Verschleppte Eröffnung von Insolvenzverfahren: Zur unzulässigen Verlängerung von Insolvenzeröffnungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung der ... zum Verfahrensrecht, Band 145) 9783161559303, 9783161559310, 3161559304

Zwischen Insolvenzantrag und Verfahrenseröffnung vergehen bei Unternehmensinsolvenzen regelmäßig mehrere Monate. Eine um

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German Pages 343 [344] Year 2018

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Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Kapitel 1: Rechtliche Rahmenbedingungen des Insolvenzeröffnungsverfahrens
A. Der Weg von der materiellen zur formellen Insolvenz
I. Von der materiellen Insolvenz zum Insolvenzantrag
II. Vom Insolvenzantrag zum Insolvenzverfahren
1. Die Phasen des Insolvenzeröffnungsverfahrens
2. Die Funktionen des Insolvenzeröffnungsverfahrens
3. Die Sonderform des Eröffnungsverfahrens in Eigenverwaltung
B. Notwendige Voraussetzungen zur Beendigung des Eröffnungsverfahrens
I. Feststellung eines Insolvenzgrundes
1. Die Notwendigkeit des Insolvenzgrundes
2. Die notwendige Überzeugung des Gerichts
3. Die Prüfung im Eröffnungsverfahren
II. Deckung der Verfahrenskosten
C. Zwischenfazit
Kapitel 2: Die Dauer von Eröffnungsverfahren in der Praxis
A. Vorliegende Aussagen, Erkenntnisse und Studien
I. Aussagen in der Literatur zur Dauer des Eröffnungsverfahrens
II. Studien unter Geltung der Konkursordnung
1. Gerichtsbefragung durch Gottschalk
2. Gerichtsbefragung durch Herbert
3. Datenauswertung durch das MPI
III. Studien unter Geltung der Insolvenzordnung
1. Gerichtsbefragung durch Roth
2. Verwalterbefragung und Datenauswertung durch Schüssler/Klose
3. Datenauswertung durch Icks/Kranzusch
IV. Studien zur Eigenverwaltung nach Erlass des ESUG
B. Eigene Datenerhebung und -auswertung
I. Datenerhebung bei Gericht
II. Datenmaterial
III. Ergebnisse der Untersuchung
IV. Fokussierung auf juristische Personen
C. Zwischenfazit
Kapitel 3: Vorteile und praktischer Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens
A. Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung
I. Das Institut des Insolvenzgeldes
1. Ausgangspunkt und europarechtlicher Hintergrund des Insolvenzgeldes
2. Voraussetzungen und Inhalt des Insolvenzgeldanspruchs
3. Lücken im Arbeitnehmerschutz
4. Finanzierung des Insolvenzgeldes
5. Das Volumen der Insolvenzgeldumlage
6. Ansprüche im eröffneten Verfahren
7. Das Insolvenzgeld als Liquiditätsquelle
II. Die Insolvenzgeldvorfinanzierung
1. Die Genese der gesetzlichen Rahmenbedingungen der Vorfinanzierung
a) Entwicklung der Vorfinanzierung durch die Praxis
b) Die gesetzliche Anerkennung der Vorfinanzierung
c) Vorfinanzierung im geltenden Recht
d) Erkenntnisse aus der Gesetzesentwicklung
2. Rechtstechnische Ausgestaltung der Insolvenzgeldvorfinanzierung
a) Vertragliche Umsetzung der Vorfinanzierung
b) Rahmenvertrag
c) Revolvierende Vorfinanzierung
3. Vorfinanzierung bei vorläufiger Eigenverwaltung
a) Vorfinanzierung im Verfahren nach § 270b InsO
b) Vorfinanzierung im Verfahren nach § 270a InsO
4. Der Zustimmungsvorbehalt
a) Zustimmungsverfahren
b) Voraussetzungen der Zustimmung
c) Effektivität des Zustimmungsvorbehalts zur Missbrauchsverhütung
aa) Auslegung der gesetzlichen Zustimmungsvoraussetzungen
bb) Fundierte Prüfung und schnelle Entscheidung
cc) Interessenlage der Bundesagentur für Arbeit
dd) Sachkompetenz und Entscheidungsgrundlage
d) Zustimmungspraxis
5. Praktische Auswirkungen der Insolvenzgeldvorfinanzierung
a) Schutz der Arbeitnehmerinteressen
aa) Lohnausfall wegen Insolvenzgeldvorfinanzierung
bb) Sicherung von Arbeitsplätzen durch Insolvenzgeldvorfinanzierung
b) Bedeutung der Vorfinanzierung für die Betriebsfortführung
c) Einfluss des Insolvenzgeldzeitraums auf die Dauer des Eröffnungsverfahrens
aa) Verzögerung bei Betriebsfortführung
bb) Verzögerung bei Betriebsstilllegung
III. Verfassungsmäßigkeit der Normierung von Insolvenzgeld und dessen Vorfinanzierung
1. Subventionseffekt im Wettbewerb
2. Finanzierungspflicht der Arbeitgeber
3. Konsequenzen
4. Anmerkungen zur Finanzierungslast
IV. EU-Rechtskonformität der Normierung von Insolvenzgeld und dessen Vorfinanzierung
1. Vorgaben des EU-Sekundärrechts
2. Vorgaben des EU-Primärrechts
a) Der Stundungs- und Liquiditätsvorteil als Beihilfe
b) Die Rangrückstufung der Lohnforderungen als Beihilfe
aa) Die Begünstigung als staatliche Maßnahme
bb) Die Selektivität der Begünstigung
cc) Wettbewerbsverfälschung
dd) Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedsstaaten
ee) De-minimis-Beihilfe
ff) Zwischenergebnis zum Beihilfencharakter
c) Genehmigungsfähigkeit der Beihilferegelung
3. Beihilferechtliche Konsequenz und Alternative
V. Insolvenzgeld, Vorfinanzierung und Marktwirtschaft
1. Erhalt konkreter Arbeitsplätze als Rechtfertigung
2. Subventionierung durch Insolvenzgeld als Eingriff in den Markt
VI. Zwischenfazit
B. Weitere Massevorteile bei verlängerten Eröffnungsverfahren
I. Zeitgewinn für eine Fortführungs- und Sanierungsprüfung
II. Vorbereitung der Entscheidung über das Wahlrecht zu gegenseitigen Verträgen
III. Vermeidung von Masseverbindlichkeiten
1. Umfassende Begründung von Masseverbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren
2. Selektive Begründung von Masseverbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren
IV. Optimierung von Vertragskündigungen
V. Reduzierung der Haftungsgefahr für den Insolvenzverwalter
VI. Erhalt massegünstiger Positionen
VII. Erleichterung der Buchführung
Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung
A. Richterliche und höchstrichterliche Entscheidungen
B. Gesetzliche Vorgaben und Hinweise zum Eröffnungszeitpunkt
I. Vorgaben für den Eröffnungsbeschluss (§ 27 InsO)
1. Unzulässigkeit der Beschlussvordatierung
2. Übertragbarkeit auf die Frage der Eröffnungsverzögerung
II. Vorgaben für den Abweisungsbeschluss (§ 26 InsO)
III. Vorgaben zur Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen (§§ 21, 22 InsO)
1. Vorläufige Sicherung im Allgemeinen
2. Verwertungs- und Einziehungsverbot im Eröffnungsverfahren
3. Sanierungsprüfung durch den vorläufigen Verwalter
IV. Vorgaben zum Umgang mit unzulässigen Anträgen (§ 13 Abs. 3 InsO)
V. Dauer von Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO)
VI. Zusammenfassung
C. Erkenntnisse aus der Historie der Insolvenzordnung
I. Bericht der Kommission für Insolvenzrecht
II. Entwürfe zur Insolvenzordnung
III. Neujustierung im Rechtsausschuss
IV. Gesetzgeberische Position unter Geltung der Insolvenzordnung
D. Systematik und Zweck der Insolvenzordnung
I. Rechtliche Relevanz der praktischen Vorteile einer Eröffnungsverzögerung
II. Problematische Konsequenzen der Eröffnungsverzögerung
1. Selektive Sonderbelastung bestimmter Neugläubiger
a) Ursprünglicher Ansatz der InsO und Entwicklung
b) Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz
c) Vorgehen zulasten einzelner (Zwangs-)Gläubiger
aa) Belastung von Vermietern, Verpächtern etc
(1) Belastung bei Vertragsfortführung
(2) Belastung bei mutmaßlicher Vertragsbeendigung
bb) Belastung bei Unmöglichkeit der Leistungsverhinderung
cc) Belastung kenntnisloser Geschäftspartner
d) Zwischenfazit
e) Bedeutung des verlängerten Eröffnungsverfahrens
2. Lücken im Insolvenzeingangsschutz
a) Unzulänglichkeit des Kontrollverfahrens
b) Grundlage für Manipulationsmöglichkeiten
aa) Strategischer Einsatz bei Gläubigeranträgen
bb) Strategischer Einsatz bei Schuldneranträgen
c) Bedeutung von Funktion und Dauer des Eröffnungsverfahrens
3. Spannung zwischen Antrags- und Amtsverfahren
a) Verdeutlichung des Problems und seiner Aktualität
b) Problematik bei Eröffnungsverzögerung
4. Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung als Fixpunkt
a) Eröffnung als Fixpunkt im Insolvenzrecht
aa) Eintritt des Massebeschlags
bb) Aufrechnungsmöglichkeiten
cc) Begrenzung des Umfangs gesetzlicher Pfandrechte
dd) Stichtagsbezogene Wertbestimmung
ee) Zeitpunkt der Restschuldbefreiung
b) Eröffnung als Fixpunkt im Zivilrecht
aa) Gesetzlicher Fixpunkt
bb) Vertraglicher Fixpunkt
5. Kosten des Eröffnungsverfahrens
6. Dogmatische Spannungen
a) Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren
aa) Notwendige Kompetenzen des vorläufigen Verwalters
bb) Bedürfnis nach früher Unternehmensübertragung
cc) Frühzeitige Beteiligung der Gläubiger
dd) Gläubigerschutz bei vorläufiger Eigenverwaltung über § 276a InsO
b) Bruch zwischen EuInsVO und InsO
aa) Verfahrenseröffnung unter der EuInsVO 2000
bb) Verfahrenseröffnung unter der EuInsVO 2015
c) Zwischenfazit
E. Ergebnis
Kapitel 5: Konsequenzen und Ausblick
A. Umgehung der Eröffnungspflicht
B. Weitergehende Verfahrensbeschleunigung
C. Einschränkungen hinsichtlich des Insolvenzgelds und dessen Vorfinanzierung
D. Ausblick auf Fortführungs- und Sanierungsmöglichkeiten
I. Schwierigkeiten für die Betriebsfortführung im kurzen Eröffnungsverfahren
II. Verbleibende Sanierungsperspektiven
Kapitel 6: Zusammenfassung der wesentlichen Thesen und Erkenntnisse
A. Statistische Erkenntnisse zur Dauer von Eröffnungsverfahren
B. Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung
C. Die gezielte Verlängerung von Insolvenzeröffnungsverfahren
D. Konsequenzen und Ausblick
Ergebnisse der statistischen Erhebung
I. Durchschnitts- und Medianwerte zur Dauer von Eröffnungsverfahren
II. Verteilung der Ergebnisse
Literaturverzeichnis
Sachregister
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Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht Band 145 herausgegeben von Rolf Stürner

Johannes Richter

Verschleppte Eröffnung von Insolvenzverfahren Zur unzulässigen Verlängerung von Insolvenzeröffnungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung der Insolvenzgeldvorfinanzierung

Mohr Siebeck

Johannes Richter, geboren 1987; Studium der Katholischen Theologie und Germanistik an der Universität Bochum, 2009 B. A.; Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Bonn und der York Law School, 2014 Erstes Staatsexamen; Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bonn; 2018 Promotion; derzeit Rechtsreferendar am Oberlandesgericht Köln.

Gedruckt mit Unterstützung der Studienstiftung ius vivum, Kiel und des Arbeitskreises Wirtschaft und Recht des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, Köln.

ISBN 978-3-16-155930-3 / eISBN 978-3-16-155931-0 DOI 10.1628/ 978-3-16-155931-0 ISSN 0722-7574 / eISSN 2568-7255 (Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver­wertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Böblingen aus der Times New Roman gesetzt, von GuldeDruck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.

Vorwort Am Phänomen des „unnatürlich langen“ Insolvenzeröffnungsverfahrens zeigt sich in spannender Weise, welche bedeutenden Auswirkungen ein im Kern rein verfahrensrechtliches Problem auf das materielle Recht haben kann. Den Hinweis auf diese facettenreiche Thematik des deutschen Insolvenzrechts und den Anstoß zur kritischen Auseinandersetzung mit der gängigen Praxis hat Prof. Dr. Moritz Brinkmann gegeben. Hierfür, vor allem aber auch für seine außergewöhnlich engagierte und interessierte Betreuung, gilt ihm mein ganz besonderer Dank. Prof. Dr. Eberhard Schilken danke ich für seine hilfreichen Anmerkungen und die umgehende Begutachtung der Arbeit, Prof. Dr. Rolf Stürner für die Aufnahme der Arbeit in die von ihm herausgegebene Schriftenreihe. Die statistischen Erhebungen dieser Arbeit wurden ermöglicht, begleitet und gefördert durch die Insolvenzrichter Dr. Helmut Zipperer, Dr. Peter Laroche und Dr. Axel Herchen, denen aus diesem Grund mein herzlicher Dank gebührt. Für die Unterstützung, die ich durch das Cusanuswerk erfahren habe, bin ich sehr dankbar. Sie hat mir wichtige Freiräume eröffnet und mich auch persönlich geprägt. Der Studienstiftung ius vivum und dem Arbeitskreis Wirtschaft und Recht des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft danke ich herzlich für die finanzielle Unterstützung bei der Drucklegung. Schließlich danke ich von Herzen meiner Frau, meiner Familie und meinen Freunden. Auf ihre Unterstützung darf ich mich immer verlassen. Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2017 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde die Schrift auf den Stand von Februar 2018 gebracht. Bonn, im Februar 2018

Johannes Richter

Inhaltsübersicht Vorwort   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsverzeichnis   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV

Einleitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Kapitel 1: Rechtliche Rahmenbedingungen des Insolvenzeröffnungsverfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 A. Der Weg von der materiellen zur formellen Insolvenz  . . . . . . . . . . . . . . . 5 B. Notwendige Voraussetzungen zur Beendigung des Eröffnungsverfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 C. Zwischenfazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

Kapitel 2: Die Dauer von Eröffnungsverfahren in der Praxis  . . . . . . 27 A. Vorliegende Aussagen, Erkenntnisse und Studien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 B. Eigene Datenerhebung und -auswertung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 C. Zwischenfazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

Kapitel 3: Vorteile und praktischer Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 A. Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 B. Weitere Massevorteile bei verlängerten Eröffnungsverfahren  . . . . . . . . 159

Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung  . . . . . . . . . . . . 173 A. Richterliche und höchstrichterliche Entscheidungen  . . . . . . . . . . . . . . . B. Gesetzliche Vorgaben und Hinweise zum Eröffnungszeitpunkt  . . . . . . . C. Erkenntnisse aus der Historie der Insolvenzordnung  . . . . . . . . . . . . . . . D. Systematik und Zweck der Insolvenzordnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174 177 192 200 268

VIII

Inhaltsübersicht

Kapitel 5: Konsequenzen und Ausblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 A. Umgehung der Eröffnungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Weitergehende Verfahrensbeschleunigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Einschränkungen hinsichtlich des Insolvenzgelds und dessen Vorfinanzierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Ausblick auf Fortführungs- und Sanierungsmöglichkeiten  . . . . . . . . . . .

273 274 275 277

Kapitel 6: Zusammenfassung der wesentlichen Thesen und Erkenntnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 A. Statistische Erkenntnisse zur Dauer von Eröffnungsverfahren  . . . . . . . B. Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die gezielte Verlängerung von Insolvenzeröffnungsverfahren  . . . . . . . . D. Konsequenzen und Ausblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

285 285 287 291

Ergebnisse der statistischen Erhebung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Sachregister  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

Inhaltsverzeichnis Vorwort    . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsübersicht    . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abkürzungsverzeichnis    . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV

Einleitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Kapitel 1: Rechtliche Rahmenbedingungen des Insolvenzeröffnungsverfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 A. Der Weg von der materiellen zur formellen Insolvenz  . . . . . . . . . . . . . . . 5 I. Von der materiellen Insolvenz zum Insolvenzantrag  . . . . . . . . . . . . . . II. Vom Insolvenzantrag zum Insolvenzverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Phasen des Insolvenzeröffnungsverfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Funktionen des Insolvenzeröffnungsverfahrens  . . . . . . . . . . . . 3. Die Sonderform des Eröffnungsverfahrens in Eigenverwaltung  . . .

5 7 7 11 14

B. Notwendige Voraussetzungen zur Beendigung des Eröffnungsverfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I. Feststellung eines Insolvenzgrundes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Notwendigkeit des Insolvenzgrundes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die notwendige Überzeugung des Gerichts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Prüfung im Eröffnungsverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Deckung der Verfahrenskosten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16 17 18 19 22

C. Zwischenfazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

Kapitel 2: Die Dauer von Eröffnungsverfahren in der Praxis  . . . . . . 27 A. Vorliegende Aussagen, Erkenntnisse und Studien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Aussagen in der Literatur zur Dauer des Eröffnungsverfahrens  . . . . . . II. Studien unter Geltung der Konkursordnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gerichtsbefragung durch Gottschalk  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gerichtsbefragung durch Herbert  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Datenauswertung durch das MPI  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27 28 28 28 29

X

Inhaltsverzeichnis

III. Studien unter Geltung der Insolvenzordnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gerichtsbefragung durch Roth  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verwalterbefragung und Datenauswertung durch Schüssler/Klose  . 3. Datenauswertung durch Icks/Kranzusch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Studien zur Eigenverwaltung nach Erlass des ESUG  . . . . . . . . . . . . . .

30 30 31 33 34

B. Eigene Datenerhebung und -auswertung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 I. Datenerhebung bei Gericht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Datenmaterial  III. Ergebnisse der Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fokussierung auf juristische Personen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35 36 38 41

C. Zwischenfazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

Kapitel 3: Vorteile und praktischer Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 A. Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

I. Das Institut des Insolvenzgeldes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1. Ausgangspunkt und europarechtlicher Hintergrund des Insolvenzgeldes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. Voraussetzungen und Inhalt des Insolvenzgeldanspruchs  . . . . . . . . 50 3. Lücken im Arbeitnehmerschutz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4. Finanzierung des Insolvenzgeldes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 5. Das Volumen der Insolvenzgeldumlage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 6. Ansprüche im eröffneten Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 7. Das Insolvenzgeld als Liquiditätsquelle  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 II. Die Insolvenzgeldvorfinanzierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Die Genese der gesetzlichen Rahmenbedingungen der Vorfinanzierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 a) Entwicklung der Vorfinanzierung durch die Praxis  . . . . . . . . . . . 62 b) Die gesetzliche Anerkennung der Vorfinanzierung  . . . . . . . . . . . 64 c) Vorfinanzierung im geltenden Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 d) Erkenntnisse aus der Gesetzesentwicklung  . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. Rechtstechnische Ausgestaltung der Insolvenzgeldvorfinanzierung  68 a) Vertragliche Umsetzung der Vorfinanzierung  . . . . . . . . . . . . . . . 69 b) Rahmenvertrag  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 c) Revolvierende Vorfinanzierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3. Vorfinanzierung bei vorläufiger Eigenverwaltung  . . . . . . . . . . . . . . 77 a) Vorfinanzierung im Verfahren nach § 270b InsO  . . . . . . . . . . . . . 78 b) Vorfinanzierung im Verfahren nach § 270a InsO  . . . . . . . . . . . . . 81 4. Der Zustimmungsvorbehalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Zustimmungsverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 b) Voraussetzungen der Zustimmung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85



Inhaltsverzeichnis

XI

c) Effektivität des Zustimmungsvorbehalts zur Missbrauchsverhütung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 aa) Auslegung der gesetzlichen Zustimmungsvoraussetzungen  90 bb) Fundierte Prüfung und schnelle Entscheidung  . . . . . . . . . . . 93 cc) Interessenlage der Bundesagentur für Arbeit  . . . . . . . . . . . . 95 dd) Sachkompetenz und Entscheidungsgrundlage  . . . . . . . . . . . 96 d) Zustimmungspraxis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 5. Praktische Auswirkungen der Insolvenzgeldvorfinanzierung  . . . . . 102 a) Schutz der Arbeitnehmerinteressen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 aa) Lohnausfall wegen Insolvenzgeldvorfinanzierung  . . . . . . . . 103 bb) Sicherung von Arbeitsplätzen durch Insolvenzgeldvorfinanzierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 b) Bedeutung der Vorfinanzierung für die Betriebsfortführung  . . . . 107 c) Einfluss des Insolvenzgeldzeitraums auf die Dauer des Eröffnungsverfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 aa) Verzögerung bei Betriebsfortführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 bb) Verzögerung bei Betriebsstilllegung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 III. Verfassungsmäßigkeit der Normierung von Insolvenzgeld und dessen Vorfinanzierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 1. Subventionseffekt im Wettbewerb  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Finanzierungspflicht der Arbeitgeber  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 3. Konsequenzen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 4. Anmerkungen zur Finanzierungslast  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 IV. EU‑Rechtskonformität der Normierung von Insolvenzgeld und dessen Vorfinanzierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Vorgaben des EU‑Sekundärrechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2. Vorgaben des EU‑Primärrechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 a) Der Stundungs- und Liquiditätsvorteil als Beihilfe  . . . . . . . . . . . 129 b) Die Rangrückstufung der Lohnforderungen als Beihilfe  . . . . . . . 132 aa) Die Begünstigung als staatliche Maßnahme  . . . . . . . . . . . . . 132 bb) Die Selektivität der Begünstigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 cc) Wettbewerbsverfälschung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 dd) Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedsstaaten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 ee) De-minimis-Beihilfe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 ff) Zwischenergebnis zum Beihilfencharakter  . . . . . . . . . . . . . . 141 c) Genehmigungsfähigkeit der Beihilferegelung  . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. Beihilferechtliche Konsequenz und Alternative  . . . . . . . . . . . . . . . . 144 V. Insolvenzgeld, Vorfinanzierung und Marktwirtschaft  . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Erhalt konkreter Arbeitsplätze als Rechtfertigung  . . . . . . . . . . . . . . 147 2. Subventionierung durch Insolvenzgeld als Eingriff in den Markt  . . 149 VI. Zwischenfazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

XII

Inhaltsverzeichnis

B. Weitere Massevorteile bei verlängerten Eröffnungsverfahren  . . . . . . . . 159 I. Zeitgewinn für eine Fortführungs- und Sanierungsprüfung  . . . . . . . . . II. Vorbereitung der Entscheidung über das Wahlrecht zu gegenseitigen Verträgen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vermeidung von Masseverbindlichkeiten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Umfassende Begründung von Masseverbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Selektive Begründung von Masseverbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Optimierung von Vertragskündigungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Reduzierung der Haftungsgefahr für den Insolvenzverwalter  . . . . . . . VI. Erhalt massegünstiger Positionen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Erleichterung der Buchführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

159 160 162 163 164 166 167 170 171

Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung  . . . . . . . . . . . . 173 A. Richterliche und höchstrichterliche Entscheidungen  . . . . . . . . . . . . . . . 174 B. Gesetzliche Vorgaben und Hinweise zum Eröffnungszeitpunkt  . . . . . . . 177

I. Vorgaben für den Eröffnungsbeschluss (§ 27 InsO)  . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Unzulässigkeit der Beschlussvordatierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 2. Übertragbarkeit auf die Frage der Eröffnungsverzögerung  . . . . . . . 181 II. Vorgaben für den Abweisungsbeschluss (§ 26 InsO)  . . . . . . . . . . . . . . 183 III. Vorgaben zur Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen (§§ 21, 22 InsO)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 1. Vorläufige Sicherung im Allgemeinen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2. Verwertungs- und Einziehungsverbot im Eröffnungsverfahren  . . . . 185 3. Sanierungsprüfung durch den vorläufigen Verwalter  . . . . . . . . . . . . 187 IV. Vorgaben zum Umgang mit unzulässigen Anträgen (§ 13 Abs. 3 InsO)  189 V. Dauer von Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO)  . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 VI. Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

C. Erkenntnisse aus der Historie der Insolvenzordnung  . . . . . . . . . . . . . . . 192 I. Bericht der Kommission für Insolvenzrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entwürfe zur Insolvenzordnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Neujustierung im Rechtsausschuss  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gesetzgeberische Position unter Geltung der Insolvenzordnung  . . . . .

192 194 196 199

D. Systematik und Zweck der Insolvenzordnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 I. Rechtliche Relevanz der praktischen Vorteile einer Eröffnungsverzögerung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Problematische Konsequenzen der Eröffnungsverzögerung  . . . . . . . . . 1. Selektive Sonderbelastung bestimmter Neugläubiger  . . . . . . . . . . . a) Ursprünglicher Ansatz der InsO und Entwicklung  . . . . . . . . . . . b) Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz  . . . . . . . . . . . .

202 204 205 206 207



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XIII

c) Vorgehen zulasten einzelner (Zwangs-)Gläubiger  . . . . . . . . . . . . aa) Belastung von Vermietern, Verpächtern etc.  . . . . . . . . . . . . . (1) Belastung bei Vertragsfortführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Belastung bei mutmaßlicher Vertragsbeendigung  . . . . . . bb) Belastung bei Unmöglichkeit der Leistungsverhinderung  . . cc) Belastung kenntnisloser Geschäftspartner  . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenfazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Bedeutung des verlängerten Eröffnungsverfahrens  . . . . . . . . . . . 2. Lücken im Insolvenzeingangsschutz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unzulänglichkeit des Kontrollverfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundlage für Manipulationsmöglichkeiten  . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Strategischer Einsatz bei Gläubigeranträgen  . . . . . . . . . . . . bb) Strategischer Einsatz bei Schuldneranträgen  . . . . . . . . . . . . c) Bedeutung von Funktion und Dauer des Eröffnungsverfahrens  . 3. Spannung zwischen Antrags- und Amtsverfahren  . . . . . . . . . . . . . . a) Verdeutlichung des Problems und seiner Aktualität  . . . . . . . . . . b) Problematik bei Eröffnungsverzögerung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung als Fixpunkt  . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eröffnung als Fixpunkt im Insolvenzrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Eintritt des Massebeschlags  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Aufrechnungsmöglichkeiten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Begrenzung des Umfangs gesetzlicher Pfandrechte  . . . . . . . dd) Stichtagsbezogene Wertbestimmung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zeitpunkt der Restschuldbefreiung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eröffnung als Fixpunkt im Zivilrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzlicher Fixpunkt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vertraglicher Fixpunkt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kosten des Eröffnungsverfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Dogmatische Spannungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . aa) Notwendige Kompetenzen des vorläufigen Verwalters  . . . . bb) Bedürfnis nach früher Unternehmensübertragung  . . . . . . . . cc) Frühzeitige Beteiligung der Gläubiger  . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Gläubigerschutz bei vorläufiger Eigenverwaltung über § 276a InsO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bruch zwischen EuInsVO und InsO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfahrenseröffnung unter der EuInsVO 2000  . . . . . . . . . . . bb) Verfahrenseröffnung unter der EuInsVO 2015  . . . . . . . . . . . c) Zwischenfazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

210 211 213 214 216 218 220 221 222 223 225 226 227 229 230 232 234 236 236 237 238 240 241 242 243 243 245 246 248 249 250 253 255 257 259 260 264 266

E. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268

XIV

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Kapitel 5: Konsequenzen und Ausblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 A. Umgehung der Eröffnungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 B. Weitergehende Verfahrensbeschleunigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 C. Einschränkungen hinsichtlich des Insolvenzgelds und dessen Vorfinanzierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 D. Ausblick auf Fortführungs- und Sanierungsmöglichkeiten  . . . . . . . . . . . 277

I. Schwierigkeiten für die Betriebsfortführung im kurzen Eröffnungsverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 II. Verbleibende Sanierungsperspektiven  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

Kapitel 6: Zusammenfassung der wesentlichen Thesen und Erkenntnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 A. Statistische Erkenntnisse zur Dauer von Eröffnungsverfahren  . . . . . . . 285 B. Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 C. Die gezielte Verlängerung von Insolvenzeröffnungsverfahren  . . . . . . . . 287 D. Konsequenzen und Ausblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

Ergebnisse der statistischen Erhebung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 I. Durchschnitts- und Medianwerte zur Dauer von Eröffnungsverfahren  . 293 II. Verteilung der Ergebnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295

Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Sachregister  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Ansicht Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ABlEG Amtsblatt der Europäischen Union ABlEU Abs. Absatz am Ende a. E. a. F. alte Fassung AFRG Arbeitsförderungs-Reformgesetz AktG Aktiengesetz Anm. Anmerkung AR‑Blattei SD Arbeitsrecht-Blattei, Systematische Darstellung Art. Artikel Bundesagentur für Arbeit BA BAG Bundesarbeitsgericht BB Betriebs-Berater Boston Consulting Group BCG Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände BDA Beschl. Beschluss BetrVG Betriebsverfassungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch BGB BGBl Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BGHZ Bonner Rechtsjournal BRJ Bundesministerium für Arbeit und Soziales BMAS Bundesministerium der Justiz BMJ bspw. beispielsweise Bundesratsdrucksache BR‑Drs. BSG Bundessozialgericht BT‑Drs. Bundestagsdrucksache Betrieb und Wirtschaft BuW BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerwG Bundesverwaltungsgericht BW Baden-Württemberg bzgl. bezüglich circa c. a. Centre of main interests/Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen COMI DA Durchführungsanweisung Der Betrieb DB ders. derselbe dies. dieselbe

XVI

Abkürzungsverzeichnis

DiskE Diskussionsentwurf das heißt d. h. Deutsches Steuerrecht DStR Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht DZWiR ebd. ebenda ErwGr. Erwägungsgrund Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen ESUG Gericht der Europäischen Union EuG EuGH Europäischer Gerichtshof Europäische Insolvenzverordnung EuInsVO Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EuZW EWiR Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht EWS folgend(e) f., ff. FA Fachanwalt Fn. Fußnote FS Festschrift gem. gemäß GmbHR GmbH‑Rundschau Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbHG Drittes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt Hartz III HbeglG Haushaltsbegleitgesetz Hdb Handbuch HE Hessen HGB Handelsgesetzbuch herrschende Meinung h. M. Hrsg. Herausgeber Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für IAB Arbeit in der Fassung i. d. F. in der Regel i. d. R. im Ergebnis i. E. Institut für Mittelstandsforschung Bonn IfM insbes. insbesondere Insg Insolvenzgeld InsO Insolvenzordnung Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze InsOÄndG Insolvenz und Vollstreckung InVo Insolvenzordnung (Österreich) IO A im Rahmen des/der i. R. d. im Sinne des/der i. S. d. Zeitschrift für europäische und internationale Steuer- und WirtschaftsiStR beratung juris PR‑InsR juris Praxisreport Insolvenzrecht juris PR‑SozR juris Praxisreport Sozialrecht JZ JuristenZeitung Kap. Kapitel Kaug Konkursausfallgeld



Abkürzungsverzeichnis

XVII

KO Konkursordnung Kölner Schrift zur Insolvenzordnung KölSch Zeitschrift für Insolvenzrecht KTS LSG Landessozialgericht MoMiG Gesetze zur Modernisierung des GmbH‑Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht MPI mit weiteren Nachweisen m. w. N. n. F. neue Fassung NI/HB Niedersachsen/Bremen Neue Juristische Wochenschrift NJW Nr. Nummer NRW Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZA Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht NZG NZI Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht NZM NZS Neue Zeitschrift für Sozialrecht Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RabelZ Recht der Arbeit RdA Rechtsausschuss des Bundestages RechtsA RefE Referentenentwurf RegE Regierungsentwurf RL Richtlinie Randnummer Rn. Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und RuU LL Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten Rz. Randziffer s. siehe S. Seite/Satz Die Sozialgerichtsbarkeit SGb Sozialgesetzbuch Drittes Buch SGB III Sammlung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und Slg. des Gerichts Erster Instanz SN Sachsen sog. sogenannt Urt. Urteil unter Umständen u. U. Verbraucherinsolvenz aktuell VIA vgl. vergleiche VO Verordnung Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht WM Wege zur Sozialversicherung WzS zum Beispiel z. B. Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht ZGR Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht ZInsO Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ZIP

XVIII

Abkürzungsverzeichnis

ZPO Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik ZRP zum Teil z. T. Zeitschrift für Zivilprozess ZZP

Einleitung Der folgenschwere Übergang von privatautonomer Haftungsverwirklichung im bilateralen Verhältnis hin zu einem amtlichen, allseitig ausgestalteten Insolvenzverfahren ist kein Automatismus, der durch den Eintritt der schuldnerischen Insolvenzreife ipso iure ausgelöst würde. Die Eröffnung eines Verfahrens setzt vielmehr voraus, dass erstens einer der unmittelbar Beteiligten einen entsprechenden Antrag stellt und dass zweitens der Eintritt des Insolvenzgrundes gerichtlich überprüft und in einem Beschluss festgestellt und formell erklärt wird. Damit bedarf es im Vorfeld jedes Insolvenzverfahrens eines vorgelagerten „präparatorischen Verfahrens“1, in dem geklärt wird, ob es tatsächlich zur Eröffnung kommen darf. Dieser Abschnitt zwischen der Stellung des Insolvenzantrags und der gerichtlichen Entscheidung über diesen – das Insolvenzeröffnungsverfahren2 – ist eine der prekärsten Phasen der Insolvenz: Mit dem „Alarmsignal“3 des Antrags wird deutlich, dass höchstwahrscheinlich bereits die materielle Insolvenz eingetreten ist, sodass sich das dringende Bedürfnis nach einer unmittelbaren Reaktion ergibt. Die verbliebene Haftungsmasse muss möglichst schnell vor Schädigungen durch den Schuldner, durch Gläubiger oder durch Dritte geschützt werden. Um die letzten (mutmaßlichen) Chancen zur Rettung des schuldnerischen Unternehmens zu wahren, ist auch hier ein unverzügliches, aktives Eingreifen angezeigt. Gleichwohl darf das Insolvenzgericht das Verfahren nicht leichtfertig eröffnen – ob der Schuldner tatsächlich materiell insolvent ist, steht noch nicht fest. Ist das Gericht jedoch davon überzeugt, dass ein Insolvenzverfahren eröffnet werden kann, schließt sich die für die Praxis fundamentale Frage an, ob aus dieser Entscheidungsreife eine Pflicht zur unverzüglichen Entscheidung folgt; die Beantwortung dieser Frage steht im Zentrum der vorliegenden Arbeit.

1  So die treffende Bezeichnung des Eröffnungsverfahrens im Konkursprozess des gemeinen Rechts, vgl. hierzu v. Bayer, Theorie des Concurs-Prozesses, S. 127 ff. 2 Schon dieser Begriff ist in gewisser Weise irreführend, da diese Phase (zumindest konzeptionell) weder ein Abschnitt des späteren Insolvenzverfahrens noch selbst ein eigenständiges Vorverfahren ist; anders ggf. bei den Verfahren nach §§ 270a, 270b InsO, s. S. 14 f. Die (auch im Gesetz verwendete) Begrifflichkeit macht aber deutlich, welche Bedeutung und welchen Inhalt diese Phase tatsächlich hat. 3  Becker, Insolvenzrecht, Rn. 688.

2

Einleitung

Welchen obligatorischen bzw. fakultativen Inhalt die Schwebephase zwischen Antrag und Eröffnung haben sollte, welche konkrete Ausgestaltung zulässig, sinnvoll und geboten ist und damit letztlich auch, welche Dauer das Eröffnungsverfahren haben sollte, wurde in der Geschichte des deutschen Insolvenzrechts schon ganz unterschiedlich beurteilt: Nach der Allgemeinen Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten musste der Eröffnungsgrund in einem kontradiktorischen Verfahren nach strengen Beweisanforderungen nachgewiesen werden, sodass die Eröffnungsverfahren „vielfach in einer die Interessen der Gläubiger auf das Höchste beeinträchtigenden Weise in die Länge gezogen [wurden], ohne dass dagegen die […] vorläufigen Sicherheitsmaßregeln ausreichend Schutz gewährten“4. Diesem „Missstand einer langen Eröffnungsdauer“5 wollte die Preußische Konkursordnung abhelfen, indem das zwingende Eröffnungsverfahren praktisch abgeschafft wurde. Ob der Schuldner oder der Antragsteller angehört oder sonstige Ermittlungen angestellt werden sollten, lag im Ermessen des Gerichts,6 sodass das Verfahren „mit bedrohlicher Leichtigkeit […] eröffnet werden“7 konnte. Die Konkursordnung war – in Abwägung dieser Erfahrungen – bestrebt, „mit der materiellen Sicherheit einer tatsächlichen und rechtlichen Erörterung der Verhältnisse vor dem entscheidenden Richter das Vorverfahren so zu gestalten, dass es nicht zu Verzögerungen führt, welche gerade zu dieser Zeit die größten Gefahren in sich tragen“8. Wurde das Eröffnungsverfahren der Konkursordnung ursprünglich noch als kurze Phase der einstweiligen, zurückhaltenden, passiven Sicherung verstanden, setzte sich im 20. Jahrhundert eine dynamischere Sichtweise durch.9 Es entwickelte sich eine Praxis, die das sog. Sequestrationsverfahren zwischen Antrag und Eröffnung planmäßig in die Länge zog, um insbesondere bei Betriebsfortführungen unterschiedliche positive Effekte für die spätere Masse zu erzielen.10 Die vorläufige Sicherung wurde zum „Einfallstor“11 für ein aktiv betriebenes, richtungsweisendes Vorkonkursverfahren. Im ersten Konzept für die neue Insolvenzordnung sollte mit dieser Praxis explizit gebrochen werden: Die Kommission für Insolvenzrecht sprach sich dafür aus, das Verfahren möglichst unverzüglich zu eröffnen; die Dauer des Er4  Hahn, Materialien zur KO, S. 297 f. Mit Hinweis auf die Kritik durch Puchta hierzu Koch, Sequestration, S. 16. 5  Fritsche, DZWIR 2005, 265, 266. 6  §§ 119 Abs. 2, 326 Abs. 2 PreußKO; vgl. hierzu Hahn, Materialien zur KO, S. 298; Koch, Sequestration, S. 16 f. 7  Ebd.; vgl. auch Fritsche, DZWIR 2005, 265, 266. 8  Ebd. (Hervorhebung durch den Verfasser); vgl. auch Koch, Sequestration, S. 18 f. 9  Den Kontrast zwischen ursprünglicher und späterer Vorstellung betonen bspw. Herbert, Sequestration, S. 33 und Koch, Sequestration, S. 22. 10  Vgl. zur Entwicklung Kilger, in: FS 100 Jahre KO, S. 189 ff.; Herbert, Sequestration, S. 33 f. 11  Gerhardt, in: FS 100 Jahre KO, S. 111, 116.



Einleitung

3

öffnungsverfahrens sollte nicht länger als unbedingt erforderlich sein.12 Auch der Regierungsentwurf zur Insolvenzordnung sprach grds. davon, dass das „Verfahren vor der Eröffnung […] so kurz wie möglich“13 zu halten sei. Gleichzeitig wurde aber auch auf die Möglichkeit hingewiesen, dass dieser Abschnitt durchaus bewusst ausgedehnt werden könnte und sollte.14 Dieser Ansatz bestätigte sich in der Insolvenzpraxis seit Inkrafttreten der InsO: Das Eröffnungsverfahren dauert heute regelmäßig mehrere Monate. Die Frage, wie viel Zeit konkret zwischen Antrag und Entscheidung bei Unternehmensinsolvenzen durchschnittlich vergeht, ist Kern einer umfangreichen Datenerhebung und ‑auswertung im Rahmen dieser Untersuchung. Insbesondere bei Unternehmensinsolvenzen und Betriebsfortführungen ist das Eröffnungsverfahren von immenser praktischer Bedeutung. Zwischen Antrag und Eröffnung beginnt nicht selten bereits die prospektive Insolvenzbewältigung, es werden folgenschwere Strukturentscheidungen getroffen und u. U. irreversible Fakten geschaffen. „Vor allem deshalb […] ‚spielt die Musik‘ praktisch oft schon vor dem eigentlichen Insolvenzverfahren: im Eröffnungsverfahren!“15 Der wesentliche Anlass und Hintergrund dieser Vorverlagerung des materiellen Verfahrensbeginns vor die formelle Eröffnungsentscheidung und für die lange Dauer des Eröffnungsverfahrens liegt im Nutzen, den der schuldnerische Betrieb aus dem Insolvenzgeld vor der Verfahrenseröffnung ziehen kann.16 Sanierungsorientierte Insolvenzverwalter entwickelten durch die Vorfinanzierung dieser Lohnersatzleistung ein erfolgreiches Modell, das die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens im Eröffnungsverfahren vielfach erst möglich und praktisch relevant machte. Insbesondere für solche Fälle „wurde das Antragsverfahren […] zu einem weltweit einzigartigen Liquiditätsschöpfungsinstrument“17. Dieser zentrale Bestandteil vieler Eröffnungsverfahren hat unmittelbare Auswirkungen auf die lange Verfahrensdauer und bildet den zwar omnipräsenten, aber trotzdem „gleichsam […] geheimen Grund für das eigenartig langwierige deutsche Eröffnungsverfahren“18. Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung stellen – der herausragenden praktischen Bedeutung entsprechend – einen Schwerpunkt dieser Untersuchung dar. Die weitverbreitete Praxis, eine mögliche Eröffnungsentscheidung trotz Entscheidungsreife aufzuschieben, um so finanzielle Vorteile für die spätere Insolvenzmasse zu sichern, führt zu einer Vielzahl praktischer und rechtlicher

12 

BMJ (Hrsg.), Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, S. 108. RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 117. 14  Bericht des RechtsA zum RegE InsO, BT‑Drs. 12/7302, S. 158. 15  Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 95. 16  Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 634. 17  Siemon, NZI 2016, 688 f. 18  Smid, NZI 2009, 150, 153. 13 

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Einleitung

Probleme und zu „dogmatischen Brüche[n]“19, die es im Detail zu untersuchen gilt. Gerade diese teils eklatanten Systembrüche rücken die Grundthematik der Untersuchung in den Fokus: Ist die angestammte, kaum kritisierte Praxis des oft bewusst verlängerten Eröffnungsverfahrens sinnvoll und rechtlich zulässig oder ist „nicht doch der Weg hin zu einem [kurzen und] nur rudimentär ausgestalteten Eröffnungsverfahren bedenkenswert […], um möglichst schnell in die eigentliche Insolvenzabwicklung überzugehen“20? Letztlich werden sich zwei wesentliche Thesen erhärten lassen: Zum einen wird sich zeigen, dass der zentrale Anlass und Nutzen der Eröffnungsverzögerung – die Insolvenzgeldvorfinanzierung – in der praktischen Ausgestaltung rechtlich problematisch und in bestimmten Aspekten sogar europa- und verfassungswidrig ist. Zudem wird die titelgebende Kernthese belegt und gezeigt, dass die bewusste Verlängerung des Insolvenzeröffnungsverfahrens unzulässig ist. Die Arbeit beschäftigt sich insbesondere mit dem Eröffnungsverfahren bei Unternehmensinsolvenzen,21 mit einem besonderen Fokus auf der einstweiligen Betriebsfortführung. Nach einer einleitenden Darstellung des Untersuchungsgegenstands (Kapitel 1) wird in einem statistischen Abschnitt untersucht, welche durchschnittliche Dauer das Insolvenzeröffnungsverfahren tatsächlich hat (Kapitel 2). Im hierauf folgenden Kapitel steht der praktische Nutzen des ausgedehnten Eröffnungsverfahrens im Fokus: Schwerpunktmäßig wird das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung untersucht und kritisch beleuchtet; zudem werden aber auch eine Reihe weiterer Vorteile, die sich mit der verzögerten Verfahrenseröffnung verbinden können, in den Blick genommen (Kapitel 3). Ausgehend von der klassischen Gesetzesauslegung wird im Folgenden geklärt, welche Vorgaben die Insolvenzordnung zum Eröffnungszeitpunkt, genauer zur Verzögerung der Entscheidung über einen Insolvenzantrag macht. Insbesondere die Abwägung der vielfältigen Konsequenzen eines verlängerten Eröffnungsverfahrens und deren Einbettung im insolvenzrechtlichen Gesamtsystem führen im Ergebnis dazu, dass die Praxis der bewussten Eröffnungsverzögerung als insolvenzrechtswidrig abgelehnt wird (Kapitel 4). Die Thesen und Erkenntnisse dieser Arbeit führen schließlich unmittelbar zu bedeutenden Folgefragen und ‑problemen, die in einem abschließenden Ausblick beleuchtet werden sollen (Kapitel 5). 19 

Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 634. Haarmeyer/Wutzke/Förster, HdB vorläufige Insolvenzverwaltung, § 1 Rn. 5 (Einfügung durch den Verfasser). Ähnlich auch Fritsche, DZWIR 2005, 265, 277 („angestammte Gliederung […] durchaus überdenkenswert“). Auch Brinkmann benennt verschiedene Gründe, die dafür sprächen, „das Insolvenzeröffnungsverfahren grundsätzlich neu zu regeln“ (Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 643). 21  Nur bei unternehmerischen Schuldnern zeigen sich die bereits angedeuteten Probleme und spielt das Insolvenzgeld eine entscheidende Rolle. Privat- bzw. Verbraucherinsolvenzen werden deshalb im Folgenden nicht im Detail untersucht. 20 

Kapitel 1

Rechtliche Rahmenbedingungen des Insolvenzeröffnungsverfahrens Einleitend wird zunächst der Gegenstand der Untersuchung – das Insolvenzeröffnungsverfahren – in seinem prozessualen Ablauf und seinen verschiedenen Funktionen überblicksartig dargestellt (A.). Schon hierbei können erste Faktoren herausgearbeitet werden, die Einfluss auf die Dauer dieses Verfahrensabschnitts haben. Die zentrale Frage der gesamten Arbeit, wie lang sich die Zeitspanne zwischen der Antragstellung und gerichtlicher Entscheidung ziehen sollte bzw. ziehen darf, lässt sich erst dann sinnvoll bearbeiten, wenn klar ist, wann (frühestens) entschieden werden kann. Folglich müssen die rechtlich notwendigen Voraussetzungen zur Beendigung des Eröffnungsverfahrens, insbesondere die Feststellung von Insolvenzgrund und Massekostendeckung, in den Blick genommen werden (B.).

A.  Der Weg von der materiellen zur formellen Insolvenz Der verfahrensmäßige Ablauf von materieller zu formeller Insolvenz lässt sich in zwei Phasen aufteilen: das Antrags- und das Eröffnungsverfahren.

I.  Von der materiellen Insolvenz zum Insolvenzantrag Dem Insolvenz- und dem Eröffnungsverfahren geht zunächst eine Phase voraus, in der sich eine betriebswirtschaftliche Krise zu einer rechtlichen Krise auswächst.1 Mit dem Eintritt eines Insolvenzgrundes, also der materiellen Insolvenz, besteht die Möglichkeit das Insolvenzverfahren durch einen entsprechenden Antrag in Gang zu bringen.2 Ob ein Verfahren überhaupt eingeleitet wird, liegt in diesem Abschnitt noch in den Händen von Schuldner und Gläubigern;3 das 1  Zum („richtigen“) Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung mit dieser Terminologie Mock, in: Uhlenbruck-InsO, § 16 Rn. 1. 2 Den Eröffnungstatbeständen kommt insofern der entscheidende „trigger effect“ zu, Schmidt, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.2. 3  § 13 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; Prütting, in: KölSch, Kap. 1 Rn. 39 ff.; mit Hinweis auf die gerichtliche Einschränkungen der Dispositionsfreiheit hierzu Zipperer, NZI 2012, 385, 388 f. Eingeschränkt wird die Entscheidungsfreiheit zudem im Falle der Antragspflicht gem. § 15a InsO.

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Kapitel 1: Rechtliche Rahmenbedingungen des Insolvenzeröffnungsverfahrens

grds. freie Initiativrecht ist Ausdruck der Autonomie und Eigenverantwortung der betroffenen Parteien.4 Auch wenn dieser Zeitraum noch nicht zum gerichtlichen Verfahren gehört, so ist er doch mittelbar von enormer Bedeutung für das Eröffnungsverfahren: Wird die materielle Insolvenz zum Anlass genommen, das Insolvenzverfahren zu beantragen, so müssen dem Gericht wesentliche Angaben bspw. zum Insolvenzgrund vorgelegt werden. In einem Gläubigerantrag muss sowohl die eigene Forderung gegen den bezeichneten Schuldner als auch das Vorliegen des einschlägigen Insolvenzgrundes – Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners (§§ 17, 19 InsO) – glaubhaft gemacht und das Gericht von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der vorgebrachten Tatsachen überzeugt werden.5 Bei einem Eigenantrag ist eine solche Glaubhaftmachung regelmäßig zwar nicht notwendig,6 der Schuldner hat den Insolvenzgrund allerdings substantiiert und nachvollziehbar darzulegen, also Tatsachen vorzutragen, welche die wesentlichen Elemente eines Eröffnungsgrundes erkennen lassen.7 Zudem sind weitergehende, ergänzende Angaben zu machen, die dem Gericht die spätere Prüfung erleichtern und eine frühe Gläubigerbeteiligung ermöglichen sollen: Der Schuldnerantrag muss stets ein Verzeichnis sämtlicher Gläubiger, aller Forderungen sowie der jeweiligen Forderungshöhe beinhalten (§ 13 Abs. 1 S. 3 InsO).8 Besteht ein aktiver Geschäftsbetrieb des Schuldners, so sollen zudem weitere Informationen zu den aufgelisteten Forderungen sowie Angaben zur Bilanzsumme und der Arbeitnehmeranzahl gemacht werden (§ 13 Abs. 1 S. 4 und 5). In besonders gelagerten Fällen – insbesondere bei größeren Unternehmen oder bei der Beantragung einer Eigenverwaltung durch den Schuldner – sind auch diese Angaben verpflichtend (§ 13 Abs. 1 S. 6).9

4  Nach Ansicht des Gesetzgebers wäre eine Einleitung von Amts wegen „mit der bestehenden Wirtschafts- und Privatrechtsordnung“ kaum vereinbar, RegE zur InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 113. Vgl. auch Mönning, in: Nerlich/Römermann-InsO, § 13 Rn. 9 ff.; Delhaes, in: KölSch, Kap. 4 Rn. 1 ff. 5  Schmerbach, in: FK‑InsO, § 14 Rn. 174 ff., 189 ff., 210 ff.; Pape, in: K/P/B‑InsO, § 14 Rn. 71. 6  Etwas anderes gilt insbes. in den Ausnahmefällen des § 15 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 InsO. 7  Vgl. BGH, Beschl. v. 12. 12. 2002 – IX ZB 426/02, BGHZ 153, 205 = NZI 2003, 147; Wegener, in: Uhlenbruck-InsO, § 13 Rn. 97. 8  S. hierzu Schmerbach, in: FK‑InsO, § 13 Rn. 22 ff.; Mönning, in: Nerlich/RömermannInsO, § 13 Rn. 79 ff.; kritisch Blankenburg, ZInsO 2013, 2196. Jüngst zu der Notwendigkeit der Angabe der Forderungshöhe AG Hannover, Beschl. v. 23. 12. 2015 – 908 IN 730/15, NZI 2016, 260. 9  Noch im RegE ESUG war eine generelle Pflicht vorgesehen (BT‑Drs.  17/5712, S. 7). Im Detail zu der Abgrenzung von fakultativen und zwingenden Angaben Wegener, in: Uhlenbruck-InsO, § 13 Rn. 114 ff.



A.  Der Weg von der materiellen zur formellen Insolvenz

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Auch wenn das dem Antrag folgende Eröffnungsverfahren weitgehend von der gerichtlichen (Amts-)Ermittlung bestimmt ist,10 wird es durch die Notwendigkeit eines Insolvenzantrags und die Ausgestaltung des Antragsverfahrens mittelbar beeinflusst: Die Tatsache, dass der Antragsteller wesentliche Umstände der Insolvenz selbst vorlegen muss, führt dazu, dass das Insolvenzgericht – zumindest im Idealfall – nur als „Kontrollinstanz“ fungiert; ein gut vorbereiteter, transparenter Insolvenzantrag ermöglicht so eine relativ kurze gerichtliche Prüfung.11 Insbesondere im (typischen)12 Fall des Schuldnereigenantrags sollen und müssen z. T. Angaben gemacht werden, die „von zentraler Bedeutung für den weiteren Verlauf des Insolvenzverfahrens“13 sind.

II.  Vom Insolvenzantrag zum Insolvenzverfahren Geht der Insolvenzantrag bei Gericht ein, beginnt mit dem Insolvenzeröffnungsverfahren eine Phase, die für den Fortgang des Gesamtverfahrens von grundlegender Bedeutung ist: Es kommt zur zentralen Entscheidung, ob überhaupt ein Insolvenzverfahren zu eröffnen ist und – insbesondere bei einer (vorläufigen) Betriebsfortführung – zu entscheidenden Weichenstellungen „für die Zukunft des schuldnerischen Unternehmens“14. Dieser Zeitraum zwischen Antrag und gerichtlicher Entscheidung lässt sich zum einen zeitlich nach seinen Verfahrensabschnitten und zum anderen inhaltlich nach seinen verschiedenen Funktionen einteilen. 1.  Die Phasen des Insolvenzeröffnungsverfahrens Der erste gerichtliche Schritt, der auf die Antragstellung folgt, ist die Vorabprüfung der Zulässigkeit im sog. Zulassungsverfahren,15 das noch durch die Dispositionsmaxime und den Beibringungsgrundsatz bestimmt ist: Zunächst obliegt es noch dem Antragsteller, die für die Zulassung erforderlichen Umstän10 Allgemein zum Amtsermittlungsgrundsatz Stephan, in: Schmidt-InsO, §  5 Rn. 2 ff., speziell zur Feststellung des Eröffnungsgrundes Schmahl/Vuia, in: MüKo-InsO, § 16 Rn. 6 ff. 11  Zwar ist davon auszugehen, dass in der Praxis viele Anträge unvorbereitet und ungenau sind (vgl. die Einschätzung bei Beth, NZI 2014, 487, 488), dies ändert allerdings nichts an der gesetzlichen Konzeption und Idealvorstellung. 12  So wurden bspw. im Jahr 2016 nur 28 % der Unternehmensinsolvenzen vom Gläubiger beantragt, vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 2, Reihe 4.1, 12/2016, Tabelle 10, S. 20. 13  So zu den Angaben gem. § 13 Abs. 1 S. 3–7 InsO des Rechtsausschusses zu RegE ESUG, BT‑Drs. 17/7511, S. 33; vgl. auch Fuhst, DStR 2012, 418; Schmahl/Vuia, in: MüKo-InsO, § 13 Rn. 106. 14  Undritz, NZI 2007, 65; ähnlich Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb vorläufige Insolvenzverwaltung, § 1 Rn. 5; Holzer, NZI 2013, 1049, 1053; Fritsche, DZWIR 2005, 265, 277. 15 Mit dieser Terminologie bspw. Wegener, in: Uhlenbruck-InsO, § 13 Rn. 142 ff. Eher kritisch zum Begriff der „Zulassung“ Schmahl/Vuia, in: MüKo-InsO, § 14 Rn. 2.

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Kapitel 1: Rechtliche Rahmenbedingungen des Insolvenzeröffnungsverfahrens

de und Tatsachen darzulegen. Die (allgemeinen) Prozessvoraussetzungen muss das Insolvenzgericht anhand der Darlegung zwar von Amts wegen prüfen,16 die Amtsermittlungspflicht des § 5 Abs. 1 S. 1 InsO greift in dieser Phase allerdings noch nicht.17 Sind die für die Zulässigkeit ausschlaggebenden Angaben im Antrag unzureichend, so hat das Gericht den Antragsteller auf den Mangel hinzuweisen und ihm die Möglichkeit zur Nachbesserung zu geben (§ 13 Abs. 3 InsO).18 Gegenstand dieser ersten Prüfungsphase sind zunächst die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen, wie die Antragsberechtigung des Antragstellers,19 dessen Prozess- und Parteifähigkeit,20 die Insolvenzfähigkeit des bezeichneten Schuldners21 und die Zuständigkeit des Gerichts.22 Gerade die Feststellung der internationalen Zuständigkeit des Gerichts entwickelt sich durch die Reform des europäischen Rechts zu einer neuen, komplexen Problematik, die auch Auswirkungen auf die Art und den Ablauf des Eröffnungsverfahrens haben wird.23 Neben den allgemeinen müssen zudem die bereits angesprochenen speziellen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sein: bei einem Gläubigerantrag bspw. der Nachweis der eigenen Forderung, des Insolvenzgrundes und des rechtlichen Interesses,24 bei einem Eigenantrag die Angaben zum Insolvenzgrund, zu den bestehenden Forderungen und ggf. zur Bilanz, zum Umsatz und zur Arbeitnehmerzahl.25

16  Hierzu und zur Abgrenzung von Amtsprüfung und -ermittlung vgl. BGH, Beschl. v. 1. 12. 2011 – IX ZB 232/10, NZI 2012, 151, 152 Rz. 10 f.; Ganter/Lohmann, in: MüKo-InsO, § 5 Rn. 12a f. Im Zulassungsverfahren gilt über § 4 InsO bspw. der Prüfungsgrundsatz des § 56 ZPO, s. Prütting, in: K/P/B‑InsO, § 4 Rn. 8. Ähnlich zur Prüfung der Zuständigkeit vor der Zulassung Vallender, in: FS Beck, S. 537, 538 f. 17  BGH, Beschl. v. 12. 12. 2002 – IX ZB 426/02, BGHZ 153, 205 = NJW 2003, 1187; vgl. auch Beth, NZI 2014, 487, 488; Schmerbach, in: FK‑InsO, § 14 Rn. 6; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rn. 260 f., 489 f. 18  Diese explizite Normierung wurde erst 2017 getroffen, galt inhaltlich aber bereits zuvor, vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 12. 12. 2002 – IX ZB 426/02, BGHZ 153, 205 = NZI 2003, 147. 19  Vgl. § 13 Abs. 1 S. 2 InsO. Im hier zentralen Fall der Unternehmensinsolvenz sind neben den Gläubigern gem. § 15 Abs. 1 S. 1 InsO die organschaftlichen Vertreter bzw. die persönlich haftenden Gesellschafter und ggf. Abwickler antragsberechtigt; vgl. auch Uhlenbruck/Schmahl, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 8 Rn. 8 ff. 20 Diese richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen, also der Geschäftsfähigkeit (§ 51 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 4 InsO); vgl. Mönning, in: Nerlich/Römermann-InsO, § 13 Rn. 23 ff. 21  §§ 11, 12 InsO. 22  Wesentlich ist neben den §§ 2, 3 InsO insbes. Art. 3 EuInsVO. 23  Vgl. eingehend zu diesem Problem S. 264 ff. 24  Mönning, in: Nerlich/Römermann-InsO, § 14 Rn. 42 ff.; Gundlach, in: Schmidt-InsO, § 14 Rn. 18 ff. 25  Wegener, in: Uhlenbruck-InsO, § 13 Rn. 93 ff.



A.  Der Weg von der materiellen zur formellen Insolvenz

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Dieser erste gerichtliche Verfahrensabschnitt stellt sich als Phase der initialen summarischen Prüfung dar,26 eine langwierige Beweisaufnahme durch das Gericht ist nicht statthaft.27 Ist das Gericht vom Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen überzeugt, wird es den Eröffnungsantrag zulassen; dies geschieht allerdings nicht durch einen formellen, anfechtbaren Beschluss, sondern allein konkludent durch das Weiterbetreiben des Verfahrens, ohne dass der Antrag als unzulässig abgewiesen würde.28 Auch wenn die Insolvenzordnung diese „Schwelle“ zwischen dem sog. Zulassungs- und dem Hauptprüfungsverfahren nicht als formellen Verfahrensschritt nennt, ist sie für verschiedene Maßnahmen und den weiteren Verfahrensablauf von hoher Bedeutung: Sie stellt zunächst den Übergang von Dispositions- zur Offizialmaxime dar; das Insolvenzgericht hat nun von Amts wegen festzustellen, ob die sachlichen Eröffnungsvoraussetzungen gegeben sind. Diese Prüfung, ob ein Eröffnungsgrund, also die Überschuldung (§ 19 InsO) oder (gegenwärtige oder drohende) Zahlungsunfähigkeit (§§ 17, 18 InsO) des Schuldners vorliegt und ob die Masse voraussichtlich zur Kostendeckung ausreichen wird (§ 26 InsO), ist in vielen Fällen sowohl in zeitlicher wie auch in inhaltlicher Hinsicht deutlich umfangreicher als das vorausgegangene Zulassungsverfahren. Oftmals müssen detailliertere Ermittlungen angestellt werden, um zu einer gesicherten Feststellung über die Eröffnungsvoraussetzungen zu kommen. Hierbei wird das Gericht, insbesondere bei komplizierteren Sachverhalten, die Hilfe eines Sachverständigen, oft in der Person des vorläufigen Verwalters oder Sachwalters, in Anspruch nehmen.29 Dieser nimmt Einblick in die Unterlagen und den Betrieb des Schuldners, um so dem Gericht eine gutachterliche Einschätzung zu den für die Entscheidung relevanten Tatsachen geben zu können.30 Um eine schnelle und gleichzeitig fundierte Entscheidung des Insolvenzgerichts zu ermöglichen,31 erlegt § 20 Abs. 1 InsO – ebenfalls für die Zeit nach der „Zulassung“ – dem Schuldner bzw. dessen Vertretern und Organen 26  OLG Celle, Beschl. v. 9. 2. 2000 – 2 W 101/99, NZI 2000, 214, 217; ebenso Frege/ Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rn. 504. Die Phase dauert dementsprechend i. d. R. auch nur wenige Stunden, vgl. Herchen, NZI 2006, 435, 436. 27  § 294 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 4 InsO; vgl. Bußhardt, in: Braun-InsO, § 14 Rn. 17. 28  Vgl. BGH, Beschl. v. 22. 3. 2007 – IX ZB 164/06, NZI 2007, 344, 345 Rz. 9; Schmerbach, in: FK‑InsO, § 21 Rn. 37. Das Gericht hat jedoch auch im weiteren Verlauf die Zulässigkeitsvoraussetzungen zu beachten; die „Zulassung“ hat nur einstweiligen Charakter (Wegener, in: Uhlenbruck-InsO, § 14 Rn. 166). 29  Schmerbach, in: FK‑InsO, § 5 Rn. 27, § 16 Rn. 12; Pape/Radtke, in: K/P/B‑InsO, § 16 Rn. 24 f. 30 Vgl. hierzu bspw. Vallender, ZInsO 2010, 1457; Hölzle, in: Schmidt-InsO, §  22 Rn. 41 ff.  Bei einem aktiven Betrieb muss ein vorläufiger Verwalter zudem i. d. R. eine Einschätzung zu Fortführungs- und Sanierungsmöglichkeiten abgegeben werden (ausführlich Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 266 ff.). 31 So bspw. Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, §  20 Rn. 1. Vgl. auch RegE InsO, BT‑

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Kapitel 1: Rechtliche Rahmenbedingungen des Insolvenzeröffnungsverfahrens

umfassende Auskunfts- und Mitwirkungspflichten auf. Sowohl gegenüber dem Gericht als auch dem Sachverständigen oder vorläufigen Verwalter müssen detaillierte Angaben zur Vermögens- und Ertragslage, zu bestehenden Vertragsverhältnissen, zu (zukünftigen) Aus- und Absonderungsrechten etc. gemacht werden.32 Fehlen relevante Informationen, so besteht die Pflicht zur aktiven Beschaffung und unmittelbaren Weitergabe.33 Neben dieser Pflicht besteht für den Schuldner aber auch das Recht angehört zu werden, wenn ein Gläubiger den Insolvenzantrag gestellt hat (§ 14 Abs. 2 InsO). Hierdurch wird nicht nur der Anspruch des betroffenen Schuldners auf rechtliches Gehör verwirklicht (Art. 103 Abs. 1 GG), sondern auch ein weiteres Instrument zur Sachverhaltsaufklärung bereitgestellt.34 Diese zweite Phase, das Hauptprüfungsverfahren, endet, wenn nach der gerichtlichen Überzeugung feststeht,35 dass (mindestens) ein Eröffnungsgrund vorliegt und das Gericht zudem davon ausgeht, dass voraussichtlich bzw. wahrscheinlich die Kosten eines Insolvenzverfahrens gedeckt sein werden.36 In diesem Fall kann das Gericht grundsätzlich den Eröffnungsbeschluss treffen. Liegen die genannten Voraussetzungen nicht zur notwendigen Überzeugung des Insolvenzgerichtes vor, so weist es den Antrag als unbegründet oder mangels Masse ab und beendet so das Eröffnungsverfahren. In vielen Fällen schließt sich jedoch noch ein dritter Abschnitt des Eröffnungsverfahrens an, der als solcher kaum wissenschaftlich behandelt wird: ein Zeitraum zwischen Entscheidungsreife und tatsächlicher Entscheidung.37 Durch die Verzögerung der Entscheidung über den Insolvenzantrag entsteht eine zusätzliche Phase, die von der Insolvenzordnung weder explizit vorgesehen noch geregelt ist. Diese kann – insbesondere über die Insolvenzgeldvorfinanzierung – enorme Vorteile für das Schuldnerunternehmen und damit mittelbar für die (spätere) Masse und die Gläubiger bieten.38 Ob diese allgemein akzeptierte und

Drs. 12/2443, S. 143 (Auskunftspflicht zur Verwirklichung eines „sachgerechte[n] und effektive[n]“ Insolvenzverfahrens). 32  Zum Umfang der Auskunftspflicht Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, § 20 Rn. 21 ff.; zu den Auskunftsberechtigten Herchen, in: HambKomm-InsO, § 20 Rn. 7; zum Verhältnis von Auskunftspflicht und Selbstbelastung Haarmeyer, ZInsO 2016, 545. 33  Beck, in: Bork/Hölzle, Hdb Insolvenzrecht, Kap. 2 Rn. 13. 34 So Wegener, in: Uhlenbruck-InsO, § 14 Rn. 173; Bork, Insolvenzrecht, Rn. 114; ähnlich Schmahl/Vuia, in: MüKo-InsO, § 14 Rn. 122, 134; a. A. Pape, in: K/P/B‑InsO, § 14 Rn. 156 (nur Art. 103 Abs. 1 GG). 35  § 286 ZPO i. V. m. § 4 InsO. Vgl. auch Rüntz, in: HK‑InsO, § 16 Rn. 9 sowie S. 18 ff. 36  BGH, Beschl. v. 13. 4. 2006 – IX ZB 118/04, NZI 2006, 404, 406 Rz. 15; Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 26 Rn. 14, 16. 37 Bei abweisenden Entscheidungen wird es eine solche zusätzliche Phase regelmäßig nicht geben; das Gericht weist hier den Antrag unmittelbar ab. 38  Zum regelmäßig entscheidenden Vorteil, dem Finanzierungseffekt des Insolvenzgeldes, vgl. noch im Detail S. 107 ff.



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wenig kritisierte Praxis zulässig ist, also den rechtlichen Vorgaben der Insolvenzordnung entspricht, ist Kernfrage dieser Arbeit. 2.  Die Funktionen des Insolvenzeröffnungsverfahrens Neben der einleitenden Darstellung des zeitlichen Ablaufs ist ein Blick auf die unterschiedlichen Funktionen des Eröffnungsverfahrens hilfreich, um die Spannungsfelder und Zielkonflikte in diesem Bereich nachvollziehen zu können. Die offenkundige Kernfunktion des Eröffnungsverfahrens liegt in der Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen und der hierauf basierenden Entscheidung. Zunächst steht nicht fest, ob der Schuldner überhaupt insolvent ist, ob die einschneidenden Eingriffe eines Insolvenzverfahrens also berechtigt und notwendig sind und ob überhaupt genug Vermögen zur Verfügung steht, um das amtlich organisierte Gesamtvollstreckungsverfahren zu bezahlen. Nach dem gesetzlichen Grundkonzept ist das Eröffnungsverfahren zunächst lediglich eine Phase der amtlichen, ergebnisoffenen, neutralen und zügigen Antragsprüfung.39 Primäres Ziel ist die Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung.40 Diese Prüfung lässt sich u. U. in kürzester Zeit durchführen,41 sie kann sich allerdings auch aus unterschiedlichen Gründen über einen längeren Zeitraum erstrecken. In dieser „Grauzone“42 zwischen Insolvenzantrag und ‑eröffnung besteht oftmals die Gefahr, dass sich die schuldnerische Vermögenslage und damit die (potentielle) Haftungsmasse verschlechtert, indem sich einzelne Gläubiger Sonderrechte oder (Vorab-)Befriedigung verschaffen, Dritte schädigend eingreifen oder der Schuldner bspw. über Vermögensgegenstände verfügt, neue Verbindlichkeiten eingeht oder einen bestehenden Betrieb stilllegt.43 Eine solche Verschlechterung des status quo zu verhindern, ist Aufgabe des Insolvenzgerichtes.44 Es hat hierzu gem. § 21 Abs. 1 S. 1 InsO alle erforderlichen sichernden Maßnahmen zu treffen, sobald es von der Zulässigkeit des Antrags ausgeht.45 Hierbei 39  Vgl.

RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 115 f.; grundlegend hierfür BMJ (Hrsg.), Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, S. 108 f.; RegE InsVerfVereinfG, BT‑Drs. 16/3227, 10 f., 15; RegE ESUG, BT‑Drs. 17/5712, S. 18. 40  Marotzke, in: FS Schwab, S. 65, 90; de Bruyn, Der vorläufige Gläubigerausschuss, S. 44. 41  Spliedt geht bspw. davon aus, dass der Eröffnungsgrund und die Verfahrenskostendeckung häufig evident sind (Spliedt, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.462). Ähnlich die Beschreibung bei Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb der vorläufigen Insolvenzverwaltung, § 4 Rn. 12; Kolbach, ZInsO 2015, 1422, 1426. 42  Timm/Keil, in: Kübler, Neuordnung des Insolvenzrechts, S. 173, 177; Grub, ZIP 1993, 393, 395. 43 Vgl. Vallender, in: Uhlenbruck, § 21 Rn. 1; Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 21 Rn. 11 ff. 44  So RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 116, wobei der Gesetzgeber hier noch davon ausging, dass sich die beschriebene Grauzone (nur) „im Einzelfall“ auftut. 45  Zu diesem Grundsatz BGH, Beschl. v. 22. 3. 2007 – IX ZB 164/06, NZI 2007, 344. S. auch Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 21 Rn. 2 f. Hierdurch kommt es dann zur (oft problematischen) Öffentlichkeit des (Eröffnungs-)Verfahrens: Die Anordnung von Verfügungs-

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Kapitel 1: Rechtliche Rahmenbedingungen des Insolvenzeröffnungsverfahrens

steht Art und Ausmaß der Sicherung im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.46 Neben den gesetzlich aufgeführten Sicherungsmaßnahmen – wie bspw. dem Verfügungsverbot, dem Zustimmungsvorbehalt, einer Vollstreckungssperre und der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters47 – kann das Gericht auch andere Vorkehrungen zum Schutz des Schuldnervermögens treffen.48 Neben das primäre, „intrinsische“ Ziel des Eröffnungsverfahrens (Ermittlung der Eröffnungsvoraussetzungen) tritt somit der sekundäre Zweck der notwendigen Vermögenssicherung: Im Interesse der Gläubiger gilt es, so früh wie möglich die haftenden Vermögenswerte zu sichern; im Interesse des Schuldners – dessen materielle Insolvenz bislang nicht feststeht – muss dessen Vermögensverbund zusammengehalten werden.49 Mit diesem Ziel der Vermögenssicherung ist eine weitere Aufgabe des Eröffnungsverfahrens verbunden, die sich in Teilen noch dem beschriebenen Sicherungsgedanken zuordnen lässt: Die Insolvenzordnung macht deutlich, dass ein aktives Schuldnerunternehmen – soweit möglich – im Eröffnungsverfahren fortgeführt werden soll. Das Gericht kann hierzu bspw. bestimmte Gegenstände vor einer Aussonderung bewahren (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 InsO) oder fortführungsbezogene Einzelanordnungen treffen.50 Die entscheidende und wegweisende Maßnahme wird in der Regel allerdings die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters sein; diesen trifft grds. die Pflicht zur Unternehmensfortführung.51 Im Grundsatz dient auch die vorläufige Betriebsfortführung zunächst der wertmäßigen Sicherung des Vermögens und damit der vorgelagerten Funktion, die Überprüfung der Eröffnungsvoraussetzungen zu ermöglichen. So wird zwar nicht jeder einzelne Vermögensgegenstand gesichert, sondern im Gegenteil ggf. sogar veräußert, das Unternehmen wird aber bestenfalls als betriebswirtschaftliche Gesamtheit erhalten.52 Hierbei übernimmt der vorläufige Verwalter und beschränkungen und die Bestellung eines vorläufigen Verwalters sind gem. § 23 Abs. 1 InsO öffentlich bekannt zu machen. 46  Hölzle, in: Schmidt-InsO, § 21 Rn. 18 f.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.34; Zipperer, NZI 2004, 656 f. 47  Vgl. § 21 Abs. 2 InsO. Dieser nicht abschließende Katalog führt die wichtigsten möglichen Maßnahmen auf; vgl. Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 21 Rn. 11. 48 Vgl. Schmerbach, in: FK‑InsO, § 21 Rn. 4 f. 49  Diesen doppelten Sicherungszweck beschreiben Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb der vorläufigen Insolvenzverwaltung, § 1 Rn. 21. 50  Heilmaier, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 4 Rn. 174 ff. 51  Eine solche Fortführungspflicht trifft gem. § 21 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO zwar grds. zunächst nur den „starken“ vorläufigen Verwalter (bei Erlass eines generellen Verfügungsverbots), aber auch ein „schwacher“ vorläufiger Verwalter muss i. d. R. den Betrieb in Zusammenarbeit mit dem Schuldner fortführen, vgl. hierzu Beck, in: FS Runkel, S. 3; Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 22 Rn. 88 m. w. N. 52  Genauer insbes. zum betriebswirtschaftlichen Zusammenhang Haarmeyer, in: MüKoInsO, § 22 Rn. 89 f.



A.  Der Weg von der materiellen zur formellen Insolvenz

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damit das Eröffnungsverfahren eine Vielzahl von Aufgaben, die deutlich über ein „passives Sichern“ des Vermögens hinausgehen: Die Zeit vor der Verfahrenseröffnung wird genutzt, um liquide Mittel zu beschaffen oder zu sichern,53 (un-) rentable Aufträge und (un-)nötige Versorgungsverhältnisse zu ermitteln und neu zu verhandeln, Arbeitnehmer einzustellen oder zu entlassen, Waren zu verkaufen und einzukaufen und hierbei auch Forderungen zu begründen und zu erfüllen.54 Eine solche Betriebsfortführung dient in erster Linie dazu, die schuldnerische Situation (auch für ein etwaiges Insolvenzverfahren) offen zu halten: Sobald ein Unternehmen erst einmal stillgelegt ist, ist die Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeit praktisch fast immer ausgeschlossen.55 Erst im eröffneten Verfahren soll durch die Gläubigerversammlung endgültig über die Verfahrensziele und damit über Stilllegung oder Fortführung entschieden werden (§ 157 InsO).56 Allerdings lässt sich die Vorstellung, die Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren habe einen rein vorläufigen und sichernden Charakter, nicht aufrechterhalten. Mit jeder unternehmerischen Fortführung ist zwingend eine strategische (Neu-) Ausrichtung und Zielbestimmung verbunden, die zu einem späteren Zeitpunkt „nur noch sehr begrenzt verändert oder gar neu orientiert werden kann“57. Eine ausschließlich an der Sicherung orientierte Funktionsbeschreibung ist deshalb unzureichend: Von zentraler Bedeutung für das Eröffnungsverfahren ist – wohl auch als eigenständiges Ziel – die möglichst frühzeitige Einleitung prospektiver Restrukturierungs- und Sanierungsmaßnahmen.58 Die Monate unmittelbar vor der formellen Verfahrenseröffnung stellen die erste und damit entscheidende Phase der (materiellen) Insolvenz dar; die Sanierung eines in die Krise geratenen Unternehmens muss nach allgemeiner Ansicht möglichst frühzeitig vorbereitet und eingeleitet werden, um überhaupt Aussicht auf Erfolg haben zu können.59 Um diese „letzte Chance“ auf eine Sanierung in der Zeit 53  Wichtigstes Mittel hierzu ist sicherlich die Insolvenzgeldvorfinanzierung, vgl. eingehend hierzu S. 60 ff. 54 Vgl. Schröder, in: HambKomm-InsO, § 22 Rn. 58 ff.; Schmerbach, in: FK‑InsO, § 22 Rn. 67 ff.; Rüntz, in: HK‑InsO, § 22 Rn. 18 ff. 55  Hirte, in: Uhlenbruck-InsO, § 11 Rn. 11; Beck/Wimmer, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 5 Rn. 88. 56  BGH, Beschl. v. 14. 12. 2000 – IX ZB 105/00, BGHZ 146, 165, 172 = NJW 2001, 1496, 1497; Mönning, in: Nerlich/Römermann-InsO, Vor §§ 11 bis 34 InsO Rn. 15. 57  Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 22 Rn. 90. 58  Die Einleitung von Sanierungsmaßnahmen als eigenständiges Verfahrensziel schon des Eröffnungsverfahrens beschreiben bspw. Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb der vorläufigen Insolvenzverwaltung, § 1 Rn. 10 ff. Ebenso Hölze, in: Schmidt-InsO, § 22 Rn. 8; Mönning, in: Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 11 Rn. 5. 59  Pape/Radtke, in: K/P/B‑InsO, § 16 Rn. 4; Uhlenbruck/Vuia, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 14 Rn. 1; Icks/Kranzusch, Sanierungen in Insolvenzverfahren, S. 10, 124. Auch der Gesetzgeber verfolgte mit dem ESUG das Ziel einer möglichst frühzeitigen Antragstellung, um die Mittel des Insolvenzverfahrens nutzen zu können „bevor keine Sanierungschancen mehr bestehen“, vgl. RegE zum ESUG, BT‑Drs. 17/5712, S. 1.

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Kapitel 1: Rechtliche Rahmenbedingungen des Insolvenzeröffnungsverfahrens

der Antragsprüfung nicht zu verspielen, kommt dem Insolvenzeröffnungsverfahren, auch getrieben von allgemeiner „Sanierungseuphorie“, eine aktiv gestaltende Funktion zu. Das Eröffnungsverfahren wird – sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich seiner Dauer – geprägt durch die Spannungen und die oft „kaum lösbare[n] Konflikt[e]“60 die sich aus der beschriebenen Funktionsvielfalt ergeben. 3.  Die Sonderform des Eröffnungsverfahrens in Eigenverwaltung Zur umfassenden Darstellung soll auch die Sonderform des Eröffnungsverfahrens, die vorläufige Eigenverwaltung, kurz umrissen werden. In der Zeit zwischen Antragstellung und Eröffnung wird zwar in aller Regel ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, zwingend ist dies allerdings nicht: Mit den Verfahren nach §§ 270a, 270b InsO besteht für den Schuldner unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, schon das Eröffnungsverfahren in Eigenverwaltung durchzuführen.61 Die „einfache“ vorläufige Eigenverwaltung (§ 270a InsO) stellt sich zunächst nur als beschränkte Abwandlung des „Regeleröffnungsverfahrens“ dar. Hat der Schuldner einen „nicht offensichtlich aussichtlos[en]“ Eigenverwaltungsantrag gestellt, gibt es also insbesondere keine Anzeichen für eine drohende Gläubigergefährdung,62 so soll das Gericht von der Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters und dem Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbots oder Zustimmungsvorbehalts absehen.63 Allerdings bestehen – wie bei jedem Regelverfahren  – die Pflicht und die Kompetenz des Gerichtes, Sicherungsmaßnahmen anzuordnen, sobald dies erforderlich wird. Das Gericht überprüft laufend (unterstützt von einem vorläufigen Sachwalter) die Entwicklung der schuldnerischen Situation und wird ein „normales“ Eröffnungsverfahren mit vorläufiger Verwaltung und Verfügungseinschränkungen anordnen, wenn die Voraussetzungen der Eigenverwaltung entfallen.64 Zu einem regulären Eröff-

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Undritz, NZI 2007, 65. Eingehend zu der eklatanten Spannung zwischen passiver Sicherungstätigkeit und aktiver Betriebsgestaltung durch den vorläufigen Verwalter auch Binder, KTS 2006, 1, 28 ff.; vgl. auch S. 249 ff. 61  Auch wenn die vorläufige Eigenverwaltung nach dem ESUG einen „regelrechten Boom“ erlebt haben sollte (so Haarmeyer/Buchalik, ZInsO 2013, 26, 27), ist sie doch noch immer der seltene Ausnahmefall (vgl. die Studie von Moldenhauer/Wolf, Fünf Jahre ESUG, S. 2, http:// media-publications.bcg.com/13mar2017-Studie.pdf zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018). 62 Diese Prognose ist Kernvoraussetzung der gerichtlichen Anordnung, vgl. Haas, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 88 Rn. 4. Allgemein zu den Anordnungsvoraussetzungen Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, § 270a Rn. 2 ff. 63  Durch § 270a Abs. 1 S. 1 InsO wird also lediglich die Generalklausel des § 21 Abs. 1, 2 InsO in Teilen eingeschränkt, vgl. Hofmann, Eigenverwaltung, S. 111 f. 64  LG Halle, Beschl. v. 14. 11. 2014 – 3 T 86/14, NZI 2014, 1050; Hofmann, Eigenverwaltung, S. 97 f., 111 f.; Undritz, in: Schmidt-InsO, § 270a Rn. 8. A. A. Madaus, NZI 2014, 1053.



B.  Notwendige Voraussetzungen zur Beendigung des Eröffnungsverfahrens

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nungsverfahren, welches ebenfalls auf notwendige, verhältnismäßige Maßnahmen beschränkt ist,65 bestehen also keine fundamentalen Unterschiede. Unter noch engeren Voraussetzungen kann ein „Schutzschirmverfahren“ nach § 270b InsO angeordnet werden, bei dem das gerichtliche Ermessen zugunsten des Schuldners deutlich weitergehender beschränkt wird: Der Schuldner kann Vollstreckungsschutz und die Kompetenz zur Masseschuldbegründung beantragen sowie den konkreten Sachwalter bestimmen (Abs. 2, 3).66 Vor allem aber wird dem Schuldner eine (maximal) dreimonatige Frist gewährt, in der dieser einen Insolvenzplan erarbeiten kann und grds. nicht fürchten muss, dass zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet wird (Abs. 1 S. 1, 2).67 Nur unter besonderen Voraussetzungen ist die vorzeitige Aufhebung dieses Schutzes möglich (Abs. 4). Für die Frage nach der Dauer von Eröffnungsverfahren besteht deshalb bei § 270b InsO eine entscheidende Besonderheit: Wegen der frühzeitigen, besonders vorbereiteten und auf Sanierung ausgerichteten Antragstellung wird hier vorab die Dauer des Eröffnungsverfahrens planmäßig und ausdrücklich festgelegt.68 Auf die Verfahren nach §§ 270a, 270b InsO wird im Folgenden nur dort gesondert eingegangen, wo dies durch die Besonderheiten dieser Verfahren angezeigt ist.

B.  Notwendige Voraussetzungen zur Beendigung des Eröffnungsverfahrens Die Dauer von Insolvenzeröffnungsverfahren und damit auch die Frage, ab wann eine (rechtlich nicht notwendige) Ausdehnung dieses Abschnitts vorliegt, hängt zunächst von dessen zwingend notwendigem Inhalt ab: Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens setzt die Zulässigkeit des Insolvenzantrags, das Vorliegen eines Insolvenzgrundes und die voraussichtliche Deckung der Verfahrenskosten voraus. Die gerichtliche Feststellung (allein) dieser drei Aspekte ist „im eigentlichen Sinne entscheidungserheblich“69. Die hierauf gerichteten Ermittlungen sind zwingender Bestandteil des Eröffnungsverfahrens und bestimmen so zumindest formal dessen (Mindest-)Dauer.70 65 

Vgl. hierzu ausführlich Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 21 Rn. 3 ff., 43. Hofmann, Eigenverwaltung, S. 123, 130 f.; Haas, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 88 Rn. 17, 50 ff. 67  Vgl. hierzu Hofmann, Eigenverwaltung, S. 129 f.; Buchalik, ZInsO 2012, 349, 353, 356. 68 Allerdings stellt sich die Frage, wie nach Ablauf der Frist vorzugehen ist, wenn die Eröffnungsvoraussetzungen noch nicht feststehen sollten oder die Eröffnung aus sonstigen Gründen verzögert wird; insoweit ist auf die allgemeinen Vorschriften und Überlegungen zurückzugreifen, Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, § 270b Rn. 79. 69  Vallender, ZInsO 2010, 1457, 1459. 70  Icks/Kranzusch, Sanierung in Insolvenzverfahren, S. 74. 66 

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Kapitel 1: Rechtliche Rahmenbedingungen des Insolvenzeröffnungsverfahrens

Auch wenn keine konkreten Daten zu der Frage vorliegen, wie viel Zeit diese Prüfung regelmäßig bzw. durchschnittlich in Anspruch nimmt, sollen im Folgenden zumindest die wesentlichen Faktoren der gerichtlichen Prüfung bzgl. ihrer notwendigen Intensität und Dauer thematisiert werden. Hierbei steht die Phase nach der „Antragszulassung“, also das sog. „Hauptprüfungsverfahren“ im Fokus;71 dies im Wesentlichen aus zwei Gründen: Zum einen dauert diese zweite Phase i. d. R. deutlich länger als das „Zulassungsverfahren“. So erfolgt die Bestellung eines Gutachters bzw. vorläufigen Verwalters – bei der typischerweise die Zulässigkeit bereits bejaht wurde – oft nur wenige Stunden nach Eingang des Insolvenzantrags.72 Das Gericht nimmt nach Antragseingang zunächst nur eine summarische Prüfung hinsichtlich der Zulässigkeit vor,73 stellt keine eigenen Ermittlungen an und wird, falls sich die Zulässigkeit nicht unmittelbar aus den vorgelegten Unterlagen ergibt, dem Antragsteller eine (kurze) Frist zur Nachbesserung geben und nach deren Ablauf den Antrag abweisen oder zulassen.74 Zum anderen kommen viele Probleme und Spannungen des Eröffnungsverfahrens erst in dieser zweiten Phase auf: So werden bspw. vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach §§ 21, 22 InsO grds. erst dann erlassen, wenn die Zulässigkeit feststeht.75 Von diesem Zeitpunkt an wird regelmäßig in die Rechte von Schuldner und Gläubigern eingegriffen,76 mittelbar kommt es so nun zur Öffentlichkeit des Verfahrens und dem hiermit oftmals verbundenen Reputationsverlust.77 Schließlich werden auch die ersten Maßnahmen und Entscheidungen zur Betriebsfortführung und etwaigen Sanierung durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter, also nach der Zulässigkeitsprüfung, getroffen.

I.  Feststellung eines Insolvenzgrundes Zentral und wesensbestimmend für das Insolvenzeröffnungsverfahren ist die gerichtliche Feststellung eines Eröffnungsgrundes, also des das Insolvenzverfahren rechtfertigenden Elements. 71 

Zur Abgrenzung dieser Verfahrensabschnitte schon zuvor, S. 7 ff. Herchen, NZI 2006, 435, 436 sowie die Daten von Icks/Kranzusch, Sanierung in Insolvenzverfahren, S. 73. 73  OLG Celle, Beschl. v. 9. 2. 2000 – 2 W 101/99, NZI 2000, 214, 217; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rn. 504. 74  Nun positiv geregelt in § 13 Abs. 3 InsO; vgl. auch BGH, Beschl. v. 12. 12. 2002 – IX ZB 426/02, BGHZ 153, 205 = NZI 2003, 147; Schmerbach, in: FK‑InsO, § 13 Rn. 47. 75  Zumindest aber muss die Zulässigkeit überwiegend wahrscheinlich und die vorgezogene Sicherungsanordnung erforderlich sein, BGH, Beschl. v. 22. 3. 2007 – IX ZB 164/06, NZI 2007, 344 f. Rz. 8 ff. Vgl. hierzu Hölzle, in: Schmidt-InsO, § 21 Rn. 7 f. 76  Bspw. durch Verfügungsverbote oder Untersagung der Einzelzwangsvollstreckung (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 InsO). 77  Dies macht die beschriebene Schwelle zum „point of no return“ der Insolvenz, Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 642. 72 Vgl.



B.  Notwendige Voraussetzungen zur Beendigung des Eröffnungsverfahrens

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1.  Die Notwendigkeit des Insolvenzgrundes Mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens verbinden sich regelmäßig drastische Einschnitte in die Rechtspositionen aller Beteiligten: So können bspw. die Gläubiger ihre Forderungen nicht mehr im Wege der Einzelzwangsvollstreckung, sondern nur noch i. R. d. Insolvenzverfahrens geltend machen (§§ 87, 89 InsO), sind also zwangsweise der kollektivierten Haftungsverwirklichung unterworfen.78 Bereits erlangte Sicherheiten und Befriedigungen müssen u. U. sogar zugunsten der Gläubigergesamtheit rückerstattet werden (§§ 129 ff. InsO).79 Der Schuldner verliert die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein eigenes Vermögen (§§ 80 Abs. 1, 148 InsO) und damit wesentliche Teile seiner Privatautonomie. Handelt es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person, so wird diese durch die Verfahrenseröffnung – wenn keine Sanierung im Planverfahren mehr erfolgen kann – aufgelöst (s. insbes. § 42 Abs. 1 S. 1 BGB, § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG).80 Die beteiligten Gesellschafter verlieren so „ihre“ Gesellschaft. Doch auch wenn die Gesellschaft rechtsträgererhaltend gerettet und saniert werden kann, droht den (Alt-)Eigentümern nicht selten die „Verwässerung“ oder sogar der Entzug ihrer Anteils- und Mitgliedschaftsrechte (§§ 217 S. 2, 225a Abs. 3 InsO).81 Eine – auch verfassungsrechtlich notwendige82 – Legitimierung solch weitgehender Rechtseingriffe ergibt sich allein aus dem Vorliegen eines Insolvenzgrundes, weswegen das Gericht bei der entsprechenden Prüfung besondere Sorgfalt walten lassen muss.83 Die Verfahrenseröffnung setzt, wie § 16 InsO einfachgesetzlich klarstellt, das tatsächliche Vorliegen der materiellen Insolvenz voraus. Nur wenn sich im Eröffnungsverfahren herausstellt, dass der Schuldner zahlungsunfähig (§ 17 InsO) bzw. überschuldet (§ 19 InsO) ist oder in einem Eigenantrag die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) nachgewiesen wird, darf das Insolvenzverfahren überhaupt eröffnet werden. Hieraus ergibt sich die erste für die Dauer des Eröffnungsverfahrens relevante Erkenntnis: Eine nur 78  Balz, ZIP 1988, 1438; Bremen, in: Graf-Schlicker-InsO, § 16 Rn. 1. Grundlegend zur wechselseitigen Ausgleichshaftung der Gläubiger Häsemeyer, KTS 1982, 507. 79  Gundlach, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 6 Rn. 1. Vgl. zudem Mock, in: Uhlenbruck-InsO, § 16 Rn. 3. 80  Hirte, in: Uhlenbruck-InsO, § 11 Rn. 103 ff. 81 Vgl. Bulgrin, Die strategische Insolvenz, S. 116, 151. Typische Maßnahme ist der debt-to-equity-swap verbunden mit einem Kapitalschnitt auf Null und der Heraufsetzung des Kapitals unter Ausschluss der Bezugsrechte der Altgesellschafter, instruktiv hierzu Brinkmann, in: Brinkmann/Shirvani, Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 155, 159 ff. Ausführlich zu dieser „typischen“ Maßnahmen statt vieler Pühl, Der Debt Equity Swap. 82  Pape/Radtke, in: K/P/B‑InsO, § 16 Rn. 2 f. Die konkrete (rechtfertigende) Wirkung der einzelnen Eröffnungsgründe hinsichtlich des Eigentums der Gesellschafter beschreibt Brinkmann, in: Brinkmann/Shirvani, Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 155, 167 ff. 83  BGH, Urt. v. 5. 11. 1956 – III ZR 139/55, KTS 1957, 12, 13; Schmahl/Vuia, in: MüKoInsO, § 16 Rn. 8.

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Kapitel 1: Rechtliche Rahmenbedingungen des Insolvenzeröffnungsverfahrens

oberflächliche Prüfung zugunsten einer möglichst frühzeitigen Entscheidung ist nicht statthaft; das Gericht hat in jedem Fall – unabhängig von der Person des Antragstellers84 – festzustellen, ob ein Insolvenzgrund gegeben ist. Die hierfür erforderliche Zeitspanne ist notwendiger Bestandteil des Eröffnungsverfahrens. 2.  Die notwendige Überzeugung des Gerichts Wann die materielle Insolvenz i. S. d. § 16 InsO „gegeben ist“, wann also diesbezüglich eine Entscheidung und damit die Beendigung des Eröffnungsverfahrens möglich ist, richtet sich u. a. nach dem notwendigen Grad der Überzeugung des Gerichtes: Welche Feststellungen müssen getroffen, welche Auffassungen gebildet werden? Auch wenn die Insolvenzordnung auf den ersten Blick vorauszusetzen scheint, dass der Insolvenzgrund „objektiv“ vorliegt, kann es letztlich – wie allgemein bei gerichtlicher Entscheidungsfindung85 – nur auf die diesbezügliche gerichtliche Überzeugung ankommen.86 Der BGH greift in diesem Kontext seine Anastasia-Rechtsprechung auf, wonach eine von allen Zweifeln freie Überzeugung nicht vorauszusetzen ist: „Der Richter darf und muss sich […] mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.“87 Für die Intensität der Ermittlung – und damit mittelbar auch für die „Mindestdauer“ des Eröffnungsverfahrens – bedeutet dies, dass der Insolvenzrichter entscheiden kann, sobald er persönliche Gewissheit bezüglich der relevanten Tatsachen gewonnen hat.88 Der Umfang der notwendigen Ermittlungen und der gerichtlichen Überzeugung wird zudem inhaltlich, hinsichtlich des Gegenstands begrenzt. § 16 InsO verlangt, dass ein Insolvenzgrund vorliegt; e contrario lassen sich aus dieser 84 Auch wenn der Schuldner einen Insolvenzgrund einräumt, muss das Gericht prüfen, Müller, in: Jaeger-InsO, § 16 Rn. 10; Pape/Radtke, in: K/P/B‑InsO, § 16 Rn. 23. Dass diese Feststellung zwingend ist, wird gerade mit Blick auf die (Sanierungs-)Möglichkeiten des Insolvenzplanverfahrens und die Restschuldbefreiung offensichtlich, vgl. Schmahl/Vuia, in: MüKo-InsO, § 16 Rn. 9. 85  Prütting, in: MüKo-ZPO, § 286 Rn. 11, 32 ff.; Beth, NZI 2014, 487, 490. 86  BGH, Beschl. v. 18. 12. 2014 – IX ZB 34/14, NZI 2015, 220; Schmahl/Vuia, in: MüKoInsO, § 16 Rn. 34 f.; Laumen/Vallender, NZI 2016, 609, 613. Anders Mönning, in: Nerlich/ Römermann-InsO, § 16 Rn. 7 („die subjektive Überzeugung des Entscheidungsträgers [Insolvenzgericht] reicht nicht aus.“), so auch Bulgrin, Die strategische Insolvenz, S. 129. 87  BGH, Urt. v. 17. 2. 1970 – III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 256 = NJW 1970, 946, 948; für die Insolvenzeröffnung aufgegriffen von BGH, Beschl. v. 13. 4. 2006 – IX ZB 118/04, NZI 2006, 405 Rz. 14; so zuvor schon Zipperer, NZI 2003, 590, 591 f. Zur notwendigen richter­ lichen Gewissheit jüngst auch AG Ludwigshafen, Beschl. v. 22. 6. 2016 – 3b IN 451/14 Sp, ZIP 2017, 586. 88  Er ist hierbei nicht an Beweisregeln gebunden, sondern nur „seinem Gewissen unterworfen“, so Zipperer, NZI 2012, 385, 391. Vgl. auch Nissen, in: Bork/Hölzle, Hdb Insolvenzrecht, Kap. 3 Rn. 87.



B.  Notwendige Voraussetzungen zur Beendigung des Eröffnungsverfahrens

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Formulierung zwei Einschränkungen ableiten: Erstens wird deutlich, dass die Eröffnung nur voraussetzt, dass (irgend-)ein Insolvenzgrund festgestellt werden kann. Das Gericht ist folglich bei seiner Ermittlung und Entscheidung nicht an den im Insolvenzantrag benannten Insolvenzgrund gebunden.89 Die Gründe sind – solange sie im jeweiligen Verfahren zulässig sind90 – frei austauschbar.91 Zwar muss das Insolvenzgericht alle in Betracht kommenden Eröffnungsgründe prüfen, bevor es einen Antrag abweist,92 für eine Eröffnung ist dies allerdings nicht notwendig. Sobald ein Insolvenzgrund zur gerichtlichen Überzeugung feststeht, ist der Anforderung des § 16 InsO genüge getan. Ob also bspw. neben einer (offenkundigen) Zahlungsunfähigkeit zugleich auch Überschuldung vorliegt, ist für die Eröffnungsentscheidung irrelevant.93 Zweitens setzt § 16 InsO nur voraus, dass ein Insolvenzgrund im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts vorliegt.94 Für den Eröffnungsbeschluss ist zumindest hinsichtlich des Insolvenzgrundes nicht relevant, wann die Insolvenz eingetreten ist.95 Entsprechend aufwändige, retrospektive Ermittlungen, die das Eröffnungsverfahren i. d. R. weiter ausdehnen, sind für die Verfahrenseröffnung grds. nicht erforderlich.96 Es genügt, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag ein Insolvenzgrund zur vollen gerichtlichen Überzeugung vorliegt. 3.  Die Prüfung im Eröffnungsverfahren Die Ermittlung der insolvenzrechtlichen Eröffnungstatbestände stellt sich nicht selten als komplexes Unterfangen dar: Die Überprüfung der gegenwärtigen und zukünftigen Liquiditätslage eines Unternehmens, die Erstellung einer belastbaren Fortführungsprognose und auch die Ermittlung und Bewertung einer Vielzahl von Forderungen, Verbindlichkeiten und Vermögensgegenständen fordern 89 

Mock, in: Uhlenbruck-InsO, § 16 Rn. 6; Müller, in: Jaeger-InsO, § 16 Rn. 8. der (allgemeine) Grund der Zahlungsunfähigkeit gilt für alle Schuldner und Anträge; Überschuldung kommt als Eröffnungsgrund nur bei bestimmten Schuldnern in Betracht, Schmerbach, in: FK‑InsO, § 19 Rn. 5. Für die hier zentralen Unternehmensinsolvenzen greift § 19 Abs. 1 bzw. Abs. 3 InsO jedoch vergleichsweise häufig. Eine Eröffnung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit ist nur bei einem Eigenantrag des Schuldners möglich, Schröder, in: HambKomm-InsO, § 16 Rn. 13. 91  Mock, in: Uhlenbruck-InsO, § 16 Rn. 6. 92  Rüntz, in: HK‑InsO, § 16 Rn. 7. 93  So wohl auch Pape, in: K/P/B‑InsO, § 19 Rn. 48. 94  Dass es auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ankommt, ist mittlerweile herrschende Meinung, grundlegend BGH, Beschl. v. 27. 7. 2006 – IX ZB 204/04, BGHZ 169, 17 = NZI 2006, 693; Pape/Radtke, in: K/P/B‑InsO, § 16 Rn. 33 m. w. N. Dies führt bei langen Eröffnungsverfahren zu nicht unerheblichen Problemen, vgl. hierzu S. 222 ff. 95  Für die Eröffnungsentscheidung ist die Frage des Zeitpunktes dann von Interesse, wenn die Verfahrenskostendeckung fraglich ist. Dann kommt es oftmals insbesondere auf Anfechtungsansprüche an, die sich ihrerseits nur durch den Zeitpunkt des Eintritts der materiellen Insolvenz bestimmen lassen; hierzu Haarmeyer, ZInsO 2009, 1273, 1279 f. 96  Ähnlich auch Vallender, ZInsO 2010, 1457, 1464. 90  Allein

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Kapitel 1: Rechtliche Rahmenbedingungen des Insolvenzeröffnungsverfahrens

neben besonderem juristischen und betriebswirtschaftlichen Sachverstand auch die entsprechende Zeit.97 Ohne genauer auf die vielfältigen rechtlichen und praktischen Probleme der Feststellung der Insolvenzgründe einzugehen,98 lassen sich für den Gegenstand dieser Untersuchung zwei wesentliche Feststellungen treffen: Erstens wird die gerichtliche Prüfung und deren Dauer primär und entscheidend von der Kooperation und Buchführung des Schuldners bestimmt. Wenn die entsprechenden (gesetzlichen)99 Pflichten zur ordnungsmäßigen Dokumentation von Geschäftsvorfällen und Vermögensentwicklung eingehalten wurden und den insolvenzrechtlichen Mitwirkungs- und Auskunftspflichten entsprochen wird,100 lässt sich die notwendige Überzeugung des Gerichts vom Vorliegen der materiellen Insolvenz regelmäßig binnen kurzer Zeit gewinnen.101 Im gegenteiligen Fall wird sich die Sachverhaltsermittlung oft schwierig darstellen und entsprechend lang andauern.102 Ob sich die notwendige Feststellung des Eröffnungsgrundes also in Stunden, Tagen oder Wochen feststellen lässt, ist hinsichtlich dieses Faktors eine Frage des Einzelfalls. Hervorzuheben ist zweitens, dass die besondere Situation des Eröffnungsverfahrens oftmals einen direkt Einfluss auf die Liquiditätslage und die Fortführungsprognose des Schuldnerunternehmens hat und sich so unmittelbar auf die gerichtliche Prüfung, ihre Komplexität und Dauer auswirkt. Zur Begründung dieser These muss auf die multifunktionale Bedeutung der Insolvenztatbestände zurückgegriffen werden: Die Insolvenzgründe schaffen nicht nur die Befugnis des Gerichts zur Verfahrenseröffnung, sondern wirken vielmehr sowohl im Vorfeld (Selbstprüfung des Schuldners) als auch im Nachhinein (insbesondere bzgl. Haftung und Insolvenzanfechtung).103 Sie begründen zunächst eine Selbstprüfungspflicht des Schuldners, der – jedenfalls im Anwendungsbereich des § 15a InsO – durchgehend kontrollieren muss, ob er zahlungsunfähig oder 97 

Zu den umfangreichen Anforderungen, die deshalb an einen Sachverständigen zu stellen sind Vallender, ZInsO 2010, 1457. 98 Vgl. stattdessen aus der Fülle der Literatur Nickert/Lamberti, Überschuldungs- und Zahlungsunfähigkeitsprüfung; Schäfer, Der Eröffnungsgrund der Überschuldung; Dittmer, Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit; Brahmstaedt, Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit; Brinkmann und Schmidt in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.6 ff., 5.38 ff., 5.81 ff.; Harz/ Bornmann/Conrad/Ecker, NZI 2015, 737; Frystatzki, NZI 2014, 840; Staufenbiel/Hoffmann, ZInsO 2008, 785, 838, 891. 99  Vgl. insbesondere § 238 HGB, § 91 AktG, § 41 GmbHG. 100  § 20 InsO, vgl. Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, § 20 Rn. 6 ff. 101  So wohl auch Zipperer, NZI 2012, 385, 391 f. 102  Vgl. ebd. Zu möglichen Zwangsmaßnahmen bei Verletzung der Mitwirkungspflichten Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, § 20 Rn. 34 ff. 103  Deshalb beschäftigt die Prüfung „Geschäftsführer, Zivilgerichte und Strafgerichte weitaus mehr als das Insolvenzgericht“, Schmidt, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.82 zu § 19 InsO.



B.  Notwendige Voraussetzungen zur Beendigung des Eröffnungsverfahrens

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überschuldet ist.104 Vor allem der Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit soll im Vorfeld der (eingetretenen) Insolvenz wirken. Der Schuldner soll möglichst früh auf eine unternehmerische Krise reagieren und die (Sanierungs-) Möglichkeiten der Insolvenzordnung einleiten können.105 Gerade in dieser vorinsolvenzlichen Prüfung im „laufenden Betrieb“ liegt die schwerpunktmäßige Bedeutung der Insolvenzgründe.106 Gleichzeitig stellt sich die Feststellung der Gründe in dieser Phase – also vor Stellung eines Insolvenzantrags – oftmals als deutlich schwieriger dar als innerhalb des Eröffnungsverfahrens: Ist ein zulässiger Antrag erst einmal gestellt und vor allem öffentlich geworden, so wird sich in aller Regel die Liquiditätslage des Schuldners sofort akut verschlechtern, da dessen Vertragspartner als Reaktion regelmäßig ihre Forderungen fällig stellen, Zahlungsziele korrigieren, Kreditlinien kündigen etc.107 Die Zahlungsunfähigkeit tritt hierdurch regelmäßig offen und eindeutig zu Tage.108 Auch für den Tatbestand der Überschuldung, der grds. sehr viel schwieriger festzustellen ist,109 greift diese Feststellung: Überschuldet ist ein Unternehmen gem. § 19 Abs. 2 S. 1 InsO nur dann, wenn neben der bilanziellen Überschuldung eine negative Fortführungsprognose besteht.110 Gerade die Feststellung dieser Fortführungsaussichten stellt sich im Normalfall als besonders komplexes Unterfangen dar;111 innerhalb des Eröffnungsverfahrens wird jedoch die (negative) Prognose nicht selten evident. Hier macht die Feststellung des Insolvenzgrundes „hergebrachterweise die geringsten Schwierigkeiten, weil die

104  Haas/Kolmann/Pauw, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 92 Rn. 77; Schmidt/Herchen, in: Schmidt-InsO, § 15a Rn. 25. 105  Drukarczyk/Schüler, in: KölSch, Kap. 2 Rn. 43 f.; Mönning, in: Nerlich/RömermannInsO, § 18 Rn. 16 f., 46 ff. 106  Schmidt, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.82 f., 5.106. 107  Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 638 ff.; ders., ZIP 2014, 197, 199; Laroche, ZInsO 2015, 2511, 2513 f.; Klinck, ZIP 2013, 853, 854. Dies macht den Insolvenzantrag nicht selten zu einer „self-fulfilling prophecy“, vgl. eingehend hierzu noch S. 222 ff. 108 „Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit bereitet in der Praxis keine größeren Schwierigkeiten“ und ist häufig „bereits wenige Stunden nach dem Antrag“ möglich, so Grub, in: Kübler, Neuordnung des Insolvenzrechts, S. 79, 83. Ähnlich die Einschätzung des Gravenbrucher Kreises, ZIP 1989, 468, 473. 109  Pape, in: K/P/B‑InsO, § 19 Rn. 48; Nissen, in: Bork/Hölzle, Hdb Insolvenzrecht, Kap. 3 Rn. 119. Dieser Unterschied in der Nachweisbarkeit wird wohl vor allem auch durch die gesetzliche Vermutung des § 17 Abs. 2 S. 2 InsO begründet, vgl. hierzu insbes. BGH, Beschl. v. 13. 4. 2006 – IX ZB 118/04, NZI 2006, 405 Rz. 14. Einen umfassenden Überblick über die vom BGH hierfür anerkannten Indizien gibt Neuhof, in: FS Beck, S. 355, 362 ff.; vgl. auch. Laumen/ Vallender, NZI 2016, 609, 613 f.; jüngst hierzu auch AG Göttingen, Beschl. v. 12. 4. 2016 – 74 IN 164/15, ZInsO 2016, 1072. 110  Schröder, in: HambKomm-InsO, § 19 InsO Rn. 6 f., 12 ff. 111  Die Prüfung der Fortführungsaussichten ist die „anspruchsvollste und schwierigste“ (Sachverständigen-)Aufgabe des Eröffnungsverfahrens, Vallender, ZInsO 2010, 1457, 1459. Vgl. hierzu auch Fischer, NZI 2016, 665.

