 248, 255, 264, 271 f., 290 – ,Ein geistlich Spiel vom Euangelio am Sontage Oculi‘ 241–246, 271 – ,Passio. Vom Leiden vnd sterben vnsers Herrn‘ 244, 246 ,Speculum artis bene moriendi‘ 55, 61 ,Speculum peccatoris‘ 39, 54, 61 Spee, Friedrich 4 ,Spiegelbuch‘ 86, 123 f. Stricker, Johannes 42, 287 – ,De d#desche Schlçmer‘ 25, 134– 149

Tengler, Ulrich – ,Bearbeitung eines Weltgerichtsspiels‘ 22, 150, 163–171, 173– 183, 189 – ,Der ne# Laienspiegel‘ 150, 163 f., 167, 169–173, 177, 179, 181, 193, 291 Terenz 6, 71, 131 f. Tertullian 104 – ,De spectaculis‘ 1–3 Tory, Geofroy 219 ,Tragedy wider die Abgçtterey‘ 65, 73 ,Treatise of the Seven Points of True Love and Everlasting Wisdom‘ 49 Tritonius, Petrus 73 Ulhart, Philipp d.!.

65, 69 f.

,Villinger Passionsspiel‘ 7, 254, 256, 272–282 Vinzenz von Beauvais 102 Voith, Valentin – ,Ein schçn lieblich Spiel‘ 7, 22, 210–229, 232, 261, 265, 287, 290 von Gennep, Jaspar 42, 96, 287 – ,Homulus‘ 22, 75, 96, 126–130, 133–135, 137, 140–143, 145 f., 148 von R#te, Hans 189 – ,Ein Kurtzes Osterspil‘ 150, 156, 183 f., 186 f., 190–197, 291 Waldis, Burkhart 75 Wickram, Jçrg – ,Zehn Alter‘ 71 ,Wienh$user Osterspielfragment‘ 177 Wild, Sebastian 72, 167, 246, 260 Wilhelm Peraldus 152 Wirsung, Christoph – ,Celestina‘ 69 Wirsung, Marx 69 ,Wisdom‘ 49 Wolff, Thomas 64–66, 69 f. Wyssgerber, Christoffel 65 ,Zeitglçcklein des Lebens und Leidens Christi‘ 63

Register der Autoren, Drucker und Werke

Zwingli, Ulrich 45, 89, 221, 258, 262 – ,Von dem touff, vom widertouff unnd vom kindertouff‘ 269

333

– ,Von gçttlicher und menschlicher Gerechtigkeit‘ 95

Register der Bibelstellen Gen 22: 221 f., Lev 11,3: 114, Dtn 32,29: 54, 58, Dtn 14,6: 114 Hiob 21,26: 85 Ps 1,1–2: 15 Ps 22: 278 Ps 22,2: 224 Ps 22,17: 224 Ps 31,6: 224 Ps 69,17: 42 Ps 76: 42 Ps 119: 214, 225 Ps 148: 196 Pred 9,12: 128, Hl 4,8: 56 Sir 7,40: 23, 50, 85, 136, 162, 185, 198 Sir 10,11: 85

Mt 25,13: 85 Mt 27,46: 224 Mk 15,34: 224 Lk 4,5–8: 88 Lk 12,39f.: 85 Lk 15,11–32: 75 Lk 16,19–31: 205 Lk 21,34: 85 Lk 21,36: 201 Lk 23,27: 231, 232, 271, 272 Lk 23,46: 126, 224 Joh 15,10: 87 Joh 17: 214 Rçm 3,24: Rçm 5,20: Rçm 13,1: Rçm 13,4:

146 30 95 95

1 Kor 1,30: 89 1 Kor 15,52: 113 1 Kor 6,9f.: 146

Thr 1,12: 23, 108, 110, 130, 279, 282

Eph 5,19: 241 Eph 6,10–20: 87

Jes 14,11: 85

1 Petr 5,6: 146

Mt 4,8–10: 88 Mt 4,10: 89 Mt 7,2: 170 Mt 7,13–14: 112 Mt 7,16: 45 Mt 24: 192 Mt 24,42: 192, 197, 131, 146

Apk 1,10: 190 Apk 3,3: 85 Apk 4–5: 191 Apk 5,9: 195 Apk 5,13: 196 Apk 16,15: 85