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German Pages 750 Year 2011
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1193
Verwaltungsmodernisierung in Mecklenburg-Vorpommern Grundlagen, Entwicklungen, Perspektiven Von Henning Biermann
Duncker & Humblot · Berlin
HENNING BIERMANN
Verwaltungsmodernisierung in Mecklenburg-Vorpommern
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1193
Verwaltungsmodernisierung in Mecklenburg-Vorpommern Grundlagen, Entwicklungen, Perspektiven
Von Henning Biermann
Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsund Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT Die Juristische Fakultät der Universität Rostock hat diese Arbeit im Jahre 2010 als Dissertation angenommen.
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Für Antje und Johan Fiete
Vorwort Die vorliegende Arbeit hat die Juristische Fakultät Rostock im Wintersemester 2009/2010 als Dissertation angenommen. Die Disputation fand am 26. 03. 2010 statt. Das Manuskript bedurfte anschließend der Aktualisierung. Dabei galt es vor allem, den Fortgang des „zweiten Anlaufes“ zur Kreisgebiets- und Funktionalreform in Mecklenburg-Vorpommern zu dokumentieren (§ 17), aber auch an vielen anderen Stellen musste neue Rechtsprechung und Literatur eingearbeitet werden. Beispielhaft seien etwa das Piloturteil des EGMR vom 02. 09. 2010 zu den strukturellen Ursachen überlanger Verfahrensdauer in der Bundesrepublik Deutschland (§ 6) und das Urteil des OVG Greifswald zur Nichtigkeit der Bäderverkaufsverordnung Mecklenburg-Vorpommern vom 07. 04. 2010 (§ 20 B) genannt. Die Veröffentlichung berücksichtigt Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur bis zum 31. 12. 2010. Eingearbeitet werden konnten daher die Gesetze und Verordnungen zur Umsetzung der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie auf Bundes- und Landesebene (vgl. § 19 C). Auch das Vierte Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau des Landes Mecklenburg-Vorpommern, das am 13. 11. 2010 in Kraft trat, wurde für die Druckfassung ausgewertet (§ 16 C). Meinem Doktorvater, Prof. Dr. Detlef Czybulka, danke ich für seine langjährige, geduldige Unterstützung und Betreuung, auf die auch in stürmischen Zeiten immer Verlass war. Dem Zweitkorrektor, Prof. Dr. Wilfried Erbguth, möchte ich für die überaus zügige und wohlwollende Begutachtung danken. Für die finanzielle Unterstützung bin ich der VG Wort und der Hohbühlstiftung verbunden, die die Veröffentlichung dieser Arbeit durch die Gewährung großzügiger Druckkostenzuschüsse unterstützt haben. Der Hoppe-Stiftung gilt der Dank für die Auszeichnung als beste juristische Dissertation der Universität Rostock im Jahre 2009. Mein besonderer Dank gilt aber meiner Frau Antje, ohne deren Unterstützung, Zuspruch und Geduld diese Arbeit nicht geschrieben worden wäre. Ihr und unserem Sohn Johan Fiete möchte ich die Arbeit zueignen. Henning Biermann
Inhaltsübersicht Erstes Kapitel Einleitung
45
§ 1 Verwaltungsmodernisierung in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . .
45
A. Verwaltungsmodernisierung in der Bundesrepublik Deutschland: Europäischer Kontext und nationale Spezifika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
B. Zwei Jahrzehnte Reformdebatte: Ein unendlicher Diskurs mit bescheidenen Erfolgen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
§ 2 Gegenstand und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
A. Beschränkung der Untersuchung auf das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
B. Konzentration auf das Modernisierungsfeld Regelungsoptimierung . . . .
56
C. Gang der Untersuchung im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
§ 3 Methodische Neuausrichtungen in der Verwaltungsrechtswissenschaft . . . .
59
A. Auf der Suche nach dem zukunftstauglichen Recht: Zum gegenwärtigen Methodenstreit in der Verwaltungsrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . .
59
B. Die „Neue Verwaltungsrechtswissenschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
C. Chancen und Risiken der „Neuen Verwaltungswissenschaft“ . . . . . . . . .
74
§ 4 Bestimmung der für die Untersuchung maßgeblichen Begriffe . . . . . . . . . . .
77
A. Politische Leitbilder und Schlüsselbegriffe in der gegenwärtigen Verwaltungsreformdebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
B. Regelungsoptimierung als Schlüsselbegriff der vorliegenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
§ 5 Historische Entwicklung der Verwaltungsreformdiskussion auf Bundesebene A. Die deutsche Verwaltung – reformfreudig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99 100
B. Drei Phasen der Verwaltungsreformdiskussion bis zur deutschen Wiedervereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 C. Grundsätzlicher Reformbedarf der deutschen Verwaltung in den 1990er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 D. Die Neuorientierung der Verwaltungsmodernisierungsdiskussion Ende der 1990er Jahre – Vom „schlanken“ zum „aktivierenden Staat“ . . . . . . . . . 121
10
Inhaltsübersicht Zweites Kapitel Völker-, Europa- und verfassungsrechtliche Grundlagen des Reformprozesses
130
§ 6 Völkerrechtliche und Europarechtliche Vorgaben für die Regelungsoptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 A. Völkerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
130
B. Europarechtliche Grundlagen der Regelungsoptimierung . . . . . . . . . . . .
147
C. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
162
§ 7 Verfassungsrechtlicher Rahmen der Regelungsoptimierung . . . . . . . . . . . . .
164
A. Regelungsoptimierung aus der Perspektive der Legislative: Verfassungsrechtliche Anforderungen für den Normgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 B. Regelungsoptimierung aus der Perspektive der Exekutive: Verfassungsrechtliche Pflichten zur Optimierung von Verwaltungsverfahren? . . . . . 207 C. Regelungsoptimierung aus der Perspektive der Judikative: Verfassungsrechtliche Pflichten zur Justizgewährleistung in angemessener Zeit . . . . 229 Drittes Kapitel Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung auf Bundesebene seit 1990
238
§ 8 Rechtsetzungs- und Rechtsoptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
238
A. Notwendigkeit der Einbeziehung bundesrechtlicher Entwicklungen . . .
238
B. Regelungsoptimierung in der Rechtsetzung – Zur Etablierung der Gesetzesfolgenabschätzung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 C. Rechtsbereinigung und Vorschriftenabbau – Initiativen auf Bundesebene
247
D. Bürokratiekostenmessung und Nationaler Normenkontrollrat . . . . . . . . .
260
E. Beispiele für die Politik des Bürokratieabbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
284
§ 9 Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
292
A. Leitmotive der Reformaktivitäten seit 1990 – Auf der Suche nach schnellen und effektiven Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 B. Digitalisierung der Verwaltung: eGovernment als Herausforderung für die Verwaltung des 21. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 C. Verfahrensoptimierung im Allgemeinen Verwaltungsrecht, Infrastrukturverwaltungsrecht und Bauplanungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 D. Verfahrensoptimierung im Umweltrecht unter besonderer Berücksichtigung des Immissionsschutzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 E. Die Entwicklung im Gewerberecht seit 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
325
F. Das Widerspruchsverfahren unter Reformdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
328
G. Entwicklungstendenzen im Verwaltungsprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . .
342
Inhaltsübersicht
11
Viertes Kapitel Entwicklung der Verwaltungsstrukturen und Reformbestrebungen in Mecklenburg-Vorpommern
366
§ 10 Aufbauphase 1990 bis 1992: Entstehung des Landes, Verfassungsgebungsprozess und Aufbau funktionierender Verwaltungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . 366 A. Entstehung des Landes und Verfassungsgebungsprozess . . . . . . . . . . . .
366
B. Aufbau funktionierender Verwaltungsstrukturen als zentrale Aufgabe der frühen 1990er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 § 11 Entwicklung des Allgemeinen und Besonderen Verwaltungsrechts in der Aufbauphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 A. Allgemeines Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
392
B. Ausgewählte Referenzgebiete des Besonderen Verwaltungsrechts . . . . .
394
§ 12 Die „Reformjahre“ 1993 und 1994: Kreisgebiets- und Funktionalreform, Kommunalverfassung, Reformbemühungen in der Justizverwaltung . . . . . . . . . . 397 A. Kreisgebietsreform 1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
397
B. Neue Aufgabenverteilung zwischen staatlicher und kommunaler Ebene: Funktionalreform 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 C. Neue Kommunalverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
401
D. Reformbemühungen in der Justizverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
402
§ 13 Reformen in Zeiten knapper Kassen: Die Jahre 1997 und 1998 . . . . . . . . . .
403
A. Gesetz über kostensenkende Strukturmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
404
B. Gesetz zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften und zur Einführung der direkten Wahl der Bürgermeister und Landräte . . . . 406 C. Gesetz zur Deregulierung des Bau-, Landesplanungs- und Umweltrechts
407
D. Übernahme der Beschleunigungsgesetzgebung des Bundes . . . . . . . . . .
409
E. Landesnaturschutzgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
410
§ 14 „Gebremster Reformeifer“ – Die Jahre 1999 bis 2002 . . . . . . . . . . . . . . . . .
411
A. Enquetekommission „Zukunftsfähige Gemeinden und Gemeindestrukturen in Mecklenburg-Vorpommern“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 B. Standardöffnungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
415
C. Maßnahmen der Verwaltungsreform in den Jahren 2001 und 2002 . . . .
421
§ 15 Verwaltungsreform wird zum „Überlebensthema“ – Der Beginn des institutionalisierten Reformprozesses in den Jahren 2003 und 2004 . . . . . . . . . . . . 422 A. Eckpunkte der Verwaltungsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
423
B. Einrichtung der „Kommission Deregulierung, Bürokratieabbau und Verwaltungsvereinfachung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 C. Grundkonzeption einer umfassenden Verwaltungsmodernisierung . . . . .
432
D. Neuordnung der Ämter- und Gemeindeebene durch die Fünfte Kommunalrechtsnovelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434
12
Inhaltsübersicht E. Sonstige Reformgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
438
§ 16 Die Jahre 2005 und 2006 – Binnenmodernisierung und Regelungsoptimierung durch Deregulierungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 A. Landesorganisationsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
440
B. Behördenkonzentration im Bereich der unmittelbaren Landesverwaltung
442
C. Deregulierungsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
445
D. Sonstige Maßnahmen zur Regelungsoptimierung in den Jahren 2005 und 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 § 17 Verwaltungsmodernisierung und ihre verfassungsrechtlichen Grenzen: Der Reformprozess seit 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 A. Scheitern als Chance? – Das Verwaltungsmodernisierungsgesetz vor dem Landesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 B. Sonstige Maßnahmen der Regelungsoptimierung in den Jahren 2007 bis 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 Fünftes Kapitel Gegenwärtiger Stand und Entwicklungsperspektiven der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern § 18 Aktivitäten im Bereich Rechtsetzungs- und Rechtsoptimierung . . . . . . . . . .
525 526
A. Bürokratiekostenmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
526
B. Regelungsoptimierung in der Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
529
C. Stand des Vorschriftenabbaus in Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . .
535
§ 19 Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung – Übergreifende Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 A. Rückzug des Staates aus dem Ordnungsrecht – dargestellt am Beispiel der Landesbauordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 B. Beschleunigung von Verwaltungsverfahren durch Verfahrens- und Entscheidungsfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 C. Die Europäische Dienstleistungsrichtlinie – eine Herausforderung auch für die Verwaltung in Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 § 20 Perspektiven der Verwaltungsreform im Umwelt- und Gewerberecht . . . . . .
632
A. Entwicklungsperspektiven des Umweltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
632
B. Entwicklungsperspektiven im Gewerberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
663
§ 21 Rück- und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
676
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
685
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
739
Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel Einleitung
45
§ 1 Verwaltungsmodernisierung in der Bundesrepublik Deutschland . . . . .
45
A. Verwaltungsmodernisierung in der Bundesrepublik Deutschland: Europäischer Kontext und nationale Spezifika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
B. Zwei Jahrzehnte Reformdebatte: Ein unendlicher Diskurs mit bescheidenen Erfolgen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Historische Kontinuitäten – Das Dilemma der Verwaltung . . . . . . II. Besonderheiten und Schlüsselbegriffe der gegenwärtigen Reformdebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verwaltungsreform als Chefsache – Großer Aufwand und wenig Zählbares? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Gegenstand und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Beschränkung der Untersuchung auf das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Länderebene als geeignetes Untersuchungsobjekt von Verwaltungsreformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Mecklenburg-Vorpommern als Referenzobjekt . . . . . . . . . . . . . . . .
47 47 48 50 51 51 51 53
B. Konzentration auf das Modernisierungsfeld Regelungsoptimierung . . . . I. Reformdiskurs in Modernisierungsfeldern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bestandteile des Modernisierungsfeldes Regelungsoptimierung: Rechtsetzungsoptimierung, Rechtsoptimierung und Verfahrensoptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Seitenblicke auf andere Modernisierungsfelder . . . . . . . . . . . . . . .
56 56
C. Gang der Untersuchung im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
§ 3 Methodische Neuausrichtungen in der Verwaltungsrechtswissenschaft .
59
A. Auf der Suche nach dem zukunftstauglichen Recht: Zum gegenwärtigen Methodenstreit in der Verwaltungsrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . .
59
B. Die „Neue Verwaltungsrechtswissenschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Abgrenzung von der „traditionellen Verwaltungsrechtswissenschaft“ II. Zentrale methodische Elemente und Perspektiven . . . . . . . . . . . . . 1. Betonung der Steuerungsperspektive des Rechts . . . . . . . . . . . 2. Verstärkung der inter- und transdisziplinären Perspektive . . . .
62 62 65 65 67
57 57
14
Inhaltsverzeichnis 3. Verwaltungswissenschaft als Entscheidungswissenschaft . . . . 4. Referenzgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bedeutung von Referenzgebieten für die Systembildung im Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Traditionelle Referenzgebiete und solche dieser Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Chancen und Risiken der „Neuen Verwaltungswissenschaft“ . . . . . . . . .
72 74
§ 4 Bestimmung der für die Untersuchung maßgeblichen Begriffe . . . . . . .
77
A. Politische Leitbilder und Schlüsselbegriffe in der gegenwärtigen Verwaltungsreformdebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Politische Leitbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schlüsselbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Regelungsoptimierung als Schlüsselbegriff der vorliegenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Regelungsoptimierung – Versuch einer Begriffsbestimmung . . . . . II. Einzelne Aspekte der Regelungsoptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsetzungsoptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsoptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfahrensoptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Umfassender Begriff des Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . b) Beschleunigung und Vereinfachung als zentrale Aspekte der Verfahrensoptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Abgrenzung von anderen Schlüsselbegriffen der Verwaltungsmodernisierungsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verwaltungsreform, Verwaltungsreformpolitik und Verwaltungsmodernisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verwaltungsreformen, Verwaltungsreformpolitik . . . . . . . . b) Verwaltungsmodernisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Verhältnis von Deregulierung und Regelungsoptimierung a) Deregulierung als Modebegriff – Inflationäre Verwendung in der Verwaltungsreformdebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirtschaftswissenschaftlicher Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . c) Rezeption durch die Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . d) Neue Versuche einer Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . e) Deregulierung als Bestandteil der Rechtsoptimierung . . . . f) Folgen des engen Deregulierungsbegriffs für diese Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Regelungsoptimierung und Bürokratieabbau . . . . . . . . . . . . . . a) Bürokratieabbau als politischer Mode- und Marketingbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unbrauchbarkeit als wissenschaftlicher Analysebegriff: Verschiedene Dimensionen des Bürokratiebegriffs . . . . . . . . .
68 71 71
77 78 80 82 82 82 83 84 84 85 86 86 87 88 89 90 90 91 92 93 93 95 96 96 97
Inhaltsverzeichnis
15
§ 5 Historische Entwicklung der Verwaltungsreformdiskussion auf Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
A. Die deutsche Verwaltung – reformfreudig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
100
B. Drei Phasen der Verwaltungsreformdiskussion bis zur deutschen Wiedervereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Phase des „demokratischen Staates“ 1949 bis 1965 . . . . . . . . II. Die Ära des aktiven Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die erste Entbürokratisierungswelle Ende der 1970er Jahre . . . . . 1. Aktivitäten zur „Entbürokratisierung“ und Rechtsvereinfachung 2. Die „Entdeckung“ des Effizienzgedankens . . . . . . . . . . . . . . . .
101 102 103 105 105 107
C. Grundsätzlicher Reformbedarf der deutschen Verwaltung in den 1990er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Wiedervereinigung und die Krise des deutschen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „Aufbau Ost“, „Standort Deutschland“ und „schlanker Staat“ als Leitbilder der 1990er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Modernisierung verwaltungsinterner Mikrostrukturen – Ökonomisierung der Verwaltung als Trend der 1990er Jahre . . . . . . . . . . . . 1. New Public Management als grundlegender Ansatz zur Modernisierung verwaltungsinterner Binnenstrukturen . . . . . . . . . . . 2. Das „Neue Steuerungsmodell“ als deutsche „Spielart“ des New Public Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konzeptionelle Grundlagen des Neuen Steuerungsmodells . . . 4. Rolle des „Neuen des Steuerungsmodells“ im Verwaltungsreformdiskurs – Chancen und Risiken einer Neuorientierung der „Verwaltungskultur“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Neuorientierung der Verwaltungsmodernisierungsdiskussion Ende der 1990er Jahre – Vom „schlanken“ zum „aktivierenden Staat“ . . . . . . . . . I. Moderner Staat – Moderne Verwaltung: Der „aktivierende Staat“ als Leitbild der späten 1990er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Governance als theoretisches Steuerungskonzept einer Staatsmodernisierungsdebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Jahre ab 2003 – Bürokratieabbau bestimmt das Handeln . . . . Zweites Kapitel Völker-, Europa- und verfassungsrechtliche Grundlagen des Reformprozesses
109 109 111 113 113 115 116
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§ 6 Völkerrechtliche und Europarechtliche Vorgaben für die Regelungsoptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 A. Völkerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 1. Entstehungsgeschichte und Entwicklung von Europarat und EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als zentrales Organ der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Geltung der EMRK in der Bundesrepublik Deutschland und Bedeutung der Rechtsprechung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK . . . . . . . . . 1. Grundsätzliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reichweite des Art. 6 EMRK – Ausdehnung auf Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Angemessenheit der Verfahrensdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verfahrensdauer in der Bundesrepublik Deutschland – Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der Gerichtsbarkeit . . . . . . . . III. Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 13 EMRK 1. Grundsätzliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis zu Art. 6 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgerungen für den Rechtsschutz in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Defizitärer Rechtsschutz gegen überlange Verfahrensdauer b) Konsequenzen für das nationale Rechtsschutzsystem . . . . aa) Einführung einer Beschleunigungsbeschwerde? . . . . . bb) Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren . B. Europarechtliche Grundlagen der Regelungsoptimierung . . . . . . . . . . . . I. Verfahrensgarantien in der Europäischen Grundrechtecharta . . . . . 1. Entstehungsgeschichte, Bedeutung und Entwicklung der Charta 2. Die Europäische Grundrechtecharta im Europäischen Primärrecht – Vom Entwurf eines Verfassungsvertrages zum „Reformvertrag“ von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Europäische Grundrechteagentur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Recht auf eine gute Verwaltung als Grundrecht der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung des Rechts auf eine gute Verwaltung gem. Art. 41 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Historische Entwicklung und Europäische Rechtstradition . . . 3. Berechtigte und Verpflichtete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Europäische Kodex für eine gute Verwaltungspraxis . . . . . . . 1. Entstehungsgeschichte und Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelgarantien und Bewertung des Kodex . . . . . . . . . . . . . . . V. Das europäische Grundrecht auf einen fairen Prozess . . . . . . . . . . VI. Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht (Art. 47 GRC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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149 152 153 153 153 155 157 157 158 160 160
Inhaltsverzeichnis
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1. Grundlegende Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf . . 3. Das Recht auf ein unparteiisches Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 7 Verfassungsrechtlicher Rahmen der Regelungsoptimierung . . . . . . . . . .
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A. Regelungsoptimierung aus der Perspektive der Legislative: Verfassungsrechtliche Anforderungen für den Normgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Pflicht zur guten Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ablehnende Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Befürworter verfassungsrechtlicher Pflichten im Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aspekte der Pflicht zur guten Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . a) Bestimmtheit und Klarheit von Rechtsvorschriften . . . . . . b) Sachgemäßheit, Widerspruchsfreiheit, Folgerichtigkeit und Publizität von Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Pflicht zur rationalen Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Möglichkeiten und Grenzen experimenteller Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff der experimentellen Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Formen experimenteller Gesetzgebung – Experimentiergesetze und Experimentierklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Historischer Überblick über Erscheinungsformen experimenteller Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Experimentelle Gesetzgebung in der Verwaltungsreformdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Funktionen experimenteller Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit experimenteller Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ausgewählte Beispiele experimenteller Gesetzgebung . . . . . . a) Experimentier- und Standardöffnungsklauseln . . . . . . . . . . aa) Verfassungsrechtliche Problematik . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtspolitische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kommunalrechtliche Experimentierklauseln . . . . (2) Standardöffnungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die generelle Befristung von Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . aa) Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ziele der generellen Befristung von Rechtsvorschriften cc) Entwicklung auf nationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verfassungsrechtliche Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis ee) Stellungnahme und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Deregulierung als Verfassungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ursachen für die Überregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auswege aus der Verrechtlichungsfalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grenzen des Deregulierungsauftrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Regelungsoptimierung aus der Perspektive der Exekutive: Verfassungsrechtliche Pflichten zur Optimierung von Verwaltungsverfahren? . . . . . I. Recht auf ein faires Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Recht auf einfache und verständliche Verwaltungsverfahren . . . . . III. Recht auf eine gute Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geltende Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Plädoyer für ein Staatsziel „guter Verwaltung“ . . . . . . . . . . . . IV. Effizienz und Effektivität der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Effektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Effizienz und Effektivität von Verwaltungsverfahren als Optimierungsgebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Effizienz als Verfassungsprinzip? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schwache Ausprägung des Effizienzprinzips im deutschen Rechtskreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsrechtliche Verankerungen des Effizienzprinzips 4. Effizienz als rechtliches Optimierungsgebot und Maßstab für das Verwaltungshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Perspektiven und Grenzen des Effizienzgebotes . . . . . . . . 5. Effektivität der Verwaltung als Rechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . a) Defizitäre Ausprägung des Effektivitätsprinzips im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsstaatliche Gewährleistung einer angemessenen Verfahrensdauer im Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verankerung in Art. 19 Abs. 4 und 20 Abs. 3 GG . . . bb) Bedeutung der Freiheitsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . c) Verfassungsrechtlicher Beschleunigungsauftrag und seine Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Regelungsoptimierung aus der Perspektive der Judikative: Verfassungsrechtliche Pflichten zur Justizgewährleistung in angemessener Zeit . . . . I. Verfassungsrechtliche Dimension der Verfahrensdauer in Verwaltungsstreitsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine starre Grenze für die gerichtliche Verfahrensdauer . . . .
200 202 203 205 206 207 208 209 210 210 211 212 212 212 213 214 215 215 217 218 219 222 222 223 223 224 225 228 229 230 233 233
Inhaltsverzeichnis
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2. Ausstrahlung auf verwaltungsrechtliche Ausgangs- und Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 3. Pflicht zur angemessenen Personalausstattung . . . . . . . . . . . . . 234 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Drittes Kapitel Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung auf Bundesebene seit 1990
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§ 8 Rechtsetzungs- und Rechtsoptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Notwendigkeit der Einbeziehung bundesrechtlicher Entwicklungen . . .
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B. Regelungsoptimierung in der Rechtsetzung – Zur Etablierung der Gesetzesfolgenabschätzung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzesfolgenabschätzung – Begriff, Ziele und Stellenwert in der Verwaltungsmodernisierungsdebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erscheinungsformen der Gesetzesfolgenabschätzung . . . . . . . . . . . 1. Die prospektive Gesetzesfolgenabschätzung . . . . . . . . . . . . . . 2. Die begleitende Gesetzesfolgenabschätzung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die retrospektive Gesetzesfolgenabschätzung . . . . . . . . . . . . . III. Entwicklung der Gesetzesfolgenabschätzung in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erste Pilotprojekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzesfolgenabschätzung in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gegenwärtiger Stand der Gesetzesfolgenabschätzung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Rechtsbereinigung und Vorschriftenabbau – Initiativen auf Bundesebene I. Normenflut und Rechtszersplitterung als zentrale Rechtsprobleme entwickelter Industriegesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Regelungsdefizite im Besonderen Verwaltungsrecht – Die Referenzgebiete Umwelt- und Gewerberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gewerberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bestandsaufnahme: „Wie gut sind Deutschlands Gesetze“? . . . . . . IV. Folgen der Rechtszersplitterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Entwicklung der Aktivitäten zu Bürokratieabbau und Rechtsbereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die „Initiative Bürokratieabbau“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesamtkonzept und Handlungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einrichtung von „Testregionen für Bürokratieabbau“ . . . . 2. Aktivitäten zur Rechtsbereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis a) Rechtsbereinigung im Rahmen des „Masterplans Bürokratieabbau“ 2003 bis 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsbereinigungsgesetze seit 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsbereinigung bei Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . d) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Bürokratiekostenmessung und Nationaler Normenkontrollrat . . . . . . . . . I. Methodik der Bürokratiekostenmessung und Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Standardkosten-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pilotprojekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Nationaler Normenkontrollrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbilder auf internationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtliche Stellung, Aufgaben und Organisation . . . . . . . . . . . III. Stand und Perspektiven der Bürokratiekostenmessung . . . . . . . . . . 1. Jahresberichte der Bundesregierung und des Nationalen Normenkontrollrats 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Jahresberichte des Normenkontrollrats und der Bundesregierung 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Jahresberichte des Normenkontrollrats 2009, Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP vom 28. 10. 2009, Jahresbericht der Bundesregierung 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gesetz zur Änderung des NKR-Gesetzes; Jahresbericht des Normenkontrollrats 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausblick und Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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E. Beispiele für die Politik des Bürokratieabbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bürokratieabbau als „Kärrnerarbeit“ – Der lange Weg zum 1. „Bundesderegulierungsgesetz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abbau von Statistikpflichten in der politischen Auseinandersetzung III. Entlastung der gewerblichen Wirtschaft durch Mittelstandsentlastungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erstes Mittelstandsentlastungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zweites Mittelstandsentlastungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Drittes Mittelstandsentlastungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gründe für die Schwierigkeiten in der Bürokratieabbaupolitik . . .
284
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§ 9 Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Leitmotive der Reformaktivitäten seit 1990 – Auf der Suche nach schnellen und effektiven Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 B. Digitalisierung der Verwaltung: eGovernment als Herausforderung für die Verwaltung des 21. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 C. Verfahrensoptimierung im Allgemeinen Verwaltungsrecht, Infrastrukturverwaltungsrecht und Bauplanungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
Inhaltsverzeichnis I.
Wohnungsbauerleichterungsgesetz und Überleitungsregelungen aus Anlass der deutschen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . III. Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz . . . . . . . . . . . IV. Planungsvereinfachungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz und Zweites Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften . . . . VI. Bau- und Raumordnungsgesetz 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Drittes Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. UVP-Änderungsgesetz 2001 und Gesetz zur Anpassung des BauGB an EU-Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wesentlicher Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte („BauGB 2007“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Viertes Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften und Gesetz zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Gewerberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Gesetz zur Beschleunigung des Ausbaus der Höchstspannungsnetze D. Verfahrensoptimierung im Umweltrecht unter besonderer Berücksichtigung des Immissionsschutzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beschleunigungsgesetzgebung im Immissionsschutzrecht bis Anfang 1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz . . . . . . . . . . . III. Gesetz zur Beschleunigung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren vom 09. 10. 1996 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Änderungen im Immissionsschutzrecht von 1997 bis 2006 . . . . . . V. Das Gesetz zur Reduzierung und Beschleunigung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Umweltgesetzgebung nach dem Scheitern des Umweltgesetzbuches – Das neue Naturschutz- und Wasserhaushaltsgesetz 2010 . . E. Die Entwicklung im Gewerberecht seit 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Das Widerspruchsverfahren unter Reformdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtspolitische Debatte um das Widerspruchsverfahren . . . . . . . II. Entwicklung des Widerspruchsverfahrens seit der Wiedervereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Stand des Widerspruchsverfahrens in den Bundesländern . . . . . . . 1. Bundesländer mit weitgehendem Ausschluss des Vorverfahrens 2. Bundesländer mit Ausschlussregelungen in wenigen Teilbereichen des Besonderen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 298 300 301 302 303 305 305 306 307 308 309 311 314 315 316 317 319 320 322 322 323 325 328 328 329 331 331 332
22
Inhaltsverzeichnis
IV.
V.
3. Mecklenburg-Vorpommern – Renaissance des fakultativen Vorverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Historische Vorbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Regelungen in Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . 4. Länder ohne landesrechtlichen Ausschluss des Widerspruchsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtstatsachenforschung zur Funktionserfüllung im Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktionen des Widerspruchsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Neuere Studien zur Rechtstatsachenforschung im Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Pilotprojekt „Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in Mittelfranken“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erfahrungsberichte zur Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in Niedersachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgerungen: Plädoyer für eine Fortentwicklung des Widerspruchsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
G. Entwicklungstendenzen im Verwaltungsprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . I. Verwaltungsgerichtsbarkeit im ökonomisierten Staat – Reform des Verwaltungsprozesses als Teil der Staatsreform . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Entwicklung des Verwaltungsprozessrechts bis 1990 . . . . . . . 1. Diskussion um die Dauer von Verwaltungsprozessen und erste spezialgesetzliche Beschleunigungsbemühungen . . . . . . . . . . . a) Rechtspflegeentlastungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetz zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Viertes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung III. Die frühen 1990er Jahre – Schaffung verwaltungsprozessualen Sonderrechts für die neuen Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Übernahme der Sonderregelungen in das allgemeine Verwaltungsprozessrecht: Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Umgestaltung des Rechtsmittelrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beendigung des Verwaltungsprozesses nach Betreibensaufforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Änderungen im Widerspruchsverfahren und im einstweiligen Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Heilung von Verfahrens- und Formfehlern und sonstige Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts: Eine „Reform der Reform“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Aktuelle Entwicklungen des Verwaltungsprozessrechts seit 2004 .
333 333 333 335 335 335 336 336 338 339 342 342 343 343 344 345 345 346
348 348 350 350 351 351 353
Inhaltsverzeichnis 1. Erstes Justizmodernisierungsgesetz, Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts und Justizkommunikationsgesetz . . . . . . . . . 2. Anhörungsrügengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Siebtes Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes . . . . 4. Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Umweltrechtsbehelfsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Gegenwartsprobleme und Reformperspektiven im Verwaltungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Viertes Kapitel Entwicklung der Verwaltungsstrukturen und Reformbestrebungen in Mecklenburg-Vorpommern
23 353 354 355 355 357 359
366
§ 10 Aufbauphase 1990 bis 1992: Entstehung des Landes, Verfassungsgebungsprozess und Aufbau funktionierender Verwaltungsstrukturen . . . . . . . . 366 A. Entstehung des Landes und Verfassungsgebungsprozess . . . . . . . . . . . . 366 I. Entstehung des Landes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 II. Mecklenburg-Vorpommern als Gliedstaat der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 III. Verfassungsgebungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 IV. Charakteristika der Landesverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 B. Aufbau funktionierender Verwaltungsstrukturen als zentrale Aufgabe der frühen 1990er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangslage und Herausforderungen beim „Verwaltungsaufbau Ost“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Geglückter Transformationsprozess bei zurückhaltender Binnenmodernisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grundentscheidungen beim Verwaltungsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . 1. Struktur der unmittelbaren Landesverwaltung . . . . . . . . . . . . . 2. Strukturen und Rechtsgrundlagen der Kommunalverwaltung . IV. Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtsschutz in der DDR . . 2. Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
374 374 377 381 381 382 385 386 388
§ 11 Entwicklung des Allgemeinen und Besonderen Verwaltungsrechts in der Aufbauphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 A. Allgemeines Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
392
B. Ausgewählte Referenzgebiete des Besonderen Verwaltungsrechts . . . . . I. Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
394 394 395
24
Inhaltsverzeichnis 1. Allgemeines Ordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bauordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Entwicklung im Wirtschaftsverwaltungsrecht . . . . . . . . . .
395 396 397
§ 12 Die „Reformjahre“ 1993 und 1994: Kreisgebiets- und Funktionalreform, Kommunalverfassung, Reformbemühungen in der Justizverwaltung . . 397 A. Kreisgebietsreform 1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
397
B. Neue Aufgabenverteilung zwischen staatlicher und kommunaler Ebene: Funktionalreform 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 C. Neue Kommunalverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
401
D. Reformbemühungen in der Justizverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
402
§ 13 Reformen in Zeiten knapper Kassen: Die Jahre 1997 und 1998 . . . . . .
403
A. Gesetz über kostensenkende Strukturmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
404
B. Gesetz zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften und zur Einführung der direkten Wahl der Bürgermeister und Landräte . . . . 406 C. Gesetz zur Deregulierung des Bau-, Landesplanungs- und Umweltrechts
407
D. Übernahme der Beschleunigungsgesetzgebung des Bundes . . . . . . . . . .
409
E. Landesnaturschutzgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
410
§ 14 „Gebremster Reformeifer“ – Die Jahre 1999 bis 2002 . . . . . . . . . . . . . . .
411
A. Enquetekommission „Zukunftsfähige Gemeinden und Gemeindestrukturen in Mecklenburg-Vorpommern“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 I. Vorschläge zur Verbesserung der kommunalen Verwaltungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 II. Leitlinien und Vorschläge zur weiteren Funktionalreform . . . . . . . 414 B. Standardöffnungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entstehungsgeschichte und wesentlicher Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . II. Gescheiterte Hoffnungen – das Standardöffnungsgesetz als untauglicher Deregulierungsversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vom Standardöffnungs- zum Kommunalen Standarderprobungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
415 415
C. Maßnahmen der Verwaltungsreform in den Jahren 2001 und 2002 . . . .
421
417 418
§ 15 Verwaltungsreform wird zum „Überlebensthema“ – Der Beginn des institutionalisierten Reformprozesses in den Jahren 2003 und 2004 . . . . . 422 A. Eckpunkte der Verwaltungsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ziele und Elemente der Verwaltungsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . .
423 423 424
B. Einrichtung der „Kommission Deregulierung, Bürokratieabbau und Verwaltungsvereinfachung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 I. Zwischenbericht der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 II. Erste Deregulierungsschritte der Landesregierung . . . . . . . . . . . . . 426
Inhaltsverzeichnis
25
III. Abschlussbericht der Kommission: Vorschläge zur Regelungsoptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Errichtung einer zentralen Normprüfstelle . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Befristung aller Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erweiterte Gesetzesfolgenabschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wegfall von Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Standardabbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Vereinfachung und Beschleunigung von Genehmigungs- und Überwachungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Sonstige Vorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Weitere Deregulierungsschritte der Landesregierung . . . . . . . . . . .
430 431 432
C. Grundkonzeption einer umfassenden Verwaltungsmodernisierung . . . . .
432
427 427 428 429 429 430
D. Neuordnung der Ämter- und Gemeindeebene durch die Fünfte Kommunalrechtsnovelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 I. Wesentlicher Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 II. Straffung der örtlichen Verwaltungsstrukturen als Ergebnis der Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 E. Sonstige Reformgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
438
§ 16 Die Jahre 2005 und 2006 – Binnenmodernisierung und Regelungsoptimierung durch Deregulierungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 A. Landesorganisationsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
440
B. Behördenkonzentration im Bereich der unmittelbaren Landesverwaltung I. Geschäftsbereich des Innenministeriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Geschäftsbereich des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Fischerei IV. Geschäftsbereich des Sozialministeriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Geschäftsbereiche des Finanz- und Justizministeriums . . . . . . . . .
442 442
C. Deregulierungsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Erstes Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau . . . . . 1. Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg . . . . . . . . . . a) Geschichte der Testregionen für Bürokratieabbau . . . . . . . b) Entwicklung in Ostwestfalen-Lippe und Westmecklenburg im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ostwestfalen-Lippe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Westmecklenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Modifizierte Anwendung des Bauordnungsrechts in der Testregion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Landesweit geltende Vorschriften im Überblick . . . . . . . . . . . II. Fortsetzung der Verwaltungsmodernisierung durch das Zweite Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau . . . . . . . . . . . . . . . . .
445 446 446 446
443 443 444 445
447 447 449 449 450 451
26
Inhaltsverzeichnis 1. Entstehungsgeschichte und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wesentliche Neuerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Modifizierte Anwendung von § 71a bis d VwVfG M-V in der Testregion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erweiterte Genehmigungsfiktion im Bauordnungsrecht und sonstige Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verzicht auf Änderungen im Widerspruchsverfahren . . . . III. Drittes Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau . . . . 1. Änderungen in der Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Landesweite bereichsspezifische Abschaffung des Widerspruchsverfahrens und sonstige Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Vierte Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau . V. Verfassungsrechtliche und rechtspolitische Bewertung der bisherigen Deregulierungsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Testregionen für Bürokratieabbau: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzgebungskompetenz der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einrichtung von Testregionen und modifizierte Anwendung landesrechtlicher Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . bb) Modifizierte Anwendung bundesrechtlicher Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundrechtskompatibilität der Einrichtung von Testregionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Testregionen für Bürokratieabbau: Rechtspolitische Bewertung a) Innovatives Instrument experimenteller Gesetzgebung . . . b) Modellregionen als „Exportschlager“ . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Niedersächsisches Modellkommunengesetz . . . . . . . . bb) Bayerisches Modellkommunengesetz . . . . . . . . . . . . . cc) Überlegungen zur Errichtung von Modellkommunen in Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtspolitische Bewertung der sonstigen Deregulierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
451 452 452 452 453 454 454 455 456 457 458 458 458 458 460 464 464 465 465 466 467 468
D. Sonstige Maßnahmen zur Regelungsoptimierung in den Jahren 2005 und 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 I. Reformmaßnahmen im Jahre 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 II. Maßnahmen zur Regelungsoptimierung im Jahre 2006 . . . . . . . . . 470 § 17 Verwaltungsmodernisierung und ihre verfassungsrechtlichen Grenzen: Der Reformprozess seit 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 A. Scheitern als Chance? – Das Verwaltungsmodernisierungsgesetz vor dem Landesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 I. Entstehung des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474
Inhaltsverzeichnis II. Wesentlicher Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verfassungsrechtliche und rechtspolitische Diskussion . . . . . . . . . 1. Gegner des Regionalkreismodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Befürworter des Regionalkreismodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ein „Paukenschlag aus Greifswald“ – Verfassungswidrigkeit der §§ 72 bis 77 FKrG M-V und Gegenstandslosigkeit wesentlicher Teile des Verwaltungsmodernisierungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entscheidungsgründe im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rezeption des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. „Nach der Reform ist vor der Reform“ – Vom Urteil des Landesverfassungsgerichts zum Kreisstrukturgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ziele, Leitbild und Leitlinien der Landesregierung für die Kreisgebietsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zwischenbericht der Enquetekommission „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Leitbild des Landtages für die Kreisgebietsreform . . . . . . . . . 4. Denkbare Modelle für eine künftige Kreisstruktur . . . . . . . . . a) Vergleichstest zwischen 13 Modellen einer künftigen Kreisstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorstellung der „Testsieger“ im Juni 2008 . . . . . . . . . . . . . aa) 6+2-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) 7+2-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Weitere Entwicklung: Von der Verständigung auf das 6+2-Modell im November 2008 bis zum Beschluss des Kreisstrukturgesetzes im Juli 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verständigung auf das 6+2-Modell in der Landesregierung b) Gutachten des Landesrechnungshofes über Einspareffekte der geplanten Kreisgebietsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ressortentwurf des Innenministeriums für ein Kreisstrukturgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Regierungsentwurf des Kreisstrukturgesetzes . . . . . . . . . . e) Ergebnisse der parlamentarischen Beratungen . . . . . . . . . . f) 2. Lesung und Beschlussfassung im Landtag . . . . . . . . . . . 6. Funktionalreform durch das Aufgabenzuordnungsgesetz . . . . . 7. Ausblick: Wird der zweite Anlauf der Verwaltungsreform vor dem Landesverfassungsgericht bestehen? . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Sonstige Maßnahmen der Regelungsoptimierung in den Jahren 2007 bis 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Gesetzgebung im Jahre 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Gesetzgebung im Jahre 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Gesetzgebung im Jahre 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Gesetzgebung im Jahre 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27 475 477 477 480
482 483 489 491 492 494 495 496 496 498 498 498
499 499 500 501 507 508 510 511 513 514 514 517 518 520
28
Inhaltsverzeichnis Fünftes Kapitel Gegenwärtiger Stand und Entwicklungsperspektiven der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern
525
§ 18 Aktivitäten im Bereich Rechtsetzungs- und Rechtsoptimierung . . . . . . .
526
A. Bürokratiekostenmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Pilotprojekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Analyse der Informationskosten im Landesbaurecht . . . . . . . . 2. Landesweiterbildungs- und Bildungsfreistellungsrecht im Informationskostenvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verankerung der Bürokratiekostenmessung nach dem Standardkosten-Modell in der GGO II 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
526 526 526 527 528
B. Regelungsoptimierung in der Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 I. Einrichtung einer ressortübergreifenden Normprüfstelle . . . . . . . . 529 1. Organisatorische Anbindung und Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . 530 2. Erfahrungsberichte und Einschätzung der Landesregierung . . 532 a) Erster Arbeitsbericht für das Jahr 2004 . . . . . . . . . . . . . . . 532 b) Zweiter Arbeitsbericht für das Jahr 2005 . . . . . . . . . . . . . . 533 c) Einschätzung der Landesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 II. Rechtspolitische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 C. Stand des Vorschriftenabbaus in Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . I. Vorschriftenbestand – Selbstverpflichtung der Landesregierung . . II. Vorschriftenabbau seit 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Parlamentsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bewertung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deregulierungspotenzial bei Landesgesetzen und Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Landesgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Qualitative Deregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
535 535 536 537 538 538 540 540 540 542 544
§ 19 Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung – Übergreifende Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 A. Rückzug des Staates aus dem Ordnungsrecht – dargestellt am Beispiel der Landesbauordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entwicklung des Bauordnungsrechts seit 1990 . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklung bis 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Neue Landesbauordnung 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abbau präventiver Kontrollen und Verzicht auf hoheitliche Prüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
546 547 547 550 551
Inhaltsverzeichnis 1. Ausbau des genehmigungsfreien Bauens von Wohngebäuden . 2. Erweiterung des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens mit beschränktem Prüfumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Privatisierung der Prüfung bautechnischer Nachweise . . . . . . . 4. Rechtspolitische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konzentrationswirkung der Baugenehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliches zur Konzentrationswirkung von Genehmigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arten der Konzentrationswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sog. „echte“ Konzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Dominante Konzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rezessive Konzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sog. „unechte“ Konzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konzentrationswirkung des Baugenehmigungsverfahrens in Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorliegen einer „unechten“ Konzentration . . . . . . . . . . . . . b) Unechte Konzentration „wider Willen“? . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtspolitische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsätzliche Bewertung der Konzentrationswirkung von Genehmigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unechte oder echte Konzentration als Königsweg im Bauordnungsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vereinfachung des materiellen Bauordnungsrechts . . . . . . . . . . . . B. Beschleunigung von Verwaltungsverfahren durch Verfahrens- und Entscheidungsfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kategorien von Fristtypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einteilung nach dem Grad der Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . a) Regelfristen (Signalfristen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtlich verbindliche Verfahrensfristen . . . . . . . . . . . . . . aa) Fristen ohne unmittelbare Sanktionsfolge . . . . . . . . . . bb) Fristen mit unmittelbarer Sanktionsfolge . . . . . . . . . . (1) Fristen mit verfahrensrechtlichen Sanktionen . . . (2) Genehmigungsfiktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einteilung nach dem Urheber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Behördliche Entscheidungsfristen in rechtsvergleichender und historischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung in der traditionellen deutschen Verwaltungsrechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidungsfristen in anderen Rechtsordnungen . . . . . . . . . III. „Entdeckung“ behördlicher Entscheidungsfristen in Deutschland . IV. Die besondere Problematik von Genehmigungs- und Zustimmungsfiktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29 551 552 555 556 559 559 560 560 561 562 562 563 564 565 567 567 569 571 571 571 572 572 572 572 575 575 576 577 577 577 578 579 580
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Inhaltsverzeichnis 1. Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regelungen auf Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Regelungen auf Landesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtspolitische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sinnvolles Beschleunigungsinstrument oder „Irrweg der Fiktionen“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsrechtliche Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Europäische Dienstleistungsrichtlinie – eine Herausforderung auch für die Verwaltung in Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Hintergrund, Ziele und Entstehung der Dienstleistungsrichtlinie . II. Sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . III. Wesentlicher Inhalt und Umsetzung in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsoptimierung und Vereinfachung von Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anforderungen der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umsetzung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Normprüfungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anpassung des Allgemeinen Verwaltungsrechts . . . . cc) Änderungen in den Referenzgebieten des Besonderen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einheitliche Ansprechpartner für Dienstleistungserbringer . . . a) Aufgabenprofil nach der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ansiedlungsoptionen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Länder-, Kommunal- und Kammerebene . . . . . . . . . . (1) Länderebene – Landesbehörden- oder Anstaltsmodell? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kommunale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Kammerebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Kooperationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Sonstige Ansiedlungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . c) Anpassung des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts . . aa) Organisatorische Anbindung der Einheitlichen Ansprechpartner als politische Leitentscheidung der Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Vierte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften als Leitgesetz für die Regelungen der Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Umsetzung in Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . .
580 580 583 584 584 586 587 591 592 594 597 599 599 599 601 601 602 605 609 609 609 610 610 611 611 612 614 615 615
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Inhaltsverzeichnis
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3. Elektronische Informationen und Verwaltungsverfahren . . . . . a) Anforderungen der Dienstleistungsrichtlinie . . . . . . . . . . . b) Umsetzung in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . 4. Entwicklung von Qualitätssiegeln und Verhaltenskodizes sowie internationale Verwaltungszusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtspolitische Bewertung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . .
625 625 626
§ 20 Perspektiven der Verwaltungsreform im Umwelt- und Gewerberecht . .
632
A. Entwicklungsperspektiven des Umweltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Rolle der Bundesländer bis zur Föderalismusreform I . . . . . . II. Impulse durch die Föderalismusreform I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entwicklung und aktuelle Situation der Umweltverwaltung in Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Aufbau der Umweltverwaltung Anfang der 1990er Jahre 2. Überprüfung des Aufgabenzuschnitts im Rahmen der Funktionalreform 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Umweltverwaltung in der Diskussion um das Verwaltungsmodernisierungsgesetz von 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Umweltverwaltung Mecklenburg-Vorpommerns im bundesweiten Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entwicklung der Finanz- und Personalausstattung in den Umweltverwaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Reform der Umweltverwaltungen – Ein Überblick über Aktivitäten in den Bundesländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Konzentration der Landesoberbehörden . . . . . . . . . . . bb) Auflösung von Sonderordnungsbehörden und Kommunalisierung von Umweltschutzaufgaben . . . . . . . . . . . (1) Reformen in den Bundesländern . . . . . . . . . . . . . (2) Die Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern bis Juni 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Aktueller Stand des Reformprozesses in Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konzentration der unteren Landesbehörden im Landwirtschafts- und Umweltbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geplanter Neuzuschnitt der Aufgabenverteilung im Umweltbereich durch das Gesetz über die Zuordnung von Aufgaben im Rahmen der Landkreisneuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wesentlicher Inhalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Aufgabenübertragungen im Immissionsschutz-, Abfallund Chemikalienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Aufgabenkommunalisierung im Wasser- und Bodenschutz- und Naturschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verzicht auf interkommunale Aufgabenverlagerungen
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651 651 651 653 655
32
Inhaltsverzeichnis IV.
6. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Empfiehlt sich die Schaffung eines Landesumweltgesetzbuches? . 1. Zum erneuten Scheitern einer Kodifikation des Umweltrechts auf Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorteile eines Landesumweltgesetzbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . .
B. Entwicklungsperspektiven im Gewerberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Rolle der Länder bis zur Föderalismusreform I . . . . . . . . . . . . II. Impulse durch Föderalismusreform I und Europäische Dienstleistungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ladenschlussrecht unter Deregulierungsdruck – Ladenöffnungsgesetz und Bäderverkaufsverordnung Mecklenburg-Vorpommern . . 1. Das Ladenöffnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern als politische Kompromissformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Streit um die „Bäderregelung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Bäderverkaufsverordnung vom 17. 12. 2007 . . . . . . . . b) Die Änderungsverordnung vom 13. 11. 2008 und die Neubekanntmachung vom 17. 04. 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die „Advententscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts vom 01. 12. 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Urteil des OVG Greifswald zur Bäderverkaufsverordnung vom 07. 04. 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Bäderverkaufsverordnung vom 13. 07. 2010 . . . . . . . .
655 657 658 660 663 663 665 668 668 671 671 672 673 674 675
§ 21 Rück- und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
676
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
685
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
739
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. AbfalG M-V AbfBodSchZV ABl. M-V ACTAL ÄfL AEG AEMR AEUV a. F. AGGStrG M-V AGVwGO AO AÖR Art. AsylVfG ATB AtomG AufenthG AufgZuOrdG M-V Aufl. BaföG BaufVO
BauGB BauGebVO M-V
BauO (DDR)
anderer Ansicht am angegebenen Ort Landesabfall- und Altlastengesetz Mecklenburg-Vorpommern vom 04. 08. 1992 (GVOBl. M-V, S. 450) Abfall- und Bodenschutzzuständigkeitsverordnung (M-V) Amtsblatt für Mecklenburg-Vorpommern Advies College Toetsing Administrative Lasten (Rat zur Vermeidung administrativer Lasten) Ämter für Landwirtschaft Allgemeines Eisenbahngesetz Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Ausführungsgesetz zum Gerichtsstrukturgesetz Mecklenburg-Vorpommern Ausführungsgesetz zur Verwaltungsgerichtsordnung Abgabenordnung Archiv des Öffentlichen Rechts Artikel Asylverfahrensgesetz Amt für Technik und Beschaffung Atomgesetz Aufenthaltsgesetz Aufgabenzuordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern v. 12. 07. 2010 (GVOBl. M-V, S. 383) Auflage Bundesausbildungsförderungsgesetz Landesverordnung über die Freistellung von der Baugenehmigungspflicht v. 23. 04. 1992 (GVOBl. M-V, S. 279 (BaufVO) Baugesetzbuch Verordnung über die Gebühren und Auslagen für Amtshandlungen der Bauaufsicht (Baugebührenverordnung v. 10. Juli 2006 (GVOBl. M-V, S. 588) Gesetz über die Bauordnung v. 20. 07. 1990 (GBl. der DDR, S. 929)
34 BauPrüfVO
Abkürzungsverzeichnis
Landesverordnung über bautechnische Prüfungen v. 04.08. 1992 (GVOBl. M-V, S. 538) BauROG Gesetz zur Änderung des Baugesetzbuchs und zur Neuregelung des Rechts der Raumordnung vom 18. 08. 1997 (BGBl. I, S. 2081) Bay, bay Bayern, bayerisch BayVBl Bayerische Verwaltungsblätter BBauG Bundesbaugesetz BauGBMaßnahmenG Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch v. 17. 05. 1990 (BGBl. I, S. 926) Bbg, bbg Brandenburg, brandenburgisch 1. BbG BAG Erstes Gesetz zum Abbau von bürokratischen Hemmnissen im Land Brandenburg Bbg StEG Brandenburgisches Standarderprobungsgesetz BBL Betrieb für Bau und Liegenschaften BBodSchG Bundesbodenschutzgesetz BDVR Bund Deutscher Verwaltungsrichter BerlLöffG Berliner Ladenöffnungsgesetz Beschl. Beschluss BGB Bürgerliches Gesetzbuch bGFA begleitende Gesetzesfolgenabschätzung BGH Bundesgerichtshof BImSchG Bundesimmissionsschutzgesetz BImSchV Bundesimmissionsschutzverordnung BIP Bildungsinstitut für die Polizei Bln Berlin BLUDerG Gesetz zur Deregulierung des Bau-, Landesplanungs- und Umweltrechts vom 27. 04. 1998 (GVOBl. M-V, S. 388) BMELV Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz BMI Bundesministerium des Inneren BMJ Bundesministerium der Justiz BMU Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit BMWi Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie BRAK Bundesrechtsanwaltskammer Brem, brem Bremen, bremisch BRNG M-V Gesetz zur Neuregelung des Beamtenrechts in Mecklenburg-Vorpommern v. 17. 12. 2009 (GVOBl. M-V, S. 687) BRS Baurechtssammlung BTDrs Bundestagsdrucksache Bürokratieabbaugesetz OWL Gesetz über den Bürokratieabbau in der Region Ostwestfalen-Lippe vom 16. 03. 2004 (GVBl. NW, S. 134)
Abkürzungsverzeichnis BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BW, bw BWaldG CE ChemG DB VwV Bund DDR DeponieV 1. DeregG 2. DeregG 3. DeregG 4. DeregG DHV DIHK DJT DLR-UVO M-V
DÖV DP DRiG DSchG M-V DSG DV DVP EA EAG Bau EAPG M-V
EG-DLRG M-V
35
Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Baden-Württemberg, baden-württembergisch Bundeswaldgesetz Spanische Verfassung Chemikaliengesetz Datenbank der Verwaltungsvorschriften des Bundes Deutsche Demokratische Republik Deponieverordnung Erstes Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau v. 25. 10. 2005 (GVOBl. M-V, S. 535) Zweites Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau v. 13. 02. 2006 (GVOBl. M-V, S. 90) Drittes Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau v. 01. 08. 2006 (GVOBl. M-V, S. 634) Viertes Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau v. 28. 10. 2010 (GVOBl. M-V, S. 615) Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Deutscher Industrie- und Handelskammertag Deutscher Juristentag Verordnung über Verwaltungsverfahren auf bundesgesetzlicher Grundlage zur Umsetzung der Richtlinie 2006/123/ EG im Land Mecklenburg-Vorpommern v. 23. 11. 2010 (GVOBl. M-V, S. 676) Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Die Polizei (Zeitschrift) Deutsches Richtergesetz Denkmalschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern Datenschutzgesetz Die Verwaltung (Zeitschrift) Deutsche Verwaltungspraxis (Zeitschrift) Einheitlicher Ansprechpartner Gesetz zur Anpassung des BauGB an EU-Richtlinien vom 24. 06. 2004 (BGBl. I, S. 1359) Einheitlicher-Ansprechpartner-Errichtungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern v. 17.12.2009 (GVOBl. M-V, S.729) Gesetz zur verwaltungsrechtlichen Umsetzung der EGDienstleistungsrichtlinie und zur Umsetzung von Bundes-
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EGGVG EGMR eGO M-V EGVwR
EMRK EnLAG EnWG EuG EuGH EUV EV f. FeV ff. FGG Fn. FRG M-V FStrG FTG M-V GastG GBl. GemHVO-Doppik GemKVO-Doppik GenBeschlG GenTG GeoVermG M-V GewArch GewO GewRZustVO GFA GG
Abkürzungsverzeichnis gesetzen in das Landesrecht von Mecklenburg-Vorpommern vom 02. 12. 2009 (GVOBl. M-V, S. 666) Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Zweckverband „Elektronische Verwaltung in Mecklenburg-Vorpommern“ Gesetz zur Einführung des Ordnungs-, Zustellungsund Vollstreckungsrechts v. 25. 04. 1991 (GVOBl. M-V, S. 121) Europäische Menschenrechtskonvention Energieleitungsausbaugesetz vom 21. 08. 2009 (BGBl. I, S. 2870) Energiewirtschaftsgesetz Europäisches Gericht Europäischer Gerichtshof Vertrag über die Europäische Union Einigungsvertrag folgende Fahrerlaubnisverordnung fortfolgende Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Fußnote Gesetz über die Funktionalreform in Mecklenburg-Vorpommern v. 05. 05. 1994 (GVOBl. M-V, S. 566) Bundesfernstraßengesetz Feiertagsgesetz Mecklenburg-Vorpommern Gaststättengesetz Gesetzblatt Gemeindehaushaltsverordnung-Doppik vom 25. 02. 2008 (GVOBl. M-V, S. Gemeindekassenverordnung-Doppik vom 25. 02. 2008 (GVOBl. M-V, S. Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren vom 12. 09. 1996 (BGBl. I, S. 1354) Gentechnikgesetz Geoinformations- und Vermessungswesengesetz Mecklenburg-Vorpommern v. 16. 12. 2010 (GVOBl. M-V, S. 713) Gewerbearchiv Gewerbeordnung Gewerberechtszuständigkeitsverordnung Gesetzesfolgenabschätzung Grundgesetz
Abkürzungsverzeichnis GGO GMBl. GO NPS GRC GStrG GVG GVOBl. M-V HandwO HdbStR h. M. Hess, hess Hmb,hmb Hrsg. HsOG HwK i. d. F. i. d. R. i. E. IFG M-V IHK IMK InfSchG IPBeschlG IPBPR JA JAG M-V JKomG Jura JuS JZ KGSt KJ KOM KommJuR KommStEG M-V KrW- / AbfG
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Gemeinsame Geschäftsordnung Gemeinsames Ministerialblatt Geschäftsordnung der Normprüfstelle Europäische Grundrechtecharta Gerichtsstrukturgesetz (M-V) Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern Handwerksordnung Handbuch des Staatsrechts herrschende Meinung Hessen, hessisch Hamburg, hamburgisch Herausgeber Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung Handwerkskammer in der Fassung in der Regel im Ergebnis Informationsfreiheitsgesetz Mecklenburg-Vorpommern Industrie- und Handelskammer Innenministerkonferenz Infektionsschutzgesetz Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben vom 09. 12. 2006 (BGBl. I, S. 2833) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Juristische Arbeitsblätter Juristenausbildungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz v. 22. 03. 2005 (BGBl. I, S. 837) Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement Kritische Justiz Kommission Kommunaljurist (Zeitschrift) Kommunales Standarderprobungsgesetz MecklenburgVorpommern v. 28. 10. 2010 (GVOBl. M-V, S. 615) Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz
38 KV-DDR
KV-DVO KV M-V LAGuS LAIV LALLF M-V LARIS LAUN LBauO LEG
LFAErG M-V LFischG M-V LHG LHO LKA LKV LKWG M-V
LNOG
LöffG LöffGZustVO M-V
LöffKostVO M-V LNatG M-V LOG M-V
Abkürzungsverzeichnis Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR vom 17. 05. 1990 (GBl. DDR I, S. 255) Durchführungsverordnung zur Kommunalverfassung vom 04. 03. 2008 (GVOBl. M-V, S. 85) Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern v. 18. 02. 1994 (GVOBl. M-V, S. 249) Landesamt für Gesundheit und Soziales Landesamt für Innere Verwaltung Landesamt für Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit und Fischerei Landesrechtsinformationssystem Landesmat für Umwelt und Natur Landesbauordnung Verfassungsgesetz zur Bildung von Ländern in der Deutschen Demokratischen Republik vom 22. 07. 1990 – Ländereinführungsgesetz (GBl. I DDR, S. 955) Gesetz zur Errichtung der Landesforstanstalt Mecklenburg-Vorpommern v. 11. 07. 2005 (GVOBl. M-V, S. 326) Fischereigesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 13. 04. 2005 (GVOBl. M-V, S. 153). Landeshochschulgesetz Landeshaushaltsordnung Landeskriminalamt Landes- und Kommunalverwaltung Gesetz über die Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern – Landes- und Kommunalwahlgesetz vom 16. 12. 2010 (GVOBl. M-V, S. 690) Landkreisneuordnungsgesetz v. 01.07.1993 (GVOBl. M-V, S. 631) Landkreisneuordnungsgesetz v. 12.07.2010 (GVOBl. M-V, S. 366) Ladenöffnungsgesetz (M-V) Verordnung über die Regelung von Zuständigkeiten nach dem Ladenöffnungsgesetz vom 21. 02. 2008 (GVOBl. M-V, S. 82) Kostenverordnung für Amtshandlungen auf dem Gebiet der Ladenöffnung vom 28. 08. 2008 (GVOBl, S. 84) Landesnaturschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern Organisationsgesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern – Landesorganisationsgesetz vom 14. 03. 2005 (GVOBl. M-V, S. 98)
Abkürzungsverzeichnis LPBK LPlG M-V LRH LSA LSeilbG M-V
LTDrs LuftVG LUGB M-V LUNG LUVPG LVerf LVerfG LVO LVwG LWaG M-V LWaldG M-V MaBV MBO MEG I; II; III MEPolG MFG M-V ModKG
M-V m.w. N. NatSchAG M-V
Nds, nds NdsVBl NichtRSchutzG M-V NiSG
NJ NJW
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Landesamt für zentrale Aufgaben und Technik der Polizei, Brand- und Katastrophenschutz Landesplanungsgsetz Mecklenburg-Vorpommern Landesrechnungshof Land Sachsen-Anhalt Gesetz über Seilbahnen im Land Mecklenburg-Vorpommern – Landesseilbahngesetz vom 20. 07. 2004 (GVOBl. M-V, S. 318) Landtagsdrucksache Luftverkehrsgesetz Landesumweltgesetzbuch Mecklenburg-Vorpommern Landesamt für Umwelt Naturschutz und Geologie Landesgesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung Landesverfassung Landesverfassungsgericht Landesverordnung S-H Landesverwaltungsgesetz Schleswig-Holstein Landeswassergesetz Mecklenburg-Vorpommern Landeswaldgesetz Mecklenburg-Vorpommern Makler- und Bauträgerverordnung Musterbauordnung Erstes, Zweites und Drittes Mittelstandsentlastungsgesetz Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder Mittelstandsförderungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern v. 14. 12. 1993 (GVOBl. M-V 1994, S. 3) (Nds) Gesetz zur Erprobung erweiterter Handlungsspielräume in Modellkommunen v. 08. 12. 2005 (Nds GVBl., S. 386) Mecklenburg-Vorpommern mit weiteren Nachweisen Gesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern zur Ausführung des Bundesnaturschutzgesetzes v. 23. 02. 2010 (GVOBl. M-V, S. 66) Niedersachsen, niedersächsisch Niedersächsische Verwaltungsblätter Nichtraucherschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern Gesetz zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung bei der Anwendung am Menschen v. 29. 07. 2009 (BGBL. I, S. 2433) Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift
40 NKR NKRG NordÖR NPM NSM NVwZ NVwZ-RR NWVBl OBG ÖGDG M-V ÖÖP OLG OVG OWiG PAG-DDR PBefG pGFA POG M-V PolG PPP PrALR Pr, pr PrüfeVO
RBFG M-V
rGFA RhPf RkReÜAÜG M-V
RmBereinVPG RmBeschrG
Abkürzungsverzeichnis Nationaler Normenkontrollrat Gesetz zur Einsetzung eines Nationalen Kontrollrats v. 14. 08. 2006 (BGBl. I, S. 1866) Zeitschrift für Öffentliches Recht in Norddeutschland New Public Management Neues Steuerungsmodell Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht RechtsprechungsReport Nordrhein-Westfälische Veraltungsblätter Ordnungsbehördengesetz Gesetz über den Öffentlichen Gesundheitsdienst in Mecklenburg-Vorpommern Öffentlich-Öffentliche-Partnerschaft Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Gesetz über Aufgaben und Befugnisse der Polizei vom 13. 09. 1990 (GBl. DDR I, S. 1489) Personenbeförderungsgesetz prospektive Gesetzesfolgenabschätzung Polizeiorganisationsgesetz Mecklenburg-Vorpommern Polizeigesetz Public Private Partnership Preußisches Allgemeines Landrecht Preußen, preußisch Verordnung über die Einschränkung von Prüfungen im Baugenehmigungsverfahren v. 28. 01. 1992 (GVOBl. M-V, S. 52) Rechtsbereinigungs- und Rechtsfortgeltungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern vom 23. 04. 2001 (GVOBl. M-V, S. 93) retrospektive Gesetzesfolgenabschätzung Rheinland-Pfalz, rheinland-pfälzisch Gesetz zur Übertragung der Aufgaben für die Überwachung der Rinderkennzeichnung und Rindfleischetikettierung – Rinderkennzeichungs- und Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz v. 19. Januar 2000 (GVOBl. M-V, S. 22 Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts v. 20. 12. 2001 (BGBl. I, S. 3987) Gesetz zur Beschränkung von Rechtsmitteln in der Verwaltungsgerichtsbarkeit v. 22. 04. 1993 (BGBl. I, S. 487)
Abkürzungsverzeichnis Rn. Saarl, saarl Sachs, sächs. SächsVBl. Schl.-H. SGB 7. SGGÄndG SignG SignVO Slg. SOG 1. SOGÄndG 2. SOGÄndG 4. SOGÄndG SprengG SRU StÄLU StÄUN StAG StHG-DDR StÖffG M-V StÖffVO M-V StrWG StVO TEHG TestRegG Thür, thür ThürVBl TierSchG ÜVO-FlBau M-V
UGB UIG M-V UPR
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Randnummer Saarland, saarländisch Sachsen, sächsisch Sächsische Verwaltungsblätter Schleswig-Holstein Sozialgesetzbuch Siebentes Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes v. 09. 12. 2004 (BGBl. I, S. 3302) Signaturgesetz v. 16. 05. 2001 (BGBl. I, S. 876) Signaturverordnung vom 01. 11. 2001 (BGBl. I, S. 3074) Sammlung Sicherheits- und Ordnungsgesetz Erstes Gesetz zur Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes v. 09. 02. 1998 (GVOBl. M-V, S. 126) Zweites Gesetz zur Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes v. 24. 10. 2001 (GVOBl. M-V, S. 386) Viertes Gesetz zur Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes v. 10. 07. 2006 (GVOBl. M-V, S. 551) Sprengstoffgesetz Sachverständigenrat für Umweltfragen Staatliche Ämter für Landwirtschaft und Umwelt Staatliche Ämter für Umwelt und Natur Staatsangehörigkeitsgesetz Staatshaftungsgesetz der DDR vom 12. 05. 1969 Standardöffnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern v. 17. 09. 2000 (GVOBl. M-V, S. 492) Standardöffnungsverordnung vom 26. 06. 2001 (GVOBl. M-V, S. 283) Straßen- und Wegegesetz Straßenverkehrsordnung Treibhausemissionshandelsgesetz Gesetz über die Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg v. 25. 10. 2005 (GVOBl. M-V, S. 535) Thüringen, thüringisch Thüringer Verwaltungsblätter Tierschutzgesetz Verordnung zur Übertragung von bauaufsichtlichen Aufgaben für Fliegende Bauten v. 22. 04. 2005 (GVOBl. M-V, S. 212) Umweltgesetzbuch Umweltinformationsgesetz Mecklenburg-Vorpommern Umwelt- und Planungsrecht
42 URG Urt. UVPG UZwG v. VerfGH VermKatG M-V VersG VersG-ZustVO VerstV VerwArch VG VGH VkPBG VO VR VVDStRL VVE VvL VwGO 4. VwGOÄndG 6. VwGOÄndG VwModG M-V
2. VwVfÄndG 3. VwVfÄndG 4. VwVfÄndG VwVfG VwVG VwVkVO
Abkürzungsverzeichnis Umweltrechtsbehelfsgesetz v. 07. 12. 2006 (BGBl. I, S. 2616) Urteil Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwangs vom Verfassungsgerichtshof Vermessungs- und Katastergesetz Mecklenburg-Vorpommern Versammlungsgesetz Verordnung über die zuständigen Behörden im Versammlungsrecht Versteigererverordnung Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz vom 16. 12. 1991 (BGBl. I, S. 2174). Verordnung Verwaltungsrundschau Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Entwurf eines Verfassungsvertrages für die Europäische Union Vertrag von Lissabon Verwaltungsgerichtsordnung Viertes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung v. 17. 12. 1990 (BGBl. I, S. 2809) Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung v. 01. 11. 1996 (BGBl. I, S. 1626) Gesetz zur Modernisierung der Verwaltung des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 23. 05. 2006 (GVOBl. M-V, S. 194) Zweites Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 06. 08. 1998 (BGBl. I, S. 2022) Drittes Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 21. 08. 2002 (BGBl. I, S. 3322) Viertes Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften v. 11. 12. 2008 (BGBl. I, S. 2418) Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsvollstreckungsgesetz (Bund) Verwaltungsvollzugskostenverordnung
Abkürzungsverzeichnis VwZG VZÄ WaffG WaStrG WBG M-V WHG WoBauErlG WPO WRV ZEuS ZG ZParl ZPO ZRP ZUR
Verwaltungszustellungsgesetz (Bund) Vollzeitäquivalente Waffengesetz Bundeswasserstraßengesetz Weiterbildungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern Wasserhaushaltsgesetz Wohnungsbauerleichterungsgesetz v. 17. 05. 1990 (BGBl. I, S. 926) Wirtschaftsprüferordnung Weimarer Reichsverfassung Zeitschrift für Europäische Studien Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Parlamentsfragen Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Umweltrecht
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Erstes Kapitel
Einleitung § 1 Verwaltungsmodernisierung in der Bundesrepublik Deutschland A. Verwaltungsmodernisierung in der Bundesrepublik Deutschland: Europäischer Kontext und nationale Spezifika Festzustellen, dass Politik und Verwaltung der Bundesrepublik Deutschland reformbedürftig sind, heißt Eulen nach Athen zu tragen. Angesichts der häufig als festgefahren wahrgenommenen „bürokratischen“ Strukturen eines historisch gewachsenen, stark ausdifferenzierten und horizontal sowie vertikal stark fragmentierten politischen Systems sind in den letzten Jahren manche der überkommenen Institutionen des demokratischen Bundesstaats auf den Prüfstand gestellt worden. Der allenthalben zu vernehmende Ruf nach einer „nachhaltigen“ Politikund Verwaltungsmodernisierung ist aber kein deutsches Phänomen. Die Diskussion um die Zukunftsfähigkeit der Verwaltung wird vielmehr in allen entwickelten Industriestaaten geführt 1, wobei spätestens die Anfang der 1980er Jahre vom angelsächsischen Rechtskreis ausgehende „New-Public-Management-Debatte“ 2 einen Meilenstein hin zur Internationalisierung des Reformdiskurses markierte. Seit mindestens zwei Jahrzehnten sind die Debatten um Verwaltungsreformen in Deutschland und den meisten anderen europäischen Ländern zudem stark von völker- und europarechtlichen Vorgaben geprägt. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) mit ihren Garantien eines fairen Verfahrens und eines wirksamen Rechtsbehelfs, das in der Europäischen Grundrechtecharta (GRC) gewährleistete Recht auf „gute Verwaltung“ und die Europäische Dienstleistungsrichtlinie (DLRL) sind nur einige Beispiele transnationaler Herausforderungen für die Verwaltungsmodernisierung 3.
1
Einen instruktiven Überblick zum Stand der Verwaltungsmodernisierung in 26 europäischen Ländern gibt Hill, Verwaltungsmodernisierung in den Staaten Europas – Länderberichte I und II, 2006. 2 Dazu ausführlich § 5 C III.
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1. Kap.: Einleitung
Trotz solcher Internationalisierungstendenzen zeichnet sich das System der Bundesrepublik Deutschland durch typische politische, rechtliche und verwaltungskulturelle Rahmenbedingungen aus, die für spezifische nationale Reformbedingungen verantwortlich sind. Der in dieser Arbeit zu untersuchende nationale und regionale Verwaltungsmodernisierungsprozess ist im Vergleich mit anderen europäischen Staaten durch eine Reihe von Besonderheiten gekennzeichnet. Zwar sorgt der vornehmlich von der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament ausgehende Reformdruck in allen 27 Staaten der Europäischen Union für eine verstärkte Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen in Bezug auf die tatsächliche Realisierung der durch EUV und AEUV gewährleisteten Grundfreiheiten. Die politische Grundentscheidung für einen Kooperationsföderalismus 4 sowie der in der Bundesrepublik Deutschland stark ausgeprägte Gedanke der kommunalen Selbstverwaltung 5 setzen jedoch spezifische nationale Rahmenbedingungen für den deutschen Verwaltungsmodernisierungsprozess. Eingebettet in ein stark regelorientiertes Rechtssystem haben diese Besonderheiten zu einem fein ausbalancierten „Mehrebenensystem“ 6 mit einem selbst für den Fachmann nur noch schwer überschaubaren Maß an „Politikverflechtung“ 7 geführt. Dem „Normalbürger“ sind die vielfältigen Erscheinungsformen eines überkomplexen politischen Systems noch weniger vermittelbar, was zu erheblichen Legitimations- und Partizipationsdefiziten des demokratischen Systems führt. Die häufig nur suboptimalen Politikergebnisse werden zudem als Innovationsstau wahrgenommen, was eine grundsätzliche Krise des politi3 Zu den Garantien der Art. 6 und 13 EMRK vgl. § 6 A. Zur GRC § 6 B und zur DLRL § 19 C. 4 Mit der „Föderalismusreform I“ wurden 2006 allerdings erste Schritte hin zu einem mehr wettbewerblich inspirierten Föderalismuskonzept unternommen. Ein solches hat nunmehr auch in dem am 01. 08. 2009 in Kraft getretenen Art. 91d GG seinen Niederschlag gefunden, mit dem eine verfassungsrechtliche Grundlage für das Zusammenwirken von Bund und Ländern bei Leistungsvergleichen in der öffentlichen Verwaltung geschaffen wurde. Näher § 20. 5 Beleg für diese These ist etwa der vor dem LVerfG M-V im Juli 2007 gescheiterte erste Anlauf zu einer Kreisgebietsreform in Mecklenburg-Vorpommern. Dazu ausführlich § 17. 6 Näher Holzinger, in: Nohlen / Glotz, Stichwort: „Mehrebenensystem“. Dieser Begriff bezeichnet politische Systeme, die mehrere hierarchisch angeordnete Ebenen autonomer territorialer Jurisdiktion umfassen. Überwiegend wird die Problematik des Regierens in Mehrebenensystemen im Zusammenhang mit der EU erforscht. Eingehend Benz, Politik in Mehrebenensystemen, 2009. 7 Schultze, in: Nohlen / Grotz, Stichwort: „Politikverflechtung“. Dieser auf Fritz W. Scharpf zurückgehende Begriff bezeichnet ein System, in dem alle wesentlichen poltischen Entscheidungen nur im Verbund der verschiedenen Systemebenen, mittels Verhandlungslösungen unter den beteiligten Akteuren getroffen, und in dem die meisten öffentlichen Aufgaben nicht autonom und getrennt von Zentral- und Gliedstaaten ausgeführt, sondern nur in der Zusammenarbeit der Gebietskörperschaften wahrgenommen werden können.
§ 1 Verwaltungsmodernisierung in Deutschland
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schen Systems ausgelöst hat, die sich nicht zuletzt in kontinuierlich sinkenden Wahlbeteiligungen auf allen politischen Ebenen manifestiert 8. Zwar übertraf die durchschnittliche Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen von 1949 bis 2005 mit 84,6 % diejenige bei nationalen Parlamentswahlen in westlichen Demokratien um rund 4 %. Die Tendenz ist aber stark sinkend und erreichte mit nur noch 70,8 % bei der Bundestagswahl 2009 (nach 77,7 % im Jahre 2005) ihren historischen Tiefpunkt. Alarmierend ist auch die Entwicklung der Wahlbeteiligung bei den Landtags- und Kommunalwahlen. So nahmen in MecklenburgVorpommern an den – allerdings zeitgleich mit den Bundestagswahlen durchgeführten – Landtagswahlen am 27. 09. 1998 noch 79,4 % und am 22. 09. 2002 70,6 % der Wahlberechtigten teil, während am 17. 09. 2006 lediglich 59,1 % ihre Stimme abgaben. An den Kommunalwahlen am 06. 05. 1990 beteiligten sich noch 72,4 % der Wahlberechtigten. Am 13. 06. 1999 waren es nur noch 50,5 % und am 13. 06. 2004 lediglich 44,9%. Die Wahlbeteiligung an der am 07. 06. 2009 gleichzeitig durchgeführten Europa- und Kommunalwahl betrug 46,6 %.
B. Zwei Jahrzehnte Reformdebatte: Ein unendlicher Diskurs mit bescheidenen Erfolgen? I. Historische Kontinuitäten – Das Dilemma der Verwaltung Vor dem Hintergrund der skizzierten politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen steht die öffentliche Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland vor besonderen Herausforderungen. Ein zunehmender Wandel des Verwaltungsverständnisses und ein jedenfalls bis Anfang der 1990er Jahre ungebremster Aufgabenzuwachs erfordern von der Exekutive permanente Anpassungsleistungen, denen sie mitunter nur mit erheblichen zeitlichen Verzögerungen nachkommen kann. Die seit mehr als 200 Jahren geübte Verwaltungskritik setzt daher an einer vermeintlichen oder tatsächlichen Leistungsschwäche der vollziehenden Gewalt an. Das „Dilemma der Verwaltung“ – so der Titel einer von Tomas Ellwein 1994 veröffentlichten und noch heute lesenswerten Untersuchung – besteht darin, dass die vollziehende Gewalt durch ihre komplexen Aufgabenstellungen und ihr „schleichendes Wachstum“ eine Vielzahl von Angriffspunkten bietet. Koordinationsmängel, lange Bearbeitungs- und Wartezeiten, eine traditionell defizitäre Informationspolitik 9 sowie eine oft unüberschaubare Arbeitsweise führen dazu, dass „die Verwaltung“ vom Bürger als mächtiger, ständig wachsender Teil 8
Näheres unter Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern, Jahrbuch 2009, S. 130. Erst in den letzten Jahren ist diesbezüglich ein gewisser Umdenkungsprozess in Gang gekommen. Näher zu den Informationsfreiheitsgesetzen in Mecklenburg-Vorpommern § 16 D II. 9
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1. Kap.: Einleitung
der Staatsgewalt wahrgenommen wird, der umständlich, formelhaft, anonym und überheblich ist. Zudem wirft man ihr vor, viel zu hohe Kosten zu verursachen, für die der Steuerzahler aufkommen muss. Angesichts dieser Vielzahl altbekannter Kritikpunkte an Verwaltung und „Bürokratie“ 10 verwundert es nicht, dass die Debatte um Verwaltungsreformen in Deutschland mehr als nur eine „Modeerscheinung“ ist. Beginnend mit der 1806 entstandenen „Darstellung der fehlerhaften Organisation des Kabinetts und der Notwendigkeit der Bildung einer MinisterialKonferenz“ sowie der Nassauer Denkschrift des Karl Reichsfreiherr von und zum Stein vom Juni 1807 11 beschäftigt das Ringen um Verwaltungsmodernisierung die deutsche Staats- und Verwaltungspraxis bereits seit mehr als zwei Jahrhunderten. II. Besonderheiten und Schlüsselbegriffe der gegenwärtigen Reformdebatte Trotz dieser historischen Kontinuitäten hat die gegenwärtige „Reformwelle“ eine besondere Qualität. Bereits seit Anfang der 1990er Jahre wird, ausgelöst durch das Zusammentreffen von deutscher Vereinigung und den wachsenden Herausforderungen der Globalisierung, ununterbrochen und auf allen gesellschaftlichen Ebenen über den „Königsweg“ zur Verwaltungsreform gestritten. Damit ist die derzeitige Reformdebatte im Vergleich zu ihren Vorläufern besonders lang anhaltend. Überdies wird die Diskussion nicht mehr nur in engen Fachzirkeln, sondern parallel in Politik, Verwaltung, Öffentlichkeit und Wissenschaft geführt. Der Reformdiskurs betrifft somit „den öffentlichen Sektor als Ganzes, den Staat ebenso wie die Verwaltungen von Bund, Ländern und Gemeinden“ 12. In dieser gesellschaftlichen Debatte haben Leitbilder und Schlüsselbegriffe eine besondere Verständigungsfunktion. „Aktivierender Staat“, „Beschleunigung“, „Bürokratieabbau“, „Deregulierung“, „Gewährleistungsstaat“, „Good Governance“ „Gute Verwaltung“, „Gute Gesetzgebung“, „Neues Steuerungsmodell“ 13, „New Public Management“ 14, „Private-Public-Partnership“ und „schlanker Staat“ sind Beispiele für wirkungsmächtige Schlüsselbegriffe und Leitbilder 15, die den verwaltungswissenschaftlichen Diskurs der letzten knapp 20 Jahre dominieren und auch über „Fachbruderschaften“ hinaus bekannt geworden sind. Diese Schlüsselbegriffe sind zugleich Beleg für eine tiefe Krise des traditionellen deutschen 10
Zu den verschiedenen Facetten des Bürokratiebegriffs § 4 B III 3. Näher Frotscher / Pieroth, Rn. 189 ff. 12 Voigt / Walkenhaus, Handwörterbuch zur Verwaltungsreform, XII. 13 Vgl. etwa Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip und Bösl, Wirtschaftlichere öffentlichere Verwaltung durch neuere Steuerungsmodelle. 14 Schedler / Pröller, New Public Management; Naschold / Bogumil, Modernisierung des Staates. 15 Zur Bedeutung von Schlüsselbegriffen und Leitbildern im Reformdiskurs näher § 4 A. 11
§ 1 Verwaltungsmodernisierung in Deutschland
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Verwaltungsrechts, die spätestens im Zuge der deutschen Einheit sichtbar wurde. Durch den Einigungsvertrag 1990 wurde das von Fachleuten bereits damals als „kompliziert“, „detailverliebt“ und „engmaschig“ 16 beschriebene westdeutsche Rechtssystem zunächst im Wesentlichen unverändert in die neuen Bundesländer transformiert. Angesichts der im Zuge der deutschen Einigung zu bewältigenden infrastrukturellen Aufgaben wurden allerdings schnell Forderungen nach einer konsequenten Beschleunigung und Vereinfachung von Verwaltungsverfahren vor allem in den neuen Bundesländern laut. Dabei standen zunächst die infrastrukturell bedeutsamen Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren im Mittelpunkt des Interesses, deren als überlang empfundene Dauer angesichts der Aufbausituation in den neuen Bundesländern, aber auch vor dem Hintergrund des sich verschärfenden internationalen Standortwettbewerbs verstärkt hinterfragt wurde. Vor allem die zeitliche Dimension komplexer Verwaltungsverfahren, aber auch von Verwaltungsprozessen 17 empfand man zunehmend als unerträglich 18. Durch diese vereinigungsbedingte Sondersituation gewann die in der Bundesrepublik Deutschland in den 1980er Jahren begonnene, im internationalen Vergleich aber zunächst eher „halbherzig“ geführte „Entbürokratisierungsdebatte“ neue Schubkraft. Auch die abnehmende Steuerungsfunktion des Rechts geriet zunehmend in den Blickpunkt. So wurden eklatante Mängel im Gesetzgebungsverfahren, die jahrzehntelange Vernachlässigung der Rechtstatsachen- und Rechtswirksamkeitsforschung sowie das bei vielen Gesetzen zu beobachtende Vollzugsdefizit offenbar 19. Die offenkundig gewordene Krise einer allzu traditionell verstandenen Verwaltungsrechtsdogmatik führte zu ersten Ansätzen einer „Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft“, die der traditionellen Rechtswissenschaft vorwarf, sich zu einseitig auf die juristische Methodik zu konzentrieren und gegenüber den Nachbardisziplinen abzuschotten. Unter einem steuerungs- und wirkungsorientierten Ansatz proklamiert die „Neue Verwaltungsrechtswissenschaft“ die Öffnung der Verwaltungsrechtswissenschaft zu verwandten Disziplinen und ihren Ausbau zu einer Entscheidungswissenschaft 20.
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Wulfhorst, ZRP 2004, S. 82. Dazu § 6 A II. 18 Näher Brohm, NVwZ 1991, S. 1025. 19 So bezeichnet Horst Sendler, in: Festschrift für Stern, S. 297 (308 ff.) das Gesetzgebungsverfahren als „qualvollen Prozess, der gerade sensible Gemüter nicht selten anwidern muss“ und beklagt die oftmals praktizierte „symbolische Gesetzgebung“ sowie die „mangelnde Rationalität des Rechts“. 20 Bedeutsam sind in diesem Zusammenhang vor allem die seit 1993 von Eberhard Schmidt-Aßmann, Wolfgang Hoffmann-Riem und Gunnar Folke Schuppert herausgegebenen Schriften zur Reform des Verwaltungsrechts. Zu den Konzepten der „Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft“ unten § 3. 17
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1. Kap.: Einleitung
III. Verwaltungsreform als Chefsache – Großer Aufwand und wenig Zählbares? Wie die nicht selten hektisch anmutende und an symbolische Politik erinnernde Aktivität von Bundes- und Landesgesetzgebern im Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht 21, aber auch die Installierung zahlreicher Expertenkommissionen auf Bundes- und Landesebene 22 verdeutlichen, ist Verwaltungsmodernisierung seit einigen Jahren zur „politischen Chefsache“ geworden. Projekte wie die auf Bundesebene im Frühjahr 2003 gestartete „Initiative Bürokratieabbau“ 23, die unter ihrem Dach eingerichteten entsprechenden Testregionen 24 sowie das Programm der Bundesregierung „Weniger Bürokratie – Bessere Rechtsetzung“ vom April 2006 belegen exemplarisch den herausragenden politischen Stellenwert des Themas. Es überrascht daher nicht, dass in den Koalitionsverträgen auf Bundesebene vom 26. 10. 2009 und in Mecklenburg-Vorpommern vom November 2006 den Themen „Deregulierung und Bürokratieabbau“ jeweils breiter Raum gewidmet wird und sich mittlerweile eine kaum mehr überschaubare Vielzahl von Expertenkommissionen, Stiftungen 25 und wissenschaftlichen Institutionen 26 mit dem Thema der Verwaltungsmodernisierung beschäftigt. Im auffälligen Gegensatz zum betriebenen theoretischen Aufwand steht der vielfach beklagte eher geringe praktische Ertrag der nunmehr fast zwei Dekaden andauernden Reformbemühungen. Verwaltungspraktiker bewerten die bisherige Deregulierungsbilanz als eher „bescheiden“. Erfolge beschränkten sich „im Wesentlichen auf Korrekturen am Rand“, während substanzielle Vereinfachungen des geltenden Rechts „an einer Hand“ 27 abzählbar seien. Regelmäßig wird auch auf die unüberschaubare Vielzahl von Gesetzen, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften auf Bundes- und Landesebene und deren schlechte handwerkliche Qualität hingewiesen 28. Die Notwendigkeit einer quantitativen und 21
Dazu eingehend § 9. Zu Einzelheiten § 5 B bis D und § 15 B. 23 Näher § 5 D III. 24 Zur „Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg“ § 16 C I 1. 25 Hier ist vor allem die Bertelsmann-Stiftung zu nennen, deren Forschungsprojekte zum Thema „Moderne Regulierung“ unter www.bertelsmann.de (Abrufdatum: 05. 02. 2011) einsehbar sind. 26 Mit der Verwaltungsmodernisierung beschäftigt sich etwa der Unterausschuss Allgemeine Verwaltungsorganisation des Arbeitskreises VI der IMK und die Wissenschaftliche Dokumentations- und Transferstelle für die Verwaltungsmodernisierung in den Ländern (WiDuT) am Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung (FÖV) in Speyer. Näher Brenski, Aktivitäten 2003/2004. 27 Wulfhorst, ZRP 2004, S. 82. Nach Dolde, NVwZ 2006, S. 857 (863) haben Gesetze zur Deregulierung sogar „in aller Regel zu einer Vermehrung des Normbestandes und zu einer weiteren Differenzierung der Rechtsordnung, nicht jedoch zu einer wirklichen Vereinfachung oder gar einer echten Deregulierung geführt“. 22
§ 2 Gegenstand und Gang der Untersuchung
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qualitativen normativen Deregulierung des Rechts ist nach alledem offensichtlich. In den letzten Jahren hat es denn auch weder auf Bundes- noch auf Landesebene an Initiativen zum Vorschriftenabbau und zur Rechtsbereinigung gefehlt 29. Auf Bundesebene ist im September 2006 ein Normenkontrollrat etabliert worden 30. Auch Instrumente wie die Gesetzesfolgenabschätzung 31, die generelle Befristung von Rechtsvorschriften 32 und die Einrichtung von Normprüfstellen 33 sind in den letzten Jahren als Instrumente für eine bessere Rechtsetzung entdeckt worden.
§ 2 Gegenstand und Gang der Untersuchung Eingebettet in den in den soeben skizzierten Hintergrund der internationalen und nationalen Verwaltungsmodernisierungsdebatte hat sich die nachfolgende Untersuchung zum Ziel gesetzt – begrenzt auf sogleich näher darzulegende Teilaspekte –, für das Land Mecklenburg-Vorpommern eine Art Zwischenbilanz nach acht Jahren institutionalisiertem Verwaltungsmodernisierungsprozess 34 zu ziehen.
A. Beschränkung der Untersuchung auf das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern I. Die Länderebene als geeignetes Untersuchungsobjekt von Verwaltungsreformen In der Politikwissenschaft war über viele Jahre eher ein Desinteresse am Landesparlamentarismus zu beobachten 35, was zu einem Mangel an systematischen Arbeiten über die bundesdeutschen Landtage führte. Dieser Befund ist umso 28
Dazu § 8 C. Zu den Aktivitäten auf Bundesebene und in Mecklenburg-Vorpommern § 8 C und § 18 C. 30 Näher § 8 D 2. 31 Zum Stand der Gesetzesfolgenabschätzung in der Bundesrepublik Deutschland § 8 B. 32 § 7 B II 8. 33 Zur Arbeit der Normprüfstelle in Mecklenburg-Vorpommern § 18 B. 34 Als Beginn des institutionalisierten Reformprozesses in Mecklenburg-Vorpommern wird die Festlegung von Eckpunkten zur Verwaltungsreform durch Kabinettsbeschluss vom 21. 01. 2003 angesehen. Dazu unten § 15 A. Die Arbeit ist auf dem Stand vom 31. 12. 2010. 35 Zu den Ursachen Reutter Föderalismus, Parlamentarismus und Demokratie, 2008, S. 20 ff., der auf die vergleichsweise geringe Bedeutung, welche landespolitischen The29
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1. Kap.: Einleitung
erstaunlicher, als die Länderebene das am besten geeignete Untersuchungsobjekt für Verwaltungsreformen ist. Es bietet sich zunächst schon deshalb an, den Schwerpunkt einer Untersuchung zur Verwaltungsmodernisierung auf die Landesebene zu legen, weil die Bundesländer im Bereich des Verwaltungsverfahrensrechts gem. Art. 83 ff. GG die wesentlichen Vollzugskompetenzen auch für Bundesgesetze besitzen und nach Art. 84 GG mit der Einrichtung der Behörden und der Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens ein Modernisierungspotenzial besitzen, welches jenes der in Deutschland relativ schwachen Bundesverwaltung deutlich übersteigt. Verwaltungsreformen müssen sich daher auf Landesebene bewähren oder werden dort scheitern. Zudem erlaubt eine länderspezifische Untersuchung die Einbeziehung der kommunalen Ebene, ohne deren Berücksichtigung das Thema Verwaltungsmodernisierung nicht sinnvoll bearbeitet werden kann. So hat der Reformverlauf in den letzten 15 Jahren – auch und besonders in Mecklenburg-Vorpommern – gezeigt, dass Reformbedürfnisse zunächst auf kommunaler Ebene sichtbar werden. Landkreise und Gemeinden in ihrer Doppelfunktion als Träger kommunaler Selbstverwaltung nach Art. 28 GG, 3 Abs. 2 und 72 LVerf M-V und mittelbarer Landesverwaltung nach § 2 Abs. 3 LOG M-V sowie die für Mecklenburg-Vorpommern typischen Ämter nach §§ 124 ff. KV M-V sind seit jeher prädestiniert dafür, im direkten Bürgerkontakt ineffiziente Verwaltungsstrukturen und „Schwachstellen“ der von ihnen umzusetzenden Bundes- und Landesgesetze zu entdecken. Dass ein bestehender „Reformdruck“ regelmäßig zunächst „vor Ort“ wahrgenommen und erst mit zeitlicher Verzögerung auf Landes- und Bundesebene transportiert wird, belegt exemplarisch die seit Mitte der 1990er Jahre geführte Diskussion um die Einführung „Neuer Steuerungsmodelle“ in den Kommunalverwaltungen 36. Mit der am 01. 09. 2006 in Kraft getretenen „Föderalismusreform I“ sind zudem auch die in der Verfassungswirklichkeit wegen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes als „trojanischem Pferd der Zentralisierung“ 37 eher schwachen Zuständigkeiten der Länder im Bereich der Gesetzgebung in wichtigen Referenzgebieten 38 des Besonderen Verwaltungsrechts erheblich erweitert worden. Vor allem im Gewerberecht hat die Novellierung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG den Ländern beachtliche Kompetenzzuwächse beschert. Angesichts des im Wirtschaftsverwaltungsrecht herrschenden Liberalisierungsdrucks haben mittlerweile alle Bundesländer mit Ausnahme Bayerns eigene Ladenöffnungsgesetze 39 erlassen, die zum Teil bereits verfassungsrechtlich überprüft wurden. Auch im Gaststättenrecht liegen erste Landesgesetze vor 40. Überdies men zugeschrieben wird, die politikwissenschaftlichen Theorieentwicklungen und die schwierige Datenlage verweist. 36 Dazu § 5 C III und 10 B II. 37 Ellwein, Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, 1983, S. 71. 38 Zur Bedeutung von Referenzgebieten des Besonderen Verwaltungsrechts für die Ordnungs- und Disziplinierungsfunktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts § 3 B II 4.
§ 2 Gegenstand und Gang der Untersuchung
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steht das seit jeher zum „Hausgut der Länder“ gehörende Bauordnungsrecht seit Anfang der 1990er Jahre unter permanentem Deregulierungsdruck, der nicht ohne Folgen für „Architektur und Standsicherheit“ dieses für den Bürger besonders wichtigen Teilgebiets des Verwaltungsrechts geblieben ist. Im Umweltrecht schließlich, dem dritten in dieser Untersuchung näher zu beleuchtenden Referenzgebiet des Besonderen Verwaltungsrechts, verbleiben den Ländern auch nach der Föderalismusreform I weit reichende Gesetzgebungs- und Vollzugskompetenzen. Vor allem mit der durch Art. 72 Abs. 3 GG eröffneten Möglichkeit der Abweichungsgesetzgebung wird deutlich, dass die Bundesländer im Rahmen eines stärker als bisher wettbewerbsorientierten Föderalismuskonzepts 41 möglicherweise die Rolle von „Reformlaboratorien“ einnehmen und im „Kampf um die beste Lösung“ mit relativ geringem Aufwand und Risiko Reformstrategien testen können, die im Erfolgsfall für eine bundesweite Übernahme in Betracht kommen. II. Mecklenburg-Vorpommern als Referenzobjekt Die nachstehende Untersuchung konzentriert sich im Wesentlichen aus drei Gründen auf Mecklenburg-Vorpommern. Zunächst ist der Verfasser durch seine mehr als 15 Jahre währende berufliche Tätigkeit in Mecklenburg-Vorpommern eng mit den landestypischen Besonderheiten vertraut. Mindestens ebenso bedeutsam wie dieser eher pragmatische Gesichtspunkt ist, dass sich am Beispiel eines mit 20 Jahren noch „jungen“ Bundeslands die Besonderheiten eines doppelten Transformationsprozesses in exemplarischer Weise aufzeigen lassen. Liegen in den „Altbundesländern“ die Aufbauzeiten bereits lange zurück, musste sich die Verwaltung in Mecklenburg-Vorpommern erst in den 1990er Jahren den Herausforderungen eines in der deutschen Geschichte beispiellosen Institutionentransfers stellen. Dabei galt es nicht nur, die Institutionenwelt eines bis dahin „feindlichen“ Systems zu übernehmen und binnen kürzester Zeit leistungsfähige Verwaltungsstrukturen aufzubauen 42. Zeitgleich mit dieser – der politikwissenschaftlichen Forschung zufolge erstaunlich gut gelungenen – Herkulesaufgabe 43 musste man sich in den neuen Bundesländern auch noch in einer Beschleuni39 Näher § 20 B. Speziell das LöffG M-V und die Bäderverkaufsverordnungen bieten Anschauungsmaterial zum Verlauf der „Deregulierungsgesetzgebung“ in Mecklenburg-Vorpommern. 40 Näher § 20 B II. 41 Dieses hat nunmehr auch ausdrücklich Eingang in das Grundgesetz gefunden. Der am 01. 08. 2009 in Kraft getretene Art. 91d GG ermöglicht ausdrücklich, dass Bund und Länder zur Feststellung und Förderung der Leistungsfähigkeit ihrer Verwaltungen Vergleichsstudien durchführen und die Ergebnisse veröffentlichen können. Näher zu Hintergrund und „Sprengkraft“ des neuen Art. 91d GG Seckelmann, DVBl 2010, S. 1284. 42 Zur Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern § 10 ff. 43 Eingehend unten § 10 B II.
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1. Kap.: Einleitung
gungs- und Globalisierungsdebatte über den „Standort Deutschland“ behaupten, in deren Verlauf umfangreiches und kompliziertes Sonderrecht für die neuen Bundesländer geschaffen und grundlegende Strukturen des Verwaltungsverfahrensrechts in rasanter Geschwindigkeit auf den Prüfstand gestellt wurden. Diese besonderen Erfahrungen sind bis heute prägend und werden im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ausführlich dargestellt 44. Schließlich handelt es sich bei Mecklenburg-Vorpommern um ein relativ kleines und überdies strukturschwaches Bundesland. Im Jahre 2009 wies Mecklenburg-Vorpommern mit 13,5% die dritthöchste Arbeitslosigkeit (nach Berlin mit 14,1 % und Sachsen-Anhalt mit 13,6%) auf. Mit 72 Einwohnern / km² ist es am dünnsten besiedelt. Die Bruttolöhne und -gehälter der Arbeitnehmer waren mit 21.890 € / Jahr deutschlandweit ebenso die niedrigsten wie das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte je Einwohner mit 14.944 €. Mit 21.264 € wurde 2009 zudem das geringste Bruttoinlandsprodukt je Einwohner erzielt 45. Die Arbeitsplatzdichte lag um 10,3%, die Wirtschaftsleistung sogar um 27,7 % unter dem Bundesdurchschnitt. Wie die sich wieder verstärkende Debatte um eine Neugliederung des Bundesgebiets und um einen „Nordstaat“ 46 zeigt, ist das Bundesland mittelfristig sogar in seiner Existenz bedroht. Schon deshalb muss sich eine territoriale Einheit mit einem hohen strukturellen Haushaltsdefizit, einer besonderen Arbeitsmarktlage und einer – jedenfalls in einigen Landesteilen – dramatischen demographischen Entwicklung 47 – durch besonders intensive und innovative Verwaltungsmodernisierungsbemühungen auszeichnen, will man als die Fortexistenz als eigenständiges Bundesland rechtfertigen. Verwaltungsreform ist in Mecklenburg-Vorpommern daher spätestens seit dem „Kabinettsbeschluss über Eckpunkte der Verwaltungsreform“ vom 21. 01. 2003 48 zum „Überlebensthema“ geworden. 44
Näher § 9 und § 10 B I und II. Zahlen nach Statistisches Amt M-V (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 2010, S. 460 ff. 46 Vgl. näher unten § 21. 47 Vgl. Statistisches Amt M-V (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 2009, S. 394 und Statistisches Amt M-V (Hrsg.), Bevölkerungsentwicklung der Kreise und Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern 2009, S. 4. Von den zwölf Landkreisen und sechs kreisfreien Städten weist seit 1990 allein die Bevölkerungsentwicklung in Bad Doberan und Nordwestmecklenburg eine positive Bilanz auf. Besonders dramatisch ist der Bevölkerungsrückgang mit über 20 % in den Landkreisen Uecker-Randow (von 96.571 im Jahre 1990 auf 73.027 im Jahre 2009), Demmin (von 103.406 im Jahre 1990 auf 80.643 im Jahre 2009), Rügen (von 85.275 im Jahre 1990 auf 68.126 im Jahre 2009). Noch dramatischer fällt – auch wegen der besonderen Stadt-Umlandproblematik – die Bevölkerungsentwicklung in den kreisfreien Städten aus. So hatte Rostock 1990 noch 248.088, 2009 dagegen nur noch 201.442 Einwohner. Die Einwohnerzahl der Landeshauptstadt Schwerin sank in diesem Zeitraum von 127.447 auf 95.041. Rapide fiel in jenen 19 Jahren auch die Einwohnerzahl Neubrandenburgs (von 89.284 auf 65.137) sowie von Stralsund (von 72.780 auf 57.778), Greifswald (von 66.251 auf 54.362) und Wismar (von 55.509 auf 44.470). 48 Näher § 15 A. 45
§ 2 Gegenstand und Gang der Untersuchung
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Hinzu kommt, dass im Bereich der Personalentwicklung zahlreiche Herausforderungen zu bewältigen sind, die mit dem historisch bedingten hohen Personalbestand in der Landes- und Kommunalverwaltung zusammenhängen. Eine vom Finanzwissenschaftler Hellmut Seitz durchgeführte Analyse des Personalbesatzes auf Landes- und kommunaler Ebene zum 30. 06. 2003 49 ergab, dass auf Landesebene zu diesem Stichtag 2.553 „Vollzeitäquivalente“ (VZÄ) / 100.000 Einwohner beschäftigt waren. In Sachsen waren es zu diesem Zeitpunkt lediglich 2.381 und im Durchschnitt der finanzschwachen westdeutschen Flächenländer nur 2.066 VZÄ/100.000 Einwohner. Hochgerechnet auf die Bevölkerung errechnete sich daraus in der Landesverwaltung im Vergleich zu den finanzschwachen westdeutschen Flächenländern ein Überhang von ca. 8.500 Stellen und jährliche Personalmehrausgaben von ca. 320 Mio. € 50. Auf kommunaler Ebene waren am 30. 06. 2003 in Mecklenburg-Vorpommern 1.415 VZÄ/100.000 Einwohner beschäftigt, nach Sachsen-Anhalt (1.573) der höchste Wert in der Bundesrepublik Deutschland. Im Vergleich zum Durchschnitt der finanzschwachen westdeutschen Flächenländer (1150 Vollzeitäquivalente/100.000 Einwohner) ergab sich ein sog. „Mehrbesatz“ von 4.700 VZÄ, was jährlichen Mehrausgaben in einer Größenordnung von 165. Mio. € entsprach. Insgesamt beschäftigten Landesund Kommunalebene in Mecklenburg-Vorpommern im Vergleich zu den finanzschwachen Flächenländern Westdeutschlands 23% mehr Personal und hatten Personalmehrausgaben von nahezu 500 Mio. € jährlich. Nach dem Personalentwicklungskonzept von 2004 sollten auf Landesebene bis 2010 mehr als 10.000 Stellen abgebaut werden. Die Wahl Mecklenburg-Vorpommerns als Untersuchungsobjekt schließt die Einbeziehung von Reformaktivitäten auf Bundesebene und in anderen, vornehmlich nord- und ostdeutschen Bundesländern an geeigneter Stelle nicht aus. Verwaltungsmodernisierung auf Landesebene vollzieht sich nicht im „luftleeren Raum“ und die miteinander vernetzten Modernisierungsakteure in Bund und Land wären schlecht beraten, wenn sie die anderenorts gewonnenen Erfahrungen nicht nutzten und stattdessen versuchten, jeweils „das Rad neu zu erfinden“. Viele Reformprojekte in Mecklenburg-Vorpommern gehen deshalb auf Anstöße von außerhalb zurück. Zudem sind Verwaltungsmodernisierungsprojekte häufig Gegenstand experimenteller Gesetzgebung 51, so dass ein „Blick über den Tellerrand“ verhindern kann, einmal gemachte Fehler zu wiederholen.
49 50 51
Seitz, Benchmarking-Report Mecklenburg-Vorpommern, 2005. Seitz, Benchmarking-Report Mecklenburg-Vorpommern, 2005, S. 89 ff. Zur experimentellen Gesetzgebung eingehend § 7 A II.
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1. Kap.: Einleitung
B. Konzentration auf das Modernisierungsfeld Regelungsoptimierung Auch eine auf Mecklenburg-Vorpommern beschränkte Untersuchung kann sich nicht allen Verwaltungsreformaktivitäten gleichzeitig widmen. Um die Probleme in einer angemessenen Tiefe behandeln zu können und gleichzeitig den Umfang der Arbeit noch vertretbar zu halten, muss sich die Untersuchung auf bestimmte Modernisierungsfelder konzentrieren und kann andere nur in einem solchen Umfang beleuchten, der für das Verständnis der Gesamtdebatte unverzichtbar ist. I. Reformdiskurs in Modernisierungsfeldern Die gegenwärtige Verwaltungsreformdebatte wird in sogenannten Modernisierungsfeldern geführt. Ausgehend vom „Pentagramm der Verwaltungsmodernisierung“ 52, das Carl Böhret in den späten 1990er Jahren entwickelte, wird zwischen acht Modernisierungsfeldern 53 unterschieden, die zusammen 33 Unterpunkte aufweisen. Reformmaßnahmen bestimmten Modernisierungsfeldern zuzuordnen, erleichtert das Zurechtfinden in einer komplexen und umfangreichen Materie und kann zudem einen Beitrag dazu leisten, die bisher überwiegend ressortorientierte Darstellung der Reformaktivitäten zu Gunsten einer mehr inhaltsorientierten Ordnung der Reformlandschaft zu überwinden. Durch die so erreichte bessere Strukturierung des Forschungsgegenstands wird der wissenschaftliche Diskurs auch über Ländergrenzen hinweg erleichtert 54. Die „große Linie“ der Verwaltungsmodernisierung kann somit besser herausgearbeitet werden. Zu beachten sind allerdings auch die Grenzen solcher Klassifizierungen. Der spezifisch „prozesshafte“ Charakter der vor allem auch praktisch durch einzelne Ressorts geprägten Modernisierungsaktivitäten erschwert häufig eine trennscharfe Zuordnung einzelner Projekte und Maßnahmen der Länder zu bestimmten Modernisierungsfeldern. Hinzu kommt, dass die Modernisierungsbereiche 52 Dieses enthält in seiner „Urform“ unter dem eingängigen Kürzel „VORAN“ die fünf Modernisierungsfelder Verwaltungspolitik, Organisation, Regelungsoptimierung, Aufgabenumbau und Neue Steuerungselemente. Vgl. Böhret, Der Staat – Modernisierungsträger oder Modernisierungshindernis, in: Hill (Hrsg.), Modernisierung – Prozess oder Entwicklungsstrategie, 2001, S. 291 (300). 53 Vgl. das „Ordnungsmuster für die Reformlandschaft“ bei Brenski, Aktivitäten 2003/ 2004, S. 1 f. Dort wird das Pentagramm Böhrets um die Reformfelder Personalentwicklung, Planungs- und Prozessoptimierung erweitert. Zu alternativen Strukturierungen der Reformdebatte Schliesky, VerwArch 99 (2008), S. 313 (318) sowie Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 49 ff. 54 Vgl. zum Ganzen Brenski, Aktivitäten, 2003/2004, S. 7 ff.
§ 2 Gegenstand und Gang der Untersuchung
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einerseits zusammenhängen und andererseits dynamisch sind, bestimmte Maßnahmen also im zeitlichen Verlauf verschiedene Modernisierungsfelder durchlaufen 55. Verwaltungsmodernisierung kann deshalb nur erfolgreich sein, wenn alle Bereiche nicht getrennt, sondern gemeinsam betrachtet werden. Nur so können die gewünschten Synergieeffekte erreicht und Unverträglichkeiten, Reibungsverluste und Widersprüchlichkeiten zwischen den Modernisierungsfeldern aufgrund „unpassender“ Interdependenzen vermieden werden 56. II. Bestandteile des Modernisierungsfeldes Regelungsoptimierung: Rechtsetzungsoptimierung, Rechtsoptimierung und Verfahrensoptimierung Will diese Untersuchung mehr leisten, als eine bloße überblicksartige Kompilation von Reformaktivitäten in Mecklenburg-Vorpommern, so muss eine Auswahl aus den acht Modernisierungsfeldern Verwaltungspolitik, Aufgabenumbau, Organisationsentwicklung, Planungs- und Prozessoptimierung, Neue Steuerung, Personalentwicklung, Regelungsoptimierung und eGovernment getroffen werden. Dabei liegt es für eine Arbeit mit juristischem Schwerpunkt nahe, sich auf das Modernisierungsfeld Regelungsoptimierung zu konzentrieren, unter dessen Dach Aktivitäten zur Verbesserung der Rechtsetzung, zur Rechtsoptimierung und zur Reform von Verwaltungsverfahren durchgeführt werden. Die damit angesprochenen Teilgebiete der Rechtsetzungsoptimierung, Rechtsoptimierung und Verfahrensoptimierung 57 decken die wichtigsten juristisch relevanten Aspekte der Verwaltungsmodernisierung ab. III. Seitenblicke auf andere Modernisierungsfelder Die Konzentration auf die Regelungsoptimierung schließt eine überblicksartige Darstellung von Reformaktivitäten auf anderen Modernisierungsfeldern nicht aus. Will man einen fundierten Überblick über den Stand der nationalen Verwaltungsreformdiskussion gewinnen, müssen auch die grundlegenden verwaltungspolitischen Entscheidungen auf Bundes- und Landesebene dargestellt werden. Dabei soll vor allem die Regierungsprogrammatik der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern ausführlich vorgestellt und einer kritischen Würdigung unterzogen werden. Die organisatorische Umsetzung der Verwaltungsmodernisierung und hierbei vor allem die Politikunterstützung durch externe Beratung wird in dieser Arbeit ihrer Bedeutung entsprechend ebenfalls breiteren Raum einnehmen 58. Ausführlich soll auch die Entwicklung der Verwal55 56 57
Vgl. Brenski, Aktivitäten 2003/2004, S. 8. Näher Brenski, Aktivitäten 2003/2004, S. 9. Zu den einzelnen Inhalten dieser Modernisierungsfelder § 4 B II.
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1. Kap.: Einleitung
tungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern behandelt werden, weil der Verwaltungsmodernisierungsprozess ohne Grundkenntnisse über die Entwicklungen der Verwaltungsorganisation auf Landes-, Kreis- und örtlicher Ebene nicht verstanden werden kann 59. Das Modernisierungsfeld Aufgabenumbau wird in dieser Arbeit dagegen knapper behandelt, wenn auch nicht vollständig vernachlässigt. Hier werden zwar Fragen der Aufgabenkritik exemplarisch angesprochen 60 und Überlegungen zur Aufgabenzuordnung durch Kommunalisierung von Landesaufgaben und Aufgabenübertragung von der Kreis- auf die örtliche Ebene einer näheren Betrachtung unterzogen 61. Probleme der Privatisierung und von Private Public Partnership bleiben dagegen weitgehend ausgeklammert. Allenfalls kursorisch können im Rahmen dieser Arbeit auch Aspekte der „Binnenmodernisierung“ wie Organisationsentwicklung, Planungs- und Prozessoptimierung, Neue Steuerung, Personalentwicklung und eGovernment 62 behandelt werden. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt daher bei der Untersuchung der Außenmodernisierung von Gesetzgebung und Verwaltung. Dies lässt sich auch damit rechtfertigen, dass der Bürger mehr Interesse an den tatsächlich von der Verwaltung erzielten Ergebnissen, betriebswirtschaftlich gesprochen also am „Produkt Verwaltungsleistung“, hat, als an Prozessen der Binnenmodernisierung. Letztere ist überdies deutlich weniger rechtlichen Restriktionen unterworfen als die schon deshalb für eine Untersuchung mit juristischem Schwerpunkt ergiebigere Außenmodernisierung.
C. Gang der Untersuchung im Überblick Diese Arbeit gibt zunächst eine knappe Einführung in die Neue Verwaltungswissenschaft (§ 3) und klärt sodann die für die weitere Untersuchung maßgeblichen Begriffe (§ 4). Es folgt ein geraffter Überblick über die historische Entwicklung der Verwaltungsreformdiskussion in der Bundesrepublik Deutschland (§ 5). Das zweite Kapitel ist dann den Grundlagen des Völker und Europarechts (§ 6) sowie den Rahmenbedingungen des Verfassungsrechts (§ 7) gewidmet. Das dritte Kapitel gibt einen Überblick über die historische Entwicklung der Regelungsoptimierung auf Bundesebene, um die Verwaltungsmodernisierung in Mecklenburg-Vorpommern in den bundesweiten Reformprozess einordnen zu können. Zunächst werden die Entwicklungen im Bereich der Rechtsetzungs- und 58 Zur Rolle der Deregulierungskommission im Reformprozess in Mecklenburg-Vorpommern § 15 B. 59 Zur Entwicklung der Verwaltungsstrukturen auf kommunaler Ebene siehe § 10 B III 2, § 12 A-C und § 15 D. Zur Reform der oberen Landesbehörden § 16 B. 60 Zum Rückzug des Staates aus dem Bauordnungsrecht § 19 A. 61 Vgl. § 17. 62 Vgl. aber § 9 B.
§ 3 Neuausrichtungen in der Verwaltungsrechtswissenschaft
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Rechtsoptimierung dargestellt (§ 8) und sodann wird ein Überblick über die Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung gegeben (§ 9). Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit den Entwicklungen der Verwaltungsstrukturen und den Reformbestrebungen in Mecklenburg-Vorpommern. Vom Verfassungsgebungsprozess über den Aufbau funktionierender Verwaltungsstrukturen zu Beginn der 1990er Jahre (§ 10) spannt sich der Bogen der in „Reformetappen“ eingeteilten Entwicklung bis zur gegenwärtigen Diskussion um die Kreisstruktur- und Funktionalreform (§ 17). Das fünfte Kapitel beleuchtet schließlich den Stand und die Entwicklungsperspektiven der Regelungsoptimierung in Mecklenburg-Vorpommern. Hier stehen zunächst die Aktivitäten im Bereich der Rechtsetzungs- und Rechtsoptimierung im Fokus des Interesses (§ 18), bevor sich die Arbeit übergreifenden verfahrensrechtlichen Entwicklungen wie dem am Beispiel des Bauordnungsrechts dargelegten Rückzug des Staates aus dem Ordnungsrecht, der Beschleunigung von Verwaltungsverfahren durch Verfahrens- und Entscheidungsfristen sowie den Herausforderungen der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie (§ 19) und den aktuellen Entwicklungen in den Referenzgebieten Umwelt- und Wirtschaftsverwaltungsrecht widmet (§ 20). Ein Ausblick auf die Entwicklungsperspektiven der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern bildet den Abschluss dieser Untersuchung (§ 21).
§ 3 Methodische Neuausrichtungen in der Verwaltungsrechtswissenschaft A. Auf der Suche nach dem zukunftstauglichen Recht: Zum gegenwärtigen Methodenstreit in der Verwaltungsrechtswissenschaft Die aktuelle Debatte über die Notwendigkeit der Reform von Verwaltung und Verwaltungsrecht vollständig erfassen zu wollen, setzt zumindest einen kurzen Blick auf die derzeit wieder intensiv geführte Auseinandersetzung über die „richtige“ Methode in der Verwaltungsrechtswissenschaft voraus 63. Relevanz und Sprengkraft dieses verwaltungsrechtswissenschaftlichen Richtungsstreits werden unter anderem dadurch belegt, dass die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer das Thema „Das Verwaltungsrecht zwischen klassischem dogmatischen Verständnis und steuerungswissenschaftlichem Anspruch“ auf seiner Jahrestagung 2007 erörtert hat 64. 63
Einführend Voßkuhle in: Grundlagen I, § 1 und derselbe, Methode, S. 171 ff. Die Berichte von Appel und Eifert zu diesem Beratungsgegenstand sind in VVDStRL 67 (2007), S. 226 ff. und 286 ff. abgedruckt. Vgl. dazu auch den Begleit64
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1. Kap.: Einleitung
Zwar hat jeder Rechtswissenschaftler den Anspruch, in einem geordneten Verfahren nach bestimmten Regeln zu Erkenntnissen zu gelangen. Zudem hält man sich im deutschen Rechtskreis seit jeher viel auf eine methodisch angeleitete Systematisierung und dogmatische Durchdringung des Rechtsstoffes zugute 65. Dennoch stand die Auseinandersetzung um den richtigen Zugang zum Verwaltungsrecht nur selten im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Diskurses. Nach dem Prinzip „Methode hat man, über Methode spricht man nicht“ 66, wechselten sich kurze Phasen intensiveren Streits um die „richtige“ Methode rechtswissenschaftlicher Arbeit im Öffentlichen Recht mit längeren Zeiten ab, in denen diese Frage nur eine untergeordnete Rolle spielte. In weiten Teilen der Rechtswissenschaft stellte sich so ein „gewisses Methodendesinteresse, gepaart mit einer postmodernen Methodenbeliebigkeit“ 67 ein. In jüngerer Zeit belegen allerdings zahlreiche wissenschaftliche Monographien zur Methodenproblematik eine „Neue Lust an der Theorie“. Der von Christoph Möllers bereits 1999 ausgerufene „neue Methoden- und Richtungsstreit“ im Öffentlichen Recht 68 ist jedenfalls im Bereich der Verwaltungsrechtswissenschaft mittlerweile voll entbrannt. Seit Anfang der 1990er Jahre – und nicht zufällig in unmittelbarem Zusammenhang mit der im Zuge vom Wiedervereinigung und Globalisierung konstatierten Steuerungskrise des Rechts – mehrten sich angesichts der Herausforderungen einer beschleunigten und globalisierten Gesellschaft in dieser Teildisziplin Beiträge, die sich methodenkritisch mit „der Rolle der eigenen Zunft beschäftigen“ 69 und eine Neuorientierung der Verwaltungsrechtswissenschaft anmahnten. Die programmatische Forderung nach einer methodisch reformierten Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft 70 und die starke Rezeption dieses Gedankens im fachwissenschaftlichen Diskurs der letzten Jahre 71 sind vor allem anderen eine Folge der bereits in emaufsatz von Spiecker genannt Döhmann, DVBl 2007, 1074 ff sowie zum gegenwärtigen Diskussionsstand Kahl, DV 2009, S. 463; Meyer, VerwArch 101 (2010), S. 351. 65 Bereits aus dem Jahr 1952 stammt das berühmte Diktum von Hans Julius Wolff: „Rechtswissenschaft ist zumindest systematisch oder sie ist nicht“; siehe Ehlers, in: Erichsen / Ehlers, AVR, § 3 Rn. 100 mit Fn. 345. 66 Pawlowski, Einführung in die juristische Methodenlehre, Rn. 1. 67 Voßkuhle, Methode, S. 171 (175). 68 Möllers, VerwArch 90 (1999), S. 187 (206) bejaht die Notwendigkeit einer Grundlagendiskussion im Öffentlichen Recht. 69 Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 1. Umfassend auch Schröder, Verwaltungsrechtsdogmatik im Wandel, S. 169 ff. 70 Über den „Aufbruch zur Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft“ Bumke, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem, Methoden, S. 73 (103). 71 Zwar gibt es auch eine Vielzahl kritischer Stimmen – vgl. die Nachweise bei Kahl, DV 2009, S. 463 (in Fn. 2) und S. 464 (Fn. 10) sowie jüngst Meyer, VerwArch 101 (2010) S. 351 (356 ff.). Viele Verwaltungsrechtswissenschaftler stehen einer methodischen Neuausrichtung aber grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber.
§ 3 Neuausrichtungen in der Verwaltungsrechtswissenschaft
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pirischen Studien der 1970er und 1980er Jahren festgestellten 72 „Krise des Ordnungsrechts“. Diese Untersuchungen lenkten die Aufmerksamkeit erstmals auf Vollzugsdefizite bei der Umsetzung des durch Gebote, Verbote, Genehmigungsvorbehalte, Straf- und Ordnungswidrigkeitsvorschriften dominierten regulativen Rechts. Gravierende Vollzugsmängel wurden vor allem im Ordnungs- und Umweltrecht 73 und bei den von der traditionellen Dogmatik nur schwer zu erfassenden, gleichwohl aber verwaltungspraktisch bedeutsamen Handlungsformen des kooperierenden, informalen Rechtsstaats festgestellt 74. Viele der aufgeworfenen Fragestellungen waren mit einer „weiterhin am „binären Rechtmäßig- / Rechtswidrigkeitschema geschulte pathologieorientierte Betrachtungsweise“ 75 der traditionellen Verwaltungsrechtswissenschaft nur schwer zu bewältigen. Die in der Verwaltungsrechtswissenschaft aus diesem Grunde seit Anfang der 1990er Jahre zu beobachtenden neueren Ansätze lassen sich mit dem – den Anspruch auf einen Gegenentwurf zur bisherigen („alten“) Verwaltungsrechtswissenschaft erhebenden und für die Sachdiskussion wenig hilfreichen 76 – Schlüsselbegriff der „Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft“ 77 prägnant, wenn auch vereinfachend etikettieren. Diese „Reformschule des Verwaltungsrechts ..., die sich in kritischer Reflexion ihres Faches interdisziplinär öffnet“ 78, zeichnet sich allerdings weniger durch ein in sich geschlossenes methodisches Konzept als vielmehr durch eine Reihe unterschiedlicher, aber gleichwohl miteinander verbundener methodischer Elemente aus, die in ihrer Gesamtheit eine spezifische Arbeitsweise erkennen lassen, welche sich deutlich von herkömmlichen metho72 Dazu die klassische Arbeit von Mayntz et. al., Vollzugsprobleme der Umweltpolitik; neuerdings eingehend Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltverwaltungen unter Reformdruck, Sondergutachten 2007. Noch umfassender macht Huber, in: Festschrift für Stober, S. 547 ff. gar eine „Demontage des Öffentlichen Rechts“ aus. 73 Zu Umweltschutzdefiziten und Verwaltungskultur Czybulka, JZ 1996, S. 596 ff. 74 Die traditionelle Dogmatik tut sich schwer, den informellen und kooperativen Rechtsstaat zu akzeptieren. Plastisch Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, 2. Aufl. 1914, S. 262: Danach gibt es im öffentlichen Recht „zwischen Staat und Untertan keine Verträge, keinen echten und ernsthaft gemeinten wenigstens; das widerspräche der grundsätzlichen Ungleichheit der Rechtssubjekte; Vertrag gedeiht nur auf dem Boden der Gleichheit“. 75 Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 10. 76 Nach Ossenbühl, DV 2007, S. 125 klingt die Proklamation der Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft „fast nach Neuer Republik und wirkt fast einschüchternd“. Sie hat nach Kahl, DV 2009, S. 463 (464) „manchen Beobachter im In- und Ausland überrascht, möglicherweise irritiert“, zur Polarisierung der Diskussion beigetragen und dazu geführt, dass die deutsche Verwaltungsrechtswissenschaft derzeit „tief methodologisch gespalten“ ist. 77 Erste Verwendungen dieses Begriffes finden sich bei Bumke, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem, Methoden, S. 73 (103) und bei Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem, Methoden, S. 9 (13). 78 König, VerwArch 94 (2003), S. 267 (290).
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dischen Zugängen zum Verwaltungsrecht abhebt. Zentrale Elemente der „Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft“ sind zum einen die Auseinandersetzung mit der als zu eng verstandenen traditionellen juristischen Methode und zum anderen ein steuerungstheoretisch beeinflusster Blick auf das Verwaltungsrecht. Exponierte Vertreter einer „Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft“ sind zum Beispiel Eberhard Schmidt-Aßmann 79 , Wolfgang Hoffmann-Riem 80 , Gunnar Folke Schuppert 81 , Reiner Schmidt 82 , Andreas Voßkuhle 83 , Roman Loeser 84 , Martin Eifert 85 und Hans-Heinrich Trute 86.
B. Die „Neue Verwaltungsrechtswissenschaft“ I. Abgrenzung von der „traditionellen Verwaltungsrechtswissenschaft“ Gemeinsamer Ausgangspunkt der „Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft“ ist die Kritik an der in der Verwaltungsrechtswissenschaft lange Zeit unangefochten vorherrschenden „juristischen Methode“ 87. Die juristische Methode wurde in bewusster Abkehr von der stärker additiv-erzählenden und aufgabenbezogenen Stoffdarstellung in der Staatswissenschaft älterer Prägung entwickelt und war ein zentrales Element der sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts als eigene Teildisziplin der Rechtswissenschaft etablierenden Verwaltungsrechtswissenschaft 88. Grund79 Vgl. grundlegend Schmidt-Aßmann, DV 1994, S. 137 (151); derselbe, Ordnungsidee, I/33 bis 49. 80 Vgl. dessen mit Schmidt-Aßmann seit 1993 herausgegebenen Schriften zur Verwaltungsreform. 81 Schuppert, Verwaltungswissenschaft, unternimmt in diesem mehr als 1.000 Seiten umfassenden Werk den Versuch, Verwaltungswissenschaft als Integrationswissenschaft zu entwickeln. Zu der Rezeption des Buches Püttner, DVBl. 2001, S. 1338, der die Eignung für Studienzwecke bezweifelt. Für Benz, DV 2001, S. 575 ff. bleibt das Buch ein „genuin rechtswissenschaftliches Werk“. Zu Recht von „einer bemerkenswerten wissenschaftlichen Leistung“ spricht König, VerwArch 94 (2003), S. 267 (292). 82 Schmidt, VerwArch 91 (2000), S. 149 ff. 83 Programmatisch Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1. 84 Vgl. insbesondere Loeser, System des Verwaltungsrechts, Band I und II, 1994. 85 Eifert, VVDStRl 67 (2007), S. 286 ff. 86 Trute, Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, DV, Beiheft 2, 1999, S. 9 ff. 87 Die juristische Methode ist kein fest umrissener Forschungsansatz oder geschlossenes Wissenschaftskonzept. Nach Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 2 handelt es sich „eher eine wissenschaftliche Grundhaltung, die in ganz unterschiedlichen Schattierungen zu Tage tritt und ... selten offen gelegt wird“. Eingehend zur juristischen Methode auch Kahl, DV 2009, S. 463 (485 ff.). 88 Zu den Entwicklungsstufen der Verwaltungsrechtswissenschaft Stolleis, in: Grundlagen I, § 2.
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lagen einer juristischen Methode lassen sich bereits in der vor allem mit dem Namen Robert v. Mohl 89 verbundenen Gründungsphase des Verwaltungsrechts nachweisen. Spätestens mit der Veröffentlichung des „Deutschen Verwaltungsrechts“ von Otto Mayer im Jahre 1895 90 hatte sich diese Methode in der noch jungen Verwaltungsrechtswissenschaft durchgesetzt. Daher führt für denjenigen, der sich näher mit dem Verwaltungsrecht beschäftigen will, an ihr auch heute kein Weg vorbei. Als „Systemzentrum“ und „Sinnmitte“ 91 eines auf Herstellung richtiger Verwaltungsentscheidungen ausgerichteten Systems ist eine spezifisch auf rechtliche Konstruktionen und deren Analyse konzentrierte Herangehensweise an das Verwaltungsrecht traditionelle und nur selten kritisch reflektierte communis opinio. Als charakteristisch für die juristische Methode wird von ihren Kritikern eine vorwiegend an der abschließenden staatlichen Entscheidung orientierte und damit verengte rechtsaktsbezogene Perspektive empfunden, mit der eine justizzentrierte Herangehensweise an das Verwaltungsrecht einhergeht. Allerdings stellen auch die Vertreter der „Neuen Verwaltungswissenschaft“ den spezifischen Wert der zur eigenen Arbeit als „Kontrastfolie“ 92 empfundenen juristischen Methode nicht grundsätzlich in Frage 93. Diese vermittle durch die rechtsaktbezogene Systembildung und Dogmatik Orientierungssicherheit innerhalb und außerhalb des Verwaltungsrechts (Stabilisierungs- bzw. Vermittlungsfunktion), entlaste die Rechtsanwendung im Einzelfall (Entlastungsfunktion) und ermögliche ihre Kontrolle (Kontrollfunktion). Überdies verdeutliche die juristische Methode auch Wertungswidersprüche und Entwicklungsrückstände der bestehenden Rechtsord-
89 Robert v. Mohl (1799 bis 1875) verhalf mit seinem zweibändigen Staatsrecht für das Königreich Württemberg von 1831 dem Terminus Verwaltungsrecht zum Durchbruch und nahm das Wort „Rechtsstaat“ 1832 („Die Polizei-Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaats“) erstmals in Deutschland in einen Buchtitel auf. Näher zur systembildenden Funktion Robert v. Mohls Stolleis, in: Grundlagen, § 2 Rn. 33 ff. 90 Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Aufl. 1895/6; 2. Aufl. 1914; 3. Aufl. 1924. Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur juristischen Methode waren auch die 1865 von Carl Friedrich Gerber verfassten Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts, in denen Gerber die Schaffung einer eigenen Theorie für das Verwaltungsrecht forderte. Vgl. Stolleis, Geschichte, Band II, S. 331 ff. 91 Krebs, Die juristische Methode im Verwaltungsrecht, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem, Methoden, S. 209 (210, 213 ff.). 92 Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 2. Kritisch Meyer, VerwArch 101 (2010), S. 351 (362 f.). Mit dieser expliziten Abgrenzung würden Gräben gezogen, an der eine Versöhnung von „alter“ und „Neuer Verwaltungsrechtswissenschaft“ scheitern müsse. 93 Plastisch Eifert, VVDStRl 67 (2007), S. 286 (329), wonach „das Vermächtnis und die Arbeitsweise der Juristischen Methode unverzichtbar“ seien. Erforderlich sei es aber auch, sie „systematisch durch den steuerungswissenschaftlichen Ansatz zu erweitern, um das gesamte Verwaltungsrecht mit seinen Aufgaben und Herausforderungen erfassen und dogmatisch disziplinieren zu können“.
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nung und erleichtere so die widerspruchsfreie Integration neuer Rechtsentwicklungen (Kritik- und Rezeptionsfunktion) 94. Trotz ihrer unbestreitbaren Verdienste sieht sich die traditionelle juristische Methode einer Vielzahl von Einwänden ausgesetzt. Ihr wird vor allem vorgeworfen, sie vernachlässige die tatsächlichen Aufgaben der Verwaltung 95 sowie den internen Entscheidungsfindungsprozess und seine Bestimmungsfaktoren wie Organisation, Personal und Sachmittel 96. Auch führten „die radikale Einengung des Wahrnehmungsfeldes auf Rechtsakte“ 97 und die dadurch bedingte Justizzentriertheit zu einer Verengung der verwaltungsrechtlichen Dogmatik. Der größere Zusammenhang, innerhalb dessen die abschließende Entscheidung nur ein – wenn auch sehr wichtiges – Element sei, das von vorausgehenden und parallelen Entscheidungen mitbestimmt werde, trete so in den Hintergrund. Die „Ausschnittsfixiertheit unter Vernachlässigung vorgelagerter Entscheidungen“ 98 im Verwaltungsrechtsschutz führe zu einer strukturellen Asymmetrie, welche die Interessenkonstellationen in komplexen Verwaltungsverhältnissen nur in einer begrenzten Perspektive hervortreten lasse. Dabei werde übersehen, dass Vieles bereits vorentschieden sei, bevor es in Einzelmaßnahmen der Verwaltung umgesetzt und so der gerichtlichen Kontrolle zugänglich gemacht werde 99. Als weitere Defizite der „traditionellen“ Verwaltungsrechtswissenschaft werden die zu einseitige Konzentration auf die rechtsstaatliche Disziplinierung der Verwaltung unter Vernachlässigung des Steuerungspotenzials des Rechts 100 sowie die nur sehr schwach ausgeprägte Interdisziplinarität ausgemacht. Schließlich unterschätze eine sehr auf das eigene Fachgebiet konzentrierte und den Sozialwissenschaften sehr reserviert gegenüberstehende traditionelle Verwaltungsrechtswissenschaft 101 die Bedeutung der Rechtstatsachenforschung und weise gravierende strukturelle Mängel bei der Wirkungs- und Folgenbetrachtung rechtlicher Regelungen auf 102. 94
Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 7. Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 3. Gegen eine Beschränkung der Verwaltungsausbildung auf die „Pathologie des Verwaltungshandelns“ bereits Thieme, Verwaltungslehre, § 6 Rn. 25. 96 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, IV/73 ff. 97 Voßkuhle, Verwaltungsverfahren, S. 13 (15). 98 Erbguth, VVDStRL 61 (2002), S. 221 (237 f.). 99 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, IV/73. 100 Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 8. Dagegen Meyer, VerwArch 101 (2010), S. 351 (373 ff.). 101 Exemplarisch verdeutlicht werden die Berührungsängste am Verlauf der bereits in den 1970er und 1980er Jahren geführte Debatte um eine verstärkte Einbeziehung der Sozialwissenschaften in das Recht. Vgl. dazu die Nachweise bei Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 9 in Fn. 41 und Bumke, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem, Methoden, 2004, S. 73 (100 f.). 102 Näher Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 29 ff. 95
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II. Zentrale methodische Elemente und Perspektiven Angesichts der neuen Herausforderungen, die eine sich immer schneller gesellschaftlich und technisch wandelnde „digitalisierte Wissensgesellschaft“ auch an die Verwaltung stellt, steigt das von der Praxis an die Wissenschaft herangetragene Bedürfnis nach flexiblen, situationsbezogenen Handlungsanweisungen für die Bewältigung komplexer werdender Probleme. Dies macht eine Neuorientierung, jedenfalls aber eine veränderte Schwerpunktsetzung in der traditionellen Verwaltungsrechtswissenschaft erforderlich. Mit dem Anspruch, „der seit dem späten 19. Jahrhundert in Deutschland stets drohenden Trennung von theoretisch nicht reflektiertem Handwerk und dogmatisch nicht geerdeter Theorie“ 103 zu begegnen, will die „Neue Verwaltungsrechtswissenschaft“ deutlich andere Akzente als eine eher traditionell orientierte Rechtswissenschaft setzen. Sie ist nach ihrem Selbstverständnis in besonderer Weise der Praxis verpflichtet und sieht sich in der Pflicht, „positive Vorschläge für eine funktionsfähige und problemadäquate Ausgestaltung der Rechtsordnung zu formulieren, an denen sich Verwaltung und Gesetzgeber orientieren können“ 104. Einig sind sich die Vertreter der „Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft“ ferner, dass die so umrissene Aufgabe nicht allein mit Mitteln des traditionellen Ordnungsrechts und der bürokratisch-hierarchisch organisierten Verwaltung zu bewältigen sei und es einer verstärkten Berücksichtigung des komplexen Zusammenhangs zwischen Rechtsetzung, konkreter Entscheidung und Vollzug sowie einer Bewältigung der Wissensproblematik in der Informationsgesellschaft bedürfe 105. 1. Betonung der Steuerungsperspektive des Rechts Konstituierend für die „Neue Verwaltungsrechtswissenschaft“ ist zunächst ein an die seit den 1970er Jahren geführte sozialwissenschaftliche Steuerungsdiskussion anknüpfender, jedoch die Eigenständigkeit des verwaltungsrechtlichen Steuerungskonzepts betonender steuerungstheoretischer Ansatz 106, demzufolge Verwaltungsrechtswissenschaft vornehmlich als Steuerungswissenschaft verstanden wird. In diesem Konzept ist das Verwaltungsrecht ein gleichermaßen taugliches wie unverzichtbares gesellschaftliches Steuerungsmittel 107, dessen Wirkungsmängel es zu analysieren und dessen Wirkungsbedingungen es zu verbessern gelte 108. Da alles Recht auf Wirksamkeit ziele, könne es die Rechtswissen103
Zu den Ursachen Möllers, VerwArch 93 (2002), S. 22 (30). Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 11. 105 Voßkuhle, in: Grundlagen I, § Rn. 11 m.w. N. in Fn. 58. 106 Näher Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 19 ff; Kahl, DV 2009, S. 463 (489 ff.). Grundlegende Kritik an diesem Ansatz bei Meyer, VerwArch 101 (2010), S. 351 (356 ff.). 104
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schaft nicht dabei bewenden lassen, einzelne Rechtsregeln und Rechtsinstitute dogmatisch auszuformen. Sie sei vielmehr aufgerufen, sich stärker als bisher mit den Wirksamkeitsbedingungen des Rechts zu beschäftigen sowie die „einzelnen Bauformen ... in größere Bezugsrahmen einzustellen und so miteinander abzustimmen, dass das Recht seine Ordnungsaufgaben wahrnehmen“ könne 109. Einig ist man sich innerhalb der „Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft“ aber darüber, dass die starke Anknüpfung an sozialwissenschaftliche Steuerungsvorstellungen nicht dazu führen dürfe, die Aufgaben des Verwaltungsrechts allein sozialtechnologisch fehl zu interpretieren. Recht sei zwar auch, aber eben nicht nur Steuerungsmedium, sondern zugleich materielle Wertordnung, die nicht allein auf eine Instrumentenfunktion beschränkt werden dürfe 110. Mit der Betonung der Steuerungsfunktion des Rechts wird die Steuerbarkeit gesellschaftlicher Systeme vorausgesetzt 111. Der Steuerungsbegriff als analytisches Konzept 112 eröffnet einen neuen Blick auf das Recht und ermöglicht die Analyse von Wirkungszusammenhängen und Wechselbeziehungen zwischen Steuerungssubjekten, -objekten, -medien und -instrumenten. Vor- und Nachteile einzelner Steuerungskonzepte können analysiert und das so gewonnene Steuerungswissen zur Verbesserung der Steuerungsleistung des Verwaltungsrechts benutzt werden. Dieses Konzept erfordert einen interdisziplinären, mit einer größeren Wirklichkeitsorientierung einhergehenden Ansatz in der Verwaltungsrechtswissenschaft. Verstärkt in den Blick genommen werden neuartige Formen des Verwaltungshandelns – genannt seien hier etwa Warnungen, Hinweise, monetäre Anreize, aber auch verschiedene Varianten von Konfliktmittlung und Kooperation –, deren dogmatische Bewältigung der traditionell ordnungsrechtlich dominierten Lehre von den Handlungsformen der Verwaltung schwer fällt. Zusammenfassen lässt sich der grundlegende Ansatz der Neuen Verwaltungswissenschaft wie folgt: Verwaltungsrecht wird als ein Steuerungsmedium verstanden, dessen Funktion es primär ist, bezogen auf eine bestimmte Aufgabe ein Verwaltungshandeln zu ermöglichen, welches die inhaltlichen Vorgaben ins107 Dabei wird das Recht lediglich als eines, wenn auch zentrales, von mehreren Steuerungsmedien in der Gesellschaft verstanden. Näher Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, I/37. 108 Grundlegend Mayntz, Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1987, S. 89; Scharpf, PVS 1989, S. 10; Trute, DVBl. 1996, S. 950; Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, I/34. 109 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, I/33. 110 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, I/38. 111 Das ist ein grundsätzlicher Unterschied zu der von Luhmann entwickelten Systemtheorie. Danach führt die immer stärkere funktionale Ausdifferenzierung der Gesellschaft zur Entstehung einer Vielzahl von außen nicht mehr verstehbarer Teilsysteme, die eigene Handlungsrationalitäten ausbilden und so weitestgehend unvorhersehbar nach selbstreferentiellen Maßstäben reagieren; vgl. Luhmann, Soziale Systeme, S. 57 ff. 112 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, I/35.
§ 3 Neuausrichtungen in der Verwaltungsrechtswissenschaft
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besondere des Europa- und Verfassungsrechts berücksichtigt, in rechtsstaatlich geordneten Bahnen verläuft, sachrichtige Entscheidungen hervorbringt, bürgernah und effektiv ist und auf Akzeptanz stößt. Um diese Aufgaben erfüllen zu können, bedarf es der Bereitstellung geeigneter rechtlicher Handlungsformen und -maßstäbe, Entscheidungsverfahren, Organisationstypen und Regulierungsstrategien (Bereitstellungsfunktion des Verwaltungsrechts) 113. 2. Verstärkung der inter- und transdisziplinären Perspektive Um einem so anspruchsvoll formulierten Ansatz gerecht werden zu können, muss die Rechtswissenschaft ihre traditionelle Reserviertheit gegen die Nachbarwissenschaften ablegen. Soll das Recht die ihm zugedachten Aufgaben in Gesellschaft, Staat und Wirtschaft effektiv wahrnehmen, ist angesichts der Begrenztheit des dem einzelnen verfügbaren Wissens die verstärkte Einbeziehung der lange vernachlässigten 114 Nachbarwissenschaften ohne Alternative. Gefordert ist daher eine größere Offenheit zu anderen Wissenschaftsdisziplinen in interund transdisziplinärer Perspektive 115. So muss man sich beispielsweise im Umwelt- und Informationsrecht intensiv mit den Natur- und Technikwissenschaften beschäftigen. Der Eigendynamik der Technik kann das Recht nur etwas entgegensetzen, wenn es deren Antriebskräfte und Mechanismen versteht 116. Der für alle Verwaltungswissenschaften 117 im Allgemeinen und die Verwaltungsrechtswissenschaft im Besonderen geforderte Dialog mit den Nachbarwissenschaften ist in den letzten Jahren erheblich vorangekommen 118. Er ist längst nicht mehr auf eine Einbeziehung managerialistischer Konzepte im Rahmen des Neuen Steue113 Zur „Bereitstellungsfunktion des Verwaltungsrechts“ Schuppert, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Schuppert, Reform, S. 65 (96 ff.); Baer, in: Grundlagen I, § 11 Rn. 38 ff. 114 Vgl. etwa den kritischen Überblick zum Stand der verwaltungswissenschaftlichen Forschung bei Püttner, in: Festschrift für Stern, S. 732 (740 ff.). Püttner sah „kaum noch Ansätze in Richtung auf interdisziplinäre Verwaltungsforschung“ und konstatierte, „die Herausbildung einer eigenständigen, fächerübergreifenden Verwaltungslehre (sei) letztlich nicht gelungen“. 115 Unter Interdisziplinarität sind Modi der Lehre und Forschung zu verstehen, bei denen man sich den Nachbarwissenschaften öffnet, aber an eigenen Fachgrenzen prinzipiell festhält, während Transdisziplinarität eine Wissenschaft beschreibt, bei der Fachgrenzen aufgehoben und die wissenschaftliche Kapazität für Perzeption und Problemlösung durch eine eigene Wissenschaftsprogrammatik erweitert wird; näher Mittelstraß, S. 329. 116 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, I/47. 117 Zum Streit um die Begriffe „Verwaltungswissenschaft“ oder „Verwaltungswissenschaften“ Püttner, in: Festschrift für Stern, S. 733 (735 f.) und derselbe, Verwaltungslehre, § 1 Rn. 9, der die Existenz einer einheitlichen Verwaltungswissenschaft leugnet und stattdessen von „Verwaltungswissenschaften“ spricht. Dagegen Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 41 ff. mit dem Konzept einer einheitlichen Verwaltungswissenschaft als „Integrationswissenschaft“.
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1. Kap.: Einleitung
rungsmodells und die ökonomische Analyse des Rechts beschränkt 119, sondern umfasst auch die jedenfalls multi-, teilweise auch bereits inter- oder gar transdisziplinäre Zusammenarbeit mit Politikwissenschaftlern, Soziologen 120 und Kommunikations- und Informationstheoretikern 121. Die mit einer solchen erweiterten Perspektive verbundenen Gefahren 122 erfordern allerdings einen methodenkritischen Umgang mit dem aus den Nachbarwissenschaften importierten Wissen 123. 3. Verwaltungswissenschaft als Entscheidungswissenschaft Folge eines verstärkt interdisziplinären Ansatzes ist zudem die Ergänzung, teilweise auch Ablösung der bisher vorwiegend rechtsaktbezogenen und am „pathologischen Einzelfall“ orientierten Betrachtungsweise durch stärker prozess- und problemorientierte Ansätze. Dieser Paradigmenwechsel führt zu einer Erweiterung des „handwerklichen Instrumentariums“ des Verwaltungsrechts, zumal vor dem Hintergrund der Herausforderungen durch die Europäisierung und Internationalisierung des nationalen Verfassungs- und Verwaltungsrechts 124 völlig neuartige Instrumente, Regelungstypen und Konzepte in die nationale Rechtsordnung einzubinden sind 125. Der zunehmende internationale Wettbewerb der Rechtssysteme erhöht den Innovations- und Reformdruck im deutschen Rechtssystem und 118 Instruktiver Überblick über die (nationale und internationale) Entwicklung der Verwaltungswissenschaft(en) in inter- und transdisziplinärer Hinsicht bei König, VerwArch 94 (2003), S. 267 (287 ff.). 119 Vgl. König, VerwArch 94 (2003), S. 267 (288). Nach Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, I/47 führt eine methodisch reflektierte Einbeziehung ökonomischer Bewertungsmaßstäbe zu argumentativ besser aufbereiteten Rechtsentscheidungen als die „handgestrickte Praxis“ üblicher Verhältnismäßigkeitsbeurteilungen. 120 Vgl. die aktuelle Diskussion um die Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen und die Einbeziehung mediativer Elemente in Verwaltungsverfahren und -prozess. Näher unten § 9 G VII. 121 Nachweise bei Voßkuhle, in: Grundlagen, § 1 Rn. 11. Zu den Schwierigkeiten und Grenzen multi-, inter- und transdisziplinären Arbeitens Püttner, Verwaltungslehre, § 1 Rn. 20 ff. sowie Bogumil / Jann, Verwaltung und Verwaltungswissenschaft, S. 53 ff. Danach werde wegen der Verschiedenheit der methodischen Zugänge in den Verwaltungswissenschaften und den Eigeninteressen der Fachdisziplinen schon viel erreicht, wenn „Interdisziplinarität auf der Grundlage einer multidisziplinären Zusammenarbeit einzelner Fächer überhaupt angestrebt“ werde. 122 Voßkuhle, Methode, S. 171 (182 ff.) unter Hinweis auf die Gefahr uninformierter Theorie- und unreflektierter Rechtsimporte. 123 Dazu Voßkuhle, Methode, S. 171 (188 ff.), der für ein „differenziert-integratives Methodenverständnis“ plädiert. 124 Vgl. Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 13 sowie derselbe, Verwaltungsverfahren, S. 13 (19 ff.). 125 Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 13 nennt aus dem Umweltrecht beispielhaft die Umweltinformationsrichtlinie, das Umweltaudit und die Einführung des Treibhausgasemissionshandels.
§ 3 Neuausrichtungen in der Verwaltungsrechtswissenschaft
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zwingt den deutschen Verwaltungsrechtswissenschaftler, das Selbstverständliche und Vorgegebene der eigenen Rechtsordnung in Frage zu stellen. An die Stelle einer auf nationale Besonderheiten fokussierten Norm- und Rechtsprechungsexegese tritt im Idealfall ein problemorientierter, oft grenzüberschreitender Austausch von rechtlichen Argumenten, Lösungsansätzen und Erfahrungen über Rahmenbedingungen einer effizienten, sachrichtigen und das Gemeinwohl fördernden Verwaltung 126. Der hierdurch ermöglichte „Wettbewerb um die besten Lösungen im globalisierten Dorf“ stellt die Verwaltungsrechtswissenschaftler vor die reizvolle Aufgabe, sich neuen Aufmerksamkeitsfeldern unter einer veränderten und „erweiterten Systemperspektive“ zuzuwenden. Anstatt wie bisher vorwiegend bloß einzelfallbezogen zu reagieren, gehen die Anforderungen immer stärker dahin, vorausschauend zu agieren und der Politik „innerhalb eines veränderbaren und sich stetig verändernden rechtlichen Rahmens Handlungsalternativen aufzuzeigen, ihre Folgen abzuschätzen, Interessengegensätze offen zu legen und rational begründete, praktisch verwertbare Entscheidungsvorschläge zu erarbeiten“ 127. Damit verbunden ist eine Perspektiverweiterung und Schwerpunktverlagerung in der Verwaltungsrechtswissenschaft, die von einer „anwendungsbezogenen Interpretationswissenschaft zu einer rechtsetzungssetzungsorientierten Handlungsund Entscheidungswissenschaft“ 128 wird. Dieser Neuakzentuierung entspricht es, dass unter Verwaltungsrechtswissenschaftlern vermehrt über Erfordernisse einer „guten Verwaltung“ 129 und „guten Gesetzgebung“ nachgedacht und versucht wird, konkrete Strategien zur Umsetzung entsprechender Zielvorgaben zu entwickeln. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang etwa auf die Hinwendung zu Gesetzgebungslehre und Gesetzesfolgenabschätzung 130, die verstärkte Anwendung experimenteller Gesetzgebung, die Institutionalisierung der Normprüfung oder die verstärkte Einbeziehung mediativer Instrumente in Verwaltungs- und verwaltungsgerichtliche Verfahren 131. Überdies ist die Verwaltungsrechtswissenschaft aufgerufen, stärker als bisher die vielfältigen Aufgaben der Exekutive im Bereich der Planungs- und Gestal126
Voßkuhle, Methode, S. 171 (178). Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 14. Als exemplarisches Beispiel kann etwa die Umsetzung der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie in das nationale Recht angeführt werden; vgl. unten § 19 C. 128 Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 15 ff und 71, der betont, dass die juristische Methode dadurch nicht überflüssig, sondern um „verschiedene zentrale Reflexionsebenen ergänzt“ wird. 129 Zu den völker- und europarechtlichen Vorgaben bezüglich einer „guten Verwaltung“ siehe § 6. Zu verfassungsrechtlichen Vorgaben in Deutschland § 7. 130 Vgl. die Aufsatzsammlung von Karpen, Gesetzgebungslehre – neu evaluiert, 2. Aufl. 2009. 131 Dazu näher § 7 A I und II, § 8 B, § 9 G VII und § 18 B. 127
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tungsaufgaben, des kooperativen und informalen Verwaltungshandelns 132 und im Bereich der Normsetzung 133 in den Blick zu nehmen. Das Erfordernis, sich auch mit der Verwaltungspraxis auseinanderzusetzen, wurde „bei der starken Gerichtszentriertheit des überkommenen Verwaltungsrechts zu weilen übersehen“ 134. Der viel zu lange auf die Tätigkeit des Richters 135 verengte Blickwinkel hat dazu geführt, dass hinsichtlich der Forschung im Bereich der Entscheidungswissenschaften erheblicher Nachholbedarf besteht 136. Insbesondere der Gedanke, dass es sich bei der Verwaltungsrechtswissenschaft vornehmlich um eine „Problemlösungswissenschaft“ handelt 137, setzt sich bei einer eher traditionell geprägten Juristenelite nur langsam durch. Das erklärt, dass Instrumente wie Gesetzgebungslehre, Gesetzesfolgenabschätzung, Regelungsoptimierung oder Streitentscheidung durch Mediation 138 sich ungeachtet ihrer gestiegenen Bedeutung in der Verwaltungspraxis erst noch etablieren müssen. Die traditionell stark ausgeprägte Reserviertheit der Jurisprudenz gegen die Einbeziehung von Nachbarwissenschaften führte zudem zu einer Vernachlässigung der Rechtstatsachenforschung 139 und der Wirkungs- und Folgenorientierung des Rechts 140. Gerade in diesen Bereichen steht die deutsche Verwaltungsrechtswissenschaft erst am Anfang eines langen Weges und hinkt der internationalen Entwicklung hinterher. Früher ausschließlich und auch heute noch überwiegend macht die Rechtspraxis ihre Entscheidungen mehr oder weniger intuitiv von Folgebetrachtungen abhängig, ohne das entsprechende methodische Rüstzeug zu besitzen, die kurzfristigen („Impact“) oder langfristigen („Outcome“) Auswirkungen bestimmter Entscheidungen zu prognostizieren und ihre Entschei132
(22).
Näher Fehling, in: Grundlagen II, § 38 und Voßkuhle, Verwaltungsverfahren, S. 13
133 Zur „gubernativen Hegemonie“ bei der Normsetzung v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 151. 134 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, I/15. 135 Zu den Schwächen einer justizzentrierten Perspektive Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 1/15. Die auf die auf den Einzelfall fokussierte gerichtliche Perspektive „garantiert zwar hohe dogmatische Präzision, vernachlässigt aber übergreifende Handlungszusammenhänge, Programme und Organisationsstrukturen, in denen Verwatung heute agiert und kooperiert“. 136 Die Unterkomplexität des im Bereich der Entscheidungswissenschaft erreichten Forschungsstands moniert Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, I / 46. 137 Hoffmann-Riem, DV 2005, S. 145 (162) spricht in diesem Zusammenhang davon die Verwaltungswissenschaft sei eine „handlungs- und bewirkungsorientierte Problemlösungswissenschaft“. 138 Zur Mediation im Verwaltungsprozessrecht § 9 G VII. 139 Eine „methodische Unbekümmertheit bei der Erhebung von und im Umgang mit empirischen Material“ und strukturelle Defiziten der Rechtstatsachenforschung beklagt Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 30 sowie derselbe, VerwArch 85 (1994), S. 567 ff. 140 Grundlegend zur Folgenorientierung im Recht Franzius, in: Grundlagen I, § 4 Rn. 67 ff.
§ 3 Neuausrichtungen in der Verwaltungsrechtswissenschaft
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dungen an den antizipierten Folgen zu orientieren 141. Immerhin wurden in jüngerer Vergangenheit auf Bundes- und Landesebene erste Projekte zur Gesetzesfolgenabschätzung, Bürokratiekostenmessung, Experimentellen Gesetzgebung und Evaluationsforschung initiiert, auf die im Rahmen dieser Untersuchung zurückzukommen sein wird 142. Dies nährt die Hoffnung auf einen konsequenten und langfristigen Aufbau einer systematischen Wirkungsforschung im Recht 143. 4. Referenzgebiete Innerhalb der „Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft“ kommt „Referenzgebieten“ 144 aus dem Besonderen Verwaltungsrechts eine überragende Bedeutung zu. a) Bedeutung von Referenzgebieten für die Systembildung im Verwaltungsrecht Dem in der deutschen Rechtsordnung und den meisten europäischen Rechtsordnungen vom Besonderen Verwaltungsrecht geschiedenen Allgemeinen Verwaltungsrecht kommt die Aufgabe zu, allgemeine Begriffe, übergreifende Gesichtspunkte und durchgehende Strukturen des Verwaltungsrechts zu entwickeln, um den komplexen Rechtsstoff im Sinne einer Vereinfachung zu strukturieren. Die so gewonnene Übersichtlichkeit und Systematik hilft, Wertungswidersprüche zwischen den einzelnen Fachgebieten zu vermeiden und diszipliniert die jeder Fachverwaltung eigenen Sonderinteressen 145. Angesichts der wachsenden Fragmentarisierung der Gesellschaft, die in der Herausbildung immer neuer Spezialgebiete des Besonderen Verwaltungsrechts mit ganz unterschiedlichem dogmatischen Entwicklungsstand ihren Ausdruck findet, fällt es dem Allgemeinen Verwaltungsrecht allerdings zunehmend schwerer, aus dem fast unerschöpflichen Material des Besonderen Verwaltungsrechts allgemeine Lehren zu entwickeln und „vor die Klammer zu ziehen“. Umso wichtiger ist es für die systembildende Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts, aus der zunehmend zersplitterten 141
Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 33 m.w. N. Näher unten §§ 7 A II, 8 B und D, 16 C, 18 A und B. 143 Zum Stand der in der Bundesrepublik Deutschland erst seit den 1970er Jahren intensiver betriebenen Implementations- und Evaluationsforschung Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 35. 144 Den Begriff der Referenzgebiete prägte Schmidt-Aßmann, Zur Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Schuppert, Reform, S. 14 (26 ff.). 145 Zur Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts, Sonderinteressen zu disziplinieren, Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, I/10 f., der zudem dessen Funktion „für die Entwicklung und Bewahrung eines einheitlichen Selbstverständnisses des Verwaltungspersonals“ betont. 142
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1. Kap.: Einleitung
Vielfalt des Besonderen Verwaltungsrechts die geeigneten Referenzgebiete auszuwählen. Nach Eberhard Schmidt-Aßmann sind Referenzgebiete „diejenigen Gebiete des Besonderen Verwaltungsrechts, die das Fallmaterial und die Beispiele für die Aussagen des allgemeinen Rechts abgeben. Die Bedeutung ihrer Auswahl für die systematische Entwicklung des Verwaltungsrechts liegt auf der Hand: Ein Teil der allgemeinen Lehren ist induktiv aus einem Vergleich und aus der Verallgemeinerung gebietsspezifischer Regelungen gewonnen. Auch die Teile, die deduktiven Ursprungs sind, werden fortlaufend an Beispielen aus einzelnen Verwaltungsbereichen erläutert und erprobt. Die Referenzgebiete bringen jene Ausrichtung auf Verwaltungsaufgaben und Verwaltungszwecke in das allgemeine Verwaltungsrecht, die gegenüber einem Denken in allgemeinen Begriffen wiederholt angemahnt worden ist. Über sie vollzieht sich zu einem wichtigen Teil auch der Austausch der Verwaltungsrechtswissenschaft mit den sog. Nachbarwissenschaften. Das Allgemeine Verwaltungsrecht ist folglich keinesfalls so abstrakt und aufgabenarm, wie gelegentlich kritisiert wird. Die Frage ist nur, ob es die richtigen, d. h. die heute repräsentativen und wichtigen Aufgaben sind, die sich über die Referenzgebiete in den allgemeinen Lehren zur Geltung bringen“ 146. b) Traditionelle Referenzgebiete und solche dieser Untersuchung Traditionelle Referenzgebiete des deutschen Verwaltungsrechts sind das Polizei- und Ordnungsrecht, das Kommunalrecht, das Baurecht und das Beamtenrecht. Die Auswahl dieser Rechtsgebiete belegt die „deutlich von raumbezogenen Vorgängen bestimmte, dem kleinräumigen Interessenausgleich verpflichtete Denkweise des deutschen Verwaltungsrechts“ und ist eine wichtige Ursache für „die starke Konzentration auf verbindliche, einseitig anordnende Verwaltungsentscheidungen“ 147. In den letzten 20 Jahren ist auch das Umweltrecht als Referenzgebiet entdeckt worden, welches zeitweise als „Regulierungslaboratorium für die gesamte Rechtsordnung“ 148 und als „Motor und Modell einer Weiterentwicklung des Staats- und Verwaltungsrechts“ 149 galt. Auch die vorliegende Untersuchung muss sich angesichts der Stofffülle auf bestimmte Referenzgebiete konzentrieren und beschränkt sich dabei auf das öffentliche Baurecht mit dem Schwerpunkt Bauordnungsrecht, das Umweltrecht und ausgewählte Bereiche des Wirtschaftsverwaltungsrechts. Auf Grund der dargestellten systembildenden Kraft der Referenzgebiete, deren Auswahl den verwaltungsrechtswissenschaftlichen Wahrnehmungshorizont entscheidend beeinflusst, 146 147 148 149
Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, I/13. Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, I/14. Kloepfer, JZ 1991, S. 737. Vgl. Hill, JUTR 1994, S. 91 ff.
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sollte zunächst eine möglichst breite und repräsentative Auswahl getroffen werden. So handelt es sich bei dem Bauordnungsrecht um ein klassisches Referenzgebiet des deutschen Verwaltungsrechts, das zudem durch eine umfassende Länderkompetenz geprägt ist und deshalb Anschauungsmaterial aus Mecklenburg-Vorpommern zu liefern vermag. Am Bauordnungsrecht lässt sich ferner in exemplarischer Weise der „Rückzug des Staates aus dem Ordnungsrecht“ 150 darstellen. Das „semiklassische“ Referenzgebiet des Umweltrechts ist dagegen durch ein jahrzehntelang gewachsenes schwer durchschaubares Nebeneinander von Bundes- und Länderkompetenzen geprägt. Hier eröffnet vor allem die durch die Föderalismusreform I nach Art. 72 Abs. 3 GG ermöglichte – auf bestimmte Teilbereiche begrenzte – Abweichungskompetenz der Länder Perspektiven bezüglich eines Wettbewerbsföderalismus, deren Auswirkungen es im Einzelnen zu analysieren gilt. Bei dem Wirtschaftsverwaltungsrecht handelt es sich um ein sehr junges Referenzgebiet 151, das – obwohl in der Forschung und in der akademischen Lehre lange eher stiefmütterlich behandelt 152 – immer mehr zum „Motor der Verwaltungsmodernisierung“ 153 wird und durch eine Vielzahl von Reformbestrebungen auf Bundes- und Landesebene gekennzeichnet ist. Dieses Rechtsgebiet tritt deshalb „zunehmend aus seinem wissenschaftlichen Schattendasein“ heraus und gewinnt an Reputation 154. Zahlreiche aktuelle Reformentwicklungen haben ihren Ausgangspunkt im Wirtschaftsverwaltungsrecht, was die Diskussionen um Privatisierung und Deregulierung, neue Formen der Kooperation von Staat und Privaten und den Einsatz von Marktinstrumenten als Ausdruck der Ökonomisierung auch des Verwaltungsrechts exemplarisch belegen 155. Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang auch auf die umfassenden Aktivitäten der Bundesregierung zum „Bürokratieabbau“ hingewiesen, bei denen die Entlastung des Mittelstandes einen zentralen Handlungsschwerpunkt bildet 156. Gaststätten- und allgemeines Gewerberecht enthalten zudem Experimentierklauseln für die Länder, welche durch die Neufassung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG mit Wirkung 150
Siehe ausführlich § 19 A. Eingehend Schmidt-Aßmann, in: Bauer / Czybulka / Kahl / Voßkuhle (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, S. 15. 152 Ausschlaggebend dafür ist die bloße Behandlung als Schwerpunktbereich oder Wahlfach an Universitäten. In den letzten Jahren erfährt das Wirtschaftsverwaltungsrecht aber durch die Einrichtung grundständiger Studiengänge Wirtschaftsrecht an Fachhochschulen eine akademische Aufwertung. An der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung, Polizei und RechtspflegeVorpommern wird das Wirtschaftsverwaltungsrecht im Fachbereich Allgemeine Verwaltung als Pflichtfach gelehrt. 153 Ruthig / Storr, Rn. 25. 154 Stober, AWvR, § 1. 155 Ruthig / Storr, Rn. 25. 156 Näher § 8 E III. 151
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1. Kap.: Einleitung
zum 01. 09. 2006 überdies nicht unbeträchtliche Kompetenzen im Bereich des Gaststätten-, des Ladenschluss- und des Spielhallenrechts gewonnen haben 157.
C. Chancen und Risiken der „Neuen Verwaltungswissenschaft“ Der oben skizzierten Neuausrichtung der Verwaltungsrechtswissenschaft begegnen viele traditionell sozialisierte Verwaltungsjuristen eher reserviert 158. Das liegt auch an der entbehrlichen Bezeichnung als „Neue Verwaltungsrechtswissenschaft“. Mit einer solchen „Selbstausrufung“ ist der Anspruch auf die Verkörperung einer neuen Epoche verbunden, mit dem eine „objektiv nicht gegebene zäsurhafte Fundamentalinnovation sowie eine Dichotomie („Alte Verwaltungsrechtswissenschaft“) insinuiert werden, während der – objektiv gegebene und zu begrüßende – evolutiv-supplementäre Reformcharakter semantisch eher verdeckt“ 159 wird. Abgesehen von diesem terminologischen Fragen 160 ist die Skepsis aber jedenfalls dann unbegründet, wenn die „Neue Verwaltungsrechtswissenschaft“ sich ihrer Grenzen bewusst ist. Dann ermöglicht eine methodische Neuausrichtung die Erweiterung des traditionell verengten, auf Separation und disziplinäre Identität angelegten Denkansatzes traditioneller Verwaltungsrechtsdogmatik. Dabei müssen dogmatisches Verwaltungsrechtsverständnis und steuerungswissenschaftlicher Ansatz nicht unverbunden nebeneinander stehen. Vielmehr lassen sich – so die Kernthese von Ivo Appel auf der Tagung der Deutschen Staatsrechtslehrer 2007 – zwischen beiden Ansätzen „Verknüpfungen und Verklammerungen finden, die die jeweiligen perspektivischen Vorteile nutzen und die Nachteile reduzieren“ 161, wenn gleichermaßen die Eigenständigkeit des klassischen Ansatzes einerseits, die Berechtigung einer steuerungswissenschaftlich orientierten Perspektive andererseits und schließlich die Fruchtbarkeit eines interdisziplinären Dialogs anerkannt werden. Insofern ist dem Fazit von Martin Eifert auf der Staatsrechtslehrertagung 2007 nichts hinzuzufügen: „Das Vermächtnis und die Arbeitsweise der Juristischen Methode sind unverzichtbar. Ebenso unverzichtbar ist es aber, sie systematisch durch den steuerungswissen157 Zu den bisherigen Aktivitäten im Wirtschaftsverwaltungsrecht auf Länderebene § 20 B. 158 Den Diskussionsstand dokumentiert die kontroverse Aussprache zu diesem Beratungsgegenstand auf der Staatsrechtslehrertagung 2007 in VVDStRL 67 (2007), S. 334 ff. Eingehend auch Kahl, DV 2009, S. 463 (464 mit Fn. 10). Kritisch Meyer, VerwArch 101 (2010), S. 351 ff. und Grzeszcick, DV 2009, S. 105 ff. 159 Kahl, DV 2009, S. 463 (491 mit Fn. 10). 160 Dazu Voßkuhle, Verwaltungsverfahren, S. 13 (14 mit Fn. 2), der rät, dem „Labeling“ nicht zu viel Bedeutung beizumessen, aber auch unter dem Eindruck der Kritik an der Begriffswahl festhält. 161 Appel, VVDStRl 67 (2007), S. 226 (276).
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schaftlichen Ansatz zu erweitern, um das gesamte Verwaltungsrecht mit seinen Aufgaben und Herausforderungen erfassen und dogmatisch disziplinieren zu können. Es benötigt eben mehr als ein Auge, um alle Dimensionen sehen zu können“ 162. Eine methodische Öffnung der klassischen Verwaltungsrechtswissenschaft, bei der „stets auch die Anschlussfähigkeit an das Vorhandene“ 163 beachtet werden muss, ermöglicht für das deutsche Verwaltungsrecht unverzichtbare neue Perspektiven. Nur wenn es gelingt, die im deutschen Recht bereits zwischen den einzelnen Teilrechtsdisziplinen 164, vor allem aber gegenüber den Nachbarwissenschaften stark ausgeprägten Abschottungstendenzen zu überwinden und trotz aller damit grundsätzlich verbundenen Verständigungsschwierigkeiten 165 die inter-, trans- und multidisziplinäre Zusammenarbeit zu vertiefen 166, kann die Zukunftsfähigkeit der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft auch im internationalen Vergleich langfristig gesichert werden. Solange der steuerungstheoretische Ansatz nicht in seinem Erklärungswert überschätzt 167 und die Gefahr erkannt wird, dass „die zu einfachen rechtswissenschaftlichen Vorstellungen von einer hierarchisch geordneten, gesetzesanwendenden Verwaltung mit linear-kausalen Bewirkungsvorstellungen eines ebenfalls zu einfach gedachten sozialwissenschaftlichen Steuerungsmodells verbunden würden“ 168, kann die Verwaltungsrechtswissenschaft in steuerungstheoretischer und verstärkt interdisziplinärer Perspektive wichtige Impulse für eine Erneuerung der Rechtswissenschaft geben. Erst die Öffnung einer „nachbarwissenschaftlich informierten und reflektierten Verwaltungsrechtswissenschaft“ 169 für die Erkenntnisse anderer Disziplinen ermöglicht die Analyse und Reflektion sozialer und gesellschaftlicher Problemstellungen, zu deren Beantwortung eine (auch) als Entscheidungswissenschaft verstandene Rechtswissenschaft beitragen muss.
162
Eifert, VVDStRL 67 (2007), S. 286 (329). Appel, VVDStRL 67 (2007), S. 226 (277). 164 Vgl. etwa Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 38 mit Nachweisen zur „ideologisch aufgeladenen Diskussion um den Vorrang des Privatrechts“ in Fn. 196. 165 Zu den grundsätzlichen Problemen (Gefahr uninformierter Theorieimporte und selektiver, verzögerter und asymmetrischer Rezeptionsprozesse; Banalisierung und Trivialisierung der Erkenntnisse der Nachbarwissenschaften) und Chancen („produktive Irritation durch andere Forschungserkenntnisse als zentraler Innovationsfaktor“) Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 37 ff. 166 Näher Vesting, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem, Methoden, S. 253 (275 ff.). 167 Die „Neue Verwaltungsrechtswissenschaft“ ist sich dieser Gefahr auch bewusst. Näher Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 26 f. und Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, I/39. 168 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, I/39, Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 27. 169 Vesting, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem, Methoden, S. 253 ff. 163
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1. Kap.: Einleitung
Der Vorwurf, dass das Verwaltungsrecht in einer solchen Perspektive auf eine bloß instrumentelle Funktion reduziert wird, greift zu kurz, wenn eine primär aufgaben- und wirkungsorientierte Verwaltungsrechtswissenschaft sich bewusst ist, dass Verwaltungsrecht immer auch Ausdruck einer in der Verfassung wurzelnden Wertordnung ist. Dieser Grundsatz von Verfassungsrang kommt etwa in Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 und 28 Abs. 2 GG zum Ausdruck. An ihn gilt es immer wieder zu erinnern, wenn vermeintliche und tatsächliche Vollzugsbedürfnisse der Praxis gegen „Bürokratieaufwand“ verursachende Gesetze ins Feld geführt werden. Gegen alle Aushöhlungsversuche ist am Vorrang demokratischer Rechtsstaatlichkeit und dem Konzept der gesetzesdirigierten Verwaltung 170 festzuhalten. Dies schließt jedoch verstärkte Bemühungen um Rechtsetzungs- und Rechtsoptimierung nicht aus, sondern fordert diese geradezu. Die „Neue Verwaltungsrechtswissenschaft“ ergänzt deshalb die bewährte juristische Methode um wichtige, bisher vernachlässigte Aspekte. Das „starre Korsett“ einer oft hoch spezialisierten Wissenschaft kann so verlassen werden. Durch die notwendige Einbeziehung außerjuristischer Kriterien können „Brücken gebaut“ und die Problemlösungskompetenz erheblich erweitert werden. Ein im besten Sinne integrativer Ansatz vergrößert den praktischen Wert der Verwaltungsrechtswissenschaft für die Verwaltungspraxis erheblich 171. Eine verstärkte Berücksichtigung realwissenschaftlicher Beobachtungen in der Verwaltungspraxis kann der Verwaltungsreformdiskussion nur dienlich sein und zudem helfen, den „Theorie-Praxis-Graben“ zu verkleinern. Gerade die Rechtstatsachenforschung vermag wichtige Impulse für die Lösung der aktuellen Probleme der Verwaltung zu geben, wobei empirische und normative Problemlösungstechniken nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Eine gegenüber den Nachbarwissenschaften aufgeschlossene Perspektive gefährdet weder die Eigenständigkeit der Disziplin, noch darf die Gefahr „ungewollter Verschmelzungen“ des Untersuchungsgegenstandes überbewertet werden 172. Angesichts der „politischen Daueraufgabe“ der Reform der Verwaltung und des Verwaltungsrechts sollte jedenfalls kein in der Verwaltung tätiger Jurist neueren Ansätzen mit Denkblockaden begegnen. Es kommt vielmehr darauf an, offen, reflektiert, aber auch kritisch, die von der „Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft“ propagierten Steuerungsinstrumente in der Praxis zu testen. 170
Zur gesetzesdirigierten Verwaltung Schmidt-Aßmann, in: Grundlagen I, § 5 Rn. 65 ff.; zur Legitimationsfunktion des Parlamentsgesetzes Reimer, in: Grundlagen I, § 9 Rn. 10 ff. 171 Näher König, VerwArch 94 (2003), S. 267 (294). 172 Vgl. Franzius, in: Grundlagen I, § 4 Rn. 106, der den Wert eines genuin verwaltungsrechtlichen Zugangs zur Erarbeitung dogmatischer Aussagen betont. Dagegen bleibt nach Meyer, VerwArch 101 (2010), S. 351 (376) die „disziplinäre Trennung von Verwaltungsrechtswissenschaft ... und Steuerungswissenschaft ... zweckmäßig, gerechtfertigt und fruchtbar. Die Verwaltungsrechtswissenschaft ist keine Steuerungswissenschaft, sondern Rechtswissenschaft.“
§ 4 Bestimmung der maßgeblichen Begriffe
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Endlich kann eine „erneuerte“ Verwaltungsrechtswissenschaft einen wichtigen Beitrag zur Neukonstituierung der Verwaltungswissenschaft(en) leisten. Zwar ist fraglich, ob die sich die mit dem Phänomen Verwaltung beschäftigenden Wissenschaftsdisziplinen tatsächlich unter dem Dach einer einheitlichen Verwaltungswissenschaft integrieren lassen, wie es beispielsweise Gunnar Folke Schuppert fordert 173. Vielleicht ist eine solche Integration „jedenfalls in Deutschland nicht möglich, weil Tradition, Selbstverständnis und Methodik der beteiligten Disziplinen zu unterschiedlich sind“ 174. Unabhängig von dieser eher theoretisch bedeutsamen Kontroverse kann jedenfalls die lange betriebene „Politik der konsequenten Nichteinmischung, ja geradezu der gegenseitigen Ausgrenzung“ 175 zwischen Verwaltungsrechtswissenschaft und Verwaltungslehre, die auch heute noch von fast allen Standardwerken des Allgemeinen Verwaltungsrechts betrieben wird, nicht länger aufrecht erhalten werden, will die Verwaltungsrechtswissenschaft in herausgehobener Position am gesellschaftlichen Diskurs über die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts teilnehmen.
§ 4 Bestimmung der für die Untersuchung maßgeblichen Begriffe A. Politische Leitbilder und Schlüsselbegriffe in der gegenwärtigen Verwaltungsreformdebatte Leitbilder und Schlüsselbegriffe sind aus der modernen Staats- und Verwaltungspraxis nicht mehr wegzudenken 176. An Leitbildern orientieren sich mittlerweile nicht mehr nur private Unternehmen. In neuerer Zeit sind vielmehr auch Behörden, Universitäten und sogar die Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege in Mecklenburg-Vorpommern ist bestrebt, mittels eines Leitbildes Identifikationsangebote an ihre Mitarbeiter zu unterbreiten und auf ein leitbildadäquates Verhalten hinzuwirken. Im Fachdiskurs über Verwaltungsmodernisierung bedient man sich ebenfalls seit vielen Jahren – oft mit großer Unbekümmertheit – einer Vielzahl von politischen Leitbildern und Schlüsselbegriffen. Deren Popularität lässt es nicht mehr zu, sie als bloße vor173
Nach Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 43 kann „Verwaltungswissenschaft ... nur grenzüberschreitend gelingen, sie muss die Grenzen der einzelnen Fachdisziplinen überschreiten, indem sie ... die fachspezifischen Diskurse füreinander fruchtbar macht“. Der Verwaltungswissenschaftler sei „Grenzgänger von Beruf“. 174 Püttner, Verwaltungslehre, § 1 Rn. 9. Ebenso Bogumil / Jann, Verwaltung und Verwaltungswissenschaft, S. 57, die Multidisziplinarität als realistisches Ziel ausgeben. 175 Treffend Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 42. 176 Ausführlich Baer, Schlüsselbegriffe, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Methoden, S. 238 ff.
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1. Kap.: Einleitung
übergehende Modeerscheinung abzutun. Ihre hohe Konjunktur erklärt sich aus den mannigfaltigen Funktionen, die solche Begriffe zu erfüllen vermögen. Politische Leitbilder und Schlüsselbegriffe können in einer immer unübersichtlicher werdenden Gesellschaft dazu beitragen, Komplexität zu reduzieren und durch die bildhafte Darstellung eines anzustrebenden Zustandes einen gesellschaftlichen Diskurs steuern und öffnen. Auf der anderen Seite sind solche Begriffe auf Grund ihrer besonderen Konkretisierungsbedürftigkeit 177 aber auch in der permanenten Gefahr, zu inhaltsleeren und beliebig verwendbaren „politischen Worthülsen“ 178 zu degenerieren. Auch unterliegen gut gemeinte visionäre Leitbilder ohne hinreichenden Realitätsbezug, bei denen die Verwirklichung der im Leitbild enthaltenen Vorstellungen in absehbarer Zeit nicht möglich erscheint, der Gefahr, zur Karikatur zu werden 179. Im Folgenden sollen zunächst die wesentlichen Funktionen von Leitbildern und Schlüsselbegriffen dargestellt werden. I. Politische Leitbilder Die Verwendung von offenen, vordergründig plausiblen und regelmäßig affirmativ 180 wirkenden politischen Leitbildern in der Verwaltungsrechtswissenschaft ist Ausdruck einer zunehmenden Offenheit der traditionell bilderfeindlichen Rechtswissenschaft gegenüber plakativen Begriffen. Als „Bilder, die Vertrauen wecken sollen, indem sie etwas Gutes abbilden“, kann man sie als eine „postmoderne Antwort auf die Vertextung des Staates“ 181 bezeichnen. Leitbilder bringen eine Sehnsucht nach Reduktion von Komplexität und das Bedürfnis nach dem „großen Ganzen“ zum Ausdruck 182. Der „schlanke Staat“ 183, der „aktivierende Staat“ 184 und der die aktuelle Reformdiskussion prägende „Gewährleistungsstaat“ 185, die „Lernende Verwaltung“ und die „Nachhaltige Entwicklung“ sind nur einige illustrative Beispiele für aktuelle oder bereits wieder überholte politische Leitbilder. 177 Zur Notwendigkeit „konzeptioneller Ausdifferenzierung“ der Begriffe Privatisierung und Deregulierung Schmitz, Deregulierung, S. 242 ff. 178 Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 49. 179 Instruktiv Nolte, DÖV 2007, S. 941 (942 f.) am Beispiel des zum „Megathema der öffentlichen Verwaltung“ hochstilisierten „eGovernment-Hypes“. 180 Nach Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 42 können Leitbilder auch diffamierend wirken. Die von ihm genannten Begriffe „Bürokratie“ und „fetter Staat“ sind jedoch weniger Leit- als Feindbilder. 181 Franzius, in: Grundlagen I, § 4 Rn. 23. 182 Jann, Wandel, in: König, Deutsche Verwaltung, S. 279 ff. 183 Ausführlich § 5 C II. 184 Dazu § 5 D I. 185 Näher Schuppert, Der Gewährleistungsstaat – Ein Leitbild auf dem Prüfstand, 2005.
§ 4 Bestimmung der maßgeblichen Begriffe
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Auch bildmächtige Ideen wie solche einer „guten Gesetzgebung“ 186, einer „guten Verwaltung“ 187 oder einer „guten Regierung (Good Governance)“ 188 „stecken den Rahmen für die Suche nach Problemlösungen für neue Herausforderungen ab und transportieren eine deutungsoffene Vorstellung bestimmter Anschauungen in der Praxis rechtswissenschaftlichen Arbeitens“ 189. Solche Leitbilder nutzen den überschießenden Deutungsgehalt abstrahierender Bilder, um das Denken und Handeln des Adressaten auf ein bestimmtes Ziel zu lenken und enthalten trotz ihrer Offenheit Aussagen über Subjekte, Objekte, Intentionen, Steuerungsziele sowie Maßnahmen und Instrumente einer Verwaltungsreformpolitik 190. Aus ihnen lassen sich regelmäßig die dominierenden Veränderungsziele der jeweiligen Phasen der Verwaltungsmodernisierung ableiten 191. Wegen ihrer Offenheit eignen sich Leitbilder zwar nur begrenzt als analytisches Werkzeug 192, müssen aber als „mächtige geistige Strömungen, die in alle Institute und Strukturen irgendwie einsickern“ 193, von der Verwaltungsrechtswissenschaft ernst genommen und verarbeitet werden. Ihre Steuerungskraft gewinnen politische Leitbilder dank der Fähigkeit, gesetzgeberische Zielvorstellungen prägnant zu bündeln (Bündelungsfunktion), damit einen Modernisierungsdiskurs zu steuern (Steuerungsfunktion), gleichzeitig Identifikationsangebote zu unterbreiten (Identifikationsfunktion) und auf leitbildadäquates Verhalten hinzuwirken (Edukationsfunktion). Politische Leitbilder bestimmen somit darüber, ob Sachverhalte als regelungsbedürftig und damit als „Rechtsprobleme“ angesehen werden. Sie transportieren ein „Ordnungsbild als Gerechtigkeitspostulat“ 194, das durch das Zusammenwirken rechtlicher und außerrechtlicher Gesichtspunkte gekennzeichnet ist. Die Rechtswissenschaft tut deshalb gut daran, ihre traditionelle Reserve gegen solche Bilder aufzugeben und so einen Beitrag zur gesellschaftlichen Öffnung ihrer Fachdisziplin zu leisten. Gleichzeitig muss sie sich aber auch der 186 Zur Diskussion um eine verfassungsrechtliche Garantie einer „guten Gesetzgebung“ § 7 A. 187 Näher § 6 B III. 188 Dazu § 5 D II. 189 Franzius, in: Grundlagen I, § 4 Rn. 23. 190 Zum überschießenden Bedeutungsgehalt verwaltungspolitischer Leitbilder Jann, Wandel, in: König, Deutsche Verwaltung, S. 279 (286). 191 Die Politikwissenschaft differenziert zwischen internen Veränderungszielen wie Organisationsveränderungen, Auslagerungen oder veränderten Entscheidungsprozessen (sog. Outputs), den von diesen intendierten (eher kurzfristigen) Ergebnissen und Wirklungen innerhalb der Verwaltung wie schnelleren Entscheidungen und Kosteneinsparungen (sog. Impacts) und den außerhalb der Verwaltung erwünschten (eher langfristigen) Auswirkungen und Ergebnissen wie bessere Konfliktregelung, wirtschaftliches Wachstum und zufriedene Bürger (sog. Outcomes). Näher Jann, Wandel, in: König, Deutsche Verwaltung, S. 279 (281 f.). 192 Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 42. 193 Starck, in: Festschrift für Brohm, S. 567 (572). 194 Franzius, in: Grundlagen I, § 4 Rn. 26.
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1. Kap.: Einleitung
in ihrer vordergründigen Plausibilität und irritierenden Offenheit begründeten Problematik von Leitbildern bewusst sein. Diese können auch dazu missbraucht werden, das Vorhandensein einfacher Antworten auf schwierige Fragen zu suggerieren und die wahre Dimension und Komplexität eines gesellschaftlichen Problems zu „vernebeln“. Im Bewusstsein der Gefahr, dass differenzierte Argumente durch vordergründig plausible Metaphern ersetzt werden 195, ist die Verwaltungsrechtswissenschaft gefordert, den mit der Verwendung von Leitbildern notwendiger Weise verbundenen ideologisch motivierten Vereinfachungen, Verzerrungen und Manipulationen nachzuspüren und entgegenzuwirken 196. II. Schlüsselbegriffe Auf einem etwas geringeren Abstraktionsniveau und stärker auf den Wissenschaftsbetrieb konzentriert, erfüllen die in der Verwaltungsreformdiskussion ebenfalls omnipräsenten Schlüsselbegriffe wie etwa „Regulierung“, „Deregulierung“, „Bürokratieabbau“ oder „Gewährleistung“ eine ganz ähnliche Funktion wie politische Leitbilder 197. Den teilweise auch als „interdisziplinäre Verbundbegriffe“, „Kontaktbegriffe“, „Brückenbegriffe“, „Verweisungsbegriffe“ oder „Vermittlungsbegriffe 198 bezeichneten Schlüsselbegriffen kommt die Aufgabe zu, verschiedene Fachdiskurse zwischen den einzelnen Disziplinen der Verwaltungswissenschaften zu koordinieren. Sie vermögen übergreifende Ordnungszusammenhänge für bestimmte Argumentationszusammenhänge fruchtbar zu machen, indem sie einem „Wortspeicher“ gleich eine Vielzahl von Informationen jederzeit abrufbereit halten. Schlüsselbegriffe bezeichnen gemeinsame Arbeits- und Aufmerksamkeitsfelder (Verständigungsfunktion), bündeln und strukturieren eine Fülle von Informationen und machen diese so besser begreifbar (Bündelungs-, Erklärungs- und Deutungsfunktion). Überdies können sie als Inspirationsplattform dienen, verschiedene Perspektiven zusammenführen und Anleitung für die Zukunft geben (Vernetzungs- und Orientierungsfunktion) 199. Schlüsselbegriffe erfüllen eine wichtige koordinierende und rechtspolitische Funktion 200, ohne allerdings einen unmittelbar anwendbaren inhaltlichen Maß195 Eindringlich Franzius, in: Grundlagen I, § 4 Rn. 27: „Anstelle der Arbeit an Begriff und Argumenten eingesetzt, bergen sie vermutlich noch kaum hinreichend erkannte Gefahren, um deren Bändigung das Recht bemüht sein muss.“ 196 Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 42, der „eine stärkere Rezeptionsoffenheit gegenüber kulturwissenschaftlichen Erkenntnissen“ fordert. Zum Ertrag der Debatte auch Baer, Schlüsselbegriffe, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Methoden, S. 238 (247 ff.). 197 Näher Schmitz, Deregulierung, S. 236 ff.; Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 42, der Leitbilder lediglich für eine besondere Ausprägung der Schlüsselbegriffe hält. 198 Nachweise bei Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 40. 199 Ausführlich Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 42 m.w. N.
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stab zu bieten oder klare Regelungsvorgaben zu vermitteln. Ähnlich wie bei den politischen Leitbildern liegt in der inhaltlichen Offenheit eine strukturelle Schwäche dieser im Grenzbereich zwischen soziologischer Analyse und juristischer Dogmatik angesiedelten Begriffe. Ihre häufig viel zu undifferenzierte Verwendung birgt eine hohe methodische Sprengkraft sowie die Gefahr, dass sie zu politischen Leerformeln degenerieren 201. Zudem vermögen auch Schlüsselbegriffe aufgrund ihrer positiven Assoziationskraft politisch instrumentalisiert zu werden 202. Schlimmstenfalls führt dies zu Diskussionsblockaden oder „Scheindebatten“ zwischen „Reformmotoren“ und „Reformbremsern“, in denen ausschließlich substanzlose Programmsätze ausgetauscht werden. Dennoch kann die Rechtswissenschaft nicht auf die Verwendung von Schlüsselbegriffen verzichten, zumal diese teilweise bereits „Karriere“ als Rechtsbegriffe gemacht haben 203. Zudem vermitteln sie ebenso wie politische Leitbilder im Idealfall übergeordnete Gerechtigkeitsvorstellungen und helfen „das bestehende Repertoire an Rechtsinstituten und Regelungsmodellen im Hinblick auf veränderte Realbedingungen neu zu durchdenken und fortzuentwickeln“ 204. Um Schlüsselbegriffe mit der erforderlichen Klarheit, Konkretheit und Struktur zu versehen und sie so für die verwaltungswissenschaftliche Debatte fruchtbar machen, müssen sie allerdings besser als bisher ausdifferenziert werden 205. Dies hat insbesondere die Legislative zu leisten, die beispielsweise für neue Formen der Kooperation, welche in den Schlüsselbegriffen „Verantwortungsverteilung“, „Kooperative Verwaltung“, „Regulierung“ 206, „Deregulierung“ und „Privatisierung“ zum Ausdruck kommen, einen transparenten rechtlichen Rahmen schaffen muss 207. Aufgabe der Gesetzgebung ist es, „mit Hilfe von eindeutigen Zielvorgaben unter Rücksichtnahme auf Ursachen und Folgen konsequente und auf die Ziele abgestimmte Maßnahmen zu treffen, die nachträgliche Revisionsmaßnahmen verhindern und eine Erfolgskontrolle ermöglichen“ 208. Allerdings ist der Gesetzgeber derzeit von der Erfüllung einer solchen systembildenden Leistung weit entfernt, wie die zunehmende unkritische Verwendung einer „politischen 200
Hoffmann-Riem, DÖV 1997, S. 433 (439). Vgl. exemplarisch anhand der Begriffe „Deregulierung“ und „Bürokratieabbau“ § 4 B III 2 und 3. 202 Ausführlich am Beispiel der Begriffe „Verwaltungsverantwortung“, „Konsens“, „regulierte Selbstregulierung“, „Deregulierung“ und „Privatisierung“ Schmitz, Deregulierung, S. 239 f. 203 Näher § 4 B III 3. 204 Voßkuhle, in: Grundlagen I, § 1 Rn. 41. 205 Schmitz, Deregulierung, S. 242 ff. 206 Zum Begriff der Regulierung als zunächst „konturenloser, offener Brücken- und Verbundbegriff“ Stober, BWvR, § 51 I sowie Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 13 Rn. 5 m.w. N. 207 Näher Schmitz, Deregulierung, S. 242 f. 208 Schmitz, Deregulierung, S. 243. 201
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1. Kap.: Einleitung
Marketingsprache“ in vielen aktuellen Verwaltungsreformgesetzen belegt. Aufgabe der Verwaltung ist es schließlich, die Verwaltungsmodernisierungsdiskussion durch langfristig und offen ausgelegte „Konzepte“ 209 zu steuern und so über unkoordinierte Einzelmaßnahmen hinauszugelangen.
B. Regelungsoptimierung als Schlüsselbegriff der vorliegenden Untersuchung Zunächst müssen der Bedeutungsgehalt der Regelungsoptimierung geklärt (I.) und ihre wichtigsten Einzelaspekte dargestellt werden (II.). Sodann gilt es, diesen Schlüsselbegriff von verwandten in der Verwaltungsreformdebatte häufig benutzen Bezeichnungen wie Verwaltungsmodernisierung, Verwaltungsreform, Verwaltungsreformpolitik, Bürokratieabbau und Deregulierung abzugrenzen (III) 210. I. Regelungsoptimierung – Versuch einer Begriffsbestimmung Diese Untersuchung beschäftigt sich vorwiegend mit Möglichkeiten und Grenzen der Regelungsoptimierung in Mecklenburg-Vorpommern. Unter Regelungsoptimierung wird die Gesamtheit der Maßnahmen verstanden, die auf eine Verbesserung der für das Verwaltungsverfahren im weiteren Sinne relevanten Vorschriften abzielt. Ziel der als planmäßiger, kontinuierlicher und langfristiger Prozess zu verstehenden Regelungsoptimierung im Bereich der Verwaltung ist es, eine Optimierung der Bereiche Rechtsetzung, Verwaltungsrecht und Verwaltungsverfahren zu erreichen. II. Einzelne Aspekte der Regelungsoptimierung Als Bestandteile der Regelungsoptimierung werden in der Verwaltungsmodernisierungsdiskussion die Bereiche Rechtsetzungsoptimierung, Rechtsoptimierung und Verfahrensoptimierung unterschieden, wobei zwischen Rechtsetzungsund Rechtsoptimierung allerdings lediglich graduelle Unterschiede bestehen. Dieser Untersuchung liegt ein sehr weiter Verfahrensbegriff zu Grunde, der alle für die tatsächliche Realisierung eines vom Bürger in Aussicht genommenen Projekts unter Umständen erforderlichen Verfahrensschritte in den Blick nimmt und 209 Ausführlich zum „Konzept“ als administrativer Steuerungsform Müller, 186 ff.; Pitschas, in: Blümel / Pitschas, Reform, S. 229 (249 ff.); Pitschas, DÖV 1989, S. 785 (796). 210 Die in den politischen Leitbildern „schlanker Staat“, „aktivierender Staat“ und „Governance“ zum Ausdruck kommenden Inhalte werden unter § 5 C II und D I, II dargestellt.
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sämtliche von der Planungsphase bis zur tatsächlichen Verwirklichung des Vorhabens erforderlichen Handlungen umfasst. In die nachfolgenden Betrachtungen werden daher in Erweiterung des zu engen Begriffsverständnisses in § 9 VwVfG M-V 211 mit dem in §§ 68 ff. VwGO geregelten Widerspruchsverfahren und dem sich ggf. anschließenden Verwaltungsprozess 212 Verfahrensschritte mitberücksichtigt, welche die tatsächliche Dauer von Investitionsvorhaben maßgeblich bestimmen und deshalb in den letzten Jahren verstärkt in die Reformdiskussion einbezogen wurden. Um den Umfang der Untersuchung nicht ausufern zu lassen, beschränkt sie sich hinsichtlich der Verfahrensoptimierung im Besonderen Verwaltungsrecht allerdings auf die Referenzgebiete öffentliches Baurecht mit dem Schwerpunkt Bauordnungsrecht, Umweltrecht und Wirtschaftsverwaltungsrecht 213. 1. Rechtsetzungsoptimierung Die Rechtsetzungsoptimierung umfasst im Gegensatz zur Rechtsoptimierung eher generelle, zukunftsgerichtete Aktivitäten zur langfristigen Verbesserung der Rechtsetzung 214. Zu den in der Internationalen Verwaltungswissenschaft mit dem Schlagwort „Better Regulation“ 215 verbundenen Rechtsetzungsoptimierung zählen etwa die Gesetzesfolgenabschätzung 216, die Experimentelle Gesetzgebung im Allgemeinen und die generelle Befristung von Rechtsvorschriften im Besonderen 217, um nur die wichtigsten in dieser Arbeit untersuchten Reforminstrumente zu nennen. Auch die Partizipation externer Experten- oder Enquetekommissionen im Rahmen der Vorbereitung großer Verwaltungsreformprojekte – für Mecklenburg-Vorpommern seien vor allem die im Februar 2003 vom Justizminister eingesetzte Deregulierungskommission und die Enquetekommission „Zukunfts211 Kritisch zum engen Verfahrensbegriff des § 9 VwVfG bereits Czybulka, Legitimation, S. 259 f., der in Anschluss an BVerfGE 37, 363 (390) einen „relativ weiten Verfahrensbegriff“ zugrunde legt, der „von der Vorbereitung und dem Beginn des Verwaltungshandelns bis hin zur Entscheidung selbst und deren Durchsetzung gegebenenfalls im Wege der Vollstreckung sowie der Entscheidungskontrolle im Bereich der Verwaltung“ reicht. 212 Dass es sich beim Verwaltungsprozess nicht um ein Verwaltungsverfahren i. S. d. Art. 84 Abs. 1 GG handelt, wird dabei nicht verkannt. 213 Zur Bedeutung von Referenzgebiete für die Systembildung im Verwaltungsrecht siehe § 3 B II 4. 214 Zur verfassungsrechtlichen „Pflicht zur guten Gesetzgebung“ unten § 7 A. 215 Bessere Rechtsetzung („Better Regulation“) war ein Schwerpunktthema der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2007. Beim Frühjahrsgipfel des Europäischen Rates am 08. und 09. 03. 2007 haben die Staats- und Regierungschefs der EU einen 25%-igen Abbau von aus EU-Recht herrührenden Verwaltungslasten bis zum Jahre 2012 beschlossen. Dazu Ahrens / Leier ZG 2007, S. 383 ff. 216 Dazu § 8 I B. 217 Siehe § 7 A II.
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fähige Gemeinden“ 218 genannt – ist Ausdruck einer langfristig ausgerichteten Rechtsetzungsoptimierung. Unter dem Aspekt der Rechtsetzungsoptimierung wird wegen ihrer vorwiegenden ex-ante-Orientierung auch die „Bürokratiekostenmessung“ nach dem Standardkosten-Modell (SKM) einschließlich der Einrichtung des damit in unmittelbaren Zusammenhang stehenden Nationalen Normenkontrollrats behandelt 219. 2. Rechtsoptimierung Anliegen der Rechtsoptimierung ist weniger die langfristige Verbesserung der Rechtsetzungsaktivitäten im Sinne einer „guten Gesetzgebung“ als vielmehr ein stärker punktuell und kurzfristig ausgerichteter Ansatz, der sich auf konkrete Aktivitäten zur „Renovierung einer vorgefundenen Rechtssituation“ konzentriert. Zur Rechtsoptimierung zählen daher alle Anstrengungen, welche der „Lichtung des Vorschriftendschungels“ dienen sollen. Um Rechtsoptimierung handelt es sich mithin bei allen Initiativen zur Rechtsbereinigung, zum Vorschriftenabbau und zur Deregulierung auf Bundes- und Landesebene 220. Auch Normprüfstellen und ähnliche Institutionen, welche konkrete Gesetzgebungsprojekte auf ihre Erforderlichkeit, Rechtsförmlichkeit, Wirtschaftlichkeit und Verständlichkeit prüfen, sind der Rechtsoptimierung zuzuordnen 221. 3. Verfahrensoptimierung Dritter zentraler Aspekt einer Regelungsoptimierung ist die Verfahrensoptimierung, welche wegen der starken rechtlichen Regulierung von Verwaltungsverfahren notwendigerweise eng mit der Rechtsoptimierung verbunden ist. Zur Verfahrensoptimierung zählen alle Maßnahmen, die eine Verbesserung des Verwaltungsverfahrens für den Bürger bezwecken. Im Mittelpunkt der diesbezüglichen Reformbemühungen stehen vor allem die Verfahrensvereinfachung, die Deregulierung und der Standardabbau. In dieser Untersuchung wird auch das derzeit vor dem Hintergrund der Umsetzung der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie in das nationale Recht intensiv diskutierte Konzept der Verfahrenskonzentration als Bestandteil der Regelungsoptimierung verstanden 222. Da der Begriff des Verwaltungsverfahrens nicht einheitlich verwendet wird, soll zunächst 218
Vgl. § 14 A und § 15 B. Eingehend § 8 D und § 18 B. 220 Dazu ausführlich § 8 C und E sowie § 18 C. 221 Zur Normprüfstelle in Mecklenburg-Vorpommern § 18 B. 222 Auch die Begriffe der „Genehmigung aus einer Hand“ und „One stop agency“ sind gebräuchlich. Zur Konzentrationswirkung der Baugenehmigung in Mecklenburg-Vorpommern vgl. § 19 A III. 219
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der dieser Untersuchung zu Grunde liegende Verfahrensbegriff erläutert werden (a.). Sodann werden die Leitgedanken der Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung als zentrale Elemente der Verfahrensoptimierung näher betrachtet (b.). a) Umfassender Begriff des Verwaltungsverfahrens Unter Verwaltungsverfahren werden hier in deutlicher Erweiterung des Verfahrensbegriffs in § 9 VwVfG M-V 223 alle Lebenslagen verstanden, in denen der Bürger mit der Verwaltung in Berührung kommt. Auf Grund dieses weiten materiellen Verfahrensbegriffs wird die Verfahrensoptimierung nicht auf die in § 9 VwVfG M-V genannten „Produkte“ Verwaltungsakt und öffentlich-rechtlicher Vertrag beschränkt, sondern umfasst ebenso alle Bereiche des sog. Informellen Verwaltungshandelns sowie die Rechtsetzung durch die Exekutive mittels Rechtsverordnungen, Satzungen und (vornehmlich innerrechtlich wirkende) Verwaltungsvorschriften. In diesem Zusammenhang sind auch die in dieser Arbeit nur am Rande behandelten, in ihrer Bedeutung aber nicht zu unterschätzenden Aktivitäten zur besseren Information der Öffentlichkeit über bestehende Rechtsund Verwaltungsvorschriften zu nennen 224. Ein so umfassend verstandener Verfahrensbegriff erlaubt auch die Betrachtung von Maßnahmen zur Beschleunigung und Vereinfachung von behördlichen und gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren, ohne die eine Untersuchung über Verwaltungsmodernisierung unvollständig bliebe. Ferner soll im Rahmen dieser Arbeit in der gebotenen Kürze auf neue Ansätze hin zu einem veränderten Beschwerdemanagement und auf moderne „mediative“ Formen der Konfliktlösung eingegangen werden, die mittlerweile Einzug in behördliche und gerichtliche Verfahren gehalten haben 225. Den Schwerpunkt der Überlegungen zur Verfahrensoptimierung in der Verwaltungspraxis, der sich diese Arbeit besonders verpflichtet fühlt, bilden allerdings weniger solche erst am Anfang ihrer Entwicklung stehenden „modernen“, als vielmehr eher traditionelle Instrumente der Verfahrensoptimierung. Vor allem das Widerspruchsverfahren als Kernstück förmlicher außeninitiierter behördeninterner Kontrolle ist dabei in den letzten Jahren verstärkt „in schweres Fahrwasser“ geraten und gegenwärtig sogar in seiner Existenz bedroht. Auch die seit 1990 konsequent betriebene Beschleunigung und Vereinfachung gerichtlicher Kontrollverfahren soll im bundesrechtlichen Teil dieser Arbeit näher beleuchtet werden 226. 223
6 ff.
224
Zum engen Verfahrensbegriff des VwVfG Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 9 Rn. 1,
Vgl. etwa § 18 C II 3. Eingehend Stumpf, Alternative Streitbeilegung im Verwaltungsrecht. Zur Mediation im Verwaltungsprozess unten § 9 G VII. 225
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b) Beschleunigung und Vereinfachung als zentrale Aspekte der Verfahrensoptimierung Die vorstehenden Ausführungen illustrieren die zentrale Bedeutung der in der Verwaltungsmodernisierungsdiskussion spätestens seit Beginn der 1990er Jahre dominanten Schlüsselbegriffe „Beschleunigung“ und „Vereinfachung“. Grundgedanke der Beschleunigung ist es, eine möglichst zügige Erledigung von Verwaltungsverfahren zu gewährleisten, ohne dass dadurch im Idealfall die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung wesentlichen Schaden nimmt. Das eng mit dem Beschleunigungsgedanken verbundene Streben nach Vereinfachung zielt darauf ab, die Überkomplexität in Verwaltungsverfahren zu reduzieren. Wichtige Instrumente zur Beschleunigung von Verwaltungsverfahren sind behördliche Entscheidungs- und Mitwirkungsfristen mit und ohne Fiktionswirkung 227 sowie Präklusionsvorschriften in komplexen Verwaltungsverfahren für Bürger mit Auswirkungen auch für den nachfolgenden Rechtsschutz. Sowohl der Vereinfachung als auch der Beschleunigung sollen der Abbau von Prüfpflichten in Genehmigungsverfahren und die Konzentration von Genehmigungen dienen 228. Eine nicht zu unterschätzende Vereinfachung von Verwaltungsverfahren kann darüber hinaus in der Aufgabenverlagerung auf ortsnahe Einheiten im Wege der Funktionalreform liegen, welche dem Bürger eine einfachere Behördenerreichbarkeit ermöglichen soll 229. Schließlich gehören auch klare und einfache Organisationsstrukturen innerhalb der Verwaltung, die Vermeidung von Zuständigkeitskonflikten und die Akzeptanzförderung durch verbessertes Informationsund Konfliktmanagement in diesen Modernisierungsbereich. Nicht unterschätzt werden dürfen schließlich Maßnahmen, die auf die Verbesserung der Verwaltungskultur zielen. Durch entsprechende Mitarbeiterführung und -motivation ein verändertes, dienstleistungsorientiertes Verwaltungsverständnis zu fördern, ist in langfristiger Perspektive besonders erfolgversprechend, was gleichwohl in der gegenwärtigen Modernisierungsdebatte nicht hinreichend berücksichtigt wird. III. Abgrenzung von anderen Schlüsselbegriffen der Verwaltungsmodernisierungsdiskussion Für den weiteren Fortgang der Untersuchung gilt es zunächst zu klären, was unter Verwaltungsreform zu verstehen ist und ob man diese terminologisch von der Verwaltungsmodernisierung unterscheiden kann (1.). Sodann ist in einem zweiten Schritt der verwaltungsrechtswissenschaftliche Schlüsselbegriff der Re226 Zu den Entwicklungen im Widerspruchsverfahren und im Verwaltungsprozess § 9 F und G. 227 Näher § 19 B. 228 Dazu § 19 A II und 3. 229 Zu Funktionalreformen in Mecklenburg-Vorpommern § 12 B und § 17.
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gelungsoptimierung von zwei anderen im Reformdiskurs häufig gebrauchten „Modebegriffen“, nämlich denen der Deregulierung und des Bürokratieabbaus, abzugrenzen (2.). 1. Verwaltungsreform, Verwaltungsreformpolitik und Verwaltungsmodernisierung Zu den im Modernisierungsdiskurs am häufigsten benutzten, gleichzeitig aber kaum hinterfragten Begriffen gehören die der Verwaltungsreform und der Verwaltungsmodernisierung. So beklagte Bernd Becker bereits 1989, dass „das Wort (und der Begriff) Reform offenbar ein passepartout für alles und deshalb wissenschaftlich leider nicht mehr exakt“ 230 sei. Die Verwaltungsmodernisierung wird jedenfalls seit dem Jahre 1999 auch als Rechtsbegriff gebraucht 231 und seitdem in großer methodischer Unbekümmertheit und ohne erklärende Legaldefinition in zahlreichen Rechtsvorschriften als selbstverständlich vorausgesetzt. In Mecklenburg-Vorpommern etwa wurde 2001 ein Gesetz zur Modernisierung der Liegenschaftsverwaltung sowie des Staatlichen Hochbaus 232 erlassen, dem eine Vielzahl von Verwaltungsmodernisierungs- bzw. Reformgesetzen folgen sollten 233. In keinem dieser Gesetze – auch nicht in dem im Sommer 2007 vor dem Landesverfassungsgericht spektakulär gescheiterten Gesetz zur Modernisierung der Verwaltung des Landes Mecklenburg-Vorpommern (VwModG M-V) 234– findet sich ein Hinweis, darauf, was unter „Verwaltungsreform“ bzw. „Verwaltungsmodernisierung“ eigentlich zu verstehen ist. Nachfolgend soll daher eine nähere Bestimmung dieser Begriffe versucht werden, ohne allerdings die politikwissenschaftliche Debatte um Reformbegriffe und Reformtheorien umfassend nachzeichnen zu können 235.
230 Becker, Öffentliche Verwaltung, S. 897 ff. bevorzugt daher den Terminus der Veränderung. Erfolgreiche Veränderungen bezeichnet Becker als Innovationen, die er in radikale, reformerische, marginale, zerstörende, restaurative und pervertierende Innovationen unterteilt. 231 Vgl. das „1. Gesetz zur Modernisierung von Regierung und Verwaltung in Nordrhein-Westfalen (1. ModernG NW)“ vom 15. 06. 1999 (GV NRW, S. 386). 232 Vom 17. 12. 2001, GVOBl. M-V, S. 600. 233 Beispielhaft: Gesetz zur Reform der Landesverwaltung im Geschäftsbereich des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur vom 28. 11. 2005; GVOBl. M-V, S. 574; Gesetz zur Reform der Landesverwaltung im Innenressort vom 19. 12. 2005; GVOBl. M-V, S. 640. 234 Vom 23. 05. 2006; GVOBl. M-V, S. 194. Eingehend unten § 17. 235 Noch hat sich keine einheitliche Verwaltungsreformtheorie und Theorie der Verwaltungswissenschaft als Reformwissenschaft entwickelt; vgl. Voigt / Walkenhaus, Handwörterbuch zur Verwaltungsreform, S. XIII.
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a) Verwaltungsreformen, Verwaltungsreformpolitik Verwaltungsreformen verfolgen „materielle Verbesserungen mit politischen Strategien in der Absicht, etwas zu verändern“ 236. So wird versucht, mit verwaltungspolitischen Instrumenten auf die schleichenden Wachstums- und Veränderungsprozesse der öffentlichen Verwaltung zu reagieren. Verwaltungsreformen sind somit zweckrational geplante Veränderungen von organisatorischen, rechtlichen, personellen und fiskalischen Strukturen der Verwaltung, wobei sich (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) Gebietsreformen, Reformen der Planung und Steuerung mit dem Ziel der Verbesserung administrativer Entscheidungsprozesse, Kabinettsreformen, Finanzreformen, Organisationsreformen, Dienstrechtsund Personalreformen unterscheiden lassen. Betrachtet man die einzelnen Typen von Verwaltungsreformen, so fällt die starke Binnenzentrierung der bisherigen Reformüberlegungen auf, denen die vorliegende Untersuchung bewusst einen mehr nach außen gerichteten Blick auf mögliche Regelungsoptimierungen in den „Außenbeziehungen“ der Verwaltung entgegensetzten will. In reformerischer Absicht betriebene Verwaltungspolitik bedeutet nach Carl Böhret „konzeptionell, leitbildorientiert, strukturverändernd, mittel- und langfristig, institutionenpolitisch“ wirkliche Veränderungen in der Verwaltung anzustreben, wobei alle Einzelmaßnahmen Teil einer Gesamtstrategie sind 237. Durch ein von bestimmten Leitbildern getragenes gezieltes Einwirken auf das „System Verwaltung“ soll das Vorhandene verbessert werden. Verwaltungsreformen werden durch Verwaltungsreformpolitik initiiert. Darunter ist eine Politik zu verstehen, die auf eine „Veränderung der organisatorischen und personellen Strukturen, Verfahren, Instrumente, aber auch der Kultur der öffentlichen Verwaltung mit dem Ziel gerichtet ist, ihre administrative Leistungsfähigkeit und (demokratisch-politische) Verantwortlichkeit ... zu erhöhen“ 238. Konzeptionell und langfristig erfolgreiche Verwaltungsreformpolitik setzt voraus, dass die politische Führung die Reform wirklich will, die Reformpolitik überzeugend nach innen und außen vertritt, Beharrungsvermögen aufbringt und die im Reformprozess involvierten „Reformmotoren“, aber auch alle sonstigen Mitarbeiter motiviert. Das für einen erfolgversprechenden Reformprozess geforderte Führungsgeschick der „Reformmittler“ setzt mindestens voraus, dass die politischen Repräsentanten des Reformprozesses strategische Visionen haben und diese auch überzeugend vermitteln können, dass sie innovations- und beratungsoffen sind und sich in der Lage zeigen, die Generallinie der Verwaltungsreformpolitik zu verdeutlichen und entsprechende Identifikationsangebote 236
Voigt / Walkenhaus, Handwörterbuch zur Verwaltungsreform, S. XIII. Böhret, Verwaltungspolitik als Führungsauftrag, in: Handbuch der Verwaltungsreform, S. 44 (48). 238 Wollmann, Reformdiskurse, in: Edeling / Jann / Wagner, Wissensmanagement, S. 17. 237
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zu unterbreiten 239. Diesen (anspruchsvollen) Anforderungen ist noch hinzuzufügen, dass es dabei insbesondere der Gefahr zu wehren gilt, einem blinden Reformeifer und einer nicht „geerdeten“ Reformrhetorik zu verfallen. Ansonsten riskiert man, durchaus reformoffene, gleichwohl einem allzu ausgeprägten Reformaktionismus skeptisch gegenüberstehende Verwaltungsmitarbeiter als potenzielle Mitstreiter zu verlieren. b) Verwaltungsmodernisierung Verwaltungsmodernisierung ist ein zentraler Aspekt der in der Bundesrepublik Deutschland spätestens seit den 1980er Jahren geforderten umfassenden „Modernisierung des Staates“ 240. Will man – anders als im politischen Tagesgeschäft, wo die Verwendung dieser Begriffe selbst in Gesetzen in erstaunlicher Beliebigkeit erfolgt 241 – Verwaltungsreform und Verwaltungsmodernisierung überhaupt voneinander abgrenzen 242, so lässt sich der zwischen den beiden bestehende graduelle Unterschied am ehesten wie folgt beschreiben: Bei Verwaltungsreformen handelt es sich um einen regelmäßig durch Leitbilder und / oder Programme festgelegten zielgerichteten Prozess mit Kenntnis des erwünschten Endzustandes 243, während Verwaltungsmodernisierung als bloße Ausrichtung des administrativen Systems auf veränderte Umweltbedingungen nicht zwingend das Ziel und den Endzustand des Modernisierungsprozesses kennen muss 244. Folgt man dieser – vor allem in der Betriebswirtschaftslehre üblichen, von der Politik- und Verwaltungswissenschaft aber nicht immer übernommenen – Differenzierung 245, so ergibt sich zwischen Verwaltungsreform und (bloßer) Verwaltungsmodernisierung ein durch strategisches Wissen begründetes Über-Unterordnungsverhältnis. 239 Böhret, Verwaltungspolitik als Führungsauftrag, in: Handbuch der Verwaltungsreform, S. 44 (48 f.). 240 Grundlegend Grande / Prätorius, Modernisierung des Staates?, 1997 und Naschold / Bogumil, Modernisierung des Staates, 1998. 241 Vgl. das sachsen-anhaltinische „Verwaltungs-Modernisierungs-Grundsätze-Gesetz vom 27. 02. 2003, das brandenburgische „Verwaltungs-Modernisierungs-Gesetz“ vom 10. 07. 2003 (GVBl., S. 193), das Berliner „Verwaltungsreform-Grundsätze-Gesetz“ vom 21. 12. 2005 (GVBl. 2006, S. 10) sowie das „Verwaltungsmodernisierungsgesetz M-V“ vom 23. 05. 2006 (GVOBl. M-V, S. 194). Zu jenem § 17 A. 242 Nach Schliesky, VerwArch 98 (2008), S. 313 (315) lassen sich die Begriffe dagegen weder wissenschaftlich noch praktisch voneinander abgrenzen. Sie werden daher in der rechtswissenschaftlichen Literatur überwiegend gleich lautend verwandt. Vgl. Püttner, Verwaltungslehre, § 4 Rn. 18 ff.; Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht I, § 2 Rn. 16. 243 Thom, Verwaltungsmodernisierung, in: Eichhorn, Verwaltungslexikon, S. 1143; Böhret, Verwaltungspolitik als Führungsauftrag, in: Handbuch der Verwaltungsreform, S. 44 (47). 244 Zur historischen Dimension des Modernisierungsbegriffes König, Verwaltung im Übergang, S. 145.
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Die in dieser Untersuchung in den Blick genommene Regelungsoptimierung erweist sich mithin als Teilelement der Verwaltungsreform, will man den einzelnen Reformaktivitäten zugestehen, integrativer Bestandteil eines strategischen Gesamtkonzepts zu sein. 2. Das Verhältnis von Deregulierung und Regelungsoptimierung Zu den in der Verwaltungsreformdebatte am häufigsten gebrauchten Begriffen gehört derjenige der Deregulierung 246. Mittlerweile vier Landesgesetze zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau in Mecklenburg-Vorpommern aus den Jahren 2005, 2006 und 2010 247, aber auch das „Gesetz zur Umsetzung von Vorschlägen zu Bürokratieabbau und Deregulierung aus den Regionen“ 248 zeigen, dass es sich hierbei um einen sehr „modernen“ Begriff handelt, der in seiner Bedeutung allerdings bisher nicht geklärt ist. a) Deregulierung als Modebegriff – Inflationäre Verwendung in der Verwaltungsreformdebatte Der Begriff der Deregulierung hat seit mehr als 20 Jahren Hochkonjunktur. Sowohl das Allgemeine Verwaltungsrecht als auch die in dieser Untersuchung betrachteten Referenzgebiete des Wirtschaftsverwaltungs-, Bauordnungs- und Umweltrechts sind in den beiden letzten Dekaden einer Vielzahl von Deregulierungsbemühungen unterzogen worden. So hat Mecklenburg-Vorpommern im Jahre 2003 – nicht nur hier einem bayerischen Vorbild folgend 249 – eine Deregulierungskommission eingesetzt, welche den nachfolgenden Prozess der Verwaltungsreform entscheidend geprägt hat. Der Justizminister hat in der Folgezeit mehrere Deregulierungsberichte vorgelegt und die bisher vier Gesetze zur „Deregulierung und zum Bürokratieabbau“ sind Kernelemente der seit Beginn des Jahres 2003 institutionalisierten Verwaltungsreform in MecklenburgVorpommern. Bereits diese wenigen Beispiele machen deutlich, dass Deregulierung als typischer „Modebegriff“ in der Politik- und Rechtssprache derzeit en vogue ist.
245 Ausführlich Voigt / Walkenhaus, Handwörterbuch zur Verwaltungsreform, XV f. Beispielhaft für eine synonyme Verwendung beider Begriffe Jann., Status-Report Verwaltungsreform, S. 9 ff. 246 Grundlegend Dolde, NVwZ 2006, S. 857 ff. 247 Näher zu deren Inhalt und rechtspolitischen Bewertung § 16 C. 248 Vom 21. 06. 2006; BGBl. I, S. 1666. Zu Entstehungsgeschichte und Inhalt § 8 E I. 249 Zu Mandat und Empfehlungen dieser sog. „Henzler-Kommission“ Lindner, BayVBl 2004, S. 225 ff.
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Umso mehr muss es verwundern, dass sein Bedeutungsgehalt bis heute nicht geklärt ist. Politische Verlautbarungen, aber auch Fachpublikationen begnügen sich regelmäßig mit summarischen Aufzählungen bestimmter Deregulierungsaktivitäten. So hat die Bundesregierung dem Bundestag bereits im Jahre 1994 umfangreich über ihre Deregulierungsmaßnahmen berichtet und dabei eine Vielzahl von Einzelprojekten vorgestellt 250. Eine nähere Erläuterung des Deregulierungsbegriffes sucht man dort allerdings vergeblich. Über allgemeine Hinweise dahingehend, „rechtliche Vorgaben und Auflagen“ müssten „auf das unumgängliche Ausmaß beschränkt bleiben“ und eine „zunehmende Verrechtlichung und Komplexität der Vorschriften“ dürfe „Bürger und Unternehmen, insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen, nicht über Gebühr in ihrer Kreativität und Initiative“ hemmen 251, kommen die Ausführungen nicht hinaus. Auch die angebotene Therapie für den konstatierten Missstand bleibt vage. Deregulierung stärke den Wettbewerb und erschließe zusätzliche Wachstumspotenziale, so dass ein zentraler Aspekt der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung mit dem Ziel der „Zukunftssicherung des Standortes Deutschland“ die „Durchforstung staatlicher Vorschriften“, eine „Entlastung von inzwischen überholten Wettbewerbsbeschränkungen und -verzerrungen“ sowie die „Lockerung des eng geschnürten Korsetts von langwierigen und komplizierten Genehmigungsverfahren sei. b) Wirtschaftswissenschaftlicher Ursprung Die Begriffe Regulierung und Deregulierung stammen aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften, wo Wirtschaftsregulierung als Summe aller Vorschriften verstanden wird, welche den staatlichen Eingriff in den Wettbewerbsprozess betreffen und die Freiheit des marktbezogenen wirtschaftlichen Handelns in Bezug auf einzelne Märkte und Gruppen einengen. Regulierungen beschränken den Marktzugang oder den Marktaustritt und limitieren die Vertragsfreiheit bezüglich der kontrahierten Leistungen und Preise 252. Deregulierungen sind im mikroökonomischen Bereich daher solche Rechtsveränderungen, die den Abbau von Marktkontrolle und von Staatsintervention betreffen, den Wettbewerb stärken und so zu einer Erweiterung wirtschaftlicher Freiheitsräume führen. Der Rückzug des Staates aus dem Wettbewerb geht dabei häufig mit einem Vorschriftenabbau einher 253. Zum internationalen Modethema wurde der ursprünglich aus den USA stammende Begriff „deregulation“ in den frühen 1980er Jahren. Zunächst wurde unter neoliberalen Vorzeichen vor allem in den USA, 250 BTDrs 12/7468. Der Bericht enthält mehr als 70 Einzelmaßnahmen aller Bundesministerien. 251 BTDrs 12/7468, S. 3. 252 In diesem Sinne wird der Begriff der Wirtschaftsregulierungen etwa von Basedow, Regulierung und Wettbewerb in marktwirtschaftlichen Ordnungen, S. 4 gebraucht. 253 Basedow, Regulierung und Wettbewerb in marktwirtschaftlichen Ordnungen, S. 4.
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Großbritannien, Frankreich, Japan, Neuseeland und Australien eine Politik der Deregulierung betrieben 254, welche 1987 auch den Weg nach Deutschland fand, als die Bundesregierung eine erste Deregulierungskommission einsetzte. Diese untersuchte mehrere besonders stark regulierte Bereiche der Wirtschaft – den Strommarkt, den Arbeitsmarkt und das Versicherungswesen – und formulierte in ihrem 1991 vorgelegten Abschlussbericht als Deregulierungsziel „mehr wirtschaftliche Freiheit, mehr Markt, mehr Wettbewerb“ 255. c) Rezeption durch die Rechtswissenschaft Zum „Modebegriff“ in der Rechtswissenschaft wurde die Deregulierung mit der in Deutschland seit Anfang der 1990er Jahre geführten Debatte um einen „schlanken Staat“ und den „Standort Deutschland“ 256. In der Folge gewann der Deregulierungsbegriff schnell an Attraktivität. So wurde Deregulierung zur „Essentiale einer grundlegenden Staatsverschlankung“ 257 und zum Baustein staatlicher Modernisierung erklärt, ohne dass allerdings eine begriffliche Klärung auch nur ernsthaft versucht wurde. Nur vereinzelt finden sich in der juristischen Literatur verdienstvolle Ansätze einer genaueren Begriffsklärung 258. Auch die Deregulierungsbestrebungen auf europäischer Ebene, welche mit der Einsetzung einer Gruppe unabhängiger Experten für die Vereinfachung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften durch die Europäische Kommission im Jahre 1995 begannen 259, förderten zunächst erhebliche terminologische Differenzen zu Tage 260. Das Expertengremium sah sich deshalb zunächst zu einer Bestimmung des von ihr verhandelten Gegenstands veranlasst, wobei man dort von einem eher engen Begriffsverständnis ausging, das die Rechts- und Verwaltungsvereinfachung als wesentlichen Bestandteil der Deregulierung hervorhob 261.
254
Ausführlich Molitor, Deregulierung in Europa, S. 20 ff. Näher Schmitz, Deregulierung, S. 6 f. 256 Ansätze einer Deregulierungsdebatte gab es allerdings bereits in den 1980er Jahren. Vgl. Seibel, DV 1987, S. 137 (140 f.). 257 Knemeyer, in: Festschrift für Blümel, S. 259. 258 Vgl. etwa Molitor, zitiert nach Aulehner, BayVBl 1998, S. 75 (76). Molitor definiert Deregulierung als die Liberalisierung von vorher hoheitlich speziell geregelten Bereichen, die Rechts- und Verwaltungsvereinfachung durch Neufassung oder Abschaffung von Rechtsvorschriften und Verwaltungsverfahren sowie die Neuregelung von Gesetzgebungsverfahren, damit frühzeitig entscheidende Anliegen der Bürger berücksichtigt werden. Kritisch Lindner, BayVBl 2004, S. 225 (226). 259 Ausführlich zu Mandat und Arbeitsweise der Gruppe Molitor, Deregulierung in Europa, S. 29 ff. 260 Näher Molitor, Deregulierung in Europa, S. 35. 261 Molitor, Deregulierung in Europa, S. 8. 255
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d) Neue Versuche einer Begriffsbestimmung Der bisher umfassendste Definitions- und Typisierungsversuch der Deregulierung stammt von Franz-Josef Lindner 262. Er versteht unter Deregulierung die „Verminderung der Ingerenz zwischen dem Recht und der von diesem gesteuerten Lebenswirklichkeit“ und will die Deregulierung so von der aus Kostengründen betriebenen staatlichen Deorganisation abgrenzen 263. Ausgehend von jenem Begriff entwickelt Lindner eine Typologie der Deregulierung, wobei er als deren Hauptansatzpunkte zum einen die quantitative und qualitative 264 Verringerung des die jeweilige Lebenswirklichkeit regelnden Normbestandes und zum anderen die Beschleunigung bzw. Vereinfachung des Normvollzugs 265 identifiziert. Bei der Vereinfachung des Normvollzugs differenziert Lindner weiter zwischen sog. „harten“ und „weichen“ Maßnahmen. „Harte Maßnahmen“ lassen sich durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften festlegen und durchsetzen oder bestehen in vereinfachenden inner- oder intrabehördlichen Organisationsakten. Beispiele hierfür sind etwa Beschleunigungsvorschriften mit Bearbeitungsund Genehmigungsfristen, ggf. verbunden mit Genehmigungsfiktionen, Konzentrationsvorschriften zur Verringerung der Anzahl notwendiger Genehmigungen oder besondere Genehmigungsfreistellungen zu Gunsten bloßer Anzeigepflichten. Zu den sog. „weichen“ Maßnahmen zählen dagegen innerorganisatorische Prozesse, die man unter dem Stichwort „Leiten und Führen in der öffentlichen Verwaltung“ zusammenfassen kann. Beispiele hierfür sind Mitarbeiterführung und -entwicklung, Personalauswahl, Weiterbildung, die Ausstattung behördlicher Arbeitsplätze mit moderner Kommunikationstechnologie und das innerbehördliche „Klima“. Beide Hauptansatzpunkte lassen sich miteinander kombinieren. e) Deregulierung als Bestandteil der Rechtsoptimierung Die diffuse Verwendung des Deregulierungsbegriffes in Politik und rechtswissenschaftlicher Diskussion provoziert die Frage, ob es sich bei der Deregulierung überhaupt um einen Rechtsbegriff handelt 266. Teilweise wird diesem 262
Lindner, BayVBl 2004, S. 225 (227). Zur „Deorganisation“ zählt Lindner, BayVBl 2004, S. 225 (227) die Verringerung der Anzahl von Behörden, die Verminderung und Verkleinerung von Organisationseinheiten innerhalb einer Behörde und die Verringerung des Personals innerhalb einzelner Organisationseinheiten. 264 Die quantitative Deregulierung zielt auf die Verringerung der Vorschriften ab, ohne dadurch die Regelungsintensität zwingend zu reduzieren. Qualitative Normreduktion ist die Reduzierung der Regelungsdichte mit dem Ziel, den Bürger weniger abstrakt-generellen Pflichten zu unterwerfen. 265 Lindner, BayVBl 2004, S. 225 (227). 266 Näher Schmitz, Deregulierung, S. 7 f. Nach Ronellenfitsch, Selbstverwaltung und Deregulierung, S. 40, ist Deregulierung „eher ein Schlagwort (als) ein rechtspoliti263
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Begriff eher der Status eines „politischen Stichworts“ als eines konturenscharfen Rechtsbegriffs zuerkannt 267. Allerdings hat die Deregulierung bereits seit mehreren Jahren Eingang in die Gesetzessprache sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene gefunden und kann schon deshalb nicht mehr ignoriert werden. Eine Vorreiterrolle kommt dabei dem mecklenburg-vorpommerischen „Gesetz zur Deregulierung des Bau-, Landesplanungs- und Umweltrechts (BLUDerG)“ aus dem Jahre1998 zu, wo der Begriff Deregulierung – soweit ersichtlich – erstmals in einem Gesetzestitel auftauchte 268. Aufgabe der Rechtswissenschaft muss es deshalb sein, den Begriff der Deregulierung operabel zu machen. Dieser Arbeit soll ein enger Deregulierungsbegriff zugrunde gelegt werden. Ein solches Begriffsverständnis findet sich in Ansätzen bereits in dem Bericht der oben erwähnten Europäischen Expertenkommission 269. In Anlehnung an § 1 Abs. 2 Satz 1 der Gemeinsamen Geschäftsordnung II – Richtlinien über Gesetz- und Verordnungsentwürfe der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns aus dem Jahre 1996 (GGO II M-V 1996) 270 werden unter Deregulierung (ausschließlich) die Rechtsvereinfachung und die Reduzierung von Rechtsvorschriften verstanden. Vorteil eines so eng gefassten Deregulierungsbegriffes ist seine durch ein relativ geringes Abstraktionsniveau zu erreichende hohe Operationalität. Anders als bei Zugrundelegung eines weiten Begriffsverständnisses fungiert der Deregulierungsbegriff nicht als wenig trennscharfer Sammel- oder Überbegriff 271, sondern lässt sich mit konkreten und abgrenzbaren Inhalten füllen. Deregulierung ist unter Zugrundelegung eines solchen steuerungswissenschaftlichen Ansatzes nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Zurückführung von Regelungsstrukturen in bestimmten Teilgebieten des Rechts auf ein sinnvolles Maß. Nicht unter den hier vertretenen engen Deregulierungsbegriff fallen deshalb Vorschläge zur Beschleunigung bzw. Vereinfachung des Normvollzugs, die Bestandteil der Verfahrensoptimierung sind. Nach dem sches Programm, das darauf abzielt, die gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungswerke ... auszudünnen“. 267 Schmitz, Deregulierung, S. 9. 268 Vom 27. 04. 1998; GVOBl. M-V, S. 388. 269 Siehe oben § 4 B III 2 c. 270 ABl. M-V 1996, S. 193. Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 GGO I war Ziel der Verwaltungsvorschrift „die Rechtsvereinfachung und die Reduzierung der Rechtsvorschriften des Landes auf das unbedingt erforderliche Maß (Deregulierung).“ Weniger prägnant jetzt § 1 Abs. 2 Satz 1 GGO II vom 02. 12. 2008; ABl. M-V 2009, S. 2. Danach ist Ziel der GGO II 2009, „den Erlass von Vorschriften sowie deren Inhalt und Wirkung für die Beteiligten am Verfahren und für die Anwender nachvollziehbar zu gestalten sowie die Regelungsdichte auf das unbedingt notwendige Maß zu begrenzen und Überregulierungen abzubauen (Deregulierung, Bürokratieabbau)“. 271 So Ritter, DVBl 1996, S. 542, wo Deregulierung auch die Effektivierung des Normvollzugs umfasst. Noch weiter Stober, in: Blümel / Pitschas, Reform, S. 131 (133) der Deregulierung als Überbegriff versteht, der Entbürokratisierung, Privatisierung und staatliche Aufgabenkritik beinhaltet.
§ 4 Bestimmung der maßgeblichen Begriffe
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hier gewählten Begriffsverständnis lässt sich das Verhältnis von Regelungsoptimierung und Deregulierung deshalb einfach beschreiben: Deregulierung ist ein (zentraler) Bestandteil der Rechtsoptimierung. f) Folgen des engen Deregulierungsbegriffs für diese Untersuchung Der als permanente Aufgabe zu verstehende Deregulierungsprozess umfasst die Überprüfung des vorhandenen Normbestandes auf überflüssige und überkomplexe Regelungen, an die sich ggf. die Reduzierung und die Vereinfachung von Rechtsvorschriften anschließt. Bei der Untersuchung von Maßnahmen zur Reduzierung und Vereinfachung des Vorschriftenbestandes werden auf Grund ihrer überragenden verwaltungspraktischen Bedeutung und ungeachtet ihrer zweifelhaften Außenrechtsqualität auch die Verwaltungsvorschriften einbezogen 272. Zu unterscheiden ist zwischen einer rein quantitativen Verringerung und der qualitativen Verbesserung des Normbestandes. Die bloße zahlenmäßige Verringerung von Rechtsnormen ist – anders als im politischen Diskussionsprozess häufig suggeriert – für eine erfolgversprechende Deregulierungsstrategie allein nicht ausreichend. Zwar ist ein Abbau überflüssiger Doppelregelungen und die im besten Fall von einem Kodifikationsgedanken getragene Zusammenfassung verstreuter gesetzlicher Bestimmungen in einem Gesetz sinnvoll. Eine quantitative Normreduktion dient der Transparenz und der besseren Durchschaubarkeit des jeweiligen Rechtsgebiets. Auf vielen Politikfeldern bleiben Regularien aber dennoch unverzichtbar. Gefordert sind daher nicht zwingend weniger Vorschriften, sondern vor allem anderen eine bessere Gesetzgebung 273. Die beliebte Übung, die geltenden Gesetze oder ihre Einzelvorschriften zu zählen, ist daher zwar nicht, wie teilweise behauptet, „schlicht sinnlos“ 274, darf aber auch nicht Hauptanliegen einer erfolgversprechenden Deregulierungsstrategie sein. Wichtiger als alle quantitativen Deregulierungsmaßnahmen ist eine qualitative Verbesserung des Normbestandes. Mit einer qualitativen Deregulierung muss die Reduzierung der Regelungsdichte bestimmter Rechtsbereiche mit dem Ziel einhergehen, den Bürger weniger (überflüssigen) abstrakt-generellen Pflichten zu unterwerfen. Dabei geht es insbesondere um die Abschaffung von als nicht notwendig erkannten gesetzlichen Verpflichtungen sowie um eine Lockerung von gesetzlichen Verboten und Geboten. In Sachgebieten, in denen weiterhin eine Regulierung notwendig erscheint, muss die qualitative Komponente bestehender Gesetze beachtet werden. Diese müssen – schon vor dem Hintergrund europarechtlicher Herausforderungen 275 – hinsichtlich Übersichtlichkeit, Strukturiertheit und Nachvoll272
Vgl. § 18 C II 3. Bull, DV 2005, S. 285 (300). 274 Bull, DV 2005, S. 285 (300). 275 Zur Normprüfung anlässlich der Umsetzung der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie § 19 C III. 273
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1. Kap.: Einleitung
ziehbarkeit einer kritischen Bestandsaufnahme unterzogen und ggf. novelliert werden. 3. Regelungsoptimierung und Bürokratieabbau a) Bürokratieabbau als politischer Mode- und Marketingbegriff Auch der Bürokratieabbau ist in den letzten 25 Jahren zum „politischen Modethema“ geworden. Spätestens seit den erstmals Ende der 1970er Jahre in der Bundesrepublik unter neo-liberalen bzw. neo-konservativen Vorzeichen geführten Diskussionen im Rahmen der ersten „Entbürokratisierungswelle“ 276 versprechen Initiativen zum Bürokratieabbau eine positive Resonanz in weiten Bevölkerungsteilen und erfreuen sich bei den um die „knappe Ressource Wählergunst“ buhlenden Parteien deshalb großer Beliebtheit. Die mittlerweile kaum noch zu überblickenden verschiedenartigen Initiativen zu „Entbürokratisierung“, „Bürokratieabbau“ und „Abbau von bürokratischen Hemmnissen“ 277 können sich des öffentlichen Beifalls sicher sein, da Bürokratie in der öffentlichen Wahrnehmung fast ausschließlich negativ besetzt ist. „Bürokratieabbau“ ist deshalb mittlerweile zu einem regelrechten „politischen Marketingbegriff“ geworden. Zur Illustration sei etwa auf den von der rot-grünen Bundesregierung im Jahre 2003 gestarteten „Masterplan Bürokratieabbau“ hingewiesen, der in der Folgezeit in „Initiative Bürokratieabbau“ 278 umbenannt wurde. Im Bundeswahlkampf 2005 wurde das Thema vor allem von CDU / CSU, SPD und FDP zu einem zentralen Wahlkampfthema gemacht 279. Auch im Bundestag vergeht kaum eine Woche, in der nicht Initiativen zum Bürokratieabbau angekündigt oder Projekte der Gegenseite als defizitär gebrandmarkt werden 280. Regelmäßig werden in der politischen Auseinandersetzung die Begriffe „Deregulierung“ und „Bürokratieabbau“ nebeneinander und ohne nähere Abgrenzung verwendet. Die inflationäre Verwendung des Begriffs „Bürokratieabbau“ ist die bedauerliche Konsequenz einer zunehmenden Politikgestaltung unter Marketinggesichtspunkten, wobei unter dem „politischen Plakatbegriff“ 281 Bürokratieabbau (oder „Entbürokratisierung“) die verschiedensten Maßnahmen zur Vereinfachung öffentlichen Verwaltungshandelns zusammengestellt werden 282. 276
Siehe unten § 5 B III. Zur Bürokratiekritik als Topos der damaligen politischen und verwaltungswissenschaftlichen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland Seibel, DV 1986, S. 137 ff. 277 Beispiele unter § 8 E. 278 Hierzu ausführlich § 8 C V 1. 279 Dem Bürokratieabbau war ein eigenes (neuntes) Kapitel in dem von CDU / CSU und SPD geschlossenen Koalitionsvertrag vom 11. 11. 2005 gewidmet. 280 Der im Rahmen dieser Untersuchung angelegte Ordner „Parlamentarische Initiativen auf Bundesebene“ umfasst mehr als 150 Einzelinitiativen aus den Jahren 2002 bis 2010.
§ 4 Bestimmung der maßgeblichen Begriffe
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b) Unbrauchbarkeit als wissenschaftlicher Analysebegriff: Verschiedene Dimensionen des Bürokratiebegriffs Als analytischer Begriff im wissenschaftlichen Diskurs ist „Bürokratieabbau“ weitgehend unbrauchbar, spielt die Bezeichnung doch (häufig allzu populistisch inspiriert) mit Erscheinungsformen des vom Bürger als belastend und der Wirtschaft als investitionshemmend wahrgenommenen „Politik- und Verwaltungsgestrüpps“ 283. Die „Bürokratie“, die es abzubauen gilt, wird dabei mit dem umgangssprachlichen, aus dem französischen übernommenen Bürokratiebegriff 284 gleichgesetzt, der auf eine Übersteigerung „bürokratischer“ Herrschaft („Bürokratismus“) abstellt und deshalb Formalismus, Inflexibilität und Langsamkeit zu den besonderen Kennzeichen bürokratischer Organisationen zählt 285. Diese Kritik kommt in den Titeln zahlreicher gut verkaufter populärwissenschaftlicher Bücher der letzten Jahre exemplarisch zum Ausdruck. So spricht Paul Kirchhof vom „Gesetz der Hydra“ und fordert „Gebt den Bürgern ihren Staat zurück“. Thomas Wieczorek hatte mit dem Titel „Schwarzbuch Beamte – Wie der Behördenapparat unser Land ruiniert“ 2007 einen Achtungserfolg und Olaf Baale beschrieb bereits 2004 „Die Verwaltungsarmee. Wie Beamte den Staat ruinieren“. Einem solchen mittlerweile umgangssprachlich besetzten Bürokratiebegriff ist der wissenschaftliche Begriff Max Webers 286 entgegenzuhalten, der Bürokratie als „rationale“ Form der „legalen Herrschaft“ und „legitimen Macht“ definiert. Der von Weber durchaus positiv besetzte – weil die Bevorzugung oder Benachteiligung Einzelner durch die Einhaltung von rational begründeten „Spielregeln“ verhindernde – Bürokratiebegriff ist durch die Merkmale einer arbeitsteiligen, kontinuierlichen und regelgebundenen Erfüllung von Amtsgeschäften durch hauptberuflich tätige, mit einem festen Gehalt versehene, laufbahngebundene, allein nach Fachqualifikation ausgewählte und einer strengen Amtsdisziplin und Kontrolle unterworfene Beamte geprägt. Kennzeichnend für ein so verstan281 Lindner, BayVBl 2004, S. 225 (228). Nach Schliesky, VerwArch 99 (2008), S. 313 (338) handelt es sich um ein „politisches Schlagwort mit einem erheblichen populistischen Potenzial.“ 282 Vgl. etwa den Begriff der „Entbürokratisierung“ bei Wittmann, GewArch 2010, S. 137 (138). 283 Näher Bull, DV 2005, S. 285 (286 ff.). 284 Der Begriff Bürokratie wurde von dem Franzosen Vincent de Gournay (1712 bis 1759) geprägt und setzt sich aus dem französischen Wort bureau und dem frz. Suffix -cratie, das zum griechischen Wort kratos (Herrschaft, Gewalt, Macht) gebildet wurde, zusammen. Als „Herrschaft des Büros“ ist ein solcher Bürokratiegriff traditionell negativ besetzt. Politische Bürokratiekritik wird daher seit mehr als 200 Jahren geübt; vgl. Bull, DV 2005, S. 285 f. 285 Zu Webers Begriff der Rationalität des Rechts Raiser, JZ 2008, S. 853 ff. 286 Maximilian Carl Emil Weber (1864 bis 1920) war Jurist, Nationalökonom und Soziologe und hat die Soziologie in Deutschland als eigenständige Wissenschaftsdisziplin etabliert. Vgl. näher Radkau, Max Weber. Die Leidenschaft des Denkens, 2005.
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1. Kap.: Einleitung
denes bürokratisches Prinzip sind feste Kompetenzzuweisungen, das Prinzip der Amtshierarchie, der Trennung des Verwaltungsstabes von den Verwaltungs- und Beschaffungsmitteln sowie das Prinzip der Aktenmäßigkeit der Verwaltung 287. Das Bürokratiemodell Webers ist zwar in der Folge kritisch hinterfragt worden 288, garantiert nicht in jeder Situation eine effiziente Aufgabenerfüllung 289 und muss sich Fragen wie die nach der Legitimation des durch überlegenen Sachverstand bedingten großen politischen Einflusses der Ministerialbürokratie, der Selektivität ihrer Interessenberücksichtigung und ihrer strukturellen Leistungsfähigkeit gefallen lassen. Dennoch sind mit ihm eine Reihe von Errungenschaften verbunden, die von den derzeit unter dem Thema Bürokratieabbau durchgeführten Maßnahmen auch nicht in Frage gestellt werden sollen. In Wahrheit geht es den unter dem populären Begriff des Bürokratieabbaus gleichsam „unter falscher Flagge“ 290 durchgeführten Aktivitäten um heterogene Ziele wie die Vereinfachung und Beschleunigung von Verwaltungsverfahren oder die Messung und Reduzierung von Informationspflichten. Entbürokratisierung ist daher nicht mehr als ein wohlfeiles politisches Schlagwort, mit dem im politischen Wettstreit „Punkte gemacht“ werden können 291. Um einen wissenschaftlich konsistenten Analysebegriff mit eigenem Bedeutungsgehalt und analytischer Trennschärfe handelt es sich dagegen nicht 292. Allerdings darf die Verwaltungsrechtswissenschaft den Begriff Bürokratieabbau nicht mehr ignorieren. Diese Bezeichnung wird mittlerweile nicht mehr ausschließlich in politischen Absichtserklärungen und Erfolgsberichten verwandt, sondern ist seit einigen Jahren zum Rechtsbegriff geworden. Soweit ersichtlich hat dabei Nordrhein-Westfalen mit dem „Gesetz zum Bürokratieabbau in der Modellregion Ostwestfalen-Lippe“ vom 16. 03. 2004 eine bundesweite Vorreiterrolle eingenommen 293. Auch in Mecklenburg-Vorpommern wurden – beginnend im Oktober 2005 294 – mittlerweile vier „Gesetze zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau“ verabschiedet. Eine nähere Umschreibung der Begriffe Deregulierung und Bürokratieabbau enthalten 287 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 124 ff. und S. 551 ff. Zum Bürokratiebegriff Webers auch Seibel, DV 1986, S. 137 (142 ff.). 288 Dose, in: Nohlen / Grotz, Stichwort: „Bürokratie“. Zu beachten ist, dass der von Weber benutzte Begriff des „Idealtypus“ kein „Ideal“ sondern ein Referenzsystem der verstehenden Soziologie ist. 289 Bürokratische Organisationen nach dem Weberschen Idealtypus sind bei der Erledigung von Routineaufgaben erfolgreich, für ständig wechselnde, bisher weitgehend unbekannte Herausforderungen und für eine aktive Gestaltung wenig prognostizierbarer Prozesse aber weniger geeignet. 290 Zutreffende Kritik bei Bull, DV 2005, S. 285 ff. 291 Vgl. etwa den Aufsatztitel von Wittmann, GewArch 2010, S. 137, wonach Bürokratieabbau und bessere Rechtssetzung ein „Wachstumsprogramm zum Nulltarif“ sind. 292 Ebenso Lindner, BayVBl 2004, S. 225 (228). 293 GV. NRW, S. 134. Näher zu den Modellregionen für Bürokratieabbau § 16 C I 1. 294 Erstes Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau; GVOBl. M-V, S. 535. Näher § 16 C.
§ 5 Entwicklung der Verwaltungsreformdiskussion auf Bundesebene
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diese aber ebenso wenig wie das „Erste Gesetz zum Abbau von bürokratischen Hemmnissen im Land Brandenburg“ (Erstes Brandenburgisches Bürokratieabbaugesetz – 1. BbgBAG)“ vom 28. Juni 2006 295.
§ 5 Historische Entwicklung der Verwaltungsreformdiskussion auf Bundesebene Regierungs- und Verwaltungsreformen sind Daueraufgaben 296 für die politisch Verantwortlichen auf allen staatlichen Ebenen 297 und stehen als ressortübergreifende Querschnittsaufgaben im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die historische Dimension des aktuellen Diskurses 298 zur Politik der Staats- und Verwaltungsreform auf Bundes- und Landesebene kann man nur verstehen, wenn man sich der bisherigen Verwaltungsreformen in der Bundesrepublik Deutschland erinnert. Die nachfolgende Betrachtung bisheriger Reformverläufe unter einem erst in den letzten Jahren verstärkt gepflegten verwaltungsgeschichtlichen Blickwinkel 299 wird einerseits deutlich machen, dass gegenwärtig zahlreiche Fragen diskutiert werden, die bereits bei früheren Reformen eine zentrale Rolle gespielt haben. Andererseits ist der aktuelle Diskurs durch eine aus unterschiedlichen Quellen gespeiste „beispiellose Dynamik der Modernisierungskonzepte“ 300 geprägt. Der in historischer Perspektive singuläre Bedarf an gesamtstaatlichen Reformpolitiken und Modernisierungsstrategien ist veränderten sozioökonomischen, politischen und institutionellen Rahmenbedingungen der 295
Bbg GVBl., S. 73. Zur Verwaltungsreform als Dauerthema Schliesky, VerwArch 99 (2008), S. 313 (314 ff.). 297 Hesse, Regierungs- und Verwaltungsreform, S. 141 ff. Einen Überblick über den Reformstand auf Bund-, Länder- und Gemeindeebene gibt Hesse, NdsVBl 2007, S. 145 ff. 298 Mit Wollmann, Reformdiskurse, in: König, Deutsche Verwaltung, S. 489 (490) wird unter Verwaltungspolitikdiskurs der Prozess verstanden, in dem die verwaltungspolitischen Entscheidungen konzeptionell vorbereitet und argumentativ begleitet werden. Dieser Diskurs enthält regelmäßig die Schritte Problemdefinition, „Agenda-Setting“ sowie Konzept- und Strategieformulierung ab und geht der eigentlichen Entscheidung und deren Implementation voraus. 299 Die erste groß angelegte Darstellung der deutschen Verwaltungsgeschichte wurde ab 1983 von Kurt G. A. Jeserich, Hans Pohl und Georg-Christoph v. Unruh herausgegeben. Zu den Ursachen der verspäteten Entdeckung der Verwaltungsgeschichte Ellwein, VerwArch 87 (1996), S. 1 ff. 300 Wallerath, Einführung, in: Wallerath, Verwaltungserneuerung, S. 9 macht dafür „eine eigenartige Mischung von Antrieben aus einer erdrückenden Insuffizienz der öffentlichen Haushalte, berechtigten Kritikpunkten an den überkommenen bürokratischen Strukturen und diffusen Vorbehalten gegenüber dem öffentlichen Dienst“ verantwortlich. 296
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1. Kap.: Einleitung
Gesellschaft geschuldet, die sich mit den Schlagworten „strukturelle Schieflage öffentlicher Haushalte“, „ökonomischer Strukturwandel“, „Stabilitätseinbußen und gesellschaftliche Desintegrationsprozesse“, „demographische Entwicklung“ sowie „politisch-administrative Maßstabsvergrößerungen“ skizzieren lassen 301.
A. Die deutsche Verwaltung – reformfreudig? Manch landläufigem Vorurteil und der Erkenntnis Max Webers zu Trotz, wonach eine einmal voll durchgeführte Bürokratie zu den am schwersten zu zertrümmernden sozialen Gebilden gehört 302, kann die deutsche Verwaltung mit einigem Recht als reformfreudige Verwaltung bezeichnet werden 303. So identifizierte Bernd Becker in seinem Lehrbuch des Verwaltungsrechts von 1806 bis 1989 insgesamt elf Verwaltungsreformepochen mit nicht weniger als 42 wesentlichen Reformmaßnahmen, die einen Bogen von der Neukonstruktion der ministeriellen Verwaltungsorganisation im Rahmen der Stein / Hardenbergischen Reformen in Preußen 304 bis hin zur wachsenden Einbindung der deutschen Verwaltung in den „EG-Impletationsvorgang“ spannen 305. Bereits im Sommer 1807 forderte Karl Reichsfreiherr von und zum Stein in seiner für die preußische Reformpolitik der Folgejahre wegweisenden Nassauer Denkschrift nichts weniger als eine Reform des preußischen Staates „an Haupt und Gliedern“ mit dem Ziel, das altertümliche Kabinett des Königs mit seinen unklaren Kompetenzen durch moderne Fachministerien zu ersetzen, die schon damals als aufgebläht bezeichnete Staatsbürokratie zu verringern, die gemeindliche Selbstverwaltung zu etablieren und die Bevölkerung stärker am Staatsleben zu beteiligen 306. Seit dieser Zeit ist der Ruf nach „Verwaltungserneuerung“ 307 ein Dauerthema. Auseinandersetzungen über Gebiets- und Funktionalreformen, wie derzeit etwa in MecklenburgVorpommern 308, oder der „Kampf“ um das Berufsbeamtentum werden nicht erst 301 Zum gesteigerten Bedarf an Modernisierungsstrategien Hesse, Regierungs- und Verwaltungsreform, S. 141 ff. 302 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 569. Bestätigt wird Webers Wahrnehmung durch eine empirische Untersuchung über Ausmaß und Ursachen von Organisationsabbau in der deutschen Verwaltung von Adam / Bauer / Knill, VerwArch 99 (2008), S. 153 ff. Diese haben die „Sterblichkeit“ staatlicher Organisationen am Beispiel der Bundesverwaltung von 1949 bis 2006 untersucht. Mit 14 erwies sich die Zahl der „echten“ Beendigungen von Verwaltungseinheiten als überschaubar. 303 Seibel, Verwaltungsreformen, in: König / Siedentopf, S. 87. 304 Näher zu den Stein / Hardenbergischen Reformen Frotscher / Pieroth, Rn. 188 ff. 305 Zur historischen Dimension der Verwaltungsreformdebatte Becker, Öffentliche Verwaltung, § 51. 306 Vgl. Wallerath, VerwArch 88 (1997), S. 1. Umfassend zur Reform der Staatsorganisation in Preußen durch die im Dezember 1808 publizierte neue Regierungsverfassung Frotscher / Pieroth, Rn. 210 ff. sowie Ellwein, VerwArch 87 (1996), S. 1 (10 ff.).
§ 5 Entwicklung der Verwaltungsreformdiskussion auf Bundesebene
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seit den 1990er Jahren geführt 309. So forderte der damalige preußische Innenminister Bill Drews bereits in den letzten Jahren der preußischen Monarchie vergeblich, die Zahl der Beamten zu vermindern und die Regierungspräsidien abzuschaffen 310.
B. Drei Phasen der Verwaltungsreformdiskussion bis zur deutschen Wiedervereinigung Nachfolgend soll zunächst der Verlauf der Verwaltungsreformdiskussion in der „alten Bundesrepublik Deutschland“ nachgezeichnet werden. Bis 1990 gab es dort mehrere Phasen, in denen Bestrebungen nach Verwaltungsmodernisierung Hochkonjunktur hatten. Solche „Reformschübe“ waren in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass politischer Problemdruck administrativ zu bewältigen war. Externe Reformanstöße auf der Grundlage eines breiten politischen und gesellschaftlichen Konsenses wurden weitgehend selbständig von den professionellen Verwaltungseliten auf der Grundlage eines durch Traditionen gefestigten Selbststeuerungspotentials umgesetzt 311. Die Entwicklung der deutschen Verwaltung nach dem 2. Weltkrieg war allerdings eher durch inkrementelle und punktuelle als durch radikale und umfassende Veränderungen geprägt. Ursache hierfür ist die im internationalen Vergleich 312 strukturell defizitäre administrative Reformkapazität eines politischen Systems, das durch Fragmentarisierung und Dezentralisierung exekutiver Macht, eine starke institutionelle Verankerung stabiler administrativer Strukturen und Verfahren sowie einen hohen Einflusses der Bürokratie auf die Politikgestaltung gekennzeichnet war (und ist) 313. Bis zur Wiedervereinigung lassen sich drei Phasen der Verwaltungsreform 314 unterscheiden. Dabei kann das in den Jahren 1949 bis 1965 vorherrschende Reformleitbild mit dem Begriff des „demokratischen Staates“ umschrieben werden, welcher Mitte der 1960er Jahre vom „aktiven Staat“ abgelöst wurde. Ende der 1970er Jahre setzte schließlich eine erste Entbürokratisierungswelle ein, mit 307 So der Titel der Greifswalder Antrittsvorlesung von Maximilian Wallerath, VerwArch 88 (1997), S. 1. Diesem Thema widmeten sich auch die „Dritten Greifswalder Verwaltungsfachtage“ 1999, dokumentiert in Wallerath (Hrsg.), Verwaltungserneuerung. 308 Ausführlich § 17. 309 Nachweise bei Ellwein, VerwArch 87 (1996), S. 1 (16 f.). 310 Drews, Grundzüge einer Verwaltungsreform, Berlin 1919, zitiert nach Ellwein, VerwArch 87 (1996), S. 1 (16). 311 Seibel, Verwaltungsreformen, in: König / Siedentopf, S. 87 (91). 312 Knill, VerwArch 94 (2003), S. 419 (430). 313 Zur Reformkapazität politischer Systeme im internationalen Vergleich Knill, VerwArch 94 (2003), S. 419 ff. 314 Zum Ganzen Seibel, Verwaltungsreformen, in: König / Siedentopf, S. 87 (91 ff.).
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welcher der „überforderte Staat“ auf seine Kernaufgaben zurückgeführt werden sollte. I. Die Phase des „demokratischen Staates“ 1949 bis 1965 In den Anfangsjahren der Bundesrepublik Deutschland standen die Kriegsfolgenbewältigung und der Aufbau der ministeriellen Bundesverwaltung im Mittelpunkt aller Reformbestrebungen. Dabei knüpfte die öffentliche Verwaltung weitgehend an den Organisations-, Aufgaben-, Verfahrens- und Rechtsbestand des Dritten Reiches an, eine „Stunde Null“ im engeren Sinne gab es nicht 315. Die weitgehende personelle und institutionelle Kontinuität im Berufsbeamtentum 316 wurde in diesen Jahren zunächst tabuisiert und erst viel später unter den Stichworten „Demokratieversagen“ und „Obrigkeitsstaat“ diskutiert 317. Zentrale Aufgaben in jener Phase waren die Reaktion auf verwaltungsexternen Problemdruck in Form der Gewährleistung eines die Integration fördernden Lastenausgleichs und die Bewältigung der politisch-psychologischen Folgen von Flucht und Vertreibung 318. Mitte der 1950er Jahre konnte die Bundesrepublik Deutschland in politischer und administrativer Hinsicht als politisch konsolidiert gelten. Die sich anschließende Reformpause währte bis in die Mitte der 1960er Jahre und wurde von zahlreichen gesellschaftlich relevanten Gruppen als Phase der „Stagnation“, des „Reformstaus“ oder sogar der „Reformfeindlichkeit“ wahrgenommen 319. Wenn es in diesen Jahren überhaupt einen Willen zu „Verwaltungsreformen“ im engeren Sinne gab, war dieser darauf gerichtet, die Verwaltungszustände vor 1933 nach den Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu restaurieren 320. Zu den zentralen Mechanismen des Steuerungsmodells der frühen Jahre der Bundesrepublik Deutschland gehörten Hierarchie, Recht und Regeln, wobei die Verwaltung der Politik untergeordnet war und keinerlei Eigeninteressen formulierte. Zu umfassenden Reformen sah man sich wegen des existenziellen Problemdrucks zunächst außerstande. Zwar gab es bereits in den frühen Jahren der Bundesrepublik Expertenkommissionen, Denkschriften und 315
Umfassend zum Verwaltungsaufbau nach 1945 Fisch, in: König, Deutsche Verwaltung, S. 11 ff. Instruktiv auch Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Band 5, S. 11 ff. 316 Zur Entwicklung des öffentlichen Dienstes im Nachkriegsdeutschland Püttner, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band V, S. 1124 ff. Mit dem Regelungsgesetz zu Art. 131 GG vom 11. 05. 1951 (BGBl. I, S. 307) wurde den am 08. 05. 1945 aus dem Dienst ausgeschiedenen und bisher nicht wiederverwendeten Beamten und Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes grundsätzlich ein Anspruch auf Wiederverwendung zugestanden. Das Gros der früheren Beamten und Arbeitnehmer konnte deshalb, soweit nicht bereits vorher weiterbeschäftigt, in den öffentlichen Dienst zurückkehren. 317 Näher Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Band 5, S. 11 ff. 318 Voigt / Walkenhaus, Handwörterbuch zur Verwaltungsreform, S. VI; S. XXIII. 319 Instruktiv Seibel, Verwaltungsreformen, in: König / Siedentopf, S. 87 (92). 320 Voigt / Walkenhaus, Handwörterbuch zur Verwaltungsreform, S. XXIII.
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Gutachten zur Entlastung der Behörden von Verwaltungsaufgaben und Überlegungen zur Verwaltungsvereinfachung, wie etwa die im Frühjahr 1957 vom Bundesminister des Inneren eingesetzte „Sachverständigenkommission für die Vereinfachung der Verwaltung 321. Diese Reformideen gelangten aber über bloße Programme und Absichtserklärungen nicht hinaus. II. Die Ära des aktiven Staates Erst mit der Großen Koalition 1966 begann eine zweite Reformära, die mit dem Leitbild des „aktiven Staates“ verbunden ist und jedenfalls bis zum Ende der Kanzlerschaft Willy Brandts 1974 andauerte. Die erste große Wirtschaftskrise Anfang der 1960er Jahre führte zu neuen gesellschaftlichen und ökonomischen Anschauungen, der Staat versuchte sich in keynesianistischer Globalsteuerung, um mit langfristig angelegter, vorausschauender Politik in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen zu können. „Planung“ und „aktive Politik“ wurden so zu neuen Schlüsselbegriffen. Infrastruktur, Information und Verhandlung (Konzertierte Aktion) wurden zu zentralen Steuerungsinstrumenten eines auf gesteigerte Problemlösungskapazitäten und Effektivierung des Verwaltungshandelns drängenden Reformdiskurses 322. Eine regelrechte Planungseuphorie prägte diese Epoche: Bildungsplanung, Raumordnung, Globalsteuerung, Infrastruktur und Investitionslenkung sind Ausdruck des damals herrschenden Zeitgeistes. Ferner expandierte die staatliche Daseinsvorsorge, was zu Organisationsproblemen führte, die durch staatliche Planung gelöst werden sollten. Mit dieser Ära permanenter innerer Reformbestrebungen waren Überlegungen zur Modernisierung der Verwaltung in nahezu allen ihren Teilbereichen verbunden. Als erfolgreiche Reformen seien die Finanzreform des Jahres 1969, vor allem aber die vom Ende der 1960er bis in die Mitte der 1970er Jahre andauernden kommunalen Gebietsreformen in den Ländern genannt 323. Die Zeit bis zum Ende der Kanzlerschaft Willy Brandts wird heute noch als intensivste Verwaltungsreformbewegung in der „alten“ Bundesrepublik Deutschland wahrgenommen 324. Vor allem die Gebietsreformen, die nicht weniger als eine territoriale Generalreform des Staates 321 Zu deren Tätigkeit Ule, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band V, S. 1168. Vgl. weiter Jann, Zur Entwicklung der öffentlichen Verwaltung, in: Ellwein / Holtmann (Hrsg.), 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland, S. 520 (528 f.) mit Ausführungen zu entsprechenden Aktivitäten in Nordrhein-Westfalen 1952, Bayern 1955, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein 1958. 322 Voigt / Walkenhaus, Handwörterbuch zur Verwaltungsreform, S. VI; S. XXIV. 323 Vgl. Püttner, Verwaltungslehre, § 8 Rn. 18 ff; Thieme / Prillwitz, Durchführung und Ergebnisse der kommunalen Gebietsreform; Thieme, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band V, S. 1029 ff. 324 Von „einem der größten und einflussreichsten Reformprogramme in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg“ spricht Thieme, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band V, S. 1029 ff.
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„an Haupt und Gliedern“ zum Ziel hatten und auch vor Überlegungen zur Neugliederung des Bundesgebiets nicht Halt machten 325, sind bis heute als besonders einschneidende Erlebnisse im Bewusstsein der kommunalen Verwaltungseliten, aber auch der Bevölkerung verankert. Nach Abschluss der Gebietsreformen Mitte der 1970er Jahre hatte sich die Zahl der Regierungsbezirke von 33 auf 25, die Zahl der Landkreise und kreisfreien Städte von 562 auf 322 und die Zahl der Gemeinden von 24.282 auf 8.518 verringert 326. Bestrebungen zur Modernisierung der Ministerialverwaltung und des öffentlichen Dienstrechts scheiterten hingegen 327. Das Leitbild des „aktiven Staates“ führte zu einer erheblichen Ausweitung der Staatsquote. Das Wachstum des öffentlichen Sektors, bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Adolph Wagner 328 als „Gesetz der wachsenden Staatstätigkeit“ entdeckt und von Thomas Ellwein noch Mitte der 1990er Jahre als „bis heute gültiges Lebensgesetz der Verwaltung“ 329 bezeichnet, war zu Zeiten des „aktiven Staates“ besonders ausgeprägt. Von 1965 bis 1975 stieg die Zahl der im öffentlichen Dienst Beschäftigten von 1,87 auf 3,48 Millionen. In dieser Reformphase blieb der Staat zwar zentrale Steuerungsinstanz, zugleich entwickelte sich die Verwaltung jedoch zu einem Brückenkopf der Verbände. Dies und die verstärkte Betonung von Kooperations- und Verhandlungslösungen („Abkehr vom Obrigkeitssaat“, „Demokratisierung“) musste zwangsläufig zur Zunahme bürokratischer Tendenzen führen. Überdies erweiterte die Verwaltung auf der Grundlage ihres Aufgabenzuwachses und ihres organisatorischen Ausbaus ihre Eigenständigkeit gegenüber der Politik 330.
325 1973 legte die sog. „Ernst-Kommission“ ihren Abschlussbericht vor. Sie schlug ein Fünf- bzw. Sechs-Länder-Modell vor, wobei im Norden entweder ein Nordstaat aus allen vier Ländern oder zwei Staaten um Hamburg (Nordoststaat) und um Bremen / Hannover (Nordweststaat) gebildet werden sollte. Zur Reaktion im politischen Raum Püttner, Verwaltungslehre, § 8 Rn. 28. 326 Zahlen nach Thieme, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band V, S. 1027 (1035 ff.); Seibel, Verwaltungsreformen, in: König / Siedentopf, S. 87 (95). Die durchschnittliche Einwohnerzahl der kreisfreien Städte betrug nun 232.945 statt zuvor 167.410 und die der Gemeinden bzw. Gemeindeverbände 7.242 statt 1.510. 327 Näher Seibel, Verwaltungsreformen, in: König / Siedentopf, S. 87 (96 f.). 328 Wagner, Lehrbuch der politischen Ökonomie, Band V, S. 76 ff. Adolph Heinrich Gotthilf Wagner (1835 bis 1917) war Nationalökonom und Schüler Robert v. Mohls. 329 Ellwein, VerwArch 87 (1996), S. 1 (17). So verfügte der Kreis Paderborn 1900 über zehn, 1990 über 700 Mitarbeiter. Das Regierungspräsidium in Minden hatte 1900 weniger als 50 und 1990 mehr als 500 Mitarbeiter. 330 Näher Böhret / Konzendorf, Verwaltung im gesellschaftlichen und ökonomischen Umfeld, in: König / Siedentopf, S. 67 (72 f.).
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III. Die erste Entbürokratisierungswelle Ende der 1970er Jahre 1. Aktivitäten zur „Entbürokratisierung“ und Rechtsvereinfachung Etwa ab Mitte der 1970er Jahre wurde die Reformrhetorik der späten 1960er und frühen 1970er Jahre von einer gegenläufigen Bewegung abgelöst. Vorherrschend war der – nicht mehr nur ausschließlich in konservativen und liberalen Kreisen geäußerte – Leitgedanke, der Staat habe sich zu viel zugemutet und drohe „unregierbar“ zu werden. Das nahezu ungebremste Wachstum des öffentlichen Sektors führte objektiv zu erheblichen Finanzierungsproblemen. Recht und Verwaltung wurden zunehmend als komplexes und undurchschaubares Gewebe wahrgenommen, das von einer „Wohltat zur Last“ geworden sei. Gesamtgesellschaftlich wurde spätestens mit der Stagflation im Jahre 1980 das Verfehlen von Wirtschafts-, Preisstabilitäts- und Wachstumszielen deutlich, was den bis dahin betriebenen staatlichen Interventionismus in eine Legitimationskrise führte. Unter dem Eindruck der internationalen und neoliberalen Staatskritik, die in den späten 1970er Jahren im britischen „Thatcherism“ und seit 1980 mit den „Reaganomics“ seinen Ausdruck fand, sah sich auch die deutsche Verwaltung zu einem – im internationalen Vergleich verspäteten 331 – „Paradigmenwechsel der Reformleitbilder“ 332 genötigt. Der Hinweis auf eine steigende „Gesetzesflut“ 333 und „Bürokratisierung“ war Ausdruck einer zunehmenden Kritik am überfürsorglichen Staat 334. Nach und nach begann sich zudem ein mehr auf Dienstleistungsgesichtspunkte setzendes Verwaltungsverständnis durchzusetzen. Im Zuge dieser Entwicklung wurden in nahezu allen Bundesländern ab Ende der 1970er Jahre Regierungs- und zum Teil auch Parlamentskommissionen eingerichtet, die sich umfassend mit Möglichkeiten zur Rechts- und Verwaltungsvereinfachung auseinander setzten. Auftrag und Arbeitsschwerschwerpunkte der jeweiligen Kommissionen bestanden regelmäßig darin, Vorschläge zur Steigerung der Effektivität und Bürgerfreundlichkeit der öffentlichen Verwaltung zu entwickeln. Im Mittelpunkt der nur teilweise umgesetzten Vorschläge standen die Rechtsbereinigung, die Rechts- und Verwaltungsvereinfachung sowie die Entflechtung von Zuständigkeiten und der Abbau behördeninterner Beteiligungspflichten 335. Auf Bundesebene wurde bald nach dem Regierungswechsel zur christlich-liberalen Koalition im Jahre 1982 die von November 1983 bis 331
Trotz des Regierungswechsels 1982 koppelte sich die Entwicklung in Deutschland noch bis in die späten 1980er Jahre von dem bereits international dominanten neo-liberalen verwaltungspolitischen Diskurs ab. Zu den Ursachen Wollmann, Reformdiskurse, in: König / Siedentopf, S. 489 (511 ff.). 332 Voigt / Walkenhaus, Handwörterbuch zur Verwaltungsreform, S. VI; S. XXV. 333 Programmatisch Groll, „In der Flut der Gesetze“, 1985, der neben dem „wissenschaftlich-technischen Zeitalter“ den Rechts-, Sozial- und Wohlfahrtsstaat und die Europäische Gemeinschaft als deren Verursacher ausmachte. 334 Umfassend Seibel, DV 1986, S. 137 ff.
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1998 tätige „Unabhängige Kommission Rechts- und Verwaltungsvereinfachung“ errichtet. Relativ bescheidene Früchte der vorwiegend auf formale Rechtsbereinigung und Verwaltungsvereinfachung konzentrierten Bemühungen 336 dieser bald so genannten „Bundesvereinfachungskommission“ waren vier Rechtsbereinigungs- und Vereinheitlichungsgesetze auf Bundes- und Landesebene 337 in den Jahren 1986 bis 1990 338, die dem Abbau überflüssiger oder unzweckmäßiger Regelungen in Spezialgesetzen dienten 339. Der praktische Ertrag blieb indes insgesamt bescheiden 340, da sich die Änderungen weitgehend auf formale Anpassungen an den durch die Kodifizierung des VwVfG im Jahre 1976 erreichten Standard beschränkten und keine strukturelle Veränderungen des Verwaltungsverfahrensrechts beinhalteten. Substantielle Veränderungen bisheriger Grundsatzpositionen waren allerdings mit den Beschleunigungsnovellen zum damaligen BBauG in den Jahren 1976 und 1979 verbunden. Dies gilt insbesondere für die Einführung einer einjährigen Rügefrist für die Verletzung bestimmter Verfahrens- und Formvorschriften bei der Bauleitplanung in § 155a BBauG (1976) sowie die umfassende Erweiterung der Unbeachtlichkeits- und Heilungsklauseln (1979) 341. Ein weiterer Effekt jener „Entbürokratisierungsbewegung“ war die beginnende Institutionalisierung von Aufgabenkritik, Rechtsbereinigung und Organisationsüberprüfung. So führte die Bundesregierung im Jahre 1983, Vorbilder aus Niedersachsen 342, Hessen und Bayern aufgreifend, eine Prüfliste für die 335 Eine Übersicht zu den bis 1989 eingesetzten Kommissionen bieten Seibel, DV 1986, S. 137; Hesse, DÖV 1987, S. 474 (476 ff.) und Wilkes, DV 1989, S. 333. 336 Hesse, DÖV 1987, S. 474 (475). 337 Näher Bonk, DVBl 1986, S. 485 (489 ff.); Hesse, DÖV 1987, S. 474 (476 ff.). So führte in Niedersachsen ein Rechtsvereinfachungsgesetz 1987 zur Aufhebung von 271 Gesetzen und Verordnungen. 338 Erstes Gesetz zur Bereinigung des Verwaltungsverfahrensrechts vom18. 02. 1986 (BGBl. I, S. 265, dazu Stelkens, NVwZ 1986, S. 541 ff.); Erstes, Zweites und Drittes Rechtsbereinigungsgesetz vom 24. 04. 1986 (BGBl. I, S. 560), 16. 12. 1986 (BGBl. I, S. 2441) und vom 28. 06. 1990 (BGBl. I, S. 1221). Zu Einzelheiten Helmrich (Hrsg.), Entbürokratisierung, 1989 sowie Bonk / Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 1 Rn.243 ff. 339 Mit den drei Rechtsbereinigungsgesetzen wurden Zuständigkeitsregelungen aufgelockert, Doppelzuständigkeiten beseitigt, Genehmigungs- und Anzeigepflichten aufgehoben und überholte Vorschriften gestrichen. 340 Bonk / Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 1 Rn. 245 f. Zu den Veränderungen im Gewerberecht durch das Dritte Rechtsbereinigungsgesetz Stober, NJW 1992, S. 2128 ff. 341 Näher Battis, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, Vorb. §§ 214 bis 216 Rn. 4 ff. 342 Näher Schultze, DÖV 2007, S. 401 ff. In Niedersachsen wurde 1981 bei der Staatskanzlei eine Arbeitsgruppe Rechtsvereinfachung eingerichtet, die Entwürfe von Gesetzen und Rechtsverordnungen unter dem Gesichtspunkt der Vereinfachung prüfen sollte. Dies kann man als „Geburtsstunde der institutionalisierten Normprüfung“ bezeichnen.
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Gesetzesvorbereitung in den Ministerien ein, was als Geburtsstunde der Gesetzesfolgenabschätzung auf Bundesebene gelten kann 343. 2. Die „Entdeckung“ des Effizienzgedankens Auch der lange vernachlässigte Gedanke einer rascheren und effizienteren Aufgabenerfüllung in der öffentlichen Verwaltung geriet in den 1980er Jahren stärker in den Blickpunkt. Der Effizienzgedanke spielte in der mit den Namen Robert v. Mohl 344 und Rudolf von Gneist 345 verbundenen früh- und hochliberalen Staats- und Verwaltungsrechtslehre durchaus eine Rolle, wurde dann aber in der von Otto Mayer 346 geprägten spätliberalen Verwaltungsrechtslehre nahezu ausgeklammert. Anders als in Verwaltungsverfahrensgesetzen mancher europäischer Länder 347 spielte das Prinzip der Effizienz in der deutschen Verwaltungsrechtslehre 348 deshalb lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle 349. Für die Verwaltungsbehörden galt regelmäßig der Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“. Hinzu kam, dass das Bundesverfassungsgericht seit den späten 1970er Jahren den Verfahrensgedanken erheblich aufwertete 350 und beginnend mit seiner Mühlheim-Klärlich-Entscheidung aus dem Jahre 1979 351 allmählich für das verwaltungsgerichtliche Verfahren entwickelte Anforderungen auf das Verwaltungsverfahren übertrug. Das dahinter stehende Prinzip des Grund343
Seibel, Verwaltungsreformen, in: König / Siedentopf, S. 87 (99). Robert v. Mohl (1799 bis 1875) war einer der führenden Staats- und Verwaltungsrechtler jener Zeit. Von 1827 bis 1846 war er Professor für Staatswissenschaften in Tübingen und ab 1847 in Heidelberg. Mohl war zudem Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung 1848. Zu Biographie und Werk Stolleis, Geschichte II, S. 172 ff. 345 Rudolf von Gneist (1816 bis 1895) war ab 1845 außerordentlicher und ab 1858 ordentlicher Professor in Berlin sowie Abgeordneter im Preußischen Abgeordnetenhaus und im Reichstag. Er stand zudem 12 Deutschen Juristentagen von 1868 bis 1893 vor. Näher Stolleis, Geschichte II, S. 385 ff. 346 Bullinger, JZ 1991, S. 53 (54 ff.). Einen Überblick zur Entwicklung der Verwaltungslehre in Bezug auf behördliche Untätigkeit gibt auch Leisner, VerwArch 91 (2000), S. 227 (229 ff.). 347 Vgl. Bullinger, DVBl 1992, S. 1463 (1464 f.). Schon das spanische VwVfG von 1889 verpflichtete die Ministerien zur Entscheidung innerhalb von Höchstfristen. Auch das österreichische Verwaltungsverfahrensgesetz von 1925 betonte den Gedanken der Effizienz und Beschleunigung. 348 Nachweise bei Bullinger, JZ 1991, S. 53 (54). So widmete der Kommentar von Stelkens / Bonk / Leonhard 1983 dem Beschleunigungsgedanken lediglich drei Zeilen. 349 Noch 1971 hielt Walter Leisner (Effizienz als Rechtsprinzip, S. 58) die Messung der Verwaltung an ihrer Effizienz für unvereinbar mit dem Verfassungsgebot des Rechtsstaates. 350 Überblick bei Pünder, In: Erichsen / Ehlers, AVR, § 13 Rn. 7. 351 BVerfGE 53, 30 (65 mit abweichendem Sondervotum 72 f.). Vgl. auch BVerfGE 56, 216 (238 f.). 344
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rechtsschutzes durch Gestaltung des Verwaltungsverfahrens 352 wurde in der Literatur überwiegend positiv aufgenommen und führte zunächst zu einer regelrechten „Verfahrenseuphorie“ 353. Zum Zwecke der Akzeptanzsteigerung von Verwaltungsentscheidungen forderte man vielfach eine demokratisch-partizipative Ausgestaltung von Verwaltungsverfahren und betonte den Wert von (zumindest potenziell) zeitintensiven Beteiligungsrechten vor allem in komplexen Verwaltungsverfahren. Allerdings wurde bereits Anfang der 1980er Jahre auch der (vermeintliche) Konflikt zwischen dem Partizipationsgedanken einerseits und der zeitlichen Dimension von Verwaltungsverfahren in der Fachöffentlichkeit problematisiert. So widmete sich die deutsche Staatsrechtslehrertagung 1981 dem Thema „Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag 354. Auch das Bundesverfassungsgericht stellte im sog. „SasbachBeschluss“ 355 von 1982 erstmals den Gedanken der Durchführung des Genehmigungsverfahrens in angemessener Zeit in den Mittelpunkt, als es Einwendungsfristen mit (materieller) Präklusionswirkung in komplexen Genehmigungsverfahren nicht nur für verfassungsrechtlich zulässig, sondern sogar für geboten erklärte, um eine Verwaltungsentscheidung in angemessener Zeit zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund sah sich die Verwaltung in den folgenden Jahren zunehmend der Forderung ausgesetzt, eilige Entscheidungen möglichst zu beschleunigen. Auch die Kritik an der überlangen Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren wurde – maßgeblich beeinflusst vom EGMR – zunehmend lauter 356. Bund und Länder bemühten sich deshalb, Beschleunigungspotenziale in Genehmigungsverfahren und im Verwaltungsprozess 357 zu lokalisieren und setzten in den späten 1980er Jahren zahlreiche Expertengruppen ein. Diese sollten Vorschläge entwickeln, um den „strukturellen Konflikt zwischen dem traditionellen Rhythmus der öffentlichen Verwaltung einerseits und dem zeitlichen Rhyth352 Maßgeblich beeinflusst wurde die Entwicklung durch den 1971 von Häberle auf der Staatsrechtslehrertagung in Regensburg entwickelten Gedanken des „status activus processualis“. Der teilweise als wirkungslos empfundene verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz sollte so durch wirkungsvollen (vorweggenommenen) Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren kompensiert werden. Näher Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 43 (80; 86 ff.; 121 ff.). Grundlegend auch Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981, sowie Held, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, 1984, S. 220 ff.; Pietzcker, VVDStRL 41 (1983),S. 193 (207 ff.); Wahl, VVDStRL 41 (1983), 151 (166 ff.). 353 Pünder, in: Erichsen / Ehlers, AVR, § 13 Rn. 7. 354 Vgl. die Grundsatzreferate zu diesem Thema von Wahl und Pietzcker, VVDStRL 41 (1983), S. 151 ff. und S. 193 ff. sowie die hierzu veröffentlichten Begleitaufsätze von Degenhart, DVBl 1982, S. 872 ff.; Ossenbühl, NVwZ 1982, S. 465 ff.; Schenke, VBlBW 1982, S. 313 ff.; Steinberg, DÖV 1982, S. 619 ff. und v. Mutius, NJW 1982, S. 2150 ff. 355 BVerfGE 61, 82 (114 ff.). 356 Besonders bedeutsam war in diesem Zusammenhang das Urteil des EGMR v. 28. 06. 1978 (König / Deutschland), NJW 1979, S. 477. Näher unten § 6 A II. 357 Zu den Änderungen im Verwaltungsprozess in den Jahren 1978 bis 1990 § 9 G II.