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Kapitel 1: Rechtliche Rahmenbedingungen des Insolvenzeröffnungsverfahrens

negative Prognosewirkung des Insolvenzantrags selbst zum Überschuldungseintritt beiträgt“112. Es bleibt schließlich zu vermuten, dass die Ermittlung eines Insolvenzgrundes in einigen Verfahren schwierig und langwierig sein wird, dass aber in vielen anderen Verfahren die materielle Insolvenz schon lange vor Antragstellung bestand,113 durch das Eröffnungsverfahren „vertieft“ wird und die Insolvenzgründe in dieser besonderen Situation „oft eindeutig und klar feststellbar“114 sind.

II.  Deckung der Verfahrenskosten Notwendige Voraussetzung für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist schließlich die begründete Annahme, dass sich aus dem schuldnerischen Vermögen zumindest die Kosten des Insolvenzverfahrens begleichen lassen (§ 26 Abs. 1 S. 1 InsO). Von Amts wegen ist also zu prüfen, ob die (zukünftige) Masse voraussichtlich mindestens so groß sein wird, dass die Gerichtskosten sowie die Vergütungen und Auslagen des (vorläufigen und endgültigen) Insolvenzverwalters und des Gläubigerausschusses getragen werden können (§ 54 InsO).115 Hierbei gilt im Grundsatz das Gleiche wie bei der beschriebenen Ermittlung des Insolvenzgrundes: Ob die Prüfung und Entscheidung zügig von statten gehen kann oder langwierige, komplexe Ermittlungen anzustellen sind, ist eine Frage des Einzelfalls. In einigen Fällen wird sich die kritische „Mindestmasse“ schnell und zweifelsfrei feststellen lassen; zu denken ist bspw. an ein (nicht unerheblich) gefülltes Bankkonto, eine entsprechende Barkasse oder ein volles Warenlager. In anderen Fällen müssen schwierige Ermittlungen und Bewertungen zu liquidierbarem Sachvermögen und Forderungen, zu Anfechtungs- und Haftungsansprüchen und zu absehbarem Neuerwerb angestellt werden.116 Auch die Klärung der Frage, ob ein (die Eröffnung ermöglichender) Kostenvorschuss 112  Schmidt, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.106; zur überschuldungsbegründenden Wirkung eines Eigenantrags ders., in: Schmidt-InsO, § 19 Rn. 54. Vgl. auch Brinkmann, ZIP 2014, 197, 199. 113  Kirstein kam in seiner Studie bspw. zu dem Ergebnis, dass die Insolvenzanträge durchschnittlich über 10 Monate nach Eintritt des Insolvenzgrundes (nach §§ 17, 19 InsO) gestellt werden (Kirstein, ZInsO 2006, 966). 114  Kolbach, ZInsO 2015, 1422, 1426; ähnlich Spliedt, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.462 („oft evident“); AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2004 – 67g IN 97/04, ZInsO 2004, 630, 631. 115  Im Falle der Insolvenz einer natürlichen Person kann es zur Kostenstundung kommen, woraufhin eine Prüfung und Entscheidung nach § 26 InsO ausbleibt (§§ 26 Abs. 1 S. 2 Alt. 2, § 4a InsO), vgl. hierzu Mönning/Zimmermann, in: Nerlich/Römermann-InsO, § 26 Rn. 117 ff. 116 Ausreichend für die Eröffnung ist, dass die notwendigen Kosten im Laufe des Verfahrens erwirtschaftet werden können, Zipperer, NZI 2012, 385, 391; Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 26 Rn. 13 f.



B.  Notwendige Voraussetzungen zur Beendigung des Eröffnungsverfahrens

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geleistet werden soll (§ 26 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 InsO), besonders aber, ob dieser geleistet werden muss (Abs. 4 S. 1) kann sich ähnlich schwierig gestalten. Auch wenn sich dieser wesentliche Faktor („Umstände des einzelnen Falls“) nicht konkret beziffern und beurteilen lässt, ermöglichen einige Hinweise eine allgemeine Einschätzung: Mit der Schaffung der Insolvenzordnung wurde die Schwelle der notwenigen Mindestmasse deutlich gesenkt. Nur die Deckung der „echten“ Verfahrenskosten i. S. d. § 54 InsO muss abzusehen sein. Sonstige, auch unausweichliche Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) bleiben hingegen, auch wenn dies durchaus umstritten war, bei der Eröffnungsentscheidung außer Betracht.117 Folglich müssen im Eröffnungsverfahren – anders als zu Zeiten der KO – keine aufwändigen Prognosen bzgl. der zu erwartenden Masseverbindlichkeiten durchgeführt werden.118 Der Umfang der notwendigen gerichtlichen Ermittlungen wird somit sowohl inhaltlich als auch zeitlich deutlich begrenzt.119 Ziel dieser Neuregelung war die Sicherstellung der „rechtzeitige[n] und leichtere[n] Eröffnung der Verfahren“120; es sollte nicht nur häufiger, sondern auch schneller zur Verfahrenseröffnung kommen. Die Reduzierung der notwendig gedeckten Kosten führt dazu, dass – bei Zulässigkeit und Begründetheit des Antrags – eine Verfahrenseröffnung schon dann möglich ist, wenn verwertbares Vermögen im Wert von wenigen tausend Euro festgestellt werden kann.121 Sobald eine solche kritische Masse offenbar wird, erübrigt sich hinsichtlich der Vorgabe des § 26 InsO eine weitere detaillierte Prognose zu Verfahrenskosten und liquidierbarem Vermögen. Für die Eröffnungsentscheidung reicht es aus, dass die Kostendeckung – anders als der Insolvenzgrund – lediglich wahrscheinlich ist;122 nicht selten kann folglich umgehend eröffnet werden.123 Lässt sich demgegenüber nicht sofort und eindeutig klären, ob die kritische Schwelle der Kostendeckung überstiegen wird, steht also die Möglichkeit eines 117  So explizit der RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 118. Vgl. zum Streit um den Kostenbegriff m. w. N. Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 26 Rn. 9 ff. 118 Anderenfalls würden sich die Ermittlungen im Eröffnungsverfahren „über einen wesentlich längeren Zeitraum hinziehen“, Pannen, NZI 2000, 575. 119  Schilken, in: Jaeger-InsO, § 26 Rn. 19. 120  RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 84 f.; s. auch Denkhaus, in: HambKomm-InsO, § 26 Rn. 23. 121 Bei Unternehmensinsolvenzen sind wohl durchschnittlich Verfahrenskosten i. H. v. etwa 2.000 bis 5.000 Euro zu erwarten, so etwa Denkhaus, in: HambKomm-InsO, § 26 Rn. 35; Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 26 Rn. 28; ders., in: FS Fischer, S. 193, 197 Fn. 8; Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 26 Rn. 22; Pannen, NZI 2000, 575; Bork, Insolvenzrecht, Rn. 117 Fn. 1. Bei größeren Unternehmen und insbes. bei deren Fortführung wird es allerdings i. d. R. zu höheren Kosten kommen, hierzu mit eigener Datenauswertung Icks/Kranzusch, Sanierung in Insolvenzverfahren, S. 106. 122  BGH, Beschl. v. 13. 4. 2006 – IX ZB 118/04, NZI 2006, 405 Rz. 15; Rüntz, in: HK‑ InsO, § 26 Rn. 3; Schilken, in: Jaeger-InsO, § 26 Rn. 27; vgl. auch LG Hamburg, Beschl. v. 29. 6. 2016 – 326 T 76/16, ZInsO 2016, 1534 sowie AG Göttingen, Beschl. v. 12. 4. 2016 – 74 IN 164/15, ZInsO 2016, 1072, 1073. 123  Ähnlich auch Heilmaier, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 4 Rn. 246.

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Kapitel 1: Rechtliche Rahmenbedingungen des Insolvenzeröffnungsverfahrens

Abweisungsbeschlusses im Raum, so zieht sich das Eröffnungsverfahren regelmäßig über einen längeren Zeitraum.124 Käme es nämlich zu einer solchen Abweisung mangels Masse, könnte sich die Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens nicht verwirklichen.125 Aus dem Restvermögen könnten sich nur die „rücksichtslosesten Gläubiger“126 befriedigen, der soziale Frieden ließe sich somit nicht ausreichend schützen.127 Vermögensverschiebungen oder ‑verschleierungen blieben vielfach unentdeckt, kriminelles Handeln würde ggf. nicht geahndet, etwaige Anfechtungs- und Haftungsansprüche würden nicht geltend gemacht.128 Um diese Folgen möglichst zu vermeiden, erklären die Insolvenzgerichte die Abweisung mangels Masse regelmäßig vergleichsweise spät. Ist die Vermögenslage des Schuldners einmal so prekär oder verworren, dass die Kostendeckung ungewiss ist, wird das lange Eröffnungsverfahren mit weitreichenden Ermittlungen gegenüber der schnellen Abweisung richtigerweise bevorzugt.129

C. Zwischenfazit Das Insolvenzeröffnungsverfahren ist im Ausgangspunkt zunächst eine Ermittlungs- und Entscheidungsphase, wobei die Prüfung von Insolvenzgrund und Massekostendeckung inhaltlich und zeitlich den eindeutigen Schwerpunkt darstellt. Eine allgemeingültige Aussage zur Komplexität und zur Dauer dieser Ermittlungen lässt sich nicht treffen – hierin liegt insofern ein „unberechenbarer“ Faktor.130 Verschiedene Anhaltspunkte sprechen allerdings dafür, dass sich die Entscheidungsreife im Normalfall innerhalb von Tagen oder zumindest wenigen

124  Bei der dieser Arbeit zugrunde liegenden Untersuchung dauerten Verfahren, die mit einer Abweisung nach § 26 Abs. 1 InsO endeten, durchschnittlich 132 Tage, s. S. 38. Auch unter der KO war dieses Phänomen feststellbar, Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Die Praxis der Konkursabwicklung, S. 138 f. 125  Unter besonderer Fokussierung auf das Insolvenzeröffnungsverfahren hierzu Haarmeyer, in: FS Fischer, S. 193. 126  Schilken, in: Jaeger-InsO, § 26 Rn. 1. 127  Zur „Gesamtvollstreckung im Dienste des sozialen Friedens“ Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.01 ff. 128  Hierzu grundlegend Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 177 ff. Vgl. auch die gesetzgeberische Intention zur Reduzierung der Abweisungsquote, RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 72 ff. 129 In einer solchen Konstellation kann nun auch, anders als bei der Feststellung der Insolvenz, der Zeitpunkt des Insolvenzeintritts zu ermitteln sein, da sich (entscheidende) Anfechtungsansprüche hiernach richten, vgl. Haarmeyer, ZInsO 2009, 1273, 1279 f. 130 Auch die Datenerhebung und -auswertung dieser Arbeit (S. 38 ff.) gibt keinen Aufschluss darüber, welchen (zeitlichen) Anteil die Prüfung bspw. des Insolvenzgrundes im Eröffnungsverfahren einnimmt.



C. Zwischenfazit

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Wochen wird herstellen lassen.131 Würde das Insolvenzgericht zudem durch eine entsprechende Anweisung an den Gutachter bzw. den vorläufigen Verwalter eine unverzügliche Prüfung (allein) der entscheidungserheblichen Fragen veranlassen, so ließe sich die Entscheidungsreife noch früher herbeiführen.132

131  Spliedt, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.462. Vgl. auch die Einschätzung des AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2004 – 67g IN 97/04, ZInsO 2004, 630, 631. 132 Vgl. Beissenhirtz, ZInsO 2016, 1778, 1787. Hiermit ist allerdings noch nichts dazu gesagt, ob diese „Beschleunigung“ zulässig, notwendig oder sinnvoll wäre. Ähnlich kritische Hinweise zur Beauftragung durch das Gericht geben Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb vorläufige Insolvenzverwaltung, § 2 Rn. 8.

Kapitel 2

Die Dauer von Eröffnungsverfahren in der Praxis Eine Untersuchung des Insolvenzeröffnungsverfahrens, dessen Dauer und der hiermit verbundenen Konsequenzen ist nur dann in fundierter Weise möglich, wenn ihr belastbare Daten zugrunde gelegt werden, die Aufschluss darüber geben, welche Zeit tatsächlich zwischen Antragstellung und gerichtlicher Entscheidung im Durchschnitt vergeht. Ausgangspunkt der weiteren detaillierten Untersuchung des Eröffnungsverfahrens ist deshalb zunächst ein empirischer Blick auf die Praxis der Insolvenzeröffnung durch die Auswertung fremder Studien (A.) und die Durchführung einer eigenen statistischen Untersuchung (B.).

A.  Vorliegende Aussagen, Erkenntnisse und Studien Die Insolvenzstatistik des Statistischen Bundesamtes nimmt bedauerlicherweise die Dauer des Insolvenzeröffnungsverfahrens nicht in ihrer Betrachtung auf.1 Aufschlussreich ist deshalb ein Blick auf die „allgemeine Aussagen“ der insolvenzrechtlichen Literatur, auf Studien zum Eröffnungsverfahren der früheren Konkursordnung sowie auf aktuellere Studien, die unter der Geltung der Insolvenzordnung durchgeführt wurden.

I.  Aussagen in der Literatur zur Dauer des Eröffnungsverfahrens In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Insolvenzeröffnungsverfahren finden sich oftmals allgemein gehaltene Hinweise auf dessen typische Dauer: Der formelle Eröffnungsbeschluss erfolge oft sehr viel später als der materielle Beginn des Insolvenzverfahrens;2 das Eröffnungsverfahren könne wenige Wochen aber auch mehrere Monate dauern.3 Werden konkretere Zahlen genannt, so wird ganz überwiegend ein Eröffnungszeitraum von etwa drei Monaten angenommen.4 Dieser „Richtwert“ wird in der Regel ohne statistische 1  Statistisches Bundesamt, Fachserie 2 Reihe 4.1, abrufbar unter https://www.destatis.de/ DE/Publikationen/Thematisch/UnternehmenHandwerk/Insolvenzen/Insolvenzen.html, zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018. 2  Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 634. 3  So bspw. Schmerbach, in: FK‑InsO, § 21 Rn. 1; Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 95. 4  Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 640; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb vorläufige

28

Kapitel 2: Die Dauer von Eröffnungsverfahren in der Praxis

Grundlage angegeben und gibt vielmehr die – allgemein geteilten – Erfahrungswerte und Vermutungen von Literatur und Praxis wieder.5

II.  Studien unter Geltung der Konkursordnung Die Dauer des Konkurseröffnungsverfahrens wurde in zwei Befragungen und einer Studie untersucht, wobei zeitlich jeweils die 1970er Jahre in den Blick genommen wurden. Die beiden Gerichtsbefragungen wurden in sehr begrenztem Umfang durchgeführt, nahmen nur bestimmte Verfahren in den Blick und lassen aus diesen Gründen nur die erste vorsichtige Annahme einer zeitlichen Tendenz zu. Demgegenüber steht die (auch aktenbasierte) Studie des MPI für ausländisches und internationales Privatrecht auf sehr breiter Datengrundlage und ermöglicht fundierte Aussagen zum durchschnittlichen zeitlichen Umfang des Eröffnungsverfahrens unter der Konkursordnung. 1.  Gerichtsbefragung durch Gottschalk In sehr kleinem Umfang befragte Gottschalk einige Insolvenzgerichte zur Anordnung von Sequestrationsverfahren, die der heutigen vorläufigen Verwaltung im Eröffnungsverfahren ähneln.6 Insgesamt gaben sechs Gerichte ihre Einschätzung auf Grundlage von insgesamt 65 Verfahren ab. Die durchschnittliche Dauer von Sequestrationsverfahren lag bei drei der befragten Gerichte zwischen einem und zwei Monaten. Ein Gericht gab eine Dauer von unter einem Monat an, bei zwei Gerichten lag der Durchschnitt zwischen zwei und drei Monaten.7 Wegen des sehr begrenzten Umfangs dieser Befragung sind die Belastbarkeit und die Aussagekraft dieser Ergebnisse sehr gering. Schon hier ist aber der zeitliche Rahmen erkennbar, der auch heute allgemein vermutet wird. 2.  Gerichtsbefragung durch Herbert In einer weiteren Gerichtsbefragung durch Herbert zu den Jahren 1977 bis 1980 machten vierzehn Insolvenzgerichte Angaben zur Dauer der dortigen Sequestrationsverfahren.8 Hierbei wurden zum Teil konkrete Daten genannt, zum Teil aber auch geschätzte Durchschnittswerte angegeben: Die mit konkreten Daten beInsolvenzverwaltung, §  1 Rn. 5; Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 70; Krelhaus, Insolvenzfeste Geschäftsfortführung, S. 24; Undritz, ZGR 2010, 201, 204; Ehricke, ZIP 2004, 2262, 2266; Haarmeyer/Mock, InsVV, § 11 Rn. 9, 12 f., 15. Mit der gleichen Feststellung für Sequestrationsverfahren nach altem Recht Kilger, KTS 1989, 495, 503. 5  Zu einer solchen „anekdotischen Evidenz“, Hammann, Evidenzbasierte Jurisprudenz, S. 56 ff. 6  Gottschalk, Praktische Bedeutung und Probleme der Sequestration im Konkurs, zitiert nach Herbert, Die Sequestration, S. 47, 55. 7  Gottschalk, Praktische Bedeutung und Probleme der Sequestration im Konkurs, S. 33 f., zitiert nach Herbert, Die Sequestration, S. 47, 55. 8  Herbert, Die Sequestration, S. 55, 248.



29

A.  Vorliegende Aussagen, Erkenntnisse und Studien

legten Eröffnungsverfahren (insgesamt dreizehn) wurden zu über 60 % innerhalb eines Monats beendet, wobei nur zwei Sequestrationen länger als drei Monate dauerten. Die Schätzungen der Gerichte gingen ebenfalls ganz überwiegend von einer durchschnittlichen Dauer zwischen einem und drei Monaten aus. Dauer

Anzahl der Sequestrationsverfahren (auf Datengrundlage)

Geschätzte Dauer der Sequestrationsverfahren

bis 1 Monat 1 bis 2 Monate 2–3 Monate über 3 Monate

8 1 2 2

2 2 3 1

Quelle: Herbert, Die Sequestration, S. 55, 248.

Auch bei dieser Befragung ist die Datenlage zu begrenzt, als dass überzeugende und eindeutige Schlüsse gezogen werden könnten. Zutreffend ist allerdings die eher allgemeine Interpretation durch Herbert selbst, dass die „Sequestrationsverfahren in der Regel nur von kurzer Dauer“9 gewesen sein dürften. 3.  Datenauswertung durch das MPI Die bedeutendste und umfassendste systematische Datensammlung und ‑auswertung zur Insolvenzpraxis unter der Konkursordnung wurde durch Gessner/ Rhode/Strate/Ziegert und das MPI durchgeführt.10 In dieser rechtssoziologischen Untersuchung wurde eine Vielzahl von Quellen durch Befragungen und Aktenauswertungen berücksichtigt: So wurden bspw. Daten von Gerichten, Verwaltern, Arbeitnehmern, Sozialversicherungen, Gläubigern und Kreditinstituten erfasst.11 Erkenntnisse zur Dauer des Konkurseröffnungsverfahrens ergaben sich hierbei aus der Auswertung von 1749 Insolvenzakten. Gegenstand der Untersuchung waren alle Verfahren, unabhängig davon, ob eine Sequestration angeordnet wurde oder nicht. Zudem konnte zwischen eröffneten und nicht eröffneten Verfahren unterschieden werden.

eröffnete Verfahren nicht eröffnete Verfahren insgesamt

Durchschnittliche Dauer des Eröffnungsverfahrens

Anzahl

35,7 Tage 63,7 Tage 56,5 Tage

 452 1297 1749

Quelle: Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Die Praxis der Konkursabwicklung, S. 35 f., 138 f. 9 

Herbert, Die Sequestration, S. 55. Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Die Praxis der Konkursabwicklung. 11  Zu Ablauf und Umfang der Datenerhebung vgl. ebd., S. 8 ff. 10 

30

Kapitel 2: Die Dauer von Eröffnungsverfahren in der Praxis

Im Durchschnitt vergingen bei den betrachteten Verfahren zwischen der Stellung des Konkursantrags und der gerichtlichen Entscheidung acht Wochen. Im Vorfeld einer Antragsabweisung dauerten die Verfahren deutlich länger (9,1 Wochen) als bei Eröffnungsentscheidungen (5,1 Wochen).12 Schließlich wurden auch Aussagen zur Verteilung der Ergebnisse gemacht: Etwa 63 % aller Konkursanträge wurden innerhalb von sechs Wochen beschieden.13 Auch wenn Gessner/Rhode/Strate/Ziegert die erhobenen Daten nicht bis ins Detail offen gelegt haben, lässt sich festhalten, dass die MPI‑Studie die wohl belastbarsten Erkenntnisse zur Konkurspraxis zur Verfügung stellt. Insbesondere die relativ große Anzahl konkret untersuchter Konkursverfahren und nicht zuletzt der kritische Umgang mit dem Datenmaterial machen den besonderen Wert der Untersuchung aus.14

III.  Studien unter Geltung der Insolvenzordnung Auch zur Insolvenzpraxis unter Geltung der Insolvenzordnung finden sich nur sehr wenige Untersuchungen, die Aussagen zur Dauer des Eröffnungsverfahrens machen bzw. zulassen. Für die Zeit vor Inkrafttreten des ESUG 2012 sind (neben einer Gerichtsbefragung) vor allem die Studien der prognos AG und des Instituts für Mittelstandsforschung die hilfreichen Ausnahmen. 1.  Gerichtsbefragung durch Roth Unmittelbar nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung führte Roth eine Befragung an 73 Insolvenzgerichten durch, um die durchschnittliche Dauer von Insolvenzeröffnungsverfahren zu erfragen.15 Grundlage der Statistik waren hierbei keine konkreten Daten, sondern die Einschätzung durch Richter und Rechtspfleger. Etwas mehr als 50 % der befragten Gerichte gingen davon aus, dass ein Eröffnungsverfahren im Durchschnitt zwischen zwei und drei Monaten dauere, etwa 10 % gingen von weniger als 2 Monaten aus und etwa ein Drittel sprach von einem Zeitraum über 3 Monaten.

12  Zur Erklärung werden verschiedene Hypothesen angeboten, vgl. Gessner/Rhode/Strate/ Ziegert, Die Praxis der Konkursabwicklung, S. 139. 13  Ebd., S. 35. 14  Zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Datenmaterial ebd., S. 64 ff., 124 f. 15  Roth, Interessenwiderstreit im Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 185.



31

A.  Vorliegende Aussagen, Erkenntnisse und Studien

Durchschnittliche Dauer von Insolvenzeröffnungsverfahren in Monaten

60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%

< 2 Monate

2–3 Monate

3–4 Monate

4–5 Monate

> 5 Monate

Quelle: Roth, Interessenwiderstreit im Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 185, Abb. 2.

Die Ergebnisse von Roth decken sich mit den Einschätzungen, die sich in der Insolvenzrechtsliteratur finden. Gerade die große Anzahl der teilnehmenden Gerichte macht diese Befragung wertvoll, wobei anzumerken bleibt, dass keine konkreten Daten ausgewertet oder Fakten untersucht wurde: Grundlage sind nur die – zudem eher groben – Schätzungen der befragten Gerichte. Zudem findet sich keine Differenzierung bspw. zwischen den Verfahrensarten, den betroffenen Schuldnern etc. 2.  Verwalterbefragung und Datenauswertung durch Schüssler/Klose Eine 2010 im Auftrag des BMAS von Schüssler/Klose durchgeführte Studie beschäftigte sich mit verschiedenen Auswirkungen der Insolvenzgeldvorfinanzierung und nahm deshalb u. a. auch die Dauer des Eröffnungsverfahrens in den Blick.16 Hierzu wurde ein doppelter Ansatz gewählt, indem zum einen Daten konkreter Insolvenzfälle ausgewertet und zum anderen Insolvenzverwalter befragt wurden. Das Datenmaterial wurde vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) bereitgestellt und gab Auskunft über 4297 Insolvenzfälle.17 Zudem wurde eine schriftliche Befragung von Insolvenzverwaltern durchgeführt, wobei diese nicht um ihre (Ein-)Schätzungen, sondern um die Angabe konkreter Fakten gebeten wurden.18 Insgesamt wurden hierbei Angaben zu 763 Insolvenzfällen gesammelt und die Ergebnisse (unter Korrektur bestimmter Verzerrungen) auf 2670 Fälle „hochgerechnet“.19 16  Schüssler/Klose, Wirkung der Vorfinanzierung, http://hdl.handle.net/10419/55830, zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018. Die hier zentrale forschungsleitende Frage findet sich auf S. 4, 10 und 80 f. 17  Schüssler/Klose, Wirkung der Vorfinanzierung, S. 66 f. Verwertbar waren die Daten von 2503 Verfahren mit und 1794 Verfahren ohne Insolvenzgeldvorfinanzierung. 18  Ebd., S. 68 f. 19  Ebd., S. 69 f. Allerdings wurden hierbei ausschließlich Verfahren mit Insolvenzgeldvorfinanzierung in den Blick genommen (vgl. S. 68).

32

Kapitel 2: Die Dauer von Eröffnungsverfahren in der Praxis

Konkrete Angaben zur Dauer des Eröffnungsverfahrens finden sich nur auf Grundlage der Angaben der Insolvenzverwalter: Im Durchschnitt dauerten die Eröffnungsverfahren neun Wochen, der Median lag bei acht Wochen. Diese Ergebnisse decken sich nach Schüssler/Koch (bei Zugrundelegung einer Hilfsannahme)20 auch mit den Daten des IAB: Durchschnittliche Dauer von Insolvenzeröffnungsverfahren in Wochen

500 450 400 350 300 250 200 150 100 50 0

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

Quelle: Schüssler/Klose, Wirkung der Vorfinanzierung, S. 80, Abb. 5.3-1.

Die sehr umfassende und belastbare Studie erhält die hier relevanten Ergebnisse insbesondere aus der Befragung von Verfahrensbeteiligten. Anders als Roth haben Schüssler/Klose nicht nach Einschätzungen oder Meinungen gefragt, sondern konkrete Daten zu benannten Insolvenzverfahren gesammelt. Die zusätzliche statistische Aufarbeitung auf der sehr breiten Datenbasis des IAB lieferte (unmittelbar) keine Ergebnisse zu der hier relevanten Frage: Die getroffene Hilfsannahme, dass zwischen Insolvenz- und Insolvenzgeldvorfinanzierungsantrag im Durchschnitt zwei Wochen liegen könnten, wird ohne Datengrundlage getroffen und ermöglicht deshalb nur eine vorsichtige Plausibilisierung der Ergebnisse aus der Befragung. Zudem beschränken sich die dargestellten Ergebnisse auf Fälle mit einer Insolvenzgeldvorfinanzierung; so finden bspw. Verfahren über bereits stillgelegte Unternehmen keine Berücksichtigung.

20  Aus den Daten des IAB ließ sich nur die Zeit zwischen der Beantragung der Insolvenzgeldvorfinanzierung und dem Ende des Eröffnungsverfahrens bestimmen. Unter der Annahme, dass der Insolvenzantrag eine oder zwei Wochen vor diesem Zeitraum gestellt wurde, ergaben sich die in Abb. 5.3-1 dargestellten „vermuteten“ Werte.



33

A.  Vorliegende Aussagen, Erkenntnisse und Studien

3.  Datenauswertung durch Icks/Kranzusch Relevante Informationen zur Dauer des Eröffnungsverfahrens können schließlich aus einer Studie des IfM Bonn von 2010 gewonnen werden.21 Icks/Kranzusch werteten hierbei 228 Insolvenzakten aus, die ihnen von zehn Amtsgerichten aus NRW zur Verfügung gestellt wurden. Berücksichtigt wurden ausschließlich Verfahren über das Vermögen von Unternehmen mit mindestens sechs Beschäftigten und auch nur solche, die mit einer Schlussverteilung oder einem Insolvenzplan endeten.22 Nicht erfasst wurden somit Fälle in denen der Insolvenzantrag abgewiesen wurde oder das Verfahren mangels Masse eingestellt werden musste. Diese mehrfache Begrenzung ermöglichte es den Autoren, die betrachteten Verfahren sehr eingehend und detailliert zu untersuchen, sodass auch für die hier zentrale Frage verschiedene aufschlussreiche Differenzierungen möglich waren. Im Durchschnitt dauerte das Eröffnungsverfahren 99,6 Tage, der Median lag bei 70 Tagen, wobei insgesamt etwa zwei Drittel der Verfahren im zweiten oder dritten Monat nach der Antragstellung eröffnet wurden.23 Zeitraum

Insgesamt

Aktive ­Unternehmen

Bereits stillgelegte ­Unternehmen

Mittelwert Median

99,6 Tage 70 Tage

102,7 Tage   67 Tage

94,8 Tage 78 Tage

Verteilung Bis zu 30 Tagen 31 bis 60 Tage 61 bis 90 Tage 91 Tage und mehr

  6,6 % 30,7 % 32,0 % 30,7 %

  5,8 % 33,1 % 33,8 % 27,3 %

  7,9 % 27,0 % 29,2 % 36,0 %

Quelle: Icks/Kranzusch, Sanierung in Insolvenzverfahren, S. 75, Tabelle 14.

Bei den 139 Unternehmen, die im Zeitpunkt der Antragstellung noch aktiv waren, lässt sich eine weitere Differenzierung nach der Verwertungsart und der Rechtsform vornehmen: Verwertungsart (aktive Unternehmen)

Mittelwert

Median

Keine Fortführung Übertragende Sanierung Insolvenzplan Sonstige Art

109,6 Tage   80,4 Tage   75,4 Tage   78,0 Tage

67 Tage 62 Tage 73 Tage 78 Tage

21 

Icks/Kranzusch, Sanierung in Insolvenzverfahren, abrufbar unter http://www.ifm-bonn. org//uploads/tx_ifmstudies/IfM‑Materialien-195_2010.pdf (zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018). 22  Ebd., S. 48 ff. 23  Ebd., S. 74 f.

34

Kapitel 2: Die Dauer von Eröffnungsverfahren in der Praxis

Rechtsform (aktive Unternehmen)

Mittelwert

Median

Einzelunternehmer/Freiberufler Personengesellschaften, e. V. Kapitalgesellschaften

129,2 Tage   70,4 Tage 92,0 Tage

81 Tage 62 Tage 63 Tage

Quelle: Icks/Kranzusch, Sanierung in Insolvenzverfahren, S. 76, Tabellen 15 und 16.

Gerade diese Unterscheidungen machen den besonderen Wert dieser Studie aus. So fällt bspw. auf, dass ein langes Eröffnungsverfahren eher zu einer Unternehmensliquidation als zu einer Sanierung führt. Allerdings darf eine solche Deutung der Ergebnisse nur mit vorsichtiger Zurückhaltung vorgenommen werden: Ob die Datenbasis von lediglich 228 Verfahren, die aus nur einem Bundesland stammt, eine klare Verallgemeinerung zulässt, ist eher fraglich. Auch die Tatsache, dass nur solche Verfahren Berücksichtigung fanden, die ordentlich beendet wurden, stellt die Erkenntnisse unter einen Vorbehalt.

IV.  Studien zur Eigenverwaltung nach Erlass des ESUG Die drei zuvor besprochenen Untersuchungen wurden durchgeführt bevor die Insolvenzordnung 2012 durch das ESUG eine bedeutende Reformierung erfuhr.24 Damit blieb insbesondere auch die Neugestaltung der Eröffnungsverfahren in Eigenverwaltung (§§ 270a, 270b InsO) unberücksichtigt. Diese Verfahren standen seither im Zentrum des Interesses von Praxis und Literatur; speziell hierzu gab es in den letzten Jahren mehrere Erhebungen zweier Wirtschaftsprüfungsgesellschaften jeweils auf Grundlage von Daten des Verlags INDat.25 Bei der Datenauswertung durch Mazars wurden insgesamt 634 beantragte Verfahren nach §§ 270a, 270b InsO aus dem Zeitraum vom 1. 3. 2012 bis 7. 5. 2014 analysiert.26 Wurde ein Verfahren nach § 270a InsO beantragt, so lag die Dauer bis zur Eröffnung durchschnittlich bei 63 Tagen. Bei einem Antrag auf ein Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO kam es durchschnittlich erst nach 71 Tagen zur Eröffnung.27 Auch die Datenauswertung durch die BCG zu insgesamt 1236 beantragten bzw. 1068 eröffneten Eigenverwaltungsverfahren im Zeitraum vom 1. 3. 2012 24 Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, BGBl. I/2011, S. 2582. 25  Da die Untersuchungen auf identischer Datengrundlage durchgeführt wurden, werden sie gemeinsam dargestellt. 26  Mazars Consulting GmbH, ESUG‑Radar 2014 (http://www.mazars.de/mazarspage/ download/379072/29109799/file/MAZARS%20ESUG‑Radar%202014-update%20Jun.pdf, zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018). 27  Ebd., S. 24.



B.  Eigene Datenerhebung und -auswertung

35

bis 31. 1. 2016 deckt sich mit diesen Ergebnissen.28 Im Durchschnitt kam es bei (erfolgreichen) Anträgen nach §§ 270a, 270b InsO nach ca. 73 Tage zur Eröffnung. Besonders auffällig ist hierbei die (Normal-)Verteilung der Werte: Die deutlich überwiegende Anzahl der Verfahren wurde innerhalb des Zeitraums von 45 bis 100 Tagen eröffnet; nur in wenigen Ausnahmefällen lag die Dauer des Eröffnungsverfahrens außerhalb dieses Bereiches.29 Die besondere Konzentrierung der Ergebnisse im Bereich zwischen zwei und drei Monaten lässt sich zumindest für die Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) mit dem Gesetz erklären: Bei einem solchen Verfahren wird über die Eröffnung im Regelfall erst nach einer zuvor festgelegten Frist von (max.) drei Monaten entschieden (§ 270b Abs. 1 S. 2, Abs. 4 S. 3 InsO).30 Auch die Verfahren nach § 270a InsO scheinen sich oftmals an dieser „Maximalgrenze“ zu orientieren.

B.  Eigene Datenerhebung und -auswertung Um eine aussagekräftige Statistik zur durchschnittlichen Dauer von Insolvenzeröffnungsverfahren erstellen zu können, mussten zu einer möglichst großen Anzahl von Verfahren jeweils zwei Daten ermittelt werden: Der Zeitpunkt der Antragstellung bzw. des Eingangs bei Gericht und der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.31 Auf die vom Bundesamt für Statistik veröffentlichten Zahlen konnte hierzu nicht zurückgegriffen werden. Nach §§ 3 Nr. 1, 2 Nr. 1 InsStatG muss zwar für jedes Insolvenzverfahren das Datum der Eröffnung oder der Abweisung mangels Masse (§ 26 InsO) erfasst werden; das Datum für eine sonstige Beendigung des Eröffnungsverfahrens und auch das allgemein erforderliche Datum der Antragstellung wird jedoch nicht vermerkt. Aus diesem Grund wurden die relevanten Daten direkt bei den mit den Verfahren befassten Insolvenzgerichten erhoben.

I.  Datenerhebung bei Gericht Alle wesentlichen Verfahrensschritte – beginnend mit dem Insolvenzantrag – lassen sich grds. für jedes Verfahren aus der gerichtlichen Insolvenzakte entnehmen, sodass durch Einsichtnahme in die konkreten Verfahrensakten alle 28  Moldenhauer/Wolf, Fünf Jahre ESUG (http://media-publications.bcg.com/13mar2017Studie.pdf, zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018). 29  Moldenhauer/Wolf, Fünf Jahre ESUG, S. 11, Abb. 9. 30  Eine Eröffnung vor Ablauf der festgesetzten Frist ist nur nach Aufhebung der gerichtlichen Anordnung unter besonderen Voraussetzungen möglich, vgl. § 270b Abs. 4 InsO. 31  Einige wenige Eröffnungsverfahren enden auch ohne gerichtliche Entscheidung, insbes. durch Rücknahme des Insolvenzantrags, vgl. hierzu Wegener, in: Uhlenbruck-InsO, § 13 Rn. 156 ff. Auch diese Verfahren sind in der Erhebung berücksichtigt worden.

36

Kapitel 2: Die Dauer von Eröffnungsverfahren in der Praxis

notwendigen Daten hätten ermittelt werden können. Ein solches Vorgehen wäre allerdings – für die Studie selbst, aber insbesondere auch für die betroffenen Gerichte – so aufwändig gewesen, dass nur eine sehr kleine Zahl an Verfahren hätte berücksichtigt werden können. Eine Möglichkeit zur deutlich effizienteren und umfassenderen Erhebung boten die elektronischen Datenbanken der Gerichte, in denen die wichtigsten Verfahrensdaten hinterlegt sind:32 Über die entsprechende Gerichtssoftware konnten am Insolvenzgericht die einzelnen Verfahren aufgerufen und so die notwendigen Informationen gesammelt werden. Eine Einsichtnahme in den umfangreichen und sensiblen Inhalt einzelner Akten ließ sich auf diesem Wege umgehen. Die Datenerhebung erfolgte an insgesamt drei Insolvenzgerichten: Mit dem AG Hamburg und dem AG Köln konnten zwei der größten deutschen Insolvenzgerichtsbezirke berücksichtigt werden, sodass – zusammen mit den zusätzlichen Daten des AG Mannheim – eine sehr umfassende Datengrundlage geschaffen werden konnte. Insgesamt wurde somit mehr als ein Zehntel aller Unternehmensinsolvenzen in ganz Deutschland untersucht.33 Gleichzeitig wurde jedoch nur ein kleiner Bruchteil aller Insolvenzgerichte berücksichtigt,34 sodass der Faktor der Diversität (bspw. hinsichtlich der befassten Richter oder regionaler Besonderheiten) nur wenig in die Erhebung einbezogen werden konnte. Ob die ausgewertete Stichprobe in ihrer Zusammensetzung der Gesamtheit aller Verfahren nahe kommt, also repräsentativ ist und einen entsprechenden Rückschluss erlaubt, muss offen bleiben.35

II. Datenmaterial Ausgewertet wurden alle IN‑Verfahren (abzüglich der Nachlass- und Gesamtgutsinsolvenzen, § 11 Abs. 2 Nr. 2 InsO) an den drei genannten Gerichten aus den Jahren 2013, 2014 und der ersten Jahreshälfte von 2015. Insgesamt konnte so die Dauer der Eröffnungsverfahren zu 7.753 Unternehmensinsolvenzen be32  Genutzt wurde bspw. „ForumSTAR‑Insolvenz“; einen (auch kritischen) Einblick in die Software gibt Lissner, ZInsO 2013, 228; ders. ZInsO 2013, 1177. 33  So kam es bspw. 2014 bei Unternehmensinsolvenzen zu insgesamt 24.085 Verfahrenseröffnungen und Abweisungen mangels Masse; davon konnten 2.924 Verfahren, also ca. 12 %, in der vorliegenden Untersuchung berücksichtigt werden (vgl. zur Gesamtheit der Verfahren Statistisches Bundesamt, Fachserie 2, Reihe 4.1, 12/2015, Tabelle 5, S. 11). 34  Von den insgesamt 193 Gerichten sind allerdings nicht alle für Unternehmensinsolvenz zuständig, vgl. Pape, in: Uhlenbruck-InsO, § 2 Rn. 9. Die Insolvenzgerichte lassen sich über www.insolvenzbekanntmachungen.de ermitteln. 35  Vgl. hierzu Kaya/Himme, in: Albers/Klapper u. a., Methodik der empirischen Forschung, S. 79, 80. Ähnliche Untersuchungen bei Insolvenzgerichten sprechen jedoch für eine vorsichtige Relativierung einzelner Faktoren wie bspw. der Wirtschaftskraft oder der ökonomischen Struktur einer Region, vgl. Haarmeyer, in: FS Fischer, S. 193, 204.



B.  Eigene Datenerhebung und -auswertung

37

rechnet werden, wobei zu jedem Verfahren jeweils vier zusätzliche Merkmale aufgenommen wurden: yy das zuständige Gericht, yy der Schuldner („juristische Person“ oder „natürliche Person bzw. Personengesellschaft“), yy der Ausgang des Eröffnungsverfahrens („Eröffnung“, „Abweisung mangels Masse“, „sonstige Abweisung/Erledigung“) und yy das Jahr („2013“, „2014“, „2015 [erstes Halbjahr]“).36 Die Datensammlung über die gerichtlichen Datenbanken ermöglichte es, eine Vielzahl von Verfahren einzubeziehen, ohne dass Einschränkungen bspw. in zeitlicher Hinsicht oder nach Größe oder Art der Schuldner gemacht werden mussten. Ein weiterer und besonderer Vorzug der vorliegenden Erhebung liegt in der Tatsache, dass – wie bspw. bei Icks/Kranzusch – „objektive“ Daten gesammelt werden konnten und kein Rückgriff auf (eher subjektiv gefärbte) Einschätzungen beteiligter Personen notwendig war. Trotzdem ist auf zwei Faktoren hinzuweisen, die zumindest potentiell Ungenauigkeiten verursacht haben könnten: Zum einen ist der „Beginn des Eröffnungsverfahrens“ nicht immer zweifelsfrei zu erkennen. Das Datum des Insolvenzantrags kann für sich genommen nicht als Ausgangspunkt dienen; erst wenn der (wie auch immer datierte) Antrag in den Verfahrensablauf des Insolvenzgerichtes gelangt ist, kann vom Beginn des Eröffnungsverfahrens gesprochen werden. Abgestellt wurde deshalb in der Auswertung auf den Eingang des Antrags bzw. die erste gerichtliche Beschäftigung mit diesem. Für Fälle in denen sich die genannten Daten nicht decken, kommt es deshalb zu leichten Divergenzen, die den Durchschnitt der Verfahrensdauer – wenn auch nur marginal – beeinflussen. Zum anderen bedeutet der Rückgriff auf die Gerichtsdatenbanken auch, dass die gewonnenen Ergebnisse nur insoweit richtig sein können, wie zum einen die Pflege der Datenbank und zum anderen die Übernahme der Daten zur Auswertung sorgfältig und fehlerfrei vorgenommen wurde. Für beide Punkte sind Fehler nicht vollständig auszuschließen. Trotz dieser Vorbehalte ist davon auszugehen, dass die gewonnen Ergebnisse – insbesondere durch die besondere Größe der untersuchten Stichprobe37 – den tatsächlichen Werten des Insolvenzgeschehens sehr nahe kommen. Damit können und sollen die Daten Grundlage für eine allgemeine Auseinandersetzung mit der Praxis der Insolvenzeröffnungsverfahren sein.

36  Im Folgenden werden nicht alle Differenzierungen und Merkmalskombinationen behandelt; eine umfangreiche Übersicht findet sich im Anhang zu dieser Arbeit. 37  Vgl. zu diesem Faktor Hamann, Evidenzbasierte Jurisprudenz, S. 69 f.

38

Kapitel 2: Die Dauer von Eröffnungsverfahren in der Praxis

III.  Ergebnisse der Untersuchung In der Gesamtbetrachtung aller ausgewerteten Unternehmensinsolvenzen (n = 7.753) ergibt sich eine durchschnittliche Dauer der Eröffnungsverfahren von 77,78 Tagen. In 73,3 % der Fälle kam es zur Eröffnung des Verfahrens (n = 5.680); hierbei vergingen zwischen Antragstellung und Eröffnung im Durchschnitt 66,44 Tage. Wurde der Antrag gem. § 26 InsO mangels Masse abgewiesen (n = 1.406) lag dieser Wert bei 132,03 Tagen; bis zu einer anderweitigen Abweisung oder Erledigung des Antrags (n = 667) dauerte es durchschnittlich 59,98 Tage. Schuldner

Dauer des Eröffnungs­ verfahrens (in Tagen)

Dauer bis zur Eröffnungs­ entscheidung (in Tagen)

Dauer bis zur Abweisung gem. § 26 InsO (in Tagen)

Dauer bis zur sonstigen Abweisung/ Erledigung (in Tagen)

Alle Schuldner

Ø = 77,78 (n = 7753)

Ø = 66,44 (n = 5680)

Ø = 132,03 (n = 1406)

Ø = 59,98 (n = 667)

Natürl. Personen/Per- Ø = 61,16 (n = 4577) sonengesellschaften

Ø = 51,55 (n = 3669)

Ø = 125,76 (n = 569)

Ø = 56,81 (n = 339)

Juristische Personen

Ø = 93,63 (n = 2011)

Ø = 136,30 (n = 837)

Ø = 63,27 (n = 328)

Ø = 101,74 (n = 3176)

Zunächst fällt auf, dass Verfahren, die mit einer Abweisung wegen Masselosigkeit endeten, unabhängig von der Art des Schuldners besonders lange dauerten – ein Phänomen, das schon zu Zeiten der Konkursordnung zu erkennen war.38 Dies könnte zum einen daran liegen, dass die Gerichte ein besonderes Interesse an der Eröffnung des Verfahrens haben, um die „Ordnungsfunktion“ des (eröffneten) Insolvenzverfahrens nicht zu gefährden und deshalb eine Abweisung nach § 26 InsO nicht zu voreilig erklären.39 Zum anderen ließe sich die Vermutung aufstellen, dass gerade diejenigen Schuldner, die eine schlechtgeführte Buchhaltung haben, keine strukturierten Gläubiger- und Schuldnerlisten führen und sich ggf. selbst unkooperativ zeigen, auch diejenigen sind, bei denen die Vermögens- und Liquiditätssituation am schlechtesten ist.40 In solchen Fällen wird sich die Ermittlung der Vermögenslage – also auch der Insolvenzgründe 38  In der Studie des MPI dauerte es bis zu einer Antragsabweisung etwa 78 % länger als bis zu einer Eröffnung, vgl. Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Die Praxis der Konkursabwicklung, S. 138 f. 39  Vgl. zu diesem Zusammenhang von Ordnungsfunktion und Eröffnungsverfahren Haarmeyer, in: FS Fischer, S. 193. 40 Ähnliche Vermutungen äußerten (zur Verfahrensdauer unter der KO) auch Gessner/ Rhode/Strate/Ziegert, Die Praxis der Konkursabwicklung, S. 139.



39

B.  Eigene Datenerhebung und -auswertung

und der (notwendigen) Masse – oft schwierig gestalten, sodass eine zügige Entscheidung über den Antrag nicht möglich sein wird. Bemerkenswert ist weiterhin der deutliche Unterschied der Ergebnisse, je nachdem ob ein Verfahren über eine juristische Person oder über einen sonstigen Schuldner beantragt wurde. Bevor speziell diese Unterschiede im Detail behandelt werden, soll der Fokus auf die Verteilung der Daten gelegt werden, um so die richtige Einordnung der dargestellten Ergebnisse zu ermöglichen.41 Auffallend ist hierbei zunächst, dass der Median deutlich vom Mittelwert abweicht:

Mittelwert Median

Alle Unternehmen

Jur. Personen

Nat. Personen/ Personengesellschaften

77,78 Tage 58 Tage

101,74 Tage 84 Tage

61,16 Tage 41 Tage

Die relativ große Differenz zwischen Durchschnittswert und Median in allen Bereichen zeigt, dass der Mittelwert besonders von „Ausreißerwerten“ beeinflusst ist. So gab es bspw. insgesamt 93 Eröffnungsverfahren, die länger als ein Jahr gedauert haben, im Durchschnitt betrug die Verfahrenslänge dort 465,32 Tage. Insbesondere diese (wenigen) Extremwerte verzerren das statistische Bild. Deutlich wird die Verteilung der Ergebnisse durch die Zuordnung der Daten auf Quartale:

Anzahl der Verfahren

6000 5000 4000 3000 2000 1000 0

1. Quartal

2. Quartal

3. Quartal

4. Quartal

über 1 Jahr

Dauer der Eröffnungsverfahren

Über die absolute Mehrzahl der Anträge (71,3 %) wird innerhalb von drei Monaten entschieden. Beschränkt man die Auswertung auf Verfahren, die innerhalb von 250 Tagen zum Abschluss gebracht werden, ergeben sich Werte, die besser

41  Vgl. zu den Verteilungsparametern bei deskriptiven Statistiken Hamann, Evidenzbasierte Jurisprudenz, S. 74 ff.; Goerg, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, § 8 S. 214 ff.

40

Kapitel 2: Die Dauer von Eröffnungsverfahren in der Praxis

zu verallgemeinern sind. Bei diesen 7468 Verfahren ergibt sich eine durchschnittliche Dauer von 68,17 Tagen; damit werden 96,3 % aller betrachteten Verfahren einbezogen. Die Verteilung der Daten unterscheidet sich zudem insbesondere im Hinblick auf die Rechtspersönlichkeit des Schuldners:

Anzahl der Verfahren

Dauer der Eröffnungsverfahren (alle IN-Verfahren) 100 50 0

1

20

40

60

80 100 120 140 160 180 Dauer in Tagen (max. 250)

100 50 0

1

50 100 150 200 250 Dauer in Tagen (max. 250)

220

240

juristische Personen Anzahl der Verfahren

Anzahl der Verfahren

natürliche Personen/ Personengesellschaften

200

50 25 0

1

50 100 150 200 250 Dauer in Tagen (max. 250)

Bei dieser genaueren Betrachtung wird deutlich, dass sich die Gesamtheit aller IN‑Verfahren relativ gleichmäßig innerhalb der ersten Monate verteilt. Im ersten und zweiten Monat (also nach 30 bzw. 60 Tagen) endeten jeweils ca. 25 % der Eröffnungsverfahren, im dritten Monat (61–90 Tage) weitere 20 %. Demgegenüber weisen die Verfahren über juristische Personen eine deutlich andere Verteilung auf: Im ersten Monat wurden hier nur etwa 9 % der Eröffnungsverfahren beendet, im zweiten und dritten Monat hingegen jeweils 25 % und noch im vierten Monat (91–120 Tage) weitere 15 %. Bei Verfahren über das Vermögen von juristischen Personen ist näherungsweise eine Normalverteilung im Bereich des zweiten und dritten (bis vierten) Monats zu erkennen: Das „typische“ Eröffnungsverfahren über eine juristische Person ist also ca. 30 bis 100 Tage lang. Bei natürlichen Personen und Personen-



B.  Eigene Datenerhebung und -auswertung

41

gesellschaften ergibt sich hingegen eher eine rechtsschiefe Verteilung:42 Mehr als ein Drittel aller Verfahren endete innerhalb des ersten Monats, ca. 10 % der Verfahren sogar innerhalb der ersten Woche (bei juristischen Personen: 0,3 %). Neben diesem Unterschied in der Verteilung der Daten fällt auch hier die immense Divergenz hinsichtlich des Mittelwerts auf, und zwar besonders deutlich bei Verfahren die mit einer Eröffnung endeten: Ist eine juristische Person (insbesondere also GmbH, AG und UG) Gegenstand eines Insolvenzantrags, so dauert das Eröffnungsverfahren mehr als 40 Tage (bzw. 82 %) länger als bei anderen Unternehmensinsolvenzen.

IV.  Fokussierung auf juristische Personen Die beiden auffälligen Unterschiede in Verteilung und Durchschnitt der Daten machen deutlich, dass sich aus der Eingrenzung auf IN‑Verfahren – also auf alle Regelverfahren43 – keine klare Typisierung ergibt: Die Ergebnisse spiegeln die gesamte Bandbreite der Unternehmensinsolvenzen wider und beziehen sich auf eine sehr heterogene Gruppe von Schuldnern. Will man sich speziell mit größeren und wirtschaftlich bedeutsameren Unternehmensinsolvenzen beschäftigen,44 so erscheint eine besondere Fokussierung auf Verfahren über juristische Personen sinnvoll. Hierdurch lassen sich insbesondere die Verfahren über natürliche Personen ausklammern, also über Schuldner, die als Einzelunternehmer (bei Antragstellung oder auch in der Vergangenheit) einer selbstständigen Tätigkeit nachgegangen sind (vgl. § 304 Abs. 1 InsO). Bei solchen „Kleinunternehmen“45 fällt die Abgrenzung zwischen echter Unternehmensinsolvenz und Privatinsolvenz oftmals schwer.46 Diese Gruppe der Einzelunternehmer, Freiberufler und Kleingewerbetreibenden machte bspw. 2016 insgesamt etwa 40 % aller IN‑ 42  Zur Typisierung idealisierter Verteilungen vgl. Goerg, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, § 8 S. 216 f. 43 Nicht berücksichtigt werden (neben den ausgenommenen Nachlass- und Gesamtgutsinsolvenzen, § 11 Abs. 2 Nr. 2 InsO) damit Verbraucher- bzw. Kleininsolvenzverfahren nach §§ 304 ff.  InsO. 44  Ein Großteil der Literatur zu Unternehmensinsolvenzen und -sanierungen beschäftigt sich vor allem mit solchen „größeren“ Unternehmen (so auch die explizite Feststellung von Icks/Kranzusch, Sanierung in Insolvenzverfahren, S. 32 Fn. 36). Diese standen auch im Zentrum statistischer Erhebungen (Icks/Kranzusch betrachteten nur Unternehmen mit mind. sechs Beschäftigten; auch die Erhebung von Schüssler/Klose bildet vorrangig Unternehmen mit vielen Arbeitnehmern ab, vgl. Schüssler/Klose, Wirkung der Vorfinanzierung, S. 72, Tabelle 5.2–1). 45  So die Bezeichnung im RegE zum InsOÄndG, BT‑Drs. 14/5680, S. 13 f., 30 f., der sich ebenfalls mit den Schwierigkeiten dieser Abgrenzung befasst. 46  Mit dem Hinweis auf das Problem einer solchen Vermischung Schmidt, Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen, S. 39 f.; ders., Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 25 f. Zur funktionalen Unterscheidung der Verfahren über natürlichen Personen von „Unternehmensinsolvenzen“ Ahrens, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 81 Rn. 5 ff. Allgemein zur Abgrenzung von Regel- und Kleininsolvenzverfahren Ott/Vuia, in: MüKo-InsO, § 304 Rn. 59 ff.

42

Kapitel 2: Die Dauer von Eröffnungsverfahren in der Praxis

Verfahren aus,47 hat gleichzeitig aber vergleichsweise geringe wirtschaftliche Auswirkungen: So geht bspw. nur etwa ein Zehntel aller Forderungen aus Unternehmensinsolvenzverfahren auf diese Gruppe zurück;48 gleichzeitig haben solche Schuldner in der Regel sehr wenige, oft auch keine Angestellte.49 Eine solche Einteilung hat fraglos Nachteile, denn sie lässt einige wesentliche Ausnahmen unberücksichtigt. Zu denken ist bspw. an Fälle von Großunternehmen, die durch einen Einzelkaufmann betrieben werden (so bspw. die „Schlecker-Insolvenz“) oder an die nicht unerhebliche Zahl GmbHs und vor allem auch UGs, die eher der Vorstellung von einem „Kleinunternehmen“ entsprechen.50 Zudem werden gleichzeitig auch alle Personen(handels)gesellschaften ausgeklammert, obwohl auch diese oftmals von größerem Umfang sein können.51 Gleichwohl lässt sich im Gros durch die Beschränkung auf juristische Personen mutmaßlich eine deutlich homogenere Gruppe („größere Unternehmen“) in den Blick nehmen, sodass klarere Aussagen hierzu möglich sind. Für diese Unternehmen lassen sich die vorgelegten Ergebnisse (zu eröffneten Verfahren) mit der IfM‑Studie von Icks/Kranzusch (zu Unternehmen mit mindestens sechs Arbeitnehmern) abgleichen und so auf ihrer Plausibilität und externe Validität untersuchen.52 In beiden Untersuchungen betrug der Zeitraum zwischen Antrag und Eröffnung durchschnittlich etwas mehr als 3 Monate (Icks/Kranzusch: 99,6 Tage; eigene Studie: 93,62 Tage); damit decken sich die Erhebungen mit vielen Aussagen und Vermutungen aus Literatur und Praxis.53 Auch die Werte des Median lagen mit 70 Tagen (Icks/Kranzusch) bzw. 73 Tagen (eigene Studie) sehr nah beieinander; insgesamt sind die vorgelegten Erkenntnisse deshalb als plausibel und belastbar einzuordnen. Diese Ergebnisse lassen verschiedene Deutungen und (erste) Erklärungsversuche zu: Die lange Dauer des Eröffnungsverfahrens kann zum einen und wohl vor allem aus der Komplexität der Unternehmensbewertung folgen. Die Feststellung der Eröffnungsgründe ist gerade bei der Insolvenz größerer Unternehmen, also bei einer hohen Anzahl an Gläubigern, Schuldnern und Arbeitnehmern, einem komplexen Unternehmensaufbau oder einer speziellen Art der 47 So wurden für 2016 bspw. 8.864 (von 21.518) solcher Verfahren verzeichnet, vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 2, Reihe 4.1, 12/2016, Tabelle 9, S. 19. 48 Ebd. 49  Ebd., Tabelle 11, S. 21. 50  Beide Fälle lassen sich – am beispielhaften Faktor der Arbeitnehmerzahl – in den Insolvenzstatistiken wiederfinden, vgl. ebd. 51  Dieser nachteilige Effekt wird allerdings durch die eher geringe Anzahl der Personengesellschaften relativiert; 2016 machten diese bspw. nur 8 % aller Unternehmensinsolvenzen aus, s. ebd., Tabelle 5, S. 11. 52 Vgl. hierzu Petersen, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, § 8 S. 210 ff.; Himme, in: Albers/Klapper u. a., Methodik der empirischen Forschung, S. 485, 491 ff.  sowie Hamann, Evidenzbasierte Jurisprudenz, S. 61 ff. 53  S. oben, S. 27.



B.  Eigene Datenerhebung und -auswertung

43

wirtschaftlichen Tätigkeit, besonders schwierig. Diese Faktoren wirken sich im Durchschnitt wohl eher bei juristischen Personen als bei sonstigen Unternehmen aus und erklären damit z. T. die Unterschiede in der Verfahrenslänge. Ein zweiter Erklärungsansatz ergibt sich aus der Anordnung des § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO, nach der Unternehmen die im Antragszeitpunkt noch aktiv sind, im Eröffnungsverfahren grds. fortgeführt werden müssen.54 Die hiermit einhergehende Untersuchung der Fortführungsfähigkeit (s. § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 a. E. InsO) kann gerade bei großen Unternehmen längere Zeit in Anspruch nehmen.55 Gleichzeitig können sich mit einer solchen Fortführung Vorteile für das insolvente Unternehmen, sodass u. U. die Eröffnungsentscheidung bewusst aufgeschoben wird, um diese Vorteile länger zu nutzen. Da juristischen Personen deutlich häufiger mit einem aktiven Betrieb in das Eröffnungsverfahren gelangen als sonstige Unternehmen,56 kann es dort auch häufiger zu einer solchen vorläufigen Betriebsfortführung kommen. Ausgehend von dieser Hypothese lässt sich ein letzter Erklärungsansatz bilden, der das für diese Arbeit zentrale Thema der Insolvenzgeldvorfinanzierung aufnimmt: Ein bzw. der besondere Vorteil einer ausgedehnten Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren liegt im Finanzierungseffekt des (vorfinanzierten) Insolvenzgeldes, weshalb vielfach vermutet wird, dass sich die Dauer des Eröffnungsverfahrens oftmals nach dem Insolvenzgeldzeitraum richtet.57 Die subventionierende Wirkung dieses Instruments lässt sich insbesondere dann einsetzen, wenn eine Mindestzahl an Arbeitnehmern im betroffenen Unternehmen beschäftigt ist.58 Deshalb steht zu vermuten, dass größere Unternehmen – weil sie im Schnitt einen größeren Arbeitnehmerstamm haben  – häufiger eine Insolvenzgeldvorfinanzierung in Anspruch nehmen können und gerade deshalb öfter in einem längeren Eröffnungsverfahren bleiben als sonstige, kleinere Unternehmen. In der folgenden Auseinandersetzung mit dem Insolvenzeröffnungsverfahren und seiner Dauer werden diese ersten Deutungsversuche aufgenommen und überprüft.

54  Zu dieser „zentralen Aufgabe“ des vorläufigen Insolvenzverwalters im Eröffnungsverfahren Mönning, in: Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 11. 55 Vgl. Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb vorläufige Insolvenzverwaltung, § 12 Rn. 6 ff. 56 Vgl. Icks/Kranzusch, Sanierungen in Insolvenzverfahren, S. 56 Tabelle 10. 57  So bspw. Icks/Kranzusch, Sanierungen in Insolvenzverfahren, S. 75; Decker/Schäfer, BB 2015, 198, 199; Kremer/Fahlbusch, ZInsO 2015, 837; Siemon, ZInsO 2014, 625, 630; Undritz, ZGR 2010, 201, 204; Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1239; Schilling, DZWiR 2006, 143, 148; Paulus, DStR 2003, 1709; Spliedt, EWiR 2001, 1099; Heinze, KTS 1998, 513, 526; Giesen, in: Jaeger-InsO, vor § 113 Rn. 332; Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 70. 58  Vgl. die Analyse der Beschäftigungsgrößenklassen bei Schüssler/Klose, Wirkung der Vorfinanzierung, S. 72, Tabelle 5.2–1.

44

Kapitel 2: Die Dauer von Eröffnungsverfahren in der Praxis

C. Zwischenfazit Der empirische Befund zur deutschen Insolvenzpraxis hat bestätigt, was vielfach als allgemein geteilte Vermutung geäußert wird: Eröffnungsverfahren ziehen sich bei Unternehmensinsolvenzen regelmäßig über einen Zeitraum von etwa zwei bis drei Monaten; bei größeren Unternehmen liegt der durchschnittliche Wert sogar über der Grenze eines Vierteljahres. Bei derartigen Insolvenzen entspricht die Dauer zwischen Antrag und Eröffnung in aufschlussreicher Deutlichkeit dem Zeitraum, für den die Insolvenzgeldsicherung besteht.59 Allgemein lässt sich festhalten, dass sich die Dauer des Insolvenzeröffnungsverfahrens nur bei einem Bruchteil der Unternehmensinsolvenzen auf seinen notwendigen Inhalt – die reine Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen – zurückführen lässt. Bei den meisten Verfahren, insbesondere bei größeren Unternehmen, schließt sich an das „Pflichtprogramm“60 des Eröffnungsverfahrens eine „überobligatorische“, rechtlich nicht erforderliche Phase zwischen Entscheidungsreife und Verfahrenseröffnung an. Eine theoretisch mögliche gerichtliche Entscheidung wird oftmals bewusst hinausgezögert, um so die besonderen Vorteile des Eröffnungsverfahrens – insbesondere die Liquiditätsspritze des Insolvenzgelds – möglichst vollumfänglich zugunsten von Betrieb und (zukünftiger) Masse ausnutzen zu können. Die lange Verfahrensdauer ergibt sich „nicht immer aus faktischer Notwendigkeit, etwa weil die Nachforschungen so sonderlich schwierig wären. Vielmehr steckt hinter der vielfach […] drei-monatigen Eröffnungsphase strategisches Kalkül“61. Die Vorteile, die sich durch die Eröffnungsverzögerung realisieren lassen, also der praktische Hintergrund des ausgedehnten Insolvenzeröffnungsverfahrens, steht im Fokus des folgenden Kapitels.

59 

Hierzu sogleich, zur wechselseitigen Abhängigkeit der beiden Zeiträume S. 112 ff. Vgl. hierzu bereits S. 15 ff. 61  Paulus, DStR 2003, 1709 (Einfügung durch den Verfasser); ähnlich auch Münzel, ZInsO 2006, 1238 und Heilmaier, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 4 Rn. 171. 60 

Kapitel 3

Vorteile und praktischer Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens Prägender Anlass und Hintergrund der zuvor beschriebenen Insolvenzpraxis ist die Fülle teils entscheidender Vorteile, die sich aus einem „künstlich langen Eröffnungsverfahren“1 für die spätere Insolvenzmasse u. U. ziehen lassen. Durch die Verzögerung der gerichtlichen Entscheidung können (unterschiedlich bedeutende) positive Effekte erzielt werden, die sich nach der Verfahrenseröffnung nicht mehr realisieren ließen: So kann der vorläufige Verwalter bspw. das Entstehen vorrangiger Masseverbindlichkeiten vermeiden und Vertragsverhältnisse masseschonend abwickeln; er kann Entscheidungen vorbereiten, die er nach der Verfahrenseröffnung zu treffen hat und Fortführungs- und Sanierungsbemühungen einleiten, noch bevor das schuldnerische Unternehmen formell insolvent ist. Der herausragende Nutzen und Rechtfertigungsgrund der Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens liegt allerdings im Subventionseffekt des (vorfinanzierten) Insolvenzgelds.2 Die Insolvenzpraxis entwickelte aus diesem ursprünglich sozialrechtlichen Sicherungssystem für Arbeitnehmer das wohl wichtigste Instrument zur Finanzierung der einstweiligen Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren – und damit den entscheidenden Grund der langen Verfahrensdauer. Wegen dieser immensen praktischen Relevanz, aber auch wegen der nicht unerheblichen rechtlichen Probleme, die mit der (gleichwohl kaum kritisierten) Praxis einhergehen, soll die Insolvenzgeldvorfinanzierung von Grund auf und umfassend untersucht werden.

A.  Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung Die umfassende Ausnutzung des (oft vorfinanzierten) Insolvenzgeldes und die Praxis der Eröffnungsverzögerung hängen wechselseitig voneinander ab: Die Mittel aus der Insolvenzgeldsicherung sind zum einen selbst das zentrale, angestrebte „Objekt der Begierde“. Die Verzögerung der Verfahrenseröffnung hat vielfach ausschließlich den Zweck, diesen finanziellen Vorteil möglichst voll1 

Frind, ZInsO 2011, 1569, 1572. Zur ausschlaggebenden praktischen Bedeutung des vorfinanzierten Insolvenzgelds für die (einstweilige) Betriebsfortführung s. insbes. S. 107 ff. 2 

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

ständig zugunsten des schuldnerischen Betriebs auszunutzen.3 Zum anderen ist das Insolvenzgeld auch entscheidendes Mittel zum Zweck. Die Lohnkostenverlagerung über das Insolvenzgeld eröffnet oft erst die Möglichkeit, die Eröffnung (auch aus anderen Motiven) hinauszuschieben. Ohne das Insolvenzgeld hätte die Frage nach Eröffnungspflicht und Eröffnungsermessen vielfach keine praktische Relevanz.4 Aus diesen Gründen ist und war das Insolvenzgeld immer das wesentliche Argument im Streit um die „richtige“ Dauer des Eröffnungsverfahrens. Als man im Prozess der Insolvenzrechtsreform über die Ausgestaltung dieser Phase diskutierte, wurde immer wieder nachdrücklich auf die bewährte Praxis der Vorfinanzierung des Insolvenzgelds hingewiesen.5 Auch in der aktuellen Diskussion über die Zulässigkeit der Eröffnungsverzögerung wird ein entsprechendes gerichtliches Ermessen insbesondere mit Blick auf die Vorteile der Insolvenzgeldvorfinanzierung bejaht.6 Welche Funktion das (vorfinanzierte) Insolvenzgeld im typischen Eröffnungsverfahren heute übernimmt, wie selbstverständlich dieser Einsatz für die Praxis ist und auch, dass allgemein nicht zwischen eröffnetem Insolvenz- und Eröffnungsverfahren unterschieden wird, verdeutlicht beispielhaft die Berichterstattung der SZ zum Insolvenzantrag und dem bevorstehenden (Regel-)Insolvenzverfahren der Schuhhaus Raab GmbH: „Gemeinsam mit dem [vorläufigen] Insolvenzverwalter will der Geschäftsführer ein Sanierungskonzept erarbeiten. […] Im Januar habe das Unternehmen seine Rechnungen noch zahlen können. Nun hat es fast drei Monate Zeit für den Umbau, solange bekommen die Mitarbeiter Insolvenzgeld.“7 Die vollständige Ausnutzung des Insolvenzgelds, die 3  Vgl. bspw. AG Hamburg, Beschl. v. 1. 10. 2001 – 67g IN 195/01, ZIP 2001, 1885; AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2004, 67g IN 97/04, ZInsO 2004, 630; AG Potsdam, Beschl. v. 6. 4. 2004 – 35 IN 360/04, DZWIR 2004, 439 f.; Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, § 27 Rn. 11; Schmerbach, in: FK‑InsO, § 27 Rn. 14; Keller, in: Schmidt-InsO, § 27 Rn. 54; Frind, EWIR 2003, 23, 24; Paulus, DStR 2003, 1709; Smid, NZI 2009, 150, 153. 4  Grub, DZWiR 2002, 327; Uhlenbruck, in: Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 1 Rn. 46. Der Dreimonatszeitraum des § 165 Abs. 1 S. 1 SGB III setzt also die „zeitlichen Grenzen für das ‚Hinausschieben‘“ der Eröffnung, Decker/Schäfer, BB 2015, 198, 199. 5 Vgl. bereits BMJ (Hrsg.), Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, S. 108, 390 f. sowie grundlegend für die Diskussion Grub, ZIP 1993, 393, 396 f. Auch in der Sitzung des RechtsA des Bundestags zu diesem Thema war das Ausfallgeld ein zentraler Punkt, s. im Protokoll des RechtsA 12/74 bspw. Grub, S. 23 f., 108 ff.; Haarmeyer, S. 66; Wellensiek, S. 115 f.; Kothe, S. 121 f. Im Anhang zu diesem Protokoll GDV, S. 298, 300; Löwisch, S. 368 f.; Bender, S. 390 f.; Wellensiek, S. 511; DAV, S. 540; BRA, S. 612 f. 6  Vgl. neben den in Fn. 3 genannten bspw. Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 70 f.; Hunold, NZI 2015, 785; Frind, in: Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rn. 267; Spliedt, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.462; ders., EWiR 2001, 1099; Pannen, NZI 2000, 575, 577 f. 7 Süddeutsche Zeitung, „Schuhhandelskette Raab insolvent“, Artikel vom 11.  2. 2016 (http://www.sueddeutsche.de/muenchen/sanierungskonzept-benoetigt-schuhhandelskette-



A.  Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung

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entsprechende Verzögerung der Verfahrenseröffnung und die damit gewonnene Möglichkeit zur Restrukturierung vor dem Insolvenzverfahren sind praktisch in aller Regel problemlos anerkannt und entsprechend verbreitet. „Die vorläufigen Insolvenzverwalter [arrangieren] in nahezu jeder Unternehmensinsolvenz im Eröffnungsverfahren die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld durch ein Kreditinstitut.“8 Zugespitzt ließe sich formulieren: Das Eröffnungsverfahren ist oftmals ein Vorfinanzierungsverfahren. Wegen dieser fundamentalen Bedeutung für das Eröffnungsverfahren und für dessen Dauer bildet die Untersuchung des Insolvenzgelds einen besonderen Schwerpunkt. Zunächst wird dieses einleitend dargestellt; der Fokus liegt sodann auf der Insolvenzgeldvorfinanzierung, ihrer gesetzlichen Genese, ihren Voraussetzungen und rechtstechnischen Ausgestaltungen und insbesondere den praktischen Auswirkungen, die diese Praxis hat. Anschließend wird das Insolvenzgeld, seine Finanzierung und der (subventionierende) Einsatz im Eröffnungsverfahren sowohl unter verfassungs- als auch unter europarechtlichen Gesichtspunkten untersucht. Hierbei wird sich zum einen zeigen, dass die Finanzierung der Insolvenzgeldmittel allein durch die Arbeitgeber – zumindest in bestimmten Bereichen – verfassungswidrig ist und dass zum anderen die gesetzliche Rangrückstufung des § 55 Abs. 3 InsO eine europarechtswidrige Beihilfe darstellt. In einem abschließenden Exkurs werden einige Anmerkungen zur marktwirtschaftlichen Einbettung der Insolvenzgeldvorfinanzierung gemacht.

I.  Das Institut des Insolvenzgeldes Das deutsche Recht gewährt Arbeitnehmern im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers für ausstehende Löhne unter bestimmten Voraussetzungen Insolvenzgeld.9 Historischer Ausgangspunkt dieser Einrichtung waren zunächst ausschließlich sozialrechtliche Schutzüberlegungen zugunsten der Arbeitnehmer. Sowohl für das Verständnis des Insolvenzgelds und der ihm zugrunde liegenden Gedanken als auch für die Bewertung der Entwicklung und modernen Funktion(en) dieses Instituts ist sein Ursprung und funktionaler Kern von besonderem Interesse.

raab-insolvent-1.2859750, zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018, Einfügung und Hervorhebung durch den Verfasser); ebenfalls abgedruckt in ZInsO 2016, Heft 8, S. IV. 8  Kuder/Unverdorben, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.381 (Hervorhebung durch den Verfasser). 9  Der Anspruch ergibt sich aus § 165 SGB III. Vgl. allgemein zum Anspruch Lakies, NZA 2000, 565 und (sehr detailliert) Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 3 Rn. 98 ff.

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

1.  Ausgangspunkt und europarechtlicher Hintergrund des Insolvenzgeldes Im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hat Letzterer, gerade mit Blick auf das Insolvenzrisiko seines Vertragspartners, die strukturell schlechtere Position: Er muss mit seiner Arbeit in Vorleistung gehen (§ 614 BGB), sodass ihm bei der Insolvenz seines Arbeitgebers nicht nur der oft selbst dramatische Verlust des Arbeitsplatzes, sondern auch der Ausfall des Anspruchs auf Lohnzahlung droht. Solche Forderungen der Arbeitnehmer waren zu Zeiten der Konkursordnung (und ihrer Vorläufer)10 im Konkursfall bevorzugt zu befriedigen;11 ein derartiges Vorrecht lief allerdings dann leer, wenn die Eröffnung des Verfahrens mangels ausreichender Masse abgewiesen wurde. Typischerweise hatten (und haben) Arbeitnehmer faktisch nicht die Möglichkeit, ihre Forderungen, anders als bspw. Warenlieferanten oder Kreditgeber, durch konkursfeste Sicherungsrechte zu schützen.12 Die dramatisch hohe Zahl an Fällen, in denen die Verfahrenseröffnung mangels Masse abgelehnt werden musste,13 die damit verbundenen hohen Lohnausfälle der Arbeitnehmer und nicht zuletzt die Kritik der Öffentlichkeit und Gewerkschaften führten dazu, dass auch in Deutschland im Jahr 1974 ein System zur Sicherung des Lohnanspruchs eingeführt wurde – das Konkursausfallgeld.14 Über eine arbeitgeberfinanzierte Sozialversicherung standen den Arbeitnehmern nun im Falle des Arbeitgeberkonkurses bei Verfahrenseröffnung oder Antragsabweisung für die noch ausstehenden (maximal drei) Monatsgehälter entsprechende Zahlungsansprüche gegen die Bundesanstalt für Arbeit (heute Bundesagentur für Arbeit/BA) zu.15 Mit der Einführung der Insolvenzordnung, bei der der Befriedigungsvorrang vieler Gläubigergruppen – und damit auch das Arbeitnehmerprivileg – bewusst abgeschafft wurde, gewann das Insolvenzgeld hinsichtlich der Absicherung der 10  So war man sich bei der Schaffung der KO bewusst, dass das „Vorrecht der Dienstleute“ das einzige war, das „überall, sowohl nach gemeinem als nach französischem Recht […], von der preußischen Konkursordnung […] und allen übrigen deutschen Partikulargesetzen ohne Ausnahme anerkannt“ war, vgl. Hahn, Materialien zur KO, S. 248. 11  Vgl. § 54 Nr. 1 KO i. d. F. vom 10. 2. 1877. 12 Vgl. RegE zum Kaug, BT‑Drs. 7/1750, S. 10; Lakies, NZA 2001, 521; Plössner, in: BeckOK‑SGBIII, § 165 Rn. 2 f. 13  So wurde bspw. im Jahr der Einführung des Konkursausfallgeldes (1974) die Eröffnung in 52,6 % der Fälle mangels Masse abgelehnt. Zwei Jahre später betrug diese Quote sogar 73,6 %, vgl. die Angaben des Statistischen Bundesamtes (https://www.destatis.de/DE/Zah lenFakten/Indikatoren/LangeReihen/Insolvenzen/lrins01.html, zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018, eigene Berechnung). 14  Gesetz über Konkursausfallgeld, BGBl. I/1974, S. 1481. Die Bundesregierung nahm an, dass jährlich Einbußen von bis zu 50 Mio. DM entstünden, vgl. RegE zum Kaug, BT‑Drs. 7/1750, S. 10. Für einen Überblick über die Anfänge eines solchen Sicherungsmittels in verschiedenen europäischen Staaten vgl. Birk, RabelZ 1975, 605. 15  Vgl. die damals geltenden §§ 141a ff. AFG. Schon diese Einordnung als Sozialversicherung ist nicht unproblematisch vgl. Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 11 f.



A.  Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung

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Arbeitnehmer nochmals an Bedeutung. Die klassischen Arbeitnehmervorrechte konnten nur deshalb ohne größere Probleme gestrichen werden, weil mit dem Ausfallgeld eine ausreichende Absicherung gegeben schien.16 Kern und ursprünglich einzig intendierte Funktion des Insolvenzgelds war also die sozialrechtliche Absicherung der Arbeitnehmer, die von einer Unternehmensinsolvenz strukturell besonders gefährdet sind und waren.17 Im Ursprung bestand also zunächst keine gesetzgeberische Absicht, das Konkursausfallgeld bzw. Insolvenzgeld als Unterstützung für Arbeitgeber einzuführen oder auszugestalten. Die Gesetzesbegründung zum Konkursausfallgeld setzt sich mit den Themen der Vorfinanzierung, Sanierung und Fortführungsfinanzierung dementsprechend nicht auseinander.18 Zunächst wurde also ausschließlich der Arbeitnehmerschutz als politische und rechtliche Rechtfertigung für die mit dem Ausfallgeld verbundenen Konsequenzen  – bspw. die Umlagefinanzierung19 – berücksichtigt. Die Absicherung der Arbeitnehmer für den Insolvenzfall des Arbeitgebers richtet sich heute nationalrechtlich nach den §§ 165 ff. SGB III, die Finanzierung nach §§ 358 ff. SGB III. Seit 1980 ist – zunächst mit der Richtlinie 80/987/EWG (InsgRL) – die Pflicht, Arbeitnehmer gegen Lohnausfall bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers abzusichern, auch durch das Europarecht normiert.20 Ziel dieser Regelung war es, den „notwendigen“ Arbeitnehmerschutz europaweit sicherzustellen und bestehende Unterschiede in den nationalen Regelungen zum Wohle des einheitlichen Marktes unter Wahrung der sozialen Sicherung zu verringern.21 Der Erlass der Richtlinie war also, wie schon die Einführung des Konkursausfallgelds zuvor, allein am sozialpolitischen Zweck des Arbeitnehmerschutzes ausgerichtet. Den Mitgliedsstaaten wurde durch die Richtlinie das zu erreichende Ziel verbindlich vorgegeben, die konkrete Ausgestaltung lag allerdings in den Händen der nationalen Gesetzgeber,22 sodass sich unterschiedliche Systeme innerhalb der Union gebildet haben.23 In Deutschland war man gemeinhin der Ansicht, dass das bereits bestehende System der Konkursausfallgeldversicherung den 16  Dies war auch dem Gesetzgeber bei seiner Entscheidung bewusst, vgl. RegE InsO, BT‑ Drs. 12/2443, S. 96. 17  Jauernig hielt deshalb auch fest, dass das Kaug Sozialpolitik in Rechtsnormen umsetze (Jauernig, in: FS Baur, S. 465, 467). 18  Vgl. RegE zum Kaug, BT‑Drs. 7/1750. So auch Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, der die Lohnabtretung in den ursprünglichen sozialrechtlichen Kontext einbettet (s. Fn. 8). 19  Zur Finanzierung durch die Gesamtheit der Arbeitgeber sogleich, S. 54 f. und 146 ff. 20  ABlEG 1980/L 283/23. 21  Vgl. die ErwGr. zur RL 80/987/EWG. Näher zu diesem Hintergrund Heinze, KTS 1998, 513 f. 22  S. Art. 249 Abs. 3 EGV, heute Art. 288 Abs. 3 AEUV. Konkret bezogen auf die hier besprochene RL LSG NRW BeckRS 2006, 42121; Kühl, in: Brand-SGBIII, § 165 Rn. 5. 23  Einen umfassenden Überblick gibt Deutsch, Europäische Beispiele für die Insolvenzentgeltsicherung (http://docplayer.org/11942204-Europaeische-beispiele-fuer-die-insolvenzent

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

europarechtlichen Vorgaben genüge, ein weitergehender Umsetzungsakt also nicht notwendig sei.24 Trotzdem zeigte sich, dass das deutsche Recht den Vorgaben der Richtlinie in der Auslegung des EuGH nicht vollends gerecht wurde,25 da § 183 Abs. 1 SGB III a. F. (heute § 165 Abs. 1 SGB III) hinsichtlich des Insolvenzgeldzeitraums auf die Eröffnung des Verfahrens abstellte und nicht, wie die Richtlinie es voraussetzte, auf den Zeitpunkt der Antragstellung. Die InsgRL hätte in dieser Auslegung des EuGH die populäre und verbreitete Praxis der Insolvenzgeldvorfinanzierung zur Schaffung von Liquidität im Eröffnungsverfahren unmöglich gemacht.26 Die Sorge der Praxis um dieses Instrument und die Anpassung des deutschen Rechts war allerdings schon bei Erlass des Urteils hinfällig, da 2002 mit der Neufassung der InsgRL den nationalen Gesetzgebern ein deutlich weiterer Umsetzungsspielraum eröffnet wurde.27 Wie auch die Vorgängerrichtlinien dient die heutige InsgRL 2008/94/EG28 allein dem sozialen Zweck des Arbeitnehmerschutzes und trifft keine Aussagen zu sonstigen Fragen der Insolvenzbewältigung oder -vermeidung.29 2.  Voraussetzungen und Inhalt des Insolvenzgeldanspruchs Anspruch auf Insolvenzgeld haben alle im Inland beschäftigten Arbeitnehmer des Insolvenzschuldners,30 die zum Zeitpunkt eines Insolvenzereignisses noch Lohnforderungen bzgl. der vorangegangen (maximal) drei Monate ausstehen haben (§ 165 Abs. 1 S. 1 SGB III). Zentraler Auslöser des Insolvenzgeldanspruchs ist das Eintreten eines „Insolvenzereignisses“ beim Arbeitgeber (Abs. 1 S. 2), also die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen (§ 27 InsO), die Abweisung eines Insolvenzantrags mangels Masse (§ 26 InsO) oder die Beendigung der Betriebstätigkeit ohne Insolvenzantrag, wenn mangels Masse ein Insolvenzverfahren offensichtlich nicht in Betracht kommt. Diese anspruchsauslösenden Tatbestände stehen in keiner inhaltlichen Rangordnung, geltsicherung.html, zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018); vgl. auch Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 52 f.; Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 74 f. 24  Vgl. kritisch und m. w. N. hierzu Krause, ZIP 1998, 56. 25  EuGH, Urt. v. 15. 5. 2003 – C-160/01 (Mau), Slg. 2003, I-4791 = ZIP 2003, 2371. Vorausgehend EuGH, Urt. v. 10. 7. 1997 – C-373/95 (Maso u. a.), Slg. 1997, I-4051 = ZIP 1997, 1658; EuGH, Urt. v. 10. 7. 1997 – C-94/95 (Bonifaci u. a.), C-95/95 (Berto u. a.), Slg. 1997, I-3969 = ZIP 1997, 1663. 26  Vgl. hierzu Grub, DZWIR 2002, 327. 27  Durch die ÄnderungsRL 2002/74/EG stellte Art. 3 der Richtlinie nun auf einen „von den Mitgliedsstaaten festgelegten Zeitpunkt“ ab. 28  ABlEU 2008/L 283/36. 29  Vgl. insbes. die ErwGr. 2, 3, 4 und 6 zur RL 2008/94/EG. Die Auseinandersetzung mit dem Insolvenz- und Sanierungsrecht erfolgt insbes. in der EuInsVO. 30  Hierbei ist zwar umstritten, ob der arbeitsrechtliche Arbeitnehmerbegriff anzuwenden oder ob auf die Versicherungspflicht abzustellen ist (vgl. m. w. N. Mutschler, in: KSW‑SozR, § 165 Rn. 3 ff.), allerdings haben die unterschiedlichen Ansätze i. E. kaum praktische Konsequenzen, vgl. genauer hierzu Grepl, Funktionen des Insg, S. 12 f.



A.  Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung

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es greift das Prioritätsprinzip: Das zeitlich erste Insolvenzereignis ist exklusiv ausschlaggebend für etwaige Ansprüche auf Insolvenzgeld.31 Im Zeitraum des Insolvenzeröffnungsverfahrens bestehen somit noch keine Insolvenzgeldansprüche; diese entstehen vielmehr erst durch den Eröffnungsoder Abweisungsbeschluss, also bei Beendigung des Eröffnungsverfahrens.32 Den enormen faktischen Einfluss auf die Zeit zwischen Insolvenzantrag und gerichtlichem Beschluss erlangt das Insolvenzgeld (insbesondere im Wege der noch zu behandelnden Vorfinanzierung) durch die Tatsache, dass sich Eröffnungs- und Insolvenzgeldzeitraum zu wesentlichen Teilen überschneiden: Der Insolvenzgeldanspruch setzt voraus, dass Lohnforderungen für maximal drei Monate in der Zeit vor dem Insolvenzereignis (bspw. der Verfahrenseröffnung) zwar vom Arbeitnehmer „erarbeitet“, aber nicht vom Arbeitgeber beglichen wurden.33 Von diesem Zeitraum ist also immer – zumindest auch – die Phase des Eröffnungsverfahrens umfasst. Entlohnt der Schuldner bzw. der vorläufige Verwalter die Arbeitnehmer im Vorverfahren nicht, so ist dies die Grundlage für den späteren Anspruch auf Insolvenzgeld.34 Sind die genannten Voraussetzungen gegeben, so besteht ein Anspruch der Arbeitnehmer gegen die Bundesagentur für Arbeit (BA), wobei die Auszahlung grds. innerhalb von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen ist.35 Die durch das Insolvenzgeld abgegoltenen Lohnforderungen gehen mit der Beantragung auf die BA über,36 die diese dann im Insolvenzverfahren als einfache Insolvenzforderung geltend machen kann.37 Die Höhe des von der BA auszuzahlenden Insolvenzgelds richtet sich nach dem jeweiligen Nettoarbeitsentgelt, wobei der Anspruch durch die Beitragsbemessungsgrenze (vermindert 31  Vgl. BSG, Urt. v. 17. 12. 1975 – RAr 17/75, BSGE 41, 121 zur inhaltsgleichen Regelung des damaligen § 141b Abs. 1, Abs. 3 AFG; Peters-Lange, in: Gagel-SGBIII, § 165 Rn. 52 ff.; Mutschler, in: KSW‑SozR, § 165 Rn. 26. Zu der hiermit verbundenen aktuellen Frage nach Insg-Ansprüchen bei „Folgeinsolvenzen“ nach einem Insolvenzplanverfahren vgl. BSG, Urt. v. 17. 3. 2015 – B 11 AL 9/14 R, NZI 2015, 720; Muschiol, ZInsO 2016, 248, 255 f.; Woltersdorf, INDat Report 01_2017, 12, 17 ff.; Cranshaw, jurisPR‑InsR 13/2015, Anm. 1; Frank/ Heinrich, NZI 2011, 569. Auch bei einer Freigabe über § 35 Abs. 2 InsO ist der Arbeitnehmer vor einem erneuten Ausfall wegen einer zweiten Insolvenz nicht geschützt, vgl. LSG NRW, Urt. v. 9. 6. 2016 – L 9 AL 23/14, ZInsO 2016, 1904. 32  Im Fall des § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB III kommt es nicht einmal zu dem hier zentralen Verfahrensabschnitt, da ein verfahrensauslösender Antrag hierfür nicht gestellt worden sein darf. 33 Vgl. zur genauen Bestimmung der Zeiträume und Fristen Peters-Lange, in: GagelSGBIII, § 165 Rn. 66 ff. 34  Der vorläufige Verwalter ist nicht verpflichtet, vorhandene Mittel vorrangig zur Befriedigung der Arbeitnehmer einzusetzen, vgl. BGH, Urt. v. 13. 10. 2009 – VI ZR 288/08, NZI 2010, 74, 75 Rz. 11. Er kann Arbeitnehmer sogar erst im Eröffnungsverfahren einstellen, nicht entlohnen und so (mittelbar) das Insg ausnutzen, vgl. LSG NI/HB, Urt. v. 22. 11. 2016 – L 7 AL 2/15, NZI 2017, 80; LSG BW, Urt. v. 24. 5. 2016 – L 13 AL 1503/15, ZInsO 2016, 1992; LSG SN, Urt. v. 18. 12. 2014 – L 3 AL 13/13, NZI 2015, 522. 35  §§ 323, 324 Abs. 3, 327 Abs. 3 SGB III. 36  § 169 S. 1 SGB III. 37  § 55 Abs. 3 S. 1 InsO.

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um die gesetzlichen Abzüge) nach oben hin begrenzt wird.38 Diese Obergrenze wurde 2004 eingeführt, um dem immer dramatischeren Ausgabenanstieg durch die Insolvenzgeldumlage entgegenzuwirken.39 Sie kann allerdings bei Unternehmensfortführungen und ‑sanierungen zu nicht unerheblichen Problemen führen: Bei den für eine Sanierung besonders wichtigen hochqualifizierten Mitarbeitern liegt der Verdienst oftmals über dieser Grenze, das Insolvenzgeld kann folglich die Lohnforderungen nicht in voller Höhe abdecken. Diese Mitarbeiter trotzdem im Unternehmen zu halten, stellt in der Praxis eine große Herausforderung dar.40 Schon während des Gesetzgebungsverfahrens wurde die Insolvenzgeldbegrenzung deshalb als sanierungsfeindlich kritisiert.41 3.  Lücken im Arbeitnehmerschutz Die Regelungen zum Insolvenzgeld bieten den Arbeitnehmern einen erheblichen Schutz vor Lohnausfall. Ihre Lohnansprüche werden im gesicherten Zeitraum nicht allein als Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) zu oft geringen Quoten beglichen,42 sondern bilden die Grundlage für werthaltige Ansprüche gegen die BA. Die beschriebene Obergrenze zeigt allerdings beispielhaft, dass der Schutz nicht lückenlos greifen soll und kann. Oberhalb der Grenze von derzeit 6500 € (Westdeutschland) bzw. 5800 € (Ostdeutschland), vermindert um die gesetzlichen Abzüge,43 werden Lohnforderungen nicht abgesichert. Noch bedeutender ist wohl die zeitliche Begrenzung der Insolvenzgeldsicherung auf maximal drei Monate. Der Gesetzgeber ging bei Einführung des Konkursausfallgelds davon aus, dass regelmäßig kein Lohnausfall für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten, eher nur zwei bis vier Wochen, vor der Eröffnungsentscheidung auftrete bzw. auftreten werde.44 Auch die Abschaffung 38  § 167 Abs. 1 SGB III. Vgl. genauer zur Berechnung des Anspruchs Peters-Lange, in: Gagel-SGBIII, § 167 Rn. 5 ff. Ebenfalls umfasst vom Entgeltbegriff sind alle sonstigen erarbeiteten Ansprüche wie Zulagen, Provisionen o.ä., vgl. Plössner, in: BeckOK‑SGBIII, § 165 Rn. 35 ff. Zur konkreten Auswirkung der Bemessungsgrenze auf die Berechnung BSG, Urt. v. 11. 3. 2014 – B 11 AL 21/12 R, NZI 2014, 825. 39  Vgl. RegE zu Hartz III, BT‑Drs. 15/1637, S. 14. Zu den (unerwartet hohen) finanziellen Belastungen der Arbeitgeber vgl. sogleich S. 56 f. 40 Vgl. Euler Hermes/ZIS, Wirtschaft Konkret Nr. 418, S. 13 (http://www.zis.uni-manheim. de/studien/dokumente/studie_2007_wirtschaft_konkret/studie_2007_wirtschaft_konkret.pdf, zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018); Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 48; Muschiol, ZInsO 2016, 248, 250. Zur notwendigen Bindung insbes. der „Leistungsträger“ an das insolvente Unternehmen vgl. Steinhauser, Bleibeprämien in der Insolvenz des Arbeitgebers. 41 Vgl. Braun/Wierzioch, ZIP 2003, 2001, 2008. 42  § 108 Abs. 3 InsO. Aussicht auf (umfassende) Befriedigung bestünde nur, wenn ein vorläufiger Verwalter entsprechende Masseverbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 2 S. 2 InsO begründen würde. 43  § 167 Abs. 1 SGB III i. V. m. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SozialversicherungsRechengrößenverordnung 2018. 44  RegE zum Kaug, BT‑Drs. 7/1750, S. 10.



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der Vorrechte der Arbeitnehmer im Rahmen der Insolvenzrechtsreform war noch damit gerechtfertigt worden, dass ein Lohnausfall nicht drohe: Das Insolvenzgeld sichere drei Monate vor Verfahrenseröffnung ab; ältere Rückstände seien selten von Bedeutung.45 Schon die statistischen Erkenntnisse dieser Arbeit legen nahe, dass diese Einschätzung heute nicht zu halten ist. Wenn bereits das Eröffnungsverfahren selbst durchschnittlich einen Zeitraum von 78 Tagen (bei allen Unternehmen) bzw. 102 Tagen (bei juristischen Personen) ausmacht und die Arbeitnehmer hier in aller Regel durch den Schuldner bzw. den vorläufigen Verwalter nicht befriedigt werden, steht zu vermuten, dass der Insolvenzgeldzeitraum oftmals schon durch dieses Vorverfahren „verbraucht“ wird.46 Ausstehende Lohnforderungen aus der Zeit vor dem Eröffnungsverfahren sind dann nicht gesichert. Besonders problematisch erscheint hierbei die Praxis einer bewussten Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens, bei der ein entsprechender Lohnausfall in Kauf genommen wird.47 Die Schutzlücken in der Insolvenzgeldsicherung lassen sich schließlich auch mit Blick auf das Recht der Insolvenzanfechtung und die diesbezügliche Diskussion und Gesetzesreform erkennen. Erhält ein Arbeitnehmer – bspw. um zur Weiterarbeit motiviert zu werden – für offene, ältere Forderungen noch vor Verfahrenseröffnung nachträglich Befriedigung, so könnte diese Nachzahlung ggf. im späteren Verfahren anfechtbar sein.48 Betrifft eine solche Anfechtung die Befriedigung eines Anspruchs aus dem Insolvenzgeldzeitraum, so ist der Arbeitnehmer grundsätzlich abgesichert: Nach erfolgter Anfechtung (und tatsächlicher Rückgewähr) lebt der Insolvenzgeldanspruch für solche Forderungen auf.49 Allerdings ist bei einer solchen Anfechtung lange nach Verfahrenseröffnung die zweimonatige Ausschlussfrist zur Beantragung des Insolvenzgelds (§ 324 Abs. 3 S. 2 SGB III) regelmäßig abgelaufen; dass die Arbeitnehmer die dann relevante zweimonatige Nachfrist (S. 2) kennen und wahrnehmen werden, ist in vielen Fällen zu bezweifeln.50 Wird hingegen ein Anspruch, der vor dem Insolvenzgeldzeitraum begründet wurde, nachträglich befriedigt und diese Nachzahlung angefochten, so greift die 45 

RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 90. Mit derselben Feststellung BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – IX ZR 192/13, NZI 2014, 372, 374 Rz. 31; Brinkmann, ZZP 2012, 197, 215. 47  Zu diesem Problem noch ausführlich S. 102 ff. 48  In Betracht kommt bspw. eine Anfechtung nach § 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO, wenn der Arbeitnehmer die Zahlungsunfähigkeit (oder die entsprechenden Umstände, Abs. 2) kannte. 49  Dem steht § 166 Abs. 1 Nr. 2 SGB III nicht entgegen, weil bzw. wenn (wie zumeist) nicht der Erwerb des Lohnanspruchs, sondern nur dessen Erfüllung anfechtbar ist, vgl. Cranshaw, ZInsO 2009, 257, 261 ff. Zur Notwendigkeit der tatsächlichen Rückgewähr jüngst LSG NRW, Urt. v. 25. 2. 2016 – L 9 AL 70/14, ZInsO 2016, 1320, 1321 ff. 50  So explizit das BAG, das hierin ein „erhebliches Risiko“ sieht (BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – IX ZR 192/13, NZI 2014, 372, 375 Rz. 34). Hierzu jüngst auch LSG NRW, Urt. v. 25. 2. 2016 – L 9 AL 70/14, ZInsO 2016, 1320, 1323 f. Ausführlich zu dieser Ausschlussfrist Schweiger, NZS 2016, 774. 46 

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

Insolvenzgeldsicherung nicht. Es besteht also die konkrete Möglichkeit, dass Arbeitnehmer Lohnleistungen, die sie für tatsächlich erbrachte Dienste erhalten haben, zurückzahlen müssen, ohne dass sie hierfür durch die Sozialkassen einen Ausgleich erhalten.51 Die jüngste Reform des Anfechtungsrechts unterbindet regelmäßig eine Anfechtung in diesem Bereich, indem sie die (stark kritisierte)52 Rechtsprechung des BAG übernimmt und das Bargeschäftsprivileg des § 142 InsO für Arbeitnehmer auf drei Monate ausdehnt.53 Durch die Gesetzesreform wird nun das Anfechtungsrecht gegenüber Arbeitnehmern zulasten der Masse und damit der Insolvenzgläubiger weitgehend umgangen, die Gleichbehandlung der Gläubiger verletzt und faktisch ein systemwidriges „Sonderinsolvenzrecht für Arbeitnehmer“54 geschaffen. Kern der Ausweitung des § 142 InsO durch BAG und Gesetzesreform ist das sozialpolitische Anliegen eines weiteren Arbeitnehmerschutzes.55 Die bestehende Schutzlücke sollte allerdings nicht auf Kosten der Gläubigergemeinschaft, sondern sachgerecht über eine Ausdehnung der Insolvenzgeldansprüche geschlossen werden.56 Zwar ist das Anfechtungsrecht der Aufhänger dieser aktuellen Debatte, im Kern geht es allerdings um das allgemein geteilte Anliegen des Arbeitnehmerschutzes. An dieser Stelle klingt schon an, in welchem Spannungsverhältnis sich das Insolvenzgeld positionieren muss: Eine systemkonforme, marktwirtschaftlich ausgerichtete Absicherung der Arbeitnehmer lässt sich nur über das Sozial- nicht aber über das Insolvenzrecht verwirklichen. 4.  Finanzierung des Insolvenzgeldes Von elementarer Bedeutung für die Bewertung des Insolvenzgelds, seiner Funktionen und seines Einflusses auf das Eröffnungsverfahren ist die Frage, wer die 51 Vgl.

Brinkmann, ZZP 2012, 197, 198. Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, NZI 2014, 775, 777 f. Rz. 16 ff.; Huber, ZInsO 2013, 1049, 1052 ff.; ders. EWiR 2011, 817; Smid, DZWIR 2013, 89, 110 f.; Ganter, ZIP 2012, 2037, 2043 ff.; Plathner/Sajogo, ZInsO 2012, 581; Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618; Brinkmann, ZZP 2012, 197. Gegen diese Kritik wendet sich Fischermeier, ZInsO 2015, 1237. 53  BGBl. I/2017, S. 654; BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, NZI 2011, 981. S. auch RegE Insolvenzanfechtungsreform, BT‑Drs. 18/7054, S. 7 f. Auch diese Ansätze sind, wie die Rspr. des BAG, deutlicher Kritik ausgesetzt, vgl. Brinkmann, NZG 2015, 697; Blank/Blank, ZInsO 2015, 1705; Dahl/Linnenbrink/Schmitz, NZI 2015, 441; Hölzle, ZIP 2015, 662; Huber, ZInsO 2015, 713; Frind, ZInsO 2015, 1001; Würdinger, KTS 2015, 315. 54  Brinkmann, ZZP 2012, 197, 201; zustimmend BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, NZI 2014, 775, 778 Rz. 25; Blank/Blank, ZInsO 2015, 1705, 1714; A. A. Fischermeier, ZInsO 2015, 1237, 1239. 55 RegE Insolvenzanfechtungsreform, BT‑Drs. 18/7054, S.  7  f.; vgl. BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, NZI 2014, 775, 777 f. Rz. 22 ff.; Brinkmann, NZG 2015, 697, 702; Dahl/Linnenbrink/Schmitz, NZI 2015, 441, 445 f. 56  Brinkmann, ZZP 2012, 197, 215; im Anschluss hieran auch BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13, NZI 2014, 775, 778 Rz. 29. Ähnlich bereits Bork, ZIP 2007, 2337. 52 BGH,



A.  Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung

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Mittel hierfür bereitzustellen hat. Das Insolvenzgeld wird nicht über allgemeine Haushalts- bzw. Steuermittel, sondern allein über eine Umlage durch die Gesamtheit der insolvenzfähigen Arbeitgeber finanziert.57 Leitende Idee des Gesetzgebers bei Einführung des Konkursausfallgelds war, wie gesehen, der Schutz des vorleistungspflichtigen und regelmäßig ungesicherten Arbeitnehmers. Die typische Risikoverteilung im Arbeitsvertrag geht grds. zulasten des Arbeitnehmers und begünstigt die Arbeitgeberseite. Da der Lohnausfall immer durch den Arbeitgeber verursacht (und ausgenutzt) wird, lag es nahe, das Ausfallrisiko durch die Gruppe der Arbeitgeber versichern zu lassen. Gerade diese dienstvertragsrechtliche Risikoverteilung und Schutzüberlegung führten dazu, dass der Gesetzgeber meinte, es sei „angemessen, die Kosten für diese Sicherung [allein] von der Gesamtheit der Arbeitgeber tragen zu lassen“58. Auch als sich der Gesetzgeber in jüngerer Zeit mit dem Insolvenzgeld beschäftigte, hat er erkennen lassen, dass eben diese Begründung nach wie vor die alleinige Finanzierungsverantwortung der Arbeitgeber rechtfertige. Das Insolvenzgeld gewährleiste den notwendigen Arbeitnehmerschutz durch eine Lohngarantie; es sei Sache des Unternehmers als Schuldner des Lohns, die hierfür erforderlichen Mittel aufzubringen.59 Dass die Gefahr des unternehmerischen Scheiterns, der Insolvenz und des hieraus resultierende Lohnausfalls der Arbeitnehmer die Rechtfertigung für die Finanzierungspflicht darstellt, wird auch in § 358 Abs. 1 S. 2 SGB III deutlich: Nicht finanzierungs- und umlagepflichtig sind Arbeitgeber der öffentlichen Hand, bei denen ein Insolvenzverfahren bzw. die Zahlungsunfähigkeit gesetzlich ausgeschlossen ist.60 Bei diesen Einrichtungen können und müssen die Arbeitnehmer nie auf das Insolvenzgeld zurückgreifen, es besteht für sie kein Ausfallrisiko und somit auch kein Anlass zur „Risikoversicherung“. Ausgenommen von der Finanzierungslast sind auch andere, nicht in § 358 Abs. 1 S. 2 SGB III genannte Arbeitgeber, sofern diese nicht insolvenzfähig sind. Dies gilt bspw. für Wohnungseigentümergemeinschaften,61 aber auch für (fortgeführte) Unternehmen, die sich schon im Insolvenzverfahren befinden.62 Ähnlich wie im oben beschriebenen Fall besteht nach der ersten Eröffnung eines Insolvenzverfahrens keine Möglichkeit der Arbeitnehmer, nochmals Insolvenzgeld in Anspruch zu nehmen, solange die materielle Insolvenz fortbesteht. Mit dem BSG ist deshalb festzustellen, dass sich eine Umlagepflicht als sachwidrig darstellt, wenn sie nicht mehr dazu dient, die selbstgeschaffenen Risiken abzusichern.63 57 

§ 358 Abs. 1 S. 1 SGB III. RegE zum Kaug, BT‑Drs. 7/1750, S. 11 (Einfügung durch den Verfasser). 59  Vgl. RegE zu Hartz III, BT‑Drs. 15/1637, S. 14. 60  Vgl. näher hierzu Peters-Lange, in: Gagel-SGBIII, § 358 Rn. 5 f. 61  BSG, Urt. v. 23. 10. 2014 – B 11 AL 6/14 R, BSGE 117, 171 = NZI 2015, 383. 62 BSG, Urt. v. 31. 5. 1978 – 12 RAr 57/77, KTS 1979, 213; Peters-Lange, in: GagelSGBIII, § 358 Rn. 6; Plössner, in: BeckOK‑SGBIII, § 358 Rn. 2; Hess, in: Hess-InsO, § 358 SGB III Rn. 13 ff. 63  BSG, Urt. v. 31. 5. 1978 – 12 RAr 57/77, KTS 1979, 213, 214. 58 

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

5.  Das Volumen der Insolvenzgeldumlage Anders als vom Gesetzgeber 1974 vermutet, stellt die von den Arbeitgebern zu erbringende Insolvenzgeldumlage vom Gesamtumfang her einen beträchtlichen Finanzposten dar. Ging man bei Einführung des Konkursausfallgelds noch davon aus, dass jährlich etwa 40 Mio. DM zu Finanzierung ausreichen würden,64 stellte sich bald heraus, dass die Belastung der Arbeitgeber deutlich höher ausfällt.65 Dramatische Ausmaße hatte das Umlagevolumen auch in der Zeit der InsO, wobei extreme Schwankungen wegen des Einflusses des wirtschaftlichen Auf- und Abschwungs auf den Insolvenzgeldbedarf zu verzeichnen waren: So wurde bspw. im Jahr 2011 wegen der Umlageüberschüsse aus 2010 praktisch keine Umlage erhoben, in anderen Jahren wurden jedoch jährlich mehrere Milliarden Euro in die Insolvenzgeldkasse der BA eingebracht. Im Durchschnitt betrug die Umlage zwischen 1998 und 2016 knapp 1,2 Milliarden Euro.66

3,0

Insolvenzgeldumlagevolumen in Milliarden Euro

2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 0,0

8 99 0 01 02 03 4 05 06 7 8 09 10 11 2 3 4 5 6 199 19 200 20 20 20 200 20 20 200 200 20 20 20 201 201 201 201 201

Quelle: Haushaltspläne der BA der Jahre 2007–2016 (s. Fn. 66) sowie Braun/Wierzioch, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 29 Rn. 7.

Die extremen Schwankungen der Belastung der Arbeitgeber werden seit 2013 durch die gesetzlich Fixierung des Umlagesatzes67 und die Insolvenzgeld64  RegE zum Kaug, BT‑Drs. 7/1750, S. 18. Dass diese Einschätzung viel zu optimistisch gewesen sein dürfte, wurde schon unmittelbar nach Verabschiedung des neuen Gesetzes angemerkt, vgl. Birk, RabelZ 1975, 605, 635; mit Hinweis auf den wirtschaftlichen Auf- und Abschwung Uhlenbruck, KTS 1974, 66, 69. Mit einer plausiblen Erklärung für die Differenz von Schätzung und Wirklichkeit Steinwedel, DB 1998, 822. 65 Schon im Jahr der Einführung des Kaug waren die Kosten mit 76,5 Mio. DM fast doppelt so hoch wie erwartet, vgl. BT‑Drs. 15/1462, S. 2 (Antwort auf eine kleine Anfrage, BT‑Drs. 15/1399). 66 Vgl. die Haushaltspläne der BA (https://statistik.arbeitsagentur.de/Navigation/Statis tik/Statistik-nach-Themen/Einnahmen-Ausgaben/Einnahmen-Ausgaben-der-BA‑Nav.html, zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018). 67  Dieser liegt grds. bei 0,15 % (§ 360 SGB III), wurde allerdings durch eine Verordnung des BMAS für das Jahr 2017 auf 0,09 % abgesenkt (BGBl. I/2016, S. 2211).