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mus einer veränderten Wirtschaft und Gesellschaft andererseits“ 358 zu beheben. Dennoch wurde der Reformdiskurs in der „alten“ Bundesrepublik im internationalen Vergleich eher zaghaft geführt und beschränkte sich auf einen „politikpraktisch weitgehend am bisherigen Wohlfahrtsstaatskonzept und -konsens orientierten ... eher moderaten Umbau des bisherigen Staatsmodells“ 359 durch Unternehmensprivatisierung und Kostensenkungen. Erst mit der Wiedervereinigung im Jahre 1990 wurde der bis dahin allenfalls in Fachzirkeln vorsichtig angemahnte grundsätzliche Reformbedarf des Staates zum gesamtgesellschaftlich relevanten „Überlebensthema“.
C. Grundsätzlicher Reformbedarf der deutschen Verwaltung in den 1990er Jahren Spätestens mit der Wiedervereinigung wurde ein tief greifender Reformbedarf des deutschen Verwaltungsrechts offenbar, der unter dem Leitbild des „schlanken Staates“ neben einer grundsätzlichen Aufgabenkritik auch zu einer Vielzahl von gesetzgeberischen Aktivitäten mit dem Ziel der Beschleunigung und Vereinfachung von Verwaltungsverfahren führte. Insbesondere auf kommunaler, aber auch auf Bundes- und Landesebene wurde zudem seit Beginn der 1990er Jahre das „Neue Steuerungsmodell als deutsche Variante des New Public Management“ 360 zwecks Modernisierung der Binnenstrukturen der Verwaltung erprobt. Mit der ersten rot-grünen Koalition 1998 wurde das Leitbild des „aktivierenden Staates“ entwickelt, der nicht mehr alle Aufgaben selbst erledigen, sondern als „Gewährleistungsstaat“ 361 nur gewisse rechtliche Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen und verstärkt gesellschaftliches und bürgerschaftlichen Engagement ermöglichen sollte. Seit 2003 bestimmt schließlich zunehmend das Thema des Bürokratieabbaus das politische Handeln. I. Die Wiedervereinigung und die Krise des deutschen Verwaltungsrechts Der Mauerfall im November 1989 leitete die vierte große Reformphase in der öffentlichen Verwaltung der Bundesrepublik Deutschland ein. Die Anfang der 1990er Jahre begonnene Verwaltungsreformdebatte ist insofern singulär, als sie den öffentlichen Sektor als Ganzes, den Staat ebenso wie die Verwal358
Bullinger, JZ 1991, S. 53 (54). Wollmann, Reformdiskurse, in: König, Deutsche Verwaltung, S. 489 (511). 360 Reichard, Verwaltungsmodernisierung, S. 13 (23). 361 Eingehend zum Leitbild des Gewährleistungsstaates Franzius, VerwArch 98 (2008), S. 351 ff. 359
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tungen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene betrifft und im Grunde seit nunmehr fast 20 Jahren, wenn auch teilweise unter veränderten Leitbildern, andauert. Ob Territorial-, Funktional-, Personal- und Finanzreform, Fragen der Organisation und Steuerung, der Qualifikation, der Mittelverwendung oder der Transparenz der öffentlichen Verwaltung: Fast alle der seit den 1960er Jahren bekannten Reformbestrebungen wurden im Rahmen dieser Diskussion wieder aufgenommen und variiert 362. Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Verbände diskutierten ab Anfang 1990 intensiv Reformnotwendigkeiten im öffentlichen Sektor, da neben der wiedervereinigungsbedingten Sondersituation auch der immer schneller werdende Lebensrhythmus westlicher Industriestaaten – bedingt durch die wachsende Bedeutung der Informationstechnologie und die zunehmende internationale Verflechtung – zusätzlichen Anpassungsdruck erzeugte. Von der öffentlichen Verwaltung wurde verlangt, sich an die Erfordernisse einer beschleunigten Gesellschaft anzupassen 363. In der Sondersituation der deutschen Vereinigung und den damit verbundenen wirtschaftlichen, politischen und psychologischen Belastungen wurden lange verdrängte strukturelle Defizite des deutschen Wirtschafts- und Rechtssystems deutlich. Das von vielen als „kompliziert“, „detailverliebt“, und „engmaschig“ 364 empfundene westdeutsche Rechtssystem wurde mit dem Einigungsvertrag im Wesentlichen unverändert in die neuen Bundesländer transformiert 365. Vereinzelte Forderungen nach einem umfassenden Sonderrecht in den neuen Bundesländern konnten sich nicht durchsetzen. Angesichts des gewaltigen Nachholbedarfs bei der Schaffung bzw. Erneuerung der stark vernachlässigten Infrastruktureinrichtungen in den neuen Bundesländern 366 wurde vor allem dem Zeitfaktor in der öffentlichen Verwaltung, der lange „im Windschatten des rechtswissenschaftlichen und verwaltungswissenschaftlichen Interesses“ 367 gestanden hatte, verstärkte Aufmerksamkeit geschenkt 368. Dabei standen zunächst die infrastrukturell bedeutsamen Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren im Mittelpunkt des Interesses, deren Dauer von der Antragstellung bis zur tatsächlichen Realisierung im internationalen Vergleich als überlang empfunden wurde 369. Da man Anfang der 1990er Jahre bereits beim Erlass eines Bebauungsplans mit Zeiträumen von 3 bis 10 Jahren rechnete und Planungen für Bundesbahntrassen, Straßen, Wasserstraßen und Flughäfen zwi362
Voigt / Walkenhaus, Handwörterbuch zur Verwaltungsreform, S. VI; S. XII. Programmatisch Bullinger, JZ 1991, S. 53 (60 ff.). 364 Wulfhorst, ZRP 2004, S. 82. 365 Näher § 10 B und § 11. 366 Bullinger, DVBl 1992, S. 1463 (1465). 367 Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 9. 368 Zu dieser Entwicklung Bonk, NVwZ 1997, S. 320 (321). 369 Exemplarisch Rombach, Der Faktor Zeit, mit Vergleichen zur Verfahrensdauer in Frankreich, Deutschland und den USA. 363
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schen 10 und 20 Jahren in Anspruch nahmen, wurden Forderungen nach einer konsequenten „Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für eilbedürftige Vorhaben“ 370 laut. Die zum „nationalen Anliegen“ erklärte zeitliche Straffung von Genehmigungsverfahren löste eine regelrechte „Beschleunigungseuphorie“ aus, welche an Stelle der bereits seit Anfang der 1980er Jahren merklich nachlassenden „Verfahrenseuphorie“ trat. Der Effizienzgedanke wurde so zum beherrschenden gesellschaftspolitischen Thema der 1990er Jahre. Hiervon zeugen unter anderem die zahlreichen Kommissionen und Arbeitsgruppen auf Bundesund Landesebene 371, die konkrete Vorschläge zur inhaltlichen und verfahrensmäßigen Optimierung staatlicher Verwaltungsdienstleistungen entwickelten 372. Viele Anregungen dieser Expertenkommissionen wurden sehr schnell in Gesetzesinitiativen umgesetzt, was zu nicht selten hektisch anmutenden, kaum konzeptionell durchdachten und häufig an symbolische Politik erinnernden vielfältigen Aktivitäten von Bundes- und Landesgesetzgebern im Verwaltungsverfahrensund Verwaltungsprozessrecht führte. Gesamtergebnis der bis heute anhaltenden Beschleunigungsbemühungen war ein grundlegender Wandel des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts. II. „Aufbau Ost“, „Standort Deutschland“ und „schlanker Staat“ als Leitbilder der 1990er Jahre In den frühen 1990er Jahren wurden „Aufbau Ost“, „schlanker Staat“ 373 und „Standort Deutschland“ zu politischen Leitbildern eines einseitig effizienzorientierten Reformdiskurses. Wirkungsmächtige Bilder wie das vom „überforderten Staat“ 374 führten dazu, dass man grundsätzliche Reformen des öffentlichen Sektors anmahnte. Rechtsvereinfachung, Aufgabenkritik, Privatisierung und Überlegungen zur Binnenrationalisierung der Verwaltung 375 wurden (spät einem inter370 So der Titel einer Untersuchung von Bullinger aus dem Jahre 1991. Weitere wichtige Studien legten Ronellenfitsch und Rombach 1993 und 1994 vor. 371 Dies waren zunächst Gremien auf Bundesebene, etwa die 1983 eingesetzte „Bundesvereinfachungskommission“, der „Sachverständigenausschuss Schlanker Staat“ 1995, der 1997 etablierte Lenkungsausschuss Verwaltungsorganisation sowie die „Initiative Bürokratieabbau“ 2003. In den letzten Jahren wurden verstärkt auch auf Landesebene Expertenkommissionen, wie etwa die Deregulierungskommission in Mecklenburg-Vorpommern, eingesetzt. Zu letzterer § 15 B. 372 Zur „Unabhängigen Expertenkommission zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren“ und zur „Unabhängigen Kommission für Rechts- und Verwaltungsvereinfachung“ Eckert, Beschleunigung. 373 Zu den unter diesem Leitbild verfolgten Reformansätzen König / Füchtner, „Schlanker Staat“. 374 Grundlegend Herzog, in: Festschrift für Lerche, S. 15 ff. 375 Allein auf Bundesebene wurde die Zahl der Bundesbehörden zwischen 1991 und 1998 um 148 reduziert. Hinzu kamen Projekte zur Steigerung der Effizienz von Verwal-
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nationalen Trend folgend) zu den dominanten Strategien der Verwaltungsmodernisierung 376. In Form von Pilotprojekten auf Bundesebene wies man etwa auf die Vorzüge privatrechtlicher Handlungs- und Finanzierungsformen hin und forderte eine weitgehende Privatisierung öffentlicher Aufgaben. Intensiv wurde zudem über die Rückführung staatlicher Aufgaben auf ihren Kernbestand nachgedacht, wobei das Augenmerk darauf gerichtet war, „Verfahrenswege zu einem schlanken Staat“ 377 aufzuzeigen. Auch die Koalitionsvereinbarung von CDU, CSU und FDP vom November 1994 wies die „Verschlankung“ des Staates als ein zentrales Politikziel aus. Mit Kabinettsbeschluss vom 18. 07. 1995 wurde deshalb eine unabhängige Expertenkommission „Sachverständigenrat Schlanker Staat“ unter Vorsitz von Rupert Scholz eingesetzt 378. Unter dem schnell an Wirkungskraft gewinnenden Leitbild des „schlanken Staates“ 379 wurde erstmals eine prinzipielle Aufgabenkritik durchgeführt, deren Notwendigkeit man mit dem ungebremsten Wachstum des öffentlichen Dienstes in Bund, Ländern und Gemeinden begründete 380. Intensiv beschäftigte sich die Kommission zudem mit konzeptionellen Überlegungen zur Etablierung einer institutionalisierten Gesetzesfolgenabschätzung 381. Charakteristisch für die Reformdebatte der frühen 1990er Jahre war, dass diese oftmals hektisch und wenig planmäßig geführt wurde. Die oft unkritisch übernommenen ökonomischen Paradigmen veranlassten Kritiker, von einem „geradezu ungeordneten Rückzug des Staates“ 382 zu sprechen. Vor allem die vermehrt unter Finanznot leidenden Kommunen gaben entscheidende Reformimpulse zur Einführung Neuer Steuerungsmodelle in ihren Verwaltungen. Die internationale „New-Public-Management-Woge“, welche in Deutschland lange Zeit „nur ein Schattendasein im Kreis der internationalen Protagonisten eines Neuen öffentlichen Managements“ 383 geführt hatte, erreichte nun die deutsche Verwaltungspraxis und führte zu einer stärkeren Ökonomisierung zunächst der Kommunalverwaltungen 384. Zu den zentralen Steuerungsmedien dieser Verwaltungspolitik wurden Wettbewerb, Anreize und Geld. Die möglichst weitgehende tungstätigkeit und des Personalabbaus. Näher König / Füchtner, VerwArch 90 (1999), S. 1 (13 f.). 376 König, DÖV, 1997, S. 265 ff. Zur deutschen Verwaltungsmodernisierung im internationalen Vergleich König / Füchtner, VerwArch 90 (1999), S. 1 (11 ff.). 377 So der programmatische Titel eines Aufsatzes von Busse, DÖV 1996, S. 390 ff. 378 Näher Meyer-Teschendorf / Hofmann, DÖV 1997, S. 268. 379 Zu den Schwerpunkten der damaligen Diskussion König / Füchtner, VerwArch 90 (1999), S. 1 ff. 380 Von 1970 bis 1995 stieg die Zahl der Bundesbediensteten um 44% von 1,34 auf 1,92 Mio. Auf Gemeindeebene erhöhte sich die Zahl der Beschäftigten um 41% von 0,92 auf 1,29 Mio. 381 Vgl. Meyer-Teschendorf / Hofmann, DÖV 1997, S. 268 (271 ff.). 382 Zu den langfristigen Folgen Wallerath, VerwArch 88 (1997), S. 1 (4). 383 König / Füchtner, VerwArch 90 (1999), S. 1.
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Privatisierung von Verwaltungsaufgaben und die Steuerung durch Kontraktmanagement waren Leitgedanken dieser Reformphase 385. Die Einführung neuer Steuerungs- und Managementmethoden und betriebswirtschaftlicher Rechnungsverfahren wurden zu Erfolgsmodellen für die Binnenreform der Verwaltung erklärt. Damit wurde ein tief greifender Bewusstseins- und Wertewandel innerhalb der Verwaltung ausgelöst. III. Modernisierung verwaltungsinterner Mikrostrukturen – Ökonomisierung der Verwaltung als Trend der 1990er Jahre 1. New Public Management als grundlegender Ansatz zur Modernisierung verwaltungsinterner Binnenstrukturen Im Zuge und als Folge der deutschen Einheit stieg der Anteil öffentlicher Ausgaben am Bruttosozialprodukt 386 und die Finanzlage der öffentlichen Hände verschlechterte sich dramatisch. In besonderer Weise waren davon die Kommunen betroffen. Diese Rahmenbedingungen führten dazu, dass zu Beginn der 1990er Jahre auch im traditionell eher durch „rechtsstaatseigentümliche Managementferne“ 387 geprägten Deutschland Markt und Wettbewerb als Staats- und Verwaltungsprinzipien entdeckt wurden. „Zauberformeln“ 388 wie Lean Management, Dezentrale Ressourcenverwaltung, Effizienzsteigerung, Budgetierung, Controlling, Qualitätsmanagement und ähnliche Begriffe einer „Management-Rhetorik“ zogen als sichtbare Zeichen eines zunehmend ökonomisierten Staats- und Verwaltungsverständnisses 389 bald in die Amtsstuben vor allem Westdeutschlands ein 390. Das Konzept des New Public Management (NPM) bezeichnet als Sammelbegriff ein Bündel vornehmlich betriebswirtschaftlich motivierter verwaltungs384 Ausführlich König / Füchtner, VerwArch 90 (1999), S. 1 (11 ff.). Nach Miller, LKV 1998, S. 216 (219 f.) gab es Mitte der 1990er Jahre „kaum noch eine größere westdeutsche Stadt, die nicht ihr eigenes neues Steuerungsmodell hat.“ 385 Zu den Schwerpunkten der damaligen Diskussion Busse, DÖV 1996, S. 390 ff. und Meyer-Teschendorf / Hofmann, DÖV 1997, S. 268 ff. 386 Zahlen bei Eisenhans / Kulke / Roschmann, DV 2005, S. 315 (318). 387 Banner, Verwaltungsreformen zwischen Ländern und Kommunen, in: Behrens et. al. (Hrsg.), Ausblicke auf den aktivierenden Staat, S. 169. 388 Wallerath, VerwArch 88 (1997), S. 1 (3). 389 Kritisch Wallerath, VerwArch 88 (1997), S. 1 (13), der die einseitige Fixierung auf die Prinzipien Wirtschaftlichkeit und Markt bemängelt. Eingehend zum Konzept des „ökonomisierten Staats“ Wallerath, JZ 2001, S. 209 ff. und Gröpl, VerwArch 93 (2002), S. 459 ff. 390 Zur zögerlichen Übernahme des Neuern Steuerungsmodells in Ostdeutschland § 10 B II.
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politischer Reformstrategien zur administrativen Effizienzsteigerung 391. NPM baut auf den Grundlagen des sog. Managerialismus auf, der die Steigerung von Effizienz und Effektivität wirtschaftlichen Handelns durch „die Kraft guten Managements“ anstrebt 392. Die verschiedenen Strategien des NPM formten sich zu Beginn der 1980er Jahre 393 in Staaten mit angelsächsischer Staats- und Verwaltungstradition wie Großbritannien, USA, Australien und Neuseeland zu einem gemeinsamen Reformstrang, bevor sich vor allem in den skandinavischen Ländern und den Niederlanden vergleichbare Reformbewegungen herausbildeten. Stark beeinflusst wurde die internationale Entwicklung des NPM durch das Managementkonzept des „Reinventing Government“ 394, dessen theoretische Grundlagen in den USA entwickelt wurden 395. Das Reformmodell des NPM bietet keinen dogmatisch geschlossenen Maßnahmenkatalog an 396, wird aber häufig mit Aktivitäten zur Privatisierung und Deregulierung, zur Auslagerung und Verselbständigung von Verwaltungseinheiten, zur Einführung von Wettbewerbselementen in das Verwaltungshandeln sowie mit der Übernahme privatwirtschaftlicher Managementmethoden in den öffentlichen Bereich in Verbindung gebracht 397. Im Vordergrund steht die effiziente und effektive Aufgabenwahrnehmung. Hohe Erwartungen werden an die Eigenverantwortung aller Beteiligten sowie in die Steuerungskompetenz des Marktes und Wettbewerbsstrukturen gestellt. Allen mikroökonomischen Instrumenten des NPM liegt die Überzeugung zu Grunde, dass die Effizienz öffentlicher Verwaltung durch Veränderung der Anreizstrukturen und neue Managementtechniken verbessert werden kann. Führungsmethoden aus der Privatwirtschaft sollen das Kosten-Nutzen-Verhältnis verbessern 398. Das Verwaltungshandeln wird nicht
391
Überblick bei Reichard, in: Wallerath (Hrsg.), Verwaltungserneuerung, S. 13 (15 ff.); Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht II, § 79 Rn. 120 ff. 392 Zur Entwicklung des Managerialismus als Ausprägung eines amerikanischen Verständnisses von Public Administration König, VerwArch 94 (2003), S. 267 (276 ff.). 393 Zu den gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen des NPM sowie zu ihrer politisch-ideologischen und theoretischen Rechtfertigung Schröter / Wollmann, in: Handbuch zur Verwaltungsreform, S. 63 (64 ff.). 394 Das Konzept beruht auf neoliberalen Wirtschaftslehren und neuen Managementmodellen, insbesondere „Lean Management“, „Total Quality Management“ sowie auf „Business-Motivation“-Vorstellungen. Näher König, VerwArch 94 (2003), S. 267 (279). 395 Nach König, VerwArch 94 (2003), S. 267 (268) sind die USA „Vormacht der internationalen Kommunikationsgemeinschaft der Verwaltungswissenschaftler und Verwaltungspraktiker“. 396 Zum synkretistischen Ansatz des NPM König, DÖV 1997, S. 265 (266) und Wallerath, Verwaltungsreform in der Rationalitätenfalle, in: Wallerath (Hrsg.), Verwaltungserneuerung, S. 41 (42). 397 Näher Reichard, in: Wallerath (Hrsg.), Verwaltungserneuerung, S. 13 (15 ff.). 398 Eisenhans / Kulke / Roschmann, DV 2005, S. 315 (317).
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mehr wie bisher von der zu erbringenden Leistung (Inputorientierung), sondern im Hinblick auf die zu erstellenden Produkte (Outputorientierung) gedacht 399. 2. Das „Neue Steuerungsmodell“ als deutsche „Spielart“ des New Public Management Auch in Deutschland, dessen Verwaltungstradition der Managerialismus im Gegensatz zum angelsächsischen Kulturkreis lange fremd war 400, wird seit Anfang der 1990er Jahre der Umbau der Verwaltung nach dem Leitbild des New Public Management betrieben 401. Ausgangspunkt dieser Entwicklung war die kommunale Ebene, wo die Finanzkrise des Staates durch Abnahme der Einkommensbasis der Gebietskörperschaften am nachhaltigsten sichtbar wurde. Hierfür waren insbesondere die im Zuge von Europäisierung und Globalisierung sinkenden Gewerbesteuern bedeutsam 402. Zur Bewältigung der sich Anfang der 1990er Jahre verschärfenden Finanzkrise wurde daher von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle (KGSt) 403 1991 eine Kampagne zur Reform der Gemeindeverwaltungen gestartet, deren zentrales Anliegen die Einführung eines an den Leitgedanken des New Public Management orientierten Neuen Steuerungsmodells (NSM) in den Kommunen war 404. Das Neue Steuerungsmodell etablierte sich in einer „anfänglich buschfeuerartigen Ausbreitung“ 405 in den westdeutschen Kommunalverwaltungen 406. Obwohl nach einer Umfrage des Deutschen 399 Produkte sind in der Diktion des NSM Dienstleistungen, die an Kunden zu liefern sind. Jede Dienstleitung der Verwaltung lässt sich theoretisch als Produkt definieren. Ausführlich zu den Schwierigkeiten der Produktorientierung Eisenhans / Kulke / Roschmann, DV 2005, S. 315 (322 ff.). 400 Zum Managerialismus im amerikanischen Verwaltungskonzept König, DVBl 1997, S. 241. 401 Über die Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells in Deutschland berichten Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht II, § 79 Rn. 143 ff. 402 Zahlenmaterial bei Eisenhans / Kulke / Roschmann, DV 2005, S. 315 (320). 403 Die Kommunale Gemeinschaftsstelle (KGSt) ist ein 1949 gegründetes Institut mit Sitz in Köln, dessen Ziel die Rationalisierung der Verwaltung und die Beratung von Gebietskörperschaften jeder Größe ist. 404 Jann, Wandel, in: Handbuch zur Verwaltungsreform, S. 473. 405 Zu den Phasen der Implementierung des Neuen Steuerungsmodells in Deutschland Reichard, in: Wallerath (Hrsg.), Verwaltungserneuerung, S. 13 (24 f.). Nach der Konzeptentwicklung durch die Kommunale Gemeinschaftsstelle (1988 bis 1991) fanden 1991 und 1992 erste Pilotprojekte in Großstädten wie Hannover, Köln und Nürnberg statt. Die Jahre 1992 bis 1995 bezeichnet Reichard als „Buschfeuer“ der Reformversuche mit einer deutschlandweiten Ausweitung, während ab 1995 eine Konsolidierungsphase einsetzte. 406 Die Länder zogen ab Mitte der 1990er Jahre nach, konzentrierten sich aber vor allem auf die Verschlankung von Behördenstrukturen. Nach Jesse, NdsVBl 2007, S. 145 (146) war „Verwaltungsmodernisierung bis in die zweite Hälfte der 1990er Jahre ein fast ausschließlich kommunales Projekt“.
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Städtetages im Jahre 2000 bundesweit 92% der deutschen Städte im Bereich des Neuen Steuerungsmodells aktiv waren 407, ähnelte die Reformlandschaft von Beginn an einem Flickenteppich und war durch eine Vielzahl unterschiedlicher Detailkonzepte und Instrumente gekennzeichnet 408. 3. Konzeptionelle Grundlagen des Neuen Steuerungsmodells Leitbild des NSM ist eine im Binnen- wie im Außenverhältnis auf Eigenverantwortung ausgerichtete öffentliche Verwaltung (competitive public administration). Das NSM enthält sowohl eine ordnungspolitische (Makro-)als auch eine binnenstrukturelle (Mikro-)Dimension. Ordnungspolitisch soll der öffentliche Sektor mit dem Ziel neu strukturiert werden, staatliche und kommunale Verwaltungen auf ihre „Kernaufgaben“ zu begrenzen. In diesem Zusammenhang gehört auch die Neuregelung der Beziehungen einzelner Verwaltungen bzw. Verwaltungsebenen untereinander sowie zwischen den öffentlichen Verwaltungen, ihren Adressaten und den sonstigen gesellschaftlichen Kräften. Diese Fragen des Außenverhältnisses öffentlicher Verwaltungen und dessen politischer Steuerung werden auch unter dem Stichwort „Public Governance“ diskutiert. Die binnenstrukturelle Mikrodimension des Modells umfasst Vorschläge zur Reform der inneren Verwaltungsführung mit Blick auf neuartige Organisationsformen, Personalkonzepte, Steuerungsinstrumente oder Technikanwendungen. Gefordert wird etwa die Übernahme von privatwirtschaftlichen Führungs- und Durchführungsmethoden, zu denen Dezentralisierung, Outputsteuerung, Einführung neuer Überwachungsmechanismen, Aufspaltung großer Strukturen und die Schaffung von Leistungsanreizen gehören. Hauptanliegen des NSM sind Kunden- und Bürgerorientierung sowie die Kostensenkung und Effizienz von Verwaltungsdienstleistungen 409. Als Reforminstrumente werden Maßnahmen angewandt, welche die Sphäre der Finanzen sowie der Verwaltungskosten und -leistungen betreffen. Diesbezüglich sind etwa die Budgetierung der Haushaltsmittel, die Ziel- und Ergebnisorientierung des Verwaltungshandelns unter Einbeziehung der Balanced Scorecard, die dezentrale Ressourcenverantwortung verbunden mit Kontraktmanagement, die Buchführungs- und Rechnungslegung nach kaufmännischen Grundsätzen (Doppik) und die Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung zu nennen 410. Daneben stehen Reformansätze, welche den organisatorischen Bereich der Verwaltung betreffen und mit Stichworten wie Einsatz mo407
Vgl. Bogumil, VerwArch 93 (2002), S. 129. Jann, Wandel, in: Handbuch zur Verwaltungsreform, S. 473. Zu den „spezifisch deutschen“ Problembereichen des NSM im Lichte ausländischer Erfahrungen Reichard, in: Wallerath (Hrsg.), Verwaltungserneuerung, S. 13 (27 ff.). 409 Zu den „zehn Zielvorstellungen“ des NPM Rehbinder, in: Festschrift für Brohm, S. 727 (730 f.). 410 Gornas, Nutzen und Kosten der Justiz, S. 4. 408
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derner Informations- und Kommunikationstechnik, Professionalisierung der Verwaltungsführung, Bürger- und Serviceorientierung, Qualitätsmanagement und Steuerung über Einführung von administrativen Controllingsystemen beschrieben werden können 411. Eine Vielzahl dieser Reformansätze sind dabei dem Lean Management entlehnt, das bereits in den 1930er Jahren entwickelt wurde und auf den Gedanken der Arbeitsteilung, des Ausbaus von Eigenverantwortung, der Kundenorientierung und dem Streben nach ständigen Verbesserungen durch Beobachtung der Rückmeldungen der Mitarbeiter beruht 412. Zusammengefasst und pointiert lässt sich die „Signatur des New Public Management“ als „Rationalisierung nach innen“ bei gleichzeitiger „Privatisierung nach außen“ kennzeichnen 413. 4. Rolle des „Neuen des Steuerungsmodells“ im Verwaltungsreformdiskurs – Chancen und Risiken einer Neuorientierung der „Verwaltungskultur“ Wegen der Vielgestaltigkeit der unter der Flagge eines Neuen Steuerungsmodells initiierten Reformprozesse fällt eine pauschale Bewertung dieser Bestrebungen nicht leicht. Gemeinsam ist allen Reformideen, dass traditionell bürokratische (hierarchische) Strukturen durch Formen der Leistungsorganisation abgelöst werden, wobei den „Managern“ des öffentlichen Dienstes möglichst viel Freiraum bei ihren Entscheidungen eingeräumt wird. Mit dem NSM geht eine vollständig neue Verwaltungskultur einher, deren Kernstück eine grundsätzlich geänderte Führungsphilosophie ist 414. Insofern legt es das NSM darauf an, „die überkommene Verwaltungskultur infrage zu stellen und an ihre Stelle ein neues Bild von Verwaltung zu setzen“ 415. Das maßgeblich von Max Weber geprägte traditionelle Verwaltungsbild, das sich durch Regelgebundenheit, Hierarchie und Abstraktion des Amtes von der Person auszeichnet 416, wird durch stärker vom „Design eines Dienstleistungsbetriebes“ geformte postbürokratische Organisationsmuster ersetzt. Der damit verbundene „Traditionsbruch“ wird auch heute noch zum Teil als „Kulturrevolution in den Amtsstuben“ wahrgenommen 417. Die hierdurch ausgelöste gesamtgesellschaftliche Diskussion über notwendige Verän411
Gornas, Nutzen und Kosten der Justiz, S. 4. Rehbinder, in: Festschrift für Brohm, S. 727 (728). 413 König, DÖV 1995, S. 349 (350). 414 Zu den lange vernachlässigten Aspekten der Verwaltungskultur bereits Czybulka, Verwaltungsreform, S. 79 ff.; Wallerath, VerwArch 88 (1997), S. 1 (7 f.); Sommermann, VerwArch 89 (1998), S. 291 ff. Vgl. nunmehr auch Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht II, § 79 Rn. 163 ff. 415 Wallerath, VerwArch 88 (1997), S. 1 (8). 416 Zum Bürokratiebegriff Webers bereits § 4 B III 3. 417 Umfangreiche Nachweise zur Diskussion der 1990er Jahre bei Wallerath, VerwArch 88 (1997), S. 1 (9). Eine Übersicht über die aktuellen Überlegungen zum 412
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1. Kap.: Einleitung
derungsprozesse in der Verwaltung ist insgesamt als ausgesprochen fruchtbar zu bewerten, kann doch berechtigten Reformanliegen nicht mehr mit bloßer Anpassungsverweigerung begegnet werden. Auch liefert die verstärkt Zielbindungen und Folgen in den Blick nehmende Debatte um „Output“ und „Outcome“ von Verwaltungen wichtige Bausteine für eine dringend überfällige Politikreform 418. Auf der anderen Seite war und ist mit einer ökonomisierten Verwaltung die permanente Gefahr einer „rechtlichen Untersteuerung“ 419 verbunden. Insbesondere in den frühen Phasen der Euphorie um das Neue Steuerungsmodell nahmen ihre Apologeten rechtliche Rahmenbedingungen nicht oder allenfalls als störendes Beiwerk zur Kenntnis 420. Die Übertragung privatwirtschaftlicher Erfahrungen auf den öffentlichen Bereich erfolgte allzu unkritisch und übersah, dass nicht in jeder Hinsicht eine Struktur- und Funktionsäquivalenz des öffentlichen und des privaten Sektors gegeben ist. Die insofern theoretisch defizitäre, betriebswirtschaftlich verengte Sichtweise des NSM führte zu einer Vernachlässigung des politischen Prozesses (Wahlen, Verbandswettbewerb, Parteienkonkurrenz und Regierungswechsel als konstitutive Elemente) 421 und begrenzte das Recht auf seine betriebswirtschaftliche Funktion eines bloßen „Managementfaktors“. Eine solche Reduktion ruft die Gefahr hervor, das Verfassungsprinzip der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns zu einer von zahlreichen, teilweise miteinander im Konflikt stehenden Zielvorstellungen bei komplexen Verwaltungsentscheidungen zu degradieren 422. Der damit einher gehenden schleichenden „Relativierung der Rechtmäßigkeit“ gilt es entgegenzuhalten, dass die „demokratisch legitimierte und rechtsstaatlich disziplinierte normative Zielsetzung stets Vorrang vor dem Gedanken der Ökonomie“ 423 haben muss. Nur wenn sichergestellt bleibt, dass die Rechtmäßigkeit weiterhin als „unverkäufliches Gut“ anerkannt wird und das Legalitätsprinzip jede Form einer Instrumentalisierung der Verwaltung sperrt 424, kann eine Erosion des Rechtsstaats verhindert werden. Den soeben skizzierten Befürchtungen wird entgegengehalten, mit geeigneten Kontrollme„Changemanagement in der öffentlichen Verwaltung“ findet sich bei Nolte, VerwArch 96 (2005), S. 243 ff. 418 Insofern hat sich die von Wallerath, VerwArch 88 (1997), S. 1 (18 f.) geäußerte Hoffnung bestätigt. 419 Rehbinder, in: Festschrift für Brohm, S. 727 (728). 420 Ausführlich zum Problem der rechtlichen Untersteuerung Ipsen, DVBl 1998, S. 801 ff. 421 Vgl. dazu näher Bogumil, VerwArch 93 (2002), S. 129 (130 f.). 422 Zu der entsprechenden Diskussion bereits Wallerath, VerwArch 88 (1997), S. 1 (20). 423 Wallerath, in Wallerath (Hrsg.), Verwaltungserneuerung, S. 41 (55f.). 424 Wallerath, VerwArch 88 (1997), S. 1 (15; 19) befürchtet, dass „die Kategorie der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns ins Hintertreffen gerät, indem unausgegorene Anreizsysteme vorgehalten werden, die sich vor allem an mess- und quantifizierbaren Größen festmachen“.
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chanismen könne der Gefahr einer rechtlich defizitären Steuerung wirkungsvoll begegnet werden. Betrachtet man allerdings exemplarisch die seit Beginn der 1990er Jahre andauernden Modernisierungsbestrebungen im Bauordnungsrecht, in deren Zuge ein fast vollständiger Rückzug des Staates aus der präventiven Eröffnungskontrolle vorgenommen wurde 425, fragt sich, ob der Gesetzgeber hier nicht aus Kostenerwägungen „sehenden Auges“ die mögliche Baurechtswidrigkeit von Vorhaben in Kauf nimmt. Auch der Überzeugung, bei Verwaltungen handle es sich um „lernfähige Organisationen“ mit der Fähigkeit zur permanenten Selbsterneuerung und Selbstreinigung, die deshalb in der Lage seien, die aktuellen Herausforderungen der Gesellschaft und Umwelt zu meistern, liegt ein idealisiertes Verwaltungsverständnis zugrunde, welches sich in der Realität nicht überall nachweisen lässt. Der manchmal naiv anmutende „blinde Machbarkeitsglaube“ einiger Vertreter des NSM ist kritisch zu bewerten. Politischen Vorbehalten gegen das Konzept 426 ist deshalb mit einer „Entmystifizierung“ des Neuen Steuerungsmodells zu begegnen. So darf beispielsweise die Gefahr, dass der Staatsdiener nicht mehr als Dienstleister an der Gesellschaft, sondern als verlängerter Arm der Wirtschaft“ wahrgenommen wird, nicht unterschätzt werden. Auch die Wandlung des Bürgers zum „Kunden“, die bei der Post, bei der Wasser- und Energieversorgung oder beim Personennahverkehr noch angebracht sein mag, hat ihre Grenzen, wenn der Einzelne dem Staat als Steuerzahler, Schüler, Wähler, polizeirechtlich Verantwortlicher oder Sozialhilfeempfänger gegenübersteht 427. Problematisch ist überdies, dass die „Reformlandschaft“ des NSM bundesweit, aber auch innerhalb eines Bundeslandes häufig das Bild eines „Flickenteppichs“ bietet, weil unterschiedliche Verwaltungszweige mit unterschiedlichen Komponenten des NSM experimentieren 428. Auch beim Verwaltungspersonal herrscht eine durchaus skeptische Beurteilung des NSM vor 429, die angesichts des Fehlens genauer empirischer Analysen nicht überrascht. Die Fachliteratur verzichtet auf Berichte über fehlgeschlagene Projekte und veröffentlicht überwiegend Erfolgsgeschichten, was die Annahme nahelegt, dass die wissenschaftliche Debatte von einer „Verwaltungsreformindustrie“ beherrscht wird 430. 425
Eingehend zu den entsprechenden Entwicklungen in Mecklenburg-Vorpommern unten § 19 A. 426 Vgl. Rehbinder, in: Festschrift für Brohm, S. 727 (740), der die Gefahr sieht, „das rechtsbürgerliche Kreise, die schon lange am Sozialstaat sägen und nun ihre Zeit gekommen sehen“ mit dem „aus Anglizismen bestehenden schlagwortartigen Vokabular“ des NPM versuchen, ihre „politische Ziele in die Richtung des shareholder-value-Egoismus einer Zwei-Drittelgesellschaft“ durchzusetzen. 427 Zu Recht kritisch gegen die „eingängige Metapher vom Bürger als Kunden“ Wallerath, in: Wallerath (Hrsg.), Verwaltungserneuerung, S. 41 (49). 428 Gornas, Nutzen und Kosten der Justiz, S. 27 f. 429 So stieg die Zahl der skeptischen Beurteilungen zwischen 1996 und 1998 von 37% auf 52 %; vgl. Eisenhans / Kulke / Roschmann, DV 2005, S. 315 (334). 430 Eisenhans / Kulke / Roschmann, DV 2005, S. 315 (328).
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Angesichts all dessen vermag es nicht zu überraschen, dass derzeit eine „gewisse Ernüchterung“ bzw. „Reformmüdigkeit“ 431 zu konstatieren ist. Häufig wurde die Betriebswirtschaftslehre als reine Kosten- und Rationalisierungsmaßnahme zum Zwecke der Haushaltskonsolidierung (miss)verstanden, so dass bei vielen Verwaltungsmitarbeitern der Eindruck entstand, dass es sich bei der Verwaltungsreform nur um „eine besonders trickreiche Variante handelt, Kosten zu senken und Stellen abzubauen“ 432. Auch die Vernachlässigung einer systematischen Aufgabenkritik, die fehlende Transparenz des Reformprozesses, die defizitäre Beteiligung der Beschäftigten 433, die weitgehende Reformabstinenz von Politik und Öffentlichkeit, die unterentwickelte Prozessorientierung und die unzureichende Personalentwicklung haben zur „Entzauberung“ des NSM beigetragen. Diese ist grundsätzlich zu begrüßen, denn eine gesunde Skepsis in Bezug auf das Neue Steuerungsmodell kann zu einer Konsolidierung und Normalisierung des Anfang der 1990er Jahre übertriebenen Reformtempos beitragen. Beklagenswert ist dagegen die vielerorts zu spürende, oft aus Unkenntnis gespeiste, grundsätzliche Ablehnung des Neuen Steuerungsmodells. Mit dem Prinzip der Kompetenzstärkung kleinerer Organisationseinheiten, das zu einer größeren Autonomie und Verantwortung des einzelnen Verwaltungsmitarbeiters führt, enthält es durchaus innovative Elemente, welche geeignet sind, das von der klassischen bürokratischen Verwaltungskultur überstrapazierte Hierarchieprinzip durch neue Methoden der Zusammenarbeit zu ersetzen 434. Gilt es daher auf der einen Seite, das NSM nicht zum „Allheilmittel aller Verwaltungsprobleme“ zu stilisieren, so muss andererseits die Innovationsfähigkeit der Verwaltung gegen eine bisweilen kultivierte übersteigerte Reformunwilligkeit gesichert werden. Die bisherigen (eher zögerlichen) Schritte zur Änderung der Verwaltungskultur sollten – bei gleichzeitiger Betonung einer rechtsstaatlichen Rahmenordnung unter Beachtung der Unterschiede einzelner Staatsaufgaben – konsequent ausgebaut werden. Allerdings kann die (erstrebenswerte) Einführung einer „neuen Verwaltungskultur“ nur als langfristiger evolutionärer Prozess gelingen, welcher neben Phasen der Veränderung auch Zeiten der Konsolidierung enthalten muss. Im weiteren Reformprozess muss überdies die ausgeprägte Binnenzentrierung der bisherigen Verwaltungsmodernisierung überdacht und stärker auf den Bürger als Reformakteur gesetzt werden. Geeignete Instrumente zur Erweiterung der 431
Jann, Wandel, in: Handbuch zur Verwaltungsreform, S. 473. Jann, Wandel, in: Handbuch zur Verwaltungsreform, S. 473 f. 433 Diese Gesichtspunkte hält Nolte, VerwArch 96 (2005) S. 243 (263 ff.) für eine der Hauptursachen für Widerstände gegen Veränderungsprozesse. 434 Erstrebenswert ist es dabei, die lange vorherrschende Überbetonung von Kontrolle und der „Kultur des Misstrauens“ durch bürgerorientierte, ergebnisorientierte Verwaltung zu ersetzen, was besondere Anstrengungen auch bei der Ausbildung künftiger Verwaltungsbediensteter erfordert. Näher zur erforderlichen Änderung der Verwaltungskultur Bull, DV 2005, S. 285 (313 f.). 432
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Mitentscheidungsmöglichkeiten gibt es mehr als genug. Dabei ist nicht nur an die traditionelle Verbandsbeteiligung, sondern vor allem auch an neuere Formen der Bürgerbeteiligung durch Zukunftswerkstätten, Stadtteilforen, runde Tische, Planungszellen, Ordnungspartnerschaften und Lokale Agendaprozesse zu denken, die sich unter dem Begriff der „Bürgerkommune“ zusammenfassen lassen 435. Nur wenn der Bürger als Steuerungsakteur in den gesellschaftlichen Reformprozess einbezogen wird, kann es gelingen, die Reform von dem Stigma zu befreien, sie sei nur eine Veranstaltung „von Bürokraten für Bürokraten“ 436. Zur Steigerung der langfristigen Erfolgsaussichten eines Verwaltungsmodernisierungsprozesses auf kommunaler Ebene bedarf es daher auch der Optimierung ehrenamtlicher kommunalpolitischen Arbeitsstrukturen 437. In einem solchen erweiterten, nicht auf bloße betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte reduzierten Sinne kann auch das Neue Steuerungsmodell als „Steinbruch“ genutzt werden, um fallbezogen einzelne Beiträge zur Modernisierung der Verwaltung zu liefern 438.
D. Die Neuorientierung der Verwaltungsmodernisierungsdiskussion Ende der 1990er Jahre – Vom „schlanken“ zum „aktivierenden Staat“ I. Moderner Staat – Moderne Verwaltung: Der „aktivierende Staat“ als Leitbild der späten 1990er Jahre Herrschte noch bis Mitte der 1990er Jahre der Gedanke vor, die Verwaltung lasse sich allein durch den verstärkten Einsatz ökonomischer Instrumente umfassend reformieren, rückten mit dem rot-grünen Machtwechsel im Herbst 1998 nach und nach andere, stärker vom Kommunitarismus und der Zivilgesellschaft inspirierte Leitbilder in den Mittelpunkt der politischen Diskussion. Spätestens im Jahre 2000 hatte die New-Public-Management-Bewegung in Deutschland ihren Höhepunkt überschritten. Ihr wurde mehr und mehr ein stärker normativ und gemeinwohlorientiert geprägtes Regulierungsmodell gegenübergestellt, das 435
Näher Bogumil, Der Städtetag 2001, S. 32 ff. Jann, Wandel, in: Handbuch zur Verwaltungsreform, S. 473 (480), schlägt zum einen eine Dienstleistungs- und Wettbewerbsorientierung des öffentlichen Sektors und zum anderen eine stärkere Partizipation der Bürger im Rahmen einer „Bürgerkommune“ vor. 437 Bogumil, VerwArch 93 (2002), S. 129 (142 ff.) nennt die Einführung neuer Informationssysteme, den Aufbau eines Berichtswesens, die Verbesserung der Arbeitsstrukturen, -weisen und -kompetenzen in den Ratsausschüssen, den Aufbau eines Beteiligungsmanagements und die bessere Qualifizierung der Ratsmitglieder. 438 Rehbinder, in: Festschrift für Brohm, S. 727 (740). 436
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gleichermaßen Staat, Markt und Zivilgesellschaft als zentrale Steuerungsebenen einbezog. Im Zuge der auch auf internationaler Ebene geführten sozialwissenschaftlichen (Good) Governance-Debatte 439 wurde die Diskussion auf eine gesamtgesellschaftliche Makroebene transformiert. Damit verbunden war auch der bereits in der Anfangsphase der ersten rot-grünen Bundesregierung vollzogene Abschied vom Leitbild des „schlanken Staates“ der späten Kohl-Ära. Ehrgeiziges Ziel der neuen rot-grünen Bundesregierung war ausweislich der Koalitionsvereinbarung vom Oktober 1998, Staat und Verwaltung dem gewandelten Staatsverständnis und den sich ändernden Aufgaben von Regierung und Verwaltung anzupassen. Unter dem Motto „Deutschland erneuern“ übernahm die neue Bundesregierung das Anfang der 1990er Jahre theoretisch entwickelte Leitbild des „aktivierenden Staates“ 440, um eine neue politische Ausrichtung für die Modernisierung von Staat und Verwaltung festzulegen 441. In bewusster Abkehr vom Konzept des „schlanken Staates“ wollte die neue Regierung über die „bisher singulären Ansätze“ der Binnenmodernisierung hinausgehen und den „Weg zwischen bloßer Verschlankung einerseits und zu viel staatlicher Intervention andererseits erfolgreich“ beschreiten. Kerngedanke des „Leitbildes aktivierender Staat war eine „Neue Verantwortungsteilung“ zwischen Staat und Gesellschaft. Der „aktivierende Staat“ sollte soweit als möglich die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch die Bürger fördern und eine neue Balance zwischen staatlichen Pflichten sowie zu aktivierender Eigeninitiative und gesellschaftlichen Engagement herstellen. Die Rolle des Staates wird in diesem Leitbild weniger als die des Entscheiders und Produzenten, sondern vielmehr als die des Moderators und Aktivators gesellschaftlicher Entwicklungen definiert. Um die Selbstregulierungspotentiale der Gesellschaft zu fördern und ihnen den nötigen Freiraum zu schaffen, müsse das „Zusammenwirken staatlicher, halbstaatlicher und privater Akteure zum Erreichen gemeinsamer Ziele“ gefördert werden. Dabei falle dem Bund die Aufgabe zu, „die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen bürgerorientierten und partnerschaftlichen Staat zu schaffen“. Die Regierung verpflichtete sich zu mehr Bürgerorientierung, wobei die Transparenz der Verwaltung verbessert und die Beteiligung der Bürger intensiviert werden sollte. Im Verhältnis zu Ländern und Kommunen fühlte sich die Regierung dem Gedanken der staatlichen Vielfalt und dem Kooperationsprinzip verpflichtet und strebte eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungsebenen mit dem Ziel der Stärkung der Ei439 Zu theoretischen Grundlagen und empirischen Anwendungsfeldern des Governance-Konzepts Benz / Lütz / Schimank / Simonis, Handbuch Governance 2007. 440 Zum Konzept des aktivierenden Staates v. Bandemer / Blanke / Hilbert / Schmid: Staatsaufgaben, in: Behrens u. a.: Den Staat neu denken, S. 41 ff; Blanke / v. Bandemer, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 1999, S. 321 ff; v. Bandemer / Hilbert, in: Handbuch zur Verwaltungsreform, S. 26 ff. 441 Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998, Kapitel IX, Nr. 11.
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genverantwortung, des Subsidiaritätsprinzips und der „föderalen Vielfalt durch den Abbau bundesrechtlicher Vorgaben“ an. Unter dem Topos der „Effizienten Verwaltung“ betonte die Bundesregierung die Absicht, die Binnenstrukturen der Bundesverwaltung zu erneuern. Aufgrund der begrenzten finanziellen Mittel seien Verwaltungsabläufe auf unnötige Bürokratie zu überprüfen, wobei der Gedanke des Wettbewerbs und der Leistungsvergleiche („Benchmarking“; Orientierung an den besten Lösungen“) hervorgehoben wurde. Das Konzept des aktivierenden Staates versuchte, einen Ausweg aus der Zwickmühle zwischen einem überfürsorglichen universal zuständigen und einem bloßem „Nachtwächterstaat“ zu finden. Die angestrebte „Mobilisierung der Gesellschaft in Form einer Entwicklungsagentur“ 442 hat auf den ersten Blick etwas Bestechendes, hält es doch an einer umfassenden öffentlichen Verantwortung für gesellschaftliche Aufgaben fest und vermeidet die Schwächen der auf eher kleinräumige Solidarität und die Gemeinschaft von Individuen setzende Kommunitarismusbewegung und des Subsidiaritätsprinzips 443. Indem der „aktivierende Staat“ darauf baut, dass die Initiative zu gesellschaftlichem Engagement vom Staat ausgeht, ohne dass dieser die Leistungen auch selber erbringen muss, wird zudem ein Rückzug auf bloße moralische Appelle an gesellschaftliche Solidarität vermieden. Eine „gezielte staatliche Politik zur Mobilisierung, Steuerung und Unterstützung gemeinschaftlicher und privater Aktivitäten“ 444 bleibt daher möglich, ohne den Staat finanziell zu überfordern. Das damit verbundene Element der Aktivierung, Forderung und Förderung gesellschaftlicher Kräfte entspricht überdies idealtypisch dem Menschenbild des Grundgesetzes und der Staat wird gleichsam zum „öffentlichen Schmiermittel der Gesellschaft“ 445. Neue Impulse vermag dieses Leitbild auch für die Verwaltungsreform zu vermitteln, etwa wenn es um die Abgrenzung des öffentlichen Aufgabenbereichs, um die Suche nach der für den jeweiligen Aufgabenbereich am besten geeigneten Akteure oder die Erarbeitung von Instrumenten zur Steuerung und Gewährleistung einer optimalen Aufgabenerfüllung geht. Durch einen – allerdings eher auf lokaler als auf Bundesebene realistischen – permanenten gesellschaftlichen Dialog, der neuen Verantwortungsteilung, der staatlich-gesellschaftlichen Koproduktion und der Leistungsaktivierung enthält das Konzept zudem Instrumente, um der steigenden Staatsverdrossenheit entgegenzuwirken. Weil diese idealtypisch eng miteinander verzahnt sind, hilft das Leitbild des aktivierenden Staates den bisherigen Partikularismus der Steuerungsinstrumente zu vermeiden und kann wichtige Impulse für eine permanente, strukturierte und in sich schlüssige Verwaltungsreform lie442 Näher Blanke / v. Bandemer, Gewerkschaftliche Monatshefte 1999, S. 321 ff., v. Bandemer / Hilbert, in: Handbuch zur Verwaltungsreform, S. 26 (27). 443 Zu diesen v. Bandemer / Hilbert, in: Handbuch zur Verwaltungsreform, S. 26 (28 ff.). 444 v. Bandemer / Hilbert, in: Handbuch zur Verwaltungsreform, S. 26 (30). 445 v. Bandemer / Hilbert, in: Handbuch zur Verwaltungsreform, S. 26 (30).
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1. Kap.: Einleitung
fern. Das Konzept des aktivierenden Staates greift überdies die Debatte um die Steuerbarkeit moderner Gesellschaften auf. Es kann deshalb dazu beitragen, die Public-Governance-Debatte zu beleben und der Verwaltungsreformdebatte eine staatstheoretische Fundierung zu geben. Der entscheidende Nachteil jenes Leitbildes ist allerdings seine starke Theorielastigkeit 446. Ferner hat sich im Zuge der „Hartz-IV-Debatte“ gezeigt, dass der „aktivierende Staat“ im politischen Tagesgeschäft schnell zum bloßen Kampfbegriff ohne Steuerungswirkung degenerieren kann. Das Konzept wurde daher auf Bundesebene nur bis zum Jahre 2002 und zusätzlich in wenigen damals sozialdemokratisch regierten Bundesländern wie Niedersachsen und NordrheinWestfalen verfolgt, weil die im Rahmen der Arbeits- und Sozialreformen betonte Idee des „Förderns und Forderns“ auch innerhalb des sozialdemokratischen Lagers für erhebliche Verwerfungen sorgte. Instrumente des aktivierenden Staates lassen sich allerdings – obwohl nicht mehr ausdrücklich als solche kommuniziert – auch noch in neueren Gesetzesinitiativen nachweisen und haben gleichsam „unter der Hand“ in immer weiteren Bereichen Einzug in die praktische Politik gefunden. Der aktivierende Staat taugt damit nicht nur als analytisches Konzept, sondern auch als „Steinbruch für eine kontinuierliche Verwaltungsreform“ 447, zumal sich dessen Elemente auch auf europäischer Ebene nachweisen lassen 448. II. Governance als theoretisches Steuerungskonzept einer Staatsmodernisierungsdebatte Eng verbunden mit der Idee des aktivierenden Gewährleistungsstaates ist die aktuelle Diskussion um sog. Governance-Konzepte 449. Der mittlerweile nicht nur in sozialwissenschaftlichen Kontexten, sondern auch in der politischen Öffentlichkeit geläufige Begriff Governance 450 war vor zehn Jahren selbst noch für 446 Jesse, NdsVBl 2007, S. 145 (147) kritisiert daher, dass das Leitbild „zu keinem Zeitpunkt jene Konkretisierung und Konsistenz erlangt (habe), die für eine zielgerichtete Organisationsentwicklung erforderlich gewesen wären“. 447 v. Bandemer / Hilbert, in: Handbuch zur Verwaltungsreform, S. 26 (35). 448 Unter dem Konzept des „Better Governance“ und beeinflusst durch den 2001 veröffentlichten Mandelkern-Bericht setzt die Europäische Union seit einigen Jahren auf Instrumente kooperativer Steuerung wie international angelegte Benchmarkingvergleiche, Dialogorientierung und die Mobilisierung des Bürgers für das Recht. Grundlegend Masing, Mobilisierung des Bürgers, 1997. Zu den damit verbundenen Folgerungen für den europäischen und nationalen Rechtsschutz Halfmann, VerwArch 91 (2000), S. 75 (82 ff.). 449 Eingehend Holtkamp, DV 2010, S. 167 ff. Zur Verbindung von Governance und aktivierendem Staat auch Bogumil / Jann, Verwaltung und Verwaltungswissenschaft, S. 50 ff. 450 Seckelmann, VerwArch 98 (2007), S. 30 (36 ff.) identifiziert derzeit mit der politikund verwaltungswissenschaftlichen, ökonomischen, soziologischen bzw. organisations-
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viele Fachleute ein Fremdwort. Zwischenzeitlich hat das Schlagwort aber einen solchen Siegeszug angetreten, dass der Verdacht nahe liegt, es könne sich „um einen Modebegriff handeln, der bald wieder von der Bildfläche verschwinden werde“ 451. Die bereits in den 1930er Jahren nachweisbare und noch immer nicht vollständig konturenscharfe 452 Bezeichnung Governance ermöglicht als „Brückenbegriff“ 453 eine problemorientierte Kommunikation zwischen unterschiedlichen Subdisziplinen der Politikwissenschaft sowie zwischen verschiedenen Fachdisziplinen und erfreut sich deshalb großer Beliebtheit. Governance wird in verschiedenen Erscheinungsformen analysiert 454. Von besonderer Relevanz ist „Global Governence“. Dieser Begriff versucht die mit der Globalisierung verbundenen rechtlichen Probleme (grenzüberschreitende Wirtschaftsbeziehungen, reisender Terrorismus, globale Umweltzerstörungen) und die Komplexität politischer, wirtschaftlicher und sozialer Beziehungen in einer Weltgesellschaft zu erfassen 455. Seit Ende der1980er Jahre hat sich vor allem in der politischen Praxis, später aber auch in der verwaltungswissenschaftlichen Diskussion der insbesondere von der Weltbank etablierte Begriff „Good Governance“ durchgesetzt 456. „Good Governance“ ist ein Programm zur Verbesserung des Regierens und Verwaltens in nationalstaatlichen und internationalen politischen Systemen. Die Weltbank versteht unter „Good Governance“ eine effiziente, rechtsstaatliche und bürgernahe Staats- und Verwaltungspraxis und macht diese zur Voraussetzung einer Kreditvergabe an Entwicklungs- und Transformationsländer. Zentrale Bereiche der Good-Governance-Strategie sind ein auf Leistungssteigerung und verbesserte Steuerung im öffentlichen Sektor zielendes „Public Sector Management“ sowie die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit („rule of law“) sowie der Verantwortlichkeit und Transparenz öffentlicher Verwaltung 457. Governance ist für die Verwaltungsmodernisierungsdebatte in mehrfacher Hinsicht bedeutsam, hat sich doch dieses Konzept in den letzten Jahren in der Politiktheoretischen und juristischen vier Governance-Debatten mit unterschiedlichen Schwerpunkten. 451 So die Befürchtung von Benz / Lütz / Schimank / Simonis, Handbuch Governnace 2007, S. 10, wo der Governance-Perspektive aber „solide theoretische Wurzeln“ bescheinigt werden. Nach Holtkamp, DV 2010, S. 351 ist Governance gar das neue „Zauberwort der Verwaltungsreform“. 452 Ausführlich zu Unklarheiten und unterschiedlichen Begrifflichkeiten innerhalb des Governance-Konzeptes v. Blumenthal, ZPW 2005, S. 1149 ff. 453 Schuppert, in: Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung, 2005, S. 371 (373). 454 Von „Local Governance“, „Regional Governance“, „Organizational Governance“ bis hin zu „Multilevel Governance“ werden die unterschiedlichsten Begriffe verwendet. Vgl. näher Walkenhaus, in: Handwörterbuch zur Verwaltungsreform, S. 162 ff. 455 König, VerwArch 92 (2001), S. 475 (477). Ausführlich zum Begriff Global Governance als „Formelkompromiss“ Seckelmann, VerwArch 98 (2007), S. 30 (35 ff.). 456 Näher Seckelmann, VerwArch 98 (2007), S. 30 (35 f.). 457 König, VerwArch 92 (2001), S. 475 (496 f.).
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1. Kap.: Einleitung
und Verwaltungsforschung zunehmend als Kontrastfolie zu einer bis dahin allein ökonomisch dominierten New-Public-Management-Bewegung etabliert. In diesem Zusammenhang ist etwa der 1997 erschienene Weltentwicklungsbericht der Weltbank mit dem Titel „Der Staat in einer sich ändernden Welt“ zu erwähnen, der für eine ausdrückliche Distanzierung von einem minimalistischen Staatskonzept, in dem ausschließlich auf Marktkräfte gesetzt wird, plädiert 458. Als politikwissenschaftlicher Begriff beschreibt Governance schließlich eine neue Sichtweise von politischer, gesellschaftlicher und ökonomischer Realität, mit welcher der Beitrag von zivilgesellschaftlichen und privatwirtschaftlichen Akteuren bei der Analyse politischer Steuerungsmöglichkeiten 459 stärker als bisher einbezogen wird. Der Staat wird nicht mehr als Institution wahrgenommen, die sich von Markt und Gesellschaft klar unterscheidet. Staat, Markt und soziale Netzwerke und Gemeinschaften werden als institutionelle Regelungsmechanismen betrachtet, die in unterschiedlichen Kombinationen genutzt werden und deren Steuerungs- und Koordinierungsfunktion es zu analysieren gelte. In Abgrenzung zum traditionellen aus der klassischen Regierungslehre stammenden Begriff „Government“, der sich auf den Staat und sein Verhältnis zur Gesellschaft konzentriert und das Lenken, Steuern und Koordinieren von Regierungen als Staatstätigkeit beschreibt, stellt „Governance“ umfassender auf die komplementären Steuerungsformen zwischen Staat, Markt und Netzwerken ab und will so eine Leitlinie für die Analyse komplexer Strukturen kollektiven Handelns geben 460. Hinter dem Governance-Konzept steht die Erkenntnis, dass traditionelle Formen der Lösung kollektiver Probleme in der modernen Gesellschaft zunehmend problematisch geworden sind. Neben diesem sehr abstrakten Begriffsverständnis werden in einer engeren Definition unter „Governance“ auch inhaltliche Veränderungen politischer Steuerung verstanden. Gemeint sind damit Tendenzen stärkerer gesellschaftlicher, ökonomischer und politischer Selbststeuerung und die daraus resultierende Neuausrichtung von Steuerungsinstrumenten, die aus Verhandlungen, kombiniert mit Hierarchie und Anreizen bestehen. Das Governance-Konzept setzt wegen der strukturellen Defizite der überkommenen Konfliktlösungsmodelle auf „Mechanismen der Koordinierung zwischen mehr oder weniger autonomen Akteuren, deren Handlungen interdependent sind, sich also wechselseitig beeinträchtigen oder unterstützen können“ 461. Dabei gelte es, die 458
Stattdessen gelte es, die Rolle des Staates an seine tatsächliche Leistungsfähigkeit anzupassen und die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Sektors durch effektive Verwaltungsapparate sicher zu stellen. Näher König, VerwArch 92 (2001), S. 475 (497 f.). 459 Zur steuerungstheoretischen Sichtweise auf das Verwaltungsrecht siehe § 3 B II 1. Näher zum Verhältnis von Governance und steuerungstheoretischem Ansatz Schuppert, in: ders. (Hrsg.), Governance-Forschung, 2005, S. 371 ff.; Seckelmann, VerwArch 98 (2007), S. 30 (33 ff.); Spiecker genannt Döhmann, DVBl 2007, S. 1074 (1076). 460 Walkenhaus, in: Handwörterbuch zur Verwaltungsreform, S. 162. 461 Benz / Lütz / Schimank / Simonis, Handbuch Governance 2007, S. 9.
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Funktionsweise und Funktionsbedingungen dieser nur unter bestimmten Voraussetzungen funktionierenden und nur für bestimmte Probleme geeigneten Akteure besser verstehen zu lernen, um die „komplexe politische und soziale Wirklichkeit begreifen, Probleme analysieren und Lösungen finden“ 462 zu können. Mit dem Analysebegriff Governance sollen das erweiterte Spektrum koordinierten kollektiven Handelns zwischen Individuen, Organisationen, gesellschaftlichen Teilsystemen in den Blick genommen und die unterschiedlichen Formen und Mechanismen der Koordination analysiert werden 463. III. Die Jahre ab 2003 – Bürokratieabbau bestimmt das Handeln Mit der im Herbst 2002 gewählten zweiten rot-grünen Koalitionsregierung verschoben sich die Politikschwerpunkte ein weiteres Mal. Das jedenfalls auf Bundesebene eher sperrige und zudem in die tagespolitische Auseinandersetzung geratene Leitbild des „aktivierenden Staates“ wurde vom Politikschwerpunkt Bürokratieabbau abgelöst. In seiner Regierungserklärung zu Beginn der neuen Legislaturperiode bezeichnete Bundeskanzler Gerhard Schröder den Abbau unnötiger Bürokratie als eine der Säulen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung. Deutlich wurde die Neuausrichtung auch durch die von der Bundesregierung am 26. 02. 2003 beschlossenen „Eckpunkte für den Masterplan Bürokratieabbau“. Darin waren Ziele, Aufgaben und ein Zeitplan für den Bürokratieabbau in der Bundesrepublik Deutschland 464 sowie das Konzept für sog. „Testregionen für Bürokratieabbau“ 465 enthalten. Auf Bundesebene kam es in der Folgezeit zu der Verabschiedung mehrerer Deregulierungsgesetze, von denen das „Gesetz zur Umsetzung von Vorschlägen zu Bürokratieabbau und Deregulierung aus den Regionen“ 466 vom Juni 2005 und die drei „Gesetze zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft“ 467 im Rahmen dieser Untersuchung näher betrachtet werden. Das Thema Bürokratieabbau war auch ein zentrales Projekt der im November 2005 gebildeten Großen Koalition zwischen CDU / CSU und SPD unter 462
Benz / Lütz / Schimank / Simonis, Handbuch Governnace 2007, S. 9. Näher Benz / Lütz / Schimank / Simonis, Handbuch Governnace 2007, S. 14. Unter Formen werden die sich durch dauerhaftes Zusammenwirken ergebenden oder durch formale Regeln institutionalisierten Strukturen der Interaktionen, unter Mechanismen dagegen die sich im Rahmen dieser Formen ergebenden jeweiligen Prozessverläufe verstanden. 464 Zu den Einzelheiten BTDrs 15/1418 vom 14. 07. 2003. 465 Zur Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg unten § 16 C I 1. 466 BGBl. I. 2005, S. 1666 f; näher unten § 8 E I. 467 Zu den Einzelheiten § 8 E III. 463
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1. Kap.: Einleitung
Kanzlerin Angela Merkel. Die neue Regierung verständigte sich in ihrem Koalitionsvertrag unter anderem darauf, Unternehmen von besonders wachstumshemmender Überregulierung zu befreien. Insbesondere dem Mittelstand sowie Existenzgründern sollte durch den Abbau von Statistik-, Nachweis-, Dokumentations- und Buchführungspflichten, durch die Vereinfachung und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, die Vereinheitlichung von Schwellenwerten im Bilanz- und Steuerrecht sowie die Begrenzung der Verpflichtung von Betrieben zur Bestellung von Beauftragten „mehr Luft zum Atmen“ geschaffen werden 468. In den Koalitionsvertrag wurde ferner die Absichtserklärung aufgenommen, den neuen Ländern Möglichkeiten der Abweichung von gesetzlichen Bestimmungen des Bundes zu gewähren. Die politische Leitentscheidung für einen forcierten Bürokratieabbau führte am 25. 04. 2006 zum Programm „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“, in dem sich die Bundesregierung verpflichtete, Bürokratiekosten messbar zu senken und neue Informationspflichten zu verhindern. Auf europäischer Ebene wollte sich die Bundesregierung ebenfalls „mit Nachdruck“ dafür einsetzen, neue Informationspflichten so weit wie möglich zu vermeiden und bereits bestehende Informationspflichten abzubauen. Bürokratieabbau und Bessere Rechtsetzung werden seitdem als prioritären politische Führungsaufgaben verstanden 469. Um die angestrebten Ziele zu verwirklichen, wollte die Bundesregierung durch zielgerichtete Maßnahmen für eine verbesserte Rechtsetzung zur Abschaffung und Vermeidung neuer Bürokratie beitragen. Schwerpunkte des Programms waren unter anderem die Errichtung eines Nationalen Normenkontrollrats als unabhängiges Kontroll- und Beratungsgremium bei der Gesetzgebung 470, die Einführung eines Verfahrens zur Identifizierung und Messung bestimmter Bürokratiekosten auf Grundlage des sog. Standardkosten-Modells 471 sowie die Bestellung einer Koordinatorin der Bundesregierung für Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung. Diese Funktion wurde beim Bundeskanzleramt angesiedelt, mit weit reichenden Aufgaben versehen und entsprechend personell ausgestattet 472. Das unterstreicht den herausragenden Stellenwert des Projekts Bürokratieabbau 473. Ein weiterer Schwerpunkt der „Entbürokratisierungsoffensive“ der Großen Koalition lag zudem bei der Rechtsbereinigung und dem Abbau von Verwaltungsvorschriften 474. 468
Vgl. BTDrs 16/1407, S. 7. Programmatisch Schäuble, ZG 2007, S. 209 ff. 470 Ausführlich dazu unten § 8 D II. 471 Näher unten § 8 D I. 472 Diese Aufgabe wurde zunächst Hildegard Müller übertragen, die am 01. 10. 2008 von Hermann Gröhe abgelöst wurde, der jetzt Generalsekretär der CDU ist. Derzeit ist Staatsminister Eckart von Klaeden Koordinator der Bundesregierung für Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung. 473 Hesse, NdsVBl 2007, S. 145 (148) bescheinigt der Großen Koalition, „die gegebenen Herausforderungen deutlich ernster als vorangegangene Bundesregierungen“ zu nehmen. 469
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Auch die seit Herbst 2009 amtierende Bundesregierung sieht den Bürokratieabbau als prioritären Politikschwerpunkt an. So enthält der am 26. 10. 2009 geschlossene Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP 475 das Ziel, die gemessenen Kosten aus bundesrechtlichen Informationspflichten der Wirtschaft bis 2011 um netto 25% im Vergleich zum 30. 09. 2006 zu reduzieren. Die Bundesministerien wurden verpflichtet, bis zum 01. 07. 2010 jeweils verbindliche Umsetzungspläne vorzulegen 476. Um die Bürokratiekosten weiter einzudämmen, sollen in Zukunft die gesetzlichen Informationspflichten auch für die Bürger und die gesetzlichen Handlungspflichten für Wirtschaft, Bürger und Verwaltung geprüft werden, bevor Gesetze vorgelegt werden.
474 475 476
Näher unten § 8 C V 2. Auszugsweise abgedruckt in BTDrs 17/300, S. 78 f. Eingehend unten § 8 D III 3.
Zweites Kapitel
Völker-, Europa- und verfassungsrechtliche Grundlagen des Reformprozesses § 6 Völkerrechtliche und Europarechtliche Vorgaben für die Regelungsoptimierung A. Völkerrechtliche Grundlagen Der zunehmende Einfluss des Europarechts auf die nationalen Rechtsordnungen 1 birgt auch für das deutsche Verwaltungsrecht eine Vielzahl von Herausforderungen 2. Es erscheint daher nicht übertrieben, die Europäisierung des Verwaltungsrechts als „die herausragende dogmatische und theoretische Entwicklung der letzten 15 Jahre“ 3 zu qualifizieren. Diese Entwicklung ist in den unterschiedlichsten Referenzgebieten über „Einbruchsstellen“ des Europarechts vollzogen worden und hat und zu einer „Europäisierung der Verwaltungsrechtslehre“ 4 geführt, die vor kaum mehr als zwei Dekaden noch undenkbar schien. Einen erheblichen Reformdruck auf das nationale Verwaltungsverfahrensrecht übte vor allem die bis Ende 2009 in nationales Recht umzusetzende Europäische Dienstleistungsrichtlinie (DLRL) mit ihren Forderungen nach Schaffung eines Einheitlichen Ansprechpartners für Dienstleistungserbringer, einer elektronischen Verfahrensabwicklung und einer systematischen Normprüfung aus 5. Im Mittelpunkt des Interesses steht zumeist der durch das Recht der Europäischen Union ausgelösten Reformbedarf. Dabei wird häufig übersehen, dass 1
Zur Entwicklung der Konvergenz der europäischen Rechtsschutzsysteme in Europa vgl. Huber, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG I, Art. 19 IV GG Rn. 540 ff. 2 Grundlegend Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996; Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, Einleitung, 100 ff.; Bergmann / Kenntner (Hrsg.), Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 2002; Dünchheim, Verwaltungsprozessrecht unter europäischem Einfluss, 2003; Ehlers, DVBl 2004, S. 1441. 3 Ruffert, in: Henneke, Verwaltungsstrukturen, S. 11. Zurückhaltender Hufen / Bickenbach, DV 2006, S. 525 (527), wonach die Veränderungen bisher überwiegend punktueller Natur seien. 4 Ruffert, DV 36 (2003), S. 293 ff. Dort auch zu den nationalen „Einbruchstellen“ des Europarechts. 5 Näher unten § 19 C.
§ 6 Vorgaben für die Regelungsoptimierung
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auch die in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) 6 niedergelegten Justiz- und Verfahrensgrundrechte von weit reichender Bedeutung für die Regelungsoptimierung auf nationaler Ebene sind. Unter dem Begriff Justizund Verfahrensgrundrechte werden all jene Rechtspositionen zusammengefasst, die einen gemeinsamen Bezugspunkt im Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes als Ausdruck eines europäischen Verfassungsprinzips der Rechtsstaatlichkeit haben 7. Im Vergleich zu den Verfassungen der meisten europäischen Staaten enthält die stark vom anglo-amerikanischen Recht beeinflusste EMRK eine weit größere Zahl detailliert gefasster Verfahrensgrundrechte, die in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) auch quantitativ die klassischen Freiheitsgrundrechte deutlich überwiegen 8. In dieser Arbeit werden die in Art. 6 EMRK gewährleistete Garantie eines fairen Verfahrens und das durch Art. 13 EMRK garantierte Recht auf eine wirksame Beschwerde im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Regelungsoptimierung im deutschen Verfahrensrecht untersucht 9. Durch eine umfangreiche Rechtsprechung des EGMR sind diese Verfahrensgarantien soweit konturiert worden, dass sie wichtige Impulse für die Regelungsoptimierung von Verwaltungs- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren in der Bundesrepublik Deutschland vermitteln, denen sich die nationale Rechtsordnung nicht länger verschließen kann. Bevor diese im Einzelnen dargestellt und hinsichtlich ihrer Bedeutung für das nationale Rechtssystem analysiert werden, sind allerdings einige Ausführungen zu Entstehung und Geltung der EMRK in der Bundesrepublik Deutschland angebracht. I. Europäische Menschenrechtskonvention Die EMRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der von den Mitgliedsstaaten des Europarats ausgearbeitet worden ist. Sie ist das älteste Vertragswerk seiner Art 6 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04. 11. 1950; BGBl. II 1952, S. 685, S. 953 in der Neufassung vom 17. 05. 2002; BGBl. II, 2002, S. 1055. 7 Grabenwarter, EMRK, § 24 Rn. 1. 8 Grabenwarter, EMRK, § 24 Rn. 1. 9 Auf Art. 14 Abs. 1 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) für kann dagegen nicht näher eingegangen werden. Die Bundesrepublik Deutschland hat den IPBPR am 09. 10. 1968 in New York unterzeichnet. Der Bundestag hat ihm mit Gesetz vom 15. 11. 1973 (BGBl. II, 1973, S. 1533) mit bestimmten Maßgaben zugestimmt. Der IPBPR ist in der Bundesrepublik Deutschland am 23. 03. 1976 in Kraft getreten (BGBl. II 1976, S. 1068). Der Pakt begründet grundsätzlich nur eine Staatenverpflichtung und keine subjektivrechtlichen Ansprüche. Art. 14 IPBPR entspricht weitgehend Art. 6 EMRK, garantiert das Recht auf eine angemessene Verfahrensdauer allerdings ausdrücklich nur für das Strafverfahren, wo gem. Art. 14 Abs. 3c IPBPR ein Urteil „ohne unangemessene Verzögerung“ ergehen muss. Ob und unter welchen Voraussetzungen Art. 14 IPBPR in innerstaatlichen Verfahren Anwendung findet, bedarf wegen der weiterreichenden Garantien des Art. 6 EMRK vorliegend keiner näheren Betrachtung.
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2. Kap.: Grundlagen des Reformprozesses
im Rahmen des regionalen Menschenrechtsschutzes und eine Reaktion auf die systematischen Menschenrechtsverletzungen während des zweiten Weltkriegs, deren Wiederholung durch die Konvention unmöglich gemacht werden sollte 10. 1. Entstehungsgeschichte und Entwicklung von Europarat und EMRK Die Entstehungsgeschichte der EMRK ist mit derjenigen des Europarats eng verbunden. In der Einsicht, dass sich nationaler Grund- und Menschenrechtsschutz als unzureichend erwiesen hatte und in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. 12. 1948 (AEMR) wurde am 05. 05. 1949 der zunächst 10 Mitgliedsstaaten umfassende Europarat gegründet, dessen Satzung in Art. 1b den Schutz und die Fortentwicklung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten als zentrale Aufgabe definiert. Die Bundesrepublik Deutschland ist am 13. 07. 1950 assoziiertes Mitglied und am 02. 05. 1951 Vollmitglied des Europarats geworden 11. Der Europarat hat im Laufe seiner über 60-jährigen Geschichte eine stürmische Entwicklung genommen. Zählte er Anfang 1990 am Vorabend der politischen Wende in Osteuropa lediglich 22 Mitglieder, gibt es mittlerweile 47 Vertragsstaaten 12, die sich nach Art. 3 Abs. 1 der Satzung zum „Grundsatz der Vorherrschaft des Rechts“ und zur Anerkennung von Menschenrechten und Grundfreiheiten bekennen. Nachdem sich die Beratende Versammlung (heute: die Parlamentarische Versammlung) 13 des Europarats in ihren Sitzungen am 08. und 09. 08. 1949 allgemein mit der Ausarbeitung eines Menschenrechtskatalogs beschäftigt hatte, beauftragte sie noch im gleichen Monat ihren Ausschuss für Rechts- und Verwaltungsfragen, über eine kollektive Garantie von Menschenrechten zu beraten. Grundgedanke war, die AEMR in ein regionales, mit effizienten Kontrollmechanismen ausgestattetes Schutzsystem zu transformieren 14. Dabei flossen die parallel stattfindenden Beratungen auf der Ebene der Vereinten Nationen maßgeblich auch in den Text der EMRK ein 15. Am 09. 09. 1949 nahm die Beratende Versammlung des Europarats einen Bericht des Ausschusses an, der die Einrichtung einer Europäischen Menschenrechtskommission und eines europäischen 10 Ausführlich zur Entstehungsgeschichte und Entwicklung der EMRK Grabenwarter, EMRK, § 1; Herdegen, Europarecht, § 3; Streinz, Europarecht, Rn. 73 ff. 11 Siehe Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Europarat vom 08. 07. 1950; BGBl. I, S. 263 sowie Bekanntmachung v. 16. 09. 1953; BGBl. II, S. 558. 12 Vgl. Art. 26, 42 der Satzung des Europarats. Näher Grabenwarter, EMRK, § 1 Rn. 4. 13 Art. 22 ff. der Satzung des Europarats. 14 Meyer-Ladewig, EMRK, Einleitung, Rn. 1. 15 Grabenwarter, EMRK, § 1 Rn. 3.
§ 6 Vorgaben für die Regelungsoptimierung
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Gerichtshofes für Menschenrechte vorschlug. Auf dieser Basis berief das Ministerkomitee als Handlungsorgan des Europarats einen weiteren Ausschuss von Regierungsexperten. Dieser verabschiedete im Juni 1950 einen Konventionsentwurf, der vom Ministerkomitee noch in einigen Punkten geändert und der Beratenden Versammlung vorgelegt wurde. Die EMRK wurde am 04. 11. 1950 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die AEMR und die Satzung des Europarats in Rom unterzeichnet und trat gem. Art. 59 Abs. 3 EMRK nach ihrer Ratifizierung durch 10 Staaten am 03. 09. 1953 in Kraft 16. Neue Mitglieder werden in den Europarat nur aufgenommen, wenn sie die EMRK und die hierzu ergangenen 14 Zusatzprotokolle unterzeichnen 17. Deutschland ratifizierte die EMRK bereits am 05. 12. 1952 und gehörte neben Dänemark, Großbritannien, Irland, Norwegen, Luxemburg und Schweden zu den Mitgliedsstaaten der ersten Stunde. In der Europäischen Union wird seit mehr als 30 Jahren der Vorschlag eines Beitritts der Union zur EMRK als Möglichkeit zur Erreichung eines kohärenten Grundrechtsschutzes erwogen 18. Im Rahmen des gescheiterten Europäischen Verfassungsprojekts enthielt Art. I- 9 Abs. 2 VVE erstmals eine Regelung, welche die Voraussetzungen für einen Beitritt der EU zur EMRK schaffen sollte. Der Vertag über die Europäische Union (EUV) in der Fassung des Vertrags von Lissabon sieht in Art. 6 Abs. 2 nunmehr vor, dass die Union der EMRK beitritt. Der EU ist durch diese Vorschrift verbindlich vorgegeben, den Beitritt zur EMRK anzustreben und alle ihr erforderlichen und ihr möglichen entsprechenden Schritte zu tun 19. Art. 6 Abs. 2 EUV enthält somit eine Selbstverpflichtung für die Mitgliedsstaaten der EU, den Beitritt zur EMRK sowohl im Rahmen der Europäischen Union als auch innerhalb des Europarats und der Europäischen Menschenrechtskonvention herbeizuführen 20. Mit dem Inkrafttreten des 14. Zusatzprotokolls zur EMRK am 01. 06. 2010 21 ist auch Art. 59 Abs. 2 EMRK wirksam geworden, der den Beitritt der Europäischen Union zur EMRK ausdrücklich gestattet.
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Bekanntmachung v. 15. 12. 1953 (BGBl. II, 1954, S. 14). Meyer-Ladewig, EMRK, Einl. Rn. 1. 18 Ausführliche Nachweise zur Diskussion bei Grabenwarter, EMRK, § 4 Rn. 14 in Fn. 32. 19 Pache / Rösch, NVwZ 2008, S. 473 (474). 20 Grabenwarter, EMRK, § 4 Rn. 14. 21 Das 14. Zusatzprotokoll (BGBl. 2006 II, S. 138) wurde am 15. 01. 2010 auch von der Staatsduma der Russischen Föderation ratifiziert, welche die Ratifikation noch am 22.12 2006 abgelehnt hatte (vgl. EUGRZ 2007, S. 507). Nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunde beim Generalsekretär des Europarats am 18. 02. 2010 trat das 14. Zusatzprotokoll gem. seines Art. 19 am 01. 06. 2010 in Kraft. 17
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2. Kap.: Grundlagen des Reformprozesses
2. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als zentrales Organ der EMRK Wichtigstes Organ der Europäischen Menschenrechtskonvention ist der in Art. 19 bis 51 EMRK geregelte Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) 22. Dieser wurde nach einer grundlegenden Reform des Rechtsschutzmechanismus der EMRK durch das 11. Protokoll 23 am 01. 11. 1998 mit Sitz in Straßburg errichtet. Der EGMR hat mit seiner Rechtsprechung maßgeblich zur Weiterentwicklung der prozeduralen Seite des Europäischen Rechtsstaatsdiskurses beigetragen 24. Der EGMR – der sich eine eigene Verfahrensordnung gegeben hat 25 – ist ein ständiger Gerichtshof (Art. 19 EMRK) mit 47 hauptamtlichen Richtern und nach Art. 32 EMRK für alle die Auslegung und Anwendung der EMRK und ihrer Protokolle betreffenden Angelegenheiten zuständig. Hierfür sind mit der Staatenbeschwerde (Art. 33 EMRK), der Individualbeschwerde (Art. 34 EMRK) und der Erstattung eines Gutachtens (Art. 47 EMRK) drei verschiedene Verfahrenswege eröffnet 26. Während die Staatenbeschwerde in der Straßburger Praxis nur eine untergeordnete Rolle spielt, sind Individualbeschwerden von überragender praktischer Bedeutung. Mit der Individualbeschwerde können natürliche Personen, nichtstaatliche Organisationen oder Personengruppen die Verletzung eines der in Art. 2 bis 18 EMRK garantierten Rechte und Freiheiten rügen 27. Die Zahl der Individualbeschwerden wächst von Jahr zu Jahr und stellt die Arbeitsfähigkeit des EGMR ernsthaft in Frage. Wurden im Jahre 2000 ca. 30.000 Individualbeschwerden erhoben (bei einer Erledigungsquote von 695 Urteilen), waren es im Jahre 2007 bereits 54.000 (bei 1503 Urteilen). Am 31. 12. 2008 waren 97.307 Beschwerden anhängig 28. Mit dem am 01. 06. 2010 in Kraft getretenen 14. Zusatzprotokoll zur EMRK sind zahlreiche Änderungen der Konvention verbunden, die in erster Linie auf die Entlastung des EGMR abzielen 29. Trotz aller damit verbundenen praktischen Probleme bedeutet die Errichtung des ständigen Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einen „Meilenstein für den Menschenrechtsschutz in Europa und einen wichtigen Ausbau europäischer Gerichtsbarkeit“ 30. 22
Einführend Oppermann / Classen / Nettesheim, Europarecht, § 3 Rn. 27 ff. BGBl. II, 1995, S. 578. Eingehend Schlette, JZ 1999, S. 219. 24 Näher Schmidt-Aßmann, HdbStR, Band 2, 3. Aufl. 2004, § 26 Rn. 100 ff. 25 Vom 04. 11. 1998; BGBl. II, 2002, S. 1081. 26 Näher Oppermann / Classen / Nettesheim, Europarecht, § 3 Rn. 29. 27 Zur Individualbeschwerde Grabenwarter, EMRK, § 9; Herdegen, Europarecht, § 3 Rn. 12 ff. 28 Council of Europe (ed.), Annual Report 2008 of the European Court of Human Rights, S. 128. 29 So wurden eine Einzelrichterzuständigkeit geschaffen, die Zuständigkeit der Dreier-Ausschüsse erweitert und die Unzulässigkeitsgründe neu gefasst. Näher Grabenwarter, EMRK, § 8 Rn. 3 ff; § 13 Rn. 39. 23
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3. Geltung der EMRK in der Bundesrepublik Deutschland und Bedeutung der Rechtsprechung des EGMR Mit Ratifizierung durch die Bundesrepublik Deutschland wurde die EMRK in das deutsche Recht inkorporiert und gilt gem. Art. 59 Abs. 2 GG im Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht betont in ständiger Rechtsprechung, dass der EMRK kein Verfassungsrang zukomme und eine Verfassungsbeschwerde daher nicht allein auf eine Verletzung der EMRK gestützt werden könne 31. Versuche in der Literatur, den Vorrang der EMRK gegenüber einfachem Bundesrecht über Art. 24 GG 32 oder Art. 25 GG herzuleiten 33, haben sich bisher ebenso wenig durchsetzen können wie eine neuere Auffassung, welche allein den Menschenrechtsgehalten der EMRK, die gleichzeitig Völkergewohnheitsrecht sind, nach Art. 25 GG übergesetzlichen Rang zusprechen und im Übrigen die Rechte der EMRK im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG berücksichtigen will 34. Trotz ihrer bloß einfachgesetzlichen Geltung in der Bundesrepublik Deutschland sind Inhalt und Entwicklungsstand der Konvention nach dem Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung des nationalen Rechts zu berücksichtigen. Das Grundgesetz und das übrige staatliche Recht sind nach Möglichkeit so auszulegen, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands nicht entsteht 35. Dieser Grundsatz ist auch bei der Auslegung der EMRK zu berücksichtigen 36, was vom Bundesverfassungsgericht spätestens seit Mitte der 1980er Jahre anerkannt wird 37. Das Bundesverfassungsgericht berücksichtigt die EMRK bei der Bestimmung des Inhalts und der Reichweite von Grundrechten daher als Auslegungshilfe 38. Zudem ist die EMRK von allen Trägern staatlicher Gewalt, einschließlich der Gerichte, „im Rahmen methodisch vertretbarer 30
Oppermann / Classen / Nettesheim, Europarecht, § 3 Rn. 31. BVerfGE 10, 271 (274); 64, 135 (157); 74, 102, (128); 111, 307 (317). Zur Rechtsprechung des BVerfG zur EMRK Ruffert, EuGRZ 2007, S. 245 sowie Landau, DVBl 2008, S. 1269 (1273 f.). 32 Everling, EuR 2005, S. 411 (417 f.). 33 Nach Bleckmann, EuGRZ 1994, S. 149 (153 f.) stellt die EMRK Völkergewohnheitsrecht dar. 34 Grabenwarter, EMRK, § 3 Rn. 8. 35 BVerfGE 74, 358 (370); 83, 119 (128); 111, 307. 36 Meyer-Ladewig, EMRK, Einleitung Rn. 29; Klein, LKV 2003, S. 74. 37 Ausführlich Schlette, Anspruch, S. 32 f. Auch das BVerwG – BVerwGE 110, 203 (211) = JZ 2000, S. 1050 (1052) mit Anmerkung von Kadelbach – erkennt die „Pflicht zur Beachtung einer gefestigten Auslegungspraxis“ des EGMR an. Zur Bindungswirkung von EGMR-Urteilen für nachfolgende gerichtliche Verfahren siehe BVerfGE 111, 307 (315 ff.) und Herdegen, Europarecht, § 3 Rn. 55 ff. 38 Grundlegend BVerfGE 74, 358 (370); weitere Nachweise bei Grabenwarter, EMRK, § 3 Rn. 6. 31
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2. Kap.: Grundlagen des Reformprozesses
Gesetzesauslegung“ 39 wie Gesetzesrecht des Bundes anzuwenden 40. In diesem Zusammenhang ist die Rechtsprechung des EGMR von herausragender Bedeutung. Dessen Konventionsauslegung ist durch Art. 59 Abs. 2 GG in den Vorrang des Gesetzes einbezogen 41 und hat an der völkerrechtlichen Verbindlichkeit der EMRK teil 42. Nach Art. 46 Abs. 1 EMRK sind die Vertragsstaaten verpflichtet, das endgültige Urteil des EMGR zu befolgen. Die Urteile des EGMR erwachsen in formelle Rechtskraft, endgültige Urteile sind nach Art. 42, 44 EMRK nicht mehr anfechtbar In den jeweiligen personellen, sachlichen und zeitlichen Grenzen des Streitgegenstands sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, die Urteile des EGMR bei ihrer Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Sie müssen Entscheidungen des EGMR in der gleichen Sache jedenfalls zur Kenntnis nehmen, sich mit ihnen auseinandersetzen und ggf. nachvollziehbar begründen, warum sie der völkerrechtlichen Rechtsauffassung gleichwohl nicht folgen 43. II. Das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK Von großer Bedeutung für nationale Verpflichtungen zur Regelungsoptimierung sind die Verfahrensgarantien der EMRK, da solche im Grundgesetz nur in geringem Umfang vorhanden sind. Insbesondere Art. 6 EMRK macht weit umfassendere Vorgaben für ein faires Verfahren als das Grundgesetz. Für die vorliegende Untersuchung ist Art. 6 EMRK, dem Art. 10 AEMR als Vorlage diente 44, von überragender Bedeutung, da dort ein Verfahren innerhalb angemessener Frist garantiert wird. 1. Grundsätzliche Bedeutung Das in Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierte Recht auf ein faires, öffentliches und zügiges Verfahren vor einem unabhängigen Gericht ist das zentrale Justizund Verfahrensgrundrecht der EMRK und zugleich die Norm mit der größten praktischen Bedeutung. Allein 591 der 695 vom EGMR im Jahre 2000 erlassenen Urteile betrafen diese Vorschrift. In 521 dieser Streitigkeiten war die Dauer des 39
Zu den damit ggf. verbundenen Einschränkungen BVerfGE 111, 307 (323) sowie Klein, JZ 2004, S. 1176; Cremer, EuGRZ 2004, S. 683 (686f.); Meyer-Ladewig / Petzold, NJW 2005, S. 15. 40 Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 1 Rn. 3 a. 41 BVerfG NJW 2004, S. 3407 (3410); Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 46 Rn. 15. 42 Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 46 Rn. 15. 43 BVerfGE 111, 307 = NJW 2004, S. 3407 (Görgülü / Deutschland). Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum ist die Entscheidung teils kritisch kommentiert worden. Eine Überbetonung des deutschen Souveränitätsanspruchs kritisiert Cremer, EuGRZ 2004, S. 683 ff. Dagegen Landau, DVBl 2008, S. 1269 (1275). 44 Ausführlich Meyer, GRC, Art. 47 Rn. 20.
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Verfahrens Streitgegenstand 45. Häufig ist auch die überlange Verfahrensdauer vor deutschen Gerichten Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten vor dem EGMR 46. Art. 6 EMRK ist zwar stark von Art. 10 AEMR beeinflusst, enthält aber mit der Gewährleistung eines zügigen Verfahrens eine Garantie, die weit über den dort gewährleisteten Standard hinaus geht. Zugleich konkretisiert Art. 6 EMRK das europäische Grundrecht auf einen fairen Prozess, welches zu den Grundpfeilern der europäischen Verfassungsordnung zählt 47 und vom EuGH als europäisches Prozessgrundrecht verstanden wird. 2. Reichweite des Art. 6 EMRK – Ausdehnung auf Verwaltungsverfahren Art. 6 EMRK garantiert „jedermann“ das Recht auf eine gerichtliche Entscheidung in einem fairen und öffentlichen Verfahren innerhalb angemessener Frist, soweit das Verfahren in einem der 47 Vertragsstaaten stattfindet. Allerdings gilt dies dem Wortlaut nach nur in Bezug auf zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen sowie in Strafverfahren, so dass eine überlange Dauer von verwaltungsgerichtlichen Verfahren prima facie nicht in den Anwendungsbereich der Norm zu fallen scheint. Der EGMR hat jedoch bereits früh entschieden, dass „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ auch solche sein können, die nach deutschem Recht im öffentlichen Recht wurzeln und deshalb von den Verwaltungsgerichten beurteilt werden 48. Allerdings hat es der EGMR bisher vermieden, eine abstrakte Definition der zivilrechtlichen Ansprüche festzulegen, so dass die Trennlinie zwischen den in Art. 6 EMRK einbezogenen und der von der Vorschrift nicht umfassten Verwaltungsstreitigkeiten nicht immer klar ist 49. Jedenfalls hat der Gerichtshof den Anwendungsbereich der Vorschrift auf eine Vielzahl von (nach deutschem Verständnis) öffentlich-rechtlichen Verwaltungsstreitigkeiten ausge45 Zahlen nach Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 Rn. 1. In Art. 6 EMRK ist nach Grabenwarter, EMRK, § 24 Rn. 44 eine der Hauptursachen der unverändert andauernden Überlastung des EGMR zu sehen. 46 Frowein / Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 235 ff. mit deutlicher Kritik an der Spruchpraxis des EGMR. 47 Pache, NVwZ 2001, S. 1342 m.w. N. in Fn. 3. 48 Grundlegend EGMR, Urt. v. 28. 06. 1978 (König / Deutschland), NJW 1979, S. 477, Nr. 88 ff (Rücknahme einer Klinikerlaubnis und Widerruf einer ärztlichen Approbation). Vgl. ferner EGMR, Urt. v. 29. 05. 1986 (Deumeland / Deutschland), NJW 1989, S. 652, Nr. 60 ff. (Ansprüche auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung); EGMR, Urt. v. 15. 02. 2007, DVBl 2007, S. 1161 ff, Nr. 25 ff. (vereinigungsbedingt weggefallener Anspruch einer Balletttänzerin gegen das Erich-Weinert-Ensemble der DDR). Näher Grabenwarter, EMRK, § 24 Rn. 7 ff.; Internationaler Kommentar zur EMRK, Art. 6 Rn. 149 ff.; Schlette, Anspruch, S. 21 ff. 49 Kritisch Frowein / Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 15 und 22.
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dehnt 50. Praktisch bedeutsam ist die erweiterte Auslegung des Art. 6 EMRK etwa im Schutzbereich des Eigentumsrechts und der Berufsfreiheit 51. Auch sozialversicherungsrechtliche Ansprüche und Schadensersatzansprüche gegen den Staat können ebenso wie Enteignungsverfahren, behördliche Bauverbote, berufsrechtliche Disziplinarverfahren und aus dem Eigentumsrecht abgeleitete Abwehransprüche gegen die hoheitliche Genehmigung zum Betrieb einer Abfalldeponie unter Art. 6 Abs. 1 EMRK fallen 52. Bedeutsam ist schließlich, dass der EGMR auch Streitigkeiten, welche berufs- und gewerberechtliche Genehmigungen, Zulassungen und Approbationen 53 betreffen, an Art. 6 EMRK misst. Entsprechendes gilt für zahlreiche weitere Verfahren auf dem Gebiet des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, etwa bei der Untersagung des Betriebs einer Flüssiggasanlage oder der Rücknahme einer behördlichen Erlaubnis zum Ausschank alkoholischer Getränke. Auch Streitigkeiten über nicht vermögensrechtliche Ansprüche können zivilrechtlicher Natur sein, etwa wenn es um Warnungen vor Jugendsekten 54 geht. Schon dieser bei weitem nicht abschließende 55 Überblick verdeutlicht, dass nahezu das gesamte Recht der staatlichen Regulierungsverwaltung im Bau- 56, Gewerbe- und Umweltrecht unter Art. 6 EMRK fällt. Die Bedeutung der Vorschrift für das verwaltungsgerichtliche Verfahren in der Bundesrepublik Deutschland kann daher nicht hoch genug eingeschätzt werden. 3. Angemessenheit der Verfahrensdauer Gem. Art. 6 Abs. 1 EMRK hat das nationale Gericht „innerhalb einer angemessenen Frist“ zu entscheiden. Diese Garantie steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu anderen Gewährleistungen des fairen Verfahrens, da ein Mehr an Verfahrensrechten zumindest potenziell verfahrensverlängernd wirkt 57. Bei verwaltungsgerichtlichen Verfahren kann auch die Dauer des vorausgegangenen Verwaltungsverfahrens von Bedeutung sein. So hat der EGMR z. B. die für ein Vorverfahren nach § 68 VwGO verstrichene Zeit bei der Berechnung der Verfahrensdauer mitberücksichtigt 58. Auch die Dauer des Ausgangsverwal50
Vgl. die Übersicht bei Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 Rn. 8. Grabenwarter, EMRK, § 24 Rn. 9. 52 Vgl. die Rechtsprechungsübersicht bei Frowein / Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 17 ff. 53 EGMR, Urt. v. 28. 06. 1978 (König / Deutschland), NJW 1979, S. 477 ff. 54 EGMR, Urt. v. 06. 11. 2008 (Leela Förderkreis e.V. / Deutschland), NVwZ 2010, S. 177, Nr. 44 ff. 55 Umfassend Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 Rn. 8 ff. 56 Allerdings soll die Anfechtung „baupolizeilicher Maßnahmen“ nicht unter Art. 6 Abs. 1 EMRK fallen. Vgl. Frowein / Peukert, EMRK, 2. Aufl. 1995, Art. 6 Rn. 51 in Fn. 158. 57 Grundlegend EGMR, Urt. v. 28. 06. 1978 (König / Deutschland), NJW 1979, S. 477 ff. 51
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tungsverfahrens rechnet der EGMR vielfach mit ein 59. Für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer stellt der EGMR auf den konkreten Einzelfall ab, wobei mit der Bedeutung der Sache, der Komplexität des Falles sowie dem Verhalten des Beschwerdeführers 60 und der Behörde im Wesentlichen vier Kriterien maßgeblich sind 61. Der EGMR berücksichtigt ein verfahrensverzögerndes Verhalten des Beschwerdeführers ebenso wie die Frage, ob die Behörden das Verfahren zügig betrieben haben 62. Das Gericht hat es bisher vermieden, abstrakt für bestimmte Verfahrensarten angemessene Fristen zu entwickeln 63, was für eine Übergangszeit die Berücksichtigung besonderer Belastungssituationen ermöglicht 64. Das Bundessozialgericht vertritt dagegen die Auffassung, eine zeitliche Grenze, bei deren Überschreiten ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK zu vermuten sei, liege bei drei Jahren je Gerichtsinstanz 65. 4. Verfahrensdauer in der Bundesrepublik Deutschland – Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der Gerichtsbarkeit Seit vielen Jahren bemängelt der EGMR die lange Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren in der Bundesrepublik Deutschland 66. Auch das BVerfG bleibt von dieser Kritik nicht verschont 67. Der Gerichtshof hält die Mitgliedsstaaten 58
Vgl. Frowein / Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 239. Nachweise bei Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 Rn. 74. 60 Vgl. EGMR, Urt. v. 15. 02. 2007, DVBl 2007, S. 1161, Nr. 42 (verworrene Schriftsätze); EGMR, Urt. v. 29. 05. 1986, NJW 1989, S. 652 (653) – unsorgfältige Prozessführung. 61 EGMR, Urt. v. 15. 02. 2007, DVBl 2007, S. 1161, Nr. 40 ff; EGMR, Urt. v. 11. 01. 2007 (Herbst / Deutschland), NVwZ 2008, S. 289, Nr. 75. Näher Frowein / Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 239. 62 Grabenwarter, EMRK, § 24 Rn. 69. 63 Die noch als angemessen angesehenen Fristen fallen in der Rechtsprechung des EGMR unterschiedlich aus; siehe dazu Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 Rn. 82 f. sowie EGMR, Urt. v. 11. 01. 2007, NVwZ 2008, S. 289 (Verfahrensdauer von mehr als 18 Jahren im Amtshaftungsprozess als Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK). 64 Seit dem Fall Klein / Deutschland (NJW 2001, S. 213, Nr. 43) akzeptiert der EGMR die durch die Wiedervereinigung bedingten Probleme allerdings nicht mehr als Rechtfertigungsgrund für eine überlange Verfahrensdauer. 65 BSG, SGb 2006, S. 553, Nr. 51 ff. Im Jahre 2004 wurden bei den Sozialgerichten 82,59 % der Klagen und bei den Landesozialgerichten 81,72% der Verfahren innerhalb von zwei Jahren erledigt. 66 Der EGMR hat von 1959 bis 2009 in über 40 Fällen eine zu lange Verfahrensdauer im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK bemängelt. Allein im Jahre 2009 wurden 13 Verletzungen dieser Vorschrift festgestellt; vgl. hierzu Urteil des EMRK v. 02. 09. 2010 (Rumpf / Deutschland), NJW 2010, S. 3355, Nr. 65 ff. Zudem sind derzeit 55 Individualbeschwerden gegen Deutschland wegen überlanger Verfahrensdauer anhängig. Im internationalen Vergleich nimmt Deutschland allerdings keine Spitzenstellung ein. So wurde 59
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für verpflichtet, seine Gerichtsbarkeit so zu organisieren, dass die Verfahren innerhalb eines angemessenen Zeitraums abgeschlossen werden können 68. Zwar führt ein zeitweiliger Rückstand bei der Geschäftserledigung der Gerichte noch nicht zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK, die Konventionsstaaten sind aber gehalten, „geeignete Abhilfemaßnahmen“ zu ergreifen. Daraus folgt die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Bund und Ländern so zu organisieren, dass strukturelle Defizite, die regelmäßig zu einer überlangen Verfahrensdauer führen, beseitigt werden. Eine längerfristige, chronische Überlastung eines Gerichts oder ganzer Gerichtszweige akzeptiert der EGMR nicht als rechtfertigenden Grund für eine überlange Verfahrensdauer und nimmt insofern ein zur Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK führendes Organisationsverschulden des Staates an 69. Auch das Bemühen, die Rechtsgarantien des Einzelnen durch eine Vielzahl von Rechtsmittelmöglichkeiten zu stärken, darf nicht zu einer den Anspruch auf ein zügiges Verfahren gefährdenden Unübersichtlichkeit und Schwerfälligkeit des Verfahrens führen. Notfalls ist das Verfahren zu vereinfachen 70. In seinem Urteil vom 02. 09. 2010 in der Rechtssache Rumpf / Deutschland 71 hat der EGMR erstmals ein sog. „Piloturteil“ 72 gefällt, in dem er die überlange Verfahrensdauer als strukturelles Problem des deutschen Rechtssystems feststellt und Deutschland – unter Verwendung „starke(r) Worte der Missbilligung“ 73 – auffordert, „unverzüglich“, spätestens Italien bisher in mehr als 1.000 und Frankreich in über 250 Fällen wegen verschleppter gerichtlicher Verfahren gerügt. 67 EGMR, Urt. vom 6. 11. 2008 (Leela Förderkreis u. a. / Deutschland), NVwZ 2010, S. 177, Nr. 63 ff. (Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK bei mehr als 11-jähriger Dauer eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens); EGMR, Urt. v. 08. 01. 2004 (Voggenreiter / Deutschland), NJW 2005, 41 ff. (Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK bei Verfassungsbeschwerdeverfahren von nahezu sieben Jahren). 68 EGMR, Urt. v. 15. 02. 2007, DVBl 2007, S. 1161, Nr. 45 ff; EGMR, Urt. v. 01. 07. 1997 (Probstmeier / Deutschland), NJW 1997, S. 2809, Nr. 63. 69 EGMR, Urt. v. 26. 10. 2000, NJW 2001, S. 213, Nr. 43; EGMR NJW 2001, S. 211, Nr. 75. 70 EGMR, Urt. v. 28. 06. 1978 (König / Deutschland), NJW 1979, S. 477, Nr. 100; Frowein / Peukert, EMRK, 2. Aufl. 1995, Art. 6 Rn. 147. 71 EGMR, Urt. v. 02. 09. 2010 (Rumpf / Deutschland), NJW 2010, S. 3355 mit Anmerkung von Meyer-Ladewig, NJW 2010, S. 3358. Hier dauerte der Streit um die Neuerteilung eines Waffenscheins mehr als 13 Jahre. 72 In „Piloturteilen“, die Musterverfahren nach § 93a VwGO entsprechen (grundlegend EGMR, EUGRZ 2004, S. 472) stellt der Gerichtshof aus strukturellen Defiziten resultierende Rechtsverletzungen fest und bezeichnet konkrete Maßnahmen, die vom verurteilten Staat zur Beendigung der Konventionsverletzung zu ergreifen sind. Nach Meyer-Ladewig, NJW 2010, S. 3358 (3359) hat der EGMR diese (seltene) Verfahrensart gewählt, um „die Bedeutung des Problems stärker zu betonen und seinen Unmut über die deutsche Säumnis, das Urteil Sürmeli zu befolgen, plakativ zum Ausdruck zu bringen“. 73 Meyer-Ladewig, NJW 2010, S. 3358.
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aber „innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft“ des Urteils einen wirksamen Rechtsbehelf gegen die überlange Verfahrensdauer einzuführen 74. III. Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 13 EMRK 1. Grundsätzliche Bedeutung Von zunehmender Bedeutung in der Rechtsprechung des EGMR ist das durch Art. 13 EMRK garantierte Recht auf eine wirksame Beschwerde 75. Art. 13 EMRK geht auf Art. 8 AEMR zurück und gewährleistet jeder Person, die in ihren in der EMRK anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, das Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer innerstaatlichen Instanz 76. Anders als Art. 6 EMRK, der vom Wortlaut her nur für zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen sowie für Strafverfahren gilt 77, ist Art. 13 EMRK bereits vom Ansatz her nicht auf solche Ansprüche beschränkt. Im Gegensatz zu Art. 6 EMRK verlangt Art. 13 EMRK allerdings nicht, dass über den Rechtsbehelf ein Gericht entscheidet 78. Art. 13 EMRK verpflichtet die Konventionsstaaten aber, einen wirksamen Rechtsbehelf zur Verfügung zu stellen, mit dem im innerstaatlichen Recht eine Konventionsverletzung festgestellt werden kann. Dabei können die Vertragsstaaten im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums die Zugangsvoraussetzungen für einen solchen Rechtsbehelf (z. B. Form und Frist) selbst bestimmen, dürfen diese aber nicht so hoch setzen, dass eine wirkliche Prüfung nicht mehr stattfinden kann 79. 2. Verhältnis zu Art. 6 EMRK Die Rechtsprechung des EGMR zum Verhältnis von Art. 13 und 6 EMRK hat vor einigen Jahren eine grundsätzliche Wende erfahren. In einer Grundsatzentscheidung vom 26. 10. 2000 80 ist die Große Kammer des EGMR – nicht zuletzt 74
83.
75
EGMR, Urt. v. 02. 09. 2010 (Rumpf / Deutschland, NJW 2010, S. 3355 Nr. 73 und
So die Einschätzung von Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 13 Rn. 3. Eine dem Art. 13 EMRK ähnliche Vorschrift ist Art. 2 Abs. 3 IPBPR, wo das Beschwerderecht aber nicht als Individualgarantie ausgestaltet ist. Näher Grabenwarter, EMRK, § 24 Rn. 161. 77 Siehe § 6 A II 2. 78 Auch die Entscheidung einer – ausreichend unabhängigen – Behörde oder Kommission kann genügen; vgl. Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 13 Rn. 15 m.w. N. 79 Vgl. EGMR, Urt. v. 27. 09. 1999(Smith und Grady / Vereinigtes Königreich), NJW 2000, S. 2089 (2097); EGMR, Urt. v. 26. 10. 2000 (Hassan und Tchaouch / Bulgarien), Slg. 2000-XI, Nr. 100. 76
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um einer bestehenden Überlastung des Gerichtshofs entgegenzuwirken 81 – von der bisherigen Auffassung abgerückt, wonach Art. 6 Abs. 1 EMRK im Verhältnis zu Art. 13 EMRK lex specialis sei 82. Nunmehr geht der Gerichtshof davon aus, dass bei einer Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK wegen unangemessen langer Verfahrensdauer zugleich Art. 13 EMRK verletzt ist, wenn der Betroffene nicht über einen effektiven innerstaatlichen Rechtsbehelf verfügt. In einem solchen Fall gebe es keine Überschneidung beider Verfahrensgarantien. Art. 13 EMRK werde auch nicht durch Art. 6 Abs. 1 EMRK absorbiert 83. Die Neuorientierung der Rechtsprechung wird damit gerechtfertigt, dass nur so eine effiziente Gewährleistung des in Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierten Rechts auf ein faires Verfahren sichergestellt werden könne. Es sei in erster Linie die Pflicht der Konventionsstaaten selber, effektive Rechtsmittel auch für den Fall überlanger gerichtlicher Verfahrensdauer zu schaffen. Wegen der Subsidiarität des Menschenrechtsschutzes durch die EMRK gegenüber nationalen Rechtsbehelfen würde das Recht auf ein Gerichtsverfahren in angemessener Frist weniger wirksam sein, wenn es keine Möglichkeit gebe, die Beschwerde zunächst bei einer geeigneten staatlichen Stelle anzubringen 84. Wirksame Rechtsbehelfe gegen eine überlange Verfahrensdauer können sowohl präventiver als auch kompensatorischer Art sein 85. Ausreichend seien alle Rechtsbehelfe, mit denen eine angebliche Konventionsverletzung oder ihre Fortdauer verhindert werden oder jedenfalls eine angemessene Entschädigung für die Verletzung erlangt werden könne 86. 3. Folgerungen für den Rechtsschutz in der Bundesrepublik Deutschland Die neuere Rechtsprechung des EGMR zur Reichweite des Art. 13 EMRK hat für das Rechtsschutzsystem in der Bundesrepublik Deutschland weit reichende Konsequenzen. In einem weiteren Grundsatzurteil aus dem Jahre 2006 kritisierte der EGMR den Rechtsschutz in der Bundesrepublik Deutschland ge80 EGMR, Urt. v. 26. 10. 2000 (Kudla / Polen), NJW 2001, S. 2694; ausführliche Analyse bei Gundel, DVBl. 2004, S. 17 ff. Kritisch bezüglich der ihrer Auffassung nach zu weit gehenden Anforderungen an die Konventionsstaaten Casadavall, NJW 2001, S. 2701 und Gimbel, ZRP 2004, S. 35. 81 Zum faktischen Hintergrund der Entscheidung Gundel, DVBl. 2004, S. 17 (20 f.). 82 Zur älteren Rechtsprechung des EMRK Gundel, DVBl. 2004, S. 17 (18 f.). 83 EGMR v. 26. 10. 2000, NJW 2001, S. 2694, Nr. 146 ff. und Meyer-Ladewig, NJW 2001, S. 2679. 84 EGMR, NJW 2001, S. 2694, Nr. 152. 85 EGMR, NJW 2001, S. 2694, Nr. 159. 86 EGMR, Urt. v. 31. 07. 2003 (Doran / Irland), Slg. 2003-X, Nr. 59.
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gen eine überlange Verfahrensdauer als defizitär und mahnte eine Änderung des Rechtsschutzsystems an. a) Defizitärer Rechtsschutz gegen überlange Verfahrensdauer In der Individualbeschwerde Sürmeli gegen Deutschland hat der EGMR festgestellt, das deutsche Rechtsschutzsystem stelle keinen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne des Art. 13 EMRK zur Verfügung, mit dem einer unangemessen langen Verfahrensdauer begegnet werden könne 87. An dieser Kritik hielt der Gerichtshof auch in Entscheidungen vom 11. 01. 2007 88 und 15. 02. 2007 89 fest. Zwar könne auch ein kompensatorischer Rechtsbehelf zur Erlangung einer Entschädigung wirksam im Sinne des Art. 13 EMRK sein, wenn das nationale Recht gewährleiste, dass die Entscheidung über die Entschädigung in angemessener Zeit ergehe und vollzogen werde. Die in Deutschland bestehende Möglichkeit einer Klage auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB i.V. m. Art. 34 GG 90 hält der EGMR jedoch nicht für ausreichend, da in solchen Fällen regelmäßig kein Ersatz für Nichtvermögensschäden erlangt werden könne 91. Eine solche „gerechte Entschädigung“ nach Art. 41 EGMR pflegt der EGMR in Fällen einer Verletzung von Art. 13 EGMR regelmäßig zu gewähren 92. Wegen des auch grundrechtlich begründbaren Vorrangs des Primärrechtsschutzes im Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland wäre die bloße Gewährung kompensatorischer Ansprüche ohnehin systemfremd 93. Ein wirksamer präventiver Rechtsbehelf gegen eine überlange Verfahrensdauer existiert in Deutschland bisher nicht 94. Weder die Verfassungsbeschwerde, noch die außerordentliche Untätigkeitsbeschwerde oder die Beschwerde nach § 26 Abs. 2 DRiG erfüllen die Anforderungen des EGMR. Wird eine überlange Verfahrensdauer mit der Verfassungsbeschwerde gerügt, so beschränkt sich das 87 88 89 90
S. 49. 91
EGMR, Urt. v. 08. 06. 2006 (Sürmeli / Deutschland), NJW 2006, S. 2389. EGMR, Urt. v. 11. 01. 2007 (Herbst / Deutschland), NVwZ 2008, S. 289, Nr. 64 ff. EGMR, Urt. v. 15. 02. 2007, DVBl 2007, S. 1161, Nr. 50 ff. Zur Verfahrensverzögerung als Amtspflichtverletzung LG München, DRiZ 2006,
Vgl. Gundel, DVBl. 2004, S. 17 (25); Schlette, Anspruch, S. 67 f. Skeptisch bezüglich der Erfolgsaussichten entsprechender Klagen Lansnicker / Schwirtzek, NJW 2001, S. 1969 (1973 f.). 92 EGMR, Urt. v. 08. 06. 2006 (Sürmeli / Deutschland), NJW 2006, S. 2389, Nr. 113 ff. Eine Übersicht zu den im Falle der Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährten Entschädigungen für immaterielle Schäden findet sich bei Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 41 Rn. 19. 93 Rengeling / Szczekalla, Grundrechte in der Europäischen Union, Rn. 1177. 94 EGMR, Urt. v. 08. 06. 2006, NJW 2006, S. 2389, Nr. 103 ff. EGMR, Urt. v. 11. 01. 2007 (Herbst / Deutschland), NVwZ 2008, S. 289, Nr. 64 ff. Zum defizitären Rechtsschutz im Sozialrecht Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 13 Rn. 31.
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2. Kap.: Grundlagen des Reformprozesses
BVerfG in der Regel darauf, die Verfassungswidrigkeit festzustellen und das zuständige Gericht aufzufordern, geeignete Beschleunigungsmaßnahmen zu ergreifen 95. Da das BVerfG aber keine konkreten Fristen setzen darf, kann mit der Verfassungsbeschwerde weder das Verfahren beschleunigt, noch eine angemessene Wiedergutmachung erlangt werden 96. Auch die von einigen Gerichten und in der Literatur für Fälle überlanger Verfahrensdauer vorgeschlagene außerordentliche Untätigkeitsbeschwerde 97 entspricht nicht den Anforderungen, welche der EGMR aus Art. 13 EMRK herleitet. Diese sei ein gesetzlich nicht vorgesehener Rechtsbehelf 98, der zudem bei weitem nicht von allen Gerichten anerkannt werde 99. Zudem würden seine Voraussetzungen unterschiedlich bestimmt und das Beschwerdegericht beschränke sich, wenn es eine solche Beschwerde überhaupt für zulässig erachte, regelmäßig darauf, das Ausgangsgericht zur Verfahrensbeschleunigung aufzufordern. Die Entscheidung des BVerfG vom 30. 04. 2003 zum Rechtsbehelf gegen eine Verletzung des Rechts auf Gehör begründe zudem Zweifel, ob ein bloß ungeschriebener Rechtsbehelf gegen eine überlange Verfahrensdauer mit dem rechtsstaatlichen Gebot der Rechtsmittelklarheit 100 überhaupt zu vereinbaren sei 101. b) Konsequenzen für das nationale Rechtsschutzsystem Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR ist die Bundesrepublik Deutschland aufgefordert, einen gesetzlich geregelten effektiven Rechtsbehelf zu schaffen, der geeignet ist, eine schnellere gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Seit dem Piloturteil des EGMR vom 02. 09. 2010 in der Rechtssache Rumpf / Deutschland 102, in dem Deutschland aufgefordert wird, „unverzüglich“, spätestens aber „innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft“ des Urteils einen wirk-
95
Näher Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 Rn. 24. EGMR, Urt. v. 08. 06. 2006 (Sürmeli / Deutschland), NJW 2006, S. 2389, Nr. 105 ff. 97 Vgl. VGH München NVwZ 2000, S. 693; OVG Münster, NJW 2009, S. 615. Für eine Untätigkeitsbeschwerde auch Schenke, NVwZ 2005, S. 729 (731 f.) m.w. N. sowie Meyer-Ladewig, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, Vor § 124 Rn. 34. 98 Vgl. Rudisile, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO § 152a Rn. 40. Verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber einer außerordentlichen Untätigkeitsbeschwerde aus dem Grundsatz der Rechtsmittelklarheit auch bei Britz / Pfeifer, DÖV 2004, S. 245 (249). 99 Ablehnend etwa OVG Münster NVwZ-RR 1998, S. 340. Ausführlich zur Diskussion Schlette, Anspruch, S. 44 ff; Britz / Pfeifer, DÖV 2004, S. 245 ff; Schenke, NVwZ 2005, S. 729 (731 f.). 100 Zu dieser Problematik BVerfGE 107, 395 (416 ff.) sowie Britz / Pfeifer, DÖV 2004, S. 245 (249). 101 EGMR NJW 2006, S. 2389, Nr. 110 ff. 102 EGMR, Urt. v. 02. 09. 2010 (Rumpf / Deutschland), NJW 2010, S. 3355. 96
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samen Rechtsbehelf gegen die überlange Verfahrensdauer einzuführen 103, ist der diesbezügliche Handlungsdruck noch gewachsen. aa) Einführung einer Beschleunigungsbeschwerde? Rechtspolitisch sinnvoll wäre es, in den gerichtlichen Verfahrensordnungen eine Untätigkeitsrüge einzuführen 104. In Fällen, in denen das gerichtliche Verfahren bereits zu lange gedauert hat, muss überdies eine Kompensationsmöglichkeit in Form angemessener Wiedergutmachungsleistungen auch für Nichtvermögensschäden vorgesehen werden 105. Vorzugswürdig wäre eine Kombination eines Rechtsbehelfes zur Beschleunigung mit einem solchen zur Wiedergutmachung, wie sie bereits in Österreich, Kroatien, Spanien, Polen und der Slowakei vorgesehen ist 106 und auch von der Bundesrechtsanwaltskammer gefordert wird 107. Das BMJ hatte bereits im August 2005 den Entwurf eines Untätigkeitsbeschwerdegesetzes vorgelegt 108. Dieser sah in § 198 GVG die Einführung einer beim Ausgangsgericht einzulegenden Untätigkeitsbeschwerde vor. Das Ausgangsgericht sollte die Möglichkeit der Abhilfe erhalten, indem es gem. § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG unverzüglich, spätestens innerhalb eines Monats, hätte Maßnahmen ergreifen können, die den Abschluss des Verfahrens in angemessener Frist hätten erwarten lassen. Im Fall der Nichtabhilfe sollte es verpflichtet werden, die Sache dem nächst höheren Gericht vorzulegen, welches das Ausgangsgericht gem. § 198 Abs. 5 GVG zu konkreten Maßnahmen der Beschleunigung hätte verpflichten können 109. Obwohl der EGMR die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2006 ausdrücklich zur Einführung einer solchen gesetzlichen Beschleunigungsbeschwerde ermutigt hatte 110, geriet das Gesetzgebungsvorhaben auf Grund heftiger Kritik aus Richterkreisen und Teilen der Anwaltschaft ins Stocken 111. Am 08. 10. 2007 103
83.
EGMR, Urt. v. 02. 09. 2010 (Rumpf / Deutschland), NJW 2010, S. 3355, Nr. 73 und
104 Plädoyer für eine Beschleunigungsbeschwerde bei Schlette, Anspruch, S. 44 ff; Redeker, NJW 2003, S. 488 f; Gundel, DVBl. 2004, 17 (22; 27); Britz / Pfeifer, DÖV 2004, S. 245 (250). 105 Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 13 Rn. 20 b. 106 EGMR v. 29. 03. 2006 (Zullo / Italien), NJW 2006, S. 2389, Nr. 100. Nach EGMR v. 29. 03. 2006 (Scordino / Italien), Nr. 186 haben Staaten, welche präventive und kompensatorische Rechtsmittel miteinander kombinieren, die Situation „perfekt erfasst“. Kritisch gegen eine solche „Zensurengebung“ Grabenwarter, EMRK, § 24 Rn. 177 in Fn. 768. 107 Hierzu ausführlich BRAK-Stellungnahme Nr. 11/2010, S. 4 ff. 108 Näher Roller, ZRP 2008, S. 122 ff. sowie Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 13 Rn. 32, der das Fehlen eines kompensatorischen Anspruchs für Nichtvermögensschäden bemängelt. 109 Vgl. dazu bereits Redeker, NJW 2003, S. 488; Gundel, DVBl. 2004, S. 17. 110 EGMR, NJW 2006, S. 2389, Nr. 139.
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fand schließlich ein Expertensymposium unter Beteiligung von Vertretern des EGMR, der Wissenschaft sowie der richterlichen und anwaltlichen Praxis statt, in dessen Folge die Bundesregierung beschloss, den Entwurf nicht zu verabschieden 112. Dass die so gewählte Handlungsoption der Untätigkeit rechtspolitisch wenig empfehlenswert war 113, machte dann spätestens das Urteil des EGMR vom 02. 09. 2010 in Sachen Rumpf / Deutschland deutlich. Mit einer Untätigkeitsbeschwerde hätte zudem der Anschluss an eine europäische Rechtsentwicklung hergestellt werden können. Mehrere europäische Staaten sehen bereits seit längerer Zeit effektive präventive oder jedenfalls kompensatorische Rechtsschutzmöglichkeiten im Falle einer überlangen gerichtlichen Verfahrensdauer vor 114. Beispielsweise lassen § 91 des österreichischen Gerichtsorganisationsgesetzes (bereits seit 1989) 115 und Art. 108 und 109 der portugiesischen Strafprozessordnung eine präventive Beschleunigungsbeschwerde zu 116. In Spanien ist das Recht auf ein gerichtliches Verfahren ohne Verzögerung in Art. 24 Abs. 2 CE sogar verfassungsrechtlich garantiert und seine Verletzung gem. Art. 121 CE, §§ 292, 293 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes mit Schadensersatzansprüchen bewehrt 117. Auch in Frankreich kann bei überlanger Verfahrensdauer immerhin auf Schadensersatz geklagt werden 118. bb) Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren Anstelle der Einführung einer präventiven Untätigkeitsrüge setzt man in Deutschland auf ein reines Kompensationsmodell und bleibt so – wie die Bundesrechtsanwaltskammer zu Recht kritisiert – „auf halbem Wege stehen“ 119. Das Bundeskabinett beschloss am 18. 08. 2010 den Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, der am 03. 09. 2010 dem Bundesrat zugeleitet wurde 120. Dieser hat am 15. 10. 2010 zu dem Gesetzentwurf Stellung genommen und eine Reihe 111 Vgl. Terhechte, DVBl 2007, S. 1134 (1141 f.); Steinbeiß-Winkelmann, ZRP 2007, S. 177 (179 f.). 112 Roller, ZRP 2008, S. 122; BTDrs 16/7655. 113 So bereits Steinbeiß-Winkelmann, ZRP 2007, S. 177 (180). 114 Näher Gundel, DVBl. 2004, S. 17 (22); Grabenwarter, EMRK § 24 Rn. 177. 115 Diese Regelung – abgedruckt bei Redeker, NJW 2003, S. 488 (489) – ist vom EGMR als effektive Beschwerdemöglichkeit anerkannt worden. Näher Gundel, DVBl. 2004, S. 17 (22 mit Fn. 48). 116 Dazu EGMR, Urt. v. 30. 01. 2001 (Holzinger / Österreich) und EGMR, Urt. v. 02. 12. 1999 (Tome Mota / Portugal), NJW 2001, S. 2692. 117 Zur Durchsetzung dieses Anspruchs vgl. EGMR, Urt. v. 05. 10. 1999 (Gonzalez Marin / Spanien), NJW 2001, S. 2691. 118 Vgl. EGMR, Urt. v. 12. 06. 2001 (Guimmarra / Frankreich). 119 BRAK-Stellungnahme Nr. 11/2010, S. 4.
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von Änderungen angemahnt 121, ohne Zweifel an der Grundkonzeption anzumelden. Der Regierungsentwurf sieht vor, für überlange Gerichtsverfahren in §§ 198 bis 201 GVG einen Entschädigungsanspruch einzuführen, über den die jeweilige Fachgerichtsbarkeit entscheidet 122. Bei einer Verletzung des Rechts auf angemessene Verfahrensdauer sollen dem Betroffenen die daraus resultierenden materiellen und – soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise ausreichend ist – auch die immateriellen Nachteile 123 ersetzt werden. Der Entschädigungsanspruch setzt nach § 198 Abs. 3 GVG die Erhebung einer Verzögerungsrüge voraus. Als Form der Wiedergutmachung auf andere Weise benennt § 198 Abs. 4 GVG beispielhaft die gerichtliche Feststellung der überlangen Verfahrensdauer.
B. Europarechtliche Grundlagen der Regelungsoptimierung I. Verfahrensgarantien in der Europäischen Grundrechtecharta Von großer Bedeutung für die vorliegende Untersuchung ist die Charta der Grundrechte der Europäischen Union 124 (GRC). Insbesondere Art. 41 GRC enthält Verfahrensgarantien, welche bedeutsame Impulse für die Regelungsoptimierung in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union entfalten. Mit dem in Art. 41 GRC innerhalb des mit „Bürgerrechte“ überschriebenen Titels V (Art. 39 bis 46 GRC) gewährleisteten „Recht auf eine gute Verwaltung“ (Right to Good Administration) hat erstmals ein solches Grundrecht Eingang in eine internationale Menschenrechtserklärung gefunden 125. Das „Recht auf eine gute Verwaltung“ legt einen umfassenden Qualitätsstandard für die Verwaltungstätigkeit fest, den man im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland und vielen anderen Mitgliedsstaaten vergeblich sucht. Das „Recht auf eine gute Verwaltung“ hat deshalb das Potenzial, den europäischen und nationalen Verwaltungsmodernisierungsprozess entscheidend zu beeinflussen. Weit weniger spektakulär erscheint dagegen das unter Titel VI („Justizielle Rechte“ – Art. 47 bis 50 GRC) 120
BRDrs 540/10. BRDrs 540/10 (Beschluss). Vor allem mahnt der Bundesrat eine Beschränkung auf das zur Umsetzung der Rechtsprechung des BVerfG und des EGMR zwingend Erforderliche an, um keine unnötige Belastung der Länderhaushalte hervorzurufen. 122 Erreicht wird dies dadurch, dass in den jeweiligen Fachgerichtsordnungen die entsprechende Anwendung der §§ 198 bis 201 GVG angeordnet wird. 123 Vgl. § 198 Abs. 2 Satz 2 und 3 GVG. Die Entschädigung soll grundsätzlich 1.200 € für jedes Jahr der Verzögerung betragen. 124 Vom 07. 12. 2000; ABl. Nr. C 364, S. 1. Die am 12. 12. 2007 in Straßburg angepasste Fassung findet sich in ABl. Nr. C 303, S. 1 ff. und ist bei Khan, EUV abgedruckt. 125 Pfeffer, S. 21. 121
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in Art. 47 GRC garantierte „Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht“, das starke Parallelen zu Art. 13 EMRK als seiner Vorläufervorschrift 126 aufweist. Bevor Regelungsgehalt und Reichweite von Art. 41 und Art. 47 GRC dargestellt werden können, sind allerdings einige Anmerkungen zu Entstehung, Rechtsnatur und Verbindlichkeit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union angezeigt. 1. Entstehungsgeschichte, Bedeutung und Entwicklung der Charta Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union 127 wurde auf Grundlage der Beschlüsse des Europäischen Rates in Köln am 03. / 04. 06. 1999 und Tampere am 15. / 16. 10. 1999 128 vom Europäischen Grundrechtskonvent 129 in neunmonatiger Arbeit unter umfangreicher Beteiligung der interessierten Öffentlichkeit ausgearbeitet und nach der feierlichen Verabschiedung durch den Grundrechtskonvent am 02. 10. 2000 von den drei Gemeinschaftsorganen Europäischer Rat, Kommission und Parlament am 07. 12. 2000 feierlich proklamiert 130. Der Deutsche Bundestag und der Bundesrat verabschiedeten am 28.11. und 01. 12. 2000 Anträge, in denen die Charta begrüßt und ihre Aufnahme in die vertraglichen Grundlagen der Union empfohlen wurde. Die Erarbeitung einer Europäischen Grundrechtecharta diente dem Ziel, die „überragende Bedeutung der Grundrechte und ihre Tragweite für die Unionsbürger sichtbar zu verankern“ 131. Ihre Aufgabe besteht somit nicht vorrangig darin, neue Rechte zu formulieren. Vielmehr soll die GRC den in der Europäischen Union auf Grund gemeinsamer Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten und der EMRK bereits vorhandenen, ungeschriebenen Grundrechtsbestand zusammenfassen und für den Bürger transparenter machen 132. Ohne den Anspruch auf eine „revolutionäre Neukodifikation“ zu erheben, enthält die GRC auch Erweiterungen des bestehenden Grundrechtsstandards und ist ungeachtet ihrer 126
Zur Entstehungsgeschichte Eser, in: Meyer, GRC, Art. 47 Rn. 2. Ausführlich zur Entstehungsgeschichte der GRC Pfeffer, S. 25 ff; Jarass, GRC, Einleitung, Rn. 2 ff. 128 Die Beschlüsse sind abgedruckt in EuGRZ 1999, S. 364 f. und S. 615. 129 Der Konvent bestand aus den damals 15 Beauftragten der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der EU, einem Vertreter der Europäischen Kommission, 16 Mitgliedern des Europäischen Parlaments und 30 nationalen Parlamentariern (je zwei aus jedem Mitgliedsstaat). Auf der konstituierenden Sitzung des Konvents am 17. 12. 1999 wurde Bundespräsident a. D. Roman Herzog zum Vorsitzenden gewählt. 130 Näher Pache, NVwZ 2001, S. 1342 (1343). Zu den seinerzeitigen unterschiedlichen Grundvorstellungen über den Gehalt der Charta und ihrem Kompromisscharakter Jarass, GRC, Einleitung, Rn. 3. 131 Europäischer Rat von Köln, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, EuGRZ 1999, S. 364 f. 132 Lais, ZEuS 2002, S. 448. 127
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Defizite ein beachtlicher Fortschritt im System des europäischen Grundrechtsschutzes 133. Obwohl die Charta das verästelte europäische Grundrechtsgeflecht nicht einfacher gemacht hat 134, wurde ihr als „Konzentrat der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen“ 135 der Mitgliedsstaaten politisch alsbald der Rang des zentralen Grundrechtskatalogs der Europäischen Union zuerkannt. Unmittelbare rechtliche Bindungswirkung hatte die GRC ungeachtet ihrer großen Bedeutung als Bezugsquelle eines gemeineuropäischen Grundrechtsstandards 136 zunächst nicht. Zwar gaben zahlreiche Organe der europäischen Union Selbstverpflichtungserklärungen in Bezug auf die Charta ab. Nach Auffassung des Rates etwa spiegelte sie „die Rechte wieder, die sich vor allem aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen und den gemeinsamen internationalen Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten, aus dem Vertrag über die Europäische Union und den Gemeinschaftsverträgen, aus der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und dem von der Gemeinschaft und dem Europarat beschlossenen Sozialchartas sowie aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ergeben“ 137. Da sich auch zahlreiche Gerichte der Mitgliedsstaaten alsbald auf die GRC beriefen, konnte sie vor dem Inkrafttreten des VvL jedenfalls als Ausdruck einer gemeinsamen europäischen Grundrechtsüberzeugung verstanden werden. Als „Kondensat eines rechtsvergleichenden status quo“ 138 kam ihr deshalb eine besondere Legitimationskraft zu 139. 2. Die Europäische Grundrechtecharta im Europäischen Primärrecht – Vom Entwurf eines Verfassungsvertrages zum „Reformvertrag“ von Lissabon Die Grundrechtecharta war als Titel II auch Bestandteil des am 29. 10. 2004 von den Staats- und Regierungschefs sowie den Außenministern der 25 Mitglieds- und 3 Kandidatenstaaten unterzeichneten und am 16. 12. 2004 im Amtsblatt veröffentlichten 140 Entwurfs eines Verfassungsvertrages für die Europäische 133 Lindner, ZRP 2007, S. 54 (56 f.), der als zentrale Defizite der GRC das Fehlen eines Auffanggrundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit und einer eigenen Grundrechtsbeschwerde ausmacht. 134 Von einem „Bermuda-Dreieck“ des Grundrechtsschutzes zwischen Karlsruhe, Straßburg und Luxemburg spricht Hirsch, EuR, Beiheft 1/2006, S. 7 ff. 135 Dreier, in: Dreier, GG I, Vorbemerkung, Rn. 45. 136 Ausführlich dazu Pfeffer, S. 26 f. 137 Erwägung 2 zur Verordnung (EG) Nr. 168/2007 des Rates vom 15. 02. 2007. 138 Kühling, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 583. 139 Zur Rechtsverbindlichkeit der GRC vor Inkrafttreten des VvL Pache / Rönsch, EuR 2009, S. 769 (773 f.); Jarass, GRC, Einleitung, Rdn. 8.
150
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Union (VVE). Der VVE wurde in der Folge von einer deutlichen Mehrheit der Mitgliedsstaaten ratifiziert, sein jähes Ende fand der Ratifikationsprozess aber mit den ablehnenden Referenden in Frankreich und den Niederlanden. In Frankreich sprachen sich am 29. 05. 2005 bei einer Beteiligung von 69,4 % der Abstimmungsberechtigten 54,7% gegen den Verfassungsvertrag aus, und in den Niederlanden stimmten am 01. 06. 2005 bei 63 % Wahlbeteiligung 61,6 % der Votanten mit Nein. Hiernach verordnete sich der Europäische Rat von Brüssel vom 16. und 17. 06. 2005 in Brüssel Europa zunächst eine „Zeit der Reflexion“, die genau ein Jahr dauern sollte 141. In der Folge wurde schnell deutlich, dass das „große Verfassungsprojekt Europa“ derzeit aus verschiedenen Gründen 142 zum Scheitern verurteilt ist. Auf dem Europäischen Rat am 22. und 23. 06. 2007 in Brüssel kam man daher unter deutscher Ratspräsidentschaft überein, den Bedenken gegenüber einem „europäischen Superstaat“ Rechnung zu tragen und auf eine „europäische Symbolik“ mit Verfassung, Gesetzen, Hymne und Außenminister zu verzichten. Die überfällige institutionelle Neuausrichtung der Union sollte einem bloßen „Reformvertrag“ überlassen werden. In Bezug auf die Europäische Grundrechtecharta einigte man sich aus symbolischen Gründen darauf, diese nicht im vollen Wortlaut in die Grundlagenverträge aufzunehmen, ihre rechtliche Verbindlichkeit aber durch einen Verweis im EUV klarzustellen 143. Auf dem (informellen) Europäischen Rat am 18. / 19. Oktober 2007 in Lissabon konnten die Staats- und Regierungschefs eine endgültige Einigung über den „Vertrag zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft“ 144 erzielen. Der sog. Vertrag von Lissabon (VvL) wurde am 13. 12. 2007 auf dem Europäischen Rat in Lissabon feierlich unterzeichnet und am selben Tage vom Europäischen Parlament und der Kommission proklamiert 145. Der Vertrag sollte ursprünglich am 01. 01. 2009 in Kraft treten, dies scheiterte jedoch am ablehnenden irischen Referendum vom 140
ABl. C 310 vom 16. 12. 2004. Ausführlich zur politischen Entwicklung Khan, EUV, Einführung, S. XIX ff. 142 Khan, EUV, Einführung, S. XX macht hierfür neben innenpolitischen Gründen in den einzelnen Mitgliedsstaaten eine wachsende Skepsis der Bürger gegenüber den europäischen Institutionen und die von Gegnern der Verfassung geschickt instrumentalisierten „diffusen Ängste gegenüber einem Abdanken des vertrauten Nationalstaats zugunsten eines Brüsseler Superstaates“ verantwortlich. Zu den innen- und europapolitischen Gründen des Scheiterns auch Streinz, ZG 2008, S. 105 (106 f.). 143 Den Weg von „Nizza nach Lissabon“ zeichnet Streinz, ZG 2008, S. 105 (106 ff.) nach. 144 ABl. EU Nr. C 306, 1 ff.; BGBl. II 2008, S. 1038. Einführung mit Synopse bei Streinz / Ohler / Herrmann. Einen Überblick über die wichtigsten Neuregelungen bieten Herrmann, Jura 2010, S. 161 ff; Mayer, JuS 2010, S. 189 ff und Geiger, in: Geiger / Khan / Kotzur, EUV / AEUV, Präambel EUV, Rn. 16. 145 Näher Streinz / Ohler / Herrmann, S. 96. 141
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12. 06. 2008 146. Auf europäischer Ebene einigte man sich deshalb am 11. 12. 2008 auf dem Gipfel in Brüssel, den irischen Bedenken entgegenzukommen und den Vertragsentwurf in einigen Punkten zu modifizieren. Im Gegenzug verpflichtete sich die irische Regierung, bis zum 31. 10. 2009 ein zweites Referendum abzuhalten. Dieses verlief am 03. 10. 2009 positiv 147 und der VvL konnte – begleitet von verfassungsgerichtlichen Entscheidungen in den Mitgliedsstaaten, darunter auch das Urteil des BVerfG vom 30. 06. 2009 148 – nach Hinterlegung der letzen Ratifikationsurkunde durch die Tschechische Republik am 13. 11. 2009 gemäß Art. 6 Abs. 2 VvL zum 01. 12. 2009 in Kraft treten 149. Die GRC wurde durch den VvL, anders als noch im VVE vorgesehen, nicht unmittelbar in den Vertragstext des neuen EUV oder des AEUV aufgenommen. Eine solche unmittelbare Inkorporation scheiterte vor allem am „kontinuierlichen und intensiven Widerstand“ 150 Großbritanniens. Nach Art. 6 Abs. 1 EUV 151 erkennt die Union allerdings die Rechte, Freiheiten und Grundsätze an, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 07. 12. 2000 in der Fassung vom 12. 12. 2007 152 niedergelegt sind. Die Charta hat dieselbe Rechtsverbindlichkeit wie die Verträge. Nach dem Inkrafttreten des VvL hat die Europäische Grundrechtecharta nach einem langen Prozess evolutionärer Rechtsentwicklung für nahezu alle Mitgliedsstaaten der Union 153 uneingeschränkte rechtliche Verbindlichkeit erhalten und ist seit diesem Zeitpunkt gem. Art. 6 Abs. 1 EUV Bestandteil des europäischen Primärrechts 154. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EUV stellt klar, dass durch die Bestimmungen der Charta die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten in keiner Weise erweitert werden. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV sind die in der Charta festgelegten Rechte, Freiheiten und Grundsätze gemäß den allgemeinen Bestimmungen von Titel VII der Charta, in dem ihre Auslegung und Anwendung geregelt wird, und unter gebührender Beachtung der in der 146
Bei einer Wahlbeteiligung von 53,1 % votierten 53,4% der teilnehmenden Bürger gegen den Vertrag von Lissabon. 147 Bei einer Wahlbeteiligung von 58 % stimmten 67,1% der Teilnehmer für den Vertrag. 148 BVerfG, NJW 2009, S. 2267 ff. 149 Näher Pache / Rönsch, EuR 2009, S. 769 ff; Geiger, in: Geiger / Khan / Kotzur, EUV / AEUV, Präambel EUV, Rn. 17. 150 Pache / Rönsch, EuR 2009, S. 769 (775). Näher Streinz / Ohler / Herrmann, S. 32. 151 Vertrag über die Europäische Union i. d. F. vom 13. 12. 2007; ABl. EU C 306, S. 1 ff. 152 ABl. 2007, Nr. C 303, S. 1. Zu den anlässlich des Gipfels in Straßburg vorgenommenen geringfügigen Modifikationen Streinz / Ohler / Herrmann, S. 97 f; Pache / Rönsch, EuR 2009, S. 769 (776 f.); Jarass, GRC, Einleitung, Rn. 5. 153 Zur begrenzten Anwendung der GRC auf Polen, Großbritannien und die Tschechische Republik Pache / Rönsch, EuR 2009, S. 769 (783 ff.). 154 Zur neuen Grundrechtsordnung der EU nach dem VvL Pache / Rönsch, EuR 2009, S. 769 ff.
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Charta angeführten Erläuterungen, in denen die Quellen dieser Bestimmungen angegeben sind, auszulegen. II. Die Europäische Grundrechteagentur Die Stärkung des Europäischen Grundrechtsgedankens dokumentiert überdies die auf die Kompetenzergänzungsklausel des Art. 352 AEUV gestützte Verordnung (EG) zur Errichtung einer Agentur der Europäischen Union für Grundrechte vom 15. 02. 2007 155. Die zum 01. 03. 2007 mit Sitz in Wien errichtete Europäische Grundrechteagentur soll zur besseren Kenntnis der Grundrechtsproblematik in der Europäischen Union beitragen und für eine breitere Sensibilisierung der Öffentlichkeit sorgen, um so eine uneingeschränkte Achtung der Grundrechte zu gewährleisten. Zu diesem Zweck hat sie den Dialog mit der Zivilgesellschaft zu fördern und eine „Plattform für Grundrechte“ einzurichten (vgl. Erwägungsgrund 19). Ziel der vornehmlich wissenschaftlich arbeitenden Agentur ist es, den Organen der EU und den Mitgliedsstaaten bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts in Bezug auf die Grundrechte Unterstützung zu gewähren und ihnen Fachkenntnisse bereitzustellen, um ihnen die uneingeschränkte Achtung der Grundrechte zu erleichtern, wenn sie in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich Maßnahmen einleiten oder Aktionen festlegen (Art. 2). Der Deutsche Bundestag bewertet die üppige personelle Ausstattung der Agentur äußerst kritisch 156. Von Seiten der Wissenschaft wird dagegen die Hoffnung geäußert, die Agentur könne aufgrund ihrer formellen Unabhängigkeit und beachtlichen personellen Untersetzung ein gewichtiger Mitspieler bei der wissenschaftlich-theoretischen wie praktischen Herausbildung einer europäischen Grundrechtslehre sein 157. Mittlerweile hat die Europäische Grundrechteagentur als „spezialisierte supranationale Grundrechtsverwaltung“ 158 ihre Arbeit erfolgreich aufgenommen und sieht ihr Tätigkeitsfeld durch den VvL substantiell ausgeweitet 159.
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ABl. L 53 vom 22. 02. 2007, S. 1. Zu Entstehung, Aufgaben und Organisation der EU-Grundrechteagentur Lindner, BayVBl 2008, S. 129; v. Bogdandy / v. Bernstorff, EuR 2010, S. 141. 156 BTDrs 16/4246, S. 4. Die Agentur ist aus der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit hervorgegangen, deren Personalbestand von 37 auf 100 Mitarbeiter und deren Budget von 8,2 Millionen € auf 29 Mio. € im Jahre 2013 aufgestockt werden soll. 157 Lindner, BayVBl 2008, S. 129 (133). 158 v. Bogdandy / v. Bernstorff, EuR 2010, S. 141 (143). 159 Näher v. Bogdandy / v. Bernstorff, EuR 2010, S. 141 ff.
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III. Das Recht auf eine gute Verwaltung als Grundrecht der Europäischen Union 1. Bedeutung des Rechts auf eine gute Verwaltung gem. Art. 41 GRC Unter der umstrittenen Überschrift „Recht auf eine gute Verwaltung“ 160 gewährleistet Art. 41 Abs. 1 GRC jeder Person – unabhängig von einer Unionsbürgerschaft – ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheiten von den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden. Art. 41 Abs. 2 bis 4 GRC konkretisiert dies in einem nicht abschließenden Katalog dahingehend, dass hiervon insbesondere das Recht auf Anhörung, auf Aktenzugang, auf Entscheidungsbegründung, auf Schadensersatz und ein Recht auf Korrespondenz mit der Verwaltung umfasst ist. 2. Historische Entwicklung und Europäische Rechtstradition Mit Art. 41 GRC wird erstmals auf europäischer Ebene ein übergreifendes Recht auf eine gute Verwaltung garantiert. Durch die Vorschrift wird der in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes anerkannte Grundsatz der „ordnungsgemäßen Verwaltung“, der als relativ konturenloser Sammelbegriff für einige Verwaltungsgrundsätze stand, rechtssystematisch fortentwickelt 161. Aus politikwissenschaftlicher Perspektive ist die Forderung nach einer „guten Verwaltung“ ein zentraler Bestandteil von „Good Governance“ 162, der sich die Europäische Kommission spätestens seit der Herausgabe des Weißbuches „European Governance“ im Jahre 2001 163 verpflichtet fühlt. Kennzeichnend für die „European-Governance-Initiative“ ist das Bemühen um einen Wandel der Europäischen Verwaltung etwa in Bezug auf eine Erhöhung der Qualität des Rechtsetzungsprozesses („Better Regulation“), die bessere Einbindung aller Akteure und eine größere Offenheit. Ein umfassendes Recht auf „gute Verwaltung“ war auf europäischer Ebene dagegen lange unbekannt. Das europäische Primärrecht garantierte lediglich begrenzte Einzelrechte – vgl. etwa in Art. 24 AEUV das Petitionsrecht, in Art. 296 Abs. 2 AEUV das Recht auf Entscheidungsbegründung oder in Art. 340 AEUV das Recht auf Schadensersatz bei Amtspflichtverletzungen. Auch die Verfassungen der europäischen Staaten enthalten eher spärliche Ansätze entsprechender Verfahrensgarantien. Das Grundgesetz schweigt diesbe160 Dazu Pfeffer, S. 90 f. Im Grundrechtekonvent diskutierte man zunächst bloß über ein „Recht auf eine ordnungsgemäße Verwaltung“, bis sich (maßgeblich beeinflusst von skandinavischen Vertretern) die Bezeichnung „Recht auf eine gute Verwaltung“ durchsetzte. 161 Näher Lais, ZEuS 2002, S. 447 (453 f.). 162 Zu diesem Schlüsselbegriff der Verwaltungsreformdebatte oben § 5 D II. 163 KOM (2001) 428 endgültig; ABl. C 287 v. 12. 10. 2001, S. 1.
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2. Kap.: Grundlagen des Reformprozesses
züglich vollständig und auch im deutschen Verwaltungsrecht war der Terminus „gute Verwaltung“ bisher nicht bekannt 164. Nur in der finnischen, italienischen, portugiesischen, slowenischen und der spanischen Verfassung lassen sich Ansätze entsprechender Rechte nachweisen 165. Stark verwurzelt ist das Prinzip einer „good administration“ dagegen im englischen Verwaltungsrecht, wo es traditionell für ein der Unparteilichkeit, Integrität, Objektivität, Leistungsbezogenheit und Verantwortlichkeit verpflichtetes „public service model“ stand, im Rahmen des neueren „new public model“ aber auch als Ausdruck von Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit der Verwaltung angesehen wird 166. Die Einbeziehung des „Rechts auf eine gute Verwaltung“ in die GRC geht maßgeblich auf Initiativen des Europäischen Bürgerbeauftragten zurück, der sich bereits im Ersten Grundrechtskonvent für die Aufnahme verwaltungsbezogener Grundrechtsgarantien in die Charta einsetzte 167. Dort waren die Einzelheiten eines Rechts auf gute Verwaltung allerdings ausgesprochen umstritten 168. So wollte der Erste Entwurf des Präsidiums des Grundrechtskonvents lediglich ein „Recht auf eine ordnungsgemäße Verwaltung“ garantieren und hätte so ein Prinzip kodifiziert, welches sich – in unterschiedlicher Terminologie 169 – bereits seit langem als allgemeiner Rechtsgrundsatz in der Rechtsprechung des EuGH nachweisen lässt 170. Mit der Anerkennung eines Rechts auf „gute Verwaltung“ ist dagegen ein qualitativer Bedeutungsgewinn verbunden, der mehr beinhaltet als eine bloß geringfügige Anpassung oder redaktionelle Glättung bisheriger Gewährleistungen. Das „Recht auf eine gute Verwaltung“ erschöpft sich gerade nicht in einer Zusammenfassung der in Art. 41 Abs. 2 bis 4 GRC beispielhaft und ergänzbar aufgeführten Rechte. Bereits aus Absatz 1 und der Überschrift folgt, dass Art. 41 GRC ein eigenständiges Bürgerrecht ist, das jedermann eine „gute“, 164
Lediglich der Begriff der „guten Polizey“ als Synonym für eine gute Ordnung des Gemeinwesens war ein im 15. bis 18. Jahrhundert gebräuchlicher rechtshistorischer Begriff. 165 Näher Pfeffer, S. 73 ff. und Bullinger, in: Festschrift für Brohm, S. 25 (28). Gem. § 21 Abs. 2 der finnischen Verfassung werden „Garantien eines gerechten Prozesses und einer guten Verwaltung ... durch Gesetz gewährleistet“. Nach Art. 97 Abs. 1 der italienischen Verfassung wird „die Organisation der Behörden ... durch gesetzliche Vorschriften so geregelt, dass ein guter Geschäftsgang und die Unparteilichkeit der Verwaltung gesichert sind.“. Gem. Art. 103 der spanischen Verfassung dient die öffentliche Verwaltung „in objektiver Weise dem Allgemeininteresse und handelt in Übereinstimmung mit den Prinzipien der Effektivität, Hierarchie, Dezentralisierung, Dekonzentration und Koordination, in voller Unterordnung unter Gesetz und Recht.“ Umfassende Garantien in Bezug auf die Verwaltung enthalten auch Art. 266 ff. der portugiesischen Verfassung. 166 Bullinger, in: Festschrift für Brohm, S. 25 (28); Pfeffer, S. 77 f. 167 Magiera, in: Meyer, GRC Art. 41 Rn. 2 m.w. N.; Rengeling / Szczekalla, Rn. 1088. 168 Umfangreiche Nachweise bei Magiera, in: Meyer, Art. 6 Rn. 2 ff; Pfeffer, S. 90 f. 169 Näher Gornig / Trüe, JZ 2000, S. 395 (403 ff.). 170 Vgl. etwa EuGH, Slg. 1983, 3369, Nr. 15; EuGH, Slg. 1992, I-2253 Nr. 7; EuGH, Slg. 2003, I- 9889, Nr. 29.
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also ihre Angelegenheiten unparteiisch, gerecht, fristgemäß behandelnde, funktionsfähige und effektive Verwaltung garantiert 171. Die im Verfassungskonvent von deutscher Seite vertretene Position, eine ausdrückliche Anerkennung eines Rechts auf gute Verwaltung sei überflüssig, weil sich die in Art. 41 GRC gewährleisteten Rechte bereits aus dem Rechtsstaatsprinzip ergäben 172, überzeugt daher nicht. Das Recht auf gute Verwaltung ist vielmehr ein entwicklungsoffenes Bürgerrecht mit eigenständigem materiellem Gehalt. 3. Berechtigte und Verpflichtete Umstritten ist der Kreis der durch Art. 41 GRC Berechtigten und Verpflichteten. Überwiegend wird die Auffassung vertreten, das auch Drittstaatsangehörige unabhängig von einer Unionsbürgerschaft berechtigende 173 Menschenrecht 174 verpflichte ausschließlich die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, nicht dagegen die Mitgliedsstaaten beim indirekten Verwaltungsvollzug des Gemeinschaftsrechts 175. Begründet wird dies damit, dass Art. 41 GRC anders als die allgemeine horizontale Regelung des Art. 51 GRC die Mitgliedsstaaten nicht erwähne und insofern als speziellere Bestimmung anzusehen sei 176. Unberührt bleibe allerdings die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur Beachtung der Grundsätze einer „guten Verwaltungsführung“ auf Grund europäischen Vertragsrechts und der Rechtsprechung der europäischen Gerichtsbarkeit 177. Eine umfassendere Bindung wird auch mit dem Argument abgelehnt, dass eine solche angesichts der zum Teil noch sehr unterschiedlichen Verwaltungskulturen der Mitgliedsstaaten 178 und der erheblichen inhaltlichen Reichweite des Gemeinschaftsrechts einen ganz erheblichen Harmonisierungsbedarf für die nationalen Rechtsordnungen zur Folge hätte 179. 171 In diesem Sinne Magiera, in Meyer, GRC, Art. 41 Rn. 7. Deutlich restriktiver dagegen Pfeffer, S. 90 f. m.w. N., die der Überschrift keine eigenständige Bedeutung beimisst. 172 Näher Magiera, in: Meyer Art. 6 Rn. 3 mit Fn. 94. 173 Rengeling / Szczekalla, Rn. 1093; Magiera, in: Meyer, GRC, Art. 41Rn. 8; Pfeffer, S. 105 ff. 174 Missverständlich ist daher die systematische Einordnung der Vorschrift in das mit „Bürgerrechte“ überschriebene Kapitel V der GRC. Ausführlich zur Problematik Pfeffer, S. 105 ff. 175 Martinez Soria, EuR 2001, S. 682 (689); Jarass, EU-Grundrechte, § 36 Rn. 6 ff.; Magiera, in: Meyer, GRC Art. 41 Rn. 9. 176 Pfeffer, S. 102; Magiera, in: Meyer, GRC, Art. 41 Rn. 9: Borowsky, in: Meyer, GRC Art. 51 Rn. 20. 177 Zum Prinzip der „guten Verwaltungsführung“ bereits EuGH, Slg. 1963, 107; EuGH Slg. 1971, 379. 178 Exemplarisch dafür ist das unterschiedliche Selbstverständnis des Öffentlichen Dienstes. Dazu Sommermann, DÖV 2007, S. 859 (864) mit Beispielen aus Großbritannien und Frankreich.
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2. Kap.: Grundlagen des Reformprozesses
Nach anderer Auffassung soll eine teleologische Auslegung des Art. 41 GRC ergeben, dass auch die Mitgliedsstaaten Verpflichtete der Vorschrift seien, wenn sie Gemeinschaftsrecht vollzögen 180. Es gebe keinen sachlichen Grund, den Anwendungsbereich des Art. 41 GRC abweichend von Art. 51 GRC einzuschränken. Für eine extensive Auslegung streite auch der Grundsatz der Rechtsgemeinschaftlichkeit 181. Wenn die Mitgliedsstaaten zur gemeinschaftsrechtfreundlichen Anwendung von Unionsrecht verpflichtet würden, so müsse Art. 41 GRC dahingehend ausgelegt werden, dass diese Vorschrift auch beim indirekten Vollzug von Gemeinschaftsrecht Geltung beanspruche 182. Die gegenteilige Auffassung gebe mit der vorgeschlagenen Anwendung der allgemeinen Rechtsgrundsätze den Vorteil der (relativen) Transparenz der Grundrechtecharta preis. Auch führe eine erweiterte Auslegung von Art. 41 GRC nicht zu einer Einschränkung der Kompetenz der Mitgliedsstaaten zum Erlass ihres eigenen Verwaltungsverfahrensrechts, da dieses insoweit nur den Bindungen des Gebots praktischer Wirksamkeit und des Diskriminierungsverbots unterliege 183. Der zuletzt referierten Auffassung ist zuzugeben, dass der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit der Gemeinschaft und das Prinzip der Effektivität des Gemeinschaftsrechts eine möglichst weitgehende Durchsetzung der Rechte des Einzelnen auch beim indirekten Vollzug des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedsstaaten gebietet. Es wäre daher durchaus wünschenswert, wenn den Berechtigten auch in diesen Fällen das Recht auf eine „gute Verwaltung“ garantiert würde 184. Dennoch ist im Ergebnis der Auffassung zu folgen, die eine Bindung der Mitgliedsstaaten an Art. 41 GRC verneint. Für diese Position spricht neben der Systematik vor allem die Entstehungsgeschichte der Grundrechtecharta. Der Charta-Konvent hat sich nach intensiver Diskussion ganz bewusst gegen eine Bindung der Mitgliedsstaaten bei der „Durchführung des Unionsrechts“ entschieden. Vorschlägen, eine Bindung der nationalen Verwaltungen beim Vollzug von Gemeinschaftsrecht einzuführen, wurde nicht entsprochen 185. Somit ist der Vollzug von Gemeinschaftsrecht durch die Mitgliedsstaaten vom Recht auf gute Verwaltung nicht umfasst, womit Art. 41 GRC nur ein eingeschränkter Anwendungsbereich verbleibt. Das ist insofern bedauerlich, als dies dem Ziel der GRC entgegensteht, für den Bürger mehr Rechtssicherheit zu schaffen 186. Immerhin bleiben die Mitgliedsstaaten aber an die vom EuGH 179
Grzesick, EuR 2006, S. 161 (167). Rengeling / Szczekalla, Rn. 1094 f; Bauer, Das Recht auf eine gute Verwaltung, S. 142; für eine analoge Anwendung Jarass, GrC, Art. 41 Rn. 10 m.w. N. in Fn. 46. 181 Vgl. ex Art. 10 EGV. Die Vorschrift wurde im Wesentlichen ersetzt durch Art. 4 Abs. 3 EUV. 182 Vgl. Lais ZEuS 2002, S. 447 (458 m.w. N. in Fn. 80). 183 Rengeling / Szczekalla, Rn. 1095. 184 Lais, ZEuS 2002, S. 447 (456); Kahl, VerwArch 95 (2004), S. 1 (18 f.). 185 Pfeffer, S. 103 mit Fn. 553; vgl. auch Grzesick, EUR 2006, S. 161 (168). 180
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entwickelten allgemeinen Verfahrensgrundsätze gebunden. Überdies ändert der nur beschränkte Anwendungsbereich des Art. 41 GRC nichts an der Vorbildwirkung, die diese erstmals schriftlich niedergelegten allgemeinen Verfahrensanforderungen auch für die nationalen Rechtsordnungen haben können. Die herausragende Bedeutung des „Rechts auf eine gute Verwaltung“ als Vorstufe eines seit langem geforderten „Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes für die Gemeinschaft“ 187 ist auch darin zu sehen, dass die schriftliche Niederlegung von Mindestverfahrensgarantien dazu beitragen kann, die weit verbreitete Skepsis der Bürger gegenüber der „Eurokratie“ abzubauen. Eine solche Funktion kann das Recht auf gute Verwaltung insbesondere dann erfüllen, wenn es in Verhaltenskodizes der Europäischen Institutionen konkretisiert und dem Bürger so transparent gemacht wird. IV. Der Europäische Kodex für eine gute Verwaltungspraxis 1. Entstehungsgeschichte und Verbindlichkeit Einzelne Ausprägungen eines „Rechts auf gute Verwaltung“ mit Vorbildwirkung für die nationalen Rechtsordnungen können aus den diversen Kodizes der Organe der EU entnommen werden 188, von denen hier exemplarisch der vom Europäischen Bürgerbeauftragten erarbeitete „Europäische Kodex für gute Verwaltungspraxis“ vorgestellt werden soll. Der – auch im Internet zugängliche 189 – Kodex geht auf eine Initiative des damaligen Europäischen Bürgerbeauftragten Jacob Söderman aus dem Jahre 1998 zurück, der damit ein „Gesetzbuch der Verwaltungsethik“ schaffen wollte 190. Die Initiative zu diesem Kodex wurde durch einen Bericht des Petitionsausschusses des Europäischen Parlaments vom Mai 1997 ausgelöst, in welchem die Kommission aufgefordert wurde, einer rechtlichen Überprüfung zugängliche Standards in Gestalt allgemeiner Grundsätze für das Verwaltungshandeln zu schaffen 191. Der Kodex unterwirft einen großen Teil des Verwaltungsverfahrens, nämlich die Beziehungen der Bürger zu den Gemeinschaftsinstitutionen und -organen, erstmals einer Regelung 192 und hat den Charakter eines Referenzwerkes für eventuelle spätere Kodifikationsbemühungen für ein Europäisches Verwaltungsverfahrensgesetz. Der „Europäische Kodex für gute Verwaltungspraxis“ wurde am 06. 09. 2001 vom Europäischen Parlament 186
So auch Pfeffer, S. 105 mit Fn. 573. Ausführlich zu Möglichkeiten und Grenzen einer solchen Kodifikation Pfeffer, S. 251 ff. 188 Nachweise bei Rengeling / Szczekalla, Rn. 1088 ff. 189 www.ombudsmann.europa.eu. (Abrufdatum: 15. 12. 2010). 190 Näher Pfeffer, S. 55 mit Fn. 233. 191 Eingehend Pfeffer, S. 56 ff. 192 Lais, ZEuS 2002, S. 447 (476). 187
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angenommen. Auch der Ausschuss der Regionen hat ihn am 18. 11. 2003 weitgehend übernommen. Zahlreiche weitere Organe und Einrichtungen der Union haben darüber hinaus eigene Kodizes verabschiedet, die allerdings nicht unerheblich von dem Referenzwerk abweichen 193. Eine rechtliche Verbindlichkeit entfaltet der Kodex nicht, so dass sich ein Bürger bei einer rechtlichen Überprüfung einer Maßnahme nicht unmittelbar auf ihn berufen kann. Der Kodex hatte aber eine erhebliche Ausstrahlungswirkung für das Verständnis der Mitgliedsstaaten von guter Verwaltungspraxis. Er wurde von einer Reihe von Mitgliedstaaten und Beitrittskandidaten aufgenommen und spielte vor allem im Rahmen des Erweiterungsprozesses 2005 eine große Rolle. Überdies hat das Europäische Parlament bei Annahme des Kodex die Europäische Kommission aufgefordert, den Kodex in eine auf Art. 352 AEUV gestützte Verordnung aufzunehmen und ihn somit verbindlich für die Verwaltungspraxis aller Organe und Einrichtungen der EU zu machen 194. Dies wäre ein wichtiger Beitrag zu mehr Rechtssicherheit, Transparenz und Konsistenz 195. 2. Einzelgarantien und Bewertung des Kodex Der Europäische Kodex für eine gute Verwaltungspraxis enthält in 27 Artikeln eine umfassende Aufzählung grundlegender Rechte und Grundsätze des Verwaltungsverfahrens, die über die Kodifizierung selbstverständlich erscheinender Prinzipien wie Rechtmäßigkeit (Art. 4) Nichtdiskriminierung (Art. 5), Verhältnismäßigkeit (Art. 6), dem Verbot des Missbrauchs von Befugnissen (Art. 7) und den Grundsätzen der Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Objektivität (Art. 8, 9) und das Fairness- und Höflichkeitsgebot (Art. 11, 12) deutlich hinausgehen. In Bezug auf die Regelungsoptimierung sind dabei vor allem die in Art. 14 ff. festgelegten Pflichten von Interesse. So enthält Art. 14 Nr. 1 die grundsätzliche Verpflichtung zur Erteilung einer Empfangsbestätigung innerhalb einer Frist von zwei Wochen. Art. 15 Nr. 1 sieht eine – auch gemessen an Verwaltungsstandards in Deutschland beispielhafte 196 – Pflicht zur unverzüglichen Weiterleitung von Schreiben und Beschwerden an die zuständige Stelle vor. Dabei muss die angegangene unzuständige Stelle den Bürger von der Weiterleitung in Kenntnis setzen und Namen und Telefonnummer des Beamten angeben, an den die 193
Näher zu Entstehungsgeschichte und Verbindlichkeit dieser Regelungen Pfeffer, S. 56 f. 194 Europäisches Parlament, Entschließung vom 06. 09. 2001, ABl. 2002 C 72 E, S. 331. 195 Magiera, in: Meyer, GRC Art. 41 Rn. 16; Martinez Soria, EuR 2001, S. 697 ff; Lais, ZEuS 2002, S. 476 ff. 196 Zur Frage, inwieweit unzuständige Behörden verpflichtet sind, an sie fehlgerichtete Rechtsbehelfe des Bürgers an die zuständige Stelle weiterzuleiten vgl. Czybulka, in: NKVwGO, § 60 Rn. 77 f.
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Akte weitergeleitet worden ist. Vor dem Hintergrund der auch in Deutschland intensiv geführten Diskussion über Sinn und Zweck behördlicher Entscheidungsfristen, die durch die Europäische Dienstleistungsrichtlinie eine neue Dynamik gewonnen hat 197, ist auch die in Art. 17 geregelte „angemessene Frist für die Entscheidungsfindung“ von großer praktischer Relevanz. Danach stellt der Beamte sicher, dass über jedes Ersuchen bzw. jede Beschwerde innerhalb einer angemessenen Frist unverzüglich und auf keinen Fall später als zwei Monate nach dem Datum des Eingangs entschieden wird. Kann bei komplexen Fragestellungen nicht innerhalb der Zwei-Monatsfrist entschieden werden, so muss der Beamte den Bürger darüber so rasch wie möglich unterrichten und ist zu einer schnellstmöglichen abschließenden Entscheidung verpflichtet. Erwähnenswert sind überdies die Verpflichtung zur Begründung von Entscheidungen (Art. 18) sowie die Verpflichtung zur Erteilung einer Rechtsbehelfsbelehrung (Art. 19). Schließlich enthalten Art. 21 ff. des Kodex detaillierte Regelungen zum Datenschutz und zur Sicherstellung von Informationsrechten des Bürgers. Die Organe der EU werden überdies zur Führung angemessener Verzeichnisse (Art. 24) und zur Werbung für den Kodex (Art. 25) verpflichtet. Der Bürger hat ferner das Recht auf Beschwerde beim Europäischen Bürgerbeauftragten, wenn Organe oder Beamte dem Kodex zuwider gehandelt haben. Insgesamt enthält der Europäische Kodex für gute Verwaltungspraxis eine „zunächst einmal beeindruckende Auflistung von Rechten und Grundsätzen“ 198, die in ihrem Gehalt deutlich über die Gewährleistungen in Art. 41 GRC hinaus gehen. Der äußerst detailreiche Kodex übertrifft auch nationalstaatliche Gewährleistungen deutlich und kann hinsichtlich einiger Teilaspekte Vorbildwirkung für die Fortentwicklung auch des deutschen Verwaltungsrechts entfalten. Diesbezüglich sind etwa Art. 14, 15, 17, 23 und 24 zu nennen, die beachtliche Anregungen für die Weiterentwicklung und Kodifizierung nationaler Qualitätsstandards bei der Verwaltungstätigkeit enthalten. Überdies bildet der Kodex für eine gute Verwaltungspraxis trotz einiger struktureller Schwächen 199 eine Ausgangsbasis für eine zukünftige Kodifizierung eines Allgemeinen Verwaltungsrechts der Union 200. Obwohl das Europäische Verwaltungsrecht bereits über die Anfangsgründe hinausgelangt ist und auch die nationalen Rechtsordnungen sich unter dem Eindruck der EMRK und des Europäischen Gemeinschaftsrechts in ihren Prinzipien immer weiter angenähert haben 201, harrt das Europäische Verwaltungsrecht derzeit noch einer koheränten Systembildung 202. Es bleibt zu hoffen, dass der Europäi197
Ausführlich dazu unten § 19 C. Rengeling / Szczekalla, Rn. 1092. 199 Dazu gehört etwa die fehlende Gliederung. Vgl. näher Martinez Soria, EuR 2001, S. 682 (690). 200 Vorsichtiger dagegen Rengeling / Szczekalla, Rn. 1092. 201 Ausführlich Sommermann, DÖV 2002, S. 133 ff. 202 Sommermann, DÖV 2007, S. 859 (865). 198
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sche Kodex für gute Verwaltungspraxis bei dieser Aufgabe, die bereits Lorenz von Stein als „großartigste Rechtsbildung der Weltgeschichte“ 203 bezeichnete, wertvolle Dienste leisten wird. V. Das europäische Grundrecht auf einen fairen Prozess Zu den Kernelementen eines gemeineuropäischen Verständnisses von Rechtsstaatlichkeit gehört auch das als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts mit Verfassungsrang ausgestattete 204 „Grundrecht auf einen fairen Prozess“. Inhaltlich stimmt diese Garantie weitgehend mit Art. 6 Abs. 1 EMRK überein 205. Die Gerichte der Europäischen Union erkennen bereits seit längerer Zeit das Recht auf eine gerichtliche Entscheidung in angemessener Zeit im Gemeinschaftsrecht an 206. So hat der EuGH bereits in der „Baustahlgewerbeentscheidung“ von 1998 207 eine Verletzung dieses Rechts bei einer Verfahrensdauer von fünf Jahren und 6 Monaten vor dem EuG festgestellt. Das Recht auf einen fairen Prozess geht zum Teil über die durch Art. 6 EMRK gewährten Garantien hinaus. Insbesondere ist es bereits vom Ansatz her nicht auf zivil- und strafrechtliche Angelegenheiten beschränkt. Auch hat das europäische Grundrecht auf einen fairen Prozess Anwendungsvorrang gegenüber dem nationalen Recht, während Art. 6 Abs. 1 EMRK in Deutschland lediglich im Rang eines einfachen Gesetzes gilt. VI. Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht (Art. 47 GRC) 1. Grundlegende Bedeutung Vor dem Hintergrund des bereits jetzt garantierten Grundrechts auf einen fairen Prozess stellen die Prozessgrundrechte des Art. 47 GRC lediglich eine ausdrückliche Anerkennung und punktuelle Erweiterung jenes Rechts dar 208. Art. 47 GRC gewährleistet in seinen drei Absätzen verschiedene Rechte. Vorlie203
Zu dessen Visionen eines Internationalen Verwaltungsrechts Sommermann, DÖV 2007, S. 859 ff. 204 Die Existenz einer solchen ungeschriebenen europäischen Grundrechtsordnung wird in Art. 6 Abs. 3 EUV vorausgesetzt. 205 Pache, NVwZ 2001, S. 1342 (1343); EuGH NJW 2000, S. 1853, Nr. 25 ff; vgl. auch EuGH NVwZ 2000, S. 905, Nr. 17. 206 Näher Jarass, GRC, Art. 47 Rn. 42 ff. 207 EuGH, Slg. 1998, I-8417, Nr. 20 ff. = NJW 1999, S. 3548. 208 Pache, NVwZ 2001, S. 1342 (1343).
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gend kann dabei das Recht auf Prozesskostenhilfe nach Art. 47 Abs. 3 GRC unberücksichtigt bleiben, so dass sich die nachfolgenden Ausführungen auf Art. 47 Abs. 1 GRC (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf) und Art. 47 Abs. 2 GRC (Recht auf ein unparteiisches Gericht nebst weiterer Garantien für das gerichtliche Verfahren) konzentrieren. 2. Das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf Art. 47 Abs. 1 GRC ist weitgehend Art. 13 EMRK nachgebildet. Während sich Art. 13 EMRK allerdings mit einer bloßen behördlichen Überprüfung begnügt, geht Art. 47 Abs. 1 GRC über diese Gewährleistung hinaus und garantiert einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf 209, mit dem die Verletzung der durch das Unionsrecht garantierten Rechte oder Freiheiten geltend gemacht werden kann. Soweit es um Rechtsschutz gegen Rechtsverletzungen durch Mitgliedsstaaten der Union bei Anwendung von Gemeinschaftsrecht geht, verpflichtet Art. 47 GRC die nationalen Gerichte auf der nationalen Rechtsschutzebene (wie bereits Art. 13 EMRK) zu einer Ausgestaltung des Verfahrens in einer Art und Weise, dass es vollen Rechtsschutz zu gewährleisten in der Lage ist. Bereits aus Art. 47 Abs. 1 GRC folgt daher die (in Art. 47 Abs. 2 GRC explizit ausgesprochene) Verpflichtung, eine überlange Verfahrensdauer vor nationalen Gerichten zu vermeiden, sofern es um die Durchsetzung unionsrechtlich garantierter Rechte und Freiheiten geht 210. 3. Das Recht auf ein unparteiisches Gericht Art. 47 Abs. 2 GRC entspricht weitgehend Art. 6 Abs. 1 EMRK, geht aber zum Teil über die dort gewährten Rechte hinaus. Erwähnenswert ist vor allem, dass Art. 47 Abs. 2 GRC schon vom Ansatz her nicht auf zivil- und strafrechtliche Angelegenheiten beschränkt ist. Zudem entfaltet Art. 47 GRC einen Anwendungsvorrang gegenüber eventuell entgegenstehendem nationalem Recht, während Art. 6 Abs. 1 EMRK – zumindest theoretisch – durch ein entgegenstehendes späteres Gesetz aufgehoben werden könnte. Art. 47 Abs. 2 GRC enthält eine dem Art. 19 Abs. 4 GG nahekommende, deutlich über Art. 6 Abs. 1 EMRK und auch über die Verfassungstraditionen mancher Mitgliedsstaaten hinausgehende allgemeine Rechtsweggarantie 211. Auf Grund der Kohärenzklausel des Art. 52 Abs. 3 GRC haben Rechte der GRC, welche den Garantien der EMRK entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der EMRK verliehen werden. Das schließt einen weitergehenden Schutz durch das Recht 209 210 211
Eser, in: Meyer, GRC, Art. 47 Rn. 11; Jarass, GRC, Art. 47 Rn. 17. Vgl. insoweit die Ausführungen zu Art. 13 EMRK unter § 6 A III. Calliess, EuZW 2001, S. 263 f.
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der Union aber nicht aus. Auch ist die durch den EGMR geprägte Auslegung der einzelnen Garantien der EMRK bei der Anwendung der GRC zu beachten. Deshalb sind die Vertragsstaaten nach Art. 6 EMRK und nach Art. 47 Abs. 2 GRC verpflichtet, im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch Bereitstellung geeigneter organisatorischer Rahmenbedingungen die strukturellen Ursachen überlanger gerichtlicher Verfahren zu beseitigen 212.
C. Folgerungen Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass die Europäische Menschenrechtskonvention und die Europäische Grundrechtecharta umfangreiche Verfahrensgarantien gewährleisten, welche vom nationalen Gesetzgeber bei Verwaltungsreformen zu berücksichtigen sind. So bedurfte die seit Ende der 1970er Jahre verstärkt thematisierte, bis heute aber ungelöste Problematik der Dauer von gerichtlichen Verfahren in der Bundesrepublik Deutschland 213 erst des Anschubs durch die Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland im Fall König, um in der deutschen Fachöffentlichkeit zu einem „Dauerbrennerthema“ zu werden. Das erste Rechtspflegeentlastungsgesetz aus dem Jahre 1978 214 steht nicht zufällig in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser Entscheidung. Die Bundesrepublik Deutschland ist zudem durch Art. 13 EMRK verpflichtet, dem Bürger (endlich) den bisher vorenthaltenen wirksamen Rechtsbehelf gegen die überlange Dauer von Gerichtsverfahren an die Hand zu geben. Von noch größerer Impulswirkung für das nationale Verwaltungsrecht ist das durch Art. 41 GRC gewährleistete Recht auf eine gute Verwaltung. Konkretisiert durch einen umfassenden Kodex für eine gute Verwaltungspraxis, besteht die berechtigte Hoffnung, dass dieses Europäische Grundrecht das hinsichtlich der Gewährleistung materieller Verfahrensstandards für die Verwaltungstätigkeit ausgesprochen reservierte deutsche Verfassungsrecht 215 nachhaltig beeinflussen wird. Zwar lässt sich dem Recht auf gute Verwaltung keine unmittelbare Verpflichtung zu Verwaltungsreformen entnehmen, als Maßstabsnorm kann es aber immerhin mittelbar Anlass zu Reformmaßnahmen geben 216. Allerdings ist der in dieser Hinsicht weit über nationale Gewährleistungen hinausgehende Europäische Rechtsstandard in der deutschen Öffentlichkeit leider noch viel zu wenig bekannt. Ein Grund hierfür dürfte neben noch bestehender Reserven in der 212
A II 4. 213 214 215 216
Vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen zu Art. 6 Abs. 1 EMRK unter § 6 Dazu unten § 9 G VII. Siehe § 9 G II 1 a. Näher unten § 7 B III. Schliesky, VerwArch 98 (2008), S. 313 (320).
§ 6 Vorgaben für die Regelungsoptimierung
163
Informationspolitik der Europäischen Union vor allem die Unübersichtlichkeit der Europäischen Regelungswerke sein. Das „durch Bundesverfassungsgericht, EGMR und EuGH fein gesponnene Netz des Grund- und Menschenrechtsschutzes in Deutschland und die weit verästelte Grundrechtsdogmatik“ 217 haben dazu geführt, dass in Deutschland drei „sich überlagernde, bis ins einzelne ausdifferenzierte Grund- bzw. Menschenrechtsordnungen“ 218 existieren. Das so verursachte „Bermuda-Dreieck“ 219 im Grundrechtsschutz zwischen Karlsruhe, Straßburg und Luxemburg führt mitunter zu einem Vertrauensverlust des Bürgers in die Einheit und Koheränz des Grundrechtsschutzes im europäischen Mehrebenensystem 220. Diesem durch eine aufeinander abgestimmte Rechtsprechung entgegenzuwirken, ist zuvörderst Aufgabe der zuständigen Gerichtshöfe 221. Die Europäische Union bleibt darüber hinaus aufgerufen, sein verästeltes Grundrechtsgeflecht besser als bisher zu systematisieren. Dass es mit dem Vertrag von Lissabon nicht einmal gelungen ist, den Text der Europäischen Grundrechtecharta in die Gründungsverträge zu integrieren 222, gibt diesbezüglich allerdings keinen Anlass zu übertriebenen Hoffnungen. Erhebliche Impulse für die Verwaltungsmodernisierung auf nationaler Ebene ergeben sich schließlich aus dem Sekundärrecht der Europäischen Union. Im Verlauf der vorliegenden Untersuchung wird dies am Beispiel der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie aufgezeigt werden 223. Diese musste bis Ende 2009 in nationales Recht umgesetzt werden und sorgte mit den von ihr geforderten Schritten zur Verwaltungsvereinfachung, zur Einrichtung Einheitlicher Ansprechpartner für Dienstleistungserbringer und zur Verwaltungszusammenarbeit für erheblichen Reformdruck in den nationalen Verwaltungen.
217
Landau, DVBl 2008, S. 1269 (1270). Landau, DVBl 2008, S. 1269 (1272). 219 So die Formulierung von Hirsch, EuR Beiheft 1/2006, S. 7 (16 ff.). Zum Verhältnis zwischen BVerfG, EuGH und EGMR Knauff, DVBl 2010, S. 533 ff. 220 Hirsch, EuR Beiheft 1/2006, S. 7 (18 f.). Zu Divergenzen zwischen der Rechtsprechung von EuGH und BVerfG Callies, JZ 2009, S. 113 ff. 221 Zum Verhältnis zwischen BVerfG und EGMR Klein, NVwZ 2010, S. 223 ff. und Landau, DVBl 2008, S. 1269 (1273 ff.), der betont, dass das Nebeneinander der Rechtsordnungen auch zum „Motor der Innovation“ werden kann. Zur nicht immer koheränten Rechtsprechung von EGMR und EuGH Paeffgen, EuR Beiheft 1/2006, S. 63 (72 ff.) und Hirsch, EuR Beiheft 1/2006, S. 7 ff. 222 Siehe dazu § 6 B I 2. 223 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 12. 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt vom 12. 12. 2006; ABl EU L 376, S. 36. Dazu § 19 C. 218
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2. Kap.: Grundlagen des Reformprozesses
§ 7 Verfassungsrechtlicher Rahmen der Regelungsoptimierung A. Regelungsoptimierung aus der Perspektive der Legislative: Verfassungsrechtliche Anforderungen für den Normgeber Nach Darstellung der völker- und europarechtlichen Vorgaben sind nunmehr die nationalen verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Regelungsoptimierung näher in den Blick zu nehmen. Dabei wird zunächst die Perspektive der Legislative eingenommen und untersucht, ob besondere verfassungsrechtliche Vorgaben für den Normgeber bestehen. Zunächst ist zu fragen, ob es eine Pflicht zur „guten Gesetzgebung“ gibt (I.). Sollte dies bejaht werden, gilt es, die Reichweite einer solchen Pflicht zu bestimmen. In einem nächsten Schritt werden dann die verfassungsrechtlichen Determinanten experimenteller Gesetzgebung näher beleuchtet, da diese Form der Normsetzung ein zentrales Element der Verwaltungsreformpolitik ist (II.). Nach Begriffsklärung und Darstellung der unterschiedlichen Formen experimenteller Gesetzgebung folgt ein Überblick zur historischen Entwicklung dieses Reforminstruments. Anschließend werden Stellenwert und Funktionen der experimentellen Gesetzgebung in der aktuellen Verwaltungsreformdiskussion dargestellt. Danach wird die verfassungsrechtliche Zulässigkeit solcher Gesetzgebung im Allgemeinen sowie von Experimentierklauseln und Standardöffnungsklauseln im Besonderen untersucht. Nach einer rechtspolitischen Bewertung dieser Instrumente wird sodann eine weitere Tendenz der aktuellen Gesetzgebung, nämlich die generelle oder jedenfalls weitgehende Befristung von Rechtsnormen, kritisch hinterfragt. Abschließend soll geklärt werden, ob ein Verfassungsauftrag zur Deregulierung besteht und wie weitreichend dieser gegebenenfalls ist (III.). I. Pflicht zur guten Gesetzgebung Zu den derzeit meistdiskutierten Fragen der in Deutschland traditionell von Verfassungsrechtlern dominierten Gesetzgebungslehre 224 gehört, ob es Pflicht zur „guten Gesetzgebung“ gibt. Bis in die 1970er Jahre wurde den inneren Verfahrensbindungen des Gesetzgebers in Rechtsprechung und Literatur allerdings kaum Beachtung geschenkt 225. Erklären lässt sich dieses Aufmerksamkeitsdefizit zunächst damit, dass trotz der überragenden Bedeutung des Gesetzes als 224 Eingehend zum aktuellen Stand der Gesetzgebungslehre in Deutschland Karpen, Gesetzgebungslehre – neu evaluiert, 2. Aufl. 2009. Schulze-Fielitz, ZG 2006, S. 209 (212 ff.) kritisiert in seiner Bestandsaufnahme die Dominanz juristischer Fragestellungen und fordert stattdessen eine „transdisziplinär sensible Gesetzgebungslehre“.
§ 7 Verfassungsrechtlicher Rahmen der Regelungsoptimierung
165
Instrument der Planung und Steuerung gesellschaftlicher Prozesse 226 geschriebene Regeln über die innere Ordnung des Gesetzgebungsverfahrens vollständig fehlen. Grundgesetz, Landesverfassungen und auch die Geschäftsordnungen der Parlamente beschränken sich darauf, den äußeren Gang des Gesetzgebungsverfahrens zu ordnen und verzichten auf die ausdrückliche Festlegung materieller Gesetzesstandards 227. Das Bild der normativen Grundlagen für das Verfahren der Gesetzgebung ist durch „ein erstaunliches Maß an Regelungsabstinenz“ 228 geprägt, welches damit begründet wird, dass der Verfassungsgeber gut daran tue, das gesetzgeberische Verfahren nicht „in ein zu enges Korsett von Vorschriften zu zwingen und den Beteiligten die gestalterische Freiheit zu nehmen oder unmäßig einzuschränken“ 229. Als genuin politischer Prozess entziehe sich das Gesetzgebungsverfahren weitgehend einer Formalisierung. Den lange Zeit kaum angefochtenen Grundkonsens, verfassungsrechtliche Pflichten in Hinblick auf materielle Standards von Gesetzen abzulehnen, fasste Klaus Schlaich 1981 mit dem mittlerweile geflügelten Wort zusammen, der „Gesetzgeber schulde nichts anderes als das Gesetz“ 230. Auch BVerfG und BVerwG hielten sich bezüglich der Statuierung legislativer Verfahrenspflichten lange auffällig zurück 231. Diese Vernachlässigung des „inneren Gesetzgebungsverfahrens“ wird vielfach als einer der zentralen Gründe für die oft beklagte mangelnde Rationalität des Rechts angeführt und hat zweifelsohne zu einer Legitimationskrise des gegenwärtigen Gesetzgebungsverfahrens beigetragen 232. Unter dem Eindruck der zunehmend sichtbar werdenden Qualitätsdefizite in der Gesetzgebung hat sich allerdings mittlerweile ein Paradigmenwechsel vollzogen, der dazu geführt hat, dass die 225
Vgl. die Nachweise bei Schwerdtfeger, in: Festschrift für Ipsen, S. 173 (175 ff.). Zum Wandel des Gesetzes zum Steuerungsmedium Hill, Jura 1986, S. 286 (288). Zur Steuerungsfunktion und Steuerungskraft des Parlamentsgesetzes Reimer, in: Grundlagen I, § 9 Rn. 1 ff; 84 ff. 227 So hielt Peter Noll die am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten „durch keine Norm außer dem moralischen Gewicht ihres Auftrages dazu verpflichtet“, ihre Entscheidungen rational und mit einer angemessenen Methodik zu treffen; vgl. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 94. 228 Ossenbühl, HdbStR, Band 3, 1. Auflage 1988, § 63 Rn. 6. Zur „stiefmütterlichen normativen Berücksichtigung“ der gesetzesvorbereitenden Ministerialverwaltung bereits Czybulka, Legitimation, S. 269 ff, wonach diese „in einem bedeutenden Bereich ihrer Tätigkeit, nämlich bei der Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren, nahezu ohne verfassungsrechtliche Grundlage arbeitet“. 229 Vgl. Mengel, in: Hill, Parlamentarische Steuerungsordnung, S. 115. 230 Schlaich, VVDStRL 39 (1981), S. 99 (109); ebenso Gusy, ZRP 1985, S. 29 (298). 231 Vgl. die Nachweise bei Erbguth, JZ 2008, S. 1038 (1040); Hölscheidt / Menzenbach, DÖV 2010, S. 139 (141 ff.). Kritisch dazu bereits Ossenbühl, HdbStR, Band 3, 1. Auflage 1988, § 63 Rn. 6. 232 Sendler, in: Festschrift für Stern, S. 297 (308 ff.). Nach Mengel, in: Hill, Parlamentarische Steuerungsordnung, S. 115 hat diese dazu geführt, dass „möglicherweise fundamentale Prinzipien demokratisch-rechtsstaatlicher Verfahrensweisen nicht im gebotenen Maße beachtet werden“. 226
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2. Kap.: Grundlagen des Reformprozesses
Frage einer materiell „guten“ Gesetzgebung in den Mittelpunkt der rechtswissenschaftlichen Diskussion auf europäischer, nationaler und lokaler Ebene gerückt ist 233. Bereits die seit Ende der 1970er Jahre „aufblühende Gesetzgebungswissenschaft“ 234 versuchte das Gesetzgebungsverfahren zu verrechtlichen, und den Gesetzgeber jedenfalls „auf handwerkliche Akkuratesse beim Zuschnitt und der Formulierung von Gesetzen einzuschwören“ 235. In der Gegenwart wird unter dem Eindruck der durch die „Neue Verwaltungsrechtswissenschaft“ betonten Steuerungsperspektive des Rechts 236 wieder intensiv die Frage diskutiert, ob sich aus dem Grundgesetz verfassungsrechtliche Pflichten zur guten bzw. optimalen Gesetzgebung herleiten lassen. In dieser Debatte lassen sich vereinfachend 237 zwei grundsätzlich divergierende Positionen zur Notwendigkeit der Kontrolle des inneren Gesetzgebungsverfahrens ausmachen, die nachfolgend knapp 238 dargestellt werden sollen. 1. Meinungsstand a) Ablehnende Positionen Ein Teil der Literatur lehnte und lehnt eine verfassungsrechtliche Pflicht zur optimalen Gesetzgebung ausdrücklich ab 239. Dass der Gesetzgeber grundsätzlich nichts anderes schulde als das Gesetz, wurde auch bei der verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung um das VwModG M-V vorgetragen 240. Allein das Ergebnis des Gesetzgebungsprozesses und nicht dessen Zustandekommen dürfe Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Überprüfung sein, so dass vorgangsbezogene 233
Vgl. den aktuellen Diskussionsüberblick bei Smeddinck, Integrierte Gesetzesproduktion, S. 211 ff; Erbguth JZ 2008, S. 1038 ff. und Hölscheidt / Menzenbach, DÖV 2010, S. 139 (140 ff.). 234 Ossenbühl, HdbStR, Band 3, 1. Aufl. 1988, § 63 Rn. 6 mit Fn. 20. Zur Entwicklung der Gesetzgebungslehre in Deutschland Schulze-Fielitz, ZG 2006, S. 209 und Karpen, ZRP 2007, S. 234. 235 Smeddinck, Integrierte Gesetzesproduktion, S. 211. 236 Ausführlich oben § 3 B II. 237 Differenzierend Ossenbühl, HdbStR, Band 3, 1. Auflage 1988, § 63 Rn. 7, der es für zu weitgehend hält, „jede normative Disziplinierung des Gesetzgebungsverfahrens aus allgemeinen Verfassungsbestimmungen radikal abzuweisen“, eine „Prozessordnung für das innere Gesetzgebungsverfahren“ aber ablehnt. 238 Ausführlich Smeddinck, Integrierte Gesetzesproduktion, S. 213 ff. 239 Vgl. Hans Meyer, NVwZ 2008, S. 24 (33 mit Fn. 87); Waldhoff, in: Festschrift in Isensee, S. 325 (332 ff.). Bereits früher Schlaich, VVDStRL 39 (1981), S. 99 (109); Karpen, ZG 1986, S. 5 (22); Koch, DVBl 1983, S. 1125 (1130); Merten, Optimale Methodik, S. 81 ff. 240 Vgl. insoweit die Argumentation des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern, in: LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (364) gegen Vorwürfe, das Gesetzgebungsverfahren bezüglich des VwModG M-V sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden.
§ 7 Verfassungsrechtlicher Rahmen der Regelungsoptimierung
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verfassungsrechtliche Pflichten des Gesetzgebers nicht bestünden 241. Die hohe Komplexität der Gesetze überfordere bereits die Fachwissenschaften im Hinblick auf exakte Tatsachenaussagen und Prognosen über ihren Anwendungsbereich und ihre Rückwirkungen. Umso mehr würde mit einer verfassungsrechtlichen Pflicht zur optimalen Gesetzgebung von den Parlamentariern etwas Unmögliches verlangt werden 242. Solches dürfe das Grundgesetz aber nicht einfordern, wolle es die Gesetzgebung nicht zum Erliegen bringen 243. Zu berücksichtigen sei ferner, dass das Verfassungsrecht das Parlament nicht mit eigenen Mitteln zur Erhebung und Verarbeitung von Informationen ausgestattet habe. Diese Informationen seien vielmehr regelmäßig allein bei der Regierung vorhanden, so dass das Parlament gegenüber der Exekutive erhebliche Informationsdefizite habe 244. Eine weitere Verrechtlichung des Gesetzgebungsverfahrens gehe zudem auf Kosten der politisch-parlamentarischen Gestaltungsfreiheit und sei notwendig mit einer fortschreitenden Bürokratisierung des Parlaments verbunden. Befürchtet wird schließlich ein weiterer Kompetenzzuwachs des ohnehin überforderten Bundesverfassungsgerichts 245. Angesichts der hochkomplexen Ausgangsposition der allenfalls durch formal unverbindliche politische Zielvorgaben programmierten Gesetzgebungsverfahren 246 sei eine übertriebene Verrechtlichung kontraproduktiv. Zusammenfassen lässt sich diese Position dahingehend, dass der Gesetzgeber keinerlei Optimierungspflichten in Bezug auf das Gesetzgebungsverfahren und auch keiner Begründungspflicht für seine Maßnahmen unterliegt. Die immanente Rechtfertigung von Gesetzen finde sich nicht in ihrer sachlichen Richtigkeit, sondern in ihrer politischen Akzeptanz 247. b) Befürworter verfassungsrechtlicher Pflichten im Gesetzgebungsverfahren In letzter Zeit häufen sich in Rechtsprechung und Literatur Stimmen, die dem Gesetzgeber – zum Teil beschränkt auf bestimmte Arten von Gesetzen 248 – Pflichten bezüglich des inneren Gesetzgebungsverfahrens auferlegen wollen. Solche 241 Nach Schlaich, VVDStRL 39 (1981), S. 99 (109 f.) darf die verfassungsrechtliche Kontrolle nicht in ein „von Literatur und Rechtsprechung ersonnenes Gesetzgebungsverwaltungsverfahrensgesetz“ eingespannt werden. 242 Die Gefahr der Überforderung des politischen Entscheidungsprozesses betont auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 201. Strengeren Mindestanforderungen an das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren solle daher „nur vorsichtig“ nachgekommen werden. 243 Vgl. Smeddinck, Integrierte Gesetzesproduktion, S. 213. 244 Gusy, ZRP 1985, S. 291 (297). 245 Messerschmidt, Gesetzgebungsermessen, S. 844, Steinberg, Der Staat 1987, S. 161 (175 f.). 246 Vgl. dazu Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 179. 247 Gusy, ZRP 1985, S. 291 (298), Messerschmidt., Gesetzgebungsermessen, S. 877.
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2. Kap.: Grundlagen des Reformprozesses
werden überwiegend unter dem Topos der optimalen Gesetzgebung diskutiert 249. Trotz dieser leicht missverständlichen Begrifflichkeit kann es allerdings nicht darum gehen, den Gesetzgeber mit dem Anforderungsniveau des perfekten Gesetzes zu konfrontieren, sondern allein darum, von ihm nicht mehr – aber immerhin auch so viel – zu verlangen, wie ihm in der jeweiligen konkreten Gesetzgebungssituation möglich ist 250. Das Mögliche wird dabei von verschiedenen Parametern wie z. B. Zeit, finanzielle und personelle Ressourcen sowie Grenzen der Erkenntnismöglichkeiten bestimmt. Optimale Gesetzgebung kann deshalb nicht mehr sein als „relativ optimale“ Gesetzgebung. Um dies deutlich herauszustellen, wird in der Folge nicht mehr von der Pflicht zur optimalen, sondern in Anlehnung an entsprechende Initiativen auf europäischer Ebene lediglich von einer Pflicht zu einer „guten Gesetzgebung“ gesprochen. Versuche, solche Pflichten bezüglich des inneren Gesetzgebungsverfahrens zu entwickeln, hat Günther Schwerdtfeger bereits in den 1970er Jahren unternommen 251. Er hält eine optimale Methodik der Gesetzgebung für eine Verfassungspflicht, deren Verletzung zu einer Verfassungswidrigkeit führen soll. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, vor Erlass eines Gesetzes „die einschlägigen Fakten, Interessen und Gesichtspunkte möglichst vollständig und mit richtigem Inhalt heranzuziehen und aufzuarbeiten, indem er den bisherigen Zustand analysiere, denkbare Ziele entwerfe, wie der status quo verändert werden könnte, die Instrumente ermittele, über welche die verschiedenen Ziele erreicht werden könnten und schließlich die jeweiligen Folgewirkungen in den Blick nehme. Die sich so ergebenden Lösungsalternativen (Beibehaltung oder Veränderung des status quo, eventuell verschiedene Veränderungsmöglichkeiten, verschiedene Mittel der Zielerreichung) hat der Gesetzgeber in ihrem Für und Wider politischwertend gegeneinander abwägen“ 252. Diese Heranziehungs-, Aufbereitungs- und Abwägungsgebote versteht Schwerdtfeger als vom Grundgesetz durch Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip vorgegebene verfassungsrechtliche Bindungen. Das demokratische Repräsentationssystem wolle möglichst rationales Einzelhandeln 248 In diesem Sinne etwa Redeker / Karpenstein, NJW 2001, S. 2825 (2827) und Redeker, ZRP 2004, S. 160 (162 f.), die lediglich bei Planungs- und Prognosegesetzen sowie bei Neugliederungsgesetzen von einer verfassungsrechtlichen Begründungspflicht ausgehen. Zu besonderen verfassungsrechtlichen Pflichten des Gesetzgebers im Rahmen der geplanten Kreisstrukturreform in Mecklenburg-Vorpommern LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (391 ff.). 249 Näher Smeddinck, Integrierte Gesetzesproduktion, S. 214 ff; Erbguth, JZ 2008, S. 1038 (1040 ff.); Köck, VerwArch 93 (2002), S. 1 (15 ff.) sowie Mengel, in: Hill, Parlamentarische Steuerungsordnung, S. 115 ff. Ausführlich auch Burghart, Die Pflicht zum guten Gesetz, S. 123 ff. 250 Darauf weist Smeddinck, Integrierte Gesetzesproduktion, S. 214 f. zu Recht hin. 251 Schwerdtfeger, in: Festschrift für Ipsen, S. 173 ff. Ausführlich zu diesem „schon fast klassisch zu nennenden Text“ Smeddinck, Integrierte Gesetzesproduktion, S. 215 ff. 252 Schwerdtfeger, in: Festschrift für Ipsen, S. 173 (178 ff.).
§ 7 Verfassungsrechtlicher Rahmen der Regelungsoptimierung
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sicherstellen, im Übrigen seien die inneren Verfahrensbindungen des Gesetzgebers „auch Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips mit seinen Grundrechten“ 253. Der Pflicht zur vernunftgemäßen Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens komme eine zentrale rechtsstaatliche und demokratische Bedeutung zu. Nur wenn das Gesetzgebungsverfahren so rational wie möglich abgelaufen sei, könne ein auf Grund eines Parlamentsgesetzes legitimierter Grundrechtseingriff verfassungsrechtlich zulässig sein 254. Im Anschluss an die im Planungsrecht entwickelte Abwägungsfehlerlehre, wo Verfahrens- und insbesondere Abwägungsdefizite zur Ungültigkeit einer Rechtsnorm führen können, hält Schwerdtfeger Fehler im inneren Gesetzgebungsverfahren dann für relevant, wenn nicht auszuschließen sei, dass in einem rechtmäßigen Verfahren ein inhaltlich anderes oder kein Gesetz ergangen wäre 255. Relevante Verfahrensverstöße im Gesetzgebungsverfahren führten zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes 256. Aufbauend auf diesen Grundüberlegungen hat Jörg Lücke im Jahre 2001 versucht, aus dem Grundgesetz, insbesondere aus dem Übermaßverbot, eine ungeschriebene „Allgemeine Gesetzgebungsordnung“ herzuleiten. Diese Ordnung weiter zu konkretisieren und auszugestalten, sei eine verfassungsrechtliche Pflicht des einfachen Gesetzgebers 257. Nach Lücke ergeben sich für den Gesetzgeber bestimmte mit Verfassungsrang ausgestaltete formelle Grundpflichten bezüglich einer „guten Gesetzgebung“, zu denen etwa Dauerhaftigkeit, Verständlichkeit und rechtslogische Stringenz von Rechtsnormen gehören sollen. Ebenso wie Schwerdtfeger verlangt Lücke vom Gesetzgeber die sorgfältige Heranziehung und Aufbereitung des einschlägigen Entscheidungsmaterials und eine sorgfältige Abwägung von Entscheidungsalternativen 258. Darüber hinaus soll die Verfassung den Gesetzgeber verpflichten, vor Erlass eines Gesetzes die Rechtslage hinreichend zu erforschen und ein Gesetz ausreichend zu begründen 259. Lücke begründet die Pflicht zur „guten Gesetzgebung“ auch mit dem 1994 in das Grundgesetz eingefügten Art. 76 Abs. 3 Satz 6 GG 260. Die Fehlerfolgen sollen davon abhängig gemacht werden, ob der Gesetzgeber gegen verfassungskonkretisierende Normen der Gesetzgebungsordnung des Grundgesetzes, also die verfassungsimmanenten Grundpflichten des Normgebers oder lediglich gegen verfassungsausgestaltende 253
Schwerdtfeger, in: Festschrift für Ipsen, S. 173 (177 f.). Schwerdtfeger, in: Festschrift für Ipsen, S. 173 (178). 255 Schwerdtfeger, in: Festschrift für Ipsen, S. 173 (178). 256 Schwerdtfeger, in: Festschrift für Ipsen, S. 173 (186 f.). 257 Lücke, ZG 2001, S. 1 (25 ff; 37 ff.). Die schriftliche Niederlegung der Regeln guter Gesetzgebung fordert auch Mengel, in: Hill, Parlamentarische Steuerungsordnung, S. 115 ff. 258 Lücke, ZG 2001, S. 1 (26). 259 Lücke, ZG 2001, S. 1 (49). 260 Vgl. Lücke, ZG 2001, S. 1 (26). Zur diesem Begründungsansatz auch Smeddinck, Integrierte Gesetzesproduktion, S. 216 ff. 254
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2. Kap.: Grundlagen des Reformprozesses
Normen der vom Normgeber selbst geschaffenen Gesetzgebungsordnung verstoßen hat. Jedenfalls Verstöße der ersten Art dürften nicht sanktionslos bleiben 261. c) Stellungnahme Gegen eine verfassungsrechtliche „Aufladung“ prozeduraler Aspekte des Gesetzgebungsverfahrens wird eingewandt, auf diesem Wege würden rechtspolitisch wünschenswerte Elemente einer Gesetzgebungslehre mit verfassungsrechtlichen Erfordernissen unzulässig vermengt. Auch wenn eine rationale Gesetzgebung angesichts des Qualitätsdefizits moderner Gesetzgebung erstrebenswert sei, dürfe doch ein solches Desiderat nicht zur verfassungsrechtlichen Notwendigkeit erklärt werden 262. Über die allgemein konsentierten Anforderungen wie Gesetzgebungskompetenz, Bestimmtheitsgrundsatz, Vorbehalt des Gesetzes, Rückwirkungsbeschränkungen und Zitiergebot ließen sich aus dem Grundgesetz keine zwingenden verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Gesetzgeber ableiten. Verfahrensrationalität sei allenfalls eine Obliegenheit, jedoch keine verfassungsrechtliche Pflicht des Normgebers 263. Jede andere Betrachtungsweise würde den Gesetzgeber über Gebühr in seiner Handlungsfreiheit einschränken 264. Diese Einwände vermögen im Ergebnis nicht zu überzeugen. Der Rechtstaat heutiger Prägung ist immer noch vor allem ein Gesetzesstaat. Trotz der zunehmenden Bedeutung informaler Handlungsformen ist und bleibt das Parlamentsgesetz das zentrale Steuerungsmedium in der Gesellschaft 265. Mit seiner nach wie vor überragenden Bedeutung ist die bisherige defizitäre dogmatische Durchdringung rationaler Gesetzgebung 266, deren Folge der berechtigte und verstärkte Ruf nach besserer Rechtsetzung ist, unvereinbar. „Gute“, d. h. rationale, nachvollziehbare und wirkungsorientierte 267 Gesetzgebung ist mehr als ein unverbindlicher Wunsch, sondern vielmehr eine konsequente verfassungsrechtliche Forderung im „Gesetzesstaat“. Auch ist schwer einsichtig, dass der Bürger zwar im Verwaltungsverfahren auf die Einhaltung rechtsstaatlich-demokratischer 261
Lücke, ZG 2001, S. 1 (43 ff.). Vgl. bereits Schlaich, VVDStRL 39 (1981), S. 99 (109 f.). 263 Messerschmidt, Gesetzgebungsermessen, S. 846 ff. 264 Waldhoff, in: Festschrift für Isensee, S. 325 (330 ff.). 265 Zur Steuerung durch Recht Franzius, in: Grundlagen I, § 4. Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 III Rn. 45 hält das Parlamentsgesetz (nach wie vor) für „eines der wichtigsten Steuerungsinstrumente, die der moderne Staat und seine Verfassung zu vergeben haben“. 266 Nach Karpen, ZRP 2008, S. 234 (235) nimmt die deutsche Lehre von der Gesetzgebungswissenschaft in Europa zwar einen beachteten Platz ein, ist aber keineswegs „überall Spitze“. 267 Zu den Anforderungen an eine wirkungsorientierte Gesetzgebung Kettiger, Verwaltung und Management 2001, S. 226 (227 ff.); Jessen, S. 88 ff. 262
§ 7 Verfassungsrechtlicher Rahmen der Regelungsoptimierung
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Verfahrensgrundsätze vertrauen darf, eine solche Garantie aber durch den Gesetzgeber nicht übernommen wird 268. Auch wenn Optimierungsgebote verfassungsrechtlich nicht überstrapaziert werden sollten 269, ist doch angesichts von „Normenflut“ 270, wachsendem Qualitätsverlust in der Rechtsetzung und dem dadurch bedingten Steuerungsverlustes des Rechts die Entwicklung einer (allerdings ungeschriebenen) 271 „Allgemeinen Gesetzgebungsordnung“ das Gebot der Stunde. Nur durch die Aufwertung verfahrensrechtlicher Prinzipien „guter Gesetzgebung“ kann dem defizitären Stand der rationalen Gesetzgebungslehre im europäischen Rechtsraum und der dadurch verursachten Legitimationskrise gesetzgeberischen Handelns wirkungsvoll begegnet werden. Die Einhaltung gewisser Mindeststandards im Gesetzgebungsverfahren ist auch unverzichtbar, um Überzeugungskraft und Anerkennung von Gesetzen dauerhaft zu gewährleisten 272. Verfassungsrechtlich überprüfbare Optimierungsgebote hinsichtlich der Entscheidungsfindung im Gesetzgebungsverfahren können auch ein wirksames Mittel sein, um der gegenwärtigen Steuerungskrise des Rechts zu begegnen. Der Pflicht zur „guten“ Gesetzgebung Verfassungsrang zuzuerkennen, hat überdies den Vorteil, dass in den letzten Jahren erreichte Fortschritte im Bereich der rationalen Gesetzgebung nicht ohne weiteres zur Disposition gestellt werden können. Der Gesetzgeber ist nach alledem verpflichtet, das bestmögliche Gesetz anzustreben. Der Abwägungsvorgang des Normgebers unterliegt einer verfassungsrechtlichen Kontrolle, welche an den im Planungsrecht entwickelten Maßstäben zu orientieren ist 273. Diese Sichtweise beginnt sich nach und nach auch in der Verfassungsrechtsprechung durchzusetzen. So hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 13. 02. 2008 zur 5%-Klausel im schleswig-holsteinischen Kommunalwahlrecht 274 den gesetzgeberischen Abwägungsvorgang einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen 275. Auch das LVerfG M-V hat die Einhaltung gewisser Standards guter Gesetzgebung wie die Pflicht zur umfassenden Sachverhaltsermittlung und der ergebnisoffenen Alternativenprüfung – wenn auch bereichsspezifisch auf das in das Recht der kommunalen Selbstverwaltung nach Art. 72 LVerf M-V eingreifende VwModG M-V bezogen 276 – ausdrücklich zur verfassungsrechtlichen Pflicht 277 erklärt, deren Verletzung zur Verfassungswid268
Mengel, in: Hill, Parlamentarische Steuerungsordnung, S. 115 (120). Dazu Lerche, in: Festschrift für Stern, S. 197 (204 ff.). 270 Umfangreiches statistisches Material bei Schneider, Gesetzgebung, Rn. 156. Zur grundsätzlichen Problematik von Normenflut und Rechtszersplitterung siehe § 8 C. 271 Dazu sogleich § 7 A I 3 c. 272 Smeddinck, Integrierte Gesetzesproduktion, S. 221. 273 Vgl. Erbguth, JZ 2008, S. 1038 (1042) und Schwertfeger, in: Festschrift für Ipsen, S. 173 (178). 274 BVerfG DÖV 2008, S. 443 (446 ff.). 275 Näher Erbguth, JZ 2008, S. 1038 (1041). 269
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2. Kap.: Grundlagen des Reformprozesses
rigkeit des Gesetzes führe. Aus dem Rechtsstaatsprinzip, den Freiheitsgrundrechten und den Staatszielbestimmungen der Art. 20, 20a GG 278 folgt, dass es kein „freies legislatives Ermessen geben kann; das Ermessen des Gesetzgebers ist vielmehr verfassungsgebunden“ 279. Dem Gesetzgeber obliegt die verfassungsrechtliche Verpflichtung zu einer Optimierung der Gesetzgebung 280. Fraglich kann daher im Ergebnis nicht mehr das „Ob“, sondern allein das „Wie“ einer entsprechenden Verfassungspflicht sein. 2. Aspekte der Pflicht zur guten Gesetzgebung a) Bestimmtheit und Klarheit von Rechtsvorschriften Die Pflicht zur guten Gesetzgebung umfasst zunächst 281 die bereits aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitbare verfassungsrechtliche Pflicht zur Bestimmtheit 282 und Klarheit von Gesetzen 283. Das Recht kann die ihm zukommende Steuerungsaufgabe nur erfüllen, wenn die Rechtsvorschriften die Normadressaten auch erreichen, was insbesondere bei unklaren 284, unbestimmten, missverständlichen, irreführenden oder in sich widersprüchlichen Gesetzen nicht der Fall ist 285. Auch 276
LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (391 ff.). Wenig überzeugend dagegen LVerfG M-V, Urt. v. 26. 06. 2008 – LVerfG 4/07, 21 (abrufbar unter www.landesverfassungsgericht-mv .de)-, wonach die bei der Kreisgebietsreform angelegten rechtlichen Maßstäbe nicht auf die Verlängerung der Wahlperiode übertragbar seien. Gegen diese „rechtsdogmatisch wie rechtspolitisch wenig erfreuliche Entscheidung“ Erbguth, JZ 2008, S. 1038 (1042). 277 Dem Urteil insoweit zustimmend Erbguth, DÖV 2008, S. 152 (155). 278 Erbguth, JZ 2008, S. 1038 (1041). 279 Erbguth, JZ 2008, 1038 (1041). 280 Smeddinck, Integrierte Gesetzesproduktion, S. 221. In diese Richtung auch Köck, VerwArch 93 (2002), S. 1 (19 f.). 281 Der folgende Überblick kann nur exemplarisch sein. Zu den Anforderungen an gute Gesetze im Hinblick auf Erforderlichkeit, Sachangemessenheit, Vollzugstauglichkeit, Verständlichkeit und „handwerkliche Qualität“ vgl. Blum, Gutachten I zum 65. DJT, S. 19 f. Zu den „Kriterien guter Gesetzgebung“ auch Schulze-Fielitz JZ 2004, S. 862 (863) und Bull, DV 2005, S. 285 (302 ff.). Insgesamt 17 „Leitlinien guter Gesetzgebung“ zählt Jessen, S. 92 ff. auf. Eine Vielzahl von Vorschlägen machen auch Fliedner, Gute Gesetzgebung, S. 31 ff. und Burghart, S. 124 ff. 282 Das vom Bundesverfassungsgericht bereits früh betonte Gebot der Normenklarheit und Normenbestimmtheit – vgl. etwa BVerfGE 1, 16 (45); 5, 25 (31); 21, 73 (79); 25, 213 (227) – erfordert, dass die von der gesetzlichen Regelung Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten darauf einrichten können. Näher Hill, Einführung, S. 106 sowie Schneider, Gesetzgebung, Rn. 66 ff. 283 Einzelheiten bei Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, S. 515. 284 Zu Blankettvorschriften Schneider, Gesetzgebung, Rn. 76 ff., der zudem Tatbestandsbeschreibungen „in mehreren Alternativen, mit Ausnahmen unter allerlei Voraussetzungen und Ausnahmen von den Ausnahmen“ als Beispiel für den „Niedergang der Gesetzgebungskunst“ anführt.
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das Bemühen um eine verständliche Gesetzessprache gehört zu den verfassungsrechtlichen Pflichten des Gesetzgebers 286. Der Bestimmtheitsgrundsatz verlangt vom Gesetzgeber, gesetzliche Tatbestände so präzise zu formulieren, dass der Normadressat sein Handeln kalkulieren kann, weil die Folgen der Regelung für ihn vorhersehbar und berechenbar sind 287. Das davon zu unterscheidende verfassungsrechtliche Gebot der Klarheit von Gesetzen fordert, dass der Normadressat den Inhalt der rechtlichen Regelung auch ohne spezielle Kenntnisse mit hinreichender Sicherheit feststellen kann 288. Einzelaspekte des Gebots der Normenklarheit sind Verständlichkeit, Widerspruchsfreiheit und Praktikabilität gesetzlicher Vorschriften 289. Auch die Gebote der Kompetenzklarheit und der eindeutigen Verweisungen 290 lassen sich als Konkretisierungen des Normenklarheitsverbots verstehen. b) Sachgemäßheit, Widerspruchsfreiheit, Folgerichtigkeit und Publizität von Gesetzen Auch die Prinzipien der Sachgemäßheit, Systemgerechtigkeit, Folgerichtigkeit und Verhältnismäßigkeit 291 sind Mindestanforderungen, welche das Rechtsstaatsprinzip an die Normgestaltung stellt 292. Der allgemeine Geltungsanspruch 285
Vgl. Hill, Einführung, S. 106; Fliedner, Gute Gesetzgebung, S. 22 ff. Umfassend zur Problematik Lerch, Recht verstehen, 2004. In Deutschland ist die Sprachprüfung im Gesetzgebungsverfahren bisher defizitär. Näher Schröder / Würdemann, ZRP 2007, S. 231 ff. 287 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 128 ff. sowie Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 III Rn. 289 ff. Der Grad der Bestimmtheitsanforderungen ist von den jeweiligen sachlichen Eigenarten des Regelungsgegenstandes abhängig, der Gesetzgeber ist verpflichtet, Rechtsvorschriften „so genau zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist“. Näher BVerfGE 49, 168 (181); 59, 104 (114); 87, 234 (263); 93, 213 (238); 102, 347 (361). Das Bestimmtheitsgebot schließt die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln nicht aus. Die Anforderungen an die Bestimmtheit gesetzlicher Regelungen steigen mit der Grundrechtsrelevanz der gesetzlichen Regelung. Vgl. dazu BVerfGE 93, 213 (238); 109, 133 (188); 110, 33 (55). 288 BVerfGE 5, 25 (31 f.); 8, 274 (302); 22, 330 (346) – „Normenklarheit“ – und BVerfGE 107, 218 (256); 108, 1 (20) – „Normenwahrheit“–. 289 Ausführlich Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 141 ff. 290 Nach BVerfGE 92, 191 (197 f.) sind Verweisungen auch bei Eingriffsgesetzen grundsätzlich zulässig, allerdings dürfen diese bei der Ermächtigung zu schwer wiegenden Grundrechtseingriffen nicht so zahlreich und regelungstechnisch unklar sein, dass sie zu hohen Fehlerrisiken bei der Rechtsanwendung führen; vgl. BVerfGE 110, 33 (57 ff; 64 ff.). Auch dynamische Verweisungen hält die Rechtsprechung für zulässig; vgl. BVerfGE 60, 135 (155); 64, 208 (215); 73, 261 (272 f.). Differenzierend dagegen Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 III Rn. 290. 291 Näher Schneider, Gesetzgebung, Rn. 64 f. 286
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des Gesetzes fordert darüber hinaus, dass diese „inhaltlich nicht fundamentalen Prinzipien der Idee der Gerechtigkeit widersprechen dürfen“ 293. Zu den bei jeder Gesetzgebung zu beachtenden tragenden verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien zählt das BVerfG seit zwei grundlegenden Entscheidungen aus dem Jahre 1998 294 auch den Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung 295. Dieses eng mit der Einheit der Rechtsordnung verknüpfte Prinzip wurde am Beispiel umweltrechtlicher Lenkungsangaben entwickelt, wobei nicht eine einzelne Rechtsvorschrift oder ein Gesetz, sondern die Widerspruchsfreiheit des Rechtssystems als Ganzes in den Blick genommen wird. Das – in der rechtswissenschaftlichen Literatur kontrovers diskutierte 296 – Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung leitet das BVerfG aus dem Rechtstaatsprinzip und dem Bundesstaatsprinzip ab, welches „alle rechtsetzenden Organe des Bundes und der Länder“ verpflichte, „Regelungen jeweils so aufeinander abzustimmen, dass den Normadressaten nicht gegenläufige Regelungen erreichen, die die Rechtsordnung widersprüchlich machen. Welche der einen Widerspruch begründenden Regelungen zu weichen hat, bestimmt sich grundsätzlich nach dem Rang, der Zeitenfolge und der Spezialität der Regelungen“ 297. Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit diszipliniert die Rechtsetzungsorgane im Hinblick auf die Beachtung der „Einheit der Rechtsordnung“ 298 und leistet so einen wichtigen Beitrag, durch „Hypertrophie und Zersplitterung der Normgebung“ 299 herbeigeführte kompetenzielle und materielle Widersprüche zu vermeiden. Nur bei Einhaltung dieses Prinzips kann verhindert werden, dass durch kaum mehr überschaubares und widersprüchliches Recht die ordnende und befriedende Funktion des Rechts verloren geht 300. Die vom BVerfG für das Verhältnis von Bundes- und Landesrecht aufgestellten Regeln zur Widerspruchsfreiheit 301 gelten auch für Rechtsbereiche, die nur durch einen Normgeber geregelt werden. Alle Rechtsetzungsorgane trifft 292
Zu diesen Mindestanforderungen Schneider, Gesetzgebung, Rn. 54 ff. BVerfGE 54, 67 (68). 294 BVerfGE 98, 83 ff. (Landesabfallabgabengesetze) und BVerfGE 98, 106 ff. (Kommunale Verpackungssteuer). Aus jüngerer Zeit vgl. BVerfGE 108, 169 (181f.) und BVerwGE 110, 248 (249 ff.). 295 Zur verfassungsrechtlichen Herleitung des Prinzips Sodan, JZ 1999, S. 864 ff; Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 239 f; Jarass, AÖR 126 (2001), S. 588 (591 ff.). 296 Zustimmend Sodan, JZ 1999, S. 864 ff; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 III Rn. 298 f. Ablehnend etwa Sendler, NJW 1998, S. 2875 (2876 f.); Schmidt / Diederichsen, JZ 1999, S. 37 (41); Lege, Jura 1999, S. 125 ff; Jarass, AÖR 126 (2001), S. 588 (599 ff). 297 BVerfGE 98, 106 (118 f.). 298 Erstmals entwickelt von Karl Engisch in seiner Heidelberger Antrittsvorlesung „Die Einheit der Rechtsordnung“ von 1935. 299 Sodan, JZ 1999, S. 864. 300 Sodan, JZ 1999, S. 864 (866 ff.). 293
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daher eine umfassende verfassungsrechtliche Prüfungspflicht, ob sich neu geschaffene oder geänderte Rechtsvorschriften in das bestehende Normengeflecht von supranationalem Recht, Bundes- sowie Landesrecht widerspruchsfrei einfügen. Die zu erlassende Norm darf weder Zielen noch verhaltenssteuernden Effekten bestehender Vorschriften zuwiderlaufen. Erscheint eine Neuregelung notwendig, muss insbesondere überlegt werden, ob nicht eine die betroffenen Normen einbeziehende Rechtsvereinfachung und ggf. -harmonierung vorgenommen werden kann 302. Sichergestellt werden kann diese Verfassungspflicht durch entsprechende Regelungen in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien 303 bzw. den entsprechenden Länderregelungen, wo die Prüfung der Widerspruchsfreiheit zu anderen Regelungen zum obligatorischen Prüfprogramm bei Gesetzesvorlagen gemacht werden sollte 304. Mit dem Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung eng verbunden ist auch das Prinzip der Folgerichtigkeit 305. Nach diesem früher mit leicht nuancierter Bedeutung als Systemgerechtigkeit bezeichneten 306 Grundsatz ist der Gesetzgeber verpflichtet, Sachverhalte in sich konsistent (folgerichtig) zu regeln. Folgerichtigkeit fordert logische Konsequenz bei der Einfügung eines Rechtssatzes in das jeweilige Teilrechtsgebiet und in die Gesamtrechtsordnung 307. Paul Kirchhof formuliert dies wie folgt: „In einem rechtlich geordneten Gemeinwesen verlangt der Gleichheitsgrundsatz, dass jede Regel auf ihr rechtliches Umfeld abgestimmt ist, sie den Widerspruch zu ihren rechtlichen Vorgaben vermeidet und vorgegebene Rechtsgedanken weiterführt“ 308. Allerdings darf das Prinzip der Folgerichtigkeit nicht als Instrument der Innovationshemmung oder gar -verhinderung missbraucht werden 309 und nicht zur „Verkrustung der Gesellschaftsordnung“ 310 bzw. „rechtspolitischem Räsonnement“ 311 führen. Das Gebot 301
Vgl. BVerfGE 98, 106 (118 f.), wo eine auf Art. 105 Abs. 2a GG gestützte kommunale Verpackungssteuer mit dem vom Bundesgesetzgeber auf Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG im Abfallrecht verfolgten Kooperationsprinzip der Verpackungsverordnung für unvereinbar erklärt wurde. 302 Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 III GG Rn. 299. 303 In der Fassung der Bekanntmachung vom 09. 08. 2000; GMBl. 2000, S. 526, geändert durch Bekanntmachung vom 13. 11. 2006; GMBl. 2006, S. 1133 und durch Beschluss vom 27. 05. 2009 (GMBl, S. 690). 304 Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 III GG Rn. 299, schlägt eine Erweiterung des Begründungskatalogs des § 43 GGO oder eine erweiterte Prüfung nach § 46 GGO vor. 305 P. Kirchhof, HdbStR, Band 5, 1. Aufl. 1992, § 124 Rn. 222 ff. 306 Vgl. Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 3 Rn. 44 ff. Zur Entwicklung des Gedankens in Rechtsprechung und Literatur Battis, in: Festschrift für Ipsen, S. 11 ff. 307 P. Kirchhof, HdbStR, Band 5, 1. Aufl. 1992, § 124 Rn. 222. 308 P. Kirchhof, HdbStR, Band 5, 1. Aufl. 1992, § 124 Rn. 223. 309 Vgl. BVerfGE 59, 36 (49); 76, 130 (139 f.). 310 Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG I, Art. 3 Rn. 45.
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der Folgerichtigkeit kann daher nicht nur das hinzutretende, sondern ebenso das vorgefundene Recht in Frage stellen 312 und hindert den Gesetzgeber nicht daran, seine Vernünftigkeitskriterien angesichts veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen neu auszurichten und bereits bewertete Sachverhalte neu oder anders zu bewerten 313. Disziplinierende Wirkung hat das Gebot der Folgerichtigkeit aber insoweit, als Durchbrechungen oder Abweichungen von einem bisher oder sonst verfolgten Prinzip zwar nicht zwingend zur Verfassungswidrigkeit führen 314, immerhin aber einer besonderen Rechtfertigung bedürfen 315. Jedenfalls Widersprüchlichkeiten, die nach dem Regelungsziel und seinem normativen Umfeld wider die Ordnungsstruktur des Sach- und Rechtsbereichs und die Billigkeit stehen, führen zur Verfassungswidrigkeit einer entsprechenden Regelung 316. Die schwierige Grenzziehung zwischen bloßem gesetzlichen Kodifikationsmangel und einer Verfassungswidrigkeit wegen fehlender Folgerichtigkeit könnte der Gesetzgeber wesentlich durch geschlossene Kodifikationen einzelner Teilrechtsgebiete erleichtern, in denen er die Grundgedanken seiner Regelungen im Gesetz zum Ausdruck bringt 317. Aus den Verfassungsgeboten der Bestimmtheit und Klarheit folgt deshalb ein Verfassungsauftrag, einzelne Teilrechtsgebiete übersichtlich, klar und für den Normadressaten verständlich zu strukturieren 318. Verlässliches, überschaubares Recht zu schaffen, aus dessen durch das Publizitätserfordernis vermittelten 319 Kenntnis sich die Vorhersehbarkeit von Einzelentscheidungen ergibt, ist die verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers 320. Zahlreiche Gebiete des Besonderen Verwaltungsrechts, etwa das Steuerrecht, aber auch Teile des Sozial- und Umweltrechts, erfüllen diese 311
Battis, in: Festschrift für Ipsen, S. 11 (28). P. Kirchhof, HdbStR, Band 5, 1. Auflage 1992, § 124 Rn. 223. 313 BVerfGE 60, 16 (42 f.); Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG I, Art. 3 Rn. 45 m.w. N. 314 Vgl. BVerfGE 81, 156 (207): „Systemwidrigkeit stellt für sich allein ohnehin noch keinen Gleichheitsverstoß dar; sie kann ihn allenfalls indizieren.“ Ebenso Battis, in: Festschrift für Ipsen, S. 11, 26 ff. Anders Canaris, Systemdenken, S. 128: „In der Regel wird (jedoch) bei einem Systembruch ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz gegeben sein“. 315 BVerfGE 18, 366 (372); 34, 103 (115); P. Kirchhof, HdbStR, Band 5, 1. Aufl. 1992, § 124 Rn. 231. 316 P. Kirchhof, in: HdbStR, Band 5, 1. Aufl. 1992, § 124 Rn. 232. 317 Nach P. Kirchhof, HdbStR, Band 5, 1. Aufl. 1992, § 124 Rn. 233 drängt Gleichheitspolitik auf Kodifikation, woraus ein entsprechender Auftrag im Arbeits-, Sozial-, Umwelt- und Steuerrecht folge. 318 Zur Pflicht, klare, stimmige und übersichtliche Gesetze zu schaffen, in denen die Zahl der Rechtsinstitute auf ein Minimum reduziert bleibt, Burghart, S. 115. 319 Aus dem Publizitätsprinzip folgt angesichts der zunehmenden Komplexität der Rechtsordnung auch die Verpflichtung des Staates, dem Bürger den Zugang zum geltenden Normenbestand weiter zu erleichtern sowie durch Auskünfte eine zuverlässige Orientierung des Bürgers zu ermöglichen. Ausführlich Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG II, Art. 20 III Rn. 303. 312
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Kriterien nicht. Die Kodifikation des Umweltrechts ist daher – trotz ihres abermaligen Scheiterns Anfang des Jahres 2009 – weiterhin eine verfassungsrechtlich legitimierte Forderung 321. c) Pflicht zur rationalen Gesetzgebung Darüber hinaus hat der Gesetzgeber verschiedene Kriterien einer rationalen Entscheidungsfindung zu beachten. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang, ob aus Gründen der Rechtssicherheit und um das Leerlaufen der verfassungsrechtlichen Grundpflichten in Bezug auf das Gesetzgebungsverfahren zu verhindern 322 sogar die ausdrückliche Normierung einer Allgemeinen Gesetzgebungslehre verfassungsrechtlich erforderlich oder jedenfalls rechtspolitisch empfehlenswert ist 323. Die Überfälligkeit einer solchen „Prozessordnung des inneren Gesetzgebungsverfahrens“ 324 folgt für ihre Befürworter bereits daraus, dass nur ein Bruchteil der Gesetze überhaupt zur Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts gelange. Umso dringlicher sei es, dass der Bürger darauf vertrauen könne, dass auch alle nicht „nachkontrollierten“ Gesetze zumindest in einem gewissen Mindestanforderungen genügenden rechtsstaatlichen und demokratischen Verfahren zu Stande gekommen seien 325. Schon aus Gründen der Deregulierung empfiehlt es sich aber, auf die Schaffung eines solchen „Gesetzes zur guten Gesetzgebung“ zu verzichten. Entsprechende Vorschläge im Rahmen der Diskussion um die sog. „Föderalismusreform II“ wurden daher auch nicht weiterverfolgt 326. Allemal wichtiger als die abstrakte gesetzliche Festlegung von Kriterien guter Gesetzgebung ist es, geeignete Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, das Aspekte einer guten Gesetzgebung tatsächlich zum Zuge kommen 327. Häufig ist nicht fehlender Wille, sondern schlicht 320
Sendler, in: Festschrift für Stern, S. 297 (313 f.). Danach ist die durch fehlende Rationalität und Unkalkulierbarkeit des Rechts ausgelöste Akzeptanzkrise eines der Hauptdefizite des gegenwärtigen Rechtsstaats und führt zu einer „Erosion des Rechtsbewusstseins“. 321 Zum erneuten Scheitern des Projekts Umweltgesetzbuch auf Bundesebene unten § 20 A IV 1. Zur Kodifikationsmöglichkeit des Umweltrechts in Mecklenburg-Vorpommern § 20 A IV 2. 322 Smeddinck, Integrierte Gesetzesproduktion, S. 222 f. 323 Näher Smeddinck, Integrierte Gesetzesproduktion, S. 221 f., der von einer Pflicht zur „Regulierung der Regulierung“ spricht, Für eine verfassungsrechtliche Normierungspflicht auch Lücke, ZG 2001, S. 1 (38) und Mengel, in: Hill, Parlamentarische Steuerungsordnung, S. 115 (122 ff.). 324 Mengel, in: Hill, Parlamentarische Steuerungsordnung, S. 115 (118). 325 Mengel, in: Hill, Parlamentarische Steuerungsordnung, S. 115 (118). 326 Der vom Thüringer Justizministerium im Rahmen der Beratungen vorgelegte Entwurf eines „Gesetzes über die Grundsätze für Gesetzgebung und Normsetzung des Bundes fand keine Zustimmung.
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der im Gesetzgebungsverfahren bestehende Zeitdruck der „größte Feind besserer Gesetzgebung“ 328. Im Einzelnen umfasst die Pflicht zur rationalen Gesetzgebung folgende Gesichtspunkte: Bei Eingriffen muss der Gesetzgeber alle zumutbaren Anstrengungen der Diagnose und Prognose nutzen und alle erreichbaren Materialien auswerten 329. Geboten ist darüber hinaus die Beobachtung in Kraft getretener Gesetze im Hinblick auf veränderte gesellschaftliche oder wissenschaftliche Erkenntnisse 330. Allerdings lässt sich hieraus keine generelle verfassungsrechtliche Pflicht herleiten, gesetzliche Evaluations- und Revisionsklauseln zu schaffen, zumal die Rechtsprechung des BVerfG zur Beobachtungspflicht von einer deutlichen Zurückhaltung gekennzeichnet ist 331. Bei neuartigen Regelungen oder solchen mit weit reichenden Auswirkungen ist deren Einsatz gleichwohl ein sinnvolles Instrument einer retrospektiven Gesetzesfolgenabschätzung 332. Ergibt sich, dass bestehende gesetzliche Vorschriften vor dem Hintergrund veränderter Wirklichkeit keinen Bestand mehr haben können, ist der Gesetzgeber zur Nachbesserung der defizitären Regelungen verpflichtet 333. Im Interesse der Normenklarheit sind deshalb überflüssige Regelungen aufzuheben. Die verfassungsrechtliche Kontrolle der Nachbesserungspflicht ist allerdings auf evidente Schutzpflichtverletzungen zu beschränken 334. So ist nicht jede verspätete oder unterlassene Aufhebung einer überflüssigen Vorschrift verfassungsrechtlich zu beanstanden, wenn auch der Gesetzgeber verpflichtet ist, das Geschäft der Rechtsbereinigung planmäßig, kontinuierlich und methodisch strukturiert zu betreiben. Dass sowohl der Bundes- als auch die Landesgesetzgeber diese Verantwortung mittlerweile ernst nehmen, zeigt die Institutionalisierung der Normprüfung und die Vielzahl der in den letzten Jahren durchgeführten Rechtsbereinigungsmaßnahmen 335. Auch eine verfassungsrechtliche Begründungspflicht parlamentarischer Entscheidungen ergibt sich – entgegen der bisher herrschenden Lehre 336 – bereits aus dem Grundsatz der Offenheit staatlicher Tätigkeit, dem Grundsatz der Selbstkontrolle 327 Näher Schulze-Fielitz, JZ 2004, S. 862 (863); Blum, Gutachten I zum 65. DJT, S. 29 ff. 328 Schulze-Fielitz, JZ 2004, S. 862 (864). 329 Vgl. etwa BVerfGE 50, 290 (334). 330 So zuletzt BVerfG, NJW 2009, S. 2033 ff – Private Krankenversicherung. Umfassend zur Beobachtungspflicht des Gesetzgebers Nagel, DÖV 2010, S. 268 ff. 331 Kritisch Nagel, DÖV 2010, S. 268 (269 ff; 275), wonach das BVerfG „nicht beim gegenwärtigen Pauschalhinweis auf eine unterbestimmte Beobachtungspflicht verharren“ sollte. 332 Zu Möglichkeiten und Grenzen gesetzlicher Evaluations- und Revisionsklauseln Schulze-Fielitz, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem, Innovation, S. 139 (164 f.). 333 Vgl. BVerfGE 16, 147 (188); 49, 89 (130 ff.); 50, 290 (335); 59, 191 (227); 73, 118 (169, 180). 334 Näher BVerfGE 56, 54 (80 f.). 335 Vgl. § 8 C V 2 sowie § 18 B und C.
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und der Ermöglichung von Fremdkontrolle 337. Im Hinblick auf die Effektivität einer rechtlichen Normenkontrolle wird man vom Gesetzgeber zumindest jenes Mindestmaß an Begründung verlangen müssen, ohne welches eine Überprüfung etwa der Verhältnismäßigkeit oder der Gleichbehandlung nicht möglich ist 338. Stehen aussagekräftige Materialien zum Gesetzgebungsverfahren nicht zur Verfügung, kann eine historische und teleologische Auslegung von Gesetzen nicht sinnvoll stattfinden und letztlich effektiver Rechtsschutz im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG nicht gewährleistet werden 339. Die Legislative ist schließlich auch verpflichtet, ein übersichtliches, für den Normadressaten verständliches und nicht überkompliziertes Rechtssystem zu schaffen. Deshalb ist der Gesetzgeber aufgefordert, das bestehende Rechtssystem permanent, systematisch und nicht nur punktuell auf Optimierungspotenziale zu untersuchen. Die auf Bundes- und Landesebene seit einiger Zeit entfalteten Aktivitäten in den Bereichen Rechtsoptimierung setzen deshalb eine verfassungsrechtliche Verpflichtung um und stehen nicht zur beliebigen Disposition. Staats- und Verwaltungsreform muss kontinuierlich, stetig und prozesshaft betrieben werden, was die Pflicht von Legislative und Exekutive einschließt, „moderne“ Instrumente der Gesetzgebung wie beispielsweise Gesetzesfolgenabschätzung, experimentelle Gesetzgebung oder die generelle Befristung von Rechtsvorschriften jedenfalls zur Kenntnis zu nehmen und auf ihre Tauglichkeit für die Regelungsoptimierung zu untersuchen. Dies führt allerdings nicht dazu, dass eine Verpflichtung bestünde, all diese Instrumente auch tatsächlich anzuwenden. Über deren tatsächlichen Einsatz hat weiterhin die politische Leitungsebene zu entscheiden, was der Politik den erforderlichen Handlungsspielraum sichert. So besteht beispielsweise keine verfassungsrechtliche Pflicht zur Durchführung einer wissenschaftlichen Gesetzesfolgenabschätzung (GFA) 340 oder zum Einsatz experimenteller Gesetzgebung im Verwaltungsreformprozess. Werden entsprechende Instrumente allerdings eingesetzt, folgt aus der Beobachtungs- und Nach336 Waldhoff, in: Festschrift für Isensee, 2007, S. 325 (335 f.); Schulze-Fielitz, JZ 2004, S. 862 (867) – „kein Königsweg zu besserer Gesetzgebung“–; Schneider, Gesetzgebung, Rn. 130; Schlaich / Korioth, Rn. 530 f. Hebeler, DÖV 2010, S. 754 (762), wonach die Begründungspflicht des Gesetzgebers „allenfalls verfassungs- und rechtspolitisches Desiderat“ ist. 337 Lücke, Begründungszwang, S. 111. Aus Art. 72 Abs. 2 GG folgert Schneider, ZG 2004, S. 105 (109) eine Begründungspflicht jedenfalls für Bundesgesetze im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung. Für eine verfassungsrechtliche Begründungspflicht auch Smeddinck, Integrierte Gesetzesproduktion, S. 226 ff. sowie Erbguth, JZ 2008, S. 1038 (1041). 338 In diesem (zurückhaltenden) Sinne etwa Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 201. Vgl. auch BVerfGE 85, 36 (57 ff.). Zu bereichsspezifischen Begründungspflichten Hebeler, DÖV 2010, S. 754 (756 ff.). 339 Lücke, ZG 2001, S. 1 (32); Smeddinck, Integrierte Gesetzesproduktion, S. 230. 340 Köck, VerwArch 93 (2002), S. 1 (20).
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2. Kap.: Grundlagen des Reformprozesses
besserungspflicht des Gesetzgebers eine Obliegenheit zur methodisch korrekten Begleitung entsprechender Initiativen, was beispielsweise eine Evaluierung und Defizitanalyse erforderlich macht. Dagegen wird man den Gesetzgeber nicht von Verfassung wegen für verpflichtet halten können, aus dieser Analyse bestimmte Konsequenzen zu ziehen. Erst recht besteht kein subjektiv-öffentliches Recht auf Ergreifung bestimmter Reformmaßnahmen. Will der Gesetzgeber seiner verfassungsrechtlichen Prüfungspflicht Genüge tun, so mag er – wie in MecklenburgVorpommern geschehen – eine ressortübergreifende Normprüfungsstelle einrichten und diese mit weit reichenden Kompetenzen ausstatten 341, Modellprojekte zur Gesetzesfolgenabschätzung fördern und begleiten oder sich – im Rahmen der sogleich näher zu betrachtenden verfassungsrechtlichen Grenzen – des Instruments der experimentellen Gesetzgebung bedienen 342. Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, besteht indes nicht. II. Verfassungsrechtliche Möglichkeiten und Grenzen experimenteller Gesetzgebung Experimentelle Gesetzgebung spielt im aktuellen Verwaltungsreformprozess eine zentrale Rolle. Räumliche und zeitliche Befristungen gesetzlicher Regelungen, Experimentierklauseln, die Einrichtung von Test- oder Modellregionen für Bürokratieabbau und die „Entdeckung“ des Reforminstruments der Gesetzesevaluation sind sichtbare Anzeichen dafür, dass die erprobende Gesetzgebung derzeit en vogue ist 343. Nachfolgend soll deshalb der Begriff der experimentellen Gesetzgebung geklärt, ihre historische Entwicklung nachgezeichnet sowie die verstärkte Inanspruchnahme dieses Reforminstruments auf Bundes- und Landesebene nachgewiesen werden. Abschließend wird die verfassungsrechtliche Zulässigkeit experimenteller Gesetzgebung im Allgemeinen und von Experimentier- bzw. Standardöffnungsklauseln sowie der generellen Befristung von Rechtsvorschriften im Besonderen untersucht. 1. Begriff der experimentellen Gesetzgebung Nach dem Wortsinn ist experimentelle Gesetzgebung eine solche, die eine Erprobung bzw. einen Versuch zum Gegenstand hat, um Erfahrungen zu gewinnen 344. Zunächst ist allerdings jedes Gesetz zukunftsgerichtet und deshalb mit Unsicherheiten und Prognosen verbunden. Insofern kann jedes Gesetz als 341
Ausführlich § 18 B. Siehe sogleich § 7 A II. 343 Speziell zur experimentellen Rechtsetzung durch Rechtsverordnung am Beispiel des Hochschulrechts Lindner, DÖV 2007, S. 1003 (1005 ff.). 344 Grundlegend Horn, Experimentelle Gesetzgebung, S. 24, der allerdings den Begriff „erprobende Gesetzgebung“ für präziser hält. 342
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Experiment verstanden und als Test genutzt werden 345. Zur weiteren Arbeit mit der spezifischen Kategorie des Experimentiergesetzes 346 bedarf es deshalb einer engeren Begriffsbestimmung. Charakteristisch für eine experimentelle Gesetzgebung ist ihre Vorläufigkeit, die Ausdruck und Symptom fehlender oder nicht ausreichender Entscheidungsgrundlagen des Gesetzgebers ist 347 und diesen zum Erlass zeitlich und / oder sachlich bzw. räumlich begrenzter Erprobungsregelungen veranlasst. Experimentelle Gesetzgebung kommt zum Einsatz, wenn sich der Normgeber bei erkanntem Regelungsbedarf noch nicht über die endgültig zu treffende Regelung im Klaren ist, weil er die zu berücksichtigenden Rechtstatsachen oder die Auswirkungen seiner ins Auge gefassten Regelung noch nicht hinreichend verlässlich abzuschätzen vermag 348. Sie dient vor allem dem Sammeln von Erfahrungen mit vorläufig verbindlichen legislativen gesetzlichen Maßnahmen vor deren Umsetzung in eine endgültige gesetzliche Regelung 349. Nach einem Diktum Hermann Hills sind Experimentiergesetze Gesetze auf Zeit, die „nicht nur ungewollt oder unerkannt, sondern offen den Charakter der Vorläufigkeit auf der Stirn tragen“ 350. Kennzeichnend ist darüber hinaus, dass in Experimentiergesetzen regelmäßig besondere Evaluationsvorkehrungen – etwa durch Evaluationsgebote 351, die Einsetzung entsprechender Gremien oder bloße Berichtspflichten – getroffen werden. Typisch für solche Gesetze ist schließlich die Absicherung der Lernbereitschaft und -fähigkeit der Akteure. Regel345
Siehe Noll, Gesetzgebungslehre, S. 76. Der Begriff des Experimentiergesetzes hat sich in der Rechtspraxis weitgehend durchgesetzt und wird daher der von Hoffmann-Riem, in: Festschrift für Thieme, S. 55 ff. verwendeten Bezeichnung „Experimentalgesetz“ vorgezogen. Vgl. dazu Freund, Experimentierklauseln, S. 16 f. sowie aus der Gesetzgebungspraxis Landtag M-V, LTDrs 3/730, S. 8; LTDrs 3/119, S. 8. 347 Horn, Experimentelle Gesetzgebung. S. 26 f; Hill, Einführung, S. 36. 348 Exemplarisch Landtag M-V, LTDrs 4/2161, S. 16 zu § 13b AGGStrG M-V. Die bis zum 31. 12. 2008 befristete Erprobungsphase diente der Sammlung und Auswertung empirischen Materials. Vgl. auch LTDrs 4/1477, S. 8 zu § 13a AGGStrG M-V: Im Interesse des beschleunigten Inkrafttretens konnten keine umfangreichen statistischen Erhebungen durchgeführt werden. 349 Freund, Experimentierklauseln, S. 16. Die vorläufige Verbindlichkeit unterscheidet die experimentelle Gesetzgebung von Experimenten, zu denen etwa Modellversuche, Planspiele oder Praxistests gehören. Diese werden regelmäßig im Vorfeld des Inkrafttretens von gesetzlichen Regelungen durchgeführt und entfalten daher keine Außenwirkung. 350 Hill, DÖV 1981, S. 487 (490 f.). 351 Die Evaluationsgebote beschränken sich allerdings häufig bloße Absichtserklärungen. So sollten die Auswirkungen der bereichsspezifischen (zunächst) bis 31. 12. 2008 befristeten Erprobung der Option einer sofortigen Klagemöglichkeit ohne Vorverfahren nach § 13a AGGStrG M-V nach Landtag M-V, LTDrs 4/1477, S. 8 „zu gegebener Zeit“ bewertet werden. Bezüglich § 13b AGGStrG M-V wurde in LTDrs 4/2161 immerhin versprochen, „auf der Grundlage des während der Erprobungsphase gewonnenen Datenmaterials ... zu entscheiden, in welchen Bereichen das Vorverfahren dauerhaft entfallen kann oder beizubehalten ist“. 346
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mäßig wird dies durch entsprechende Absichtserklärungen dokumentiert, auf der Grundlage der während der Experimentierphase gewonnenen Einsichten das Gesetz gegebenenfalls zu modifizieren oder auslaufen zu lassen 352. In Anlehnung an Wolfgang Hoffmann-Riem 353 werden im Folgenden nur solche Vorschriften zur experimentellen Gesetzgebung gezählt, welche ihren Experimentalcharakter förmlich hervorheben. Dies kann entweder durch eine entsprechende Bezeichnung im Gesetzestext oder in der Gesetzesbegründung geschehen. So folgt der Experimentiercharakter des Gesetzes über die Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg (TestRegG) 354 bereits aus der Gesetzesbezeichnung. Der Erprobungszweck des Gesetzes folgt zudem aus § 1 TestRegG, wonach in den Landkreisen Ludwigslust, Nordwestmecklenburg und Parchim sowie den kreisfreien Städten Landeshauptstadt Schwerin und Hansestadt Wismar (Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg) Maßnahmen der Deregulierung, des Bürokratieabbaus und der Verwaltungsvereinfachung in einem begrenzten Zeitraum erprobt werden. Auch der Testcharakter des § 42a KV M-V („Weiterentwicklung der kommunalen Selbstverwaltung, Erprobung neuer Steuerungsmodelle“) kommt bereits in seiner Überschrift zum Ausdruck. Dass es sich beim StÖffG M-V vom 17. 09. 2000 355 um ein Experimentiergesetz handelte, ergibt sich dagegen erst aus den Gesetzesmaterialien 356. Noch vor einigen Jahren konnten solche Gesetze zudem an der für Normen damals gänzlich unüblichen Befristung erkannt werden 357. Mittlerweile ist die Befristung neuer Gesetze vielfach allerdings zum (bedauerlichen) 358 Regelfall geworden, so dass sich allein hieraus nicht mehr der Experimentalcharakter eines Gesetzes erkennen lässt 359.
352 353 354 355
492.
356
Hoffmann-Riem, in: Festschrift für Thieme, 1993, S. 55 (56). Hoffmann-Riem, in: Festschrift für Thieme, 1993, S. 55 (56). Vom 25. 10. 2005, GVOBl. M-V, 535. Näher unten § 16 C I 1. Gesetz zur Öffnung von Standards für kommunale Körperschaften; GVOBl. M-V,
Vgl. Landtag M-V, LTDrs 3/730, S. 8; LTDrs 3/119, S. 8. Hoffmann-Riem, in: Festschrift für Thieme, 1993, S. 55 (56) hebt Befristungen daher noch ausdrücklich als Zeichen des Experimentalcharakters hervor. 358 Zur grundsätzlichen Problematik der generellen Befristung von Gesetzen sogleich unten § 7 A II 8. 359 So waren §§ 13a und b AGGStrG M-V zunächst bis zum 31. 12. 2008 befristet (näher § 9 F III 3), dass dies aber Ausdruck des Experimentalcharakters dieser Normen ist, wird nur aus den Gesetzesmaterialien deutlich. Vgl. Landtag M-V, LTDrs 4/1477, S. 8 und 11; LTDrs 4/2161, S. 16 und 19. 357
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2. Formen experimenteller Gesetzgebung – Experimentiergesetze und Experimentierklauseln Erscheinungsformen experimenteller Gesetzgebung sind Experimentiergesetze und Experimentierklauseln (Erprobungsklauseln) 360. Während Experimentiergesetze – wenn auch vorläufig, teilweise zudem sachlich bzw. räumlich beschränkt – eine rechtlich verbindliche Regelung für den Normadressaten enthalten, gehen Experimentierklauseln (Erprobungsklauseln) einen anderen Weg. Zwar wurzeln auch diese in Entscheidungsunsicherheiten des Gesetzgebers; jener eröffnet allerdings dem Normadressaten, in der Regel der Exekutive, parallel zum ansonsten geltenden Recht für die Dauer einer bestimmten Frist Möglichkeiten für eine Alternativregelung. Gestattet mithin das Experimentiergesetz ein Experiment durch und mit dem Gesetz, lassen Experimentierklauseln das Experiment auf Grund eines Gesetzes zu 361. Experimentierklauseln können somit als „Modifizierung geltenden Rechts mittels der vom Gesetzgeber vorgenommenen Erteilung einer sachbereichsspezifisch begrenzten Ermächtigung zur Abweichung an den Normadressaten zum Zwecke der Erprobung beabsichtigter legislativer Maßnahmen vor ihrer Umsetzung in gesetzliche Regelungen“ definiert werden 362. Eine besondere Erscheinungsform der Experimentierklausel ist die Öffnungsklausel, wobei insbesondere die in einigen Bundesländern seit den 1990er Jahren geschaffenen Standardöffnungsklauseln von beachtlicher verfassungsrechtlicher und rechtspolitischer Brisanz sind 363. Standardöffnungsklauseln sind „generelle gesetzliche Experimentierklauseln zum Abweichen von Standards“ 364 und als solche jedenfalls auch eine Erscheinungsform experimenteller Gesetzgebung 365. Sie können als gesetzliche Regelungen definiert werden, die dem Adressaten auf einzelnen oder verschiedenen Rechtsgebieten gestatten, von allgemeinen normativen Vorgaben abzuweichen 366. Standardöffnungsklauseln umfassen als Querschnittsgesetze in der Regel eine Vielzahl von Normen aus unterschiedlichen Rechtsgebieten und damit regelmäßig einen deutlich brei360 In Gesetzen ist häufig von Erprobungsklauseln die Rede; vgl. etwa §§ 32 GastG, 13 GewO, 10 LHG M-V. In der Literatur finden sich zum Teil auch die Begriffe „Versuchsklausel“ (Horn, Experimentelle Gesetzgebung, S. 28) oder „Öffnungsklausel“ (Grzesick, DV 1997, S. 545 ff.). 361 Horn, Experimentelle Gesetzgebung, S. 27; Freund, Experimentierklauseln, S. 17. 362 Freund, Experimentierklauseln, S. 18. 363 Näher Freund, Experimentierklauseln, S. 57 ff. Zum Scheitern des StÖffG M-V § 14 B II. 364 Hubert Meyer, DÖV 1998, S. 865 (867). 365 Ebenso Hubert Meyer, DÖV 1998, S. 865 (867); Wiegand-Hoffmeister, NordÖR 2000, S. 481. Unentschieden Freund, Experimentierklauseln, S. 19: Experimenteller Charakter sei keine Wesenseigenschaft von Standardöffnungsklauseln, entspreche aber praktischen Gegebenheiten. 366 Freund, Experimentierklauseln, S. 19.
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teren Bereich als die üblicherweise sachbereichsspezifischen allgemeinen Experimentierklauseln 367. Adressat einer Standardöffnungsklausel ist zumeist die Exekutive. Denkbar ist aber auch, dass der Bundesgesetzgeber dem Landesgesetzgeber gewisse Standards öffnet. Dies ist etwa in § 15a ZPO, der es dem Landesgesetzgeber erlaubt, der zivilgerichtlichen Klage ein Schlichtungsverfahren vorzuschalten oder § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO geschehen, der eine landesrechtliche Öffnungsklausel zum Verzicht auf das Widerspruchsverfahren enthält. 3. Historischer Überblick über Erscheinungsformen experimenteller Gesetzgebung Experimentelle Gesetzgebung ist keine Erfindung jüngeren Datums. Bereits in den 1970er und 1980er Jahren lassen sich Erscheinungsformen einer solchen Normsetzung im Bildungswesen, in der Juristenausbildung, im Medien-, Verkehrs- und Bauordnungsrecht sowie im Sozialrecht nachweisen 368. Erwähnenswert ist neben den Schulversuchen der späten 1960er und frühen 1970er Jahre vor allem die Zulassung der einphasigen Juristenausbildung durch § 5b DRiG von 1971. Mit dieser Vorschrift wurde den Ländern bis Mitte der 1980er Jahre ermöglicht, entsprechende „Reformstudiengänge“ in der juristischen Ausbildung zu errichten 369. Auch die Einführung von Kabelpilotprojekten und Bildschirmtext sowie Experimente in der Verkehrspolitik 370 in den 1970er und 1980er Jahren sind in diesem Zusammenhang zu nennen.
367 Wiegand-Hoffmeister, NordÖR 2000, S. 481; Jutzi, DÖV 1996, S. 25; Grzesick, DV 1997, S. 545. 368 Überblick bei Hoffmann-Riem, in: Festschrift für Thieme, 1993, S. 55 (57) und Freund, Experimentierklauseln, S. 21 ff. Ausführlich Wollmann, Experimentelle Politik, S. 358 ff. 369 Die einstufige Juristenausbildung wurde zunächst auf eine Experimentierphase von zehn Jahren befristet und später um fünf Jahre verlängert. Das Angebot wurde in sieben Bundesländern umgesetzt, von denen drei das Projekt vorzeitig abbrachen. Während Hoffmann-Riem, in: Festschrift für Thieme, 1993, S. 55 (60 f.), den Versuch grundsätzlich positiv bewertet, spricht Schneider, Gesetzgebung, Rn. 108, von „Ausbildungsversuchen mit jungen Menschen“. 370 So führte das Bundesministerium für Verkehr 1972 durch Rechtsverordnung (BGBl. I, S. 461) zunächst befristet bis zum 31. 12. 1975 eine Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 100 km / h ein. Ebenfalls zunächst als Testversuch gedacht war die bis heute geltende Rechtsverordnung über eine Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen vom 21. 11. 1978 (BGBl. I, S. 1824). Auch die durch Rechtsverordnung vom 19. 02. 1985 (BGBl. I, S. 385) geschaffene Möglichkeit zur Einführung von Tempo-30-Zonen war zunächst bis zum 31. 12. 1989 befristet, wurde dann aber (durch Verordnung vom 09. 11. 1989; BGBl. I, S. 1976) dauerhaft in die StVO übernommen.
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4. Experimentelle Gesetzgebung in der Verwaltungsreformdiskussion Nie war die experimentelle Gesetzgebung so bedeutsam wie in der aktuellen Verwaltungsreformdebatte. Galten experimentelle Gesetze vor 20 Jahren noch als eher „seltene Exoten“, denen nicht selten ein etwas zwiespältiger Charakter anhaftete, wird heutzutage sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene mit Eifer experimentiert, getestet und ausprobiert. Den Beginn dieser Entwicklung markieren die seit Mitte der 1990er Jahre in fast allen Flächenländern der Bundesrepublik Deutschland 371 eingeführten kommunalrechtlichen Experimentierklauseln 372, welche die Erprobung neuer Steuerungsmodelle in den Kommunen erleichtern sollten. Auffällig ist dabei, dass die Länder übereinstimmend auf eine Befristung der kommunalen Experimentierklauseln und eine Pflicht zur Evaluation der gewonnenen Erfahrungen verzichtet haben 373. Einen erheblichen Bedeutungszuwachs erlangte die experimentelle Gesetzgebung dann durch das „Modernisierungsprojekt Standardöffnung“, bei dem Mecklenburg-Vorpommern eine führende Rolle spielte 374. Die Diskussion um eine Überregulierung durch überflüssige Standards auf allen Normebenen erreichte Mitte der 1990er Jahre einen Kristallisationspunkt 375, als sich die Beschwerden über finanzielle Belastungen und Flexibilitätsverluste durch als aufwändig, kostenintensiv und sachfremd empfundene Vorgaben für kommunale Einrichtungen häuften 376. Die kommunalen Spitzenverbände propagierten seinerzeit den Standardabbau als eines der zentralen Projekte der Verwaltungsmodernisierung und wollten dem „unbekannten Standardgeber“ als „heimlicher 4. Gewalt“ in der „Standardgesellschaft im scheidenden zweiten Jahrtausend“ mittels eines „Standardkillers“ begegnen 377. Das Thema Standardabbau war auch ein zentrales Thema der Sachverständigenkommission „Schlanker Staat“, die in ihrem Abschlussbericht 1997 eine wirksame Standardbedarfsprüfung, eine konsequente Standardfolgenabschätzung und eine flexiblere Ausgestaltung von Standards forderte 378. Die Idee der Standardöffnung wurde dadurch einer brei371 Näher zur landesrechtlichen Ausgestaltung der Regelungen Freund, Experimentierklauseln, S. 25 ff. 372 Mecklenburg-Vorpommern setzte diese Empfehlung als vorletzter deutscher Flächenstaat durch § 42a KV M-V um, eingeführt durch Gesetz vom 13. 01. 1998 (GVOBl. M-V, S. 44, ber. S. 890). 373 Freund, Experimentierklauseln, S. 32. 374 Zum (gescheiterten) Reformprojekt StÖffG M-V unten § 14 B. 375 Meyer-Teschendorf / Hoffmann, DÖV 1998, S. 217 (221). 376 Grzesick, DV 1997, S. 545 (546). 377 Näher Fromme ZRP 1995, S. 4 (5). 378 Sachverständigenrat „Schlanker Staat“, Abschlussbericht, S. 83; dazu MeyerTeschendorf / Hofmann, DÖV 1998, S. 217 (221) und Schmitz, NJW 1998, S. 2866.
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ten Öffentlichkeit bekannt, was alsbald einige Landesgesetzgeber auf den Plan rief. Projekte zur Verabschiedung eines eigenständigen Standardöffnungsgesetzes wurden – unter verschiedenen Bezeichnungen – in mehreren Bundesländern verfolgt 379. Mit einer experimentellen Gesetzgebung kann die Legislative ihre Reformfreudigkeit nachweisen. Dies erklärt ihre gegenwärtige Attraktivität, die deutlich wird, wenn man die zahlreichen Erprobungsklauseln in Gesetzen jüngeren Datums betrachtet. So ermächtigen beispielsweise § 13 GewO und § 32 GastG die Landesregierungen, Rechtsverordnungen zu erlassen, mit denen vereinfachende Maßnahmen zur Erleichterung von Existenzgründungen und Betriebsübernahmen erprobt werden können. Für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren können die Länder Ausnahmen von Berufsausübungsregelungen nach der Gewerbeordnung und dem Gaststättengesetz sowie den untergesetzlichen Regelungswerken zulassen, soweit diese nicht auf bindenden Vorgaben des Europäischen Gemeinschaftsrechts beruhen und sich die Auswirkungen der Ausnahmen auf das Gebiet eines Landes beschränken. Die im August 2005 380 in das Straßenverkehrsrecht eingefügten §§ 6e Abs. 2 Satz 1 StVG und 48a FeV ermöglichten den Ländern in Form eines bis zum 31. 12. 2010 dauernden Modellversuchs zur Erprobung neuer Maßnahmeansätze zur Senkung des Unfallrisikos junger Fahranfänger die Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen B und BE bereits mit 17 Jahren, wobei die Fahrerlaubnis mit der Auflage zu versehen war, dass der Fahranfänger von der Fahrerlaubnis nur im Beisein einer geeigneten Begleitperson Gebrauch machen durfte. Mecklenburg-Vorpommern erprobte das „Begleitende Fahren ab 17 Jahre“ seit dem 31. 10. 2006 381. Die bewährte Regelung wurde mit Wirkung zum 09. 12. 2010 bundesweit übernommen 382. Nach der Erprobungsklausel des § 10 LHG M-V kann das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur auf Antrag einer Hochschule für eine begrenzte Zeit Abweichungen von den Vorschriften der §§ 28 bis 31, 35, 59, 60 sowie 80 bis 95 LHG M-V zulassen, soweit dies erforderlich ist, um neue Modelle der Leitung und Organisation zu erproben, die dem Ziel einer Vereinfachung der Entscheidungsprozesse, der Verbesserung der Wirtschaftlichkeit oder der Ermöglichung einer internationalen Hochschulkooperation dienen. 379 Bereits 1997 fügte Sachsen-Anhalt mit § 133 Abs. 4 GO LSA eine Standardöffnungsklausel in die Gemeindeordnung ein. Näher Freund, Experimentierklauseln, S. 42. 380 Mit Gesetz v. 14. 08. 2005; BGBl. I, S. 2412. 381 Vgl. Landesverordnung über die Erprobung des „Begleitenden Fahrens ab 17 Jahre“ in Mecklenburg-Vorpommern vom 30. 10. 2006; GVOBl. M-V, S. 823. 382 Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Änderung des StVG und des Kraftfahrzeugsachverständigengesetzes vom 02. 12. 2010; BGBl. I, S. 1748.
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In mehreren Bundesländern wurden überdies nach dem Vorbild von Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern Modellregionen für Bürokratieabbau eingerichtet 383. 5. Funktionen experimenteller Gesetzgebung Die gegenwärtige Hochkonjunktur experimenteller Gesetzgebung erklärt sich aus ihrer bedeutsamen Funktion in politischen und sozialen Innovationsprozessen. Diese geht über die Gewinnung bloßen Erfahrungswissens weit hinaus. Zunächst ist das Experiment das klassische Mittel zur Rationalisierung politischer Entscheidungen, bei dem „durch Nutzung erfahrungswissenschaftlicher Einsichten und die eigenständige experimentelle Überprüfung aufgestellter Hypothesen ... diagnostisches und prognostisches Wissen zur Steigerung der Entscheidungsrationalität“ 384 gewonnen werden kann. Das experimentelle Gesetz soll daher zunächst „das Entscheiden unter Unsicherheit entlasten und dabei vor allem die Angreifbarkeit legislativer Prognosen vermindern“ 385. Die von Juristen entwickelten Rechtsmäßigkeitsanforderungen für experimentelle Gesetze gingen lange Zeit ausschließlich von diesem Ziel aus 386. In der Realität dienen experimentelle Gesetze aber auch einer Vielzahl von weiteren Zielen, die primär politischer Natur sind. Sie werden als taktisches Mittel zur Überwindung politischen Widerstandes gegen beabsichtigte Innovationen und gleichermaßen als strategisches Instrument zur Durchsetzung umstrittener Reformen eingesetzt. Wegen ihrer vermeintlich bloß vorläufigen Regelung können politisch umstrittene Gesetzgebungsprozesse unter Hinweis auf die Vorläufigkeit oder den Experimentiercharakter politische Widerstände überwinden und Vetomacht abfedern 387. Das experimentelle Gesetz fördert so Akzeptanz. Zudem wird möglicher Protest delegitimiert, weil potentielle Gegner ihren Widerstand gegen bloße „Versuchslösungen“ nur schwer vermitteln und leicht als „Reformbremser“ stigmatisiert werden können. Während der gesetzlichen Erprobungsphase können überdies Akzeptanzbarrieren identifiziert und ggf. überwunden werden, so dass die experimentelle Gesetzgebung einen „weichen Einstieg in entsprechende Dauerlösungen“ 388 ermöglicht. Allerdings können experimentelle Gesetze auch als Mittel der Innovationshinderung eingesetzt werden, indem sie in der Hoffnung auf sich ändernde politische oder gesellschaftliche Realitäten instrumentalisiert werden, 383
Ausführlich zur Entwicklung in den Bundesländern unten § 16 C IV 2 b. Hoffmann-Riem, in: Festschrift für Thieme, S. 55. 385 Hoffmann-Riem, in: Festschrift für Thieme, S. 55. 386 Grundlegend Horn, Experimentelle Gesetzgebung und Mader, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 13 (1988), S. 214 ff. 387 Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Innovation, S. 139 (159). 388 Hoffmann-Riem, in: Festschrift für Thieme, S. 55 (58 f.). 384
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um eine (an sich überfällige) dauerhafte Innovation zu verhindern oder Reformprojekte zu dezentralisieren 389. 6. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit experimenteller Gesetzgebung Will man die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit experimenteller Gesetzgebung beantworten, so muss die Erkenntnis berücksichtigt werden, dass diese in der Praxis vorrangig als strategisches Instrument zur erleichterten Reaktion auf politischen Reformdruck eingesetzt wird. Bei ihr geht es „nicht in erster Linie um den Abbau einer Intelligenzlücke im politischen System, sondern um das Abarbeiten politischer Kontroversen über Ziele und Instrumente“ 390. Daher darf experimentelle Gesetzgebung nicht allein „an Idealvorstellungen des Erkenntnisgewinns durch wissenschaftliche Feldexperimente“, sondern muss zusätzlich an den „Anforderungen einer auf pluralistische Entscheidungsprozesse ausgerichteten Politikstrategie der Innovation“ gemessen werden 391. Als „Strategie systematischen Lernens“ 392 kommt ihr eine zentrale Funktion bei der Innovation von Politik und Gesellschaft zu. Die relative Offenheit des Regelungsanspruchs von experimenteller Gesetzgebung erlaubt erleichterte Reaktionen auf Änderungen der politischen Mehrheitsverhältnisse oder der sozioökonomischen Rahmenbedingungen 393. Experimentelle Politik ist deshalb für gesellschaftliche Modernisierungsprozesse unverzichtbar. Die in Teilen der rechtswissenschaftlichen Literatur gegenüber experimentellen Gesetzen zum Ausdruck kommenden grundsätzlichen Vorbehalte 394 sind daher nicht gerechtfertigt. Experimentelle Gesetze sind als legitimer Bestandteil moderner Gesetzgebung zu akzeptieren und wie alle anderen Gesetze auch an den allgemeinen Rechtmäßigkeitskriterien zu messen. Auch gibt es keine Rechtsbereiche, die per se experimentierfeindlich sind 395. Eine solche Gesetzgebung ist aber selbstverständlich an die allgemeinen Regeln über Zuständigkeiten, Verfah389 Vgl. Hoffmann-Riem, in: Festschrift für Thieme, S. 55 (60) zu Experimentierklauseln in der Juristenausbildung, die es reformunwilligen Ländern ermöglichten, auf solche Versuche zu verzichten. 390 Hoffmann-Riem, in: Festschrift für Thieme, S. 55 (62). 391 Bedeutsam sind nach Hoffmann-Riem, in: Festschrift für Thieme, S. 55 (63) „die durch das befristete Experiment auslösbare Anreicherung des Argumentationshaushalts und die möglichen Lerneffekte“ sowie „die über das Testende gegebenenfalls fortwirkenden Fakten und Sedimente reformerischen Fließsandes, die durch die Gewöhnung an die neue Lage entstehen können“. 392 So der Ansatz von Wollmann, Experimentelle Politik, S. 90. 393 Hoffmann-Riem, in: Festschrift für Thieme, S. 55 (61). 394 Vgl. Schneider, Gesetzgebung Rn. 108 und Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 641. Auch Lindner, DÖV 2007, S. 1003 (1008) klassifiziert die experimentelle Rechtsetzung durch Rechtsverordnung als „verfassungsrechtlich durchaus prekäre Kategorie an der Grenze des Gewaltenteilungsprinzips“.
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ren und Form gebunden und unterliegt auch bezüglich der Grundrechtsbindung den allgemeinen Kriterien 396. Experimentelle Gesetze vermitteln dem Gesetzgeber keine größere Freiheit zum Experiment als sonstige Gesetze 397. Weder die Befristung noch die bei experimenteller Gesetzgebung häufige räumliche Beschränkung des Geltungsbereichs 398 rechtfertigen es, die für den gesetzgeberischen Eingriff bestehenden verfassungsrechtlichen Bindungen zu lockern 399. Eine Relativierung verfassungsrechtlicher Bindungen zuzulassen, hieße die „Büchse der Pandora“ zu öffnen und bei räumlich beschränkten Experimentalgesetzen die Testpersonen im Interesse eines zukünftigen Erkenntnisgewinns gleichheitsrechtswidrig besonderen Belastungen im Vergleich zu solchen Personen auszusetzen, die nicht in dem Testgebiet wohnen oder ihre betriebliche Niederlassung haben. Auch bestünde bei abgesenkten Rechtmäßigkeitsanforderungen die permanente Gefahr, die Betroffenen zu bloßen Objekten staatlichen Handelns zu machen, was schwerlich mit der grundrechtlichen Fundamentalnorm des Art. 1 GG zu vereinbaren wäre. Ein „innovationspolitischer Bonus zum Ausprobieren von Grundrechtseingriffen“ 400 besteht deshalb nicht. Die im Zusammenhang mit Experimentalgesetzen häufig betonte Pflicht zur systematischen Evaluation 401 ist an sich keine Besonderheit von Experimentalgesetzen, sondern Ausfluss der den Gesetzgeber bei jeder Gesetzgebung schon von Verfassung wegen zukommenden Beobachtungspflicht 402. Der Gesetzgeber ist nach alledem zu experimenteller Gesetzgebung grundsätzlich berechtigt und muss im Rahmen seines verfassungsrechtlichen Optimierungsauftrags 403 sogar prüfen, ob sich gewünschte politische Reformen mittels experimenteller Gesetzgebung durchsetzen lassen. Eine solche Normsetzung ist 395
Hoffmann-Riem, in: Festschrift für Thieme, S. 55 (66); Stettner, NVwZ 1989, S. 806 (810); Kloepfer, VVDStRL 40 (1982), S. 63 (93). 396 Vgl. BVerfGE 57, 295 (324) sowie Kloepfer, VVDStRL 40 (1982), S. 63 (95). Speziell zur experimentellen Rechtsetzung durch Rechtsverordnung im Hochschulbereich Lindner, DÖV 2007, S. 1003, (1006 ff.), der dort zusätzliche verfahrensrechtliche Anforderungen für geboten hält. 397 Stettner, NVwZ 1989, S. 806 (812); Horn, Experimentelle Gesetzgebung, S. 238 ff; Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Innovation, S. 139 (161). 398 Bei einer räumlichen Beschränkung des Gesetzes ist es erforderlich, diesen systemgerecht abzugrenzen. Dazu BayVerfGH, BayVBl 2009, S. 12 ff. sowie § 16 C IV 1. 399 Hoffmann-Riem, in: Festschrift für Thieme, S. 55 (65). 400 So die treffende Formulierung von Hoffmann-Riem, in: Festschrift für Thieme, S. 55 (67). 401 Vgl. Hoffmann-Riem, in: Festschrift für Thieme, S. 55 (67). Zur in Deutschland gering ausgeprägten Bereitschaft zur externen Evaluation Wollmann, VerwArch 93 (2002), S. 418 (428 ff.). 402 Siehe § 7 A I 3 und 4 c. 403 Vgl. § 7 A I 4 c. Zur Beobachtungspflicht des Gesetzgebers Nagel, DÖV 2010, S. 268 ff.
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ein wichtiges Hilfsmittel, um die Schwierigkeiten wirksamer Gesetzgebung im modernen Staat zu bewältigen 404 und ein legitimes und unverzichtbares strategisches Instrument zur Durchsetzung von Modernisierungseffekten. Experimentelle Gesetze unterscheiden sich jedoch nicht wesensmäßig von sonstigen Gesetzen. Dass Experimentalgesetze maßgeblich „zur Innovationsfähigkeit moderner Gesellschaften beitragen“ 405, macht sie nicht zu einer eigenständigen Gesetzeskategorie mit verminderten Rechtmäßigkeitsanforderungen. 7. Ausgewählte Beispiele experimenteller Gesetzgebung a) Experimentier- und Standardöffnungsklauseln aa) Verfassungsrechtliche Problematik Die vor allem in den 1990er Jahren intensiv geführte Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit kommunalrechtlicher Experimentierklauseln hat gezeigt, dass diese zahlreiche Probleme aufwerfen 406. Auf den ersten Blick scheint es nur schwer mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz vereinbar zu sein, dass § 42a KV M-V dem Innenministerium als Organ der Exekutive erlaubt, Kommunen auf Antrag von zuvor erlassenen landesrechtlichen Normen zu befreien. Das bloße Ziel, die öffentliche Verwaltung fortzuentwickeln und das Neue Steuerungsmodell zu erproben, vermag eine solche (auch nicht von Art. 80 Abs. 1 GG und § 5 KV M-V gedeckte) 407 Durchbrechung des Gewaltenteilungsgrundsatzes jedenfalls nicht zu rechtfertigen. Da der Gesetzgeber im Bereich der kommunalrechtlichen Experimentierklauseln in eigener Zuständigkeit verbindlich über Voraussetzungen und Grenzen einer generellen Zulassung von Versuchsmodellen entschieden hat und er diese Entscheidung jederzeit wieder aufheben kann, ist der Kernbereich der Gewaltenteilung durch eine solche Delegation allerdings noch nicht betroffen 408. Auch der zweite gewichtige Einwand gegen Experimentierklauseln, den Heinrich Siedentopf mit der „Selbstverstümmelung des Gesetzgebers“ 409 treffend zum Ausdruck gebracht hat, lässt sich mit dem Hinweis auf die zwingende zeitliche Begrenzung der Ausnahmen entkräften. Die notwendige Befristung von Experimentierklauseln führt dazu, dass die mit der Bewilligung von Ausnahmen durch die Exekutive verbundene Veränderung der organisatorischen Strukturen nur eine vorübergehende ist, die deshalb keiner gesetzlichen Grundlage bedarf 410. 404
(489). 405
Horn, Experimentelle Gesetzgebung, S. 15; Beck / Schürmeier, LKV 2004, S. 488
Hoffmann-Riem, in: Festschrift für Thieme, 1993, S. 55 (69). Umfassend Freund, Experimentierklauseln. Aus der reichhaltigen Literatur vgl. zudem Siedentopf, DÖV 1995, S. 193 ff; Lange, DV 1995, S. 770 ff; Jutzi, DÖV 1996, S. 25 ff. 407 Näher Brüning, DÖV 1995, S. 278, (286 f.). 408 Brüning, DÖV 1997, S. 278 (287). 409 Siedentopf, DÖV 1995, S. 193. 406
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Die Entscheidungskompetenz für nur vorübergehende Veränderungen organisatorischer Strukturen der auf diesem Gebiet über mehr Sachverstand verfügenden Exekutive zu überantworten, ist sachgerecht. Da die vollziehende Gewalt in der Lage ist, schneller und flexibler als der Gesetzgeber zu reagieren, ist eine solche Delegation auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden 411. Mehrheitlich ist man heute deshalb der Auffassung, dass Experimentier- und Standardöffnungsklauseln bei entsprechender Ausgestaltung 412 verfassungsrechtlich zulässig sind. Die hiergegen im Hinblick auf den Vorbehalt des Gesetzes, den Grundsatz der Rechtssicherheit und der Systemgerechtigkeit 413 sowie das Prinzip der Gewaltenteilung erhobenen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken haben sich nicht durchsetzen können. Insbesondere bei Standardöffnungsklauseln muss allerdings eine ausreichende Dichte des Genehmigungsgegenstandes gewährleistet sein, damit der Normadressat erkennen kann, von welchen Standards eine Befreiung möglich ist 414. Zu fordern ist überdies eine hinreichend konkrete Ausgestaltung der Genehmigungsvoraussetzungen 415, sowie der Verzicht auf generelle Öffnungsklauseln 416 zu Gunsten sachbereichsspezifisch eingegrenzter Befreiungsmöglichkeiten. bb) Rechtspolitische Bewertung Sind Experimentier- und Standardöffnungsklauseln somit grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig, ist es eine ausschließlich rechtspolitisch zu beantwortende Frage, ob die Delegation von Verantwortung auf die Exekutive durch „weitgehende Freistellung der Kommunalverwaltung vom geltenden Kommunalrecht“ 417 sinnvoll ist.
410 Freund, Experimentierklauseln, S. 89 f; Maaß, Experimentierklauseln, S. 81 f; für eine Vereinbarkeit mit dem Vorbehalt des Gesetzes auch Brüning, DÖV 1997, S. 278 (286 ff.). 411 Freund, Experimentierklauseln, S. 90; Maaß, Experimentierklauseln, S. 81 f. 412 Gegen eine zu weitgehende Öffnung grundrechtsrelevanter Standards Freund, Experimentierklauseln, S. 120. 413 Wiegand-Hoffmeister, NordÖR 2000, S. 481 (486). 414 § 1 StÖffG M-V entsprach nach Tanneberg / Hofmann, NordÖR 2001, S. 284 (285) und Freund, Experimentierklauseln, S. 107diesen Anforderungen. 415 Bejahend für § 2 Abs. 2 StÖffG M-V in der bis zum 31. 12. 2004 geltenden Fassung Freund, Experimentierklauseln, S. 109. Im Ergebnis ebenso Wiegand-Hoffmeister, NordÖR 2000, S. 481 (486). 416 Zu deren Verfassungswidrigkeit auf Grund fehlender Normierungsdichte Freund, Experimentierklauseln, S. 91; Maaß, Experimentierklauseln, S. 107, Jutzi, DÖV 1996, S. 25 (26). 417 Siedentopf, DÖV 1995, S. 139.