A.  Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung

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rücklage68 der BA abgefedert. So sollen die Unternehmen davor geschützt werden, gerade in wirtschaftlich schwierigen Phasen – die naturgemäß zu mehr Insolvenzen und damit zu einer höheren Insolvenzgeldnachfrage führen – mit einer noch höheren Umlage belastet zu werden.69 Gleichwohl stellt sich die Insolvenzgeldumlage als erhebliche und auch deshalb überprüfungsbedürftige Belastung der Unternehmen dar.70 6.  Ansprüche im eröffneten Verfahren Die Lohnansprüche gegen das schuldnerische Unternehmen werden durch die Zahlung des Insolvenzgelds nicht befriedigt, sondern sind vielmehr im späteren Insolvenzverfahren zugunsten der BA zu berücksichtigen und soweit möglich zu befriedigen. Wird ein Antrag auf Insolvenzgeldzahlung gestellt, so geht der Lohnanspruch im Wege der Legalzession gem. § 169 S. 1 SGB III vom Arbeitnehmer (bzw. einem sekundären Inhaber dieser Forderung) auf die BA über.71 Diese tritt nun in die Gläubigerstellung gegenüber dem Arbeitgeber ein und kann den Lohnanspruch im späteren Verfahren geltend machen. Allerdings ist der Anspruchsübergang begrenzt auf den Betrag, für den auch eine Insolvenzgeldsicherung besteht. Die BA wird folglich nur Gläubigerin der Ansprüche in der Höhe des Nettoarbeitsentgelts bis zur Beitragsbemessungsgrenze.72 Soweit die Lohnansprüche über dieser Grenze liegen, lösen sie keinen Insolvenzgeldanspruch aus, gehen folglich auch nicht auf die BA über und sind später vom Arbeitnehmer selbst im Insolvenzverfahren geltend zu machen.73 Das gleiche gilt für Lohnansprüche, die über den Dreimonatszeitraums des § 165 Abs. 1 S. 1 SGB III hinausgehen. In das Insolvenzverfahren sind also sowohl die BA mit den zedierten Forderungen als auch die Arbeitnehmer selbst mit ihren (nicht insolvenzgeldfähigen) Forderungen einbezogen. Unabhängig davon, ob sie später der BA oder dem Arbeitnehmer zustehen, müssen sie zur Tabelle angemeldet werden (§ 174 ff. InsO).74 68 

§ 366 Abs. 2 SGB III. Peters-Lange, in: Gagel-SGBIII, § 358 Rn. 7, § 360 Rn. 2 f. 70  So explizit Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 23.23; vgl. auch Braun/Wierzioch, ZIP 2003, 2001; Grepl, Funktionen des Insg, S. 23. Vgl. hierzu S. 118 ff. 71 Die cessio legis findet schon im Moment der Antragstellung, also schon vor der Auszahlung des Insg statt, vgl. hierzu Kühl, in: Brand-SGBIII, § 169 Rn. 3; Peters-Lange, in: GagelSGBIII, § 169 Rn. 5 ff. Zum besonderen Problem des Anspruchsübergangs bei Arbeitnehmern im bzw. aus dem EU‑Ausland, vgl. BAG, Urt. v. 25. 6. 2014 – 5 AZR 283/12, NZI 2015, 81; hierzu auch Roos, NZI 2015, 55. 72 Vgl. Peters-Lange, in: Gagel-SGBIII, § 169 Rn. 8 ff., die sich auch eingehend mit anderen Ansichten zum Problem des Lohnsteueranteils auseinandersetzt. 73 Vgl. Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1496; Muschiol, ZInsO 2016, 248, 250. 74  Lohnansprüche sind also grds. einfache Insolvenzforderungen (§ 108 Abs. 3 InsO); der zuvor bestehende Vorrang wurde mit der Insolvenzrechtsreform abgeschafft. Der Gesetzgeber 69 Vgl.

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

Eine Ausnahme kann u. U. bestehen, wenn die Dienstleistungen i. R. d. Eröffnungsverfahrens erbracht werden. Wurde dem Schuldner für diese Zeit vom Gericht ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO) sowie dem („starken“) vorläufigen Verwalter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen und Unternehmen übertragen (§ 22 Abs. 1 S. 1 InsO) und nimmt dieser dann die Arbeitsleistung der Angestellten in Anspruch, so sind die sich hieraus ergebenden Forderungen als Masseverbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 2 S. 2 InsO bevorzugt zu befriedigen. Das gleiche gilt, wenn ein („schwacher“) vorläufiger Verwalter ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis durch eine gerichtliche Anordnung explizit zur Inanspruchnahme der Arbeitsleistung und Begründung entsprechender Masseverbindlichkeiten ermächtigt worden ist.75 Mit den so entstandenen Lohnansprüchen müssen sich die Arbeitnehmer nicht bei den Insolvenzgläubigern einreihen. Diese „Aufwertung“ der Lohnansprüche zu Masseverbindlichkeiten wird allerdings wieder zurückgenommen, wenn die Forderungen auf die BA übergehen, also im Falle der Inanspruchnahme von Insolvenzgeld. Unabhängig davon, welchen Charakter die Lohnforderungen in der Hand des Arbeitnehmers hatten bzw. hätten, „kann die Bundesagentur diese nur als Insolvenzgläubiger[in] geltend machen“ (§ 55 Abs. 3 S. 1 InsO).76 Diese Tatsache kann durch den vorläufigen Verwalter dazu genutzt werden, eine Betriebsfortführung sicherzustellen, ohne die spätere Masse durch Masseverbindlichkeiten zu belasten. Die BA als Verwalterin der „Insolvenzgeldkasse“ ist mit den Lohnansprüchen folglich immer (nur) Insolvenzgläubigerin und kann für die umlagepflichtigen Arbeitgeber lediglich Befriedigung in Höhe der Insolvenzquote erzielen. Im Ergebnis wird das Insolvenzgeld also (losgelöst von der Frage der Vorfinanzierung) zum größten Teil ausgezahlt, ohne dass ein vollständiger Rückgriff im Rahmen des Insolvenzverfahrens möglich ist. In den Haushaltsplänen der BA machen die „Erstattungen aus der Insolvenzmasse“ folglich auch nur einen Bruchteil der Mittel der Insolvenzgeldfinanzierung aus.77

erwartete von der „Rückstufung“ der Lohnforderungen allerdings wegen der Sicherung der Arbeitnehmer über das Kaug bzw. Insg „keine sozialen Härten“, vgl. BT‑Drs. 12/2443, S. 90. 75  Vgl. BGH, Urt. v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 = NZI 2002, 543; hierzu Heidrich/Prager, NZI 2002, 653; Hefermehl, in: MüKo-InsO, § 55 Rn. 229. 76  Mit der Einführung dieser Norm beendete der Gesetzgeber einen hitzigen Streit über den Charakter der Forderungen der BA, vgl. Braun/Wierzioch, ZIP 2003, 2001, 2004. Hierin kann (und wird vielfach) die (weitere) Bestätigung der Insg-Vorfinanzierung durch den Gesetzgeber gesehen, vgl. S. 65 ff. Ähnlich stellt sich die Frage im Schutzschirmverfahren, vgl. S. 78 ff. 77  So wird bspw. für das Jahr 2017 damit gerechnet, dass etwa 10 % der Insg-Mittel als Erstattungen aus Insolvenzverfahren eingebracht werden können, vgl. den Haushaltsplan 2017 der BA, S. 77, abrufbar unter http://www.arbeitsagentur.de/web/content/DE/service/Ueberuns/ Berichte/index.htm (zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018).



A.  Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung

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7.  Das Insolvenzgeld als Liquiditätsquelle Seine herausragende Bedeutung für das Eröffnungsverfahren und die Fortführungsfinanzierung erhält das Insolvenzgeld typischerweise erst durch die Praxis der Vorfinanzierung, hierzu sogleich. Da die Finanzmittel aus der Umlagekasse der BA erst nach dem Insolvenzereignis, also nach der Beendigung des Eröffnungsverfahrens, ausgezahlt werden, stehen sie einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder einem Schuldner in Eigenverwaltung nicht unmittelbar als Liquiditätsquelle zur Verfügung. Trotzdem lässt sich feststellen, dass das Insolvenzgeld auch ohne eine Vorfinanzierung für den Arbeitgeberbetrieb einen gewissen positiven, subventionierenden Effekt haben kann: Die Aussicht, dass die Arbeitnehmer für ihre ausstehenden Forderungen von außen Befriedigung erlangen werden, kommt mittelbar auch dem Arbeitgeber zugute.78 Zur Absicherung der Arbeitnehmer hätte es – jedenfalls theoretisch – ausgereicht, den Insolvenzgeldzeitraum auf einen Monat zu begrenzen. Wird ein Monatslohn vom Arbeitgeber (wegen fehlender liquider Mittel) nicht bezahlt, so könnte der Arbeitnehmer seine Leistung für die Zukunft unter Verweis auf das Zurückbehaltungsrecht aus § 273 BGB verweigern, u. U. fristlos kündigen (§ 626 BGB)79 und sich so (zumindest) das Arbeitslosengeld sichern. Das Vorleistungsrisiko des Arbeitnehmers, das durch das Insolvenzgeld abgesichert werden sollte, besteht nach dem ersten Lohnausfall nicht mehr in gleicher Weise fort.80 Durch die Insolvenzgeldsicherung hat nun der Arbeitgeber (vor oder nach einem Insolvenzantrag), oder auch ein vorläufiger Verwalter vor der Verfahrenseröffnung, die Möglichkeit, den Arbeitnehmer mit dem Hinweis auf die bald anstehende Auszahlung des sicheren Insolvenzgelds durch die BA zu vertrösten.81 So könnte der Arbeitgeber seine Mitarbeiter zur weiteren (Vor-)Leistung motivieren und den Wert der Arbeitsleistung voll in Anspruch nehmen, ohne selbst die verbliebenen liquiden Mittel aufbringen zu müssen.82 Wirtschaftlich gewährt der Arbeitnehmer wegen der vorwirkenden Aussicht auf Insolvenzgeld ein zinsloses Darlehen an das Schuldnerunternehmen, welches „regulär“ am Markt nicht mehr als kreditwürdig angesehen wird.83 Das illiquide Unterneh-

78 Vgl. Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 51; Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 28 f. 79 Vgl. Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 28; Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit, S. 89 f., 160. Näher zur Arbeitnehmerkündigung und dem Anspruch auf Arbeitslosengeld Bertram, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 105 Rn. 191 ff., § 110 Rn. 53 ff. 80 Vgl. Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 28. 81 Vgl. Berscheid, DZWIR 2000, 133; ders. BuW 1998, 913, 917; Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 30. 82 Vgl. Wiester, BB 1997, 949, 953; Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 29. 83  So auch das BSG, Urt. v. 17. 12. 1975 – 7 RAr 17/75, BSGE 41, 121, 123 Rz. 29 f.

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

men muss die Lohnforderungen nicht bedienen,84 kann trotzdem fortgeführt werden und muss die BA, die die Lohnforderungen wirtschaftlich übernimmt, „nur“ als Insolvenzgläubigerin befriedigen. Kommt es dann bspw. im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens sogar zu einem (Teil‑)Verzicht der BA und der Sanierung des Unternehmens, so hat dieses nicht nur einen wichtigen Kredit in einer schweren Phase erhalten, sondern auch einen bleibenden finanziellen Zuschuss über die Insolvenzgeldumlage in Anspruch genommen. Allerdings muss auch festgestellt werden, dass dieser für die Liquiditätslage positive Effekt nur begrenzt Wirkung entfaltet, wenn das Insolvenzgeld nicht vorfinanziert wird: Der Anspruch auf Insolvenzgeld entsteht erst mit dem Eintritt eines der beschriebenen Insolvenzereignisse; die Auszahlung der Mittel durch die BA erfolgt dementsprechend erst Monate nach der (Vor-)Leistung des Arbeitnehmers. Für die Arbeitnehmer ergibt sich so eine Phase, in der sie (ohne Vorfinanzierung) kein Einkommen haben, trotzdem aber den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien bestreiten müssen.85 Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten kann aber nicht vorbehaltlos angenommen werden, dass die Mitarbeiter ausreichend finanzielle Rücklagen hätten, um diese Zeit ohne Lohnzahlung zu überbrücken.86 Für die Motivation von – insbesondere hochqualifizierten – Arbeitnehmern und damit für die Fortführung des Unternehmens ist es deshalb regelmäßig erforderlich, dass die späteren Insolvenzgeldansprüche schon vor dem Insolvenzereignis wirtschaftlich verwertet werden.87 Diese frühzeitige Nutzbarmachung des Insolvenzgelds geschieht typischerweise durch die im Weiteren zu thematisierende Vorfinanzierung.88

II.  Die Insolvenzgeldvorfinanzierung Das Insolvenzgeld erlangt seine herausragende und prägende Bedeutung für das Insolvenzeröffnungsverfahren, insbesondere als Mittel zur Liquiditätsbeschaf84  Die vertragliche Pflicht zur Lohnzahlung besteht zwar weiter, insoweit muss gezahlt werden. Wirtschaftlich lässt sich aber auf diesem Weg die Vorleistung der Arbeitnehmer auch ohne Zahlung erreichen. 85 Vgl. Hanau/Kappus, ZIP 1988, 885, die aus dieser Tatsache die zwingende Notwendigkeit einer Vorfinanzierung ableiten. Vgl. auch Grepl, Funktionen des Insg, S. 147 f. 86 Vgl. Dreschers, in: Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 14 Rn. 14; Muschiol, ZInsO 2016, 248, 250. 87 Vgl. Grepl, Funktionen des Insg, S. 147 f.; Kautzsch, Unternehmenssanierung, S. 52; Kuder/Unverdorben, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.381. Gerade die wichtigsten Mitarbeiter verlassen ansonsten oft als erste „das sinkende Schiff“, vgl. Oberhofer, DZWIR 1999, 317, 320. 88  Nicht zielführend für die Zwischenfinanzierung der Betriebsfortführung ist die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Insg-Vorschusses durch die Arbeitnehmer; dieser setzt gem. § 168 S. 1 Nr. 2 SGB III u. a. voraus, dass das Arbeitsverhältnis schon beendet wurde. Vgl. m. w. N. Grepl, Funktionen des Insg, S. 148 Fn. 400.



A.  Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung

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fung, durch seine Vorfinanzierung. Gleichzeitig ist gerade diese Ausformung der Hintergrund wiederkehrender Kritik an der seit Jahrzehnten gängigen Praxis.89 Ein Unternehmen, das sich im Eröffnungsverfahren befindet, verliert – insbesondere mit dem Bekanntwerden des Insolvenzantrags90 – typischerweise seine letzten, für die Betriebsfortführung dringend benötigten Liquiditätsreserven. Um einen laufenden Betrieb dennoch aufrechterhalten und die unentbehrlichen Leistungen der Arbeitnehmer sicherstellen zu können, greift die Praxis zur Entlohnung des Personals auf eine externe Liquiditätsquelle zurück: Das Insolvenzgeld ist das Finanzierungsinstrument des Eröffnungsverfahrens.91 Da die Insolvenzgeldansprüche der Arbeitnehmer erst mit der Verfahrenseröffnung entstehen, der Liquiditätsbedarf allerdings schon vor der Eröffnung virulent wird, hat sich für das Eröffnungsverfahren die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes etabliert. Im Folgenden werden zunächst die gesetzlichen Rahmenbedingungen und ihrer Entwicklung, die rechtstechnische Ausgestaltung der Vorfinanzierung und die Besonderheiten in Eigenverwaltungseröffnungsverfahren thematisiert. Anschließend wird die wesentliche Hürde und einzige rechtliche Voraussetzung für die Insolvenzgeldvorfinanzierung kritisch untersucht: die notwendige Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit. Schließlich stehen die praktischen Auswirkungen der Insolvenzgeldvorfinanzierung, insbesondere mit Blick auf die Betriebsfortführung und den Zusammenhang von Vorfinanzierung und Verfahrensdauer, im Fokus. 1.  Die Genese der gesetzlichen Rahmenbedingungen der Vorfinanzierung Um die Verschiebung der Schwerpunkte und des Zwecks des Insolvenzgelds bewerten zu können, ist insbesondere der Blick auf die von der Insolvenzpraxis getriebene Gesetzesentwicklung hilfreich. Hierbei offenbart sich das legislatorische „Nachvollziehen“ der insolvenzpraktischen Wirklichkeit.

89 Kritik wurde sowohl vor also auch nach der Insolvenzrechtsreform seit Einführung des Kaug bis heute immer wieder laut, so bspw. durch Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 136 f., 146, 188 f.; Henckel, in: Jaeger-InsO, § 55 Rn. 87; Zeuner, in: Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch, S. 261, 271; Gerhardt, Grundbegriffe des Vollstreckungs- und Insolvenzrechts, S. 245; Dieckmann, ZRP 1987, 420; Hoehl, jurisPR‑SozR 9/2007, Anm. 3. 90  Der Antrag wirkt dann ggf. als self-fulfilling prophecy. Sobald der Antrag öffentlich wird, werden die Gläubiger bspw. alle Kreditlinien kündigen. Selbst wenn der Antrag zuvor also unbegründet gewesen sein sollte, liegt nun Zahlungsunfähigkeit und damit ein Eröffnungsgrund vor; vgl. hierzu Brinkmann, ZIP 2014, 197, 199 sowie S. 222 ff. 91 In einer Studie des ZIS Mannheim gaben 98 % der Verwalter an, das Insolvenzgeld sei „die größte Hilfe“ in der entscheidenden Phase der Insolvenz, Euler Hermes/ZIS, Wirtschaft Konkret Nr. 418, S. 7, 11, 13; vgl. auch Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 56 ff.; Schmerbach, in: FK‑InsO, § 22 Rn. 106 ff.

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

a)  Entwicklung der Vorfinanzierung durch die Praxis Schon bei Einführung des Konkursausfallgelds im Jahr 1974 sah das Gesetz die Möglichkeit vor, dass der Anspruch nicht dem Arbeitnehmer, sondern einem Dritten zustehen könnte.92 Man zog bei der Ausgestaltung des Ausfallanspruchs also auch die Rechte Dritter (am Lohnanspruch) in die Betrachtung ein. Die Übertragung oder (Ver-)Pfändung eines Lohnanspruchs dürfe bei der späteren Zahlung des Konkursausfallgelds nicht einfach unberücksichtigt bleiben.93 Dass Lohnansprüche übertragen werden könnten, gerade mit dem Ziel, dem Dritten den späteren Anspruch auf Konkursausfallgeld zu verschaffen, hatte der Gesetzgeber allerdings wohl nicht im Blick.94 Die gesetzliche Grundlage zur Vorfinanzierung des Ausfallgeldes wurde also eher unbewusst geschaffen, die Gesetzesbegründung setzt sich folglich auch nicht mit dieser Problematik auseinander.95 Bald erkannte die Insolvenzpraxis, dass sich das Konkursausfallgeld (und heute das Insolvenzgeld) zur Liquiditätsentlastung der Masse, für die Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren und damit auch für Sanierungszwecke nutzbar machen ließ und machte von dieser Möglichkeit immer stärker Gebrauch: Immer mehr Arbeitgeber mit Liquiditätsproblemen sorgten dafür, dass nicht sie selbst, sondern ein Dritter Leistungen an die Arbeitnehmer erbrachte, die Personalkosten in einer Zeit wirtschaftlicher Schwierigkeiten auf die Ausfallversicherung übergewälzt wurden und so der Betrieb fortgeführt werden konnte.96 Das Schweigen von Gesetz und Gesetzgeber zu diesem Vorgehen führte zunächst zu großer Unsicherheit bzgl. der Frage, ob ein solcher bewusster Einsatz des Konkursausfallgelds als Kreditunterlage als zulässig bzw. in welchen Ausformungen er als „missbräuchlich“ anzusehen sei.97 Besonders strittig war die Nutzung der Vorfinanzierung im Rahmen des Konkurseröffnungsverfahrens durch den Sequester.98 Schon 1978 kritisierte das BMJ den Missbrauch der Ausfallversicherung, wenn bspw. die Arbeitnehmer zur dreimonatigen Arbeit ohne Lohn veranlasst würden, um so das Konkursausfallgeld für die weitere Produktion in Anspruch zu nehmen.99 92 

Vgl. § 141k Abs. 1, Abs. 2 AFG. der RegE zum Kaug, BT‑Drs. 7/1750, S. 13 f.; vgl. auch Oehlerking, Zahlungsunfähigkeit, S. 127 f. 94  Vgl. BSG Urt. v. 22. 3. 1995 – 10 RAr 1/94, BSGE 76, 67 Rz. 28; Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 45; Grepl, Funktionen des Insg, S. 164; Berscheid, in: FS Rheinland-Pfalz, S. 453, 457; Wiester, BB 1997, 949, 952. 95  Vgl. ebd. 96 Vgl. Hase, in: Gagel, Die BA in der Insolvenzpraxis, S. 33, 35; Wiester, BB 1997, 949, 950. 97 Vgl. Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 45; Kautza, SGb 1982, 517; Hase, in: Gagel, Die BA in der Insolvenzpraxis, S. 33, 35 f.; Grepl, Funktionen des Insg, S. 164 f. 98 Vgl. Hanau/Kappus, ZIP 1988, 885, 888. 99  Vgl. genauer zur Kritik des BMJ an der Praxis Uhlenbruck, KTS 1980, 81, 82. 93  So



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Wer als Kreditgeber auftrat, in welcher (wirtschaftlichen) Situation sich der Schuldner befand, ob Chancen auf Erhalt der Arbeitsplätze bestanden oder wer von der Vorfinanzierung profitierte, sollte nach vielen (im Einzelnen divergierenden) Stimmen ausschlaggebend dafür sein, ob die Vorfinanzierung anfechtbar, sittenwidrig oder zulässig sei.100 Uneinigkeit herrschte insbesondere bei der Frage, ob sich die Missbräuchlichkeit der Vorfinanzierung bereits aus der Tatsache ergebe, dass die Konkurseröffnung durch dieses Vorgehen verzögert wird.101 In diese Unsicherheit versuchte insbesondere die BA Struktur zu bringen, um dem Leistungsmissbrauch vorzubeugen. In mehreren Dienstanweisungen setzte sich diese sehr kritisch mit der Praxis auseinander und hielt fest, dass der Antrag eines Dritten auf Konkursausfallgeld abzulehnen sei, wenn sich einzelne Gläubiger auf Kosten der Ausfallversicherung – und damit auf Kosten der Gesamtheit aller Arbeitgeber – Sondervorteile verschafften.102 Das Konkursausfallgeld sei kein „Finanzierungsmittel für in wirtschaftliche Krise geratene Arbeitgeber“103, sondern vielmehr eine sozialrechtliche Leistung. Folglich unterstützte die BA die Vorfinanzierung insbesondere für Fälle von aussichtsreichen Sanierungsbemühungen,104 für Fälle also, in denen der Erhalt von Arbeitsplätzen wahrscheinlich erschien und die Vorfinanzierung somit (auch) den Arbeitnehmerinteressen entgegenkam. Schon hier lassen sich die ersten wesentlichen Schritte erkennen, die das Ausfallgeld zu einem Instrument der Arbeitsmarktpolitik machten. Neben den konkreten Schutz der einzelnen Arbeitnehmer trat nun – zumindest nach der Auffassung der BA – der Zweck der allgemeinen Arbeitsplatzsicherung. Die Rechtsprechung trat allerdings der doch sehr rigiden Auffassung der BA in einigen Punkten entgegen und machte deutlich, dass allein der Gesetzgeber die Unklarheiten bzgl. der Einsetzung des Konkursausfallgelds als Finanzierungsund Sanierungsinstrument beseitigen könne.105

100 Vgl. Kautza, SGb 1982, 517, 532 ff.; Koch, Sequestration, S. 98 ff. Generell ablehnend Dieckmann, ZRP 1987, 420; sehr kritisch demgegenüber (aber nicht durchweg überzeugend) Stein, ZRP 1988, 142. Zur Abgrenzung von anfechtbaren, sittenwidrigen und zulässigen Fällen vgl. Uhlenbruck, KTS 1980, 81, 84 ff. 101 Vgl. Peters-Lange, in: Gagel-SGBIII, § 170 Rn. 66, wobei die Verzögerung i. R. d. Sequestration wohl am unproblematischsten war, vgl. Uhlenbruck, KTS 1980, 81, 87 ff.; Koch, Sequestration, S. 98. 102  Abgedruckt in ZIP 1981, A22 und A 73. 103  Dienstanweisung der BA, ZIP 1981, A 73. 104 Ebd. 105  Vgl. BSG, Urt. v. 22. 3. 1995 – 10 RAr 1/94, BSGE 76, 67 Rz. 27 ff. noch bzgl. eines Sachverhalts von 1983; zustimmend Kautzsch, Unternehmenssanierung, S. 57 f.

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

b)  Die gesetzliche Anerkennung der Vorfinanzierung Von der Praxis gefordert, bestätigte und legitimierte der Gesetzgeber 1987 mit der Einführung des § 141k Abs. 2a AFG106 nach allgemeiner Ansicht grundsätzlich die Praxis der Vorfinanzierung.107 Der Gesetzgeber wollte diese zwar für einzelne, missbräuchliche Fälle ausschließen,108 ansonsten aber sicherstellen, dass die „Arbeitnehmer […] die Möglichkeit behalten, ihr Arbeitsentgelt auch vor der Konkurseröffnung vorzufinanzieren“109. Den Gesetzgebungsmaterialien lassen sich zwei wesentliche Erkenntnisse entnehmen: Zum einen war nach Ansicht des Gesetzgebers (von 1987) die Vorfinanzierung schon vor der Neuregelung generell zulässig  – nur die Grenzen sollten klarer gezogen werden.110 Zum anderen lässt sich erkennen, dass der Gesetzgeber der oben dargestellten Vorstellung der BA in Teilen gefolgt ist und das Konkursausfallgeld nun auch in den Dienst der Arbeitsmarktpolitik stellen wollte. Die Entscheidung des Gerichts über einen Konkursantrag könne u. U. verzögert (und so das Eröffnungsverfahren verlängert) werden, wenn auf diese Weise ein ernsthafter Sanierungsversuch – und damit der Erhalt von Arbeitsplätzen – unterstützt würde.111 Die Einführung von § 141k Abs. 2a AFG markiert also nicht nur die Legitimierung der zuvor bestehenden Vorfinanzierungspraxis, sondern stellt vor allem auch eine wichtige Verschiebung des Gesetzeszwecks dar. Die Ausfallversicherung sollte nun nicht mehr allein den ursprünglich intendierten Schutz des einzelnen, vorleistungspflichtigen und oft ungesicherten Arbeitnehmers vor Lohnausfall sicherstellen, sondern diente insbesondere bei einer Vorfinanzierung auch dem Erhalt insolvenzbedingt gefährdeter Arbeitsplätze.112 Durchdacht und geprägt wurde die für das Insolvenz(eröffnungs)verfahren so essentielle Insolvenzgeldvorfinanzierung also im Wesentlichen vom „Sozialgesetzgeber“, den Sozial- und Arbeitsgerichten und der BA – nicht aber durch die Insolvenzgesetzgebung. 106 

BGBl. I/1987, S. 2602. BSG, Urt. v. 8. 4. 1992 – 10 RAr 12/91, BSGE 70, 265 Rz. 41; BSG, Urt. v. 22. 3. 1995 – 10 RAr 1/94, BSGE 76, 67 Rz. 30 ff.; Wiester, BB 1997, 949, 952; Hanau/Kappus, ZIP 1988, 885, 886 f.; Grepl, Funktionen des Insg, S. 168; Kautzsch, Unternehmenssanierung, S. 57 f. 108  Diese konkreten Missbrauchsfälle und die hierzu ergangene Rechtsprechung hat sich durch die neue Rechtslage überholt, so ausdrücklich auch Berscheid, DZWIR 2000, 133, 135. Zur Missbrauchskasuistik unter dem AFG vgl. Grepl, Funktionen des Insg, S. 164 ff. 109  Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT‑Drs. 11/1161, S. 13. 110  Kritisch zu der vermeintlichen Klarstellung Strasser, der meint, dass durch die Gesetzesnovellierung die Rechtsunsicherheit sogar verstärkt wurde (Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 181). In eine ähnliche Richtung geht die Bewertung durch Peters-Lange, in: GagelSGBIII, § 170 Rn. 67. 111  Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT‑Drs. 11/1161, S. 13. Vgl. auch Berscheid, DZWIR 2000, 133, 134. Zur Auswirkung der Neuregelung auf die Vorfinanzierung im Eröffnungsverfahren Hanau/Kappus, ZIP 1988, 885, 888 ff. 112 Vgl. Wiester, BB 1997, 949, 953; ähnlich auch Gagel, in: Gagel, Die BA in der Insolvenzpraxis, S. 7. 107 



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c)  Vorfinanzierung im geltenden Recht Auch im Rahmen der Reform der Arbeitsförderung setzte sich der Gesetzgeber mit der Insolvenzgeldvorfinanzierung auseinander und stellte fest, dass sich die bisherige Regelung in der Verwaltungspraxis als unzureichend erwiesen habe.113 Die zuvor geltende „Verbotslösung“ mit der gesetzlichen Normierung von Missbrauchstatbeständen wurde durch eine „Zustimmungslösung“ ersetzt: Das Insolvenzgeld kann nun anders als zuvor grds. von jedem Dritten, also auch von Gläubigern, Betriebserwerbern oder Anteilseignern, vorfinanziert werden.114 „Missbräuchliche“ Praktiken, die nicht dem Zweck der Sicherung entsprechen, sollen dadurch verhindert werden, dass die Wirksamkeit der Vorfinanzierung von der Zustimmung der BA abhängt.115 Diese frühe Einbeziehung der BA bei einer Vorfinanzierung geht auf eine Anregung der Sozialgerichtsbarkeit zurück und ist seit der Gesetzesnovellierung das zentrale Element der Insolvenzgeldvorfinanzierung. Die neue Regelung116 wurde explizit geschaffen, „um […] arbeitsplatzerhaltende Sanierungen […] durch eine Vorfinanzierung der Arbeitsentgelte zu ermöglichen“117. Ob die notwendige Zustimmung der BA erteilt wird, richtet sich gem. § 170 Abs. 4 SGB III ausschließlich danach, ob „ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze erhalten bleibt“.118 Somit haben sich die zuvor so problematische Frage nach der Rechtsmissbräuchlichkeit und die hierzu ergangene Rechtsprechung mit der Einführung des SGB erledigt,119 gleichzeitig entstanden mit dem Zustimmungsvorbehalt neue, nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Eine letzte deutliche Anerkennung und Begünstigung der Insolvenzgeldvorfinanzierung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter nahm der Gesetzgeber 2001 mit der Einführung des § 55 Abs. 3 S. 1 InsO vor: Vor dieser Neuregelung war unklar und umstritten, ob die BA mit den Lohnforderungen, die dem Insolvenzgeld zugrunde lagen und auf sie übergegangenen waren, nach der Insolvenzeröffnung als Masse- oder als Insolvenzgläubigerin zu befriedigen war.120 Beschäftigt der starke (oder der gerichtlich hierzu besonders ermächtigte) vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitnehmer zur Betriebsfortführung weiter, so sind die sich hieraus ergebenden Entgeltansprüche als Masseverbindlich113 

Vgl. RegE zum AFRG, BR‑Drs. 550/96, S. 188. Klüter, WM 2010, 1483, 1485; Berscheid, DZWIR 2000, 133, 135; Grepl, Funktionen des Insg, S. 180 f.; Hase, WM 2000, 2231, 2232. 115 Vgl. Peters-Lange, in: Gagel-SGBIII, § 170 Rn. 69; Bertram, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 110 Rn. 32. 116  Ursprünglich § 188 Abs. 4 SGB III, heute § 170 Abs. 4 SGB III. 117  RegE zum AFRG, BR‑Drs. 550/96, S. 188. 118  Zu diesem Kernelement der Vorfinanzierung, der Zustimmung der BA, vgl. S. 83 ff. 119 Vgl. Berscheid, DZWIR 2000, 133, 135; ders., BuW 1998, 913, 917. 120  Zum Übergang des Anspruchs auf die BA und zur Bedeutung der vorläufigen Insolvenzverwaltung schon zuvor, S. 57 ff. 114 Vgl.

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keiten zu befriedigen (§ 55 Abs. 2 S. 2 InsO). Gingen die Forderungen – mit diesem Masseschuldcharakter – im Wege der Vorfinanzierung zunächst auf den finanzierenden Dritten und dann auf die BA über, so würde auf die Masse eine erhebliche Belastung zukommen, die eine Sanierungsmöglichkeit und damit den Erhalt von Arbeitsplätzen oft ausschließt.121 Da die InsO, anders als die KO,122 zunächst keine Herabstufung der Ansprüche der BA (zu einfachen Insolvenzforderungen) vorsah, wurde deutliche Kritik an der gesetzlichen Ausgestaltung laut.123 Sowohl Rechtsprechung als auch Literatur suchten und fanden Wege um dieses (sanierungshemmende) Ergebnis – die Massegläubigerstellung der BA – zu korrigieren.124 Mit der Einführung des § 55 Abs. 3 InsO kam der Gesetzgeber der Kritik und der Forderung von Literatur und Praxis nach und führte die vielfach geforderte Rückstufung ausdrücklich ein: Lohnansprüche, die wegen der Insolvenzgeldzahlungen auf die BA übergehen, kann diese unabhängig vom (bisherigen) Charakter der Forderungen nur noch als Insolvenzgläubigerin geltend machen. Diese Neuregelung werde „im Interesse der Sanierung erhaltenswerter Unternehmen und im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer“125 vorgenommen; behielten nämlich die auf die BA übergegangenen Lohnansprüche ihren Charakter als Masseverbindlichkeiten, so würde nach Einschätzung des Gesetzgebers oftmals ein Großteil der Masse aufgezehrt und damit „eine Sanierung und die Rettung von Arbeitsplätzen […] scheitern“126. Die Möglichkeit der Insolvenzgeldvorfinanzierung zur leichteren Betriebsfortführung durch den vorläufigen Verwalter im Eröffnungsverfahren hat der Gesetzgeber hiermit nicht nur anerkannt, sondern sogar positiv begünstigt. Das 121 

Vgl. m. w. N. Grepl, Funktionen des Insg, S. 156 f., insbes. Fn. 427 f. Vgl. die früheren §§ 59 Abs. 2, 61 Abs. 1 Nr. 1 KO. 123 Vgl. Wiester, ZInsO 1998, 99, 102; Haarmeyer, ZInsO 1998, 157; Kind, InVo 1998, 57, 62 f.; Oberhofer, DZWIR 1999, 317, 318; Berkowsky, NZI 2000, 253. 124  Z. T. wurde vertreten, dass § 108 Abs. 2 (heute Abs. 3) InsO als lex specialis zu § 55 Abs. 2 S. 2 InsO anzusehen sei; Dienstlohnansprüche seien unabhängig davon, wem diese zustehen, nur Insolvenzforderungen, so. bspw. ArbG Bielefeld, Urt. v. 16. 6. 1999 – 4 Ca 1444/99, NZI 1999, 424; Berscheid, BuW 1998, 913, 917 f.; ders., NZI 1999, 6, 8; Wiester, ZInsO 1998, 99, 103; ders., NZI 1999, 397, 398; Lakies, BB 1998, 2638; Berkowsky, NZI 2000, 253, 256. Nach einer zweiten Ansicht sei der (vorrangige) § 55 Abs. 2 S. 2 InsO teleologisch zu reduzieren für den Fall, dass die Lohnforderungen wegen der Zahlung von Insg auf die BA übergegangen sind, so bspw. BAG, Urt. v. 3. 4. 2001 – 9 AZR 301/00, BAGE 97, 241 = NZI 2002, 118; LAG Hamm, Urt. v. 10. 1. 2000 – 19 Sa 1638/99, NZI 2000, 189; LAG Köln, Urt. v. 25. 2. 2000 – 12 Sa 1512/99, NZI 2000, 288; Zwanziger, ZIP 1998, 2135, 2137; Weisemann, DZWIR 2000, 239. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine solche gerichtliche Praxis hegte bspw. Hase, WM 2000, 2231, 2235. 125  RegE zum InsOÄndG, BT‑Drs. 14/5680, S. 17. 126  Ebd. Interessanterweise ging man gleichzeitig davon aus, dass mit der Neuregelung keine Schlechterstellung der BA verbunden sei, da die Insolvenzpraxis regelmäßig sowieso keine „starken“, sondern nur „schwache“ vorläufige Verwalter einsetze, sodass Lohnansprüche i. d. R. ohnehin nur Insolvenzforderungen seien. 122 



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geltende Recht, das die Kritik der BA an der Vorfinanzierung von Konkursausfallgeld aus den 80er Jahren aufnimmt,127 hat die zuvor angedeutete neue Zielbestimmung bzgl. des Insolvenzgelds positiv und ausdrücklich festgeschrieben: Der Erhalt von Arbeitsplätzen – also ein Bestreben der Arbeitsmarktpolitik – wird als so wichtig angesehen, dass er es rechtfertigt, angeschlagenen Unternehmen, insbesondere im Insolvenzeröffnungsverfahren,128 einen Kredit in Form der temporären Lohnkostenübernahme zur Verfügung zu stellen – in einer Zeit, in der neue Geldgeber und Liquiditätsquellen rar sind. d)  Erkenntnisse aus der Gesetzesentwicklung Die Entwicklung der rechtlichen Vorgaben zur Insolvenzgeldvorfinanzierung und ihre gesetzgeberische Anerkennung lassen mehrere, für die Bewertung dieses Instrumentes wichtige Schlüsse zu: Der Gesetzgeber hat an verschiedenen Stellen deutlich gemacht, dass er die Insolvenzgeldvorfinanzierung für richtig hält und positiv unterstützt. Allerdings nahm er die gesetzliche Anerkennung „getrieben“ von der Praxis vor. Diese hatte einen Weg gefunden, die schwierige Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungsverfahren sicher und effektiv zu finanzieren. Erst durch die Einführung des Ausfallgelds und die Möglichkeit der zeitweisen Verlagerung der Personalkosten auf die BA trat die (zuvor beinahe bedeutungslose) Geschäftsfortführung im Eröffnungsverfahren gleichwertig neben die Betriebsstilllegung und die damit verbundene Zerschlagung.129 Dass der Gesetzgeber, bspw. i. R. d. Insolvenzrechtsreform, diese von der vorläufigen Insolvenzverwaltung erfolgreich genutzte und wenig kritisierte Liquiditätsquelle nicht ohne Weiteres trocken legen wollte, erscheint – gerade mit Blick auf die aufkommende Sanierungskultur – plausibel und verständlich.130 Gleichzeitig ist festzustellen, dass der Funktionswandel des Insolvenzgelds – von der Sicherung (allein) des einzelnen Arbeitnehmers hin zur Rettung von Unternehmen und Arbeitsplätzen im Allgemeinen – deutlich von arbeits- und sozialpolitischen Überlegungen determiniert war. Als die Praxis der Insolvenzgeldvorfinanzierung aufkam, prägten gerade die Sozialgerichtsbarkeit und die BA die Diskussion um Zulässigkeit, Nutzen, Rechtfertigung und Grenzen 127 Vgl.

Wiester, ZInsO 1998, 99, 101. Die Vorfinanzierung gehört gerade für den vorläufigen Verwalter zum „selbstverständlichen Instrumentarium“, Kilger, KTS 1989, 495, 499. Diesem auch für das heutige Recht zustimmend bspw. Ries/Zobel, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 178; Beck, in: Beck/Drepé, Praxis der Insolvenz, § 19 Rn. 32; Schmidt, ZIP 2017, 1357, 1358; Berscheid, NZI 1999, 6. 129 Vgl. Grub, ZIP 1993, 393, 397; ebenso Wiester, BB 1997, 949, 950. Eher distanziert zu dieser Aussage Fink, Maßnahmen des Verwalters, S. 96. 130  Die Kommission zur Vorbereitung der Insolvenzrechtsreform hatte sich noch für eine drastische Einschränkung der Insg-Vorfinanzierung ausgesprochen (BMJ [Hrsg.], Erster Bericht der Insolvenzrechtskommission, S. 388). Diese Anregungen wurden vom Gesetzgeber allerdings – wohl auch aus den genannten Gründen – nicht aufgegriffen. 128 

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dieses Instruments.131 Wie sich am heutigen § 170 Abs. 4 SGB III zeigt, hat ausschließlich das arbeitsmarktpolitische Ziel des Erhalts bestehender Arbeitsstellen Eingang in das gesetzliche System gefunden. Auch dies ist, betrachtet man den sozialrechtlichen Ursprung und Kern des Insolvenzgelds, nicht überraschend. In den wesentlichen gesetzgeberischen Auseinandersetzungen mit der besprochenen Thematik fehlte allerdings eine grundlegende Einbettung in das Gesamtsystem des Insolvenzrechts mit Blick auf Gläubigerbefriedigung, Sanierung, Marktmechanismen, Gesamtwirtschaft und Arbeitsmarkt. Dem Gesetzgeber wurde deshalb nicht zu Unrecht sowohl mit Blick auf einzelne, konkrete Normierungen als auch bzgl. der gesetzlichen Gesamtkonzeption vorgeworfen, er würde Sozial- und Insolvenzrecht nicht ausreichend verzahnen und die Rechtsmaterien nicht durchgehend aufeinander abstimmen.132 Gerade weil sich das Insolvenzrecht in den letzten Jahrzenten stark verändert hat – bspw. durch die Vereinigung von Konkurs- und Vergleichsrecht in der InsO oder die neuen Möglichkeiten zur rechtsträgererhaltenden Sanierung ohne Marktaustritt – und wegen der besonderen Bedeutung des Insolvenzgelds in vorfinanzierter Form, bedarf es einer neuen Auseinandersetzung mit Blick auf die relevanten, betroffenen Rechtsgebiete. 2.  Rechtstechnische Ausgestaltung der Insolvenzgeldvorfinanzierung Zu der Frage, wie die Insolvenzgeldvorfinanzierung vertraglich auszugestalten ist, trifft das Gesetz keine speziellen Aussagen. Es stellt lediglich fest, dass Ansprüche auf Arbeitsentgelt übertragen oder verpfändet werden könnten, was u. U. zu einem Anspruch eines Dritten führen kann (§ 170 SGB III). Durch den Blick auf die rechtstechnische Umsetzung und das grundlegende Vertragsverhältnis soll deutlich werden, was die prägenden Kernelemente der Insolvenzgeldvorfinanzierung sind und wie sich Vorteile und Risiken zwischen den Parteien verteilen. Zudem soll mit der „revolvierenden Vorfinanzierung“ ein spezielles Vorgehen untersucht werden, in welchem sich die Möglichkeiten aber auch die Probleme einer Vorfinanzierung in besonders deutlicher Weise fokussieren.

131  Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Schröder, in: HambKomm-InsO, § 22 Rn. 123. Einen prägnanten Überblick über die Rspr. des BSG gibt Steinwedel, DB 1998, 822, 824 f. Zu Haltung und Maßnahmen der BA vgl. Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 70 ff. und Grepl, Funktionen des Insg, S. 182. 132  Peters-Lange spricht bspw. konkret im Hinblick auf die (zunächst) fehlende Rückstufung der Ansprüche der BA von einer „gesetzgeberische[n] Fehlleistung, die in der mangelnden Rücksicht auf die Verzahnung der insolvenzrechtlichen mit den sozialrechtlichen Vorschriften liegt“ (Peters-Lange, EWiR 2000, 539, 540). Dass es an einer allgemeinen Abstimmung wesentlicher Rechtsgebiete mit den Insolvenzrechtsstrukturen mangelt, erklärt Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 23.00.



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a)  Vertragliche Umsetzung der Vorfinanzierung Das Insolvenzgeld lässt sich grds. auf zwei Arten vorfinanzieren: auf Grundlage eines Darlehens- oder eines Forderungskaufvertrags. Bei der Vorfinanzierung im Kreditierungsverfahren wird z. T. eine Konstruktion vorgeschlagen, bei der der Arbeitgeber ein Darlehen aufnimmt, hieraus seine Arbeitnehmer im Eröffnungsverfahren entlohnt und die (zukünftigen!) Insolvenzgeldforderungen als Sicherheit dienen.133 Ein solches Vorfinanzierungsmodell ist jedoch „mit der tatsächlich bestehenden Rechtslage nicht vereinbar“134: Zum einen entstünden hierbei schon keine Insolvenzgeldansprüche,135 zum anderen wäre auch die (Sicherungs-)Abtretung solcher Ansprüche vor ihrem Entstehen nicht möglich.136 Möglich und anerkannt ist die Insolvenzgeldvorfinanzierung im Kreditierungsverfahren deshalb nur, wenn dem einzelnen Arbeitnehmer ein Darlehen in Höhe des insolvenzgeldfähigen Lohnanspruchs gewährt wird. Die finanzierende Bank lässt sich gleichzeitig von diesem die entsprechenden Entgeltforderungen gegen den insolventen Arbeitgeber zur Sicherung des Rückzahlungsanspruchs übertragen.137 Vom Zeitpunkt des Insolvenzereignisses an steht der Bank – bei vorheriger Zustimmung der BA – der Insolvenzgeldanspruch zu; mit der Auszahlung des Insolvenzgelds von der BA an das Kreditinstitut wird schließlich das Darlehen zurückgeführt.138 Diese denkbare Finanzierungsvariante begegnet praktischen Bedenken: Wegen § 400 BGB kann der Arbeitnehmer grds. nur den pfändbaren Teil seiner Lohnforderungen an die Bank abtreten, sodass diese für den unpfändbaren Anteil auch keine Insolvenzgeldforderungen erhält. Zwar wird § 400 BGB ein133  Wie hier beschrieben bspw. auch bei Dreschers, in: Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 14 Rn. 14; Bertram, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 110 Rn. 32; wohl auch Pape, in: K/P/B‑InsO, § 270a Rn. 19; Oppermann/Smid, ZInsO 2012, 862, 866, nach denen dies sogar die „primär praktizierte“ Lösung sei. 134  Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1498. Vgl. auch DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 1 zu § 170 SGB III; Berscheid, Arbeitsverhältnisse, S. 319. 135  Aus dem Darlehen würde der Arbeitgeber seine Zahlungspflicht erfüllen, bei den Arbeitnehmern entstünde damit kein Lohnausfall i. S. d. § 165 Abs. 1 S. 2 SGB III und somit auch kein Anspruch auf Insg, so auch Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1498; Kind, InVo 1998, 57, 59; Hanau/Kappus, ZIP 1988, 885, 886. 136  Schon § 170 Abs. 1 SGB III macht deutlich, dass der Insg-Vorfinanzierung die Übertragung des rückständigen Lohnanspruchs zugrunde liegt. Zwar ist grds. auch die Abtretung des Insg-Anspruchs möglich (§ 171 S. 1 SGB III), allerdings erst nach Stellung des Antrags. Eine isolierte Abtretung vor diesem Antrag (also im Eröffnungsverfahren) scheitert an § 134 BGB, vgl. LSG BW, Urt. v. 6. 2. 2009 – L 8 AL 4096/06, ZIP 2009, 777, 779; Braun/Wierzioch, in: Beck/Drepé, Praxis der Insolvenz, § 29 Rn. 102; Plössner, in: BeckOK‑SGBIII, § 171 Rn. 2; Kühl, in: Brand-SGBIII, § 171 Rn. 3. 137 Vgl. Obermüller, Bankpraxis, Rn. 5.704 f.; Klüter, WM 2010, 1483, 1486; Grepl, Funktionen des Insg, S. 148 f.; DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 4 zu § 170 SGB III. 138 Vgl. Kind, InVo 1998, 57, 59.

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schränkend ausgelegt und steht einer Abtretung (auch) des pfändungsfreien Teils nicht im Wege, wenn der Arbeitnehmer im Gegenzug unmittelbar eine wirtschaftlich gleichwertige Leistung vom Zedenten erhält.139 Beim (echten) Kreditierungsverfahren besteht allerdings nach der Auszahlung der Valuta weiterhin der Darlehensrückzahlungsanspruch, dem sich der Arbeitnehmer konkret ausgesetzt sieht, wenn die BA das Insolvenzgeld nicht (vollständig) an die Bank ausbezahlt. Wegen dieses Rückgriffrisikos wird die wirtschaftliche Gleichwertigkeit abgelehnt und das Abtretungsverbot des § 400 BGB angewandt, sodass die Abtretung der Lohnansprüche an die Bank nur insoweit möglich ist, als diese auch pfändbar sind.140 Eine Vorfinanzierung durch Kreditgewährung wäre somit nur oberhalb der Pfändungsfreigrenze der §§ 850 ff. ZPO möglich.141 Da überdies die Pflichten- und Risikoverteilung des typischen Darlehensvertrags regelmäßig nicht mit den Vorstellungen und Interessen der Vertragsparteien (Finanzinstitut und Arbeitnehmer) übereinstimmt, ist das Kreditierungsverfahren zur Insolvenzgeldvorfinanzierung in der Praxis nicht mehr verbreitet.142 Zur kollektiven Insolvenzgeldvorfinanzierung hat sich das Forderungskaufverfahren durchgesetzt.143 Hierbei verkaufen und zedieren die Arbeitnehmer ihre Lohnforderungen (bis zur Beitragsbemessungsgrenze)144 an die finanzierende Bank und erhalten im Gegenzug den Kaufpreis in entsprechender Höhe.145 Bei diesem echten Factoring wird die Forderung regresslos gekauft, sodass für den Arbeitnehmer kein Risiko besteht, von der Bank noch in Anspruch genommen zu werden;146 für die abgetretene Forderung wird unmittelbar der volle wirtschaftliche Gegenwert geleistet. Unter diesen Voraussetzungen greift das Abtretungsverbot des § 400 BGB in der herrschenden einschränkenden Auslegung nicht ein; die Abtretung der Lohnansprüche ist voll wirksam.147 139  BGH, Beschl. d. GrZivSen. v. 10. 12. 1951 – GSZ 3/51, BGHZ 4, 153 = NJW 1952, 337; im Kontext der Insolvenzgeldvorfinanzierung hierzu Klüter, WM 2010, 1483, 1486. 140 Grundlegend BSG, Urt. v. 8. 4. 1992 – 10 RAr 12/91, BSGE 70, 265 = NZA 1992, 859; Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1503; Kuder/Unverdorben, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.398; Klüter, WM 2010, 1483, 1486. Für „nicht mehr zulässig“ halten es deshalb Obermüller/Kuder, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 97 Rn. 42. Ähnlich auch Fink, Maßnahmen des Verwalters, S. 100; Braun, AR‑Blattei SD, 918 Rn. 210. A. A. noch v. HoyningenHuene, SGb 1992, 626. 141 Vgl. Klüter, WM 2010, 1483, 1486; Berscheid, DZWIR 2000, 133, 138. Die noch verbleibende Möglichkeit eines unbesicherten Darlehens in Höhe des pfändbaren Entgeltanteils ginge an den Voraussetzungen und der Praxis der Kreditwirtschaft völlig vorbei, s. Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1503. 142 Vgl. Muschiol, ZInsO 2016, 248, 251; Klüter, WM 2010, 1483, 1486; Grepl, Funktionen des Insg, S. 150; Kind, InVo 1998, 57, 59; Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1503. 143 Vgl. Vallender, in: FS Greiner, S. 327, 334. Grepl, Funktionen des Insg, S. 150. 144  Nur insoweit ist der Anspruch insolvenzgeldfähig, § 167 Abs. 1 SGB III. 145 Vgl. Uhlenbruck, KTS 1980, 81, 83 f.; Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1498. 146 Vgl. Klüter, WM 2010, 1483, 1486; Kind, InVo 1998, 57, 59; Kuder/Unverdorben, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.397. 147  BSG, Urt. v. 1. 7. 2010 – B 11 AL 6/09 R, ZIP 2010, 2215 Rz. 18; Obermüller, Bankpra-



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Auch die Interessen der beteiligten Parteien sprechen für eine solche vertragliche Ausgestaltung der Vorfinanzierung durch Forderungs(ver)kauf: Die Arbeitnehmer wollen, wenn sie schon im Insolvenzeröffnungsverfahren weiterhin tätig sein sollen, ihren „Lohn“ wie sonst auch ausgezahlt bekommen, ohne Gefahr zu laufen, Rückforderungen ausgesetzt zu sein.148 Für die Bank steht nicht die Beziehung zu den Arbeitnehmern, sondern zum Unternehmen und dem vorläufigen Verwalter im Vordergrund. Sie setzt auf die Auszahlung durch die BA und auf die Organisation und Abwicklung der Insolvenzgeldvorfinanzierung durch den Verwalter. Auch bzgl. der Kosten dieses Geschäfts (Zinsen, Gebühren) nimmt die Bank die spätere Masse in Anspruch.149 Die Vertragsbeziehung zwischen Bank und Arbeitnehmer soll sich deshalb in aller Regel auf den punktuellen Austausch von Lohnforderung und Kaufpreis beschränken. b) Rahmenvertrag Im Zentrum der Insolvenzgeldvorfinanzierung steht das Verhältnis von Finanzier und insolventem Unternehmen unter der Einbindung des regelmäßig federführenden vorläufigen Insolvenzverwalters. Geregelt wird diese Beziehung in einem sog. Rahmenvertrag.150 Hierin wird zunächst der reibungslose Ablauf der Vorfinanzierung sichergestellt: So hat bspw. der Arbeitgeber bzw. der vorläufige Insolvenzverwalter dafür zu sorgen, dass die einzelnen Kauf- und Zessionsverträge mit den Arbeitnehmern zustande kommen, dass die BA (regelmäßig auf Grundlage des Verwaltergutachtens) die Zustimmung nach § 170 Abs. 4 SGB III erteilt, dass alle notwendigen Anträge bei der BA gestellt und die Gelder der Bank (über den Insolvenzverwalter als Treuhänder) an die Arbeitnehmer ausgezahlt werden.151 Vor allem aber regelt (und verdeutlicht so) der Rahmenvertrag den rechtlichen und wirtschaftlichen Kern der Insolvenzgeldvorfinanzierung, in welcher Form nämlich Kredit gewährt wird und wie die Kosten hierfür getragen werden. Mit der Abtretung der Arbeitnehmeransprüche an die vorfinanzierende Bank wird diese Gläubigerin des Unternehmens, verpflichtet sich aber vertraglich xis, Rn. 5.705; Mues, in: FK‑InsO, Anh. zu § 113 Rn. 61; Plössner, in: BeckOK‑SGBIII, § 170 Rn. 9; Caspers, Personalabbau, S. 220; Fink, Maßnahmen des Verwalters, S. 99; Klüter, WM 2010, 1483, 1486. Diesen Charakter des regresslosen Kaufverfahrens und den hierin liegenden Unterschied zum Kreditierungsverfahren übergeht v. Hoyningen-Huene, SGb 1992, 626, 627. 148 Vgl. Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1500. 149  Vgl. ebd. 150  Vgl. unter dieser Bezeichnung auch das Vertragsmuster bei Obermüller, Bankpraxis, Rn. 5.751. Zu detailliert zur konkreten Ausgestaltung aus Bankensicht Muschiol, ZInsO 2016, 248, 252 f. 151  Hier wird deutlich, dass dem vorläufigen Verwalter eine Schlüsselrolle zukommt (Klüter, WM 2010, 1483, 1487). Vgl. zum typischen Inhalt des Rahmenvertrags auch Obermüller, Bankpraxis, Rn. 5.751; Vallender, in: FS Greiner, S. 327, 335; Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1500.

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die zedierten Forderungen trotz Fälligkeit nicht geltend zu machen. Dem Arbeitgeberunternehmen wird so ein (Stundungs-)Kredit gewährt, der ihm die erstrebte Liquiditätsspritze sichert.152 Den Lohnforderungen sieht es sich nun nicht mehr akut ausgesetzt, die Arbeitnehmer halten den Betriebsablauf aufrecht und zu einer Begleichung der gestundeten Forderungen kommt es – wenn überhaupt – erst i. R. d. späteren Insolvenzverfahrens. Für ihre Leistungen, insbesondere also den Stundungskredit, wird der Bank im Rahmenvertrag die entsprechende Vergütung zugesichert, die sich jeweils nach dem konkreten Einzelfall und der entsprechenden vertraglichen Ausgestaltung richtet. Üblich ist die Vereinbarung eines Kreditzinses153 sowie sonstiger Entgelte (insbesondere fester Bearbeitungsgebühren).154 Da sich das Kreditinstitut zur Vorfinanzierung nur bereit erklären wird, wenn sichergestellt ist, dass diese Zinsen und Gebühren trotz der erwarteten Verfahrenseröffnung vollständig und anfechtungsfest bezahlt werden, müssen diese Forderungen den Charakter von Masse- und nicht nur von Insolvenzforderungen erlangen.155 Wird die Vereinbarung von einem „starken“ vorläufigen Verwalter (mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis) abgeschlossen, so sind die Ansprüche der Bank gem. § 55 Abs. 2 S. 1 InsO im Insolvenzverfahren bevorrechtigte Masseverbindlichkeiten. Bestellt das Gericht für das Eröffnungsverfahren allerdings – wie regelmäßig in der Praxis156  – einen „schwachen“ vorläufigen Verwalter (ohne Verwaltungsund Verfügungsbefugnis), so gilt § 55 Abs. 2 InsO grds. nicht.157 Die von einem solchen vorläufigen Verwalter begründeten Ansprüche der Bank haben nur dann die notwendige bevorrechtigte Qualität, wenn eine (unmissverständliche)158 gerichtliche Einzelermächtigung zur Begründung (späterer) Masseverbindlichkeiten erteilt wurde.159 152 

Vgl. hierzu sehr detailliert Klüter, WM 2010, 1483, 1490 f. Gebauer, ZInsO 2002, 7106 spricht noch von etwa 10 %, wobei von einer Anpassung an das allgemeine Zinsniveau auszugehen ist. 154 Vgl. Klüter, WM 2010, 1483, 1490; Obermüller, Insolvenzverfahren, Rn. 15/104; ders./Kuder, Bankpraxis, S. 952; Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1500 f.; Vallender, in: Derleder/Knops/Bamberger, Hdb Bankrecht, § 35 Rn. 43. 155 Vgl. Vallender, in: FS Greiner, S. 327, 333; Wiester, NZI 2003, 632, 634. Die Begleichung der Zinsen und Kosten stünde in der Gefahr, angefochten zu werden; auch das Bargeschäftsprivileg (§ 142 InsO) griffe in diesem Fall wohl nicht, Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1498 f.; Klüter, WM 2010, 1483, 1490; a. A. Buchalik/Kraus, ZInsO 2013, 815, 818. 156  Diese Feststellung treffen sowohl Rechtsprechung als auch Literatur, vgl. bspw. BGH, Urt. v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 und m. w. N. Vallender, in: UhlenbruckInsO, § 22 Rn. 1. 157 § 55 Abs. 2 InsO ist hier weder direkt noch analog anwendbar, vgl. BGH, Urt. v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353; BGH Urt. v. 7. 5. 2009 – IX ZR 61/08, NZI 2009, 475; BAG Urt. v. 12. 9. 2013 – 6 AZR 953/11, NZI 2014, 38, 41 Rz. 43; Pape/Schaltke, in: K/P/B‑InsO, § 55 Rn. 225 ff.; Lohmann, in: HK‑InsO, § 55 Rn. 28. 158  Nicht ausreichend ist bspw. die Ermächtigung „zur Ausübung der Arbeitgeberbefugnisse“, vgl. OLG Saarbrücken, Urt. v. 22. 5. 2014 – 4 U 99/13, NZI 2014, 804. 159  Vgl. BGH, Urt. v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353; BGH Urt. v. 7. 5. 2009 – 153 



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Im Rahmenvertrag sichert sich die Bank allerdings nicht nur den eigenen wirtschaftlichen Ertrag und Kostenersatz, sondern auch den Schutz gegen das Risiko, (teilweise) mit den erlangten Lohnforderungen auszufallen. Zwar wird die Insolvenzgeldvorfinanzierung wegen der ihr zugrundeliegenden Zahlungspflicht und Solvenz der BA grds. als risikoarm angesehen,160 trotzdem bleiben verschiedene Unwägbarkeiten bestehen: Ein Ausfallrisiko liegt insbesondere in der Frage nach dem Insolvenzereignis, wenn es also nicht zur Insolvenzeröffnung kommen sollte, sei es weil das Gericht den Antrag als unzulässig oder unbegründet abweist, sei es weil er vor der gerichtlichen Entscheidung zurückgenommen wird.161 Zudem besteht die Gefahr, dass das Eröffnungsverfahren länger dauert als zuvor angenommen, sodass die ältesten Lohnansprüche, die von der Bank erworben wurden aus dem dreimonatigen Insolvenzgeldzeitraum herausfallen und diese insoweit keine Ansprüche gegen die BA erwirbt.162 All diese Risiken werden typischerweise im Rahmenvertrag weitgehend auf den Arbeitgeber bzw. die spätere Masse und ggf. den vorläufigen Verwalter abgewälzt.163 c)  Revolvierende Vorfinanzierung Eine spezielle Art der Insolvenzgeldvorfinanzierung soll, weil die Frage nach der zeitlichen Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens hierbei besondere Bedeutung erlangt, gesondert betrachtet werden. Nicht selten ergibt sich für den vorläufigen Verwalter das Problem, dass der Dreimonatszeitraum zur Vorfinanzierung schon ausgeschöpft ist, bevor er das IX ZR 61/08, NZI 2009, 475, 476 Rz. 13; Vallender, in: FS Greiner, S. 327, 333; Smid, DZWIR 2002, 444, 446 ff.; Pape/Schaltke, in: K/P/B‑InsO, § 55 Rn. 229 ff. Hierzu und zu alternativen Möglichkeiten der insolvenzfesten Zahlungszusage des „schwachen“ Verwalters vgl. Wiester, NZI 2003, 632. 160  So explizit Hausmann, in: AK Inso Köln, Insolvenzrecht auf dem Prüfstand, S. 81, 93; Vallender, in: Derleder/Knops/Bamberger, Hdb Bankrecht, § 35 Rn. 43; Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1505. Die späteren Ansprüche gegen die BA seien „todsicher“, so Euler Hermes/ ZIS, Wirtschaft Konkret Nr. 418, S. 13. Zurückhaltender Klüter der die Vorfinanzierung für wirtschaftlich interessant hält, auch wenn ein „Restrisiko verbleibt“ (Klüter, WM 2010, 1483, 1491). 161  So auch Vallender, in: Derleder/Knops/Bamberger, Hdb Bankrecht, § 35 Rn. 43. Oftmals wird aus diesen Gründen empfohlen, nur bei einem Eigenantrag zu finanzieren, bei dem schon die drohende Zahlungsunfähigkeit zur Eröffnung ausreicht und bei der die Rücknahme vertraglich ausgeschlossen wird (vgl. Klüter, WM 2010, 1483, 1488 f.). Vgl. insbes. zu den besonderen Risiken der Banken bei vorläufiger Eigenverwaltung Muschiol, ZInsO 2016, 248, 254, 257 ff. 162  Dieser Gefahr wird mit der nicht unumstrittenen Praxis der „revolvierenden Vorfinanzierung“ begegnet, hierzu sogleich. 163  Zu typischen vertraglichen Regelungen vgl. bspw. Obermüller, Bankpraxis, Rn. 5.751, insbes. Nr. 10 sowie Obermüller, Insolvenzverfahren, Rn. 15/104. Zu den Finanzierungsrisiken allgemein Klüter, WM 2010, 1483, 1488 ff.; Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 65 ff.; Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1504 f.

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

Eröffnungsverfahren abschließen kann oder möchte.164 Sind bspw. die Löhne von Januar, Februar und März nicht vom Arbeitgeber gezahlt, sondern von einer Bank vorfinanziert worden und verzögert sich die Eröffnung des Verfahrens, sodass auch der Lohn für den Monat April auszufallen droht, so verschiebt sich der Insolvenzgeldzeitraum. Die (bereits vorfinanzierten) Lohnforderungen aus dem ältesten Monat (hier Januar) würden keine Insolvenzgeldansprüche begründen, der Finanzier könnte sie im eröffneten Verfahren nur als Insolvenzforderung geltend machen. Die „jüngsten“ Lohnforderungen der Arbeitnehmer (hier aus April) lägen hingegen im Insolvenzgeldzeitraum und stünden somit theoretisch für eine erneute Vorfinanzierung zur Verfügung. Die finanzierende Bank findet sich zum Erwerb und somit zur Vorfinanzierung dieser neuen Ansprüche allerdings nur dann bereit, wenn gleichzeitig die bereits zuvor zedierten „ältesten“ Lohnforderungen (aus Januar) von der (zukünftigen) Masse zu ihren Gunsten beglichen werden. Bei einer solchen revolvierenden bzw. rollierenden Finanzierung liegen die offenen Forderungen des Finanziers immer im gesicherten Insolvenzgeldzeitraum.165 Dieses Vorgehen ist aus mehreren Gründen nicht unproblematisch. Erste Zweifel hatte das BSG hervorgerufen, als es – allerdings zur Rechtslage vor den grundlegenden Neuausrichtungen des Insolvenzrechts der letzten 20 Jahre – andeutete, dass die revolvierende Vorfinanzierung ggf. als Insolvenzverschleppung eingestuft werden könnte.166 Trotz dieser angedeuteten Bedenken ist die revolvierende Ausgestaltung der Vorfinanzierung heute  – insbesondere in der Praxis – weitgehend anerkannt.167 Unabhängig von der Frage nach der Legitimität eines solchen Vorgehens, wird hier deutlich, wie weit sich die Praxis von der ursprünglichen (Kern-)Funktion des Insolvenzgelds entfernt hat: Eine revolvierende Vorfinanzierung ist nur dann möglich, wenn dem vorläufigen Verwalter noch ausreichend liquide Mittel zur Verfügung stehen, um die aus dem gesicherten Zeitraum herausfallenden 164  Zwar beendet nicht der vorläufige Verwalter sondern das Gericht das Eröffnungsverfahren (durch die Entscheidung über den Antrag), trotzdem hat der Verwalter faktisch erheblichen Einfluss auf diesen Zeitpunkt – sei es durch eine entsprechende „Anregung“ an das Gericht, sei es durch die passende Terminierung seines Gutachtens, vgl. Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 268; Decker/Schäfer, BB 2015, 198, 199. 165  Vgl. näher hierzu Sinz, in: FS Uhlenbruck, S. 157, 158 ff.; Klüter, WM 2010, 1489, 1489; Fink, Maßnahmen des Verwalters, S. 101; Muschiol, ZInsO 2016, 248, 253 sowie (mit graphischer Erläuterung) Grepl, Funktionen des Insg, S. 152 ff. 166  BSG, Urt. v. 22. 3. 1995 – 10 RAr 1/94, ZIP 1995, 935, 939. Die hierdurch hervorgerufene Unsicherheit ist auch heute nicht ausgeräumt; die beschriebene Praxis wird von Teilen der Literatur als missbräuchlich angesehen, so bspw. Kuder/Unverdorben, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.405. A. A. AG Hamburg, Beschl. v. 21. 1. 2014 – 67g IN 428/13, ZIP 2014, 1091; Giesen, in: Jaeger-InsO, vor § 113 Rn. 342. 167  Gegen die angedeuteten Bedenken argumentieren vor allem Klüter, WM 2010, 1483, 1489; Obermüller, Bankpraxis, Rn. 5.733 und Giesen, in: Jaeger-InsO, vor § 113 Rn. 342. Vgl. auch Muschiol, ZInsO 2016, 248, 253.



A.  Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung

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Lohnansprüche gegenüber der Bank begleichen zu können.168 In solchen Fällen wird augenscheinlich, dass das Unternehmen – jedenfalls theoretisch – die Arbeitnehmer zumindest in Teilen noch „aus eigener Tasche“ entlohnen könnte. Das Insolvenzgeld dient hier nicht (bzw. nur im Nebeneffekt) der Sicherung der Arbeitnehmer vor Lohnausfällen, sondern vielmehr und primär der Entlastung des Unternehmens von diesen Verbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren. Probleme wirft die revolvierende Vorfinanzierung schließlich auch mit Blick auf das Insolvenzanfechtungsrecht auf, wobei hier verschiedene Aspekte zu berücksichtigen sind. Zunächst stellt sich die Frage, ob nicht die Erfüllung der ältesten Lohnforderung durch den vorläufigen Verwalter zugunsten der Bank (im obigen Beispiel der Januarlohn) nach der Verfahrenseröffnung anfechtbar sein könnte. Die Lohnforderung begründet – bei der typischen schwachen vorläufigen Verwaltung – „nur“ eine Insolvenzforderung.169 Die Begleichung nach dem Eröffnungsantrag zugunsten der mit den Umständen vertrauten Bank wäre folglich grds. gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar. Umstritten ist lediglich, ob für eine solche Zahlung das Bargeschäftsprivileg des § 142 InsO gilt.170 Voraussetzung hierfür wäre, dass im Gegenzug für die Begleichung der ältesten Lohnforderungen an die Bank unmittelbar eine gleichwertige Leistung in das schuldnerische Vermögen gelangte. Es ließe sich durchaus vertreten, diese Gegenleistung in der Vorfinanzierung des jüngsten Monats zu sehen: Die Bank leistet Zahlungen an die Arbeitnehmer, woraufhin diese ihre Leistung zugunsten des Unternehmens erbringen.171 Andernfalls könnten diese ihr Zurückbehaltungsrecht geltend machen, der Betrieb käme zum Erlie168 

Klüter, WM 2010, 1483, 1489. wenn die Lohnforderung gem. § 55 Abs. 2 InsO Masseverbindlichkeiten werden, stellt sich das beschriebene Problem nicht. 170  Gegen die Anwendbarkeit Werres, ZInsO 2005, 1233, 1234. A. A. Sinz, in: FS Uhlenbruck, S. 157, 169 und diesem folgend Hess, in: Hess-InsO, § 170 SGB III Rn. 49 sowie (mit völlig anderer Begründung) AG Hamburg, Beschl. v. 21. 1. 2014 – 67g IN 428/13, ZIP 2014, 1091; zustimmend Muschiol, ZInsO 2016, 248, 253. Die zeitweise heftig diskutierte Frage, in welchem zeitlichen Rahmen Lohnzahlungen (an die Arbeitnehmer) durch § 142 InsO vor einer späteren Anfechtung geschützt sind, spielt für hier angesprochene Zahlung an die Bank (nach der Zession) wohl keine Rolle: Die außerordentlich weite (und deshalb stark kritisierte) Ausdehnung des Begriffs der „Unmittelbarkeit“ durch das BAG wird sich nicht auf die Leistung an einen Dritten (den Zessionar) übertragen lassen. Auch die Reform des Anfechtungsrechts adressiert in § 142 Abs. 2 S. 2 InsO nur Fälle in denen „der Schuldner seinem Arbeitnehmer Arbeitsentgelt“ gewährt (BGBl I/2017, S. 654). Grundlegend für die Debatte BAG, Urt. v. 6. 10. 2011 – 6 AZR 262/10, NZI 2011, 981 sowie BGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – IX ZR 192/13. Kritisch gegenüber dem BAG und der Gesetzesreform Brinkmann, ZZP 2012, 197; ders., NZG 2015, 697. Einen Überblick über die Vielzahl an Beiträgen zu dieser Diskussion geben Hirte/ Ede, in: Uhlenbruck-InsO, vor § 129 Rn. 9d. 171 So Sinz, in: FS Uhlenbruck, S. 157, 169. Die Tatsache, dass hier Leistung und Gegenleistung in einem Dreipersonenverhältnis ausgetauscht werde, schließt – für sich genommen – die Anwendbarkeit von § 142 InsO noch nicht aus, vgl. Ede/Hirte, in: Uhlenbruck-InsO, § 142 Rn. 62 f. 169  Nur

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

gen.172 Dieser Ansicht ließe sich allenfalls entgegenhalten, dass der vorläufige Verwalter in einer solchen Situation mit den liquiden Mitteln auch die akut anfallenden Löhne unmittelbar an die Arbeitnehmer auszahlen könnte – eine Weiterarbeit der Angestellten ließe sich demnach auch ohne Befriedigung „alter“ Forderungen bewerkstelligen.173 Praktische Auswirkungen hat der Entscheid dieser Frage wohl nicht, da die Zahlung des vorläufigen Verwalters an die Bank in der Praxis ohnehin nicht angefochten wird: Der vorläufige Verwalter ist regelmäßig personenidentisch mit dem späteren Insolvenzverwalter. Würde er in dieser Funktion „seine“ Zahlungen anfechten, wäre dies wohl in aller Regel treuwidrig.174 Vor allem aber würde das betroffene Kreditinstitut für eine Insolvenzgeldvorfinanzierung mit diesem Verwalter in zukünftigen Verfahren wohl nicht mehr zur Verfügung stehen.175 Diese Konsequenz wird ein Verwalter praktisch nicht herausfordern. Anders könnten allerdings Zahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen zu beurteilen sein. Begleicht der vorläufige Verwalter nicht nur die Lohnforderungen (in den Händen der Bank), sondern auch die entsprechenden Sozialversicherungsabgaben, so ist diese Leistung nach der Eröffnung anfechtbar.176 In einem solchen Fall wird das Arbeitgeberunternehmen also nicht nur von den Personalkosten hinsichtlich der (maximal) drei vorfinanzierten Monate entlastet, es nimmt zusätzlich auch für die „weiteren“ Monate Arbeitsleistungen in Anspruch, ohne letztlich die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge entrichten zu müssen.177 Dieser Effekt ließe sich – allerdings unter der Gefahr der Verwalterhaftung – bewusst nutzen, um die Masse anzureichern.178 Doch 172  Trotzdem wäre der Arbeitgeber zur Lohnzahlung für den jüngsten Monat verpflichtet (§§ 321, 615 BGB), vgl. LSG BW, Urt. v. 10. 4. 2013 – L 3 AL 1014/11, BeckRS 2013, 72044. 173  So i. E. aber ohne Begründung Werres, ZInsO 2005, 1233, 1234. 174  Eine Anfechtung ist ausgeschlossen, „wenn der vorläufige Verwalter […] einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand gesetzt hat“ und der Begünstigte nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) damit rechnen durfte, ein nicht entziehbares Recht erhalten zu haben, BGH, Urt. v. 15. 12. 2005 – IX ZR 156/04, BGHZ 165, 283 = NZI 2006, 227. 175  So auch die Einschätzung von Klüter, WM 2010, 1483, 1491, allerdings hinsichtlich der Frage nach der Anfechtbarkeit von durch den vorläufigen Verwalter getätigten Zinszahlungen. 176  Dies gilt sowohl für den Arbeitgeber- wie für den Arbeitnehmeranteil, BGH, Urt. v. 5. 11. 2009 – IX ZR 233/08, BGHZ 183, 86; BGH, Urt. v. 7. 4. 2011 – IX ZR 118/10; OLG Saarbrücken, Urt. v. 22. 5. 2014 – 4 U 99/13, NZI 2014, 804; OLG Dresden, Urt. v. 18. 6. 2014 – 13 U 106/14, NZI 2014, 703; für das Schutzschirmverfahren LG Hamburg, Urt. v. 19. 9. 2014 – 303 0 29/14, NZI 2015, 226; Seagon, NZI 2014, 796; Sinz, in: FS Uhlenbruck, S. 157, 166 ff. A. A. LG Dresden, Urt. v. 9. 5. 2014 – 10 O 2237/13, NZI 2014, 654; AG Hamburg, Beschl. v. 21. 1. 2014 – 67g IN 428/13, ZIP 2014, 1091. 177  Diese finanzielle Sanierungsstütze ist mit Blick auf die Einbußen der Solidargemeinschaft und die Wettbewerbsnachteile der Konkurrenz nicht gerechtfertigt, vgl. Brückl/Bellmann, ZInsO 2015, 1173. Ob eine  – ggf. strafrechtlich bewehrte  – Pflicht besteht, zumindest den Arbeitnehmeranteil abzuführen, ist umstritten. Für eine solche Pflicht Laroche/Wollenweber, ZInsO 2016, 2225, 2230 f., vorsichtig auch Pleister/Kunkel, ZIP 2017, 153; a. A. AG Hamburg, Beschl. v. 19. 6. 2017 – 67g IN 173/17; Schmidt, ZIP 2017, 1357; Bork, KTS 2017, 189. 178  Mit Hinweis hierauf schon Sinz, in: FS Uhlenbruck, S. 157, 165, 168 f. Der für die



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auch wenn dies in aller Regel nicht die primär intendierte Folge sein wird: Als Nebeneffekt zieht die Masse den Vorteil der ersparten Sozialbeiträge zulasten des Sozialsystems ohnehin bei jeder Insolvenzgeldvorfinanzierung; bei einer revolvierenden Ausgestaltung verstärkt sich dieser Effekt nochmals deutlich. 3.  Vorfinanzierung bei vorläufiger Eigenverwaltung Die Insolvenzgeldvorfinanzierung ist auch bei vorläufiger Eigenverwaltung möglich: Die Frage, wer im Eröffnungsverfahren das „Zepter in der Hand“ hatte, ist für die spätere Zahlung des Insolvenzgelds – und damit grds. auch für die Vorfinanzierung  – zunächst nicht relevant. Sowohl in der „einfachen“ vorläufigen Eigenverwaltung (§ 270a InsO) als auch im Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) können die Lohnansprüche wie im „Regelverfahren“ in der beschriebenen Weise von einem Kreditinstitut gekauft und vorfinanziert werden.179 Auch wenn die gesetzlichen Regelungen zum Insolvenzgeld also keinen Unterschied zwischen vorläufiger Fremd- und vorläufiger Eigenverwaltung machen, bestehen wegen der Besonderheiten der §§ 270a, 270b InsO hinsichtlich der Vorfinanzierung Sonderprobleme. Zum einen steigt in Eigenverwaltungseröffnungsverfahren das Risiko einer Antragsrücknahme. Zwar besteht grds. bei jeder Insolvenzgeldvorfinanzierung für die finanzierende Bank die Gefahr, dass der Insolvenzantrag zurückgenommen wird und es somit nicht zur Verfahrenseröffnung und dem Entstehen der Insolvenzgeldansprüche kommt.180 Diese Unsicherheit verschärft sich allerdings bei einer Eigenverwaltung noch: Das Gesetz gewährt dem Schuldner ein explizites Rücknahmerecht (inkl. gerichtlichem Hinweis) für den Fall, dass das Gericht die beantragte Eigenverwaltung nicht anordnen wird.181 Auch die Möglichkeit des vorläufigen Gläubigerausschusses, ein Schutzschirmverfahren nach § 270b Abs. 4 Nr. 2 InsO beenden zu lassen, führt zu besonderen, schwer zu kalkulierenden Risiken für die finanzierende Bank.182 Abgefangen werden können solche Unwägbarkeiten vor allem auch durch die Begründung von Masseverbindlichkeiten. Die Frage nach der teils notwendigen, teils zu vermeidenden Begründung von Masseschulden hat aus Haftung notwendige Nachweis, dass die revolvierende Finanzierung (inkl. der notwendigen Zustimmung der BA) allein zu diesem „missbräuchlichen“ Zweck durchgeführt wurde, wird allerdings kaum zu erbringen sein. 179  So auch die DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 2 zu § 170 SGB III; Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1494 f.; Buchalik, ZInsO 2012, 349, 355 f. 180  Vgl. zu diesem Risiko insbes. Muschiol, ZInsO 2016, 248, 254 f. 181  S. § 270a Abs. 2 InsO, hierzu Muschiol, ZInsO 2016, 248, 258. Dies gilt ebenfalls im Verfahren nach § 270b InsO gilt (vgl. Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, § 270a Rn. 35; a. A. Pape, in: K/P/B‑InsO, § 270a Rn. 45). 182  Muschiol, ZInsO 2016, 248, 259 f. Zudem könnte die verwaltende Geschäftsführung nach h. M. durch die Gesellschafter abgesetzt und ersetzt werden, vgl. hierzu S. 257 f.

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verschiedenen Gründen eine zentrale Bedeutung für die Insolvenzgeldvorfinanzierung bei vorläufiger Eigenverwaltung, wobei diesbezüglich zwischen § 270a und § 270b InsO zu differenzieren ist. a)  Vorfinanzierung im Verfahren nach § 270b InsO Stellt der Schuldner einen Eigenantrag ohne akut zahlungsunfähig zu sein und beantragt er die sanierungsvorbereitende Eigenverwaltung nach § 270b InsO, so beschließt das Gericht – wenn Sanierungsaussichten bestehen und bescheinigt wurden – das sog. „Schutzschirmverfahren“.183 Hierbei behält der Schuldner weitgehend seine Selbständigkeit (ohne Zustimmungsvorbehalt oder Verfügungsverbot), hat regelmäßig entscheidenden Einfluss auf die Person des passiv kontrollierenden Sachwalters und wird gleichzeitig auf Antrag gegen Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen abgeschirmt.184 In dieser maximal dreimonatigen Zeit muss der Schuldner nicht fürchten, dass (ohne Weiteres) das Hauptverfahren eröffnet wird und er so u. U. die Kontrolle über sein Vermögen verliert.185 Er kann und soll diese Planungssicherheit zur Vorbereitung einer Sanierung und zur Ausarbeitung eines Insolvenzplans nutzen.186 Zentral für eine geplante Sanierung wird auch im Schutzschirmverfahren zunächst die Betriebsfortführung sein, die ihrerseits voraussetzt, dass das Vertrauen der hierfür notwendigen Geschäftspartner (wieder-)gewonnen werden kann.187 Diese werden nur dann bereit sein, eigene Leistungen an den (faktisch) insolventen Schuldner zu erbringen, wenn sichergestellt ist, dass ihre Forderungen bevorzugt befriedigt werden. Hierzu kann sich der Schuldner über § 270b Abs. 3 S. 1 InsO vom Gericht die Kompetenz zur Begründung von Masseverbindlichkeiten vermitteln lassen. Nach Ansicht des Gesetzgebers rückt er so „quasi in die Rechtsstellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters ein“188. Auch die mit der Insolvenzgeldvorfinanzierung verbundenen Ansprüche (insbesondere auf Zinsen und Gebühren) können auf diesem Wege durch

183  Voraussetzung für den Schutzschirm sind neben den (bescheinigten) Sanierungsaussichten vor allem die entsprechenden Anträge und das Vorliegen und die Bescheinigung des Eröffnungsgrunds (ausschließlich) nach § 18 oder § 19 InsO, vgl. Zipperer, in: UhlenbruckInsO, § 270b Rn. 7 ff. 184  § 270b Abs. 2 InsO. Vgl. auch Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 270b Rn. 24 ff.; Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1344 f. 185  Das Gericht entscheidet erst nach Ablauf der Frist oder nach Aufhebung des Schutzschirms, § 270b Abs. 4 S. 3 InsO. Vgl. auch Foltis, in: FK‑InsO, § 270b Rn. 1; Haas, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 88 Rn. 16. 186 Vgl. Buchalik, ZInsO 2012, 349 f., 353. 187  So auch die Überlegungen des Rechtsausschusses zum ESUG, BT‑Drs. 17/7511, S. 37. 188  RechtsA zum ESUG, BT‑Drs. 17/7511, S. 37. Vgl. auch BGH, Beschl. v. 24. 3. 2016 – IX ZR 157/14, NZI 2016, 443; BGH, Beschl. v. 16. 6. 2016 – IX ZR 114/15, ZIP 2016, 1295; Klinck, ZIP 2013, 853, 855.



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den eigenverwaltende Schuldner mit dem notwendigen Masseschuldcharakter begründet werden.189 Eine solche „globale“190 Ermächtigung ist – zum Schutz der betroffenen (Neu-)Gläubiger – verknüpft mit der Anwendbarkeit von § 55 Abs. 2 InsO.191 Folglich werden (auch) alle Lohnforderungen, die i. R. d. Schutzschirmverfahrens entstehen, nach der Eröffnung zu Masseverbindlichkeiten.192 Aus eben dieser Regelung ergibt sich die für die Insolvenzgeldvorfinanzierung relevante Problematik: Ein Verweis auch auf § 55 Abs. 3 InsO fehlt für das Schutzschirmverfahren. Aus dem beschränkten Verweis allein auf Abs. 2 ließe sich schließen, dass die vom Schuldner veranlassten Lohnansprüche (anders als bei der starken Insolvenzverwaltung) nicht „zurückgestuft“ werden, wenn sie in Folge der Gewährung von Insolvenzgeld auf die BA übergehen. Bei einer solchen Auslegung wäre das angestrebte Sanierungsvorhaben vom Zeitpunkt der Eröffnung an mit erheblichen (bevorzugt zu befriedigenden) Forderungen der BA belastet.193 Die Situation im Schutzschirmverfahren entspräche der (energisch kritisierten) Lage wie sie vor Einführung des § 55 Abs. 3 InsO im Regeleröffnungsverfahren bestand.194 Schon im Keim würde das „Sanierungspflänzchen […] von der Masse der Masseforderungen der BA schlicht zerdrückt“195. Der Schuldner im Schutzschirmverfahren wäre insofern deutlich schlechter gestellt als ein starker Insolvenzverwalter im Regeleröffnungsverfahren.196 Eine solche Auslegung von § 270b Abs. 3 InsO würde die Insolvenzgeldvorfinanzierung im Schutzschirmverfahren praktisch ausschließen und dem Sanierungsgedanken des ESUG und damit der Intention der Norm zuwiderlaufen.197 Zur – weitgehend als notwendig und möglich erachteten – Korrektur dieses Ergebnisses werden zwei Ansatzpunkte gewählt.

189  Zu diesen Ansprüchen vgl. schon zuvor S. 72 ff. Gerade dieser Notwendigkeit kommt § 270b Abs. 3 InsO nach, vgl. Kern, in: MüKo-InsO, § 270b Rn. 104. 190  Marotzke, DB 2013, 1283, 1288. 191  § 270b Abs. 3 S. 2 InsO. Zur Schutzfunktion vgl. den Bericht des Rechtsauschusses zum ESUG, BT‑Drs. 17/7511, S. 37. 192  So auch OLG Naumburg, Urt. v. 29. 1. 2014 – 5 U 195/13, NZI 2014, 454. Dies gilt ebenfalls für Binnengeschäfte, die Ermächtigung ist also nicht auf bestimmte Verbindlichkeiten begrenzt, OLG Karlsruhe, Urt. v. 14. 6. 2016 – 8 U 44/15, NZI 2016, 685, 687 f. 193  So dennoch Brückl/Bellmann, ZInsO 2015, 1173, 1174 f.; vgl. auch Geißler, ZInsO 2013, 531, 536. 194  Hierzu schon zuvor S. 65 ff. 195  Berkowsky, NZI 2000, 253 (zur Problematik vor Einführung des § 55 Abs. 3 InsO). 196  So auch Geißler, ZInsO 2013, 531, 536, der darauf hinweist, dass sich das Problem mit Blick auf den zu erstellenden Insolvenzplan verschärft, da die BA als Massegläubigerin nicht ohne ihre Zustimmung planunterworfen wäre. 197  Buchalik, ZInsO 2012, 349 f., 353; Geißler, ZInsO 2013, 531, 536 f.; Dreschers, in: Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 14 Rn. 20 ff.; Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, § 270b Rn. 70.

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Zum einen wird auf die Möglichkeit des Schuldners verwiesen, keine Global-, sondern eine Einzelermächtigung zur (differenzierten) Begründung von Masseschulden zu beantragen: Der Schuldner lässt sich bei einem solchen Vorgehen konkret dazu ermächtigen, die mit der Insolvenzgeldvorfinanzierung verbundenen Zinskosten und Gebühren mit Masseschuldcharakter zu begründen – die Lohnforderungen vermitteln hingegen nach der Eröffnung nur Insolvenzforderungen.198 § 55 Abs. 2 InsO ist in diesem Fall nicht anwendbar, eine Rückstufung über Abs. 3 damit nicht notwendig und die Vorfinanzierung nach dem bekannten Muster möglich.199 Wird allerdings diesen Überlegungen zum Trotz eine Globalermächtigung beantragt und erteilt, so hat der Schuldner keine Möglichkeit mehr, im Nachhinein zu differenzieren, welche Verbindlichkeiten Masseschuldcharakter erhalten sollen und welche nicht.200 Allerdings ist auch in einem solchen Fall die Möglichkeit der Insolvenzgeldvorfinanzierung nach herrschender Meinung gegeben: Auch wenn für die Globalermächtigung allein auf § 55 Abs. 2 InsO verwiesen wird, muss auch Abs. 3 (analog) Anwendung finden.201 Der Gesetzgeber wollte die Stellung des eigenverwaltenden Schuldners der eines starken 198 Dass eine solche Einzel- statt einer Globalermächtigung zulässig ist, hat schon der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebracht (Bericht des Rechtsauschusses zum ESUG, BT‑ Drs. 17/7511, S. 37) und ist – auch deshalb – ganz h. M., vgl. BGH, Beschl. v. 24. 3. 2016 – IX ZR 157/14, NZI 2016, 443 Rz. 6. Die Frage der Rechtsgrundlage ist allerdings umstritten und wegen der unterschiedlichen Folgen nicht unerheblich, vgl. hierzu Klinck, ZInsO 2014, 365, 369 f. Für § 270b Abs. 3 S. 1 InsO als Grundlage (a maiore ad minus) OLG Naumburg, Urt. v. 29. 1. 2014 – 5 U 195/13, NZI 2014, 454; LG Köln, Urt. v. 4. 7. 2014 – 16 O 575/13, NZI 2014, 816; AG Köln, Beschl. v. 26. 3. 2012 – 73 IN 125/12, NZI 2012, 375; Smid, DZWIR 2015, 216, 224; Ganter, NZI 2012, 433, 439; Harbeck, DZWIR 2014, 13, 14; Marotzke, DB 2013, 1283, 1287; Geißler, ZInsO 2013, 535; Kern, in: MüKo-InsO, § 270b Rn. 111. Überzeugender ist, da die Einzelermächtigung eher ein aliud als ein minus ist, ein Rückgriff auf die allgemeine Ermächtigungsgrundlage des § 21 Abs. 1 S. 1 InsO, so Klinck, ZInsO 2014, 365, 370; ders., ZIP 2013, 853, 858; Hofmann, EWiR 2012, 359, 360; Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 270b Rn. 34; Riggert, in: Braun-InsO, § 270b Rn. 14. 199  Die mit der Globalermächtigung verbundenen „ungewollten“ Masseverbindlichkeiten machen diese oft zu einer erheblichen Belastung des Verfahrens, vgl. hierzu Siemon, NZI 2016, 688; Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, § 270b Rn. 69; Pape, in: K/P/B‑InsO, § 270b Rn. 78. Die Einzelermächtigung ist deshalb (wie die schwache vorläufige Verwaltung im Regelverfahren) auch ungeachtet der Ansprüche der BA von praktisch höherer Bedeutung. 200  BGH, Beschl. v. 16. 6. 2016 – IX ZR 114/15, ZIP 2016, 1295, 1296 Rz. 22; Klinck, ZIP 2013, 853, 856 f.; Landfermann, in: HK‑InsO, § 270b Rn. 46. Eher offen LG Hamburg, Urt. v. 24. 4. 2015 – 303 O 236/14, ZInsO 2016, 1108, 1110. 201 BGH, Beschl. v. 16. 6. 2016 – IX ZR 114/15, ZIP 2016, 1295, 1297 f. Rz. 31 ff.; LG Hamburg, Urt. v. 24. 4. 2015 – 303 O 236/14, ZInsO 2016, 1108, 1110 sowie Urt. v. 19. 9. 2014 – 303 O 29/14, NZI 2015, 226; Pleister/Kunkel, ZIP 2017, 153, 155 f.; Geißler, ZInsO 2013, 531, 536 f.; Buchalik, ZInsO 2012, 349, 355 f.; Undritz, in: Schmidt-InsO, § 270b Rn. 13; Landfermann, in: HK‑InsO, § 270b Rn. 45; Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker-InsO, § 270b Rn. 26; Dreschers, in: Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 14 Rn. 20 ff.; wohl auch Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, § 270b Rn. 70. Auch die BA, das BMAS und das BMJ teilen diese Position, vgl. Muschiol, ZInsO 2016, 248, 261.



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vorläufigen Verwalters angleichen – für diesen gilt aber § 55 Abs. 3 InsO. Diese Regelung dient, wie auch das Schutzschirmverfahren, dem Zweck der Sanierung(svorbereitung). Dass das hierfür traditionelle Finanzierungsinstrument der Insolvenzgeldvorfinanzierung dem Schuldner unter dem Schutzschirm entzogen werden sollte, lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien nicht entnehmen.202 Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Streit um die Gläubigerstellung der BA, der durch § 55 Abs. 3 InsO beendet werden sollte, bei der Normierung des Schutzschirmverfahrens übersehen wurde.203 Die sich hieraus ergebende planwidrige Regelungslücke gilt es mit der analogen Anwendung des § 55 Abs. 3 InsO zu schließen. Somit bereitet die Insolvenzgeldvorfinanzierung (allein) in dieser gebotenen Auslegung im Schutzschirmverfahren „keine besonderen Probleme“204. b)  Vorfinanzierung im Verfahren nach § 270a InsO Wird für das Eröffnungsverfahren zwar die Eigenverwaltung durch den Schuldner, nicht aber das Schutzschirmverfahren angeordnet (§ 270a InsO), so ergibt sich eine ähnliche Problematik für die Insolvenzgeldvorfinanzierung. Auch hier entstehen bei den nicht befriedigten Arbeitnehmern Ansprüche, die zur Vorfinanzierung abgetreten werden können.205 Die Schwierigkeiten der Vorfinanzierung gründen im Verfahren nach § 270a InsO in der Frage, ob der Schuldner (oder auch der Sachwalter) zur Begründung von Masseverbindlichkeiten gesetzlich befugt ist bzw. gerichtlich ermächtigt werden kann – eine Frage die hier sehr viel heftiger umstritten ist als bei § 270b InsO. Eine höchstrichterliche Entscheidung ist in dieser Diskussion bislang nicht ergangen, der BGH hat die Frage zur (Einzel-)Ermächtigung bei vorläufiger Eigenverwaltung vielmehr bewusst offen gelassen und so die Unsicherheit der insolvenzrechtlichen Praxis wohl noch verstärkt.206 Für die Insolvenzgeldvorfinanzierung ergeben sich je nach Ansicht zu dieser Thematik unterschiedliche Probleme: Kaum Schwierigkeiten ergeben sich, wenn man der weitestgehenden (Minder-)Meinung folgt. Hiernach erlangen alle durch den Schuldner im Verfahren nach § 270a InsO eingegangen Verbindlichkeiten schon ohne eine spezielle ge-

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Geißler, ZInsO 2013, 531, 537. So auch Geißler, ZInsO 2013, 531, 537. 204  Landfermann, in: HK‑InsO, § 270b Rn. 7. Kritisch mit Blick auf die Risiken der Kreditinstitute Muschiol, ZInsO 2016, 248, 259 ff. Diese ergeben sich insbes. aus der wohl h. M., die § 276a InsO vor der Eröffnung nicht anwenden will, vgl. hierzu S. 257 f. 205  Vgl. DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 2 zu § 170 SGB III; Ries/Zobel, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 179; Graf-Schlicker, in: Graf-Schlicker-InsO, § 270a Rn. 27. 206  BGH, Beschl. v. 7. 2. 2013 – IX ZB 43/12, NZI 2013, 342 m. Anm. von Vallender und Weissinger. Jüngst ebenfalls ausdrücklich offengelassen in BGH, Beschl. v. 24. 3. 2016 – IX ZR 157/14, NZI 2016, 443. 203 

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richtliche Ermächtigung Masseschuldcharakter.207 Nach dieser Auslegung von § 270a InsO208 stünde der eigenverwaltende Schuldner wie ein starker vorläufiger Verwalter,209 sodass er alle mit der Vorfinanzierung verbundenen Kosten (Zinsen, Gebühren u.ä.) als Masseschulden begründen würde. Da gleichzeitig aber auch alle Lohnforderungen grds. Masseschuldcharakter hätten, bedürfte es allerdings – wie im Falle der Globalermächtigung nach § 270b Abs. 3 InsO – des Rückgriffs auf § 55 Abs. 3 InsO: Auf diese Weise würden die vorfinanzierten Lohnansprüche in den Händen der BA zurückgestuft und die Vorfinanzierung des Insolvenzgelds behielte ihren vollen Subventionseffekt.210 Als besonders problematisch für die Insolvenzgeldvorfinanzierung erweist sich die hierzu konträre Auffassung, nach welcher der Schuldner im Verfahren nach § 270a InsO weder durch das Gesetz noch durch eine entsprechende gerichtliche Ermächtigung die Kompetenz erlangen kann, Masseverbindlichkeiten zu begründen.211 Allein im Eröffnungsverfahren nach § 270b InsO sehe das Gesetz eine Möglichkeit für den Schuldner vor, selbst Masseverbindlichkeiten zu begründen. Die Vorfinanzierung wäre hiernach bei einer Eigenverwaltung nach § 270a InsO nur theoretisch denkbar: Zwar wären die vorzufinanzierenden Lohnansprüche – anders als nach der obigen Ansicht – nur Insolvenzforderungen und würden (schon ohne die Rückstufung des § 55 Abs. 3 InsO) die Masse nicht besonders belasten. Allerdings könnte der Schuldner die mit der Vorfinanzierung verbundenen Kosten und Gebühren, insbesondere die Zinsen, nicht als Masseschulden begründen. Ohne einen solchen Vorrang wäre jedoch kein Kreditinstitut bereit, die Lohnansprüche anzukaufen und vorzufinanzieren.212 Praktisch wäre hiermit die Insolvenzgeldvorfinanzierung ausgeschlossen. 207  So AG Hannover, Beschl. v. 30. 4. 2015 – 909 IN 294/15, ZInsO 2015, 1112 (nun allerdings anders, AG Hannover, Beschl. v. 15. 7. 2016 – 908 IN 460/16 – 2, ZInsO 2016, 1535); AG Montabaur, Beschl. v. 27. 12. 2012 – 14 IN 282/12, NZI 2013, 350; Foltis, in: FK‑InsO, § 270a Rn. 22; Frind, ZInsO 2012, 1099, 1101; Oppermann/Smid, ZInsO 2012, 862, 864 ff.; Gutmann/ Laubereau, ZInsO 2012, 1861, 1865. 208  Abgestellt wird insbesondere auf §§ 270a Abs. 1 S. 2, 275 Abs. 1 InsO. 209 Vgl. Foltis, in: FK‑InsO, § 270a Rn. 25 und diesem folgend AG Hannover, Beschl. v. 30. 4. 2015 – 909 IN 294/15, ZInsO 2015, 1112, 1113. 210  Dass sich allerdings die bei § 270b InsO vorgenommene Analogie problemlos auch auf das Verfahren nach § 270a InsO übertragen lässt, ist zu bezweifeln. Bestehen bliebe zudem (insoweit parallel zur starken vorläufigen Verwaltung) das Problem der „ungewollten“ Masseverbindlichkeiten. Vertreten wird deshalb eine Begrenzung der Massebegründungskompetenz durch gerichtlichen Beschluss, vgl. Foltis, in: FK‑InsO, § 270a Rn. 25. 211  So LG Fulda, Beschl. v. 10. 4. 2012 – 92 IN 8/12, BeckRS 2013, 04327; AG Fulda, Beschl. v. 28. 3. 2012 – 91 IN 9/12, ZIP 2012, 1471; Riggert, in: Braun-InsO, § 270a Rn. 6; Geißler, ZInsO 2013, 531, 535. Sehr umfassend jüngst Blankenburg, ZInsO 2016, 1337, 1338 ff. 212  Schon die insoweit verunsichernde Entscheidung des BGH (S. 81 Fn. 206) hat dazu geführt, dass Banken Geschäfte mit dem Schuldner mit Kreditelementen (inkl. der Insg-Vorfinanzierung) im Verfahren nach § 270a InsO für nicht mehr möglich halten, Pleister/Tholen,



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Beide zuvor genannten Ansichten sind sowohl aus praktischen als auch aus rechtlichen Gründen teils deutlicher Kritik ausgesetzt.213 Die ganz h. M. in Rechtsprechung und Literatur geht von der Möglichkeit der gerichtlichen Einzelermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten (auch) im Verfahren nach § 270a InsO aus.214 Hiernach kann dem Schuldner, ähnlich einem schwachen vorläufigen Verwalter, die Kompetenz verliehen werden, einzelne konkret bestimmte Verbindlichkeiten zulasten der späteren Masse zu begründen.215 Wird die notwendige Ermächtigung beantragt und erteilt, kann das Insolvenzgeld problemlos vorfinanziert werden.216 Die Lohnansprüche entstehen nur im Rang von Insolvenzforderungen, die mit der Vorfinanzierung verbundenen Kosten können hingegen – bei entsprechender Ermächtigung – mit dem notwendigen Masseschuldcharakter vereinbart werden. 4.  Der Zustimmungsvorbehalt Der Kern der gesetzlichen Regelung zur Vorfinanzierung von Insolvenzgeld liegt im Vorbehalt der Zustimmung durch die BA. Zwar folgt der Anspruch auf Insolvenzgeld gem. § 170 Abs. 1 SGB III grds. dem zedierten Lohnanspruch, der Zessionar hat nach Abs. 4 S. 1 allerdings keinen Anspruch, wenn die BA der Übertragung (oder Verpfändung) nicht zugestimmt hat. ZIP 2013, 526; Buchalik/Kraus, ZInsO 2013, 815, 818. Weitere Bedenken der Banken formuliert Muschiol, ZInsO 2016, 248, 257 f. 213 Vgl. bspw. Pape, ZIP 2013, 2285, 2291 f., der überzeugend die Schwächen der genannten Ansichten darlegt und sie als „unvertretbar“ kritisiert. Ähnlich kritisch auch Undritz, BB 2012, 1551, 1555 und Lambrecht/Michelsen, ZInsO 2015, 2520. 214 LG Hannover, Beschl. v. 22. 8. 2016 – 11 T 30/16, ZIP 2016, 1790; LG Duisburg, Beschl. v. 29. 11. 2012 – 7 T 185/12, NZI 2013, 91; AG Essen, Beschl. v. 3. 2. 2015 – 163 IN 14/15, ZIP 2015, 841; AG München, Beschl. v. 27. 6. 2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1470; AG Köln, Beschl. v. 26. 3. 2012 – 73 IN 125/12, NZI 2012, 975; nun auch AG Hannover, Beschl. v. 15. 7. 2016 – 908 IN 460/16 – 2, ZInsO 2016, 1535; Meller-Hannich, KTS 2017, 309, 313; Pleister/Kunkel, ZIP 2017, 153, 160 f.; Lambrecht/Michelsen, ZInsO 2015, 2520, 2521 f.; Klinck, ZInsO 2014, 365; ders., ZIP 2013, 853, 858 ff.; Marotzke, DB 2013, 1283, 1288 ff.; Pape, ZIP 2013, 2291 f.; Buchalik/Kraus, ZInsO 2013, 815; Dahl, NJW‑Spezial 2013, 405 f.; Undritz, BB 2012, 1551, 1552 ff.; Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, § 270a Rn. 18 f.; Fiebig, in: HambKomm-InsO, § 270a Rn. 34 f. Sehr kritisch gegenüber der h. M. Nöll, DB 2013, 745, 748 ff. 215  Vereinzelt wird angenommen, dass nicht der Schuldner, sondern der vorläufige Sachwalter zu ermächtigen sei, so AG Hamburg, Beschl. v. 4. 4. 2012 – 67 g IN 74/12, NZI 2012, 566; zustimmend Smid, jurisPR‑InsR 12/2012 Anm. 6. Beide Personen seien tauglicher Adressat meint Kern, in: MüKo-InsO, § 270a Rn. 63. Die Ermächtigung des (nicht verwaltungs- und verfügungsbefugten!) Sachwalters wäre allerdings systemwidrig und mit der InsO nicht vereinbar, so explizit und überzeugend Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, § 270a Rn. 19; ders., EWiR 2012, 361 f.; Pape, in: K/P/B‑InsO, § 270a Rn. 19; ders., ZIP 2013, 2285, 2292; Hofmann, EWiR 2012, 359 f. 216  Zu den Risiken der Banken, die sich ergeben, weil die wohl h. M. § 276a InsO vor der Eröffnung nicht anwenden will Muschiol, ZInsO 2016, 248, 259 ff. und hier noch S. 257 f.

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

Die BA nimmt, wie der Großteil der Literatur, eine restriktive Auslegung dieser Norm vor und geht davon aus, dass der normierte Vorbehalt ausschließlich für die kollektive, nicht aber für individuelle Vorfinanzierung des Insolvenzgelds anzuwenden ist.217 Nur wenn die Vorfinanzierung durch den Arbeitgeber, den vorläufigen Insolvenzverwalter oder Sachwalter zentral initiiert, organisiert und abgewickelt wird, bedarf es der gesetzlichen Vorkehrung gegen den „Missbrauch“ des Insolvenzgelds. Zudem ist den Interessen der zu schützenden Arbeitnehmer nur dann effektiv gedient, wenn diese ihre Lohnansprüche – bspw. durch die kontoführende Hausbank – schon vor einer möglichen Insolvenz individuell verwerten können. § 170 Abs. 4 S. 1 SGB III ist folglich teleologisch zu reduzieren und auf die kollektive Vorfinanzierung zu begrenzen.218 Die individuelle Vorfinanzierung ist damit auch ohne Zustimmung der BA möglich, in der Praxis jedoch sehr selten.219 Der Zustimmungsvorbehalt ist damit für die Praxis der kollektiven Insolvenzgeldvorfinanzierung das zentrale und entscheidende Element. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass die BA die Vorfinanzierung praktisch nie ablehnt; die Zustimmungsquote lag in den letzten Jahren immer über 99 %.220 Gerade auch diese Tatsache rückt die problematischen Fragen nach der Ausgestaltung des Verfahrens, nach den notwendigen Voraussetzungen für die Entscheidung und letztlich auch nach der Effektivität dieser Regelung in den Fokus. a) Zustimmungsverfahren Die Insolvenzgeldvorfinanzierung wird in der Praxis regelmäßig durch den vorläufigen Verwalter bzw. den (durch einen Sanierungsberater unterstützten) Geschäftsführer eingeleitet.221 Die hierfür notwendige Zustimmung der BA ist zwar vom Finanzier einzuholen und ihm gegenüber zu erklären,222 in der Praxis ist allerdings eine entsprechende Bevollmächtigung des vorläufigen Verwalters durch den Kreditgeber üblich.223 Auch die Darlegung der Tatsachen, die für die Prognose und Zustimmung der BA notwendig sind, liegt in aller Regel in Ver217  Vgl. DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.1 Abs. 2 zu § 170 SGB III. Vgl. Klüter, WM 2010, 1483, 1485; Braun/Wierzioch, in: Beck/Drepé, Praxis der Insolvenz, § 29 Rn. 99; Berscheid, DZWIR 2000, 133, 135; Hase/Peters-Lange, Arbeitnehmeransprüche, Rn. 151 ff.; Grepl, Funktionen des Insg, S. 183. A. A. (jedoch noch zum alten Recht) Klaas, in: Gagel, Die BA in der Insolvenzpraxis, S. 13, 20. Zum Problem der Abgrenzung von kollektiver und individueller Vorfinanzierung bei Initiierung der Vorfinanzierung durch den Betriebsrat PetersLange, in: Gagel-SGBIII, § 170 Rn. 71. 218  So explizit Peters-Lange, in: Gagel-SGBIII, § 170 Rn. 71. 219 Vgl. Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1499. 220  Näher hierzu S. 99 ff. 221  Klüter, WM 2010, 1483, 1485. 222  Ebd., S. 1488; vgl. auch die DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 16 zu § 170 SGB III. 223  Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 188.