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(1) Kommunalrechtliche Experimentierklauseln Das praktische Bedürfnis nach kommunalrechtlichen Experimentierklauseln wird durch das rege Interesse belegt, welche diese hervorgerufen haben 418. Durch das flexible Element der kommunalrechtlichen Experimentierklausel können lokale Unterschiede berücksichtigt und somit maßgeschneiderte Abweichungsermächtigungen konzipiert werden, was einer höheren Differenzierung der späteren gesetzlichen Regelung zu Gute kommt. Durch die gewonnenen Erfahrungen wird ein „Lernen des Gesetzgebers“ ermöglicht, so dass solche Experimentierklauseln im Ergebnis ein geeignetes Reforminstrument im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung sind 419. So boten die durch § 42a KV M-V gewährten Handlungsspielräume der Verwaltung die Gelegenheit, mit relativ geringem Aufwand eigenverantwortlich praxisgerechte und differenzierte Lösungen zu entwickeln, was die Akzeptanz der Einführung neuer Steuerungsmodelle, denen oft mit großer Skepsis begegnet wurde, steigern konnte 420. (2) Standardöffnungsklauseln Im Gegensatz zu den insgesamt erfolgreichen kommunalrechtlichen Experimentierklauseln haben sich Standardöffnungen bisher weder in MecklenburgVorpommern 421 noch bundesweit durchsetzen können 422. Vielfach fehlte es bereits an einer fundierten Vorbereitung im Vorfeld der geplanten Öffnung. Während im Haushaltsrecht, dem Hauptanwendungsbereich der kommunalrechtlichen Experimentierklauseln, mit dem Neuen Steuerungsmodell zudem ein umfassendes Konzept für eine Neuordnung vorlag, fehlte bei der allgemeinen Standardbefreiung eine solche konzeptionelle Grundlage 423. Hinzu kommen die Komplexität des Genehmigungsverfahrens und die Tatsache, dass derjenige, der eine Ausnahmegenehmigung von Standards beantragt, leicht in eine Außenseiterrolle gedrängt wird. Auch standen die Aufsichtsbehörden dem Experiment mit Neuen Steuerungsmodellen regelmäßig sehr aufgeschlossen gegenüber, was bei Standardöffnungen nicht der Fall war. Zu bedenken ist ferner, dass ein Standard die ordnungsgemäße Erfüllung der Verwaltungsaufgaben garantiert. Die Behörden müssen daher jede Standardsenkung rechtfertigen, was Schwierigkeiten bereitet, wenn mit einer Standardsenkung der Verlust von Sicherheit verbunden 418
Beck / Schürmeier, LKV 2004, S. 488 (490).In Nordrhein-Westfalen nutzte bis 2001 fast jede zweite Gemeinde die Experimentierklausel. Von 470 Anträgen wurde die Mehrheit genehmigt. 419 Beck / Schürmeier, LKV 2004, S. 488 (491). 420 Diesen Aspekt betonen Beck / Schürmeier, LKV 2004, S. 488 (491). 421 Zum Scheitern des Standardöffnungsgesetzes in Mecklenburg-Vorpommern unten § 14 B II. 422 Schwarting, Experimentierklausel, S. 6 ff. 423 Schwarting, Experimentierklausel, S. 7.
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ist. In solchen Fällen erwartet der Bürger klare Auskünfte, welche Vorkehrungen getroffen werden, um einen Qualitätsverlust der öffentlichen Leistung zu vermeiden 424. Vergleichbare Probleme bestehen bei der rein verwaltungsintern wirkenden Umstellung des Haushaltsrechts nicht. Als auf Aspekte der Kostensenkung reduziertes Projekt ist die Standerdöffnung daher insgesamt als wenig erfolgreicher Versuch einer Antwort auf kommunale Haushaltskrisen zu werten. Die eher punktuell ausgelegten Initiativen der Standardöffnung haben sich bisher als eine wenig durchdachte und eher hilflose Reaktion auf bestehende Regelungsdefizite erwiesen. Es bleibt deshalb abzuwarten, ob die in Niedersachsen und Bayern durch die dortigen Modellkommunengesetze eröffneten Möglichkeiten der Standardabweichung ohne Antrag 425 erfolgreicher sein werden. Auch auf die Erfolge des im Rahmen des Vierten Deregulierungsgesetzes beschlossenen neuen Standraderprobungsgesetzes in Mecklenburg-Vorpommern 426 darf man gespannt sein. Systemgerechter wäre es allerdings, wenn der Gesetzgeber den Mut besäße, auf überflüssige Standards selbst und generell zu verzichten, was allerdings eine konsequente Aufgabenkritik und den Ausbau einer wirkungsvollen Gesetzesfolgenabschätzung voraussetzen würde. b) Die generelle Befristung von Gesetzen Eine Vielzahl verfassungsrechtlicher Probleme und rechtspolitischer Fragestellungen ist mit der generellen Befristung von Gesetzen verbunden. Auf die Zeitknappheit als ein Grundphänomen der modernen Industriegesellschaft muss auch die Legislative reagieren. Nicht nur im Wirtschaftsverwaltungs-, Umweltund Sozialrecht versucht ein „motorisierter Gesetzgeber“ daher, dem ständig wachsenden Regelungsbedarf für die Bewältigung der technisch-wissenschaftlichen Dynamik mit detaillierten Rechtsvorschriften gerecht zu werden, die oft nur eine kurze Geltungsdauer aufweisen. Aus dieser Beschleunigung des Wandels resultiert eine zeitliche Verknappung staatlicher Entscheidungen, welche die herkömmlichen Formen der Rechtsfortbildung ernsthaft gefährdet 427. Immer kürzere Gesetzgebungsverfahren, eine wachsende Änderungsgeschwindigkeit von Normen und die nachlassende „handwerkliche“ Qualität von nicht selten „im Schweinsgalopp“ verabschiedeten Gesetzen sind Krisensymptome einer zunehmenden Zeitabhängigkeit der Rechtsordnung 428. Auch die mittlerweile zum Gemeinplatz gewordene Klage über die „Normenflut“ ist zu einem großen Teil der 424 425 426 427 428
Zu Beispielen Schwarting, Experimentierklausel, S. 7. Vgl. dazu § 16 C V 2 b. Näher § 16 C IV. Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Innovation, S. 139 (148). Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Innovation, S. 139 (148).
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beschleunigten gesellschaftlichen Dynamik geschuldet. Vor diesem Hintergrund wurde in den letzten Jahren die Befristung neuer gesetzlicher Vorschriften als Mittel der Rechtsetzungsoptimierung entdeckt. Waren solche „Zeitgesetze“ 429 noch vor einigen Jahren eher ungewöhnlich 430, so ist heute vor allem auf Landes-, aber auch auf Bundesebene die Tendenz zu beobachten, neue Rechtsvorschriften mit einer Befristung zu versehen. Obwohl wissenschaftlich fundierte Wirkungsanalysen zu dieser Form der Gesetzgebung lange fehlten 431, ist die an eine Evaluation gekoppelte „sunset legislation“ zu einem populären Schlüsselinstrument in der internationalen Verwaltungsmodernisierungsdebatte 432 geworden. Die in den Bundesländern zunehmend geübte Praxis, Rechtsvorschriften grundsätzlich zu befristen, erweist sich im internationalen Vergleich allerdings als eher ungewöhnlich 433. aa) Historische Entwicklung Seinen Ursprung hat der Gedanke der generellen Befristung von Gesetzen in den USA, wo bereits Mitte der 1970er Jahre der Gedanke einer sog. „sunset legislation“ entwickelt wurde 434. Dieses Konzept wurde mit der Absicht eingeführt, über die zeitliche Begrenzung von gesetzlichen Regelungen und administrativen Zuständigkeiten zum einen deren Evaluierung und zum anderen die Auseinandersetzung mit den Ergebnissen derselben im Zuge der Entscheidung über die Fortführung und Verlängerung zu erzwingen 435. Das Konzept der „sunset legislation“ war eine Reaktion auf Kritik an der mangelnden Effizienz und Effektivität des amerikanischen Regierungssystems und stand bis Mitte der 1980er Jahre im Mittelpunkt der rechtspolitischen Diskussion in den USA 436. Als „bislang systematischste Bestrebung einer umfassenden Reform des legislativen und ad429
Der Begriff „Zeitgesetz“ geht auf Kindermann, in: Schäfer / Triffterer (Hrsg.), Rationalisierung der Gesetzgebung, S. 133 (141 ff.) zurück. Zu verschiedenen Typen von Zeitgesetzen Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Innovation, S. 139 (157 f.). 430 Frühe Forderungen nach einer Gesetzgebung auf Zeit bereits bei Dehe, DÖV 1980, S. 76 (82). 431 2005 wurde die „Wirksamkeit von Sunset-Legislation und Evaluationsklauseln“ von Jann / Wegrich / Shergold / van Stolk untersucht. 2010 legten Bastian Jantz und Sylvia / Veit die Studie „Bessere Rechtsetzung durch Befristungs- und Evaluationsklauseln?“ vor. 432 Ausführlich zu Befristungs- und Prüfungsklauseln im internationalen Vergleich Jann / Wegrich / Shergold / van Stolk, S. 19 ff; Jantz / Veit, S. 24 ff. 433 Näher Jann / Wegrich / Shergold / van Stolk, S. IV. Zu internationalen Erfahrungen mit Sunset Legislation (in den USA, der Schweiz und Australien) Jantz / Veit, S. 24 ff. 434 Weiterführend Langner, Zero-Base Budgeting; Chanos, Befristung, S. 97 ff; Jantz / Veit, S. 24 ff. 435 Chanos, Befristung, S. 98; Hellstern / Wollmann, ZParlR 11 (1980), S. 547 (557).
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ministrativen Systems hin zu einer rationaleren Produktion und effektiveren bzw. effizienteren Implementierung legislativer Programme“ 437 diente die amerikanische „sunset legislation“ der seit Beginn der 1990er Jahre auch in Europa und Deutschland intensiv geführten Diskussion um die Befristung der Geltungsdauer gesetzlicher Normen 438 als Referenzmodell. Allerdings vermochte sich die Reformbewegung im amerikanischen Senat nicht durchzusetzen, so dass kein „Sunset-Gesetz“ auf der Ebene des amerikanischen Bundesrechts verabschiedet wurde 439. bb) Ziele der generellen Befristung von Rechtsvorschriften Die Befürworter einer generellen Befristung von Gesetzen verstehen eine solche als Bestandteil eines auf die Flexibilisierung, Lernbereitschaft und Rationalisierung der Rechtsetzung gerichteten Gesamtkonzepts einer modernen Gesetzgebung 440. Sie hoffen, dass dieses Instrument die regelmäßige Überprüfung von Rechtsvorschriften auf ihre Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit gewährleistet. Mit der „sunset legislation“ soll ein Beitrag zur Institutionalisierung der retrospektiven Überprüfung und Kontrolle der Wirksamkeit und Effizienz von Gesetzen geleistet und so eine Zeitstrategie zur Offenhaltung künftiger Entwicklungsmöglichkeiten entwickelt werden. Zudem wird die Erwartung geäußert, mit dem Zwang, Gesetze vor Ablauf ihrer Geltungsdauer einer Überprüfung dahingehend zu unterziehen, ob sie unverändert fort gelten, an aktuelle Entwicklungen angepasst oder vollständig aufgehoben werden sollen, habe man ein wirksames Mittel zur quantitativen Deregulierung und zur institutionalisierten Modernisierung der Rechtsordnung in der Hand. cc) Entwicklung auf nationaler Ebene Überlegungen für eine Gesetzgebung auf Zeit gab es bereits im Rahmen der ersten „Entbürokratisierungswelle“ Ende der 1970er Jahre 441. Als Mittel zur „Eindämmung der Normenflut“ geriet die generelle Befristung von Rechtsvor436 Der erste Sunset Act“ wurde 1976 im Bundesstaat Colorado verabschiedet. Bis Ende 1978 hatten bereits 29 und bis Ende 1980 35 amerikanische Bundesstaaten „Sunset-Gesetze“ verabschiedet. Vgl. i. e. Rürup / Färber, DÖV 1980, S. 661 (665) und Langner, Zero-Base Budgeting, S. 281. Zu weiteren Einzelheiten Chanos, Befristung, S. 98ff. und Jantz / Veit, S. 24 ff. 437 Chanos, Befristung, S. 98. 438 Nachweise zur Entwicklung in Deutschland und Europa bei Chanos, Befristung, S. 37 ff. und S. 97. 439 Chanos, Befristung, S. 102; Langner, Zero-Base Budgeting, S. 299; Jantz / Veit, S. 24 ff. 440 Näher Chanos, Befristung, S. 37 ff; S. 97.
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schriften aber erst in den letzten zehn Jahren wieder in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Im Bundestagswahlkampf 2005 war die Forderung nach einer Befristung von Gesetzen und Rechtsverordnungen Bestandteil der Programmatik fast aller Parteien. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP vom 26. 10. 2009 442 enthält nunmehr sogar die ausdrückliche Ankündigung, bei Gesetzen, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften verstärkt 443 von der Möglichkeit der Befristung Gebrauch zu machen. Der Nationale Normenkontrollrat 444 werde gebeten, bei seinen Stellungnahmen die Möglichkeiten der Befristung ausdrücklich zu untersuchen. Eine entsprechende Änderung des NKRG wird derzeit parlamentarisch beraten 445. Hintergrund dieser Entwicklung ist die Tatsache, dass die generelle Befristung von Gesetzen im Vergleich zu einer wirkungsvollen und ergebnisoffenen Gesetzesfolgenabschätzung ein relativ kostengünstiges, vergleichsweise einfach und schnell umzusetzendes Instrument der Normreduzierung ist. Nicht zu unterschätzen ist auch der „politische Symbolgehalt“ eines „Gesetzgebungs-TÜV“. Dieser greift ein in der Bevölkerung weit verbreitetes Unbehagen in Bezug auf die „Bürokratie“ auf. Die Angabe eines „Mindesthaltbarkeitsdatums bei Gesetzen und Verordnungen“ hat zunächst einen „gewissen plakativen Reiz“ 446. So bezeichnete etwa die damalige Bundesministerin der Justiz Brigitte Zypries Anfang 2009 die Befristung von Gesetzen als „eine sinnvolle Sache“ 447. Eine generelle Befristung von Gesetzen und Rechtsverordnungen findet derzeit in sieben Bundesländern statt 448. Zu diesen gehören Hessen (seit 2001), Thüringen (seit 2002), Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen 449 (seit 2003), Niedersachsen (seit 2004) und das Saarland (seit 2005). In Schleswig-Holstein bestimmt § 62 Abs. 1 LVwG Schl.-H. 450, dass die Geltungsdauer von Verordnungen vorbehaltlich der in § 62 Abs. 2 LVwG Schl.-H. genannten 441 So forderte die CDU / CSU-Fraktion schon 1977 (vgl. BTDrs 8/2106) eine Berichtspflicht der Bundesregierung bzgl. der Wirksamkeit neuer Gesetze und der CDU-Bundesvorstand regte 1979 die Einführung von „Gesetzen auf Zeit“ für den Fall an, dass deren Wirkung nicht klar vorhersehbar sei. 442 In Auszügen abgedruckt in BTDrs 17/300, S. 78. 443 Zu den bisherigen Erfahrungen mit der Befristung von Rechtsnormen auf Bundesebene Jantz / Veit, S. 50 ff., wonach eine systematische Nutzung dieses Instruments im Rahmen eines formalisierten Prüfprozesses bisher ausgeblieben sei. 444 Näher § 8 D II. 445 Vgl. BTDrs 17/1954 vom 08. 06. 2010 und § 8 D II 4. 446 So die Einschätzung von Zimmermann, DÖV 2003, S. 940 (943). 447 Zypries, SächsVBl 2009, S. 101 (104). 448 Zu den Einzelheiten und den rechtlichen Grundlagen Jantz / Veit, S. 35 ff. 449 Ende 2008 waren in Nordrhein-Westfalen 937 von 1.301 Gesetzen und Verordnungen mit einer Berichtspflicht oder einer Verfallsklausel versehen. Näher Richter, NWVBl 2009, S. 173 (174).
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Ausnahmen fünf Jahre nicht überschreiten darf. In zehn Bundesländern werden darüber hinaus Verwaltungsvorschriften – regelmäßig auf die Dauer von fünf Jahren – befristet 451. In Mecklenburg-Vorpommern beruhte die grundsätzliche Befristung neuer Gesetze, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften zunächst auf einem Kabinettsbeschluss vom 02. 09. 2003. Nach den hierzu von den Staatsekretären aller Ressorts am 14. 04. 2004 beschlossenen Grundsätzen 452 war eine Stammvorschrift bei ihrem erstmaligen Erlass oder bei einer Änderung zu befristen. Eine Befristung war nur entbehrlich, wenn das Rechtsetzungsvorhaben der Umsetzung von EU-Recht oder Bundesrecht diente oder bloße Zuständigkeiten normiert wurden. Auch wenn die Notwendigkeit einer unbefristeten Geltung im Einzelfall nachvollziehbar und überzeugend begründet wurde, war die Befristung ausnahmsweise nicht erforderlich. Nunmehr enthalten §§ 3 Abs. 6 und 16 Abs. 3 GGO II vom 02. 12. 2008 453 generelle Grundsätze zur Befristung von Vorschriften. Nach § 3 Abs. 6 Nr. 1 GGO II sind Vorschriften zu befristen, wenn sie nur für einen vorübergehenden Zweck erforderlich sind. Im Übrigen soll eine Befristung vorgesehen werden, wenn nicht besondere wichtige Gründe für eine unbefristete Geltungsdauer sprechen. Besondere wichtige Gründe sind insbesondere die Regelung von verfassungs-, status- oder organisationsrechtlichen Sachverhalten sowie die Umsetzung von höherrangigem unbefristetem Recht. Nach § 3 Abs. 6 Nr. 2 GGO II ist bei einer befristeten Vorschrift durch das federführende Ressort rechtzeitig zu prüfen, ob der Regelungsgehalt noch fortbesteht oder entfallen ist; bei Gesetzen erfolgt dies unter Berücksichtigung der für die Überprüfung der Zielerreichung benannten Gesetzesfolgen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 GGO II. Ist eine Verlängerung notwendig, ist zu prüfen, ob Änderungen zur Erhöhung der Wirksamkeit oder der Wirtschaftlichkeit der Vorschrift notwendig sind; diese sind gegebenenfalls vorzunehmen. § 3 Abs. 6 Nr. 3 GGO II bestimmt, dass auch unbefristete Vorschriften spätestens alle fünf Jahre vom federführenden Ressort auf die Notwendigkeit ihrer Weitergeltung zu überprüfen sind. Nach § 16 Abs. 3 GGO II soll die Geltungsdauer von Verwaltungsvorschriften grundsätzlich auf höchstens fünf Jahre befristet werden. § 6 Abs. 2 Nr. 5 GGO II ordnet an, dass bei Entwürfen von Gesetzen und Rechtsverordnungen im Allgemeinen Teil der Begründung darzustellen ist, aus welchen besonders wichtigen Gründen eine Befristung der Rechtsvorschrift gemäß § 3 Abs. 6 GGO II 450 GVOBl. Schl.-H., 1992, S. 243, zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. 12. 2008; GVOBl. Schl.-H., S. 693. 451 Siehe die Übersicht bei Jantz / Veit, S. 36 f. Die Befristung von Verwaltungsvorschriften hat in einigen Bundesländern eine lange Tradition. Sie wurde in Nordrhein-Westfalen bereits 1961, in Rheinland-Pfalz 1979 und in Baden-Württemberg 1981 eingeführt. 452 Vgl. im einzelnen Landtag M-V, LTDrs 4/2253, S. 4. 453 ABl. M-V 2009, S. 1 ff.
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gegebenenfalls nicht vorgesehen werden soll. Bei der Verlängerung befristeter Rechtsvorschriften sind die Gründe der Verlängerung darzulegen 454. Das qualitativ Neue an der generellen Befristung von Gesetzen ist die Rigorosität, mit der gleichsam „Gesetze mit Verfallsdatum“ geschaffen werden. War früher die Befristung von Gesetzen rechtfertigungsbedürftig, muss heute in den Ländern, die dieses Instrument eingeführt haben, der Verzicht auf eine Befristung aufwändig begründet werden. Insofern liegt ein Kontinuitätsbruch vor, welcher die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer solchen Vorgehensweise nahe legt. dd) Verfassungsrechtliche Bedenken Im juristischen Schrifttum hat sich bereits früh die Auffassung durchgesetzt, dass an „Zeitgesetze“ unter den Aspekten Rechtssicherheit 455, Vertrauensschutz und Gleichbehandlung besonders strenge Maßstäbe anzulegen seien 456. Während solche Normen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nach Klarheit und Berechenbarkeit grundsätzlich gerecht würden 457, seien in Bezug auf die Beständigkeit von Gesetzen grundsätzlichere verfassungsrechtliche Überlegungen angebracht. Die aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit herzuleitende Forderung nach Beständigkeit von Gesetzen habe jedenfalls zur Folge, dass der Gesetzgeber nicht vollständig frei sei, die von ihm erlassenen Vorschriften beliebig und jederzeit zu ändern. Solle das Gesetz seine Bedeutung als Steuerungsinstrument nicht verlieren, so bedürfe es auch für Rechtsnormen (ähnlich wie für den Verwaltungsakt) einer gewissen „Bestandskraft“. Der Gesetzgeber müsse an seinen eigenen Akten daher grundsätzlich festgehalten werden 458. Mit der Befristung eines Gesetzes werde allerdings der Bestand eines Gesetzes während der Befristungsphase sogar in höherem Maße garantiert, als beim sogenannten „Dauergesetz“. Während letzteres gleichsam unter dem unausgesprochenen Vorbehalt einer jederzeitigen Aufhebungs- oder Änderungsmöglichkeit stehe 459, gehe der Gesetzgeber mit der Befristung gleichsam eine freiwillige Selbstbindung ein, den Fortbestand des Gesetzes während der festgelegten Zeit (grundsätzlich) zu 454
Ein Verfahren zur ex-ante-Prüfung von Befristungsmöglichkeiten bei neuen Rechtsvorschriften ist in zwölf Bundesländern vorgeschrieben. Eine Verankerung in Geschäftsordnungen der Landesregierung oder der Normprüfstellen gibt es nur in Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und im Saarland. Näher Jantz / Veit, S. 37 f. 455 Vgl. Lücke, Vorläufige Staatsakte, S. 36. 456 So bereits Hugger, Gesetze, S. 352; ebenso Zimmermann, DÖV 2003, S. 940 (944). 457 Bei befristeten Gesetzen ist die Änderung der Rechtslage eher kalkulierbar als bei unbefristeten Gesetzen. Vgl. Hugger, Gesetze, S. 356; Chanos, Befristung, S. 64. 458 Vgl. Lücke, Vorläufige Staatsakte, S. 36 f. 459 Chanos, Befristung, S. 66.
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garantieren 460. Befristeten Gesetzen – die selbstverständlich während ihrer Geltungsdauer grundsätzlich nicht aufgehoben werden sollten 461 – sei deshalb sogar eine höhere interne Bestandskraft eigen als sonstigen Gesetzen. Dies sei im Hinblick auf Art. 39 Abs. 1 Satz 1 GG verfassungsrechtlich nicht unproblematisch, wenn – was bei der in der Gesetzgebungspraxis üblichen Befristung der Vorschriften auf fünf Jahre regelmäßig der Fall ist – das zeitliche Ende der Befristung in die nächste Legislaturperiode falle 462. Bedenken gegen eine generelle Befristung von Gesetzen werden auch aus Vertrauensschutzgesichtspunkten vorgebracht. Zwar sei der Gesetzgeber nicht zur bedingungslosen Aufrechterhaltung seines Normenbestandes verpflichtet und der Bürger könne nicht darauf vertrauen, dass die geltenden Gesetze unverändert bestehen blieben 463. Dennoch folge aus dem Rechtsstaatsprinzip eine Pflicht zur system- und konzeptionskonformen Weiterbildung der Rechtsordnung. Das Rechtsstaatsprinzip vermittele einen „Anspruch auf Vermeidung von Kontinuitätsbrüchen“ 464. Der durch eine generelle Befristung von Gesetzen verursachte „Bruch der Rechtskontinuität“ sei daher unter den Aspekten der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und der Gleichbehandlung besonders rechtfertigungsbedürftig. Ein Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte „Kontinuitätserwartung“ durch generelle Befristung dürfe nur unter Berücksichtigung des Übermaßverbotes erfolgen, was beliebige und unangemessene Kontinuitätsbrüche verböte. Eine unterschiedslose Befristung von Rechtsvorschriften überschreite „die Grenze, die das Willkürverbot und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz von Verfassungs wegen dem Gesetzgeber als Differenzierungen und Freiheitsbeschränkungen vorgegeben haben“ 465. Eine vollständige Befristung aller Gesetze sei zudem mit den Prinzipien der Vorhersehbarkeit staatlicher Eingriffe sowie der Rechtssicherheit nicht zu vereinbaren und führe beim Bürger zu einem Vertrauensverlust mit der Folge, dass das Recht seine ihm zukommende Befriedungsfunktion nicht mehr zu erfüllen vermöge 466. Jedenfalls weite Teile des Allgemeinen Ordnungsrechts, des Baurechts, des Beamtenrechts, aber auch des Allgemeinen Verwaltungsrechts seien deshalb für eine Befristung denkbar ungeeignet. Gerade in diesen „klassischen“ und wenig dynamischen Gebieten des Verwaltungsrechts hege der 460
Lücke, Vorläufige Staatsakte, S. 43, Chanos, Befristung, S. 66. Vgl. Maurer, in: HdbStR, Band 3, 1. Auflage 1988, § 60 Rn. 58 f; Chanos, Befristung, S. 71. 462 Ausführlich zu den damit verbundenen verfassungsrechtlichen Fragen Chanos, Befristung, S. 67 ff. 463 Zimmermann, DÖV 2003, S. 940 (944). Vgl. auch BVerfGE 14, 76 (104); 30, 392 (402). 464 Zimmermann, DÖV 2003, S. 940 (944). Zur Verpflichtung des Gesetzgebers, für eine gewisse Kontinuität zu sorgen, Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, S. 528 f. 465 Zimmermann, DÖV 2003, S. 940 (944). 466 Zimmermann, DÖV 2003, S. 940 (944 f.). 461
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Bürger ein gesteigertes Vertrauen im Hinblick auf die Kontinuität der gesetzlichen Regelungen, welches durch „Ex-und-hopp-Gesetze mit Verfallsdatum“ nachhaltig erschüttert werde 467. ee) Stellungnahme und Folgerungen Die verfassungsrechtlichen Einwände gegen eine allzu pauschale Befristung von Gesetzen sind überzeugend. Mit der durchgängigen Befristung von Rechtsvorschriften ist eine Schwächung der normativen Orientierung im Rechtsstaat verbunden 468. „Ex-und-hopp-Gesetze“ beeinträchtigen das Vertrauen des Bürgers in die Beständigkeit und Dauerhaftigkeit in rechtsstaatlich bedenklicher Weise. Nicht zu Unrecht hat daher das Justizministerium Mecklenburg-Vorpommerns noch 1999 zu bedenken gegeben, dass „eine Befristung von Gesetzen den Eindruck entstehen lassen könne, die Gesetzgebung des Landes habe beliebigen Charakter“ 469. Insbesondere in weiten Teilen des Ordnungsrechts, in denen elementare Sicherheits- und Ordnungsbedürfnisse des Normadressaten geregelt werden, ist die Kontinuität und Stabilität der Rechtslage ein Wert mit Verfassungsrang. Befristungen eignen sich daher allenfalls für solche Regelungsbereiche, in denen eine hohe Veränderlichkeit der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse eine entsprechend flexible Gesetzgebung verlangt, was etwa im Steuerund Wirtschaftsverwaltungsrecht der Fall sein kann 470. Weite Teile des Verwaltungsrechts, etwa das Allgemeine Verwaltungsrecht, das Polizei-, Bauordnungs-, Kommunal- und Beamtenrecht sind dagegen von besonderen Kontinuitätserwartungen des Bürgers gekennzeichnet, so dass eine Befristung insoweit gegen das Vertrauensschutzprinzip verstoßen würde 471. Eine Vielzahl von Rechtsgebieten muss daher von einer Befristung grundsätzlich ausgenommen werden, wobei sich die schwierige Frage stellt, welches die einer Befristung nicht zugänglichen „Fundamentalgesetze“ sind 472. Angesichts des vorstehend Gesagten wird empfohlen, dass man sich von der „allzu sorglosen“ Befristung der Gesetze verabschiedet und wieder zum Prinzip der grundsätzlich unbefristeten Gesetzgebung zurückkehrt. Dafür spricht ferner, dass befristeten Gesetzen im Vergleich zu den nicht befristeten Normen eine im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigungsbedürftige geringere Änderungsan467
Chanos, Befristung, S. 77. Wulfhorst, ZRP 2004, S. 82 befürchtet sogar eine „schleichende Erosion des Rechtstaats“. 469 Landtag M-V, LTDrs 3/1406, S. 8. 470 Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Innovation, S. 139 (159). 471 Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Innovation, S. 139 (159 f.). 472 Nach Zimmermann, DÖV 2003, S. 940 (943) gerät man hier „endgültig in den Bereich der Willkür“. 468
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fälligkeit zukommt. Die generelle Befristung von Gesetzen ist ein verfassungsrechtlich problematischer rechtspolitischer Irrweg. Im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip und den Gleichheitsgrundsatz ist daran festzuhalten, dass sich die Befristung von Rechtsnormen und nicht deren unbefristete Geltung als rechtfertigungsbedürftig erweist. Eine flächendeckende ex-ante-Befristung von Gesetzen würde nicht nur zu einem Verlust an Rechtssicherheit führen, weil bei einem solchen Hin und Her der Bürger den Überblick über den derzeit gültigen Normenbestand zu verlieren droht 473. Da der Gesetzgeber mangels Vorhersehbarkeit von Tempo und Richtung der gesellschaftlichen Veränderungen in erheblichem Umfang befristete Gesetze immer wieder verlängern müsste, bestünde zudem die Gefahr einer überflüssigen Bindung parlamentarischer Ressourcen. Die mahnenden Worte von Günter Dürig, wonach „die Pflicht, dauerhafte ... Grundlagentexte zu schaffen, keinesfalls überholt (ist)“ und im Gegenteil übersehen werde, dass „die Bindung des Gesetzgebers an Art. 3 Abs. 1 GG dieses von Verfassung wegen gerade gebietet“ 474 sind heute gültiger denn je. Dessen ungeachtet ist der „Modetrend zur sunset legislation“ derzeit ungebrochen. Immerhin haben einige Bundesländer – darunter auch MecklenburgVorpommern in § 3 Abs. 6 GGO II – mittlerweile sachliche Maßstäbe für die Befristung von Gesetzen erarbeitet. Auch der Nationale Normenkontrollrat mahnt in seinem Jahresbericht 2010, dass „die Prüfung von Befristungsmöglichkeiten auf Grundlage einer nachvollziehbaren Methodik erfolgen sollte“ 475 und erteilt einer generellen Regelbefristung eine ausdrückliche Absage. Eine solche führe „zu erheblicher Rechtsunsicherheit und birgt die Gefahr von Verlängerungsautomatismen, die mit zusätzlicher Bürokratie verbunden sind. Es sollte deshalb ein Ansatz gewählt werden, der eine selektive Anwendung der Befristung vorsieht“ 476. Allenfalls besondere sachliche Gründe wie etwa ein zeitlich begrenztes Normierungsbedürfnis oder die fehlende endgültige Normierungsreife können Befristungen von Rechtsnormen rechtfertigen 477. Zudem mögen befristete Gesetze ausnahmsweise als taktisches Mittel experimenteller Gesetzgebung eingesetzt werden 478. Die flächendeckende Befristung von Gesetzen sollte dagegen zu Gunsten eines Ausbaus der wissenschaftlich fundierten Gesetzesfolgenabschätzung aufgegeben werden. Das würde der Entwicklung in den USA entsprechen, wo 473 Hellstern / Wollmann, ZParlR 11 (1980), S. 547 (558); Heitmann, NJW 1997, S. 1488 f; Chanos, Befristung, S. 73. 474 Dürig, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 327. 475 NKR, Jahresbericht 2010, S. 49. 476 NKR, Jahresbericht 2010, S. 50. 477 Chanos, Befristung, S. 92 f. Zu weiteren Befristungskriterien NKR, Jahresbericht 2010, S. 50. 478 Fliedner, Gute Gesetzgebung, S. 16.
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auf bundesstaatlicher Ebene bereits seit 1983 keine sunset acts mehr erlassen werden 479. Ähnlich wie dort, ist auch in der Bundesrepublik Deutschland zu erwarten, dass sich die Parlamente und (bei Rechtsverordnungen) Ministerien des durch eine generelle Befristung von Rechtsvorschriften erzeugten formalisierten Wiederbefassungszwangs eher mit Routine entledigen werden, ohne dass dem ein methodisch aufwändiger, zeitintensiver und kostspieliger wissenschaftlich valider Evaluationsprozess vorausgehen dürfte 480. Daher gelangte auch die Studie von Werner Jann, Kai Wegrich, Miriam Shergold und Christian van Stolk im Oktober 2005 zu dem Ergebnis, dass die sunset legislation bisher keinen wesentlichen Beitrag zum Bürokratieabbau geleistet habe. Etwas optimistischer sind Bastian Jantz und Sylvia Veit in ihrem Gutachten vom Mai 2010. Auch sie erteilen aber generellen Befristungs-und Evaluationsklauseln eine Absage. Sinnvoll sei „stattdessen der einzelfallorientierte Einsatz von Befristungs- und Evaluationsklauseln, etwa bei Gesetzen mit (potenziell) erheblichen Auswirkungen.“ 481. Zudem empfehlen sie, Befristungen immer mit Evaluationspflichten zu verknüpfen, die Expertise der Ressorts zu nutzen und die Anwendung von Befristungen und Evaluationen durch den Nationalen Normenkontrollrat überprüfen zu lassen 482. Der von Helmuth Schulze-Fielitz bereits vor 15 Jahren geäußerte Einschätzung, „die Befristung parlamentarischer Gesetze ... (sei) nur ein punktuell einsetzbares Instrument, (jedoch) kein in jedem Fall hilfreicher Königsweg für eine zeitoffene Gesetzgebung“ 483, ist jedenfalls auch heute noch nichts hinzuzufügen. III. Deregulierung als Verfassungsauftrag In der Folge soll die bislang eher selten gestellte Frage behandelt werden, ob ein verfassungsrechtlicher Auftrag zur Deregulierung besteht, wobei nach dem dieser Untersuchung zugrunde liegenden engen Begriffsverständnis Deregulierung ausschließlich die Rechtsvereinfachung und Reduzierung von Rechtsvorschriften umfasst 484. Bis in die 1980er Jahre wurde in der rechtswissenschaftlichen Literatur noch die entgegengesetzte Frage gestellt, ob sich aus Art. 19 Abs. 4 GG und 20 Abs. 3 GG eine Verpflichtung entnehmen lasse, bestehende Gestaltungs- und Verhandlungsspielräume zwischen Bürger und Staat durch die Schaffung öffentlich-rechtlicher Normen zu beseitigen. Eine solche in der älteren 479
Zu den Gründen Chanos, Befristung, S. 103 ff. Entsprechende Bedenken bei Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Innovation, S. 139 (160); Manssen, Standortnachteil, S. 29 ff; Schliesky, VerwArch 99 (2008), S. 313 (339). 481 Jantz / Veit, S. 5. 482 Zu den Empfehlungen für die Bundesebene Jantz / Veit, S. 5; 70 ff. 483 Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Innovation, S. 139 (162). 484 Siehe oben § 4 B III 2. 480
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staatsrechtlichen Literatur vereinzelt geforderte „Verrechtlichung“ 485 wird heute zu Recht allgemein abgelehnt 486. Der Rechtsstaat gegenwärtiger Prägung ist eher durch ein Übermaß als durch ein Defizit an Regulierung geprägt. Durch die Ausdehnung der Staatsaufgaben im Sozial- und Umweltstaat, die umfassende Verwirklichung des Rechtstaatsprinzips, aber auch die zunehmende Europäisierung und Internationalisierung der Rechtsordnung mit ihren Harmonisierungsanforderungen hat die Zahl der Rechtsvorschriften ein nur noch schwer überschaubares Ausmaß erreicht. Ein umfassendes Verrechtlichungsgebot liefe auf einen unter Gewaltenteilungsgesichtspunkten fragwürdigen Totalvorbehalt des Gesetzes hinaus. Ein aus Art. 19 Abs. 4 GG hergeleiteter umfassender staatlicher Regulierungsauftrag wäre zudem nicht ohne Schrankenziehungen zu Lasten anderer Grundrechte zu erfüllen 487. Auch besteht die Gefahr, dass eine weitere Verrechtlichung der Steuerungsfähigkeit des Rechts eher schadet. Ein Übermaß an Regulierung birgt die Gefahr unverständlichen und unübersichtlichen Rechts, das vom Bürger nicht mehr akzeptiert wird. Jede Regulierung muss sich stärker als bisher der Steuerungsgrenzen des Rechts bewusst sein und Eberhard Schmidt-Aßmanns Mahnung bedenken, dass der Rechtsstaat auch „durch seine eigene Gediegenheit Schaden“ 488 nehmen kann. Steht somit fest, dass Art. 19 Abs. 4 und 20 Abs. 3 GG keinen generellen Verfassungsauftrag zur Regulierung enthalten 489, ist vor dem Hintergrund der mittlerweile erreichten Normendichte 490 heute umgekehrt zu fragen, ob nicht vielmehr ein Verfassungsauftrag zur Deregulierung besteht. Bevor diese Frage beantwortet werden kann, sei allerdings ein kurzer Seitenblick auf die Ursachen für die allseits beklagte Normenflut gestattet. 1. Ursachen für die Überregulierung Die wachsende Ausdifferenzierung und Komplexität rechtlicher Verhältnisse hat mehrere Ursachen. Dazu gehören die wegen der rasanten technischen Entwicklung zu bewältigenden Risikopotenziale ebenso wie die stärkere staatliche Verantwortung im Zuge eines gewandelten, demokratischen Gesellschaftsverständnisses. Die Grundrechte und der Gleichheitssatz bewirkten im Zusammenspiel mit einem weit verstandenen Gesetzesvorbehalt und einem ausgeprägten 485
Etwa von Dieter Lorenz (1973), S. 14 ff. und Zuleeg, VerwArch 73 (1982), S. 384 (395 ff.). 486 Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 IV Rn. 13, Papier, in: HdbStR, Band 6, 1. Auflage, 1989, § 154 Rn. 5. 487 Huber, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG I, Art. 19 IV Rn. 473. 488 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, II/23; ders., in: HdbStR Band 1, 2. Auflage, 1995, § 24 Rn. 97. 489 Das schließt nicht aus, dass in bestimmten Bereichen noch Regulierungsbedarf besteht. Der Gesetzgeber hat dann die Frage nach der Verrechtlichungsintensität zu beantworten; vgl. Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, II/25 f. 490 Dazu § 8 C I.
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sozialstaatlichen Anspruchsdenken vieler Bürger spätestens seit der Phase des „aktiven Staates“ 491 einen Ausbau subjektiver öffentlicher Rechte bei gleichzeitiger Garantie entsprechender gerichtlicher Durchsetzungsmöglichkeiten. Die gute Absicht, für bestimmte Aspekte der Rechtsstaatlichkeit jeweils ein Maximum an Normierung zu erreichen, führte zu einer wachsenden „Normenflut“, die zudem dadurch begünstigt wurde, dass (schon wegen der Vielzahl der Steuerungsakteure auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene) kein übergreifendes Regulierungskonzept entwickelt werden konnte. Zum Ausbau der Regulierungsdichte trugen auch die Entscheidungsmechanismen einer pluralistischen und föderalen Demokratie bei, welche die Berücksichtigung und Befriedigung einer Vielzahl partikularer Sonderinteressen in Gesetzen beförderten 492. Zudem besteht mit Blick auf das umfassende System des Gerichtsschutzes und der dadurch ausgelösten Sorge vor Kontrollsanktionen bei den staatlichen Normanwendern in der Exekutive die Tendenz, vom Gesetzgeber immer neue und detailliertere Vorschriften zu verlangen. Ein wesentlichen Anteil an der Inflation der Normen hat auch die vor allem seit Beginn der 1990er Jahre vor allem im Umwelt- und Infrastrukturverwaltungsrecht zu beobachtende 493 Neigung des Gesetzgebers durch „Signalgesetzgebung“ oder „symbolische Gesetzgebung“ „Aktivität nur vorzutäuschen und den Schein normativer Steuerung“ 494 zu erwecken. Die zunehmende Regulierungsdichte lässt sich an einigen Vorschriften aus den in dieser Arbeit untersuchten Referenzgebieten exemplarisch verdeutlichen. So umfasste § 35 BBauG 1960 lediglich drei Absätze. Die Vorschrift wurde in den letzten 50 Jahren – mit zunehmender Geschwindigkeit – insgesamt zehn Male geändert und ergänzt 495, so dass § 35 BauGB nunmehr aus sechs Absätzen besteht und in der Vorschriftensammlung für die Verwaltung in MecklenburgVorpommern mehr als drei Druckseiten einnimmt. Das Phänomen der zunehmenden Regelungsdichte im Besonderen Verwaltungsrecht illustriert auch der mittlerweile elf Absätze umfassende § 10 BImSchG. Im Gewerberecht umfasst die Vorschrift des § 35 GewO über die Gewerbeuntersagung neun Absätze. Die Norm war „in dem langen Geltungszeitraum der Gewerbeordnung erheblichen Wandlungen unterworfen“ 496 und wurde allein seit 1974 neunmal geändert. Welche Vollzugsprobleme mit der Anwendung der genannten gesetzlichen Bestimmungen verbunden sind, verdeutlicht ein Blick in die Kommentarliteratur. So umfasst die Kommentierung des § 35 BauGB von Wilhelm Söfker im von Werner 491
Vgl. § 5 A I. Weiterführend Teubner, Verrechtlichung, 1984, S. 285 (334 ff.); Lammer, in: Mantl, Effizienz der Gesetzesproduktion, 1995, S. 59 (83 ff.); Bull, DV 2005, S. 285 (297 ff.). 493 Zahlreiche Beispiele unten § 9 D. 494 Bonk / Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 1 Rn. 270. 495 Näher Söfker, in: E / Z/B, BauGB, Band II, § 35 Rn. 4 ff: Novellierungen der Vorschrift gab es 1976, 1979, 1986, 1990, 1993, 1996, 1998, 2004, 2005 und 2007. 496 Näher Marcks, in: Landmann / Rohmer, GewO, Band 1, § 35 GewO Rn. 1 ff. 492
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Ernst, Willy Zinkhahn und Walter Bielenberg begründeten Erläuterungswerk 236 Seiten. Allein die – auf das Bundesverwaltungsgericht beschränkten – Rechtsprechungsnachweise umfassen mehr als 400 einschlägige Entscheidungen. Für die Darstellung des § 10 BImSchG benötigt Alexander Roßnagel im Gemeinschaftskommentar zum Bundesimmissionsschutzgesetz 179 Druckseiten, während sich Dieter Czajka im von Gerhard Feldhaus herausgegebenen Großkommentar mit 97 Seiten „begnügt“. Peter Marcks kommentiert § 35 GewO auf 157 Seiten. Die so entstandene Hypertrophie schädigt letztlich das Recht selbst und ist keinesfalls Ausweis funktionierender Rechtsstaatlichkeit 497. 2. Auswege aus der Verrechtlichungsfalle Das Bemühen, „die Rechtsordnung auch als eine Art Rückversicherungsordnung für die Akteure beim Schutz vor Kontrollmechanismen auszubauen“ 498, hat im Zusammenspiel mit den anderen dargestellten Mechanismen dazu geführt, dass sich die deutsche Gesellschaft gegenwärtig nicht nur aus der „Politikverflechtungsfalle“ 499, sondern überdies aus einer „Verrechtlichungsfalle“ 500 befreien muss. Da rechtliche Übersteuerung das Recht selbst schädigt und in den letzten Jahrzehnten das rechte Maß im Umgang mit den Ressourcen des Rechts verloren gegangen ist 501, stehen die Normgeber auf allen Stufen des Verbundföderalismus in der permanenten Pflicht, alle Teilgebiete des Rechts systematisch auf evtl. Überregulierungen zu untersuchen. Die Überprüfung des geltenden Rechts auf Bereinigungspotenziale wurde in der Bundesrepublik Deutschland lange Zeit allerdings eher beiläufig und unsystematisch und somit in verfassungsrechtlich defizitärer Weise durchgeführt 502. Legislative und Exekutive als zentrale Steuerungsakteure bei der Normgebung sind zwecks Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats bereits von Verfassungs wegen verpflichtet, Gesetze, Rechtsverordnungen sowie die in ihrer praktischen Bedeutung kaum zu überschätzenden Verwaltungsvorschriften kontinuierlich und institutionell abgesichert auf ihre Notwendigkeit zu überprüfen, auf Schwachpunkte abzuklopfen und bestehende Überregulierung ggf. zu beseitigen. Dieser Verfassungsauftrag besteht auch deshalb, weil in einer jedenfalls de facto marktwirtschaftlichen, auf dem Prinzip der Handlungsfreiheit beruhenden 497
Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, II/23. Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 13. 499 Begriffsprägend Scharpf / Reissert / Schnabel, Politikverflechtung, 1976. Zum gegenwärtigen Stand der Diskussion Schmidt, Das politische System Deutschlands, 2007, S. 210 ff. 500 Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 13. 501 Vgl. Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, II/23; Lerche, in: Maunz / Dürig, GG Art. 83 Rn. 17; Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 830 f. 502 Fliedner, Gute Gesetzgebung, S. 39. 498
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Ordnung jede Art der Regulierung einer normativen Rechtfertigung bedarf. Das schließt die Pflicht ein, bestehende Normierungen in einem stetigen und kontinuierlichen Prozess zu beobachten und Überregulierungen zu beseitigen 503. In gleicher Weise wie sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ein Optimierungsgebot entnehmen lässt, welches den Gesetzgeber verpflichtet, für die Herstellung ausgewogenen Rechtsschutzes Sorge zu tragen 504, besteht jedenfalls in überregulierten Rechtsbereichen im Rahmen der Verfahrensoptimierung ein Verfassungsauftrag zur Deregulierung. Erste, wenn auch bescheidene, Erfolge bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe sind (vor allem auf Landesebene) 505 bereits zu erkennen, während sich der Bundesgesetzgeber mit der Reduzierung der Normdichte insgesamt schwer tut 506. Einen erheblichen Reformimpuls für die Rechtsvereinfachung löste Art. 5 Abs. 1 DLRL aus, welcher die Mitgliedsstaaten zu einem umfassenden „Normenscreening“ verpflichtete. Das nationale Recht musste unter dem Gesichtspunkt überprüft werden, ob die für die Aufnahme und die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit geltenden Vorschriften hinreichend einfach waren. Sofern dies nicht der Fall war, mussten die Mitgliedsstaaten entsprechende Gesetzgebungsaktivitäten entfalten. Einer Überprüfung mussten sämtliche Rechtsnormen auf allen staatlichen oder vom Staat mit Rechtssetzungsbefugnissen ausgestatteten Ebenen unterzogen werden 507. In der Bundesrepublik Deutschland wurde die Normprüfung in 14 Bundesressorts und 16 Bundesländern, sowie bei ca. 12.500 Kommunen und 234 Kammern durchgeführt, was fürwahr eine „Herkulesaufgabe“ darstellte. 3. Grenzen des Deregulierungsauftrages Die verfassungsrechtliche Pflicht zur ständigen Überprüfung bestehender Rechtsvorschriften auf evtl. Optimierungspotentiale darf aber nicht zur „Deregulierung um jeden Preis“ pervertieren. Deregulierung verlangt vielmehr Realismus, Augenmaß und Geduld, was in der gegenwärtigen Diskussion nicht 503 Zur Rechtfertigung bestehender Regulierungen bedienen sich Nationalökonomie und Politikwissenschaft der Regulierungstheorie. Vgl. Basedow, Regulierung, S. 5 ff; Müller / Vogelsang, Staatliche Regulierung, 1979, S. 101 ff; Rolf Weber, Wirtschaftsregulierung, 1986, S. 80 ff. 504 BVerfGE 96, 44 (50) spricht von der Pflicht, eine „möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle“ zu gewährleisten. 505 Beispielhaft ist etwa die 2006 novellierte LBauO M-V, in der das Abstandsflächenrecht von 15 auf sieben und das Stellplatzrecht von neun auf drei Absätze reduziert wurde. Vgl. näher § 19 A III 3. 506 Exemplarisch die Neuregelung des § 14 GewO durch Gesetz vom 07. 09. 2007; BGBl. I, S. 2246 ff. Die bisher schon elf Absätze umfassende Vorschrift wurde nochmals um drei Absätze erweitert. 507 Näher § 19 C III 1.
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immer hinreichend beachtet wird. Eine komplexe Risikogesellschaft kann nicht ohne rechtlich verbindliche Regeln des Zusammenlebens auskommen und bedarf daher der normativen Steuerung. Gefordert ist allerdings die Herausbildung einer neuen Ethik, die in einen Grundkonsens münden sollte, welche gesetzlichen Regelungen eine Gesellschaft zwingend benötigt und in welchen Fällen ein Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeit der Verwaltung angezeigt ist 508. Der verfassungsrechtliche Auftrag zur Auslotung bestehender Deregulierungspotenziale schließt zudem die sorgfältige Berücksichtigung der Deregulierung möglicherweise entgegenstehender Werte von Verfassungsrang ein. Evtl. widerstreitende Verfassungsprinzipien wie Effektivität des Rechtschutzes und die grundrechtssichernde Funktion von Verfahrensgarantien müssen in alle Reformüberlegungen einbezogen werden.
B. Regelungsoptimierung aus der Perspektive der Exekutive: Verfassungsrechtliche Pflichten zur Optimierung von Verwaltungsverfahren? Nachdem die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Regelungsoptimierung für den Normgeber dargestellt worden sind, gilt es nunmehr die Perspektive zu wechseln und zu klären, ob solche Anforderungen auch für die Exekutive mit Blick auf die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens bestehen. Ausgangspunkt der nachfolgenden Überlegungen ist das Fehlen einer dem Art. 41 GRC vergleichbaren ausdrücklichen Garantie einer „guten Verwaltung“ im nationalen Rechtssystem. Weder das Grundgesetz noch die Landesverfassungen kennen eine solche Gewährleistung – sei es als Grundrecht, Staatszielbestimmung oder als Optimierungsgebot. Zu untersuchen ist deshalb, ob sich ein solcher Anspruch oder jedenfalls bestimmte Teilgewährleistungen „guter Verwaltung“ aus Einzelbestimmungen der Verfassung herleiten lassen. Als entsprechende „Einfallstore“ hierfür kommen vor allem Art. 19 Abs. 4 GG, das Rechtsstaatsprinzip sowie die sonstigen Freiheitsgrundrechte in Betracht. Anschließend wird die Frage aufgeworfen, inwieweit sich aus diesen Bestimmungen Rechte des Bürgers und Pflichten des Staates in Bezug auf eine Regelungsoptimierung im Verwaltungsverfahren herleiten lassen. Dabei wird zunächst die Reichweite der Garantien auf ein faires (I.), einfaches und verständliches Verwaltungsverfahren dargestellt (II.). Sodann soll der bestehende Rechtszustand in der Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf die Garantie einer „guten Verwaltung“ abgebildet werden, wobei de lege ferenda für die Etablierung eines entsprechendes Staatsziels plädiert wird (III.). Darüber hinaus soll der rechtliche Gehalt zweier Zentralbegriffe der Verwaltungsreform erläutert werden. Das Streben nach Effizienz und Effektivität von 508 Weidemann, DVP 2007, S. 403 (407 f.) fordert ein „neues Vertrauen“ in die Gestaltungsfähigkeit der Administration.
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Verwaltungsverfahren dominiert den derzeitigen Verwaltungsmodernisierungsdiskurs, so dass zunächst der Inhalt dieser Begriffe zu klären und schließlich zu untersuchen ist, ob es sich hierbei um Rechtsprinzipien von Verfassungsrang handelt (IV). I. Recht auf ein faires Verwaltungsverfahren Art. 20 Abs. 3 GG garantiert ein rechtsstaatliches Verwaltungsverfahren, ohne dass sich allerdings aus dem relativ offenen Rechtsstaatsprinzip in allen Einzelheiten bestimmbare Gebote oder Verbote, Rechte oder Pflichten für die Verfahrensgestaltung ergeben würden 509. Das verfassungsrechtliche Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und die darauf aufbauenden Prinzipien des objektiv rechtsstaatlichen und subjektiv grundrechtsrelevanten Verwaltungsverfahrens 510 gebieten es dem Gesetzgeber aber, bei der Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrensrechts gewisse verfassungsrechtliche Mindeststandards nicht zu unterschreiten 511. Hierzu gehört insbesondere die Gewährleistung eines sachgerechten, geeigneten und zumutbaren Verfahrens, das gegenüber dem Bürger fair ausgestaltet sein muss 512. Die Rechtsprechung zieht die unmittelbar durch das Rechtstaatsprinzip gewährleistete Garantie eines fairen Verfahrens 513 und der Waffengleichheit zwischen den Verfahrensbeteiligten häufig heran, um bestimmte Verfahrensgarantien eines Beteiligten verfassungsrechtlich zu verorten 514. Auch das BVerwG erkennt mittlerweile an, dass es sich bei der Gewährleistung eines fairen Verwaltungsverfahrens um einen allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsatz handelt 515. Das Prinzip gilt für alle Arten von Verwaltungsverfahren 516 und umfasst eine Vielzahl von Einzelgewährleistungen, die als subjektiv-öffentliche Rechte garantiert sind 517. Es verleiht aktive verfahrensrechtliche Befugnisse, die 509
Vgl. BVerfGE 7, 89 (92); 53, 115 (127); 65, 283 (290); 74, 129 (152); BVerwGE 74, 109 (112), NVwZ 1987, S. 886; Schoch, DV 1992, S. 21 ff; Bonk, NVwZ 1997, S. 320 (322). 510 Zum Grundrechtsschutz durch Verfahren Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981; Laubinger, VerwArch 73 (1982), S. 60; Grimm, NVwZ 1985, S. 865. 511 Vgl. die Übersicht bei Bonk / Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 1 Rn. 30. 512 BVerfGE 60, 253 (295); 69, 1; 78, 123; Schmitt-Glaeser / Schmidt-Aßmann, Verfahren; Tettinger, Fairness und Waffengleichheit. Eingehend Czybulka, Legitimation, S. 265 ff., wonach „die Herstellung (oder Umsetzung) von Individualbezogenheit legitimatorische Pflicht der Verwaltung ist“ und „optimierte Sachrichtigkeit vor allem durch faires Verfahren erreicht werden“ kann. 513 BVerfGE 26, 66 (71); 38, 105 (111) – strafrechtliches Verfahren -; BVerfGE 101, 397 – Rechtsschutz gegen Rechtspfleger –; BVerfG NJW 1987, S. 2569 – kartellrechtliches Verfahren. 514 Vgl. BVerfGE 42, 64; 49, 220 (225); 101, 397 sowie BVerwG NVwZ 1991, S. 781. 515 BVerwG NVwZ 2001, S. 94 (95).
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dem Beteiligten die Möglichkeit geben, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen, und die verhindern sollen, dass er zu einem bloßen Objekt des Verfahrens herabgewürdigt wird. Gewährleistet wird allerdings nicht mehr als ein regelmäßig durch die einzelnen Verfahrensordnungen konkretisierter Mindestbestand von Verfahrensrechten 518. Eine abstrakt-generelle Inhaltsbestimmung dieses Prinzips ist kaum möglich, so dass sich die aus jenem Grundsatz ergebenden Ge- und Verbote lediglich punktuell entwickelt und geklärt werden können 519. Als allgemeines Rechtsprinzip bleibt der Grundsatz des fairen Verwaltungsverfahrens deshalb relativ konturenschwach und bedarf in besonderem Maße der Ausgestaltung durch den einfachen Gesetzgeber. Auf Grund seiner starken Betonung des Verfahrensgedankens lässt sich aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens jedenfalls noch kein Recht auf eine materiell „gute“ Verwaltung ableiten. II. Recht auf einfache und verständliche Verwaltungsverfahren Klar strukturierte, verständliche und übersichtliche Verwaltungsverfahren sind Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips 520. Verwaltungsverfahren können ihre Ziele nur erreichen, wenn sie so übersichtlich, einfach und verständlich wie möglich ausgestaltet sind. Der Betroffene darf beispielsweise nicht im Unklaren darüber gelassen werden, in welchem Verfahren und welchem Verfahrensstadium er sich befindet, wie der Verfahrensgang bei der Behörde ist und welche Entscheidungsform zur Anwendung kommt 521. Besondere Anforderungen an die Verfahrensklarheit gelten bei polygonalen Verwaltungsmaßnahmen und komplexen Verwaltungsverfahren 522. Gerade hier sind die mit divergierenden Interessen ausgestatteten Beteiligten darauf angewiesen, in jeder Verfahrensphase erkennen zu können, „worum es geht und welche Teile des komplexen Verfahrensgegenstandes bereits verbindlich entschieden werden sollen“ 523. Vor allem in rechtsförmig gestuften Verfahren müssen die Entscheidungsphasen klar gegliedert und der 516 Zur Geltung im allgemeinen Verwaltungsverfahren BVerwG NVwZ 2001, S. 94 (95); im Prüfungsverfahren BVerwGE 107, 363 (368 ff.); im Disziplinarverfahren BVerfG, DVBl 2001, S. 118. 517 BVerwG NJW 1985, S. 339; Bay VGH, NUR 1987, S. 220. Eingehend zu legitimatorischen Einzelanforderungen an die Verfahrensgestaltung Czybulka, Legitimation, S. 276 (281 ff.). 518 P. Stelkens / Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 9 Rn. 60. 519 BVerwG NVwZ 2001, S. 94 (95). 520 Zum Grundsatz der Formen- und Verfahrensklarheit etwa BVerwGE 74, 124 ff; 101, 64 (69); BVerwG NVwZ 1989, S. 655 sowie OVG Berlin, NVwZ-RR 1993, S. 289. 521 Clausen, in: Knack, VwVfG, Vor § 9 Rn. 17 m.w. N. 522 Eingehend zu den (erhöhten) Legitimationsanforderungen in diesen Konstellationen und zur Gefahr der Selbstüberlastung der Verwaltung in solchen Verfahren Czybulka, Legitimation, S. 300 ff.
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„phasenspezifische Entscheidungsgehalt“ auch für den nicht rechtskundigen Betroffenen eindeutig erkennbar sein 524. Nur wenn dieser Grundsatz beachtet wird, ist es verfassungsrechtlich zulässig, solche Verfahren mit verfahrensbeschleunigenden Präklusionsregeln und Darlegungslasten zu strukturieren 525. Angesichts der Kompliziertheit und Zersplitterung des derzeit geltenden Fachplanungs-, aber auch des Anlagenzulassungsrechts erscheint fraglich, ob das geltende Recht dem Verfassungsgebot der Reduktion von Komplexität 526 in allen Punkten entspricht. Auch insoweit besteht von Verfassung wegen die Pflicht des Gesetzgebers, den überkommenen Normbestand zu optimieren 527. III. Recht auf eine gute Verwaltung 1. Geltende Rechtslage Anders als in Art. 41 GRC und in §§ 21 Abs. 2 und 124 der finnischen Verfassung ist ein „Recht auf eine gute Verwaltung“ im deutschen Rechtskreis positivrechtlich nicht normiert. Während der EuGH den Begriff der „guten Verwaltungspraxis“ bereits seit den 1960er Jahren gebraucht und das „Recht auf gute Verwaltung“ derzeit „europäische Karriere“ macht 528, springt das vollständige Schweigen von Grundgesetz und Landesverfassungen zu diesem Thema ins Auge. Im angelsächsischen Kulturkreis wird die besondere Aufgabe einer „good administration“ traditionell dahingehend verstanden, so rasch wie möglich eine im öffentlichen Interesse wünschenswerte Lösung zu finden 529. Dem Verfassungs- und Verwaltungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland blieb der Gedanke, dem Bürger eine „gute Verwaltung“ zu garantieren, dagegen lange fremd 530. Von den Erfahrungen des Nationalsozialismus geprägt, war der rechtswissenschaftliche Diskurs in der Bundesrepublik Deutschland vielmehr zunächst durch ein „fast grenzenloses Misstrauen gegenüber einer entfesselten Exekutive, gepaart mit einem fast grenzenlosen Vertrauen in eine bis zum Mythos stilisierte 523
Schmidt-Aßmann, HdbStR, Band 2, 3. Auflage 2004, § 26 Rn. 77. Nach Czybulka, Legitimation, S. 303 f. obliegt es der Verwaltung, alles ihr Mögliche und Zumutbare zu tun, „um selbstgeschaffene Komplexität schon im Hinblick auf die Erhaltung ihrer gerichtlichen Kontrollfähigkeit zu reduzieren“. Ggf. bestehe die Verpflichtung, „Verfahren phasenmäßig zu gliedern und diese Abschnittsentscheidungen ... gerichtlicher Kontrolle zugänglich zu machen.“ 525 Schmidt-Aßmann, HdbStR, Band 2, 3. Auflage 2004, § 26 Rn. 77. 526 Zur Reduktion von Komplexität als Verfassungsziel Czybulka, Legitimation, S. 304 mit Fn. 284. 527 Das abermalige Scheitern des Umweltgesetzbuch des Bundes – vgl. § 20 A IV 1 – ist insofern auch verfassungsrechtlich problematisch. 528 Ausführlich oben § 6 B III und IV. 529 Näher Bullinger, in: Festschrift für Brohm, S. 25 (28 ff.). 530 Martinez Soria, EuR 2001, S. 682 (685). 524
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Unabhängigkeit der Justiz“ 531 bestimmt. Nicht der Gedanke des Schutzes des Bürgers durch die Verwaltung, sondern der Schutz des Bürgers gegen die Verwaltung wurde zum Hauptanliegen des Rechtsstaats erklärt 532. Dass gerade Verwaltungsverfahren der Verwirklichung von Freiheitsgrundrechten dienen, wurde in der stark justizzentrierten rechtswissenschaftlichen Diskussion lange vernachlässigt. Erst in den 1970er Jahren rückte der Gedanke des Grundrechtsschutzes durch Verfahren in der Folge des Mülheim-Kärlich-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts 533 stärker in den Mittelpunkt rechtswissenschaftlichen Interesses. Die mit dieser Entscheidung eingeleitete zweite Phase der Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutzes in der Bundesrepublik Deutschland betonte vor allem die Verfahrensfunktion der Grundrechte. Diese sollten „nicht nur die Ausgestaltung des materiellen Rechts beeinflussen, sondern zugleich Maßstäbe für eine den Grundrechtsschutz effektuierende Organisations- und Verfahrensgestaltung sowie für eine grundrechtsfreundliche Anwendung vorhandener Verfahrensvorschriften setzen“ 534. Die durch eine solche Perspektive zeitweise entfachte „Verfahrenseuphorie“ 535 ebbte allerdings im Zuge der ersten Entbürokratisierungsdiskussionen in den 1980er Jahren wieder ab und wurde zunächst durch eine Phase der Relativierung, später gar durch eine „Bagatellisierung der Verfahrensrechte“ ersetzt 536. Anerkannt ist heute allerdings, dass sich ein Anspruch auf grundrechtssicherndes Tätigwerden der Verwaltung aus den Freiheitsgrundrechten ergeben kann, wenn sich die Grundrechtsbetätigung – etwa im Bereich des Versammlungsrechts – nicht ohne Hilfe der Verwaltungsbehörden verwirklichen lässt 537. Von einer objektiven Verfahrensgarantie oder gar einem subjektiven Recht auf gute Verwaltung kann de constitutione lata allerdings nicht die Rede sein 538. 2. Plädoyer für ein Staatsziel „guter Verwaltung“ Die defizitäre Ausprägung des Prinzips einer „guten Verwaltung“ im deutschen Verfassungs- und Verwaltungsrecht ist bedauerlich. Vornehmste Aufgabe der Verwaltung ist es, die Freiheitsverwirklichung des Einzelnen unter Berück531 532 533 534 535
S. 1 ff.
Kahl, VerwArch 95 (2004), S. 1 (4). So die Grundsatzkritik von Bullinger, in: Festschrift für Brohm, S. 25 (26). BVerfGE 53, 30 ff. Vgl. BVerfGE 69, 315 (355); Alexy, S. 428 ff; Kahl, VerwArch 95 (2004), S. 1 (4). Exemplarisch Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien; Bethge, NJW 1982,
536 Näher Kahl, VerwArch 95 (2004), S. 1 (5 ff.), der von einer „Phase der weitgehenden Verfahrensmarginalisierung“ und einer gegenwärtigen „antiprozeduralen Grundtendenz“ spricht. 537 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG I, Art. 8 Rn. 113 ff.; Bullinger, in: Festschrift für Brohm, S. 25 (26). 538 Bullinger, in: Festschrift für Brohm, S. 25 (26 f.).
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sichtigung von Gemeinwohlinteressen und entgegenstehender Rechte Dritter zu gewährleisten. Dieses Selbstverständnis bestimmt zunehmend auch das Berufsethos der meisten Verwaltungsmitarbeiter und ist auf dem besten Wege, zu einem festen Bestandteil der Verwaltungskultur zu werden 539. Umso wichtiger erscheint es, die von der europäischen Ebene ausgehenden Impulse 540 zu nutzen und die Idee eines verfassungsrechtlich grundierten Rechts auf „gute Verwaltung“ auch in Deutschland stärker als bisher zu verbreiten. „Einfallstore“ für eine entsprechende verfassungsrechtliche Gewährleistung könnten dabei Art. 19 Abs. 4 GG, das Rechtsstaatsprinzip sowie die Freiheitsgrundrechte sein. Das Prinzip einer „guten Verwaltung“ stärker als bisher in der Öffentlichkeit zu kommunizieren und für eine entsprechende Staatszielbestimmung zu plädieren, vermag überdies eine Diskussion darüber anzustoßen, welche Kriterien für eine „gute Verwaltung“ maßgeblich sind. Ein solcher Diskurs könnte dazu beitragen, die häufig zu einseitig auf Schlüsselbegriffe wie „Entbürokratisierung“ und „Deregulierung“ 541 fixierte Verwaltungsmodernisierungsdiskussion auf ein breiteres verfassungsrechtliches Fundament zu stellen. IV. Effizienz und Effektivität der Verwaltung Wie soeben gezeigt, ist die deutsche Rechtsordnung derzeit noch weit davon entfernt, eine „gute Verwaltung“ als verfassungsrechtlich verbindliches Rechtsprinzip anzuerkennen. Deshalb stellt sich die Frage, ob zumindest Einzelelemente einer materiell „guten“ Verwaltung als bindende Rechtsprinzipien garantiert sind. Die nachfolgenden Ausführungen sollen sich dabei auf die den gegenwärtigen Verwaltungsreformdiskurs prägenden Aspekte der Effizienz und Effektivität von Verwaltungsverfahren beschränken. 1. Begriffsbestimmungen a) Effizienz Während im älteren juristischen Schrifttum selten zwischen Effizienz, Effektivität, Leistungsfähigkeit oder Funktionstüchtigkeit von Verwaltungsverfahren unterschieden wurde 542, hat sich mittlerweile eine klarere Begrifflichkeit durchgesetzt 543. In Anlehnung an die betriebswirtschaftliche Terminologie wird nun539 Zu Begriff und Konzept von „Verwaltungskultur“ Czybulka, Verwaltungsreform, S. 79 (91 ff.). 540 Dazu oben § 6 B III und IV. 541 Zur Problematik dieser Schlüsselbegriffe im Modernisierungsdiskurs vgl. § 4 B III 2 und 3. 542 Vgl. etwa Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip; Häberle, AÖR 98 (1973), S. 625 ff; Wahl, VVDStRL 41 (1983), S. 153 (162 f.).
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mehr auch in der Verwaltungsrechtswissenschaft unter Effizienz das Verhältnis der eingesetzten Kosten (Mittel, Ressourcen) zu dem angestrebten Ziel (Nutzen, Erfolg) verstanden 544. Als Minimalprinzip verpflichtet das Effizienzprinzip, ein festgelegtes Ziel mit dem geringstmöglichen Ressourceneinsatz zu erreichen. Als Maximalprinzip verlangt es dagegen, mit feststehenden Mitteln den größtmöglichen Nutzen anzustreben. Der Effizienzgedanke ist somit eine „Entscheidungsregel für eine optimale Ressourcenallokation“ 545. Da alle öffentliche Gewalt auf das Gemeinwohl verpflichtet ist, darf der Effizienzgedanke allerdings nicht auf bloße Rentabilitätskriterien beschränkt werden. Um alle Aspekte eines angemessenen Ressourceneinsatzes in der öffentlichen Verwaltung zu erfassen, sind auch andere als reine Wirtschaftlichkeitskriterien in die Effizienzanalyse einzustellen. Das führt zwar zu einer nachlassenden Bestimmtheit der einzustellenden Kriterien und birgt die Gefahr der Schwächung des Effizienzprinzips in sich 546, ist aber dennoch ohne Alternative. Organisatorische, personale, soziale und verfahrensrechtliche Aspekte müssen bei der Effizienzbeurteilung schon deshalb mitberücksichtigt werden, um der Gefahr einer allzu einseitigen Überbetonung der öffentlichen Finanzen zu Lasten der anderen öffentlichen Güter zu begegnen 547. Dieser Gedanke führt zu einer Erweiterung eines allein betriebswirtschaftlich definierten Effizienzprinzips 548 hin zu einer umfassenden verwaltungswissenschaftlich bestimmten Gemeinwohleffizienz, welche das „Gebot schonenden Ressourceneinsatzes“ 549 beinhaltet. b) Effektivität Anders als das Effizienzprinzip, welches vorrangig nach den Kosten von Verwaltung fragt, ist Effektivität eine Maßgröße für die Zielerreichung. Effektivität des Rechts meint dessen Wirkungs- bzw. Steuerungskraft und damit seine „Wirksamkeit als Grad der Verwirklichung des normativen Programms“ 550. Mit 543 Grundlegend Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 11 (17 f.). 544 Gröpl, VerwArch 93 (2002), S. 459 (463 f.); Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, VI/ 64. 545 Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 245 (246). 546 Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 245 (247) will daher Effizienzüberlegungen nach einem „Kern-Schalen-Modell“ durchführen, in dem die ökonomische Effizienz im Mittelpunkt steht und das von dort zur Gemeinwohleffizienz fortschreitet. 547 Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 245 (248). 548 Zu ökonomischen, organisatorischen, prozeduralen, personalen und normativen Dimensionen der Effizienz Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 11 (27 ff.). 549 Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 11 (17; 28). 550 Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 11 (17).
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der Orientierung am Maßstab der Zielerreichung innerhalb vorgegebener Rahmenbedingungen verweist das Effektivitätsprinzip auf einen Soll-Ist-Abgleich zwischen einem angestrebten Steuerungsziel und den realisierten bzw. realisierbaren Steuerungswirkungen und knüpft so an die Verwendung des Begriffes in organisationstheoretischer Hinsicht an. Effektiv ist ein Verwaltungshandeln dann, wenn es bestimmte vorher definierte Ziele – seien es Rechtsschutz, Akzeptanz, Bürgernähe, Zügigkeit, Entscheidungsrichtigkeit – erreicht. Normativ stellt Effektivität einzig auf die Verwirklichung des angestrebten Zustandes ab. Mit welchen Ressourcen das angestrebte Steuerungsziel erreicht wird oder welcher Ressourceneinsatz welchen Grad der Zielerreichung rechtfertigt, bleibt aus dem Effektivitätsbegriff ausgeklammert 551. Diese „Ressourcenblindheit“ birgt die Gefahr, dass eine die erforderlichen Mittel aus dem Blick verlierende Forderung nach einem effektiven Verwaltungsrechtsschutz zu gesellschaftlich unerfüllbaren Maximalforderungen führt 552. 2. Effizienz und Effektivität von Verwaltungsverfahren als Optimierungsgebote Effizienz und Effektivität von Verwaltungsverfahren gehen zwar von unterschiedlichen Ansatzpunkten aus, sind aber keine unversöhnlichen Gegensätze. In Verwaltungsverfahren müssen beide Prinzipien zur bestmöglichen Geltung gemacht werden. Es verbietet sich deshalb – wie im Rahmen der rechtswissenschaftlichen Effizienzdiskussion Anfang der 1980er Jahre und der seit Beginn der 1990er Jahre geführten Beschleunigungsdiskussion teilweise geschehen – Frontstellungen zwischen Effizienz und Effektivität als vermeintlichen Antipoden aufzubauen. Zielstellung eines rationalen Verwaltungshandelns muss es sein, Effektivität und Effizienz der Verwaltung in jeweils bestmöglicher Weise zu gewährleisten. „Gutes“ Verwaltungshandeln darf sich daher „weder monofinalen Effektivitätsforderungen noch einem verengten Rentierlichkeitsdenken verschreiben“ 553 und muss bestrebt sein, sowohl effektives als auch effizientes Verwaltungshandelns zu gewährleisten. Dabei hat ein effizientes, d. h. ein die nur begrenzt verfügbaren Mittel optimal nutzendes, Verwaltungshandeln zunächst die Vermutung für sich, auch effektiv zu sein 554. Jede Argumentation mit dem Effizienzprinzip muss bindende Zielsetzungen und Vorgaben über den Grad der gebotenen Zielerreichung respektieren. Erheblich kann das Effizienzprinzip deshalb nur dann werden, wenn es zu klären gilt, ob im Hinblick auf die vorgegebenen Ziele verschiedene Optionen verfügbar sind. Ist dies der Fall, so zwingt 551
Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 11 (17). Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 245 (248) am Beispiel der Forderung nach einem effektiven Rechtsschutz i. S. d. Art. 19 Abs. 4 GG. 553 Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 245 (249). 554 Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 245 (249). 552
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das Effizienzprinzip zur Wahl der Option mit möglichst schonendem Ressourceneinsatz 555. Mit anderen Worten: Verwaltungshandeln muss so effektiv und effizient sein, wie dies in der Rechtsordnung vorgeschrieben ist. Insofern besteht ein an Gesetzgeber und Verwaltung gerichteter „programmatischer Auftrag“ zur möglichst effektiven und effizienten Gestaltung des Verwaltungshandelns 556. 3. Effizienz als Verfassungsprinzip? a) Schwache Ausprägung des Effizienzprinzips im deutschen Rechtskreis Das Effizienzprinzip ist im Recht der Europäischen Union ausdrücklich normiert 557. Auch angelsächsische sowie andere kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen sind stark durch Effizienzgesichtspunkte geprägt 558. Dagegen ist dieser Grundsatz in der deutschen Verfassungs- und Verwaltungstradition nur sehr schwach ausgeprägt 559. Obwohl es zu den Grunderkenntnissen der Entscheidungstheorie gehört, dass die Informationsgewinnung und deren Verarbeitung unter dem Zwang knapper finanzieller und zeitlicher Ressourcen stehen 560, spielten Effizienzgesichtspunkte in der deutschen verwaltungswissenschaftlichen Diskussion lange nur eine untergeordnete Rolle. Bis heute ist das gesamte Haushaltsrecht aus dem sonstigen Verwaltungsrecht weitgehend ausgeklammert und wird als „bloßes Innenrecht von dem sozusagen vollrespektablen sonstigen Verwaltungsrecht systematisch getrennt“ 561. Wirtschaftlichkeit wird damit zu einem allenfalls Haushaltsrechtler interessierenden, aus der juristischen Ausbildung weitgehend ausgeklammerten Randthema und im sonstigen Verwaltungsrecht bestenfalls als marginal, häufiger jedoch sogar als Fremdkörper empfunden 562. In der seit Anfang der 1980er Jahre geführten Diskussion um das „Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag“ 563 555
Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 11 (18). Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 11 (19). 557 Art. 120 Satz 2 AEUV verpflichtet die Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten auf einen effizienten Einsatz der Ressourcen. 558 Nachweise bei Martinez Soria, EuR 2001, S. 682 (685 f.) und Schwarze, DVBl 1996, S. 881. 559 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee VI/69 mit umfangreichen Nachweisen. 560 Holznagel, in: Hofmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 205 (207). 561 Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 245 (258). 562 Kritisch Papier, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 231 ff. 563 So das Thema der Staatsrechtslehrertagung 1982 mit Referaten von Wahl, VVDStRL 41 (1983), S. 151 ff. und Pietzcker, S. 193 ff. sowie Begleitaufsätzen von Ossenbühl, NVwZ 1982, S. 467 ff; Schenke, VBlBW 1982, S. 313 ff. und Degenhardt, DVBl 1982, S. 872 ff. 556
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wurde deshalb vielfach ein grundsätzlicher Widerspruch zwischen den Prinzipien der Verwaltungseffizienz und des Rechtsstaats ausgemacht 564. Das Rechtsstaatsprinzip wurde regelmäßig ausschließlich auf die Gewährleistung inhaltlich richtiger Entscheidungen reduziert, ohne den dabei entstehenden Zeit- und Kostenaufwand zu berücksichtigen 565. Setzte sich die rechtswissenschaftliche Forschung ausnahmsweise mit Effizienzgesichtspunkten auseinander, so wies sie überwiegend auf die Gefahren hin, die das Effizienzprinzip für andere Rechtsgüter beinhaltete und bemühte sich, dessen Wirkungskraft zu minimieren 566. Lediglich vereinzelt finden sich im älteren rechtswissenschaftlichen Schrifttum Stimmen, welche die Marginalisierung von Effizienzgesichtspunkten kritisieren 567. So blieb die nahezu vollständige Verbannung fiskalischer Erwägungen aus dem Bereich der Ermessenslehre lange Jahre nahezu unangefochten 568. Erst in den letzten Jahren wurde diesbezüglich ein Bewusstseinswandel eingeleitet 569. Vielfach wurde der Effizienzgedanke als allgemeines Rechtsprinzip sogar ausdrücklich abgelehnt und lediglich die Effizienzorientierung einzelner Rechtsfiguren zugestanden 570. Sehr selten wurde auch die fundamentale Erkenntnis ausgesprochen, dass über die knappen Ressourcen der Verwaltung mit den Mitteln der Rationalität disponiert werden müsse. Erst die sich verstärkende Finanzkrise und der Gedanke eines zunehmend „überforderten Staates“ führten in den 1990er Jahren zu einer intensiveren Diskussion über „Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht“. Im Rahmen dieser Debatte wurde erkannt, dass der Effizienzgedanke verkrustete Strukturen aufbrechen, „Anstöße zur Behebung von Missständen bzw. zu überfälligen Reformen“ 571 geben und als „Steuerungschance und möglicherweise Moderni564
W. Leisner, Effizienz, S. 58; Pietzcker, VVDStRL 41 (1983), S. 193 (196 f.). Kritisch zur traditionellen Indifferenz der Verwaltung gegenüber der Zeitdauer des Verwaltungsvollzuges, Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 24 f. 566 Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 6. 567 Vgl. etwa Wagener, VVDStRL 41 (1983), S. 272 f. Auch Wahl, VVDStRL 41 (1983), S. 151 (162 f; 187) zählt die als Wirtschaftlichkeit verstandene Effizienz der Verwaltung immerhin zu den aus ihrem „Gesamtauftrag“ zu folgernden Funktionen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht Eichhorn, Leistungssteigerung in der öffentlichen Verwaltung, S. 75 ff. 568 Kritisch bereits Dürig, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1 (1981), Rn. 362, 456. Zur Entwicklung Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, VI/69 und Papier, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 231 f. 569 Zur Berücksichtigung auch fiskalischer Erwägungen im Rahmen der Ermessenserwägungen nunmehr Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 40 Rn. 50; Gröpl, VerwArch 93 (2002), S. 459 (476 ff.); Schliesky, DVBl 2007, S. 1453 (1461). 570 Etwa von W. Leisner, Effizienz, S. 24 f; 30; 56; Häberle, AÖR 98 (1973), S. 625 ff; Pietzcker, VVDStRL 41 (1983), S. 193 (197). Zur Effizienzorientierung bestimmter Rechtsinstitute Pietzcker, VVDStRL 41 (1983), S. 193 (198; 205 und 209). 571 Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 6. 565
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sierungsgarant“ 572 genutzt werden könne. Breiten Raum nimmt seitdem auch die Frage ein, ob das Effizienzprinzip im deutschen Verfassungsrecht verankert ist. b) Verfassungsrechtliche Verankerungen des Effizienzprinzips Aus Art. 20 Abs. 2 GG ergibt sich, dass alle Staatlichkeit auf den Erhalt der Funktionsfähigkeit ihrer Grundlagen einschließlich ihrer staatlichen Einrichtungen angewiesen ist. Die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen zur Erfüllung staatlicher Ziele ist eine ungeschriebene normative Prämisse der Verfassung 573 und deren Erhalt ist an einen effizienten Ressourceneinsatz gebunden. Deshalb liegt der Gedanke nahe, dass das Effizienzgebot bereits in Art. 20 Abs. 2 GG vorausgesetzt wird 574. Das Effizienzprinzip ist überdies in Art. 20a GG verankert, wenn man diese Staatszielbestimmung zutreffend als einen staatlichen Auftrag zur nachhaltigen Ressourcenbewirtschaftung interpretiert. Das in Art. 20a GG zum Ausdruck kommende Nachhaltigkeitsprinzip ist Richtschnur nicht allein für die Umweltschutzpolitik, sondern enthält auch für alle anderen Politikbereiche einen Verfassungsauftrag zum effektiven Ressourceneinsatz 575. Verstärkt wird diese Sichtweise durch das Umweltziel der umsichtigen und rationellen Verwendung der natürlichen Ressourcen (Art. 191 AEUV) 576. Verfassungsrechtlich fundiert ist der – hier allerdings auf das Wirtschaftlichkeitsprinzip reduzierte – Effizienzgedanke überdies in Art. 114 Abs. 2 GG sowie den entsprechenden Vorschriften der Landesverfassungen (z. B. Art. 68 LVerf M-V). Bundesrechnungshof bzw. Landesrechungshöfe sind zur Rechungsprüfung sowie zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit und der Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung verpflichtet, wobei deren Mitgliedern gem. Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG, 68 Abs. 1 Satz 2 LVerf M-V die richterliche Unabhängigkeit gewährt wird. Zudem fungiert – was weniger bekannt ist – der Präsident des Bundesrechnungshofes traditionell als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, welcher mit erheblichen Kompetenzen ausgestattet ist 577. Dies belegt die starke Stellung der Rechungshöfe. Art. 114 572
Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 6. BVerfGE 44, 283; 44, 270; BVerwG NJW 1984, S. 189. 574 So BVerwG NJW 1984, S. 189, wo zusätzlich auf Art. 83 ff GG abgestellt wird. Ebenso Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 11 (21); ablehnend dagegen Schenke, VVDStRL 41 (1983), S. 274 f. sowie Püttner, VVDStRL 41 (1983), 282 f. 575 Vgl. Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 37. 576 Art. 191 Abs. 1, 3. Spiegelstrich AEUV intendiert eine dem Grundsatz der Nachhaltigkeit (vgl. Art. 11 AEUV; Art. 37 GRC) entsprechende schonende Nutzung der natürlichen Ressourcen und die Vermeidung jedweder Verschwendung im Interesse der Sicherung von deren langfristiger Verfügbarkeit. Dazu Kahl, in: Streinz EUV / EGV, Art. 174 EGV Rn. 51. 573
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Abs. 2 Satz 1 GG und 68 Abs. 3 und 4 LVerf M-V legen deshalb nicht nur einen umfassenden Kontrollauftrag fest, sondern beinhalten auch einen Handlungsmaßstab für die Exekutive 578. Diese ist deshalb schon von Verfassung wegen verpflichtet, ihre Aufgaben und Organisation an dem Gebot der Wirtschaftlichkeit auszurichten 579. Staatliche Aufgaben sind nur dann wirtschaftlich, wenn die Bedeutung der durch sie erreichten Ziele für das Gemeinwohl den eingesetzten Aufwand an Zeit, Arbeitskraft sowie Finanzmitteln als gerechtfertigt erscheinen lässt und die gleichen Ziele nicht auch mit geringerem Aufwand erreicht werden können 580. Insofern verpflichtet das Wirtschaftlichkeitsprinzip die Verwaltung zur Rationalisierung ihrer Entscheidungsprozesse und enthält einen permanenten verfassungsrechtlichen Auftrag an die Exekutive, ihre Organisation und ihre Entscheidungsverfahren auf Effizienzreserven zu überprüfen. Schließlich lässt sich die verfassungsrechtliche Pflicht zum schonenden Umgang mit öffentlichen Mitteln auch mit den Freiheitsgrundrechten in Beziehung setzen 581. So können öffentliche Abgaben im Lichte des Art. 14 GG nur insoweit gerechtfertigt werden, als diese dem Gebot der Wirtschaftlichkeit entsprechen 582. Auch Art. 33 Abs. 2 und 4; 83 ff. und 108 Abs. 4 GG sind vom Effizienzprinzip geprägt. 4. Effizienz als rechtliches Optimierungsgebot und Maßstab für das Verwaltungshandeln Bei dem normativ zu verstehenden Effizienzgebot handelt es sich nach alledem nicht um ein vages und variables Kriterium 583, sondern um ein bereits durch den Gedanken der Verteilungsgerechtigkeit verfassungsrechtlich fundiertes Rechtsprinzip, welches verbindliche Handlungsmaßstäbe für die Verwaltung enthält 584. In einer Zeit, wo die Begrenztheit öffentlicher Ressourcen allerorten zu Tage tritt, ist alle staatliche Gewalt zu einem möglichst schonenden Mit577 Zu dieser Institution eingehend Franz, DÖV 2008, S. 1042 ff. Einen Bundesbeauftragten für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung gibt es bereits seit 1952. Er steht in der Tradition des in der Weimarer Republik seit 1922 tätigen „Reichssparkommissars“. 578 So ausdrücklich VerfGH RhPf NVwZ-RR 1998, S. 145 (149); VerfGH NRW NVwZ 2004, S. 217 (218); Gröpl, VerwArch 93 (2002), S. 459 (474); Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, VI/66. 579 Ob das Wirtschaftlichkeitsprinzip auch für den Gesetzgeber gilt, ist strittig; vgl. Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 246 (255). 580 Vogel / P. Kirchhof, in: BK GG, Art. 114 Rn. 90. 581 v. Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, S. 72 ff. stellt auf Art. 1, 14 und 20 GG ab; ebenso Schmidt, Wirtschaftlichkeit in der öffentlichen Verwaltung, S. 16. 582 v. Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, S. 73; Fischer-Menshausen, in: v. Münch / Kunig GG III, Art. 114 Rn. 17; restriktiver allerdings Papier, in: Maunz / Dürig GG, Art. 14 Rn. 179. 583 Anders R. Schmidt, VerwArch 91 (2000), S. 149 (155 f.), wonach das Effizienzprinzip eine bloße „Handlungsanweisung“ ist.
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teleinsatz verpflichtet. Der Effizienzgedanke wird somit gleich mehrfach aus allgemeinen Rechtsprinzipien – etwa dem Vorsorgeprinzip, dem Prinzip der Ressourcengerechtigkeit und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip 585 – gespeist. Er lässt sich überdies in zahlreichen Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze von Bund und Ländern nachweisen, in denen der Gesetzgeber Vorkehrungen für einen effizienten Ressourceneinsatz geschaffen hat 586. Diese einfachgesetzlichen Gebote zur effizienzbetonten Gestaltung von Verwaltungsverfahren 587 enthalten immerhin „Einfallstore für eine Strategie der Ressourcenschonung“ 588, wenn sie auch bisher eine konsistente Fassung des Effizienzmaßstabes vermissen lassen 589. Die Rechtswissenschaft bleibt daher aufgefordert, den Effizienzgedanken zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz fortzuentwickeln. Dabei gilt es, dieses Prinzip als festen Maßstab des Verwaltungshandelns 590 zu etablieren. Das Allgemeine Verwaltungsrecht sollte deshalb über die bestehenden punktuellen Regelungen hinaus zu einem Recht fortentwickelt werden, dass in ausreichender Zahl Mittel zur Verfügung stellt, welche die Effizienz fördern. a) Perspektiven und Grenzen des Effizienzgebotes In der heutigen Zeit, wo überwiegend ökonomische Überlegungen und Strategien der Deregulierung, Beschleunigung und „Entbürokratisierung“ die Verwaltungsreformdiskussion beherrschen, muss allerdings daran erinnert werden, 584 Für den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit fordert Schliesky, DVBl 2007, S. 1453 ff. eine „Rückbesinnung auf seine Funktion als Handlungsmaßstab“. 585 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, VI/65 ff. 586 Ausführlich zur Inkorporierung von Wirtschaftlichkeitserwägungen in das Verwaltungsrecht Gröpl, VerwArch 93 (2002), S. 457 (473 ff.) sowie Holznagel, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 205 (207 ff.). 587 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 245 (260 ff.), der neben § 10 Satz 2 VwVfG auch die Vorschriften über das Massenverfahren (§§ 17, 18 VwVfG), die öffentliche Bekanntgabe (§§ 41 Abs. 3, 73 Abs. 6 VwVfG) und das Absehen von bestimmten Verfahrensstandards (§§ 28 Abs. 2 Nr. 3, 29 Abs. 2, 39 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG) als einfachgesetzliche Ausprägung des Effizienzgedankens versteht. 588 Zu weiteren Einfallstoren für eine Strategie der Ressourcenschonung im Verwaltungsverfahren Holznagel, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 205 (207 f.). 589 Dies liegt nach Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, VI/69 daran, dass sich die verfahrensrechtlichen Effizienzgebote bisher nur punktuell und eher ungeordnet im Verwaltungsrecht verstreut finden. 590 Zur Maßstabslehre Ptschas, in: Grundlagen II, § 42; Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, VI/57 ff. Die Maßstabslehre soll nach Eberhard Schmidt-Aßmann „durchlaufende Orientierungslinien geben, die das Verwaltungshandeln über die jeweils einschlägigen Tatbestände des Fachrechts hinaus bestimmen“. Zu den Maßstäben zählt Rainer Pitschas, in: Grundlagen II, § 42 Rn. 75 ff. die Gebote der Effizienz- und Gemeinwohlbindung, der Zeitrichtigkeit, der Effektivität, der Risikoangemessenheit, der Akzeptabilität sowie der Flexibilität und Innovationsoffenheit von Verwaltungshandeln.
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dass die zu entwickelnden „Bauformen eines Effizienz fördernden Verfahrensrechts“ 591 nicht zwingend mit dem Abbau von Standards und Verfahrensregelungen einhergehen müssen 592. Zwar fordert das Effizienzprinzip eine Überprüfung und ggf. Neukonzeption verwaltungsinterner Geschäftsprozesse mittels einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung sowie eine stärkere Berücksichtigung der Ergebnisse und Folgen von Verwaltungshandeln 593. Dies darf aber kein Freibrief für ein auf bloße „Schlankheit“ getrimmtes Verfahrensrecht sein. Auch gilt es, der Gefahr zu begegnen, Effizienz- und Wirtschaftlichkeitskriterien gegenüber fundamentalen Prinzipien der Rechtstaatlichkeit den Vorrang einzuräumen. Im Rahmen der gebundenen Verwaltung ist schon wegen Art. 20 Abs. 3 GG kein Platz für entgegenstehende Wirtschaftlichkeitsüberlegungen 594. Obwohl sich in zahlreichen Konfliktfällen unter Umgehung des Gesetzes sicher wirtschaftlicher handeln ließe, gebührt doch dem Gesetzmäßigkeitsgebot der Vorrang. Jede andere Auffassung würde den Rechtsstaat durch „einen wertneutralen Effizienzstaat ... ersetzen“ 595, mit dem kein Verfassungsstaat zu machen wäre. Bei allen Überlegungen zur Regelungsoptimierung gilt es daher im Auge zu behalten, dass die Effektivität von Verwaltungsentscheidungen ein der Effizienz gleichwertiges Gut ist. Dies hat zur Folge, dass das Effizienzprinzip zwar kein bloßer unverbindlicher Programmsatz ist, es andererseits aber auch kein subjektivöffentliches Recht auf effiziente Verwaltung geben kann. Die staatliche Pflicht zur Gewährleistung der Effizienz von Verwaltungsverfahren ist auf Konkretisierungen und Ausgestaltungen im einfachen Recht angewiesen, wobei in jedem Einzelfall eine am Gebot der praktischen Konkordanz ausgerichtete Abwägung mit gegenläufigen Interessen zu erfolgen hat 596. Das Effizienzgebot erfüllt somit die Funktion eines Prinzips im Sinne der Grundrechtstheorie Robert Alexys. Dieser versteht unter Prinzipien solche Normen, „die gebieten, dass etwas in einem relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten in möglichst optimalem Maße realisiert wird“ 597. Prinzipien sind somit Optimierungsgebote 598, welche dadurch gekennzeichnet sind, dass sie in unterschiedlichen Graden erfüllt werden können. Dabei hängt das 591
Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee VI/71. Deutlich Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee VI/71. 593 Näher Schliesky, DVBl 2007, S. 1453 (1460). Zur Zulässigkeit von Wirtschaftlichkeitserwägungen innerhalb der Binnenstrukturen der Verwaltung Gröpl, VerwArch 93 (2002), S. 457 (468 ff.). 594 Schliesky, DVBl 2007, S. 1453 (1461). 595 Gröpl, VerwArch 93 (2002), S. 459 (477). 596 Eine Auflösung möglicher Prinzipienkollisionen durch Abwägung auf der Ermessensebene schlägt auch Schliesky, DVBl 2007, S. 1453 (1461) vor. 597 Alexy, S. 75. 598 Zum Wirtschaftlichkeitsprinzip als Optimierungsgebot Gröpl, VerwArch 93 (2002), S. 457 (475 f.). 592
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gebotene Maß ihrer Erfüllung nicht nur von den tatsächlichen, sondern auch von den rechtlichen Möglichkeiten ab 599. Der Bereich des rechtlich Möglichen wird durch gegenläufige Prinzipien und Regeln bestimmt 600. Versteht man Effizienz in diesem Sinne als Rechtsprinzip 601, wird von den Organen der Staatsgewalt nicht mehr, aber immerhin so viel verlangt, als das sie sich in vorgegebener Richtung nach besten Kräften um eine möglichst die Ressourcen schonende Ziel-MittelRelation bemühen 602. Effizientes Verwaltungshandeln wird so zu einem „offenen Prinzip“, das „ein ganzes Bündel von weiteren Bedingungen für die Erreichung komplexer Zielvorstellungen in sich aufnehmen“ 603 muss. Zu diesen gehört neben der nicht disponiblen Rechtmäßigkeit ebenso Zweckmäßigkeit, Schnelligkeit, Verständlichkeit und Akzeptanz von Verwaltungsverfahren 604. Einen möglichst Ressourcen schonenden Ausgleich zwischen den Verfassungsprinzipien Effizienz und Effektivität zu gewährleisten, ist die anspruchsvolle Aufgabe, welche sowohl der Legislative, der Exekutive als auch der Judikative in ihrem jeweiligen Aufgabenbereich obliegt. Die Art und Weise der Erfüllung des verfassungsrechtlichen Optimierungsauftrags hängt von den vorhandenen Rahmenbedingungen ab. So verstanden lässt sich das Effizienzprinzip am ehesten als „elastic law“ 605 bezeichnen, dessen Realisierung unter anderem von den jeweiligen sonstigen Zielvorgaben, den zur Zielverwirklichung zur Verfügung stehenden Optionen und möglichen ergänzenden normativen Verankerungen des Effizienzprinzips abhängt. Mit einem solchen Verständnis lässt sich auch Befürchtungen entgegentreten, die Anerkennung der Effizienz als Rechtsprinzip führe dazu, dass die gesamte Rechtsordnung durch Wirtschaftlichkeitsüberlegungen überlagert werde, was letztlich eine normative Standardsenkung zur Folge hätte 606. Diese Sorge ist unbegründet, wenn man das Effizienzprinzip ausschließlich als Optimierungsgebot ansieht, welches sich allein auf den Ressourceneinsatz bezieht und in Relation zu einem anderweitig gesetzten (und durch Effizienzerwägungen nicht in 599 Alexy, 75 f; zur Differenzierung zwischen Regeln und Prinzipien in der Alexyschen Grundrechtslehre Lerche, in: Festschrift für Stern, S. 197 (204 f.). 600 Zur Problematik der Prinzipienkollision Alexy, S. 78 ff. 601 Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 11 (23 m.w. N.). 602 Auch Lerche, in: Festschrift für Stern, S. 197 (206) betont, dass sich gewissen Verfassungsaussagen „in vorsichtig zu dosierendem Maße“ Optimierungsgebote entnehmen lassen. 603 Wallerath, VerwArch 88 (1997), S. 1 (17). 604 Wallerath, VerwArch 88 (1997), S. 1 (17) fasst dies unter dem Begriff der „Anliegensgerechtigkeit“ zusammen, welcher dem eher verschleiernden Begriff der „Kundennähe“ vorzuziehen ist. 605 Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 11(24). 606 So die Befürchtungen von Pietzcker, VVDStRL 41 (1983), S. 193 (196 f.) sowie von Schenke, Häberle und Kisker in VVDStRL 41 (1983), S. 274 ff.
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Frage zu stellenden) Ziel betrachtet werden muss. Der Rechtsordnung fällt dann weiterhin die Aufgabe zu, bestimmte Ziele oder sogar bestimmte Maßnahmen zur Zielerreichung verbindlich festzulegen, so dass der behauptete Widerspruch zwischen Effizienz und Effektivität nicht entstehen kann. Rechtserheblich kann das Effizienzprinzip nur (aber immerhin) dann werden, wenn es zu klären gilt, ob im Hinblick auf die vorgegebenen Ziele verschiedene Optionen verfügbar sind. Ist dies der Fall, so zwingt das Effizienzprinzip zur Wahl der Option mit möglichst schonendem Ressourceneinsatz 607. Wenn die Rechtsordnung bezüglich der Ziele und des Grades der Zielerreichung dagegen Spielräume lässt, kann das Effizienzprinzip auf die Konkretisierung des Ziels und des Grades der Zielerreichung sowie (erst recht) auf die Wahl des Mittels zurückwirken 608. So verstanden kann das Effizienzprinzip nicht mehr als bloßer Vorwand zur Einsparung von Mitteln um jeden Preis missbraucht werden, womit auch eine Verkürzung der im Verwaltungsverfahren handelnden Akteure auf die Perspektive eines bloßen homo oeconomicus 609 vermieden wird. 5. Effektivität der Verwaltung als Rechtsprinzip a) Defizitäre Ausprägung des Effektivitätsprinzips im deutschen Recht Während nach Art. 19 Abs. 4 GG die Pflicht zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes durch eine unabhängige Gerichtsbarkeit ein allgemein anerkanntes und nicht zuletzt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bis in die Einzelheiten „durchnormiertes“ Verfassungsprinzip ist 610, überrascht die im internationalen Vergleich defizitäre Verwurzelung des Grundsatzes der Effektivität der Verwaltung in der deutschen Rechtsordnung. Während etwa die spanische Verfassung von 1978 in Art. 103 CE ausdrücklich die Effektivität als Prinzip der öffentlichen Verwaltung hervorhebt und in Art. 24 Abs. 2 CE ein Verfahren ohne Verzögerung garantiert, fehlt eine entsprechende Verpflichtung im deutschen Verfassungsrecht. Trotz bestehender Vorbilder im kontinentaleuropäischen und amerikanischen Rechtskreis 611 wurde das Effektivitätsprinzip auch im deutschen Verwaltungsverfahrensrecht lange ausgeblendet. Erst seit 1996 612 verpflichtet § 10 Satz 2 VwVfG die öffentliche Verwaltung ausdrücklich zur zü607
Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 1 (18). Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 11 (24). 609 Zu den damit verbundenen Gefahren Wallerath, VerwArch 88 (1997), S. 1 (16 f.). 610 Zu den Einzelheiten Sachs, in: Sachs, GG, Art. 19 Rn. 143 ff. 611 So erklärt § 39 Abs. 2 des 1925 entstandenen österreichischen Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes die Raschheit und Einfachheit des Verfahrens zu Ermessensleitlinien und knüpft erhebliche Konsequenzen an eine nicht zeitgerechte Entscheidung. Auch das spanische Verwaltungsverfahrensrecht verpflichtet die Behörden zur Entscheidung in angemessener Frist. 608
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gigen Durchführung des Verfahrens. Das Zügigkeitsgebot trat damit erst sehr spät gleichberechtigt neben die bereits seit Inkrafttreten des VwVfG 1976 geltenden Gebote der Formlosigkeit, Einfachheit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsverfahrens. Mit der ausdrücklichen Normierung des – als drittgerichtete Amtspflicht ausgestalteten 613 – Zügigkeitsgebots wurde eine lange in Vergessenheit geratene Regelung der thüringischen Landesverwaltungsordnung aus dem Jahre 1926 in das VwVfG übernommen 614. Auch die zahlreichen bundes- und landesrechtlichen Verfahrens- und Entscheidungsfristen mit und ohne Genehmigungsfiktion 615 sind Ausdruck des Beschleunigungsgedankens. Zudem lässt sich aus § 75 VwGO und neuerdings § 42a VwVfG 616 der Leitgedanke entnehmen, dass ein durchschnittliches Verwaltungsverfahren nicht länger als drei Monate dauern soll. Eine weitere Beschleunigungsvorschrift enthielt § 71b VwVfG in der bis zum 4. VwVfÄndG 617 geltenden Fassung für wirtschaftliche bedeutsame Verfahren, wonach die Behörde die (Amts)pflicht 618 hatte, die ihr rechtlich und tatsächlich möglichen Vorkehrungen zu treffen, um das Verfahren „in angemessener Frist“ abzuschließen. b) Rechtsstaatliche Gewährleistung einer angemessenen Verfahrensdauer im Verwaltungsverfahren aa) Verankerung in Art. 19 Abs. 4 und 20 Abs. 3 GG Aus der Zusammenschau der §§ 10 Satz 2, 42a VwVfG, 75 VwGO, welche allesamt Konkretisierungen des Rechtsstaatsprinzips sind, ergibt sich ein allgemeiner rechtsstaatlicher Beschleunigungsauftrag. Diese Einschätzung wird durch die Analyse der (diesbezüglich allerdings eher spärlichen) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt. Danach fordern der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG sowie das aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitbare Prinzip der Rechtssicherheit, streitige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären 619. Auch aus dem rechtsstaatlichen Wirksamkeitsgebot und der Zeitgebundenheit allen Rechts folgt, dass Verwaltungsverfahren in 612
Eingefügt wurde das mittlerweile auch in allen Landesverwaltungsverfahrensgesetzen verankerte Zügigkeitsgebot mit dem GenBeschlG vom 12. 09. 1996; BGBl. I, S. 1354. 613 Vgl. Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 10 Rn. 22 m.w. N. 614 Nach § 59 ThürLVerwO v. 10. 6. 1926 (GS, S. 177) war das Verfahren „einfach, zweckmäßig und mit Beschleunigung durchzuführen.“ 615 Zu damit verbundenen verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Problemen § 19 B III. 616 Vergleichbare Regelungen enthalten auch §§ 14a BImSchG, 27 EGGVG, 88 SGG und 46 FGO. 617 Zur Novellierung der §§ 71a ff. VwVfG durch das 4. VwVfÄndG §§ 9 C XI und 19 C III 2c bb. 618 Näher Ziekow, DVBl 1998, S. 1101 (1108).
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angemessener Frist abgeschlossen werden müssen 620. Die Gewährleistung einer angemessenen Dauer von Verwaltungsverfahren gebieten darüber hinaus sowohl die Grundsätze freiheitlich-rechtsstaatlicher Ordnung als auch der besondere Schutzzweck des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG 621, dem überdies Vorwirkungen für das Verwaltungsverfahren zu entnehmen sind. Überall dort, wo die Exekutive mit dem Anspruch rechtlicher Verbindlichkeit handelt, muss der Betroffene möglichst schnell Gewissheit über das für ihn Verbindliche erlangen können. Widerspruchs- und Klagefristen sind daher ebenso Instrumente zur Gewährleistung von Rechtssicherheit wie die Rechtsmittelfristen im Verwaltungsprozess 622. Nichts anderes gilt für behördliche Entscheidungsfristen, sind doch aus diese – wenn auch in bestimmten Grenzen 623 – geeignete Mittel zur Beschleunigung von Verfahren 624. In den Worten Paul Kirchhofs lässt sich das wie folgt beschreiben:„Die Gegenwartsgebundenheit der Verwaltung beschränkt die Verfügung über die Zeit und setzt der Verwaltung – auch wenn das Gesetz keine Fristen nennt – deutliche Zeitgrenzen“ 625. bb) Bedeutung der Freiheitsgrundrechte Materielle Anforderungen an die Ausgestaltung von Verwaltungsverfahren ergeben sich zudem aus den in den Verwaltungsverfahren jeweils betroffenen Freiheitsgrundrechten. Wegen der Grundrechtsrelevanz von Verwaltungsverfahren muss sich deren Verfahrensdauer am Verhältnismäßigkeitsprinzip messen lassen. Ein allzu zögerliches Verwaltungshandeln ist jedenfalls dann unverhältnismäßig, wenn die Verfahrensdauer eine Rechtsvernichtung beim Bürger zur Folge hat 626. Unangemessener Zeitaufwand der Verwaltung führt zur verfassungswidrigen Verletzung von Freiheitsgrundrechten. Dies gilt vor allem für den Fall, dass der Bürger einen gebundenen Anspruch auf Genehmigungserteilung geltend machen kann 627. Verfahrensvorschriften dürfen der Verwaltung auch nicht den Vorwand liefern, unangenehme Entscheidungen hinauszuzögern 628. Das BVerfG hat diese 619 BVerfGE 88, 118 (124); BVerfG NJW 1997, S. 2811 (2812); BVerfG NJW 2000, S. 797. 620 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, II/30 und VI/55. 621 BVerfGE 60, 253 (269 f.). 622 BVerfGE 60, 253 (270). 623 Dazu näher unten § 19 B. 624 Fristbestimmungen bewirken nach BVerfGE 60, 253 (271) überdies, dass das Verwaltungsverfahren auf einer hinreichend frischen Entscheidungsgrundlage durchgeführt wird und beeinflussen dadurch jedenfalls tendenziell auch die Güte der Entscheidung. 625 P. Kirchhof, in: HdbStR, Band 5, 1. Aufl. 1992, § 125 Rn. 55. 626 P. Kirchhof, DStZ 1989, S. 55 (58 f.); Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 40 ff. 627 Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Innovation, S. 139 (150).
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Grundsätze für berufsbezogene Prüfungen ausdrücklich anerkannt. Danach müssen Prüfungsverfahren so ausgestaltet sein, dass der Bedeutung des Verfahrens für den Grundrechtsschutz Rechnung getragen wird 629. Hierzu gehöre, dass das Prüfungsverfahren binnen angemessener Zeit durchgeführt werde. Zwar lasse sich der angemessene Zeitraum nicht generell festlegen, sondern sei von den Besonderheiten des jeweiligen Verfahrens abhängig. Bei der Ausgestaltung eines Prüfungsverfahrens müsse aber Art. 12 Abs. 1 GG berücksichtigt werden. Der behördliche Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens werde durch das Kriterium der Zumutbarkeit für den Prüfling eingeschränkt. Das verpflichte die Behörde, „dafür Sorge zu tragen, dass Prüfungen ohne unnötige Verzögerungen abgenommen werden können. Sie hat es in der Hand, das Verfahren so auszugestalten, dass sie diese Anforderungen mit den ihr zur Verfügung stehenden Kapazitäten erfüllen kann. Gelegentlich auftretende Engpässe können unvermeidbar sein und sind dann von dem Kandidaten hinzunehmen“ 630. Diese Grundsätze sind nicht prüfungsrechtsspezifisch, sondern lassen sich auf alle grundrechtsrelevanten Verwaltungsverfahren übertragen. Aus den Freiheitsgrundrechten folgt daher ein gegenüber der jeweiligen Verwaltungsbehörde bestehendes subjektiv-öffentliches Recht des Beteiligten auf angemessene Beschleunigung von Verwaltungsverfahren. Bestätigt und verstärkt wird dieser Anspruch durch die neuere Rechtsprechung des BGH zum Amtshaftungsrecht. Danach hat in einem Rechtsstaat jede Behörde die Amtspflicht, Anträge mit der gebotenen Beschleunigung zu bearbeiten und, sobald ihre Prüfung abgeschlossen ist, ungesäumt zu bescheiden 631. Eine Verletzung der Pflicht zur zügigen Entscheidung kann zu Ansprüchen aus Amtshaftung bzw. enteignungsgleichem Eingriff führen 632. c) Verfassungsrechtlicher Beschleunigungsauftrag und seine Grenzen Aus dem soeben Gesagten ergibt sich überdies ein gleichermaßen an den Gesetzgeber wie die Verwaltung gerichteter allgemeiner Auftrag, unnötige Verzögerungen von Verwaltungsverfahren zu vermeiden und grundrechtsrelevante Verwaltungsverfahren durch entsprechende Gesetze und Verfahrensvorkehrun628
Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, VI/55. BVerfGE 52, 380 (389); 84, 34 (45); BVerfG NVwZ 1999, S. 1102 (1103). 630 BVerfG NVwZ 1999, S. 1102 (1103) – Grundrechtsverstoß bei einer Prüfungsdauer von vier Jahren. 631 Vgl. BGH DÖV 2007, S. 387. Ebenso BGHZ 30, 19 (26); NJW 1994, S. 2091; VersR 2002, S. 714. 632 Für die verzögerte Erteilung von Baugenehmigungen vgl. BGHZ 102, 350 (364); BGH NJW 1992, S. 2218; NVwZ 1991, S. 298; 1993, S. 299; 1998, S. 1329. Zur Haftung bei verzögerter Eintragung einer Auflassungsvormerkung BGH DÖV 2007, S. 387 ff. 629
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gen angemessen zu beschleunigen 633. Die Rechtsprechung erkennt solche Beschleunigungsgebote jedenfalls für das Strafprozessrecht bereits seit langem an 634. Eine Beschleunigungspflicht besteht darüber hinaus aber auch in allen grundrechtsrelevanten Verwaltungsverfahren. Allerdings ist dem Gesetzgeber bezüglich der Entscheidung, welche konkreten „Beschleunigungsrechte“ dem Beteiligten in den jeweiligen Verwaltungsverfahren einzuräumen sind, ein weiter Entscheidungsspielraum zuzugestehen. Dabei sollte bezüglich der anzustrebenden Beschleunigung nach der Art des gefährdeten Rechtsgutes, der Schwere des Eingriffs, der Wahrscheinlichkeit der Rechtsgutverletzung und dem Grad der gesetzlichen Determinierung des Eingriffs differenziert werden 635. Aus dem Rechtsstaatsprinzip und der Abwehr- und Schutzfunktion der Grundrechte folgt zudem, dass der Staat einen angemessenen Rahmen zur Verfügung stellen muss, wenn es um die Konkretisierung der Grundrechte in Verwaltungsverfahren geht. Diese dürfen nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Grundrechtsbetätigung mehr als erforderlich beschränken, verhindern oder verzögern. Der Gesetzgeber ist daher aufgerufen, regelmäßig und kontinuierlich das Verwaltungsverfahrensrecht auf Wirkungsdefizite zu untersuchen und bei bestehenden Effektivisierungs- und Optimierungspotentialen korrigierend tätig zu werden. Auch die Exekutive ist bereits von Verfassung wegen gehalten, unnötige Verzögerungen zu vermeiden und alle in ihrer Macht stehenden personellen und organisatorischen Maßnahmen zu treffen, um eine angemessene Dauer von Verwaltungsverfahren zu gewährleisten. Der verfassungsrechtliche Beschleunigungsauftrag muss allerdings mit konfligierenden Grundrechtspositionen und sonstigen Werten von Verfassungsrang abgewogen werden, was in der deutschen Verwaltungsreformdiskussion nicht immer hinreichend beachtet wird. So kommt der Anfang der 1990er Jahre einsetzenden Debatte um Beschleunigungspotenziale im Verwaltungsverfahrens- und Prozessrecht 636 zwar unbestreitbar der Verdienst zu, das Bewusstsein für den Zeitfaktor im Recht geschärft und das bis dahin geltende, oft schwerfällige Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts einem „Effektivitätscheck“ unterzogen zu haben. Erkannt wurde in diesem Zusammenhang vor allem, dass Beschleunigung der Verwaltungseffizienz dient, die ihrerseits ein rechtsstaatlicher Wert ist 637. Diese Erkenntnis auch gegen die Widerstände einer lange nahezu ausschließlich den Grundrechtsschutz durch Verfahren betonenden Lehre und Rechtsprechung 638 in den Mittelpunkt des verwaltungsrechtswissenschaflichen Interesses gerückt zu haben, ist ein Verdienst der in der Beschleunigungsdebatte 633
Grundlegend bereits Laubinger, VerwArch 73 (1982), S. 60 (76). BVerfG NJW 1984, S. 967, 2003, S. 2897. 635 In diesem Sinne Laubinger, VerwArch 73 (1982), S. 60 (76). 636 Vgl. § 5 B I und II sowie § 9 A. 637 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, II/31; VI/64 ff. 638 Zur Rechtsprechung bis zum Mülheim-Kärlich-Beschluss des BVerfG vom 20. 12. 1979 – BVerfGE 53, 30 ff.– Laubinger, VerwArch 73 (1982), S. 60 (62 ff.). Kri634
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engagierten Akteure. Diese betonen zu Recht, dass auch ein auf gründliche Sachverhaltsaufklärung und angemessenen Interessenausgleich gerichtetes Verfahren mit angemessenem Aufwand und in angemessener Zeit zum Abschluss gebracht werden muss. Das entscheidende strukturelle Defizit der Beschleunigungsdebatte liegt allerdings in dem von vielen ihrer Fürsprecher reklamierten Absolutheitsanspruch, der zur Vernachlässigung anderer Gesichtspunkte von Verfassungsrang führte. Die „Beschleunigungseuphorie“, welche sich seit Anfang der 1990er Jahre wie ein „Buschfeuer“ ausbreitete sowie die oft kritiklose Übernahme nicht ausreichend durchdachter Vorschläge zur Forcierung von Verwaltungsverfahren durch einen „entfesselten“ Gesetzgeber 639 führte dazu, dass der an sich legitime Beschleunigungsgedanke diskreditiert wurde. Gegenpositionen mit Verfassungsrang wurden von der „Beschleunigungswelle“ überrollt. Der „motorisierte Gesetzgeber“ schuf dabei auch der Rechtseinheit nicht zuträgliches Sonderverfahrensrecht für die neuen Bundesländer und sorgte für kaum mehr überschaubare Änderungen im Verwaltungsprozessrecht 640. Gegenüber solchen auch der aktuellen „Entbürokratisierungsdebatte“ nicht fremden Übertreibungstendenzen bleibt festzuhalten, dass es kein Verfassungsgebot zur unkontrollierten und größtmöglichen Beschleunigung gibt. Die teilweise vertretene generelle Verfassungspflicht zu schnellen Rechtsentscheidungen 641 betont zu einseitig den Zeitfaktor im Recht und lässt unberücksichtigt, dass die von Verfassung wegen zu fordernde Zeitgerechtigkeit einer Entscheidung nicht allein von ihrer Dauer, sondern mindestens gleichrangig von den im Verwaltungsverfahren involvierten Rechtsgütern und Problemlagen abhängt. Es gibt daher kein uneingeschränktes verfassungsrechtliches Beschleunigungsgebot, sondern lediglich ein Verfassungsgebot zu Rechtsentscheidungen, die den materiellen Problemen und Verfahren jeweils spezifisch auch zeitlich angemessen sind. In den Worten von Helmut Schulze-Fielitz: „Verfassungseffizienz braucht Zeit“ 642. Der verfassungsrechtliche Beschleunigungsauftrag muss deshalb jeweils in einen angemessenen Ausgleich mit anderen Rechtsgütern, etwa den Grundrechten Dritter oder dem ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Recht auf eine „gute Entscheidung“ gebracht werden. Das gilt vor allem in mehrpoligen und komplexen Verwaltungsverfahren, welche für Infrastrukturvorhaben, aber auch für zahlreiche umweltrechtliche Genehmigungsverfahren typisch sind. tisch zur übermäßigen subjektiv-rechtlichen „Aufladung“ von Verfahrensvorschriften Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, VI/55. 639 Treffend R. Schmidt, VerwArch 91 (2000), S. 149 (167), wonach der Gesetzgeber „vor allem durch die Idee der Beschleunigung fasziniert“ war. 640 Näher unten § 9 A, C bis G. 641 Vgl. Bullinger, JZ 1993, S. 492 (493 f.); ders., Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 33 f. 642 Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Innovation, S. 139 (150).
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Das Verfassungsgebot einer zügigen Entscheidung in angemessener Frist darf deshalb keinesfalls als Gebot der „Verfahrensbeschleunigung um jeden Preis“ missverstanden werden. Gefordert ist der schnelle, nicht aber der kurze Prozess, der mit dem Rechtsstaatsprinzip ebenso wenig zu vereinbaren wäre, wie eine überlange Verfahrensdauer. Auch gilt es zu verhindern, dass der Grundsatz der Verfahrenseffizienz für einen Abbau von Verfahrens- und Beteiligungsrechten instrumentalisiert wird. Solche Rechte sind – gerade in komplexen Verwaltungsverfahren – rechtsstaatliche Errungenschaften, welche eine höhere Akzeptanz der Entscheidung gewährleisten. Es wäre rechtspolitisch verfehlt, sie vorschnell auf dem Altar einer allgegenwärtigen Beschleunigungs- und Entbürokratisierungseuphorie zu opfern. Auch (zu) knapp gehaltene behördliche Entscheidungsfristen, zum Teil überdies mit Genehmigungsfiktionen versehen, bergen jedenfalls mittelbar die Gefahr übereilter Entscheidungen, die mit dem „Recht auf gute Verwaltung“ schwerlich in Einklang zu bringen sind 643. Dem Bestreben, das „Rechtsschutzmaximum“ unreflektiert einem „Beschleunigungsmaximum“ opfern zu wollen 644, ist mit Eberhard Schmidt-Aßmann entgegenzuhalten, dass „weder der größte Verfahrensaufwand das rechtsstaatliche Optimum, noch die größte Zeitersparnis das beste Ergebnis für die Verwaltung ist“ 645. Gegenüber vermeintlich „modernen“ – ausschließlich auf Effizienzgesichtspunkte setzenden und „Standardabbau“, „Beschleunigung“ und „Deregulierung“ zu den Zauberworten einer Modernisierungsdebatte erklärenden – Entwicklungstendenzen ist deshalb Vorsicht geboten. Auch die gegenwärtige Reformdiskussion befindet sich nicht selten „auf einem gefährlichen Grat zwischen Verwaltungspraktikabilität und administrativer Unbekümmertheit“ 646. Allzu oft liegt der Verdacht nahe, dass rechtsstaatliche Standards als lästig, weil das Verfahren verzögernd, angesehen werden. Die während der Beschleunigungseuphorie in den 1990er Jahren begangenen Fehler sollten nicht wiederholt werden. d) Folgerungen Der Gesetzgeber ist bei der Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrensrechts vor die Aufgabe gestellt, einen angemessenen Ausgleich zwischen (gebotener) Beschleunigung und (zu verhindernder) Übereilung vorzugeben. Gerade bei den in ihrer Bedeutung zunehmenden komplexen Verwaltungsentscheidungen, die durch vielschichtige und divergierende Interessenstrukturen in mehrpoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen gekennzeichnet sind (etwa Planungsentscheidungen oder komplexe Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung), muss der Gesetzgeber einerseits die gebotene Fairness gegenüber allen Verfahrensbe643 644 645 646
Dazu näher § 19 B II und III. Zahlreiche Beispiele unter § 9 A, C, D, F und G. Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 245 (262 f.). Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz, S. 245 (262).
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teiligten durch Gewährleistung ausreichender Verfahrensrechte garantieren, ist andererseits aber auch verpflichtet, den Abschluss des Verfahrens in angemessener Zeit zu gewährleisten. Bezüglich der einfachgesetzlichen Ausgestaltung dieses Optimierungsgebots besteht ein relativ weiter Handlungsspielraum. Insbesondere bei kurzfristig motivierten, nicht ausreichend durchdachten, Beschleunigungsnovellen besteht aber regelmäßig die Gefahr, die verfassungsrechtlichen Grenzen zu überschreiten, jedenfalls aber rechtspolitisch verfehlte Entscheidungen zu treffen 647. Innerhalb der gesetzlichen Vorgaben ist die Verwaltung zudem in jedem einzelnen Verwaltungsverfahren verpflichtet, so zügig wie möglich zu entscheiden. Den archimedischen Punkt zwischen angemessener Verfahrensbeschleunigung und unzulässiger Übereilung anzustreben, ist der verfassungsrechtliche Auftrag an eine „gute Gesetzgebung“ und eine „gute Verwaltung“.
C. Regelungsoptimierung aus der Perspektive der Judikative: Verfassungsrechtliche Pflichten zur Justizgewährleistung in angemessener Zeit Wie bereits bei der Erörterung von Art. 6 und 13 EMRK 648 verdeutlicht, ist die Dauer von verwaltungsgerichtlichen Prozessen in der Bundesrepublik Deutschland ein gravierendes Problem, wobei die dem Einzelnen im Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland gegen eine überlange Verfahrensdauer zustehenden Rechtsbehelfe defizitär sind 649. In der Folge soll in Erweiterung der völkerrechtlichen Perspektive untersucht werden, welche verfassungsrechtlichen Vorgaben für die zeitliche Dimension von Verwaltungsstreitsachen bestehen (I) und welche konkreten Folgerungen daraus zu ziehen sind (II). Untersucht wird in diesem Zusammenhang, ob sich zeitliche Grenzen für die maximale Länge von Verwaltungsprozessen festlegen lassen, welche Vorwirkungen sich aus Art. 19 Abs. 4 GG für die Dauer von verwaltungsrechtlichen Ausgangs- und Widerspruchsverfahren ergeben und schließlich, welche Pflichten dem Staat in Bezug auf die angemessene Personal- und Sachausstattung der Verwaltungsgerichtsbarkeit obliegen.
647 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, VI/56, der vor allem die Entwertung der Verfahrensfehlerlehre in §§ 45, 46 VwVfG kritisiert. Das Verfahrensrecht büße jedenfalls seinen „normativen Ernst“ ein, wenn seine Verletzung in großem Umfang ohne rechtliche Sanktion bleibe. 648 Vgl. oben § 6 A II und III. 649 Näher oben § 6 A III 3.
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I. Verfassungsrechtliche Dimension der Verfahrensdauer in Verwaltungsstreitsachen Die Pflicht des Staates zur Justizgewährung lässt sich schon im mittelalterlichen Reich nachweisen und gehört mittlerweile zu den „Schichten eines rechtsstaatlichen Urgesteins“ 650. Grundlage der allgemeinen Justizgewährungspflicht ist nicht eine einzelne Vorschrift des Grundgesetzes, sondern das Rechtsstaatsprinzip als solches, für welches die Grundrechte und einzelne Normen des organisatorischen Teils des Grundgesetzes wie Art. 92, 95, 101 Abs. 1 Satz 2, 103 Abs. 1 GG Bausteine liefern 651. Da die Verweigerung von Rechtschutz in angemessener Zeit einer Justizverweigerung gleichkommt, muss auch die Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren einer verfassungsrechtlichen Prüfung Stand halten. Allerdings dürfte über die (tatsächliche oder vermeintliche) Langsamkeit der Justiz geklagt werden, seitdem es Gerichte gibt. Bereits im römischen Recht war bekannt, dass eine überlange Verfahrensdauer einer Rechtsverweigerung gleichkommen kann 652. In Deutschland wurde die Problematik überlanger Gerichtsverfahren dagegen zunächst eher stiefmütterlich behandelt 653. Eine intensivere Diskussion wurde erst durch die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 und 13 EMRK ausgelöst, wobei vor allem die Entscheidung im „Fall König“ aus dem Jahre 1978 Anstoßwirkung hatte 654. Wenn auch bezüglich der Länge von Verwaltungsprozessen – bedingt durch den deutlichen Rückgang von Asylverfahren, die Verlagerung der Sozialhilfestreitigkeiten zur Sozialgerichtsbarkeit zum 01. 01. 2005 und die verschärften Zulassungsvoraussetzungen im Rechtsmittelrecht eine gewisse Entspannung eingetreten ist – lässt sich die gerichtliche Verfahrensdauer auch heute noch als „Achillesferse des deutschen Rechtsschutzsystems“ bezeichnen 655. So dauerten Streitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten 2009 im Bundesdurchschnitt immer noch 11,3 Monate 656. Das ist im Vergleich zum Jahr 2005 jedoch ein beachtlicher 650
Schmidt-Aßmann, in HdbStR, Band 2, 3. Aufl. 2004, § 26 Rn. 70. Schmidt-Aßmann, in: HdbStR, Band 2, 3. Auflage 2004, § 26 Rn. 71; BVerfG NJW 2003, S. 1924 (1926). 652 „Justitiae dilatio est quaedam negatio“. Seit dem Mittelalter ist auch der Grundsatz „justitia denegata vel protecta“ bekannt. Entsprechende Rechtsgrundsätze finden sich auch englischen („justice delayed is justice denied“ und französischem („justice retive, justice fative“), dagegen nicht im deutschen Sprachraum. Vgl. Terhechte, DVBl 2007, S. 1134 (1135) und Ziekow DÖV 1998, S. 941. 653 So war das BVerfG noch 1977 – vgl. BVerfGE 46, 17 (28) – der Auffassung, die Verfahrensdauer sei – abgesehen von Fällen offensichtlicher Verschleppung – verfassungsrechtlich irrelevant. Vgl. dagegen bereits BVerfGE 40, 237 (257) und aus neuerer Zeit BVerfGE 82, 126 (155) sowie P. Kirchhof, in: Festschrift für Döhring, S. 439 (448 ff.). 654 EGMR, Urt. v. 28. 06. 1978 (König / Deutschland), NJW 1979, S. 477. Zum Verlauf der Diskussion Terhechte, DVBl 2007, S. 1134 (1135). 655 Näher unten § 9 G VII. 651
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Rückgang um 2,8 Monate. Seit 2001 – dem Jahr mit der bisher längsten durchschnittlichen Dauer der erledigten Verfahren – ist die Verfahrensdauer sogar um 7,5 Monate zurückgegangen, so dass die Entwicklung auf dem richtigen Wege zu sein scheint. Als besonders problematisch erweist sich dagegen weiterhin die unterschiedliche Prozessdauer in den Bundesländern, die 2009 zwischen 4,8 und 27,5 Monaten schwankte 657. Angesichts dieses Zahlenmaterials liegt es nahe, bezüglich der Gewährleistung eines effektiven, zeitnahen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes in der Bundesrepublik Deutschland strukturell bedingte, wenn auch regional unterschiedliche Defizite anzunehmen. Zur Begründung für teils überlange Verwaltungsprozesse wird regelmäßig auf die knappe Ausstattung der Gerichte mit Personal- und Sachmitteln bei gleichzeitig zunehmender Verrechtlichung vieler Bereiche des gesellschaftlichen Lebens verwiesen 658. Erfolgsversprechende Strategien gegen die „Prozesswelle“ sind auch nach 20 Jahren Beschleunigungsdiskussion kaum zu erkennen 659, wenn auch erste Ansätze zum Ausbau der außergerichtlichen Streitbeilegung 660 zu gewissen Hoffnungen Anlass geben. Dabei ist die verfassungsrechtliche Bedeutung einer angemessenen Verfahrensdauer offensichtlich. Mit der objektivrechtlichen Aufgabe des Rechtsstaates, qualifizierte Verfahren verbindlicher öffentlicher Streitentscheidung vorzuhalten 661, korrespondiert ein verfassungsrechtlich fundierter subjektivrechtlicher Anspruch des Einzelnen auf Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit. Ein solcher Anspruch ist in Art. 52 Abs. 4 Bbg Verf und Art. 78 Abs. 3 Satz 1 Sächs Verf 662 sogar ausdrücklich als Grundrecht gewährleistet 663. Auch einige andere europäi656
Zahlen nach Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.4, Rechtspflege – Verwaltungsgerichte, S. 22 ff. In den alten Bundesländern (einschließlich Gesamt-Berlin) betrug die durchschnittliche Verfahrensdauer 9,5 Monate, in den neuen Ländern 19,9 Monate. 657 2009 wurden in Deutschland 127.403 Verfahren vor den Verwaltungsgerichten erledigt. Die durchschnittliche Verfahrensdauer betrug in Rheinland-Pfalz (2.922 erledigte Verfahren) 4,8 Monate, in Brandenburg (6.215 erledigte Verfahren) dagegen 27,5 Monate. In Mecklenburg-Vorpommern dauerten die im Jahre 2009 erledigten 3.192 Verwaltungsstreitsachen im Durchschnitt 21,4 Monate und damit im Bundesvergleich am zweitlängsten. 658 Plastisch Papier, DRiZ 2006, S. 261 (265 f.): „Wer Gesetze sät, wird Prozesse ernten“. Eine „mittlerweile durch Brüsseler Initiativen überformt(e)“ „deutsche Kodifikationswut“ hält Terhechte, DVBl 2007, S. 1134 (1136) für mit ursächlich für die lange Dauer von Verwaltungsprozessen. 659 Terhechte, DVBl 2007, S. 1134 (1136). 660 Siehe unten § 9 G VII. 661 Schmidt-Aßmann, HdbStR, Band 2, 3. Aufl. 2004, § 26 Rn. 70. 662 In § 52 Abs. 4 Satz 1 Bbg Verf heißt es „Jeder hat Anspruch auf ein faires und zügiges Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht.“ § 78 Abs. 3 Satz 1 Sächs Verf lautet: „Jede Person hat Anspruch auf ein gerechtes, zügiges und öffentliches Verfahren und das Recht auf Verteidigung.“ In Brandenburg gab es insoweit
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2. Kap.: Grundlagen des Reformprozesses
sche Staaten kennen eine entsprechende Verfassungsgarantie 664. Dagegen fehlt im Grundgesetz eine solche unmissverständliche Gewährleistung. Der Anspruch auf Rechtsschutz binnen angemessener Zeit ergibt sich für verwaltungsgerichtliche Verfahren aber bereits aus Art. 19 Abs. 4 GG 665 und ist überdies Bestandteil des Rechtstaatprinzips 666. Zudem erfordern die materiellrechtlichen Grundrechtsgarantien in ihrer verfahrensrechtlichen Dimension effektiven und damit zeitnahen Rechtsschutz 667. Da verspäteter Rechtsschutz die Grundrechtsausübung vereiteln kann, dürfen verwaltungsgerichtliche Verfahren nicht unangemessen lange dauern. Mit anderen Worten: Dass eine sachliche Entscheidung durch die Gerichte noch „zur rechten Zeit“ erlangt werden kann, ist wesentliche Bedingung für die Wirksamkeit des durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Rechtsschutzes 668. Dementsprechend hat das BVerfG in seiner Entscheidung im Fall Rudolf Heß 669 bereits 1980 festgestellt, der durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierte wirkungsvolle Rechtsschutz begrenze auch das gerichtliche Verfahrensermessen bezüglich der Terminierung einer mündlichen Verhandlung. Der Bürger habe einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle des ihn betreffenden Handelns oder Unterlassens der öffentlichen Gewalt.
bislang 36 und in Sachsen 28 einschlägige Verfahren, von denen vier bzw. zwei erfolgreich waren. Dazu eingehend Scheffer, NJ 2010, S. 265 ff. sowie Kemper, NJ 2003, S. 393 ff. 663 Zur Grundrechtsqualität der Vorschriften Bbg VerfG, NVwZ 2010, S. 378; Sächs VerfG, LKV 2003, S. 425 (426); SächsVBl 2010, S. 36 (37). 664 Art. 24 Abs. 2 CE garantiert ein Verfahren ohne Verzögerungen, Art. 121 CE gibt einen Schadensersatzanspruch bei Fehlern der Justizverwaltung, zu denen auch ein unangemessen langes Verfahren gehört. Einzelheiten regelt § 292 des spanischen GVG. Zur Rechtslage in Österreich und Portugal Meyer-Ladewig, NJW 2001, S. 2679 (2680) sowie EGMR, NJW 2001, S. 2691 ff. 665 BVerfGE 40, 237 (257); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG I, Art. 19 IV GG, Rn. 111; Schenke, in: BK GG, Art. 19 IV Rn. 422; Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 IV Rn. 262 ff. Vgl. auch den Rechtsprechungsüberblick bei Lansnicker / Schwirtzeck, NJW 2001, S. 1969 ff. 666 Vgl. BVerfGE 88, 118 (124); NJW 1997, 2811 (2812) und NJW 2000, S. 797. 667 Das erkennt das BVerfG in einer Reihe von Entscheidungen mehr oder weniger deutlich an. Vgl. etwa BVerfGE 35, 348 (360 ff; 45, 297 (333); 49, 252 (256 f.). Kritisch Schlette, Anspruch, S. 26 f., der Art. 19 Abs. 4 GG als lex specialis ansieht. 668 BVerfGE 40, 237 (256); 54, 39 (41); 55, 349 (369); 60, 253 (269); 88, 118 (124); 93, 1 (13); BVerfG NJW 2000, S. 797; NJW 2001, S. 216; NJW 2006, 668 (671); VerfGH Bln, NJ 1996, S. 585; SächsVerfGH LKV 2003, S. 426; Bbg VerfG, LKV 2003, S. 427. 669 BVerfGE 55, 349 ff.
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II. Folgerungen 1. Keine starre Grenze für die gerichtliche Verfahrensdauer Bezüglich der angemessenen Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen 670, ohne dass sich aus Art. 19 Abs. 4 GG eine bestimmte höchstzulässige Dauer gerichtlicher Verfahrens ableiten ließe 671. Die Gerichte stellen deshalb regelmäßig nur bei extrem langen Verfahren eine Rechtswidrigkeit der gerichtlichen Untätigkeit fest 672. Auch wenn Verfahren ohne ersichtliche Rechtfertigungsgründe über eine lange Zeit in keiner Weise gefördert werden, kann das Recht auf ein zügiges Verfahren verletzt sein 673. Bei der Angemessenheitsprüfung ist die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen, so dass sich mit zunehmender Länge die verfassungsmäßige Pflicht des Gerichts verdichten kann, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen 674. Wie § 839 Abs. 2 BGB verdeutlicht, ist die richterliche Pflicht zur Entscheidung in angemessener Frist eine gegenüber dem Rechtssuchenden bestehende Amtspflicht, deren Verletzung Schadensersatzansprüche auslösen kann. In seiner Entscheidung zur verzögerten Eintragung von Auflassungsvormerkungen im Grundbuchverfahren 675 vom 11. 01. 2007 hat der BGH zudem festgestellt, dass der Staat „seine Gerichte so auszustatten (habe), dass sie die anstehenden Verfahren ohne vermeidbare Verzögerung abschließen können“ 676. Die Erfüllung dieser Pflichten kann den Justizbehörden insgesamt als drittgerichtete Amtspflicht obliegen. Trotz der großen praktischen Relevanz fehlt hingegen – soweit ersichtlich – bisher eine Entscheidung des BVerwG zu überlangen Verwaltungsprozessen 677. 670 Rechtsprechungsnachweise bei Scheffer, NJ 2010, S. 265 (266); Kemper, NJ 2003, S. 393 (394 f.). 671 BVerfGE 46, 17 (29); 55, 349 (369); 93, 1 (13); BVerfG NJW 1997, S. 2811, NJW 2001, S. 216; EuGRZ 2005, S. 266; ThürVerfGH, NJW 2001, S. 2708 (2709); Bbg VerfG, LKV 2003, S. 427 (428); VerfGH Bln, NJ 1996, S. 585; Niesler, S. 92; Terhechte, DVBl 2007, S. 1134 (1137). 672 Vgl. EGMR NJW 2006, S. 2389 (mehr als 16 Jahre); BVerfG NJW 2000, S. 797 (15 Jahre). Kritisch Kemper, NJ 2003, S. 393 (396), wonach das „Grundrecht auf Mindestgeschwindigkeit“ nur „schöner Schein“ bleibe und Scheffer, NJ 2010, S. 265 (269): „Billigkeitsjudikatur von Einzelfall zu Einzelfall“. 673 Bbg VerfG, NVwZ 2010, S. 378 (fehlende Förderung eines Wohngeldverfahrens über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren). 674 BVerfG NJW 2001, S. 216 (finanzgerichtliches Verfahren von 9 Jahren Dauer); Thür VerfGH, NJW 2001, S. 2709 (2710) – vermögensrechtliches Verfahren von 6 Jahren. 675 BGH JZ 2007, S. 686 = DÖV 2007, S. 387. Hier hatte ein Rechtspfleger für die Eintragung einer Vormerkung in das Grundbuch wegen Arbeitsüberlastung und ohne individuelles Verschulden 20 Monate benötigt. 676 BGH JZ 2007, S. 686 = DÖV 2007, S. 387; dazu Terhechte, DVBl 2007, S. 1134 ff. 677 Vgl. Lansnicker / Schwirtzeck, NJW 2001, S. 1969 (1971).
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2. Kap.: Grundlagen des Reformprozesses
2. Ausstrahlung auf verwaltungsrechtliche Ausgangs- und Widerspruchsverfahren Die Ausstrahlungswirkung des Art. 19 Abs. 4 GG muss auch bei der Ausgestaltung von Ausgangs- und Widerspruchsverfahren berücksichtigt werden, weil eine unangemessen lange Dauer von Verwaltungsverfahren die Erlangung gerichtlichen Rechtsschutzes zur „richtigen Zeit“ unzumutbar hinauszögern kann. Sowohl Legislative, Exekutive als auch Judikative sind daher verpflichtet, durch Schaffung geeigneter organisatorischer Rahmenbedingungen die Klärung streitiger Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu ermöglichen 678. Der Gesetzgeber muss eine effektive Gestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen von Verwaltungsverfahren gewährleisten; die Exekutive ist bereits verfassungsrechtlich zur einfachen, zweckmäßigen und zügigen Durchführung von Verwaltungsverfahren verpflichtet 679. 3. Pflicht zur angemessenen Personalausstattung Art. 19 Abs. 4 GG und dem Rechtsstaatsprinzip lässt sich überdies die Verpflichtung zu einer angemessenen Personalausstattung von Gerichten 680 und Verwaltungen 681 entnehmen. Deren Personalausstattung und Organisation müssen eine angemessene Verfahrensdauer gewährleisten. Dabei handelt es sich um einen verfassungsrechtlichen Auftrag, der wegen der Grundrechtsqualität des Art. 19 Abs. 4 GG manch anderer staatlicher Aufgabe vorgeht. Die Schaffung geeigneter organisatorischer Rahmenbedingungen für eine effektive Justizgewährleistung steht daher „nur bedingt unter dem Vorbehalt des Möglichen“ 682. Das Bbg VerfG hält den Staat auf Grund von Art. 52 Abs. 4 Satz 1 Bbg Verf für verpflichtet, sämtliche notwendigen Maßnahmen zu treffen, damit Gerichtsverfahren zügig beendet werden können. Landesregierung und Haushaltsgesetzgeber hätten daher die Einhaltung einer angemessenen Verfahrensdauer durch die Organisation der Gerichtsbarkeit und deren personelle und sachliche Ausstattung sicherzustellen 683. Auch der BGH hat in seiner Entscheidung zur verzögerten 678
Lansnicker / Schwirtzeck, NJW 2001, S. 1969 (1970 m.w. N.). Näher oben § 7 B IV 5. 680 BVerfG NJW 2000, S. 797. Zum Gebot funktionsgerechter Ausstattung der Gerichte Schenke, in: BK Art. 19 IV GG Rn. 423 und Huber, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG I, Art. 19 IV Rn. 481. Der Hinweis auf besondere Belastungssituationen einzelner Gerichte kann dem Justizgewährleistungsanspruch ebenso wenig entgegengehalten werden wie das Argument der besonderen Situation der Justiz in den neuen Bundesländern; vgl. Bbg VerfG, LKV 2001, S. 409; LKV 2003, S. 427 (428). 681 Zur personellen Ausstattung von Behörden Thür VerfGH NJW 2001, S. 2709 ff. 682 Bbg VerfG, LKV 2003, S. 427 (428). 683 Bbg VerfG, NVwZ 2010, S. 378. 679
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Eintragung von Grundbuchvormerkungen klargestellt, dass die Pflicht zur angemessenen Ausstattung der Gerichte der „aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Verpflichtung zur Justizgewährleistung und zur Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes“ 684 entspringe und der Haushaltsgesetzgeber deshalb im Rahmen des Zumutbaren alle Maßnahmen treffen müsse, „die geeignet und nötig sind, einer Überlastung der Gerichte vorzubeugen und ihr dort, wo sie eintritt, rechtzeitig abzuhelfen. Er hat ... die dafür erforderlichen – personellen wie sächlichen – Mittel aufzubringen, bereitzustellen und einzusetzen“ 685. Diese Pflicht obliegt nicht nur – wie bisher bereits anerkannt – den unteren Behörden „vor Ort“, sondern (jedenfalls in Fällen nachweisbarer „unzumutbarer Verzögerungen“ in einzelnen Dienststellen) auch den Zentralbehörden 686. Sofern nur diese dem festgestellten Missstand wirksam begegnen können, obliegt ihnen die drittgerichtete Amtspflicht, mit geeigneten organisatorischen Maßnahmen Abhilfe zu schaffen. Bei einer Verletzung dieser Pflicht können vom Rechtssuchenden Ansprüche nach § 839 BGB i.V. m. Art. 34 GG auf Ersatz des Verzögerungsschadens geltend gemacht werden, sofern der Zentralbehörde ein entsprechendes Organisationsverschulden bei der Ausstattung der nachgeordneten Behörden nachzuweisen ist 687. Die Behörde muss beweisen, alle zumutbaren Maßnahmen getroffen zu haben, da dem Geschädigten die internen Abläufe im Behördenbetrieb regelmäßig nicht bekannt sind 688. Mit der Entscheidung, die Drittbezogenheit der Amtspflicht auf die Ebene der Zentralbehörden zu heben, hat der BGH „wieder ein – wenn auch winziges Stück – Anpassung der Amtshaftung an rechtsstaatliche Anforderungen praktiziert; aber die Misere bleibt“ 689. Wenn sich nämlich der Haushaltsgesetzgeber als der wahre Verantwortliche für die unzureichende Personalausstattung erweisen sollte, wird sich ein Amtshaftungsanspruch nicht realisieren lassen, da dieser Amtspflichten ausschließlich gegenüber der Allgemeinheit hat. Das macht die dogmatischen Schwächen der „längst überholten personalen Konstruktion der Amtshaftung“ 690 deutlich. Einen Ausweg bietet allein eine Konstruktion über das Organisationsverschulden 684
BGH, JZ 2007, 686 (687) = DÖV 2007, S. 387. BGH JZ 2007, S. 686 (687), ähnlich bereits BGH NJW 2005, S. 905 (906). 686 Im vom BGH zu entscheidenden Fall war dies das Landesjustizministerium. 687 Mit BGH JZ 2007, S. 686 (687) wurde die bisherige Rechtsprechung aufgegeben, wonach hinsichtlich der Tätigkeit der Zentralstellen bisher nur ein öffentliches Interesse ohne Drittschutz angenommen wurde. Zu Fragen des Organisationsverschuldens, der Beweislastumkehr und zur mit der „kopernikanischen Wende“ des BGH jedenfalls mittelbar verbundenen indirekten Beschränkung der Einschätzungsprägorative des Haushaltsgesetzgebers Terhechte, DVBl 2007, S. 1134 (1138 ff.). 688 BGH JZ 2007, S. 686 (688). 689 Treffend Ossenbühl, JZ 2007, S. 690. Terhechte, DVBl 2007, S. 1134 (1143) spricht von einer „unheilige(n) Allianz eines fragmentarischen Gesamtsystems, die es dem Bürger mitunter schwer macht, seine verfassungsrechtlich abgesicherten Positionen zu verteidigen.“ 690 Ossenbühl, JZ 2007, S. 690. 685
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2. Kap.: Grundlagen des Reformprozesses
mit unwiderleglicher Verschuldensvermutung 691. Immerhin dürfte die Wende in der höchstrichterlichen Rechtsprechung von den Landesgesetzgebern als „Aufforderung zur Selbstreflexion“ 692 bei der Verteilung von Haushaltsmitteln für Justiz und Verwaltung verstanden werden. Auch die bereits aus Art. 13 EMRK folgende Pflicht zur Schaffung effektiver Rechtsbehelfe, mit der eine überlange Verfahrensdauer gerügt werden kann 693, ist eine Verfassungsflicht des nationalen Gesetzgebers 694. III. Zusammenfassung Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt ein Exekutive und Judikative gleichermaßen verpflichtender allgemeiner verfassungsrechtlicher Beschleunigungsgrundsatz, der sowohl das Verwaltungsverfahren als auch das verwaltungsgerichtliche Verfahren prägt und mit der Amtspflicht korreliert, die entsprechenden Organisationseinheiten mit den zur Aufgabenerfüllung erforderlichen personellen und sächlichen Mitteln auszustatten. Im Verwaltungsprozess wird dieser Beschleunigungsauftrag durch Art. 19 Abs. 4 GG verstärkt, der auch in das Verwaltungsverfahren ausstrahlt 695. De lege ferenda sollte nach den Vorbildern der §§ 9 Abs. 1 ArbGG, 10 Satz 2 und 71b VwVfG i. d. F. bis zum 4. VwVfÄndG in den einzelnen Verfahrensordnungen ein „Grundsatz bestmöglicher Beschleunigung“ deklaratorisch festgeschrieben werden. Wie im Verwaltungsverfahrensrecht gilt allerdings auch im gerichtlichen Verfahren, dass der Gesetzgeber bei jeder einfachgesetzlichen Beschleunigungsmaßnahme das Art. 19 Abs. 4 GG immanente Spannungsverhältnis zwischen möglichst schnellem und gleichermaßen gründlichem Rechtsschutz 696 berücksichtigen muss. Ungeachtet aller damit einher gehenden Schwierigkeiten im Einzelfall gilt es, den „goldenen Schnitt“ einer idealen Prozessdauer anzustreben, bei der Gründlichkeit und Zügigkeit gleichermaßen berücksichtigt werden und eine inhaltlich richtige Entscheidung in möglichst kurzer Zeit erlassen wird 697. Eine feste zeitliche Grenze für die maximal zulässige Dauer von Gerichts- oder Verwaltungsverfahren lässt sich aus der Verfassung dagegen nicht herleiten 698. Wenn man allerdings mit dem 691
Ossenbühl, JZ 2007, S. 690 (691). Terhechte, DVBl 2007, S. 1134 (1139). 693 Zu Art. 13 EMRK oben § 6 A III. 694 BSG, SGb 2006, S. 53, Rn. 25. 695 Zur Ausstrahlungswirkung des Art. 19 Abs. 4 GG in Verwaltungsverfahren Huber, in: v. Mangoldt / Klein / Strack, GG I, Art. 19 IV Rn. 483 ff; Thür VerfGH, NJW 2001, S. 2708 (2709). 696 Vgl. Schlette, Anspruch, S. 31 mit Fn. 62. Kloepfer, JZ 1979, S. 209 (210) spricht insofern gar von einem „Grunddilemma“ der Rechtsprechung. 697 Kloepfer, JZ 1979, S. 209 (211); Sendler, DVBl. 1982, S. 157 (164); Pitschas, ZRP 1998, S. 96 (98). 692
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Bundessozialgericht davon ausgeht, dass ein Überschreiten der in der jeweiligen Prozessordnung üblichen Verfahrensdauer um mehr als ein Drittel die Grenze des völker- und verfassungsrechtlich Tolerablen grundsätzlich überschreitet 699, so kann die extrem unterschiedliche Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren in den einzelnen Bundesländern auch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG langfristig nicht mehr hingenommen werden. Bundesländer mit überlanger Verfahrensdauer 700 sind daher im besonderen Maße aufgefordert, ihre Anstrengungen zur Verkürzung der Verwaltungsprozesse zu intensivieren.
698 Vgl. BVerfGE 55, 349 (369); BVerfG, NJW 2001, S. 961; Bbg VerfG, LKV 2003, S. 427 (428); SächsVerfGH LKV 2003, S. 426. 699 So BSG, SGb 2006, S. 53 Rn. 54. 700 Vgl. dazu das Datenmaterial unter § 9 G VII.
Drittes Kapitel
Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung auf Bundesebene seit 1990 § 8 Rechtsetzungs- und Rechtsoptimierung A. Notwendigkeit der Einbeziehung bundesrechtlicher Entwicklungen Die Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern vollzieht sich nicht in einem rechtspolitischen Vakuum, sondern ist durch eine Vielzahl bundespolitischer Vorgaben determiniert. Die zeitgleich auf Bundesebene und in anderen Bundesländern geführte Modernisierungsdebatte wird im kooperativen bundesdeutschen Föderalismusmodell – nicht zuletzt bedingt durch eine Vielzahl formeller und informeller Bund- / Länderarbeitskreise – selbstverständlich auch von den politischen Entscheidungsträgern und Verwaltungseliten in MecklenburgVorpommern aufmerksam beobachtet und ausgewertet. Eine Untersuchung des Verwaltungsreformprozesses in Mecklenburg-Vorpommern muss daher auch die wichtigsten Entwicklungstendenzen auf Bundesebene darstellen. Nur in Kenntnis der Leitlinien des bundesweiten Verwaltungsmodernisierungsdiskurses kann der nicht selten auf Reformimpulse von außen reagierende und insofern nachholende Modernisierungsprozess in Mecklenburg-Vorpommern in einen länderübergreifenden Politikkontext eingeordnet werden. Allerdings kann diese Arbeit keine systematische und umfassende Darstellung des Verlaufs der Verwaltungsreformprozesse in den anderen Bundesländern leisten, so interessant solche Quervergleiche insbesondere mit anderen ostdeutschen Bundesländern oder den westlichen Nachbarländern Niedersachsen 1 und Schleswig-Holstein 2 auch wären. Insoweit muss auf entsprechende Publikationen der DHV Speyer 3 und in den Verwaltungsblättern der Länder 4 verwiesen werden. Wo notwendig – wie bei1 Eine erste Bilanz der zum 01. 01. 2005 vollzogenen niedersächsischen Verwaltungsreform und eine Einordnung in den bundespolitischen Reformkontext findet sich bei Hesse, NdsVBl 2007, S. 145 ff. 2 Zu den Aktivitäten dort Schliesky, in: Nolte / Schliesky (Hrsg.), Verwaltungsmodernisierung, S. 49 ff.
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spielsweise bei der Darstellung der Entwicklung des Widerspruchsverfahrens 5 oder den Ausführungen zu den Testregionen für Bürokratieabbau 6 – werden allerdings Querverbindungen zu ausgewählten Aktivitäten anderer Bundesländer hergestellt. Dargestellt werden sollen an dieser Stelle jedoch die wesentlichen Aktivitäten zur Rechtsetzungs-, Rechts- und Verfahrensoptimierung auf Bundesebene, wobei sich dieser Überblick auf die Zeit nach der Maueröffnung am 9. November 1989 beschränkt. Rechtfertigen lässt sich diese zeitliche Zäsur damit, dass auf Grund der im Zuge der Wiedervereinigung einsetzenden Beschleunigungsdebatte ein grundlegender Wandel im Verständnis des deutschen Verwaltungsrechts eingeleitet wurde, der zu einer Erschütterung der traditionellen verwaltungsrechtlichen Dogmatik geführt hat 7. Auch die sogleich zu erläuternden Bemühungen um eine systematische Rechtsetzungs- und Rechtsoptimierung durch Gesetzesfolgenabschätzung (B.), Rechtsbereinigung (C.) und standardisierte Bürokratiekostenmessung (D.) sind jüngerer Natur, wobei die wissenschaftliche Gesetzesfolgenabschätzung von der Gesetzgebungslehre erst in den letzten Jahren als zentrales Instrument gegen „Normenflut“ und „Qualitätsverlust in der Gesetzgebung“ 8 entdeckt wurde. Mehr oder weniger systematische Aktivitäten zur Rechtsbereinigung und -vereinfachung gab es dagegen bereits in Folge der „Ersten Entbürokratisierungswelle“ 9. Diese wurden jedoch erst nach einem längeren „Dornröschenschlaf“ im Zuge der „Initiative Bürokratieabbau“ ab dem Jahre 2005 wieder aufgenommen. Neben die stark verfahrensrechtlich und formal orientierte neuerliche bundesweite „Rechtsbereinigungsoffensive“ treten auf Bundesebene zahlreiche ebenfalls unter dem Generalthema des Bürokratieabbaus stehende Vorhaben. Als zentrale Projekte dieses Politikschwerpunktes werden schließlich Initiativen zur Umsetzung von Deregulierungsvorschlägen aus den Regionen und zur Verringerung von Statistikpflichten, sowie die drei „Mittelstandsentlastungsgesetze“ näher vorgestellt (E.). Der Blick auf den Verlauf der mit diesen Reformprojekten verbundenen Gesetzgebungsverfahren soll dazu dienen, eine Vorstellung von der in jüngerer Zeit auf Bundesebene betriebenen Verwaltungsreformpolitik zu gewinnen. 3 Näher Brenski / Liebig, Aktivitäten 2004/2005; Ruge, in: Nolte / Schliesky (Hrsg.), Verwaltungsmodernisierung, S. 69 ff. 4 Reiners, VBlBW 2008, S. 281 ff (zu Baden-Württemberg); König, LKV 2005, S. 190 ff (zu Brandenburg); Ruffert, ThürVBl 2006, S. 265 ff. und König, ThürVBl 2005, S. 155 ff. sowie LKV 2010, S. 289 ff. (zu Thüringen). Eingehend auch Bauer / Bogumil / Knill et. al., 2007 (länderübergreifende Analyse mit Schwerpunkt Umweltverwaltung). 5 Vgl. unten § 9 F 3. 6 Vgl. § 16 C IV 2. 7 Siehe bereits §§ 3 A und 5 C. Zu den einzelnen Aktivitäten § 9. 8 Vgl. § 8 C III sowie Karpen, ZRP 2008, S. 97 ff. 9 Dazu oben § 5 B III.
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
B. Regelungsoptimierung in der Rechtsetzung – Zur Etablierung der Gesetzesfolgenabschätzung in Deutschland I. Gesetzesfolgenabschätzung – Begriff, Ziele und Stellenwert in der Verwaltungsmodernisierungsdebatte Die Gesetzesfolgenabschätzung hat sich auf europäischer Ebene 10 und in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten 10 Jahren zu einem wichtigen Instrument der Rechtsetzungsoptimierung entwickelt und ist mittlerweile zu „einem Schlüsselbegriff der aktuellen Gesetzgebungswissenschaft“ 11 geworden. Gesetzesfolgenabschätzung (GFA) ist die wissenschaftlich fundierte, interdisziplinäre Methodik zur vergleichenden Bewertung von Folgen beabsichtigter bzw. in Kraft getretener Rechtsvorschriften 12. Sie kann bei der Vorbereitung von Gesetzen, aber auch bei der Nachkontrolle im sog. „Gesetzescontrolling“ durch Bereitstellung von Informationen über die potenziellen Wirkungen und (bewerteten) Folgen von Regelungsalternativen hinsichtlich der Kosten, der nicht-monetären Belastungen und der monetären und nicht-monetären Nutzen zur Rationalisierung der Gesetzgebung beitragen und ist deshalb ein wichtiger Baustein der Verwaltungsmodernisierung 13. Mit Hilfe der GFA soll vor allem eine Vereinfachung und Effektivierung des Rechts erreicht werden. Ihre Befürworter 14 versprechen sich von einer systematisch betriebenen GFA eine Verringerung der gesetzlichen Regelungsdichte. Bestehende Normierungen sollen – wo immer möglich – aufgehoben, in jedem Fall aber schlanker und verständlicher gemacht werden, um deren Befolgbarkeit und Vollziehbarkeit zu erhöhen 15. Die GFA könne einen wichtigen Beitrag zu einer besseren Gesetzgebung leisten, da sie helfe, Überreglementierungen zu vermeiden. Zudem sollen mittels der GFA die Belastung von Staat, Wirtschaft und Verbrauchern sowie der soziale Nutzen und die Kosten von Gesetzgebungsvorhaben identifiziert werden 16. 10 Zu den Aktivitäten der Gesetzesfolgenabschätzung („impact assessment“) auf europäischer Ebene instruktiv Ahrens / Leier, ZG 2007, S. 383 (390 ff.). 11 Köck, VerwArch 93 (2002), S. 1 (3). 12 Erdinger, ZG 2004, S. 149 (150); Köck, VerwArch 93 (2002), S. 1 (2) und Wagner, ZRP 1999, S. 480. 13 Böhret, in: Festschrift für Blümel, S. 51 (53); Köck, VerwArch 93 (2002), S. 1 (3). 14 Kritiker argwöhnten dagegen zunächst, dass es sich bei der GFA lediglich ein Programm zur Legitimierung von Deregulierung und eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Politologen, Soziologen und Ökonomen handele. Vgl. etwa Messerschmidt, Gesetzgebungsermessen, S. 834 ff. Gegen eine solche „verkürzte Wahrnehmung“ zu Recht Köck, VerwArch 93 (2002), S. 1 (3). 15 Grimm, ZRP 2000, S. 87 (88). 16 Köck, VerwArch 93 (2002), S. 1 (5).
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II. Erscheinungsformen der Gesetzesfolgenabschätzung Nach dem Zeitpunkt ihrer Durchführung werden mit der prospektiven, begleitenden und retrospektiven GFA drei Arten von Gesetzesfolgenabschätzungen unterschieden, die miteinander kombiniert, aber auch als Einzelmodule eingesetzt werden können. 1. Die prospektive Gesetzesfolgenabschätzung Die prospektive GFA (pGFA) wird vor Verabschiedung eines Gesetzes durchgeführt und soll im Vorfeld der Regelung die Konsequenzen alternativer Lösungsmöglichkeiten bewerten. Die methodisch aufwändige pGFA kommt nur bei wichtigen Gesetzgebungsvorhaben in Betracht. Durch ihren vorausschauenden Charakter kann sie dazu beitragen, eine optimale Lösung für die zu normierende Materie zu finden 17, die durchaus auch darin bestehen kann, überhaupt keine Regelung zu treffen. Im Idealfall werden bei der pGFA nicht nur die politische Führung und die jeweilige Ministerialebene, sondern auch externer Sachverstand zu Rate gezogen 18. Mit Hilfe der pGFA kann das vorausschauende und planende Element im Prozess rationaler Gesetzgebung gestärkt werden. In Anbetracht ihres weit ausgreifenden Ansatzes muss sich die pGFA allerdings mit zwei grundsätzlichen Einwänden auseinandersetzen. In methodischer Hinsicht wird zunächst auf die Grenzen sozialer Prognosen und die grundsätzlichen Schwierigkeiten, prospektiv Aussagen über die Folgen von Gesetzen machen zu können, verwiesen 19. Dem kann allerdings entgegengehalten werden, dass durch eine professionelle Handhabung der prospektiven GFA methodische Probleme minimiert werden können 20. Mittlerweile steht diesbezüglich ein recht ausgereiftes Instrumentarium zur Verfügung. Der noch vor einigen Jahren erhobene Vorwurf, die GFA verfüge noch nicht über eine anerkannte Systematik und Methodik 21, kann daher nicht mehr aufrecht erhalten werden. Als zweiter grundsätzlicher Einwand wird der mit der pGFA verbundene Aufwand ins Feld geführt. In der Tat ist die – in eine Konzeptionsphase, eine Durchführungsphase und eine Auswertungsphase gegliederte 22 – pGFA kompliziert und kosten- sowie zeitaufwändig 23. Sie kann das Gesetzgebungsverfahren erheblich verlängern und stößt zudem bei politisch-weltanschaulich umstrittenen Gesetzen und Normen 17
Böhret / Konzendorf, Handbuch GFA, S. 5. Böhret / Konzendorf, Handbuch GFA, S. 8. 19 Köck, VerwArch 93 (2002), S. 1 (9 f.) mit Hinweis auf die Schwierigkeit, prospektiv alle wirkungsrelevanten Kausalfaktoren in die Analyse einzustellen und zu bewerten. 20 Schulze-Fielitz, ZG 2000, S. 295 (310). 21 So noch Köck, VerwArch 93 (2002), S. 1 (10); Neuser, NdsVBl 1998, S. 249 ff. 22 Ausführliche Darstellung der pGFA bei Böhret / Konzendorf, Handbuch GFA, S. 8 ff. 23 Schulze-Fielitz, JZ 2004, S. 862 (869); Böhret / Konzendorf, Handbuch GFA, S. 75 ff. 18
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
mit einem hohen Abstraktionsgrad an ihre Grenzen 24. Die pGFA kann deshalb nicht der alleinige „Königsweg“ der Regelungsoptimierung sein 25. Mit der Möglichkeit, den Gesetzgeber schon im Vorfeld von nicht praktikablen Lösungen abzuhalten sowie der Einbeziehung externen Sachverstandes und der betroffenen Normadressaten 26 lassen sich allerdings zentrale Kriterien wie Vollziehbarkeit, Wirksamkeit und Verständlichkeit von Vorschriften ausführlich bewerten. Dies kann zudem die Akzeptanz der endgültig getroffenen Regelung erhöhen. Die pGFA erweist sich deshalb jedenfalls bei bedeutsamen Gesetzgebungsvorhaben als ein wichtiges Instrument „guter“ Gesetzgebung. 2. Die begleitende Gesetzesfolgenabschätzung Die begleitende GFA (bGFA) soll in einem laufenden Rechtsetzungsverfahren die vorliegenden Gesetzesentwürfe auf ihre Vollzugstauglichkeit, Verständlichkeit, Kosten-Nutzen-Relation sowie institutionelle Funktionalität überprüfen 27. Die im Vergleich zur pGFA weniger aufwändige bGFA ermöglicht es, die Wirkung eines Gesetzesentwurfes unter Beteiligung der Normadressaten in einem „wirklichkeitsnahen Testfeld zu simulieren“ 28. Insbesondere Praxistests, in denen der Gesetzesentwurf von der betroffenen Fachverwaltung so behandelt wird, als sei er bereits in Kraft getreten, ermöglichen die ex-ante-Überprüfung von Gesetzesentwürfen auf ungewollte Reibungsverluste und Vollzugsschwierigkeiten 29. 3. Die retrospektive Gesetzesfolgenabschätzung Die retrospektive GFA (rGFA) wird bei bereits in Kraft getretenen Gesetzen durchgeführt und dient der ex-post-Evaluierung von Rechtsvorschriften in der Praxis 30. Sie soll feststellen, inwieweit die gesetzgeberischen Ziele durch die getroffenen Maßnahmen erreicht wurden und einen eventuellen Nachsteuerungsbedarf ermitteln 31. Die rGFA ist – vor allem im Rahmen der experimentellen Gesetzgebung 32 – teilweise ausdrücklich gesetzlich normiert, wird auf Bundesebene bisher allerdings lediglich stichprobenartig durchgeführt 33. Zentrale Prüfkriterien 24
Darauf weist Schulze-Fielitz, JZ 2004, S. 862 (869) zu Recht hin. Schulze-Fielitz, JZ 2004, S. 862 (869) warnt deshalb vor zu detaillierten rechtlichen Regelungen und einem zu hohen Anspruchsniveau solcher Folgeabschätzungen. 26 Zur Diskussion in Workshops Böhret / Konzendorf, Handbuch GFA, S. 21 f. 27 Näher Brocker, DRiZ 2002, S. 462 (465); Neuser, NdsVBl 1998, S. 249 (250). 28 Praxisbeispiel bei Böhret / Konzendorf, Handbuch GFA, S. 95; S. 100 ff. 29 Näher Böhret / Konzendorf, Handbuch GFA, S. 128. 30 Karpen, ZRP 2002, S. 442 (443). 31 Brocker, DRiZ 2002, S. 462 (465). 32 Dazu ausführlich § 7 A II. 25
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der rGFA sind Zielerreichungsgrad, Kostenentwicklung, Kosten-Nutzen-Effekte sowie Akzeptanz und Praktikabilität der gesetzlichen Regelung 34. Die Analyse der eingetretenen Folgen beruht in der Regel auf einem Vergleich der tatsächlich aufgrund der Regelung eingetretenen Folgen mit Vergleichsdaten, die sich durch methodische Instrumente wie Soll-Ist- und Vorher-Nachher-Vergleiche, ex-postAnalysen oder Fallstudien gewinnen lassen 35. Die rGFA bewegt sich auf methodisch deutlich gefestigter Grundlage als die pGFA, weil sie immerhin tatsächlich eingetretene Folgen eines Gesetzes beobachten kann. Allerdings sieht sich der methodischen Schwierigkeit gegenüber, die erkannten und bewerteten Folgen eindeutig auf das Gesetz zurückzuführen 36. Im Übrigen kann die rGFA ihr Potenzial nur dann ausschöpfen, wenn die Evaluation tatsächlich ergebnisoffen und extern von unabhängigen Stellen durchgeführt wird 37. Trotz aller Einschränkungen bleibt die GFA aber mehr als ein vorübergehendes Modeinstrument. Selektiv bei zentralen Gesetzgebungsvorhaben eingesetzt 38 und nicht zum „Allheilmittel“ einer modernen Gesetzgebungslehre verklärt, kann sie einen wichtigen Beitrag zur Rationalisierung der Normsetzung leisten 39. Die fortschreitende Institutionalisierung der GFA auf Bundes- und Landesebene 40 ist deshalb zu begrüßen. Ein Gebot zu ihrer „flächendeckenden“ Einführung besteht allerdings selbst dann nicht, wenn man – wie hier 41 – eine verfassungsrechtliche Pflicht zur „guten Gesetzgebung“ annimmt 42.
33 Vgl. BTDrs 15/2131, S. 9. Ein Beispiel für eine solche rGFA ist die im Auftrag des Umweltbundesamtes durchgeführte Evaluation des UVPG des Bundes. Vgl. Führ / Bitzer / Dopfer et. al., 2009. 34 Zu den Einzelheiten Böhret / Konzendorf, Handbuch GFA, S. 258 ff. 35 Böhret / Konzendorf, Handbuch GFA, S. 262 mit Fallstudie zur rGFA auf S. 299 ff. 36 Näher Schulze-Fielitz, ZG 2000, S. 295 (310). 37 Auf eine solche – zudem aufwändige und teure – externe Evaluation wird in der Gesetzgebungspraxis aber bereits deshalb verzichtet, um politische Kompromisse nicht durch das Ergebnis einer solchen Überprüfung wieder in Frage zu stellen. Näher Schulze-Fielitz; JZ 2004, S. 862 (869). 38 Zutreffend Böhret / Konzendorf, Rechtsoptimierung, S. 97, wonach nicht jedes Vorhaben eine „umfangreiche und durchgängige GFA de luxe“ benötige. Maurer, ZG 2006, S. 376 (384) weist darauf hin, dass ein zu ehrgeiziges System der Durchführung von GFA zu Prüfungsmüdigkeit und Überdruss führen und sogar den Vorwurf der Ressourcenverschwendung heraufbeschwören kann. 39 Vorsichtig optimistisch auch Köck, VerwArch 93 (2002), S. 1 (11). 40 Siehe sogleich unten § 8 B III. 41 Vgl. näher § 7 A I. 42 Zutreffend Köck, VerwArch 93 (2002), S. 1 (15 ff; 20).
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
III. Entwicklung der Gesetzesfolgenabschätzung in der Bundesrepublik Deutschland 1. Erste Pilotprojekte Wichtige Impulse für die Verbreitung der GFA in der Bundesrepublik Deutschland leistete der Sachverständigenrat „Schlanker Staat“, der diese bereits 1997 in den Mittelpunkt seiner Vorschläge für eine qualifizierte Bedürfnisprüfung von Gesetzen stellte 43. In Deutschland wurde eine prospektive und begleitende GFA erstmals in den Jahren 1997/98 in Rheinland-Pfalz durchgeführt. In Kooperation mit dem rheinland-pfälzischen Landesministerium für Umwelt und Forsten führte die DHV Speyer als Pilotprojekt eine Folgenabschätzung zum Landeswaldgesetz durch 44. Eine zentrale Rolle spielte die GFA auch im Rahmen des Regierungsprogramms „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“ der ersten rotgrünen Bundesregierung. Parallel zur Änderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien wurden in diesem Rahmen Methoden und Instrumente zur Durchführung von GFA erarbeitet. Als eines der Leitprojekte hat das BMI in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium Baden-Württemberg sowie der DHV Speyer ein Handbuch nebst Leitfaden und Praxistest zur GFA erarbeitet. Gegenstand des Forschungsvorhabens war die wissenschaftliche Systematisierung, Konkretisierung und Verallgemeinerung bisheriger theoretischer Erkenntnisse zur Abschätzung der Auswirkungen von rechtlichen Regelungen sowie die Entwicklung von Methoden der GFA. Aus dem Projekt ging 2001 mit dem von Carl Böhret und Götz Konzendorf entwickelten Handbuch der Gesetzesfolgenabschätzung die erste umfassende wissenschaftliche Darstellung der Methodik der GFA in der Bundesrepublik Deutschland hervor 45. 2. Gesetzesfolgenabschätzung in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien Auch in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) vom 26. 07. 2000 46 ist die GFA seit mittlerweile zehn Jahren verankert. Die Bundesregierung hatte 1996 in Umsetzung entsprechender Vorschläge der „Sachverständigenkommission Schlanker Staat“ die seit 1984 bekannten sog. „Blauen 43
Sachverständigenrat „Schlanker Staat“, Abschlussbericht, S. 15 ff. Näher Böhret / Konzendorf, Rechtsoptimierung, S. 96 ff. mit positivem Resümee des Pilotprojekts. 45 Böhret / Konzendorf, Handbuch GFA. Handbuch und deutlich knapper gehaltener Leitfaden wurden als Unterstützungsinstrumente für die Praxis entwickelt. Darüber hinaus wurde im Juli 2002 ein „Praxistest zur Gesetzesfolgenabschätzung“ für acht Regelungsvorhaben veröffentlicht. 46 GMBl, S. 526, geändert durch Beschlüsse vom 08. 11. 2006 (GMBl, S. 1133) und vom 27. 05. 2009 (GMBl, S. 690). 44
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Prüffragen“ zur Vorprüfung von Gesetzentwürfen 47 in die GGO II aufgenommen und mit bestimmten zwingenden Anforderungen versehen 48. Der Sache nach zielten die Prüffragen 49 auf im engeren Sinne vorbereitende, aber auch auf prospektive Aspekte ab und umfassten so – ohne diesen Begriff zu verwenden – nahezu den gesamten Bereich der pGFA. Eine wissenschaftlichen Anforderungen genügende pGFA durch eine externe Stelle wurde durch die bloße Regelung einer innerministeriellen Berücksichtigungspflicht in einer Verwaltungsvorschrift allerdings nicht gefordert. Ebenso fehlten konkrete Sanktionen bei Nichtberücksichtigung der Prüffragen 50, denen Experten deshalb eine weitgehende Bedeutungslosigkeit attestierten 51. Deshalb sah sich die Bundesregierung mit der GGO vom 26. 07. 2000 veranlasst, die Prüffragen durch eine Verpflichtung zur Durchführung einer GFA abzulösen. Nach § 43 GGO bestehen für die Vorlage ministerieller Gesetzesentwürfe nunmehr eine Reihe von Begründungserfordernissen. Unter anderem muss angegeben werden, welches Ziel mit dem Gesetzgebungsvorhaben verfolgt wird, welcher Sachverhalt dem Gesetzesentwurf zugrunde liegt und auf welchen Erkenntnisquellen er beruht, ob andere Lösungsmöglichkeiten bestehen, ob eine Erledigung der Aufgabe durch Private möglich ist, ob Eröffnungskontrollen bzw. Überwachungsverfahren eingeführt werden müssen und warum normersetzende Selbstverpflichtungen nicht ausreichen, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Erstmals wurde in der GGO eine – ganz dem damals herrschenden Leitbild des aktivierenden Staates verpflichtete 52 – qualifizierte Bedürfnisprüfung von Gesetzen etabliert. § 43 Abs. 1 Nr. 5 GGO schreibt zudem vor, dass die Gesetzesfolgen nach Maßgabe des § 44 GGO in der Begründung der Gesetzesvorlage darzustellen sind 53. Eine entsprechende Verpflichtung gilt nicht nur für Gesetze im formellen Sinne, sondern gem. § 62 Abs. 2 i.V. m. §§ 43 Abs. 1 Nr. 5, 44 GGO auch für Rechtsverordnungen. Die Darstellung der Gesetzesfolgen umfasst die beabsichtigten Wirkungen und die unbeabsichtigten Nebenwirkungen von Gesetzen (§ 44 Abs. 1 Satz 2 GGO). Insbesondere müssen die Auswirkungen auf die Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand, einschließlich der voraussichtlichen vollzugsbedingten Auswirkungen, dargestellt werden (§ 44 Abs. 2 GGO). 47 Fliedner, ZG 1991, S. 40 ff. Bereits ab 1981 wurden in Niedersachsen von der bei der Staatskanzlei angesiedelten Arbeitsgruppe Rechtsvereinfachung sog. „Gelbe Prüffragen“ entwickelt. Näher Schultze, DÖV 2007, S. 401 (404). 48 Vgl. §§ 22a und 40 der GGO II 1996; GMBl 1996, S. 449 ff. 49 Diese bilden den Anhang 11 der GGO II 1996. 50 Köck, VerwArch 93 (2002), S. 1 (11). 51 Zypries / Peters, ZG 2000. S. 316 (324). 52 Siehe Zypries / Peters, ZG 2000, S. 316 (324 f.). 53 Die damalige Bundesregierung erhoffte sich davon die „Verminderung der Regelungsmenge, den sparsamen Umgang mit knappen Ressourcen und die Vermeidung von Akzeptanzverlusten“. Vgl. näher BTDrs 15/2131, S. 2.
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
Darüber hinaus sind gem. § 44 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 GGO im Benehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie die Kosten für die Wirtschaft, insbesondere für die mittelständischen Unternehmen und die Auswirkungen des Gesetzes auf die Einzelpreise und das Preisniveau darzustellen. Gem. § 44 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 GGO sind im Benehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auch die Auswirkungen des Gesetzes auf die Verbraucherinnen und Verbraucher darzustellen. Nach § 44 Abs. 5 GGO müssen die Bundesministerien auch die Bürokratiekosten im Sinne des § 2 Absatz 1 NKRG ermitteln und darstellen. Gem. § 44 Abs. 7 GGO ist in der Begründung zum Gesetzentwurf durch das federführende Ressort festzulegen, ob und nach welchem Zeitraum zu prüfen ist, ob die beabsichtigten Wirkungen erreicht worden sind, ob die entstandenen Kosten in einem angemessenen Verhältnis zu den Ergebnissen stehen und welche Nebenwirkungen eingetreten sind. 3. Gegenwärtiger Stand der Gesetzesfolgenabschätzung in Deutschland Mit der GGO 2000 wurde ein erster Schritt unternommen, um die GFA in der Bundesrepublik Deutschland zu etablieren. Dieser wurde mit den Änderungen in den Jahren 2006 und 2009 54 behutsam ausgebaut. Die Verankerung der GFA in einer bloßen Verwaltungsvorschrift, die Tatsache, dass sich die Bundesregierung nicht – wie teilweise gefordert 55 – zu einer Institutionalisierung bei einer externen Stelle entschließen konnte 56 sowie die fehlende Sanktionierung von Verstößen belegen jedoch eine im internationalen Vergleich in Deutschland immer noch eher schwache Stellung der GFA 57. Viele Länder innerhalb der EU und OECD stellen seit Jahren deutlich weitergehende Anforderungen an die Vorbereitung und Folgenanalyse von Gesetzen 58. Eine weitere Verstetigung und eine stärkere normative Fundierung der GFA in der Bundesrepublik Deutschland ist daher eine in den nächsten Jahren anstehende Aufgabe, wobei die Bundesregierung aufgefordert ist, die GFA als Teil einer bisher fehlenden Gesamtkonzeption zur besseren Rechtsetzung dauerhaft zu etablieren 59. Vorbildlich sind dabei die Regelungen in Rheinland-Pfalz. Dort sieht § 13a GGO bereits seit 2000 die Durchführung 54
GMBl 2006, S. 1133 und GMBl 2009, S. 690. Sachverständigenrat Schlanker Staat, Abschlussbericht, S. 18; Wagner, ZRP 1999, S. 480 (485). 56 Zur defizitären Ausprägung der externen Evaluierung vgl. BTDrs 15/2131. 57 Kritisch Schneider, ZG 2004, S. 104 (112). Von einer Einführung der GFA in bisher „bescheidenem Maße“ spricht Köck, VerwArch 93 (2002), S. 1 (13). 58 Vgl. etwa Wagner, ZRP 1999, S. 480 (483); Karpen, AÖR 124 (1999), S. 400 ff. 59 Nach Maurer, ZG 2006, S. 377 (378) ist die statuarische Einführung der GFA unzureichend. Gefordert sei eine „kluge institutionelle Verankerung“, „ein funktionierendes 55
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einer GFA für Gesetzesvorhaben mit großer Wirkungsbreite oder erheblichen Auswirkungen vor, wobei § 13a Abs. 3 GGO i.V. m. Anhang 2 detaillierte Handlungsanleitungen bereitstellt. Die Bundesregierung hat mittlerweile auf die auch in verschiedenen unabhängigen Studien geübte Kritik bezüglich der noch defizitären Ausgestaltung der GFA auf nationaler Ebene reagiert. Mit dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrats (NKR) vom 08. 06. 2010 60, welches derzeit parlamentarisch beraten wird, sollen die Prüfkompetenzen des NKR erheblich ausgeweitet werden. Ist dieser bisher auf eine bloße Prüfung der Bürokratiekosten beschränkt, soll der NKR nunmehr auch die methodengerechte und nachvollziehbare Darstellung der in § 43 f. GGO genannten Begründungserfordernisse überprüfen dürfen 61.
C. Rechtsbereinigung und Vorschriftenabbau – Initiativen auf Bundesebene I. Normenflut und Rechtszersplitterung als zentrale Rechtsprobleme entwickelter Industriegesellschaften Der Bestand des Bundesrechts belief sich im November 2005 auf mehr als 88.000 Einzelvorschriften. Auf Bundesebene waren zu dieser Zeit 2059 Gesetze mit 47835 Einzelnormen und 3176 Rechtsverordnungen mit 40402 Paragrafen zu beachten. Allein in der 15. Legislaturperiode kamen 466 Gesetze und 1413 Verordnungen hinzu 62. In diesen Zahlen sind die Gesetze und Rechtsverordnungen der 16 Bundesländer nicht einmal enthalten 63. Darüber gilt auf Bundesund Landesebene eine nicht quantifizierbare Vielzahl von veröffentlichten und unveröffentlichten Verwaltungsvorschriften. Diese sollen nach der in der Rechtsprechung immer noch herrschenden 64, aber zu Recht zunehmend in Frage gestellten Ansicht 65 zwar keine Rechtsnormqualität aufweisen, sind für die Verwaltung aber dennoch als Instrument der Selbstprogrammierung und exekutivischer Breitensteuerung von überragender Bedeutung. Über ihre jedenfalls mittelbare Außenwirkung 66 können sie auch für den Bürger von größter Relevanz sein. Regelwerk“ und eine „zentrale Instanz in der Regierung, die ihre Durchführung, Methodengerechtigkeit und Qualität überwacht“. 60 BTDrs 17/1954. Näher zum Nationalen Normenkontrollrat § 8 D. 61 Eingehend § 8 D III 4. 62 Zahlen nach BTDrs 16/119 vom 30. 11. 2005. 63 Zur Entwicklung des Normenbestands in Mecklenburg-Vorpommern § 18 C. 64 Die Rechtsnormqualität von Verwaltungsvorschriften verneinend etwa BVerwGE 104, 220 (222); 119, 265 (267) sowie Bay VGH, DVBl 2001, S. 311. 65 Für Rechtsnormqualität als Innenrecht der Verwaltung Möstl, in: Erichsen / Ehlers, AVR, § 19 Rn. 4.
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
Die Klage über „Gesetzesflut“, „Massenproduktion“, „Inflation“ oder „Übermaß des Gesetzgebers“ lässt sich bereits in die Anfänge der Bundesrepublik Deutschland zurückverfolgen 67. Spätestens seit der „Ersten Entbürokratisierungswelle“ Ende der 1970er Jahre ist die „Eindämmung der Gesetzesflut ... ein politisches Postulat“ 68. Bereits 1980 fragte Klaus Stern: „Kann diese ausufernde Rechtsproduktion überhaupt noch überschaut werden? Kann sie verstanden werden von Juristen, von der Bevölkerung ganz zu schweigen?“ Josef Isensee befand schon 1985, das Lamentieren über die steigende Normenflut sei zu einem „bundesrepublikanischen Gemeinplatz“ 69 geworden. Die von Peter Noll 1973 in seiner Gesetzgebungslehre treffend formulierte Erkenntnis, dass „mit dem ständig zunehmenden Umfang der Gesetzesproduktion die Gesetzgebung selbst zum größten Problem der Gesetzgebung geworden ist“ 70, führte schon bald zu zahlreichen Aktivitäten der Rechtsvereinfachung auf Bundes- und Landesebene 71. Dennoch hat die scheinbar unerschöpfliche Produktivität der Gesetz-, Verordnungs- und Verwaltungsvorschriftengeber im föderalen Mehrebenensystem zu einer teils undurchsichtigen Regelungsdichte geführt. Bürger, zunehmend aber auch Experten innerhalb und außerhalb der Verwaltung sehen sich zusehends außerstande, das „Dickicht des Vorschriftendschungels“ und „wuchernde Rechtsgestrüpp“ zu durchdringen. Die Ursachen für diese „Flut der Gesetze“ 72 sind multikausal 73. Die in diesem Zusammenhang häufig beklagte Regelungswut auf europäischer Ebene 74 mit den gern zitierten Beispielen von Rechtsvorschriften über den maximalen Krüm66 Zur unmittelbaren Außenwirkung von normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften im Umwelt- und technischen Sicherheitsrecht sowie neuerdings auch im Sozialrecht Erbguth, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 24 Rn. 8. Zum Teil wird auch darüber hinaus eine unmittelbare Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften angenommen. Näher Wahl, in: Festschrift für das BVerwG, S. 571 ff; Leisner, JZ 2002, S. 219 ff. Zur Kritik Möstl, in: Erichsen / Ehlers, AVR, § 20 Rn. 16 ff. 67 Siehe bereits Scheuner, DÖV 1960, S. 603. 68 Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 639 mit umfassenden Nachweisen zur damaligen Diskussion. Ausführlich auch Mayntz / Feick, DV 1982, S. 281 ff. und Leisner, DVBl 1981, S. 848 ff. 69 Isensee, ZRP 1985, S. 139. 70 Noll, Gesetzgebungslehre, S. 164. 71 Vgl. Schultze, DÖV 2007, S. 401 ff. So gab die Staatsregierung Baden-Württemberg den Ministerien bereits 1979 Leitsätze zur Beschränkung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften an die Hand. 72 So der Titel eines populärwissenschaftlichen Buches von Klaus-Michael Groll aus dem Jahre1985. 73 Vgl. bereits § 7 A III. 74 Der Bestand an EU-Regelungen, der sogenannte „Acquis communautaire“, umfasst rund 80.000 Seiten Rechtstext. Zu Vorhaben der Rechtsvereinfachung und Gesetzesfolgenabschätzung im Rahmen des Projekts „Better Regulation“ vgl. Ahrens / Leier, ZG 2007, S. 383 ff. Eine Übersicht über die Aktivitäten findet sich auf der „Better Regulation Web-
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mungsgrad von Salatgurken und zur Ausgestaltung von Traktorsitzen ist zwar eine, bei weitem aber nicht die wichtigste Ursache für das unüberschaubare Normengeflecht. So ergab der von Ulrich Karpen unternommene „Gesetzescheck 2005 – 2007“ 75, dass lediglich 26% der in der ersten Hälfte der 16. Legislaturperiode erlassenen 698 Bundesgesetze europarechtlich beeinflusst waren. Das der Richtlinie 2000/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 über Seilbahnen für den Personenverkehr 76 geschuldete und nicht weniger als 36 Paragrafen umfassende „Gesetz über Seilbahnen im Land Mecklenburg-Vorpommern 77 stellt in einem Bundesland, in welchem die höchste natürliche Erhebung 179 Meter misst 78, sicherlich eine Kuriosität dar und hat verdientermaßen Rechtsgeschichte geschrieben. Ein ernsthaftes Problem stellt dieses Regelungswerk ohne Anwendungsbereich aber nicht dar. Zwar band das Gesetz nicht unerhebliche Kapazitäten des Landtags und der mit seiner Vorbereitung betrauten Exekutive. Den Bürger belastet dieses „Prachtexemplar“ moderner Gesetzgebung aber ebenso wenig wie das „Gesetz zur Übertragung der Aufgaben für die Überwachung der Rinderkennzeichnung und Rindfleischetikettierung (Rinderkennzeichungs- und Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz – RkReÜAÜG M-V)“ 79. Ob Mecklenburg-Vorpommern dagegen – wie von Vertretern des betroffenen Fachressorts dargelegt – wirklich als einziges Bundesland ein „Gesetz über die Haltung von lebenden Tieren wild lebender Arten in Zoos und Tiergehegen 80 benötigte, erscheint dagegen zweifelhaft. Möglicherweise hätte es seinerzeit auch genügt, die Richtlinie 1999/22/EG des Rates vom 29. 03. 1999 über die Haltung von Wildtieren in Zoos 81 durch eine Regelung im Landesnaturschutzgesetz umzusetzen. II. Regelungsdefizite im Besonderen Verwaltungsrecht – Die Referenzgebiete Umwelt- und Gewerberecht Für die Rechtskultur deutlich problematischer als die colorandi causa aufgezählten Skurrilitäten sowie überflüssige oder zu Recht in Vergessenheit geratene site“ der Europäischen Kommission ec.europa.eu|::|enterprise(policies/better-regulation/ index_de.htm (Abrufdatum: 18. 12. 2010). 75 Näher sogleich § 8 C III. 76 ABl. EG Nr. L 106, S. 21. 77 Landesseilbahngesetz – LSeilbG M-V vom 20. 07. 2004, GVOBl. M-V, S. 318. 78 Dies sind die Helpter Berge bei Woldegk im Landkreis Mecklenburg-Strelitz. 79 Vom 19. Januar 2000, GVOBl. M-V, S. 22. 80 Landeszoogesetz – ZooG M-V vom 24. 06. 2004; GVOBl. M-V, S. 302. Das Gesetz ist zum 01. 03. 2010 außer Kraft getreten; vgl. Art. 23 des Gesetzes zur Bereinigung des Landesnaturschutzrechts vom 23. 02. 2010, GVOBl. M-V, S. 66. Nunmehr finden sich die Regelungen über Zoos und Tiergehege in §§ 42 f. BNatSchG. 81 ABl EG Nr. L 94, S. 24.
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
Rechtsvorschriften sind Normenabundanzen und Regelungsdefizite in Rechtsgebieten mit tatsächlicher Vollzugsrelevanz. Dabei können die in dieser Arbeit näher betrachteten Referenzgebiete des Umwelt- und des Gewerberechts geradezu als Prototypen von zersplittert, unübersichtlich und ohne ausreichende systematische Stringenz geregelten Rechtsmaterien angeführt werden. 1. Umweltrecht Der gegenwärtige Zustand des Umweltrechts ist beklagenswert 82. Die bisher fehlende Kodifikation des Bundesumweltrechts in einem „Gesetzbuch aus einem Guss“ führt nach Ansicht der meisten Experten zu einer „häufig verwirrende(n) Unübersichtlichkeit“ 83 dieses Rechtsgebietes. Neben der übermäßig hohen Zahl der auf eine halbe Hundertschaft von Spezialgesetzen verteilten Vorschriften 84 sind die fehlende Systematisierung und Harmonisierung der einzelnen Teilgebiete, eine Zersplitterung des Rechtsstoffes und das Fehlen einer normativen Gesamtkonzeption Krisensymptome des deutschen Umweltrechts. Ein Rechtsgebiet wie das Immissionsschutzrecht – um nur eines der wichtigsten Teilgebiete des Besonderen Umweltverwaltungsrechts zu nennen – ist beispielsweise durch eine kaum mehr überschaubare Vielzahl völker- und europarechtlicher sowie nationaler Regelungen geprägt. Mittlerweile gibt es mehr als 30 Rechtsverordnungen zum BImSchG, die nicht nur durch unzählige auslegungsbedürftige unbestimmte Rechtsbegriffe, sondern teilweise auch durch ein hochkomplexes technisches Vokabular geprägt sind. Zu dieser Normenvielfalt kommen noch die nach § 48 BImSchG erlassenen Verwaltungsvorschriften TA Luft und TA Lärm, ohne die das Luftreinhaltungs- und Lärmschutzrecht gar nicht vollzugstauglich wäre 85. Diese Liste ließe sich – etwa mit Ausführungen zu den mit dem Abfallbegriff nach § 3 KrW- / AbfG und der Sanierungsverantwortlichkeit nach § 4 BBodSchG verbundenen Komplikationen – beliebig fortsetzen. Die Schaffung eines modernen und in sich widerspruchsfreien Umweltrechts ist deshalb seit langem ein Desiderat. Daher besteht in Wissenschaft und Fachpraxis weitgehend Konsens darüber, dass eine Kodifikation des auch für den Fachmann nur noch schwer überschaubaren Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch wünschenswert ist. Seit Inkrafttreten der Föderalismusreform I am 01. 09. 2006 kann diesem „grand projet“ des deutschen Umweltrechts auch nicht mehr die (vermeintlich) fehlende Gesetzgebungskompetenz des Bundes entgegengehalten werden. Das abermalige Scheitern dieses wie kaum ein anderes Gesetzgebungsvorhaben wissenschaftlich 82
Näher dazu § 20 A IV 1. Kloepfer, UPR 2007, S. 161. 84 Allein die Textausgabe des Bundesrechts von Kloepfer umfasst mehr als 6.000 Seiten. 85 Immer wird daher gefordert, das Immissionsschutzrecht nachhaltig zu straffen und zu vereinfachen. Vgl. etwa Hansmann, NVwZ 2005, S. 624 ff. 83
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vorbereiteten 86 Reformvorhabens in der 16. Legislaturperiode ist deshalb exemplarisch für die gering ausgeprägte Reformfähigkeit des politischen Systems in der Bundesrepublik Deutschland 87. An die Stelle des geplanten Umweltgesetzbuchs sind mit Wirkung vom 01. 03. 2010 das neue BNatSchG 88 und das WHG 89 als Vollregelungen sowie das Gesetz zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung bei der Anwendung am Menschen (NiSG) 90 sowie das zahlreiche Umweltvorschriften ändernde Rechtsbereinigungsgesetz Umwelt 91 getreten. 2. Gewerberecht Auch im Gewerberecht ist ein Ende der derzeitigen Rechtszersplitterung nicht absehbar. Die in ihrer Ursprungsfassung auf eine umfassende Kodifikation angelegte Gewerbeordnung regelt das heutige Gewerberecht nur noch rudimentär und hat – wie die zahlreichen speziellen Gewerbegesetze und die Vielzahl der weggefallenen Vorschriften in der Gewerbeordnung belegen 92 – seinen Kodifikationscharakter längst verloren. Ob die Gewerbeordnung auch heute noch das „Grundgesetz des Gewerberechts“ 93 ist, erscheint deshalb zweifelhaft. Infolge der Auslagerung zahlreicher Bestimmungen in das Gewerbenebenrecht ist die Gewerbeordnung eher „zu einem Rumpfgesetz verkümmert“ 94, das „inzwischen jegliche Übersichtlichkeit vermissen“ 95 lässt. Die Krise des Gewerberechts belegen auch Aussagen einiger seiner Nestoren. Danach liegt mit dem Wirtschaftsverwaltungsrecht ein „chaotischer Zweig des Rechtssystems auf der Suche nach klaren Strukturen und Prinzipien“ 96 vor, deren Teilgebiete sich zu reformbedürftigen und „selbstgenügsamen Biotop(en) abseits von den Leitlinien des Allgemeinen Verwaltungsrechts“ 97 entwickelt haben. An einer Überprüfung auf diese Weise 86 Professorenentwürfe von 1990 (UGB AT) und 1994 (UGB BT), ein Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission (1997) sowie ein Referentenentwurf eines UGB I des Bundesumweltministeriums (1999) wurden wegen Kompetenzschwierigkeiten nicht weiter verfolgt. 87 Näher zum Scheitern des Umweltgesetzbuches § 20 A IV 1. Zur geringen Reformfähigkeit des bundesdeutschen politischen Systems siehe § 21. 88 Verkündet als Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege vom 29. 07. 2009; BGBl. I, S. 2542. 89 Verkündet als Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Wasserrechts vom 31. 07. 2009; BGBl. I, S. 2585. 90 Vom 29. 07. 2009; BGBl. I, S. 2433. 91 Näher § 8 C V 2 b. 92 Zum Verlust der materiellen Regelungssubstanz der Gewerbeordnung Stober, BWvR § 45 II. 93 Stober, BWvR § 45 II 2. 94 Kahl, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, S. 67 (109). 95 Tettinger / Wank, GewO, Einl. Rn. 13. 96 Stober, in: Festschrift für Maurer, S. 827 (828).
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entstandener normativer Besitzstände und einer Rückanbindung des Gewerberechts an die Entwicklungslinien des Allgemeinen Verwaltungsrechts fehlte es in den letzten Jahren. Die zahlreichen Novellierungen des Gewerberechts beschränkten sich auf behutsame Streichungen überholter und die Aufnahme neuer Tatbestände sowie eine Verfeinerung des gewerberechtlichen Instrumentariums im Hinblick auf eine gewandelte technische, ökologische und soziale Realität 98. Dagegen sind die Bemühungen um ein „Gewerberecht aus einem Guss“ in den letzten 25 Jahren allesamt gescheitert 99. Die bereits früher eher skeptisch eingeschätzten 100 Realisierungschancen für eine auch rechtspolitisch umstrittene 101 umfassende Kodifikation des Gewerberechts sind durch die Stärkung der Länderkompetenzen in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG mit der Föderalismusreform I nicht besser geworden. Selbst die zum Teil geforderte Kodifikation eines Allgemeinen Teils der Gewerbeordnung als erste Reformstufe 102 steht derzeit nicht auf der politischen Prioritätenliste. III. Bestandsaufnahme: „Wie gut sind Deutschlands Gesetze“? Die obigen Zustandsbeschreibungen aus dem Gewerbe- und Umweltrecht belegen exemplarisch die mit einer qualitativen Deregulierung durch Kodifizierung verbundenen Schwierigkeiten. Auch in vielen weiteren Bereichen des Besonderen Verwaltungsrechts entbehrt ein in Jahrzehnten gewachsenes und unübersichtliches Recht der systematischen Stringenz. Zudem ist es oft auch handwerklich von erstaunlich schlechter Qualität. Dies belegt eine groß angelegte Studie über Defizite in der Gesetzgebung, die Ulrich Karpen im November 2007 veröffentlicht hat. Eine von ihm geleitete Forschungsgruppe untersuchte in einem „Qualitätscheck“ alle 198 formellen und 500 materiellen Bundesgesetze, welche vom November 2005 bis zum Sommer 2007 erlassen wurden 103. Die Erhebung hat eine Vielzahl von Ergebnissen hervorgebracht, welche die These von der Krise der gegenwärtigen Gesetzgebung belegen. So sollen 76 Prozent der Gesetze noch mehr Bürokratiekosten verursachen, 58 Prozent seien nach kur97
Für das Gaststättenrecht bereits Czybulka, in: Schmidt (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 2 Rn. 236. 98 Kempen, NVwZ 1999, S. 360 ff. Diese Einschätzung gilt auch für das Dritte GewRÄndG vom 24. 08. 2002; BGBl. I, S. 3412. 99 Eingehend Stober, BWvR § 45 III. 100 Kempen, NVwZ 1999, S. 360 ff; Stober, BWvR, § 45 III 1 m.w. N. in Fn. 18. 101 So bezweifelt Stober, BWvR, § 45 III 4 die Zweckmäßigkeit eines Gewerbegesetzbuches und verweist auf die defizitäre systematische Aufarbeitung des Rechtsgebiets sowie die starken Beharrungskräfte der großen Wirtschaftszweige. 102 Zu entsprechenden Vorschlägen Stober, BWvR, § 45 III 5. 103 Im Internet einsehbar unter www.insm-de (Abrufdatum: 18. 12. 2010). Siehe auch den Bericht von Karpen, ZRP 2008, S. 97.
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zer Zeit wieder geändert worden. Ebenfalls 58 Prozent der Normen führten zu noch mehr Regeln, 50 Prozent seien sprachlich unverständlich 104. 24 Prozent der Verweisungen auf andere Gesetze werden als überkomplex und unüberschaubar bewertet. Beklagt werden zudem erhebliche Mängel im Gesetzgebungsverfahren: Exemplarisch werden etwa die Gesetzesvorhaben „Schily I und II, Hartz I bis IV“ genannt 105. Von 34 im Hinblick auf das Gesetzgebungsverfahren näher untersuchten Gesetzgebungsverfahren 2005 bis 2007 wurden 18 bemängelt 106. Über diese Bestandsaufnahme hinaus liefert die Studie Empfehlungen, wo und wie die Gesetzgebung verbessert werden kann. So soll der Gesetzgeber sprachlich besser formulieren, weniger Änderungsgesetze auf den Weg bringen und die Bürokratiekosten, die beim Bürger und in der Verwaltung entstehen, nach Möglichkeit vorher messen oder hinterher evaluieren. Dazu sollten stufenweise die Rechte des Normenkontrollrates ausgeweitet werden 107. IV. Folgen der Rechtszersplitterung Fehlende Rechtsklarheit durch Überkomplexität, Rechtszersplitterung und die steigende Anzahl von Änderungs-, Berichtigungs- und Reparaturgesetzen führen dazu, dass zahlreiche Normappelle ihren Adressaten nicht mehr erreichen. Solches Recht ist wirkungslos, weil es nicht befolgt werden kann. Rechtszersplitterung, überbordende Detailverliebtheit auf der Suche nach der unbedingten Einzelfallgerechtigkeit sowie mangelnde handwerkliche Qualität rechtlicher Vorschriften sind nicht nur ein Problem für den Bürger, sondern belasten auch die mit dem Vollzug der Vorschriften betrauten Behörden. Dort herrschen nicht selten erhebliche Rechtsunsicherheiten, die wegen der lange Zeit in Behörden gepflegten „Fehlervermeidungskultur“ dazu führen, dass das Recht lieber unangewendet bleibt, anstatt es (womöglich fehlerhaft) zu vollziehen. Für ein solches systemimmanentes Vollzugsdefizit lässt sich eine Vielzahl von Praxisbeispielen anführen. Wer etwa in der Verwaltungspraxis mit der Förderung von Landwirten oder dem Lärm von Rasenmähern und sonstigen Maschinen 108 beschäftigt ist, kann angesichts der zahlreichen europa-, bundes- und landesrechtlichen Normen, 104
Lediglich sechs Gesetze konnten als sprachlich gelungen bezeichnet werden, während die negativ bewerteten der Vorwurf traf, für den Anwender unverständlich oder zu technisch zu sein. Vgl. Karpen, ZRP 2008, S. 97 (99). 105 Nach Karpen, ZRP 2008, S. 97 sind diese Gesetze „in großer Hast durch das Parlament und seine Ausschüsse gejagt“ worden und seien „unvollständig, schlecht formuliert oder fehlerhaft“. 106 Instruktiv die Entstehungsgeschichte des von Karpen, in ZRP 2008, S. 97 (98) geschilderten „Gesetzliche Krankenversicherungs-Wettbewerbsverstärkungsgesetz“. 107 Einzelheiten unter www.insm-de (Abrufdatum: 18. 12. 2010). 108 Dieser ist in der 32. BImSchV (Maschinenlärmverordnung) geregelt. Zu den damit verbundenen Vollzugsproblemen die unter Betreuung des Verfassers entstandene Diplomarbeit von Kort, 2008.
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zu denen noch eine Vielzahl von Richtlinien, Erlassen, Rundverfügungen, Dienstanweisungen oder ähnlicher Erscheinungsformen von Verwaltungsvorschriften als „ungesicherter dritter Kategorie des Rechts“ 109 kommt, schnell den Überblick verlieren. Die übergroße Regulierungsdichte führt überdies zu erheblichen volkswirtschaftlichen Kosten 110, so dass eine systematisch angelegte Strategie zur Rechtsvereinfachung und Bürokratiekostenmessung auf Bundes- und Landesebene unverzichtbar erscheint. In der Folge sollen daher die wichtigsten der diesbezüglich entfalteten Aktivitäten vorgestellt werden. V. Entwicklung der Aktivitäten zu Bürokratieabbau und Rechtsbereinigung Vor dem Hintergrund der geschilderten Probleme und beeinflusst von der Rechtsentwicklung in der Europäischen Union, wo spätestens seit der Vorlage des sog. Mandelkernberichts im Jahre 2001 Anstrengungen zur besseren Rechtsetzung einen Politikschwerpunkt darstellen 111, wurden in den letzten Jahren verstärkt Aktivitäten zur Lichtung des „Vorschriftendschungels“ durch Aufhebung überflüssiger Rechtsvorschriften initiiert 112. Noch längerfristiger orientiert sind Bemühungen, durch eine Qualitätsoffensive für die Zukunft zu einer besseren Gesetzgebung zu gelangen. Den Beginn dieses Politikschwerpunktes markiert die im Februar 2003 auf Bundesebene gestartete „Initiative Bürokratieabbau“. 1. Die „Initiative Bürokratieabbau“ a) Gesamtkonzept und Handlungsfelder Seit Ende 2002 stellte die rot-grüne Bundesregierung den Bürokratieabbau in das Zentrum ihres politischen Handelns. Mit der programmatisch an das Leitbild des „aktivierenden Staates“ 113 anknüpfenden „Initiative Bürokratieabbau“ war der Anspruch einer umfassenden Modernisierung von Staat und Verwaltung verbunden. Ziel war es, Bürger und Unternehmen von überflüssigen Verwaltungsvorschriften zu befreien sowie die Effizienz und Effektivität des Verwaltungshandelns zu stärken 114. Dabei sollte eine „streng problemfeld- und zielgruppenorientierte Strategie“ verfolgt werden, indem in fünf für die sozial109
Wahl, in: Festschrift für das BVerwG, S. 571. Zur Problematik der Bürokratiekostenmessung § 8 D. 111 Nähere Informationen unter ec.europa.eu|::|enterprise(policies|::|better-regulation|: :|index_de.htm (Abrufdatum: 07. 02. 2011). 112 So dienten immerhin 84 der 698 in der ersten Hälfte der 16. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages verabschiedeten Gesetze der Rechtsbereinigung. 113 Siehe bereits oben § 5 D I. 110
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und wirtschaftliche Reformpolitik als besonders bedeutsam identifizierten Handlungsfeldern konkrete Modernisierungsprojekte initiiert wurden. Im April 2004 wurden unter dem Dach der „Initiative Bürokratieabbau“ 68 Einzelprojekte verfolgt, von denen zu jener Zeit allerdings erst 9 abgeschlossen waren. Schwerpunkte waren der Abbau und die Vereinfachung materiellen und Verfahrensrechts, die Reduzierung der statistischen Belastung der Wirtschaft sowie die Einführung moderner Kommunikationsformen in der Verwaltung (eGovernment) 115. Auch erste Maßnahmen zur Bereinigung des Bundesrechts 116 und Initiativen zur Rechtsoptimierung unter dem Stichwort „Bessere Gesetzgebung“ wurden in Aussicht gestellt. Der zweite Zwischenbericht vom April 2005 dokumentierte dann insgesamt 75 Einzelprojekte, von denen zu diesem Zeitpunkt 29 abgeschlossen waren 117. Einen Schwerpunkt des als „Kärrnerarbeit“ 118 erkannten „Projekts Bürokratieabbau“ bildeten die sog. „Massenverfahren“, welche auf vorhandene Entlastungspotenziale durch vereinfachte Verfahrensgestaltung und die verstärkte Nutzung der Möglichkeiten elektronischer Verwaltung untersucht wurden 119. Daneben standen die Erweiterung unternehmerischer Freiräume 120, die Effizienzsteigerung durch neue Behördenstrukturen 121 sowie die Beschleunigung und Vereinfachung von Verwaltungsverfahren 122 im Mittelpunkt der Aktivitäten. Unter dem Stichwort „Impulse für einen nachhaltigen Prozess“ wurden zudem längerfristig orientierte Projekte wie die Bereinigung des Bundesrechts, die Reduzierung von Verwaltungsvorschriften, die Einführung einer Datenbank für Verwaltungsvorschriften des Bundes sowie die Verbesserung der Gesetzesfolgenabschätzung verfolgt 123. 114
Gesamtkonzept, Handlungsfelder und Projekte der Initiative sind in zwei Zwischenberichten des BMI von 2004 („Erster Zwischenbericht“) und 2005 („Zweiter Zwischenbericht“) dokumentiert. 115 Ausführlich Erster Zwischenbericht, S. 29 ff. und S. 42. Zur Digitalisierung der Verwaltung § 9 B. 116 Vgl. Erster Zwischenbericht, S. 37 f. 117 Zweiter Zwischenbericht, S. 4 und S. 7 ff. Zum damaligen Stand der Einzelprojekte S. 76 ff. 118 Zweiter Zwischenbericht, S. 7. 119 „Massenverfahren“ sind Verfahren, die besonders häufig durchlaufen werden. So werden jährlich etwa 700 Mio. Kassenrezepte ausgestellt, 113 Mio. Meldungen der Arbeitgeber an die Einzugsstellen für den Sozialversicherungsbeitrag gemacht, 29 Mio. Einkommenssteuererklärungen abgegeben, über 15 Mio. KfZ-Neuzulassungen, Besitzumschreibungen und Löschungen bei den KfZ-Zulassungsstellen getätigt, ca. 14 Mio. Anträge auf Personalausweise oder Pässe gestellt und ca. 6,5 Mio. Wohnungsan- und -abmeldungen vorgenommen. 120 Durch Reduzierung von Statistik- und Berichtspflichten, die erleichterte Gründung von Handwerksbetrieben, die „Verschlankung“ des Vergaberechts und die Umsetzung von Maßnahmen zum Bürokratieabbau und zur Deregulierung. 121 Zu den Einzelprojekten Zweiter Zwischenbericht, S. 34 ff. 122 Zweiter Zwischenbericht, S. 47 ff.
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b) Einrichtung von „Testregionen für Bürokratieabbau“ Ein wichtiges Projekt der „Initiative Bürokratieabbau“ waren auch die sog. „Testregionen für Bürokratieabbau“. Deren Einrichtung ging auf eine Initiative des DIHK zurück, welcher der Bundesregierung im Dezember 2002 vorgeschlagen hatte, bestimmte Maßnahmen zum Bürokratieabbau zunächst in ausgewählten Regionen zu testen 124. Der Gedanke eines zeitlich und örtlich befristeten Experiments mit Entbürokratisierungsmaßnahmen gewann bald eine breite Anhängerschaft. Anfang des Jahres 2003 bewarben sich mehr als 80 Regionen bei der Bundesregierung um ein bundesweit ausgeschriebenes Projekt. Im Rahmen dieser Initiative suchte das federführende BMWi vor allem den Dialog mit Interessenvertretern der Wirtschaft und forderte die IHK zur Entwicklung eigener Vorstellungen zum Bürokratieabbau auf. Im Juli 2003 wählte die Bundesregierung mit den Regionen Westmecklenburg, Ostwestfalen-Lippe sowie der Hansestadt Bremen (Bremen und Bremerhaven) drei Regionen als „Testregionen für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung durch Deregulierung und Entbürokratisierung“ aus. Auf Bundesebene wurde eine Projektgruppe gegründet. Die wissenschaftliche Begleitung des Modellversuchs übertrug man der BertelsmannStiftung. Mit dem zunächst auf fünf Jahre befristeten Projekt sollten Maßnahmen „ausprobiert“ werden, die noch nicht allgemein konsensfähig waren, von denen man sich aber einen spürbaren investitionssteigernden Effekt versprach 125. 2. Aktivitäten zur Rechtsbereinigung Nach einer kurzen Blüte der Rechtsbereinigungsaktivitäten in den 1980er Jahren, die zum Erlass von insgesamt vier Rechtsbereinigungs- und Vereinheitlichungsgesetzen führte 126, war es lange still um das Thema systematische Rechtsbereinigung geworden. Erst mit der von der zweiten rot-grünen Regierung gestarteten „Entbürokratisierungsoffensive“ endete dieser „Dornröschenschlaf“. a) Rechtsbereinigung im Rahmen des „Masterplans Bürokratieabbau“ 2003 bis 2005 Am 26. 02. 2003 beschloss die Bundesregierung einen sog. „Masterplan Bürokratieabbau“. Eine seiner zentralen Vorgaben war die Abschaffung und Vereinfachung von geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die „bürger- und wirt123
Einzelheiten auf S. 67 ff. des Zweiten Zwischenberichts. Rothe, Aufgabenkritik, S. 77 (80 f.). 125 Zu Idee und Entwicklung der Testregionen ausführlich unten § 16 C I 1. 126 Bonk / Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 1 Rn. 243 ff. Siehe auch § 5 B III. 124
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schaftsfreundliche Ausgestaltung neuer Gesetze und Verordnungen“ sowie die „Vermeidung neuer unnötiger bürokratischer Belastungen bereits im Vorfeld nationaler Gesetzgebung“. Da die Erfüllung dieser Aufgaben messbar sein müsse, wurden konkrete „Entbürokratisierungsziele“ für alle Einzelvorhaben festgelegt. Der „Masterplan“ enthielt einen einheitlichen und ressortübergreifenden Ansatz für die gesamte Bundesregierung. Er bestand aus einem Sofortprogramm zum Bürokratieabbau und einem vom Kabinett im September 2003 beschlossenen strategischen Gesamtkonzept. Zu den Projekten des Sofortprogramms gehörte u. a. die Bereinigung des Bundesrechts. Im Rahmen dieses vom BMJ betreuten Projekts wurden sämtliche Ministerien aufgefordert, „mit der Überprüfung ihres Normbestandes und der Geschäftsprozesse ihrer Geschäftsbereichsbehörden unter dem Gesichtspunkt Bürokratieabbau zu beginnen, diesen Prozess laufend fortzuführen und bei allen künftigen Vorhaben von vornherein verstärkt auf die Vorgaben zur Bürokratievermeidung zu achten“. Die Rechtsbereinigung lief allerdings zunächst eher schleppend an. So wurden vom Oktober 2002 bis zum Oktober 2003 16 neue und 31 Änderungsgesetze sowie 147 neue und 269 Änderungsverordnungen verkündet, während man im gleichen Zeitraum nur 13 Gesetze und 98 Rechtsverordnungen außer Kraft setzte 127. In der Folge wurde der Prozess der Rechtsbereinigung jedoch verstetigt und systematisiert. Durch eine ressortinterne Überprüfung des jeweiligen Normenbestandes auf überflüssige Vorschriften nach bestimmten formalen Kriterien sollte flächendeckend der „über Jahrzehnte angehäufte Ballast“ 128 erkannt und durch Rechtsbereinigungsgesetze beseitigt werden. Die einzelnen Ressorts leiteten nach einem im Probelauf vom BMJ und BMI getesteten Konzept Schritte zur Rechtsbereinigung ein. Im August 2005 hatte die Bundesregierung die Entwürfe von insgesamt vier Rechtsbereinigungsgesetzen beschlossen, mit denen mehr als 350 Gesetze und Verordnungen aus dem geltenden Bundesrecht gestrichen werden sollten. Zudem lagen zu diesem Zeitpunkt zwei weitere Referentenentwürfe vor, welche die Aufhebung weiterer 263 Gesetze und Verordnungen betrafen. Außerdem wurden Rechtsvorschriften auch bei Gelegenheit anderer Rechtsetzungsvorhaben bereinigt. Bis zum August 2005 waren so immerhin 75 Gesetze und 293 Rechtsverordnungen außer Kraft getreten. b) Rechtsbereinigungsgesetze seit 2006 Die Große Koalition aus CDU und SPD setzte den von der rot-grünen Regierung initiierten Prozess fort. Ab 2006 wurden zahlreiche weitere Rechtsbereinigungsgesetze verabschiedet, mit denen Vorschriften ohne praktische Wirkung aus dem Bestand des geltenden Rechts entfernt wurden. 127 128
BTDrs 15/1979 vom 12. 11. 2003, S. 3 f. Erster Zwischenbericht, S. 6.
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Den Beginn dieser „Rechtsbereinigungswelle“ markierte im Februar 2006 das „Erste Gesetz über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums des Inneren“ 129. Bereits zwei Monate später folgten entsprechende Gesetze aus dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz 130, dem Bundesministerium der Justiz 131 und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 132. Im Zuständigkeitsbereich der Bundesministerien für Arbeit, Soziales und Gesundheit wurde im August 2006 ein umfassendes Rechtsbereinigungsgesetz mit dem „Rekordumfang“ von 227 Artikeln verkündet 133, dem im September 2006 ein entsprechendes Gesetz aus dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung folgte 134. Noch im Dezember desselben Jahres leitete dann das „Zweite Gesetz über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums des Inneren“ 135 die „zweite Welle“ der Rechtsbereinigungsgesetze ein. Diese setzten die Bundesministerien für Wirtschaft und Technologie sowie für Arbeit und Soziales im April 2007 mit einem entsprechenden Gesetz in ihrem Aufgabenbereich 136 fort. Im November 2007 folgte das „Zweite Rechtsbereinigungsgesetz im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Justiz“ 137. Einen vorläufigen Abschluss der Rechtsbereinigungsaktivitäten der von CDU / CSU und SPD getragenen Bundesregierung bildete das „Gesetz zur Rechtsbereinigung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen und zur Änderung des Münzgesetzes vom 08. 05. 2008“ 138. Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Natur und Reaktorsicherheit trat dagegen zunächst kein entsprechendes Gesetz in Kraft. Hier sollte die Rechtsbereinigung einem Einführungsgesetz zum UGB vorbehalten bleiben. Nach dem Scheitern des Projekts wurden erst mit dem Gesetz zur Bereinigung des Bundesrechts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 129
BGBl. I, S. 334. Das Gesetz umfasste 100 Artikel. Vom 13. 04. 2006; BGBl. I, S. 855. Das Gesetz bestand aus 80 Artikeln. 131 Vom 19. 04. 2006; BGBl. I, S. 866 mit nicht weniger als 210 Artikeln. Mit ihm wurden 64 Gesetze und Rechtsverordnungen aufgehoben, weitere 86 Gesetze und Rechtsverordnungen fielen weg. Darüber hinaus wurden 101 Einzelvorschriften ersatzlos beseitigt. Näher Fliedner, ZG 2006, S. 397. 132 BGBl. I, S. 894. Das Gesetz umfasste 47 Artikel. 133 Vom 14. 08. 2006; BGBl. I, S. 1869. 134 Vom 19. 09. 2006; BGBl. I, S. 2146. Das Gesetz bestand aus 76 Artikeln. 135 Vom 02. 12. 2006; BGBl. I, S. 2674. In 7 Artikeln wurde überwiegend die Nichtanwendung bestimmter im Einigungsvertrag enthaltener Maßgaben und Ergänzungen zum Bundesrecht bestimmt. 136 Vom 25. 04. 2007; BGBl. I, S. 594. Das Gesetz umfasste 70 Artikel. 137 Vom 23. 11. 2007; BGBl. I, S. 2614. Mit ihm wurden Besatzungsrecht und zahlreiche Vorschriften des partiellen Bundesrechts der unmittelbaren Nachkriegszeit aufgehoben. 138 BGBl. I, S. 810. 130
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(Rechtsbereinigungsgesetz Umwelt) vom 13. 08. 2009 139 insgesamt zehn Gesetze bzw. Verordnungen aufgehoben und in weiteren zehn Gesetzen bzw. Verordnungen Einzelvorschriften aufgehoben oder geändert 140. Auch die von CDU / CSU und FDP getragene „zweite Regierung Merkel“ setzte die Rechtsbereinigung fort und legte im Dezember 2010 ein nicht weniger als 110 Artikel umfassendes Gesetz über die weitere Bereinigung von Bundesrecht vor 141. Mit diesem wurden wiederum überflüssig gewordene Rechtsvorschriften, darunter auch fortgeltendes Reichsrecht in nennenswerten Umfang, aufgehoben und andere Normen an mittlerweile geändertes Bundesrecht angepasst. c) Rechtsbereinigung bei Verwaltungsvorschriften Einen Beitrag zur Binnenmodernisierung der Bundesverwaltung leistete überdies der Aufbau einer Datenbank für Verwaltungsvorschriften des Bundes (DB VwV Bund) aufgrund eines Kabinettsbeschlusses vom 31. 05. 2006. Ziel des Projekts war es, überflüssige Verwaltungsvorschriften zu streichen und um nicht notwendige Inhalte zu bereinigen. Nach Abschluss eines Pilotprojekts des BMI zum 01. 08. 2005, das die in seinem Ressort gültigen Rechtsvorschriften in eine elektronische Datenbank eingestellte und dabei etwa 20 % der verwaltungsinternen Regelungen streichen konnte, wurde mit Wirkung zum 01. 10. 2006 die Errichtung eines bereinigten und aktuellen Gültigkeitsverzeichnis der veröffentlichten Verwaltungsvorschriften auf Bundesebene beschlossen. Alle nicht bis zum 30. 09. 2006 in die Datenbank aufgenommen Verwaltungsvorschriften traten zum 30. 09. 2007 außer Kraft. Die DB VwV Bund stand zunächst nur Bundesbehörden und Bundesgerichten zur Verfügung, kann mittlerweile aber auch von interessierten Bürgern genutzt werden 142. d) Bewertung Mit der auf Bundesebene seit 2003 kontinuierlich und unabhängig von wechselnden politischen Mehrheiten betriebenen Rechtsbereinigung wurde eine anerkennenswerte „Kärrnerarbeit“ im Bereich der quantitativen Deregulierung geleistet. Das bestehende Recht wurde „durchforstet“ und überflüssig gewordene, teils bereits in Vergessenheit geratene Vorschriften konnten aus ihrem – oft bereits Jahr139
BGBl. I, S. 2723. Im Wesentlichen enthält das 22 Artikel umfassende Gesetz Änderungen des UVPG. Frühere Regelungsaufträge an die Landesgesetzgeber wurden durch bundesrechtliche Vollregelungen abgelöst. Das UVPG wurde am 24. 02. 2010 (BGBl. I, S. 94) neu bekannt gemacht. 141 Vom 08. 12. 2010; BGBl. I, S. 1864. 142 Im Internet einsehbar unter www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de. (Abrufdatum: 07. 02. 2011). 140
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zehnte währenden – „Dornröschenschlaf“ erweckt und außer Kraft gesetzt werden. Immerhin ist es so gelungen, die Zahl der geltenden Einzelnormen des deutschen Bundesrechts von 47.835 im November 2005 auf 45.511 am 19. 12. 2008 zu reduzieren 143. Der damit verbundene Beitrag zur Rechtshygiene sollte nicht unterschätzt, darf andererseits aber auch nicht überbewertet werden 144. Die überwiegende Mehrzahl der Aufhebungen betraf „exotische“ und durch Zeitablauf obsolet gewordene Rechtsvorschriften, die weder für den Bürger noch für die Verwaltungspraxis von besonderer Relevanz waren 145. Ein nachhaltiger qualitativer Deregulierungserfolg kann allein mit solchen Aktivitäten nicht erzielt werden. Er bedarf vielmehr einer eher langfristig orientierten Strategie, welche an den oben entwickelten Kriterien einer „guten Gesetzgebung“ orientiert sein muss 146.
D. Bürokratiekostenmessung und Nationaler Normenkontrollrat I. Methodik der Bürokratiekostenmessung und Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland 1. Das Standardkosten-Modell Ebenso wie in allen anderen entwickelten Industrieländern wird in der Bundesrepublik Deutschland seit vielen Jahren über die Belastung von Unternehmen und Bürgern durch administrative Kosten debattiert. Die Diskussion krankte allerdings lange Zeit an einem unklaren Begriffsverständnis und fehlenden statistischen Erhebungen über die durch solche Belastungen hervorgerufenen monetären Folgen. Die in der rechtspolitischen Diskussion genannten Zahlen zu den durch Berichtspflichten bei den Privaten entstehenden Kosten waren nicht verifizierbar. Diese Intransparenz führte dazu, dass der Gesetzgeber lange Zeit den gebotenen kritischen Blick auf die Bürokratiekosten vermissen ließ. Erst mit dem am 25. 04. 2006 beschlossenen Programm „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ verpflichtete sich die Bundesregierung, „die Bürokratiekosten aufgrund bundesrechtlicher Informationspflichten messbar zu senken, neue Informationspflichten zu vermeiden und sich auf europäischer Ebene mit Nachdruck für den Abbau bestehender Informationspflichten einzusetzen“ 147. Seit diesem Zeit143
Zypries, SächsVBl 2009, S. 101. Deutlich kritischer Fliedner, ZG 2006, S. 397 (404 ff.), der dem 1.BMJ-Rechtsbereinigungsgesetz attestiert, „so gut wie keine Verbesserung für die praktische Rechtsanwendung“ zu bringen und stattdessen „eher zur Belastung der Rechtsanwender“ zu führen. 145 Beispiele aus dem 1. BMJ-Rechtsbereinigungsgesetz bei Fliedner, ZG 2006, S. 397 (402). 146 Ausführlich bereits § 7 A I. 144
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punkt wird der Bürokratiekostenmessung nach dem Standardkosten-Modell auch auf Bundesebene ein herausragender Stellenwert beigemessen 148. Das Standardkosten-Modell (SKM) 149 wird auf internationaler Ebene seit Mitte der 1990er Jahre angewandt. Das nach niederländischem Vorbild entwickelte 150 Konzept wurde in mehreren europäischen Ländern erfolgreich erprobt und wird auch von der Europäischen Union und der OECD empfohlen. In Deutschland wurde es indessen lange ignoriert 151. Das SKM liefert eine methodisch objektive Grundlage für die Kostenanalyse von gesetzlichen Regelungen. Es ist ein genormtes Schätzverfahren, mit dem ein Gesamtbild der durch rechtliche Vorschriften entstehenden Informationskosten ermittelt werden soll. Unter Informationskosten werden allerdings nur die durch Nachweis- und Dokumentationspflichten des Antragstellers in einem Genehmigungs- bzw. Anzeigeverfahren oder die durch Statistikpflichten in einem Unternehmen entstehenden Kosten verstanden. Die (deutlich schwerer messbaren) Kosten, welche durch den materiellen Gehalt einer Vorschrift entstehen, fallen nicht unter den engen Informationskostenbegriff. Das SKM beinhaltet daher nur einen geringen Teil einer umfassenden Gesetzesfolgenabschätzung, ermöglicht es aber zumindest, jeder gesetzlichen Informationspflicht gleichsam eine Art „Preisschild“ umzuhängen 152. Mit Hilfe des SKM lässt sich nicht nur eine ex-post-, sondern auch eine ex-ante-Bewertung der Kosten von Informations- und Berichtspflichten vornehmen. So kann bereits im Vorfeld geplanter gesetzlicher Regelungen steuernd auf evtl. zu hohe Informationskosten eingewirkt werden, indem etwa Antragsverfahren aufeinander abgestimmt, Formulare vereinfacht oder gesetzliche Informationspflichten reduziert werden. Ebenso können die von vielen Unternehmen beklagten übermäßigen Bürokratiebelastungen mit konkreten Zahlen be- bzw. widerlegt werden 153. 2. Pilotprojekte Die Einführung des SKM in der Bundesrepublik Deutschland fand unter maßgeblicher Beteiligung der Bertelsmann-Stiftung statt. So wurden z. B. in sechs Bundesländern Studien über die durch Informationspflichten in den Landesbauordnungen 154 sowie im Landesweiterbildungs- und Bildungsfreistellungsrecht entstehenden Informationskosten durchgeführt. Als weiteres länderübergreifen147
BTDrs 16/6826, S. 85. Vgl. nunmehr umfassend Röttgen / Vogel(Hrsg.), Bürokratiekostenabbau in Deutschland, 2010. 149 Dazu eingehend Frick / Brinkmann / Ernst, ZG 2006, S. 28 ff. 150 Das heutige SKM wurde in den Jahren 1992 bis 1994 unter dem Namen Mistral (Meetinstrument Administrative Lasten) in den Niederlanden entwickelt. 151 Kritisch Röttgen, ZRP 2006, S. 46 (49). 152 Zur Kostenermittlung werden die Parameter Preis, Zeit und Qualität erhoben. 153 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 4/2401, S. 19. 148
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des Pilotprojekt ist der im 2. Halbjahr 2006 durchgeführte sog. „SKM-Scan auf Bürokratiekosten“ hervorzuheben, mit dessen Hilfe das Landesrecht der Bundesländer Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Sachsen 155 im Hinblick auf Informationskosten für Unternehmen analysiert wurde. Zu diesem Zweck wurde eine grobe Schätzung der durch diese Informationspflichten verursachten Belastungen durchgeführt und bezüglich der Kostenbelastung eine Rangfolge der Landesgesetze erstellt. Auf jener Grundlage wurden schließlich Vorschläge für das weitere Vorgehen bei der Messung der Informationspflichten auf Landesebene gemacht. Durch das Projekt sollten Einsparungspotenziale aufgedeckt, ggf. in einem weiteren Schritt genauer quantifiziert und durch gezielte Optimierung sowie Kosten reduzierende Maßnahmen des Landesgesetzgebers realisiert werden. Die Untersuchung 156 war ein Einstieg in genauere Messungen von Informationskosten nach dem Standard-Kostenmodell und gab den Ländern Hinweise auf „Kostentreiber“ sowie mögliche Kostenabbaupotenziale. Hatten sich die ersten Pilotprojekte noch auf die Messung der Bürokratiekosten von Unternehmen beschränkt, wurde das Blickfeld später auf den Bürger erweitert. Im Jahre 2007 maß man die Bürokratiekosten für Menschen in besonderen Lebenslagen. Einbezogen wurden ehrenamtlich Tätige in Sportvereinen, Eltern von behinderten Kindern und Angehörige von pflegebedürftigen älteren Personen 157. Dabei ergab sich bei den ehrenamtlich Tätigen in Sportvereinen ein „Bürokratieaufwand“ von durchschnittlich 510 Stunden sowie 470 € an Ausgaben pro Jahr. Den Eltern eines behinderten Kindes entstand ein jährlicher Aufwand von ca. 40 Stunden und die Angehörigen einer pflegebedürftigen älteren Person benötigten ca. 32 Stunden jährlich, um den bestehenden gesetzlichen Informationspflichten nachzukommen. Dieses Projekt hat verdeutlicht, dass eine Messung der Bürokratiekosten für Bürger in besonderen Lebenslagen mittels eines angepassten SKM möglich ist und auf Basis einer solchen Untersuchung Problembereiche aufgedeckt und Entlastungspotenziale identifiziert werden können 158. II. Nationaler Normenkontrollrat Eine zentrale Rolle bei der Bürokratiekostenmessung spielt der durch das Gesetz zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrats (NKRG) vom 14. 08. 154 Entsprechende Untersuchungen wurden in Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland durchgeführt. Zu den Ergebnissen in Mecklenburg-Vorpommern unten § 18 A. 155 Zu den dortigen Erfahrungen Dehoust / Nagel, SächsVBl 2008, S. 101 ff. 156 Der länderübergreifende externe Bericht und der Abschlussbericht für das Land Niedersachsen finden sich unter www.stk.niedersachsen.de (Aufrufdatum: 18. 12. 2010). 157 Der Abschlussbericht ist einsehbar unter www.bertelsmann-stiftung.de (Abrufdatum 18. 12. 2010). 158 Siehe im Einzelnen Abschlussbericht, S. 32.
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2006 159 als unabhängiges Beratungs- und Kontrollorgan errichtete Nationale Normenkontrollrat (NKR). Dieser hatte nach der ursprünglichen Fassung des § 1 Abs. 2 NKRG zunächst 159a die Aufgabe, die Bundesregierung dabei zu unterstützen, die durch Gesetze verursachten Bürokratiekosten mittels Anwendung, Beobachtung und Fortentwicklung einer standardisierten Bürokratiekostenmessung auf Grundlage des Standardkosten-Modells zu reduzieren. Die Errichtung des NKR war eine Reaktion darauf, dass es in der Bundesrepublik Deutschland an systematischen und auf Dauer angelegten Instrumenten zur Erfassung und Beseitigung übermäßiger Bürokratiekosten fehlte, während solche Instrumente in anderen europäischen Ländern bereits seit längerer Zeit mit Erfolg angewandt wurden 160. Die in der Vergangenheit eher auf punktuelle Einzelmaßnahmen beschränkte Rechtsoptimierung, die ohne große Wirkung geblieben war und nicht ausreichte, „ein Übermaß an Bürokratie und die dadurch entstehenden finanziellen Lasten insbesondere der kleinen und mittleren Unternehmen zu beseitigen“ 161, sollte durch den NKR institutionalisiert und verstetigt werden. 1. Vorbilder auf internationaler Ebene Vorbild für die Errichtung des NKR waren die Niederlande. Dort besteht bereits seit 2000 ein unabhängiges Beratungsgremium für Bürokratieabbau mit dem Namen ACTAL 162, welches die Aktivitäten des niederländischen Abgeordnetenhauses und der Regierung bei Gesetzesinitiativen begleitet 163. ACTAL wird auf Anfrage der verschiedenen Ministerien, des Parlaments oder einzelner Departements aktiv oder fordert diese von sich aus auf, den Verwaltungsaufwand für neue Rechtsnormen zu berechnen und Alternativen vorzuschlagen. Das Gremium überprüft anschließend die genannten Kosten, indem es einzelne Betriebe und seit dem 01. 01. 2005 auch einzelne Bürger auswählt, welche durch Informations-, Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten belastet werden. ACTAL untersucht auch bestehende Vorschriften auf bürokratische Kosten und bewertet Aktionsprogramme der Regierung zum Bürokratieabbau. Seine Stellungnahmen zur Kostenbelastung durch Gesetzesinitiativen sind nicht bindend.
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BGBl. I, S. 1866. Zu den durch das NKR-Änderungsgesetz erfolgten Modifizierungen vgl. § 8 D III 4. 160 Zu Entwicklungen in anderen Staaten Kreibohm / Klippstein, S. 25 (65 ff.); Röttgen, ZRP 2006, S. 47 (50). 161 Vgl. Interfraktioneller Entwurf eines Normenkontrollratsgesetz BTDrs 16/1406, S. 1. 162 Advies College Toetsing Administrative Lasten (Rat zur Vermeidung administrativer Lasten). 163 Weiterführend Kreibohm / Klippstein, S. 25 (37 ff.). 159a
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
2. Rechtliche Stellung, Aufgaben und Organisation Mit dem Nationalen Normenkontrollrat wurde auch in Deutschland eine mit Autorität ausgestattete neutrale Einrichtung geschaffen, die „in fachlicher Unabhängigkeit jeden von ihr ausgewählten Gesetzentwurf darauf überprüfen kann, ob er den Grundsätzen einer standardisierten Bürokratiekostenmessung ... genügt, und die auch berechtigt ist, bei Bedarf Nachbesserungen zu verlangen“ 164. Der – erfreulicherweise auf formell-gesetzlicher Grundlage errichtete 165 – NKR ist beim Bundeskanzleramt angesiedelt 166. Das unabhängige Gremium soll die Bundesregierung dabei unterstützen, die durch Gesetze verursachten Bürokratiekosten durch Anwendung, Beobachtung und Fortentwicklung einer standardisierten Bürokratiekostenmessung auf Grundlage des Standardkosten-Modells zu reduzieren (§ 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 NKRG). Der NKR hat eine ausschließlich beratende Funktion und besitzt keine Mitentscheidungs- oder Vetobefugnis bei den Entscheidungen der Bundesregierung. Das Gesetzesinitiativrecht der Bundesregierung nach Art. 76 GG und die Ressortverantwortlichkeit der Bundesminister nach Art. 65 Abs. 2 GG bleiben unangetastet 167. Der NKR misst die Bürokratiekosten nicht selbst, sondern soll als „unabhängiger und neutraler Methodenwächter“ 168 Gesetzesentwürfe der Bundesregierung auf solche Belastungen überprüfen. § 2 Abs. 1 Satz 1 NKRG verwendet einen engen Begriff der Bürokratiekosten. Dieser wird auf solche Kosten beschränkt, die natürlichen oder juristischen Personen durch Informationspflichten entstehen. Informationspflichten sind nach § 2 Abs. 1 Satz 2 NKRG auf Grund von Gesetz, Rechtsverordnung, Satzung oder Verwaltungsvorschrift bestehende Verpflichtungen, Daten und sonstige Informationen für Behörden oder Dritte zu beschaffen, verfügbar zu halten oder zu übermitteln. Andere als durch Informationspflichten entstehende Kosten waren von dem Gesetz bisher 169 nicht umfasst (§ 2 Abs. 1 Satz 3 NKRG). Der gegenwärtige Auftrag des NKR entspricht dem niederländischen Vorbild, bleibt aber deutlich hinter der Koalitionsvereinbarung vom 11. 11. 2005 zurück 170. Die zunächst eher zurückhaltende Institutionalisierung der Bürokratiekostenmessung lässt sich damit rechtfertigen, dass der NKR ein in seiner politischen Funktion bisher unbekanntes 171 und nicht unumstrittenes Gremium 164
BTDrs 16/1406, S. 1. Nach Röttgen, ZRP 2007, S. 47 (48) entspricht die gesetzliche Verankerung einem „Gebot politischer Klugheit“ und ist geeignet, der Entparlamentarisierung des Regierungsstils vorzubeugen. 166 Damit soll die politische Bedeutung der Aufgaben des NKR unterstrichen werden. Zur Problematik der Anbindung an die Exekutive Schröder, DÖV 2007, S. 45 (49). 167 BTDrs 16/1406, S. 5. 168 Schröder, DÖV 2007, S. 45 (46). 169 Zu den Reformbestrebungen unten § 8 D III 4. 170 Näher Röttgen, ZRP 2006, S. 47 (48). 165
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war. Der zunächst beschränkte Auftrag des Sachverständigenrats berücksichtigte zudem die methodischen Schwierigkeiten einer weiter gehenden Gesetzesfolgenabschätzung 172. Immerhin bietet das Gesetz einen ersten Einstieg in die monetäre Beurteilung administrativer Belastungen. Weitergehende rechtspolitische Forderungen – etwa nach der Schaffung einer nationalen Gesetzgebungsagentur zur Überwachung der Kriterien einer guten Gesetzgebung 173 – blieben dagegen unerfüllt. Diese Selbstbeschränkung ist zu begrüßen. Dass sich der NKR unter „Verzicht auf deutsche Gründlichkeit“ 174 zunächst auf einen schnell, relativ kostengünstig und zuverlässig messbaren Ausschnitt des Bürokratieproblems konzentrierte, dessen Verminderung politisch weitgehend unumstritten ist, hat seine Akzeptanz gefördert 175. Bei der Messung der Bürokratiekosten sind nach § 2 Abs. 2 NKRG grundsätzlich die international anerkannten Regeln zur Anwendung des SKM zugrunde zu legen. Hierzu hat die Bundesregierung im August 2006 ein Methodenhandbuch veröffentlicht 176. Die acht Mitglieder des NKR werden von der Bundeskanzlerin im Einvernehmen mit den anderen Mitgliedern der Bundesregierung für eine Amtszeit von fünf Jahren berufen; eine erneute Berufung ist zulässig. Die Mitglieder sollen nach § 3 Abs. 2 NKRG Erfahrungen in legislativen Angelegenheiten innerhalb staatlicher oder gesellschaftlicher Institutionen gesammelt haben und über wirtschaftliche Kenntnisse verfügen. Unvereinbar mit der nach § 3 Abs. 5 NKRG ehrenamtlichen Mitgliedschaft im NKR ist die Mitwirkung in einer gesetzgebenden Körperschaft sowie einer Bundes- oder Landesbehörde. Ausnahmen für Hochschullehrer sind zulässig. Beim Bundeskanzleramt wird nach § 3 Abs. 9 NKRG ein Sekretariat des NKR eingerichtet, welches derzeit über acht Mitarbeiter verfügt. Die Kosten des NKR trägt nach § 3 Abs. 12 NKRG der Bund. §§ 4 bis 6 NKRG legen Aufgaben, Befugnisse und Pflichten des NKR fest. Dieser kann nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 NKRG u. a. Entwürfe für neue Bundesgesetze, bei Entwürfen von Änderungsgesetzen auch die Stammgesetze, Entwürfe nachfolgender nachrangiger Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Vorarbeiten zu Rechtsakten, bei der Umsetzung von EU-Recht die betroffenen Gesetze und nachrangigen Gesetz- und Verwaltungsvorschriften, aber auch bestehende Bundesgesetze und auf ihnen beruhende Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften 177 auf die Einhaltung der Grundsätze der standardisierten Bürokratie171
Anders als die Normprüfstellen in den Bundesländern – zu Mecklenburg-Vorpommern § 18 B – ist der NKR nicht mit weisungsabhängigen Beamten, sondern mit unabhängigen Experten besetzt. Zu den dagegen vorgebrachten politischen Vorbehalten BTDrs 16/1406, S. 5 ff. 172 Dazu bereits § 8 B II und Schulze-Fielitz, JZ 2004, S. 862 ff. 173 In diesem Sinne noch der Koalitionsvertrag und Röttgen, ZRP 2006, S. 47 (48). 174 Heintzen, ZRP, 2006, S. 235. 175 Heintzen, ZRP 2006, S. 235; Schröder, DÖV 2007, S. 45 (46 m.w. N. in Fn. 15). 176 Im Internet abrufbar unter www.skm-destatis.de (Abrufdatum: 18. 12. 2010).
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
kostenmessung überprüfen. Der NKR bewertet die Gesetzesentwürfe der Bundesministerien – anders als Niederlanden fand bisher keine Überprüfung von Initiativen aus dem Parlament statt 178 – gem. §§ 4 Abs. 2, 6 Abs. 1 NKRG vor deren Vorlage an das Bundeskabinett 179. Gem. § 45 Abs. 1 Satz 1 GGO ist der NKR spätestens mit der Einleitung der Ressortabstimmung zu beteiligen. Um dem NKR eine Prüfung der Einhaltung der Grundsätze der SKM-Messung zu ermöglichen, sind die Bürokratiekosten durch Informationspflichten gem. § 44 Abs. 5 GGO auf Grundlage des SKM abzuschätzen und im Vorblatt sowie in der Begründung zum Gesetzesentwurf darzustellen (vgl. § 42 Abs. 1 GGO mit Anlage 5). Entsprechendes gilt gem. §§ 62 Abs. 2, 70 Abs. 1 GGO auch für die Vorbereitung von Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften. Der NKR kann gem. §§ 6 Abs. 1 NKRG, 45 Abs. 2 GGO unter dem Aspekt der Bürokratiekostenbelastung eine Stellungnahme zu dem Entwurf abgeben. Vom 01. 12. 2006 bis zum 01. 07. 2010 prüfte der NKR 1263 Regelungsvorhaben abschließend. 18 % der geprüften Entwürfe hatten nennenswerte Auswirkungen auf die Bürokratiekosten der Wirtschaft 180. Zu den Befugnissen des NKR gehört gem. § 5 Abs. 1 NKRG etwa die Nutzung der Datenbank, welche die Bundesregierung für die bei der Messung der Bürokratiekosten erhaltenen Daten angelegt. Der NKR kann eigene Anhörungen durchführen, Gutachten in Auftrag geben und der Bundesregierung Sonderberichte vorlegen. Bundesbehörden und die Länder sind verpflichtet, dem NKR Amtshilfe zu leisten. Der NKR gibt seine Stellungnahmen zu den Gesetzentwürfen der Bundesministerien gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 NKRG nicht öffentlich ab 181. Allerdings werden diese und die darauf bezogenen Stellungnahmen der Bundesregierung gem. § 6 Abs. 1 Satz 2 NKRG dem Gesetzentwurf bei der Einbringung in den Bundestag beigefügt, woraus sich immerhin eine begrenzte Öffentlichkeitswirkung ergibt. Der NKR hat gem. § 6 Abs. 2 NKRG eine jährliche Berichtspflicht gegenüber dem Bundeskanzler und bisher vier Jahresberichte, den ersten im September 2007 und den vorerst letzten im Juli 2010 vorgelegt. III. Stand und Perspektiven der Bürokratiekostenmessung Die drei Jahresberichte der Bundesregierung zur Anwendung des Standardkosten-Modells und zum Bürokratieabbau vom Oktober 2007, Dezember 2008 177 Zur Bedeutung der Verwaltungsvorschriften für den Verwaltungsvollzug bereits oben § 8 C I. 178 Zu den rechtspolitischen Hintergründen kritisch Schröder, DÖV 2006, S. 45 (47). Zu den geplanten Reformbestrebungen § 8 D III 4. 179 Die GGO wurde zum 01. 12. 2006 entsprechend geändert (GMBl. 2006, S. 1133). 180 Jahresbericht 2010 des NNKR, S. 10. 181 Kritisch dazu die Stellungnahmen in BTDrs 16/1665, S. 5 und S. 8. Zustimmend Schröder, DÖV 2007, S. 45 (48).
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und Dezember 2009 sowie die bisher vier veröffentlichten Jahresberichte des NKR von 2007 bis 2010 vermitteln einen Überblick zu Entwicklung, Stand und Perspektiven der Bürokratiekostenmessung in der Bundesrepublik Deutschland. Am 16. 12. 2010 verabschiedete der Deutsche Bundestag zudem ein Gesetz zur Änderung des NKR-Gesetzes, mit dem die Kompetenzen des NKR erheblich erweitert wurden. 1. Jahresberichte der Bundesregierung und des Nationalen Normenkontrollrats 2007 Der erste Jahresbericht der Bundesregierung nach § 7 NKRG vom 24. 10. 2007 182 informierte über Methodik und Anwendung des Standardkosten-Modells und gab den zu diesem Zeitpunkt erreichten Stand der Reduzierung bürokratischer Belastungen auf europäischer und nationaler Ebene wieder 183. Eine durch die Bundesregierung veranlasste Erfassung des zum 30. 09. 2006 geltenden Normbestandes identifizierte rund 10.900 wirtschaftsrelevante Informationspflichten 184, von denen 6150 auf Bundesrecht, 2600 auf Internationalem oder Europäischen Recht und 2150 auf sog. „erweiterten Internationalen oder Europäischen Recht“ 185 beruhten. Ca. 43% der Informationspflichten waren europäischen Ursprungs, wobei in den Bereichen Landwirtschaft, Umwelt- und Steuerrecht ein besonders großer europäischer Einfluss zu verzeichnen war 186. Bis zum 30. 09. 2007 nahm das Statistische Bundesamt Messungen zu 2100 ausgewählten Informationspflichten vor, von denen angenommen wurde, dass sie hohe Bürokratiekosten verursachten. Als Zwischenstand dieser Messung ergab sich eine Belastung der deutschen Wirtschaft mit Bürokratiekosten in Höhe von 27 Mrd. € 187. Auf europäischer Ebene wurde im März 2007 ein Bekenntnis der Mitgliedsstaaten zum Bürokratiekostenabbau erreicht. Nach einem Aktionsprogramm der EU-Kommission soll der durch Rechtsvorschriften verursachte Verwaltungsaufwand bis zum Jahr 2012 um 25% verringert werden 188. Zudem verpflichtete sich die Europäische Kommission im März 2006, bei allen mit spürbaren Verwaltungslasten verbundenen Vorhaben eine Bürokratiekostenmessung 182
BTDrs 16/6826. Siehe dazu Becker, Verwaltung und Management 2008, S. 300 ff. Vgl. BTDrs 16/6826, S. 31; 36 ff. mit einer Übersicht über die 100 kostenaufwändigsten Informationspflichten und die bis dahin erfolgten Vereinfachungsmaßnahmen der Bundesministerien. 184 Zu den Einzelheiten BTDrs 16/6826, S. 11 ff. 185 Mit diesem Begriff sollen Informationspflichten beschrieben werden, die zwar durch internationales oder Europäisches Recht veranlasst, aber bei der Umsetzung in nationales Recht erweitert wurden. 186 BTDrs 16/6826, S. 12. 187 BTDrs 16/6826, S. 6; 16 f. Davon entfielen auf Informationspflichten aus nationalem Recht etwa 7,6 Mrd. €, auf erweitertes EU- oder Internationales Recht ca. 14,9 Mrd. € und auf das EU- und Internationale Recht rund 4,5 Mrd. € pro Jahr. 183
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durchzuführen 189. Bundespolitisch setzte sich die Bundesregierung mit Kabinettsbeschluss vom 28. 02. 2007 190 das Ziel, die Bürokratiekostenbelastung bis Ende 2011 um 25 % zu senken. Dieses Reduzierungsziel entspricht internationalen Vorbildern in den Niederlanden, in Großbritannien und in Dänemark 191. Der erste Jahresbericht des NKR nach § 6 Abs. 2 NKRG vom 19. 09. 2007 192 stand ganz im Zeichen der Darstellung von Zusammensetzung, Organisation und Aktivitäten des NKR im ersten Jahr seines Bestehens. Mit der Institutionalisierung der Bürokratiekostenmessung auf Bundesebene sei ein zwar begrenzter, aber gleichwohl hoffnungsvoller, Einstieg in den systematischen Bürokratieabbau gelungen, den es in den nächsten Jahren auszubauen gelte 193. Bereits im Herbst 2007 sei Deutschland „vom interessierten Zuschauer zum respektierten Mitspieler auf dem internationalen Feld des Bürokratieabbaus avanciert“ 194. 2. Jahresberichte des Normenkontrollrats und der Bundesregierung 2008 In seinem zweiten Jahresbericht vom 09. 07. 2008 195 schlug der NKR deutlich kritischere Töne an. Nach beachtlichem Anfangstempo habe die Dynamik des Reformprozesses nicht aufrecht erhalten werden können. Zwar habe sich die ex-ante-Messung von Bürokratiekosten in allen Ressorts erfolgreich etabliert und im Ergebnis zu einer Nettoentlastung der Wirtschaft in Höhe von 1,1 Mrd. € geführt 196. Weniger erfreulich falle dagegen die Bilanz der Bürokratiekostenmessung hinsichtlich der bestehenden Gesetze aus. So sei der Prozess der Bestandsmessung und Abklärung der Ergebnisse mit den zuständigen Ressorts nicht beendet, so dass es immer noch keine vollständige Qualifizierung der Belastungen der Unternehmen in Deutschland durch gesetzlich auferlegte Informationspflichten gebe. Überdies wurde das Fehlen eines strategischen Gesamtkonzepts der Bundesregierung zum Bürokratieabbau bemängelt. Eine „Aneinan188 BTDrs 16/6826, S. 6. Allerdings beabsichtigt die EU-Kommission keine vollständige Bestandsmessung der Bürokratielasten, sondern konzentriert sich zunächst auf ausgewählte Bereiche. 189 Vgl. den Beschluss der EU-Staatssekretäre zur Bürokratiekostenmessung auf EU-Ebene vom 08. 10. 2007 – BTDrs 16/6826, S. 86 f. 190 Abgedruckt in BTDrs 16/6826, S. 85. 191 Ausführlich zu Ablauf und Erfahrungen bei diesen Prozessen Nationaler Normenkontrollrat, Internationale Erfahrungen beim Bürokratieabbau, S. 9 ff. 192 Vom 19. 09. 2007; BTDrs 16/6756. Die Jahresberichte des NKR sind einsehbar unter www.normenkontrollrat.de (Abrufdatum: 07. 02. 2011). 193 NKR, Jahresbericht 2007, S. 12 f. 194 NKR, Jahresbericht 2007, S. 5. 195 BTDrs 16/10039. 196 BTDrs 16/10039, S. 10 ff. mit „Top-20-Liste“ der größten Entlastungsmaßnahmen.
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derreihung von Einzelmaßnahmen“ ergebe noch kein klares und verbindliches Abbaukonzept. Insgesamt beurteilte der NKR die Bilanz der Bundesregierung beim Thema Bürokratieabbau zur Jahresmitte 2008 als gemischt: „Erkennbaren Ergebnissen und Fortschritten bei der Vermeidung neuer Bürokratie im Rahmen der laufenden Gesetzgebung stehen vermeidbare Verzögerungen und eine noch steigerungsfähige Dynamik bei der Reduzierung von Bürokratielasten aus bestehender Gesetzgebung gegenüber“ 197. Als konkrete Maßnahmen zur Steigerung der Dynamik des Reformprozesses empfahl der NKR unter anderem die Ausarbeitung einer Gesamtstrategie zum Bürokratieabbau, die Schaffung einer belastbaren Grundlage für die Berechnung des 25-prozentigen Abbauziels sowie die Einführung eines Monitoring zur Bürokratiekostenentwicklung. Zudem gelte es, den Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen Bund, Ländern und Kommunen sowie den Sozialversicherungsträgern zu stärken 198, den Bürokratieabbau beim Bürger und in der Verwaltung zu intensivieren 199, Aktivitäten zum Bürokratieabbau auf EU-Ebene zu unterstützen und sich für weitere Maßnahmen auf europäischer Ebene einzusetzen 200. Da der Erfolg des Regierungsprogramms maßgeblich davon abhänge, dass die Entlastungen spürbar bei den Unternehmen ankämen, gelte es zudem, sicherzustellen, dass die Entlastungsmaßnahmen einerseits eine möglichst große Anzahl von Unternehmen erreichten, andererseits aber auch darauf zu achten, dass die Maßnahmen von den einzelnen Unternehmen als spürbare Entlastung wahrgenommen würden. So seien lediglich 23 der 50 volkswirtschaftlich kostenintensivsten Informationspflichten branchenübergreifend und beträfen einen relativ großen Adressatenkreis von durchschnittlich 175.000 Unternehmen, während mehr als die Hälfte dieser Informationspflichten branchenspezifisch und im Durchschnitt nur für 2.800 Unternehmen bedeutsam seien. 99% der rund 11.000 Informationspflichten beträfen jeweils weniger als 1% der rund 5 Millionen deutschen Unternehmen. Daher gelte es, alle für die einzelnen Unternehmen kostenintensiven Informationspflichten auf bestehende Entlastungspotenziale zu überprüfen. Nur so werde gewährleistet, dass das Regierungsprogramms in der Wirtschaft wahrgenommen werde, wie eine vom Normenkontrollrat durchgeführte Untersuchung der Bürokratieprofile von sechs Unternehmen ergeben habe 201. Bei diesen sechs Unternehmen wurden insgesamt 279 Informationspflichten festgestellt, von 197
BTDrs 16/10039, S. 3. Näher BTDrs 16/10039, S. 10; 21 f. 199 Zu den Einzelheiten BTDrs 16/10039, S. 22 ff. 200 Zum internationalen Erfahrungsaustausch und dem Bürokratieabbau auf europäischer Ebene BTDrs 16/10039, S. 24 ff sowie Jahresbericht der Bundesregierung 2008 – BTDrs 16/11486, S. 60. Die Europäische Kommission hat zum 31. 08. 2007 die „High Level Group of Independent Stakeholders on Administrative Burdens (HLG)“ eingesetzt, welche Ministerpräsident a. D. Edmund Stoiber leitet. 201 Näher BTDrs 16/10039, S. 18 ff. 198
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den 17 zu den 50 kostenintensivsten Informationspflichten gehörten. Lediglich fünf dieser Pflichten wurden jedoch von den betroffenen Unternehmen als besonders kostenaufwändig und damit mikroökonomisch relevant eingestuft, während sich 23 der besonders aufwändigen Informationspflichten außerhalb der „Top 50“ befanden. Mit ihrem am 10. 12. 2008 vorgelegten Jahresbericht zog die Bundesregierung eine Zwischenbilanz nach zwei Jahren Normenkontrollrat 202. Zu jenem Zeitpunkt waren die Bürokratiekosten für die erfassten Informationspflichten der Wirtschaft vollständig ermittelt. Die Ressorts hatten insgesamt 10.407 Informationspflichten erfasst, die zum 30. 09. 2006 in Kraft waren. 9234 Informationspflichten resultierten aus nationalen Gesetzen bzw. Verordnungen 203, 1173 aus EU-Verordnungen. Insgesamt ergaben sich aus nationalen Regelungen Bürokratiekosten in Höhe von 47,6 Mrd. €, von denen lediglich 22,5 Mrd. € allein vom nationalen Gesetzgeber veranlasst waren. Mehr als die Hälfte der Bürokratiekosten (25,1 Mrd. €) resultierten aus Regelungen, welche auf EU- und internationales Recht zurückzuführen waren 204. Die Bundesregierung dokumentierte in dem Bericht überdies die Entwicklungen der von den Ressorts seit Oktober 2007 auf Vereinfachungsmöglichkeiten überprüften 50 kostenintensivsten Informationspflichten und erstellte eine Übersicht der 100 kostenaufwändigsten Informationspflichten 205. Danach betrugen die durch Vereinfachungsmaßnahmen der Ressorts zu diesem Zeitpunkt erzielten Bürokratiekostenentlastungen 7,1 Mrd. €, wovon 6,6 Mrd. € auf nationales und lediglich 0,5 Mrd. € auf europäisches und internationales Recht entfielen. Das erzielte Abbauvolumen betrug bei nationalen Regelungen 29,4 %, bei Vorschriften des europäischen und internationalen Rechts dagegen lediglich 2 %. In seiner Stellungnahme zu diesem Bericht 206 ging der NKR weiterhin davon aus, dass die Bundesregierung gemäß der gesetzlichen Regelung des NKRG alle auf Bundesrecht beruhenden Bürokratiekosten unabhängig von der Verursacherebene in das Abbauziel von 25% einbeziehen werde und mahnte verstärkte Bemühungen beim Abbau von Belastungen an, die auf europäisches oder internationales Recht zurückzuführen seien. Der NKR kritisierte überdies, dass der Bericht der Bundesregierung nicht erkennen lasse, inwieweit seit Beginn des Regierungsprogramms neue belastende Regelungen verabschiedet wurden. Der NKR forderte die Bundesregierung auf, sich ausdrücklich zu einem „Nettoentlas202
BTDrs 16/11486. Davon waren 5804 national und 1469 vom Internationalen oder Europäischem Recht veranlasst. 1958 Informationspflichten beruhten auf „erweiterten Internationalen oder Europäischen Recht“. 204 BTDrs 16/11486, S. 11. 205 BTDrs 16/11486, S. 35; 45 ff. 206 BTDrs 16/11486, S. 132 ff. 203
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tungsziel“ von 25 % zu bekennen und künftig auch die durch neue Regelungen entstehenden Belastungen in ihren Jahresberichten auszuweisen. Insgesamt befand sich das Regierungsprogramm nach Einschätzung des NKR auf „einem guten Weg“ und man war zuversichtlich, dass die Bundesregierung ihr Zwischenziel einer Bürokratiekostenentlastung von 12,5 % bis zum Ende des Jahres 2009 erreichen werde. Der NKR erwartete aber, dass die Bundesregierung noch vor Ende der Legislaturperiode die notwendigen Vorarbeiten dafür leiste, dass bald nach der Bundestagswahl 2009 ein konkretes Abbaukonzept für weitere 12,5 % vorgelegt werden könne. Die Bundesregierung hat die Anregung, verstärkt die „Spürbarkeit von Entlastungsmaßnahmen“ in den Blick zu nehmen, aufgegriffen. So hat das Statistische Bundesamt aus den mehr als 10.400 Informationspflichten rund 750 Pflichten herausgefiltert, welche für einzelne Unternehmen bzw. bestimmte Branchen besonders kostenintensiv sind und den Ressorts entsprechende Auswertungen zur Verfügung gestellt. Die Kostenbelastung der Unternehmen durch diese Informationspflichten betrug 5,7 Mrd. €, was ca. 85% der Informationskosten jenseits der „Top 50“ entspricht 207. Verstärkt wurde im Berichtszeitraum auch die Zusammenarbeit mit den Ländern, Kommunen und den Selbstverwaltungsträgern 208. Durchgeführt wurden zudem erste Messungen der Bürokratiebelastung der Bürger; ab dem 01. 01. 2009 findet bei neuen Regelungsvorhaben auch eine entsprechende ex-ante-Abschätzung im Rahmen der Ressortabstimmung statt 209. Auf europäischer Ebene rief die Europäische Kommission im Januar 2007 ein „Aktionsprogramm zur Verringerung von Verwaltungslasten in Europa“ ins Leben, in dessen Rahmen zunächst die Bürokratiebelastung in 13 sog. prioritären Bereichen erfasst und gemessen wurden. Die Messung der durch EU-Recht veranlassten Bürokratiekosten konnte in den 27 Mitgliedsstaaten bis Ende Juli 2008 abgeschlossen werden 210. 3. Jahresberichte des Normenkontrollrats 2009, Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP vom 28. 10. 2009, Jahresbericht der Bundesregierung 2009 In seinem dritten Jahresbericht vom Juli 2009 bescheinigte der NKR der Bundesregierung „erkennbare Fortschritte bei der Senkung von Bürokratiekosten“ 211. In den zweieinhalb Jahren des Bestehens des NKR habe man mehr als 3 Mrd. € Bürokratiekosten einsparen können. Um die noch ausstehende zweite Hälfte des 207 208 209 210 211
BTDrs 16/11486, S. 25. Näher BTDrs 16/11486, S. 30 ff. Vgl. BTDrs 11/11486, S. 7 f. BTDrs 16/11486, S. 32. NKR, Jahresbericht 2009, S. 5.
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Bürokratieabbauziels von 25% bis 2011 zu erreichen, müssten jedoch weitere Abbaumaßnahmen in Höhe der noch ausstehenden 5 Mrd. € zügig auf den Weg gebracht werden. Zugleich gelte es, noch mehr Akteure – insbesondere Kommunen, Länder, Sozialversicherungsträger – für praktisches Handeln in Sachen Bürokratieabbau zu gewinnen. Auch müsse das Konzept des Bürokratieabbaus so weiter entwickelt werden, dass Entlastungen spürbar würden. Der Jahresbericht 2009 bietet neben einem umfassenden Rückblick auf zweieinhalb Jahre Tätigkeit des NKR auch einen Ausblick auf die 17. Legislaturperiode. Das ex-ante-Verfahren der Bürokratiekostenmessung hat sich nach Auffassung des NKR als fester Bestandteil der Ressortabstimmung etabliert und zu einer spürbaren Verbesserung der Gesetzgebungskultur geführt 212. Deutschland habe in dieser Hinsicht eine Spitzenposition in Europa erreicht. Von den vom NKR in den ersten zweieinhalb Jahren seiner Tätigkeit überprüften 922 Regelungsvorhaben waren 133 Vorhaben mit einer Nettobelastung verbunden, 57 Vorhaben brachten eine Nettoentlastung und 732 Vorhaben hatten keine oder nur marginale Auswirkungen auf die Bürokratiekosten 213. Insgesamt konnte die Belastung der Unternehmen durch Informationspflichten im Berichtszeitraum um 3,3 Mrd. € verringert werden. Mit weitem Abstand die größte Nettoentlastung (2,494 Mrd. €) brachte das im Mai 2009 in Kraft getretene Bilanzrechtsmoderniserungsgesetz 214. Hinsichtlich des Abbaus bestehender Informationspflichten bescheinigte der NKR der Bundesregierung, die Bürokratiekosten von 47,6 Mrd. € (Stand: 30. 09. 2006) bis zum Juni 2009 um 14% reduziert zu haben 215. Damit sei das vorläufige Abbauziel von 6 Mrd. € bis Ende 2009 bereits übertroffen worden. Allerdings müssten gegen die Entlastungen auch die seit Beginn des Regierungsprogramms neu geschaffenen belastenden Regelungen gegengerechnet werden, um beurteilen zu können, ob auch das anzustrebende „Nettoentlastungsziel“ erreicht worden sei. Darüber hinaus sei noch weitgehend unklar, wie die zweite Hälfte des Abbauziels bis 2011 erreicht werden solle. Für die noch offenen 5,16 Mrd. € liege noch kein Gesamtkonzept vor, wobei der Rat erwarte, dass die dafür erforderlichen Arbeiten unverzüglich nach der Bundestagswahl angegangen würden. Dabei solle die Bundesregierung ihre Bemühungen insbesondere beim Abbau von Belastungen verstärken, die auf EU- oder internationales Recht zurückzuführen seien 216. Der NKR mahnte überdies eine bessere „Spürbarkeit“ der Entlastungen in den Unternehmen an und berichtete in diesem Zusammenhang von ersten Pilotprojekten bezüglich der systematischen Untersuchung branchenspezifischer Bürokratiekosten 217. Bezüglich der Entlastung von Bürgerinnen und 212
NKR, Jahresbericht 2009, S. 17 f. NKR, Jahresbericht 2009, S. 13. 214 NKR, Jahresbericht 2009, S. 14. 215 In einem Zwischenbericht vom Juni 2009 wies die Bundesregierung insgesamt 288 umgesetzte Vereinfachungsmaßnahmen mit einem Volumen von 6,84 Mrd. € aus. 216 NKR, Jahresbericht 2009, S. 25 f. 213
§ 8 Rechtsetzungs- und Rechtsoptimierung
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Bürgern vermisste der NKR eine ressortübergreifende Gesamtstrategie. Begrüßenswert sei immerhin, dass zum 01. 01. 2009 mit der ex-ante-Messung der Bürokratiekosten bei Bürgerinnen und Bürgern begonnen worden sei 218. Erhebliche Fortschritte seien bei der Zusammenarbeit von Bund. Ländern und Kommunen erreicht worden. Hier wurden im Berichtszeitraum unter Mitarbeit von neun Bundesländern, 20 Kommunen und 14 BAföG-Ämtern gemeinsam mit dem NKR drei Pilotprojekte ins Leben gerufen und mit den Initiativen „Einfacher zum Wohngeld“, „Einfacher zum Elterngeld“ und „Einfacher zum StudierendenBAföG“ ausgewählte Rechtsbereiche auf Vereinfachungsmaßnahmen und gute Praxisbeispiele untersucht 219. Verstärkt wurde überdies im Berichtszeitraum die Arbeit mit den Sozialversicherungsträgern und Kammern 220, während bezüglich der Anwendung des SKM in der Verwaltung zunächst in Pilotprojekten mit einzelnen Bundesministerien, Bundesländern und Kommunen 221 untersucht werden musste, inwieweit sich das Modell in das bestehende Instrumentarium zur Verwaltungsmodernisierung integrieren lasse und Entlastungspotenziale erschlossen werden könnten 222. Hinsichtlich der internationalen Aktivitäten und des Bürokratieabbaus auf der Ebene der Europäischen Union konnte der Jahresbericht 2009 über die Neuausrichtung des niederländischen Bürokratieabbauprogramms und die Verlängerung des Mandats für ACTAL bis zum Jahr 2011 berichten. Überdies wurde im Oktober 2008 auch in Schweden ein unabhängiges Gremium zum Bürokratieabbau (Regelradet) gegründet 223. Auf europäischer Ebene schließlich legte die Kommission am 28. 01. 2009 ihren „Dritten Fortschrittsbericht zur Besseren Rechtsetzung“ vor. Danach wurden im Rahmen des am 24. 01. 2007 verabschiedeten Aktionsprogramms zur Verringerung der Verwaltungslasten in der EU 42 europäische Rechtsakte aus 13 prioritären Rechtsbereichen auf Informationspflichten untersucht. Die Untersuchung weiterer 30 Rechtsakte wurde in Aussicht gestellt. Bis Ende des Jahres 2009 kündigte die Kommission die Verabschiedung von Vereinfachungsmaßnahmen mit einem Entlastungsvolumen von 30 Mrd. € an 224. Im Ausblick auf die kommende Legislaturperiode 225 regte 217
NKR, Jahresbericht 2009, S. 26 ff. NKR, Jahresbericht 2009, S. 32 f. Vgl. auch Bundesregierung, Jahresbericht 2009, BTDrs 17/300, S. 3. 219 NKR, Jahresbericht 2009, S. 34 ff. Bundesregierung, Jahresbericht 2009, BTDrs 17/300, S. 4 f. 220 NKR, Jahresbericht 2009, S. 38 ff. 221 Zur Messung der Bürokratiekosten der Kommunen Dietsche / Glied / Kluge / Ley, in: Röttgen / Vogel (Hrsg.), Bürokratiekostenabbau in Deutschland, S. 183 ff. 222 Näher NKR, Jahresbericht 2009, S. 43 ff. Zu den in diesen Pilotprojekten gewonnenen Erfahrungen Zülka, DÖV 2009, S. 939 ff. 223 NKR, Jahresbericht 2009, S. 49 f. 224 NKR, Jahresbericht 2009, S. 51 ff. Der NKR bescheinigte dem Aktionsprogramm der EU dennoch erhebliche Schwachpunkte bezüglich Konzeption und Durchführung. 225 NKR, Jahresbericht 2009, S. 61 ff. 218
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
der NKR an, das SKM über die bloßen Informationskosten hinaus auch auf die Angaben zu den weiteren Kosten und Bürokratiebelastungen der Wirtschaft zu übertragen. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten sei es wichtig, die Kosten, die Unternehmer und Bürgern insgesamt aus Gesetzen und Verordnungen entstünden, möglich transparent zu machen und gering zu halten. Um eine noch spürbarere Entlastung der Unternehmen zu erreiche, empfahl der Rat, verstärkt eine ganzheitliche Kostenbetrachtung aus Sicht der Betroffenen vorzunehmen und auch die mit der Rechtsbefolgung einhergehenden Erfüllungskosten in den Blick zu nehmen 226. Bemerkenswerte Aussagen zum Thema Bürokratieabbau enthält der am 26. 10. 2009 geschlossene Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP 227. Hier bekannte sich die Bundesregierung erstmals ausdrücklich zu dem Ziel, die gemessenen Kosten aus bundesrechtlichen Informationspflichten der Wirtschaft bis 2011 um netto 25 % im Vergleich zum 30. 09. 2006 zu reduzieren. Die Bundesministerien wurden verpflichtet, bis zum 01. 07. 2010 jeweils verbindlich Umsetzungspläne vorzulegen. Über den Zeitraum 2011 hinaus werde die Bundesregierung ein anspruchsvolles Reduktionsziel auch für den gesamten gemessenen Erfüllungsaufwand festlegen. Um die Bürokratiekosten weiter einzudämmen, würden in Zukunft die gesetzlichen Informationspflichten auch für die Bürger und die gesetzlichen Handlungspflichten für Wirtschaft, Bürger und Verwaltung geprüft, bevor Gesetze vorgelegt würden. Dazu solle der NKR gestärkt und seine Kompetenzen ausgebaut werden 228. Der NKR werde gebeten, bei seinen Stellungnahmen die Möglichkeit der Befristung ausdrücklich zu untersuchen. Innerhalb der Bundesregierung solle schließlich ein „Frühwarnsystem“ mit einer mittelstandsorientierten Gesetzesfolgenabschätzung für europäische Regelungen implementiert werden. Weiterhin setze sich die Bundesregierung für die Einsetzung eines unabhängigen Rates für Bürokratieabbau bei der EU-Kommission nach dem Vorbild des NKR ein. Im Jahresbericht 2009 nach § 7 NKRG 229, der im Dezember 2009 veröffentlicht wurde, versprach die – nunmehr von CDU / CSU und FDP getragene – Bundesregierung die Ausweitung des Bürokratieabbaus und der besseren Rechtsetzung auf die Betrachtung des gesamten Aufwandes zur Erfüllung bundesrechtlicher Vorgaben. Künftig solle der NKR daher auch den Aufwand für die Erfüllung staatlicher verursachter Pflichten und die Möglichkeit zur Befristung prüfen können 230. Die Bestandsmessung der Informationspflichten für die Wirtschaft wurde 226
NKR, Jahresbericht 2009, S. 64 f. Auszugsweise abgedruckt in BTDrs 17/300, S. 78 f. 228 Bei der Kabinettsklausur am 17. und 18. 11. 2009 wurde beschlossen, eine entsprechende Änderung des NKR-Gesetzes auf den Weg zu bringen. Vgl. dazu unten § 8 D III 4. 229 BTDrs 17/300. 227
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geringfügig korrigiert, sie umfasste nunmehr insgesamt 9199 (statt 9234) Informationspflichten aus nationalen Gesetzen und Verordnungen. Mit 47,66 Mrd. € blieb die Summe der Bürokratiekosten der Wirtschaft nahezu unverändert 231. Hinsichtlich der Vereinfachung von bestehenden rechtlichen Vorschriften hatten die Ressorts zum Berichtszeitpunkt 365 Vereinfachungsmaßnahmen vorgelegt, von denen 292 in Kraft waren. Das quantifizierte Entlastungsvolumen betrug insgesamt 7,147 Mrd. €, davon entfielen 6,704 Mrd. € auf 179 bereits in Kraft getretene Maßnahmen 232. Auf europäischer Ebene zog die Europäische Kommission mit ihrer Mitteilung vom 22. 10. 2009 eine erste Bilanz ihrer Aktivitäten zum Bürokratieabbau 233. Das EU-Aktionsprogramm zur Verringerung von Verwaltungslasten, wurde seit Beginn des Jahres 2009 um weitere 30 Rechtsakte erweitert. Insgesamt wurden die EU-weiten Bürokratielasten aus den 72 in den Blick genommenen Rechtsakten auf 124 Mrd. € pro Jahr geschätzt. Zum Berichtszeitpunkt waren 48 Entlastungsvorschläge der Europäischen Kommission vom Rat und vom Europäischen Parlament angenommen, weitere 18 wurden verhandelt 234. In seiner Stellungnahme zum Jahresbericht der Bundesregierung 2009 235 begrüßte der NKR, dass die Bundesregierung das Zwischenziel erreicht und sich erstmals klar zum Ziel des Nettoabbaus bekannt habe. Erfreulich sei auch der Einsatz für die Schaffung eines unabhängigen Rates für Bürokratieabbau bei der EU-Kommission und die Intensivierung der Zusammenarbeit mit Ländern, Kommunen und Sozialversicherungsträgern. Empfohlen wurde der Bundesregierung unter anderem, bestehende Lücken bei der Bestandsmessung schnellstmöglich zu schließen und bei der Konzeption weiterer Abbaumaßnahmen auf die Spürbarkeit für die Betroffenen zu achten. Überdies gelte es, eine Gesamtstrategie zum Bürokratieabbau für Bürgerinnen und Bürger zu entwickeln und in diesem Zusammenhang ein konkretes Abbauziel festzulegen sowie bald erste Abbaumaßnahmen auf den Weg zu bringen. Schließlich müsse die ebenenübergreifende Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen in weiteren Projekten fortgeführt sowie der Dialog mit Sozialversicherungsträgern und Kammern ausgebaut werden.
230 231
S. 8.
BTDrs 17/3300, S. 2. Vgl. die Übersicht im Jahresbericht der Bundesregierung 2009, BTDrs 17/300,
232 Zu den Einzelheiten BTDrs 17/300, S. 9 ff mit einer Übersicht zu den Entlastungsmaßnahmen der einzelnen Ressorts. 233 Im Internet einsehbar unter http://ec.europa.eu/governance/better_regulation/index _de.htm (Abrufdatum: 07.02.2011). 234 Jahresbericht der Bundesregierung 2009, BTDrs 17/300, S. 6 f. Kritisch zur Belastbarkeit der Daten NKR, Jahresbericht 2010, S. 55 f. 235 BTDrs 17/300, S. 80 ff.
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
4. Gesetz zur Änderung des NKR-Gesetzes; Jahresbericht des Normenkontrollrats 2010 Am 08. 06. 2010 brachten die Koalitionsfraktionen den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des NKR-Gesetzes in den Bundestag ein 236. Der Deutsche Bundestag verabschiedete das nicht zustimmungspflichtige Gesetz am 16. 12. 2010 in der Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie vom 15. 12. 2010 237. Mit der Novelle ist die Ausdehnung der Prüfkompetenzen des NKR von den Bürokratiekosten auf sämtliche Gesetzesfolgen sowie auf Regelungsvorhaben des Bundesrates und aus der Mitte des Bundestages mit dem Ziel verbesserter Rechtssetzung verbunden. Hintergrund der Gesetzesnovelle war die Kritik bezüglich der Anwendung der Gesetzesfolgenabschätzung in Deutschland. Diese kam etwa in einer Studie der OECD vom April 2010 238 und in einem Gutachten des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung über „Maßnahmen zur Verbesserung der Rechtsetzung und der Pflege des Normbestandes“ vom Dezember 2009 zum Ausdruck. Letzterer empfahl, die Vorgaben der §§ 43 f. GGO in Gesetzesform zu gießen, sie zu schärfen und eine verfahrensmäßige Absicherung durch die Einführung einer Prüfung durch eine „besondere Stelle“ zu treffen. Auch Ulrich Karpen schlug in seiner Untersuchung über die Gesetzgebung in der ersten Hälfte der Legislaturperiode des 16. Deutschen Bundestages 239 eine stärkere vorherige Evaluation von Gesetzen vor, die nicht nur die Bürokratiekosten, sondern auch den Zielverwirklichungsgrad, die Effektivität und die Effizienz geplanter Regelungen messe. Karpen kritisierte auch, dass die Prüfung der Bürokratiekosten durch den NKR nur Reglungsentwürfe der Bundesregierung und nicht auch solche aus der Mitte des Bundestages und des Bundesrates umfasst 240. Nach den Änderungen im NKRG erfüllt der NKR nunmehr einen sehr viel weiter gefassten Aufgabenbereich als bisher und unterstützt die Bundesregierung gem. § 1 Abs. 2 NKRG n.F. „bei der Umsetzung ihrer Maßnahmen auf den Gebieten des Bürokratieabbaus und der besseren Rechtsetzung“ 241. Neben der erstmaligen Erwähnung des „Bürokratieabbaus“ ist vor allem die Aufnahme des weitergehenden Ziels der besseren Rechtssetzung erwähnenswert. Das StandardKostenmodell wird nunmehr nicht mehr wie bisher in § 1 Abs. 2, sondern erst 236
BTDrs 17/1954. Siehe dazu auch Pfeifer, GewArch 2010, S. 479. BTDrs 17/4241. 238 Vgl. dazu NKR, Jahresbericht 2010, S. 59. 239 Siehe dazu bereits oben § 8 C III. 240 Vgl. BTDrs 17/1954, S. 1 f. 241 Der NKR, Jahresbericht 2010, S. 43, begrüßt diesen Ansatz und äußert die Erwartung, dass die flächendeckende Überprüfung der Auswirkung neuer Regelungsvorhaben auf die Vollzugskosten einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Gesetzesfolgenabschätzung leisten wird. 237
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in § 2 Abs. 3 NKRG erwähnt, bleibt aber nach wie vor Grundlage der Ermittlung der Kosten oder des Zeitaufwands aus Informationspflichten. Neu ist § 1 Abs. 3 NKRG, wonach der NKR nunmehr „insbesondere die Darstellung des Erfüllungsaufwandes neuer Regelungen für Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft und öffentliche Verwaltung auf ihre Nachvollziehbarkeit und Methodengerechtigkeit sowie die Darstellung der sonstigen Kosten der Wirtschaft, insbesondere für die mittelständischen Unternehmen“ prüft. Damit wird der Auftrag des NKR erweitert, bleibt aber auf eine Plausibilitätskontrolle und die Prüfung der Methodengerechtigkeit beschränkt 242. § 1 Abs. 4 NKRG stellt klar, dass die angestrebten Ziele und Zwecke von Regelungen nicht Gegenstand der Prüfungen des NKR sind, sondern weiterhin der politischen Entscheidung der Rechtsetzungsorgane unterliegen. Der Erfüllungsaufwand von Regelungsvorhaben soll nach dem neu gefassten § 2 Abs. 1 NKRG den gesamten messbaren Zeitaufwand und die Kosten, welche durch die Befolgung einer bundesrechtlichen Vorschrift bei Bürgerinnen und Bürgern, Wirtschaft sowie der öffentlichen Verwaltung entstehen, umfassen 243. Bisher existiert allerdings keine international anerkannte Methode zur Ermittlung des Erfüllungsaufwands 244, weshalb sich NKR und ACTAL darauf verständigt haben, erstmals gemeinsame Grundsätze zu dessen Ermittlung vorzulegen. Die nach § 1 Abs. 3 NKRG geplante Ausweitung des ex-ante-Verfahrens führt zu einer erheblichen Steigerung der Komplexität, da die Erfüllung von inhaltlichen Pflichten bei den Adressaten ganz verschiedene Prozesse auslösen kann. Deren Bandbreite macht eine standardisierte Kostenschätzung ungleich schwieriger als bei den Informationspflichten, welche bei allen Adressaten ähnliche administrative Prozesse auslösen. Hinzu kommt, dass inhaltliche Pflichten sehr unterschiedlichen Charakter haben können. Der NKR hält es deshalb für „eine besondere Herausforderung, eine praktikable Berechnungsmethode zu entwickeln, die zugleich plausible Ergebnisse liefert“ 245. Anders als bei den Bürokratiekosten, die durch Informationspflichten entstehen, verzichtet die Bundesregierung 242
BTDRs 17/1954, S. 6. Zu den Erfüllungskosten gehören alle direkten Kosten und der Aufwand inhaltlicher Pflichten sowie Kosten und Aufwand, der durch Informationspflichten entsteht. Nicht zu den Erfüllungskosten gehören mittelbare Auswirkungen insbesondere auf Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum, Beschäftigung, Investitions- und Innovationsentscheidungen sowie Zahlungen in Form von Steuern. Näher NKR, Jahresbericht 2010, S. 45 f. 244 Vgl. aber das von der Bertelsmann-Stiftung im April 2009 veröffentlichte Handbuch zur Messung von Regierungskosten, das auf dem Standardkosten-Modell beruht und dieses weiterentwickelt. Im Internet einsehbar unter www.bertelsmann-stiftung.de (Abrufdatum 07. 02. 2011). 245 NKR, Jahresbericht 2010, S. 45 ff. Der NKR empfiehlt deshalb, nur unmittelbar zahlungswirksame Kosten darzustellen, den Betrachtungszeitraum zu begrenzen und bei der Berechnung der Kosten einer gesetzlichen Pflicht nur die wichtigsten „Kostentreiber“ in den Blick zu nehmen. 243
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
wegen des damit verbundenen Aufwands auf eine stichtagsbezogene Messung des gesamten Erfüllungsaufwands und wird stattdessen nur in ausgewählten Bereichen 246 eine Bestandsmessung durchführen. Nach dem neuen § 2 Abs. 2 NKRG sind die Bürokratiekosten Teil des Erfüllungsaufwands 247. Die Begriffe Bürokratiekosten und Informationspflichten werden nunmehr in § 2 Abs. 2 und 3 NKRG sachlich unverändert zu § 2 Abs. 1 und 2 NKRG a. F. definiert. Nach § 3 Abs. 1 S. 1 NKRG wird der NKR um zwei auf zehn Mitglieder vergrößert. Deutlich erweitert wurden die Prüfkompetenzen des NKR. Nach dem neu eingefügten § 4 Abs. 2 NKRG kann der NKR nunmehr bei den nach § 4 Abs. 1 NKRG seinem Prüfungsrecht unterliegenden Rechtsvorschriften seine Prüfung auch auf die methodengerechte Durchführung und nachvollziehbare Darstellung 248 der folgenden Aspekte erstrecken: verständliche Darstellung des Ziels und der Notwendigkeit der Regelung, Erwägungen zu anderen Lösungsmöglichkeiten, Erwägungen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens, zur Befristung und Evaluierung, Ausführungen zur Rechts- und Verwaltungsvereinfachung, inwieweit im Falle der Umsetzung einer Richtlinie oder sonstiger Rechtsakte der Europäischen Union über deren Vorgaben hinaus weitere Regelungen getroffen werden. Diese Formulierung der Prüfgegenstände entspricht der in §§ 43 und 44 der GGO der Bundesministerien. Der NKR soll nicht mehr ausschließlich auf die Prüfung der Gesetzesentwürfe der Bundesministerien beschränkt werden, sondern kann nach § 4 Abs. 3 S. 2 NKRG n.F auch Regelungsvorlagen des Bundesrates prüfen, soweit sie ihm vom Bundesrat zugeleitet werden. Nach § 4 Abs. 3 S. 3 NKRG n.F. prüft der NKR nunmehr auch Gesetzesvorlagen aus der Mitte des Bundestages auf Antrag der einbringenden Fraktion oder der einbringenden Abgeordneten 249. §§ 5 und 6 NKRG wurden der tatsächlichen Entwicklung seit Inkrafttreten des NKRG nachgebildet bzw. dem erweiterten Aufgabenspektrum des NKR angepasst. § 7 NKRG n.F. erweitert die Berichtspflicht der Bundesregierung auf 246 Dazu gehören unter anderem das Planungs- und Baurecht von Infrastrukturvorhaben, Steuererklärungen, Aufbewahrungs- und Prüffristen nach Handels-, Steuer- und Sozialrecht, Betriebliche Beauftragte, Anträge auf gesetzliche Leistungen, insbesondere für Existenzgründer und Kleinunternehmen, Menschen die pflegebedürftig, chronisch krank oder akut schwer krank sind, Familien und Alleinerziehende sowie die elektronische Ermittlung der Gewerbeanzeige. In diesen soll der Erfüllungsaufwand bis Ende 2011 um 25 % reduziert werden; vgl. NKR, Jahresbericht 2010, S. 48 f. 247 Die Klarstellung ist notwendig, da für die Bürokratiekosten der Wirtschaft ein 25-Prozent-Abbauziel besteht, so dass diese weiterhin getrennt auszuweisen sind. 248 Diese Formulierung stellt klar, dass der NKR keine politische Wertungs- oder Mitentscheidungsbefugnis besitzt, sondern lediglich beratende Funktion hat; vgl. BTDrs 17/1954, S. 7. 249 § 4 Abs. 3 Satz 3 NKRG i. d. F. des Entwurfs der Regierungsfraktionen sah noch eine Prüfung von Gesetzvorlagen des Bundesrates, die ihm nicht nach § 4 Abs. 3 Satz 2 NKRG zugeleitet worden sind, auf Antrag einer Fraktion vor. Diese Regelung stieß jedoch in den parlamentarischen Beratungen auf verfassungsrechtliche Bedenken und wurde daher fallen gelassen. Vgl. im Einzelnen BTDrs 17/4241, S. 11.