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walterhand: Dem vorfinanzierenden Institut fehlt regelmäßig der hierfür notwendige Einblick in das Schuldnerunternehmen, sodass praktisch immer auf die Angaben des Sachverständigen bzw. des (regelmäßig personenidentischen)224 vorläufigen Verwalters zurückgegriffen wird.225 Zwischen vorläufigem Verwalter und vorfinanzierender Bank besteht also im Idealfall – und auch regelmäßig in der Praxis – eine enge Verbindung.226 Beide haben jeweils ein eigenes (wirtschaftliches) Interesse an der möglichst reibungslosen Vorfinanzierung. Für die Prognose und Zustimmung der BA ist die Einschätzung des vorläufigen Verwalters essentiell, seinem Vorbringen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuldnerunternehmens und der Entwicklungschancen kommt eine herausragende, wenn nicht die entscheidende Bedeutung zu.227 Eine Tatsache, die den Zustimmungsvorbehalt als problematisch erscheinen lässt.228 Die Zustimmung der BA kann nach wohl herrschender Ansicht sowohl vor der Anspruchsübertragung (im Sinne einer Einwilligung) als auch nach der Zession (als Genehmigung) erteilt werden,229 muss allerdings unmittelbar vor bzw. bei dem Insolvenzereignis vorliegen.230 In der Praxis sind Kreditinstitute allerdings i. d. R. nur dann zur Vorfinanzierung bereit, wenn bereits eine Einwilligung der BA vorliegt.231 b)  Voraussetzungen der Zustimmung Nach der Vorgabe des § 170 Abs. 4 S. 2 SGB III darf die BA ihre Zustimmung nur dann erteilen, „wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch die Vorfinanzierung der Arbeitsentgelte ein erheblicher Teil der Arbeitsstellen erhalten bleibt“. Hierbei handelt es sich um eine gerichtlich voll überprüfbare gebundene Entscheidung, sodass bei Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen ein Anspruch des Antragstellers auf Zustimmung besteht.232 Notwendig 224 Vgl. zu Überschneidung und Nebeneinander von Gutachter- und Verwaltertätigkeit Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 253 ff. 225  Klüter, WM 2010, 1483, 1487; Voelzke, in: Hauck/Noftz-SGB, § 170 Rn. 54. 226  Klüter, WM 2010, 1483, 1487; vgl. auch Berscheid, DZWIR 2000, 133, 137. 227  So auch Hase, WM 2000, 2231, 2232. Vgl. DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 13 zu § 170 SGB III; Kuder/Unverdorben, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.404; Braun/Wierzioch, in: Beck/Drepé, Praxis der Insolvenz, § 29 Rn. 113. 228  Hierzu sogleich, S. 96 ff. 229  Vgl. DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 5 zu § 170 SGB III; Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1497; Grepl, Funktionen des Insg, S. 182; Klüter, WM 2010, 1483, 1488; A. A. Mues, in: FK‑InsO, Anh. zu § 113 Rn. 66. 230 Vgl. Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 181; Braun/Wierzioch, in: Beck/Drepé, Praxis der Insolvenz, § 29 Rn. 107; DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 5 zu § 170 SGB III. 231 Vgl. Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1497; Peters-Lange, ZIP 1999, 421, 425; Braun/ Wierzioch, in: Beck/Drepé, Praxis der Insolvenz, § 29 Rn. 107; Grepl, Funktionen des Insg, S. 182. 232  Der Gesetzeswortlaut („darf … nur“), spricht zwar auf den ersten Blick für eine Er-

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ist hierfür eine positive Prognoseentscheidung über den Arbeitsplatzerhalt in erheblichem Umfang auf Grundlage der wirtschaftlichen Situation und Verhältnisse des Schuldners bzw. dessen Unternehmens.233 Für diese Entscheidung sind der BA Tatsachen vorzutragen, welche eine Sanierung erwarten lassen, die eine Mindestanzahl von Arbeitsplätzen auf Dauer sichern wird.234 Hinsichtlich der Mindestquote orientiert sich die BA (nunmehr ausschließlich) an § 112a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BetrVG,235 verlangt also grds. den Erhalt von mindestens 10 % der Arbeitsplätze.236 Ob diese Auslegung des Gesetzes („erheblicher Teil“) überzeugen kann und die Funktion des Vorbehalts sicherstellen kann, bedarf noch der eingehenden Untersuchung.237 Da ein dauerhafter Erhalt notwendig ist, kommt eine Vorfinanzierung allein zur Herstellung einer für die Verfahrenseröffnung ausreichenden Masse oder bspw. zur Ausproduktion von Halbfertigerzeugnissen nicht in Betracht.238 Diese würde zwar zu einer höheren Insolvenzmasse und -quote führen, entspricht aber nicht den (arbeits- und sozialrechtlichen) Vorgaben des § 170 Abs. 4 S. 2 SGB III.239

messensentscheidung, so Kühl, in: Brand-SGBIII, § 170 Rn. 19; Hamacher, in: Nerlich/Römermann-InsO, vor § 113 Rn. 90; Mues, in: FK‑InsO, Anh. zu § 113 Rn. 68; Klüter, WM 2010, 1483, 1488. Überzeugender ist allerdings die Annahme eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt (und damit eines Anspruchs auf Zustimmung bei Vorliegen der Voraussetzungen), so Wiester, ZInsO 1998, 99, 104; Peters-Lange, in: Gagel-SGBIII, § 170 Rn. 74; Grepl, Funktionen des Insg, S. 181; Hase, WM 2000, 2231, 2235. 233  So schon RegE zum AFRG, BR‑Drs. 550/96, S. 188 f. Vgl. auch DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 6 zu § 170 SGB III; Hase/Peters-Lange, Arbeitnehmeransprüche, Rn. 154; Kuder/Unverdorben, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.401 ff. 234  Vgl. DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 8 f., 11 zu § 170 SGB III; Kühl, in: Brand-SGBIII, § 170 Rn. 17; Braun/Mühlbayer, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 29 Rn. 112. 235  Vgl. DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 8 zu § 170 SGB III. Zuvor wurden die unterschiedlichen Quoten des § 112a Abs. 1 S. 1 BetrVG zugrunde gelegt, diese Änderung (von 2009!) wurde bislang von großen Teilen der Literatur nicht wahrgenommen. 236  Diese grds. Orientierung ist wohl allgemein anerkannt, Kühl, in: Brand-SGBIII, § 170 Rn. 17; m. w. N. Grepl, Funktionen des Insg, S. 184, Fn. 534; sie wird aber z. T. als „unterste Grenze“ angesehen (Berscheid, DZWIR 2000, 133, 136; Ries/Zobel, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 183). Gegen die beschriebene Orientierung Hase/Peters-Lange, Arbeitnehmeransprüche, Rn. 177. Zum Problem der Quotenberechnung bei vorangegangener Betriebsteilstilllegung vgl. Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 184. In Einzelfällen soll auch eine geringere Quote ausreichen, vgl. DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 9 zu § 170 SGB III sowie m. w. N. Grepl, Funktionen des Insg, S. 185, Fn. 536. 237  Hierzu sogleich, S. 90 ff. Auch die Frage nach der notwendigen Überzeugung der BA wird in diesem Kontext behandelt. 238 Vgl. Berscheid, in: FS Rheinland-Pfalz, S. 453, 461; Smid, NZA 2000, 113, 117; DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 11 zu § 170 SGB III. 239  Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 184; Häsemeyer, in: FS Gerhardt, S. 341, 355; Smid, NZA 2000, 113, 117. Das Zustimmungserfordernis verstoße deshalb gegen die Ziele der InsO, so Caspers, Personalabbau, S. 224.



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Der für die Zustimmung erforderliche Grad der Überzeugung der BA wird erreicht, wenn die für die Prognose wesentlichen Tatsachen glaubhaft gemacht werden können, der Sanierungserfolg also „überwiegend wahrscheinlich“ ist.240 Stichhaltige Indikatoren, die eine solche Wahrscheinlichkeit begründen können, sind nach Ansicht der BA bspw. erste Umsetzungsmaßnahmen i. R. d. Sanierungskonzepts, ein erster Sanierungsplan, das Akquirieren von bzw. die Verhandlung mit potentiellen Übernahmeinteressenten und insbesondere die Stellungnahme und (günstige) Prognose des vorläufigen Verwalters bzgl. der Unternehmensfortführung.241 Auch ein erheblicher Schuldenerlass durch die (Haupt-)Gläubiger oder die Verfügbarkeit von Sanierungskrediten können die positive Entscheidung der BA begründen.242 All diese Indizien stellen die Zustimmung aber nicht allgemein in den Dienst der Unternehmenssanierung – eine solche kann nach der gesetzlichen Konzeption nur Nebenfolge sein. Lassen sich die insolvenzverfahrensbezogenen Interessen von Schuldnerunternehmen, vorläufigem Verwalter und Gläubigern nicht mit dem Arbeitsplatzerhalt in Einklang bringen, so ist die Zustimmung durch die BA zu versagen.243 Nichts anderes kann schließlich für die Frage nach einer „allgemeinen Missbrauchskontrolle“ durch die BA gelten. Als sich zeigte, dass das Insolvenzgeld nicht (allein) der Lohnsicherung zugunsten der Arbeitnehmer, sondern auch als Finanzierungshilfe zugunsten des Schuldnerunternehmens bzw. der späteren Masse genutzt wurde, stellte sich die Frage, wann die Vorfinanzierung einen zulässigen Gebrauch und wann einen unzulässigen Missbrauch der Umlagemittel darstellt.244 Unter der Geltung des AFG bildete sich in Rechtsprechung und Literatur so eine differenzierte Missbrauchskasuistik; völlig unbegrenzt sollte die Vorfinanzierung nicht möglich sein. Wo die Grenze zwischen Ge- und Missbrauch verlaufen sollte war immer umstritten.245 Mit Einführung des SGB wurde die abstrakte Verbots- durch eine konkrete Zustimmungslösung ersetzt; auch diese sollte „eine missbräuchliche Inanspruchnahme der Konkursausfall240  § 23 Abs. 1 SGB X. Vgl. DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 6 f. zu § 170 SGB III; Hase, WM 2000, 2231, 2232; Kuder/Unverdorben, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.404; Hase/Peters-Lange, Arbeitnehmeransprüche, Rn. 154. Hamacher verlangt die Zustimmung sogar bereits, wenn die Sanierung „lediglich möglich“ ist (Hamacher, in: Nerlich/ Römermann-InsO, vor § 113 Rn. 89). 241  Vgl. DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 7 zu § 170 SGB III. 242 Vgl. Kühl, in: Brand-SGBIII, § 170 Rn. 16. 243 Vgl. Häsemeyer, in: FS Gerhardt, S. 341, 355; ähnlich Klüter, WM 2010, 1483, 1488. 244  Diese Begrifflichkeiten als Grenze verwenden bspw. Hanau/Kappus, ZIP 1988, 885. 245  Vgl. BSG, Urt. v. 22. 3. 1995 – 10 RAr 1/94, BSGE 76, 67; Kautza, SGb 1982, 517, 532 ff.; Dieckmann, ZRP 1987, 420; Hase, in: Gagel, Die BA in der Insolvenzpraxis, S. 33, 35 f.; Hanau/Kappus, ZIP 1988, 885; Denck, KTS 1998, 217, 229 ff.; Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 45; Grepl, Funktionen des Insg, S. 164 ff.; m. w. N. Peters-Lange, in: GagelSGBIII, § 170 Rn. 66 f.

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versicherung […] verhindern“246. Ausgehend von dieser gesetzgeberischen Vorstellung und der (überkommenen) Missbrauchskasuistik gehen auch heute noch Teile der Literatur davon aus, dass die Zustimmungsentscheidung der BA allgemein den Missbrauch des Insolvenzgelds verhindern solle.247 Dem Gesetz lässt sich eine abstrakte Missbrauchskontrollkompetenz der BA jedoch nicht entnehmen; die Entscheidung richtet sich allein nach den Vorgaben des § 170 Abs. 4 S. 2 SGB III, ist also beschränkt auf die Frage nach der Arbeitsplatzerhaltung. c)  Effektivität des Zustimmungsvorbehalts zur Missbrauchsverhütung Aus unterschiedlichen Gründen rückt die Frage in den Fokus, inwieweit die Zustimmungslösung bzw. ihre Auslegung und Ausgestaltung in der Praxis tatsächlich dafür sorgt, dass eine zweckwidrige und in diesem Sinne „missbräuchliche Inanspruchnahme“248 der Mittel der Insolvenzgeldversicherung effektiv verhindert wird. Die beschriebene Pflicht und Befugnis der BA wurde eingeführt, um einerseits über die positiven Effekte der Insolvenzgeldvorfinanzierung Arbeitsplätze wenn möglich zu erhalten, andererseits aber auch zu unterbinden, dass das Insolvenzgeld zu Zwecken genutzt würde, die außerhalb dieser Zielsetzung liegen.249 In allen Fällen, in denen das sozialpolitische Ziel des § 170 Abs. 4 SGB III nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit erreicht werden kann, muss deshalb die Zustimmung unterbleiben; die reine „Erhöhung der Insolvenzquote liegt außerhalb der öffentlichen Förderzwecke“.250 Ob die geltende Zustimmungslösung eine effektive Maßnahme zur Verwirklichung dieser Ziele ist und die Zweckentfremdung der Insolvenzgeldmittel wirksam verhindert, sollte – so auch der Gesetzgeber251 – im Lichte praktischer Erfahrungen geprüft werden. Kritik am Vorgehen der Insolvenzpraxis und der Kontrolle der BA kommt insbesondere dann auf, wenn die Insolvenzgeldmittel in besonderem Maße einzelnen Gläubigern zugutekommen und diese speziell begünstigen. Trotz der grds. Anerkennung der Insolvenzgeldvorfinanzierung wird für einzelne Konstellationen der Vorwurf der „Missbräuchlichkeit“ erhoben, bspw. wenn im 246 

RegE AFRG, BR‑Drs. 550/96, S. 188. Kuder/Unverdorben, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.400, 5.405; Klüter, WM 2010, 1483, 1485; Arens/Brand, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, § 3 Rn. 359. Teilweise wird das Zustimmungsbedürfnis sogar mit einem finanziellen Verlustrisiko des Staates begründet, so Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 58 f. 248 RegE zum AFRG, BR‑Drs. 550/96, S. 188. Vgl. auch RegE zum EGInsO, BT‑Drs. 12/3803, S. 114. 249  RegE zum AFRG, BR‑Drs. 550/96, S. 188. 250  Häsemeyer, in: FS Gerhardt, S.  339, 355. Ähnlich auch OLG Koblenz, Urt. v. 26. 10. 2006 – 6 U 175/06, NZI 2007, 113, 116. 251  RegE zum EGInsO, BT‑Drs. 12/3803, S. 114. 247 



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Eröffnungsverfahren mithilfe der Vorfinanzierung sicherungsübereignete Halbfertigerzeugnisse fertiggestellt werden, sodass der Vorteil des Insolvenzgelds vor allem einem Sicherungsgläubiger zugutekommt.252 Eine ähnliche Diskussion hat sich aktuell im Hinblick auf die Behandlung von Insolvenzgeldzahlungen in Fortführungsvereinbarungen entsponnen: In den hierbei diskutierten Fällen unterstützt ein Gläubiger in der Insolvenz seines Geschäftspartners (bspw. eines wichtigen Zulieferers) dessen Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren durch Übernahme von dessen Verlusten, um auf diese Weise weit größere eigene Einbußen zu verhindern.253 Regelmäßig werden bei den entsprechenden Fortführungsvereinbarungen die Lohnkosten nicht als (zu übernehmender) Verlust in Anschlag gebracht, also nicht vom profitierenden Gläubiger, sondern von der BA getragen.254 Das Insolvenzgeld mindert in diesem Fall unmittelbar die Verluste einzelner Gläubiger. Aus diesem Grund wird auch hier der Vorwurf der Missbräuchlichkeit erhoben, da das Ausfallgeld allein der sozialen Absicherung der Arbeitnehmer dienen solle und keine Subvention im Interesse einzelner Kunden sei.255 Solche Vorwürfe ergeben sich zumeist aus der Feststellung, dass Mittel aus einer Sozialversicherung in direkter Weise Personen zugutekommen, die vom Schutzzweck der Insolvenzgeldsicherung evident nicht umfasst sind.256 Allerdings ist diesen Bedenken entgegenzuhalten, dass der Gesetzgeber die Frage der (Missbrauchs-)Kontrolle mit § 170 Abs. 4 SGB III abschließend geregelt hat: Die Insolvenzgeldvorfinanzierung steht allein unter einem Vorbehalt, der einzig den Erhalt von Arbeitsplätzen und die Begünstigung des Arbeitsmarktes im Blick hat.257 Wenn die tatsächlich begründete Annahme getroffen werden kann, dass (nur) durch die Vorfinanzierung Arbeitsplätze in erheblichem Umfang erhalten werden können, so werden alle (Neben-)Effekte hierbei in Kauf genommen.258 Die Gewährung besonderer, auch systemfremder Vorteile an das Schuldnerunternehmen, an die Gläubigergesamtheit (durch Realisierung von Fortführungs- statt Zerschlagungswerten) oder u. U. auch an einzelne Gläubiger (durch die dargestellte Reduzierung individueller Verluste) ist also 252 Vgl.

253  Vgl.

Grub, in: FS Görg, S. 201, 203; zustimmend Hill, ZInsO 2014, 1513, 1519. hierzu bspw. Grub, in: FS Görg, S. 201; Paulus, ZInsO 2015, 2160; Hill, ZInsO

2014, 1513. 254  So bspw. im Muster der ZInsO‑Dokumentation, ZInsO 2014, 642 (Fortführungsvereinbarung in einem Insolvenzverfahren aus der Automobilbranche). 255  Hill, ZInsO 2014, 1513, 1518; Grub, in: FS Görg, S. 201, 203. Ähnlich Siemons, der die Finanzierung eines negativ arbeitenden Betriebs über Insg für pflichtwidrig hält (Siemons, ZInsO 2014, 625, 630). 256  So auch Schneider, in: Schlegel/Voelzke-SGBIII, § 170 Rn. 15; ähnlich Hess, in: HessInsO, § 170 SGB III Rn. 43 f. 257  Vgl. DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 8 zu § 170 SGB III; Grepl, Funktionen des Insg, S. 191 f.; Roos, in: A/G/R‑InsR, Anh. XII, § 170 SGB III Rn. 4. 258 Überzeugend Paulus, ZInsO 2015, 2160, 2162 ff.; ähnlich Kremer/Fahlbusch, ZInsO 2015, 837, 839. Vgl. auch Grub, in: FS Görg, S. 201, 203.

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zulässig, solange dies dem (wahrscheinlichen) Erhalt von Arbeitsplätzen in ausreichendem Umfang dient. Diese Feststellung macht deutlich, dass und warum die Zustimmungslösung des § 170 Abs. 4 SGB III in ihrer konkreten Auslegung und ihrer praktischen Umsetzung kritisch hinterfragt werden muss: Sie ist nach der gesetzlichen Konzeption die zentrale „Rechtfertigung“ der Insolvenzgeldvorfinanzierung und gleichzeitig die einzige Vorkehrung zur Verhinderung der zweckwidrigen Inanspruchnahme der Umlagemittel. Die diesbezügliche Effektivität des Zustimmungsvorbehalts erscheint aus unterschiedlichen, näher zu thematisierenden Gründen als eher zweifelhaft. aa)  Auslegung der gesetzlichen Zustimmungsvoraussetzungen Für die Kontrolle der Insolvenzgeldvorfinanzierung durch die BA ist zunächst die Auslegung der zwei wesentlichen Voraussetzungen des § 170 Abs. 4 S. 2 SGB III von besonderer Bedeutung. Problematisch ist erstens die Frage, welche Quote einen „erheblichen Teil“ der erhaltenen Arbeitsstellen ausmacht. Auch wenn die Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals durch die Arbeitsverwaltung – die Orientierung an einer Quote von mind. 10 % erhaltener Arbeitsplätze259 – allgemein anerkannt wird, ist sie nicht unproblematisch: Mit dem Rückgriff auf § 112a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BetrVG wird auf eine Norm abgestellt, die die Erzwingbarkeit eines Sozialplans für Fälle einschränkt, in denen eine Mindestschwelle beim Personalabbau nicht erreicht wird.260 Das BetrVG hat hierbei – anders als § 170 Abs. 4 SGB III – die Folgen einer Entlassung für die einzelnen betroffenen Arbeitnehmer und deren Absicherung im Blick.261 Dieser Schutz des BetrVG soll nur dann eingeschränkt werden, wenn ein unterstes Mindestquorum nicht überschritten wird. Mit § 170 SGB III wird demgegenüber abstrakt auf die Auswirkungen von Entlassungen auf den Arbeitsmarkt abgestellt,262 der beabsichtigte Zweck – Schutz vor Missbrauch der Insolvenzgeldmittel – gebietet es, nur dann der Vorfinanzierung zuzustimmen, wenn der allgemeine arbeitsmarktbezogene Effekt deutlich und „erheblich“ ist. Ansatz und Telos der beiden Normen haben kaum Überschneidungspunkte. Im Hinblick auf die Verhinderung von Missbrauch und in Anbetracht der Tatsache, dass der Zustimmungsvorbehalt die einzige Schranke der Vorfinanzierung ist, kann ein Quorum von nur 10 % bei der Auslegung von § 170 Abs. 4 S. 2 SGB III nicht mehr als ausreichende „unterste Grenze“263 angesehen werden.264 259 

DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 8 zu § 170 SGB III. Vgl. genauer hierzu Kania, in: ErfK‑Arbeitsrecht, §§ 112, 112a BetrVG Rn. 16. 261  Hase/Peters-Lange, Arbeitnehmeransprüche, Rn. 177. 262 Ebd. 263 So Berscheid, DZWIR 2000, 133, 136 und Ries/Zobel, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 183, allerdings noch zu höheren Quoten (10–20 %). 264  Eine Quote von mindestens 25 % (Hess, in: Hess-InsO, § 170 SGB III Rn. 38) nach260 



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Zweitens stellt sich die Frage, welche Anforderungen an den Grad der Überzeugung und die Qualität der Entscheidungsgrundlage bei der Entscheidung der BA zu stellen sind, wann also eine positive Prognose i. S. d. § 170 Abs. 4 S. 2 SGB III durch Tatsachen gerechtfertigt ist. Hierbei wird verlangt, dass der Erhalt von ausreichend vielen Arbeitsplätzen auf Tatsachenbasis i. S. d. § 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft gemacht werden kann,265 dass also die BA den erstrebten Erfolg für überwiegend wahrscheinlich hält.266 An den hierfür erforderlichen Vortrag und die Einschätzung des vorläufigen Verwalters legt die Durchführungsanweisung aus Nürnberg durchaus strenge Kriterien an:267 Die genannten Möglichkeiten zum Tatsachenvortrag verlangen, dass i. E. schon vor der Vorfinanzierung ein „plausible[r] Sanierungsplan“268 vorgelegt wird. Ob diese Voraussetzungen allerdings in den Arbeitsagenturen vor Ort immer umgesetzt werden (können), darf mit Blick auf die Probleme und Spannungsverhältnisse der Entscheidungssituation – hierzu sogleich269 – bezweifelt werden: Die sehr schnelle Entscheidung über die Vorfinanzierung und die sofortige Realisierung ist oftmals zwingende Bedingung eines erfolgreichen Sanierungsversuches,270 weshalb nicht wenige Stimmen einen deutlich geringeren Grad der Überzeugung der BA für ausreichend erachten.271 Auch die Interessen sowohl des prognostizierenden vorläufigen Verwalters als auch der BA selbst fördern – zumindest unbewusst – eine tendenziell vorfinanzierungsfreundliche Praxis.272 Dass die Arbeitsämter in diesem Spannungsfeld den Bedürfnissen der Praxis folgen und die Hürden der notwendigen Überzeugung im Zweifel abzusenken bereit sind,273 lässt sich auch den verfügbaren statistischen Hinweisen entnehmen: Obwohl nur ein Teil (ca. 60 %)274 der Unternehmen im Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung haltig und dauerhaft erhaltener Arbeitsplätze kommt dem Telos und Wortlaut von § 170 Abs. 4 SGB III wohl näher. 265  DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 6 zu § 170 SGB III. 266  Es muss also mehr für als gegen die getroffene Annahme sprechen, vgl. Prütting, in: MüKo-ZPO, § 294 Rn. 18. 267  DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 7, 17 zu § 170 SGB III. 268  Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1497; ähnlich Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 49. 269  Im Detail hierzu S. 93 ff. 270  Lixfeld, Liquidität in Insolvenzverfahren, S. 250; Caspers, Personalabbau, Rn. 515 f.; Hermann, in: Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 9 Rn. 72 f. 271 So bspw. Grepl, Funktionen des Insg, S. 195; Hamacher, in: Nerlich/RömermannInsO, vor § 113 Rn. 89; Thiemann, Vorläufige Masseverwaltung, S. 228; Caspers, Personalabbau, Rn. 515 ff.; Kautzsch, Unternehmenssanierung, S. 62; Fink, Maßnahmen des Verwalters, S. 168; Wiester, BB 1997, 949, 954; Hanau, ZIP 1992, 1279; Wiester, ZInsO 1998, 99, 105; Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 59. Vgl. noch S. 94. 272  Vgl. eingehend hierzu S. 95 ff. 273 Vgl. Lixfeld, Liquidität in Insolvenzverfahren, S. 250; Grepl, Funktionen des Insg, S. 189; Thiemann, Vorläufige Masseverwaltung, S. 227; Smid/Thiemann, in: Smid-InsO, § 22 Rn. 54; Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 50 Fn. 311. 274  So in der Studie von Icks/Kranzusch, Sanierungen in Insolvenzverfahren, S. 53 ff.

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noch aktiv ist und somit überhaupt Chancen auf eine Vorfinanzierung hat, wird insgesamt ein Drittel des Insolvenzgelds vorfinanziert.275 Dort wo ein Einsatz dieses Mittels möglich erscheint, wird es von den vorläufigen Verwaltern auch beantragt,276 verweigert wird die Zustimmung durch die BA jedoch praktisch nie.277 Eine solche Praxis, die sich der großzügigen Interpretation von § 170 SGB III durch Teile der Literatur anschließt, „steht […] dem erkennbarem Interesse des Gesetzgebers [an] einer Eindämmung der Möglichkeit zur Vorfinanzierung von Insolvenzgeld“278 und damit an der effektiven Verhinderung missbräuchlicher Inanspruchnahme entgegen. Rechtfertigt man eine solch vorfinanzierungsfreundliche Auslegung mit den Zielen und Vorgaben der Insolvenzordnung – also insbesondere mit dem Argument der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung (auch) über Sanierungsverfahren –,279 so greift man das bestimmende Kernelement des Insolvenzrechts auf. Die Normen zum Insolvenzgeld und zur Verhinderung ungewollter Inanspruchnahme richten sich allerdings allein nach sozialrechtlichen Vorgaben;280 Gläubigerbefriedigung und Unternehmenssanierung können deshalb nur willkommene Nebeneffekte des eigentlichen Zwecks, der zu erwartenden Arbeitsplatzsicherung, sein.281 Als Argument zur Legitimierung einer insolvenzpraktisch motivierten großzügigen Auslegung der Zustimmungsvoraussetzungen taugen sie hingegen nicht. Zur effektiven Verhinderung missbräuchlicher Insolvenzgeldvorfinanzierungen bedarf es der tatsächlichen Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben (§ 170 Abs. 4. S. 2 SGB III) und der konkretisierenden Verwaltungsvorschrift (Durchführungsanweisung) auch wenn sich dies im Einzelfall als sanierungshindernd erweisen könnte.282 Eine Kontrolle und Korrektur der dezentralen Entscheidungspraxis erscheint vor dem geschilderten Hintergrund angebracht.283

275  Vgl. die Statistiken der BA zu Leistungen nach dem SGB III, abrufbar unter http:// statistik.arbeitsagentur.de/Navigation/Statistik/Statistik-nach-Themen/LohnersatzleistungenSGBIII/Insolvenzgeld/Insolvenzgeld-Nav.html (zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018) sowie zur Untersuchung der Zustimmungspraxis S. 99 ff. 276  Vgl. die Einschätzung der Praxis bei Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 18, 30 f. 277  Vgl. die Statistiken der BA zu Leistungen nach dem SGB III, Fn. 275. 278  Peters-Lange, in: Gagel-SGBIII, § 170 Rn. 77. 279  Ausführlich mit einer solchen Begründung Caspers, Personalabbau, Rn. 515, auf den bspw. Hamacher rekurriert (Hamacher, in: Nerlich/Römermann-InsO, vor § 113 Rn. 89). 280  Kern des geltenden Rechts ist allein die Frage nach der „sozialrechtlichen Anerkennung“, Hase/Peters-Lange, Arbeitnehmeransprüche, Rn. 150. 281 Vgl. Häsemeyer, in: FS Gerhardt, S. 339, 355; Voelzke, in: Hauck/Noftz-SGB, § 170 Rn. 53. 282  Mit dieser Befürchtung bei einer zu „rigiden“ Zustimmungspolitik Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 874 Fn. 429; ähnlich Krause, ZIP 1998, 56, 62. 283 Vgl. zur ähnlichen Kritik bereits vor etwa zehn Jahren die Prüfungsmitteilung des Prüfungsamt des Bundes, ZInsO 2006, 1137.



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bb)  Fundierte Prüfung und schnelle Entscheidung Insbesondere die praktische Umsetzbarkeit und Realisierung des Zustimmungsvorbehalts ist also kritisch zu hinterfragen. Problematisch ist hier zunächst das dem Prüfungsvorgang der BA innewohnende Spannungsverhältnis zwischen der gebotenen Untersuchungsintensität und der Notwendigkeit einer möglichst schnellen Vorfinanzierung des Insolvenzgelds für eine erfolgreiche Unternehmensfortführung. Die Klärung der Frage, ob ein Unternehmen, das oftmals über Jahre in eine wirtschaftliche Schieflage geraten ist, das Liquiditäts- und Finanzierungsprobleme hat und bei dem das Bestehen der materiellen Insolvenz nicht unwahrscheinlich ist, tatsächlich durch die Mittel des vorfinanzierten Insolvenzgelds so weit saniert werden kann, dass Arbeitsplätze in „erheblichem“ Umfang erhalten werden können, ist kein simples Unterfangen. Die Prüfung durch die BA ist ein komplexer Prozess und bedarf einer fundierten, fachlich gebundenen Prognose.284 Eine solche Entscheidung, die eine Vielzahl von Unternehmensdaten in Betracht ziehen muss, kann – wenn sie Kritik standhalten soll – „nicht von einem Tag auf den anderen durchgeführt werden“285. Diese Erkenntnis steht nun im diametralen Gegensatz zum Bedürfnis des vorläufigen Verwalters bzw. des Schuldners im Eröffnungsverfahren, innerhalb kürzester Zeit auf die Vorfinanzierung zurückgreifen zu können. Oftmals hat das Schuldnerunternehmen im Zeitpunkt des Insolvenzantrags die Lohnzahlungen schon (teilweise) eingestellt,286 der vorläufige Verwalter bzw. Geschäftsführer muss die Mittel des (vorfinanzierten) Insolvenzgelds sofort einsetzen, um die Arbeitnehmer halten und den Betrieb (wie vom Gesetz vorgesehen)287 fortführen zu können.288 Da die Finanzierung von Dritten jedoch regelmäßig erst nach der Zustimmung der BA erfolgt, müsste diese sofort erfolgen.289 Und selbst wenn man den (eher seltenen)290 Fall betrachtet, bei dem ein Eigeninsolvenzantrag zügig und innerhalb der Frist des § 15a InsO – also maximal drei Wochen nach Eintritt der Insolvenz – gestellt wird, bleiben bis zur nächsten 284 

Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1497; Kühl, in: Brand-SGBIII, § 170 Rn. 14; Mester, Probleme des Kaug, S. 248. 285  Fink, Maßnahmen des Verwalters, S. 166. Mester geht sogar davon aus, dass eine fundierte Prognoseentscheidung erst nach mindestens drei Monaten zu treffen ist (Mester, Probleme des Kaug, S. 248). 286 Vgl. Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 18; Berscheid, DZWIR 2000, 133, 136; Sinz, in: FS Uhlenbruck, S. 157. 287  § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO. 288 Vgl. Caspers, Personalabbau, S. 224; Hermann, in: Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 9 Rn. 72 f. 289  In der Praxis wird deshalb „zeitgleich“ das Eröffnungsverfahren eingeleitet, die Zustimmung der BA beantragt und die positive Fortführungsprognose eingereicht (Muschiol, ZInsO 2016, 248, 251). 290  Alle statistischen Befunde sprechen dafür, dass im Hinblick auf § 15a InsO der „offene und nachhaltige Rechtsbruch […] die Regel“ ist (Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb vorläufige Insolvenzverwaltung, § 8 Rn. 38).

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Fälligkeit der Arbeitsentgelte u. U. nur noch wenige Tage, innerhalb derer die Vorfinanzierung inkl. Zustimmung der BA verwirklicht werden muss.291 Selbst wenn schon zum Zeitpunkt des Insolvenzantrags ein plausibles Sanierungskonzept vorläge, wäre unsicher, ob die Insolvenzgläubiger dieses im späteren Verfahren auch umsetzen wollen.292 In der Phase, in der das Insolvenzgeld typischerweise in vorfinanzierter Form zur Betriebsfortführung ausgenutzt wird, im Eröffnungsverfahren, stehen die Sanierungs- und Fortführungsaussichten noch nicht fest; sie können und sollen vielmehr erst im Laufe dieses „Vorverfahrens“ festgestellt und bewertet werden.293 Die Notwendigkeit einer fundierten Prüfung auf der einen und einer sofortigen Entscheidung auf der anderen Seite erzeugt ein problematisches Dilemma für die BA: Ist sie mit der Erteilung der Zustimmung zu großzügig, so droht die Regelung des § 170 Abs. 4 SGB III als einzige Schranke der Insolvenzgeldvorfinanzierung in Teilen leerzulaufen – mit der Folge einer immer stärkeren Umlagebelastung der Wirtschaft. Verweigert die BA ihre Zustimmung allerdings zu lange wegen fehlender Überzeugung, so ist die von der InsO gewollte Unternehmensfortführung und damit der vom SGB beabsichtigte Erhalt von Arbeitsplätzen regelmäßig sehr viel unwahrscheinlicher.294 Wie sich die BA in diesem Spannungsfeld verhalten würde und wie (bzw. ob) sie die genannte Regelung mit Leben füllen würde, war von der Praxis mit Spannung erwartet worden.295 Ein Teil der Literatur spricht sich deshalb für eine zustimmungsfreundliche Politik der BA aus: Schon wenn eine (Teil-)Sanierung möglich erscheint, solle das Insolvenzgeld als Finanzierungsquelle eingesetzt werden können.296 Z. T. wird sogar vertreten, dass bereits die Unternehmensfortführung im Eröffnungsverfahren aus sich heraus die Vorfinanzierung rechtfertigt.297 Jedenfalls der Finanzierung der Lohnansprüche, die vor der Bestellung eines vorläufigen Verwalters angelaufen sind, solle bedenkenlos zugestimmt werden.298 Und auch für 291 

Diesen Fall ausdrücklich kritisch benennend Seagon/Wiester, ZInsO 1999, 627, 629. Kautzsch, Unternehmenssanierung, S. 61. 293  So schon Kilger, KTS 1989, 495, 499. Vgl. auch Fink, Maßnahmen des Verwalters, S. 166; Caspers, Personalabbau, S. 224; Kautzsch, Unternehmenssanierung, S. 61 f.; Uhlenbruck, DZWIR 2000, 15, 18; Wiester, BB 1997, 949, 954; ders. ZInsO 1998, 99, 105; Eckardt, DZWIR 1999, 400. 294 Vgl. Kautzsch, Unternehmenssanierung, S. 62. 295  Diese gespannte Erwartung beschreibt Oberhofer schon unmittelbar nach Einführung des Zustimmungsvorbehalts (vgl. Oberhofer, DZWIR 1999, 317, 319). 296 Vgl. Grepl, Funktionen des Insg, S. 195; Hamacher, in: Nerlich/Römermann-InsO, vor § 113 Rn. 89; Thiemann, Vorläufige Masseverwaltung, S. 228. 297 Vgl. Caspers, Personalabbau, S. 224; Kautzsch, Unternehmenssanierung, S. 62; Fink, Maßnahmen des Verwalters, S. 168, Mit Blick auf das alte Recht Wiester, BB 1997, 949, 954; Hanau, ZIP 1992, 1279. 298 Vgl. Klüter, WM 2010, 1483, 1488; Hase, WM 2000, 2231, 2233; Berscheid, DZWIR 2000, 133, 136; Schröder, in: HambKomm-InsO, § 22 Rn. 131; Kühl, in: Brand-SGBIII, § 170 Rn. 18. So auch die DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 15 zu § 170 SGB III. 292 Vgl.



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Lohnansprüche aus dem Eröffnungsverfahren selbst dürfe die Zustimmung von der BA nur dann verweigert werden, wenn eine Sanierung und der Erhalt von Arbeitsplätzen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist.299 Eine solche Auslegung des § 170 Abs. 4 SGB III ist deutlich von den Bedürfnissen und Interessen der Praxis geprägt, sie widerspricht aber dem erkennbaren Bestreben des Gesetzgebers, die Möglichkeit der Insolvenzgeldvorfinanzierung nicht ausufern zu lassen. Schon die zuvor geltende Regelung, habe sich als unzureichend erwiesen.300 Insbesondere im Hinblick auf die Umlagefinanzierung des Insolvenzgelds und die marktwirtschaftliche Ausrichtung des InsO darf die Betriebsfortführung nicht „um jeden Preis erfolgen“.301 cc)  Interessenlage der Bundesagentur für Arbeit Problematisch ist die praktische Umsetzung des Zustimmungsvorbehalts auch aus einem zweiten Grund: Die BA soll, geleitet von den objektiven Merkmalen des § 170 Abs. 4 S. 2 SGB III, als entscheidende Instanz die Kontrolle der Vorfinanzierung vornehmen. Gleichzeitig besteht aber aus mehreren Gründen ein deutliches Interesse der BA an der vollen Ausschöpfung des Insolvenzgeldzeitraums und damit an einer weitläufigen Vorfinanzierungspraxis. Für sie ergibt sich aus der Verweigerung der Zustimmung nie ein Vorteil, oftmals aber ein Nachteil. Verweigert sie die Zustimmung, so zerstört sie damit oftmals etwaige Sanierungschancen; für den Erhalt der betroffenen Arbeitsplätze besteht zumindest seltener eine echte Perspektive. Die Arbeitnehmer erhalten allerdings auch ohne die Vorfinanzierung letztlich das Insolvenzgeld.302 Stimmt die BA der Vorfinanzierung hingegen zu, so könnte die Unternehmensrettung zwar gleichwohl scheitern, es bliebe aber – anders als bei einer Ablehnung – „zumindest die Hoffnung auf eine erfolgreiche Sanierung und damit die Chance auf eine Ersparnis dieser Kosten für die Sozialkasse“303. Die BA ist in ihrer gesamten Struktur auf die Unterstützung des Arbeitsmarktes ausgerichtet – dieser kann aber ausschließlich durch die Zustimmung 299 Vgl.

Wiester, ZInsO 1998, 99, 105; Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 59; Caspers, Personalabbau, S. 225; Smid/Thiemann, in: Smid-InsO, § 22 Rn. 52; Eckardt, DZWIR 1999, 400. Kritisch Peters-Lange, in: Gagel-SGBIII, § 170 Rn. 77. Zu der tatsächlichen Zustimmungspraxis sogleich, S. 99 ff. 300  Vgl. RegE zum AFRG, BR‑Drs. 550/96, S. 188. 301  Peters-Lange, in: Gagel-SGBIII, § 170 Rn. 77. Ein effektiver Zustimmungsvorbehalt dient (auch) der Verhinderung der Subvention von reinen Insolvenzabwicklungen, vgl. Smid, NZA 2000, 113, 117. Zur Bedeutung des Vorbehalts im marktwirtschaftlichen Zusammenhang vgl. S. 147 ff. 302 Allerdings reduziert sich der Umfang der Inanspruchnahme, wenn – ggf. wegen der verweigerten Zustimmung – das Insolvenzverfahren früh(er) eröffnet wird. 303  Himmelsbach/Thonfeld, NZI 2001, 11, 14, die hieraus schließen, dass eine echte Wahl der BA nicht besteht und der Zweck des Zustimmungserfordernisses – Schutz vor Missbrauch und Sicherung von Arbeitsplätzen – nur bedingt erfüllt werden.

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zur Vorfinanzierung profitieren. Ihr intrinsisches Interesse ist es, (unter Einsatz der Umlageversicherung) Produktivität zumindest potentiell zu erhalten, anstatt (aus eigenen Mitteln) Arbeitslosigkeit zu finanzieren.304 Selbst wenn man diesen Gesichtspunkt der „letzten Chance zur Sanierung“ ausblendet und nur die Fälle betrachtet, in denen der Erhalt der Arbeitsplätze definitiv ausgeschlossen ist, lässt sich erkennen, dass (nur) eine zustimmende Entscheidung von Vorteil für die BA ist: Versagt sie die Zustimmung, so verkürzt sich u. U. der Insolvenzgeldzeitraum – sei es weil die Arbeitnehmer kündigen, um Arbeitslosengeld in Anspruch nehmen zu können, sei es weil das Eröffnungsverfahren ohne die Vorfinanzierung schneller zum Abschluss kommt. Dann aber fallen die Arbeitnehmer früher bzw. länger der Arbeitslosenversicherung zur Last. Das Budget der BA kann also durch die Ausschöpfung des vollen Insolvenzgeldzeitraumes auf der Grundlage der Vorfinanzierung geschont werden.305 Dass die beschriebene Interessenlage zu einer bewussten Fehlentscheidung im konkreten Fall führt, ist zwar nicht anzunehmen – sie könnte eine sanierungsund damit zustimmungsfreundliche Grundeinstellung der Arbeitsverwaltung allerdings durchaus erklären. dd)  Sachkompetenz und Entscheidungsgrundlage Ein letzter Kritikpunkt betrifft die Kompetenz der BA zur Erstellung der gesetzlich vorgesehenen Prognose über Sanierungs- und Arbeitsplatzerhaltungsaussichten. Die Entscheidung der Fragen, welches unternehmerische Potential das insolvenzbefangene Unternehmen hat, wie tragfähig ein Sanierungsplan konkret ist und ob und in welchem Umfang tatsächlich Arbeitsplätze (allein wegen der Insolvenzgeldvorfinanzierung) gesichert werden können, ist eine höchst komplexe Aufgabe.306 Sie setzt umfassende juristische wie auch betriebswirtschaftliche Kenntnisse voraus, also einen Sachverstand, den die BA – als Behörde zur Beobachtung und Entwicklung des Arbeitsmarktes – wohl nicht bereithalten kann.307 304  Vgl. auch die Einschätzung von Gagel in seinem Beitrag auf dem 54. DJT (Band II, S. M 198). Ähnlich auch der Beitrag von Kilger (54. DJT, Band II, S. M 185, 188). 305  So schon Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 30; Vgl. auch Heinze, KTS 1998, 513, 527; Mester, Probleme des Kaug, S. 223; Henckel, in: Jaeger-InsO, § 55 Rn. 87 und Hoehl, Arbeitgeber 2004, 12, 13. Dies gilt nur bei anschließender Dauerarbeitslosigkeit unter Inanspruchnahme der Höchstunterstützungszeit nicht. Ähnlich beschreibt auch Gagel den (früher parallelen) Rollenkonflikt der BA (Gagel, in: Gagel, Die BA in der Insolvenzpraxis, S. 2 f.). 306 Vgl. Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1497; Kühl, in: Brand-SGBIII, § 170 Rn. 16; Peters-Lange, in: Gagel-SGBIII, § 170 Rn. 75. 307 Vgl. Peters-Lange, in: Gagel-SGBIII, § 170 Rn. 75. Die fachliche und sachliche Kompetenz der BA bezweifeln neben Peters-Lange bspw. auch Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 71; Caspers, Personalabbau, S. 224 und Fink, Maßnahmen des Verwalters, S. 168. Mester meint, dass die Prognose der BA aus diesem Grund „wertlos“ sein könnte (Mester, Probleme des Kaug, S. 248).



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Aus diesem Grund greift die BA für ihre Entscheidung praktisch immer auf die Einschätzung eines Sachverständigengutachtens (insbesondere des vorläufigen Verwalters) zurück.308 Auch wenn gem. § 20 SGB X grds. eine Ermittlungspflicht der BA besteht, entscheidet sich die Insolvenzgeldvorfinanzierung faktisch im Gutachten des vorläufigen Verwalters, dem insoweit eine herausragende Bedeutung zukommt.309 Diese Tatsache ist nicht unproblematisch: Auch ohne konkreten Anlass liegt es nahe, dass der vorläufige Verwalter das Gutachten  – zumindest im Einzelfall – nicht durchweg völlig objektiv und frei von eigenen Interessen verfassen kann. Er selbst hat oftmals die Vorfinanzierung initiiert, muss ein aktives Unternehmen gem. § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO grds. weiterführen und hat deshalb besonderes Interesse, die Lohnkosten in dieser kritischen Phase schnell und ohne große Stockungen auf die Bank (und später auf die BA) abzuwälzen. Durch die in der Praxis übliche Bevollmächtigung setzt sich der vorläufige Verwalter selbst (und nicht der Finanzier) mit der BA auseinander.310 Das bedeutet, dass sich der vorläufige Verwalter unmittelbar nach seiner Einsetzung an das finanzierende Kreditinstitut und sodann (von diesem bevollmächtigt) an die BA wendet und dieser umgehend das entscheidende Votum vorlegt. Er ist somit der maßgebliche Gutachter i. R. d. Vorfinanzierung und gleichzeitig ihr Profiteur, der auf die Liquiditätsspritze zur Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren selbst angewiesen ist. Hieraus ergibt sich die Gefahr, dass die wesentliche Einschätzung des „profitierenden“ vorläufigen Verwalters eher für als gegen eine Insolvenzgeldvorfinanzierung votiert. Der beschriebene Interessenkonflikt besteht auch dann, wenn das Sachverständigengutachten nicht vom vorläufigen Verwalter, sondern (bei vorläufiger Eigenverwaltung) von einem Sachwalter oder einem (nicht verwaltenden) Gutachter erstellt wird. Dieser wird in aller Regel wegen seiner gewonnenen Einsichten in das Unternehmen später zum (endgültigen) Verwalter oder Sachwalter bestellt und profitiert in diesem Fall ebenfalls von der Liquiditätsspritze des Insolvenzgelds.311 Der Interessenkonflikt des vorläufigen Verwalters verstärkt sich noch, wenn nicht nur das konkret vorliegende, sondern auch zukünftige Verfahren in die Betrachtung einbezogen werden: Um (auch in Zukunft) als Insolvenzverwalter bestellt zu werden, muss dieser die eigene Eignung unter Beweis stellen (§ 56 Abs. 1 S. 1 InsO). Diesem Zweck dienlich ist eine möglichst reibungslose Betriebsfortführung, bei der bspw. die Arbeitnehmer durchgehend 308  Vgl. DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 13 zu § 170 SGB III; Berscheid, DZWIR 2000, 133, 136; Voelzke, in: Hauck/Noftz-SGB, § 170 Rn. 54. 309 Vgl. Hase, WM 2000, 2231, 2232; Kuder/Unverdorben, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.404. 310 Vgl. Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 188. 311  Zu der gängigen Praxis der (späteren) Einsetzung des Gutachters vgl. Vallender, ZInsO 2010, 1457; Holzer, Entscheidungsträger im Insolvenzverfahren, Rn. 166.

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ihren Lohn erhalten und die zu einer hohen Befriedigungsquote und u. U. sogar zu einer erfolgreichen Sanierung führt.312 Die hierfür notwendige Voraussetzung – die Vorfinanzierung des Insolvenzgelds – schafft der (persönlich betroffene) vorläufige Verwalter mit seiner Einschätzung gegenüber der BA. Das eigene Interesse des vorläufigen Verwalters an der erfolgreichen Betriebsfortführung unter Nutzung der Insolvenzgeldvorfinanzierung lässt sich schließlich noch an einem letzten Faktor festmachen: Seine Vergütung richtet sich nach Art, Dauer und Umfang der eigenen Tätigkeit im Eröffnungsverfahren (§ 11 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 InsVV). Um eine angemessene, tätigkeitsbezogene Vergütung sicher zu stellen,313 wird die Regelvergütung vor allem durch einzelne Zu- und Abschläge reguliert.314 Eine schnelle Einstellung des Betriebs, bspw. wegen mangelnder Liquidität oder einer schlechten Zukunftsprognose, wirkt sich nicht positiv auf die Vergütung aus; demgegenüber kann eine (durch die Insolvenzgeldvorfinanzierung ermöglichte) Betriebsfortführung zu z. T. deutlichen Zulagen führen.315 Das sehr lange Eröffnungsverfahren könnte so u. U. vor allem auch den Vergütungsinteressen der vorläufigen Verwalter dienen – in solchen Fällen ist es harscher Kritik ausgesetzt.316 Von einer missbräuchlichen „Fehlbegutachtung“ ist in der Praxis zwar nicht auszugehen,317 trotzdem bleibt die Vermutung, dass das notwendige Gutachten sehr (und damit ggf. zu) schnell an die BA abgegeben und der hiermit verbundene Einschätzungsspielraum im Zweifelsfall eher (zu) wohlwollend ausgenutzt werden könnte.318 In der Praxis 312  Vgl. insbes. Grepl, Funktionen des Insg, S. 192 f., die deshalb das Verhältnis zwischen vorläufigem Verwalter und BA für problematisch hält. Zum (Sanierungs-)Erfolg als Kriterium i. R. d. § 56 InsO vgl. auch Haarmeyer, ZInsO 2007, 169, 172; ders., ZInsO 2005, 337; Rattunde, ZIP 2003, 2103, 2108. 313 Vgl. Lorenz, in: FK‑InsO, § 3 InsVV Rn. 4. 314  §§ 10, 3 InsVV, vgl. Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb vorläufige Insolvenzverwaltung, § 16 Rn. 10. Die Regelvergütung folgt aus § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 63, 64 InsO. 315  Zu Zuschlägen bei Betriebsfortführung vgl. bspw. BGH, Beschl. v. 22. 2. 2007 – IX ZB 106/06, NZI 2007, 341; BGH, Beschl. v. 4. 11. 2004 – IX ZB 52/04, NZI 2005, 106; LG München, Beschl. v. 19. 6. 2013 – 14 T 12868/13, NZI 2013, 696; vgl. auch Haarmeyer/Mock, InsVV, § 3 Rn. 19 ff. Bislang wurde auch die Insg-Vorfinanzierung für sich genommen als Grund für eine Zulage anerkannt, vgl. bspw. BGH, Beschl. v. 22. 2. 2007 – IX ZB 120/06, NZA‑RR 2007, 372. Wegen der heutigen Standardisierung und Professionalisierung der Vorfinanzierung ablehnend zu der Zuschlagsfähigkeit Haarmeyer/Mock, InsVV, § 3 Rn. 44 ff. Mit vielen w. N. zu Rspr. in verschiedensten Fällen Lorenz, in: FK‑InsO, § 3 InsVV Rn. 85. 316  Die überlange Dauer des Eröffnungsverfahrens dient nach Einschätzung von Haarmeyer/Mock sogar „in einer Vielzahl von Fällen“ primär der Verwaltervergütung; es habe sich zu einer „additiven Melkkuh“ entwickelt (Haarmeyer/Mock, InsVV, § 11 Rn. 8, 16). Ähnlich zur vorläufigen Eigenverwaltung Hammes, NZI 2017, 233, 239. 317  Hiergegen spricht schon die Haftungsgefahr des § 839a BGB (oder § 60 InsO analog, so Wilhelm, DZWIR 2007, 361), aber auch die Möglichkeit der Zustimmungsrücknahme nach § 45 Abs. 2 S. 1, 3 SGB X, vgl. auch die DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 14 zu § 170 SGB III. 318  Eine „Tendenz zu sanierungsfreundlichen Gutachten“ vermutet auch Grepl, Funktionen des Insg, S. 193; eindringlich mahnend Muschiol, ZInsO 2016, 248, 252.



A.  Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung

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ist zu beobachten, dass der Antrag auf die Zustimmung (inkl. Einschätzung des vorläufigen Verwalters) oftmals nur wenige Tage (oder nur Stunden) nach der Einleitung des Eröffnungsverfahrens bei der BA eingereicht wird.319 d) Zustimmungspraxis Alle oben aufgeführten Probleme leiten zu der Frage, welchen Stellenwert und welche Ausformung die Entscheidung der BA über die Vorfinanzierung tatsächlich hat. Die Insolvenzpraxis hatte bei Einführung des Zustimmungsvorbehalts zunächst erhebliche Bedenken und fürchtete um ihre wichtigste Liquiditätsquelle für Eröffnungsverfahren: Teilweise wurde befürchtet, dass die Insolvenzgeldvorfinanzierung nur noch bei öffentlichkeitswirksamen Großverfahren bewilligt und genutzt werden könnte,320 teilweise, dass eine kurzfristige Zustimmung der BA nur gegenüber vorläufigen Verwaltern abgegeben würde, welche die Entscheidungsprozesse kennen und ein entsprechendes Vertrauen genießen.321 Vielfach wurde um das „bewährte Instrument“ der Insolvenzgeldvorfinanzierung im Ganzen gefürchtet und die Zustimmungsbedürftigkeit mit Blick auf Sanierungsmöglichkeiten deutlich kritisiert.322 Die mit Spannung erwartete Entscheidungspraxis der BA bestätigte die beschriebenen Befürchtungen nicht. In der Absicht, die potentielle Möglichkeit auf Arbeitsplatzerhaltung möglichst häufig offen zu halten, widersprach die Arbeitsverwaltung der Vorfinanzierung – wie schon kurz vor der Einführung des Zustimmungsvorbehalts323 – nur sehr selten.324 Unter dem Einfluss der ersten Dienstanweisung der BA zum „neuen“ Insolvenzgeld325 wurden im Interesse arbeitsplatzerhaltender Insolvenzverwaltungen großzügig Zustimmungen erteilt, eine Praxis, die in Teilen als contra legem angesehen wurde.326 Nachdem die Vorgehensweise der BA durch das Prüfungsamt des Bundes kontrolliert und kritisiert worden war, musste die betroffene Dienstanweisung neugefasst werden: Es wurde festgestellt, dass in der „weitaus überwiegenden 319  Muschiol, ZInsO 2016, 248, 521; Woltersdorf, INDat Report 01_2017, 12, 13; Lixfeld, Liquidität in Insolvenzverfahren, S. 250; Werres, ZInsO 2005, 1233, 1234 Fn. 23. 320 Vgl. Kind, InVo 1998, 57, 62, der mit einer Zweiklassengesellschaft zwischen Großund Kleinunternehmen bzgl. der Frage des Ob und Wann der Zustimmung der BA rechnete. 321 Vgl. Fink, Maßnahmen des Verwalters, S. 167. 322 Vgl. Wiester, ZInsO 1998, 99, 101; Peters-Lange, ZIP 1999, 421, 422 f., 425 f.; Uhlenbruck, NZI 1998, 1, 4; ders., DZWIR 2000, 15, 18; Seagon/Wiester, ZInsO 1999, 627, 629; Caspers, Personalabbau, S. 224; Buchalik, NZI 2000, 294, 298; Smid/Thiemann, in: SmidInsO, § 22 Rn. 52; Fink, Maßnahmen des Verwalters, S. 167. 323 Vgl. Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 72 f. 324 Eine Zustimmungsquote von 89,3 % für das Jahr 2002 konstatieren bspw. Braun/ Wierzioch, ZIP 2003, 2001, 2007. 325  Abgedruckt in ZIP 1999, 205. 326 Vgl. Kießner, in: Braun-InsO, 6. Aufl., Einführung Rn. 28.

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

Zahl […] eine inhaltliche Kontrolle [der Anträge auf Zustimmung] durch die AA […] nicht möglich“ war.327 Pauschale Behauptungen, dass Arbeitsplätze voraussichtlich erhalten bleiben würden, seien für die Zustimmung nicht ausreichend.328 Stattdessen sollten der BA nun konkretere Tatsachen und Indizien vorgelegt werden, die eine fundierte Entscheidung ermöglichen sollten.329 Auch wenn diese Intervention des Prüfungsamtes als Reaktion auf eine zu großzügige Zustimmungspraxis aufzufassen ist,330 ein restriktiverer Umgang der BA mit § 170 Abs. 4 SGB III ist jedenfalls statistisch nicht zu erkennen. Zwar wird angemerkt, dass die Genehmigung heute zögerlicher erteilt würde als in früheren Jahren,331 trotzdem ist die Zustimmungsquote keineswegs rückläufig: In den Jahren unmittelbar vor der Beanstandung durch das Prüfungsamt des Bundes wurden die beantragte Zustimmung zur Insolvenzgeldvorfinanzierung in etwa 97,5 % der Fälle erteilt, in den letzten Jahren lag diese Quote bei bis zu 99,9 %.332 Jahr

Zahl der Anträge

Erteilte Zustimmungen

Zustimmungsquote

2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

4955 3053 2951 2382 2045 2355 3326 2199 2172 2457 2841 2586 2548 2327

4837 2937 2883 2350 2028 2328 3290 2175 2162 2445 2582 2582 2543 2319

97,6 % 96,2 % 97,7 % 98,7 % 99,1 % 98,8 % 98,9 % 98,9 % 99,5 % 99,5 % 99,9 % 99,8 % 99,8 % 99,7 %

Quelle: Statistiken der BA zu Leistungen nach dem SGB III (s. Fn. 332).

327 S. Prüfungsmitteilung

des Prüfungsamt des Bundes, ZInsO 2006, 1137 (Einfügung durch den Verfasser). Vgl. hierzu auch Peters-Lange, in: Gagel-SGBIII, § 170 Rn. 78. 328  Prüfungsmitteilung des Prüfungsamt des Bundes, ZInsO 2006, 1137. Vgl. auch Hess, in: Hess-InsO, § 170 SGB III Rn. 60 f. 329  Vgl. ebd. Der entsprechende Beispielkatalog findet sich auch heute in der DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 7 zu § 170 SGB III. 330 So Peters-Lange, in: Gagel-SGBIII, § 170 Rn. 78. 331 Vgl. Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 50. 332  Vgl. die Statistiken der BA zu Leistungen nach dem SGB III, abrufbar unter http:// statistik.arbeitsagentur.de/Navigation/Statistik/Statistik-nach-Themen/LohnersatzleistungenSGBIII/Insolvenzgeld/Insolvenzgeld-Nav.html (zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018).



A.  Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung

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Obwohl über ein Drittel des gesamten Insolvenzgeldvolumens in den letzten Jahren vorfinanziert wurde und die BA für all diese Fälle die notwendige Zustimmung erteilt haben muss, war die Ablehnungsquote verschwindend gering.333 Die Tatsache, dass ein Antrag auf Vorfinanzierung in beinahe jedem Fall positiv beschieden wird, lässt nicht unmittelbar darauf schließen, dass die Prüfungsintensität gering wäre und die Genehmigungen durch die BA leichtfertig erteilt würden: Eine hohe Zustimmungsquote könnte sich auch aus der Tatsache ergeben, dass die gestiegenen Anforderungen an die Anträge von den Antragstellern in immer stärkerer Weise berücksichtigt werden, dass also die vom Sachverständigengutachten vorgebrachten Tatsachen und (Sanierungs-) Einschätzungen detaillierter, konkreter und belastbarer sind als noch 2006. Allerdings kann eine Insolvenzgeldvorfinanzierung, wie bereits beschrieben, nur sinnvoll zur Betriebsfortführung, etwaigen Sanierung und zum Arbeitsplatzerhalt eingesetzt werden, wenn sie schnell – also innerhalb weniger Stunden oder Tage – zwischen allen Parteien vereinbart und durchgeführt wird. Setzt das Gericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter ein, so muss dieser sofort nach der ersten Einsicht in das Unternehmen entscheiden, ob er Insolvenzgeld in Anspruch nimmt. Die Absprache mit der finanzierenden Bank und auch der Antrag bei der BA auf Zustimmung zur Vorfinanzierung erfolgt, wegen der besonderen Eilbedürftigkeit, meist noch am selben Tag.334 Eine intensive Auseinandersetzung mit der Unternehmenssituation und eine fundierte Prüfung der Entwicklungs- und Erhaltungschancen ist in einer solchen Zeitspanne regelmäßig kaum zu erwarten.335 Dass also vor der Beantragung der Zustimmung ein erstes Sanierungskonzept erarbeitet wird, konkrete Übernahmeinteressenten akquiriert werden oder die Prognose des Verwalters nach § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 InsO bereits vorliegt, wie sie die Dienstanweisung beispielhaft fordert,336 ist eher praxisfern. Oftmals kann der Antrag deshalb nicht viel mehr enthalten als die Erklärung, dass das Unternehmen mit dem Ziel der (Teil-)Sanierung unter Erhalt eines Teils der Arbeitsplätze fortgeführt werden soll und allgemeine Andeutungen möglicher Rationalisierungs- oder Sanierungsmaßnahmen.337 Dieses Vorgehen scheint von der Arbeitsverwaltung – auch ausweislich der hohen Zustimmungsquote – akzeptiert zu werden.338 333  Zur Vorfinanzierungsquote (mit konkreten Daten) vgl. S. 110 f. Vgl. auch Hoehl, jurisPR‑SozR 19/2009 Anm. 2, Abschnitt C. Diese Einschätzung wird auch von der Praxis geteilt, vgl. Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 50 Fn. 311. 334 Vgl. Lixfeld, Liquidität in Insolvenzverfahren, S. 250. 335 Ebd. 336  Vgl. DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 7 zu § 170 SGB III. 337 Vgl. Thiemann, Vorläufige Masseverwaltung, S. 227; ebenso Lixfeld, Liquidität in Insolvenzverfahren, S. 250. 338 Vgl. Lixfeld, Liquidität in Insolvenzverfahren, S. 250. Ähnlich auch Grepl, Funktionen des Insg, S. 189; Thiemann, Vorläufige Masseverwaltung, S. 227; Smid/Thiemann, in: Smid-

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

Verlangt man also von der BA eine sachkundige, durchdachte Entscheidung, bspw. auf der Grundlage eines (ebenfalls fundierten) Sachverständigengutachtens, wären bei der Insolvenzgeldvorfinanzierung hohe Hürden zu nehmen. Solchen Anforderungen wird die gängige Vorfinanzierungs- und Zustimmungspraxis wohl nicht gerecht; es ist nicht davon auszugehen, dass innerhalb weniger Stunden nach Einsetzung eines vorläufigen Verwalters eine „der Kritik standhaltende Prognoseentscheidung“339 gefällt werden kann. Einer solchen Kritik ist die Entscheidung der BA allerdings im konkreten Fall nicht ausgesetzt, da alle unmittelbar Betroffenen (Schuldner, Gläubiger, [vorläufiger] Verwalter, Arbeitnehmer) von einer möglichst großzügigen Zustimmungspolitik der BA profitieren. Erst bei einer allgemeinen Betrachtung der Zustimmungspraxis, die nicht das einzelne Verfahren im Blick hat, wird klar, welche Bedeutung der effektiven Umsetzung von § 170 Abs. 4 SGB III zukommt. 5.  Praktische Auswirkungen der Insolvenzgeldvorfinanzierung Das (oft vorfinanzierte) Insolvenzgeld hat als multifunktionales Instrument  – zur Sicherung einzelner Lohnansprüche, zum strukturellen Erhalt von Arbeitsplätzen und zur Anschubfinanzierung einer Betriebsfortführung  – praktische Auswirkungen auf verschiedenen Ebenen, die es im Detail zu betrachten gilt. a)  Schutz der Arbeitnehmerinteressen Das Insolvenzgeld steht zunächst im Dienst des Arbeitnehmerschutzes und dies gleich in doppelter Weise: Es dient zum einen der Absicherung von Lohnrückständen als typischer Begleiterscheinung einer Arbeitgeberinsolvenz und soll zum anderen, gerade bei einer Insolvenzgeldvorfinanzierung, Arbeitslosigkeit vermeiden, indem Unternehmen und Arbeitsplätzen erhalten bleiben. Wie die Anspruchssicherung wirkt und dass die Arbeitnehmer durch das Insolvenzgeld nicht vollumfänglich gegen insolvenzbedingten Lohnausfall geschützt werden können oder sollen, wurde bereits dargestellt.340 Gesonderter Betrachtung bedarf allerdings der Lohnausfall, der sich konkret aus und wegen der Praxis der Insolvenzgeldvorfinanzierung ergeben kann. Mit Blick auf das zweite Ziel, dem Arbeitsplatzerhalt, soll zudem geklärt werden, ob und in welchem Umfang mit dem beschriebenen Mitteleinsatz der angestrebte Effekt tatsächlich herbeigeführt werden kann.

InsO, § 22 Rn. 54. Im Zweifel werden von der BA wohl „die Augen zugedrückt“, s. Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 50 Fn. 311. 339  Fink, Maßnahmen des Verwalters, S. 166 (Hervorhebung durch den Verfasser). 340  Vgl. zur Wirkweise S. 50 ff. und zu „Schutzlücken“ S. 52 ff.



A.  Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung

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aa)  Lohnausfall wegen Insolvenzgeldvorfinanzierung Die Möglichkeit und der Anreiz der Insolvenzgeldvorfinanzierung und ihr besonderer Nutzen für die Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren können (im Einzelfall) dazu führen, dass diese zulasten der betroffenen Arbeitnehmer geht und zusätzliche, vermeidbare Lohnausfälle entstehen. Ausgangspunkt dieser Problematik ist ein bereits vor Antragstellung aufgelaufener Lohnrückstand, der – je nach Länge des Eröffnungsverfahrens – u. U. nicht mehr durch das Insolvenzgeld gedeckt ist. Stehen bspw. bereits Lohnzahlungen für zwei Monate aus, bevor in durchschnittlichen Eröffnungsverfahren zwei weitere Monate durch (vorfinanziertes) Insolvenzgeld überbrückt werden, so erhält der Arbeitnehmer auf seine älteste Forderungen nur die Insolvenzquote.341 Legt man die Tatsache zugrunde, dass ein durchschnittliches Eröffnungsverfahren bei Unternehmensinsolvenzen 76 bzw. bei juristischen Personen 102 Tage dauert und dass bei einer unternehmerischen Krise regelmäßig schon Lohnrückstände im Vorfeld des Insolvenzantrags entstehen,342 so ist davon auszugehen, dass ein solches Szenario in der Praxis zwar nicht regelmäßig, aber doch gelegentlich vorkommen wird. Auch eine von der Prognos AG im Auftrag des BMAS durchgeführte Studie kam 2010 zu dem Ergebnis, dass in 13 % aller Verfahren mit kollektiver Insolvenzgeldvorfinanzierung solche ungesicherten Lohnrückstände bestanden.343 In vielen solcher Fälle wird die (längere) Dauer des Eröffnungsverfahrens und damit das Entstehen ungesicherter Lohnforderungen außerhalb des Insolvenzgeldzeitraums auf der zwingenden Prüfung des Insolvenzantrags beruhen. Wenn der bei Antragstellung „verbleibende“ Insolvenzgeldzeitraum nicht für die gerichtliche Prüfung ausreicht, ist die Einbuße der Arbeitnehmer die typische Konsequenz der (zeitlichen) Begrenzung der Ausfallsicherung. Grds. ist zu vermuten, dass sich der vorläufige Verwalter in diesem Fall um eine möglichst schnelle Insolvenzeröffnung bemüht, um die ungesicherten Lohneinbußen so gering wie möglich zu halten.344 Gleichwohl ist es möglich – und für die Praxis wohl auch nicht auszuschließen –, dass das Eröffnungsverfahren zur Vorfinanzierung auf drei Monate ausgedehnt wird und hierbei der Lohnausfall für frühere Monate bewusst in Kauf genommen bzw. provoziert wird.345 Im Extremfall könnten so ältere Lohnforderungen vorsätzlich zulasten 341 

Vgl. auch Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 18. die Einschätzungen von Verwaltern (Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 18, Fn. 93) und der Rechtsprechung (BAG, Urt. v. 29. 1. 2014 – IX ZR 192/13, NZI 2014, 372, 374 Rz. 30 f.). So auch Hunold, NZI 2015, 785, 787; Undritz, NZI 2007, 65, 69 (Fn. 36). 343  Schüssler/Klose, Wirkung der Vorfinanzierung, S. 82. 344 Auch Schüssler/Klose erwarten diese Motivation, Schüssler/Klose, Wirkung der Vorfinanzierung, S. 83. 345 Vgl. Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 18 (Fn. 94); Borchardt, in: Borchardt/ Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rn. 607; Berscheid, in: FS Rheinland-Pfalz, 342  Vgl.

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

der Arbeitnehmer aus dem Insolvenzgeldzeitraum gedrängt werden, um auf diese Weise die Insolvenzgeldmittel vollständig für das Eröffnungsverfahren nutzen zu können. Bei einem solchen Vorgehen verkehrt sich die Schutzfunktion des Insolvenzgelds in ihr Gegenteil: Die für die Betriebsfortführung positiven Anreize der Vorfinanzierung führen dazu, dass die Insolvenzmasse durch einen (aufgezwungenen) „Lohnverzicht“346 auf Kosten der Arbeitnehmer vergrößert wird, wobei diese (als Insolvenzgläubiger) praktisch nicht von dieser Massemehrung profitieren.347 bb)  Sicherung von Arbeitsplätzen durch Insolvenzgeldvorfinanzierung Für die Praxis einer möglichst ausgedehnten Insolvenzgeldvorfinanzierung spricht aus Arbeitnehmersicht vor allem, dass auf diesem Weg bestenfalls nicht nur ihr Lohn, sondern auch ihr Arbeitsplatz gesichert werden kann. Trotz einer typischerweise eintretenden Illiquidität kann das betroffene Unternehmen fortgeführt werden, wird die Möglichkeit einer (Teil-)Sanierung geschaffen und werden so die Chancen auf den Erhalt von Arbeitsplätzen zumindest offengehalten. Für einen hiervon profitierenden Arbeitnehmer wird dieser Effekt oftmals von höherer Bedeutung sein als die reine Lohnsicherung von maximal drei Monaten. Stark gemacht wird eine solche Legitimierung der Vorfinanzierung durch § 170 Abs. 4 SGB III: Nach dem Gesetzeswortlaut steht diese immer und ausschließlich im Dienste der Arbeitsplatzerhaltung. Eine umfassende Analyse von Insolvenzgeld und Vorfinanzierung soll nun die arbeitsmarktbezogene Effektivität dieser Maßnahme beleuchten, die Fragen also, wie viele Arbeitsplätze hierdurch letztlich erhalten werden können. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll eine positive Prognoseentscheidung der BA über den Erhalt von Arbeitsplätzen in erheblichem Umfang Voraussetzung für die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld sein.348 Diese auf den ersten Blick sehr streng wirkende Vorgabe wird jedoch, wie gesehen,349 von der Verwaltungspraxis relativiert: Ein erhebliches Ausmaß wird von der BA (schon) angenommen, wenn 10 % der Arbeitsplätze erhalten werden, wobei im Einzelfall auch eine geringere Quote ausreichen soll.350 Schon die Quote von 10–20 %, die in früheren Anweisungen der Arbeitsverwaltung der entscheidende MaßS. 453, 468; ders., ZInsO 1998, 259, 262. Ähnlich deuten auch Schüssler/Klose ihre Daten (Schüssler/Klose, Wirkung der Vorfinanzierung, S. 83). 346  Borchardt, in: Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rn. 607. 347  Dies gilt zumindest für den (Regel-)Fall, in dem der Arbeitsplatz nicht erhalten werden kann. 348  RegE zum AFRG, BR‑Drs. 550/96, S. 188 f. Vgl. hierzu auch S. 85 ff. 349  Vgl. hierzu bereits S. 90 ff. 350  DA der BA, Stand Juni 2015, Ziffer 3.2 Abs. 8 f. zu § 170 SGB III.



A.  Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung

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stab war, wurde teilweise als „unterste Grenze“351 angesehen. Die Schwelle der Erheblichkeit stellt in ihrer aktuellen Auslegung noch geringere Anforderungen an den zu erwartenden Erhalt von Arbeitsplätzen. Obwohl das Insolvenzgeld bald nach seiner Einführung als Finanzierungsinstrument genutzt wurde und auch früh in den Dienst der Arbeitsplatzerhaltung gestellt wurde,352 gab es zu den hier angesprochenen Fragen lange Zeit keine statistischen Untersuchungen.353 Mit der erwähnten, im Auftrag des BMAS durchgeführten Studie,354 die kaum Widerhall in der Insolvenzrechtsliteratur gefunden hat, liegen seit 2010 nunmehr erste Daten zu den Auswirkungen der Insolvenzgeldvorfinanzierung vor. In 48 % der dort untersuchten Verfahren konnte trotz einer Vorfinanzierung kein Arbeitsplatz erhalten werden, in weiteren 17 % bestanden Arbeitsplätze in „nicht erheblichem“ Umfang (unter der Schwelle des § 112a Abs. 1 S. 1 BetrVG) fort. Lediglich in einem guten Drittel der Verfahren mit Insolvenzgeldvorfinanzierung wurden demnach die Erwartungen des § 170 Abs. 4 SGB III letztendlich erfüllt.355 Dieser auf den ersten Blick ernüchternde Befund lässt sich – blickt man nicht auf die Anzahl der Verfahren, sondern der erhaltenen Arbeitsplätze – deutlich relativieren: Insgesamt konnten bei Verfahren mit einer Vorfinanzierung des Insolvenzgelds 71 % der Arbeitsplätze erhalten werden.356 Diese bemerkenswerte Größenordnung spricht zunächst eindeutig für die Wirksamkeit der Vorfinanzierung. Anzumerken bleibt allerdings, dass hierbei kein statistischer Beleg für die Kausalität zwischen Vorfinanzierung und Arbeitsplatzsicherung gefunden wurde – betrachtet wurde die Entwicklung „mit“, nicht aber „wegen“ Insolvenzgeldvorfinanzierung. Die Aussagen der befragten Insolvenzverwalter sprechen allerdings eindeutig für einen solchen Zusammenhang.357 Die Studie nahm zusätzlich eine längerfristige Perspektive ein und untersuchte die Tage der Erwerbstätigkeit der Arbeitnehmer in einem Zeitraum von 30 Monaten (6 Monate vor und 24 Monate nach dem Insolvenzereignis). Hierzu wurde zwischen drei Arbeitnehmergruppen unterschieden: 351  Ries/Zobel, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 183; Horn, WzS 2014, 249, 252; Berscheid, DZWIR 2000, 133, 136. Auch Voelzke hält diese Praxis für „ausgesprochen großzügig“ (Voelzke, in: Hauck/Noftz-SGB, § 170 Rn. 53). Die BA nahm in einer früheren DA auf alle Quoten des § 112a Abs. 1 S. 1 BetrVG Bezug. 352  Früh und grundlegend zur Vorfinanzierung Uhlenbruck, KTS 1980, 81; zum Zweck des Arbeitsplatzerhalts durch Sanierung (schon vor Einführung des heutigen § 170 Abs. 4 SGB III) vgl. bspw. die Dienstanweisung der BA, ZIP 1981, A 73; Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT‑Drs. 11/1161, S. 13. 353  Dies wurde z. T. als „sicheres Indiz dafür [gewertet], dass der bisherige Mitteleinsatz ineffizient“ war, Hoehl, Arbeitgeber 2004, 12, 13 (Einfügung durch den Verfasser). 354  Schüssler/Klose, Wirkung der Vorfinanzierung, (http://hdl.handle.net/10419/55830, zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018). 355  Schüssler/Klose, Wirkung der Vorfinanzierung, S. 5 f., 75 f. 356 Ebd. 357  Ebd., S. 84.

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

Arbeitnehmergruppe

Tage der Erwerbstätigkeit (innerhalb von 30 Monaten)

Vergleichsgruppe ohne Arbeitgeberinsolvenz mit Arbeitgeberinsolvenz, mit Insolvenzgeldvorfinanzierung mit Arbeitgeberinsolvenz, ohne Insolvenzgeldvorfinanzierung

613 512 476

Quelle: Schüssler/Klose, Wirkung der Vorfinanzierung, S. 7 f., 46 ff.

Die Tatsache, dass über den eigenen Arbeitgeber das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, führte hiernach im betrachteten Zeitraum von 2,5 Jahren dazu, dass die betroffenen Arbeitnehmer 101 bzw. 137 Tage weniger in einer Erwerbstätigkeit waren, als vergleichbare Personen (ohne Arbeitgeberinsolvenz). Deutlich geringere Auswirkungen scheint die Frage der Insolvenzgeldvorfinanzierung zu haben: Mit diesem Instrument konnte die Zeit der Erwerbstätigkeit (lediglich) um 36 Tage gesteigert werden.358 Allerdings wird hier deutlich, dass die Studie nicht exakt auf die Vorgaben des SGB abgestimmt werden konnte; untersucht wurden die betroffenen Arbeitnehmer, während § 170 Abs. 4 S. 2 SGB III auf die (personenunabhängigen) Arbeitsplätze abstellt.359 Trotz dieser geringfügigen Einschränkung ermöglicht die Studie grundlegende Schlüsse. Die bislang einzig verfügbaren Daten zur Wirkung der Insolvenzgeldvorfinanzierung auf den Arbeitsplatzerhalt zeichnen zusammengefasst ein uneinheitliches Bild: Im Fall einer Arbeitgeberinsolvenz sorgt dieses Fortführungsinstrument dafür, dass – gerade bei großen Unternehmen – Arbeitsplätze in erheblichem Umfang erhalten werden können.360 Gleichzeitig kann bei knapp der Hälfte der Verfahren mit Vorfinanzierung kein einziger Arbeitsplatz erhalten werden. Auch der langfristige Effekt ist eher zurückhaltend zu bewerten. In einer Zeitspanne von 30 Monaten kann durch die Vorfinanzierung des Insolvenzgelds die Dauer der Erwerbslosigkeit um lediglich 36 Tage reduziert werden; der Zeitraum der Erwerbstätigkeit wird somit um etwa 7,5 % gesteigert. Aus diesen Gründen hält der BDA die Insolvenzgeldvorfinanzierung (mit Blick auf die Arbeitsplatzerhaltung) für ein „sehr teures und weitgehend erfolgloses Instrument“361. Die Einschätzung, dass die derzeitige Insolvenzpraxis gerade durch die Insolvenzgeldvorfinanzierung die vorläufige Betriebsfortführung und somit auch 358 

Schüssler/Klose, Wirkung der Vorfinanzierung, S. 7 f., 46 ff. Hierauf weisen Schüssler/Klose explizit hin, Wirkung der Vorfinanzierung, S. 17. 360  Schüssler/Klose, Wirkung der Vorfinanzierung, S. 71 f. 361 Stellungnahme des BDA im Oktober 2010, S.  3, https://145.253.160.66/extranet/ mesextranet.nsf/id/BE800AB3F00DAF08C12577C800248001/$file/50_7Verb_Anf2_BDA_ Stllgnahme_25102010.pdf, zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018). 359 



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den Erhalt von Arbeitsplätzen bewerkstelligen kann, sieht sich grds. statistisch bestätigt. Ob durch den Mitteleinsatz allerdings ein substanzieller langfristiger Effekt erreicht werden kann, darf mit guten Gründen bezweifelt werden. Gleichzeitig rückt auch die Entscheidungspolitik der BA in den Fokus: Neben der extrem hohen Zustimmungsquote von über 99 % sprechen auch die hier dargelegten Daten dafür, dass die BA – trotz der Kritik des Bundesprüfungsamts362 – keine allzu hohen Anforderungen an die für eine Vorfinanzierung notwendigen Nachweise stellt; im Zweifel werden wohl „die Augen zugedrückt“363. Will man die Insolvenzgeldvorfinanzierung über das Element des Arbeitsplatzerhalts begründen und rechtfertigen, so lässt sich zudem, wenn auch zurückhaltend, ein weiterer Einwand erheben: Die beschriebenen Mechanismen setzen zwingend das Eintreten eines Insolvenzereignisses voraus, wirken also erst zu einem sehr späten Zeitpunkt innerhalb der unternehmerischen Krise. Die Aussichten auf eine erfolgreiche Unternehmenssanierung – samt Erhalt von Arbeitsplätzen in größerer Zahl – sind hier oftmals schon sehr gering.364 Die Möglichkeit der Vorfinanzierung von Insolvenzgeld wahrt somit eher die „letzte Chance“ auf den Erhalt von Unternehmen(steilen), als dass sie allgemein und umfassend den Arbeitsmarkt stützt. b)  Bedeutung der Vorfinanzierung für die Betriebsfortführung Die herausragende Bedeutung der Insolvenzgeldvorfinanzierung für die Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungsverfahren und damit auch für die Dauer desselben wurde schon mehrfach erwähnt und in Teilen erläutert, soll nun aber im Zusammenhang und detailliert untersucht werden. Ob ein Betrieb aufrechterhalten und damit die Möglichkeit einer Unternehmenssanierung im späteren, eröffneten Verfahren überhaupt offengehalten werden kann, hängt insbesondere von der Frage der Fortführungsfinanzierung ab. Das insolvente Unternehmen soll, so es noch am Markt aktiv ist, weitergeführt werden (§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO), obwohl sich im gestellten Insolvenzantrag in aller Regel die weitgehende bis totale Illiquidität offenbart.365 Die kurzfristige Beschaffung von Finanzmitteln, um bspw. Waren, Rohstoffe, Gemeinkosten 362 

Vgl. Prüfungsmitteilung des Prüfungsamt des Bundes, ZInsO 2006, 1137. Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 50 Fn. 311; i. E. ähnlich Thiemann, Vorläufige Masseverwaltung, S. 227; Smid/Thiemann, in: Smid-InsO, § 22 Rn. 54; Lixfeld, Liquidität in Insolvenzverfahren, S. 250; Grepl, Funktionen des Insg, S. 189. 364  Trotz positiver Prognose der BA und Insg-Vorfinanzierung wurden bspw. in der genannten Studie über ein Drittel der Unternehmen stillgelegt; bei nur 4,4 % kam es zu einer rechtsträgererhaltenden Reorganisation (Schüssler/Klose, Wirkung der Vorfinanzierung, S. 77 f.). Bezogen auf alle Unternehmensinsolvenzen liegt die Liquidationsquote noch deutlich höher (Icks/Kranzusch, Sanierungen in Insolvenzverfahren, S. 63, Abb. 12). 365  Zwar könnte sich der Antrag auch allein auf die drohende (also nicht akute) Zahlungsunfähigkeit oder die reine Überschuldung stützen, in mehr als 95 % aller Verfahren liegt allerdings (auch) Zahlungsunfähigkeit vor, vgl. bspw. für 2014 Statistisches Bundesamt, Fachserie 363 

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

(Strom, Wasser, Telefon etc.) und vor allem Arbeitskraft bezahlen zu können, ist deshalb das entscheidende Kernproblem im Eröffnungsverfahren.366 Gerade die Befriedigung der Lohnansprüche in der Zeit des Eröffnungsverfahrens hat oftmals verfahrensentscheidende Bedeutung:367 Nur wenn die Arbeitnehmer trotz des Insolvenzantrags zumindest zeitweise an den Betrieb gebunden und zur (Weiter-)Arbeit motiviert werden, können Produkte gefertigt oder Dienstleistungen erbracht und so der Betrieb am Laufen gehalten werden. Den z. T. immensen Kostenfaktor „Lohn“ kann der vorläufige Verwalter zu einer Zeit, in der die Erschließung neuer Finanzierungsquellen schwierig ist,368 zeitweilig auf die BA und damit „in die Zukunft“ (nach Verfahrenseröffnung) verlagern.369 Die Insolvenzgeldvorfinanzierung gewährt dem insolventen Unternehmen zunächst einen zeitlichen Aufschub: Die Arbeitnehmer müssen nicht aus vorhandenen Mitteln vom Schuldner befriedigt werden; die vorfinanzierende Bank übernimmt wirtschaftlich die Zahlungen, macht aber selbst die zedierten Lohnforderungen nicht geltend, sondern stundet diese. Erst zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt – im Laufe des eröffneten Verfahrens – wird die BA die auf sie übergegangenen Ansprüche gegenüber dem Schuldnerunternehmen bzw. der Masse geltend machen (§ 169 S. 1 SGB III). Auf diese Weise kann dem vorläufigen Verwalter sehr schnell ein Stundungskredit gewährt werden.370 Die knappe Liquidität wird im entscheidenden Moment geschont,371 sie muss nicht eingesetzt werden, um die Arbeitslöhne zu begleichen.372 Neben diesem Stundungsvorteil schafft die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld über § 55 Abs. 3 InsO zudem einen echten „Subventionseffekt“373: 2, Reihe 4.1, Tabelle 10. Zur genaueren Differenzierung zwischen Zahlungsunfähigkeit und Illiquidität vgl. Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 11 f. 366  Die Fortführungsfinanzierung ist nach Undritz die „Achillesferse eines jeden Sanierungsversuchs“ (Undritz, in: Kübler-HRI, § 2 Rn. 30); zustimmend Uhlenbruck, in: Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 1 Rn. 44 ff. Vgl. auch Braun, in: FS Drukarczyk, S. 93, 96 („Auf den Punkt gebracht ist Fortführung Finanzierung“). 367  So explizit Uhlenbruck, in: Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 1 Rn. 46; Mues, in: FK‑InsO, Anh. zu § 113, Rn. 62 ff. 368  Insbes. mit der Möglichkeit, Masseverbindlichkeiten begründen zu können, stehen dem starken oder einzelbevollmächtigten vorläufigen Verwalter zwar durchaus andere Wege zur Verfügung, die Betriebsfortführung sicherzustellen (vgl. Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 18 ff.), die Sorge vor einer etwaigen Haftung (§§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 61 InsO) führt aber zu einer gewissen Zurückhaltung (vgl. auch S. 167 ff.). 369  Kilger, KTS 1989, 495, 503; Steinwedel, DB 1998, 822, 823. Zur Bedeutung dieses Rechnungspostens Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 18 (Fn. 89). 370  Attraktiv wird das Geschäft für die Bank vor allem wegen des geringen Ausfallrisikos der Lohn- bzw. Insg-Ansprüche (gegen die BA). Vgl. hierzu im Detail S. 71 ff. 371 Vgl. Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 18. 372  BGH, Urt. v. 13. 10. 2009 – VI ZR 288/08, NZI 2010, 74, 75. 373  Hefermehl, in: MüKo-InsO, § 55 Rn. 235; ebenso LSG HE, Urt. v. 22. 4. 2013 – L 9 U 174/09, BeckRS 2013, 70524; Pape/Schaltke, in: K/P/B‑InsO, § 55 Rn. 234; Hoffmann,



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Beschäftigt der starke bzw. hierzu ermächtigte schwache vorläufige Verwalter die Arbeitnehmer im Eröffnungsverfahren zur Betriebsfortführung (und damit zugunsten der Masse) weiter, so müsste diese Arbeitsleistung im Insolvenzverfahren grds. bevorzugt als Masseverbindlichkeit entlohnt werden (§ 55 Abs. 2 S. 2 InsO). Diese Regelung versetzt den vorläufigen Verwalter zwar in die Lage, die Arbeitnehmer mit der Aussicht auf sichere(re) Masseforderungen zur Arbeit trotz mutmaßlicher Insolvenz zu motivieren.374 Gleichzeitig würde so die (spätere) Masse mit diesen privilegierten Forderungen erheblich belastet; ein vorläufiger Verwalter würde eine Betriebsfortführung auf diesem Wege – nicht zuletzt aus Angst vor der eigenen Haftung – wohl deutlich seltener durchführen.375 Nutzt der vorläufige Verwalter allerdings mittelbar das Insolvenzgeld aus, so werden die im Eröffnungsverfahren begründeten Lohnforderungen in den Händen der BA von Masse- zu Insolvenzforderungen herabgestuft (§ 55 Abs. 3 S. 1 InsO).376 Der (späteren) Masse fließt auf diese Weise eine Arbeitsleistung (und die damit verbundene Wertschöpfung) zu, ohne dass sie (voll) mit den entsprechenden Forderungen belastet würde.377 Das fortgeführte Unternehmen wird nicht – wie es der grds. Systematik der InsO entspräche – mit der vollen Gegenleistungspflicht, sondern nur mit einer (Insolvenz-)Forderung belastet. Im Ergebnis führt § 55 Abs. 3 S. 1 InsO dazu, dass die letztliche Inhaberin der Lohnforderung, die BA, auf die volle Befriedigung gezwungenermaßen „verzichtet“ und allein auf die meist geringe Insolvenzquote verwiesen ist. Belastet wird hierdurch allerdings nicht der Haushalt der BA; der „Zwangsverzicht“ geht vielmehr allein auf Kosten der umlagepflichtigen Arbeitgeber. Diese Subvention führt zum einen zu einer nicht unwesentlichen Masseanreicherung und zum anderen dazu, dass die vorläufigen Verwalter (mangels Haftungsgefahr) sehr viel schneller zur Betriebsfortführung bereit sind.378 Neben diesen beiden für die Unternehmensfortführung positiven Haupteffekten – Stundung- und Anreicherungseffekt – verspricht die InsolvenzgeldvorPrioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, S. 256, 342; sehr deutlich Förster, ZInsO 2003, 917, 920. 374  Vgl. m. w. N. Grepl, Funktionen des Insg, S. 156. Zum Zusammenhang von problematischer Betriebsfortführung und Massebegründungskompetenz des vorläufigen Verwalters vgl. Hefermehl, in: MüKo-InsO, § 55 Rn. 225 ff. 375  Die Aussicht auf eine mögliche Haftung wegen nichterfüllter Masseverbindlichkeiten (§§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 61 InsO) war wohl (Mit-)Auslöser des Sturms der Kritik an einer solchen Regelung (vor Einführung des § 55 Abs. 3 InsO), vgl. Pape, in: K/P/B‑InsO, § 22 Rn. 24; Wiester, ZInsO 1998, 99, 102; Haarmeyer, ZInsO 1998, 157; Kind, InVo 1998, 57, 62 f.; Oberhofer, DZWIR 1999, 317, 318; Berkowsky, NZI 2000, 253. 376  Auch der hier nicht genannte „schwache“ vorläufige Verwalter profitiert von der Insolvenzgläubigerstellung der BA. Wären die Arbeitnehmer dauerhaft Inhaber allein der (Insolvenz-)Forderungen, so wären diese nicht zur Weiterbeschäftigung zu motivieren. 377  So auch Wieser, BB 1997, 949, 952; Förster, ZInsO 2003, 917, 920. 378  Henkel sieht in der Haftungsentlastung des Verwalters den primären Zweck des § 55 Abs. 3 InsO (Henkel, in: Jaeger-InsO, § 55 Rn. 85).

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finanzierung schließlich noch steuerrechtliche Vorteile: Als Lohnersatzleistung ist das Insolvenzgeld gem. § 3 Nr. 2 lit. b) EStG steuerfrei,379 das schuldnerische Unternehmen muss also im Eröffnungsverfahren keine Lohnsteuer für den Arbeitnehmer abführen und erhält so weitere Finanzierungsspielräume.380 Auf den positiven Erfahrungen der vorläufigen Verwaltung gründet wohl auch die – immer wiederkehrende und dieses Vorgehen legitimierende – Erinnerung, dass erst durch die Einführung des Konkursausfallgelds und die von der Praxis entwickelte Vorfinanzierung die Betriebsfortführung als echte Alternative neben die Zerschlagung des Schuldnerunternehmens getreten sei.381 So wird verständlich, dass der Ruf nach einer Ausweitung der Insolvenzgeldsicherung nicht verstummt.382 Die herausragende praktische Bedeutung der Vorfinanzierung lässt sich mit Blick auf das Verhältnis von vorfinanziertem Insolvenzgeld zu den Gesamtausgaben auch statistisch belegen:383 Jahr

Ausgaben für Insg

Vorfinanziertes Insg

Anteil der Vorfinanzierung

2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

  740.112.000 €   682.654.000 €   981.855.000 €   912.367.000 €   694.414.000 €   653.841.000 €   595.207.000 €

  363.441.824 €   254.765.601 €   370.592.546 €   244.229.840 €   210.309.098 €   183.659.752 €   167.982.644 €

49,11 % 37,32 % 37,74 % 26,77 % 30,29 % 28,09 % 28,22 %

Gesamt 5.260.450.000 €

1.794.981.305 €

34,12 %

Quelle: Haushaltsstatistik sowie Insg-Statistik der BA (s. Fn. 383). 379  Das Insg unterliegt (nur) dem Progressionsvorbehalt des § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a) EStG; dies gilt ebenfalls für vorfinanziertes Insg, vgl. BFH, Urt. v. 1. 3. 2012  – VI R 4/11, BFHE 237, 59. 380 Vgl. Kind, InVo 1998, 57, 62; Ahrendt, in: HambKomm-InsO, Anh. § 113 Rn. 34. Eine ähnliche Entlastung ergibt sich auch hinsichtlich der Sozialversicherungsbeiträge, s. Göttsch, in: Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rn. 1183; Schmidt, ZIP 2017, 1357. 381 So Grub, ZIP 1993, 393, 397; Berscheid, in: FS Rheinland-Pfalz, S. 453, 456; ders., BuW 1998, 913, 917; Steinwedel, DB 1998, 822, 823; Wiester, BB 1997, 949, 950. 382 Jüngst Kremer/Fahlbusch, ZInsO 2015, 837, 840; Euler Hermes/ZIS, Wirtschaft Konkret Nr. 107, S. 8, 25 (http://www.zis.uni-mannheim.de/studien/dokumente/studie_2009_ wirtschaft_konkret/studie_2009_wirtschaft_konkret.pdf, zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018). Die gleiche Feststellung trifft Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 51. 383 Vgl. die Haushaltsstatistik der BA (https://statistik.arbeitsagentur.de/Navigation/ Statistik/Statistik-nach-Themen/Einnahmen-Ausgaben/Einnahmen-Ausgaben-der-BA‑Nav. html) sowie die Insg-Statistik der BA (https://statistik.arbeitsagentur.de/Navigation/Statistik/ Statistik-nach-Themen/Lohnersatzleistungen-SGBIII/Insolvenzgeld/Insolvenzgeld-Nav.html, jeweils abgerufen am 1. 1. 2018). Vgl. auch die Auflistung und Berechnung für die Jahre 2007–2010 bei Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 51 sowie sehr detailliert Schüssler/ Klose, Wirkung der Vorfinanzierung, S. 14.



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Für den betrachteten Zeitraum lässt sich feststellen, dass im Durchschnitt etwa ein Drittel aller insolvenzgeldfähigen Lohnforderungen vorfinanziert wurde. Die Zahlen machen deutlich, in welchem Maße und Umfang die „Ausfallversicherung“ des Insolvenzgelds nicht (nur) den Arbeitnehmern, sondern zumindest auch den Arbeitgebern zugutekommt: Sollte das Insolvenzgeld ursprünglich primär den Lohnausfall von Arbeitnehmern absichern, so wird es heute zu einem großen Teil in Situationen gezahlt, in denen die Arbeitnehmer ihre Leistung ohne jedes Ausfallrisiko erbringen.384 In 34 % der Fälle kommt das Insolvenzgeld also vor allem dem Schuldnerunternehmen bzw. der späteren Masse zugute. Dass auf die Insolvenzgeldvorfinanzierung dort, wo es irgend möglich erscheint, auch zurückgegriffen wird, wird noch anschaulicher, wenn man in die Betrachtung einbezieht, wann bzw. wie oft eine Vorfinanzierung überhaupt möglich und sinnvoll ist – nämlich regelmäßig nur dann, wenn im Eröffnungsverfahren noch ein Geschäftsbetrieb vorhanden ist. Legt man die Ergebnisse einer empirischen Studie des IfM zu „Sanierungen in Insolvenzverfahren“ zugrunde, dann ist davon auszugehen, dass in einer Vielzahl von Verfahren – in der Studie bei knapp 40 % – der Geschäftsbetrieb schon vor der Stellung des Insolvenzantrags eingestellt wird.385 In solchen Fällen ist eine Fortführung des Betriebs unter Beschäftigung der Arbeitnehmer praktisch fast immer ausgeschlossen.386 Eine Vorfinanzierung des Insolvenzgelds würde hier spätestens an der Zustimmungsvoraussetzung des § 170 Abs. 4 SGB III scheitern, wird allerdings schon vom Arbeitgeber bzw. dem vorläufigen Verwalter nicht beabsichtigt; es besteht kein Interesse daran, die Arbeitnehmer zu beschäftigen und deren Leistung zu finanzieren. Eine Insolvenzgeldvorfinanzierung ist also allein bei den verbleibenden, noch aktiven Unternehmen – nach den Zahlen des IfM bei ca. 60 % – möglich und erstrebenswert. Verbunden mit der zuvor genannten Vorfinanzierungsquote bedeutet dies, dass bei im Eröffnungsverfahren aktiven Unternehmen mehr als jeder zweite „Lohnmonat“ vorfinanziert wird. Dass in all diesen Fällen anzunehmen ist, dass „durch die Vorfinanzierung der Arbeitsentgelte ein erheblicher Teil der Arbeitsstellen erhalten bleibt“ – wie es § 170 Abs. 4 S. 2 SGB III fordert – ist zu bezweifeln: Letztlich wird die große Mehrheit auch der fortgeführten Unternehmen liquidiert; in der Studie des IfM 86 % aller und 77 % der fortgeführten Betriebe.387 384  Diese

Feststellung veranlasst Hoehl zu einer deutlichen Kritik insbes. der Finanzierungspflicht der umlagepflichtigen Arbeitgeber (Hoehl, jurisPR‑SozR 19/2009 Anm. 2). 385  Icks/Kranzusch, Sanierungen in Insolvenzverfahren, S. 53 ff. 386  Zwar besteht theoretisch die Möglichkeit, den Betrieb wieder aufzunehmen, praktische Relevanz hat diese allerdings kaum, vgl. Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 31; Mönning, in: Nerlich/Römermann-InsO, § 22 Rn. 62. 387  Icks/Kranzusch, Sanierungen in Insolvenzverfahren, S. 63, Abb. 12. Selbst bei einer positiven Prognose der BA und Insg-Vorfinanzierung wird ein Großteil der Unternehmen stillgelegt (Schüssler/Klose, Wirkung der Vorfinanzierung, S. 77 f.).

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

Eine Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungsverfahren kann zwar auch ohne die Subvention des Insolvenzgelds ökonomisch sinnvoll sein, trotzdem verzichtet in der Praxis verständlicherweise kaum ein Verwalter auf die mehrfache Entlastung und Förderung der Fortführung durch „unbürokratisch gezahlte[s] Insolvenzgeld“388, sondern nutzt vielmehr „staatlich[e] Mittel […] zu Sanierungszwecken“389, wo dies möglich ist: In einer Studie des ZIS Mannheim gaben 98 % der befragten Verwalter an, dass das Insolvenzgeld die größte Hilfe für Unternehmenssanierungen sei.390 c)  Einfluss des Insolvenzgeldzeitraums auf die Dauer des Eröffnungsverfahrens Nimmt man den besonderen Nutzen der Insolvenzgeldvorfinanzierung und ihre Popularität bei (vorläufigen) Insolvenzverwaltern in den Fokus, wird deutlich, dass und warum bei aktiven Schuldnerunternehmen während des Eröffnungsverfahrens der „gesamte Insolvenzgeldzeitraum von drei Monaten masseoptimal ausgeschöpft“391 wird. Zwar ist die Zeitspanne, für die Insolvenzgeld gezahlt wird, gesetzlich festgelegt – insolvenzgeldfähig sind ausschließlich die dem Insolvenzereignis vorangegangenen drei Monate (§ 165 Abs. 1 S. 1 a. E. SGB III) – und entzieht sich insoweit auch der Disposition der Beteiligten,392 die Lage dieses Zeitraums lässt sich allerdings durchaus beeinflussen. aa)  Verzögerung bei Betriebsfortführung Deckungsgleich werden Insolvenzgeldzeitraum und Eröffnungsverfahren durch die „Anpassung“ des Eröffnungszeitpunktes, also des maßgeblichen Insolvenzereignisses. Zwingend notwendig für die Eröffnungsentscheidung ist neben einem zulässigen Insolvenzantrag die gerichtliche Überzeugung, dass die Verfahrenskosten gedeckt sind (§ 26 Abs. 1 InsO) und ein Insolvenzgrund vorliegt (§ 16 InsO).393 Der Pflicht zur Amtsermittlung dieser sachlichen Voraussetzungen (§ 5 Abs. 1 InsO) kann das Insolvenzgericht – insbesondere bei unternehmerisch aktiven Schuldnern – regelmäßig nur nachkommen, indem es auf die Einschätzung eines Sachverständigen zurückgreift.394 Die Ernennung des vorläufigen 388 

Vallender, in: FS Greiner, S. 327, 334. Cranshaw, ZInsO 2013, 1493. 390  Euler Hermes/ZIS, Wirtschaft Konkret Nr. 418, S. 7, 11, 13; vgl. auch die Einschätzung der Praxis bei Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 18 (Fn. 89). 391  Hunold, NZI 2015, 785, 788. 392  Sartorius, in: MAH‑SozialR, § 15 Rn. 39. 393  Vgl. eingehend hierzu schon S. 15 ff. 394  Vuia, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 13 Rn. 7; Schmahl/Vuia, in: MüKo-InsO, § 16 Rn. 45. 389 



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Verwalters (auch) zum Gutachter ist deshalb in den hier relevanten Fällen der absolute Regelfall.395 Wann dem Gericht die gutachterliche Grundlage zur Entscheidung und damit zur Beendigung des Insolvenzgeldzeitraums vorgelegt wird, liegt hierbei also in der Hand desjenigen, der auf die Vorfinanzierung angewiesen ist. Zwar kann die Ermittlung der Insolvenzgründe je nach Fall durchaus schwierig sein und entsprechende Zeit benötigen, trotzdem wird oft unabhängig von der Komplexität des Sachverhalts „die Prüfung immer am Ende des Insolvenzgeldzeitraums beendet“.396 Die Dauer der Prüfung ergibt sich also „nicht immer aus faktischer Notwendigkeit“, sondern oft aus „strategische[m] Kalkül“.397 Legt der vorläufige Verwalter sein Gutachten erst mit dem Ablauf des dreimonatigen Insolvenzgeldzeitraums vor, so ist eine frühere Entscheidung des Gerichts mangels entsprechender Grundlage nicht möglich.398 Grds. kann das Insolvenzgericht allerdings erwarten, dass ein vorläufiger Verwalter bei Vorliegen der Eröffnungsvoraussetzungen dem Gericht dies umgehend mitteilt.399 Für die (gängige) Praxis, in der allein der vorläufige Gutachter den Zeitpunkt der Eröffnung durch die entsprechend terminierte Einreichung des Gutachtens kontrolliert, lässt die Kompetenzverteilung der InsO wohl keinen Raum.400 Vielfach wird deshalb der Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung in Absprache zwischen Insolvenzgericht und vorläufigem Verwalter festgelegt.401 Das Gutachten wird eingereicht und mit der Anregung verbunden, die angezeigte Eröffnung erst nach Ablauf der drei vom Insolvenzgeld gedeckten Monate vorzunehmen. Diesem Anliegen folgend wird das Insolvenzgericht seine Entscheidung oftmals trotz des Vorliegens aller Eröffnungsvoraussetzungen aufschieben und somit das Eröffnungsverfahren bewusst ausdehnen. Möglich ist ein solches Vorgehen, wenn man annimmt, dass mit der Entscheidungsreife keine Pflicht zur unmittelbaren Eröffnung eintritt, sondern ein entsprechendes gerichtliches Ermessen besteht. Diese umstrittene Frage – auf die noch ausführlich einzugehen sein wird402 – stellt sich grds. allgemein für 395 

Mönning, in: Nerlich/Römermann-InsO, § 16 Rn. 14. Siemon, ZInsO 2014, 625, 630. 397  Paulus, DStR 2003, 1709. Vgl. auch Decker/Schäfer, BB 2015, 198, 199; Kremer/ Fahlbusch, ZInsO 2015, 837; Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1239; Schilling, DZWiR 2006, 143, 148; Spliedt, EWiR 2001, 1099; Heinze, KTS 1998, 513, 526; Giesen, in: Jaeger-InsO, vor § 113 Rn. 332; Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 258, Rn. 95. 398 Vgl. Vallender, Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 268 sowie unten S. 273 f. 399 AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2004 – 67g IN 97/04, ZInsO 2004, 630, 631 (sowie Ls. 2); Frind/Rüther/Schmidt/Wendler, NZI 2004, 133, 134; Holzer, Entscheidungsträger im Insolvenzverfahren, Rn. 450. 400  So explizit auch AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2004 – 67g IN 97/04, ZInsO 2004, 630, 631. Zum Verhältnis von Gericht und vorläufigem Verwalter Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 22 Rn. 213 ff. Vgl. auch Holzer, Entscheidungsträger im Insolvenzverfahren, Rn. 553 ff. 401 Vgl. Keller, in: Schmidt-InsO, § 27, Rn. 54; Hunold, NZI 2015, 785, 788; Frind, in: Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rn. 461. 402  Zur Zulässigkeit der bewussten Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens vgl. S. 173 ff. 396 

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jedes Eröffnungsverfahren, also zunächst unabhängig vom Insolvenzgeld; auch andere Vorteile eines (langen) Eröffnungsverfahrens können Motiv für die verzögerte Entscheidung sein.403 Allerdings ist die Ausschöpfung des Insolvenzgeldzeitraums für diese Praxis von besonderer, doppelter Relevanz: Zum einen ist oftmals die Subventionswirkung des Insolvenzgelds selbst der vorrangig angestrebte Nutzen. Ein längeres Eröffnungsverfahren kommt dem Unternehmen bzw. der späteren Masse unmittelbar zugute, häufig wird allein schon aus diesem Grund die Eröffnung verzögert.404 Zum anderen wird die Verfolgung anderer Ziele unter Aufschub der Eröffnung jedenfalls bei aktiven Unternehmen regelmäßig erst durch das Insolvenzgeld ermöglicht. Ohne diese Absicherung wäre eine Betriebsfortführung vor Eröffnung nur möglich, wenn (auch) die Arbeitnehmer aus vorhandener Liquidität oder durch die Begründung von Masseverbindlichkeiten vergütet werden könnten. Bei laufenden Betrieben ließe sich das Eröffnungsverfahren ohne die Insolvenzgeldsicherung wohl in den seltensten Fällen ausdehnen, es bliebe vielmehr nur die „Flucht in die Verfahrenseröffnung“405. Das (vorfinanzierte) Insolvenzgeld ist hierbei somit zwingend notwendiges Mittel zum Zweck, das die Diskussion um Eröffnungspflicht und -ermessen erst praktisch relevant macht.406 bb)  Verzögerung bei Betriebsstilllegung Die durch die Insolvenzgeldvorfinanzierung gestützte Betriebsfortführung ist wohl der wichtigste Grund, aus dem das Eröffnungsverfahren planmäßig in die Länge gezogen wird. Gerade für den Fall, dass auf diese Weise Sanierungschancen erhalten werden können, werden die Insolvenzgerichte einem solchen Vorgehen gegenüber aufgeschlossen sein. Im Einzelfall kann der Anreiz des Insolvenzgelds aber auch bei einer Betriebsstilllegung zu einer Verzögerung der Eröffnungsentscheidung führen: Hintergrund ist die Praxis der „Optimierung von Vertragskündigungen“.407 Arbeitnehmer, die absehbar nicht im Betrieb gehalten werden sollen, werden hierbei bereits im Eröffnungsverfahren entlassen, sodass die Kündigungsfristen (zumindest teilweise) bereits vor der Eröffnung ablaufen. Je länger das Eröffnungsverfahren dauert, desto weiter „verschiebt“ sich die Kündigungsfrist vom 403 

Vgl. hierzu noch S. 159 ff. Potsdam, Beschl. v. 6. 4. 2004 – 35 IN 360/04, DZWIR 2004, 439 f.; Schmerbach, in: FK‑InsO, § 27 Rn. 14; Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, § 27 Rn. 11. 405  Borchardt, in: Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rn. 607; ähnlich Uhlenbruck, in: Mönning, Betriebsfortführung, § 1 Rn. 46. 406  Vgl. auch AG Hamburg, Beschl. v. 16. 12. 2002 – 67g IN 419/02, NZI 2003, 153, 155. Der Dreimonatszeitraum des § 165 Abs. 1 S. 1 SGB III setzt also die „zeitlichen Grenzen für das ‚Hinausschieben‘“ der Eröffnung, Decker/Schäfer, BB 2015, 198, 199. 407  Vgl. hierzu eingehend noch S. 166 f. 404  Vgl. AG



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Insolvenz- in das Eröffnungsverfahren, sodass für diese Zeit nur Insolvenz- statt Masseforderungen entstehen.408 Die Eröffnungsverzögerung entlastet somit die (spätere) Masse, macht auch eine übertragende Sanierung wahrscheinlicher, führt aber faktisch zur Abwertung der Arbeitnehmerforderungen. Auf die Verlängerung des Eröffnungsverfahrens und die damit intendierte Abwertung der Lohnansprüche lassen sich die Insolvenzgerichte allerdings wohl nur ein, weil die Arbeitnehmer durch das Insolvenzgeld abgesichert sind. Wären sie alleine auf die Insolvenzforderungen verwiesen, käme es wohl zur unmittelbaren Eröffnung bei Entscheidungsreife. Letztlich sorgt in diesen Fällen die Insolvenzgeldsicherung dafür, dass die Masse zugunsten der Gläubiger deutlich entlastet wird, ohne dass den „gesicherten“ Arbeitnehmern hieraus ein Vorteil entstünde oder eine Sanierung des Unternehmens gefördert würde. Die Insolvenzgeldmittel mindern in derartigen Konstellationen im Zeitraum des verlängerten Eröffnungsverfahrens allein die Insolvenzverluste der zu befriedigenden Gläubiger. Die zentrale und verbreitete Rechtfertigung der Eröffnungsverzögerung mit dem Argument der Stärkung des Sanierungsgedankens (durch Betriebsfortführung) greift in solchen Fällen reiner Unternehmensabwicklung nicht.409

III.  Verfassungsmäßigkeit der Normierung von Insolvenzgeld und dessen Vorfinanzierung Nachdem sowohl das BSG als auch das BVerfG mehrfach die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen zum Insolvenzgeld (bzw. zum Konkursausfallgeld) bestätigt haben,410 sind nach ganz verbreiteter Auffassung die verfassungsrechtlichen Bedenken in diesem Bereich ausgeräumt.411 Trotzdem gibt und gab es immer, gerade wegen der Zusammenschau von alleiniger Arbeitgeberfinan408  §§ 108 Abs. 3, 55 Abs. 2, Abs. 3 InsO. Grundlegend Kilger, KTS 1975, 159; ders., KTS 1989, 495, 503. Vgl. auch Henckel, in: FS 100 Jahre KO, S. 169, 177; Grub, ZIP 1993, 393, 394; Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 137 ff. Ziel ist also die Umwandlung von (hypothetischen) Masse- in einfache Insolvenzforderungen. 409  Mit dieser Rechtfertigung bspw. AG Hamburg, Beschl. v. 27. 11. 2007 – 67c IN 443/07, ZIP 2008, 520; Zipperer, NZI 2012, 385, 389 f.; Frind, ZInsO 2012, 1357, 1359. Trotzdem wird auch dieses Vorgehen ausdrücklich verteidigt, s. Pannen, NZI 2000, 575, 577 f. 410 BVerfG, Beschl. v. 18. 9. 1978 – 1 BvR 638/78, SozR 4100 § 186b Nr. 2; BVerfG, Beschl. v. 5. 10. 1993 – 1 BvL 34/81, BVerfGE 89, 132 = NJW 1994, 1465; BVerfG, Beschl. v. 2. 2. 2009 – 1 BvR 2553/08, NZS 2009, 565; BSG, Urt. v. 1. 3. 1978 – 12 RK 14/77, SozR 4100 § 186b Nr. 1; BSG, 17. 9. 1987 – 10/8b RAr 11/80, juris; BSG, Urt. v. 21. 10. 1999 – B 11/10 AL 8/98 R, BSGE 85, 83 = NZS 2000, 409; BSG, Urt. v. 29. 5. 2008 – B 11a AL 61/06 R, BSGE 100, 286 = NZS 2009, 401. 411 So Cranshaw, jurisPR‑InsR 4/2009, Anm. 2; Frind, in: Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rn. 462; Klüter, WM 2010, 1438; Zwanziger, Arbeitsrecht in der InsO, § 108 Rn. 152; Hess, in: Hess-InsO, § 358 SGB III Rn. 6 ff. Zum früheren Recht ebenso Mester, Probleme des Kaug, S. 224 f.