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den Stand des Bürokratieabbaus im Rahmen bestehender Zielvorgaben (Nr.1), die Erfahrungen mit der angewandten Methodik zur Schätzung des Erfüllungsaufwandes (Nr. 2), die Entwicklung des Erfüllungsaufwandes in den einzelnen Ministerien (Nr. 3) sowie die Ergebnisse und Fortentwicklung auf dem Gebiet der besseren Rechtsetzung (Nr. 4). Der im parlamentarischen Verfahren in das Gesetz eingefügte § 8 NKRG n.F. regelt Aufgaben und Unterstützungspflichten des Statistischen Bundesamts 250. In seinem vierten Jahresbericht vom Juli 2010 251 stellt der NKR fest, dass beim Bürokratieabbau „jetzt die wohl schwierigste Strecke begonnen“ habe. Millionen betroffener Unternehmen und Bürger könnten und wollten in dieser Legislaturperiode von Bürokratie entlastet werden, und zwar so, dass die Entlastung nicht abstrakt und global bleibe, sondern wirklich erfahrbar und spürbar werde. Um das gesetzte Nettoabbauziel bis Ende 2011 zu erreichen, müssten noch Abbaumaßnahmen von 1,5 Mrd. € auf den Weg gebracht werden. Dem Regierungsprogramm wird bescheinigt, dass es an Dynamik gewonnen habe. Zum 01. 07. 2010 habe die Bundesregierung erstmals einen kompletten Umsetzungsplan vorgelegt, was einen wichtigen Schritt zu mehr Transparenz bedeute. Dies sei überdies ein mutiger Schritt, da mit den in Aussicht gestellten Abbaumaßnahmen offengelegt werde, dass derzeit noch 3 Prozentpunkte zur Zielerreichung fehlten. Darüber hinaus ermögliche die Erweiterung des Regierungsprogramms auf den Erfüllungsaufwand, den gesetzlichen verursachten Bürokratieaufwand künftig insgesamt zu erfassen und die Betroffenen wirklich spürbar zu entlasten 252. Insgesamt habe sich die Zahl der Informationspflichten für die Wirtschaft vom 01. 12. 2006 bis zum 01. 07. 2010 zwar um 1150 erhöht, dennoch liege im Saldo eine Nettoentlastung von 3,51 Mrd. € vor 253. Der Rat begrüßt, dass die Bundesregierung in einem Kabinettsbeschluss vom 27. 01. 2010 ausdrücklich bestätigt hat, dass es sich bei dem 25%-Abbauziel um ein von der Verursacherebene (national / international) unabhängiges Netto-Ziel handele, dessen Volumen rund 12 Mrd. € bis Ende 2011 betrage. In diesem Zusammenhang würdigt der NKR den von der Bundesregierung am 29. 06. 2010 beschlossenen Umsetzungsplan 254. Dieser enthält zunächst eine Dar250
Näher BTDrs 17/4241, S. 11. Im Internet einsehbar unter www.normenkontrollrat.bund.de (Abrufdatum: 07. 02. 2011). 252 NKR, Jahresbericht 2010, S. 2. 253 NKR, Jahresbericht 2010, S. 11f. Von den 1263 vom NNKR bis zum 01. 07. 2010 geprüften Regelungen seien 69 Vorhaben mit einer Nettoentlastung von 4,41 Mrd. € verbunden gewesen, während 163 Vorhaben zu einer Nettobelastung von 0,90 Mrd. € geführt hätten Die größte Nettoentlastung brachte das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz mit 2,494 Mrd. €, die größte Belastung das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie mit 524 Millionen €. 251
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
stellung aller bürokratiekostenrelevanten Maßnahmen bis zum Ende der 16. Legislaturperiode. Die Bürokratiekosten aus Informationspflichten der Wirtschaft betrugen danach – vorbehaltlich ausstehender Bereinigungen – 47,68 Mrd. €, wovon 24,81 Mrd. € auf europäische bzw. internationale Regelungen und 22,87 Mrd. € auf nationale Regelungen entfielen. Das bis Ende der 16. Legislaturperiode erreichte Nettoentlastungsvolumen wird auf 6,28 Mrd. € beziffert. Das entspricht einer Entlastung von 13,2%. Davon entfielen 5,61 Mrd. € auf nationale und nur 0,67 Mrd. € auf europäische bzw. internationale Regelungen. Für die laufende Legislaturperiode werden bis 2011 insgesamt 95 Maßnahmen aufgeführt, die Auswirkungen auf die Bürokratiekosten der Wirtschaft haben. Vorgesehen sind 40 Maßnahmen mit einer entlastenden Wirkung, die – soweit quantifiziert – ein Einsparpotenzial von 4,24 Mrd. € aufweisen. Von besonderer Bedeutung ist dabei ein Vorschlag zur Vereinfachung der elektronischen Rechnungsstellung, der allein ein Entlastungsvolumen von 3,5 Mrd. € aufweist. Dem stehen insgesamt 49 Maßnahmen mit belastender Wirkung entgegen, die allerdings – soweit quantifiziert 255 – lediglich einen Umfang von 50 Millionen € aufweisen. Die Maßnahmen des Umsetzungsplans führen somit in dieser Legislaturperiode zu einer Netto-Entlastung von 4,19 Mrd. €, so dass sich aus dem Gesamtumsetzungsplan der Bundesregierung bisher ein Nettoabbau von 10,47 Mrd. € oder 22 % ergibt. Legt man diese Zahlen zugrunde, fehlen am Abbauziel von 25 % bis Ende 2011 noch rund 1,5 Mrd. € oder 3 Prozentpunkte. Der Staatssekretärausschuss Bürokratieabbau hat daher beschlossen, spätestens bis zum Jahresende 2010 die noch erforderlichen Quantifizierungen vorzulegen. Der NKR betont in seinem Jahresbericht 2010, dass der Erfolg des Regierungsprogramms „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ maßgeblich von der Spürbarkeit der Entlastungsmaßnahmen im einzelnen Unternehmen abhänge und berichtet über die in diesem Zusammenhang bisher durchgeführten branchenspezifischen Projekte 256. Hinsichtlich der Entlastung der Bürgerinnen und Bürger empfiehlt er der Bundesregierung, verstärkt besonders aufwendige Verwaltungsverfahren in den Blick zu nehmen. Zudem solle die Entlastung besonders belasteter Bevölkerungsgruppen einen Schwerpunkt in der 17. Legislaturperiode bilden. Dabei solle die Bundesregierung auf den Erfahrungen der mittlerweile abgeschlossenen Pilotprojekte zu Elterngeld, Wohngeld und BAföG 257 aufbauen. Hervorzuheben sei, dass es im Rahmen dieser Pilotprojekte gelungen sei, kon254
Im Internet einsehbar unter www.bundesregierung.de/buerokratieabbau (Abrufdatum: 07. 02. 2011). 255 Kritisch zur Quantifizierung einzelner belastender Maßnahmen NKR, Jahresbericht 2010, S. 28. 256 Jahresbericht NNKR 2010, S. 30. 257 Die Projektberichte sind einsehbar unter www.normenkontrollrat.bund.de. Die Pilotprojekte „Einfacher zum Wohngeld“ und „Einfacher zum Elterngeld“ wurden vom Januar bis September 2009, das Projekt „Einfacher zum Studierenden-BaföG“ wurde vom Juli 2009 bis März 2010 durchgeführt.
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krete Vereinfachungsmaßnahmen zu identifizieren, das Ebenen übergreifende Zusammenwirken von Bund, Länder und Kommunen beim Vollzug bundesrechtlicher Regelungen transparent zu machen, die Erfahrungen der Vollzugsbehörden mit den bunderechtlichen Vorgaben rückzukoppeln, gute Praxisbeispiele zu identifizieren sowie Vereinfachungsvorschläge für bundesrechtliche Regelungen zu entwickeln 258. Bezüglich des Bürokratieabbaus bei Sozialversicherungsträgern sind die Initiativen im Gesundheitswesen bisher am weitesten gediehen, während der NKR von der Renten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung erwartet, dass dort das Engagement deutlich verstärkt wird 259. Hinsichtlich der internationalen Zusammenarbeit und dem Bürokratieabbau in der EU 260 ist hervorzuheben, dass die Bundesregierung am 19. 05. 2010 in Zusammenarbeit mit dem NKR einen internationalen Workshop zum Thema „Methodik zur Messung des Erfüllungsaufwands“ durchgeführt hat. Überdies wurde in Großbritannien im November 2009 mit dem Regulatory Policy Comittee ein unabhängiges Gremium eingerichtet, welches die britische Regierung beim Bürokratieabbau beraten soll. 5. Ausblick und Perspektiven Eine Zwischenbilanz am Ende des Jahres 2010 in Sachen Bürokratieabbau erlaubt es, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. Hinsichtlich des bisher Erreichten kommt die im April 2010 in Paris von der OECD vorgestellte Studie „Bessere Rechtsetzung in Europa – Deutschland“ zu dem Ergebnis, dass Deutschland seit der letzten Untersuchung 2004 „große Fortschritte im Bereich der besseren Rechtsetzung und des Bürokratieabbaus“ gemacht habe 261. Bezüglich der Zukunftsperspektiven ist vor allem die Änderung des NKRG-Gesetzes zu begrüßen. Der bisherige Ansatz, lediglich Bürokratiekosten in den Blick zu nehmen, die aus Informationspflichten entstehen, war für die ersten vier Jahre der Existenz des Nationalen Normenkontrollrats richtig. Zunächst galt es, auf Grundlage eines engen, standardisierten und internationalen Vorgaben entsprechenden Bürokratiekostenbegriffs zu methodisch belastbaren Einschätzungen zu gelangen. Die durchgängige Anwendung einer verlässlichen Methodik war ein wesentlicher Faktor für die erfolgreiche Arbeit des NKR. Mit der Anwendung des SKM gelang es, bei jedem Gesetzgebungsvorhaben anhand von belastbaren Zahlen zu diskutieren, welche Bürokratiekosten mit einem Regelungsvorhaben 258
NKR, Jahresbericht 2010, S. 33 ff. NKR, Jahresbericht 2010, S. 41. 260 NKR, Jahresbericht 2010, S. 53 ff. 261 Zitiert nach NKR, Jahresbericht 2010, S. 59. Nach der Studie solle die Bundesregierung dennoch weitere Anstrengungen unternehmen, um die Qualität der Gesetze weiter zu verbessern. Insbesondere solle der gesamte Aufwand zur Erfüllung bundesrechtlicher Pflichten untersucht, die Kompetenzen des NKR ausgeweitet und die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im Sinne einer effizienten Rechtsetzung ausgebaut werden. 259
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verbunden sind. Das ex-ante-Verfahren hat sich bewährt. Es schafft Transparenz über die Auswirkungen neuer Regelungsvorhaben auf die Bürokratiekosten und ist zu einem festen Bestandteil der ministeriellen Routine bei der Vorbereitung neuer Gesetzgebungsvorhaben geworden. In vielen Fällen wurden so Vorhaben bereits im Vorfeld geändert und bürokratieärmer gestaltet, als dies ohne die Quantifizierung der Bürokratiekosten geschehen wäre 262. Auf Grundlage der zum 30. 09. 2006 vorgenommenen Bestandsmessungen konnten auf sicherer methodischer Grundlage für einen überschaubaren Zeitraum von fünf Jahren realistische Abbauziele formuliert werden, deren Erreichen nach den jüngsten Beschlüssen der Bundesregierung, insbesondere aufgrund des detaillierten und realistischen Umsetzungsplans vom 29. 06. 2010, zu erwarten ist. Der enge Bürokratiekostenbegriff und die Konzentration auf die Belange der Wirtschaft waren aber andererseits auch Schwachpunkte des Regierungsprogramms. Zum einen macht der durch Informationspflichten ausgelöste Aufwand aus Sicht der Betroffenen in vielen Fällen nur den geringeren Teil der Gesamtbelastung einer rechtlichen Regelung aus. Es ist daher im Sinne einer stärkeren Spürbarkeit des Bürokratieabbaus zu begrüßen, wenn jetzt der gesamte Erfüllungsaufwand einer gesetzlichen Regelung in den Blick genommen wird und man sich dabei nicht mehr auf die Wirtschaft beschränkt, sondern verstärkt Bürgerinnen und Bürger sowie die Verwaltung in den Blick nimmt. Dieser verbreiterte Ansatz ist zwar mit nicht zu unterschätzenden methodischen Schwierigkeiten verbunden. Nicht zu Unrecht betont der NKR, dass es für das zukünftige Verfahren von zentraler Bedeutung sein wird, „eine praktikable Berechnungsmethode zu entwickeln, die zugleich plausible Ergebnisse liefert“ 263. Der eingeschlagene Weg ist dennoch ohne Alternative. Nur durch eine Verbreiterung der Perspektive und die (noch stärkere) Einbeziehung aller gesellschaftlichen Akteure (Länder, Kommunen, Sozialversicherungsträger, Kammern Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger) kann Bürokratieabbau in der Gesellschaft langfristig erfolgreich sein. Wenn es dagegen nicht gelingt, alle gesellschaftlichen Steuerungsakteure einschließlich des Bürgers in den Reformprozess einzubeziehen, wird das Bürokratieabbauprogramm der Bundesregierung nur ein weiteres Verwaltungsreformprojekt „von Eliten für Eliten“ mit der für solche Vorhaben typischen geringen gesellschaftlichen Akzeptanz bleiben. Eine summa summarum ausgesprochen positive Rolle im Prozess der Bürokratiekostenmessung hat bisher der NKR gespielt 264. Anfängliche Befürchtungen, dieser könne nicht mehr sein, als ein „zahnloser Tiger“ bzw. „eine flügelschlagende Gans, die mit dem lautem Geschnatter auf Bedrohungen reagiert, aber niemanden angreift“, haben sich nicht bestätigt. Auch die gegenteilige Besorg262 263 264
NKR, Jahresbericht 2010, S. 23. NKR, Jahresbericht 2010, S. 43. Näher Jann / Jantz, ZG 2008, S. 51 (62 ff.).
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nis, die Expertengruppe könne zu einem „gefährlichen Pitbull“ werden, hat sich als unbegründet erwiesen. Die von großer Sachlichkeit und gegenseitigem Respekt getragene Zusammenarbeit des NKR mit den Verfassungsorganen, aber auch die kritische Distanz zur bisherigen Bürokratieabbaupolitik der Bundesregierung verdeutlichen vielmehr, dass das Expertengremium sein „Wächteramt“ ernst nimmt und den Reformprozess auf Bundesebene konstruktiv-kritisch begleitet. Der NKR ist ein starkes Symbol für einen in der Gesetzgebungskultur eingetretenen Bewusstseinswandel geworden und genießt die öffentliche Aufmerksamkeit und Resonanz, welche für strukturverändernde Politik erforderlich ist 265. Entscheidender Erfolgsfaktor der bisherigen Tätigkeit des NKR ist überdies sein – in der praktischen Tätigkeit strikt durchgehaltener – depolitisierter Ansatz, der nun in § 1 Abs. 4 NKRG n.F. deutlich zum Ausdruck kommt. Danach sind die angestrebten Ziele und Zwecke von Regelungen nicht Gegenstand seiner Prüfungen, sondern bleiben den dafür verfassungsrechtlich legitimierten politischen Entscheidungsorganen vorbehalten. Die mit dem NKRG-Änderungsgesetz beabsichtigte Stärkung des NKR ist zu begrüßen. Die durch § 4 Abs. 3 Satz 2 und 3 NKRG n.F. ermöglichte Überprüfung von Gesetzesinitiativen des Bundesrates und aus der Mitte des Bundestages ist ebenso sinnvoll wie die sachliche Erweiterung des Mandats. Dass der NKR nicht mehr nur den Erfüllungsaufwand neuer Regelungen auf Nachvollziehbarkeit und Methodengerechtigkeit überprüfen darf (vgl. §§ 1 Abs. 3; 2 Abs. 1 NKRG n.F.), sondern gem. § 4 Abs. 2 NKRG n.F. eine erweiterte Prüfkompetenz in Anspruch nehmen kann, ist ebenfalls positiv zu bewerten. Die § 43 f. GGO entsprechende Formulierung der Prüfgegenstände bewirkt eine deutliche Stärkung der Gesetzesfolgenabschätzung in der Bundesrepublik Deutschland, indem die – bisher bloß verwaltungsinternen – Vorgaben der GGO nunmehr der Prüfung durch ein unabhängiges Expertengremium unterliegen. Die Chancen für weitere nachhaltige Reformschritte beim Bürokratieabbau sind schließlich nicht zuletzt deswegen gut, weil Deutschland von internationalen Vorbildern lernen kann. So wurden in den Niederlanden bereits seit Anfang der 1990er Jahre, später aber auch in Schweden 266, Großbritannien und Dänemark erfolgreiche weitere Prozessschritte unternommen 267. Von den dort gemachten Erfahrungen kann Deutschland auch weiterhin profitieren 268.
265 Zu diesen Erfolgsbedingungen von Verwaltungsreformpolitik Jann / Jantz, ZG 2008, S. 51 (57 f.). 266 Zu den dort gewonnenen Erfahrungen mit dem Standardkosten-Modell Veit, ZG 2008, S. 68 ff. 267 Ausführliche Darstellung bei NKR, Internationale Erfahrungen beim Bürokratieabbau, Juni 2007, im Internet abrufbar unter www.normenkontrollrat.bund.de (Abrufdatum 07. 02. 2011). 268 Näher NKR, Internationale Erfahrungen beim Bürokratieabbau, S. 33.
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E. Beispiele für die Politik des Bürokratieabbaus I. Bürokratieabbau als „Kärrnerarbeit“ – Der lange Weg zum 1. „Bundesderegulierungsgesetz“ Das politische Ziel „Weniger Bürokratie wagen“ 269 wird von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Schwierigkeiten bereitet allerdings die praktische Umsetzung. Auf welche politischen Widerstände selbst begrenzte Deregulierungsstrategien stoßen können, belegt die Entstehungsgeschichte des am 01. 07. 2005 in Kraft getretenen „Gesetzes zur Umsetzung von Vorschlägen zu Bürokratieabbau und Deregulierung aus den Regionen“ 270. Das Gesetz beruht in weiten Teilen auf Vorarbeiten des Projekts „Modellregionen für Bürokratieabbau“ 271. Gleichsam in einem „Feldversuch“ identifizierten die Beteiligten an dem Vorhaben auf Bundes- und regionaler Ebene ab dem Jahre 2003 Regelungsbereiche für eine Reduzierung administrativer Lasten. Auf Bundesebene führte dieses recht unkoordinierte Vorgehen zur Präsentation einer kaum mehr überschaubaren Liste mit mehr als 1000 Einzelregelungen, die zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Politik und Interessenvertretern der Wirtschaft über deren politische Umsetzbarkeit führte 272. Im Zuge der weiteren Diskussion einigte man sich auf eine erhebliche Reduzierung der Vorschlagliste 273. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit präsentierte schließlich im April 2004 eine auf 34 Deregulierungsvorschläge beschränkte Liste 274. 29 davon beschloss das Bundeskabinett im Mai 2004 zwecks bundesweiter Umsetzung. Auf eine zunächst geplante Erprobungsphase in den drei „Testregionen für Bürokratieabbau“ sollte verzichtet werden. Die von Vertretern der Wirtschaft als stark defizitär kritisierte sog. 29er-Liste 275 bildete den Ausgangspunkt des „Gesetzes zur Umsetzung von Vorschlägen zu Bürokratieabbau und Deregulierung aus den Regionen“. Das zustimmungspflichtige Gesetz wurde im Herbst 2004 zunächst im Bundesrat be269 Mit dieser Anspielung auf Willy Brandt, der 1969 „Mehr Demokratie wagen“ wollte, betonte der Sächsische Staatsminister Geert Mackenroth die „historische“ Bedeutung des am 11. 05. 2005 im Vermittlungsausschuss gefundenen Kompromisses zum „1 Bundesderegulierungsgesetz“. 270 Vom 21. 06. 2005; BGBl. I, S. 1666. 271 Dazu unten § 16 C I 1. 272 Diese hätten fast zum Scheitern des Projekts geführt; vgl. Rothe, Aufgabenkritik, S. 77 (83 f.). 273 Allein aus der Testregion Westmecklenburg kamen 178 Vorschläge. 274 Näher Rothe, Aufgabenkritik, S. 77 (84 ff.). 23Vorschläge betrafen die Vereinfachung von Verwaltungsverfahren und 11 die Schaffung größerer Freiräume für unternehmerisches Handeln. 275 Exemplarisch Rothe, Aufgabenkritik, S. 77 (85 ff.). Die „Bedürfnisse und Hoffnungen der Wirtschaft auf einen spürbaren Bürokratieabbau (seien) nicht einmal im Ansatz“ erfüllt worden.
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raten, wo ein sehr viel weitergehender Deregulierungsbedarf angemahnt wurde. Die Länderkammer betonte, dass das Gesetz nur ein erster Deregulierungsschritt sein könne, forderte die Bundesregierung auf, weitere Initiativen zum Bürokratieabbau zu ergreifen und kündigte selbst ein umfangreiches Maßnahmepaket an 276. Da sich die Bundesregierung den Änderungsvorschlägen des Bundesrates nur zu einem sehr geringen Teil anzuschließen vermochte 277, konnte das Gesetz nicht – wie ursprünglich geplant – am 01. 01. 2005 in Kraft treten. Der Bundesrat legte im November 2004 einen eigenen Gesetzesentwurf vor, mit dem weitere Deregulierungsvorschläge umgesetzt werden sollten 278. Die Bundesregierung wiederum erteilte den meisten Empfehlungen des Bundesrates eine Absage 279. Am 24. 02. 2005 beschloss der Bundestag den Gesetzesentwurf der Bundesregierung mit zahlreichen Änderungen 280. Der vom Bundesrat gem. Art. 77 Abs. 2 GG einberufene Vermittlungsausschusses erzielte schließlich am 11. 05. 2005 einen Kompromiss dahingehend, auch etliche Vorschläge der Ländervertretung in das Regelungswerk aufzunehmen 281. Am 01. 07. 2005 konnte das Gesetz mit einer Verspätung von einem halben Jahr in Kraft treten. Mit dem Vorhaben wurden 27 Maßnahmen zum Bürokratieabbau und zur Deregulierung umgesetzt, von denen 18 aus den Testregionen stammen 282. Die praktisch bedeutsamsten Vereinfachungen betrafen das Gaststättenrecht 283. Hier wurden – auf Initiative des Bundesrates 284 – die Erlaubnispflicht für Beherbergungsbetriebe vollständig aufgehoben und solche Betriebe erlaubnisfrei gestellt, in denen kein Alkohol ausgeschenkt wird 285. Das Gaststättenrecht stellt seitdem wieder die Bekämpfung der mit dem Alkoholgenuss verbundenen Gefahren in den Vordergrund 286. Weitere Änderungen des Gesetzes betreffen das Arbeitsstättenrecht. Überdies wurde – auf Initiative der Testregion Westmecklenburg – der Richter für Handelssachen am Amtsgericht eingeführt. Hervorzuheben sind ferner die Reduzierung der Berichts- und Dokumentationspflichten 276
Zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates vgl. BTDrs 15/4231, S. 28. Einzelheiten ergeben sich aus der Gegenäußerung der Bundesregierung; BTDrs 15/4321, S. 41 ff. 278 Vgl. BTDrs 15/4646 sowie BRDrs 710/04 (Beschluss). 279 Näher BTDrs 15/4646, S. 30 ff. 280 Vgl. i. e. BTDrs 15/4231; 15/4673 und 15/4938 sowie BRDrs 126/05. 281 Schönleiter, GewArch 2005, S. 369 (370); Einzelheiten in BRDrs 357/05 und BTDrs 15/5480. 282 Vollständige Auflistung bei Rothe, Aufgabenkritik, S. 77 (85). 283 Ausführlich Pöltl, GewArch 2005, S. 353. 284 Vgl. Schönleiter, GewArch 2005, S. 369 (370) und Dübbers / Jo, NVwZ 2006, S. 301 (302). 285 Kritisch Schönleiter, GewArch 2005, S. 369 (370). Deutlich positiver Dübbers / Jo, NVwZ 2006, S. 301 (303). Die fehlende Harmonisierung mit anderen Bundesgesetzen bemängeln Pöltl, GewArch 2005, S. 353 (364) und Vahle, DVP 2006, S. 133 (143). 286 Pöltl, GewArch 2005, S. 353 (356); Vahle, DVP 2006, S. 133 (134). 277
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für Unternehmen mit Umweltmanagementsystemen, die erleichterte Übertragbarkeit immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen sowie Deregulierungen im Zusammenhang mit der Vorlage von Abfallwirtschaftskonzepten und Abfallbilanzen. Als Instrument experimenteller Gesetzgebung erwähnenswert ist die Einführung Allgemeiner Experimentierklauseln in §§ 13 GewO und 32 GastG, welche den Ländern ermöglichen, unter bestimmten Voraussetzungen Berufsausübungsregelungen in den einschlägigen Gesetzen befristet aufzuheben. Praktisch bedeutsamer sind jedoch die durch Art. 10 des Gesetzes erfolgten Deregulierungen in der Makler- und Bauträgerverordnung. Dort wird seit dem Juli 2005 auf bestimmte kostspielige Prüf- und Aufbewahrungspflichten für Immobilienmakler und Darlehensvermittler verzichtet 287. Insgesamt kam das Gesetz trotz des im Gesetzgebungsverfahren betriebenen Aufwands über erste zaghafte Maßnahmen des Bürokratieabbaus und der Deregulierung nicht hinaus. II. Abbau von Statistikpflichten in der politischen Auseinandersetzung Ebenfalls noch unter der zweiten rot-grünen Bundesregierung gelang im August 2005 die Verabschiedung eines Gesetzes zur Straffung der Umweltstatistik 288. Bereits im Juni 2004 hatten die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen den Entwurf eines Statistikabbaugesetzes in den Bundestag eingebracht 289. Dieser scheiterte jedoch an der fehlenden Zustimmung des Bundesrates, der seinerseits bereits seit Oktober 2003 alternative Strategien für den Statistikabbau verfolgte 290. Diese wiederum fanden nicht die Zustimmung des Bundestages 291. Das Gesetz zur Straffung der Umweltstatistik fand dagegen einen größeren politischen Konsens. Es hob das (veraltete) Umweltstatistikgesetz von 1994 auf und ersetzte es durch ein neu konzipiertes Regelungswerk. Dessen Kernelemente sind eine Ergänzung und Weiterentwicklung der bestehenden Regelungen im Hinblick auf eine ökologische Modernisierung, die Anpassung an gestiegene europarechtliche Anforderungen sowie die Entlastung der Wirtschaft von Bürokratiekosten durch die Straffung und Qualifizierung von Datenerhebungen sowie die Vermeidung von Doppelerhebungen 292. 287 Näher Schönleiter, GewArch 2005, S. 369 (371). Die Vereinfachungen betreffen ca. 18.500 deutsche Immobilienmakler und eine nicht quantifizierbare Zahl von Darlehensvermittlern. 288 BGBl. I 2005, S. 2446. 289 Zu deren Inhalt BTDrs 15/3306 vom 15. 06. 2004. 290 Am 16. 10. 2003 brachte Baden-Württemberg im Bundesrat (BRDrs 761/03) einen entsprechenden Gesetzesantrag ein, den der Bundesrat in geänderter Fassung Anfang des Jahres 2004 beim Bundestag einbrachte (vgl. BTDrs 15/2416 vom 28. 01. 2004). 291 Vgl. BTDrs 15/3474 und BT PlPr 15/118 vom 01. 07. 2004. 292 Vgl. BTDrs 15/5538 und BTDrs 15/5848.
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III. Entlastung der gewerblichen Wirtschaft durch Mittelstandsentlastungsgesetze Einen wichtigen Politikschwerpunkt der von November 2005 bis zum Herbst 2009 amtierenden Bundesregierung bildete zudem die Entlastung des Mittelstandes. Dokumentiert wird dies durch die 2006, 2007 und 2009 verabschiedeten „Mittelstandsentlastungsgesetze“. 1. Erstes Mittelstandsentlastungsgesetz Das „Erste Gesetz zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft“ (1. Mittelstandsentlastungsgesetz – MEG I) 293 war Bestandteil der im Koalitionsvertrag zwischen CDU / CSU und SPD festgeschriebenen Strategie zum Bürokratieabbau. Das Gesetz sollte kurzfristig eine Reihe von Maßnahmen zum Abbau von unnötiger Bürokratie und zur Beseitigung bestehender Investitionshemmnisse auf den Weg bringen. Im Frühjahr 2006 brachten die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung wortgleiche Gesetzesentwürfe dieses auch „small-companies-act“ genannten Gesetzes in den Bundestag bzw. Bundesrat ein 294, die im weiteren parlamentarischen Verfahren zusammengeführt wurden. Ihr Ziel war es, durch Reduktion von unnötiger Bürokratie insbesondere bei kleineren und mittleren Unternehmen sowie bei Existenzgründern neue Handlungsspielräume zu schaffen und die Chancen auf mehr Investitionen, Innovation und Beschäftigung zu verbessern. Dazu sollten in einem Artikelgesetz, das auch Vorschläge aus der zweiten Ausschreibungsrunde für „Vorschläge zu Bürokratieabbau und Deregulierung aus den Regionen“ 295 sowie von Wirtschaftsverbänden und aus den Bundesländern berücksichtigte, insgesamt 16 Deregulierungsmaßnahmen umgesetzt werden. Durch Änderung von 13 Gesetzen und 2 Verordnungen war vorgesehen, unnötige Vorschriften abzuschaffen und vorhandene Regelungen auf ein Mindestmaß zu reduzieren 296. Der Gesetzentwurf wurde vom Bundesrat überwiegend zustimmend zur Kenntnis genommen. Dieser mahnte allerdings auch „weitergehende substanzielle Entlastungen mit einer breiten Wirkung für alle Branchen des Mittelstands“ 297 an. Zudem forderte man die Bundesregierung auf, alle gesetzlichen Vorschriften, die eine Pflicht des Unternehmers zur Bestellung eines Beauftragten begründen, einer kritischen Prüfung zu unterziehen 298. In ihrer Gegenäußerung 299 wies die Bundesregierung darauf hin, dass das Kabinett am 25. 04. 2006 beschlossen 293
Vom 22. 08. 2006; BGBl. I, S. 1970. BTDrs 16/1407 vom 09. 05. 2006 und BTDrs 16/1853 vom 19. 06. 2006. 295 Die Bundesregierung hatte 2005 eine zweite Runde zur Sammlung von Vorschlägen zu Bürokratieabbau und Deregulierung ausgeschrieben. 296 Einzelheiten in BTDrs 16/1407, S. 7 ff. 297 Stellungnahme des Bundesrats; BTDrs 16/1853, S. 17 ff. 294
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habe, über das MEG I hinaus weitere 37 Maßnahmen längerfristig umzusetzen und kündigte für den Herbst 2006 die Gesetzesinitiative für ein „Zweites Mittelstandsentlastungsgesetz“ sowie eine Gesamtüberprüfung des Beauftragtenwesens an 300. Das MEG I wurde im Juni 2006 im Bundestag mit großer Mehrheit beschlossen 301. Nachdem der Bundesrat dem Gesetz ohne Anrufung des Vermittlungsausschusses zugestimmt hatte, wurde es am 25. 08. 2006 im Bundesgesetzblatt verkündet 302. 2. Zweites Mittelstandsentlastungsgesetz Das „Zweite Gesetz zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft“ (2. Mittelstandsentlastungsgesetz – MEG II) vom 07. 07. 2007 303 wurde als Bestandteil einer von der Bundesregierung im Juni 2006 verabschiedeten Mittelstandsinitiative alsbald nach Inkrafttreten des MEG I vorbereitet. Wortgleiche Gesetzesentwürfe der Regierung und von den Fraktionen der CDU / CSU und SPD wurden Anfang 2007 dem Bundesrat zugeleitet 304 bzw. in den Bundestag eingebracht 305. Dieses Mantelgesetz sollte den durch das MEG I eingeleiteten Entbürokratisierungs- und Deregulierungsprozess fortsetzen und Bürokratiekosten senken 306. Sein Anspruch war begrenzt, sollte es doch nur „als „Lückenfüller, bis die sehr gründliche, systematische Herangehensweise an Bürokratieabbau über Normenkontrollrat und Standardkostenmodell greift“ 307, fungieren. Das MEG II enthielt 17 Maßnahmen zum Bürokratieabbau. Es umfasste Änderungen in den Bereichen Statistik, Buchführung, Sozialversicherungs-, Preisangaben- und Straßenverkehrsrecht, hatte seinen Schwerpunkt allerdings im Wirtschaftsverwaltungsrecht. Dort ist vor allem die Abschaffung der Reisege298 BTDrs 16/1853, S. 17. Der Gesetzentwurf sah lediglich die Anhebung des Schwellenwertes für die Bestellung eines Datenschutzbeauftragten von vier auf neun Beschäftigte vor. 299 Vom 28. 06. 2006; BTDrs 16/1970. 300 BTDrs 16/1970, S. 1 f. 301 Vgl. BTDrs 16/2017 vom 28. 06. 2006 und BT PlPr 16/43, S. 4097 ff. 302 BGBl. I, S. 1970. 303 BGBl. I, S. 2245. Näher Jahn, GewArch 2007, S. 353 ff. und Stenger, GewArch 2007, S. 448 ff. 304 BRDrs 68/07 vom 26. 01. 2007. 305 BTDrs 16/4391. 306 BTDrs 16/4764, S. 2. Eine Bürokratiekostenmessung ergab, dass mit dem Gesetz für die Wirtschaft eine Entlastung von 58,8 Mio. € und für die Verwaltung von mindestens 5 Mio. € verbunden ist. 307 So der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte; BR PlPr 831/2007, S. 84.
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werbekartenpflicht für Angestellte und bei vorhandener Erlaubnis im stehenden Gewerbe durch Neufassung der §§ 55 ff. GewO (Art. 9 MEG II) 308 erwähnenswert. Zu einem vollständigen Verzicht auf die Reisegewerbekartenpflicht hat sich der Gesetzgeber aus wirtschaftsordnungs- und verbraucherschutzrechtlichen Gesichtspunkten begrüßenswerter Weise nicht durchringen können 309. Mit dem MEG II wurde zudem § 14 GewO neu gefasst, wovon sich der Gesetzgeber eine übersichtlichere Gestaltung der durch zahlreiche Änderungen unklar gewordenen Struktur erhoffte 310. Einsparungen in Höhe von mehr als 40 Mio. € jährlich sollten durch eine Vereinfachung des Auskunftsverfahrens aus dem Gewerberegister mittels Erleichterung des automatischen Datenabrufs erzielt werden 311. Sonstige Änderungen betreffen die verbindliche Einführung der kaufmännischen Buchführung in den Industrie- und Handelskammern sowie weitere Modifikationen des IHK-Gesetzes 312. Auch die Gleichstellung ausländischer Berufsqualifikationen im Handwerksrecht in Umsetzung der Richtlinie 2005/36/EG 313, die Aufhebung von §§ 13, 29 und 35 GastG 314, die Deregulierung der Unternehmensstatistik im Güterverkehr sowie Vereinfachungen bei der steuerlichen Buchführungspflicht und der Übermittlung von Halterdaten nach dem Straßenverkehrsrecht sind erwähnenswert. Zudem sollte der Mittelstand von zeit- und kostenaufwändigen Informations-, Auskunfts- und Statistikpflichten entlastet werden, wobei ein Schwerpunkt bei Existenzgründern und Kleinbetrieben lag. Durch Änderung des § 6 Abs. 4 BStatG wurde – einen Vorschlag des DIHK aufgreifend – die Beschränkung statistischer Erhebungen bei Kleinunternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten auf drei Stichproben im Jahr beschränkt. Das MEG II war das erste dem NKR im Rahmen seines gesetzlichen Prüfauftrages vorgelegte Gesetz. Dieser stimmte dem Gesetzentwurf zu 315. Der Bundesrat begrüßte die vorgelegten Maßnahmen ebenfalls 316, forderte die Bundesregierung aber auf, die Entstehung neuer Bürokratie im Bereich der kleineren und mittleren Unternehmen durch eine verbesserte ex-ante-Prüfung von Gesetzesentwürfen wirkungsvoller zu verhindern. Zudem wurden Änderungen einzelner Vorschriften angemahnt 317, denen die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung 308
Zu den damit verfolgten Zielen Stenger, GewArch 2007, S. 448 ff. Näher Stenger, GewArch 2007, S. 448 (449). Zum besonderen Schutzbedürfnis des Verbrauchers gegenüber Reisegewerbetreibenden BVerfG GewArch 2000, S. 480 (481). 310 Eingehend Stenger, GewArch 2007, S. 448 (450 ff.). 311 Zur Änderung des § 14 Abs. 7 GewO vgl. BTDrs 16/4931, S. 23. 312 Jahn, GewArch 2007, S. 353 (354 ff.). 313 Vom 07. 09. 2005, ABL EG Nr. L 255, S. 22. Näher Jahn, GewArch 2007, S. 353 (357 f.). 314 Zu den rechtspolitischen Hintergründen Stenger, GewArch 2007, S. 448 (452 f.). 315 BTDrs 16/4764. 316 BR PlPr 831/2007, S. 82 ff. 317 BTDrs 15/4764, S. 8 ff. 309
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zum Teil zustimmte 318. Das Gesetz erfuhr in der parlamentarischen Beratung noch einige Änderungen und trat in seinen wesentlichen Teilen am 14. 09. 2007 in Kraft. 3. Drittes Mittelstandsentlastungsgesetz Nach Inkrafttreten des MEG II wurden alsbald weitere Deregulierungsmaßnahmen für ein Drittes Mittelstandsentlastungsgesetz (MEG III) 319 in Angriff genommen. Einen entsprechenden Gesetzentwurf leitete die Bundesregierung dem Bundesrat im August 2008 zu 320 Die Länderkammer nahm dazu Mitte September 2008 Stellung und schlug mehrere Änderungen vor. Diese wurden von der Bundesregierung, welche ihren Gesetzentwurf Anfang Oktober 2008 in den Deutschen Bundestag eingebrachte, überwiegend abgelehnt 321. Der Deutsche Bundestag stimmte dem Gesetzentwurf am 21. 01. 2009 in der Fassung der Empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie 322 zu. Auf seiner Sitzung vom 13. 02. 2009 verzichtete der Bundesrat auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses und stimmte dem Gesetz zu 323. Das Gesetz trat nach Verkündung im Bundesgesetzblatt 324 in seinen wesentlichen Teilen am 25. 03. 2009 in Kraft. Bei dem MEG III handelt es sich um ein weiteres Mantelgesetz zum Bürokratieabbau, mit dem 23 Deregulierungsmaßnahmen aus verschiedenen Rechtsbereichen umgesetzt wurden. Hierzu zählt die Vereinfachung der Handwerkszählung für die rund 460.000 selbständigen Unternehmen des zulassungspflichtigen Handwerks, welche durch Rückgriff auf bereits vorhandene Verwaltungsdaten von Vor-Ort-Erhebungen entlastet werden (Art. 2 MEG III). Allein hierdurch sollen jährlich 24 Mio. € an Bürokratiekosten eingespart werden. Im Wirtschaftsverwaltungsrecht wurde ein ganzes Bündel von Erleichterungen mit einem prognostizierten Entlastungsvolumen von über 70 Mio. € verabschiedet, zu denen unter anderem die Streichung von Aufbewahrungspflichten in der Pfandleiherverordnung sowie in der Makler- und Bauträgerverordnung gehören (Art. 10 und 11 MEG III). So sollen den betroffenen Unternehmen in schätzungsweise 100.000 Einzelfällen bürokratische Aufwendungen erspart werden. Insgesamt erwartete die Bundesregierung von dem Gesetz eine jährliche Bürokratiekos-
318 319 320 321 322 323 324
Vgl. Anlage 4 zu BTDrs 16/4764, S. 15 ff. Stenger, GewArch 2007, S. 448 (454). BRDrs 558/08. Vgl. BTDrs 16/10490, S. 26 ff. Vgl. BTDrs 16/11622 vom 19. 01. 2009. BRDrs 36/09 (Beschluss). BGBl. I 2009, S. 550.
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tenentlastung in Höhe von mindestens 75,7 Mio. € für die Unternehmen und mindestens 8,6 Mio. € für die Verwaltung 325. IV. Gründe für die Schwierigkeiten in der Bürokratieabbaupolitik Die vorstehenden Ausführungen zu wichtigen „Entbürokratisierungsprojekten“ auf Bundesebene haben gezeigt, dass eine solche Politik „Kärrnerarbeit“ ist, die im Detail erheblichen politischen Hindernissen gegenübersteht. Dies ist auf den ersten Blick überraschend, besteht doch unabhängig von der politischen Couleur in der gegenwärtigen Politik nahezu einhellig die Auffassung, dass die Reduzierung von Überregulierungen und hypertrophen administrativen Lasten notwendig ist. Da der Bürokratiebegriff in der Öffentlichkeit nahezu ausschließlich negativ besetzt ist 326, versprechen Initiativen zum Bürokratieabbau eine positive Resonanz in weiten Bevölkerungsteilen und werden deshalb von (fast) allen Parteien unterstützt. Trotz dieser grundsätzlichen Einigkeit ist der Weg zu tatsächlich erfolgreichen Bürokratieabbauprojekten steinig, der „Teufel steckt buchstäblich im Detail“. Ein großer Teil der Verantwortung für die insgesamt nur schleppend vorankommenden Reformen ist auf die Besonderheiten des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland zurückzuführen, welches umfassende, radikale Veränderungen im internationalen Vergleich besonders erschwert. Nach den Erkenntnissen der politikwissenschaftlichen Forschung ist Deutschland „ein Staat mit einer der höchsten Vetospieler- und Mitregentendichte“ 327. Dies liegt an dem Ineinandergreifen unterschiedlicher Faktoren, zu denen unter anderem das parlamentarische Regierungssystem, die große Bedeutung von Koalitionsregierungen, die hohen Barrieren für Verfassungsänderungen, die ausgeprägte richterliche Kontrolldichte, der ausgebaute Minderheitenschutz, das stark betonte Selbstverwaltungsprinzip, die ausgeprägte vertikale Machtaufteilung mit starkem Kooperationszwang für Bund und Länder, die tendenzielle Dauerwahlkampfatmosphäre wegen der auseinander fallenden Wahltermine sowie schließlich die Souveränitätstransfers an internationale und europäische Institutionen zählen 328. Aufgrund dieser systemischen Vorgaben sind tiefgreifende Politik- und Verwaltungsreformen in der Bundesrepublik Deutschland nur schwer zu bewerkstelligen, erfordern sie doch von den Regierenden einen ho325
BTDrs 16/10490, S. 3 f. Zur Kritik oben § 4 B III 3. 327 Manfred G. Schmidt, Das politische System Deutschlands, S. 42; S. 185; S. 190 f. Vetospieler sind „Individual- oder Kollektivakteure, deren Zustimmung unabdingbar für eine Abkehr vom status quo sind“, während Mitregenten ebenfalls einflussreiche Mitgestalter der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung sind, die aber nicht notwendig mit einer Vetomacht ausgestattet sind. 328 Manfred G. Schmidt, Das politische System Deutschlands, S. 190 f. 326
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hen Kooperations- und Koordinierungsaufwand. Von der Bevölkerung wird das Ausbleiben umfassender Veränderungen regelmäßig als Reformstau wahrgenommen, was jede langfristig orientierte Verwaltungsreformpolitik im Auge behalten sollte 329.
§ 9 Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung Nachdem im vorherigen Kapitel die jüngere Verwaltungsreformpolitik auf Bundesebene in den Bereichen Rechtsetzungs- und Rechtsoptimierung dargestellt wurde, widmen sich die nachfolgenden Ausführungen der Regelungsoptimierung im Verwaltungsverfahrensrecht. Dabei werden zunächst die Leitlinien der Entwicklung der letzten 20 Jahre nachgezeichnet, die sich als eine permanente Suche nach schnellen und effektiven Verwaltungsverfahren erweist (A.). Daran schließen sich knappe Ausführungen zum eGovernment als eine der großen Herausforderungen für die Verwaltung des 21. Jahrhunderts an (B.). Es folgen chronologische Übersichten zu den Stationen der Verfahrensoptimierung seit 1990, wobei die entsprechenden Aktivitäten im Allgemeinen Verwaltungsrecht, Infrastrukturverwaltungsrecht und öffentlichen Bau(planungs)recht (C.), im Umweltrecht unter besonderer Berücksichtigung des Immissionsschutzrecht (D.) sowie im Gewerberecht (E.) dokumentiert werden. Breiten Raum nehmen – dem dieser Untersuchung zugrunde liegenden weiten Verfahrensbegriff 330 geschuldet – schließlich Ausführungen zum Widerspruchsverfahren unter Reformdruck (F.) und zu den jüngeren Entwicklungstendenzen im Verwaltungsprozessrecht (G.) ein.
A. Leitmotive der Reformaktivitäten seit 1990 – Auf der Suche nach schnellen und effektiven Verwaltungsverfahren Seit Beginn der 1990er Jahre stehen die Änderungen des Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrechts unter den Leitgedanken der Verfahrensbeschleunigung und -effektivierung. Spätestens zu dieser Zeit begann als sichtbarer Ausdruck eines „ökonomisierten Staates“ 331 und im augenfälligen Gegensatz zur „Ver329
Vgl. dazu auch § 21. Siehe oben § 4 B II 3 a. 331 Zu den theoretischen Grundlagen eines solchen Staatsverständnisses Wallerath, JZ 2001, S. 209. 330
§ 9 Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung
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fahrenseuphorie“ der 1970er Jahre eine bis heute andauernde Phase der „Beschleunigungseuphorie“ 332. Mit der zunehmend ökonomisch geprägten Sicht auf die als kunden- und produktorientierter Dienstleistungsbetrieb wahrgenommene Verwaltung rückte auch der lange vernachlässigte Zeitfaktor in den Mittelpunkt des verwaltungsrechtswissenschaftlichen Interesses 333. Vor allem neue Informationstechnologien und die internationale Verflechtung veränderten den Lebensrhythmus westlicher Industriestaaten und verlangten auch von der öffentlichen Verwaltung eine Anpassung an die „beschleunigte Gesellschaft“ 334. Die nachteiligen sozialen und wirtschaftlichen Folgen zu langsamer Verwaltungsverfahren wurden nicht mehr einfach hingenommen und Anpassungsreaktionen des Rechts eingefordert 335. Kennzeichnend für die rechtspolitische Debatte der 1990er Jahre war die Frage nach „der Macht und Verantwortung für den Zeitpunkt und die Zeitdauer des Gesetzesvollzugs im Kräftespiel zwischen Verwaltung und Parlament“ 336. Die traditionell der Verwaltung zugestandene „Macht über die Zeit“ 337 wird seitdem zunehmend vom Gesetzgeber in Anspruch genommen, der vor allem mit Bearbeitungs- und Entscheidungsfristen selbst über den „richtigen“ Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung bestimmt 338 und so die Exekutive zu disziplinieren versucht. Vor allem bei komplexen Verwaltungsverfahren wird seitdem angestrebt, durch Abbau bzw. zeitliche Straffung von Beteiligungsrechten Betroffener behördliche Entscheidungen zu beschleunigen und das Verwaltungsverfahren „investitionsfreundlicher“ zu gestalten. Seit den 1990er Jahren ist die Auffassung weit verbreitet, die internationale Konkurrenzfähigkeit des „Wirtschaftsstandorts Deutschland“ lasse sich nur sichern, wenn die Dauer investitionsrelevanter Verwaltungsverfahren nachdrücklich verkürzt werde. Diese Grundidee prägte auch die zahlenmäßig kaum mehr überschaubaren Änderungen im Widerspruchsverfahren und im Verwaltungsprozessrecht innerhalb des Berichtszeitraums 339. Beschleunigung ist seitdem „der große Zug der Zeit“ 340. Vor allem in der ersten Hälfte der 1990er Jahre führte diese Welle zu zeitweise hektisch anmutenden punktuellen Beschleunigungsgesetzen 341. Die nicht immer hinreichend durchdachten 342 Gesetzesänderungen im Allgemeinen Verwaltungs332 Vgl. aus der fast unübersehbaren Literatur der 1990er Jahre exemplarisch Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren; Blümel / Pitschas, Reform des Verwaltungsverfahrensrechts; Rombach, Der Faktor Zeit; Ronellenfitsch, Beschleunigung und Vereinfachung; Steinberg, NuR 1996, S. 6 ff. 333 Vgl. § 5 C sowie Bonk, NVwZ 1997, S. 320 (321) und Püttner / Guckelberger, JuS 2001, S. 218. 334 Bullinger, JZ 1991, S. 53 (60 ff.). 335 Bullinger, DVBl 1992, S. 1463 (1466). 336 Rechtsvergleichend und im historischen Kontext Bullinger, JZ 1991, S. 53 (54 ff.). 337 Bullinger, JZ 1991, S. 53 (54). 338 Dazu eingehend § 19 B. 339 Näher § 9 F und G. 340 Würtenberger, S. 14.
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
recht, im Verwaltungsprozessrecht und in den investitionsrelevanten Gebieten des Besonderen Verwaltungsrechts waren zum Teil auch verfassungsrechtlich problematisch 343. Der Anfang der 1990er Jahre einsetzende Drang zum Ausbau bereichsspezifischer verfahrensrechtlicher Besonderheiten hatte zudem eine starke „Fragmentarisierung des Verwaltungsverfahrensrechts“ 344 durch zahlreiche sektorale Verfahrensregelungen zur Folge, mit welcher eine Beeinträchtigung der systembildenden Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts einherging 345. Zwar ist das VwVfG in den Worten Wolfgang Kahls „trotz der fortgeschrittenen Zerfallserscheinungen“ immer noch „das Zentrum, der Kristallisationspunkt des Verwaltungsverfahrensrecht, bildhaft gewendet die Sonne, um welche die verfahrensrechtlichen Spezialgesetze wie Planeten – in unterschiedlicher Größe und Distanz – kreisen“. Die „Zunahme des Sonderrechts hat aber ... eine Tendenz zur Polyzentralität gefördert und zu einer Auszehrung des Körpers VwVfG geführt, welche bei ungebremsten Fortgang einen weitgehenden Bedeutungsverlust der Kodifikation nicht ausgeschlossen erscheinen lässt“ 346 Obwohl die – ihren Höhepunkt Mitte der 1990er Jahre erreichende – fast fieberhafte „Beschleunigungseuphorie des Bundesgesetzgebers“ 347 nicht immer die gewünschten Erfolge erzielte 348, lässt sich ein Ende dieser Bewegung nach wie vor nicht absehen. Diese Einschätzung wird nicht zuletzt durch die großen Gesetzesvorhaben zur Beschleunigung der Infrastrukturplanung 349 und des Immissionsschutzrechts 350 aus den Jahren 2006 und 2007 gestützt. Mit der Beschleunigungsdebatte ein341 Zu Unsicherheiten in der Rechtsanwendung Steinberg / Berg, NJW 1993, S. 488 (491) und Steiner, NVwZ 1994, S. 313 (318), wonach „Planung auch des sicheren Planungsrechts“ bedürfe. 342 Kritik an den Beschleunigungsgesetzen aus anwaltlicher Sicht bei Kothe, NordÖR 1999, S. 391 ff. 343 Umfassende Kritik bei Eckert, Beschleunigung und Erbguth, Deregulierungsgesetzgebung. Zudem wirft die schnelllebige Gesetzesproduktion eines „motorisierten Gesetzgebers“ die Frage auf, inwieweit das Verfassungsprinzip der Folgerichtigkeit eine gewisse Stetigkeit des Rechts fordert. Dazu näher P. Kirchhof, HdbStR, Band 5, 1. Auflage 1992, § 124 Rn. 234. 344 Schulte, J.Ö.R (n.F.), 55 (2007), S. 303 ff. 345 Kahl, in: Hoffman-Riem / Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, S. 67 (71 ff.) spricht treffend von einer „Dekodifikationsphase“. Zu den Gefahren der Fragmentierung des Verwaltungsverfahrensrechts auch Schulte, J.Ö.R (n.F.), 55 (2007), S. 303 (307 ff.). 346 Kahl, in: Hoffman-Riem / Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, S. 67 (82 f.). 347 Blümel, DVBl 1997, S. 205. Nach Repkewitz, VerwArch 88 (1997), S. 137 war Beschleunigung „auf dem besten Weg, zum Wort der Verwaltungsrechtswissenschaft in den 90er Jahren zu werden“. 348 Vgl. die Zwischenbilanzen von Schmitz / Olbertz, NVwZ 1999, S. 126 (128 ff.) und Püttner / Guckelberger, JuS 2001, S. 218 (223 f.). Kritische Bewertung der immissionsschutzrechtlichen Beschleunigungsnovellen der 1990er Jahre finden sich beispielsweise bei Stüer / Hermanns, DVBl 1999, S. 972 (974 f.) und Grawel, DÖV 1999, S. 281.
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her geht die Diskussion um die „Europatauglichkeit“ des deutschen Verwaltungsrechts und die in strukturschwachen Bundesländern mit drastisch negativer Wanderungsbilanz wie Mecklenburg-Vorpommern 351 besonders intensiv geführte Auseinandersetzung um die durch den demographischen Wandel ausgelösten verwaltungswissenschaftlichen Probleme.
B. Digitalisierung der Verwaltung: eGovernment als Herausforderung für die Verwaltung des 21. Jahrhunderts Neben diese Entwicklungstendenzen ist seit einigen Jahren auch das eGovernment getreten, welches „modernitätsumweht und von den Wogen des Zeitgeistes getragen“ 352 derzeit in aller Munde ist 353. Lange Zeit als eigenständiges Verwaltungsmodernisierungsinstrument gar nicht vorhanden 354, hat sich eGovernment in kürzester Zeit zu einem untrennbar mit dem Verwaltungsreformdiskurs verwobenen „Megathema der öffentlichen Verwaltung“ 355 entwickelt, wobei die elektronische Verwaltung bisher eher in der Binnenkommunikation 356 und weniger im Verkehr mit dem Bürger eine Rolle spielte. Angesichts von durchschnittlich nur zwei Verwaltungskontakten des Bürgers pro Jahr, dem fortbestehenden Bedürfnis nach persönlichem Kontakt und dem fehlenden Zugang mancher Bevölkerungsschichten zu elektronischen Kommunikationsmitteln kann eGovernment jedenfalls mittelfristig nur ein zusätzliches Angebot der Verwaltung sein 357. Der gegenwärtige „eGovernment-Hype“ 358 führt insofern zu manch übertriebenen 349
Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben vom 09. 12. 2006; BGBl. I, S. 2833. Näher unten § 9 C IX. 350 Gesetz zur Reduzierung und Beschleunigung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren vom 23. 10. 2007; BGBl. I, S. 2470. Näher unten § 9 D V. 351 Zu den Wanderungsbilanzen seit 1989 vgl. Statistisches Amt M-V (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 2009, S. 59 ff: Zwischen 1989 und 1998 betrug die negative Wanderungsbilanz 104.299, von 1999 bis 2008 überwog die Zahl der Fortzüge in andere Bundesländer oder in das Ausland die Zahl der Zuzüge von dort um 88.144. 352 Nolte, DÖV 2007, S. 941. 353 Grundlegend Mehlich, Electronic Government, 2002; Bieler / Schwarting (Hrsg.), e-government, 2007 sowie Nolte, DÖV 2007, S. 941. 354 Zu den Ursachen der zögerlichen Einführung der elektronischen Signatur Schmitz, DÖV 2005, S. 885 (886 ff.) und Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 3a Rn. 23. 355 Hill, BayVBl 2003, S. 737 (747). 356 Das gilt uneingeschränkt für die Ministerialebene. Vgl. Schmitz, DÖV 2005, S. 885 (892 f.), der als Folge der zunehmend elektronisch geführte Diskussionen zwar eine qualitative Verbesserung der Entscheidungsergebnisse, nicht aber eine größere Wirtschaftlichkeit konstatiert. 357 Schmitz, DÖV 2005, S. 885 (893).
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
Erwartungen und ist nicht ohne Gefahren 359. Als alleiniger oder auch nur überwiegender „Schlüssel zur modernen Verwaltung“ taugt das eGovernment nicht. Die teilweise gehegten Hoffnungen, eGovernment könne „das“ Partizipationsinstrument der Zukunft werden und einen grundlegenden Strukturwandel in der Binnenorganisation der öffentlichen Verwaltung hin zu einer Enthierarchisierung bewirken, werden durch die bisherigen (spärlichen) empirischen Untersuchungen jedenfalls nicht bestätigt 360. Immerhin hat die zunehmende „Digitalisierung“ der Gesellschaft aber wichtige Impulse zur Veränderung der Verwaltungskultur gegeben. Die mittlerweile weitgehend etablierte Dienstleitungs- und Serviceorientierung der öffentlichen Verwaltung ist durch den zunehmenden Erwartungsdruck von Bürgern und Wirtschaft, auch die Exekutive möge sich zeitnah der Informationsgesellschaft anpassen, zumindest erheblich gefördert worden. Digitale Portale mit (mehr oder weniger) umfangreichen Serviceangeboten, wie sie mittlerweile auf Landesebene, aber auch bei jeder größeren Kommune zur Selbstverständlichkeit gehören, werden von immer mehr Bürgern als ein zeitsparendes Serviceangebot wahrgenommen, welches obendrein Unabhängigkeit von Öffnungszeiten garantiert und zur Vermeidung unproduktiver Wartezeiten beiträgt. Wenn auch die elektronische Antragstellung und erst recht die elektronische Antragsbearbeitung in der Verwaltungspraxis erst am Anfang der Entwicklung stehen und in den nächsten Jahren zügig ausgebaut werden sollten, dürfen doch die bisher erreichten Fortschritte in der elektronischen Verwaltung nicht unterschätzt werden. Die permanente Fortentwicklung der Technik und ihre schnelle Aufnahme in der Gesellschaft wird die Elektronisierung der Verwaltungsverfahren mit großer Geschwindigkeit vorantreiben. Hinzu kommt ein hoher Modernisierungsdruck von der europäischen Ebene. So forderte die Europäische Dienstleistungsrichtlinie von den Mitgliedsstaaten bis Ende 2009, die Voraussetzungen für eine elektronische Abwicklung aller Verfahren und Formalitäten, welche die Aufnahme oder die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit betreffen, zu schaffen 361. Als „Schlüsselelement für die Erreichung des Ziels der Dienstleistungsrichtlinie“ 362 soll die elektronische Verfahrensabwicklung schnelle und effektive Verwaltungsverfahren aus der Ferne ermöglichen. Die Mitgliedsstaaten haben sich verpflichtet, bis zum Ende der Umsetzungsfrist voll funktionsfähige und interoperable elektronische Verfahren zu etablieren, die eine umfassende 358
Büllesbach, DVBl 2005, S. 605 (606). Dazu gehört die Entwicklung von Anwendungen, bei denen Aufwand und Ertrag in keinem Verhältnis stehen. Auch besteht die Gefahr, dass dem Bürger Technik aufgedrängt wird, deren Vorteile sich ihm nicht erschließen. Vgl. Schmitz, DÖV 2005, S. 885 (893); Hill, DÖV 2004, S. 721 (728). 360 Eingehend Nolte, DÖV 2007, S. 941 (943 ff.). 361 Richtlinie 2006/123/EG vom 12. 12. 2006; ABl EU L 376, S. 36 ff. Näher unten § 19 C. 362 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Hrsg.), Handbuch zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, S. 32. 359
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Abwicklung jener Verfahren ermöglichen. Vor dem Hintergrund der Dynamik der technischen und rechtlichen Entwicklung ist ein „Wegducken“ vor dem eGovernment ausgeschlossen. Die Verwaltung ist daher gefordert, dauerhafte Veränderungen in ihrer Organisation und in ihren Verfahrensabläufen in Angriff zu nehmen 363. Auf Bundesebene wurde mit Art. 91c GG 364 mittlerweile eine verfassungsrechtliche Vorgabe für das Zusammenwirken von Bund und Ländern im Bereich der IT-Nutzung geschaffen. Der Bund und die Länder haben auf dieser Grundlage einen „Vertrag über die Errichtung des IT-Planungsrates und über die Grundlagen der Zusammenarbeit beim Einsatz der Informationstechnologie in den Verwaltungen von Bund und Ländern – Vertrag zur Ausführung von Art. 91c GG“ geschlossen, der am 01. 04. 2010 in Kraft trat 365. In Mecklenburg-Vorpommern wurde bereits im November 2004 ein sog. „Masterplan eGovernment“ beschlossen, dem im April 2006 ein entsprechender Maßnahmeplan folgte. Die eGovernment-Strategie der Landesregierung wird entsprechend der Ziffer 288 des Koalitionsvertrages weiterentwickelt. Auf dieser Grundlage ist ein Konzept für den Masterplan zur geplanten eGovernmentStrategie für die Jahre 2010 bis 2013 erarbeitet worden 366. Auf kommunaler Ebene wurde im Frühjahr 2006 der Zweckverband „Elektronische Verwaltung in Mecklenburg-Vorpommern (eGO M-V)“ gegründet, der sich laut Satzung der Erschließung und Nutzbarmachung von eGovernment-Technologien und -Lösungen für die Städte, Ämter, Gemeinden und Landkreise aus MecklenburgVorpommern widmet. Der Zweckverband ist für alle Kommunen mit eigener Verwaltung offen und hat derzeit 80 Mitglieder (Stand: Januar 2011), darunter die kreisfreien Städte Schwerin, Neubrandenburg, Greifswald und Wismar, 55 Ämter, 19 amtsfreie Gemeinden sowie die Zweckverbände Radegast und Grevesmühlen 367.
363 Nolte, DÖV 2007, S. 941 (948 f.) betont, dass die Durchsetzung des eGovernments einen längeren Zeitraum beanspruchen wird und geduldig ohne übertriebene Erwartungen vorangetrieben sollte. 364 Die Vorschrift wurde mit Gesetz vom 29. 07. 2009 – BGBl. I, S. 2247 – in das Grundgesetz eingefügt und trat am 01. 08. 2009 in Kraft. Näher BTDrs 16/12410 und 16/13221. 365 Siehe dazu das Zustimmungsgesetz vom 27. 05. 2010; BGBl. I, S. 662. 366 Zu Einzelheiten Landtag M-V, LTDrs 5/2686, S. 18. 367 Nähere Informationen unter www.ego-mv.de (Abrufdatum: 07. 02. 2011).
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
C. Verfahrensoptimierung im Allgemeinen Verwaltungsrecht, Infrastrukturverwaltungsrecht und Bauplanungsrecht Vor dem Hintergrund der vereinigungsbedingten Sondersituation prägte die Beschleunigung und Erleichterung der Herstellung von Wohnvorhaben und Infrastruktureinrichtungen das gesetzgeberische Handeln der frühen 1990er Jahre. I. Wohnungsbauerleichterungsgesetz und Überleitungsregelungen aus Anlass der deutschen Einheit Der Beginn der Beschleunigungsgesetzgebung und die Vollendung der deutschen Einheit fallen zeitlich zusammen. Mit dem am 01. 06. 1990 in Kraft getretenen und zunächst bis zum 31. Mai 1995 befristeten „Wohnungsbauerleichterungsgesetz“ 368 reagierte der Gesetzgeber auf die bereits Ende der 1980er Jahre festgestellte Verknappung auf den Wohnungs- und Baulandmärkten, welche durch die seit November 1989 einsetzende Wanderungsbewegung von Ost nach West noch verschärft wurde 369. Zur Lösung der Probleme wurden in Gestalt eines „Sondergesetzes“ 370 viele später zum Teil in das BauGB übernommene 371 Spezialregelungen für die Erleichterung des Wohnungsbaus geschaffen. Diese dienten der Bereitstellung von Baugrundstücken und sollten die Genehmigung von Wohnbauten erleichtern und beschleunigen 372. Kernstück des Gesetzes war das bis zum 31. 12. 1997 geltende 373 Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch (BauGBMaßnahmenG), welches Sondervorschriften für die erleichterte Erstellung von Bauvorhaben enthielt, die „zur Deckung eines dringenden Wohnbedarfs der Bevölkerung“ dienten 374. Das Gesetz modifizierte die Grundsätze der Bauleitplanung und das Verfahren 375, führte ein allgemeines Vorkaufsrecht der Gemeinde ein, erweiterte die Zulässigkeit von Vorhaben und schuf einen Rahmen für städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen. Zudem wurden in 368 Gesetz zur Erleichterung des Wohnungsbaus im Planungs- und Baurecht sowie zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften – WoBauErlG – vom 17. Mai 1990; BGBl. I, S. 926. 369 Näher Krautzberger, in: E / Z/B / K, BauGB, Einl Rn. 162. 370 Diese Form wurde gewählt, um das erst 1987 in Kraft getretene BauGB nicht ändern zu müssen. 371 Näher Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, Einl. Rn. 44. 372 Krautzberger, in: E / Z/B / K, BauGB, Einl Rn. 162. 373 Das zunächst bis zum 31. 12. 1995 befristete Gesetz wurde durch Art. 2 § 20 des Investititionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz vom 22. 04. 1993 (BGBl. I, S. 466) bis zum 31. 12. 1997 verlängert. Aufgehoben wurde es durch Gesetz vom 18. 08. 1997; BGBl. I, S. 2081. 374 Näher Mönch, NVwZ 1990, S. 918 ff. und Jäde, UPR 1991, S. 50 ff.
§ 9 Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung
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§ 9 BauGBMaßnahmenG eine Reihe von Fehlern bei der Aufstellung von Bebauungsplänen für unbeachtlich erklärt. Bedeutsam waren auch §§ 5 und 10 des Gesetzes, wo kurze Fristen für die Erteilung von Genehmigungen und des gemeindlichen Einvernehmens festgelegt wurden. So verkürzte § 5 Abs. 3 Satz 1 die Zwei-Monats-Frist zur Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB grundsätzlich auf einen Monat. Nach § 5 Abs. 4 BauGBMaßnahmenG musste im Geltungsbereich eines Bebauungsplans nach § 30 Abs. 1 BauGB – mit Ausnahme von Gewerbe-, Industrie- und Sondergebieten – eine Prüfung der planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens innerhalb von drei Monaten erfolgen. Nach Ablauf der nicht verlängerbaren Frist durfte ein Bauantrag nicht mehr nach §§ 30, 31 BauGB abgelehnt werden. Mit der Vorschrift wurde eine Genehmigungsfrist für ausschließlich Wohnzwecken dienende Vorhaben eingeführt, die mit einer – damals neuartigen – planungsrechtlichen Zulässigkeitsfiktion verknüpft war 376. Schließlich ordnete § 10 Abs. 2 BauGBMaßnahmenG den – zum 01. 01. 1998 in erweiterter Form in § 212a BauGB übernommenen – Ausschluss der aufschiebenden Wirkung eines Drittwiderspruchs gegen bauaufsichtliche Genehmigungen von Vorhaben ein, die ausschließlich Wohnzwecken dienten. Die bisherigen prozessualen Rollen zwischen Bauherrn und Nachbarn wurden umgekehrt; der Nachbar musste nunmehr einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Hauptsacherechtsbehelfs stellen 377. Mit dem Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz wurde zum 01. 05. 1993 § 10 Abs. 2 Satz 2 BauGBMaßnahmenG eingefügt, der für den Antrag eine Monatsfrist 378 vorsah. Der Einigungsvertrag 379 leitete dann zum 03. 10. 1990 das BauGB auf das Territorium der Ex-DDR über. Um den Besonderheiten der Vereinigungssituation gerecht zu werden, schuf man in den neuen Bundesländern allerdings bis zum 31. 12. 1997 befristete Sonderreglungen zum BauGB 380. Diese ermöglichten für eine Übergangszeit eine erleichterte Planung im Beitrittsgebiet und berücksichtigten die Tatsache, dass eine schematische Übertragung des komplexen Städtebaurechts wegen der im Aufbau befindlichen Kommunal- und Landesver375 Zur durch § 2 Abs. 4 Satz 3 Hs. 1 und Abs. 5 Satz 3 BauGBMaßnahmenG angeordneten materiellen Präklusion nicht rechtzeitig vorgebrachter öffentlicher Belange Jäde, UPR 1991, S. 50 (53 f.). 376 Zu den damit verbundenen Anwendungsproblemen Jäde, UPR 1991, S. 50 (57 f.). 377 Näher Jäde, UPR 1991, S. 50 (59 f.). 378 Ausführlich Burmeister, NdsVBl 1997, S. 121 (123). Die Monatsfrist wurde nicht in das BauROG 1998 übernommen. Kritisch insoweit Schmaltz, in: Schrödter, BauGB, § 212a BauGB Rn. 7. 379 Gesetz vom 23. 09. 1990; BGBl. II, S. 885, Anlage I Kapitel XIV. 380 Überblick bei Krautzberger, in: E / Z/B / K, BauGB, Einl. Rn. 172 ff. Umfassend Bielenberg / Krautzberger / Söfker, Das Städtebaurecht in den neuen Bundesländern, 2. Aufl. 1992.
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waltungen in den neuen Ländern dort zum Brachliegen wichtiger Investitionen über Jahre geführt hätte 381. II. Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz Einen weiteren Meilenstein auf dem eingeschlagenen Beschleunigungspfad markierte das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz (VkPBG) vom 16. 12. 1991 382. Es enthielt vornehmlich Sonderrecht für die Infrastrukturplanung in den neuen Bundesländern 383, welches später in das allgemeine Fachplanungsrecht übernommen werden sollte. Angesichts des miserablen Zustands zahlreicher Verkehrswege in der ehemaligen DDR diente das Gesetz der Beschleunigung von Planungsverfahren für Bundesfernstraßen, Verkehrsflughäfen, Bundeseisenbahnen und Straßenbahnen in den neuen Bundesländern einschließlich Berlins. Es war zunächst bis zum 31. 12. 1995, für Verkehrswege der Bundeseisenbahnen bis zum 31. 12. 1999, befristet und galt nach mehrfachen Verlängerungen bis zum 17. 12. 2006 384. Das VkPBG hatte „Modellcharakter“ und leitete in Form eines „Probelaufs“ 385 eine Entwicklung ein, in deren Folge die Beschleunigungsregelungen in die Fachplanungsgesetze des Bundes übernommen wurden. Es sah unter anderem vor, dass die Linienbestimmung für Verkehrswege durch den Bundesverkehrsminister erfolgt (§ 2 VkPBG), wobei §§ 15 und 16 UVPG keine Anwendung finden sollten 386. § 3 Abs. 1 bis 3 VkPBG straffte das Planfeststel381
Krautzberger, in: E / Z/B / K, BauGB, Einl. Rn. 173. BGBl. I, S. 2174. Zu diesem Gesetz Ronellenfitsch, LKV 1992, S. 115; Klinski / Gaßner, NVwZ 1992, S. 235 („Planungsrecht auf Abwegen“), Reinhardt, LKV 1992, S. 258. Rechtsprechungsübersichten bei Paetow, DVBl 1994, S. 94 ff; Steinbeiß-Winkelmann, DVBl. 1998, S. 809 (815 ff.). Zu den Erfahrungen mit dem VkPBG aus Sicht der Bundesregierung BTDrs 15/2311 vom 02. 01. 2004. 383 Hinzu kamen zwei (statt der ursprünglich geplanten 12) Investitionsmaßnahmegesetze für größere Infrastrukturprojekte in den neuen Bundesländern, deren Planung unmittelbar durch Gesetz erfolgte. Diese betrafen den Bau des Abschnitts Wismar-Ost / Wismar-West der Autobahn 20 in Mecklenburg-Vorpommern (Gesetz vom 19. 04. 1994; BGBl. I, S. 734) und den Bau der „Südumfahrung Stendal“ der Eisenbahnstrecke Berlin-Oerbisfelde in Sachsen-Anhalt (Gesetz vom 29. 10. 1993; BGBl. I, S. 1906). Entgegen in der Literatur geäußerter verfassungsrechtlicher Bedenken – vgl. Ronellenfitsch, DVBl 1991, S. 771; Stuer, DVBl 1991, S. 1333; Würtenberger, VBlBW 1992, S. 1 – erklärte das BVerfG mit Beschluss vom 17. 07. 1996 – BVerfG NuR 1997, S. 490 – die „Lex Stendal“ für verfassungsgemäß. Kritisch hierzu Blümel, DVBl 1997, S. 205 (210 ff.). 384 Siehe 1. ÄndG vom 15. 12. 1995 (BGBl. I, S. 1840 – bis 31. 12. 1999); 2. ÄndG vom 22. 12. 1999 (BGBl. I, S. 2659 – bis 31. 12. 2004); 3. ÄndG vom 21. 12. 2004 (BGBl. I, S. 3644 – bis 31. 12. 2005) und ÄndG vom 22. 12. 2005 (BGBl. I, S. 3691 – bis 31. 12. 2006). Art. 13 des Gesetzes vom 09. 12. 2006, BGBl. I, S. 2833, 2853 beschränkte die Geltungsdauer dann bis zum 17. 12. 2006. 385 So bereits Ronellenfitsch, LKV 1992, S. 115 (118 f.). 386 Näher Erbguth, Deregulierungsgesetzgebung, S. 17. 382
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lungsverfahren durch die Vorgabe enger Bearbeitungsfristen. Eingeführt wurde zudem die (formelle) Präklusion behördlicher Stellungnahmen (§ 3 Abs. 4) 387, der Entfall der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gegen Planfeststellungsbeschluss und Plangenehmigung (§ 5 Abs. 2 Satz 1) sowie eine SechsWochenfrist zur Klagebegründung (§ 5 Abs. 3). Beschleunigend sollte auch die in § 5 Abs. 1 VkPBG angeordnete erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts 388 wirken. Schließlich legte § 5 Abs. 2 Satz 2 VkPBG für die Stellung eines Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 5 VwGO eine mit Bekanntgabe des Planfeststellungsbeschlusses oder der Plangenehmigung beginnende Monatsfrist fest. III. Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz Das mit einer „weit reichenden Fortentwicklung der städtebaulichen Rechtsordnung“ 389 verbundene Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz vom 22. 04. 1993 390 war einerseits von dem gesetzgeberischen Ziel getragen, die Verbesserung der Ausweisung und Bereitstellung von Wohnbauland zu ermöglichen und Investitionen zu erleichtern. Andererseits enthielt es in einem ersten Teilschritt die Überprüfung des städtebaulichen Sonderbauplanungsrechts aus dem Einigungsvertrag 391. Das Gesetz erstreckte eine Vielzahl der bis dahin nur für die neuen Bundesländer geltenden städtebaulichen Sonderregelungen auf das gesamte Bundesgebiet, führte den sog. Baurechtskompromiss der §§ 8a bis c BNatSchG ein 392 und veränderte das Zulassungsregime für Abfallanlagen zu Gunsten der Anwendung des BImSchG, so dass nur noch Abfalldeponien dem abfallrechtlichen Planfeststellungs- bzw. Genehmigungsverfahren unterworfen blieben 393.
387 Eingehend Reinhardt, LKV 1992, S. 258 (260); Repkewitz, VerwArch 88 (1997), S. 137 (148 ff.). 388 Zu den damit verbundenen verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Problemen Groth, Festgabe 50 Jahre BVerwG, S. 661 ff. 389 So die Einschätzung von Krautzberger, in: E / Z/B / K, BauGB, Einl Rn. 179. 390 BGBl. I, S. 466. Zur Gesetzgebungsgeschichte Krautzberger, in: E / Z/B / K, BauGB, Einl Rn. 180. 391 Ausführlich zu den Einzelregelungen Krautzberger / Runkel, DVBl 1993, S. 453. 392 Krautzberger, NVwZ 1993, S. 520; Schmidt-Preuß, DV 1993, S. 489; Hoffmann, LKV 1993, S. 281. 393 Näher Fisahn, NJ 1996, S. 63 (64).
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
IV. Planungsvereinfachungsgesetz Ebenfalls noch 1993 wurde das Gesetz zur Vereinfachung der Planungsverfahren für Verkehrswege (Planungsvereinfachungsgesetz) 394 verabschiedet, in welchem die „Schrittmacherdienste“ des VkPBG genutzt und eine Vielzahl von Fachplanungsgesetzen mit bundesweiter Wirkung geändert wurden. Mit dem vorrangigen Ziel einer Verringerung des Planungsaufwandes und einer Verkürzung der Zeitdauer der Planung und der Absicht der weitgehenden Vereinheitlichung des Verkehrsanlagenplanungsrechts 395 wurde das in den neuen Bundesländern bereits nach § 4 VkPBG geltende Rechtsinstitut der Plangenehmigung in die einzelnen Fachplanungsgesetze integriert 396. Ebenfalls nach dem Vorbild des VkPBG und mit wenig einleuchtenden Differenzierungen im Einzelnen 397 wurden präklusionsbewehrte Fristbindungen für behördliche Stellungnahmen, der Wegfall der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage, Fristen für den Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Hauptsacherechtsbehelfe, die Präklusion privater Einwendungen sowie eine nach Ablauf der Erörterung beginnende Regelfrist von drei Monaten für die Entscheidung im Planfeststellungsverfahren in das Fachplanungsrecht aufgenommen. Auch die bereits aus dem Städtebaurecht bekannten Vorschriften über die Unerheblichkeit von Abwägungsmängeln fanden Eingang in das Gesetz und wurden um Regelungen zur Bereinigung erheblicher Mängel durch Planergänzung bzw. ergänzendes Verfahren erweitert 398. Im Frühjahr 1994 legte die Bundesregierung schließlich einen Bericht über die bis dahin ergriffenen Deregulierungsmaßnahmen vor 399. Dieser enthielt eine Übersicht der bis 1994 getroffenen Maßnahmen auf Bundesebene und ging auch auf den Umsetzungsstand auf Landes- und kommunaler Ebene ein.
394
Vom 17. 12. 1993; BGBl. I, S. 2123. Eingehend Steiner, NVwZ 1994, S. 313; Steinberg / Berg, NJW 1994, S. 488; Ronellenfitsch, DVBl 1994, S. 441; Kern, in: Festschrift für Blümel, 1997, S. 201 (204 ff.). 396 Näher Erbguth / Schink, UVPG, Einl. Rn. 91 a. 397 Erbguth, Deregulierungsgesetzgebung, S. 18 m.w.N; Steiner, NVwZ 1994, S. 313 (314 ff.); Steinberg / Berg, NJW 1994, S. 488 (489 ff.). 398 Steiner, NVwZ 1994, S. 313 (317 f.); Steinberg / Berg, NJW 1994, S. 488 (490); befürwortend Kern, in: Festschrift für Blümel 1997, S. 201 (217 ff.) – „Gebot der praktischen Vernunft“. 399 BTDrs 12/7468 vom 29. 04. 1994. 395
§ 9 Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung
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V. Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz und Zweites Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften Umfangreiche Änderungen des Verwaltungsverfahrensrechts enthielt das Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren (GenBeschlG) vom 12. 09. 1996 400. Das in der Literatur heftig umstrittene 401 Regelungswerk übernahm mit dem Ziel der substanziellen Verkürzung von Verwaltungsverfahren im Interesse der Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland 402 die bisherigen spezialgesetzlichen Fortentwicklungen des Fachplanungsrechts im Wesentlichen verallgemeinernd in das Planfeststellungsrecht des VwVfG. So wurde in § 74 Abs. 6 VwVfG das Institut der Plangenehmigung etabliert und mit § 74 Abs. 7 VwVfG der vollständige Entfall von Planfeststellung und Plangenehmigung ermöglicht. § 73 Abs. 3a VwVfG sah eine präklusionsbewehrte Frist für behördliche Stellungnahmen nach § 73 Abs. 2 VwVfG vor und in § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG wurde die materielle Präklusion privater Einwendungen normiert. § 73 Abs. 6 Satz 7 VwVfG sollte das Verfahren durch die Einführung einer dreimonatigen Regelfrist für die Erörterung das Planfeststellungsverfahren straffen und beschleunigen. Mit §§ 71a bis e VwVfG wurde überdies ein – teilweise als Akt symbolischer Gesetzgebung kritisierter 403 – eigener Abschnitt über die Beschleunigung bestimmter investitionsbedeutsamer Genehmigungsverfahren im Rahmen einer „wirtschaftlichen Unternehmung“ des Antragstellers (§ 71a VwVfG) eingeführt 404. § 71b bis e VwVfG ordneten für solche Verfahren den Einsatz besonderer Beschleunigungsinstrumente an. So schrieb § 71b Alt. 1 VwVfG die behördliche Pflicht zur Regelbeschleunigung der genannten Vorhaben und § 71b Alt. 2 die antragsabhängige Pflicht zur Sonderbeschleunigung fest 405. § 71c 400 BGBl. I, S. 1354. Zu Inhalt und Intention des Gesetzes Bonk, NVwZ 1997, S. 320; Schmitz / Wessendorf, NVwZ 1996, S. 955 sowie Jäde, UPR 1996, S. 361. 401 Umfassende Kritik bei Erbguth, Deregulierungsgesetzgebung, S. 98, der die Einführung der Plangenehmigung, den möglichen Ausfall jedes Zulassungsverfahrens, die materielle Einwenderpräklusion, den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage und § 45 Abs. 2 VwVfG für verfassungs- bzw. europarechtswidrig hält. Kritik an den Änderungen in §§ 45, 46 VwVfG auch bei Bonk, NVwZ 1997, S. 320 (324 ff; 330), weil sie zum „laxen Umgang der Behörden mit zwingendem Verfahrensrecht“ führen könnten. 402 Vgl. BTDrs 13/3995. In die gleiche Richtung zielte bereits vorher der Entwurf des Bundesrats eines sog. Standortsicherungsgesetzes; BRDrs 13/1445. 403 Vgl. Kopp / Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl. 2008, § 71a Rn. 7. Positiver dagegen Jäde, UPR 1996, S. 361 (364) und Ziekow, VwVfG, § 71b Rn. 2. 404 Diese Vorschriften wurden mit dem 4. VwVfÄndG vom 11. 12. 2008; BGBl. I, S. 2418 wieder aufgehoben. §§ 71a ff. VwVfG regeln seitdem das „Verfahren über eine einheitliche Stelle“. Vgl. § 9 C XI und 19 C III 1 c.
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
VwVfG verpflichtete die Behörden – an sich selbstverständlich – zu Beratung und Auskunft. In § 71d und e VwVfG wurden Sternverfahren sowie – auf Verlangen des Antragstellers und als Ausdruck eines kooperativen Verwaltungsverfahrens 406 – Antragskonferenzen zu Regelbeschleunigungsinstrumenten normiert. Zudem wurde § 10 Satz 2 VwVfG um das Zügigkeitsprinzip ergänzt, womit der Faktor Zeit erstmals in einer bundesweiten Kodifikation des Allgemeinen Verwaltungsrechts angesprochen wurde. Durch die nachfolgende Anpassung der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder 407 wurde die zügige Durchführung jedes Verwaltungsverfahrens verbindlicher Leitsatz für die Verwaltungstätigkeit von Bund, Ländern und Kommunen. § 10 Satz 2 VwVfG gewährt dem Bürger zwar keinen Rechtsanspruch auf eine bestimmte personelle und sachliche Behördenausstattung, die Amtspflicht zum zügigen Handeln vermittelt jedoch ein wehrfähiges subjektiv-öffentliches Recht, dessen Verletzung Schadensersatzansprüche auslösen kann. Zwar nahm der BGH bereits vor der Novellierung des § 10 Satz 2 VwVfG eine Amtspflicht zur raschen Sachentscheidung an 408, die ausdrückliche Normierung dieser Behördenpflicht stärkt die Rechtsposition des von einer schleppenden Sachentscheidung betroffenen Beteiligten aber erheblich. § 10 Satz 2 VwVfG geht in seiner Bedeutung damit über eine symbolische Leerformel hinaus 409. Von großer rechtspolitischer Sprengkraft waren ferner die in §§ 45 und 46 VwVfG angeordneten erweiterten Möglichkeiten der Heilung bzw. Unbeachtlichkeit bestimmter Verfahrens- und Formfehler. Durch Neufassung des § 45 Abs. 2 VwVfG wurde die Heilung von Verfahrensfehlern noch „bis zum Abschluss eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens“ ermöglicht und in § 46 VwVfG die – ebenfalls kontrovers diskutierte 410 – Offensichtlichkeitsklausel eingeführt, wonach eine Aufhebung der Entscheidung wegen bestimmter formeller Fehler nicht in Betracht kommt, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat 411. 405
Näher Bonk, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 71b Rn. 4 ff. Bonk, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 71d Rn. 3. 407 Dazu § 13 D. 408 BGHZ 20, 178 (182); 30, 19 (26 f.); BGH NJW 1989, S. 96; VersR 1993, S. 972. 409 Bonk, NVwZ 1997, S. 320 (323); a. A. Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 10 Rn. 1 (nur „symbolische Bedeutung“) und Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 10 Rn. 25 („keine inhaltliche Änderung“, „Signalgesetzgebung“). Zum subjektiv öffentlichen Recht auf zügige Sachentscheidung BVerfGE 69, 161 ff.= NJW 1985, S. 2019 sowie BVerwG NVwZ 1993, S. 299; NVwZ 1994, S. 405. 410 Für Verfassungswidrigkeit der Vorschriften Bracher, DVBl. 1997, S. 534; Hatje, DÖV 1997, S. 477; Erbguth, Deregulierungsgesetzgebung, S. 98. Bereits der Ursprungsfassung von § 46 VwVfG attestierte Czybulka, Legitimation, S. 266 eine „zur Norm geronnene Geringschätzung der legitimatorischen Relevanz des Verfahrens“. 411 Eingehend zu §§ 45 und 46 VwVfG vor dem Hintergrund des „Eigenwerts des Verfahrens im Verwaltungsrecht“ U. Stelkens, DVBl 2010, S. 1078 (1080 ff.). 406
§ 9 Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung
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Im Gegensatz zum GenBeschlG beschränkte sich das 2. VwVfÄndG vom 06. 08. 1998 412 auf redaktionelle Anpassungen sowie die Bereinigung von Unstimmigkeiten, welche mit den vorangegangenen Änderungsgesetzen verbunden waren 413. Die Novelle betraf §§ 15, 16, 33, 41, 44, 50 und 61 VwVfG. Die gegenstandslos gewordenen §§ 97 bis 99 und 102 VwVfG wurden aufgehoben. VI. Bau- und Raumordnungsgesetz 1998 Mit dem Gesetz zur Änderung des Baugesetzbuchs und zur Neuregelung des Rechts der Raumordnung (BauROG) 414 wurde das Bauplanungsrecht zum 01. 01. 1998 umfassend novelliert. Mit dem Ziel der Wiedererlangung eines einheitlichen Städtebaurechts beendete man das Nebeneinander des BauGB, des BauGBMaßnahmenG sowie der Sonderregelungen für die neuen Länder nach § 246a BauGB. Das Gesetz wurde durch wissenschaftliche Untersuchungen und eine Expertenkommission vorbereitet 415. Sonderregelungen für die neuen Bundesländer, die sich dort nach Ansicht des Gesetzgebers bewährt hatten, wurden in das BauGB integriert. Das BauROG 1998 brachte eine Vielzahl von Neuregelungen; hinsichtlich der Einzelheiten muss auf die Spezialliteratur verwiesen werden 416. Unter dem Aspekt der Deregulierung und Beschleunigung ist vor allem § 1a BauGB zu erwähnen, der §§ 8a bis c BNatSchG ersetzte und die Berücksichtigung umweltschützerischer Belange in der Bauleitplanung erstmals zusammenfassend regelte. Überdies wurden zahlreiche beschleunigender Sonderregelungen für die Bauleitplanung aus dem BauGBMaßnahmenG übernommen. Hervorzuheben ist auch die Erstreckung des (bisher gem. § 10 Abs. 2 BauGBMaßnahmenG nur für Wohnvorhaben geltenden) Wegfalls der aufschiebenden Wirkung von Drittwidersprüchen auf alle baulichen Vorhaben (§ 212a BauGB) sowie die Aufnahme eines ergänzenden Verfahrens zur Fehlerheilung in der Bauleitplanung (§ 215a BauGB). VII. Drittes Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften Das Dritte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 21. 08. 2002 (3. VwVfÄndG) 417 etablierte elektronische Kommunikationsformen im Verwaltungsverfahren 418. Diese wurden nicht nur im Anwendungs412
Vom 18. 08. 1997; BGBl. I, S. 2022. Ausführlich zum 2. VwVfÄndG Schmitz / Olbertz, NVwZ 1999, S. 126 (127). 414 BGBl. I, S. 2081. 415 Vgl. BTDrs 13/5489 und Dolde, NVwZ 1996, S. 209. 416 Übersicht bei Battis / Krautzberger / Löhr, NVwZ 1997, S. 1145 und Krautzberger, in: E / Z/B / K, Einl, Rn. 193 ff. 413
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
bereich des VwVfG, sondern auch in der AO, dem SGB X und in speziellen Verfahrensregelungen ermöglicht. Mit dem Artikelgesetz, das in seinen wesentlichen Teilen am 01. 02. 2003 in Kraft trat, wurde das gesamte Verwaltungsrecht in den Geschäftsbereichen der verschiedenen Bundesministerien an die elektronische Kommunikation angepasst und der juristische Boden für das eGovernment bereitet 419. Allein im VwVfG änderte man 20 Vorschriften, wobei § 3a VwVfG als Grundnorm für die Möglichkeit der Übermittlung elektronischer Dokumente im Verwaltungsverfahren, § 37 Abs. 2 Satz 1 VwVfG (elektronischer Verwaltungsakt) und § 41 Abs. 2 Satz 2 VwVfG (Zugang eines elektronisch übermittelten Verwaltungsakts) 420 von besonderer praktischer Bedeutung sind. Für den Einsatz der für eine elektronische Kommunikation mit der Verwaltung erforderlichen elektronischen Signaturen enthalten das SignG vom 16. 05. 2001 und die SignVO vom 01. 11. 2001 421 die erforderlichen Rahmenbedingungen. Diese Rechtsvorschriften dienten der Umsetzung der Europäischen Signaturrichtlinie vom Januar 2000 422 und berücksichtigten die Erfahrungen mit dem ersten Signaturgesetz von 1997 423. Geändert wurde mit dem 3. VwVfÄndG zudem § 45 Absatz 2 VwVfG, wo nunmehr klargestellt ist, dass eine Fehlerheilung nur bis zum Abschluss der letzten verwaltungsgerichtlichen Tatsacheninstanz und nicht mehr im Revisionsverfahren möglich ist. VIII. UVP-Änderungsgesetz 2001 und Gesetz zur Anpassung des BauGB an EU-Richtlinien Umfangreiche Änderungen des Bauplanungsrechts waren mit Art. 12 des Gesetzes zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27. 07. 2001 verbunden, der die Verzahnung von Bebauungsplanung und Umweltverträglichkeitsprüfung nach europarechtlichen Vorgaben fortentwickelte 424. Noch weitergehender waren die Neuerungen in dem Gesetz zur Anpassung des BauGB an EU-Richtlinien (EAG Bau) vom 24. 06. 2004 425. Mit dem EAG Bau wurden die Plan-UVP-Richtlinie 426 417
BGBl. I, S. 3322. Zum eGovernment als Instrument der Verwaltungsmodernisierung § 9 B. Zu elektronischer Verfahrensabwicklung nach der Art. 8 DLRL § 19 C III 3. 419 Schlatmann, LKV 2002, S. 489; Schmitz / Schlatmann, NVwZ 2002, S. 1281; Roßnagel, NJW 2003, S. 469. 420 Zu Zugangsproblemen bei elektronischen Verwaltungsakten Skrobotz, VR 2003, S. 397. 421 BGBl. I, S. 876 und S. 3074. Eingehend dazu Roßnagel, NJW 2001, S. 1817. 422 ABL EG 2000 Nr. L 13 vom 19. 01. 2000, S. 12. 423 Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 3a Rn. 18. 424 BGBl. I, S. 1950. Eingehend Krautzberger, in: E / Z/B / K, Einl Rn. 212 ff. 425 BGBl. I, S. 1359. Näher Krautzberger, in: E / Z/B / K, Einl Rn. 255 ff. 418
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bauplanungsrechtlich umgesetzt, das Städtebaurecht modernisiert und im Hinblick auf die Anforderungen der Plan-UVP-Richtlinie sowie der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtinie das elektronische Beteiligungsverfahren ermöglicht. Vereinfacht wurde das Recht der Bauleitplanung, wo die Teilungsgenehmigung in § 19 BauGB entfiel und auf Zustimmungserfordernisse bei Innen- und Außenbereichssatzungen in §§ 34 Abs. 4 und 35 Abs. 6 BauGB 427 verzichtet wurde. Überdies regelte man das Recht der Planerhaltung neu (§§ 214 und 215 BauGB) 428 und erlaubte die Staffelung von Nutzungen bzw. die Nachnutzung einer absehbar befristeten Nutzung durch das sog. „Baurecht auf Zeit“ 429. IX. Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben Einen weiteren wichtigen Meilenstein zur Neugestaltung der Fachplanung markierte dann das Anfang Dezember 2006 verabschiedete Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben (IPBeschlG) 430. Das nach einem relativ langen „Beschleunigungsmoratorium“ und „ungewöhnlich turbulenter Entstehungsgeschichte“ 431 verabschiedete Vorhaben war Teil eines umweltrechtlichen Gesetzgebungspakets, welches zusätzlich das Öffentlichkeitsbeteiligungs- 432 und das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz 433 enthielt. Die letztgenannten Regelungswerke beinhalten eine Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung sowie eine Ausweitung der Klagebefugnis bei umweltrechtlichen Rechtsbehelfen 434 und waren europarechtlichen Vorgaben geschuldet 435.
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Richtlinie 2001/42/EG vom 27. 06. 2001; ABl EG L 197, S. 30. Dazu umfassend Näckel, Umweltprüfung für Pläne und Programme, 2003. 427 Gem. § 246 Abs. 1a BauGB können die Länder für Satzungen nach § 34 Abs. 4 und 35 Abs. 6 BauGB das Anzeigeverfahren einführen. In Mecklenburg-Vorpommern enthält § 5 AGBauGB M-V (GVOBl. M-V 1998, S. 110, geändert durch Gesetz vom 26. 04. 2005; GVOBl. M-V, S. 161) eine entsprechende Verordnungsermächtigung. 428 Näher Battis / Krautzberger / Löhr, NJW 2004, S. 2553 (2556). 429 Ausführlich Krautzberger, in: E / Z/B / K, Einl Rn. 273. 430 Vom 09. 12. 2006; BGBl. I, S. 2833. Kritisch Teßmer, ZUR 2006, S. 469 ff. 431 Zu den Einzelheiten Lecheler, DVBl 2007, S. 713 (716 m.w. N. in Fn. 20). 432 Gesetz über die Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz) vom 09. 12. 2006; BGBl. I, S. 2819. 433 Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz) vom 07. 12. 2005; BGBl. I, S. 2816. 434 Näher Lecheler, DVBl 2007, S. 713. 435 Richtlinie EG 2003/35; ABl. EU L 156, S. 17.
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1. Wesentlicher Inhalt Das Artikelgesetz mit dem sperrigen Titel novellierte zahlreiche bedeutsame Fachplanungsgesetze, wobei der Gesetzgeber Transparenz, Berechenbarkeit und Zügigkeit der Entscheidungsprozesse in der Infrastrukturplanung herstellen wollte 436. Mit dem Ziel der Straffung und Effektivierung des Verwaltungsverfahrens wurden unter anderem das AEG, das FStrG, das WaStrG, das LuftVG, das MagnetschwebebahnG und das EnWG umfassend novelliert 437. Kernstück des Gesetzes ist die Ausweitung einer Vielzahl von bisher nach dem VkPBG nur im Beitrittsgebiet geltenden Vorschriften auf das gesamte Bundesgebiet 438. Von den zahlreichen Änderungen 439 seien die am VkPBG orientierte Straffung des veraltungsgerichtlichen Rechtsschutzes 440 sowie der Wegfall und die Vereinheitlichung bestimmter Verfahrensschritte hervorgehoben. Rechtspolitisch besonders umstritten war vor allem der durch Änderung der Fachplanungsgesetze ermöglichte Verzicht auf den Erörterungstermin, von dem sich der Gesetzgeber eine Reduzierung der Verfahrensdauer und des Verfahrensaufwandes erhoffte 441. So darf die Behörde nunmehr in Verfahren der (bloßen) Planänderung in der Regel auf die Erörterung verzichten 442. Für die Verfahren der Planergänzung und der Planänderung vor Fertigstellung sowie für das ergänzende Verfahren i. S. d. § 75 Abs. 1a Satz 2 VwVfG besteht ebenfalls die Möglichkeit, von einem Erörterungstermin abzusehen 443. Erst recht muss es deshalb zulässig sein, die Erörterung auf bestimmte Personen oder Materien zu beschränken, um zu vermeiden, „dass kategorische Vorhabengegner den Erörterungstermin in einen Sinn und Zweck dieser Veranstaltung konterkarierenden Kampfplatz umwandeln“ 444. Mit dem fakultativen Verzicht auf den Erörterungstermin legte der Gesetzgeber Hand an das „Herzstück des Anhörungsverfahrens“ 445, wobei misslich ist, dass der An436
Otto, NVwZ 2007, S. 379 (380). LuftVG (am 21. 05. 2007; BGBl. I, S. 698), WaStrG (am 06. 06. 2007; BGBl. I, S. 962) und FStrG (am 10. 07. 2007; BGBl. I, S. 1206) wurden infolge der Änderungen neu bekannt gemacht. 438 Mit dem Verweis auf §§ 72 ff. VwVfG, die „nach Maßgabe“ der in den jeweiligen Fachgesetzen geregelten Abweichungen“ gelten sollen, wurde eine Regelung gewählt, welche die Normenklarheit und Übersichtlichkeit nicht gerade fördert. Kritisch Lecheler, DVBl. 2007, S. 713 (716). 439 Näher Lecheler, DVBl 2007, S. 713 (716 ff.); Otto, NVWZ 2007, S. 379. 440 Zum damit geschaffenen „Sonderverwaltungsprozessrecht für Planungsentscheidungen“ § 9 G VI 3. 441 Vgl. BTDrs 16/3158, S. 68. Umfassende Kritik hierzu bei Teßmer, ZUR 2006, S. 469 (472 f.). 442 Vgl. §§ 18a Nr. 6 S. 2 AEG, 17a Nr. 6 S. 2 FStrG, 14a Nr. 6 S. 2 WaStrG, 2 Nr. 6 S. 2 MBPlG, 43a Nr. 6 S. 2 EnWG. 443 §§ 18d AEG, 17d FStrG, 14d WaStrG, 10 II Nr. 1 Nr. 6 S. 3 LuftVG, 2c MBPlG, 43d EnWG. 444 Otto, NVwZ 2007, S. 379 (380); a. A. Schütz, VBlBW 2007, S. 441 (444). 437
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hörungsbehörde keinerlei ermessenslenkende Direktiven für die Prüfung an die Hand gegeben werden 446, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Verzicht in Betracht kommen kann. Darüber hinaus sehen §§ 17b Nr. 5 FStrG und 43b Nr. 1 EnWG nunmehr besondere Verfahrensbeschleunigungen vor 447. 2. Kritische Würdigung Bereits die Prämisse des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes, auch nach 15 Jahren Beschleunigungsgesetzgebung bestehe noch weiterer Beschleunigungsbedarf für die Genehmigung von Infrastrukturvorhaben, erscheint mehr als zweifelhaft. So hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) Anfang 2007 in seinem Sondergutachten „Umweltverwaltung unter Reformdruck“ deutlich gemacht, dass die fortdauernde „Standortpflege“ durch Maßnahmen zur Reduktion der Verfahrensdauer nicht nur zu einer „Schieflage“ des Verhältnisses von Verfahrensdauer und Verfahrensqualität geführt hat 448, sondern die „maßgebliche politische Rechtfertigung für die Beschleunigungsmaßnahmen (auch) einer tragfähigen empirischen Grundlage entbehrt“. Entsprechende Studien vermochten bereits in den 1990er Jahren keinen relevanten Zusammenhang zwischen der Verfahrensdauer und der Standortwahl von Investoren herzustellen 449. Zudem lassen die seit den 1990er Jahren tatsächlich erzielten Beschleunigungserfolge 450, den Schluss zu, dass die investitionsrelevanten Genehmigungsverfahren mittlerweile „ausbeschleunigt“ sind. Ob der – im Einzelfall immer noch vorkommenden – überlangen Dauer von Planungsverfahren wirklich mit einem „Regelungsungetüm“ wie dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz effektiv begegnet werden kann, erscheint angesichts der vom SRU für verzögerte Genehmigungsverfahren als tatsächlich verantwortlich identifizierten Faktoren 451 sehr fraglich. Dies sind vor allem unvollständige Antragsunterlagen 452, verfrühte An445
Lecheler, DVBl 2007, S. 713 (717). Kritisch Lecheler, DVBl 2007, S. 713 (717) und Teßmer, ZUR 2006, S. 469 (472 f.). 447 Näher Lecheler, DVBl 2007, S. 713 (717 f.). 448 Sachverständigenrat für Umweltfragen (Hrsg.), Sondergutachten „Umweltverwaltung unter Reformdruck“, Februar 2007, Rn. 243 (in der Folge: SRU-Sondergutachten 2007). 449 Näher SRU-Gutachten 2000, Rn. 199 ff. sowie Cencik, DÖV 2007, S. 107 (114 m.w. N. in Fn. 80). 450 SRU-Sondergutachten 2007, Rn. 264. So sank die Dauer immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren in Berlin von 1990 bis 2004 von 8,8 auf 3,3 Monate, in Hessen von 1994 bis 2004 von 7,0 auf 2,2 und in Nordrhein-Westfalen von 1995 bis 2004 von 6,8 auf 3,0 Monate. 451 Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltgutachten 2002, BTDrs 14/8792, S. 25 (135 ff.). 452 SRU-Sondergutachten 2007, Rn. 276. Vgl. dazu auch Ziekow / Oertel / Windoffer, Dauer, S. 83 ff. und Hill / Weber, Vollzugserfahrungen, S. 139 ff. 446
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
tragstellungen, unzureichende Behördenabstimmungen 453, verzögerte Stellungnahmen der zu beteiligenden Behörden und Standortgemeinden, die Personalknappheit bei den Genehmigungsbehörden und Rechtsunsicherheiten bei der Anwendung des überkomplizierten Umweltrechts. Mit der aus Gründen der Qualitätssicherung und Konfliktbeseitigung bei besonders strittigen Projekten gebotenen Öffentlichkeitsbeteiligung, welcher überdies die Aufgabe vorgelagerten Rechtsschutzes zukommt 454, wird die Gesamtdauer von Verwaltungsverfahren dagegen letztlich nicht in nennenswertem Umfang verlängert 455. Unangemessene Verfahrensverlängerungen infolge der Beteiligung der Öffentlichkeit sind allenfalls die Ausnahme 456. Nach einer für den Zeitraum 1991 bis 2001 erstellten empirischen Untersuchung zur Öffentlichkeitsbeteiligung in den neuen Ländern am Beispiel immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren 457 wurden in Mecklenburg-Vorpommern lediglich 10,1% der Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt. 1911 Verfahren ohne Öffentlichkeitsbeteiligung standen 214 Verfahren mit einer solchen gegenüber. Nur in 64 (29,9 %) der nach § 10 BImSchG durchgeführten Verfahren fanden tatsächlich Erörterungstermine statt. Insgesamt lag der prozentuale Anteil der Verfahren mit Erörterungstermin nur bei 2 bis 4 % der Gesamtverfahren 458. Weitere Studien belegen den geringen Anteil der Öffentlichkeitsbeteiligung an der Gesamtverfahrensdauer für Straßenbauvorhaben 459 und im Immissionsschutzrecht 460. Der vom möglichen Verzicht auf den Erörterungstermin ausgehende Beschleunigungseffekt wird vom Gesetzgeber möglicherweise über- und die Bedeutung dieses Instruments für eine sachgerechte Planung unterschätzt 461. Der Erörterungstermin erfüllt als wesentliches partizipatives Element im Rahmen eines Anhörungsverfahrens nicht nur eine Befriedungs- und Kontrollfunktion 462, sondern führt auch beim Vorhabenträger „noch einmal zu einer Anspannung der Kräfte“ 463 und kann so zu einer Beseitigung bisheriger Planungsfehler beitragen. 453
Einzelheiten in SRU-Sondergutachten 2007, Rn. 279. Ausführlich zu rechtlichen Vorgaben, Funktionen und Leistungsschwächen der Öffentlichkeitsbeteiligung SRU-Sondergutachten 2007, Rn. 295 ff. 455 SRU-Sondergutachten 2007, Rn. 296 f. 456 SRU-Sondergutachten 2007, Rn. 296. 457 SRU-Sondergutachten 2007, Rn. 296 ff. 458 Näher SRU-Sondergutachten 2007, Rn. 296 ff.; Tab 2 –34 bis 2 –36. 459 Nach Wende, S. 168, macht die Dauer der Öffentlichkeitsbeteiligung nach UVPG nur 5 bis 6 % der Verfahrensdauer bei straßenrechtlichen Planfeststellungen aus. 460 Näher Ziekow / Oertel / Windoffer, Dauer, S. 40 ff. und SRU-Sondergutachten 2007, Rn. 297. 461 Eingehende rechtspolitische Kritik bei Cencik, DÖV 2007, S. 107. 462 Die immer wieder vorgetragene Kritik, Erörterungen erfüllten ihre Funktionen nicht, ist empirisch nicht nachgewiesen. Näher Cencik, DÖV 2007, S. 107 (111 ff.). 463 Schütz, VBlBW 2007, S. 441 (444). 454
§ 9 Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung
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X. Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte („BauGB 2007“) Die letzte bedeutsame Baurechtsnovelle vom 21. 12. 2006 (BauGB 2007) 464 diente zum einen der Stärkung der Innenentwicklung der Städte und Gemeinden gegenüber einer „offensichtlich ungebremsten Außenentwicklung bestehender Siedlungen“ 465 sowie zum anderen der Beschleunigung von Planungsverfahren und der Stärkung der Rechtsbeständigkeit von Plänen. Letzterem Anliegen wurde unter anderem mit einer Ausweitung der Planerhaltungsvorschriften im erneut novellierten § 214 BauGB, einer Verkürzung der Rügepflicht in § 215 Abs. 1 BauGB auf ein Jahr 466, der Beschränkung der Antragsfrist im Normenkontrollverfahren gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO auf ebenfalls ein Jahr sowie der Einführung einer speziellen Präklusionsvorschrift für Bebauungspläne in § 47 Abs. 2a VwGO Rechnung getragen 467. Kernstück des BauGB 2007 war aber die Einführung des beschleunigten Verfahrens nach § 13a BauGB für Bebauungspläne der Innenentwicklung. Mit dieser Vorschrift wird – unter Berücksichtigung einiger sich aus § 13a Abs. 3 Nr. 2 BauGB ergebender Besonderheiten – die entsprechende Anwendung der Vorschriften über das vereinfachte Verfahren nach § 13 Abs. 2 und 3 Satz 1 BauGB für Bebauungspläne der Innenentwicklung ermöglicht, die eine Grundfläche von 20.000 m² bzw. – wenn auf Grund einer Vorprüfung des Einzelfalls die Einsicht erlangt wird, dass der Bebauungsplan voraussichtlich keine erheblichen Umweltauswirkungen hat – 70000 m² nicht überschreiten (§ 13a Abs. 1 Satz 2 BauGB). Für Bebauungspläne, welche der Wiedernutzbarmachung von Flächen, der Nachverdichtung oder anderer Maßnahmen der Innenentwicklung dienen (Bebauungspläne der Innenentwicklung), kann unter bestimmten Voraussetzungen vom Erfordernis der mindestens parallelen Änderung des Flächennutzungsplans abgesehen werden. Auch entfällt in diesen Fällen eine förmliche Umweltprüfung nach § 2 Abs. 4 BauGB 468. Bei Bebauungsplänen der Innenentwicklung bis zu einer Grundfläche von 20.000 m² gelten gem. § 13a Abs. 2 Nr. 4 BauGB im beschleunigten Verfahren möglicherweise relevante Eingriffe i. S. d. natur464
Vom 21. 12. 2006; BGBl. I, S. 3316. Näher Battis / Krautzberger / Löhr, NVwZ 2007, S. 121; Krautzberger, UPR 2007, S. 53 sowie Uechtritz, BauR 2007, S. 476. Einen Überblick zu 50 Jahren Städtebaurecht des Bundes gibt Krautzberger, NVwZ 2010, S. 729. 465 Krautzberger, in: E / Z/B / K, Einl. Rn. 298. 466 Kritisch Uechtritz, BauR 2007, S. 476 (485), während Battis / Krautzberger / Löhr, NVwZ 2007, S. 121 (128) die Neuregelung befürworten. 467 Grundsätzliche Kritik im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG übt Erbguth, NVwZ 2007, S. 987, der zudem die fehlende Harmonisierung mit europarechtlichen Vorgaben beanstandet. Kment, DVBl. 2007, S. 1275 bejaht dagegen die Europarechtskonformität der §§ 214, 215 BauGB. 468 Ausführlich Krautzberger, in: E / Z/B / K, Einl Rn. 301.
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schutzrechtlichen Eingriffs- und Ausgleichsregelung als gem. § 1a Abs. 3 Satz 5 BauGB vor der planerischen Abwägung erfolgt oder zulässig und sind deswegen nicht ausgleichspflichtig 469. Auf Vorschlag des Bundesrates wurde dagegen auf eine von der Bundesregierung in § 13a Abs. 5 BauGB geplante Präklusionsregelung verzichtet. Diese sah vor, dass bei einem Baugenehmigungsantrag für ein Vorhaben im Geltungsbereich eines im beschleunigten Verfahrens aufgestellten, geänderten oder ergänzten Bebauungsplans, der nicht innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags bei der Genehmigungsbehörde abgelehnt wurde, die Genehmigung nicht nach § 30 BauGB hätte versagt werden dürfen 470. Mit § 13a BauGB werden der Praxis flexible Gestaltungsmöglichkeiten an die Hand gegeben, welche der städtebaulichen Entwicklung nach innen gegenüber einer weiteren Inanspruchnahme von Außenbereichsflächen erhebliche Impulse verleihen können 471. Der mit der Ausweitung der Verfahren nach §§ 13 und 13a BauGB verbundene Abbau der „Jedermannbeteiligung“ zu Gunsten einer Beteiligung (nur) der Planbetroffenen ist ein bemerkenswerter neuer Ansatz, der weder verfassungs- noch europarechtlichen Bedenken begegnet. Eine hinreichende Beteiligung der interessierten Öffentlichkeit gewährleistet § 13a Abs. 3 Nr. 2 BauGB. Zudem ermöglicht die Beschränkung der Beteiligung auf die von der Planung Betroffenen die Effektivierung der Beteiligungsrechte 472. Problematisch an dem grundsätzlich positiv zu bewertenden neuen Rechtsinstitut ist allerdings seine rechtstechnische Umsetzung. Aufgrund der „vielen neuen unbestimmten Rechtsbegriffe und unklaren Formulierungen“ 473, der „Fülle der Verweisungen auf bestehende Vorschriften, die nur unter Vorbehalte gesetzten Ausnahmen“ 474 und der großen Detailverliebtheit des § 13a BauGB sind Vollzugsprobleme bei der Anwendung der Regelungen vorprogrammiert 475. Das lässt es zweifelhaft erscheinen, ob die mit der Novellierung verfolgten Ziele auch tatsächlich erreicht werden 476. Rechtspolitisch weniger sinnvoll sind die in § 47 VwGO vorgenommenen Änderungen. Hintergrund der Verkürzung der Antragfrist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 469
(125).
Zur rechtspolitischen Kontroverse Battis / Krautzberger / Löhr, NVwZ 2007, S. 121
470 Näher Krautzberger, UPR 2007, S. 53 (54); Gronemeyer, BauR 2007, S. 815 (818 f.). 471 Krautzberger, UPR 2007, S. 53 (54); Reidt, NVwZ 2007, S. 1029 (1030 ff.). 472 Krautzberger, UPR 2007, S. 53; grundsätzlich positive Bewertung auch bei Scheidler, BauR 2007, S. 650 (656 f.) und Uechtritz, BauR 2007, S. 476 (490 f.). 473 So die Kritik von Gronemeyer, BauR 2007, S. 815 (825). 474 Müller-Grune, BauR 2007, S. 985 (991). 475 Reidt, NVwZ 2007, S. 1029 (1032) weist allerdings darauf hin, dass diese überwiegend den komplexen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben geschuldet sind. 476 Skeptisch Müller-Grune, BauR 2007, S. 985 (992); Gronemeyer, BauR 2007, S. 815 (825).
§ 9 Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung
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VwGO auf ein Jahr ist die Überlegung, dass eine zügige Herstellung von Rechtssicherheit geboten sei 477. Im Rahmen einer prospektiven Gesetzesfolgenabschätzung der Baurechtsnovelle 2007 478 wurde die Verkürzung der Antragsfrist von der Verwaltungspraxis ebenfalls positiv bewertet 479. Verkannt wird dabei allerdings, dass auch nach Ablauf der Antragsfrist die Rechtsgültigkeit eines Bebauungsplans mitnichten feststeht. Auch dann verbleibt noch die Möglichkeit einer inzidenten Normenkontrolle im Rahmen der unbefristet zulässigen Anfechtung von auf der Rechtsvorschrift beruhenden Einzelentscheidungen 480. Zudem sind innerhalb eines Jahres die Auswirkungen einer Norm für den Betroffenen häufig nicht überschaubar, da zwischen dem Erlass eines Bebauungsplans und der Verwirklichung seiner Festsetzungen häufig ein erheblicher Zeitraum liegt. Bedenken bezüglich des aus einer Verkürzung der Antragsfrist resultierenden Wegfalls der Bündelungswirkung der Normenkontrolle sind vom Bundesrat bereits 1996 anlässlich des 6. VwGOÄndG geltend gemacht worden 481 und haben an Aktualität nichts verloren 482. Kritikwürdig ist überdies die – ausschließlich Normenkontrollanträge gegen Bebauungspläne, Entwicklungssatzungen, Ergänzungssatzungen und Außenbereichssatzungen betreffende – Präklusionsregelung des § 47 Abs. 2a VwGO. Danach ist ein Normenkontrollantrag gegen die genannten Satzungen unzulässig, wenn der Antragsteller nur Einwendungen geltend macht, die er im Rahmen der öffentlichen Auslegung oder im Rahmen der Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit nicht oder verspätet vorgebracht hat, aber hätte rechtzeitig erheben können, soweit auf diese Rechtsfolge – wie in §3 Abs. 2 Satz 2 BauGB ausdrücklich vorgeschrieben – hingewiesen worden ist 483. Jene „in recht gewagter Weise als Konkretisierung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses bezeichnete“ 484 Präklusionsregelung, dürfte sich als relativ „stumpfes Schwert“ erweisen. So werden von der Regelung diejenigen nicht erfasst, die erst nach Abschluss der Auslegung ein Grundstück im Plangebiet erworben haben. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 47 Abs. 2a VwGO reicht es für die Bejahung der Antragsbefugnis zudem aus, wenn der Antragssteller im Normenkontrollverfahren nur eine einzige be477
Regierungsentwurf, BRDrs 558/06, S. 3. Bunzel, BauGB-Novelle 2006 im Praxistest. 479 Bunzel, BauGB-Novelle 2006 im Praxistest, S. 81. 480 Ziekow, BauR 2007, S. 1169 (1174) spricht von einer „zerstörerischen Kraft, die der prinzipalen Normenkontrolle offenbar zugemessen wird“. Kritisch auch Gronemeyer, BauR 2007, S. 815 (823). 481 Vgl. BTDrs 13/3993,S. 16 ff. 482 Ziekow, BauR 2007, S. 1169 (1172). Deutlich positiver wird die verkürzte Antragsfrist im Normenkontrollverfahren dagegen von Battis / Krautzberger / Löhr, NVwZ 2007, S. 121 (128) bewertet. 483 Näher Gronemeyer, BauR 2007, S. 814 (825). 484 Ziekow, BauR 2007, S. 1169 (1175). 478
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
reits im Auslegungsverfahren erhobene Einwendung geltend macht 485. In diesem Fall werden in der Begründetheitsprüfung auch alle nicht rechtzeitig vorgebrachten Einwendungen einbezogen. Die Auswirkungen des § 47 Abs. 2a VwGO auf die gerichtliche Praxis dürften daher eher gering sein 486. XI. Viertes Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften und Gesetz zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Gewerberecht Jüngstes Reformprojekt im Bereich der Regelungsoptimierung im Allgemeinen Verwaltungsrecht war das in seinen wesentlichen Teilen am 18. 12. 2008 in Kraft getretene 4. VwVfÄndG 487, mit dem man auf Bundesebene die Voraussetzungen zur Umsetzung der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie (DLRL) 488 schuf. Das Gesetz, über das an anderer Stelle ausführlich berichtet wird 489, hat für die nach der DLRL unter bestimmten Voraussetzungen zu ermöglichende Verfahrensabwicklung über einen Einheitlichen Ansprechpartner in Teil V, Abschnitt 1a des VwVfG (§§ 71a bis e VwVfG) einen neuen Verfahrenstyp („Verfahren über eine einheitliche Stelle“) eingeführt, auf den im jeweiligen Fachrecht Bezug genommen werden kann. Das Verfahren über eine einheitliche Stelle 490 ersetzt die bisherigen §§ 71a bis e VwVfG (Beschleunigung von Genehmigungsverfahren). Mit § 42a VwVfG, der einer Vorgabe des Art. 13 Abs. 4 DLRL geschuldet ist, normiert das Gesetz überdies – erstmals in einer Kodifikation des Allgemeinen Verwaltungsrechts – eine allgemeine Regelung über die Genehmigungsfiktion 491. Nach § 42a Abs. 1 Satz 1 VwVfG gilt eine beantragte Genehmigung nach Ablauf einer für die Entscheidung festgelegten Frist als erteilt, wenn dies durch Rechtsvorschrift angeordnet und der Antrag hinreichend bestimmt ist. Die Vorschriften über die Bestandskraft von Verwaltungsakten und über das Rechtsbehelfsverfahren gelten entsprechend. Die regelmäßige Entscheidungsfrist beträgt nach § 42a Abs. 2 VwVfG drei Monate, soweit durch Rechtsvorschrift nichts anderes bestimmt ist. Die Frist beginnt mit Eingang der vollständigen Unterlagen und kann einmal angemessen verlängert werden, wenn dies wegen der Schwierigkeit der Angelegenheit gerechtfertigt ist. 485 Battis / Krautzberger / Löhr, NVwZ 2007, S. 121 (128); Ziekow, BauR 2007, S. 1169 (1176). 486 So die „zurückhaltend formulierte“ Einschätzung von Ziekow, BauR 2007, S. 1169 (1177). 487 Vom 11. 12. 2008; BGBl. I, S. 2418. Zum Inkrafttreten siehe Art. 11 des Gesetzes. 488 ABl. EG Nr. L 376 vom 27. 12. 2006, S. 36 ff. 489 Näher unten § 19 D. 490 Zu den Einzelheiten siehe § 19 C. 491 Näher unten § 19 C III.
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Durch Art. 4 des Gesetzes zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Gewerberecht und in weiteren Rechtsvorschriften vom 17. 07. 2009 492 wurden schließlich die Regelungen in §§ 8a ff. VwVfG über die Verwaltungszusammenarbeit mit den Behörden in den anderen Mitgliedsstaaten in das VwVfG aufgenommen. XII. Gesetz zur Beschleunigung des Ausbaus der Höchstspannungsnetze Den vorläufigen Schlusspunkt der Beschleunigungsgesetzgebung im Infrastrukturrecht bildete das Gesetz zur Beschleunigung des Ausbaus der Höchstspannungsnetze, das am 26. 08. 2009 in Kraft trat 493. Kernstück dieses Artikelgesetzes ist das Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG), mit dem die Planungs- und Genehmigungsverfahren für vordringliche Leitungsbauvorhaben im Höchstspannungs-Übertragungsnetz beschleunigt werden sollen 494. Zentrale Instrumente der Beschleunigung sind die Verkürzung des Rechtswegs auf eine Instanz und die Einführung einer Bedarfsplanung durch Gesetz. Durch entsprechende Änderung des § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO wurde die erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des BVerwG auch auf Vorhaben nach dem EnLAG ausgedehnt 495. § 1 EnLAG ermöglicht zudem nach dem Vorbild des § 1 Abs. 1 des Fernstraßenausbaugesetzes als vordringlich eingestufte Leitungsbauvorhaben in einen Bedarfsplan aufzunehmen 496. In der Anlage zum EnLAG sind 24 Vorhaben aufgeführt, für die ein vordringlicher Bedarf besteht. Die nach dem Beschluss des BVerfG vom 17. 07. 1996 zur „Südumfahrung Stendal“ 497 grundsätzlich zulässige Planung durch die Legislative muss sich – soweit die im Hinblick auf eine spätere Enteignung unter Umständen Vorwirkungen entfaltet – an Art. 14 Abs. 1 GG messen lassen, wobei hier die gleichen Grundsätze wie für eine Legalenteignung gelten 498. Verfassungsrechtlich noch problematischer ist vor dem Hintergrund des durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten Gebots effektiven Rechtsschutzes die Tatsache, dass durch die gesetzliche Bedarfsfestlegung das „Ob“ des Lei-
492 BGBl. I, S. 2091. Hierzu Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1121; Schliesky / Schulz, DVBl 2010, S. 601. 493 BGBl. I, S. 2870. Hierzu BTDrs 16/10491 und Holznagel / Nagel, DVBl 2010, 669 ff. 494 BTDrs 16/10491, S. 27 f. 495 Zu rechtspolitischen Bedenken Holznagel / Nagel, DVBl 2010, S. 669 (672) – „Schritt in die falsche Richtung“–. Näher zu § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO § 9 G VI 4. 496 Zur grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines solchen Vorgehens BVerwG 98, 339 = DVBl 1995, S. 1012 (für den Fernstraßenausbau). 497 BVerfGE 95, 1= DVBl 1997, S. 42. 498 Näher Holznagel / Nagel, DVBl 2010, S. 669 (672 f.).
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
tungsbaus weder im Verwaltungs- noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren überprüft werden kann 499.
D. Verfahrensoptimierung im Umweltrecht unter besonderer Berücksichtigung des Immissionsschutzrechts Auch im Umweltrecht entdeckte man zu Beginn der 1990er Jahre den „Standortfaktor Zeit“. In der Folge versuchte der Gesetzgeber, die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren als Mittel der Standortpolitik einzusetzen 500. Der nachfolgende Überblick soll vor allem die wesentlichen Rechtsentwicklungen im Immissionsschutzrecht, dem klassischen Kernstück des technischen Umweltrechts, darstellen. Dort haben Bemühungen um eine Beschleunigung von Genehmigungsverfahren eine vergleichsweise lange Tradition 501. Aufgrund der Bundeskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG waren im Immissionsschutzrecht zudem deutlich mehr bundesrechtliche Beschleunigungsinitiativen zu registrieren als etwa im Wasserrecht, wo der Bund bis zum 01. 09. 2006 lediglich über eine Rahmengesetzgebungskompetenz nach Art. 75 Abs. 1 Nr. 4 GG a. F. verfügte 502. Ohne die Relevanz der Dauer von Genehmigungsverfahren als Entscheidungsparameter bei der Standortwahl von Unternehmen vorher genau analysiert zu haben 503 wurde die Beschleunigung von Anlagenzulassungsverfahren vom Bundesgesetzgeber zu einem zentralen Instrument der „Standortpflege“ gemacht. Zwar gibt es bis heute keine gesicherten Studien, welche eine überlange Dauer von Genehmigungsverfahren in Deutschland im Vergleich mit anderen Industriestaaten belegen würden. Das Ziel, solche Verfahren zu beschleunigen, erwies sich aber als „Imagefrage, die durch gesetzgeberisches Signal zugunsten eines besseren Investitionsklimas (Signalgesetzgebung) gelöst werden sollte“ 504. Praktische Schwierigkeiten, welche die Beschleunigungsgesetzgebung den Voll499
Eine „schwerlich hinzunehmende Rechtsschutzlücke“ konstatieren insofern Holznagel / Nagel, DVBl 2010, S. 669, (673). 500 Spitzhorn, ZRP 2002, S. 196. Kritisch Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 10 Rn. 25 („Signalgesetzgebung“ zugunsten eines besseren Investitionsklimas). 501 Vgl. Feldhaus, NVwZ 1997, S. 105 m.w. N. in Fn. 5; Kotulla, BImSchG, Einführung Rn. 1 ff. 502 Beschleunigungsbemühungen im Wasserecht gab es daher vornehmlich auf Landesebene; vgl. zu Baden-Württemberg Ziekow / Oertel / Windoffer, Dauer, S. 131 ff. 503 Ziekow / Oertel / Windoffer, Dauer, S. 7. 504 Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 10 Rn. 25 mit Fn. 67. Nach Bonk / Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 1 Rn. 270 verfolgt Signalgesetzgebung „primär das Ziel, Aktivität vorzutäuschen und den Schein normativer Steuerung zu verbreiten, weniger oder nicht, das Verhalten von Normunterworfenen zu steuern. Sie trägt
§ 9 Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung
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zugsbehörden bereitete, führten zu negativen Erfahrungsberichten von Verwaltungspraktikern 505. Diese fanden in der allgemeinen „Beschleunigungseuphorie“ aber nur wenig Gehör. Verwunderlich ist zudem, dass es lange Zeit an empirisch belastbaren Studien über die tatsächliche Dauer von Zulassungsverfahren und die Effektivität der getroffenen Beschleunigungsmaßnahmen fehlte. Die defizitäre externe Evaluation verwaltungspolitischer Maßnahmen in Deutschland 506 machte sich auch hier bemerkbar, obwohl „Regelungen zur Beschleunigung von Zulassungsverfahren nachgerade als Paradigma eines Objekts der Evaluation normativer Steuerungselemente“ 507 dienen können. Erst von 2001 bis 2003 führte eine Projektgruppe der DHV Speyer erstmals eine breit angelegte empirische Untersuchung über die Dauer von Zulassungsverfahren durch. In dieser in Zielrichtung, Breite und Tiefe Pilotcharakter aufweisenden Studie 508 wurde die Dauer immissionsschutz-, wasser- und baurechtlicher Zulassungsverfahren in BadenWürttemberg repräsentativ erhoben und untersucht, ob die Verfahrensbeschleunigungsregelungen wie erhofft wirken. Zudem wurde analysiert, ob und ggf. wie mit Regelungsänderungen oder mit Geschäftsprozessoptimierungen weitere Beschleunigungseffekte erzielt werden können 509. I. Beschleunigungsgesetzgebung im Immissionsschutzrecht bis Anfang 1993 Das Bundesimmissionsschutzgesetz erfuhr durch das Dritte Gesetz zur Änderung des BImSchG vom 11. 05. 1990 510 noch vor der Wiedervereinigung zahlreiche Änderungen ohne primären Beschleunigungscharakter und wurde zum 03. 10. 1990 mit gewissen Modifizierungen auch im Beitrittsgebiet eingeführt 511. Erste Beschleunigungsinstrumente enthielt dann die Verordnung zur Änderung nicht nur zur Inflation der Normen (Gesetzesflut) bei, sondern unterminiert die Autorität der Gesetzgebung.“ 505 Nach Wulfhorst, VerwArch 88 (1997), S. 163 (170 f.) stieg in Mecklenburg-Vorpommern nach Inkrafttreten des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes die Verfahrensdauer zunächst deutlich an. 506 Näher Wollmann, VerwArch 93 (2002), S. 418 (428 ff.). 507 Ziekow / Oertel / Windoffer, Dauer, S. 8. 508 Zur Methodik der Untersuchung Ziekow / Oertel / Windoffer, Dauer, S. 13 ff. In einer repräsentativen Stichprobe wurden 2236 Verfahren (581 aus dem Immissionsschutz-, 454 aus dem Wasserrecht und 1201 baurechtliche Verfahren) bei 24 Genehmigungsbehörden ausgewertet. 509 Näher Ziekow / Oertel / Windoffer, Dauer von Zulassungsverfahren, sowie dieselben, DVBl 2006, S. 1469 ff. 510 BGBl. I, S. 2089. Hierzu Kotulla, BImSchG, Einführung, Rn. 32. 511 Vgl. Kap. XII, Abschn. 2 EV vom 23. 09. 1990; BGBl. II, S. 885 mit Sonderregelungen bezüglich §§ 10 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 Nr. 5 und Abs. 8 Nr. 2 BImSchG. Bis zum 30. 06. 1994 galt zudem § 10a (Verwaltungshilfe bei Genehmigungsverfahren für Anla-
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der 9. BImSchV vom 20. 03. 1992 512. Hierzu gehörte neben der Verpflichtung zur Mitteilung über die Vollständigkeit der Unterlagen und des voraussichtlichen Entscheidungszeitpunkts (§ 7 Abs. 2) auch die Einführung einer fakultativen formellen Behördenpräklusion. Nach § 11 der 9. BImSchV war die Genehmigungsbehörde ab dem 01. 06. 1992 verpflichtet, spätestens gleichzeitig mit der öffentlichen Bekanntmachung des Vorhabens die Behörden, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt wird, zur Stellungnahme innerhalb einer von der Genehmigungsbehörde zu bestimmenden Frist aufzufordern. Hatte die beteiligte Behörde bis zum Ablauf der Frist keine Stellungnahme abgegeben, so konnte die Genehmigungsbehörde davon ausgehen, dass die Behörde sich nicht äußern wollte. In § 2 Abs. 2 der 9. BImSchV wurde die Genehmigungsbehörde zudem im Regelfall verpflichtet, mit dem Vorhabenträger die nähere Ausgestaltung des Genehmigungsverfahrens zu erörtern 513. In Anbetracht der meist komplexen Antragsgegenstände ist dies ein sinnvolles Instrument der Verfahrensbeschleunigung. Als Ausdruck des immissionsschutzrechtlichen Kooperationsprinzips 514, das allerdings nicht zu einer Vorabentscheidung des förmlichen Genehmigungsverfahrens und zur Verkürzung Beteiligungsrechte Dritter führen darf 515, wird es von Behörden und Antragstellern gleichermaßen akzeptiert 516. Mit der am 01. 05. 1993 in Kraft getretenen Verordnung zur Änderung der Verordnung über das Genehmigungsverfahren 517 wurde § 11 der 9. BImSchV dann dahingehend präzisiert, dass die Frist für behördliche Stellungnahmen einen Monat beträgt 518. Gleichzeitig stellte § 11 S. 2 klar, dass der Versand der Antragsunterlagen sternförmig an die zu beteiligenden Stellen erfolgen soll 519. Zur Verfahrensbeschleunigung sollte schließlich die durch § 2 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 der 9. BImSchV ausdrücklich eröffnete Option der Hinzuziehung „Dritter“
gen im Beitrittsgebiet) und § 67a BImSchG enthielt Übergangsregelungen für vor dem 01. 07. 1990 errichtete Anlagen im Beitrittsgebiet. 512 BGBl. I, S. 536. 513 Ausführlich Czajka, in: Feldhaus, BImSchG, 9. BImSchV, § 2 Rn. 16 ff. 514 BVerfGE 98, 83 (104 f.). 515 Kloepfer, Umweltrecht, § 14 Rn. 142. Zu den rechtlichen Grenzen der Antragsberatung Czajka, in: Feldhaus, 9. BImSchV, § 2 Rn. 39 ff; Roßnagel, in: GK-BImSchG § 10 Rn. 134 ff. 516 Ausführlich Ziekow / Oertel / Windoffer, Dauer, S. 68 ff; insgesamt positive Bewertung auch bei Hill / Weber, Vollzugserfahrungen, S. 154. 517 Vom 20.April 1993; BGBl. I, S. 494. 518 Zum geringen Beitrag der formellen Behördenpräklusion im Hinblick auf eine Vefahrensbeschleunigung Ziekow / Oertel / Windoffer, Dauer, S. 116 ff. 519 Zu den damit verbundenen Implementationsschwierigkeiten Hill / Weber, Vollzugserfahrungen, S. 153 f. Nach Ziekow / Oertel / Windoffer, Dauer, S. 105 stellt das Sternverfahren ein kontinuierlich genutztes effektives Instrument der Verfahrensbeschleunigung dar.
§ 9 Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung
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beitragen, mit der auch die Einschaltung externer Projektmanager ermöglicht wurde 520. II. Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz Umfangreiche Regelungen zur Vereinfachung und Beschleunigung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren beinhaltete auch das am 01. 05. 1993 in Kraft getretene Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz 521. Dem Gesetz lag die Erwägung zugrunde, dass zu umfangreiche und langwierige Prüfungen im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren zu Investitionshemmnissen führen können und die Dauer von Zulassungsverfahren ein im internationalen Wettbewerb zunehmend an Bedeutung gewinnender Standortfaktor sei 522. Art. 8 des Gesetzes enthielt eine Vielzahl von Änderungen des BImSchG. Art. 9 modifizierte die Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen (4. BImSchV) 523. Von den zahlreichen Änderungen 524 ist insbesondere die Einführung einer behördlichen Entscheidungsfrist ohne Genehmigungsfiktion in § 10 Abs. 6a BImSchG hervorzuheben, welche im förmlichen Genehmigungsverfahren sieben und im vereinfachten Verfahren drei Monate beträgt 525. Die Bearbeitungsfrist kann in Fällen besonderer Schwierigkeit oder aus Gründen, die in der Sphäre des Antragstellers wurzeln, um jeweils drei Monate verlängert werden. Bei der Genehmigungsfrist des § 10 Abs. 6a BImSchG handelt es sich jedenfalls mit Blick auf die förmlichen Verfahren um eine bloße Frist mit Signalfunktion 526, da bereits vor Einführung der gesetzlichen Regelung die Einhaltung der Frist der Regelfall war. Lediglich bei Verfahren nach § 19 BImSchG wurde mit der gesetzlichen Frist ein nennenswertes Beschleunigungspotenzial aktiviert 527. Dieses beschränkte sich aber im Wesentlichen auf die alten Bundesländer, da sich im Beitrittsgebiet bereits bald nach der Wiedervereinigung eine Genehmigungspraxis entwickelt hatte, die deutlich zügiger als diejenige im Westen war 528. 520
Zur Beschleunigungswirkung Ziekow / Oertel / Windoffer, Dauer, S. 57 ff. Vom 22. 04. 1993; BGBl. I, S. 466. Zu den Neuerungen im Städtebaurecht bereits § 9 C III. 522 BTDrs 12/3944, S. 1; 21. 523 Vgl. ausführlich Schmidt-Preuß, DV 1993, S. 489 (512 f.). 524 Das Gesetz änderte so zentrale Vorschriften wie §§ 4, 8, 10, 13, 15, 15 a, 19, 23 und 67 BImSchG. 525 Zu den damit verbundenen Problemen Jarass, DVBl 2009, S. 205. 526 Näher zum Beschleunigungspotenzial behördlicher Entscheidungsfristen § 19 B. 527 Empirisches Material bei Ziekow / Oertel / Windoffer, Dauer, S. 43 ff; 49 f. 528 Nach Hill / Weber, Vollzugserfahrungen, S. 139 wurden von den 3019 vom Juli 1990 bis zum Dezember 1994 in den neuen Ländern durchgeführten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren 62,5 % innerhalb von sechs Monaten und weitere 521
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
III. Gesetz zur Beschleunigung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren vom 09. 10. 1996 Ende Februar 1994 legte die Bundesregierung dem Bundestag einen Bericht über die Möglichkeiten einer weiteren Beschleunigung und Vereinfachung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren“ 529 vor, der neben einer Übersicht über die bis zum Jahre 1993 auf europäischer, Bundes- und Landesebene entfalteten Aktivitäten auch eine Stellungnahme zu den seinerzeit in der Diskussion befindlichen Beschleunigungsvorschlägen enthielt. Im Mittelpunkt standen dabei Beschleunigungsinstrumente wie Antragskonferenzen, Projektmanager, Sternverfahren und Ämterkonferenzen zur Abkürzung der Beteiligungsverfahren, kurze Äußerungsfristen bei der Behördenbeteiligten sowie die Durchführung von Vor-Ort-Terminen mit allen Beteiligten. Breiten Raum nahm auch die Diskussion um die Implementierung des Mediationsverfahrens im Umweltrecht ein, das von der Bundesregierung aber wegen angeblich in der Bundesrepublik Deutschland fehlenden Erfahrungen und des vermeintlich fehlender Beschleunigungseffekts abgelehnt wurde 530. Der Bericht bildete den Ausgangspunkt zu weiteren gesetzlichen Beschleunigungsaktivitäten im Immissionsschutzrecht. Insbesondere mit dem am 15. 10. 1996 in Kraft getretenen Gesetz zur Beschleunigung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren 531 sollten die Verfahren „wesentlich gestrafft und vereinfacht werden“ 532. Die Novelle war Teil eines „Beschleunigungspakets“ 533, zu dem auch das GenBeschlG 534 und das 6. VwGOÄndG 535 gehörten. Zu den wesentlichen Beschleunigungsinstrumenten zählte der neu geschaffene § 8a BImSchG, mit dem eine allgemeine Vorschrift über die Zulassung vorzeitigen Beginns in das Anlagenzulassungsrecht aufgenommen und § 15a BImSchG ersetzt wurde. Zwar ist die Zulassung des vorzeitigen Beginns für die Dauer von Genehmigungsverfahren irrelevant, sie ermöglicht aber eine schnellere faktische Vorhabenrealisierung 536. Überdies schuf der neue § 12 Abs. 2a BImSchG die Voraussetzungen für eine raschere Geneh31,5% innerhalb von 12 Monaten abgeschlossen. In Hessen war dies nur in 34,4% (0 bis 6 Monate) bzw. 34,3 % (6 bis 12 Monate) der von 1990 bis 1993 durchgeführten 1532 Verfahren, in Nordrhein-Westfalen bei 42,4 % (0 bis 6 Monate) bzw. 36,2% (6 bis 12 Monate) der im Jahre 1991 durchgeführten 1806 Verfahren der Fall. 529 BTDrs 12/6923. 530 BTDrs 12/6923, S. 18 ff. 531 Vom 09. 10. 1996; BGBl. I, S. 1498. 532 BTDrs 13/3996. 533 Ausführlicher Überblick zur Gesetzgebungsgeschichte bei Moormann, UPR 1996, S. 408. 534 Dazu bereits § 9 C V. 535 Vom 01. 11. 1996; BGBl. I, S. 1626. Näher unten § 9 G IV.
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migungserteilung durch weitgehende Auflagenvorbehalte. Der Beschleunigung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes sollte das vereinfachte Klageverfahren nach § 14a BImSchG dienen. Nach dieser Vorschrift – deren systematischer Standort im BImSchG befremdet 537 – kann der Antragsteller eine verwaltungsgerichtliche Verpflichtungsklage ohne Durchführung eines Vorverfahrens erheben, wenn über seinen Widerspruch nicht innerhalb von drei Monaten entschieden wurde 538. Ein weiteres Kernanliegen des Gesetzes war es, die Vielzahl erforderlicher Änderungsgenehmigungen zu reduzieren. Deshalb fasste man §§ 15 und 16 BImSchG neu. Seither bildet ein präventives Anzeigeverfahren den Regelfall 539. Lediglich wesentliche Änderungen genehmigungsbedürftiger Anlagen bedürfen weiterhin der Genehmigung, über die innerhalb von sechs Monaten zu entscheiden ist. In den Fällen des § 16 Abs. 2 BImSchG (Änderungsvorhaben im vereinfachten Verfahren) wurde die Bearbeitungsfrist von sechs auf drei Monate verkürzt. Darüber hinaus führte man in § 7 Abs. 1 der 9. BImSchG 540 eine im Gesetzgebungsverfahren umstrittene Regelfrist von einem Monat für die Vollständigkeitsprüfung eines Genehmigungsantrags ein. Während bis dahin nur eine Pflicht zur „unverzüglichen“ Prüfung bestand, müssen die Unterlagen seitdem „unverzüglich, in der Regel innerhalb eines Monats“ auf Vollständigkeit geprüft werden. Die – in der Praxis weitgehend leer laufende 541 – Monatsfrist für den Abschluss der Eingangsprüfung kann nach § 7 Abs. 1 Satz 2 der 9. BImSchV in begründeten Ausnahmefällen einmalig um zwei Wochen verlängert werden. In § 7 Abs. 1 Satz 4 der 9. BImSchV wurde zudem eine Pflicht zur Teilprüfung des Genehmigungsantrags bei noch unvollständigen Unterlagen eingeführt. Der neu eingefügte § 11 Satz 3 der 9. BImSchV verpflichtet die Genehmigungsbehörde schließlich, bei nicht fristgerechter Stellungnahme einer beteiligten Behörde davon auszugehen, dass eine Stellungnahme nicht beabsichtigt ist, während bis dahin nur eine fakultative formelle Behördenpräklusion bestand. Der Beschleunigungseffekt dieser Neuregelung wurde bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes bestritten 542, die anfängliche Skepsis bestätigen empirische Studien 543. Entsprechendes gilt für die (eingeschränkte) materielle Behördenpräklusion für nach 536 Zu den Erfahrungen der Verwaltungspraxis Ziekow / Oertel / Windoffer, Dauer, S. 52 ff. 537 Moormann, UPR 1996, S. 408 (412); Hansmann, NVwZ 1997, S. 105 (110). 538 Vgl. Moormann, UPR 1996, S. 408 (412).Die Vorschrift geht auf einen Vorschlag des Vermittlungsausschusses zurück. Im Regierungsentwurf war noch die Option einer unmittelbaren Klageerhebung ohne Vorverfahren vorgesehen, wie sie seit 2005 § 13a Nr. 1 AGGStrG M-V ermöglicht. 539 Näher Moormann, UPR 1996, S. 408 (413 ff.); Büge / Tünnessen-Harms, GewArch 1997, S. 48. Zur eingeschränkten Entlastungswirkung Ziekow / Oertel / Windoffer, Dauer, S. 64 ff. 540 Vgl. BTDrs 13/3996, Anlage 2, S. 12. 541 So die Einschätzung von Ziekow / Oertel / Windoffer, Dauer, S. 88.
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dem Erörterungstermin eingegangene Stellungnahmen in § 20 Abs. 1 Satz 2 der 9. BImSchV, die Praktiker zudem als überflüssiges Misstrauensvotum gegenüber der Exekutive kritisieren 544. IV. Änderungen im Immissionsschutzrecht von 1997 bis 2006 Gegen Ende der 1990er Jahre begann ein Beschleunigungsmoratorium, das nahezu ein Jahrzehnt andauern sollte. Die zahlreichen Novellierungen des Immissionsschutzrechts in den Jahren 1997 bis 2006 dienten nicht der zeitlichen Straffung von Genehmigungsverfahren, sondern überwiegend der Umsetzung europarechtlicher Vorgaben 545. Zudem wurde das untergesetzliche Regelungswerk zum BImSchG umfassend novelliert 546. Zu erwähnen ist ferner das „Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz“ vom 09. 12. 2006 547, mit dem man die auf der Aarhauskonvention beruhende Richtlinie 2003/35/EG 548 (verspätet) in das nationale Recht umgesetzte. Mit dem Artikelgesetz waren überdies umfangreiche Änderungen des UVP-Gesetzes, des BImSchG, der 9. BImSchV 549 und des KrW / AbfG verbunden, welche der Anpassung dieser Gesetze an die europarechtlichen Vorgaben zur Partizipation in umweltrechtlichen Zulassungsverfahren und bei umweltrechtlichen Plänen und Programmen 550 geschuldet waren. V. Das Gesetz zur Reduzierung und Beschleunigung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren Das Atemholen auf dem Beschleunigungspfad endete mit dem Gesetz zur Reduzierung und Beschleunigung von immissionsschutzrechtlichen Genehmi542
Hansmann, NVwZ 1997, S. 105 (107); Knopp / Wolf, BB 1997, S. 1593 (1599). Nach Ziekow / Oertel / Windoffer, Dauer, S. 116 f. trägt die Behördenpräklusion für 91% der befragten Behörden eher weniger oder überhaupt nicht zur Beschleunigung bei. 544 Vgl. Hansmann, NVwZ 1997, S. 105 (107); Wasielewski, LKV 1997, S. 77 (81). 545 So wurden mit Gesetz vom 19. 10. 1998 (BGBl. I, S. 3178) die Seveso-II-Richtlinie, durch Gesetz vom 27. 07. 2001 (BGBl. I, S. 1950) die UVP-Änderungsrichtlinie, die IVU-Richtlinie und weitere EG-Richtlinien zum Umweltschutz sowie durch zwei Gesetze vom 24. und 25. 06. 2005 (BGBl. I, 1794 und S. 1865) die Umgebungslärmrichtlinie sowie die Richtlinie 2003/105/EG zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (ABl L 345, S. 97) umgesetzt. 546 Näher Kotulla, BImSchG, Einführung, Rn. 92 ff. 547 BGBl. I, S. 2819. 548 Richtlinie EG 2003/35; ABl. EU L 156, S. 17. 549 Geändert wurden so zentrale Vorschriften wie §§ 10 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 7, 16 Abs. 1 Satz 1, 17, 19 Abs. 2, 47, 67 und 73 BImSchG sowie §§ 1, 1 a, 4 a, 8 bis 10, 11a und 21 der 9. BImSchV. 550 Zu Einzelheiten Ekardt / Pöhlmann, ThürVBl 2005, S. 252. 543
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gungsverfahren 551, das nach langer und kontroverser Debatte 552 am 30. 10. 2007 in Kraft trat. Die Novelle geht auf einen vom Bundesrat beschlossen Gesetzesentwurf zurück. Damit griff die Ländervertretung eine Initiative NordrheinWestfalens aus dem November 2005 553 auf und brachte diese in geänderter Fassung Ende April 2006 in den Bundestag ein 554. Leitgedanke der – auch von der Bundesregierung unterstützten 555 – Gesetzesinitiative des Bundesrates war es, durch die Absenkung der materiellen und verfahrensrechtlichen Anforderungen bei immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen entsprechend den europarechtlichen Mindestanforderungen eine spürbare Entlastung der Wirtschaft zu erreichen 556. Zu diesem Zweck reduzierte das Gesetz die genehmigungsbedürftigen Anlagen durch Änderung des Anlagenkatalogs der 4. BImSchV 557 und hob die Schwellenwerte für eine UVP-Prüfungspflicht insbesondere landwirtschaftlicher Vorhaben durch Änderung des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung an 558. Vor allem aber enthielt es nach dem Vorbild des Gesetzes zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben vom 09. 12. 2006 559 weit reichende Änderungen der Regelungen zum Erörterungstermin. Durch Neufassung von § 10 Abs. 4 Nr. 3 und Abs. 6 BImSchG wurde der bisher obligatorische durch einen fakultativen Erörterungstermin ersetzt, dessen Festlegung im Ermessen der Genehmigungsbehörde steht 560. Er soll nur noch in den Fällen stattfinden, in denen die Behörde einen Erörterungstermin im konkreten Genehmigungsverfahren für erforderlich hält 561. VI. Umweltgesetzgebung nach dem Scheitern des Umweltgesetzbuches – Das neue Naturschutz- und Wasserhaushaltsgesetz 2010 An die Stelle des geplanten Umweltgesetzbuchs sind mit Wirkung vom 01. 03. 2010 – gleichsam als eine „gesetzgeberische Notoperation“ 562 das neue BNatSchG 563 und das WHG 564 als Vollregelungen, das Gesetz zum Schutz vor nicht551
Vom 23. 10. 2007; BGBl. I, S. 2470. Dazu eingehend Manten, DVBl 2009, S. 213. Näher Manten, DVBl 2009, S. 213 ff. 553 BRDrs 819/05. 554 BTDrs 16/1337. 555 Vgl. Stellungnahme der Bundesregierung BTDrs 16/1337 vom 26. 04. 2006, S. 17 f. 556 BTDrs 16/1337, S. 1. 557 Vgl. Art. 3 des Gesetzes; BGBl. I, S. 2472 ff. 558 Art. 2 des Gesetzes; BGBl. I, S. 2470 f. 559 Vgl. oben § 9 C IX. 560 Zu Maßstäben und gerichtlicher Überprüfbarkeit der behördlichen Ermessensentscheidung Manten, DVBl 2009, S. 213 (214 ff.). 561 Zur rechtspolitischen Kritik bereits § 9 C IX. Dem Gesetz als „Schritt in die richtige Richtung“ grundsätzlich zustimmend dagegen Manten, DVBl 2009, S. 213 (220). 552
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ionisierender Strahlung bei der Anwendung am Menschen (NiSG) 565 sowie das zahlreiche Umweltvorschriften ändernde Rechtsbereinigungsgesetz Umwelt 566 getreten. Das novellierte BNatSchG lehnt sich eng an den unter intensiver Beteiligung der Länder erarbeiteten Entwurf des UGB III an und ist von dem Bemühen getragen, das bisherige Rahmenrecht auf der Basis der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG zu einer Vollregelung auszubauen, Vorgaben des Rechts der Europäischen Union bundesweit einheitlich umzusetzen und die bislang landesrechtlich geregelten Materien des Naturschutzrechts in das Bundesrecht zu überführen 567. Zu den beachtlichen Neuerungen des BNatSchG gehören die Erweiterung seines räumlichen Geltungsbereiches auf die Ausschließliche Wirtschaftszone und den Festlandsockel gem. § 56 Abs. 1 BNatSchG (mit Ausnahme des Kapitels 2 über die Landschaftsplanung), Änderungen bei der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung (§§ 14 ff. BNatSchG) 568 und beim Artenschutzrecht (§§ 37 ff. BNatSchG) 569. Insgesamt kann dem neuen BNatSchG somit bescheinigt werden, dass es in einzelnen Beziehungen begrüßenswerte Fortentwicklungen des Naturschutzrechts mit sich bringt. Nach Ansicht von Kritikern fällt die Gesamtbilanz jedoch eher ernüchternd aus, weil das novellierte Naturschutzrecht in wichtigen Teilbereichen materiell auf dem Niveau des Rahmenrechts verharre. Der mit der Übertragung der zur Vollregelung intendierten Leitfunktion werde das neue BNatSchG daher nur unzureichend gerecht 570. Positiver fällt die Bewertung des ebenfalls am 01. 03. 2010 in Kraft getretenen WHG 2010 aus. Auch hier galt es, das bisherige Rahmenrecht des Bundes durch eine Vollregelung zu ersetzen. Darüber hinaus wollte man die Verständ562
Knopp, DVBl 2010, S. 929 (933). Verkündet als Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege vom 29. 07. 2009; BGBl. I, S. 2542. Zur Gesetzgebungsgeschichte Gellermann, NVwZ 2010, S. 73. 564 Verkündet als Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Wasserrechts vom 31. 07. 2009; BGBl. I, S. 2585. Zu seinem wesentlichen Inhalt Stuer / Buchsteiner, DÖV 2010, S. 261. 565 Vom 29. 07. 2009; BGBl. I, S. 2433. 566 Vom 13. 08. 2009; BGBl. I, S. 2723. Näher § 8 C V 2 b. 567 BTDrs 16/12274, S. 39; Gellermann, NVwZ 2010, S. 73. 568 Näher Gellermann, NVwZ 2010, S. 73 (76). Hervorzuheben ist hier, dass nunmehr Maßnahmen des Ausgleiches und des Ersatzes nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG gleichberechtigt nebeneinander stehen. Zur weiteren Flexibilisierung trägt § 16 BNatSchG bei, der die Bevorratung von Kompensationsmaßnahmen betrifft und die zeitliche Entkopplung von Eingriffs und Kompensationsleistung ermöglicht. Gem. § 16 Abs. 2 BNatSchG bleibt es den Ländern überlassen, Einzelheiten zur Bevorratung vorgezogener Ausgleichsund Ersatzmaßnahmen mittels Ökokonten, Flächenpools oder anderer Maßnahmen zu regeln. 569 Näher Gellermann, NVwZ 2010, S. 73 (78). 570 So die Einschätzung von Gellermann, NVwZ 2010, S. 73 (79). 563
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lichkeit und Praktikabilität der komplizierten und übersichtlichen Wasserrechtsordnung verbessern sowie das Rechtsgebiet systematisieren und vereinheitlichen. Überdies mussten europarechtliche Vorgaben durch bundeseinheitliche Rechtsvorschriften umgesetzt und bisher im Landesrecht geregelte Bereiche der Wasserwirtschaft in Bundesrecht transformiert werden, soweit ein Bedürfnis einer bundeseinheitlichen Regelung gesehen wurde 571. Diese Ziele sind im Wesentlichen erreicht worden. Das – allerdings von 82 auf 106 Paragraphen angewachsene – WHG 2010 „empfängt den Rechtsanwender mit mehr Struktur und Stringenz: Aus den sechs gelegentlich etwas unübersichtlichen Teilen des alten WHG sind sechs in Abschnitte gegliederte Kapitel geworden“ 572. Auch wurde das Zulassungssystem für wasserrechtliche Vorhaben (§§ 8 ff. WHG) harmonisiert und mit der gehobenen Erlaubnis (§ 15 WHG) ein in einigen Bundesländern bekanntes und bewährtes Rechtsinstitut bundesrechtlich etabliert 573. Zugleich ist es gelungen, die eurorarechtlichen Anforderungen der Wasserrahmen-, der Grundwasser- und der Hochwasserrichtlinie 574 bundeseinheitlich umzusetzen, so dass es sich beim neuen WHG 2010 nach dem Scheitern des Umweltgesetzbuchs summa summarum um eine „durchaus vorzeigbare Alternative“ 575 handelt. Da der Bundesgesetzgeber den Ländern in den nicht europarechtlich geprägten Bereichen viel eigenen Raum gelassen hat und nur dort eine Regelung vornahm, wo es einer Bundeseinheitlichkeit bedurfte, dürfte auch die „Abweichungsfreude“ der Bundesländer nach Art. 72 Abs. 3 Nr. 5 GG eher gering ausfallen 576.
E. Die Entwicklung im Gewerberecht seit 1990 Auch im Gewerberecht als drittem Referenzgebiet dieser Untersuchung lässt sich seit 1990 eine lebhafte Tätigkeit des Gesetzgebers beobachten, die hier nur in ihren Leitlinien vorgestellt werden kann. Die aus dem Jahre 1869 stammende Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund gilt nach einer Neubekanntma571
Vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, BRDrs 280/09, S. 111. Stüer / Buchsteiner, DÖV 2010, S. 261 (262). 573 Die noch im UGB II- Entwurf 2009 vorgesehene integrierte Vorhabengenehmigung war dagegen politisch nicht durchsetzbar. Zu Recht kritisch Kotulla, NVwZ 2010, S. 79 (81). 574 Richtlinie 2000/60/EG, ABl Nr. L 327 vom 22. 12. 2000, S. 1; Richtlinie 2006/ 118/EG vom 12. 12. 2006, ABl Nr. L 372, S. 19; Richtlinie 2007/60 EG vom 23. 10. 2007, ABl Nr. L 288, S. 27. 575 Stüer / Buchsteiner, DÖV 2010, S. 261 (268). Kritischer dagegen Kotulla, NVwZ 2010, S. 79 (86). Auch er attestiert dem Gesetz einen, „wenngleich zu bescheiden ausgefallenen Beitrag auf dem langen Weg zur längt überfälligen Harmonisierung des ... Umweltrechts“, hätte aber „dem WHG-Gesetzgeber gleichwohl ein wenig Mut zu mehr regelungstechnischer Innovation“ gewünscht. 576 So die Erwartung von Stüer / Buchsteiner, DÖV 2010, S. 261 (268). 572
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chung im Jahre 1900 noch heute 577 und dürfte damit eines der ältesten derzeit geltenden Verwaltungsgesetze sein. In den mehr als 140 Jahren ihrer Existenz hat die Gewerbeordnung allerdings mehr als 250 Änderungen erfahren. Mehr als 60 Neuerungen, die Wolfgang Kahl im Großkommentar von Landmann / Rohmer auf 30 Seiten darstellt 578, betreffen den Zeitraum ab 1990. Dabei hat es der „motorisierte Gesetzgeber“ auch an Aktivitäten zur Reduzierung des Verwaltungsaufwandes sowie zur Vereinheitlichung und Vereinfachung des Gewerberechts nicht fehlen lassen. Selbstverständlich haben die Leitmotive „Entbürokratisierung“ und Deregulierung“ auch die rechtspolitische Diskussion im Gewerberecht entscheidend beeinflusst 579. Wichtige Änderungen mit dem Ziel der Rechtsbereinigung und Deregulierung gab es im allgemeinen Gewerberecht in den Jahren 1998 580 und 2002 581. Im Jahre 2009 galt es schließlich, die Europäische Dienstleitungsrichtlinie im Gewerberecht umzusetzen 582. Dabei wurden die Vorgaben der DLRL mit Wirkung zum 28. 12. 2009 in die Gewerbeordnung, die Handwerksordnung, die Wirtschaftsprüferordnung und das Signaturgesetz übernommen. Das Handwerksrecht wurde zum 01. 01. 2004, das Gaststättenrecht im Jahre 2005 583 liberalisiert. Vor allem die konzeptionelle, strukturelle und inhaltliche Neuausrichtung des Handwerksrechts durch die sog. „Handwerksnovelle 2004“ 584 veränderte dieses Rechtsgebiet grundlegend. Das Gesetz beschränkte die Meisterpflicht auf sog. „Gefahrenhandwerke“, wovon sich der Gesetzgeber eine Welle von Existenzgründungen im Handwerk, neue Arbeitsplätze und sinkende Verbraucherpreise erhoffte 585. Die nach Anlage A zulassungspflichtigen Handwerke wurden von 94 auf 41 reduziert 586. Darüber hinaus eröffnet § 7b 577 RGBl. I, S. 871. Heute gilt die GewO i. d. F. der Bekanntmachung vom 22. 02. 1999; BGBl. I, S. 202. 578 Kahl, in: Landmann / Rohmer, GewO, Band I, Einl. Rn. 166 ff. 579 Spenger-Richter, in: Robinski, Gewerberecht, Rn. 15; zur gewerberechtlichen Deregulierungsdebatte zu Beginn der 1990er Jahre Rexrodt, GewArch 1993, S. 393; Geisendörfer, GewArch 1995, S. 41 und Wiesheu, GewArch 1995, S. 177. 580 Durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung und sonstiger gewerberechtlicher Vorschriften vom 16. 06. 1998; BGBl. I, S. 1291; zu den Einzelheiten Kahl, in: Landmann / Rohmer, GewO, Band I, Einl. Rn. 223. 581 Drittes Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung und sonstiger gewerberechtlicher Vorschriften vom 24. 08. 2002; BGBl. I, S. 3412. Vgl. Kahl, in: Landmann / Rohmer, GewO, Band I, Einl. Rn. 237. 582 Durch das Gesetz zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Gewerberecht und in weiteren Rechtsvorschriften vom 17. 07. 2009, BGBl. I, S. 2091. Hierzu eingehend § 19 C III 1. 583 Durch Gesetz vom 21. 06. 2005; BGBl. I, S. 1666. Näher bereits § 8 E 1. 584 Durch das Dritte Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften vom 24. 12. 2003; BGBl. I, S. 2934. Vgl. dazu Stober, AWvR, § 48 V 3. 585 Zu den Motiven des Gesetzes BTDrs 15/1206, S. 1 f; 20 ff.
§ 9 Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung
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HandwO bei 35 dieser 41 Handwerke für erfahrene Gesellen nunmehr einen Anspruch auf Erteilung einer Ausübungsberechtigung bei mindestens sechsjähriger Ausübung einer entsprechenden Tätigkeit (sog. „Altgesellenregelung“). Dieser Paradigmenwechsel ist als „Abschied von der Meisterpflicht“ verfassungsrechtlich 587 und rechtspolitisch 588 kritisiert worden. Letztlich ist aber der durch die umstrittene Reform befürchtete Qualitätsverlust bei Handwerksleistungen 589 ausgeblieben. Auch die Ausbildungsbereitschaft im Handwerk wurde bisher nicht nachteilig beeinflusst. Die verfassungsrechtlich zur Vermeidung einer Inländerdiskriminierung gebotene 590 Stärkung der Rechtsposition qualifizierter Altgesellen ist rechtspolitisch ebenfalls zu begrüßen, so dass die Bilanz der Handwerksnovelle 2004 insgesamt positiv ausfällt. Ganz im Zeichen von Bürokratieabbau und Kostenentlastung für die gewerbliche Wirtschaft standen schließlich die bereits ausführlich dargestellten „Mittelstandsentlastungsgesetze“ aus den Jahren 2006, 2007 und 2009 591. Die mit den gesetzgeberischen Aktivitäten im Gewerberecht der letzten 15 Jahre verbundene Intention, bei den Betroffenen mehr Rechtsklarheit, Transparenz und damit Rechtssicherheit zu erreichen, wurde durch die eher punktuellen Reformen allerdings nicht erreicht. Vielmehr stellt das durch ein Übermaß an Rechtszersplitterung gekennzeichnete Wirtschaftsverwaltungsrecht derzeit ein investitionsschädliches Ärgernis dar, dessen Ende auch mittelfristig nicht absehbar ist 592.
586 Nach dem Regierungsentwurf sollten sogar nur 29 Gewerbe in der Anlage A zur HandwO verbleiben. Näher Stober, GewArch 2003, S. 393 (395) und Müller, NVwZ 2004, S. 403 (408). 587 Nach Stober, GewArch 2003, S. 393 (396 f.) werden durch die weit gehende Abschaffung der Meisterprüfung Verbraucher-, Mittelstands- und Umweltschutz vernachlässigt. Müller, NVwZ 2004, S. 403 (410 f.) bezweifelt die Sachgemäßheit und Verhältnismäßigkeit der „Altgesellenregelung“. Dagegen überzeugend Beaucamp, DVBl 2004, S. 1458 (1459 f.). 588 Von einem „verbreiteten Zeitgeist“ entsprechenden „Stück Dequalifizierungspolitik“ sprechen Schwannecke / Heck, GewArch 2004, S. 129 (142). Einen „sachlich nicht nachvollziehbaren Systembruch im Handwerksrecht“ konstatiert Müller, NVwZ 2004, S. 403 (412). 589 Stober, GewArch 2003, S. 393 (396). Dagegen Czybulka, NVwZ 2003, S. 164 (172), wonach Qualitätssicherung nicht über ein „überstrenges Berufszulassungssystem“ erreicht werden kann. 590 Näher Beaucamp, DVBl 2004, S. 1458 (1461). 591 Dazu § 8 E III. 592 Vgl. bereits oben § 8 C II 1.
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
F. Das Widerspruchsverfahren unter Reformdruck I. Rechtspolitische Debatte um das Widerspruchsverfahren Die seit der Wiedervereinigung geführte Beschleunigungs- und Vereinfachungsdebatte hat mit dem Widerspruchsverfahren auch ein vermeintlich zum gesicherten Kanon des Allgemeinen Verwaltungsrechts gehörendes Rechtsinstitut in schwieriges Fahrwasser geraten lassen 593. Das Widerspruchsverfahren ist von den Bundesländern in den letzten Jahren als zentrales Experimentierfeld im Verwaltungsmodernisierungsprozess entdeckt worden. Vor allem die Aktivitäten auf Landesebene, aber auch massive Eingriffe des Bundesgesetzgebers haben das in §§ 68 bis 73 VwGO geregelte behördliche Vorverfahren in eine vor 10 Jahren noch undenkbare Existenzkrise geführt. Viele Landesgesetzgeber begnügen sich nicht mehr mit punktuellen Eingriffen, sondern stellen in weitherziger Auslegung des als unbeschränkter Öffnungsklausel interpretierten § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO den Bestand des Rechtsinstituts als solches in Frage. So haben etwa Bayern und Nordrhein-Westfalen das Widerspruchsverfahren 2007 in umfassend neu gestaltet. Auch in anderen Bundesländern wurde das behördliche Vorverfahren bereits weitgehend abgeschafft, worüber an anderer Stelle ausführlicher berichtet worden ist 594. In den letzten Jahren wird die Auseinandersetzung um die grundsätzliche Existenzberechtigung des Widerspruchsverfahrens immer leidenschaftlicher geführt. Grundsätzliche Kritiker und Verfechter des Rechtsinstituts stehen sich in der gegenwärtigen Diskussion zunehmend unversöhnlich gegenüber 595. Erstere verstehen das Widerspruchsverfahren als „Fremdkörper in unserem Rechtsschutzsystem, ein historisches Relikt, das den heutigen Anforderungen an ein bürgerorientiertes Verfahren nicht einmal ansatzweise gerecht wird“ 596 und wollen das aus ihrer Sicht komplizierte, verfahrensaufwendige, formstrenge und damit fehleranfällige“ Verfahren möglichst weitgehend abschaffen 597. Das Widerspruchsverfahren sei nicht mehr als eine kosten- und zeitaufwendige Hürde auf dem Weg zum Verwaltungsprozess, deren Beseitigung ein zentrales rechtspolitisches, wenn auch nicht von Art. 19 Abs. 4 GG gefordertes 598 Anliegen sei. Völlig anders ist dagegen die Einschätzung derjenigen, die dem in seiner Existenz bedrohten Rechtsinstitut zur Seite springen. Die in den Bundesländern betriebene Abschaffung von Widerspruchsverfahren sei kein Abbau von 593 594 595 596 597 598
Dazu bereits Biermann, NordÖR 2007, S. 139 und derselbe, DÖV 2008, S. 395 ff. Biermann, NordÖR 2007, S. 139; derselbe, DÖV 2008, 395 ff. Umfassender Überblick bei Biermann, DÖV 2008, S. 395. Landtag Nordrhein-Westfalen, APr 14/467, S. 20. Landtag Nordrhein-Westfalen, APr 14/467, S. 9. BVerfGE 35, 65 (72 f.); 40, 237 (256 f.).
§ 9 Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung
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Bürokratie, sondern von Verfahrensrechten 599. Mit dem – von Art. 19 Abs. 4 GG allerdings nicht zwingend geforderten 600 – Vorverfahren stehe dem Bürger ein Rechtsbehelf zur Verfügung, mit dem er „einfach, schnell und effektiv seine Rechte wahren“ 601 könne. Das Widerspruchsverfahren leiste „einen unverzichtbaren Beitrag für die Gewährleistung eines gesetzmäßigen und bürgerfreundlichen Verwaltungshandelns, für einen wirksamen und kostengünstigen Rechtsschutz des Bürgers und für eine nachhaltige Entlastung der Verwaltungsgerichte“ 602. Der Ausgangsbehörde werde mit dem Abhilfeverfahren eine unkomplizierte Möglichkeit der Fehlerheilung eröffnet, der Aufsichtsbehörde diene das Widerspruchsverfahren zudem als Informationsquelle über die Leistungsfähigkeit der ihr unterstellten Behörden. Die durchaus beachtliche Quote der erfolgreichen Widersprüche schaffe zudem einen Befriedungseffekt und führe dem Bürger vor Augen, dass die Verwaltung die „Fähigkeit zur Selbstkorrektur“ besitze. Dem Bürger stehe mit dem Widerspruch ein effektives Instrument zur Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen zur Verfügung, welches er in Anspruch nehmen könne, ohne eine „Schwellenangst“ vor dem Gericht überwinden zu müssen. Schließlich profitierten auch die Verwaltungsgerichte von der im Widerspruchsverfahren geleisteten Vorstrukturierung des Rechtstreites. II. Entwicklung des Widerspruchsverfahrens seit der Wiedervereinigung Das Widerspruchsverfahren ist in seiner jetzigen Form noch relativ jung. Erst 1960 lösten die §§ 68 ff. VwGO die zuvor auf Landesebene bestehenden unterschiedlichen Einspruchs- und Beschwerdeverfahren als Voraussetzungen einer verwaltungsgerichtlichen Klage ab. In den neuen Bundesländern existiert sogar erst seit der Wiedervereinigung im Oktober 1990 die dem Einzelnen zuvor weitgehend verschlossene Möglichkeit einer förmlichen verwaltungsinternen Kontrolle behördlicher Entscheidungen 603. In der DDR wurden die Bürger lange auf formlose Rechtsbehelfe in Form von Eingaben an Beschwerdeausschüsse verwiesen. Erst das Gesetz über die Zuständigkeit und das Verfahren der Gerichte zur Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen vom 14. 12. 1988 604 ermöglichte die Überprüfung bestimmter Verwaltungsentscheidungen. Eine nennenswerte Spruchpraxis hierzu hat es auf Grund der bald einsetzenden Umbruchsituation allerdings nicht mehr gegeben 605. 599 600 601 602 603 604
van Nieuwland, NdsVBl 2007, S. 38 (41). BVerfGE 35, 65 (73); 60, 253 (290); 69, 1 (48). van Nieuwland, NordÖR 2005, S. 103 (104). van Nieuwland, NordÖR 2005, S. 103 (104). Zur Situation des Verwaltungsrechts in der DDR Bernet, DÖV 1990, S. 409 (411 f.). GBl. I DDR, S. 327.
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
Zu Beginn der 1990er Jahre nahm die Kritik am Widerspruchsverfahren zu. Herrschte zuvor noch weitgehend Einigkeit, dass das Rechtsinstitut sich allgemein bewährt habe, geriet das Vorverfahren unmittelbar nach der deutschen Einheit in den Sog einer Verwaltungspolitik, die vor allem anderen auf die Vereinfachung und Beschleunigung von Verwaltungsverfahren setzte 606. Das Widerspruchsverfahren galt bald als zu zeitaufwändig, inflexibel und kostenintensiv, so dass Vorschläge zu seiner Beschränkung nicht ausblieben 607. Eine entscheidende Schwächung des Vorverfahrens war dann mit der Novellierung des § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO durch das 6. VwGOÄndG 608 verbunden. War bis dahin das Widerspruchsverfahren nur entbehrlich, wenn dies ein Gesetz „für besondere Fälle“ anordnete, entfiel diese Einschränkung zum 01. 01. 1997. Den Bundesländern wurden mit dieser landesrechtlichen Öffnungsklausel hinsichtlich ihrer Reichweite im Einzelnen umstrittene 609 zusätzliche Möglichkeiten zur Abschaffung des Vorverfahrens eingeräumt. Zudem wird das Widerspruchsverfahren mittlerweile durch eine Vielzahl bundesgesetzlicher Regelungen für entbehrlich erklärt 610. Zusätzlich geschwächt wurde das Widerspruchsverfahren durch den ebenfalls mit dem 6. VwGOÄndG novellierten § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO. Diese Vorschrift ermöglicht seit dem 01. 01. 1997 auch landesrechtliche Regelungen, die den Suspensiveffekt des Widerspruchs ausschließen. Die aufschiebende Wirkung eines Anfechtungswiderspruchs oder einer Anfechtungsklage ist im Zuge dieser Entwicklung auf Grund zahlreicher spezialgesetzlicher bundesund landesrechtlicher Vorschriften entgegen der Grundsatzentscheidung in § 80 Abs. 1 VwGO mittlerweile fast schon ein seltener Ausnahmefall geworden 611. Auch die in § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO als gesetzgeberisches Leitbild vorgegebene Recht- und Zweckmäßigkeitskontrolle durch die Fachaufsichtsbehörde 605
Bernet, DÖV 1990, S. 409 (417). Dazu oben § 9 A. 607 Zu den Vorschlägen der sog. „Schlichterkommission“ Schlichter, DVBl. 1995, S. 173. 608 Vom 01. 11. 1996, BGBl. I, S. 1626. 609 Uneinig ist man sich darüber, ob § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO den Ländern freie Hand bezüglich der vollständigen Abschaffung des Widerspruchsverfahrens lässt. So etwa Dolde, in: S / S/P, VwGO, § 68 Rn. 12 und Geis, in: NK VwGO, § 68 Rn. 125. Für eine bloß bereichsspezifische Beschränkungsmöglichkeit Rennert, in: Eyermann / Rennert, VwGO, § 68 Rn. 24; Kopp / Schenke, VwGO, § 68 Rn. 17a; Lindner, BayVBl 2005, S. 65 (69) sowie Biermann, NordÖR 2007, S. 139 (147). Offengelassen wird die Frage von BayVerfGH, BayVBl 2009, S. 109 ff; wonach der Landesgesetzgeber „jedenfalls ohne offensichtlichen und schwerwiegenden Verstoß gegen Bundesrecht“ davon ausgehen konnte, dass § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO eine vollständige Abschaffung des Widerspruchsverfahrens ermögliche. 610 Umfassender Überblick bei Geis, in: NK VwGO, § 68 Rn. 121 ff. 611 Wichtige bundesgesetzliche Fälle sind §§ 20 Abs. 5 S. 1 AEG; 75 AsylVfG; 84 Abs. 1 AufenthG; 212a BauGB; 54 Abs. 4 BeamtStG; 17 Abs. 6a 1 FStrG; 29 Abs. 6 PBefG; 20 Abs. 7 WaStrG. 606
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wurde in den letzten Jahren stark relativiert. Durch den im Jahre 2000 in die Verwaltungsgerichtsordnung eingefügten § 73 Abs. 1 S. 3 VwGO können nunmehr Landesgesetze abweichend von § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO die Identität von Ausgangs- und Widerspruchsbehörde anordnen. III. Stand des Widerspruchsverfahrens in den Bundesländern Der durch die Novellierung des § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO ausgelöste Reformimpuls hat in zahlreichen Bundesländern zu einer umfassenden Neugestaltung des Widerspruchsverfahrens geführt, wobei zum Teil der Eindruck entsteht, als werde ein regelrechter Wettlauf um eine möglichst weitgehende Demontage des Vorverfahrens veranstaltet. Einige der landesrechtlichen Regelungen begegnen auch rechtlichen Bedenken, wenn man der Auffassung ist, dass der Verzicht auf das Widerspruchsverfahren nur bereichsspezifisch erfolgen kann und einer sachlichen Rechtfertigung bedarf 612. Vergleicht man die Regelungen über das Widerspruchsverfahren in den Bundesländern, ergibt sich ein „föderaler Flickenteppich“. Sie reichen von einem nahezu vollständigen Ausschluss des Vorverfahrens über bereichsspezifische Sonderregelungen bis hin zu zeitlich und / oder räumlich begrenzten Experimenten. Immerhin sechs Bundesländer haben zudem von den durch § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO geschaffenen Möglichkeiten bisher keinen Gebrauch gemacht. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lassen sich vier Gruppen unterscheiden 613. 1. Bundesländer mit weitgehendem Ausschluss des Vorverfahrens Insbesondere in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen 614, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt ist das Widerspruchsverfahren in vielen Bereichen des Verwaltungsrechts ausgeschlossen 615, wobei Bayern durch eine bereits im Jahre 1997 einsetzende Reformgesetzgebung eine gewisse Vorreiterrolle einnahm. Einen bundesweit beachteten Modellversuch startete Bayern dann mit Art. 15 Abs. 1 Nr. 21 Bay AGVwGO, der einen zunächst vom 01. 07. 2004 bis zum 30. 06. 2006 befristeten und später um ein Jahr verlängerten Verzicht auf das Widerspruchsverfahren im Regierungsbezirk Mittelfranken vorsah. Damit sollten Erkenntnisse gewonnen werden, ob und in welchen Bereichen das Widerspruchsverfahren dauerhaft und landesweit verzichtbar ist 616. Der bayerische 612 Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat diese Frage in BayVBl 2007, S. 79 (80) und BayVBl 2009, S. 109 offen gelassen. 613 Die Klassifizierung erfolgt im Anschluss an Biermann, NordÖR 2007, S. 139 (142 ff.). 614 Zur Reform des Widerspruchsverfahrens dort Harald Meyer, NdsVBl 2009, S. 7 ff. 615 Einzelheiten bei Biermann, DÖV 2008, S. 395 (397 ff.).
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
Gesetzgeber hat später das Widerspruchsverfahren allerdings sehr viel weit reichender abgeschafft als von einer zur Evaluierung des Projekts eingesetzten Arbeitsgruppe empfohlen 617. Zum 01. 07. 2007 wurde das Widerspruchsverfahren in Bayern vollständig umgestaltet 618. Nunmehr ist das Vorverfahren gem. Art. 15 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 Bay AGVwGO nur noch in bestimmten Rechtsgebieten vorgesehen und dort als fakultatives Vorverfahren (Optionsmodell) ausgestaltet. Die Regelungen sind vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof in einer Entscheidung vom 23. 10. 2008 gebilligt worden 619 Einen weit gehenden Ausschluss des Widerspruchsverfahrens gibt es auch in Niedersachsen. Durch § 8a Abs. 1 und 2 Nds AGVwGO 620 wurde das Widerspruchsverfahren zum 01. 01. 2005 grundsätzlich landesweit abgeschafft 621. Die ursprüngliche Befristung bis zum 31. 12. 2009 ist mittlerweile entfallen 622. Besondere Experimentierfreude mit dem Widerspruchsverfahren bewies schließlich Nordrhein-Westfalen, wo seit dem Jahre 2004 – zunächst regional begrenzt – der Ausschluss des Vorverfahrens erprobt wird. Bereits im Januar 2006 fiel dort die grundsätzliche Entscheidung für eine weit gehende Abschaffung des Widerspruchsverfahrens, die mit dem am 01. 11. 2007 in Kraft getretenen Zweiten Gesetz zum Bürokratieabbau (Bürokratieabbaugesetz II)“ 623 endgültig umgesetzt wurde 624. 2. Bundesländer mit Ausschlussregelungen in wenigen Teilbereichen des Besonderen Verwaltungsrechts Nur wenige bereichsspezifische Ausnahmen vom Widerspruchsverfahren finden sich dagegen bislang in Berlin, Hamburg und Thüringen 625.
616
Siehe Bayerischer Landtag, LTDrs 15/145, S. 4. Vgl. Bayerischer Landtag, LTDrs 15/7252, S. 9 ff. und Unterreitmeier, BayVBl 2007, S. 609 (614). 618 Ausführlich Unterreitmeier, BayVBl 2007, S. 609 und Heiß / Schreiner, BayVBl 2007, S. 616. Zu den Gründen der Neuregelung Bayerischer Landtag, LTDrs 15/7252, S. 1. 619 BayVerfGH BayVBl 2009, S. 109. 620 I. d. F. v. 01. 07. 1993, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 25. 11. 2009; Nds. GVBl, S. 437. 621 Näher Biermann, DÖV 2008, S. 395 (397). 622 Durch Art. 1 des Gesetzes vom 25. 11. 2009; Nds. GVBl, S. 437. Zu den Hintergründen Niedersächsischer Landtag, LTDrs 16/1414. 623 GVBl. NRW, S. 393. 624 Zur Rechtsentwicklung in Nordrhein-Westfalen Biermann, DÖV 2008, S. 395 (398 m.w. N.). 625 Näher Biermann, DÖV 2008, S. 395 (398). 617
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3. Mecklenburg-Vorpommern – Renaissance des fakultativen Vorverfahrens Im Wege der experimentellen Gesetzgebung hat Mecklenburg-Vorpommern als erstes Bundesland das fakultative Widerspruchsverfahren in Teilbereichen des Verwaltungsrechts (wieder) eingeführt 626. a) Historische Vorbilder Dieses Modell greift auf historische Vorbilder in Baden und Rheinland-Pfalz zurück. In Baden wurde dem Bürger auf Grund von § 2 der Landesverordnung über den Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 30. 03. 1947 die Möglichkeit eröffnet, unmittelbar Anfechtungsklage („Sprungklage“) zu erheben, Beschwerde zu führen oder im Wege der sog. „Doppelbeschwerde“ beide Wege parallel zu gehen 627. In Rheinland-Pfalz bestimmte § 18 Abs. 3 des Landesgesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 14. 04. 1950 628 eine Optionsmöglichkeit zwischen „Verwaltungsbeschwerde“ und „Klage im Verwaltungsstreitverfahren“ („Wahlklage“). Das Bundesverfassungsgericht legte diese Regelung verfassungskonform dahingehend aus, dass durch die Erhebung der Beschwerde der Verwaltungsrechtsweg nicht ausgeschlossen werde und hielt das Modell daher für mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar 629. Auch nach Inkrafttreten der VwGO wurde in der verwaltungsrechtlichen Literatur vereinzelt die fakultative Ausgestaltung des Widerspruchsverfahrens gefordert 630, im Allgemeinen Verwaltungsrecht aber niemals realisiert. Im Sozialgerichtsprozess war die „Sprungklage“ dagegen gem. § 78 Abs. 2 SGG von 1974 bis 1990 zulässig; im Finanzprozess gilt dies gemäß § 45 FGO bis heute. b) Die Regelungen in Mecklenburg-Vorpommern Mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsstrukturgesetzes vom 05. 07. 2005 631 wurde in Mecklenburg-Vorpommern zunächst bis zum 31. 12. 2008 befristet § 13a in das Ausführungsgesetz zum Gerichtsstrukturgesetz (AGGStrG M-V) 632 eingefügt. Danach hat der Bürger in bestimmten Teilbereichen des Verwaltungsrechts die Wahl, ob er zunächst Wider626
Vgl. Biermann, DÖV 2008, S. 395 (398 f.). Grundsätzlich positiv zu diesem Modell Presting, DÖV 1976, S. 269 (272 m.w. N. in Fn. 41). 628 GVBl. I, S. 103; abgedruckt in BVerfGE 9, 194 (195). 629 BVerfGE 9, 194 (197 ff.). 630 Presting, DÖV 1976, S. 269 (272 f.); Meyer-Ladewig, DÖV 1978, S. 305 (307 f.). 631 GVOBl. M-V 2005, S. 307. 627
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spruch erheben oder sogleich Rechtsschutz vor dem Verwaltungsgericht suchen will. Mit dem Siebten Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsstrukturgesetzes 633 wurde der Modellversuch zunächst bis zum 30. 06. 2011 verlängert 634. Die Ausdehnung der Experimentierphase wurde damit begründet, dass die zunächst vorgesehene zeitliche Befristung nicht ausgereicht habe, um die Auswirkungen hinsichtlich der Deregulierungsmaßnahmen und Verfahrensbeschleunigung abschließend bewerten zu können 635. In einer Entschließung forderte der Landtag die Landesregierung daher auf, ihm bis zum 31. 12. 2010 zu berichten, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Änderungen im Widerspruchsverfahren sinnvoll zur Deregulierung und Verfahrensbeschleunigung beitragen können 636. Besonders im Bau- und Umweltrecht hat § 13a AGGStrG M-V große verwaltungspraktische Bedeutung. So hat nach § 13a Nr. 1 AGGStrG M-V der Antragsteller im Anlagenzulassungsrecht nach dem BImSchG die Möglichkeit der sofortigen Klageerhebung, welche mit dem Charakter der Genehmigung als gebundene Erlaubnis und der Identität von Ausgangs- und Widerspruchsbehörde begründet wird. In Fällen der Drittanfechtung wird dagegen wegen der besonders hohen Befriedungswirkung an der obligatorischen Durchführung eines Vorverfahrens festgehalten. Im Bauplanungsrecht wurde die sofortige Klagemöglichkeit bei Entscheidungen nach §§ 10 Abs. 2 und 15 Abs. 1 und 3 BauGB eingeführt. Die weitaus größten praktischen Auswirkungen haben allerdings die in § 13a Nr. 3 AGGStrG M-V geschaffenen sofortigen Klagemöglichkeiten im Bauordnungsrecht. Anders als im Immissionsschutzrecht hat hier nicht nur der Bauherr, sondern auch der Nachbar die Wahl zwischen Widerspruch und Klage. Die sofortige Klagemöglichkeit betrifft mit der Baugenehmigung (§ 72 Abs. 1 LBauO M-V) und dem Bauvorbescheid (§ 75 Abs. 1 LBauO M-V) nahezu das gesamte System der präventiven bauordnungsrechtlichen Kontrolle 637. Am 12. 08. 2006 trat in Mecklenburg-Vorpommern zudem das Dritte Deregulierungsgesetz 638 in Kraft, mit dem § 13b AGGStrG M-V geschaffen wurde. Zunächst bis zum 31. 12. 2008 und nunmehr bis zum 30. 06. 2011 befristet 639, 632 Vom 02. 06. 1992 (GVOBl, M-V, S. 314), zuletzt geändert durch Gesetz vom 05. 07. 2005 (GVOBl. M-V, S. 307). 633 GVOBl. M-V 2008, S. 500. 634 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/1852 und 5/2084. Mittlerweile sieht der Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung der AGGStrG M-V vom 02. 03. 2011 (LTDrs 5/4172) eine Entfristung von §§ 13a und b AGGStrG M-V vor. 635 Landtag M-V, LTDrs 5/2084, S. 4. 636 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/2084, S. 3 f; Landtag M-V, PlPr 5/57 vom 17. 12. 2008. Vgl. dazu jetzt den Evaluationsbericht der Landesregierung LTDrs 5/4127. 637 Begründet wird der Verzicht auf ein obligatorisches Widerspruchsverfahren mit der Verfahrensbescheunigung, dem Charakter von Baugenehmigung und Bauvorbescheid als gebundene Erlaubnisse sowie der Identität von Ausgangs- und Widerspruchsbehörde.
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entfällt danach das Widerspruchsverfahren in wenigen ausgewählten Teilbereichen des Besonderen Verwaltungsrechts ohne große praktische Bedeutung 640. 4. Länder ohne landesrechtlichen Ausschluss des Widerspruchsverfahrens Zu den sechs Bundesländern, welche – soweit ersichtlich – bisher keine landesrechtlichen Vorschriften über den Ausschluss des Widerspruchsverfahrens erlassen haben, gehören Brandenburg, Bremen, Rheinland-Pfalz 641, das Saarland, Sachsen 642 und Schleswig-Holstein. IV. Rechtstatsachenforschung zur Funktionserfüllung im Widerspruchsverfahren 1. Funktionen des Widerspruchsverfahrens Das Widerspruchsverfahren verfolgt mit dem Rechtsschutz des Einzelnen, der Selbstkontrolle der Verwaltung und der Entlastung der Gerichte drei einander ergänzende gleichwertige Zielsetzungen 643. Nach dem gesetzlichen Idealtypus der §§ 68 ff. VwGO findet ein grundsätzlich zweistufig ausgestaltetes Überprüfungsverfahren statt, in dem Rechtmäßigkeit und bei Ermessensentscheidungen zusätzlich die Zweckmäßigkeit 644 der Ausgangsentscheidung überprüft wird. Die Ausgangsbehörde erhält so die Möglichkeit, fehlerhafte Verwaltungsakte durch einen nur wenigen Formvorschriften unterliegenden Abhilfebescheid relativ einfach „aus der Welt zu schaffen“. Will die Ausgangsbehörde an ihrer Entscheidung festhalten, legt sie den Fall der übergeordneten Fachaufsichtsbehörde vor, welche nach erneuter umfassender Recht- und ggf. Zweckmäßigkeitsprüfung 638 Drittes Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau vom 01. 08. 2006; GVBl. M-V, S. 634. 639 GVOBl. M-V 2008, S. 500. 640 Näher zu den betroffenen Rechtsgebieten Biermann, NordÖR 2007, S. 139 (145 f.). § 13b Abs. 1 Nr. 4 AGGStrG M-V wurde durch das 7. AGGStrGÄndG M-V aufgehoben. Damit ist allerdings keine sachliche Änderung verbunden, da die dortige Regelung in § 6 Abs. 2 Hochschulzulassungsgesetz (vom 14. 08. 2007; GVOBl. M-V, S. 286) übernommen wurde. 641 Dort hat eine im Jahr 2000 eingesetzte Arbeitsgruppe nachgewiesen, dass eine Abschaffung des Widerspruchsverfahrens nicht sinnvoll sei; vgl. Landtag Rheinland-Pfalz; LTDrs 16/2628. 642 Eine Ausnahme bildet der Ausschluss des Widerspruchsverfahrens bei der naturschutzrechtlichen Verbandsklage nach § 58 Abs. 1 S. 2 SächsNatSchG. 643 Grundlegend BVerwGE 26, 161 (166); 40, 25 (28 f.); 51, 310 (314). 644 Zur Vernachlässigung der Zweckmäßigkeitskontrolle Oppermann, Funktionen, S. 227 ff; S. 261 f.
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durch einen den Formvorschriften des § 73 Abs. 3 VwGO unterliegenden Widerspruchsbescheid zu entscheiden hat. Lediglich in den – allerdings nach den organisationsrechtlichen Vorschriften der einzelnen Bundesländer nicht seltenenFällen der Identität von Ausgangs- und Widerspruchsbehörde (§ 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 3 VwGO) entfällt die zweistufige Ausgestaltung des Widerspruchsverfahrens, so dass ausschließlich § 73 VwGO Anwendung findet 645. Völlig unterschiedlich wird allerdings die Frage beurteilt, ob das Widerspruchsverfahren die ihm zugedachten Funktionen tatsächlich erfüllt. Aussagekräftige empirische Untersuchungen zu dieser Frage fehlten trotz einzelner verdienstvoller Versuche lange Zeit 646, was den geringen Stellenwert der Rechtstatsachenforschung in der Bundesrepublik Deutschland belegt 647. Repräsentative empirische Erhebungen über die Effizienz und die Akzeptanz des Widerspruchsverfahrens sind jedoch unverzichtbar. Ohne wissenschaftlich abgesicherte Gesetzesfolgenabschätzungen durchgeführte Experimente sind auf Grund der mit ihnen verbundenen weit reichenden Folgen problematisch. Erfreulicherweise lässt sich in jüngster Zeit aber eine verstärkte Nutzung der Rechtstatsachenforschung in den Bundesländern beobachten. 2. Neuere Studien zur Rechtstatsachenforschung im Widerspruchsverfahren a) Pilotprojekt „Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in Mittelfranken“ Aufschlussreiche Daten zur Realität des Widerspruchsverfahrens lieferte ein in Bayern durchgeführte Pilotprojekt, welches auf einen Vorschlag der von der Bayerischen Staatsregierung 2003 eingesetzten Deregulierungskommission zurückgeht. Diese empfahl, vor einer möglicherweise dauerhaften landesweiten Abschaffung des Widerspruchsverfahrens einen Probelauf in ausgewählten Regierungsbezirken zu veranstalten 648. Das Modellprojekt wurde mit Billigung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs 649 im Regierungsbezirk Mittelfranken vom 01. 07. 2004 bis zum 30. 06. 2006 durchgeführt. Die nicht weniger als 4,5 Mio. Verwaltungsverfahren auswertende Studie, deren Abschlussbericht auch im In645
BVerwG NVwZ 1985, S. 577 und Kopp / Schenke, VwGO, § 72 Rn. 1 m.w. N. Vgl. Oppermann, Funktionen; dieselbe, DV 1997, S. 517 (521 ff.) sowie Vetter, S. 253. 647 Zu den strukturellen Defiziten der Rechtstatsachenforschung bereits Voßkuhle, VerwArch 85 (1994), S. 567 ff. 648 Vgl. Unterreitmeier, BayVBl 2007, S. 609 (611). 649 Nach BayVerfGH, BayVBl 2007, S. 79 verstößt die Regelung weder gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Bay Verf) noch gegen den Gleichheitssatz (Art. 118 Abs. 1 Bay Verf). 646
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ternet einsehbar ist 650, hat eine Vielzahl von Erkenntnissen gebracht, die für den Reformprozess in anderen Bundesländern verwertbar sind. Auf Grund der breiten Datenbasis und des methodisch abgesicherten Vorgehens 651 lassen sich erstmals belastbare Aussagen über die Effizienz von Widerspruchsverfahren treffen. Überraschend ist zunächst die geringe Anfechtungsquote von Verwaltungsentscheidungen. Nicht einmal 3 von 1000 Ausgangsbescheiden wurden angegriffen. Auffällig ist zudem, dass sich ca. 85% der erfassten Widersprüche auf gerade einmal 10 der insgesamt 151 in das Pilotprojekt einbezogenen Sachgebiete beziehen. Als besonders widerspruchsanfällig erwiesen sich dabei Streitigkeiten aus dem Beamten- und Richterrecht (36,2%), dem Gebühren- und Beitragsrecht (9,2 %), dem Öffentlichen Baurecht (9,1%), dem Recht der Erschließungsund Ausbaubeiträge (8,4%) und dem Ausbildungs- und Studienförderungsrecht (8,3%) 652. Dem Widerspruchsverfahren wird ein hoher Befriedungseffekt bescheinigt. Lediglich 25% der Widerspruchsentscheidungen wurden gerichtlich angegriffen 653. Insofern decken sich die Ergebnisse mit einer im Jahre 2003 in Mecklenburg-Vorpommern durchgeführten Erhebung, wonach sogar weit mehr als 80 % aller Streitigkeiten im Widerspruchsverfahren beigelegt werden 654. Dabei gelangt die Studie zu einer erstaunlichen 655 Erfolgsquote von 51 %, wobei der Anteil der Abhilfeentscheidungen bei rund 36% lag 656. Realistischer dürfte allerdings eine Erfolgsquote von etwa 25% sein. Die Dauer der Widerspruchsverfahren wird mit weniger als 3,5 Monaten angegeben 657. Die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in Mittelfranken führte zu einem erheblichen Anstieg der Eingangszahlen beim zuständigen Verwaltungsgerichts Ansbach 658. Im ersten Jahr stieg die Zahl der Klageeingänge von 1220 auf 3441 (+ 182 %) und lag im 650 Der Abschlussbericht der vom Bayerischen Staatsministerium des Inneren eingesetzten Arbeitsgruppe „Widerspruchsverfahren“ (im Folgenden: „Abschlussbericht“) ist auch unter www.stmi.bayern.de einsehbar (Abrufdatum: 08. 02. 2011). Zusammenfassung der Ergebnisse bei Unterreitmeier, BayVBl 2007, S. 609. Vgl. auch Müller-Grune / Grune, BayVBl 2007, S. 65. 651 Ausführlich zur Untersuchungsmethodik Abschlussbericht, S. 58 ff; zu den dennoch gegen die Untersuchung erhobenen methodischen Einwänden Hofmann-Hoeppel, BayVBl 2007, S. 73. 652 Vgl. Abschlussbericht, S. 121 ff. 653 Abschlussbericht, S. 123. 654 Nach einer in Mecklenburg-Vorpommern 2003 durchgeführten Ressortbefragung zu den im Jahre 2002 durchgeführten Verfahren gab es bei insgesamt 1.058.211 Erstbescheiden nur 10206 (weniger als 1 %) Widersprüche. Davon waren 2443 erfolgreich (knapp 24 %), während 5937 zurückgewiesen wurden. In das gerichtliche Verfahren gingen nur 1483 Widerspruchsverfahren, so dass sich eine Erledigungsquote von 85,5% ergibt. 655 Berechtigte Zweifel an den Zahlen auch bei Hüffer, BayVBl 2007, S. 619 (620). 656 Vgl. im einzelnen Abschlussbericht S. 123 f. 657 Zweifelnd insoweit Hüffer, BayVBl 2007, S. 619 (620). 658 Vgl. Abschlussbericht, S. 124 ff.
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zweiten Jahr mit 3073 noch um fast 152% über dem Ausgangswert. Bemerkenswert sind vor allem die Steigerungen in den Bereichen Beamten-, Abgaben-, Bau-, Ausbildungs- und Studienförderungsrecht 659. Der Abschlussbericht geht zudem davon aus, dass sich nach Abschaffung des Widerspruchsverfahrens die Gesamtverfahrensdauer des Rechtsbehelfsverfahrens verlängert hat und die Verfahrenskosten insgesamt gestiegen sind 660. Insgesamt habe sich das Widerspruchsverfahren daher bewährt. Es entfalte Befriedungswirkung und weise eine Filterfunktion auf. Der Widerspruch stelle sich meist als schneller, kostengünstiger und damit bürgerfreundlicher Rechtsbehelf dar 661. Allerdings gelte dies nicht in allen Rechtsgebieten gleichermaßen, so dass die Arbeitsgruppe eine nach Sachgebieten differenzierte Abwägungsentscheidung zu insgesamt 43 Rechtsgebieten getroffen hat. In sieben Rechtsgebieten (z. B. im Polizei- und Ordnungsrecht, im Recht der freien Berufe, im Wasserrecht und im Recht der Abfallbeseitigung) fiel die Empfehlung zu Gunsten einer Abschaffung des Widerspruchsverfahrens aus. In 21 Fällen – etwa im Gewerbe-, Handwerks- und Gaststättenrecht, im Bau-, Beamten- und Richterrecht, sowie im Gebühren- und Beitragsrecht – empfahl die Arbeitsgruppe dagegen die Beibehaltung des Widerspruchsverfahrens. In 15 Fällen vermochte man auf Grund widersprüchlicher statistischer Ergebnisse oder geringer Aussagekraft des erhobenen Zahlenmaterials keine Empfehlung abzugeben 662. b) Erfahrungsberichte zur Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in Niedersachsen Auch in Niedersachsen wurden die Folgen der zum 01. 01. 2005 realisierten Abschaffung des Vorverfahrens evaluiert 663. Eine vom Niedersächsischen Innenministerium beauftragte Gutachtergruppe hat zunächst die Verwaltungspraxis im Umgang mit der Aussetzung des Vorverfahrens ermittelt 664. Untersucht wurde, wie die Verwaltungen auf die veränderte Rechtslage reagiert und ihr eigenes Verwaltungshandeln verändert haben, wie Verwaltungsentscheidungen ohne förmliches Widerspruchsverfahren korrigiert und Klageverfahren abgewendet werden 659
Vgl. Abschlussbericht, S. 125. Vgl. im einzelnen Abschlussbericht, S. 128 f. 661 Abschlussbericht, S. 129. 662 Abschlussbericht, 130 f. 663 Näher Harald Meyer, NdsVBl 2009, S. 7. Umfassend nunmehr Müller-Rommel / Meyer / Heins, Verwaltungsmodernisierung in Niedersachsen, Evaluation für die Aussetzung der gerichtlichen Vorverfahren für den Zeitraum 01. 01. 2005 bis 31. 12. 2009, Baden-Baden 2010. 664 Müller-Rommel / Meyer / Heins, Verwaltungsmodernisierung in Niedersachsen, Evaluation für die Aussetzung der gerichtlichen Vorverfahren für den Zeitraum 01. 01. 2005 bis 31. 12. 2009, Erster Bericht der Gutachtergruppe, 2007. 660
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und ob durch die Abschaffung der Widerspruchsverfahren eine signifikante Steigerung der Arbeitsbelastung und der Kosten durch vermehrte Klagen zu verzeichnen ist. Ausgewertet wurden die Statistiken der sieben Niedersächsischen Verwaltungsgerichte zu Klageeingangszahlen; zudem wurden Expertengruppeninterviews mit ca. 100 kommunalen Verwaltungsbeamten aus 17 niedersächsischen Kommunalverwaltungen durchgeführt 665. Die auf der Basis der Verwaltungsgerichtsstatistiken ermittelten empirischen Befunde zeugen von einem teils erheblichen Anstieg der Klageeingänge bei den sieben niedersächsischen Verwaltungsgerichten 666. Eine besonders auffällige Erhöhung der Klagen war in 24 Sachgebieten zu verzeichnen, unter anderem im Bestattungsrecht 667, Gewerberecht 668, Handwerksrecht 669, Gaststättenrecht 670, Polizei- und Ordnungsrecht 671, Staatsangehörigkeitsrecht 672, Ausländerrecht 673, Verkehrsrecht 674, Gebühren- und Beitragsrecht 675 sowie im Ausbildungs- und Studienförderungsrecht 676. V. Folgerungen: Plädoyer für eine Fortentwicklung des Widerspruchsverfahrens Die für Mittelfranken und Niedersachsen ermittelten Zahlen verdeutlichen, dass das Widerspruchsverfahren vor allem wegen seiner Befriedungs- und Kontrollfunktion kein ineffektives, in Förmelei erstarrtes „historisches Relikt“ ist. Der starke Anstieg der Klageeingänge nach Abschaffung der Widerspruchsverfahren spricht vielmehr dafür, dass es vom Bürger angenommen wird. Die verbreitete Auffassung, dass das behördliche Vorverfahren ein obsoletes Rechtsschutzverfahren zweiter Klasse sei, belegt ein tief sitzendes Misstrauen gegen 665
Näher Erster Bericht der Gutachtergruppe, S. 5 ff. Näher Erster Bericht der Gutachtergruppe S. 32 ff; S. 120 ff. 667 2004 waren 24 Eingänge zu verzeichnen, die 2005 auf 68 stiegen und 2006 auf 58 zurückgingen. 668 Im Gewerberecht gab es 2004 insgesamt 110, im Jahre 2005 321 und im Jahre 2006 319 Eingänge. 669 Im Jahre 2004 waren lediglich 20, im Jahre 2005 dagegen 57 und 2006 77 Eingänge zu verzeichnen. 670 2004 gab es 42, 2005 93 und 2006 86 Klageeingänge. 671 Gab es im Jahre 2004 lediglich 135 Klageeingänge, stieg diese Zahl im Jahre 2005 auf 437 und im Jahre 2006 sogar auf 455. 672 2004 gab es im Staatsangehörigkeitsrecht 71, 2005 122 und 2006 110 Klageeingänge. 673 Dort gab es 2004 894, 2005 2267 und 2006 1817 Klageeingänge. 674 Gab es hier 2004 noch 355 Klageeingänge, so stiegen diese 2005 auf 999 und 2006 auf 1065. 675 2004 gab es dort 652, 2005 2024 und 2006 1836 Klageeingänge. 676 2004 gab es 119, 2005 615 und 2006 618 Klageeingänge. 666
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die Exekutive, welches in Zeiten gewandelter Verwaltungskultur 677, in denen der leitbildgeprägte, selbstkritisch reflektierende und bürgerorientierte Verwaltungsmitarbeiter auch die Praxis zu erobern beginnt, nur noch begrenzt verständlich ist. Bedenklich erscheint es zudem, im Verwaltungsrecht eine Verlagerung der Streitigkeiten auf die gerichtliche Ebene in Kauf zu nehmen, während anderenorts gerade umgekehrt für einen Ausbau der außergerichtlichen Streitbeilegung plädiert wird 678. Angesichts einer jedenfalls in den neuen Bundesländern noch immer spürbaren Schwellenangst und der hohen Kosten verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes würde ein flächendeckender Verzicht auf das Widerspruchsverfahren zu tatsächlichen Rechtsschutzdefiziten und einem Verlust an rechtsstaatlicher Kultur führen, die der Bürger auch als solche wahrnimmt. Auch wenn im erstinstanzlichen Verfahren vor den Verwaltungsgerichten kein Anwaltszwang besteht, beauftragen die Bürger regelmäßig einen Rechtsbeistand, da sie sich die selbständige Wahrnehmung ihrer Belange vor Gericht nicht zutrauen. Verschärft wird die kostenrechtliche Problematik durch die am 01. 07. 2004 in Kraft getretene Neufassung des Gerichtskostenrechts durch das Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts 679. Seitdem ist bereits bei Klageerhebung ein Gerichtskostenvorschuss zu leisten und die Möglichkeit einer kostenfreien Klagerücknahme wurde abgeschafft. Nicht zu unterschätzen ist auch die räumliche Entfernung zu den Verwaltungsgerichten in Flächenstaaten. Nicht die weitere Demontage, sondern die Weiterentwicklung und Modernisierung des Widerspruchsverfahrens ist daher das Gebot der Stunde. Anstatt unter Berufung auf einen vermeintlichen „Bürokratieabbau“ 680 ein bewährtes Rechtsinstitut dem Zeitgeist zu opfern, sollte verstärkt über seine Reform nachgedacht werden. Die Ursachen für bestehende Schwächen des Widerspruchsverfahrens müssen daher stärker als bisher analysiert werden, um das in diesem Verfahren liegende Konfliktlösungspotenzial vollständig zu aktivieren. Daher gilt es, mehr über die tatsächliche Wahrnehmung des Widerspruchsverfahrens in der Bevölkerung zu erfahren, wozu sich das Instrument einer methodisch abgesicherten repräsentativen „Kundenbefragung“ anbietet. Der Appell, dem Verfahrensgedanken wieder größere Aufmerksamkeit zu schenken und den Bürger frühzeitiger in das Verfahren einzubinden, oder ein informelles Beschwerdemanagement ohne institutionelle Absicherung vermögen das Widerspruchsverfahren nicht adäquat zu ersetzen. Jedenfalls in Bundesländern, die wie Mecklenburg-Vorpommern ländlich strukturiert und überwiegend mit kleinteiligen Verwaltungen ausgestattet 677 Ausführlich Wallerath, VerwArch 88 (1997), S. 1 und Jann, Verwaltungskultur, in: König, Deutsche Verwaltung, S. 425. 678 Näher zu den Ansätzen außergerichtlicher und gerichtsnaher Mediation unten § 9 G VII. 679 BGBl. I, S. 718. 680 Zu Übertreibungen in der gegenwärtigen Bürokratieabbaudebatte Bull, DV 2005, S. 285 ff.
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sind, stellt ein zentrales Beschwerdemanagement als – ergänzend zum Widerspruchsverfahren durchaus wünschenswertes – Instrument „kommunikativer Verwaltung“ nur für die wenigen großstädtischen Verwaltungen, nicht aber für die „kleine Gemeinde- oder Amtsverwaltung vor Ort“ eine realistische Perspektive dar. Größere Erfolgsaussichten dürfte deshalb die Verstärkung mediativer Elemente im Widerspruchsverfahren haben 681, wie sie bereits in Modellversuchen der Verwaltungsgerichtsbarkeit erfolgreich eingesetzt wurden. Auch die Idee, das Widerspruchsverfahren als Optionsmodell auszugestalten, stellt einen innovativen Ansatz zur Flexibilisierung des behördlichen Vorverfahrens dar. Die fakultative Ausgestaltung des Widerspruchsverfahrens unterliegt keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Wenn § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO die Länder sogar – wenn auch nach hier vertretener Auffassung nur bereichsspezifisch und mit Begründungszwang – zur Abschaffung des Vorverfahrens ermächtigt, steht den Landesgesetzgebern erst Recht die Befugnis zu, diese Handlungsmöglichkeiten nur zum Teil auszuschöpfen 682. Für die Zulässigkeit des Optionsmodells spricht darüber hinaus das mit der Novellierung des § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO verfolgte Ziel, den Bundesländern flexiblere Möglichkeiten zur Gestaltung des Vorverfahrens an die Hand zu geben. Auch rechtspolitisch überzeugt das Optionsmodell, weil es einen unfreiwilligen Verlust der Rechtsschutzmöglichkeiten verhindert, dem Bürger aber gleichzeitig ermöglicht, schnell und effektiv unabhängigen gerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen. Auch demokratie- und steuerungstheoretisch ist es sinnvoll, dem Bürger gleichsam einen „Baukasten“ verschiedener Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, aus dem er von Fall zu Fall das jeweils passende Rechtsschutzmodell auswählen kann. Angesichts dieser Vorteile wiegen die gegen das fakultative Vorverfahren vorgebrachten Bedenken weniger schwer. Die befürchteten Schwierigkeiten hinsichtlich der Komplexität eines „zweispurigen“ Rechtsschutzmodells mit einem Nebeneinander von Widerspruch und Klage und das verwaltungspraktische Problem der Erstellung einer zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung sind von einer lernfähigen Verwaltungspraxis bei einer entsprechender Informationspolitik durch die obersten Landesbehörden nach gewissen – im Übrigen auch mit der vollständigen Abschaffung des Widerspruchsverfahrens verbundenen – Anlaufschwierigkeiten durchaus zu bewältigen. Vor allem aber ermöglicht das Optionsmodell eine Partizipation des Bürgers bei einer rechtspolitisch strittigen Frage, kann doch der Einzelne durch sein Wahlverhalten aktiv über Fortbestand oder Abschaffung des Widerspruchsverfahrens mitentscheiden. Gesetzgeber und Verwaltungspraxis kommen zudem in den Genuss sonst nur schwer erhältlicher Informationen über die Akzeptanz des Widerspruchsverfahrens 683. Man darf daher auf die Ergebnisse der Evaluierung des Modells in Mecklen681 682
(403).
Zum Konzept eines mediativen Vorverfahrens Vetter, S. 185 ff. Näher BayVerfGH BayVBl 2009, S. 109 (110); Biermann, DÖV 2008, S. 395
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burg-Vorpommern nach Ablauf der bis zum 30. 06. 2011 verlängerten Testphase ebenso gespannt 683a sein wie auf weitere Erfahrungsberichte aus Bayern.
G. Entwicklungstendenzen im Verwaltungsprozessrecht I. Verwaltungsgerichtsbarkeit im ökonomisierten Staat – Reform des Verwaltungsprozesses als Teil der Staatsreform Die seit 1990 zu beobachtenden strukturellen Veränderungen des Verwaltungsprozesses sind Ausdruck eines grundlegend gewandelten Verständnisses vom Staat und seiner Aufgaben. Deshalb ist der Verwaltungsprozess des Jahres 2010 nur noch sehr bedingt mit demjenigen von 1960, als die Verwaltungsgerichtsordnung in Kraft trat, zu vergleichen. In den letzten 50 Jahren ist das Verwaltungsprozessrecht durch eine Vielzahl von Reformgesetzen im Sinne einer Beschleunigung, Ökonomisierung und Vereinfachung tief greifend umgestaltet worden 684, wobei einschneidende Änderungen besonders ab 1990 zu verzeichnen sind. Bereits die bis Mitte der 1990er Jahre verabschiedete Reformgesetzgebung 685 brachte spürbare Eingriffe in den durch ein zweistufiges Verwaltungsverfahren und einen dreistufigen Gerichtsaufbau geprägten Standard des Jahres 1960 686. Die mit dem 6. VwGOÄndG 687 zum 01. 01. 1997 verbundenen Änderungen führten zu einem nochmals „verschlankten“ Verwaltungsprozessrecht. Hintergrund all dieser Entwicklungen war eine angesichts knapper werdender Haushaltsmittel durchgeführte ökonomische Analyse des Verwaltungsprozesses 688. In deren Mittelpunkt 683 Nach Landtag M-V, LTDrs 5/1852, S. 2 haben die Bürger die Optionsmöglichkeit im Bauordnungsrecht „in beachtlichem Umfang“ in Anspruch genommen, während die übrigen Anwendungsbereiche von §§ 13a und b AGGStrG M-V in der Praxis bisher nicht von Bedeutung sind. 683a Vgl. dazu jetzt den Evaluationsbericht der Landesregierung vom 31. 01. 2011; Landtag M-V, LTDrs 5/4127. Der Bericht empfiehlt die Weitergeltung der §§ 13a, b AGGStrG M-V und regt die Prüfung einer punktuellen Ausweitung an. Am 02. 03. 2011 brachte die Landesregierung den Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des AGGStrG M-V in den Landtag ein (Landtag M-V, LTDrs 5/4172), mit dem die Regelungen der §§ 13a und b entfristet werden sollen. 684 Grundlegend Schulze-Fielitz / Schütz (Hrsg.), Justiz und Justizverwaltung unter Ökonomisierungsdruck, Baden-Baden 2003. 685 Einen umfassenden Überblick über die Vereinfachungsbemühungen bis zum Jahre 1992 und die sie tragenden Motive geben Lotz / Dillmann, BayVBl 1992, S. 737. 686 Stelkens, NVwZ 1995, S. 325 (328). Nach Dolderer, in: Festschrift für Brohm, S. 245 hat man die VwGO einer „Striptease-Prozedur“ unterzogen, bei der nun „kein Kleidungsstück fallen“ dürfe. 687 Vom 01. 11. 1996; BGBl. I, S. 1626. 688 Programmatisch Würtenberger, in: Festschrift für Brohm, S. 631 ff: „Die rechtsprechende Gewalt – ökonomisch betrachtet“.
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stand die Frage, ob man sich bei schärfer werdenden Verteilungskämpfen das „überkommene System der Rechtspflege (noch) leisten kann oder ob der Weg in den schlanken Staat nicht auch einen schlanken Rechtsstaat“ 689 gebiete. Durch eine ökonomisch zentrierte Herangehensweise geprägt, strebten nahezu alle Änderungen der VwGO seit 1990 die Straffung der verwaltungsgerichtlichen Verfahren bei gleichzeitiger Entlastung der Gerichte an. Der tatsächliche Beschleunigungseffekt einzelner Maßnahmen wurde allerdings vielfach bezweifelt 690. Im systematischen Überblick lassen sich drei größere Modernisierungsetappen des Verwaltungsprozesses seit 1960 ausmachen, die in der Folge dargestellt und um einen Ausblick zu aktuellen Reformperspektiven ergänzt werden sollen. Verlief die Entwicklung bis zum 4. VwGOÄndG im Jahre 1990 noch eher in ruhigen Bahnen (II.), so standen die 1990er Jahre ganz im Zeichen der Schaffung vereinigungsbedingten Sonderrechts für Infrastrukturvorhaben in den neuen Bundesländern (III.), das mit dem 6. VwGOÄndG weitgehend in das allgemeine Verwaltungsprozessrecht übernommen wurde (IV.). Das Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts nahm allzu weitgehende Änderungen dieses Gesetzes wieder zurück (V.). Nach einer knappen Darstellung der seit 2004 unternommenen Änderungen (VI.) wird schließlich ein Überblick zu Gegenwartsproblemen und Reformperspektiven des Verwaltungsprozessrechts gegeben(VII.). II. Die Entwicklung des Verwaltungsprozessrechts bis 1990 1. Diskussion um die Dauer von Verwaltungsprozessen und erste spezialgesetzliche Beschleunigungsbemühungen Die Debatte um die überlange Dauer von Verwaltungsprozessen begann bereits in den 1950er Jahren 691. Schon 1965 bezeichnete Carl Hermann Ule die Prozessdauer in den drei verwaltungsgerichtlichen Instanzen als „unerträglichen Zustand“, der „einer teilweisen Verweigerung des Rechtsschutzes“ gleichkomme 692. Der Vorschlag Ules, die Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich auf zwei Instanzen zu beschränken 693, wurde jedoch zunächst nur in wenigen Spezialbereichen der Verwaltungsgerichtsbarkeit, etwa im Lastenausgleichs-, Wehrpflicht-, Kriegsdienstverweigerungs- und im Flurbereinigungsrecht umgesetzt. 689
Würtenberger, in: Festschrift für Brohm, S. 631. Zum 6. VwGOÄndG etwa Ewer, ZG 1998, S. 47: „Gesetzgeberischer Aktionismus mit kontraproduktiver Wirkung“. Nach Wolf, in: Festgabe für Haack, S. 85 (96), wird „das Gesetz in der Praxis oft das genaue Gegenteil der angestrebten Entlastung und Beschleunigung erreichen“. 691 Umfangreiche Nachweise zu dieser Diskussion bei Sendler, DVBl 1982, S. 157. 692 Ule, Recht im Wandel, Festschrift 150 Jahre Carl Heymanns Verlag, S. 53 (80). 693 Ule, DVBl 1957, S. 597 (602); derselbe, Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 412 ff. 690
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a) Rechtspflegeentlastungsgesetz Erste wesentliche Beschleunigungselemente, mit denen dem „Dilemma der unerträglichen Prozessdauer“ 694 begegnen werden sollte, enthielt das zunächst bis zum 31. 12. 1983 befristete und später mehrfach verlängerte „Rechtspflegeentlastungsgesetz“ vom 31. 03. 1978 695. Für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit galt dieses Gesetz bis zum 31. 12. 1990 696. Mit der Einführung des Gerichtsbescheids 697, der Zulassungsberufung bei einem Streitwert bis zu 500 DM 698, der neu eingeführten Möglichkeit einer einstimmigen Zurückweisung der Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss und Erleichterungen bezüglich der Begründung von Berufungsurteilen und Beschlüssen im Beschwerdeverfahren enthielt das Gesetz zahlreiche Vereinfachungsmaßnahmen. In der Finanzgerichtsbarkeit wurde überdies erstmals die Möglichkeit der Präklusion verspäteten Vorbringens eingeführt. In der Folge geriet – nicht unerheblich beeinflusst von der Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland durch den EGMR im Fall König 699 – das als unübersichtlich empfundene System des Verwaltungsrechtsschutzes mit seiner „Hypertrophie des Instanzenzuges“ 700 in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit. Die erkannte Misere führte zu Überlegungen bezüglich bestehender Effektivierungs- und Beschleunigungspotenziale im verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz 701. Das bis dahin eher am Rande diskutierte Thema „Dauer von Gerichtsverfahren“ kam in Mode und wurde (nicht nur) in der Fachöffentlichkeit leidenschaftlich erörtert. 1983 tadelte der damalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Wolfgang Zeidler die „außer Kontrolle geratenen Wucherungen“ des deutschen Rechtsschutzsystems und prangerte die „Menschenrechtsverletzungen durch ein Zuviel an Rechtsgewährung“ 702 an. Auch Horst Sendler, in jener Zeit Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, beklagte strukturelle De694
Sendler, DVBl 1982, S. 157. Gesetz zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit; BGBl. I, S. 446. 696 Soweit das Gesetz verwaltungsgerichtliche Verfahren betraf, wurde es durch Art. 20 des 4. VwGOÄndG (BGBl. I 1990, S. 2809, 2821) zum 01. 01. 1991 aufgehoben. 697 Nachweise bei Sendler, DVBl 1982, S. 157 (158 mit Fn. 11), der den Entlastungseffekt des Gerichtsbescheids hervorhebt. Nach Meissner, Festgabe 50 Jahre BVerwG, S. 625 (626) führte der Gerichtsbescheid dazu, dass die erste Instanz häufig nur als Durchgangsstation für das Berufungsverfahren diente. 698 Vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 31. 03. 1978; BGBl. I, S. 446. Mit dem 4. VwGOÄndG wurde die Zulassungsberufung für Streitigkeiten mit einem Wert bis zu 1000 DM etabliert. 699 EGMR, Urt. v. 28. 06. 1978 (König / Deutschland), NJW 1979, S. 477. 700 Sendler, DVBl 1982, S. 157 (165). 701 Vgl. etwa Schenke, DÖV 1982, S. 709 (711 mit Fn. 9). 702 Zeidler, S. 36. 695
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fizite und die Kompliziertheit des deutschen Verwaltungsprozesses. Von einer Effektivität des Rechtsschutzes könne nicht mehr die Rede sein, die überlange Verfahrensdauer sei „das Fundamentalproblem des ganzen Rechtsschutzes“ 703. Überlegungen zur Verkürzung des gerichtlichen Instanzenzuges bestimmten daher auch die Diskussion um den von der Bundesregierung am 19. 03. 1982 in das Gesetzgebungsverfahren eingebrachten Entwurf einer einheitlichen Verwaltungsprozessordnung 704. b) Gesetz zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren Zu einer erheblichen Ausweitung der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte führte das Gesetz zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 04. 07. 1985 705. Mit ihm wurde ein Trend zur Regelung verwaltungsprozessualer Regelungen außerhalb der VwGO eingeleitet 706. Das Regelungswerk enthielt u. a. einen Katalog von insgesamt neun Tatbeständen aus dem Infrastrukturbereich, in denen – zunächst bis zum 31. 12. 1990 befristet 707 – die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte begründet wurde 708. Für die Zulassung einer Vielzahl investitionsrelevanter Großvorhaben aus dem Bereich des Atomrechts, bestimmter Kraftwerke, Abfallbeseitigungsanlagen, Flughäfen, Straßenbahnen und öffentlicher Eisenbahnen, Bundesautobahnen und Bundeswasserstraßen wurde der Verwaltungsrechtsschutz auf maximal zwei Instanzen konzentriert. Damit sollte ein „Abschied von der Instanzenseligkeit“ 709 eingeleitet und der Verwaltungsprozess beschleunigt werden 710. 2. Viertes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung Ein Markstein auf dem Weg zu einem „strafferen“ Verwaltungsprozess war das am 01. 01. 1991 in Kraft getretene 4. VwGOÄndG 711. Spätestens mit die703
Sendler, DVBl 1982, S. 157 (164). BRDrs 100/82. Dazu Schenke, DÖV 1982, S. 709. 705 BGBl. I, S. 1274. Entsprechende Forderungen bereits bei Schenke, DÖV 1982, S. 709 (714 ff.). 706 v. Oertzen, DÖV 1985, S. 749. 707 Kritisch zu dieser Befristung v. Oertzen, DÖV 1985, S. 749. 708 Art. 2 § 9 des Gesetzes. Dazu v. Oertzen, DÖV 1985, S. 749 und Pagenkopf, DVBl 1985, S. 981. 709 So der programmatische Titel eines Aufsatzes von Pagenkopf, DVBl 1985, S. 981. Der Begriff der „Instanzenseligkeit“ wurde durch Sendler, DVBl 1982, S. 157 (164) populär. 710 Vgl. Gesetzentwurf des Bundesrates BTDrs 10/171, S. 7. 711 Vom 17. 12. 1990; BGBl. I, S. 2809. 704
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ser Reform, die entgegen vereinzelt geäußerter Erwartungen 712 nur den Auftakt weiterer tiefgreifender Strukturveränderungen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit bilden sollte 713, wurde eine zunehmend ökonomisch dominierte und technokratische Sicht auf den Verwaltungsprozess deutlich, die in der Aufforderung des zu diesem Zeitpunkt für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständigen Referenten aus dem Bundesjustizministeriums gipfelte, den rechtsstaatlichen Wert der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht zu verabsolutieren. Vielmehr müsse sich jeder Verwaltungsrechtsschutz, der über den verfassungsrechtlich durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Mindeststandard hinausgehe, eine Nutzen / Kostenanalyse bzw. einen Preis / Leistungsvergleich gefallen lassen 714. Mit dem 4. VwGOÄndG wurden die Vereinfachungsvorschriften der Entlastungsgesetze in die VwGO übernommen und Regelungen für Massenverfahren eingefügt. Änderungen erfuhr auch das Rechtsmittelrecht. Mit § 80a VwGO traf man zudem erstmals eine ausdrückliche Regelung für den einstweiligen Rechtsschutz in mehrpoligen Rechtsverhältnissen. Überdies ermöglichten §§ 87b und 128a VwGO eine richterliche Fristsetzung für die Angabe von klagebegründenden Tatsachen und die Beibringung von Beweismitteln mit Präklusionswirkung. Durch Art. 2 des 4. VwGOÄndG wurden die §§ 17 bis 17b GVG neu konzipiert und eine Verweisungspflicht von im unzulässigen Rechtsweg erhobenen Klagen eingeführt, die durch § 83 VwGO flankiert wurde. III. Die frühen 1990er Jahre – Schaffung verwaltungsprozessualen Sonderrechts für die neuen Bundesländer Nachdem die VwGO am 19. 03. 1991 neu bekannt gemacht wurde 715, sorgte das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz 716 auch im Verwaltungsprozessrecht für erhebliche Änderungen. Beschleunigungseffekte erhoffte man sich vor allem von der Einführung der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts nach § 5 Abs. 1 VkPBG für nach der Herstellung der Einheit Deutschlands im östlichen Teil des Staatsgebiets getroffene Planungsentscheidungen für Bundeseisenbahnen, -fernstraßen, -wasserstraßen und Verkehrsflughäfen 717. Für diese Entscheidungen ordnete § 5 Abs. 2 Satz 1 VkPBG den Entfall 712
Stelkens, NVwZ 1991, S. 209. Stelkens, NVwZ 1995, S. 325 ff. beklagte ein „Reform ohne Ende“, welche dazu führe, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit „keine Ruhe vor dem Gesetzgeber“ habe. 714 Schmieszek, NVwZ 1991, S. 522. 715 Vgl. BGBl. I, S. 686. 716 Vom 16. 12. 1991; BGBl. I, S. 2174. Siehe bereits § 9 C III. 717 Zu damit verbundenen verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Problemen Groth, Festgabe 50 Jahre BVerwG, S. 661; Paetow, NVwZ 2007, S. 36. Nach BVerwGE 713
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der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gegen Planfeststellungsbeschluss und Plangenehmigung sowie in § 5 Abs. 3 VkPBG eine Sechs-Wochenfrist zur Klagebegründung an. Zudem musste der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage innerhalb eines Monats gestellt werden (§ 5 Abs. 2 Satz 2 VkPBG). Das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. 01. 1993 718 enthielt mit der Einführung des Einzelrichters in § 6 VwGO 719 und der Begrenzung der Beschwerde im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (§ 146 Abs. 4 VwGO) ebenfalls wichtige Änderungen für den Verwaltungsprozess. Mit der Etablierung des Einzelrichters, die Fachleute auch heute noch jedenfalls in Klageverfahren als „wenig sachgerecht“ 720 bewerten, wollte man verwaltungsgerichtliche Verfahren beschleunigen und richterliche Arbeitskraft zur Unterstützung der Gerichte in den neuen Ländern freisetzen. Weiteres prozessuales Sonderrecht für die neuen Bundesländer mit Ausnahme Berlins enthielt das als Art. 13 des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes verkündete Gesetz zur Beschränkung von Rechtsmitteln in der Verwaltungsgerichtsbarkeit (RmBeschrG) 721. In diesem – hinsichtlich Art. 3 Abs. 1 GG nicht unproblematischen 722 – Gesetz wurde zunächst befristet bis zum 30. 04. 1998 erstmals die später durch das 6. VwGOÄndG 723 modifiziert bundesweit übernommene Fristbindung für Anträge im Normenkontrollverfahren eingeführt. So waren Anträge nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO nur noch binnen drei Monaten nach Inkrafttreten der Satzungen möglich, wobei die Anwendung des § 58 VwGO ausgeschlossen wurde. Zudem führte das Gesetz die – ebenfalls durch das 6. VwGOÄndG zum 01. 01. 1997 bundesweit übernommene – Zulassungsberufung für eine Vielzahl investitionsbedeutsamer Verfahren in den neuen Ländern ein 724. Die Berufung war danach nur statthaft, wenn sie das Verwaltungsgericht im Urteil zuließ. Zudem wurde die aufschiebende Wirkung 120, 87 (90 ff.) begegnet die Vorschrift keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. 718 BGBl. I, S. 50. 719 Das von der Bundesregierung zunächst ins Auge gefasste Prinzip des originären Einzelrichters – vgl. dazu Lotz / Dillmann, BayVBl 1992, S. 737 (741) – hat sich in der VwGO nicht durchsetzen können, wird aber in neueren Spezialgesetzen verfolgt. Ausführlich Geiger, BayVBl 2007, S. 225 (228 ff.). 720 Geiger, BayVBl 2007, S. 225. 721 BGBl. I, S. 466 (487). 722 Gaßner / Groth, LKV 1993, S. 189 (191) halten das Gesetz in dieser Hinsicht für verfassungswidrig. 723 Dazu § 9 G IV. 724 Vgl. näher Nr. 2 a – k RmBeschrG. Die Zulassungsberufung betraf das bau- und immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren, § 22 BImSchG, das Wasser-, Abfallrecht, Straßen- sowie das Berg- und Energierecht.
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von Anfechtungswiderspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen den an einen anderen, diesen begünstigenden Verwaltungsakts bei zahlreichen investitionsrelevanten Vorhaben ausgeschlossen. Mit dem Rechtsmittelbeschränkungsgesetz wurden die neuen Bundesländer gewissermaßen zu einem „Experimentierfeld“ für verwaltungsprozessuale Beschleunigungsregelungen, die dort auf die Eignung für eine bundesweite Übernahme getestet werden sollten. Mit dem 6. VwGOÄndG wurde das RmBeschrG neu gefasst – die Regelungen über die Zulassungsberufung waren aufgrund ihrer bundesweiten Übernahme überflüssig geworden – und bis zum 31. 12. 2002 verlängert. Art. 3 des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts (RmBereinVPG) 725 hob das Gesetz schließlich zum 01. 01. 2002 726 auf. IV. Übernahme der Sonderregelungen in das allgemeine Verwaltungsprozessrecht: Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung Eine Reform des Verwaltungsprozesses „an Haupt und Gliedern“ beinhaltete das am 01. 01. 1997 in Kraft getretene 6. VwGOÄndG 727. Mit den tiefgreifenden und nicht immer hinreichend durchdachten Veränderungen, die dem Gesetzgeber den Vorwurf „eines von Hektik und mangelnder Konzeption geprägten Gesetzgebungsaktionismus“ 728 einbrachten, wurde der Wandel zum „schlanksten Prozessrecht“ 729 endgültig vollzogen. Wichtige Neuerungen brachte das Gesetz, welches in Teilen der Justiz „Besorgnis um den Rechtsstaat“ 730 hervorrief, im Rechtsmittelrecht, bei der Beendigung des Verfahrens, im einstweiligen Rechtsschutz und bei der Fehlerheilung. 1. Umgestaltung des Rechtsmittelrechts Zu den – von Wissenschaft, Justiz und Anwaltschaft 731 mehrheitlich besonders kritisch bewerteten 732 – Neuerungen des 6. VwGOÄndG zählten weit reichende 725
Vom 20. Dezember 2001; BGBl. I, S. 3987. Art. 7 Abs. 1 RmBereinVPG. 727 BGBl. 1996 I, S. 1626. 728 Vgl. Meier, NVwZ 1998, S. 689. Redeker, NVwZ 1996, S. 521 erachtete den Gesetzentwurf ob seiner „groben Mängel“ als „verheerend“. Kuhla / Hüttenbrink, DVBl 1996, S. 717 äußerten sogar die Befürchtung, dass in den klassischen Verfahren nunmehr „kurzer Prozess“ gemacht werden solle. Kritisch auch Meissner, VBlBW 1997, S. 81 und Ewer, ZG 1998, S. 46 (61). 729 Dolderer, in: Festschrift für Brohm, S. 245 (246). 730 Wolf, in: Festgabe für Haack, S. 85 (86). 731 So beklagte Johlen, DÖV 2001, S. 582 (588) mit der Berufungs- und Beschwerdezulassung habe der Gesetzgeber einen „Nebenkriegsschauplatz eröffnet, der die Ar726
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Änderungen im Rechtsmittelrecht, die im Wesentlichen dem AsylVfG entlehnt waren. Mit der Einführung der zunächst allein den Oberverwaltungsgerichten vorbehaltenen 733 Zulassungsberufung und der Zulassungsbeschwerde bei den praktisch bedeutsamen Fällen des einstweiligen Rechtsschutzes 734 entsprach der Reformgesetzgeber einem Anliegen, dass die Bundesregierung bereits in ihren Entwürfen einer Verwaltungsprozessordnung mehrfach in das Gesetzgebungsverfahren gebracht hatte 735. Die neuen Rechtsinstitute waren an der Grenze der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit mit restriktiven Fristbestimmungenverbunden 736. Gem. § 124a Abs. 1 Satz 1, 4 VwGO musste der Antrag auf Zulassung der Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils gestellt werden; innerhalb der Frist waren auch die Zulassungsgründe darzulegen 737. Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde musste gem. § 146 Abs. 5 VwGO gar innerhalb von zwei Wochen gestellt werden, wobei innerhalb der Frist auch die Zulassungsgründe darzulegen waren 738. Diese strenge verfahrensmäßige Ausgestaltung stieß überwiegend 739 auf Ablehnung, wobei auch verfassungsrechtliche Bedenken laut wurden 740. Insbesondere die nunmehr mögliche Kombination von Einzelrichter (§ 6 VwGO), Gerichtsbescheid (§ 84 VwGO) und Nichtzulassung beitskraft von Richtern und Anwälten unnütz bindet“. Kritik aus anwaltlicher Sicht bei Philipp, NVwZ 2000, S. 1265 (1266). 732 Exemplarisch Schenke, NJW 1997, S. 81 (93): „Bilanz eindeutig negativ“.; Krämer, LKV 1997, S. 114 (117): „Eingriffe in fundamentale Grundsätze des Verwaltungsverfahrens nicht hinnehmbar“; Redeker, NVwZ 1997, S. 625: „Rechtsschutz in vieler Hinsicht eingeschränkt“; „Systematische und sprachliche Fehler, Widersprüche und schlichte Fehlleistungen“; Wolf, in: Festgabe für Haack, S. 85 (97): „Beispiel von Gesetzgebung, die meint, komplizierte Probleme mit einem Federstrich lösen zu können, ohne insgesamt die Folgen abzuschätzen“. 733 Kritisch Berkemann, DVBl 1998, S. 446 (452); Franßen, DVBl 1998, S. 501 (502); Uechtritz, VBlBW 2000, S. 65 (71). 734 Nach Schenke, NJW 1997, S. 81 (92) „jedenfalls hart an der Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen“. Von einem „blanken Unsinn“ spricht Berkemann, DVBl 1998, S. 446 (450; 458). 735 BTDrs 9/1851; 10/3437 und 10/3477; weitere Nachweise zur damaligen Diskussion bei Meissner, Festgabe 50 Jahre BVerwG, S. 625 (626 mit Fn. 5) sowie Sendler, DVBl 1982, S. 157 (160). 736 Zur verfassungsrechtlichen Problematik des § 146 Abs. 5 VwGO vgl. Bader, VBlBW 1997, S. 449 (451) und Quaas, NVwZ 1998, S. 701 (705). 737 Zur kurzen Frist für die Darlegung der Berufungszulassungsgründe Bader, NVwZ 1998, S. 446 (447). Kritisch auch Seibert, NVwZ 1999, S. 113 – „Anwaltsbeschleunigungsgesetz“ –. 738 Die in Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG schon bei § 124a Abs. 1 Satz 4 VwGO bestehenden Einwände verstärken sich angesichts der noch knapper bemessenen Frist hier noch: vgl. Bader, NVwZ 1998, S. 446 (449 f.). Johlen, DÖV 2001, S. 582 (583) spricht von einer „die Verfassungswidrigkeit der Regelung streifende(n) Zumutung“. 739 Positiv Würtenberger, in: Festschrift für Brohm, S. 631 (639), wonach die nur marginale Verbesserung der Einzelfallgerechtigkeit nicht den Aufwand einer zweiten Tatsacheninstanz rechtfertige.
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der Berufung (§ 124 VwGO) veranlasste Kritiker, von tiefgreifenden „Systemänderungen des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes“ zu sprechen, welcher mit dem 6. VwGOÄndG auf „das unterste, verfassungsrechtlich noch hinnehmbare Niveau abgesenkt“ worden sei 741. 2. Beendigung des Verwaltungsprozesses nach Betreibensaufforderung Nach dem Vorbild des § 81 AsylVfG 742 wurde in § 92 Abs. 2 und 3 VwGO die Möglichkeit der Beendigung des Verwaltungsprozesses nach einer Betreibensaufforderung im Hinblick auf den unterstellten Wegfall des Rechtsschutzinteresses geschaffen 743. Nach § 92 Abs. 2 VwGO i. d. F. des 6. VwGOÄndG galt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betrieb. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Vorschrift für verfassungskonform erklärt hatte 744, wurde die Frist zum Betreiben der Klage durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24. 08. 2004 745 mit dem Ziel der weiteren Verfahrensstraffung 746 auf zwei Monate verkürzt. In § 126 Abs. 2 Satz 1 VwGO wurde mit dem 6. VwGOÄndG zudem das Institut der Fiktion der Berufungsrücknahme bei dreimonatigem Nichtbetreiben des Verfahrens trotz Aufforderung des Gerichts eingeführt. 3. Änderungen im Widerspruchsverfahren und im einstweiligen Rechtsschutz Zu bedeutsamen Änderungen führte das Gesetz auch im Bereich des Widerspruchsverfahrens und im einstweiligen Rechtsschutz. Neben der bereits erwähnten Änderung des § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO 747 begrenzte § 80b VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und der Anfechtungsklage im Fall der Klageabweisung im ersten Rechtszug auf drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist des gegen die abweisende Entscheidung statthaften Rechtsmittels. 740
Bader, NVwZ 1998, S. 446 (447):„Unzumutbare Erschwerung des Zugangs zum Rechtsmittelgericht“. 741 Schenke, NJW 1997, S. 81 (92); Meissner, Festgabe 50 Jahre BVerwG, S. 625 (628). 742 Vgl. BTDrs 13/3993, S. 12. 743 Ausführlich hierzu Decker, BayVBl 1997, S. 693. 744 BVerfG DVBl 1999, S. 166. Auch die „Vorbildvorschrift“ des § 81 AsylVfG hielt BVerfG, NVwZ 1994, S. 62 (63) für verfassungskonform erklärt. 745 BGBl. I, S. 2198. 746 BTDrs 15/108, S. 28. 747 Oben § 9 F 2.
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4. Heilung von Verfahrens- und Formfehlern und sonstige Änderungen Gegenstand scharfer Kritik waren zudem die §§ 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 und 94 Satz 2 VwGO. Die mit diesen Vorschriften eingeführte Möglichkeit des Vorsitzenden, der Verwaltungsbehörde die Gelegenheit zur Heilung von Verfahrensund Formfehlern innerhalb von drei Monaten zu geben und zu diesem Zweck das Verfahren auszusetzen, gab Anlass zur Sorge um die richterliche Neutralität und Unabhängigkeit 748 und drohte die prozessuale Waffengleichheit zu gefährden. Die Regelungen führten im Zusammenwirken mit dem durch das GenBeschlG zeitlich erweiterten Anwendungsbereich des § 45 Abs. 2 VwVfG überdies zur Abwertung des Verwaltungsverfahrens 749. Rechtlich problematisch war schließlich die durch § 114 Satz 2 VwGO ermöglichte Nachholung von Ermessenserwägungen im Verwaltungsprozess. Mit der Befristung des Normenkontrollantrages in § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO auf zwei Jahre nach Inkrafttreten der angefochtenen Rechtsvorschrift bei gleichzeitiger Annäherung der Antragsbefugnis an die restriktiven Vorgaben des § 42 Abs. 2 VwGO und der Einführung des Anwaltszwangs vor den Oberverwaltungsgerichten enthielt das 6. VwGOÄndG weitere Instrumente der Verfahrensstraffung und Beschleunigung. V. Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts: Eine „Reform der Reform“ Die Kritik der betroffenen Kreise 750 am 6. VwGOÄndG war so vehement, dass zum 01. 01. 2002 mit dem Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts (RmBereinVPG) 751 eine „Reform der Reform“ 752 eingeleitet und „dringend notwendige Einzelkorrekturen des Verwaltungsprozessrechts vorgenommen wurden 753. Die nach den fundamentalen Umgestaltungen des Verwaltungsprozessrechts seit Beginn der 1990er Jahre von vielen ersehnte „Ruhe an der Geset748
Stelkens, DVBl 1995, S. 1105 (1108); Redeker, NVwZ 1996, S. 521 (523). Ausführliche Kritik an § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 VwGO bei Schenke, NJW 1997, S. 81 (86 f.). 750 Aus richterlicher Sicht Meier, NVwZ 1998, S. 688; Bader, NVwZ 1998, S. 446 (449 f.); Knopp, DÖV 2003, S. 24 und Geiger, NJW 2002, S. 1248. Anwälte klagten vor allem über die kurzen Fristen bezüglich der Zulassungsanträge; vgl. Kuhla / Hüttenbrink, DVBl 2002, S. 85; Johlen, DVBl 2001, S. 582 (588 f.), Uechtritz, NVwZ 2000, S. 1217. 751 Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts vom 20. 12. 2001; BGBl. I, S. 3987. 752 Schenke, NJW 1997, S. 81 (93). 753 Der Gesetzgeber beschränkte sich nach langen Überlegungen auf Einzelkorrekturen. Ein interner Referentenentwurf eines „7. VwGOÄndG“ aus dem BMJ, das 2000 an die Öffentlichkeit gelangt war, sah dagegen die vollständige Abschaffung der Zulassungsberufung und ihre Ersetzung durch eine Annahmeberufung vor. Zu den Einzelheiten Uechtritz, NVwZ 2000, S. 1217 (1222). 749
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zesfront“ bzw. „Verschnauf- und Denkpause“ 754 im Verwaltungsprozess blieb damit ein unerfülltes Desiderat. Substanzielle Änderungen dieses „Reparaturgesetzes“ 755 betrafen vor allem das durch das 6. VwGOÄndG grundlegend umgestaltete Rechtsmittelrecht. Zwar blieb das Instrument der Zulassungsberufung unangetastet, allerdings wurde nunmehr – wie von der Praxis überwiegend gefordert 756 – die Möglichkeit der Berufungszulassung durch das Verwaltungsgericht eingeführt. Konnte bisher nur das Oberverwaltungsgericht die Berufung zulassen, so obliegt diese Kompetenz seit dem 01. 01. 2002 in den Fällen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Divergenzberufung) dem Verwaltungsgericht, welches in diesen Fällen zur Berufungszulassung von Amts wegen verpflichtet ist. Lässt das VG die Berufung zu, so muss die Berufung gem. § 124a Abs. 2 Satz 1 VwGO innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht eingelegt und gem. § 124a Abs. 3 Satz 1 VwGO innerhalb von zwei Monaten begründet werden. Die Frist des § 124a Abs. 3 Satz 1 VwGO kann auf einen vor Fristablauf gestellten Antrag hin gem. § 124a Abs. 3 Satz 3 verlängert werden. Wird die Berufung nicht durch das VG zugelassen, steht den Beteiligten der gem. § 124a Abs. 4 Satz1 VwGO innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Verwaltungsgericht zu stellende Antrag auf Zulassung der Berufung zur Verfügung. Innerhalb einer nicht verlängerbaren Frist von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind gem. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO die Berufungszulassungsgründe darzulegen. Die Frist zur Darlegung der Zulassungsgründe wurde – Anregungen aus der Praxis folgend 757 – im Vergleich zu § 124a Abs. 1 Satz 4 VwGO a. F. von einem auf zwei Monate verlängert, was schon aus rechtsstaatlichen Gründen geboten war 758. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren gem. § 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht. In diesem Fall ist die Berufung gem. § 124 Abs. 6 VwGO innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zustellung der Berufung zu begründen. Die Begründungsfrist kann gem. § 124 Abs. 6 Satz 3 i.V. m. § 124 Abs. 3 Satz 3 VwGO auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag durch den Senatsvorsitzenden verlängert werden. Zudem wurde mit dem Gesetz – befristet 754
Formulierungen von Schenke, NJW 1997, S. 81 (93). Hufen / Bickenbach, DV 2006, S. 525 (535). 756 Vgl. Franßen, NVwZ 2000, S. 411; DAV-Verwaltungsrechtsausschuss, DVBl 2000, S. 969; Uechtritz, NVwZ 2000, S. 1217 (1222). Zur uneinheitlichen und restriktiven Zulassungspraxis der Oberverwaltungsgerichte vgl. BVerfG, NVwZ 2001, S. 552; NVwZ 2005, S. 1176; Stelkens, NVwZ 2000, S. 155 (159); Meissner, Festgabe 50 Jahre BVerwG, S. 625 (632 f.). Kritisch zur Berufungszulassung durch die Verwaltungsgerichte Bader, VBlBW 2002, S. 471. 757 Siehe DAV-Verwaltungsrechtsausschuss, DVBl. 2000, S. 969 (971) und Uechtritz, NVwZ 2000, S. 1217 (1222 f.). 758 Meissner, Festgabe 50 Jahre BVerwG, S. 625 (636). 755
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bis zum 31. 12. 2004 759 – durch Einfügung eines § 124b VwGO das Vorlageverfahren zum BVerwG eingeführt, um bundeseinheitliche Maßstäbe bezüglich der Auslegung der Berufungszulassungsgründe zu erreichen. Nach kontroverser Diskussion im Gesetzgebungsverfahren 760 entfiel auch die – verfassungsrechtlich bedenkliche, wenig praktikable 761 und tendenziell verfahrensverlängernde 762 – Zulassungsbeschwerde. Gem. 146 Abs. 4 VwGO gelten nunmehr für den Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes allerdings besondere Anforderungen für die Begründung der Beschwerde. Die innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der vollständigen mit einer schriftlichen Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Entscheidung beim VG oder OVG einzulegende Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die nunmehr zur Verfügung stehende einmonatige Begründungsfrist stellt im Vergleich zur bis dahin geltenden zweiwöchigen Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Beschwerde eine erhebliche Erleichterung für den Rechtsuchenden dar, die im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG geboten war. Auch § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 VwGO wurde auf Vorschlag des Rechtsausschusses des Bundestages 763 gestrichen. VI. Aktuelle Entwicklungen des Verwaltungsprozessrechts seit 2004 1. Erstes Justizmodernisierungsgesetz, Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts und Justizkommunikationsgesetz Das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24. 08. 2004 764 verfolgte die Zielsetzung, „Gerichtsverfahren zu vereinfachen und flexibler zu gestalten, ohne rechtsstaatliche Standards zu beeinträchtigen“ 765. Die VwGO wurde mit diesem Gesetz allerdings nur unwesentlich geändert 766. Erhebliche Auswirkungen auf 759
Art. 6, 7 Abs. 2 RmBereinVPG. Ausführlich Bader, VBlBW 2002, S. 471 (473 mit Fn. 19). 761 Bald nach Einführung der Zulassungsbeschwerde zeigte sich, dass die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO für das Eilverfahren nicht passten, was zu einem faktischen Ausschluss der Beschwerdezulassung führte. Näher Hüttenbrink, DVBl. 2000, S. 883. Zudem entbrannten zwischen den Oberverwaltungsgerichten, teils auch zwischen den einzelnen Senaten innerhalb eines OVG heftige Kontroversen über das Verständnis der Zulassungsgründe im Kontext des Beschwerdezulassungsverfahrens. Eingehend Kuhla / Hüttenbrink, DVBl 2002, S. 85 (90); Knopp, DÖV 2003, S. 24 (26). 762 Dazu Schmidt, NVwZ 1998, S. 694 (699) – „Missgeburt, die keine Erleichterung schafft, sondern das Verfahren verkompliziert“ – und Meissner, Festgabe 50 Jahre BVerwG, S. 625 (634 f.). 763 BTDrs 14/7474, S. 15. 764 Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz; BGBl. I, S. 2198. 760
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das Verwaltungsprozessrecht hatte dagegen das am 01. 07. 2004 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts 767, nach dem nunmehr bereits bei Klageerhebung ein Gerichtskostenvorschuss zu leisten ist und mit dem die Möglichkeit einer kostenfreien Klagerücknahme abgeschafft wurde. Zu umfangreicheren Anpassungen der VwGO führte auch das Justizkommunikationsgesetz (JKomG) vom 22. 03. 2005 768, welches die elektronische Kommunikation im Verwaltungsprozess ermöglichen sollte. Bereits mit der im Juli 2001 in die VwGO eingefügte 769 Vorläufervorschrift des § 86a VwGO, die mittlerweile durch §§ 55a und b VwGO ersetzt wurde, gab es erste Bemühungen zur Etablierung der elektronischen Kommunikation im verwaltungsgerichtlichen Verfahren 770. Mit dem Justizkommunikationsgesetz sollte eine umfassende elektronische Aktenaufarbeitung in den Gerichten ermöglicht werden. 2. Anhörungsrügengesetz Mit dem Anhörungsrügengesetz vom 09. 12. 2004 771 kam der Gesetzgeber dem im Plenarbeschluss des BVerfG vom 30. 04. 2003 772 erteilten Gesetzgebungsauftrag nach und etablierte in den Prozessordnungen einen fachgerichtlichen außerordentlichen Rechtsbehelf, der es den Verfahrensbeteiligten ermöglicht, bei einer auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhenden, nicht mehr anfechtbaren Entscheidung auf die fachgerichtliche Behebung der Verletzung hinzuwirken. In die Verwaltungsgerichtsordnung wurde ein § 152a eingefügt, wonach das Verfahren auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten fortgeführt werden muss, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen eine gerichtliche Entscheidung nicht mehr gegeben ist und das Gericht den Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat 773. 765
S. 1.
Begründung zum Entwurf des 1. Justizmodernisierungsgesetzes; BTDrs 15/1508,
766 Kritisch Raabe, ZRP 2004, S. 108. Änderungen erfuhren §§ 60 Abs. 2 Satz 1, 92 Abs. 1 Satz 3 und 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO. 767 BGBl. I 2004, S. 718. 768 Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz; BGBl. I, S. 837. 769 Der durch Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsverkehr (FormVorAnpG) vom 13. 07. 2001; BGBl. I, S. 1542 geschaffene § 86a VwGO ermöglichte erstmals den elektronischen Rechtsverkehr mit den Gerichten. Vgl. Dästner, NJW 2001, S. 3469; Hähnchen, NJW 2001, S. 2833 und Roßnagel, DÖV 2001, S. 221. 770 Näher Hähnchen, NJW 2005, S. 2257; Schulz, DVP 2005, S. 6; Viefhues, NJW 2005, S. 1009. 771 BGBl. I, S. 3020. 772 BVerfGE 107, 395= NJW 2003, S. 1924.
§ 9 Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung
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3. Siebtes Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes Einschneidende Konsequenzen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit waren sodann mit dem 7. SGGÄndG vom 09. 12. 2004 774 verbunden. Danach sind die Sozialgerichte seit dem 01. 01. 2005 auch für alle Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes zuständig. Da sozialhilferechtliche Streitverfahren bundesweit ca. 10 bis 15% der erstinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Eingänge ausmachten 775 und zudem die Auseinandersetzungen um die „Hartz IV-Gesetze“ ein ungeahntes Ausmaß erreichten, führte diese gesetzgeberische Entscheidung zu einer stärkeren Belastung der Sozialgerichte bei gleichzeitigem Rückgang der Eingangszahlen bei den Verwaltungsgerichten. Wegen der gesetzlichen Zuständigkeitsverlagerungen ist die Sozialgerichtsbarkeit in Mecklenburg-Vorpommern im Wege der Abordnung bzw. der Änderung von Dienstleistungsaufträgen zu Lasten anderer Gerichtsbarkeiten verstärkt worden 776. Die Entscheidung des Gesetzgebers, den Sozialgerichten die Zuständigkeit für Arbeitslosengeld II und die Sozialhilfe zu übertragen, ist von Verwaltungsrichtern als rechtspolitisch und rechtssystematisch verfehlt kritisiert worden. Sie lasse unberücksichtigt, dass beide Leistungsarten aufgrund ihrer Steuerfinanziertheit typische Materien der allgemeinen Verwaltung und damit der Verwaltungsgerichtsbarkeit darstellten. Zudem seien wegen des deutlichen Rückgangs der Asylstreitigkeiten in der Verwaltungsgerichtsbarkeit auch Kapazitäten für zusätzliche Aufgaben vorhanden. Die Verlagerung der Sozialhilfe zu den Sozialgerichten bedeute zudem eine Preisgabe der in der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Jahrzehnten gewachsenen Fachkompetenzen 777. 4. Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben Das bereits oben 778 näher dargestellte Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgsetz (IPBeschlG) brachte bundesweit gültige Änderungen bezüglich des Verwaltungsrechtsschutzes gegen Planungsentscheidungen. Seit Inkrafttreten des Gesetzes am 17. 12. 2006 gilt der Entfall der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gegen Planfeststellungsbeschluss und Plangenehmigung 779 sowie eine Sechs-Wochenfrist zur Klagebegründung im gesamten Bundesgebiet 780. Be773
S. 11. 774
Zu den Einzelheiten Schenke, NVwZ 2005, S. 729; Guckelberger, NVwZ 2005,
BGBl. I, S. 3302. Bertrams, DVBl. 2006, S. 997 (1004). 776 Näher LTDrs 4/2229 vom 16. 05. 2006. 777 Bertrams, DVBl 2006, S. 997 (1004); Geiger, NJW 2004, S. 1850; Decker, NVwZ 2004, S. 826. 778 Vgl. § 9 C IX. 775
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
schleunigend soll auch die erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO 781 wirken, die für das AEG, das FStrG, das MagnetschwebebahnG und das WaStrG, nicht dagegen für die anderen Fachplanungsgesetze gilt 782. Gegen die bundesweite Übernahme dieser verfahrensbeschleunigenden Regelung aus dem VkPBG wurden in der Literatur vor allem unter Hinweis auf den in Art. 92 Abs. 1 GG vorausgesetzten föderalen Gerichtsaufbau verfassungsrechtliche Bedenken vorgebracht. Die Regelung führe dazu, dass die Rechtsprechung zu so wichtigen Kernmaterien des Verwaltungsrechts wie dem Fachplanungsrecht für Verkehrswege weitgehend unter Ausschluss der Gerichte der Länder erfolge 783. Schwerlich rechtfertigen lasse sich auch die Ungleichbehandlung des Fachplanungsrechts mit Verfahren der Anlagenzulassung im Bauordnungs- und Immissionsschutzrecht, wo ebenfalls ein offenkundiges Bedürfnis nach Beschleunigung bestehe, gleichwohl aber am herkömmlichen Instanzenweg festgehalten werde. Dieser verfassungsrechtlichen Problematik war sich der Gesetzgeber bewusst, wie die kontroverse Diskussion während des Gesetzgebungsverfahrens zeigt 784. Das Bundesverwaltungsgericht ist diesen Bedenken in seiner Entscheidung vom 09. 07. 2008 785 nicht gefolgt. Die Regelung sei sowohl mit Art. 92; 95 Abs. 1 GG als auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Auch Art. 19 Abs. 4 GG sei nicht verletzt 786. Die Bundesregierung hat am 26. 06. 2009 einen Erfahrungsbericht über die Handhabung der erstinstanzlichen Zuständigkeit des BVerwG nach dem IPBeschlG vorgelegt, der den Berichtszeitraum vom 17. 12. 2006 bis zum 26. 01. 2009 umfasst 787. 779 §§ 17e Abs. 2 FStrG, 14e Abs. 2 Satz 1 WaStrG, 6 Abs. 5 LuftVG, 2d Abs. 2 MagnetschwebebahnG, 43e Abs. 1 Satz 1 EnWG. Entsprechende Regelungen enthielten bereits §§ 20 Abs. 5 Satz 1 AEG, 17 Abs. 6a FStrG, 5 Abs. 2VkPBG und 10 Abs. 6 Nr. 1 LuftVG. 780 §§ 8e Abs. 5 AEG, 17e Abs. 5 FStrG, 14e Abs. 5 WaStrG, 2d Abs. 3 MagnetschwebebahnG, 43e Abs. 3 EnWG. 781 Dazu Groth, Festgabe 50 Jahre BVerwG, S. 661. 2009 betrafen noch 40 (nach 133 im Jahre 2007) Eingänge die erstinstanzliche Zuständigkeit des BVerwG nach VkPBG bzw. IPBeschlG. Zu den Erfahrungen mit der Regelung BTDrs 16/13571. 782 §§ 18e AEG, 17e FStrG, 2d MagnetschwebebahnG, 14e WaStrG. Mit Art. 3 des Gesetzes zur Beschleunigung der Höchstspannungsnetze vom 21. 08. 2009, BGBl. I, 2870 wurde eine erstinstanzliche Zuständigkeit des BVerwG auch für Vorhaben nach dem Energieleitungausbaugsetz begründet. 783 Bedenken bei Hien, DVBl 2006, S. 350 (351); Paetow, NVwZ 2007, S. 36 (37) und Otto, NVwZ 2007, S. 379 (383). 784 Vgl. BTDrs 16/3158, S. 59; S. 64 ff; S. 81. 785 BVerwGE 131, 274 = NVwZ 2009, S. 302. 786 BVerwGE 131, 274 (279 ff.). 787 BTDrs 16/13571. In Stellungnahmen kritisieren sowohl das BVerwG selbst als auch der BDVR und die BRAK die erstinstanzliche Zuständigkeit unter Hinweis auf die Gefahren für die Aufgaben des BVerwG als Revisionsgericht; vgl. BTDrs 16/13571, S. 4 f.
§ 9 Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung
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Für die Stellung eines Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Fall 1 VwGO und dessen Begründung führte das IPBeschlG zudem eine mit der Bekanntgabe des Planfeststellungsbeschlusses oder der Plangenehmigung beginnende Monatsfrist ein. Treten nach diesem Zeitpunkt Tatsachen ein, welche die Anordnung der aufschiebenden Wirkung rechtfertigen, so kann ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nur innerhalb eines Monats nach Kenntniserlangung von den Tatsachen gestellt werden 788. 5. Umweltrechtsbehelfsgesetz Mit dem am 15. 12. 2006 in Kraft getretenen Umweltrechtsbehelfsgesetz (URG) 789 wurde die Richtlinie 2003/35/EG (Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie) 790 in deutsches Recht umgesetzt. Das Gesetz eröffnet anerkannten Umweltschutzvereinigungen einen erweiterten Zugang zu den Gerichten. Eine nach § 3 URG anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung kann nach § 2 URG – ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen – unter bestimmten Voraussetzungen Rechtsbehelfe nach der VwGO gegen Verwaltungsentscheidungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 URG oder deren Unterlassen einlegen. Die Vereinigung muss zunächst geltend machen, dass die betreffende Entscheidung oder deren Unterlassung im Widerspruch zu Rechtsvorschriften steht, die dem Umweltschutz dienen, Rechte Einzelner begründen und für die Entscheidung von Bedeutung sein können (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 URG). Darüber hinaus muss die Vereinigung vortragen, dass sie durch die Entscheidung in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes berührt wird (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 URG). Endlich muss die Vereinigung geltend machen, dass sie zur Verfahrensbeteiligung berechtigt war und sich hierbei in der Sache gemäß den geltenden Rechtsvorschriften geäußert hat oder ihr entgegen den geltenden Rechtsvorschriften keine Gelegenheiten zur Äußerung gegeben worden ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 URG).Ausgeschlossen ist gem. § 2 Abs. 3 URG die Geltendmachung aller Einwendungen im Rechtsbehelfsverfahren, welche die Vereinigung bereits im Verwaltungsverfahren hätte vorbringen können, sie dies aber nicht oder nicht rechtzeitig getan hat (Präklusion von Einwendungen). Spezielle Probleme folgen aus der Regelung des § 2 Abs. 5 Nr. 2 URG, der zu einer bereichsspezifischen doppelten Subjektivierung der Begründetheitsprüfung im Normenkontrollverfahren führt 791. § 4 URG enthält schließlich eine die Anwendung des § 46 VwVfG ausschließende Sonderregelung, welche die Nichtdurchführung einer gebotenen 788 Vgl. §§ 18e Abs. 4 AEG, 17e Abs. 4 FStrG, 14e Abs. 4 WaStrG, 2d Abs. 2 Satz 2 bis 5 MagnetschwebebahnG; 43e Abs. 2 EnWG. 789 Vom 07. 12. 2006; BGBl. I, S. 2616. 790 Richtlinie 2003/35/EG, ABL L 15, S. 17. Hierzu Bunge, ZUR 2004, S. 141; Ekardt / Pöhlmann, EurUP 2004, S. 128. 791 Näher Ziekow, BauR 2007, S. 1669 (1172 f.).
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3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. einer UVP-Vorprüfung zu absoluten Verfahrensfehlern erklärt. Die Durchführung der entsprechenden Prüfungen wird durch das URG zu einem subjektiv-öffentlichen Recht aufgewertet 792, so dass – vorbehaltlich der Nachholung einer UVP bzw. Vorprüfung im Rahmen des § 45 Abs. 2 VwVfG – ein Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung schon allein wegen des Verfahrensfehlers besteht 793. Die durch § 2 URG garantierte umweltrechtliche Verbandsklage ist im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben problematisch, weil § 2 Abs. 1 Nr. 1 URG nur die Geltendmachung solcher Rechtsvorschriften zulässt, die „Rechte Einzelner begründen“. Damit soll die Überprüfung von Rechtsverstößen auf solche Rechtsnormen beschränkt werden, bei denen anerkannt ist, dass sie subjektiv-öffentliche Rechte begründen können 794. Die umweltrechtliche Vereinsklage mutiert daher praktisch zu einer „Stellvertreterklage“, bei welcher die Rügebefugnisse nicht weiter reichen als bei der sog. Verletztenklage des Bürgers 795. Hintergrund dieser Regelung ist die Befürchtung, dass ohne einen solchen, der traditionellen Schutznormlehre verhafteten, subjektiven Einschlag die Verbände auch bloße Vorsorgeanforderungen durchsetzen könnten, die nach herrschender verwaltungsrechtlicher Dogmatik nicht drittschützend und damit nicht klagefähig sind 796. Die Verknüpfung der Rügebefugnis von Vereinigungen mit den Individualrechten verfehlt das gemeinschaftsrechtliche Verbandsklagekonzept und unterliegt daher im Hinblick auf seine Vereinbarkeit mit gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zumindest Bedenken 797. Rechtspolitisch ist das „defensive“, allein auf gemeinschaftsrechtlichen Druck reagierende URG, wenig überzeugend 798. Das Gesetz ist dadurch gekennzeichnet, „vertraute Systemvorstellungen durch die Erweiterung der zweiten Spur“ 799, nämlich der des 792
(261).
Zur Herleitung dieser subjektiven Rechtsqualität Ziekow, NVwZ 2007, S. 259
793 Zur Problematik der Gemeinschaftsrechtskonformität Schmidt / Kremer, ZUR 2007, S. 57 (62); Ziekow, NVwZ 2007, S. 259 (264), diese bejahend Ewer, NVwZ 2007, S. 267 (273 f.). 794 BTDrs 16/2495, S. 12. 795 Schmidt / Kremer, ZUR 2007, S. 57 (58). 796 Ziekow, NVwZ 2007, S. 259 (260); Schmidt / Kremer, ZUR 2007, S. 57 (58). 797 Ausführlich Ziekow, NVwZ 2007, S. 259 (260). Von einem Verstoß gegen den in Art. 10a UVP-RL und Art. 15a IVU-RL vorgesehenen „weiten Zugang zu Gerichten“ gehen Schmidt / Kremer, ZUR 2007, S. 57 (61 f.) aus. Ewer, NVwZ 2007, S. 267 (274) hält § 2 Abs. 1 Nr. 1 URG jedenfalls dann nicht für gemeinschaftsrechtskonform, wenn man bei der Bestimmung der Schutznormqualität von Vorschriften die hohen Anforderungen des § 42 Abs. 2 VwGO zu Grunde legt. Für eine Vereinbarkeit des § 2 Abs. 1 Nr. 1 URG mit Aarhauskonvention und Richtlinie 2003/35/EG dagegen v. Danwitz, JUTR 2007, S. 31 (39 ff; 55 f.). 798 Ziekow, NVwZ 2007, S. 259; a. A. v. Danwitz, JUTR 2007, S. 31 (57). 799 Ziekow, NVwZ 2007, S. 259 (266).
§ 9 Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung
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gemeinschaftsrechtlich unterlegten Rechts, zu retten und sorgt für eine zunehmende Unübersichtlichkeit und Intransparenz des Umweltrechts. Die von Teilen der Literatur geäußerte Hoffnung, die Aufnahmefähigkeit des Umweltrechts für gemeinschaftsrechtliche Vorgaben zu erhöhen und einen allgemeinen Regelungsrahmen für Vereinsklagen ohne Weiterverfolgung des Konzepts der Schutznormakzessorietät zu schaffen 800, dürfte sich nach alledem auch in mittelfristiger Perspektive nicht erfüllen. VII. Gegenwartsprobleme und Reformperspektiven im Verwaltungsprozess Zu den aktuellen Problemen der Verwaltungsgerichtsbarkeit gehören neben dem „Dauerthema“ Entlastung und Beschleunigung die „Strukturreform der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten“, die fortschreitende „Ökonomisierung“ der Justiz in Zeiten knapper Kassen 801 sowie Maßnahmen zur „Qualitätssicherung“ in der Gerichtsbarkeit. Daneben sind die „Technisierung und Digitalisierung“, die Weiterentwicklung alternativer Techniken der Streitbeilegung („Mediation“) sowie weiterhin die „Europäisierung“ beherrschende Themen der aktuellen rechtspolitischen Diskussion um den Verwaltungsprozess 802. So galt es, die Europäische Dienstleistungsrichtlinie bis zum 28. 12. 2009 auch in der Justiz umzusetzen, was mit dem Gesetz zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie in der Justiz und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 22. 12. 2010 803 erst mit fast einjähriger Verspätung gelang. Mit dem Gesetz wurden unter anderem die BRAO, das Rechtsdienstleistungsgesetz, die Patentanwaltordnung das StBG, die BnotO, die ZPO, die VwGO, das SGG, das BVerfGG und die WPO den europäischen Vorgaben angepasst 804. Bezüglich der Dauer von Verwaltungsprozessen 805 ist allerdings – bedingt durch den deutlichen Rückgang von Asylverfahren, der Abwanderung der Sozialhilfestreitigkeiten zur Sozialgerichtsbarkeit zum 01. 01. 2005 806 und die verschärften Zulassungsvoraussetzungen im Rechtsmittelrecht – eine deutliche Ent800
Ziekow, NVwZ 2007, S. 259 (266). Zu Rationalisierungsmöglichkeiten der Justiz in Zeiten knapper Kassen Bittmann, ZRP 2008, S. 11. 802 Näher Bertrams, DVBl 2006, S. 997 (998); Millgramm, DVBl. 2008, S. 821 (825); Hufen, § 3 Rn. 1 ff; Steiner, BayVBl 2009, S. 1. 803 BGBl. I, S. 2248. 804 So führte man beispielsweise In §§ 32 Abs. 2 BRAO; 13 Abs. 2 Satz 1 RDG; 30 Abs. 2 Patentanwaltordnung und 4b WPO dreimonatige Entscheidungsfristen (ohne Genehmigungsfiktion) ein. 805 Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.4. einsehbar unter www .destatis.de. (Abrufdatum: 08. 02. 2011). 806 Oben § 9 G VI 3. 801
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spannung eingetreten. So waren zu Jahresbeginn 2004 noch 242.164 Verfahren vor den deutschen Verwaltungsgerichten anhängig, während die Zahl 2007 auf 141.689 und 2009 auf 115.826 gesunken war. In Mecklenburg-Vorpommern standen 2009 3.133 Neuzugängen 3.192 erledigte Verfahren gegenüber, so dass die Zahl der anhängigen Verfahren von 5.256 zu Jahresbeginn auf 5.197 am Jahresende sank 807. Die Verfahrensdauer pro Instanz konnte im Bundesdurchschnitt von 13,9 Monaten im Jahre 2007 auf 11,3 Monate gesenkt werden 808. Das eigentliche Problem ist aber, dass – bedingt durch Spezialzuständigkeiten – überlange Verfahrensdauern bei einzelnen Spruchkörpern ganze Rechtsgebiete betreffen 809 und deren strukturellen Ursachen fortbestehen 810. Die Verkürzung der Verfahrensdauer fällt zudem regional sehr unterschiedlich aus 811. So dauerten verwaltungsgerichtliche Verfahren 2009 in Brandenburg 27,5, in MecklenburgVorpommern 21,4 und in Sachsen 18,9 Monate, während die Verfahrensdauer in Baden-Württemberg 8,3, in Bayern 7,5 und in Rheinland-Pfalz lediglich 4,8 Monate betrug. Auch ist bezüglich der Verfahrensdauer weiterhin ein großes WestOstgefälle festzustellen. So dauerten die Verfahren im früheren Bundesgebiet (einschließlich Gesamt-Berlin) im Schnitt 9,5 Monate, in den neuen Ländern dagegen 19,9 Monate. Im Bundesschnitt wurden 2009 20,3 % der Verfahren erst nach mehr als 18 Monaten erledigt, 12,2% nahmen sogar mehr als 24 Monate in Anspruch. In den neuen Bundesländern dauerten 45,3 % der Verfahren länger als 18 Monate, 33,5% sogar mehr als 24 Monate 812. Innerhalb eines Jahres konnten in Deutschland 66,5% der Verwaltungsstreitsachen erledigt werden (im früheren Bundesgebiet gelang das bei 71,4%, in den neuen Ländern dagegen nur bei 43,2 % der Prozesse). Das zum Teil extreme Gefälle in der Verfahrensdauer zwischen den einzelnen Bundesländern ist im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG ausgesprochen problematisch. So nahmen 2004 erstinstanzliche Verfahren je nach Bundesland zwischen knapp über vier bis zu 27 Monate in Anspruch 813. Im Jahre 2009 hat sich an diesem Befund nichts Wesentliches geändert. Während es in Rheinland-Pfalz ge807 Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.4, S. 14 f. Vgl. auch Bertrams, DVBl 2006, S. 997 (998) mit Zahlenmaterial aus Nordrhein-Westfalen. So sank die Zahl der dort neu eingegangenen Hauptverfahren von rund 84.000 im Jahre 1994 auf knapp 33.000 im Jahre 2005. 808 Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.4, S. 24 f. 809 Mayen, DVBl 2006, S. 1008 (1010). 810 Instruktiv Millgramm, DVBl. 2008, S. 821 (823 f.) mit dem Vorschlag, für komplexe Verfahren nach amerikanischem Vorbild sog. „Special Master“ einzusetzen. 811 Näher Steinbeiß-Winkelmann, ZRP 2007, S. 17. Zum Rückgang der Geschäftsbelastung der OVG von 1997 bis 2002 bereits Meissner, Festgabe 50 Jahre BVerwG, S. 625 (629). 812 Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.4, S. 24 f. 813 Vgl. v. Bargen, NJW 2006, S. 2531 (2534); Steinbeiß-Winkelmann, ZRP 2007, S. 177.
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lang, die Verfahren innerhalb von durchschnittlich 4,8 Monaten abzuschließen, benötigte die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Brandenburg hierzu 27,5 Monate 814. Ganze Rechtsgebiete, wie etwa das Sozialhilfe- und das Vergaberecht, der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit zu entziehen 815, kann überdies kein Mittel zur Lösung von Überlastungsproblemen sein, sondern ist Ausdruck einer strukturellen Krise in der Verwaltungsgerichtsbarkeit 816. Unter anderem deshalb wird seit einigen Jahren intensiv über eine „Große Strukturreform“ im Justizwesen diskutiert 817. Vor allem aus der Praxis wird der Ruf nach einer Zusammenlegung der drei öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten immer lauter 818. Im „Windschatten“ dieser Debatte wird – fast 25 Jahre nach dem Scheitern der einheitlichen Verwaltungsprozessordnung 819 – auch wieder über eine Vereinheitlichung des verwaltungs-, sozial- und finanzgerichtlichen Prozessrechts nachgedacht. Wenn auch die Realisierungschancen eines solchen Projekts kurzfristig eher gering erscheinen 820, sprechen mit der Verbesserung des Rechtsschutzes durch Beseitigung nicht gebotener Unterschiede, der besseren Übersichtlichkeit und Praktikabilität durch Verminderung der Zahl der Vorschriften und einer so ermöglichten Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung doch gute Gründe für eine Vereinheitlichung der Prozessordnungen 821. Thema zahlreicher Debatten ist die voranschreitende Ökonomisierung der Justiz. In Zeiten knapper Ressourcen muss sich auch die dritte Gewalt vermehrt betriebswirtschaftliche Fragestellungen gefallen lassen. Kontrovers diskutiert wird vor allem die Frage, ob das Neue Steuerungsmodell auch für die Justiz taugt 822. Hier reichen die Ansichten von einer strikten Ablehnung jeder Ökonomisierung der Justiz über grundsätzliche Zweifel 823 bis hin zu der Einsicht, dass die Modernisierung des Justizwesens auch unter ökonomischen Aspekten erforderlich ist, dabei aber auch die soziale Effizienz und Effektivität der Justiz beachtet werden müsse 824. Jedenfalls unter Rechtswissenschaftlern scheint Einigkeit darüber zu bestehen, dass jedwede inhaltliche Steuerung der richterlichen Tätigkeit durch 814
Zahlen für 2009: Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.4, S. 24 f. Zur Verdrängung der Verwaltungsgerichtsbarkeit aus dem Öffentlichen Wirtschaftsrecht Schliesky, in: Festschrift für Stober, S. 523 ff. 816 Darstellung der „Krisensymptome“ bei Millgramm DVBl. 2008, S. 821. 817 Grundlegend Heister-Neumann, ZRP 2005, 12 ff; Wittreck, DVBl 2005, S. 211. 818 Bertrams, DVBl. 2006, S. 997 (1004 f.); Hufen, § 3 Rn. 5. Kritisch Redeker, NJW 2004, S. 496. 819 Zur damaligen Diskussion Meyer-Ladewig, NVwZ 2007, S. 1262 (1264). 820 Zu den Gründen Meyer-Ladewig, NVwZ 2007, S. 1262 (1264 f.). 821 Meyer-Ladewig, NVwZ 2007, S. 1262 (1264). 822 Vgl. Kramer, NJW 2001, S. 3449; Eifert, DV 1997, S. 79. 823 Papier, NJW 2001, S. 1089 (1094); Bertrams, DVBl. 2006, S. 997 (1007). 824 Zur Messung der Qualität der Rechtsprechung Gornas, Nutzen und Kosten der Justiz, S. 6. 815
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die Justizverwaltung mit der in Art. 97 GG garantierten richterlichen Unabhängigkeit unvereinbar wäre und es daher bei der Umsetzung neuer Steuerungsmodelle im Justizsektor „von vorneherein nicht um die Steuerung der Leistungen selbst, sondern nur um die Steuerung des Modus der Leistungserbringung gehen“ 825 kann. Erhebliche Probleme macht zudem die Entwicklung geeigneter Parameter zur Erfolgsmessung richterlicher Tätigkeit sowie die Organisation des Prozesses der Qualitätsgewährleistung 826. Unabhängig davon ist das verstärkte Bemühen der Verwaltungsgerichtsbarkeit um gute Qualitätsstandards 827 – hierzu gehören etwa kurze Verfahrenslaufzeiten, praxistaugliche Entscheidungen, Transparenz, Fairness, verständliche Sprache, angemessenes Auftreten und Neutralität der Richter sowie eine bürgernahe Kommunikation mit den Verfahrensbeteiligten – grundsätzlich positiv zu bewerten. Das Bemühen um eine „gute Rechtsprechung“ setzt eine engagierte und dauerhafte Qualitätsdiskussion innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit voraus, die in den letzten Jahren intensiviert und institutionalisiert wurde 828. So gehen immer mehr Verwaltungsgerichte dazu über, unter Einbeziehung ihrer Abnehmer in Form von „Kundenbefragungen“ über strukturelle Defizite ihrer Arbeit und Optimierungsmöglichkeiten nachzudenken. Erforderlich für eine qualitativ hochwertige Rechtsprechung ist aber auch, dass die Gerichtsbarkeit über eine ausreichende personelle und sachliche Ausstattung verfügt und sich stärker als bisher modernen elektronischen Kommunikationsformen öffnet 829. So sollte es in allen Bundesländern an sich selbstverständlich sein, dass Klage- und Antragsschriften und sonstige Schriftsätze – wie in § 55a VwGO vorgesehen – über ein Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach – in elektronischer Form eingereicht und entsprechend weiterverarbeitet werden können 830. Im Zusammenhang mit der Modernisierung der Justiz wird überdies eine intensive Diskussion über außergerichtliche Instrumente der Streitschlichtung sowie die Stärkung der Selbstverwaltung der Judikative geführt 831. Die Streitbeilegung durch Mediation 832 fasst auch in Deutschland zunehmend Fuß, wobei diese Ent825
Papier, NJW 2001, S. 1089 (1094); zu den Grenzen der Ökonomisierung auch Groß, DV 2001, S. 371 und Rossen-Stadtfeld, NVwZ 2001, S. 361. 826 Vgl. Gornas, Nutzen und Kosten der Justiz, S. 11 ff; v. Bargen, NJW 2006, S. 2531 (2535). 827 Zur „Qualitätsoffensive“ und zur Diskussion um die von den OVG-Präsidenten 2005 definierten „Standards verwaltungsgerichtlicher Arbeit“ Bertrams, DVBl 2006, S. 997 (1003 f.). 828 Näher v. Bargen, NJW 2006, S. 2534; Bertrams, DVBl. 2006, S. 979; Mayen, DVBl 2006, S. 1008, (1010 ff.). 829 Ausführlich Schwoerer, Die elektronische Justiz; Britz, DVBl. 2007, S. 993; v. Bargen, NJW 2006, S. 2531 (25 33 f.) sowie Bertrams, DVBl 2006, S. 997 (1001 f.). 830 Zu dieser Möglichkeit in Nordrhein-Westfalen Bertrams, DVBl 2006, S. 997 (1002).
§ 9 Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung
363
wicklung ihren Ausgangspunkt in Zivil- und Handelssachen hatte und bisher vor allem die außergerichtliche Mediation im Vordergrund stand. Die Konfliktlösung durch gerichtsnahe oder -interne Mediation 833 bietet aber auch Zukunftschancen für eine moderne Verwaltungsjustiz 834. So hat das vom Niedersächsischen Justizministerium von März 2002 Februar 2005 durchgeführte „Pilotprojekt Gerichtsnahe Mediation“ deren Konfliktlösungspotenzial im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nachgewiesen 835. Auch in Mecklenburg-Vorpommern besteht bereits seit 2004 ein Mediationsprojekt am OLG und LG Rostock sowie am VG Greifswald. Mittlerweile machen zusätzlich auch das OVG Greifswald, das VG Schwerin und das Sozialgericht Rostock Mediationsangebote. Insbesondere bei komplexen Verwaltungsverfahren – etwa der Planung und Genehmigung von Vorhaben im Umweltrecht oder bei Altlastensanierungen größeren Umfangs –, aber auch im Beamten- und Schulrecht ist mit der Streitbeilegung durch Mediation bereits erfolgreich 836 experimentiert worden 837. Grundsätzliche verfassungsrechtliche oder kompetenzielle Bedenken gegen die – nach zutreffender Ansicht als Rechtsprechung i. S. d. Art. 92 GG zu qualifizierende 838 – gerichtsinterne 831 Umfassend Gornas, Nutzen und Kosten der Justiz, S. 9 f. Zu den (wenig ermutigenden) Erfahrungen mit den auf Grundlage von § 15a EGZPO eingeführten obligatorischen alternativen Schlichtungsstellen Spindler, DVBl 2008, S. 1016 (1020). 832 Zur Mediation als Rechtsbegriff Spindler, DVBl 2008, S. 1016 f. § 3a der EU-Mediationsrichtlinie (vom 21. 05. 2008, ABl L 136, S. 3) definiert Mediation als „ein strukturiertes Verfahren unabhängig von seiner Bezeichnung, in dem zwei oder mehr Streitparteien mit Hilfe eines Mediators auf freiwilliger Basis selbst versuchen, eine Vereinbarung über die Beilegung ihrer Streitigkeiten zu erzielen.“ 833 Zur Unterscheidung von außergerichtlicher (privater), „gerichtsnaher“ und „gerichtsinterner“ Mediation und zu deren Erscheinungsformen Spindler, DVBl 2008, S. 1016 (1020 ff.). 834 Näher v. Bargen, DVBl. 2004, S. 468; Ortloff, NVwZ 2006, S. 148, derselbe, NVwZ 2007, S. 33; Härtel, JZ 2005, S. 753; Schäfer, NVwZ 2006, S. 39; Wimmer / Wimmer, NJW 2007, S. 3243; Seibert, NVwZ 2008, S. 365; Ronellenfitsch, DÖV 2010, S. 373. Auch der 67. Deutsche Juristentag 2008 hat das Thema Mediation zum Gegenstand seiner Beratungen gemacht. Vgl. dazu das Gutachten von Hess und den Begleitaufsatz von Spindler, DVBl 2008, S. 1016. 835 Vgl. den unter www.mediation-in-niedersachsen.de einsehbaren Bericht über dieses Projekt (Abrufdatum: 08. 02. 2011). Nach Spindler, DVBl 2008, 1016, 1020 m.w. N. kann „die gerichtsnahe Mediation ... mit Fug und Recht als ein Erfolgsmodell“ bezeichnet werden. 836 Nach Seibert, NVwZ 2008, S. 365 (370) beträgt die Erfolgsquote etwa 80%. In vielen Fällen seien „sehr gute, teils verblüffende Erfolge erzielt“ worden. 837 Näher Spindler, DVBl 2008, S. 1016 (1024 ff.). Zur Auswahl geeigneter Verfahren Seibert, NVwZ 2008, S. 365 (367). 838 Die Frage ist ausgesprochen umstritten. Für eine Qualifikation als Rechtsprechungstätigkeit etwa Seibert, NVwZ 2008, S. 365 (366); v. Bargen, DVBl 2004, S. 468 (474); Härtel, JZ 2005, S. 753 (760); Kopp / Schenke, VwGO, § 1 Rn. 43 f.; a. A. Spindler, DVBl 2008, 1016 (1020 ff. m.w. N.); Ortloff, NVwZ 2004, S. 385 (389); Wimmer / Wimmer, NJW 2007, S. 3243 (3244).
364
3. Kap.: Entwicklungstendenzen der Regelungsoptimierung seit 1990
Mediation sind nicht veranlasst. Allerdings empfiehlt es sich, die in Verwaltungsstreitsachen bisher nur über § 173 VwGO i.V. m. 278 Abs. 5 Satz 1 ZPO zulässige – Mediation im Verwaltungsprozessrecht ausdrücklich zu regeln 839. Die „Europäisierung“ des materiellen Verwaltungsrechts und des Verwaltungsprozessrechts schreitet ebenfalls unaufhaltbar voran 840. Nationaler Verwaltungsrechtsschutz und Rechtsschutz durch EuGH, das EuG und EGMR bilden „drei nicht mehr strikt trennbare Ebenen des Rechtsschutzsystems, die sich ... immer mehr aneinander annähern und schon heute große Verzahnungen aufweisen“ 841. Die dadurch bedingte komplexe Gemengelage stellt große Anforderungen an die nationale Verwaltungsgerichtsbarkeit sowohl bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts als auch bei der Kontrolle von der Anwendung derselben und ist mit einer Vielzahl spezifischer verwaltungsprozessualer und materiellrechtlicher Probleme verbunden 842. Insgesamt haben die tief greifenden Strukturveränderungen im Verwaltungsprozessrecht seit Beginn der 1990er Jahre die Bedeutung der Verwaltungsgerichte erheblich geschwächt 843 . Durch den verstärkten Einsatz von Einzelrichtern 844, die restriktive Zulassungspraxis im Rechtsmittelrecht und eine vielfach zu beobachtende Tendenz zu einer allzu „staatstragenden Rechtsprechung“ 845 der häufig als „Reparaturbetrieb der Verwaltung“ wahrgenommenen Verwaltungsgerichte sehen die Kritiker die Verwaltungsgerichtsbarkeit „zur Zeit dabei, sich aus der Rolle des Garanten für einen umfassenden, voraussehbaren und zuverlässigen Rechtsschutz, den ihr das Grundgesetz zugedacht hat, mehr und mehr zu verabschieden“ 846. Es ist deshalb sicher zutreffend, die letzten 20 Jahre mit dem Schlagwort „Abbau des Verwaltungsrechtsschutzes“ 847 zu versehen. Jedenfalls haben der „oft konzeptionslose Reformaktionismus des Gesetzgebers“ 848 und die Schaffung zahlreicher, kaum mehr überschaubarer sonderprozessualer 839
Spindler, DVBl 2008, S. 1016 (1021); v. Bargen, DVBl 2004, S. 468 (476). Vgl. dazu zuletzt Ziekow, NVwZ 2010, S. 793. 841 Hufen, § 3 Rn. 16. 842 Vgl. Hufen, § 3 Rn. 17 ff. m.w. N. Kritisch zur fehlenden Vertrautheit der deutschen Verwaltungsgerichte mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht Millgramm, DVBl. 2008, S. 821 (824). 843 Eingehend Erbguth (Hrsg.), Verwaltungsrechtsschutz in der Krise, 2010 mit den Beiträgen der gleichnamigen Rostocker Fachtagung vom 22. 03. 2009. 844 Eindrucksvolle Zahlen bei Meissner, Festgabe 50 Jahre BVerwG, S. 630 f., der im Jahre 2001 für Baden-Württemberg eine Einzelrichterquote von 81% ermittelte. 845 Näher Millgramm, DVBl. 2008, S. 821 (825 ff.). 846 Meissner, Festgabe 50 Jahre BVerwG, S. 625 (630 f.). Ausgesprochen kritisch zur gegenwärtigen Situation der Verwaltungsgerichtsbarkeit Millgramm, DVBl. 2008, S. 821 ff. 847 Erbguth, DÖV 2010, S. 921 mit Bestandsaufnahme des Fachplanungs- und Immissionsschutzrechts. 840
§ 9 Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung
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Regelungen zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit geführt, die nicht nur unter Beschleunigungsgesichtspunkten kontraproduktiv ist, sondern das Vertrauen einer effektiven Rechtsschutzgewährleistung durch die Verwaltungsgerichte grundsätzlich erschüttern kann.
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Meissner, Festgabe 50 Jahre BVerwG, S. 625 spricht von einer „unendlichen Geschichte der Rechtsmittelreformen“. Zu den zahlreichen Streitfragen bei der Auslegung des Berufungszulassungsrechts Rudisile, DV 2006, S. 421.
Viertes Kapitel
Entwicklung der Verwaltungsstrukturen und Reformbestrebungen in Mecklenburg-Vorpommern § 10 Aufbauphase 1990 bis 1992: Entstehung des Landes, Verfassungsgebungsprozess und Aufbau funktionierender Verwaltungsstrukturen A. Entstehung des Landes und Verfassungsgebungsprozess I. Entstehung des Landes Das Land Mecklenburg-Vorpommern entstand durch das von der Volkskammer am 22. 07. 1990 beschlossene Verfassungsgesetz zur Bildung von Ländern in der Deutschen Demokratischen Republik 1. Diesem „Ländereinführungsgesetz“ (LEG) lag noch die Vorstellung eines Strukturwandels der DDR unter Aufrechterhaltung ihrer Staatlichkeit zugrunde 2. Es sah in §§ 1, 2 und 25 Abs. 1 zum 14. 10. 1990 die Bildung von fünf Ländern vor und versuchte auf diese Weise, an verloren gegangene föderalistische Traditionen anknüpfen 3. In der 1949 gegründeten DDR waren die Länder von Beginn an den Grundsätzen des „demokratischen Zentralismus“ 4 verpflichtet, so dass sich eigenständige fö1
Ländereinführungsgesetz (LEG); GBl. I DDR, S. 955. Als „Verfassungsgesetze“ waren nach Art. 106 der Verfassung der DDR i. d. F. des Gesetzes vom 17. 06. 1990 (GBl. I DDR, S. 299) alle verfassungsändernden Gesetze zu bezeichnen. Die Volkskammer nutzte die dadurch eröffnete Chance zur Verfassungsänderung unter erleichterten Bedingungen, um ein Verfassungsgrundsätzegesetz (vom 17. 06. 1990; GBl. I DDR, S. 299) und mehrere Verfassungsgesetze zu erlassen. Näher Stern, Staatsrecht V, § 134 VII 5, S. 1790 ff. 2 Ausführlich Stern, Staatsrecht V, § 134 VII 5. 3 Eingehend zur damaligen Diskussion Czybulka, ZRP 1990, S. 269. 4 Der auf Lenin zurückgehende „demokratische Zentralismus“ wurde in Art. 47 Abs. 2 der Verfassung der DDR zum tragenden Prinzip des Staatsaufbaus erklärt. Näher Brunner, HdbStR, Band 1, 3. Aufl. 2003, § 11 Rn. 25 ff sowie Mielke, Auflösung, S. 106 ff.
§ 10 Aufbauphase 1990 bis 1992
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deralistische Tendenzen nicht entwickeln konnten 5. Es entstand vielmehr ein hierarchisch-zentralistisch aufgebauter Einheitsstaat, der sich in territoriale und funktionale Einheiten ohne Selbstverwaltungsrecht gliederte. Mit dem Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und die Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der DDR vom 23. 07. 1952 6 wurden die Länder de facto 7 zerschlagen und durch 14 Bezirke mit zunächst über 200 Land- und Stadtkreisen und fast 10.000 Gemeinden ersetzt 8. Im Zuge dieser Zentralisierung, die mit Veränderungen von Kreisgrenzen und einer erheblichen Zunahme der Landkreise verbunden war 9, wurden im Land Mecklenburg die Bezirke Rostock 10, Schwerin und Neubrandenburg 11 gebildet. Die drei sogenannten „Nordbezirke“ der DDR bestanden zunächst aus 35 Land- und vier Stadtkreisen 12. Die Landtage der fünf Länder bildeten sich zu Bezirkstagen um, die Landesregierungen wurden zu Räten der Bezirke. Bezirkstage und Räte der Bezirke 5
S. 2.
Einzelheiten zur Entwicklung der Länder in SBZ und DDR bei Bernet, LKV 1991,
6 GBl. I DDR, S. 613. Näher Stern, Staatsrecht V, § 134 III 4, S. 1636 f; Mielke, Auflösung, S. 81 ff; Brunner, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 5, S. 1218 (1244 ff.). 7 Der Mecklenburgische Landtag trat am 25. 07. 1952 letztmalig zusammen, um die Neugliederung des Landes in die drei Bezirke Rostock, Schwerin und Neubrandenburg zu beschließen. De jure bestanden die Länder fort. Art. 1 Abs. 1 der Verfassung der DDR, demzufolge sich die Republik auf den deutschen Ländern aufbaute, wurde nicht geändert. Die Länderkammer wurde erst durch Gesetz vom 08. 12. 1958 (GBl. I DDR, S. 867) aufgelöst. Die Verfassung des Landes Mecklenburg von 1947 wurde formal niemals aufgehoben. Näher Klaus, S. 23 ff; Stern, Staatsrecht V, 134 III 4, S. 1636 f; Mielke, Auflösung, S. 81 ff. 8 Laut Statistischen Jahrbuch der DDR, 1990, S. 7 gab es am 31. 12. 1989 14 Bezirke und die Hauptstadt Berlin (Ost), 189 Land- und 27 Stadtkreise, elf Stadtbezirke in Berlin (Ost), 6597 Landgemeinden, 967 kreisangehörige Stadtgemeinden sowie 25 Stadtbezirke in sechs großen Stadtkreisen. 9 Zu den Hintergründen Mielke, Auflösung, S. 99 ff. Die Zahl der ursprünglich 121 Landkreise wurde auf 194 erhöht. Hinzu kamen 23 Stadtkreise. Die Landkreise sollten durchschnittlich 50 Gemeinden (vorher 81) mit 70.000 (vorher 118.000) Einwohnern umfassen, um zu gewährleisten, dass „die demokratische Gesetzlichkeit bis in die kleinste Gemeinde durchgesetzt werden kann.“ 10 Der Bezirk Rostock war der „Küstenbezirk“ mit mehr als 200 Kilometern Ost-West-Ausdehnung. Diese reichte von Grevesmühlen bis zur Insel Usedom, während die Erstreckung in das Binnenland nur gering war. Der Bezirk umfasste die gesamte Werftindustrie sowie die Seefischerei und war durch seine Häfen für den Außenhandel der DDR bedeutsam. 11 Zu den „Agrarbezirken“ Schwerin und Neubrandenburg Mielke, Auflösung, S. 93. 12 Näher Mielke, Auflösung, S. 88; Brunner, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 5, S. 1218 (1245 f.). Der Bezirk Rostock bestand aus zunächst aus 11 Land- und 3 Stadtkreisen. Zum 01. 01. 1956 wurden die Landkreise Bergen und Putbus zum Landkreis Rügen zusammengelegt. Zum 01. 01. 1974 wurde die Stadt Greifswald zum Stadtkreis erklärt. Der Bezirk Schwerin bestand aus 10 Landkreisen und einem Stadtkreis. Den Bezirk Neubrandenburg bildeten zunächst 14 Landkreise. Am 01. 01. 1969 erhielt die Stadt Neubrandenburg die Kreisfreiheit.
368 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
wurden forthin als Organe der sozialistischen Staatsmacht bezeichnet 13. Nach den Volkskammerwahlen am 18. 03. 1990 wurden die ehemaligen Bezirkstage zum 31. 05. 1990 aufgelöst. Bis zur Länderneubildung setzte man für die Bezirke Regierungsbevollmächtigte ein, die mit dem Aufbau der künftigen Landesverwaltung beauftragt wurden 14. Das gem. § 1 Abs. 1 LEG durch Zusammenlegung der Territorien der Nordbezirke Neubrandenburg, Schwerin und Rostock, ohne die Kreise Perleberg, Prenzlau und Templin entstandene 15 Land Mecklenburg-Vorpommern ist eine originäre Neugründung des Jahres 1990 16 und nicht etwa Rechtsnachfolger des „nach über 50-jährigen Dornröschenschlafs wachgeküsste(n)“ 17 Landes Mecklenburg, welches sich in den Jahren 1945 bis 1947 als „Konglomerat aus Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz und dem preußischen Pommern“ 18 in der Sowjetischen Besatzungszone konstituiert hatte 19. II. Mecklenburg-Vorpommern als Gliedstaat der Bundesrepublik Deutschland Gem. Art. 1 Abs. 1 des Einigungsvertrages (EV) ist das Land MecklenburgVorpommern seit dem 03. 10. 1990 als neuer Gliedstaat Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland. Nach dem noch von der Volkskammer der DDR 13 Vgl. „Gesetz über örtliche Organe der Staatsmacht“ vom 18. 01. 1957 (GBl. DDR I, S. 65); „Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe in der DDR“ vom 12. 07. 1973 (GBl. DDR I, S. 313); Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen vom 04. 07. 1985 (GBl. DDR I, S. 213). Näher Mielke, Auflösung, S. 111 ff. 14 Regierungsbevollmächtigte waren Martin Brick (CDU) für Neubrandenburg, Georg Diederich (CDU) für Schwerin und Hans-Joachim Kalendrusch (CDU) für Rostock. Näher zu deren Tätigkeit März, JöR N. F. 54 (2006), S. 175 (180); Klaus, S. 19 ff. 15 Zu Einzelheiten der Territorialität März, JöR N. F. 54 (2006), S. 175 (180 ff.). 16 Näher März, JöR N. F. 54 (2006), S. 175 (176 f.). 17 März, JöR N. F. 54 (2006), S. 175 (177). 18 Schwabe, S. 28 (29 ff.) mit Ausführungen zu den historischen Ursachen für die Unterschiede des „mecklenburgischen“ und „vorpommerschen“ Regionalbewusstseins. 19 Durch Befehl Nr. 5 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland vom 09. 07. 1945 wurde aus dem Land Mecklenburg, welches erst zum 01. 01. 1934 aus den beiden Freistaaten Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz entstanden war, unter Einbeziehung auch der westlich der Oder gelegenen Teile der preußischen Provinz Pommern ohne die Stadt Stettin das Land „Mecklenburg-Vorpommern“ errichtet. Der nachfolgende Aufbau der Landesverwaltung erfolgte unter Ministerpräsident Wilhelm Höcker (SPD). Am 20. 10. 1946 wurden die ersten Landtagswahlen durchgeführt. Noch vor Inkrafttreten der vom Landtag am 16. 01. 1947 beschlossenen Landesverfassung am 12. 03. 1947 (Regierungsblatt für Mecklenburg, Nr. 1 vom 12. 03. 1947, S. 1) durfte das Land auf Weisung der Besatzungsmacht die Bezeichnung „Vorpommern“ nicht mehr im Landesnamen führen. Näher Klaus, S. 11 ff. Brunner, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 5, S. 1218 (1226).
§ 10 Aufbauphase 1990 bis 1992
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am 22. 07. 1990 beschlossenen Gesetz über die Wahlen zu Landtagen in der Deutschen Demokratischen Republik 20 wurden am 14. 10. 1990 zeitgleich in allen neuen Bundesländern Landtagswahlen abgehalten. In Mecklenburg-Vorpommern führte die Landtagswahl 1990 „nach einem eher introvertierten Wahlkampf ohne viel westdeutsche Prominenz und auch ohne herausragendes landesverfassungspolitisches Profil“ 21 bei einer Wahlbeteiligung von 64,8 % zur Bildung einer von CDU und FDP gebildeten Koalitionsregierung 22, die zunächst von Alfred Gomolka und nach dessen Rücktritt ab dem 19. 03. 1992 von Berndt Seite (beide CDU) geführt wurde 23. Als verfassungsrechtliche Grundlage des neuen Staates diente zunächst das vom Landtag in seiner konstituierenden Sitzung am 26. 10. 1990 beschlossene „Vorläufige Statut für das Land Mecklenburg-Vorpommern“ 24. Diese „Notverfassung“ 25 enthielt in acht Paragraphen nur wenige, auf das Allernotwendigste beschränkte Regelungen über den Landtag, die Abgeordneten, die Landesregierung und die Minister. Es war von vorneherein als Provisorium gedacht und sollte mit Inkrafttreten einer Landesverfassung außer Kraft treten 26. In der konstituierenden Sitzung des Landtages am 26. 10. 1990 fiel – mit 40:25 Stimmen überraschend deutlich – überdies die Entscheidung zu Gunsten Schwerins (und gegen Rostock) als Landeshauptstadt 27. III. Verfassungsgebungsprozess Bereits im März 1990 begann – zunächst von den drei Runden Tischen der Bezirke Rostock, Schwerin und Neubrandenburg initiiert 28 – in Mecklenburg-Vor20
GBl. DDR I, S. 960. März, JöR 54 (2006), S. 175 (186). 22 Von den 66 Landtagsabgeordneten stellten die CDU 29, die SPD 21, die PDS 12 und die FDP 4 Abgeordnete. Die Bildung der CDU / FDP-Regierung wurde möglich, weil der Rostocker Abgeordnete Wolfgang Schulz einige Wochen vor der Wahl aus der SPD aus- und später der CDU beitrat. Ausführlich zur ersten Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern März, JöR 54 (2006), S. 175 (186 f.); Hennecke, in: Werz / Hennecke, (Hrsg.), Parteien, S. 29 ff. 23 Nach einer vor allem durch die Werftenpolitik ausgelösten Regierungskrise trat Alfred Gomolka am 15. März 1992 zurück und wurde von Berndt Seite abgelöst. Näher Hennecke, in: Werz / Hennecke (Hrsg.), Parteien, S. 15; 36 ff. 24 GVOBl. M-V, S. 1. Das Statut wurde vom „Aufbaustab Landtag“ unter Mithilfe der Landtagsverwaltungen Schleswig-Holsteins, der Hamburger Bürgerschaft und des Bundestages erarbeitet. 25 März, JöR N. F. 54 (2006), S. 175 (188). 26 Näher Kronisch, in: Litten / Wallerath, LVerf M-V, Entstehungsgeschichte, Rn. 2. 27 Nach März, JöR 54 (2006), S. 175 (188 mit Fn. 55), war diese Entscheidung durch das „berechtigte Anliegen, die vorhandenen politischen, administrativen und wirtschaftlichen Zentren nicht noch weiter zu zentralisieren“, motiviert. 21
370 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
pommern ein „von Anfang an durch innovationsreiche Verfassungsentwürfe“ 29 geprägter Verfassungsgebungsprozess. Am 23. 11. 1990 beschloss der Landtag die Bildung einer Kommission zur Erarbeitung der Landesverfassung, welche aus 20 Mitgliedern (11 Landtagsabgeordnete, 8 Sachverständige und ein stimmrechtsloser Vertreter der Landesregierung) bestand 30. Nach einem stark partizipativ geprägten 31 Verfassungsgebungsprozess, dessen Einzelheiten hier nicht wiedergegeben werden können 32, legte die Verfassungskommission dem Landtag am 30. 04. 1992 einen Zwischenbericht vor 33. Dieser enthielt auch einen Verfassungsentwurf mit 78 Artikeln. Von November 1992 bis April 1993 fanden die Schlussberatungen in der Verfassungskommission statt, nach deren Beendigung man dem Landtag am 07. 05. 1993 einen 80 Artikel umfassenden Verfassungsentwurf vorgelegte 34. Nach Auffassung aller im Landtag vertretenen Fraktionen mit Ausnahme der PDS stellte dieser „einen rundum gelungenen Kompromiss der verschiedenen verfassungspolitischen Vorstellungen dar, welcher sich nahtlos in die Rahmenordnung des Grundgesetzes einfügte“ 35. Er wurde vom Landtag 28 Die „Runden Tische“ hatten sich nach polnischem Vorbild seit Dezember 1989 in der DDR als Gegenmacht zur Regierung auf Veranlassung der oppositionellen Parteien und unter paritätischer Zusammensetzung gebildet und spielten im politischen Leben der „Nachwende-DDR“ eine zentrale Rolle. Neben dem „Zentralen Runden Tisch“ in Berlin, der erstmals am 07. 12. 1989 tagte und am 04. 04. 1990 den Entwurf einer „Neuen Verfassung für die DDR“ veröffentlichte, gab es in vielen Städten regionale „Runde Tische“. Näher Stern, Staatsrecht V, § 134 VI 5 und § 134 VII 4. 29 Zu den Einzelheiten Häberle, JöR 43 (1995), S. 355 (359). So enthielt der sog. „Juli-Entwurf“ 1990 des „Regionalausschusses Verfassung“ – abgedruckt in JöR N. F. 39 (1990), S. 319 ff. – noch 117 Artikel und zeugte von „erstaunlicher Phantasie“. Im Oktober 1990 legte der Regionalausschuss einen auf 97 Artikel reduzierten Verfassungsentwurf vor, der in JöR N. F. 40 (1991/92), S. 399 ff. publiziert ist. Der „Regionalausschuss Verfassung“ bildete ein Teilorgan des gemeinsamen Regionalausschusses für die Verwaltungsreform und war somit ein Verwaltungsorgan. Näher März, JöR N. F. 54 (2006), S. 175 (190). Einen gewissen Bekanntheitsgrad erhielt auch der vom Justizminister Born am 05. 05. 1991 unterbreitete Verfassungsentwurf (abgedruckt in JÖR N. F. 41 (1993), S. 130 ff.), wo Mecklenburg-Vorpommern als „Freistaat“ bezeichnet wurde. 30 Zu den Einzelheiten Kronisch, in: Litten / Wallerath, LVerf M-V, Entstehungsgeschichte, Rn. 4 ff sowie Wedemeyer, in: Stern (Hrsg.), Deutsche Wiedervereinigung, Band III, S. 37 ff. 31 Näher Erbguth / Wiegand, DÖV 1992, S. 770 (771) und Prachtl, LKV 1994, S. 1. Nach März, JöR 54 (2006), S. 175 (193 f.) bewegte die Verfassungsdebatte die große Masse der Bürger dennoch nicht (mehr). Zum Fehlen einer „Verfassungsbewegung“ auch v. Mangoldt, Verfassungen, S. 35. 32 Ausführlich zur Genese der Landesverfassung März, JöR 54 (2006), S. 175 (189 f.). Einen knappen Überblick gibt auch Kronisch, in: Litten / Wallerath, LVerf M-V, Einleitung, Rn. 3 ff. 33 Landtag M-V, LTDrs 1/2000, abgedruckt auch bei Häberle, JöR N. F. 41 (1993), S. 70 (218 ff.). 34 Landtag M-V; LTDrs 1/3100. 35 März, JöR 54 (2006), S. 175 (194).
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am 12. 05. 1993 mit 53 zu 9 Stimmen unverändert als Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern (LVerf M-V) verabschiedet. Als vorletzte der Landesverfassungen der neuen Bundesländer 36 wurde die Landesverfassung am 23. 05. 1993 verkündet 37. Ein begleitendes Einführungsgesetz regelte die Fortdauer des Amtes des Ministerpräsidenten und ordnete zugleich für die nächste landesweite Wahl die Durchführung eines Volksentscheides an. Mit Verabschiedung der Verfassung trat das Vorläufige Statut außer Kraft und die LVerf M-V wurde zunächst weitgehend 38 als vorläufige Verfassung in Kraft gesetzt 39. Sie trat gem. Art. 80 LVerf M-V nach Bestätigung in einem gemeinsam mit den Kommunalwahlen am 12. 06. 1994 durchgeführten Volksentscheid (60,1 % Ja-Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65%) mit Beendigung der ersten Wahlperiode des Landtages am 15. 11. 1994 in Kraft. In Anbetracht der relativ späten Verabschiedung der Verfassung verzögerte sich auch die Einführung einer Landesverfassungsgerichtsbarkeit. Deren Grundlagen wurden erst mit Gesetz vom 19. 07. 1994 40 geregelt. Am 22. 11. 1995 konnte das Landesverfassungsgericht (LVerfG M-V) nach Wahl und Vereidigung der sieben (ehrenamtlichen) Verfassungsrichter als „Hüter der Landesverfassung“ und jüngstes deutsches Verfassungsgericht mit Sitz in Greifswald seine Arbeit aufnehmen 41. Seitdem hebt es durch seine Rechtsprechung „die Bedeutung der Landesverfassung als eine heimische und landesspezifische Grundordnung“ hervor und verankert diese „im Bewusstsein der Bevölkerung als ein eigenständiges Regelwerk“ 42. IV. Charakteristika der Landesverfassung Die Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern ist eine „schlanke“ 43 Vollverfassung mit knappem Grundrechtsteil 44 und einem relativ umfassenden, 36
Die Verfassungen Brandenburgs (August 1992), Sachsens (Mai 1992) und Sachsen-Anhalts (Juli 1992) traten bereits 1992 in Kraft. Nur in Thüringen dauerte der Verfassungsgebungsprozess länger als in Mecklenburg-Vorpommern. Die dortige Landesverfassung trat erst im Oktober 1993 in Kraft. 37 GVOBl. M-V 1993, S. 372. 38 Ausnahmen waren Art. 36 (Bürgerbeauftragter), Art. 52 bis 54 (Landesverfassungsgericht) und Art. 60 Abs. 4 Satz 2 LVerf M-V (Volksbegehren und Volksentscheid). 39 Vgl. § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Verabschiedung und das Inkrafttreten der Verfassung von Mecklenburg-Vorpommern; GVOBl M-V 1993, S. 371. 40 Gesetz zur Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit; GVOBl. M-V 1994, S. 734. 41 Ausführlich zu Funktion, Zusammensetzung und Tätigkeit des LVerfG M-V März, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 11 ff; derselbe, JöR 54 (2006), S. 175 (224 ff; 289 ff); Hückstädt, LKV 1997, S. 305 sowie Hückstädt / Redeker, NordÖR 1998, S. 278. Bis Herbst 2007 waren beim Gericht 131 Verfahren anhängig gemacht worden. 38 Entscheidungen wurden unter www.landesverfassungsgericht-mv.de (Abrufdatum: 08. 02. 2011) veröffentlicht. 42 Hückstädt, LKV 1997, S. 305 (306).
372 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
„nur schwer zu systematisierenden Katalog ökologischer, kultureller, sozialer und wirtschaftlicher Agenden“ 45 in Form von Staatszielbestimmungen und Programmsätzen. Auffallend sind die stark ausgeprägten plebiszitären Elemente in Art. 59 und 60 LVerf M-V 46. Hohen Rang misst die Verfassung der Europäischen Integration und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Ostseeraum (Art. 11 LVerf M-V), dem zum Staatsziel erklärten Umweltschutz (Art. 12 LVerf M-V) 47 sowie den im Verfassungsgebungsprozess besonders umstrittenen arbeitsmarktpolitischen Staatszielen (Art. 17 LVerf M-V) bei 48. So enthält der „Umweltschutzartikel“ detaillierte Schutz- und Pflegepflichten (Art. 12 Abs. 2 Satz 1 LVerf M-V), gewährleistet den freien Zugang zur Natur (Art. 12 Abs. 2 Satz 2 LVerf M-V) 49, erklärt über Art. 20a GG hinaus den Umweltschutz zur gesellschaftlichen Aufgabe und Angelegenheit jedes Einzelnen 43
Lediglich die Brandenburger Verfassung (63 Artikel) enthält weniger Vorschriften als die LVerf M-V. Deutlich umfangreicher sind dagegen die Verfassungen von Sachsen (122 Artikel), Sachsen-Anhalt (101 Artikel) und Thüringen (106 Artikel). Der Umfang der Verfassung und die Aufnahme von Grundrechten und Staatszielbestimmungen wurden im Verfassungsgebungsprozess leidenschaftlich diskutiert. Näher Hölscheidt / v. Wiese, LKV 1992, S. 393 und Prachtl, LKV 1994, S. 1. 44 Art. 5 Abs. 3 LVerf M-V übernimmt den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes in Form einer dynamischen Verweisung. Dieser wird in Art. 6 bis 10 LVerf M-V um besondere Landesgrundrechte ergänzt. Näher März, JöR N. F. 54 (2006), S. 175 (207 ff.). Kritisch zum einer „Rumpfverfassung“ nahe kommenden Grundrechtsteil Häberle, JöR N. F. 43 (1995), S. 355 (362). 45 März, JöR N. F. 54 (2006), S. 175 (214). Nach Häberle, JöR N. F. 43 (1995), S. 355 (363 f.) hat Mecklenburg-Vorpommern „das Feld der Staatsziele mit Kraft und Phantasie“ bestellt und dabei „im Grunde ... fast das ganze Themenfeld heute in der Diskussion befindlicher Staatsziele abgeschritten“. Bull, NordÖR 2008, S. 49 (53) moniert dagegen, es werde „vielen etwas versprochen, aber es gibt keine Prioritäten und keine erkennbare Abstufungen“. 46 Zur Diskussion um Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid Prachtl, LKV 1994, S. 1 (6). Näher zum verfassungsgeschichtlichen Hintergrund dieser Regelungen auch Häberle, JöR 43 (1995), S. 355 (366 f.) sowie Sauthoff, in: Litten / Wallerath, LVerf M-V, Vor Art. 59 Rn. 1 ff. 47 Zur verfassungsrechtlichen Verankerung des Umweltschutzes in Mecklenburg-Vorpommern Czybulka, in: Schütz / Classen, § 7 Rn. 22. Czybulka leitet aus Art. 12 LVerf M-V ein Verschlechterungsverbot der Umweltsituation und einen „Integritätsmaßstab“ her, wonach für die heimischen Tiere und Pflanzen diejenigen Bedingungen erhalten bleiben oder wieder hergestellt werden müssen, die ihr Überleben als Art in freier Natur und in den heimischen Regionen ermöglichen. 48 Art. 17 LVerf M-V wurde bewusst nicht als sog. soziales Grundrecht („Recht auf Arbeit“) formuliert; vgl. Prachtl, LKV 1994, S. 1 (4) und Hölscheidt / v. Wiese, LKV 1992, S. 393 (397). 49 Art. 12 Abs. 2 Satz 2 LVerf M-V vermittelt allein aber kein subjektives Recht, sondern wird erst durch einfach-rechtliche Vorschriften subjektiviert. In diesem Sinne Sauthoff, in: Litten / Wallerath, LVerf M-V Art. 12 Rn. 2 und März, JöR 54 (2006), S. 175 (215 mit Fn. 163); a. A. Erbguth / Wiegand, DVBl 1994, S. 1325 (1326) und Westphal, NordÖR 1999, S. 140 (141).
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(Art. 12 Abs. 3 LVerf M-V) und erwähnt in Art. 12 Abs. 4 LVerf M-V auch die naturschutzrechtliche Eingriffs- und Ausgleichsregelung. Nach intensiver Debatte wurde darauf verzichtet, auch die (naturschutzrechtliche) Verbandsklage in die Landesverfassung aufzunehmen. Stattdessen verständigte man sich in einer Protokollnotiz darauf, diese einfachrechtlich einzuführen 50. Nach Art. 17 Abs. 1 LVerf M-V trägt das Land zudem zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen bei und sichert im Rahmen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts einen hohen Beschäftigungsstand. Welche Möglichkeiten das Land zur Arbeitsmarktund Beschäftigungspolitik wählt, steht ihm frei 51, wobei hier ein – durch ökologisch verträgliches Wirtschaften möglichst schonend auszugleichendes 52 – Konfliktpotenzial mit der gleichrangigen Staatszielbestimmung des Art. 12 LVerf M-V nicht von der Hand zu weisen ist 53. Exemplarisch für die Erfüllung der in Art. 17 Abs. 1 LVerf M-V angesprochenen Schutz- und Förderpflichten ist das Gesetz zur wirtschaftlichen Flankierung des Mittelstandes in MecklenburgVorpommern vom 14. 12. 1993 (MFG M-V) 54. Allerdings kommt dieses über den Status einer politischen Absichtserklärung in Gestalt symbolischer Gesetzgebung 55 nicht hinaus und begründet – was § 6 Abs. 3 MFG M-V ausdrücklich klarstellt – keine Rechtsansprüche auf Fördermaßnahmen im Einzelfall. Auch lässt sich aus Art. 17 Abs. 1 Satz 1 LVerf M-V kein genereller verfassungsrechtlicher Auftrag zur Schaffung „wirtschaftsfreundlicher“ Gesetze und Verwaltungsverfahren ableiten. Insgesamt war der Verfassungsgebungsprozess in MecklenburgVorpommern durch ein „fast schon dominierendes Konsens-, ja Harmoniebedürfnis der die Konstitutionalisierung tragenden demokratischen Kräfte“ geprägt. Die auf „Gemeingeist ausgerichtete Verfahrensgestaltung“ führte zu einer sehr stabilen 56 Verfassung, die „in vielen Einzelschritten dem neuen Gliedstaat wie ein Maßanzug angepasst wurde und zugleich den notwendigen homogenen Kern 50 Vgl. LTDrs 1/2000, S. 20; Erbguth / Wiegand, DVBl 1994, S. 1325 (1330); Sauthoff, NordÖR 2003, S. 102 ff. 51 Näher Wallerath, Arbeitsmarkt, in: HdbStR, Band 4, 3.ufl. 2007, § 94 Rn. 26. 52 Erbguth / Wiegand, DVBl. 1994, S. 1325 (1330). 53 Hellsichtig Erbguth / Wiegand, DVBl. 1994, S. 1325 (1333) mit dem Rat, die Beschleunigungsgesetzgebung des Bundes vor ihrer landesrechtlichen Rezeption zunächst skeptisch zu beurteilen. 54 GVOBl. M-V 1994, S. 3. 55 Zu deren Kritik näher § 7 A III 1. 56 Die LVerf M-V wurde bisher nur drei Mal geändert. Im Jahre 2000 (GVOBl. M-V, S. 158) wurde in Art. 72 Abs. 3 LVerf M-V das strikte Konnexitätsprinzip eingeführt. Umfangreiche Verfassungsänderungen erfolgten 2006 (GVOBl. M-V, S. 572). Art. 17a LVerf M-V verpflichtet seitdem Land, Gemeinden und Kreisen zum besonderen Schutz für alte Menschen und Menschen mit Behinderung. Zudem wurde Art. 12 LVerf M-V um den Tierschutz erweitert, die fünfjährige Legislaturperiode des Landtages eingeführt und das Quorum für ein Volksbegehren von 140.000 auf 120.000 abgesenkt. Vgl. näher Landtag M-V, LTDrs 4/2118 (neu) und LTDrs 4/2328. Im Jahre 2007 (GVOBl. M-V, S. 371) nahm man Art. 18a LVerf M-V in die Verfassung auf, der Aussagen zur Frie-
374 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
der deutschen Bundesstaatlichkeit wahrte“ 57. Im Vergleich zu den Verfassungen der vier anderen neuen Bundesländer kann sich die Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern jedenfalls „durchaus sehen lassen“ 58.
B. Aufbau funktionierender Verwaltungsstrukturen als zentrale Aufgabe der frühen 1990er Jahre I. Ausgangslage und Herausforderungen beim „Verwaltungsaufbau Ost“ Anfang der 1990er Jahre standen die neuen Bundesländer vor der Herausforderung eines in historischer Perspektive beispiellosen Institutionentransfers 59. Bislang gänzlich unbekannte verfassungs- und verwaltungsrechtliche Institutionen der „alten“ Bundesrepublik Deutschland mussten nach den Vorgaben des Einigungsvertrages unter besonderem Zeitdruck in einer darauf kaum vorbereiteten Gesellschaft etabliert werden. Um die überwältigende Zahl von Rechtsvorschriften, die in Mecklenburg-Vorpommern am 03. 10. 1990 buchstäblich „über Nacht“ in Kraft traten 60 zu vollziehen, waren die nötigsten Voraussetzungen kaum vorhanden. Die Transformation einer real-sozialistischen in eine klassischeuropäische Verwaltung 61 machte einen umfassenden Neuzuschnitt der Verwaltungsaufgaben, den Neuaufbau des öffentlichen Dienstes, die Neuordnung der Verwaltungsorganisation 62 sowie eine Neustrukturierung der Verwaltungsprozesse auf Landes- und kommunaler 63 Ebene erforderlich. Daneben mussten die ostdeutschen Länder einen erheblichen Modernisierungsrückstand aufholen, densverpflichtung und zur Gewaltfreiheit enthält. Zu dieser auch als „Antifa-Artikel“ bezeichneten Vorschrift Erbguth, LKV 2008, S. 440 sowie LTDrs 5/640 und 5/1003. 57 März, JöR N. F. 54 (2006), S. 175 (197). 58 Häberle, JöR N. F. 43 (1995), S. 355 (368 f.), wonach allerdings im Verfassungsgebungsprozess „zu viele Neuerungen und Eigenwilligkeiten ... unter dem Eindruck des übermächtigen GG und der westdeutschen Seite ganz gestrichen oder stark zurückgenommen“ wurden. 59 Zum politikwissenschaftlichen Begriff „Institutionentransfer“ Lehmbruch, in: Seibel / Benz / Mäding, Deutsche Einigung, S. 41. 60 Auf Grundlage des am 18. 05. 1990 geschlossenen Staatsvertrages über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion (BGBl. II, S. 537) traten zahlreiche Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland bereits zum 01. 07. 1990 in Kraft. Näher Gesetz vom 21. 06. 1990 (GBl. DDR I, S. 357). 61 Zu den damit verbundenen Herausforderungen König, Transformation, in: Seibel / Benz / Mäding, Deutsche Einigung, S. 80 ff. 62 Zu Einzelheiten des Prozesses der Wiederherstellung der deutschen Einheit im Bereich der Behördenorganisation Wolff / Bachof / Stober, Verwaltungsrecht III, § 80 Rn. 270 ff. Zentrale Aussagen zur Umwandlung der DDR-Verwaltung enthielten Art. 13 ff. EV vom 31. 08. 1990 (BGBl. II, S. 889).
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welcher die öffentlichen Verwaltungen zusätzlich forderte. In Zeiten eines tiefgreifenden ökonomischen Strukturwandels wurde von der Exekutive erwartet, die Rahmenbedingungen für einen möglichst schnellen wirtschaftlichen Aufschwung, die Bewältigung ökologischer Altlasten und die Gewährleistung des sozialen Friedens zu schaffen, was den unverzüglichen Aufbau einer leistungsfähigen Infrastruktur und funktionsfähiger Verwaltungsstrukturen erforderte. Beide Aufgaben mussten in einer schwierigen gesellschaftlichen Umbruchsituation und gleichsam „aus dem Nichts“ erfüllt werden. Die ostdeutschen Länder waren zu Beginn dieses Transformationsprozesses noch nicht arbeitsfähig, ganze Verwaltungszweige, wie die Finanz- und Arbeitsverwaltung, hatten in der DDR überhaupt nicht existiert. Erschwerend kam hinzu, dass es in der DDR keine Regelausbildung für die Verwaltung gab, so dass „die mangelnde Professionalität des Verwaltungsapparats eine der schwersten Hypotheken des SED-Regimes“ 64 war. Vergegenwärtigt man sich überdies die dem geringen Stellenwert 65 des Verwaltungsrechts in der DDR 66 geschuldete defizitäre juristische Bildung der Verwaltungseliten, das überwiegend durch Billigkeitserwägungen geprägte Verwaltungsverständnis des Verwaltungspersonals 67 sowie die mit westdeutschem Rechtsverständnis nicht kompatiblen Vorstellungen über die Funktion des Verwaltungsrechts im Rahmen der sogenannten „sozialistischen Gesetzlichkeit“ 68, so wird die Dimension der zu bewältigenden Herausforderungen deutlich. Mit dem Institutionentransfer bereits stark gefordert, gerieten die neuen Bundesländer zusätzlich in den Sog der Debatte um die Zukunftsfähigkeit des „Standorts Deutschland“, in deren Folge zum einen zahlreiche gesetzliche Sonderregelungen für die neuen Bundesländer geschaffen, zum anderen teils bewährte Strukturen des Verwaltungsverfahrensrechts bundesweit auf den Prüfstand gestellt wurden. 63
Zum Neubau der Kommunalverwaltung in Ostdeutschland Wollmann / Jaedicke, in: Seibel / Benz / Mäding, Deutsche Einigung, S. 98 ff. 64 Seibel / Benz / Mäding, Deutsche Einigung,, S. 9. 65 In der DDR gab es zu keiner Zeit ein Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz. Erst 1979 erschien erstmals ein von einem Autorenkollektiv herausgegebenes Lehrbuch des Verwaltungsrechts. Im April 1958 hatte Walter Ulbricht auf der Babelsberger Konferenz die Auflösung des Verwaltungsrechts „als Relikt bürgerlicher Wertvorstellungen über die Neutralität des Staates“ gefordert. Erst auf dem VIII. Parteitag der SED 1971 wurde das Verwaltungsrecht als selbständiges Rechtsgebiet rehabilitiert und 1977 als akademisches Fach wiedereingeführt. Zur Babelsberger Konferenz als „Beginn der Politisierung der Rechtsordnung der DDR“ Schäfer, JZ 2008, S. 703 (705 ff.) und Stolleis, Sozialistische Gesetzlichkeit, S. 49 ff. 66 Zur Geschichte des Verwaltungsrechts in der DDR Stolleis, Sozialistische Gesetzlichkeit (besprochen von Markowits, NJ 2010, S. 371). Siehe zudem Ule, DVBl 1985, S. 1029; Lörler, DÖV 1989, S. 801; Brunner, JuS 1991, S. 353 (358); Heyen, LKV 1991, S. 113 und Stelkens, DtZ 1991, S. 264. 67 Einzelheiten bei Bernet / Lecheler, LKV 1991, S. 68 (69 f.). 68 „Sozialistische Gesetzlichkeit“ ist die strikte Beachtung der Gesetze bei gleichzeitiger Parteilichkeit ihrer Anwendung. Dazu umfassend Stolleis, Sozialistische Gesetzlichkeit.
376 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
Die seinerzeitige „Beschleunigungseuphorie“ 69 sorgte ebenso wenig für Kontinuität und Stabilität in den Amtsstuben von Kap Arkona bis Johanngeorgenstadt. Verwaltungen und Bürger im Osten sahen sich Anfang der 1990er Jahre so fundamentalen Veränderungsprozessen ausgesetzt, dass der Begriff Verwaltungsreform eine „begriffliche Bagatellisierung“ 70 darstellt. Eine Ahnung von den damals zu bewältigenden „Pionierleistungen“ vermitteln Erfahrungsberichte aus der unmittelbaren Nachwendezeit. Verwiesen sei etwa auf die in einer empirischen Untersuchung erhobenen Daten über den Zustand einer DDR-Kommunalverwaltung im Frühjahr 1990 71, einen Bericht über den Aufbau der Umweltverwaltung in den neuen Bundesländern am Beispiel des Freistaats Sachsen 72 oder Ausführungen zu Handlungsbedarf und Handlungszwängen des kommunalen Umweltschutzes in den neuen Bundesländern 73. Bezüglich des Aufbaus kommunaler Verwaltungsstrukturen ist die materialreiche Untersuchung von Wolfgang Jaedicke, Stefan Lutz, Kai Wegrich und Hellmut Wollmann aus dem Jahre 1996 auch heute noch lesenswert. Dort wird der Auf- und Umbau der lokalen Verwaltungsstrukturen in den kreisfreien Städten Schwerin und Neubrandenburg sowie den Landkreisen Nordwestmecklenburg und Ostvorpommern nachgezeichnet 74. Auch der frühere Rostocker Oberbürgermeister Dieter Schröder vermittelt in seinem Aufsatz „Kommunen im Umbruch – Das Beispiel Rostock“ 75 einen instruktiven Überblick zum Transformationsprozess in der größten Stadt MecklenburgVorpommerns. Von den überwiegend in der DDR sozialisierten Mitarbeitern in den ostdeutschen Verwaltungen 76 wurden in diesem Veränderungsprozess überdies erhebliche „verwaltungskulturelle Anpassungsleistungen“ gefordert 77. Damit ist insbesondere die Angleichung von „westlichen“ und „östlichen“ Werthaltungen und Prägungen gemeint, die ungleich langsamer vonstatten ging als die Adaption der 69
Ausführlich dazu § 9 A. Seibel, Verwaltungsreformen, in: König / Siedentopf, S. 87 (100). 71 Instruktiv Bernet / Lecheler, LKV 1991, S. 68 ff mit Hinweisen zu Denkweise, Handlungsmustern, Aus- und Fortbildung der Verwaltungsfunktionäre am Beispiel der Stadt Plauen. 72 Angst, in: Seibel / Benz / Mäding, Deutsche Einigung, S. 421 ff. 73 Sauberzweig, in: Seibel / Benz / Mäding, Deutsche Einigung, S. 407 ff. 74 Näher Jaedicke / Lutz / Wegrich / Wollmann, Verwaltungspolitik in MecklenburgVorpommern, sowie Wegrich / Jaedicke / Lorenz / Wollmann, Kommunale Verwaltungspolitik in Ostdeutschland. 75 In: Werz / Schmidt (Hrsg.), Mecklenburg-Vorpommern im Wandel, S. 116 ff. 76 Nach Wollmann, LKV 1997, S. 275, war der Verwaltungsaufbau in den neuen Bundesländern, vor allem auf der kommunalen Ebene, die „Stunde der ostdeutschen Verwaltungsneulinge“. 77 Dazu aus soziologischer Perspektive Rogas / Schöne / Rößler / Stölting, 1997 (am Beispiel der Stadtverwaltung von Frankfurt / Oder). 70
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formalen Verwaltungsstrukturen. Die „ausgeprägten Unterschiede in den Werten und Verhaltensweisen der politischen und bürokratischen Akteure in den beiden Hälften der Republik“ 78 schlugen sich auch im Verwaltungshandeln nieder 79. Sie konnten naturgemäß nur schrittweise verringert werden und sind bis heute nicht vollständig überwunden. Die Herausforderungen und Erfahrungen eines doppelten Transformationsprozesses und die dabei gemachten verwaltungspsychologischen Erfahrungen prägen die Verwaltungsmodernisierungsdebatte in Mecklenburg-Vorpommern zum Teil bis heute. II. Geglückter Transformationsprozess bei zurückhaltender Binnenmodernisierung Trotz aller unvermeidlichen Anfangsschwierigkeiten 80 ist die Transformation der komplexen westdeutschen Verwaltungsstrukturen in die neuen Bundesländer 81 nach den Erkenntnissen der politikwissenschaftlichen Implementationsforschung erstaunlich gut gelungen. Der erforderliche Strukturumbau des öffentlichen Sektors in den neuen Bundesländern erfolgte insgesamt zügig und schon bald erreichten die Institutionen auf Landes- und Kommunalebene sowie die zahlreichen verselbständigten Träger mittelbarer Landesverwaltung eine respektable Funktionsfähigkeit 82. Diese Einschätzung wird durch Mitte und Ende der 1990er Jahre durchgeführte Studien zur Rechtsanwendung in der ostdeutschen Verwaltung im Städtebaurecht 83 und im Immissionsschutzrecht 84 bestätigt. Der 78
Reichard, LKV-Beilage I/1999, S. 5. Näher Damskis, Politikstile und regionale Verwaltungskulturen in Ostdeutschland, 1997 (Analyse der politischen Orientierungs- und Handlungsmuster von Führungskräften in den Landesregierungen von Brandenburg und Sachsen) sowie Reichard / Schröter, Verwaltungskultur in Ostdeutschland, in: Pitschas (Hrsg.), Verwaltungsintegration in den neuen Bundesländern, 1993, S. 193 ff. 80 Vgl. etwa Pitschas, LKV 1992, S. 385 über eine repräsentative Bevölkerungsbefragung zum Stand der Verwaltungsintegration. Zum „Versickern des Rechts“ in der „Umbruchphase“ 1990 bis 1993 am Beispiel der Bauverwaltung Kuhlmann, DfK, Heft II 2003, S. 85 (87 ff.). 81 Eine umfassende auf Ostdeutschland beschränkte Rechtsvereinfachung – wie etwa von Hill, NVwZ 1991, S. 1048 (1051 f.) gefordert – hat es nicht gegeben. 82 Reichard, LKV-Beilage I/1999, S. 5. Zur „Lern- und Konsolidierungsphase“ (1993 bis 1996) Kuhlmann, DfK, Heft II 2003, S. 85 (92 ff.). 83 Über ein 1996 bis 1998 durchgeführtes Forschungsprojekt zur Leistungsfähigkeit der ostdeutschen Verwaltung im Bauordnungsrecht berichten Lorenz / Wegrich / Wollmann, ZG 2000, S. 97. Zum Gesetzesvollzug in der lokalen Bauverwaltung in Ostdeutschland siehe Kuhlmann, Rechtsstaatliches Verwaltungshandeln, 2003 und dieselbe, LKV 2003, S. 543. 84 Zur im Vergleich zu Westdeutschland zügigen Durchführung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren Anfang der 1990er Jahre Hill / Weber, Vollzugserfahrungen, S. 135 ff. 79
378 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
weitgehend im Wege administrativer Selbsthilfe durch Ost-West-Kooperation geleistete Aufbau der Verwaltungsstrukturen in Ostdeutschland 85 war eine auch heute noch Respekt gebietende ordnungsbildende Leistung, bei der die (west-) deutsche Verwaltung mit der Flexibilität ihrer dezentralen Strukturen, der Professionalität des Personals, der Zuverlässigkeit ihres Rechtssystems und der Leistungsfähigkeit ihrer fiskalischen Strukturen all ihre Vorzüge in die Waagschale legen konnte 86. Zum Teil wurde allerdings bemängelt, beim Verwaltungsaufbau in den neuen Bundesländern sei eine historisch einmalige Chance zur Binnenmodernisierung der Verwaltung verpasst worden. Anstatt die tradierten westlichen Verwaltungskonzepte in die ostdeutschen Verwaltungen zu übertragen, hätten Modernisierungsansätze im Sinne der Einführung „Neuer Steuerungsmodelle“ in den ostdeutschen (Kommunal-)Verwaltungen mutiger erprobt werden sollen 87. Die unerwartete Chance, die „ostdeutsche Verwaltungslandschaft im positiven Sinne (als) ein enormes Experimentierfeld“ 88 zu nutzen und in den alten Bundesländern begangene Fehler zu vermeiden, habe man mit der Übernahme der tradierten zentralistischen und inputorientierten Steuerungskonzepte „per Blaupause“ ungenutzt verstreichen lassen. Mit dieser defensiven Herangehensweise sei zugleich ein „Problemimport“ verbunden gewesen, da die übernommenen Konzepte in Westdeutschland bereits als überholt und unbrauchbar erkannt worden seien 89. In der Tat setzte man in den Kommunal- und Landesverwaltungen der neuen Länder Anfang der 1990er Jahre auf die Übernahme eher traditioneller Strukturund Verfahrenskonzepte 90. In der ersten Phase des verwaltungspolitischen Transformationsprozesses dominierte die Orientierung am Aufbau einer rechtsstaatlichen Verwaltung mit den Organisationsstrukturen einer „klassischen“ Verwaltung des Max-Weber-Typus 91. Mit der damals zum Teil vehement geforderten 92 Übernahme betriebswirtschaftlicher Lenkungselemente und privatwirtschaftli85 Zu Rahmenbedingungen und Erfahrungen bei der Verwaltungshilfe Grunow / Wohlfahrt, in: Seibel / Benz / Mäding, Deutsche Einigung, S. 162 ff. 86 Seibel, Verwaltungsreformen, in: König / Siedentopf, S. 87 (100). 87 Umfassend zur damaligen Debatte S. Lorenz, in: Grunow / Wollmann (Hrsg.), S. 243 ff. 88 Seibel / Benz / Mäding, Deutsche Einigung, 1993, S. 10. 89 Reichard, Umdenken im Rathaus, 1994, S. 68; ders., LKV-Beilage I/1999, S. 5 (6). 90 So entschied man sich in Schwerin 1990 für eine am Vorbild der Partnerstadt Wuppertal orientierte Struktur mit acht Dezernaten und 34 Fachämtern, die bis 1996 auf fünf Dezernate mit 23 Fachämtern reduziert wurde. Auch in Neubrandenburg setzte man in intensivem Kontakt mit der Partnerstadt Flensburg auf eine Struktur mit neun Dezernaten, die man bis 1995 auf fünf reduzierte. Näher Jaedicke / Lutz / Wegrich / Wollmann, S. 56 ff. und S. 103 ff. 91 Jaedicke / Lutz / Wegrich / Wollmann, S. 172. 92 Vgl. etwa Mitschke, LKV 1992, S. 273.
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cher Methoden der Organisationslenkung, Mittelbeschaffung und Rechnungsführung wurde nur äußerst sparsam experimentiert. Erst ab Mitte der 1990er Jahre setzte – im Vergleich zu westdeutschen Kommunen mit beachtlichem Zeitverzug 93 – eine „zweite Entwicklungsphase der kommunalen Institutionenpolitik in Mecklenburg-Vorpommern“ 94 ein, die neben sektoralen Reformansätzen auch Elemente des Neuen Steuerungsmodells enthielt und maßgeblich von den kreisfreien Städten betrieben wurde 95. Die zunächst äußerst zurückhaltende Implementierung Neuer Steuerungsmodelle 96 in ostdeutschen Kommunalverwaltungen war allerdings – auch im Abstand von 20 Jahren betrachtet – alternativlos 97. Das Neue Steuerungsmodell steckte Anfang der 1990er Jahre noch in seinen „Kinderschuhen“ und war ein auch in Westdeutschland keinesfalls etabliertes und allenfalls „noch konzeptionell ungares und unerprobtes Modernisierungskonzept“ 98. Richtigerweise folgten die Kommunalverwaltungen in Ostdeutschland daher den Empfehlungen der KGSt sowie der westdeutschen Partnerkommunen und griffen auf das durchaus bewährte und bis Ende der 1980er Jahre nahezu unangefochtene Organisationsmodell westdeutscher Kommunen zurück, als es galt, eine neue „Architektur der Kommunalverwaltung“ zu bauen 99. Die Transformationsphase war durch Zeit-, Wissens- und Ressourcenknappheit sowie ein hohes Maß an Unsicherheit gekennzeichnet und eignete sich deshalb nicht für die Einführung des Neuen Steuerungsmodells. In der Diktion der Politikwissenschaft: „Die Vorstellung, man hätte in der Turbulenz des Transformationsprozesses von vorneherein das (u. a. auf eine dezentrale Ressourcenverantwortung zielende) Neue Steuerungsmodell einführen können und sollen, ignoriert die Extrem- und Ausnahmesituation des Systembruchs und das mit ihr verbundene Erfordernis, möglichst rasch robuste, zentripedale handlungsund kontrollsichere, mit anderen Worten an Max Webers zentralistisch-hierarchischem Bürokratiemodell orientierte Organisationsstrukturen zu schaffen, anstatt dezentraler, in der Tendenz fluider und zentrifugaler“ 100. Es gab mit anderen Worten Anfang der 1990er Jahre in Ostdeutschland eine Vielzahl guter Gründe für eine zunächst nur zurückhaltende Verwaltungsmodernisierung 101. Vor diesem 93 Zur Entwicklung der kommunalen Verwaltungsmodernisierung im Ost-West-Vergleich S. Lorenz, in: Grunow / Wollmann (Hrsg.), S. 243 ff. 94 Jaedicke / Lutz / Wegrich / Wollmann, S. 172. 95 Zu Schwerin und Neubrandenburg Jaedicke / Lutz / Wegrich / Wollmann, S. 178 ff. 96 Umfassende empirische Nachweise bei Wegrich / Jaedicke / Lorenz / Wollmann, S. 192 ff. 97 Näher Wegrich / Jaedicke / Lorenz / Wollmann, S. 223 ff. 98 Wollmann, LKV-Beilage I/1999, S. 7 (8). 99 Wollmann, LKV-Beilage I/1999, S. 7; Jaedicke / Lutz / Wegrich / Wollmann, S. 172 ff. 100 Wegerich / Jaedicke / Lorenz / Wollmann, S. 226. f.
380 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
Hintergrund erweist sich die geübte Zurückhaltung gegenüber „Neuen Steuerungsmodellen“ auch in historischer Perspektive als richtig, zumal damals vielen ostdeutschen Praktikern die im Westen der Bundesrepublik entbrannte Modernisierungsdiskussion wie purer Übermut einer Überflussgesellschaft vorkam. Die zusätzliche Einführung eines noch nicht „serienreifen Modells“ hätte die bereits durch den erforderlichen Stellenabbau psychologisch stark belastete und wegen der ständigen Sorge um den Arbeitsplatz gegenüber verwaltungspolitischen Neuerungen ohnehin misstrauische Kommunalverwaltung vollends überfordert 102. Zudem bot der „verspätete Einstieg“ in das Neue Steuerungsmodell die Chance, den unkritischen Transfer eines standardisierten Reformmodells zu vermeiden und einen eher pragmatischen Reformprozess über kleinteilige Pilotprojekte zu organisieren 103. Wurden demnach beim „Verwaltungsaufbau Ost“ auch nicht alle damaligen Modernisierungsträume erfüllt, so kann doch die Frage, ob es den „Aufschwung Ost“ in Sachen Verwaltungsreform tatsächlich gegeben hat 104, jedenfalls für Mecklenburg-Vorpommern bejaht werden. Wie die nachfolgenden Ausführungen belegen sollen, gelang der Aufbau funktionierender Verwaltungsstrukturen insgesamt mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit. Angesichts der unter extremem Problem- und Zeitdruck stehenden Transformationsphase sollte dies nicht zu gering geschätzt werden. Berücksichtigt man überdies, dass MecklenburgVorpommern wegen seiner geographischen Randlage und der Tatsache, dass die „Nordbezirke“ zu DDR-Zeiten eine gewisse Aufwertung erfuhren, die schwierigsten Startbedingungen aller neuen Bundesländer hatte, muss man summa summarum von einem geglückten Transformationsprozess sprechen.
101 Reichard, LKV-Beilage I/1999 nennt u. a. den zunächst alle Energien absorbierenden Ost-West-Transformationsprozess, die nach der Bewältigung der ersten Umbauerfordernisse erforderlichen weiteren Kommunalverfassungs-, Gebiets- und Funktionalreformen sowie das verbreitete Bedürfnis nach Ruhe und Routine, nachdem das „Alte Steuerungsmodell“ 1995 einigermaßen funktionsfähig geworden war. Auch die Rolle der Politik, Qualifikationsdefizite und besondere zentralistische und bürokratische Prägungen des Personals werden als Gründe für die zurückhaltende Verwaltungsmodernisierung in Ostdeutschland genannt. 102 Zu den Ursachen Wollmann, LKV-Beilage I/1999, S. 7 ff. Mit durchschnittlich 41,6 Kommunalbeschäftigten pro 1000 Einwohner hatten die ostdeutschen Kommunen am 30. 06. 1991 gegenüber Westdeutschland mit 28,8 Beschäftigten ein deutliches Übergewicht. Die wachsende Finanznot zwang die ostdeutschen Kommunen in der Folge zu einem massiven Stellenabbau. Zwischen 1991 bis 1995 wurde die Zahl der Kommunalbediensteten in Ostdeutschland um ein Drittel reduziert. 103 Jaedicke / Lutz / Wegrich / Wollmann, S. 196 f. 104 Reichard, LKV-Beilage I/1999, S. 5.
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381
III. Grundentscheidungen beim Verwaltungsaufbau 1. Struktur der unmittelbaren Landesverwaltung Der Aufbau der künftigen Landesverwaltung begann bereits im Juni 1990 mit der Arbeit der Regierungsbevollmächtigten, unter denen sogenannte „Aufbaustäbe“ 105 eingesetzt wurden. Diese bildeten die jeweilige personelle und organisatorische Keimzelle für die späteren Ministerien. Um die Handlungsfähigkeit der Landesverwaltung zu gewährleisten, ermächtigte das als zweites Gesetz des neuen Bundeslandes erlassene Zuständigkeitsneuregelungsgesetz vom 20. 12. 1990 106 die Landesregierung, die zuständigen Behörden zur Durchführung des EU-, Bundes- und Landesrechts zu bestimmen. Nach § 4 des Gesetzes konnte die Landesregierung diese Befugnisse auf die fachlich zuständige oberste Landesbehörde übertragen. Dem Vorbild des Partnerlandes SchleswigHolsteins folgend, entschied man sich in Mecklenburg-Vorpommern auf Landesebene für einen „hierarchieschlanken zweistufigen Aufbau der allgemeinen Landesverwaltung“ 107 und verzichtete auf die in größeren Flächenländern damals noch übliche Mittelinstanz. Diese im Dezember 1990 getroffene und sodann auf Grundlage eines Organisationserlasses des Ministerpräsidenten vom 17. 01. 1991 umgesetzte 108 Leitentscheidung hatte mehr historisch-politische denn monetäre Gründe. Die Neuerrichtung von Mittelinstanzen in Gestalt von Regierungsbezirken hätte als Fortsetzung von DDR-Strukturen missverstanden werden können. Überdies sollte die kommunale Verwaltung mit einem hinreichend breiten Aufgabenbestand versehen werden 109. Charakteristisch für die unmittelbare Landesverwaltung in der Aufbauphase des Landes war eine komplizierte und breit gefächerte Behördenorganisation unterhalb der – zunächst aus dem Ministerpräsidenten und acht Fachressorts bestehenden 110 – ministeriellen Ebene. Gleichsam als „Kompensation“ für die fehlende Mittelinstanz wurden in den Jahren 1991 und 1992 von der Landesregierung auf Grundlage von § 4 Abs. 1 des Vorläufigen Statuts für das Land Mecklenburg-Vorpommern eine Vielzahl von oberen und unteren Landesbehörden errichtet 111. Kennzeichnend für einen „etwas opulenten Verwaltungsneubau“ 112 war beispielsweise die Errichtung von 76 Forstämtern, 37 Schulämtern, 31 Kataster-, Vermessungs- und Grundbuchämtern 113, 16 Finanzämtern, 10 Äm105
Diese bestanden aus auf Zeit abgeordneten Mitarbeitern der Bundes- und Landesverwaltung der Bundesrepublik Deutschland und „geeigneten Mitarbeitern aus dem Lande“; vgl. Klaus, S. 39 f. 106 GVOBl. M-V 1991, S. 2. 107 März, JöR N. F. 54 (2006), S. 175 (265). 108 Erlass über die Errichtung von Behörden im Lande Mecklenburg-Vorpommern, ABl. M-V, S. 32. 109 Ausführlich März, JöR 54 (2006), S. 175 (264) sowie John, S. 16 f. 110 Organisationserlass des Ministerpräsidenten vom 15. 01. 1991; ABl. M-V, S. 30.
382 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
tern für Landwirtschaft, 10 Staatlichen Ämtern für Umwelt und Natur, 5 Hafenund Seemannsämtern, 4 Eichämtern, 4 Gewerbeaufsichtsämtern und 4 Versorgungsämtern, die jeweils als untere Landesbehörden gebildet wurden. Auch die im Februar 1991 erfolgte Errichtung eines Landespflanzenschutzamtes, eines Landestierzuchtsamtes, einer Landesmilchuntersuchungsanstalt, eines Landesveterinär- und Lebensmitteluntersuchungsamtes, eines Landesamtes für Forstplanung sowie von drei Fortdirektionen jeweils als obere Landesbehörden 114 zeugt von einem gewissen „Wildwuchs der Landesbehörden“ in den frühen Jahren. So umfasst das amtliche Verzeichnis der Landesbehörden mit Stand vom 01. 03. 1992 115 11 oberste, 36 obere und 328 (!) untere Landesbehörden. Schon bald wurden deshalb erste Überlegungen bezüglich einer Funktionalreform angestellt, um die erheblichen Kosten der Behördenorganisation durch Maßnahmen zur Straffung der Organisationsstruktur zu verringern und die sich alsbald zeigenden Reibungsverluste im Gesetzesvollzug zwischen staatlicher und kommunaler Ebene aufzufangen 116. 2. Strukturen und Rechtsgrundlagen der Kommunalverwaltung Das am 31. 12. 1989 noch 1,963 Millionen Einwohner zählende Bundesland Mecklenburg-Vorpommern bestand am 03. 10. 1990 aus sechs kreisfreien Städten mit einer Einwohnerzahl von 252.956 bis 57.173 117 und 1.117 kreisangehörigen Gemeinden 118 in 31 Landkreisen 119, zu denen am 06. 05. 1990 Kommunalwahlen stattgefunden hatten. Den rechtlichen Rahmen für den Aufbau 111
S. 32.
Vgl. die Bekanntmachung des Innenministeriums vom 17. 01. 1991; ABl. M-V,
112 März, JöR N. F. 54 (2006), S. 175 (265). Vgl. auch Gornas, Funktionalreform, S. 16 („opulenter Behördenunterbau der Ministerialverwaltung“). Eingehend auch John, S. 17 f. 113 Kritisch Gornas, Funktionalreform, S. 1; S. 69 ff; S. 82 ff., der eine Eingliederung der Kataster- und Landwirtschafts- und Umweltämter in die Kreise forderte. 114 Organisationserlasse der Landesregierung vom 05. 02. 1991; ABl. M-V 1991, S. 157. 115 ABl. M-V 1992, S. 209. 116 Näher Gornas, Funktionalreform. 117 Rostock (252.956), Schwerin (129.492), das seit 1969 kreisfreie Neubrandenburg (90.593), Stralsund (74.566), das seit 1974 kreisfreie Greifswald (68.270) und Wismar (57.173). Vgl. Statistisches Landesamt M-V (Hrsg.), Statistische Daten Mecklenburg-Vorpommern 1950 – 1990, S. 33. 118 Neben den kreisfreien Städten hatten lediglich 4 weitere Städte (Güstrow, Neustrelitz, Waren / Müritz und Parchim) mehr als 20.000 Einwohner. 19 Städte hatten mehr als 10.000, weitere 20 mehr als 5.000 Einwohner. 119 Zu Bevölkerung, Fläche und Bevölkerungsdichte und Zahl der kreisfreien Städte, Landkreise und Gemeinden in den neuen Bundesländern Knemeyer, LKV 1992, S. 177 (179).
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funktionierender kommunaler Strukturen in allen neuen Bundesländern bildete zunächst das „Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR vom 17. 05. 1990“ (Kommunalverfassung DDR – KV-DDR) 120. Die KV-DDR wurde durch eine Arbeitsgruppe der im Dezember 1989 vom Ministerrat der DDR eingesetzten „Regierungskommission zur Vorbereitung und Durchführung einer Verwaltungsreform in der DDR“ erarbeitet. Sie berücksichtigte sowohl westdeutsche Kommunalgesetze als auch die „Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung vom 15. 10. 1985“ und trat nach intensiver Diskussion zwischen ost- und westdeutschen Experten 121 am 17. 05. 1990 in Kraft. Nach allgemeiner Einschätzung hat sie ihre Funktion als „Einstiegsverfassung für eine Erneuerung kommunaler Selbstverwaltung in der DDR und in den neuen Bundesländern“ 122 in vorbildlicher Weise erfüllt 123. Auf Grund der ausgesprochen kleinteiligen Struktur der Gemeinden auf dem Gebiet der Ex-DDR – in Mecklenburg-Vorpommern hatten 1990 lediglich 49 Gemeinden mehr als 5.000, 878 dagegen weniger als 1.000 und 514 sogar weniger als 500 Einwohner 124 – bestand zunächst auf örtlicher Ebene unmittelbarer Handlungsbedarf zur Stärkung der Verwaltungskraft. § 31 KV-DDR sah deshalb die Bildung von Verwaltungsgemeinschaften oder eines gemeinsamen Verwaltungsamtes von benachbarten Gemeinden desselben Landkreises vor. Diese sollten für die beteiligten Gemeinden die Aufgaben des eigenen oder übertragenen Wirkungskreises durchführen. Das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern empfahl in einem Erlass vom 13. 05. 1991 kleineren Gemeinden daher, sich spätestens bis zum Herbst 1991 zu (vom Land auch finanziell geförderten) 125 Verwaltungsgemeinschaften „mit in der Regel deutlich mehr als 5.000 Einwohnern“ zusammenzuschließen 126. Diesem Ratschlag waren im November 1991 immerhin etwa 80 % der betroffenen Gemeinden gefolgt 127. Da hiermit aber noch keine flächendeckende Lösung gefunden war und die vertraglich ausgehan120
GBl. DDR I, S. 255. Zu Entstehungsgeschichte der KV-DDR und ihrer Bedeutung für den kommunalen Transformationsprozess in den neuen Bundesländern Knemeyer, DÖV 2000, S. 496 (497 ff.). 122 Knemeyer, LKV 2000, S. 496 (500). 123 Knemeyer, LKV 2000, S. 496 (500) hebt als besonderes Verdienst der KV-DDR hervor, dass es mit ihr gelungen sei, „der besonderen Situation der Noch-DDR und den entsprechenden Befindlichkeiten ebenso Rechnung zu tragen wie den Notwendigkeiten zur Bildung kompatibler Strukturen“. 124 Statistisches Landesamt M-V (Hrsg.), Statistische Daten 1950 –1990, S. 34. 125 Zu Einzelheiten siehe die Richtlinien des Innenministers vom 16. 07. 1991; ABl M-V, S. 669. 126 ABl. M-V, 1991, S. 388, wobei darauf hingewiesen wurde, dass eine leistungsfähige Verwaltung „in der Regel erst ab einer Größenordnung von ca. 7.000 Einwohnern“ gegeben sein dürfte. 127 Hubert Meyer, LKV 1993, S. 399. 121
384 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
delten Verwaltungsgemeinschaften auch keine ausreichende Stabilität aufwiesen, um Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises zu erfüllen 128, entschloss sich die Landesregierung im Sommer 1991, den Entwurf einer Amtsordnung in den Landtag einzubringen 129. Die schließlich am 28. 03. 1992 in Kraft getretene Amtsordnung für das Land Mecklenburg-Vorpommern 130 bildete den ersten richtungweisenden Schritt hin zu einer kommunalen Verwaltungsreform und folgte weitgehend dem Vorbild des Partnerlandes Schleswig-Holstein. Mit ihr wurde eine „Renaissance der Amtsverfassung“ 131 im deutschen Kommunalrecht eingeleitet. Sie war der Tatsache geschuldet, dass eine umfassende Gemeindegebietsreform kurz nach Wiedergewinnung der kommunalen Selbstverwaltung nur schwer zu vermitteln gewesen wäre 132, aufgrund der kleinteiligen Gemeindestruktur andererseits aber eine eigenständige Verwaltung aller Gemeinden aus Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten nicht in Betracht kam. Durch die Amtsverfassung konnte die volle politische Selbständigkeit der amtsangehörigen Gemeinden bestehen bleiben 133, gleichzeitig aber eine hauptamtliche Verwaltung lediglich auf der leistungsfähigeren Amtsebene eingerichtet werden. Die Ämter wurden zur Stärkung der Selbstverwaltung im ländlichen Raum aus Gemeinden desselben Landkreises als Körperschaften des öffentlichen Rechts ohne Gebietshoheit errichtet und sollten regelmäßig mindestens 5.000 Einwohner aufweisen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3 Satz 3 Amtsordnung). Die Ämter sind Träger der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises und unterstützen die amtsangehörigen Gemeinden bei ihren Selbstverwaltungsaufgaben 134. In § 1 Abs. 4 und 6 der Amtsordnung wurde die Landesregierung ermächtigt, die nach § 31 KV-DDR gebildeten Verwaltungsgemeinschaften und solche Gemeinden, die sich nicht in Verwaltungsgemeinschaften befanden, zu Ämtern zusammenzuschließen. Amtsfrei, also selbständig verwaltet, konnten nach § 1 Abs. 5 der Amtsordnung zunächst Gemeinden mit mehr als 2500 Einwohnern bleiben, wenn die jeweilige Gemeindevertretung dies beschloss und die Finanzkraft der Gemeinde die selbständige Aufgabenerfüllung gewährleistete.
128
Näher Hubert Meyer, LKV 1992, S. 399. Landtag M-V, LTDrs 1/918. 130 Vom 18. 03. 1992; GVOBl. M-V, S. 187. 131 Darsow, LKV 1992, S. 287. In Westdeutschland hatte nur Schleswig-Holstein eine Amtsverfassung. 132 Das sprach gegen die Schaffung großer Einheitsgemeinden, Samtgemeinden oder Verbandsgemeinden. Vgl. Hubert Meyer, LKV 2004, S. 241 sowie Darsow, LKV 1992, S. 287. 133 Die so ermöglichte Verantwortung von ca. 10.000 ehrenamtlichen Mandatsträgern war ein demokratischer Gewinn für ein junges Bundesland wie Mecklenburg-Vorpommern. Näher Hubert Meyer, LKV 2004, S. 241 (242). 134 Zu Funktionen, Organen und Dienstkräften der Ämter Darsow, LKV 1992, S. 287 f. sowie Hubert Meyer, LKV 2004, S. 241 (242). 129
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Auf Grundlage von § 1 Abs. 6 Nr. 1 und 3 der Amtsordnung überführte eine Rechtsverordnung vom 25. 03. 1992 135 zunächst 107 bestehende Verwaltungsgemeinschaften in den Status eines Amtes. Bei allen etwa 850 davon betroffenen Gemeinden konnte auf eine entsprechende gemeindliche Beschlusslage zurückgegriffen werden 136. Amtsfrei blieben zunächst 52 kreisangehörige Gemeinden. Die weitere Amtsbildung erfolgte durch Verordnung vom 03. 07. 1992 137 ebenfalls durch Anerkennung der freiwilligen Zusammenschlüsse der Gemeinden. Auf dieser Rechtsgrundlage wurden nochmals 12 Verwaltungsgemeinschaften in Ämter überführt und die bestehende Amtsfreiheit zweier weiterer kreisangehöriger Gemeinden festgestellt. Erst mit der Dritten Landesverordnung zur Bildung von Ämtern und zur Bestimmung der amtsfreien Gemeinden vom 12. 10. 1992 138 wurden Gemeinden auch gegen ihren erklärten Willen Ämtern zugeordnet und fünf weitere Ämter gegründet 139. Damit hatte Mecklenburg-Vorpommern, welches nunmehr aus 31 Landkreisen, 6 kreisfreien Städten, 54 amtsfreien Gemeinden sowie 124 Ämtern bestand, als erstes neues Bundesland seine Verwaltungsreform auf örtlicher Ebene erfolgreich abgeschlossen. Anlässlich eines vom Städte- und Gemeindetag aus Anlass des einjährigen Bestehens der Ämter durchgeführten Erfahrungsaustausches mit ehrenamtlichen Bürgermeistern, Amtsvorstehern und leitenden Verwaltungsbeamten zog man jedenfalls ein überwiegend positives Fazit der Verwaltungsreform, konstatierte eine überwiegend gute sächliche und personelle Ausstattung der von den Bürgern als stabilisierender Faktor wahrgenommenen Amtsverwaltungen und kam zu dem Schluss, dass die Amtsordnung ihre erste Bewährungsprobe bestanden habe 140. IV. Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit Der Aufbau einer funktionierenden Verwaltungsgerichtsbarkeit war nach der Wiedervereinigung neben der Etablierung leistungsfähiger legislativer und exekutiver Strukturen die dritte zentrale Aufgabe in den neuen Bundesländern 141.
135 Erste Verordnung zur Bestimmung von Ämtern und amtsfreien Gemeinden; GVOBl. M-V, S. 219. 136 Darsow, LKV 1992, S. 287. 137 Zweite Verordnung zur Bildung von Ämtern und zur Bestimmung der amtsfreien Gemeinden; GVOBl. M-V, S. 305. 138 GVOBl. M-V, S. 597. 139 Glaser / Fitschen, LKV 1993, S. 335. 140 Glaser / Fitschen, LKV 1993, S. 335. Eine „positive erste Zwischenbilanz“ und eine „Akzeptanz der Amtsverfassung bei der Bevölkerung“ konstatierte auch Hubert Meyer, LKV 1993, S. 399 (400).
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1. Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtsschutz in der DDR Obwohl de jure in Art. 138 der Verfassung von 1949 142, Art. 68 der Verfassung von Mecklenburg 143 sowie im Verwaltungsgerichtsgesetz für Mecklenburg-Vorpommern vom 30. 10. 1947 nach dem Enumerationsprinzip 144 garantiert, wurde verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz in der DDR nie auch nur im Ansatz verwirklicht 145. Die Totalverweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes bis zum 30. 06. 1989 war auch in den sozialistischen Staaten einzigartig. Eine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit wäre schwerlich mit einer auf „Parteilichkeit“ und „Durchführung der sozialistischen Gesetzlichkeit“ verpflichteten Richterschaft vereinbar gewesen 146. Spätestens als 1952 das Thüringer Landesverwaltungsgericht zeitgleich mit der de-facto-Zerschlagung der Länder auf interne Weisung des Innenministers geschlossen wurde, verschwand die Verwaltungsrechtspflege endgültig aus der DDR 147. Walter Ulbricht, zu dieser Zeit Erster Sekretär des ZK der SED, bezeichnete als Hauptreferent auf der Babelsberger Konferenz der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft am 02. und 03. 04. 1958 die „Trennung von Staatsrecht und Verwaltungsrecht (als) ein bürgerliches Prinzip, das wir schnell aufgeben sollten“ 148 und leitete damit eine Phase ein, in der für lange Jahre das Ende eines öffentlichen Nachdenkens über förmlichen gerichtlichen Verwaltungsrechtsschutz gekommen war 149. Statt141 Näher v. Oertzen, in: Festschrift für Redeker, S. 539 sowie Benndorf / Buchheister / Sauthoff / Schaffarzik / Schwan, LKV 2010, S. 449. Zum Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Mecklenburg-Vorpommern Dopp / Schmutzler, in: Festgabe für Haack, S. 5 und Hobbeling, ebd., S. 11. Allgemein zur personellen Neuordnung der Justiz in den neuen Bundesländern, Roggemann, Fragen und Wege zur Rechtseinheit in Deutschland, S. 126 ff. 142 GBl. DDR 1949, Nr. 1. 143 Regierungsblatt für Mecklenburg, Nr. 1 v. 12. 03. 1947, S. 1. 144 Vgl. § 7 des Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Lande Mecklenburg vom 18. 09. 1947 (Regierungsblatt für Mecklenburg, S. 250). Tatsächlich wurden nur in Brandenburg, Mecklenburg und Thüringen Verwaltungsgerichte eingerichtet. Näher Brunner, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 5, S. 1218 (1280). 145 Zu Auf- und Abbau der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle in Ostdeutschland nach 1945 Ule, DVBl 1985, S. 1029 (1035 ff.); Brunner, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 5, S. 1218, (1278 ff.); Benndorf / Buchheister / Sauthoff / Schaffarzik / Schwan, LKV 2010, S. 449. 146 Zur „Systemabhängigkeit“ der Justiz in der DDR vgl. Enquetekommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, BTDrs 12/7820, S. 95 f.; Rottleutner, KritV 1992, S. 237. 147 Näher Ule, DVBl 1985, S. 1029 (1035 f.) und Bernet, DÖV 1990, S. 409 (411 f.). 148 Bernet, DÖV 1990, S. 409 (412). 149 Noch 1968 betonte Ulbricht – zitiert nach Ule, DVBl. 1985, S. 1029 (1037) –, dass es „in unserer Staatsordnung keinen Platz für die Verwaltungsgerichte gibt“ und die in den kapitalistischen Ländern bestehenden Verwaltungsgerichte nur „die Tätigkeit
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dessen wurden die Bürger weitgehend 150 auf formlose Rechtsbehelfe in Gestalt von Eingaben 151 an Beschwerdeausschüsse verwiesen 152. Erst das Gesetz über die Zuständigkeit und das Verfahren der Gerichte zur Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen vom 14. 12. 1988 153 brachte – im Vergleich zu anderen osteuropäischen Staaten mit erheblicher Verspätung 154 – einen ersten zaghaften Schritt hin zu einem verwaltungsgerichtlichen Minimalrechtsschutz 155. Im Bestreben, einerseits für die wachsende innere Opposition ein Ventil zu schaffen und im KSZE-Prozess Bereitschaft zu Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit im „sozialistischen Rechtstaat DDR“ 156 zu dokumentieren, andererseits aber weitgehend an überkommenen Machtstrukturen festzuhalten, wurde nach dem Enumerationsprinzip die Überprüfung bestimmter Verwaltungsentscheidungen 157 auf schriftlichen, innerhalb von zwei Wochen zu stellenden, Antrag ermöglicht. Eine nennenswerte Spruchpraxis der für Entscheidungen nach diesem Gesetz erst- und letztinstanzlich zuständigen Kreisgerichte hat es aufgrund der bald einsetzenden Umbruchsituation in der DDR allerdings nicht mehr gegeben 158. Auch im Bereich des Bezirksgerichts Schwerin blieb die Bedeutung des Gesetzes gering. der Parlamentsausschüsse ersetzen und die Macht der reaktionären Verwaltungsbeamten“ vermehrten. 150 Zu der in Einzelvorschriften gewährleisteten Möglichkeit der förmlichen Beschwerde näher Brunner, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 5, S. 1218 (1281 f.) sowie Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR (Hrsg.), Verwaltungsrecht, S. 338 ff. 151 Näheres regelte das Eingabengesetz vom 19. 06. 1975; GBl. DDR I, S. 461. dazu Brunner, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 5, S. 1218 (1282 f.). 152 Zu den bei den örtlichen Volksvertretungen gebildeten und vorwiegend mit juristischen Laien besetzten Beschwerdeausschüssen Bernet, DÖV 1990, S. 409 (413 f.); Lohmann, NVwZ 1989, S. 429. 153 GBl. I DDR, S. 327. Näher Ule, DVBl. 1989, S. 581; Roggemann, JZ 1989, S. 579; Bernet, DÖV 1990, S. 409 (415 ff.). 154 Bereits in den 1970er und frühen 1980er Jahren hatten fast alle anderen osteuropäischen Staaten Regelungen zur Wieder- oder Neueinführung verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes gegen die Exekutive erlassen; vgl. Kuss, Gerichtliche Verwaltungskontrolle in Osteuropa. 155 Kritisch Christoph, DtZ 1990, S. 175 ff. („dürftige(s) Feigenblatt zur Verhüllung der stalinistisch-dogmatisch geprägten Verwaltungspraxis“). 156 Das Bekenntnis zum „sozialistischen Rechtsstaat DDR“ wurde von Kurt Hager – Sekretär des ZK der SED für Kultur, Wissenschaft und Ideologie – auf der 6. Tagung des ZK der SED am 09. und 10. 10. 1988 geleistet und löste eine intensive Debatte aus. Näher Ule, DVBl 1988, S. 1221. 157 Welche Verwaltungsentscheidungen angefochten werden konnten, ergab sich aus zwei weiteren am 14. 12. 1998 erlassenen Rechtsvorschriften, nämlich dem „Gesetz zur Anpassung von Regelungen über Rechtsmittel der Bürger und zur Festlegung der gerichtlichen Zuständigkeit für die Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen“ – GBl. DDR I, S. 329 – und der „Verordnung zur Anpassung von Regelungen über Rechtsmittel der Bürger und zur Festlegung der gerichtlichen Zuständigkeit für die Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen“ – GBl. DDR I, S. 330 nebst Anlagen.
388 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
Bis November 1989 wurden nur 45 Anträge gestellt, von denen sich 28 durch Antragsrücknahme erledigten 159. Durch den am 30. 06. 1990 in Kraft getretenen Vertrag über die Währungswirtschafts- und Sozialunion vom 18. 05. 1990 160 verpflichtete sich die DDR, einen umfassenden Gerichtsschutz zu gewährleisten und richterliche Unabhängigkeit sowie rechtsstaatliche Verhältnisse herzustellen. Mit Art. 5 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Verfassung der DDR vom 17. 06. 1990 161 wurden sodann in Erwartung einer baldigen Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands die Unabhängigkeit der Rechtsprechung und die Rechtsweggarantie als Verfassungsgrundsätze festgeschrieben. Vom Juli bis September 1990 wurden unter der Regierung de Maiziere eine Reihe weiterer Justizgesetze erlassen, die der Verwaltungsgerichtsbarkeit neue Impulse verleihen sollten 162. Gleichzeitig begannen die westdeutschen Partnerländer Mecklenburg-Vorpommerns 163 ab September 1990 mit der Entsendung sog. „zugewiesener Richter“ an die für die Verwaltungsrechtspflege zuständigen Kammern und Senate für Verwaltungsrecht bei den Kreis- und Bezirksgerichten 164. 2. Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Mecklenburg-Vorpommern Vor dem Hintergrund unterschiedlich ausgeprägter materieller und personeller Grundlagen und einem gänzlich unterschiedlichen Staats- und Rechtsverständnis in der „alten“ Bundesrepublik und der DDR 165 galt es, in den neuen Bundesländern binnen kürzester Zeit funktionierende verwaltungsgerichtliche Strukturen 158
Nach Bernet, DÖV 1990, S. 409 (417) wurden zwischen dem 01.07. und dem 30. 09. 1989 lediglich 750 Anträge auf Nachprüfung gestellt, die sich überwiegend auf Reise- und Ausreiseanträge bezogen. Nach Schwanengel / Michler, DÖV 1990, S. 829 (834) wurden nach einer unveröffentlichten Statistik des Justizministeriums der DDR insgesamt 3.119 Anträge gestellt. 159 34 der Anträge betrafen das Reiserecht. Vgl. Hobbeling, in Festgabe für Haack, S. 11 (16 ff.). 160 Vgl. Art. 6 und Anlage III des Vertrages, BGBl. II 1990, S. 518. Ausführlich dazu Scheugenpflug, Überleitung, S. 63 ff. Kissel, NJW 1991, S. 945; Brachmann / v. Alten, LKV 1992, S. 182; Sendler, DtZ 1990, S. 166 sowie Stelkens, DtZ 1990, S. 305. 161 GBl. I DDR, S. 299. 162 Näher Scheugenpflug, Überleitung, S. 83 ff; Hobbeling, in: Festgabe für Haack, S. 11 (19 ff.). Vor allem das neu gefasste „Gesetz über die Zuständigkeit und das Verfahren der Gerichte zur Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen vom 29. 06. 1990 – GBl. DDR I, S. 595 – enthielt wichtige Klärungen für den Verwaltungsrechtsschutz. 163 Das waren Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und anteilig Nordrhein-Westfalen. 164 Instruktiv zum Verhältnis zwischen zugewiesenen Westrichtern und dem vorhandenen Personal Hobbeling, in: Festgabe für Haack, S. 11 (21 f.).
§ 10 Aufbauphase 1990 bis 1992
389
aufzubauen, wobei man sich im Einigungsvertrag entschieden hatte, das verwaltungsgerichtliche Verfahren der Bundesrepublik mit einer Reihe von Maßgaben für das Beitrittsgebiet zu übernehmen 166. In Mecklenburg-Vorpommern nahm im August 1990 ein sog „Arbeitsstab Justiz“ beim Landesbevollmächtigten die Arbeit auf. Dort entschied man sich im Gegensatz zu den übrigen neuen Bundesländern, die Strukturplanung für die Gerichte und die gerichtsverfassungs- und organisationsrechtlichen Bestimmungen in getrennten Gesetzen zu verankern. Mit der auf diese Weise ermöglichten frühzeitigen Festlegung der künftigen Gerichtsstandorte sollten die notwendigen Rahmenbedingungen für die Entwicklungsplanung der Kommunen, die Bürotätigkeit der Rechtsanwälte und für die Personalsteuerung für die Einstellung des Justizpersonals geschaffen werden 167. Die Verwaltungsrechtspflege in den fünf neuen Ländern wurde zunächst – unter Rekrutierung von hauptamtlichen Richtern aus den alten Bundesländern 168 – von den bestehenden Kreis- und Bezirksgerichten wahrgenommen 169. Hierbei nahm man nach den Maßgaben des Einigungsvertrages 170 eine örtliche Zuständigkeitskonzentration vor. Nur bei den insgesamt 14 Kreisgerichten, in deren Bezirk das Bezirksgericht seinen Sitz hatte, waren Kammern für Verwaltungssachen, bei den fünf Bezirksgerichten, in deren Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hatte, Senate für Verwaltungssachen einzurichten 171. Der Einigungsvertrag ermächtigte die Landesregierungen, durch Rechtsverordnung die Zuständigkeit eines anderen Kreis- oder Bezirksgerichts zu bestimmen. Mit Rechtsverordnung vom 11. 12. 1990 172 wurde diese Befugnis in Mecklenburg-Vorpommern auf den Minister für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten übertragen, der Ende Januar 1991 eine entsprechende Regelung 173 erließ. Für Verwaltungsstreitsachen erklärte man dem 01. 05. 1991 übergangsweise 174 die Kreisgerichte Schwerin165
So gab es in der DDR keine Rechtspfleger und die Zahl der Richter insgesamt lag nur bei ca. 1.300 bis 1.400, von denen etwa 95 % SED-Mitglieder waren. Vgl. näher Klein, NJW 1990, S. 1065 (1071); Scheugenpflug, Überleitung, S. 40 f. 166 Anlage I, Kap. III, Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1, Nr. 6 und Nr. 28. Zu den Modifikationen v. Oertzen, in: Festschrift für Redeker, S. 339 ff. 167 Kosmider, LKV 1993, S. 119. 168 Zur Rekrutierung ehrenamtlicher Richter v. Oertzen, in: Festschrift für Redeker, S. 339 (341). 169 Die (vorübergehende) Ausübung der Fachgerichtsbarkeiten unter dem Dach der ordentlichen Gerichte war nach Art. 143 Abs. 2 GG jedenfalls bis zum 31. 12. 1995 zulässig. Zur (umstrittenen) Frage, ob Art. 95 Abs. 1GG eine organisatorische Zusammenlegung der Gerichtsbarkeiten zulässt Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 95 Rn. 7 m.w. N. und Scheugenpflug, Überleitung, S. 177 ff. 170 Eingehend Scheugenpflug, Überleitung, S. 174 ff. 171 Näher Kissel, NJW 1991, S. 945 (946). Verfassungsrechtlich war eine solche Vorgabe gem. Art. 143 Abs. 1 GG bis zum 31. 12. 1992 zulässig. Vgl. Scheugenpflug, Überleitung, S. 195 f. 172 GVOBl 1991, S. 17.
390 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
Stadt, Greifswald und Rostock für zuständig. Die Zuständigkeit des Kreisgerichts Rostock wurde auf den Landkreis Rostock und das Gebiet der kreisfreien Stadt Rostock beschränkt, womit bereits frühzeitig eine gewisse Vorentscheidung für Schwerin und Greifswald als zukünftige Verwaltungsgerichtsstandorte fiel. Mit dem am 24. 04. 1991 in Kraft getretenen Gerichtsstrukturgesetz (GStrG M-V) 175 entschied sich der Gesetzgeber endgültig für die Errichtung zweier Verwaltungsgerichte in Greifswald und Schwerin, die ihre Tätigkeit jedoch gem. § 10 GStrG M-V erst am 01. 07. 1992 aufnehmen sollten 176. Als Sitz des Oberverwaltungsgerichts wurde Greifswald bestimmt. Anfängliche Überlegungen, ein gemeinsames Obergericht mit anderen Ländern zu bilden, wurden nicht weiterverfolgt, da die wieder gewonnene Souveränität auch in der Gerichtsbarkeit zum Ausdruck kommen sollte. Ausschlaggebend für die Entscheidung für den Verwaltungsgerichtsstandort Schwerin war die Konzentrierung der Verwaltungstätigkeit in der Landeshauptstadt. Für die Ansiedlung des Oberverwaltungsgerichts, eines Verwaltungsgerichts sowie des Finanzgerichts in Greifswald war entscheidend, dass auch der Landesteil Vorpommern mit wichtigen Gerichten ausgestattet werden sollte. Zudem sollte in Greifswald ein öffentlich-rechtlicher Schwerpunkt gebildet werden, was auch bei der Wiedereröffnung der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät im Vordergrund stand 177. Daneben wurden in der besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit ein Landessozialgericht in Neubrandenburg und vier Sozialgerichte (in Neubrandenburg, Rostock, Schwerin und Stralsund) sowie ein Finanzgericht mit Sitz in Greifswald eingerichtet. In der ordentlichen Gerichtsbarkeit errichtete man das Oberlandesgericht in Rostock, 4 Landgerichte mit Sitz in Neubrandenburg, Rostock, Schwerin und Stralsund sowie 31 Amtsgerichte. Daneben wurden ein Landearbeitsgericht in Rostock und vier Arbeitsgerichte (in Neustrelitz, Rostock, Schwerin und Stralsund) geschaffen. Das Landesrichtergesetz aus dem Sommer 1991 178 sowie das am 01. 07. 1992 in Kraft getretene Gesetz zur Ausführung des Gerichtsstrukturge173 Verordnung über die Zuständigkeit der Gerichte vom 30. 01. 1991; GVOBl. M-V 1991, S. 43. 174 Die Zuständigkeit der Kreis- und Bezirksgerichte endete am 30. 06. 1992. 175 Vom 19. 03. 1991; GVOBl. M-V 1991, S. 103. Damit kam Mecklenburg-Vorpommern sehr schnell dem in Anlage I, Kap. III Sachgebiet A Abschnitt III, Nr. 1 lit. u Abs. 1 und 2 EV enthaltenen Auftrag nach, möglichst frühzeitig durch Gesetz Gerichte der Länder einzurichten. 176 Die Aufnahme der den Gerichten zugewiesenen Aufgaben und die damit verbundenen personellen, sachlichen und organisatorischen Angelegenheiten blieben einem Ausführungsgesetz vorbehalten. Das AGGStrG M-V (GVOBl. M-V 1992, S. 314) trat am 01. 07. 1992 in Kraft. 177 Kosmider, LKV 1993, S. 119; Benndorf / Buchheister / Sauthoff / Schaffarzik / Schwan, LKV 2010, S. 449 (453). 178 Vom 07. 06. 1991; GVOBl. M-V, S. 159.
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391
setzes (AGGStrG M-V) 179 komplettierten die für die Verwaltungsgerichtsbarkeit wesentlichen landesrechtlichen Regelungen. Mit dem Rechtspflege-Anpassungsgesetz vom 26. 06. 1992 180 beseitigte der Bundesgesetzgeber schließlich durch den Einigungsvertrag aufgeworfene Zweifelsfragen und erleichterte den Aufbau der Gerichtsbarkeiten in den neuen Ländern 181. In den ersten beiden Jahren nach Wirksamwerden des Beitritts erhöhten sich die Eingänge von Streitsachen bei den für die Verwaltungsrechtsprechung zuständigen Gerichten in Mecklenburg-Vorpommern zwar stetig 182, blieben aber zunächst 183 noch weit unter den Vergleichszahlen der alten Bundesländer. Die von manchen befürchtete Prozesslawine blieb einstweilen aus 184. Entsprechend der relativ geringen Anzahl der Eingänge entwickelte sich auch die Zahl der Richter langsamer als erwartet 185. Alles in allem verlief der Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Mecklenburg-Vorpommern weitgehend reibungslos 186.
179
Verkündet als Art. 1 des Gerichtsorganisationsgesetzes (GOrgG); GVOBl. M-V 1992, S. 314. 180 BGBl. I, S. 1147. 181 Zu den Einzelheiten v. Oertzen, in: Festschrift für Redeker, S. 339 (342 f.). 182 Näher v. Oertzen, in: Festschrift für Redeker, S. 339 (351) und Hobbeling, in: Festgabe für Haack, S. 11 (22 ff.). In Mecklenburg-Vorpommern stieg die Zahl der Verfahrenseingänge von 222 im ersten Halbjahr 1991 über 1151 im zweiten Halbjahr auf 1694 im ersten Halbjahr 1992. Die Gesamtzahl der Verwaltungsstreitverfahren in den neuen Bundesländern nahm 1992 im Vergleich zum Vorjahr um ca. 300% zu. Die Eingangszahl betrug knapp über 26.000, wobei der Schwerpunkt der Streitigkeiten im Asylund Vermögensrecht lag. Vgl. näher LKV 1993, S. 125. 183 Zu den – vor allem dem Asylrecht geschuldeten – steigenden Verfahrenszahlen ab Ende 1992 Hobbeling, in: Festgabe für Haack, S. 11 (28 ff.). 1994 gingen beim Verwaltungsgericht Schwerin (und der in Boizenburg gegründeten auswärtigen Kammer) 3987 (davon 1479 Asylsachen), 1995 3766 (davon 1394 Asylsachen) und 1996 5115 Sachen (davon 2879 Asylsachen) ein. Ende 1996 waren beim VG Schwerin 6548 Sachen anhängig. 184 Zu den Gründen v. Oertzen, in: Festschrift für Redeker, S. 339 (353), der auf eine „gewisse Obrigkeitsfixierung“, das Kostenrisiko, die Dauer der Gerichtsverfahren und die im Vergleich zu den alten Bundesländern stärker ausgeprägte Kompromissbereitschaft im Osten verweist. 185 Zahlenmaterial bei v. Oertzen, in: Festschrift für Redeker, S. 339 (353) und Dopp / Schmutzler, in: Festgabe für Haack, S. 5 (8). Am 01. 07. 1992 waren an den beiden VG lediglich 12, am OVG 6 Richter tätig. Anfang 1996 war die Zahl der dort tätigen Richter dann aber auf 50 angestiegen. 186 Zu dennoch festzustellenden Schwierigkeiten Hobbeling, in: Festgabe für Haack, S. 11 ff.
392 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
§ 11 Entwicklung des Allgemeinen und Besonderen Verwaltungsrechts in der Aufbauphase Neben der Schaffung leistungsfähiger organisatorischer Strukturen in der Landes- und Kommunalverwaltung sowie im Justizwesen musste der Landtag in seiner ersten Legislaturperiode die notwendigen landesrechtlichen Grundlagen für die Verwaltungstätigkeit hervorbringen. Dieser Verpflichtung ist das Parlament mit bemerkenswerter Produktivität und großem Arbeitseifer nachgekommen. Der Landtag hat zwischen Oktober 1990 und September 1994 insgesamt 195 Landesgesetze verabschiedet. Diese Bilanz ist im Vergleich zur 2. und 3. Wahlperiode und zu manch anderem Landesparlament beeindruckend 187, zumal wenn man sich vergegenwärtigt, dass sich der Landtag nicht als Vollzeiteinrichtung versteht und alle Abgeordneten in der 1. Legislaturperiode erstmals ein parlamentarisches Mandat wahrnahmen 188.
A. Allgemeines Verwaltungsrecht Zusätzlich zur Übernahme des Grundgesetzes als logische Folge des Beitritts nach Art. 23 GG ordnete der Einigungsvertrag auch die Rechtsüberleitung des einfachen formellen und materiellen Rechts der Bundesrepublik Deutschland auf die neuen Bundesländer an. Nach Art. 8 EV galt das VwVfG des Bundes – ergänzt um bundesrechtliche Regelungen des Besonderen Verwaltungsrechts, der VwGO sowie verfahrensrechtliche Einzelregelungen aus früherer DDR-Zeit 189 – in den neuen Bundesländern fort. Daher konnte man sich in Mecklenburg-Vorpommern zunächst mit der Schaffung einiger weniger Übergangsregelungen begnügen. Wichtigste diesbezügliche Vorschrift war das Gesetz zur Einführung des Ordnungs-, Zustellungs- und Vollstreckungsrechts (EGVwR) vom 25. 04. 1991 190 nebst Änderungsgesetzen vom 19. 12. 1991 191 und 16. 06. 1992 192. Damit wurden für eine Übergangszeit, die deutlich länger dauern sollte als ur187 In der 2. Wahlperiode 1994 bis 1998 wurden 95 Landesgesetze, in der 3. Wahlperiode 1998 bis 2002 90 Landesgesetze verabschiedet. Zahlen nach März, JöR 54 (2006), S. 175 (236 f.). 188 März, JöR 54 (2006), S. 175 (236 f.). 189 Zur Fortgeltung von DDR-Recht Stelkens, DtZ 1991, S. 264. Überblick zur Reformgesetzgebung der DDR seit dem 09. 11. 1989 bei Luttosch / v. Schlabrendorff, DtZ 1990, S. 60. 190 GVOBl. M-V, S. 121. 191 GVOBl. M-V, S. 534. 192 GVOBl. M-V, S. 324.
§ 11 Entwicklung des Verwaltungsrechts in der Aufbauphase
393
sprünglich geplant 193, grundlegende Vorschriften über Organisation, Aufgaben und Befugnisse der Ordnungsbehörden 194, Zustellungs- und Vollstreckungsvorschriften 195 sowie Aufsichtsbefugnisse über Landes- und sonstige Behörden 196 geregelt. Anlage I Kapitel II Sachgebiet B Abschnitt III Nr. 1a zum EV befristete die Anwendung des VwVfG des Bundes bis längstens zum 31. 12. 1992. Bereits früh wurden Zweifel laut, ob die neuen Bundesländer in der Lage sein würden, die kurz bemessene Übergangsfrist einzuhalten 197. In der Tat verzögerte sich die Kodifikation des Allgemeinen Verwaltungsrechts erheblich. Erst im Oktober 1992 wurde der Regierungsentwurf für ein VwVfG M-V in den Landtag eingebracht 198, der vor Ablauf des Jahres 1992 nicht mehr abschließend parlamentarisch beraten werden konnte. Zur Vermeidung eines verwaltungsverfahrensrechtlichen Vakuums wurde daher die Weitergeltung des VwVfG des Bundes bis zum 30. 06. 1993 angeordnet 199. Erst am 17. 03. 1993 beschloss der Landtag das VwVfG M-V 200, welches am 01. 07. 1993 in Kraft trat. Mit ihm wurde ein Vollgesetz geschaffen, das in seinem ersten Hauptteil das allgemeine Verwaltungsverfahren im Wesentlichen nach dem Vorbild des Bundes regelt 201. Der zweite Hauptteil enthält nach dem Vorbild des VwZG Regelungen über die Zustellung im Ausgangsverfahren. Die Regelung von Verfahrens- und Zustellungsvorschriften in einem Gesetz bietet den Vorteil, dass sich der Bürger effektiv und zuverlässig über die für das 193 Das EGVwR wurde erst durch Art. 4 des 1. VwVfG M-V ÄndG M-V (vom 16. 06. 1998; GVOBl. M-V, S. 565) endgültig außer Kraft gesetzt. 194 Art. I § 1 EGVwR enthielt Regelungen über die Landes-, Kreis-, örtlichen und Sonderordnungsbehörden, wobei die Bürgermeister der Gemeinden ab 2500 Einwohnern zu örtlichen Ordnungsbehörden erklärt wurden. Art. I § 2 EGVwR beinhaltete eine § 13 SOG M-V entsprechende Generalklausel und erklärte bestimmte Standardbefugnisse des PAG-DDR auch auf Ordnungsbehörden für entsprechend anwendbar. 195 Art. II und III EGVwR ordneten die Geltung des VwZG sowie die modifizierte Anwendung von VwVG und UZwG des Bundes an. Art. II EGVwR trat mit Wirkung zum 01. 07. 1993 außer Kraft, nachdem das Zustellungsverfahren in §§ 94 ff. VwVfG M-V geregelt wurde. Die Vorschriften über den Vollzug wurden erst mit dem 1. VwVfG M-V ÄndG (GVOBl. M-V 1998, S. 565) aufgehoben. 196 Vgl. Art. III a §§ 1 – 7 EGVwR; eingefügt durch EGVwR / PAGÄndG vom 19. 12. 1991; GVOBl. M-V 1991, S. 534. Art. III a EGVwR wurde erst durch das 1. VwVfG M-V ÄndG aufgehoben. 197 Stelkens, DtZ 1991, S. 264 (265). 198 Landtag M-V, LTDrs 1/2421. 199 Art. 1 des Gesetzes zur Verlängerung des Geltungsdauer des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes und der Beamtenrechtsregelungsgesetze des Landes M-V; GVOBl M-V 1992, S. 717. 200 GVOBl. M-V 1993, S. 482. 201 Markante Abweichungen zum damaligen VwVfG des Bundes fanden sich nur hinsichtlich § 49 Abs. 3 VwVfG M-V (Widerruf mit Wirkung für die Vergangenheit) und bei § 49a VwVfG M-V.
394 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
Verwaltungsverfahren maßgeblichen Vorschriften informieren kann 202 und ist damit ein frühes Beispiel einer gelungenen Regelungsoptimierung. Aus der Tätigkeit des Landesgesetzgebers im Allgemeinen Verwaltungsrecht in der Aufbauphase erwähnenswert ist zudem das Enteignungsgesetz 203, mit dem die bisher in verschiedenen Fachgesetzen verstreuten Vorschriften vereinheitlicht und vereinfacht sowie ein spezielles enteignungsrechtliches Verfahrensrecht geschaffen wurden. Eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Vervollständigung des öffentlichen Sachenrechts war schließlich das StrWG M-V vom 13. 01. 1993 204, welches die fortgeltenden Bestimmungen des DDR-Straßenrechts 205 ablöste.
B. Ausgewählte Referenzgebiete des Besonderen Verwaltungsrechts Umfangreiche Gesetzgebungsaktivitäten galt es auch im Besonderen Verwaltungsrecht zu entfalten, um einen vollzugsfähigen Anfangsbestand von Rechtsvorschriften zu erstellen. Mit Blick auf die in dieser Arbeit näher betrachteten Referenzgebiete wurde vor allem im Umwelt- und Bauordnungsrecht zügig gehandelt, während im Wirtschaftsverwaltungsrecht weitgehend vollzugstaugliche Bundesregelungen zur Verfügung standen, die lediglich durch entsprechende Zuständigkeits- und Kostenverordnungen konkretisiert werden mussten. I. Umweltrecht Besonderer Handlungsbedarf bestand im Bereich des Umweltrechts. Vor allem auf dem Gebiet des Naturschutzrechts wurde sehr schnell deutlich, dass die durch Art. 9 Abs. 1 EV angeordnete Fortgeltung einzelner naturschutzrechtlicher Vorschriften der DDR 206 und die in Art. 6 § 3 Umweltrechtsrahmenge202
Landtag M-V, LTDrs 1/2421, S. 2. Vom 02. 03. 1993, GVOBl. M-V, S. 178. Näher Gohde / Boldt, LKV 1994, S. 210. 204 GVOBl. M-V, S. 42. Zur Entwicklung des Straßenrechts in den neuen Ländern Bülow / Pfeil, LKV 1994, S. 33. 205 Das DDR-Straßenrecht war durch die Verordnung über die öffentlichen Straßen vom 22. 08. 1974 (GBl DDR I, S. 515, geändert durch Verordnung vom 12. 12. 1978, GBl. DDR I, 1979, S. 9) sowie zwei Durchführungsverordnungen von 1974 (GBl. DDR I, S. 522) und 1984 (GBl. DDR I, S. 259) bestimmt. Die Fortgeltung des DDR-Straßenrechts sollte ein Regelungsvakuum vermeiden. Näher Bülow / Pfeil, LKV 1994, S. 1 (2). 206 Dabei handelte es sich im Wesentlichen um die §§ 10 bis 16 des Landeskulturgesetzes (LKG) vom 14. 05. 1970 (GBl. DDR I S., 67) sowie einige Bestimmungen der Naturschutzverordnung vom 18. 05. 1989 (GBl. DDR I, S. 159) und der Baumschutzverordnung vom 28. 05. 1981 (GBl. DDR I, S. 2739). Ausführlich zur Fortgeltung des DDR-Naturschutzrechts Sauthoff / Bugiel / Göbel, NatSchAG M-V, Einleitung, Rn. 5 ff. 203
§ 11 Entwicklung des Verwaltungsrechts in der Aufbauphase
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setz 207 abweichend von § 4 Satz 1 BNatSchG bestimmte unmittelbare Geltung der Rahmenvorschriften des Gesetzes als Landesrecht wesentliche Regelungslücken nicht verhindern konnten. Deshalb verabschiedete der Landtag – dem sächsischen Vorbild folgend – mit dem am 16. 01. 1992 in Kraft getretenen Ersten Gesetz zum Naturschutz im Land Mecklenburg-Vorpommern 208 ein sog. „Vorschaltgesetz“, welches die wichtigsten Regelungslücken kurzfristig schließen sollte 209. Seit August 1992 gilt zudem ein eigenständiges Landesabfall- und Altlastengesetz (AbfalG M-V) 210, welches für die Abfall-, insbesondere aber für die bundesgesetzlich seinerzeit nur defizitär geregelte 211 und in den neuen Bundesländern besonders bedeutsame Altlastenproblematik eigenständige landesrechtliche Regelungen enthielt. Zum 01. 12. 1992 trat mit dem Wassergesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern 212 ein weiteres wichtiges Umweltgesetz in Kraft und bereinigte die beim Schutz dieses Umweltmediums bis dato unübersichtliche Rechtslage 213. II. Ordnungsrecht 1. Allgemeines Ordnungsrecht Im Allgemeinen Ordnungsrecht galt zunächst das noch in den letzten Tagen der DDR buchstäblich „durch die Volkskammer gejagte“ 214 Gesetz über Aufgaben und Befugnisse der Polizei vom 13. 09. 1990 (PAG-DDR) 215 mit gewissen Modifizierungen für die allgemeinen Ordnungsbehörden als Landesrecht fort 216. Das PAG-DDR, mit dem das bis dahin noch gültige Volkspolizeigesetz 217 aufgehoben wurde, basierte weitgehend auf dem Anfang 1990 erlassenen nordrhein-westfälischen Polizeigesetz, wies jedoch einige durch die Übergangszeit bedingte Besonderheiten auf 218. Am 15. 08. 1992 trat schließlich mit dem am MEPolG von 1977 orientierten Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ord207
Vom 29. 06. 1990; GBl. DDR I, S. 649. Vom 10. 01. 1992; GVOBl. M-V, S. 3. 209 Zu Motiven und Inhalten des Gesetzes Bugiel, LKV 1992, S. 188. 210 Vom 04. 08. 1992; GVOBl. M-V, S. 450. 211 Das Bundesbodenschutzgesetz vom 17. 03. 1998 – BGBl. I, S. 502 – trat erst am 01. 03. 1999 in Kraft. 212 Vom 30. 11. 1992; GVOBl. M-V, S. 669. 213 Näher zu Intention und Inhalt dieses Gesetzes Klein, LKV 1994, S. 7. 214 Vgl. Riegel, LKV 1993, S. 1. 215 GBl. DDR I, S. 1489. 216 Vgl. Art. I § 2 Abs. 2 EGVwR vom 25. 04. 1991 (GVOBl. M-V, S. 121), Art. II EGVwR / PAGÄndG vom 19. 12. 1991 (GVOBl. M-V, S. 534). 217 Vom 11. 06. 1986; GBl. DDR I, S. 232. 218 Näher Riegel, LKV 1993, S. 1. 208
396 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
nung (SOG M-V) 219 auch in Mecklenburg-Vorpommern als letztem der fünf neuen Bundesländer 220 ein modernes Gefahrenabwehrrecht in Kraft. Das sowohl für die Polizei im organisatorischen Sinne als auch für die Ordnungsbehörden geltende SOG M-V beendete die bis dahin bestehende „Zweispurigkeit“ des Polizei- und Ordnungsrechts. Zudem wurde im Juni 1992 das Gesetz zum Schutz von Sonn- und Feiertagen verabschiedet 221. 2. Bauordnungsrecht Wie in allen anderen neuen Bundesländern galt auch in Mecklenburg-Vorpommern zunächst das am 20. Juli 1990 von der Volkskammer beschlossene Gesetz über die Bauordnung (BauO) 222 als Landesrecht fort. Bereits Anfang 1992 erließ allerdings das damals für den Vollzug des Bauordnungsrechts zuständige Innenministerium 223 auf Grundlage des § 82 Abs. 4 Nr. 1 BauO mit den Landesverordnungen über die Freistellung von der Baugenehmigungspflicht (BaufVO) 224 und über die Einschränkung von Prüfungen im Baugenehmigungsverfahren (PrüfeVO) 225 erste Maßnahmen zur Vereinfachung und Beschleunigung des Bauordnungsrechts. Am 01. 07. 1994 trat schließlich die bereits ganz im Zeichen von Beschleunigung, Deregulierung und Privatisierung stehende Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern (LBauO M-V) 226 in Kraft und löste die BauO sowie weitere baurechtliche Regelungen ab. Die LBauO M-V folgte im Aufbau weitgehend der Musterbauordnung von 1990, enthielt jedoch bereits weitergehende Verfahrensvereinfachungen. Alsbald nach Inkrafttreten der LBauO M-V reiften allerdings neue Überlegungen hinsichtlich weiterer Erleichterungen und Vereinfachungen des Bauordnungsrechts heran. Zu diesem Zwecke wurde eine Expertenkommission berufen, deren Vorschläge weitgehend im Gesetz zur Deregulierung des Bau-, Landesplanungs- und Umweltrechts 227 umgesetzt wurden. 219 Gesetz vom 04. 08. 1992; GVOBl. M-V, S. 498. Mit Inkrafttreten des SOG M-V traten das PAG-DDR und die gefahrenabwehrrechtlichen Regelungen des Art. I EGVwR außer Kraft. 220 Bereits im August 1991 war das Sächsische Polizeigesetz, im Januar 2002 das Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Sachsen-Anhalt und das Ordnungsbehördenrecht in Brandenburg in Kraft getreten. Im Juni 2002 wurde das Thüringer Polizeiaufgabengesetz verkündet. 221 Feiertagsgesetz M-V vom 18. 06. 1992; GVOBl. M-V, S. 342. 222 GBl. DDR I, S. 929. 223 Vgl. §§ 1 und 2 der Landesverordnung vom 29. Januar 1992; GVOBl. M-V, S. 53. 224 Vom 23. 04. 1992; GVOBl. M-V, S. 279. 225 Vom 28. 01. 1992; GVOBl. M-V, S. 52. 226 Vom 26. 04. 1994; GVOBl. M-V,, S. 518. 227 Vom 27. 04. 1998; GVOBl. M-V, S. 388.Vgl. dazu unten § 13 III.
§ 12 Die „Reformjahre“ 1993 und 1994
397
3. Die Entwicklung im Wirtschaftsverwaltungsrecht Deutlich geringerer Handlungsbedarf bestand hingegen im weitgehend durch bundesrechtliche Regelungen dominierten Wirtschaftsverwaltungsrecht. Hier waren vornehmlich Zuständigkeits- und Kostenverordnungen für das Allgemeine und Besondere Gewerberecht zu schaffen. Zudem entschloss man sich im Jahre 1993 zum Erlass eines speziellen Mittelstandsförderungsgesetzes 228.
§ 12 Die „Reformjahre“ 1993 und 1994: Kreisgebiets- und Funktionalreform, Kommunalverfassung, Reformbemühungen in der Justizverwaltung Nach Abschluss der unmittelbaren Aufbauphase wurden in Mecklenburg-Vorpommern erste Maßnahmen in die Wege geleitet, die als Verwaltungsreformen im engeren Sinne bezeichnet werden können. Im Mittelpunkt dieser frühen Reformbestrebungen standen – wie in den anderen neuen Bundesländern – die Projekte Kreisgebiets- und Funktionalreform, welche in Mecklenburg-Vorpommern in den Jahren 1993 und 1994 abgeschlossen wurden (A. und B.). Zu den Kommunalwahlen am 12. 06. 1994 trat die neue Kommunalverfassung in Kraft 229 und löste die KV-DDR ab (C.). Daneben gab es erste Reformbemühungen im Justizbereich (D.).
A. Kreisgebietsreform 1993 In allen neuen Bundesländern bestand nach der Wende Einigkeit, dass die ausgesprochen kleinteilige Kreisstruktur eine effiziente Aufgabenerfüllung unmöglich machte. Die nach der Wende vorgefundene Kreisstruktur war Frucht der 1952 in der DDR durchgeführten Kreisgebietsreform 230. Diese hatte das erklärte Ziel, durch Verkleinerung der bestehenden Kreise die zentrale Lenkung der Wirtschaft und der Bevölkerung durch den Staat und den Staatsapparat sicherzustellen. Im Zuge der Umstrukturierung waren aus 121 Landkreisen, die noch 1950 bestanden, 194 Land- sowie 23 Stadtkreise gebildet worden 231. In 228
GVOBl. M-V 1994, S. 3. Zu dessen Inhalt bereits § 10 A IV. Vom 18. 02. 1994; GVOBl. M-V, S. 249. 230 Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der DDR vom 23. 07. 1952 (GBl. DDR I, S. 613) und das mecklenburgische Ausführungsgesetz vom 25. 07. 1952 (Regierungsblatt für Mecklenburg, S. 61). Ausführlich oben § 10 A I. 229
398 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
allen fünf neuen Bundesländern wurden bald nach Abschluss der unmittelbaren Aufbauphase Kreisgebietsreformen eingeleitet 232, welche spätestens 1994 abgeschlossen waren 233. Als Ergebnis dieser Reformen wurde die Zahl der ostdeutschen Landkreise von 189 (Stand: 14. 11. 1991) auf 87 mehr als halbiert 234. In Mecklenburg-Vorpommern gab es am 03. 10. 1990 31 Landkreise. Mit einer durchschnittlichen Fläche von 768 km² waren sie hinsichtlich ihrer Größe durchaus mit den in Westdeutschland durch die Kreisgebietsreform in den 1960er und 1970er Jahren entstandenen Kreisen vergleichbar. Jedoch hatten sie eine sehr geringe Einwohnerzahl von durchschnittlich weniger als 41.000 235. Da in solchen Strukturen eine wirksame Wahrnehmung der den Landkreisen in Westdeutschland üblicherweise übertragenen Aufgaben nicht möglich war, bestand bereits während der Aufbauphase ein breiter politischer Konsens über die Notwendigkeit einer umfassenden Kreisgebietsreform. 1991 wurden daher fast zeitgleich zwei Gutachten an die beiden unabhängig voneinander arbeitenden Wissenschaftler Werner Thieme und Wolfgang Clausen 236 in Auftrag gegeben. Mit Vorlage beider Gutachten zur Jahreswende 1991/92, bei denen die Experten trotz unterschiedlicher konzeptioneller Ansätze in weiten Bereichen zu ähnlichen oder sogar identischen Lösungen gelangten 237, begann ein leidenschaftlich geführter 18-monatiger Diskussionsprozess über den „Königsweg“ zur Kreisgebietsreform. Unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit 238 debattierte man zunächst über Prinzipien und sodann über Einzelheiten bezüglich der notwendigen Kreisstrukturreform 239. Neben dem Zuschnitt einzelner Kreise und der Frage der künftigen Kreissitze wurde insbesondere die Kreisfreiheit der Hansestadt Wismar kontrovers diskutiert 240. Abweichend vom Regierungsentwurf empfahl der Innenausschuss des Landtages 241 das Fortbestehen der Kreisfreiheit der Han231
Eingehend Mielke, Auflösung, S. 99 ff. Dazu Knemeyer, LKV 1992, S. 177; Bernet, LKV 1993, S. 393; Stüer / Landgraf, LKV 1998, S. 209. 233 Länderberichte zu den Gebietsreformen in den neuen Bundesländern in LKV 1993, S. 393 ff. 234 Näher Wollmann, Transformation, S. 284 ff. und Wegerich / Jaedicke / Lorenz / Wollmann, S. 27 ff. 235 Umfangreiches Zahlenmaterial bei Clausen, Kreisgebietsreform; Clausen, LKV 1992, S. 111 ff; Klaus, S. 30 ff. Die Bevölkerungszahl reichte von 17210 (Röbel) bis 85970 (Rügen), die Kreisgröße variierte von 493 km² (Sternberg) bis 1549 km² (Hagenow). 236 Das Gutachten im Auftrag des Innenministeriums erstellte der Hamburger Verwaltungswissenschaftler Werner Thieme. Die Expertise im Auftrag des Landkreistages wurde vom früheren Landrat und Staatsekretär Wolfgang Clausen erstellt. Vgl. Clausen, Kreisgebietsreform und derselbe, LKV 1992, S. 111 sowie Thieme, Kreisgebietsreform. 237 Zu den Einzelheiten Hubert Meyer, LKV 1993, S. 399 (400 f.). 238 Dieses belegen Stellungnahmen von über 400 Gemeinden und 12.000 Petitionen mit mehr als 50.000 Unterschriften. Näher Hubert Meyer, LKV 1993, S. 399 (401). 239 Ausführlich Hubert Meyer, LKV 1993, S. 399 (401 f.). 232
§ 12 Die „Reformjahre“ 1993 und 1994
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sestadt, was im weiteren parlamentarischen Verfahren bestätigt werden sollte. Mit dem Landkreisneuordnungsgesetz (LNOG) vom 01. 07. 1993 242, das mit der Kommunalwahl am 12. 06. 1994 in Kraft trat, wurde die Zahl der Landkreise von 31 auf 12 reduziert. Die neuen Kreise wiesen im Durchschnitt 102.100 Einwohner und eine Fläche von 1890 km² auf. Alle bisher bestehenden Landkreise mit Ausnahme des Landkreises Rügen wurden aufgelöst. Die neuen Landkreise fassten nicht nur die bisherigen Altkreise zusammen, in moderater Form fanden auch Gebietsänderungen und Neuzuordnungen statt. Unberührt blieb die Kreisfreiheit der sechs kreisfreien Städte. Mit der in weiten Teilen des Landes auf Akzeptanz stoßenden 243 Neuordnung standen effizientere Landkreisstrukturen zur Verfügung, welche es ermöglichten, den größeren und leistungsfähigeren Kreisen weitere staatliche Aufgaben zu übertragen. Auf diese Weise waren die Voraussetzungen geschaffen, um mit der Funktionalreform das nächste Modernisierungsprojekt in Angriff zu nehmen 244.
B. Neue Aufgabenverteilung zwischen staatlicher und kommunaler Ebene: Funktionalreform 1994 Die Aufgabenverteilung zwischen Landes- und Kommunalebene wurde in Mecklenburg-Vorpommern seit jeher kontrovers diskutiert. In der Aufbauphase des Landes zentralisierte die Ministerialbürokratie eine Vielzahl von bis dahin auf kommunaler Ebene angesiedelter Vollzugsaufgaben bei den neu gegründeten unteren staatlichen Behörden 245. Vor allem die mit der fehlenden Leistungsfähigkeit der Landkreise gerechtfertigte Konzentration der gesamten Landwirtschaftsverwaltung und wesentlicher Teile der Umweltverwaltung bei den jeweils zehn Staatlichen Ämtern für Landwirtschaft bzw. für Umwelt und Natur 246 war von Anfang an umstritten, so dass die kommunale Ebene bald eine umfassende Funktionalreform forderte 247. Trotz des allgemein konsentierten unmit240 Zur damaligen Diskussion Landtag M-V, LTDrs 1/2681. Der Gesetzesentwurf der Landesregierung sah eine Bildung von fünf kreisfreien Städten, 13 Landkreisen und eine privilegierte Stellung Wismars dahingehend vor, dass die Kommunalaufsicht vom Innenministerium ausgeübt werden sollte. 241 Vgl. LTDrs 1/3243 (neu). 242 GVOBl. M-V, 1993, S. 631. 243 So jedenfalls die Einschätzung von Hubert Meyer, LKV 1993, S. 399 (402). 244 Vgl. Hubert Meyer, LKV 1993, S. 399 (402). 245 Vgl. bereits § 10 B III 1. 246 Eingehend zur Entwicklung der Umweltverwaltung in Mecklenburg-Vorpommern § 20 A III. 247 Hubert Meyer, LKV 1994, S. 422.
400 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
telbaren Zusammenhangs zwischen Kreisgebiets- und Funktionalreform 248 wurden in Mecklenburg-Vorpommern beide Projekte – wie in allen anderen neuen Bundesländern 249 – nicht parallel, sondern nacheinander durchgeführt. Um die Diskussion zur Landkreisneugliederung nicht noch mit weiteren Problemen zu befrachten, entschloss man sich, mit der Funktionalreform so lange abzuwarten, bis die Landkreisneugliederung „in trockenen Tüchern“ 250 war. Die Funktionalreform wurde vom Kabinett zwar Mitte 1992 zur Daueraufgabe erklärt. Das Fehlen konkreter Umsetzungsschritte veranlasste die kommunalen Spitzenverbände aber, den politischen Druck zu erhöhen und die unverzügliche Vorlage konkreter Vorschläge anzumahnen 251. So gab der Städte- und Gemeindetag ein im April 1993 veröffentlichtes Gutachten beim Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaftler Dieter Gornas in Auftrag, der eine weit reichende Kommunalisierung von Aufgaben vorschlug 252. Nach weiteren intensiven Diskussionen auf ministerieller Ebene unter Federführung der Kommunalabteilung des Innenministeriums 253 legte die Landesregierung schließlich Ende November 1993 einen Gesetzesentwurf zur Funktionalreform vor, den der Landtag in seiner Substanz unverändert verabschiedete. Forderungen nach einer weitergehenden Kommunalisierung konnten sich dabei ebenso wenig durchsetzen, wie Stimmen, denen der mit dem Gesetz zugestandene Kommunalisierungsgrad bereits zu weit ging 254. Schwerpunkt des am 12. 06. 1994 in Kraft getretenen Gesetzes über die Funktionalreform (FRG M-V) 255 waren umfangreiche Aufgabenverlagerungen von der Landes- auf die Kreis-, sowie von der Kreis- auf die örtliche Ebene. Beispielsweise übertrug man bisher von Landesbehörden wahrgenommene Aufgaben im Vermessungs- und Katasterwesens, im Naturschutz (Art. 31 FRG M-V), bei der Überwachung nicht genehmigungsbedürftiger immissionsschutzrechtlicher Anlagen (Art. 33 FRG M-V) 256 und im Gewerberecht (vgl. Art. 15 – 17, 22, 23 FRG M-V) auf die Landkreise. Aufgabenverlagerungen von der Kreisauf die Ortsebene gab es beispielsweise im Personenstands- und Vereinswesen (Art. 5, 6 FRG M-V), im Sonn- und Feiertagsrecht (Art. 8 FRG M-V), im Wohn248
Vgl. dazu Clausen, LKV 1993, S. 111 (115) sowie LTDrs 1/2681, S. 2. Siehe dazu im Überblick Miller, LKV 1998, S. 216. 250 Hubert Meyer, LKV 1994, S. 422. 251 Einzelheiten bei Hubert Meyer, LKV 1993, S. 399 (402) und demselben, LKV 1994, S. 422 (423). 252 Gornas, Funktionalreform, S. 19 unter Betonung von Bürgernähe, Effizienz, Effektivität, Übersichtlichkeit und Flexibilität von Verwaltungsstrukturen. 253 Näher Hubert Meyer, LKV 1994, S. 422 (423). 254 Hubert Meyer, LKV 1994, S. 422 (423 f.). 255 GVOBl. M-V 1994, S. 566. 256 Die Aufgabenübertragung erfolgte zum 01. 01. 1996. Die Überwachung genehmigungsbedürftiger Anlagen verblieb dagegen bei den StÄUN. Auch die gem. Art. 34 FRG M-V fortbestehende Zuständigkeit des Umweltministeriums als Widerspruchsbehörde wurde von kommunaler Seite kritisiert. Näher Hubert Meyer, LKV 1994, S. 422 (425). 249
§ 12 Die „Reformjahre“ 1993 und 1994
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geld- und Gewerberecht und im Straßenverkehrsrecht (Art. 18, 19 FRG M-V). Art. 36 FRG M-V bestimmte, dass alle den kommunalen Gebietskörperschaften zugewiesenen Aufgaben von den Landkreisen, kreisfreien Städten, Ämtern und amtsfreien Gemeinden im übertragenen Wirkungskreis erfüllt werden. Das Land sah bewusst davon ab, einzelne Aufgaben den Landräten, Amtsvorstehern oder Bürgermeistern als unteren staatlichen Verwaltungsbehörden zu übertragen und entschied sich stattdessen für das Konzept der mittelbaren Landesverwaltung (vgl. nunmehr § 2 Abs. 3 LOG M-V).
C. Neue Kommunalverfassung Mit der im Juni 1994 in Kraft getretenen Kommunalverfassung (KV M-V) 257 fand die Schaffung der zentralen kommunalrechtlichen Vorschriften für das Land Mecklenburg-Vorpommern einen Abschluss. Die KV M-V knüpfte an die im Wesentlichen bewährte KV-DDR an und beseitigte überdies Regelungslücken, Widersprüche sowie sonstige Unzulänglichkeiten des Übergangsrechts 258. Zudem wurde mit der Integration der geringfügig novellierten 259 Amtsordnung in §§ 125 ff. KV M-V und der Vorschriften über die kommunale Zusammenarbeit in §§ 149 ff. KV M-V ein Kommunalrecht „aus einem Guss“ geschaffen und so einer Zersplitterung des Kommunalrechts entgegengewirkt. Auch die neue Kommunalverfassung enthielt mit dem Einwohnerantrag, dem Bürgerentscheid und dem Bürgerbegehren (§§ 18 –20 KV M-V) zahlreiche plebiszitäre Elemente, mit denen an die Erfahrungen der Bürgerbewegungen im Wendeprozess angeknüpft wurde. Vorgesehen waren zudem Direktwahlen der Bürgermeister (§ 39a KV M-V) und Landräte (§ 116a KV M-V), welche allerdings erst im Rahmen der 1999 anstehenden Kommunalwahl durchgeführt werden sollten. Die nähere Ausgestaltung blieb einer Novelle der Kommunalverfassung vorbehalten. Da auch rechtzeitig vor den Kommunalwahlen am 12. 06. 1994 ein neues Kommunalwahlgesetz in Kraft trat, stand für Mecklenburg-Vorpommern bereits relativ frühzeitig ein modernes und leistungsfähiges Kommunalrecht zur Verfügung, welches stark am schleswig-holsteinischen Vorbild 260 ausgerichtet war. Als einzigem neuen Bundesland gelang es Mecklenburg-Vorpommern, die „erste Welle“ einer aufgabenorientierten Kreis- und Gemeindegebietsreform sowie einer darauf aufbauenden Funktionalreform noch während der ersten Wahlperiode des Landtages abzuschließen. Gleichwohl blieben die erreichten Reformen hinsichtlich ihrer Einzelheiten zwischen den handelnden Akteuren auf Landes- und 257
Vom 18. 02. 1994; GVOBl. M-V, S. 249. Zu den Einzelheiten vgl. Landtag M-V, LTDrs 1/3645. 259 Zu den Einzelheiten vgl. Landtag M-V, LTDrs 1/3645, S. 143 ff. 260 Zur Vorbildfunktion des Kommunalrechts von Schleswig-Holsteins Darsow, LKV 1992, S. 287. 258
402 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
Kommunalebene umstritten 261. Insgesamt ist den damals politisch Verantwortlichen aber zu bescheinigen, dass ihnen mit der kurzfristigen Bewältigung der Kreisgebiets- und Funktionalreform eine beachtliche und anerkennenswerte Leistung gelungen ist, mit der erste wichtige Schritte hin zu effizienteren und effektiveren Verwaltungsstrukturen verbunden waren 262. Nach Abschluss der ersten Reformschritte bestanden in Mecklenburg-Vorpommern Mitte 1995 sechs kreisfreie Städte und 54 amtsfreie Gemeinden, welche allesamt die in § 125 Abs. 4 KV M-V für die Amtsfreiheit festgelegten Kriterien erfüllten 263. Weitere drei Gemeinden strebten die Amtsfreiheit an, darunter auch die 1.300 Einwohner zählende Gemeinde Hiddensee. Deren Wunsch nach Amtsfreiheit 264 führte im November 1995 zum Erlass eines Ersten Änderungsgesetzes zur Kommunalverfassung 265. Mit § 125 Abs. 5 KV M-V trat die „lex Hiddensee“ in Kraft, wonach Inselgemeinden bereits ab einer Einwohnerzahl von 1.000 selbständig verwaltet werden konnten.
D. Reformbemühungen in der Justizverwaltung Ebenfalls noch im Jahre 1994 leitete man erste Reformbemühungen im Justizbereich in die Wege. Mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Gerichtsstrukturgesetzes 266 sollten die Amtsgerichtsbezirke zum 01. 01. 1996 den mit der Kreisgebietsreform veränderten Kreisgrenzen angepasst und einige kleine Amtsgerichte gestärkt werden 267. Allerdings hielt man zunächst an den 31 bestehenden Amtsgerichten fest. Bald stellte sich heraus, dass mit den geplanten Umstrukturierungen größere organisatorische Probleme verbunden waren, als zunächst angenommen 268. Daher brachte die Landesregierung am 14. 09. 1995 den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gerichtsstrukturgesetzes in den Landtag ein, dessen Kernstück die zeitliche Verschiebung der organisatorischen Veränderungen auf den 01. 01. 2000 war 269. Nach kontroverser parlamentarischer Beratung, in deren Mittelpunkt die geplante Verlegung des Arbeitsgerichts Neustrelitz nach Neubrandenburg stand 270, wurde das Gesetz am 29. 12. 1995 verkün261
Zur umstrittenen Kommunalisierung im Umweltrecht Hubert Meyer, LKV 1994, S. 422 (425). 262 So auch die Einschätzung von Hubert Meyer, LKV 1994, S. 422 (426). 263 Einzelheiten ergeben sich aus Landtag M-V, LTDrs 2/640 (neu), S. 11 ff. 264 Vgl. im einzelnen Landtag M-V, LTDrs 2/461 und 2/804. 265 Vom 13. 11. 1995; GVOBl. M-V, S. 537. 266 GVOBl. M-V 1994, S. 657. 267 Näher Kronisch, DtZ 1994, S. 303. 268 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 2/774, S. 1. 269 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 2/774. 270 Zu den Einzelheiten Landtag M-V, LTDrs 2/1068 und 2/1069.
§ 13 Reformen in Zeiten knapper Kassen: Die Jahre 1997 und 1998
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det 271. Mit dem als Art. 1 des Gesetzes über kostensenkende Strukturmaßnahmen in Mecklenburg-Vorpommern vom 25. 09. 1997 272 verkündeten Dritten Gesetz zur Änderung des Gerichtsstrukturgesetzes, welches die Zahl der Amtsgerichte zum 01. 01. 1998 auf 21 verringerte, wurde es dann gegenstandslos.
§ 13 Reformen in Zeiten knapper Kassen: Die Jahre 1997 und 1998 In den Jahren 1995 und 1996 war in Mecklenburg-Vorpommern keine ausgeprägte Reformtätigkeit im Bereich des Verwaltungsrechts zu beobachten. Die nach der Landtagswahl am 14. 10. 1994 – weiter unter Ministerpräsident Berndt Seite und nach außerordentlich schwierigen Koalitionsverhandlungen – gebildete Große Koalition von CDU und SPD 273 war von Beginn an durch erhebliche Auseinandersetzungen über personelle Fragen belastet. Auch die Koalitionsvereinbarung „barg in ihren 353 Einzelpunkten allerlei Formelkompromisse und künftigen Sprengstoff“ 274. Zu erheblichen Reibungsverlusten führte zudem eine im Frühjahr 1996 – wiederum durch die Werftenpolitik ausgelöste – Regierungskrise, mit der Folge, dass sich CDU und SPD häufig „wie zwei Oppositionsparteien“ 275 gegenüber standen. Nach diesem vorübergehenden „Reformstau“ 276 kann man 1997 und 1998 wieder als „Reformjahre“ bezeichnen, welche allerdings unter dem „Diktat knapper Kassen“ 277 standen.
271
GVOBl. M-V, S. 652. GVOBl. M-V, S. 502; dazu ausführlich § 13 A. 273 Bei den Landtagswahlen am 16. 10. 1994 entfielen bei einer Wahlbeteiligung von 72,9 % auf die CDU 37,7 %, die SPD 29,5 % und die PDS 22,7% der Stimmen. Da FDP (3,8%) und Bündnis 90/Die Grünen (3,7 %) an der 5- %-Klausel scheiterten, konnte die Regierung von CDU und FDP nicht fortgesetzt werden. Eine Koalition von SPD und PDS wurde von der Bundespartei abgelehnt. Dennoch kam es zu Sondierungsgesprächen, die wegen unterschiedlicher partei- und verfassungspolitischer Positionen scheiterten. Näher Werz, in: Werz / Hennecke (Hrsg.), Parteien, S. 66 (86 ff.). 274 Hennecke, in: Werz / Hennecke (Hrsg.), Parteien, S. 15 (43). 275 Hennecke, in: Werz / Hennecke (Hrsg.), Parteien, S. 15 (43). 276 Dieser ist umso erstaunlicher, als die Landesregierung bereits am 30. 05. 1995 für die 2. Legislaturperiode die Durchführung einer Verwaltungsreform beschlossen hatte. Zu deren Zielsetzungen Keler, in: Hill (Hrsg.), Erfolg im Osten VI, S. 14 (20 ff.). 277 „Verwaltungsreform in Zeiten knapper Kassen“ betitelte Finanzministerin Sigrid Keler ihr Referat auf der Sommerakademie für Führungskräfte aus Wirtschaft und Verwaltung vom 04. bis 06. 09. 1996 in Schwerin. Näher Keler, in: Hill (Hrsg.), Erfolg im Osten VI, S. 14 ff. 272
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Mit dem Gesetz über kostensenkende Strukturmaßnahmen vom 25. 09. 1997 278 (A.), dem Gesetz zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften und zur Einführung der direkten Wahl der Bürgermeister und Landräte vom 26. 11. 1997 279 (B.) und dem Gesetz zur Deregulierung des Bau-, Landesplanungs- und Umweltrechts (BLUDerG M-V) vom 27. 04. 1998 280 (C.) wurden in diesem Zeitraum gleich drei wichtige Reformgesetze verabschiedet. Während das Gesetz über kostendeckende Strukturmaßnahmen auf den enger werdenden finanziellen Handlungsspielraum des Landes mit ersten Maßnahmen zur Modernisierung der Binnenstruktur der unmittelbaren Landesverwaltung reagierte, war mit der Kommunalrechtsnovelle 1997 eine „Generalüberholung“ der Kommunalverfassung verbunden. Hauptanliegen des Gesetzes zur Deregulierung des Bau-, Landesplanungs- und Umweltrechts waren Verfahrenserleichterungen in den im Gesetzestitel aufgezählten Rechtsgebieten. Darüber hinaus übernahm man in den Jahren 1997 und 1998 die Beschleunigungsgesetzgebung des Bundes zügig in das Landesrecht, schuf ein umfassendes Landesnaturschutzgesetz (D.) und novellierte das Allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht 281.
A. Gesetz über kostensenkende Strukturmaßnahmen Mit dem Gesetz über kostensenkende Strukturmaßnahmen in MecklenburgVorpommern reagierte das Land auf seinen künftig absehbar enger werdenden finanziellen Handlungsspielraum. Wegen des im Jahre 2004 vorgesehenen Auslaufens der Sonderbedarfszuweisungen im Rahmen des Länderfinanzausgleichs und dem Wegfall der Finanzhilfen des Bundes nach dem Investitionsförderungsgesetz-Aufbau-Ost entschloss sich die Landesregierung, mit strukturellen Grundentscheidungen den im Vergleich zu anderen Bundesländern stark überdimensionierten Verwaltungs- und Justizapparat abzuschmelzen. Im Mittelpunkt der Reformbemühungen stand die Kostensenkung durch Binnenmodernisierung und Straffung der Verwaltungsstruktur auf Landesebene. So wurde die Zahl der Amtsgerichte von 31 auf 21 reduziert 282, womit die Gerichtsdichte derjenigen in den Bundesländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Brandenburg und Sachsen278
Vom 25. 09. 1997; GVOBl. M-V, S. 502. GVOBl. M-V, S. 694. 280 Vom 27. 04. 1998; GVOBl. M-V, S. 388. 281 Das 1. SOGÄndG vom 09. 02. 1998; GVOBl. M-V, S. 126 brachte u. a. Neuerungen bei den Vorschriften über die Datenerhebung. Neu aufgenommen wurden Vorschriften über die unmittelbare Ausführung (§ 70a SOG M-V) und die Vollzugshilfe (§§ 82a bis c SOG M-V). 282 Durch § 4 XXIII des als Art. 1 des Gesetzes verkündeten Dritten Gesetzes zur Änderung des Gerichtsstrukturgesetzes wurden die Amtsgerichte in Altentreptow, Bützow, Gadebusch, Grimmen, Malchin, Plau am See, Röbel / Müritz, Sternberg, Strasburg / Uckermark und Teterow aufgehoben. 279
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Anhalt angepasst wurde 283. Mit der zum 01. 01. 1998 in Kraft tretenden Änderung wurde – dem Diktat der Finanznot gehorchend – die erst Ende 1995 beschlossene Verschiebung der organisatorischen Veränderungen bei den Amtsgerichten auf den 01. 01. 2000 284 wieder rückgängig gemacht, was nicht zur Stabilität der Justizlandschaft in Mecklenburg-Vorpommern beitrug. Weitere Maßnahmen zur Binnenmodernisierung der Landesverwaltung erfolgten mit der Auflösung bzw. Zusammenfassung oberer Landesbehörden. So wurde das Landesamt für Eich- und Messwesen aufgelöst und die Landesforst- und Naturschutzverwaltung durch die Errichtung eines Landesamtes für Forsten, Naturschutz und Großschutzgebiete erheblich gestrafft 285. Zahlreiche Neuerungen brachte das Gesetz im Denkmalschutzrecht, welches man von überflüssigen Detailregelungen befreite und textlich straffte. Neben der Vereinfachung des denkmalschutzrechtlichen Verwaltungsverfahrens 286 wurden die bisher bestehenden zwei oberen Landesbehörden im Bereich des Denkmalschutzrechts zusammengefasst. Mit der Auflösung des Lehrerprüfungsamtes, der Errichtung von vier staatlichen Schulämtern 287 sowie eines Landesamtes für Umwelt und Geologie 288, der Eingliederung der Hauptfürsorgestelle Mecklenburg-Vorpommern in das Landesversorgungsamt, der Auflösung des Aufsichtsamts für Sozialversicherung und der Orthopädischen Versorgungsstelle enthielt das Gesetz überdies weitere organisatorische Maßnahmen zur Straffung der unmittelbaren Landesverwaltung.
283 Siehe im einzelnen Landtag M-V, LTDrs 2/2357, S. 2. Während die Gerichtsdichte in diesen Bundesländern zwischen 78.900 Einwohner / Amtsgericht (Sachsen-Anhalt) und 101600 Einwohner / Amtsgericht (Brandenburg) schwankte, leistete sich Mecklenburg-Vorpommern bis 1997 ein Amtsgericht für nur 58.800 Einwohner. 284 Dazu bereits § 12 D. 285 Durch das als Art. 4 des Gesetzes über kostensenkende Strukturmaßnahmen verkündete Forst- und Naturschutzorganisationsgesetz. 286 Durch das als Art. 9 des Gesetzes über kostensenkende Strukturmaßnahmen verkündete Erste Gesetz zur Änderung des Denkmalschutzgesetzes. 287 Bis dahin wurde die Schulaufsicht über die allgemein bildenden Schulen von Schulämtern ausgeübt, die bei den Landkreisen und kreisfreien Städten angesiedelt waren. Die Schulräte waren Bedienstete des Landes, nutzten aber die sächlichen Mittel und das Personal der Kommunen, was zu erheblichen Missständen in der Praxis führte. Näher Landtag M-V, LTDrs 2/2357, S. 7. 288 Vgl. Art. 12 §§ 1 und 3 BLUDerG sowie Art. 3 des Gesetzes vom 23. 02. 1999 (GVOBl. M-V, S. 200). Durch Landesverordnung vom 14. 04. 1999 (GVOBl. M-V, S. 293) wurden das Landesamt für Umwelt und Natur mit Sitz in Gülzow und das Geologische Landesamt mit Sitz in Schwerin zum 01. 01. 1999 aufgelöst und die Zuständigkeiten des LUNG M-V (mit Sitz in Güstrow) geregelt.
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B. Gesetz zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften und zur Einführung der direkten Wahl der Bürgermeister und Landräte Die Kommunalrechtsnovelle vom November 1997 führte zu einer „Generalüberholung“ der Kommunalverfassung. Neben der durch §§ 39a und 116a KV M-V vorgegebenen Einführung der Direktwahl der Landräte und Bürgermeister wurden vorhandene Unstimmigkeiten beseitigt und zahlreiche Vorschriften der besseren Verständlichkeit halber redaktionell überarbeitet, wobei man die praktischen Erfahrungen mit der Kommunalverfassung berücksichtigte 289. Auf die Vielzahl der Änderungen kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht näher eingegangen werden 290. Hervorzuheben ist jedoch die Einfügung einer im Regierungsentwurf noch nicht enthaltenen kommunalrechtlichen Experimentierklausel in § 42a KV M-V. Danach kann zur Erprobung neuer Steuerungsmodelle und zur Weiterentwicklung der kommunalen Selbstverwaltung das Innenministerium gegenüber einer Gemeinde auf deren Antrag zeitlich begrenzte Ausnahmen von haushalts- und organisationsrechtlichen Vorschriften der Kommunalverfassung und der nach § 174 Abs. 2 KV M-V erlassenen Regelungen zulassen. Damit werden insbesondere Ausnahmen von den Regelungen über die Haushaltssatzung, den Haushaltsplan, den Stellenplan, die Jahresrechnung, den Regelungen zum Gesamtdeckungsprinzip, zur Deckungsfähigkeit und zur Buchführung ermöglicht. Über § 120 Abs. 1 KV M-V gilt § 42a KV M-V auch für die Landkreise. Die Kommunalverfassung öffnete sich damit Ende 1997 der Einführung des Neuen Steuerungsmodells auf örtlicher und Kreisebene 291. Mit § 42a KV M-V wurde in Mecklenburg-Vorpommern zudem erstmals das Instrument der experimentellen Gesetzgebung 292 angewandt. Von den umfangreichen Änderungen in der Amtsordnung ist die Novellierung des § 125 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 und 5 Satz 1 KV M-V hervorzuheben. Mit dem Ziel, leistungsfähigere Verwaltungsstrukturen auf örtlicher Ebene zu schaffen, wurde die Sollmindestgröße der Ämter von 5.000 auf 6.000 angehoben 293. Die Mindesteinwohnerzahl für eine mögliche Amtsfreiheit erhöhte man von 2.500 auf 3.000. Aus der Anhebung der gesetzlichen Regeleinwohnerzahl folgte noch kein unmittelbarer Handlungsbedarf für eine allgemeine landesweite Novellie289 Vgl. dazu den Bericht des Innenministeriums vom 01. 03. 1995; Landtag M-V, LTDrs 2/157. 290 Zu näheren Einzelheiten Landtag M-V, LTDrs 2/2358. 291 Zur Bewertung der kommunalrechtlichen Experimentierklauseln oben § 7 A II 7. 292 Zur verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Bewertung oben § 7 A II 4 bis 6. 293 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 2/2358, S. 83.
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rung der Ämterstruktur. Auch die Amtsfreiheit der Inseln Hiddensee und Poel war durch die Änderungen nicht betroffen 294. Bereits mit Gesetz vom 22. 01. 1998 295 änderte man die erst wenige Tage zuvor neu bekannt gemachte Kommunalverfassung 296 erneut. § 170a KV M-V ermöglicht seitdem die nachträgliche Heilung bestimmter Form- und Verfahrensfehler bei der Gründung von Zweckverbänden. Die anhaltende Diskussion um deren fehlerhafte Gründung Anfang der 1990er Jahre führte im Juli 1998 zu einer erneuten Kommunalrechtsnovelle 297. § 170a KV M-V wurde erweitert und in § 170b KV M-V wurden Heilungsmöglichkeiten für Rechtsfehler beim Beitritt zu einem Zweckverband geschaffen 298. Damit sollten eine Stabilisierung der Zweckverbände in Mecklenburg-Vorpommern erreicht und Unsicherheiten bezüglich deren Rechtslage beseitigt werden 299.
C. Gesetz zur Deregulierung des Bau-, Landesplanungs- und Umweltrechts Das Gesetz zur Deregulierung des Bau-, Landesplanungs- und Umweltrechts (BLUDerG M-V) ist das erste „Deregulierungsgesetz“ des Landes und damit historisches Vorbild für die entsprechenden Gesetze der Jahre 2005, 2006 und 2010 300. Mit dem Reformwerk wurde der bestehende Normbestand in mehreren investitionsrelevanten Rechtsgebieten einer umfassenden Prüfung unterzogen, um die Möglichkeiten einer Vereinfachung und Straffung landesrechtlicher Regelungen auszuschöpfen. Mit der Verringerung zu beachtender Bestimmungen im Bauordnungsrecht, dem Wegfall bereits bundesrechtlich geregelter Tatbestände, der Rechtsbereinigung fortgeltenden DDR-Rechts sowie der redaktionellen Straffung zahlreicher Vorschriften sollte ein wesentlicher Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung auf den Gebieten des Bau-, Landesplanungs- und Umweltrechts geleistet werden 301.
294
Landtag M-V, LTDrs 2/2358, S. 83. GVOBl. M-V, S. 78. 296 GVOBl. M-V 1998, S. 29. 297 Drittes Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung vom 10. 07. 1998; GVOBl. M-V, S. 634. 298 Siehe Regierungsentwurf vom 29. 04. 1998; Landtag M-V, LTDrs 2/3759. 299 Landtag M-V, LTDrs 2/3759, S. 6. Die bestehenden Rechtsunsicherheiten hatten bei zahlreichen Zweckverbänden zu Neugründungsdiskussionen geführt, denen man Einhalt gebieten wollte. 300 Dazu ausführlich § 16 C. 301 Landtag M-V, LTDrs 2/3272, S. 2. 295
408 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
Kernstück des Gesetzes war eine weitere Deregulierung und Beschleunigung im Bauordnungsrecht. Dort wollte man zudem die Rechtseinheit durch Anpassung der Landesbauordnung an die Musterbauordnung 1996 wiederherstellen 302. Als wesentliches Element der Verfahrensbeschleunigung ermöglichte § 71a LBauO M-V erstmals eine auf § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB gestützte Ersetzung des rechtswidrig versagten gemeindlichen Einvernehmens durch Erteilung der Baugenehmigung 303. Damit wurde der bisher erforderliche zeitaufwändige Rückgriff auf die Bestimmungen des § 82 KV M-V überflüssig 304. Mit dem Wegfall der allgemeinen Pflicht zur Beachtung der anerkannten Regeln der Technik und deren Ersetzung durch öffentlich bekannt zu machende Technische Baubestimmungen der obersten Baubehörde nach § 3 Abs. 3 LBauO M-V war zudem ein wesentlicher Gewinn an Rechtssicherheit für die Bauherrn verbunden 305. Hierdurch wurde nicht nur auf etwa 2.000 Regelungswerke verzichtet, sondern zugleich die bisherige Streitfrage obsolet, welche Regeln als allgemein anerkannt zu beachten seien 306. Daneben enthielt die Novelle einige weitere bauordnungsrechtliche Erleichterungen 307, ohne jedoch das genehmigungsfreie Bauen auszuweiten 308. Lediglich die Beseitigung baulicher Anlagen stellte man durch Änderung des § 65 Abs. 3 LBauO M-V weitergehend als bisher baugenehmigungsfrei. Eine zunächst noch im Regierungsentwurf vorgesehene Änderung des § 72 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V mit dem Ziel, das rechtlich umstrittene Verhältnis der Baugenehmigung zu anderen öffentlich-rechtlichen Gestattungen im Sinne eines Abschieds von der „Schlusspunkttheorie“ zu klären, wurde dagegen nicht umgesetzt 309. Das BLUDerG M-V straffte zudem das Landesplanungsgesetz 310 und enthielt eine Verordnungsermächtigung für die Bestimmung der Zuständigkeiten für den Vollzug des seinerzeit kurz vor der Verabschiedung stehenden BBodSchG. Die im Regierungsentwurf geplante Aufhebung des Landeskulturgesetzes der DDR und der zu seiner Durchführung erlassenen Bestimmungen, welche jedenfalls teilweise als Landesrecht fortgalten 311, konnte sich dagegen in der parlamentarischen Beratung nicht durchsetzen 312. 302
Überblick zu den Änderungen bei Krohn, NordÖR 1998, S. 379. Landtag M-V, LTDrs 2/3272, S. 53 f. 304 Nach Krohn, NordÖR 1998, S. 379 (381) handelt es sich um eine „begrüßenswerte Neuerung, die bei konsequenter Anwendung zur Verfahrensbeschleunigung beitragen dürfte“. 305 Waren bis dato mehr als 2000 Regelwerke in das öffentliche Baurecht einbezogen, so beschränkten sich die Technischen Baubestimmungen auf etwa 80 Regelwerke. 306 Krohn, NordÖR 1998, S. 379. 307 Zu den Einzelheiten Landtag M-V, LTDrs 2/3272, S. 39 ff. 308 Mit der Beschränkung des § 64 Abs. 1 LBauO M-V auf Kleinsiedlungs- sowie reine und allgemeine Wohngebiete und § 64 Abs. 3 LBauO M-V wurden Verfahrenserleichterungen sogar begrenzt. 309 Landtag M-V, LTDrs 2/3272, S. 54 und 2/3670, S. 16. 310 Vgl. Art. 2 BLUDerG M-V. 303
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D. Übernahme der Beschleunigungsgesetzgebung des Bundes Die Übernahme des „Beschleunigungspakets 1996“ in das Landesrecht gestaltete sich in Mecklenburg-Vorpommern sehr viel unkomplizierter als in vielen anderen Bundesländern. Zwar bedurften das 6. VwGOÄndG 313 sowie das Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren 314 keiner Umsetzung in das Landesrecht. Die Übernahme der durch das Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren (GenBeschlG) 315 beschlossenen Neuerungen war dagegen in einigen Bundesländern von massiven Kontroversen begleitet 316. Während in Berlin, Sachsen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen wegen der dynamischen Verweisung auf das VwVfG des Bundes die Rechtsänderungen zeitgleich mit denen auf Bundesebene eintraten 317, war die Übernahme in die Verwaltungsverfahrensgesetze der übrigen Länder in den dortigen Parlamenten zum Teil heftig umstritten 318. Trotz teilweise fortbestehender rechtspolitischer Bedenken setzte sich letztlich aber allerorts das Interesse an der Zügigkeit von Genehmigungsverfahren, vor allem aber die Wahrung der Rechtseinheit im Verwaltungsverfahrensrecht durch 319. Noch 1997 übernahmen daher Bayern, Hamburg, Bremen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, BadenWürttemberg und Saarland die Beschleunigungsreglungen in ihre Landesgesetze. Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Hessen folgten im Jahre 1998 und auch in Nordrhein-Westfalen wurden die Regelungen 1999 eingeführt. Lediglich Schleswig-Holstein brauchte aus innenpolitischen Gründen noch länger mit der Anpassung und hatte diese auch im Jahre 2000 noch nicht erreicht 320. In Mecklenburg-Vorpommern verlief die Debatte um die Übernahme des „Beschleunigungspakets“ weitgehend im Konsens 321. Von der Einbringung des Gesetzesentwurfs im Landtag Mitte März 1996 322 bis zur Verkündung des Gesetzes am 19. 06. 1998 vergingen gerade einmal drei Monate. Das 1. VwVfG M-V 311 Zu den mit der Fortgeltung verbundenen Problemen Landtag M-V, LTDrs 2/3272, S. 65 ff. 312 Näher zu den Hintergründen Landtag M-V, LTDrs 2/3670, S. 19. 313 Dazu § 9 G IV. 314 Näher oben § 9 D 3. 315 Vgl. oben 9 C 5. 316 Nachweise bei Klappstein, in: Knack, VwVfG, 6. Aufl. 1998, § 1 Anm. 3.3.3. 317 Klappstein, in: Knack, VwVfG, 6. Aufl. 1998, § 1 Anm. 3.2.1 und 3.2.2. 318 Ausführlich Klappstein, NordÖR 2000, S. 143 (147). 319 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 2/3617, S. 15. Zur Debatte in Nordrhein-Westfalen Klappstein, NordÖR 2000, S. 143 (147 mit Fn. 58). 320 Klappstein, NordÖR 2000, S. 143 (147 f.). 321 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses; Landtag M-V, LTDrs 2/3792.
410 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
ÄndG 323 übernahm Art. 1 GenBeschlG vollständig in das VwVfG M-V, berücksichtigte bei der Novellierung von §§ 73 und 74 VwVfG M-V aber landesspezifische Besonderheiten bei der Auslegung von Plänen. Darüber hinaus wurden redaktionelle Unstimmigkeiten beseitigt und mit §§ 110 bis 116 VwVfG M-V einige verwaltungsvollstreckungsrechtliche Vorschriften sowie Bestimmungen zur Dienst- und Fachaufsicht eingefügt. Mit der Aufnahme eines neuen Hauptteils über das Vollstreckungsverfahren verzichtete der Landesgesetzgeber bewusst auf ein isoliertes Verwaltungsvollstreckungsgesetz, um so dem Rechtsanwender das Auffinden der einschlägigen Regelungen zu erleichtern 324. Die Übernahme der bisher im EGVwR 325 enthaltenen aufsichtsrechtlichen Regelungen in §§ 112 ff. VwVfG M-V ermöglichte zudem die Aufhebung dieses Übergangsgesetzes.
E. Landesnaturschutzgesetz Mit erheblicher zeitlicher Verzögerung konnte Mitte des Jahres 1998 ein Landesnaturschutzgesetz (LNatG M-V) 326 präsentiert werden, mit dem die überfällige Novellierung und Rechtsbereinigung in diesem Rechtsgebiet verbunden war. Das am 30. 07. 1998 in Kraft getretene Gesetz löste das – ursprünglich nur für eine kurze Übergangszeit gedachte – Erste Gesetz zum Naturschutz im Land Mecklenburg-Vorpommern und zahlreiche Übergangsvorschriften ab 327. Vor allem wurde die im Hinblick auf Art. 75 Abs. 3 GG 328 und § 4 Satz 2 BNatSchG 329 verfassungsrechtliche defizitäre Rechtslage im Landesnaturschutzrecht beseitigt. Aufgrund der seit 1992 andauernden politischen Auseinandersetzungen über die Inhalte der notwendigen Kodifikation des Landesnaturschutzrechts schuf Mecklenburg-Vorpommern als letztes Bundesland eine umfassende landesgesetzliche Regelung 330. Dies erwies sich als günstige Gelegenheit, eine Reihe von 322
Landtag M-V, LTDrs 2/3617vom 18. 03. 1996. GVOBl. M-V, S. 565. Das VwVfG M-V wurde am 10. 08. 1998 (GVOBl. M-V, S. 743) neu bekannt gemacht. 324 Landtag M-V, LTDrs 2/3617, S. 27. 325 Vgl. oben § 11 A. 326 Vom 21. 07. 1998, GVOBl. M-V, S. 647. 327 Ausführlich zum LNatG M-V Czybulka, in: Schütz / Classen, § 7 Rn. 86 ff; Bugiel, NordÖR 1998, S. 412 ff; NordÖR 1999, S. 5 ff; S. 61 ff. 328 Art. 75 Abs. 3 GG wurde 1994 in das GG eingefügt und verpflichtete die Länder zur Ausfüllung der vom Bundesgesetzgeber erlassenen Rahmenvorschriften innerhalb einer durch Bundesgesetz zu bestimmenden angemessenen Pflicht. 329 Die Vorschrift verpflichtete die Länder, die bundesgesetzlichen Rahmenvorschriften innerhalb von zwei Jahren umzusetzen. Seit November 1996 stand das Landesnaturschutzrecht in Mecklenburg-Vorpommern somit im Widerspruch zur bundesverfassungsrechtlichen Regelungsvorgabe. 330 Ausführlich Bugiel, NordÖR 1998, S. 412. 323
§ 14 „Gebremster Reformeifer“ – Die Jahre 1999 bis 2002
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Reformvorschlägen aus der mehr als ein Jahrzehnt währenden Diskussion um die Gesamtnovellierung des Bundesnaturschutzgesetzes aufzugreifen und bereits die FFH-Richtlinie der Europäischen Union 331 in Landesrecht umzusetzen 332. So avancierte Mecklenburg-Vorpommern „vom nationalen Schlusslicht zum Vorreiter der Umsetzung europäischen Rechts in der Bundesrepublik Deutschland“ 333. Das Gesetz war überdies vollzugsfreundlich, weil es eine naturschutzrechtliche Vollregelung enthielt, mit der nicht allein die Rahmenvorschriften des Bundes ausgefüllt, sondern weitgehend auch die unmittelbar geltenden Vorschriften des BNatSchG wiederholt und teilweise ergänzt und konkretisiert wurden. Das LNatG M-V wurde so zur (regelmäßig ausschließlichen) Vollzugsgrundlage für die im Naturschutzrecht tätigen Behörden im Land Mecklenburg-Vorpommern 334.
§ 14 „Gebremster Reformeifer“ – Die Jahre 1999 bis 2002 In den Jahren 1999 bis 2002 geriet das Projekt Verwaltungsreform wieder ins Stocken 335. Die bundesweit erste Koalition von SPD und PDS, die nach den Landtagswahlen vom 27. 09. 1998 unter Ministerpräsident Harald Ringstorff gebildet wurde 336, betrieb in Bezug auf grundlegende Verwaltungsstrukturreformen zunächst eher eine „Politik der ruhigen Hand“. Das wegen seines Titels bundesweit Schlagzeilen machende „Gesetz zur Übertragung der Aufgaben für 331
Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. 05. 1992, ABl EG Nr. L 206, zuletzt geändert durch die Richtlinie 97/62/EG vom 27. 10. 2007 – ABl. EG Nr. L 305, S. 42. 332 Ausführlich Sauthoff / Bugiel / Göbel, NatSchAG M-V, Einleitung, Rn. 11. 333 Bugiel, NordÖR 1998, S. 412. 334 Sauthoff / Bugiel / Göbel, NatSchAG M-V, Einleitung, Rn. 12. 335 Für 1999 ist die Einführung des strikten Konnexitätsprinzips in Art. 72 Abs. 3 LVerf M-V durch Gesetz vom 04. 04. 2000 (GVOBl. M-V, S. 158) erwähnenswert. Durch Neufassung des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 LVerf M-V wurde überdies die Übertragung öffentlicher Aufgaben auf Landkreise und Gemeinden auch durch Rechtsverordnung ermöglicht. Näher Hubert Meyer, in: Litten / Wallerath, LVerf M-V, Art. 72 Rn. 50 ff. Das Jahr 2000 brachte mit dem Vierten Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung vom 09. 08. 2000 (GVOBl. M-V, S. 360) eine weitere Änderung des Kommunalrechts, mit der in §§ 4 Abs. 2 und 91 Abs. 2 KV M-V Einzelheiten über die Kostendeckung bei der Erfüllung pflichtiger Selbstverwaltungsaufgaben und bei der Übertragung von staatlichen Aufgaben geregelt wurden. 336 Bei dieser zeitgleich mit der Bundestagswahl durchgeführten Wahl wurde die SPD bei einer Wahlbeteiligung von 79,4 % mit 34,3 % der abgegebenen Stimmen erstmals stärkste Partei. Die CDU erhielt 30,2 %, die PDS 24,4 %. Bündnis 90/Die Grünen (2,7%) und FDP (1,6 %) scheiterten abermals an der 5 %-Klausel. Ausführliche Wahlanalyse bei Werz / Schmidt, ZParl 30 (1999), S. 97.
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die Überwachung der Rinderkennzeichnung und Rindfleischetikettierung (Rinderkennzeichungs- und Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz – RkReÜAÜG M-V)“ 337. als typisch für die Reformgesetzgebung im Verwaltungsrecht in jenen Jahren zu bezeichnen, wäre allerdings nicht gerecht, blieb dieses doch ein skurriles Unikum. Für die Reform kommunaler Verwaltungsstrukturen bedeutsam war dagegen, dass der Landtag am 13. 07. 2000 338 eine Enquetekommission „Zukunftsfähige Gemeinden und Gemeindestrukturen in Mecklenburg-Vorpommern“ einsetzte (A.). In dieser Kommission herrschte breiter politischer Konsens und eine sachliche und konstruktive Arbeitsatmosphäre 339. Eine Vielzahl ihrer Empfehlungen fand Eingang in die Fünfte Kommunalrechtsnovelle 2004 340. Das – mit großen Hoffnungen verbundene – Standardöffnungsgesetz vom 17. 09. 2000 341 war dagegen ein bereits zu jener Zeit umstrittener Versuch der Deregulierung durch experimentelle Gesetzgebung, welcher in der Rückschau als misslungen zu bewerten ist (B.). Weitere Reformmaßnahmen fanden in den Jahren 2001 und 2002 statt, in denen unter anderem das Polizei- und Ordnungsrecht sowie das Naturschutzrecht umfassend novelliert wurden (C).
A. Enquetekommission „Zukunftsfähige Gemeinden und Gemeindestrukturen in Mecklenburg-Vorpommern“ Arbeitsauftrag dieser Enquetekommission war es, verschiedene Modelle zur Gestaltung einer effizienten und leistungsfähigen Gemeindestruktur darzustellen und diese in Bezug auf Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger, demokratische Struktur, Personalbedarf, Kosteneinsparung und kommunale Handlungsfähigkeit zu bewerten. Überdies sollte das Gremium Maßnahmen zur Erhöhung der politischen Akzeptanz von Strukturveränderungen und für die Verbesserung der Stadt-Umland-Problematik vorschlagen sowie die Möglichkeiten einer Funktionalreform prüfen, um eine Aussage über die künftige Aufgabenstruktur und den Aufgabenumfang der Ämter und Gemeinden machen zu können. Die Enquetekommission legte dem Landtag im Juni 2002 einen umfangreichen Abschlussbericht vor 342, den dieser einstimmig zustimmend zur Kenntnis nahm. 337
Vom 19. Januar 2000, GVOBl. M-V, S. 22. Zu den Einzelheiten Landtag M-V, LTDrs 3/2959, S. 27 ff. 339 Hubert Meyer, LKV 2003, S. 11 (16). 340 Dazu § 15 D. 341 Gesetz zur Öffnung von Standards für kommunale Körperschaften; GVOBl. M-V, S. 492. 342 Landtag M-V, LTDrs 3/2959; zusammenfassend Hubert Meyer, LKV 2003, S. 11. 338
§ 14 „Gebremster Reformeifer“ – Die Jahre 1999 bis 2002
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I. Vorschläge zur Verbesserung der kommunalen Verwaltungsstrukturen In ihrem Abschlussbericht bündelte die Enquetekommission eine Vielzahl von Vorschlägen zur Verbesserung der kommunalen Verwaltungsorganisation. Von 1990 bis 2002 hatte sich die Zahl der Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern zwar von 1.117 auf 974 verringert. Dies war im Wesentlichen die Folge von über den kommunalen Finanzausgleich geförderten freiwilligen Gemeindefusionen 343. Das Problem ineffizienter Verwaltungsstrukturen durch nicht ausreichend leistungsstarke Gemeinden und Ämter blieb jedoch ungelöst. So wiesen von den 917 amtsangehörigen Gemeinden im Mai 2002 immerhin 416 (45,3 %) weniger als 500 Einwohner auf 344. Die 117 Ämter erreichten zwar im Durchschnitt mit 6.340 die in § 125 Abs. 3 Satz 3 KV M-V vorgegebene Mindestrichtgröße von 6000 Einwohnern. Allerdings verfehlten mehr als die Hälfte der Ämter diese Zielgröße. Auffällig war auch die inhomogene Ämterstruktur. Die Ämter wiesen eine Einwohnerzahl von 3.320 (Amt Usedom-Süd) bis 14.860 (Amt WarnowWest im Landkreis Bad Doberan) und zwischen drei und 20 Mitgliedsgemeinden auf 345. Um diesen Disparitäten entgegenzuwirken, empfahl die Kommission zwar die grundsätzliche Beibehaltung der Grundstruktur des kreisangehörigen Raums mit der Trennung zwischen amtsangehörigen und amtsfreien Gemeinden, plädierte aber für die Fort- und Weiterentwicklung dieses Modells 346. Unter anderem 347 sollten amtsangehörige Gemeinden in der Zukunft über mindestens 500, Ämter in der Regel über 8.000 (statt bisher 6.000) 348, mindestens aber über 6.000 Einwohner verfügen. Ein Amtsbereich sollte nicht mehr als 10 amtsangehörige Gemeinden umfassen. Befänden sich die Verwaltungen eines Amtes und einer amtsfreien Gemeinde in einem Ort – was 2002 in immerhin 32 Ämtern der Fall war – so sei überdies eine Zusammenlegung der Verwaltung anzustreben 349. 343 Vgl. dazu §§ 10 Abs. 3 und 4 FAG M-V und deren Kommentierung von Hubert Meyer, Der kommunale Finanzausgleich in Mecklenburg-Vorpommern, 2. Aufl. 2000, S. 76 ff. 344 Die Einwohnerzahl reichte von 103 (Upost im Landkreis Demmin) bis zu 7356 (Neustadt-Glewe). 345 Zahlen nach Hubert Meyer, LKV 2003, S. 11 (13). 346 Vgl. Bericht der Enquetekommission, Landtag M-V, LTDrs 3/2959, S. 7 ff. und 45 ff. 347 Zu den Empfehlungen der Kommission Landtag M-V, LTDrs 3/2959, S. 7 ff. und die Zusammenfassung in NordÖR 2002, S. 358. 348 Ausschlaggebend für diese Empfehlung waren die geringeren Personalkosten pro Einwohner bei den bestehenden Ämtern über 8000 Einwohnern, die spürbar höhere Professionalisierung durch Spezialisierung und die besseren Vertretungsmöglichkeiten im Urlaubs- und Krankheitsfall sowie die Senkung der Kosten für Querschnittsaufgaben. Näher Hubert Meyer, LKV 2003, S. 11 (13).
414 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
Die Enquetekommission empfahl daneben die verstärkte finanzielle Förderung freiwilliger Ämterfusionen bis zum 31. 12. 2004 außerhalb des kommunalen Finanzausgleichs 350 und machte Vorschläge zur Lösung der Stadt-Umland-Problematik. II. Leitlinien und Vorschläge zur weiteren Funktionalreform Einen weiteren Schwerpunkt der Kommissionsarbeit stellten Überlegungen zur Fortführung der Funktionalreform dar. Diesbezüglich wurden sechs Leitlinien erarbeitet, welche den weiteren Diskussionsprozess strukturieren sollten 351. Hierzu gehörten die Anerkennung der Funktionalreform als stetiger Prozess, die Vorrangigkeit der Kommunalisierung von Aufgaben, Gesichtspunkte der Bürgernähe und Wirtschaftlichkeit sowie die Prinzipien der Einheit (Bündelung von Zuständigkeiten) und Einräumigkeit der Verwaltung. Verstärkt sollten Kooperationsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene wie etwa geschäftsführende Gemeinden und Verwaltungsgemeinschaften genutzt werden. Vollzugsentscheidungen seien grundsätzlich aus der Landesverwaltung auszugliedern und sollten nach Möglichkeit auf die Ämter und amtsfreien Gemeinden übertragen werden. Betont wurde, dass die Funktionalreform auch Maßnahmen zur Deregulierung und zum Abbau entbehrlicher Zuständigkeiten, insbesondere von Einvernehmens- und Benehmensregelungen enthalten müsse. Ausgehend von diesen Leitlinien schlug die Enquetekommission in den Referenzgebieten des Umwelt- und Denkmalschutzrechts exemplarisch eine Vielzahl von konkreten Aufgabenübertragungen von der Landes- auf die Kreisebene vor 352. Für mögliche Aufgabenübertragungen im kreisangehörigen Raum von der Kreis- auf die örtliche Ebene wurden Beispiele aus den Gebieten Gewerbe-, Gaststätten- und Straßenverkehrsrecht genannt 353.
349
Zu der dadurch erhofften Effizienzsteigerung Hubert Meyer, LKV 2003, S. 11 (14). Die auf Grundlage des § 10 Abs. 3 Satz 3, 4; Abs. 4 Satz 2, 3 FAG M-V erlassene und am 01. 01. 2000 in Kraft getretene Landesverordnung über die Gewährung von Zuweisungen bei der Auflösung von Gemeinden und der Neubildung von Ämtern und Verwaltungsgemeinschaften vom 20.April 2000 (GVOBl. M-V, S. 195) sah bestimmte Zuweisungen bei der Auflösung von Gemeinden bis zum Ablauf des 31. Dezember 2004 sowie bei der Neubildung von Ämtern und Verwaltungsgemeinschaften bis zum Ablauf des 31. 12. 2004 vor. 351 Landtag M-V, LTDrs 3/2959, S. 22; 75 ff. 352 Siehe im einzelnen Landtag M-V, LTDrs 3/2959, S. 24; 76; 84 ff. (Anhang 1). 353 Einzelheiten in LTDrs 3/2959, S. 25 ff; NordÖR 2002, S. 358 (360). 350
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B. Standardöffnungsgesetz Das Standardöffnungsgesetz 354 war nach der kommunalrechtlichen Experimentierklausel des § 42a KV M-V der zweite große „Meilenstein“ zur Etablierung der experimentellen Gesetzgebung in Mecklenburg-Vorpommern. Allerdings barg das Vorhaben eine Reihe verfassungsrechtlicher Probleme 355. Mit diesem Gesetz waren viele Hoffnungen verbunden, welche sich nicht erfüllen sollten. I. Entstehungsgeschichte und wesentlicher Inhalt Bereits am 14. 01. 1999 hatte die Fraktion der CDU den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung von kommunalen Standards 356 in den Landtag eingebracht, mit dem man eine abstrakt-generelle und praktikabel umsetzbare Rechtsgrundlage zur Abweichung von kommunalen Personal- und Sachstandards nach Genehmigung durch die oberste Rechtsaufsichtsbehörde schaffen wollte. Das in Aussicht genommene Gesetz sollte zunächst bis zum 31. 12. 2004 befristet und auf kommunale Verwaltungsträger beschränkt werden, um den Experimentalcharakter der Regelung zu verdeutlichen. Vorgesehen war überdies, dass die Landesregierung die Praxis des Gesetzesvollzuges durch eine Erhebung begleitet und dem Landtag über die Ergebnisse bei der Anwendung des Gesetzes berichtet. Der Gesetzesentwurf enthielt 4 Paragraphen. § 1 Abs. 1 definierte den unbestimmten Rechtsbegriff der kommunalen Standards, wobei sich der Entwurf auf Personal- und Sachstandards beschränkte. § 1 Abs. 2 enthielt eine Aufzählung von Fallgruppen kommunaler Standards, bei denen eine Befreiung grundsätzlich in Betracht kommen sollte. § 2 regelte das Verfahren der Standardbefreiung. Vorgesehen war, dass die oberste Rechtsaufsichtsbehörde auf Antrag einer kommunalen Körperschaft eine Befreiung von kommunalen Standards erteilen sollte, wenn eine den Zwecken der Vorschrift genügende Erfüllung der Aufgabe des kommunalen Aufgabenträgers gewährleistet bleiben und die Befreiung zu einer erheblichen Kostentlastung führen würde. Über den Antrag auf Standardbefreiung sollte innerhalb von drei Monaten entschieden werden. Der Gesetzesentwurf wurde nach Plenarberatung am 27. 01. 1999 357 an den Innenausschuss überwiesen und in der Folge parlamentarisch beraten 358. 354
GVOBl. M-V, S. 492. Siehe bereits oben § 7 A II 7 sowie Wiegand-Hoffmeister, NordÖR 2000, S. 481, der das Gesetz für verfassungswidrig hielt. A. A. Tanneberg / Fuhrmann, NordÖR 2001, S. 284. 356 Standardanpassungsgesetz – StapsG; vgl. Landtag M-V, LTDrs 3/119. 357 Einzelheiten in Landtag M-V, PlPr 3/8 vom 27. 01. 1999, S. 256. 358 Zu den Einzelheiten Landtag M-V, LTDrs 3/1406, S. 6 ff. 355
416 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
Am 29. 09. 1999 brachten die Fraktionen der SPD und PDS allerdings einen eigenen Entwurf eines „Gesetzes zur Öffnung von Standards für kommunale Körperschaften“ in den Landtag ein 359. Dies wurde damit begründet, dass es „im Zuge der Verwaltungsmodernisierung auf Landes- und Kommunalebene ... unerlässlich geworden (sei), den Kommunen bei ihrer Aufgabenerfüllung neue Wege zu eröffnen und zeitlich befristete Ausnahmen vom geltenden Landesrecht zu ermöglichen“ 360. Der Gesetzesentwurf der CDU-Fraktion enthalte neben richtigen Lösungsansätzen auch erhebliche Schwächen. In den neuen Entwurf wurde neben klarstellenden redaktionellen Änderungen zum Anwendungsbereich des Gesetzes in § 2 Abs. 2 eine Verordnungsermächtigung für das Innenministerium zu näheren Bestimmungen über das Genehmigungsverfahren aufgenommen. Zudem war die konkretisierende Aufzählung der in Betracht kommenden Fallgruppen von Personal- und Sachstandards nicht als abschließender Katalog konzipiert. Unberührt blieb dagegen der Experimentalcharakter des Gesetzes 361. Im weiteren parlamentarischen Verfahren wurden die Entwürfe der CDU-Fraktion und der Fraktionen der SPD / PDS gemeinsam beraten. Entsprechend der Empfehlung des Innenausschusses vom 05. 07. 2000 362 beschloss der Landtag am 12. 07. 2000 ein modifiziertes Gesetz 363, das am 20. 10. 2000 in Kraft 364. Abweichend von den Gesetzesentwürfen der Fraktionen von CDU und SPD / PDS wurden in § 1 Abs. 4 StÖffG M-V die insgesamt 10 Landesgesetze abschließend aufgezählt, bei denen Standardabweichungen zulässig waren. § 2 Abs. 2 StÖffG M-V stellte zudem klar, dass ein Antrag auf Standardbefreiung abgelehnt werden musste, wenn durch das Aussetzen des Standards eine Gefahr für Leib und Leben eines Menschen oder sonstige Rechtsgüter von besonderem Rang entstanden wäre. Die Aufzählung konkreter Gesetze, bei denen eine Standardbefreiung möglich war, versuchte verfassungsrechtliche Bedenken zu entkräften, die das Justizministerium im Hinblick auf die Einhaltung des Bestimmtheitsgebots geäußert hatte 365. Der Anspruch auf Standardbefreiung war als Sollvorschrift ausgestaltet. Hinsichtlich der Entscheidungsfrist setzte sich weitgehend der Vorschlag der CDU-Fraktion durch. Gem. § 2 Abs. 1 Satz 4 StÖffG M-V hatte das Innenministerium grundsätzlich innerhalb von drei Monaten (durch Verwaltungsakt) im Benehmen mit der jeweils fachlich zuständigen obersten Landesbehörde über den Antrag auf Standardöffnung zu entscheiden. Entgegen eines vom Städte- und Gemeindetag sowie vom Landkreistag unter359
Standardöffnungsgesetz – StÖffG M-V; vgl. Landtag M-V, LTDrs 3/730. Landtag M-V, LTDrs 3/730, S. 1 f. 361 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 3/730, S. 8. „Das Gesetz soll als Experimentalgesetz zunächst für etwa 5 Jahre Geltung erhalten ...“. 362 Landtag M-V, LTDrs 3/1406. 363 Landtag M-V, PlPr 3/42 vom 12. 07. 2000, S. 2669. 364 GVOBl. M-V, S. 492. 365 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 3/1406, S. 6 f. 360
§ 14 „Gebremster Reformeifer“ – Die Jahre 1999 bis 2002
417
breiteten Vorschlags 366 wurde allerdings auf die Einführung einer Ablauffrist mit Genehmigungsfiktion verzichtet. Obwohl in keinem der Gesetzesentwürfe vorgesehen, regelte § 2 Abs. 4 StÖffG M-V zudem, dass die Landesregierung gegenüber dem Landtag halbjährlich über den Stand der Verfahren der Standardöffnung zu berichten hatte. Schließlich hielt man entgegen einer Empfehlung des Justizministeriums 367 auch an der Befristung des Gesetzes (zunächst) bis zum 31. 12. 2004 fest. Das Innenministerium wurde in § 2 Abs. 3 StÖffG M-V ermächtigt, durch Rechtsverordnung nähere Bestimmungen über das Genehmigungsverfahren zu treffen. Diese 368 trat am 19. 07. 2001 in Kraft und regelte Einzelheiten über den Anwendungsbereich, die Antragsvoraussetzungen und den Antragsinhalt sowie über die Verfahrensbeteiligten und die Verfahrensdauer bei der Standardöffnung. II. Gescheiterte Hoffnungen – das Standardöffnungsgesetz als untauglicher Deregulierungsversuch Die regelmäßigen Berichte der Landesregierung nach § 2 Abs. 4 StÖffG M-V 369 verdeutlichen, dass dieses Reformprojekt ein Musterbeispiel für eine gescheiterte Deregulierung durch experimentelle Gesetzgebung war. Das mit starken handwerklichen Mängeln behaftete Gesetz 370 wurde von den Kommunen nicht angenommen. Diese hatten bis zum 31. 12. 2007 lediglich 11 Anträge auf Standardbefreiung gestellt, von denen fünf positiv beschieden wurden 371. Das rechtspolitische Ziel, „den Dschungel standardisierter Regelungen dort zu lichten, wo der Wildwuchs schon beinahe groteske Züge angenommen hat“ 372, wurde mit dem Gesetz nicht erreicht. Dies lag nicht zuletzt an der weitgehend vergeblichen Suche nach Standards, von denen das Land befreien konnte 373. Auch das aufwändige Antragsverfahren und die Tatsache, dass die erforderliche Befreiung die An366 Diese hatten eine zweimonatige Entscheidungsfrist mit Genehmigungsfiktion vorgeschlagen. Siehe Landtag M-V, LTDrs 3/1406, S. 13; 15. 367 Näher Landtag M-V, LTDrs 3/1406, S. 8. 368 Standardöffnungsverordnung (StÖffVO M-V) vom 26. 06. 2001, GVOBl. M-V, S. 283. 369 Vgl. zuletzt den Neunten Bericht vom 26. 02. 2006; (Landtag M-V, LTDrs 4/2130) sowie den Zehnten Bericht vom 13. 03. 2008 (Landtag M-V, LTDrs 5/1368). 370 Zur „völlig missglückten“ Ausschlussklausel des § 1 Abs. 2 Satz 2 StÖffG M-V Wiegand-Hoffmeister, NordÖR 2001, S. 481 (485). Nach Tanneberg / Martin, NordÖR 2001, S. 284 (287) stellte „allein die Regelungstechnik (des Gesetzes) seine Nichtanwendung hinreichend sicher“. 371 Näher Landtag M-V, LTDrs 4/1437, S. 2. Zwei Anträge wurden aufgrund anderer Lösungen zurückgenommen und drei Anträge zurückgewiesen. Ein Verfahren wegen Standardbefreiung von Personalstandards beschäftigte gar die Gerichte. Vgl. näher Landtag M-V, LTDrs 5/1368. 372 Wiegand-Hoffmeister, NordÖR 2001, S. 152 (154).
418 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
tragsteller in eine kontraproduktive Außenseiterrolle drängte, mag zum Scheitern des Gesetzes beigetragen haben. Die bereits im Vorfeld geäußerten rechtspolitischen Bedenken, bei dem Gesetz handele es sich um einen „Papiertiger“ und der Landtag habe „ein Gesetz beschlossen ..., welches vor allem die populistische Funktion hat, von der jeweils eigenen Klientel vor Ort wider besseres Wissen als herausragende Errungenschaft der kommunalen Ebene verkauft werden zu können“ 374, haben sich bestätigt. Trotz der bereits früh erkannten „ernüchternden Zwischenbilanz“ 375 wurde die Geltungsdauer des Gesetzes noch einmal bis zum 31. 12. 2009 verlängert 376, dabei aber in Anbetracht des geringen Antragsaufkommens die Berichtspflicht der Landesregierung gegenüber dem Landtag auf einen zweijährigen Rhythmus umgestellt. Mit dem Änderungsgesetz wurden zudem § 1 Abs. 3 und § 2 Abs. 2 StÖffG M-V neu gefasst und der Katalog des § 1 Abs. 4 StÖffG M-V ersatzlos gestrichen. Am 31. 12. 2009 trat das StÖffG M-V außer Kraft. III. Vom Standardöffnungs- zum Kommunalen Standarderprobungsgesetz Als Art. 1 des Vierten Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau 377, ist – wiederum als Ausdruck experimenteller Gesetzgebung – als Nachfolgeregelung zum nicht verlängerten StÖffG M-V ein Kommunales Standarderprobungsgesetz (KommStEG M-V) verabschiedet worden, welches gegenüber der Gesetzeslage in den Jahren 2000 bis 2009 ein deutlich geändertes und erweitertes Instrumentarium zur Verfügung stellt. Das Gesetz ist stark vom Brandenburgischen Standarderprobungsgesetz (Bbg StEG) vom 28. 06. 2006 378, beeinflusst, welches deutlich erfolgreicher war als das gescheiterte StÖffG M-V 379. Ziel ist es nach § 1 Abs. 1 KommStEG M-V, „neue Maßnahmen zum Bürokratieabbau zu erproben, auszuwerten und erfolgreiche Modelle für eine landesweite Übernahme zu prüfen. Zu diesem Zweck werden für einen begrenzten Zeit373 So wies Wiegand-Hoffmeister, NordÖR 2001, S. 152 (154) nach, dass die „Vorschrift über die Prüfung der Rüttelfestigkeit von Grabmalen“ nicht dazu gehört, da sie auf einer kommunalen Friedhofssatzung beruht. 374 Wiegand-Hoffmeister, NordÖR 2000, S. 481. 375 Freund, Experimentierklauseln, S. 55. 376 Mit Gesetz vom 21. 12. 2004; GVOBl. M-V, S. 554. 377 Vom 28. 10. 2010; GVOBl. M-V, S. 615. Dazu näher § 16 C IV. 378 Bbg GVBl., S. 74, geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 12. 07. 2007; Bbg GVBl., S. 125. 379 Nach dem Bericht der Landesregierung zur Umsetzung des Bbg StEG wurden von August 2006 bis April 2009 insgesamt 116 Anträge gestellt, von denen 45 genehmigt wurden. Der Inhalt von 14 Anträgen wurde durch Änderung der einschlägigen Regelung landesweit umgesetzt. Nähere Informationen unter www.stk,brandenburg.de (Abrufdatum: 27. 12. 2010).
§ 14 „Gebremster Reformeifer“ – Die Jahre 1999 bis 2002
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raum Abweichungen von Rechtsvorschriften zugelassen, um den kommunalen Körperschaften die Erprobung neuer Lösungen bei der kommunalen Aufgabenerledigung zu ermöglichen und um zu testen, ob damit Verwaltungsverfahren beschleunigt, vereinfacht und kostengünstiger für die Unternehmen, die Bürgerinnen und Bürger und die Verwaltung gestaltet werden können.“ Nach § 1 Abs. 2 KommStEG M-V können Gemeinden, Ämter, Landkreise und Zweckverbände auf Antrag im Einzelfall von landesrechtlichen Standards befreit werden, wenn die ausreichende Erfüllung der Aufgabe auch auf andere Weise als durch die Erfüllung dieser Standards sichergestellt ist. Bundesrecht, Recht der Europäischen Gemeinschaften oder Rechte Dritte dürfen nicht entgegenstehen 380. § 1 Abs. 3 KommStEG M-V definiert Standards als Vorgaben in landesrechtlichen Vorschriften (Gesetze, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften des Landes), die für die Aufgabenerfüllung der Gemeinden, Ämter, Landkreise und Zweckverbände erlassen wurden. Der Anwendungsbereich für Standardbefreiungen wurde im Gegensatz zum StÖffG M-V damit erheblich erweitert; eine Einschränkung auf Personal- und Sachstandards für bestimmte im Gesetz festgelegte Sachbereiche ist nicht mehr vorgesehen. § 1 Abs. 3 KommStEG M-V enthält somit eine weite Öffnungsklausel. Bei dieser handelt es sich aber nicht um eine – verfassungsrechtlich unzulässige 381 – inhaltlich unbegrenzte generelle Öffnungsklausel 382. Diese Einschätzung bestätigt sich insbesondere, wenn man die Vorschrift in Zusammenschau mit §§ 1 Abs. 2 Satz 2; 2 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2; 4 Abs. 1 und 2 KommStEG M-V betrachtet. § 2 KommStEG M-V regelt Einzelheiten des Antragsverfahrens. Der Antrag auf Standardbefreiung kann nach § 2 Abs. 1 KommStEG M-V durch den gesetzlichen Vertreter der kommunalen Körperschaft gestellt werden, ohne dass dieser einen vorherigen Beschluss des jeweiligen obersten Willensbildungs- oder Beschlussorgans herbeiführen müsste. Gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 KommStEG M-V, der im Gesetzentwurf der Landesregierung noch nicht enthalten war, ist die jeweilige Vertretungskörperschaft jedoch unverzüglich zu unterrichten und behält durch den im Gesetzgebungsverfahren ebenfalls neu gefassten § 2 Abs. 5 KommStEG M-V auch die eigentliche Entscheidungskompetenz zur Umsetzung etwaiger erteilter Genehmigungen zur Standardabweichung 383. Mit dieser von den Grundsätzen der KV M-V abweichenden spezialgesetzlichen Ausnahmeregelung erhofft man sich eine entscheidende Verfahrensvereinfachung im Vergleich zum gescheiterten StÖffG 380
In anderen Gesetzen enthaltene Experimentierklauseln wie §§ 42a KV M-V oder 45 GemHVO gehen der Öffnungsklausel des KommStEG M-V vor. Diese sind für die dort vorgegebenen sachlichen Anwendungsbereiche vorrangig und abschließend anzuwenden; vgl. LTDrs 5/3366, S. 19. 381 Näher oben § 7 A II 7 a aa. Zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung aus Sicht der Landesregierung siehe LTDrs 5/3366, S. 19 ff. 382 Zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung aus Sicht der Landesregierung LTDrs 5/3366, S. 19 f. 383 Zu den Einzelheiten Landtag M-V, LTDrs 5/3824, S. 10.
420 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
M-V. Die Entscheidungszuständigkeit über den Befreiungsantrag liegt nunmehr nach § 2 Abs. 2 KommStEG M-V nicht mehr beim Innenministerium, sondern im Hinblick auf die dort vorhandene größere Fachkompetenz bei der jeweils zuständigen obersten Landesbehörde 384. Diese hat innerhalb von drei Monaten zu entscheiden, eine Genehmigungsfiktion ist mit dem Fristablauf weiterhin nicht verbunden. Dem Antrag soll nach § 2 Abs. 2 Satz 2 KommStEG M-V stattgegeben werden, es sei denn, Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass die Aufgabenerfüllung durch die kommunale Körperschaft nicht gewährleistet werden kann oder eine Gefahr für Leib und Leben oder sonstiger Rechtsgüter von bedeutendem Rang entstehen würde. Beabsichtigt die Genehmigungsbehörde die teilweise oder gänzliche Ablehnung des Antrags, so hat sie nach § 2 Abs. 3 KommStEG M-V zunächst gemeinsam mit der für die Deregulierung zuständigen obersten Landesbehörde und der Staatskanzlei auf eine Verständigung hinzuwirken 385. Sofern ein Einvernehmen hierzu nicht zu erzielen ist, wird der Antrag abgelehnt. Nach § 2 Abs. 4 KommStEG M-V ist die Befreiung auf höchstens vier Jahre zu befristen und im Amtsblatt für Mecklenburg-Vorpommern bekannt zu machen. § 3 KommStEG M-V sieht im Gegensatz zum StÖffG M-V ein Antragsrecht auch des Städte- und Gemeindetages (stellvertretend für mehrere amtsfreie oder amtsangehörige Gemeinden) und des Landkreistages M-V (stellvertretend für mehrere Landkreise) vor. Die Bündelung gleichlautender Anträge durch die kommunalen Verbände soll das Verfahren beschleunigen und die beteiligten kommunalen Körperschaften entlasten. Zudem hofft man, dass die kommunalen Körperschaften so von den Möglichkeiten des Gesetzes vermehrt Gebrauch machen 386. Nach § 4 Abs. 1 KommStEG M-V prüft die jeweils zuständige oberste Landesbehörde unter Beteiligung des Innenministeriums die generelle Übertragbarkeit des Ergebnisses der Erprobung auf die anderen kommunalen Körperschaften im Land und stellt das Ergebnis der Prüfung in den Bericht nach § 4 Abs. 2 KommStEG M-V ein. Letztere Vorschrift enthält eine im Vergleich zum StÖffG M-V erweiterte Berichtspflicht der Landesregierung. Neben der bereits dort bestehenden zweijährigen Berichtspflicht gegenüber dem Landtag ist vorgesehen, dass das Gesetz spätestens drei Monate vor seinem für den 31. 12. 2015 vorgesehenen Außerkrafttreten von der Landesregierung bewertet und analysiert wird, um Beurteilungskriterien für eine Entscheidung über eine mögliche Verlängerung des Gesetzes zu erhalten (vgl. § 3 Abs. 6 GGO II).
384
LTDrs 5/3366, S. 22. Diese Regelung eröffnet die Möglichkeit, eine Moderatoren- und Vermittlerposition zwischen den Antragstellern und der Fachbehörde wahrzunehmen und folgt einem Vorbild aus dem Nachbarland Brandenburg. Näher LTDrs 5/3366, S. 23. 386 LTDs 5/3366, S. 25. 385
§ 14 „Gebremster Reformeifer“ – Die Jahre 1999 bis 2002
421
C. Maßnahmen der Verwaltungsreform in den Jahren 2001 und 2002 Trotz des für den Zeitraum von 1999 bis 2002 konstatierten „gebremsten Reformeifers“ gab es in den Jahren 2001 und 2002 doch einige erwähnenswerte Gesetzesänderungen. Einen wichtigen Beitrag zur Rechtsbereinigung leistete das Rechtsbereinigungs- und Rechtsfortgeltungsgesetz (RBFG M-V) vom 23. 04. 2001 387, mit dem das Außerkrafttreten des als Landesrecht fortgeltenden Rechts der DDR zum 28. 04. 2001 angeordnet wurde. Ausgenommen davon waren nur wenige Vorschriften 388. Kleinere Änderungen des Baurechts, deren wichtigste die Einführung von Vorschriften über das barrierefreie Bauen in § 52 LBauO M-V war, brachte das Erste Gesetz zur Änderung der Landesbauordnung im März 2001 389. Eine umfassende Novellierung des materiellen Allgemeinen Ordnungsrechts war mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Sicherheitsund Ordnungsgesetzes 390 verbunden. Hervorzuheben ist neben der Änderung zahlreicher Standardmaßnahmen vornehmlich im Bereich der Datenerhebung die Aufnahme von Begriffsbestimmungen in § 3 Abs. 3 SOG M-V. Gesetzlich neu geregelt wurde auch die Organisation der Landespolizei 391 und der unteren Landesforstverwaltung 392. Aus dem Jahr 2002 ist vor allem die Novellierung des LNatG M-V erwähnenswert 393. Durch das Erste Gesetz zur Änderung des Landesnaturschutzgesetzes vom 14. 05. 2002 wurde mit § 3a LNatG M-V eine Vorschrift über den Marinen Naturschutz geschaffen und in § 65a LNatG M-V die naturschutzrechtliche Verbandsklage eingeführt 394. Zudem waren im Jahre 2002 die UVP-Änderungsrichtlinie, die IVU-Richtlinie und weitere EG-Richtlinien umzusetzen, was mit einem Artikelgesetz vom 09. 08. 2002 geschah 395. Mit diesem wurde ein LandesUVP-Gesetz geschaffen und das Wassergesetz umfassend novelliert. Änderungen gab es auch im Straßen- und Wegerecht sowie – erneut – im Bauordnungsrecht. Das Vierte Gesetz zur Änderung der Landesbauordnung 396 bedeutete den endgültigen Abschied von der sog. „Schlusspunkttheorie“ bei der Baugenehmigung. 387
GVOBl. M-V 2001, S. 93. Vin größter praktischer Bedeutung war die Fortgeltung der §§ 1 bis 6 a, 8 bis 12 StHG-DDR. Das StHG-DDR wurde erst durch Gesetz vom 12. 03. 2009; GVOBl. M-V, S. 281 aufgehoben. 389 Vom 28. 03. 2001, GVOBl. M-V, S. 60. 390 Vom 24. 10. 2001, GVOBl. M-V, S. 386. 391 Mit dem Polizeiorganisationsgesetz vom 10. 07. 2001; GVOBl. M-V, S. 254. 392 Mit der VO zur Errichtung und Auflösung von Forstämtern vom 12. 06. 2001, GVOBl. M-V, S. 175. 393 Ausführlich Sauthoff, NordÖR 2003, S. 102. 394 Dazu Bugiel, in: Sauthoff / Bugiel / Göbel, NatSchAG M-V, Einleitung, Rn. 76 ff. 395 GVOBl. M-V 2002, S. 531. 388
422 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
Erwähnenswert sind auch das Inkrafttreten der Beherbergungsstättenverordnung zum 01. 06. 2002 397 und Änderungen im amtlichen Vermessungs- und Katasterwesen 398. Im Jahre 2002 wurde überdies die Liegenschaftsverwaltung des Landes mit der Errichtung des Sondervermögens „Betrieb für Bau und Liegenschaften Mecklenburg-Vorpommern (BBL)“ modernisiert 399. Die Reform ermöglichte dort die kaufmännische Buchführung und ermächtigte das Finanzministerium, die Landesvermögens- und Bauabteilung bei der Oberfinanzdirektion Rostock und die vier Landesbauämter aufzulösen 400.
§ 15 Verwaltungsreform wird zum „Überlebensthema“ – Der Beginn des institutionalisierten Reformprozesses in den Jahren 2003 und 2004 Einen Wendepunkt der Verwaltungsreformdiskussion in Mecklenburg-Vorpommern markierte das Jahr 2003. Waren die eher schleppend verlaufenen Bemühungen zur Verwaltungsmodernisierung bis dahin überwiegend punktueller Natur und entbehrten eines strategischen Gesamtkonzepts, sollte sich dies mit Beginn des Jahres 2003 ändern. Die bei den Landtagswahlen vom 22. 09. 2002 bestätigte Koalition zwischen SPD und PDS 401 leitete, beginnend mit dem Kabinettsbeschluss über Eckpunkte der Verwaltungsreform vom 21. 01. 2003 (A.), einen umfassenden Reformprozess ein, der kurze Zeit später mit der Berufung einer sog. Deregulierungskommission fortgesetzt wurde (B.). Die Vorschläge jenes Expertengremiums sollten für den Verlauf des weiteren Reformprozesses richtungweisend werden. Ende April 2004 legten die Regierungsfraktionen von SPD 396
Verkündet als Art. 4 des Gesetzes vom 27. 06. 2002; GVOBl. M-V, S. 523. Vom 12. 02. 2002, GVOBl. M-V, S. 119. 398 Gesetz zu Änderungen im amtlichen Vermessungs- und Katasterwesen vom 10. 04. 2002; GVOBl. M-V, S. 170. 399 Mit dem Gesetz zur Modernisierung der Liegenschaftsverwaltung des Landes Mecklenburg-Vorpommern sowie des Staatlichen Hochbaus vom 17. 12. 2001, GVOBl. M-V, S. 600. 400 Vgl. Verordnung zur Auflösung der Landesbauämter Schwerin und Neubrandenburg vom 02. 01. 2002; GVOBl. M-V, S. 100 (Auflösung zum 01. 01. 2002). Die Landesbauämter Rostock und Greifswald sowie die Landesvermögens- und Bauabteilung der OFD Rostock wurde mit Verordnung vom 05. 12. 2003, GVOBl. M-V, S. 703 zum 01. 01. 2004 aufgelöst. 401 Bei den Landtagswahlen vom 22. 09. 2002 entfielen bei einer Wahlbeteiligung von 70,6 % auf die SPD 40,6 % der abgegebenen Stimmen. Die CDU erhielt 31,4%, die PDS (nur noch) 16,4 %. FDP (4,7 %) und Bündnis 90/Die Grünen (2,6%) scheiterten abermals an der 5- %-Klausel. Ausführliche Wahlanalyse bei Werz / Schmidt, ZParl 34 (2003), S. 60. 397
§ 15 Verwaltungsreform wird zum „Überlebensthema“ – 2003 und 2004
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und PDS dem Landtag die Grundkonzeption einer umfassenden Verwaltungsmodernisierung vor, welche am 12. 05. 2004 mehrheitlich beschlossen wurde (C.). Ausgelöst durch den Abschlussbericht der „Enquetekommission Zukunftsfähige Gemeinden und Gemeindestrukturen in Mecklenburg-Vorpommern“ 402 begann im Jahre 2003 zudem das parlamentarische Verfahren zur weiteren Modernisierung der Kommunalverwaltung (D.).
A. Eckpunkte der Verwaltungsreform Am 21.012003 beschloss die weiterhin von Harald Ringstorff geführte Landesregierung „Eckpunkte zur Reform der öffentlichen Verwaltung im Land Mecklenburg-Vorpommern“ und legte damit erstmals strategische Vorgaben für die Gestaltung des weiteren Modernisierungsprozesses vor. Am 04. 02. 2003 informierte die Landesregierung den Landtag detailliert über die im Kabinett getroffenen Entscheidungen. In dieser Unterrichtung 403 wurde zunächst die gegenwärtige Situation der öffentlichen Verwaltung in Mecklenburg-Vorpommern dargestellt. Aufbauend auf dieser Analyse benannte die Landesregierung sodann Ziele und Elemente der Verwaltungsreform. I. Ausgangslage Beklagt wurde zunächst die strukturell bedingte mangelnde Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung in Mecklenburg-Vorpommern. Diese sei vor allem der Kleinteiligkeit von Gemeinde-, Amts- und Kreisverwaltungen geschuldet 404. Auch die unmittelbare Landesverwaltung leide unter Doppelstrukturen, fehlender Einheitlichkeit der räumlichen Strukturen unterer Landesbehörden und mangelnder Effizienz der Zuordnung von Aufgaben zwischen oberster, oberer und unterer Landesverwaltung 405. Dem Bürger sei es bisher nicht möglich, „Verwaltungsdienstleistungen aus einer Hand“ zu erhalten. Stattdessen müsse er sich mit seinen Anliegen an eine Vielzahl verschiedener Verwaltungsstellen der Gemeinden, der Landkreise und des Landes wenden. Weite Wege vom Bürger zur Verwaltung, lange Bearbeitungsfristen und unnötige Kosten seien die Folge. Der öffentlichen Verwaltung sei es bisher auch nicht gelungen, moderne Informations- und Kommunikationstechnik für mehr Bürgernähe und kürzere Ver402
Dazu bereits § 14 A. Landtag M-V, LTDrs 4/205. 404 Am 30. 06. 2002 gab es 6 kreisfreie Städte, 12 Landkreise, 55 amtsfreie Gemeinden sowie 117 Ämter mit 918 Mitgliedsgemeinden sowie ca. 70 Zweckverbände. Näher Landtag M-V, LTDrs 4/205, S. 18 ff. 405 Landtag M-V, LTDrs 4/205, S. 3; 23 ff. Die unmittelbare Landesverwaltung bestand am 30. 06. 2002 aus 13 obersten, 39 oberen und 165 unteren Landesbehörden. 403
424 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
waltungswege einzusetzen 406. In der Analyse des status quo stellte man zudem die demographische Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern dar 407, welche durch Bevölkerungsverluste infolge negativer Wanderungssalden und Gestorbenenüberschüsse, Alterung der Bevölkerung und Veränderungen der Geschlechterrelation (starker Frauenmangel, insbesondere in strukturschwachen Regionen im Osten des Landes) gekennzeichnet sei. Auch der Landeshaushalt befinde sich in einer „strukturellen Schieflage“. Trotz guter Einnahmesituation übersteige der Schuldenstand des Landes den Durchschnitt der westlichen Flächenländer, was auch am hohen Personalbestand der Landesverwaltung liege. Dieser sei mit 25.4 Personalstellen je 1.000 Einwohner der höchste aller deutschen Flächenländer, welche im Schnitt mit ca. 19 Stellen pro 1.000 Einwohner auskämen. Trotz eines Rückgangs der Stellenzahl von 57.027 im Jahre 1991 auf 46.134 im Jahre 2001, sei der Anteil der Personalausgaben am Gesamthaushaltsvolumen im gleichen Zeitraum von 22,4 % auf 27,3% gestiegen. Auf kommunaler Ebene seien nach den Stellenplänen 14.463 Stellen in der kommunalen Kernverwaltung ausgewiesen (4.617 in den Landkreisen, 4.998 in den kreisfreien Städten, 2.436 in den amtsfreien Gemeinden, 2.412 in den Ämtern). Hinzu kämen etwa 8.500 Stellen in den kommunalen Einrichtungen. Damit liege der Personalbestand in den Kommunen bei 122,5% des vergleichbaren Wertes westlicher Flächenländer 408. II. Ziele und Elemente der Verwaltungsreform Der (ernüchternden) Darstellung der Ausgangslage folgte eine Beschreibung der Ziele einer Verwaltungsreform. Erreicht werden sollten mehr Bürgernähe 409, weniger Bürokratie 410, eine erhöhte Leistungsfähigkeit des Personals und der Organisation, eine kostengünstige Aufgabenerledigung sowie eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Als zentrale Elemente der Verwaltungsreform wurden die Funktionalreform 411, die Neuordnung auf kommunaler Ebene, die Schaffung eines Landesorganisationsgesetzes 412, eine aktive Personalentwick406
Landtag M-V, LTDrs 4/205, S. 2. Umfangreiches statistisches Material in Landtag M-V, LTDrs 4/205, S. 43 ff. 408 Näher Landtag M-V, LTDrs 4/205, S. 46 ff. 409 LTDrs 4/205, S. 6. Damit die Bürger möglichst viele Verwaltungsleistungen an einem Ort erhalten könnten, sollten die Gemeinde- und Amtsverwaltungen zu Eingangsportalen ausgebaut werden. 410 Vgl. LTDrs 4/205, S. 6. Unter dem Stichwort „Weniger Bürokratie“ fasste man so heterogene Aspekte wie Aufgabenkritik, Bündelung und Straffung von Organisationsstrukturen auf kommunaler und Landesebene sowie Verfahrensvereinfachung zusammen. 411 Zur Organisation eines „umfassenden Prozesses der Aufgabenübertragung“ wurde eine interministerielle Arbeitsgruppe (IMAG) gebildet, die dem Kabinett Ende April 2004 einen Abschlussbericht vorlegte. Die IMAG prüfte alle öffentlichen Aufgaben dahingehend, „ob sie in Zukunft überhaupt noch von der öffentlichen Hand wahrgenommen werden müssen bzw. auf welcher Ebene sie am zweckmäßigsten anzusiedeln sind“. Dar407
§ 15 Verwaltungsreform wird zum „Überlebensthema“ – 2003 und 2004
425
lung sowie die Weiterentwicklung des eGovernments genannt. Im Rahmen der Darlegungen zur Reform kommunaler Verwaltungsstrukturen präsentierte man erstmals das Konzept von an den vier Planungsregionen des Landes orientierten Regionalkreisen, welches die weitere Reformdiskussion in MecklenburgVorpommern prägen sollte 413. Ins Auge gefasst wurden zunächst vier Kreise mit 400.000 bis 500.000 Einwohnern, welche sich an den Oberzentren Rostock, Schwerin, Neubrandenburg und Stralsund / Greifswald orientieren sollten. Als Denkmodell stellte die Landesregierung die Bildung der Regionalkreise Westmecklenburg (bestehend aus den Landkreisen Ludwigslust, Nordwestmecklenburg und Parchim sowie den Städten Landeshauptstadt Schwerin und Wismar), Mittleres Mecklenburg (bestehend aus den Landkreisen Güstrow, Bad Doberan und der Hansestadt Rostock), Vorpommern (bestehend aus den Landkreisen Nordvorpommern, Ostvorpommern und Rügen sowie den Hansestädten Greifswald und Stralsund) und Mecklenburgische Seenplatte (bestehend aus den Landkreisen Demmin, Mecklenburg-Strelitz, Müritz und Uecker-Randow sowie der Stadt Neubrandenburg) vor 414. Neben diesen Maßnahmen zu Modernisierung der Verwaltungsstrukturen wurde die Deregulierung zu einem zentralen Element der Verwaltungsreform erklärt. Zur Beschleunigung und Vereinfachung von Verwaltungsabläufen sei es erforderlich, Zahl und Umfang der Rechtsvorschriften zu reduzieren. Darüber hinaus müsse die Notwendigkeit beabsichtigter Regelungen bei zukünftigen Normsetzungsverfahren strikt geprüft und eine Gesetzesfolgenabschätzung vorgenommen werden 415. Im Rahmen der Funktionalreform solle überdies jeder Rechtsbereich auf Vereinfachungspotenziale überprüft werden. Jedes Ressort habe deshalb seine Gesetze und Verwaltungsvorschriften mit dem Ziel einer deutlichen Normreduzierung zu evaluieren. Mit der Federführung bei der Deregulierung sollte das Justizministerium betraut werden. Überdies wurde die Berufung einer Reformkommission aus Sachverständigen und Vertretern gesellschaftlicher Gruppen angekündigt, die den Reformprozess beratend begleiten solle 416.
über hinaus unterrichtete die Landesregierung den Landtag am 26. 08. 2003 über den Zwischenstand der Vorbereitungen zur Funktionalreform (LTDrs 4/717). 412 Dazu näher § 16 A. 413 Zur weiteren Entwicklung siehe § 17. 414 Landtag M-V, LTDrs 4/205, S. 9 ff. 415 Landtag M-V, LTDrs 4/205, S. 7. 416 Landtag M-V, LTDrs 4/205, S. 15.
426 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
B. Einrichtung der „Kommission Deregulierung, Bürokratieabbau und Verwaltungsvereinfachung“ Zur Umsetzung der Ziele der Verwaltungsreform berief der Justizminister auf Grund von Kabinettsbeschlüssen vom 21.01. und 18. 02. 2003 eine Kommission sachverständiger Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Verwaltung und Justiz zur Unterstützung bei der Deregulierung (Bürokratieabbau und Verwaltungsvereinfachung). Diese solle Vorschläge zum Bürokratieabbau entwickeln. Die Kommission führte vom 21. 02. 2003 bis zum 31. 12. 2003 insgesamt 15 Sitzungen und eine zweitägige Klausurtagung durch. Am 14. 08. 2003 legte sie zunächst einen Zwischenbericht vor. I. Zwischenbericht der Kommission Der Zwischenbericht enthielt bereits zahlreiche Vorschläge zur unmittelbaren Umsetzung. Dazu gehörten Empfehlungen zur Einrichtung einer zentralen Normprüfstelle nebst Vorschlägen zur Weiterentwicklung der Vorschriftenprüfung zu einem Normencontrolling, die Befristung aller Vorschriften, Anregungen zum Ausbau der Gesetzesfolgenabschätzung, Vorschläge zum bereichsspezifischen Wegfall des Widerspruchsverfahrens sowie zur Überprüfung von Standards für die Kommunen. II. Erste Deregulierungsschritte der Landesregierung Auf der Basis dieses Zwischenberichts beschloss das Kabinett am 02. 09. 2003 erste Deregulierungsschritte 417. Hierzu gehörten die Einrichtung einer Normprüfstelle zum 01. 01. 2004 und der Auftrag an die Fachressorts, umfassend die Möglichkeit der Abschaffung von Widerspruchsverfahren in ihrem Zuständigkeitsbereich zu prüfen. Auch einigte man sich auf die grundsätzliche Befristung neuer Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie ein stufenweises Außerkrafttreten älterer Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften. Als Zielvorgabe nannte die Landesregierung die Senkung der Anzahl von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften um ein Drittel.
417 Vgl. 3. Deregulierungsbericht des Justizministers vom 28. 08. 2006; Landtag M-V, LTDrs 4/2401.
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427
III. Abschlussbericht der Kommission: Vorschläge zur Regelungsoptimierung Am 18. 12. 2003 legte die Deregulierungskommission ihren Abschlussbericht vor 418. Ziel der vorgeschlagenen Maßnahmen müsse es sein, die aus landesrechtlichen Regelungen entstehenden finanziellen und zeitlichen Belastungen für Bürger, Wirtschaft und Kommunen zu reduzieren, eine gute Qualität der staatlichen Leistungen zu sichern und damit den Standort Mecklenburg-Vorpommern zu stärken. Andererseits solle durch eine Vereinfachung von Verwaltungsverfahren auch eine finanzielle Entlastung für das Land erreicht werden 419. In den Mittelpunkt stellte die Kommission das sog. „Konzept der Lebenslagen“. Nicht die Organisationsstrukturen und Abläufe der Verwaltung dürften die Gestaltung von Verfahrensabläufen bestimmen, sondern die Frage, mit welchen Anliegen und aus welcher Lebenssituation der Bürger mit der Verwaltung in Kontakt trete und was geschehen müsse, diese Anliegen schnell, nachhaltig und qualitativ gut zu erledigen 420. Im Einzelnen unterbreitete die Kommission der Landesregierung eine Reihe von Vorschlägen, welche den weiteren Reformprozess prägen sollten. Landesregierung, Ministerien und Landtag haben in der Folgezeit eine Vielzahl der Empfehlungen aufgegriffen und zum Teil in konkrete Regelungen umgesetzt. 1. Errichtung einer zentralen Normprüfstelle Ein prioritäres Anliegen der Kommission war die Errichtung einer zentralen Normprüfstelle, welche bestehende Vorschriften überprüft und neue Vorschriften während ihrer Entstehung kritisch hinterfragt 421. Sie solle dazu beitragen, bisherige Defizite bei der Prüfung von Gesetzesvorhaben und Verwaltungsvorschriften zu beheben. Die Normprüfstelle wurde – anders als von der Kommission vorgeschlagen – nicht bei der Staatskanzlei, sondern zunächst als Stabsstelle im Justizministerium eingerichtet und nahm ihre Arbeit am 01. 01. 2004 auf 422. Sie hat dem Landtag bisher zwei Arbeitsberichte vorgelegt 423. Seit dem 01. 01. 2007 ist das Innenministerium für die Vereinfachung von Landesgesetzen und Rechtsverordnungen zuständig. Grund dafür war der Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD, der eine Zusammenlegung der Deregulierungs- und Normprüfstelle vorsah. Die Normprüfstelle ist seitdem beim Innenministerium angesiedelt 424. 418 Landtag M-V, LTDrs 4/1013 vom 23. 02. 2004. Die wesentlichen Inhalte sind zusammengefasst bei Christiansen / Voß, LKV 2004, S. 529. 419 Landtag M-V, LTDrs 4/1013, S. 12; Christiansen / Voß, LKV 2004, S. 529. 420 Landtag M-V, LTDrs 4/1013, S. 13. 421 Landtag M-V, LTDrs 4/1013, S. 14 ff. 422 Vgl. insofern die Geschäftsordnung der Normprüfstelle ABl. MV 2004, S. 271. 423 Landtag M-V, LTDrs 4/1814 sowie LTDrs 4/2253.
428 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
Die Kommission verzichtete auf eine quantitative Vorgabe zur Reduzierung des landesrechtlichen Normbestands und schlug stattdessen die Weiterentwicklung des Normprüfungsverfahrens in Hinblick auf ein sog. „Normen-Controlling“ vor 425. Durch die Institutionalisierung eines Normprüfungsverfahrens müsse gewährleistet werden, dass in Zukunft nur unbedingt notwendige Rechtsund Verwaltungsvorschriften entstünden. Nur so könne jedenfalls das weitere Anwachsen landesrechtlicher Vorschriften verhindert werden 426. Die Normprüfstelle müsse deshalb die Notwendigkeit, Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit, Verständlichkeit und Rechtsförmlichkeit von Vorschriften sowie ihre Auswirkungen auf Frauen und Männer (Gender Mainstreaming) und ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen. 2. Befristung aller Vorschriften Die Überprüfung der Notwendigkeit von Rechtsvorschriften sollte nach Auffassung der Kommission in regelmäßigen Abständen wiederholt werden. Deshalb seien neue Vorschriften von vorneherein nur für einen begrenzten Zeitraum zu erlassen und sollten danach automatisch außer Kraft treten, wenn nicht ausdrücklich eine Verlängerung beschlossen werde. Mit einer solchen Wegfallklausel könne erreicht werden, dass bei allen Vorschriften vor Ablauf der Frist ihre Weitergeltung als Ganzes und im Detail hinterfragt werde. Mittlerweile macht Mecklenburg-Vorpommern von diesem Vorschlag in großem Umfang Gebrauch und befristet eine Vielzahl neu erlassener Vorschriften 427. In Umsetzung der Kommissionsempfehlungen beschloss die Landesregierung überdies einen Stufenplan zum Außerkraft-Treten von Rechtsvorschriften im Rang unter formellen Landesgesetzen. So traten bzw. treten alle vor dem 31. 12. 1994 erlassenen Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften zum 31. 12. 2004, alle bis zum 31. 12. 1999 erlassenen Vorschriften zum 31. 12. 2005 und alle nach dem 31. 12. 1999 erlassenen Regelungen 5 Jahre nach ihrem Erlass außer Kraft, soweit sie nicht zuvor ausdrücklich als fortgeltend bestimmt worden sind. Die einzelnen Ressorts begannen bereits im Jahr 2003 mit der Aufhebung von Regelungen, überwiegend allerdings unveröffentlichter Verwaltungsvorschriften 428. Da aber gleichzeitig sieben Gesetze, 50 Verordnungen und 301 veröffentlichte
424
Näher zur Tätigkeit der Normprüfstelle § 18 B I. Landtag M-V, LTDrs 4/1013, S. 17 ff. 426 Allein die Existenz der Normprüfstelle könne eine Präventivwirkung entfalten und eine deutliche Verhaltensänderung in den Behörden bewirken; vgl. Christiansen / Voß, LKV 2004, S. 529 (530). 427 Zur Kritik an der sog. „sunset legislation“ eingehend bereits § 7 A II 8. 428 Zur Entwicklung des Normbestands in Mecklenburg-Vorpommern § 18 C. 425
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Verwaltungsvorschriften neu erlassen wurden 429, erhöhte sich der Vorschriftenbestand im Jahre 2003 noch einmal um 8%. 3. Erweiterte Gesetzesfolgenabschätzung Empfohlen wurde zudem eine „Erweiterte Gesetzesfolgenabschätzung“ unter Berücksichtigung der jeweils wahrscheinlichen Folgen und Nebenfolgen, wozu auch die eingehende Prüfung der Kostenfolgen auf Seiten des Normgebers und des künftigen Normadressaten gehöre. Verfahren einer wirksamen Kostenfolgenabschätzung sollten zunächst in einem Modellprojekt erprobt werden 430. 4. Wegfall von Widerspruchsverfahren Das Expertengremium unterbreitete überdies Vorschläge zur Reform des Widerspruchsverfahrens 431. Die mit der Änderung des § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO durch das 6. VwGOÄndG eröffneten Möglichkeiten bezüglich eines Ausschlusses des Widerspruchsverfahrens 432 seien dem Landesgesetzgeber offenbar noch nicht hinreichend bewusst. Unter sorgfältiger Prüfung der Einzelbereiche solle überlegt werden, in welchen Bereichen ein Widerspruchsverfahren entbehrlich sei und sich daher die Chance biete, Verwaltungsverfahren abzukürzen. Die Kommission mahnte die Ministerien an, erste konkrete Schritte zur Verfahrensbeschleunigung einzuleiten und Erfahrungen mit dem Wegfall des Widerspruchsverfahrens zu sammeln. Die Ressorts wurden aufgefordert, flächendeckend alle Gesetze auf die Notwendigkeit eines Vorverfahrens zu überprüfen und Dauer, Fallzahlen und Erfolgsaussichten der Widerspruchsverfahren, Personal- und Verwaltungsaufwand, sowie Zahl und Erfolgsquoten der Widersprüche und Klagen zusammenzustellen. Als „zentrales Element zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren“ schlug die Kommission die Schaffung einer Optionsmöglichkeit für die sofortige verwaltungsgerichtliche Klage und die probeweise Abschaffung des Widerspruchsverfahrens im Baugenehmigungsverfahren ab dem 01. 01. 2005 vor. Die Empfehlungen der Kommission wurden von der Landesregierung zügig umgesetzt 433 und führten im Juli 2005 zur Einführung des – zum damaligen Zeitpunkt bundesweit einmaligen – optionalen Widerspruchsverfahrens nach Maßgabe des § 13a AGGStrG M-V 434. 429
Vgl. die Aufstellungen der Ressorts in Anlage 6 und 7 des Abschlussberichts. Landtag M-V, LTDrs 4/1013, S. 26 f. Zu Gesetzesfolgenabschätzung und Bürokratiekostenmessung auf Bundesebene vgl. § 8 B und D. Zu den Aktivitäten in Mecklenburg-Vorpommern siehe § 18. 431 Landtag M-V, LTDrs 4/1013, S. 28. 432 Siehe oben § 9 F II. 433 Zu Einzelheiten vgl. Beschluss der Landesregierung vom 02. 09. 2003; Abschlussbericht, Anlage 4. 430
430 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
5. Standardabbau Ein weiterer Schwerpunkt der Verwaltungsreform müsse die Überprüfung sowie der Abbau von rechtlich normierten Standards sein 435. Bedeutsam sei dies etwa im Bauordnungsrecht, wo man die Reduzierung präventiver Kontrollen anmahnte. Mittlerweile ist der von der Kommission geforderte Standardabbau in der zum 01. 09. 2006 in Kraft getretenen neuen LBauO M-V realisiert worden. Auch in den vier Deregulierungsgesetzen des Landes bildete er einen Regelungsschwerpunkt 436. 6. Vereinfachung und Beschleunigung von Genehmigungs- und Überwachungsverfahren Der Abschlussbericht enthielt zahlreiche Vorschläge zur Vereinfachung und Beschleunigung von Genehmigungs- und Überwachungsverfahren 437. Wesentliche Kritikpunkte an den Verwaltungsverfahren seien ihre Dauer, die Kompliziertheit der Antragsunterlagen, die nachträgliche Anforderung ergänzender Unterlagen und die bei komplexen Vorhaben häufig erforderliche Antragstellung bei verschiedenen Stellen an unterschiedlichen Orten. Die Vereinfachung und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren sei daher von zentraler Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Im Einzelnen machte die Kommission folgende Vorschläge: − Genehmigungsverfahren aus einer Hand: Im Mittelpunkt aller Verwaltungsabläufe müsse der Gedanke des „kundenorientierten“ Verwaltungsverfahrens stehen. Die Verfahrensabläufe dürften nicht mehr primär aus Sicht der Verwaltung gestaltet und bewertet werden. Vielmehr sei ein Genehmigungsverfahren zu entwickeln, welches den „Kunden“ nicht mehr von einer Stelle zur anderen hin und her“ schicke und ihm statt dessen – möglichst bei einer Anlaufstelle – einen weniger zeitintensiven „Service aus einer Hand“ biete 438. − Verstärkte Bündelung und Abstimmung der Aktivitäten von Behörden: Ein wesentlicher Schritt zur Verfahrensvereinfachung sei auch die verstärkte Bündelung und Abstimmung der Behördenaktivitäten in komplexen Verwaltungsverfahren. Ausgehend von den bereits in § 71a bis e VwVfG M-V (in der bis zum 4. VwVfG M-V ÄndG geltenden Fassung) vorgesehenen Möglichkeiten 434
Ausführlich bereits § 9 F III 3. Landtag M-V, LTDrs 4/1013, 33 ff. Zum Scheitern des Standardöffnungsgesetz oben § 14 B. 436 Näher § 16 C. 437 Landtag M-V, LTDrs 4/1013, S. 51 ff. Zusammenfassend Christiansen / Voß, LKV 2004, S. 529 (531 ff.). 438 Dazu auch Lindner, BayVBl 2004, S. 225 (231) und Dietz, DÖV 2005, S. 772. 435
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der Verfahrensbeschleunigung investitionsrelevanter Genehmigungsverfahren sei eine stärkere Benutzung dieser Möglichkeiten in der Praxis sowie eine Verpflichtung zur Durchführung eines Sternverfahrens und einer Antragskonferenz wünschenswert 439. Wenig zielführend sei dagegen die Idee des sog. „Behördenlotsen“ 440, der den Antragsteller durch komplexe Genehmigungsverfahren führe. Priorität müsse ein Verfahren haben, welches einen speziellen Lotsen durch ein unproduktives und zersplittertes Verfahren entbehrlich mache 441. − Wiedereinführung der Konzentrationswirkung der Baugenehmigung: Überdies mahnte die Kommission eine begrenzte Konzentrationswirkung der Baugenehmigung an. Dieser Vorschlag wurde in der LBauO M-V umgesetzt 442. − Abbau von behördlichen Mitwirkungsregelungen: Angeregt wurde überdies der Abbau der zahlreichen Einvernehmens- und Benehmensregelungen in komplexen Verwaltungsverfahren. Entsprechende Vorschläge hat der Landesgesetzgeber in den Deregulierungsgesetzen umgesetzt 443. − Einführung von „Vollständigkeits- und Genehmigungsfiktionen: Breiten Raum widmet der Abschlussbericht der von zahlreichen Antragstellern als besonders störend empfundenen Praxis einer schrittweisen und zeitintensiven Nachforderung von Antragsunterlagen 444. Kontrovers diskutiert wurde in diesem Zusammenhang insbesondere die Einführung einer sog. Vollständigkeitsfiktion 445 und die Erweiterung von Genehmigungsfiktionen im Verwaltungsrecht 446. 7. Sonstige Vorschläge Daneben schlug die Kommission der Landesregierung eine weitere Aufgabenübertragung auf Private, nachgeordnete Behörden und Kommunen, die Vereinfachung des Vergaberechts, die Überprüfung der Durchführung von Förderprogrammen aller Art, die Verringerung von Statistikpflichten 447, die Deregulierung 439
Die Vorschläge hat der Gesetzgeber vor allem im 2. DeregG aufgegriffen; vgl. unten 16 C II. 440 Zum sog. „Genehmigungsagenten“ Dietz, DÖV 2005, S. 772 (776). 441 Christiansen / Voß, LKV 2004, S. 529 (531). 442 Landtag M-V, LTDrs 4/1013, S. 53 ff. Eingehend unten § 19 A III. 443 Näher § 16 C. 444 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 4/1013, S. 59 ff. 445 Dabei wird nach Ablauf einer gesetzlich zu bestimmenden Frist angenommen, dass die Antragunterlagen vollständig sind. 446 Hier gelangte die Kommission nicht zu einem abschließenden Urteil. Näher LTDrs 4/1013, S. 61 f. und Christiansen / Voß, LKV 2004, S. 529 (531). Als Kompromissvorschlag wurde die weitere Erprobung in Modellversuchen empfohlen. Zur grundsätzlichen Problematik § 19 B III.
432 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
durch Binnenmodernisierung sowie die Weiterentwicklung der LARIS-Datenbank vor 448. IV. Weitere Deregulierungsschritte der Landesregierung Die Landesregierung nahm den Abschlussbericht der Deregulierungskommission am 03. 02. 2004 zur Kenntnis und beschloss eine Vielzahl weiterer Zielvorstellungen, Deregulierungsmaßnahmen und Arbeitsaufträge für die einzelnen Fachressorts. Hierzu gehörten unter anderem Überlegungen zum Abbau von Personal- und Sachstandards und ihre Ersetzung durch Zielvorgaben, die Begleitung des Modellprojekts „Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg“ 449, der Abbau von Behördenbeteiligungen, die Absichtserklärung einer „1:1-Umsetzung“ von Europa- und Bundesrecht, die bereichsspezifische Beschleunigung und Vereinfachung von Antrags- und Genehmigungsverfahren, die Novellierung und Vereinfachung des Bauordnungsrechts, der Abbau von Statistikpflichten und die Optimierung des Landesrechtsinformationssystems (LARIS).
C. Grundkonzeption einer umfassenden Verwaltungsmodernisierung Am 30. 03. 2004 beauftragte der Ministerpräsident den Innenminister, die für die Kreisneubildung erforderlichen Gesetzentwürfe nach dem Prinzip der Einräumigkeit der Verwaltung mit dem Grundsatz umfassender Planungs-, Entscheidungs- und Kontrollaufgaben dem Landtag bis April 2005 zur abschließenden Entscheidung vorzulegen. Anfang Mai 2004 beschloss der Landtag sodann auf Antrag der Koalitionsfraktionen SPD und PDS eine Grundkonzeption einer umfassenden Verwaltungsmodernisierung. Hierin wurden Ziele, Grundsätze und Maßnahmen der Verwaltungsreform dargestellt und Schritte zu deren Umsetzung skizziert. Das Konzept hob als entscheidenden Maßstab der Verwaltungsreform die „nachhaltige Verbesserung der Qualität der öffentlichen Verwaltung vor allem durch die Stärkung der Selbstverwaltung in den Gemeinden und Kreisen“ hervor. Zu diesem Zwecke müsse die Verwaltung „verschlankt und dezentralisiert“ werden. Mecklenburg-Vorpommern brauche eine „zukunftsfähige, effiziente und 447
Zu entsprechenden Aktivitäten auf Bundesebene bereits § 8 E II. LARIS – www.landesrecht-mv.de – ermöglicht einen kostenlosen Zugang zu Gesetzen und Rechtsverordnungen des Landes. Auch Verwaltungsvorschriften und veröffentlichte Entscheidungen der Gerichte des Landes können seit dem 01. 03. 2010 recherchiert werden. 449 Dazu ausführlich § 16 C I 1. 448
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finanzierbare öffentliche Verwaltung mit klaren Verwaltungsstrukturen, mehr Bürgernähe und kraftvoller kommunaler Selbstverwaltung“ 450. Als Ziele der Verwaltungsreform wurden u. a. die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, die Steigerung der Leistungsfähigkeit der Verwaltung einschließlich der Organisation, der Verfahrens- und Entscheidungsabläufe und des Personals, effiziente Behördenstrukturen, Verminderung der Kosten öffentlicher Dienstleistungen durch Aufgabenkritik, die Schaffung möglichst transparenter, einfacher Verwaltungsstrukturen mit klarer Zuordnung von Kompetenz und administrativer sowie politischer Verantwortung, der Abbau bürokratischer Hemmnisse durch Deregulierung und Aufgabenkritik, die Verbesserung der Bürgernähe möglichst aller Dienstleistungen des öffentlichen Sektors durch Vereinfachung und Verkürzung der Entscheidungsstrukturen, eine verstärkte Ergebnis- und Kundenorientierung des Verwaltungspersonals sowie das Angebot einer einzigen Anlaufstelle für Bürger und Unternehmer genannt 451. Mit Blick auf die Umsetzung der Ziele wurden bestimmte Grundsätze entwickelt. Diese waren die Sicherung und Stärkung des kommunalen Ehrenamts, die Einräumigkeit der Verwaltung, die Aufgabenübertragung von oben nach unten, die demokratische Legitimation kommunaler Verwaltungsträger sowie das Prinzip der Einheit der Verwaltung (Bündelung von Aufgaben und Verantwortung soweit wie möglich bei einer Behörde bei Vermeidung von Doppelzuständigkeiten und überflüssigen Mitwirkungshandlungen). Als Maßnahmen zur Verwaltungsmodernisierung skizzierte das Konzept „neben generellen Vorhaben der Deregulierung, der Nutzung der Instrumente des eGovernments und der permanenten Organisationsoptimierung aufgrund von Aufgabenkritik“ 452 die Neuordnung von Aufgabenstruktur, Zuständigkeiten sowie Aufbau- und Ablaufstruktur der Landesregierung, die Reduzierung der Ministerien sowie der Landesoberbehörden, die Überleitung geeigneter Vollzugsaufgaben auf die kommunale Ebene sowie die sachgerechte Auflösung unterer Landesbehörden. Nähere Ausführungen enthielt das Papier überdies zu den Grundsätzen der Funktionalreformen I (Kommunalisierung bisheriger Landesaufgaben) und II (Neuverteilung der Aufgaben auf kommunaler Ebene), der Kreisgebietsreform (deutliche Vergrößerung der Kreisstrukturen, Bildung von Regionalkreisen) und der Schaffung zukunftsfähiger Strukturen für die Gemeinden und Ämter. In dem Strategiepapier fand sich schließlich ein grober und perspektivischer Zeitplan zur stufenweisen Umsetzung des Verwaltungsmodernisierungskonzepts bis zur Kommunalwahl 2009 453.
450 451 452 453
Landtag M-V, LTDrs 4/1184, S. 1. Landtag M-V, LTDrs 4/1184, S. 2. Landtag M-V, LTDrs 4/1184, S. 3. Im einzelnen Landtag M-V, LTDrs 4/1184, S. 7.
434 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
D. Neuordnung der Ämter- und Gemeindeebene durch die Fünfte Kommunalrechtsnovelle I. Wesentlicher Inhalt Der im September 2002 neu gewählte 4. Landtag begann relativ schnell mit der Umsetzung der Empfehlungen der Enquetekommission „Zukunftsfähige Gemeinden und Gemeindestrukturen in Mecklenburg-Vorpommern“ 454. Im März 2003 brachte die CDU-Fraktion einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der Empfehlungen der Enquetekommission in den Landtag ein 455, dem am 11. 06. 2003 ein wesentlich umfangreicherer Gesetzesentwurf der regierenden SPD / PDSKoalition 456 folgte. Nach intensiver parlamentarischer Beratung 457 wurde die Fünfte Kommunalrechtsnovelle vom Landtag am 28. 01. 2004 beschlossen und am 03. 03. 2004 verkündet 458. Das Gesetz übernahm weitgehend die von der Enquetekommission unterbreiteten Vorschläge. Eine „1:1-Umsetzung“ der Empfehlungen der Enquetekommission war der neu in die Kommunalverfassung eingefügte § 1 Abs. 3 KV M-V. Danach sollen Gemeinden nicht weniger als 500 Einwohner haben. Auch die Änderungen in der Amtsordnung (§ 125 Abs. 3 und 4 KV M-V), wonach Ämter nunmehr in der Regel 8.000, mindestens jedoch 6.000 Einwohner haben sollen und nur noch Gemeinden mit mehr als 5.000 (statt bisher 3.000) Einwohner amtsfrei verwaltet werden können 459, gehen auf entsprechende Anregungen der Kommission zurück. Die Fülle der weiteren Änderungen des Gesetzes 460 können im Rahmen dieser Untersuchung nicht detailliert dargestellt werden. Erwähnt sei lediglich, dass der angekündigte Beitrag der Novelle zur beginnenden Deregulierungsdiskussion im Land bescheiden blieb 461. Zudem stand die Verabschiedung des Gesetzes bereits im Schatten der von der SPD / PDS-Regierung angekündigten erneuten Kreisgebietsreform und der geplanten Zusammenlegung der 12 Landkreise und 6 kreisfreien Städte zu vier (im Dezember 2003 dann 5) neuen 454
Zu dieser oben § 14 A. Landtag M-V, LTDrs 4/326. 456 Landtag M-V, LTDrs 4/527. 457 Hubert Meyer, LKV 2004, S. 241 (242). 458 GVOBl. M-V 2004, S. 61. 459 Die bisher amtsfrei verwalteten Gemeinden mit mehr als 3000, aber weniger als 5000 Einwohner bleiben jedoch gem. § 125 Abs. 4 Satz 2 KV M-V amtsfrei, soweit die übrigen Voraussetzungen nach § 125 Abs. 4 Satz 1 KV M-V vorlagen. Geändert wurde im Übrigen auch die „lex Hiddensee“ in § 125 Abs. 5 KV M-V, der nunmehr auch auf das seinerzeit 3200 Einwohner, aber ca. 2 Millionen Gästeübernachtungen aufweisende Ostseeheilbad Zingst Anwendung findet. 460 Überblick bei Hubert Meyer, LKV 2004, S. 241 (245 ff.). 461 Einzelheiten bei Hubert Meyer, LKV 2004, S. 241 (245). 455
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Regionalkreisen, die 2006 mit dem Verwaltungsmodernisierungsgesetz für das Jahr 2009 beschlossen, vom Landesverfassungsgericht im Juli 2007 aber für verfassungswidrig erklärt wurde 462. Nach einer weiteren Änderung der Kommunalverfassung, welche die Mindeststärke von Fraktionen in Gemeindevertretungen und Kreistagen betraf 463, wurde die Kommunalverfassung am 08. 06. 2004 neu bekannt gemacht 464. II. Straffung der örtlichen Verwaltungsstrukturen als Ergebnis der Reform Der mit der Einsetzung der Enquetekommission am 30. 06. 2000 beginnende Reformprozess führte innerhalb von nur 4 ½ Jahren zu einer erheblichen Straffung der Verwaltungsstrukturen auf örtlicher Ebene 465. Gab es am 30. 06. 2000 noch 118 Ämter und 57 amtsfreie Gemeinden, war die Zahl zum 01. 01. 2005 durch weitgehend auf freiwilliger Basis vollzogene Fusionen 466 auf 79 Ämter und 34 amtsfreie Gemeinden gesunken 467. 29 Ämter bedienten sich dabei des Modells der sog. geschäftsführenden Gemeinde nach § 126 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 KV M-V, demzufolge eine größere amtsangehörige Gemeinde aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Vertrages die Verwaltung des Amtes übernimmt 468. Die Landesregierung förderte die Neugliederung auf örtlicher Ebene im Rahmen einer gesetzlich verankerten Freiwilligkeitsphase von 1997 bis 2004 auf Grundlage von § 10 Abs. 3 Satz 3 und 4, Abs. 4 Satz 2 und 3 FAG M-V i.V. m. der Landesverordnung über die Gewährung von Zuweisungen bei der Auflösung von Gemeinden und der Neubildung von Ämtern vom 20. 04. 2000 469 mit einem „Hochzeitsgeld“ in Höhe von 150.000 DM (77.000 €) je aufgelöster Gemeinde. Die Zuweisung an den Rechtsnachfolger wurde einmalig um einen Betrag von 500.000 DM (256.000 €) erhöht, wenn infolge der Gebietsänderung zugleich das Amt, dem die Gemeinden angehörten, aufgelöst wurde 470. Allerdings wur462
Ausführlich unten § 17. 6. ÄndG KV M-V vom 24. 05. 2004, GVOBl. M-V, S. 179. 464 GVOBl. M-V, S. 205. 465 Umfassendes statistisches Material findet sich in Landtag M-V, LTDrs 5/732. 466 Vor allem das Jahr 2004 war wegen der am 31. 12. 2004 endenden Freiwilligkeitsphase durch eine Vielzahl von Ämterneubildungen geprägt. Auch die Amtsfreiheit der Gemeinde Hiddensee endete zum 31. 12. 2005; vgl. Verordnung vom 22. 12. 2004; GVOBl. M-V, S. 580. 467 1997 gab es noch 122 Ämter und 54 amtsfreie Gemeinden; vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/732, S. 38. 468 Übersicht zu den geschäftsführenden Gemeinden in Landtag M-V, LTDrs 5/732, S. 40. 469 GVOBl. M-V, S. 195. 470 Zu den Erfahrungen mit dieser Freiwilligkeitsphase Landtag M-V, LTDrs 5/732. 463
436 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
den nicht alle Strukturänderungen auf freiwilliger Basis vollzogen; gegen die zwangsweise verfügten Ämterfusionen wurden insgesamt 10 gerichtliche Verfahren angestrengt 471. Insgesamt sank die Zahl der hauptamtlichen Verwaltungen von 2000 bis 2005 von 175 auf 113. Die durchschnittliche Einwohnerzahl pro Amt stieg von 6.264 im Jahre 2000 auf 10.832 am 30. 06. 2006 und übertraf den durch § 125 Abs. 4 KV M-V vorgegebenen Richtwert deutlich. Immerhin 19 Ämter (24,4 %) unterschritten am 31. 12. 2009 allerdings die vorgegebene Richtzahl von 8.000 Einwohnern 472. Die Ausnahmestellung dieser kleinen Ämter, die prinzipiell den Regelungen der Kommunalverfassung widersprechen und deshalb nur in begründeten Einzelfällen unter Abwägung aller maßgeblichen Gründe des öffentlichen Wohls zugelassen wurden, rechtfertigt sich aus unterschiedlichen Gründen 473. Ämter unter 6.000 Einwohnern bestanden am 30. 06. 2006 nicht mehr. Alle am 30. 06. 2000 bestehenden 63 Ämter unter 6.000 Einwohner hatten sich zu diesem Zeitpunkt aufgelöst oder in ihrer Struktur vergrößert 474. Bemerkenswert ist schließlich, dass insgesamt 31 von 79 Ämtern, also ca. 40 %, über mehr als die in § 125 Abs. 3 Satz 4 KV M-V geforderte Richtzahl von zehn Gemeinden verfügten. Spitzenreiter waren hier die Ämter Anklam-Land mit 28 und RöbelMüritz mit 25 Mitgliedsgemeinden 475. Die Zahl der Gemeinden mit weniger als 500 Einwohnern sank von 513 im Jahre 1997 auf 298 am 31. 12. 2009 und damit um mehr als 40%. Allerdings verfügen 576 der 817 Gemeinden (70,5 %) über weniger als 1.000 Einwohner, 114 Gemeinden haben 1.000 bis 2.000 Einwohner, 36 Gemeinden zwischen 2.000 und 3.000 Einwohner. 39 Gemeinden besitzen 3.000 bis 5.000 Einwohner, 28 Gemeinden 5.000 bis 10.000 Einwohner, 15 Gemeinden 10.000 bis 20.000 Einwohner, 4 Gemeinden 20.000 bis 50.000 Einwohner, 4 Gemeinden 50.000 bis 100.000 Einwohner und einzig Rostock verfügte am 31. 12. 2009 mit 201.442 über mehr als 100.000 Einwohner 476. An der kleinteiligen Gemeindestruktur hat sich also nichts Grundlegendes geändert 477. Immerhin noch elf der insgesamt 34 amtsfreien Gemeinden wiesen am 31. 12. 2009 weniger als die von § 125 Abs. 4 Satz 1 KV M-V geforderten 5000 Einwohner auf 478. 471
Zu den Einzelheiten Landtag M-V, LTDrs 5/732, 49 (Anlage 12). Die kleinsten Ämter (Stand: 31. 12. 2009) sind Neuburg im Landkreis Nordwestmecklenburg mit 6.065, Gnoien im Landkreis Güstrow mit 6.381 und Peenetal / Loitz im Landkreis Demmin mit 6.695 Einwohnern. Die größten Ämter sind Bergen auf Rügen (21.979 Einwohner), Ribnitz-Damgarten im Landkreis Nordvorpommern (19.276 Einwohner) und das Amt Schönberger Land im Landkreis Nordwestmecklenburg mit 18.246 Einwohnern. Zahlen nach Statistisches Amt M-V, Statistisches Jahrbuch 2010, S. 454 ff. 473 Näher Landtag M-V, LTDrs 5/732, S. 9 f. 474 Landtag M-V, LTDrs 5/732, S. 8. 475 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/732, S. 12 f; 41. 476 Zahlen nach Statistisches Amt M-V, Bevölkerungsentwicklung der Kreise und Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern 2009, S. 5. 472
§ 15 Verwaltungsreform wird zum „Überlebensthema“ – 2003 und 2004
437
Am 01. 01. 2005 fand die Straffung der örtlichen Strukturen ihren vorübergehenden Abschluss. Die gesetzlichen Vorgaben zur Ämterstrukturreform waren bis dahin flächendeckend umgesetzt. Aktuelle Handlungsbedarfe in Bezug auf die Ämterstruktur stellte die Landesregierung in ihrem Bericht vom 27. 07. 2007 nicht fest, kündigte aber ab Mitte 2009 eine grundlegende Evaluierung der örtlichen Strukturen an. Derzeit beschäftigt sich die vom Landtag eingesetzte Enquetekommission „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“ mit der Weiterentwicklung der örtlichen Verwaltungsstrukturen im Allgemeinen und der Zukunft der Amtsverfassung im Besonderen. Ein Abschlussbericht wird noch für das Frühjahr 2011 erwartet. Die Diskussion steht auch unter dem Eindruck eines Urteils des Landesverfassungsgerichts Schleswig-Holsteins vom 26. 02. 2010 479, das die Regelungen über die Zusammensetzung der Amtsausschüsse (§ 9 der Amtsordnung von Schleswig-Holstein 480) aufgrund des stetig wachsenden Aufgabenbestandes der Ämter für nicht mehr verfassungsgemäß erklärte. Die bloß mittelbare demokratische Legitimation der Amtsausschüsse sei nicht mehr ausreichend, bis spätestens zum 31. 12. 2014 müsse die verfassungswidrige Rechtslage durch eine Neuregelung beseitigt werden. Das – in der Literatur lebhaft diskutierte 481 – Urteil ist aufgrund unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Ausgangslagen 482 zwar nicht unmittelbar auf Mecklenburg-Vorpommern übertragbar. Dennoch ist die nur mittelbare demokratische Legitimation der nach § 132 KV M-V zusammengesetzten Amtsausschüsse angesichts der gem. § 127 Abs. 4 KV M-V inhaltlich unbeschränkten Möglichkeit der Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter auch in Mecklenburg-Vorpommern nicht unproblematisch 483. In der politischen Debatte wird derzeit nicht nur über die Stärkung der demokratischen Legitimation der Ämter, sondern zumindest in mittelfristi477
Nach einem bundesweiten statistischen Vergleich ist die Zahl der Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern bezogen auf die Zahl der Einwohner nach Rheinland-Pfalz am höchsten. Auch der Bevölkerungsanteil, der in Gemeinden bis zu 500 Einwohnern lebt, ist der zweithöchste in Deutschland; vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/732, S. 48. 478 Die kleinsten sind die touristisch geprägten Gemeinden Boltenhagen (2.532 Einwohner), Insel Poel (2.710 Einwohner) und Ostseeheilbad Zingst (3.185 Einwohner). Weitere amtsfreie Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnern sind Dargun, Feldberger Seenlandschaft, Graal-Müritz, Lübtheen, Marlow, Neubukow, Putbus und Süderholz. 479 SchlHVerfG, Urteil vom 26. 02. 2010 – LVerfG 1/09 = NVwZ 2010, S. 834 (L). 480 I. d. F. der Bekanntmachung vom 28. 02. 2003 (GVOBl. Schl.-H., S. 112), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. 03. 2009; GVOBl. Schl.-H., S. 93). 481 Vgl. (mit kritischer Grundtendenz) Engelbrecht / Schwabenbauer, DÖV 2010, S. 916; Ernst, NVwZ 2010, S. 816. 482 Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 Verf Schl.-H. müssen auch die Gemeindeverbände, zu denen das Schl.-H. VerfG die Ämter zählt, gewählte Vertretungen haben, während in Mecklenburg-Vorpommern nach Art. 72 Abs. 2 Satz 1 LVerf M-V das Volk nur in den Gemeinden und Kreisen eine Vertretung haben muss, die gem. Art. 3 Abs. 3 LVerf M-V unmittelbar zu wählen ist. Vgl. zur Problematik auch Landtag M-V, LTDrs 5/3336 sowie Kurzprotokoll der 51. Sitzung der Enquetekommission „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“ vom 26. 03. 2010.
438 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
ger Perspektive auch darüber nachgedacht, an Stelle der Ämter Samtgemeinden nach niedersächsischem Vorbild oder Einheitsgemeinden zu bilden. Einen nahezu aktuellen Stand der Verwaltungsstrukturen auf örtlicher Ebene gibt die am 24. 05. 2007 in Kraft getretene Landesverordnung zur Bildung von Ämtern und zur Bestimmung der amtsfreien Gemeinden 484 wieder. Mit der Außerkraftsetzung aller sonstigen die Bildung, Auflösung und Neubildung von Ämtern betreffenden Verordnungen – das waren nicht weniger als sechs Landesverordnungen und 68 Änderungsverordnungen – leistet die Regelung zudem einen Beitrag zur Rechtsklarheit.
E. Sonstige Reformgesetzgebung Daneben brachten die Jahre 2003 und 2004 eine Reihe weiterer neuer Gesetze. Von besonderer Bedeutung für die kommunale Selbstverwaltung war dabei das Zweite Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes vom 12. 09. 2003 485, welches auf die vom LVerfG M-V geäußerten Vorbehalte gegen die Beibehaltung der 5 %-Sperrklausel 486 im Kommunalbereich reagierte und diese mit Wirkung für die Kommunalwahl am 12. 06. 2004 abschaffte. Erwähnenswert ist auch das Gesetz zur Förderung der elektronischen Kommunikation vom 17. 12. 2003 487, welches den elektronischen Rechtsverkehr mit Verwaltung und Gerichten erleichtern sollte. Mit diesem Mantelgesetz wurden nach dem Vorbild des 3. VwVfÄndG 488 zahlreiche Fachgesetze, unter anderem das VwVfG M-V, geändert 489. Auch das gesamte Verwaltungszustellungsrecht (§§ 94 ff. VwVfG M-V) wurde für die elektronische Kommunikation geöffnet. Ebenfalls aus dem Bundesrecht übernahm man die Änderung des § 45 Abs. 2 VwVfG (zeitliche Begrenzung der Fehlerheilung bis zur letzten verwaltungsgerichtlichen Tatsacheninstanz). Mit der Aufhebung des Art. 34 FRG M-V durch Gesetz vom 16. 12. 2003 490 endete zudem die Bearbeitung der Widersprüche im Bereich 483 Siehe – unter besonderer Berücksichtigung der in weiten Teilen parallelen Rechtslage in Schleswig-Holstein – Schliesky / Ernst / Schulz, NordÖR 2010, S. 6. Dagegen erklärte das OVG Greifswald in seinem Urteil vom 16. 03. 1993, 4 K 1/92 (zit. nach juris) die Ämterstruktur für vereinbar mit der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung. Zu dieser Entscheidung Glaser, LKV 1996, S. 183. 484 Vom 25.042007; GVOBl. M-V, S. 197. 485 GVOBl. M-V, S. 442. Dazu Gentner, LKV 2004, S. 246. 486 LVerfG M-V vom 14. 12. 2000, LVerfGE 11, 306. 487 GVOBl. M-V 2004, 2. Zum eGovernment als Herausforderung für die Verwaltung oben § 9 B. 488 Vgl. bereits § 9 C VII. 489 Eine Vielzahl von Folgeänderungen betraf unter anderem §§ 33, 37, 39, 41, 42, 44, 45 und 53 VwVfG M-V. Am 26. 02. 2004 (GVOBl. M-V, 104) wurde das VwVfG M-V neu bekannt gemacht.
§ 16 Die Jahre 2005 und 2006
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des Umweltrechts durch das Umweltministerium. Diese wurde den StÄUN, den Landräten und Oberbürgermeistern der kreisfreien Städte übertragen. Im Naturschutzrecht galt es, gemeinschaftsrechtliche Vorgaben der sog. Zoo-Richtlinie 491 umzusetzen, was Mecklenburg-Vorpommern – bundesweit einmalig – zur Verabschiedung einem eigenständigen Zoogesetz veranlasste 492. Die im Mittelpunkt dieses Gesetzes stehende Zoogenehmigung war mit einer weitgehenden Konzentrationswirkung ausgestattet und schloss nach anderen Rechtsvorschriften erforderliche anlagenbezogenen Erlaubnisse, insbesondere Baugenehmigungen und solche nach dem Tierschutz- und dem Tierseuchengesetz, mit ein. Daneben legte die Landesverordnung über untere Umweltbehörden der Umweltverwaltung 493 die örtliche Zuständigkeit der fünf verbliebenen StÄUN fest. Zuständigkeitskonzentrationen gab es überdies in der Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit 494. Hohe Wellen schlug schließlich das Gesetz über Seilbahnen im (seilbahnlosen) Land Mecklenburg-Vorpommern 495.
§ 16 Die Jahre 2005 und 2006 – Binnenmodernisierung und Regelungsoptimierung durch Deregulierungsgesetze Die Jahre 2005 und 2006 standen ganz im Zeichen einer auf Binnenmodernisierung, Deregulierung und Bürokratieabbau konzentrierten Reformpolitik. Kernanliegen im Bereich der Binnenmodernisierung war die Schaffung der rechtlichen Rahmenbedingungen für eine wirkungsvolle Umsetzung des Prozesses der Verwaltungsmodernisierung sowie die Schließung von Regelungslücken im Organisationsrecht. Zudem sollte die unmittelbare Landesverwaltung nach den Vorstellungen der Landesregierung durch die Zusammenführung von Behörden erheblich gestrafft werden. Mit dem lange erwarteten Organisationsgesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern (dazu sogleich unter A.) und einschneidenden Reorganisationsmaßnahmen bei den oberen Landesbehörden (B.) konnten 2005 wichtige Reformprojekte in Bezug auf die interne Verwaltungsstruktur verwirklicht werden. Im Bereich der Regelungsoptimierung ragten das Fünfte 490
Umweltwiderspruchszuständigkeitsgesetz – UWZG M-V; GVOBl. M-V, S. 687. Richtlinie 1999/22/EG vom 29. 03. 1999; ABl. EG Nr. L 94, S. 24. 492 Vom 24. 06. 2004; GVOBl. M-V, 302. Näher Bugiel, in: Sauthoff / Bugiel / Göbel, NatSchAG M-V, Einleitung, Rn. 84 b. Das Gesetz trat durch Art. 23 des Gesetzes zur Bereinigung des Landesnaturschutzrechts vom 23. 02. 2010, GVOBl. M-V, S. 66 zum 01. 03. 2010 außer Kraft. 493 Vom 19. 04. 2004; GVOBl. M-V, S. 142. 494 Vgl. die Verordnungen vom 15. und 16. 12. 2004; GVOBl. M-V, S. 569 ff. 495 Vom 20. 07. 2004; GVOBl. M-V, S. 318. Dazu bereits § 8 C I. 491
440 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsstrukturgesetzes, welches das damals bundesweit singuläre sachgebietsspezifische Optionsmodell im Widerspruchsverfahren für bestimmte Rechtsbereiche in Form einer landesweiten Experimentierklausel einführte 496, sowie drei Gesetze zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau als wichtigste Reformprojekte heraus (C.). Für die zukünftige Strukturen auf kommunaler Ebene bedeutsam war das im April 2006 verabschiedete Gesetz zur Modernisierung der Verwaltung des Landes Mecklenburg-Vorpommern mit der für 2009 vorgesehenen Regionalkreisbildung, über das wegen der von ihm (bis heute) ausgehenden Wirkungen gesondert berichtet wird (§ 17).
A. Landesorganisationsgesetz Am 31. März 2005 trat mit dem Landesorganisationsgesetz (LOG M-V) 497 ein Regelungswerk in Kraft, mit welchem sich die politisch Verantwortlichen in Mecklenburg-Vorpommern bereits seit geraumer Zeit beschäftigt hatten. Schon Mitte der 1990er Jahre gab es Überlegungen, den Gesetzgebungsauftrag des Art. 70 Abs. 2 LVerf M-V durch ein umfassendes, für die unmittelbare und mittelbare Landesverwaltung geltendes Landesorganisationsgesetz zu erfüllen. Im Auftrag des Innenministeriums wurde 1995 und 1996 ein entsprechendes Forschungsprojekt an der DHV Speyer durchgeführt. Anfang März 1997 legte das Innenministerium sogar einen Referentenentwurf vor, der allerdings nicht zur Kabinettsreife gelangte 498. Erst mit dem Gesetzesentwurf der Landesregierung vom 30. 08. 2004 499 wurde ein erneuter, diesmal erfolgreicher Anlauf unternommen. Mit dem LOG M-V wurden die Allgemeinen Grundsätze der Verwaltungsorganisation, der Aufbau der unmittelbaren und der mittelbaren Landesverwaltung sowie Fragen der Aufsicht erstmals „in einem Guss“ geregelt. Die Zusammenfassung der bis dahin verstreut und wenig übersichtlich in verschiedenen Regelungswerken „versteckten“ Grundlagen des Verwaltungsorganisationsrechts war ein wichtiger Schritt, um die Verständlichkeit und Übersichtlichkeit dieser komplexen Materie zu verbessern und ermöglichte überdies das Außer-Kraft-Treten zahlreicher Vorschriften 500. Dem LOG M-V lagen die vom Kabinett am 496
Vom 05. 07. 2005; GVOBl. M-V, S. 307. Dazu bereits oben § 9 F III 3. Vom 14. 03. 2005; GVOBl. M-V, S. 98. 498 Eingehend John, Verwaltungsorganisation, mit einer Dokumentation und Analyse der Entwürfe vom Februar 1996, November 1996 und des Referentenentwurfs auf Seiten 192 ff. und 221 ff. 499 Landtag M-V, LTDrs 4/1306. Zur parlamentarischen Debatte vgl. Landtag M-V, LTDrs 4/1570. 497
§ 16 Die Jahre 2005 und 2006
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17. 09. 2004 beschlossenen Eckpunkte zum Aufbau der Landesverwaltung zu Grunde. Dazu zählten insbesondere: − Der Grundsatz des zweistufigen Verwaltungsaufbaus, wonach unterhalb der ministeriellen Ebene lediglich eine weitere Ebene mit Aufgaben des Verwaltungsvollzugs betraut sein sollte, bei der es sich entweder um den Landrat, eine untere staatliche Sonderbehörde oder eine obere Landesbehörde handeln konnte. − Der Grundsatz der Einheit der Verwaltung, wonach der Behördenaufbau in vertikaler und horizontaler Ebene gestrafft werden sollte. Die Verwaltungsaufgaben der Landesbehörden seien gebündelt wahrzunehmen, sofern dies die Effektivität und Effizienz der Aufgabenerfüllung fördere. Grundsätzlich sollte es in jedem Geschäftsbereich nur eine Landesoberbehörde geben. Ausgenommen wurden nur die Gerichtsbarkeit, die Staatsanwaltschaften, die Justizvollzugsanstalten, die Polizei, die Finanzverwaltung, die Forstverwaltung sowie die Hochschulen, Förderschulen und die landwirtschaftliche Fachschule, da in diesen Bereichen entweder bundesrechtliche Vorgaben bestanden oder Eigenheiten vorlagen, die einer Zusammenlegung mit anderen Dienststellen entgegenstanden. Ungeachtet dessen blieben aber auch diese Bereiche aufgefordert, ihre Binnenstruktur zu optimieren und ihre räumlichen Zuständigkeitsbereiche auf den Schnitt der geplanten Regionalkreise auszurichten. − Der Grundsatz der Einräumigkeit der Verwaltung: Für auf untere Landesbehörden übertragene oder bei ihnen verbliebene Verwaltungsaufgaben sollte die deckungsgleiche örtliche Zuständigkeit kommunaler Verwaltungsträger und der unteren Landesbehörden hergestellt werden, soweit diese einer zweckmäßigen Aufgabenerfüllung diene. − Der Grundsatz der ressortscharfen Zuordnung, mit dem vermieden werden sollte, dass Dienst- und Fachaufsicht über eine Behörde oder Behördenteile von verschiedenen Ministerien ausgeübt werden. − Die Ausgliederung von Aufgaben, die besser in anderen Organisationsformen ausgeübt werden können. Vorrang sollte nicht mehr eine echte Privatisierung, sondern in erster Linie eine Ausgliederung aus dem klassischen Verwaltungsgefüge haben, um auf diesem Wege Transparenz, eigenverantwortliches Handeln und die Motivation der Beschäftigten zu verbessern. Mit Blick auf die Aufgabenverteilung zwischen Landes- und kommunaler Ebene stellte die Landesregierung folgende Grundsätze auf: − Subsidiaritätsgrundsatz: Danach sollten nur Verwaltungsaufgaben von der Übertragung auf die kommunale Ebene ausgenommen werden, die aus 500 Vgl. § 22 LOG M-V. So traten das Zuständigkeitsneuregelungsgesetz (GVOBl. M-V 1991, S. 2) und der 4. Hauptteil des VwVfG M-V (§§ 112 bis 116) außer Kraft.
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Rechts-, Effektivitäts- oder Zweckmäßigkeitsgründen zwingend auf Landesebene erledigt werden müssten. − Vorrang der Aufgabenerledigung im eigenen Wirkungskreis auf der kommunalen Ebene: Bei der Übertragung von Landesaufgaben auf die kommunale Ebene sollten diese regelmäßig im eigenen Wirkungskreis wahrgenommen werden. Soweit das Land neue Verwaltungsaufgaben durchzuführen habe, sei vorrangig die Möglichkeit einer Aufgabenerfüllung durch kommunale Behörden zu prüfen. − Beschränkung von Genehmigungsvorbehalten und Einvernehmensregelungen: Soweit kommunale Behörden oder nachgeordnete Landesbehörden Verwaltungsaufgaben und Zuständigkeiten übertrügen, so solle dies zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung unter Beschränkung von Genehmigungsvorbehalten und Einvernehmensregelungen auf das unverzichtbare Maß geschehen.
B. Behördenkonzentration im Bereich der unmittelbaren Landesverwaltung Einen weiteren Schwerpunkt der Reformen des Jahres 2005 bildete die Binnenmodernisierung der unmittelbaren Landesverwaltung. welche zu einer vollständigen Neuorganisation der oberen Landesbehörden führte. Deren Zahl wurde in der zweiten Jahreshälfte 2005 von 32 auf 15 verringert. Von den Umstrukturierungen waren alle Fachressorts betroffen. Lediglich die bundesgesetzlich vorgegebenen oberen Justizbehörden blieben unangetastet. I. Geschäftsbereich des Innenministeriums Mit dem Gesetz zur Reform der Landesverwaltung im Innenressort 501 und der Landesverordnung zur Errichtung eines Landesamtes für innere Verwaltung 502 waren zum 01. 01. 2006 umfangreiche Organisationsänderungen im Geschäftsbereich des Innenministeriums verbunden. Mit dem neu gegründeten Landesamt für innere Verwaltung (LAIV) wurde eine obere Landesbehörde mit Sitz in Schwerin und einer Außenstelle in Nostorf errichtet, in welcher das Landesvermessungsamt, das Statistische Landesamt und das Landesamt für Asyl- und Flüchtlingsangelegenheiten zusammengefasst wurden. Die Aufgaben dieser aufgelösten oberen Landesbehörden werden seitdem im LAIV fortgeführt, welches zusätzlich die Aufgaben des Beschaffungswesens für die gesamte Landesverwaltung, des Geoinformationszentrums des 501 502
Vom 19. 12. 2005; GVOBl. M-V, S. 640. Vom 19. 12. 2005; GVOBl. M-V, S. 672.
§ 16 Die Jahre 2005 und 2006
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Landes und des Reproduktions-, Druck und Grafikzentrums der Landesregierung wahrnimmt. Die Aufgaben des Beschaffungswesens überführte man von dem ebenfalls aufgelösten Amt für Technik und Beschaffung der Polizei (ATB) in das LAIV. Das Landesamt für Brand und Katastrophenschutz wurde mit den verbliebenen Teilen des ATB der Polizei vereinigt und in den Verwaltungsaufbau der Polizei integriert. Sowohl das Bildungsinstitut für die Polizei (BIP) als auch die Landesschule für Brand- und Katastrophenschutz gliederte man in die Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege ein. Mit der Neuordnung des nachgeordneten Bereichs ging zudem eine Verringerung der Abteilungen im Innenministerium von sechs auf fünf einher. II. Geschäftsbereich des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur Im Geschäftsbereich des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur fasste die Landesverordnung zur Errichtung des Landesamtes für Kultur und Denkmalpflege vom 15. 06. 2005 503 zum 01. 01. 2006 fünf ehemals eigenständige obere Landesbehörden zu einer zusammen. Betroffen waren das Landeshauptarchiv Schwerin, das Landesarchiv Greifswald, die Landesbibliothek Schwerin, das Landesamt für Denkmalpflege und das Landesamt für Bodendenkmalpflege mit dem Archäologischen Landesmuseum. Die Aufgaben der aufgelösten Behörden werden seitdem im Landesamt für Kultur und Denkmalpflege mit Sitz in Schwerin fortgeführt. Zudem leitete man das „Staatliche Museum Schwerin, Kunstsammlungen, Schlösser und Gärten“ – ehemals eine obere Landesbehörde – in eine Stiftung des Öffentlichen Rechts über. III. Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Fischerei Im Geschäftsbereich des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Fischerei wurde mit der Landesverordnung vom 30. 06. 2005 504 zum 01. 10. 2005 das Landesamt für Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit und Fischerei (LALLF M-V) als obere Landesbehörde mit Sitz in Rostock errichtet. Im LALLF M-V fasste man das Landesveterinär- und Lebensmitteluntersuchungsamt, das Landespflanzenschutzamt und das Landesamt für Fischerei – bisher eigenständige obere Landesbehörden – zusammen. Das LALLF M-V führt die Aufgaben der aufgelösten Landesämter fort und nimmt zusätzlich die Aufgaben der Abteilung Landestierzucht und Tierzuchtanerkennung der Landesforschungs503 GVOBl. M-V, S. 258. Vgl. § 4 der VO sowie die Bekanntmachung in GVOBl. M-V 2006, S. 14. 504 GVOBl. M-V, S. 319.
444 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
anstalt für Landwirtschaft und Fischerei, der Landesanerkennungsstelle für Saatund Pflanzengut sowie des Fachbereiches Ernährungswirtschaft des Amtes für Landwirtschaft Bützow wahr. Durch das Gesetz zur Errichtung der Landesforstanstalt (LFAErG M-V) 505 vom 11. 07. 2005 wurde überdies die Landesforstverwaltung grundlegend reformiert. Mit dem Ziel der Verwaltungsmodernisierung und Kosteneinsparung errichtete man zum 01. 01. 2006 eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts als Einheitsforstverwaltung mit Sitz in Malchin 506. Mit Inkrafttreten des Gesetzes gingen die Aufgaben des Landesamtes für Forsten und Großschutzgebiete – einer oberen Landesbehörde – und der 33 Forstämter als untere Landesbehörden jeweils mit Ausnahme der Aufgaben der Großschutzgebietsverwaltung auf die Landesforstanstalt über 507. Organe der Landesforstanstalt sind der (allein aus dem Geschäftsführer bestehende) Vorstand (§ 6 Abs. 1 – 3 LFAErG M-V) und der aus neun ständigen Mitgliedern bestehende Verwaltungsrat (§ 6 Abs. 1 und 4 LFAErG M-V). Die Anstalt wird nach kaufmännischen Grundsätzen geführt (§ 10 Abs. 1 Satz 1 LFAErG M-V). Die Anstalt besitzt Dienstherrenfähigkeit und das Recht zur Ernennung von Beamten (§ 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 LFAErG M-V). In den Großschutzgebieten errichtete man zudem eine gemeinsame Naturschutzund Landesforstverwaltung 508. IV. Geschäftsbereich des Sozialministeriums Mit Gesetz vom 19. 12. 2005 509 wurde zum 01. 01. 2006 im Geschäftsbereich des Sozialministeriums als obere Landesbehörde das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGuS) gebildet. Im LAGuS, das seinen Sitz in Rostock hat und fünf Außenstellen in Greifswald, Neubrandenburg, Rostock, Neustrelitz, Schwerin und Stralsund unterhält, wurden die Ämter für Arbeitsschutz und technische Sicherheit (Gewerbeaufsicht) in Neubrandenburg, Rostock, Schwerin und Stralsund, die vier Versorgungsämter Neubrandenburg, Rostock, Schwerin und Stralsund (jeweils untere Landesbehörden) sowie die Arzneimittelüberwa505
Art. 1 des Gesetzes zur Errichtung der Landesforstanstalt und zur Änderung anderer Gesetze; GVOBl. M-V, S. 326. 506 Näher Bugiel, in: Sauthoff / Bugiel / Göbel, NatSchAG M-V, Einleitung, Rn. 84 j. 507 Die Verordnung vom 06. 10. 2006 (GVOBl. M-V, S. 764) hob die Verordnung zur Errichtung und Auflösung von Forstämtern (GVOBl. M-V 2001, S. 175; 211) rückwirkend zum 01. 01. 2006 auf. 508 Vgl. Art. 6 des Gesetzes vom 11. 07. 2005, GVOBl. M-V, S. 326. Die Nationalparkämter Rügen und Vorpommersche Bodenlandschaft wurden zum Nationalparkamt Vorpommern zusammengelegt. Als untere Naturschutzbehörden errichtete man die Ämter für das Biosphärenreservat Schaalsee und das Biosphärenreservat Südost-Rügen. Näher Bugiel, in: Sauthoff / Bugiel / Göbel, NatSchAG M-V, Einleitung, Rn. 84k ff. 509 GVOBl. M-V, S. 634.