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

zierung und Subventionseffekt des vorfinanzierten Insolvenzgelds, berechtigte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des derzeitigen Systems.412 Verfassungsrechtlich bedenklich ist insbesondere das problematische Zusammentreffen von Insolvenzgeldvorfinanzierung und Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens, also eine Konstellation mit der sich BVerfG und BSG bislang nicht auseinandersetzen mussten. Im Fokus stehen zwei Fragen, die zwar eng miteinander zusammenhängen, die es im Folgenden allerdings gedanklich zu trennen gilt: Ist zum einen die Förderung und Unterstützung notleidender Betriebe mit den Grundrechten der Konkurrenten zu vereinbaren (Subventionsproblematik) und dürfen zum anderen (allein) die Arbeitgeber zur Finanzierung einer entsprechenden Umlage herangezogen werden (Finanzierungsproblematik)? Diese Fragen berühren sowohl freiheits- wie auch gleichheitsrechtliche Aspekte, wobei die Problematik der Vereinbarkeit der alleinigen Finanzierungspflicht der Arbeitgeber mit Art. 3 Abs. 1 GG von besonderer Bedeutung und deshalb schwerpunktmäßig zu behandeln ist. 1.  Subventionseffekt im Wettbewerb Mit der Subventionsproblematik verbunden ist insbesondere die Kritik, dass durch das vorfinanzierte Insolvenzgeld dem insolventen Unternehmen ein wirtschaftlicher Vorteil am Markt gewährt wird, der seinen Konkurrenten nicht zur Verfügung steht.413 Im Kern geht es also um die Frage nach der Freiheit und der staatlichen Beschränkbarkeit des wirtschaftlichen Wettbewerbs. Das Grundgesetz ist grds. wirtschaftspolitisch neutral bzw. offen ausgerichtet, sodass der Gesetzgeber die Wirtschaftsordnung frei ausgestalten darf, solange er insbesondere die einschlägigen Grundrechte beachtet.414 Dass wirtschaftlich gefährdete Unternehmen in keinem Fall mit Hilfe einer (Quer-)Subventionierung saniert werden dürften, lässt sich der Verfassung nicht entnehmen.415 Die Wettbewerbsfreiheit wird jedoch reflexartig über die individuellen Freiheiten der einzelnen Wettbewerbsteilnehmer gesichert,416 insbesondere über Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG.417 Für die Untersuchung der 412 Insbes.

Hoehl, jurisPR‑SozR 19/2009, Anm. 2; ders., jurisPR‑SozR 9/2007, Anm. 3. von BSG, Urt. v. 21. 10. 1999 – B 11/10 AL 8/98 R, BSGE 85, 83; vollständig bei juris, dort Rz. 3. Vgl. auch Schneider, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK‑SGB III, § 358 Rn. 16. 414  BVerfG, Urt. v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532, 533/77; 419/78; BvL 21/78, BVerfGE 50, 290, 338 = NJW 1979, 699, 702 Rz. 141 m. w. N. Vgl. hierzu auch Scholz, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 12 Rn. 85 ff. 415  So explizit auch BSG, Urt. v. 21. 10. 1999 – B 11/10 AL 8/98 R, NZS 2000, 409, 410 f. 416 Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 12 Rn. 88. 417  Auch Art. 3 Abs. 1 GG hat hierbei erhebliche Relevanz, auch wenn die Freiheitsrechte die wissenschaftliche Auseinandersetzung prägen, vgl. Huber, Konkurrenzschutz, S. 377 f. Die genaue Grundlage ist umstritten und regelmäßig vom konkreten Einzelfall abhängig. Zur 413  Zitiert



A.  Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung

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Regelungen zum Insolvenzgeld rückt zunächst die Frage in den Fokus, ob überhaupt von staatlichen Subventionierungen gesprochen werden kann. Die Insolvenzgeldzahlungen sind zunächst keine direkten Subventionsleistungen an das Arbeitgeberunternehmen, sondern dienen primär der sozialrechtlichen Absicherung der Arbeitnehmer. Mittelbar wird hierdurch zwar auch die Liquidität des Arbeitgebers, der Arbeitsleistung ohne Lohnzahlungen erhält, unterstützt. Hierdurch erlangt dieser allerdings zunächst nur einen kurzzeitigen Nutzen im Wettbewerb und noch keinen dauerhaften Vermögensvorteil. Wie bereits dargelegt, ist jedoch zumindest mit der Rückstufungsanordnung des § 55 Abs. 3 S. 1 InsO eine echte dauerhafte Subventionierung verbunden: Die öffentliche Hand leistet durch die BA wirtschaftlich für den Arbeitgeber und vergibt so finanzielle Mittel, die sie nicht vollständig, sondern (wenn überhaupt) nur zu einem Bruchteil zurückerlangt. Dies gilt grds. unabhängig davon, ob das Insolvenzgeld vorfinanziert wird oder nicht; der subventionierende Effekt kann auch dann eintreten, wenn die Arbeitnehmer im Eröffnungsverfahren ohne jede Lohn- bzw. Lohnersatzleistung tätig bleiben und erst im Nachhinein Insolvenzgeld erhalten. Die Frage nach dem Subventionseffekt ist folglich kein reines Problem der Verfassungsmäßigkeit der Insolvenzgeldvorfinanzierung. Allerdings sorgt insbesondere die Vorfinanzierungsmöglichkeit dafür, dass die Arbeitnehmer überhaupt (nämlich gegen sofortige Geldzahlungen) weiterhin tätig bleiben. Ohne die Vorfinanzierung müsste der vorläufige Verwalter die Arbeitnehmer mit der Aussicht auf deutlich spätere Insolvenzgeldzahlungen motivieren und könnte – wenn dies scheitert – die Vorteile der fortgeführten Wertschöpfung unter „Abwertung“ der entsprechenden Belastung durch § 55 Abs. 3 S. 1 InsO oftmals nicht ausnutzen. Die Vorfinanzierbarkeit begründet den Subventionseffekt also nicht, sie verstärkt ihn aber praktisch vielfach. Verfassungsrechtliche Bedenken lassen sich allerdings in diesem Bereich ohnehin ausräumen: Eine subventionierende Leistung bedarf, selbst wenn sie (anders als hier) unmittelbar und offen geschieht, einer gewissen Erheblichkeit, um überhaupt als Eingriff in die Wettbewerbsfreiheit eingeordnet zu werden.418 Erst wenn beim Konkurrenten eine „einigermaßen erhebliche Beeinträchtigung“419 vorliegt bzw. die Wettbewerbsfreiheit in einem „unerträglichen Maße“420 eingeschränkt wird, liegt ein rechtfertigungsbedürftiger (aber grds. auch rechtfertigungsfähiger) Eingriff vor.

grundrechtlichen Verortung der Wettbewerbsfreiheit auch unter Hinweis auf die unterschiedlichen Ansätze der Rechtsprechung Di Fabio, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 2 Rn. 116. 418  Leistner/Facius, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Wettbewerbsrecht, § 14 Rn. 12. 419  Mannsen, in: v.Mangold/Klein/Stark-GG, Art. 12 Rn. 95; ähnlich Jarass, NVwZ 1984, 473, 477. 420  BVerwG, Urt. v. 30. 8. 1968 – VII C 122/66, BVerwGE 30, 191, 198 = NJW 1969, 522, 523.

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

Die Insolvenzgeldmittel sind für den begünstigten Arbeitgeber im Insolvenzeröffnungsverfahren fraglos von kritischer Bedeutung und bewahren diesen häufig, insbesondere bei der Vorfinanzierung, zumindest vorläufig vor der Einstellung des Betriebes. Der herausragende Stellenwert für den Arbeitgeber geht in einem solchen Fall allerdings wohl nicht mit einer entsprechend schweren Beeinträchtigung der Konkurrenten einher: Der relativ begrenzte wirtschaftliche Vorteil, den das Insolvenzgeld bietet, versetzt den angeschlagenen Marktteilnehmer nicht unbedingt in die Lage, bspw. das Preisniveau merklich zu verändern, Konkurrenten auszustechen oder gar vom Markt zu verdrängen. Der mittelbare Subventionseffekt des Insolvenzgelds hat folglich grds. keine ausreichende „Eingriffstiefe“421 und stellt sich deshalb nicht als erheblicher Eingriff in die Wettbewerbsfreiheit zulasten der direkten Konkurrenten des (quasi-)insolventen Unternehmens dar.422 In diesem Merkmal der Intensität unterscheidet sich die Vorgabe des Grundgesetzes von den Wertungen des europäischen Beihilferechts.423 Die „Subventionsproblematik“ ließe sich demnach zwar aus (markt-)wirtschaftlichen Gründen kritisch hinterfragen;424 verfassungsrechtliche Bedenken begründet diese hingegen nicht. 2.  Finanzierungspflicht der Arbeitgeber Mit der Pflicht (allein) der Arbeitgeber zur Finanzierung der Insolvenzgeldmittel haben sich die Gerichte deutlich häufiger und intensiver beschäftigen müssen als mit der Subventionsproblematik.425 Auch hierbei sind freiheitsrechtliche Aspekte zu berücksichtigen; der Grundrechtseingriff bzw. die -verletzung im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1, 12 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG wurde hier ebenfalls stets verneint: Das Eigentumsrecht ist bei einem Umlagesatz von nur 0,15 % des Arbeitsentgeltes nicht betroffen,426 die Regelungen zur Umlage haben weiterhin keine objektiv berufsregelnde Tendenz,427 schließlich besteht mit Art. 74 Nr. 12 GG auch die Bundeskompetenz zur Einrichtung einer solchen Umlagensiche421 

Huber, Konkurrenzschutz, S. 385. auch das BVerfG, allerdings i. R. d. Prüfung von Art. 3 Abs. 1 GG (Beschl. v. 2. 2. 2009 – 1 BvR 2553/08, NZS 2009, 565 Rz. 26 f.); i. E. ebenso Frind, in: Borchard/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rn. 462. 423  Vgl. eingehend hierzu S. 140 f. 424  Vgl. noch S. 149 ff. 425  Alle oben (S. 115 Fn. 410) genannten Entscheidungen betrafen im Kern die Finanzierungsverantwortung. 426 BVerfG, Beschl. v. 18. 9. 1978 – 1 BvR 638/78, SozR 4100 § 186b Nr. 2; BVerfG, Beschl. v. 2. 2. 2009 – 1 BvR 2553/08, NZS 2009, 565 f. Rz. 19; BSG, Urt. v. 21. 10. 1999 – B 11/10 AL 8/98 R, NZS 2000, 409, 410; BSG, Urt. v. 29. 5. 2008 – B 11a AL 61/06 R, NZS 2009, 401, 403 Rz. 20 (zum dreifachen Umlagesatz); Peters-Lange, in: Gagel-SGBIII, § 358 Rn. 3. 427  BSG, Urt. v. 21. 10. 1999 – B 11/10 AL 8/98 R, NZS 2000, 409, 410; BSG, Urt. v. 29. 5. 2008 – B 11a AL 61/06 R, NZS 2009, 401, 403 Rz. 21. 422 So



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rung und damit keine grds. Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG.428 Zudem errichten die genannten einschlägigen Grundrechte wegen ihrer Gesetzesvorbehalte keine übermäßig hohen Schranken für eine Rechtfertigung etwaiger Grundrechtseingriffe. Im Zentrum der folgenden Überlegungen steht deshalb vielmehr das Gebot des Art. 3 Abs. 1 GG, also die Frage nach der sachlichen Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung.429 Insbesondere hier ergeben sich erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber dem derzeitigen System. Der Schutzbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes ist betroffen, wenn durch eine Rechtsnorm wesentlich Gleiches ungleich oder wesentlich Ungleiches gleich behandelt wird.430 Zur Finanzierung des Insolvenzgelds (inkl. aller Kosten) werden gem. § 358 Abs. 1 SGB III nur die insolvenzfähigen Arbeitgeber, nicht aber alle Arbeitgeber oder auch die Arbeitnehmer oder etwa alle Staatsbürger herangezogen. Diese Ungleichhandlung eröffnet grds. den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG; eine Verletzung des Gleichheitssatzes liegt allerdings erst dann vor, wenn verschiedene Normadressaten ungleiche Behandlung erfahren, obwohl „keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können“431. Wird vom Gesetz – wie hier durch § 358 SGB III – eine personenbezogene Differenzierung vorgenommen, so darf diese nicht nur nicht willkürlich, sondern muss vielmehr auch verhältnismäßig im Gegenüber von Differenzierungsgrund und ‑folge sein.432 Als der Gesetzgeber das Konkursausfallgeld einführte, sollte die typische Risikoverteilung des Arbeitsverhältnisses durch ein Sozialsicherungssystem abgefangen werden: Der Arbeitnehmer geht typischerweise ungesichert in Vorleistung, jeder (insolvenzfähige) Arbeitgeber schafft durch die Inanspruchnahme dieser Leistung die abstrakte Gefahr des Lohnausfalls.433 Dieses, dem Arbeitsverhältnis immanente Risiko sollte allein von denjenigen abgesichert werden, die es – abstrakt – begründen.434 Auch als sich die Verwendung von 428  BVerfG, Beschl. v. 5. 10. 1993 – 1 BvL 34/81, NJW 1994, 1465, 1466; BVerfG, Beschl. v. 2. 2. 2009 – 1 BvR 2553/08, NZS 2009, 565, Ls 1; BSG, Urt. v. 1. 3. 1978 – 12 RK 14/77, SozR 4100 § 186b Nr. 1 Rz. 15; BSG, Urt. v. 21. 9. 2000 – B 11 AL 95/99 R, SozR 3–4100 § 186c Nr. 3 Rz. 20; Butzer, Sozialversicherung, S. 125. 429  Grds. zu diesem Verhältnis bei Sozialversicherungslasten Butzer, Sozialversicherung, S. 333 ff. 430  BVerfG, Urt. v. 23. 10. 1951 – 2 BvG 1/51, BVerfGE 1, 14 Ls. 18; BGH, Beschl. v. 30. 7. 1990 – NotZ 2/90, BGHZ 112, 163, 173 = NJW 1991, 2290, 2293. 431  BVerfG, Beschl. v. 7. 10. 1980 – 1 BvL 50, 89/79, 1 BvR 240/79, BVerfGE 55, 72, 88 Rz. 61 = NJW 1981, 271, 272. 432  St. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 18. 2. 1998 – 1 BvR 1318, 1484/86, BVerfGE 97, 271, 290 Rz. 76 = NJW 1998, 3109, 3111; detailliert hierzu insbes. bzgl. der Erhebung von Sozialabgaben Butzer, Sozialversicherung, S. 333 ff. 433  Vgl. hierzu schon zuvor, S. 54 f. 434  RegE zum Kaug, BT‑Drs. 7/1750, S. 11.

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

Insolvenzgeldmitteln (insbesondere durch die Vorfinanzierung) verschoben hatte, hielt der Gesetzgeber an dieser Begründung der Finanzierungsverantwortung der Arbeitgeber fest: Es gehe um die Garantie des von den Arbeitgebern geschuldeten Lohns; die Leistungspflicht der Arbeitgeber führe dazu, dass nur diese umlageverpflichtet seien.435 In eben dieser Risikoverursachung liegt der rechtfertigende Differenzierungsgrund im Hinblick auf die alleinige Belastung der Arbeitgeber und den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Auch das BVerfG und das BSG stellten wiederholt auf diese Rechtfertigung ab: Es sei eine gerechtfertigte Ungleichbehandlung, wenn der Gesetzgeber „speziell die Gruppe der Arbeitgeber zu einer besonderen (und zugleich eng begrenzten) Absicherung gegen dieses Risiko [des Lohnausfalls] heranzieht, denn der Arbeitnehmer ist auf Grund seiner Vorleistungspflicht gegenüber dem Arbeitgeber einem erheblichen Risiko ausgesetzt, das vertraglich geschuldete Entgelt für seine Arbeitsleistung nicht zu erhalten“436. Diese Argumentation und Rechtfertigung stößt allerdings an ihre Grenzen, sobald durch die Verwendung der Insolvenzgeldmittel kein vom Arbeitgeber verursachtes Risiko der Arbeitnehmer mehr abgedeckt wird. Insbesondere die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld im Eröffnungsverfahren könnte einen solchen Grenzfall darstellen. Wird durch bzw. mit dem vorläufigen Verwalter eine Vorfinanzierung realisiert, so leisten die Arbeitnehmer zugunsten der späteren Masse weiter, ohne selbst das Ausfallrisiko fürchten zu müssen. Da das Insolvenzgeld hier nicht dem Schutz der Arbeitnehmer, sondern der Betriebsfortführung, der Masseanreicherung oder auch allgemein arbeitspolitischen Zwecken dient, könnte man annehmen, dass das rechtfertigende und „tragende Element für die alleinige Arbeitgeberfinanzierung […] in rechtlich erheblicher Weise“437 gestört ist. Diese im Grundsatz angebrachten Bedenken tragen allerdings nicht ausnahmslos. Bei der Frage nach einem die Ungleichbehandlung rechtfertigenden Grund muss danach differenziert werden, ob sich im Insolvenzgeldzeitraum das arbeitgeberseitig verursachte, mit jeder unternehmerischen Tätigkeit typischerweise verbundene Risiko des Lohnausfalls und der Insolvenz dem Grunde nach verwirklicht hat oder nicht. 435  Vgl. RegE zu Hartz III, BT‑Drs. 15/1637, S. 14. Auch bei Einführung der InsO stellte man (implizit) fest, dass die Umlagepflicht allein aus dem Insolvenzrisiko und der damit verbundenen Gefahr des Ausfalls der vorleistungspflichtigen Arbeitnehmer erwachse, vgl. RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 113. Explizit auch in der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage, BT‑Drs. 15/1462, S. 7. 436  BVerfG, Beschl. v. 2. 2. 2009 – 1 BvR 2553/08, NZS 2009, 565, 566 Rz. 24 (Einfügung durch den Verfasser). Mit der gleichen Begründung BVerfG, Beschl. v. 18. 9. 1978 – 1 BvR 638/78, SozR 4100 § 186b Nr. 2; BSG, Urt. v. 21. 10. 1999 – B 11/10 AL 8/98 R, NZS 2000, 409, 410; BSG, Urt. v. 29. 5. 2008 – B 11a AL 61/06 R, NZS 2009, 401, 404 Rz. 24. 437 So Hoehl, jurisPR‑SozR 19/2009, Anm. 2.



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Unbedenklich sind deshalb die Fälle, in denen sich ein Eröffnungsverfahren wegen der Ermittlung der Eröffnungsvoraussetzungen über einen gewissen Zeitraum hinzieht. Hier kann (mangels Entscheidungsreife) das Insolvenzverfahren zunächst nicht eröffnet und der Insolvenzgeldzeitraum somit nicht beendet und verkürzt werden.438 In einer solchen Situation sind der Lohnausfall und das Entstehen von Insolvenzgeldansprüchen im Eröffnungsverfahren die typische Folge des mit der wirtschaftlichen Aktivität verbundenen Insolvenzrisikos, unabhängig von einer Vorfinanzierung. Wird das Insolvenzgeld hierbei vorfinanziert, so besteht „im Hintergrund“ das Risiko des Lohnausfalls weiter, da eine (den Insolvenzgeldzeitraum beendende) Entscheidung noch nicht möglich ist; das Risiko wird allerdings – der genuinen Funktion des Insolvenzgelds entsprechend – abgefangen. Dies geschieht jedoch nicht wie sonst im Nachhinein, sondern schon im Zeitraum des Lohnausfalls. Für diese Konstellation kann deshalb mit der Rechtsprechung festgehalten werden, dass der alleinigen Verantwortung der Arbeitgeber nicht deshalb der verfassungsrechtliche Boden entzogen ist, nur weil das Insolvenzgeld mittelbar und in begrenztem Umfang auch zur Mitfinanzierung insolventer Konkurrenten führen kann.439 Anders ist jedoch der Fall zu beurteilen, bei dem das Insolvenzverfahren eröffnet werden könnte, die Eröffnungsentscheidung allerdings – insbesondere zur weiteren Ausnutzung des Insolvenzgelds bei Vorfinanzierung der Löhne – bewusst hinausgezögert wird. Zu dieser speziellen Konstellation und Problematik musste (und konnte) das BVerfG bislang keine Entscheidung treffen. Bei diesem Vorgehen werden die Insolvenzgeldmittel in größerem Umfang „ausgeschöpft“, als es für die Absicherung der Arbeitnehmer notwendig wäre. Die Alternative zur Vorfinanzierung, bei der den Arbeitnehmern kein Ausfall droht, wäre in diesem Fall die sofortige bzw. zügige Eröffnung des Insolvenzverfahrens, also das Ende der Absicherung durch Insolvenzgeld (§ 165 Abs. 1 SGB III). Anders als im zuvor dargestellten Fall liegt der Nutzung der Insolvenzgeldmittel über die Vorfinanzierung hier – also in der Zeit zwischen Entscheidungsmöglichkeit und Eröffnung – nicht das typische unternehmerische Insolvenzrisiko zugrunde: Mit der hier möglichen Eröffnungsentscheidung könnte und müsste die privatautonome – und damit vom Arbeitgeber verantwortete – Haftungsregulierung enden und in eine allgemeine, normative Haftungsordnung übergehen.440 Vom Zeitpunkt der Entscheidungsreife an gründet der Lohnausfall der Arbeitnehmer und damit die Entstehung der Insolvenzgeldansprüche 438  Der durch Insg gesicherte Zeitraum endet mit dem Eintritt des Insolvenzereignisses i. S. d. § 165 Abs. 1 SGB III, regelmäßig also mit der gerichtlichen Entscheidung über den Insolvenzantrag. 439  BSG, Urt. v. 29. 5. 2008 – B 11a AL 61/06 R, NZS 2009, 401, 404 Rz. 24. Dem folgend BVerfG, Beschl. v. 2. 2. 2009 – 1 BvR 2553/08, NZS 2009, 565, 566 Rz. 26 f. A. A Hoehl, jurisPR‑SozR 19/2009, Anm. 2. 440 Vgl. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 1.11 ff., insbes. 1.13.

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

im Kern nicht mehr in der Privatautonomie des Arbeitgebers, sondern in der Haftungsverwirklichung der „vorwirkenden“ Insolvenzverwaltung. Die Verwendung des Insolvenzgelds zur Betriebsfortführung hat in dieser Zeit folglich keinen Bezug zur Risikoverteilung des Arbeitsvertrags und zu der oben dargestellten, verfassungsrechtlich ausschlaggebenden Arbeitgeberverantwortung. Dass durch die Verzögerung der Eröffnung und die Verlängerung des Insolvenzgeldzeitraums die Masse und damit die Gläubiger profitieren, Betriebe im Insolvenz(eröffnungs)verfahren fortgeführt werden können und u. U. auch Arbeitsplätze erhalten werden könnten, die ohne die vollständige Ausnutzung des Insolvenzgelds wegfallen würden, mag zutreffen. Allerdings findet sich kein rechtfertigender Grund, der dafür spricht, dass diese allgemeingesellschaftlichen Anliegen allein durch die (insolvenzfähigen) Arbeitgeber finanziert werden sollte. Da die gesetzliche Umlagepflicht hier nicht mehr der Absicherung selbstgeschaffener Risiken, sondern allein der Förderung gesamtgesellschaftlicher Zwecke dient, stellt sie sich als sach- und gleichheitswidrig dar.441 Ohne den notwendigen Differenzierungsgrund ist die derzeitige Umlagefinanzierung im speziellen Fall der bewussten Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens trotz Eröffnungsreife ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. 3. Konsequenzen Die Insolvenzgeldvorfinanzierung verstößt als solche weder durch ihren Subventionseffekt noch wegen der alleinigen Arbeitgeberfinanzierung gegen verfassungsrechtliche Vorgaben. De lege lata darf allerdings die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei gleichzeitiger Insolvenzgeldvorfinanzierung nicht aufgeschoben werden; anderenfalls verstieße die Belastung des § 358 SGB III gegen Art. 3 Abs. 1 GG.442 Zur Vermeidung dieses Konflikts muss die InsO verfassungskonform ausgelegt werden: Wird das Insolvenzgeld zur Betriebsfortführung genutzt, indem die Lohnforderungen im Eröffnungsverfahren nicht regulär beglichen werden,443 so besteht eine Entscheidungspflicht des Gerichts, sobald Entscheidungsreife eingetreten ist. Die allgemeine Frage nach der Zulässigkeit der bewussten Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens muss deshalb – zumindest für das typische Verfahren mit Insolvenzgeldvorfinanzierung – verneint werden. Besonders problematisch ist dieses Ergebnis mit Blick auf das Schutzschirmverfahren des § 270b InsO: Durch die grds. garantierte Frist (Abs. 1 441 Insofern deckt sich das Ergebnis mit der frühen Feststellung des BSG, Urt. v. 31. 5. 1978 – 12 RAr 57/77, KTS 1979, 213, 214. 442  Dem stehen die Entscheidungen von BVerfG und BSG nicht entgegen; diese hatten nie die Frage der Finanzierung des Insg bei Eröffnungsverzögerung zum Gegenstand. 443  Eine solche Konstellation ergibt sich im absoluten Regelfall durch die Insg-Vorfinanzierung. Das Ergebnis gilt jedoch auch für die seltenen Ausnahmefälle, in denen die Arbeitnehmer ihre Leistungen ohne Zahlungen, also ohne Vorfinanzierung, erbringen.



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S. 1, 2) ist hier die Verzögerung der Eröffnung gesetzlich institutionalisiert. Das „Offenhalten“ des Eröffnungsverfahrens, verbunden mit der Nutzung von Insolvenzgeldmitteln, verstößt wegen der Umlagefinanzierung auch hier gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Um diese Konsequenz abzuwenden, bliebe die Möglichkeit, gesetzgeberisch tätig zu werden und nicht mehr (allein) die Arbeitgeber zur Finanzierung heranzuziehen. Würden die Insolvenzgeldmittel von der Allgemeinheit über Steuern aufgebracht, so stünde der Eröffnungsverzögerung bei einer Vorfinanzierung von Insolvenzgeld (jedenfalls) nicht mehr das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG im Wege. 4.  Anmerkungen zur Finanzierungslast Das Ergebnis der verfassungsrechtlichen Erwägungen bietet Anlass, sich in einem Exkurs allgemeiner mit der Finanzierung des Insolvenzgelds auseinanderzusetzen: (Verfassungs-)Rechtlich problematisch ist – wie dargelegt – die rein arbeitgeberseitige Finanzierung der Insolvenzgeldmittel nur für den Zeitraum zwischen Eröffnungsreife und -entscheidung. Für den vorausgehenden Verfahrensabschnitt (der notwendigen Antragsprüfung) steht die Umlagepflicht der Arbeitgeber nicht mit dem Grundgesetz in Konflikt. Trotzdem sollen abschließend kritische Anmerkungen und Vorschläge zur Finanzierung dieser ersten Phase Berücksichtigung finden. Für die verfassungsrechtliche Bewertung war entscheidend, dass sich im Lohnausfall der Arbeitnehmer bis zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife das durch den Arbeitgeber verantwortete Risiko der wirtschaftlichen Tätigkeit realisiert. Zentral für die finanzielle Belastung war also insbesondere das Moment der Verantwortung und Risikoverursachung.444 Ein Blick auf die (weiteren) Funktionen des vorfinanzierten Insolvenzgelds, also die Seite des Nutzens, könnte Zweifel am derzeitigen Finanzierungssystem entstehen lassen. Nutznießer sind zunächst die konkret betroffenen Arbeitnehmer, deren Lohnabsicherung durch Gesetzgebung und Rechtsprechung immer wieder in den Vordergrund gerückt wurde.445 Noch stärker profitiert allerdings oftmals das insolvente Unternehmen bzw. die spätere Insolvenzmasse: Ihr fließt die volle Wertschöpfung aus der erbrachten Arbeitsleistung zu, ohne dass sie mit den damit einhergehenden Lohnansprüchen belastet würde.446 Das (vor444  Dass der Gesetzgeber nur auf die Verantwortung der Arbeitgeber und nicht auf die sich ergebenden Vorteile abstellt, konstatiert auch Fink, Maßnahmen des Verwalters, S. 163. 445  RegE zum Kaug, BT‑Drs. 7/1750, S. 10 f.; Unterrichtung zu RegE (17/6277), BT‑Drs. 17/6853, S. 18; BVerfG, Beschl. v. 2. 2. 2009 – 1 BvR 2553/08, NZS 2009, 565, 566 Rz. 24; BSG, Urt. v. 29. 5. 2008 – B 11a AL 61/06 R, NZS 2009, 401, 403 Rz. 21; BAG, Urt. v. 25. 6. 2014 – 5 AZR 283/12, NZI 2015, 81, 82 Rz. 24. 446  Wiester, BB 1997, 949, 952 f.; ähnlich zur vorrangigen Bedeutung als Sanierungsinstrument auch Cranshaw, jurisPR‑InsR 13/2015 Anm. 1; Hoehl, jurisPR‑SozR 19/2009 Anm. 2;

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finanzierte) Insolvenzgeld wird durch große Teile von Literatur und Praxis gerade bzw. nur wegen seines Sanierungseffektes als herausragender Vorteil des deutschen Rechts gewürdigt.447 Eine Vielzahl von Beiträgen rückt deshalb seine besondere Relevanz für die Fortführungsfinanzierung in den Fokus der Diskussion,448 während der Arbeitnehmerschutz vergleichsweise selten thematisiert wird.449 Dass die beschriebenen Vorteile des insolventen Arbeitgeberunternehmens regelmäßig nicht nur Nebenfolge, sondern die wesentliche Intention der (ausgedehnten) Insolvenzgeldvorfinanzierung ist,450 lässt sich beispielhaft an drei Anhaltspunkten festmachen. Erstens fällt auf, dass bei dem als vorrangig beschriebenen Arbeitnehmerschutz deutliche Lücken zu erkennen sind, die durch entsprechende Änderungen in der Normierung des Insolvenzgelds geschlossen werden könnten.451 Exemplarisch sei insbesondere daran erinnert, dass sich durch eine volle Ausnutzung des Insolvenzgeldzeitraums im dreimonatigen Eröffnungsverfahren sogar Lohneinbußen der Arbeitnehmer für die vorangegangenen Monate ergeben können. Solche Probleme beim Schutz der einzelnen Arbeitnehmer(-forderungen) werden in der Literatur jedoch kaum thematisiert oder legislativ angegangen. Ganz anders ist – zweitens – der Eindruck mit Blick auf die „Rettung“ der Insolvenzgeldvorfinanzierung als Liquiditätsquelle und Mittel der Sanierungssubvention. Aus verschiedenen Gründen drohte dieses „selbstverständliche Instrumentarium“452 der vorläufigen Betriebsfortführung mehrfach für die Insolvenzpraxis verloren zu gehen. In allen Fällen folgte die Reaktion in Literatur, Gesetzgebung und Rechtsprechung umgehend und entschlossen: Als Mittel der Fortführungsfinanzierung musste das Insolvenzgeld erhalten bleiben.453 ders., jurisPR‑SozR 9/2007, Anm. 3; Henckel, in: Jaeger-InsO, § 55 Rn. 87; Peters-Lange, ZIP 2003, 1877, 1879; Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 189. Für eine paritätische Gewichtung Grepl, Funktionen des Insg, S. 215. 447  Vgl. bspw. Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 74 f.; Leithaus, NZI 2004, 194, 195. Cranshaw kritisiert deshalb zu Recht den unkritischen Umgang der Literatur mit diesem Sanierungsinstrument (Cranshaw, Einflüsse des europäischen Rechts, S. 1352). 448  So allein in der jüngeren Diskussion bspw. Muschiol, ZInsO 2016, 248; Priebe, ZInsO 2015, 2547; Paulus, ZInsO 2015, 2160; Hunold, NZI 2015, 785; Kremer/Fahlbusch, ZInsO 2015, 837; Siemon, ZInsO 2014, 625, 630 f. 449  Paulus nimmt (zumindest auch) den „Primat des Arbeitnehmerschutzes“ in den Blick Paulus, ZInsO 2015, 2160, 2162 ff. 450  Anders zwar zunächst Frank/Heinrich (NZI 2011, 569, 572), die das Insg gleichwohl primär als flankierende Maßnahme des Sanierungsrechts einordnen. 451  Vgl. hierzu schon S. 52 ff. sowie S. 102 ff. 452  Kilger, KTS 1989, 495, 499; Ries/Zobel, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 178. 453  Befürchtungen ergaben sich bspw. wegen der Einführung des Zustimmungsvorbehalts in § 170 Abs. 4 SGB III (vgl. S. 94 Fn. 296 ff.), der (zunächst) widersprechenden EU‑Richtlinie (vgl. S. 50 Fn. 25 ff.), der fehlenden Rangrückstufung (heute § 55 Abs. 3 InsO, vgl. S. 66 Fn. 123 f.) und der Möglichkeit zur Insg-Vorfinanzierung in der Eigenverwaltung (S. 79 Fn. 197).



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Schließlich wird – drittens – auch an § 55 Abs. 3 InsO und der Praxis der revolvierenden Insolvenzgeldvorfinanzierung deutlich, welcher Nutzen des Insolvenzgelds oftmals im Fokus (zumindest der Praxis) steht. Sowohl Rangrückstufung als auch rollierende Vorfinanzierung dienen in keinem Fall der Absicherung konkreter Lohnforderungen, sondern allein der Unterstützung der Betriebsfortführung. Die Förderung und Sicherung dieser Funktion wird regelmäßig – insbesondere durch den Gesetzgeber – mit dem Hinweis auf den weiteren, arbeitsmarktpolitischen Nutzen des Insolvenzgelds verbunden: Der Erhalt insolvenzbedrohter Arbeitsplätze wird als zentrale Aufgabe und damit als wesentliche Rechtfertigung der Vorfinanzierung angeführt.454 Besonders an der Zustimmungsvoraussetzung des § 170 Abs. 4 SGB III, die ausschließlich den Arbeitsmarkt im Blick hat, wird deutlich, dass arbeitspolitische Anliegen in den Vordergrund gerückt wurden.455 Berücksichtigt man nicht allein die Verantwortung der Arbeitgeber für den abzusichernden Lohnausfall, sondern die zentralen weiteren, allgemeinen Funktionen des vorfinanzierten Insolvenzgelds, so sprechen gute Gründe für eine Finanzierung aus Steuermitteln: „Soweit unter arbeitsmarkt-, sozialpolitischen oder gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten der Fortführung von Unternehmen Vorrang eingeräumt wird, sollten die dafür erforderlichen Mittel nicht von einer bestimmten Personengruppe aufgebracht werden, sondern von der Allgemeinheit, d. h. vom Fiskus.“456 Eine Etikettierung dieses multifunktionalen Instruments als (reine) Sozialversicherung verstellt jedenfalls den Blick auf dessen Natur.457 Mit einer solchen Neuregelung würden nicht nur Kosten und (wesentlicher) Nutzen des Insolvenzgelds sachgerecht miteinander verbunden, es ist darüber hinaus noch ein Nebeneffekt im Hinblick auf die Zustimmungserteilung nach § 170 Abs. 4 SGB III zu erwarten: Die Kontrolle der BA, ob tatsächlich (wegen der Vorfinanzierung von Insolvenzgeld) mit dem Erhalt eines erheblichen Teils der Arbeitsstellen gerechnet werden kann, würde wohl deutlich genauer und

454  So bspw. in RegE zum AFRG, BR‑Drs. 550/96, S. 188 und RegE zum InsOÄndG, BT‑ Drs. 14/5680, S. 17, 25 f. 455  Hierzu und zur zweifelhaften Effektivität der Maßnahme sogleich, S. 147 ff. 456  Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 189. Zu dieser Einschätzung kommen bspw. auch Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 23.23; Kautzsch, Unternehmenssanierung, S. 81; Hoehl, jurisPR‑SozR 19/2009 Anm. 2; ders., jurisPR‑SozR 9/2007, Anm. 3; ders., Arbeitgeber 2004, 12, 13; Berscheid, WPrax 1994, 7, 10; Zeuner, in: Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch, S. 261, 271; wohl auch Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, S. 256, 342; Henckel, in: Jaeger-InsO, § 55 Rn. 87; Braun/Wierzioch, ZIP 2003, 2001, 2009; Braun, SozG 1995, 521, 524. Auch für den Bundesrat war (2003) die reine Arbeitgeberfinanzierung „nicht nachvollziehbar“ (vgl. Anlage 2 zum RegE zu Hartz III, BT‑Drs. 15/1637, S. 10). 457  So i. E. auch Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 189.

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damit rigider vorgenommen, wenn es hierbei um die Entscheidung über die eigenen Haushaltsmittel ginge.458 Wollte man die Gruppe der Arbeitgeber wegen ihrer Verantwortung für den Lohnausfall zumindest auch gesondert zur Finanzierung des Insolvenzgelds heranziehen,459 so liegt es nahe, die Last aufzuteilen: Während die Arbeitgeber weiterhin über die hergebrachte Umlage allgemein die notwendigen Mittel aufbringen müssten, sollte das vorfinanzierte Insolvenzgeld – das in besonderer Weise den Fortführungs- und Sanierungszwecken dient – über Steuern durch die Allgemeinheit finanziert werden. Durch eine solche Differenzierung, die schon mehrfach vorgeschlagen wurde,460 ließen sich die Ebenen von Verantwortung und Verwendung hinsichtlich der Finanzlast angemessen miteinander verbinden.

IV.  EU‑Rechtskonformität der Normierung von Insolvenzgeld und dessen Vorfinanzierung Für die Untersuchung des Insolvenzgelds und seiner Vorfinanzierung ist das Europarecht in doppelter Hinsicht von Interesse: Zum einen verpflichtet das Sekundärrecht der EU den deutschen Gesetzgeber dazu, die Arbeitnehmer vor insolvenzbedingten Lohnausfällen in bestimmter Weise und vorgegebenem Umfang zu schützen. Zum anderen stellt sich mit Blick auf das EU‑Primärrecht die kritische Frage, ob die Subventions- und Finanzierungsvorteile, die einem Unternehmen im Eröffnungsverfahren durch die Insolvenzgeldvorfinanzierung zukommen können, mit den europäischen wettbewerbsrechtlichen Vorgaben zu vereinbaren sind oder ob nicht das deutsche Recht eine Beihilferegelung i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV beinhaltet. 1.  Vorgaben des EU‑Sekundärrechts Der Schutz der Arbeitnehmer vor insolvenzbedingtem Lohnausfall wird seit 1980 auch durch europäisches Richtlinienrecht (InsgRL) bestimmt.461 Hiernach haben die Mitgliedsstaaten sicherzustellen, dass nichterfüllte Arbeitnehmeransprüche im Rahmen einer Arbeitgeberinsolvenz für einen bestimmten Zeit458  Hoehl, Arbeitgeber 2004, 12, 13. Vgl. zur problematischen Interessenlage schon zuvor S. 95 f. 459  Vgl. die insofern eindeutigen Antworten der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage (BT‑Drs. 15/1462, S. 7) und die Vorschläge des Bundesrates (RegE zu Hartz III, BT‑Drs. 15/1637, S. 14). 460 Vgl. Hoehl, jurisPR‑SozR 19/2009 Anm. 2; ders., jurisPR‑SozR 9/2007, Anm. 3; ders., Arbeitgeber 2004, 12, 13; Braun/Wierzioch, ZIP 2003, 2001, 2009. Andere Vorschläge sehen eine zeitliche Aufteilung der Finanzierungslast vor, vgl. Braun/Wierzioch, ZIP 2003, 2001, 2008 und Berscheid, ZInsO 2003, 498, 502. 461  Zunächst RL 80/987/EWG (ABlEG 1980/L 283/23), geändert durch RL 2002/74/EG (ABlEG 2002/L 270/10) und heute RL 2008/94/EG (ABlEU 2008/L 283/36).



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raum über ein Garantiesystem abgesichert sind. Ursprünglich war vorgesehen, dass sich der Ausfallschutz auf die Zeit vor der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers bezieht,462 wobei nach Ansicht des EuGH als „Eintritt der Zahlungsfähigkeit“ i. S. d. Richtlinie der Zeitpunkt der Stellung des Insolvenzantrags und nicht erst der Entscheidung über diesen Antrag anzusehen war.463 Die Insolvenzgeldsicherung musste also für die Zeit vor dem Eröffnungsverfahren greifen; der deutschen Praxis, das Insolvenzgeld im Wege der Vorfinanzierung nach dem Insolvenzantrag durch bzw. mit dem vorläufigen Verwalter nutzbar zu machen, war durch die EuGH‑Rechtsprechung der Boden entzogen: Gesicherter Zeitraum (vor Antrag) und Eröffnungsverfahren (nach Antrag) waren nicht deckungsgleich. Die deutsche Absicherung der Phase vor der Eröffnungsentscheidung (heute § 165 Abs. 1 SGB III) war nicht richtlinienkonform.464 Das – vielfach befürchtete465 – Ende der Insolvenzgeldvorfinanzierung und seiner Sanierungseffekte wurde schließlich durch die Neufassung der Richtlinie abgewendet, wonach der abgesicherte Zeitraum „vor und/oder gegebenenfalls nach einem von den Mitgliedsstaaten festgelegten Zeitpunkt“ liegen kann.466 Von dieser Seite sieht sich die Insolvenzgeldvorfinanzierung somit keinen Bedenken mehr ausgesetzt. Die Richtlinie schließt die Vorfinanzierung der Lohnansprüche bzw. der Insolvenzgeldansprüche durch Dritte nicht aus; sie trifft hierzu allerdings auch keine positive Aussage. Auch die Besonderheit des deutschen Rechts, dass die Lohnansprüche zugunsten des insolventen Arbeitgebers über § 55 Abs. 3 InsO abgewertet werden, ist nicht durch europäisches Sekundärrecht vorgegeben oder positiv „legitimiert“. 2.  Vorgaben des EU‑Primärrechts Europarechtliche Bedenken hinsichtlich der deutschen Ausgestaltung der Insolvenzausfallsicherung ergeben sich heute also nicht aus Richtlinienrecht, wohl aber aus dem europäischen Primärrecht.467 Dieses wendet sich mit den 462 

Art. 3 Abs. 1 RL 80/987/EWG. Urt. v. 10. 7. 1997 – C-373/95 (Maso u. a.), Slg. 1997, I-4051 = ZIP 1997, 1658; EuGH, Urt. v. 10. 7. 1997 – C-94/95 (Bonifaci u. a.), C-95/95 (Berto u. a.), Slg. 1997, I-3969 = ZIP 1997, 1663. 464  EuGH, Urt. v. 15. 5. 2003 – C-160/01 (Mau), Slg. 2003, I-4791 = ZIP 2003, 2371. Vgl. genauer zur Entwicklung Grepl, Funktionen des Insg, S. 195 ff. 465  Auch die Bundesregierung fürchtete, dass die Sanierung des in Schwierigkeiten geratenen Betriebes praktisch unmöglich gemacht würde, wenn das (vorfinanzierte) Insg nicht im Eröffnungsverfahren zur Verfügung stünde, Schlussantrag der Bundesregierung vom 2. 7. 2002 vor dem EuGH (Rs C-160/01), DZWIR 2002, 330, 332 Nr. 33, vgl. auch Grub, DZWIR 2002, 327; Wimmer, ZIP 1997, 1635, 1636 f. 466  Art. 3 S. 2 nach der ÄndRL 2002/74/EG; heute Art. 3 S. 2 RL 2008/94/EG. 467  So auch Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 23.27 (Fn. 165); Cranshaw, Einflüsse des europäischen Rechts, S. 1337 ff., 1347 ff.; ders., jurisPR‑InsR, 4/2009 Anm. 2; Nielandt, Sozialund Wettbewerbsrecht, S. 146 ff., 157 f.; Hoehl, jurisPR‑SozR 19/2009 Anm. 2. 463 EuGH,

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Art. 107 ff. AEUV nicht nur gegen einzelfallbezogene „ad-hoc-Beihilfen“, sondern insbesondere auch gegen abstrakt-generelle Beihilferegelungen,468 wie sie in der deutschen Normierung von Insolvenzgeld, dessen Vorfinanzierung und der Rangrückstufung liegen könnten. Zwar wird von der deutschen Rechtsprechung, dem Großteil der Literatur und auch der Europäischen Kommission angenommen, dass die Insolvenzgeldvorfinanzierung keine verbotene Beihilfe sei,469 sowohl Begründung als auch Ergebnis dieser Ansichten überzeugen jedoch nicht durchweg. Die Insolvenzgeldvorfinanzierung am europäischen Beihilferecht zu messen, drängt sich auf, wird es doch als das staatlich garantierte Mittel zur Sanierung wahrgenommen und zudem als Besonderheit und „große[r] Vorteil des deutschen Insolvenzrechts“470 angesehen.471 Im Folgenden steht deshalb, anders als in Kap. 3. A. III., der Subventionseffekt des Insolvenzgelds und nicht die Finanzierungsverantwortung der Arbeitgeber im Zentrum der Untersuchung.472 Mit dem deutschen System kann ein Arbeitgeberunternehmen im Insolvenzeröffnungsverfahren den erläuterten doppelten Nutzen aus der Insolvenzgeldvorfinanzierung ziehen: Er erhält zum einen im Moment der weitreichenden eigenen Illiquidität einen Stundungskredit vom vorfinanzierenden Institut, den er ohne das „sichere“ Insolvenzgeld nicht bekäme. Zum anderen werden seine Verbindlichkeiten im Nachhinein faktisch abgewertet, seine Passiva wirtschaftlich also durch die Anordnung des § 55 Abs. 3 InsO reduziert.473 Art. 107 Abs. 1 AEUV stellt den Grundsatz auf, dass staatliche bzw. staatlich finanzierte Beihilfen jedweder Art, die bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige begünstigen und so den Wettbewerb verfälschen (können), mit dem Binnenmarkt unvereinbar sind, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten 468 

248/9.

Vgl. die Definition in Art. 1 lit. d) und e) der VO (EU) 2015/1589, ABlEU 2015/L

469  BSG, Urt. v. 29. 5. 2008 – B 11a AL 61/06 R, NZS 2009, 401, 405 Rz. 30; BAG, Urt. v. 3. 4. 2001 – AZR 301/00, NZI 2002, 118, 120 Rz. 43; Pleister/Kunkel, ZIP 2017, 153, 156; Woltersdorf, INDat Report 01_2017, 12, 16 f.; Hunold, NZI 2015, 785; Hase, WM 2000, 2231, 2232; Ries/Zobel, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 192; Hess, in: Hess-InsO, § 358 SGB III Rn. 10; Zwanziger, Arbeitsrecht in der InsO, § 108 Rn. 151; ders., ZIP 2000, 595, 596. Vgl. auch die Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 19. 11. 2009, K(2009)8707 endg. (http://ec.europa.eu/competition/state_aid/cases/233552/233552_1095452_13_2.pdf, zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018), wobei sich diese nicht mit § 55 Abs. 3 InsO beschäftigte. 470  Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 75, dies sei ein Vorzug Deutschlands als Insolvenzstandort; ähnlich Vallender, NZI 2007, 129, 136; Schilling, DZWIR 2006, 143, 148. 471  Hunold, NZI 2015, 785; Euler Hermes/ZIS, Wirtschaft Konkret Nr. 418, S. 7, 11, 13. 472  Ob und wann die Bejahung des Beihilfecharakters des Insg bzw. seiner Vorfinanzierung auch auf die Rechtmäßigkeit der Finanzierung durchschlägt, ist ebenfalls umstritten. Vgl. eingehend hierzu BSG, Urt. v. 29. 5. 2008 – B 11a AL 61/06 R, NZS 2009, 401, 404 f. Rz. 28 ff.; Roos, in: A/G/R‑InsO, Anh. XII, § 358 SGB III Rn. 8; Cranshaw, jurisPR‑InsR, 4/2009 Anm. 2. 473  Dieser Effekt zeigt sich zwar direkt nur bei Einsetzung eines „starken“ vorläufigen Verwalters, vgl. jedoch S. 132 ff.



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beeinträchtigen. Solche Staatsbeihilfen sind allerdings nicht immer unzulässig, sondern nur dann, wenn keine der Ausnahmen des Art. 107 AEUV eingreift. Sowohl die Gewährung eines (zu) günstigen Kredits und die staatliche Garantie für einen solchen als auch der (Teil-)Verzicht auf Forderungen durch den Staat könnten grds. Beihilfen i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV sein.474 Beide Vorteile – Stundungsvorteil und Rangrückstufung – sind im Hinblick auf ihren Beihilfecharakter getrennt voneinander zu untersuchen. a)  Der Stundungs- und Liquiditätsvorteil als Beihilfe Initiiert der vorläufige Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren erfolgreich die Vorfinanzierung des Insolvenzgelds, so werden die Lohnforderungen der Arbeitnehmer durch die Zustimmung der BA Grundlage für die späteren Insolvenzgeldansprüche und erst hierdurch wieder werthaltig. Ohne die sichere Aussicht auf Zahlung durch die BA würde sich regelmäßig kein Finanzier finden, der den Arbeitnehmern die Ansprüche gegen den (faktisch) insolventen Arbeitgeber abkaufen würde. Die §§ 165 Abs. 1, 170 Abs. 1, Abs. 4 SGB III machen die Lohnansprüche also (wieder) wirtschaftlich verkehrsfähig.475 Hierdurch kann der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer wertschöpfend weiterbeschäftigen ohne Lohn zu zahlen und so seine Liquidität im kritischen Augenblick schonen. Er erhält so eine wichtige „Atempause“ und damit einen nicht unerheblichen Vorteil. Dieser Stundungsvorteil könnte sich – unabhängig vom späteren Schicksal der Lohnforderungen – als Beihilfe darstellen.476 Schon die Frage, ob dieser Vorzug dem deutschen Gesetzgeber zuzurechnen ist, also das Merkmal der Staatlichkeit erfüllt, erscheint problematisch. Zunächst scheitert die Tatbestandlichkeit nicht daran, dass private Dritte die Vorfinanzierung vornehmen und den „Lohnersatz“ im Eröffnungsverfahren auszahlen.477 Begünstigender Anknüpfungspunkt ist vielmehr die vom Gesetzgeber angeordnete Garantie, dass offenstehende Lohnforderungen unabhängig von ihrem Inhaber über das Insolvenzgeld abdeckt sind. Die staatliche BA übernimmt wirtschaftlich eine „Zwangsbürgschaft“478 für den Stundungskredit, der dem Arbeitgeberunternehmen gewährt wird: Die Lohnansprüche gegen den Primärschuldner werden im (vorhersehbaren) „Sicherungsfall“, von der BA befriedigt, die sich dann mit dem Regress gegen den insolventen Arbeitgeber im Insolvenzverfahren begnügen muss. Zwar greift die BA hierbei nicht auf 474 Vgl. v.Wallenberg/Schütte, in: G/H/N, Recht der EU, Art. 107 AEUV Rn. 47, 86 f.; Cranshaw, Einflüsse des europäischen Rechts, S. 61 ff. 475  Cranshaw, Einflüsse des europäischen Rechts, S. 1337 f. Vgl. zum „Rating“ der Forderungen Muschiol, ZInsO 2016, 248, 252. 476  Vgl. zum Merkmal der Begünstigung Nielandt, Sozial- und Wettbewerbsrecht, S. 146 ff. 477  Nielandt, Sozial- und Wettbewerbsrecht, S. 152 f. 478  Wiester, BB 1997, 949, 950. Vgl. auch Kuder/Unverdorben, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.383 (insbes. Fn. 2) die diese Einschätzung teilen.

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allgemeine Steuermittel, sondern auf eine Arbeitgeberumlage zurück, dies steht allerdings – wegen der vollen Kontrolle der BA über die Finanzmittel – der Anwendbarkeit von Art. 107 Abs. 1 AUEV nicht im Weg.479 Dass die staatlich gezahlten Insolvenzgeldmittel nicht nur an Arbeitnehmer, sondern auch an die Erwerber der Lohnforderung fließen, führt dazu, dass sich Private zur Vorfinanzierung bereit erklären und in diesem Rahmen dem Arbeitgeber den Stundungskredit gewähren.480 Das Merkmal der Staatlichkeit ließe sich allerdings, so die Argumentation der Europäischen Kommission,481 mit Hinweis auf die dem Insolvenzgeld zugrunde liegende Richtlinie ablehnen. Die Art. 107 ff. AEUV wenden sich allein gegen nationale, nicht aber gegen gemeinschaftsrechtlich veranlasste Beihilfen. Kommen die Mitgliedsstaaten mit dem Erlass einer Norm allein ihrer Pflicht zur Richtlinienumsetzung nach, so ist dieser Rechtsakt nicht dem Staat, sondern der Union zuzurechnen und damit nicht „staatlich“ i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV.482 Soweit die deutschen Regelungen zum Insolvenzgeld also zwingende Vorgaben der europäischen Richtlinie umsetzen, stehen sie nicht mit Beihilferecht in Konflikt; gehen sie allerdings darüber hinaus, so handelt es sich insoweit um eine autonom-nationale Maßnahme. Die Kommission geht davon aus, dass nicht nur die – insofern unproblematische – Garantie der Insolvenzgeldzahlung an die Arbeitnehmer zwingend von der Richtlinie gefordert wird, sondern dass auch die Möglichkeit der Vorfinanzierung Teil der Umsetzung der Richtlinie ist. Diese verpflichtet die Mitgliedsstaaten zunächst allerdings nur dazu, den Arbeitnehmern im Falle der Insolvenz eines Arbeitgebers ein „Minimum an Schutz“483 zu garantieren, indem sie im Nachhinein Ersatz für ihren Ausfall erhalten. Dass die Arbeitnehmer ihre Lohnansprüche auch vor dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit i. S. d. InsgRL verwerten können, mit der hierfür notwendigen Voraussetzung, dass ein Zessionar den sich aus der Lohnforderung ergebenden Insolvenzgeldanspruch „miterwirbt“, wird von der Richtlinie nicht gefordert. Diese Möglichkeit aus § 170 Abs. 1, Abs. 4 SGB III ließe sich deshalb als autonome Entscheidung des deutschen Gesetzgebers darstellen, die über die europäischen Vorgaben hinausgeht und damit „staatlich“ ist. Auch ein Vergleich mit der Umsetzung in anderen EU‑Staaten spricht zunächst für diese An479  Zum Merkmal der Staatlichkeit bei staatlicher Kontrolle über die Mittel vgl. EuGH, Urt. v. 16. 5. 2002 – C-482/99 (Frankreich ./. Kommission), Slg. 2002, I-4397 = NVwZ 2003, 461, 462 f. Rz. 23, 37. 480  So auch Cranshaw, Einflüsse des europäischen Rechts, S. 1335, allerdings ohne vertiefte Auseinandersetzung mit dem Merkmal der Staatlichkeit; i. E. wohl auch Hoehl, jurisPR‑ SozR 19/2009 Anm. 2. 481  Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 19. 11. 2009, K(2009)8707 endg. (S. 128 Fn. 469). 482  EuG, Urt. v. 5. 4. 2006 – T-351/02 (Deutsche Bahn ./. Kommission), Slg. 2006, II-1047, 1084 Rz. 102. Vgl. auch Koenig/Paul, in: Streinz-EUV/AEUV, Art. 107 AEUV, Rn. 64. 483  ErwGr. 3 zur RL 2008/94/EG.



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nahme: Die meisten Mitgliedsstaaten sehen eine Insolvenzgeldvorfinanzierung, die (auch) dem Arbeitgeber zugute kommt, nicht vor; sie ist eine Eigenart des deutschen Systems.484 Dieser Ansicht lässt sich allerdings entgegenhalten, dass sich die Abtretung des Lohnanspruchs nicht auf den Kern des Insolvenzgeldanspruchs auswirkt, sondern hierdurch lediglich der Zeitpunkt verschoben wird, zu welchem der Arbeitnehmer seinen Lohn wirtschaftlich erhält. Die Kommission geht deshalb davon aus, dass sich Grundlage, Höhe und Fälligkeit des Insolvenzgelds originär aus der Richtlinie ergeben und dass die Vorfinanzierbarkeit i. E. nur eine Modalität der Umsetzung darstellt: „Mit oder ohne Vorfinanzierung wird die Arbeit des Arbeitnehmers in den drei Monaten vor dem Insolvenzereignis vergütet.“485 Diese Feststellung überzeugt: Wäre eine abgetretene Lohnforderung in der Hand des Zessionars (entgegen der Rechtslage, § 170 Abs. 1 SGB III) nicht durch das Insolvenzgeld gedeckt, so hätte der Arbeitnehmer keine Chance diese im Eröffnungsverfahren zu verwerten. Im Wissen um die späteren Insolvenzgeldzahlungen würde er aber nicht selten, insbesondere in „letzter Hoffnung“ auf die Rettung des eigenen Arbeitsplatzes, gleichwohl im Eröffnungsverfahren tätig bleiben und so dem Arbeitgeber selbst einen Stundungskredit gewähren.486 Die zwischen Antragstellung und Eröffnungsentscheidung entstehenden und ausfallenden Lohnansprüche müssten hier in gleicher Weise durch die BA gesichert werden wie im Falle der Vorfinanzierung. Die Kosten für die Insolvenzgeldkasse wären mit oder ohne Vorfinanzierung gleich hoch und auch der hier zentrale Stundungsvorteil des Arbeitgeberunternehmens ließe sich zumindest grds. in beiden Fällen realisieren.487 Das deutsche Recht und die (zwingenden) europarechtlichen Vorgaben decken sich: Die Möglichkeit der Insolvenzgeldvorfinanzierung stellt deshalb – ohne Berücksichtigung von § 55 Abs. 3 InsO – keinen über die Richtlinie hinausgehenden und damit „staatlichen“ Rechtsakt dar.488

484 

Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 74 f. der Europäischen Kommission vom 19. 11. 2009, K(2009)8707 endg. (S. 128 Fn. 469), S. 5. 486  Dies gilt jedenfalls solange sich die Lebenshaltungskosten noch decken lassen, vgl. zuvor S. 60. 487  Vgl. bereits S. 59 f. 488  So auch die Kommission (S. 128 Fn. 469); i. E. ähnlich, abweichend in der Argumentation das BSG (Urt. v. 29. 5. 2008 – B 11a AL 61/06 R, NZS 2009, 401, 405 Rz. 30), das meint, in der RL sei „etwas anderes“ i. S. d. Art. 107 Abs. 1 a. A. AEUV bestimmt. Dass die RL allerdings eine arbeitgeberbegünstigende Ausnahme vom Beihilferecht schaffen sollte, überzeugt nicht (vgl. Cranshaw, jurisPR‑InsR 4/2009, Anm. 2.). Die Richtlinie bezieht Nielandt nicht in ihre Bewertung ein und bejaht infolgedessen die staatliche Begünstigung (Nielandt, Sozialund Wettbewerbsrecht, S. 146 ff., 152 ff.). 485  Stellungnahme

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

b)  Die Rangrückstufung der Lohnforderungen als Beihilfe Berechtigte Zweifel an der beihilferechtlichen Zulässigkeit der deutschen Regelungen zum Insolvenzgeld ergeben sich allerdings hinsichtlich der Rückstufungsanordnung des § 55 Abs. 3 InsO.489 aa)  Die Begünstigung als staatliche Maßnahme Der zentrale Vorteil der Insolvenzgeldvorfinanzierung, die wirtschaftliche Verlagerung der Lohnkosten für maximal drei (entscheidende) Monate auf die BA, ist zunächst nur vorläufiger Natur: Im Eröffnungsverfahren kann der Arbeitgeber zwar durch den Zahlungsaufschub seine Liquidität in einem kritischen Zeitpunkt maßgeblich schonen; würden die kreditierten Forderungen allerdings nach der Insolvenzeröffnung in voller Höhe als bevorrechtigte Masseforderungen geltend gemacht, so wäre eine dauerhafte finanzielle Subventionierung durch die BA nicht gegeben. Erst die gesetzliche Anordnung der Rangrückstufung der Lohnforderungen (§ 55 Abs. 3 InsO) erhält die Ersparnis endgültig zugunsten des Arbeitgebers. Unmittelbare Auswirkung hat diese Regelung zunächst nur in den (praktisch seltenen) Fällen der „starken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung:490 Mit der Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer werden Masseforderungen begründet, die vielen anderen Forderungen vorgehen und – bei ausreichender Masse – voll zu berichtigen sind (§§ 55 Abs. 2 S. 2, 53 InsO). Mit dem Übergang der Ansprüche auf die BA werden diese im Rang zurückgestuft und somit zugunsten des Schuldners „abgewertet“. Durch diese Abwertung der Forderungen in der Hand der BA reduziert sich die Gesamtsumme aller Passiva des Schuldnerunternehmens zwar rechtlich zunächst nicht – die Lohnforderungen bleiben voll bestehen –, faktisch müssen die Insolvenzforderungen von der BA im Regelfall aber zu großen Teilen abgeschrieben werden. Wie die öffentliche Hand hierdurch den Arbeitgeber bzw. die Insolvenzmasse konkret begünstigt, lässt sich sowohl für ein Liquidierungs- also auch für ein Sanierungsszenario darstellen: Kommt es im Insolvenzverfahren zu Zerschlagung und Verwertung des Schuldnerunternehmens, so meldet die BA ihre Ansprüche zwar zunächst voll zur Tabelle an (§§ 174 f. InsO), Befriedigung erlangt sie allerdings als Insolvenzgläubigerin erst, nachdem die Verfahrenskosten und die Masseverbindlichkeiten beglichen werden konnten (§ 53 InsO) und auch dann nur anteilig in Höhe der

489  So auch Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1494, 1505, der hiermit gleichzeitig von seiner früheren Position (Beihilfecharakter der Insg-Vorfinanzierung schon ohne § 55 Abs. 3 InsO, vgl. ders., Einflüsse des europäischen Rechts, S. 1335 ff.) abrückt. 490 Vgl. Hefermehl, in: MüKo-InsO, § 55 Rn. 236. Zu der typischen „schwachen“ vorläufigen Verwaltung und der sich daraus ergebenden „Alternative“ vgl. noch S. 144 ff.



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Insolvenzquote.491 In der Praxis werden die Lohnforderung deshalb nur zu einem Bruchteil (durchschnittlich etwa 3 % bis 10 %) beglichen.492 Die BA finanziert somit i. E. die Arbeitsleistung (auch) im Eröffnungsverfahren nicht nur vor, sondern trägt die Kosten hierfür zum überwiegenden Teil auch dauerhaft.493 Ohne die Rangrückstufung durch § 55 Abs. 3 InsO würden die Lohnforderungen (im Falle der Masseinsuffizienz) zwar ebenfalls nicht in jeden Fall vollständig erfüllt, die Befriedigungsquote und damit die Erstattungen an die BA wären als Massegläubigerin allerdings sehr viel höher.494 Richtig ist zwar, dass in einem solchen Szenario das begünstigte Unternehmen mit der Liquidierung vom Markt verschwindet, am Charakter der beihilferechtlichen Begünstigung ändert dies jedoch nichts. Zumindest für die Zeit der Vorfinanzierung kann der Schuldner seine Produkte oder Dienstleitungen – unter Ausnutzung der Insolvenzgeldumlage – günstiger am Markt anbieten als seine Konkurrenten. Dieser Vorteil verfestigt sich in den Fällen, in denen der Betrieb oder einzelne Unternehmensteile im Wege der übertragenden Sanierung verwertet werden. Hier geht der beschriebene Vorteil wirtschaftlich in einem anderen Marktteilnehmer auf.495 Noch deutlicher wird die Begünstigung im Fall der rechtsträgererhaltenden Sanierung: Wird ein von der gesetzlichen Konzeption abweichender Insolvenzplan entwickelt und mehrheitlich beschlossen,496 so ist die BA als Insolvenzgläubigerin planunterworfen, sodass bspw. die typische Kürzung der Insolvenzforderungen (§ 224 InsO) grds. auch gegen ihren Willen möglich ist.497 Kommt es also mit den Mitteln des Insolvenzplans zu einer Sanierung des Arbeitgeberunternehmens unter (freiwilligem oder aufgezwungenem) Teilforderungsverzicht der BA, so fließen endgültig staatlich verwaltete Gelder an einen weiterhin 491  D. h. Befriedigung wird entsprechend dem Anteil der eigenen Forderungen an allen Insolvenzforderungen in der Verteilung (§§ 187 ff. InsO) erlangt. 492 Vgl. Frind, ZInsO 2008, 126, 128 (Mittelwert: 9,3 %); Haarmeyer, ZInsO 2007, 169, 171 (Durchschnitt: 3–5 %); sehr umfassend und bspw. nach Rechtsform oder Arbeitnehmerzahl differenzierend Kranzusch/Icks, Die Quoten der Insolvenzgläubiger, S. 12 ff. (Durchschnitt: 3,6 %). 493  Die übergegangenen Lohnansprüche sind regelmäßig zum Großteil „uneinbringlich“, Grepl, Funktionen des Insg, S. 219 f. 494  Die Studie von Kranzusch/Icks legt bspw. nahe, dass in rund 37 % aller Verfahren, die Masseverbindlichkeiten und Verfahrenskosten vollständig beglichen werden konnten (Kranzusch/Icks, Die Quoten der Insolvenzgläubiger, S. 5 f.). 495  Bei Weiterführung eines Unternehmens im Insolvenzverfahren mit Insg-Vorfinanzierung ist die übertragende Sanierung der Regelfall (ca. 53 % der Fälle bei Schüssler/Klose, Wirkung der Vorfinanzierung, S. 77 f.). Vgl. differenziert zur begünstigenden Wirkung im Wettbewerb Nielandt, Sozial- und Wettbewerbsrecht, S. 146 ff. 496  Zum gestaltenden Inhalt bzgl. der Gläubigerrechte vgl. insbes. §§ 217 S. 1, 221, 224 InsO; zur Beschlussfassung insbes. §§ 235, 237 ff. InsO. 497 Sie ist somit „zwangsweise Planunterworfene“, vgl. Eidenmüller, in: MüKo-InsO, § 217 Rn. 61. Dies ergibt sich insbes. aus den §§ 224, 244 Abs. 1, 254, 251 InsO.

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aktiven Marktteilnehmer.498 Würden die Lohnansprüche hingegen nicht herabgestuft, wäre die BA also Massegläubigerin, so wäre sie nicht planunterworfen, sondern grds. vollständig zu befriedigen.499 Mit der Anordnung des § 55 Abs. 3 InsO verzichtet der deutsche Staat also regelmäßig auf die volle Erstattung der Kosten der Insolvenzgeldsicherung.500 Der Gesetzgeber wollte mit dieser Maßnahme ausdrücklich die Sanierungsmöglichkeiten innerhalb des deutschen Insolvenzrechts verbessern, indem er fortgeführte Unternehmen dauerhaft von den fraglichen Lohnansprüchen entlastet und so für eine „entsprechende Masseanreicherung“ sorgen.501 Damit geht er über die zwingenden Vorgaben der InsgRL hinaus; dem dortigen Ziel der Sicherung der Arbeitnehmer vor Lohnausfall dient § 55 Abs. 3 InsO ersichtlich nicht. Vielmehr wird schon tatbestandlich der Übergang der fraglichen Forderungen auf die BA vorausgesetzt und allein die der Arbeitnehmersicherung nachgeschalteten Fragen der Unternehmensentlastung und Finanzierungsbelastung geklärt. Das deutsche Recht verfolgt hiermit eigene wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Ziele und stellt sich somit als nationale, staatliche Begünstigung dar.502 bb)  Die Selektivität der Begünstigung Staatliche Begünstigungen, wie die Abwertung der Lohnforderungen zulasten der BA, geraten erst dann in Konflikt mit Art. 107 Abs. 1 AEUV, wenn sie selektiv gewährt werden, also nur bestimmten Unternehmen oder Produktionszweigen zugutekommen. Vorteile, die sich „aus einer unterschiedslos auf alle Wirtschaftsteilnehmer anwendbaren allgemeinen Maßnahme“503 ergeben, stellen deshalb keine Beihilfen dar.504 Für die Bewertung der Rangrückstufung ist die Frage nach der Selektivität der entscheidende, aber auch umstrittenste Faktor. Der Subventionseffekt, der im (vorfinanzierten) Insolvenzgeld und der Rangrückstufung der Lohnansprüche liegt, lässt sich – so die herrschende Sichtweise – nicht nur von bestimmten sondern grds. von allen Marktteilnehmern gleichermaßen nutzen: Es bestehe 498  Einen solchen Verzicht (auch) der BA i. R. eines Planverfahrens nahm die Kommission 2003 zum Anlass, ein Kontrollverfahren einzuleiten (ABlEU 2003/C 100/3). 499  Braun, in: Nerlich/Römermann-InsO, § 217 Rn. 25 ff.; Haas, in: HK‑InsO, § 221 Rn. 2. Zum konkreten Fall des § 55 Abs. 3 InsO Geißler, ZInsO 2013, 531, 536. 500  Vgl. auch Cranshaw, Einflüsse des europäischen Rechts, S. 1348. 501  RegE zum InsOÄndG, BT‑Drs. 14/5680, S. 17, 25 f. 502  So i. E. auch Cranshaw, Einflüsse des europäischen Rechts, S. 1351; ders., jurisPR‑ InsR, 4/2009 Anm. 2; Hoehl, jurisPR‑SozR 19/2009 Anm. 2; Nielandt, Sozial- und Wettbewerbsrecht, S. 147, 157 f. 503  EuGH, Urt. v. 15. 11. 2011 – C-106/09; C-107/09 (Kommission ./. Gibraltar), Slg 2011, I-11113 = BeckRS 2011, 81623; LS. 1 und Rz. 73. 504  Genauer zum Merkmal der Bestimmtheit bzw. Selektivität Pache/Pieper, in: Birnstiel/ Bungenberg/Heinrich, Beihilfenrecht, Kap. 1 Rn. 205 ff.; v. Wallenberg/Schütte, in: G/H/N, Recht der EU, Art. 107 AEUV Rn. 41 ff.



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für alle Unternehmen gleich welcher Branche grds. die Gefahr (und damit die Möglichkeit), insolvent zu werden und infolgedessen „Insolvenzgeld in Anspruch zu nehmen, ohne dass die insolvenzgeldgewährende Bundesanstalt ein Recht zur vorzugsweisen Befriedigung aus der Insolvenzmasse erhält“505. Aus diesem Grund seien die deutschen Bestimmungen in §§ 165 ff. SGB III und § 55 Abs. 3 InsO als allgemein wirkende Maßnahmen anzusehen und deshalb ohne beihilferechtliche Relevanz.506 Zentrales Argument der herrschenden Meinung gegen die Annahme der Selektivität ist also die Tatsache, dass theoretisch jedes insolvenzfähige Arbeitgeberunternehmen von § 55 Abs. 3 InsO profitieren kann. Eine Differenzierung bspw. hinsichtlich der Tätigkeit, der Branche oder der Größe des betroffenen Unternehmens wird nicht vorgenommen. Damit ließen sich die Mechanismen von Insolvenzgeld, Vorfinanzierung und Rangrückstufung als Teilelemente des allgemein geltenden Insolvenzrechts ansehen, welches auf alle Unternehmen gleichermaßen Anwendung findet und deshalb beihilferechtlich neutral ist.507 Der selektive Charakter wäre hiernach abzulehnen. Der vorherrschenden Ansicht lässt sich jedoch entgegensetzen, dass tatsächlich nicht alle Arbeitgeber, sondern allein die Gruppe der wirtschaftlich schwachen bzw. (quasi-)insolventen Unternehmen bestimmte Lohnzahlungspflichten auf die BA verlagern und so den Subventionseffekt nutzen können. § 165 Abs. 1 SGB III setzt voraus, dass sich der – mittelbar unterstützte – Arbeitgeber in einer bestimmten wirtschaftlichen Situation befindet, die sich grundlegend von der seiner Mitbewerber unterscheidet. Hypothetisch könnten zwar alle insolvenzfähigen Arbeitgeber in den Genuss der Insolvenzgeldmittel kommen, faktisch beschränkt sich die Entlastung durch die BA aber auf eine kleine Gruppe von Unternehmen. Die Beurteilung von § 55 Abs. 3 InsO hängt also davon ab, wie das Merkmal der Selektivität in Art. 107 Abs. 1 AEUV konkret auszulegen ist – eine Frage, die in dieser Weise noch nicht explizit vom EuGH beantwortet wurde: Stellt sich ein Vorteil, der theoretisch jedem, praktisch aber nur bestimmten Unternehmen zur Verfügung steht, als allgemein wirkende Maßnahme oder als Begünstigung bestimmter Unternehmen dar? Wesentliche Erkenntnisse hierzu lassen sich einigen Urteilen der europäischen Gerichte entnehmen, die thematisch sehr nah am hier zentralen Problem liegen: Wiederholt hatten EuG und EuGH über die Nichtdurchsetzung, Stundung oder 505  BAG, Urt. v. 3. 4. 2001 – 9 AZR 301/00, NZI 2002, 118, 120 mit Bezugnahme auf Zwanziger, ZIP 2000, 595, 596. 506  Mit dieser Argumentation neben den zuvor genannten auch Hase, WM 2000, 2231, 2232; Zwanziger, Arbeitsrecht in der InsO, § 108 Rn. 151; Ries/Zobel, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 192. 507 So allgemein zum deutschen Insolvenzrecht Cranshaw, Einflüsse des europäischen Rechts, S. 70 f.

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Übernahme von Abgabenlasten durch Mitgliedsstaaten gegenüber sanierungsbedürftigen Unternehmen zu entscheiden. Die Staaten machten – wie auch die herrschende Ansicht zum Insolvenzgeld – geltend, die jeweils beanstandeten Begünstigungen seien allgemein wirkend, da sie unter identischen Bedingungen jedem Unternehmen gewährt würden, das sich in Zahlungsschwierigkeiten befinde. Eine selektive Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Branchen läge deshalb nicht vor.508 Zwar erkannten die Gerichte in den konkreten Verfahren im Ergebnis jeweils Verstöße gegen das Beihilfeverbot, in der Begründung der Selektivität stellten sie allerdings nicht auf die Unterscheidung zwischen wirtschaftlich gesunden und (quasi-)insolventen Unternehmen ab. Vielmehr wurde diesbezüglich in allen Urteilen an die Tatsache angeknüpft, dass den staatlichen Behörden ein Ermessen bzgl. der Gewährung der Entlastungen zustand.509 Dies legt den Gegenschluss nahe, dass Begünstigungen, die allen Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten gewährt werden, dann nicht als selektiv anzusehen wären, wenn kein behördliches Ermessen besteht. Die Rangrückstufung des § 55 Abs. 3 InsO stünde bei dieser Sichtweise wohl nicht mit Art. 107 Abs. 1 AEUV im Konflikt.510 Allerdings lässt sich gleichzeitig festhalten, dass die Rechtsprechung nicht zum Ausdruck gebracht hat, dass sich die Selektivität ausschließlich aus dem Merkmal des Ermessens ergeben kann. Vielmehr stellte das EuG fest, dass „auch Maßnahmen, die auf den ersten Blick für alle Unternehmen gelten, eine bestimmte Selektivität aufweisen, […] etwa […] wenn die Behörden […] über ein Ermessen verfügen“511. Auch der EuGH erkannte an, dass Förderungsmaßnahmen für insolvenzbedrohte Unternehmen selektiv sein können, auch wenn den Behörden kein Ermessen zusteht.512 Notwendig ist deshalb eine allgemeine Auseinandersetzung mit dem Merkmal der Selektivität: In ständiger Rechtsprechung hat der EuGH deutlich gemacht, dass eine staatlich gewährte Begünstigung allein „auf Grundlage ihrer 508 Vgl. EuGH, Urt. v. 26. 9. 1996 – C-241/94 (Frankreich ./. Kommission), Slg. 1996, I-4551 = BeckEuRS 1996, 212289 Rz. 16; EuGH, Urt. v. 29. 6. 1999 – C-256/97 (DMT), Slg. 1999, I-3913 = ZIP 1999, 1278, 1280 Rz. 26; EuG, Urt. v. 11. 7. 2002 – T-152/99 (HAMSA ./. Kommission), Slg. 2002, II-3049 = BeckEuRS 2002, 357568 Rz. 139; EuG, Urt. v. 21. 10. 2004 – T-36/99 (Lenzing ./. Kommission), Slg. 2004, II-3597 = BeckEuRS 2004, 390494 Rz. 113. Mit derselben Feststellung Soltész/Makowski, EuZW 2003, 73, 77. 509  Vgl. in den vorgenannten Urteilen EuGH, C-241/94 Rz. 23 f.; EuGH, C-256/97 Rz. 27; EuG, T-152/99 Rz. 157; EuG, T-36/99 Rz. 129 f. 510  Denkbar wäre allerdings eine Anknüpfung an das Zustimmungserfordernis des § 170 Abs. 4 SGB III, so Nielandt, Sozial- und Wettbewerbsrecht, S. 155; Cranshaw, Einflüsse des europäischen Rechts, S. 1348; a. A. Zwanziger, Arbeitsrecht in der InsO, § 108 Rn. 151. 511  EuG, Urt. v. 21. 10. 2004 – T-36/99 (Lenzing ./. Kommission), Slg. 2004, II-3597 = BeckEuRS 2004, 390494 Rz. 129 (Hervorhebung durch den Verfasser). 512  EuGH, Urt. v. 29. 6. 1999 – C-256/97 (DMT), Slg. 1999, I-3913 = ZIP 1999, 1278, 1280 Rz. 28. Vgl. hierzu auch den Beschluss der Europäischen Kommission, ABlEU 2011/L 235/26, 33 f., Rn. 75.



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Wirkung zu prüfen“513, das Tatbestandsmerkmal der Selektivität also streng folgenbezogen auszulegen sei.514 Eine Regelung sei auch dann selektiv, wenn sie zwar auf an sich allgemeinen Kriterien beruhe, in der Praxis aber offensichtlich zu einer unterschiedlichen Behandlung der Unternehmen führe.515 Auch große Teile der Literatur folgen – allerdings ohne den konkreten Bezug auf das Insolvenzgeld – dieser Auslegung, nach der allein die tatsächlichen (selektiven) Auswirkungen einer Maßnahme für ihre Beurteilung relevant sind.516 Legt man diesen allgemein entwickelten, grundsätzlich folgenorientierten Maßstab bei der Bewertung von § 55 Abs. 3 InsO an, so spricht vieles dafür, die Selektivität zu bejahen: Auch wenn theoretisch alle (insolvenzfähigen) Unternehmen von der Rangrückstufung profitieren könnten, so kommt der Vorteil de facto nur einem kleinen Teil der Arbeitgeber zugute. Richtig ist zwar, dass die Entlastung der Rangrückstufung für alle insolventen Unternehmen, die Insolvenzgeld in Anspruch genommen haben, gleichermaßen besteht.517 Der selektive Charakter ergibt sich allerdings aus der Tatsache, dass die wesentliche Voraussetzung hierfür, der Eintritt des Insolvenzereignisses, nicht absichtlich – in wirtschaftlich sinnvoller Weise – herbeigeführt werden kann. Mit der Möglichkeit der Insolvenzgeldvorfinanzierung und mit § 55 Abs. 3 InsO wollte der deutsche Gesetzgeber bewusst (allein) diejenigen Unternehmen, die sich in der „kritischen Phase“ des Insolvenzeröffnungsverfahrens befinden, unterstützen.518 Eine solche Differenzierung zwischen wirtschaftlich gesunden Unternehmen und solchen, die sanierungsbedürftig oder insolvent sind, ist auch nach Ansicht der Europäischen Kommission selektiv.519 Nachdem der deutsche Gesetzgeber eine steuerrechtliche Norm geschaffen bzw. modifiziert hatte, die ebenfalls einen Vorteil für Unternehmen mit Sanierungsbedarf vorsah (§ 8c Abs. 1a KStG, sog. Sanierungsklausel), leitete die Kommission ein Kontrollverfahren ein und er513  EuGH, Urt. 29. 2. 1996 – C-56/93 (Belgien ./. Kommission), Slg. 1996, I-723 = NVwZ 1996, 992, 996, Rz. 79; vgl. bspw. im insolvenzrechtlichen Kontext EuGH, Urt. v. 12. 10. 2000 – C-480/98 (Spanien ./. Kommission), Slg. 2000, I-8717 = EuZW 2000, 730, 731 Rz. 16 f. 514 Vgl. Bartosch, EuZW 2015, 99, 100, der sich allerdings kritisch zu dieser Auslegung äußert. 515  EuGH, Urt. v. 15. 11. 2011 – C-106/09 P (Kommission ./. Gibraltar u. a.), C-107/09 P (Spanien ./. Gibraltar u. a.), Slg. 2011, I-11113 = BeckRS 2011, 81624 Rz. 101. 516  So explizit Koenig/Paul, in: Streinz-AEUV, Art. 107 Rn. 77; Cremer, in: Calliess/Ruffert-AEUV, Art. 107 Rn. 26; m. w. N. auch Pache/Pieper, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich, Beihilfenrecht, Kap. 1 Rn. 211. Eher kritisch Bartosch, EuZW 2015, 99. 517 So Ries/Zobel, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 192, die aus diesem Grund den Behilfencharakter ablehnen. Auch Nielandt nimmt deshalb die Selektivität nur bei einer Insg-Vorfinanzierung an, Nielandt, Sozial- und Wettbewerbsrecht, S. 156; überzeugender ist aber der (konträre) Ansatz zum Kurzarbeitergeld, S. 124 ff. 518  RegE zum InsOÄndG, BT‑Drs. 14/5680, S. 25. 519  Bekanntmachung der Europäischen Kommission, ABlEU 2010/C 90/8; Beschluss der Europäischen Kommission, ABlEU 2011/L 235/26; vgl. auch Linn, in: Birnstiel/Bungenberg/ Heinrich, Beihilfenrecht, Kap. 1 Rn. 600; Arhold/Struckmann, ZInsO 2016, 929, 939.

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kannte gerade in dieser genannten Unterscheidung den selektiven Charakter.520 „Die Regelung bevorzugt […] gezielt eine bestimmte Unternehmenskategorie und kommt gerade nicht grundsätzlich allen Unternehmen zu Gute.“521 Eine hiergegen gerichtete Klage hatte (bislang) keinen Erfolg;522 auch das EuG stellte fest, dass die Sanierungsklausel nicht alle Unternehmen betreffe, sondern lediglich „eine ganz bestimmte Gruppe von Unternehmen, und zwar solche, die […] ‚zahlungsunfähig oder überschuldet oder von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung bedroht‘ sind“523. Die Maßnahme sei deshalb selektiv.524 Dass sich diese Erkenntnis auch auf das Insolvenzgeld und den § 55 Abs. 3 InsO übertragen lässt, wird schließlich von einer letzten Überlegung gestützt: Staatliche Begünstigungen zur Rettung und Sanierung angeschlagener Unternehmen haben einen besonders schwerwiegenden Einfluss auf den Markt und greifen in besonderer Weise in den Wettbewerb ein. Der durch das staatliche Eingreifen verhinderte oder verzögerte Marktaustritt ineffizienter Unternehmen wäre notwendig, um die produktivere Konkurrenz zu fördern und das Wachstum des Gesamtmarktes zu sichern.525 Aus diesem Grund sind Maßnahmen der Sanierungsförderungen – wie § 55 Abs. 3 InsO – streng zu kontrollieren und nur unter besonderen Voraussetzungen, wie sie die Leitlinien der Kommission vorgeben, möglich.526 Die Unterscheidung zwischen „Unternehmen in Schwierigkeiten“ und wirtschaftlich gesunder Konkurrenz ist für das Beihilferecht also von besonderer Bedeutung; folgerichtig ist auf Grundlage dieser Differenzierung das Tatbestandsmerkmal der Selektivität zu bejahen.527

520 

Beschluss der Europäischen Kommission, ABlEU 2011/L 235/26, 33 f., Rn. 68 ff. Klemt, DStR 2013, 1057, 1061. Dass die Kommissionsentscheidung i. E. überwiegend kritisiert wird, hängt wohl vor allem an der steuerrechtlichen Besonderheit der Regelung (als Rückausnahme), die Unterscheidung durch § 8c Abs. 1a KStG sei gegeben aber gerechtfertigt; vgl. hierzu bspw. de Werth, DB 2010, 1205; ders., DStR 2014, 2485; Hackemann/Momen, BB 2011, 2135; Hackemann/Sydow, iStR 2013, 786; Ismer/Piotrowsku, DStR 2015, 1993. Hierzu jüngst auch der BFH‑Vorlagebeschluss v. 25. 3. 2015 – X R 23/13, BFHE 249, 299 = ZIP 2015, 1352. Für § 55 Abs. 3 InsO ist eine solche Rechtfertigung jedoch nicht möglich, vgl. Cranshaw, Einflüsse des europäischen Rechts, S. 1350 f. 522  Die Rechtssache ist derzeit beim EuGH anhängig (C-209/16 P; C-219/16 P). 523  EuG, Urt. v. 4. 2. 2016 – T-620/11 (GFKL Financial Services AG ./. Kommission), iStR 2016, 249, 254 Rz. 138. 524  Ebd., Rz. 144 f.; vgl. hierzu auch Roth, ZInsO 2016, 1877, 1878, 1880 f. 525  Vgl. die einleitenden Ausführungen in Nr. 6, 7, 9 der Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten (RuU‑ LL) der Kommission, ABlEU 2014/C 249/1, 3 f. Vgl. auch de Werth, DB 2010, 1205 f. 526  RuU‑LL der Kommission, ABlEU 2014/C 249/1. 527  So auch Cranshaw, Einflüsse des europäischen Rechts, S. 1349 f. Zwar würde anderenfalls die RuU‑LL nicht vollständig leerlaufen (so aber Cranshaw, ebd.), sie verlöre allerdings einen wesentlichen Teil ihres Anwendungsbereichs. 521 



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cc) Wettbewerbsverfälschung Art. 107 Abs. 1 AEUV setzt weiterhin voraus, dass die Beihilfe den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht, dass also in eine Wettbewerbssituation von außen eingegriffen oder die Chancengleichheit der konkurrierenden Marktteilnehmer manipuliert wird.528 Insbesondere die Einräumung eines Wettbewerbsvorteils stellt sich als wettbewerbsverzerrende Maßnahme dar.529 Durch die Rangrückstufung der BA bei einer Insolvenzgeldvorfinanzierung werden dauerhaft die Passiva der begünstigten Schuldnerunternehmen reduziert. Diese Unternehmen, nicht aber deren wirtschaftlich gesunde Konkurrenz, werden so faktisch von Kosten befreit, die sie im Normalfall vollständig hätten selber tragen müssen, womit ein klassischer Fall einer wettbewerbsverzerrenden Betriebsbeihilfe vorliegt.530 Die Anordnung des § 55 Abs. 3 InsO verfälscht also den Wettbewerb zwischen gesunden und insolventen Unternehmen, indem sie die Stellung der profitierenden Betriebe auf dem Markt durch eine Kostenentlastung künstlich verbessert.531 dd)  Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedsstaaten Schließlich müsste die beschriebene Begünstigung (zumindest potenziell) den Handel zwischen den EU‑Mitgliedsstaaten beeinträchtigen, also grenzüberschreitend wirken.532 Sobald ein Unternehmen auf dem Gemeinschaftsmarkt tätig ist, verstärkt eine selektive Begünstigung dessen Stellung gegenüber der Konkurrenz europaweit und beeinträchtigt den freien, innergemeinschaftlichen Handel.533 Angesichts der weiten Auslegung dieser Zwischenstaatlichkeitsklausel durch die Rechtsprechung und der immer engeren Handelsverflechtungen im europäischen Markt ist dieses Tatbestandsmerkmal nur ausnahmsweise zu ver528  Koenig/Paul, in: Streinz-AEUV, Art. 107 Rn. 87 ff.; ähnlich v. Wallenberg/Schütte, in: G/H/N, Recht der EU, Art. 107 AEUV Rn. 66 ff. 529 Vgl. Eilmansberger, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich, Beihilfenrecht, Kap. 1 Rn. 293 mit Rückgriff auf EuGH, Urt. v. 29. 4. 2004 – C-277/00 (Deutschland ./. Kommission), Slg. 2004, I-3925 = BeckEuRS 2004, 287456 Rz. 76. 530  Vgl. zu Definition und Bewertung der Betriebsbeihilfe EuGH, Urt. v. 19. 9. 2000  – C-156/98 (Deutschland ./. Kommission), Slg. 2000, I-6857, 6894 = ZIP 2000, 1738, 1740 Rz. 30; Kliemann/Mederer, in: Groeben/Schwarze/Hatje-AEUV, Art. 107 Rn. 59. 531 Vgl. ebd.; vorsichtiger bei einem Liquidationsszenario Nielandt, Sozial- und Wettbewerbsrecht, S. 156 f. Nach Cranshaw dürfte dieses Merkmal „außer Frage stehen“ (ders., Einflüsse des europäischen Rechts, S. 1338). Einzig problematisch könnte – wenn überhaupt – die Erheblichkeit der Auswirkungen sein, dazu sogleich. 532 Trotz des Wortlauts von Art. 107 Abs. 1 AEUV genügt die Eignung zur Handelsbeeinträchtigung, so bspw. EuGH, Urt. v. 30. 4. 2009 – C-494/06 P (Wam), Slg. 2009, I-3639 = BeckRS 2009, 70465 Rz. 50. Vgl. hierzu auch Heinrich, in: Birnstiel/Bungenberg/ Heinrich, Beihilfenrecht, Kap. 1 Rn. 245 ff. 533  EuGH, Urt. v. 19. 9. 2000 – C-156/98 (Deutschland ./. Kommission), Slg. 2000, I-6857, 6894 = ZIP 2000, 1738, 1740 Rz. 33.

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neinen.534 Nur Begünstigungen, die rein innerstaatlich wirken können, werden vom Anwendungsbereich des Art. 107 AEUV ausgenommen.535 In einzelnen Ausnahmefällen wird die Rangrückstufung des § 55 Abs. 3 InsO auch einem rein regional bzw. lokal tätigen Schuldnerunternehmen zugutekommen und dann keine grenzüberschreitende Auswirkung entfalten. Das Gros der Begünstigten befindet sich allerdings wohl in der notwendigen (zumindest potenziellen) zwischenstaatlichen Konkurrenzsituation. Die abstrakte Rückstufungsanordnung ist deshalb geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen.536 ee) De-minimis-Beihilfe Auch wenn die europäische Rechtsprechung mehrfach deutlich gemacht hat, dass eine geringe Höhe der Beihilfe die Merkmale der Wettbewerbsverfälschung und der Handelsbeeinträchtigung nicht von vornherein entfallen lässt,537 werden Begünstigungen von geringer Intensität als nicht tatbestandlich i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV angesehen.538 Durch solche „De-minimis-Beihilfen“, in einem Umfang von maximal 200.000 Euro in einem Zeitraum von drei Jahren, werden der zwischenstaatliche Handel und der freie Wettbewerb nach Ansicht der Kommission grds. nicht beeinträchtigt.539 Bis Ende 2013 waren „Unternehmen in Schwierigkeiten“, also insbesondere insolvenzbedrohte und insolvente Unternehmen, vom Anwendungsbereich der De-minimis-Verordnung ausgenommen.540 Mit der Neufassung wurde diese Bereichsausnahme gestrichen,541 die Verordnung findet nun also auch Anwendung auf den Fall der begünstigenden Rangrückstufung im Insolvenzverfahren.542

534 

Koenig/Paul, in: Streinz-AEUV, Art. 107 Rn. 97. v. Wallenberg/Schütte, in: G/H/N, Recht der EU, Art. 107 AEUV Rn. 76. 536  So auch Nielandt, Sozial- und Wettbewerbsrecht, S. 157. 537 So bspw. EuGH, Urt. v. 3. 3. 2005 – C-172/03 (Heiser), Slg. 2005, I-1627 = BeckEuRS 2005, 396301 Rz. 32. Zu dieser Divergenz m. w. N. Cremer, in: Calliess/Ruffert-AEUV, Art. 107 Rn. 33. 538  Zwischen den beiden genannten Merkmalen wird von Rechtsprechung und Kommission grds. nicht exakt unterschieden, vgl. hierzu Kliemann/Mederer, in: Groeben/Schwarze/ Hatje-AEUV, Art. 107 Rn. 57. 539  Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 sowie ErwGr. 1 und 3 der VO 1407/2013/EU. 540  Art. 1 Abs. 1 lit. h) VO 1998/2006/EG. Hierbei wird Rückgriff genommen (ErwGr. 7) auf die Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten (RuU LL), hierzu sogleich. 541 Vgl. Segura Catalán, in: Groeben/Schwarze/Hatje-AEUV, Art. 107 Rn. 81. Im Entwurf der Neufassung war diese Ausnahme noch mit ausführlicher Begründung (ErwGr. 9) für notwendig erachtet worden, s. http://ec.europa.eu/competition/consultations/2013_de_minimis/ draft_regulation_de.pdf (zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018). 542  Vgl. allerdings die Hinweise von Arhold/Struckmann, ZInsO 2016, 929, 941 f. sowie Brückl/Bellmann, ZInsO 2015, 1173, 1180. 535 



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Ob der (Teil-)Ausfall der übergegangenen Lohnforderungen den die BA wegen § 55 Abs. 3 InsO erleidet über der Schwelle von 200.000 Euro liegt, hängt vom Einzelfall des jeweiligen Verfahrens, insbesondere vom Umfang der Insolvenzgeldzahlungen und der Quote der Insolvenzgläubiger (im Vergleich zu den Massegläubigern) ab. Die Vermutung, dass ein solcher Beihilfenumfang in der Praxis nicht selten erreicht wird, lässt sich mit Blick auf die Insolvenzstatistiken erhärten: 2015 wurde bspw. über 7600 Arbeitgeberunternehmen das Insolvenzverfahren eröffnet. Von diesen hatte etwa ein Viertel (1995) mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, im Durchschnitt waren hier 48 Arbeitnehmer angestellt.543 Geht man in einem fiktiven, beispielhaften Fall davon aus, dass für zweieinhalb Monate Insolvenzgeld an diese 48 Arbeitnehmer gezahlt werden und legt einen durchschnittlichen Nettolohn von (nur) 2.000 Euro zugrunde, so ergibt sich ein Finanzierungsvolumen der BA von insgesamt 240.000 Euro. Selbst wenn sich für die BA im Insolvenzverfahren eine „gute“ Quote von 10 % verwirklichen ließe, würde die de-minimis-Schwelle gerissen: 90 % der Lohnforderungen, also 216.000 Euro, müssten abgeschrieben werden. Wann und ob in concreto ein beachtliches Subventionsvolumen erreicht wird, ist eine Frage des Einzelfalls.544 In vielen Fällen wird die Zahl der Arbeitnehmer bzw. die Gesamtlohnlast unter den Werten dieses Beispiels liegen; die Rangrückstufung ist dort ohne Bedeutung für das Beihilferecht. Bei Verfahren in denen Lohnstruktur oder Arbeitnehmerzahl jedoch höher sind, lassen sich für § 55 Abs. 3 InsO alle notwendigen Merkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV bejahen.545 ff)  Zwischenergebnis zum Beihilfencharakter Die mit § 55 Abs. 3 InsO verbundene Rangrückstufung stellt sich als staatliche Begünstigung allein der insolventen Unternehmen dar, die den freien Wettbewerb und den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen kann. Sobald im konkreten Fall ein ausreichend hohes Volumen der Insolvenzgeldfinanzierung mit entsprechend großen Einbußen der BA erreicht wird, sind alle Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 1 AEUV gegeben. Die abstrakte Norm, die (auch) solche Subventionierungen möglich macht, ist deshalb eine tatbestandliche Beihilferegelung. Bei ihrer Einführung hätte sie als „nicht bestehende“ Beihilfe gem. Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV bei der Europäischen Kommission ange543 

Statistisches Bundesamt, Fachserie 2, Reihe 4.1, 12/2015, S. 11. wohl grds. aber ohne Bezugnahme auf die de-minimis-Schwelle Cranshaw, Einflüsse des europäischen Rechts, S. 1338. 545  Die für die Annahme einer Wettbewerbsverzerrung i. S. d. AEUV relevante Intensitätsschwelle liegt insoweit niedriger als die „Eingriffstiefe“, die für die Verletzung der Wettbewerbsfreiheit i. S. d. GG notwendig wäre. 544  So

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zeigt und von dieser genehmigt werden müssen. Da und solange eine solche Genehmigung nicht vorliegt, gilt das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV, sodass bei Einsetzung eines starken vorläufigen Verwalters die Rangrückstufungsanordnung des § 55 Abs. 3 InsO nicht angewandt werden darf. c)  Genehmigungsfähigkeit der Beihilferegelung Eine Beihilferegelung kann grds. genehmigt werden, wenn sie nicht unvereinbar mit dem europäischen Binnenmarkt ist (Art. 107 Abs. 1 AEUV), also insbesondere wenn sie einem der Ausnahmetatbestände der Abs. 2 oder 3 unterfällt. Für die Rangrückstufung bei Insolvenzfinanzierung wäre insbesondere an eine etwaige Genehmigungsfähigkeit als Rettungsbeihilfe zu denken.546 Mit Art. 107 Abs. 3 sieht der AEUV unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit vor, dass Beihilfen durch die Kommission (lit. a-d) bzw. den Rat (lit. e) genehmigt werden können, wobei grds. ein weites Ermessen der Organe besteht.547 Auf Grundlage des Abs. 3 lit. c nimmt die Kommission Abwägungsprüfungen zur Genehmigung spezieller wirtschaftsfördernder Beihilfen vor.548 Hierzu zählen u. a. staatliche Unterstützungen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, für welche die Kommission ihre Entscheidungspraxis durch eine entsprechende Leitlinie (RuU LL) konkretisiert und veröffentlicht hat.549 Werden wirtschaftlich angeschlagene und ggf. unrentable Unternehmen durch staatliche Mittelgewährung gestützt oder gerettet, stellt sich dies als drastischer Eingriff in die „natürliche Auslese“ des Marktes dar; Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen verfälschen den Wettbewerb deshalb besonders intensiv.550 Allerdings erkennt die Kommission an, dass auch in solchen Situationen die Gewährung staatlicher Zuwendungen nützlich und notwendig sein kann, wobei hierfür strenge Voraussetzungen erfüllt sein müssen.551 Zunächst muss es sich beim Empfänger um ein „Unternehmen in Schwierigkeiten“ handeln, also eines, das ohne staatliche Hilfe voraussichtlich zur Einstellung der Geschäftstätigkeit gezwungen wäre; umfasst sind insbesondere materiell insolvente Unterneh546 

So auch Cranshaw, Einflüsse des europäischen Rechts, S. 1351. bspw. EuGH, Urt. v. 19. 9. 2000, C-156/98 (Deutschland ./. Kommission), Slg. 2000, I-6857, 6902 = ZIP 2000, 1738, 1742 Rz. 67; Mederer, in: Groeben/Schwarze/HatjeAEUV, Art. 107 Rn. 212 ff. 548  Heithecker, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich, Beihilfenrecht, Kap. 1 Rn. 1462 ff. 549  Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten (RuU LL), ABlEU 2014/C 249/1. Sehr ausführlich Bauer/ Nordmann, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich, Beihilfenrecht, Kap. 1 Rn. 1571 ff. (allerdings zur LL 2004). 550  RuU LL, Rn. 6; Segura Catalán, in: Groeben/Schwarze/Hatje-AEUV, Art. 107 Rn. 81. 551  RuU LL, Rn. 8, 11; Bauer/Nordmann, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich, Beihilfenrecht, Kap. 1 Rn. 1576. 547 Vgl.



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men.552 Da die Gewährung von Insolvenzgeld ein Insolvenzereignis voraussetzt (§ 165 Abs. 1 SGB III) und die endgültige Verfestigung der Beihilfe durch die Rangrückstufung erst im Insolvenzverfahren stattfindet (§ 55 Abs. 3 InsO), ist diese erste Bedingung der RuU LL zu bejahen. Die weiteren Voraussetzungen hängen davon ab, ob eine Rettungs- oder eine (dauerhafte oder vorübergehende) Umstrukturierungsbeihilfe vorliegt. Eine Rettungsbeihilfe dient dazu, ein „Unternehmen während der kurzen Zeit über Wasser [zu] halten, die für die Erstellung eines Umstrukturierungs- oder Abwicklungsplans benötigt wird“553. Zwar dient die Insolvenzgeldvorfinanzierung in der Praxis regelmäßig eben diesem Zweck, indem sie die Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren und die dortige Entscheidung über Sanierung oder Liquidation ermöglicht. Allerdings kann die spätere Rangrückstufung nicht als Rettungsbeihilfe angesehen werden, da sie keine vorübergehende Unterstützungsmaßnahme darstellt. Eine Rettungsbeihilfe kann allein in Form von Darlehen oder Darlehensbürgschaften gewährt werden, stellt also eine zeitweise Liquiditätshilfe dar, die auf Rückzahlung angelegt ist.554 Demgegenüber sorgt § 55 Abs. 3 InsO faktisch für eine dauerhafte Reduzierung der Passiva des Schuldners, ist also nicht vorübergehender Natur. Denkbar ist damit einzig eine Genehmigungsfähigkeit als Umstrukturierungsbeihilfe; nur diese sieht eine dauerhafte Unterstützung des Empfängers vor.555 In diesem Fall verlangt die Kommission allerdings u. a., dass die Beihilfe in einen realistischen, weitreichenden Restrukturierungsplan zur (Wieder-)Herstellung der Rentabilität des Begünstigten eingebunden ist.556 Über § 55 Abs. 3 InsO profitieren die betroffenen Schuldner allerdings von der Verlagerung der Lohnkosten völlig unabhängig davon, ob es zu einer Restrukturierung, (übertragenden) Sanierung oder Liquidation kommt. Zwar wurde die Norm gerade mit Blick auf die Sanierung erhaltenswerter Unternehmen eingeführt,557 normativ vorausgesetzt ist ein hierauf gerichteter konkreter, realistischer Plan allerdings nicht. Die Insolvenzgeldvorfinanzierung und Rangrückstufungsanordnung des § 55 Abs. 3 InsO lassen sich also weder als Rettungs- noch als Umstrukturierungsbeihilfe genehmigen, weshalb eine Ausnahme vom Beihilfeverbot über Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV nicht in Betracht kommt.