§ 16 Die Jahre 2005 und 2006
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chungs- und Prüfstelle, das Landesgesundheitsamt, das Landesjugendamt, das Landesprüfungsamt für Heilberufe und das Landesversorgungsamt (jeweils untere Landesbehörden) zusammengefasst. V. Geschäftsbereiche des Finanz- und Justizministeriums Im Geschäftsbereich des Finanzministeriums wurde bereits zum 01. 10. 2004 die Oberfinanzdirektion Rostock (eine obere Landesbehörde) aufgelöst und so das Prinzip der Zweistufigkeit im vertikalen Verwaltungsaufbau hergestellt. Langfristig wird es im Bereich der Finanzverwaltung mit der Landeszentralkasse und dem Landesbesoldungsamt nur noch zwei obere Landesbehörden geben; hinzu kommt der mit einer besonderen Rechtsform ausgestattete Betrieb für Bau und Liegenschaften (BBL) 510. Die Zahl der Finanzämter (untere Landesbehörden) soll mittelfristig von 15 auf 10 reduziert werden. Im Geschäftsbereich des Justizministeriums löste man zum 31. 12. 2006 das Amt für Rehabilitierung und Wiedergutmachung als oberste Landesbehörde auf.
C. Deregulierungsgesetzgebung Das Jahr 2005 markiert zudem den Einstieg in die Deregulierungsgesetzgebung auf Landesebene. Beginnend mit dem Ersten Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau vom 25. 10. 2005 (1. DeregG) 511 wurden bis zum August 2006 in schneller Folge drei Deregulierungs- und Bürokratieabbaugesetze erlassen, welche zum Teil in Form von experimenteller Gesetzgebung 512 den Verwaltungsmodernisierungsprozess in Mecklenburg-Vorpommern entscheidend beeinflusst haben. Nach einer längeren Pause trat am 13. 11. 2010 das Vierte Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau in Kraft 513. Im Mittelpunkt dieses Gesetzes steht das Kommunale Standarderprobungsgesetz (KommStEG M-V), über das bereits berichtet worden ist 514.
510 511 512 513 514
Zur Entstehung des Betriebs für Bau und Liegenschaften vgl. § 14 C. GVOBl. M-V, S. 535. Dazu bereits oben § 7 A II. Vom 28. 10. 2010; GVOBl. M-V, S. 615. Siehe § 14 B III.
446 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
I. Erstes Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau Kernstück des am 05. 11. 2005 in Kraft getretenen 1. DeregG war das Gesetz über die Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg (Art. 1). Art. 2 betraf die Absenkung bzw. Öffnung landesrechtlich normierter Standards; Art. 3 die Streichung zahlreicher Mitwirkungsregelungen. Zudem leistete Art. 4 mit der Aufhebung von zwei Gesetzen und 18 Rechtsverordnungen einen Beitrag zur Rechtsbereinigung. 1. Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg Nach § 1 des Gesetzes über die Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg (TestRegG) 515 wurden in den im Nordwesten des Bundeslandes gelegenen Landkreisen Ludwigslust, Nordwestmecklenburg und Parchim sowie den kreisfreien Städten Landeshauptstadt Schwerin und Hansestadt Wismar (Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg) Maßnahmen der Deregulierung, des Bürokratieabbaus und der Verwaltungsvereinfachung in einem begrenzten Zeitraum erprobt. Dieser begann am 05. 11. 2005 und endete am 06. 06. 2009 516. Damit wurde in Mecklenburg-Vorpommern erstmalig die Grundlage für das Experimentieren mit abweichendem Landesrecht geschaffen. Im Rahmen dieses Modellprojekts sollten Rechtsvorschriften, die für das Zusammenwirken von öffentlichem und privaten Sektor bedeutsam sind, regional begrenzt und befristet ausgesetzt oder modifiziert werden. Die damalige Landesregierung betrachtete die Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg als „viel versprechende(n) Weg, die Wirtschaft durch Abbau bürokratischer Hindernisse nachhaltig zu entlasten und ihr damit neue Entwicklungschancen zu eröffnen“ 517. Mit ihrer Errichtung sollte die „Grundlage für die befristete Erprobung von abweichendem Landesrecht geschaffen (werden), damit unternehmerisches Handeln erleichtert, Existenzgründungen gefördert und die wirtschaftliche Entwicklung in der Testregion insgesamt vorangetrieben werden kann“ 518. a) Geschichte der Testregionen für Bürokratieabbau Historische Vorbilder für die Test- bzw. Modellregionen für Bürokratieabbau gab es bereits in den Jahren 1995 bis 1997. Schon zu dieser Zeit unterstützte das Land Brandenburg Initiativen zur Verwaltungsmodernisierung in acht Mo515 516 517 518
Vom 25. 10. 2005; GVOBl. M-V, S. 535. Vgl. zum Außerkrafttreten des TestRegG Art. 6 Satz 1 des 1. DeregG. Landtag M-V, LTDrs 4/1601, S. 13. Landtag M-V, LTDrs 4/1601, S. 1.
§ 16 Die Jahre 2005 und 2006
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dellkommunen 519, um zur Gewinnung landesweiter Erkenntnisse Erfahrungen mit der Umsetzung von Reformkonzepten zu sammeln. Der damalige Prozess stand allerdings stark unter dem Einfluss des Neuen Steuerungsmodells 520 und war mit der Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung, dezentraler Ergebnisverantwortung, Budgetierung, und Personalmanagement auf Maßnahmen der Binnenmodernisierung konzentriert. Er enthielt mit der Einrichtung von Bürgerbüros und dem Gedanken der „one stop agency“ nur wenige Ansätze im Bereich der Regelungsoptimierung 521. Gesetzliche Vorschriften wurden nicht aufgehoben oder modifiziert. Bundesweite Aufmerksamkeit gewann der Gedanke der Einrichtung von Testregionen dann im Dezember 2002, als das BMWi in der „Initiative Bürokratieabbau“ 522 den Vorschlag des DIHK aufgriff, Maßnahmen zum Bürokratieabbau in ausgewählten Regionen zu testen. Neben 80 weiteren Regionen bewarb sich die IHK zu Schwerin mit ihrem Bezirk Westmecklenburg im Januar 2003 für ein entsprechendes Pilotprojekt der Bundesregierung. Westmecklenburg, Ostwestfalen-Lippe und die Hansestadt Bremen wurden im Juli 2003 zur „Testregion für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung durch Deregulierung und Entbürokratisierung“ ernannt. Auf Bundesebene wurde eine Projektgruppe gegründet und die wissenschaftliche Begleitung des Projekts der Bertelsmann-Stiftung übertragen. Die Projektgruppe und die regionalen Initiativen waren maßgeblich am Zustandekommen des „Gesetzes zur Umsetzung von Vorschlägen zu Bürokratieabbau und Deregulierung aus den Regionen“ beteiligt 523. b) Entwicklung in Ostwestfalen-Lippe und Westmecklenburg im Vergleich aa) Ostwestfalen-Lippe In Nordrhein-Westfalen wurde bereits im März 2004 das Gesetz über den Bürokratieabbau in der Region Ostwestfalen-Lippe (Bürokratieabbaugesetz OWL) 524 verabschiedet. Es ermöglichte die befristete Erprobung abweichenden Landesrechts im Regierungsbezirk Detmold und hatte Vorbildfunktion für das TestRegG in Mecklenburg-Vorpommern sowie für die im Zuge der weiteren Entwicklung in Niedersachsen und Bayern verabschiedeten Modellkommunen519 Dazu zählten zwei Landkreise, eine kreisfreie Stadt, drei kreisangehörige amtsfreie Städte und zwei Ämter. Eine Zwischenbilanz des Projekts findet sich bei Maaß, LKV-Beilage I/1999, S. 23. 520 Näher oben § 5 C III. 521 Vgl. Maaß, LKV-Beilage I/1999, S. 23 (25 f.). 522 Dazu bereits § 8 C V 1 b. 523 Dazu § 8 E I. 524 Vom 16. 03. 2004; GVBl. NRW 2004, S. 134.
448 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
gesetze. In Ostwestfalen-Lippe wurden seit März 2004 (sog. „Erste Welle“) bzw. Mai 2005 (sog. „Zweite Welle“) „zum Zwecke des Bürokratieabbaus über einen Zeitraum von drei Jahren Vorschriften außer Kraft gesetzt oder modifiziert, um zu erproben, ob damit unternehmerisches Handeln erleichtert, Existenzgründungen gefördert und die wirtschaftliche Entwicklung in der Modellregion insgesamt voran getrieben werden kann“. Das zum 15. 04. 2007 aufgehobene 525 Gesetz enthielt Elemente der Binnenmodernisierung und bestimmte zudem die modifizierte Geltung einiger Vorschriften des Landesplanungsgesetzes, des Straßen- und Wegegesetzes, der Landeshaushaltsordnung sowie des Vermessungsund Katastergesetzes. § 3 Nr. 6 Bürokratieabbaugesetz OWL ordnete zudem die Entbehrlichkeit des Widerspruchsverfahrens im Arbeitsschutz- und Gewerberecht an und markierte damit den Einstieg in die landesweite Abschaffung des Widerspruchsverfahrens 526. Diese „Experimentierklausel“ wurde durch das „Gesetz zur Änderung des Gesetzes zum Bürokratieabbau in der Modellregion Ostwestfalen-Lippe (Ergänzungsgesetz OWL)“ im Mai 2005 527 dahingehend erweitert, dass ab dem 18. 05. 2005 im Regierungsbezirk Detmold ein Vorverfahren auch bei Entscheidungen der Bauaufsichts- und Baugenehmigungsbehörden und bei solchen nach dem Gaststättengesetz entfiel. Darüber hinaus enthielt das Gesetz Modifizierungen der Landesbauordnung bezüglich der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens und des Verzichts auf Genehmigungserfordernisse bei bestimmten baulichen Anlagen. In Umsetzung einer im Koalitionsvertrag vom Juni 2005 getroffenen Vereinbarung entschied sich die Landesregierung im April 2006, den Modellversuch auf ganz Nordrhein-Westfalen auszudehnen. Sie brachte daher Anfang Juli 2006 den Entwurf eines „Ersten Gesetzes zum Bürokratieabbau (Bürokratieabbaugesetz I) 528 in den Landtag ein. Mit dem am 15. 04. 2007 in Kraft getretenen Gesetz wurden die in der Modellregion geltenden Vorschriften landesweit übernommen, womit auch ein „Probelauf für die Befassung mit einer weitergehenden Abschaffung des Widerspruchsverfahrens“ verbunden war 529. Mit dem am 01. 11. 2007 in Kraft getretenen „Zweiten Gesetz zum Bürokratieabbau (Bürokratieabbaugesetz II) 530 wurden weitere Deregulierungsmaßnahmen – unter anderem die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens – landesweit umgesetzt. 525 Durch § 4 Abs. 1 des Ersten Gesetzes zum Bürokratieabbau vom 13. 03. 2007; GVBl. NRW, S. 133. 526 Näher Biermann, DÖV 2008, S. 395 (398). 527 Vom 03. 05. 2005; GV. NRW, S. 484. 528 Gesetzentwurf der Landesregierung vom 06. 07. 2006; Landtag NRW, LTDrs 14/ 2242. 529 Landtag NRW, LTDrs 14/2242, S. 16. 530 GV NRW 2007, S. 393.
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bb) Westmecklenburg In der Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg gründete und koordinierte die IHK zu Schwerin 2003 eine Projektgruppe unter Beteiligung der fünf Gebietskörperschaften der Region, der drei Bundestagsabgeordneten aus Westmecklenburg, des Regionalen Planungsverbands, der Agentur für Arbeit, der Handwerkskammer Schwerin, des wirtschaftspolitischen Sprechers der CDULandtagsfraktion sowie des Regionalmarketingverbandes Mecklenburg-Schwerin. Im Februar 2004 fasste die Landesregierung einen Kabinettsbeschluss, der die zügige Verabschiedung eines ersten Bürokratieabbaugesetzes auf Landesebene zum Gegenstand hatte. Die Projektgruppe erarbeitete parallel als Alternative zum angekündigten Regierungsentwurf einen sehr viel weiter gehenden „Gesetzentwurf zur Modernisierung der Verwaltung und zur Vereinfachung von Verwaltungsgesetzen in Westmecklenburg“. Diesen Entwurf brachte die CDUFraktion unverändert in den Landtag ein. Er scheiterte jedoch in den parlamentarischen Beratungen 531. Das im Innenministerium konzipierte 1. DeregG, dessen Entwurf im Oktober 2004 in die Ressortanhörung ging, wurde von der Projektgruppe in Schwerin daher von Beginn an kritisch begleitet 532. Vor allem Vertreter der Wirtschaft kritisierten das Konzept als nicht weitgehend genug 533. Das 1. DeregG setzte aber immerhin drei das Landesrecht betreffende Vorschläge der Schweriner Projektgruppe begrenzt auf die Testregion und zwei weitere landesweit um. Neun sonstige Vorschläge wurden bei der Novellierung der Landesbauordnung aufgegriffen. c) Modifizierte Anwendung des Bauordnungsrechts in der Testregion § 2 TestRegG ermöglichte Abweichungen von der Landesbauordnung in der Testregion. Zunächst ordnete § 2 Nr. 2a TestRegG noch auf Grundlage der bis zum 31. 08. 2006 geltenden LBauO M-V die Nichtanwendung von § 6 Abs. 10 LBauO M-V a. F und damit des gesamten Abstandsflächenrechts für Windkraftanlagen im Außenbereich an. Im April 2006 wurde § 2 Nr. 2a TestRegG ohne inhaltliche Änderungen an das neue Bauordnungsrecht angepasst 534. Praktisch noch bedeutsamer war § 2 Nr. 2b TestRegG, der zunächst die Nichtanwendung 531
Vgl. Landtag M-V, LTDrs 4/1228 vom 09. 06. 2004. Die Projektgruppe Westmecklenburg machte der Landesregierung bis zum 15. März 2004 121 Vorschläge zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau. 84 betrafen Bundes- und 37 Landesrecht. 533 Rothe, Aufgabenkritik, S. 77 (94). 534 Art. 7 des Gesetzes zur Neugestaltung der Landesbauordnung und zur Änderung anderer Gesetze vom 18. 04. 2006 (GVOBl. M-V, S. 102; 137) ordnete die Nichtanwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V in der ab 01. 09. 2006 geltenden Fassung an. 532
450 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
des § 48 Abs. 1 bis 3 LBauO M-V a. F. anordnete und mit Inkrafttreten der novellierten LBauO M-V bestimmte, das dort § 86 Abs. 1 Nr. 4 LBauO M-V keine Anwendung fand. Demnach galten die – durch die neue LBauO M-V mit Wirkung zum 01. 09. 2006 kommunalisierten 535 – landesrechtlichen Regelungen über die Herstellung notwendiger Stellplätze und Garagen bei der Errichtung und Änderung baulicher Anlagen in der Testregion Westmecklenburg nicht und auch entsprechende Leistungen bzw. Ersatzleistungen konnten von den Bauherrn nicht verlangt werden. Die – rechtspolitisch problematische 536 – Regelung war maßgeblich von den Vorstellungen der IHK Schwerin geprägt 537. Die Neufassung des § 2 Nr. 2b TestRegG stellte ausdrücklich 538 klar, dass auch nach der Kommunalisierung des Stellplatzrechts der Erlass gemeindlicher Stellplatzsatzungen in der Testregion weiterhin ausgeschlossen war. Kontrovers diskutiert wurde im parlamentarischen Verfahren die in § 2 Nr. 3 TestRegG angeordnete Beschränkung des Erlasses örtlicher Bauvorschriften, welcher in der Testregion auf solche nach § 86 Abs. 1 Nr. 1 LBauO M-V begrenzt war. Damit konnten die dort gelegenen Gemeinden bis zum 06. 06. 2009 nur noch örtliche Bauvorschriften über die äußere Gestaltung baulicher Anlagen sowie von Werbeanlagen und Warenautomaten zur Durchführung baugestalterischer Absichten erlassen. Nicht mehr möglich war dagegen der Erlass von örtlichen Bauvorschriften nach § 86 Abs. 1 Nr. 2 bis 7 LBauO M-V. Damit wurden die – ohnehin begrenzten – Gestaltungsmöglichkeiten durch Ortsrecht noch einmal erheblich zurückgedrängt 539. 2. Landesweit geltende Vorschriften im Überblick Art. 2 des 1. DeregG enthielt landesweit geltende Regelungen über einen Standardabbau im Öffentlichen Gesundheitsdienst, im Vermessungs- und Katasterwesen und im Landeswaldgesetz. Die entsprechenden Änderungen im Gesetz über den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGDG M-V) und im Vermessungsund Katastergesetz (VermKatG M-V) schufen für die Kommunen durch Absenkung von Personalstandards Freiräume bei möglichen Zusammenfassungen von Ämtern. Die Veterinär- und Gesundheitsämter der Kreise und kreisfreien Städte können nunmehr mit anderen Ämtern zu einer Organisationseinheit zusammen535 Dazu Krischik, Kommunalisierung des Stellplatzrechts; Biermann, Landesbauordnung, S. 32. 536 Eingehend Krischik, Kommunalisierung des Stellplatzrechts. 537 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 4/2049, S. 6. 538 § 2 Nr. 2b TestRegG war eigentlich überflüssig, da bereits § 2 Nr. 2d TestRegG den Erlass örtlicher Bauvorschriften auf solche nach § 86 Abs. 1 Nr. 1 LBauO M-V beschränkte. 539 Ablehnend daher Städte- und Gemeindetag sowie Landkreistag M-V; LTDrs 4/ 2049 (neu), S. 9.
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gelegt werden, wenn sichergestellt ist, dass diese die bisher den Veterinär- und Gesundheitsämtern übertragenen Aufgaben ordnungsgemäß erfüllt (§ 3 Abs. 3 Satz 2 ÖGDG M-V). Diese Organisationseinheit muss – anders als bisher das Gesundheitsamt – nicht mehr zwingend von einem Arzt geleitet werden (§ 4 Abs. 2 Satz 3 ÖGDG M-V). Entsprechende Grundsätze gelten auch für die Vermessungs- und Katasterämter. Auch diese können nunmehr mit anderen Ämtern der Kommunalverwaltung zusammengefasst werden, wobei die Leitung der so gebildeten Verwaltungseinheit nicht mehr zwingend einem Beamten des höheren vermessungstechnischen Verwaltungsdienstes übertragen werden muss. Änderungen erfuhr auch das Landeswaldgesetz, wo § 15 Abs. 1 Satz 2 LWaldG M-V unter bestimmten Voraussetzungen auf eine sog. Waldumwandlungsgenehmigung der unteren Forstbehörde nach § 15 Abs. 1 Satz 1 LWaldG M-V verzichtet. Zudem wurden Genehmigungen bestimmter Waldbenutzungen, welche bauliche Anlagen betreffen (vgl. § 29 Abs. 1 und 4 LWaldG M-V), bei der Bauaufsichtsbehörde konzentriert. Überdies schaffte man den nach § 39 Abs. 2 LWaldG M-V a. F. jährlich von der Landesregierung dem Landtag vorzulegenden „Waldschadensbericht“ ab und ersetzte ihn durch einen nur noch einmal in der Wahlperiode zu erstellenden „Forstbericht“. Artikel 3 des 1. DeregG enthielt zudem eine umfangreiche Liste bezüglich der Streichung von Mitwirkungsregelungen mit Schwerpunkt im Denkmalschutzrecht. Art. 4 des 1. DeregG hob überflüssig gewordene Rechtsvorschriften auf. II. Fortsetzung der Verwaltungsmodernisierung durch das Zweite Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau 1. Entstehungsgeschichte und Zielsetzung Mit dem „Zweiten Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau“ vom 13. 02. 2006 (2. DeregG) 540 fand der eingeschlagene Reformweg seine Fortsetzung. Das in weiten Teilen zum 30. 03. 2006 in Kraft getretene Gesetz wurde am 25. 01. 2006 vom Landtag beschlossen 541. Auch das 2. DeregG verfolgte das Ziel, verschiedene Einzelvorhaben der Landesregierung zur Deregulierung in einem Gesetzgebungsverfahren zusammenzufassen. Ein Schwerpunkt lag auf der Änderung von Verwaltungsverfahren, die „stärker als bisher an den Anforderungen der Wirtschaft sowie der Bürgerinnen und Bürger ausgerichtet werden“ 542 540
GVOBl. M-V, S. 90. Vgl. Landtag M-V, LTDrs 4/2049 (neu). Zwischen der Einbringung des Regierungsentwurfs in den Landtag (LTDrs 4/1871) und abschließender Beratung des federführenden Sonderausschuss „Verwaltungsmodernisierung und Funktionalreform am 09. 12. 2005 vergingen weniger als 2 ½ Monate. 542 Landtag M-V, LTDrs 4/1871, S. 1. 541
452 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
sollten. Beibehalten wurde der Ansatz, „innovative Regelungen, deren Folgen noch nicht abschließend abgeschätzt werden können“, zunächst in der Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg auf ihre Auswirkungen hin zu erproben. Kernstück des Reformvorhabens war die Neufassung von § 2 TestRegG, mit welcher der ursprüngliche Katalog des in der Testregion modifiziert geltenden Landesrechts erheblich erweitert wurde. 2. Wesentliche Neuerungen a) Modifizierte Anwendung von § 71a bis d VwVfG M-V in der Testregion Zum Zwecke einer weiteren Beschleunigung von Genehmigungsverfahren ordnete § 2 Nr. 1a TestRegG i. d. F. des 2. DeregG eine bis zur Kommunalwahl 2009 befristete modifizierte Anwendung der §§ 71b bis 71d VwVfG M-V (i. d. F. bis zum 4. VwVfG M-V ÄndG) für Verwaltungsverfahren an, welche der Durchführung von Vorhaben im Rahmen einer wirtschaftlichen Unternehmung dienten. Die Genehmigungsbehörde hatte solche Verfahren – abweichend von § 71b VwVfG M-V a. F., der eine besondere Beschleunigungspflicht nur auf Antrag vorsah – bei Vorliegen der rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen auch antragsunabhängig besonders zu beschleunigen und die diesbezüglich getroffenen Maßnahmen aktenkundig zu machen. Dem Antragsteller musste zudem spätestens innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags mitgeteilt werden, ob seine Antragsunterlagen und Angaben vollständig sind, während dies nach § 71c Abs. 3 VwVfG M-V a. F. „unverzüglich“ zu erfolgen hatte. § 2 Nr. 1b TestRegG i. d. F. des 2. DeregG enthielt eine begrüßenswerte Neuregelung für den Fall der Antragstellung bei einer sachlich oder örtlich unzuständigen Behörde. Diese musste den Antragsteller binnen einen Monats nach Eingang des Antrags auf ihre Unzuständigkeit hinweisen und das Verfahren an die zuständige Behörde abgeben. Sollte mit der Antragstellung eine durch Landesrecht bestimmte Frist gewahrt werden, so galt die Frist als gewahrt, wenn der Antrag rechtzeitig bei einer unzuständigen Behörde gestellt worden war und diese das Verfahren abgegeben hatte. § 2 Nr. 1c TestRegG i. d. F. des 2. DeregG schrieb zudem abweichend von dem als bloße Sollvorschrift ausgestalteten § 71d VwVfG M-V a. F. die obligatorische Durchführung eines Sternverfahrens vor. b) Erweiterte Genehmigungsfiktion im Bauordnungsrecht und sonstige Änderungen Durch § 2 Nr. 2c TestRegG i. d. F. des 2. DeregG wurde der Anwendungsbereich baurechtlicher Genehmigungsfiktionen erweitert und eine solche auch bei
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Nutzungsänderungen baulicher Anlagen vorgesehen, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplans gem. §§ 30 Abs. 1 und 2; 12 BauGB lagen. In diesen Fällen hatte die untere Bauaufsichtsbehörde innerhalb eines Monats nach Eingang des vollständigen Antrags zu entscheiden, sofern der Bauherr mit dem Bauantrag eine schriftliche Erklärung der Gemeinde vorlegte, dass diese von den ihr zur Verfügung stehenden Instrumenten nach §§ 14, 15 BauGB keinen Gebrauch machen wollte und die Erschließung des Vorhabens gesichert war. Die Baugenehmigung galt als erteilt, wenn sie nicht innerhalb der Monatsfrist versagt wurde. Die Genehmigungsfiktion trat nicht ein, wenn die Bauaufsichtsbehörde dem Bauherrn innerhalb der Entscheidungsfrist mitteilte, dass im Baugenehmigungsverfahren andere Stellen zu beteiligen waren. Sonstige Änderungen betrafen das Verwaltungsverfahrens im Architektengesetz (Art. 2) und die Absenkung weniger Standards und Mitwirkungsregelungen (Art. 3 und 4). Zudem wurden fünf überflüssig gewordene Rechtsverordnungen aufgehoben, zu denen auch die „Landesverordnung zur Bestimmung der Anhörungsbehörde im Planfeststellungsverfahren nach dem Magnetschwebebahnplanungsgesetz 543 gehörte. c) Verzicht auf Änderungen im Widerspruchsverfahren Entgegen der Vorstellungen der Landesregierung verzichtete das 2. DeregG dagegen auf Änderungen im Widerspruchsverfahren. Die Landesregierung strebte mit dem 2. DeregG zunächst eine landesweite Modifikation des Widerspruchsverfahrens an. Neben das bereits 2005 eingeführte fakultative Vorverfahren nach § 13a AGGStrG M-V 544 sollte mit § 13b AGGStrG M-V eine weitere „Experimentierklausel“ treten, die man bis zur Kommunalwahl 2009 zu befristen gedachte. Die Vorstellungen der Regierung 545 gingen dahin, das Justizministerium zu ermächtigen, durch Rechtsverordnung, deren Geltungsbereich auch örtlich hätte begrenzt werden können, im Einvernehmen mit der jeweils zuständigen obersten Landesbehörde Verwaltungsverfahren zu bestimmen, bei denen das Vorverfahren nach § 68 VwGO entfällt. Geplant war, die Verordnungsermächtigung nur dadurch zu begrenzen, dass bei berufsbezogenen Prüfungsentscheidungen das Widerspruchsverfahren ebenso wenig hätte ausgeschlossen werden dürfen, wie bei bundes- oder europarechtlich zwingender Durchführung des Vorverfahrens. Ein Ausschluss des Widerspruchsverfahrens hätte ebenso wenig bei Anfechtungswidersprüchen drittbegünstigender Verwaltungsakte angeordnet werden dürfen. Den Ausschluss des Widerspruchsverfahrens der Exekutive zu überantworten, unterliegt allerdings erheblichen verfassungsrechtlichen Beden543 544 545
Vom 07. 04. 1995; GVOBl. M-V, S. 223. Dazu oben § 9 F III 3. Näher Landtag M-V, LTDrs 4/1871, S. 6; S. 16 ff.
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ken 546. Es ist daher zu begrüßen, dass der Sonderausschuss „Verwaltungsmodernisierung“ einstimmig empfohlen hat, auf die Einführung des § 13b AGGStrG M-V in der von der Landesregierung gewünschten Form zu verzichten 547 und der Landtag diesem Ratschlag gefolgt ist. III. Drittes Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau Am 12. 08. 2006 trat das Dritte Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau (3. DeregG) 548 in Kraft, welches die Deregulierungsgesetzgebung auf Landesebene zunächst zu einem vorläufigen Abschluss brachte. Wie bereits in den beiden vorhergehenden Gesetzen wurden auch hierin verschiedene Einzelvorhaben der Landesregierung in ein Artikelgesetz aufgenommen. Wiederum betrafen einige Änderungen ausschließlich die Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg, während andere Regelungen landesweite Geltung beanspruchten. 1. Änderungen in der Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg Art. 1 des 3. DeregG enthielt Änderungen des Gesetzes über die Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg. Eingefügt wurde § 2 Nr. 5 TestRegG, wonach die gem. § 14 Abs. 3 VermKatG grundsätzlich erforderliche Gebäudeeinmessung entfiel, wenn der Grundstückseigentümer von einer Vermessungsstelle nach § 3 VermKatG gefertigte Unterlagen zur Errichtung eines Gebäudes oder einer vorgesehenen Veränderung des Grundrisses eines Gebäudes beibrachte, die nach Form und Inhalt zur Übernahme in das Liegenschaftskataster geeignet waren und er schriftlich erklärte, dass die Lage des Gebäudes und der Gebäudeumriss den beigebrachten Unterlagen entsprachen. Zudem enthielt der neu eingefügte § 4 TestRegG eine Zuständigkeitskonzentration der Verfahren in Handelssachen nach § 95 GVG beim AG Schwerin. Schließlich ordnete § 5 TestRegG aus Gründen der Klarstellung ausdrücklich das Außerkrafttreten des Gesetzes mit Ablauf des Tages vor den Kommunalwahlen im Jahr 2009 an, ohne dass damit inhaltliche Änderungen verbunden gewesen wären 549.
546
Näher Biermann, NordÖR 2007, S. 139 (141 ff.). Landtag M-V, LTDrs 4/2049 (neu), S. 10. 548 Vom 01. 08. 2006; GVOBl. M-V, S. 634. Vgl. dazu Landtag M-V, LTDrs 4/2161 und 4/2340. 549 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 4/2161, S. 15. 547
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2. Landesweite bereichsspezifische Abschaffung des Widerspruchsverfahrens und sonstige Änderungen Art. 2 des 3. DeregG betraf das Widerspruchsverfahren. Nach dem neu eingefügten § 13b AGGStrG M-V wird seit dem 12. 08. 2006 landesweit die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in ausgewählten Bereichen des Besonderen Verwaltungsrechts befristet bis zum 30. 06. 2011 erprobt 550. Der Wegfall des Widerspruchsverfahrens betrifft allerdings nur praktisch wenig bedeutsame Gebiete des Besonderen Verwaltungsrechts und hat weitgehend symbolischen Charakter. Verzichtet wird auf das Widerspruchsverfahren etwa bei Entscheidungen nach § 25 Abs. 2 StAG und § 8 Abs. 2 des Feiertagsgesetzes M-V, nach § 41 WaffG, nach § 3 des Gesetzes zur Ausführung des Betreuungsgesetzes und des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes und nach § 13 Bildungsfreistellungsgesetz. Für die Verwaltungspraxis noch am bedeutsamsten war der Wegfall des Widerspruchsverfahrens bei Entscheidungen nach § 17 Abs. 4 Nr. 1 LHG M-V. Indes ist der diese Anordnung betreffende § 13b Nr. 4 AGGStrG M-V zwischenzeitlich aufgehoben worden, da die Ausnahmeregelung für das Hochschulzulassungsverfahren mittlerweile in § 6 Abs. 2 des Hochschulzulassungsgesetzes eine spezialgesetzliche Regelung gefunden hat. Der bereits sehr begrenzte Anwendungsbereich der Vorschrift wird durch § 13b Abs. 2 AGGStrG M-V weiter eingeschränkt. Danach muss im Fall der Klageerhebung in den in § 13b Abs. 1 AGGStrG M-V genannten Fällen die Behörde spätestens mit der Aufforderung des Gerichts nach § 85 Satz 2 VwGO in eine Abhilfeprüfung eintreten und untersuchen, ob der angefochtene Verwaltungsakt aufgehoben oder geändert werden kann. Das Ergebnis dieser Prüfung ist schriftlich zu dokumentieren, was weiteren Verwaltungsaufwand erfordert. Der Wegfall des Widerspruchsverfahrens gilt überdies nicht bei Drittanfechtungen (§ 13b Abs. 3 AGGStrG M-V), wohl aber bei Nebenbestimmungen und Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung (§ 13b Abs. 4 AGGStrG M-V). Alles in allem hat Mecklenburg-Vorpommern damit im Vergleich zu anderen Bundesländern das Widerspruchsverfahren bisher eher behutsam reformiert. Dass diese Vorsicht verfassungsrechtlich und rechtspolitisch begrüßenswert ist, wurde an anderer Stelle dargelegt 551. Einige Neuerungen bzgl. der Vereinfachung von Verwaltungsverfahren enthält Art. 3 des 3. DeregG. Durch Änderung des § 1 Abs. 2 VermKatG wurden die Vermessungsstellen nach § 3 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 VermKatG abweichend von § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO auch zu Widerspruchsbehörden bestimmt, womit der Landesgesetzgeber von der ihm in § 73 Abs. 1 Satz 3 VwGO eingeräumten Befugnis Gebrauch macht und den Devolutiveffekt des Widerspruchs 550
Wie § 13a AGGStrG M-V war auch § 13b AGGStrG M-V zunächst bis zum 31. 12. 2008 befristet, und wurde durch das 7. AGGStrG M-V ÄndG (GVOBl. M-V. 2008, S. 500) bis zum 30. 06. 2011 verlängert. 551 Siehe oben § 9 F III bis V und die dortigen Nachweise.
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ausschließt. Diese Regelung ist rechtspolitisch zu begrüßen, da die bisherige Widerspruchsbearbeitung durch eine obere Landesbehörde mit den Grundsätzen der Verwaltungsmodernisierung nur schwer in Einklang zu bringen war 552. Zudem wurden in §§ 18 und 19 JAG M-V Vereinfachungen bei der Aufbewahrung von Prüfungsunterlagen und der Zusammensetzung von Prüfungsausschüssen ermöglicht, im LWaG M-V Berichts- und Dokumentationspflichten für umweltauditierte Unternehmen erleichtert sowie das Verfahren der Aufhebung entbehrlich gewordener Trinkwasservorbehaltsgebiete vereinfacht. Bei den in Art. 4 normierten Absenkungen von Standards ist insbesondere die Aufhebung von § 3 der Verordnung zur Ausführung des Gaststättengesetzes 553 bemerkenswert. Damit verzichtet Mecklenburg-Vorpommern vollständig auf die – bisher ohnehin sehr liberalen, weil auf die Zeit von 05.00 Uhr bis 06.00 Uhr beschränkten – Sperrzeiten im Gaststättenrecht. In Art. 5 des 3. DeregG wurden schließlich zum Zwecke der Deregulierung insgesamt 11 überflüssig gewordene landesrechtliche Vorschriften gestrichen. IV. Das Vierte Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau Nach einer längeren Pause in der Deregulierungsgesetzgebung beschloss der Landtag am 13. 10. 2010 das Vierte Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau (4. DeregG) 554, welches am 13. 11. 2010 in Kraft trat. Auch mit diesem Gesetz werden wieder verschiedene Einzelvorhaben der Landesregierung zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau zusammengefasst, wobei der Schwerpunkt im kommunalen Bereich liegt. Kernstück des Gesetzes (Art. 1) ist die im Vergleich zum StÖffG M-V weiterentwickelte Erprobung einer Standardöffnung für Kommunen durch das Kommunale Standarderprobungsgesetz (KommStEG) 555. Daneben wird durch Änderungen im Landesdatenschutzgesetz (Art. 2) die Möglichkeit einer zentralen Freigabe und Vorabkontrolle für automatisierte Datenverarbeitungsverfahren geschaffen. Kommunen und die Landesverwaltung sollen so von aufwändigen Prüfverfahren entlastet werden. Art. 3 des 4. DeregG hebt das Sammlungsgesetzes M-V 556 auf. In der Testregion Westmecklenburg wurde das Sammlungsgesetz für räumlich begrenzte Sammlungen 552
Näher Landtag M-V, LTDrs 4/2161, S. 20. Vom 17. Juni 1994; GVOBl. M-V, S. 679. 554 Vom 28. 10. 2010; GVOBl. M-V, S. 615. Vgl. dazu Landtag M-V, LTDrs 5/3366 und 5/3824. 555 Dazu eingehend § 14 B III. 556 Vom 17. 06. 1996 (GVOBl. M-V, S. 266), zuletzt geändert durch Art. 14 des Gesetzes vom 22. 11. 2001 (GVOBl. M-V, S. 438). Landessammlungsgesetze gibt es noch in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Thüringen; vgl. näher Kreutz, GewArch 2010, S. 24; 285. 553
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457
bereits seit dem 2. DeregG nicht mehr angewendet (vgl. § 2 Nr. 3 TestRegG). Die Auswertung dieser Erprobung zeigte, dass dies weder für die Spender noch für die Spendensammler bedenkliche Folgen hatte. Gleiche Erfahrungen machten auch diejenigen elf Bundesländer, die ihre Sammlungsgesetze bereits vorher endgültig aufgehoben hatten 557. Überdies ist die Aufhebung des Sammlungsgesetzes auch vor dem Hintergrund des Art. 9 Abs. 1 DLRL sinnvoll 558 und dient der Deregulierung. Zahlreiche Verfahrensvereinfachungen betreffen auch das StrWG M-V (Art. 4). Art. 5 enthält das „Gesetz zur Vereinfachung des Zulassungswesens von Kraftfahrzeugen“. Mit der Möglichkeit, Kostenrückstände im KFZZulassungsverfahren geltend zu machen, soll den kommunalen Trägern der Zulassungsbehörden ein Mittel zur Entlastung der aufwändigen Kosteneintreibung in die Hand gegeben werden. Die durch Art. 6 vorgenommene Änderung des AGBauGB M-V 559 soll die Umnutzung bisher landwirtschaftlich genutzter Gebäude im Außenbereich erleichtern. Art. 7 überträgt die Zuständigkeit für die Erteilung besonderer Fahrberechtigungen an Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren, der nach Landesrecht anerkannten Rettungsdienste und der technischen Hilfsdienste nach § 2 Abs. 10 Satz 6 StVG auf die unteren Fahrerlaubnisbehörden. Mit Art. 8 des 4. DeregG werden schließlich sieben überflüssig gewordene Zuständigkeitsverordnungen – vornehmlich aus dem landwirtschaftlichen Bereich – aufgehoben. Gestrichen wurde auch § 8 Abs. 4 LOG M-V, der das Innenministerium zur Führung eines Amtlichen Behördenverzeichnisses über die Behörden des Landes verpflichtete. Aufgrund der zahlreichen Veröffentlichungen im Internet (Dienstleistungsportal, Behördenwegweiser) gebe es keinen Anlass mehr für eine als Serviceleistung gedachte papiergebundenen Veröffentlichungspflicht im Amtsblatt 560. V. Verfassungsrechtliche und rechtspolitische Bewertung der bisherigen Deregulierungsgesetzgebung In der Folge gilt es, die bisherige Deregulierungsgesetzgebung in Mecklenburg-Vorpommern verfassungsrechtlich und rechtspolitisch zu bewerten. Dabei ist zunächst die Frage zu klären, ob die für die Reformgesetzgebung zentrale Einrichtung der Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg verfassungs557
Vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/3366, S. 30 ff. Ebenso Innenminister Lorenz Caffier anlässlich der ersten Lesung des Gesetzes am 28. 04. 2010, PlPr 5/93, S. 21. 558 Nach Kreutz, GewArch 2010, S. 241; 285 ist die Aufhebung der Landessammlungsgesetze aufgrund Art. 9 Abs. 1 lit c DLRL zwingend geboten, weil Eröffnungskontrollen nicht erforderlich seien. Ausreichend sei vielmehr eine nachträgliche Gefahrenabwehr auf Grundlage der ordnungsbehördlichen Generalklauseln. 559 GVOBl. M-V 1998, S. 110, geändert durch Gesetz vom 26. 04. 2005 (GVOBl. M-V, S. 161). 560 Landtag M-V, LTDrs 5/3366, S. 41.
458 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
rechtlich zulässig war (sogleich unter 1.). In einem zweiten Schritt gilt es zu untersuchen, ob eine solche regional begrenzte Sonderinnovation rechtspolitisch sinnvoll ist (2.). Abschließend sollen dann die in den bisherigen Deregulierungsgesetzen getroffenen sonstigen Maßnahmen einer kritischen Würdigung unterzogen werden (3.). 1. Testregionen für Bürokratieabbau: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit Zunächst gilt es zu klären, ob den Ländern die Gesetzgebungskompetenz für die Einrichtung von Modellregionen für Bürokratieabbau zusteht. Zudem müssen sich die in den Modellregionen getroffenen Regelungen an den Freiheits- und Gleichheitsgrundrechten, insbesondere an Art. 3 und 12 GG, messen lassen. a) Gesetzgebungskompetenz der Länder aa) Einrichtung von Testregionen und modifizierte Anwendung landesrechtlicher Regelungen Aus der grundsätzlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder nach Art. 70 Abs. 1 GG folgt, dass der Landesgesetzgeber auch die Kompetenz zur Einrichtung von Modellregionen auf seinem Territorium besitzt. Dort ist er jedenfalls berechtigt, solche Regelungen aufzuheben oder zu modifizieren, für welche er die Gesetzgebungskompetenz besitzt. Entsprechende Erprobungen sind daher vor allem im Bereich des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts und des Ordnungsrechts (insbesondre im Bauordnungsrecht), des Straßen- und Wegerechts (mit Ausnahme des bundesrechtlich geregelten Bundesfernstraßenrechts) und des Denkmalschutzrechts möglich. Wie eine Durchsicht der im TestRegG getroffenen Regelungen ergibt, lagen in diesen Rechtsgebieten die Schwerpunkte der in der Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg getroffenen Maßnahmen. Da dort ausschließlich landesrechtliche Regelungen modifiziert oder aufgehoben wurden, ergeben sich in dieser Hinsicht keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des TestRegG. bb) Modifizierte Anwendung bundesrechtlicher Regelungen Die Möglichkeit, abweichendes und innovatives Landesrecht zu schaffen, wurde mit der Föderalismusreform I zum 01. 09. 2006 erheblich erweitert. Mit dem neuen Instrument der Abweichungsgesetzgebung nach Art. 72 Abs. 3 GG werden den Bundesländern vor allem im Umweltrecht – gem. Art. 125b Abs. 1 Satz 3 GG allerdings erst seit dem 01. 01. 2010 – Perspektiven eröffnet, um von bundesrechtlichen Vorgaben abzuweichen und so gleichermaßen ein gan-
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zes Bundesland zur „Testregion“ zu erklären 561. Außerhalb des Bereiches des Art. 72 Abs. 3 GG wäre es dagegen Sache des Bundesgesetzgebers, im Rahmen seiner ausschließlichen und konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz die befristete und modellhafte Abweichung von Bundesrecht in einzelnen Bundesländern oder Regionen anzuordnen 562. Von einer solchen Möglichkeit hat dieser bereits verschiedentlich durch Öffnungsklauseln 563 Gebrauch gemacht. Die entsprechenden Regelungen haben die grundsätzliche Billigung des Bundesverfassungsgerichts gefunden 564. Auch die – durch die Föderalismusreform überdies in ihrer Reichweite beschränkte – Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG steht der Schaffung oder Ermöglichung regionaler Sonderregelungen durch den Bundesgesetzgeber nicht entgegen. So könnte insbesondere Art. 72 Abs. 2 Alt. 1 GG die Grundlage für eine befristete Öffnung bestimmter bundesgesetzlicher Regelungen zur „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ für strukturschwache Gebiete sein, in denen durch befristete Außerkraftsetzung bundesrechtlicher Regelungen der ökonomische Aufbauprozess und damit langfristig die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse befördert wird. Einer ausdrücklichen Experimentierklausel im Grundgesetz bedürfen solche Regelungen nicht. Ob die Einrichtung einer „Sonderwirtschaftszone Ost“ – wie sie ab 2001 bundesweit diskutiert wurde 565 – auch nach mehr als 20 Jahren deutscher Einheit rechtspolitisch noch sinnvoll wäre, erscheint dagegen zweifelhaft. Die Einrichtung von Modellregionen für Bürokratieabbau – sei es durch den Bundesgesetzgeber oder, wie in Westmecklenburg, Ostwestfalen-Lippe und Bremen durch den Landesgesetzgeber – ist nach alledem von den kompetenzrechtlichen Vorschriften des Grundgesetzes gedeckt. Aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes ist es jedoch erforderlich, dass die Legislative die wesentlichen Grundentscheidungen selbst trifft und nicht dem Verordnungsgeber überlässt. Hierzu gehören mindestens die räumliche Abgrenzung des Testgebiets, die zeitliche 561
Dazu eingehend § 20 A II. Der Bundesgesetzgeber kann sowohl ausdrückliche Öffnungsklauseln schaffen, aber auch im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung einen Kompetenzbereich nicht ausschöpfen und so den Weg für Länderregelung freimachen. Näher Degenhart, in: Sachs, GG Art. 72 Rn. 27 m.w. N. 563 Etwa in §§ 13 GewO, 32 GastG; § 4 Abs. 6 Altenpflegegesetz und 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO. 564 Zur Experimentierklausel des § 4 Abs. 6 Altenpflegegesetz vgl. BVerfGE 106, 62 (163) = NJW 2003, S. 41 (57). Zu § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO i. d. F. bis zum 6. VwGOÄndG BVerfGE 35, 65 (73). 565 Im Leitartikel in „Die Zeit“ vom 04. 10. 2001 empfahl Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt unter dem Titel „Lichtet den Dschungel der Paragraphen“ ein Bundesgesetz, welches die neuen Länder zu Abweichungen in den Bereichen öffentlicher Dienst, Bau- und Umweltrecht, Handwerksrecht und Hochschulrecht ermächtigen sollte. In der Folge regten die damaligen Bundesminister Stolpe und Tiefensee die Einführung einer sog. Innovationsklausel im Grundgesetz an. Der sächsische Wirtschaftsminister legte sogar konkrete Pläne für eine „Sonderwirtschaftszone Ost“ vor. 562
460 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
Dauer 566 und der inhaltliche Rahmen des Projekts 567. Den so skizzierten Anforderungen entsprach das TestRegG in Mecklenburg-Vorpommern 568. b) Grundrechtskompatibilität der Einrichtung von Testregionen Die Einrichtung von Modellregionen bedarf im Hinblick auf Art. 3 GG einer sachlichen Rechtfertigung, welche die mit einem solchen Experiment zwangsläufig verbundene regionale Ungleichbehandlung legitimiert. Als solche kommt vor allem das Bestreben in Betracht, in verschiedenen Regionen mit unterschiedlicher Leistungskraft den Einsatz innovativer, aber nicht allgemein konsentierter Instrumente zu testen, um aus den gewonnenen Erfahrungen zu lernen und entscheiden zu können, ob eine bundes- oder landesweite Übernahme der erprobten Regelungen möglich ist. Die bei dieser Form experimenteller Gesetzgebung im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG zu beachtenden Kriterien hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof in zwei Grundsatzentscheidungen vom 15. 11. 2006 569 und 22. 09. 2008 570 herausgearbeitet. In der ersten Entscheidung ging es um die Verfassungsmäßigkeit der befristeten Abschaffung des Widerspruchsverfahrens im Regierungsbezirk Mittelfranken, während sich die zweite mit den Vorschriften des Bayerischen Modellkommunengesetzes 571 befasste. In seiner Entscheidung vom 15. 11. 2006 überprüfte der Bay VerfGH die für Mittelfranken getroffene Sonderregelung auf ihre Vereinbarkeit mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gleichheitssatz. Während sich die Darlegungen zum Rechtsstaatsprinzip im Wesentlichen auf die umstrittene Reichweite der Öffnungsklausel des § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO 572 beziehen, sind die Ausführungen zum Gleichheitssatz des mit Art. 3 Abs. 1 GG wortgleichen Art. 118 der Bayerischen Verfassung für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Testregion Westmecklenburg von großer Bedeutung.
566
Insofern begegnet die Befristung auf ca. 3 ½ Jahre (vgl. § 5 TestRegG) keinen Bedenken. Auch der Bay VerfGH, BayVBl 2007, S. 79 (81) billigte die Dauer des zunächst auf zwei Jahre beschränkten und später um ein weiteres Jahr verlängerten mittelfränkischen Experiments. 567 Vgl. Landtag NRW, LTDrs 13/4568, S. 10 zum Bürokratieabbaugesetz OWL. 568 Siehe oben § 16 C I 1. 569 Bay VerfGH BayVBl 2007, S. 79. 570 Bay VerfGH BayVBl 2009, S. 12. 571 Gesetz zur Erprobung einer Freistellung ausgewählter Kommunen von der Einhaltung von Rechtsvorschriften – Modellkommunengesetz – vom 10. 04. 2007; GVBl. S. 271. Näher § 16 IV C 2b bb. 572 Dazu Biermann, NordÖR 2007, S. 139 (146 ff.).
§ 16 Die Jahre 2005 und 2006
461
Der Bay VerfGH maß das mittelfränkische Experiment zunächst am allgemeinen Willkürverbot, wobei er sich bei dieser Prüfung in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts große Zurückhaltung auferlegte. Es sei nicht seine Aufgabe, an die Stelle des Gesetzgebers zu treten, so dass es grundsätzlich dessen Ermessen überlassen bleibe, in welcher Weise er dem Gedanken der Angemessenheit, Billigkeit und Zweckmäßigkeit Rechnung trage. Nur wenn die getroffene Regelung ersichtlich eines sachlichen Grundes entbehre, sei diese willkürlich und damit gleichheitswidrig 573. Daran gemessen, sei die in Mittelfranken getroffene Regelung verfassungsgemäß. Dem Landesgesetzgeber müsse insbesondere zugebilligt werden, im Hinblick auf neue Entwicklungen, für die es an zuverlässigen Erfahrungen fehle, während einer Versuchsphase tatsächliche Erhebungen vorzunehmen. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers sei deshalb immer dann besonders groß, wenn seine Vorschriften im Wesentlichen dazu dienten, auf einem neuen Sachgebiet Erfahrungen zu sammeln, die später die Grundlage für dauerhafte normative Entscheidungen sein sollten. Bei einem Erprobungsgesetz mit Experimentiercharakter sei der Gestaltungsspielraum des Normgebers daher erheblich erweitert 574. Diese Einschätzung hat der Bay VerfGH in seiner nachfolgenden Entscheidung zum Bayerischen Modellkommunengesetz noch einmal bekräftigt 575. Zutreffend daran ist, dass der Erprobungszweck ein sachlicher Grund für den Erlass von Experimentiergesetzen sein kann. Die „modellhafte Erprobung von Rechtsänderungen mit möglichst geringem Aufwand, deren Ergebnisse später bundes- bzw. landesweit nutzbar gemacht werden sollen“ 576, ist ein legitimes gesetzgeberisches Anliegen, wird doch mit der „Schaffung eines regional begrenzten Experimentierfeldes“ 577 eine innovationsoffene Gesetzgebung ermöglicht. Vor diesem Hintergrund wäre es allerdings wünschenswert gewesen, hätte man im TestRegG das Ziel der dauerhaften Übernahme bewährter Regelungen in das Landesrecht ausdrücklich festgeschrieben und so den Experimentiercharakter des Gesetzes auch im Gesetzeswortlaut deutlich herausgestellt 578. Die Errichtung einer Modellregion begegnet verfassungsrechtlich vor allem deswegen keinen grundsätzlichen Bedenken, weil auf diese Weise unter Verminderung der Prognoseunsicherheit die Auswirkungen rechtspolitisch umstrittener Innovationen ergebnisoffen getestet und effektiv evaluiert werden können. Vor573 Bay VerfGH BayVBl 2007, S. 79 (81) unter Hinweis auf Bay VerfGH BayVBl 1995, S. 270. 574 Bay VerfGH BayVBl 2007, S. 79 (81) unter Verweis auf Stettner, NVwZ 1989, S. 806 (811). 575 BayVBl 2009, S. 12 (14). 576 Landtag M-V, LTDrs 4/1601, S. 13 (zum TestRegG). 577 Justizminister Erwin Sellering; Landtag M-V, PlPr 4/55, S. 3156. 578 Deutlicher etwa § 1 Satz 2 Bürokratieabbaugesetz OWL.
462 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
aussetzung für die Verfassungskonformität eines solchen Experimentiergesetzes ist allerdings, dass sein Anwendungsbereich hinreichend groß ist. Hat das Gesetz dagegen im Wesentlichen keinen Anwendungsbereich und scheidet deshalb eine Erprobung und Evaluierung der getroffenen Regelungen faktisch aus, so verstößt es unter dem Gesichtspunkt der Widerspruchsfreiheit, der Klarheit und der Systemgerechtigkeit von Normen gegen Art. 3 Abs. 1 GG und ist deshalb verfassungswidrig. In seiner Entscheidung vom 22. 09. 2008 erklärte der Bay VerfGH deshalb bestimmte Vorschriften des Bayerischen Modellkommunengesetzes, auf dessen Grundlage verfahrensmäßige Erleichterungen im Denkmalschutzrecht erprobt werden sollten 579, für verfassungswidrig und nichtig. Die als widersprüchlich beanstandete Vorschrift sollte die unteren Denkmalschutzbehörden zum Erlass einer denkmalschutzrechtlichen Genehmigungsfiktion durch Rechtsverordnung ermächtigen, hätte aber lediglich in zwei (von insgesamt 10) Modellkommunen gegolten. Unter diesen Voraussetzungen aber diene die gesetzliche Regelung „nicht dem Gewinnen belastbarer Erkenntnisse; sie geht vielmehr ins Leere und widerspricht dem erklärten Sinn und Zweck der Erprobung von verfahrensmäßigen Erleichterungen für die kreisangehörigen Gemeinden im Bereich des Denkmalschutzes“ 580. Wendet man die vom Bay VerfGH aufgestellten Kriterien auf das TestRegG an, so erwies sich dessen Anwendungsbereich als hinreichend weit, um eine sinnvolle Erprobung und Evaluation der dort getroffenen Sonderregelungen zu ermöglichen. Sehr unglücklich war in diesem Zusammenhang allerdings, dass keinerlei organisatorische Festlegungen bezüglich der Evaluierung der Ergebnisse des Modellversuchs getroffen wurden. Diese Zurückhaltung führte zwar nicht zur Verfassungswidrigkeit, war aber umso erstaunlicher, als das bereits seit März 2004 bekannte Bürokratieabbaugesetz OWL eine entsprechende Evaluierungspflicht enthielt 581. Auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Willkürverbots wurde das TestRegG gerecht. Es war nicht Ziel des Gesetzes, der Testregion Westmecklenburg im Wettbewerb mit anderen Regionen Vorteile zu verschaffen 582. Die räumliche Auswahl der Testregion wurde vielmehr – wie von der Verfassung gefordert 583 – mit sachlichen Gesichtspunkten begründet. Für Westmecklenburg sprach vor allem, dass diese Region bereits im Juli 2003 auf Bundesebene zur Testregion erklärt wurde und daher mit der dortigen Projektgruppe bereits eta579 Im Einzelnen handelte es sich um Art. 2 Nr. 2, 3 Nr. 2 und 4 Nr. 2 des Modellkommunengesetzes. 580 Bay VerfGH BayVBl 2009, S. 12 (14). 581 Vgl. § 4 Abs. 3 Bürokratieabbaugesetz OWL GVBl. NRW 2004, S. 134. Eine umfassende Evaluierungspflicht enthält auch § 7 Nds ModKG (dazu sogleich unten § 16 C IV 2b bb. 582 Landtag M-V, LTDrs 4/1601, S. 15 in der Begründung des Gesetzes in Bezug auf Art. 3 Abs. 1 GG.
§ 16 Die Jahre 2005 und 2006
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blierte Strukturen vorhanden waren, auf die das Projekt zurückgreifen konnte 584. Angesichts des relativ engen zeitlichen Rahmens des Modellversuchs war es daher sachgerecht, die Region Westmecklenburg als Experimentierfeld zu bestimmen 585. Dass die Verfahrenserleichterungen des TestRegG damit einer Region zugutekamen, die in Mecklenburg-Vorpommern wirtschaftlich am besten dasteht, führte allerdings zu rechtspolitischen Kontroversen 586. Schließlich war der Gesetzgeber auch nicht verpflichtet, die Deregulierungsmaßnahmen auf das gesamte Landesgebiet auszudehnen 587, weil gerade die räumlich begrenzte modellhafte Erprobung umstrittener Innovationen zentraler Gesetzeszweck war 588. Im parlamentarischen Verfahren ist von der CDU-Fraktion allerdings vorgetragen worden, die Bürger in der Testregion würden durch die Erleichterungen des TestRegG in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise begünstigt. Beachtlich ist ein solcher Einwand bereits deshalb, weil – wie dargelegt 589 – der Wunsch zum Experiment den Gesetzgeber nicht von der Einhaltung grundrechtlicher Verpflichtungen befreit. Dennoch ist angesichts der geringen Eingriffsintensität der getroffenen Maßnahmen ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG im Ergebnis zu verneinen. Legt man die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte sog. „Neue Formel“ bei der Prüfung des Gleichheitssatzes zu Grunde, wonach die Rechtfertigungsanforderungen an eine Ungleichbehandlung je nach Intensität der Belastung vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen“ 590, so überschritten die getroffenen Regelungen nicht die Grenze des verfassungsrechtlich noch Zulässigen. Die Privilegierungen in der Testregion bezweckten keine strukturelle Bevorzugung der Modellregion. Ein schwer wiegender Eingriff in die Gleichbehandlung der Grundrechtsträger, wie es etwa eine unterschiedliche Besteuerung wäre, lässt sich bei der Durchsicht der in der Testregion gewährten Privilegierungen nicht feststellen. Die Erleichterungen und Beschleunigungen bei ausgewählten Verwaltungsverfahren 583 Zu sachgerechten Kriterien bezüglich der räumlichen Begrenzung eines Modellversuchs Bay VerfGH BayVBl 2007, S. 79 (82) sowie Bay VerfGH BayVBl 2009, S. 12 (14). 584 Sellering, Landtag M-V, PlPr 4/55, S. 3156. 585 Die Bestimmung von Modellkommunen auf Vorschlag der kommunalen Spitzenverbände würde dem Erfordernis einer systemgerechten Abgrenzung nicht genügen. Die Mitwirkung der Verbände entbindet nach Bay VerfGH BayVBl 2009, S. 12 (14) „nicht von dem Erfordernis, die Auswahl der Modellkommunen als solche nach sach- und systemgerechten Kriterien zu treffen.“ 586 Landtag M-V, PlPr 4/64, S. 3731. 587 Zu entsprechenden Forderungen Landtag M-V, LTDrs 4/1878, S. 4; PlPr 4/55, S. 3159 und 4/64, S. 3731. 588 PlPr 4/64, S. 3731 f. (Abgeordnete Heinz Müller, SPD und Wolf Dieter Ringguth, CDU). 589 Näher oben § 7 A II 6. 590 Vgl. BVerfGE 88, 87 (96); 99, 367 (388 ff.).
464 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
führten zwar zu einer tatsächlichen Besserstellung der Grundrechtsträger in der Modellregion, bewegten sich aber noch im Rahmen des verfassungsrechtlich Vertretbaren. Auch Art. 12 Abs. 1 GG wurde durch die in der Modellregion getroffenen Maßnahmen nicht verletzt. Zwar stellen die dortigen Privilegierungen einen mittelbaren Eingriff in die Berufsfreiheit der außerhalb der Region tätigen Wettbewerber dar. Diese sind aber als bloße Berufsausübungsregelungen mit dem Erprobungszweck des Gesetzes als einer vernünftigen Erwägung des Allgemeinwohls gerechtfertigt. 2. Testregionen für Bürokratieabbau: Rechtspolitische Bewertung a) Innovatives Instrument experimenteller Gesetzgebung Testregionen für Bürokratieabbau sind ein wichtiges Instrument der Verwaltungsmodernisierung. In solchen Modellregionen wird die praktische Erprobung nicht allgemein konsentierter Maßnahmen ermöglicht. Allerdings hängt der Erfolg solcher Projekte ganz entscheidend von der Qualität der begleitenden und nachschauenden Evaluation ab. Gerade hier darf nicht gespart werden, besteht doch ansonsten die Gefahr, dass die Testregionen zu einem modernitätsumwehten Zeitgeistprojekt einer symbolischen Gesetzgebung degenerieren. Es muss daher gewährleistet sein, dass für entsprechende Modellvorhaben ausreichende finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um die während der Versuchsphase gewonnenen Erfahrungen (auch extern) zu evaluieren. Diesbezüglich blieb Mecklenburg-Vorpommern – offenbar dem Diktat der knappen Kassen gehorchend – leider hinter den in anderen Bundesländern geleisteten Anstrengungen erheblich zurück. Überdies ist experimentelle Gesetzgebung nur dort legitimiert, wo noch Unsicherheit bezüglich der Auswirkungen der ausgewählten Maßnahmen herrscht. Steht dagegen fest, dass eine landesweite Übernahme der Innovationen sinnvoll und erforderlich ist, besteht kein rechtfertigender Grund der Beschränkung auf Test- oder Modellregionen. Die Absicht, „nur dort, wo es wirklich notwendig ist, in einem begrenzten Experimentierfeld zu arbeiten“ 591, die Regelungen aber ansonsten auf die „Testregion MecklenburgVorpommern“ 592 auszudehnen, ist daher zu begrüßen.
591
Abgeordneter Heinz Müller (SPD); Landtag M-V, PlPr 4/64, vom 05. 10. 2005, S. 3731. 592 Abgeordneter Wolf-Dieter Ringguth (CDU), Landtag M-V, PlPr 4/64 vom 05. 10. 2005, S. 3731.
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b) Modellregionen als „Exportschlager“ Die Innovationskraft des Konzepts der Modellregionen wird durch die Aktivitäten in anderen Bundesländern belegt, welche nach dem Vorbild NordrheinWestfalens und Mecklenburg-Vorpommerns entsprechende Gesetzgebungsaktivitäten entfaltet haben. aa) Niedersächsisches Modellkommunengesetz In Niedersachsen ermöglichte das Gesetz zur Erprobung erweiterter Handlungsspielräume in Modellkommunen (Modellkommunengesetz – ModKG) 593 seit dem 01. 01. 2006 in einigen Landkreisen und Städten 594 die Veränderung oder Nichtanwendung bestimmter Gesetze, um so die Erweiterung kommunaler Handlungsspielräume zu erproben (§ 1 ModKG). Das Gesetz war zunächst bis zum 31. 12. 2008 befristet, wurde aber zunächst bis zum 31. 10. 2009 595 und später – mit erheblichen Modifikationen – nochmals bis zum 31. 12. 2011 596 verlängert. Das ModKG in seiner ursprünglichen Fassung sollte die kommunalen Körperschaften von Vorschriften entlasten, Verwaltungsverfahren beschleunigen und die Bürger- und Unternehmensorientierung der Verwaltung verbessern. In den Modellkommunen wurden bestimmte landesrechtliche Regelungen, die auf Vorschlägen der teilnehmenden Kommunen basierten, außer Kraft gesetzt bzw. modifiziert 597. Zudem verkürzte man in den Modellkommunen zum Zwecke der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren zahlreiche Fristen (§ 5 ModKG) 598. § 6 ModKG, der noch bis zum 31. 12. 2011 in Kraft ist, ermöglicht schließlich die Lockerung von Zuständigkeitsregelungen zwischen Landkreisen und ihren kreisangehörigen Gemeinden. Das Modellprojekt wird nach § 7 ModKG kontinuierlich evaluiert. Am 01. 07. 2007 wurde dem Niedersächsischen Landtag der 1. Zwischenbericht über die wissenschaftliche Begleitung des Projekts vorgelegt, der überwiegend empirische Daten enthielt, die bei den Mo593
Vom 08. 12. 2005; Nds. GVBl, S. 386. Modellkommunen sind bzw. waren nach § 2 ModKG die Landkreise Cuxhaven, Emsland und Osnabrück und ihre kreisangehörigen Gemeinden sowie (bis zum 31. 10. 2009) die Städte Lüneburg und Oldenburg. 595 Durch Gesetz zur Änderung des ModKG und anderer Gesetze vom 10. 12. 2008; Nds. GVBl., S. 361. 596 Durch Art. 13 des Gesetzes vom 28. 10. 2009; Nds GVBl; S. 366, ber. S. 410 wurden §§ 1, 2, 6, 7 und 8 ModKG neu gefasst und §§ 3 bis 5 ModKG gestrichen. 597 Näher §§ 3, 4 ModKG, die bis zum 31. 10. 2009 galten. Vorwiegend handelte es sich um Modifizierungen im Bauordnungs-, Umwelt-, Kindertagesstätten-, Personalvertretungs- und Schulrecht. 598 § 5 ModKG galt ebenfalls bis zum 31. 10. 2009. Die Fristverkürzungen betrafen das Bauordnungs-, Naturschutz, Abfall-, Bodenschutz-, Straßen-, Kommunal- und Wasserrecht. 594
466 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
dellkommunen erhoben wurden 599. Der Bericht beinhaltete eine vorläufige Wirkungsanalyse und in Form einer Fallzahlenanalyse umfassendes Datenmaterial zu den Implementationsfolgen des Gesetzes für Bürger und Verwaltungen. Der 2. Zwischenbericht vom Juli 2008 stützte sich neben der weiteren empirischen Datenerhebung und -auswertung auf Interviews verschiedener Experten 600. Seit Juni 2009 liegt schließlich der Abschlussbericht des Projekts vor 601. Nach § 7 Abs. 2 ModKG hatte die Landesregierung dem Landtag bis zum 31. 10. 2009 abschließend über die aus der Erprobung gewonnenen Erkenntnisse zu berichten. Vier in den Modellkommunen erprobte Regelungen wurden bereits zum 01. 01. 2009 602 in landesweit geltendes Recht umgesetzt. Mit Gesetz vom 28. 10. 2009 603 übernahm man weitere Vorschriften landesweit, die sich in der Erprobungsphase bewährt haben 604. bb) Bayerisches Modellkommunengesetz Auch in Bayern gibt es seit dem 01. 05. 2007 Modellkommunen. Das als § 1 des Gesetzes zur Erweiterung und Erprobung von Handlungsspielräumen der Kommunen vom 10. 04. 2007 605 verkündete „Gesetz zur Erprobung einer Freistellung ausgewählter Kommunen von der Einhaltung von Rechtsvorschriften (Modellkommunengesetz)“ ermöglicht im Freistaat nach niedersächsischem Vorbild 10 kreisangehörigen und 4 kreisfreien Gemeinden sowie 9 Landkreisen bis zum 30. 04. 2011 die modifizierte Anwendung bestimmter landesrechtlicher Vorschriften. Mit dem Modellversuch, welchen die Bayerische Staatsregierung als unverzichtbaren Bestandteil ihrer Deregulierungsstrategie versteht 606, wird die befristete Befreiung der Modellkommunen von bestimmten Standards er599
Im Internet abrufbar unter www.stk.niedersachsen.de (Abrufdatum: 08. 02. 2011). Dieser Bericht ist ebenfalls unter www.stk.niedersachsen.de verfügbar (Abrufdatum: 08. 02. 2011). Als – eher ernüchternde – Zwischenbilanz ergab sich, dass die meisten Regelungen bis zum Berichtszeitpunkt kaum oder überhaupt nicht angewendet wurden. Der Anwendungsschwerpunkt des ModKG lag im Bauordnungsrecht, wo bis zum 31. 03. 2008 mehr als 20.000 und damit 90 % aller Fälle gemeldet wurden. Nennenswerte Fallzahlen gab es sonst nur bei den Zuständigkeitsverlagerungen (1080), im Kommunal(508), im Naturschutz- (379) sowie im Wasserrecht (284). 601 Dieser Bericht ist unter www.stk.niedersachsen.de im Internet verfügbar (Abrufdatum: 08. 02. 2011). 602 Durch Gesetz zur Änderung des ModKG und anderer Gesetze vom 10. 12. 2008; Nds. GVBl; S. 361. 603 Gesetz zur landesweiten Umsetzung der mit dem Modellkommunen-Gesetz erprobten Erweiterung kommunaler Handlungsspielräume; Nds GVBl. S. 366, ber. 410. 604 Zu den Einzelheiten Landtag Nds, LTDrs 16/1497, S. 13 ff; 16/1762 und 16/1787. 605 Bay GVBl; S. 271. 606 Vgl. Gesetzentwurf der Staatsregierung, Bayerischer Landtag, LTDrs 15/6415, S. 7. 600
§ 16 Die Jahre 2005 und 2006
467
probt. Im letzten Jahr der vierjährigen Erprobungsphase soll beurteilt werden, „ob sich die Nichtanwendung einzelner Vorschriften bewährt hat und damit landesweit umgesetzt werden kann“ 607. Schwerpunkte des Gesetzes liegen im Bereich des Kommunal-, des Denkmalschutz-, des Personalvertretungs- sowie des Schulrechts 608. Auf eine Popularklage erklärte der Bayerische Verfassungsgerichtshof die das Denkmalschutzrecht betreffenden Vorschriften der Art. 2 Nr. 2, 3 Nr. 2 und 4 Nr. 2 Modellkommunengesetz für verfassungswidrig 609. cc) Überlegungen zur Errichtung von Modellkommunen in Brandenburg Auch in Brandenburg plante die Landesregierung Anfang 2006 die Einrichtung von Modellregionen. Zu diesen sollten ausweislich des Regierungsentwurfs 610 des am 01. 08. 2006 in Kraft getretenen Ersten Gesetz zum Abbau von bürokratischen Hemmnissen im Land Brandenburg (1.BbgBAG) 611 sechs Landkreise sowie die kreisfreien Städte Brandenburg an der Havel und Cottbus bestimmt werden 612. Im parlamentarischen Verfahren wurde diese Idee aber verworfen, weil man mit einer territorialen und materiell-rechtlichen Erprobungsklausel einem weitergehenden Deregulierungsansatz gerecht zu werden glaubte 613. Der brandenburgische Gesetzgeber setzte stattdessen auf eine zunächst bis zum 01. 09. 2010 befristete (vgl. Art. 1 § 2, Art. 23 Abs. 2 des 1. BbgBAG) und später unter erheblichen Erweiterungen bis zum 01. 09. 2011 verlängerte 614 landesweite Standardöffnungsklausel in einem Brandenburgischen Standarderprobungsgesetz (Bbg StEG). Das in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht unkritisiert gebliebene Gesetz 615 hat Vorbildcharakter für das in Mecklenburg-Vorpommern am 13. 11. 2010 in Kraft getretene Komm StEG M-V 616.
607
Bayerischer Landtag, LTDrs 15/6415, S. 1. Näher Bayerischer Landtag, LTDrs 15/6415 und LTDrs 15/7699. Zur kontroversen parlamentarischen Debatte Bayerischer Landtag, Plenarprotokoll 15/90, S. 6824 ff. 609 Bay VerfGH BayVBl 2009, S. 12. Näher oben § 16 IV C 1 b. 610 Landtag Brandenburg, LTDrs 4/2735. 611 Vom 28. 06. 2006; Bbg GVBl; S. 74. 612 Landtag Brandenburg, LTDrs 4/2735. 613 Vgl. Landtag Brandenburg, LTDrs 4/3061, S. 79 f. 614 Vgl. Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Erprobung der Abweichung von landesrechtlichen Standards in Kommunen des Landes Brandenburg vom 12. 07. 2007, Bbg GVBl; S. 125. 615 Zu den Einzelheiten Dyllick / Neubauer, LKV 2007, S. 18 sowie Otto, LKV 2008, S. 67. 616 Dazu bereits oben § 14 B III. 608
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c) Rechtspolitische Bewertung der sonstigen Deregulierungsmaßnahmen Weniger positiv als bei der Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg fällt die Reformbilanz aus, wenn man die bisher landesweit umgesetzten Deregulierungsmaßnahmen betrachtet. Diese gehen zwar über eine bloße symbolische Gesetzgebung hinaus, auf der anderen Seite fällt es aber schwer, die oft kleinteiligen Veränderungen als großen Durchbruch zu preisen. Zwar ist es gelungen, auf manche Mitwirkungsregelung und den einen oder anderen kommunalen Standard zu verzichten. Dennoch fällt die Bilanz der Deregulierungsgesetzgebung bisher insgesamt eher bescheiden aus. Auch die in der Testregion Westmecklenburg regional beschränkt erprobten Sonderregelungen kann man im Vergleich mit Ostwestfalen-Lippe und den Modellkommunengesetzen in Niedersachsen und Bayern nicht als übertrieben mutig bezeichnen. Die bisherige Deregulierungspolitik bestätigt somit den Eindruck, dass es sich bei der Regelungsoptimierung auf Bundes- 617 und Landesebene um „Kärrnerarbeit“ handelt. Vielen geht die in Mecklenburg-Vorpommern verfolgte Politik der kleinen Schritte deshalb auch nicht weit genug. Beklagt wird, dass der Deregulierungsprozess mut- und kraftlos angegangen werde und Fortschritte nur quälend langsam erreicht würden. Das vom damaligen Justizminister und jetzigem Ministerpräsidenten Erwin Sellering stammende Bonmot: „Deregulierung erhält viel Zustimmung, es sei denn natürlich, sie wird konkret“ 618 belegt, mit welchen Widerständen die Streichung jeder einzelnen Vorschrift verbunden ist und ist für Rechtsoptimierungsprozesse auf allen bundesstaatlichen Ebenen typisch 619. Andererseits hat die in Mecklenburg-Vorpommern bisher festzustellende Vorsicht und Sorgfalt bei der Deregulierungsgesetzgebung erhebliche Vorteile. Lobenswert ist zunächst, dass bei allen Deregulierungsgesetzen in oft akribischer Kleinarbeit nach parlamentarischen Kompromissen gesucht und insofern „beharrlich dicke Bretter gebohrt“ 620 wurden. Anders als die mit dem VwModG M-V 2006 geplante Kreisgebiets- und Funktionalreform wurde das Thema Regelungsoptimierung weitgehend im parlamentarischen Konsens behandelt. Trotz unterschiedlicher Positionen zu der Frage, ob die dort erreichten Verbesserungen weit genug gingen, wurden die ersten drei Deregulierungsgesetze im Landtag einstimmig beschlossen 621. Das Schicksal des Verwaltungsmodernisierungsge617
Dazu bereits § 8 E. Landtag M-V, PlPr 4/55, S. 3155. 619 Lesenswert zu den Hintergründen Wulfhorst, ZRP 2004, S. 82. 620 Trotz in jüngster Zeit inflationären Verwendung (eine am 27. 08. 2010 durchgeführte Internetrecherche ergab 67.100 Treffer) umschreibt die von Max Weber 1919 in seinem Essay „Politik als Beruf“ benutzte Metapher von der Politik als das „langsame Bohren dicker Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß“ bis heute in unübertroffener Weise die Aufgabe des Politikers. 618
§ 16 Die Jahre 2005 und 2006
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setzes 622 führt eindrucksvoll vor Augen, dass eine konsensorientierte Vorgehensweise davor bewahren kann, den Boden des verfassungsrechtlich Zulässigen zu verlassen. Zudem sollte das in der „Mühe der Ebenen“ bisher Erreichte nicht gering geschätzt werden. Normprüfstelle, Bürokratiekostenmessung, die Ermöglichung ehrenamtlichen Engagements in der Testregion Westmecklenburg, aber auch das fakultative Widerspruchsverfahren sowie die am 01. 09. 2006 in Kraft getretene LBauO M-V 623 sind bei aller Kritik im Einzelnen Erfolgsmodelle und rechtfertigen die Einschätzung, dass der – kontinuierlich fortzusetzende – Verwaltungsmodernisierungsprozess in Mecklenburg-Vorpommern alles in allem auf einem guten Wege ist.
D. Sonstige Maßnahmen zur Regelungsoptimierung in den Jahren 2005 und 2006 I. Reformmaßnahmen im Jahre 2005 Mit dem 2005 novellierten Landeswaldgesetz 624 wurde der generelle Abstand von baulichen Anlagen zum Wald von 50 auf 30 Meter verringert. Bemerkenswert ist zudem die in § 20 Abs. 2 LWaldG M-V eingeführte Konzentrationswirkung der Waldabstandsgenehmigung. Diese zunächst unscheinbar anmutende Änderung leitete eine Entwicklung ein, die mit der Novellierung der LBauO M-V fortgesetzt wurde und dort zur Konzentrationswirkung der Baugenehmigung führte 625. Zudem verzichtet § 20 Abs. 3 LWaldG auf eine Waldabstandsgenehmigung im Geltungsbereich eines rechtsverbindlichen unter Beteiligung der Forstbehörde zu Stande gekommenen Bebauungsplans. Im Jahr 2005 trat zudem ein neues (und vereinfachtes) Fischereirecht in Kraft 626. Ferner wurden bestimmte bauaufsichtliche Aufgaben für Fliegende Bauten privatisiert 627 und mit einer umfassenden Novellierung des Landeswassergesetzes 628 die bis zum 22. 12. 2003 in nationales Recht umzusetzende Wasserrahmenrichtlinie (verspä621
Landtag M-V, PlPr 4/64, S. 3734 (1. DeregG); PlPr 4/69, S. 4109 (2. DeregG) und PlPr 4/80, S. 4884 (3. DeregG). Das 4. DeregG wurde gegen die Stimmen von FDP und NPD beschlossen; vgl. PlPr 5/105, S. 30. 622 Siehe sogleich § 17. 623 Näher unten § 19 A. 624 Erstes Gesetz zur Änderung des Landeswaldgesetzes vom 18. 01. 2005; GVOBl. M-V, S. 34. 625 Dazu eingehend § 19 A III. 626 Fischereigesetz (LFischG) vom 13. 04. 2005; GVOBl. M-V, S. 153. 627 Durch die Verordnung zur Übertragung von bauaufsichtlichen Aufgaben für Fliegende Bauten (ÜVO-FlBau M-V) vom 22. 04. 2005; GVOBl. M-V, S. 212. 628 Erstes Gesetz zur Änderung des Wassergesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 06. 06. 2005; GVOBl. M-V, S. 246, ber. S. 438. Das Gesetz setzt die Richtlinie
470 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
tet) in nationales Recht umgesetzt 629. Von herausragender Bedeutung für den Prozess der Regelungsoptimierung von Verwaltungsverfahren war schließlich das Fünfte Gesetz zur Änderung des AGStrG M-V 630 mit der seinerzeit bundesweit singulären Einführung eines bereichsspezifischen Optionsmodells im Widerspruchsverfahren 631. II. Maßnahmen zur Regelungsoptimierung im Jahre 2006 Neben der Fortsetzung der Deregulierungsgesetzgebung stand die Novellierung des Bauordnungsrechts 632 im Mittelpunkt der Reformpolitik im Jahre 2006. Mit der in seinen wesentlichen Teilen am 01. 09. 2006 in Kraft getretenen Baurechtsnovelle folgte das Land dem bundesweiten Trend nach Abbau präventiver Kontrollen, setzte mit der Einführung einer Konzentrationswirkung im Baugenehmigungsverfahren aber auch eigene rechtspolitische Akzente 633. Zudem wurde das gesamte untergesetzliche Regelungswerk zum Bauordnungsrecht novelliert 634. Zahlreiche organisations- und materiellrechtliche Änderungen gab es im Umweltrecht. Mit einer am 01. 06. 2006 in Kraft getretenen Landesverordnung 635 waren Zuständigkeitskonzentrationen verbunden. Das StAUN Ueckermünde verlor seine Vollzugszuständigkeiten für das Abfall- und Immissionsschutzrecht. Diese gingen auf die StÄUN in Neubrandenburg und Stralsund über. Mit Verordnung vom 19. 12. 2006 636 wurden zudem (rückwirkend zum 01. 01. 2006) die Behördensitze der Großschutzgebietsverwaltung festgelegt. Noch wichtiger als 2000/60/EG vom 23. 10. 2000; ABl. EG Nr. L 327, S. 1 – sog. „Wasserrahmenrichtlinie“ – um. 629 Wegen nicht fristgerechter Umsetzung der Richtlinie wurde Deutschland im Dezember 2005 durch den EUGH (Rs. C-67/05) verurteilt. Näher Laskowski / Ziehm, in: Koch, § 5 Rn. 20 ff. 630 Vom 05. 07. 2005; GVOBl. M-V, S. 307. 631 Dazu bereits oben § 9 F III 3 und V. 632 Durch das Gesetz zur Neugestaltung der Landesbauordnung und zur Änderung anderer Gesetze vom 18. 04. 2006; GVOBl. M-V 2006, S. 102. 633 Zur Regelungsoptimierung im Bauordnungsrecht siehe § 19 A. 634 Mit der Baugebührenverordnung (GVOBl. M-V, S. 588), der Prüfingenieure- und Prüfsachverständigenverordnung (GVOBl. M-V, S. 595), der Bauprodukte- und Bauartenverordnung (GVOBl. M-V, S. 610) und der Bauvorlagenverordnung (GVOBl. M-V, S. 612), jeweils vom 10. Juni 2006, traten zum 01. 09. 2006 alle wesentlichen Rechtsverordnungen zum Bauordnungsrecht in Kraft. 635 Landesverordnung zur Modernisierung der Abfall- und Immissionsschutzverwaltung in den unteren Landesbehörden der Umweltverwaltung vom 23. 05. 2006; GVOBl. M-V, S. 268. 636 GVOBl. M-V, S. 859.
§ 16 Die Jahre 2005 und 2006
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diese organisationsrechtlichen Maßnahmen waren die materiellrechtlichen Änderungen im Umweltrecht. Mit dem Gesetz zur Einführung einer Strategischen Umweltprüfung und zur Umsetzung der SUP-Richtlinie vom 14. 07. 2006 637 wurden überfällige europarechtliche Vorgaben umgesetzt und das Landes-UVP-Gesetz, das LPlG M-V sowie das LNatG M-V novelliert. Das Gesetz zur Neugestaltung der Landesbauordnung und zur Änderung anderer Gesetze enthielt auch Verfahrensvereinfachungen im Naturschutzrecht. In § 65b LNatG wurde eine einheitliche Naturschutzgenehmigung eingeführt, welche die naturschutzrechtlichen Zulassungs-, Ausnahme- und Befreiungstatbestände zusammenfasste 638. Bei der – nunmehr in §§ 40 bis 42 NatSchAG M-V 639 geregelten – Naturschutzgenehmigung handelt es sich um eine umfassende fachgesetzliche Verfahrenskonzentration. Ihre Einführung ermöglichte es, das Recht der naturschutzrechtlichen Zulassungen übersichtlicher zu gestalten und zahlreiche Vorschriften des LNatG M-V aufzuheben. Das Informationsfreiheitsrecht erhielt 2006 zwei miteinander konkurrierende landesrechtliche Grundlagen. Mit dem bis zum 30. 06. 2011 befristeten Informationsfreiheitsgesetz 640 beschritt der Gesetzgeber wiederum den Weg der experimentellen Gesetzgebung 641. Unbefristet gilt dagegen das (gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 IFG M-V) speziellere UIG M-V, mit dem europarechtliche Vorgaben in das Landesrecht transformiert wurden mussten 642. Diese Zugangsvielfalt im Informationsfreiheitsrecht erschwert nicht nur dem Bürger, sondern auch den Behörden den Umgang mit dem Informationsfreiheitsrecht erheblich 643. Wichtige Gesetzesänderungen betrafen zudem das Ordnungsrecht. Mit dem 4. SO637
GVOBl. M-V, S. 560. Näher Sauthoff / Bugiel / Göbel, NatSchAG M-V, Einl. Rn. 84 n. ff. 639 Gesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern zur Ausführung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 23. 02. 2010; GVOBl. M-V, S. 66. Nicht umfasst von der Naturschutzgenehmigung ist die in § 42 Abs. 2 Satz 1 geregelte Zoogenehmigung. 640 Vom 10. 07. 2006; GVOBl. M-V, S. 556. Vgl. dazu auch die Durchführungshinweise zum Informationsfreiheitsgesetz – Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums – vom 19. 09. 2007; ABl. M-V, S. 486. Die Gebühren und Auslagen nach dem IFG M-V regelt die Informationskostenverordnung (IFGKostVO M-V) vom 01. 07. 2008; GVOBl. M-V, S. 231. 641 Nach § 15 IFG M-V hat der Landtag das Gesetz ein Jahr vor Außerkrafttreten zu evaluieren. Vgl. dazu Rodi, Gutachten zur Vorbereitung einer Evaluation des Informationsfreiheitsgesetzes M-V vom 10. 09. 2009, Landtag M-V, LTDrs 5/3533, S. 14 ff. Zu den Erfahrungen mit dem IFG M-V siehe auch Felicitas von Mutius, NordÖR 2010, S. 45 sowie Neumann, NordÖR 2008, S. 308. 642 Gesetz vom 14. 07. 2006; GVOBl. M-V, S. 568. Das Gesetz dient der Umsetzung der Öffentlichkeitsbeteiligungrichtlinie 2003/4/EG (ABl. EG Nr. L 41, S. 26). 643 Auf Bundes- und Landesebene gibt es mehr als 20 Informationszugangsgesetze. Zu Forderungen, das Rechtsgebiet zusammenzuführen Schomerus / Tolkmitt, DÖV 2008, S. 985 (993) und Schoch, NVwZ 2006, S. 877. In Schleswig-Holstein scheiterte ein solcher Versuch 2006 im Landtag. 638
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GÄndG 644 waren Änderungen vor allem im Bereich der Datenerhebung verbunden 645. Zudem wurde das Bestattungsrecht umfassend novelliert 646. Für die Finanzverwaltung wurde schließlich eine neue Zuständigkeitsverordnung erlassen, welche die Zahl der Finanzämter von 16 auf 15 reduzierte und einzelnen Finanzämtern Sonderzuständigkeiten für mehrere Finanzamtsbezirke übertrug 647.
§ 17 Verwaltungsmodernisierung und ihre verfassungsrechtlichen Grenzen: Der Reformprozess seit 2007 Ausdruck eines in den Jahren 2005 und 2006 intensiv betriebenen Verwaltungsreformprozesses in Mecklenburg-Vorpommern waren nicht nur die bereits dargestellten Aktivitäten der Binnenmodernisierung und Deregulierung 648, sondern vor allem das im April 2006 verabschiedete Gesetz zur Modernisierung der Verwaltung des Landes Mecklenburg-Vorpommern (A.). Das Reformprojekt sah mit der für 2009 geplanten Bildung von fünf Regionalkreisen unter Einkreisung aller sechs kreisfreien Städte und einer umfassenden Funktionalreform tiefgreifende Strukturveränderungen auf kommunaler Ebene vor, scheiterte jedoch vor dem Landesverfassungsgericht. Dieses erklärte die geplante Kreisstrukturreform mit einem bundesweit Aufsehen erregenden Urteil am 26. 07. 2007 649 für verfassungswidrig, weil unvereinbar mit der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung. Die unmittelbar mit der Kreisstrukturreform verbundenen sonstigen Reformvorhaben – insbesondere die geplante Aufgabenübertragung von der Landesebene auf die neuen Großkreise – wurden damit gegenstandslos. Dieser „Paukenschlag aus Greifswald“ prägte die weitere Verwaltungsmodernisierungsdebatte entscheidend, war die Politik angesichts der auch vom LVerfG nicht in Abrede gestellten Notwendigkeit von Strukturreformen auf kommunaler Ebene doch gefordert, den vorerst spektakulär gescheiterten Modernisierungsprozess nunmehr auf eine verfassungsrechtlich einwandfreie Grundlage zu stellen. Vor diesem alles überragenden Thema verblassten die sonstigen Reformaktivitäten in den Jahren 2007 und 2008 (B.), zumal das Jahr 2007 zudem von dem „Jahrhundertereignis G-8-Gipfel“ dominiert war. 644
Vom 10. 07. 2006; GVOBl. M-V, S. 551. Näher Biermann, in: Biermann / Wehser, SOG M-V, Einführung, Erl. 5.3.3. 646 Durch Gesetz vom 30. 06. 2006; GVOBl. M-V, S. 484. 647 Vgl. im einzelnen Verordnung vom 18. 11. 2005; GVOBl. M-V 2006, S. 3. 648 Siehe oben § 16. 649 LVerfG M-V 9/06 bis 17/06, LVerfGE, 18, 342. Auszugsweise abgedruckt auch in DVBl 2007, S. 1102 und NordÖR 2007, S. 353. 645
§ 17 Verwaltungsmodernisierung: Der Reformprozess seit 2007
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A. Scheitern als Chance? – Das Verwaltungsmodernisierungsgesetz vor dem Landesverfassungsgericht Im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung hat kein Projekt zu mehr Auseinandersetzungen geführt als das vom Landtag am 05. 04. 2006 in namentlicher Abstimmung mit 37 zu 33 Stimmen beschlossene Gesetz zur Modernisierung der Verwaltung des Landes Mecklenburg-Vorpommern (VwModG M-V) 650. In zeitlicher Parallelität zu Reformprozessen in anderen Flächenländern der Bundesrepublik Deutschland 651, vor dem Hintergrund einer angespannten Haushaltslage und angesichts der durch einen kontinuierlichen Bevölkerungsschwund verursachten Herausforderungen sollte das VwModG M-V die Antwort des Landes auf die Notwendigkeit einer umfassenden Organisationsreform in der öffentlichen Verwaltung sein. Das Gesetz sah in erster Linie eine Kreisgebietsreform vor, bei der zum Herbst 2009 unter Einkreisung aller sechs kreisfreien Städte fünf Großkreise gebildet werden sollten. Darüber hinaus waren die Übertragung zahlreicher, bisher von staatlichen Sonderordnungsbehörden wahrgenommener Aufgaben auf die neuen Großkreise und eine interkommunale Aufgabenneuordnung mit einer Stärkung der örtlichen Ebene vorgesehen. Obwohl die geplante Bildung von fünf Regionalkreisen vom Landesverfassungsgericht in Greifswald mit Urteil vom 26. 07. 2007 für nichtig und weite Teile der in Aussicht genommenen Funktionalreform deshalb für gegenstandslos erklärt wurden, lässt sich doch weitere Verlauf der Verwaltungsmodernisierungsdebatte im Lande ohne genaue Kenntnis dieses Reformvorhabens nicht verstehen. In der Folge werden daher zunächst Entstehungsgeschichte (I.), der wesentliche Inhalt (II.) sowie die verfassungsrechtliche und rechtspolitische Debatte im Vorfeld des Reformprojekts (III.) dokumentiert. Daran anschließend werden die zentralen Inhalte des Urteils des Landesverfassungsgerichts vom 26. 07. 2007 nachgezeichnet und die Reaktionen der Fachöffentlichkeit auf diese Entscheidung dargestellt (IV.). Zuletzt soll der gegenwärtige Stand der Kreisstruktur- und Funktionalreformdebatte in Mecklenburg-Vorpommern wiedergegeben werden (V.).
650
Vom 23. 05. 2006; GVOBl. M-V, S. 194. Umfassender Überblick zu den Aktivitäten in den Bundesländern bei Bauer / Bogumil et. al., Modernisierung und Ruge, Verwaltungsreformen, in: Henneke, Verwaltungsstrukturen, S. 91 ff. So hatte Sachsen-Anhalt seine bisherigen drei Regierungspräsidien bereits zum 01. 01. 2004 abgeschafft und als staatliche Bündelungsbehörde unterhalb der Ministerien ein Landesverwaltungsamt eingerichtet. Niedersachsen löste die vier Bezirksregierungen als staatliche Mittelinstanzen mit Wirkung zum 01. 01. 2005 auf. Baden-Württemberg hielt zwar am dreistufigen Verwaltungsaufbau fest, gliederte zum 01. 01. 2005 aber zahlreiche Landesoberbehörden in die bestehenden vier Regierungspräsidien und eine Vielzahl der unteren Sonderbehörden in die 35 Landratsämter und 9 Bürgermeisterämter der Stadtkreise ein (dazu eingehend Reiners, VBlBW 2008, S. 281). 651
474 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
I. Entstehung des Gesetzes Mit den „Eckpunkten zur Reform der öffentlichen Verwaltung“ vom Januar 2003 652 und der „Grundkonzeption einer umfassenden Verwaltungsmodernisierung“ vom Mai 2004 653 hatten die Landesregierung und der Landtag bereits umfangreiche Vorarbeiten für das VwModG M-V geleistet. Auf dieser Grundlage unterrichtete der Innenminister den Landtag Ende Mai 2004 mit einer Zusammenstellung von Beiträgen und Untersuchungen über die geplante Verwaltungsreform 654. Dort wurde das Regionalkreismodell als dasjenige Modell bezeichnet, „welches als einziges Gründe des öffentlichen Wohls für sich in Anspruch nehmen“ könne. Eine umfassende Funktionalreform setze zwingend die Bildung von Kreisen mit regionalem Zuschnitt voraus 655. In der Folge erarbeitete das Innenministerium den Entwurf für ein VwModG M-V. Diesen nahm die Landesregierung am 02. 11. 2004 zur Kenntnis und beauftragte den Innenminister mit der Anhörung der kommunalen Körperschaften und Verbände. Obwohl sich der Ressortentwurf massiver Kritik von kommunaler Ebene 656 und vom Landesrechnungshof ausgesetzt sah, beschloss das Kabinett am 17. 05. 2005 einen im Wesentlichen unveränderten Regierungsentwurf, der am folgenden Tag dem Landtag zugeleitet wurde 657. In der 175-seitigen Allgemeinen Begründung des Gesetzes 658 stellte die Landesregierung unter detaillierter Darlegung der wirtschaftlichen, demographischen und finanziellen Entwicklung des Landes den bestehenden Reformbedarf dar. Relativ knapp fielen dagegen die Ausführungen zum verfassungsrechtlichen Rahmen der Reform aus. In diesem Zusammenhang betonte man vor allem den weiten Ermittlungs-, Einschätzungs-, Bewertungsund Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers 659.
652
Landtag M-V, LTDrs 4/205 vom 04. 02. 2003. Dazu bereits § 15 A. Landtag M-V, LTDrs 4/1184. Siehe oben § 15 C. 654 Landtag M-V, LTDrs 4/1210. Enthalten sind u. a. der Abschlussbericht der IMAG zur Funktionalreform, eine Optimierungsanalyse und eine Zusammenfassung der Untersuchungen zur Verwaltungsreform. Die Landesregierung ließ sich zu Beginn des Modernisierungsprozesses durch die Professoren Maximilian Wallerath (Greifswald) und Albert v. Mutius (Kiel) als „sachverständige Rechtslotsen“ beraten. Ihre (kritischen) Stellungnahmen zum Eckpunktepapier des Innenministeriums „Rechtliche Rahmenbedingungen für die beabsichtige Verwaltungs- und Gebietsreform“ vom 15. 05. 2003 (LTDrs 4/1210, S. 151 ff.) finden sich in LTDrs 4/1210, S. 97 ff. und S. 115 ff. 655 Landtag M-V, LTDrs 4/1210, S. 94. 656 Zum Ressortentwurf gingen 571 Stellungnahmen ein; vgl. LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (355). 657 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 4/1710 mit einem Umfang von nicht weniger als 632 Seiten. 658 Landtag M-V, LTDrs 4/1710, S. 99 ff. 659 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 4/1710, S. 156. 653
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In der Folge wurde der Gesetzentwurf parlamentarisch beraten. Der im November 2002 vom Landtag eingesetzte „Sonderausschuss Verwaltungsmodernisierung und Funktionalreform“ beschloss am 10. 06. 2005, eine Anhörung durchzuführen, und übersandte insgesamt 1069 Schreiben u. a. an die kommunalen Gebietskörperschaften, die Ämter und 126 Verbände mit der Bitte um Stellungnahme bis zum 16. 09. 2005. Die eingegangenen 290 Stellungnahmen wurden vom Sonderausschuss Verwaltungsmodernisierung in einer Vorlage der wesentlichen Ergebnisse des Anhörungsverfahrens zusammengestellt 660. Das öffentliche Anhörungsverfahren fand vom Dezember 2005 bis zum Februar 2006 mit zwei großen Anhörungen am 27. 01. 2006 und am 03. 02. 2006 statt. Insgesamt wurden über 150 kommunale und Verbandsvertreter sowie Sachverständige gehört. Am 27. 03. 2006 legte der Sonderausschuss dem Landtag seine Beschlussempfehlung und seinen Bericht vor 661. In der 2. Lesung am 05. 04. 2006 stimmte der Landtag über das Gesetz namentlich ab; es wurde mit 37 zu 33 Stimmen angenommen 662. II. Wesentlicher Inhalt Mit dem 29 Artikel umfassenden VwModG M-V 663 sollten die politischen Entscheidungen zur Verwaltungsmodernisierung hinsichtlich der Kreisstruktur und der Funktionalreform umgesetzt werden. Sein Kernstück war das Gesetz über die Funktional- und Kreisstrukturreform des Landes Mecklenburg-Vorpommern (FKrG M-V), das aus vier Teilen bestand. In Teil 1 (§§ 1 bis 46 FKrG M-V) war eine Aufgabenübertragung vom Land auf kommunale Aufgabenträger (sog. „Funktionalreform I“) vorgesehen, die am 01. 10. 2009 in Kraft treten sollte. Geordnet nach den Geschäftsbereichen der Ressorts war eine weit gehende Übertragung staatlicher Aufgaben auf die neuen Großkreise vorgesehen. Die bisher von unteren Landesbehörden wahrgenommenen Aufgaben sollten auf der kommunalen Ebene gebündelt werden, um eine deutlich effektivere und effizientere Aufgabenerfüllung zu gewährleisten 664. Im Wirtschaftsverwaltungsund Baurecht waren Aufgabenübertragungen im Schornsteinfeger-, Eich- und Messwesen, in der Straßenbauverwaltung (§§ 3 bis 5 FKrG M-V) sowie bei der Genehmigung von Flächennutzungsplänen, der Durchführung baufachlicher Prüfungen und bei Aufgaben der Regional- und Landesplanung (§§ 21 bis 23 FKrG M-V) vorgesehen. Im Umweltrecht stand die Kommunalisierung von Aufgaben 660 Vgl. den Zwischenbericht des Sonderausschusses vom 13. 01. 2006; Landtag M-V, LTDrs 4/2080. 661 Landtag M-V, LTDrs 4/2163. 662 Landtag M-V, PlPr 4/64 vom 05. 04. 2006, S. 4402 ff. 663 Von einem „Konglomerat“ spricht treffend Hubert Meyer, NVwZ 2007, S. 1024. 664 Landtag M-V, LTDrs 4/1710, S. 2.
476 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
im Immissionsschutz-, Wasser-, Abfall-, Bodenschutz- und Naturschutzrecht sowie bei der Durchführung umweltrechtlicher Förderprogramme in Rede (§§ 35 bis 41 FKrG M-V). Diese Aufgaben sollten von den neuen Großkreisen überwiegend im übertragenen Wirkungskreis erfüllt werden (§§ 41 bis 43 FKrG M-V). Gem. § 45 FKrG M-V war geplant, nahezu alle unteren Landesbehörden sowie die Regionalen Planungsverbände aufzulösen 665. Teil II (§§ 47 bis 71 FKrG M-V) sah eine Interkommunale Aufgabenneuzuordnung (sog. Funktionalreform II) vor, mit der Aufgaben von den Kreisen auf die Ämter und amtsfreien Gemeinden übertragen werden sollten. Insbesondere wollte man bisher zum Teil auf örtlicher, zum Teil auf Kreisebene, wahrgenommene Aufgaben im Gewerbe- und Handwerksrecht, im Personenstandswesen, im Fischerei- und Schornsteinfegerwesen und im Straßenverkehrsrecht auf der örtlichen kommunalen Ebene bündeln. Die entsprechenden Regelungen (§§ 59 bis 63, 66, 67, 68 Abs. 2 FKrG M-V) traten gem. Art. 29 Abs. 1 VwModG M-V bereits zum 01. 08. 2006 in Kraft und sind – da unabhängig von der Kreisgebietsreform – vom LVerfG M-V nicht beanstandet worden 666. Darüber hinaus sollten weitere Aufgaben im Straßenverkehrs- und Wasserrecht gem. Art. 29 Abs. 5 VwModG M-V ab dem Zeitpunkt der Kreistagswahlen 2009 auf der örtlichen kommunalen Verwaltungsebene bearbeitet werden 667. Vorgesehen waren schließlich besondere Aufgabenzuordnungen an die großen kreisangehörigen Städte. Diese sollten gem. §§ 48 bis 58 FKrG M-V zusätzliche Aufgaben im Abfall-, Immissionsschutz-, Denkmalschutz, Waffen-, Naturschutz-, Jugendhilfe-, Sozialhilfe- und Straßenverkehrsrecht, im Öffentlichen Personennahverkehr, bei der Trägerschaft von Krankenhäusern sowie bei der Bauaufsicht übernehmen. Diese Änderungen wären ebenfalls mit den Kreistagswahlen 2009 in Kraft getreten. Wegen der Abhängigkeit von der Kreisgebietsreform erklärte das LVerfG M-V §§ 48 bis 58 FKrG M-V für gegenstandslos. Teil III (§§ 72 – 87 FKrG M-V) sah als Kernstück der Verwaltungsmodernisierung eine Kreisstrukturreform vor. Auf der Grundlage des § 97 Abs. 1 KV M-V, der die Auflösung, Neubildung und Gebietsänderung von Landkreisen aus „Gründen des öffentlichen Wohls“ 668 nach Anhörung der betroffenen Ämter, Gemeinden und Landkreise zulässt, sollten die bestehenden Kreisstrukturen unter 665 Aufgelöst werden sollten die Ämter für Landwirtschaft, Schulämter, die StÄUN, die Straßenbauämter, die Ämter für Raumordnung und Landesplanung sowie die Eichund Seemannsämter. 666 Vgl. LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (348). 667 Das LVerfG M-V hat den das Straßenverkehrsrecht betreffenden § 68 Abs. 1 FKrG M-V für gegenstandslos erklärt, nicht dagegen die in §§ 64, 65 FKrG M-V vorgesehenen Aufgabenverlagerungen im Wasserrecht. 668 Zur Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs mit Beurteilungsspielraum Rothe, Kreisgebietsreformen, S. 100 ff. Für die gemeindliche Ebene BVerfGE 56, 298 (312); 86, 90 (107), wonach Gemeinden gegen Eingemeindungen und Auflösungen nach Maß-
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vollständiger Einbeziehung der kreisfreien Städte in fünf Großkreise überführt werden. § 72 FKrG M-V sah vor, die bestehenden 12 Landkreise aufzulösen und aus ihnen mit Ablauf des Tages vor den Neuwahlen für die Kreistage im Jahr 2009 fünf neue Kreise zu bilden. In die nach §§ 73- 77 FKrG M-V vorgesehenen Kreise Mecklenburgische Seenplatte, Mittleres Mecklenburg-Rostock, Nordvorpommern-Rügen, Südvorpommern und Westmecklenburg wollte man auch die sechs kreisfreien Städte Rostock, Schwerin, Neubrandenburg, Stralsund, Greifswald und Wismar eingliedern. Diese Gebietskörperschaften sollten durch Änderung der Kommunalverfassung 669 mit Wirkung zum 01. 10. 2009 670 zu großen kreisangehörigen Städten werden, die neben ihren Aufgaben als amtsfreie Gemeinden in ihrem Gebiet zusätzlich die Aufgaben der Kreise erfüllen sollten, die ihnen durch oder auf Grund eines Gesetzes zugewiesen werden. In §§ 78 ff. FKrG M-V wurden Regelungen zum Wechsel von Gemeinden, zu Aufbaustäben, zur Rechtsnachfolge, zu kommunalen Wahlbeamten, zu Wahlen und zur Konstituierung der neuen Kreistage sowie zu weiteren organisatorischen Angelegenheiten getroffen. Überdies enthielt das FKrG M-V in Teil 4 (§§ 88 bis 101 FKrG M-V) übergreifende Regelungen, von denen diejenigen zum Personalübergang hervorzuheben sind. In § 88 FKrG M-V wurden die Kreise verpflichtet, bezüglich der Funktionalreform I das zur Aufgabenerfüllung notwendige Personal einschließlich der Ausbildungsverhältnisse aus den Landesbehörden zu übernehmen, welche die jeweilige Aufgabe zum Zeitpunkt der Kreisneubildung wahrgenommen haben 671. Der Übergang von Beamten und Arbeitnehmern im Rahmen der interkommunalen Aufgabenneuzuordnung wurde in §§ 89 bis 91 FKrG M-V geregelt, wobei nach § 91 FKrG M-V betriebsbedingte Kündigungen bis zum 30. 06. 2012 ausschlossen sein sollten. III. Verfassungsrechtliche und rechtspolitische Diskussion 1. Gegner des Regionalkreismodells Bald nachdem die Modernisierungspläne des Landes bekannt wurden, setzte eine lebhafte verfassungsrechtliche und verwaltungswissenschaftliche Debatte 672 gabe vorheriger Anhörung, zutreffender und vollständiger Sachverhaltsermittlung, nachvollziehbarer Abwägung der Gemeinwohlgründe und Neugliederungsziele sowie einer Schaden-Nutzen-Analyse unter Beachtung des rechtstaatlichen Übermaß- und Willkürverbots geschützt sind. 669 Vgl. Art. 3 VwModG M-V. Die großen kreisangehörigen Städte und ihr zukünftiger Aufgabenbereich sollten in § 7 KV M-V näher umschrieben werden. 670 Art. 28 Abs. 4 VwModG M-V. 671 Nähere Regelungen blieben gem. § 88 Abs. 2 FKrG M-V einem besonderen Gesetz vorbehalten. Siehe dazu das Personalübergangsgesetz (PersÜG M-V) vom 23. 05. 2006; GVOBl. M-V, S. 275.
478 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
ein, in deren Mittelpunkt die geplante Kreisgebietsreform stand. Insbesondere die vorgesehene Bildung der später als Regionalkreise 673 bezeichneten Großkreise geriet bald in den Fokus des Interesses. Die „Phalanx der Kritiker“ 674 hielt der geplanten Regionalkreisbildung vor, sie sei verfassungsrechtlich problematisch und verwaltungswissenschaftlich verfehlt 675. Ein wesentlicher, auf Art. 28 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 GG und Art. 72 LVerf M-V gestützter verfassungsrechtlicher Einwand gegen das Vorhaben war zunächst das Fehlen einer rechtstatsächlich belastbaren Defizitanalyse 676. Dieses Versäumnis habe – so die Kritiker – zur Folge, dass für eine so weit reichende Reform keine ausreichenden „Gründe des öffentlichen Wohls“ vorgetragen worden seien. Dies gelte umso mehr, als es sich wegen der bereits 1993 erfolgten Kreisneugliederung 677 um eine Mehrfachneugliederung handele, für die erhöhte Begründungsanforderungen gelten würden 678. Bereits früh wurde auch die flächenmäßige Ausdehnung der geplanten Regionalkreise kritisiert 679. Es liege „nicht in der Gestaltungsmacht der Länderparlamente, Ländergrößen zu Landkreisen zu mutieren“ 680. Auch Landkreise seien in erster Linie kommunale Selbstverwaltungskörperschaften, die sich zwar in besonderer Weise für die Übertragung weiterer Aufgaben eigneten, im Zuge einer Funktionalreform aber nicht zu staatlichen Verwaltungseinheiten werden dürften, die sich nur noch Selbstverwaltungsstrukturen für Restbereiche leisten 681. Das mit der flächenmäßigen Ausdehnung der Kreise verbundene Problem der 672 Kritisch zu den verwaltungswissenschaftlichen Begründungsansätzen der Reform Hubert Meyer, DÖV 2006, S. 929 (935 ff.). Umfassend auch Wallerath, „Rechtliche Rahmenbedingungen des Projekts der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern“; Landtag M-V, LTDrs 4/1210, S. 97 ff. 673 Ausführlich Hubert Meyer, Regionalkreisbildungen, in: Henneke, Verwaltungsstrukturen, S. 113 ff. 674 März, NJ 2007, S. 433 (435). Kritisch etwa die Beiträge von Ipsen, Stüer und Dombert, in: Meyer / Wallerath (Hrsg.), Gemeinden und Kreise in der Region; Rothe, Kreisgebietsreformen, S. 187 ff; S. 229 ff; Hubert Meyer, LKV 2005, S. 233; derselbe, DÖV 2006, S. 929; Dombert, Der Landkreis 2005, S. 526. 675 Hubert Meyer, DÖV 2006, S. 929. 676 Vgl. etwa Ruge, Verwaltungsreformen, in: Henneke, Verwaltungsstrukturen, S. 91 (106). 677 Näher oben § 12 A. 678 Zu den Anforderungen einer Mehrfachneugliederung Stüer, DVBl. 2007, S. 1267 (1270 f.). 679 Vgl. Wallerath, Landtag M-V, LTDrs 4/1210, S. 112 ff. unter dem Aspekt der „Überschaubarkeit“. Ebenso Ruge, in: Henneke, Verwaltungsstrukturen, S. 91(106). 680 Hubert Meyer, DÖV 2006, S. 929 (935). 681 Hubert Meyer, DÖV 2006, S. 929 (932) wonach manche Argumente der Landesregierung „eher die Notwendigkeit einer Länderneugliederung denn einer Kreisgebietsreform“ belegten. Verfassungsrechtliche Kritik an der „Staatslastigkeit“ der Regionalkreise bereits bei Stüer, LKV 2004, S. 6, (9).
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größer werdenden Entfernung des Bürgers von „seiner“ Verwaltung lasse sich auch nicht unter Hinweis auf die Internetkommunikation 682 und die geringe Zahl der jährlichen Kontakte mit der Kreisverwaltung entkräften 683. Mit der flächenmäßigen Ausdehnung der neuen Kreise wäre das Land „in der Tat in eine neue Dimension“ 684 vorgestoßen. Deren durchschnittliche Einwohnerzahl der Kreise hätte 346.000 685, ihre Fläche im Mittel ca. 4.600 km² betragen 686. Der geplante Kreis Westmecklenburg hätte mit 6.997 km² eine Ausdehnung gehabt, welche nahezu dreimal der Größe des Saarlandes entsprochen und in großen Flächenbundesländern die Größe der dortigen Regierungsbezirke erreicht oder sogar deutlich übertroffen hätte 687. Damit wären die neuen Kreise mit weitem Abstand die flächenmäßig größten in Deutschland gewesen. So wäre der Kreis Westmecklenburg mehr als doppelt so groß gewesen wie der derzeit größte Landkreis Uckermark in Brandenburg (3.058 qkm). Auch der Kreis Mecklenburgische Seenplatte hätte mit 5.809 qkm fast dessen zweifache Fläche erreicht. Selbst der kleinste Kreis Nordvorpommern-Rügen wäre mit 3.182 qkm größer als der bislang flächenstärkste deutsche Landkreis gewesen. Deshalb wurde die Frage aufgeworfen, ob es sich bei den neu zu bildenden Körperschaften überhaupt um Kreise im Sinne des Art. 72 Abs. 1 Satz 2 LVerf M-V oder nicht vielmehr um staatliche Verwaltungsbezirke handele 688. Trotz bestehender Bedenken hinsichtlich der flächenmäßigen Ausdehnung der Großkreise, die „nicht von der Hand zu weisen“ seien, hat das LVerfG M-V in seinem Urteil vom 26. 07. 2007 die Frage nach der maximal zulässigen Größe von Landkreisen offen gelassen. Bisher sei es nicht gelungen, überzeugungskräftig zu entwickeln, wo eine äußerste verfassungsrechtliche Grenze für die Fläche von Kreisen liege und wie weit die Grenze bei Einbeziehung weiterer Faktoren – etwa Verkehrsinfrastruktur und Bevölkerungsdichte – variabel wäre. Auch sei bisher noch kein Verfassungsgericht vor die Frage gestellt worden, ob Kreise, wie sie durch die §§ 73 bis 77 FKrG M-V festgelegt seien, noch dem verfassungsrechtlichen Bild des Kreises gerecht würden. Diese kaum generell zu beantwortende Frage könne – obgleich eigentlich logisch vorrangig – dahinstehen, da die Kreisgebietsreform jedenfalls aus anderen Gründen verfassungswidrig sei 689. 682
So aber Erbguth, LKV 2004, S. 1. Stüer, DVBl 2007, S. 1267 (1272). 684 LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (380). 685 Die Einwohnerzahl hätte zwischen 243.000 (Südvorpommern) und 449.000 (Westmecklenburg) betragen. 686 Gegenwärtig (31. 12. 2009) weisen die Landkreise im Schnitt 95.248 Einwohner und eine Fläche von ca. 1.900 km² auf. 687 Instruktives Zahlenmaterial bei Hubert Meyer, DÖV 2006, S. 929 (935 mit Fn. 46). 688 Vgl. LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (360 ff.); Hubert Meyer, DVBl 2008, S. 78 (85). 683
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Vor dem Hintergrund der flächenmäßigen Ausdehnung der Kreise wurde auch hinterfragt, ob unter den obwaltenden Bedingungen (räumliche Entfernungen von mehr als 150 km innerhalb einer Gebietskörperschaft) dem ehrenamtlich tätigen Kreistagsmitglied noch eine verantwortbare Ausübung seines Mandats zumutbar sei 690. Die gem. Art. 3 Abs. 2 LVerf M-V dem Aufbau der Demokratie von unten nach oben dienende Selbstverwaltung in den Gemeinden und Kreisen sei durch die überdimensionierten Regionalkreise gefährdet. Insbesondere könne die politisch-demokratische Funktion der kommunalen Selbstverwaltung nicht mehr gewährleistet werden. Diese sei gekennzeichnet durch eigenverantwortliche Entscheidung über die verfassungsrechtlich garantierten Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft, unmittelbare Betroffenheit der Entscheidenden, unmittelbare politische Verantwortung und politische Kontrolle sowie dem regelmäßigen Vorrang der politischen Beweggründe vor dem administrativen Bezug der Entscheidungsfindung in den Großkreisen. Durch die Kreisgebietsreform sei zudem die für die Entscheidungsfindung auf kommunaler Ebene typische kollegiale Meinungsbildung an Stelle von Entscheidungsabläufen in hierarchischen Strukturen und die hervorgehobene Mitwirkung des Ehrenamtes statt allein fachlich-professionellen Verwaltungsmanagements gefährdet 691. Schließlich verkenne die hauptsächlich von fiskalischen Erwägungen und Überlegungen zur Effizienzsteigerung durch Reorganisation der staatlichen Landesverwaltung getragene Modernisierungsdebatte, dass es nach einer von Maximilian Wallerath geprägten Formel 692 nicht allein um gute Verwaltung, sondern zugleich auch um gute Selbstverwaltung gehe. 2. Befürworter des Regionalkreismodells Der massiven Kritik an den Modernisierungsplänen der Landesregierung stand eine Reihe gewichtiger Stimmen gegenüber, welche keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die geplante Kreisstrukturreform hegten. So mahnte Wilfried Erbguth bereits früh verfassungsgerichtliche Zurückhaltung bei der Kontrolle der Kreisgebietsreform an 693. Angesichts der von ihm konstatierten „verfassungsrechtlich schwächeren Selbstverwaltungsposition 689 LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (380). März, NJ 2007, S. 433 (440) hält den Verzicht auf eine „Kreistheorie“ angesichts der die Entscheidung tragenden Gründe für nachvollziehbar. Als „gutes, mindestens vertretbares Beispiel richterlicher Selbstbeschränkung“ werten Katz / Ritgen, DVBl 2008, S. 1525 ff. die Vorgehensweise des Gerichts. Kritisch dagegen Mehde, NordÖR 2007, S. 331 (334). 690 Hubert Meyer, DÖV 2006, S. 929 (934); Stüer, LKV 2004, S. 6 (9). 691 Hubert Meyer, DÖV 2006, S. 929 (934) unter Hinweis auf v. Mutius, LKV 1996, 177 (178 ff.). 692 Vgl. Wallerath, LTDrs 4/1210, S. 97 (108). 693 Erbguth, LKV 2004, S. 1. Nachdrücklich für eine Reduktion der verfassungsrechtlichen Kontrolldichte auch Bull, DVBl 2008, S. 1 (5 f.).
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der Kreise gegenüber derjenigen von Gemeinden“ müsse der gerichtliche Kontrollmaßstab „noch weiter zurückgenommen werden als in Fällen kommunaler Neugliederung“ 694. Kreise stellten keine originären Selbstverwaltungsträger dar; ihr Selbstverwaltungsrecht sei, wie Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG verdeutliche, vielmehr gesetzesabhängig und „schwächele“ daher gegenüber demjenigen der Gemeinden 695. Auch Albert v. Mutius hob 2004 in einer umfassenden Stellungnahme 696 „bei allen Risiken und Nebenwirkungen für demokratische und partizipative Entscheidungselemente“ 697 die verwaltungspraktischen, ökonomischen, strukturellen und letztlich auch bürger- sowie unternehmerfreundlichen Vorteile des geplanten Kreismodells hervor. Dabei mahnte er aber auch einen effizienteren Unterbau und Maßnahmen zur Stärkung der demokratischen Selbstverwaltung an. Als flankierende Maßnahmen zu einer Kreisstrukturreform schlug v. Mutius unter anderem die weitere Kommunalisierung von Aufgaben und eine grundlegende Neuordnung der Ämterstruktur sowie der Amtsverfassung vor 698. Im Übrigen verwies auch er auf den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Die verfassungsrechtliche Kontrolle konzentriere sich im Wesentlichen auf „Schlüssigkeit der Konzeption, Verfahrensfragen, Anhörung, sorgfältige Abwägung, Begründung“ 699 und damit auf Anforderungen, denen man im parlamentarischen Verfahren gerecht werden könne 700. Hans-Peter Bull schließlich bescheinigte in einem im Auftrag der SPD-Fraktion des Landtages erstellten Gutachten 701 dem VwModG M-V ebenfalls, grundsätzlich 702 verfassungsgemäß zu sein. Die mit der Reform erstrebten Ziele der Steigerung der Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der Verwaltung seien 694 695
(383). 696
Erbguth, LKV 2004, S. 1 (6). Erbguth LKV 2004, S. 1 (2) unter Berufung auf BVerfGE 79, 127 (150); 83, 363
Landtag M-V, LTDrs 4/1210, S. 125 ff. Landtag M-V, LTDrs 4/1210, S. 127. 698 Vgl. näher Landtag M-V, LTDrs 4/1210, S. 131 ff. v. Mutius schlug die Vergrößerung der Regeleinwohnerzahl der Ämter auf 15.000 bis 20.000, die Einführung eines hauptamtlichen Amtsbürgermeisters als Leiter der professionellen Verwaltung, die Umwandlung des Amtsausschusses in eine echte Amtsvertretung und eine Erweiterung des Aufgabenkreises der neu strukturierten Ämter vor. 699 Landtag M-V, LTDrs 4/1210, S. 133. 700 Im Februar 2004 gab es diesbezüglich eine Information des Innenministeriums „Umfassende Verwaltungsreform wird vor dem Landesverfassungsgericht bestehen. Zwölf Antworten auf vielfach gestellte Fragen von Innenminister Dr. Gottfried Timm und Prof. Dr. Albert v. Mutius“. In dieser „ungewöhnlichen Öffentlichkeitsarbeit“ – März, NJ 2007, S. 433 (436) – wird hervorgehoben, es sei „kaum vorstellbar, dass das Landesverfassungsgericht, etwa in der Annahme einer Teilnichtigkeit, einzelne Elemente aus der Gesamtkonzeption herausbricht“. 701 Wiedergabe der Thesen des Gutachtens in NordÖR 2005, S. 458 ff. 697
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Gründe des öffentlichen Wohls i. S. d. § 97 Abs. 1 KV M-V. Durch die Übereinstimmung von Planungsregionen und Kreisgebieten werde eine besser abgestimmte und effektivere Regionalplanung möglich. Die Einkreisung der bisher kreisfreien Städte trage dazu bei, Probleme im Stadt-Umland-Verhältnis leichter lösbar zu machen. Die gegen die Verfassungsmäßigkeit der Reform vorgetragenen Bedenken seien nicht stichhaltig. Die Zugänglichkeit der Verwaltung bleibe gewahrt und werde durch elektronische Kommunikation sowie entsprechende Anlaufstellen sogar verbessert. Der vermeintliche Demokratieverlust infolge geringerer Repräsentationsdichte werde durch die Aufgabenvermehrung aufgewogen und könne durch veränderte Organisations- und Verfahrensweisen weiter kompensiert werden. Der Zuschnitt der neuen Kreise sei auch nicht etwa zu groß, sondern angemessen, um den Anforderungen künftiger Entwicklungen zu genügen. Die Kreise müssten auch deshalb sehr groß zugeschnitten werden, damit die bisher kreisfreien Städte kein Übergewicht in den neuen Kreisen erhielten. Durch die Aufgabenübertragungen im Zuge der Funktionalreform werde die kommunale Selbstverwaltung sogar gestärkt. Alternativen, die eine Erhaltung der bisherigen Gebietsstrukturen ermöglichen würden, seien nicht erkennbar. Bei einem umfassenden Reformansatz komme es nicht in Betracht, etwa den Fortbestand einzelner Kreise oder kreisfreier Städte zu prüfen, denn dadurch werde die Systemgerechtigkeit aufgegeben. Auch freiwillige Vereinbarungen oder Kooperationen seien nicht geeignet, die Gesamtreform zu ersetzen. Schließlich habe die Landesregierung bei der Erarbeitung und Überarbeitung des Entwurfs die vorgetragenen Argumente und Belange vollständig überdacht und die Vor- und Nachteile ihrer Konzeption korrekt gegeneinander abgewogen. Das Ergebnis sei nicht offensichtlich ungeeignet, widersprüchlich oder unangemessen. Ob es unter jedem Aspekt zweckmäßig sei und sich die Prognosen der Landesregierung in jedem Fall bewahrheiten würden, könne nicht Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Überprüfung sein. IV. Ein „Paukenschlag aus Greifswald“ – Verfassungswidrigkeit der §§ 72 bis 77 FKrG M-V und Gegenstandslosigkeit wesentlicher Teile des Verwaltungsmodernisierungsgesetzes Angesichts der kontroversen Diskussion im Vorfeld des Gesetzes wurde der Richterspruch des durch kommunale Verfassungsbeschwerden von elf Landkreisen und einem Normenkontrollantrag von 24 CDU-Abgeordneten des Landtages mit dem VwModG M-V befassten Landesverfassungsgerichts mit großer 702
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit bestünden aber unter dem Gesichtspunkt der Systemtreue bezüglich der Aufteilung Vorpommerns in zwei neue Kreise; vgl. NordÖR 2005, S. 458 (459).
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Spannung erwartet. Die Erwartungen sollten nicht enttäuscht werden. Das vom LVerfG M-V am 26. 07. 2007 verkündete Urteil erregte bundesweites Aufsehen. Auf die vom 25. – 27. 04. 2007 durchgeführte mündliche Verhandlung entschied das Gericht mit 6:1 Stimmen, dass die §§ 72 bis 77 FKrG M-V mit Art. 72 Abs. 1 Satz 2 LVerf M-V unvereinbar seien. Wegen der Verfassungswidrigkeit der geplanten Kreisgebietsreform erklärte das Gericht das VwModG M-V mit Ausnahme weniger, überwiegend die Aufgabenübertragung von den Landkreisen auf die Ämter und Gemeinden betreffender, Regelungen 703 für gegenstandlos. 1. Entscheidungsgründe im Überblick Die Entscheidung des LVerfG M-V ist bereits vielfach dargestellt worden 704. Deshalb sollen die tragenden Gesichtspunkte des Urteils nur in aller Kürze referiert werden. Das Gericht hielt die kommunalen Verfassungsbeschwerden der durch das erst im Jahre 2009 in Kraft tretende VwModG M-V bereits gegenwärtig betroffenen Landkreise 705 und den Normenkontrollantrag der Landtagsabgeordneten für begründet, da die §§ 72 bis 77 FKrG M-V mit Art. 72 Abs. 1 Satz 2 LVerf M-V unvereinbar seien. Das LVerfG M-V bejahte zunächst die Kompetenz des Landtages zur Regelung einer umfassenden Funktional- und Kreisgebietsreform. Diese ergebe sich aus Art. 70 Abs. 2 Satz 1 LVerf M-V und Art. 72 LVerf M-V und umfasse auch die Möglichkeit, in größerem Umfang staatliche Aufgaben auf die Kommunen zu übertragen. In der Folge klärte das Gericht zunächst den Inhalt der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung für die Kreisebene. Dabei hob das LVerfG M-V – ohne dabei systematischen Ehrgeiz zu entwickeln 706 – die kommunale Selbstverwaltung als Strukturprinzip hervor, das den Länden gem. Art. 28 Abs. 2 GG für ihren Verwaltungsaufbau vorgegeben sei. Diese institutionelle Garantie müsse vom Gesetzgeber nach den Maßstäben des Art. 72 LVerf M-V umgesetzt werden, wobei diese Vorschrift als kombinierter Ausgestaltungs- und Eingriffsvorbehalt verstanden wird 707.
703
Im Einzelnen sind dies vor allem §§ 59 bis 67; 68 Abs. 2; 69 bis 71; 89 Abs. 1 und 2; 90 Abs. 1, 2 und 4; 93 Abs. 2 i.V. m. Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 und 2; Abs. 6 Satz 1 und 2; Abs. 7 und 8; 99 Abs. 1 und 101 FKrG M-V sowie Teile der Art. 5; 20; 21; 23 und 29 VwModG. 704 Siehe insbesondere die Darstellungen bei Erbguth, DÖV 2008, S. 152; März, NJ 2007, S. 433 (436 ff.); Mehde NordÖR 2007, S. 331; Schönfelder / Schönfelder, SächsVBl 2007, S. 249. 705 Näher LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (369 f.); März, NJ 2007, S. 433 (436 f.). 706 März, NJ 2007, S. 433 (438). 707 März, NJ 2007, S. 433 (438).
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Bei der Ausgestaltung des Art. 72 Abs. 1 Satz 2 LVerf M-V habe der Gesetzgeber in besonderer Weise auf den demokratisch-partizipativen Gehalt der kommunalen Selbstverwaltung Rücksicht zu nehmen. Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie – die entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung in den Kreisen nicht von geringerer Rechtsqualität als in den Gemeinden sei 708 – bedeute eine Aktivierung des Bürgers für seine eigenen Angelegenheiten und werde durch die Staatsformbestimmung des Art. 3 LVerf M-V noch vertieft. Indem Art. 3 Abs. 2 LVerf M-V bestimme, dass die Selbstverwaltung in den Kreisen und Gemeinden dem Aufbau der Demokratie von unten nach oben diene, werde diese Form bürgerschaftlicher Selbstverwaltung als eigener Verfassungswert hervorgehoben. Leitbild der kommunalen Selbstverwaltung sei eine sich in einem politischen Gestaltungswillen niederschlagende eigenverantwortliche und ehrenamtliche bürgerschaftliche Mitwirkung an den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft 709. Die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung und die bürgerschaftlich-demokratische Selbstverwaltung stünden in einem Spannungsverhältnis zueinander, wobei die Verfassung den ökonomischen Erwägungen, dass eine zentralistisch organisierte Verwaltung rationeller und billiger arbeiten könne, Grenzen setze. Der Gesetzgeber müsse daher bei allen ökonomisch sinnvollen Lösungen „die Grundentscheidung des Grundgesetzes und der Landesverfassung für bürgerschaftlich-demokratische Mitwirkung stets im Blick haben und mit dem entsprechenden Gewicht einbeziehen“ 710. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die kommunale Selbstverwaltung nicht nur durch den Entzug, sondern auch durch die Übertragung von Aufgaben gefährdet sein könne. Nach diesen eher allgemeinen Ausführungen zur kommunalen Selbstverwaltungsgarantie wandte sich das Gericht den Anforderungen an Kreisgebietsreformen im Speziellen zu. Solche Gebietsänderungen seien gem. § 97 Abs. 1 KV M-V nur aus Gründen des öffentlichen Wohls zulässig, wobei dieser unbestimmte Rechtsbegriff dem Gesetzgeber einen „großen, jedoch von der Verfassung gebundenen Spielraum“ zugestehe. Das nicht ausschließlich kommunalbezogene öffentliche Wohl sei Ziel und Zweck einer Gebietsreform und nicht – wie von der Landesregierung im Gesetzgebungsverfahren mehrfach betont – „materiell niedrige Hürde“. Der Begriff des öffentlichen Wohls sei vornehmlich prozedural 708 LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (373) gegen Erbguth, LKV 2004, S. 1 (2). Eine „Gleichwertigkeit des verfassungsfesten Schutzniveaus von Gemeinden und Kreisen“ nehmen auch März, NJ 2007, S. 433 (438) und Stüer, DVBl 2007, S. 1267 (1268) an. Dezidiert a. A. Hans Meyer, NVwZ 2008, S. 24 (25). Auch im Lichte des Urteils hält Erbguth, DÖV 2008, S. 152 (153) an seiner Einschätzung des von einfachgesetzlicher Zuweisung abhängigen und damit „schwächelnden“ Selbstverwaltungsrechts der Kreise fest. 709 LVerfG M-V, LVerfGE 18, S. 342 (372). Kritisch zu diesem „hochgradig idealisierten“ Bild der kommunalen Selbstverwaltung Mehde, NordÖR 2007, S. 331 (334). 710 LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (374); Erbguth, DÖV 2008, S. 152 (153) hält diese Begriffswahl für missverständlich.
§ 17 Verwaltungsmodernisierung: Der Reformprozess seit 2007
485
zu bestimmen 711 und verlange vom Gesetzgeber jedenfalls, „das nahe liegende Abwägungsmaterial zu ermitteln und auf dieser Grundlage die unterschiedlichen Belange und Interessen zu bewerten, um ein Abwägungsergebnis herbeizuführen, das auf der Summe der gewogenen Einzelaspekte beruht“ 712. Bei der Abwägungsentscheidung müssten alle im konkreten Fall angesprochenen Gemeinwohlbelange sowie die Vor- und Nachteile der gesetzlichen Regelung eingestellt werden. Geschehe dies nicht, leide die Entscheidung unter einem Abwägungsdefizit. Ob die für die Abwägung wesentlichen Belange auf Grund zutreffender oder vertretbar ermittelter Fakten mit ihrem vor dem Hintergrund der Verfassung richtigen Gewicht eingestellt worden seien, unterliege der vollen Prüfung durch das Landesverfassungsgericht 713. Sodann untersuchte das Gericht, ob das Gesetzgebungsverfahren zum VwModG M-V den entwickelten verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt habe. Der Gesetzgeber sei angesichts der Situation des Landes fehlerfrei von einem Anlass zur umfassenden Modernisierung der Verwaltung ausgegangen. Auch sei ihm von Verfassung wegen weder der Vorwurf einer Missachtung der gesteigerten Vertrauensschutzanforderungen einer Mehrfachneugliederung noch einer fehlenden Defizitanalyse zu machen 714. Offen bleiben könne schließlich, ob die neuen Regionalkreise noch dem verfassungsrechtlichen Leitbild des Kreises entsprächen, da die Kreisgebietsreform jedenfalls aus anderen Gründen verfassungswidrig sei. Das Landesverfassungsgericht hat die Frage der Mehrfachneugliederung im Ergebnis offen gelassen 715 und dem Gesetzgeber ermöglicht, „seine Zielvorstellungen zu ändern und andere Prioritäten zu setzen, wenn eine Veränderung der tatsächlichen Gegebenheiten und Entwicklungen oder zusätzlich gewonnene landesplanerische Erkenntnisse dies angezeigt erscheinen lassen“ 716, ohne dabei ein generell gesteigertes Vertrauen der Landkreise auf ihren Fortbestand berücksichtigen zu müssen. In der Rezeption des Urteils ist dies als „Herabzonen etablierter Maßstäbe“ 717 kritisiert worden. Auch der vom 711 LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342, (343 – Leitsatz 5). Kritisch März, NJ 2007, S. 433 (438), der die Entfaltung des Begriffes als zentralen materiell-rechtlichen Maßstab jeder Neugliederung vermisst. 712 LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (375). 713 LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (376) unter Berufung auf BVerfGE 86, 90 (110 ff.). 714 LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (379). 715 Anders Sächs VerfGH, NVwZ 2009, S. 39 (40 ff.) – „Landkreis Leipzig“. Danach waren bei der sächsischen Kreisgebietsreform 2008 trotz objektiv vorliegender Mehrfachneugliederung „keine den Gesetzgeber in seiner Gestaltungsfreiheit einschränkenden Bestands- oder Vertrauensschutzinteressen“ zu beachten, weil bei der Kreisgebietsreform 1993 bis 1996 angesichts der nach der deutschen Wiedervereinigung herrschenden Rahmenbedingungen und der seinerzeit vom Gesetzgeber hervorgehobenen Entwicklungsunsicherheit von einem langfristigen Bestand der Neugliederungsmaßnahmen nicht ausgegangen werden konnte. 716 LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (379).
486 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
Landesverfassungsgericht ausdrücklich gebilligte Verzicht auf eine Analyse der durch die gegenwärtigen Kreisstrukturen hervorgerufenen Defizite hat in der Literatur wenig Zustimmung gefunden 718. Als tragende Gründe für die Verfassungswidrigkeit der Kreisgebietsreform führte das Verfassungsgericht an, dass mit dem VwModG M-V wesentlichen Belangen der durch Art. 72 Abs. 1 Satz 2 LVerf M-V gewährleisteten Selbstverwaltungsgarantie nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht Rechnung getragen worden sei. Die wesentlichen verfassungsrechtlichen Defizite des Vorhabens sieht das Gericht nicht in der verengten Zielsetzung oder im Verfehlen der gebotenen Landkreisstrukturen, sondern bei der fehlerhaften Abwägung der für und gegen die Reform streitenden Belange 719. Beanstandet wird im Kern, dass das neuartige Konzept der kommunalen Strukturen eindimensional aus der Funktionalreform entwickelt worden sei und die Kreise allein nach dem Zweck der „Einräumigkeit und Einheit der Verwaltung“ passgerecht zugeschnitten werden sollten. Indem der Gesetzgeber bereits auf der Ebene der Grundsätze der Verwaltungsmodernisierung die Einräumigkeit und die Einheit der Verwaltung in an Planungsregionen anknüpfenden Großkreisen fixiert habe, sei er von dem sonst bei Verwaltungsreformen üblichen Vorgehen abgewichen. Regelmäßig sei es bei solchen Vorhaben Usus, zunächst in einem ersten Schritt Ziele und Maßstäbe und sodann Leitbilder und Leitlinien festzulegen. Erst in einem dritten Schritt erfolge gemeinhin die Umsetzung der Ziele, Grundsätze und Maßstäbe in der Fläche. Zwar führe das beim VwModG M-V im Gegensatz zur Reform 1993/94 fehlende Leitbild 720 allein noch nicht zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes. In Ermangelung eines solchen müsse der Gesetzgeber aber bereits bei seinen Festlegungen auf der Ebene der Grundsätze sämtliche Aspekte der kommunalen Selbstverwaltung und insbesondere auch ihre partizipatorisch-demokratischen Komponenten im Blick haben, in ihrem Eigenwert einstellen und abwägen 721. Diesen Anforderungen genüge das VwModG M-V nicht, weil der – vornehmlich von dem Bestreben der Kommunalisierung von bisher durch Landesbehörden wahrgenommenen Aufgaben getragene – Zuschnitt der Großkreise zwar 717 März, NJ 2007, S. 433 (440) bemängelt, damit werde der Sondertatbestand Mehrfachneugliederung praktisch beseitigt und den Reformgesetzgebern aller neuen Bundesländer der Weg zu auch wiederholten Neugliederungen zu einfach gemacht. Kritisch auch Stüer, DVBl 2007, S. 1267 (1271). 718 Kritisch März, NJ 2007, S 433 (440), der von einer „massiven Ausdünnung der verfassungsrechtlichen Kontrolle“ spricht. Ebenso wenig wie das LVerfG M-V hält allerdings Sächs VerfGH, NVwZ, 2009, S. 39 (43) den Gesetzgeber für verpflichtet, eine Defizitanalyse durchzuführen. 719 März, NJ 2007, S. 433 (440). 720 A. A. Erbguth, DÖV 2008, S. 152 (154): Auch die der Kreisgebietsreform zugrunde gelegten Kriterien der Einräumigkeit und Einheitlichkeit der Verwaltung seien leitbildhafte Grundsätze. 721 LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (382).
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die kommunale Selbstverwaltung unter dem Blickwinkel der Erhöhung der Leistungskraft und der Aufgabenerweiterung der Kreise ausreichend gewürdigt habe, dabei aber die bürgerlich-demokratische Dimension der kommunalen Selbstverwaltung, soweit sie auf nachhaltige Ausübung des Ehrenamts gerichtet sei, nicht hinreichend in die Abwägung eingestellt habe. Mit dem Gesetz sei die kommunale Selbstverwaltung der Kreise in erheblichem Umfang betroffen. Vor diesem Hintergrund sei der Gesetzgeber dem verfassungsrechtlichen Gebot, weniger einschneidende Alternativen in das Gesetzgebungsverfahren einzuführen, nicht hinreichend nachgekommen 722. Bei dem vornehmlich aus Effizienzgesichtspunkten gewählten Zuschnitt der Großkreise hätte überlegt werden müssen, ob im Hinblick auf die kommunale Selbstverwaltung eine schonendere Reform angezeigt sein könnte. Dies sei aber weder bei den vorbereitenden Arbeiten zur Verwaltungsreform noch im Gesetzgebungsverfahren in ausreichendem Maße geschehen 723. Insbesondere habe man es bei dem Zuschnitt der Großkreise versäumt, die bürgerschaftlich-demokratische Dimension kommunaler Selbstverwaltung ausreichend zu gewichten. Den Aspekt, dass Kreise so zu gestalten seien, dass es ihren Bürgern möglich sei, „nachhaltig und zumutbar ehrenamtliche Tätigkeit im Kreistag und seinen Ausschüssen zu entfalten“ 724, habe der Gesetzgeber vernachlässigt. Das Problem der Erschwerung von ehrenamtlicher Tätigkeit in großen Räumen sei nicht mit seinen verschiedenen Facetten in den Blick genommen worden und so die Bedeutung der Kreise als Selbstverwaltungskörperschaften mit überschaubaren Strukturen, in denen noch die Kenntnis der örtlichen und regionalen Besonderheiten erwartet werde, „marginalisiert“ worden 725. Hinsichtlich der bürgerschaftlich-demokratischen Dimension der kommunalen Selbstverwaltung wies das Gericht auf die Ergebnisse der Anhörung der Kreistagspräsidenten in der mündlichen Verhandlung hin. Diese hätten kritisiert, dass in Kreistagen schon jetzt Angehörige des öffentlichen Dienstes und Personen, die keiner Berufstätigkeit nachgingen, deutlich über-, freiberuflich und selbständig gewerblich Tätige dagegen stark unterrepräsentiert seien. Diese strukturelle Schieflage würde sich in den Großkreisen wegen des höheren Aufwandes der Kreistagsarbeit noch verstärken 726. Zudem sei die erforderliche Überschaubar722
LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (380 f.). LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (384 ff.). Sehr kritisch zu den – aus seiner Sicht überspannten – Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren Mehde, NordÖR 2007, S. 331 (336), der dem Gericht vorwirft, es zwinge den Gesetzgeber, Modelle gleichsam „für den Papierkorb zu entwickeln“. 724 LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (387). 725 LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (388). Zustimmend Henneke / Ritgen, DVBl 2007, S. 1253 (1265). Gegen das „Überschaubarkeitsargument“ Bull, DVBl 2008, S. 1 (5; 8). 726 LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (389 f.). Die gänzlich fehlende empirische Ansicherung dieser Annahmen kritisiert Mehde, NordÖR 2007, S. 331 (335). 723
488 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
keit der Kreise angesichts der ins Auge gefassten Kreisgrößen ebenso zweifelhaft wie die ausreichende Kenntnis der Verhältnisse in entfernten Bereichen des Kreises durch die Kreisvertreter 727. Dieses Demokratiedefizit könne auch durch eine Professionalisierung der ehrenamtlichen Arbeit in den Kreistagen mittels hauptamtlichen Personals nicht ausgeglichen werden 728. Abschließend skizzierte das Landesverfassungsgericht die Defizite hinsichtlich der Einführung von schonenderen Alternativen in das Gesetzgebungsverfahrens. Angesichts der massiven Eingriffe der Reform in das Recht der kommunalen Selbstverwaltung sei das Gebot der Prüfung alternativer Lösungen nicht ausreichend berücksichtigt worden 729. Insbesondere hätte die Landesregierung oder der Landtag – wie vor der Kreisgebietsreform 1993/94 geschehen und in Übereinstimmung mit der bewährten Praxis anderer Bundesländer – vorbereitende Gutachten einholen können. Wegen der konstatierten „Verengung auf die angestrebte Lösung“ fanden weder die vom Innenminister zusammengestellten Materialien 730 noch ein ausschließlich auf ökonomische und fiskalische Aspekte beschränktes Gutachten von Helmut Seitz vom April 2005 731 die Billigung des Verfassungsgerichts 732. Die gesamten Darlegungen zu möglichen Alternativen krankten daran, dass stets an den Grundsätzen der Einräumigkeit und Einheit der Verwaltung festgehalten wurde, diese aber niemals grundsätzlich zur Disposition gestellt oder relativiert worden seien 733. 727 LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (390). März, NJ 2007, S. 433 (442) spricht treffend von der Gefahr einer „Benachteiligung der Einwohner an der Peripherie der Peripherie“. 728 Nach LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (391) gefährdet die damit verbundene Professionalisierung der Entscheidungsfindung in den Kreistagen den Aufbau der Demokratie von unten nach oben. Die Kreise könnten schwerlich noch als „Schule der Demokratie“ wirken, wenn „faktisch weite Kreise der Bevölkerung von der Tätigkeit im Kreistag ausgeschlossen sind“. Zustimmend Henneke / Rittgen, DVBl 2007, S. 1253 (1265 ff.); März, NJ 2007, S. 433 (442). Scharfe Kritik an der „Idealisierung der Laienverwaltung“ dagegen bei Mehde, NordÖR 2007, 331 (335) und Bull, DVBl 2008, S. 1 (8), der einen „nostalgische(n) Blick auf eine idealisierte frühere Situation“ konstatiert. Noch drastischer fällt die Kritik bei Hans Meyer, NVwZ 2008, S. 24 (26 f.) aus. Er wirft dem Gericht vor, es sei „nachgerade versessen auf die Idee des Ehrenamts und lande damit erneut im 19. Jahrhundert“. Dagegen deutlich Katz / Ritgen, DVBl 2008, S. 1525 (1531 f.). 729 LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (391 ff.); März, NJ 2007, S. 433 (442) spricht plastisch und zutreffend von einer „Scheuklappenpolitik“ des Gesetzgebers. Auch Erbguth, DÖV 2008, S. 152 (155) beklagt zu Recht die „leerformelhaften Scheinbegründungen“ im Gesetzgebungsverfahren. 730 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 4/1210 sowie oben § 17 A I. 731 Seitz, Die ökonomischen und fiskalischen Aspekte der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern, Studie im Auftrag des Innenministeriums Mecklenburg-Vorpommern, 2005. 732 LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (394). Zu Recht moniert das Gericht, im Gesetzesentwurf der Landesregierung, Landtag M-V, LTDrs 4/1210, S. 223 werde die Umgestaltung zu acht Kreisen ohne weitere Auseinandersetzung als unzweckmäßige „Minimalreform“ abqualifiziert.
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Im Tenor beschränkte sich das LVerfG M-V darauf, die Unvereinbarkeit der §§ 72 bis 77 FKrG M-V mit der LVerf M-V festzustellen und sah davon ab, die Vorschriften für nichtig zu erklären. Es machte insofern von der erst durch Art. 1 Nr. 10 des 2. LVerfGGÄndG M-V vom 14. 07. 2006 734 geschaffenen Möglichkeit des § 29 Abs. 3 LVerfGG M-V Gebrauch. Trotz dieser bloßen Unvereinbarkeitserklärung hat die Entscheidung Gesetzeskraft und bindet insofern alle anderen Verfassungsorgane 735. 2. Rezeption des Urteils Obwohl das LVerfG M-V bereits mehrere Entscheidungen getroffen hat, die über Mecklenburg-Vorpommern hinaus auf großes Interesse stießen 736, wurde doch dem Richterspruch aus dem Sommer 2007 eine bisher einmalige bundesweite Resonanz zuteil. Wie kaum eine zweite Entscheidung eines Landesverfassungsgerichts wurde die Entscheidung kontrovers diskutiert 737. Die Reaktionen auf das Urteil reichten von nachdrücklicher Zustimmung bis zu heftiger Ablehnung. Die mancherorts beklagte „polemische Reaktion auf das Urteil zur Kreisgebietsreform“ 738 ist erklärbar, wenn man bedenkt, dass mit dieser Entscheidung bundesweit einmalig eine Kreisgebietsreform der verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standhielt 739. Zudem war das Urteil ohne Zweifel ein „schlimmer Rückschlag“ für die „weitere Entwicklung des in seinen bisherigen Strukturen
733
LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (394). GVOBl. M-V, S. 573. 735 Näher LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (399). 736 Die Entscheidungen des LVerfG M-V sind im Internet unter www.landesverfas sungsgericht-mv.de im Volltext abrufbar (Abrufdatum: 08. 02. 2011). Eingehend März, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 11 ff. Verwiesen sei an dieser Stelle beispielhaft auf die Entscheidungen zur Abgeordnetenüberprüfung vom 11. 07. 1996, LVerfGE 5, 203, zur „Schleierfahndung“ nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 SOG M-V vom 21. 10. 1999, LVerfGE 10, 337, zum „Großen Lauschangriff“ vom 18. 05. 2000, LVerfGE 11, 265 oder zur 5%-Sperrklausel im Kommunalwahlwahlrecht vom 14. 12. 2000, LVerfGE 11, 306. 737 Vgl. Bull, DVBl 2008, S. 1; Erbguth, DÖV 2008, S. 152; Katz / Ritgen, DVBl 2008, 1525; März, NJ 2007, S. 433; Mehde, NordÖR 2007, S. 331; Hans Meyer, NVwZ 2008, S. 24; Hubert Meyer, NVwZ 2007, S. 1024; Schönfelder / Schönfelder, SächsVBl 2007, S. 249. 738 März, Verfassungsgerichtsbarkeit, S 11 (17). Der damalige Präsident des LVerfG M-V Gerhard Hückstädt monierte sogar, mit der zum Teil betriebenen „Urteilsschelte“ sei das LVerfG M-V in seiner Wächterrolle in Frage gestellt worden. Eine solche Kritik sei „mit der Idee des Verfassungsstaats grundsätzlich nicht vereinbar“. 739 Der sächsische Verfassungsgerichtshof erklärte dagegen die zum 01. 08. 2008 vorgenommene Kreisgebietsneugliederung in mehreren Entscheidungen für verfassungskonform. Vgl. Sächs VerfGH NJ 2008, S. 360 (Einkreisung der bisher kreisfreien Stadt Plauen) und Sächs VerfGH NVwZ 2009, S. 39 („Landkreis Leipzig“). 734
490 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
kaum mehr überlebensfähigen Bundeslandes“ 740 und hatte beachtlichen Einfluss auf die Organisationsreformen in anderen Bundesländern. So sprach einer der „Väter des Modernisierungsprojekts“ in einer ersten Reaktion von einem „typisch deutschen Provinzurteil“ 741. Andere lobten die Entscheidung dagegen als „Lehrstück über Demokratie in überschaubaren kommunalen Strukturen“ 742. Für die einen betritt die Entscheidung „in Teilen verfassungsrechtliches Neuland und fordert hinsichtlich zentraler Aspekte der Argumentation Kritik heraus“ 743. Die anderen konstatieren dagegen, das Urteil habe zu einem „Aufatmen unter ehrenamtlich engagierten Bürgern und Mandatsträgern sowie Kommunalpraktikern geführt, die es leid waren, Landesregierung und Landesgesetzgeber über Jahre hinweg auf den Unterschied zwischen Verfassungsmäßigkeit und Mehrheit hinzuweisen“ 744. Auch sei es ein besonderes Verdienst der Greifswalder Verfassungsrichter, der Politik deutlich gemacht zu haben, dass kommunale Gebietsreformen „nicht nur sozusagen am Reißbrett und an strikten Zahlen sowie Effektivitätsmaßstäben ausgerichtet werden können“ 745. Rein fiskalische und ökonomische Erwägungen müssten daher bei allen zukünftigen Reformen um Gesichtspunkte der Wahrung der örtlichen Verbundenheit im Sinne von Integrationswerten ergänzt werden 746. Das Urteil habe der Tendenz entgegengewirkt, die „kommunale Selbstverwaltung als kleine Münze abzutun“ und so „die verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutung der Kommunen und ihrer demokratisch legitimierten Organe gefestigt“ 747. Insofern sei das Urteil „eine Fundgrube für Maßstäbe, mit denen man die Integrationswerte der kommunalen Selbstverwaltung für Bürger und Mandatsträger mit Leben erfüllt“ 748. Es vermittele „grundlegende Erkenntnisse der kommunalen Selbstverwaltung auch und gerade unter den Prämissen des 21. Jahrhunderts“ und werde „auf Grund seiner zentralen Aussagen zu den Wirkungsbedingungen der Selbstverwaltungsgarantie über das Land hinaus Bedeutung erlangen“ 749. Überdies gebe die Entscheidung dem – weiterhin zur Verwaltungsreform verurteilten – Landesgesetzgeber von 740
Erbguth, DÖV 2008, S. 152 (155). Innenminister Gottfried Timm, in: Ostseezeitung vom 27. 07. 2007, S. 2. 742 Meyer, NVwZ 2007, S. 1024. 743 Mehde, NordÖR 2007, S. 331. 744 Schönfelder / Schönfelder, SächsVBl 2007, S. 249 (256). 745 Stüer, DVBl 2007, S. 1267 (1271). 746 Für solche nicht in Zahlen messbare Integrationsmaßstäbe nachvollziehbare Gesichtspunkte aufbereitet und dem Gesetzgeber wohl erstmalig in Deutschland entsprechende Abwägungserfordernisse auferlegt zu haben, ist nach Stüer, DVBl 2007, S. 1267 (1272) ein Verdienst der Entscheidung. 747 Katz / Ritgen, DVBl 2008, S. 1525 (1526; 1536). 748 Stüer, DVBl 2007, S. 1267 (1272). 749 Hubert Meyer, NVwZ 2007, S. 1024 (1025). Nach Stüer, DVBl 2007, S. 1267 hat das Urteil „auch für andere Bundesländer Modellcharakter“. 741
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Mecklenburg-Vorpommern „reichlich Hilfestellung“ für eine verfassungsgemäße Reform an die Hand. Die politisch Verantwortlichen, so empfahl Wolfgang März, „sollten sie dankbar annehmen, denn sie beinhaltet hinreichend Freiräume für die Gestaltung einer Reform, die nachhaltig leistungsfähige Verwaltungsstrukturen schafft, ohne die berechtigten Bedürfnisse kommunaler Selbstverwaltung ignorieren zu müssen“ 750. Hans Peter Bull 751 warf dagegen dem Landesverfassungsgericht vor, das Gericht habe – dem verfehlten Trend der Verstärkung des Rechtsschutzes der Kommunen hin zu einem Bestandsschutz für die einzelnen Kommunen folgend und überdies ohne fundierte empirische Überprüfung seiner Annahmen 752 – „eine bestimmte Idealvorstellung von kommunaler Selbstverwaltung, die bisher nicht im Mittelpunkt des Interesses gestanden hat, zum Maßstab der Verfassungsgemäßheit einer umfassenden Reorganisation der staatlichen und kommunalen Verwaltung eines Landes erhoben“. Auf dieser fragwürdigen Grundlage sei eine Funktional- und Kreisgebietsreform für verfassungswidrig erklärt worden, welche Landesregierung und Landtag in einem mehrjährigen, äußerst sorgfältigen und empirisch gut abgesicherten Beratungs- und Entscheidungsprozess erarbeitet hätten. Noch schärfer fällt die Kritik von Hans Meyer aus, der die Entscheidung „als Beispiel einer veritablen verfassungsrechtlichen Grenzüberschreitung“ 753 bezeichnet. V. „Nach der Reform ist vor der Reform“ – Vom Urteil des Landesverfassungsgerichts zum Kreisstrukturgesetz Nachdem das VwModG M-V am 26. 07. 2007 „durch Richterspruch atomisiert“ wurde, machte sich „angesichts des über mehrere Jahre betriebenen Aufwands ... in der Landespolitik nicht nur Ernüchterung, sondern auch Ratlosigkeit breit“ 754. Dies galt umso mehr, als das LVerfG die „Gretchenfrage“ nach der maximal zulässigen Kreisgröße unbeantwortet ließ. Da aber weiter allgemeiner politischer Konsens darüber bestand, dass der Schaffung leistungsfähiger Verwaltungsstrukturen eine Schlüsselfunktion im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung im Lande zukam, musste das „Wagnis der Kreisgebietsreform“ 755 750
März, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 11 (78). Bull, DVBl 2008, S. 1. 752 Dazu Bull, DVBl 2008, S. 1 (6) und Erbguth, DÖV 2008, S. 152 (155). Nach Hans Meyer, NVwZ 2008, S. 24 (32) beruhen zahlreiche Annahmen des Gerichts sogar „höchstens auf Alltagswissen und oft nur auf bloße(n) Vermutungen.“ 753 Hans Meyer, NVwZ 2008, S. 24. Für Katz / Ritgen, DVBl 2008, S. 1525 (1527) ist die Entscheidung dagegen „ein gutes, mindestens vertretbares Beispiel des immer wieder gerade von Verfassungsgerichten eingeforderten judical self-restraint“. 754 Erbguth, DÖV 2008, S. 152 (153). 751
492 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
unmittelbar nach dem Urteil von Neuem beginnen. Die Landesregierung begann deshalb unter Federführung des Innenministeriums unverzüglich, den vom LVerfG M-V aufgegebenen „Riesenberg an Arbeit“ 756 anzupacken. Bereits zwei Tage nach Urteilsverkündung diskutierten der damalige Ministerpräsident Harald Ringstorff und Innenminister Lorenz Caffier mit den Landesvorsitzenden von CDU und SPD sowie den Spitzen der Regierungskoalition die Auswirkungen des Urteils. Übereinstimmend wurde festgestellt, dass eine verfassungskonforme gesetzliche Umsetzung der Kreisstrukturreform bis zu den Kommunalwahlen 2009 zeitlich nicht realisierbar sei. Die Koalitionspartner erzielten allerdings Einigkeit darüber, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Verwaltungs- und Kreisstrukturreform noch in der bis 2011 laufenden Legislaturperiode geschaffen werden müssten. Am 02. 08. 2007 fand sodann eine Konferenz des Innenministers mit den Oberbürgermeistern der kreisfreien Städte, den Landräten und den kommunalen Spitzenverbänden statt, in welcher der Innenminister Vorschläge für ein Leitbild einer Verwaltungs- und Kreisgebietsreform erbat. Der Landtag debattierte in einer Sondersitzung am 24. 08. 2007 die Konsequenzen aus dem Urteil. Zudem wurde in der Landtagssitzung am 20. 09. 2007 der Auftrag an die am 06. 12. 2006 eingesetzten Enquetekommission „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“ dahingehend ergänzt, die von der neuen Landesregierung zu erarbeitenden allgemeinen Ziele einer Kreisgebietsreform, das daraus folgende Leitbild sowie deren Leitlinien zu beraten. Außerdem sollte die Kommission verschiedene Modelle einer Kreisgebietsreform analysieren und bewerten 757. 1. Ziele, Leitbild und Leitlinien der Landesregierung für die Kreisgebietsreform Am 29. 11. 2007 unterrichtete die Landesregierung den Landtag über die mittlerweile erarbeiteten „Ziele, Leitbild und Leitlinien der Landesregierung für eine Kreisgebietsreform in Mecklenburg-Vorpommern“ 758. In dem mit statistischem Material zu Bevölkerung, Fläche sowie zu demographischer und finanzieller Entwicklung des Landes versehenen Dokument legte die Landesregierung eine Zielvorstellung bezüglich der künftigen Verwaltungsstrukturen des Landes vor. Dieses Leitbild sollte dem Gesetzgeber – ohne Vorfestlegung einer bestimmten Struktur – einen Orientierungsrahmen für den konkreten Zuschnitt der neu zu konzipierenden Kreise vermitteln und für die landesweite Reform einheitliche 755
Erbguth, DÖV 2008, S. 152 (153). So Innenminister Lorenz Caffier in einer Presseerklärung vom 02. 08. 2007. 757 Näher zu Einsetzung und Aufgaben dieser Enquetekommission Landtag M-V, LTDrs 5/82 und PlPr 5/8, S. 28 ff. Zur Erweiterung des Untersuchungsauftrags LTDrs 5/821 und 5/1380 (neu), S. 43 f. 758 Landtag M-V, LTDrs 5/1059. 756
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493
Kriterien vorgeben 759. Damit kehrte die Landesregierung zu einem klassischen Vorgehen bei der Kreisstrukturreform zurück und folgte den deutlichen Hinweisen des LVerfG M-V 760. Die Landesregierung betonte den fortbestehenden Reformbedarf und legte die Schaffung „nachhaltig tragfähiger und effizienter Verwaltungsstrukturen“ sowie den Erhalt und die Stärkung der ehrenamtlich ausgeübten kommunalen Selbstverwaltung als allgemeine Ziele der Verwaltungsreform fest. Sodann wurden die Anforderungen an die zu entwickelnden Strukturen dargestellt 761. Dabei fanden Gesichtspunkte der Effizienz der Verwaltung (Vermeidung von Doppelzuständigkeiten, Gewährleistung von möglichst vielen Dienstleistungen aus einer Hand, Schaffung einer schlanken und organisatorisch optimierten Verwaltung, möglichst flächendeckende Übereinstimmung von staatlichen und kommunalen Zuständigkeitsbezirken, Ermöglichung eines hohen Spezialisierungsgrades, weiterer Abbau bürokratischer Hemmnisse) ebenso Berücksichtigung wie die vom Landesverfassungsgericht angemahnten Aspekte der Überschaubarkeit von Strukturen und der Gewährleistung ehrenamtlicher Tätigkeit in den Kreisen. Ausgehend von diesem Leitbild entwickelte die Landesregierung Leitlinien für die Kreisgebietsreform. Zu jenen gehörte unter anderem das Bekenntnis zur Auflösung und Neugründung der Landkreise. Eine Aufnahme von Landkreisen in bestehende Landkreise dürfe nicht erfolgen. Zur Gewährleistung der Überschaubarkeit kommunaler Verwaltungsstrukturen solle „die Zielgröße der Fläche der Landkreise 4.000 km² in der Regel nicht überschreiten“ 762. Die „abstrakte untere Zielgröße für die Einwohnerzahl der Landkreise zum Jahr 2020 auf Basis der für diesen Zeitpunkt prognostizierten Bevölkerungszahl“ wurde auf 175.000 festgelegt 763. Weitere Leitlinien betrafen die Kommunalisierung von Aufgaben sowie die Stadt-Umland-Beziehungen. Bei letzteren spielten Erwägungen zur Verstärkung der kommunalen Zusammenarbeit, zur Anpassung der finanziellen Ausgleichsregelungen, aber auch zur Eingemeindung von Umlandgemeinden eine tragende Rolle.
759
Landtag M-V, LTDrs 5/1059, S. 3. Vgl. LVerfG M-V, LVerfGE 18, 342 (382). 761 Landtag M-V, LTDrs 5/1059, S. 4 f. 762 Die – mittlerweile vom Sächs VerfGH gebilligte; vgl. Sächs VerfGH NVwZ 2009, S. 39 (42) – sächsische Kreisgebietsreform sah dagegen Flächen von „nicht wesentlich mehr als 3000 km²“ vor. 763 Landtag M-V, LTDrs 5/1059, S. 7 f. unter Betonung von Abweichungsmöglichkeiten aus regionalen und örtlichen Gegebenheiten im Einzelfall. Bei der in Sachsen zum 01. 08. 2008 durchgeführten Kreisgebietsreform legte die Landesergierung eine Regelmindestgröße von 200.000 Einwohnern für die kreisfreien Städte bzw. Landkreise fest. Dieses Vorgehen fand – wie die gesamte Kreisgebietsreform – die Billigung des Sächs VerfGH. Vgl. Sächs VerfGH, NJ 2008, S. 360 ff. 760
494 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
Mit Blick auf den Status der bisher kreisfreien Städte gelte es zu verhindern, dass die eingekreiste Stadt den Landkreis dominiere. Eine beherrschende Stellung müsse bei einer Einwohnerzahl von mehr als 40 % angenommen werden. Ausgehend von diesen Grundsätzen solle die Hansestadt Rostock aufgrund ihrer potenziellen Leistungsfähigkeit kreisfrei bleiben. Über die Kreisfreiheit der Landeshauptstadt Schwerin sei wegen ihrer Sonderrolle als Landeshauptstadt gesondert zu entscheiden 764. Die anderen kreisfreien Städte sollten dagegen – wie bereits im FKrG M-V vorgesehen – den Status einer „großen kreisangehörigen Stadt“ mit einem erweiterten Aufgabenbereich erhalten. Abschließend betonte das Strategiepapier die Notwendigkeit eines engen Dialoges mit der kommunalen Ebene. Die gesetzlichen Grundlagen für eine Verwaltungsreform seien bis Mitte 2010 zu schaffen. Unter Berücksichtigung einer Umsetzungsphase sollten die Gesetze 2011 in Kraft treten. 2. Zwischenbericht der Enquetekommission „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“ Anfang Dezember 2007 bat der Landtag die Enquetekommission „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“, bis zum 31. 03. 2008 zum Bericht der Landesregierung vom 29. 11. 2007 Stellung zu nehmen. Nach intensiven und kontroversen internen Beratungen 765 legte die Kommission den erbetenen Bericht Mitte April 2008 vor 766. Dieser beinhaltete Empfehlungen zur Kreisgebietsreform, berichtete über Auftrag, Zusammensetzung und Beratungen der Kommission und enthielt im Anhang eine ausführliche Übersicht zu den herangezogenen Materialien. Innerhalb der Kommission gingen die politischen Zielvorstellungen weit auseinander, wie die Abgabe von fünf Sondervoten verdeutlicht 767. Kernstück des Zwischenberichts waren Empfehlungen zu Zielen, Leitbild und Leitlinien der Landesregierung für eine Kreisgebietsreform. Diese wurden durch zwei Empfehlungen für begleitende Entschließungen zum Gesamtrahmen der Verwaltungsreform und zur Kreisgebietsreform 768 ergänzt. Die Kommission schlug dem Landtag vor, sich die Unterrichtung der Landesregierung in leicht modifizierter Form zu Eigen zu machen. Die Unterschiede zwischen dem Ursprungstext und den Ratschlägen der Enquetekommission wurden dabei in Form einer Synopse dargestellt 769. Von wenigen redaktionellen Änderungen abgesehen, blieb das von 764
Landtag M-V, LTDrs 5/1059, S. 10. Zu den Einzelheiten Landtag M-V, LTDrs 5/1380 (neu), S. 48 ff. 766 Landtag M-V, LTDrs 5/1380 (neu) vom 18. 04. 2008. 767 Vgl. im Einzelnen Landtag M-V, LTDrs 5/1380 (neu), S. 87; 95 ff. 768 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/1380 (neu), S. 42. 769 Landtag M-V, LTDrs 5/1380 (neu), S. 16 ff. Zu den rechtlichen Bedenken der Landtagsverwaltung hinsichtlich dieser an eine Beschlussempfehlung eines Ausschusses erinnernde Vorgehensweise vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/1380 (neu), S. 105 ff. 765
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der Landesregierung vorgegebene Leitbild zur Kreisgebietsreform unverändert. Auch an den vorgeschlagenen Zielgrößen bezüglich Fläche (4.000 qkm) und Einwohnerzahl der neu zu bildenden Landkreise (175.000 Einwohner auf Basis der für 2020 prognostizierten Bevölkerungszahlen) wurde festgehalten 770. Erhebliche redaktionelle Änderungen empfahl die Enquetekommission dagegen hinsichtlich der Vorbemerkung, der Begründung des Reformbedarfs und der Darstellung der Stadt-Umland-Beziehungen 771. Auch bezüglich der Einkreisung von Städten wurden Meinungsunterschiede zwischen Landesregierung und Mehrheit der Kommission deutlich. War man sich bezüglich der Kreisfreiheit der Hansestadt Rostock noch einig, so korrigierte die Enquetekommission die Vorstellung der Landesregierung, ausschließlich über die Kreisfreiheit Schwerins gesondert zu entscheiden. Vielmehr solle auch über die Kreisfreiheit der vier anderen bisher kreisfreien Städte gesondert befunden werden 772. In einer begleitenden Entschließung empfahl die Kommission dem Landtag, sich bei der Verwaltungsmodernisierung zu einem ganzheitlichen Ansatz zu bekennen. Dabei hob das Sachverständigengremium den Zusammenhang zwischen Kreisgebiets- und Funktionalreform 773, die Stärkung der Zentren, die Fortsetzung von Deregulierung und Bürokratieabbau, die Weiterentwicklung der Gemeindeund Ämterstrukturen, die Stärkung des Ehrenamts und der Bürgerbeteiligung, die Reform des kommunalen Finanzausgleichs, die Fortführung des Personalkonzepts der Landesregierung und das eGovernment als zentrale Elemente der Verwaltungsmodernisierung hervor. 3. Leitbild des Landtages für die Kreisgebietsreform Auf Antrag der Fraktionen von SPD und CDU 774 beschloss der Landtag am 24. 04. 2008, sich die Unterrichtung der Landesregierung vom 29. 11. 2007 mit dem von der Enquetekommission vorgeschlagenen Änderungen und den von dieser entwickelten Gesamtrahmen zu Eigen zu machen. Zudem legte der Landtag Maßgaben zum weiteren Verfahren in Vorbereitung der Kreisgebietsreform fest, welche die vom LVerfG M-V im Urteil vom 26. 07. 2007 gemachten Vorgaben umsetzten. Insbesondere brachte er die Erwartung zum Ausdruck, dass die Landesregierung sorgfältige Analysen und Abwägungen zur zukünftigen flächen- und einwohnermäßigen Größe der Kreise und zur Frage der Einkreisung der kreisfreien Städte unter Einbeziehung und Abwägung möglicher Alterna770
Landtag M-V, LTDrs 5/1380 (neu), S. 26 f. Landtag M-V, LTDrs 5/1380 (neu), S. 17 ff; 30 ff. 772 Landtag M-V, LTDrs 5/1380 (neu), S. 33. 773 Landtag M-V, LTDrs 5/1380 (neu), S. 36. Die gesetzlichen Regelungen über die Funktional- und über die Kreisgebietsreform seien zusammen zu erarbeiten und müssten zeitgleich in Kraft treten. 774 Landtag M-V, LTDrs 5/1409. 771
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tivlösungen erstellen würde. Überdies müsse eine umfassende Anhörung aller Gebietskörperschaften durchgeführt werden, deren Ergebnisse in die Abwägung einzubeziehen und umfassend zu dokumentieren seien. Diese Unterlagen müssten dem Landtag schließlich für die weiteren Beratungen zur Verfügung gestellt werden. 4. Denkbare Modelle für eine künftige Kreisstruktur a) Vergleichstest zwischen 13 Modellen einer künftigen Kreisstruktur Mit Schreiben vom 24. 04. 2008 forderte der Innenminister alle Kommunen des Landes auf, ihm bis zum 27. 06. 2008 konkrete Vorstellungen zur Umsetzung des Leitbildes in den einzelnen Gebietskörperschaften mitzuteilen. Bedingt durch die Zielvorstellung der Landesregierung, bereits im Sommer 2009 einen den Vorgaben des LVerfG M-V genügenden Gesetzentwurf zur Kreisgebietsreform in den Landtag einzubringen und diesen bis zur parlamentarischen Sommerpause 2010 zu verabschieden, unterzog das Innenministerium parallel dazu verschiedene Modelle für eine mögliche Kreisneubildung in Mecklenburg-Vorpommern einem Vergleichstest. Mit einem eigens entwickelten Prüfraster wurden in den jeweiligen Modellen verschiedene Kriterien untersucht, um vergleichbare und abwägbare Kategorien zur Auswahl eines konkreten, leitbildgerechten Kreismodells zu gewinnen 775. Zum Zwecke eines rationalen und übersichtlichen Entscheidungsprozesses bei der Alternativenabwägung wurden sieben verschiedene Parameter festgelegt, die mit unterschiedlicher Gewichtung in die Abwägung eingingen. Den Vorgaben des LVerfG M-V und den Hauptzielen von Landesregierung sowie Landtag entsprechend wurden zunächst die zentralen Kriterien Flächengröße und Einwohnerzahl mit jeweils 22,5% in die Bewertung einbezogen. Dabei dient die im Leitbild mit max. 4.000 qkm festgelegte Flächengröße dem Erhalt und der Stärkung der ehrenamtlich ausgeübten kommunalen Selbstverwaltung 776 und soll die Bürgernähe der Verwaltung gewährleisten 777. Die Festlegung einer Mindesteinwohnerzahl soll demgegenüber wirtschaftliche und effiziente 775
Im Internet einsehbar unter www.mv-regierung.de (Abrufdatum: 08. 02. 2011). Zu den Wechselwirkungen zwischen Kreisgröße und kommunalem Ehrenamt gab das Innenministerium beim Politik- und Verwaltungswissenschaftler Joachim Jens Hesse ein Gutachten („Kreisgröße und kommunales Ehrenamt“) in Auftrag, welches am 30. 04. 2008 vorlegt wurde. In seinen Schlussfolgerungen und Empfehlungen (S. 86 ff.) bescheinigte Hesse dem Gesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern, sich bei einer Reform, die dem Leitbild der Landesregierung entspräche, hinsichtlich der Kreisgröße „im Grenzbereich des Machbaren“ (S. 90) zu bewegen. Ungeachtet „der vom Gutachter unter den gegebenen Umständen für möglich gehaltenen Größenordnungen von bis zu 4000 km²“ (S. 90) „und im begründeten Ausnahmefall darüber hinaus“ (S. 97) sollten im Rahmen der beabsichtigten Reform Kreisstrukturen entstehen, die eine ausreichende innere Koheränz besitzen, um eine starke Verbandsidentität, gleichgerichtete Interessen und dar776
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Verwaltungsstrukturen garantieren 778. Darüber hinaus gilt es bei einer Kreisgebietsreform auch ober- und mittelzentrale Aspekte des Raumordnungsrechts, insbesondere funktionsräumliche Zusammenhänge und Verflechtungsbereiche von zentralen Orten zu beachten 779, welche mit 17,5% in die Modellrechnung eingingen. Mit 12,5 % berücksichtigt wurde, ob die neu gegründeten Kreise nach ihrer Struktur in der Lage sind, im Zuge einer Funktionalreform übertragene staatliche Aufgaben effizient und effektiv wahrzunehmen 780. Die Gewährleistung homogener kreislicher Strukturen ging ebenso mit einer Gewichtung von 10 % in die Modellrechnung ein, wie die Beachtung bestehender Verwaltungsstrukturen in Landkreisen und Ämtern 781. Auch landsmannschaftlichen und sonstigen historischen Kriterien wurde mit 5% Aufmerksamkeit geschenkt. Diese sieben Prüfkriterien versah man mit einer zehnstufigen Bewertungsskala von 0 (sehr negative Auswirkungen) bis 9 (sehr positive Auswirkungen), so dass durch Multiplikation der Wertungen mit der jeweiligen prozentualen Gewichtung Einzelergebnisse bezüglich der jeweiligen Kriterien errechnet werden konnten. Durch Addition der jeweiligen Einzelergebnisse konnte das rechnerisch beste der untersuchten Modelle ermittelt werden. Nach diesem Schema wurden 13 verschiedene Modelle einer möglichen zukünftigen Kreisstruktur untersucht, die in verschiedenen Varianten vom 6 (Landkreise) +1 (kreisfreie Stadt) bis zum 8+2-Modell reichten 782. Mit einer Bewertung von 7,1 und 6,9 Punkten wurde eine Variante des 6+2- und des 7+2-Modells als rechnerisch beste Modelle ermittelt. Jeweils 6,7 Punkte erreichten zwei weitere Spielarten dieser Modelle. auf bezogene Politiken zu fördern, sowie Aufgabenverlagerungen vorgesehen werden, die dem Kreis als Ganzes, vor allem aber seinen Selbstverwaltungsorganen vermehrte Kompetenzen zumessen und damit der fortlaufenden Erosion ihrer Gestaltungsgrundlagen begegnen“ (S. 91; Hervorhebungen im Original). 777 Dazu werden die Bürgerorientierung der Dienstleistungen der Verwaltung, die Zügigkeit, Fachkompetenz und Rechtssicherheit von Verwaltungsentscheidungen, die Erreichbarkeit von Personen, Daten und Servicedienstleistungen sowie die Durchschaubarkeit der Zuständigkeit für Leistungen des öffentlichen Sektors und deren Erbringung möglichst aus einer Hand gezählt. 778 Eine Mindestgröße der Kreisverwaltung ist zum Vorhalt einer angemessenen Zahl qualifizierter Fachkräfte erforderlich. Zudem gewährleisten nur ausreichende Fallzahlen eine wirtschaftliche Aufgabenerledigung. 779 Anzustreben ist eine große Übereinstimmung zwischen Wirtschafts- und den zukünftigen administrativen Räumen unter Berücksichtigung der Bedeutung der vier Oberzentren des Landes. 780 Die zukünftigen Kreisverwaltungen müssen jedenfalls so groß und leistungsfähig sein, dass sie derzeit von der Landesverwaltung Aufgaben zumindest in gleicher Qualität und bei höchstens gleichen Kosten erbringen können. 781 Anzustreben ist, dass bestehende Landkreise möglichst ungeteilt einem neuen Landkreis zugeordnet und bestehende Ämter möglichst nicht geteilt werden. 782 Untersucht wurde ein 6+1-, vier Varianten eines 6+2-, ein 7+1-, vier Spielarten eines 7+2-, ein 7+6- sowie zwei unterschiedliche 8+2-Modelle.
498 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
Das Modell mit sechs Kreisen und Rostock als einziger kreisfreier Stadt erhielt 6,3, das 7+1-Modell 6,1 Punkte. Mit 5,5 und 4,9 Punkten deutlich negativer bewertet wurden zwei unterschiedliche Formen des 8+2-Modells. Eine Variante mit sieben Kreisen unter Beibehaltung der Kreisfreiheit der sechs größten Städte des Landes schnitt mit 4,4 Punkten deutlich am schlechtesten ab. b) Vorstellung der „Testsieger“ im Juni 2008 Die beiden am besten bewerteten Modelle für eine denkbare künftige Kreisstrukturreform, die Innenminister Lorenz Caffier am 24. 06. 2008 der Öffentlichkeit vorstellte, hielten beide an der Kreisfreiheit von Rostock und der Landeshauptstadt Schwerin fest, während die vier kleineren kreisfreien Städte Neubrandenburg, Stralsund, Greifswald und Wismar eingekreist und zu großen kreisangehörigen Städten werden sollten. Mit 6 bzw. 7 wurde die Zahl der künftigen Landkreise dagegen unterschiedlich beantwortet. aa) 6+2-Modell Für das rechnerisch am besten bewertete Modell mit sechs Landkreisen (Nordwestmecklenburg, Südwestmecklenburg, Güstrow, Nordvorpommern, Südvorpommern und Mecklenburgische Seenplatte) sprach vor allem, dass nach der prognostizierten Bevölkerungszahl 2020 keiner der geplanten Kreise die Zielgröße des Leitbildes von 175.000 Einwohnern unterschritten hätte und nahezu exakt die historische Pommerngrenze nachgezeichnet wurde. Gewichtigster Nachteil des Modells war die Größe des Kreises Mecklenburger Seenplatte, welcher mit 4.516 qkm die durch das Leitbild vorgegebene Zielgröße von max. 4.000 qkm um immerhin 13% überschritt. Zudem hätten in diesem Modell mit Parchim, Demmin und Uecker-Randow immerhin drei Kreise geteilt werden müssen. Vier von sechs Landkreisen erfüllten kumulativ die im Leitbild festgelegten Zielgrößen hinsichtlich Fläche und Einwohnerzahl, wobei Südvorpommern die Zielgröße von 4.000 qkm mit einer Fläche von 4.083 qkm mit 2 % nur denkbar knapp verfehlte. bb) 7+2-Modell Das 7+2-Modell beinhaltete eine Teilung der Kreise Parchim und UeckerRandow und sah die Bildung der Kreise Nordwestmecklenburg, Ludwigslust, Güstrow, Nordvorpommern, Südvorpommern (Haff), Neubrandenburg und Müritzkreis vor. Vorteil dieses Modells war, dass die maximale Kreisgröße 3.988 qkm betragen hätte und so die flächenmäßige Vorgabe des Leitbildes von allen Landkreisen eingehalten worden wäre. Als Nachteil dieser Variante schlug zu Buche, dass die für 2020 vorhergesagte Einwohnerzahl in drei Landkreisen
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unter der im Leitbild festgelegten Zielgröße von 175.000 geblieben wäre. So hätte der vorgesehene Müritzkreis mit einer prognostizierten Bevölkerungszahl von 130.597 bei einer Bevölkerungsdichte von lediglich 42 Einwohnern / qkm die Zielvorstellungen um mehr als 25% und der Landkreis Neubrandenburg mit 148.520 diese um ca. 15% verfehlt. Weniger problematisch wäre die voraussichtliche Einwohnerzahl von Südvorpommern (Haff) gewesen, die mit 169.865 die im Leitbild festgelegte Zielvorgabe lediglich um ca. 3 % verfehlt hätte. 5. Weitere Entwicklung: Von der Verständigung auf das 6+2-Modell im November 2008 bis zum Beschluss des Kreisstrukturgesetzes im Juli 2010 a) Verständigung auf das 6+2-Modell in der Landesregierung Mit Schreiben vom 24. 06. 2008 gab der Innenminister allen Kommunen und den kommunalen Spitzenverbänden des Landes Gelegenheit, bis Anfang August 2008 zu den vorgestellten Modellen Stellung zu nehmen. Mitte Juli 2008 legte das Deutsche Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung Speyer unter der Projektleitung von Gisela Färber und Joachim Wieland ein im Auftrag des Innenministeriums erstelltes Gutachten vor, in dem die Einkreisung der vier kleineren kreisfreien Städte als „schlüssiger Teil eines Gesamtkonzepts und per Saldo vorteilhaft“ 783 bezeichnet wurde. Rostock wegen seiner Größe und Schwerin wegen seiner besonderen Rolle als Landeshauptstadt könnten dagegen kreisfrei bleiben, zumal hier Chancen bestünden, die demographische Entwicklung günstig zu beeinflussen. Am 14. 11. 2008 unterrichtete der Innenminister die Enquetekommission „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“ über den Stand der Vorbereitungen von Gesetzen zur Verwaltungsreform. Dabei betonte er noch einmal eindringlich die Notwendigkeit einer Strukturreform. Ohne sich auf eines der beiden im Juni 2008 der Öffentlichkeit präsentierten Modelle festzulegen, machte er deutlich, dass die Landesregierung an dem Ziel festhalte, die Verwaltungsreform noch vor der parlamentarischen Sommerpause 2010 vom Landtag beschließen zu lassen. Dazu müssten die Gesetzentwürfe der Landesregierung im ersten Halbjahr 2009 in den Landtag eingebracht werden. Die Kreistags- und Landratswahlen sollten bereits im Jahre 2011 in den neuen Kreisstrukturen stattfinden. Am 25. 11. 2008 verständigte sich der Koalitionsausschuss darauf, das sog. 6+2-Modell mit einigen kleineren Änderungen weiter verfolgen zu wollen. Im Gegensatz zu der im Sommer des Jahres vorgestellten Variante sollte nunmehr auf die Teilung der Kreise Parchim und Uecker-Randow verzichtet werden. Von den bestehenden Kreisen sollte allein der Landkreis Demmin auf die neuen Kreise Mecklenburgische Seenplatte und Südvorpommern aufgeteilt werden. 783
Färber / Wieland, Einkreisung, S. 57.
500 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
b) Gutachten des Landesrechnungshofes über Einspareffekte der geplanten Kreisgebietsreform In einer gegenüber dem Landtag am 26. 01. 2009 abgegebenen beratenden Äußerung nach § 88 Abs. 3 LHO M-V 784 bezifferte der Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern (LRH M-V) die Einspareffekte einer geplanten Kreisgebietsreform. Zu diesem Zwecke hatte der LRH M-V Anfang Juli 2008 eine externe Studie in Auftrag gegeben, in der die Einsparpotenziale einer Fusion der derzeitigen Kreise Nordvorpommern, Rügen und der kreisfreien Hansestadt Stralsund zu einem neuen Landkreis ermittelt wurden. Die Studie 785 analysierte alle 22 Aufgabengruppen der Verwaltungen in den genannten Gebietskörperschaften und untersuchte die Konsequenzen möglicher Strukturveränderungen im Bereich des Personalbedarfs. Betrachtet wurden eine Optimierungsvariante (Optimierung des Personalbestands unter Beibehaltung der gegenwärtigen Strukturen), sowie eine „kleine“ und eine „große Fusionsvariante“. Bei der „kleinen Fusionsvariante“ wurden die Einspareffekte einer Fusion (lediglich) der Landkreise Nordvorpommern und Rügen unter Beibehaltung der Kreisfreiheit der Hansestadt Stralsund ermittelt. Mit der großen Fusionsvariante wurden die potenziellen Einspareffekte bei einer Fusion von Nordvorpommern, Rügen und Stralsund berechnet, wobei man davon ausging, dass letzterer der Status einer großen kreisangehörigen Stadt zuerkannt wird. Die Studie ermittelte hinsichtlich der Personalkosten bei Zusammenlegung von Nordvorpommern, Rügen und Stralsund ein Einsparpotenzial von 192,18 Stellen (21,8 %), was umgerechnet 9,23 Mio. € im Jahr entspräche und eine Reduzierung der Verwaltungsausgaben auf 140,48 € / Einwohner jährlich bedeuten würde 786. Der Verzicht auf eine Einkreisung der Hansestadt Stralsund würde die Reformrendite um 24,0 % bzw. ca. 2,2 Mio. € jährlich schmälern. In einer solchen Variante könnten lediglich 146,07 Stellen (16,5 %) bzw. ca. 7,01 Mio. € jährlich an Personalkosten eingespart werden. Dagegen wäre bei einer Beibehaltung der bestehenden Strukturen unter Ausnutzung bestehender Optimierungspotenziale maximal eine Reduzierung der Stellenzahl um 105,28 (11,9%) möglich, was einer Personalkosteneinsparung von ca. 5,05 Mio. € entspräche. Der LRH M-V betonte, dass die „Fusionsrendite“ der großen Fusionsvariante in Höhe von 86,91 Stellen (umgerechnet 4,2 Mio. € jährlich) bei gleichzeitiger Verbesserung und Professionalisierung der Verwaltung erreicht werden könne 787, 784
Landtag M-V, LTDrs 5/2180. Landtag M-V, LTDrs 5/2180, Anlage 1. 786 Vorgeschlagen wird dabei eine Aufbauorganisation des Fusionskreises mit vier Dezernaten (Interne Verwaltung, Ordnungsverwaltung, Leistungsverwaltung, Dezernat Bauen und Planen) mit 15 oder 16 Ämtern. Das Stellensoll des Fusionskreises betrüge nur noch 690,87 statt bisher 883,05 in Nordvorpommern, Rügen und Stralsund. Vgl. näher Landtag M-V, LTDrs 5/2180, S. 59 ff. 785
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während die Einsparungen bei einem Verzicht auf die Kreisgebietsreform „allenfalls unter Inkaufnahme erheblicher Abstriche in der Verwaltungsqualität“ 788 zu erzielen seien. Der LRH M-V rechnete die von der Studie für den Fusionskreis ermittelten Einsparpotenziale überdies auf das Land Mecklenburg-Vorpommern hoch 789. Ermittelt wurde für die von der Landesregierung bevorzugte 6+2-Varainte eine rechnerische Einsparung von Personalkosten in Höhe 53,64 Mio. € jährlich. Hinzu kommen sollen Einsparpotenziale bei den Sachkosten zwischen 5,59 Mio. bis 13,43 Mio. € jährlich, so dass die hochgerechneten Einsparpotenziale für das Land 59,23 bis 67,07 Mio. € per anno betragen würden. c) Ressortentwurf des Innenministeriums für ein Kreisstrukturgesetz Entsprechend den Vereinbarungen im Koalitionsausschuss Ende November 2008 erstellte das Innenministerium den Entwurf eines Gesetzes zur Schaffung zukunftsfähiger Strukturen der Landkreise und kreisfreien Städte des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Kreisstrukturgesetz), welcher am 10. 02. 2009 im Kabinett beraten und für die Verbandsanhörung freigegeben wurde. Dem Ressortentwurf lag das von der Landesregierung favorisierte Modell mit sechs Landkreisen und den beiden kreisfreien Städten Rostock und Schwerin zugrunde. Als Artikel 1 sah das Gesetz zur Neuordnung der Landkreise und kreisfreien Städte des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Landkreisneuordnungsgesetz – LNOG M-V) die Auflösung aller bisherigen Landkreise (§ 1 Abs. 1 LNOG M-V) sowie die Aufhebung der Kreisfreiheit von Greifswald, Stralsund, Wismar und Neubrandenburg vor. Kreisfrei sollten allein Rostock und Schwerin bleiben (§ 1 Abs. 2 LNOG M-V). Nach Maßgabe der §§ 2 bis 8 LNOG M-V sollten sechs neue Landkreise (Nordwestmecklenburg 790, Mittleres Mecklenburg 791, Nordvorpommern 792, Südvorpommern 793, Mecklenburgische Seenplatte 794 und Südwest787 Landtag M-V, LTDrs 5/2180, S. 7 ff. In diesem Zusammenhang verweist der LRH M-V u. a. auf größere Potentiale für Personaleinsparungen durch die im Fusionskreis mögliche Zusammenlegung bzw. Zentralisierung von Organisationseinheiten, den überproportional starken Rückgang von Leitungs-, Planungs- und Querschnittaufgaben und die durch eine stärkere Spezialisierung zu erwartende Steigerung von Fachlichkeit und Professionalität. 788 Landtag M-V, LTDrs 5/2180, S. 1; 6. Bei Ausschöpfung der Optimierungspotenziale in den bestehenden Verwaltungsstrukturen drohe in bestimmten Organisationseinheiten das Unterschreiten einer kritischen Untergrenze, welche die erforderliche Spezialisierung und Professionalität sowie die Gewährleistung einer ausreichenden Vertretung in Krankheits- und Urlaubsfällen gefährde. 789 Landtag M-V, LTDrs 5/2180, S. 12 ff. 790 Bestehend aus den Gemeinden des bisherigen Landkreises Nordwestmecklenburg und der Hansestadt Wismar. Der Landkreis ist sowohl hinsichtlich seiner Fläche (2.117 km²) als auch hinsichtlich der Einwohnerzahl der kleinste der neu gebildeten Landkreise. Er unterschreitet mit einer prognostizierten Einwohnerzahl von ca. 158.000 im Jahre
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mecklenburg 795) geschaffen werden. Als künftige Kreisstädte waren im Ressortentwurf Wismar (Kreis Nordwestmecklenburg), Ludwigslust (Südwestmecklenburg), Güstrow (Kreis Mittleres Mecklenburg), Stralsund (Nordvorpommern), Neubrandenburg (Mecklenburgische Seenplatte) sowie Anklam (Südvorpommern) vorgesehen. § 2 Abs. 3 LNOG M-V i. d. F. des Ressortentwurfs sah vor, dass die Kreistage der neuen Landkreise spätestens in ihrer zweiten Sitzung durch Beschluss mit einer Mehrheit von zwei Dritteln aller Mitglieder einen anderen Namen und einen anderen Sitz des Landkreises hätten festlegen können. § 2 Abs. 4 LNOG M-V sollte die Kreistage ermächtigen, alternativ mit der Mehrheit aller Mitglieder die Durchführung eines Bürgerentscheides bezüglich der Festlegung des Namens oder des Sitzes des neuen Landkreises zu beschließen. In Parchim, Bad Doberan und Greifswald sorgte die Entscheidung für Unmut, würden doch diese Städte bei Realisierung der Pläne ihren Status als Kreissitz verlieren 796. Teile der CDU mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Jürgen Seidel an der Spitze forderten zudem, dass auch Neubrandenburg seinen Status 2020 die im Leitbild des Landtages vorgegebene Einwohnerzahl um knapp 10%. Zur Rechtfertigung vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/2683, S. 122 f. 791 Der Kreis sollte aus den Gemeinden der bisherigen Landkreise Bad Doberan und Güstrow sowie der zum bisherigen Landkreis Demmin gehörenden Stadt Dargun bestehen. In diesem Zuschnitt wäre er mit einer Fläche von 3.538 km² und einer für 2020 prognostizierten Einwohnerzahl von 202.299 leitbildgerecht gewesen. Zu den Gebietsänderungen im Regierungsentwurf unten § 17 V 5 d. 792 Bestehend aus den Gemeinden der bisherigen Landkreise Nordvorpommern und Rügen sowie der bisher kreisfreien Stadt Stralsund. Der Kreis weist eine Fläche von 3.188 km² und eine für 2020 prognostizierte Einwohnerzahl von 214.408 auf und ist damit leitbildgerecht. 793 Bestehend aus den Gemeinden der bisherigen Landkreise Ostvorpommern und Uecker-Randow, den zum bisherigen Landkreis Demmin gehörenden Mitgliedsgemeinden der Ämter Demmin-Land, Jarmen-Tutow und Peenetal / Loitz, der Hansestadt Demmin sowie der bisher kreisfreien Stadt Greifswald. In diesem Zuschnitt hätte er eine Fläche von 4.369 km² und eine für 2020 prognostizierte Einwohnerzahl von 250.051 gehabt. Die im Leitbild festgelegte Zielgröße von 4.000 km² wäre um ca. 9% überschritten worden. Zur Rechtfertigung vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/2683, S. 134 f. Zu den Gebietsänderungen im Gesetzgebungsverfahren § 17 V 5 e. 794 Bestehend aus den Gemeinden der bisherigen Landkreise Mecklenburg-Strelitz und Müritz, den zum bisherigen Landkreis Demmin gehörenden Mitgliedsgemeinden der Ämter Malchin am Kummerower See, Stavenhagen und Treptower Tollensewinkel sowie der bisher kreisfreien Stadt Neubrandenburg. In diesem Zuschnitt hätte er eine Fläche von 4.910 km² und eine für 2020 prognostizierte Einwohnerzahl von 217534 gehabt. Die im Leitbild festgelegte Zielgröße von 4.000 km² wäre um immerhin ca. 23% überschritten worden. Zur Rechtfertigung vgl. Ressortentwurf des Innenministeriums, S. 128. Zu den Gebietsänderungen im Regierungsentwurf und Gesetzgebungsverfahren siehe § 17 V 5d und e. 795 Bestehend aus den Gemeinden der bisherigen Landkreise Ludwigslust und Parchim. Der Kreis weist eine Fläche von 4.750 km² und eine für 2020 prognostizierte Einwohnerzahl von 201.901 auf. Hinsichtlich seiner Fläche überschreitet er die Vorgabe des Leitbildes um ca. 19 %. Zur Rechtfertigung LTDrs 5/2683, S. 144 f.
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als kreisfreie Stadt behalten solle 797. Der Ressortentwurf sah vor, dass die bisher kreisfreien Städte Neubrandenburg, Stralsund, Greifswald und Wismar – dem Vorbild zahlreicher anderer Flächenländer folgend – den Status einer großen kreisangehörigen Stadt erhalten sollten 798. Diesen Städten sollten künftig Teile kreislicher Aufgaben, die für die eigene Entwicklung dieser Städte besonders wichtig sind, übertragen werden. Betroffen waren insbesondere Kompetenzen im Straßenverkehrs-, Immissionsschutz-, und Bauordnungsrecht 799. Der Sonderstatus der großen kreisangehörigen Stadt zwischen der Kreisfreiheit und dem Status einer regulären kreisangehörigen Gemeinde sollte auch dadurch zum Ausdruck kommen, dass ihre Vertretungskörperschaften weiterhin die traditionelle Bezeichnung „Bürgerschaft“ und ihre Bürgermeister den Titel „Oberbürgermeister“ führen können. Rechtsaufsichtbehörde der großen kreisangehörigen Städte sollte das Innenministerium, Fachaufsichtsbehörden weiterhin die fachlich zuständigen obersten Landesbehörden sein. Zudem sollten diese Städte auch künftig Träger von Sparkassen sein können. Die neuen Landkreise sollten nach Maßgabe des §§ 10 LNOG M-V Gesamtrechtsnachfolger der bisherigen Landkreise werden. Bezüglich der Funktionsnachfolge sah der Ressortentwurf in § 11 LNOG M-V vor, das die Kreisaufgaben, für die die eingekreisten Städte zuständig waren, dort bis zum 30. 06. 2012 verbleiben sollten. Erst am 01. 07. 2012 sollten diese dann auf die neu gebildeten Landkreise übergehen, in welche die Einkreisung erfolgt ist, sofern diese Aufgaben nicht weiterhin bei den großen kreisangehörigen Städten verbleiben. Das Innenministerium übersandte den Gesetzentwurf mit Schreiben vom 11. 02. 2009 an die 1074 Anzuhörenden. Neben den 12 Landkreisen, sechs kreisfreien Städten, 34 amtsfreien Gemeinden, 79 Ämtern und 807 amtsangehörigen Gemeinden wurde 138 Verbänden und Körperschaften bis zum 30. 03. 2009 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Insgesamt gingen 271 Stellungnahmen ein 800.
796 Nach Sächs VerfGH NVwZ 2009, S. 44 greift die im Zuge einer Kreisneugliederung erfolgte Neubestimmung des Kreissitzes allerdings nicht in die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinde ein, in der bislang die Kreisverwaltung ihren Sitz hatte. 797 Siehe Norddeutsche Nachrichten vom 29. 01. 2009, Seite 1: „Kreisreform: Seidel kontra Caffier – Regierungsvize will ein kreisfreies Neubrandenburg“. 798 Art. 2 Kreisstrukturgesetz sieht eine Einführung dieses Gemeindetyps in § 7 Abs. 1 und 2 KV M-V vor. Gem. § 79 KV M-V sollten diese Städte der Rechtsaufsicht des Innenministeriums unterstehen. 799 Den großen kreisfreien Städten werden die Aufgaben der Straßenverkehrs-, Zulassungs-, Fahrerlaubnis-, unteren Bauaufsichts- und Denkmalschutzbehörden übertragen. Im Immissionsschutzrecht werden sie u. a. für die Überwachung der nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen zuständig sein. 800 Landtag M-V, LTDrs 5/2683, S. 71.
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Überdies beauftragte das Innenministerium den Berliner Politik- und Verwaltungswissenschaftler Joachim Jens Hesse mit einer „Ergänzenden Untersuchung zur Kreisgebietsreform“. Nach dem im Mai 2009 vorgelegten Gutachten 801 erweist sich der in Mecklenburg-Vorpommern beschrittene Weg zu einer Neuordnung der Landkreise als „außerordentlich ambitioniert, ausdifferenziert und den materiellen Interessenlagen von Beteiligten wie Betroffenen angemessen.“ Die Erfahrungen mit dem vor dem LVerfG M-V gescheiterten VwModG M-V seien „positiv gewendet und in einer jederzeit transparenten und der politischen wie gesellschaftlichen Diskussion offenen Form verarbeitet“ worden. Der neuerliche Reformansatz sei von den Vorgaben des LVerfG M-V „zielführend geprägt“. Auch der berechtigten Forderung nach einem Gesamtansatz der Reform sei mit den aufeinander abstimmten Gesetzesvorhaben Kreisstruktur- und Aufgabenzuordnungsgesetz sowie dem Gesetz zur Neugestaltung des Finanzausgleichsgesetzes Genüge getan. Wirkliche Alternativen zu dem von der Landesregierung präsentierten Reformansatz seien nicht vorhanden. Auch dass seitens der kommunalen Spitzenverbände favorisierte Modell der Interkommunalen Zusammenarbeit stelle weder in der Form kommunaler Arbeitsgemeinschaften noch durch öffentlich-rechtliche Vereinbarungen einen alternativen Lösungsansatz dar, da die meisten dieser Modelle lediglich punktuelle Lösungsansätze böten und überdies nicht mit dem von Landesregierung und Landtag erarbeiteten Leitbild vereinbar seien 802. Die Einkreisung der vier kleineren kreisfreien Städte ist nach Auffassung Hesses sowohl verfassungsgemäß als auch alternativlos. Der Gutachter verweist zunächst auf den in einem von der Stadt Plauen angestrengten kommunalen Normenkontrollverfahren ergangenen Beschluss des Sächsischen Verfassungsgerichtshof vom 22. 04. 2008 803 bezüglich des Gesetzes zur Neugliederung des Gebietes des Freistaates Sachsen vom 29. 01. 2008 804, der einige auch für die Kreisstrukturreform in Mecklenburg-Vorpommern bedeutsame Maßstäbe enthalte. Danach lasse der Verlust der Kreisfreiheit zwar den gemeindlichen Charakter und das Gebiet der kreisfreien Stadt unberührt, greife allerdings in einer solchen Intensität in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie ein, dass dies einer besonderen Rechtfertigung bedürfe 805. Ausschlaggebend für diese Einschät801
Im Internet verfügbar unter www.mv-regierung.de/im/verwaltungsreform (Abrufdatum: 04. 01. 2011). 802 Hesse, Kreisgebietsreform, S. 51. 803 SächsVBl 2008, S. 170. 804 Sächs GVBl., S. 102. Mit dem Gesetz wurden die bestehenden 22 sächsischen Landkreise zum 01. 08. 2008 aufgelöst und elf neue Kreise gebildet. Die Zahl der kreisfreien Städte reduzierte sich durch die Einkreisung von Görlitz, Hoyerswerda, Plauen und Zwickau auf drei. Kreisfrei blieben nur Dresden, Leipzig und Chemnitz. 805 Vgl. Sächs VerfGH, SächsVBl 2008, S. 170 (173 f.) unter Verweis auf BVerfG, NVwZ 1982, S. 95. Die spezifische Organisationsform der kreisfreien Stadt wird in der
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zung seien die erheblichen Auswirkungen im Bereich der Finanzen, der Personalwirtschaft und der demokratischen Legitimation. In finanzieller Hinsicht sei der Statusverlust mit dem Entfall oder der Minderung bislang zustehender Geldmittel verbunden, in personalrechtlicher Hinsicht müsse die eingekreiste Stadt aufgrund des geringeren Personalbedarfs arbeits- und dienstrechtliche Maßnahmen ergreifen und hinsichtlich der demokratischen Legitimation sei zu beachten, dass die eingekreiste Stadt die kommunale Selbstverwaltung nunmehr mit dem neu gebildeten Kreis teilen müsse 806. Maßstab zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der Einkreisung kreisfreier Städte sei in formeller Hinsicht, dass der Einkreisung eine Anhörung der betroffenen Stadt vorauszugehen habe. In materieller Hinsicht seien Einkreisungen nur aus Gründen des allgemeinen Wohls zulässig 807. Schließlich gebiete – so der SächsVerfGH – die Verfassung, dass eine kommunale Neugliederung den Geboten der Systemgerechtigkeit und der kommunalen Gleichbehandlung genüge und dass Abweichungen von den aufgestellten Grundsätzen und Leitlinien gerechtfertigt sind 808. Dabei komme es allein dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber zu, die relevanten Belange im Einzelnen zu gewichten und zu bewerten sowie die Vor- und Nachteile von Handlungsalternativen in die Abwägung zu stellen. Die Landesverfassungsgerichte hätten die in diesem Rahmen bestehenden Handlungsspielräume des Gesetzgebers zu respektieren. Seine Entscheidung sei lediglich daraufhin zu überprüfen, ob dieser verfassungsrechtlich legitime Reformziele verfolge. Die vom Landtag aufgestellten Grundsätze und Leitlinien seien nur daran zu messen, ob sich aufdrängende Gemeinwohlaspekte übersehen worden oder ob die den Grundsätzen zugrunde liegenden Erkenntnisse erkennbar unzutreffend seien. Auch die Grundsätze selber dürften nicht erkennbar unzutreffend sein. Die einzelne Neugliederungsmaßnahme sei daraufhin zu kontrollieren, ob der Landtag den für seine Regelung erheblichen Sachverhalt vollständig ermittelt und berücksichtigt sowie die Gemeinwohlgründe und die Vor- und Nachteile der Alternativen in die Abwägung eingestellt habe. Im Übrigen beschränke sich die Kontrolle auf die Prüfung, ob die Ziele, Wertungen und Prognosen des Gesetzgebers offensichtlich und eindeutig widerlegbar seien oder den Prinzipien der verfassungsrechtlichen Ordnung widersprächen, ob der Gesetzgeber das von ihm geschaffene Konzept in einer dem verfassungsrechtlichen Gebot der Systemgerechtigkeit genügenden Weise umgesetzt habe und ob das Abwägungsergebnis zu den verfolgten Zielen deutlich außer Verhältnis LVerf M-V – wie in den meisten anderen Landesverfassungen – weder ausdrücklich gefordert noch institutionell vorausgesetzt. 806 SächsVerfGH, SächsVBl 2008, S. 170 (174). 807 Sächs VerfGH, SächsVBl 2008, 170 (174). 808 SächsVerfGH, SächsVBl 2008, S. 170 (174) unter Verweis auf BVerfGE 50, 50 (53).
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stehe oder von willkürlichen Gesichtspunkten oder Differenzierungen beeinflusst sei 809. Nach Hesses Auffassung ist der Reformprozess in Mecklenburg-Vorpommern seit dem Sommer 2007 diesen Anforderungen gerecht geworden. Die Einkreisungsdebatte sei sachadäquat, problemangemessen, ergebnisoffen und verfahrenskompatibel verlaufen 810. Auch unter Berücksichtigung der von den kreisfreien Städten im Anhörungsverfahren vorgebrachten Positionen 811 seien die gegen die Einkreisung der vier bisher kreisfreien Städte Neubrandenburg, Stralsund, Greifswald und Wismar geäußerten Vorbehalte letztlich nicht überzeugend. Zum einen seien die faktisch erwartbaren Reputationsnachteile „eher symbolischer Natur“, zum anderen verwiesen Beispiele erfolgreicher Einkreisungen von Mittelstädten in anderen Flächenländern der Bundesrepublik 812 auf durchaus stabile Verwaltungsstrukturen und eine meist erfolgreiche Bewältigung von StadtUmland-Problemen 813. Mit dem Sonderstatus der großen kreisangehörigen Stadt biete der Reformgesetzgeber den bisher kreisfreien Städten überdies eine „durchaus akzeptable Kompensation“ 814 für den Verlust der Kreisfreiheit. Das von der Landesregierung favorisierte 6+2-Modell sei angesichts der demographischen wie finanziellen Entwicklungsprobleme die „problemangemessenste Lösung“ 815 einer zukünftigen Kreisstruktur. Zwar ließen sich für jede der für die Einkreisung vorgesehenen Städte ein Argument für die fortbestehende Kreisfreiheit finden, doch würden damit Gleichbehandlungs- und Gerechtigkeitsgründe verletzt, ohne die die vorgesehene Strukturreform nicht möglich sein dürfte und bei einer erneuten Anrufung des Landesverfassungsgerichts scheitern könnte 816. Wirkliche Alternativen – mit Ausnahme des Falles der Landeshauptstadt Schwerin – zu dem mit dem Gesetzentwurf zur Diskussion stehenden Vorgehen seien nicht erkennbar. Angesichts der stabilen politischen Grundhaltung – Verständigung der beiden großen die Landesregierung tragenden Parteien auf den Reformansatz – erscheine es angezeigt, den Reformprozess in dem beabsichtigten 809
Sächs VerfGH, SächsVBl 2008, S. 170 (175). Hesse, Kreisgebietsreform, S. 22 f. 811 Hesse, Kreisgebietsreform, S. 24 ff. 812 Dazu Hesse, Kreisgebietsreform, S. 53 ff. mit Beispielen aus Bayern (12 Einkreisungen 1972), Brandenburg (Einkreisungen von Eisenhüttenstadt und Schwedt / Oder 1993), Hessen (3 Einkreisungen 1974), Niedersachsen (Einkreisungen von Goslar, Celle, Hameln, Hildesheim, Lüneburg und Cuxhaven von 1972 bis 1977), Nordrhein-Westfalen (10 Einkreisungen von 1966 bis 1976) und Sachsen (Einkreisungen von Görlitz, Hoyerswerda, Plauen und Zwickau 2008). 813 Hesse, Kreisgebietsreform, S. 51. 814 Hesse, Kreisgebietsreform, S. 17. 815 Hesse, Kreisgebietsreform, S. 52. 816 Hesse, Kreisgebietsreform, S. 45 ff; S. 52, der die fortbestehende Kreisfreiheit Schwerins vor allem aufgrund der Funktion als Landeshauptstadt befürwortet. 810
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Zeitrahmen abzuschließen. Sollte es zu einer Verabschiedung des Gesetzentwurfes kommen, sei eine „zukunftsfähige“ Problemlösung zu erwarten, die für weitere mittelgroße Flächenländer Modellcharakter annehmen könne 817. d) Regierungsentwurf des Kreisstrukturgesetzes Am 08. 07. 2009 brachte die Landesregierung das Kreisstrukturgesetz als zentralen Bestandteil eines drei Gesetze umfassenden Gesetzespaketes in den Landtag ein, mit welchem die politischen Vorgaben des Gesamtrahmens für die umfassende Verwaltungsmodernisierung und des Leitbildes des Landtages für eine Kreisgebietsreform umgesetzt werden sollten. Zu diesem Gesetzespaket gehörten neben dem Kreisstrukturgesetz das am 01. 01. 2010 in Kraft getretene Gesetz zur Neugestaltung des Finanzausgleichsgesetzes und zur Änderung weiterer Gesetze 818 und das Gesetz über die Zuordnung von Aufgaben im Rahmen der Landkreisneuordnung 819, über welches an anderer Stelle 819a näher berichtet wird. Der Regierungsentwurf 820 enthielt im Vergleich zum Ressortentwurf nur wenig Neues. Neben einer Gebietsänderung 821 sind vor allem die in § 2 LNOG M-V vorgenommenen Modifikationen hervorzuheben. § 2 Abs. 2 LNOG M-V sah nunmehr im Gegensatz zum Ressortentwurf einen obligatorischen Bürgerentscheid über Namen und Sitz der neu zu bildenden Landkreise vor. Einzelheiten zu dem diesbezüglichen Verfahren enthielten § 2 Abs. 2 bis 5 LNOG M-V. Zukünftige Kreissitze hätten nach § 2 Abs. 3 LNOG M-V alle zum künftigen Kreisgebiet gehörenden bisherigen Kreissitze sowie die eingekreisten ehemals kreisfreien 817
Hesse, Kreisgebietsreform, S. 52, der zudem mahnt, den Reformprozess nicht nur aus einer „Verliererperspektive“ zu sehen, sondern zu berücksichtigen, dass das Land im Fall erfolgreicher Reformen „in den Kreis der reformbereiten und modernisierungsorientierten Akteure“ einzureihen sei. 818 Vom 10. 11. 2009; GVOBl. M-V, S. 606. Das Gesetz enthält im Wesentlichen als Art. 1 ein neues Finanzausgleichsgesetz, welches das FAG M-V i. d. F. d. Bek. vom 13. 01. 2006 (GVOBl. M-V, S. 22) ablöste. Zu den Eckpunkten der Novellierung Landtag M-V, LTDrs 5/2685, und LTDrs 5/2873. 819 Landtag M-V. LTDrs 5/2684. 819a Vgl. § 17 V 6. 820 Landtag M-V, LTDrs 5/2683 mit einem Umfang von 251 Seiten. 821 Der Ressortentwurf sah die Zuordnung der Stadt Dargun aus dem bisherigen Landkreis Demmin zum Landkreis Mittleres Mecklenburg vor. Der Regierungsentwurf ordnete die Stadt auf deren ausdrücklichen Wunsch nunmehr dem Landkreis Mecklenburgische Seenplatte zu. Die Zuordnung änderte nichts an der Leitbildgerechtigkeit des Kreises Mittleres Mecklenburg. Er weist nunmehr eine Fläche von 3.421 km² und ein für 2020 prognostizierte Einwohnerzahl von 198.446 auf. Allerdings wurde der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, der bereits nach dem Ressortentwurf eine Fläche von 4.910 km² umfasste, durch die Zuordnung Darguns nochmals auf nunmehr 5.028 km² vergrößert. Zur Rechtfertigung LTDrs 5/2683, S. 139 f.
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Städte werden können. Die Bürgerentscheide sollten gemeinsam mit den Wahlen der Kreistage und Landräte durchgeführt werden. Auf die Bestimmung der vorläufigen Kreissitze wurde – anders als noch im Ressortentwurf – verzichtet 822. Die Frage nach der Entscheidungszuständigkeit über die Kreissitze sollte im weiteren parlamentarischen Verfahren einer der Hauptstreitpunkte werden 823. Zudem wurde in den jeweiligen Absätzen 1 der §§ 3 bis 8 auch im Gesetzestext deutlich gemacht, dass die Bezeichnung der zukünftigen Kreise nur eine vorläufige ist und durch Bürgerentscheid geändert werden kann. Neu eingefügt wurde schließlich § 9 LNOG M-V, wonach Gemeinden bis zum 31. 12. 2010 beim Innenministerium beantragen konnten, einem anderen Landkreis zugeordnet zu werden. Die Regelung sollte es einzelnen Gemeinden ermöglichen, ihre Zuordnungswünsche auf vereinfachtem Weg außerhalb des Gesetzgebungsverfahrens an das Innenministerium heranzutragen 824. e) Ergebnisse der parlamentarischen Beratungen Das Kreisstrukturgesetz wurde am 16. 07. 2009 vom Landtag in erster Lesung beraten 825 und anschließend in die Ausschüsse verwiesen. Der federführende Innenausschuss beschloss in seiner Sitzung am 16. 07. 2009 die Durchführung eines schriftlichen Anhörungsverfahrens und erstattete dem Landtag am 23. 11. 2009 einen Zwischenbericht 826, in dem die wesentlichen Ergebnisse dieses Anhörungsverfahrens dokumentiert sind. Am 03., 04., 07. und 08. 12. 2009 sowie am 10. und 11. 05. 2010 fanden vor dem Innenausschuss jeweils mündliche Anhörungsverfahren statt 827. Vom Dezember 2009 bis Mai 2010 wurden basierend auf dem schriftlichen Anhörungsverfahren in Ausschusssitzungen insgesamt 147 Sachverständige gehört. Zudem beauftragte das Innenministerium die KGSt mit der Erstellung einer Renditebetrachtung für die sechs neu zu bildenden Landkreise in Mecklenburg-Vorpommern. Auf Grundlage von bereits im Juni 2009 erarbeiteten Empfehlungen zum Organisationsmodell für die sechs neu zu bildenden Landkreise 828 ermittelte die KGSt, dass bei der Durchführung einer Kreisgebietsreform im Jahre 2010 für den Zeitraum von 2010 bis 2020 insgesamt haushaltswirksame Kosten in Höhe von ca. 716 Mio. € vermieden werden könnten 829. Dem stünden lediglich einmalige Kosten in Höhe von ca. 3 Mio. entgegen. 822 823 824 825 826 827 828 829
Zur Begründung LTDrs 5/2683, S. 119 f. Näher § 17 V 5 e. Vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/2683, S. 137; S. 146. Landtag M-V, Plenarprotokoll 5/74, S. 3 ff. Landtag M-V, LTDrs 5/2987. Landtag M-V, Innenausschuss, Ausschussprotokolle 5/79 –81; 5 / 83. Im Internet verfügbar unter www.qbus.de (Abrufdatum: 08. 02. 2011). Zu den Einzelheiten KGSt, Renditebetrachtung, S. 137 ff.
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Abschließend beriet der Innenausschuss den Gesetzentwurf in Sitzungen am 17. und 24. 06. 2010 und stimmte dem Gesetzentwurf der Landesregierung mit einigen wesentlichen Änderungen zu 830. Die wichtigste Neuerung betraf das Procedere bei der Bestimmung der Kreissitze. Bezüglich des im Regierungsentwurf vorgesehenen obligatorischen Bürgerbescheids hatte es in der Regierungskoalition erhebliche Auseinandersetzungen gegeben. Auch etliche Kommunalpolitiker forderten im Rahmen der öffentlichen Anhörungen, der Landtag solle die Kreissitze selbst bestimmen, um den Fusionsprozess nicht noch zusätzlich zu belasten. Im Koalitionsausschuss einigte man sich deshalb am 12. 05. 2010 auf eine entsprechende Vorgehensweise. Im Landtag kamen die Fraktionen der SPD und CDU zu der Überzeugung, dass der Gesetzgeber selbst die wichtige Frage der Kreissitze zu entscheiden habe. Diese Fraktionen reichten daher einen Änderungsantrag ein, der im Wesentlichen an den Ressortentwurf des Innenministeriums angelehnt war 831. Wie bereits dort sollten mit Wismar, Güstrow, Stralsund, Greifswald (im Ressortentwurf: Anklam) 832, Neubrandenburg und Parchim (im Ressortentwurf: Ludwigslust) 833 vorläufige Kreissitze festgelegt werden 834. Abweichend hiervon hätten jedoch die Kreistage der neuen Landkreise mit 2/3-Mehrheit aller Mitglieder den Kreissitz selbst festlegen oder aber mit der Mehrheit aller Mitglieder die Durchführung eines Bürgerentscheides beschließen können 835. Diesem Änderungsantrag stimmte der Innenausschuss bei nur einer Gegenstimme durch die Fraktion der NPD mit großer Mehrheit zu. Eine weitere wichtige Änderung betraf die Zuordnung der Hansestadt Demmin, einer Kreisstadt, die am 31. 12. 2009 immerhin mit 12.090 Einwohner zählte, und des Amtes Demmin-Land, das am 30. 06. 2009 8.132 Einwohner aufwies. Diese Körperschaften hatten im Anhörungsverfahren ihre Zuordnung zum Landkreis Mecklenburgische Seenplatte gefordert. Obwohl sich dieser Landkreis damit nochmals um 441 km² auf nunmehr 5.469 km² vergrößerte und die Regelzielgröße jetzt um mehr als 35% überschreitet, wurde diesem Wunsch Rechnung getragen, zumal sich durch die geänderte Zuordnung die Aufteilung des Gebietes des bisherigen Landkreises Demmin exakt anhand der landesplanerischen 830
Näher Landtag M-V, LTDrs 5/3599 vom 29. 06. 2010. Näher Landtag M-V, LTDrs 5/3599, S. 215 ff. 832 Für Greifswald als Kreissitz sprach trotz der schlechteren Erreichbarkeit bei längeren Anreisezeiten aufgrund der fehlenden Zentralität vor allem die Funktion als Teiloberzentrum, die deutlich höhere Einwohnerzahl (54.362 gegenüber 13.234 am 31. 12. 2009) und eine viel größere Ausstrahlungswirkung aufgrund überörtlicher Standortfaktoren (Behörden, Justizeinrichtungen, Universität etc.). 833 Für Parchim sprach neben der größeren Einwohnerzahl (18.670 gegenüber 12.336 am 31. 12. 2009) auch die höhere wirtschaftliche Leistungskraft. Vgl. näher LTDrs 5/3599, S. 232 f. 834 Zu den für die Festlegung der Kreissitze maßgeblichen Kriterien vgl. LTDrs 5/ 3599, S. 216 ff. 835 Zur Begründung Landtag M-V, LTDrs 5/3599, S. 224 f. 831
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Festlegungen nach dem Landesentwicklungsprogramm vollzieht. Ergänzend tritt hinzu, dass im Gegenzug der Landkreis Südvorpommern unter die im Leitbild genannte Regelzielgröße von 4.000 auf nunmehr 3.928 km² sinkt 836. Eine weitere substanzielle Änderung sahen die Empfehlungen des Innenausschusses hinsichtlich des Zeitpunkts des Aufgabenübergangs von den eingekreisten Städten Neubrandenburg, Stralsund, Greifswald und Wismar auf die neu zu bildenden Landkreise vor. Sollten diese Aufgaben nach den Vorstellungen des Ressort- und des Regierungsentwurfs erst nach einer Übergangsphase am 01. 07. 2012 auf die neuen Landkreise übergehen 837, so empfahl der Innenausschuss unter dem Eindruck der in den öffentlichen Anhörungen ganz überwiegend geäußerten Wünsche nach einem sofortigen „Loslegen-Können in den neuen Strukturen“ den Übergang dieser Aufgaben bereits zum Zeitpunkt der Neubildung der Landkreise. Schließlich sahen die Empfehlungen des Innenausschusses vor, dass der Personalübergang mit der Bildung der neuen Landkreise abgeschlossen sein sollte. Anders als noch im Entwurf der Landesregierung vorgesehen, sollte nunmehr ein Übertritt für alle Beamten und Arbeitnehmer der Landkreise und einzukreisenden Städte entsprechend dem Übergang der kreislichen Aufgaben ausschließlich kraft Gesetzes durch Rechtsnachfolge und zwar mit dem Tag der Bildung der neuen Landkreise erfolgen 838. Die mit der Gleichzeitigkeit von Einkreisung sowie Aufgaben- und Personalübergang verbundenen Anlaufschwierigkeiten seien zwar etwas größer als bei der zunächst geplanten Übergangsphase. Dafür herrsche aber nach dieser Anfangsphase schnell Klarheit und es kehre Ruhe ein. Die Kommunen und ihre Mitarbeiter müssten nicht über weitere Monate in provisorischen Strukturen arbeiten, welche das Zusammenwachsen der Verwaltungen und ihrer Mitarbeiter erheblich erschweren würden 839. Zudem legte § 11 Abs. 3 Kreisstrukturgesetz als Tag der Bildung der neuen Landkreise den 04. 09. 2011 fest. f) 2. Lesung und Beschlussfassung im Landtag Am 07. 07. 2010 fand die zweite Lesung und Schlussabstimmung des Kreisstrukturgesetzes im Landtag statt 840. Mit den Stimmen der Fraktionen von CDU und SPD bei Gegenstimmen der anderen Fraktionen wurde ein von den Regierungsfraktionen eingebrachter Antrag auf Änderung des § 2 LNOG M-V ange836
Landtag M-V, LTDrs 5/3599, S. 231. Zur Begründung Landtag M-V, LTDrs 5 / 2683, S. 148 f: Man wollte die Findungsund Orientierungsphase der neuen Landkreise nicht zusätzlich durch neu hinzukommende Aufgaben belasten. 838 Vgl. dazu im Einzelnen §§ 26 ff. LNOG M-V und Landtag M-V, LTDrs 5/3599, S. 242 ff. 839 Landtag M-V, LTDrs 5/3599, S. 234 f. 840 Landtag M-V, PlPr 5/99, S. 8. 837
§ 17 Verwaltungsmodernisierung: Der Reformprozess seit 2007
511
nommen, der den Verzicht auf den vom Innenausschuss vorgeschlagenen, von den Kreistagen zu initiierenden Bürgerentscheid enthielt. In namentlicher Abstimmung wurde sodann über Änderungsanträge bezüglich der Kreissitze von vier Landkreisen abgestimmt. Lediglich 3 Befürworter bei sieben Enthaltungen und 60 Nein-Stimmen fand der Änderungsantrag, Bergen auf Rügen (und nicht Stralsund) zum Kreissitz von Nordvorpommern zu bestimmen. Bezüglich des Landkreises Südvorpommern stimmten für den Kreissitz Anklam 32 Abgeordnete, für Pasewalk eine Abgeordnete. Bei zwei Enthaltungen stimmten 35 Abgeordnete gegen die entsprechenden Änderungsanträge, so dass Greifswald endgültig als Kreissitz festgelegt wurde. Hinsichtlich des Kreises Mecklenburgische Seenplatte stimmten 10 Abgeordnete für den Kreissitz Waren an der Müritz und 8 Abgeordnete für den Kreissitz Neustrelitz. Bei 7 Enthaltungen stimmten 45 Abgeordnete gegen entsprechende Änderungsanträge, so dass der Landtag Neubrandenburg endgültig als Kreissitz festlegte. Im Landkreis Südwestmecklenburg fiel die Entscheidung zwischen Parchim und Ludwigslust besonders knapp aus. Der Änderungsantrag, Ludwigslust als Kreissitz festzulegen, scheiterte bei 34 Ja- und 35 Neinstimmen bei einer Enthaltung nur denkbar knapp. In der Schlussabstimmung stimmten 40 Abgeordnete für und 28 Abgeordnete für das Kreisstrukturgesetz in der Fassung der Beschlussempfehlung des Innenausschusses mit den beschlossenen Änderungen. Das Kreisstrukturgesetz wurde am 12. 07. 2010 ausfertigt und am 28. 07. 2010 im Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlicht 841. Das Gesetz wird – vorbehaltlich eines positiven Ausgangs der erneut anstehenden Prüfung durch das LVerfG M-V 842 – in seinen wesentlichen Teilen mit den Kreis- und Landtagswahlen am 04. 09. 2011 in Kraft treten. 6. Funktionalreform durch das Aufgabenzuordnungsgesetz Zweiter wesentlicher Eckpfeiler der Verwaltungsmodernisierung in Mecklenburg-Vorpommern ist das Gesetz über die Zuordnung von Aufgaben im Rahmen der Landkreisneuordnung 843, welches der Landtag ebenfalls am 07. 07. 2010 beschloss. Mit dem Gesetz sind Aufgabenneuverteilungen von der staatlichen auf die kommunale Ebene in einem Umfang von ca. 300 Vollzeitstellen verbunden, die im Wesentlichen am 01. 07. 2012 in Kraft treten sollen. 841
GVOBl. M-V, S. 366. Bereits am 22. 07. 2010 beschloss der Kreistag des Landkreises Ludwigslust, dass der Landkreis gegen das Kreisstrukturgesetz klagen solle. Anfang Dezember 2010 erhoben die Landkreise Ludwigslust, Müritz, Ostvorpommern, Rügen und Uecker-Randow eine gemeinsame Verfassungsbeschwerde gegen das Kreisstrukturgesetz. Verfassungsbeschwerden wurden auch von den Städten Greifswald und Wismar erhoben. Ende Dezember 2010 beschloss schließlich auch die Stadtvertretung Neubrandenburgs mit 20 zu 18 Stimmen bei zwei Enthaltungen, den Klageweg zu beschreiten. 843 Vom 12. 07. 2010, GVOBl. M-V, S. 383. Vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/2684; 5/2986 sowie 5/3600. 842
512 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
Das Gesetz besteht aus dem Aufgabenzuordnungsgesetz (AufgZuordG M-V – Art. 1), in dem die Aufgabenübertragungen von staatlicher auf die Kommunalebene, die Kostenregelungen sowie Vorschriften zum Personalübergang enthalten sind. Die Art. 2 bis 15 des Gesetzes enthalten die notwendigen fachgesetzlichen Änderungen. Das Gesetz sieht in den dieser Arbeit zugrundeliegenden Referenzgebieten die vollständige Kommunalisierung des Vollzugs im Immissionsschutz-, Abfall- und Chemikalienrecht (§ 2 Abs. 1 bis 4 AufgZuordG M-V), Aufgabenübertragungen im Wasser- und Bodenschutzrecht (§ 4 AufgZuordG M-V) sowie im Natur- und Artenschutzrecht (§§ 5 und 6 AufgZuordG M-V) vor. All diese Aufgaben sollen von den Aufgabenträgern gem. §§ 21 ff. AufgZuordG M-V im übertragenen Wirkungskreis wahrgenommen werden. Daneben sehen §§ 7 bis 20 AufgZuordG M-V weitere Aufgabenübertragungen vor. Hervorzuheben ist hier vor allem die Übertragung der Schulträgerschaft für bestimmte Förderschulen nach § 8 AufgZuordG mit einem Umfang von 99,23 Stellen sowie für das Feststellungsverfahren im Schwerbehindertenrecht nach § 69 SGB IX nach § 19 AufgZuordG mit einem Umfang von 76 Stellen. Diese Aufgabenübertragung war im Regierungsentwurf noch nicht enthalten und dient gleichsam als Kompensation für zunächst vorgesehene Aufgabenübertagungen im Bereich Arbeitsschutz und technische Sicherheit, von denen nach den Anhörungen im Innenausschuss abgesehen wurde, weil gegen sie sowohl Wirtschaftsverbände als auch Beschäftigtenvertreter erhebliche Bedenken geäußert hatten 844. Alles in allem beträgt das Volumen der durch das AufgZuordG vorgenommenen Aufgabenkommunalisierungen 300,046 Stellen 845. Davon betreffen 76,9 Stellen das Immissionsschutz-, Abfall- und Chemikalienrecht 846, 10,141 Stellen das Wasser- und Naturschutzrecht 847 und 5,010 Stellen das Natur- und Artenschutzrecht 848. Die mit den umstrittenen Kommunalisierungen im Bereich des Umweltrechts zusammenhängenden Probleme sollen an anderer Stelle näher erörtert werden 849.
844
Zu den geplanten Aufgabenkommunalisierungen im Bereich Arbeitsschutz und technische Sicherheit, von der 72 Stellen betroffen gewesen wären, siehe Landtag M-V, LTDrs 5/2684, S. 61 ff. Zu den gegen die Kommunalisierung vorgetragenen Bedenken LTDrs 5/3600, S. 97 ff; S. 108 f. 845 LTDrs 5/3600, S. 143. 846 Vgl. LTDrs 5/3600, S. 146. 847 Landtag M-V, LTDrs 5/3600, S. 149. 848 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/3600, S. 149. 849 Siehe unten § 20 A III 4b bb (3).
§ 17 Verwaltungsmodernisierung: Der Reformprozess seit 2007
513
7. Ausblick: Wird der zweite Anlauf der Verwaltungsreform vor dem Landesverfassungsgericht bestehen? Die Erfolgsaussichten der gegen Kreisstruktur- und Aufgabenzuordnungsgesetz abermals erhobenen Verfassungsbeschwerden zu prognostizieren, erfordert Mut. Immerhin darf man den politisch Verantwortlichen attestieren, aus den Fehlern des ersten gescheiterten Anlaufes gelernt zu haben. Der – diesmal leitbildgestützte – Verwaltungsmodernisierungsprozess lief ab Sommer 2007 deutlich transparenter ab als noch beim ersten Anlauf und wurde durch eine Vielzahl umfassender Gutachten begleitet. Auch die Alternativenabwägung erfolgte akribischer. Von kommunaler Seite wird dennoch kritisiert, dass das Gesetz die eigenen Anforderungen des Landtages nicht erfülle. Dem Gesetzgeber wird unter anderem vorgeworfen, sich nicht ausreichend mit Alternativen zu einer Kreisneugliederung auseinandergesetzt sowie die kommunale Selbstverwaltung und insbesondere das kommunale Ehrenamt vernachlässigt zu haben. Darüber hinaus bestünden Zweifel, dass die vom Land selbst gesteckten Ziele mit der angestrebten Kreisneugliederung zu erreichen seien. Überdies wird die frühzeitige Festlegung des Innenministers bzw. der Regierungskoalition auf das „6+2-Modell“ gerügt. Diese lasse den Eindruck zu, das nachfolgende Anhörungsverfahren sei nur noch der Form halber durchgeführt worden. Zu frühzeitig habe man sich auch im Koalitionsausschuss auf den Entwurf des Kreisstrukturgesetzes geeinigt und so die Abwägung des Innenausschusses vorweggenommen 850. Nach derzeitigem Kenntnisstand wird das LVerfG M-V am 19. und 20., sowie am 26. und 27. 05. 2011 mündlich über die erhobenen Verfassungsbeschwerden verhandeln. Mit einem Urteil wird für den Sommer 2011 gerechnet. Abzuwarten bleibt, ob sich die Greifswalder Richter diesmal zur maximal zulässigen Kreisgröße äußern werden. Insbesondere der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, der im Gesetzgebungsverfahren um die Städte Demmin und Dargun sowie das Amt Demmin-Land vergrößert wurde und nunmehr 5.469 km² misst, dürfte das LVerfG M-V aufgrund der Überschreitung der im Leitbild festgelegten Zielgröße um mehr als 35% interessieren. Auch der Landkreis Südwestmecklenburg überschreitet mit 4.750 km² die Zielgröße eines Landkreises um nahezu 20 %. Insofern darf man besonders gespannt sein, ob das LVerfG M-V die für die jeweiligen Abweichungen gegebenen Begründungen für ausreichend hält.
850
Näher www.kreis-lwl.de:„Landkreis Ludwigslust klagt gegen Kreisstrukturgesetz“ (Abrufdatum:10. 09. 2010) sowie Norddeutsche Neueste Nachrichten vom 04. 01. 2011, S. 4.
514 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
B. Sonstige Maßnahmen der Regelungsoptimierung in den Jahren 2007 bis 2010 I. Die Gesetzgebung im Jahre 2007 Waren die Jahre 2005 und 2006 durch ausgeprägte, wenngleich nicht immer erfolgreiche, Bemühungen um eine Verwaltungsmodernisierung gekennzeichnet 851, so legte der Gesetzgeber im Jahre 2007 diesbezüglich eine spürbare Zurückhaltung an den Tag. Die Landtagswahl im September 2006, aus der die SPD nur noch knapp als stärkste Partei hervorging 852, führte zum Ende des bisherigen Regierungsbündnisses zwischen SPD und PDS / Die Linke. Im November 2006 wurde – abermals unter Ministerpräsident Harald Ringstorff – eine Große Koalition gebildet, wobei die Leitung des Innenministeriums zur CDU wechselte (neuer Innenminister wurde Lorenz Caffier). In der ersten Hälfte des Jahres 2007 standen zunächst die Vorbereitungen zum „G-8-Gipfel“ in Heiligendamm (06. – 08. 06. 2007) im Mittelpunkt des öffentlichen und administrativen Interesses. Die für den größten Polizeieinsatz in der Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns zu treffenden Vorkehrungen 853 und die dabei zu beachtenden rechtlichen Vorgaben 854 banden einen großen Teil der Kapazitäten in der Landesverwaltung. Im Zusammenhang mit dem Gipfeltreffen wurde für Versammlungen und Aufzüge vom 25. 05. 2007 bis zum 15. 06. 2007 in bestimmten Landesteilen eine vom OVG Greifswald für rechtlich zulässig erklärte Sonderzuständigkeit der Polizeidirektion Rostock als Versammlungsbehörde begründet 855. Die Zuständigkeit für bestimmte Entscheidungen in Straf- und Freiheitsentziehungssachen 851
Vgl. oben § 16 A und § 17 A. Bei der am 14. 09. 2006 durchgeführten Landtagswahl ging die Wahlbeteiligung im Vergleich zur parallel mit der Bundestagswahl durchgeführten Wahl vom 22. 09. 2002 um 11,5 % auf 59,1 % zurück. Die SPD erhielt 30,2 % der abgegebenen Stimmen (23 Mandate), die CDU 28,8 % (22 Mandate), Die Linke 16,8% (13 Mandate). Der FDP gelang mit 9,6 % (7 Mandate) nach 12 Jahren der Wiedereinzug in den Landtag. Erstmals in den Landtag einziehen konnte mit 7,3 % (6 Mandate) die NPD, während Bündnis 90/Die Grünen mit 3,4 % abermals den Einzug in den Landtag verpassten. 853 Unter Führung der bereits im Dezember 2005 gegründeten „Besonderen Aufbauorganisation (BAO) KAVALA“, einer ausschließlich temporär-anlassbezogenen Aufgabenund Befehlsstruktur, die sich aus Führungskräften der Landespolizeien und der Bundespolizei zusammensetzte und die ab dem 01. 04. 2007 für alle mit dem Weltwirtschaftsgipfel zusammenhängenden Einsatzlagen im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Polizeidirektion zuständig war, kamen insgesamt ca. 16.000 Polizisten zum Einsatz. Näher Wagner, DP 2007, S. 248. 854 Zu den in Bezug auf den Weltwirtschaftsgipfel ergangenen 13 versammlungsrechtlichen Eilentscheidungen des VG Schwerin, 11 Eilentscheidungen des OVG Greifswald und 4 Eilentscheidungen des BVerfG vgl. die Übersicht in NordÖR 2007, S. 289. Die vom Bundesverfassungsgericht – BVerfG NordÖR 2007, S. 295 – nur im Ergebnis bestätigte Eilentscheidung des OVG Greifswald zum Verbot des „Sternmarsches“ nach Heiligendamm ist in NordÖR 2007, S. 290 abgedruckt. 852
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wurde für die Zeit vom 25.05. bis zum 10. 06. 2007 bei den Amtsgerichten Rostock und Schwerin konzentriert 856. Abgesehen von den Spezialregelungen für den G-8-Gipfel war das Gesetz zur Neuregelung der Ladenöffnungszeiten (LöffG M-V) 857 das wohl wichtigste Normsetzungsprojekt im Jahre 2007. Dieses Reformvorhaben ist ein herausragendes Beispiel für die im Rahmen der Föderalismusreform I neu gewonnenen Länderkompetenzen im Wirtschaftsverwaltungsrecht. Da am LöffG M-V zugleich exemplarisch die Schwierigkeiten bei der konkreten Umsetzung von Deregulierungsbemühungen dargestellt werden können, wird es an anderer Stelle ausführlich gewürdigt 858. Den Abschluss der Rechtsetzungsaktivitäten des Jahres 2007 bildete die für den Vollzug des Ladenöffnungsrechts bedeutsame „Bäderverkaufsverordnung vom 17. 12. 2007 859. Mit der auf § 10 LöffG M-V gestützten Verordnung sollte die bisherige Praxis, Bäderregelungen in Form von Allgemeinverfügungen zu treffen 860, auf eine sichere rechtliche Grundlage gestellt werden. Die BädVerkVO M-V sollte in der Folge für rechtliche Auseinandersetzungen zwischen dem Land Mecklenburg-Vorpommern und der evangelischen wie katholischen Landeskirche sorgen und wurde mittlerweile mehrfach novelliert 861. Ein Meilenstein auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes war das Nichtraucherschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern (NichtRSchutzG M-V) 862. Dieses ordnete ein ab dem 01. 08. 2007 geltendes allgemeines Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden an und untersagte das Rauchen in Gaststätten ab dem 01. 01. 2008 bußgeldbewehrt. Bei der Regelung entschied sich der Landesgesetzgeber gegen eine strikte Ausgestaltung des Rauchverbotes und für das Zulassen von Ausnahmen zulasten des eigentlichen Zieles des Gesetzes und folgte damit der bundesweit überwiegend gewählten Form des Nichtraucherschutzes. Das Gesetz zeichnet sich unter anderem durch eine in § 1 Abs. 1 NichtRSchutzG M-V getroffene Legaldefinition aus, wonach unter Rauchen „das Anzünden oder Am-Brennen-Halten eines Tabakerzeugnisses“ zu verstehen ist. Das NichtRSchutzG M-V in seiner ursprünglichen Fassung unterlag nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht vom 30. 07. 2008 863 allerdings bezüglich der in §§ 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 10 NichtRSchutzG M-V (ausschließlich) in Mehrraumgaststätten ermöglichten Einrichtung von Raucherbe855 Vgl. § 2a VersGZustVO M-V, der mit Verordnung vom 19. 01. 2007; GVOBl. M-V, S. 30 geschaffen wurde. Zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung OVG Greifswald, NordÖR 2007, S. 290 f. 856 Durch Verordnung vom 08. 05. 2007; GVOBl. M-V, S. 205. 857 Vom 18. 06. 2007; GVOBl. M-V, S. 226. 858 Näher § 20 B III. 859 GVOBl. M-V 2008,S. 6. 860 Näher Vick, Einkaufen non-stop in M-V? 861 Näher unten § 20 B III. 862 Vom 12. 07. 2007; GVOBl. M-V, S. 239.
516 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
reichen einer bis zum 31. 12. 2009 zu erfüllenden Nachbesserungspflicht 864. Bis zum Erlass einer verfassungsgemäßen Neuregelung hatte das Bundesverfassungsgericht auf Grundlage des § 35 BVerfGG die in den Nichtraucherschutzgesetzen bereits vorgesehenen Ausnahmen um eine weitere zu Gunsten der „getränkegeprägten Kleingastronomie“ ausgeweitet. Danach durfte ein Gaststättenbetreiber in Betrieben mit einer Gastfläche bis zu 75 qm ohne abgetrennten Nebenraum, in denen Personen unter 18 Jahren der Zugang verwehrt ist, das Rauchen gestatten, wenn er die Gaststätte am Eingangsbereich in deutlich erkennbarer Weise als Rauchergaststätte kennzeichnete, zu der Minderjährigen der Zugang versagt wurde. Diese Möglichkeit stand allerdings nur Betreibern von Schank- und nicht von Speisewirtschaften offen („Eckkneipenprivileg“) 865. Mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Nichtraucherschutzgesetzes Mecklenburg-Vorpommern“ vom 17. 12. 2009 866 hat der Landesgesetzgeber die Vorgaben des Urteils umgesetzt (vgl. nunmehr § 1 Abs. 2 Nr. 6 NichtRSchutzG M-V) und zugleich das Rauchverbot ausdrücklich auch auf Spielhallen sowie Spielbanken erstreckt (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 8 NichtRSchutzG M-V). Im Umweltrecht trat am 28. 07. 2007 eine neue Zuständigkeitsverordnung für das Immissionsschutzrecht in Kraft 867, welche die Änderungen der Ressortzuschnitte der Ministerien in der neuen Landesregierung umsetzte. Oberste Immissionsschutzbehörde in Mecklenburg-Vorpommern ist nach § 1 Abs. 2 ImSchZustVO M-V seitdem das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus 868. Daneben ist aus diesem Referenzgebiet die auf Grundlage von § 43 Abs. 8 Satz 5 BNatSchG erlassene sog. „Kormoranlandesverordnung“ 869 erwähnenswert. Dort werden – rechtspolitisch umstritten – in Abweichung von § 42 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BNatSchG unter bestimmten örtlichen Beschränkungen Tötungs- und Vergrämungsmaßnahmen und die Verhinderung von Brutkolonien von Kormoranen zugelassen. Zudem wurde die Ausübung der Fischerei im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft beschränkt und die Naturschutzkostenverordnung geändert 870.
863
Zur Verfassungswidrigkeit der Landesnichtraucherschutzgesetze mangels Folgerichtigkeit des vom Gesetzgeber in den zu entscheidenden Fällen gewählten Schutzkonzeptes vgl. BVerfG NJW 2008, S. 2409, Rn. 135 ff. mit abweichenden Meinungen von Bryde und Masing. 864 BVerfG NJW 2008, S. 2409 (2419). 865 BVerfG NJW 2008, S. 2409, (2419 f.). 866 GVOBl. M-V, S. 238; dazu Landtag M-V, LTDrs 5/2777 und 5/2993. 867 Vom 04. 07. 2007; GVOBl. M-V, S. 250; geändert durch VO vom 13. 02. 2008; GVOBl. M-V, S. 31. 868 Vgl. § 1 Abs. 1 und 2 ImSchZustVO M-V vom 04. 07. 2007, GVOBl. M-V, S. 250. 869 Landesverordnung zur Abwendung erheblicher fischereiwirtschaftlicher Schäden durch Kormorane vom 12. 07. 2007; GVOBl. M-V, S. 258.
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Im Bereich des Polizei- und Ordnungsrechts wurde 2007 die Verordnung zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit der Polizeidirektionen neu erlassen 871. Der Rechtsübersichtlichkeit diente die Neubekanntmachung des Landesmeldegesetzes, welche die zahlreichen seit 1992 erfolgten Änderungen dieses Rechtsgebietes berücksichtigt 872. Auch die Landesverordnung zur Bildung von Ämtern und zur Bestimmung von amtsfreien Gemeinden vom 25. 04. 2007 873, mit der alle bisherigen Landesverordnungen zur Ämterbildung und Neugliederung auf kommunaler Ebene aufgehoben wurden, leistete einen beachtlichen Beitrag zum Vorschriftenabbau und zur Rechtsbereinigung. Mit der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr 874 unternahm man überdies erste Schritte hin zur „elektronischen Justiz“ 875. Allerdings wurde die elektronische Kommunikation ausschließlich mit den Amtsgerichten Rostock, Schwerin, Neubrandenburg und Stralsund ermöglicht. In der Verwaltungsgerichtsbarkeit gibt es eine solche Verständigungsmöglichkeit dagegen bisher nicht. II. Die Gesetzgebung im Jahre 2008 Ein noch geringerer gesetzgeberischer „Reformoutput“ als 2007 war im durch den Neuanlauf zur Kreisgebietsreform dominierten 876 Jahr 2008 zu verzeichnen. Aus dem Wirtschaftsverwaltungsrecht sind lediglich die Verordnungen über die Regelung von Zuständigkeiten nach dem Ladenöffnungsgesetz (LöffGZustVO M-V) 877 und die ebenfalls im Februar erlassene LöffKostVO M-V 878 zu nennen. Am 04. 11. 2008 wurde zudem die noch nicht mal ein Jahr alte Bäderverkaufsverordnung umfänglich geändert 879. Zudem trat zum 01. 01. 2008 der Erste Staatsvertrag zur Änderung des Staatsvertrages über die Errichtung der Eichdirektion Nord in Kraft, mit dem sich Mecklenburg-Vorpommern an jener Anstalt des öffentlichen Rechts beteiligt 880. Die vier staatlichen Eichämter wurden aufgelöst und deren Aufgaben der Eichdirektion Nord übertragen 881. Neu gefasst wurde auch die Landesverordnung zur Bestimmung der zuständigen Behörden auf dem 870 Mit VO vom 07. 08. 2007; GVOBl. M-V, S. 313 und vom 20. 12. 2007; GVOBl. M-V 2008, S. 12. 871 Mit Verordnung vom 29. 06. 2007; GVOBl. M-V, S. 247. 872 GVOBl. M-V, S. 34. 873 GVOBl. M-V, S. 197. 874 GVOBl. M-V, S. 24. Näher zum Modernisierungsfeld eGovernment bereits § 9 B. 875 Zu den diesbezüglichen bundesweiten Entwicklungen oben § 9 G VII. 876 Näher oben § 17 A V. 877 Vom 21. 02. 2008. GVOBl. M-V, S. 82. 878 Kostenverordnung für Amtshandlungen auf dem Gebiet der Ladenöffnung; GVOBl. M-V, S. 84. 879 Zu den Hintergründen § 20 B III. 880 Gemäß Bekanntmachung vom 10. 03. 2008; GVOBl. M-V, S. 103.
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Gebiet des Straßenverkehrswesens 882. Erhebliche Relevanz für das kommunale Haushaltsrecht weisen die Gemeindehaushaltsverordnung-Doppik (GemHVODoppik), Gemeindekassenverordnung-Doppik (GemKVO-Doppik) und die neue Eigenbetriebsverordnung 883 auf, welche zum 01. 01. 2008 in Kraft traten und die Grundsätze der kaufmännischen Buchführung auf kommunaler Ebene festschreiben. Am 29. 03. 2008 trat überdies eine neue Durchführungsverordnung zur Kommunalverfassung (KV-DVO) 884 in Kraft und löste die fast neun Jahre alte Vorgängervorschrift ab. Mit dem Sechsten 885 und Siebten 886 Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsstrukturgesetzes wurden zudem die Errichtung von Zweigstellen und Gerichtstagen an Amtsgerichten ermöglicht (§ 9a AGGStrG M-V) und das Optionsmodell im Widerspruchsverfahren bis zum 30. 06. 2011 verlängert 887. III. Die Gesetzgebung im Jahre 2009 Anfang des Jahres 2009 wurde eine neue Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in Mecklenburg-Vorpommern erlassen 888, durch welche die Vorgängerverordnung 889 aufgehoben wurde. Weiterhin ist der elektronische Rechtsverkehr aber nur mit den Amtsgerichten Neubrandenburg, Rostock, Schwerin und Stralsund und nicht in der Verwaltungsgerichtsbarkeit möglich. Große Bedeutung für die Kommunalwahlen am hat die neue Kommunalwahlordnung vom 28. 01. 2009, die am 01. 02. 2009 in Kraft trat 890. Mit Verordnung vom 09. 02. 2009 wurde zudem mit Wirkung zum 07. 06. 2009 das Amt WarnowOst aufgelöst, die Gemeinde Dummerstorf für amtsfrei erklärt und zur Rechtsnachfolgerin des Amtes Warnow-Ost bestimmt. Bedeutsame Änderungen im Umweltrecht brachte zudem das Gesetz über die Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten nach der Richtlinie 2003/35/EG 891, mit dem sowohl das 881 Zu den Einzelheiten vgl. MessEichZustLVO M-V vom 24. 04. 2008; GVOBl. M-V, S. 134. 882 Mit Verordnung vom 05. 05. 2008; GVOBl. M-V, S. 136. 883 Vom 25. 02. 2008; GVOBl. M-V, S. 34; 62; 71. 884 Vom 04. 03. 2008; GVOBl. M-V, S. 85. 885 Vom 13. 11. 2008; GVOBl. M-V, S. 438. 886 Vom 17. 12. 2008; GVOBl. M-V, S. 500. 887 Dazu umfassend oben § 9 F III 3 und 5. 888 Vom 17. 12. 2008; GVOBl. M-V 2009, S. 52. 889 Vom 05. 01. 2007; GVOBl. M-V, S. 24. 890 Verordnung über die Wahlen der Gemeindevertretungen, Kreistage, Bürgermeister und Landräte im Land Mecklenburg-Vorpommern; GVOBl. M-V, 86, geändert durch VO vom 06.04. 2009; GVOBl. M-V, S. 307. Sie löste die Kommunalwahlordnung vom 15. 12. 2003 (GVOBl. M-V, S. 542) ab. 891 Vom 09. 02. 2009; GVOBl. M-V, S. 238.
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Landes-UVP-Gesetz als auch das LWaG M-V geändert wurden. Mit Wirkung zum 26. 03. 2009 wurde das bis dahin als Landesrecht fort geltende Staatshaftungsgesetz-DDR vom 12. 05. 1969 aufgehoben 892 und so der Dualismus von öffentlich-rechtlicher Verschuldenshaftung nach § 839 BGB / Art. 34 GG und verschuldensunabhängiger Haftung nach § 1 StHG-DDR beseitigt. Mit Wirkung zum 30. 04. 2009 wurde die BädVerkVO M-V neu bekanntgemacht, um die im November 2008 beschlossenen Änderungen transparent zu machen 893. Mit Verordnung vom 24. 06. 2009 wurden mehrere Finanzämter zusammengelegt und deren Zahl auf 12 reduziert 894. Im August bereicherte die Verordnung zur Verhütung von Bränden durch die Benutzung von ballonartigen Leuchtkörpern 895 das Polizei- und Ordnungsrecht und im September wurde die Verwaltungsfachhochschullandesverordnung novelliert 896. Wichtigstes Gesetzgebungsvorhaben im November 2009 war das Gesetz zur Neufassung des Architekten- und Ingenieursrecht, welches die Berufsqualifikationsrichtlinie der EU 897 umsetzte und das Architekten- und Ingenieursrecht in einem Gesetz zusammengefasste. Für die Verwaltungsreform noch bedeutsamer waren die beiden Gesetze zur Umsetzung der DLRL. Mit dem Gesetz zur verwaltungsrechtlichen Umsetzung der EG-Dienstleistungsrichtlinie und zur Umsetzung von Bundesgesetzen in das Landesrecht von Mecklenburg-Vorpommern (EG-DLRG M-V) wurde das VwVfG M-V an die Vorgaben der DLRL angepasst. Hierbei übernahm man die Vorgaben des 4. VwVfGÄndG 898, fügte §§ 8a bis e und 42a VwVfG M-V in das Gesetz ein und regelte in §§ 71a bis e VwVfG M-V das Verfahren über eine einheitliche Stelle. Neu gefasst wurden die Zustellungsvorschriften der §§ 95 bis 98; 101 und 107 VwVfG M-V. §§ 98 a, 99 und 105 VwVfG M-V hob man auf. Ebenfalls der Umsetzung der DLRL diente das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt in Mecklenburg-Vorpommern vom 17. 12. 2009 899. Kernstück des Gesetzes ist das Gesetz zur Errichtung von Stellen mit der Bezeichnung „Einheitlicher Ansprechpartner“ und zur Über892 Gesetz zur Aufhebung des Staatshaftungsgesetzes vom 12. 03. 2009; GVOBl. M-V, S. 281. 893 Vom 17. 04. 2009; GVOBl. M-V, S. 323. Näher unten § 20 B III. 894 Vierte Verordnung zur Änderung der Finanzamts-Zuständigkeitsverordnung; GVOBl. M-V, S. 459. Die Zusammenlegung betraf die Finanzämter Ludwigslust und Hagenow (zum Finanzamt Hagenow), Parchim und Schwerin (zum Finanzamt Schwerin), Bergen und Stralsund (zum Finanzamt Stralsund) sowie Greifswald und Wolgast (zum Finanzamt Greifswald). 895 Vom 03. 08. 2009; GVOBl. M-V, S. 471. 896 Mit Verordnung vom 15. 09. 2009; GVOBl. M-V, S. 528. 897 Richtlinie 2005/36/EG vom 07. 09. 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl L 255 vom 30. 09. 2005, zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 755/2008 (ABl. L 205 vom 01. 08. 2008). 898 Dazu oben § 9 C XI. 899 GVOBl. M-V, S. 729.
520 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
tragung von Aufgaben auf die Wirtschaftskammern, mit dem sich MecklenburgVorpommern dafür entschied, die Einheitlichen Ansprechpartner bei den drei Industrie- und Handelskammern sowie den beiden Handwerkskammern des Landes zu errichten 900. Abgeschlossen wurde die Gesetzgebungstätigkeit des Jahres 2009 durch das Gesetz zur Neuordnung des Beamtenrechts (BRNG M-V) vom 17. 12. 2009 901. IV. Die Gesetzgebung im Jahre 2010 Neben den „großen“ Reformgesetzen zur Verwaltungsreform, dem Kreisstruktur- und dem Aufgabenübertragungsgesetz 902, sowie dem 4. DeregG M-V 903 über die bereits oben berichtet wurde, brachte das Jahr 2010 noch eine Reihe weiterer Reformgesetze. Für die in dieser Untersuchung betrachteten Referenzgebiete sind die Gesetze zur Bereinigung des Landesnaturschutzrechts und des Landeswasserrechts am bedeutsamsten. Beide Regelungen traten am 01. 03. 2010 und damit zeitgleich mit dem BNatSchG und dem WHG 2010 in Kraft. Im Naturschutzrecht ist es neben Mecklenburg-Vorpommern nur noch Schleswig-Holstein und Niedersachsen gelungen, das Landesrecht zum 01. 03. 2010 anzupassen 904. Das Gesetz zur Bereinigung des Landesnaturschutzrechts vom 23. 02. 2010 905 ist ein reines Rechtsbereinigungsgesetz, das – vor dem Hintergrund der Art. 72 Abs. 3 Nr. 2 und 74 Abs. 1 Nr. 29 GG – das nach Inkrafttreten des novellierten BNatSchG am 01. 03. 2010 fortgeltende Landesrecht feststellt 906. Sein Kernstück ist das Gesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern zur Ausführung des Bundesnaturschutzgesetzes 907 (NatSchAG M-V), welches das LNatG M-V 908 ablöste. Nur in wenigen Einzelfällen hielt es der Gesetzgeber für erforderlich, zur vorläufigen Beibehaltung der bisherigen landesrechtlichen Naturschutzstandards vom Bundesrecht abweichende Regelungen i. S. d. Art. 72 Abs. 3 Nr. 2 GG zu treffen. So bedürfen nach § 12 Abs. 6 NatSchAG M-V Eingriffe in Natur und Land900 Näher zu den Diskussionen um die Verortung der Einheitlichen Ansprechpartner und zu den verschiedenen Lösungen in den Bundesländern § 19 C III 2 b. 901 GVOBl. M-V, S. 687. 902 § 17 A V 5 und 6. Zum Aufgabenzuordnungsgesetz noch unten § 20 A III 4 b) bb). 903 Siehe bereits § 16 C IV. 904 Näher Krings, NordÖR 2010, S. 181; Becker, DVBl 2010, S. 754 (758). 905 GVOBl. M-V, S. 66. Dazu Landtag M-V, LTDrs 5/3026 sowie LTDrs 5/3260. 906 Landtag M-V, LTDrs 5/3026, S. 2. Erst in einem zweiten Schritt soll das Landesnaturschutzrecht „nach dem gebotenen Abstimmungsprozess über die zukünftigen landesnaturschutzpolitischen Zielstellungen novelliert“ werden. 907 Zudem änderte das Gesetz 10 Fachgesetze und 9 Rechtsverordnungen und hob das Landeszoogesetz vom 24. 06. 2004 (GVOBl. M-V, S. 302) auf. 908 I. d. F. der Bekanntmachung vom 22. 10. 2002; GVOBl. M-V 2003, S. 1, zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes vom 17. 12. 2009; GVOBl. M-V, S. 729.
§ 17 Verwaltungsmodernisierung: Der Reformprozess seit 2007
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schaft gem. §§ 14 Abs. 1 BNatSchG, 12 Abs. 1 NatSchAG M-V abweichend von § 17 Abs. 1 und 3 BNatSchG der Genehmigung. Diese wird als Bestandteil der Naturschutzgenehmigung nach §§ 40 ff. NatSchAG M-V erteilt. Aus Gründen der Vermeidung von Verfahrensverzögerungen und von unnötigen Kosten wurde auch der bisherige landesgesetzliche Biotop- und Geotopschutz zunächst unverändert in § 20 NatSchAG M-V übernommen, obgleich das Bundesrecht in § 30 BNatSchG einen ähnlichen Katalog enthält. Bezüglich der Küsten- und Gewässerschutzstreifen (§ 29 Abs. 1 NatSchAG) war zunächst vorgesehen, die bestehenden landesrechtlichen Standards 909 beizubehalten. Im Gesetzgebungsverfahren erfolgte dann aber eine Anpassung an die durch § 61 Abs. 1 BNatSchG vorgegebenen Abstandsgebote unter Beibehaltung der im Vergleich zum Bundesrecht großzügigeren Ausnahmeregelungen in § 29 Abs. 2 und 3 NatSchAG M-V 910. Kontrovers diskutierte man überdies die Problematik der Eingriffs- und Ausgleichsregelung sowie deren Kompensation durch das Ökokonto 911. Umstritten waren insbesondere Einzelheiten bezüglich der Handelbarkeit von Ökopunkten (vgl. § 12 Abs. 5 Satz 3, Abs. 7 Nr. 1 NatSchAG M-V) sowie die Bestimmung der zuständigen Stelle für das Führen des Ökokontos und des Kompensationsverzeichnisses. Hier entschied man sich in § 3 Nr. 2 NatSchAG M-V für die Zuständigkeit des LUNG M-V als oberer Naturschutzbehörde, soweit gesetzlich „nichts Anderes bestimmt“ ist. Gem. § 12 Abs. 5 Satz 1 NatSchAG M-V sind die unteren Naturschutzbehörden, also die Landräte und der Oberbürgermeister der kreisfreien Städte, allerdings dafür zuständig, Kompensationsmaßnahmen im Sinne des § 16 Abs. 1 BNatSchG als geeignet anzuerkennen und in das Ökokonto einzutragen. Diese auf den ersten Blick wenig transparente Zuständigkeitsregelung ist dahingehend auszulegen, dass das LUNG M-V die für das Ökokonto und das Kompensationsverzeichnis erforderlichen EDV-Systeme betreibt, die den zuständigen unteren Naturschutzbehörden zur Verfügung stehen, um unter anderem Ein- und Ausbuchungen vornehmen können 912. Art. 22 des Gesetzes enthält Regelungen zur Anwendung des Konnexitätsprinzips nach Art. 72 Abs. 3 LVerf M-V bezüglich der den kommunalen Körperschaften nach § 12 Abs. 5 NatSchAG M-V obliegenden Verpflichtungen 913. Auch das ebenfalls am 01. 03. 2010 in Kraft getretene Gesetz zur Bereinigung des Landeswasserrechts 914 dient ausschließlich der Rechtsbereinigung. Vor dem Hintergrund der Art. 72 Abs. 3 Nr. 5 und 74 Abs. 1 Nr. 32 GG wurde das nach 909 § 19 LNatG M-V enthielt ein Abstandsgebot von 100 Metern bei bestimmten Binnengewässern und von 200 Metern bei Küstengewässern. 910 Zu den Einzelheiten LTDrs 5/3026, S. 81 sowie LTDrs 5/3260, S. 91. 911 Näher LTDrs 5/3260, S. 83 ff. 912 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/3026, S. 76. 913 Näher Landtag M-V, LTDrs / 3260, S. 81. 914 Vom 23. 02. 2010; GVOBl. M-V, S. 101. Dazu Landtag M-V, LTDrs 5/3027 sowie 5/3261.
522 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
Inkrafttreten des WHG am 01. 03. 2010 fortgeltende Landesrecht festgestellt 915. Mit dem Gesetz wurde vor allem das LWaG M-V vom 30. 11. 1992 916 umfassend novelliert. Durch den Wegfall von nicht weniger als 53 (von 141) Paragraphen ist das LWaG M-V weitgehend zu einem Torso geworden. Auf vom Bundesrecht abweichende Regelungen i. S. d. Art. 72 Abs. 3 Nr. 5 GG verzichtete man anders als im NatSchAG M-V vollständig. Ursprünglich 917 sollten zwar zunächst die vom Bundesrecht abweichenden Regelungen zum Gewässerrandstreifen in § 81 LWaG M-V 918 weitergelten. Im Gesetzgebungsverfahren einigte man sich jedoch auf die Streichung dieser Vorschrift und damit auf eine ausschließliche Geltung des Bundesrechts in Form von § 38 WHG und den Vorschriften der Düngemittelverordnung 919. Für das Modernisierungsfeld eGovernment bedeutsam war das Zustimmungsgesetz zum Vertag über die Errichtung des IT-Planungsrates und über die Grundlagen der Zusammenarbeit beim Einsatz der Informationstechnologie in den Verwaltungen von Bund und Ländern – Vertrag zur Ausführung von Art. 91c GG – vom 11. 03. 2010 920. Einzelheiten zur Informationsbereitstellung und zum elektronischen Verfahren im Rahmen der DLRL wurden durch eine Verordnung vom 08. 03. 2010 geregelt 921. Vom 17. 05. 2010 stammt das Einrichtungenqualitätsgesetz 922, welches die Qualität von Einrichtungen von Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderung zum Gegenstand hat und im Zuge der Änderung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG durch die Föderalismusreform I das Heimgesetz des Bundes ablöst. Mit der Landesverordnung über die Errichtung von unteren Landesbehörden der Landwirtschafts- und Umweltverwaltung vom 03. 06. 2010 wurden die sechs Ämter für Landwirtschaft und die fünf Staatlichen Ämter für Umwelt und Natur zu vier Staatlichen Ämtern für Umwelt und Landwirtschaft zusammengefasst 923. Das Gesetz zur Neuorganisation der Landespolizei 924 915 Landtag M-V, LTDrs 5/3027, S. 2. Erst in einem zweiten Schritt soll das Landeswasserrecht „nach dem gebotenen Abstimmungsprozess über die zukünftigen umweltpolitischen Zielstellungen novelliert“ werden. 916 GVOBl. M-V, S. 669; zul. geänd. durch Art. 4 G. vom 18. 12. 2009; GVOBl. M-V, S. 760. 917 Vgl. LTDrs 5/3027, S. 2. 918 Dieser betrug sieben Meter anstelle von fünf Metern nach § 38 Abs. 3 Satz 1 WHG. Nach § 81 Abs. 2 LWaG M-V war die Verwendung von Düngemitteln in Abweichung von § 38 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 WHG lediglich in einem Gewässerrandstreifen von drei (statt 5) Metern verboten. 919 Näher LTDrs 5/3261, S. 65. 920 GVOBl. M-V S. 145. 921 GVOBl. M-V, S. 176. 922 GVOBl. M-V, S. 241. 923 GVOBl. M-V, S. 310. Dazu näher unten § 20 A III 4 b) bb). 924 Vom 24. 06. 2010; GVOBl. M-V, S. 318. Die Neufassung des POG M-V wurde am 13. 12. 2010; GVOBl. M-V, S. 674 bekannt gemacht.
§ 17 Verwaltungsmodernisierung: Der Reformprozess seit 2007
523
brachte tiefgreifende Einschnitte in der Polizeiorganisation des Landes. Mit Wirkung zum 01. 03. 2011 wurden zwei Polizeipräsidien in Rostock und Neubrandenburg als untere Landesbehörden geschaffen, die nach § 5 Abs. 2 POG M-V alle polizeilichen Aufgaben wahrnehmen, soweit sie nicht anderen Behörden der Polizei obliegen. Gleichzeitig löste man die fünf Polizeidirektionen in Schwerin, Rostock, Neubrandenburg, Stralsund und Anklam auf und benannte die Wasserschutzpolizeidirektion Mecklenburg-Vorpommern in Landeswasserschutzpolizeiamt sowie die Bereitschaftspolizei Mecklenburg-Vorpommern in Landesbereitschaftspolizeiamt Mecklenburg-Vorpommern um. Am 13. 07. 2010 erließ das Wirtschaftsministerium als Reaktion auf ein im April 2010 erfolgreiches Normenkontrollverfahren der Landeskirchen (abermals) eine geänderte Bäderverkaufsverordnung 925. Diese ist durch einen deutlich eingeschränkten Anwendungsbereich im Vergleich zur vom OVG Greifswald für nichtig erklärten Vorgängerregelung vom 17. 04. 2009 926 gekennzeichnet. Vom 21. 09. 2010 stammt die Verordnung zur Umsetzung der EG-Dienstleistungsrichtlinie auf dem Gebiet des Bauordnungsrechts 927, mit der verschiedene untergesetzliche Regelungen den europarechtlichen Vorgaben angepasst wurden. Im Oktober wurden neben dem 4. DeregG 928 neue Kostenverordnungen für das Gewerberecht 929 und das Immissionsschutzrecht 930 erlassen. Mit der auf Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 EAPG M-V erlassenen Verordnung über Verwaltungsverfahren auf bundesgesetzlicher Grundlage zur Umsetzung der Richtlinie 2006/123/EG im Land Mecklenburg-Vorpommern vom 23. 11. 2010 (DLR-UVO M-V) 931 wurde für bestimmte Verfahren auf bundesgesetzlicher Grundlage das Verfahren über einheitliche Ansprechpartner sowie eine dreimonatige (nicht fiktionsbewehrte) Entscheidungsfrist angeordnet. Vom 16. 12. 2010 stammt das Gesetz zur Neuordnung des Wahlrechts im Land Mecklenburg-Vorpommern und zur Änderung anderer Rechtsvorschriften 932, dessen Kernstück das Gesetz über die Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern (Landes- und Kommunalwahlgesetz – LKWG M-V) ist. Das LKWG M-V, welches am 01. 01. 2011 in Kraft trat, regelt die Durchführung sowohl der Kommunal- als auch der Landtagswahlen einschließlich der Wahlprüfung und ermöglichte – ganz im Sinne der Deregulierung – das Außerkrafttreten von Landeswahlgesetz, Kommunalwahlgesetz und Wahlprüfungsgesetz 933. Den Abschluss der für diese Untersuchung relevanten Gesetzgebung des Jahres 2010 bildete dann das Gesetz über das amtliche Geoinformations- und 925 926 927 928 929 930 931 932
GVOBl. M-V, S. 409. Dazu näher unten § 20 B II. GVOBl. M-V, S. 323. Dazu näher unten § 20 B II. GVOBl. M-V, S. 521. GVOBl. M-V, S. 615. Dazu bereits § 16 C IV. Vom 11. 10. 2010; GVOBl. M-V, S. 606. Vom 26. 10. 2010; GVOBl. M-V, S. 626. GVOBl. M-V, S. 676. Dazu näher § 19 C III 2 c) cc). GVOBl. M-V, S. 690.
524 4. Kap.: Entwicklung der Verwaltungsstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
Vermessungswesen (Geoinformations- und Vermessungsgesetz – GeoVermG M-V) 934, welches der Umsetzung der Richtlinie 2007/2/EG vom 14. 03. 2007 zur Schaffung einer Geodateninfrastruktur in der Europäischen Gemeinschaft 935 (sog. Inspire-Richtlinie) dient.
933 Vgl. Art. 5 Abs. 2 G. zur Neuordnung des Wahlrechts im Land Mecklenburg-Vorpommern und zur Änderung anderer Rechtsvorschriften vom 16. 12. 2010; GVOBl. M-V, S. 690 (712). 934 Vom 16. 12. 2010; GVOBl. M-V, S. 713. Das Gesetz löst das VermKatG M-V i. d. F. der Bek. vom 22. 07. 2002 (GVOBl. M-V, S. 524, zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. 02. 2009; GVOBl. M-V, S 261), ab. 935 ABl L 108 vom 25. 04. 2007, S. 1.
Fünftes Kapitel
Gegenwärtiger Stand und Entwicklungsperspektiven der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern Der abschließende Teil dieser Untersuchung soll den gegenwärtigen Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern und deren Entwicklungsperspektiven näher beleuchten. § 18 widmet sich den Aktivitäten im Bereich der Rechtsetzungs- und Rechtsoptimierung, wobei zunächst die bei der Bürokratiekostenmessung nach dem Standardkosten-Modell im Lande durchgeführten Pilotprojekte vorgestellt werden sollen (A.). Dem schließt sich eine Darstellung und Bewertung der zum 01. 01. 2004 eingerichteten Normprüfstelle an (B.). Sodann folgt eine Bestandsaufnahme zum Stand des Vorschriftenabbaus in Mecklenburg-Vorpommern (C). In § 19 werden exemplarisch übergreifende Entwicklungen im Bereich der Regelungsoptimierung dargestellt. Kritisch beleuchtet wird zunächst der Rückzug des Staates aus dem Ordnungsrecht, der beispielhaft am Bauordnungsrecht dargestellt wird (A.) Sodann widmet sich die Arbeit der Frage, ob es sinnvoll ist, Verwaltungsverfahren durch Bearbeitungs- und Entscheidungsfristen zu beschleunigen. Im Mittelpunkt der diesbezüglichen Analyse stehen die verfassungsrechtlich und rechtspolitisch problematischen Genehmigungsfiktionen (B.). Mit der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie (DLRL) wird schließlich ein wichtiger europarechtlicher Reformimpuls für das nationale Verwaltungsverfahrensrecht vorgestellt. Berichtet wird über die auf Bundes- und Landesebene durchgeführten Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie, die bis zum 28. 12. 2009 in nationales Recht zu transformieren war. § 20 konzentriert sich auf die Referenzgebiete der vorliegenden Arbeit und untersucht, welche Reformperspektiven sich kurz-, mittel- und langfristig im Umwelt- und Gewerberecht des Landes bieten. Dabei werden im Umweltrecht zunächst Entwicklung und Reformperspektiven hinsichtlich der Organisation der Umweltverwaltung in Mecklenburg-Vorpommern dargestellt, bevor die Frage beantwortet werden soll, ob die Schaffung eines Landesumweltgesetzbuchs empfehlenswert ist. In dem abschließenden Resümee (§ 21) sollen nicht die in den vorangegangenen Abschnitten gewonnenen Einzelergebnisse rekapituliert, sondern der gegen-
526
5. Kap.: Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern
wärtige Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern reflektiert werden. Dabei gilt es, Erfolge und Schwierigkeiten des bisher zurückgelegten Weges Revue passieren zu lassen und die politischen Bedingungen von Verwaltungsreformen kritisch zu hinterfragen. In einem Ausblick wird zudem zu zeigen sein, dass die konsequente Fortsetzung und der Ausbau der Reformpolitik auf Landesebene – schon vor dem Hintergrund der keinesfalls erledigten Nordstaatdebatte – alternativlos sind.
§ 18 Aktivitäten im Bereich Rechtsetzungs- und Rechtsoptimierung A. Bürokratiekostenmessung Im Jahre 2006 wurden mehrere länderübergreifende Pilotprojekte zur Erprobung des Standardkosten-Modells (SKM) durchgeführt 1. In die Informationskostenmessung beim Landesbau- sowie beim Landesweiterbildungs- und Bildungsfreistellungsrecht in sechs bzw. fünf Bundesländern wurde auch MecklenburgVorpommern einbezogen (I.). Aufgrund der gewonnenen Erfahrungen nahm man die Bürokratiekostenmessung nach dem SKM in die mit Wirkung zum 06. 01. 2009 novellierte GGO II auf (II.). I. Pilotprojekte 1. Analyse der Informationskosten im Landesbaurecht Mit dem von Januar bis September 2006 durchgeführten Projekt „Informationskostenmessung – Analyse des Landesbaurechts anhand des Standardkostenmodells“ wurden zum ersten Mal in Deutschland detailliert und länderübergreifend „Bürokratiekosten“ gemessen. Ermittelt wurden die Belastungen von Unternehmen durch das Landesbaurecht in Bezug auf Informationskosten 2. Die gleichzeitig in Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern 3, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und im Saarland durchgeführten Untersuchungen lieferten erstmals vergleichbare Ergebnisse über die durch die jeweiligen Landesbauordnungen, die auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen sowie ausgewählte Verwaltungsvorschriften entstehenden Informationskosten 4. 1
Siehe bereits oben § 8 D I 2. Ausgeklammert aus der Analyse wurde der Nutzen der bauordnungsrechtlichen Vorschriften ebenso wie die Belastungen, die sich für den Bürger und den öffentlichen Sektor ergeben. 3 Näher www.regierung-mv.de/cms2/Regierungsportal (Abrufdatum: 05. 01. 2011). 2
§ 18 Aktivitäten im Bereich Rechtsetzungs- und Rechtsoptimierung
527
Wichtig war die Pilotstudie auch insofern, als sie an Hand eines Praxistests Herausforderungen und methodische Grenzen der Standardkostenmessung verdeutlichte. Für das Landesbaurecht Mecklenburg-Vorpommern identifizierte man insgesamt 64 Informationspflichten und 172 Informationsanforderungen 5, welche im Jahre 2004 für die Unternehmen Informationskosten in Höhe von ca. 538.000 € verursachten. Lediglich 11 der Informationspflichten waren durch Europarecht beeinflusst. Überdies ermittelte man die zehn kostenintensivsten Informationspflichten und differenzierte diese nach Stückkosten, Häufigkeit und Normadressaten 6. Geschätzt wurden auch die Informationskosten eines Bauantrages für ein Einfamilienhaus und eine Produktionshalle 7. Die Studie nahm zudem die zum 01. 09. 2006 erfolgte Novellierung des Bauordnungsrechts in den Blick. Mit der neuen LBauO M-V gingen die Informationspflichten von 64 auf 40 zurück 8. Eine ex-ante-Messung prognostizierte deshalb eine Reduzierung der Informationskosten für das Baugenehmigungsverfahren (§§ 62 bis 64 LBauO M-V) um ca. 15 % 9. Dem Landesgesetzgeber bescheinigte man deshalb, „einen wichtigen Schritt zum Bürokratieabbau“ unternommen zu haben. 2. Landesweiterbildungs- und Bildungsfreistellungsrecht im Informationskostenvergleich Parallel zum Informationskostenvergleich im Bauordnungsrecht fand vom April bis September 2006 eine Analyse der durch das Weiterbildungsrecht verursachten Informationskosten in den Ländern Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein statt. Für das Weiterbildungsrecht in Mecklenburg-Vorpommern 10 wurden 25 Informationspflichten ermittelt, welche im Jahre 2005 Informationskosten in Höhe von 1,082 Mio. € verursachten. 86 % der Kosten entfielen auf die Anerkennung von Einrichtungen der Weiterbildung. Von den Informationskosten wurden 95,7 % durch das Weiterbildungsgesetz (WBG M-V) verursacht, wobei die Unterrichtung der Teil4
S. 9. 5
Zum Begriff der Informationskosten Abschlussbericht Mecklenburg-Vorpommern,
Näher Abschlussbericht Mecklenburg-Vorpommern, S. 28: Mehr als die Hälfte (33) der Informationspflichten ergeben sich dabei unmittelbar aus der LBauO M-V. 6 Vgl. Abschlussbericht Mecklenburg-Vorpommern, S. 32. Bedeutsam sind die Kosten für das Baugenehmigungsverfahren (35,4 % der Gesamtkosten), für die Bauzustandsbesichtigung (18,2 %) und das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren (16,3%). Insgesamt machen die zehn kostenintensivsten Informationspflichten 95% der Informationskosten des Landesbaurechts aus. 7 Näher Abschlussberichts M-V, S. 41 ff. 8 Abschlussbericht M-V, S. 53. 9 Abschlussbericht M-V, S. 55. 10 Näher www.regierung-mv.de/cms2/Regierungsportal (Abrufdatum: 09. 02. 2011).
528
5. Kap.: Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern
nehmer an Veranstaltungen staatlich anerkannter Einrichtungen allein 77 % der Gesamtkosten ausmachten 11. 99% der Informationskosten entstanden bei den Veranstaltern der Weiterbildungskurse, während die Arbeitgeber lediglich mit ca. 10.500 € belastet wurden. Insgesamt lässt sich feststellen, dass der Informationskostenvergleich im Weiterbildungsrecht für den weiteren Bürokratieabbauprozess deutlich weniger verwertbare Erkenntnisse gebracht hat, als die Analyse des Bauordnungsrechts. Das wirft die Frage auf, ob mit dem Weiterbildungsrecht ein geeignetes Referenzgebiet für die Informationskostenmessung ausgewählt wurde. II. Verankerung der Bürokratiekostenmessung nach dem Standardkosten-Modell in der GGO II 2009 Am 06. 01. 2009 trat die neue GGO II 12 in Kraft. Dort wurde die Bürokratiekostenmessung nach dem Standardkosten-Modell erstmalig verankert. § 3 Abs. 7 Satz 1 GGO lautet: „Sollen durch Rechtsvorschriften Verpflichtungen von Unternehmen geregelt werden, Daten oder sonstige Informationen für Behörden oder Dritte zu beschaffen, verfügbar zu halten oder zu übermitteln (Informationspflichten), sind diese Informationspflichten auszuführen und hinsichtlich der Kostenfolgen auf der Grundlage des Standardkosten-Modells grundsätzlich einzeln abzuschätzen“. Ziel dieser Abschätzung ist nach § 3 Abs. 7 Satz 2 GGO II, „die Prüfung, ob die Anzahl der Informationspflichten verringert und die Bürokratiekosten für zwingend erforderliche Informationspflichten gesenkt werden können.“ § 3 Abs. 7 Satz 3 GGO II schreibt vor, dass dabei der „Leitfaden Bürokratiekostenmessung nach dem Standardkostenmodell“ 13 anzuwenden ist. Dieser enthält – als Arbeitshilfe für die Referate, die im Rechtsetzungsverfahren ex-ante-Schätzungen nach dem SKM durchzuführen haben – knapp gehaltene Erläuterungen und orientiert sich eng an einem entsprechenden für die Bundesministerien entwickelten Leitfaden. Neben allgemeinen Ausführungen zum SKM enthält er eine detaillierte Darstellung der in sechs Schritten 14 durchzuführenden ex-ante-Schätzung und Darstellung von Bürokratiekosten. Gemäß Anlage 11
Abschlussbericht M-V, S. 21. Gemeinsame Geschäftsordnung II – Richtlinien zum Erlass von Rechtsvorschriften und weiteren Regelungen durch die Landesregierung Mecklenburg- Vorpommern vom 02. 12. 2008; ABl. M-V 2009, S. 2. Die GGO II 2009 löste die GGO II vom 12. 09. 1996 (ABl. M-V, S. 1228), geändert am 20. 02. 2004 (ABl. M-V, S. 270) ab. 13 Vom 02. 12. 2008; ABl. M-V 2009, S. 17. 14 Nach der Identifizierung der Informationspflichten (Schritt 1) erfolgt als zweiter Schritt die Prüfung von Alternativen und Vereinfachungsmöglichkeiten. In einem dritten und vierten Schritt werden zunächst die Mengen- und sodann die Preiskomponente der Informationspflichten geschätzt, bevor in einem fünften Schritt das Gesamtergebnis ermittelt wird. Als abschließender sechster Schritt erfolgt die Darstellung der Bürokratiekosten im Referentenentwurf. 12
§ 18 Aktivitäten im Bereich Rechtsetzungs- und Rechtsoptimierung
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2 der GGO II ist im Vorblatt eines Gesetzesentwurfs unter Buchstabe G darzustellen, ob Informationspflichten für Unternehmen eingeführt, geändert oder abgeschafft werden. Die Bürokratiekosten i. S. d. § 3 Abs. 7 GGO II sind zudem nach Maßgabe von § 6 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2b und Abs. 3 Nr. 2b GGO II in der Begründung darzustellen 15. Bei der Einführung von Informationspflichten für die öffentliche Verwaltung schreibt § 3 Abs. 8 GGO II vor, dass die Zielstellungen gemäß § 3 Abs. 7 Satz 2 GGO II ohne Anwendung des SKM entsprechend zu prüfen sind. Nach § 6 Abs. 3 Nr. 3 GGO II müssen auch bei Entwürfen von Rechtsverordnungen die Informationspflichten nach § 3 Abs. 7 bzw. 8 GGO II dargestellt werden. Lediglich bei Entwürfen, die ausschließlich zwingendes höherrangiges Recht umsetzen, kann auf eine Begründung nach § 6 Abs. 3 Nr. 2 und 3 GGO II verzichtet werden (§ 6 Abs. 4 GGO II). Erstmals angewandt wurde die Bürokratiekostenmessung nach dem Standardkosten-Modell beim Einrichtungenqualitätsgesetz M-V vom 17. 05. 2010 16, mit dem Mecklenburg-Vorpommern die nach der Föderalismusreform I gewonnene Gesetzgebungskompetenz für das Heimrecht (vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) nutzte. In diesem Gesetz konnten die aufgrund von Informationspflichten verursachten Bürokratiekosten für die Unternehmen um ca. 22.700 € jährlich gesenkt werden 17.
B. Regelungsoptimierung in der Rechtsetzung I. Einrichtung einer ressortübergreifenden Normprüfstelle Die Errichtung einer zentralen Normprüfstelle war ein wichtiges Anliegen der Deregulierungskommission. Auf der Grundlage ausführlicher Erörterungen mit den Vertretern mehrerer Bundesländer empfahl das Expertengremium die Weiterentwicklung des Normprüfungsverfahrens in Hinblick auf ein sog. „NormenControlling“ 18. Durch die Zentralisierung des Normprüfungsverfahrens sollte mit einem institutionalisierten, übergreifenden Vorschriftencontrolling ein Gegengewicht zur bloß ressortinternen Prüfung geschaffen werden, das dem Interesse an der Begrenzung von Regelungen und Vereinfachung von Verwaltungsverfahren mehr Nachdruck verleihen sollte 19. Auf diese Weise könne gewährleistet werden, dass in Zukunft nur unbedingt notwendige Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften entstehen, um jedenfalls das weitere Anwachsen landesrechtlicher Vorschriften zu verhindern 20. 15 16 17 18 19 20
Zu den Einzelheiten ABl. M-V 2009, S. 17 (25 f.). GVOBl. M-V, S. 241. Näher Landtag M-V, LTDrs 5/2843, S. 27 f. Landtag M-V, LTDrs 4/1013, S. 17 ff. Arbeitsbericht der Normprüfstelle für das Jahr 2004; LTDrs 4/1814, S. 3. Vgl. Christiansen / Voß, LKV 2004, S. 529 (530).
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5. Kap.: Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern
1. Organisatorische Anbindung und Aufgaben Die Normprüfstelle wurde zum 01. 01. 2004 – und damit im bundesweiten Vergleich relativ frühzeitig 21 – zunächst als Stabsstelle beim Justizministerium eingerichtet 22. Diese Organisationsentscheidung wurde von der Deregulierungskommission kritisiert, die – wie etwa in Niedersachsen praktiziert – eine Anbindung an die Staatskanzlei für vorzugswürdig hielt. Auf diese Weise werde die Gesamtverantwortung für die Landespolitik am deutlichsten; überdies bestünden hier die besten Voraussetzungen für die Durchsetzung ressortübergreifender Gesichtspunkte. Aufgrund der neuen Organisationsstruktur der Landesregierung ist seit dem 01. 01. 2007 das Innenministerium für die Vereinfachung von Landesgesetzen und Rechtsverordnungen zuständig. Die Normprüfstelle wurde deshalb zu diesem Zeitpunkt als eigenständiges Referat in der Abteilung II im Innenministerium verortet. Die Zuständigkeit für Angelegenheiten der Deregulierung wurde dagegen zunächst von einer in derselben Abteilung angesiedelten „Arbeitsgruppe Deregulierung“ wahrgenommen. Seit 2010 sind im Referat 200 in der Abteilung II 23 des Innenministeriums Normprüfstelle, Deregulierungsstelle und die Zuständigkeiten für den ressortübergreifenden Bürokratieabbau gebündelt. Aufgabenbereich und Verfahrensweise der Normprüfstelle regelt eine als Verwaltungsvorschrift der Landesregierung erlassene Geschäftsordnung (GO NPS). Die zunächst für die Arbeit maßgebliche Geschäftsordnung vom 25. 02. 2004 24 wurde im Juli 2007 durch eine – redaktionell gestraffte und auch inhaltlich überarbeitete – neue Fassung ersetzt 25. Die Normprüfstelle prüft gem. § 1 GO NPS die Notwendigkeit, Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit, Verständlichkeit, Befristung und Rechtsförmlichkeit einer ihr vorzulegenden Rechtsvorschrift und bezieht dabei die Auswirkungen der Norm auf Frauen und Männer ein. Bei Ministerverordnungen veranlasst sie nötigenfalls die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit durch das Justizministerium. Um die Normprüfstelle möglichst frühzeitig in das Gesetzgebungsverfahren einzubinden, wurde die GGO II 26 zum 01. 01. 2004 dahingehend geändert, dass ihr Referentenentwürfe von Gesetzen und Rechts21 In Nordrhein-Westfalen beispielsweise nahm die Normprüfstelle erst zum 01. 01. 2007 ihre Arbeit auf. Andere Bundesländer befinden sich auch derzeit noch in der Planungsphase. Vgl. näher Richter, NWVBl 2009, S. 173 (174). 22 § 1 Abs. 1 Geschäftsordnung der Normprüfstelle vom 25. 02. 2004; ABl. M-V, S. 271. 23 Die Abteilung II ist zuständig für „Gesetzgebung, Verwaltungs- und Beamtenrecht, Normprüfung und Deregulierung“. 24 Bekanntmachung des Justizministeriums vom 25. 02. 2004; ABl. M-V, S. 271. 25 ABl. M-V 2007, S. 370. 26 Vgl. zunächst § 17 GGO II vom 11. 12. 1996 (ABl. M-V, S. 1228) i. d. F. der ersten Verwaltungsvorschrift zur Änderung der GGO II vom 20. 02. 2004; ABl. M-V, S. 270 und nunmehr § 4 Abs. 4 der GGO II vom 02. 12. 2008; ABl. M-V 2009, S. 2.
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verordnungen vom federführenden Ressort zur Prüfung zuzuleiten sind. Die Vorlage an die Normprüfstelle erfolgt gem. § 4 Abs. 4 GGO II 2009 zeitgleich mit und unabhängig von der Ressortanhörung. Die Prüfung durch die Normprüfstelle umfasst nach § 4 Abs. 4 Satz 3 GGO II 2009 die Anforderungen nach den §§ 3 (Allgemeine Leitlinien für Vorschriften), 6 (Begründungsanforderungen) und 7 GGO II 2009 (Gesetzesfolgen). Bei verfassungsrechtlichen Bedenken beteiligt die Normprüfstelle nach § 4 Abs. 4 Satz 4 GGO II das Justizministerium. Das Verfahren, insbesondere das Entscheidungsverfahren für den Fall, dass zwischen der Normprüfstelle und dem Fachressort keine Einigung erzielt werden kann, wird gem. § 4 Abs. 4 Satz 4 und 5 GGO II 2009 in der GO NPS geregelt. Verwaltungsvorschriften sind der Normprüfstelle vor ihrem Erlass durch das federführende Ressort zur Kenntnis zu geben (§ 2 Abs. 4 GO NPS). Gem. § 16 Abs. 4 GGO II 2009 prüft die Normprüfstelle Verwaltungsvorschriften, die in einem öffentlichen Verkündungsblatt veröffentlicht werden sollen, auf die Einhaltung der Kriterien nach § 16 Abs. 1 und § 3 GGO II 2009. § 4 Abs. 4 Satz 4 und 5 findet nach § 16 Abs. 4 Satz 2 GGO II 2009 entsprechende Anwendung Einzelheiten über die Befugnisse der Normprüfstelle enthält § 2 Abs. 2 GO NPS. Die vorgelegten Entwürfe werden grundsätzlich innerhalb von vier Wochen 27 nach Vorlage auf Einhaltung der in § 4 Abs. 4 Satz 3 GGO II 2009; § 1 GO NPS genannten Kriterien geprüft. Ferner sind die Auswirkungen der Norm auf Frauen und Männer sowie, falls keine Befristung der Geltungsdauer vorgesehen ist, die Gründe für diesen Verzicht darzulegen 28. Die Normprüfstelle kann nach § 2 Abs. 2 Satz 3 GO NPS das federführende Ressort um Vervollständigung der übersandten Unterlagen und um ergänzende Stellungnahmen ersuchen sowie Stellungnahmen anderer Ressorts einholen 29. Hält die Normprüfstelle die Prüfkriterien für nicht erfüllt oder unzureichend dargelegt, hat sie dies dem federführenden Ressort in einer schriftlichen Stellungnahme zu begründen. Teilt das Ressort diese Bedenken ganz oder teilweise nicht, ist nach § 3 S. 2 GO NPS ein Einigungsversuch durchzuführen. Ist eine zweite Kabinettsbefassung erforderlich, legt das federführende Ressort den Entwurf nach Abschluss der Verbandsanhörung und vor Zuleitung an die Staatskanzlei erneut zur Stellungnahme binnen einer Frist von zwei Wochen vor (§ 2 Abs. 3 Satz 1 GO NPS). Nach § 4 Abs. 1 GO NPS ist der Normprüfstelle ein Arbeitsstab beigeordnet, der sich aus ihrem Leiter sowie je einem Referatsleiter der weiteren Ressorts der Landesregierung und der Parlamentarischen Staatssekretärin für Frauen und Gleichstellung oder des jeweiligen Vertreters im Amt zusammensetzt. Der Ar27
Vgl. nunmehr auch ausdrücklich § 4 Abs. 4 Satz 2 GGO II. Die Begründungspflicht beim Verzicht auf Befristungen ist eine Neuerung der GO NPS 2007. 29 Die noch in der Geschäftsordnung von 2004 enthaltene Möglichkeit, Dritte um Stellungnahmen bitten, sieht die seit Juli 2007 gültige Geschäftsordnung nicht mehr vor. 28
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beitsstab, dessen Aufgabenbereich in § 4 Abs. 2 bis 4 festgelegt ist, wird tätig, wenn sich ein Scheitern eines Einigungsversuches nach § 3 Satz 2 GO NPS abzeichnet. In diesem Fall informiert der Leiter des Arbeitsstabes den zuständigen Berichterstatter und leitet ihm seine vorbereitete Stellungnahme zu. Wird endgültig keine Einigung erzielt, tritt der Arbeitsstab innerhalb einer Frist von drei Arbeitstagen zusammen und entscheidet gem. § 4 Abs. 3 Satz 1 GO NPS auf der Grundlage des Votums des Berichterstatters mit einfacher Mehrheit der anwesenden Mitglieder, ob und mit welchem Inhalt die Normprüfstelle eine Empfehlung abgibt 30. Die Empfehlung des Arbeitsstabes ist dem federführenden Ressort mitzuteilen. Sofern das Ressort weiterhin an der Vorschrift festhält, hat es gem. § 4 Abs. 4 Satz 2 GO NPS eine Entscheidung der Landesregierung herbeizuführen und die Empfehlung in der Kabinettsvorlage aufzuführen. Darüber hinaus wurden der Normprüfstelle die Aufgaben der Schriftleitung und Herausgabe des Gesetz- und Verordnungsblattes, des Amtsblattes und des Amtlichen Anzeigers sowie die Gesetzesdokumentation und der Fundstellennachweis übertragen 31. Die Abgrenzung zum Aufgabenbereich der Deregulierungsstelle erfolgt dergestalt, dass sich die Normprüfstelle – schon aus Kapazitätsgründen – auf die Normprüfung von Entwürfen von Gesetzen und Rechtsverordnungen (selten Verwaltungsvorschriften) beschränkt. Die Deregulierungsstelle widmet sich dagegen der Vereinfachung des bestehenden Rechts. 2. Erfahrungsberichte und Einschätzung der Landesregierung Die Normprüfstelle hat dem Landtag Mecklenburg-Vorpommern zwei Arbeitsberichte vorgelegt 32, aus denen Einzelheiten ihrer Tätigkeit (leider nur für die Jahre 2004 und 2005) hervorgehen. Überdies enthält die Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Sebastian Rathjen vom 12. 02. 2010 33 weitere Informationen zur Arbeit der Normprüfstelle. a) Erster Arbeitsbericht für das Jahr 2004 2004 beschäftigte sich die Normprüfstelle mit 283 Vorhaben, wobei 36 Parlamentsgesetze, 145 Rechtsverordnungen und 102 Verwaltungsvorschriften zu behandeln waren 34. Lediglich in zwei Rechtsetzungsvorhaben musste der Ar30 Bei Stimmengleichheit gibt gem. § 4 Abs. 3 Satz 2 GO NPS die Stimme des Leiters des Arbeitsstabes oder (bei dessen Abwesenheit) seines Vertreters den Ausschlag. Gem. § 4 Abs. 3 Satz 3 GO NPS ist ein Mitglied von der Abstimmung über eine Vorlage seines Ressorts ausgeschlossen. 31 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 4/1814, S. 5. 32 Arbeitsbericht 2004 vom 15. 08. 2005; Landtag M-V, LTDrs 4/1814; Arbeitsbericht 2005 vom 08. 05. 2006; Landtag M-V, LTDrs 4/2253. 33 Landtag M-V, LTDrs 5/3225.
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beitsstab eingeschaltet werden. Die Normprüfstelle hielt dabei die eingeräumte Bearbeitungszeit ein und hat diese sogar oft unterschritten 35. Nach eigener Einschätzung zeitigte die Tätigkeit bereits im ersten Jahr ihrer Einrichtung positive Wirkungen. Nach „zunächst manchmal sogar abwehrender Distanz der Ressorts gegenüber der Institution“ habe sich „zunehmend eine partnerschaftliche Zusammenarbeit entwickelt“ 36. Allerdings dränge sich nach wie vor der Eindruck auf, dass die Ressorts bislang überwiegend ihre fachlichen Interessen und weniger Gesamtinteressen verfolgten. Erhebliche Defizite seien überdies bei der ressortinternen Prüfung auf Notwendigkeit, Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit und Verständlichkeit zu beklagen. Obwohl in Anlage I zu § 3 GGO II bereits seit 1996 detaillierte Fragen zur Prüfung der Notwendigkeit und Durchführbarkeit von Vorhaben aufgelistet seien 37, fielen die Antworten auf diese Fragestellungen überwiegend nicht zufriedenstellend aus. Darüber hinaus beklagte die Normprüfstelle eine durchweg defizitäre Wirtschaftlichkeitsprüfung durch die Ressorts. Die diesbezüglichen, oft sehr kurzen, Ausführungen seien „regelmäßig wenig zielführend“. Die vorgelegten Angaben seien noch kursorischer als nach den gegebenen personellen und sachlichen Voraussetzungen akzeptabel 38. Gerügt wurden überdies Mängel bei der Verständlichkeit von Vorschriften, vor allem aber die überwiegend fehlerhafte rechtsförmliche Ausgestaltung von Rechtsetzungsvorhaben 39. In etwa einem Drittel der Rechtsetzungsvorhaben machte die Normprüfstelle zudem verfassungsrechtliche Bedenken geltend 40. b) Zweiter Arbeitsbericht für das Jahr 2005 Das überwiegend positive Fazit des Ersten Jahresberichts findet sich im Arbeitsbericht 2005 bestätigt. Nach der dortigen Selbsteinschätzung leistete die Normprüfstelle auch im zweiten Jahr ihrer Institutionalisierung „einen wirksamen Beitrag zur Deregulierung und Schaffung einer modernen Verwaltung“. Zwar verbesserten sich die bereits im ersten Arbeitsbericht monierten Mängel der Ressortvorlagen im Hinblick auf die Rechtsförmlichkeit auch im Berichtszeit34
Eingehend Landtag M-V, LTDrs 4/1814, S. 5. Landtag M-V, LTDrs 4/1814, S. 12. 36 Zitate nach Landtag M-V, LTDrs 4/1814, S. 13. 37 Anlage I zu § 3 Abs. 1 GGO II (ABl. M-V, 1996, S. 1237 ff.) enthielt umfangreiche Prüfkriterien und war ein früher Versuch, die Gesetzesfolgenabschätzung zu institutionalisieren. Mittlerweile sind die Anforderungen an die Begründungen von Gesetzen und Rechtsverordnungen in § 6 GGO II 2009 umfassend erweitert und die GFA in § 7 GGO II 2009 weiterentwickelt worden. 38 Landtag M-V, LTDrs 4/1814, S. 8: Die NPS mahnte diesbezüglich zumindest die Vorlage qualifizierter Schätzungen an. Zur Weiterentwicklung der GFA vgl. nunmehr § 7 GGO II 2009. 39 Näher Landtag M-V, LTDrs 4/1814, S. 9. 40 Landtag M-V, LTDrs 4/1814, S. 10. 35
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5. Kap.: Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern
raum offenbar nicht nennenswert 41. Erhebliche Fortschritte ergaben sich dagegen bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetz- und Verordnungsentwürfen. Im Jahre 2005 musste der Arbeitsstab kein einziges Mal zusammentreten und die vorgesehene Bearbeitungsdauer von Vorlagen konnte in allen Fällen eingehalten werden. Einen weiteren Schwerpunkt des Arbeitsberichts bilden Ausführungen über die Entwicklung des Normbestandes in Mecklenburg-Vorpommern 42. Das Zwischenfazit fiel dabei verhalten positiv aus. Unbefriedigend bleibe dagegen das Problem der Wirtschaftlichkeit von Rechtsetzung, auch wenn die Ressorts zunehmend Kostenschätzungen vorlegen würden 43. Weiterhin seien aber weder handhabbare Instrumentarien für Kostenfolgeabschätzungen noch entsprechend geschultes Personal im Lande vorhanden. c) Einschätzung der Landesregierung Nach Auffassung der Landesregierung 44 hat sich die Arbeit der Normprüfstelle bewährt und soll fortgesetzt werden. Die NPS trage zur Steigerung der Qualität von Rechtsvorschriften bei. Im Jahre 2007 wurden der NPS 44 Gesetze, 85 Rechtsverordnungen und 121 Verwaltungsvorschriften zur Prüfung zugeleistet. Im Jahre 2008 waren es 37 Gesetze, 96 Verordnungen und 86 Verwaltungsvorschriften. 2009 betrug die Zahl der geprüften Gesetze 44. Darüber hinaus wurden 112 Rechtsverordnungen und 105 Verwaltungsvorschriften einer Prüfung unterzogen. II. Rechtspolitische Bewertung Die bisherige Tätigkeit der Normprüfstelle hatte positive Auswirkungen auf den Prozess der Rechtsetzungssetzungsoptimierung in Mecklenburg-Vorpommern. Obwohl die Normprüfstelle nicht – wie wünschenswert – bei der Staatskanzlei angesiedelt wurde, gestaltete sich die Zusammenarbeit mit den Fachressorts offenbar bereits nach kurzer Zeit weitgehend reibungslos. Dass der mit der „Drohung“ der Einschaltung des Arbeitsstabes in § 4 GO NPS erzeugte Einigungsdruck hoch ist, belegt die Tatsache, dass in den ersten beiden Jahren der Tätigkeit der Normprüfstelle lediglich zwei Mal zu diesem Instrument gegriffen werden musste. Offenbar gelang es den Mitarbeitern der Normprüfstelle schnell, eine konstruktive Arbeitsatmosphäre zu den Fachressorts herzustellen. Der Erfolg einer solchen Institution ist nicht zuletzt davon abhängig, dass ihre Mitarbeiter in besonderer Weise kommunikations-, aber auch konfliktfähig sind. 41 42 43 44
Landtag M-V, LTDrs 4/2253, S. 7. Dazu sogleich § 18 C. Vgl. Landtag M-V, LTDrs 4/2253, S. 6 und S. 15. Vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/3325.
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Sie müssen deutlich machen, dass es ihnen nicht um „besserwisserische“ Eingriffe in den Kompetenzbereich anderer Ressorts, sondern um eine konstruktiv-kritische Begleitung fachbezogener Gesetzgebungsvorhaben im Rahmen des Prüfauftrages handelt. Dieser Prüfauftrag ist – vergleicht man ihn mit dem des Nationalen Normkontrollrats 45 – richtigerweise sehr umfassend ausgestaltet und ermöglicht auch eine Prüfung von Rechtsvorschriften, welche von der Exekutive erlassen wurden. Mit § 4 Abs. 4 Satz 3 GGO II 2009 sind die Kompetenzen der Normprüfstelle nochmals erweitert worden (vgl. insbesondere §§ 6 und 7 GGO II 2009). Uneingeschränkt begrüßenswert ist auch, dass der Normprüfstelle nicht nur Gesetze und Verordnungen, sondern auch Verwaltungsvorschriften vorgelegt werden. Durch eine besondere persönliche Integrität der Mitarbeiter lässt sich auch kompensieren, dass es sich bei der Normprüfstelle nicht um ein unabhängiges, ehrenamtliches Beratungsgremium, sondern trotz der sehr weit gehenden Befugnisse und der starken Stellung vor allem ihres Leiters um einen Teil der Ministerialbürokratie handelt. In ehrenamtlicher Form könnte der Arbeitsumfang der Normprüfstelle sinnvoller Weise nicht bewältigt werden. Bedauerlich – wenngleich aus Gesichtspunkten der Gewaltenteilung unvermeidlich – ist, dass diese lediglich Gesetzesentwürfe aus den Ministerien, nicht dagegen auch Gesetzesentwürfe überprüft, die aus der Mitte des Landtages eingebracht werden. Insgesamt ist die Normprüfstelle aber auch in ihrer jetzigen Verfasstheit ein starker und wichtiger Baustein der Verwaltungsmodernisierung. Dies ist nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, dass man in Mecklenburg-Vorpommern bereit war, aus Erfahrungen anderer Bundesländer zu lernen.
C. Stand des Vorschriftenabbaus in Mecklenburg-Vorpommern I. Vorschriftenbestand – Selbstverpflichtung der Landesregierung Die beredte Klage über ein Zuviel an Rechtsnormen 46 gehört auch in Mecklenburg-Vorpommern zum Standardrepertoire der „Bürokratiekritiker“. Dies ist nicht weiter überraschend, waren in diesem Bundesland doch Ende 2003 zusätzlich zu den völker-, europa- und bundesrechtlichen Vorschriften noch 303 Landesgesetze und 794 Rechtsverordnungen zu beachten. Die 1.393 veröffentlichten und 2.604 unveröffentlichten Verwaltungsvorschriften mitgezählt, summierte sich der Gesamtbestand landesrechtlicher Vorschriften auf 5.094 47. An45 46
Dazu oben § 8 D. Zu Ursachen und Folgen der Normenflut bereits oben § 8 C.
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5. Kap.: Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern
gesichts dieses „Paragrafendschungels“ bildet der Abbau von Rechtsvorschriften seit 2003 einen kontinuierlichen Schwerpunkt der Reformbemühungen der Landesregierung. Auch die Deregulierungskommission bezeichnete in ihrem Abschlussbericht 48 den Vorschriftenabbau als „wichtiges Ziel der Verwaltungsmodernisierung“, verzichtete aber – sinnvoller Weise und im Gegensatz zur in manch anderen Bundesländern geübten Praxis – darauf, eine feste quantitative Vorgabe zur Reduzierung des landesrechtlichen Normbestands zu geben. Wichtiger als die bloße Verringerung der Zahl von Rechtsvorschriften, die dazu verführen kann, mit der Streichung vergessener oder überflüssig gewordener Vorschriften Pyrrhussiege zu feiern, ist die Verbesserung von typischen Verwaltungsabläufen, mit denen der Bürger zu tun hat. Dennoch beschloss die Landesregierung bereits im September 2003 eine Selbstverpflichtung, die Zahl der Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften um ein Drittel zu reduzieren. Um diese Ziele zu erreichen, einigte man sich im Kabinett unter anderem auf eine generelle Befristung neuer Normen und verabschiedete einen Stufenplan zum Außerkraft-Treten von Rechtsvorschriften im Rang unter formellen Landesgesetzen 49. Danach sollten bzw. sollen – soweit sie nicht zuvor ausdrücklich als fortgeltend bestimmt worden sind – alle vor dem 31. 12. 1994 erlassenen Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften zum 31. 12. 2004, alle bis zum 31. 12. 1999 erlassenen Vorschriften zum 31. 12. 2005 und alle nach dem 31. 12. 1999 erlassenen Regelungen 5 Jahre nach ihrem Erlass außer Kraft treten. Nunmehr regelt § 3 Abs. 6 GGO II 2009 die Geltungsdauer von Vorschriften. Danach sind Vorschriften zu befristen, wenn sie nur für einen vorübergehenden Zweck erforderlich sind. Im Übrigen soll eine Befristung vorgesehen werden, wenn nicht besondere wichtige Gründe für eine unbefristete Geltungsdauer sprechen. Unbefristete Vorschriften sind spätestens alle fünf Jahre auf die Notwendigkeit ihrer Weitergeltung zu prüfen 50. II. Vorschriftenabbau seit 2003 In Umsetzung der Selbstverpflichtung der Landesregierung wurden in den einzelnen Ressorts noch im Laufe des Jahres 2003 erste Maßnahmen zum Vorschriftenabbau in Angriff genommen, die 2004 fortgesetzt und von der neu gegründeten Deregulierungsstelle koordiniert wurden. Durch die engagierte und konstruktive Mitarbeit aller Fachressorts gelang es, „das Dickicht der Vorschriften erheblich zu lichten“ 51. So konnte der Justizminister im August 2006 ver47 Die nachfolgenden Zahlen sind dem Arbeitsbericht der Normprüfstelle für 2005; Landtag M-V, LTDrs 4/2253, S. 9 ff. entnommen. 48 Eingehend § 15 B III. 49 Kabinettsbeschluss vom 2. September 2003, abgedruckt als Anlage 4 zu LTDrs 4/1013, S. 33 ff. 50 Näher oben § 7 A II 7 b cc.
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melden, dass die von der Landesregierung vorgegebene quantitative Zielstellung bezüglich des Abbaus von Vorschriften bereits 2004 erreicht und der „erfolgreiche Abbau überflüssiger Vorschriften“ im Jahre 2005 noch fortgesetzt worden sei. Habe es Ende des Jahres 2003 in Mecklenburg-Vorpommern rund 5100 Vorschriften gegeben, so sei es gelungen, diese Zahl Ende 2005 auf knapp 3340 zu senken 52. Die auf den ersten Blick imposante Erfolgsbilanz bedarf indes einer differenzierten Betrachtungsweise, welche den Vorschriftenabbau in den Jahren 2003 bis 2005 getrennt nach Gesetzen, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften in den Blick nimmt. 1. Parlamentsgesetze In den Jahren 2003 bis 2005 gelang es nicht, die Zahl der formellen Landesgesetze zu reduzieren. 303 Gesetzen im Dezember 2003 standen zwei Jahre später 317 Parlamentsgesetze gegenüber. Eine nach Landesgesetzen im engeren Sinne und Staatsverträgen sowie Zustimmungsgesetzen differenzierende Betrachtung ergibt allerdings einen leichten Rückgang der ersten Kategorie von 201 auf 198 53. Die in quantitativer Hinsicht bescheidenen Deregulierungserfolge begründete der damalige Justizminister Erwin Sellering damit, dass bei Gesetzen eine quantitative Deregulierung in der Regel weder möglich noch sinnvoll sei. Viele Gesetze seien zudem vom Bundesgesetzgeber oder vom Europäischen Recht vorgegeben 54. So seien acht von den 20 Gesetzen, die der Landtag 2004 und 2005 beschlossen habe, zur Umsetzung von oder Anpassung an Bundes- oder Europarecht erforderlich gewesen. Weitere acht Gesetze hätten bereits vorher geltende Vorschriften aktualisiert und dereguliert, während lediglich vier Gesetze völlig neu gewesen seien. Zudem würden in Gesetzen grundsätzliche Dinge geregelt, aus denen sich der Staat nicht ohne Weiteres zurückziehen könne. Beim Bürokratieabbau im Hinblick auf Parlamentsgesetze sei daher weniger quantitative Deregulierung, als die Schaffung einfacherer und verständlicherer Vorschriften anzustreben 55. Bezüglich der Umsetzung von europäischen Richtlinien und bundesrechtlichen Vorgaben sei größtmögliche Zurückhaltung bei der Ausgestaltung von Verfahren und in Bezug auf Regelungsdichte und Regelungsgehalt zu üben 56. 51
Bericht des Justizministers zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau 2003 bis 2006, Landtag M-V; LTDrs 4/2401, S. 8. 52 Landtag M-V, LTDrs 4/2401, S. 8. 53 Einzelheiten in Landtag M-V, LTDrs 4/2253, S. 9 f. und 4/2401, S. 8 f. 54 Nach Landtag M-V, LTDrs 4/2253, S. 5 beruhen von den 317 Parlamentsgesetzen sieben auf europäischem und 86 auf Bundesrecht. Von den 822 Rechtsverordnungen beruhen 24 auf Europa- und 289 auf Bundesrecht. 55 Landtag M-V, LTDrs 4/2253, S. 8. 56 Zur sog. „1:1-Umsetzung“ von Europa- und Bundesrecht vgl. den Kabinettsbeschlusses vom 03. 02. 2004; Landtag M-V, LTDrs 4/2253, S. 5 sowie § 3 Abs. 3 GGO II 2009.
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5. Kap.: Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern
An diesem Befund hat sich bis zum 01. 03. 2010, als in Mecklenburg-Vorpommern 319 Gesetze galten 57, nichts geändert. 2. Rechtsverordnungen Aus ähnlichen Gründen fällt auch die Deregulierungsbilanz für den Bereich der Rechtsverordnungen bescheiden aus. Deren Zahl erhöhte sich vom 31. 12. 2003 bis Ende 2005 sogar von 794 auf 822 58. Dabei ließen sich 448 Rechtsverordnungen dem Bereich der Verwaltung zuordnen 59. Differenziert man nach dem Urheber, so fällt die Vielzahl der vom Umweltministerium erlassenen Rechtsvorschriften auf. Von den 200 dort produzierten Verordnungen betrafen allerdings nahezu 90% die Ausweisung von Natur- und Wasserschutzgebieten. Mehr als 100 der am 31. 12. 2005 bestehenden Rechtsverordnungen stammten aus dem Innen- (145) und dem Landwirtschaftsministerium (109), während das Finanzministerium lediglich 32 erlassen hatte 60. In den Jahren 2006 (80) und 2007 (66) wurden nach Angaben der Landesregierung 61 146 weitere Rechtsverordnungen aufgehoben. 3. Verwaltungsvorschriften Nennenswerte quantitative Deregulierungserfolge wurden ausschließlich im Bereich der Verwaltungsvorschriften erzielt. Bei den veröffentlichten Verwaltungsvorschriften fiel die Bilanz der Normreduktion in den Jahren 2004 und 2005 zunächst eher bescheiden aus. Immerhin ließ sich aber ein Rückgang der im Amtsblatt veröffentlichten Verwaltungsvorschriften von 1.393 Ende 2003 auf 1.300 zum 31. 12. 2005 feststellen, der sich auf nahezu alle Ressorts verteilte 62. Weitere 141 Verwaltungsvorschriften wurden in den Jahren 2006 (87) und 2007 (54) aufgehoben 63. Bis zum März 2010 hatte sich die Zahl der veröffentlichten Verwaltungsvorschriften sogar auf 691 halbiert 64. 57
Vgl. NordÖR 2010, S. 148. Am 01. 03. 2010 waren sogar 833 Rechtsverordnungen in Kraft; vgl. NordÖR 2010, S. 148. 59 LTDrs 4/2253, S. 11. Es dominieren Verordnungen über Behördenaufbau und Zuständigkeiten (131), solche des Bildungsrechts (57), kommunalrechtliche (49) und Gebührenverordnungen (40). 60 Vgl. die Übersicht in Landtag M-V, LTDrs 4/2253, S. 11. 61 Landtag M-V, LTDrs 5/1554 vom 10. 07. 2008. 62 Näher Landtag M-V, LTDrs 4/2253, S. 12. Den prozentual höchsten Rückgang konnten Umwelt-, Justiz- und Bildungsministerium für sich reklamieren. 63 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/1554. 64 Vgl. die Informationen in NordÖR 2010, S. 148. 58
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Noch eindrucksvoller fällt der Rückgang bei den unveröffentlichten Verwaltungsvorschriften aus. Hier führten der Kabinettsbeschluss vom 02. 09. 2003 sowie die Tätigkeit der Normprüfstelle zu einer starken Reduktion des Vorschriftenbestandes. Gem. § 3 Abs. 3 GO NPS 2004 65 waren die Ressorts verpflichtet, der Normprüfstelle alle bis einschließlich 1994 erlassenen Rechtsverordnungen vorzulegen, wenn diese über den 31. 12. 2004 hinaus fort gelten sollten. Dabei mussten die Fachministerien die für eine Weitergeltung sprechenden Gründe darlegen. Die vor dem 31. 12. 1994 erlassenen „Uraltverwaltungsvorschriften“ traten zum 31. 12. 2004 außer Kraft, sofern sie nicht zuvor ausdrücklich als fortgeltend bestimmt wurden 66. Im Jahre 2005 traten dann alle zwischen dem 01. 01. 1995 und dem 31. 12. 2000 erlassenen Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften außer Kraft, soweit nicht ausdrücklich ihre Fortgeltung bestimmt worden war. Durch diese Vorgaben waren die Ressorts gezwungen, den über den Jahren entstandenen „Wildwuchs“ 67 von Verwaltungsvorschriften genau zu durchleuchten und auf das Wesentliche zu beschränken. Im Ergebnis dieser Bemühungen gelang es, den Bestand an unveröffentlichten Verwaltungsvorschriften stark zu reduzieren. Der Ausgangsbestand von 2.604 am 31. 12. 2003 konnte innerhalb eines Jahres auf 1.293 mehr als halbiert und zum 31. 12. 2005 nochmals deutlich auf 896 reduziert werden. So gelang es dem Innenministerium, die Zahl der dort zu beachtenden unveröffentlichten Verwaltungsvorschriften innerhalb von zwei Jahren von 1.255 (!) um mehr als 80% auf 226 zu reduzieren. Auch die Erfolgsbilanzen des Umweltministeriums (Rückgang von 616 auf 231) oder des Finanzministeriums (Reduzierung von 101 auf 21) 68 sind beachtlich. Auf den zweiten Blick relativiert sich diese Erfolgsbilanz allerdings merklich. Zwar darf der durch den systematischen Abbau der „im Verborgenen schlummernden“ Verwaltungsvorschriften eintretende Vereinfachungseffekt nicht unterschätzt werden. Segensreich ist eine solche Vorschriftenbereinigung allerdings vornehmlich für die Binnenmodernisierung der Verwaltung und weniger für den Bürger. Die Verwaltungsbediensteten mögen durch die „Aufräumarbeiten“ tatsächlich vom „immer enger werdenden Korsett von Vorschriften“ 69 entlastet worden sein. Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass in den Ministerien eine Vielzahl bedeutungslos gewordener Vorschriften an das Tageslicht gefördert 65
ABl. M-V 2004, S. 271. Die Normprüfstelle hat dies dahingehend ausgelegt, dass die ausdrückliche Bestimmung der Fortgeltung in ihrer Zustimmung zu den Ausführungen des federführenden Ressorts liege. Diese haben der Normprüfstelle 178 Rechtsverordnungen, 178 veröffentlichte sowie 180 unveröffentlichte Verwaltungsvorschriften vorgelegt, von denen 24 Rechtsverordnungen, 39 veröffentlichte sowie 65 unveröffentlichte Verwaltungsvorschriften aufgehoben oder zur Aufhebung angekündigt wurden. Näher Landtag M-V, LTDrs 4/1814, S. 11. 67 So die Formulierung in Landtag M-V, LTDrs 4/2401, S. 9. 68 Einzelheiten in Landtag M-V, LTDrs 4/2253, S. 13. 69 So die prägnante Formulierung in Landtag M-V, LTDrs 4/2401, S. 9. 66
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wurden und der Verwaltungsalltag durch deren Streichung nur unwesentlich erleichtert wurde. Unabhängig davon vermag der Bürger von der Aufhebung ihm unbekannter, weil nicht veröffentlichter Vorschriften jedenfalls nicht unmittelbar zu profitieren. Sehr viel bedeutsamer ist es, die relevanten Verwaltungsvorschriften zu kennen, was nahezu unmöglich ist, wenn diese nicht veröffentlicht sind. Selbst der Inhalt veröffentlichter Verwaltungsvorschriften konnte lange Zeit nur durch eine zeitaufwändige und nervenaufreibende Zufallsdurchforstung des Amtsblattes oder entsprechende Aufklärung der Bediensteten im Rahmen des § 25 VwVfG M-V ermittelt werden. Begrüßenswert – wenn nicht sogar durch Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich gefordert – ist daher, dass die Deregulierungsstelle bereits 2005 erste Schritte unternahm, damit „die Bürger künftig unkompliziert im Internet die Verwaltungsvorschriften finden können, die sie interessieren“ 70. Zudem hat das Justizministerium im Jahre 2005 erstmals gegliedert nach Fachressorts alle veröffentlichten Verwaltungsvorschriften zusammengetragen und mit den einzelnen Ministerien abgeglichen. So entstand eine Sammlung der geltenden Normen des Innenrechts. Das bereits im August 2006 von der Deregulierungsstelle ausgegebene Ziel, den Bürgern einen kostenlosen Zugriff auf alle für ihn wichtigen Verwaltungsvorschriften zu ermöglichen 71, ist seit dem 01. 03. 2010 im Landesrechtsinformationsystem (LARIS) 72 verwirklicht. Außerdem besteht dort ein kostenfreier Zugang zu den etwa 320 Gesetzen und ca. 830 Rechtsverordnungen des Landes und den wichtigsten Entscheidungen der Gerichte des Landes seit dem Jahr 2007. III. Bewertung und Ausblick 1. Deregulierungspotenzial bei Landesgesetzen und Rechtsverordnungen a) Landesgesetze Eine Analyse der in Mecklenburg-Vorpommern mit dem Vorschriftenabbau seit 2003 gewonnenen Erfahrungen ergibt, dass das quantitative Deregulierungspotenzial bei Parlamentsgesetzen und Rechtsverordnungen sehr begrenzt ist. In den in dieser Untersuchung näher beleuchteten Referenzgebieten des Besonderen Verwaltungsrechts besteht ein nennenswertes Deregulierungspotenzial allenfalls noch im Bereich des Umweltrechts. Hier sollte trotz des abermaligen Scheiterns 70
Landtag M-V, LTDrs 4/2401, S. 9. Vgl. Landtag M-V, LTDrs 4/2401, S. 9. In Schleswig-Holstein hält das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume nach Auskunft der zuständigen Referatsleiterin auf seinen Internetseiten auch eine Liste aller unveröffentlichten Verwaltungsvorschriften abrufbereit. 72 Alle im Amtsblatt M-V veröffentlichten (derzeit 691) Verwaltungsvorschriften sind im Internet abrufbar unter www.landesrecht-mv.de (Abrufdatum: 08. 02. 2011). 71
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des Umweltgesetzbuchs auf Bundesebene 73 mindestens mittelfristig (und erneut) über ein Landesumweltgesetzbuch nachgedacht werden 74. Auch sollten Überlegungen zur Deregulierung im Bereich des Landesinformationsfreiheitsrechts angestellt werden, da das Nebeneinander von IFG und UIG nebst dazu gehöriger getrennter Kostenverordnungen 75 sowie des zur Umsetzung der Richtlinie 2007/2/EG vom 14. 03. 2007 zur Schaffung einer Geodateninfrastruktur in der Europäischen Gemeinschaft (sog. Inspire-Richtlinie) 76 dienenden GeoVermG M-V vom 16. 12. 2010 77 zu erheblichen Schwierigkeiten beim Verwaltungsvollzug dieser zukunftsträchtigen Rechtsmaterie führt. Im Bauordnungs- und Gewerberecht besteht dagegen kein nennenswertes quantitatives Deregulierungspotenzial mehr. Im Bauordnungsrecht ließe sich allenfalls über die Zusammenfassung und Harmonisierung des untergesetzlichen Regelungswerks zur LBauO M-V nachdenken. Im Wirtschaftsverwaltungsrecht sprechen die durch die Neufassung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG hinzugekommenen Landeskompetenzen eher für ein Mehr als ein Weniger von Regelungen. Wenn auch in Mecklenburg-Vorpommern derzeit noch keine konkreten Absichten für ein Landesgaststättengesetz erkennbar sind, so dürften jedenfalls mittelfristig Regelungen nach dem Vorbild anderer Bundesländer 78 zu erwarten sein. Entsprechendes gilt für die durch die Novellierung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG hinzugewonnenen Kompetenzen im Bereich der Schaustellung von Personen, der Messen, Ausstellungen und der Märkte. Auch im Ordnungsrecht dürfte die Zahl der zu regelnden Tatbestände in der Zukunft eher zu- als abnehmen, wobei insbesondere im Versammlungsrecht in absehbarer Zeit Regelungen zu erwarten sein dürften. Mit Bayern legte jedenfalls ein großes Flächenland bereits zum 01. 10. 2008 ein Landesversammlungsgesetz 79 vor. Ob dieses allerdings Modellcharakter für andere Bundesländer haben kann, erscheint angesichts des Erlasses einer einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. 02. 2009 80, eher zweifelhaft 81. Auch Sachsen 82, Sachsen-Anhalt 83 und zuletzt Niedersachsen 84 haben mittlerweile Landesversammlungsgesetze erlassen 85, wo73
Näher unten § 20 A IV 1. Ein entsprechender Vorschlag findet sich unter § 20 A IV 2. 75 Vgl. dazu bereits § 16 D II. 76 ABl L 108 vom 25. 04. 2007, S. 1. Auf Bundesebene wurde die Richtlinie durch das Geodatenzugangsgesetz (vom 10. 02. 2009; BGB. I, S. 278) umgesetzt. 77 GVOBl. M-V, S. 713. 78 Zu den Gaststättengesetzen in Thüringen und Brandenburg siehe § 20 B II. 79 Bayerisches Versammlungsgesetz vom 22. 07. 2008; Bay GVBl; S. 421. Dazu eingehend Scheidler, BayVBl 2009, S. 33 und derselbe, ZRP 2008, S. 151. 80 BVerfGE 122, 342 ff = NVwZ 2009, S. 441. Das Bundesverfassungsgericht setzte mehrere Ordnungswidrigkeitentatbestände (Art. 21 Nr. 1, 2, 7, 13 und 14 BayVersG) einstweilen außer Kraft und erklärte weitere Vorschriften (Art. 9 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayVersG bzgl. der Datenerhebung bei Versammlungen) nur unter bestimmten Maßgaben für einstweilen weiter anwendbar. 74
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bei insbesondere das Sächs VersG, welches sich im Wesentlichen darauf beschränkt, § 15 VersG sächsischen Bedürfnissen anzupassen, ansonsten aber das VersG weitgehend zum Landesrecht erklärt, verfassungsrechtlich umstritten ist 86. b) Rechtsverordnungen Betrachtet man die Rechtsverordnungen auf Landesebene näher, so fällt auf, dass dieser Bereich durch differenzierte Regelungen über Zuständigkeiten, Behördenaufbau und Kostenregelungen in mehr als 170 Landesrechtsverordnungen dominiert wird. Dort besteht somit auf den ersten Blick ein beachtliches Deregulierungspotenzial. Diesem sollte sich der Verordnungsgeber, wenn auch mit der gebotenen Vorsicht, nähern. Wenig sinnvoll erscheint dabei die Zusammenfassung aller Zuständigkeitsregelungen in einem (notwendiger Weise überkomplexen) Gesetz nach Berliner Vorbild 87 oder einer schon aus kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten nicht unproblematischen Verordnung. Ein solches Regelwerk müsste auf Grund des stetigen Wandels in der Verwaltungslandschaft laufend geändert werden, was die Rechtssicherheit erheblich beeinträchtigen würde. Aus Gründen der Übersichtlichkeit sowohl für den Bürger als auch für die vollziehende Behörde erstrebenswert ist dagegen eine Zusammenfassung von Zuständigkeits- und Kostenverordnungen des jeweiligen Fachrechts in einem einzigen Regelungswerk. Ein solches Vorgehen könnte dazu beitragen, den in 20 Jahren Landesgeschichte entstandenen „Wildwuchs“ an entsprechenden Regelungen erheblich zu lichten. So bestanden am 31. 12. 2009 in MecklenburgVorpommern mehr als 130 Gesetze und Verordnungen, welche den Behördenaufbau und die Zuständigkeit betrafen. Sie wurden durch fast 50 verschiedene Kostenverordnungen, bei denen ebenfalls Vereinfachungspotenzial besteht, er81
Nach Brenneisen / Sievers, DP 2009, S. 71 (83) sind im BayVersG „Regelungslücken und Unklarheiten zu bemängeln, die nicht mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot in Einklang zu bringen sind“. Verfassungsrechtliche Bedenken auch bei Heidebach / Unger, DVBl 2009, S. 283. 82 Sächs VersG vom 20. 01. 2010; Sächs GVBl, S. 2. 83 VersammlG LSA vom 03. 12. 2009; GVBl. LSA, S. 558. Das Gesetz ist ein 30 Paragraphen umfassendes Vollgesetz. 84 Nds VersG vom 07. 10. 2010; Nds GVBL 2010, S. 465. 85 Näher zum dadurch entstandenen „Flickenteppich“ Brenneisen / Wilksen / Haack, DP 2010, S. 29. 86 Gegen das Sächsische Versammlungsgesetz haben die Fraktionen Die Linke, SPD und B90/Die Grünen im Sächsischen Landtag im August 2010 Normenkontrollklage vor dem Sächs VerfGH erhoben. Kritische Bewertung des Sächs VersG bei Robrecht, SächsVBl 2010, S. 129. 87 Das Gesetz über die Zuständigkeiten in der Allgemeinen Berliner Verwaltung (i. d. F. vom 22. 07. 1996; GVBl. I, S. 302; S. 472) regelt seit 1959 die Zuständigkeiten an Hand eines Allgemeinen Zuständigkeitskatalogs.
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gänzt. Exemplarisch lässt sich die gegenwärtig wenig befriedigende Rechtslage im Umwelt-, Wirtschaftsverwaltungs- und Landwirtschaftsrecht beleuchten. So konkurrieren auf Landesebene derzeit im Bereich des Umweltrechts Zuständigkeitsverordnungen für das Immissionsschutz-, das Abfall- und Bodenschutz-, das Strahlenschutz-, Chemikalien- und Bergrecht; bei letzterem gibt es gleich zwei Zuständigkeitsverordnungen. Die Kompetenzen im Naturschutz-, Waldund Wasserrecht sind in den jeweiligen Landesgesetzen geregelt. Für alle Rechtsgebiete gibt es zudem eigene Kostenverordnungen. Kaum übersichtlicher ist die Situation im Wirtschaftsverwaltungsrecht, wo neben Zuständigkeitsverordnungen für das Gaststätten-, Handwerks-, Schornsteinfeger-, Ladenöffnungs- und Allgemeine Gewerberecht ebenfalls mehrere entsprechende Kostenverordnungen zu beachten sind. Fast schon groteske Züge nimmt das Gestrüpp von Zuständigkeitsverordnungen im Landwirtschaftsrecht an. Die große praktische Bedeutung dieses Rechtsgebiets (zumal im agrarisch geprägten Mecklenburg-Vorpommern) wird niemand bestreiten. Dennoch muss die Frage erlaubt sein, ob das Bundesland neben der „Landesverordnung zur Bestimmung der zuständigen Stellen zur Durchführung der Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung „anderweitiger Verpflichtungen“ (Cross Compliance) für Direktzahlungen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik (Cross-Compliance-Zuständigkeitslandesverordnung – CroComZustLVO M-V)“ 88 vier Zuständigkeitsverordnungen im Geflügelrecht 89 benötigt und bis zum 13. 11. 2010 sogar deren sechs zum Vollzug des Milchrechts 90 88 Vom 06. 04. 2005; GVOBl. M-V, 181, geändert durch VO vom 07. 06. 2006; GVOBl. M-V, 474. 89 Hier gibt es u. a. die „Landesverordnung über die zuständigen Behörden nach den Verordnungen über Vermarktungsnormen für Eier“ (vom 17. 09. 1991; GVOBl. M-V, S. 416, geändert durch VO vom 24. 01. 1995; GVOBl. M-V, S. 54), die „Landesverordnung über die zuständigen Behörden nach den Vorschriften des Rates der EG über die Erzeugung und den Verkehr mit Bruteiern und Küken von Hausgeflügel“ (vom 17. 09. 1991; GVOBl. M-V, S. 416, geändert durch VO vom 24. 01. 1995; GVOBl. M-V, S. 54) sowie die „Landesverordnung über die zuständige Behörde nach dem Legehennenbetriebsregistergesetz (Legehennenbetriebsregisterlandesverordnung – LegReglVO M-V)“ vom 15. 12. 2003; GVOBl. M-V, S. 696. 90 Dort konkurrierten unter anderem eine „Landesverordnung über eine zuständige Behörde nach § 15 Abs. 3 des Gesetzes über die Neuorganisation der Marktordnungsstellen in Verbindung mit der Meldeverordnung Milch“ (vom 17. 09. 1991; GVOBl. M-V, S. 408), die „Landesverordnung über die zuständigen Behörden nach der Milch-Mitverantwortungsabgabe-Verordnung“ (vom 17. 09. 1991; GVOBl. M-V, 410; aufgehoben durch Art. 8 Nr. 1 des 4. DeregG vom 28. 10. 2010; GVOBl. M-V, S. 615), die „Landesverordnung über die zuständige Behörde zur Durchführung der Milchfett-Verbrauch-Verbilligungsverordnung“ (vom 07. 09. 1991; GVOBl. M-V, S. 410, geändert durch VO vom 24. 01. 1995; GVOBl. M-V, S. 54 aufgehoben durch Art. 8 Nr. 2 des 4. DeregG vom 28. 10. 2010; GVOBl. M-V, S. 615) sowie die „Landesverordnung über die zuständige Behörde für die Gewährung von Beihilfen für Magermilch und Magermilchpulver für Futterzwecke“ (vom 17. 09. 1991; GVOBl. M-V, S. 411, geändert durch Verordnung vom
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brauchte. Selbstverständlich beansprucht auch die Kartoffel mit der „Landesverordnung zur Bestimmung der zuständigen Stelle nach der Verordnung über die Gewährung einer Produktionserstattung und einer Prämie für Kartoffelstärke“ 91 eine eigene detaillierte Kompetenzgrundlage. 2. Qualitative Deregulierung Bereits im Abschlussbericht der Deregulierungskommission 92 kommt mit aller wünschenswerten Klarheit die auch von der Normprüfstelle geteilte 93 Auffassung zum Ausdruck, dass ein ausschließlich quantitativer Deregulierungsansatz nicht zu nennenswerten Erfolgen führen wird. Eine wirksame, nachhaltige und auch für den Bürger erkennbare Deregulierung setzt vielmehr voraus, dass die für ihn im regelmäßigen Kontakt mit der Verwaltung deutlich werdenden „kritischen Punkte“ kontinuierlich und systematisch auf Deregulierungspotenziale untersucht werden. Nur wenn das stetige Bemühen aller Verwaltungsebenen erkennbar wird, Verwaltungsprozesse mit Blick auf den Bürger zu optimieren, wird dieser das „Projekt Deregulierung“ nicht als Selbstzweck eines fernen Beamtenapparates wahrnehmen. Ein unter dem modernitätsumwehten Zauberwort des „Benchmarking“ durchgeführter bundesweiter quantitativer Deregulierungswettbewerb unter dem Motto „Wer hat die meisten Vorschriften abgebaut?“ ist in diesem Zusammenhang wenig zielführend. Mehr Erfolg verspricht eine kritische Prüfung aller Gesetzgebungsvorhaben unter dem Gesichtspunkt ihrer Notwendigkeit, Verständlichkeit, Regelungsdichte und Gesetzesfolgen, wie sie nunmehr in §§ 3, 6 und 7 GGO II 2009 zum Ausdruck kommt. Dass in den einzelnen Fachressorts in Mecklenburg-Vorpommern in den letzten Jahren diesbezüglich ein zwar langsamer, erfreulicher Weise aber stetiger und von der Normprüfungs- und Deregulierungsstelle unterstützter Bewusstseinswandel eingesetzt hat, belegen nicht nur die Berichte der „Deregulierungsakteure“ 94. Auch die handwerkliche Qualität der größeren Gesetzgebungsvorhaben ist in jüngerer Zeit deutlich gestiegen. Vergleicht man etwa den mit der Landesbauordnung 2006 95 erreichten Stand der „Gesetzgebungskunst“ mit dem des Referenzwerkes von 1994 oder analysiert man das Landesorganisationsrecht von 2005 einmal unter einem „rein technischen“ Aspekt, so lässt sich – trotz aller Kritik im Einzelnen 96 – nicht bestreiten,
24. 01. 1995, GVOBl. M-V, S. 54; aufgehoben durch Art. 8 Nr. 3 des 4. DeregG vom 28. 10. 2010; GVOBl. M-V, S. 615). 91 Vom 17. 09. 1991; GVOBl. M-V, 419, geändert durch VO vom 24. 01. 1995; GVOBl. M-V, S. 54. 92 Landtag M-V, LTDrs 4/1013 vom 23. 02. 2004, S. 13. 93 Deutlich Landtag M-V, LTDrs 4/2253, S. 14. 94 Vgl. diesbezüglich nochmals Landtag M-V, LTDrs 4/1814, 4/2253 und 4/2401. 95 Dazu Biermann, Die neue Bauordnung Mecklenburg-Vorpommern, S. 3 ff.
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dass die Gesetzgebungstechnik im Vergleich zur turbulenten Anfangsphase des Landes einen erheblichen „Qualitätssprung“ erfahren hat.
§ 19 Regelungsoptimierung durch Verfahrensoptimierung – Übergreifende Entwicklungen Nachfolgend sollen exemplarisch am Landesrecht Mecklenburg-Vorpommerns allgemeine Entwicklungstendenzen im Verwaltungsverfahrensrecht dargestellt werden. Als Referenzobjekt dient dabei zunächst die am 01. 09. 2006 in Kraft getretene neue Landesbauordnung, an deren Beispiel sich ein grundlegendes Überdenken hoheitlicher Aufgaben in Form einer staatlichen Aufgabenkritik 97 nachweisen lässt (A.). Eine Analyse des Bauordnungsrechts wird den „Rückzug des Staates aus dem Ordnungsrecht durch Abbau präventiver Kontrollen, die Reduzierung von Prüfumfängen im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren sowie eine weitgehende Privatisierung von Überwachungsaufgaben verdeutlichen (A. II.). All das steht modellhaft für eine „neue Verantwortungsteilung“ zwischen Staat und Privaten im „aufgaben- und verantwortungsteilenden Verwaltungsstaat“ 98. Die ebenfalls mit der Bauordnungsrechtsnovelle 2006 eingeführte Kommunalisierung des Stellplatzrechts ist ein weiteres Beispiel dafür, dass ein „überforderter Staat“ 99 auf staatliche Regulierung verzichtet und Gestaltungsspielräume auf lokaler Ebene erweitert. Die trotz Abbau präventiver Kontrollen noch verbleibenden Genehmigungsverfahren sollen so effektiv wie möglich durchgeführt werden, wobei eine investitionshemmende Konkurrenz paralleler Anlagenzulassungsverfahren mit der Gefahr divergierender Entscheidungen und langwieriger Verfahren möglichst vermieden werden soll. Vor diesem Hintergrund setzt die neue LBauO M-V auf eine beschränkte Konzentrationswirkung der Baugenehmigung, wobei Reichweite und Wirkung dieses Vereinfachungsinstruments allerdings mit erheblichen Auslegungsschwierigkeiten verbunden sind (A. III). Vereinfacht wurde schließlich das materielle Bauordnungsrecht (A. IV.). Ebenfalls mit Beispielen aus dem Bauordnungsrecht, ergänzt durch Anschauungsmaterial aus anderen Teilgebieten des Besonderen Verwaltungsrechts, lässt sich das Bemühen um eine Beschleunigung von Genehmigungsverfahren durch behördliche Entscheidungs-, Begründungs- und Mitwirkungsfristen belegen (B.). 96 Zu Unklarheiten bezüglich der Konzentrationswirkung der Baugenehmigung § 19 A III 3. 97 Übersicht zu den öffentlichen Aufgaben, ihrer Entwicklung und Reformperspektiven Laskowski, in: Handwörterbuch zur Verwaltungsreform, S. 10 ff.; Bull, in: König / Siedentopf, S. 343 ff. 98 Dazu Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 441 ff; derselbe, DV 1998, S. 415. 99 Begriffsprägend Herzog, in: Festschrift für Lerche, S. 15.
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Ob solche Verfahrensfristen verfassungsrechtlich zulässige und rechtspolitisch sinnvolle Instrumente zur Beschleunigung von Verwaltungsverfahren sind, gilt es nachfolgend zu untersuchen. Besonderes Augenmerk verdienen in diesem Zusammenhang Entscheidungsfristen mit Genehmigungsfiktionen, wie sie derzeit auf europäischer Ebene favorisiert werden 100. In dem zur Umsetzung der verfahrensrechtlichen Anforderungen der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie erlassenen § 42a VwVfG hat eine solche Fiktionsregelung erstmals Niederschlag in einer bundesweiten Kodifikation des Allgemeinen Verwaltungsrechts gefunden. Auch das VwVfG M-V ist mittlerweile entsprechend geändert worden 101. Eine Arbeit, die sich mit Verwaltungsmodernisierung beschäftigt, darf auch die Europäische Dienstleistungsrichtlinie (DLRL) nicht ignorieren, die es bis zum 28. 12. 2009 in nationales Recht umzusetzen galt (C.). Vor allem der von Art. 6 Abs. 1 DLRL geforderte „Einheitliche Ansprechpartner für Dienstleistungserbringer“, aber auch die Gewährleistung des Informationsrechts (Art. 7 DLRL) und der elektronischen Verfahrensabwicklung (Art. 8 DLRL) stellten Legislative und Exekutive auf allen Ebenen des Bundesstaates vor große Herausforderungen. Überdies verpflichtete Art. 5 DLRL die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zu einer umfassenden Überprüfung des nationalen Rechts auf Vereinfachungsmöglichkeiten, soweit dieses für die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit relevant ist. Art. 13 DLRL enthält schließlich Anforderungen an die Ausgestaltung von Genehmigungsverfahren im Hinblick auf Klarheit, Bestimmtheit, Transparenz und Objektivität.
A. Rückzug des Staates aus dem Ordnungsrecht – dargestellt am Beispiel der Landesbauordnung Seit nunmehr fast 40 Jahren erweist sich das Bauordnungsrecht als besonders geeignetes Referenzgebiet, will man die vielgestaltigen Bemühungen um Regelungsoptimierung im Verwaltungsrecht darstellen 102. Bereits seit Mitte der 1970er 103, verstärkt aber seit Beginn der 1990er Jahre wurde das oftmals als überkompliziert empfundene Verfahrensrecht der Landesbauordnungen als In100 Siehe etwa in Art. 13 Abs. 4 der Richtlinie 2006/123/EG vom 12. 12. 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt; ABl. EU L 376, S. 36. 101 Durch Art. 1 EG-DLRG vom 02. 12. 2009; GVOBl. M-V, S. 666. 102 Kritisch zur „endlosen Reform des Bauordnungsrechts“ Wilke, in: Festschrift für Scholz, S. 765. 103 Schon 1976 hat die Ministerkonferenz Fragen der Vereinfachung und Beschleunigung des Bauordnungsrechts aufgegriffen und der ARGEBAU den Auftrag erteilt, die MBO 1960 unter Effizienz-, Vereinfachungs- und Beschleunigungsgesichtspunkten fortzuschreiben. Diese Gesichtspunkte spielten bei den MBO 1981, 1993 und 2002 eine entscheidende Rolle.
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vestitionshindernis ausgemacht. Ausgehend vom sog. Privatisierungsmodell der Bayerischen Bauordnung von 1994 104 und unter dem Leitbild des „Schlanken Staates“ leiteten die alsbald in allen 16 Landesbauordnungen in unterschiedlicher Weise umgesetzten Beschleunigungs-, Deregulierungs- und Privatisierungsmaßnahmen den „Abschied von der Baugenehmigung“ 105 ein. Das Bauordnungsrecht wurde in den letzten 15 Jahren in einer „Phase intensiven föderalistischen Wettbewerbs“ 106 einem „motorisierten Gesetzgeber“ 107 als „Versuchskaninchen“ ausgesetzt, ohne dass eine wohl durchdachte Reform in ein oder zwei Bundesländern exemplarisch erprobt worden wäre. Als Folge der fehlenden Gesamtkonzeption und der Experimentierfreudigkeit der Landesgesetzgeber entstand ein investitionshemmender „föderalistischer Flickenteppich“ unterschiedlicher, nicht miteinander koordinierter Länderregelungen 108. Mit dem Ziel der Wiederannäherung des Bauordnungsrechts der Bundesländer und der Wiederherstellung der Leitbildfunktion einer Musterbauordnung 109 beschloss die 106. Bauministerkonferenz daher im November 2002 eine überarbeitete Musterbauordnung (MBO 2002), an deren Aufbau sich die in der Folge verabschiedeten Baurechtsnovellen der Länder orientierten. I. Entwicklung des Bauordnungsrechts seit 1990 1. Entwicklung bis 2006 Wie in allen anderen neuen Bundesländern galt in Mecklenburg-Vorpommern zunächst das am 20. 07. 1990 von der Volkskammer der DDR beschlossene Gesetz über die Bauordnung (BauO) 110 als Landesrecht fort. Bereits Anfang 1992 verfügte allerdings das damals für den Vollzug des Bauordnungsrechts zuständige Innenministerium 111 auf Grundlage des § 82 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauO mit den Landesverordnungen über die Freistellung von der Baugenehmigungspflicht 104
Bay GVBl., S. 210. Begriffsprägend und kritisch Ortloff, NVwZ 1995, S. 112. 106 Jäde, NVwZ 2001, S. 982. 107 Battis, DVBl. 2000, S. 1557 (1562). 108 Zur Kritik an der bisherigen Bauordnungsreform Schulte, in: Reichel / Schulte 1/ 457 ff.; Wilke, in: Festschrift für Scholz, S. 765. 109 Mit der MBO 2002 reagierte die Bauministerkonferenz auf die wachsende Zersplitterung des Bauordnungsrechts der Länder in den Jahren nach 1990. Der drohende Verlust der Rechtseinheit im Bauordnungsrecht wurde zunehmend als nachteiliger Standortfaktor und Investitionshindernis für die Wirtschaft bewertet. Die MBO 2002 wollte daher die Integrations- und Leitbildfunktion der Musterbauordnung stärken und den Bundesländern einen Orientierungsrahmen zur Verfügung stellen, den diese unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten ausfüllen können. Näher Schulte, in: Reichel / Schulte, Handbuch Bauordnungsrecht, 1/406 ff. 110 GBl. DDR 1990, S. 929. 105
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(BaufVO) 112 und über die Einschränkung von Prüfungen im Baugenehmigungsverfahren (PrüfeVO) 113 erste Maßnahmen zur Vereinfachung und Beschleunigung des Bauordnungsrechts. Um dem damals bestehenden Modernisierungsstau im Baubereich zu begegnen, erweiterte § 1 BaufVO den Katalog der genehmigungsfreien Vorhaben nach § 63 BauO 114 um insgesamt 29 Vorhabenarten. Nach § 2 BaufVO wurden überdies Umnutzungen von Dachgeschossräumen in Wohngebäuden mit nur einer Wohnung in Aufenthaltsräume und Umnutzungen von Räumen in vorhandenen Wohngebäuden in Räume für Bäder und Toiletten genehmigungsfrei gestellt. § 1 Abs. 1 PrüfeVO schloss die Prüfung von Nachweisen über die Standsicherheit bei Wohngebäuden mit nicht mehr als zwei oberirdischen Geschossen, landwirtschaftlichen Betriebsgebäuden mit einer Grundfläche bis zu 250 m² und einigen sonstigen nicht zu Wohnzwecken dienenden Gebäuden aus, wenn die Standsicherheitsnachweise von mindestens zwei Jahren auf dem Gebiet der Baustatik tätigen Ingenieuren aufgestellt wurden. Auch von entsprechend qualifizierten Ingenieuren oder Architekten erstellte Schallund Wärmeschutznachweise wurden von der Prüfungspflicht befreit. Schließlich übertrug die im August 1992 auf Grundlage der §§ 24 Abs. 1, 25 Abs. 1 und 82 Abs. 4 und 5 BauO erlassene Landesverordnung über bautechnische Prüfungen (BauPrüfVO) 115 Aufgaben auf private Sachverständige. Nachdem sich die MBO 1993 für eine Bauordnungsreform geöffnet hatte 116, enthielt die am 01. 07. 1994 in Kraft getretene LBauO M-V 117 weitere vereinfachende und erleichternde Verfahrensvorschriften, wobei der zu jener Zeit bestehende rechtliche Spielraum, bauliche Vorhaben von der Genehmigungspflicht freizustellen, vollständig ausgenutzt wurde. Das Gesetzgebungsverfahren stand ganz im Zeichen der damals herrschenden Deregulierungsdebatte. Ziel der Landesbauordnung von 1994 war vor allem die Fortentwicklung des Bauordnungsrechts „in Richtung Entstaatlichung und Privatisierung“ 118. Eingeführt wurde deshalb die Genehmigungsfreiheit von Wohngebäuden geringer Höhe im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans 119 sowie ein vereinfachtes 111 Vgl. VO zur Bestimmung der obersten Bauaufsichtsbehörde vom 29. 01. 1992; GVOBl. M-V, S. 53. 112 Vom 23. 04. 1992; GVOBl. M-V, S. 279. 113 Vom 28. 01. 1992; GVOBl. M-V, S. 52. 114 Dessen Abs. 1 umfasste in Anlehnung an die Musterbauordnung insgesamt 34 Unterpunkte und enthielt in den Absätzen 2 bis 5 weitere Ausnahmen von der Genehmigungspflicht für bestimmte Änderungen, Nutzungsänderungen, Instandsetzungs- und Instandhaltungs- sowie für Abbruch- und Beseitigungsmaßnahmen. 115 Vom 04. 08. 1992; GVOBl. M-V, S. 538. Der als Beliehene tätige Prüfingenieur für Baustatik bedurfte der Anerkennung, die im Ermessen der obersten Bauaufsichtsbehörde stand. 116 Schulte, in: Reichel / Schulte, Handbuch Bauordnungsrecht 1/401 f. 117 GVOBl. M-V, S. 518. 118 Landtag M-V, LTDrs 1/3832 vom 25. 11. 1993.
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Baugenehmigungsverfahren mit reduziertem Prüfumfang 120 für Wohngebäude geringer Höhe und bestimmte landwirtschaftliche Gebäude auch außerhalb von Bauplanungsgebieten. Dies markierte den Beginn des Rückzugs des Staates aus der präventiven Bauaufsicht. Mit der für das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren nach kontroverser parlamentarischer Diskussion 121 in § 63 Abs. 7 LBauO M-V festgelegten dreimonatigen Regelentscheidungsfrist 122 mit Genehmigungsfiktion schlug die „Geburtsstunde“ dieses Beschleunigungsinstruments in Mecklenburg-Vorpommern. Überdies sollte das materielle Bauordnungsrecht „auf den sicherheitstechnischen Mindeststandard abgemagert“ 123 werden. Die bereits 1992 begonnene Privatisierung bauaufsichtlicher Prüfungen wurde auch unter Geltung der neuen LBauO M-V fortgesetzt 124. Weitere Verfahrenserleichterungen enthielt vor allem das Gesetz zur Deregulierung des Bau-, Landesplanungs- und Umweltrechts (BLUDerG) vom 27. 04. 1998 125, mit dem die LBauO M-V an die MBO 1996 angepasst wurde. § 71a LBauO M-V (seit dem 01. 09. 2006: § 71 LBauO M-V) ermöglicht seitdem zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung die Ersetzung des rechtswidrig versagten gemeindlichen Einvernehmens der Gemeinde durch Erteilung der Baugenehmigung 126. Auch mit dem Wegfall der allgemeinen Beachtenspflicht der anerkannten Regeln der Technik und deren Ersetzung durch öffentlich bekannt zu machende Technische Baubestimmungen der obersten Baubehörde nach § 3 Abs. 3 LBauO M-V war ein wesentlicher Gewinn an Rechtssicherheit für die Bauherrn verbunden 127. Daneben enthielt die Novelle einige weitere bauordnungsrechtliche Erleichterungen 128, ohne jedoch das genehmigungsfreie Bauen auszuweiten 129. Lediglich die Beseitigung baulicher Anlagen wurde durch Novellierung des § 65 Abs. 3 119
Einzelheiten in 64 LBauO M-V i. d. F. vom 26. 04. 1994. Geprüft wurden die planungsrechtliche Zulässigkeit, wenige bauordnungsrechtliche Vorschriften mit nachbarschützenden Charakter (Abstandsflächen- und Stellplatzrecht) sowie das öffentliche Baunebenrecht. 121 Landtag M-V, LTDrs 1/3832, S. 168. Die Bearbeitungsfrist mit Genehmigungsfiktion wurde auf Antrag der Fraktionen von CDU und FDP gegen Warnungen aus dem Innenministerium eingeführt. 122 Gem. § 63 Abs. 7 Satz 1 Hs. 2 LBauO M-V konnte die Bauaufsichtsbehörde die Frist aus wichtigem Grund um maximal einen Monat verlängern. 123 So die Einschätzung von Möllgard, LKV 1994, S. 429 (431), wonach es „nunmehr in der Landesbauordnung nichts mehr zu entrümpeln“ gebe. 124 Ausdruck hierfür war auch die BauPrüfVO vom 03. 04. 1998; GVOBl. M-V, S. 413, geändert durch Verordnung vom 18. 01. 2001; GVOBl. M-V, S. 66. 125 Siehe dazu oben § 13 C. 126 Landtag M-V, LTDrs 2/3272, S. 53 f. 127 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 2/3272. Waren bis dato mehr als 2000 Regelwerke ohne behördliche Entscheidung in das öffentliche Baurecht einbezogen, so beschränkten sich die Technischen Baubestimmungen auf etwa 80 Regelwerke. 128 Zu den Einzelheiten Landtag M-V, LTDrs 2/3272, S. 39 ff. 120
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LBauO M-V weitergehend als bisher baugenehmigungsfrei gestellt. Eine zunächst vorgesehene Änderung des § 72 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V mit dem Ziel, das rechtlich umstrittene Verhältnis der Baugenehmigung zu anderen öffentlichrechtlichen Gestattungen im Sinne eines Abschieds von der „Schlusspunkttheorie“ zu klären, wurde nicht umgesetzt 130. 2. Neue Landesbauordnung 2006 Mit dem am 26. 04. 2006 verkündeten Gesetz zur Neugestaltung der Landesbauordnung und zur Änderung anderer Gesetze 131, das im Wesentlichen am 01. 09. 2006 in Kraft trat, novellierte Mecklenburg-Vorpommern als letztes der neuen Bundesländer 132 seine Landesbauordnung. Das neue Recht lehnt sich weitgehend an die MBO 2002 an und leistet so einen wichtigen Beitrag zur Wiederherstellung der Rechtseinheit im Bauordnungsrecht. Ziel der Baurechtsnovelle war die umfassende Modernisierung des Bauordnungsrechts, wobei als ordnungspolitischer Leitgedanke der Abbau präventiver staatlicher Kontrollen zu Gunsten einer verstärkten Eigenverantwortung des Bauherrn hervorzuheben ist. Sehr viel weitergehend als bisher wird nunmehr ein Bauen ohne Baugenehmigung ermöglicht. Darüber hinaus wurden bestimmte Sachstandards für Aufenthaltsräume und Wohnungen sowie Personalstandards bei der Besetzung der Bauaufsichtsbehörden abgebaut. Mit der neuen Landesbauordnung wurde zudem das gesamte Baugenehmigungsverfahren neu strukturiert. Weitreichend sind schon die Änderungen bezüglich des genehmigungsfreien Bauens und beim vereinfachten Genehmigungsverfahren. Vor allem aber die Einführung einer (beschränkten) Konzentrationswirkung der Baugenehmigung ist ein zentrales Anliegen der Baurechtsnovelle.
129 Mit der Beschränkung des § 64 LBauO M-V auf Kleinsiedlungsgebiete, reine und allgemeine Wohngebiete enthielt die Novelle sogar Einschränkungen bisheriger Verfahrenserleichterungen. 130 Vgl. LTDrs 2/3272, 54 und 2/3670, S. 16. 131 GVOBl. M-V, S. 102. 132 Zur neuen Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt, die am 15. März 2006 in Kraft trat, Thom, Landesbauordnung Sachsen-Anhalt. Die neue Berliner Bauordnung ist am 1. 2. 2006 in Kraft getreten; vgl. Peschel, NJ 2006, S. 61. Bereits seit dem 01. 09. 2003 gilt die neue Bauordnung Brandenburgs; vgl. hierzu Knuth, LKV 2004, S. 193. Zur am 1. 5. 2004 in Kraft getretenen novellierten Thüringer Bauordnung Friege, ThürVBl 2005, S. 25. Über die am 1. 10. 2004 in Kraft getretene Sächsische Bauordnung berichten Hübner, SächsVBl 2005, S. 213 und Peschke, LKV 2005, S. 391.
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II. Abbau präventiver Kontrollen und Verzicht auf hoheitliche Prüfungen Grundgedanke der LBauO M-V 2006 ist es, weitergehend als bisher auf materielle bauordnungsrechtliche Anforderungen sowie auf staatliche Prüfungen und Überwachungen zu verzichten und der Bauherrenseite mehr Eigenverantwortung für ihr Bauvorhaben zu geben. Den Rückzug des Staates aus dem Bauordnungsrecht versteht der Gesetzgeber als „grundlegende ordnungspolitische Entscheidung für weniger staatliche Kontrolle und für mehr Verantwortung für den Einzelnen“ 133. Mit dem weiteren Abbau präventiver Kontrollen wird die „Marginalisierung des Baugenehmigungsverfahrens“ 134 fortgesetzt. Die LBauO M-V 2006 ist beispielhaft für eine durch Beschleunigung, Deregulierung, Vereinfachung und Privatisierung bestimmte Verwaltungspolitik, die auf eine stärkere Selbstregulierung bzw. Selbstüberwachung der Bürger anstelle von staatlicher Kontrolle setzt 135. Diese Leitgedanken lassen sich an vielen Einzelbestimmungen der nachweisen. So können beispielsweise bestimmte bisher genehmigungsbedürftige Vorhaben – wie Garagen, Carports oder Terrassenüberdachungen – nunmehr verfahrensfrei 136 errichtet werden. Die bisher bestehende grundsätzliche Genehmigungsbedürftigkeit der Beseitigung von Anlagen entfällt zudem weitgehend 137. 1. Ausbau des genehmigungsfreien Bauens von Wohngebäuden Der genehmigungsfreie Bau von Wohngebäuden wurde erheblich ausgeweitet. § 62 LBauO M-V 2006 ersetzt § 64 LBauO M-V a. F., geht über die dortigen Regelungen inhaltlich aber weit hinaus. Zudem ist das Verfahren der Genehmigungsfreistellung anders strukturiert als das Verfahren nach § 64 LBauO M-V a. F. Der neue § 62 LBauO M-V orientiert sich an der entsprechenden Vorschrift 133
Landtag M-V, LTDrs 4/1810, S. 2. Ekardt / Beckmann / Schenderlein, NJ 2007, S. 481 (482). 135 Zu den damit verbundenen Problemen Ekardt / Beckmann / Schenderlein, NJ 2007, S. 481. 136 Der Bauherr kann solche Vorhaben ohne Einhaltung eines Verwaltungsverfahrens errichten, ändern, beseitigen oder eine Nutzungsänderung vornehmen (§ 61 LBauO M-V). Es bedarf weder einer Anzeige des Vorhabens noch der Vorlage von Bauvorlagen bei der Gemeinde oder der Bauaufsichtsbehörde. Gem. § 59 Abs. 3 LBauO M-V entbindet die Verfahrensfreiheit nicht von der Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Anforderungen und lässt die bauaufsichtlichen Eingriffsbefugnisse nach §§ 58 Abs. 1 Satz 2 und 78 ff. LBauO M-V unberührt. 137 Die Beseitigung von Anlagen ist in den Fällen des § 61 Abs. 3 Satz 1 LBauO M-V vollständig verfahrensfrei, im übrigen gem. § 61 Abs. 3 Satz 2 LBauO M-V lediglich bei der Bauaufsichtsbehörde mindestens einen Monat vor Beginn der Beseitigungsarbeiten anzuzeigen. Weiterhin der Baugenehmigung bedarf gem. § 59 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V die Beseitigung von Anlagen, die als Denkmale in die Denkmallisten eingetragen sind. 134
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der MBO 2002, welche den Bundesländern sechs „Module“ möglicher Genehmigungsfreistellungen von Vorhaben mit unterschiedlicher Reichweite anbietet. Das Modul A geht dabei am weitesten und umfasst alle baulichen Anlagen, mit Ausnahme von Sonderbauten, während Modul F lediglich Wohngebäude der Gebäudeklassen 1 und 2, sonstige bauliche Anlagen, die keine Gebäude sind, und Nebenanlagen von der Genehmigungspflicht ausnimmt. MecklenburgVorpommern hat sich für das relativ weit reichende Modul D entschieden, das sämtliche Wohngebäude bis zur Hochhausgrenze (vgl. § 2 Abs. 4 Nr. 1 LBauO M-V), sonstige baulichen Anlagen, die keine Gebäude sind, sowie Nebengebäude und Nebenanlagen umfasst. Nicht zum Wohnen bestimmte, also insbesondere gewerblich genutzte, Gebäude fallen dagegen unter § 64 LBauO M-V 2006 138. 2. Erweiterung des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens mit beschränktem Prüfumfang Zudem wurde der Anwendungsbereich des – weiterhin in § 63 geregelten – vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens deutlich erweitert, wobei der Prüfungsumfang noch einmal erheblich eingeschränkt worden ist. Auch bezüglich des vereinfachten Genehmigungsverfahrens bietet die MBO 2002 den Ländern sog. Module an, wobei sich die LBauO M-V hier (konsequent) ebenfalls für das Modul D entschieden hat. Das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren findet Anwendung, wenn das Vorhaben nicht unter §§ 61 oder 62 LBauO M-V fällt. Es kommt demnach in Betracht bei a) Wohngebäuden, b) sonstigen baulichen Anlagen, die keine Gebäude sind, und c) Nebengebäuden und Nebenanlagen zu Bauvorhaben nach Buchstaben a) und b), sofern es sich nicht um Sonderbauten gem. § 2 Abs. 4 LBauO M-V handelt. Weitere Voraussetzung ist, dass sich das Vorhaben entweder im Geltungsbereich eines einfachen Bebauungsplans (§ 30 Abs. 3 BauGB) 139, im nicht beplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) oder im Außenbereich nach § 35 BauGB befindet (1. Fallgruppe) oder das Vorhaben zwar „an sich“ die Voraussetzungen einer Genehmigungsfreistellung nach § 62 LBauO M-V erfüllt, die Gemeinde aber gem. § 62 Abs. 2 Nr. 4 LBauO M-V auf der Durchführung eines vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens besteht (2. Fallgruppe). In der Verwaltungspraxis hat sich das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren zum Regelgenehmigungsverfahren entwickelt. So ergab ein 2002 veröffentlichter Erfahrungsbericht zur 1998 novellierten Bayerischen Bauordnung, dass der Anteil der vereinfachten Genehmigungsverfahren 79 % betrug, gegenüber der Genehmigungsfreistellung mit 15% und dem herkömmlichen Verfahren 138 Zu den Einzelheiten des Genehmigungsfreistellungsverfahrens nach § 62 LBauO M-V vgl. Biermann, Die neue Bauordnung Mecklenburg-Vorpommern, S. 15 ff. 139 Befindet sich das Vorhaben im Geltungsbereich eines qualifizierten (§ 30 Abs. 1 BauGB) oder vorhabenbezogenen Bebauungsplans (§§ 30 Abs. 2, 12 BauGB), findet § 62 LBauO M-V Anwendung.
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mit nur 6 % 140. In Mecklenburg-Vorpommern wurden im Jahre 2007 insgesamt 3.602 Baugenehmigungen erteilt 141. Davon betrafen 2.442 die Errichtung von Wohngebäuden, 744 Baumaßnahmen an bestehenden Gebäuden und nur 416 Nichtwohngebäude. Von Januar bis September 2008 wurden 2.659 Baugenehmigungen ausgesprochen, wovon 1.707 Wohngebäude und 658 Baumaßnahmen an bestehenden Gebäuden und nur 294 Nichtwohngebäude betrafen. 818 (31 %) der Verfahren wurden als Genehmigungsfreistellungsverfahren nach § 62 LBauO M-V durchgeführt. Da nur sehr wenige Wohngebäude Sondergebäude i. S. d. § 2 Abs. 4 Nr. 1 LBauO M-V sind, kann man davon ausgehen, dass bei gut 58 % der von Januar bis September 2008 beantragten Baugenehmigungen das Verfahren nach § 63 LBauO M-V (1.547 von 2.659 ohne Berücksichtigung evtl. Sonderbauten) und nur bei ca. 11% (294 von 2.659 Vorhaben) ein Genehmigungsverfahren nach § 64 LBauO M-V durchgeführt wurde. Es ist daher nicht übertrieben, zu behaupten, dass das vereinfachte Verfahren nunmehr das Regelbaugenehmigungsverfahren darstellt und deshalb gesetzessystematisch zu Recht vor dem Verfahren nach § 64 LBauO M-V genannt ist. Das Prüfprogramm der Bauaufsichtsbehörde im vereinfachten Verfahren ist dadurch gekennzeichnet, dass es ausschließlich die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens (§§ 29 bis 38 BauGB), beantragte Abweichungen nach § 67 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 LBauO M-V und andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt oder ersetzt wird, umfasst. Im Vergleich zum bisherigen Prüfprogramm im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren ist die Prüfung in bauplanungsrechtlicher Hinsicht erweitert worden 142, während der Prüfungsumfang hinsichtlich des Bauordnungsrechts nochmals deutlich zurückgenommen wurde. Nach der neuen Landesbauordnung wird – unbeschadet des gem. § 63 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V unberührt bleibenden § 66 LBauO M-V – Bauordnungsrecht im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren überhaupt nicht mehr geprüft. Dies bedeutet nach dem Vorbild der MBO 2002 einen vollständigen Verzicht auf ein Kernstück bisheriger präventiver Kontrolle 143. Von § 63 Abs. 7 LBauO M-V a. F. übernommen wurde in § 63 Abs. 2 Satz LBauO M-V die Genehmigungsfiktion. Über den Bauantrag ist innerhalb von drei Monaten nach Eingang des vollständigen Antrages zu entscheiden; die Baugenehmi140
Saurer, DVBl 2006, S. 605 (606). Statistisches Amt M-V, Statistischer Bericht F 213 2008 09 vom 18. 11. 2008. Dabei sind die Verfahren nach § 62 LBauO M-V einberechnet. Im Jahre 2000 waren es 8.379, im Jahre 2006 nur noch 4.773 Genehmigungen. 142 Nach § 63 Abs. 2 Nr. 3 LBauO M-V a. F. entfiel unter bestimmten Voraussetzungen die Prüfung der Einhaltung der zulässigen Grund- und Geschossfläche und der zulässigen Baumasse, während nunmehr §§ 29 bis 38 BauGB vollumfänglich geprüft werden. 143 Bisher wurde im vereinfachten Verfahren insbesondere das Abstandsflächenrecht, das Stellplatzflächenrecht und die Einhaltung der Vorschriften über das barrierefreie Bauen geprüft; vgl. § 63 Abs. 2 Nr.1 LBauO M-V a. F. 141
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gungsbehörde kann diese Frist – wie bisher – aus wichtigem Grund schriftlich gegenüber dem Bauherrn um bis zu einen Monat verlängern. Wird die Genehmigung nicht innerhalb der maßgeblichen Frist versagt, gilt sie nach § 63 Abs. 2 Satz 2 LBauO M-V als erteilt. Für alle genehmigungsbedürftigen Anlagen, die nicht unter § 63 LBauO M-V fallen, findet das Genehmigungsverfahren des § 64 LBauO M-V Anwendung. In der Praxis wird dieses Verfahren im Wesentlichen nur noch bei Sonderbauten nach § 2 Abs. 4 LBauO M-V sowie bei gewerblich genutzten Immobilien durchgeführt. Das Verfahren knüpft an das herkömmliche Baugenehmigungsverfahren an, modifiziert dieses aber. Im Verfahren nach § 64 LBauO M-V gilt ein eingeschränktes Prüfprogramm, das – insoweit in Übereinstimmung mit § 63 LBauO M-V – das Bauplanungsrecht nach §§ 29 bis 38 BauGB umfasst. Anders als im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren wird gem. § 64 Nr. 2 LBauO M-V allerdings auch das gesamte Bauordnungsrecht geprüft. Sonstige öffentlich-rechtliche Anforderungen werden gem. § 64 Nr. 3 LBauO M-V – anders als bisher – nur noch in das Prüfprogramm des Baugenehmigungsverfahrens einbezogen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt oder ersetzt wird. Nach dem Vorbild der MBO 2002 erfolgt im vereinfachten und „vollen“ Baugenehmigungsverfahren eine Prüfung „baurechtsfremden“ sonstigen öffentlichen Rechts damit nicht mehr gleichsam automatisch, sondern nur noch dann, wenn dessen Prüfung durch das jeweilige Fachrecht dem Baugenehmigungsverfahren zugewiesen wird (sog. „aufgedrängtes öffentliches Recht“). Das jeweilige Fachrecht soll vorgeben, ob seine Prüfung in einem präventiven Kontrollverfahren notwendig ist, und muss entscheiden, ob diese Prüfung in einem eigenständigen fachrechtlichen Verfahren oder im Baugenehmigungsverfahren erfolgen soll. Damit entsteht für das jeweilige Fachrecht ein erheblicher Deregulierungsdruck, muss doch in den jeweiligen Fachressorts beantwortet werden, ob in den bereichsspezifischen Gesetzen an einem eigenständigen präventiven Kontrollverfahren festgehalten oder die Eröffnungskontrolle nunmehr dem mit einer entsprechenden Konzentrationswirkung ausgestatteten Baugenehmigungsverfahren überantwortet werden soll 144. Aus der Baugenehmigung als einer jedenfalls tendenziell umfassenden öffentlich-rechtlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung wird nach diesem Konzept eine – im Kern – rein baurechtliche Genehmigung, welche die Präventivkontrolle des nicht-baurechtsspezifischen Fachrechts nur dann und insoweit übernimmt, wie dieses eine solche Prüfung dem baurechtlichen Genehmigungsverfahren zuweist. Damit zieht die LBauO M-V die rechtspolitische Konsequenz aus der Erfahrung, dass die Anfang der 1990er Jahre eingeleiteten Bauordnungsreformen zwar zu einer erheblichen Reduzierung der baurechtsspezifischen Prüf144
Dazu sogleich unten § 19 A III.
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programme geführt haben, ohne dass das automatisch mittransportierte fremde Fachrecht gleichermaßen auf den Prüfstand gestellt worden wäre 145. 3. Privatisierung der Prüfung bautechnischer Nachweise Mit der neuen Landesbauordnung wurde auch die hoheitliche Prüfung der bautechnischen Nachweise deutlich zurückgenommen und der Grundgedanke der Privatisierung konsequent umgesetzt. Die nunmehr in § 66 LBauO M-V geregelte und völlig neu gestaltete Prüfung der bautechnischen Nachweise ist das Kernstück des Verfahrensrechts der überarbeiteten Landesbauordnung. Der Gesetzgeber stand vor der Aufgabe, diese Prüfung grundlegend neu zu konzipieren. Wegen der Genehmigungsfreistellung in § 62 LBauO M-V und des deutlich zurückgenommenen Prüfprogramms im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach § 63 LBauO M-V entfallen auch zahlreiche präventive Prüfungen von technischen Anforderungen des Bauordnungsrechts 146. Deren Kompensation erfolgt dabei unabhängig von einer Genehmigungsbedürftigkeit des Vorhabens in Abhängigkeit vom Risikopotenzial des Bauvorhabens in einem dreistufigen Sicherungsmodell und wird weitgehend privatisiert 147. Gem. § 66 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V schließt die (allgemeine) Bauvorlageberechtigung nach § 65 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 4 LBauO M-V grundsätzlich auch die Berechtigung zur Erstellung der bautechnischen Nachweise ein, sofern nicht in den nachfolgenden Vorschriften abweichendes bestimmt ist (1. Stufe des Sicherungsmodells). Für Vorhaben mit erhöhtem Risikopotenzial wird in § 66 Abs. 2 LBauO M-V bezüglich bestimmter bautechnischer Nachweise eine zusätzliche oder besondere Qualifikation gefordert (2. Stufe des Sicherungsmodells). So muss gem. § 66 Abs. 2 Satz 1 LBauO M-V der Standsicherheitsnachweis bei Gebäuden der Gebäudeklassen 1 bis 3 und sonstigen baulichen Anlagen, die keine Gebäude sind, von einem sog. qualifizierten Tragwerksplaner erstellt sein. Besondere Anforderungen gelten gem. § 66 Abs. 2 Satz 3 LBauO M-V an den Brandschutznachweis bei bestimmten Bauvorhaben der Gebäudeklasse 4. Er muss von einem sog. qualifizierten Brandschutzplaner erstellt werden, welcher die in § 66 Abs. 2 Satz 3 LBauO M-V aufgezählten Anforderungen erfüllt. Eine bauaufsichtliche Prüfung der bautechnischen Nachweise erfolgt in den Fällen des § 66 Abs. 1 und 2 LBauO M-V nicht (§ 66 Abs. 4 Satz 1 LBauO M-V). 145
Jäde, NVwZ 2003, S. 668 (669). Die bautechnischen Nachweise sind, soweit eine präventive Kontrolle der Vorschriften des Bauordnungsrechts gem. §§ 62 und 63 LBauO M-V entfällt, nicht mehr Bestandteil der nach § 68 Abs. 2 LBauO M-V einzureichenden Bauvorlagen. Die hinsichtlich der bautechnischen Nachweise einzuhaltenden Anforderungen sind daher in § 66 LBauO M-V vom bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren abgekoppelt worden. 147 Näher Biermann, Die neue Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern, S. 23 ff. 146
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Eine präventive Prüfung der bautechnischen Nachweise (3 Stufe des Sicherungsmodells) findet gem. § 66 Abs. 3 LBauO M-V nur noch bei solchen Vorhaben statt, die hinsichtlich der bautechnischen Schwierigkeit und / oder des vorhandenen Risikopotenzials besondere Anforderungen stellen und deshalb ein Festhalten an dem bisherigen „Vier-Augen-Prinzip“ einer präventiven hoheitlichen Prüfung erfordern. Auf der 3. Stufe des Sicherungsmodells sind gem. § 66 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 LBauO M-V die Standsicherheitsnachweise bei Gebäuden der Gebäudeklassen 4 und 5 und gem. § 66 Abs. 3 Nr. 2 LBauO M-V auch die Standsicherheitsnachweise bestimmter sonstiger baulicher Anlagen von der Bauaufsichtsbehörde zu prüfen. Gleiches gilt für Brandschutznachweise bei Sonderbauten nach § 2 Abs. 4 LBauO M-V, Mittel- und Großgaragen im Sinne der gem. § 85 Abs. 1 Nr. 3 LBauO M-V zu erlassenen Garagenverordnung sowie bei Gebäuden der Gebäudeklasse 5. Soweit eine Prüfung der bautechnischen Nachweise nach § 66 Abs. 3 LBauO M-V (ausnahmsweise) weiterhin erforderlich bleibt, belässt es die Landesbauordnung beim System einer hoheitlichen Prüfung durch die Bauaufsichtsbehörde bzw. durch einen in ihrem Auftrag als beliehener Unternehmer hoheitlich tätigen Prüfingenieur für Standsicherheit / Prüfingenieur für Brandschutz und verzichtet auf eine echte Aufgabenprivatisierung. Erwähnenswert im Hinblick auf den Abbau präventiver Kontrollen ist schließlich die Neukonzeption der Bauzustandsbesichtigung in § 82 LBauO M-V, wonach das bisherige System formalisierter Bauabnahmen durch ein System von Anzeigen ersetzt wird. Nunmehr steht es gem. § 82 Abs. 1 LBauO M-V im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde, ob diese verlangt, dass Beginn und Beendigung bestimmter Bauarbeiten angezeigt werden. Das bisherige starre System der Rohbaufertigstellungsanzeige und -abnahme sowie der Fertigstellungsanzeige wird damit durch ein flexibleres System ersetzt, das unabhängig von bestimmten Einschnitten in der Verwirklichung des Bauvorhabens ist. Nach § 82 Abs. 2 Satz 1 LBauO M-V muss der Bauherr die beabsichtigte Aufnahme der Nutzung einer nicht verfahrensfreien baulichen Anlage allerdings der Bauaufsichtsbehörde mindestens zwei Wochen vorher anzeigen. 4. Rechtspolitische Bewertung Der Rückzug des Staates aus der Eröffnungskontrolle im Bauordnungsrecht ist mit einer Reihe von rechtlich problematischen Folgen verbunden. So ist damit zu rechnen, dass mit dem Entfall der präventiven bauordnungsrechtlichen Prüfung bauordnungsrechtliche Verstöße zunehmen werden 148. Aufgrund der dem „Diktat der knappen Kassen“ geschuldeten begrenzten personellen und sachlichen Ressourcen der Bauaufsichtsbehörden besteht zudem die Gefahr, dass 148 Vgl. etwa Koch, NordÖR 2006, S. 56 (57); Ramsauer, NordÖR 2006, S. 282 (283); Wilke, in: Festschrift für Scholz, S. 765 (768 f.).
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zahlreiche Verstöße gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften gar nicht erst entdeckt werden, so dass der Vorwurf nicht ganz von der Hand zu weisen ist, der Gesetzgeber kalkuliere im Interesse einer (vermeintlichen) Verfahrensvereinfachung „sehenden Auges“ das Entstehen baurechtswidriger Zustände ein. Dies gilt umso mehr, als die novellierten Regelungen über die Bauzustandsbesichtigung in § 82 LBauO M-V zu einer weiteren Verringerung der Kontrolltätigkeit der Bauaufsichtsbehörden im Rahmen der Eröffnungskontrolle führen werden. Vor allem bei verfahrensfreien Vorhaben nach § 61 LBauO M-V, bei denen es weder der Einreichung von Bauunterlagen noch überhaupt einer Anzeige bedarf, ist eine Vielzahl unentdeckter Rechtsverstöße zu erwarten. Ob die entstehenden Kontrollverluste durch eine entsprechend intensivierte repressive Überwachungstätigkeit der Bauaufsichtsbehörden adäquat ausgeglichen werden können, erscheint mehr als zweifelhaft 149. Nicht nur der Abbau von Personalstandards, sondern auch die hohen rechtlichen Hürden, die dem Erlass nachträglicher Nutzungsuntersagungsund Beseitigungsverfügungen vor allem in Gestalt der Verhältnismäßigkeitsprüfung 150 entgegenstehen, haben in der Vergangenheit dazu geführt, dass die Bauaufsichtsbehörden wegen des mit der Durchsetzung solcher Verfügungen verbundenen Verwaltungsaufwands und Prozessrisikos nur in sehr zurückhaltender Weise von der Möglichkeit des Erlasses repressiver Bauordnungsverfügungen Gebrauch gemacht haben 151. In jedem Fall ist der Vollzugsaufwand bei der nicht antragsinitiierten nachträglichen Kontrolle schon mit Blick auf die Informationsund Wissensgenerierung der Behörde deutlich erhöht; zudem hat der Bauherr zu diesem Zeitpunkt kein Motiv mehr, den behördlichen Vollzug durch Kooperation zu unterstützen 152. Mit der Ausweitung genehmigungsfreien Bauens, aber auch der Beschränkung des Prüfprogramms im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren ist überdies ein erheblicher Verlust an Rechtssicherheit für den Bauherrn verbunden. Dieser hat nach § 59 Abs. 3 LBauO M-V nunmehr in eigener Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass sein Bauvorhaben allen öffentlichen Vorschriften entspricht und verliert seinen bisher durch die Baugenehmigung vermittelten Bestandsschutz gegenüber bauaufsichtlichen Einschreiten bei materieller Baurechtswidrigkeit bzw. genießt diesen beim vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nur noch im Umfang der präventiv geprüften Vorschriften. Der vordergründig mit dem Abbau präventiver Kontrollen erreichte Freiheitsgewinn ist mit dem Verlust der „umfassenden öffentlich-rechtlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung Baugenehmigung“ teuer erkauft und bürdet dem Bauherrn überdies ein erhöhtes Haftungsrisiko auf, entfällt doch die bisherige Amts- und Staatshaftung bei der 149
Näher Koch, NordÖR 2006, S. 56 (59 mit Fn. 21). Umfassend zur Verhältnismäßigkeitsprüfung beim Erlass von Beseitigungsverfügungen Köhler-Rott, in: Reichel / Schulte, 15/336 ff. 151 Ramsauer, NordÖR 2006, S. 284 (288). 152 Näher Cencik, DÖV 2011, S. 1 (4). 150
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5. Kap.: Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern
Erteilung rechtswidriger Baugenehmigungen 153. Dies ist für den Bauherrn auch nicht ohne weiteres zivilrechtlich zu kompensieren. Zwar haftet ihm der Bauleiter für Schäden, die aus der schuldhaften Nichteinhaltung bauplanungs- und bauordnungsrechtlicher Normen entstehen; dessen Insolvenz- und Unterversicherungsrisiko ist aber vom Bauherrn zu tragen 154. Da zudem eine Beratungspflicht der Baubehörden nur in wenigen Landesbauordnungen ausdrücklich vorgesehen ist 155 und sich eine solche jedenfalls bei verfahrensfreien Vorhaben nach § 61 LBauO M-V auch nicht aus § 25 VwVfG M-V herleiten lässt 156, kann auch auf diesem Wege kein Ausgleich für entfallende Amtshaftungsansprüche hergestellt werden 157. Der somit für den Bauherrn festzustellende Verlust an Rechtssicherheit ist umso weniger hinnehmbar, als die – schon wegen des Zügigkeitsgebots des § 10 S. 2 VwVfG M-V – ohnehin begrenzte Dauer etwaiger baurechtlicher Genehmigungsverfahren für Investoren eher von untergeordneter Bedeutung sein dürfte. Der weitgehende Abbau der präventiven Kontrolle im Bauordnungsrecht erweist sich daher für den Bürger als Danaergeschenk 158. Die bürger- und investorenfreundliche sowie freiheitssichernde Funktion von Genehmigungsverfahren wird grundlegend verkannt 159. Das Konzept des weitgehenden Verzichts auf eine Präventivkontrolle führt überdies zu erheblichen Schwierigkeiten beim zum Nachteil des Nachbarn auf § 123 VwGO verlagerten Rechtsschutz des Drittbetroffenen. Es sollte daher noch einmal grundsätzlich überdacht werden 160. Mit einer verbesserten personellen und sachlichen Ausstattung der Bauaufsichtsbehörden, der Festlegung von Bearbeitungsfristen (ohne Genehmigungsfiktion) 161, der Konzentrationswirkung der Baugenehmigung und der Ausnutzung binnenorganisatorischer Modernisierungspotenziale stehen rechtspolitisch vorzugswürdige Alternativen zur weiteren Beschleunigung des Baugenehmigungsverfahrens bei gleichzeitiger Beibehaltung der Vorteile einer Präventivkontrolle bereit.
153
(140). 154
Ausführlich Labrenz, SächsVBl 2006, S. 129 (133); Seidel, NVwZ 2004, S. 139
Näher Ekardt / Beckmann / Schenderlein, NJ 2007, S. 481 (483). Vgl. §§ 52 Abs. 2 Satz 2 BbgBauO, 65 Abs. 1 Satz 2 NdsBauO und 59 Abs. 1 Satz 2 LBauO Rh-Pf. 156 Ekardt / Beckmann / Schenderlein, NJ 2007, S. 481 (483) und Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 25 Rn. 19. 157 Zur Amtshaftungspflicht für fehlerhafte Auskünfte Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 25 Rn. 19 m.w. N. 158 Nach Wilke, in: Festschrift für Scholz, S. 765 (768) hat die „dem Zeitgeist verpflichtete und Ländergrenzen übergreifende Mode der Privatisierung und Entbürokratisierung zum Rückzug des Staates aus der Bauaufsicht und zu einer weitgehenden Verminderung hoheitlicher Kontrolle geführt“. 159 Ekardt / Beckmann / Schenderlein, NJ 2007, S. 481 (482). 160 Ekardt / Beckmann / Schenderlein, NJ 2007, S. 481 (487). 161 Näher zur Problematik der Genehmigungsfiktionen § 19 B III. 155
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III. Konzentrationswirkung der Baugenehmigung Mit der Konzentrationswirkung des Baugenehmigungsverfahrens enthielt die Baurechtsnovelle 2006 – insofern den Landesbauordnungen Brandenburgs und Hamburgs folgend 162 – eine verfahrensrechtliche Besonderheit. Ziel der Konzentrationswirkung ist es, die zunehmend als Investitionshindernis wahrgenommenen parallelen Anlagenzulassungsverfahren im Baugenehmigungsverfahren zusammenzufassen. Damit soll erreicht werden, dass der Bauherr grundsätzlich neben der Baugenehmigung keine anderen nach Landesrecht vorgeschriebenen anlagenbezogenen Erlaubnisse mehr benötigt. Die Baugenehmigung soll die entscheidende behördliche Freigabe sein, die dazu berechtigt, ein Bauvorhaben „ins Werk zu setzen“. Im Falle parallel durchgeführter Zulassungsverfahren benötigte der Bauherr nach überkommener Rechtslage neben der Baugenehmigung noch andere Gestattungen, etwa wasser- oder naturschutzrechtliche Erlaubnisse, Genehmigungen nach dem Landeswaldgesetz oder straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnisse. Diese Genehmigungsvielfalt konnte dem nicht rechtskundigen Bürger nur schwer vermittelt werden. Die zeitintensive Parallelität nicht miteinander koordinierter Genehmigungsverfahren konnte zu fachrechtlich unterschiedlichen Beurteilungen eines einheitlichen Lebenssachverhalts führen, was die Gefahr divergierender Behördenentscheidungen barg. Vor diesem Hintergrund ist die „Vorhabengenehmigung aus einer Hand“ zu einem der wichtigsten Projekte der Regelungsoptimierung geworden. Mit der (beschränkten) Konzentrationswirkung der Baugenehmigung hat Mecklenburg-Vorpommern in einem so zentralen Bereich wie dem Bauordnungsrecht ein Instrument eingeführt, dass trotz jahrzehntelanger Bewährung im Immissionsschutzrecht erst in den letzten Jahren verstärkte Aufmerksamkeit erfahren hat. Da der Begriff der Konzentrationswirkung gesetzlich nicht definiert ist, bedarf es zum näheren Verständnis der getroffenen Regelungen zunächst einer kurzen Einführung in das Institut der Konzentrationswirkung. 1. Grundsätzliches zur Konzentrationswirkung von Genehmigungen Das vor allem aus § 13 BImSchG, aber auch aus zahlreichen anderen Gesetzen bekannte Instrument der Konzentrationswirkung 163 bezeichnet in unterschiedlicher Terminologie 164 und Ausgestaltungsform Vorkehrungen zur Vereinfachung 162 Vergleichbare Regelungen finden sich in § 67 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BbgBauO und in §§ 62, 72 HmbBauO. Vgl. dazu Koch, NordÖR 2006, S. 56 und Wickel / Bieback, NordÖR 2006, S. 45. 163 Wortgleiche oder ähnliche Formulierungen finden sich etwa in §§ 8 Abs. 2 Satz 1 AtomG, 22 Abs. 1 GentG, 17 Abs. 1 Satz 2 SprengG, 9 Abs. 1 LuftVG. Nach § 75 Abs. 1
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und Beschleunigung von Verwaltungsverfahren durch Ausschaltung von Behördenkonkurrenz. Ziel der Konzentrationswirkung ist die Schaffung der „Vorhabengenehmigung aus einer Hand“, welche die Gefahr divergierender Entscheidungen verschiedener Behörden bannt und das Verfahren beschleunigt, vereinfacht sowie kostengünstiger macht. Eine einheitliche „Integrierte Vorhabengenehmigung“ sollte nach §§ 48 ff. UGB I-RefE auch Kernstück (des abermals gescheiterten) 165 Umweltgesetzbuches sein. Mit dem Begriff der Konzentrationswirkung sind bis heute erhebliche Unsicherheiten verbunden 166, so dass zunächst einige terminologische Klarstellungen erforderlich sind. 2. Arten der Konzentrationswirkung Begrifflich zu unterscheiden sind zunächst die „echte Konzentration“ und die (auch „Zuständigkeitszusammenfassung“ genannte) „unechte Konzentration“. a) Sog. „echte“ Konzentration Bei der „echten Konzentration“ werden im Rahmen der Genehmigung eines Vorhabens mehrere (aber nicht notwendig alle) an sich erforderliche Genehmigungsverfahren zu einem Verfahren zusammengefasst, an dessen Ende der Erlass eines einzigen Verwaltungsaktes durch eine Behörde steht 167. Dieser Verwaltungsakt ersetzt die sonst erforderlichen übrigen Entscheidungen und kann nur als Ganzes angegriffen werden 168. Beispiele für eine „echte“ Konzentration finden sich etwa in §§ 13 BImSchG und in 75 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwVfG M-V. Auch nach den brandenburgischen und hamburgischen Bauordnungen kommt der Baugenehmigung echte Konzentrationswirkung zu (§§ 67 Abs. 1 Satz 2 BbgBauO und 72 Abs. 2 HmbBauO). In Mecklenburg-Vorpommern schloss die Zoogenehmigung nach dem Landeszoogesetz – einem zum 01. 03. 2010 169 aufgehobenen Unikum in der bundesdeutschen Verwaltungslandschaft – die nach anderen Rechtsvorschriften erforderlichen anlagenbezogenen Satz 1, 2. Hs VwVfG M-V sind „... andere behördliche Entscheidungen ... nicht erforderlich. Gem. § 40 Abs. 1 NatSchAG M-V werden „alle für eine Maßnahme erforderlichen Entscheidungen ... in einer einheitlichen behördlichen Genehmigung zusammengefasst (Naturschutzgenehmigung)“. 164 In der Literatur finden sich auch die Begriffe Ersetzungs-, Einschluss-, Bündelungs-, Einheits-, Substitutions-, Absorptions-, Befreiungs- und Verdrändungswirkung; vgl. Buchmann, VBlBW 2007, S. 201 m.w. N. in Fn. 3. 165 Näher unten § 20 A IV 1. 166 Ausführlich Buchmann, VBlBW 2007, S. 201. 167 Jarass, Konkurrenz, S. 50; Odendahl, VerwArch 94 (2003), S. 222 (224). 168 Seibert, in: Landmann / Rohmer, § 13 BImSchG Rn. 33. 169 Näher § 15 E.
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Erlaubnisse, insbesondere Baugenehmigungen und solche nach dem Tierschutzund dem Tierseuchengesetz mit ein und entfaltete somit echte Konzentrationswirkung. Nunmehr ist die Zoogenehmigung § 42 BNatSchG bundesrechtlich geregelt. § 42 Abs. 5 BNatSchG enthält eine Länderöffnungsklausel für die Einführung einer begrenzten Konzentrationswirkung der Zoogenehmigung. Von der Möglichkeit, zu bestimmen, dass die Zoogenehmigung die Erlaubnis nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a und 3 TierSchG mit einschließt, hat Mecklenburg-Vorpommern in § 23 Abs. 2 NatSchAG M-V Gebrauch gemacht. Da im Übrigen die Länder nicht ermächtigt sind, eine weitergehende Konzentrationswirkung anzuordnen, konnte die bislang umfassende Konzentrationswirkung des § 2 Abs. 2 ZooG M-V nicht mehr aufrecht erhalten werden. Stattdessen bestimmt nunmehr § 23 Abs. 2 Satz 2 NatSchAG M-V, dass die dort genannten Entscheidungen gemeinsam mit der Zoogenehmigung erteilt werden und ordnet damit eine unechte Konzentration an. Für den Zoobetreiber sollen die Folgen der Rechtsänderung somit möglichst gering gehalten werden 170. Zudem sieht das Naturschutzrecht Mecklenburg-Vorpommerns seit dem 01. 09. 2006 eine einheitliche Naturschutzgenehmigung 171 vor, in welcher die vielfältigen naturschutzrechtlichen Zulassungs- sowie Ausnahme- und Befreiungstatbestände zusammengefasst sind. Bei der Naturschutzgenehmigung handelt es sich um eine umfassende, fachgesetzliche echte Verfahrenskonzentration. Als Unterarten der „echten Konzentration“ unterscheidet man je nach Blickwinkel zwischen der dominanten und der rezessiven Konzentration 172. aa) Dominante Konzentration Eine dominante Konzentration liegt vor, wenn die Konzentrationsvorschrift anordnet, dass die von ihr geregelte Genehmigung anderen vorgeht. Bei der dominanten lässt sich wiederum die „generell-dominante“ von der „spezielldominanten“ Konzentration unterscheiden. Während erstere vorliegt, wenn die Konzentrationsvorschrift alle oder zumindest die meisten anderen Genehmigungen mit einschließt, entfallen bei der speziell-dominanten Konzentration nur einzelne konkrete und nicht alle anderen Genehmigungen. Beispiele für generell-dominante Konzentrationen sind §§ 13 BImSchG, 75 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwVfG M-V, 22 GentG, 67 Abs. 1 Satz 2 BbgBauO, 72 Abs. 2 HmbBauO 173. 170
Vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/3026. S. 80. § 65b LNatG M-V und seit dem 01. 03. 2010 inhaltlich unverändert §§ 40 bis 42 NatSchAG M-V. 172 Näher Jarass, Konkurrenz, S. 51; Odendahl, VerwArch 94 (2003), S. 222 (225; 228). 173 Da bei §§ 67 Abs. 1 Satz 2 BbgBauO, 72 Abs. 2 HmbBauO weiterhin einzelne Genehmigungen separat zu erteilen sind, spricht man hier auch von „begrenzter oder beschränkter“ Konzentration; vgl. Buchmann, VBlBW 2007, S 201 (202). 171
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§ 8 Abs. 2 Satz 1 AtomG, wonach die atomrechtliche Genehmigung allein die immissionsschutzrechtliche Genehmigung mit einschließt, ordnet hingegen eine „speziell-dominante“ Konzentration an. bb) Rezessive Konzentration Eine rezessive Konzentration liegt vor, wenn eine Rechtsvorschrift bestimmt, dass die in ihr geregelte Genehmigung hinter einer anderen Genehmigung zurücktritt oder von einer solchen erfasst wird. Eine „rezessive Konzentration“ ordnet § 60 LBauO M-V an. Generell-rezessive Konzentrationen finden sich auch in § 22 Abs. 7 StrWG M-V, wonach die Sondernutzungserlaubnis hinter die straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigungen nach §§ 29 Abs. 2, 46 StVO zurücktritt, oder in § 7 Abs. 6 DSchG M-V, welcher die Subsidiarität der denkmalschutzrechtlichen Genehmigung gegenüber allen anderen öffentlichrechtlichen Zulassungsentscheidungen anordnet. b) Sog. „unechte“ Konzentration Von der „echten“ Konzentration unterscheidet sich die (auch „Zuständigkeitszusammenfassung“ 174, Zuständigkeitskonzentration“ 175, „Behördenkonzentration“ oder „Zuständigkeitsbündelung“ genannte 176) „unechte“ Konzentration dadurch, dass hier nicht nur eine einzige Genehmigung in einem Verfahren von einer Behörde erlassen wird, sondern dass alle Einzelgenehmigungen rechtlich selbständig nebeneinander bestehen bleiben 177. Anders als bei der echten Konzentration wird das Verwaltungsverfahren durch zwei (oder mehr) Verwaltungsakte abgeschlossen. Mit der Zuständigkeitszusammenfassung wird lediglich angeordnet, dass alle von ihr erfassten Genehmigungen in jeweils eigenen Genehmigungsverfahren durch eine Behörde erlassen werden; so dass die „unechte Konzentration“ ausschließlich die Zuständigkeit bündelt 178. Im Verfahren selbst gelten dann aber die jeweiligen Verfahrensvorschriften und Genehmigungsvoraussetzungen der einzelnen Genehmigungen 179. Die unechte Konzentration greift kürzer als die echte Konzentration, welche als minus immer auch eine Zuständigkeitszusammenfassung enthält 180. 174
Jarass, Konkurrenz, S. 52. Laubinger, VerwArch 77 (1986), S. 77 (80); Knuth, LKV 2004, S. 193 (200); Hösch, NVwZ 2006, S. 665. 176 Nachweise bei Buchmann, VBlBW 2007, S. 201 (202). 177 Odendahl, VerwArch 94 (2003), S. 222 (235). 178 Becker, VerwArch 87 (1996), S. 581 (599); Jarass, Konkurrenz, S. 52; Odendahl, VerwArch 94 (2003), S. 222 (235). 179 Laubinger, VerwArch 77 (1986), S. 77 (80); Knuth, LKV 2004, S. 193 (200). 175
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Eine „unechte Konzentration“ findet sich in zahlreichen Fachgesetzen; als bundesrechtliches Beispiel ist etwa §§ 19 Abs. 1 und 2 WHG zu nennen. Die unechte Konzentration stellt für den Gesetzgeber ein Alternativkonzept zur echten Konzentration dar, mit dem ein Teil der Ziele der Konzentrationswirkung, beispielsweise die Widerspruchsfreiheit von Entscheidungen, erreicht werden kann. 3. Konzentrationswirkung des Baugenehmigungsverfahrens in Mecklenburg-Vorpommern In Mecklenburg-Vorpommern wird die Konzentrationswirkung des Baugenehmigungsverfahrens – anders als in Brandenburg und Hamburg – nicht in der Landesbauordnung selbst, sondern in den einschlägigen Fachgesetzen angeordnet. Im Rahmen der Baurechtsnovelle 2006 wurden das LWaG M-V 181, das LNatG M-V 182 und das StrWG M-V 183 entsprechend geändert. Bereits durch das Erste Gesetz zur Änderung des Landeswaldgesetzes vom 18. 01. 2005 184 und das 1. DeregG 185 wurde der Baugenehmigung eine Konzentrationswirkung 180
Buchmann, VBlBW 2007, S. 201 (202). § 113a LWaG M-V („Konzentrationswirkung“) hat folgenden Wortlaut: „Über Genehmigungen und Ausnahmegenehmigungen nach §§ 52 Abs. 1 Satz 2, 53 Abs. 5 und § 78 Abs. 2 bis 4 des Wasserhaushaltsgesetzes sowie nach § 74 Abs. 3, 136 Abs. 3 und § 137 Abs. 2 entscheidet gleichzeitig mit Erteilung der Baugenehmigung die Bauaufsichtsbehörde im Einvernehmen mit der Wasserbehörde, wenn das Vorhaben einer Baugenehmigung bedarf. In den übrigen Fällen schließt die wasserrechtliche Genehmigung die Baugenehmigung ein.“ 182 Vgl. nunmehr § 42 Abs. 1 Satz 1 NatSchAG M-V. Danach wird die in § 40 NatSchAG M-V geregelte Naturschutzgenehmigung durch die Bauaufsichtsbehörde im Einvernehmen mit der zuständigen Naturschutzbehörde erteilt, wenn es sich bei dem Vorhaben um eine bauliche Anlage handelt, die einer Baugenehmigung bedarf. Näher Bugiel, in: Sauthoff / Bugiel / Göbel, NatSchAG M-V, Einl. Rn. 84n ff.; Sauthoff, NordÖR 2006, S. 323 (333). 183 In § 22 Abs. 1 StrWG M-V, der die Erteilung der straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis regelt, wurde folgender Satz 4 angefügt: „Die Erlaubnis nach Satz 1 erteilt die Bauaufsichtsbehörde im Einvernehmen mit dem Träger der Straßenbaulast, wenn es sich bei der Sondernutzung um bauliche Anlagen handelt, die einer Baugenehmigung bedürfen. In § 31 Abs. 3 Satz 1 StrWG M-V, der Ausnahmegenehmigungen von straßenrechtlichen Anbauverboten regelt, wurde folgender Satz 2 angefügt: „Die Entscheidung trifft die Bauaufsichtsbehörde, wenn es sich um bauliche Anlagen handelt, die einer Baugenehmigung bedürfen. 184 GVOBl. M-V 2005, S. 34. Gem. § 20 Abs. 2 Satz 2 LWaldG wird bei genehmigungsbedürftigen baulichen Anlagen eine Ausnahmegenehmigung zur Nichteinhaltung des Waldabstandsgebots von der Bauaufsichtsbehörde im Einvernehmen mit der Forstbehörde erteilt. 185 GVOBl. M-V 2005, S. 535. Ausnahmegenehmigungen nach § 29 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 4 Satz 2 LWaldG werden, soweit sie genehmigungsbedürftige bauliche Anlagen betreffen, von der Bauaufsichtsbehörde im Einvernehmen mit der Forstbehörde erteilt. 181
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in Bezug auf waldrechtliche Gestattungen zugewiesen. Schon immer kam der Baugenehmigung gem. § 7 Abs. 6 DSchG M-V eine Konzentrationswirkung hinsichtlich der denkmalschutzrechtlichen Genehmigung und dem mittlerweile durch die Naturschutzgenehmigung nach § 40 ff. NatSchAG M-V ersetzten Genehmigungsverfahren bei der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung gem. § 16 Abs. 2 LNatG M-V a. F. zu 186. Das Baugenehmigungsverfahren mit Konzentrationswirkung umfasst alle bisher nach dem jeweiligen Fachrecht vorgeschriebenen anlagenbezogenen behördlichen Erlaubnisse bzw. Genehmigungen, wobei die materiellrechtlichen Anforderungen an die Anlage weder verdrängt noch in ihrem Geltungsbereich gemindert werden 187. Die jeweils erforderliche fachrechtliche Genehmigung wird in diesen Fällen gleichzeitig mit Erteilung der Baugenehmigung durch die Bauaufsichtsbehörde im Einvernehmen mit der jeweils zuständigen Fachbehörde erteilt. a) Vorliegen einer „unechten“ Konzentration Nach dem jeweils eindeutigen Wortlaut der §§ 113a LWaG M-V, 40 Abs. 1 Satz 1 NatSchAG M-V, 22 Abs. 1 Satz 4 StrWG M-V sowie 20 Abs. 2 Satz 2, 29 Abs. 1 Satz 3, Abs. 4 Satz 2 LWaldG M-V handelt es sich bei der Konzentrationswirkung des Baugenehmigungsverfahrens um eine unechte Konzentration, bei der alle Einzelgenehmigungen rechtlich selbständig nebeneinander bestehen bleiben. Alle Vorschriften ordnen an, dass die jeweilige Fachgenehmigung weiterhin zu erteilen ist, verlagern die Zuständigkeit für diese Entscheidung allerdings im Interesse der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung auf die Bauaufsichtsbehörde. In den einschlägigen Vorschriften wird gerade nicht bestimmt, dass die Baugenehmigung die Naturschutzgenehmigung, die Sondernutzungserlaubnis, die Waldabstandsgenehmigung sowie die wasserrechtliche Erlaubnis mit „einschließt“ oder „ersetzt“ 188, wie dies den üblichen Formulierungen bei den (dem Landesgesetzgeber bekannten) echten Konzentrationsvorschriften entspricht. Eine grammatikalische Auslegung lässt nur eine Interpretation der Vorschriften im Sinne einer bloßen Zuständigkeitskonzentration im Baugenehmigungsverfahren zu. Gestützt wird dieser Befund auch durch einen systematischen Vergleich mit § 7 Abs. 6 Satz 1 DSchG M-V, der eine echte generell- rezessive Konzentration der Denkmalschutzgenehmigung anordnet 189. Auch wäre die gem. § 42 Abs. 1Satz 2 NatSchAG M-V verbleibende Verfahrensver186
Näher Dürr / Sauthoff, Baurecht Mecklenburg-Vorpommern, Rn. 1046 f. Landtag M-V, LTDrs 4/1818, S. 87. 188 Bugiel, in: Sauthoff / Bugiel / Göbel, NatSchAG M-V, Einl. Rn. 84 q. 189 In § 7 Abs. 6 Satz 1 DSchG M-V heißt es: „Erfordert die genehmigungspflichtige Maßnahme nach anderen gesetzlichen Bestimmungen eine Planfeststellung, Genehmigung, Erlaubnis, Bewilligung, Zulassung oder Zustimmung, so ersetzt diese Entscheidung die Genehmigung nach Absatz 1.“ 187
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antwortung der zuständigen Naturschutzbehörde für eine vorgeschriebene Verbandsbeteiligung nicht erklärbar, würde die Baugenehmigung die Naturschutzgenehmigung mit umfassen. In diesem Fall hätte es nahe gelegen, auch die Durchführung der Verbandsbeteiligung in die Hände der Bauaufsichtsbehörde zu legen 190. Anders als in Hamburg und Brandenburg, in deren Bauordnungen das Konzept der echten Konzentration verfolgt wird 191, beschränkt sich Mecklenburg-Vorpommern nach alledem auf eine bloße Zuständigkeitskonzentration. Die Bauaufsichtsbehörden haben in den Fällen der Konzentrationswirkung weiterhin mehrere Genehmigungen zu erteilen, wobei die Erteilung der jeweiligen fachrechtlichen Genehmigung des Einvernehmens der jeweiligen Fachbehörden bedarf. b) Unechte Konzentration „wider Willen“? Ob sich der Gesetzgeber seiner Entscheidung für eine unechte Konzentration in voller Tragweite bewusst war, erscheint indes zweifelhaft. Dass die Landesregierung vielmehr beabsichtigte, eine echte (speziell-dominante) Verfahrenskonzentration zu schaffen, lassen einige – allerdings in sich nicht widerspruchsfreie – Passagen aus der Gesetzesbegründung der LBauO M-V vermuten 192. So heißt es in der Allgemeinen Begründung zu den mit der Baurechtsnovelle verfolgten Zielen: „Zugleich soll die Konzentrationswirkung des Baugenehmigungsverfahrens hergestellt werden, um zu erreichen, dass ein Bauherr neben der Baugenehmigung 193 keine anderen nach Landesrecht vorgeschriebenen Erlaubnisse einholen muss. Die Baugenehmigung soll die entscheidende behördliche Freigabe sein, die einen Bauherrn berechtigt, ein Bauvorhaben ins Werk zu setzen.“ 194 Dies legt nahe, dass der Baugenehmigung die Funktion einer umfassenden behördlichen Freigabeerklärung zuerkannt werden sollte, neben der andere anlagenbezogene Erlaubnisse nicht mehr eingeholt werden müssen. Widersprüchlich sind in diesem Zusammenhang dann allerdings die auf der folgenden Seite gemachten Ausführungen, wonach „durch die Änderung einzelner Fachgesetze des Landes ... erreicht (werden soll), dass dem Baugenehmigungsverfahren 195 eine Konzentrationswirkung zukommt und somit ein Bauherr neben der Baugenehmigung keine anderen nach Landesrecht vorgeschriebenen anla190
Bugiel, in: Sauthoff / Bugiel / Göbel, NatSchAG M-V, Einl. Rn. 87 r. Zur Hamburger Konzeption Wickel / Bieback, NordÖR 2006, S. 45 (50), welche die Konzentrationswirkung als „moderne Verwaltungsdienstleistung“ begrüßen. Von einem „fast singulären und durchaus fragwürdigen Weg“ spricht dagegen Koch, NordÖR 2006, S. 56 (57). 192 So auch Bugiel, in: Sauthoff / Bugiel / Göbel, NatSchAG M-V, Einleitung Rn. 84 q. 193 Hervorhebung durch den Verfasser. 194 Landtag M-V, LTDrs 4/1810, S. 1. 195 Nicht der Baugenehmigung! (Hervorhebung durch den Verfasser). 191
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genbezogenen Erlaubnisse mehr einholen muss. Die jeweilige fachrechtliche Genehmigung wird mit der Baugenehmigung durch die Bauaufsichtsbehörde im Einvernehmen mit der Fachbehörde erteilt. Die Baugenehmigung wird der „Schlüssel“ zur Baufreigabe eines Vorhabens“ 196. Wenn die jeweilige fachrechtliche Genehmigung durch die Bauaufsichtsbehörde im Einvernehmen seitens der Fachbehörde mit der Baugenehmigung erteilt wird, ist es unzutreffend, dass ein Bauherr neben der Baugenehmigung keine anderen nach Landesrecht vorgeschriebenen anlagenbezogenen Erlaubnisse mehr einholen muss. Er bedarf vielmehr weiterhin der jeweiligen fachrechtlichen Genehmigung, die allerdings gemeinsam mit der Baugenehmigung durch die Bauaufsichtsbehörde im Einvernehmen mit der Fachbehörde erteilt wird. Somit wird auch nicht „die Baugenehmigung“ der „Schlüssel zur Baufreigabe eines Vorhabens“, sondern der erfolgreiche Abschluss zweier (oder mehrerer) bei der Bauaufsichtsbehörde konzentrierter Genehmigungsverfahren. Ebenso widersprüchlich sind die Detailbegründungen: So heißt es zum Verhältnis der Naturschutz- zur Baugenehmigung: „§ 65d (LNatG M-V) regelt, in welchen Fällen die Naturschutzgenehmigung in der Baugenehmigung konzentriert wird. Absatz 1 Satz 1 soll bewirken, dass die Naturschutzgenehmigung – soweit sie bauliche Anlagen betrifft – so gefasst wird, dass sie mit der Baugenehmigung 197 durch die Bauaufsichtsbehörde im Einvernehmen mit der Naturschutzgenehmigung 198 erteilt wird. Damit entfällt in diesen Fällen die Erteilung einer eigenständigen 199 naturschutzrechtlichen Genehmigung. Das Baugenehmigungsverfahren enthält in Bezug auf das naturschutzrechtliche Genehmigungsverfahren Konzentrationswirkung. In den Fällen, in denen die Naturschutzbehörde das Einvernehmen aus naturschutzrechtlichen Gründen versagt, stehen diese materiellrechtlich zu beachtenden Gründe der Erteilung der Baugenehmigung 200 entgegen, sie muss versagt werden“ 201. Ein Studium der Gesetzgebungsmaterialien legt allerdings die Vermutung nahe, dass die Landesregierung „eigentlich“ eine echte Konzentration der Baugenehmigung einführen wollte. Diese Einschätzung wird durch die in der BauGeb196
Landtag M-V, LTDrs 4/1810, S. 2. Diese Wendung stützt die These, dass mehrere separate Zulassungsentscheidungen zu treffen sind. 198 Hierbei handelt es sich um ein Redaktionsversehen; gemeint ist die Naturschutzbehörde. 199 Offen bleibt, was unter eigenständig zu verstehen ist. 200 Hier wird der Wille der Landesregierung, eine „echte“ Verfahrenskonzentration einzuführen, deutlich. Offenbar sollen nicht zwei Genehmigungen, sondern nur eine Baugenehmigung erteilt werden. 201 Landtag M-V, LTDrs 4/1810, S. 193. Vergleichbare Ausführungen finden sich auf Seite 194 zum Verhältnis der Baugenehmigung zu den Genehmigungen nach §§ 22 und 31 Abs. 3 StrWG M-V. 197
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VO M-V 202 gewählten Formulierungen bestätigt. Nach Ziffer 1.1.3 des als Anlage 1 zu § 1 BauGebVO M-V beigefügten Gebührenverzeichnisses werden Zuschläge „für in der Baugenehmigung enthaltene, ansonsten gebührenpflichtige Entscheidungen anderer Behörden“ festgesetzt. Jedenfalls das verordnungsgebende Ministerium für Arbeit, Bau und Landesentwicklung ging also offenbar vom Vorliegen einer echten Konzentrationswirkung der Baugenehmigung aus. Sollte auch der Gesetzgeber eine solche Absicht gehabt haben, ist diese im Gesetzeswortlaut allerdings nicht mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen 203. Der die Grenze einer zulässigen Auslegung markierende eindeutige Wortlaut der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften 204 lässt einzig die Auslegung als unechte Konzentrationsnormen zu. Der Bescheid der Bauaufsichtsbehörde muss in den Fällen der Zuständigkeitskonzentration nach §§ 113a LWaG M-V, 42 NatSchAG M-V, 22 Abs. 1 Satz 4 StrWG M-V sowie 20 Abs. 2 Satz 2, 29 Abs. 1 Satz 3, Abs. 4 Satz 2 LWaldG M-V (mindestens) zwei Zulassungsentscheidungen enthalten. Insofern gehen die Regelungen in Ziffer 1.1.3 der Anlage 1 zu § 1 der BauGebVO M-V „schlicht ins Leere“ 205 und sollten aufgehoben werden. c) Rechtspolitische Bewertung aa) Grundsätzliche Bewertung der Konzentrationswirkung von Genehmigungen Die in breitem politischen Konsens 206 eingeführte „Baugenehmigung aus einer Hand“ folgt dem Gedanken, Verfahrensabläufe nicht mehr primär aus der Sicht der organisatorischen Strukturen der Verwaltung zu gestalten und stattdessen ein dem Gebot der Zügigkeit verpflichtetes Genehmigungsverfahren bei einer Anlaufstelle zu entwickeln 207. Diese Idee setzt Forderungen um, die seit vielen Jahren an die Exekutive gestellt werden. Deshalb hat die Deregulierungskommission Mecklenburg-Vorpommern 2003 die Dauer der Verwaltungsverfahren, die 202
Verordnung über die Gebühren und Auslagen für Amtshandlungen der Bauaufsicht (Baugebührenverordnung – BauGebVO M-V) vom 10. Juli 2006; GVOBl. M-V 2006, S. 588. 203 Bugiel, in: Sauthoff / Bugiel / Göbel, NatSchAG M-V, Einl. Rn. 84 q. 204 Nach BVerfGE 92, 12 markiert der mögliche Wortsinn „die äußerst zulässige Grenze zulässiger richterlicher Interpretation“. Vgl. auch Larenz / Canaris, S. 143 (163 f.); Schmalz, Rn. 234 ff. 205 Zutreffend Bugiel, in: Sauthoff / Bugiel / Göbel, NatSchAG M-V, Einl. Rn. 84q wonach bezüglich der Naturschutzgenehmigung eine Gebührenentscheidung auf Grundlage der Naturschutzkostenverordnung zu treffen ist. Auch bei den sonstigen fachrechtlichen Zulassungsentscheidungen findet nur das jeweilige Fachkostenrecht Anwendung. 206 Vgl. Landtag M-V, Plenarprotokoll 4/64, S. 3736 ff. 207 Näher Lindner, BayVBl 2004, S. 225 (231) und Dietz, DÖV 2005, S. 772.
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bei komplexeren Vorhaben häufig erforderliche Antragstellung bei verschiedenen Stellen an unterschiedlichen Orten, die Kompliziertheit der Antragsunterlagen und die nachträgliche Anforderung ergänzender Unterlagen als zentrale Kritikpunkte der Bürger an den Verwaltungsverfahren ausgemacht und eine Vielzahl von Vorschlägen zur Vereinfachung und Beschleunigung von Genehmigungsund Überwachungsverfahren unterbreitet 208. In der Tat ist es einem juristisch nicht vorgebildeten Laien nur schwer vermittelbar, wenn ein Gastwirt, der im denkmalgeschützten Altstadtensemble einer mecklenburgischen Kleinstadt wie Güstrow eine Gaststätte betreiben und auf dem Gehweg einige Stühle und Tische aufstellen will, ggf. vier oder mehr Erlaubnisse teils unterschiedlicher Behörden benötigt 209. Der Umgang mit verschiedenen Ansprechpartnern in den Behörden kostet Zeit, Nerven und Geld und ist verwaltungsökonomisch wenig sinnvoll. Genehmigungsverfahren zu konzentrieren ist daher ein richtiger Ansatz, um Verwaltungsverfahren zu optimieren. Eine Konzentration von Genehmigungsverfahren ist auch allemal überzeugender als die Einschaltung eines „Behördenlotsen“, „Verfahrensmanagers“ oder „Genehmigungsagenten“ 210, welcher den Bürger durch das „Dickicht der Verwaltung“ führt. Ein klar strukturiertes Verfahren macht einen speziellen Lotsen durch unproduktive und zersplitterte Verfahren entbehrlich 211. Zudem entspricht ein konzentriertes Genehmigungsverfahren auch dem von der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie geforderten „einheitlichen Ansprechpartner“ für Dienstleistungserbringer 212. Während die mit der Einführung der Konzentrationswirkung verbundenen dogmatischen Probleme den Rechtssuchenden weniger interessieren dürften, ist zu erwarten, dass die „Genehmigungserteilung aus einer Hand“ im Baugenehmigungsverfahren zu erheblichen Akzeptanzgewinnen beim Bauherrn führen wird. Rechtsunsicherheiten durch divergierende und nicht aufeinander abgestimmte Behördenentscheidungen werden vermieden. Auch die vor allem durch die Einvernehmensfiktion des § 69 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V erreichte Verfahrensbeschleunigung ist rechtspolitisch zu begrüßen.
208
Christiansen / Voß, LKV 2004, S. 529 (531 ff.). Beispiel nach Dietz, DÖV 2005, S. 772: Gaststättenerlaubnis, Baugenehmigung bei Nutzungsänderung des Gebäudes, ggf. denkmalschutzrechtliche Genehmigung, Sondernutzungserlaubnis nach Straßen- und Wegerecht bzw. straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung. 210 Zu entsprechenden Überlegungen in Bayern Dietz, DÖV 2005, S. 772 (778). 211 Nach Christiansen / Voß, LKV 2004, S. 529 (531) kommt ein „Behördenlotse“ allenfalls als „denkbare Zwischenlösung“ in Betracht. 212 Näher zur Dienstleistungsrichtlinie § 19 C. 209
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bb) Unechte oder echte Konzentration als Königsweg im Bauordnungsrecht? Im Hinblick auf die mit der Novellierung der LBauO M-V verfolgten Vereinfachungsbestrebungen vermag es zunächst als unbefriedigend erscheinen, wenn man die Bauaufsichtsbehörden weiterhin für verpflichtet hält, mehrere selbständige Erlaubnisse zu erteilen. Dass diese zwei oder mehr nur äußerlich in einem Bescheid zusammengefasste Verwaltungsakte erteilt, die getrennt und – wegen der sofortigen Klagemöglichkeit gegen die Verweigerung der Baugenehmigung nach § 13a Nr. 3 AGGStrG M-V – sogar mit unterschiedlichen Rechtsbehelfen angefochten werden können, macht die zu erstellenden Bescheide relativ fehleranfällig und führt auch zu einer Verkomplizierung des Rechtsschutzes. Der Gesetzgeber hätte es daher in der Hand, die einschlägigen Fachgesetze nach dem Vorbild von § 13 BImSchG bzw. § 7 Abs. 6 DSchG M-V zu ändern und eine echte Konzentration der Baugenehmigung einzuführen. Rechtspolitisch sinnvoller erscheint es allerdings, an der (möglicherweise nolens volens eingeführten) bloßen Zuständigkeitsbündelung mehrerer Genehmigungsverfahren bei der Bauaufsichtsbehörde festzuhalten. Für die Beibehaltung getrennter Erlaubnisse spricht vor allem die unterschiedliche dogmatische Struktur der verschiedenen Zulassungsentscheidungen. So handelt es sich bei der Baugenehmigung um eine gebundene Kontrollerlaubnis, auf deren Erteilung bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 72 Abs. 1 LBauO M-V ein Anspruch besteht. Die Erteilung der straßenrechtlichen Erlaubnisse nach §§ 22 Abs. 1 und 31 Abs. 3 StrWG M-V sowie der in § 113a LWaG M-V aufgeführten wasserrechtlichen Zulassungen steht dagegen im Ermessen der zuständigen Behörde. Zudem darf die Sondernutzungserlaubnis mit Ausnahme der in § 26 StrWG M-V geregelten Fälle gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 StrWG M-V grundsätzlich nur auf Zeit oder auf Widerruf erteilt werden. Die Erteilung einer Baugenehmigung mit einem Widerrufsvorbehalt ist dagegen in § 72 Abs. 4 LBauO M-V nicht vorgesehen und schon im Hinblick auf Art. 14 GG grundsätzlich ausgeschlossen. Entsprechendes gilt im Regelfall auch für die Befristung der Baugenehmigung, die in § 72 Abs. 4 LBauO M-V aber immerhin als Möglichkeit vorgesehen ist. Im Falle der echten Konzentration würden zudem nur die Vorschriften des mit Konzentrationswirkung ausgestatteten Genehmigungsverfahrens angewandt werden. Das hätte zur Folge, dass die Genehmigungsbehörde nicht an die Verfahrensvorschriften der eingeschlossenen Genehmigungen gebunden wäre 213. Dies ist in Mecklenburg-Vorpommern ausweislich § 42 Abs. 1 213
Das führt zur Hinfälligkeit der Beteiligungsrechte im verdrängten Verfahren. Naturschutzverbände sind daher nicht mehr an der Entscheidung gem. §§ 40, 42 HmbNatG bzw. 63 Abs. 3 BbgNatG zu beteiligen, wenn eine naturschutzrechtliche Entscheidung von der Baugenehmigung erfasst wird. Vgl. Wickel / Bieback, NordÖR 2006, S. 45 (46); Hecker, BauR 2006, S. 629 (634); Knuth, LKV 2004, S. 193 (201). Auch BVerwG, NVwZ
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Satz 2 NatSchAG M-V, wonach die zuständige Naturschutzbehörde das Mitwirkungsverfahren nach § 63 BNatSchG und nach § 30 NatSchAG M-V durchzuführen hat, gerade nicht gewollt. Eine unechte Konzentration vermeidet schließlich Probleme, die sich bezüglich der Reichweite der echten Konzentration stellen können und für die Stichworte wie Kettenkonzentration 214, Reichweite der Konzentrationswirkung im Verhältnis von Sach-, Personal- und gemischten Konzessionen 215 sowie das Verhältnis von bundesrechtlichen Genehmigungen bei landesrechtlich angeordneter Konzentration genügen mögen 216. Die weniger fehleranfällige unechte Konzentration ist nach alledem für das Baugenehmigungsverfahren das geeignete Reforminstrument, da viele der mit echten Konzentrationen verbundenen Problemlagen entfallen 217. Als relativ einfaches und rechtlich weitgehend unkompliziertes Instrument erweist sich die unechte Konzentration im Bauordnungsrecht, das im Vergleich zum Anlagenzulassungsrecht im Umweltrecht durch weniger komplexe Vorhaben gekennzeichnet ist, als „Königsweg“. Sie gewährleistet in ausreichendem Maße Verfahrensbeschleunigung und Rechtssicherheit durch Gewährleistung widerspruchsfreier Entscheidungen. Die unechte Konzentration im Baugenehmigungsverfahren ist auch gegenüber einem „von der Bauaufsichtsbehörde einzusammelnden Genehmigungsbündel“ ohne deren Alleinentscheidungskompetenz vorzugswürdig. Bei diesem von Hans-Joachim Koch für Hamburg vorgeschlagenen Alternativmodell 218 ist zunächst fraglich, ob es widerspruchsfreie Entscheidungen zu gewährleisten vermag und der gewünschte Beschleunigungseffekt tatsächlich erreicht wird. Trotz fortschreitender elektronischer Kommunikation lässt auch die Großräumigkeit der Verwaltung die Geeignetheit eines solchen Modells für ein Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern fraglich erscheinen. Auch eine bloße Federführung durch eine Behörde oder die Staffelung von Genehmigungsverfahren vermögen eine rechtssichere Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung nicht in gleichem Maße zu gewährleisten wie die unechte Konzentration 219.
2003, S. 750 (751 lehnt eine Beteiligung von Naturschutzverbänden im immissionsschutzrechtlichen Verfahren ab. 214 Vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1989, S. 678. Als Kettenkonzentration wird eine Kette von Normen bezeichnet, die jeweils eine Konzentrationswirkung anordnen, so zu einer mittelbaren oder verdeckten Konzentration führen und den Blick auf die Reichweite der Konzentrationswirkung zunächst verschleiern. 215 Näher Buchmann, VBlBW 2007, S. 201 (205). 216 Nach Buchmann, VBlBW 2007, S. 201 (205) verbieten es bereits Art. 70 ff GG, bundesgesetzlich geregelte Genehmigungen in eine landesrechtliche Konzentrationswirkung einzuschließen. 217 Odendahl, VerwArch 94 (2003), S. 222 (235). 218 Koch, NordÖR 2006, S. 56 (57). 219 Odendahl, VerwArch 94 (2003), S. 222 (247).
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Den Bauaufsichtsbehörden wird durch die dortige Konzentration der Verfahren allerdings eine besondere Koordinationsverantwortung zugewiesen, welche zu einem höheren Verwaltungsaufwand führt. Die mit der Konzentration verbundenen sachlichen Anforderungen bedingen zudem einen erheblichen Einsatz an Personal- und Sachmitteln und mögen auch organisatorische Umstrukturierungen erforderlich machen, um das Modell zum Erfolg zu führen 220. Nicht zuletzt deshalb ist der Abbau von Mindestpersonalstandards in den Bauaufsichtsbehörden in § 57 Abs. 3 LBauO M-V problematisch. IV. Vereinfachung des materiellen Bauordnungsrechts Ein wesentliches Ziel der Baurechtsnovelle 2006 war auch die Vereinfachung des technischen Bauordnungsrechts Die entsprechenden Vorschriften wurden durch den Verzicht auf allzu engmaschige Detailregelungen gestrafft und so übersichtlicher und lesbarer gestaltet. Gleichzeitig sollten die materiellrechtlichen Anforderungen an bauliche Anlagen auf ein „sicherheitsrechtliches Minimum“ zurückgeschraubt und das Bauordnungsrecht weitgehend auf ein klassisches Recht der Gefahrenabwehr zurückgeführt werden. Die bisherige Funktion der LBauO M-V, auch soziale, gestalterische und ökologische Standards zu gewährleisten, wurde in Anlehnung an die MBO 2002 deutlich zurückgenommen. Exemplarische Beispiele für die Deregulierung des materiellen Bauordnungsrechts sind die Einteilung der Gebäude in Gebäudeklassen, die grundlegende Neukonzipierung und Vereinfachung des Brandschutzkonzepts, die Verminderung der Anforderungen an Aufenthaltsräume und Wohnungen, die Vereinfachung des Abstandsflächenrechts bei gleichzeitiger Absenkung der Mindestabstandsflächen sowie die Kommunalisierung des Stellplatzrechts 221.
B. Beschleunigung von Verwaltungsverfahren durch Verfahrens- und Entscheidungsfristen I. Kategorien von Fristtypen Ein in den letzten Jahren in den Mittelpunkt des rechtswissenschaftlichen Interesses gerücktes Instrument zur Beschleunigung von Verwaltungsverfahren sind behördliche Begründungs-, Mitwirkungs- und Entscheidungsfristen. Derartige Fristen findet man im Verwaltungsverfahrensrecht von Bund und Ländern in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen. Ein systematischer Überblick über 220 Aus diesem Grunde skeptisch hinsichtlich der Baugenehmigung mit Konzentrationswirkung in der Hamburger Landesbauordnung Koch, NordÖR 2006, S. 56 (57). 221 Näher Biermann, Die neue Bauordnung Mecklenburg-Vorpommern, S. 3 ff.
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die verschiedenen Fristen ist deshalb nur zu erlangen, wenn die Regelungsvielfalt nach verschiedenen Klassifizierungsmerkmalen geordnet wird. Die verschiedenen Fristen lassen sich nach dem Grad ihrer Verbindlichkeit sowie ihrem Urheber in verschiedene, miteinander kombinierbare Kategorien einteilen 222. 1. Einteilung nach dem Grad der Verbindlichkeit a) Regelfristen (Signalfristen) Während rechtlich verbindliche Fristen die Bearbeitung eines bestimmten Verwaltungsverfahrens in einer bestimmten Zeit zwingend vorschreiben, entfalten bloße Regelfristen (Signalfristen) eine deutlich geringere Steuerungswirkung. Sie spiegeln ausschließlich die erfahrungsgemäße Durchschnittsdauer korrekt geführter Verwaltungsverfahren und sollen im Normalfall beachtet werden 223. Regelfristen führen nicht zu präzisen zeitlichen Bindungen für das Genehmigungsverfahren und geben dem Antragssteller auch keinen Rechtsanspruch auf ihre Einhaltung. Sie haben aber insofern Signalwirkung, als durch den bei Versäumung der Regelfrist ausgelösten Rechtfertigungszwang das Bewusstsein für den Zeitfaktor des Genehmigungsverfahrens auf Behördenseite geschärft 224, im gerichtlichen Verfahren ein Anhaltspunkt für die übliche und angemessene Verfahrensdauer geschaffen und dem Vorhabenträger eine Hilfestellung bei der Abschätzung des voraussichtlichen Zeitaufwands für das Genehmigungsverfahren gegeben wird 225. Signalfristen sind mithin typische Erscheinungsformen eines rechtlich weithin unproblematischen „soft law“. Mit ihnen sind, anders als bei den rechtlich verbindlichen Fristen, keine rechtlichen und praktischen Probleme verbunden. b) Rechtlich verbindliche Verfahrensfristen aa) Fristen ohne unmittelbare Sanktionsfolge Rechtliche verbindliche Verfahrensfristen ohne unmittelbare Sanktionsfolge haben vorwiegend Appellcharakter. Ihre Verletzung berechtigt aber neben der Einlegung formloser Rechtsbehelfe wie Gegenvorstellung und Dienstaufsichtsbeschwerde zur Erhebung einer Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO 226. Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Nichteinhaltung solcher Fristen auch Amts222 Grundlegend zur Klassifizierung der Fristtypen Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 62 ff; ähnlich Rombach, S. 215 ff. Näher zum Ganzen Biermann, NordÖR 2009, S. 377. 223 Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 64 f. 224 Rombach, S. 216 f., der die begrenzte Steuerungskraft bloßer Regelungsfristen betont. 225 Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 66.
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haftungsansprüche auslösen, da eine Behörde in einem solchen Fall rechtswidrig handelt und Entscheidungsfristen nur die bereits aus § 10 Satz 2 VwVfG M-V folgende drittbezogene Amtspflicht zur zügigen Sachentscheidung präzisieren 227. Im Falle einer nicht beachteten gesetzlichen Entscheidungsfrist spricht zunächst einmal eine Vermutung dafür, dass die Behörde die Entscheidung schuldhaft verzögert hat 228. Rechtsdogmatisch sind mit solchen nicht sanktionsbewehrten Entscheidungsfristen keine grundsätzlichen Probleme verbunden. Empirische Untersuchungen belegen zudem einen gewissen Beschleunigungseffekt entsprechender Regelungen 229. Dennoch entfalten solche Fristen ohne direkte Sanktionsfolge 230 eine geringere Steuerungskraft als sanktionsbewehrte Verfahrensfristen. Ein praktisch bedeutsames bundesrechtliches Beispiel für eine rechtlich verbindliche Frist ohne direkte Sanktionsfolge ist die siebenmonatige Genehmigungsfrist des § 10 Abs. 6a BImSchG bei förmlichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren 231. Diese Entscheidungsfrist ist nach § 10 Abs. 6a Satz 2 BImSchG wegen der Schwierigkeit der Prüfung 232 oder aus Gründen, die der Antragssteller zu vertreten hat – auch mehrfach – um jeweils drei Monate verlängerbar 233. Wird die maßgebliche Entscheidungsfrist nicht eingehalten, so kommt die Erhebung einer Untätigkeitsklage in Betracht; eine Aussetzung des Verfahrens nach § 75 Satz 3 VwGO ist dann möglich 234. Bei vereinfachten Verfahren nach § 19 BImSchG beträgt die Entscheidungsfrist lediglich drei Monate. Weitere verbindliche, aber in primärrechtlicher Hinsicht nicht mit einer Sanktionsfolge ausgestattete Entscheidungsfristen finden sich beispielsweise in §§ 27 AMG, 10 Abs. 5 und 6 GentG sowie 3 Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 1 und 226
Vgl. OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2004, S. 825; Czajka, in: Feldhaus, § 10 Rn. 83; Dietlein, in: Landmann / Rohmer, § 10 BImSchG Rn. 244; Jarass, BImSchG, § 10 Rn. 118. 227 Zur Amtshaftung wegen einer sachlich nicht vertretbaren verzögerten Sachentscheidung BGHZ 90, 29; Bay ObLG, DVBl. 1991, S. 452; OLG Oldenburg, NVwZ-RR 1993, S. 593. 228 Schretter / Schenk, in: Reichel / Schulte, 14/219. 229 Rombach, S. 217 f; a. A. Stober, AWvR § 34 III 7, wonach solche Fristen „ins Leere“ gehen. 230 Rombach, S. 217 spricht von „verbindlichen unbewehrten Fristen“. 231 Eingehend Jarass, DVBl 2009, S. 205. § 10 Abs. 6a BImSchG wurde durch Art. 8 des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes vom 22. 04. 1993 (BGBl. I, S. 466) geschaffen und war im Gesetzgebungsverfahren umstritten. Vgl. BTDrs 12/4208, S. 16 und BTDrs 12/4208, S. 28. 232 Kein Grund für eine Fristverlängerung stellt eine Überlastung der Genehmigungsbehörde dar; vgl. Roßnagel, in: GK-BImSchG § 10 Rn. 520; Czajka, in: Feldhaus, § 10 BImSchG Rn. 79; Dietlein, in: Landmann / Rohmer, § 10 BImSchG Rn. 242; Frenz, in: Kotulla, BImSchG § 10 Rn. 167. 233 Näher Roßnagel, GK-BImSchG, § 10 Rn. 519 ff; einschränkend Dietlein, in: Landmann / Rohmer, § 10 BImSchG Rn. 242 sowie Frenz, in: Kotulla, § 10 BImSchG Rn. 168. 234 OVG Lüneburg NVwZ-RR 2004, S. 825.
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2 UIG. Auch im UGB sollte für die integrierte Vorhabengenehmigung eine nicht sanktionsbewehrte und verlängerbare Entscheidungsfrist von sieben Monaten im Regelverfahren (§ 101 Abs. 1 UGB I RefE), von drei Monaten im vereinfachten Verfahren (§§ 116, 117 Abs. 2 UGB I RefE) und von vier Wochen im vereinfachten Verfahren mit verkürzten Fristen (§ 118 UGB I RefE) gelten. Das Landesrecht von Mecklenburg-Vorpommern enthält beispielsweise in § 1 AGBauGB M-V 235 eine nicht unmittelbar sanktionierte behördliche Entscheidungsfrist. Danach ist der Antrag auf vorläufige Untersagung eines Vorhabens nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauGB innerhalb eines Monats nach Eingang der für das genehmigungsfreie Bauen erforderlichen Unterlagen durch die Gemeinde zu stellen. Die untere Bauaufsichtsbehörde hat die vorläufige Untersagung innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags auszusprechen. Der Gesetzgeber hat mit dieser im Jahre 2005 novellierten und an das EAG Bau vom 24. 06. 2004 angepassten Vorschrift 236 gleich zwei behördliche Entscheidungsfristen geschaffen, lässt aber offen, welche Folgen eine Versäumnis dieser Frist hat. Insbesondere ist fraglich, ob bei schuldloser Fristversäumnis eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht kommt und ob eine verspätete Antragsstellung bzw. vorläufige Untersagungsverfügung zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung führt. Nach § 3 LUIG M-V 237 gelten die Entscheidungsfristen des 3 Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 1 und 2 UIG auch für die nach LUIG M-V informationspflichtigen Stellen. Gem. § 11 Abs. 1 IFG M-V ist ein Antrag auf Informationsgewährung unverzüglich, spätestens jedoch nach Ablauf einer Frist von einem Monat nach Antragstellung zu bescheiden. Soweit Umfang und Komplexität der begehrten Informationen dies rechtfertigen, kann die Frist nach § 11 Abs. 2 IFG M-V auf bis zu drei Monate verlängert werden. Verwaltungsprozessual werden rechtliche verbindliche Verfahrensfristen durch § 75 Satz 2 VwGO abgesichert. Danach kann eine Untätigkeitsklage regelmäßig nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden. Die Vorschrift ist allerdings lediglich eine besondere Prozessvoraussetzung, aus der sich nicht entnehmen lässt, dass der Behörde bei Fehlen spezialgesetzlicher Regelungen grundsätzlich eine dreimonatige Entscheidungsfrist zur Verfügung stünde. Vielmehr kann bereits bei einer Verzögerung von weniger als drei Monaten eine schuldhafte Verfahrensverzögerung vorliegen, die Amtshaftungsansprüche auszulösen vermag 238. Andererseits ist eine Vielzahl von Fällen denkbar, in denen das Überschreiten der dreimonatigen Regelfrist sachlich gerechtfertigt ist. 235 GVOBl. M-V 1998, S. 110, zuletzt geändert durch Art. 6 des 4. DeregG, GVOBl. M-V 2010, S. 615. 236 Durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 26. 04. 2005; GVOBl. M-V, S. 161. Zuvor hatte die Frist für eine vorläufige Untersagung 12 Monate betragen. Vgl. näher Landtag M-V, LTDrs 4/1481, S. 7. 237 Vom 14. 07. 2006, GVOBl. M-V, S. 568.
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§ 75 Satz 2 VwGO entfaltet dennoch eine erhebliche Steuerungskraft, da ein Überschreiten der dort genannten Frist rechtfertigungsbedürftig und mit verwaltungsprozessualen Konsequenzen verbunden ist. bb) Fristen mit unmittelbarer Sanktionsfolge Die höchste Steuerungskraft entfalten unmittelbar sanktionsbewehrte Fristen. Innerhalb dieses Fristtypus ist zwischen solchen Fristbestimmungen, die bloße Verfahrenssanktionen zur Folge haben, und Genehmigungsfiktionen zu unterscheiden. (1) Fristen mit verfahrensrechtlichen Sanktionen Begrenzt ist die Steuerungswirkung unmittelbar sanktionsbewehrter Fristen noch, wenn die Versäumung der Frist nur mit Verfahrenssanktionen verbunden ist. So hat sich beispielsweise die im Rahmen von Verwaltungsmodernisierungskonzepten kontrovers diskutierte 239 sog. Vollständigkeitsfiktion, bei der nach Ablauf einer gesetzlich zu bestimmenden Frist angenommen wird, dass die Antragunterlagen vollständig sind, bisher als wenig geeignetes Instrument zur Verfahrensbeschleunigung erwiesen. Kritiker verweisen richtigerweise auf die Vernachlässigung gewichtiger öffentlicher Interessen und eine systemwidrige Durchbrechung des nach § 24 VwVfG M-V geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes. Eine jedenfalls theoretisch 240 erheblich größere Steuerungswirkung entfalten die rechtspolitisch fragwürdigen 241 behördlichen 242 Präklusionsfristen des allgemeinen und besonderen Fachplanungs- 243 und Immissionsschutzrechts 244. Solche Fristbestimmungen verlangen von Behörden, welche an komplexen Verwaltungsverfahren beteiligt sind, die Abgabe ihrer Stellungnahmen innerhalb eines bestimmten Zeitraums, anderenfalls diese grundsätzlich nicht mehr berücksichtigt werden. Von rechtspolitischer Brisanz und von jedenfalls potenziell verfahrensbeschleunigender Wirkung sind schließlich gesetzlich geregelte Einvernehmens238 BGHZ 123, 1 ff = NJW 1993, S. 3061; BGH NJW 1990, S. 505; Stein / Itzel / Schwall, Rn. 53 m.w. N. 239 Siehe Deregulierungskommission Mecklenburg-Vorpommern; Landtag M-V, LTDrs 4/1013, S. 59. 240 Zur geringen praktischen Relevanz dieser Fristen aber Ronellenfitsch, NVwZ 1999, S. 583 (585). 241 Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 73 Rn. 29 m.w. N. Grundlegende Kritik bereits bei Ronellenfitsch, Beschleunigung, S. 85 ff. 242 Um den Rahmen der Untersuchung nicht zu sprengen, bleiben die Präklusionsfristen mit dem Bürger als Regelungsadressaten unberücksichtigt. 243 „Vorbildcharakter“ hatte insofern § 2 Abs. 4 Satz 4 BauGBMaßnG. Beispiel einer materiellen Behördenpräklusion ist § 73 Abs. 3a Satz 2 VwVfG M-V. 244 Etwa § 11 Satz 3 und 20 Satz 2 der 9. BImSchV.
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fiktionen bei komplexen Genehmigungsverfahren, wie sie beispielsweise in § 69 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V geregelt sind. (2) Genehmigungsfiktionen Mit weitem Abstand die größte Steuerungskraft besitzen Genehmigungsfiktionen, bei denen der Ablauf einer gesetzlich festgelegten behördlichen Entscheidungsfrist mit dem Eintritt einer Fiktionswirkung gekoppelt wird. Solche „fingierten Genehmigungen“ werden ungeachtet ihrer rechtspolitischen Brisanz 245 auf Bundes- und Landesebene verstärkt als Steuerungsinstrument zur Beschleunigung von Verwaltungsverfahren eingesetzt. Ihre Bedeutung hat im Zuge der Umsetzung der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie (DLRL) 246 erheblich zugenommen und zu einer allgemeinen Regelung in § 42a VwVfG geführt. Art. 13 Abs. 3 DLRL fordert nicht nur, dass Anträge in dienstleistungsrelevanten Genehmigungsverfahren „unverzüglich und in jedem Fall binnen einer vorab festgelegten und bekannt gemachten angemessenen Frist bearbeitet werden“ müssen, sondern knüpft an die Versäumung dieser Frist auch den Eintritt einer Genehmigungsfiktion. Wird der Antrag nicht binnen der nach Art. 13 Abs. 3 DLRL maßgeblichen Frist beantwortet, gilt die Genehmigung nach Art. 13 Abs. 4 Satz 1 DRL als erteilt. Eine andere Regelung kann nach Art. 13 Abs. 4 Satz 2 DLRL von den Mitgliedsstaaten nur vorgesehen werden, wenn dies „durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses, einschließlich eines berechtigten Interesses Dritter, gerechtfertigt ist“. Die DLRL zwingt die Mitgliedsstaaten somit in dienstleistungsrelevanten Bereichen grundsätzlich zur gesetzlichen Einführung von Genehmigungsfiktionen, welche die Europäische Kommission als „Mechanismus der stillschweigenden Genehmigung“ 247 bezeichnetet. Dieser weit reichende Eingriff in die nationale Verfahrensautonomie wird damit gerechtfertigt, dass dieses Instrument „bereits von vielen Mitgliedsstaaten in ihren Bemühungen um eine Verwaltungsvereinfachung zu Gunsten von Unternehmen und Bürgern eingeführt worden“ 248 sei. Die Mitgliedsstaaten könnten zudem für unterschiedliche Arten von Genehmigungsverfahren verschiedene Zeiträume festsetzen und so der Gefahr übereilter Entscheidungen vorbeugen. Im Übrigen könne der Bearbeitungszeitraum in Ausnahmefällen von der Genehmigungsbehörde verlängert werden. Es gebe zudem spezifische Fälle, in denen sich die Mitgliedsstaaten – wenn dies durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt sei – entscheiden könnten, auf 245 Näher sogleich unten § 19 B III und bereits Biermann, NordÖR 2009, S. 377 (381 ff.). 246 Richtlinie 2006/123/EG vom 12. 12. 2006, ABL EU L 376, S. 76. 247 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Handbuch zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie (im Folgenden: Handbuch DLRL), 2007, S. 42. 248 Handbuch DLRL, S. 42.
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den Mechanismus der „stillschweigenden Genehmigung“ zu verzichten. Beispielhaft nennt die Kommission „Tätigkeiten mit potenziell dauerhafter Auswirkung auf die Umwelt“ 249, wobei aber auch in solchen Fällen schnelle Verfahren zu garantieren seien. 2. Einteilung nach dem Urheber Nach ihrem Urheber lassen sich behördliche und gesetzliche Fristen einteilen. So können etwa für verschiedene Genehmigungs- oder Planfeststellungsverfahren durch vorgesetzte Fachaufsichtsbehörden – zweckmäßiger Weise in Form von Verwaltungsvorschriften – Regelbearbeitungsfristen für das gesamte Verfahren oder einzelne Verfahrensschritte festgelegt werden. Die Steuerungskraft solcher behördlicherseits festgelegten Fristen ist mit derjenigen von gesetzlichen Regelfristen vergleichbar. Jedenfalls bei Routineverfahren kann damit eine zügige Verfahrenserledigung und eine gleichförmige Verwaltungspraxis sichergestellt werden 250. Diesem Beschleunigungsinstrument vertieft nachzugehen, würde allerdings die Kapazität der vorliegenden Untersuchung überschreiten. Nachfolgend werden daher nur die gesetzlichen, also durch Parlamentsgesetz oder Rechtsverordnung festgelegten, Fristbestimmungen näher untersucht. II. Behördliche Entscheidungsfristen in rechtsvergleichender und historischer Perspektive 1. Bedeutung in der traditionellen deutschen Verwaltungsrechtsdogmatik Behördliche Entscheidungs- und Verfahrensfristen spielten wegen der traditionellen Vernachlässigung der zeitlichen Dimension des Verwaltungsverfahrens in Deutschland 251 lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle. Die ältere liberal-rechtsstaatliche Auffassung, wonach industrieller Fortschritt eine einfache und schnelle Verwaltung voraussetzte, fand zwar in einigen nach der Reichsgründung 1871 erlassenen gewerberechtlichen Vorschriften Niederschlag. So verpflichteten die 1883 und 1892 erlassenen badischen und bayerischen Vollzugsordnungen zur Gewerbeordnung die Genehmigungsbehörden zur zügigen Durchführung des Genehmigungsverfahrens für gefährliche Anlagen, ohne dabei allerdings konkrete Höchstfristen festzulegen 252. In der deutschen Verwaltungs249
Handbuch DLRL, S. 43. Zur Festlegung von Regelfristen für umweltrelevante Planfeststellungs- und Genehmigungsverfahren Ziekow / Oertel / Windoffer, Dauer sowie Rombach, S. 216 mit Fn. 245. 251 Siehe bereits oben § 7 B IV 3 bis 5. 252 Vgl. Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 25 mit Fn. 35. 250
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rechtswissenschaft setzte sich dann aber bald der primär inhaltliche Kriterien betonende Rechtsstaatsbegriff Otto Mayers durch. Nach diesem war die durch gründliche Sachverhaltsaufklärung vorbereitete inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung unabhängig von dem dadurch verursachten Zeit- und Kostenaufwand entscheidend 253. Die ab 1976 auf Bundes- und Landesebene geschaffenen Verwaltungsverfahrensgesetze enthielten zunächst ebenfalls keinerlei explizite Hinweise auf das Erfordernis, Verwaltungsverfahrens schnellstmöglich durchzuführen. Erst 1996 wurde das Zügigkeitsgebot in § 10 S. 2 VwVfG verankert. Diese Verspätung macht deutlich, dass Gründlichkeit, Vollständigkeit und inhaltliche Richtigkeit der Verwaltungsentscheidung traditionell für sehr viel wichtiger gehalten wurden, als das – allenfalls im Rahmen der Zweckmäßigkeit zu berücksichtigende – Interesse an einer raschen Entscheidung. Die verwaltungsrechtlichen Verfahrensvorschriften wurden denn auch lange vorwiegend als Schutzvorschriften vor „übereilten Entscheidungen“ verstanden. Eine systematische Auswertung der Dauer von Genehmigungsverfahren fand bis Ende der 1980er Jahre nicht statt 254. 2. Entscheidungsfristen in anderen Rechtsordnungen In anderen kontinentaleuropäischen und angelsächsischen Verwaltungsrechtsordnungen spielen behördliche Entscheidungsfristen traditionell eine sehr viel bedeutendere Rolle als in Deutschland 255. So verpflichtet § 73 Abs. 1 des österreichischen AVG 256 die Behörde vorbehaltlich abweichender spezialgesetzlicher Regelungen, „über Anträge von Parteien und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber 6 Monate nach deren Einlangen“ zu entscheiden. Bei Überschreiten der nicht verlängerbaren Frist geht gem. § 73 Abs. 2 AVG auf schriftlichen Antrag der Partei (Devolutionsantrag) die Zuständigkeit auf die „sachlich in Betracht kommende Oberbehörde“ über, die ebenfalls innerhalb von maximal sechs Monaten zu entscheiden hat 257. Dieser Devolutionsantrag ist nach § 73 Abs. 2 Satz 3 AVG nur abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist. Art. 132, 130 Abs. 1b des österreichischen Bundesverfassungsgesetzes sehen eine Beschwerde zum Verwaltungsgerichtshof für den Fall vor, dass Verwaltungsbehörden die Entscheidungsfrist des § 73 Abs. 1 AVG verletzen 258. Viele europäische und außereuropäische Rechtsordnungen setzen zudem seit langer Zeit auf Genehmigungsfiktionen. So führte der Bundesstaat New York bereits 1977 verbindliche 253
Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 25 f. Nachweise bei Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 31. 255 Vgl. Bullinger JZ 1991, S. 53 mit Beispielen aus den USA, Spanien und Frankreich. 256 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz; BGBl. I, 51/1991, zuletzt geändert BGBl. I, 65/2002. 257 Vgl. Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 60 f; Rombach, S. 216. 254
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Fristen für die Dauer von Verwaltungsverfahren bei der Genehmigung von Industrieanlagen ein. Die der Behörde zugestandene Bearbeitungszeit variierte je nach Anlagenkategorie von 15 bis 150 Tagen. Ließ die Genehmigungsbehörde die Frist entscheidungslos verstreichen, konnte sie vom Antragsteller zur Entscheidung aufgefordert werden. Äußerte sich die Behörde nicht innerhalb von fünf Werktagen, galt die Genehmigung als erteilt 259. Verbindliche, wenn auch grundsätzlich sanktionslose Bearbeitungsfristen ohne Genehmigungsfiktion lassen sich auch im texanischen Immissionsschutz- und Wasserrecht nachweisen 260. III. „Entdeckung“ behördlicher Entscheidungsfristen in Deutschland In der Bundesrepublik Deutschland belebte sich die Diskussion über behördliche Entscheidungsfristen erst im Zuge der Beschleunigungsdebatte Anfang der 1990er Jahre 261, als man den „Faktor Zeit in umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren“ 262 entdeckte und „Beschleunigte Genehmigungsverfahren für eilbedürftige Vorhaben“ 263 forderte. Die Verwaltungspraxis nahm die diesbezüglich von der Verwaltungsrechtswissenschaft unterbreiteten Vorschläge angesichts des infrastrukturellen Erneuerungsbedarfs (nicht nur) in den neuen Bundesländern dankbar auf und setzte sie in eine Vielzahl nicht immer hinreichend durchdachter gesetzlicher Beschleunigungsregelungen um 264. Den Anfang dieser Entwicklung markierte das BauGBMaßnG. § 5 Abs. 3 Satz 1 BauGBMaßnG verkürzte die Zwei-Monats-Frist zur Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB auf einen Monat und verband den Ablauf der Frist mit einer Einvernehmensfiktion. § 5 Abs. 4 BauGBMaßnG führte zudem eine planungsrechtliche Genehmigungsfrist für ausschließlich Wohnzwecken dienende Vorhaben ein, die mit einer – damals neuartigen – planungsrechtlichen Zulässigkeitsfiktion verknüpft war 265. Danach musste im Geltungsbereich eines 258 Die Erschöpfung dieser Beschwerdemöglichkeiten ist gem. Art. 35 EMRK Zulässigkeitsvoraussetzung für die Anrufung des EGMR; vgl. EGMR, Urteil v. 30. 01. 2001, 30160/96, Nr. 33. 259 Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 50 ff; Spitzhorn, ZRP 2002, S. 196 (197). 260 Eingehend Rombach, S. 63 ff. 261 Zu früheren Ansätzen – etwa in § 27 Abs. 1 AMG vom 24. 08. 1976 (BGBl. I, S. 2445) – Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 43 f. 262 So der Titel der Monographie von Rombach, die 1994 veröffentlicht wurde. 263 Die Untersuchung von Bullinger wurde 1988/89 zu einem Zeitpunkt begonnen, als „der Zeitfaktor der öffentlichen Verwaltung noch im Windschatten des rechtswissenschaftlichen Interesses“ stand. Vgl. Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 9. 264 Zur Kritik an der Beschleunigungsgesetzgebung der frühen 1990er Jahre bereits § 9 A.
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Bebauungsplans nach § 30 Abs. 1 BauGB (mit Ausnahme von Gewerbe-, Industrie- und Sondergebieten) eine Prüfung der planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens innerhalb von drei Monaten erfolgen. Nach Ablauf der nicht verlängerbaren Frist durfte ein Bauantrag nicht mehr nach den §§ 30, 31 BauGB abgelehnt werden. Anfang der 1990er Jahre begannen die Länder auch mit der Einführung von Genehmigungsfiktionen im Bauordnungsrecht, wobei Hamburg in dieser Hinsicht die Vorreiterrolle für sich reklamieren kann 266. Auch das Gentechnikgesetz von 1990 267 enthielt in § 12 Abs. 4 eine Zustimmungsfiktion bei anmeldepflichtigen Vorhaben 268. IV. Die besondere Problematik von Genehmigungs- und Zustimmungsfiktionen Genehmigungs-, Zustimmungs- und Einvernehmensfiktionen wurden im deutschen Recht lange Zeit eher vorsichtig eingesetzt, wie die nachfolgende, keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebende, Bestandsaufnahme (unter 1.) zeigen wird. Dieser Zustand hat sich jedoch im Zuge der Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie aber grundlegend geändert, da diese Richtlinie die „stillschweigende Genehmigung“ als ein zentrales Instrument der Regelungsoptimierung von Verwaltungsverfahren ansieht. Vor allem im Anwendungsbereich der DLRL, aber auch darüber hinaus, haben deshalb Genehmigungsfiktionen eine weit größere Bedeutung bekommen als bisher. Dieses Rechtsinstitut soll deshalb daraufhin analysiert werden, ob es wirklich ein geeignetes Instrument zur Verfahrensoptimierung ist (unter 2.). 1. Bestandsaufnahme a) Regelungen auf Bundesebene Das Allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes setzte lange Zeit vor allem auf Präklusionsvorschriften sowie kurze Rechtsbehelfs- und Rechtsbehelfsbegründungsfristen als Beschleunigungsinstrumente und kannte das Instrument der Genehmigungsfiktionen nicht. Insofern löste Art. 13 Abs. 4 DLRL einen 265
Zu den mit dieser Regelung verbundenen Problemen Decker, BauR 1997, S. 964. Vgl. § 5 Abs. 3 des Hamburgischen Gesetzes zur Erleichterung des Wohnungsbaus vom 4. 12. 1990; Hmb GVBl; S. 233. Bereits vorher fand sich in der Hamburger Bauordnung eine Baugenehmigungsfiktion für die Errichtung von Werbeanlagen; vgl. Saurer, DVBl 2006, S. 605 mit Fn. 2. 267 BGBl. I, S. 1080. 268 Näher Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 45. 266
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erheblichen Reformbedarf für das nationale Verwaltungsrecht aus, dem der Bundesgesetzgeber mit dem am 18. 12. 2008 in Kraft getretenen 4. VwVfÄndG 269 nachkam. Mit § 42a VwVfG gibt es seitdem erstmals eine allgemeine Regelung über eine Genehmigungsfiktion 270, die mittlerweile im Wege der Simultangesetzgebung auch in das Verwaltungsverfahrensrecht der Länder übernommen wurde. Nach § 42a Abs. 1 Satz 1 VwVfG M-V gilt eine beantragte Genehmigung nach Ablauf einer für die Entscheidung festgelegten Frist als erteilt (Genehmigungsfiktion), wenn dies durch Rechtsvorschrift angeordnet und der Antrag hinreichend bestimmt ist. Die Vorschriften über die Bestandskraft von Verwaltungsakten und über das Rechtsbehelfsverfahren gelten entsprechend. Die regelmäßige Entscheidungsfrist beträgt nach § 42a Abs. 2 VwVfG M-V drei Monate 271, soweit durch Rechtsvorschrift nichts anderes bestimmt ist. Die Frist beginnt mit Eingang der vollständigen Unterlagen und kann einmal angemessen verlängert werden, wenn dies wegen der Schwierigkeiten der Angelegenheit gerechtfertigt ist. Die Fristverlängerung ist zu begründen und rechtzeitig mitzuteilen. Nach § 42a Abs. 3 VwVfG M-V ist demjenigen, dem der Verwaltungsakt nach § 41 Abs. 1 VwVfG M-V hätte bekannt gegeben werden müssen, auf Verlangen der Eintritt der Genehmigungsfiktion zu bescheinigen 272. Von großer Bedeutung sind Genehmigungsfiktionen mittlerweile auch im Gewerberecht. Hier ist vor allem § 6a GewO 273 hervorzuheben, der in Absatz 1 eine dreimonatige Entscheidungsfrist mit Genehmigungsfiktion bei Entscheidungen nach §§ 34b Abs. 1, 3, 4; 34c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 sowie § 55 Abs. 2 GewO vorsieht und diese in Absatz 2 auch auf Verfahren nach §§ 33a Abs. 1; 69 Abs. 1 GewO sowie nach §§ 2, 4 GastG erstreckt, solange hierfür keine landesrechtlichen Regelungen bestehen 274. Im Fachplanungs- und Umweltrecht spielen fiktionsbewehrte Fristbestimmungen dagegen bisher nur eine untergeordnete Rolle 275. Das Immissionsschutzrecht etwa enthält in §§ 10 Abs. 6a und 16 Abs. 3 Satz 1 BImSchG zwar sanktionslose Entscheidungsfristen, ordnet aber lediglich in § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG bei der Änderung genehmigungsbedürftiger Anlagen eine „Genehmigungsfrei269
Vom 11. 12. 2008; BGBl. I, S. 2418. Dazu bereits oben § 9 C XI. Zum Gesetzgebungsverfahren siehe BRDrs 580/08; BTDrs 16/10493 und 16/10844. 270 Näher Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 (7 ff.). 271 Die Regelentscheidungsfrist soll Signalwirkung entfalten und die Einführung einer in sich geschlossenen Fiktionsregelung im Fachrecht durch einfache Bezugnahme auf § 42a VwVfG ermöglichen. 272 Vgl. Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 (8). Die Bescheinigung ist ein feststellender Verwaltungsakt. 273 Eingefügt durch das Gesetz zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Gewerberecht und in weiteren Rechtsvorschriften vom 17. 07. 2009, BGBl. I, S. 2091. 274 Zu den Einzelheiten oben § 9 E. 275 Siehe dazu die Übersicht bei Ziekow, Genehmigungsfiktionen, S. 74 ff.
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heitsfiktion“ nach einmonatigem behördlichem Schweigen an. Hinsichtlich ihrer dogmatischen Einordnung ist diese Vorschrift allerdings umstritten 276. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass die Nicht-Äußerung der Behörde innerhalb der maßgeblichen Frist ein „fiktiver Verwaltungsakt“ 277 sei, auf den dann bei rechtswidriger Nichtäußerung die Regelung des § 48 VwVfG M-V Anwendung finde 278. Nach der Gegenauffassung handelt es sich bei § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG dagegen um „einen gesetzlich gestatteten, genehmigungsfreien Vorgang, für den lediglich ein überwachungsbedingter Reaktionsvorbehalt für die Behörde vor Beginn der Realisierung vorgesehen ist“. Mangels Eintritts einer Feststellungs- Gestattungs- oder gar materiellen Legalisierungswirkung weise dieser keine Verwaltungsaktsqualität auf 279. Konsequenterweise findet nach der Gegenauffassung § 48 VwVfG M-V keine Anwendung und die Behörde soll ohne Weiteres die Durchführung eines Genehmigungsverfahrens verlangen können, ohne zuerst die fiktive Negativmitteilung aufheben zu müssen 280. Im Bauplanungsrecht ist mit der Aufhebung der Teilungsgenehmigung des § 19 Abs. 3 BauGB durch die Baurechtsnovelle 2004 281 auch die in § 19 Abs. 3 Satz 5 BauGB angeordnete Genehmigungsfiktion 282 weggefallen. § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB sieht aber eine Fiktion der Erteilung gemeindlichen Einvernehmens bezüglich der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit von Vorhaben nach §§ 31, 33 bis 35 BauGB nach Ablauf von zwei Monaten vor und § 6 Abs. 4 Satz 4 BauGB enthält eine Genehmigungsfiktion bei der Genehmigung von Flächennutzungsplänen durch die höhere Verwaltungsbehörde, welche gem. § 10 Abs. 2 Satz 2 BauGB auch bei der Genehmigung von Bebauungsplänen nach § 8 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 BauGB gilt 283. Im Gentechnikrecht enthält § 12 Abs. 5 GentG im Anmeldungsverfahren nach § 8 Abs. 2 Satz 1 GentG eine Zustimmungsfiktion 45 Tage nach Eingang der Anmeldung. Schließlich wurde im Tierschutzrecht mit der Novelle zum Tierschutzgesetz vom 25. 05. 1998 284 in § 8 Abs. 5a TierSchG eine fiktive Tierversuchsgenehmigung eingeführt, die 276 Von einem fiktiven Verwaltungsakt gehen Jarass, BImSchG, § 15 Rn. 38 und Guckelberger, in: Kotulla, BImSchG § 15 Rn. 85 aus. Die überwiegende Auffassung – vgl. Führ, in: GK-BImSchG § 15 Rn. 199 und Rebentisch, in: Feldhaus, § BImSchG 15 Rn. 99 – verneint dagegen die Verwaltungsaktsqualität des behördlichen Schweigens. 277 Grundlegend Jachmann, Die Fiktion im öffentlichen Recht und Caspar, AÖR 125 (2000), S. 131. 278 Zur Anwendung der Aufhebungsvorschriften gem. § 48 f. VwVfG M-V auf fiktive Verwaltungsakte Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 48 Rn. 39 m.w. N. Speziell zu § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG Jarass, § 15 BImSchG Rn. 38; Rebentisch, in: Feldhaus, § 15 BImSchG Rn. 97; Guckelberger, in: Kotulla, § 15 BImSchG Rn. 87. 279 Führ, in: GK-BImSchG, § 15 Rn. 198; Kutscheidt, NVwZ 1997, S. 111 (116). 280 Führ, in: GK-BImSchG § 15 Rn. 224; Zöttl, NVwZ 1998, S. 234 (237). 281 Gesetz vom 24. 6. 2004, BGBl. I, S. 1359. 282 Hierzu Jachmann, Die Fiktion im öffentlichen Recht, S. 282 ff. 283 Jachmann, Die Fiktion im öffentlichen Recht, S. 323 ff. und BVerwGE 122, 13.
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nach Ablauf einer Bearbeitungsfrist von drei Monaten (bzw. zwei Monaten bei Versuchen an betäubten Tieren) als erteilt gilt. b) Regelungen auf Landesebene Größere Bedeutung haben Genehmigungs-, Einvernehmens- und Zustimmungsfiktionen im Landesrecht 285. Vor allem im Bauordnungsrecht, aber auch bei bestimmten umweltrechtlichen Verfahren und im Denkmalschutzrecht 286 spielt dieses Beschleunigungsinstrument bereits seit vielen Jahren eine wichtige Rolle. So haben sich mittlerweile alle Bundesländer dazu entschlossen, im Baugenehmigungsverfahren im Interesse der Verfahrensbeschleunigung Entscheidungsfristen einzuführen 287. Entscheidungsfristen mit Genehmigungsfiktion, welche in der Regel 3 Monate nach Eingang des vollständigen Bauantrags betragen 288 und zum Teil aus wichtigem Grund von der Bauaufsichtsbehörde um bis zu drei Monate verlängert werden können 289, kennen – beschränkt auf das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren und mit nicht unerheblichen Regelungsdivergenzen im einzelnen 290 – die Bauordnungen von neun Bundesländern 291. Entscheidungsfristen ohne Fiktionswirkung, deren Dauer von sechs Wochen bis zu drei Monaten beträgt und die teilweise ebenfalls verlängerbar sind, existieren derzeit in sieben Bundesländern. Normativer Anknüpfungspunkt für die fingierte Baugenehmigung ist in allen einschlägigen Landesbauordnungen das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren mit beschränktem Prüfumfang, während das Beschleunigungsinstrument im vollen Baugenehmigungsverfahren bisher nicht zur Anwendung kommt.
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BGBl. I, S. 1094. Zu den rechtspolitischen Hintergründen Caspar, AÖR 125 (2000), S. 131 (134). 285 Eingehend Ziekow, Genehmigungsfiktionen, S. 78 ff. mit Beispielen aus den Referenzgebieten Abfall-, Bauordnungs-, Denkmalschutz-, Eisenbahn-, Naturschutz-, Wasserund Waldrecht. 286 Zur Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 4 Satz 1 SächsDSchG OVG Bautzen DÖV 2006, S. 921 f. 287 Umfassender Überblick bei Schretter / Schenk, in: Reichel / Schulte, 14/220. 288 Eine Monatsfrist normieren §§ 66 Abs. 4 Satz 5 i.V. m. Satz 2 Hs. 1 Alt. 1 LBauO Rh-Pf und 61 Abs. 3 Satz 4 i.V. m. Satz 2 HmbBauO. 289 Zu den unterschiedlichen Regelungsmodellen auf Länderebene Saurer, DVBl 2006, S. 605 (607). 290 Dazu Saurer, DVBl 2006, S. 605 (606 ff.) sowie Finkelnburg / Ortloff, § 7 II 3. Zu Anwendungsproblemen Hullmann / Zorn, NVwZ 2009, S. 756. 291 §§ 67 Abs. 4 Satz 2 BremBauO, 61 Abs. 3 Satz 4 HmbBauO; 57 Abs. 2 Satz 2, 61 Abs. 3 HessBauO, 63 Abs. 2 Satz 1 und 2 LBauO M-V, 66 Abs. 4 Satz 5 LBauO Rh-Pf, §§ 64 Abs. 1 Satz 5 SaarlBauO, § 69 Abs. 5 Satz 1 SächsBauO; 75 Abs. 11 LBauO S-H und 63b Abs. 2 ThürBauO.
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Im Umweltrecht kennt etwa das Landesrecht von Schleswig-Holstein eine Genehmigungsfiktion im Landesnaturschutz- und -wasserrecht. Nach § 11 Abs. 5 Nr. 1 LNatSchG Schl.-H. 292 gilt die Genehmigung eines beantragten Eingriffes in Natur und Landschaft und gelten die zur Durchführung des § 15 BNatSchG i.V. m. § 9 Abs. 2 LNatSchG Schl.-H. erforderlichen Entscheidungen und Maßnahmen als getroffen, wenn die zuständige Naturschutzbehörde nicht innerhalb von drei Monaten nach Eingang des vollständigen Antrags entschieden hat. Dies gilt nach § 11 Abs. 5 Nr. 1 Hs. 2 LNatSchG Schl.-H. nicht in Verfahren, die auf Grund ihres Umfanges, wegen notwendiger Beteiligung Dritter oder wegen besonderer Schwierigkeit eines längeren Prüfungs- und Entscheidungsspielraums bedürfen; die zuständige Naturschutzbehörde teilt dies dem Antragsteller vor Ablauf der Entscheidungsfrist unter Angabe der Gründe mit. Eine zweimonatige Entscheidungsfrist mit Genehmigungsfiktion findet sich zudem in § 119 Abs. 3 Satz 2 LWG Schl.-H. 293 für bestimmte in einem vereinfachten Verfahren zu erteilende wasserrechtliche Erlaubnisse. Danach gelten solche Erlaubnisse in dem beantragten Umfang als erteilt, wenn der Antrag Angaben zu Art, Ort, Umfang und Dauer der Benutzung sowie die Bezeichnung des benutzten Gewässers und eine Beschreibung des Vorhabens enthält und die Wasserbehörde nicht innerhalb von zwei Monaten widerspricht. Die Wasserbehörde hat den Eingang des Antrages schriftlich zu bestätigen; § 119 Abs. 3 Satz 2 LWG Schl.-H. 2. Rechtspolitische Bewertung a) Sinnvolles Beschleunigungsinstrument oder „Irrweg der Fiktionen“? Genehmigungsfiktionen entfalten zweifelsohne erhebliche Beschleunigungspotenziale, da sich die Genehmigungsbehörden regelmäßig bemühen werden, den Eintritt der Fiktionswirkung zu vermeiden und innerhalb der jeweiligen Fiktionsfrist zu entscheiden. Sie helfen zudem, überlange „Ausreißer-Verfahren“ zu vermeiden und dienen der Nivellierung von zwischen verschiedenen Behörden divergierenden Verfahrensdauern 294. Von Verwaltungspraktikern und Vertretern der Wirtschaft wird dieses Instrument daher zum Teil sehr positiv bewertet 295. 292
Vom 24. 02. 2010; GVOBl. Schl.-H., S. 301. Wassergesetz des Landes Schleswig-Holstein i. d. F. der Bekanntmachung vom 11. 02. 2008; GVOBl. Schl.-H., S. 91, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. 03. 2010; GVOBl. Schl.-H., S. 365. 294 Ziekow, Genehmigungsfiktionen, S. 117 f., der betont, dass die Realisierung dieser Vorteile maßgeblich von der tatsächlichen Ausgestaltung der Genehmigungsverfahren abhängt. Zu entsprechenden Vorschlägen Ziekow, ebd., S. 99 ff. Vgl. auch Biermann, NordÖR 2009, 377 (382 ff.). 295 Nachweise bei Spitzhorn, ZRP 2002, S. 196 (197) und Stich, WiVerw 1994, S. 83 (117 f.). 293
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Auch von Seiten der Wissenschaft mehren sich Stimmen, welche die Ausweitung der Genehmigungsfiktionen im Zuge der Umsetzung der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie grundsätzlich begrüßen 296. In einer breit angelegten Untersuchung im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau des Landes Rheinland-Pfalz hat Jan Ziekow zudem ein Konzept zur Einführung von Genehmigungsfiktionen als Instrument für Erleichterungen für den wirtschaftlichen Sektor in das Landesrecht entwickelt 297. Er betont, dass Genehmigungsfiktionen insofern einen Beitrag zur Minderung administrativer Belastungen (insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen) leisten können, als diese den Zeitpunkt, zu dem das Unternehmen mit dem Vorliegen – und sei es einer fingierten – behördlichen Entscheidung rechnen kann, klar berechenbar machen 298. Allerdings ist mit der „Hammerlösung“ 299 einer Genehmigungsfiktion auch eine Vielzahl rechtlicher und praktischer Probleme verbunden. Diese betreffen weniger die Rechtstellung des Inhabers einer fingierten Genehmigung. Die stillschweigende hat grundsätzlich dieselben Wirkungen wie eine ausdrücklich erteilte Genehmigung und kann nur unter den engen Voraussetzungen der §§ 48 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3, 49 Abs. 2 VwVfG M-V ggf. gegen Entschädigung aufgehoben werden. Das stellt § 42a Abs. 1 Satz 2 VwVfG M-V klar, indem er ausdrücklich auf die entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Bestandskraft von Verwaltungsakten, also auch auf die §§ 48 ff. VwVfG M-V verweist 300. Insofern vermittelt eine fiktive Genehmigung zunächst keine geringere Investitionssicherheit als eine ausdrücklich erteilte Erlaubnis. Auch ist aus Gründen der Rechtssicherheit gem. § 42a Abs. 3 VwVfG M-V demjenigen, dem der Verwaltungsakt nach § 41 Abs. 1 VwVfG hätte bekannt gegeben werden müssen, auf Verlangen der Eintritt der Genehmigungsfiktion schriftlich zu bescheinigen. Allerdings besteht bei fiktiven Genehmigungen eine weitaus größere Gefahr, dass die Rechtswidrigkeit zunächst unentdeckt bleibt, zumal der Behörde 296 Nach Ramsauer, NordÖR 2008, S. 417 (422 f.) ist „die Drohung mit der Genehmigungsfiktion erfahrungsgemäß das einzige einigermaßen wirksame Instrument zur Beschleunigung von Verwaltungsverfahren.“ 297 Ziekow, Genehmigungsfiktionen. Im rheinland-pfälzischen Landesrecht sieht Ziekow, ebd., S. 107 ff; 121 ff. unter anderem im Wasser-, Naturschutz-, Bauordnungs- und Straßenrecht die Möglichkeit zur Einführung von bzw. zum Ausbau bestehender Fiktionsregelungen. 298 Ziekow, Genehmigungsfiktionen, S. 22. 299 So plastisch Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 55. 300 Nach zutreffender, aber umstrittener Ansicht werden die Rücknahmemöglichkeiten nicht durch den Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts beschränkt. Hierzu eingehend Uechtritz, DVBl 2010, S. 684 (692 f.). A. A. Schliesky, in: Knack, VwVfG § 42a Rn. 7, wonach im Anwendungsbereich der DLRL eine Aufhebung nur in engen Grenzen in Betracht kommen soll. Auch nach Krajewski, NVwZ 2009, S. 929 (934) modifiziert die DLRL das Abwägungsprogramm in ähnlicher Weise wie das gemeinschaftliche Beihilferecht.
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keine Nebenbestimmungen zur Verfügung stehen, mit denen häufig erst die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens herbeigeführt werden kann (vgl. § 36 Abs. 1 Alt. 2 VwVfG M-V). Das erhöht zumindest das faktische Rücknahmerisiko des Inhabers einer fiktiven Genehmigung 301. Für den Antragsteller besteht im Falle einer gesetzlich angeordneten Genehmigungsfiktion zudem die Gefahr, dass die Behörden unter Zeitdruck die „Flucht in die Ablehnung“ 302 antreten und im Zweifel vorsorgliche Ablehnungsbescheide erlassen, gegen die der Antragsteller dann mit erheblichen zeitlichem und finanziellem Aufwand vorgehen muss 303. Zudem ist die Position des Antragstellers ungesicherter als bei der ausdrücklich erteilten Genehmigung, da er sich nicht sicher sein kann, ob die Behörde seinen Antrag wirklich überprüft hat oder nur zu einer fristgerechten Prüfung nicht in der Lage war. Das insofern gesteigerte Aufhebungsrisiko „eröffnet ein weites Feld für spätere Konflikte zwischen Behörde und Vorhabenträger“ 304. Da der fiktive Verwaltungsakt zudem gegenüber potenziell Drittbetroffenen trotz der Regelung in § 42a Abs. 3 VwVfG nicht immer bekannt gegeben werden dürfte, muss der Vorhabenträger zudem eine längere Zeit mit einer Drittanfechtung der fiktiven Genehmigung rechnen als bei ordnungsgemäß publizierten ausdrücklich erteilten Gestattungen 305. b) Verfassungsrechtliche Problematik Grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen Genehmigungsfiktionen in allen multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnissen, wie sie für das Planfeststellungs- und Immissionsschutz-, aber auch für das Bauordnungsrecht typisch sind. Wird in solchen komplexen Verfahren die Eröffnungskontrolle nicht oder nur defizitär durchgeführt, kann das Verfahren die ihm zugedachte Ausgleichs-, Befriedungs- und Akzeptanzfunktion nicht mehr erfüllen 306. Die typischerweise widerstrebenden privaten und öffentlichen Interessen werden im Falle einer fiktiven Genehmigung nicht ermittelt, so dass eine sachgerechte Lösung von Interessenkonflikten ausbleibt. Für die Allgemeinheit, Nachbarschaft, aber auch für den Investor entfällt damit der ansonsten mit Genehmigungsverfahren verbundene Interessenausgleich bei gleichzeitiger umfassender Gefahrenanalyse 307. Dies kann zur Folge haben, dass schwer wiegende Gefahren für die Allgemeinheit oder für Einzelne möglicherweise unberücksichtigt blei301
Hullmann / Zorn, NVwZ 2009, S. 756 (759). Näher Ziekow, Genehmigungsfiktionen, S. 103. Guckelberger, DÖV 2010, S. 109. 303 Vgl. etwa Rombach, S. 118 ff. und 218 f; Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 (9). 304 Caspar, AÖR 125 (2000), S. 131 (152). 305 Caspar, AÖR 125 (2000), S. 131 (152). 306 Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 69 ff; Caspar, AÖR 125 (2000), S. 131 (150). 307 Spitzhorn, ZRP 2002, S. 196 (198). 302
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ben 308. Durch den Eintritt der gesetzlichen Fiktionswirkung kann es so – oft von den Behörden sogar unbemerkt – zu Genehmigungen kommen, die im Widerspruch zur Rechtsordnung stehen und von dieser nicht toleriert werden dürfen 309. Auch Jan Ziekow, der ansonsten Genehmigungsfiktionen grundsätzlich für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet, hält dieses Instrument für unzulässig, wenn „das genehmigungsbedürftige Vorhaben oder die genehmigungsbedürftige Betätigung ein hohes Risikopotenzial, insbesondere für Leib und Leben anderer, aber auch für objektive Verfassungsgüter wie den Umweltschutz birgt oder zahlreiche divergierende grundrechtlich geschützte Interessen zu ermitteln und bei der Entscheidung zu berücksichtigen sind und diese Gesichtspunkte gerade durch die Durchführung des Genehmigungsverfahrens berücksichtigt werden sollen“ 310 . Überdies wird der – ohnehin unübersichtliche und wenig bürgerfreundliche – Drittschutz in multipolaren Rechtsverhältnissen durch fiktive Genehmigungen noch verkompliziert 311. Ob die hierdurch – etwa im Bauordnungsrecht – entstehenden Rechtsschutzdefizite des Nachbarn vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich noch tragbar sind, ist zumindest zweifelhaft. c) Resümee Insgesamt erweist sich deshalb der auch im Hinblick auf das Gewaltenteilungsprinzip nicht unproblematische 312 „Irrweg der Fiktionen“ 313 als „für materiell-rechtliche Deregulierungsstrategien kontraproduktiv“ 314. Dies gilt umso mehr, als die Genehmigungsbehörden bei weitgehend unverändertem oder gar schrumpfendem Personalbestand auf den durch starre Bearbeitungsfristen entstehenden Bearbeitungsdruck mit einer weiteren Verschiebung der Arbeitsprioritäten zu Lasten des bereits jetzt „in hohem Maße defizitären antragsunabhängigen Vollzugs“ 315 zu reagieren gezwungen sind. 308 Eindrucksvoll Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 55 und 70 zur Auswirkung von Genehmigungsfiktionen im Arzneimittelrecht. 309 Mit Blick auf die grundrechtlichen Schutzpflichten fordert Gnatzy, Verfahrensliberalisierung, S. 456 eine verfassungskonforme Auslegung der Fiktionsbestimmungen in den Landesbauordnungen. 310 Ziekow, Genehmigungsfiktionen, S. 24 ff; 38. 311 Näher Jäde, ZfBR 1996, S. 241 (245); Caspar, AÖR 125 (2000), S. 131 (143 ff.). 312 Caspar, AÖR 125 (2000), S. 131 (149); a. A. Ziekow, Genehmigungsfiktionen, S. 25 ff; 97 ff; Eisenmenger, NVwZ 2010, S. 337 (339). 313 Treffend Jäde, GewArch 1995, S. 187 (188 f.). 314 Sauter, BayVBl 1998, S. 2 (4). 315 Lübbe-Wolff (Modernisierung des Umweltrechts, S. 168 f.) meldet deshalb bezüglich vorgegebener Bearbeitungsfristen (selbst solchen ohne Genehmigungsfiktion) „die schärfsten Vorbehalte“ an.
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5. Kap.: Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern
Die negative rechtspolitische Bewertung von Genehmigungsfiktionen wird durch eine Gesetzesfolgenabschätzung bestätigt, welche 2002 dem rheinlandpfälzischen Landtag vorgelegt wurde 316. Eine Befragung der unteren Bauaufsichtsbehörden in jenem Bundesland ergab, dass ein sehr aufwändiges Überwachungssystem etabliert werden musste, um zu vermeiden, dass nicht fristgerecht beschiedene Bauanträge durch Fristablauf genehmigt wurden. Insbesondere die Berücksichtigung der außerhalb des Einwirkungsbereichs der Bauaufsichtsbehörden liegenden Fristen, etwa für die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB, bereiteten der Praxis zum Teil Probleme. Viele Bauaufsichtsbehörden verstanden die Fiktionsregelungen zudem eher als eine symbolische gesetzgeberische Maßnahme ohne große Bedeutung, weil nahezu alle Bauanträge fristgerecht bearbeitet werden konnten. Einzelne Berichte erweckten aber auch den Eindruck, dass die Bauaufsichtsbehörden durch die mit der Fiktionsregelung zusammenhängenden Problemen überfordert seien und sie deshalb einfach ignorierten. Die zahlreichen Vorgaben der Landesbauordnung zu Bearbeitungsfristen würden vielfach als unübersichtlich und kompliziert empfunden. Die Bauaufsichtsbehörden sahen sich durch sie unnötig unter erhöhten Entscheidungsdruck gesetzt. Die Landesregierung bezweifelte daher die Notwendigkeit eines allzu engmaschig geknüpften Netzes von rechtlich verbindlichen Fristen. Es sei zu prüfen, ob mit der Behandlung des Bauantrags zusammenhängende Fragen nicht teilweise außergesetzlich, insbesondere durch Verwaltungsvorschriften, geregelt werden könnten, um so das Gesetz zu vereinfachen und den Vollzug des Gesetzes praxisnäher zu gestalten 317. Auch die internationale verwaltungswissenschaftliche Forschung begegnet Genehmigungsfiktionen eher reserviert, wie entsprechende Untersuchungen aus den USA 318, Frankreich und Österreich belegen 319. So empfahl der französische conseil d’etat – das höchste Verwaltungsgericht und gleichzeitig administrative Beratungsorgan der Regierung – dem Gesetzgeber bereits 1980, vom „Beschleunigungsmittel der Genehmigungsfiktion nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch zu machen und bestehende Fiktionen möglichst abzubauen“ 320. Auch im Bauordnungsrecht – dem Gebiet, auf dem bisher die meisten verwaltungspraktischen Erfahrungen mit diesem Instrument bestehen – ist eine zurückhaltende Bewertung der Genehmigungsfiktion angezeigt. Zunächst fehlen bisher empirische Erhebungen, die belegen würden, dass mit fiktiven Baugenehmigungen tatsächlich ein Beschleunigungseffekt erzielt wird, der über den hinausgeht, der durch Entscheidungsfristen ohne Fiktionswirkung zu erzielen ist. Eine et316
Landtag Rheinland-Pfalz, LTDrs 14/1147, S. 3. Landtag Rheinland-Pfalz, LTDrs 14/1147, S. 3. 318 Spitzhorn, ZRP 2002, S. 196 (198) verweist diesbezüglich auf wenig positive Erfahrungen mit der amerikanischen „silence is consent rule“ des Staates New York. 319 Näher Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 68 ff. 320 Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 59 f. 317
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waige „Beschleunigungsrendite“ wäre mit einem erheblichen Verlust an Rechtssicherheit zudem teuer erkauft, wie die zahlreichen mit fiktiven Genehmigungen verbundenen Rechtsstreitigkeiten belegen. So haben die Bestimmung des Fristbeginns 321, die Anwendung der Fiktionstatbestände auf den Bauvorbescheid 322, der Eintritt der Baugenehmigungsfiktion trotz Versagung des gemeindlichen Einvernehmens 323 und die Aufhebung fiktiver Baugenehmigungen 324 zu zahlreichen Kontroversen in der Rechtsprechung geführt. Auch der neue § 42a VwVfG M-V wirft bereits zahlreiche „Anwendungsprobleme und Zweifelsfragen“ 325 auf, zu deren Klärung Rechtsprechung und Rechtswissenschaft aufgerufen sind 326. Entscheidungsfristen mit Fiktionswirkung sind nach alledem ein verfassungsrechtlich problematisches, mit zahlreichen „Risiken und Nebenwirkungen“ verbundenes Beschleunigungsinstrument, welches nur mit äußerster Vorsicht eingesetzt werden sollte 327. So urteilt mit Henning Jäde ein langjähriger Kenner der Materie, dass trotz „jahrzehntelanger Erfahrungen mit Genehmigungsfiktionen und aller gesetzgeberischer Bemühungen eine Vielzahl letztlich ungeklärter und ungelöster Fragen verbleibt, die zu einer rechtssicherer Handhabung des Instruments der Genehmigungsfiktion jedenfalls nicht beitragen. Vielmehr erweisen sich erneut Fiktionsregelungen als umso weniger geeignete Mittel sachgerechter Verfahrensbeschleunigung, je komplexer die zugrunde liegenden Sachverhalte und Rechtsmaterien sind ... Angemessen eingesetzt kann die Genehmigungsfiktion damit lediglich bei sachlich und rechtlich gelagerten Fällen in lediglich zweipoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen“ 328. Der im Zusammenhang mit Art. 13 Abs. 3 und 4 DLRL eingeleitete „Siegeszug“ solcher Fiktionen gibt deshalb zu nicht geringer Sorge Anlass. 321
Dieser beginnt mit Eingang des „vollständigen Antrags“. Zur schwierigen Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs vgl. OVG Greifswald, DVBl 2000, S. 1882 und NuR 2004, S. 739 (741). 322 Näher Saurer, DVBl 2006, S. 605 (609); OVG Schleswig, NordÖR 2005, S. 65; OVG Saarlouis, BRS 66 Nr. 120; OVG Hamburg, NordÖR 2003, S. 448. 323 Vgl. OVG Koblenz, NVwZ-RR 2002, S. 264 (265) – kein Eintritt der Fiktionswirkung); anders dagegen OVG Saarlouis (Urteil vom 09. 03. 2006, 2 R 8/05, juris). 324 OVG Schleswig, NordÖR 2004, S. 352; NordÖR 2005, S. 65; VGH München BayVBl 2002, S. 240 (242); VG Gera, ThürVBl 1998, S. 259 (260); VG Freiburg, NuR 1996, S. 48 (49). 325 Uechtritz, DVBl 2010, S. 684 (693). 326 So ist die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des „hinreichend bestimmten Antrags“ in § 42a Abs. 1 Satz 1 und der „vollständigen Unterlagen“ in § 42a Abs. 2 VwVfG M-V schwierig. Wann „Schwierigkeiten der Angelegenheit“ eine einmalige Fristverlängerung gem. § 42a Abs. 2 Satz 3 VwVfG M-V ermöglichen, ist ebenso klärungsbedürftig wie Einzelfragen des Rechtsschutzes gegen fingierte Genehmigungen. Näher Uechtritz, DÖV 2010, S. 684 (687 ff.); Guckelberger, DÖV 2010, S. 109 (113 ff.); Jäde, UPR 2009, S. 169; Hullmann / Zorn, NVwZ 2009, S. 756. 327 Sehr reserviert auch Spitzhorn, ZRP 2002, S. 196 (198 f.). 328 Jäde, UPR 2009, S. 169 (172 f.).
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5. Kap.: Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern
In Mecklenburg-Vorpommern wurden Genehmigungsfiktionen begrüßenswerterweise lange Zeit recht vorsichtig eingesetzt. Nachdem sich die Deregulierungskommission nicht zu einer einheitlichen Position durchringen konnte 329, entschied man sich, dieses Instrument nicht flächendeckend einzusetzen, sondern zunächst im Rahmen von Modellversuchen zu erproben. So wurde mit dem 2. DeregG 330 für die Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg über § 63 Abs. 2 LBauO M-V hinaus durch § 2 Nr. 2c TestRegG eine Genehmigungsfiktion auch bei Nutzungsänderungen baulicher Anlagen vorgesehen, die im Geltungsbereich eines qualifizierten oder vorhabenbezogenen Bebauungsplans nach §§ 30 Abs. 1 und 2, 12 BauGB liegen. In diesen Fällen hatte die untere Bauaufsichtsbehörde innerhalb eines Monats nach Eingang des vollständigen Antrags zu entscheiden, sofern der Bauherr mit dem Bauantrag eine schriftliche Erklärung der Gemeinde vorlegte, dass diese von den ihr zur Verfügung stehenden Instrumenten nach §§ 14, 15 BauGB keinen Gebrauch machen wollte und die Erschließung des Vorhabens gesichert war. Die Baugenehmigung galt als erteilt, wenn sie nicht innerhalb der Monatsfrist versagt wurde. Die Genehmigungsfiktion trat nicht ein, wenn die Bauaufsichtsbehörde dem Bauherrn innerhalb der maßgeblichen Frist mitteilte, dass im Baugenehmigungsverfahren andere Stellen zu beteiligen sind. Das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt in Mecklenburg-Vorpommern vom 17. 12. 2009 331 führte dann Genehmigungsfiktionen in § 3 Abs. 5 Satz 2 des Gesetzes über die Weiterbildung in den Gesundheitsfachberufen 332, in § 2 Abs. 2 Satz 3 des Markscheiderzulassungsgesetzes 333, in § 6 Abs. 2 Satz 2 des Weiterbildungsgesetzes M-V 334, in § 9 Abs. 2 Satz 2 bis 4; Abs. 4 Satz 2 sowie in § 10 Abs. 1 Satz 3; Abs. 3 Satz 2 ArchInG M-V 335 sowie im – mittlerweile aufgehobenen – § 35 Abs. 3 Satz 1 LNatG M-V 336 ein, indem dort (zum Teil mit Maßgaben) die entsprechende Anwendung des § 42a VwVfG M-V angeordnet wurde. 329 Näher Landtag M-V, LTDrs 4/1013, S. 61 f. sowie Christiansen / Voß, LKV 2004, S. 529 (531). 330 Vom 13. 02. 2006; GVOBl. M-V, S. 90. Dazu bereits § 16 C II. 331 GVOBl. M-V, S. 729. Näher § 19 C III 1 b) bb). 332 Vom 05. 05. 1994; GVOBl. M-V, S. 564, zuletzt geändert durch Art. 2 G vom 07. 05. 2008; GVOBl. M-V, S. 126. Die Genehmigungsfiktion betrifft das Anerkennungsverfahren von Weiterbildungsstätten, die eine Weiterbildung in den Fachberufen des Gesundheitswesens durchführen. 333 Vom 06. 06. 1994; GVOBl. M-V, S. 655, zuletzt geändert durch Art. 16 des Gesetzes vom 22. 11. 2001; GVOBl. M-V, S. 438. § 42a VwVfG M-V gilt hier mit der Maßgabe, dass die Entscheidungsfrist über den Antrag zur Zulassung als Markscheider erst ab Vorliegen des Führungszeugnisses beim Bergamt Stralsund beginnt. Zu den Einzelheiten LTDrs 5/2779, S. 60 f. 334 Vom 28. 04. 1994; GVOBl. M-V, S. 555, geändert durch Gesetz vom 17. 07. 1995; GVOBl. M-V, S. 332.
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3. Alternativen Als Alternativen zu Genehmigungsfiktionen bieten sich Entscheidungsfristen ohne Fiktionswirkung an, welche schon im Hinblick auf ihre Appellfunktion eine nicht zu unterschätzende Steuerungswirkung entfalten 337. Wichtiger und erfolgversprechender als die Einführung starrer gesetzlicher Fristen ist ohnehin, das Bewusstsein über die Notwendigkeit einer zügigen Sachentscheidung in organisatorische Vorkehrungen zur Beschleunigung der Verfahren in den Genehmigungsbehörden umzusetzen. Mögliche Beschleunigungsinstrumente sind etwa die Führung eines Fristenkalenders und die Festlegung flexibler Fristen für einzelne Abschnitte eines Verwaltungsverfahrens sowie für die Entscheidung selbst. Solche Regelfristen machen der Behörde und den Verfahrensbeteiligten deutlich, welche Beschleunigung im Regelfall notwendig und möglich ist. Sobald die Behörde erkennt, dass die Regelfrist nicht eingehalten werden kann, muss sie die Beteiligten und die vorgesetzten Behörden verständigen, die dadurch das Signal erhalten, dass mehr Ressourcen eingesetzt werden müssen, um die Einhaltung der Frist zu ermöglichen. Diesbezüglich ist in den letzten Jahren ein grundlegender Wandel der behördlichen Verwaltungskultur zu beobachten, der bereits zu einer deutlichen Reduzierung der Dauer von Genehmigungsverfahren geführt hat 338. Verbesserungen hat es auch im Bereich des Verfahrensmanagements durch Koordination komplexer Genehmigungsverfahren und die Bestellung von Projektmanagern 339 oder Mediatoren 340 in Verfahren mit hohem Konfliktpotenzial gegeben. Zudem ist die Konzentrationswirkung von Genehmigungsverfahren im Bauordnungsrecht und Naturschutzrecht ein gegenüber Genehmigungsfiktionen vorzugswürdiges Instrument zur Optimierung von Verwaltungsverfahren. Wird darüber hinaus das trotz Verbesserungen der organisatorischen Rahmenbedingungen fortbestehende innerorganisatorische Optimierungspotenzial bei den Genehmigungsbehörden konsequent und langfristig ausgeschöpft, so kann (und sollte) auf das Instrument der Genehmigungsfiktion im Verwaltungsrecht so weit wie (europarechtlich) möglich verzichtet werden. Zu hoffen bleibt deshalb, dass 335
Vom 18. 11. 2009; GVOBl. M-V, S. 646. Die Genehmigungsfiktion betrifft das Eintragungsverfahren in die Liste der bauvorlageberechtigten Ingenieure und der Tragwerkssowie Brandschutzplaner. 336 Die Vorschrift betraf die Genehmigungsbedürftigkeit des gewerbsmäßigen Sammelns, Be- und Verarbeiten wildlebender Tiere. 337 Empirische Befunde zur Beschleunigungswirkung solcher Regelfristen bei Ziekow / Oertel / Windoffer, Dauer. Zum Folgenden auch Biermann, NordÖR 2009, S. 377 (384). 338 Vgl. dazu ausführlich oben § 9 C IX. 339 Zum Projektmanagement bereits Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 81 ff. 340 Grundlegend Hoffmann-Riem, Konfliktmittler in Verwaltungsverhandlungen, Holznagel, DV 1989, S. 421; Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren, S. 90 ff.
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5. Kap.: Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern
die europäischen Vorgaben bundes- wie landesrechtlich in „möglichst kleiner Münze“ umgesetzt werden 341. Insbesondere sollte der durch Art. 13 Abs. 4 Satz 2 DLRL ermöglichte (sehr weit gehende) Verzicht auf Genehmigungsfiktionen 342 konsequent in nationales Recht umgesetzt werden.
C. Die Europäische Dienstleistungsrichtlinie – eine Herausforderung auch für die Verwaltung in Mecklenburg-Vorpommern Die am 28. 12. 2006 in Kraft getretene und in der Fachöffentlichkeit intensiv diskutierte 343 Europäische Dienstleistungsrichtlinie (DLRL) 344 gehört zu den wichtigsten sekundärrechtlichen Rechtsetzungsvorhaben seit Bestehen der Europäischen Union 345. Sie verpflichtete alle 27 Mitgliedsstaaten innerhalb einer knapp bemessenen dreijährigen Umsetzungsfrist, weite Bereiche ihrer Rechtsordnungen zu überprüfen und ggf. an europarechtliche Standards anzupassen. Die Richtlinie, die auf die Rechtsangleichungs- und Harmonisierungsvorschriften der Art. 55 und 47 Abs. 2 EGV als maßgebliche Kompetenznormen gestützt wurde 346, enthielt weit reichende Vorgaben für die Ausgestaltung des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts und die Verwaltungsorganisation in den Mitgliedsstaaten 347, ohne allerdings den Wesenskern der mitgliedschaftlichen Kompetenz für die Ausgestaltung der Verwaltungsverfahren zu berühren 348. Sie forderte unter 341 Auch Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 (9), raten, Genehmigungsfiktionen mit Bedacht einzusetzen. Jäde, UPR 2009, S. 169 (173) mahnt den Fachgesetzgeber, bei der Übernahme des § 42a VwVfG über das europarechtlich zwingend Gebotene hinaus kritische Zurückhaltung zu üben. 342 Zum verbleibenden Gestaltungsspielraum des nationalen Gesetzgebers Bernhardt, GewArch 2009, S. 100 (105 f.). 343 Ausführlich Schliesky, Umsetzung; Ziekow / Windoffer, Einheitlicher Ansprechpartner; Windoffer, DVBl 2006, S. 1210; derselbe, NVwZ 2007, S. 495; Korte, NVwZ 2007, S. 501; Ziekow / Beck / Bohne / Hill / Jansen, Gestaltungsoptionen und Anforderungen an „Einheitliche Ansprechpartner“ des Vorschlags einer EU-Dienstleitungsrichtlinie im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland (zitiert: Speyer-Gutachten). 344 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 12. 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl EU L 376 vom 27. 12. 2006, S. 36. 345 Schliesky, Das Ende der deutschen Verwaltung?, in: Schliesky, Umsetzung, S. 1 (12) spricht vom „wohl bedeutendsten Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaft in den letzten Jahren“. 346 Eingehend Streinz / Leible, in: Schlachter / Ohler, Einleitung, Rn. 24 ff. 347 Nach Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 greift die Richtlinie „in bislang nicht gekannten Ausmaß in das Verfahrensrecht der Mitgliedsstaaten ein.“ 348 Zur Primärrechtskonformität der Richtlinie Speyer-Gutachten, S. 60 ff. und Schliesky, Das Ende der deutschen Verwaltung?, in: Schliesky, Umsetzung, S. 1 (8 ff.).
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anderem eine umfassende Überprüfung des für die Erbringung von Dienstleistungen relevanten nationalen Rechts (Art. 5 DLRL), sah die Schaffung einheitlicher Ansprechpartner für Dienstleistungserbringer vor (Art. 6 DLRL), stärkte die Informationsrechte der Dienstleistungsempfänger (Art. 7 DLRL), verpflichtete die Mitgliedsstaaten, bis zum 28. 12. 2009 die Voraussetzungen für eine elektronische Verfahrensabwicklung zu schaffen (Art. 8 DLRL) und enthielt konkrete Vorgaben für die Ausgestaltung dienstleistungsrelevanter Genehmigungsverfahren (Art. 13 DLRL). Unter der missverständlichen Terminologie des „Bürokratieabbaus“ entfaltete die Europäische Dienstleistungsrichtlinie ein grundlegendes Programm zur Rechts- und Verfahrensoptimierung. Ihre mit einem umfassenden gesetzgeberischen, technischen und verwaltungsorganisatorischen Handlungsbedarf verbundene Umsetzung in nationales Recht konnte zu einer umfassenden Verwaltungsmodernisierung genutzt werden, so dass die Richtlinie insofern „die Funktion eines Katalysators“ 349 aufwies. Eine Vielzahl aktueller Modernisierungsprojekte wie eGovernment, Genehmigungen aus einer Hand, Rechtsetzungs-, Rechts- und Verfahrensoptimierung wurden von der DLRL aufgegriffen und mussten innerhalb der knapp bemessenen Umsetzungsfrist richtlinienkonform in das deutsche Verwaltungsrecht transformiert werden. Der so entstehende Reformdruck trug zur Verstetigung der Verwaltungsmodernisierungsdebatte bei. Mit der DLRL wurde die Modernisierung von Verwaltung und Verwaltungsrecht zu einem rechtlich verbindlichen Erfordernis, was die Modernisierungsakteure von dem oft geäußerten Vorwurf bloßer „Reformspielereien“ entlastete. Die DLRL war und ist deshalb für den gegenwärtigen Verwaltungsmodernisierungsdiskurs von überragender Bedeutung. Nachfolgend soll daher zunächst ein kurzer Überblick über Hintergrund, Ziele und Entstehungsgeschichte der Richtlinie erfolgen (I.), sodann ihr sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich geklärt (II.) und schließlich ihr wesentlicher Inhalt vorgestellt werden (III.). In diesem Rahmen wird auch ein Überblick zu den bisherigen Umsetzungsaktivitäten auf Bundesebene und in MecklenburgVorpommern gegeben. Zuletzt folgt eine knappe rechtspolitische Bewertung der im Zuge der Umsetzung der Richtlinie erfolgten Neuerungen.
A. A. Scholz, in: Festschrift für Reiner Schmidt, S. 169 (174), der eine Verletzung des Gebots der Subsidiarität nach Art. 5 Abs. 3 EUV und des Verhältnismäßigkeitsprinzips nach Art. 5 Abs. 4 EUV durch zu weiten Eingriff in die Organisationshoheit der Mitgliedsstaaten annimmt und Ohler, BayVBl 2006, S. 261 (266 f.). 349 Schliesky, Das Ende der deutschen Verwaltung?, in: Schliesky, Umsetzung, S. 1 (30).
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5. Kap.: Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern
I. Hintergrund, Ziele und Entstehung der Dienstleistungsrichtlinie Ziel der von der Europäischen Kommission als zentrales Element der erneuerten Lissabon-Strategie für Wachstum und Arbeitsplätze 350 angesehenen Europäischen Dienstleistungsrichtlinie war es, echte Fortschritte im Hinblick auf einen Binnenmarkt für Dienstleistungen zu erreichen 351. Mit der Richtlinie wollte man bestehende Hindernisse und Beschränkungen auf dem Europäischen Dienstleistungsmarkt abbauen und so für ein stärkeres Zusammenwachsen der Völker Europas sorgen sowie einen ausgewogenen und nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt fördern. Mit dem Vorhaben sollte die „breite Kluft zwischen der Vision einer wirtschaftlich integrierten Europäischen Union und der Wirklichkeit“ verkleinert, ein wahrhaft integrierter Binnenmarkt für Dienstleistungen geschaffen und der Niederlassungs- sowie der Dienstleistungsfreiheit 352 eine bessere praktische Wirksamkeit ermöglicht werden. Angestrebt wurde eine Vereinfachung von Verwaltungsverfahren, der Abbau von Hindernissen für Dienstleistungen, die Verstärkung des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedsstaaten sowie des Vertrauens von Dienstleistungserbringern und Verbrauchern in den Binnenmarkt 353. Durch Aktivitäten zur Verwaltungsvereinfachung sollte zugleich das europäische Programm zur besseren Rechtsetzung unterstützt werden 354. Mit der Richtlinie verfolgte die Kommission einen dynamischen und selektiven Ansatz. Das vorrangige Augenmerk galt leicht zu beseitigenden Beschränkungen, während hinsichtlich der übrigen Restriktionen ein Prozess der Evaluierung, Konsultation und ergänzenden Harmonisierung eingeleitet wurde. Schrittweise und koordiniert wollte man so eine Modernisierung der nationalen Regelungen für Dienstleistungstätigkeiten erreichen 355. Die Richtlinie setzte auf eine Kombination aus gezielter Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften sowie der Intensivierung der Verwaltungszusammenarbeit und stellte hierfür ein Instrumentenbündel zur Verfügung. Zum einen 350 Mit der Lissabon-Strategie – KOM (2000) 888 endgültig vom 29. 12. 2000 – sollte die Konkurrenzfähigkeit der europäischen Wirtschaft im weltweiten Wettbewerb nachhaltig gestärkt werden. Im Mittelpunkt des in den Folgejahren fortgeschriebenen Konzepts standen die DLRL und die sog. Berufsanerkennungsrichtlinie (Richtlinie 2005/36/EG; ABl EU 2005, L 255, S. 22 ff.). Näher Streinz / Leible, in: Schlachter / Ohler, Einleitung, Rn. 23. 351 Zur Ausgangssituation im europäischen Dienstleistungssektor Ziekow, GewArch 2007, S. 179. 352 Vgl. nunmehr Art. 49 und 56 AEUV. 353 Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Handbuch zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie (im Folgenden: Handbuch DLRL), S. 5. 354 Mitteilung der Kommission „Strategische Überlegungen zur Verbesserung der Rechtsetzung in der Europäischen Union“, KOM (2006) 689 vom 14. 11. 2006. 355 Erwägungsgrund 7 der Richtlinie.
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wurden die Mitgliedsstaaten zu konkreten Recht setzenden Maßnahmen verpflichtet (vgl. etwa Art. 9 bis Art. 13 DLRL mit detaillierten Anforderungen zur Ausgestaltung dienstleistungsrelevanter Genehmigungsverfahren). Zum anderen sollten diese eine Vielzahl praktischer Vorkehrungen ergreifen, um tatsächliche Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringern in den Mitgliedsstaaten und des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen den Mitgliedsstaaten zu beseitigen. Besondere Herausforderungen für die nationalen Rechtsordnungen waren vor allem die von Art. 6 DLRL geforderten einheitlichen Ansprechpartner für alle Dienstleistungserbringer und die nach Art. 8 DLRL zu gewährleistenden elektronischen Verwaltungsverfahren. Danach mussten die Mitgliedsstaaten bis zum 28. 12. 2009 sicherstellen, dass „alle Verfahren und Formalitäten, welche die Aufnahme oder die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit betreffen, problemlos aus der Ferne und elektronisch über den betreffenden einheitlichen Ansprechpartner oder bei der betreffenden zuständigen Behörde abgewickelt werden können“. Art. 7 DLRL garantiert den Dienstleistungserbringern überdies umfassende Informationsrechte. Darüber hinaus enthalten Art. 28 bis 36 DLRL Mechanismen der transnationalen Verwaltungszusammenarbeit 356. Zudem fordert die Richtlinie den Einsatz von Instrumenten zur Verwaltungsmodernisierung wie beispielsweise die Überprüfung dienstleistungsrelevanter Anforderungen in der nationalen Gesetzgebung (Art. 5 DLRL) sowie die gegenseitige Evaluierung der Mitgliedsstaaten (Art. 39 DLRL). Die Ende 2006 „beinahe unbemerkt“ 357 in Kraft getretene DLRL hat eine bewegte Gesetzgebungsgeschichte hinter sich 358. Der ursprüngliche Vorschlag wurde unter dem damals zuständigen Kommissar für den Binnenmarkt Frits Bolkestein erarbeitet und von der Kommission am 25. 02. 2004 vorgelegt 359. Dieser löste eine für ein europäisches Gesetzgebungsvorhaben ungewöhnlich frühzeitige und breite kontroverse Debatte aus und wurde als sog. „Bolkesteinrichtlinie“ zum „Feindbild“ ihrer Gegner 360. Insbesondere wurden Befürchtungen laut, die ins Auge gefassten Regelungen 361 könnten einen ruinösen Wettlauf um die niedrigsten Qualitätsstandards in Europa auslösen. Auch vor dem Hintergrund der gescheiterten Referenden zur Europäischen Verfassung in Frankreich und den Niederlanden wurde der ursprünglich sehr weit reichende Richtlinien356
Näher zum Konzept der mitgliedsstaatlichen Verwaltungskooperation Korte, NVwZ 2007, S. 501. 357 Korte, NVwZ 2007, S. 501. 358 Eingehend Streinz / Leible, in: Schlachter / Ohler, Einleitung, Rn. 23 ff. 359 Vgl. SEK (2004) 21 endgültig vom 25. 02. 2004. 360 Streinz / Leible, in: Schlachter / Ohler, Einleitung, Rn. 24 m.w. N. 361 Umstritten war vor allem das in Art. 16 vorgesehene Herkunftslandprinzip (dazu Streinz / Leible, in: Schlachter / Ohler, Einleitung, Rn. 39 ff.), in dem die Gefahr des „Sozialdumpings“ und eines „race to the bottom“ gesehen wurde. Kritisiert wurden auch der horizontale Ansatz, die fehlende Abstimmung mit bestehenden Richtlinien und drohende Konflikte mit dem Internationalen Privatrecht.
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vorschlag an die politische Wirklichkeit angepasst 362. Die intensive Diskussion auf europäischer Ebene 363, aber auch in den Mitgliedsstaaten 364 veranlasste die Kommission im April 2006 zur Vorlage eines geänderten Richtlinienentwurfs 365, der viele Änderungsvorschläge des Parlaments berücksichtigte und in dem der zum Reizwort gewordene Begriff des Herkunftslandsprinzips durch die neutralere Bezeichnung Dienstleistungsfreiheit ersetzt wurde 366. Nachdem der Rat der Europäischen Union am 24. 07. 2006 seinen Gemeinsamen Standpunkt zum geänderten Richtlinienvorschlag verabschiedet hatte, der vom Europäischen Parlament am 15. 11. 2006 mit breiter Mehrheit gebilligt wurde 367, konnte die DLRL am 27. 12. 2006 im Amtsblatt der Europäischen Union 368 veröffentlicht werden und am nächsten Tage in Kraft treten. Die DLRL besteht aus acht Kapiteln mit insgesamt 46 Artikeln und wird von 118 ausführlichen Erwägungsgründen eingeleitet. Nach Art. 44 Abs. 1 DLRL war sie bis zum 28. 12. 2009 in nationales Recht umzusetzen. Die Erkenntnis, dass die nationalen Gesetzgeber und Verwaltungen durch die DLRL vor ein „äußerst anspruchsvoll(es)“ 369 Überprüfungsund Veränderungsprogramm gestellt werden, welches teilweise an den „Grundpfeilern der deutschen Verwaltung rüttelt und den föderalen Staat vor besondere Herausforderungen stellt“ 370, setzte sich in der Verwaltung trotz intensiver wissenschaftlichen Begleitung des Umsetzungsprozesses 371 allerdings eher langsam durch 372. Dennoch gelang in der Bundesrepublik Deutschland im Wesentlichen die Umsetzung der Richtlinie im Rahmen der knapp bemessenen dreijährigen Umsetzungsfrist 373. 362 Korte, NVwZ 2007, S. 501. Zum ursprünglichen Kommissionsentwurf Möstl, DÖV 2006, S. 281. 363 Am 29. und 30. 09. 2004 verabschiedete der Ausschuss der Regionen seine Stellungnahme (ABL 2005, C 43, S. 18), am 09. und 10. 02. 2005 der Europäische Wirtschaftsund Sozialausschuss (ABL C 221, S. 113), am 16. 02. 2006 erfolgte die erste Lesung im Europäischen Parlament. 364 Zur Diskussion in Deutschland Schlichting / Spelten, EuZW 2005, S. 238 (240 m.w. N.). 365 KOM (2006)160 endgültig vom 04. 04. 2006. 366 Streinz / Leible, in: Schlachter / Ohler, Einleitung, Rn. 34. 367 Näher Streinz / Leible, in: Schlachter / Ohler, Einleitung, Rn. 35 f. 368 ABL EU L 376, S. 76. 369 Windoffer, NVwZ 2007, S. 495 (496). 370 Schliesky, Das Ende der deutschen Verwaltung?, in: Schliesky, Umsetzung, S. 1 (2). 371 Vgl. Kim, DÖV 2009, S. 69; Luch / Classen, GewArch 2008, S. 394; Möller, NordÖR 2008, S. 321. 372 Schliesky Das Ende der deutschen Verwaltung?, in: Schliesky, Umsetzung, S. 1 (12). Einen zum Teil „leichtfertigen Umgang“ mit der Richtlinie beklagte Wind, in: Innovative Verwaltung, Heft 3/2008, S. 14 ff. 373 Dazu sogleich §19 C III.
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II. Sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich Das erste Kapitel (Art. 1 bis 4 DLRL) regelt zunächst Gegenstand (Art. 1 DLRL) und Anwendungsbereich der Richtlinie (Art. 2 DLRL). Art. 3 DLRL legt sodann das Verhältnis zum geltenden Gemeinschaftsrecht im Sinne der Vorrangigkeit sonstigen sekundären Gemeinschaftsrechts fest, während in Art. 4 DLRL die für die Anwendung der Richtlinie zentralen Begriffe geklärt werden. Erhebliche Anwendungsprobleme wirft die Frage nach dem Anwendungsbereich der Richtlinie auf. Diese gilt nach Art. 2 Abs. 1 DLRL für alle Dienstleitungen, die von einem in einem Mitgliedsstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer angeboten werden und wählt damit einen umfassenden, sektorenübergreifenden Ansatz. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH wird der in Art. 4 Nr. 1 definierte Begriff der Dienstleistung sehr weit verstanden und umfasst jede von Art. 57 AEUV erfasste selbständige wirtschaftliche Tätigkeit, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird 374. Allerdings sind nach Art. 2 Abs. 2 und 3 eine Reihe von Tätigkeiten vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen 375. Diese beansprucht unter anderem für nicht-wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, Finanz- und Bankdienstleistungen, bestimmte Verkehrsdienstleistungen und Dienstleistungen im Gesundheitswesen keine Geltung. Auch Dienstleistungen von Leiharbeitsagenturen, Glücksspiele, bestimmte soziale Dienstleistungen und private Sicherheitsdienste sowie der gesamte Bereich der Steuern sind vom Anwendungsbereich ausgeschlossen 376. Dennoch umfasst die Richtlinie eine Vielzahl von Tätigkeiten, und zwar unabhängig davon, ob diese für Unternehmen erbracht werden. Beispielhaft und ohne Anspruch auf Vollständigkeit zählt das Handbuch der Europäischen Kommission unter anderem die Tätigkeiten der reglementierten Berufe (Rechtsanwälte, Steuerberater, Architekten, Ingenieure, Buchhalter, Vermessungsingenieure), unternehmensbezogene Dienstleistungen (wie z. B. Unterhaltung von Büroräumen, Organisation von Veranstaltungen, Beitreibung von Forderungen, Werbung und Personalagenturen), Handel (einschließlich des Einzel- und Großhandels von Gütern und Dienstleistungen), Dienstleistungen im Bereich des Fremdenverkehrs, im Freizeitbereich, des Baugewerbes, Informationsdienstleistungen im Bereich der Informationstechnologie, Beherbergungs- und Verpflegungsdienstleistungen, Dienstleistungen im Bildungssektor, Immobiliendienstleistungen, Zer-
374
Eingehend Streinz / Leible, in: Schlachter / Ohler, Art. 4 Rn. 2 ff. Kritisch Schliesky, Das Ende der deutschen Verwaltung?, in: Schliesky, Umsetzung, S. 1 (13 f.) und Luch / Schulz, Sachlicher Anwendungsbereich, in: Schliesky, Umsetzung, S. 59 (66), wonach Art. 2 Abs. 2 DLRL überwiegend erfolgreiche Lobbyarbeit widerspiegelt. 376 Näher Luch / Schulz, Sachlicher Anwendungsbereich, in: Schliesky, Umsetzung, S. 59 (65 ff.); Streinz / Leible, in: Schlachter / Ohler, Art. 4 Rn. 9 ff. 375
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tifizierungs- und Prüfungstätigkeiten sowie Unterstützungsdienste im Haushalt auf 377. Voraussetzung für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Richtlinie in persönlicher Hinsicht ist, dass diese Dienstleistungen grenzüberschreitend erbracht werden. Zwar vertritt die Kommission in ihrem mit den Mitgliedsstaaten nicht koordinierten Handbuch die Auffassung, Art. 5 bis 8 DLRL unterschieden nicht zwischen inländischen und ausländischen Dienstleistungserbringern und gälten daher „genauso für Dienstleistungserbringer mit Sitz in einem anderem Mitgliedsstaat und für Dienstleistungserbringer, die ihren Sitz innerhalb des Hoheitsgebietes ihres eigenen Mitgliedstaates haben (oder einen solchen Sitz errichten wollen)“ 378. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass das grenzüberschreitende Element, wie sich etwa aus Art. 49 Abs. 1 und 2, 56 Abs. 1 AEUV ergibt, Voraussetzung für die Anwendung der Kapitel über die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit ist 379. Die – rechtspolitisch gleichwohl sinnvolle – Ausdehnung der in Art. 6 bis 8 DLRL enthaltenen Leistungsangebote auf rein inländische Dienstleistungserbringer und Vorgänge wird daher nach richtiger Auffassung weder von der Richtlinie noch vom Grundgesetz gefordert. Aus europarechtlicher Perspektive hätte weder das Verbot der Inländerdiskriminierung nach Art. 18 AEUV eine unterschiedslose Umsetzung der Richtlinie für In- und Ausländer notwendig gemacht 380, noch wäre eine solche aus nationalverfassungsrechtlicher Hinsicht im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG geboten gewesen 381. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und zwecks Vermeidung einer Wettbewerbsverzerrung war die Einrichtung eines Einheitlichen Ansprechpartners auch für inländische Dienstleister aber rechtspolitisch ohne Alternative 382 und deshalb bereits früh bei fast allen politischen Akteuren in Bund und Ländern unstreitig 383. Der enge zeitliche Umsetzungsrahmen, die mit einer differenzierten Umsetzung der Richtlinie notwendigerweise verbundene Schwächung der nationalen Wirtschaft sowie der mit dem Aufbau von Doppel377
Handbuch DLRL, S. 11 f. Handbuch DLRL, S. 23. 379 Windoffer, DVBl 2006, S. 1210 (1212) mit Nachweisen zur Rechtsprechung des EuGH in Fn. 13. 380 Näher Speyer-Gutachten, S. 171 und Streinz, EUV / EGV, Art. 12 EGV Rn. 58 f. 381 Speyer-Gutachten, S. 171 f; vgl. auch Gundel, DVBl. 2007, S. 269 (272 ff.). Entscheidend ist, dass die Inländerungleichbehandlung in Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie auf die Gemeinschaftsrechtsordnung und damit auf die Maßnahme eines vom nationalen Gesetzgebers abweichenden Hoheitsträgers zurückzuführen wäre und solche Ungleichbehandlungen nicht dem nationalen Gesetzgeber zugerechnet werden können. A. A. insoweit Luch / Schulz, Personeller Anwendungsbereich, in: Schliesky, Umsetzung, S. 33 (45 ff.). 382 Ramsauer, NordÖR 2008, S. 417 (419); Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 (3). 383 Einen entsprechenden Beschluss fasste die Wirtschaftsministerkonferenz schon am 04. / 05. 06. 2007. 378
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strukturen verbundene Verlust an Rechts- und Verwaltungseinheit ließen von Beginn an lediglich eine einheitliche Umsetzung der Richtlinie für in- und ausländische Dienstleister als sinnvoll erscheinen. Für eine einheitliche Umsetzung sprach schließlich auch das europäische Grundrecht auf eine gute Verwaltung nach Art. 47 GRC 384. III. Wesentlicher Inhalt und Umsetzung in der Bundesrepublik Deutschland Das Herzstück der Richtlinie aus Sicht der Dienstleistungserbringer enthalten die Kapitel II („Verwaltungsvereinfachung“ – Art. 5 bis 8 DLRL), III („Niederlassungsfreiheit der Dienstleistungserbringer“ – Art. 9 bis 15 DLRL) und IV („Freier Dienstleistungsverkehr – Art. 16 bis 21 DLRL). Kapitel V widmet sich der „Qualität der Dienstleistungen“ (Art. 22 bis 27 DLRL). Kapitel VI enthält schließlich detaillierte Vorgaben für eine grenzüberschreitende Verwaltungszusammenarbeit (Art. 28 bis 36 DLRL) 385. 1. Rechtsoptimierung und Vereinfachung von Verwaltungsverfahren a) Anforderungen der Richtlinie Art. 5 Abs. 1 DLRL verpflichtete die Mitgliedsstaaten zu einem umfassenden „Normenscreening“, in dem das gesamte nationale Recht mit Dienstleistungsbezug darauf hin überprüft werden musste, ob die für die Aufnahme und die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit geltenden Vorschriften hinreichend einfach waren. Sofern dies nicht der Fall war, mussten die Mitgliedsstaaten das nationale Recht entsprechend vereinfachen. Einer Überprüfung bedurften sämtliche Rechtsnormen auf allen staatlichen oder vom Staat mit Rechtssetzungsbefugnissen ausgestatteten Ebenen. In der Bundesrepublik Deutschland musste die Normprüfung somit in 14 Bundesressorts, 16 Bundesländern, bei ca. 12.500 Kommunen und bei 234 Kammern durchgeführt werden. Die Überprüfungspflicht beschränkte sich nicht auf Gesetze im formellen Sinne, sondern umfasste auch Rechtsverordnungen und Satzungen. Verwaltungsvorschriften wurden dagegen nicht eigenständig überprüft, sondern waren bei den entsprechenden Rechtsvorschriften mit zu berücksichtigen. Abgesichert wurde die Normprüfung 384
(57).
Luch / Schulz, Personeller Anwendungsbereich, in: Schliesky, Umsetzung, S. 33
385 Zur Europäisierung der Amtshilfe durch die EU-Dienstleistungsrichtlinie Schliesky, in: Schliesky, Umsetzung, S. 203 ff. Kritisch Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 (2), wonach der Verwaltung in Art. 32 und 35 DLRL „geradezu absurde Vorschriften“ gemacht würden. Vgl. zur Umsetzung nunmehr §§ 8a bis e VwVfG.
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in den Mitgliedsstaaten durch umfangreiche Berichtspflichten an die Kommission und ein in Art. 39 DLRL geregeltes Verfahren gegenseitiger Evaluierung. Damit sollen Transparenz und eine transnationale Beurteilung der in der Gesetzgebung erreichten Fortschritte gewährleistet werden 386. Die Mitgliedstaaten mussten bzw. müssen somit systematische und umfassende Anstrengungen zur Verwaltungsvereinfachung unternehmen, wobei die Verfahren und Formalitäten aus der Sicht des Empfängers zu prüfen und zu bewerten sind. Insofern leistet die DLRL einen erheblichen Beitrag zur Rechtsoptimierung, Deregulierung und Verfahrensoptimierung. Die Kommission forderte von den Mitgliedsstaaten nicht weniger als eine vollständige und umfassende Überprüfung der Notwendigkeit aller für Dienstleistungserbringer relevanter Verfahren und Formalitäten. Anforderungen, die beibehalten werden sollten, mussten der Kommission bis Ende 2009 gemeldet werden. Auf seine Notwendigkeit hin zu überprüfen war jeglicher Verfahrensschritt, den Unternehmen im Zusammenhang mit der Erbringung von Dienstleistungen ergreifen mussten. Dies begann mit der Einreichung von Dokumenten, der Einholung von Genehmigungen und sonstigen Anforderungen vor Aufnahme der Tätigkeit und endete nicht etwa mit der Genehmigungserteilung. Auch alle Verfahren und Formalitäten, die im Zuge der Ausübung der Dienstleistung oder sogar bei der Beendigung einer solchen auferlegt wurden – etwa Berichts-, Statistik- und Aufbewahrungspflichten – mussten einem systematischen „Normencontrolling“ unterzogen werden 387. Im Rahmen dieser Prüfung waren nach Art. 9 Abs. 1 DLRL insbesondere alle nationalen Genehmigungsregelungen für die Aufnahme und Ausübung einer Dienstleistung auf den Prüfstand zu stellen. Sie durften nach Art. 9 Abs. 1 Nr. 1a bis c DLRL nur aufrechterhalten werden, wenn sie nicht diskriminierend sowie durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt sind und das angestrebte Ziel nicht durch mildere Mittel, insbesondere durch eine bloß nachträgliche Kontrolle, erreicht werden kann. Die DLRL bevorzugt somit ersichtlich die nachträgliche Prüfung gegenüber präventiven Eröffnungskontrollen 388 und hat die bereits seit Jahren in vielen Teilgebieten des Besonderen Verwaltungsrechts zu beobachtende (rechtspolitisch fragwürdige) 389 Tendenz des „Rückzugs des Staates aus dem Ordnungsrecht“ weiter verstärkt 390. Art. 10 DLRL stellt an die nationalen Genehmigungsregelungen weitere Anforderungen. Diese dürfen nur auf Kriterien beruhen, die ein willkürliches Handeln der Genehmigungs386
Ausführlich Handbuch DLRL, S. 88 ff. Handbuch DLRL, S. 23 f. 388 Zu Recht kritisch Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 (2) sowie Cencik, DÖV 2011, S. 1 (2), wonach die präventive Kontrolle immer mehr „im wahrsten Sinne zum Klassiker wird: lang tradiert und selten.“ 389 Zum Rückzug des Staates aus dem Ordnungsrecht und zur Kritik daran bereits § 19 A II. 390 Eingehend zum durch die DLRL ausgelöstem Deregulierungsdruck im Gewerbeund Handwerksrecht Kluth, in: Schliesky, Umsetzung II, S. 29 (47 ff.). 387
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behörden ausschließen (Art. 10 Abs. 1 DLRL), und nach Art. 10 Abs. 2 DLRL insbesondere durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt, verhältnismäßig, klar und unzweideutig, objektiv, im Voraus bekannt gemacht, transparent, zugänglich und nicht diskriminierend sein. Nach Art. 10 Abs. 4 DLRL muss die Genehmigung grundsätzlich im gesamten Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedsstaates gelten; Ausnahmen sind nur aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses zulässig. Nach Art. 11 DLRL darf die dem Dienstleistungserbringer erteilte Genehmigung überdies grundsätzlich nicht befristet werden; Ausnahmen sind nach Art. 11 Abs. 1 Nr. a bis c DLRL nur bei automatischen Verlängerungen, einer begrenzten Anzahl zur Verfügung stehender Konzessionen oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Art. 13 DLRL stellt schließlich besondere Anforderungen an das Genehmigungsverfahren. Nach Art. 13 Abs. 3 und 4 DLRL haben die Mitgliedsstaaten Bearbeitungsfristen einführen, nach deren Ablauf regelmäßig eine Genehmigungsfiktion eintreten soll 391. Ausnahmen sind nach Art. 13 Abs. 4 Satz 2 DLRL nur „durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses, einschließlich eines berechtigten Interesses Dritter“ gerechtfertigt. Nach Art. 44 Abs. 1 DLRL mussten die zur Umsetzung der Richtlinie erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften spätestens bis zum 28. 12. 2009 in Kraft treten. b) Umsetzung in Deutschland aa) Normprüfungsprozess Die Koordinierung des Normprüfungsprozesses, die Vertretung in Brüssel und die Übermittlung der zu berichtenden Daten an die Kommission oblag dem Bund; im Übrigen waren Bund und Länder jeweils selbst für die Prüfung in ihrem Zuständigkeitsbereich verantwortlich. Die Einbindung von Kommunen und Kammern erfolgte über die Länder, die ggf. im Wege der Fach- und Rechtsaufsicht die Durchführung der Normenprüfung sicherstellen mussten. Diese wurde in Deutschland von allen Ebenen mittels eines inhaltlich abgestimmten IT-gestützten Prüfrasters durchgeführt, welches den Prüfer durch vorstrukturierte und streng an den Vorgaben der DLRL orientierte Fragen durch den Prüfprozess leitete. Im Ergebnis konnte so der Anpassungsbedarf für jede dienstleistungsrelevante Rechtsnorm identifiziert werden und der nach Art. 39 DLRL vorgesehene Bericht einzelner Anforderungen an die Europäische Kommission erfolgen 392. Die Normprüfung begann im Juni 2008 und ist mittlerweile flächendeckend abgeschlossen 393. Die erforderlichen Änderungen waren auf allen Ebenen größ391
Zur grundsätzlichen Kritik an Genehmigungsfiktionen oben § 19 B III 2. BTDrs 17/728, S. 7. Zu den Einzelheiten www.dienstleisten-leicht-gemacht.de (Internetpräsentation des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie zur DLRL (Abrufdatum: 09. 02. 2011). 392
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tenteils Anfang des Jahres 2010 und damit im Rahmen der Umsetzungsfrist in Kraft getreten 394. bb) Anpassung des Allgemeinen Verwaltungsrechts Durch die DLRL wurde zunächst das Allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht von Bund und Ländern einem erheblichen Anpassungsdruck ausgesetzt 395. Die diesbezügliche Umsetzungspflicht traf zunächst die Länder, welche ihre Verwaltungsverfahrensgesetze richtliniengemäß umgestalten mussten, soweit diese nicht – wie in Berlin, Rheinland-Pfalz und Sachsen – dynamisch auf das VwVfG des Bundes verweisen 396. Allerdings sollen die Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder aufgrund eines Beschlusses der Ständigen Konferenz der Innenminister der Länder vom 20. 02. 1976 397 möglichst simultan weiterentwickelt werden, so dass dem VwVfG des Bundes als einer Art „Grundgesetz der Verwaltung“ 398 eine Leitfunktion zukommt 399. Als Vorbild für entsprechende Landesregelungen diente daher das in seinen wesentlichen Teilen bereits am 18. 12. 2008 in Kraft getretene Vierte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften (4. VwVfÄndG) 400. Mit diesem Gesetz nahm man die Verfahrensabwicklung über den Einheitlichen Ansprechpartner (Art. 6 DLRL) als neuen Verfahrenstyp in § 71a bis e VwVfG auf 401 und in § 42a VwVfG traf man zur Umsetzung von Art. 13 Abs. 3 und 4 DLRL eine all393 In Mecklenburg-Vorpommern war die Normprüfung im Frühjahr 2009 abgeschlossen. Änderungsbedarf erkannte man bei acht Gesetzen. Auf die zunächst beabsichtigte Aufhebung des Restauratorgesetzes (vom 09. 11. 1999; GVOBl. M-V, S. 582, geändert durch Art. 18 des Gesetzes vom 22. 11. 2001; GVOBl. M-V; S. 438) wurde später verzichtet. Vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/2779, S. 19 und S. 64 sowie LTDrs 5/3051, S. 54 und S. 57. 394 Überblick mit Stand 08. 02. 2010 in BTDrs 17/728, S. 13 ff. 395 Nach Schliesky, VerwArch 98 (2008), S. 313 (320) folgt aus Art. 5 DLRL ein „Zwang zur Verwaltungsreform“. 396 Zur Problematik dynamischer Verweisungen Maurer, § 5 Rn. 19. 397 Abgedruckt bei Ule, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 5, S. 1176 f. 398 Zu den Gefahren des Verlustes dieser Leitbildfunktion durch partikulares Sonderrecht oben § 9 A. 399 Zur Kodifizierungsfunktion und Kodifizierungsgeschichte des VwVfG Ule, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 5, S. 1162 ff; Kahl, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, S. 67 ff. sowie Bonk / Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 1 Rn. 1 ff. 400 Vom 11. 12. 2008; BGBl. I, S. 2418. Zum Gesetzgebungsverfahren BTDrs 16/ 10493 und 16/10844. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung beruhte auf Vorarbeiten der Verwaltungsrechtsreferenten des Bundes und der Länder, die einen entsprechenden Bund / Länder-Musterentwurf erarbeiteten. Dazu Windoffer, DÖV 2008, S. 797; Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1. 401 Näher sogleich § 19 C III 2.
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gemeine Regelung über Genehmigungsfiktionen 402. Zu bestimmen, bei welchen Verfahren eine Genehmigungsfiktion gelten soll, bleibt nach § 42a Abs. 1 Satz 1 VwVfG allerdings dem jeweiligen Fachrecht vorbehalten. Nach § 42a VwVfG gilt eine beantragte Genehmigung nach Ablauf einer für die Entscheidung festgelegten Frist als erteilt, wenn dies durch Rechtsvorschrift angeordnet 403 und der Antrag hinreichend bestimmt ist. Die Regelentscheidungsfrist beträgt nach § 42a Abs. 2 Satz 1 VwVfG drei Monate, soweit durch Rechtsvorschrift nichts anderes normiert ist. Die in Anlehnung an § 75 Satz 2 VwGO und entsprechende Normen in vielen Landesbauordnungen 404 festgelegte Regelfrist sollte Signalwirkung entfalten und die Einführung einer in sich geschlossenen Fiktionsregelung im Fachrecht durch einfache Bezugnahme auf § 42a VwVfG ermöglichen. Zugleich vermied sie Umsetzungsdefizite in Form versäumter Fristregelungen in Spezialgesetzen. Mit der Einführung einer bloßen Regelentscheidungsfrist wird dem jeweiligen Fachrecht die erforderliche Flexibilität zur Festlegung „passgenauer“, der jeweiligen Komplexität des Anzeige- bzw. Genehmigungsverfahrens entsprechender abweichender Fristen eingeräumt. Dort können abweichende Fristen entweder durch Gesetz oder Rechtsverordnung, aber auch aufgrund entsprechender Rechtsvorschriften erlassene behördliche Fristenpläne geregelt werden, wenn deren Geltung verbindlich angeordnet und sie vorab öffentlich bekannt gemacht wurden 405. Die gem. § 42a Abs. 2 VwVfG mit Eingang der vollständigen Unterlagen bei der zuständigen Behörde bzw. im Fall des § 71b Abs. 2 VwVfG am dritten Tage nach Eingang bei der einheitlichen Stelle 406 beginnende Frist kann nach § 42a Abs. 2 Satz 3 VwVfG einmalig angemessen verlängert werden, wenn dies durch die Schwierigkeit der Angelegenheit gerechtfertigt ist. Die Fristverlängerung ist zu begründen und rechtzeitig mitzuteilen (§ 42a Abs. 2 Satz 4 VwVfG). Da die Genehmigungsfiktion nur die wirksame Bekanntgabe eines Verwaltungsakts, nicht aber dessen Rechtmäßigkeit fingiert, gelten die Regelungen über Nichtigkeit, Rücknahme, Widerruf oder Erledigung eines Verwaltungsakts entsprechend 407. Auch kann die fingierte Genehmigung wie ein ordnungsgemäß zustande gekommener und bekannt gegebener Verwaltungsakt mit Widerspruch und Anfechtungsklage angefochten werden. Da aber weder der Adressat noch der von der fingierten Genehmigung Betroffene ein Nachweisdokument in den Händen hält, mit dem er den Eintritt der Fiktion belegen kann, gewährt § 42a Abs. 3 VwVfG diesem Personenkreis einen Anspruch auf schriftliche Beschei402
Dazu bereits oben § 19 B III 1 a. Kritisch gegen diese Einzelfallanordnung mit Hinweis auf mögliche Umsetzungsdefizite Windoffer, DÖV 2008, S. 797 (800). 404 Siehe oben § 19 B III 1 b. 405 Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 (8). Zweifelnd im Hinblick auf die Europarechtskonformität behördlicher Fristenpläne Ramsauer, NordÖR 2008, S. 417 (423). 406 BRDrs 580/08, S 24 f. 407 Näher Ramsauer, NordÖR 2008, S. 417 (424); Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 (7). 403
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nigung des Fiktionseintritts. Der Empfang der Bescheinigung ist für den Lauf der Anfechtungsfristen nach §§ 70, 74 VwGO von Bedeutung 408. In die Bundesrechtsanwaltsordnung, das Steuerberatungs- und IHK-Gesetz sowie die Handwerksordnung wurden zudem Öffnungsklauseln für die Länder eingefügt, damit diese bestimmten Berufskammern die Aufgaben des Einheitlichen Ansprechpartners übertragen können 409. Daneben enthält der auf Vorschlag des Innenausschusses aufgenommene Art. 9a des 4. VwVfÄndG die erforderliche Anpassung des Verwaltungszustellungsgesetzes an die in Art. 8 Abs. 1 DLRL geforderte elektronische Verfahrensabwicklung 410. Mit Art. 4 des Gesetzes zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Gewerberecht und in weiteren Rechtsvorschriften vom 17. 07. 2009 411 wurden schließlich in §§ 8a bis e VwVfG Regelungen über die Verwaltungszusammenarbeit mit Behörden anderer Mitgliedsstaaten in das VwVfG aufgenommen 412. In Mecklenburg-Vorpommern erfolgte die erforderliche Anpassung des Allgemeinen Verwaltungsrechts mit dem Gesetz zur verwaltungsrechtlichen Umsetzung der EG-Dienstleistungsrichtlinie und zur Umsetzung von Bundesgesetzen in das Landesrecht von Mecklenburg-Vorpommern 413. Das am 17. 12. 2009 in Kraft getretene Gesetz übernahm im Wege der Simultangesetzgebung die auf Bundesebene im 4. VwVfÄndG und im Gesetz vom 17. 07. 2009 vorgenommenen Novellierungen des Allgemeinen Verwaltungsrechts (vgl. §§ 8a bis e; 25 Abs. 2; 42a und 71a bis e VwVfG M-V). Zudem wurde das Verwaltungszustellungsrecht in §§ 94 ff. VwVfG M-V an die in Art. 8 Abs. 1 DLRL geforderte elektronische Verfahrensabwicklung angepasst. Ebenfalls der Umsetzung der DLRL diente das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt in Mecklenburg-Vorpommern vom 17. 12. 2009 414. Kernstück dieses Mantelgesetzes ist das Einheitlicher-Ansprechpartnererrichtungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern (EAPG M-V), mit dem das Land die Aufgaben der einheitlichen Stelle nach §§ 71a ff. VwVfG M-V auf die drei Industrie- und Handelskammern sowie die zwei Handwerkskammern im Lande übertrug und sich damit für das sog. „Wirtschaftskammermodell“ entschied 415. 408
Eingehend Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 (8). Vgl. im einzelnen Art. 5 bis 8 des 4. VwVfÄndG, mit denen §§ 73a BRAO, 76 Abs. 7 und 164a Abs. 1 StBerG, 1 Abs. 3 a, b und 10 IHK-Gesetz sowie §§ 5 b, 91 Abs. 1a und 2a HandwO eingefügt wurden. 410 Näher BTDrs 16/10844 vom 12. 11. 2008, S. 9 ff. 411 Zu den dort getroffenen gewerberechtlichen Regelungen bereits § 9 E. 412 Dazu oben § 9 C XI sowie Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1121. 413 Vom 02. 12. 2009; GVOBl. M-V, S. 666. Näher Landtag M-V, LTDrs 5/2594 und 5/2936. 414 GVOBl. M-V, S. 729. Das Gesetz wurde am 30. 12. 2009 verkündet und trat gem. Art. 12 rückwirkend zum 28. 12. 2009 in Kraft. Siehe dazu Landtag M-V, LTDrs 5/2779 und LTDrs 5/3051. 409
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Außerdem wurden mit dem Gesetz zehn Fachgesetze, darunter die LBauO M-V, an die Vorgaben der DLRL angepasst. cc) Änderungen in den Referenzgebieten des Besonderen Verwaltungsrechts Im Zuge der Umsetzung der DLRL entfaltete man in den Referenzgebieten dieser Arbeit eine umfangreiche Reformtätigkeit. Besonderer Anpassungsbedarf bestand dabei naturgemäß im Gewerberecht. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Gewerberecht und in weiteren Rechtsvorschriften vom 17. 07. 2009 416 wurden die Vorgaben der Richtlinie in der Gewerbeordnung, der Handwerksordnung, der Wirtschaftsprüferordnung und dem Signaturgesetz mit Wirkung zum 28. 12. 2009 umgesetzt. Dabei dient der neue § 4 Abs. 1 GewO der Transformation des Art. 16 DLRL in nationales Recht. Für Gewerbetreibende, die von einer Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unter Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit in Deutschland tätig werden, werden bestimmte Regelungen der GewO für nicht anwendbar erklärt (sog. Nichtanwendungsklausel 417). Dabei handelt es sich um die Erlaubnis zur Ausübung des Versteigerergewerbes (§ 34b Abs. 1 bis 4, 6 und 7 GewO), das Verbot der Ausübung des Versteigerergewerbes im Reisegewerbe ohne Versteigerererlaubnis (§ 57 Abs. 3 GewO), die Erlaubnis zur Ausübung des Maklergewerbes (§ 34c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GewO), die Erlaubnis zur Ausübung des Gewerbes der Bauträger und Baubetreuer (§ 34c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GewO) sowie die Erlaubnis zur Ausübung des Reisegewerbes. Ebenfalls keine Anwendung finden die Vorschriften über die Gewerbeanzeige (§ 14 GewO), über Anforderungen an Gewerbetreibende, die ein überwachungsbedürftiges Gewerbe ausüben (§ 38 Abs. 1 und 2 GewO), über die Anzeigepflicht im Reisegewerbe (§ 55c GewO) sowie über die Ankündigung eines Wanderlagers nach § 56a GewO 418. In § 6a Abs. 1GewO wurde für die Genehmigungstatbestände der GewO, welche der DLRL unterfallen (§§ 34b Abs. 1, 3, 4; 34c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 sowie § 55 Abs. 2 GewO), die Geltung einer Genehmigungsfiktion im Sinne des § 42a GewO angeordnet, wobei diese für Inländer und Unionsbürger gleicher415 Näher zu den Ansiedlungsoptionen und den in anderen Bundesländern getroffenen Ansiedlungsentscheidungen sogleich § 19 C III 2. 416 BGBl. I, S. 2091. Hierzu BTDrs 16/12784 und 16/13190. 417 Vorteil dieser umfassenden Regelung in nur einer zentralen Vorschrift ist die dadurch gewährleistete Übersichtlichkeit; vgl. BTDrs 16/12784, S. 9 und Mann, GewArch 2010, S. 93 (94). 418 Zum damit verbundenen Problem der sog. Inländerdiskriminierung BTDrs 16/ 12784, S. 12; Mann, GewArch 2010, S. 93 (96).
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maßen gilt. Nach § 6a Abs. 2 GewO – die Vorschrift wurde auf Initiative des Bundesrates eingefügt 419 – gilt die Genehmigungsfiktion des Absatzes 1 auch für Verfahren nach §§ 33a GewO (Schaustellung von Personen), § 69 Abs. 1 GewO (Festsetzung von Messen, Ausstellungen und Märkten) und für Verfahren nach dem GastG, solange keine landesrechtlichen Regelungen bestehen. Die fiktionsbewehrte Entscheidungsfrist des § 6a Abs. 1 GewO, die nach den Vorstellungen der Bundesregierung zunächst lediglich zwei Monate betragen sollte 420, wurde auf Initiative des Bundesrates auf drei Monate verlängert 421. In § 10 Abs. 1 Satz 3 HandwO und 18 Abs. 1 Satz 2 SignG wurden entsprechende Genehmigungsfiktionen für die Eintragung in die Handwerksrolle 422 bzw. die Anerkennung von Prüf- und Bestätigungsstellen angeordnet. Die neu geschaffenen §§ 6b GewO; 53a InfSchG; 4a WPO und 20a SignG ermöglichen nunmehr das Verfahren über eine einheitliche Stelle im Sinne der §§ 71a ff. VwVfG 423. Im Gewerberecht gilt dies für alle Verfahren nach der GewO oder auf Grund der GewO erlassener Rechtsverordnungen, wobei § 6b Abs. 1 Satz 2 GewO die Landesregierungen ermächtigt, durch Rechtsverordnung im Einklang mit Art. 2 Abs. 2 DLRL bestimmte Verfahren über die Abwicklung über eine einheitliche Stelle auszuschließen. Weitere Neuerungen brachte das Gesetz u. a. bezüglich der Informationspflichten für Dienstleistungserbringer, für die § 6c GewO nunmehr eine Verordnungsermächtigung vorhält, der Anerkennung ausländischer Unterlagen und Bescheinigungen (§ 13b GewO) sowie für die öffentliche Bestellung von Sachverständigen mit Qualifikationen aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Auch das untergesetzliche Regelungswerk im Wirtschaftsverwaltungsrecht musste aufgrund der Vorgaben der DLRL geändert werden. Mit der Verordnung zur Anpassung gewerberechtlicher Verordnungen an die Dienstleistungsrichtlinie vom 09. 03. 2010 424 wurden die Versteigererverordnung (VerstV) und die Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV) mit Art. 16 DLRL harmonisiert. §§ 11 Abs. 1 VerstV und § 19 Abs. 1 MaBV ordnen nunmehr an, dass bestimmte Vorschriften dieser Verordnungen auf grenzüberschreitende Gewerbetreibende keine Anwendung finden. Dafür bestimmen §§ 11 Abs. 2 VerstV und 19 Abs. 2 MaBV im Gegenzug, dass bestimmte Vorschriften auch dann gelten, wenn ein 419
Vgl. BTDrs 16/13190, S. 3 und S. 7. BTDrs 16/12784, S. 6 und S. 15. 421 Vgl. BTDrs 16/13190, S. 2 f; BTDrs 16/13399, S. 3 und S. 10. 422 Die Fiktion bezieht sich nur auf den Antrag zur Eintragung in die Handwerksrolle, nicht aber auf die inhaltliche Prüfung der Qualifikation. Sie ersetzt daher nicht einen Meisterbrief oder eine Ausnahmebewilligung, sondern nur die Eintragung in die Handwerksrolle. So ausdrücklich BTDrs 16/12784, S. 19. Zu damit verbundenen Zweifelsfragen Mann, GewArch 2010, S. 93 (97). 423 Näher unten § 19 C III 2c bb. 424 BGBl. I, 264. Zu Einzelheiten Glückert, GewArch 2010, S. 234. 420
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in Deutschland niedergelassener Gewerbetreibender unter Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit in einem anderen EU- oder EWR-Staat tätig wird. §§ 11 Abs. 2 VerstV und 19 Abs. 2 MaBV setzen den in Art. 30 Abs. 1 DLRL enthaltenen Grundsatz um, wonach der Niederlassungsmitgliedstaat die Einhaltung seiner Anforderungen auch bei der Erbringung einer Dienstleistung in einem anderen EU- oder EWR-Staat durch einen in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Dienstleister sicherstellen muss 425. Alles in allem hat die DLRL zu einer erheblichen Umgestaltung des Gewerberechts geführt. Wenn auch ihre Umsetzung „nicht zu einer Radikallösung“ führte, die das „Ende des deutschen Wirtschaftsverwaltungsrechts“ eingeleitet hat 426, so sind doch mit dem teilweisen Verzicht auf die Aufnahmeüberwachung in § 4 Abs. 1 GewO, der Einführung von Genehmigungsfiktionen in § 6a GewO und dem Verfahren über die einheitliche Stelle weit reichende Änderungen des Wirtschaftsverwaltungsrechts verbunden. Insbesondere der durch die Umsetzung der DLRL noch beschleunigte Rückzug von der Eröffnungskontrolle und die sehr weitgehende Einführung von Genehmigungsfiktionen sind rechtspolitisch fragwürdig 427. Auch im Umweltrecht löste die DLRL Anpassungsbedarf für das nationale Recht aus, der allerdings geringer ausfiel als im Gewerberecht 428. Immerhin enthält aber das am 18. 08. 2010 (und damit deutlich nach Ende der Umsetzungsfrist am 28. 12. 2009) 429 in Kraft getretene Gesetz zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Umweltrecht sowie zur Änderung umweltrechtlicher Vorschriften 430 eine Anpassung von zehn Fachgesetzen an die Vorgaben der DLRL und der Berufsanerkennungsrichtlinie (Richtlinie 2005/36/EG). Die Änderungen reichen vom Abwasserabgabengesetz bis zum UVP-Gesetz und betreffen vor allem die bundesweite Geltung von Bekanntgaben, Bestimmungen oder Anerkennungen von Sachverständigen im Umweltschutz, die behördenvertretende Überprüfungen wahrnehmen sowie die Anerkennung ausländischer Unterlagen und Bescheinigungen. Das Gesetz regelt ferner die Verfahrensabwicklung über einen Einheitlichen Ansprechpartner nach Art. 6 DLRL und die elektronische Verfahrensabwicklung nach Art. 8 DLRL. Ferner wurden Entscheidungsfristen – etwa in §§ 26 Abs. 2 Satz 5 BImSchG; 19b Abs. 1 Satz 2 ChemG; 6a Abs. 1 Satz 6 NiSG; 10 Abs. 1 Satz 8 TEHG; 10a Abs. 2 Satz 2 und 5 UmweltauditG – festgelegt. Auf die Einführung von Genehmigungsfiktionen wurde dagegen unter Berufung auf Art. 13 Abs. 4 Satz 2 DLRL weitgehend verzichtet. Eine Ausnahme 425
Glückert, GewArch 2010, S. 234 (235). So die zutreffende Einschätzung von Mann, GewArch 2010, S. 93 (94). 427 Dazu bereits § 19 A II 4 und § 19 B III 2. 428 Zur Umsetzung der DLRL im Immissionsschutzrecht Scheidler, GewArch 2010, S. 474. 429 Die Europäische Kommission hatte deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet; vgl. Scheidler, GewArch 2010, S. 474 mit Fn. 6. 430 Vom 11. 08. 2010; BGBl. I, S. 1163. Dazu BTDrs 17/1393 und BTDrs 17/1904. 426
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bildet insofern nur § 49 Abs. 2a Satz 6 KrW / AbfG, der eine entsprechende Anwendung des § 42a VwVfG für die Erteilung von Transportgenehmigungen für Abfälle zur Beseitigung anordnet, wenn der Antragsteller Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des EWR-Abkommens ist 431. In einem zweiten Schritt setzte man mit der am 16. 11. 2010 in Kraft getretenen Verordnung zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie auf dem Gebiet des Umweltrechts sowie zur Änderung umweltrechtlicher Vorschriften 432 die Vorgaben der DLRL und der Berufsanerkennungsrichtlinie in den untergesetzlichen Regelungswerken des Bundesumweltrechts um. Davon betroffen waren 14 Verordnungen von der Altfahrzeug- bis zur Verpackungsverordnung. Auch hier mussten Änderungen insbesondere hinsichtlich des Verfahrens der Anerkennung von Sachverständigen sowie der Anerkennung ausländischer Zulassungen und Nachweise erfolgen. Darüber hinaus musste eine Entscheidung über die Verfahrensabwicklung über den Einheitlichen Ansprechpartner nach Art. 6 DLRL sowie die elektronische Verfahrensabwicklung nach Art 8 DLRL getroffen werden. Auf die Einführung von Genehmigungsfiktionen wurde auch hier richtigerweise und unter Berufung auf Art. 13 Abs. 4 Satz 2 DLRL verzichtet. Stattdessen sollen Bearbeitungsfristen ohne Fiktionsanordnung – etwa in §§ 6 Abs. 7 Satz 6 AltholzV; 3 Abs. 8a Satz 6 BioAbfV; 9a Abs. 1 Satz 1 Chemikalien-KlimaschutzV; 5 Abs. 5 Satz 1 Chemikalien-OzonschichtV; 24 Abs. 2 Satz 5 DeponieV; 9 Abs. 7 Satz 5 GewerbeabfallV; § 3 Abs. 11 Satz 6 KlärschlammV und 6 Abs. 3 Satz 1 RohrfernleitungsV – eine Verfahrensabwicklung in einem angemessenen Zeitraum sicherstellen. Im Bauordnungs-, Architekten- und Ingenieursrecht schließlich wurden die Vorschriften über die Bauvorlageberechtigung und die bautechnischen Nachweise (§§65 und 66 LBauO M-V), die bauvorlageberechtigten Ingenieure sowie die Tragwerks- und Brandschutzplaner (§§ 9 und 10 ArchInG M-V) durch Art. 4 und 9 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt in Mecklenburg-Vorpommern vom 17. 12. 2009 433 fristgerecht zum 28. 12. 2009 an die Vorschriften der DLRL und der Berufsanerkennungsrichtlinie angepasst. Die entsprechenden Eintragungsverfahren können nach §§ 65 Abs. 7; 66 Abs. 5 LBauO M-V bzw. §§ 9 Abs. 6 und 10 Abs. 4 ArchInG M-V über eine einheitliche Stelle nach § 1 Abs. 1 EAPG M-V geführt werden. 431 Die Bundesregierung – vgl. BTDrs 17/1393, S. 19 – erwartet insofern nach den entsprechenden langjährigen Erfahrungen mit der Genehmigungsfiktion im Nachweisverfahren nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KrW- / AbfG i.V. m. § 5 Abs. 5 NachwV eine Vereinfachung des Genehmigungsverfahrens ohne Einbußen für den Umweltschutz. 432 Vom 09. 11. 2010; BGBl. I, S. 1504. Dazu näher BTDrs 17/862 und 17/2821. 433 GVOBl. M-V, S. 729.
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2. Einheitliche Ansprechpartner für Dienstleistungserbringer Nach Art. 6 DLRL waren die Mitgliedsstaaten bis zum 28. 12. 2009 zur Schaffung Einheitlicher Ansprechpartner verpflichtet, über welche die Dienstleistungserbringer alle für die Aufnahme und die Ausübung ihrer Dienstleistung nötigen Verfahren und Formalitäten abwickeln können. a) Aufgabenprofil nach der Richtlinie Die Einheitlichen Ansprechpartner (EA) sollen dem Dienstleister als institutionelle Gesprächspartner zur Verfügung stehen, so dass dieser nicht in Kontakt mit verschiedenen zuständigen Behörden treten muss, um alle notwenigen Informationen zu sammeln und Schritte im Hinblick auf seine Dienstleistungen abzuwickeln 434. Der EA, dem nach Art. 7 Abs. 1 DLRL überdies eigene Informationspflichten gegenüber dem Dienstleistungserbringer obliegen, soll als Kontaktstelle für sämtliche Verfahren und Formalitäten fungieren, die im Zusammenhang mit einer Dienstleistung zu erbringen sind. Er leitet Schriftstücke, Unterlagen, Erklärungen und Anfragen vom Dienstleister an die jeweils zuständige Stelle weiter und wird in umgekehrter Richtung als Bote der Behörde tätig. Als „Verbindungsstelle“, „Mittler“ bzw. „Vermittler“ und „Unterstützer“ des Dienstleisters wird ihm eine Rolle als „Verfahrenspartner“ zugewiesen 435. Seine vermittelnde und unterstützende Funktion kann er bei Bedarf auch dadurch wahrnehmen, dass er sich bei den zuständigen Stellen zu Gunsten des Dienstleisters auf eine sachangemessene, insbesondere zügige Verfahrenserledigung verwendet, ohne allerdings hierfür unmittelbare Eingriffs- oder Anweisungsbefugnisse gegenüber der entscheidenden Behörde zu verfügen 436. Er übernimmt keine darüber hinausgehenden Verpflichtungen wie Beratung, Schulung oder gar Finanzberatung im Hinblick auf Geschäftspläne des Dienstleisters 437. b) Ansiedlungsoptionen in Deutschland Die Entscheidung über die organisatorische Ansiedlung des EA überließ die Richtlinie den Mitgliedstaaten. Das führte im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland zu einer lebhaften Diskussion über entsprechende „Verortungsmöglichkeiten“. In einem vom BMWi in Auftrag gegebenen Gutachten untersuchte ein Team der DHV Speyer in einem Anfang 2006 abgeschlossenen Forschungsvorhaben „Gestaltungsoptionen und Anforderungen an Einheit434 435 436 437
Näher Handbuch DLRL, S. 26 ff. Windoffer, DVBl 2006, S. 1210 (1213). Windoffer, DVBl 2006, S. 1210 (1213); Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 (5). Handbuch DLRL, S. 26.
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liche Ansprechpartner im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland“ (sog. „Speyer-Gutachten“ 438). Die Zuständigkeit für die Einrichtung und Ausgestaltung der EA lag bei den Bundesländern, wobei die Wirtschaftsministerkonferenz der Länder im Juni 2007 einstimmig beschloss, unter Berücksichtigung föderaler Strukturen weitestgehend einheitliche Umsetzungslösungen anzustreben. Auf die Erkenntnisse im „Speyer-Gutachten“ aufbauend verfasste der Bund-Länder-Ausschuss Dienstleistungswirtschaft zudem zwei Papiere, die sich mit dem Anforderungsprofil für „Einheitliche Ansprechpartner“ und den Verortungsmöglichkeiten im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland befassten 439. aa) Bundesebene Eine – aus Gründen der Effektivität und Effizienz durchaus praktikable 440 – Einrichtung eines bundesweiten EA sah sich wegen der fehlenden bundesrechtlichen Vollzugskompetenz grundlegenden verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt 441 und wurde daher in der politischen Praxis nicht weiter verfolgt. bb) Länder-, Kommunal- und Kammerebene Wollte man für die EA eine öffentlich-rechtliche Organisationsform wählen 442, kam allein die Einrichtung auf Landes- bzw. kommunaler Ebene oder bei den berufsständischen Kammern in Betracht, wobei auch eine Ansiedlung gemeinsam auf kommunaler und Kammerebene (Kooperationsmodell) in Erwägung gezogen wurde. Als Alternativmodelle waren auch die Institutionalisierung des EA in Kooperationsmodellen in Gestalt einer Public Private Partnership, einer sog. Public Public Partnership (öffentlich-öffentliche Partnerschaft) sowie eine vollständig privatrechtliche Organisationsform der EA denkbar 443. Jedes dieser Modelle weist spezifische Vor- und Nachteile auf, die bei der politischen Grundsatzentscheidung der Verortung zu berücksichtigen waren.
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Abrufbar unter www.dienstleisten-leicht-gemacht.de (Abrufdatum: 09. 02. 2011). Beide Dokumente sind im Internet ebenfalls einsehbar unter www.dienstleisten -leicht-gemacht.de (Abrufdatum: 09. 02. 2011). 440 Vgl. Speyer-Gutachten, S. 65 ff; S. 84. 441 Näher Speyer-Gutachten, S. 69 ff. 442 Ein Agenturmodell, bei dem die Funktionen des EA einem privaten Unternehmen übertragen werden, wäre rechtlich zulässig, aber kostenintensiv. Vgl. Ramsauer, NordÖR 2008, S. 417 (421). 443 Speyer-Gutachten, S. 65 ff. Das Positionspapier des BLA Dienstleistungswirtschaft analysierte dagegen nur ein Kommunal-, ein Mittelbehörden- sowie verschiedene Varianten eines Kammermodells. 439
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(1) Länderebene – Landesbehörden- oder Anstaltsmodell? Anders als der Bund sind die Länder befugt, einen EA einzurichten. Für eine zentrale landesweite Lösung – sei es in Form einer oberen Landesbehörde oder des in Schleswig-Holstein bevorzugten Anstaltsmodells 444 – sprachen die gute finanzielle, strukturelle und fachliche Ausstattung, die leichte Erreichbarkeit für den Dienstleister und die internationale Vernetzung. Bedenken begegnete eine solche Lösung angesichts der erheblichen Distanz zur Genehmigungsverwaltung und wegen der geringen Detailkenntnis regionaler Besonderheiten 445. Für eine Ansiedlung bei den Landesmittelbehörden 446, sprachen die aus deren Bündelungs- und Aufsichtsbehördenfunktion resultierenden eingespielten Aufsichts- und Weisungsstrukturen, die vorhandenen Erfahrungen mit der Durchführung von Großverfahren und die relativ kostengünstige Möglichkeit der Einrichtung der EA und der entsprechenden IT-Strukturen. Zudem können in einem solchen Modell sämtliche Dienstleister aus einer Hand bedient und eine hinreichende Masse an Fällen betreut werden. Landesmittelbehörden sind zudem weniger abhängig von lokalen Interessen als kommunale Behörden und haben aufgrund ihres breiten Aufgabenspektrums die Möglichkeit, verschiedene fachliche Gesichtspunkte bei der Antragsbearbeitung zu berücksichtigen. Als Nachteile eines „Landesmittelbehördenmodells“ sind dagegen zunächst – wenn auch in etwas abgeschwächter Form – diejenigen Nachteile zu benennen, welche auch gegen die Einrichtung einer zentralen (oberen) Landesbehörde sprechen. Zudem sind Landesmittelbehörden in vielen Ländern nicht in der Fläche präsent. Entscheidender Einwand gegen ein solches Modell war allerdings das Fehlen solcher Landesmittelbehörden in allen Stadtstaaten und den Flächenländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, SachsenAnhalt, Rheinland-Pfalz und Thüringen. (2) Kommunale Ebene Für die Verortung der EA auf kommunaler Ebene kam am ehesten die Errichtung solcher Stellen bei den Landkreisen und kreisfreien Städten in Betracht, während eine Institutionalisierung auf örtlicher Ebene von vorneherein wenig zielführend erschien. Viele örtliche Behörden wären mit einer solch anspruchsvollen Aufgabe schlicht überfordert, so dass auch die Gefahr einer verfassungswidrigen Aushöhlung der Selbstverwaltungsgarantie durch die Übertragung einer 444 Als erstes Bundesland entschloss sich Schleswig-Holstein im Juni 2008 dafür, einer gemeinsam von Land, kommunalen Spitzenverbänden und Kammern getragenen Anstalt die Funktion des EA zu übertragen. Vgl. Möller, NordÖR 2008, S. 321sowie Schulz, DÖV 2008, S. 1028 (1032 ff.). 445 Das Speyer-Gutachten, S. 92 sprach von einem „starken Gegengewicht“ der Nachteile. 446 Ausführlich BLA Dienstleistungswirtschaft, „Verortungsmöglichkeiten“, S. 15 ff.