552 

RuU LL, Rn. 20 (insbes. lit. c). RuU LL Rn. 26; Fehr, ZIP 2004, 2123, 2125. 554  RuU LL Rn. 26, 55. Vgl. hierzu auch Arhold/Struckmann, ZInsO 2016, 929, 949 f. 555  RuU LL Rn. 27. Eine vorübergehende Umstrukturierungsbeihilfe ist nur zeitweiliger Natur und auf Rückzahlung angelegt (Rn. 28, 114 f.), kommt also ebenfalls nicht in Betracht. 556  RuU LL Rn. 45, 47. Weitere Voraussetzungen sind insbes. eine angemessene Eigenbeteiligung und Lastenverteilung sowie die Begrenzung der etwaigen Wettbewerbsverfälschung (Rn. 27). 557  RegE zum InsOÄndG, BT‑Drs. 14/5680, S. 17. 553 

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3.  Beihilferechtliche Konsequenz und Alternative Mit § 55 Abs. 3 InsO liegt i. E. eine allgemeine Beihilferegelung vor, die von Deutschland entgegen Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV nicht bei der Kommission als solche angemeldet wurde. Bis zu einer (ungewissen) Genehmigung greift deshalb das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV.558 Die Tatsache, dass die Kommission in den deutschen Regelungen zu Insolvenzgeld und dessen Vorfinanzierung keine staatliche Beihilfe sah,559 kann in diesem Zusammenhang nicht als legitimierende Positiventscheidung angesehen werden: Eine solche kann zwar grds. auch im Nachhinein erlassen werden,560 die Stellungnahme der Kommission nahm allerdings nur die Normen des SGB III zum Insolvenzgeld, nicht aber die Rangrückstufung des § 55 Abs. 3 InsO in den Blick, traf zu Letzterem also auch keine legitimierende Entscheidung.561 Mit der dargelegten Begründung wäre diesbezüglich eine Negativentscheidung zu erwarten.562 Als rechtswidrige, da nicht genehmigte Beihilferegelung i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AUEV darf die deutsche Rangrückstufungsanordnung keine Anwendung erfahren. Bei Einsetzung eines „starken“ vorläufigen Verwalters dürften die von diesem begründeten Lohnforderungen deshalb nicht zulasten der BA zur Insolvenzforderung abgestuft werden. Die alternative Möglichkeit, eine Insolvenzgeldvorfinanzierung zu realisieren ohne Masseforderungen zu begründen, stellt allerdings schon heute den praktischen Regelfall dar:563 Wird die Verwaltungs- und Verfügungsmacht vom Gericht nicht auf den vorläufigen Verwalter übertragen, so kommt der problematische § 55 Abs. 3 InsO nicht zur Anwendung.564 In diesem Fall entstehen zugunsten der Arbeitnehmer schon originär keine Masse-, sondern nur Insolvenzforderungen, die als solche auf die BA übergehen. Wird also ein „schwacher“, regelmäßig mit Einzelermächtigungen ausgestatteter, vorläufiger Verwalter eingesetzt, bedarf es einer Rangrückstufung nicht. 558 Vgl.

v.Wallenberg/Schütte, in: G/H/N, Recht der EU, Art. 107 AEUV Rn. 78 f., 85 ff. der Europäischen Kommission vom 19. 11. 2009, K(2009)8707 endg. (http://ec.europa.eu/competition/state_aid/cases/233552/233552_1095452_13_2.pdf, zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018). 560 Eine solche nachträgliche Genehmigung heilt zwar nicht den Verstoß gegen die Notifizierungspflicht, die zuvor fälschlicherweise gewährten Beihilfen sind jedoch nicht vollständig rückabzuwickeln, EuGH, Urt. v. 12. 2. 2008 – C-199/06 (CELF ./. SIDE) Slg. 2008, I-486 = EuZW 2008, 145, 147 Rz. 66. Vgl. auch Gundal, EWS 2008, 161; Bungenberg, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich, Beihilfenrecht, Kap. 2, Rn. 68 ff., insbes. Rn. 74. 561  So auch Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1494. 562 Vgl. auch Euler Hermes/ZIS, Wirtschaft Konkret Nr. 418, S. 13, mit der Andeutung einer solchen (früheren) Einschätzung durch die Kommission. 563 Vgl. Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb vorläufige Insolvenzverwaltung, § 6 Rn. 18. Aus diesem Grund wird die praktische Bedeutung von § 55 Abs. 3 InsO auch deutlich angezweifelt, vgl. Hefermehl, in: MüKo-InsO, § 55 Rn. 236; Pape/Schaltke, in: K/P/B‑InsO, § 55 Rn. 235. 564  So bspw. auch der Gesetzgeber 2001, vgl. RegE zum InsOÄndG, BT‑Drs. 14/5680, S. 17 f. 559  Stellungnahme



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Ein solches Vorgehen ist grds. möglich und relativiert deshalb die Auswirkungen des zuvor erarbeiteten Ergebnisses nicht unwesentlich. Die Tatsache, dass auf diesem Weg der gleiche positive Effekt für das insolvente Unternehmen erzielt werden kann, wie durch die Anwendung von § 55 Abs. 3 InsO, führt allerdings zu zwei wesentlichen Überlegungen: Zum einen liegt der Verdacht der Gesetzesumgehung nahe, wenn sich die Entscheidung über die Einsetzung des vorläufigen Verwalters ausschließlich an der Beihilfenproblematik orientiert. Evident wäre dies, wenn das Insolvenzgericht grds. die Einsetzung eines starken Verwalters für sinnvoll und notwendig hält, hiervon allerdings absieht und stattdessen den vorläufigen Verwalter bei Zustimmungsvorbehalt umfassend mit Einzelermächtigungen ausstattet, sodass dieser grds. Masseforderungen begründet und allein die Lohnforderungen „nachrangig“ wären.565 Faktisch wird so die Wirkung des § 55 Abs. 3 InsO hervorgerufen, ohne diesen direkt anwenden zu müssen. Auch wenn sich das gerichtliche Ermessen selten allein an der beschriebenen Problematik ausrichten wird, ist die Frage nach der masseentlastenden Finanzierung der Arbeitslöhne auf Kosten der BA regelmäßig von zentraler Bedeutung.566 Zum anderen zeigt sich am Beispiel der Rangrückstufung bei Insolvenzgeldzahlungen in besonderer Deutlichkeit, welche dogmatischen Probleme sich allgemein aus dem Gegenüber von „starkem“ und (einzelermächtigtem) „schwachem“ vorläufigem Verwalter ergeben: Bei einer „schwachen“ vorläufigen Verwaltung bleiben die Arbeitnehmer nur deshalb weiterhin tätig, weil sie wissen, dass sie nicht auf die nachrangigen Lohnforderungen angewiesen sind, sondern (vorfinanziertes) Insolvenzgeld erhalten. Das System der Insolvenzgeldsicherung sorgt mit dem gesetzlich angeordneten Forderungsübergang (§ 169 S. 1 SGB III) dafür, dass in jedem Fall die BA auf den offenen Lohnforderungen als Insolvenzgläubigerin „sitzen bleibt“. So oder so trägt sie also die Kosten für Dienstleistungen, die ansonsten, d. h. ohne dieses System, nur im Gegenzug zur Begründung bevorrechtigter Masseforderungen erbracht würden.567 Würde der Verzicht auf die Einsetzung eines „starken“ vorläufigen Verwalters nicht auf Kosten der BA, sondern der einzelnen Arbeitnehmer gehen, so würde das Insolvenzgericht wohl regelmäßig zu anderen Entscheidungen kommen. Eine derartige Massemehrung im Eröffnungsverfahren unter Vermeidung der hierfür grds. angebrachten Masseforderungen stellt sich als „Systemwidrig-

565  Zur Möglichkeit der Einzelermächtigung in sehr weitem Ausmaß und dem Verhältnis zur „starken“ Verwaltung Laroche, NZI 2010, 965, 970. 566  Die Rangstellung der BA ist „der Grund, von der Bestellung eines […] „starken“ vorläufigen Verwalters abzusehen“, Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 12 (Hervorhebung durch den Verfasser). 567  Ähnlich auch Henkel, in: Jaeger-InsO, § 55 Rn. 87.

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keit“568 im deutschen Insolvenzrecht dar.569 Dies wird besonders deutlich in Fällen, in denen die Eröffnung trotz Entscheidungsreife aufgeschoben wird: Eine sofortige Eröffnung hätte zwingend zur Folge, dass die Arbeitnehmer, wie §§ 113 Abs. 1 S. 1, 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO explizit anordnen, Masseforderungen erwerben. Die doppelte Vermeidungsstrategie – Anordnung der „nur“ schwachen vorläufigen Verwaltung und Verzögerung der Eröffnung – kann untechnisch als „Missbrauchsproblematik“570 beschrieben werden; die „Alternative“ der beihilferechtswidrigen Rangrückstufung über § 55 Abs. 3 InsO stärkt dieses Einschätzung zusätzlich: Die Praxis, einen „schwachen“ vorläufigen Verwalters einzusetzen und diesen umfassend mit weitreichenden Einzelermächtigungen auszustatten, von denen lediglich die Lohnforderungen ausgenommen sind, ist unzulässig und darf von den Insolvenzgerichten nicht mit dem pauschalen Hinweis auf allgemeine Verhältnismäßigkeitserwägungen unterstützt werden.571

V.  Insolvenzgeld, Vorfinanzierung und Marktwirtschaft Ein abschließender Exkurs soll die Frage nach Einsatz und Wirkung der Insolvenzgeldvorfinanzierung in wirtschaftspolitische Überlegungen einbetten: Bei Schaffung der Insolvenzordnung war ein zentrales Anliegen, die Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts als Teilelement der sozialen Marktwirtschaft zu festigen.572 Es sei die „marktwirtschaftliche Aufgabe der […] Insolvenzabwicklung […], die in dem insolventen Unternehmen gebundenen Ressourcen der wirtschaftlich produktivsten Verwendung zuzuführen“573. Auch im Laufe späterer Reformen, bspw. durch das ESUG, wurde das Insolvenzrecht als Element des Systems einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung eingereiht.574 Gerade im Hinblick auf diese marktwirtschaftliche Ausrichtung des Insolvenzrechts wurden die dargestellten Subventionseffekte des Insolvenzgelds und seiner Vorfinanzierung im Eröffnungsverfahren als Systembruch wahrgenommen.575 568 So

Pape/Uhlenbruck, ZIP 2005, 417, 419 konkret zur Einzelermächtigung. S. hierzu im Detail noch S. 208 f., S. 220 ff. 570  Marotzke, ZInsO 2010, 2163, 2175; ähnlich auch der Gesetzgeber in RegE HBeglG 2011, BT‑Drs. 17/3030, S. 43. 571  Zu dieser „Rechtfertigung“ merkt bspw. Zipperer kritisch an, dass der Verzicht auf die Anordnung von Verfügungsbeschränkungen (vielfach) lediglich den „Charme der Verhältnismäßigkeit“ habe, Zipperer, EWiR 2016, 709, 710. Kritisch auch Laroche, NZI 2010, 965, 971. 572  RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 75 ff., 94 ff., 109; vgl. auch mit Bezug auf das Insg RegE EGInsO, BT‑Drs. 12/3803, S. 114. 573  RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 77. 574  RegE zum ESUG, BT‑Drs. 17/5712, S. 17; vgl. auch die Argumentation des Bundesrats in der Stellungnahme zum RegE Insolvenzanfechtungsreform, BT‑Drs. 18/7054, S. 29. 575  Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 146 ff.; Zeuner, RdA 1989, 270, 276. Insbesondere als sich mit der Einführung der InsO die Möglichkeit zur (ggf. durch Insg gestützten) rechtsträgererhaltenden Sanierung ergab wurden vermehrt Bedenken geäußert, vgl. Berscheid, 569 



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Allerdings ist die deutsche Wirtschaftsverfassung so offen und neutral ausgestaltet, dass eine rein marktwirtschaftliche Orientierung nicht zwingend ist, solange Verfassungs- und vorrangiges Europarecht dem nicht entgegenstehen.576 Trotzdem steht – mit Blick auf die systematische Einheitlichkeit des Insolvenzrechts – die Frage im Raum, „womit die marktrational agierende Gläubigerschar den staatlichen Geldsegen verdient hat“577. Dies gilt jedenfalls, wenn man sich deutlicher einer marktwirtschaftlichen Ausrichtung des Insolvenzverfahrens verschreiben wollte. 1.  Erhalt konkreter Arbeitsplätze als Rechtfertigung Das wesentliche und de lege lata einzig rechtfertigende Argument der Insolvenzgeldvorfinanzierung im Eröffnungsverfahren ist das besprochene Ziel des Erhalts insolvenzgefährdeter Arbeitsplätze. Hierbei sollen (und müssen) konkrete Arbeitsstellen im betroffenen Unternehmen gesichert werden. Im Fokus steht also stets der Einzelfall. Unabhängig von der Bewertung der Effektivität dieser Maßnahmen im Einzelnen, ist die grundsätzlichere Frage zu stellen, ob gesamtwirtschaftlich und mit Blick auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch dieses Vorgehen in der Summe Arbeitslosigkeit in nennenswertem Umfang verhindert und reduziert wird. Es ließe sich der marktwirtschaftliche Einwand erheben, dass sich der Abbau konkreter Arbeitsplätze bei unprofitablen Unternehmen positiv auf die (profitabler eingestellte) Konkurrenz auswirkt, wodurch mittelbar die Wirtschaft allgemein produktiver und stabiler und so letztlich ein hoher Bestand an Arbeitsplätzen abgesichert wird.578 Ansatzpunkt ist die Feststellung, dass im marktwirtschaftlichen „Investitionskreislauf ständig einzelne Unternehmen und deren Arbeitsplätze liquidiert werden müssen, damit mittels des freiwerdenden Restkapitals und ersparter weiterer Verluste woanders (obschon nicht notwendig und nicht deckungsgleich) andere Unternehmen und andere Arbeitsplätze entstehen“579. Verschwindet ein Unternehmen inkl. seiner Arbeitsplätze – bspw. wegen eines veralteten Geschäftsmodells oder eines unproduktiven Mitteleinsatzes580 – vom WPrax 1994, 7, 10; Uhlenbruck, KTS 1994, 169, 183; Zeuner, in: Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch, S. 261, 270. 576  Vgl. zu den Vorgaben des GG BVerfG, Urt. v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77, BVerfGE 50, 290, 338 = NJW 1979, 699, 702 Rz. 141 m. w. N. Vgl. hierzu auch Scholz, in: Maunz/DürigGG, Art. 12 Rn. 85 ff. 577  Förster, ZInsO 2003, 917, 920, der selbst allerdings das Sanierungsziel als sozialpolitischen Auftrag und damit als Rechtfertigung ansieht. 578  Vgl. zum produktiven Einsatz (auch) des Produktionsfaktors „Arbeit“ und der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung von Liquidationen Meyer-Cording, NJW 1981, 1242, 1243. Ähnlich Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 146 ff. 579  Beuthien, in: IGM, Das Sanierungsverfahren, S. 59 f. 580 Diese wirtschaftlich nicht überlebensfähigen Unternehmen sind von den (lediglich)

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Markt, so kann sich dies u. U. als unmittelbarer Vorteil für die Wettbewerber herausstellen und dort ggf. zu längerfristigem wirtschaftlichem Aufschwung und so zur Schaffung neuer Arbeitsstellen führen.581 Und auch wenn eine solche direkte Korrelation zwischen dem Schicksal des insolventen und dem des konkurrierenden Unternehmens nicht immer vorliegen wird, lassen sich die angestellten Überlegungen wohl auch auf einen allgemeineren, gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang übertragen: Nach diesem Ansatz ist der Abbau unproduktiver Arbeitsplätze zumindest eine Voraussetzung langfristigen Wachstums der Gesamtökonomie und infolgedessen einer hohen Beschäftigungsquote. Diesem Gedanken folgend sollte das (Insolvenz-)Recht – mit Blick auf den gesamten deutschen Arbeitsmarkt – grds. dafür sorgen, dass gerade die wettbewerbsfähigen Unternehmen wachsen können; im Zweifel auch durch den Marktaustritt unprofitabler Wirtschaftsakteure.582 Auch der Gesetzgeber betonte bei Schaffung der Insolvenzordnung die Bedeutung eines solchen permanenten Strukturwandels der Volkswirtschaft und der Freisetzung gebundener Produktionsfaktoren (wie des Faktors „Arbeit“) zur rentableren Verwendung.583 Das Insolvenzverfahren diene nicht dazu, „das Arbeitsplatzinteresse der Arbeitnehmer gegenüber Rentabilitätsgesichtspunkten durchzusetzen“584. Mit § 170 Abs. 4 SGB III und dem derzeitigen Konzept der Insolvenzgeldvorfinanzierung verbindet sich die Absicht, bereits Bestehendes zu erhalten: Der Einsatz von Insolvenzgeldmitteln lässt sich mit der Sicherung konkreter Arbeitsplätze in einem klar bezifferbaren Umfang rechtfertigen. Der arbeitsmarktpolitische Effekt kann unmittelbar nachvollzogen und dementsprechend kommuniziert werden. Durch eine Einschränkung der Vorfinanzierbarkeit von Insolvenzgeld würde dieser sichere „Spatz in der Hand“ verloren gehen. Die Alternative wäre ein Konzept, in dessen Zentrum die abstrakte und eher vage Hoffnung auf nicht mess- und konkretisierbare zukünftige Beschäftigungen steht. Gleichzeitig bleibt aber festzuhalten, dass es bislang keine Hinweise darauf gibt, dass das derzeitige System demgegenüber i. E. zu einer höheren Beschäftigungsquote führt. Kommt es – bspw. wegen der ausbleibenden Anschubfinanzierung durch die Insolvenzgeldvorfinanzierung – zur Liquidierung eines Unternehmens, so ist zwar selbstverständlich, dass „diese und jene Zahl von Arbeitsplätzen verlorengeht. Das besagt aber nicht, dass damit gleichzeitig grundsätzlich Arbeitsplätze absolut in der Zahl vermindert werden“585. illiquiden aber grds. wettbewerbsfähigen Betrieben zu unterscheiden, vgl. Thole, JZ 2011, 765, 772. 581  Geldmacher, Das präventive Sanierungsverfahren, S. 6. 582  Thole spricht in diesem Kontext von der „Reinigungs- und Filterfunktion“ des Insolvenzverfahrens und – unter Rückgriff auf Schumpeter – vom „Prozess schöpferischer Zerstörung“ (Thole, JZ 2011, 765, 771). Vgl. auch Lambsdorff, ZIP 1987, 809, 811 f. 583  RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 76 (Klammerzusatz durch den Verfasser). 584 Ebd. 585  Heidland, in: IGM, Das Sanierungsverfahren, S. 57, 58.



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2.  Subventionierung durch Insolvenzgeld als Eingriff in den Markt Die vorgenannten Überlegungen führen schließlich zu einer sehr allgemeinen Betrachtung und Einordnung des Insolvenzgelds und seiner Vorfinanzierung im System eines grds. marktwirtschaftlich ausgerichteten Insolvenzrechts. Die bekannten und aufgezeigten Vorteile der ausgedehnten Insolvenzgeldvorfinanzierung stellen sich im Wesentlichen aus zwei Gründen als externe Förderung der Betriebsfortführung dar. Zum einen wird dem Betrieb im Eröffnungsverfahren für maximal ein Vierteljahr faktisch ein Stundungskredit bzgl. der Lohnforderungen eingeräumt, sodass in diesem wirtschaftlich schwierigsten Zeitraum die Liquidität nicht unerheblich geschont wird.586 Zum anderen werden diese „gestundeten“ Lohnforderungen nicht nur auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, sondern faktisch abgewertet: Beglichen werden die Forderungen nicht (nur) später, sondern auch mit erheblichen Abschlägen.587 Verstärkt werden diese Effekte, wenn das Eröffnungsverfahren (aus diesem Grund) in die Länge gezogen und so möglichst viel Insolvenzgeld vereinnahmt wird. Beiden „Förderungen“ ist gemein, dass sie zu marktunüblichen Bedingungen erfolgen. Das betroffene Unternehmen könnte bei Liquiditätslücken die Lohnforderungen – jedenfalls theoretisch – auch ohne das erwartete Insolvenzgeld von einem Dritten (vor-)finanzieren lassen. Aufgrund der typischerweise schlechten Bonität des Arbeitgebers würde ein solcher Kredit allerdings (wenn überhaupt) nur mit sehr hohen Zinsen vergeben. Das hohe Risiko eines Ausfalls der Forderungen müsste ein Kreditgeber bei „normalen Marktbedingungen“ voll in die Kreditzinsen einpreisen. Durch das sicher zu erwartende Insolvenzgeld und die damit einhergehende Befriedigung durch die BA halten sich die Kosten der Lohnvorfinanzierung für das angeschlagene Unternehmen im tragbaren Rahmen – marktüblich ist die Kreditierung nicht. Und auch mit dem nachgeordneten Rang dieser Lohnforderungen im späteren Verfahren und damit der Reduzierung der Massebelastung wird in den freien Wettbewerb eingegriffen: Ohne das (vorfinanzierte) Insolvenzgeld würde ein Arbeitnehmer im Eröffnungsverfahren seine Leistungen regelmäßig nur dann erbringen, wenn im Gegenzug direkt und vollständig bezahlt oder zumindest eine werthaltige Masseforderung begründet würde. Dass dem Unternehmen die volle wertsteigernde Arbeitsleistung im Eröffnungsverfahren zugutekommt und gleichzeitig lediglich Insolvenzforderungen begründet werden, wäre ohne den staatlichen, subventionierenden Eingriff, also bei freien marktwirtschaftlichen Bedingungen, nicht zu erwarten. Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung gewähren dem Arbeitgeberunternehmen Vorteile, die diesem in einer reinen Marktwirtschaft verwehrt blieben und ihn so vor einer (wettbewerbsrelevanten) Betriebseinstellung 586  587 

Kilger, KTS 1989, 495, 503; Steinwedel, DB 1998, 822, 823. Wiester, BB 1997, 949, 952; Förster, ZInsO 2003, 917, 920.

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bewahren können (Perpetuierungseffekt). Gleichzeitig wird die Marktsituation beeinflusst, indem einem Wettbewerber Begünstigungen gewährt werden, die ein Konkurrenzunternehmen nicht nutzen kann (Verzerrungseffekt). Der Einsatz von (vorfinanziertem) Insolvenzgeld zur Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren ist also jedenfalls „im Hinblick auf die strikte Einhaltung der Prinzipien der Marktwirtschaft […] nicht marktkonform“588. Bedenken, die sich aus dieser Feststellung ergeben, werden allerdings durch zwei nicht unwesentliche Einschränkungen relativiert. Zum einen lässt sich einwenden, dass die Auswirkungen des vorfinanzierten Insolvenzgelds auf die Wettbewerbssituation im Gesamten in der Regel wohl nicht gravierend sind und sich die beschriebenen Wettbewerbsvorteile innerhalb von Monaten verflüchtigen.589 Dass allein der Kostenfaktor „Arbeit“ für zwei oder maximal drei Monate übernommen wird, wird sich oftmals kaum (dauerhaft) auf die Preispolitik, die Gewinnmargen und die Marktstellung auswirken können; dies gilt insbesondere wenn die Lohnkosten neben sonstigen Aufwendungen (bspw. Materialkosten, Miet- und Kreditzinsen) u. U. nur einen kleinen Teil der Belastungen ausmachen.590 Allerdings kann in bestimmten Fällen – vor allem in personalintensiven Branchen mit einem sehr hohen Lohnkostenanteil – die Verlagerung dieser Belastung auf die BA für drei Monate ein entscheidender Faktor im Wettbewerb sein. Und auch wenn im Regel- oder Einzelfall die Wettbewerbsvorteile nur gering sind, spricht dies nicht dagegen, die Wirkungsweise der Insolvenzgeldvorfinanzierung als Systembruch in einem marktwirtschaftlich ausgerichteten Insolvenzrecht anzusehen. Gewichtiger ist die zweite Relativierung der „marktwirtschaftlichen Kritik“: Die grundgesetzlichen Vorgaben an die deutsche Wirtschaftsordnung sehen keine strikte Wahrung der Marktgesetze vor.591 Vielmehr ist es in der sozialen Marktwirtschaft angezeigt, auch andere Belange zu berücksichtigen, sodass auch im Insolvenzrecht das Prinzip der reinen Marktwirtschaft eingeschränkt werden kann und muss.592 Als solche Einschränkung ließe sich möglicherweise die besondere Subventionswirkung der Insolvenzgeldvorfinanzierung rechtfertigen: Mit Einführung der InsO und später insbesondere dem ESUG sollten die 588 

Kautzsch, Unternehmenssanierung, S. 81 f. (Hervorhebung durch den Verfasser). So explizit Grub, ZIP 1993, 393, 397. Insbesondere wird die verfassungsrechtlich relevante Schwelle der Erheblichkeit des Eingriffs in die Wettbewerbsfreiheit wohl nicht erreicht, vgl. S. 117 f. 590  Zu diesem Verhältnis Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 51; Braun, in: FS Drukarczyk, S. 93, 100. 591  Vgl. zur offenen Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes Scholz, in: Maunz/DürigGG, Art. 12 Rn. 85 ff. 592 Zur Berücksichtigung sozialer Belange in diesem Zusammenhang Kautzsch, Unternehmenssanierung, S. 82; Lambsdorff, ZIP 1987, 809, 810. Zur Orientierung Deutschlands an der sozialen (und nicht der freien) Marktwirtschaft vgl. m. w. N. Geldmacher, Das präventive Sanierungsverfahren, S. 10 f. 589 



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Sanierungsmöglichkeiten innerhalb des Insolvenzverfahrens verbessert und so (unnötige) Unternehmensliquidationen verhindert werden.593 Mit dem Bestreben, Arbeitsplätze zu erhalten und volkswirtschaftliche Schäden zu vermeiden, ließe sich ggf. ein Abrücken von der uneingeschränkten marktwirtschaftlichen Ausrichtung des (Insolvenz-)Rechts rechtfertigen.594 Nach verbreiteter Auffassung macht vielfach allein die Möglichkeit zur umfassenden Insolvenzgeldvorfinanzierung samt ihrer beschriebenen Vorteile die angestrebte Sanierung erst möglich.595 Eine solche Argumentation, die ein aktiv unterstützendes Eingreifen des Staates zur Verbesserung der arbeitsplatzerhaltenden Sanierungschancen für geboten hält, steht allerdings nicht im Einklang mit dem Grundkonzept der InsO und ihrem grds. Umgang mit der Entscheidung zwischen Sanierung und Liquidierung: Mit der Schaffung der InsO sollte die Erhaltung von Unternehmen dort ermöglicht und erleichtert werden, wo dies marktwirtschaftlich sinnvoll ist,596 gleichzeitig wollte man aber ausdrücklich auch sinnwidrige Sanierungen verhindern.597 Der Gesetzgeber wollte „die Marktgesetze nicht außer Kraft setzen […], sondern Marktprozesse stimulieren“, ohne den „Wettbewerb zwischen gesunden und insolventen Unternehmen […] zu Gunsten letzterer“ zu verzerren.598 Für die Frage, wann eine Sanierung sinnvoll ist, und für die Entscheidung über entsprechende Maßnahmen soll und kann das Insolvenzrecht nur den neutralen rechtlichen Rahmen zur Verfügung stellen.599 Im Übrigen wird darauf vertraut, dass Verwertungsentscheidungen marktwirtschaftlich rational und unter Wettbewerbsbedingungen von den Beteiligten und Betroffenen – also maßgeblich

593 Aus diesem Grund fordern Kremer/Fahlbusch die Ausdehnung der Insg-Vorfinanzierungsmöglichkeiten und entsprechende Gesetzesänderungen (Kremer/Fahlbusch, ZInsO 2015, 837, 840). 594 So Kautzsch, Unternehmenssanierung, S. 82. Eingehend zum Zweck der Verhinderung volkswirtschaftlicher Schäden Geldmacher, Das präventive Sanierungsverfahren, S. 8 ff. Vgl. (auch) zum Nutzen von Sanierungshilfen für die Institution „Wettbewerb“ Möhlenkamp, in: FIW, Schwerpunkt des Kartellrechts, S. 41, 57. 595  Diese Einschätzung wird auch in einer Vielzahl aktueller Stellungnahmen geteilt, vgl. Muschiol, ZInsO 2016, 248, 261; ähnlich auch Priebe, ZInsO 2016, 2547; Kremer/Fahlbusch, ZInsO 2015, 837, 840; Vallender, in: FS Greiner, S. 327, 334; Uhlenbruck, in: Mönning, Betriebsfortführung, § 1 Rn. 46; Mues, in: FK‑InsO, Anh. zu § 113 Rn. 64. 596  Hefermehl, in: MüKo-InsO, § 55 Rn. 219. 597  RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 77; vgl. auch Berscheid, BuW 1998, 913; Balz, in: Kübler, Neuordnung des Insolvenzrechts, S. 1, 5. 598  RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 75; vgl. auch Koch/da Bra, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 66 Rn. 6 f. 599 Vgl. Geldmacher, Das präventive Sanierungsverfahren, S. 6.; explizit auch RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 78. Auch mit dem insoweit wegweisenden ESUG sollten die Sanierungsmöglichkeiten (nur) durch Veränderung des „Verfahrensrahmens“ verbessert werden; Sanierung sei in der „marktwirtschaftlichen Ordnung kein Selbstzweck“, RegE ESUG, BT‑Drs. 17/5712, S. 17.

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von den Gläubigern – getroffen werden.600 Welche Verfahrensart lukrativer ist und dem Ziel der umfassenden Gläubigerbefriedigung am besten dient, soll nicht vorgegeben werden, sondern muss eine „unternehmerische Entscheidung bleiben. Sie sollte nicht zu einer sozialpolitischen Entscheidung umfunktioniert werden, so hart dies im Einzelfall für die Betroffenen auch sein mag“601. In diesen „Wettbewerb um die beste Verwertungsart“602 wird durch die Subventionswirkung der Insolvenzgeldvorfinanzierung – insbesondere bei bewusster Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens – eingegriffen: Den betroffenen Unternehmen werden nicht nur der Rahmen und das Verfahren mit seinen Restrukturierungs- und Eingriffsmöglichkeiten, sondern zugleich auch Finanzmittel zur (zumindest temporären) Betriebsfortführung durch die Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise wird der Anreiz gesetzt, einen Betrieb auch dort fortzuführen, wo eine Sanierung eher unwahrscheinlich erscheint.603 Und auch für die Fälle, in denen eine Sanierung möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist, findet sich keine überzeugende Begründung, warum diese auf Kosten der Allgemeinheit und des fairen Wettbewerbs aktiv subventioniert werden sollte.604 Nach der allgemeinen Konzeption der InsO kommen grds. (allein) diejenigen für die Fortführungs- und Sanierungsfinanzierung auf, die sich hiervon letztlich Profit versprechen dürfen  – i. d. R. also die betroffenen Gläubiger. Diese „erkaufen“ sich regelmäßig den Vorteil der höheren Befriedigungsquote durch eigene Beiträge – bspw. durch einen typischen Forderungsteilverzicht605 – und tragen so neben den Chancen auch „das wirtschaftliche Risiko des Gelingens oder Scheiterns einer Sanierung“.606 Letztlich bleibt zur Rechtfertigung der marktwidrigen Subventionierung vor allem das Argument, dass das Insolvenzgeld und die Vorfinanzierung die Entscheidung zwischen Liquidation und Sanierung erst ermöglichen, da ein vorläufiger Verwalter zunächst Zeit braucht, um die Sanierungsfähigkeit zu beurteilen,

600  RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 76, 78. Auch Windel zieht diese Konsequenz aus dem Konflikt zwischen Marktbereinigungs- und Sanierungsgedanken (Windel, in: Riesenhuber, Selbstverantwortung, S. 449, 453 ff., 457). 601  Uhlenbruck, in: FS 100 Jahre KO, S. 3, 27. 602  RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 78. 603  Gerhardt sieht die Gefahr, dass „leichtfertig eine Sanierung versucht wird“ (Gerhardt, Grundbegriffe des Vollstreckungs- und Insolvenzrechts, S. 245). Vgl. mit marktwirtschaftlicher Kritik an einer verfehlten Sanierungspraxis Arnold, Bundesanzeiger-Beilage 8/1982, Nr. 34, S. 3, 5. 604  Für die derzeitige Finanzierung allein durch die Arbeitgeber gilt diese Feststellung erst Recht, vgl. auch S. 123 ff. 605  Vgl. § 224 InsO; zu diesem „Hauptgegenstand des gestaltenden Teils eines Insolvenzplans“ Breuer, in: MüKo-InsO, § 224 Rn. 4 ff. 606 RegE ESUG, BT‑Drs. 17/5712, S. 17. Dies fordert mit direktem Bezug zum Kaug schon Strasser, Vorfinanzierung des Kaug, S. 148 f.



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und dass ohne das derzeitige System die Entscheidung (pro Liquidation) faktisch durch den erzwungenen Betriebsstillstand getroffen wird.607 Im Ausgangspunkt ist dieser Einschätzung sicherlich zuzustimmen: Mit Blick auf die sehr schlechte Liquiditätssituation vieler Unternehmen im Eröffnungsverfahren – ausgelöst oder zumindest erheblich verstärkt durch die sehr späte Antragstellung608 – liegt die Annahme nahe, dass mit der Einschränkung der Möglichkeit zur Insolvenzgeldvorfinanzierung die Zahl der Betriebsfortführungen sinken wird. In diesen Fällen wäre die Entscheidung, ob saniert werden soll, durch die „aufgezwungene“ Betriebsstilllegung vorab entschieden. Diese Feststellung ändert jedoch nichts am Kern der marktwirtschaftlichen Problematik, also daran, dass ein Unternehmen für die Zeit des Eröffnungsverfahrens – unabhängig davon, wie die Verwertungsentscheidungen ausfallen – öffentlich subventioniert wird. Die legislativen Ziele, die (Verwertungs-)Entscheidung der Gläubiger ins Zentrum des Insolvenzverfahrens zu stellen und dieses gleichzeitig marktkonform auszugestalten,609 stehen in diesem Punkt ersichtlich in deutlichem Widerspruch. Dieser Gegensatz lässt sich relativieren, wenn man den Fokus auf die zugrundeliegende, zentrale Ursache für das beschriebene Dilemma der Fortführungsfinanzierung lenkt: Wurzel der Finanzierungsproblematik ist die Tatsache, dass die Insolvenzantragstellung in aller Regel viel zu spät erfolgt. Wenn in diesem Zeitpunkt die eigenen liquiden Mittel vollständig aufgebraucht sind, kommt das Insolvenzverfahren vielfach für eine umfassende Sanierung und oft auch für die temporäre Betriebsfortführung zu spät.610 Ist ein Unternehmen für die Aufrechterhaltung des Betriebs zwingend auf die Subvention des Insolvenzgelds angewiesen, also so illiquide, dass es nicht aus eigener Kraft oder bspw. über entsprechende (Masse-)Kredite die Arbeitnehmer entlohnen könnte, liegt jedenfalls in der Regel der Verdacht nahe, dass die Herstellung der dauerhaften Wettbewerbsfähigkeit kaum möglich sein wird.611 Das vorfinanzierte Insolvenzgeld hat heute im Wesentlichen die Aufgabe, die Folgen dieses Missstands abzufangen; mit öffentlichen Mitteln soll die 607 Grundlegend Grub, in: Kübler, Neuordnung des Insolvenzrechts, S. 79, 83 ff.; aktuell Kremer/Fahlbusch, ZInsO 2015, 837, 839; ähnlich Hase, WM 2000, 2231; Klüter, WM 2010, 1483; Fink, Maßnahmen des Verwalters, S. 165 f. Vgl. zu dieser (insolvenzgeldfinanzierten) „Testphase“ auch Siemons, ZInsO 2015, 625, 630 f. 608 Vgl. Geldmacher, Das präventive Sanierungsverfahren, S.  44 f. sowie umfassend m. w. N. Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 32 ff. 609  Vgl. RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 78, 79, 95 f. Grds. soll erst im eröffneten Verfahren über die Verfahrensziele entschieden werden (§ 157 InsO). 610  Leutheusser-Schnarrenberger, ZInsO 2010, 614, 615; Geldmacher, Das präventive Sanierungsverfahren, S. 35; Icks/Kranzusch, Sanierungen in Insolvenzverfahren, S. 118, 124. 611  Henckel, ZIP 1981, 1296, 1298; Arnold, Bundesanzeiger-Beilage 8/1982, Nr. 34, S. 3, 11; Braun, Vorinsolvenzliche Sanierung, S. 224; BMJ (Hrsg.), Erster Bericht der Insolvenzrechtskommission, S. 388. A. A. Kilger, in: IGM, Das Sanierungsverfahren, S. 139.

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„letzte Chance“ gewahrt werden, einen noch laufenden Betrieb als solchen zu erhalten. Um eine echte „Sanierungskultur“612 zu etablieren, sollte jedoch sinnvollerweise verstärkt am kritischen und reformbedürftigen Grundproblem, dem oftmals (viel) zu späten Zeitpunkt der Antragstellung angesetzt werden.613 Die marktwirtschaftlich problematische Insolvenzgeldvorfinanzierung ließe sich ohne schwerwiegende Konsequenzen einschränken, wenn die Vorzüge eines frühen Insolvenzverfahrens gestärkt und von der Praxis genutzt würden. Die Möglichkeiten und Vorzüge, die ein vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren bietet,614 werden erst dann überzeugend, wenn die Betriebsfortführung im Regeleröffnungsverfahren nicht mehr künstlich attraktiv gehalten wird und wenn so (weitere) Anreize zur frühen Verfahrenseinleitung gesetzt werden.615 Das allgemeine Bestreben, die Attraktivität der rechtzeitigen Verfahrenseinleitung zu steigern,616 würde deutlich forciert werden (müssen), wenn die Insolvenzgeldvorfinanzierung nicht mehr in gleicher Weise als „Notnagel“ für die Fortführungsfinanzierung zur Verfügung stünde. Gerade in der aktuellen insolvenzrechtlichen Diskussion und der aufgekommenen Sanierungseuphorie ist daran zu erinnern, dass „Sanierung“ kein Selbstzweck sein kann.617 Im Insolvenzverfahren der InsO sind vielmehr ohne Bevorzugung „[s]ämtliche Verwertungsarten […] den Beteiligten gleichrangig anzubieten. Das Verfahren soll ein neutraler Rechtsrahmen sein, in dem die Beteiligten die für sie vorteilhafteste Lösung entdecken und durchsetzen können“.618 Das Ziel der Neutralität des Verfahrens ließe sich (zumindest in einer Facette) durch die Einschränkung der Möglichkeit zur Insolvenzgeld612 Vgl. zur Diskussion um die (politisch angestrebte) Insolvenz- und Sanierungskultur Thole, JZ 2011, 765; Vallender, NZI 2010, 838; Paulus, WM 2011, 2205. Auslösend insbes. Leutheusser-Schnarrenberger, ZInsO 2010, 614. 613  In der Praxis wird in aller Regel „weitergewirtschaftet bis zum letzten Cent“, Frind, ZInsO 2016, 2337. 614 Vgl. Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1340 ff.; Haas, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 88 Rn. 15 ff.; Kern, in: MüKo-InsO, § 270a Rn. 1 ff., § 270b Rn. 1 ff. 615  Schon die Insolvenzrechtskommission wollte durch Einschränkung der Vorfinanzierbarkeit des Kaug/Insg einen Anreiz setzen, „das Insolvenzverfahren mit dem Ziel der Reorganisation so rechtzeitig zu beantragen, dass die laufenden Arbeitnehmeransprüche aus dem vorhandenen Vermögen, mit Einkünften aus der […] Wirtschaftstätigkeit […] oder aber durch einen Massekredit bezahlt werden können“, BMJ (Hrsg.), Erster Bericht der Insolvenzrechtskommission, S. 388. 616  Vgl. bspw. RegE ESUG, BT‑Drs. 17/5712, S. 19; Kübler, in: Kübler, HRI, § 1 Rn. 23 ff., 36. 617  Eingehend und überzeugend Thole, JZ 2011, 765, 771 f. Jüngst auch Cranshaw/Knöpnadel, ZInsO 2016, 357, 364, 366; ähnlich Buchalik, ZInsO 2015, 484, 485 f.; Brinkmann, ZIP 2014, 197, 199; Windel, in: Riesenhuber, Selbstverantwortung, S. 449, 455; Smid, DZWIR 1997, 309, 311. Einen zumindest praktischen Vorrang der Sanierung erkennt demgegenüber Paulus, NZI 2015, 1001, 1004, 1006; eine entsprechende gesetzliche Priorität fordern Kremer/ Fahlbusch, ZInsO 2015, 837, 839. 618  RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 78 (Hervorhebung durch den Verfasser), vgl. auch S. 109.



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vorfinanzierung erreichen, sei es durch Verschärfung der Zustimmungspraxis, durch Aufwertung des Rückgriffanspruchs der BA, durch effektive Verkürzung des Eröffnungsverfahrens oder gar durch echte Vorfinanzierungsverbote. Gleichzeitig würden so der zwingende Anlass und die Gelegenheit gegeben, sich mit neuen Initiativen dem grundlegenden Problem der zu späten Einleitung von Sanierungsmaßnahmen und Insolvenzverfahren zu widmen.

VI. Zwischenfazit Das vorfinanzierte Insolvenzgeld bildet aus unterschiedlichen Gründen den Kern des langen, ggf. bewusst ausgedehnten Insolvenzeröffnungsverfahrens. Für die Insolvenzpraxis liegt hierin die entscheidende Möglichkeit zur einstweiligen Betriebsfortführung: Um einen aktiven Betrieb gem. § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO aufrechterhalten zu können und so die Unternehmenssanierung im eröffneten Verfahren überhaupt erst möglich zu machen, bedarf es zuvorderst Liquidität. Die Fortführungsfinanzierung gilt i. d. R.  – wegen der Wirkungen des öffentlich gewordenen Insolvenzantrags – als „Quadratur des Kreises“619, die oft nur durch die Schonung der Liquidität über die Insolvenzgeldvorfinanzierung möglich erscheint.620 Durch die Vorfinanzierung ergeben sich entscheidende Stundungs- und Subventionseffekte: Die notwendigen Leistungen der Arbeitnehmer stehen dem Betrieb in der kritischen Phase unmittelbar zur Verfügung, müssen allerdings erst sehr spät und – entgegen der sonstigen Systematik des Eröffnungsverfahrens – lediglich als Insolvenzforderungen beglichen werden.621 Die Insolvenzgeldvorfinanzierung wird in der Praxis deshalb nicht selten als conditio sine qua non der einstweiligen Unternehmensfortführung angesehen.622 Hiernach gilt: „Insolvenzgeld rettet Unternehmen“623. Die konkrete Umsetzung der kollektiven Vorfinanzierung erfolgt praktisch ausschließlich mittels Forderungskaufverträgen im echten Factoring. Begleitet werden diese durch einen Rahmenvertrag, bei dem die Kosten und Gebühren der Vorfinanzierung i. d. R. im Rang von Masseverbindlichkeiten begründet werden. In diesem Punkt liegt die Besonderheit für Eigenverwaltungsverfahren: Auch hier muss aus Sicht der Banken sichergestellt sein, dass ihre Ansprüche als Masseforderungen Vorrang genießen.624 619 

Undritz, NZI 2007, 65.

620 So Paulus, DStR 2003, 1709 f.; ähnlich Braun, in: FS Drukarczyk, S. 93, 97; Berscheid,

in: FS Rheinland-Pfalz, S. 453, 456. 621  S. hierzu insbes. S. 107 ff. 622 Vgl. die exemplarische Einschätzung aus der Praxis bei Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 18 Fn. 92 („Ohne Insolvenzgeld geht es nicht“). 623  Woltersdorf, INDat Report 01_2017, 12, 13. 624  Zur rechtstechnischen Ausgestaltung vgl. S. 68 ff., zu den Besonderheiten bei vorläufiger Eigenverwaltung vgl. S. 77 ff.

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

Der Gesetzgeber hat mehrfach deutlich gemacht, dass er die Insolvenzgeldvorfinanzierung positiv unterstützt. Allerdings wurde hiermit die Entwicklung der Praxis jeweils erst im Nachhinein explizit legitimiert. Aus dieser Situation des „Nachvollziehens“ heraus wäre es (politisch) schwierig gewesen, diese erfolgreich genutzte und wenig kritisierte Liquiditätsquelle „trockenzulegen“. Mit der Änderungen des Sozialrechts kam es zu einem ausdrücklichen Funktionswandel des Insolvenzgelds – von der Sicherung allein des einzelnen Arbeitnehmers hin zur Rettung von Unternehmen und Arbeitsplätzen im Allgemeinen. Dieser Umschwung war und ist deutlich von arbeits- und sozialpolitischen Überlegungen determiniert.625 Einzig durch den Zustimmungsvorbehalt wird der Insolvenzgeldvorfinanzierung eine gesetzliche Hürde gesetzt, die verhindern soll, dass das Insolvenzgeld zweckwidrig genutzt wird. Die Effektivität der Zustimmungslösung ist allerdings aus verschiedenen Gründen zweifelhaft. Ihr wohnt erstens ein im Kern unlösbarer struktureller Konflikt inne: Das Insolvenzgeld muss praktisch unverzüglich vorfinanziert werden, um den Betrieb aufrecht zu erhalten; die notwendige Zustimmung bedürfte allerdings grds. einer vorgelagerten, sehr komplexen, fundierten Prognose, die entsprechend viel Zeit in Anspruch nimmt. Die BA ist in ihrer gesamten Struktur auf die Unterstützung des Arbeitsmarktes ausgerichtet und hat deshalb ein eigenes Interesse an einer ausgedehnten Insolvenzgeldvorfinanzierung; in ihrer Grundeinstellung ist diese Kontrollinstanz deshalb eher zustimmungsfreundlich. Die Zustimmungsentscheidung wird in aller Regel auf dem Gutachten des vorläufigen Verwalters basieren, welches zumindest tendenziell sehr (und damit ggf. zu) schnell ergeht und im Zweifelsfall eher (zu) positiv ausfällt. Schließlich überzeugt auch die – allgemein geteilte – Auslegung von § 170 Abs. 4 S. 2 SGB III durch die BA nicht. Eine Quote von mindestens 25 % nachhaltig und dauerhaft erhaltener Arbeitsplätze kommt Telos und Wortlaut der Norm näher als die Quote von nur 10 %. Auch die statistischen Daten zur Zustimmungspraxis sprechen dafür, dass die gesetzlich normierten Voraussetzungen für eine Zustimmung zur Vorfinanzierung in der Praxis wohl regelmäßig deutlich unterschritten werden.626 Der erhoffte positive Effekt der Insolvenzgeldvorfinanzierung auf den Arbeitsmarkt ist z. T. erkennbar, insgesamt aber sehr begrenzt: Zwar können insgesamt etwa 71 % der Arbeitsplätze erhalten werden, wenn das Insolvenzgeld vorfinanziert wird; hiervon profitieren meist allerdings nur Großverfahren. Lediglich in etwa einem Drittel aller Verfahren werden tatsächlich Arbeitsplätze in erheblichem Umfang erhalten. In der Summe reduziert die Vorfinanzierung von

625  626 

Vgl. zur Entwicklung der gesetzlichen Rahmenbedingungen S. 61 ff. Zu den unterschiedlichen Aspekten des Zustimmungsvorbehalts vgl. S. 83 ff.



A.  Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung

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Insolvenzgeld die Dauer der Erwerbslosigkeit der betroffenen Arbeitnehmer nur um wenige Tage.627 Auffällig ist schließlich der Zusammenhang von Insolvenzgeldzeitraum und der Dauer von typischen Eröffnungsverfahren. Insbesondere bei Betriebsfortführungen wird die Eröffnungsentscheidung durch den vorläufigen Verwalter bzw. das Insolvenzgericht verzögert und das Eröffnungsverfahren so ausgedehnt. Das (vorfinanzierte) Insolvenzgeld ist hierbei zum einen selbst der angestrebte Nutzen der Verzögerung. Zum anderen ist es aber auch das zwingend notwendige Mittel zur Verfahrensausdehnung, durch das die Diskussion um Eröffnungspflicht und -ermessen erst praktisch relevant wird. Die Praxis der auf drei Monate ausgedehnten Vorfinanzierung kann – zumindest in besonderen Fällen – zur Umkehrung der Schutzfunktion des Insolvenzgeldes führen: Zugunsten der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren wird ein zusätzlicher Forderungsausfall der Arbeitnehmer bewusst in Kauf genommen bzw. provoziert.628 Die Insolvenzgeldvorfinanzierung verstößt als solche weder durch ihren Subventionseffekt noch durch die alleinige Arbeitgeberfinanzierung gegen verfassungsrechtliche Vorgaben. Der Subventionseffekt des Insolvenzgeldes geht nicht mit einer erheblichen Grundrechtsbeeinträchtigung beim Konkurrenten des Schuldnerunternehmens einher, sodass – mangels ausreichender Intensität – kein Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Wettbewerbsfreiheit vorliegt.629 Die Sonderbelastung allein der insolvenzfähigen Arbeitgeber mit der Finanzierung der Insolvenzgeldmittel ist grds. verfassungsrechtlich zulässig, weil die belasteten Arbeitgeber mit ihrer wirtschaftlichen Aktivität abstrakt ein Insolvenzrisiko und damit die Gefahr des Lohnausfalls schaffen.630 Diese verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung greift jedoch nicht hinsichtlich solcher Insolvenzgeldmittel, die im verlängerten Eröffnungsverfahren genutzt werden: Der Lohnausfall in der Zeit zwischen Entscheidungsreife und Eröffnung ist keine unmittelbare Folge des unternehmerischen Insolvenzrisikos; die Insolvenzgeldansprüche gründen nicht mehr in der Privatautonomie des Arbeitgebers, sondern in der „vorwirkenden“ Insolvenzverwaltung. Die Verwendung des Insolvenzgelds zur Betriebsfortführung hat in dieser Zeit folglich keinen Bezug zur Risikoverteilung des Arbeitsvertrags; die Umlagefinanzierung verstößt deshalb in diesem Bereich gegen Art. 3 Abs. 1 GG.631

627  Schüssler/Klose, Wirkung der Vorfinanzierung, S. 5 f., 46 ff., 75 f. sowie eingehend zuvor, S. 104 ff. 628  S. hierzu insbes. S. 103 f. sowie S. 114 f. 629  Vgl. S. 116 ff. 630  Auch hinsichtlich der Freiheitsrechte (insbes. Art. 14 Abs. 1, 12 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, vgl. hierzu S. 118 f. 631  Vgl. eingehend zu dieser speziellen Konstellation S. 121 f.

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

Zur Vermeidung dieses Konflikts muss die InsO verfassungskonform ausgelegt werden, sodass das Gericht unverzüglich eröffnen muss, falls Lohnforderungen im Eröffnungsverfahren nicht regulär beglichen werden. Problematisch bleibt damit insbesondere das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO, bei der die Verzögerung der Eröffnung gesetzlich institutionalisiert ist. Um die Möglichkeit der Insolvenzgeldvorfinanzierung diesem Verfahren zu erhalten, müssten die erforderlichen Mittel de lege ferenda über allgemeine Steuern finanziert werden. Eine entsprechende Neuregelung würde zudem die Kosten und Nutzen des Insolvenzgeldes sachgerecht miteinander verbinden und schließlich auch zu einer adäquateren Kontrolle der Vorfinanzierung durch die öffentliche Hand führen.632 Die Regelungen im SGB III zur Gewährung von Insolvenzgeld und zu dessen Vorfinanzierbarkeit stellen keine europarechtswidrigen Beihilferegelungen dar. Die Rangrückstufungsanordnung des § 55 Abs. 3 InsO geht hingegen über die richtlinienrechtlichen Vorgaben hinaus und ist eine staatliche Begünstigungsmaßnahme. Die Differenzierung zwischen wirtschaftlich gesunden Unternehmen und solchen, die sanierungsbedürftig oder insolvent sind, ist selektiv i. S. d. europäischen Beihilferechts. Entgegen der herrschenden Meinung verwirklicht deshalb § 55 Abs. 3 InsO eine selektive Begünstigung bestimmter Unternehmen und stellt eine rechtswidrige, da nicht genehmigte Beihilferegelung i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AUEV dar. Wegen des europarechtlichen Durchführungsverbots darf die Rangrückstufungsanordnung nicht angewandt werden. Eine Genehmigung der Norm ist weder als Rettungs- noch als Umstrukturierungsbeihilfe möglich, folglich kommt eine Ausnahme vom Beihilfeverbot über Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV nicht in Betracht.633 Der derzeitige gesetzliche Ansatz rechtfertigt die Vorteile der Insolvenzgeldvorfinanzierung mit dem Erhalt konkreter Arbeitsplätze (§ 170 Abs. 4 SGB III). Überzeugender wäre jedoch ein allgemeineres Konzept: Nicht der einzelne, bestehende Arbeitsplatz, sondern die langfristige Stabilisierung und Stärkung der Gesamtökonomie (mit der Folge einer hohen Beschäftigungsquote) sollte rechtspolitisch im Zentrum stehen.634 Die Subventionswirkungen des vorfinanzierten Insolvenzgeldes entsprechen zwar nicht den Prinzipien der reinen Marktwirtschaft, sie schaffen allerdings erwünschte Fortführungs- und Sanierungsmöglichkeiten und dienen damit grds. einem Ziel des modernen Insolvenzrechts. Das fundamentale Grundproblem der schwierigen Fortführungsfinanzierung wird durch diese (Fehl-)Anreize allerdings eher verstärkt als gelöst: Die Möglichkeiten und Vorzüge, die eine frühe Verfahrenseinleitung und das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren bieten, 632 

Zur verfassungsrechtlichen Notwendigkeit s. S. 122, vgl. ansonsten S. 123 ff. Zur zweifelhaften Europarechtskonformität Cranshaw, ZInsO 2013, 1493, 1494, 1505; ders., Einflüsse des europäischen Rechts, S. 1335 ff.; vgl. umfassend hierzu S. 127 ff. 634  S. hierzu S. 147 ff. 633 



B.  Weitere Massevorteile bei verlängerten Eröffnungsverfahren

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vermögen erst dann wirklich zu überzeugen, wenn die Betriebsfortführung im Regeleröffnungsverfahren nicht mehr künstlich attraktiv gehalten wird.635

B.  Weitere Massevorteile bei verlängerten Eröffnungsverfahren Dass sich Insolvenzeröffnungsverfahren oftmals über einen langen Zeitraum von durchschnittlich 78 Tagen erstrecken und dass bis zur Eröffnung des Verfahrens über das Vermögen juristischer Personen durchschnittlich sogar 94 Tage vergehen,636 ist wohl zum ganz überwiegenden Teil auf die herausragenden Vorzüge des vorfinanzierten Insolvenzgelds zurückzuführen. Mit dem langen Eröffnungsverfahren können sich allerdings auch andere, unterschiedlich bedeutsame Vorteile für die vorläufige Verwaltung, die einstweilige Betriebsfortführung und damit letztlich für die spätere Masse verbinden.

I.  Zeitgewinn für eine Fortführungs- und Sanierungsprüfung Das Insolvenzgericht wird, wenn der Schuldner zum Zeitpunkt des Insolvenzantrags noch ein Unternehmen betreibt, die Fortführungs- und Sanierungsaussichten dieses Betriebs prüfen (lassen). Diese Prüfung wird i. d. R. vom vorläufigen Verwalter übernommen,637 der schnellstmöglich klären soll, ob und welche Sanierungschancen bestehen bzw. ob eine unverzügliche Betriebsstilllegung für die Masseerhaltung vorteilhaft wäre.638 Der Ansatz, mit dieser Fortführungsprüfung bereits im Eröffnungsverfahren zu beginnen, sorgt nicht nur dafür, dass verbliebene Sanierungschancen möglichst frühzeitig erkannt und ggf. genutzt werden können, sondern führt auch dazu, dass insgesamt mehr Zeit für diese – sehr komplexe – Prüfung zur Verfügung steht: Bis zum ersten Berichtstermin hat der Insolvenzverwalter zu klären, wie sich die wirtschaftliche Lage des Schuldners darstellt, welche Ursachen zur Insolvenz geführt haben und auch ob bzw. wie der schuldnerische Betrieb erhalten werden kann (§ 156 Abs. 1 InsO). Hierdurch sollen die Gläubiger in die Lage versetzt werden, über Stilllegung oder Fortführung des Betriebs entscheiden zu können (§ 157 InsO).639 Zwischen der Verfahrenseröffnung und diesem Termin liegen allerdings nur wenige 635  Vgl. zu den Auswirkungen der beschriebenen Effekte im grds. marktwirtschaftlich ausgerichteten Insolvenzrecht S. 149 ff. 636  Vgl. die Ergebnisse der vorliegenden Studie, S. 38 ff. 637  Vgl. § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 2 InsO. Diese Prüfungsaufgabe besteht allerdings auch unabhängig von einer expliziten gerichtlichen Beauftragung, vgl. Vallender, in: UhlenbruckInsO, § 22 Rn. 266. 638  Vgl. auch § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Hs. 2 InsO; s. zu dieser Prüfung noch S. 187 ff. 639  Schmerbach, in: FK‑InsO, § 22 Rn. 99; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.58a.

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

Wochen, maximal drei Monate (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Um eine umfassende, belastbare und substantiierte Prognose der Fortführungs- und Sanierungsaussichten zu erarbeiten, reicht diese Zeit oftmals nicht aus.640 Zur Erstellung eines Sanierungskonzeptes soll der Insolvenzverwalter deshalb möglichst den vollen Zeitraum zwischen Antragstellung und Berichtstermin, also auch das Insolvenzeröffnungsverfahren, nutzen können.641 Je länger also das Eröffnungsverfahren dauert, desto mehr Zeit steht zur Verfügung, um Krisenursachen zu untersuchen, Liquiditäts- und Rentabilitätsanalysen vorzunehmen und ggf. Strategien für eine etwaige (übertragende oder rechtsträgererhaltende) Sanierung zu erarbeiten.642 Die Verzögerung der Verfahrenseröffnung ermöglicht es dem vorläufigen Insolvenzverwalter, die Fortführungs- und Sanierungsaussichten des schuldnerischen Betriebs länger und damit gründlicher zu überprüfen und vorzubereiten.643

II.  Vorbereitung der Entscheidung über das Wahlrecht zu gegenseitigen Verträgen Ein verlängertes Eröffnungsverfahren bringt einen zweiten Vorteil für eine mögliche Unternehmenssanierung mit sich, der wohl noch wichtiger ist als der „allgemeine Zeitgewinn“: Es eröffnet dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit, eine schnelle und zugleich fundierte Entscheidung über das Schicksal bestimmter „offener“ Verträge zu treffen. Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, so hat der Verwalter das Recht über die (Nicht-)Erfüllung von gegenseitigen Verträgen zu entscheiden, die vor der Eröffnung zwar begründet, allerdings noch nicht (vollständig) erfüllt wurden (§ 103 Abs. 1 InsO).644 Ob die Wahl der Vertragserfüllung, verbunden mit der Begründung entsprechender Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO),645 oder dessen Ablehnung vorteilhafter ist, kann der Verwalter nur unter Berücksichtigung der möglichen Verfahrensziele und -szenarien beurteilen.646 Gerade die Frage, ob eine kurz- oder gar längerfristige Betriebsfortführung möglich und sinnvoll ist, hat hierbei entscheidende Bedeutung. Bei seiner Entscheidung hat der Insolvenzverwalter zwar grds. keine Frist zu beachten,647 die andere Vertragspartei kann ihn allerdings zur Ausübung seines Wahlrechtes auffordern, woraufhin sich der Verwalter unverzüglich er640 

Pohlmann, Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, S. 95. Schmerbach, in: FK‑InsO, § 22 Rn. 99. 642  Vgl. zum Prüfungsinhalt Gerhardt, in: Jaeger-InsO, § 22 Rn. 153 ff. 643  Zu diesem Vorteil schon Grub, ZIP 1993, 393, 394. 644  Das entsprechende Wahlrecht ergibt sich aus § 103 Abs. 1 InsO, vgl. hierzu Huber, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 34 Rn. 14 ff., § 35 Rn. 1 ff. 645  BGH, Urt. v. 10. 8. 2006, IX ZR 28/05, BGHZ 169, 43, 48 = NZI 2006, 575, 576 Rz. 12; vgl. auch Kreft, in: MüKo-InsO, § 103 Rn. 39. 646  Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 20.19. 647  Balthasar, in: Nerlich/Römermann-InsO, § 103 Rn. 43. 641 



B.  Weitere Massevorteile bei verlängerten Eröffnungsverfahren

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klären muss (§ 103 Abs. 2 S. 2 InsO). Möglich ist diese Aufforderung jedoch erst ab dem Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung. Während des vorangehenden Eröffnungsverfahrens kann der vorläufige Verwalter „in Ruhe“ prüfen, welche Verträge er später im Verfahren nutzen und erfüllen will; eine Erklärung zum Schicksal der Verträge kann ihm in dieser Zeit noch nicht abverlangt werden.648 Die Verzögerung der Eröffnungsentscheidung (ggf. trotz Entscheidungsreife) gibt dem vorläufigen Verwalter die Zeit, Fortführungs- und Sanierungsaussichten zu prüfen, ggf. ein Sanierungskonzept zu entwickeln und so schließlich unmittelbar nach der Verfahrenseröffnung sein Wahlrecht entsprechend seiner Prognosen auszuüben.649 Diesen Vorteil hatte auch der Gesetzgeber bei Schaffung des § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 2 InsO im Blick.650 Würde das Gericht hingegen unmittelbar nach Eingang des Insolvenzantrags entscheiden können und sofort das Verfahren eröffnen, so müsste der Insolvenzverwalter (bei entsprechender Aufforderung) unverzüglich über die Erfüllung der Verträge entscheiden, ohne zu wissen, ob sich eine Betriebsfortführung lohnen könnte, welche Verträge hierfür notwendig wären und welche Belastungen er vermeiden müsste. Vielfach würde sich der Verwalter in dieser Situation wohl – auch um das Risiko der eigenen Haftung auszuschließen651 – eher gegen die Erfüllungswahl und die Belastung der Masse entscheiden. „Zahlreiche vermeidbare Geschäftsschließungen und der unnötige Verlust von Arbeitsplätzen wären die Folge.“652 Entsprechend häufig käme es zur Unternehmenszerschlagung und ‑liquidation; der Fortführungswert des Unternehmens stünde den Gläubigern nicht zur Verfügung.653 Diese am Sanierungsgedanken ausgerichtete Überlegung spricht zwar – durchaus überzeugend – gegen „eine zu schnelle Eröffnung des Verfahrens“654, allerdings lässt sie sich auch deutlich relativieren: Wird der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung gem. § 103 Abs. 2 S. 2 InsO zur Entscheidung aufgefordert, so muss er diese „unverzüglich“, also ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB), nicht aber „sofort“ treffen.655 Das Gesetz sieht hiermit eine einzelfallabhängige, angemessene Prüfungs- und Überlegungsfrist vor, die nach den konkreten Umständen zu bestimmen ist. Angemessen ist diejenige Zeitspanne, die der Verwalter objektiv benötigt, um die 648 

Grub, ZIP 1993, 393, 394; Huber, in: MüKo-InsO, § 103 Rn. 150. Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 22 Rn. 164; Schmerbach, in: FK‑InsO, § 22 Rn. 100; Grub, ZIP 1993, 393, 394; ders., DZWIR 2002, 327, 328. 650  Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages, RegE InsO, BT‑Drs. 12/7302, S. 158. 651  Frind, in: FS Beck, S. 135, 144. 652  Gravenbrucher Kreis, ZIP 1993, 625, 626. 653 Instruktiv zum besonderen Wert des Betriebes als „funktionierende Einheit“ Brinkmann, in: Brinkmann/Shirvani, Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 155, 156 f. 654  Rechtsausschuss des Bundestages, RegE InsO, BT‑Drs. 12/7302, S. 158. 655  BGH, Urt. v. 14. 9. 2017 – IX ZR 261/15, NJW 2017, 3369, 3372 Rz. 29; BGH, Urt. v. 7. 4. 2016 – VII ZR 56/15, NZI 2016, 532, 534 Rz. 34. S. auch RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 145; Huber, in: MüKo-InsO, § 103 Rn. 173; Wegener, in: Uhlenbruck-InsO, § 103 Rn. 129. 649 

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

Konditionen der fraglichen Verträge zu ermitteln und die Vor- und Nachteile der Wahlrechtsausübung abzuwägen.656 Die Überlegungsfrist muss „gerade bei Unternehmensfortführungen wegen der Komplexität der Entscheidungsgrundlage angemessen verlängert werden“657. Selbst wenn das Verfahren also bereits kurz nach der Antragstellung eröffnet wird, bleibt dem Verwalter ausreichend Zeit, um eine Prognose über die Fortführungsaussichten zu erstellen und seine Wahlrechtsausübung vorzubereiten.658

III.  Vermeidung von Masseverbindlichkeiten Ein bedeutendes Motiv zur Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens ist ferner die Möglichkeit, durch eine Entscheidungsverzögerung das Entstehen bestimmter Masseverbindlichkeiten zu verhindern. Ausgangspunkt dieser „Vermeidungsstrategie“ ist die Tatsache, dass Forderungen, die vom Insolvenzverwalter i. R. d. Verwaltung nach der Eröffnung begründet werden, grds. Masseverbindlichkeiten darstellen und damit bevorzugt befriedigt werden müssen (§ 55 Abs. 1 InsO).659 Demgegenüber haben Ansprüche, die vor der Verfahrenseröffnung entstehen, jedenfalls im Grundsatz nur den Charakter von Insolvenzforderungen (§ 38 InsO); die Gläubiger müssen sich mit der quotalen Befriedigung begnügen.660 Der Zeitpunkt der Eröffnung ist somit eine entscheidende Schwelle für die Frage, welche „Qualität“ eine Forderung gegen den Schuldner hat.661 Wegen dieses Unterschiedes von Eröffnungs- und eröffnetem Insolvenzverfahren kommt es „immer wieder vor, dass ‚schwache‘ vorläufige Insolvenzverwalter mit Erfolg versuchen, das Eröffnungsverfahren länger als nötig hinzuziehen, um auf diese 656  Jacoby, in: Jaeger-InsO, § 103 Rn. 207; BGH, Urt. v. 7. 4. 2016 – VII ZR 56/15, NZI 2016, 532, 534 Rz. 34. 657  Wegener, in: FK‑InsO, § 103 Rn. 89 unter Bezugnahme auf OLG Köln, Beschl. v. 2. 12. 2002 – 15 W 93/02, NZI 2003, 149. 658  Auch ein Abwarten bis zum Berichtstermin kann deshalb als „unverzügliche“ Entscheidung angesehen werden; ausführlich zur Interessenabwägung m. w. N. Jacoby, in: Jaeger-InsO, § 103 Rn. 207 ff. 659  Neben den vom Verwalter neubegründeten Verbindlichkeiten (Nr. 1) sind dies bestimmte Forderungen aus übergeleiteten Alt-Vertragsverhältnissen (Nr. 2) und Verbindlichkeiten bei ungerechtfertigter Massebereicherung (Nr. 3). Besonders problematisch sind die Ansprüche aus Miet-, Pacht-, Dienst- und Arbeitsverträgen auf deren Entstehung der Verwalter grds. keinen Einfluss nehmen kann (Nr. 2 Alt. 2), kritisch hierzu Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 14.17. 660  Die Möglichkeit zur Begründung (einzelner) Masseverbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren ist für die Betriebsfortführung unerlässlich, hierzu sogleich. 661  Die entscheidende Bedeutung des Eröffnungszeitpunkts wird am drastischen Beispiel der ungerechtfertigten Bereicherung deutlich: Zahlt ein Kunde nach der Verfahrenseröffnung versehentlich 10.000 Euro zu viel an das schuldnerische Unternehmen, so ist er als Massegläubiger vorrangig zu befriedigen. War das Verfahren allerdings – wie in dem vom BGH entschiedenen Fall – noch nicht eröffnet, so erhält er als Insolvenzgläubiger nur die Quote, vgl. BGH, Urt. v. 29. 1. 2015 – IX ZR 258/12, BGHZ 204, 74 = NJW 2015, 1171.



B.  Weitere Massevorteile bei verlängerten Eröffnungsverfahren

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Weise zwar noch Einnahmen zu generieren, die Entstehung korrespondierender Masseverbindlichkeiten jedoch zu verhindern“662. 1.  Umfassende Begründung von Masseverbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren Auch im Eröffnungsverfahren entstehen durch die Betriebsfortführung typischerweise diverse Masseverbindlichkeiten. Soll das schuldnerische Unternehmen fortgeführt werden, so muss sichergestellt werden, dass die hierfür notwenigen Lieferungen und Leistungen (weiterhin) zur Verfügung stehen. Alte und neue Geschäftspartner werden sich regelmäßig nur dann zu einer Leistungen bereit erklären, wenn gewährleistet ist, dass ihre Forderungen bevorzugt, also als Masseverbindlichkeit, befriedigt werden.663 Die hierfür notwendige Kompetenz zur Begründung von (späteren) Masseverbindlichkeiten wird dem „starken“ vorläufigen Verwalter (mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis)664 durch § 55 Abs. 2 InsO verliehen: Begründet dieser neue Forderungen oder nimmt er Leistungen aus Dauerschuldverhältnissen in Anspruch, so resultieren hieraus (spätere) Masseverbindlichkeiten. In einem Schutzschirmverfahren ergibt sich diese Möglichkeit (auf Antrag) für den eigenverwaltenden Schuldner aus § 270b Abs. 3 InsO.665 Bei einer solchen Anordnung würden allerdings alle neuentstehenden Forderungen „aufgewertet“; nach der Eröffnung des Verfahrens wäre die Insolvenzmasse mit einer Vielzahl von vorrangigen Forderungen belastet, sodass ggf. die Insolvenzquote leidet bzw. „eine Sanierung des insolventen Unternehmens nicht oder nur unter deutlich erschwerten Bedingungen erfolgen kann“666. Aus diesem Grund verzichten die Insolvenzgerichte in beinahe allen Verfahren auf die Bestellung eines „starken“ vorläufigen Verwalters,667 sodass im Eröffnungsverfahren – grundsätzlich – nur Insolvenzforderungen entstehen.

662  Marotzke, ZInsO 2010, 2163, 2175. Ähnlich auch die Einschätzungen von Blankenburg, ZInsO 2016, 1337, 1338; Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 71; Frind, ZInsO 2011, 1569, 1572; wohl auch Zipperer, NZI 2004, 656, 659. Vgl. auch die Beurteilung des Gesetzgebers, BT‑Drs. 17/3030, S. 42 f. 663  Vgl. hierzu Marotzke, Das Unternehmen in der Insolvenz, S. 5 ff.; Homann, in: A/G/R‑ InsO, § 55 Rn. 25; Pohlmann, Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, S. 158. 664  §§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Nr. 2 Alt. 1, 22 Abs. 1 InsO. 665  Der Schuldner soll auf diese Weise – wie ein starker vorläufiger Verwalter – das Vertrauen im Geschäftsverkehr wiedererlangen, vgl. die Überlegungen des Rechtsausschusses zum ESUG, BT‑Drs. 17/7511, S. 37. 666  Laroche, NZI 2010, 965, 966. Vgl. auch die Einschätzung von Siemon, NZI 2016, 688. 667  „In weit mehr als 95 % aller angeordneten vorläufigen Verwaltungen“ wird kein „starker“ vorläufiger Verwalter eingesetzt, so Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 22 Rn. 68.

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

2.  Selektive Begründung von Masseverbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren Im praktischen Regelfall wird aus den dargelegten Gründen ein „schwacher“ vorläufiger Verwalter bestellt,668 ohne dass dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird (§ 22 Abs. 2 InsO).669 In diesem Fall begründet grds. nur der Schuldner weitere Forderungen im Eröffnungsverfahren; diese haben im Verfahren, unabhängig von einer etwaigen Zustimmung des vorläufigen Verwalters, lediglich den Rang von Insolvenzforderungen.670 Um dennoch die Möglichkeit zur Betriebsfortführung offenzuhalten, werden dem vorläufigen Verwalter oft konkrete „Einzelermächtigungen“ erteilt: Nach herrschender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur kann das Insolvenzgericht den Verwalter über § 22 Abs. 2 S. 1 InsO dazu ermächtigen, einzelne, im Voraus konkret bestimmte Verpflichtungen mit Masseschuldcharakter zu begründen, wenn dies zur Verwaltung, insbesondere also zur Fortführung eines Betriebs, notwendig ist.671 Bei dieser Praxis werden zwar einige Masseverbindlichkeiten begründet – insoweit besteht kein Unterschied zum eröffneten Verfahren –, gleichzeitig entstehen allerdings viele andere Ansprüche nur als Insolvenzforderungen. Die subventionierende Wirkung des ausgedehnten Eröffnungsverfahrens wurde bis zur Einführung von § 55 Abs. 4 InsO insbesondere durch steuerliche Vorteile geprägt. Ursprünglich waren Umsatzsteuerforderungen aus der Zeit des Eröffnungsverfahrens – anders als im eröffneten Verfahren – nur Insolvenzforderungen; die Verzögerung der Eröffnung sorgte für eine nicht unerhebliche Entlastung und Anreicherung der Insolvenzmasse.672 Dieses Vorgehen der Praxis nahm der Gesetzgeber zum Anlass, mit § 55 Abs. 4 InsO ein Fiskusprivileg 668  Die Bezeichnung dient hier lediglich zur Abgrenzung vom „starken“ Verwalter. Bei der (typischen) gleichzeitigen Erteilung einer Einzelermächtigung wird oft vom „halbstarken“ Verwalter gesprochen, vgl. hierzu Spliedt, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.464, 5.496 ff. sowie Mönning, in: Nerlich/Römermann-InsO, § 21 Rn. 171. 669  In diesem Fall wird die Sicherung des schuldnerischen Vermögens stattdessen oft durch allgemeine oder spezielle Zustimmungsvorbehalte verwirklicht, hierzu Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 11 ff. 670  BGH, Urt. v. 7. 5. 2009 – IX ZR 61/08, NZI 2009, 475; Laroche, NZI 2010, 965, 967; Mönning, in: Nerlich/Römermann-InsO, § 22 Rn. 225; Krelhaus, Insolvenzfeste Geschäftsfortführung, S. 119. 671  Grundlegend insbes. BGH, Urt. v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 = NJW 2002, 3326; vgl. auch Laroche, NZI 2010, 965; Pohlmann, Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, S. 162; Krelhaus, Insolvenzfeste Geschäftsfortführung, S. 91 ff.; Spliedt, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.510 f.; Schmerbach, in: FK‑InsO, § 22 Rn. 114 ff. Ablehnend hingegen Stamm, in: FS Beck, S. 509, 516 f.; Pape/Uhlenbruck, ZIP 2005, 417, 419. Ebenfalls kritisch zum beschriebenen Vorgehen Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, S. 342 ff. 672  So auch der Gesetzgeber bei der Einführung des § 55 Abs. 4 InsO, RegE HBeglG 2011, BT‑Drs. 17/3030, S. 43. S. auch BFH, Urt. v. 1. 3. 2016 – XI R 9/15, ZInsO 2017, 1633, 1635 Rz. 33; Marotzke, ZInsO 2010, 2163, 2173 f. Dieser Effekt lässt sich allerdings u. U. bei einer vorläufigen Eigenverwaltung verwirklichen, vgl. OLG Jena, Urt. v. 22. 6. 2016 – 7 U 753/15, NZI 2016, 784; Buchalik/Schröder, ZInsO 2016, 2025. Anders jedoch Weber, ZInsO 2017, 67.



B.  Weitere Massevorteile bei verlängerten Eröffnungsverfahren

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zu schaffen, die Steuerforderungen für die Zeit des Eröffnungsverfahrens aufzuwerten und so zu verhindern, dass die vorläufigen Verwalter „die Masse durch aktive Gestaltungen zulasten des Fiskus weiter [anreichern]“673. Trotz dieser gesetzgeberischen Maßnahme lassen sich durch die Verzögerung der Eröffnung weiterhin bedeutende liquiditätsschöpfende Effekte erzielen.674 Die Verknüpfung von Einzelermächtigung und Eröffnungsverzögerung führt dazu, dass einige Gläubiger (bspw. Vermieter oder Leasinggeber) im Eröffnungsverfahren vollwertige Leistungen zugunsten des Betriebs bzw. der späteren Masse erbringen, im Gegenzug jedoch, wenn überhaupt, nur quotal befriedigt werden müssen.675 Die Praxis nutzt das ausgedehnte Eröffnungsverfahren und die dortige Möglichkeit zur selektiven Begründung von Masseverbindlichkeiten also explizit als Sanierungsinstrument, um „nur noch die Gläubiger befriedigen zu müssen, die ihr Recht am stärksten durchsetzen. Die übrigen Gläubiger, die entweder die Möglichkeit von Masseverbindlichkeiten nicht kennen oder nicht durchsetzen können […], müssen dann mit ihrer Leistung zur Sanierung beitragen.“676 Der „schwache“ vorläufige Verwalter schaut oftmals zu, wie der Schuldner Mietsachen, Leasinggegenstände oder auch Lizenzen im Eröffnungsverfahren (zugunsten des Betriebs und der späteren Masse) weiternutzt, ohne dafür Zahlungen zu leisten;677 eine Situation die insbesondere dann eintritt, wenn der Gläubiger seine Leistungserbringung infolge der rasanten Entwicklungen nicht kurzfristig verhindern kann.678 Von herausragender Bedeutung sind neben den Forderungen aus Miet-, Leasing- und Lizenzverträgen vor allem die zuvor bereits thematisierten Ansprüche der Arbeitnehmer und Sozialversicherungsträger, die für die Zeit des Eröffnungsverfahrens keine Belastung darstellen, ab der Eröffnung allerdings als Masseverbindlichkeiten entstehen.679 Ein erheblicher Vorteil des typischen Insolvenzeröffnungsverfahren ist demnach die Tatsache, dass grds. lediglich Insolvenzforderungen entstehen und Masseverbindlichkeiten nur dort (selektiv) begründet werden, wo dies unbedingt notwendig ist. Aufgrund dieser Möglichkeit zur Betriebsfortführung ohne gleichzeitiger (voller) Massebelastung tendiert die Praxis dazu, Sanierungsvorbereitungen und -maßnahmen (soweit möglich) innerhalb des Eröffnungsver673 

RegE HBeglG 2011, BT‑Drs. 17/3030, S. 43. Siemon, NZI 2016, 688, 689. 675  Pape, ZInsO 2009, 1, 3. 676  Blankenburg, ZInsO 2016, 1337, 1338. Ähnlich Siemon, NZI 2016, 688; Marotzke, ZInsO 2010, 2163, 2175; Pape, ZInsO 2009, 1, 3; Zipperer, NZI 2004, 656, 659; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.46; Braun, in: FS Drukarczyk, S. 95, 100. 677 Hintergrund ist die Kündigungssperre des §  112 InsO, vgl. eingehen hierzu noch S. 211 ff. 678  Homann, in: A/G/R‑InsO, § 55 Rn. 25. 679 Vgl. hierzu bereits S. 45 ff. und insbes. S. 107 ff.; Bertram, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 107 Rn. 14 ff.; Siemon, NZI 2016, 688, 689; Pannen, NZI 2000, 575, 577 f. 674 

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

fahrens und nicht zwischen Verfahrenseröffnung und erstem Gerichtstermin vorzunehmen: Die notwenigen Restrukturierungsmaßnahmen „lassen sich […] in der Eröffnungsphase besser bewerkstelligen als im eröffneten Verfahren“680. Im hier zentralen Zeitraum zwischen Entscheidungsreife und Eröffnungsentscheidung entstehen durch das beschriebene Vorgehen deutlich weniger Masseverbindlichkeiten als bei einer unverzüglichen Eröffnung.681 Bejaht man ein gerichtliches Ermessen zur Verzögerung der Entscheidung über den Insolvenzantrag, so lässt sich dieser Vorteil für Schuldner, Betrieb und Gläubiger erhalten.682

IV.  Optimierung von Vertragskündigungen Eng verbunden mit der Thematik der „Vermeidung von Masseverbindlichkeiten“ ist das Vorgehen zur Optimierung von Vertragskündigungen, wobei insbesondere die Kündigungsfristen bei Dienst-, Immobiliarmiet- und ‑pachtverträgen im Zentrum stehen. Solche Schuldverhältnisse bestehen gem. § 108 Abs. 1 S. 1 InsO bei Eröffnung des Verfahrens mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. Selbst wenn der Insolvenzverwalter diese Verträge nach der Verfahrenseröffnung unverzüglich kündigt, wird die Masse gleichwohl bis zum Ablauf der Kündigungsfrist belastet. War der Schuldner bspw. Mieter von Büros, Warenlagern, Verkaufsräumen etc., so lassen sich die entsprechenden Verträge grds. erst nach drei Monaten zum Monatsende beenden (§ 109 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 InsO).683 Auch bei den Dienstverträgen der (nicht mehr benötigten) Arbeitnehmer gilt eine solche dreimonatige Kündigungsfrist (§ 113 S. 2 InsO).684 Ist jedoch schon im Eröffnungsverfahren klar, dass einzelne oder auch alle Arbeitnehmer nicht dauerhaft im Betrieb gehalten werden sollten oder dass Mietverträge gekündigt werden müssen, so kann schon der vorläufige Verwalter die Kündigungen aussprechen bzw. anregen und so den Fristlauf „vorverlegen“.685 Zwar bestehen in diesem Fall noch keine speziellen insolvenzrecht680  Pannen, NZI 2000, 575, 577. Ebenso Frind, ZInsO 2011, 1569, 1572; Undritz, ZGR 2010, 201, 207; Titz/Tötter, ZInsO 2006, 976, 978. 681  Dies wird auch bei der Entstehung von Gewährleistungsrechten deutlich: Wurde eine Leistung im Eröffnungsverfahren (mangelhaft) erbracht, so entstehen die Sekundäransprüche – anders als bei der Leistung nach der Eröffnung – nur als Insolvenz- und nicht als Masseforderungen, vgl. bspw. Bornemann, in: FK‑InsO, § 55 Rn. 10. 682 Diesen Aspekt als Rechtfertigung eines gerichtlichen Eröffnungsermessens nennt schon AG Hamburg, Beschl. v. 1. 10. 2001 – 67g IN 195/01, ZIP 2001, 1885, 1886; ebenso Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 71; Frind, ZInsO 2011, 1569, 1572; Beck, in: FS Runkel, S. 3, 9. 683 Hierzu Wegener, in: Uhlenbruck-InsO, § 109 Rn. 2 ff. 684  Eingehend hierzu Bertram, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 105 Rn. 63 ff. 685  Diese Befugnis steht ihm jedenfalls bei Anordnung der „starken“ Verwaltung oder einer entsprechenden speziellen Kompetenzzuweisung zu, aber auch andernfalls ist ein solches Vor-



B.  Weitere Massevorteile bei verlängerten Eröffnungsverfahren

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lichen Kündigungsmöglichkeiten und -fristen,686 wenn aber die ordentlichen vertraglichen Kündigungsfristen ebenfalls nur einige Monate betragen, lässt sich die Masse durch die Eröffnungsverzögerung erheblich schonen: Mit Abgabe der Kündigungserklärung laufen die Fristen, gleichzeitig entstehen jedoch bis zur Eröffnung des Verfahrens nur Insolvenzforderungen für Vermieter, Verpächter und Arbeitnehmer.687 Lohn-, Miet- und Pachtansprüche, die nach der gerichtlichen Entscheidung entstehen, wären hingegen als Masseforderungen zu befriedigen.688 Verzögert der vorläufige Verwalter bzw. das Insolvenzgericht nun die Eröffnung trotz Entscheidungsreife, so „verschiebt“ sich die Kündigungsfrist vom Insolvenz- in das Eröffnungsverfahren. Die Zeit zwischen Antrag und Eröffnung dient so dem „Ausschöpfen der Kündigungsfristen“689. Bei optimalen Bedingungen läuft die Frist bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ab, sodass die Masse deutlich entlastet wird.690 Auch bzw. gerade die Möglichkeiten, eine übertragende Sanierung, also einen „Verkauf des Betriebs“ zu verwirklichen, lassen sich auf diese Weise deutlich verbessen: Im verlängerten Eröffnungsverfahren nimmt der „vorläufige Insolvenzverwalter […] Kontakt zu potenziellen Interessenten auf, die ihrerseits klar definieren, […] welche Arbeitnehmer Platz in der angedachten Fortführungslösung haben“691. Eine solche „Optimierung“ der Kündigungsprozesse ist nur dann möglich, wenn das Eröffnungsverfahren so weit ausgedehnt wird, dass die Kündigungsfristen möglichst vollständig vor der Eröffnungsentscheidung ablaufen.692

V.  Reduzierung der Haftungsgefahr für den Insolvenzverwalter Ebenfalls eng verbunden mit der Thematik der Begründung und Vermeidung von Masseverbindlichkeiten ist der Aspekt der (drohenden) Haftung des Insolvenzverwalters. Dieser haftet nicht nur allgemein für die schuldhafte Verletzung seiner insolvenzrechtlichen Pflichten (§ 60 InsO), sondern auch speziell und verschärft für die Nichterfüllbarkeit von Masseverbindlichkeiten (§ 61 InsO). Angehen in Zusammenwirken mit dem (kündigungsbefugten) Schuldner möglich, vgl. Schmerbach, in: FK‑InsO, § 22 Rn. 55 ff. 686  BAG, Urt. v. 20. 1. 2005 – 2 AZR 134/04, BAGE 113, 199 = NZA 2006, 1352; Berscheid, in: KölSch, Kap. 34, Rn. 37 ff. 687  §§ 108 Abs. 3, 55 Abs. 2, Abs. 3 InsO. 688  §§ 108 Abs. 1 S. 1, 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO. 689  So bereits mit Blick auf das neue Insolvenzrecht schon früh Kilger, KTS 1989, 495, 503. 690 Dass die Arbeitnehmer in diesem Fall (intendierterweise) lediglich Insolvenz- statt Masseforderungen erhalten, ist wohl nur wegen der sozialen Sicherung durch das Insolvenzgeld möglich, vgl. hierzu bereits S. 102 ff. 691  Undritz, ZGR 2010, 201, 206. Ähnlich Decker/Schäfer, BB 2015, 198, 199; Titz/Tötter, ZInsO 2006, 976, 977 f. 692 Dies explizit als Argument für ein gerichtliches Eröffnungsermessen (auch wenn Sanierungsperspektiven fehlen) Pannen, NZI 2000, 575, 577 f.

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

sprüche die nach der Verfahrenseröffnung durch den Insolvenzverwalter bspw. durch Vertragsschluss, Erfüllungswahl oder unterlassene Kündigungen begründet wurden,693 sind grds. als Masseverbindlichkeiten vorrangig zu befriedigen. Ist dies nicht (vollständig) möglich, so haftet der Verwalter u. U. gegenüber den betroffenen Massegläubigern persönlich.694 Er muss also möglichst schnell klären, welche Geschäfte und Verträge positiv und nützlich für den für Betrieb bzw. die Masse sein könnten und welche Verbindlichkeiten er zur Schonung der Masse vermeiden muss. Für diese Prüfung, die oft eng verbunden ist mit der allgemeinen Fortführungs- und Sanierungsprüfung, nutzt die Insolvenzpraxis die „haftungsfreie Prüfungszeit“695 des (verlängerten) Eröffnungsverfahrens. Die Haftungsanordnung des § 61 InsO gilt über den Verweis des § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 InsO zwar auch für den vorläufigen Verwalter, allerdings lässt sich im Eröffnungsverfahren das Entstehen von (ggf. haftungsbegründenden) Masseverbindlichkeiten weitgehend vermeiden.696 Durch das zuvor beschriebene Vorgehen – die Verbindung von Einzelermächtigung und Eröffnungsverzögerung  – erhält der (noch vorläufige) Verwalter die Möglichkeit, das insolvente Unternehmen einige Monate fortzuführen und gleichzeitig „die mit einer Betriebsfortführung verbundenen Haftungsrisiken zu vermeiden“697. Innerhalb des Eröffnungsverfahrens kann zudem eine erste Liquiditätsprognose erstellt werden, durch die der Verwalter – selbst wenn letztlich nicht alle Masseschulden beglichen werden können – seine Haftung abwenden kann. Er haftet gem. § 61 S. 2 InsO nicht, wenn er nachweist, dass er bei der Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, dass die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde.698 Die für diese Entlastung notwendige Prognose wird regelmäßig vor der Eröffnungsentscheidung erarbeitet. Eine schnelle, unverzügliche Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird von Seiten der Insolvenzverwalter also vor allem auch deshalb abgelehnt, weil diese befürchten, dass anderenfalls „die Haftungsgefahr für den Verwalter durch den Wechsel in 693 Auch „schlüssiges Verhalten“ kann ausreichen, so BGH Urt. v. 13. 2. 2014 – IX ZR 313/12, NZI 2014, 400, 401 f. Rz. 12 ff. Vgl. auch Sinz, in: Uhlenbruck-InsO, § 61 Rn. 5. 694  Lüke, Haftung des Verwalters, S. 66 ff.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 6.40; Thole, in: Schmidt-InsO, § 61 Rn. 6 ff. 695  Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb vorläufige Insolvenzverwaltung, § 12 Rn. 14, die hierfür allerdings einen kürzeren Zeitraum von ca. einer Woche ausreichen lassen wollen. 696  Dass die „starke“ vorläufige Verwaltung in der Praxis weitgehende Ablehnung erfährt, wird allgemein auf die (mutmaßlichen) Haftungsrisiken zurückgeführt, vgl. bspw. Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 1, 305; Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 22 Rn. 68; ähnlich, mit Hinweisen auf Stellungsnahmen der Praxis Stamm, in: FS Beck, S. 509, 517; anders hingegen Laroche, NZI 2010, 965. 697  Mönning, in: Nerlich/Römermann-InsO, § 22 Rn. 225. 698  Zur zentralen Bedeutung der Liquiditätsprognose BGH, Urt. v. 17. 12. 2004 – IX ZR 185/03, NZI 2005, 222; Lüke, Haftung des Verwalters, S. 73 ff.; Thole, in: Schmidt-InsO, § 61 Rn. 10.



B.  Weitere Massevorteile bei verlängerten Eröffnungsverfahren

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die Stellung des ‚Voll-Verwalters‘ […] sofort steigt“699. Bei aktiven Betrieben bliebe dem Verwalter oft keine Alternative als die Stilllegung, um die persönliche Haftung zu vermeiden.700 Die Befürchtung, die unverzügliche Eröffnung würde zur sofortigen Belastung mit Masseverbindlichkeiten und damit zu „unbeherrschbaren Haftungsrisiken“701 führen, lässt sich jedoch durchaus relativieren: Bei der Frage nach der Verwalterhaftung gem. § 61 InsO ist allgemein zu berücksichtigen, in welchem Stadium sich das Insolvenzverfahren bei Begründung der fraglichen Forderung befunden hat.702 So ist bspw. anerkannt, dass die besondere Situation des Eröffnungsverfahrens und die grds. Pflicht zur Betriebsfortführung Auswirkungen auf den Haftungsmaßstab haben. Der (vorläufige) Verwalter hat in der unmittelbaren Anfangszeit seiner Tätigkeit noch keinen Überblick über die Mittel und Verbindlichkeiten der (künftigen) Masse und den schuldnerischen Betrieb, sodass eine zuverlässige Liquiditätsplanung zu Beginn des Eröffnungsverfahrens regelmäßig noch nicht vorliegen wird. Diese Umstände sind bei der Frage nach der vom Verwalter verlangten erforderlichen Sorgfalt i. R. d. § 61 S. 2 InsO haftungsmildernd zu berücksichtigen.703 Dem Verwalter wird deshalb eine entsprechende Einarbeitungs- und Prüfungszeit zugebilligt.704 Dieser Ansatz zur verhältnismäßigen Begrenzung der Haftung des vorläufigen Verwalters lässt sich auch auf den Verwalter im eröffneten Verfahren übertragen, wenn diesem vor der Eröffnung keine Einarbeitungszeit zur Verfügung stand.705 War das Eröffnungsverfahren nur von kurzer Dauer, weil das Gericht schnell eröffnen konnte, so ist dies bei der Haftung nach § 61 InsO zu berücksichtigen: „Je kürzer die Zeit für den Verwalter, sich über Zustand und Entwicklung des Unternehmens zu informieren, desto eher ist auch eine großzügige Prognose noch vertretbar.“706

699 

Frind, in: FS Beck, S. 135, 144. Gravenbrucher Kreis, ZIP 1993, 625, 626. 701  VID/Gravenbrucher Kreis, ZIP 2005, 1384, 1385. 702  Schoppmeyer, in: MüKo-InsO, § 61 Rn. 27; Pape, in: K/P/B‑InsO, § 22 Rn. 49. 703  Pape, in: K/P/B‑InsO, § 22 Rn. 49; Lüke, in: K/P/B‑InsO, § 61 Rn. 14; Marotzke, Das Unternehmen in der Insolvenz, S. 22 f.; Laroche, NZI 2010, 965, 972; Haarmeyer/Wutzke/ Förster, Hdb vorläufige Insolvenzverwaltung, § 6 Rn. 51 f.; Lüke, Haftung des Verwalters, S. 83. 704  Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb vorläufige Insolvenzverwaltung, § 6 Rn. 52; Lüke, Haftung des Verwalters, S. 83; Krelhaus, Insolvenzfeste Geschäftsfortführung, S. 61 ff.; Baumert, in: Braun-InsO, § 61 Rn. 4; Jahntz, in: FK‑InsO, § 61 Rn. 15. 705 Explizit für die Anwendung auch zwischen Eröffnung und Berichtstermin Schoppmeyer, in: MüKo-InsO, § 61 Rn. 27. 706 Ebd. 700 Vgl.

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

VI.  Erhalt massegünstiger Positionen Die Verzögerung der Verfahrenseröffnung kann sich weiterhin aus einer Vielzahl verfahrensfremder Umstände als vorteilhaft darstellen. Oftmals knüpfen gesetzliche, insbesondere aber auch vertragliche Regelungen an den Zeitpunkt der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bestimmte, oft gravierende Folgen. So führt die Verfahrenseröffnung bspw. für einen Fußballverein im DFB u. a. dazu, dass alle (bisherigen und zukünftigen) Spiele der Saison nicht gewertet werden.707 Gerade hinsichtlich der noch auszutragenden, aber „sportlich irrelevanten“ Spiele kann dies zu bedeutenden finanziellen Einbußen führen. Wird die Eröffnung allerdings bis zum Ende der Saison aufgeschoben, so wird die gesamte Saison gewertet, sodass sich wirtschaftliche Nachteile für den schuldnerischen (Spiel-)Betrieb in großem Umfang verhindern lassen.708 Wäre gar eine Sanierung innerhalb des (verlängerten) Eröffnungsverfahrens möglich, ließen sich die folgenschweren verbandsrechtlichen Konsequenzen vollständig umgehen.709 Dieser beispielhafte Gedanke lässt sich ausweiten und verallgemeinern: Bei der Ausgestaltung vertraglicher Beziehungen treffen die Parteien oftmals besondere Regelungen für den Fall der Insolvenz eines Vertragspartners; nicht selten wird hierbei der Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung als Auslöser der gewünschten Konsequenzen gewählt. Unzulässig sind grds. nur „Lösungsklauseln“ für den Insolvenzfall, die gegen § 119 InsO verstoßen. Die Abwicklung gegenseitiger Verträge soll und kann sich allein nach den §§ 103 ff. InsO richten.710 Außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Normen bzw. soweit die §§ 103 ff. InsO nicht beeinträchtigt werden, sind „Insolvenzklauseln“ allerdings grds. möglich.711 Wenn eine solche vertragliche Regelung auf den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung abstellt, gibt dies dem vorläufigen Verwalter und dem Gericht u. U. die Möglichkeit, die für den Betrieb negativen Folgen aufzuschieben. Je nach Konstellation und vertraglicher Ausgestaltung können so durch die Eröffnungsverzögerung entscheidende positive Effekte hervorgerufen und wichti-

707 

§ 6 Nr. 1, Nr. 2 DFB‑SpO. Vgl. hierzu Weber, NZI 2013, 476, 478. Dies spräche für ein gerichtliches Eröffnungsermessen, vgl. Frind, in: FS Beck, S. 135, 144; Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1242 f.; wohl auch Zipperer, NZI 2012, 385, 390. Eingehend zur Sportligalizenz in der Insolvenz Zeuner/Nauen, NZI 2009, 213. Mit besonderem Fokus auch auf den Zeitpunkt der Eröffnung Weber, NZI 2013, 476. 709  Zipperer, NZI 2012, 385, 390. 710  Sinz, in: Uhlenbruck-InsO, § 119 Rn. 1, 13 f. Vgl. auch BGH, Urt. v. 15. 11. 2012 – IX ZR 169/11, BGHZ 195, 348 = ZIP 2013, 274. Kritisch zu dieser Auslegung und Anwendung von § 119 InsO Jacoby, ZIP 2014, 649; ders. in: Jaeger-InsO, § 119 Rn. 8 ff. 711 Aus diesem Grund sind die genannten Regelungen der Sportverbände zulässig, vgl. hierzu Walker, KTS 2003, 169. Nicht an § 119 InsO zu messen ist bspw. auch die wichtige Fallgruppe der Gesellschaftsverträge, s. Ringstmeier, in: Schmidt-InsO, § 119 Rn. 33. 708 



B.  Weitere Massevorteile bei verlängerten Eröffnungsverfahren

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ge massehaltige Positionen (wie eine Ligalizenz) zumindest zeitweise erhalten und genutzt werden.712 Ähnliche Gestaltungsmöglichkeiten können sich insbesondere im Gesellschaftsrecht aus Vertrag oder Gesetz ergeben: So sieht bspw. § 728 Abs. 2 S. 1 BGB vor, dass eine GbR aufgelöst wird, sobald das Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Gesellschafters eröffnet wurde. Wird diese Regelung vertraglich abbedungen, sieht § 736 Abs. 1 BGB vor, dass in diesem Fall der insolvente Gesellschafter mit der Verfahrenseröffnung aus der Gesellschaft ausscheidet.713 Ist der Schuldner Gesellschafter einer solchen GbR und verspricht sich der vorläufige Verwalter Vorteile aus dem (zeitweisen) Erhalt der Gesellschafterstellung, so lässt sich durch die Verzögerung der Eröffnung u. U. der erwartete positive Effekt verwirklichen.714 Auch bei der Beteiligung des Schuldners an einer Kapitalgesellschaft sind derartige Mechanismen möglich: So droht dem Schuldner – je nach gesellschaftsvertraglicher Regelung – ggf. die Einziehung von Geschäftsanteilen oder der Verlust von Mitgliedschaftsrechten, sobald es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommt.715 Entsprechende (oft betriebsschädliche) Konsequenzen lassen sich durch die Eröffnungsverzögerung zumindest aufschieben.

VII.  Erleichterung der Buchführung Die Einflussnahme auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung kann sich schließlich auch aus organisatorischen Gründen als sinnvoll erweisen. Wird das Insolvenzverfahren nicht zum Ende, sondern im Laufe einer betrieblichen Abrechnungsperiode eröffnet, so kann die Abrechnung und Abgrenzung verschiedener Forderungen (technische) Schwierigkeiten bereiten. Es bedarf der zusätzlichen und u. U. aufwändigen Ermittlung, welche Forderungen vor der Eröffnung und welche innerhalb des Verfahrens entstanden sind.716 Insbesondere für die (tag-)genaue Berechnung von Lohn-, Dienst- und Insolvenzgeldansprüchen ist es deshalb von erheblichem Vorteil, wenn das Insolvenzverfahren zum Monatsersten eröffnet wird. Durch die Verzögerung der Entscheidung – ggf. nur um einige Tage – kann das Insolvenzgericht dem Verwalter die Arbeit deutlich erleichtern. Auch wenn dies keinen unmittelbaren finanziellen Nutzen für den schuldnerischen Betrieb mit sich bringt, lässt sich auf diese Weise zumindest 712 

Frind, in: FS Beck, S. 135, 144. Dies gilt auch für die oHG, die KG und die PartG, S. §§ 131 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, 161 Abs. 2 HGB, § 9 Abs. 1 PartGG. 714  Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1243 f. 715  Vgl. OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 27. 3. 1998 – 10 U 56/97, NZG 1998, 595 (m. Anm. Eckardt); Heckschen, NZG 2010, 521. 716  Mit Hinweis auf diesen besonderen Aufwand Schmahl/Busch, in: MüKo-InsO, §§ 27– 29 Rn. 41. Vgl. auch die Darstellung bei Kummer, in: FS Metzeler, S. 15, 17 f. 713 

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Kapitel 3: Vorteile und Hintergrund des verlängerten Eröffnungsverfahrens

der Organisationsaufwand des Insolvenzverwalters verringern und so die geordnete Betriebsfortführung begünstigen. Nicht zuletzt aus diesen verfahrensökonomischen Gründen kann die kalkulierte Terminierung der Eröffnung nützlich sein.717

717  Für ein gerichtliches Ermessen aus diesem Grund bspw. Schilken, in: Jaeger-InsO, § 27 Rn. 30, Fn. 95; Frind, in: FS Beck, S. 135, 144; Kummer, in: FS Metzeler, S. 15, 20. Zunächst auch noch Vallender, ZInsO 2010, 1457, 1462, nun allerdings anders, ders., GmbHR 2012, 445, 448.

Kapitel 4

Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung Nach der statistischen Untersuchung der Rechtspraxis (Kapitel 2) konnte gezeigt werden, welche Anreize und Strategien faktisch für die lange Dauer des typischen Insolvenzeröffnungsverfahrens verantwortlich sind (Kapitel 3). Durch die Verzögerung der Insolvenzeröffnung lassen sich für den schuldnerischen Betrieb, die vorläufige Verwaltung und letztlich für die Insolvenzmasse teils essenzielle Vorteile realisieren – allen voran das „nicht mehr wegzudenken[de] Insolvenzgeld“1. Diese positiven Effekte sorgen letztlich dafür, dass „eine theoretisch mögliche sofortige Verfahrenseröffnung in der Praxis kaum erfolgt“2. Diese Feststellung rückt ein für die Verfahrensdauer entscheidendes und höchst umstrittenes Problem in den Fokus: Muss über einen Insolvenzantrag unverzüglich entschieden werden, sobald dies möglich ist, oder steht der konkrete Zeitpunkt der Entscheidung im Ermessen des Insolvenzgerichts?3 Nachdem bereits untersucht wurde, wann rechtlich entschieden werden kann (Möglichkeit 1 

Woltersdorf, INDat Report 01_2017, 12, 13. Heilmaier, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 4 Rn. 171. 3  Für ein solches Ermessen (z. T. unter bestimmten Bedingungen) LG Duisburg, Beschl. v. 13. 2. 2002 – 7 T 7/02, NZI 2002, 666, 667; AG Hamburg, Beschl. v. 1. 10. 2001 – 67g IN 195/01, ZIP 2001, 1885; AG Hamburg, Beschl. v. 16. 12. 2002 – 67g IN 419/02, NZI 2003, 153, 155; AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2004, 67g IN 97/04, ZInsO 2004, 630; Spliedt, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.462; ders., EWiR 2001, 1099; Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 70 ff.; Pannen, NZI 2000, 575, 577 f.; Decker/Schäfer, BB 2015, 198, 199; Hunold, NZI 2015, 785, 788; Undritz, NZI 2003, 136, 140; Münzel, ZInsO 2006, 1238; Frind, in: Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rn. 267 ff.; ders., EWiR 2003, 23, 24; ders., in: FS Beck, S. 135, 144; Zipperer, NZI 2012, 385, 389 f.; ders., in: UhlenbruckInsO, § 27 Rn. 11; Schmahl/Vuia, in: MüKo-InsO, § 16 Rn. 24; Keller, in: Schmidt-InsO, § 27 Rn. 54; Schilken, in: Jaeger-InsO, § 27 Rn. 9, 30; Schmerbach, in: FK‑InsO, § 22 Rn. 92, 100, § 27 Rn. 14; Schmidt, in: HambKomm-InsO, § 1 Rn. 25; Denkhaus, in: HambKomm-InsO, § 27 Rn. 8 f.; Schröder, in: HambKomm-InsO, § 22 Rn. 72, 134. Gegen die Zulässigkeit der Eröffnungsverzögerung LG Hamburg, Beschl. v. 21. 12. 2006 – 326 T 106/06, ZInsO 2007, 335, 336; ähnlich LG Hamburg, Beschl. v. 26. 6. 2012 – 326 T 77/12, ZIP 2012, 1724; AG Hamburg, Beschl. v. 31. 5. 2012 – 67c IN 110/12, ZInsO 2012, 1484; AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2012 – 67c IN 49/12, NZI 2012, 850; Marotzke, ZInsO 2004, 178, 187; ders., Das Unternehmen in der Insolvenz, S. 32; Bork, Insolvenzrecht, Rn. 136; Vallender, GmbHR 2012, 445, 448; ders., in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 264; Holzer, in: K/P/B‑InsO, § 27 Rn. 49 f.; Pape, in: K/P/B‑InsO, § 13 Rn. 6; Kirchhof, in: HK‑InsO, 7. Aufl., § 27 Rn. 16; Sander, in: A/G/R‑InsO, § 27 Rn. 3; Voß, in: Graf-Schlicker-InsO, § 27 Rn. 2. 2 

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Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung

der Entscheidung),4 geht es nun also um die Frage, wann rechtlich entschieden werden muss (Pflicht zur Entscheidung). Schon im Gesetzgebungsprozess zur Schaffung der Insolvenzordnung bestand ein deutlicher Dissens darüber, welche Dauer das zu schaffende Eröffnungsverfahren richtigerweise haben sollte; die Regelungsentwürfe wurden im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens diesbezüglich deutlich verändert.5 Unmittelbar nach Inkrafttreten des neuen Insolvenzrechts brach in Rechtsprechung und Literatur ein Streit über Eröffnungspflicht und Eröffnungsermessen aus,6 der die Interessen und Argumente aus dem Gesetzgebungsprozess wieder aufnahm und der bislang nicht geklärt werden konnte. Die Erarbeitung einer überzeugenden Antwort auf die Frage nach der Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung steht im Zentrum der folgenden Untersuchungen. Durch eine umfassende Analyse und Auslegung der Insolvenzordnung bzw. einzelner Normen, des Gesetzestexts, der legislativen Historie sowie der Gesamtsystematik und Ziele des Insolvenzrechts soll geklärt werden, welche gesetzlichen Vorgaben de lege lata für die Dauer von Eröffnungsverfahren bestehen. Hierbei wird sich zeigen, dass die derzeitige Insolvenzpraxis zwar selten kritisch hinterfragt wird, rechtlich aber unzulässig ist. Einleitend, also der eigentlichen Gesetzesauslegung vorgelagert, soll allerdings zunächst die Rechtsprechung zur Frage des Eröffnungszeitpunktes in den Blick genommen werden. In den richterlichen und höchstrichterlichen Entscheidungen wird deutlich, welche Argumente in diesem Streit von entscheidender Bedeutung sein könnten und dass bzw. warum eine eindeutige gerichtliche Klärung der Frage bislang nicht vorliegt.

A.  Richterliche und höchstrichterliche Entscheidungen Mehrere Beschlüsse verschiedener Insolvenzgerichte beschäftigten sich ausdrücklich mit dem Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung. Die Diskussion über die Frage nach Eröffnungspflicht und -ermessen wurde und wird insbesondere durch einige frühe und grundlegende Entscheidungen des AG Hamburg beeinflusst. Hiernach liegt „die Entscheidung über den Zeitpunkt der Eröffnung […] im Ermessen des Gerichts“7 und kann deshalb trotz Entscheidungsreife aufgeschoben 4 

S. hierzu S. 15 ff. Überblick über die Entwicklung s. Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb vorläufige Insolvenzverwaltung, § 1 Rn. 1 ff.; vgl. auch noch S. 192 ff. 6 Grundlegend insbesondere Pannen, NZI 2000, 575, 577 ff., AG Hamburg, Beschl. v. 1. 10. 2001 – 67g IN 195/01, ZIP 2001, 1885 sowie hierzu Spliedt, EWiR 2001, 1099. 7 AG Hamburg, Beschl. v. 1. 10. 2001 – 67g IN 195/01, ZIP 2001, 1885. Ähnlich mit weiterer Argumentation AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2004 – 67g IN 97/04, ZInsO 2004, 630, 631; ebenso AG Hamburg, Beschl. v. 16. 12. 2002 – 67g IN 419/02, NZI 2003, 153, 155. Mit 5 Zum



A.  Richterliche und höchstrichterliche Entscheidungen

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werden. Das Gesetz regle die Frage, wann zu eröffnen ist, nicht ausdrücklich. Gleichzeitig sei ein Rückgriff auf § 300 Abs. 1 ZPO im Wesentlichen aus zwei Gründen abzulehnen:8 Zunächst spräche insbesondere die Sanierungsfunktion der Insolvenzordnung für ein gerichtliches Ermessen. Der Erhalt von Unternehmen sei ausweislich des § 1 S. 1 InsO ein zentrales Anliegen des Gesetzes, welches das Insolvenzgericht bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen habe.9 Durch die Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens ließen sich im Einzelfall erhebliche Vorteile für eine Betriebsfortführung und -sanierung generieren. Vor allem solle auf diesem Weg der dreimonatige Insolvenzgeldzeitraum vollständig zugunsten des schuldnerischen Unternehmens ausgeschöpft werden.10 Dies verbessere die Aussicht auf eine Unternehmenssanierung, den Erhalt von Arbeitsplätzen und eine Optimierung der Insolvenzquote, weshalb das Gericht keine Pflicht zur unverzüglichen Eröffnung treffe.11 Zudem spräche auch die Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts, die sich nur im eröffneten Verfahren vollständig entfalten könne, für ein gerichtliches Eröffnungsermessen. Wenn allein durch die bewusste Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens – insbesondere durch die Ausnutzung des Insolvenzgeldes – die notwenigen Mittel zur Deckung der Verfahrenskosten und damit zur Verfahrenseröffnung (§ 26 InsO) beschafft werden können, sei die Verzögerung der Entscheidung gerechtfertigt.12 Andere, jüngere Entscheidungen – ebenfalls aus Hamburg – positionieren sich jedoch weniger eindeutig bzw. sogar im klaren Gegensatz. Zunächst wurde die dargestellte Rechtsprechung übernommen: Die Verzögerung der Verfahrenseröffnung sei statthaft, um so die (spätere) Masse anzureichern und die Aussichten einer Betriebsfortführung zu verbessern.13 Gleichzeitig relativierte das Gericht diese Aussage und stellte im offenen Widerspruch hierzu fest, dass „das Gericht […] die Eröffnungsentscheidung nicht verzögern [dürfe], wenn die Eröffnungsvoraussetzungen eingetreten sind“14. Diese letzte Feststellung wurde in jüngeren Entscheidungen des AG und des LG Hamburg deutlich und ohne dem gleichen Ergebnis allerdings ohne eine ähnlich differenzierte Begründung LG Duisburg, Beschl. v. 13. 2. 2002 – 7 T 7/02, NZI 2002, 666, 667. 8  Vgl. zur ausführlichen Gesetzesauslegung AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2004 – 67g IN 97/04, ZInsO 2004, 630, 631. 9  AG Hamburg, Beschl. v. 16. 12. 2002 – 67g IN 419/02, NZI 2003, 153, 155. 10  AG Hamburg, Beschl. v. 1. 10. 2001 – 67g IN 195/01, ZIP 2001, 1885; AG Hamburg, Beschl. v. 16. 12. 2002 – 67g IN 419/02, NZI 2003, 153, 155; AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2004 – 67g IN 97/04, ZInsO 2004, 630, 631. Hierauf verweisen auch die Hamburger Leitlinien zum Insolvenzeröffnungsverfahren, NZI 2004, 133, 134. 11  AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2004 – 67g IN 97/04, ZInsO 2004, 630, 631. 12  AG Hamburg, Beschl. v. 1. 10. 2001 – 67g IN 195/01, ZIP 2001, 1885 f. 13  AG Hamburg, Beschl. v. 27. 11. 2007 – 67c IN 443/07, ZIP 2008, 520, 521. 14 AG Hamburg, Beschl. v. 27. 11. 2007 – 67c IN 443/07, ZIP 2008, 520, 521; ähnlich unklar auch AG Hamburg, Beschl. v. 5. 11. 2004 – 67c IN 360/04, DZWIR 2005, 87 („Verzögerung der […] Entscheidung in der Regel nicht zu vertreten“).