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solchen staatlichen Aufgabe nicht ausgeschlossen werden konnte 447. Für eine Institutionalisierung der EA auf Kreisebene sprachen dagegen vor allem praktische Gründe 448. So werden zahlreiche dienstleistungsrelevante Bewilligungs- und Genehmigungsverfahren im Bau-, Gewerbe- und Umweltrecht in den bundesweit 301 Landkreisen, 112 kreisfreien Städten und den 21 Bezirken bzw. Städten in den Stadtstaaten durchgeführt 449. Insofern würden sich die verwaltungskommunikativen Wege kurz und unkompliziert gestalten, sollte man die EA auf Kreisebene und mithin gleichsam „im eigenen Hause“ einrichten. Zudem bestehen dort umfangreiche Erfahrungen auch mit der Führung und Koordinierung komplexer Zulassungsverfahren. Überdies verfügen die Kreisverwaltungen, bei denen in den letzten Jahren eine Vielzahl von Wirtschaftsförderungsgesellschaften, Internetportalen und Bürgerämtern errichtet wurden 450, bereits über vielfältige Erfahrungen mit Leistungsangeboten, die denen des Einheitlichen Ansprechpartners ähnlich sind. Daher könnte die in den Kommunen im Hinblick auf die Bedürfnisse der Wirtschaft vorhandene Fachkompetenz synergetisch genutzt werden. Als weiterer Vorteil eines solchen Kommunalmodells ist die Möglichkeit zu nennen, bestehende aufsichtsrechtliche Strukturen zu nutzen. Schließlich könnten sämtliche Dienstleister aus einer Hand bedient werden, ohne dass eine Differenzierung nach Branchen erfolgen müsste. Die Aufgaben der EA können den Kommunen zudem relativ einfach durch Landesgesetz 451 als im übertragenen Wirkungskreis zu erfüllende staatliche Weisungsaufgabe zugewiesen werden. Allerdings bedürfte ein auf Kreisebene angesiedelter EA der Ergänzung durch Informations- und Beratungsinstanzen auf Bundes- und / oder Landesebene, die als Wegweiser zu den kommunalen EA fungieren und dem Dienstleister allgemeine Basisinformationen zur Beantwortung der Grundsatzfrage zur Verfügung stellen, ob überhaupt eine Ansiedlung in Deutschland und ggf. an welchem regionalen Standort in Betracht kommt 452. (3) Kammerebene Als Alternative zur Ansiedlung der EA bei den Verwaltungsbehörden kam schließlich ein sog. Kammermodell in Betracht 453. In der Bundesrepublik 447
Zum Schutz der Kommunen vor der Überbürdung staatlicher Aufgaben LVerfG M-V, 18, 342 ff= DVBl 2007, S. 1102 sowie VerfGH RP DÖV 2001, S. 601 (602); VerfGH NRW NVwZ 1996, S. 1100; Bbg VerfG LKV 2002, S. 323 (324). 448 Näher Speyer-Gutachten, S. 102 f. Für eine kommunale Lösung auch Ruge, NdsVBl 2008, S. 305 (306). 449 Übersicht bei BLA Dienstleistungswirtschaft, Verortungsmöglichkeiten, S. 7. 450 Umfangreiche Nachweise im Speyer-Gutachten, S. 92 ff. 451 Dieses müsste dann die Kostendeckung im Sinne des strikten Konnexitätsprinzips nach Art. 72 Abs. 3 LVerf M-V regeln. Zu Einzelheiten eines solchen Landesgesetzes Speyer-Gutachten, S. 99 ff. 452 Speyer-Gutachten, S. 103.
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Deutschland besteht eine sehr vielfältige Kammerlandschaft mit derzeit 81 Industrie- und Handelskammern, 54 Handwerkskammern, 28 Rechtsanwaltskammern, 21 Steuerberaterkammern, 17 Tierärztekammern, 31 Architekten- und Ingenieurskammern, einer Wirtschaftsprüferkammer und einer Patentanwaltskammer 454. Die EA konnten bei den Kammern zum einen dergestalt angesiedelt werden, dass sämtliche Kammern (jeweils für ihren Mitgliederkreis) die Funktionen des EA übernehmen (sog. Allkammermodell 455). Denkbar war zudem ein sog. Wirtschaftskammermodell, bei dem Industrie- und Handelskammern (sog. reines IHK-Modell) bzw. Handwerkskammern (sog. reines Handwerkskammermodell) oder aber beide gemeinsam (sog. IHK / HwK-Kooperationsmodell) mit den Funktionen eines EA betraut werden. Für ein reines Wirtschaftskammermodell stritt „seine vergleichsweise schlanke Ausrichtung (bundesweit 81 IHK bzw. 54 HwK)“ 456. Die Aufgabenprofile der Kammern als Träger der wirtschaftlichen und freiberuflichen Selbstverwaltung müssten durch eine entsprechende Änderung der Kammergesetze um die Tätigkeit eines Einheitlichen Ansprechpartners erweitert werden. Das begegnet rechtlich keinen grundsätzlichen Bedenken, zumal die Tätigkeit als EA sich in das überkommene Aufgabenspektrum der Kammern einfügt 457. Als praktische Vorteile eines Kammermodells wurden das Vorhandensein einschlägiger Angebote 458, die einer engagierten Aufgabenwahrnehmung zuträgliche Wirtschaftsnähe und das bestehende transnationale Kontaktnetz insbesondere der Industrie- und Handelskammern angeführt. Zudem verfügen die Kammern auch über gute Kontakte zu den nationalen Verwaltungsbehörden, die durch eine langjährige Zusammenarbeit entstanden sind 459. Schließlich stimmt das Kammermodell in besonderer Weise mit den derzeit diskutierten politischen Leitbildern von „Governance“ und „Gewährleistungsstaat“ 460 überein, die mit einem Aufgabenzuwachs für die Institutionen gesellschaftlicher Selbstregulierung, namentlich der funktionalen Selbstverwaltung verbunden sind 461. 453 Ausführlich Windoffer, GewArch 2008, S. 97 mit deutlichen Sympathien für das „Kammermodell“. Für eine Lösung unter Einbeziehung der Handwerkskammern auch Palige, GewArch 2007, S. 273 mit Entgegnung von Dürr, GewArch 2008, S. 25. 454 Überblick bei BLA Dienstleistungswirtschaft, „Verortungsmöglichkeiten“, S. 10. Daneben bestehen noch Notarkammern, Ärztekammern, Zahnärztekammern, Apothekenkammern, Psychotherapeutenkammern und Lotsenbrüderschaften, deren Mitglieder jedoch allesamt unter die Bereichsausnahmen von Art. 2 Abs. 2 DLRL fallen. 455 Vorschläge für die Umsetzung des Konzepts in einem sog. Kammergemeinschaftsmodell bei Eisenmenger, NVwZ 2008, S. 1191. Dazu kritisch Ruge, NdsVBl 2008, S. 305 (306). 456 BLA Dienstleistungswirtschaft, S. 10. 457 Näher Speyer-Gutachten, S. 109 ff., Windoffer, DVBl 2006, S. 1210 (1216 f.). 458 Näher zu vorhandenen Praxiserfahrungen bei den Kammern Speyer-Gutachten, S. 106 ff. 459 Ausführlich Speyer-Gutachten, S. 113 f.; Windoffer, DVBl 2006, S. 1210 (1217). 460 Dazu oben § 5 D II.
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Gegen das Kammermodell wurde vorgebracht, dass die Kammern als Selbstverwaltungskörperschaften lediglich das Gesamtinteresse ihrer jeweiligen Pflichtmitglieder wahrzunehmen haben, die Aufgaben des EA aber über solche Tätigkeiten hinausgehen. Zudem könnten die Kammern nur jeweils für ihre eigene Klientel tätig werden, so dass für nicht kammergebundene Dienstleister ein ergänzender Einheitlicher Ansprechpartner, z. B. auf Kreisebene geschaffen werden müsste oder eine Regelung dergestalt zu treffen wäre, dass die Angehörigen „nicht-verkammerter“ Berufe nach vorab festgelegten Spezialisierungskriterien auf die Kammern aufgeteilt werden müssten 462. Aus Praktikabilitätsgesichtspunkten wandte man gegen das Kammermodell ein, dass die Kammerbezirke nicht mit den jeweiligen Zuständigkeitsgrenzen der Genehmigungsbehörden übereinstimmten. Zum Teil verlaufe die Kammerbezirksgrenze auch innerhalb des Bezirks einer Verwaltungsbehörde, so dass im Falle der Entscheidung für ein Kammermodell im Sinne der erforderlichen subjektiven Einheitlichkeit des EA aus Sicht des Dienstleisters sichergestellt werden müsse, dass die Zuständigkeitsgrenzen der EA eindeutig erkennbar seien 463. Trotz dieser Einwände entschied sich die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern mit Kabinettsbeschluss vom 13. 01. 2009 für das sog. Wirtschaftskammermodell 464. (4) Kooperationsmodelle Neben reinen Landes-, Kommunal- und Kammermodellen waren auch Kombinationsmodelle denkbar, welche zwei grundsätzlich praktikable Lösungen – etwa das Kommunal- und das Kammermodell – miteinander kombinieren. Für solche Modelle bestehen allerdings bisher relativ geringe Erfahrungen. Dem Vernehmen nach schien (jedenfalls in Mecklenburg-Vorpommern) auch die Kooperationsbereitschaft zwischen Kreis- und Kammerebene nicht besonders ausgeprägt zu sein. Zudem müsste durch klare gesetzliche Regelungen dem Entstehen (positiver wie negativer) Kompetenzkonflikte vorgebeugt und der Gefahr einer Schaffung von personellen und infrastrukturellen Überkapazitäten entgegengewirkt werden 465. So wäre es verwaltungsökonomisch sicher nicht akzeptabel, dass sowohl Verwaltung und Kammern jeweils die komplette sächliche und personelle Ausstattung vorhalten müssten, um prinzipiell sämtliche einschlägige Dienstleister als EA bedienen zu können 466. Ein bloßes Nebeneinander verschiedener EA wäre daher keine zielführende Kooperation im eigentlichen Sinne, sondern eine – nach 461
Windoffer, GewArch 2008, S. 97 (102 f.). Zu Möglichkeiten und Grenzen einer solchen Vorgehensweise BLA Dienstleistungswirtschaft, S. 10 f. Kritisch dagegen Speyer-Gutachten, S. 115; Windoffer, DVBl 2006, S. 1210 (1217) und Ruge, NdsVBl 2008, S. 305 (306). 463 Speyer-Gutachten, S. 114. 464 Zu den Gründen ausführlich unten § 19 C III 2 c) bb). 465 Windoffer, DVBl 2006, S. 1210, 1218. 466 Speyer-Gutachten, S. 135 f. 462
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der DLRL ohnehin nur in begrenztem Maße zulässige – Sektorisierung des EA 467. Anstelle solcher wenig erfolgsversprechender Modelle war daher eher eine echte Kooperationslösung diskussionswürdig. Ein solches Konzept bedarf einer echten koordinierenden Stelle, die einerseits die fachlichen Spezialkompetenzen bestehender Behörden und Kammern einbezieht und andererseits eine effektive Verfahrenskoordinierung sicherstellt. Diese bietet den Vorteil einer Vernetzung des Einheitlichen Ansprechpartners mit den zuständigen Stellen und ist beispielsweise in Form einer landesunmittelbaren Körperschaft oder Anstalt in gemeinsamer Trägerschaft von Land, Kommunen, der Industrie- und Handelskammer sowie der Handwerkskammer denkbar 468. (5) Sonstige Ansiedlungsoptionen Grundsätzlich möglich wäre zudem die Institutionalisierung der EA im Wege einer Public Private Partnership (PPP) 469 oder einer öffentlich-öffentlichen Partnerschaft (ÖÖP) 470. Auch die Aufgabenwahrnehmung durch Private im Rahmen eines Qualitätssicherungssystems mit akkreditierten, beliehenen Zertifizierungsstellen erscheint denkbar 471. Wegen des damit verbundenen Regulierungsaufwandes und erheblicher Praktikabilitätsschwierigkeiten wurden solche Modelle allerdings bisher nicht verfolgt. c) Anpassung des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts aa) Organisatorische Anbindung der Einheitlichen Ansprechpartner als politische Leitentscheidung der Bundesländer Da die Zuständigkeit für die Einrichtung der Einheitlichen Ansprechpartner bei den Ländern lag, waren diese für die politische Leitentscheidung zuständig, an welcher Stelle sie die EA verorten wollten. Der Bund durfte den Ländern in diesem Prozess keinerlei Vorgaben machen, wohl aber „koordinierende Unterstützung“ anbieten. Mit den vom Bund-Länder-Ausschuss Dienstleistungswirtschaft im Oktober 2007 vorgestellten vier grundsätzlichen Verortungsoptio467
(17).
468
Schliesky, Das Ende der deutschen Verwaltung?, in: Schliesky, Umsetzung, S. 1
Vgl. die entsprechenden Überlegungen bei Schliesky, Das Ende der deutschen Verwaltung?, in: Schliesky, Umsetzung, S. 1 (19). 469 Zu den Vor- (Einbindung privaten Sachverstands, mögliche Kostenersparnis) und Nachteilen (Ausschreibungspflicht, Aufrechterhalten von Kontroll- und Weisungsrechten der öffentlichen Hand) Speyer-Gutachten, S. 115 ff. 470 Zu den Einzelheiten möglicher Kooperationsformen (Mandatierung, Delegation, Zweckgemeinschaften) Speyer-Gutachten, S. 123 ff. 471 Zu den Nachteilen Speyer-Gutachten, S. 132 f; Windoffer, DVBl 2006, S. 1210 (1217 f.).
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nen (Kommunalmodell, Kammermodell, Kooperationsmodell, Landesmittelbehördenmodell) wurde die weitere Diskussion in den Bundesländern bereits früh ausreichend vorstrukturiert 472. Angesichts der knapp bemessenen Umsetzungsfrist waren die Bundesländer gefordert, eine „zügige verbindliche Entscheidung über die Verortung des einheitlichen Ansprechpartners“ 473 zu treffen. Bis Ende 2008 waren dennoch erst in weniger als der Hälfte der Länder verbindliche Ansiedlungsentscheidungen gefallen 474, sodass man zu diesem Zeitpunkt von einem „recht zögerlichen ... Gang der Entscheidungsfindung in den Bundesländern“ 475 sprach. Letztlich gelang jedoch allen Bundesländern eine fristgerechte Einrichtung der EA, wobei die Verortungen – wie kaum anders zu erwarten – ein vielfältiges Bild ergeben. Der „Flickenteppich“ der verschiedenen Modelle 476 reicht vom Allkammermodell in Baden-Württemberg 477, Hamburg und Thüringen 478, dem Wirtschaftskammermodell in Mecklenburg-Vorpommern und Bayern 479 über Landeslösungen in Berlin, Brandenburg, Hessen, Sachsen, SachsenAnhalt und Rheinland-Pfalz 480, kommunale Modelle in Bremen 481, Niedersach472
BLA Dienstleistungswirtschaft, Verortungsmöglichkeiten, S. 3. Windoffer, GewArch 2008, S. 97 (102). 474 Ende November 2008 hatten lediglich Schleswig-Holstein (Anstaltsmodell), Sachsen, Sachsen-Anhalt (Mittelbehördenmodell), Bremen (Kommunalmodell) Hamburg (Allkammermodell), das Saarland (Kooperationsmodell) und Niedersachsen (Verbundmodell) endgültig über die Ansiedlung entschieden. In Mecklenburg-Vorpommern fiel die Entscheidung für das Wirtschaftskammermodell durch Kabinettsbeschluss vom 13. 01. 2009. 475 Windoffer, GewArch 2008, S. 97 (102), der hierfür insbesondere den „Gleichstand“ von Kommunal- und Kammermodell im Bereich der zentralen Praktikabilitätsaspekte verantwortlich machte. 476 Überblick bei Luch / Schulz, GewArch 2010, S. 225. 477 Dort haben zusätzlich die Land- und Stadtkreise die Möglichkeit, freiwillig als EA zu fungieren. Diese Lösung soll die Vorteile beider Selbstverwaltungssysteme kombinieren, eine flächendeckende Versorgung sicherstellen und Motivationsverluste durch eine einseitige Bevorzugung einer bestimmten Ebene vermeiden; vgl. Landtag Baden-Württemberg, LTDRs 14/5345, S. 11. 478 Dort gibt es zusätzlich die Option, juristischen Personen des Privatrechts die Aufgaben eines EA im Wege der Beleihung zu übertragen; vgl. näher Luch / Schulz, GewArch 2010, S. 225 (226). 479 In Bayern sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BayEAG die Wirtschafts- und Berufskammern für die Aufgaben eines EA zuständig. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 BayEAG haben aber auch die Landkreise und kreisfreien Gemeinden die Möglichkeit, diese Aufgaben zu übernehmen, was voraussetzt, dass diese bis spätestens zum 30. 06. 2010 gegenüber dem zuständigen Staatsministerium eine entsprechende Übernahmeerklärung abgegeben haben. Die Verortung der EA war in Bayern politisch besonders umstritten; vgl. dazu näher Jahn, GewArch 2010, S. 150 und Schulz, BayVBl 2010, S. 556. 480 In Berlin ist der EA bei der für die Wirtschaft zuständigen Senatsverwaltung, in Brandenburg beim Wirtschaftsministerium angesiedelt. Hessen hat drei EA bei den Regierungspräsidien als staatlichen Mittelbehörden, Rheinland-Pfalz zwei EA bei den Struktur- und Genehmigungsdirektionen Nord und Süd eingerichtet. In Sachsen wurden 473
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sen 482 und Nordrhein-Westfalen 483 bis zu Kooperationslösungen im Saarland und in Schleswig-Holstein 484. bb) Das Vierte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften als Leitgesetz für die Regelungen der Bundesländer Auch bei der Verfahrensabwicklung über den Einheitlichen Ansprechpartner traf die Umsetzungspflicht zunächst die Länder, welche ihre Verwaltungsverfahrensgesetze den diesbezüglichen Vorgaben der Richtlinie anpassen müssen, soweit diese nicht dynamisch auf das VwVfG des Bundes verweisen. Leitbildfunktion für entsprechende Regelungen in Landesgesetzen hatte das 4. VwVfÄndG 485, welches die Verfahrensabwicklung über eine einheitliche Stelle als neuen Verfahrenstyp in §§ 71a bis e VwVfG abbildet. Auf diese Vorschriften kann im jeweiligen Fachrecht Bezug genommen werden. Das Verfahren über eine einheitliche Stelle 486 ersetzt die bisherigen §§ 71a bis e VwVfG (Beschleunigung von Genehmigungsverfahren), deren Streichung vorbehaltlos zu begrüßen ist 487. Die wichtigsten in § 71a bis e VwVfG a. F. enthaltenen Regelungen über besondere Beratungs- und Auskunftspflichten sind nunmehr für alle Verwaltungsverfahren in § 25 Abs. 2 VwVfG festgeschrieben 488. Die ersatzlose Streichung der Sonderregelungen über das Sternverfahren und die Antragskonferenz ist gerechtfertigt, weil entsprechende Verfahrensgestaltungen mittlerweile „fester Bestandteil des Repertoires der Verwaltung“ 489 geworden sind. Insofern hatten die mit dem GenBeschlG 1996 490 eingeführten Vorschriften die erhoffte Signal- und die Aufgaben des EA für das gesamte Bundesland der Landesdirektion Leipzig übertragen, in Sachsen-Anhalt ist das Landesverwaltungsamt zuständig. 481 Im Bundesland Bremen wurden die Aufgaben auf die als GmbH organisierten kommunalen Wirtschaftsförderinstitute in Bremen und Bremerhaven übertagen. 482 In Niedersachsen sind das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, die Landkreise, die Region Hannover, die kreisfreien und großen selbständigen Städte, die Landeshauptstadt Hannover und die Stadt Göttingen Einheitliche Ansprechpartner. 55 der 56 EA sind damit auf der kommunalen Ebene angesiedelt. Die Landesregierung kann durch Rechtsverordnung für bestimmte Verfahren andere Stellen als EA bestimmen. 483 In Nordrhein-Westfalen soll durch öffentlich-rechtliche Vereinbarungen eine Konzentration auf maximal 18 EA erfolgen. 484 Dazu eingehend Luch / Schulz, GewArch 2010, S. 225 (227 f.). 485 Vom 11. 12. 2008; BGBl. I, S. 2418. Dazu bereits § 9 C XI und Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1. 486 Kritisch zu dieser Terminologie Windoffer, DÖV 2008, S. 797 (798): „Höchst missverständliche Bezeichnung für die lediglich als Mittler fungierenden Ansprechpartner“. 487 Nachdrückliche Kritik an §§ 71a ff. VwVfG a. F. bei Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 (9). 488 Näher Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 (9 f.). 489 So der Gesetzentwurf der Bundesregierung; BTDrs 16/10493, S. 17.
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Anstoßwirkung 491. Der Verzicht auf ihre ausdrückliche Erwähnung dient auch der Rechtsbereinigung. § 71a bis e VwVfG i. d. F. des 4. VwVfÄndG regelt den neuen Verfahrenstyp über eine einheitliche Stelle relativ knapp. § 71a Abs. 1 VwVfG macht die entsprechende Abwicklung des Verfahrens von einer ausdrücklichen Anordnung durch Rechtsvorschrift abhängig 492. Das wurde mit der Verlagerung des Subsumtionsaufwandes von den Behörden auf den Gesetzgeber begründet, machte aber eine aufwändige und in Anbetracht der nahezu 13.000 zur Normprüfung und Rechtsetzung berufenen Stellen fehleranfällige Änderung zahlreicher Rechtsvorschriften notwendig 493. Diese Regelungstechnik steht ferner in Widerspruch zu der Entlastungsfunktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts 494, so dass möglicherweise eine generelle Anordnung des Verfahrens in § 71a VwVfG sinnvoller gewesen wäre. Auf diese Weise hätten Umsetzungsdefizite in den Spezialgesetzen aufgefangen werden können 495. § 71a Abs. 2 VwVfG stellt sicher, dass die in §§ 71a ff. VwVfG geregelten Pflichten auch dann zu erfüllen sind, wenn der Antragsteller oder Anzeigepflichtige auf die Inanspruchnahme des EA verzichtet und sich – was ihm freigestellt bleibt 496 – unmittelbar an die Fachbehörde wendet. § 71b VwVfG enthält Einzelheiten zur Verfahrensabwicklung über die einheitliche Stelle, der regelmäßig als aktiver Unterstützer des Antragstellers agieren soll 497. Diese nimmt nach Absatz 1 Anzeigen, Anträge und Willenserklärungen sowie Dokumente entgegen und leitet sie unverzüglich an die zuständigen Behörden weiter. Anzeigen, Anträge, Willenserklärungen und Dokumente gelten nach § 71b Abs. 2 Satz 1 am dritten Tage nach Eingang bei der einheitlichen Stelle als bei der zuständigen Behörde eingegangen, wobei der Eingang bei der zuständigen Stelle eventuelle Antragsfristen nach § 71b Abs. 2 Satz 2 wahrt. Das Risiko der verspäteten Weiterleitung wird damit vom Dienstleister auf die zuständige Behörde verlagert. Insofern entspricht der Entwurf Forderungen aus 490
Hierzu oben § 9 C V. Vgl. BTDrs 13/3995, S. 2. 492 Das Verfahren ist damit offen für die gesamte Verwaltung und nicht auf das Wirtschaftsverwaltungsrecht beschränkt. § 71a ff. VwVfG bezieht auch alle reinen Inlandssachverhalte mit ein und vermeidet so eine faktische Inländerdiskriminierung; vgl. Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 (3). 493 Kritisch Windoffer, DÖV 2008, S. 797 (798). 494 Hierzu Kahl, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, S. 67 (93); Schmidt-Aßmann, in: Grundlagen II, § 27 Rn. 12. 495 Windoffer, DÖV 2008, S. 797 (798). Nach Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 (4) verbietet aber der beträchtliche organisatorische Aufwand zur Gewährleistung des neuen Verfahrens dessen generelle Einführung im VwVfG. 496 Dazu näher Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 (5). 497 Eingehend Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 (4 f.). 491
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der Literatur 498. Die Empfehlung der Kommission, für den Beginn des Laufs behördlicher Entscheidungsfristen bereits auf den Eingang beim Einheitlichen Ansprechpartner abzustellen 499, konnte sich nicht durchsetzen. Soll durch die Anzeige, den Antrag oder die Abgabe einer Willenserklärung eine behördliche Entscheidungsfrist in Lauf gesetzt werden, so stellt die Behörde nach § 71b Abs. 3 Satz 1 und 2 VwVfG eine Empfangsbestätigung aus, die das Datum des Eingangs beim Einheitlichen Ansprechpartner enthält und in der auf die Frist, die Voraussetzungen für den Beginn des Fristlaufs und auf eine an den Fristlauf geknüpfte Rechtsfolge sowie auf die verfügbaren Rechtsbehelfe hinzuweisen ist. Ist der Antrag oder die Anzeige unvollständig, teilt die zuständige Behörde unverzüglich mit, welche Unterlagen nachzureichen sind (§ 71b Abs. 4 Satz 1 und 2 VwVfG). Die Mitteilung muss den Hinweis enthalten, dass der Lauf der Frist nach § 71b Abs. 3 VwVfG erst mit Eingang der vollständigen Unterlagen beginnt. Das Datum des Eingangs der nachgereichten Unterlagen beim EA ist mitzuteilen (§ 71b Abs. 4 Satz 3 VwVfG). § 71b Abs. 5 Satz 2 VwVfG sieht vor, dass Verwaltungsakte der zuständigen Behörde nur „auf Verlangen“ desjenigen, an den sich der Verwaltungsakt richtet, und nicht automatisch über den Einheitlichen Ansprechpartner bekannt gegeben werden können. Diesbezüglich stellt sich die Frage der Richtlinienkonformität einer solchen Regelung in Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 und 8 DLRL, da diese von einem umfassenden, auch den behördlichen Rücklauf einschließenden Begriff des „Verfahrens“ und „Abwickelns“ ausgehen 500. Zudem widerspricht die Tatsache, dass in jedem Einzelfall eine entsprechende Willensbekundung des Dienstleisters eingeholt werden muss, dem Effizienzprinzip im Verwaltungsverfahren 501. § 71b Abs. 6 Satz 1 VwVfG enthält – angelehnt an § 122 Abs. 2 Satz 2 AO – eine Bekanntgabefiktion bei Übermittlung in das Ausland durch die Post. Danach gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt einen Monat nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dieser Zeitraum erscheint vor dem Hintergrund des Beschleunigungsziels der DLRL zwar großzügig bemessen 502, ist angesichts der Postlaufzeiten ins Ausland (Osteuropa) aber doch sachgerecht. Die Bekanntgabefiktion gilt nach § 71b Abs. 6 Satz 2 VwVfG nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist 503. Nach der in §§ 71a ff. VwVfG vorgesehenen Verfahrensgestaltung wird die „einheitliche Stelle“ weitgehend auf eine bloße Weiterleitung von Dokumenten 498 499 500 501 502
(800).
Windoffer, NVwZ 2007, S. 495 (498) und derselbe, DÖV 2008, S. 797 (799). Handbuch DLRL, S. 29. Ziekow / Windoffer, in: Schlachter / Ohler, Art. 6 Rn. 13. Windoffer, DÖV 2008, S. 797 (799). Vgl. Erwägungsgrund 43 der DLRL; kritisch deshalb Windoffer, DÖV 2008, S. 797
503 Im Zweifel hat die Behörde den Zugang und dessen Zeitpunkt nachzuweisen. § 71b Abs. 6 Satz 2 VwVfG entspricht § 41 Abs. 2 Satz 3 VwVfG i. d. F. des 4. VwVfÄndG.
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beschränkt und kann nicht etwa Antragsunterlagen sammeln, auf Vollständigkeit überprüfen und erst anschließend die zuständigen Behörden einschalten. Eine solche Interpretation der Aufgaben des EA ist zwar noch gerade mit den Mindestanforderungen des Art. 6 Abs. 1 DLRL vereinbar 504. Allerdings wird der EA damit auf eine Verfahrensmittler- und Lotsenfunktion beschränkt, während seine von der Richtlinie auch intendierte Unterstützerfunktion 505 nur sehr unvollständig abgebildet ist. Immerhin verpflichtet § 71d Satz 1 VwVfG einheitliche Stelle und zuständige Behörde, gemeinsam auf eine ordnungsgemäße und zügige Verfahrensabwicklung hinzuwirken und sich untereinander dauerhaft wechselseitig zu unterstützen 506. Die zuständige Behörde hat nach § 71d Satz 2 VwVfG ferner der einheitlichen Stelle die erforderlichen Informationen zum Verfahrensstand zur Verfügung zu stellen, was der Unterstützerfunktion des EA Rechnung trägt 507. Beim 4. VwVfÄndG handelt es sich weitgehend um eine „1:1-Umsetzung“ europäischer Vorgaben, die – mit Ausnahme des erweiterten persönlichen Anwendungsbereichs – nicht über das von der DLRL geforderte Minimum hinausgeht 508. Kritiker bemängeln deshalb, dass eine Beschränkung der Aufgaben des EA auf eine mechanische Weiterleitungsfunktion lediglich eine weitere Bürokratieebene ohne sachlichen Mehrwert entstehen lasse. Ohne zusätzliche Durchsetzungsmittel, verbindliche Fristen und die Zuständigkeiten für Bekanntgaben könne der Einheitliche Ansprechpartner kaum etwas für den Dienstleister tun und sich auch nicht zu einer modernen und akzeptierten Servicestelle für Unternehmer entwickeln 509. Da sämtliche Korrespondenz nicht unmittelbar zwischen zuständiger Behörde und betroffenem Dienstleister, sondern über dem Umweg eines lediglich auf informelle Möglichkeiten der Einflussnahme auf den Verwaltungsprozess beschränkten EA 510 erfolge, drohe eine bloße Verlängerung der zu beschreitenden Verwaltungswege. In der Literatur wurden daher Vorschläge gemacht, den EA mit sehr viel weiter reichenden Befugnissen auszustatten, als im 4. VwVfÄndG vorgesehen. Dieser solle insbesondere mit umfassenden Informations- und Akteneinsichtsrechten ausgestattet und autorisiert werden, neben einer allgemeinen Empfangsbestätigung für enthaltene Anträge eine Bescheinigung über die Vollständigkeit der 504
Neidert, Einheitlicher Ansprechpartner, in: Schliesky, Umsetzung, S. 117 (119 f.); Luch, in: Schliesky, Umsetzung, S. 149 (157). Zweifelnd dagegen Speyer-Gutachten, S. 31. 505 Siehe insbesondere Erwägungsgrund 48 der DLRL. 506 Näher Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 (5). 507 Windoffer, DÖV 2008, S. 797 (799). 508 Windoffer, DÖV 2008, S. 797 (799). Kritisch Schulz, NdsVBl 2009, S. 97 (101 ff.), der weiteren Gesetzgebungsbedarf im Allgemeinen Verwaltungsrecht sieht. 509 Neidert, Einheitlicher Ansprechpartner, in: Schliesky, Umsetzung, S. 117 (134). 510 Vgl. Windoffer, DVBl 2006, S. 1210 (1213); Luch, in: Schliesky, Umsetzung, S. 149 (154).
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Unterlagen abzugeben. Darüber hinaus regte man an, den EA zu berechtigen, den materiell zuständigen Behörden interne Fristen zu setzen und ihn mit dem Recht zur Anrufung der Fachaufsicht auszustatten, damit er seiner prozessualen Führungsposition Nachdruck verleihen könne 511. Entsprechende Vorschläge sind mit dem 4. VwVfÄndG, bei dem es sich wegen der im Verwaltungsverfahrensrecht erforderlichen Simultangesetzgebung um eine Einigung auf den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ handelt, allerdings nicht umgesetzt worden. cc) Umsetzung in Mecklenburg-Vorpommern In Mecklenburg-Vorpommern wurden die §§ 71a bis e des VwVfG durch Art. 1 Nr. 12 des Gesetzes zur verwaltungsrechtlichen Umsetzung der EG-Dienstleistungsrichtlinie und zur Umsetzung von Bundesgesetzen in das Landesrecht von Mecklenburg-Vorpommern 512 im Wege der Simultangesetzgebung wortidentisch in das VwVfG M-V übernommen. Mit dem als Artikel 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt in Mecklenburg-Vorpommern vom 17. 12. 2009 513 verkündete Einheitlicher-Ansprechpartnererrichtungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern (EAPG M-V) übertrug das Land die Aufgaben der einheitlichen Stelle nach §§ 71a ff. VwVfG M-V auf die drei Industrie- und Handelskammern sowie die zwei Handwerkskammern im Lande und entschied sich damit für ein reines „Wirtschaftskammermodell“ 514. Für reine „Kammermodelle“ haben sich mit Baden-Württemberg, Hamburg, Thüringen und Bayern noch vier weitere Bundesländer entscheiden. Anders als in Baden-Württemberg und Bayern haben in Mecklenburg-Vorpommern aber die leistungsstarken Kommunen aber nicht die Möglichkeit, die Aufgaben eines Einheitlichen Ansprechpartners freiwillig zu übernehmen 515. Als Vorzüge des Kammer- gegenüber dem von Landkreis- sowie Städte- und Gemeindetag präferierten Kommunalmodell 516 wurde unter anderem auf die geringere Zahl von EA (fünf anstelle von 18) verwiesen, was zu einem geringeren Koordi511 Vgl. Neidert, Einheitlicher Ansprechpartner, in: Schliesky, Umsetzung, S. 117 (125 ff.; 137 ff.) und Luch, in: Schliesky, Umsetzung, S. 149 (156 f.). 512 Vom 02. 12. 2009; GVOBl. M-V, S. 666. Das Gesetz trat am 17. 12. 2009 in Kraft. Siehe dazu Landtag M-V, LTDrs 5/2594 sowie LTDrs 5/2936. 513 GVOBl. M-V, S. 729. Das Gesetz trat am 28. 12. 2009 in Kraft. 514 Näher zu den Ansiedlungsoptionen und den in anderen Bundesländern getroffenen Ansiedlungsentscheidungen oben § 19 C III 2 b) bb) und c)aa). 515 Zu den dort gewährten Optionsmöglichkeiten für die Kommunen bereits § 19 C III 2 c) aa). 516 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/3051, S. 53. Ein Kooperationsmodell von Kammern und Kommunen wurde sowohl von den Kammer- als auch von den Kommunalvertretern ausdrücklich abgelehnt. Auch am Anstaltsmodell Schleswig-Holsteins bestand nach Landtag M-V, LTDrs 5/2779, S. 2 „übereinstimmend kein Interesse“. Gegen eine Landeslösung sprach schließlich, dass die Aufgaben eines EA nicht zu den Kernaufgaben eines
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nierungsaufwand bei der Errichtung und laufenden Tätigkeit des Einheitlichen Ansprechpartners führe 517. Zudem gehöre ein Großteil der von den Einheitlichen Ansprechpartnern zu übernehmenden Aufgaben bereits jetzt zu den originären Kernaufgaben der Wirtschaftskammern. Diese seien als Einrichtungen der Selbstverwaltung und gleichzeitig mit hoheitlichen Aufgaben beliehene Institutionen geeignete Mittler zwischen Dienstleistungserbringern und unmittelbarer Staatsverwaltung. Überdies sei beim Wirtschaftskammermodell ein Rückgriff auf das Land im Falle nicht kostendeckender Gebühren ausgeschlossen 518. So gewährleiste das Wirtschaftskammermodell die unbürokratische, zukunftssichere und wirtschaftsnahe Betreuung der Dienstleistungserbringer. Ein weiterer Vorteil der Kammerlösung seien die bereits seit längerem vorhandene Präsenz im Ausland und die sonstigen vielfältigen Kooperationsbeziehungen 519. Gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 EAPG M-V werden die Aufgaben der EA von den drei IHK (mit Sitz in Neubrandenburg, Rostock und Schwerin) sowie den beiden Handwerkskammern in Rostock und Schwerin wahrgenommen 520. Diese sind nach § 1 Abs. 1 Satz 2 EAPG M-V einheitliche Stellen im Sinne des § 71a VwVfG M-V und nehmen nach § 1 Abs. 1 Satz 3 EAPG M-V die Aufgaben des EA 521 nach Art. 6 bis 8 DLRL wahr, wobei die IHK für alle Dienstleistungen tätig werden dürfen, die nicht der HandwO unterfallen. Das EAPG M-V regelt dagegen nicht, welche Verwaltungsverfahren über eine einheitliche Stelle i. S. d. § 71a VwVfG M-V abgewickelt werden können. Solche Anordnungen finden sich vielmehr in den jeweiligen Fachgesetzen auf Bundes- und Landesebene, etwa in §§ 6b GewO und 5b HandwO. In Mecklenburg-Vorpommern wurden die entsprechenden Fachgesetze durch Art. 2 bis 10 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt in Mecklenburg-Vorpommern geändert 522. Die Durchführung von Verfahren über eine Ministeriums gehören und eine Verortung bei nachgeordneten Mittelbehörden aufgrund des zweistufigen Verwaltungsaufbaus nicht in Betracht kam. 517 Landtag M-V, LTDrs 5/2779, S. 2. 518 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Helmut Holter, Fraktion Die Linke „Umsetzung der EG-Dienstleistungsrichtlinie in Mecklenburg Vorpommern“, Landtag M-V, LTDrs 5/2396 vom 14. 04. 2009. 519 Wirtschaftsminister Jürgen Seidel am 23. 09. 2009 anlässlich der ersten Lesung des Gesetzes im Landtag M-V, PlPr 5/76, S. 46. 520 Diese Aufgabenübertragung wird durch §§ 1 Abs. 3a IHKG und 91 Abs. 1a HandwO ermöglicht, die durch Art. 7 und 8 des 4. VwVfÄndG vom 11. 12. 2008 – BGBl. I, S. 2418 – geschaffen wurden. 521 Die Unterscheidung zwischen den Begrifflichkeiten der „einheitlichen Stelle“ und des „Einheitlichen Ansprechpartners“ wurde bewusst gewählt. Das Verfahren über eine „einheitliche Stelle“ muss auch als Option für andere Verwaltungsverfahren im Lande offen bleiben, während der Begriff des „Einheitlichen Ansprechpartners“ ein durch die DLRL besetzter Begriff ist. Vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/2779, S. 36. 522 Vom 17. 12. 2009; GVOBl. M-V, S. 729.
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einheitliche Stelle wurde dabei u. a. in §§ 2 Abs. 6 und 10 Abs. 1a Heilberufsgesetz; 65 Abs. 7 und 66 Abs. 5 LBauO M-V; 2 Abs. 2 Satz 2 Marktscheiderzulassungsgesetz; 6 Abs. 2 Satz 1 WBG M-V sowie 9 Abs. 6 und 10 Abs. 4 ArchInG M-V ermöglicht. Wie in fast allen Bundesländern ist die Einführung des Verfahrens über eine einheitliche Stelle nicht auf grenzüberschreitende Sachverhalte beschränkt, was eine vor dem Hintergrund des Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigungsbedürftige und vor allem rechtspolitisch nicht sinnvolle Inländerdiskriminierung vermeidet 523. Bezüglich der Zuständigkeiten bestimmt § 2 Abs. 1 EAPG M-V, das die jeweiligen Kammern die Aufgaben des EA jeweils in ihrem sachlichen und örtlichen Zuständigkeitsbereich wahrnehmen, soweit nicht in § 2 Abs. 2 bis 4 EAPG M-V etwas Anderes geregelt ist. Die IHK werden nach § 2 Abs. 2 Satz 2 EAPG M-V auch für Dienstleistungserbringer des nicht gewerblichen Bereiches tätig 524, was nach § 1 Abs. 3a Satz 3 IHKG zulässig ist. Nach § 1 Abs. 2 EAPG M-V bilden die EA eine gemeinsame Koordinierungsstelle bei einem der Einheitlichen Ansprechpartner, die insbesondere die zentrale Eingangsstelle für elektronische Anfragen und Anträge betreut. Gem. § 3 EAPG M-V regeln die EA durch öffentlich-rechtlichen Vertrag ihre Zusammenarbeit untereinander, welcher EA die Aufgabe der gemeinsamen Koordinierungsstelle nach § 1 Abs. 2 EAPG M-V wahrnimmt sowie Standards für einen einheitlichen Verfahrensablauf innerhalb der EA. Die Aufgabe der gemeinsamen Koordinierungsstelle wird nach einer zwischen den EA abgeschlossenen Kooperationsvereinbarung von der IHK Neubrandenburg wahrgenommen. Sie ist in dieser Funktion gem. § 2 Abs. 2 EAPG M-V für alle Anfragen und Anträge zuständig, für die nicht unverzüglich eine sachliche oder örtliche Zuständigkeit bestimmt werden kann sowie für die Weiterleitung der auf dem zentralen Portal eingegangenen Anträge und Anfragen, die nicht automatisch zugeordnet werden. Kommt nach Angaben des Dienstleistungserbringers die Zuständigkeit mehrerer EA in Mecklenburg-Vorpommern in Betracht, so ist nach § 2 Abs. 3 EAPG der EA zuständig, bei dem der überwiegende Teil der Bezugspunkte liegt. Geht eine Anfrage oder ein Antrag bei einem (sachlich oder örtlich) unzuständigen EA ein, so ist eine Verweisung nach § 2 Abs. 4 EAPG M-V nur einmalig und im Einvernehmen mit dem betroffenen EA zulässig 525. Über die Zuständigkeit ist nach § 2 Abs. 4 Satz 2 EAPG M-V unverzüglich zu entscheiden 526. §§ 4 und 5 EAPG M-V enthalten Verord523 Anders ist die Rechtslage nur in Sachsen und Bayern, wo § 1 Satz 2 BayEAG Art. 71a BayVwVfG auf grenzüberschreitende Sachverhalte beschränkt. Zur (berechtigten) Kritik daran S. E. Schulz, BayVBl 2010, S. 556 (560); Jahn, GewArch 2010, S. 150 (152). 524 Die IHK sind danach für alle kammerpflichtigen freien Berufe wie Rechtsanwälte, Ingenieure, Steuerberater etc. zuständig, aber auch für die nicht kammerpflichtigen Freiberufler wie Künstler, Musiker, Journalisten etc. 525 § 2 Abs. 4 EAPG M-V enthielt seine endgültige Fassung aufgrund eines Änderungsantrages der Fraktionen der SPD und CDU; vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/3051, S. 55. Diese vom VwVfG M-V abweichende Zuständigkeitsregelung stellt sicher, dass es nicht zu einem mehrmaligen „Hin-und-Her-Überweisen“ kommen kann. Zur Fassung des
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nungsermächtigungen bezüglich der Behördenzusammenarbeit und zu Verfahren auf bundesrechtlicher Grundlage 527. Mit einer Verordnung vom 23. 11. 2010 528 wurde mittlerweile für bestimmte Verfahren auf bundesgesetzlicher Grundlage das Verfahren über einheitliche Ansprechpartner sowie eine dreimonatige (nicht fiktionsbewehrte) Entscheidungsfrist angeordnet. Der Umsetzung der Informationspflichten nach Art. 7 DLRL dient § 6 Abs. 1 EAPG M-V. Danach stellen die Ressorts der Landesregierung und die nach Art. 4 Nr. 9 DLRL zuständigen Behörden Informationen über Ansprechpartner, Rechts-, Verfahrens- oder Zuständigkeitsregelungen und -änderungen in ihrem Kompetenzbereich zeitgleich mit der Veröffentlichung der gemeinsamen Koordinierungsstelle nach § 1 Abs. 2 EAPG M-V elektronisch zur Verfügung. Nach § 6 Abs. 2 EAPG M-V unterstützen die EA durch geeignete Maßnahmen die Einhaltung von Fristen 529. § 6 Abs. 3 EAPG M-V ermächtigt das Innenministerium, Einzelheiten der Zusammenarbeit zwischen den EA und den zuständigen Behörden zu regeln 530. Nach § 7 Abs. 1 EAPG M-V werden Informationen nach § 71c VwVfG M-V im Dienstleistungsportal des Landes und dem Portal der Einheitlichen Ansprechpartner veröffentlicht 531. Für die elektronische Verfahrensabwicklung entsprechend § 71e VwVfG M-V und den Zugang der Dienstleistungserbringer und Dienstleistungsempfänger werden landeseinheitliche und gemeinsame Verfahren genutzt, die die Aufgabenerfüllung der EA und der zuständigen Behörden gewährleisten 532. § 2 Abs. 4 EAPG M-V im Regierungsentwurf vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/2779, S. 8 und 39. Dort war eine endgültige Entscheidung über die Zuständigkeit durch die gemeinsame Koordinierungsstelle vorgesehen. 526 Die noch im Regierungsentwurf vorgesehene Dreitagesfrist ist nicht Gesetz geworden. 527 Dazu näher Landtag M-V, LTDrs 5/2779, S. 41 f. 528 Verordnung über Verwaltungsverfahren auf bundesgesetzlicher Grundlage zur Umsetzung der Richtlinie 2006/123/EG im Land Mecklenburg-Vorpommern (DLR-UVO M-V); GVOBl. M-V, S. 676. 529 In Betracht kommen hier Maßnahmen zur Fristenkontrolle, etwa der Hinweis an die zuständige Genehmigungsbehörde auf einen anstehenden Fristenablauf, durch den eine Genehmigungsfiktion ausgelöst würde. Insofern nehmen die EA die Aufgabe eines Verfahrensmangers wahr. Dazu Landtag M-V, LTDrs 5/2779, S. 44. 530 Die Regelungsbefugnis umfasst insbesondere Vorgaben zur Sicherstellung der elektronischen Verfahrensabwicklung und der elektronischen Kommunikation nach § 7 EAPG M-V, die zu nutzenden Formulare und Formblätter sowie die Festlegung der Zuständigkeit und des Verfahrens nach § 6 Abs. 1 EAPG M-V. Der damit verbundene Eingriff in die Organisationshoheit ist nach LTDrs 5/2779, S. 45 gerechtfertigt, um die zur medienumbruchfreien elektronischen Abwicklung von Verwaltungsverfahren notwendige Standardisierung durchsetzen zu können und die damit verbundenen Aufwände zu minimieren. Ein Eingriff in den Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie ist damit nicht verbunden. 531 www.service.m-v.de/cms/DLP_prod/DLP/ea/de/start/index.jsp (Abrufdatum: 09. 02. 2011). 532 Die IT-Umsetzung der DLRL in M-V erfolgt unter Beachtung der eGovernment-Strategie der Landesregierung in Fortführung des one-stop-eGovernment-Ansatzes
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§ 8 EAPG M-V enthält Vorgaben zum Datenschutz 533, während sich § 9 EAPG M-V den Gebühren widmet. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EAPG M-V erheben die EA für ihre Tätigkeit Gebühren. Unter den Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 2 und 3 EAPG M-V ist auch die Erhebung von Auslagen zulässig. Die Höhe der Gebühren können durch die EA nach § 9 Abs. 2 EAPG M-V durch Satzung gemäß §11 Abs. 2 IHKG bzw. § 106 Abs. 2 HandwO geregelt werden, welche der Genehmigung der Aufsichtsbehörde bedarf. § 9 Abs. 3 EAPG M-V, der im Gesetzgebungsverfahren besonders umstritten war 534, schließt die Erstattung von Aufwendungen und Kosten für den Betrieb der EA durch das Land aus. § 10 Abs. 1 und 3 EAPG M-V regelt besondere Mitteilungspflichten der Dienstleistungserbringer gegenüber dem EA, den er in das Zulassungsverfahren einbezogen hat (Abs. 1) bzw. gegenüber dem Dienstleistungsempfänger bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen (Abs. 3). § 10 Abs. 2 EAPG M-V enthält besondere Mitteilungspflichten des EA gegenüber der jeweils zuständigen Behörde. Die EA unterstehen nach § 11 EAPG der Aufsicht des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus. § 12 EAPG schließlich verpflichtet die Landesregierung, dem Landtag im dritten Jahr nach Inkrafttreten des EAPG einen Bericht zu der Erfahrungen bei der Anwendung des Gesetzes vorzulegen. Der Bericht soll auch aufzeigen, ob Gesetzesänderungen für erforderlich gehalten werden 535. 3. Elektronische Informationen und Verwaltungsverfahren a) Anforderungen der Dienstleistungsrichtlinie Besondere Herausforderungen an die Mitgliedsstaaten in Bezug auf einen weiteren Ausbau des eGovernment 536 finden sich in Artikel 7 („Recht auf Information“) und 8 („Elektronische Verfahrensabwicklung“). Dabei gilt es zunächst, über entsprechende Internetportale die von Art. 7 DLRL geforderten Informationen über den EA (Art. 7 Abs. 1 DLRL) und die zuständigen Behörden (Art. 7 Abs. 2 DLRL) bereitzustellen 537. Nach Art. 7 DLRL muss gewährleistet werden, dass alle Dienstleistungserbringer und Dienstleistungsempfänger leichten des Landes. Dem Konzept liegt der Gedanke zugrunde, mit der einmaligen elektronischen Verfügbarkeit gleichzeitig die mehrfache Verwendbarkeit von Informationen sicherzustellen. Näher LTDrs 5/2779, S. 46 f. 533 § 8 EAPG M-V war im Regierungsentwurf noch nicht enthalten. Zum rechtspolitischen Hintergrund Landtag M-V, LTDrs 5/3051, S. 56. 534 Siehe dazu Landtag M-V, PlPr 5/84, S. 52 sowie den gescheiterten Änderungsantrag der Fraktion der FDP in LTDrs 5/3071. 535 Der Regierungsentwurf sah noch eine Berichtspflicht nach vier Jahren vor; vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/2779, S. 50. Zu den Änderungen im parlamentarischen Verfahren LTDrs 5/3051, S. 56. 536 Dazu grundsätzlich bereits oben § 9 B.
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Zugang zu bestimmten Informationen haben, wobei die Mitgliedsstaaten selbst bestimmen können, wie die Informationen zur Verfügung gestellt werden. In jedem Fall müssen die Mitgliedstaaten gem. Art. 7 Abs. 3 und 4 DLRL gewährleisten, dass die über den Einheitlichen Ansprechpartner zur Verfügung zu stellenden Basisinformationen nach Art. 7 Abs. 1 DLRL und die nach Art. 7 Abs. 2 DLRL von den zuständigen Behörden zu erteilenden weitergehenden Informationen aus der Ferne und elektronisch leicht zugänglich sind, Informationsersuchen so schnell wie möglich beantwortet werden und der Antragsteller unverzüglich davon in Kenntnis gesetzt werden kann, wenn sein Informationsersuchen fehlerhaft oder unbegründet ist 538. Eine Rechtsberatung im Einzelfall ist gemäß Art. 7 Abs. 6 DLRL weder Aufgabe der zuständigen Behörden noch des Einheitlichen Ansprechpartners und bleibt weiterhin den rechtsberatenden Institutionen vorbehalten. Deutlich anspruchsvoller noch gestaltete sich die Implementierung des Art. 8 Abs. 1 DLRL in das nationale Verwaltungsverfahrensrecht. Diese Vorschrift wird von der Kommission als „Schlüsselinstrument für die Erreichung des Ziels der Verwaltungsvereinfachung der Dienstleistungsrichtlinie“ angesehen und ist zugleich ein Instrument zur Modernisierung und Effizienzsteigerung nationaler Verwaltungen. Art. 8 DLRL verpflichtet die Mitgliedsstaaten zur „Einrichtung voll funktionsfähiger und interoperabler elektronischer Verfahren“ 539. Bis zum Ende des Jahres 2009 galt es deshalb, die einfache elektronische Abwicklung von Verwaltungsverfahren aus der Ferne zu ermöglichen. Das dürfte in Deutschland mittelfristig einen Abschied der bisherigen Praxis bedeuten, elektronische Verfahren nur nach dem Prinzip der Freiwilligkeit und unter den anspruchsvollen Voraussetzungen einer qualifizierten elektronischen Signatur zu ermöglichen 540. Jedenfalls dienstleistungsrelevante Verfahren sind auf Wunsch des Dienstleisters seit dem 28. 12. 2009 elektronisch zu führen. b) Umsetzung in der Bundesrepublik Deutschland Die technische Umsetzung der Art. 7 und 8 DLRL erfolgte im Rahmen eines prioritären Deutschland-Online-Vorhabens. Der entsprechende Aktionsplan des Projekts der Bundesregierung „Deutschland-Online“ wurde im Juni 2007 um das Vorhaben „IT-Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie“ erweitert, wobei unter Federführung der Länder Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein unter 537 Näher zu den diesbezüglichen Anforderungen Speyer-Gutachten, S. 36 ff; Schliesky, Das Ende der deutschen Verwaltung?, in: Schliesky, Umsetzung, S. 1 (21 ff.) und Handbuch DLRL, S. 30 f. 538 Zu Einzelheiten Windoffer, NVwZ 2007, S. 495 (497). 539 Handbuch DLRL, S. 32. 540 Zu den bisherigen Defiziten der eGovernment-Strategie in Deutschland bereits § 9 B.
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Mitwirkung des Deutschen Landkreistages sowie in enger Zusammenarbeit mit dem Bund und dem Bund-Länder-Ausschuss Dienstleistungswirtschaft ein Modell („Blaupause“) für die IT-Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie entwickelt und erprobt wurde 541. In Mecklenburg-Vorpommern fielen allein für die Finanzierung der IT-Grundausstattung im Kontext der Errichtung der Einheitlichen Ansprechpartner Kosten in Höhe von 1,17 Mio. € an 542. Die elektronische Verfahrensabwicklung wird nunmehr in §§ 71c bis e VwVfG M-V abgebildet. Informationspflichten der einheitlichen Stellen und der zuständigen Behörden sieht § 71c VwVfG M-V vor, während § 25 Abs. 2 VwVfG M-V weiter gehende Beratungs- und Informationspflichten für alle Arten von Verwaltungsverfahren enthält und insofern bewährte Regelungen zur Verfahrensbeschleunigung aus § 71c VwVfG M-V a. F. in das allgemeine Verfahrensrecht übernimmt 543. § 71c Abs. 1 VwVfG M-V, welcher der Umsetzung von Art. 7 Abs. 1 DLRL dient, verpflichtet die einheitliche Stelle, auf Anfrage unverzüglich Auskunft über die maßgeblichen Vorschriften, die zuständigen Behörden, den Zugang zu öffentlichen Registern und Datenbanken, die zustehenden Verfahrensrechte sowie Einrichtungen, die den Antragsteller oder Anzeigepflichtigen bei der Aufnahme oder Ausübung seiner Tätigkeit unterstützen, zu erteilen. Die einheitliche Stelle teilt gem. § 71c Abs. 1 Satz 2 VwVfG M-V unverzüglich mit, wenn eine Anfrage zu unbestimmt ist. § 71c Abs. 2 VwVfG M-V setzt Art. 7 Abs. 2 DLRL um und verpflichtet die zuständige Behörde, auf Anfrage unverzüglich Auskunft „über die maßgeblichen Vorschriften und deren gewöhnliche Auslegung“ zu erteilen. Nach § 25 VwVfG M-V erforderliche Anregungen und Auskünfte müssen ebenfalls unverzüglich (und ohne besondere Anfrage) gegeben werden. § 71d Satz 1 VwVfG M-V schließlich verpflichtet die einheitliche Stelle und die zuständigen Behörden, gemeinsam auf eine ordnungsgemäße und zügige Verfahrensabwicklung hinzuwirken und wiederholt in deklaratorischer Weise das allgemeine Zügigkeitsgebot des § 10 S. 2 VwVfG M-V. Nach § 6 Abs. 2 EAPG M-V unterstützen die EA zudem durch geeignete Maßnahmen die Einhaltung von Fristen. Gem. § 71d Satz 2 VwVfG M-V müssen die zuständigen Behörden der einheitlichen Stelle die erforderlichen Informationen zum Verfahrensstand zur Verfügung stellen. Das in Art. 8 DLRL vorgesehene elektronische Verwaltungsverfahren regelt § 71e VwVfG M-V. Danach ist das Verfahren über eine einheitliche Stelle auf Verlangen in elektronischer Form abzuwickeln. § 3a Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 VwVfG bleiben unberührt. Insoweit erscheint zweifelhaft, ob das Festhalten am Erfordernis einer qualifizierten elektronischen Signatur, die sich in der Praxis 541 Zur Umsetzung der eGoverment-Plattform der DLRL Ashgari / Pautsch, DVP 2008, S. 489. 542 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/2396. 543 Näher Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 (8 f.).
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wegen der damit verbundenen hohen Anforderungen bisher kaum durchgesetzt hat, mit Art. 8 DLRL vereinbar ist. Fraglich ist, ob und unter welchen Voraussetzungen die in der Bundesrepublik verwendete elektronische Signatur auch für ausländische Dienstleister zugänglich ist. Ist dies nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich, so würde das nationale Erfordernis einer solchen Signatur den Zugang ausländischer Dienstleister zum deutschen Dienstleistungsmarkt erheblich erschweren und insoweit eine unzulässige diskriminierende Wirkung entfalten. Erforderlich erscheint deshalb eine europäische Initiative zur Angleichung der bisher unterschiedlichen Systeme der digitalen Signaturen in den EU-Mitgliedsstaaten 544. Nähere Regelungen zum elektronischen Verfahren enthält § 7 EAPG M-V. In Umsetzung der Verpflichtungen aus Art. 8 DLRL wird den Dienstleistungserbringern auf dem Landesportal ein sog. „Antragsassistent“ zur Verfügung gestellt 545, der bisher allerdings nur die Unternehmensgründung online unterstützt. Für alle anderen Vorhaben ist es erforderlich, sich unmittelbar an die EA zu wenden. Durch Art. 9a des 4. VwVfÄndG wurde das VwZG des Bundes an Art. 8 Abs. 1 DLRL angepasst 546. Um künftig bei der Zustellung auf elektronischem Wege eine Beweisführung über den Zugang der Erklärung ohne Mitwirkung des Empfängers zu erreichen, sieht § 5 Abs. 7 Satz 2 VwZG eine an § 41 Abs. 2 VwVfG angelehnte Zustellungsfiktion vor, wenn der Empfänger eine elektronische Verfahrensabwicklung verlangt, aber seine Mitwirkung daran (durch Rücksendung eines Empfangsbekenntnisses; vgl. § 5 Abs. 7 Satz 1 VwZG) verweigert. Das in §§ 94 ff. VwVfG M-V geregelte Verwaltungszustellungsrecht des Landes Mecklenburg-Vorpommern wurde ebenfalls nach dem Vorbild des 4. VwVfÄndG an Art. 8 DLRL angepasst 547. Dabei gestaltete man das Zustellungsrecht erheblich um. §§ 95 bis 98, 101, 102, 107 und 108 VwVfG M-V wurden neu gefasst, §§ 98 a; 99 und 105 VwVfG M-V hob man auf 548.
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Zu entsprechenden Vorschlägen Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 (6). www.antragsassistent.ea-mv.de (Abrufdatum: 10. 02. 2011). 546 Durch Einfügung von § 2 Abs. 3 Satz 2 sowie § 5 Abs. 6 und 7 VwZG, Änderung von § 5 Abs. 4, Neufassung von § 5 Abs. 5 sowie § 9 Abs. 2 Satz 3 VwZG. Vgl. BTDrs 16/10844, S. 5, S. 9 ff. 547 Durch Art. 1 Nr. 13 bis 19 EG-DLRG M-V vom 02. 12. 2009; GVOBl. M-V, S. 666. 548 Zu den Details Landtag M-V, LTDrs 5/2594, S. 33 ff. sowie LTDrs 5/2936, S. 19 ff. und S. 42 f. Die Änderungen passen das Zustellungsrecht des Landes zudem an das Zustellungsreformgesetz (BGBl. I, 2001, S. 1206) und das 3. VwVfÄndG an. Sie tragen den Auswirkungen der Poststrukturreform und den gewandelten Kommunikationsmöglichkeiten Rechnung. In Anlehnung an §§ 174 ZPO und 3a VwVfG M-V wird nunmehr auch der Verwaltung ermöglicht, elektronische Medien für das Zustellungsverfahren zu nutzen. 545
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4. Entwicklung von Qualitätssiegeln und Verhaltenskodizes sowie internationale Verwaltungszusammenarbeit Kapitel V (Art. 22 bis 27 DLRL) enthält Regelungen zur Qualitätssicherung der Dienstleistungen 549. So müssen die Mitgliedsstaaten gewährleisten, dass die Dienstleistungserbringer den Empfängern bestimmte Informationen zur Verfügung stellen (Art. 22 DLRL). Sie sind ferner gem. Art. 26 DLRL verpflichtet, in Zusammenarbeit mit der Kommission begleitende Maßnahmen zu ergreifen, um die Dienstleistungserbringer dazu anzuhalten, freiwillig die Qualität der Dienstleistungen zu sichern. Als Methoden eines solchen Verbraucherschutzes nennt Art. 26 Abs. 1 bis 5 DLRL die Zertifizierung oder Bewertung der Tätigkeiten durch unabhängige oder akkreditierte Einrichtungen, die Erarbeitung eigener oder die Beteiligung an europäischen Qualitätscharten oder Gütesiegeln von Berufsverbänden sowie die verstärkte europäische Zusammenarbeit von Berufsverbänden, Handels- und Handwerkskammern sowie Verbraucherverbänden. In diesem Zusammenhang soll nach Art. 37 Abs. 1 DLRL auch die Entwicklung europäischer Verhaltenskodizes der Berufsverbände, -organisationen und -vereinigungen gefördert werden, die Mindestvorschriften im Hinblick auf die Standesethik und das Verhalten reglementierter Berufe enthalten sollen und mit denen man die Freizügigkeit der Dienstleistungserbringer unterstützen sowie das Vertrauen der Dienstleistungsempfänger in Dienstleistungen aus anderen Mitgliedsstaaten verbessern will 550. In Bezug auf die Verwaltungszusammenarbeit enthalten Art. 28 bis 36 DLRL schließlich umfangreiche Regelungen zur gegenseitigen Amtshilfe zwischen den Mitgliedsstaaten. Die Regelungen tragen der Tatsache Rechnung, dass mit dem Wegfall der Binnengrenzen ein einheitlicher europäischer Verwaltungsraum entstanden ist, in dem es allerdings an einer einheitlichen Verwaltungsorganisation fehlt. Umso größer ist angesichts der zunehmenden Anzahl transnationaler Sachverhalte die Bedeutung der gegenseitigen Amtshilfe zwischen den Behörden der Mitgliedsstaaten beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts 551. Art. 28 bis 36 DLRL ergänzen vorhandene bereichsspezifische Amtshilferegelungen in einzelnen Sachmaterien der EU 552 und bilden einen Ansatzpunkt zur Herausbildung eines allgemeinen Europäischen Amtshilferechts. Im Zentrum der Vorschriften, durch die §§ 4 ff. VwVfG ergänzt und modifiziert werden 553, stehen der Informationsaustausch sowie Maßnahmen zur Beschaffung von Informationen. Unter anderem installiert Art. 32 DLRL einen europäischen Vorwarnungsmechanismus 554. 549
Dazu ausführlich Handbuch DLRL, S. 73 ff. Näher Handbuch DLRL, S. 80 f. 551 Ehlers, in: Erichsen / Ehlers, AVR, § 5 Rn. 61 ff; Bieber / Epiney / Haag, § 8 Rn. 5. 552 Näher Schliesky, Verwaltungszusammenarbeit, in: Schliesky, Umsetzung, S. 203 (204 ff.). 553 Schliesky, Verwaltungszusammenarbeit, in: Schliesky, Umsetzung, S. 203 (211 ff.). 550
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Erhält ein Mitgliedsstaat im Zusammenhang mit einer Dienstleistungstätigkeit Kenntnis von einem Sachverhalt, der einen schweren Schaden für die Gesundheit oder Sicherheit von Personen oder für die Umwelt verursachen könnte, so ist dieser verpflichtet, so schnell wie möglich den Niederlassungsstaat, die übrigen Mitgliedsstaaten und die Kommission zu unterrichten (Art. 32 Abs. 1 DLRL). In diesem Zusammenhang soll mit Unterstützung und Beteiligung der Kommission ein europäisches Netz der Behörden der Mitgliedsstaaten aufgebaut werden (Art. 32 Abs. 2 und 3 DLRL) 555. Umgesetzt wurden die Vorgaben der Art. 28 bis 36 DLRL mittlerweile in §§ 8a bis e VwVfG bzw. den wortidentischen Vorschriften der §§ 8a bis e VwVfG M-V 556. 5. Rechtspolitische Bewertung und Ausblick Im Zuge der Umsetzung der DLRL erhält das verwaltungswissenschaftliche Modernisierungskonzept eines Einheitlichen Ansprechpartners die Möglichkeit, seine Praxistauglichkeit bundesweit auf dem auch zahlenmäßig nicht zu unterschätzenden Gebiet der dienstleistungsrelevanten Verwaltungsverfahren nachzuweisen. Die dabei in den Bundesländern entstandenen unterschiedlichen Ansiedlungskonzeptionen 557 und Aufgabenportfolios sind zwar einerseits in Bezug auf einen Verlust an Rechtseinheitlichkeit problematisch, ermöglichen aber auch die Chance, gleichsam in einem Feldversuch im Wettbewerb um die besten Konzepte optimale Lösungen zu entwickeln. Insbesondere bezüglich der gewählten Ansiedlungsoptionen darf man gespannt sein, wie sich Kammer-, Landes-, Kommunalund Kooperationsmodelle im bundesweiten Wettbewerb bewähren werden. Insofern dürfte der im Jahre 2012 zu erwartende Bericht der Landesregierung zu den Erfahrungen bei der Anwendung des EAPG M-V besonders aufschlussreich sein 558. Bezüglich der Aufgabenzuweisungen an die einheitliche Stelle halten sich die regionalen Unterschiede aufgrund der Leitbild- und Koordinierungsfunktion des 4. VwVfÄndG dagegen in einem überschaubaren Rahmen. Hinsichtlich der dort getroffenen Regelungen dürfte es sich bei der im Zuge einer „1:1-Umsetzung“ von Richtlinien der Europäischen Union 559 vorgenommenen eher defensiven 554 Sehr kritisch zur Praktikabilität dieser Vorschrift Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 (2 mit Fn. 9). 555 Zum sog. Internal Market Information System (IMI) Schliesky, Verwaltungszusammenarbeit, in: Schliesky, Umsetzung, S. 203 (210). 556 Dazu bereits § 9 C XI sowie Eisenmenger, NVwZ 2010, S. 337 (340). 557 Dazu oben § 19 C III 2 c) aa). 558 Zur Berichtspflicht der Landesregierung im Jahre 2012 vgl. § 12 EAPG M-V. Nach Landtag M-V, LTDrs 5/2779, S. 50 soll der Bericht die Effektivität des EA untersuchen und auch Vergleiche mit anderen Bundesländern anstellen. 559 Dazu grundlegend J. Schwarze, in: Festschrift für Scholz, S. 167 ff.
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Aufgaben- und Funktionszuweisung jedenfalls in langfristiger Perspektive nicht um den „Königsweg“ hin zu einer besseren Serviceorientierung der Verwaltung handeln. Wegen der erforderlichen Simultangesetzgebung zwischen Bund und Ländern konnte das 4. VwVfÄndG allerdings ohnehin nicht mehr darstellen als den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ und musste sich auf die Kodifizierung der durch die DLRL aufgestellten Mindestanforderungen beschränken 560. Die gesetzliche Fixierung weiter gehender Verfahrenskonzepte hätte wenig Akzeptanz bei den mit der fristgerechten Umsetzung der ambitionierten Richtlinienanforderungen ohnehin stark geforderten Verwaltungseliten in Ländern und Kommunen gefunden. Im Übrigen sind Länder, Kommunen und Kammern im föderativen Wettbewerb nicht daran gehindert, auch ohne ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung ein Mehr an Service anzubieten 561. Welche Leistungen der Einheitliche Ansprechpartner vor Ort tatsächlich erbringt, hängt letztlich auch vom Selbstverständnis der jeweils zuständigen Stellen ab, wobei hier ein Standortwettbewerb ausgetragen werden dürfte 562. Erhebliche Veränderungen sind in jedem Falle bei der Ausgestaltung und bei der Kommunikation im Verwaltungsverfahren zu erwarten. Die Europäische Dienstleistungsrichtlinie stellt insofern hohe Anforderungen an die deutsche Verwaltung, als von ihr ein gesteigertes Maß an Organisationsfähigkeit und das Denken in Serviceprozessen erwartet wird, welches das bisherige Denken in Strukturen und Zuständigkeiten zumindest erheblich modifizieren wird 563. Das von der DLRL propagierte Beschleunigungsinstrument der Genehmigungsfiktion begegnet dagegen nach hier vertretener Auffassung ebenso Vorbehalten 564 wie der durch Art. 9 ff. DLRL möglicherweise eingeleitete „Abschied von der Aufnahmeüberwachung im Wirtschaftsverwaltungsrecht“ 565. Dennoch ist die Europäische Dienstleistungsrichtlinie nicht nur ein „mutiger und wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem einheitlichen Binnenmarkt und einem integrierten Wirtschaftsraum“ 566, sondern bot auch einen willkommenen 560 Kritisch S. E. Schulz, NdsVBl 2009, S. 97 (103) wonach dass 4. VwVfÄndG „auf halber Stecke stehen geblieben“ ist. Nach Schliesky, DVP 2010, S. 266 (274) ist die durch die DLRL angestoßene Verwaltungsreform sogar gescheitert, da ihr Potenzial zum großen Teil nicht gehoben worden sei. 561 Ein aktuelles Beispiel hierfür ist die Behördenrufnummer 115 als „direkter telefonischer Draht in die öffentliche Verwaltung“. Das Pilotprojekt startete im März 2009 in ausgewählten Modellregionen und deckte zum 01. 09. 2010 13,3 Mio. Einwohner in Berlin, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ab. Zu Einzelheiten siehe www.d115.de (Abrufdatum: 10. 02. 2011). 562 Ramsauer, NordÖR 2008, S. 417 (422). 563 Zur Prozessoptimierung von Verwaltungsverfahren im Zusammenhang mit der DLRL Klinger, apf 2008, S. 270 ff. 564 Ausführlich § 19 B III 2. 565 Vgl. für das Bauordnungsrecht bereits § 19 A II und für das Gaststättenrecht § 20 B II.
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Anstoß zur Reform des nationalen Rechts und der bestehenden Verwaltungsstrukturen 567. Tradierte und zum Teil obsolete Strukturen des sehr statischen deutschen Verwaltungsverfahrensrechts mussten auf den „europäischen Prüfstand“ gestellt werden und brachten „frischen Wind“ für manch verkrustete und zum Teil jahrzehntelang nicht ernsthaft in Frage gestellte Selbstverständlichkeiten. Dagegen wurde im Zuge der Umsetzung der Richtlinie nicht – wie von einigen erhofft – in Teilbereichen „das Ende der überkommenen deutschen Verwaltung eingeläutet“. Auch die mit der DLRL teilweise verbundenen „Visionen einer neuen Verwaltung“ 568 sind bisher nicht Realität geworden 569. Sollten sich die mittlerweile in das nationale Recht transformierten Modernisierungsimpulse der DLRL in der Praxis bewähren, wäre dies nicht weniger als ein „großer Schritt auf dem langen Weg zur Integration und zum Zusammenwachsen der Völker Europas“ 570. Ein Scheitern gäbe dagegen dem verbreiteten Euroskeptizismus neue Nahrung. Der trotz aller Kritikpunkte im Einzelnen wünschenswerte Erfolg des Projekts hängt vornehmlich von der Akzeptanz ab, welche die Neuerungen in den einzelnen Verwaltungen, vor allem aber beim Bürger erzielen. Die Europäische Dienstleistungsrichtlinie wird nur erfolgreich sein, wenn sie kein „Projekt von Eliten für Eliten“ bleibt.
§ 20 Perspektiven der Verwaltungsreform im Umwelt- und Gewerberecht A. Entwicklungsperspektiven des Umweltrechts I. Die Rolle der Bundesländer bis zur Föderalismusreform I Der Schwerpunkt der Gesetzgebungskompetenzen im Umweltstaat Bundesrepublik Deutschland 571 liegt seit der Entstehung eines modernen Umweltrechts Ende der 1960er Jahre 572 auf Bundesebene. Die Föderalismusreform I vom September 2006 bewirkte eine weitere Stärkung der Bundeszuständigkeiten durch 566 567
(32).
Ramsauer, NordÖR 2008, S. 417 (425). Schliesky, Das Ende der deutschen Verwaltung?, in: Schliesky, Umsetzung, S. 1
568 Schliesky, Das Ende der deutschen Verwaltung?, in: Schliesky, Umsetzung, S. 1 (32) mit dem Hinweis, eine „neue“ Verwaltung zu schaffen und diese als Standortfaktor zu nutzen, sei möglich. 569 Nüchterner bereits Schmitz / Prell, NVwZ 2009, S. 1 und Ramsauer, NordÖR 2008, S. 417 (418). 570 Ramsauer, NordÖR 2008, S. 417 (425). 571 Zum Begriff „Umweltstaat“ Kloepfer, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, S. 745 (746 f.).
§ 20 Verwaltungsreform im Umwelt- und Gewerberecht
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Aufwertung der bis dahin nur als Rahmengesetzgebungskompetenz nach Art. 75 GG a. F. gewährleisteten Gesetzgebungsbefugnisse im Wasserhaushalts-, Naturschutz-, Raumordnungs- und Jagdrecht zu konkurrierenden Vollgesetzgebungskompetenzen des Bundes. Allerdings sind diese gem. Art. 72 Abs. 3 GG teilweise mit einer beschränkten Abweichungskompetenz der Bundesländer verbunden. Trotz der gesetzgeberischen Dominanz des Bundes im materiellen Umweltrecht haben die Bundesländer nach allgemeiner Auffassung einen erheblichen Beitrag zur Schaffung eines sachgerechten und vollzugsfähigen rechtlichen Regelungswerkes im Bereich des Umweltrechts geleistet 573. Zunächst einmal nehmen sie – nicht nur über den Bundesrat, sondern mehr noch durch ihre Mitwirkung bei den zahlreichen Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaften 574 – erheblichen Einfluss auf den Inhalt und die Ausgestaltung des Bundesumweltrechts. Zudem haben sie eigene landesrechtliche Rechtssätze in den Teilgebieten des Umweltrechts geschaffen, in denen ihnen eine ausschließliche oder konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zusteht und das Bundesrecht nicht abschließend ist oder weitergehende landesrechtliche Regelungen zulässt 575. Auch in den Rechtsgebieten, in denen dem Bund bis zum 31. 08. 2006 nur eine Rahmengesetzgebungskompetenz zustand, haben die Länder umfassende vollzugstaugliche Gesetze, etwa im Wasser- und Naturschutzrecht, erlassen. Bleibende Verdienste erwarben sich einige Bundesländer zudem dadurch, dass sie mit ihrem Landesumweltrecht Schrittmacherdienste für die Entwicklung nationaler Rechtsvorschriften leisteten. Erinnert sei etwa daran, dass die ersten Immissions- 576 und Bodenschutzgesetze 577 Landesgesetze waren und viele Bundesländer lange vor dem Bund 572 Impulswirkung hatten diesbezüglich das Sofortprogramm der sozial-liberalen Bundesregierung vom 25. 09. 1970 (BTDrs 6/1519) sowie das Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971 (BTDrs 6/2710), in dessen Folge mit dem AbfG (1972), dem BImSchG (1974), dem BWaldG (1975), dem BNatSchG, der Neufassung des AtomG und des WHG (1976) und dem ChemG (1980) die wichtigsten Grundlagen für ein modernes Umweltrecht geschaffen wurden. Näher zur „geradezu rasante(n) Entwicklung des Umweltrechts“ in den 1970er Jahren Erbguth / Schlacke, § 2 Rn. 7. 573 Hansmann, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, S. 767 ff. 574 Die (teils informellen) Länderarbeitsgemeinschaften spielen in der Praxis eine bedeutende Rolle. Näher Hansmann, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, S. 767 (779 f.). 575 Zur Normkonkretisierungsbefugnis bei Lücken im untergesetzlichen Regelungswerk des Bundes Hansmann, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, S. 767 (777 ff.). 576 Zur Vorbildwirkung des 1962 erlassenen nordrhein-westfälischen Immissionsschutzgesetzes Hansmann, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, S. 767 (771). 577 Vorreiter waren Baden-Württemberg und Sachsen, die bereits 1991 entsprechende Gesetze verabschiedeten. Vgl. das baden-württembergische „Gesetz zum Schutz des Bodens“ vom 01. 09. 1991 (GBl BW, S. 434; zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. 11. 2001; GBl BW, S. 605) sowie das „Erste Gesetz zur Abfallwirtschaft und zum Bodenschutz im Freistaat Sachsen“ vom 12. 08. 1991 (Sächs GVBl; S. 306, zuletzt geändert durch Gesetz vom 04. 07. 1994; Sächs GVBl; S. 1261).
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5. Kap.: Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern
Verfassungsbestimmungen zum Umweltschutz sowie eigene Umweltministerien geschaffen haben 578. Da das Umweltrecht aber kein geschlossenes Rechtsgebiet ist und die landesrechtlichen Regelungen oft nur ergänzenden Charakter haben, sind diese trotz entsprechender Überlegungen im Bundesland Brandenburg Mitte der 1990er Jahre 579 bisher nirgends in einem einheitlichen Landesumweltgesetzbuch zusammengefasst worden 580. Die bisherigen Rahmenvorschriften des Bundes im Wasser- und Naturschutzrecht füllte Mecklenburg-Vorpommern jeweils mit umfassenden Vollgesetzen aus 581. Zum 01. 03. 2010 wurden das LWaG M-V und das NatSchAG M-V an die veränderten verfassungsrechtlichen Vorgaben der Art. 72 Abs. 3; 74 Abs. 1 Nr. 29 und 32 GG angepasst 582. Auch in den schon bisher durch eine konkurrierende Gesetzgebung gekennzeichneten Umweltrechtsmaterien existieren materiellrechtliche Regelungen auf Länderebene. Allerdings hat Mecklenburg-Vorpommern bisher weder ein eigenes Landesimmissionsschutzgesetz 583 noch ein Landesbodenschutzgesetz 584 erlassen. Dagegen existiert in diesem Bundesland ein eigenständiges Landesabfall- und Altlastengesetz 585, das zum Teil Detailregelungen enthält, die über die Vorschriften des KrW / AbfG des Bundes hinausgehen. Das 2006 geschaffene Umweltinformationsgesetz 586 regelt die Voraussetzungen und das Verfahren der Herausgabe von Umweltinformationen durch Landesbehörden. Noch gewichtiger ist die Rolle der Bundesländer im Bereich des Gesetzesvollzugs, durch den die abstrakt-generellen Vorschriften des Umweltrechts erst mit Leben erfüllt werden. Hier haben die Länder vorbehaltlich der in Art. 84 Abs. 1 GG getroffenen abweichenden Regelungen das Verwaltungsverfahren auszugestalten 587 und die Behördeneinrichtung zu regeln und halten so ein erhebliches Steuerungspotenzial in den Händen.
578
Kloepfer, ZG 2006, S. 250 (251). Zu Art. 12 LVerf M-V vgl. oben § 10 A IV. Vorschläge für eine Kodifizierung des dortigen Landesumweltrechts bei Peine, JUTR 1996, S. 335. 580 Zur Sinnhaltigkeit eines Landesumweltgesetzbuch für Mecklenburg-Vorpommern unten § 20 A IV. 581 Über die Entwicklung der jeweiligen Gesetze siehe § 11 B I, § 13 E, § 14 C, § 16 D I und II. 582 Eingehend oben § 17 B I 4. 583 Zur Rechtslage in den anderen Bundesländern Jarass, BImSchG, Einl. Rn. 23 ff. 584 Übersicht zu den Landesbodenschutzgesetzen bei Kloepfer, Umweltrecht, § 12 Rn. 71. 585 AbfalG M-V i. d. F. v. 15. 01. 1997 (GVOBl. M-V, S. 44), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. 02. 2010 (GVOBl. M-V, S. 66). 586 Vom 14. 07. 2006; GVOBl. M-V, S. 568. Das Gesetz setzt die Richtlinie 2003/4/EG vom 28. 01. 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen (ABl. EG Nr. L 41, S. 26) um. 579
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635
II. Impulse durch die Föderalismusreform I Weitere Entwicklungsmöglichkeiten für das Umweltrecht auf Landesebene eröffnen die am 01. 09. 2006 in Kraft getretenen Neuregelungen der Gesetzgebungs- und Vollzugskompetenzen durch die „Föderalismusreform I“ 588. Zwar bleibt der Umweltschutz auch nach der Umstrukturierung der Kompetenzverteilung in Art. 70 ff. GG eine nur auf Grund diverser Einzelmaterien zu berücksichtigende Querschnittmaterie 589. Mit dem in Fachkreisen nahezu einhellig begrüßten Wegfall der Rahmengesetzgebungskompetenz im Jagd-, Naturschutz-, Raumordnungs- und Wasserhaushaltsrecht und der Überführung dieser Rechtsmaterien in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz ist die Kompetenzverteilung im Umweltrecht aber immerhin vereinfacht und die „Europatauglichkeit des Grundgesetzes“ jedenfalls im Bereich des Umweltrechts deutlich verbessert worden 590. Stimulierend für Gesetzgebungsaktivitäten auf Landesebene sind zunächst grundgesetzliche Klarstellungen zu den Kompetenzen in einzelnen Vorschriften wie zum Beispiel in Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG. So bleibt der Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm nunmehr ausdrücklich den Ländern vorbehalten, womit die bereits vor der Föderalismusreform I bestehende faktische Kompetenzaufteilung auch rechtlich nachvollzogen wurde. Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG n.F. öffnet den Weg für entsprechende Regelungen in Landesimmissionsschutzgesetzen. Vor allem aber die mit der Föderalismusreform I durch Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 5 GG geschaffene Möglichkeit der Abweichungsgesetzgebung der Länder 591 in denjenigen Rechtsmaterien, bei denen bisher eine Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 75 GG bestand, vermögen umfangreiche Gesetzgebungsaktivitäten der Länder zu rechtfertigen. Entsprechende Abweichungsmöglichkeiten bestehen nunmehr gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 28, 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GG im Bereich des Jagdwesens (mit Ausnahme des Rechts der Jagdscheine), gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 29, 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG im Recht 587 Im Immissionsschutzrecht sind die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des BImSchG und der 4. und 9. BImSchV gem. Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG i.V. m. § 73 BImSchG abweichungsfest. 588 Gesetz zur Änderung des GG vom 28. 08. 2006; BGBl. I, S. 2034 und Föderalismusreform-Begleitgesetz vom 05. 09. 2006; BGBl. I, S. 2098. 589 Zu nennen sind Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG (Kernenergienutzung und Strahlenschutz), Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 („Recht der Wirtschaft“), Nr. 18 („Bodenrecht“), Nr. 20 GG („Pflanzen- und Tierschutz“), Nr. 24 GG („Recht der Abfallwirtschaft, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung“), Nr. 28 und 29 („Jagdwesen, Naturschutz und Landschaftspflege“) sowie Nr. 31 und 32 GG („Raumordnung“ und „Recht des Wasserhaushalts“). 590 Zur bedingt verbesserten Europatauglichkeit des Grundgesetzes Huber, ZG 2006, S. 354 (372 ff.). 591 Zu deren verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen Degenhart, DÖV 2010, S. 422 sowie Becker, DVBl 2010, S. 754.
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5. Kap.: Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern
des Naturschutzes und der Landschaftspflege (mit Ausnahme der allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes, des Artenschutzes und des Meeresnaturschutzes), gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 31, 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GG im Raumordnungsrecht sowie gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 32, 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG im Recht des Wasserhaushalts (mit Ausnahme der stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen) 592. Diese Abweichungsmöglichkeiten eröffnen den Ländern erhebliche Handlungsspielräume, welche gem. Art. 125b Abs. 1 Satz 2 GG im Naturschutzund Wasserhaushaltsrecht seit dem Erlass der entsprechenden bundesrechtlichen Regelungen am 01. 03. 2010 593 genutzt werden können. Die durch Art. 72 Abs. 3 GG neu eröffneten Handlungsmöglichkeiten der Länder finden sich in der Literatur überwiegend kritisch bewertet 594. Sie seien Ausdruck eines halbherzigen Reformeifers und ließen keine klare Entflechtung der Gesetzgebungszuständigkeiten von Bund und Ländern erkennen 595. Zudem wurde die Befürchtung geäußert, landesrechtlicher Regelungsehrgeiz unter den Mechanismen eines sich anbahnenden Wettbewerbsföderalismus 596 sowie die Möglichkeit industriepolitischer Einflussnahme auf den im Wettstreit um möglichst niedrige Umweltstandards befindlichen Landesgesetzgeber 597 könnten auf den abweichungsoffenen Rechtsgebieten zu einem „Ökodumping“ in Gestalt eines „race to the bottom“ führen 598. Auch berge die neue Abweichungskompetenz der Länder die Gefahr einer Rechtszersplitterung durch 16 voneinander abweichende Ländergesetze, die gleiche Sachverhalte völlig unterschiedlich regeln könnten 599. Zudem sei es wenig effizient, wenn der Bundesgesetzgeber zunächst Normen schaffe, die wegen der 6-Monatsregelung des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG 592 Näher zu den abweichungsfesten Kernen im Wasser- und Naturschutzrecht Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (428 ff.) sowie Becker, DVBl 2010, S. 754 (756 ff.). 593 Zu den Neuregelungen im Naturschutz- und Wasserrecht in WHG und BNatSchG oben § 9 D VI. 594 Vgl. etwa Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (491 ff.); Scheidler, GewArch 2006, S. 423 (426 ff.); Ekardt / Weyland, NVwZ 2006, S. 737 (741); Stock, ZUR 2006, S. 113 (117); Degenhart, DÖV 2010, S. 422 ff. Grundsätzlich positiv dagegen Huber, in: Festschrift für Scholz, S. 595 (606 ff.). 595 Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 (495) hält das Umweltrecht zudem für „schlecht geeignet ..., um längst überholte, bekanntermaßen ineffektive Relikte der föderalen Kompetenzordnung auch weiterhin aufrecht zu erhalten“. 596 Kritisch zu den Hintergründen dieses Föderalismusmodells Stock, ZG 2006, S. 226 (229 f.). 597 Fisahn / Mushoff / Viotto, JUTR 2007, S. 105 (122 f.). 598 Koch, in: Kloepfer (Hrsg.), Das kommende Umweltgesetzbuch, S. 21 (28 f.); Fisahn / Mushoff / Viotto, JUTR 2007, S. 105 (119 ff); Stock, ZG 2006, S. 226 (240 ff.). 599 Stock ZUR 2006, S. 113 (118) befürchtet für das Naturschutzrecht einen „gleichsam patchworkartigen Zustand“. Zu möglichen Schwierigkeiten für länderübergreifend agierende Normanwender Grandjot, UPR 2006, S. 97 (98). Auf die Grenzen der Abweichungsgesetzgebung aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben weist allerdings Kloepfer, ZG 2006, S. 250 (261 ff.) hin.
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möglicherweise niemals Anwendung fänden 600 und der Normanwender nach der lex-posterior-Regel des Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG für jeden Sachbereich aufwändig prüfen müsse, ob dort Bundes- oder Landesrecht gelte 601. Schließlich bestehe jedenfalls theoretisch die Möglichkeit, dass in einer Art „Pingpongspiel“ 602 zwischen Bund- und Ländergesetzgebung eine „länderdifferente Normenlage und partielles Bundesrecht“ 603 und die „Gefahr schwer berechenbarer Gemengelagen von Bundes- und Landesrecht“ 604 entstünden. Insofern trage die Abweichungsbefugnis weder zur Eindämmung der „Normenflut“ noch zur Gewährleistung der Rechtseinheit im Bundesstaat bei 605. Schließlich seien auch mit der Bestimmung der „abweichungsfesten Kerne“ des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG erhebliche Auslegungsschwierigkeiten verbunden 606. Die „begriffliche Konturenunschärfe jener Reservate des Bundesrechts“ 607 – so wird gemutmaßt – dürfte alsbald das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. Nach dem Urteil von Christoph Degenhart wirft die (verfassungsrechtlich gleichwohl zulässige) 608 Abweichungsgesetzgebung „im kompetenziellen Verhältnis von Bund und Ländern jedenfalls mehr Fragen auf, als sie Probleme löst“ 609. Immerhin hat die Neukonzeption aber den Vorteil, dass dem Bund zunächst die Möglichkeit gegeben wird, ein Regelungswerk „aus einem Guss“ zu schaffen, dass solchen Ländern ein „Auffangnetz“ 610 zur Problembewältigung zur Verfügung stellt, die von den bundesrechtlichen Regelungen nicht abweichen können oder wollen. Gleichzeitig eröffnet die Regelung den Ländern eigene Handlungsspielräume für den unter dem Gesichtspunkt des föderalen Wettbewerbs erwünschten „Kampf um die besten Ideen“ unter Berücksichtigung regional 600
Scheidler, GewArch 2007, S. 423 (426 mit Fn. 47). Grandjot, UPR 2006, S. 97 (98). 602 Sellering, in der 824. Sitzung des Bundesrats am 07. 07. 2006, PlPr 824/06, S. 221. Ausführlich zum „Pingpong-Phänomen“ Klein / Schneider, DVBl 2006, S. 1549 (1552 ff.). 603 Kirchhof, DVBl 2004, S. 977 (981). 604 Degenhardt, NVwZ 2006, S. 1209 (1215). 605 Nach Selmer, JuS 2006, S. 1052 (1056 f.) widerstreitet diese „Neuschöpfung des Verfassungsgebers von zweifelhafter Güte“ sogar „in eminenter Weise dem der Reform zugrunde liegenden Leitgedanken der Entflechtung“. Klein / Schneider DVBl 2006, S. 1549 (1553) weisen dagegen zu Recht darauf hin, dass die Gefahr des ewigen „Pingpongs“ eher ein „bloßes Phantomrisiko“ sei. 606 Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 249; Ekardt / Weyland, NVwZ 2006, S. 737 (741). Eingehend am Beispiel der „allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes“ Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (428 ff.). 607 Erbguth / Schlacke, § 4 Rn. 46. 608 Näher Haug, DÖV 2008, S. 851 (856): Einwände gegen die Abweichungskompetenz seien eher „verfassungsästhetischer Natur“. Bedenken bei Nierhaus / Rademacher, LKV 2006, S. 385 (389 ff.). 609 Degenhart, DÖV 2010, S. 422 (423). 610 Hennecke, VBlBW 2005, S. 249 (262). 601
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spezifischer Besonderheiten 611. Nach dem erneuten Scheitern des Umweltgesetzbuches 612 steht auch die vielfach angenommene disziplinierende Eigendynamik einer umfassenden und praxistauglichen Kodifikation auf Bundesebene 613 einer aktiven Ausübung des durch Art. 72 Abs. 3 GG ermöglichten Gesetzgebungsrechts der Länder (zunächst) nicht mehr entgegen. Allerdings dürften nur die wirtschaftlich starken großen Flächenländer tatsächlich über die notwendigen personellen Gesetzgebungsressourcen verfügen, um in nennenswertem Umfang abweichende Regelungen von Bundesregelungen zu erlassen 614. Die mittlerweile in Kraft getretenen Regelungen der Bundesländer im Allgemeinen und im Besonderen diejenigen in Mecklenburg-Vorpommern bestätigen jedenfalls, dass die Bundesländer bisher nur verhalten von ihren neu gewonnenen Abweichungskompetenzen Gebrauch machen 615. Die erweiterten politischen Handlungsmöglichkeiten auf Länderebene müssen auch nicht zwangsläufig zu einem Deregulierungswettbewerb um die niedrigsten Umweltstandards führen, wie dies der Sachverständigenrat für Umweltfragen im Naturschutz-, Planungs- und Umweltverfahrensrecht befürchtet 616. Eine solche Betrachtungsweise vernachlässigt die historischen Verdienste der Bundesländer für die Umweltrechtsentwicklung 617, angesichts derer die Hoffnung begründet ist, dass die erweiterten Spielräume der Länder zumindest mittelfristig mit einer innovationsorientierten Umweltpolitik an Stelle eines bloßen „race-to-thebottom-Wettbewerbs“ 618 ausgefüllt werden. Zudem sprechen nach politikwissenschaftlichen Untersuchungen eine Reihe von Gründen gegen die Annahme, dass die sich die Länder im Standortwettbewerb zur Unterbietung von Regulierungsstandards treiben lassen werden 619. Ein wesentliches Argument für die durch Art. 72 Abs. 3 GG bewirkte Dezentralisierung der Gesetzgebung ist vielmehr, dass die Länder auf diese Weise zu einem Leistungswettbewerb veranlasst werden können, der zur ständigen Innovation und zu Verbesserungen in Politik und Verwaltung führt 620. Ein solcher föderaler Wettbewerb eröffnet den Ländern Ge611
Huber, in: Festschrift für Scholz, S. 595 (607 f.). Dazu sogleich unten § 20 A IV. 613 Eine erfolgreiche Kodifikation des UGB hätte den politischen Rechtfertigungsdrucks für landesrechtliche Abweichungen erheblich gesteigert. Vgl. Kloepfer, ZG 2006, S. 250 (268); Nierhaus / Rademacher, LKV 2006, S. 385 (390); Rengeling, DVBl 2006, S. 1537 (1542 f.). 614 Kloepfer, ZG 2006, S. 250 (268); kritisch Stock, ZG 2006, S. 226 (237). 615 Zum LWaG M-V und NatSchAG M-V oben § 17 B IV. Zum neuen Wasserrecht in Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein Kersandt / Schiller, NordÖR 2010, S. 469. 616 Sachverständigenrat für Umweltfragen, (Hrsg.), Der Umweltschutz in der Föderalismusreform, Stellungnahme Februar 2006, Rn. 40, 44. 617 Kloepfer, ZUR 2006, S. 338. 618 Zu solchen Gefahren Stock, ZUR 2006, S. 113 (118 f.). 619 Benz, VerwArch 97 (2006), S. 318 (325 f.). 612
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staltungsmöglichkeiten, welche sie veranlassen, nach den besten Lösungen zu suchen und dabei zu experimentieren sowie zu lernen 621. Dabei wird vorteilhaften Regelungen Modellcharakter für andere Länder oder eine Bundesregelung zukommen, während misslungene Gesetze nach dem Prinzip von „trial and error“ verworfen werden dürften 622. Berücksichtigt man rechtsvergleichend, dass die meisten der führenden Umweltrechtssysteme in Bundesstaaten wie der Schweiz, Kanada, Australien und der USA geschaffen wurden, erscheint es gerechtfertigt, auf die „innovative Kraft föderalistischer Strukturen“ 623 zu vertrauen. Jedenfalls haben die Länder mit dem Recht der Abweichungsgesetzgebung erhebliche Verhandlungsmacht bei der Gestaltung von Bundesrecht hinzugewonnen 624. III. Entwicklung und aktuelle Situation der Umweltverwaltung in Mecklenburg-Vorpommern 1. Der Aufbau der Umweltverwaltung Anfang der 1990er Jahre Aufbau und Zuschnitt der Umweltverwaltung waren bereits bei der Gründung Mecklenburg-Vorpommerns umstritten. Da man – dem Vorbild des Partnerlandes Schleswig-Holsteins folgend, vor allem aber aus historisch-politischen Gründen – auf die damals in größeren Flächenstaaten noch üblichen staatlichen Mittelbehörden verzichtete und einen „hierarchieschlanken zweistufigen Aufbau der allgemeinen Landesverwaltung“ 625 wählte, war der Streit über staatliche Sonderordnungsbehörden im Umweltbereich vorprogrammiert. Hinzu kam, dass die Umweltverwaltung in der DDR nur rudimentär entwickelt war. Erst 1985 wurden eine staatliche Umweltinspektion als Organ des Ministeriums für Umweltschutz und Wasserwirtschaft und entsprechende Inspektionen bei den Räten der Bezirke errichtet 626. Eine bis in die Kreisebene reichende Umweltverwaltung gab es nicht. Daher stand man in Mecklenburg-Vorpommern vor der Aufgabe, die Umweltverwaltung vollständig neu aufzubauen. 1990 wurde zunächst das Umweltmi620
Benz, VerwArch 97 (2006), S. 318 (326); Haug, DÖV 2008, S. 851 (856). Zu den Perspektiven dieses Wettbewerbs Benz, VerwArch 97 (2006), S. 318 (326 ff.). Franzius, NVwZ 2008, S. 492 (499) spricht vom „lernenden Föderalismus“, der „Lösungen nicht vorgibt, sondern sich entwickeln lässt.“ 622 Mammen, DÖV 2007, S. 376 (379). 623 Kloepfer, ZG 2006, S. 250 (251). 624 Kloepfer, Umweltschutzrecht, § 2 Rn. 33 und ders., ZG 2006, S. 250 (269). Kritisch Fisahn / Mushoff / Viotto, JUTR 2007, S. 105 (126). 625 Zu den Hintergründen März, JöR N. F. 54 (2006), S. 175 (264 f.). 626 Mit VO über die Staatliche Umweltinspektion vom 12. 06. 1985, GBl. DDR, S. 238. Einzelheiten zu deren Arbeitsweise regelte die 1. DVO zur Verordnung über die staatliche Umweltinspektion vom 15. 05. 1987 (GBl. DDR I, S. 159). 621
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nisterium mit sechs Abteilungen 627 errichtet. Da die ohnehin verwaltungsschwachen 31 Kreise keine eigenen Umweltverwaltungen vorhielten, entschloss man sich, auf Grundlage des Zuständigkeitsneuregelungsgesetzes 628 eine breit gefächerte staatliche Sonderverwaltung zu schaffen. Errichtet wurde ein Landesamt für Umwelt und Natur (LAUN) als obere Landesbehörde, das seinen Sitz anfangs in Schwerin hatte, aber bereits zum 01. 06. 1991 nach Güstrow verlegt wurde. In dieser Behörde, die zunächst vier Außenstellen unterhielt, wurden mit den Umweltinspektionen und den Wasserwirtschaftsdirektionen Verwaltungseinheiten der ehemaligen Bezirke zusammengefasst 629. Vollständig neu aufgebaut werden mussten die zehn StÄUN 630, die den Vollzug vor Ort gewährleisten sollten. Die Einrichtung dieser staatlichen Sonderordnungsbehörden wurde Anfang der 1990er Jahre als alternativlos angesehen, „um die bestehenden und neu auftauchenden Umweltprobleme bürger- und problemnah anzugehen und vor allem die erforderlichen Informationen zu gewinnen“ 631. In allen StÄUN bildete man Abteilungen für Naturschutz, Wasser- und Abfallwirtschaft, während Immissionsschutzabteilungen lediglich in Neubrandenburg, Schwerin, Rostock und Stralsund eingerichtet wurden. Letztere nahmen auch die entsprechenden Zuständigkeiten für die anderen Ämter wahr 632. Neben der staatlichen Umweltverwaltung wurden auf kommunaler Ebene bei den allgemeinen Ordnungsbehörden Organisationseinheiten eingerichtet, die sich mit der Aufgabe des Umweltschutzes beschäftigten sowie ihnen übertragene Vollzugsaufgaben wahrnahmen. 2. Überprüfung des Aufgabenzuschnitts im Rahmen der Funktionalreform 1994 Im Jahre 1994 wurde die Aufgabenverteilung zwischen staatlicher und kommunaler Umweltverwaltung überprüft. Die zwölf durch die Kreisgebietsreform von 1993 633 entstandenen Landkreise waren leistungsfähiger als die 31 Altkreise, so dass die Kommunalisierung von Aufgaben der Umweltverwaltung auf der Agenda stand. Zentrale Frage war, ob die StÄUN als Sonderordnungsbehörden weiter bestehen oder besser in die Kreisordnungsbehörden eingegliedert wer627 Allgemeine Abteilung (I), Naturschutz, Landschaftspflege, Bodenschutz (II), Gewässerschutz und Wasserwirtschaft (III), Abfallwirtschaft und Altlasten (IV), Immissionsschutz (V), Reaktorsicherheit und Strahlenschutz (VI). 628 Vom 20. 12. 1990; GVOBl. M-V, 1991, S. 2. 629 Thieme, Festschrift für den Carl Heymanns Verlag, S. 270 (272). 630 Mit Sitz in Anklam, Greifswald, Neubrandenburg, Neustrelitz, Parchim, Rostock, Schwerin, Stralsund, Teterow und Wismar. Zu den Amtsbezirken ABl. M-V 1992, S. 222. 631 Vgl. Thieme, Festschrift für den Carl Heymanns Verlag, S. 270 (273). 632 ImSchZustVO M-V vom 05. 03. 1991 (GVOBl. M-V, S. 74; geändert durch VO vom 22. 07. 1991; GVOBl. M-V, S. 330). 633 Eingehend oben § 12 A.
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den sollten 634. Für letztere Variante wurde die zu erwartende Kostenersparnis 635 und das Prinzip der Einheit der Verwaltung angeführt. Das beträchtliche Ausmaß der Sonderbehörden zu verringern und durch das „Wiedereinfangen von ausdifferenzierten Sonderbehörden“ 636 Kompetenzen bei der allgemeinen Verwaltung zu bündeln, wurde bereits zu jener Zeit vielfach gefordert 637. Andere betonten dagegen den Wert der Sonderbehörden im Allgemeinen und der StÄUN im Besonderen 638. Auch von ministerieller Seite wurden zahlreiche Argumente für deren Beibehaltung vorgebracht. Durch fachliche Spezialisierung steige die Qualität der Sachbearbeitung; zudem komme den StÄUN eine Instrumentalfunktion zur Durchsetzung der Umweltpolitik zu. Verwiesen wurde überdies auf die Beschleunigung von investitionsrelevanten Genehmigungsverfahren durch die Zuständigkeitsbündelung im Immissionsschutzrecht und die sehr hohe Problemund Handlungsintensität beim Vollzug des Umweltrechts 639. Zudem fehle es in den Kreisverwaltungen an geeignetem Fachpersonal, während in den StÄUN „eingespielte Teams“ 640 vorhanden seien. In einem vom Städte- und Gemeindetag in Auftrag gegebenen Gutachten schlug der Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaftler Dieter Gornas dagegen eine weit reichende Kommunalisierung der Umweltverwaltung vor 641. Als entscheidende Mängel der bestehenden Umweltverwaltung identifizierte Gornas unklare und häufig rational nicht nachvollziehbare Zuständigkeitsregelungen, die unnötige Verlängerung der Bearbeitungszeiten durch die Einschaltung verschiedener Behörden sowie die mangelnde Orts- und Bürgernähe der StÄUN. Er schlug vor, die Aufgabenbereiche Abfall- und Wasserwirtschaft sowie Naturschutz den Landkreisen und kreisfreien Städten als pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben zu übertragen. Der anlagenbezogene Immissionsschutz in Bezug auf genehmigungsbedürftige Anlagen sowie weite Teile des verkehrs- und gebietsbezogenen Immissionsschutzes sollten dagegen bei den staatlichen Gewerbeaufsichtsämtern konzentriert werden 642. Die weit gehende Kommunalisierung von Vollzugsaufgaben im Umweltbereich hätte nach Gornas zu einer verbesserten Orts- und Bürgernähe, einer Steigerung von Effizienz und Effektivität der Aufgabenwahrnehmung, klareren und eindeutigeren Verantwortungsbeziehungen sowie zu einer „Steigerung des Integrationsgrades der Aufgabenwahr634
Näher Thieme, Festschrift für den Carl Heymanns Verlag, S. 270 (276 ff.). Zweifelnd Thieme, Festschrift für den Carl Heymanns Verlag, S. 270 (277). 636 Wahl, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 5, S. 235. 637 Näher Wahl in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 5, S. 235 ff. 638 Thieme, Festschrift für den Carl Heymanns Verlag, S. 270 (278 ff.). 639 Vgl. Gornas, Funktionalreform, S. 74. 640 Thieme, Festschrift für den Carl Heymanns Verlag, S. 270. 641 Gornas, Funktionalreform, S. 74 ff. 642 Gornas, Funktionalreform, S. 82 f. Auch Thieme, Festschrift für den Carl Heymanns Verlag, S. 270 (286) äußerte Sympathie für diesen Vorschlag. 635
642
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nehmung durch unmittelbare Berücksichtigung der Interdependenz des Umweltund Naturschutzes zu anderen kommunalen Aufgabenfeldern“ 643 geführt. In der skizzierten Auseinandersetzung kam es zu einer Kompromisslösung. Die bisherigen StÄUN wurden durch Beschluss der Landesregierung vom 16. 04. 1994 aufgelöst und an ihrer Stelle sechs neue StÄUN gebildet 644. Als Sitze wurden die vier zentralen Orte Rostock, Schwerin, Neubrandenburg und Stralsund beibehalten. Hinzu kamen StÄUN in zwei Städten, die aufgrund der Kreisgebietsreform 1993 ihren Kreissitz verloren hatten, nämlich in Lübz und Ueckermünde. Zudem gab es im FRG M-V 645 umfangreiche Aufgabenverlagerungen von der Landes- auf die Kreis- sowie von der Kreis- auf die Ortsebene. Kommunalisiert wurden etwa weite Teile der Vollzugszuständigkeiten im Naturschutzrecht 646. Im Bereich der Wasserwirtschaft hatte bereits § 108 LWaG M-V 647 eine differenzierte Zuständigkeitsverteilung zwischen StÄuN und kommunaler Ebene vorgenommen, wobei den StÄUN insgesamt neun Zuständigkeiten – unter anderem für die Gewässer 1. Ordnung und den Küstenschutz – vorbehalten blieben 648. Durch Art. 33 FRG M-V wurde zum 01. 01. 1996 überdies die Überwachung nicht genehmigungsbedürftiger immissionsschutzrechtlicher Anlagen kommunalisiert. 3. Die Umweltverwaltung in der Diskussion um das Verwaltungsmodernisierungsgesetz von 2006 Wesentliche Auswirkungen auf die Struktur der Umweltverwaltung hätte dann das vom Landtag am 04. 04. 2006 beschlossene Gesetz zur Modernisierung der Verwaltung des Landes Mecklenburg-Vorpommern (VwModG M-V) 649 gehabt. Dort war nicht nur die vom LVerfG M-V mit Urteil vom 26. 07. 2007 650 für nichtig erklärte Bildung von fünf Regionalkreisen, sondern auch die Kommunalisierung zahlreicher bisher von staatlichen Sonderordnungsbehörden wahrgenommener Aufgaben sowie eine interkommunale Aufgabenneuordnung vorgesehen. So fand sich in dem Gesetz über die Funktional- und Kreisstrukturreform des Landes Mecklenburg-Vorpommern (FKrG M-V) im vom LVerfG M-V für gegenstandslos erklärten Teil 1 (§§ 1 –46 FKrG M-V) eine Aufgabenübertragung 643
Gornas, Funktionalreform, S. 86. ABl. M-V 1994, S. 509. 645 GVOBl. M-V 1994, S. 566. 646 Vgl. Art. 31 FRG M-V und die NatSchZustVO M-V vom 12. 07. 1994; GVOBl. M-V, S. 796. 647 Vom 30. 11. 1992; GVOBl. M-V, S. 669. 648 Zu den Einzelheiten Thieme, Festschrift für den Carl Heymanns Verlag, S. 270 (283 f.). 649 Vom 23. 05. 2006; GVOBl. M-V, S. 194. Dazu oben § 17 A. 650 LVerfGE 18, 342. 644
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vom Land auf kommunale Aufgabenträger (sog. Funktionalreform I), die am 01. 10. 2009 in Kraft treten sollte. Auf dem Gebiet des Umweltrechts waren Aufgabenübertragungen auf die fünf Großkreise im Immissionsschutz- und Abfallrecht (§ 35 FKrG M-V), im Wasser- und Bodenschutzrecht (§ 36 FKrG M-V), im Recht des Naturschutzes und der Landschaftsplanung (§§ 38, 39 FKrG M-V) sowie bei der Durchführung umweltrechtlicher Förderprogramme (§ 40 FKrG M-V) vorgesehen. Mit der Aufgabenkommunalisierung sollte gem. § 45 FKrG M-V die Auflösung nahezu aller unteren Landesbehörden – einschließlich der StÄUN und der ÄfL – einhergehen. Teil II (§§ 47 bis 71FKrG M-V) sah eine Interkommunale Aufgabenneuzuordnung (sog. Funktionalreform II) vor, mit der Aufgaben von den Kreisen auf die Ämter und amtsfreien Gemeinden übertragen werden sollten. Im Umweltbereich waren Aufgabenzuweisungen an die bisherigen sechs kreisfreien Städte geplant. Diesen sollten als große kreisangehörige Städte über die Aufgaben amtsfreier Gemeinden hinaus gem. §§ 48 bis 58 FKrG M-V zusätzliche Aufgaben zugewiesen werden. Hiervon wären auch Aufgaben im Abfall- und Immissionsschutzrecht (§§ 48, 49 FKrG M-V), Denkmalschutzrecht (§ 50 FKrG M-V) und Naturschutzrecht (§ 52 FKrG M-V) betroffen gewesen. Wegen der Abhängigkeit von der gescheiterten Kreisgebietsreform erklärte das LVerfG M-V auch die Vorschriften der §§ 48 bis 58 FKrG M-V für gegenstandslos. Nach den vom LVerfG M-V unbeanstandet gebliebenen §§ 64 bis 67 FKrG M-V wurden weitere ortsnah zu erledigende Aufgaben im Wasser-, Naturschutz- und Fischereirecht auf die Ämter und amtsfreien Gemeinden übertragen. 4. Die Umweltverwaltung Mecklenburg-Vorpommerns im bundesweiten Vergleich Im Ländervergleich kann sich die Umweltverwaltung in Mecklenburg-Vorpommern durchaus sehen lassen. Zu diesem Ergebnis gelangt jedenfalls das im Februar 2007 veröffentlichte Sondergutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU) „Umweltverwaltungen unter Reformdruck – Herausforderungen, Strategien, Perspektiven“ 651. Zur Vorbereitung dieses Gutachtens beauftragte der SRU die Politikwissenschaftler Jörg Bogumil und Christoph Knill, eine Bestandsaufnahme und Bewertung der Reformen der Umweltverwaltungen in den Bundesländern durchzuführen 652. Im Rahmen des Gutachtens wurden die Umweltverwaltungen in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen vertieft analysiert. Auch die Entwicklungen in den anderen Bundesländern wurden im Überblick dargestellt und in die allgemeine Reformentwicklung eingeordnet. 651 652
In der Folge SRU-Sondergutachten 2007. Bauer / Bogumil / Knill, Modernisierung der Umweltverwaltung, 2007.
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5. Kap.: Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern
a) Entwicklung der Finanz- und Personalausstattung in den Umweltverwaltungen Nach dem SRU-Sondergutachten 2007 653 betrugen – gerechnet in Preisen von 2000 – die Ausgaben des Staates für den Umweltschutz im Jahre 2003 2,3 Mrd. €, was 0,24 % der Gesamtausgaben entspricht. Dieser Anteil betrug im Jahr 1992 ebenfalls 0,24% und stieg bis 1996 auf 0,31 % an, um von 1996 bis 2003 nahezu kontinuierlich wieder auf den Stand von 1992 abzusinken. Betrachtet man die föderale Struktur der öffentlichen Aufgaben, so ist in den Jahren von 1992 bis 2003 eine nahezu kontinuierliche Verminderung der Aufwendungen des Bundes zu beobachten. Dessen Ausgaben sanken von 766 Mio. € im Jahre 1992 auf 425 Mio. € im Jahre 2003. Deutlich geringer fielen die Schwankungen bei den Ländern aus, welche 1992 1.331 Mio. € und 2003 noch 1.265 Mio. € betrugen. Erheblich gestiegen sind dagegen die Ausgaben der Gemeinden, Diese betrugen 1992 lediglich 62 Mio. €, verzwölffachten sich bis zum Jahre 2000 auf 763. Mio. € und lagen 2003 trotz erheblicher Mittelkürzungen immerhin noch bei 612 Mio. €. Die insgesamt festzustellende Reduzierung der Umweltschutzausgaben ist vor allem auf eine deutliche Kürzung der Aufwendungen für den Naturschutz zurückzuführen, welche zwischen 1994 und 2001 um mehr als ein Drittel sanken 654. Vergleicht man den Anteil der Ausgaben für den originären Umweltbereich am Gesamthaushalt in den einzelnen Bundesländern 655, so ergeben sich hier teils signifikante Unterschiede. Im Jahre 2005 waren in Sachsen 3,19 %, in Bayern 1,83 %, in Brandenburg 1,77%, in Thüringen 1,75%, in Mecklenburg-Vorpommern 1,71 %, in Rheinland-Pfalz 1,44%, in Hamburg 1,39 %, in Niedersachsen 1,37 %, im Saarland 1,20%, in Sachsen-Anhalt 1,18 %, in Hessen 1,14 %, in Baden-Württemberg 1,04%, in Bremen 1,02%, in Berlin 0,90 %, in NordrheinWestfalen 0,89 % und in Schleswig-Holstein 0,84% der Gesamtausgaben dem Umweltbereich vorbehalten. Mecklenburg-Vorpommern belegt in dieser Statistik immerhin unter 16 Bundesländern den 5. Platz. Hervorzuheben ist zudem, dass in Mecklenburg-Vorpommern der Anteil der Ausgaben für den originären Umweltbereich von 1995 bis 2005 von 1,57% auf 1,71 % gestiegen ist. Das ist für ein strukturschwaches Land nicht selbstverständlich. Ähnlich positiv fällt die Bilanz aus, wenn man die Personalstellen im Umweltbereich der unmittelbaren Landesverwaltung vergleicht. Nach der vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Personalstatistik für den öffentlichen Dienst war in den Jahren 1998 bis 2004 ein signifikanter Rückgang der Stellen in den 653
SRU-Sondergutachten 2007, Rn. 91 ff. SRU-Sondergutachten 2007, Rn. 95. 655 Die Zahlen wurden der Studie von Bauer / Bogumil / Knill entnommen und für diese Untersuchung zusammengefasst. 654
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Umweltschutzverwaltungen von Ländern und kommunaler Ebene zu verzeichnen. Danach sind die Personalstellen in der Umweltschutzverwaltung der Länder von 1998 bis 2004 von 11.144 auf 10.474 und damit um immerhin 6 % zurückgegangen. In der kommunalen Umweltschutzverwaltung betrug der Stellenabbau in diesem Zeitraum sogar 34%. Die Anzahl der Stellen sank von 12.256 auf 8.095 656. Der Anteil der Personalstellen für den originären Umweltbereich in der unmittelbaren Landesverwaltung betrug 2005 in Brandenburg 3,44 %, in Mecklenburg 3,02 %, in Sachsen-Anhalt 2,73%, im Saarland 2,09 %, in Bayern 2,08 %, in Thüringen 1,75 %, in Schleswig-Holstein 1,67%, in Sachsen 1,66 %, in Rheinland-Pfalz 1,53 %, in Bremen 1,41%, in Hamburg 1,34 %, in Hessen 1,31 %, in Niedersachsen 0,94 %, in Nordrhein-Westfalen 0,89 %, in Baden-Württemberg 0,87 % und in Berlin 0,77 %. Der im Bundesvergleich hohe Anteil der Personalstellen im Umweltbereich der unmittelbaren Landesverwaltung in MecklenburgVorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt ist auf den (zu diesem Zeitpunkt) sehr geringen Kommunalisierungsgrad der Umweltverwaltungen in jenen Ländern zurückzuführen. So zählten etwa in Mecklenburg-Vorpommern zur unmittelbaren Landesverwaltung im Geschäftsbereich des Umweltministeriums das LUNG M-V als obere Landesbehörde sowie fünf StÄUN, drei Nationalparkämter und das Amt für das Biosphärenreservat Schaalsee als untere Landesbehörden. Der Personalstellenanteil in der Umweltverwaltung in MecklenburgVorpommern hat sich von 1995 (2,03%) bis 2005 auf 3,02 % erhöht. b) Reform der Umweltverwaltungen – Ein Überblick über Aktivitäten in den Bundesländern Von den in nahezu allen Bundesländern in den letzten Jahren durchgeführten Verwaltungsstrukturreformen waren die Umweltverwaltungen in besonderem Maße betroffen. Zwar besteht auf Bundesebene das 1986 nach kontroverser Diskussion 657 errichtete Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit als eigenständiges Umweltfachressort fort, auf Länderebene sind die Umweltministerien aber mittlerweile überwiegend mit anderen Ressorts zusammengelegt worden. Auch in Mecklenburg-Vorpommern wurde im Jahre 2006 das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz neu gebildet 658. Wichtige Aufgaben im Umweltbereich wurden zudem dem Wirtschaftsressort zugeschlagen. Eine Tendenz zur Konzentration ist seit einigen Jahren auch auf den nachgeordneten Verwaltungsebenen zu beobachten. 656
SRU-Sondergutachten 2007, Rn. 101. Zusammenfassend SRU-Sondergutachten 2007, Rn. 112 ff. 658 Zu den damit verbundenen Problemen und zu Alternativen SRU-Sondergutachten 2007, Rn. 114 f. 657
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aa) Konzentration der Landesoberbehörden Auf zentraler Ebene bestanden in den Bundesländern bis Mitte der 1990er Jahre oft mehrere obere Landesoberbehörden nebeneinander, die für einzelne Aufgaben des Umweltschutzes zuständig waren. Seit dieser Zeit lässt sich aber eine Tendenz zur Zusammenführung in einer Landesumweltbehörde beobachten. Seit 1994 haben Bayern 659, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern 660, Nordrhein-Westfalen 661, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein 662 einen solchen Schritt vollzogen. Die Bündelung nicht-ministerieller technischwissenschaftlicher Aufgaben des Umweltschutzes in einer Landesoberbehörde ist verwaltungsorganisatorisch sinnvoll. So können Doppelzuständigkeiten und Kompetenzkonflikte vermieden werden. Die Zusammenlegung zu einer Behörde führt zudem zu kostenrelevanten Synergieeffekten und erleichtert die integrative Betrachtung von Umweltproblemen. Überdies ist eine zentrale Fachbehörde eher in der Lage, Einfluss zu nehmen als mehrere kleinere Behörden mit begrenztem Aufgabenbereich 663. Zugleich sind die Landesumweltämter als „unverzichtbare Wissensmanager“ in der Lage, Umweltinformationen zu sammeln und bereitzustellen. Aufgrund ihrer umfassenden technischen Ausstattung können sie die umweltwissenschaftliche Forschung koordinieren, Vollzugsbehörden wissenschaftlich beraten und im Sinne eines vorausschauenden Umweltschutzes langfristig angelegte umweltpolitische Konzepte entwickeln. Eine Abschaffung der Landesumweltämter – wie etwa 2005 in Niedersachsen geschehen 664 – ist daher nicht empfehlenswert. Vielmehr sollten die in der teilweise suboptimalen Organisation der Landesumweltämter liegenden Effizienzpotenziale im Zuge anstehender Verwaltungsreformen ausgeschöpft werden 665. 659 Dort wurden im August 2005 das Geologische Landesamt, das Landesamt für Wasserwirtschaft und das Geologische Landesamt zum Landesamt für Umweltschutz zusammengefasst. 660 Das Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie (LUNG M-V) wurde 1999 durch Zusammenführung des Landesamtes für Umwelt und Natur und des Geologischen Landesamtes gebildet. 661 In Nordrhein-Westfalen wurde zum 01. 01. 2007 ein neues Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Verbraucherschutz errichtet, in dem bisher von 3 Landesämtern wahrgenommene Aufgaben gebündelt wurden. 662 In Schleswig-Holstein wurde bereits zum 01. 01. 1996 das Landesamt für Natur und Umwelt errichtet. Zum 01. 01. 1998 wurden die Ämter für Land- und Wasserwirtschaft sowie die Gewerbeaufsichtsämter aufgelöst und ihre Zuständigkeiten in jeweils drei Staatlichen Umweltämtern und Ämtern für ländliche Räume zusammengefasst. Näher Bauer / Bogumil / Knill, S. 189 ff. 663 SRU-Sondergutachten 2007, Rn. 118. 664 In Niedersachsen wurde das Landesamt für Ökologie 2005 aufgelöst. Kritisch Bauer / Bogumil / Knill, 66 ff.; SRU-Sondergutachten 2007, Rn. 362. 665 Näher SRU-Sondergutachten 2007, Rn. 363.
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bb) Auflösung von Sonderordnungsbehörden und Kommunalisierung von Umweltschutzaufgaben Der Dualismus zwischen Territorial- und Fachverwaltung ist ein gesamteuropäisches Phänomen mit langer historischer Tradition. Die Diskussion um Existenzberechtigung und Ausmaß der Sonderbehörden ist daher auch alles andere als neu 666. Gegenwärtig überwiegt in dieser Debatte eher die negative Bewertung solcher „vertikalen Fachbruderschaften“. Rainer Wahl hat die gegen Sonderbehörden vorgebrachten Einwände mit den Stichworten „selektive Aufmerksamkeit“, „Fachblindheit“, „Kästchendenken“, „Isolierung innerhalb der Verwaltung“, „Vernachlässigung der Abstimmung und Integration zwischen den Aufgaben“, „Bürokratieerzeugung aus Detailverliebtheit“, und „Überbewertung des eigenen Aufgabenausschnitts aus dem immanenten Perfektionsdrang des Spezialisten“ treffend umrissen 667. Bundesweit ist seit einigen Jahren der Trend zu beobachten, einen Großteil der Sonderordnungsbehörden in die allgemeine Verwaltung einzugliedern und bisher von staatlichen Sonderbehörden wahrgenommene Umweltschutzaufgaben auf kommunale Behörden zu übertragen 668. (1) Reformen in den Bundesländern In Baden-Württemberg etwa wurden zum 01. 01. 2005 die neun staatlichen Gewerbeaufsichtsämter, die vier Gewässerdirektionen und die vier Bezirksstellen für Naturschutz aufgelöst. Ihre Aufgaben wurden teils auf die Regierungspräsidien als staatliche Mittelinstanz übertragen, überwiegend aber bei den 35 Landratsämtern und den neun Bürgermeisterämtern der Stadtkreise kommunalisiert 669. Auch in Bayern wurden zeitgleich zahlreiche Sonderordnungsbehörden in die allgemeine Verwaltung eingegliedert, zumindest aber zu größeren Einheiten zusammengefasst. Dort überführte man die acht Gewerbebeaufsichtsämter in die sieben Bezirksregierungen als staatliche Mittelinstanzen und reduzierte die Zahl der Wasserwirtschaftsämter von 24 auf 17 670. Brandenburg integrierte 2004 eine Reihe von Behörden in das Landesumweltamt als obere Landesbehörde. Hierzu gehörten unter anderem die sechs Ämter für Immissionsschutz als untere Landesbehörden 671. Mit Wirkung zum 16. 07. 2010 wurde das Landesumweltamt aufgelöst und ein Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz gebildet 672. Auch in Nordrhein-Westfalen wurden zum 01. 01. 2007 insgesamt 37 666 Vgl. Wahl, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 5, 235 ff. mit umfangreichen Nachweisen. 667 Wahl, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 5, 236. 668 Umfassende Darstellung im SRU-Sondergutachten 2007, Anhang. 669 Vgl. Bauer / Bogumil / Knill, S. 28 ff. 670 Näher Bauer / Bogumil / Knill, S. 94 ff. 671 Näher Bauer / Bogumil / Knill, S. 162 ff.
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Sonderbehörden in die Bezirksregierungen als staatliche Mittelinstanzen eingegliedert. Hierzu gehören zehn Staatliche Umweltämter, acht Ämter für Agrarordnung, zehn Staatliche Ämter für Arbeitsschutz und fünf Bergämter. In SchleswigHolstein wurden zum 01. 01. 2009 die drei Ämter für ländliche Räume, die drei staatlichen Umweltämter sowie das Landesamt für Natur und Umwelt aufgelöst und deren Aufgaben in einem Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume gebündelt 673. Bereits zum 01. 01. 2008 wurden die Vollzugsaufgaben für Gewässer 1. Ordnung kommunalisiert und ein Landesbetrieb für Küstenschutz und Nationalparke gegründet. Umfassende Verwaltungsstrukturreformen mit Auswirkungen auf den Umweltbereich gab es in den letzten Jahren auch in Rheinland-Pfalz 674, Sachsen 675 und Sachsen-Anhalt 676. In Thüringen wurden die vier Staatlichen Umweltämter mit Wirkung vom 01. 05. 2008 ebenfalls aufgelöst und deren Aufgaben auf das Thüringische Landesverwaltungsamt als allgemeine staatliche Mittelinstanz sowie die kommunale Ebene verteilt 677. (2) Die Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern bis Juni 2010 Während in zahlreichen anderen Bundesländern umfassende Umstrukturierungen in der Umweltverwaltung vorgenommen wurden, hielten sich die Veränderungen in Mecklenburg-Vorpommern bis in die jüngste Zeit in Grenzen. Das LUNG M-V besteht seit 1999 unverändert als zentrale Fach- und obere Landesbehörde. Bei den StÄUN wurde bis zur ihrer Auflösung als eigenständige Behörden zum 01. 07. 2010 lediglich eine behutsame Zuständigkeitskonzentration vorgenommen. Nach der Reduzierung der StÄUN von 10 auf 6 im Juni 1994 wurde im Jahre 2004 das StAUN Lübz aufgelöst. Dessen Zuständigkeiten übernahmen die StÄUN in Schwerin und Neubrandenburg. Zum 01. 06. 2006 wurden weitere Vollzugsaufgaben konzentriert 678. Das StAUN Ueckermünde verlor seine Zuständigkeiten im Immissionsschutz- und Abfallrecht. Diese gingen auf die StÄUN in Neubrandenburg (für den Landkreis Uecker-Randow) und Stralsund (für den Landkreis Ostvorpommern und die Hansestadt Greifswald) über. In den Großschutzgebieten wurde zudem im Juli 2005 eine gemeinsame Naturschutz- und Landesforstverwaltung errichtet 679. Die Nationalparkämter Rügen und Vorpommersche Bodenlandschaft legte man zum Nationalparkamt Vor672
Durch Gesetz vom 15. 07. 2010, Bbg GVOBl. Nr. 28, S. 1. Mit Verordnung vom 20. 10. 2008; GVBl. Schl.-H., S. 540. 674 In diesem Bundesland wurden bereits zum 01. 01. 2000 30 Sonderbehörden in die drei neuen Regionaldirektionen eingegliedert. Näher Bauer / Bogumil / Knill, S. 180 f. 675 Hier wurden 2005 die Staatlichen Umweltfachämter in die Regierungspräsidien integriert. Eingehend Bauer / Bogumil / Knill, S. 145 ff. 676 Dort wurden 2003 die drei Regierungspräsidien in Halle, Magdeburg und Dessau zu einem Landesverwaltungsamt zusammengeschlossen. 677 Durch Anordnung und Verordnung vom 01. 04. 2008; Thür GVBl., S. 70. 678 Mit Landesverordnung vom 23. 05. 2006; GVOBl. M-V, 268. 673
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pommern zusammen, welches als untere Naturschutz- und untere Forstbehörde für den Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft und den Nationalpark Jasmund zuständig ist. Als untere Naturschutzbehörden wurden das Amt für das Biosphärenreservat Schaalsee und das Amt für das Biosphärenreservat Südost-Rügen errichtet. Zudem trat am 28. 07. 2007 eine neue Zuständigkeitsverordnung für das Immissionsschutzrecht in Kraft, welche die Änderungen der Zuschnitte der Ressorts in der neuen Landesregierung umsetzt. Oberste Immissionsschutzbehörde ist seitdem das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus 680. 5. Aktueller Stand des Reformprozesses in Mecklenburg-Vorpommern Konnte der Umweltverwaltung in Mecklenburg-Vorpommern für viele Jahre ein hohes Maß an Kontinuität und Beständigkeit bescheinigt werden, scheinen diese Zeiten der „relativen Ruhe“ nunmehr endgültig der Vergangenheit anzugehören. Hierfür spricht nicht nur die jüngst erfolgte Neuorganisation der unteren Landesbehörden in der Landwirtschafts- und Umweltverwaltung. Auch die zum 01. 07. 2012 geplante Aufgabenneuverteilung im Umweltbereich wird erhebliche Auswirkungen auf die behördliche Vollzugspraxis haben. a) Konzentration der unteren Landesbehörden im Landwirtschafts- und Umweltbereich Mit der Landesverordnung über die Errichtung von unteren Landesbehörden der Landwirtschafts- und Umweltverwaltung vom 03. 06. 2010 681 wurden auf Grundlage des § 8 Abs. 1 S. 2, 3 i.V. m. Abs. 2 LOG M-V im Geschäftsbereich des Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz und des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus mit Wirkung zum 01. 07. 2010 682 vier Staatliche Ämter für Landwirtschaft und Umwelt (StÄLU) als untere Landesbehörden für die Regionen Mecklenburgische Seenplatte, Mittleres Mecklenburg, Vorpommern und Westmecklenburg errichtet 683. In ihnen werden die bisherigen sechs ÄfL und die fünf StÄUN zusammengefasst und als selbständige Behörden aufgelöst 684. Damit wurde die Zusammenlegung der 679 Art. 6 des Gesetzes vom 11. 07. 2005; GVBl. M-V, 326. Zu den Einzelheiten Bugiel, in: Sauthoff / Bugiel / Göbel, NatSchAG M-V, Einleitung, Rn. 84k ff. 680 Vgl. § 1 ImSchZustVO M-V vom 04. 07. 2007, GVOBl. M-V, S. 250. 681 GVOBl. M-V, S. 310. 682 Vgl. § 7 Abs. 1 der Verordnung. 683 Vgl. § 1 der Verordnung. 684 Vgl. § 2 der Verordnung.
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Landwirtschafts- und Umweltverwaltung nunmehr auch bei den unteren Landesbehörden nachvollzogen. Die örtliche Zuständigkeit der StÄLU ist in § 3 der Verordnung geregelt. Der Amtsbereich des StALU Mecklenburgische Seenplatte umfasst die Landkreise Demmin, Mecklenburg-Strelitz, Müritz sowie die Stadt Neubrandenburg sowie auf dem Gebiet des Abfall-, des Immissionsschutz- und des umweltbezogenen Chemikalienrechts auch den Landkreis Uecker-Randow. Das StALU Mittleres Mecklenburg ist für die Landkreise Bad Doberan, Güstrow und die Hansestadt Rostock örtlich zuständig. Zum Amtsbereich des StALU Vorpommern gehören die Landkreise Nordvorpommern, Ostvorpommern, Rügen, Uecker-Randow (mit Ausnahme des Abfall-, des Immissionsschutz- und des umweltbezogenen Chemikalienrechts), Hansestadt Greifswald und Hansestadt Stralsund). Die örtliche Zuständigkeit des StALU Westmecklenburg umfasst schließlich die Landkreise Ludwigslust, Nordwestmecklenburg, Parchim, die Landeshauptstadt Schwerin sowie die Hansestadt Wismar. Regelungen über die Zuständigkeit im Bereich des Küstenmeeres enthält § 3 Absatz 2 der Verordnung. Die StÄLU sind in fünf Abteilungen mit jeweils zwei bis vier (insgesamt 16) Dezernaten gegliedert. Neben der Allgemeinen Abteilung bestehen jeweils vier Fachabteilungen, von denen jeweils zwei vorwiegend mit dem Landwirtschaftsrecht 685 und zwei überwiegend mit dem Umweltrecht 686 befasst sind. Welche Auswirkungen die Konzentration der unteren Landesbehörden haben wird, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. So mag man bedauern, dass die fast 20-jährige erfolgreiche Geschichte eigenständiger staatlicher Sonderordnungsbehörden im Umweltbereich in Mecklenburg-Vorpommern am 30. 06. 2010 zu Ende gegangen ist. Auf der anderen Seite ist die Zusammenfassung der Umweltund Landwirtschaftsbehörden auch eine Chance für den mittel- und langfristigen Fortbestand einer schlagkräftigen staatlichen Umweltverwaltung 687. Die vielfältigen Berührungspunkte zwischen der Agrar- und Umweltverwaltung können dafür sorgen, dass in den neuen Behörden eine eigene Verwaltungskultur entsteht und man „mehr mit- als übereinander“ spricht. Dies ist allerdings ein evolutionärer und langwieriger Prozess. Dabei gilt es, auch in der zukünftigen Viererstruktur weiterhin die Präsenz in der Fläche zu gewährleisten. Vor allem vom zukünftigen Aufgabenbestand wird es abhängen, ob die StÄLU eine ähnliche Erfolgsgeschichte werden schreiben können wie die StÄUN.
685 Abteilung 2: Landwirtschaft, EU-Förderangelegenheiten; Abteilung 3: Integrierte ländliche Entwicklung. 686 Abteilung 4: Naturschutz, Wasser und Boden; Abteilung 5: Immissions- und Klimaschutz, Abfall- und Kreislaufwirtschaft. 687 Vgl. dazu noch unten VI. 3.
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b) Geplanter Neuzuschnitt der Aufgabenverteilung im Umweltbereich durch das Gesetz über die Zuordnung von Aufgaben im Rahmen der Landkreisneuordnung aa) Wesentlicher Inhalt des Gesetzes Am 07. 07. 2010 verabschiedete der Landtag neben dem Kreisstrukturgesetz 688 auch das Gesetz über die Zuordnung von Aufgaben im Rahmen der Landkreisneuordnung 689. Mit letzterem sind umfangreiche Aufgabenneuverteilungen im Umweltrecht verbunden, die am 01. 07. 2012 in Kraft treten sollen 690. Das Gesetz besteht aus dem Aufgabenzuordnungsgesetz (AufgZuordG M-V – Art. 1), in dem die Aufgabenübertragungen von staatlicher auf die Kommunalebene, die Kostenregelungen sowie Vorschriften zum Personalübergang enthalten sind. Art. 2 bis 15 enthalten die notwendigen fachgesetzlichen Änderungen. Vorgesehen sind die vollständige Kommunalisierung des Vollzugs im Immissionsschutz-, Abfallund Chemikalienrecht (§ 2 Abs. 1 bis 4 AufgZuordG M-V), Aufgabenübertragungen im Wasser- und Bodenschutzrecht (§ 4 AufgZuordG M-V) sowie im Naturund Artenschutzrecht (§§ 5 und 6 AufgZuordG M-V). All diese Aufgaben sollen von den Aufgabenträgern gem. §§ 22 ff. AufgZuordG M-V im übertragenen Wirkungskreis wahrgenommen werden. Daneben sehen §§ 7 bis 20 AufgZuordG M-V weitere Aufgabenübertragungen vor. Alles in allem beträgt der Umfang der geplanten Aufgabenkommunalisierungen 300,046 Stellen 691. bb) Aufgabenübertragungen im Immissionsschutz-, Abfall- und Chemikalienrecht Die Übertragung von Aufgaben im Immissionsschutz- und Abfallrecht soll eine sinnvolle Bündelung von Aufgaben bei den kommunalen Behörden ermöglichen. In der Verbandsanhörung wurde jedoch der zu geringe Umfang der Aufgabenübertragungen problematisiert. Insbesondere die noch im Ressortentwurf vorgesehene Aufteilung der Zuständigkeiten im Immissionsschutzrecht zwischen den StÄUN und den Landräten und Oberbürgermeistern der kreisfreien Städte 692 wurde kritisiert 693. Auf Vorschlag des Ministeriums für Wirt-
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Vom 12. 07. 2010; GVOBl. M-V, S. 366. Ausführlich bereits oben § 17 A V 5. Vom 12. 07. 2010; GVOBl. M-V, S. 383. Siehe bereits oben § 17 A V 6. 690 Vgl. Art. 16 Abs. 2 des Gesetzes. 691 LTDrs 5/3600, S. 143. 692 Die StÄUN (nunmehr StÄLU) sollten für Anlagen nach § 10 BImSchG zuständig bleiben. Den Landräten und Oberbürgermeistern der kreisfreien Städte sollte die Zuständigkeit für Anlagen nach § 19 BImSchG übertragen werden. 693 Vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/2684, S. 5 f.; S. 42 f. 689
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schaft, Arbeit und Tourismus sah der Gesetzentwurf der Landesregierung deshalb in § 2 Abs. 1 Nr. 1 AufgZuordG M-V die vollständige Kommunalisierung des Vollzugs des Immissionsschutzrechts vor, wie sie nunmehr Gesetz geworden ist. Unverändert geblieben ist die Kommunalisierung des Vollzugs des Abfall- und Chemikaliengesetzes nach § 2 Abs. 2 und 3 AufgZuordG M-V. Die Kommunalisierungen im Immissionsschutz-, Abfall- und Chemikalienrecht M-V betreffen 76,9 Stellen 694. Besonders die vollständige Kommunalisierung der Überwachung genehmigungsbedürftiger Anlagen nach dem BImSchG überrascht. So konstatiert der Regierungsentwurf, genehmigungsbedürftige Anlagen nach § 10 BImSchG stellten „hohe Anforderungen an die technischen und verfahrensrechtlichen Kenntnisse der Mitarbeiter, da sich die Anlagen und die Genehmigungsverfahren durch eine hohe Komplexität und Schwierigkeit auszeichnen“ 695. Wohl deshalb ermächtigt § 2 Abs. 6 Satz 1 AufgZuordG M-V die Landesregierung, durch Rechtsverordnung beim Vollzug des Immissionsschutz-, Abfall- und Chemikalienrechts abweichend von § 2 Abs. 1 bis 3 AufgZuordG M-V in einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten Behörden mit kreisübergreifenden Zuständigkeiten zu bestimmen sowie deren Sitz festzulegen. Die Rechtsverordnung kann auch die Aufteilung des Mehrbelastungsausgleichs nach § 28 Abs. 1 AufgZuordG sowie von sonstigen Einnahmen und Ausgaben auf die betroffenen Landkreise bzw. kreisfreien Städte und Einzelheiten zur Bereitstellung von Personal regeln. Die – nicht durch weitere Kriterien untersetzte – Verordnungsermächtigung birgt erhebliches verfassungsrechtliches Konfliktpotential. Sie wird von den kommunalen Spitzenverbänden abgelehnt, die freiwillige Lösungen bevorzugen und in der Regelung einen Eingriff in die Organisationshoheit der kommunalen Körperschaften erblicken. Diesen Bedenken versucht das Gesetz insoweit Rechnung zu tragen, als die Verordnungsermächtigung erst am 01. 05. 2012 in Kraft tritt 696. Damit will man den kommunalen Gebietskörperschaften ausreichend Gelegenheit geben, freiwillige Kooperationen vorzubereiten. Von der Verordnungsermächtigung soll überdies, ohne dass dies im Gesetzestext zum Ausdruck kommt, nur dann Gebrauch gemacht werden, wenn die Landesregierung zu diesem Zeitpunkt konkreten Anlass zu der Sorge hat, dass die neuen Aufgabenträger keine hinreichende Gewähr für eine ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben bieten 697. Die Landesregierung hält den mit § 2 Abs. 6 AufgZuordG M-V verbundenen Eingriff in
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Vgl. LTDrs 5/3600, S. 146. Landtag M-V, LTDrs 5/2684, S. 49. 696 Überdies ermöglicht § 2 Abs. 6 Satz 2 AufgZuordG M-V den kommunalen Gebietskörperschaften, freiwillige Kooperationsmodelle einzugehen; vgl. LTDrs 5/3600, S. 157 f. 697 Landtag M-V, LTDrs 5/2684, S. 52. 695
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die durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG garantierte kommunale Selbstverwaltung für verfassungsrechtlich zulässig. Der Eingriff in die Organisationshoheit der kommunalen Körperschaften sei durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt 698. Die Bereiche des Immissionsschutzrechts, der Abfallwirtschaft und des Chemikalienrechts wiesen Besonderheiten auf, welche die Verordnungsermächtigung rechtfertigten. Verwiesen wird auf die hohe technische und rechtliche Komplexität sowie die Vielfältigkeit der in diesen Bereichen zu erfüllenden Aufgaben. Auch wegen der Bedeutsamkeit des Aufgabenbereichs im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und der besonderen fachlichen Anforderungen an die Beschäftigten sei eine Verordnungsermächtigung für die Festschreibung abweichender Zuständigkeiten geboten. Der Regierungsentwurf verweist in diesem Zusammenhang interessanterweise darauf, dass die zum 01. 06. 2006 erfolgte Zentralisierung der Aufgaben im Bereich des Immissionsschutzes und der Abfallwirtschaft in vier StÄUN zu einer effektiven Organisation geführt und sich seitdem bewährt habe. Ohne diese Zentralisierung lasse sich „die Qualität (insbesondere schnelle und rechtssichere Verfahren) der Aufgabenerledigung mit dem derzeit vorhandenen Personal bei den neuen Aufgabenträgern nicht absichern. Es würde für die Aufgabenerledigung mehr Personal benötigt und sie wäre damit uneffektiver. In Anbetracht der sehr unterschiedlichen Technologien ist nach den bisherigen Erfahrungen ein bestimmter Personalbestand unverzichtbar“ 699. All dies hätte aber eher dafür gesprochen, die Genehmigungs- und Überwachungszuständigkeit für Anlagen nach § 10 BImSchG weiterhin bei den bewährten staatlichen Sonderordnungsbehörden zu belassen. cc) Aufgabenkommunalisierung im Wasser- und Bodenschutzund Naturschutzrecht Nach § 4 Abs. 1 AufgZuordG M-V sollen den Landräten und Oberbürgermeistern zum 01. 07. 2012 Aufgaben übertragen werden, die bisher die StÄLU wahrnehmen. Dabei handelt es sich zunächst um Aufgaben bei den Gewässern erster Ordnung. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass nunmehr über alle Abwassereinleitungen mit Ausnahme von Einleitungen in Küstengewässer 700 die Landräte und Oberbürgermeister zuständig sind. Problematischer ist die Kommunalisierung der Überwachung von Hochwasser- und Überschwemmungsgebieten mit Ausnahme der Gebietsfestsetzung nach § 78 Abs. 1 LWaG M-V. 698
Landtag M-V, LTDrs 5/2684, S. 53. Landtag M-V, LTDrs 5/2684, S. 53. 700 Für diese bleiben sinnvollerweise die StÄUN (jetzt StÄLU) zuständig. Vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/2684, S. 54 f. mit dem Hinweis, dass die Küstengewässer ein grenzenloses System darstellen, dass sinnvoll und effektiv nur einheitlich bewirtschaftet werden könne. 699
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5. Kap.: Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern
Im Bodenschutzrecht werden gem. § 4 Abs. 2 AufgZuordG M-V die Zuständigkeit für die Ermittlung und Erfassung von Verdachtsflächen (§ 2 Abs. 3 BBodSchG) und schädlichen Bodenveränderungen (§ 2 Abs. 4 BBodSchG) sowie die Anordnungsbefugnisse nach §§ 9 Abs. 2 und 10 Abs. 1 BBodSchG auf die Landkreise und kreisfreien Städte übertragen. Die staatliche Umweltverwaltung bleibt für die Anordnung der Untersuchung von altlastenverdächtigen Flächen und von Altlasten sowie die Anordnung der notwendigen Sanierungsund Beschränkungsmaßnahmen für Altlasten zuständig. Insgesamt betreffen die Kommunalisierungen nach § 4 Abs. 1 und 2 AufgZuordG M-V 10,141 Stellen 701. Problematisch erscheint die in §§ 5 und 6 AufgZuordG M-V geplante Kommunalisierung von naturschutzfachlichen Aufgaben sowie des Vollzugs des Artenschutzrechts, die zusammen einen Umfang von 5,010 Stellen aufweisen 702. § 5 AufgZuordG M-V überträgt die naturschutzfachlichen Aufgaben in Naturschutzgebieten einschließlich der Umsetzung der Managementpläne für Gebiete des Europäischen ökologischen Netzes „Natura 2000“. Im Gesetzgebungsverfahren wurden Bedenken der Landkreise laut, die eine zu geringe Personalausstattung für die Bewältigung der zusätzlichen Aufgaben beklagten. Auch die anerkannten Naturschutzverbände lehnten die geplanten Aufgabenverlagerungen ab und kritisierten, dass das Land Haftungsrisiken wegen möglicher EU-Rechtsverletzungen billigend in Kauf nehme. Nach Ansicht der Landesregierung verfügen dagegen die Landkreise und kreisfreien Städte im Naturschutzbereich über langjährige Verwaltungserfahrung und entsprechende Fachkenntnisse 703. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde der Umfang der geplanten Aufgabenübertragungen mit Vollzugspraktikern erörtert und im Ergebnis auf die zunächst geplante Kommunalisierung der Förderaufgaben in Naturschutzgebieten verzichtet 704. Kritikwürdig ist die in § 6 AufgZuordG M-V vorgesehene Übertragung von Aufgaben im Bereich des Artenschutzes vom LUNG M-V auf die Kreisebene 705, da fraglich ist, ob die für den Vollzug dieser Aufgabe erforderlichen Spezialkenntnisse auf dieser Ebene vorgehalten werden können 706.
701
Landtag M-V, LTDrs 5/3600, S. 149. Vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/3600, S. 149. 703 Landtag M-V, LTDrs 5/2684, S. 56. 704 Vgl. zu den Einzelheiten LTDrs 5/3600, S. 17; 161. 705 Hier sieht Art. 14 des Gesetzes allerdings ein „Rückholrecht“ vor. Nach § 3 Satz 2 NatSchAG M-V kann die oberste Naturschutzbehörde durch Rechtsverordnung bestimmen, dass für die Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen von den Verboten des § 44 Abs. 1 BNatSchG für bestimmte Arten die obere Naturschutzbehörde zuständig ist. 706 Näher Landtag M-V, LTDrs 5/2684, S. 57; LTDrs 5/3600, S. 104; S. 127 f. 702
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dd) Verzicht auf interkommunale Aufgabenverlagerungen Das AufgZuordG M-V verzichtet auf interkommunale Aufgabenverlagerungen von der kreislichen auf die örtliche Ebene. Bei weiteren Aufgabenreduzierungen der Landkreise bestehe die Gefahr der Beeinträchtigung von Synergieeffekten. Zum anderen sei bei weiteren Aufgabendezentralisierungen von gegenwärtig 18 (und künftig 8) Landkreisen und kreisfreien Städten auf 75 Ämter und 38 amtsfreie Gemeinden die Effektivität und Effizienz der Verwaltung gefährdet. Eine umfassendere interkommunale Aufgabenverlagerung soll erst im Zuge einer Strukturreform der gesamten unterkreislichen Ebene in der kommenden Legislaturperiode geprüft werden 707. 6. Fazit und Ausblick Mecklenburg-Vorpommern hat entgegen vielfach im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Landkreisneuordnung erhobenen Forderungen 708 auf die vollständige Kommunalisierung der Umwelt- und Landwirtschaftsverwaltung verzichtet und – wenn auch in modifizierter Form – an der staatlichen Sonderverwaltung in diesen Bereichen festgehalten. Das ist zu begrüßen. Die StÄUN haben sich in den 20 Jahren ihrer Existenz als leistungsstarke und serviceorientierte Fachbehörden mit umfassendem technischem Sachverstand erwiesen. Auch übertriebene Fachblindheit konnte man den StÄUN nicht vorwerfen, wenn man den Ablauf der Genehmigungsverfahren für größere Investitionsprojekte in jüngerer Zeit Revue passieren lässt. Exemplarisch seinen etwa die Genehmigungsverfahren für den Kranhersteller Liebherr in Rostock oder den NAWARO BioEnergiepark in Güstrow genannt. Eine Kommunalisierung staatlicher Umweltaufgaben sollte deshalb nur „mit Augenmaß“ vorgenommen werden. Unbestritten ist, dass die Landkreise, Ämter und Gemeinden unverzichtbare Beiträge zum Umweltschutz leisten, da sie durch ihre besondere Kenntnis der lokalen Probleme in vielen Bereichen eine ortsund bürgernahe Aufgabenerfüllung gewährleisten. Eine weitere Aufgabenkommunalisierung muss aber den Zielkonflikt mit einer effektiven und effizienten Aufgabenerfüllung im Blick behalten. Zudem ist zu berücksichtigen, dass auch die übermäßige Aufbürdung staatlicher Aufgaben die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung in Frage stellen kann 709. Auch die umweltrechtlichen Entwicklungen auf europäischer und nationaler Ebene müssen berücksichtigt werden. Die im SRU-Sondergutachten beschrie707
Landtag M-V, LTDrs 5/2684, S. 6. Eine Auflösung der StÄUN und ÄfL wurde von kommunaler Ebene und von der Fraktion Die Linke gefordert. Vgl. LTDrs 5/3600, S. 81 ff. 709 LVerfG M-V, Urt. vom 26. 07. 2007, LVerfGE 18, 342 (386). 708
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5. Kap.: Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern
benen 710 Entwicklungstendenzen hin zu einem strategischen, integrativen und planenden Umweltschutz, die zunehmende Steuerung über Umweltqualitätsziele, die erhöhten Monitoring- und Berichterstattungspflichten, die wachsende Bedeutung kooperativer Handlungsformen im Umweltrecht sowie die Herausforderungen des Umweltvölker- und des europäischen Umweltrechts stellen die Umweltverwaltungen gegenwärtig und zukünftig vor besondere Herausforderungen, die eine angemessene Personalausstattung erfordern 711. Vor diesem Hintergrund erscheint es fraglich, ob die acht neuen Kreisverwaltungen im Umweltbereich einen ausreichenden Spezialisierungsgrad in Bezug auf die wissenschaftlich-technische, interdisziplinäre, kommunikative und planerische Befähigung werden vorhalten können. Bereits die deutlich geringeren Fallzahlen in den Kreisverwaltungen dürften die Entwicklung der für eine effektive und effiziente Aufgabenerledigung unabdingbaren Routine erschweren. Die von vielen geforderte vollständige Kommunalisierung der Umweltschutzaufgaben wäre mit einer „Zerstörung der Netzwerke des Fachpersonals“ verbunden gewesen 712. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die mit der Auflösung der staatlichen Umweltverwaltung verbundenen personellen Maßnahmen jedenfalls in der Anfangszeit zu erheblichen Reibungsverlusten geführt hätten. Solche Friktionen sind – in abgemilderter Form – allerdings auch bei der zum 01. 07. 2012 anstehenden „Teilkommunalisierung“ zu erwarten. Gegen eine zu weit gehende Kommunalisierung sprechen schließlich verwaltungspsychologische Phänomene. So wurde in den von der Forschungsgruppe um Michael W. Bauer, Jörg Bogumil und Christoph Knill durchgeführten Experteninterviews von mehreren ehemaligen Mitarbeitern der Sonderordnungsbehörden beklagt, dass sich diese nunmehr auf kommunaler Ebene in einem Zwiespalt zwischen Fachsicht, die von den neuen Kollegen und Vorgesetzten als Verhinderungssicht missverstanden werden könnte, und dem Willen zur Integration in eine neue Organisation mit veränderten Prioritäten 713 befänden. Auch wird der Argwohn gehegt, dass im Standortwettbewerb der Gemeinden verstärkt Einfluss auf fachliche Entscheidungen über investitionsrelevante Vorhaben nehmen genommen werden könnte. Insofern darf man gespannt sein, welche Auswirkungen die anstehende Kommunalisierung beim Vollzug des Immissionsschutzrechts haben wird. Der SRU hat in seinem Sondergutachten jedenfalls empfohlen, die Genehmigung und die Überwachung aller genehmigungsbedürftigen Anlagen weiterhin den staatlichen Sonderordnungsbehörden vorzubehalten 714. Im Be710
Näher SRU-Sondergutachten 2007, Rn. 18 ff. SRU-Sondergutachten 2007, Rn. 60. 712 Zu entsprechenden Erfahrungen in anderen Bundesländern Bauer / Bogumil / Knill, S. 207. 713 Bauer / Bogumil / Knill, S. 208. 714 SRU-Sondergutachten 2007, Rn. 360. 711
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reich des Naturschutzrechts erscheint eine Aufrechterhaltung der differenzierten Aufgabenverteilung zwischen staatlichen und kommunalen Behörden, wie sie in § 3 NatSchAG M-V zum Ausdruck kommt, grundsätzlich empfehlenswert. Bezüglich der in Zukunft von den einzelnen Behörden wahrzunehmenden Aufgaben sollte allerdings berücksichtigt werden, dass der Naturschutz auf lokaler Ebene nur relativ wenige Fürsprecher hat und die kommunalen Naturschutzverwaltungen regelmäßig nur über geringe Ressourcen verfügen. Die Nutzung der technischen und personellen Ressourcen eingespielter und hoch spezialisierter Fachbehörden wie dem LUNG M-V und den StÄLU dürfte daher auch in Zukunft unverzichtbar sein. IV. Empfiehlt sich die Schaffung eines Landesumweltgesetzbuches? Neben der erforderlichen Neujustierung der Aufgabenverteilung in der Umweltverwaltung ist die Novellierung des Landesumweltrechts die zentrale Aufgabe der nächsten Jahre. Insbesondere stellt sich auch nach dem erneuten Scheitern des Umweltgesetzbuches im Februar 2009 die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang Mecklenburg-Vorpommern von seiner Abweichungskompetenz im Naturschutz- und Wasserhaushaltsrecht nach Art. 72 Abs. 3 Nr. 2 und 5 GG Gebrauch machen will. Bekanntlich war in Erfüllung des in Art. 74 Abs. 1 Nr. 24, 28 bis 32, 125b Abs. 1 Satz 3 GG enthaltenen „ungeschriebenen Verfassungsauftrags“ 715 zunächst geplant, eine Teilkodifikation des Umweltrechts in einem „Regelungspaket UGB 2009“ umzusetzen. Dieses sollte aus fünf Büchern, einem Einführungsgesetz sowie untergesetzlichem Regelungswerk bestehen. In der nächsten Legislaturperiode sollten sodann weitere Materien des Umweltrechts in das UGB aufgenommen werden. Das BMU hatte im November 2007 einen ersten und im Mai 2008 einen überarbeiteten Referentenentwurf vorgelegt 716. Das Verfahren zur Anhörung der Länder und Verbände wurde im Juni 2008 durchgeführt. Die abschließende Abstimmung des Entwurfs innerhalb der Bundesregierung scheiterte jedoch am Widerstand Bayerns und der Bundestagsfraktion der CDU / CSU, so dass der damalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel am 01. 02. 2009 das Scheitern des Projekts erklärte. Die Bundesregierung beschloss daraufhin am 11. 03. 2009 Gesetzentwürfe zur Neuregelung des Wasser-, Naturschutzrechts, zur Rechtsbereinigung im Umweltrecht sowie zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung, um jedenfalls das Inkrafttreten dringend notwendiger Änderungen im Umweltrecht noch in dieser Legislaturperiode zu ermöglichen und eine ansonsten ab dem 01. 01. 2010 drohende Rechtszersplitterung im Wasser- und Naturschutzrecht zu verhindern. Die entsprechenden Gesetze sind mittlerweile allesamt und im Wesentlichen zum 01. 03. 2010 in Kraft getreten 717. 715 716
Näher Kloepfer, UPR 2007, S. 161 (163). Dazu eingehend Kloepfer, DV 2008, S. 195; Guckelberger, NVwZ 2008, S. 1161.
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5. Kap.: Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern
Mit den Gesetzen zur Bereinigung des Landesnaturschutzrechts 718 und des Landeswasserrechts 719, die zeitgleich mit dem BNatSchG und dem WHG 2010 in Kraft traten, hat Mecklenburg-Vorpommern zwei reine Rechtsbereinigungsgesetze erlassen, mit denen – vor dem Hintergrund der Art. 72 Abs. 3 Nr. 2 bzw. 5 und 74 Abs. 1 Nr. 29 bzw. 32 GG – das nach Inkrafttreten der entsprechenden Bundesgesetze am 01. 03. 2010 fortgeltende Landesrecht festgestellt wird. Erst in einem zweiten Schritt sollen Landesnaturschutz- und Landeswasserrecht nach dem gebotenen Abstimmungsprozess über die zukünftigen umwelt- und naturschutzpolitischen Zielstellungen umfassend novelliert werden 720. 1. Zum erneuten Scheitern einer Kodifikation des Umweltrechts auf Bundesebene Das erneute Scheitern eines Umweltgesetzbuches kann aus umweltfachlicher Sicht nur als „politisches Trauerspiel“ bezeichnet werden. In einem mehr als dreißigjährigen Ringen wurde dieses Kodifikationsprojekt zum wohl „am besten – und am längsten – vorbereitete(n) Gesetzgebungsvorhaben in Deutschland“ 721. Die möglichen Vorteile einer Kodifikation des Bundesumweltrechts liegen auf der Hand und sind vielfach detailliert dargestellt worden 722. Das aktuelle Umweltrecht ist durch eine übermäßig hohe Zahl von Vorschriften, eine fehlende Harmonisierung der einzelnen Teilgebiete sowie eine Zersplitterung des Rechtsstoffes gekennzeichnet. Das Fehlen einer normativen Gesamtkonzeption und die wenig systematische Gesamtstruktur des deutschen Umweltrechts, die sich in unterschiedlichen Terminologien, Schutzstandards und Instrumenten zeigt 723, sind weitere zentrale Unzulänglichkeiten des Rechtsgebietes. Der verwirrenden Unübersichtlichkeit des Umweltrechts könnte mit einer Kodifikation entgegengewirkt werden. Die Reduzierung der Stoffmasse und die bessere Systematisierung des Stoffes würden einen leichteren Zugang der Rechtsanwender 724 ermöglichen und den aus Art. 20a GG resultierenden Auftrag zur Schaffung eines effizienten Umweltrechts umsetzen. Zudem könnte ein Umwelt717
Näher oben § 9 D VI. GVOBl. M-V, S. 66. 719 Vom 23. 02. 2010; GVOBl. M-V, S. 101. 720 Näher oben § 17 B I 4. 721 Kloepfer, DV 2008, S. 195 (197 f.). 722 Umfassend Kloepfer, UPR 2007, S. 161 sowie derselbe, DV 2008, S. 195. Zur Notwendigkeit einer Kodifikation des Umweltrechts des Bundes bereits Peine, JUTR 1996, S. 335 (338 ff.). 723 Dies führt Kloepfer, UPR 2007, S. 161 f. darauf zurück, dass der Gesetzgeber häufig punktuell auf europarechtliche Vorgaben reagiert und mit adhoc-Gesetzen auf politische Stimmungen geantwortet habe. Weite Teile des Umweltrechts seien zudem noch einem medialen Ansatz verhaftet. 718
§ 20 Verwaltungsreform im Umwelt- und Gewerberecht
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gesetzbuch auch dazu beitragen, das Umweltbewusstsein in der Bevölkerung zu erhöhen 725. Die im Laufe der mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnte währenden Debatte gegen eine Kodifikation des Umweltrechts vorgebrachten Argumente, die von prinzipieller Veränderungsfurcht und der fehlenden Kodifikationsreife des gegenwärtigen Umweltrechts 726 über die generelle Unmöglichkeit von Kodifikationen in der Gegenwart, der Verhinderung nationaler Kodifikationen durch europäisches Recht bis zum Auseinanderreißen bestehender normativer Zusammenhänge reichen, sind dagegen mittlerweile allesamt widerlegt 727. Vielmehr würde ein Umweltgesetzbuch Chancen zum Abbau der inneren und äußeren Übernormierung bieten, eine verbesserte Systematisierung und Harmonisierung des Umweltrechts ermöglichen und zur Schaffung eines klareren, transparenteren und anwenderfreundlicheren Umweltrechts beitragen. Schließlich hätte auch die zu Unrecht als „Bürokratiemonster“ geschmähte integrierte Vorhabengenehmigung nach §§ 48 ff. UGB I-RefE ein Genehmigungsverfahren aus einer Hand ermöglicht und so einen Beitrag zur Verfahrensoptimierung im Umweltrecht geleistet. Das UGB hätte auf diese Weise mit dem von ihm ausgehenden Innovationspotenzial dazu beitragen können, dass die Bundesrepublik Deutschland die bis zum Ende der 1980er Jahre eingenommene Führungsposition in der europäischen Umweltrechtsentwicklung jedenfalls partiell zurückerobert 728. Nicht zuletzt hätte mit einer Kodifikation der Unbeständigkeit des gegenwärtigen Umweltrechts entgegengewirkt werden können. Gelungene Kodifikationen gewährleisten eine „strukturelle Rechtskontinuität“ 729, da sich einzelne Gesetzesänderungen in die vorhandene Struktur einer Kodifikation einzufügen suchen. Ein harmonisiertes und koheräntes System des Umweltrechts garantiert verlässliches Handeln der Staatsgewalten und einen vorhersehbaren Gesetzesvollzug. Auf diese Weise wäre mit einem UGB auch der Forderung nach „guter Gesetzgebung“ 730 Genüge getan. Das erneute Scheitern des Umweltgesetzbuches ist durch keinerlei sachliche Gründe gerechtfertigt und ein schwerer Rückschlag für das Umweltrecht. In der nationalrechtlichen Entwicklung steht Deutschland daher – erneut – „vor den Trümmern einer gescheiterten Kodifizierung“ 731. Es bleibt zu hoffen, dass dieses 724
Die wenigsten Rechtsanwender sind Juristen. Die Durchsetzung des Umweltrechts erfolgt in der Praxis ganz wesentlich durch Ingenieure und Techniker. Vgl. Peine, JUTR 1996, S. 335 (340 f.). 725 Peine, JUTR 1996, S. 335 (341). 726 Dagegen bereits Peine JUTR 1996, S. 335 (336 ff.) und Kloepfer, UPR 2007, S. 161 (163). 727 Kloepfer, UPR 2007, S. 161 (163 f.); Knopp, DVBl 2010, S. 929 (933 mit Fn. 51). 728 Vgl. Kloepfer, UPR 2007, S. 161 (164 ff.). 729 Kloepfer, UPR 2007, S. 161 (166). 730 Dazu ausführlich bereits § 7 A I.
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5. Kap.: Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern
Projekt, für das sich selbst rationale und nüchterne Rechtswissenschaftler zu begeistern vermögen 732, nicht endgültig kurzfristigen strategisch-politischen Erwägungen zum Opfer gefallen ist. Das abermalige Scheitern des „grand projet“ des deutschen Umweltrechts hat jedenfalls dazu geführt, dass unzählige Arbeitsstunden in Bundes- und Landesministerien umsonst geleistet worden sind. Es bedeutet für die Entwicklungsperspektiven des Umweltrechts auf nationaler Ebene einen kaum absehbaren Schaden und stellt der Reformfähigkeit des politischen Systems in der Bundesrepublik Deutschland kein gutes Zeugnis aus. 2. Vorteile eines Landesumweltgesetzbuchs Trotz des (vorläufigen) Scheiterns des UGB-Projekts auf Bundesebene ist das Landesumweltrecht – nicht zuletzt wegen der Vorgaben des Umwelteuroparechts – reformbedürftig. Deshalb stellt sich auch auf dieser Ebene die Frage, ob nicht die Schaffung eines einheitlichen Landesumweltgesetzbuchs (LUGB) sinnvoll ist. Diese Frage wäre zu bejahen, wenn das Landesumweltrecht kodifikationsreif ist und eine Kodifikationsmöglichkeit sowie ein Kodifikationswunsch bestehen. Als viertes und wichtigstes Kriterium müsste die Kodifikation in einem zusammenfassenden Gesetzbuch im Vergleich zur gegenwärtigen Situation vorteilhaft sein 733. Bereits im Jahre 1996 hat Franz-Joseph Peine im Auftrag des brandenburgischen Umweltministeriums untersucht, ob es sinnvoll sei, ein Landesumweltgesetzbuch zu kreieren. Er gelangte bereits zu jener Zeit zu dem Ergebnis, unabhängig von entsprechenden Aktivitäten auf Bundesebene sei die Kodifikation des Umweltrechts auf Landesebene „sinnvoll und ein Rechtsfortschritt“ 734. An der Richtigkeit dieser Einschätzung hat sich seitdem nichts geändert. Das Landesumweltrecht ist zunächst kodifikationsreif. Zwar liegt der Schwerpunkt der Gesetzgebungskompetenzen auch nach der Föderalismusreform I weiterhin auf zentralstaatlicher Ebene. Dennoch bleibt für eine Kodifikation auf Landesebene ein hinreichender Anteil von Rechtsstoff. Dieser ließe sich in einem Landesumweltgesetzbuch (LUGB M-V) zusammenfassen, das zweckmäßigerweise in einen Allgemeinen und Besonderen Teil zu gliedern wäre. Der allgemeine Teil eines LUGB M-V müsste – in leichter Modifikation eines Vorschlages von Franz-Joseph Peine für eine solche Regelung in Brandenburg 735 – zunächst einen ersten Abschnitt mit Aussagen zu Zweck und Leitprinzipien des LUGB enthalten sowie die zentralen Begriffe definieren. Dem könnte 731 732 733 734 735
Knopp, DVBl 2010, S. 929 (933). Kloepfer, UPR 2007, S. 161 (170). Zu diesen vier Kriterien ausführlich Peine, JUTR 1996, S. 335. Peine, JUTR 1996, S. 335 (359). Peine, JUTR 1996, S. 335 (359 f.).
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sich ein zweiter Abschnitt anschließen, welcher die in Art. 12 LVerf M-V enthaltenen Rechten und Pflichten der Träger der öffentlichen Verwaltung und der Bürger konkretisierte. In einem dritten Abschnitt wären allgemeine Aussagen zu umweltrelevanten Planungs- und Genehmigungsverfahren zu treffen, sofern diese nicht bereits bundesrechtlich vorgegeben sind. Sinnvoll wäre es überdies, würden – wie ebenfalls bereits von Franz-Joseph Peine vorgeschlagen – in einem vierten Abschnitt Aussagen über die zunehmend an Bedeutung gewinnenden Instrumente indirekter Steuerung im Umweltrecht 736 getroffen. Diese könnten durch Instrumente strategischen, auf langfristige Ziele orientierten Umweltschutzes ergänzt werden 737. Ein fünfter Abschnitt müsste dem Umweltinformationsrecht gewidmet werden, wobei das (überarbeitete) UIG M-V in das LUGB M-V zu integrieren wäre. Weitere denkbare Regelungsmaterien eines Allgemeinen Teils wären ein Abschnitt über umweltrechtliche Kompensationsund Entschädigungsmechanismen 738 sowie über die Öffentlichkeitsbeteiligung 739. Sinnvoll wäre es überdies, dem Vorbild der §§ 46 und 47 UGB I-RefE folgend, allgemeine Vorschriften über die Anhörung beteiligter Kreise und den Erlass von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften im Umweltbereich aufzunehmen. Auch Regelungen über UVP, SUP und Umwelthaftung könnten hier enthalten sein. Den Abschluss des Allgemeinen Teils könnte schließlich eine systematische und übersichtliche Darstellung von Organisation und Zuständigkeiten in der Umweltverwaltung bilden. Hier wäre ein geeigneter Standort, um Aussagen über die im Umweltbereich tätigen Behörden zu treffen und ihre Zuständigkeiten -übersichtlicher als bisher 740 – zu normieren. Zudem könnte dieser Abschnitt Regelungen zu Rechten und Pflichten der im ehrenamtlichen Umweltschutz tätigen Personen enthalten. Nach alledem verbleibt dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern genügend Rechtsstoff, welcher die Regelung eines Allgemeinen Teils eines LUGB M-V als sinnvoll erscheinen lässt. Auch der Besondere Teil eines solchen Gesetzbuchs würde nicht unter Materialknappheit leiden. Nur exemplarisch sei in diesem Zusammenhang auf das Recht zur Regelung des verhaltensbedingten Immissionsschutzes durch die Bundesländer nach Art. 70 Abs. 1, 74 Abs. 1 Nr. 24 GG hingewiesen. Auch im Was736
Dazu gehören neben den bereits „semiklassischen“ Umweltabgaben und -subventionen vor allem Zielvereinbarungen, Umweltqualitätsziele und sonstige Formen kooperativen Verwaltungshandelns. 737 Zu den Herausforderungen eines modernen Umweltrechts SRU-Sondergutachten 2007, Rn. 18. 738 In diesem könnten die bisher in Spezialgesetzen enthaltenen Regelungen (vgl. etwa §§ 36 NatSchAG M-V; 19, 125 LWaG M-V; 47 LWaldG) in systematischer Form zusammengefasst werden. 739 Peine, JUTR 1996, S. 335 (360) schlägt hier Aussagen über die Umweltstatistik und die – in Mecklenburg-Vorpommern jetzt in § 30 NatSchAG M-V und teilweise abweichend von §§ 63, 64 BNatSchG geregelte – Verbandsklage vor. 740 Vgl. dazu ausführlich oben § 18 C III 1.
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5. Kap.: Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern
ser- und Naturschutzrecht kann Mecklenburg-Vorpommern von seinem Abweichungsrecht nach Art. 72 Abs. 3 Nr. 2 und 5 GG Gebrauch machen und – auch unabhängig davon – Ausführungs- und Verfahrensbestimmungen zum Vollzug dieser Rechtsmaterien erlassen, soweit diese nicht bundesgesetzlich geregelt sind. Ergänzende Bestimmungen zu den (allerdings recht detaillierten) bundesrechtlichen Vorgaben könnte das Land zudem im Abfall- und Bodenschutzrecht erlassen, wobei hier darauf zu achten wäre, das AbfalG M-V einer kritischen Überprüfung im Hinblick auf seine Vereinbarkeit mit dem KrW- / AbfG und dem BBodSchG zu unterziehen. Auch das wenig vollzugsfreundliche, weil in verschiedenen Rechtsvorschriften geregelte und überdies durch eine überbordende Detailverliebtheit gekennzeichnete – Umweltordnungswidrigkeitenrecht könnte in einem LUGB M-V gestrafft und harmonisiert werden. Nach alledem lassen sich die Kodifikationsreife und auch die quantitative wie qualitative Kodifikationswürdigkeit des Landesumweltrechts in Mecklenburg-Vorpommern feststellen 741. Die Vorteile einer solchen Kodifikation liegen auf der Hand. Sie entsprechen weitgehend den Kodifikationsvorteilen eines Umweltgesetzbuchs auf Bundesebene 742. So könnte das LUGB M-V die auch im Landesumweltrecht bestehende Rechtszersplitterung beseitigen und durch eine harmonische, systematisch abgestimmte Gesamtkodifikation ersetzen. Durch die mit einem solchen Vorhaben verbundene systematische Überprüfung des gegenwärtigen Normenbestands könnten zudem – wie im Naturschutz- und Wasserrecht bereits durch die zum 01. 03. 2010 in Kraft getretenen Neuregelungen geschehen – im gesamten Landesumweltrecht überflüssige Doppelregelungen und ggf. noch bestehende Systembrüche zwischen Bundes- und Landesumweltrecht beseitigt werden. Zu diesen Rechtsoptimierungs- und Deregulierungseffekten kommt ein spezifisch landesrechtlicher Vorteil, bestünde doch mit einem übersichtlichen und systematisch konsistenten Landesumweltrecht die berechtigte Chance, dem vielbeklagten Vollzugsdefizit im Umweltrecht entgegenzuwirken. Auch in dieser Hinsicht sind die Ausführungen Franz-Joseph Peines von 1996 743 heute gültiger denn je. Die Kodifikation des Landesumweltrechts ist nach alledem sinnvoll und würde einen Rechtsfortschritt bedeuten. Der auf den ersten Blick erhebliche Aufwand für die Ministerialbürokratie eines mit Verwaltungsressourcen nicht gerade überreich gesegneten Bundeslandes darf dabei zwar nicht unterschätzt werden, relativiert sich bei einem genaueren Hinsehen. Zu berücksichtigen ist in diesem Zu741 Allgemein zur Kodifikationsreife des Landesumweltrechts Peine, JUTR 1996, S. 335 (350 f.). 742 Siehe oben § 20 A IV 1. 743 Nach Peine, JUTR 1996, S. 335 (357) bietet ein LUGB „die Chance, die Zuständigkeit der Behörden für den Vollzug in einer Weise abzugrenzen, welche die im Laufe der Zeit entstandene Fülle von Zuständigkeitsüberschneidungen, Einvernehmensregeln und Benehmensregeln überwindet“.
§ 20 Verwaltungsreform im Umwelt- und Gewerberecht
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sammenhang, dass die Bundesländer im Zuge der Föderalismusreform I ohnehin gezwungen sind, ihr Landesumweltrecht einer Generalrevision zu unterziehen 744. Dies in Form eines „großen Wurfes“ in Form eines Landesumweltgesetzbuches zu wagen, wäre (erst Recht nach dem Fiasko auf Bundesebene) Ausweis einer innovativen Landesgesetzgebung und des viel gepriesenen Wettbewerbsföderalismus. Noch besser wäre es allerdings, wenn sich die Landesgesetzgeber dieser anspruchsvollen Aufgabe nach Erlass eines Umweltgesetzbuches auf Bundesebene widmen könnten, welches zudem als Ideenreservoir und „Steinbruch“ einer Landeskodifikation genutzt werden könnte. Ohne die Vor- und Leitbildfunktion einer solchen Bundeskodifikation sind die Realisierungschancen für ein entsprechendes Projekt auf Landesebene nicht gut. Auch wenn man die Funktion der Länder als „Reformmotor“ in einem kompetetiven Föderalismus anerkennt 745, erscheint es doch mehr als fraglich, ob ein „schwaches“ Bundesland wie MecklenburgVorpommern eine Vorreiterrolle übernehmen wird, um einem auf Bundesebene (mehrfach) gescheiterten Projekt zum Erfolg zu verhelfen.
B. Entwicklungsperspektiven im Gewerberecht I. Die Rolle der Länder bis zur Föderalismusreform I Stärker noch als das Umweltrecht wird das Gewerberecht seit jeher durch Bundesgesetze dominiert. Auf Grundlage des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG in der bis zum 31. 08. 2006 geltenden Fassung, der dem Bund ohne weitere Einschränkungen die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz im „Recht der Wirtschaft“ verlieh und der von den jeweiligen Fachressorts auf Bundesebene unter Billigung des Bundesverfassungsgerichts sehr weitherzig interpretiert wurde 746, entstanden die gewerberechtlichen Hauptgesetze auf Bundesebene. So erfuhr die von 1869 stammende Gewerbeordnung unter der Geltung des Grundgesetzes bisher 155 Änderungen 747, ohne allerdings ihre früher bestehende Funktion als Leitkodifikation des allgemeinen Gewerberechts aufrechterhalten zu können 748. Vielmehr entstanden im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche gewerberechtliche Spezialgesetze auf Bundesebene, von denen hier nur die Handwerksordnung aus 744 Das gilt unverändert nach Inkrafttreten des NatSchAG M-V und der Novellierung des LWaG M-V zum 01. 03. 2010, da sich diese Gesetze als reine Rechtsbereinigungsgesetze verstehen. 745 Vgl. dazu ausführlich Biermann. ZUR 2006, S. 282. 746 Vgl. Degenhardt, in: Sachs, GG, Art. 74 Rn. 44; Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 74 Rn. 19; Höfling / Rixen, GewArch 2008, S. 1 (4). 747 Näher Kahl, in: Landmann / Rohmer, GewO, Band I, Einl. Rn. 23. 748 Zur Entwicklung des Gewerberechts oben § 9 E.
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dem Jahre 1953 749, das 1956 erlassene Ladenschlussgesetz 750, das Personenbeförderungsgesetz von 1961 751 und das 1970 verkündete Gaststättengesetz 752 erwähnt seien. Im Rahmen der seit einigen Jahren intensiv geführten Diskussion um die Entwicklung eines „Regulierungsverwaltungsrechts“ 753 kamen in jüngerer Zeit zudem zahlreiche Bundesgesetze mit primär wettbewerbs- und regulierungsrechtlicher Funktion, etwa im Bereich des Vergabe- 754, Telekommunikations- oder Energiewirtschaftsrechts 755, hinzu. Angesichts der erdrückenden Dominanz bundesrechtlicher Regelungen verblieb den Ländern bis zur Föderalismusreform I im Jahre 2006 im Gewerberecht kein nennenswerter Handlungsspielraum mehr für eine eigenständige Fachgesetzgebung. Vielmehr waren die Länder gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, 83 und 84 GG darauf beschränkt, Ausführungs-, Zuständigkeits- und Kostenregelungen zu erlassen, ohne dass diese nennenswerte eigenständige Schwerpunkte hinsichtlich der im Gewerberecht verfolgten Verwaltungspolitik setzen konnten. Mecklenburg-Vorpommern etwa erließ im Dezember 1993 ledig ein wenig wirksames Mittelstandsförderungsgesetz 756 und beschränkte sich daneben auf den Erlass einer Verordnung zur Ausführung des Gaststättengesetzes und Zuständigkeits- sowie Kostenverordnungen im Bereich des Gewerbe-, Handwerks- und Ladenschlussrechts. Weitergehende Gesetzgebungsaktivitäten waren den Ländern bis zum 01. 09. 2006 verwehrt, obwohl das BVerfG mehrfach die Erforderlichkeit bundesrechtlicher Regelungen mit gewerberechtlichem Bezug gem. Art. 72 Abs. 2 GG in Frage gestellt hatte. Richtungsweisend war insbesondere die Ladenschlussentscheidung aus dem Jahre 2004 757. Dort stellte das BVerfG fest, dass das Ladenschlussgesetz nach Art. 72 Abs. 2 GG nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden dürfte, gleichwohl aber gem. Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG als Bundesrecht fortgelte 758. Zu einer Ersetzung des überkommenen Ladenschlussrechts durch eigenständige Landesgesetze konnte es bis zum 01. 09. 2006 dennoch nicht kommen, 749
Vom 17. 09. 1953; BGBl. I, S. 1411. Vom 28. 11. 1956; BGBl. I, S. 875. 751 BGBl. I, S. 241. 752 BGBl. I, S. 465. 753 Grundlegend Masing, Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages, 2006, Gutachten D; Stober, BWvR, § 51; Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 13. Vgl. nunmehr umfassend Fehling / Ruffert, Regulierungsrecht, 2010. 754 Zu Einzelheiten der in §§ 97 ff. GWB gewählten sog. „wettbewerbsrechtlichen Lösung“ oberhalb europarechtlich vorgegebener Schwellenwerte Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 9 Rn. 1 ff. 755 Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht widmet der „Regulierung von Infrastrukturen“ in §§ 13 ff ebenso einen eigenen Abschnitt wie Stober BWvR in §§ 51 und 52. Zum Verbraucherschutz durch Regulierungsrecht Franzius, DVBl 2010, S. 1086. 756 GVOBl. M-V, 1994, S. 3. 757 BVerfGE 111, 10 ff.; vgl. daneben zur Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG BVerfGE 106, 62 (142 ff.) – Altenpflegegesetz –; BVerfGE 111, 226 (254 ff.) – Juniorprofessur – und BVerfGE 112, 226 (244 ff.) – Studiengebühren. 750
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da Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG den Erlass entsprechender Regelungen von einer in das Ermessen des Bundesgesetzgebers gestellten Freigabe abhängig machte, die bis zum 01. 09. 2006 nicht erfolgte 759. Eine gewisse Erweiterung der beschränkten Länderkompetenz im Gewerberecht brachte dagegen die Liberalisierung des Gaststättenrechts zum 01. 07. 2005 760, mit der unter anderem eine Änderung des § 18 GastG verbunden war. Die Norm, welche bis dahin die Länder verpflichtete, durch Rechtsverordnungen Sperrzeiten für Gaststätten festzusetzen, wurde in eine Ermessensvorschrift umgewandelt, womit den Bundesländern ermöglicht wurde, auf die bis dahin obligatorische „Besenstunde“ zu verzichten. Von dieser Befugnis machte Mecklenburg-Vorpommern alsbald Gebrauch und hob die ohnehin bereits sehr liberalen Sperrzeitregelungen in § 3 Gast-VO 761 im August 2006 vollständig auf 762. Keinen Gebrauch machte das Bundesland bisher von den ebenfalls seit dem 01. 07. 2005 geltenden Erprobungsklauseln in §§ 13 GewO und 32 GastG, welche befristete landesrechtliche Ausnahmen von bestimmten Berufsausübungsregelungen ermöglichen. Dagegen wird den Landesgesetzgebern nicht die Möglichkeit eröffnet, von den für das Gewerberecht zentralen Berufszulassungsregelungen zu dispensieren. Insbesondere dürfen auf Grundlage der §§ 13 GewO und 32 GastG keine Erlaubnisvorbehalte modifiziert werden, da gewerberechtliche Erlaubnisse häufig bundesweite Gültigkeit haben 763 und eine besonders „liberale“ Haltung eines Landes zu einem „Erlaubnistourismus im Gewerberecht“ führen könnte. Die Experimentierklauseln der §§ 13 GewO und 32 GastG haben in der Praxis bisher keine Bedeutung erlangt 764. II. Impulse durch Föderalismusreform I und Europäische Dienstleistungsrichtlinie Mit der Föderalismusreform I vom September 2006 ging eine erhebliche Stärkung der Länderkompetenzen im Gewerberecht einher. Durch Einfügung des Zusatzes „ohne das Recht des Ladenschlusses, der Gaststätten, der Spielhallen, der Schaustellung von Personen, der Messen, der Ausstellungen und der 758
BVerfGE 110, 10 (29 ff.). Zur möglichen Verpflichtung des Bundes, eine solche Freigabe aus dem Gesichtspunkt der Ermessensreduzierung auf Null zu erteilen, vgl. BVerfGE 111, 10 (31). 760 Dazu bereits § 8 E I. 761 Nach § 3 Abs. 1 Gast-VO mussten Gaststätten von 5 bis 6 Uhr schließen. Durch § 3 Abs. 5 und 6 Gast-VO ermöglichte Sperrzeitverkürzungen und Sperrzeitverlängerungen. 762 Durch Art. 4 Nr. 3 des 3. DeRegG vom 01. 08. 2006. Kritisch Wehser, NordÖR 2007, S. 435. 763 Näher Schönleiter, in: Landmann / Rohmer, GewO, Band I, § 13 GewO. 764 Schönleiter, in: Landmann / Rohmer, GewO, Band I, § 13 GewO Rn. 5. 759
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Märkte“ in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG wurde in diesen Bereichen die bis dahin bestehende konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes abgeschafft und nach Art. 70 Abs. 1 GG eine originäre Länderkompetenz begründet 765. Bis zum Erlass landesrechtlicher Regelungen gelten gem. Art. 125a Abs. 1 Satz 1 und 2 GG die bestehenden bundesrechtlichen Regelungen fort. Von diesem Kompetenzzuwachs haben die Länder in den ersten vier Jahren nach Inkrafttreten der Föderalismusreform I in unterschiedlichem Umfang Gebrauch gemacht. So haben im Ladenschlussrecht mittlerweile bis auf Bayern alle Bundesländer eigene Ladenöffnungsgesetze erlassen, während die neu gewonnenen Gesetzgebungszuständigkeiten im Bereich der Spielhallen, der Schaustellung von Personen sowie der Messen, Ausstellungen und Märkte bisher (soweit ersichtlich) noch nicht genutzt wurden. Insofern gelten die Regelungen der §§ 33a und i und 67 ff. GewO bis auf Weiteres fort. Im Gaststättenrecht nutzten die meisten Länder die neu gewonnenen Kompetenzen 766 zunächst zum Erlass von Nichtraucherschutzgesetzen, die allesamt vom Bundesverfassungsgericht zum Teil beanstandete Regelungen zum Rauchen in Gaststätten umfassten 767. Zudem planen die meisten Länder eigene Landesgaststättengesetze, wobei Brandenburg und Thüringen die ersten Referenzgesetze erließen. Am 07. 10. 2008 traten zunächst das Brandenburgische Gaststättengesetz (BbgGastG) 768 und am 01. 12. 2008 das (bis zum 01. 07. 2013 befristete) Thüringer Gaststättengesetz 769 in Kraft. Beide Gesetze setzen unter Schlagworten wie Deregulierung, Abbau bürokratischer Hemmnisse, Vereinfachung von Verwaltungsverfahren, Kosteneinsparung 770 und Stärkung privater Initiativen und Investitionen darauf, die Gaststättenerlaubnis von einer gemischten objekt- und personenbezogenen Konzession in ein personenbezogenes Anzeigeverfahren umzuwandeln. Damit wird eine bereits im Jahre 2005 zwischen Bund und Ländern erzielte Einigung umgesetzt, in deren Folge das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie Anfang Februar 2006 einen kabinettsreifen Entwurf 765 Allerdings sollen die durch die Föderalismusreform angefügten ausgrenzenden Zusätze laut BTDrs 16/813, S. 9 – nur „Teilbereich(e)“ ausgliedern und der „ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder“ zuordnen, was für eine eher enge Interpretation dieser Materien spricht. In diesem Sinne Kluth, Föderalismusreformgesetz, Art. 74 Rn. 3 und Höfling / Rixen, GewArch 2008, S. 1 (5). 766 Zu deren Reichweite im einzelnen Höfling / Rixen, GewArch 2008, S. 1 (6 f.). 767 Zur derzeitigen Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern § 17 B I. 768 Vom 02. 10. 2008; Bbg GVBl, S. 218. Vgl. dazu LTDrs 4/6415 und 4/6702. 769 Thür GVBl, S. 367. Vgl. Thüringer Landtag, LTDrs 4/3950 und 4/4466 sowie das PlPr 4/80, S. 8068. 770 Die Thüringer Landesregierung errechnete in Thüringer Landtag, LTDrs 4/3950, S. 2 ein Einsparvolumen an Bürokratiekosten von jährlich 1,057 Mio. €, was ca. 30% entspricht. In Brandenburg (vgl. Landtag Brandenburg, LTDrs 4/6415, S. 12) ging man sogar davon aus, die Informationskosten von 104.382 € auf 6.247 € und damit um mehr als 93 % senken zu können.
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zur Änderung der Gewerbeordnung und zur Aufhebung des Gaststättengesetzes erarbeitet hatte. Aufgrund der Föderalismusreform I wurde dieser allerdings nicht weiter verfolgt 771. Nach § 2 Abs. 1 BbgGastG sowie der gleichlautenden Vorschrift im ThürGastG ist der Betrieb eines Gaststättengewerbes in diesen Bundesländern nunmehr nicht mehr erlaubnis-, sondern nach § 14 Abs. 1 GewO nur noch anzeigepflichtig 772. Beabsichtigt der Gastwirt den Ausschank alkoholischer Getränke, schließt sich eine Zuverlässigkeitsprüfung des Gewerbetreibenden an, die unverzüglich nach Vorliegen aller Unterlagen erfolgen muss. Erweist sich der Gastwirt als unzuverlässig, so ist nunmehr nach § 35Abs. 1 GewO die Weiterführung des Gewerbes zu untersagen 773, womit die bisherige Praxis des Widerrufs der Gaststättenerlaubnis nach § 15 Abs. 2 GastG bei gleichzeitiger Anordnung eines Fortführungsverbots nach § 15 Abs. 2 GewO ersetzt wird. Die brandenburgischen und thüringischen Gaststättengesetze setzten somit bereits die auch durch die Europäische Dienstleistungsrichtlinie vermittelten Reformimpulse um 774. Jene bevorzugt ersichtlich eine nachträgliche Überwachung gegenüber präventiven Eröffnungskontrollen 775 und verstärkt damit die seit Anfang der 1990er Jahre bestehende (rechtspolitisch fragwürdige) Tendenz des „Rückzugs des Staates aus dem Ordnungsrecht“ 776. Mittlerweile haben auch Bremen 777 und Baden-Württemberg 778 Landesgaststättengesetze erlassen, welche allerdings an dem Erfordernis einer Gaststättenerlaubnis festhalten. In Niedersachsen dagegen verfolgt der von der Landesregierung am 13. 07. 2010 beschlossene und derzeit im Landtag beratene Entwurf eines Niedersächsischen Gaststättengesetzes 771
Zu den Einzelheiten Böhme, GewArch 2006, S. 185. Die Anzeige muss in Brandenburg vier, in Thüringen zwei Wochen vor Eröffnung des Betriebes erfolgen. 773 Diesbezüglich stellt § 3 Abs. 1 Satz 3 BbG GastG ausdrücklich klar, dass eine Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 GewO bereits vor Aufnahme des Betriebes erfolgen kann. Das ThürGastG verzichtet auf eine solche Klarstellung und verweist in § 10 pauschal auf die ergänzende Anwendung der Gewerbeordnung. 774 Näher oben § 19 C III 1. 775 Zu den Einzelheiten und möglichen Auswirkungen auf das deutsche Wirtschaftsverwaltungsrecht Korte, in: Schliesky, Umsetzung II, S. 57 (72 ff; 83 f.). 776 Allgemein zum Rückzug des Staates aus dem Ordnungsrecht § 19 A. 777 Das Bremische Gaststättengesetz (BremGastG) vom 24. 02. 2009 (Brem. GBl, S. 45) ist am 01. 05. 2009 in Kraft getreten. Mit ihm wird die Gaststättenerlaubnis als reine Personalkonzession ausgestaltet. Voraussetzung für die Erlaubniserteilung ist nunmehr ausschließlich die persönliche Zuverlässigkeit des Antragstellers. Im Übrigen wurden die Regelungen im Gaststättenrecht gestrafft und auf das notwendige Maß reduziert. Vgl. Bremische Bürgerschaft, Landtag, LTDrs 17/656 und 17/140. 778 Das Gaststättengesetz für Baden-Württemberg (LGastG BW) vom 10. 11. 2009 (GBl BW, S. 628) ist als Art. 2 des Gesetzes zur Abwehr alkoholbeeinflusster Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung während der Nachtzeit und zum Schutz vor alkoholbedingten Gesundheitsgefahren (Alkoholverkaufsverbotgesetz) verkündet worden und überführt das GastG des Bundes weitgehend unverändert in Landesrecht. 772
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(NGastG) 779 weitgehend das Regelungskonzept Brandenburgs und Thüringens und ersetzt die Gaststättenerlaubnis durch eine Anzeigepflicht. III. Ladenschlussrecht unter Deregulierungsdruck – Ladenöffnungsgesetz und Bäderverkaufsverordnung Mecklenburg-Vorpommern 1. Das Ladenöffnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern als politische Kompromissformel Mit dem Gesetz zur Neuregelung der Ladenöffnungszeiten (LöffG M-V) 780 hat Mecklenburg-Vorpommern – wie mittlerweile alle anderen Bundesländer mit Ausnahme Bayerns – in einem wichtigen Teilgebiet des Wirtschaftsverwaltungsrechts von den durch die Föderalismusreform I neu gewonnenen Kompetenzen Gebrauch gemacht. Dieses Gesetz ist zunächst interessant, weil es sich beim Ladenöffnungsrecht um ein unter besonderem Liberalisierungsdruck stehendes Referenzgebiet des Wirtschaftsverwaltungsrechts handelt. Zudem lassen die mittlerweile getroffenen Länderregelungen 781 eine vergleichende Betrachtung zu. Am Beispiel des LöffG M-V können ferner die Schwierigkeiten einer Deregulierungsgesetzgebung exemplarisch dargestellt werden. Die unterschiedlichen rechtspolitischen Positionen in Bezug auf die anzustrebende Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten werden nicht zuletzt dadurch deutlich, dass dem politisch kontrovers diskutierten 782 Gesetz im parlamentarischen Verfahren eine von kompromissformelhaften Blankettbegriffen geprägte Präambel 783 vorangestellt wurde. Mit der Verabschiedung eines eigenen Ladenöffnungsgesetzes ließ sich Mecklenburg-Vorpommern im bundesweiten Vergleich sehr viel Zeit. Lediglich Bayern hatte zu diesem Zeitpunkt und hat bis heute noch keine eigene landesgesetzliche Grundlage geschaffen 784, so dass dort gem. Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG das Ladenschlussgesetz des Bundes fort gilt. Grund für die späte (und 779
Niedersächsischer Landtag, LTDrs 16/2654. Vom 18. 06. 2007; GVOBl. M-V, S. 226. 781 Zu Entstehungsgeschichte und Inhalt der derzeit geltenden Ladenöffnungsgesetze der Länder eingehend Neumann, in: Landmann / Rohmer, GewO, Band II, 720a ff. 782 Einzelheiten der parlamentarischen Debatte ergeben sich aus Landtag M-V, LTDrs 5/81 und 5/610 sowie den Plenarprotokollen 5/8 und 5/19, S. 22 ff. 783 „Dieses Gesetz dient der Schaffung flexibler Rahmenbedingungen für das gewerbliche Verkaufen von Waren und damit zusammenhängend der Sicherung der sozialen Belange von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern während der zugelassenen Zeiten unter Berücksichtigung des Schutzes der Sonn- und Feiertage.“ 784 Zu den Ladenöffnungsgesetzen der anderen Bundesländer Neumann, in: Landmann / Rohmer, GewO, Band II, Rn. 720a ff; Tegebauer, GewArch 2007, S. 49 (52 ff.). 780
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schwere) Geburt des mecklenburg-vorpommerischen Landesrechts war weniger, dass der durch die Novellierung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG ausgelöste Liberalisierungsbedarf im Ladenschlussrecht geringer gewesen wäre als in anderen Bundesländern, sondern die mit der Novellierung des Ladenschlussrechts verbundene politische Sprengkraft. Diese resultierte aus der Schwierigkeit, einen angemessenen Ausgleich zwischen Arbeitnehmerinteressen und Bedürfnissen der Wirtschaft zu finden und dabei gleichzeitig den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 140 GG i.V. m. Art. 139 WVerf zu genügen. Wie umstritten die Neuregelung des Ladenöffnungsrechts in MecklenburgVorpommern war, verdeutlichen die mehr als 70 Änderungen, welche der von den Fraktionen der CDU und SPD eingebrachte Gesetzesentwurf im parlamentarischen Verfahren erfuhr 785. Angesichts der gesellschaftspolitischen Bedeutung der zu regelnden Materie wurde zudem im Landtag am 13. 03. 2007 eine öffentliche Anhörung zu dem Gesetzentwurf durchgeführt, in der die unterschiedlichen rechts- und verfassungspolitischen Positionen zum Ausdruck kamen 786. Entstanden ist nach diesem aufwändigen parlamentarischen Verfahren ein im Vergleich zu anderen Bundesländern recht detailfreudiges Gesetz 787 mit zahlreichen Formelkompromissen sowie Ausnahme- und Sonderregelungen. Allein § 12 LöffG M-V, der Ordnungswidrigkeiten enthält und im Regierungsentwurf noch mit 3 Ziffern auskam, wurde im parlamentarischen Verfahren auf bundesweit einmalige 29 Ziffern ausgedehnt 788, so dass das Vollzugsdefizit dieses Gesetzes bereits früh prognostiziert wurde 789. Manch Abgeordneter hätte sich denn auch ein „weniger umfangreiches Gesetz gewünscht“ 790. Auch die Präambel wirkt 785 Eine Synopse von Regierungsentwurf und Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses findet sich in Landtag M-V, LTDrs 5/610, S. 4 ff. Zum Ablauf des parlamentarischen Verfahrens ebd., S. 22 ff. Die Gesetz gewordene Fassung geht auf einen innerhalb der Koalitionsfraktionen ausgehandelten Kompromiss zurück; vgl. Landtag M-V, LTDrs 5/610, S. 26. 786 Zusammenfassung der Ergebnisse in Landtag M-V, LTDrs 5/610, S. 23 ff. 787 Dies kommt allerdings weniger an der Anzahl der Paragrafen zum Ausdruck, die mit 14 durchaus im bundesrechtlichen Rahmen liegt. So haben die Ladenöffnungsgesetze in Rheinland-Pfalz mit 19, in Bremen mit 18, in Baden-Württemberg und Thüringen mit 17 sowie in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein mit 15 mehr Paragrafen als das LöffG M-V. Mit 14 ebenso viele Paragrafen wie das LöffG M-V weisen die hessischen und nordrhein-westfälischen Ladenöffnungsgesetze auf, während sich das Saarland und Brandenburg mit 13, Berlin und Hamburg mit 12 und Niedersachsen sogar mit 10 Vorschriften begnügen. 788 Sachsen-Anhalt listet lediglich 3, Schleswig-Holstein 4, Hessen 5, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Thüringen 6, Baden-Württemberg, Berlin, Nordrhein-Westfalen, das Saarland und Sachsen 7, Rheinland-Pfalz 9 Ordnungswidrigkeitentatbestände auf. 789 Vgl. Landtag M-V, PlPr 5/19, S. 28. Nach Ansicht von Michael Roolf (FDP) wird das Gesetz „ein Chaos in dem Land ausrichten“ und sei „überhaupt nicht unter Kontrolle“ zu halten. Auch Wirtschaftsminister Jürgen Seidel bekannte in Landtag M-V, PlPr 5/19, S. 31, dass ihm „formal und optisch die Regelung in Paragraf 12 des Gesetzes auch
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eher unfreiwillig komisch, hätte es doch eine „einfache Zweckbestimmung“ möglicherweise auch getan. Wie in den meisten anderen Bundesländern auch 791 wurde die Ladenöffnung in Mecklenburg-Vorpommern von Montag bis Freitag vollständig freigegeben. Insgesamt neun Bundesländer gestatten darüber hinaus auch an Samstagen eine „Rund-um-die-Uhr-Öffnung“ 792. Eine entsprechende Regelung war zunächst auch für Mecklenburg-Vorpommern vorgesehen. Im parlamentarischen Verfahren einigte man sich dann aber darauf, den gewerblichen Verkauf am Samstag auf die Zeit von 0.00 bis 22.00 Uhr zu beschränken 793. Besonders intensiv wurde im Hinblick auf die bundes- und landesverfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 140 GG i.V. m. Art. 139 WVerf; Art. 9 Abs. 1 LVerf M-V i.V. m. Art. 139 WVerf) auch das Thema der Sonntagsöffnung erörtert 794. Hier entschloss man sich nach langer Auseinandersetzung 795 dazu, die Ausnahmevorschriften für den Verkauf bestimmter Waren und für die Öffnung bestimmter Verkaufstellen aus dem LSchlG weitgehend zu übernehmen und darüber hinaus Sonderregelungen für den grenznahen Bereich zu Polen zu schaffen (vgl. § 5 LöffG M-V) 796. Darüber hinaus ist der gewerbliche Verkauf an nunmehr vier Sonntagen im Jahr aus besonderem Anlass zulässig. Diese Sonntage dürfen gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 LöffG M-V keine gesetzlichen Feiertage sein und werden durch das zuständige Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus oder den von ihm durch Rechtsverordnung bestimmten Stellen frei gegeben. Auch an den vier vom Ministerium bestimmten verkaufsoffenen Sonntagen bleibt der Verkauf nicht besonders gut gefällt“. Allerdings habe man „natürlich den Forderungen oder den Hinweisen der Juristen“ folgen müssen. 790 So der CDU-Abgeordnete Wolfgang Waldmüller, Landtag M-V, PLPr 5/19, S. 25. Auch für Helmut Holter (PDS), Landtag M-V, PlPr 5/19, S. 26 kann „von einem schlanken Gesetz ... nun wahrlich nicht mehr“ die Rede sein. 791 Abweichende Regelungen haben nur Bayern (06 – 20 Uhr), Bremen (06 –24 Uhr), Rheinland-Pfalz (06 – 20 Uhr), das Saarland (06 – 20 Uhr) und Sachsen (06 –22 Uhr). 792 Vgl. Neumann, in: Landmann / Rohmer, GewO, Band II, Nr. 720, § 3 LSchlG Rn. 1. Entsprechende Regelungen finden sich in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. 793 Vgl. § 3 Abs. LöffG M-V. Gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 LöffG M-V ist allerdings aus besonderen Anlässen an vier Samstagen im Jahr der gewerbliche Verkauf bis 24.00 Uhr zulässig. 794 Näher Schmitz, NVwZ 2008, S. 18 (23 ff.) und Gass, apf 2005, S. 65. 795 Der Gesetzeskompromiss weicht erheblich von dem ursprünglich von CDU und SPD favorisierten Modell ab. Dieser sah vor, den Sonntagsverkauf aus Anlass von „Messen, Märkten und ähnlichen Veranstaltungen“ an acht Sonntagen freizugeben. 796 Sonderregelungen gelten gem. § 5 Abs. 4 LöffG M-V in Gemeinden, die weniger als 15 Kilometer von der nächstgelegenen Grenzübergangsstelle zu Polen entfernt liegen. Hier ist der gewerbliche Verkauf an Sonntagen, die keine gesetzlichen Feiertage sind, für höchstens fünf Stunden zulässig.
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während der Hauptzeiten der Gottesdienste von 6.00 – 11.30 Uhr unzulässig (vgl. § 5 Abs. 1 FTG M-V). Das ebenfalls kontrovers diskutierte umstrittene Thema der Adventsöffnung wurde in § 6 Abs. 2 LöffG M-V so geregelt, dass eine Ladenöffnung ausschließlich am ersten Advent zulässig ist. 2. Der Streit um die „Bäderregelung“ Problematischer als die in § 6 LöffG M-V getroffenen Regelungen, die im bundesweiten Vergleich einer „mittleren Linie“ entsprechen, war der Streit um die sogenannte „Bäderregelung“ nach § 10 LöffG M-V. Mit dieser Vorschrift wollte der Gesetzgeber eine tragfähige Grundlage für den Erlass zukünftiger Bäder- und Fremdenverkehrsregelungen schaffen 797. Von 1993 bis 2007 wurden solche Regelungen auf Grundlage von § 23 LSchlG durch Allgemeinverfügung erlassen, was zu einer Vielzahl gerichtlicher Auseinandersetzungen führte 798. Nach § 10 LöffG M-V kann das zuständige Ministerium nun in Bäder- und Kurorten sowie in touristisch geprägten Orten und Ortsteilen mit besonders starkem Fremdenverkehr regeln, dass und unter welchen Voraussetzungen das Feilhalten von Waren abweichend von § 3 Abs. 2 LöffG M-V (also insbesondere an Sonn- und Feiertagen) zulässig ist. Bei der Festsetzung der Zeiten ist nach § 10 Satz 2 LöffG M-V sicherzustellen, dass die Dauer des Feilhaltens 8 Stunden nicht überschreitet und auf die Hauptzeiten des Gottesdienstes Rücksicht genommen wird. a) Die Bäderverkaufsverordnung vom 17. 12. 2007 In Ausführung dieser Verordnungsermächtigung erließ das zuständige Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus zunächst am 17. 12. 2007 eine Bäderund Fremdenverkehrsregelung die für die Jahre 2008 bis 2012 gelten sollte 799 und nach der in zahlreichen Städten des Landes eine erhebliche Lockerung des LöffG M-V zugelassen wurde. In den in der Anlage der Verordnung aufgeführten 55 Kur- und Erholungsorten und den beiden Weltkulturerbestädten Wismar und Stralsund sowie in weiteren 54 anerkannten Ausflugsorten und Ortsteilen mit besonders starkem Fremdenverkehr ließ man den gewerblichen Verkauf an Sonntagen, die keine gesetzlichen Feiertage sind, zunächst in der Zeit von 11.00 797
Näher Landtag M-V, LTDrs 5/81, S. 10 f. Vgl. zuletzt Bäderregelung 2007; ABl M-V, S. 107. Zur Rechtswidrigkeit der „Bäder- und Fremdenverkehrsregelung 1999 – 2003“ OVG Greifswald, NVwZ 2000, S. 948; VG Schwerin, GewArch 2000, S. 433 sowie de Wall, NVwZ 2000, S. 857. Eine instruktive Darstellung des Streits um die Bäderregelungen 1993 bis 2007 findet sich bei Vick, Einkaufen in M-V nonstop?, S. 9 ff. 799 „Verordnung über erweiterte Ladenöffnungszeiten in Kur- und Erholungsorten, Weltkulturerbestädten sowie in anerkannten Ausflugsorten und Ortsteilen mit besonders starkem Fremdenverkehr“; GVOBl. M-V 2008, S. 6. 798
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bis 20.00 Uhr zu. Im Dezember wurde der gewerbliche Verkauf nur am ersten Advent erlaubt. Hinsichtlich der Vereinbarkeit von LöffG M-V und BädVerkVO M-V mit den Gewährleistungen der Art. 140 GG, 139 WVerf strengten die katholische und die beiden evangelischen Landeskirchen vor dem OVG Greifswald Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V. m. § 13 AGGStrG M-V an. b) Die Änderungsverordnung vom 13. 11. 2008 und die Neubekanntmachung vom 17. 04. 2009 Unter dem Eindruck dieser Streitigkeiten und aufgrund gerichtlicher Hinweise wurde die Bäderverkaufsverordnung am 13. 11. 2008 erheblich umgestaltet 800. Ihre Neubekanntmachung erfolgte dann mit Verordnung vom 17. 04. 2009 801. Vor allem wurde § 1 BädVerkVO M-V präziser gefasst. Die Verordnung galt weiterhin für die festgelegten Gebiete der Kur- und Erholungsorte nach dem Kurortgesetz M-V 802, die Weltkulturerbestädte Hansestadt Stralsund und Wismar sowie für die anerkannten Ausflugsorte und Ortsteile mit besonders starkem Fremdenverkehr. § 1 Abs. 2 BädVerkVO M-V präzisierte nunmehr aber an Hand eines elf Punkte umfassenden Kriterienkatalogs, unter welchen Voraussetzungen solche Gebiete festgelegt werden konnten. In der Anlage zur BädVerkVO M-V wurden zudem einige Orte bzw. Ortsteile aus der Liste der festgelegten Gebiete der Kur- und Erholungsorte bzw. der anerkannten Ausflugsorte und Ortsteile mit besonders starkem Fremdenverkehr gestrichen 803. Noch wichtiger waren die Änderungen in § 2 BädVerkVO M-V. Hier nahm man nunmehr auf die Hauptzeit des Gottesdienstes Rücksicht und ließ den gewerblichen Verkauf nur noch von 11.30 Uhr bis 18.30 Uhr zu. Ausgeschlossen wurde ein gewerblicher Verkauf in Baumärkten, sowie in Möbel- und Autohäusern. In den kreisfreien Städten Rostock, Schwerin, Neubrandenburg und Greifswald war der gewerbliche Verkauf nach § 2 Abs. 2 Satz 1 BädVerkVO M-V nur noch an elf Sonntagen im Jahr zugelassen. Der Verkauf an diesen Sonntagen musste den Oberbürgermeistern der betreffenden Städte im Voraus schriftlich angezeigt werden.
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GVOBl. M-V, S. 432. GVOBl. M-V, S. 323. Die Verordnung trat am 30. 04. 2009 in Kraft trat und sollte bis zum 31. 12. 2012 befristet sein. 802 I. d. F. der Bekanntmachung vom 29. 08. 2000; GVOBl. M-V, S. 486, geändert durch Art. 18 des Gesetzes vom 10. 07. 2006; GVOBl. M-V, S. 539. 803 Betroffen waren Neuenkirchen auf Rügen, Teile von Barth, Ribnitz-Damgarten und Ueckermünde sowie Samtens. 801
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c) Die „Advententscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts vom 01. 12. 2009 Von großer praktischer Bedeutung für die weitere Diskussion um die Bäderverkaufsverordnung war das Urteil vom BVerfG vom 01. 12. 2009 804. In dieser Entscheidung erklärte das BVerfG die Adventssonntagsregelung in § 3 Abs. 1 Berliner Ladenöffnungsgesetz (BerlLöffG) auf Verfassungsbeschwerden der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und des Erzbistums Berlin 805 für unvereinbar mit der Gewährleistung der Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen und deshalb für verfassungswidrig. Das BerlLöffG sah die Freigabe von jährlich bis zu zehn Sonn- und Feiertagen für die Ladenöffnung vor, wobei nach § 3 Abs. 1 Alt. 2 BerlLöffG ohne weitere Voraussetzungen Verkaufsstellen an allen vier Adventssonntagen in der Zeit von 13.00 bis 20.00 Uhr geöffnet werden durften. Vier weitere Sonn- und Feiertage jährlich können „im öffentlichen Interesse“ durch Allgemeinverfügung und ohne uhrzeitliche Begrenzung freigegeben werden (§ 6 Abs. 1 BerlLöffG). Zusätzlich dürfen nach § 6 Abs. 2 BerlLöffG an zwei weiteren Sonn- und Feiertagen Verkaufsstellen nach vorheriger Anzeige gegenüber dem zuständigen Bezirksamt „aus Anlass besonderer Ereignisse, insbesondere von Formenjubiläen und Straßenfesten“ von 13.00 bis 20.00 Uhr öffnen. Von den Privilegierungen des § 6 LöffG sind der 01. Januar, der 01. Mai, der Karfreitag, der Ostersonntag, der Pfingstsonntag, der Volkstrauertag, der Totensonntag und die Feiertage im Dezember ausgenommen (§ 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 BerlLöffG). Das BVerfG verwarf die in § 3 Abs. 1 BerlLöffG ermöglichte Öffnung an den vier Adventssonntagen. Aufgrund der aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG folgenden Schutzverpflichtung des Gesetzgebers, die durch den objektivrechtlichen Schutzauftrag für die Sonn- und Feiertage aus Art. 140 GG i.V. m. Art. 139 der WRV konkretisiert werde 806, müsse der Gesetzgeber ein gewisses Mindestniveau des Sonn- und Feiertagsschutzes garantieren. Dieses sei bezüglich der Adventsöffnung nicht mehr gewährleistet, da dort das Verhältnis von Regel und Ausnahme beim Sonntagsschutz missachtet werde. Die voraussetzungslose siebenstündige Öffnung an allen vier Adventssonntagen unterschreite wegen der vollständigen 804 BVerfG, NVwZ 2010, S. 570 = JZ 2010, S. 137 mit Anmerkung von Classen. JZ 2010, S. 144 Vgl. zudem die Besprechungen von Muckel, JA 2010, S. 558; Fürst, JuS 2010, S. 876 und Kühn, NJW 2010, S. 2094. 805 Zur Beschwerdebefugnis BVerfG, JZ 2010, S. 137 f. sowie Muckel, JA 2010, S. 558 (559) und Kühn, NJW 2010, S. 2094 (2095 f.). 806 Die Entscheidung zur Konkretisierung des Art. 4 Abs. 1 und 2 durch Art. 140 GG i.V. m. Art. 139 WRV und zur Beschwerdebefugnis der Kirchen ist mit 5:3 Stimmen gefallen. Kritisch Classen, JZ 2010, S. 144 („nicht überzeugende Ausweitung des bisherigen Verständnisses von Art. 139 WRV“), der dem BVerfG überdies vorwirft, die religiöse Neutralität des Staates zu missachten und den Kirchen das Recht zu geben, das Leben der Gesellschaft zu prägen. Dagegen überzeugend Muckel, JA 2010, S. 558 (560).
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5. Kap.: Stand der Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern
Herausnahme eines zusammenhängenden Monatszeitraums aus dem Schutz der Sonntage ohne hinreichend gewichtige Gründe den verfassungsrechtlich gebotenen Mindestschutz. Die flächendeckende Möglichkeit der Öffnung aufgrund einer Allgemeinverfügung nach § 6 Abs. 1 BerlLöffG sei dagegen bei einschränkender Interpretation des unbestimmten Rechtsbegriffs des „öffentlichen Interesses“ und einer im Wege der verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift herzuleitenden Beschränkung der Öffnungszeiten auf 13.00 bis 20.00 Uhr mit der Verfassung vereinbar. Die durch § 6 Abs. 2 BerlLöffG ermöglichten Öffnungen schließlich seien verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden 807. d) Das Urteil des OVG Greifswald zur Bäderverkaufsverordnung vom 07. 04. 2010 Mit Urteil vom 07. 04. 2010 808 erklärte das OVG Greifswald die Bäderverkaufsverordnung vom 17. 04. 2009 auf Normenkontrollanträge der evangelischen Landeskirchen und der Erzbistümer Hamburg und Berlin 809 für unwirksam. In seinem – stark von der Karlsruher Adventsentscheidung geprägtem – Urteil bescheinigte das OVG zunächst dem Landesgesetzgeber, mit seinen Regelungen des Ladenöffnungsrechts, insbesondere mit § 10 LöffG M-V, seiner besonderen Verpflichtung zum Schutz der Sonn- und Feiertage nachgekommen zu sein, die ihm nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG i.V. m. 140 GG sowie nach Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 LVerf M-V, jeweils i.V. m. Art. 139 WRV oblägen. Der Landesgesetzgeber sei insbesondere dem Schutzauftrag nachgekommen, den gewerblichen Verkauf an Sonn- und Feiertagen grundsätzlich auszuschließen. § 10 LöffG M-V genüge auch dem grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt und den Voraussetzungen des Art. 57 Abs. 1 Satz 2 LVerf M-V. Der Gesetzgeber habe insbesondere den Ausnahmecharakter des § 10 LöffG M-V dadurch deutlich gemacht, dass er konkrete Vorgaben an den Verordnungsgeber in zeitlicher sowie in örtlicher Hinsicht gemacht und in der Vorschrift darauf hingewiesen habe, dass ein gewerblicher Verkauf an Sonntagen, die keine gesetzlichen Feiertage sind, nur „ausnahmsweise“ zugelassen werden dürfe 810. 807
BVerfG JZ 2010, S. 137 (142 ff.). OVG Greifswald, 4 K 13/09 und 4 K 14/09, NordÖR 2010, S. 321. Im Internet abrufbar unter www.landesrecht-mv.de (Abrufdatum: 09. 02. 2011). 809 Zur Antragsbefugnis OVG Greifswald. 4 K 13/09 und 4 K 14/09, Rn. 48 ff. Die vom BVerfG im Urteil vom 01. 12. 2009 aufgestellten Grundsätze zur Beschwerdebefugnis seien auf die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu übertragen. 810 OVG Greifswald. 4 K 13/09 und 4 K 14/09, Leitsatz 3 und Rn. 62 bis 76. Zur „offensichtlichen“ Verfassungswidrigkeit des § 8 Abs. 2 Satz 1 Sächs LadÖffG wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot dagegen OVG Bautzen, SächsVBl 2011, S. 38 (42). Diese Vorschrift ermächtigte zur Freigabe von jährlich bis zu vier Sonn- und Feiertagen durch gemeindliche Verordnung, ohne Sachgründe zu enthalten, die eine solche Freigabe legitimieren könnten. 808
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Jedoch habe der Verordnungsgeber bei der weiteren Ausgestaltung die verfassungsrechtlichen und landesgesetzlichen Maßstäbe nicht beachtet. Die Bäderverkaufsverordnung vom 17. 04. 2009 genüge nicht den besonderen Anforderungen zum Schutz der Sonn- und Feiertage, die sich aus dem GG, der LVerf M-V und dem LöffG M-V ergäben 811. Insbesondere verstießen die Vorschriften gegen das für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen festgelegte Regel- AusnahmeVerhältnis, indem sie fast ganzjährig 812 in 145 Orten und Ortsteilen des Landes den gewerblichen Verkauf an Sonntagen, die keine gesetzlichen Feiertage sind, in der Zeit von 11.30 Uhr bis 18.30 Uhr zulasse. Ausgenommen seien allein Baumärkte, Möbelhäuser und Autohäuser. Diese örtlichen, zeitlichen und sachlichen Beschränkungen seien in ihrer Summierung nicht geeignet, den geforderten Ausnahmecharakter des werktäglichen Verkaufs an Sonn- und Feiertagen angemessen Rechnung zu tragen. e) Die Bäderverkaufsverordnung vom 13. 07. 2010 Als Reaktion auf das Urteil des OVG Greifswald vom 07. 04. 2010 erließ das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus am 13. 07. 2010 eine neue Bäderverkaufsverordnung 813, die am 29. 07. 2010 in Kraft trat. Die bis zum 31. 12. 2015 befristete Verordnung versucht den von den Greifswalder Richtern bezüglich des Sonntagsschutzes gemachten Vorgaben zunächst dadurch gerecht zu werden, dass die Zahl der privilegierten Gemeinden von 149 auf nunmehr 83 reduziert wurde (§ 2 Abs. 1 und 2 BädVerkVO M-V i.V. m. Anlage zu § 2 Abs. 2 BädVerkVO M-V). Zudem erlaubt § 3 Abs. 1 BädVerkVO M-V den Verkauf nur noch vom letzten Sonntag im März bis zum letzten Sonntag im Oktober, soweit dieser nicht auf den 31.Oktober (Reformationstag) fällt, also an maximal 33 (statt bisher 45) Sonntagen im Jahr. Der zulässige Verkaufszeitraum wurde überdies auf die Zeit von 13.00 bis 18.00 Uhr und damit auf fünf (statt bisher sieben) Stunden beschränkt. Erhebliche Einschränkungen gibt es nunmehr für den Verkauf am Ostersonntag und Pfingstsonntag, der nach § 3 Abs. 2 BädVerkVO M-V nur noch in acht Orten bzw. Ortsteilen mit überragender touristischer Bedeutung 814 zulässig ist. § 3 Abs. 3 Satz 1 BädVerkVO M-V beschränkt überdies das zulässige Sortiment deutlich stärker als bisher auf den gewerblichen Verkauf „eines typischen touristischen Angebotes, das für diese Orte kennzeichnend ist“ und zählt hierfür in § 3 Abs. 3 Satz 2 BädVerkVO M-V einen umfangreichen 811
OVG Greifswald. 4 K 13/09 und 4 K 14/09, Leitsatz 4 und Rn. 77 bis. Mit Ausnahme der kreisfreien Städte Rostock, Schwerin, Greifswald und Neubrandenburg, wo lediglich 11 verkaufsoffene Sonntage zugelassen waren, erlaubte die BädVerkVO vom 17. 04. 2009 den Verkauf an mindestens 45 von 52 Sonntagen im Jahr. 813 GVOBl. M-V, S. 409. 814 Warnemünde, Graal-Müritz, Kühlungsborn, Waren (Müritz), Zingst, Boltenhagen, Heringsdorf und Binz. 812
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Katalog von Regelbeispielen auf. Ausgeschlossen ist der gewerbliche Verkauf (weiterhin) in Baumärkten, Möbelhäusern und Autohäusern (§ 3 Abs. 4 Nr. a BädVerkVO M-V) und (nunmehr nach § 3 Abs. 4 Nr. b BädVerkVO M-V auch) in Verkaufsstellen mit einer Verkaufsfläche von mehr als 1.500 m², soweit dieser nicht in Erlebnisparks oder Erlebnishöfen vorgenommen wird. § 3 Abs. 4 Nr. c und d BädVerkVO M-V verbietet den Verkauf von großen Haushaltsgeräten (wie Kühlschränken, Gefrierschränken, Herden, Waschmaschinen, Geschirrspülmaschinen und Wäschetrocknern, Lampen und Staubsaugern) und großen Informationstechnik-, Unterhaltungs- und Kommunikationselektronikgeräten (wie Hi-Fi-Anlagen, Fernsehern, Video / DVD-Anlagen, Computern, Druckern und Faxgeräten). Erheblich eingeschränkt wurde in § 4 BädVerkVO M-V der Verkauf in den kreisfreien Städten, der nunmehr in Greifswald, Neubrandenburg, Rostock 815 und Schwerin nur noch an sechs (statt bisher 11) Sonntagen, die keine gesetzlichen Feiertage sind, aus besonderem Anlass von 13.00 bis 18.00 Uhr zulässig ist 816. Für die in den in der Anlage 2 zu § 2 Abs. 2 festgelegten Gebiete der Weltkulturerbestädte Wismar und Stralsund lässt § 5 BädVerkVO M-V nunmehr den Verkauf aus besonderem Anlass an 16 Sonntagen im Jahr zu. Diese dürfen keine gesetzlichen Feiertage sein. Nicht freigegeben ist der gewerbliche Verkauf am Ostersonntag und am Pfingstsonntag sowie am zweiten bis vierten Advent.
§ 21 Rück- und Ausblick Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass Maßnahmen zur Verwaltungsreform in erster Linie Kärrnerarbeit sind. Die Entstehung des 1. Bundesderegulierungsgesetzes und der Mittelstandsentlastungsgesetze auf Bundesebene 817 belegen ebenso wie die Erfahrungen mit dem Verwaltungsmodernisierungsgesetz 818, der Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg oder den vier Deregulierungsgesetzen auf Landesebene 819, wie „dornenreich“ der Weg zu tatsächlichen Reformmaßnahmen sein kann. Die Analyse jener Reformprojekte bestätigt den politikwissenschaftlichen Befund, dass wirklich umfassende, radikale Verwaltungsreformen in der Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich besonders schwierig zu bewerkstelligen sind. Die geringe strukturelle Reformfä815 Mit Ausnahme der Ortsteile Warnemünde, Hohe Düne, Diedrichshagen und Markgreifenheide. 816 Dabei darf der Verkauf regelmäßig nicht an unmittelbar aufeinanderfolgenden Sonntagen erfolgen; § 4 Abs. 3 Satz 1 BädVerkVO M-V. Dies ist nur ausnahmsweise bei Vorliegen eines wichtigen Grundes an höchstens zwei aufeinanderfolgenden Sonntagen zulässig. 817 Oben § 8 E I und III. 818 Oben § 17 A I bis IV. 819 Näher § 16 C.
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higkeit erklärt sich daraus, dass Deutschland „ein Staat mit einer der höchsten Vetospieler- und Mitregentendichte ist“ 820. Dabei sind Vetospielern „Individualoder Kollektivakteure, deren Zustimmung unabdingbar für eine Abkehr vom status quo sind“ 821. Bei den sog. „Mitregenten“ handelt es sich um einflussreiche Mitgestalter der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung, die anders als die konstitutionellen Vetospieler nicht notwendig mit einer Vetomacht ausgestattet sind 822. Grund für die im internationalen Vergleich besonders hohe Vetospieler- und Mitregentenquote ist das Ineinandergreifen unterschiedlicher Faktoren, zu denen unter anderem das parlamentarische Regierungssystem, die große Bedeutung von Koalitionsregierungen, die hohen Barrieren für Verfassungsänderungen, die große richterliche Kontrolldichte, der ausgebaute Minderheitenschutz, das stark betonte Selbstverwaltungsprinzip, die ausgeprägte vertikale Machtaufteilung mit starkem Kooperationszwang für Bund und Länder, die tendenzielle Dauerwahlkampfatmosphäre und schließlich die Souveränitätstransfers an internationale und europäische Institutionen zählen 823. Dieser Befund erschwert Politik- und Verwaltungsreformen in der Bundesrepublik Deutschland. Tief greifende Veränderungen verlangen von den Regierenden einen hohen Kooperations- und Koordinierungsaufwand, was den Spielraum zur politischen Gestaltung erheblich begrenzt. Die Schwierigkeiten beginnen schon innerhalb der politischen Leitungsebene, wo (zumal bei den zunehmend auf Bundes- wie Landesebene gebildeten Koalitionsregierungen) das in Art. 65 Satz 2 GG, 46 Abs. 2 LVerf M-V festgelegte und häufig in einem exzessiven Verständnis als exkludierende Organisationsverantwortung ausgelegte Ressortprinzip zum „reformhindernden Beharrungsfaktor“ 824 werden kann. Ein besonders deprimierendes Beispiel ist das letztlich auch am Widerstand des BMWi und des BMELV gescheiterte Projekt eines Umweltgesetzbuches auf Bundesebene 825. Sollen weit gehende Verwaltungsreformen tatsächlich gelingen, so ist hierfür ein breiter politischer Konsens eine wichtige Voraussetzung. Das illustrieren nicht zuletzt die in der vorliegenden Untersuchung aufgeführten Beispiele. Nicht zufällig ist in Mecklenburg-Vorpommern der gegen den geschlossenen Widerstand der oppositionellen CDU-Fraktion sowie der Landräte der Landkreise und der Oberbürgermeister der kreisfreien Städte mit knapper Mehrheit vom Landtag beschlossene „erste Anlauf“ der Kreisstruktur- und Funktionalreform im Juli 2007 vor dem LVerfG M-V spektakulär gescheitert 826. 820 821 822 823 824 825 826
Manfred G. Schmidt, Das politische System Deutschlands, S. 190 f. Manfred G. Schmidt, Das politische System Deutschlands, S. 185. Manfred G. Schmidt, Das politische System Deutschlands, S. 42. Manfred G. Schmidt, Das politische System Deutschlands, S. 190 f. Schliesky, VerwArch 99 (2008), S. 313 (329). Dazu bereits § 20 A IV 1. Oben § 17 A IV.
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Erfolgreiche Verwaltungsreformen in Mecklenburg-Vorpommern wie etwa die Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg, das Optionsmodell im Widerspruchsverfahren oder die Normprüfstelle sind dagegen allesamt in einem breiten politischen Grundkonsens erreicht worden 827. Andererseits hat die für eine gelungene Verwaltungsreformpolitik erforderliche breite Konsensbildung, welche im Idealfall auch den in der Bevölkerung vorhandenen Sachverstand einbezieht 828, auch einen hohen politischen Preis. Wie am Beispiel des „1. Bundesderegulierungsgesetzes“, der drei Mittelstandsentlastungsgesetze und der vier Bürokratieabbaugesetze in Mecklenburg-Vorpommern gezeigt werden konnte 829, besteht dieser zunächst in langwierigen Entscheidungsprozessen, und hohen Entscheidungskosten. Da die „Fenster der Gelegenheit“ für große Reformen oft geschlossen sind und nur mit Brachialgewalt geöffnet werden können 830, besteht die Gefahr, dass lediglich eine Einigung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner möglich ist. Dies gilt umso mehr, als der Zeithorizont für „große Reformen“ aufgrund der „tendenziellen Dauerwahlkampfatmosphäre im föderalen Staat“ 831 in Deutschland besonders kurz ist und durch die Aktualitätszentriertheit der Medien nochmals verringert wird. Das Ausbleiben umfassender Veränderungen wird von der Öffentlichkeit dann regelmäßig als Reformstau wahrgenommen. Das ist eine verständliche Einschätzung, wenn man etwa die gemessen an den unternommenen Anstrengungen doch eher kümmerlichen Ergebnisse der Mittelstandsentlastungs- oder Rechtsbereinigungsgesetze auf Bundesebene betrachtet. Nochmals verkompliziert wird die Verwaltungsreform auf gesamtstaatlicher Ebene zudem dadurch, dass bei Reformprojekten „Bund und Länder ... nur selten an einem Strang (ziehen)“ 832. Als Ursachen hierfür werden unterschiedliche Zielvorstellungen, das weitgehende Fehlen von Abstimmungsgremien, etwa in Gestalt einer „Fachministerkonferenz Modernisierung 833, aber auch die „inaktive Verwaltungspolitik des Bundes“ 834 genannt. Erhebliches Verbesserungspotenzial gibt es zudem bezüglich der Einbeziehung externen Sachverstandes. Zwar wurden viele der in den letzten Jahren unter dem Paradigma der Ökonomisierung der Verwaltung 835 durchgeführten Reform827
Vgl. § 9 F III 3; § 16 C I 1 und § 18 B I. Näher zum Aspekt der „Demokratisierung“ der Verwaltung bereits Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts sowie Schliesky, VerwArch 98 (2008), S. 313 (331 f.). 829 Vgl. oben §§ 8 E I und III; 16 C. 830 Manfred G. Schmidt, Das politische System Deutschlands, S. 191. 831 Manfred G. Schmidt, Das politische System Deutschlands, S. 187. 832 Schliesky, VerwArch 99 (2008), S. 313 (319). 833 Schliesky, VerwArch 99 (2008), S, 313 (319; 321) hält eine verbesserte Abstimmung der Reformvorhaben zwischen Bund und Ländern für dringend erforderlich. 834 Hesse, NdsVBl 2007, S. 145 (147). 835 Dazu bereits oben § 5 C III. 828
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maßnahmen maßgeblich von externen Unternehmensberatungen entwickelt und sogar z.T. implementiert, indem Mitarbeiter von Beratungsfirmen über längere Zeit an die Verwaltung ausgeliehen wurden 836. Diesen Beratern fehlte allerdings häufig das erforderliche Wissen über die rechtlichen und administrativen Besonderheiten der öffentlichen Verwaltung, was zum Teil zu untauglichen Konzepten und zum Scheitern der kostenintensiven Reformprojekte führte 837. Während die Unternehmensberatung im öffentlichen Sektor dennoch weiterhin boomt, sind die externe wissenschaftliche Beratung der Verwaltungsreformpolitik und vor allem die Evaluation der durchgeführten Projekte stark ausbaufähig 838. Für Utz Schliesky ist die Rolle der Wissenschaft bei den Reform- und Modernisierungsmaßnahmen denn auch „insgesamt eher enttäuschend“. Trotz vieler Einzelbefassungen gebe es „zu wenig Anstöße aus der Wissenschaft; wissenschaftliche Bewertungen erfolgen meist nur reaktiv und mit z.T. großer Zeitverzögerung“ 839. Deutlich wird in diesem Zusammenhang auch ein Defizit bei der mehrheitlich lange traditionell orientierten Rechtswissenschaft. Diese hat sich mit der Verengung auf das Lösen „pathologischer Einzelfälle“ und der ausgeprägten Berührungsangst gegenüber den Nachbarwissenschaften zu lange aus der Rolle eines „staatlichen Innovationsmanagers“ 840 verabschiedet und diese Rolle den Ökonomen überlassen Es bleibt daher zu hoffen, dass die methodische Neuausrichtung der Verwaltungsrechtswissenschaft 841 und die Wiederbelebung der Verwaltungswissenschaft(en) dazu beitragen kann, verloren gegangenes Terrain zurückzugewinnen. Die mangelnde wissenschaftliche Durchdringung des Verwaltungsmodernisierungsprozesses ist aber auch Politik und Verwaltung anzulasten. Diese stehen einer externen wissenschaftlichen Evaluierung ihrer Reformmaßnahmen immer noch sehr reserviert gegenüber. So ergab eine Studie Helmut Wollmanns aus dem Jahre 2002 842, dass eine durch die Exekutive selbst veranlasste externe Evaluierung durch unabhängige Wissenschaftler immer noch eher die Ausnahme darstellt 843. So bilanzierte Wollmann, es bestehe kaum Bereitschaft, die „in 836 Näher Schliesky, VerwArch 99 (2008), S. 313 (323 mit Fn. 61); dort auch zum Einsatz externer Berater in Führungsfunktionen der Bundesverwaltung. 837 Schliesky, VerwArch 98 (2008), S. 313 (323). Nach Kirbach, in: Die Zeit vom 05. 02. 2004, S. 9 soll sich der Umsatz der Beratungsbranche im Bereich der öffentlichen Verwaltung zwischen 1992 und 2003 von 5,9 Mrd. € auf 12,3 Mrd. € mehr als verdoppelt haben. 838 Zum Stand der Pflege der Verwaltungswissenschaften durch wissenschaftliche Einrichtungen vgl. Püttner, Verwaltungslehre, § 2 Rn. 14 ff. Zur Evaluation verwaltungspolitischer Maßnahmen und der Rolle der Politikberatung Bogumil / Jann, Verwaltung und Verwaltungswissenschaft, S. 177 ff. 839 Schliesky, VerwArch 99 (2008), S. 313 (325). 840 Schliesky, VerwArch 99 (2008), S. 313 (326). 841 Dazu oben § 3. 842 Wollmann, VerwArch 93 (2002), S. 418 ff.
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Gang gesetzten und in ihrer Implementation und Umsetzung zum Teil weit fortgeschrittenen Reformmaßnahmen durch die Vergabe externer Untersuchungen methodisch sorgfältig zu evaluieren, empirisch informierte Bilanz zu ziehen und hieraus für das weitere Vorgehen zu lernen.“ Insofern kann man noch heute von einer Randständigkeit der externen Evaluierung in der Bundesrepublik Deutschland sprechen, wenn es auch an ersten ermutigenden Gegenbeispielen, die ausgebaut werden sollten, nicht fehlt 844. Die – auch in Mecklenburg-Vorpommern zu beobachtende – auffällige Zurückhaltung von Politik und Verwaltung bezüglich der Evaluation der durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen steht im krassen Gegensatz zur oft kostenträchtigen mit externem Sachverstand vorgenommenen Vorbereitung von Verwaltungsreformen 845. Die defizitäre Evaluierungsbereitschaft lässt sich zum einen institutionell damit erklären, dass die vertikale Fragmentierung der Verwaltungspolitik auch die Inangriffnahme von Evaluierungen erschwert. Noch bedeutsamer erscheint allerdings ein verwaltungskultureller Erklärungsansatz. Danach fällt es den Verwaltungen auf allen Ebenen wegen der immer noch weit verbreiteten „Fehlervermeidungs(un)kultur“ schwer, externen Gutachtern und Kommissionen Zutritt zu gewähren und sich von diesen „in die Karten schauen“ zu lassen. Auch heute sind Abschottungstendenzen und Beharrungsvermögen noch in vielen Behörden an der Tagesordnung. Der in der Arkantradition stehende „geheime Staat“ 846 tut sich mit dem Abbau der von Max Weber als essentiell für jede Herrschaftsausübung angesehenen Amtsgeheimnisse 847 noch immer schwer. Zudem befürchten die politisch Verantwortlichen nicht selten, negative Evaluierungsergebnisse könnten der politischen Opposition und der informierten Öffentlichkeit Stichworte für eine kritische Auseinandersetzung liefern. Ist Verwaltungsreformpolitik nach alledem dadurch gekennzeichnet, dass bei ihr vielfach die „Mühsal der Ebene“ zu durchschreiten ist, so gibt es zu ihr dennoch keine realistische Alternative. Politik im Allgemeinen und Verwal843 Dagegen existiert eine recht breite Palette von Untersuchungen, die von Institutionen außerhalb der Verwaltung initiiert, gefördert oder durchgeführt werden. Genannt seien hier etwa exemplarisch die Bertelsmann- und die Hans-Böckler-Stiftung sowie die Kommunale Gemeinschaftsstelle. 844 Vgl. exemplarisch § 1 B III (Expertenkommissionen auf Bundes- und Landesebene); § 9 C IX 2 (Evaluierung der Dauer von Zulassungsverfahren) § 15 B (Deregulierungskommission Mecklenburg-Vorpommern), § 16 C IV (Evaluierung von Modellkommunengesetzen); § 20 A IV (Untersuchung der Wirkungen von Organisationsreformen im Umweltbereich). 845 Wollmann, VerwArch 93 (2002), S. 418 (435). Zum Stand reformbezogener Evaluierungsforschung hinsichtlich interkommunaler Leistungsvergleiche in Deutschland Kuhlmann, VerwArch 94 (2003), S. 99 ff. mit Verweis auf Benchmarking-Projekte der Bertelsmann-Stiftung und das 1996 gegründete IKO-Netz der GGSt. 846 Eingehend Wegener, Der geheime Staat – Arkantradition und Informationsfreiheitsrecht, 2006. 847 Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 129; S. 548.
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tungsreformpolitik im Besonderen ist nun einmal – auch das weiß man seit Max Weber – das beharrliche und langsame Bohren dicker Bretter mit Leidenschaft, Geduld und Augenmaß. Nur bei gewissenhaftem und akribischem Arbeiten bieten sich im mittlerweile bundesweit betriebenen Wettbewerb um die besten Lösungen, Chancen zur wirklichen Verbesserungen der Arbeit von Legislative, Exekutive und Judikative. Beispiel solcher genutzter Chancen gibt es (gemessen an der Größe und strukturellen Leistungskraft des Bundeslandes) in Mecklenburg-Vorpommern nicht wenige. Die Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg, das Optionsmodell im Widerspruchsverfahren, die Arbeit der Normprüfstelle, aber auch der Ausbau der Mediation im Justizwesen sind ermutigende Beispiele für gelungene Verwaltungsreformprojekte, die sich auch im bundesweiten Vergleich nicht zu verstecken brauchen. Auch die Europäische Dienstleistungsrichtlinie wurde (was nicht wenig ist) immerhin zeitgerecht umgesetzt, wenn auch nicht. wie von vielen gehofft – als „Reformmotor“ für grundlegend neue Verwaltungsstrukturen genutzt. Dem eingeschlagenen Reformweg in Mecklenburg-Vorpommern gehört trotz aller Rückschläge, deren größter ohne Zweifel das gescheiterte Verwaltungsmodernisierungsgesetz aus dem Jahre 2006 ist, insgesamt eine positive Note ausgestellt. Der bisherige Weg ist kontinuierlich fortzusetzen und (wo nötig) auszubauen. Dass die Bemühungen um eine Kreisgebiets- und Funktionalreform nach dem Urteil des Landesverfassungsgerichts vom 26. 07. 2007 fortgesetzt und nicht (wie im Nachbarland Schleswig-Holstein) ad acta gelegt wurde, zeugt von Mut und Entschlossenheit der politischen Verantwortlichen. Trotz aller möglichen Kritikpunkte im Einzelnen ist deshalb zu hoffen, dass der „zweite Anlauf“ zur Kreisstrukturreform jedenfalls in seinen Leitlinien vor dem LVerfG M-V Bestand haben wird. Ein erneutes Scheitern hätte für den weiteren Reformprozess schwer wiegende Folgen, die in ihren Einzelheiten kaum absehbar erscheinen. Vielfältig sind die Herausforderungen überdies in den in dieser Untersuchung in den Blick genommenen Referenzgebieten des Besonderen Verwaltungsrechts. Hier stehen insbesondere im Wirtschaftsverwaltungsrecht noch umfassende Aufgaben vor dem Landesgesetzgeber, um die durch Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG eröffneten Handlungsspielräume intelligent auszufüllen. Auf die Entwicklung des Gaststättenrechts etwa darf man in besonderer Weise gespannt sein. Noch größer sind die Herausforderungen bei der Modernisierung des Umweltrechts, wo in den nächsten Jahren strategische Grundentscheidungen bezüglich der Umweltorganisation und der Schaffung eines modernen Landesumweltrechts – nach der hier präferierten Lösung mit einem LUGB M-V – zu treffen sind. Auch im Bauordnungsrecht wird die Entwicklung nicht stehen bleiben. Hier gilt es, die Erfahrungen mit der novellierten LBauO M-V auszuwerten, wobei insbesondere die Konzentrationswirkung des Baugenehmigungsverfahrens und der Abbau präventiver Kontrollen von Interesse sind. Die Herausforderungen, vor denen die Verwaltung in Mecklenburg-Vorpommern in den nächsten Jahren steht, dürften
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auch angesichts des demographischen Wandels und des auslaufenden Solidarpakts II nicht kleiner werden. Ihnen gilt es sich – wo nötig auch mit externer Politikberatung 848 – mit einer „guten Gesetzgebung“ und einer „guten Verwaltung“ zu stellen. Dabei ist Mecklenburg-Vorpommern als strukturschwaches Land in geographischer Randlage und mit besonderen demographischen Problemen zur erfolgreichen Verwaltungsmodernisierung „verdammt“. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil die „vielfach als Kardinallösung zur Modernisierung des Föderalismus“ 849 angesehene Länderneugliederung derzeit wieder hohe Konjunktur hat 850. Diese stand nicht nur auf der „offenen Themenliste“, die mit der Einsetzung der Föderalismusreform II beschlossen wurde 851, sondern erfreut sich auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur nach einigen Jahren des „Dornröschenschlafes“ nach der gescheiterten Neugliederung Berlin-Brandenburg im Jahre 1996 wieder großer Beliebtheit 852. In diesem Zusammenhang wird unter anderem auf das (vermeintlich) fehlende Innovationspotenzial, die mangelnde Finanzkraft und die defizitäre Europafähigkeit leistungsschwacher Länder verwiesen 853. Zur Wiederbelebung der verfassungsrechtlich durch Art. 20 Abs. 1, 79 Abs. 3 GG verbürgten Bundesstaatlichkeit wird zum Teil sogar eine Neugliederung der Bundesländer für unausweichlich gehalten 854. Angesichts dieses Befundes ist Mecklenburg-Vorpommern dazu „verurteilt“, qualitativ hochwertige und gleichzeitig kosteneffiziente Verwaltungsstrukturen aufzubauen, die im (durch Art. 91d GG nunmehr 848 Eingehend zu den Rechtsfragen der Regierungsberatung Mandelartz, DÖV 2008, S. 261. 849 Hofmann, DÖV 2008, S. 833 (843). 850 Eingehend zur Entwicklung der Neugliederungsdiskussion in der Bundesrepublik Deutschland Erbguth, in: Sachs, GG Art. 29 Rn. 1 ff. 851 BTDrs 16/3885 und BRDrs 913/06 jeweils v. v. 15. 12. 2006. 852 Vgl. Schmidt-Jortzig, in: Festschrift für Scholz, S. 729 (742 ff.), der eine „verstärkte Notwendigkeit einer Neugliederung“ sieht. Auch Haug, DÖV 2008, S. 851 (857) hält „eine durchgreifende Länderneugliederung“ für „dringender denn je“. Zu gegenwärtigen und früheren „Nordstaatdebatten“ Menken, NordÖR 2006, S. 335 (336). Bodo Pieroth empfahl in seiner schriftlichen Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen am 08. 11. 2007 (Kommissionsdrucksache 065, S. 33 ff.) die Absenkung der konstitutionellen Hürden für Länderfusionen und bezeichnete die Forderung der Zusammenlegung von Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern als einleuchtend. Skeptischer jedoch Härtel, JZ 2008, S. 437 (444 m.w. N.) mit dem zutreffenden Argument, die Einsparpotenziale solcher Neugliederungen seien nicht wirklich einzuschätzen und die Bürger der Bundesländer seien mit ihren Bundesländern sozial und emotional verbunden. 853 Eingehend Schmidt-Jortzig, in: Festschrift für Scholz, 2007, S. 729 (742 ff.), wonach „längst nicht mehr alle Länder ihre Funktion als wirklich autonome Subsysteme im Gesamtstaat überzeugend auszufüllen“ vermögen. Nach Erbguth, in: Sachs, GG, Art. 29 Rn. 73 kann deshalb nur eine Neugliederung der Länder das Überleben des föderativen Systems sichern. 854 Erbguth, in: Sachs, GG, Art. 29 Rn. 75 m.w. N. in Fn. 196.
§ 21 Rück- und Ausblick
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auf verfassungsrechtlicher Grundlage betriebenen) nationalen Qualitätswettbewerb konkurrenzfähig sind. Nur wenn dies gelingt, kann die (latent prekäre) Existenz dieses Landes mittel- und langfristig gesichert werden. Forderungen nach einem – wie auch immer geschnittenen – „Nordstaat“ 855 stehen seit einigen Jahren nicht nur auf der wissenschaftlichen, sondern jedenfalls mittelfristig auch wieder 856 auf der politischen Agenda und werden selbst in der Bevölkerung Mecklenburg-Vorpommerns nicht einhellig zurückgewiesen 857. Einige populärwissenschaftliche Veröffentlichungen gehen sogar noch weiter und plädieren für einen „Oststaat“ – ein Bundesland in den Grenzen der früheren DDR mit Berlin als Hauptstadt 858. In all diesen Modellen erscheint eine ausreichende Wahrung der Interessen Mecklenburg-Vorpommerns aufgrund der Peripherität des Landes eher zweifelhaft. Deshalb sind die politisch Verantwortlichen in MecklenburgVorpommern heute mehr denn je verpflichtet, die mit der Föderalismusreform I 859 auch verbundene Stärkung der Eigenstaatlichkeit der Bundesländer 860 für eine 855 Umfassender Überblick zur diesbezüglichen Diskussion und den möglichen „Nordstaatmodellen“ bei Thieme, NordÖR 2006, S. 382 und Menken, NordÖR 2006, S. 335. Beide stehen einer solchen Lösung zu Recht kritisch gegenüber und bevorzugen eher Lösungen einer engeren Koordination und Einschluss von Sonderformen der Verwaltungsorganisation für große Ballungsräume wie etwa die „Metropolregion Hamburg“. Vgl. zu solchen Kooperationsformen Kasper, DÖV 2006, S. 589. 856 Die Idee des Nordstaats stand bereits Anfang der 1970er Jahre auf der politischen Agenda, als die vom Bundesinnenminister eingesetzte Ernst-Kommission vorschlug, entweder einen Nordstaat aus allen vier zur Bundesrepublik Deutschland gehörenden Bundesländern oder einen sog. Nordoststaat (Hamburg und Schleswig-Holstein) und einen sog. Nordweststaat (Niedersachsen und Bremen) zu bilden. Vehement für die Bildung eines Nordstaates trat auch Frido Wagener, Neubau der Verwaltung, 2. Aufl. 1974, 530 ff. ein. Zur „Nordstaatdiskussion“ im Rahmen des Prozesses der deutschen Vereinigung vgl. Czybulka, ZRP 1990, S. 269 (271) mit umfangreichen Nachweisen. Zur aktuellen Debatte Schmidt-Jortzig / Voscherau (Hrsg.), Nordstaat, 2006. 857 Vgl. Menken, NordÖR 2006, S. 335 (336). So lud der damalige Hamburger Bürgermeister Ole von Beust Mecklenburg-Vorpommern bereits Anfang 2006 dazu ein, sich an einem angestrebten Nordstaat mit Schleswig-Holstein zu beteiligen. Im Jahre 2003 lehnten (nur) 51 % der Bevölkerung Mecklenburg-Vorpommerns ein solches Ansinnen ab. 858 Baale, Abbau Ost, S. 166 ff. 859 Dagegen dürfte die am 01. 08. 2009 in Kraft getretene sog. Föderalismusreform II, mit der die Bund-Länder-Finanzbeziehungen modernisiert wurden, eher zur Schwächung der Bundesländer führen. Insbesondere das grundsätzliche Verschuldungsverbot für die Bundesländer nach Art. 109 Abs. 3 Satz 1 und 5 GG wirft nach Selmer, NVwZ 2009, S. 1255 (1261) die Frage auf, „ob ein derartig weitreichendes Verbot die durch Art. 79 Abs. 3 GG unverbrüchlich gewährleistete Eigenstaatlichkeit der Länder antastet“. Umfassend zur Verfassungsmäßigkeit der „Schuldenbremse“ Thiele, NdsVBl 2010, S. 89 (94), wonach die Neuregelungen des Art. 109 GG zwar „vor allem aus ökonomischer Sicht verfehlt“, gleichwohl aber nicht verfassungswidrig sind. Verfassungsrechtliche Bedenken erheben dagegen Faßbender, NVwZ 2009, S. 737 und Hancke, DVBl 2009, S. 621. 860 Näher Haug, DÖV 2008, S. 851 (856). Nach Huber, in: Festschrift für Scholz, 2007, S. 595 (605 f.) gibt die Föderalismusreform „vor allem den Landtagen wieder substanzielle
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innovative Verwaltungsreformpolitik zu nutzen. Bereits in der Vergangenheit hat Mecklenburg-Vorpommern bewiesen, dass nicht nur größere Länder mit einer bestimmten politischen Leistungsfähigkeit in der Lage sind, die ihnen durch die bundesstaatliche Ordnung übertragenen Aufgaben auf Dauer selbständig zu erfüllen 861. Bestrebungen nach einer „Reprovinzialisierung“ des Bundeslandes und der verbreiteten Einschätzung, schwächere Bundesländer seien im föderalen Wettbewerb dazu verurteilt, „zu abhängigen Kostgängern (zu werden), die Verwaltungsaufwand betreiben, aber Schwung, Vitalität und Innovation gänzlich vermissen lassen müssen“ 862, gilt es Argumente in Form einer „guten Verwaltungsreformpolitik“ entgegenzusetzen.
Rechtssetzungsbefugnisse und bremst damit die Sklerose des deutschen Föderalismus“. Deutlich skeptischer dagegen Erbguth, in: Sachs, GG, Art. 29 Rn. 74, wonach „trotz aller Föderalismusreform“ der „neue Föderalismus“ eher einem Dezentralismus gleiche, bei dem „die Entscheidungen in wichtigen Aufgabenbereichen der Länderpolitik weitgehend vom Bund oder von Bund-Länder-Kooperationen getroffen werden – und den Ländern allenfalls eine regionale und landsmannschaftliche Akzentuierung verbleibt“. 861 So aber Schmidt-Jortzig, in: Festschrift für Scholz, 2007, S. 729 (742) mit Fn. 44, der schwächere Länder nach der Föderalismusreform im Wettbewerb unter den Ländern für überfordert hält. 862 Schmidt-Jortzig, in: Festschrift für Scholz, 2007, S. 729 (743).
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Sachverzeichnis Abbau des Verwaltungsrechtsschutzes 364 Abschied von der Baugenehmigung 547 Abweichungsgesetzgebung 53 – im Umweltrecht 635 ACTAL 263 Advententscheidung – des BVerfG vom 01. 12. 2009 673 Aktiver Staat 103 Aktivierender Staat 48, 109, 122 Allgemeine Gesetzgebungsordnung 169 Allgemeines Verwaltungsrecht – Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern 392 Amt Demmin-Land 509 Ämter – Sollmindestgröße ab1997 406 – Sollmindestgröße ab 2004 434 Ämterstruktur – am 31. 12. 2009 436 – in Mecklenburg-Vorpommern 2002 413 amtsfreie Gemeinden 384 Amtshilfe – innerhalb der EU 629 Amtsordnung 384 Amtsverfassung – Reformdiskussion 437 – Renaissance in Mecklenburg-Vorpommern 384 Anfangsjahre der Bundesrepublik Deutschland 102 Anhörungsrügengesetz 354 Antragsassistent – für Unternehmensgründer 628
Aufbau Ost 111 Aufgabenzuordnungsgesetz 512 Aufgabenzuwachs 47 Babelsberger Konferenz 386 Bäderregelung – Bäderverkaufsverordnung vom 13. 07. 2010 675 – Bäderverkaufsverordnung vom 13. 11. 2008 672 – Bäderverkaufsverordnung vom 17. 12. 2007 671 – Urteil des OVG Greifswald vom 07. 04. 2010 674 – Verordnungsermächtigung in § 10 LöffG M-V 671 BauGB 2007 311 Baugenehmigungsverfahren – vereinfachtes 552 Bauordnung (DDR) 396 Bauordnungsrecht 53 – Abbau präventiver Kontrollen 551 – Entwicklung in der Aufbauphase Mecklenburg-Vorpommerns 396 – Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern 547 – Konzentrationswirkung des Baugenehmigungsverfahrens 559 – Landesbauordnung 1994 548 – Landesbauordnung 2006 550 Bau- und Raumordnungsgesetz 1998 305 Befristung von Gesetzen 193 – in den Bundesländern 196 – in Mecklenburg-Vorpommern 197, 428 – Verfassungsrechtliche Zulässigkeit 198
740
Sachverzeichnis
Behördenlotse 431 Beobachtungspflicht des Gesetzgebers 178 Berliner Ladenöffnungsgesetz 673 Beschleunigung 48 – bestmögliche 236 Beschleunigungsauftrag – an Gesetzgeber und Verwaltung 225 Beschleunigungsbeschwerde 145 Beschleunigungsdebatte 227 Beschleunigungseuphorie 111 Beschleunigungsgebot 227 Beschleunigungsgesetzgebung – im Immisionsschutzrecht 316 Beschleunigungspaket 1996 409 Beschleunigung von Verwaltungsverfahren 86 – subjektiv-öffentliches Recht auf - 225 Bestimmtheit und Klarheit von Gesetzen 172 Budgetierung 116 Bundesderegulierungsgesetz 284 Bundesländer – als Reformlaboratorien 53 Bundesnaturschutzgesetz – Novellierung zum 01. 03. 2010 324 Bundesrecht – Bestand im Jahre 2005 247 Bundesrepublik Deutschland – politisches System 45 Bundesvereinfachungskommission 106 Bürokratie – Begriffsverständnis von Max Weber 97 Bürokratieabbau – als Kärrnerarbeit 291 – als Modebegriff 96 – als Politikschwerpunkt 127 – als Rechtsbegriff 98 – als wissenschaftlicher Begriff 97 Bürokratieabbau auf Bundesebene – Ausblick und Perspektiven 281 – Schwierigkeiten 291
Bürokratiekostenmessung 261 – in der GGO M-V von 2009 528 – in Mecklenburg-Vorpommern 526 – Stand und Perspektiven auf Bundesebene 267 Charta der Grundrechte der Europäischen Union 147 – als primäres Unionsrecht 149 – Bedeutung 148 – Entstehungsgeschichte 148 Demokratischer Zentralismus 366 Deregulierung – als Modebegriff 90 – als Rechtsbegriff 93 – als Verfassungsauftrag? 202 – des Bauordnungsrechts 571 – eigenes Begriffsverständnis 94 – quantitative und qualitative 95 – verfassungsrechtliche Grenzen 206 Deregulierungsgesetzgebung in Mecklenburg-Vorpommern 445 – Bewertung 457 – Drittes Deregulierungsgesetz 454 – Erstes Deregulierungsgesetz 446 – Viertes Deregulierungsgesetz 456 – Zweites Deregulierungsgesetz 451 Deregulierungskommission M-V – Abschlussbericht Dezember 2003 427 – Zwischenbericht August 2003 426 Deregulierungspotenzial – bei Landesgesetzen 540 – bei Rechtsverordnungen 542 Deregulierungswettbewerb – im Umweltrecht? 638 Dezentrale Ressourcenverwaltung 113 Dilemma der Verwaltung 47 Drittes VwVfÄndG 305 EAG Bau 306 Eckpunkte der Verwaltungsreform Mecklenburg-Vorpommern 422
in
Sachverzeichnis Effektivität – als Optimierungsgebot 214 – Begriff 213 – in der deutschen Rechtsordnung 222 Effizienz – als Optimierungsgebot 214 – als Verfassungsprinzip? 215 – Begriff 213 – Entdeckung in der deutschen Verwaltungsrechtsdogmatik 107 Effizienzprinzip – als Optimierungsgebot 218 eGovernment 295 – Anforderungen der DLRL 625 – in Mecklenburg-Vorpommern 297 – Zweckverband eGO M-V 297 Eigenbetriebsverordnung vom 25. 02. 2008 518 Einheit der Verwaltung 433, 441 Einheitliche Ansprechpartner 609 – Ansiedlung in den Bundesländern 615 – Ansiedlungsoptionen in Deutschland 609 – Aufgaben nach der DLRL 609 – Aufgaben nach §§ 71a ff. VwVfG M-V 620 – Errichtungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern 622 – Gemeinsame Koordinierungsstelle 623 – Verfahrensabwicklung 617 Einheitliche Stelle 619 Einigungsvertrag 49 Einräumigkeit der Verwaltung 433, 441 elektronische Verfahrensabwicklung 296, 627 Energieleitungsausbaugesetz 315 Enquetekommission „Zukunftsfähige Gemeinden und Gemeindestrukturen in Mecklenburg-Vorpommern“ 412, 434 Entbürokratisierungsdebatte 49 Entbürokratisierungswelle – Ende der 1970er Jahre 105
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– Erste 239 Enteignungsgesetz M-V 394 Entscheidung in angemessener Frist 233 Entscheidungsfristen – Entwicklung in Deutschland 579 Entscheidungswissenschaft 49 Erfüllungsaufwand von Gesetzen 277 Erprobungsklauseln 183 Erstes Gesetz zum Naturschutz im Land Mecklenburg-Vorpommern 395 Erstes Gesetz zur Änderung des Landesnaturschutzgesetzes 421 Erstes Justizmodernisierungsgesetz vom 24. 08. 2004 353 Erstes VwVfG M-V ÄndG 410 Europäische Dienstleistungsrichtlinie 45, 546, 592 – Anpassung des VwVfG 602 – Anwendungsbereich 597 – Entstehungsgeschichte und Ziele 594 – Normprüfung 601 – Rechtsoptimierung; Verfahrensvereinfachung 599 – rechtspolitische Bewertung 630 Europäische Grundrechteagentur 152 Europäische Grundrechtecharta 45 Europäische Menschenrechtskonvention 45, 131 – Beitritt der Europäischen Union 133 – Entstehungsgeschichte 132 – Geltung im deutschen Recht 135 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 134, 136 – Rechtsprechung zur Dauer von Verwaltungsstreitigkeiten 136 – Rechtsprechung zur Verfahrensdauer in Deutschland 139 Europäischer Kodex für gute Verwaltungspraxis 157 – Garantien 158 – rechtspolitische Bewertung 159 Experimentelle Gesetzgebung 180
742
Sachverzeichnis
– Bedeutung für die Verwaltungsreform 185 – Begriff 180 – Funktionen 187 – Historische Entwicklung 184 – Verfassungsrechtliche Zulässigkeit 188 Experimentiergesetze 181 Experimentierklauseln 183 – kommunalrechtliche 190 Fehlervermeidungskultur 253 Feiertagsgesetz M-V 396 Föderalismusreform I 52 – Auswirkungen auf das Gewerberecht 252 – Auswirkungen auf das Umweltrecht 250 Folgerichtigkeit 173, 175 Fünfte Kommunalrechtsnovelle 412, 434 Funktionalreform 1994 399 – Änderungen in der Umweltverwaltung 640 Funktionalreform 2011 – Aufgabenzuordnungsgesetz 511 Gaststättenrecht 52 – Deregulierung 2005 665 Gemeindehaushaltsverordnung-Doppik vom 25. 02. 2008 518 Gemeindekassenverordnung-Doppik vom 25. 02. 2008 518 Gemeindestruktur – in Mecklenburg-Vorpommern 1990 383 – in Mecklenburg-Vorpommern 2002 413 – in Mecklenburg-Vorpommern 2009 436 Genehmigungsfiktionen 546, 576 – Alternativen 591 – Bestandsaufnahme 580 – im Baugenehmigungsverfahren 549 – im Gewerberecht 605
– im Landesrecht von Mecklenburg-Vorpommern 590 – im Umweltrecht 607 – rechtspolitische Bewertung 584 – verfassungsrechtliche Problematik 586 Genehmigungsfristen 573 Genehmigungsverfahren – Beschleunigung 111 Gerichtsstrukturgesetz 390 Gesetz der wachsenden Staatstätigkeit 104 Gesetzesflut 248 Gesetzesfolgenabschätzung 240 – begleitende 242 – Gegenwärtiger Stand 246 – in der GGO des Bundes 244 – keine verfassungsrechtliche Pflicht 179 – NKRG-Änderungsgesetz 283 – prospektive 241 – retrospektive 178, 242 Gesetzessprache 253 Gesetzgebung – Pflicht zur rationalen- 177 – Qualitätscheck 252 Gesetzgebungskultur 272 Gesetzgebungsverfahren 49 Gesetz über den Bürokratieabbau in der Region Ostwestfalen-Lippe 447 Gesetz über die Funktionalreform vom 05. 05. 1994 (FRG M-V) 400 Gesetz über die Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg 446 Gesetz über kostensenkende Strukturmaßnahmen 404 Gesetz zur Bereinigung des Landesnaturschutzrechts 2010 520 Gesetz zur Bereinigung des Landeswasserrechts 2010 521 Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts vom 20. 12. 2001 351 Gesetz zur Beschleunigung des Ausbaus der Höchstspannungsnetze vom 21. 08. 2009 315
Sachverzeichnis Gesetz zur Beschleunigung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren vom 09. 10. 1996 320 Gesetz zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 04. 07. 1985 345 Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren vom 12. 09. 1996 303 – Übernahme in das Landesrecht von Mecklenburg-Vorpommern 409 Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben vom 09. 12. 2006 307, 355 Gesetz zur Deregulierung des Bau-, Landesplanungs- und Umweltrechts vom 27. 04. 1998 404, 407, 549 Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. 01. 1993 347 Gesetz zur Förderung der elektronischen Kommunikation vom 17. 12. 2003 438 Gesetz zur Modernisierung der Verwaltung des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 23. 05. 2006 473 Gesetz zur Neugestaltung des Finanzausgleichsgesetzes vom 10. 11. 2009 507 Gesetz zur Neuordnung des Beamtenrechts vom 17. 12. 2009 520 Gesetz zur Neuorganisation der Landespolizei vom 24. 06. 2010 522 Gesetz zur Reduzierung und Beschleunigung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren vom 23. 10. 2007 323 Gesetz zur Straffung der Umweltstatistik vom 16. 08. 2005 286 Gesetz zur Umsetzung der DLRL im Gewerberecht vom 17. 07. 2009 605 Gesetz zur Umsetzung der DLRL im Umweltrecht vom 11. 08. 2010 607 Gesetz zur Umsetzung der DLRL in Mecklenburg-Vorpommern vom 17. 12. 2009 519, 604 Gesetz zur verwaltungsrechtlichen Umsetzung der DLRL in das Landesrecht von
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Mecklenburg-Vorpommern vom 02. 12. 2009 519, 604 Gewährleistungsstaat 48, 109 Gewerbeordnung – „Grundgesetz des Gewerberechts“ 251 Gewerberecht – Entwicklung seit 1990 325 – Entwicklungsperspektiven nach der Föderalismusreform I 663 – Kodifikationsbestrebungen 252 Global Governence 125 Good Governance 48, 125 Governance 124 Governance-Debatte 122 Grundrecht auf einen fairen Prozess 160 Grundrechtsschutz durch Verfahren 108 Gute Gesetzgebung – als verfassungsrechtliche Pflicht? 164 Gute Verwaltung 48 – verfassungsrechtliche Fundierung 207 G-8-Gipfel 514 Handwerksrecht – Novelle 2004 326 Hansestadt Demmin 509 Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen 46 Hesse-Gutachten 504 Informationsfreiheitsgesetz M-V 471 Informationskosten 261 Informationspflichten – in den Landesbauordnungen 261 Informationspolitik der Verwaltung 47 Initiative Bürokratieabbau 50, 254, 447 Innovationsstau 46 Inputorientierung 115 Institutionentransfer 374 integrierte Vorhabengenehmigung 659 Internationale Verwaltungszusammenarbeit – nach der DLRL 629
744
Sachverzeichnis
Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz 301, 319 Juristische Methode 62 Justizgewährungspflicht 230 Justizkommunikationsgesetz vom 22. 03. 2005 354 Kommunale Gemeinschaftsstelle 115 Kommunalisierung der Umweltverwaltung 655 Kommunalrechtsnovelle 1997 406 Kommunalstrukturen – in Mecklenburg-Vorpommern 1990 382 Kommunalverfassung – der DDR vom 17. 05. 1990 383 – von Mecklenburg-Vorpommern 401 Kommunalwahlordnung vom 28. 01. 2009 518 Konzentrationswirkung – der Waldabstandsgenehmigung 469 – des Baugenehmigungsverfahrens in Mecklenburg-Vorpommern 563 – echte Konzentration 560 – unechte Konzentration 562 Konzentrationswirkung von Genehmigungen 559 Kooperationsföderalismus 46 Koordinationsmängel 47 Kreisgebietsreform – in der DDR 1952 397 – in Mecklenburg-Vorpommern 1993/94 397 – in Mecklenburg-Vorpommern 2011 491 Kreissitze – nach dem Kreisstrukturgesetz 511 Kreisstruktur – in Mecklenburg-Vorpommern 1990 398 Kreisstrukturgesetz 2010 – Beschlussfassung im Landtag 510
– Bestimmung der Kreissitze 509 – Entwurf der Landesregierung 507 – Ressortentwurf des Innenministeriums 501 Kreisstrukturgesetz 2011 – Parlamentarische Beratung 508 Ladenöffnungsgesetz – Mecklenburg-Vorpommern 668 Ladenöffnungsgesetze – der Bundesländer 666 – der Bundesländer im Vergleich 670 Ladenöffnungsrecht 52 Ladenschlussgesetz 664 Länderebene – als geeignetes Untersuchungsobjekt für Verwaltungsreformen 52 Ländereinführungsgesetz vom 22. 07. 1990 366 Landesabfall- und Altlastengesetz M-V vom 04. 08. 1992 395 Landesamt für Gesundheit und Soziales 444 Landesamt für innere Verwaltung 442 Landesamt für Kultur und Denkmalpflege 443 Landesamt für Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit und Fischerei 443 Landesbehörden – in der Aufbauphase Mecklenburg-Vorpommerns 381 Landesforstanstalt 444 Landesgaststättengesetze 666 Landesorganisationsgesetz M-V vom 14. 03. 2005 440 Landesparlamentarismus 51 Landesseilbahngesetz Mecklenburg-Vorpommern 249 Landesumweltgesetzbuch 657 Landesverwaltung – Aufbau in Mecklenburg-Vorpommern 381 Landeswassergesetz M-V 395
Sachverzeichnis – Novelle 2005 469 – Novelle 2010 522 Landtagswahl – vom 14. 09. 2006 514 – vom 14. 10. 1990 369 – vom 14. 10. 1994 403 – vom 22. 09. 2002 422 – vom 27. 09. 1998 411 Landwirtschafts- und Umweltverwaltung – Neuorganisation 2010 649 Lean Management 113 Legitimationsdefizite – des politischen Systems 46 Leitbild für eine Kreisgebietsreform 492 Leitbilder 48, 77 Leitlinien für die Kreisgebietsreform 493 Lex Hiddensee 402 LNatG M-V 410 Managerialismus 115 Mecklenburg-Vorpommern – als Referenzobjekt dieser Untersuchung 53 – Bevölkerungsentwicklung 54 – Entstehungsgeschichte 366 – Personalentwicklung 55 Mediation 362 Mehrebenensystem 46 Mitregenten 677 Mittelstandsentlastungsgesetz – Drittes 290 – Erstes 287 – Zweites 288 Mittelstandsförderungsgesetz M-V 373 Modelle für eine Kreisstruktur 496 Modellkommunen – in Bayern 461, 466 – in Brandenburg 447, 467 – in Niedersachsen 465 Modellregionen für Bürokratieabbau 187 Modernisierungsfelder 56 – Aufgabenumbau 58
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– – – – – – –
Bedeutung für den Reformdiskurs 56 Binnenmodernisierung 58 eGovernment 58 Neue Steuerung 58 Organisationsentwicklung 58 Personalentwicklung 58 Regelungsoptimierung als bedeutsamstes Modernisierungsfeld dieser Untersuchung 57 – Verwaltungspolitik 57 Mühlheim-Klärlich-Entscheidung 107 Nassauer Denkschrift 48 Nationaler Normenkontrollrat 263 – Änderungsgesetz 276 – Jahresbericht 2007 268 – Jahresbericht 2008 268 – Jahresbericht 2009 271 – Jahresbericht 2010 279 – Rechtliche Stellung 264 Neues Steuerungsmodell 48 – Bewertung 117 – Gefahren 118 – Grundlagen 115 – in den ostdeutschen Kommunalverwaltungen 379 – Reforminstrumente 116 – und Verwaltungskultur 117 Neue Verantwortungsteilung 122 Neue Verwaltungsrechtswissenschaft 49 – Begriff 61 – Chancen und Risiken 74 – Referenzgebiete 71 – Steuerungstheoretischer Ansatz 65 – und Nachbarwissenschaften 67 New Public Management 113 New-Public-Management-Debatte 45 Nichtraucherschutzgesetz 515 Nichtraucherschutzgesetze – der Bundesländer 666 Nordbezirke in der DDR 367 Normenkontrollrat 51
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Sachverzeichnis
Normprüfstelle 51, 427 – Aktivitäten 2007 bis 2009 534 – Arbeitsberichte 2004 und 2005 532 – Errichtung in Mecklenburg-Vorpommern 529 – Geschäftsordnung 530 Obere Landesbehörden – Konzentration im Umweltbereich 646 – Reformen 1998 405 – Reformen 2005 442 Öffnungsklausel 183 Ökonomisierung der Justiz 361 Ordnungsrecht – Rückzug des Staates 545 Örtliche Verwaltungsstrukturen – Straffung von 2000 bis 2005 435 Outputorientierung 115 PAG-DDR 395 Personalausstattung – Pflicht zur angemessenen 234–235 Piloturteil 140 Planungseuphorie 103 Planungsvereinfachungsgesetz 302 Politikverflechtung 46 Präklusionsfristen 575 Prinzipien – nach Robert Alexy 220 Private-Public-Partnership 48 Prozessdauer – ideale 236 – unterschiedliche in den Bundesländern 231, 237 – vor den Verwaltungsgerichten 2009 230 Prozessordnungen – Vereinheitlichung der öffentlich-rechtlichen - 361 Prüfungsverfahren 225 Qualitätsmanagement 113
Recht auf eine gute Verwaltung 45, 153 – als Staatsziel? 211 – im deutschen Recht 210 – Impulswirkung für das deutsche Verwaltungsrecht 162 Rechtsbereinigung 51, 106 – auf Bundesebene 257 Rechtsbereinigungs- und Rechtsfortgeltungsgesetz M-V vom 23. 04. 2001 421 Rechtsetzungsoptimierung – auf Bundesebene 239 – Begriff und Inhalte 83 Rechtsoptimierung – als Verfassungsauftrag 179 – auf Bundesebene 239 – Begriff und Inhalte 84 Rechtspflegeentlastungsgesetz vom 31. 03. 1978 344 Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren 146 Rechtsschutz in angemessener Zeit 229, 231 Rechtstatsachenforschung 49 Rechtsvereinfachung 248 Rechtswirksamkeitsforschung 49 Rechtszersplitterung 250 – Folgen 253 – im Gewerberecht 251 – im Umweltrecht 250 Referenzgebiete – in dieser Untersuchung 72 – traditionelle 72 – und Systembildung im Verwaltungsrecht 72 Reformaktivitäten – in anderen Bundesländern 55 Regelfristen 572 Regelungsdefizite – im Umweltrecht 250 Regelungsoptimierung – Begriff und Inhalte 57, 82
Sachverzeichnis Regierungsprogramm Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung 128 Regionalkreise 479 Regulierungsverwaltungsrecht 664 Reinventing Government 114 Rinderkennzeichungs- und Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz vom 19. 01. 2000 412 Rückzug des Staates – aus dem Bauordnungsrecht 556 Sachverständigenrat Schlanker Staat 112, 185 Sasbach-Beschluss 108 Schlanker Staat 48, 109, 111 Schlüsselbegriffe 48, 77, 80 – Bedeutung in der Verwaltungsreformdebatte 80 Schlusspunkttheorie 408, 421 Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung 348 Siebtes Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes 355 Small-companies-act 287 SOG M-V 396 Sonderordnungsbehörden 647 – Auflösungstendenzen in den Bundesländern 647 – Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern 648 Sonderwirtschaftszone Ost 459 Staatliche Ämter für Landwirtschaft und Umwelt 649 Staatliche Ämter für Umwelt und Natur 640, 643 Staatshaftungsgesetz der DDR 519 Standardabbau 430 Standarderprobungsgesetz M-V 418 Standardkosten-Modell 261, 526 Standardöffnungsgesetz M-V 412, 415 – als gescheiterter Deregulierungsversuch 417 – Entstehungsgeschichte 415
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Standardöffnungsklauseln 183, 191 Standort Deutschland 111 Standortfaktor Zeit 316 Steuerungsfunktion des Rechts 49 StrWG M-V 394 Sunset legislation 194 Systemgerechtigkeit 173, 175 Testregionen für Bürokratieabbau 256, 446 – Verfassungsrechtliche Zulässigkeit 458 Testregion für Bürokratieabbau Westmecklenburg 446 Testregiongesetz M-V – Verfassungsmäßigkeit 462 Transformationsprozess – im Zuge der Wiedervereinigung 375 Überforderter Staat 111 Überlange Verfahrensdauer – defizitärer Rechtsschutz in Deutschland 143 Überregulierung 203 Umweltgesetzbuch 658 Umweltinformationsgesetz M-V 471 Umweltrecht – Entwicklung in der Aufbauphase Mecklenburg-Vorpommerns 394 – nach der Föderalismusreform I 635 – Rolle der Bundesländer 632 Umweltrechtsbehelfsgesetz 357 Umweltverwaltung – Kommunalisierungstendenzen 647 – Reformaktivitäten im Bundesvergleich 645 Umweltverwaltung in Mecklenburg-Vorpommern 639 – Geplante Aufgabenverteilung nach dem Aufgabenzuordnungsgesetz 651 – im Bundesvergleich 643 – und VwModG M-V 642 Untätigkeitsbeschwerde 143
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Sachverzeichnis
Vereinfachung von Verwaltungsverfahren 86 Verfahren innerhalb angemessener Frist 136 – Art. 6 EMRK 137 Verfahren über eine einheitliche Stelle 622 Verfahrensbegriff 82 Verfahrensbeschleunigung 292 Verfahrensdauer – Angemessenheit 139 Verfahrenseuphorie 108 Verfahrensfristen – Entwicklung in Deutschland 577 – in anderen Rechtsordnungen 578 – mit Sanktionsfolge 575 – ohne Sanktionsfolge 572 Verfahrenskonzentration 84 Verfahrensoptimierung 84 – auf Bundesebene 239 Verfahrens- und Entscheidungsfristen 571 Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern 371 Verfassungsgebungsprozess in Mecklenburg-Vorpommern 370 Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz 300, 346 Verordnung zur Anpassung gewerberechtlicher Verordnungen an die Dienstleistungsrichtlinie 606 Verordnung zur Umsetzung der DLRL auf dem Gebiet des Umweltrechts 608 Verrechtlichungsfalle 205 Verwaltungsaufbau Ost 374 – geglückter Transformationsprozess 377 – zurückhaltende Binnenmodernisierung 378 Verwaltungsaufgaben – Privatisierung 113 Verwaltungserneuerung 100 Verwaltungsgerichtsbarkeit
– Aufbau in Mecklenburg-Vorpommern 385 – Gegenwartsprobleme 359 – im ökonomisierten Staat 342 – Qualitätsdiskussion 362 Verwaltungskultur 86 Verwaltungsmodernisierung 45 – als politische Chefsache 50 – Begriff 89 – Evaluierung 679 – Grundkonzeption vom Mai 2004 432 Verwaltungsprozesse – Dauer in Deutschland 359 Verwaltungsprozessrecht – Entwicklung bis 1990 343 Verwaltungsrecht – Europäisierung 130 – Stellung in der DDR 375 Verwaltungsrechtsschutz – in der DDR 329, 386 – in der Krise 364 Verwaltungsrechtswissenschaft – als Entscheidungswissenschaft 69 – Methodenstreit 59 – Öffnung gegenüber den Nachbardisziplinen 49 Verwaltungsreform – als „Kärrnerarbeit“ 676 – Begriff 87 – Einbeziehung der Kommunalebene 52 – Einbeziehung externen Sachverstandes 678 – Ertrag 50 Verwaltungsreformen in der Bundesrepublik Deutschland – historischer Überblick 99 – im internationalen Vergleich 676 – Phasen 101 Verwaltungsreformpolitik 88 Verwaltungsverfahren – Beschleunigungsgebot 223 – Beschleunigung und Vereinfachung 49
Sachverzeichnis – – – –
Einfachheit und Verständlichkeit 209 komplexe 49 Recht auf ein faires - 208 weites Begriffsverständnis in dieser Untersuchung 85 Verwaltungsverfahrensrecht 294 Verwaltungsverständnis 47 Verwaltungsvorschriften – Datenbank auf Bundesebene 259 – Veröffentlichung im Internet 540 Vetospieler 677 Viertes Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung 411 Viertes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung 345 Viertes Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften 314 Viertes SOGÄndG M-V 472 Vollzugsdefizit 49 Vorläufiges Statut für das Land Mecklenburg-Vorpommern 369 Vorschriftenabbau in Mecklenburg-Vorpommern 535 – Parlamentsgesetze 537 – Rechtsverordnungen 538 – Verwaltungsvorschriften 538 VwModG M-V – Entstehungsgeschichte 474 – Urteil des LVerfG M-V vom 26. 07. 2007 482 – Wesentlicher Inhalt 475 VwVfG M-V – Entstehungsgeschichte 393 Wahlbeteiligung – bei Bundestagswahlen 47
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– bei Landtags- und Kommunalwahlen in Mecklenburg-Vorpommern 47 Wasserhaushaltsgesetz – Novelle 2010 324 Wettbewerbsföderalismus 53, 636 Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung 174 Widerspruchsverfahren – Entwicklung 329 – Funktionen 335 – in den Bundesländern 331 – Optionsmodell 341, 429 – Optionsmodell (Bayern) 332 – Optionsmodell (Mecklenburg-Vorpommern) 333 – Rechtstatsachenforschung 336 – Weiterentwicklung 339 Wiedervereinigung – und Krise des deutschen Verwaltungsrechts 109 Wirksamer Rechtsbehelf – Art. 13 EMRK 141 – Art. 47 Abs. 1 GRC 161 Wirtschaftskammermodell 604 Wohnungsbauerleichterungsgesetz 298 Zeitfaktor – in der öffentlichen Verwaltung 110 Zoogesetz M-V 249, 439 Zügigkeit – des Verwaltungsverfahrens 223 Zukunftsfähigkeit der Verwaltung 45 Zuständigkeitsneuregelungsgesetz 381 Zweites SOGÄndG 421 Zweites VwVfÄndG 305