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Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung

Einschränkung wiederholt. Eine Verzögerung der Eröffnung sei bei eingetretener Entscheidungsreife unzulässig.15 Allerdings beschäftigten sich diese Entscheidungen im Kern mit der Frage, ob dem Schuldner die Gelegenheit gegeben werden müsse, noch im Eröffnungsverfahren seine Gläubiger zu befriedigen. Dies wurde abgelehnt, die Eröffnung dürfe in solchen Fällen nicht aufgeschoben werden. Die Zulässigkeit der ausgedehnten Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren stand hingegen nicht im Zentrum der Beschlüsse. Der Feststellung – keine Verzögerung bei Entscheidungsreife – lag jeweils keine umfassende eigene Argumentation der Gerichte, sondern allein der Verweis auf die Rechtsprechung der BGH zugrunde. Allerdings liegt bislang keine höchstrichterliche Entscheidung vor, in der die Pflicht zur unverzüglichen Verfahrenseröffnung explizit und eindeutig festgestellt worden wäre. An verschiedenen Stellen gibt der BGH lediglich Hinweise, die sich unterschiedlich deuten lassen: Zunächst stellte der IX. Senat im Jahr 2004 fest, dass die Vordatierungen von Eröffnungsbeschlüssen unzulässig sei und machte so auch deutlich, dass er den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung nicht uneingeschränkt in das richterliche Ermessen stellen will.16 Im Streit um die Zulässigkeit der Beschlussvordatierung wurden ganz ähnliche Interessen und Argumente geltend gemacht wie in der Diskussion um die Zulässigkeit der Eröffnungsverzögerung. Führt man einige der Gedanken und Ansätze, die nach Ansicht des BGH die Unzulässigkeit der Beschlussvordatierung begründen, konsequent weiter, wäre auch die Eröffnungsverzögerung eher als unzulässig abzulehnen, hierzu sogleich.17 Ein weiterer Beschluss des BGH setzt sich mit der Phase zwischen Entscheidungsreife und Eröffnung auseinander.18 Eine Pflicht des Insolvenzgerichtes, die Eröffnung trotz des Vorliegens der hierfür notwendigen Voraussetzungen aufzuschieben, wurde abgelehnt; dies allerdings wohl nur für den konkreten Fall. Hierbei ging es um die Frage, ob dem Schuldner vor einer möglichen Verfahrenseröffnung die Gelegenheit gegeben werden müsse, die dem Insolvenzantrag zugrunde liegende Forderung zu begleichen. Eine solche richterliche Pflicht zum Abwarten sehe die Insolvenzordnung jedoch nicht vor.19 Ob das Insolvenzgericht allerdings – zumal in ganz anders gelagerten Fällen – das Recht hätte, die Entscheidung aufzuschieben, wird vom BGH nicht thematisiert. Von besonderer Bedeutung ist deshalb schließlich eine weitere Entscheidung des BGH, die ebenfalls den Zeitpunkt der Eröffnung zum Gegenstand hatte. 15  LG Hamburg, Beschl. v. 21. 12. 2006 – 326 T 106/06, ZInsO 2007, 335, 336; ähnlich LG Hamburg, Beschl. v. 26. 6. 2012 – 326 T 77/12, ZIP 2012, 1724; AG Hamburg, Beschl. v. 31. 5. 2012 – 67c IN 110/12, ZInsO 2012, 1484; AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2012 – 67c IN 49/12, NZI 2012, 850. 16  BGH, Urt. v. 17. 2. 2004 – IX ZR 135/03, NZI 2004, 316. 17 S. 180 ff. 18  BGH, Beschl. v. 6. 2. 2012 – IX ZB 188/11, ZInsO 2012, 593. 19  BGH, Beschl. v. 6. 2. 2012 – IX ZB 188/11, ZInsO 2012, 593, 594.



B.  Gesetzliche Vorgaben und Hinweise zum Eröffnungszeitpunkt

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Kern des Beschlusses war die Feststellung, dass ein Insolvenzgrund im Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung vorliegen muss und dass eine Eröffnung nicht dadurch „geheilt“ wird, dass die Insolvenz im Nachhinein – namentlich bis zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde bzgl. der Eröffnung – eingetreten ist.20 In diesem Zusammenhang stellte der BGH (generell) fest: „Über den Eröffnungsantrag wird entschieden, wenn die Ermittlungen des Insolvenzgerichts (§ 5 InsO) abgeschlossen sind.“21 Diese Feststellung wird von Teilen der Rechtsprechung und der Literatur als Absage an die Praxis der Eröffnungsverzögerung verstanden:22 Eröffnet wird, sobald die Ermittlungen abgeschlossen sind. Ein gerichtliches Eröffnungsermessen bestünde hiernach nicht. Allerdings wurde diese – auf den ersten Blick eindeutige – Aussage nur obiter getätigt und mit dem Hinweis verbunden, dass kein Anspruch (des antragstellenden Gläubigers) auf Verzögerung der Eröffnung bestehe. Ob eine solche Verzögerung jedoch rechtlich zulässig wäre, bleibt offen. Auch wenn der BGH also grundsätzlich davon ausgeht, dass zwischen Entscheidungsreife und tatsächlicher Entscheidung keine zeitliche Differenz liegt, hat er keine Aussage dazu getroffen, ob dies ausnahmslos zu gelten hat: Ein Fall, bei dem es zentral und entscheidend auf die Frage nach Eröffnungspflicht und Eröffnungsermessen angekommen wäre, lag dem BGH nicht vor, weshalb man nach wie vor „auf eine Antwort des BGH […] gespannt sein [darf]“23.

B.  Gesetzliche Vorgaben und Hinweise zum Eröffnungszeitpunkt Die Insolvenzordnung trifft – anders als bspw. das österreichische Insolvenzrecht24 – keine explizite Regelung bzgl. der Frage, zu welchem Zeitpunkt das Insolvenzverfahren eröffnet werden muss.25 Eine solche „Lücke“ im Insolvenzverfahrensrecht lässt sich grds. durch einen Rückgriff auf das allgemeine Zivilverfahrensrecht schließen; subsidiär gelten gem. § 4 InsO die Vorschriften der 20 

BGH, Beschl. v. 27. 7. 2006 – IX ZB 204/04, BGHZ 169, 17 = NZI 2006, 693. BGH, Beschl. v. 27. 7. 2006 – IX ZB 204/04, NZI 2006, 693, 696 Rz. 27. 22  So bspw. LG Hamburg, Beschl. v. 21. 12. 2006 – 326 T 106/06, ZInsO 2007, 335, 336; AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2012 – 67c IN 49/12, NZI 2012, 850; AG Hamburg, Beschl. v. 31. 5. 2012 – 67c IN 110/12, ZInsO 2012, 1484; ähnlich, i. E. allerdings widersprüchlich LG Hamburg, Beschl. v. 27. 11. 2007 – 67c IN 443/07; Frind, ZInsO 2012, 1357; Wegener, in: Uhlenbruck-InsO, § 13 Rn. 154. 23 So Bork, EWiR 2004, 553, 554 schon zuvor zu BGH, Urt. v. 17. 2. 2004 – IX ZR 135/03, NZI 2004, 316. 24  Auf Antrag des Schuldners ist dort „sofort zu eröffnen“ (§ 69 Abs. 1 S. 1 IO A), bei einem Gläubigerantrag „unverzüglich“ nach Glaubhaftmachung einer Forderung und Zahlungsunfähigkeit (§ 70 Abs. 1 IO A). 25 AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2004, 67g IN 97/04, ZInsO 2004, 630, 631; Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1239. 21 

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Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung

Zivilprozessordnung im Insolvenzverfahren entsprechend. Über diesen Verweis ließe sich § 300 Abs. 1 ZPO zur Anwendung bringen, der anordnet, dass ein Rechtsstreit gerichtlich abgeschlossen werden muss, sobald er zur Entscheidung reif ist;26 aus Entscheidungsreife folgt hiernach Entscheidungspflicht. Übertragen auf das Insolvenzeröffnungsverfahren hieße dies, dass die Eröffnungsentscheidung getroffen werden muss, sobald der Insolvenzgrund und die voraussichtliche Kostendeckung feststehen.27 Allerdings ordnet § 4 InsO die (entsprechende) Geltung der zivilprozessualen Normen nur für Fälle an, in denen die Insolvenzordnung selbst „nichts anderes bestimmt“. Anwendbar sind die Vorschriften der ZPO im Insolvenzverfahren nur dann, wenn und soweit sie mit dessen besonderer Natur zu vereinbaren sind.28 Entbehrlich und damit unzulässig ist der Rückgriff auf § 300 Abs. 1 ZPO also dann, wenn sich durch eine ggf. sehr weitreichende Auslegung des Insolvenzrechts eine Regel finden lässt, die eindeutig für oder gegen ein gerichtliches Eröffnungsermessen spricht.29 Da es an einer in ihrem Wortlaut eindeutigen, ausdrücklichen Vorschrift zu dieser Frage mangelt, gilt es, das gesamte System der insolvenzrechtlichen Bestimmungen diesbezüglich zu untersuchen.

I.  Vorgaben für den Eröffnungsbeschluss (§ 27 InsO) § 27 InsO gibt den notwendigen Inhalt des gerichtlichen Eröffnungsbeschlusses vor. Wann ein solcher Beschluss jedoch zu erlassen ist, wird nicht ausdrücklich geregelt. Anders als in § 26 InsO, der sich mit der Abweisung mangels Masse beschäftigt,30 hat der Gesetzgeber hier keine „Wenn-dann-Anordnung“ getroffen, die Eröffnungsentscheidung wird vielmehr vorausgesetzt.31 Aus dem Vergleich mit § 26 Abs. 1 S. 1 InsO („Das Insolvenzgericht weist […] ab, wenn …“) ließe sich e contrario der Schluss ziehen, dass für den Fall der Eröffnung – anders als bei einer Abweisung – dem Gericht keine „starre“ Vorgabe gemacht werden soll. Die „weiche“ Formulierung in § 27 InsO spräche demnach dafür, dass dem Richter hinsichtlich der Eröffnungsentscheidung ein gewisser Ermessensspielraum eingeräumt würde.32 26  BGH, Urt. v. 2. 4. 1955 – IV ZR 261/54, BGHZ 17, 118, 120 f. = NJW 1955, 988, 989; Musielak, in: MüKo-ZPO, § 300 Rn. 1, 5. 27 So Vallender, GmbHR 2012, 445, 448; ders., in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 264; Pape, in: K/P/B‑InsO, § 13 Rn. 6; Kirchhof, in: HK‑InsO, 7. Aufl., § 27 Rn. 16. 28  BGH, Urt. v. 11. 7. 1961 – VI ZR 208/60, NJW 1961, 2016; Schmerbach, in: FK‑InsO, § 4 Rn. 1, 3. 29  Allgemein zur dieser vorrangigen „Suche nach einem möglichst geschlossenen Bild von Regeln“ Becker, in: Nerlich/Römermann-InsO, § 4 Rn. 3 ff. 30  Genauer hierzu sogleich, S. 183 f. 31  So auch Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1239. 32 Mit dieser Argumentation für ein Eröffnungsermessen AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2004 – 67g IN 97/04, ZInsO 2004, 630, 631.



B.  Gesetzliche Vorgaben und Hinweise zum Eröffnungszeitpunkt

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Ein solcher Umkehrschluss ist allerdings nicht zwingend. Der Unterschied in den Formulierungen von § 26 und § 27 InsO lässt sich auch auf andere Weise überzeugend erklären: § 26 InsO setzt sich mit dem höchst problematischen Fall auseinander, dass trotz eines zulässigen und begründeten Insolvenzantrags eine Verfahrenseröffnung ausscheiden muss, weil sich wahrscheinlich nicht einmal die Verfahrenskosten decken lassen werden. Auf die materielle Insolvenz des Schuldners kann nicht durch ein geordnetes Verfahren regulierend reagiert werden, die maßgebliche Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts wird nicht verwirklicht. Diesen kritischen (und ungewollten)33 Fall muss die Insolvenzordnung mit einer eindeutigen Anordnung regeln, um Unklarheiten diesbezüglich vorzubeugen: Wenn die Verfahrenskosten sich voraussichtlich nicht decken lassen, ist abzuweisen.34 § 27 InsO betrifft indes den gegenteiligen „Normalfall“. Dass einem Antrag stattzugeben ist, wenn alle Eröffnungsvoraussetzungen vorliegen, ist so eindeutig, dass es einer entsprechenden Normierung nicht unbedingt bedarf. Aus dem ergänzenden Nebeneinander der §§ 26, 27 InsO ließe sich vielmehr auch das gegenteilige Argument ableiten: Zu eröffnen ist, wenn nicht abzuweisen ist.35 Aufschlussreicher für die Frage nach dem Eröffnungszeitpunkt könnten die gesetzlichen Vorgaben zur Datierung des Eröffnungsbeschlusses und insbesondere die diesbezügliche rechtswissenschaftliche Diskussion sein. Gemäß § 27 Abs. 2 Nr. 3 InsO muss der Eröffnungsbeschluss eine stunden- bzw. minutengenaue Angabe zum Eröffnungszeitpunkt enthalten.36 Um im Einzelfall die Vorteile eines langen Eröffnungsverfahrens in Anspruch nehmen zu können, hatte sich früh eine Praxis der „Vordatierung“37 des Eröffnungsbeschlusses herausgebildet. Im typischen Fall bittet der vorläufige Verwalter darum, die bereits mögliche Verfahrenseröffnung aufzuschieben, woraufhin das Gericht einen entsprechenden Beschluss erlässt und die Eröffnung für einen späteren Zeitpunkt erklärt. Dieses Vorgehen wurde – und wird noch vereinzelt – von Teilen der Literatur für legitim und aus praktischen Gründen notwendig erachtet. Die Bestimmung des Eröffnungszeitpunktes sei „Teil der richterlichen Willensentscheidung“38, es bestehe deshalb ein entsprechender Ermessensspielraum.39 33 

Vgl. RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 72 f., 80; Haarmeyer, in: FS Fischer, S. 193. wurde mit § 26 InsO die Eröffnungsschwelle deutlich gesenkt (vgl. S. 22 ff.); auch zur Abgrenzung zum Recht der KO war eine solch klare Anordnung notwendig. 35 Vgl. Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1239. 36  Schilken, in: Jaeger-InsO, § 27 Rn. 30; Keller, in: Schmidt-InsO, § 27 Rn. 32. 37  Uhlenbruck, ZInsO 2001, 977; kritisch zu dieser Terminologie Schmahl/Busch, in: MüKo-InsO, § 27 Rn. 41. 38  Schilken, in: Jaeger-InsO, § 27 Rn. 30. 39  LG Duisburg, Beschl. v. 13. 2. 2002 – 7 T 7/02, NZI 2002, 666, 667; Schmerbach, in: FK‑InsO, § 27 Rn. 44. Grundlegend war insbes. die Argumentation von Schmahl, in: MüKoInsO (1. Aufl.), §§ 27–29 Rn. 38, der diese Ansicht allerdings aufgegeben hat. 34  Zudem

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Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung

Die Themenkomplexe von Beschlussvordatierung und Entscheidungsverzögerung weisen sowohl hinsichtlich der Motivlage der Beteiligten als auch hinsichtlich der Argumentation zur Rechtfertigung deutliche Parallelen auf. Beide Vorgehensweisen dienen dazu, die Verfahrenseröffnung trotz bestehender Entscheidungsreife auf einen zukünftigen Zeitpunkt zu verschieben. Hierdurch soll zum einen die Verwaltung, Buchhaltung und Abrechnung (bspw. zum Monatsbeginn) vereinfacht werden,40 zum anderen sollen aber vor allem finanzielle Vorteile – allen voran die Insolvenzgeldvorfinanzierung – zugunsten des Schuldnerunternehmens und damit mittelbar zugunsten der Gläubigergesamtheit genutzt werden. Der wesentliche und häufigste Anlass für die Vordatierung des Eröffnungsbeschlusses lag im Bestreben des vorläufigen Verwalters, das vorfinanzierte Insolvenzgeld möglichst umfassend in Anspruch nehmen zu können;41 der (vordatierte) Zeitpunkt der Eröffnung fiel in einem solchen Fall mit dem Ende des Insolvenzgeldzeitraums zusammen. Wegen der Ähnlichkeiten dieser beiden Vorgehensweisen liegt es nahe, die in der Diskussion zur Vordatierung gewonnenen Erkenntnisse und die dort angeführten Argumente auch für die Frage der Eröffnungsverzögerung fruchtbar zu machen. 1.  Unzulässigkeit der Beschlussvordatierung Nach anfänglich offener Diskussion hat sich zur Frage der Vordatierung des Eröffnungsbeschlusses – gestützt durch die eindeutige Positionierung des BGH42 – eine heute ganz herrschende Meinung herausgebildet: Die Beschlussvordatierung ist nach überzeugender Ansicht unzulässig.43 Die Möglichkeit der Vordatierung wird im Wesentlichen aus drei Gründen abgelehnt. Zunächst spricht der gesetzliche Wortlaut dafür, dass die Verfahrenseröffnung im Moment von Unterschrift und Erlass des Beschlusses eintritt. Falls entgegen § 27 Abs. 2 Nr. 3 InsO der Zeitpunkt der Eröffnung im Beschluss nicht angegeben wird, stellt Abs. 3 die gesetzliche Vermutung auf, dass die Eröffnung 40  Vgl. zu diesen „technischen Schwierigkeiten“ Schmahl/Busch, in: MüKo-InsO, §§ 27– 29 Rn. 41; Kummer, in: FS Metzeler, S. 15, 17 sowie zuvor S. 171. 41  Das Insolvenzgeld als Motiv nennen bspw. Holzer, in: K/P/B‑InsO, § 27 Rn. 51; Schmerbach, in: FK‑InsO, § 27 Rn. 44; Denkhaus, in: HambKomm-InsO, § 27 Rn. 8; Greiner, ZInsO 2017, 1076, 1079; Bork, EWiR 2004, 553, 554; Uhlenbruck, ZInsO 2001, 977. 42  BGH, Urt. v. 17. 2. 2004 – IX ZR 135/03, NZI 2004, 316; vgl. zuvor S. 176. 43  Sehr ausführlich hierzu jüngst Greiner, ZInsO 2017, 1076. S. auch Holzer, in: K/P/ B‑InsO, § 27 Rn. 51 f.; Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, § 27 Rn. 10; Rüntz, in: HK‑InsO, § 27 Rn. 23; Denkhaus, in: HambKomm-InsO, § 27 Rn. 8; Keller, in: Schmidt-InsO, § 27 Rn. 31, 33; Gundlach, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 16 Rn. 25, 27; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.49 Fn. 282; Bork, EWiR 2004, 553, 554; Kummer, in: FS Metzeler, S. 15, 20; Uhlenbruck, ZInsO 2001, 977. Nun auch Schmahl/Busch, in: MüKo-InsO, §§ 27–29 Rn. 41 (vgl. Fn. 39). Anders in jüngerer Zeit nur noch Schmerbach, in: FK‑InsO, § 27 Rn. 44.



B.  Gesetzliche Vorgaben und Hinweise zum Eröffnungszeitpunkt

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zur Mittagsstunde des Erlasstages erfolgt.44 Das Gesetz geht also davon aus, dass der Tag der Eröffnung und der Tag der Unterzeichnung identisch sind und dass deshalb allgemein „der Richter […] die Stunde als Eröffnungsstunde anzugeben [hat], in der er unterzeichnet“45. Bei einer Vordatierung besteht, so auch der BGH, zweitens die Gefahr, dass im zukünftigen Zeitpunkt der Eröffnung nicht (mehr) alle hierfür notwendigen Voraussetzungen gegeben sind. Wäre es zulässig, die Eröffnung auf einen Zeitpunkt nach der Beschlussfassung hinauszuschieben, könnte in der Zwischenzeit bspw. der Insolvenzgrund oder die voraussichtliche Massekostendeckung weggefallen sein.46 Die Eröffnung verstieße in diesem Fall offenkundig gegen § 16 bzw. § 26 Abs. 1 S. 1 InsO.47 Und auch wenn die Eröffnungsvoraussetzungen weiterhin vorliegen sollten, würde bei einer Vordatierung die „notwendige Gleichzeitigkeit von Unterschriftsleistung und Eröffnung“48 zerrissen; die richterliche Unterschrift könnte ihrer beurkundenden Funktion (mit der Beweiskraft des § 417 ZPO) nicht gerecht werden.49 Ein letztes Argument, mit dem die Unzulässigkeit der Vordatierung begründet wird, stellt darauf ab, dass die Festsetzung eines zukünftigen Eröffnungszeitpunktes oftmals „erhebliche Nachteile für die Masse und für die Gesamtheit der Gläubiger nach sich ziehen“50 kann. So könnten bspw. im Zeitraum zwischen Unterschrift und Eröffnung neue Aufrechnungsmöglichkeiten (zulasten der Masse) entstehen,51 gleichzeitig würde dem Schuldner über einen längeren Zeitraum die Möglichkeit belassen, Verfügungen zulasten der Masse zu treffen.52 2.  Übertragbarkeit auf die Frage der Eröffnungsverzögerung Die dargestellte Argumentation lässt sich (nur) in Teilen auf die Frage der Eröffnungsverzögerung übertragen. Keinen Erkenntnisgewinn bringt zunächst das 44  Ob sich diese Vermutung widerlegen lässt, ist umstritten (dafür Schilken, in: JaegerInsO, § 27 Rn. 33; dagegen Mönning/Schweizer, in: Nerlich/Römermann-InsO, § 27 Rn. 40). 45  BGH, Urt. v. 17. 2. 2004 – IX ZR 135/03, NZI 2004, 316, 317. Mit diesem Argument auch Rüntz, in: HK‑InsO, § 27 Rn. 23. 46  BGH, Urt. v. 17. 2. 2004 – IX ZR 135/03, NZI 2004, 316, 317. 47  Alle Voraussetzungen müssen im Moment der Eröffnung vorliegen, s. BGH, Beschl. v. 27. 7. 2006 – IX ZB 204/04, BGHZ 169, 17 = NZI 2006, 693; Schmerbach, in: FK‑InsO, § 16 Rn. 9 f., § 27 Rn. 6. 48  Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, § 27 Rn. 10. 49  Der Eröffnungsbeschluss ist öffentliche Urkunde i. S. d. § 417 ZPO, Keller, in: SchmidtInsO, § 27 Rn. 30; Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, § 27 Rn. 10. Mit Hinweis auf möglich strafrechtliche Implikationen Greiner, ZInsO 2017, 1076, 1079. 50  BGH, Urt. v. 17. 2. 2004 – IX ZR 135/03, NZI 2004, 316, 317; zustimmend Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, § 27 Rn. 10; Holzer, in: K/P/B‑InsO, § 27 Rn. 51. 51 Vgl. insbes. §§ 94, 96 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 InsO, die alle auf die Eröffnung abstellen. Hierzu auch noch S. 238 f. 52  Mit diesen Argumenten BGH, Urt. v. 17. 2. 2004 – IX ZR 135/03, NZI 2004, 316, 317.

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Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung

erste Argument, dass der Gesetzeswortlaut für die Gleichzeitigkeit von Datum und Datierung spricht: Wird der Erlass des Beschlusses hinausgezögert und erst zum „planmäßigen“ Zeitpunkt unterzeichnet und zutreffend datiert, entsteht keine Diskrepanz zwischen Unterschrifts- und Eröffnungszeitpunkt. Mit dem Wortlaut des § 27 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 InsO käme ein solches Vorgehen nicht in Konflikt.53 Auch die zweite Problematik, dass bei einer Vordatierung im zukünftigen Zeitpunkt der Eröffnung ggf. nicht (mehr) alle notwendigen Voraussetzungen gegeben sein könnten, besteht bei der Verzögerung der Eröffnung nicht in gleicher Weise: Kommt das Gericht zu dem Schluss, dass eröffnet werden kann und verschiebt dennoch seine Entscheidung, so kann (und muss) es beim späteren Zeitpunkt der Eröffnung nochmals kontrollieren, ob die Eröffnungsvoraussetzungen weiterhin vorliegen.54 Ist dies der Fall, so steht der Beschluss mit §§ 16, 26 InsO in Einklang und auch die Beweisfunktion der richterlichen Unterschrift bleibt gewahrt. Übertragbar auf die Frage nach dem gerichtlichen Eröffnungsermessen ist allerdings das dritte Argument: Bei beiden Vorgehensweisen besteht die Gefahr einer nachteiligen Entwicklung zwischen der (ersten) Entscheidungsmöglichkeit und der tatsächlichen Eröffnung. Derartige negative Konsequenzen ergeben sich nicht aus der Tatsache, dass die Zeitpunkte von Unterschrift und Eröffnung auseinanderfallen, sondern daraus, dass die Wirkungen der Eröffnung nicht unmittelbar in dem Moment eintreten, in dem dies erstmals möglich wäre. Die vom BGH aufgeführten Nachteile der (deshalb unzulässigen) Vordatierung ergeben sich in exakt gleicher Weise aus der bewussten Verzögerung der Verfahrenseröffnung.55 Mit der Thematik der Beschlussvordatierung hat sich der BGH eingehend auseinandergesetzt und der entsprechenden Praxis eine klare Absage erteilt. Auch die Literatur folgt dieser Ansicht beinahe ausnahmslos.56 Hierdurch ist zwar die Frage nach Eröffnungspflicht und Eröffnungsermessen nicht unmittelbar beantwortet,57 dies insbesondere weil sich nicht alle der angeführten Argumente übertragen lassen. Allerdings greifen zumindest die letztgenannten Wertungen und Überlegungen für die beiden dargestellten Vorgehensweisen gleichermaßen; es werden die gleichen Ziele verfolgt und dabei die gleichen

53 Gerade deshalb wird die Verzögerung der Unterschrift als taugliche Alternative zur Vordatierung gesehen, so bspw. Greiner, ZInsO 2017, 1076, 1079; Kummer, in: FS Metzeler, S. 15, 20; Denkhaus, in: HambKomm-InsO, § 27 Rn. 8. 54  Greiner, ZInsO 2017, 1076, 1079. 55  Zum problematischen Gleichlauf auch Holzer, in: K/P/B‑InsO, § 27 Rn. 51 f. 56  Vgl. S. 180 Fn. 43. 57 So Bork, EWiR 2004, 553, 554, weshalb man auf die höchstrichterliche Klärung dieser Frage gespannt sein müsse.



B.  Gesetzliche Vorgaben und Hinweise zum Eröffnungszeitpunkt

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Gefahren geschaffen. Deshalb spricht das Verbot der Vordatierung zumindest mittelbar eher gegen die Zulässigkeit der Eröffnungsverzögerung.

II.  Vorgaben für den Abweisungsbeschluss (§ 26 InsO) Das Insolvenzgericht hat einen Antrag abzuweisen, wenn sich die Verfahrenskosten voraussichtlich nicht decken lassen; § 26 Abs. 1 S. 1 InsO schreibt also zunächst nur vor, dass in diesem Fall entschieden werden muss. Eine explizite Vorgabe bzgl. des Zeitpunkts findet sich jedoch nicht,58 auch wenn die Pflicht zur unverzüglichen Abweisung nahe liegen mag, bspw. um das Entstehen weiterer nicht gedeckter Kosten zu verhindern.59 Aufschlussreich ist der Wortlaut von § 26 InsO allerdings durch die Verwendung des Begriffs „voraussichtlich“. Hierdurch wird dem Gericht bzgl. der Verfahrenskostendeckung eine Prognosekompetenz, aber auch ein Prognoseauftrag erteilt:60 Schon wenn die begründete Aussicht auf zukünftige Kostendeckung besteht, kann eröffnet werden. Insofern steht also der „Begriff ‚voraussichtlich‘ […] einer Verzögerung der Eröffnung entgegen“61. Auch der BGH teilt diese Auslegung zu § 26 InsO. Dem IX. Senat lag im Jahr 2012 ein Fall vor, bei dem die Kostendeckung und damit die Verfahrenseröffnung von einer einzigen Forderung des Schuldners abhing (sog. „Gatekeeper-Anspruch“),62 deren Einbringlichkeit konkret in Frage stand.63 Dem Vorgehen von Insolvenzgericht und vorläufigem Verwalter, diese Forderung innerhalb des Eröffnungsverfahrens geltend zu machen und so Sicherheit zu gewinnen, erteilte der BGH eine Absage: Mit Hinweis auf das Wort „voraussichtlich“ stellt das Gericht klar, dass das Verfahren hätte eröffnet werden müssen, wenn die streitgegenständliche Forderung eine ausreichende Grundlage für die Eröffnung des Verfahrens bot. Anderenfalls hätte der Antrag abgewiesen werden müssen.64 Das verlängerte Offenhalten des Eröffnungsverfahrens stehe „mit dem Verfahrensrecht nicht im Einklang“65.

58  Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1239. Bewusst offen gelassen auch bei AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2004 – 67g IN 97/04, ZInsO 2004, 630, 631. 59  Selbst wenn man für diesen Fall also eine Entscheidungspflicht annimmt, lässt dies nicht den Umkehrschluss zu, dass bei Kostendeckung sofort zu eröffnen sei, so auch Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1239. 60  Frind, ZInsO 2012, 1357, 1358. 61 Ebd. 62  Zu einem solchen Anspruch und dem besprochenen Sachverhalt Frind, ZInsO 2012, 1357, 1358. 63  BGH, Urt. v. 15. 3. 2012 – IX ZR 249/09, NZI 2012, 365. 64  Ebd., 366 Rz. 12. 65  Ebd., Rz. 13. Vgl. hierzu auch Frind, ZInsO 2012, 1357.

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Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung

Die Formulierung und der Ansatz von § 26 Abs. 1 S. 1 InsO sprechen also zumindest für den Fall der Abweisung mangels Masse für eine gerichtliche Pflicht zur unverzüglichen Entscheidung bei Entscheidungsreife.

III.  Vorgaben zur Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen (§§ 21, 22 InsO) Auch die Normen, die sich mit der Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren befassen, enthalten keine ausdrückliche Aussage zur Dauer dieser Phase. Es finden sich allerdings verschiedene Hinweise darauf, welches Konzept die Insolvenzordnung allgemein zu Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren verfolgt. 1.  Vorläufige Sicherung im Allgemeinen Die allgemeine Grundnorm für alle Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren ist § 21 Abs. 1 S. 1 InsO. Dessen Formulierung legt zunächst nahe, dass die Eröffnungsentscheidung – jedenfalls wenn Sicherungsmaßnahmen getroffen werden müssen – möglichst ohne Verzögerung ergehen sollte. Das Insolvenzgericht muss und darf nur solche Maßnahmen treffen, die zur Sicherung im Eröffnungsverfahren „erforderlich“ sind. Mit Eintritt der Entscheidungsreife könnte das Gericht aber das Verfahren eröffnen und so die gesetzlich geregelte Vermögenssicherung des Verfahrens (insbesondere §§ 80 ff. InsO) veranlassen. Die „vorläufige Sicherung“ wäre nun nicht mehr erforderlich.66 Eine solche Auslegung überzeugt insbesondere für Fälle, in denen ein Zurück- oder Abweisungsbeschluss im Raum steht: Das Kriterium der Erforderlichkeit in § 21 Abs. 1 S. 1 InsO ist Bestandteil des allgemein geltenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.67 Mit der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren verbinden sich regelmäßig tiefe Eingriffe in die (Grund-) Rechte insbesondere des Schuldners.68 Gerechtfertigt sind solche hoheitlichen Eingriffe nur, wenn und soweit sie zur Vermögenssicherung geeignet, erforderlich und in Abwägung der Interessen und Rechte aller Betroffenen angemessen sind.69 Steht nun zur Überzeugung des Gerichts fest, dass es (bspw. mangels Masse) nicht zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kommen wird, so ist eine 66 Vgl.

auch Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1239. Ähnlich auch Rüntz, der festhält, dass vorläufige Sicherungsmaßnahmen nur notwendig sind „falls das InsVerf nicht sofort eröffnet werden kann“ (Rüntz, in: HK‑InsO, § 21 Rn. 7). 67  BGH, Beschl. v. 1. 12. 2005 – IX ZB 208/05, NZI 2006, 122, 123 Rz. 11; Zipperer, NZI 2004, 656 f.; Haarmeyer, ZInsO 2001, 203, 205; ders., in: MüKo-InsO, § 21 Rn. 23 ff. 68 Zur Bedeutung der schuldnerischen Grundrechte Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 21 Rn. 27 f. Betroffen sind allerdings auch Gläubiger(grund)rechte. 69  BGH, Beschl. v. 1. 12. 2005 – IX ZB 208/05, NZI 2006, 122, 123 Rz. 11; Haarmeyer, ZInsO 2001, 203, 205 f.; Schröder, in: HambKomm-InsO, § 21 Rn. 22 f.



B.  Gesetzliche Vorgaben und Hinweise zum Eröffnungszeitpunkt

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fortdauernde Grundrechtsbeeinträchtigung des Schuldners nicht zulässig. Die belastenden Maßnahmen sind umgehend aufzuheben, sobald sie nicht mehr erforderlich sind.70 Als weniger zwingend stellt sich die dargestellte Auslegung für den Fall der verschobenen Eröffnung dar, da hier eine Argumentation mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – zumindest unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes – an ihre Grenzen kommt: Die Eingriffe des eröffneten Verfahrens werden den Schuldner in aller Regel noch stärker belasten als die vorläufigen Sicherungsmaßnahmen des Eröffnungsverfahrens. Nimmt man an, dass das Kriterium der Erforderlichkeit in § 21 Abs. 1 S. 1 InsO bzw. der Verhältnismäßigkeit lediglich den Schuldner vor (zu) belastenden Maßnahmen schützen soll, lässt sich hieraus eher nicht ableiten, dass die Eröffnungsentscheidung – samt der hiermit verbundenen Eingriffe – möglichst unverzüglich getroffen werden muss.71 Auch wenn das Schutzinteresse des Schuldners also für den Fall der Eröffnungsverzögerung kein zwingendes Argument darstellt, lässt sich der Formulierung des § 21 Abs. 1 S. 1 InsO ein allgemeines Konzept entnehmen, das von dem Gedanken der Vorläufigkeit geprägt ist: Bis eine Entscheidung über den Antrag getroffen werden kann, soll die Situation für alle Betroffenen mit den hierfür erforderlichen Maßnahmen offen gehalten werden.72 Eine solche Auslegung – sichernde Maßnahmen nur solange die Eröffnungsprüfung dies erforderlich macht – ist möglich und lässt sich auch auf den Gesetzgeber zurückführen,73 sie ist hinsichtlich des Wortlauts allerdings nicht zwingend: § 21 Abs. 1 S. 1 InsO befasst sich mit dem Zeitraum „bis zur Entscheidung über den Antrag“, auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife wird nicht abgestellt.74 Mit dem Wortlaut ließe sich also auch eine Auslegung zugunsten des Eröffnungsermessens vereinbaren. 2.  Verwertungs- und Einziehungsverbot im Eröffnungsverfahren Ein Hinweis darauf, dass die Insolvenzordnung eine längere Dauer des Eröffnungsverfahrens (von drei Monaten) unter Sanierungsgesichtspunkten anerkennen könnte, soll in der eher jungen Regelung der §§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 5, 169 S. 2 InsO zu finden sein.75 Um den schuldnerischen Betriebsverbund zusammen zu 70  Gerhardt, in: KölSch, 2. Aufl., S. 193, 211 Rn. 35; Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 25 Rn. 2 f.; vgl. auch RegE InsO, BT‑Drs. 12/7302, S. 14, 158. 71 Ähnlich zu den schuldnerischen Interessen auch Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1240; Ries, ZInsO 2013, 1612, 1617 f. 72  In der Abwägung des § 21 Abs. 1 S. 1 InsO werden deshalb nicht allein die Schuldnerinteressen berücksichtigt. 73  S. RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 116; vgl. hierzu auch noch S. 195. 74  Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1239. 75 So Kremer/Fahlbusch, die diese Annahme im Zusammenhang mit der sanierungsför-

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Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung

halten und so die notwendige Voraussetzung einer Unternehmensfortführung zu schaffen, kann das Insolvenzgericht hiernach schon im Eröffnungsverfahren ein Verwertungs- und Einziehungsverbot erlassen. Gegenstände, die der Schuldner bzw. der vorläufige Verwalter grds. an einen Gläubiger herausgeben müsste – also bei (künftigen) Ab- und Aussonderungsrechten76 – können so weiterhin genutzt werden. Das frühzeitige und irreversible Auseinanderreißen der betrieblichen Einheit soll so verhindert werden.77 Der durch eine solche Anordnung belastete Gläubiger erhält als Ausgleich für seinen Nutzungsausfall einen Anspruch auf Zinszahlungen mit Masseschuldcharakter.78 Allerdings tritt diese Verzinsungspflicht gem. § 169 S. 2 InsO erst drei Monate nach der gerichtlichen Anordnung ein. Für den Zeitraum davor – also praktisch für das Eröffnungsverfahren – ergibt sich somit eine Entlastung der (späteren) Masse. Die Liquiditätsentlastung erleichtert die Betriebsfortführung und verbessert somit auch die Chancen auf eine Sanierung.79 Da die Dauer dieser besonderen Betriebsstütze genau der Zeit entspricht, in der die Praxis das Insolvenzgeld vorfinanziert und auf die das Eröffnungsverfahren regelmäßig ausgedehnt wird, liegt zunächst die Vermutung nahe, der Gesetzgeber habe mit §§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 5, 169 S. 2 InsO diesen dreimonatigen Zeitraum für das Eröffnungsverfahren – zumindest bei einer Betriebsfortführung – als angemessen anerkannt.80 Diese Auslegung kann allerdings nicht überzeugen: Die Frist des § 169 S. 2 InsO beinhaltet keine Aussage zum (langen) Eröffnungsverfahren, sondern lässt sich vielmehr auf den „Normalfall“ des § 169 InsO zurückführen. In seinem originären Anwendungsbereich, im eröffneten Insolvenzverfahren, legt S. 1 fest, dass dem absonderungsberechtigten Gläubiger Zinszahlungen „vom Berichtstermin an“ zustehen. Zwischen Eröffnung und diesem Termin liegen gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO maximal drei Monate; für diese Zeit muss der Gläubiger die Verwertungsverzögerung entschädigungslos hinnehmen.81 Wird nun diese Wirkung des Insolvenzverfahrens durch eine gerichtliche Anordnung auf das Eröffnungsverfahren vorverlagert,82 so wird durch § 169 S. 2 InsO sichergestellt, dass der betroffene Gläubiger hierdurch nicht noch länger zu einem Verzicht auf dernden Wirkung der Insg-Vorfinanzierung anstellen (Kremer/Fahlbusch, ZInsO 2015, 837, 838). Ähnlich auch Frind, in: FS Beck, S. 135, 144; ders., ZInsO 2011, 1569, 1572. 76  Genauer: Gegenstände, die nach der Eröffnung „von § 166 erfasst würden oder deren Aussonderung verlangt werden könnte“. Grundlegend und kritisch zu der pauschalen und undifferenzierten Einbeziehung von Aussonderungsrechten Kirchhof, ZInsO 2007, 227. 77  Ganter, NZI 2007, 549, 550. Die Gegenstände müssen von „erheblicher Bedeutung“ für die Betriebsfortführung sein, m. w. N. hierzu Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 21 Rn. 38l. 78  BGH, Urt. v. 8. 3. 2012 – IX ZR 78/11, NZI 2012, 369, 371 Rz. 25; Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 21 Rn. 38k. 79  Hölzle, in: Schmidt-InsO, § 21 Rn. 74; Kremer/Fahlbusch, ZInsO 2015, 837, 838. 80 So Kremer/Fahlbusch, ZInsO 2015, 837, 838; Frind, in: FS Beck, S. 135, 144; ders., ZInsO 2011, 1569, 1572. 81  BGH, Urt. v. 3. 12. 2009 – IX ZR 7/09, NZI 2010, 95, 97 Rz. 33, 39. 82  So explizit Ganter, NZI 2007, 549, 550; Schmerbach, in: FK‑InsO, § 21 Rn. 327.



B.  Gesetzliche Vorgaben und Hinweise zum Eröffnungszeitpunkt

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Ausgleichszahlungen gezwungen wird:83 Die drei Monate des Regelfalls (S. 1) sollen auch bei einer Vorverlagerung (S. 2) das Maximum darstellen. Zur Dauer des Eröffnungsverfahrens verhält sich die Regelung nicht. 3.  Sanierungsprüfung durch den vorläufigen Verwalter Das wohl wichtigste Argument, das zur Begründung des Eröffnungsermessens angeführt wird, ist die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 2 InsO. In dieser Norm zeige sich, so eine verbreitete Ansicht, dass die Insolvenzordnung die Verzögerung der Verfahrenseröffnung nicht nur toleriert, sondern im Einzelfall sogar positiv begrüßt.84 Über § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 2 InsO kann das Insolvenzgericht den vorläufigen Insolvenzverwalter dazu beauftragen, auch die Aussichten einer Unternehmensfortführung und -sanierung im Eröffnungsverfahren zu prüfen.85 Der Verwalter prüft hiernach bspw. welche Faktoren die unternehmerische Krise ausgelöst haben, wie sich die Liquidität und die Rentabilität kurz- und langfristig entwickeln könnten und schließlich welche Sanierungsstrategien innerhalb des Insolvenzverfahrens möglich und erfolgversprechend wären.86 Diese umfassende Betriebsanalyse und -prognose stellt sich als eine der anspruchsvollsten und schwierigsten Aufgaben des vorläufigen Verwalters dar.87 Hintergrund der Norm ist zunächst das Anliegen, möglichst frühzeitig in die komplexe Prüfung der Fortführungs- und Sanierungsaussichten einzusteigen; die Zeit des Eröffnungsverfahrens soll optimal genutzt werden. Die dortigen Ermittlungen sollen möglichst auch Aspekte der Sanierungsplanung umfassen, um so „den Zeitverlust für eine Fortführung möglichst gering zu halten“88. Dieser Ansatz und auch der Wortlaut der Norm legen zunächst eine Auslegung nahe, wonach sich die Fortführungsprüfung und die Ermittlung der Eröffnungsvoraussetzungen zeitlich decken sollen: Während der ohnehin notwendigen Ermittlung der Eröffnungsvoraussetzungen soll der schuldnerische Betrieb „zusätzlich“ (§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 InsO) auch im Hinblick auf die Möglichkeit der Fortführung und Sanierung durchleuchtet werden. 83  BGH, Urt. v. 3. 12. 2009 – IX ZR 7/09, NZI 2010, 95, 97 Rz. 34; Brinkmann, in: Uhlenbruck-InsO, § 169 Rn. 8. 84  AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2004 – 67g IN 97/04, ZInsO 2004, 630, 631; Frind, in: FS Beck, S. 135, 144; Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1239; Pannen, NZI 2000, 575, 577; Denkhaus, in: HambKomm-InsO, § 27 Rn. 9; Schmerbach, in: FK‑InsO, § 22 Rn. 92, 100. 85  Dies gilt zwar ausdrücklich nur für den „starken“ vorläufigen Verwalter (bei Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots), ist aber nach anerkannter Ansicht auf jede Form der Verwaltung zu übertragen, vgl. Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 266. 86  Vgl. ausführlich zum Inhalt der Prüfung Gerhardt, in: Jaeger-InsO, § 22 Rn. 153 ff. 87  Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, §  22 Rn. 266; Haarmeyer, in: MüKo-InsO, §  22 Rn. 163; Gerhardt, in: Jaeger-InsO, § 22 Rn. 151. 88  Gerhardt, in: Jaeger-InsO, § 22 Rn. 151; ähnlich Schmerbach, in: FK‑InsO, § 22 Rn. 99.

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Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung

Über diese Auslegung geht ein Teil von Literatur und Rechtsprechung – insbesondere auf Grundlage der gesetzlichen Historie89 – allerdings noch deutlich hinaus. In § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 2 InsO werde deutlich, dass die sanierungsfreundliche Insolvenzordnung die Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens zugunsten einer Betriebsfortführung und des Erhalts von Sanierungschancen akzeptiere.90 Die Prüfung von Fortführungs- und Sanierungsmöglichkeiten ist im Regelfall – auch wenn sie nicht allumfassend sein kann und sein muss91 – wesentlich zeitaufwändiger als die reine Ermittlung der Eröffnungsvoraussetzungen.92 Das Gesetz gehe also davon aus, dass das Eröffnungsverfahren durch eine entsprechende gerichtliche Beauftragung des vorläufigen Verwalters bewusst ausgedehnt werden könne; weiter noch: Die verlängerte Verfahrensdauer sei nicht nur reflexive Folge der Sanierungsprüfung, sondern auch das mögliche Ziel der gerichtlichen Anordnung. Die Regelung sei „nur deshalb in die InsO aufgenommen worden, um den Beteiligten den notwendigen Zeitraum vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu gewähren“93. § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 2 InsO ist – in dieser Auslegung – das gewichtigste und überzeugendste Argument für das gerichtliche Eröffnungsermessen bzw. gegen eine Pflicht zur unverzüglichen Entscheidung; dies im Wesentlichen aus zwei Gründen: Zum einen wird die Auslegung durch eine eindeutige und in den Gesetzgebungsmaterialien einmalige Positionierung des Rechtsausschusses des Bundestags stark gemacht, hierzu sogleich.94 Zum anderen lassen sich über diese Interpretation der Norm, die bereits dargestellten praktischen Vorteile legitimieren, die sich mit der Eröffnungsverzögerung verbinden. Kernelement ist hierbei die Annahme, dass die Insolvenzordnung verbliebene Sanierungschancen erhalten will, indem sie möglichst günstige Rahmenbedingungen und entscheidende Vorteile für eine frühe Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren zur Verfügung stellt.95 Das in der Praxis verbreitete Vorgehen der Ausdehnung 89  Entscheidend und richtungsweisend war die Einführung und Kommentierung der Norm durch den RechtsA des Bundestags, vgl. hierzu noch im Detail S. 196 ff. 90  AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2004 – 67g IN 97/04, ZInsO 2004, 630, 631; Frind, in: FS Beck, S. 135, 144; Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1239; Pannen, NZI 2000, 575, 577; Denkhaus, in: HambKomm-InsO, § 27 Rn. 9; Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 22 Rn. 164; Schmerbach, in: FK‑InsO, § 22 Rn. 92, 100. 91  Schröder, in: HambKomm-InsO, § 22 Rn. 79. 92  Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1239; AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2004 – 67g IN 97/04, ZInsO 2004, 630, 631; Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 22 Rn. 164. 93  Pannen, NZI 2000, 575, 577; vgl. auch Bericht des RechtsA zum RegE InsO, BT‑ Drs. 12/7302, S. 158. 94  Vgl. S. 196 ff. 95  Mit ausdrücklichem Hinweis auf § 1 S. 1 InsO („Erhalt des Unternehmens“) Schmerbach, in: FK‑InsO, § 22 Rn. 91 f. Überzeugend hierzu allerdings Münzel, der anmerkt, dass sich mit dem Wortlaut der Vorschrift (§ 22 InsO) wohl „nur eine Verzögerung […] zur Prüfung der Sanierungsaussichten begründen [lässt], nicht jedoch eine solche, um diese überhaupt zu ermöglichen (bzw. zu verbessern)“, Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1239.



B.  Gesetzliche Vorgaben und Hinweise zum Eröffnungszeitpunkt

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des Eröffnungsverfahrens, insbesondere zur Insolvenzgeldvorfinanzierung, lässt sich durch diese Gedanken nachvollziehbar und „elegant“ rechtfertigten.

IV.  Vorgaben zum Umgang mit unzulässigen Anträgen (§ 13 Abs. 3 InsO) Mit § 13 Abs. 3 InsO n. F. ist nunmehr ausdrücklich geregelt, wie das Insolvenzgericht mit einem unzulässigen Insolvenzantrag umzugehen hat.96 Im Rahmen dieser Neuregelung wurden neue Hinweise im Gesetzestext aufgenommen, die zumindest vorsichtig für den Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung sprechen. Auf Initiative des Rechtsausschusses des Bundestages wurde der ursprüngliche Gesetzentwurf an zwei Stellen verändert bzw. verschärft, um so Verfahrensverzögerungen möglichst zu verhindern. Zum einen muss das Gericht nun ohne zu zögern auf die Unzulässigkeit des Antrags reagieren und den Antragsteller „unverzüglich“ zur Nachbesserung auffordern. Zum anderen war im Regierungsentwurf für diese Nachbesserung noch eine Frist von drei Wochen angedacht; die verabschiedete Norm sieht hierfür eine „angemessene Frist“ vor. Die gesetzgeberische Begründung für diese Änderung spricht erneut für den Grundsatz des beschleunigten Eröffnungsverfahrens: Die Modifikation wurde vorgenommen, um „einer ungebührlichen Verzögerung des Eröffnungsverfahrens“97 entgegenzuwirken.

V.  Dauer von Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) Abschließend soll das Schutzschirmverfahren als Sonderform des Eröffnungsverfahrens in die gesetzessystematische Betrachtung einbezogen werden. Mit diesem Kernstück des ESUG schuf der Gesetzgeber ein neues Sanierungs(vorbereitungs)verfahren für den Zeitraum zwischen Insolvenzantrag und -eröffnung.98 Dem sanierungswilligen Schuldner wird – unter bestimmten Voraussetzungen99 – die Möglichkeit gegeben, das Eröffnungsverfahren in „abgeschirmter“ Eigenverwaltung durchzuführen, um hier einen Insolvenzplan zur Sanierung zu erarbeiten. Während dieser Phase wird er durch eine gerichtliche Anordnung insbesondere vor Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung

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Vgl. hierzu schon zuvor S. 8. und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zum RegE DurchführungsG zur EuInsVO 2015, BT‑Drs. 18/12154, S. 30. 98  RegE ESUG, BT‑Drs. 17/5712, S. 40. 99  Vor allem darf dieser nicht zahlungsunfähig i. S. d. § 17 InsO und die Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos sein; beides ist zu bescheinigen. Umfassend zu den Voraussetzungen des Schutzschirmverfahrens Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, § 270b Rn. 7 ff. 97  Beschlussempfehlung

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Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung

abgeschirmt und erhält so die notwendige „Atempause“100 von maximal drei Monaten.101 Das besondere Eröffnungsverfahren nach § 270b InsO schützt den Schuldner jedoch nicht nur vor störenden Gläubigerzugriffen, sondern auch davor, dass das Gericht ihm durch die Verfahrenseröffnung vorzeitig die Kontrolle über sein Vermögen und seinen Betrieb entzieht: Die Eröffnung darf grds. erst dann erklärt werden, wenn die „Schutzfrist“ von regelmäßig drei Monaten abgelaufen ist. Eine frühere Verfahrenseröffnung setzt die vorherige (voraussetzungsgebundene) Aufhebung des Schutzschirms voraus.102 Mit dem Schutzschirmverfahren sollte ein klarer Anreiz zur frühzeitigen und „freiwilligen“ Einleitung des Insolvenzverfahrens gesetzt werden, um verbliebene Sanierungschancen möglichst weitgehend erhalten und nutzen zu können.103 Hierfür sollte und musste dem Schuldner die Befürchtung genommen werden, er könnte alsbald die Kontrolle über seinen Betrieb verlieren. Ein wesentliches Element des Schutzschirms ist deshalb auch die „garantierte Frist bis zur Eröffnung“104, also die Zusage, dass die Verfahrenseröffnung auch bei einer zwischenzeitlichen Eröffnungsreife zugunsten der Planungssicherheit des Schuldners aufgeschoben wird.105 Hieraus lässt sich nun u. U. ein Schluss für das „ordentliche“ Eröffnungsverfahren ziehen: Da § 270b InsO nur unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht, dass die Verfahrenseröffnung für die Dauer des Schutzschirmverfahrens aufgeschoben wird, könnte man e contrario annehmen, dass in allen anderen Fällen sofort zu eröffnen wäre, sobald die hierfür erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind.106 Diese Argumentation bietet zudem den Vorteil, sich ideal in die Intention des ESUG einfügen zu können, da auf diese Weise ein weiterer, bedeutender Anreiz zur frühen Verfahrenseinleitung gesetzt wird. Das Schutzschirmverfahren würde deutlich an Attraktivität gegenüber dem „Regeleröffnungsverfahren“ gewinnen, wenn ausschließlich über den Weg des § 270b InsO die Verzögerung der Eröffnung zu erreichen wäre. 100  Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729, 732. Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung sind auf Antrag zwingend zu untersagen, vgl. hierzu und grds. zu Sicherungsmaßnahmen Undritz, in: Schmidt-InsO, § 270b Rn. 11. 101  Dass auch hier eine Frist von drei Monaten gewählt wurde, wird vereinzelt als Zeichen dafür gewertet, dass der Gesetzgeber eben diesen Zeitraum als angemessen wertet und anerkannt hat, so mit Hinweis auf die Insg-Vorfinanzierung wohl Kremer/Fahlbusch, ZInsO 2015, 837, 838 f.; ähnlich Schmidt, in: HambKomm-InsO, § 1 Rn. 25; Pleister/Kunkel, ZIP 2017, 153, 156. 102  Undritz, in: Schmidt-InsO, § 270b Rn. 15, 18; Pape, in: K/P/B‑InsO, § 270b Rn. 20. 103  RegE ESUG, BT‑Drs. 17/5712, S. 19, 40. 104  RegE ESUG, BT‑Drs. 17/5712, S. 40; s. auch Pape, in: K/P/B‑InsO, § 270b Rn. 20. 105  Diese garantierte Frist gilt zumindest für den (Normal-)Fall, dass kein frühzeitiger Aufhebungsbeschluss gem. § 270b Abs. 4 S. 1 InsO ergehen muss. 106  Ein ähnlicher (Gegen-)Schluss ließe sich bei Verbraucherinsolvenzverfahren evtl. auch mit Blick auf § 306 Abs. 1 S. 1 und 2 InsO ziehen.



B.  Gesetzliche Vorgaben und Hinweise zum Eröffnungszeitpunkt

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Allerdings lassen sich dieser argumentative Ansatz und der Gegenschluss deutlich relativieren. Auch mit der Ansicht, die ein gerichtliches Eröffnungsermessen befürwortet, lässt sich der Unterschied zwischen Schutzschirm- und Regeleröffnungsverfahren erklären. Dort wo das Verfahren nach § 270b InsO eine bestimmte Verfahrenslänge garantiert, stehe im Normalfall nicht der Zwang, sondern die Möglichkeit, das Verfahren sobald wie möglich zu eröffnen. Hiernach kann das Gericht also im Regelverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen die Eröffnung verzögern, wenn es dies im allseitigen Interessenabgleich für angebracht hält. Kommt es allerdings zu einer anderen Einschätzung, so kann das Gericht aber auch – anders als im Schutzschirmverfahren – alsbald eröffnen. Eine eindeutige und klare Erkenntnis zur Thematik von Eröffnungspflicht und -ermessen im Regeleröffnungsverfahren lässt sich dem § 270b InsO somit nicht entnehmen. Und auch die Frage, ob im Schutzschirmverfahren nach Ablauf der Frist (bei Entscheidungsreife) unverzüglich zu eröffnen ist, lässt die Norm offen, sodass der allgemeine Streit auch hier besteht.107

VI. Zusammenfassung Dem Text und der Systematik der Insolvenzordnung lassen sich zwar einige Hinweise zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung entnehmen, eine klare und eindeutige Richtung wird allerdings nicht vorgegeben: Der für die Eröffnung wesentliche § 27 InsO ist diesbezüglich indifferent. Einzig die (parallele) Problematik der Beschlussvordatierung und die diesbezügliche BGH‑Rechtsprechung legen es nahe, die Frage nach der Eröffnungsverzögerung eher übereinstimmend, also negativ, zu beantworten. Aus der Bedeutung und Systematik des § 26 InsO ergibt sich, so auch der BGH, eine Pflicht zur unverzüglichen Entscheidung – allerdings ausschließlich in dessen Anwendungsbereich, also bei einer Abweisung.108 Für den Fall der Eröffnung lässt § 26 InsO keinen Schluss zu. Mit § 13 Abs. 3 InsO n. F. hat der Gesetzgeber demgegenüber einen neuen Anhaltspunkt geschaffen, der für eine grundsätzliche Geltung der Beschleunigungsmaxime spricht. Ohne klaren Erkenntnisgewinn für die Frage nach der Eröffnungsverzögerung ist der Vergleich von Regel- und Schutzschirmverfahren: Die besonderen 107 Ausdrücklich für ein solches Ermessen nach Ablauf der „Schutzschirmfrist“ bspw. Riggert, in: Braun-InsO, § 270b Rn. 24; Kern, in: MüKo-InsO, § 270b Rn. 133; Desch, BB 2011, 841, 843. Für eine sofortige Eröffnung bei Entscheidungsreife Vallender, GmbHR 2012, 450, 454; Pape, in: K/P/B‑InsO, § 270b Rn. 93; mit Vorbehalt Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, § 270b Rn. 7. 108  Gerade die Ermittlung aller Voraussetzungen für die Abweisung dauert aber überdurchschnittlich lange (s. S. 38).

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Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung

Möglichkeiten des § 270b InsO erlauben zwar eine – geregelte und gewollte – Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren für einen längeren Zeitraum; ein klarer Ausschluss der längeren Fortführung im Regeleröffnungsverfahren ergibt sich hieraus jedoch nicht. Auch das System der Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren liefert ein unentschiedenes Bild: Im Allgemeinen wird das Grundkonzept einer möglichst kurzen, die Prüfung begleitenden Sicherung verfolgt. Damit ist aber nicht gesagt, dass dies eine zwingende Vorgabe ohne Ausnahmemöglichkeit ist. Die §§ 21 ff. InsO schließen nicht aus, dass im entsprechenden Einzelfall, bei besonderem Nutzen für Gläubiger und Masse und ohne Gefährdung von Massegläubigern und Dritten,109 eine flexible Handhabung und damit ein Abweichen vom Grundsatz angebracht und zulässig sein könnte. Insbesondere die Normierung des § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 2 InsO in der Auslegung des Rechtsausschusses stärkt die Annahme eines gerichtlichen Eröffnungsermessens.

C.  Erkenntnisse aus der Historie der Insolvenzordnung Die Frage nach der Ausgestaltung des Insolvenzeröffnungsverfahrens war eines der bestimmenden Themen im Rahmen der Insolvenzrechtsreform. Mehrfach stand insbesondere auch die Dauer dieser Phase im Zentrum der Reformüberlegungen: Es gab Vorschläge zur expliziten gesetzlichen Regelung dieser Frage und eher allgemeine Ansätze zur grundsätzlichen Beschleunigung des Verfahrens. Insbesondere auf Initiative der Insolvenzpraxis wurde der Zeitraum zwischen Antrag und Eröffnung schließlich nochmals in den Fokus des Gesetzgebungsprozesses gerückt, ohne dass jedoch eine – vielfach thematisierte und gewünschte – ausdrückliche Normierung erfolgte.110 Gleichwohl zeigt ein Blick auf die Historie der Insolvenzordnung, welche Vorstellung und welches Verständnis der Gesetzgeber vom Eröffnungsverfahren der Insolvenzordnung hatte und hat.

I.  Bericht der Kommission für Insolvenzrecht 1978 berief der Bundesjustizminister eine Expertenkommission, die Vorschläge zu einer umfassenden Reform des Insolvenzrechts erarbeiten und so die Grundlage für eine entsprechende Diskussion in Wissenschaft und Praxis 109  Das Eröffnungsermessen wird i. d. R. unter solchen Einschränkungen bejaht, vgl. bspw. Frind, in: FS Beck, S. 135, 144; Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, § 27 Rn. 11; Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1244. 110 Zur Entstehung des reformierten Eröffnungsverfahrens Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb vorläufige Insolvenzverwaltung, § 1 Rn. 2 ff.



C.  Erkenntnisse aus der Historie der Insolvenzordnung

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schaffen sollte.111 In ihrem ersten Bericht schlug die Kommission u. a. vor, das Eröffnungsverfahren durch verschiedene Maßnahmen zu beschleunigen.112 Zu der Frage nach Eröffnungspflicht und -ermessen wurde mit Leitsatz 1.2.4 eine klare Antwort formuliert: „Auf einen zulässigen Insolvenzantrag hat das Gericht das Insolvenzverfahren unverzüglich zu eröffnen, wenn ein Eröffnungsgrund [….] vorliegt.“113 Dieser Beschleunigungsgrundsatz sollte sowohl den Gläubigerinteressen (schnelle Befriedigung) als auch den Schuldnerinteressen (Verbesserung der Reorganisationschancen) dienen und zudem gewährleisten, dass die angeordneten Sicherungsmaßnahmen der vorläufigen Insolvenzverwaltung „nicht länger als unbedingt erforderlich andauern“114. Dass durch eine solche Regelung die Praxis der Insolvenzgeldvorfinanzierung unmöglich gemacht würde, war der Kommission bewusst und wurde von dieser auch explizit thematisiert. Es sei „unvereinbar […] mit dem Beschleunigungsgebot, die Verfahrenseröffnung hinauszuschieben, um den vom Konkursausfallgeld [heute Insolvenzgeld] abgedeckten Zeitraum von drei Monaten […] auszuschöpfen“115. Auch im Kontext der Abweisung mangels Masse (Leitsatz 1.2.9) und der vorläufigen Insolvenzverwaltung (Leitsatz 1.2.3) wird der Ansatz wiederholt, dass möglichst schnell über die Verfahrenseröffnung entschieden werden soll.116 Interessant ist hierbei insbesondere das Konzept zur vorläufigen Verwaltung: Die Kommission stellt fest, dass die Prüfung im Eröffnungsverfahren trotz des Beschleunigungsgrundsatzes einige Zeit in Anspruch nehmen kann und sieht für diese Zwischenphase (neben den typischen Sicherungsmaßnahmen) die Möglichkeit vor, dass der vorläufige Verwalter „mit der Prüfung der Reorganisationsfähigkeit des Unternehmens“117 beauftragt werden kann. Diese Klausel überschneidet sich in bemerkenswertem Umfang mit dem geltenden § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 2 InsO – also mit der Norm, aus der heute vielfach die Zulässigkeit der Eröffnungsverzögerung abgeleitet wird. Die Insolvenzrechtskommission sieht hierin – anders als der Rechtsausschuss des Bundestages118 – allerdings keine Abkehr vom Beschleunigungsgebot: Die (notwendige) Zeit der Antragsprüfung soll möglichst sinnvoll genutzt werden, 111  Vgl. zur Vorgeschichte der InsO und der Vorarbeit der Kommission Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. XXIX ff. 112  BMJ (Hrsg.), Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, S. 98 ff. 113  Ebd., S. 108 (Hervorhebung durch den Verfasser). 114 Ebd. 115  Ebd. (Einfügung durch den Verfasser). Die Kommission setzte sich auch inhaltlich mit dieser Praxis auseinander und schlug vor, die Vorfinanzierung erst nach Verfahrenseröffnung zu ermöglichen (Leitsatz 4.3.2), ebd., S. 390 f.; zustimmend Zeuner, ZIP 1985, 1297, 1305. 116  BMJ (Hrsg.), Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, S. 102, 117. 117  Ebd., Leitsatz 1.2.3 Abs. 7, S. 102, 106. 118  Bericht des Rechtsausschusses zum RegE InsO, BT‑Drs. 12/7302, S. 158.

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während gleich­zeitig die gerichtliche Pflicht besteht, „so schnell wie möglich zu entscheiden“119. Die Ergebnisse der Kommissionsarbeit haben, wie erwartet und beabsichtigt, für eine breite Diskussion und nicht unerhebliche inhaltliche Kritik gesorgt.120 Fast gänzlich unbeachtet blieb hierbei allerdings der Kommissionsvorschlag, eine Pflicht zur unverzüglichen Eröffnung einzuführen. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildete vor allem die Einschätzung führender Konkursverwalter, die sich im Gravenbrucher Kreis insbesondere zur kritischen Würdigung der Reformpläne zusammengeschlossen hatten. Diese nahmen Bezug auf den angesprochenen Leitsatz 1.2.3 Abs. 7 und forderten, dass die Prüfung der Reorganisationsfähigkeit des schuldnerischen Betriebs nicht nur fakultativer, sondern grds. obligatorischer Inhalt des Eröffnungsverfahrens sein sollte.121 Dass hierfür jedoch mehr Zeit, also eine Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens nötig wäre, wurde nicht behauptet. Es sollte lediglich eine „zeitliche Verzögerung“, also der Verlust „wertvolle[r] Zeit“ verhindert werden.122 An der Tatsache, dass für diese erste Prüfung nur die Zeit bis zur unverzüglichen Eröffnung zur Verfügung stehen würde, nahm man hingegen (noch) keinen Anstoß.123

II.  Entwürfe zur Insolvenzordnung Ausgehend von der Arbeit der Insolvenzrechtskommission sowie der anschließenden wissenschaftlichen und rechtspolitischen Auseinandersetzung hierzu wurden im Gesetzgebungsverfahren sukzessiv drei Reformentwürfe erarbeitet: ein Diskussions-, ein Referenten- und ein Regierungsentwurf.124 Keiner dieser Entwürfe übernahm die Regelung zur sofortigen Eröffnung. Nach § 13 DiskE InsO wird „das Insolvenzverfahren […] auf Antrag eröffnet, wenn ein Eröffnungsgrund vorliegt.“ Entscheidend für die Auslegung ist hierbei die Verwendung der Konjunktion „wenn“. Diese ließe sich grds. sowohl temporal als auch konditional verstehen. Ob also das Verfahren eröffnet werden soll, sobald alle Voraussetzungen vorliegen (temporal) oder nur dann wenn diese gegeben sind (konditional), bleibt zunächst offen. Für die Auslegung als konditionale Konjunktion spricht vor allem die Überschrift der Norm 119 

BMJ (Hrsg.), Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, S. 108. Überblick zur wissenschaftlichen, interessenbezogenen und politischen Kritik und Würdigung geben bspw. Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. XXXIV ff. 121  Gravenbrucher Kreis, BB 1986, Beilage zu Heft 29, 1, 15 f. 122  Ebd., 16. 123  Besonders bemerkenswert ist das Schweigen zu Leitsatz 1.2.4, weil an anderer Stelle (für das eröffnete Verfahren) ausdrücklich gegen den „Beschleunigungsrummel“ argumentiert wird, ebd., S. 18. 124  Der DiskE wurde 1988, der RefE 1989 vom BMJ im RWS‑Verlag Köln herausgegeben, der RegE ist als BT‑Drs. 12/2443 veröffentlicht. 120  Einen



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(„Voraussetzungen der Eröffnung“) und auch die Erläuterung zur Vorschrift.125 Mit § 13 RefE InsO wurde die Vorschrift umgestellt: „Das Insolvenzverfahren wird eröffnet, wenn ein Antrag gestellt ist und ein Eröffnungsgrund vorliegt.“ Auch hier sind die beiden dargestellten Auslegungen möglich, wobei durch die Neuformulierung ein temporales Verständnis deutlich überzeugender wird: Der RefE trennt anders als der DiskE Voraussetzungen und Folgen in zwei Halbsätze auf, stellt also die Eröffnung voran („Das Insolvenzverfahren wird eröffnet“) und rückt die Voraussetzungen in den Hintergrund. Auf der anderen Seite sprechen allerdings Überschrift und Erläuterungen wie im DiskE eher für die konditionale Auslegung. Im RegE InsO und auch im geltenden Gesetz wurde die „Wenn-dann-Anordnung“ aus § 13 DiskE/RefE nicht übernommen. Dessen Inhalt (Notwendigkeit von Antrag und Insolvenzgrund) wurde in die §§ 13 Abs. 1 S. 1, 16 InsO ausgelagert.126 Hierdurch fiel der letzte „Überrest“ des Kommissionsvorschlags zur Eröffnungspflicht weg. Das Gesetz verzichtet also auf eine explizite Regelung oder Stellungnahme zu dieser Frage. Allerdings lässt sich der Begründung und den Erläuterungen zu allen Entwürfen an verschiedenen Stellen klar entnehmen, dass der Gesetzgeber durchweg das Verständnis und die Grundeinstellung der Insolvenzrechtskommission übernommen hat: Ziel der Reform sei u. a. die „rechtzeitige Eröffnung“127 des Verfahrens. Diese solle „schon“ bzw. „bereits dann“ erfolgen, wenn die notwendige Kostenschwelle (voraussichtlich) erreicht werden kann.128 Die Reform des Insolvenzrechts sorge insgesamt für eine „erleichterte und beschleunigte Eröffnung des Insolvenzverfahrens“129. Auch im Zusammenhang der grundlegenden Neuregelung des Eröffnungsverfahrens ging der Gesetzgeber davon aus, dass nur „im Einzelfall […] die Feststellung des Eröffnungsgrunds und der Kostendeckung Ermittlungen erfordern, die eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen“130, womit die Einschätzung der Insolvenzrechtskommission (auch textlich) weitgehend übernommen wird.131 Nur während dieser notwendigen Dauer der Antragsprüfung seien vorläufige Sicherungsmaßnahmen „anzuordnen, durch die eine zwischenzeitliche Verschlechterung der Vermögenslage des Schuldners vermieden wird“132. Allgemein und zu allen Entwürfen wird er-

125  Diese setzt sich nur mit der Notwendigkeit von Antrag und Insolvenzgrund auseinander, vgl. DiskE InsO, B11 f. 126  RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 11 f., 112 ff. 127  DiskE InsO, S. A24, A36; RefE InsO, S. A28, A41; RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 80, 84. 128  DiskE InsO, S. A38; RefE InsO, S. A29, A43; RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 80, 85. 129  DiskE InsO, S. A71; RefE InsO, S. A83; RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 96. 130  DiskE InsO, S. B17; RefE InsO, S. B22; RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 116. 131  BMJ (Hrsg.), Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, S. 102. 132  DiskE InsO, S. B17; RefE InsO, S. B22; RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 116.

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klärt, dass „das Verfahren vor der Eröffnung […] so kurz wie möglich gehalten werden [solle]“133. Auch wenn die Gesetzentwürfe und später die InsO keine ausdrückliche Regelung zur Frage nach Eröffnungspflicht und Eröffnungsermessen treffen, kann davon ausgegangen werden, dass – zumindest bis zum RegE InsO – der legislatorische Wille zur möglichst schnellen Verfahrenseröffnung bestand. Auch die Diskussion zwischen BMJ, Insolvenzpraktikern, Interessenvereinigungen und Wissenschaft zu den Reformentwürfen machte deutlich, dass allgemein davon ausgegangen wurde, dass dem RegE InsO die Vorstellung eines möglichst kurzen Eröffnungsverfahrens zu Grunde lag: Der Gesetzentwurf habe die schnelle, oftmals gar sofortige Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Folge und wolle die Grauzone zwischen Antrag und Eröffnung beseitigen.134

III.  Neujustierung im Rechtsausschuss Nachdem – erstmals im Reformprozess – die Frage nach der Dauer des Eröffnungsverfahrens in das Zentrum der Diskussion gerückt und teils harsche Kritik am „sanierungshemmenden“ Konzept des Gesetzentwurfs geäußert wurde,135 nahm der Rechtsausschuss das Thema explizit auf: Im Rahmen einer Sachverständigenanhörung, in der viele Aspekte eines neuen Insolvenzrechts diskutiert werden sollten, stellte der Ausschuss u. a. die Frage, ob durch die geplante „schnelle Eröffnung des Insolvenzverfahrens […] Chancen zur Vorbereitung einer Sanierung im Sequestrationsverfahren verloren [gingen]“136. Ein Großteil der Experten, insbesondere von Seiten der Insolvenzverwalter, lehnte die beabsichtigte schnelle Verfahrenseröffnung in der Ausschusssitzung und in schriftlichen Stellungnahmen ab.137 Geprägt wurde diese kritische Linie insbesondere von einem Aufsatz aus den Reihen des Gravenbrucher Kreises, der kurz vor der Anhörung veröffentlicht worden war.138 Insgesamt sprach sich die Mehrheit der Sachverständigen dafür aus, dass die neue Insolvenzordnung 133 

DiskE InsO, S. B20; RefE InsO, S. B26; RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 117. bspw. Grub, ZIP 1993, 393, 394 f.; ders., in: Kübler, Neuordnung des Insolvenzrechts, S. 79, 83; Pape, ZIP 1994, 89, 90; Timm/Keil, in: Kübler, Neuordnung des Insolvenzrechts, S. 173, 174; vgl. zur Auslegung des RegE InsO durch den Rechtsausschuss insbes. die Formulierung in Frage 7, RechtsA des Bundestages, Protokoll 12/74, S. VIII. 135  Insbesondere der Gravenbrucher Kreis nahm Anstoß an vielen Vorschlägen, so bspw. in ZIP 1989, 468, 473; ZIP 1992, 657, 658. 136  RechtsA des Bundestages, Protokoll 12/74, S. VIII. 137  Im Protokoll des RechtsA 12/74 bspw. Wellensiek, S. 13; Grub, S. 23 f., 108 ff.; Sommer, S. 75; Kothe, S. 121 f.; zurückhaltender Haarmeyer, S. 66. Im Anhang zu diesem Protokoll GDV, S. 298, 300; Bender, S. 390 f.; Grub, S. 465; Wellensiek, S. 509 f.; DGB, S. 522 f.; DAV, S. 538 f. 138  Grub, ZIP 1993, 939. Auf diesen wird mehrfach explizit Bezug genommen, so bspw. durch die schriftlichen Stellungnahmen (im Anhang zum Protokoll des RechtsA 12/74) durch GDV, S. 298, 300; Uhlenbruck, S. 343; Grub, S. 465 und DGB, S. 522. 134  So



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„mit einer flexiblen Möglichkeit versehen werden [solle], im Einzelfall den Eröffnungsbeschluss hinauszuschieben“139. Dieses relativ klare Votum gegen ein möglichst kurzes Eröffnungsverfahren wurde im Nachhinein als Auslöser eines „Umschwung[s] in der Diskussion um das Eröffnungsverfahren“140 angesehen. Der Rechtsausschuss nahm insbesondere diesen Impuls aus der Anhörung in seinem Bericht zum Gesetzentwurf auf: Zuvor hatte dieser noch ausdrücklich vorgesehen, dass sich der vorläufige Insolvenzverwalter „nicht schon mit Fragen befassen [solle], die nur im Falle einer Verfahrenseröffnung von Interesse sind, etwa mit dem Problem, unter welchen Voraussetzungen die Fortführung des Unternehmens wirtschaftlich sinnvoll erscheint“141. Nach der deutlichen Kritik der Praxis (auch) an diesem Ansatz nahm der Rechtsausschuss mit der Einfügung von § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 2 InsO eine nicht unwesentliche Änderung vor: „Schon die Zeit vor der Verfahrenseröffnung soll[e] dazu genutzt werden können, durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter die Chancen für die Sanierung des insolventen Unternehmens prüfen zu lassen“142. Dass durch die zusätzliche Prüfungsanordnung das Eröffnungsverfahren verzögert werden könnte, war dem Rechtsausschuss bekannt.143 Er ging sogar noch weiter und machte deutlich, dass die Verfahrenseröffnung „bei einer solchen Beauftragung des vorläufigen Insolvenzverwalters entsprechend hinausgeschoben werden“144 könne. Auf diese Weise ließen sich die Nachteile einer „zu schnelle[n] Eröffnung“145 vermeiden, sodass der vorläufige Verwalter bspw. besser einschätzen kann, ob er nach der Verfahrenseröffnung an gegenseitigen Verträgen festhalten sollte oder nicht. Diese klare Positionierung in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses blieb im weiteren Gesetzgebungsverfahren und bei der Verabschiedung der InsO unwidersprochen und ist deshalb das gewichtigste Argument für ein gerichtliches Eröffnungsermessen im geltenden Recht. Die Deutlichkeit und Eindeutigkeit dieser Positionierung des Gesetzgebers lässt sich jedoch in zwei Punkten relativieren: Zum einen ist festzuhalten, dass die Kritik an der schnellen Eröffnung in der Sachverständigenanhörung nicht ausnahmslos geteilt wurde.146 Der Ansatz des sehr kurzen Eröffnungsverfahrens wurde sogar vereinzelt begrüßt. Dieser schade einer Betriebsfortführung nicht, sondern verhüte vielmehr den Missbrauch des Instituts des 139 

Wellensiek, Stellungnahmen im Anhang zum Protokoll des RechtsA 12/74, S. 510. Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb vorläufige Insolvenzverwaltung, § 1 Rn. 4. 141  RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 117. 142  Bericht des Rechtsausschusses zum RegE InsO, BT‑Drs. 12/7302, S. 154. 143  Spliedt, EWiR 2001, 1099, 1100. 144  Bericht des RechtsA zum RegE InsO, BT‑Drs. 12/7302, S. 158. 145 Ebd. 146 Gegen die Behauptung der Sanierungsfeindlichkeit Paulsdorff, S. 125; Auch Derra (S. 120) will die behaupteten Probleme nicht erkennen (jeweils im Protokoll des RechtsA 12/74). Ohne grds. Bedenken auch Löwisch, S. 368 (im Anhang zum Protokoll 12/74). 140 

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Insolvenzgelds: „Diese Möglichkeit der Finanzierung geht bei einer schnellen Insolvenzeröffnung – wohl zu Recht – verloren.“147 Insgesamt blieben solche Einschätzungen allerdings die Ausnahme. Gewichtiger ist deshalb eine zweite Bemerkung zur Neujustierung durch den Rechtsausschuss. Obwohl der RegE InsO durch den Ausschuss bedeutende Änderungen erfuhr, wurde das explizit thematisierte und vielfach geforderte Eröffnungsermessen nicht in den Gesetzestext aufgenommen. Zuvor hatte sich der Rechtsausschuss noch ausdrücklich mit der Frage beschäftigt, ob die InsO nicht geändert werden müsse, um „den Eröffnungsbeschluss […] trotz Vorliegen der Eröffnungsvoraussetzungen hinauszuschieben“148. Obwohl also die Eröffnungsverzögerung mehrfach explizit angesprochen worden war, scheute sich der Gesetzgeber augenscheinlich, diese in den Wortlaut der Insolvenzordnung zu implementieren. Neu eingefügt wurde lediglich der relativ offene Zusatz in § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 2 InsO. Mit Blick auf die genannte Erläuterung wird zwar heute vielfach angenommen, dass mit dieser Regelung eindeutig die gezielte Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens ermöglicht und gesetzlich verankert werden sollte.149 Wäre dies aber das wesentliche und unumstrittene Ziel des Gesetzgebers gewesen, hätte es nahe gelegen, eine entsprechende ausdrückliche Normierung vorzunehmen. Gerade vor dem Hintergrund der Fragestellung und Diskussion im Sachverständigenausschuss wäre dies durchaus zu erwarten gewesen. Stattdessen sieht der geänderte und letztlich verabschiedete Gesetzentwurf nur vor, dass während der (notwendigen) Prüfungsphase vor der Eröffnung „zusätzlich“ auch die Fortführungsaussichten geprüft werden können. Bemerkenswert ist hierbei auch, dass schon die Reformkommission diese frühzeitige Fortführungsprüfung vorgeschlagen hatte, während sie unstreitig und ausdrücklich von der unverzüglichen Eröffnung ausging. Insgesamt lässt sich deshalb durchaus annehmen, dass sich der Bundestag die Vorstellung des Rechtsausschusses nicht uneingeschränkt zu eigen gemacht hat: Zwar wurde die Ausschussfassung des RegE InsO – mitsamt dem Hinweis auf die Möglichkeit der Eröffnungsverzögerung – durch den Bundestag angenommen.150 Gleichzeitig wurden aber auch die allgemeinen Erläuterungen, in denen die Vorstellung eines möglichst kurzen Eröffnungsverfahrens klar durchscheint, ohne Änderungen verabschiedet. 147  Postler, Stellungnahmen im Anhang zum Protokoll des RechtsA 12/74, S. 414. Positiv auch der ZVdH, S. 320 f. 148  RechtsA des Bundestages, Protokoll 12/74, S. VIII. Dieser Frage folgend sprachen sich mehrere Gutachten für eine solche ausdrückliche Regelung aus, so im Anhang bspw. Wellensiek, S. 510; Uhlenbruck, S. 342; GDV, S. 300; DGB, S. 522, DAV, S. 539. 149  AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2004 – 67g IN 97/04, ZInsO 2004, 630, 631; Undritz, NZI 2003, 136, 140; Pannen, NZI 2000, 575, 577; Denkhaus, in: HambKomm-InsO, § 27 Rn. 9; Schmerbach, in: FK‑InsO, § 22 Rn. 92, 100. 150  Vgl. die Beschlussempfehlung des RechtsA zum RegE InsO, BT‑Drs. 12/7302 sowie das Plenarprotokoll des Bundestages, 12/222, S. 19132 (B).



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Dem Gesetzgeber kann deshalb nicht mit Gewissheit unterstellt werden, er habe mit der InsO auch das gerichtliche Eröffnungsermessen im Insolvenzverfahren verankern wollen.151 Eine zwingende Vorgabe zur entsprechenden Auslegung der Insolvenzordnung lässt sich den Materialien zum Reformprozess und der Historie des Gesetzes nicht entnehmen.

IV.  Gesetzgeberische Position unter Geltung der Insolvenzordnung Obwohl die InsO seit ihrem Inkrafttreten verhältnismäßig häufig teils grundlegende Veränderungen erlebte, wurde die Praxis der Eröffnungsverzögerung und die Dauer des Eröffnungsverfahrens unter Geltung der InsO nicht ausdrücklich thematisiert. Lediglich an einigen Nebenbemerkungen des Gesetzgebers lässt sich dessen „jüngere“ Position erahnen. Sowohl bei der Einführung des „Schutzschirmverfahrens“ (§ 270b InsO) als auch bei der Normierung des Verwertungs- und Einziehungsverbots im Eröffnungsverfahren (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 InsO) hatte der Gesetzgeber einen Zeitraum von drei Monaten im Blick. Die These, dass mit diesen beiden Gesetzesnovellen eine entsprechende Dauer des Eröffnungsverfahrens generell vom Gesetzgeber anerkannt worden sei,152 lässt sich allerdings nicht erhärten. Aufschlussreicher könnte demgegenüber die Einführung des § 55 Abs. 3 InsO sein, mit welchem die Praxis der Insolvenzgeldvorfinanzierung zur Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren anerkannt und begünstigt wurde.153 Die Annahme, der Gesetzgeber habe hierdurch das Vorgehen der Verwalter und Gerichte zur möglichst umfassenden Ausnutzung des Insolvenzgeldes zumindest mittelbar gebilligt, ist durchaus überzeugend. Eindeutig und zwingend ist die Schlussfolgerung zumindest für die Frage des Eröffnungsermessens allerdings nicht. Zwar bezog sich die Neuregelung gezielt auf Lohnforderungen aus der Zeit des Eröffnungsverfahrens, gleichwohl blieb die – sehr naheliegende – Frage nach dem zeitlichen Umfang dieses Verfahrensabschnitts unbeantwortet: Die Insolvenzgeldvorfinanzierung wurde vom Gesetzgeber gebilligt, zur Praxis der bewussten Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens wurde hingegen keine Aussage getätigt. Eine vergleichsweise klare Stellungnahme des Gesetzgebers findet sich allein in der Begründung einer Gesetzesnovelle von 2007. Im Rahmen der Bemühungen zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens musste entschieden werden, ob dem vorläufigen Insolvenzverwalter die Möglichkeit zur Betriebsveräußerung 151 Auch Marotzke differenziert zwischen dem „Gesetzgeber“ und dem Rechtsausschuss, Marotzke, Das Unternehmen in der Insolvenz, S. 32 Fn. 126. 152 Vgl. Frind, in: FS Beck, S. 135, 144; ders., ZInsO 2011, 1569, 1572; Kremer/Fahlbusch, ZInsO 2015, 837, 838. 153  RegE InsOÄndG, BT‑Drs. 14/5680, S. 17. Vgl. hierzu bereits S. 61 ff.

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Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung

vor der Verfahrenseröffnung eingeräumt werden sollte.154 Im Hinblick auf die Vorläufigkeit des Eröffnungsverfahrens und insbesondere die Rechte des Schuldners sah der Gesetzgeber davon ab, eine solche Möglichkeit zu schaffen. Auch eine alternative Regelung, nach der eine Betriebsveräußerung im Eröffnungsverfahren von der Zustimmung des Insolvenzgerichts abhinge, wurde abgelehnt. Nach Ansicht des Gesetzgebers würde die hierfür erforderliche „Prüfung durch das Gericht […] zu einer Verzögerung und damit zu einer späteren Verfahrenseröffnung führen. Ein wesentliches Anliegen der Insolvenzordnung [sei] es jedoch, eine möglichst zügige Verfahrenseröffnung sicherzustellen“155. Auch wenn dieser Gedanke nicht im Gesetz verankert wurde, lässt sich an dieser Stelle erkennen, dass der Gesetzgeber nach wie vor zumindest grundsätzlich am Konzept der zügigen Verfahrenseröffnung festhält.156

D.  Systematik und Zweck der Insolvenzordnung Die bisherige Auslegung konnte die Frage, ob die gezielte Ausdehnung von Eröffnungsverfahren zulässig ist, nur teilweise beantworten. Eine Pflicht zur schnellen, unverzüglichen Entscheidung wird dem Gericht zunächst dann aufzuerlegen sein, wenn eine Ablehnung der Eröffnung im Raum steht: Insbesondere die Wahrung der schuldnerischen Rechte zwingt das Gericht dazu, die Belastungen des Eröffnungsverfahrens so schnell wie möglich aufzuheben, wenn feststeht, dass es nicht zum Verfahren kommen wird. Der staatliche Eingriff in die (Grund-)Rechte des Schuldners durch die Anordnung einstweiliger Sicherungsmaßnahmen ist nicht mehr gerechtfertigt, wenn diese nicht mehr auf ein späteres Insolvenzverfahren ausgerichtet sind.157 Dies gilt unabhängig davon, aus welchen Gründen der Antrag abzuweisen ist. Steht fest, dass der Antrag unbegründet ist oder dass sich die Verfahrenskosten nicht decken lassen, so ist unverzüglich abzuweisen. Steht allerdings eine positive Entscheidung über den Antrag, also die Verfahrenseröffnung, im Raum, so lässt sich dem Gesetz keine derart eindeutige und zweifelsfreie Anordnung entnehmen. Die Insolvenzordnung macht zwar an verschiedenen Stellen deutlich, welche allgemeine Vorstellung vom Eröffnungsverfahren ihr zugrunde liegt: Grundsätzlich entscheidet das Insolvenzgericht über einen Insolvenzantrag, sobald alle notwendigen Voraussetzungen hierfür geklärt sind, wenn also Entscheidungsreife eingetreten ist. Auch die Gesetzesgeschichte spricht für die Annahme eines solchen allgemeinen Grundkonzepts. Allerdings 154 

RegE InsVerfVereinfG, BT‑Drs. 16/3227, S. 10 f. Eingehend hierzu noch S. 253 ff. RegE InsVerfVereinfG, BT‑Drs. 16/3227, S. 11. 156  Für dieses grundsätzliche gesetzgeberische Konzept sprechen auch die Gesetzgebungsmaterialien zu § 13 Abs. 3 InsO n. F., vgl. hierzu S. 189. 157  Vgl. hierzu zuvor S. 183, 184 ff. 155 



D.  Systematik und Zweck der Insolvenzordnung

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stellt sich hierbei die Frage, ob das Beschleunigungsgebot im Insolvenzeröffnungsverfahren zwingende Vorgabe oder nur grundsätzliches Prinzip ist, ob also das Gericht in Ausnahmefällen bzw. unter bestimmten Voraussetzungen vom allgemeinen Grundsatz abweichen kann. Die ganz überwiegende Zahl der Befürworter eines gerichtlichen Eröffnungsermessens erkennt an, dass grundsätzlich ein Bedürfnis zur zügigen Entscheidung besteht und dass die Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein muss.158 Im Fokus der Rechtfertigung steht deshalb eine Abwägung der konkreten Folgen, also der Vor- und Nachteile für den Schuldner und dessen Betrieb, für die spätere Masse, die Gläubiger und die Arbeitnehmer, für Sozialkassen, für (ggf. unbeteiligte) Dritte etc.159 Dieser flexible Ansatz der Insolvenzpraxis ließe sich grundsätzlich mit den Vorgaben der Insolvenzordnung in Einklang bringen: Auch wenn keine ausdrückliche Regelung zur Frage der Eröffnungsverzögerung vorliegt, dürfte das uneingeschränkte Beschleunigungsgebot des § 300 Abs. 1 ZPO nicht angewandt werden, wenn es durch die ergebnisorientierte Praxis gelingen würde, „teleologisch das Ziel des Gesetzes anzusteuern“160. Im Kern muss also geklärt werden, welche unterschiedlichen Konsequenzen die Verlängerung des Eröffnungsverfahrens nach sich zieht und ob diese mit dem System und dem Telos der Insolvenzordnung vereinbar sind. Die praktischen Vorteile der Eröffnungsverzögerung wurden zuvor bereits ausführlich dargelegt,161 sollen aber noch einmal gezielt mit Blick auf die konkrete Frage der Zulässigkeit dieses Vorgehens in eine dogmatisch stringente Argumentation überführt werden (I.) Gleichzeitig gilt es auch, die drohenden Nachteile, die problematischen Konsequenzen und dogmatischen Spannungen, die durch die Eröffnungsverzögerung entstehen, ausführlich in den Blick zu nehmen (II).

158  So bspw. Hunold, NZI 2015, 785, 788; Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1239; Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 71 f.; AG Hamburg, Beschl. v. 1. 10. 2001 – 67g IN 195/01, ZIP 2001, 1885; AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2004, 67g IN 97/04, ZInsO 2004, 630; Undritz, NZI 2003, 136, 140; Frind, in: Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rn. 269; ders., ZInsO 2012, 1357, 1359; ders., in: FS Beck, S. 135, 144; Zipperer, NZI 2012, 385, 389 f.; ders., in: Uhlenbruck-InsO, § 27 Rn. 11; Schmahl/Vuia, in: MüKo-InsO, § 16 Rn. 24; Schmidt, in: HambKomm-InsO, § 1 Rn. 25; Schröder, in: HambKomm-InsO, § 22 Rn. 72, 134. 159  So explizit Zipperer, NZI 2012, 385, 389. 160  Zipperer, NZI 2012, 385, 386. Der Verweis des § 4 InsO lässt allgemein den notwendigen „Raum für wertende Differenzierungen“, Schmerbach, in: FK‑InsO § 4 Rn. 1. 161  Zum wesentlichen Nutzen, dem vorfinanzierten Insolvenzgeld, S. 45 ff., insbesondere S. 107 ff.; zu sonstigen vorteilhaften Effekten S. 159 ff.

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Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung

I.  Rechtliche Relevanz der praktischen Vorteile einer Eröffnungsverzögerung Durch die ausgedehnten Insolvenzeröffnungsverfahren können sich, wie gesehen (vgl. Kapitel 3), ganz unterschiedliche positive Effekte für die spätere Insolvenzmasse verwirklichen lassen: Über die umgehende Verlagerung der Lohnkosten auf die BA in Zeiten weitgehender Illiquidität kann der schuldnerische Betrieb aufrechterhalten werden; durch die Rangrückstufung der Lohnforderungen und die Vermeidung anderer Masseverbindlichkeiten wird die spätere Masse geschont, sogar eine Masseanreicherung ist u. U. möglich; die Verzögerung erlaubt die (gründlichere) Prüfung und Einleitung von Fortführungs- und Sanierungsmaßnahmen; das Verwalterwahlrecht über gegenseitige Verträge kann vor der Eröffnung vorbereitet werden; massegünstige Positionen können (länger) erhalten werden und auch die Buchführung lässt sich vereinfachen. Diese „handfesten“ Anreize motivieren die Beteiligten im Einzelfall zu einer Verzögerung des Eröffnungsbeschlusses und führen in der Summe der Verfahren zu der sehr langen durchschnittlichen Dauer dieser Phase. Die Entscheidung zur Eröffnungsverzögerung ist im konkreten Fall vor allem durch praktische Erwägungen geprägt, am absehbaren Verfahrensfortgang und ‑ergebnis orientiert und trägt „pragmatische Züge“162. Dieser Pragmatismus lässt sich allerdings auch durch (insolvenz-)rechtliche Argumente untermauern und rechtfertigen: Gem. § 4 InsO sollen die Regelungen der Zivilprozessordnung nur dann im Insolvenzverfahren Anwendung finden, wenn sie mit dessen besonderer Natur zu vereinbaren sind.163 § 300 Abs. 1 ZPO dient im kontradiktorischen Zivilprozess der Verfahrensbeschleunigung, um so u. a. den Justizgewährungsanspruch der Parteien zu bedienen. Diese haben ein Interesse daran, ihre Rechte möglichst schnell und effektiv gegen die andere Seite durchsetzen zu können.164 In der Idealvorstellung des Insolvenzverfahrens stehen die Interessen der Beteiligten allerdings nicht in gleicher Weise kontradiktorisch gegeneinander; im besten Fall lassen sich – bspw. durch eine Unternehmenssanierung – die Interessen der verschiedenen Gläubiger, der Arbeitnehmer, des Schuldners und des (Sozial-)Staates kooperativ und zum Vorteil aller verwirklichen.165 Werden also durch die Verlängerung des Eröffnungsverfahrens die (spätere) Masse und 162 

Zipperer, NZI 2012, 385, 390. BGH, Urt. v. 11. 7. 1961 – VI ZR 208/60, NJW 1961, 2016; Schmerbach, in: FK‑InsO, § 4 Rn. 1, 3. 164  Thole, in: Prütting/Gehrlein-ZPO, § 300 Rn. 1; Rensen, in: Wieczorek/Schütze-ZPO, § 300 Rn. 2; Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1240. 165  Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1240 f. Vgl. auch Schmahl/Vuia, in: MüKo-InsO, § 16 Rn. 24. Dieser Gedanke ist zentrales Motiv der immer neu geforderten „Sanierungskultur“, vgl. Paulus, NZI 2015, 1001, 1004 f.; Vallender, NZI 2010, 838, 841. Mit besonderer Betonung der öffentlichen, sozialpolitischen Interessen Förster, ZInsO 2003, 785, 786. 163 



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die Sanierungschancen erhöht, so profitieren ggf. alle beteiligten Gruppen. Ein Bedürfnis zur (zu) schnellen Entscheidung bestünde damit nicht. Das zivilprozessuale Gebot des § 300 Abs. 1 ZPO wäre nach dieser Argumentationslinie seinem Wesen nach nicht auf das Insolvenzverfahren anwendbar.166 Gleichzeitig lassen sich der Insolvenzordnung mehrere Grundsätze und Ziele entnehmen, die sogar positiv für die Zulässigkeit der Eröffnungsverzögerung sprechen könnten: Der Zweck der umfassenden Gläubigerbefriedigung, die Sanierungsausrichtung und die Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens. Ein wesentliches Anliegen des Insolvenzrechts ist es, im Falle des Versagens der privatautonomen Haftungsregulierung zwischen allen Beteiligten einen „gerechten Ausgleich [zu] schaffen, den Schwächeren [zu] schützen und Frieden [zu] stiften“167. Diese Ordnungsfunktion kann sich nur im eröffneten Insolvenzverfahren umfassend verwirklichen. Müsste ein Insolvenzantrag – insbesondere mangels Verfahrenskostendeckung – abgewiesen werden, so würden sich nur die „rücksichtslosesten Gläubiger“168 Befriedigung verschaffen, Vermögensverschiebungen oder ‑verschleierungen blieben regelmäßig unentdeckt, kriminelles Handeln würde u. U. nicht geahndet, Anfechtungs- und Haftungsansprüche nicht geltend gemacht.169 Bei Insolvenzen, in denen die Antragsabweisung mangels Masse gem. § 26 Abs. 1 S. 1 InsO droht, kann u. U. (nur) durch die Verfahrensausdehnung und insbesondere die Insolvenzgeldvorfinanzierung die notwendige Verfahrenskostendeckung erreicht werden;170 die Verzögerung ließe sich in derartigen Fällen mit der Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts rechtfertigen.171 Noch deutlich wichtiger – sowohl in rechtlicher als auch in praktischer Hinsicht – ist die Rechtfertigung über den Verweis auf § 1 S. 1 InsO: Das Ziel der Gläubigerbefriedigung und das damit eng verbundene Bestreben, insolvente Unternehmen möglichst zu erhalten, werden hier in das Zentrum des Insolvenz166 AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2004 – 67g IN 97/04, ZInsO 2004, 630, 631; Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1240 f.; Frind, in: FS Beck, S. 135, 144; ders., in: Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rn. 268; Spliedt, EWiR 2001, 1099, 1100. Ähnlich kritisch gegenüber dem Beschleunigungsgrundsatz in diesem Kontext Pannen, NZI 2000, 575, 577. Vgl. auch Zipperer, NZI 2012, 385, 389 f. 167  RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 75. Vgl. hierzu Häsemeyer, Insolvenzrecht, S. 21 ff.; mit besonderem Fokus auf dem Eröffnungsverfahren Haarmeyer, in: FS Fischer, S. 193. 168  Schilken, in: Jaeger-InsO, § 26 Rn. 1. 169  Hierzu grundlegend Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 177 ff. Vgl. auch die gesetzgeberische Intention zur Reduzierung der Abweisungsquote, RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 72 ff. Diese Gefahren führen wohl dazu, dass Abweisungen nach § 26 InsO regelmäßig erst sehr spät erklärt werden, vgl. hierzu S. 24, 38. 170  Priebe, ZInsO 2015, 2547; so auch noch Vallender, in: FS Greiner, S. 333, vgl. nun allerdings, ders., GmbHR 2012, 445, 448. 171  Mit diesem Argument insbes. AG Hamburg, Beschl. v. 1. 10. 2001 – 67g IN 195/01, ZIP 2001, 1885 f. Allerdings stünde hier (auch) die Abweisung als realistische Möglichkeit im Raum; in diesem Fall ist die Verzögerung allerdings unzulässig, s. hierzu S. 183 f.

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rechts gerückt. Legt man die Prämisse zugrunde, dass „das Insolvenzverfahren […] schon im Eröffnungsverfahren von dem Zweck der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung beherrscht [wird]“172, spricht insbesondere die Ermöglichung von Betriebsfortführungen und ggf. ‑sanierungen für die Eröffnungsverzögerung. Besteht ein aktiver schuldnerischer Betrieb, so ist dessen Erhalt in aller Regel von besonderem Nutzen (auch) für die Gläubiger; nur so lässt sich der in der „lebenden Struktur“ gebundene Fortführungswert des Unternehmens für die Gläubiger realisieren.173 Eine etwaige (Teil-)Sanierung – egal ob übertragend oder rechtsträgererhaltend – setzt voraus, dass der laufende Betrieb durchgängig aufrechterhalten wird. Hierauf zielen bspw. die §§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 5, 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, Nr. 3 InsO ausdrücklich ab. Die praktischen Vorteilen des langen Eröffnungsverfahrens, insbesondere die Verlagerung der Lohnkosten auf die BA, führen also unmittelbar zur Unterstützung der Betriebsfortführung, damit auf zweiter Stufe zum Erhalt von Fortführungswerten und so letztlich zur bestmöglichen Gläubigerbefriedigung. Nach dieser Argumentation entspricht „eine regelhafte ‚schnelle‘ Eröffnung […] nicht dem Sanierungsgedanken des insolvenzrechtlichen Systems“174. Das zielgerichtet ausgedehnte Eröffnungsverfahren nutzt – zumindest auf den ersten Blick – allen (unmittelbar) Beteiligten: Dem schuldnerischen Betrieb und somit dem Schuldner selbst, den betroffenen Gläubigern, die eine erhöhte Befriedigungsquote erwarten, den Arbeitnehmern, die den Erhalt ihrer Arbeitsplätze erhoffen und damit letztlich auch dem Sozialsystem. Nimmt man (allein) diese konkreten, unmittelbar greifbaren Vorteile in den Blick und folgt der verbreiteten Ansicht, dass durch die gängige Praxis kein Beteiligter geschädigt würde,175 stellt sich das ausgedehnte, insolvenzgeldfinanzierte Eröffnungsverfahren als praktisch sinnvoller und rechtlich zulässiger Bestandteil des Insolvenzverfahrens dar.

II.  Problematische Konsequenzen der Eröffnungsverzögerung In der zuvor ausgearbeiteten Argumentation wurde das System und der Telos der Insolvenzordnung nur in Ausschnitten in den Blick genommen; die genannten Ziele – auch die grds. Ausrichtung auf die Gläubigerbefriedigung – können 172  Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 71 (Hervorhebung durch den Verfasser). Diese Annahme ist allerdings nicht unumstritten und wird hier i. E. auch abgelehnt, vgl. noch S. 250 ff. 173  Undritz, ZGR 2010, 202, 203 ff.; Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 31; Mönning, in: Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 11 Rn. 5 ff.; Schluck-Amend, in: Schmidt/ Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.542. 174  Frind, ZInsO 2011, 1569, 1572. 175 So bspw. Frind, in: Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rn. 267 („Eine ‚Schädigung‘ von Insolvenzgläubigern oder [sonstigen] Verfahrensbeteiligten entsteht […] nicht“, Einfügung durch den Verfasser).



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und sollen allerdings nicht absolut und uneingeschränkt verfolgt werden. Für die Bewertung der Eröffnungsverzögerungen muss der Blick deshalb geweitet werden: Wegen der Ausdehnung von Insolvenzeröffnungsverfahren ergeben sich vielfach nicht nur Vorteile für die spätere Insolvenzmasse, sondern auch unterschiedliche problematische Konsequenzen, die mit den Zielen, der Dogmatik und dem Gesamtsystem der Insolvenzordnung nicht immer zu vereinbaren sind. So können sich die zuvor beschriebenen (Masse-)Vorteile in ihrer Kehrseite als gravierende Nachteile für einzelne Personen darstellen. Dies gilt bspw. für die selektive Sonderbelastung bestimmter Neugläubiger, die im Detail untersucht und kritisch beleuchtet wird. Zudem führt die lange Dauer der Eröffnungsverfahren u. U. zu problematischen Lücken im Insolvenzeingangsschutz, also evtl. zur Beeinträchtigung der Kernfunktion dieser Phase. Auch das Spannungsfeld von Antrags- und Amtsverfahren und die Kosten des Eröffnungsverfahrens hängen direkt mit der Länge dieses Verfahrensabschnitts zusammen und werden aus diesem Grunde ausführlich behandelt. Der Zeitpunkt der formellen Verfahrenseröffnung wird von vielen unterschiedlichen Regelungen sowohl im Insolvenz- als auch allgemein im Privatrecht als Fixpunkt genutzt; wird dieser hinausgezögert, so verschieben sich auch die abhängigen Wirkungen. Einige dieser unterschiedlich schwerwiegenden Konsequenzen sollen ebenfalls dargestellt und untersucht werden. Neben diesen vielfältigen praktischen Folgen und Problemen, die sich mit dem langen Eröffnungsverfahren verbinden, sollen schließlich abstrakt die dogmatischen Spannungen betrachtet werden, die sich in dieser Phase zwischen Insolvenzfeststellung und Insolvenzbewältigung ergeben. 1.  Selektive Sonderbelastung bestimmter Neugläubiger Die erste problematische und vielfach diskutierte Konsequenz des langen Eröffnungsverfahrens liegt in der selektiven Begründung von Insolvenz- und Masseforderungen. Die Eröffnung des Verfahrens wird auch deshalb verzögert, weil sich auf diese Weise das Entstehen von Masseverbindlichkeiten in nicht unerheblichem Umfang vermeiden lässt.176 Der „schwache“ und mit Einzelermächtigungen ausgestatte vorläufige Verwalter kann frei darüber disponieren, welche Ansprüche zu Masseverbindlichkeiten „aufgewertet“ werden sollen oder müssen und welche als (weniger belastende) Insolvenzforderungen entstehen. Dieser bereits beschriebene Effekt birgt wichtiges Potential für die Betriebsfortführung und nutzt damit nicht nur dem Schuldner und dessen Unternehmen, sondern auch der (späteren) Masse und damit den Gläubigern.177 176  Blankenburg, ZInsO 2016, 1337, 1338; Frind, ZInsO 2011, 1569, 1572; Marotzke, ZInsO 2010, 2163, 2175; Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 71; wohl auch Zipperer, NZI 2004, 656, 659. Vgl. auch die Beurteilung des Gesetzgebers, BT‑Drs. 17/3030, S. 42 f. 177  Vgl. zum Nutzen dieser Praxis S. 162 ff.

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Den Vorteil erlangt der vorläufige Verwalter allerdings auf Kosten derjenigen, deren Forderungen – anders als bei einer „starken“ vorläufigen Verwaltung oder einer unverzüglichen Verfahrenseröffnung – nicht als Masse-, sondern „nur“ als Insolvenzforderungen entstehen. Deren Nachrangigkeit brachte der fortführungs- und sanierungsorientierten Praxis den Vorwurf ein, man ließe diese Gläubiger (insolvenzrechtswidrig) „im Regen stehen“178. Der Vorteil der Einen stellt sich in seiner Kehrseite ggf. als Nachteil der Anderen heraus. Bestimmt wird dieses Problemfeld durch die Zurückhaltung der Insolvenzpraxis gegenüber der Bestellung „starker“ vorläufiger Verwalter, die Möglichkeit der Erteilung von Einzelermächtigungen, die (zeitliche) Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens und die „Zwangsleistung“ einzelner Gläubiger in dieser Phase. a)  Ursprünglicher Ansatz der InsO und Entwicklung Im Ausgangspunkt differenziert die InsO zunächst eindeutig: Vorinsolvenzliche Ansprüche werden nur als Insolvenzforderungen quotal befriedigt, Forderungen aus dem Insolvenzverfahren selbst sind als Masseverbindlichkeiten vorab zu befriedigen.179 Im Eröffnungsverfahren wird diese scheinbar klare Unterscheidung durchbrochen. Zugunsten der vorläufigen Verwaltung können auch Verbindlichkeiten aus der Zeit vor der Eröffnung in den Rang von Masseverbindlichkeiten gehoben werden.180 Gerade für den Fall einer Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren hatte der Gesetzgeber ursprünglich erwartet, dass diese Aufwertung der Regelfall sein würde:181 Die komplexe Aufgabe, ein Unternehmen trotz einer (wahrscheinlichen) materiellen Insolvenz und gegen die vertrauensverlustbegründenden Wirkungen des Insolvenzantrags fortzuführen, kann der vorläufige Verwalter regelmäßig nur dann erfüllen, wenn er gewährleisten kann, dass Leistungen, die an ihn bzw. an den Betrieb erbracht werden, auch als bevorzugte Masseverbindlichkeiten beglichen werden.182 Hierfür sah der Gesetzgeber zunächst insbesondere den Weg der „starken“ vorläufigen Verwaltung (mit Übertragung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis) vor. Neugläubiger, die Geschäfte mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter abschließen oder ihm gegenüber ein Dauerschuldverhältnis erfüllen, sollten unter dem Schutz des § 55 178  AG

Hamburg, Beschl. v. 16. 12. 2002 – 67g IN 419/02, NZI 2003, 153, 154. §§ 38, 55 Abs. 1 InsO, vgl. Stamm, in: FS Beck, S. 509, 510. 180 Zur Systematik von § 55 Abs. 2 InsO vgl. bspw. Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, S. 340 ff. 181  RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 148. Aus dieser Erwartung lässt sich allerdings nicht unbedingt entnehmen, dass dies auch als gesetzlicher Regelfall angeordnet werden sollte, vgl. hierzu bspw. BGH, Urt. v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, 363 = NZI 2002, 543, 545; Vuia, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 4 Rn. 24; Undritz, NZI 2003, 136, 139. Prägnant auch Kirchhof, ZInsO 2004, 57. 182  Vgl. hierzu Marotzke, Das Unternehmen in der Insolvenz, S. 5 ff.; Pohlmann, Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, S. 158; Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, S. 341 Fn. 545; Laroche, NZI 2010, 965, 967. 179 



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Abs. 2 InsO stehen,183 also nach der Eröffnung vorrangig befriedigt werden. Auf diese Weise sollte das Vertrauen der Geschäftspartner, deren Mitwirkung und Leistung für eine Betriebsfortführung unerlässlich ist, (zurück-)gewonnen werden.184 Da allerdings bei einer solchen „starken“ vorläufigen Verwaltung ausnahmslos alle neuentstehenden Forderungen aufgewertet würden, sodass die (spätere) Masse erheblich belastet und „eine Sanierung des insolventen Unternehmens nicht oder nur unter deutlich erschwerten Bedingungen“185 möglich wäre, scheiterte diese Ausgestaltung beinahe ausnahmslos am Widerstand der Insolvenzpraxis.186 Durchgesetzt hat sich die Einsetzung eines „schwachen“ vorläufigen Verwalters verbunden mit der Ermächtigung zur selektiven Begründung einzelner Masseverbindlichkeiten. Diese verbreitete und weitgehend anerkannte Praxis läuft darauf hinaus, dass einige Neugläubiger Masseforderungen erlangen, andere hingegen nur Insolvenzforderungen: Der vorläufige Verwalter begründet nur dort selektiv Masseverbindlichkeiten, wo dies unbedingt notwendig ist.187 Diese masseschützende Vorgehensweise ließe sich ggf. als Benachteiligung derjenigen Neugläubiger darstellen, die nicht von einer Einzelermächtigung umfasst sind. Aus diesem Grund wurde der Vorwurf erhoben, die Praxis untergrabe den zentralen Pfeiler des Insolvenzrechts, den Grundsatz der par conditio creditorum.188 b)  Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz Ausgangspunkt der Diskussion um den Gleichbehandlungsgrundsatz im Eröffnungsverfahren war die folgenreiche Entscheidung des BGH, in der die Zulässigkeit von Einzelermächtigungen festgestellt wurde: Das Insolvenzgericht könne den („schwachen“) Verwalter dazu ermächtigen, nur einzelne Verpflichtungen zu Lasten der späteren Masse einzugehen, um so die nachteiligen Wirkungen einer starken vorläufigen Verwaltung – die umfassende Begründung von Masseschulden – zu verhindern.189 183 

RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 126. Vgl. ebd. So wörtlich auch der RechtsA zum RegE ESUG, BT‑Drs. 17/7511, S. 37. Die Vorteile der „starken“ vorläufigen Verwaltung heraushebend Mönning, in: Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 11 Rn. 115 ff. 185  Laroche, NZI 2010, 965, 966. Vgl. auch die Einschätzung von Siemon, NZI 2016, 688. 186  Weniger als 5 % aller angeordneten vorläufigen Verwaltungen werden „stark“ ausgestaltet, Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 22 Rn. 68; vgl. hierzu auch S. 162 ff. 187 Zur „Notwendigkeit“ als tatbestandlicher Voraussetzung der Einzelermächtigung Laroche, NZI 2010, 965, 968 f. Vgl. auch Beck, in: FS Runkel, S. 3, 9 ff. 188  AG Hamburg, Beschl. v. 16. 12. 2002 – 67g IN 419/02, NZI 2003, 153; Pape/Uhlenbruck, ZIP 2005, 417, 419 f.; Bauer, Ungleichbehandlung der Gläubiger, S. 120 f. 189  BGH, Urt. v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, 364 f. = NZI 2002, 543, 545 f. unter Bezugnahme auf RegE InsOÄndG, BT‑Drs. 14/5680, S. 17. 184 

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Gegen ein solches System wandte sich insbesondere das AG Hamburg und kam zu der Einschätzung, die Einzelermächtigung sei der „Gegenspieler der Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger, die Leistungen erbringen, die zur Betriebsfortführung benötigt werden. […] Eine gerichtliche Einzelermächtigung, auf Grund derer ein Gläubiger in den Stand eines Massegläubigers gehoben wird, die restliche Gläubigerschaft aber im Regen stehen bliebe, ist mit insolvenzrechtlichen Grundsätzen nicht vereinbar“190. So wie alle Insolvenzgläubiger, deren Forderungen vorinsolvenzlich entstanden sind, gem. § 1 S. 1 InsO untereinander gleich zu behandeln seien, müsse auch die Gruppe der Neugläubiger aus dem Eröffnungsverfahren Gleichbehandlung erfahren; das Herausheben nur Einzelner sei insolvenzrechtswidrig.191 Vielmehr müsse bei einer Betriebsfortführung, bei der die Begründung von Masseverbindlichkeiten notwendig ist, § 55 Abs. 2 InsO angewandt werden, also ein „starker“ vorläufiger Verwalter bestellt werden, sodass alle Neugläubiger Masseforderungen erlangten.192 Diese Argumentation des AG Hamburg nimmt zwar einen tatsächlich problematischen Umstand auf, überzeugt im Ergebnis jedoch nicht.193 Richtig ist zwar, dass schon im Eröffnungsverfahren der Gleichbehandlungsgrundsatz seine Wirkungen entfaltet.194 Allerdings kann dieses Gebot nur diejenigen betreffen, die auch materiell gleichrangige (Insolvenz-)Gläubiger sind.195 Würden – wie das AG Hamburg es nahelegt – ausnahmslos alle Forderungen, die im Eröffnungsverfahren entstehen, den Rang von Masseverbindlichkeiten haben, so würde das Gleichbehandlungsgebot eher verletzt als verwirklicht; alle Neugläubiger (aus dem Eröffnungsverfahren) würden gegenüber den Altgläubigern bevorzugt. „Einer besonderen Rechtfertigung bedarf vor dem insolvenzrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht die Vorrechtsverweigerung, sondern die Vorrechtsbegründung.“196 Entscheidend ist deshalb die Frage, welche Gläubiger berechtigterweise aus dem Kreis der Insolvenzgläubiger herausgehoben werden müssen, also vor190  AG Hamburg, Beschl. v. 16. 12. 2002 – 67g IN 419/02, NZI 2003, 153, 154. Ähnlich Pape/Uhlenbruck, ZIP 2005, 417, 419 f. („krasser Verstoß gegen die Gläubigergleichbehandlung“). Vgl. auch Bauer, Ungleichbehandlung der Gläubiger, S. 120 f.; Weiland, Par condicio creditorum, S. 136 ff. 191  AG Hamburg, Beschl. v. 16. 12. 2002 – 67g IN 419/02, NZI 2003, 153, 154. 192  AG Hamburg, Beschl. v. 16. 12. 2002 – 67g IN 419/02, NZI 2003, 153, 154; vgl. auch AG Hamburg, Beschl. v. 15. 7. 2003 – 67g IN 205/03, ZIP 2003, 1809. 193 So auch Marotzke, ZIP 2005, 2144, 2148; ders., ZInsO 2004, 178, 181; Krelhaus, Insolvenzfeste Geschäftsfortführung, S. 117 ff. Zum angesprochenen tatsächlichen Problem (Vorgehen zulasten Einzelner) noch sogleich, vgl. S. 210 Fn. 203. 194  BGH, Urt. v. 28. 2. 2008 – IX ZR 213/06, NZI 2008, 297, 299; eingehend Laroche, NZI 2010, 965, 968 f.; Marotzke, ZInsO 2004, 178. 195 Es gibt „keinen Gleichbehandlungsgrundsatz für Massegläubiger“, so Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 14.02. 196  Marotzke, ZInsO 2004, 178, 181.



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rangig aus der Masse zu befriedigen sind. Nicht hilfreich, da tautologisch, wäre es darauf abzustellen, wer formell in den Stand eines Massegläubigers versetzt wurde. Es kann im Kern auch nicht (allein) auf den Zeitpunkt der Forderungsbegründung ankommen: Die Phase des Eröffnungsverfahrens nimmt eine Zwitterstellung zwischen vorinsolvenzlicher Zeit und Insolvenzverfahren ein. Der Schuldner ist formell noch nicht insolvent; wer ihm Kredit gewährt, nimmt mit seiner Forderung auch noch im Eröffnungsverfahren Einfluss auf das Vermögen des Schuldners, ist – aus diesem Grund – grds. Insolvenzgläubiger und haftet folglich mit der eigenen (Insolvenz-)Forderung allen anderen Insolvenzgläubigern für die Befriedigung aus der Insolvenzmasse.197 Gleichzeitig wirkt, insbesondere im Handeln des vorläufigen Verwalters, bereits das spätere Insolvenzverfahren vor. Der vorläufige Verwalter ist zur Sicherung, Erhaltung und Fortentwicklung des schuldnerischen Vermögens für das (erwartete) Insolvenzverfahren verpflichtet, er richtet sein Handeln also prospektiv aus.198 In diesem Spannungsfeld kann allein nach materiell-inhaltlichen Gesichtspunkten bestimmt werden, ob ein (Neu-)Gläubiger, der im Eröffnungsverfahren eine Forderung erworben hat, zu der Gruppe der (gleichzubehandelnden) Insolvenzgläubiger zählt oder nicht. Entscheidend ist deshalb, aus welchem Anlass und in welchem Kontext die fraglichen Forderungen entstanden: Wer an den vorläufigen Verwalter bzw. das schuldnerische Unternehmen leistet, damit der Betrieb fortgeführt werden kann, unterstützt auf diese Weise die (vorläufige) Verwaltung des schuldnerischen Vermögens. Die hierbei entstehenden Forderungen resultieren also nicht unmittelbar aus dem fortwirkenden Versagen der schuldnerischen Privatautonomie, sondern vielmehr aus der vorwirkenden Haftungsabwicklung des Insolvenzverfahrens. Die Betriebsfortführung durch den mit Amtsbefugnissen und -pflichten ausgestatteten (vorläufigen) Insolvenzverwalter steht bereits im Dienste des späteren Verfahrens und damit der bestmöglichen Befriedigung aller Gläubiger.199 Masseforderungen, die in diesem Rahmen entstehen, sind der Preis, den die Insolvenzgläubiger für die Sicherung und Erhaltung des haftenden Vermögens und für die Aufrechterhaltung des laufenden Betriebs zahlen müssen.200 197  Mit einer umfassenden, wegweisenden Analyse und Begründung des Gleichbehandlungsgebots Häsemeyer, KTS 1982, 507 (hierzu insbes. 525 ff.). S. zu der Zwitterstellung des Eröffnungsverfahrens und den Konsequenzen Kirchhof, ZInsO 2004, 57, 58. 198  Vgl. ebd. Auch dem „schwachen“ vorläufigen Verwalter kommt keine rein passive Rolle zu, er nimmt vielmehr regelmäßig das „Heft des unternehmerischen Handelns in die Hand“, Fritsche, DZWIR 2005, 265, 277; Bauer, Ungleichbehandlung der Gläubiger, S. 121. Hierzu und zur Ausrichtung auf das Verfahren auch Hölzle, ZIP 2011, 1889, 1890 f. 199  Vgl. hierzu, auch mit Blick auf die Frage der Gläubigergleichbehandlung, Marotzke, ZInsO 2004, 178 f. sowie Bauer, Ungleichbehandlung der Gläubiger, S. 120 f.; ders., DZWIR 2007, 188, 192. 200 Vgl. Kirchhof, ZInsO 2004, 57, 58 f.; Häsemeyer, KTS 1982, 507, 540 (Fn. 178); ders., in: FS Gerhardt, S. 341, 348 f.; v. Wilmowsky, ZInsO 2004, 882, 887.

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Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung

Diejenigen Geschäftspartner und Neugläubiger aus dem Eröffnungsverfahren, deren Forderungen nicht auf einer Leistung beruhen, die für die Betriebsfortführung und Vermögensverwaltung notwendig oder dienlich ist, teilen demgegenüber richtigerweise „das normale Schicksal aller Gläubiger, deren Forderungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurden (§ 38 InsO)“201. In der so ausgestalteten selektiven Begründung einzelner Masseverbindlichkeiten liegt also kein Verstoß gegen das Gebot der Gläubigergleichbehandlung, sondern vielmehr dessen Verwirklichung.202 c)  Vorgehen zulasten einzelner (Zwangs-)Gläubiger Problematisch ist die selektive Masseschuldbegründung im Eröffnungsverfahren jedoch dann, wenn sie tatsächlich nicht der oben dargestellten materiellen Einordung der Neugläubiger folgt: Wird eine Leistung für die Verwaltung von Betrieb und zukünftiger Masse im Eröffnungsverfahren benötigt und in Anspruch genommen und im Gegenzug gleichwohl nur eine Insolvenzforderung begründet, liegt hierin ein Verstoß gegen die beschriebene insolvenzrechtliche Klassifizierung der Gläubiger und insofern eine „willkürliche Selektion“203. Ein solcher Systembruch – das Vorgehen zulasten bestimmter Gläubiger – ist verbreitet und üblich. Weil im Insolvenzeröffnungsverfahren typischerweise die erforderlichen Mittel insbesondere für Unternehmensfortführungen fehlen, weicht die Insolvenzpraxis auf die (vorteilhafte) „schwache“ Verwaltung aus, „mit der problematischen Konsequenz, dass das Eröffnungsverfahren, außer durch Insolvenzgeld aus öffentlichen Kassen, durch die Inanspruchnahme typischer Zwangsleistungen Dritter […] gegen Inaussichtstellen der bloßen Insolvenzquote finanziert wird“204. Eine solche problematische Sonderbelastung einzelner „Zwangsgläubiger“ ist insbesondere dann möglich, wenn die betroffenen Geschäftspartner ihre Leistung im Eröffnungsverfahren aus rechtlichen oder aus tatsächlichen Gründen nicht zurückhalten können oder wenn sie aus Unkenntnis leisten, ohne die Sicherheit einer adäquaten Gegenleistung zu haben.

201 

Marotzke, ZInsO 2004, 178, 181. ders. ZIP 2005, 2144, 2148; ähnlich Laroche, NZI 2010, 965, 968 f.; Krelhaus, Insolvenzfeste Geschäftsfortführung, S. 119. 203  Pape/Schaltke, in: K/P/B‑InsO, § 55 Rn. 230. Die bereits besprochene Entscheidung des AG Hamburg nahm also völlig zu Recht Anstoß an dieser „Ungleichbehandlung“, vgl. Beschl. v. 16. 12. 2002 – 67g IN 419/02, NZI 2003, 153, 154. 204  Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.37a (Hervorhebung durch den Verfasser). Vgl. auch Marotzke, ZInsO 2010, 2163, 2175; Blankenburg, ZInsO 2016, 1337, 1338; Frind, ZInsO 2011, 1569, 1572; Bauer, Ungleichbehandlung der Gläubiger, S. 121. Ähnlich problematisch ist die Stellung einiger Neugläubiger nach der Eröffnung, die u. U. in gleicher Weise die Masse „sponsern“, s. Ganninger, Neugläubigerforderungen, S. 28. 202 Ebd.;



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aa)  Belastung von Vermietern, Verpächtern etc. Die größte praktische Bedeutung für die vorläufige Verwaltung im Eröffnungsverfahren haben in diesem Zusammenhang die „Zwangsleistungen“ von Vermietern, Verpächtern etc. Deren Belastung ist in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung am ausführlichsten thematisiert worden. Ausgangspunkt ist hierbei die Regelung des § 112 InsO, wonach der Vermieter rechtlich gezwungen ist, dem Mieter, also bspw. einem schuldnerischen Betrieb, die Nutzungsmöglichkeit am Mietgegenstand weiterhin im Eröffnungsverfahren zur Verfügung zu stellen. Nachdem ein Insolvenzantrag bzgl. des Mieters gestellt wurde, kann der Vermieter nicht mehr wegen eines bereits bestehenden Zahlungsverzugs oder wegen der Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Mieters kündigen. Zwischen Antrag und Eröffnung greift also eine Kündigungssperre, „die den Vermieter zum Gefangenen des Eröffnungsverfahrens macht und ihn praktisch dazu zwingt, die Mietsache dem Schuldner weiter für eine Betriebsfortführung zu überlassen“205. Neben Miet- und Pachtverhältnissen umfasst § 112 InsO auch andere Vertragstypen, die ebenfalls eine entscheidende Bedeutung für den schuldnerischen Betrieb haben können: Je nach konkreter Ausgestaltung fallen etwa Leasingverträge unter § 112 InsO;206 betroffen sind insbesondere auch die als „Rechtspacht“ charakterisierten Lizenzverträge,207 die für eine Betriebsfortführung oftmals essentiell sind.208 Hintergrund der Norm ist das Anliegen, das schuldnerische Vermögen und einen evtl. aktiven Betrieb in der prekären Situation des Eröffnungsverfahrens zusammenzuhalten; die wirtschaftliche Einheit soll nicht zur Unzeit auseinandergerissen werden.209 Eine Betriebsfortführung ist regelmäßig nur dann möglich, wenn dem vorläufigen Verwalter auch gemietete oder geleaste Gegenstände, gepachtete Immobilien oder zuvor eingeräumte Lizenzen weiterhin zur Verfügung stehen; § 112 InsO dient insofern dem Schutz der Gläubigergesamtheit.210 Der Gesetzgeber ging ursprünglich davon aus, dass diese Sicherung 205  Pape, NZM 2004, 401, 402. So auch Laroche, NZI 2010, 965, 969; Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, S. 343. 206  RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 148; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8. 9. 2008 – 24 U 40/08, OLGR 2009, 265; Ringstmeier, in: Schmidt-InsO, § 112 Rn. 9. Bei der „air berlin“Insolvenz wurde deutlich, welche immense (be- und entlastende) Bedeutung § 112 InsO haben kann, vgl. hierzu Recker, NZI 2017, 428, 430. 207  BGH, Urt. v. 17. 11. 2005 – IX ZR 162/04, NJW 2006, 915, 916 Rz. 21; BGH, Urt. v. 21. 10. 2015 – I ZR 173/14, NZI 2016, 97, 101 Rz. 43; m. w. N. Eckert, in: MüKo-InsO, § 112 Rn. 7; eher kritisch zu dieser Einordnung Rüther, NZI 2016, 103 („kurios“). 208  Diskutiert wird weiter auch die Anwendbarkeit auf Franchiseverträge (Jacoby, in: Jaeger-InsO, § 112 Rn. 14, 19) und sogar auf Kaufverträge (Marotzke, in: HK‑InsO, § 112 Rn. 24). 209  RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 148; BGH, Urt. v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, 372 = NZI 2002, 543, 548. 210  Wegener, in: Uhlenbruck-InsO, § 112 Rn. 2. Krelhaus spricht sogar von einer „gesetzlich gewollten Umverteilung zugunsten der Gläubigergesamtheit“, Krelhaus, Insolvenzfeste Geschäftsfortführung, S. 74.

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der Vermögenseinheit nicht einseitig zulasten des leistenden Geschäftspartners gehen würde, sondern wähnte dessen „berechtigte Interessen“ als gewahrt: Man erwartete, dass die Gerichte in längeren Eröffnungsverfahren regelmäßig einen „starken“ vorläufigen Verwalter einsetzen würden, sodass der Vermieter für seine (massemehrende) Leistung unmittelbar die entsprechende Gegenleistung, zumindest aber Masseforderungen erhielte.211 Diese Erwartung hat sich aus den dargelegten Gründen nicht erfüllt, § 55 Abs. 2 S. 2 InsO kommt im Normalfall nicht zur Anwendung, und auch von einer Einzelermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten profitiert ein Vermieter nur selten, sodass er „faktisch zur Leistung gezwungen ist, ohne eine adäquate Gegenleistung erhalten zu können“212. Aus diesem Grund wird die Kündigungssperre des § 112 InsO bei „schwacher“ Verwaltung als systemwidrig, vereinzelt gar als Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG gesehen.213 Dieser Kritik ist der BGH früh und deutlich entgegengetreten und hat festgestellt, dass die Praxis der Einzelermächtigung „schwacher“ vorläufiger Verwalter auch im Zusammenspiel mit der Kündigungssperre des § 112 InsO (auch verfassungsrechtlich) zulässig ist.214 Die Schlechterstellung des von § 112 InsO betroffenen Vermieters sei im Wesentlichen durch zwei Argumente gerechtfertigt: Zum einen sei der Vermieter, auch im Vergleich mit anderen Gläubigern, bereits gut abgesichert, da ihn das gesetzliche Vermieterpfandrecht schützt und zudem oft Kautionen vereinbart würden. Ein etwaiger Ausfall im Eröffnungsverfahren sei ihm deshalb zumutbar.215 Die vom BGH aufgeführten Sicherungsmechanismen müssen allerdings deutlich relativiert werden: So besteht das Vermieterpfandrecht allein bei der Immobilienmiete,216 wobei auch hier im Fall einer gewerblichen Zwischenmiete kein solches Sicherungsrecht besteht und bei der gewerblichen Raumnutzung häufig Eigentumsvorbehalte dem Pfandrecht vorgehen.217 Stellt der Gläubiger allerdings im Eröffnungsverfahren bspw. gemietete oder geleaste Maschinen zur Verfügung oder wird auf Lizenzen zurückgegriffen, so besteht diese Sicherung nicht. Auch die Stel211 

RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 148; vgl. auch Marotzke, in: HK‑InsO, § 112 Rn. 27. Laroche, NZI 2010, 965, 969. Vgl. auch Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4.08, 7.46; Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, S. 343; Pape, NZM 2004, 401, 402; ders./Schaltke, in: K/P/B‑InsO, § 55 Rn. 231; Marotzke, in: HK‑InsO, § 112 Rn. 27; ders., ZInsO 2004, 178, 186; Braun, in: FS Drukarczyk, S. 95, 100. 213  Marotzke, KTS 2002, 1, 17 ff.; etwas vorsichtiger Eckert, in: MüKo-InsO, § 112 Rn. 2; ders., NZM 2003, 41, 49. Vgl. auch v. Wilmowsky, ZInsO 2004, 882, 887. 214  Grundlegend und richtungsweisend BGH, Urt. v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 = NJW 2002, 3326. 215  BGH, Urt. v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, 369 f. = NJW 2002, 3326, 3330. Stamm meint deshalb, dass auch im Falle der „starken“ Verwaltung nur Insolvenzforderungen zu begründen seien (Stamm, in: FS Beck, S. 509, 524). Vgl. auch Laroche, NZI 2010, 965, 969; Dahl, NZM 2008, 585, 592; Werres, ZInsO 2005, 1233, 1235. 216  § 562, 578 BGB bzw. entsprechend auch bei Pachtverträgen (§ 581 Abs. 2 BGB). 217  Eckert, NZM 2003, 41, 46. Vgl. auch Marotzke, KTS 2002, 1, 17 f. Fn. 58. 212 



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lung einer Kaution ist in solchen Fällen nicht üblich.218 Und selbst wenn eine Kaution hinterlegt worden sein sollte, so sichert sich der Gläubiger hierdurch typischerweise gegen Zahlungsausfälle ab, die vor dem Insolvenz(-eröffnungs-) verfahren entstehen. Gerade wegen der vor Antragstellung aufgelaufenen Rückstände darf nicht gekündigt werden – ein Ausfall im Eröffnungsverfahren wird also regelmäßig nicht durch eine Kaution abzudecken sein.219 Wichtiger ist deshalb ein zweiter Hinweis des BGH, der für alle von § 112 InsO betroffenen Gläubiger gilt: Zahlt der Schuldner bzw. der vorläufige Verwalter im Eröffnungsverfahren keine Miete und sorgt er auch nicht dafür, dass entsprechende Masseverbindlichkeiten begründet werden, so gerät er (erneut) in Verzug, sodass eine hierauf gestützte Kündigung möglich ist.220 Will der vorläufige Verwalter sicherstellen, dass die Nutzungsmöglichkeit von Lizenzen und Miet-, Pacht- und Leasinggegenständen für den Betrieb bzw. die Masse erhalten bleibt, so müssen „die nach dem Eröffnungsantrag fällig werdenden Raten […] aus dem Schuldnervermögen wieder vertragsgerecht gezahlt werden“221. In diesem Falle entsteht dem Gläubiger kein (weiterer) Forderungsausfall,222 das (ggf. verlängerte) Eröffnungsverfahren würde nicht durch eine Sonderbelastung bestimmter Gläubiger finanziert werden. (1)  Belastung bei Vertragsfortführung Allerdings lässt sich einschränkend festhalten, dass der vorläufige Verwalter in einem gewissen Rahmen durchaus die Forderungen von Vermietern, Verpächtern etc. ausfallen lassen kann, ohne den Fortbestand des Vertrages zu gefährden: Da eine Kündigung erst dann möglich ist, wenn erneut zwei Monatsmieten ausgefallen sind,223 muss der vorläufige Verwalter lediglich den Verzug unter der den Vermieter zur Kündigung berechtigenden Grenze halten, um sich des Vertragsbestandes zu versichern.224 Dass dem fortgeführten Betrieb (zumin218 

Eckert, NZM 2003, 41, 46.

219 Ebd.

220  BGH,

Urt. v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, 371 = NJW 2002, 3326, 3330 f. unter Hinweis auf RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 148; Hinz, NZM 2014, 137, 149; Wegener, in: Uhlenbruck-InsO, § 112 Rn. 14 ff. Vgl. allerdings Jacoby, der davon ausgeht, dass durch die Insolvenzeröffnung die Möglichkeit zur Kündigung wieder entfällt (Jacoby, in: Jaeger-InsO, § 112 Rn. 41). 221  BGH, Urt. v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, 370 = NZI 2002, 543, 547. 222  Im Anschluss hieran wollte insbesondere der Mietrechtssenat des BGH eine solche „Pflicht“ des vorläufigen Verwalters zur Mietzahlung betonen, vgl. BGH, Urt. v. 9. 3. 2005 – VIII ZR 394/03, NZI 2005, 450. Dem ist der Insolvenzrechtssenat allerdings nicht gefolgt, vgl. zur Entwicklung der BGH‑Rechtsprechung Ganter, ZIP 2015, 1767, 1769. 223 Vgl. genauer zu den „gefährlichen Zahlungsrückständen“ Ganter, ZIP 2015, 1767, 1771. 224  So der Hinweis des OLG Köln, Beschl. v. 2. 12. 2002 – 15 W 93/02, NZI 2003, 149, 150 unter Rückgriff auf Kroth, in: Braun-InsO, § 112 Rn. 7.

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dest)225 die Vorteile von knapp zwei Monatsmieten auf Kosten von Vermietern, Lizenzgebern etc. zukommen, ist also auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Verträge mittelfristig fortgeführt werden sollen. Welchen Umfang und welche immense Bedeutung allein diese zweimonatige Ent- bzw. Belastung zumindest im Einzelfall haben kann, wird durch das Beispiel der Ufa-Insolvenz deutlich. Die Ufa-Theater GmbH & Co. KG, Betreiberin von 36 Kinos deutschlandweit, sollte im Insolvenzeröffnungsverfahren von bzw. mit einem vorläufigen Verwalter fortgeführt werden. Hierfür wurde die Leistung von mehr als 570 Unternehmen benötigt, u. a. die Lizenzen zur Vorführung der Filme. Allein die Kosten hierfür hatten ein Volumen von etwa 2 Mio. Euro pro Monat.226 Wären die Lizenz- und Mietforderungen in diesem Verfahren, anders als konkret geschehen, bspw. für eineinhalb Monate ausgefallen, so wäre massiv Liquidität eingespart worden und der Betrieb hätte auch langfristig eine „Subvention“ von mehreren Millionen Euro erhalten, ohne dass der rechtliche Bestand der Verträge gefährdet worden wäre.227 (2)  Belastung bei mutmaßlicher Vertragsbeendigung Noch deutlicher wird die mit § 112 InsO verbundene Belastung, wenn es dem vorläufigen Verwalter nicht auf den Erhalt der einzelnen Verträge ankommt, bspw. wenn ein Betrieb für Räumungsverkäufe oder eine Ausproduktion nur zeitlich beschränkt fortgeführt wird. In aller Regel wird der vorläufige Verwalter nämlich überhaupt „nur dann Mietzahlungen leisten, wenn er eine Kündigung vermeiden will“228. In allen anderen Fällen erbringen die gesetzlich gebundenen Gläubiger ihre vollwertigen Leistungen zugunsten der Masse, in dem Wissen, weder gegenwärtig noch nach Ablauf von zwei Monaten voll befriedigt zu werden. Nach allgemeiner Ansicht ist diese Belastung insolvenz- und verfassungsrechtlich zulässig, weil sie den Neugläubigern „äußerstenfalls einen (weiteren) Ausfall der Nutzungsentschädigung für zwei Monate“229 zumutet. Gerade die

225  Der

Forderungsausfall kann durch eine gerichtliche Anordnung (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 InsO) um weitere drei Monate ausgedehnt werden, ohne den Vertrag zu gefährden. Vgl. näher hierzu Hölzle, ZIP 2014, 1155, 1158 sowie noch sogleich. 226  Vgl. zum Sachverhalt AG Hamburg, Beschl. v. 16. 12. 2002 – 67g IN 419/02, NZI 2003, 153. 227 Betroffen gewesen wären neben den genannten Lizenzgebern auch eine Vielzahl (weiterer) Vermieter und Lizenzgeber, konkret weitere 33 Vertragspartner, vgl. AG Hamburg, Beschl. v. 16. 12. 2002 – 67g IN 419/02, NZI 2003, 153. Bei einer entsprechenden gerichtlichen Anordnung (Fn. 225) wären Be- und Entlastungen im zweistelligen Millionenbereich möglich gewesen. 228  Werres, ZInsO 2005, 1233, 1235. 229  BGH, Urt. v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, 370 = NJW 2002, 3326, 3330 (Hervorhebung durch den Verfasser); ähnlich RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 148. Vgl. auch Wegener, in: Uhlenbruck-InsO, § 112 Rn. 14.



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verhältnismäßig kurze Verzugsdauer des § 543 BGB sichere die (verfassungsrechtlichen) Interessen des Vermieters.230 Aus verschiedenen Gründen muss allerdings in Frage gestellt werden, ob der erneute Forderungsausfall im Eröffnungsverfahren tatsächlich auf zwei Monate begrenzt ist: Zunächst würde eine unverzügliche Kündigung dazu führen, dass der Vermieter die Möglichkeit verliert, zumindest für die Zeit nach der Verfahrenseröffnung bevorrechtigte Masseforderungen zu erhalten. Ein Verzicht auf die sofortige Kündigung (mit entsprechenden zusätzlichen Verlusten) liegt insbesondere dann nahe, wenn eine alternative Anschlussvermietung nicht kurzfristig möglich ist.231 In einem solchen Fall resultiert der zusätzliche Verlust des Vermieters zwar aus seiner eigenen Entscheidung und Risikokalkulation, gleichwohl stellt sich dessen fortgesetzte Leistung als Sondervorteil der Masse dar. Diese profitiert von der faktischen Zwangslage des Vermieters und nutzt diese gezielt aus, wenn die Eröffnung – und damit die Entstehung von Masseverbindlichkeiten – hinausgezögert wird. Doch auch wenn der Vermieter umgehend von seinem neuentstandenen Kündigungsrecht Gebrauch machen sollte, ist er nicht unbedingt vor einem weiteren Nutzungsausfall geschützt. Wird die Rückgabe der Mietsache trotz Kündigung verweigert, so kann der Vermieter zwar Nutzungsentschädigung nach § 546a BGB verlangen, auch dieser Anspruch begründet allerdings lediglich Insolvenzforderungen.232 Nochmals drastisch verschärft wird die Belastung von Vermietern, Verpächtern etc., wenn diesen die einzige Alternative, die Möglichkeit zur Zwangsvollstreckung, durch eine entsprechende gerichtliche Anordnung genommen wird: Über § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 InsO kann das Insolvenzgericht zugunsten einer Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren verhindern, dass bspw. Mietgegenstände an den Eigentümer herausgegeben werden müssen.233 In diesem Fall ist die Wirkung der Kündigung suspendiert, solange die gerichtliche Anordnung wirkt.234 230 Vgl.

Kirchhof, ZInsO 2007, 227, 230. Dies wirft indes die problematische Frage auf, wie mit Verträgen umzugehen ist, die eine Kündigung erst bei (noch) längerem Verzug bzw. eine quartalsweise Mietzahlung vorsehen, vgl. zu letzterem Eckert, NZM 2003, 41, 46. 231 So Pape, NZM 2004, 401, 404; vgl. auch Werres, ZInsO 2005, 1233, 1235. 232  Mit dem Hinweis auf diese problematische „Phase der Vorenthaltung“ Eckert, NZM 2003, 41, 46. Zwar könnte ein solches vertragswidriges Verhalten grds. eine Verwalterhaftung begründen, dies allerdings nur dann, wenn der („schwache“!) Verwalter den Verlust zu vertreten hätte und auch nur dann, wenn dem Herausgabeverlangen keine gerichtliche Anordnung entgegensteht, hierzu sogleich. 233  AG Charlottenburg, Beschl. v. 15. 3. 2017 – 36a IN 601/17, ZIP 2017, 1386. Ggf. kann auch über § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 InsO eine wirkungsgleiche Anordnung möglich getroffen werden, vgl. Kirchhof, ZInsO 2007, 227, 230 mit dem Hinweis auf eine entsprechende Anordnung durch das AG Köln, Beschl. v. 29. 6. 1999 – 71 IN 143/99, NZI 1999, 333. 234  Ganter, ZIP 2015, 1767, 1770 f. Vgl. auch Pape, NZI 2007, 425, 430. Hölzle geht sogar

216

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Zwar sieht das Gesetz in diesem Fall einen Anspruch des betroffenen Gläubigers auf Nutzungsausfallentschädigung vor, ersetzt werden Nutzungen allerdings erst nach dem Ablauf von drei Monaten ab der gerichtlichen Anordnung.235 In der dreimonatigen „Zwischenphase“ entstehen lediglich Insolvenzforderungen.236 Durch das Zusammenwirken von § 112 InsO und einer sich anschließenden gerichtlichen Anordnung über § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 InsO kann einem Vermieter also der Nutzungsersatz für mindestens fünf Monate vorenthalten werden,237 während der Masse in gleichem Umfang die vollständige Leistung zugutekommt.238 bb)  Belastung bei Unmöglichkeit der Leistungsverhinderung Die am Beispiel der Vermieter, Lizenzgeber etc. dargestellte Problematik – „aufgezwungene“ Leistungspflicht ohne adäquate Kompensation  – kann auch andere Geschäftspartner im Eröffnungsverfahren betreffen: Allgemein ergibt sich eine solche „Zwangsbelastung“ immer dann, wenn ein Gläubiger seine „subventionierende“ Leistungserbringung aus rechtlichen (ähnlich wie bei §§ 112, 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 InsO) oder aus rein tatsächlichen Gründen nicht unverzüglich verhindern bzw. beenden kann.239 Die Unmöglichkeit der Leistungsverhinderung kann hierbei ganz unterschiedliche Ursachen haben, in der möglichen Folge entsprechen sich die Fälle allerdings. Deutlich wird das Problem am konkreten Beispiel der Leistung eines Energielieferanten: Soll ein Betrieb im Insolvenzeröffnungsverfahren fortgeführt werden, so ist der vorläufige Verwalter bzw. das schuldnerische Unternehmen in aller Regel zwingend auf die Bereitstellung von Strom angewiesen. Typischerweise wird sich der „schwache“ vorläufige Verwalter mit einer Einzelermächtigung ausstatten lassen, um zugunsten des Energielieferanten Masseverbindlichkeiten begründen und diesen davon aus, dass über eine solche gerichtliche Anordnung der Verzug und damit die Kündigungsmöglichkeit verhindert werden kann, Hölzle, in: Schmidt-InsO, § 21 Rn. 77; ders., ZIP 2014, 1155. 235  §§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 5, 169 S. 2 InsO. BGH, Urt. v. 3. 12. 2009 – IX ZR 7/09, BGHZ 183, 269, 275 f. = NZI 2010, 95, 96 Rz. 28 ff.; Bork, NZI 2012, 590, 591 f. 236  BGH, Urt. v. 8. 3. 2012 – IX ZR 78/11, NZI 2012, 369, 371 Rz. 23; Ganter, ZIP 2015, 1767, 1768. 237  Zwar hielten sowohl BGH als auch BVerfG diese Belastung für verfassungsrechtlich zulässig, allerdings wurde hierbei die kumulative Wirkung von § 112 InsO und § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 InsO nicht berücksichtigt (BVerfG, Beschl. v. 22. 3. 2012 – 1 BvR 3169/11, NZI 2012, 617) bzw. bewusst übergangen (BGH, Urt. v. 3. 12. 2009 – IX ZR 7/09, BGHZ 183, 269, 280 = NZI 2010, 95, 98 Rz. 45). 238  Kirchhof, ZInsO 2007, 227, 230; Ganter, ZIP 2015, 1767, 1770; ders., NZI 2007, 549, 555; Pape, NZI 2007, 425, 430; ders., in: K/P/B‑InsO, § 21 Rn. 40d ff.; Krelhaus, Insolvenzfeste Geschäftsfortführung, S. 74. Kritisch auch Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 66 Fn. 431. 239 Vgl. Homann, in: A/G/R‑InsO, § 55 Rn. 25.



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so zur Leistungsfortsetzung bewegen zu können.240 Stellt der vorläufige Verwalter die Befriedigung allerdings nicht sicher, kann es dazu kommen, dass der Vertragspartner leistet und so „‚sehenden Auges‘ eine Leistung [erbringt], für die er im Endeffekt nur eine einfache Insolvenzforderung erhält“241. Gegen diese Konsequenz kann sich der Vertragspartner zunächst nicht durch die Verwendung einer Lösungsklausel, die an die Antragstellung o.ä. anknüpft, absichern; eine solche Klausel ist, so der BGH, unwirksam.242 Der Energielieferant bleibt also auch innerhalb des Eröffnungsverfahrens grds. zur Fortsetzung der Leistung verpflichtet.243 Allerdings steht ihm nach Antragstellung wohl die Unsicherheitseinrede des § 321 BGB zu, sodass er seine Leistung zurückhalten dürfte.244 Doch auch wenn man davon ausgeht, dass dieses Zurückbehaltungsrecht auch im Eröffnungsverfahren (zum Nachteil einer reibungslosen Betriebsfortführung) anwendbar ist,245 bleibt das Risiko, dass die Möglichkeit zur Einrede nicht unverzüglich erkannt und ausgeübt wird. Erst wenn der Vertragspartner erstens vom Insolvenzantrag erfährt und zweitens von seinem Zurückbehaltungsrecht weiß,246 kann er tätig werden und „dem betroffenen Unternehmen kurzerhand den Strom abdrehen“247. Diese naheliegende Konsequenz der Leistungseinstellung ist allerdings praktisch oftmals nicht ohne Weiteres zu bewerkstelligen: Um den fortlaufenden Bezug von Strom zu unterbinden, muss meist die entsprechende Abnahmestelle, der Stromzähler, gesperrt werden. Wird der Energielieferant hieran faktisch oder sogar rechtlich im Eröffnungsverfahren gehindert, so ist er „gezwungen […], dem Schuldner weiterhin eine Leistung zu erbringen, für die [er] eine Gegenleistung ganz offensichtlich nicht erhalten kann“248. Die Leistung an das „quasiinsolvente“ Unternehmen könnte nur verhindert werden, wenn dem Gläubiger Zutritt zum schuldnerischen Grundstück gewährt würde. Wird die Sperrung – 240  Mit Hinweis auf gerade diese Gläubiger bspw. Zipperer, NZI 2012, 385, 390; Laroche, NZI 2010, 965, 967; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.47. 241  Eckhoff, NZI 2013, 180, 181; ähnlich Berger, ZInsO 2016, 2111, 2114 f. 242  BGH, Urt. v. 15. 11. 2012 – IX ZR 169/11, BGHZ 195, 348 = NJW 2013, 1159. Diese Entscheidung des 9. Senats ist immenser Kritik ausgesetzt (vgl. bspw. Jacoby, ZIP 2014, 649, 652 f.; Foerste, ZInsO 2015, 601, 602; Huber, ZInsO 2016, 2130, 2133) und wurde vom 7. Senat im Anwendungsbereich deutlich begrenzt, BGH Urt. v. 7. 4. 2016 – VII ZR 56/15, NZI 2016, 532, 535 Rz. 43. 243  Berger, ZInsO 2016, 2111, 2114 f.; Eckhoff, NZI 2013, 180, 181. 244  Explizit in diesem Kontext Berger, ZInsO 2016, 2111, 2115; s. auch Frind, ZIP 2012, 1591, 1593. Zur besonderen Ausgestaltung dieses Rechts bei der Grundversorgung mit Strom jüngst OLG Karlsruhe, Beschl. v. 18. 5. 2016 – 14 U 172/15, MDR 2016, 1168. 245 Anders Eckhoff, NZI 2013, 180, 181 f. mit dem Hinweis auf die Argumentation des BGH, in der die Sicherung der Betriebsfortführung ins Zentrum gestellt wird. 246  Vgl. hierzu auch Frind, ZIP 2012, 1591, 1593 mit der wichtigen Anmerkung, dass eine entsprechende Hinweispflicht der anderen Partei nicht besteht. 247  Wiester, NZI 2003, 632, 634. 248  LG Mainz, Beschl. v. 20. 2. 2002 – 8 T 302/01, NZI 2002, 444, 445 zu eben diesem Fall.

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insbesondere zur Aufrechterhaltung des Betriebs – durch den Schuldner verweigert, so bleibt grds. nur die Möglichkeit, Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu ergreifen; allerdings führt auch dieser Weg nicht unbedingt kurzfristig zum Ziel. Zum einen geht die wohl herrschende Meinung davon aus, dass das Insolvenzgericht mit dem vorläufigen Verbot der Zwangsvollstreckung (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 InsO) auch die Vollstreckung vertretbarer Handlungen abwenden kann.249 Ein solcher Beschluss würde – die Bewahrung des schuldnerischen Betriebs im Blick – den Energielieferanten zur weiteren Leistungserbringung zwingen und diese Entrechtung „zu Gunsten der Insolvenzmasse perpetuier[en]“250. Doch auch wenn man davon ausginge, dass die Sperrung des Stromzählers durch einen Gerichtsvollzieher nicht über § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 InsO zu verhindern ist, wären u. U. sehr viele (Verfahrens-)Schritte notwendig, um den Zutritt zum schuldnerischen Grundstück zur Sperrung durchzusetzen. In der entsprechend langen Zwischenzeit würde der schuldnerische Betrieb vollwertige Leistungen beziehen, der Lieferant müsste hingegen – von der Insolvenzquote abgesehen – eine „Enteignung hinsichtlich des gesamten im Insolvenzeröffnungsverfahrens geleisteten Sachwerts“251 hinnehmen. Allgemein kann es aus den unterschiedlichsten Gründen dazu kommen, dass ein Vertragspartner seine Leistungserbringung nicht unverzüglich im Eröffnungsverfahren einstellen kann; immer dann ist die dargestellte „Zwangsbelastung“ zugunsten von Betrieb bzw. Masse denkbar.252 cc)  Belastung kenntnisloser Geschäftspartner Der schuldnerische Betrieb kann schließlich noch von den Leistungen „kenntnisloser“ Geschäftspartner im langen Insolvenzeröffnungsverfahren profitieren. Ursache dieser „Leistung gegen Quote“ ist kein rechtlicher oder faktischer Zwang, sondern vielmehr die Unkenntnis einzelner Neugläubiger bzw. deren unbegründetes Vertrauen. Zunächst ist zwar grds. davon auszugehen, dass dem Schuldner mit der publik gewordenen (mutmaßlichen) Insolvenz das verbliebene Vertrauen entzogen wird: Die meisten Gläubiger werden ihre Leistungen – wenn überhaupt – nur noch unter besonderen Absicherungen an den insolventen Betrieb bei „schwa-

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App, EWiR 2003, 377, 378; Rüntz, in: HK‑InsO, §  21 Rn.  31; Schröder, in: HambKomm-InsO, § 21 Rn. 54; Hölzle, in: Schmidt-InsO, § 21 Rn. 69; Haarmeyer, in: MüKoInsO, § 21 Rn. 72; Gerhardt, in: Jaeger-InsO, § 21 Rn. 38; wohl auch AG Göttingen, Beschl. v. 14. 8. 2003 – 74 AR 16/03, NZI 2003, 612; a. A. LG Mainz, Beschl. v. 20. 2. 2002 – 8 T 302/01, NZI 2002, 444; Blersch, in: BerlKomm-InsO, § 21 Rn. 34. 250  Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.46. 251  Berger, ZInsO 2016, 2111, 2115, mit dem Hinweis, dass demgegenüber der ebenfalls belastete Vermieter (hierzu zuvor) „nur“ hinsichtlich des Nutzwerts enteignet wird. 252 Ähnlich Homann, in: A/G/R‑InsO, § 55 Rn. 25.



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cher“ vorläufiger Verwaltung erbringen.253 Da diese Art der vorläufigen Verwaltung der praktische Regelfall ist, wird vielfach angenommen, dass die aus der Nichtanwendung von § 55 Abs. 2 InsO folgenden Risiken allgemein bekannt sind.254 Auch wenn diese Annahme im Grundsatz und für die meisten Gläubiger zutrifft, gilt sie nicht ausnahmslos. Betroffen sind insbesondere unerfahrene Vertragspartner, die „keine Insolvenzrechtsspezialisten sind und deshalb die feinen Unterschiede zwischen ‚starker‘, ‚halbstarker‘ und ‚schwacher‘ vorläufiger Insolvenzverwaltung nicht kennen“255. Die problematische Situation solcher unerfahrener oder uninformierter Vertragspartner wurde auch durch den Gesetzgeber thematisiert: Ob und wann Masse- bzw. Insolvenzforderungen begründet werden, sei für die Gläubiger nur schwer zu durchschauen.256 Die Leistung im Eröffnungsverfahren erfolgt oftmals, weil die Person des vorläufigen Verwalters und nicht dessen konkrete Rechtsstellung im Vordergrund steht.257 Gerade bei unerfahrenen Marktteilnehmern und kleinen Betrieben sind die Risiken einer (Vor-)Leistung im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht selten unbekannt,258 sodass diese – insbesondere angesichts der Autorität eines vorläufigen Insolvenzverwalters259 – zugunsten der Betriebsfortführungen „Leistungen erbringen und erst nach Vorleistung und Rechnungsstellung erkennen, dass die ihnen haftende Vermögensmasse […] zu ihrer Befriedigung nicht ausreicht“260. Eine Absicherung der neuen Forderungen können im Grunde nur solche Neugläubiger aushandeln und durchsetzen, „die mit den entsprechenden Zusammenhängen vertraut sind und das Risiko der Einstufung ihres Anspruchs als Insolvenzforderung kennen“261. Für alle anderen besteht zumindest grds. 253  Wiester, NZI 2003, 632, 634; Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, S. 341 Fn. 545; Laroche, NZI 2010, 965, 967; Marotzke, Das Unternehmen in der Insolvenz, S. 5; Pohlmann, Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, S. 158, 162 f. 254  Vallender, NZI 2005, 599, 601. So auch die Stellungnahme des Bundesrats, BR‑Drs. 618/08 (Beschluss), S. 6. Auch der BGH schloss früh „jedes berechtigte Vertrauen“ aus, BGH, Urt. v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, 368 = NZI 2002, 543, 546. 255  Marotzke, ZIP 2005, 2144, 2146. Ähnlich ders., ZInsO 2004, 178, 186; ders., ZInsO 2010, 2163, 2173 f. Vgl. auch Blankenburg, ZInsO 2016, 1337, 1338; Binder, KTS 2006, 1, 26; Pape, ZInsO 2009, 1, 3; ders./Schaltke, in: K/P/B‑InsO, § 55 Rn. 212; Krelhaus, Insolvenzfeste Geschäftsfortführung, S. 239 f. 256  RegE Gesetz zum Pfändungsschutz und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung, BT‑Drs. 16/886, S. 12. 257  Ebd., dagegen allerdings der Bundesrat (vgl. Fn. 254). Zustimmend bspw. Stamm, in: FS Beck, S. 509, 513; Binder, KTS 2006, 1, 26; Marotzke, ZInsO 2004, 178, 180; Vgl. auch die Position des RechtsA zum RegE ESUG, der festhält, dass das Vertrauen im Eröffnungsverfahren „häufig an die Person des vorläufigen Verwalters geknüpft [ist]“, BT‑Drs. 17/7511, S. 37 (Hervorhebung durch den Verfasser). So auch Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 23. 258  Pape, ZInsO 2009, 1, 3; Marotzke, ZInsO 2004, 178, 180; ders., ZIP 2005, 2144, 2145 f. 259 Vgl. Binder, KTS 2006, 1, 26 f.; noch drastischer zur „irreführenden […] Amtsbezeichnung“ des (vorläufigen) Verwalters Marotzke, ZInsO 2004, 178, 180 Fn. 103. 260  Marotzke, ZInsO 2010, 2163, 2176. 261  Pape/Schaltke, in: K/P/B‑InsO, § 55 Rn. 231. Ähnlich auch Blankenburg, ZInsO 2016,

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die Gefahr, in der Phase des Eröffnungsverfahrens aus Unwissenheit zur Leistung ohne Befriedigungsaussichten „gezwungen“ zu sein. d) Zwischenfazit Die selektive Ungleichbehandlung von Neugläubigern im Eröffnungsverfahren steht im Ausgangspunkt mit dem insolvenzrechtlichen System im Einklang und ermöglicht grds. die sachgerechte Differenzierung von Insolvenz- und Massegläubigern. Nur derjenige, der die vorläufige Verwaltung des schuldnerischen Vermögens und die Fortführung des Betriebs für das (spätere) Insolvenzverfahren unterstützt und möglich macht, darf gegenüber anderen Gläubigern privilegiert werden. Bestimmt man nach solchen materiell-inhaltlichen Gesichtspunkten, wofür Masseforderungen begründet werden können (und müssen), so kommt man zu dem Schluss, dass auch die Geschäftspartner, die zur massemehrenden und oft betriebsnotwendigen Leistungsfortsetzung im Eröffnungsverfahren (rechtlich, faktisch oder durch Unkenntnis) gezwungen sind, privilegiert werden müssen.262 Die derzeitige Praxis, nach der zumindest im Einzelfall betriebsnotwendige Leistungen in Anspruch genommen werden, ohne die volle, adäquate Gegenleistung zu erbringen, ist mit der Dogmatik des Insolvenzrechts unvereinbar.263 Zugespitzt ausgedrückt: „Den Preis für die Unternehmensfortführung zahlen [insbesondere auch] die Dummen und die durch juristische Fesseln Behinderten.“264 Auch der Gesetzgeber erkannte die beschriebene Problematik, zog jedoch letztlich keine legislative Konsequenz. Bei Schaffung des neuen Insolvenzrechts sah man den Schutz von (Neu-)Gläubigern, die zugunsten eines vorläufig verwalteten Betriebs Leistungen im Eröffnungsverfahren erbringen, zunächst noch mit § 55 Abs. 2 InsO verwirklicht.265 Später wurde sehr kritisch wahrgenommen, dass sich diese Erwartung nicht erfüllt hatte, sondern dass 1337, 1338. Zur Konsequenz fehlender wirtschaftlicher Macht auch Krelhaus, Insolvenzfeste Geschäftsfortführung, S. 75. 262  Vgl. bspw. Jacoby, in: Jaeger-InsO, § 112 Rn. 35; Mönning, in: Nerlich/RömermannInsO, § 21 Rn. 217; Frind, ZInsO 2012, 1357, 1359; Pape/Uhlenbruck, ZIP 2005, 417, 419 f.; v. Wilmowsky, ZInsO 2004, 882, 887; Förster, ZInsO 2001, 790, 791. Ähnlich die Gedanken von Parzinger, der eine adäquate Kompensation aus dem allgemeinen Aufopferungsanspruch ableitet (Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 265). 263 Ganz ähnlich Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 21 Rn. 100; Krelhaus, Insolvenzfeste Geschäftsfortführung, S. 239 f. Zum Äquivalenzprinzip von Leistung und Gegenleistung bei Masseschulden insofern überzeugend Undritz, NZI 2003, 136, 140, der gleichwohl die gängige Praxis und auch die Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens nicht kritisch sieht. Vgl. auch Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 66 Fn. 431. 264  Marotzke, ZInsO 2010, 2163, 2176 (Einfügung durch den Verfasser). 265  RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 126, wobei die Anwendung der Norm („starke“ vorläufige Verwaltung und Masseschuldbegründung) noch als Regelfall vermutet wurde (S. 148).



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vielmehr „manche schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter ihre Rechtsstellung gezielt ausnutzen, um die Masse durch aktive Gestaltungen […] weiter anzureichern“266. Anstatt allerdings alle hiervon betroffenen Gläubiger zu schützen, bspw. also auch fortleistende Vertragspartner,267 fokussiert man sich schließlich allein auf die Stellung des Fiskus. Dieser sei „Zwangsgläubiger“ und „gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt, die im Eröffnungsverfahren Vorkehrungen gegen drohende Verluste durchsetzen können“268. Für die Geschäftspartner, die sich gegen ähnliche Verluste durch Leistungszwang im Eröffnungsverfahren ebenfalls nicht zur Wehr setzen können, fehlt es an einem entsprechenden Schutz;269 in die „gebotene Balance zwischen Freiheit und […] Verantwortung der Gläubiger“270 wird einseitig zugunsten der vorläufigen Verwaltung, Betriebsfortführung und Sanierungshoffnung eingegriffen. e)  Bedeutung des verlängerten Eröffnungsverfahrens Bei der dargestellten Thematik der Zwangsbelastung und „Entrechtung einzelner Insolvenzgläubiger“271 handelt es sich um ein allgemeines Problem des Eröffnungsverfahrens, das zunächst nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dessen Dauer oder der Frage nach der Eröffnungsverzögerung steht: Einige Leistungen aus dieser Phase werden systemwidrig lediglich als Insolvenzforderungen beglichen, obwohl sie in ihrem materiellen Kern Masseforderungen begründen müssten; dies gilt unabhängig davon, ob das Eröffnungsverfahren mehrere Monate oder nur wenige Tage dauert. Mittelbar ist die Dauer zwischen Antrag und Eröffnung allerdings von immenser Bedeutung. Zunächst lässt sich ein objektiv-sachlicher Aspekt in den Fokus rücken. Die be- und entlastende Wirkung der „Leistung gegen Quote“ bei einer typischen vorläufigen Verwaltung vervielfacht bzw. verringert sich abhängig davon, wie lange das Eröffnungsverfahren andauert. Je schneller es zur Eröffnung kommt, desto geringer sind die Belastungen – und umgekehrt. Erkennt man in der Betriebsfortführung und Verwaltung auf Kosten einzelner „Zwangsgläubiger“ eine systemwidrige Sonderbelastung, so lassen sich durch eine Verkürzung des Eröffnungsverfahrens die unerwünschten Konsequenzen zumindest begrenzen: „Es liegt auf der Hand, dass sich solche Überbrückungs266  RegE HBeglG 2011, BT‑Drs. 17/3030, S. 43 (allerdings beschränkt auf die Belastung des Fiskus). 267  Diesen Ansatz verfolgte noch der (gescheiterte) RegE, BT‑Drs. 16/886, S. 11 f. (vgl. S. 219 Fn. 256). Eingehend hierzu Bauer, DZWIR 2007, 188; Weiland, Par condicio creditorum, S. 136 ff. 268  RegE HBeglG 2011, BT‑Drs. 17/3030, S. 43 (vgl. auch S. 23, 42). 269  Marotzke, ZInsO 2010, 2163, 2173 ff.; Stamm, in: FS Beck, S. 509, 513; Pape/Uhlenbruck, ZIP 2005, 417, 419 f.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.37a, 7.46. 270  Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, S. 343. 271  Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.46.

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hilfen umso eher rechtfertigen lassen, je kürzer man den zu überbrückenden Zeitraum hält.“272 Dieser Gedanke lässt sich aus einer eher normativen Perspektive noch zuspitzen: Solange noch unklar ist, ob einem Insolvenzantrag stattgegeben werden kann, muss das beantragte Insolvenzverfahren noch in der Schwebe des Eröffnungsverfahrens gehalten werden; die dargestellte Belastung ließe sich hier noch als „Nebeneffekt“ der notwendigen Prüfungsphase hinnehmen. Steht allerdings fest, dass die Eröffnungsvoraussetzungen vorliegen, wird der prozessuale Eintritt in das Insolvenzverfahren gleichwohl aufgeschoben, so lässt sich die Sonderbelastung nicht mehr rechtfertigen. Das Insolvenzgericht hat als Instanz staatlicher Vollstreckungsgewalt „neutral zwischen allen Beteiligten zu entscheiden und darf sich nicht allein mit den Interessen der [Insolvenzmasse] identifizieren“273. Eine bewusste Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens mit dem Effekt oder gar der Intention,274 Betrieb und Masse einseitig zum Nachteil bestimmter Gläubiger oder Drittschuldner anzureichern, ist mit diesem Neutralitätsgebot nicht vereinbar.275 Auch dem vorläufigen Insolvenzverwalter kommt eine solche Unabhängigkeit zu, er muss die Interessen aller Beteiligten wahren.276 Ein hierzu konträres Kalkül, das bei einer Verzögerung der Eröffnung offen zu Tage tritt, ist nicht schützenswert.277 Nur durch die unverzügliche Verfahrenseröffnung bei Entscheidungsreife kommen die Insolvenzgerichte ihrer allseitig ausgerichteten Amtspflicht nach und vermeiden systemwidrige „aufgezwungene Vermögensopfer“278. 2.  Lücken im Insolvenzeingangsschutz Ein weiterer problematischer Aspekt der langen Dauer des Eröffnungsverfahrens ergibt sich hinsichtlich der Funktion des Insolvenzeingangsschutzes: In der Phase zwischen Antrag und Entscheidung soll und muss primär geprüft werden, ob die Eröffnungsvoraussetzungen, insbesondere Insolvenzgründe, ge272 

Marotzke, ZInsO 2004, 178, 186. Kirchhof, in: HK‑InsO, 7. Aufl., § 27 Rn. 16. 274  Insoweit ganz offen Blankenburg, ZInsO 2016, 1337, 1338; Siemon, NZI 2016, 688, 689. Vgl. auch Homann, in: A/G/R‑InsO, § 55 Rn. 25 und Pape, in: K/P/B‑InsO, § 21 Rn. 40g („Diese Gefahr liegt durchaus nahe“). 275  Kirchhof, in: HK‑InsO, 7. Aufl., § 27 Rn. 16; nachdrücklich zustimmend Marotzke, ZInsO 2004, 178, 187. Ähnlich auch Holzer, in: K/P/B‑InsO, § 27 Rn. 49 f. 276  Pohlmann, Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, S. 36. Vgl. auch Jungclaus/Keller, NZI 2010, 808, 809; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rn. 1162; Marotzke, ZInsO 2004, 178, 180. 277  Förster, ZInsO 2001, 790, 791. Ähnlich Pape/Schaltke, in: K/P/B‑InsO, § 55 Rn. 211. („unlauter“). 278  RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 78; solche Opfer seien „im Hinblick auf die von den Beteiligten […] während des Verfahrens hinzunehmenden Nachteile zu vermeiden“. Vgl. hierzu auch Stürner, in: MüKo-InsO, Einl. Rn. 3. 273 



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geben sind. Da sich mit dem (eröffneten) Verfahren regelmäßig drastische Einschnitte in die Rechtspositionen der Beteiligten verbinden – bspw. der Verlust von Verfügungs- und Verwaltungsbefugnissen, von Gesellschaftsanteilen, von (Teil-)Forderungen, von Vollstreckungsmöglichkeiten – bedarf es der gerichtlichen Feststellung der Insolvenz.279 Die Legitimation des Insolvenzverfahrens erfolgt also zum einen durch die Notwendigkeit eines materiellen Insolvenzgrundes und zum anderen durch dessen Feststellung im rechtsstaatlichen Verfahren.280 Dieses Konzept bewahrt Schuldner, Gläubiger und Gesellschafter vor Fehleinschätzungen und ‑entscheidungen und verhindert gleichzeitig, dass das Insolvenzverfahren (ggf. „missbräuchlich“) durch Einzelne „beliebig zu strategischen Zwecken eingesetzt werden kann“281. Der prima facie überzeugende Insolvenzeingangsschutz offenbart jedoch für bestimmte Konstellationen nicht unerhebliche Lücken – ausgelöst durch den großen zeitlichen Abstand zwischen Antrag und Entscheidung. a)  Unzulänglichkeit des Kontrollverfahrens Das allgemeine strukturelle Defizit des Kontrollverfahrens liegt in der Tatsache, dass die Behauptung und die Prüfung bzw. Feststellung des Insolvenzgrundes zeitlich auseinanderfallen: Die Prüfung des Insolvenzgerichts, ob ein Eröffnungsgrund gegeben ist, bezieht sich immer auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung;282 ob der Insolvenzgrund schon zum Zeitpunkt der Antragstellung vorlag oder erst im Eröffnungsverfahren entstand, ist hingegen unerheblich.283 Zwischen der Behauptung der Insolvenz im Antrag und der diesbezüglichen Entscheidung des Gerichts vergehen oftmals Wochen oder Monate, in denen sich die Vermögens- und Liquiditätslage des Schuldners entscheidend verändern kann.284 Besonders brisant und problematisch wird diese Divergenz durch die typischen negativen Folgen von Insolvenzantrag und vorläufiger Vermögenssicherung: Wird öffentlich bzw. unter den Gläubigern bekannt, dass das Insolvenzverfahren beantragt wurde, so setzt regelmäßig ein Automatismus ein, der die schuldnerische Krise massiv intensiviert. Gläubiger stellen Forderungen fällig, Leasing- und Lieferverträge werden gekündigt, Sicherungsabtretungen 279 Vgl. zuvor schon S. 16 ff. sowie Mock, in: Uhlenbruck-InsO, § 16 Rn. 3 f.; Bulgrin, Die strategische Insolvenz, S. 116, 151; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.16. 280  Schmidt, in: Schmidt-InsO, § 16 Rn. 1 („doppelte Legitimation“). 281  Bulgrin, Die strategische Insolvenz, S. 116. Ähnlich Mönning/Schäfer/Schiller, BB 2017, Beilage zu Heft 25, 1, 3; Thole, ZIP 2013, 1937, 1943. 282  BGH, Beschl. v. 27. 7. 2006 – IX ZB 204/04, BGHZ 169, 17 = ZIP 2006, 1957. S. Mock, in: Uhlenbruck-InsO, § 16 Rn. 21. 283  BGH, Beschl. v. 8. 11. 2007 – IX ZB 201/03, ZInsO 2007, 1275. Bork, Insolvenzrecht, Rn. 104; Marotzke, ZInsO 2015, 325, 333; Schröder, in: HambKomm-InsO, § 16 Rn. 14; Pape/ Radtke, in: K/P/B, § 16 Rn. 33; Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 640. 284  Brinkmann, in: Brinkmann/Shirvani, Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 155, 170.

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werden offengelegt, Banken kündigen Kreditlinien, Lieferanten leisten – wenn überhaupt – nur noch gegen Vorkasse, Einziehungsermächtigungen werden widerrufen, absonderungsberechtigte Gläubiger entfernen wichtige Güter aus dem Betrieb.285 Sobald die Geschäftsbeziehungen auf diese Weise in den „Krisenmodus“286 geschaltet werden, verliert der Schuldner seine letzten Liquiditätsreserven und die Fortführungsaussichten für den schuldnerischen Betrieb verschlechtern sich dramatisch. Schon mit Bekanntwerden des Antrags, also noch bevor überhaupt feststeht, ob tatsächlich ein Insolvenzgrund besteht, entfaltet das „Stigma der Insolvenz“ seine Wirkungen.287 Selbst wenn der Schuldner bei Antragstellung also noch nicht insolvent gewesen sein sollte, tritt ein Eröffnungsgrund in aller Regel im Laufe des Eröffnungsverfahrens ein.288 Praktisch kommt es deshalb so gut wie nie dazu, dass ein Antrag als unbegründet abgewiesen wird.289 Auch einem zunächst unbegründeten Insolvenzantrag muss zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung oftmals stattgegeben werden. Der Insolvenzantrag erhält so die problematische Eigenschaft einer self-fulfilling prophecy; er „begründet sich gleichsam selbst“290. Im Konzept der Insolvenzordnung dient die gerichtliche Feststellung der materiellen Insolvenz als „schützende Pforte“: Nur wenn das Gericht in einer Momentaufnahme das Vorliegen eines Insolvenzgrundes feststellt, lassen sich die weitreichenden Eingriffe rechtfertigen, die mit dem Eintritt in das Insolvenzverfahren für alle Beteiligten verbunden sind. Durch den „sich selbst begründenden Insolvenzantrag“ droht diese Filterfunktion der Eröffnungsentscheidung verloren zu gehen. Die Feststellung der materiellen Insolvenz ist allerdings nicht nur für die Ausgangsentscheidung über das „Ob“ der Eröffnung fundamental; 285  Brinkmann, ZIP 2014, 197, 199; ders., in: FS Schilken, S. 631, 638 f.; Laroche, ZInsO 2015, 2511, 2513; Klinck, ZIP 2013, 853, 854; Roth, Interessenwiderstreit im Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 42; Icks/Kranzusch, Sanierung in Insolvenzverfahren, S. 74; Braun, in: FS Drukarczyk, S. 93, 95, 97; Bulgrin, Die strategische Insolvenz, S. 134; Tetzlaff, in: MüKo-InsO, § 270 Rn. 35; Heese, Gläubigerinformation im Insolvenzverfahren, S. 80 f. 286  Marotzke, ZInsO 2015, 325, 333. 287 Eingehend Siemon, NZI 2016, 57, 59. Zur Problematik von Insolvenzstigma und -kultur m. w. N. Geldmacher, Das präventive Sanierungsverfahren, S. 33 f.; Vallender, NZI 2010, 838. Reputationsverlust und Stigma lassen sich für das Eröffnungsverfahren durch eine vorläufige Eigenverwaltung und die (deutlich positiver besetzte) Terminologie des „Schutzschirmverfahrens“ abschwächen, so Brinkmann, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.54; ähnlich Muschiol, ZInsO 2016, 248, 259. 288  Brinkmann, in: Brinkmann/Shirvani, Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 155, 170; ders., in: FS Schilken, S. 631, 640; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, S. 25; Bulgrin, Die strategische Insolvenz, S. 134; Heese, Gläubigerinformation im Insolvenzverfahren, S. 81; Marotzke, ZInsO 2015, 325, 333; Tetzlaff, in: MüKo-InsO, § 270 Rn. 35. 289  Frind, ZInsO 2016, 2337, 2340. 290  Brinkmann, in: Brinkmann/Shirvani, Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 155, 170. Vgl. auch ders. ZIP 2014, 197, 199; Hölzle, NZI 2011, 124, 130; Himmelsbach/Thonfeld, NZI 2001, 11, 15.



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auch viele weitere gesetzliche Abwägungen innerhalb der insolvenzrechtlichen Verfahrensarchitektur orientieren sich an diesem entscheidenden Fixpunkt. Verdeutlichen lässt sich dies am Beispiel einer Gesellschaftsübernahme durch die Gläubiger mittels eines Insolvenzplans.291 Ist eine Gesellschaft tatsächlich materiell insolvent, sind die beteiligten Gesellschafter nicht mehr schutzwürdig bzw. -bedürftig, bspw. weil in ihren Anteilen kein wirtschaftlicher Wert mehr verkörpert ist.292 Das Vorliegen eines Insolvenzgrundes rechtfertigt es, den Altgesellschaftern ihre Anteile entschädigungslos zu entziehen und allein die Gläubiger als Neugesellschafter am (nun sanierten) Unternehmen zu beteiligen.293 Führt allerdings erst das publik gewordene Eröffnungsverfahren dazu, dass ein solcher Grund entsteht, so fehlt die notwendige Rechtfertigung; die Altgesellschafter können in diesem Beispiel dennoch nicht geltend machen, dass sie durch den Insolvenzplan schlechter gestellt werden, als sie ohne die Verfahrenseröffnung stünden.294 Zum Schutz der berechtigten Interessen von Schuldner, Gläubigern und Gesellschaftern, muss die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ohne Insolvenzgrund verhindert werden. Begründet sich allerdings der Insolvenzantrag selbst – durch das lange Eröffnungsverfahren mitsamt der öffentlichen Sicherungsmaßnahmen –, so ist die „Prüfung des Insolvenzgrunds […] insoweit keine effektive Insolvenzeingangskontrolle“295. b)  Grundlage für Manipulationsmöglichkeiten Was zuvor als eher abstraktes Problem des insolvenzrechtlichen Systems dargestellt wurde, kann u. U. Ausgangspunkt für bewusste Manipulationen sein. Derjenige, der im Einzelfall ein besonderes Interesse an der Einleitung bzw. Durchführung eines Insolvenzverfahrens hat, kann den beschriebenen „Dominoeffekt“296 des (langen) Eröffnungsverfahrens gezielt (aus-)nutzen, um Insolvenzgrund und -eröffnung herbeizuführen. Ein derartiger strategischer Ein-

291  Die praktische Umsetzung einer solchen Übernahme im Insolvenzplan erläutert Brinkmann, in: Brinkmann/Shirvani, Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 155, 159 ff. 292  So auch der Gesetzgeber in RegE ESUG, BT‑Drs. 17/5712, S. 32 sowie sehr früh in RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 92, 99. Sehr ausführlich zur Frage von Werthaltigkeit und Wertlosigkeit Pühl, Der Debt Equity Swap, S. 333 ff. 293  Zur Rechtfertigungswirkung der verschiedenen Insolvenzgründe Brinkmann, in: Brinkmann/Shirvani, Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 155,. 167 ff. 294  Brinkmann, ZIP 2014, 197, 201. Der hierbei relevante § 251 Abs. 1 InsO stellt zum Schutz der Gesellschafter lediglich die Alternativen von Insolvenzplan und Liquidationsinsolvenz gegeneinander. 295  Brinkmann, in: Brinkmann/Shirvani, Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 155, 170. 296  Bulgrin, Die strategische Insolvenz, S. 134; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, S. 25; Tetzlaff, in: MüKo-InsO, § 270 Rn. 35.

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satz ist sowohl bei Fremd- als auch bei Eigenanträgen aus unterschiedlichen Gründen denkbar. aa)  Strategischer Einsatz bei Gläubigeranträgen Gläubigeranträge werden im Regelfall nur dann gestellt, wenn sich der Gläubiger durch das Insolvenzverfahren einen besonderen Vorteil verspricht.297 Gerade die Neujustierungen des Insolvenzrechts in den letzten Jahren haben dazu geführt, dass die Einleitung eines Insolvenzverfahrens auch für Gläubiger besondere Vorteile verspricht. Ein prägnantes und aktuelles Beispiel ist insbesondere die bereits angesprochene Möglichkeit der Gesellschaftsübernahme durch Gläubiger: Das Insolvenz(plan)verfahren kann ggf. dazu genutzt werden, Altgesellschafter vollständig aus der Gesellschaft zu drängen und so eine im eigentlichen Sinne „feindliche Übernahme“ durchzuführen.298 Wie brisant diese Möglichkeit sein kann, wird augenfällig beim gezielten distressed debt investment. Hierbei kauft ein Investor zunächst eine Vielzahl von Forderungen gegen den Schuldner mit deutlichen Abschlägen, also unter ihrem Nennwert, auf. Über den Weg des Insolvenzverfahrens und des debt to equity swaps werden diese Forderungen gegen Gesellschaftsanteile umgetauscht, wobei i. d. R. die Altgesellschafter verdrängt werden.299 Möglich ist diese Art der Übernahme grds. nur im Insolvenzverfahren; das Verfahren ist deshalb „nicht unvermeidliches Übel, sondern notwendiges Mittel zum Zweck“300. Der „investierende“ Gläubiger ist also nach dem Ankauf der Forderungsmehrheit zwingend auf die Verfahrenseröffnung angewiesen – auch wenn ein Insolvenzgrund ggf. (noch) nicht vorliegen sollte.301 I. R. d. Antragstellung muss zwar zunächst glaubhaft gemacht werden, dass Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit vorliegt (§ 14 Abs. 1 S. 1 InsO). Geht das Gericht jedoch – ggf. zu Unrecht – davon aus, dass die Insolvenz überwiegend wahrscheinlich ist,302 so überschreitet das Verfahren den „point of no return“303; es kommt zu vorläufigen Sicherungsmaßnahmen, zur Publizität, zum 297 

Zum Gläubigerantrag als Kalkül Wegener, in: Uhlenbruck-InsO, § 14 Rn. 5. zu diesem Vorgehen Brinkmann, in: Brinkmann/Shirvani, Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 155, 159 ff., 163 f.; ders., WM 2017, 1033. Zum hierfür notwendigen Bezugsrechtsauschluss Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, S. 92 ff. 299  Ausführlich zu distressed debt investing im deutschen Insolvenzrecht Floerstedt, ZIP 2015, 2345; Siemon, ZInsO 2014, 172; Schmidt, ZIP 2012, 2085. Mit dem Vorschlag neuer Transparenzregeln eingehend hierzu Brinkmann, WM 2017, 1033. 300  Brinkmann, WM 2017, 1033, 1035. 301  Heese spricht in diesem Zusammenhang von der Gefahr der „gezielten Kreditschädigung durch den Fremdantragsteller“, Heese, Gläubigerinformation im Insolvenzverfahren, S. 81. 302 Ausführlich zu dieser letzten schützenden Schwelle Wegener, in: Uhlenbruck-InsO, § 14 Rn. 46 ff. S. auch Laumen/Vallender, NZI 2016, 609, 613 f. 303  Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 642. Zustimmend Zipperer, ZIP 2015, 2002, 2004. 298 Vgl.



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Insolvenzstigma und damit zum Eintritt der materiellen Insolvenz. Der Weg zur Übernahme ist eröffnet; ein effektiver Rechtsschutz gegen dieses Vorgehen gibt es für den Schuldner nicht.304 bb)  Strategischer Einsatz bei Schuldneranträgen Auch für den Schuldner kann die strategische Verfahrenseinleitung, bevor eine Antragspflicht gem. § 15a InsO besteht, vorteilhaft sein, um bspw. die Vorteile der vorläufigen Eigenverwaltung (§§ 270a, 270b InsO) nutzen zu können und so ggf. ein außergerichtlich gescheitertes Sanierungsvorhaben mittels eines Insolvenzplans (mit Mehrheitsprinzip und Obstruktionsverbot) durchzusetzen, um von tariflichen Bindungen freizukommen, um Verträge mit verkürzten Fristen zu kündigen etc.305 Der Eigenantrag bietet zudem die Möglichkeit, gesellschaftsinterne Streitigkeiten und Blockadesituationen „gewaltsam“ über das Insolvenzverfahren zu lösen. In einer solchen Konstellation könnte ein Mehrheitsgesellschafter das Insolvenz(plan)verfahren dazu nutzen, die (Minoritäts-) Rechte seiner Mitgesellschafter zu beschränken und so unliebsame Minderheitsgesellschafter „kaltzustellen“306. Der Antragsteller kann bei diesen und ähnlichen Strategien auf zwei Weisen von der sich selbst begründenden Wirkung des Antrags profitieren: Zum einen kann es vorkommen, dass ein Verfahren eingeleitet und betrieben wird, obwohl kein Insolvenzgrund vorliegt, also nicht einmal die Zahlungsunfähigkeit i. S. d. § 18 InsO droht. Die Insolvenz wird im Antrag zunächst nur behauptet bzw. vorgetäuscht.307 Die anschließende öffentliche Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, bspw. eines Schutzschirmverfahrens (§ 270b InsO), erfolgt in diesem Fall u. U. sehr viel schneller, als bei einem (unbegründeten) Gläubigerantrag; der Schuldner muss den Insolvenzgrund lediglich in substantiierter, nachvollziehbarer Form darlegen; Glaubhaftmachung ist nicht notwendig.308 Gelingt es 304  Auch die sofortige Beschwerde gegen die Anordnung der vorläufigen Maßnahmen (§ 21 Abs. 1 S. 2 InsO) hilft nicht, wenn die beschriebene Dynamik des Verfahrens zwischenzeitlich für den Eintritt der Insolvenz gesorgt hat. 305  Wegener, in: Uhlenbruck-InsO, § 13 Rn. 12, 52; Pape, in: K/P/B‑InsO, § 13 Rn. 219. Der Schuldner könnte versuchen, durch das Verfahren „einen Teil seiner Gläubiger loszuwerden“, Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 634. Zum Schuldnerkalkül allgemeiner Uhlenbruck, BB 2001, 1641, 1646. 306  Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 634. Ähnlich Thole, ZIP 2013, 1937, 1943; Marotzke, ZInsO 2015, 325, 333. Vgl. zum vieldiskutierten Gesellschafterstreit bei Suhrkamp s. bspw. Schäfer, ZIP 2015, 1208; Westermann, NZG 2015, 134; Möhlenkamp, BB 2013, 2828; Lang/Muschalle, NZI 2013, 953. 307  Auf diese Möglichkeit hinweisend Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 640; Bulgrin, Die strategische Insolvenz, S. 133; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, S. 81; ders., ZIP 2013, 1937, 1944; Marotzke, ZInsO 2015, 325, 333; Lang/Muschalle, NZI 2013, 953, 955 f.; Wegener, in: Uhlenbruck-InsO, 13. Aufl., § 13 Rn. 93; Pape, in: K/P/B‑ InsO, § 13 Rn. 219. 308  BGH, Beschl. v. 12. 12. 2002 – IX ZB 426/02, BGHZ 153, 205 = NZI 2003, 147; Lau-

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dem Mehrheitsgesellschafter „durch einigermaßen plausible Rechnerei die Insolvenz des Unternehmens zu belegen, wird das Gericht das Verfahren eröffnen, ohne kritisch nachzurechnen, und von diesem Moment an hat es der Mehrheitsgesellschafter geschafft: Gesellschaftsrechtliche Schutzinstrumente sind völlig bedeutungslos; die Differenz zwischen Fortführungs- und Liquidationswert darf den Gesellschaftern ohne Weiteres entzogen werden; irgendein wirksamer Rechtsschutz ist nicht in Sicht.“309 Zum anderen kann der Dominoeffekt des Antrags auch dann (aus-)genutzt werden, wenn der Insolvenzgrund der „drohenden Zahlungsunfähigkeit“ tatsächlich vorliegt. Wird der Insolvenzantrag in rechtsmissbräuchlicher Weise gestellt, was in den beschriebenen Konstellationen zumindest naheliegen dürfte,310 so müsste das Gericht den Antrag grds. mangels Rechtsschutzbedürfnisses zurückweisen.311 Das Insolvenzverfahren und seine Eingriffsmöglichkeiten sollen nicht zu verfahrensfremden Zwecken missbraucht werden.312 Die Missbräuchlichkeit wird das Insolvenzgericht allerdings i. d. R. erst sehr spät erkennen können, sodass zwischenzeitlich der Automatismus des Eröffnungsverfahrens bereits neue Fakten geschaffen hat – der Schuldner ist akut zahlungsunfähig bzw. überschuldet. Stellt das Insolvenzgericht fest, dass (mittlerweile) ein solcher zwingender Insolvenzgrund vorliegt, so darf es den Antrag nicht als missbräuchlich zurückweisen.313 Anderenfalls würden die Interessen der Gläubiger „sehenden Auges“ gefährdet, vermeidbare Verfahrenskosten erzeugt und der Insolvenzverschleppung Vorschub geleistet.314 Im Ergebnis führt das lange, öffentliche Eröffnungsverfahren dazu, dass es oftmals auch dann zur Verfahrenseröffnung kommt, wenn der Insolvenzantrag zunächst unbegründet oder missbräuchlich (aber ansonsten begründet) war.

men/Vallender, NZI 2016, 609, 611; Schmahl/Vuia, in: MüKo-InsO, § 13 Rn. 100 ff. Teilweise wird (insbes. für das Schutzschirmverfahren) kritisch angemerkt, die Insolvenzgründe stünden „faktisch in der Disposition derjenigen […], die das Verfahren betreiben“, Siemon, ZInsO 2014, 172, 178 f. 309  Schäfer, ZIP 2016, 1911, 1912. 310  Marotzke, ZInsO 2015, 325, 330; Brinkmann, ZIP 2014, 197, 200 ff.; ders., in: FS Schilken, S. 631, 634, 638 f.; Meyer, DB 2015, 538, 539; Bulgrin, Die strategische Insolvenz, S. 139 ff. Anders Madaus, ZIP 2014, 500, 501. 311  BGH, Beschl. v. 12. 12. 2002 – IX ZB 426/02, BGHZ 153, 205 = NJW 2003, 1187; BGH, Beschl. v. 19. 5. 2011 – IX ZB 214/10, NZI 2011, 540; Bulgrin, Die strategische Insolvenz, S. 143; Brinkmann, ZIP 2014, 197, 200; Thole, ZIP 2013, 1937, 1944. 312  Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.08; Brinkmann, ZIP 2014, 197, 199. 313  Bulgrin, Die strategische Insolvenz, S. 143 f.; Meyer, DB 2015, 538, 539; Brinkmann, ZIP 2014, 197, 200 f.; ähnlich Lang/Muschalle, NZI 2013, 953, 955. Auch ein missbräuchlicher Gläubigerantrag kann durch diesen Effekt zu einer Eröffnung führen. 314  Brinkmann, ZIP 2014, 197, 200 f.; Bulgrin, Die strategische Insolvenz, S. 143; Lang/ Muschalle, NZI 2013, 953, 955.



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c)  Bedeutung von Funktion und Dauer des Eröffnungsverfahrens Das Eröffnungsverfahren der Insolvenzordnung ist in zwei Stufen Ursache der kritischen Lücke im Insolvenzeingangsschutz: Dass es überhaupt eine Prüfungsphase zwischen Antrag und Insolvenzverfahren gibt, eröffnet den ersten Spalt für das (zeitliche) Auseinanderdriften dieser Verfahrensmomente; die typische Ausgestaltung und Funktion des Eröffnungsverfahrens in der Praxis reißt die Schutzlücke endgültig weit auf. Aus der Erkenntnis, dass allein das tatsächliche Vorliegen eines Insolvenzgrundes die Verfahrenseröffnung rechtfertigen kann, folgt unmittelbar, dass jedem Verfahren zwingend eine Phase zur gerichtlichen Antrags- und Insolvenzprüfung vorangehen muss. Problematisch wird dies immer dann, wenn diese Prüfung publik wird, insbesondere also, wenn Sicherungsmaßnahmen zugunsten von Masse und Betriebsfortführung erlassen und kommuniziert werden müssen.315 Wenn dies notwendig ist, wird oft schon eine vergleichsweise kurze Phase zwischen Antrag bzw. Erlass der Sicherungsmaßnahmen und Eröffnung die zuvor beschriebenen, kritischen Konsequenzen mit sich bringen. Sobald die – mutmaßliche oder vermeintliche – Insolvenz des Schuldners einmal publik geworden ist, wird es nur wenige Tage dauern, bis die Gläubiger die (insolvenzbegründenden) Maßnahmen eingeleitet haben. Durch eine Verkürzung des Eröffnungsverfahrens von mehreren Monaten auf wenige Wochen ließe sich diese Lücke im Insolvenzeingangsschutz nicht vollständig schließen.316 Reduzieren ließe sich allerdings die deutliche Ausweitung des Schutzdefizits auf zweiter Stufe, die mit der besonderen praktischen Ausgestaltung der Eröffnungsphase (in Funktion und Dauer) einhergeht: Gerade weil sich das Eröffnungsverfahren vielfach nicht auf die Funktion der möglichst schnellen (und diskreten) Antragsprüfung konzentriert,317 sondern schon die erste Phase der Insolvenzbewältigung ist,318 nimmt die Lücke im Insolvenzeingangsschutz ihr dramatisches Ausmaß an. Durch ein besonders kurzes Eröffnungsverfahren könnte der – u. U. zunächst noch solvente – Schuldner vor unbegründetem Reputationsverlust geschützt werden. Je kürzer diese Phase ist, desto geringer ist der „Selbstbegründungseffekt“ des Antrags. Mit jedem Tag, den das Eröffnungsverfahren länger andauert, wachsen dagegen ggf. vermeidbare Verluste.319 315  S. hierzu Heese, Gläubigerinformation im Insolvenzverfahren, S. 80 ff. Auslöser der Publizität kann zudem die Ad-hoc-Mitteilungspflicht aus § 15 WpHG sein. 316  Ohne Einfluss bleibt in diesem Kontext insbesondere die Frage nach Eröffnungspflicht und Eröffnungsermessen, die sich erst dann stellt, wenn der Insolvenzgrund bereits eingetreten (und festgestellt) ist. 317  Holzer, NZI 2013, 1049, 1053; Fritsche, DZWIR 2005, 265, 277; Ehricke, ZIP 2004, 2262, 2266; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb der vorläufigen Insolvenzverwaltung, § 1 Rn. 10 ff. 318  Zu den verschiedenen Funktionen und deren „Hierarchie“ vgl. S. 7 ff. 319  Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 634; Icks/Kranzusch, Sanierung in Insolvenzverfahren, S. 7.

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Insbesondere der (zeitliche und dogmatische) Bruch zwischen dem „materielle[n] Beginn des Insolvenzverfahrens“320 und dem formellen Eröffnungsbeschluss führt dazu, dass sich die tatsächlichen Grundlagen des Insolvenzantrags bis zum Zeitpunkt der Prüfung und Entscheidung „prozessual überholt“321 haben. Unabhängig davon, ob der Effekt des Antrags (als self-fulfilling prophecy) bewusst und missbräuchlich genutzt wird oder ob er ungewollt bspw. wegen einer Fehleinschätzung eintritt, stellt die gerichtliche Prüfung nach „Abschluss“ des Eröffnungsverfahrens keine effektive Insolvenzeingangskontrolle mehr dar.322 3.  Spannung zwischen Antrags- und Amtsverfahren Eine weitere problematische Konsequenz des langen – genauer: des bewusst verlängerten – Eröffnungsverfahrens ergibt sich aus dessen Stellung im Übergang zwischen privatautonomer Rechtsdurchsetzung und amtlicher, allseitiger Haftungsverwirklichung.323 Der Ausgangspunkt jedes Verfahrens wird zunächst vollständig von der Dispositionsmaxime bestimmt. Allein die Beteiligten haben es in der Hand, das Insolvenzverfahren durch den zwingend notwendigen Antrag in Gang zu setzen (§ 13 Abs. 1 S. 1 InsO). Es obliegt ihrer Autonomie und Eigenverantwortung zu entscheiden, ob und wann auf die schuldnerische Krise mit einem (öffentlichen und teuren) gerichtlichen Insolvenzverfahren reagiert werden soll.324 Solange weder Gläubiger noch Schuldner die Initiative ergreifen, darf der Staat nicht in die Realisierung privatrechtlicher Haftung eingreifen.325 Eine Verfahrenseinleitung von Amts wegen lehnte der Gesetzgeber deshalb als „mit der bestehenden Wirtschafts- und Privatrechtsordnung auch kaum vereinbar“326 ab.327 Im eröffneten Insolvenzverfahren enden allerdings die freie Parteiherrschaft und die (nur) zweiseitige Auseinandersetzung inter partes. Das Gesamtvollstreckungsverfahren ist keine reine Fortsetzung der Zwangsvollstreckung mit anderen Mitteln,328 sondern berücksichtigt eine Vielzahl von Interessen, löst 320 

Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 634. Zipperer, ZIP 2015, 2002, 2003. 322  Brinkmann, in: Brinkmann/Shirvani, Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 155, 170. 323  Vgl. zu diesem Übergang Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.01 ff. 324  Vuia, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 4 Rn. 1, 23 f.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.02. 325  Delhaes, Der Insolvenzantrag, S. 38 f. 326  RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 113. 327  Zudem stünde bei einer solchen Verfahrenseinleitung nach der Offizialmaxime wohl der enorme Aufwand (Melde- und Kontrollpflichten) in keinem angemessenen Verhältnis zum praktischen Nutzen, Delhaes, Der Insolvenzantrag, S. 36; Vuia, in: Gottwald, InsolvenzrechtsHdb, § 4 Rn. 1. 328 Anders allerdings Jungclaus/Keller, die vor einer „Art staatlichem Solvenz-Überwachungsverfahren“ warnen (Jungclaus/Keller, NZI 2010, 808). 321 



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sich vom anfänglichen Entschluss des Antragstellers und gewinnt so eine neue Qualität. Der Insolvenzantrag geht also zunächst vom Einzelnen aus, ist aber letztlich auf ein allseitiges Verfahren gerichtet, bei dem der Antragsteller keine Sonderrolle mehr einnimmt. Ihm wird das Initiativrecht nicht nur zum eigenen Nutzen zugebilligt, sondern zugleich auch im Interesse der Gesamtgläubigerschaft, deren gemeinschaftliche Befriedigung Zweck und Auftrag des gesamten Verfahrens ist (§ 1 S. 1 InsO).329 Besonders deutlich wird der Ansatz der Insolvenzordnung in der Antragspflicht bestimmter Schuldner (§ 15a InsO): Ein zentrales Anliegen ist die „rechtzeitige Einleitung des Insolvenzverfahrens und damit der Schutz sowohl der Altgläubiger vor weiterer Verringerung der Haftungsmasse als auch der Neugläubiger vor [einem] Vertragsabschluss mit notleidenden Gesellschaften“330. Ist ein Schuldner bereits materiell insolvent, so sollte idealerweise möglichst bald auch die formelle Insolvenz erklärt werden, um zum einen letzte Sanierungschancen zu erhalten und zum anderen Alt- und potentielle Neugläubiger vor (weiteren) Verlusten zu schützen.331 Das Spannungsverhältnis zwischen privatautonomer Verfahrenseinleitung und amtsseitiger Verfahrensdurchführung, zwischen Einzel- und Gemeinschaftsinteressen wird besonders im Eröffnungsverfahren deutlich: Schon hier richten sich die gerichtlichen Entscheidungen, die vorläufigen Maßnahmen, die Betriebsfortführung etc. an den Interessen aller Gläubiger aus.332 Zudem steht mit dem Eingang des Antrags zu vermuten, dass der allseitige Schutz des Verfahrens (wahrscheinlich) sinnvoll und notwendig ist. Gleichzeitig kann der Antragsteller allerdings seinen Antrag bis zur gerichtlichen Entscheidung frei zurücknehmen bzw. für erledigt erklären und so die Verfahrenseröffnung verhindern (§ 13 Abs. 2 InsO).333 Das Gericht kann weder die Rücknahme verhindern oder verbieten, noch das Verfahren trotz Antragsrücknahme eröffnen, selbst wenn es meint, die Verfahrensdurchführung sei im Interesse aller Gläubiger angezeigt.334

329 

Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.02; Schmahl/Vuia, in: MüKo-InsO, § 13 Rn. 3; RegE HBeglG 2011, BT‑Drs. 17/3030, S. 42. 330  RegE MoMiG, BT‑Drs. 16/6140, S. 55 (Einfügung durch den Verfasser). 331  Vuia, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 4 Rn. 1; Delhaes, Der Insolvenzantrag, S. 148 ff.; Schmidt/Herchen, in: Schmidt-InsO, § 15a InsO, Rn. 1 ff.; Bork, Insolvenzrecht, Rn. 12, 98. 332  § 21 Abs. 1 S. 1 InsO. Hierzu Schmahl, NZI 2002, 177, 185. Vgl. auch die entsprechende Einschätzung des Gesetzgebers in RegE HBeglG 2011, BT‑Drs. 17/3030, S. 42. 333  BGH, Beschl. v. 27. 7. 2006 – IX ZB 12/06, ZVI 2006, 564; Delhaes, in: KölSch, Kap. 4 Rn. 23 ff.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.02 („selbstverständlich“). 334  Vgl. auch Schmahl, NZI 2002, 177, 185.

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Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung

a)  Verdeutlichung des Problems und seiner Aktualität Die Tatsache, dass der Antragsteller dem Gericht in dieser prekären Phase die Entscheidungskompetenz entziehen kann, ruft immer wieder Bedenken hervor. Beispielhaft lässt sich dies an zwei aktuellen Diskussionen verdeutlichen: Zum einen stellt sich die Frage, wie mit einem Gläubigerantrag umzugehen ist, bei dem im Eröffnungsverfahren die (notwendige und glaubhaftgemachte) Forderung des Antragstellers beglichen wurde. Ein solcher Antrag musste (bis zur Reform der InsO) grds. als unzulässig abgewiesen oder zuvor zurückgenommen bzw. für erledigt erklärt werden.335 Dies galt selbst dann, wenn das Gericht bereits festgestellt hatte, dass ein (zwingender) Insolvenzgrund vorlag, mit der „bedenkliche[n] Folge […], dass ein an sich insolvenzreifes Unternehmen sehenden Auges in den Rechts- und Handelsverkehr entlassen werden muss[te]“336. Um diese Konsequenz zu vermeiden, wurde z. T. versucht, zumindest in Extremfällen die Rücknahme als rechtsmissbräuchlich und damit prozessual irrelevant einzuordnen.337 Insbesondere bei materieller Insolvenz und drohender Insolvenzverschleppung sollte die Rücknahme unwirksam sein.338 Vielfach wurde deshalb gefordert, die „Missstände im Antragsverfahren“339 von Grund auf zu bekämpfen: Sobald „ein zunächst begründeter Insolvenzantrag vorlieg[e], [müsse] der Amtsermittlungsgrundsatz gelten und eine Erledigung oder Abweisung ohne Sachaufklärung ausgeschlossen sein“340. Auch der Gesetzgeber machte in zwei Reformen deutlich, dass in derartigen Konstellationen ein „gravierendes Interesse daran [bestehe], ein insolventes Unternehmen an einer weiteren wirtschaftlichen Tätigkeit zu hindern“ und „das Entstehen neuer Verbindlichkeiten zu verhindern“341. Aus diesem Grund wurde mit der (zweifachen)342 Neufassung von § 14 Abs. 1 S. 2 InsO dafür gesorgt, dass Verfahren auch dann fortgesetzt werden können, wenn die dem Antrag zugrundeliegende Forderung beglichen wurde. Die Frage der materiellen Insolvenz soll so möglichst frühzeitig geklärt und „die Fortsetzung der wirt335 

Schmahl/Vuia, in: MüKo-InsO, § 14 Rn. 32. Jungclaus/Keller, NZI 2010, 808. 337  Ausführlich m. w. N. Schmahl/Vuia, in: MüKo-InsO, § 13 Rn. 141 ff.; LG Duisburg, Beschl. v. 28. 11. 2008 – 7 T 231/08, NZI 2009, 911; AG Hamburg, Beschl. v. 10. 10. 2002 – 67c IN 377/02, NZI 2003, 104. 338  Gundlach, in: Schmidt-InsO, § 13 Rn. 36; näher auch Zipperer, NZI 2010, 281, 283. 339  Kolbach, ZInsO 2015, 1422, 1423. 340  Ebd.; vgl. auch den Ansatz von Frind, ZInsO 2016, 2337, 2340. 341  RegE HBeglG 2011, BT‑Drs. 17/3030, S. 42, mit besonderer Betonung der Interessen von Fiskus und Sozialversicherungen. Ganz ähnlich die Begründung in RegE Insolvenzanfechtungsreform, BT‑Drs. 18/7054, S. 16. 342 Zunächst wurde 2011 die Möglichkeit geschaffen, das Verfahren unter besonderen Voraussetzungen trotz Antragserfüllung weiterzuführen; 2017 wurde diese enge Begrenzung aufgehoben. § 14 Abs. 1 S. 2 InsO lautet nun: „Der Antrag wird nicht allein dadurch unzulässig, dass die Forderung erfüllt wird.“ 336 



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schaftlichen Aktivitäten insolvenzreifer Unternehmen rechtzeitig unterbunden [werden]“343. Noch deutlicher wird die Spannung zwischen Gläubigerschutz und Privatautonomie zum anderen bei Eigenanträgen, die trotz bestehender Antragspflicht (§ 15a InsO) vom Schuldner zurückgenommen werden. Auch hier gilt zunächst grds. die Dispositionsmaxime. Selbst wenn der Schuldner weiß, dass er zahlungsunfähig bzw. überschuldet ist und eine gesetzliche Pflicht zur Antragstellung besteht, kann er den (pflichtgemäßen) Antrag zurücknehmen und so die Eröffnung verhindern.344 Insbesondere der prominente Streit um die Rücknahmeberechtigung unterschiedlicher Organe einer Schuldnergesellschaft legt den Konflikt zwischen Recht und Pflicht offen: Nach herrschender Ansicht kann nur diejenige Person den Insolvenzantrag zurücknehmen, die ihn auch (für die schuldnerische Gesellschaft) gestellt hat.345 Die Erweiterung der Antragsbefugnis durch § 15 Abs. 1 InsO auf alle Organmitglieder würde „sinnlos, wenn ein Organmitglied den Insolvenzantrag stellen, ein anderes diesen Antrag jedoch sofort zurücknehmen könnte. […] Der beabsichtigte Schutz des Rechtsverkehrs würde [dann] nicht erreicht“346. Gleichwohl kann der Antrag durch den Antragsteller selbst oder, falls dieser nicht mehr Organ des Schuldners ist, auch durch andere Personen zurückgenommen werden.347 Besteht in diesem Moment ein zwingender Insolvenzgrund und damit die Antragspflicht des § 15a InsO, so macht sich das rücknehmende Organ zwar strafbar und schadensersatzpflichtig,348 gleichwohl darf das

343  RegE Insolvenzanfechtungsreform, BT‑Drs. 18/7054, S. 16. Diese „Scharfschaltung“ des Gläubigerantrags wird ganz überwiegend begrüßt, s. Frind, ZInsO 2015, 2049; Hacker, NZI 2017, 148, 149; Schmidt/Gundlach, DStR 2017, 2177, 2180 f. Eingehend hierzu, mit besonderem Fokus auf der gerichtlichen Praxis Laroche, ZInsO 2015, 2511; Frind, NZI 2017, 417; Webel, ZInsO 2017 2261. Zur Kostentragung Foerste, ZInsO 2017, 1263; Marotzke, ZInsO 2015, 2397. 344  BGH, Beschl. v. 10. 7. 2008 – IX ZB 122/07, NZI 2008, 550, 551 Rz. 6 ff.; Zipperer, in: Uhlenbruck, § 270a Rn. 34. Die Rücknahme könnte allerdings wegen Rechtsmissbräuchlichkeit – zumindest bei offenkundiger Antragspflicht – zurückzuweisen sein, hierzu sogleich. 345  Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.02; Sternal, in: HK‑InsO, § 13 Rn. 29; m. w. N. Klöhn, in: MüKo-InsO, § 15 Rn. 83. A. A. mit umfassender Darstellung des Streits Delhaes, in: KölSch, Kap. 4 Rn. 29 ff. 346  BGH, Beschl. v. 10. 7. 2008 – IX ZB 122/07, NZI 2008, 550, 551 Rz. 11 (Einfügung durch den Verfasser); trotz dieser Feststellung lässt der BGH die Streitfrage (im Allgemeinen) offen, s. Rz. 12. Vgl. hierzu Zipperer, NZI 2010, 281, 282. 347  S. BGH, ebd. Die Konsequenz wird wohl nicht selten sein, dass der Antragsteller von den Gesellschaftern abgesetzt, der Antrag von einem neuen Organ zurückgenommen und das Verfahren so verhindert wird, vgl. Bulgrin, Die strategische Insolvenz, S. 166 f. 348  Schmerbach, in: FK‑InsO, § 15a Rn. 36 ff.; Müller, in: Jaeger-InsO, § 15 Rn. 59. Allerdings dürften die Gläubiger häufig kaum praktisch von der Haftung profitieren, vgl. hierzu Pape, in: K/P/B‑InsO, § 13 Rn. 233.

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Gericht, trotz der offensichtlichen Schutzwürdigkeit der Gläubigergesamtheit, die Rücknahme nicht ignorieren.349 Dieses Ergebnis – Abbruch des begonnenen und gesetzlich vorgeschriebenen Wegs in das gebotene Gesamtvollstreckungsverfahren – ist durchaus massiver Kritik ausgesetzt. Immer öfter wird deshalb – teils explizit, teils eher implizit – die Ansicht geäußert, dass die Rücknahme des Eigenantrags bei Vorliegen eines zwingenden Insolvenzgrunds, also Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, nicht mehr möglich bzw. als rechtsmissbräuchlich zurückzuweisen ist.350 Um für eine möglichst rechtzeitige Verfahrenseröffnung zu sorgen und um die Interessen und Belange der Gläubigergemeinschaft zu schützen, versperrt die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO dem Antragsteller den Rückweg in die Zeit vor Antragstellung.351 Auch der Gesetzgeber machte bei Schaffung des ESUG deutlich, dass er zumindest tendenziell eine solche Einschätzung teilt: Bei einem Eigenantrag (hier im Kontext der beantragten vorläufigen Eigenverwaltung, § 270a InsO) würde eine Antragsrücknahme „häufig daran scheitern, dass zusätzlich zur drohenden Zahlungsunfähigkeit auch Überschuldung vorliegt und damit nach § 15a InsO eine Pflicht zur Stellung eines Eröffnungsantrags besteht“352. b)  Problematik bei Eröffnungsverzögerung Die Frage, wie sich ein adäquater Ausgleich zwischen Gläubigerschutz und Schuldnerschutz, zwischen rechtzeitiger Verfahrenseinleitung und Wahrung privatautonomer Entscheidungsfreiheit erreichen lässt, ist aktueller denn je und hat gerade bei der bewussten Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens besondere Bedeutung. Mit § 13 Abs. 2 InsO wird im Interesse der Rechtssicherheit eine exakte zeitliche Grenze für die Rücknahmemöglichkeit gesetzt:353 Mit der Eröffnungsentscheidung endet jegliche Dispositionsfreiheit des Antragstellers, es beginnt endgültig das Amtsverfahren, von dem nun auch bisher unbeteiligte Dritte, insbesondere die Gläubigergesamtheit, unmittelbar betroffen sind.354 349 

Delhaes, Der Insolvenzantrag, S. 192 ff. Hölzle, NZI 2011, 124, 130; Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 693, 695; Kern, in: MüKoInsO, § 270a Rn. 61; Riggert, in: Braun-InsO, § 270a Rn. 8; allgemeiner Kolbach, ZInsO 2015, 1422, 1423. Mit Hinweis auf die Rechtsmissbräuchlichkeit einer solchen Rücknahme Bulgrin, Die strategische Insolvenz, S. 167; Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1343 f. Vgl. hierzu Zipperer, NZI 2012, 385, 389. Auch der BGH (Fn. 346) wies auf diese Möglichkeit hin, ohne jedoch konkret zu werden; kritisch hierzu Horstkotte, ZInsO 2017, 146. 351 Vgl. Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1343 f.; ähnlich Hölzle, NZI 2011, 124, 130. 352  RegE ESUG, BT‑Drs. 17/5712, S. 40 (Hervorhebung durch den Verfasser). 353  RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 113; Delhaes, in: KölSch, Kap. 4 Rn. 24. 354  BGH, Beschl. v. 27. 7. 2006 – IX ZB 12/06, ZVI 2006, 564; Schmahl/Vuia, in: MüKoInsO, § 13 Rn. 3, 118 f.; Delhaes, in: KölSch, Kap. 4 Rn. 23 f. 350 



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Wird dem Insolvenzgericht bzgl. des Eröffnungszeitpunkts nun ein Ermessen zugestanden, so weicht die klare Grenzziehung auf. Mit Eintritt der Entscheidungsreife würde im Normalfall die Eröffnung erklärt und die Rücknahmemöglichkeit beendet. Schiebt das Gericht allerdings die Entscheidung bewusst auf, ergibt sich das Risiko, dass der Antrag innerhalb des „überobligatorischen Zeitraums“ zurückgenommen wird. In diesem Fall würde dem Gericht nicht allein die Prüfungskompetenz genommen, sondern sogar die Möglichkeit, trotz Entscheidungsreife zu eröffnen. Zwar ist davon auszugehen, dass in den Regelfällen der Eröffnungsverzögerung  – insbesondere veranlasst durch die Insolvenzgeldvorfinanzierung  – die Beteiligten dafür Sorge tragen werden, dass eine Rücknahme nicht erfolgt: Die Eröffnung ist notwendige Voraussetzung für das Entstehen der Insolvenzgeldansprüche und wird deshalb i. d. R. auch vom Schuldner „gewollt“. Doch selbst in solchen Fällen ist die Gefahr der Antragsrücknahme nicht rein theoretisch, sondern wird vielmehr als das „mit Abstand größte Risiko der Insolvenzgeldvorfinanzierung“355 wahrgenommen. Insbesondere wenn die (am Gläubigerinteresse ausgerichtete) Geschäftsleitung ohne Einschränkungen durch die Gesellschafter oder den Aufsichtsrat abgesetzt und ausgetauscht werden kann, liegt diese Gefahr sehr nah.356 In anderen Fällen, in denen der Schuldner die Eröffnung noch zu verhindern versucht, gäbe die Eröffnungsverzögerung u. U. den hierfür entscheidenden zeitlichen Raum.357 Der notwendige und gebotene Schutz der Gläubigergesamtheit und der Allgemeinheit würde so vereitelt. Nimmt man die Tendenzen in Literatur und Rechtsprechung auf, die sich mit plausiblen Argumenten für eine Einschränkung der Dispositionsmaxime bereits vor Entscheidungsreife aussprechen,358 liegt es nahe, die Zulässigkeit einer Eröffnungsverzögerung (auch) aus diesem Grund abzulehnen. Doch auch der Ansatz einer möglichst weitgehenden Geltung der Dispositionsmaxime widerspricht diesem Ergebnis nicht. Für die unbeschränkte Rücknehmbarkeit des Antrags spricht vor allem, dass im Eröffnungsverfahren grds. noch nicht feststeht, ob die Antragstellung nicht ggf. völlig zu Unrecht erfolgte; der unbegründete Antrag muss möglichst schnell beseitigt werden können.359 Liegen allerdings alle Eröffnungsvoraussetzung zur gerichtlichen Überzeugung vor, so besteht die Gefahr des unbe355  Muschiol, ZInsO 2016, 248, 254. Vgl. hierzu auch Mönning/Schäfer/Schiller, BB 2017, Beilage zu Heft 25, 1, 11 f. 356  Der Schutz des § 276a InsO, der ein solches Vorgehen verhindern könnte, kommt nach wohl h. M. im Eröffnungsverfahren noch nicht zur Wirkung, s. hierzu noch S. 257 f. 357  Vgl. zu derartigen Konstellationen bspw. LG Hamburg, Beschl. v. 21. 12. 2006 – 326 T 106/06, ZInsO 2007, 335 („Die Eröffnungsentscheidung darf nicht mehr verzögert werden, sobald die Eröffnungsvoraussetzungen gegeben sind“); ähnlich AG Hamburg, Beschl. v. 5. 11. 2004 – 67c IN 360/04, DZWIR 2005, 87. 358  Vgl. hierzu zuvor, insbes. Fn. 350. 359  Delhaes, in: KölSch, Kap. 4 Rn. 36 ff.

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gründeten Antrags und das Interesse an dessen Beseitigung nicht (mehr). Den nun einzig maßgeblichen Gesamtgläubigerinteressen ist allein durch die Eröffnung und die Wirkung des § 13 Abs. 2 InsO gedient. Ganz allgemein und losgelöst vom konkreten Aspekt der Antragsrücknahme verbindet sich mit der Eröffnungsverzögerung die Gefahr, dass zwischen Entscheidungsreife und tatsächlicher Entscheidung die Eröffnungsvoraussetzungen wegfallen oder gar manipulativ beseitigt werden. Dieses Risiko war ein wesentliches Argument für den BGH, sich gegen die sehr ähnliche Praxis der Vordatierung von Eröffnungsbeschlüssen zu wenden.360 4.  Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung als Fixpunkt Der Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung ist als bedeutender Moment in der Krise des Schuldners ein Fixpunkt, an dem sich ganz unterschiedliche insolvenzrechtliche und allgemein zivilrechtliche Regelungen orientieren. Bei einem (unnötig) langen Eröffnungsverfahren, insbesondere also, wenn der Eröffnungszeitpunkt zur gerichtlichen Disposition gestellt und hinausgezögert wird, verschiebt sich dieser Fixpunkt, sodass die abhängigen Wirkungen erst später eintreten, als dies grds. möglich (und oft gewollt) ist. Die Verzögerung kann Konsequenzen in ganz unterschiedlichen Bereichen nach sich ziehen – einige sollen im Folgenden exemplarisch benannt werden. a)  Eröffnung als Fixpunkt im Insolvenzrecht Dass die Insolvenzordnung die Wirkungen und den Inhalt des Verfahrens an dessen Eröffnung knüpft, ist zunächst zwar evident, bei vielen „insolvenzrechtlichen Randaspekten“, die nicht zum eigentlichen Verfahrensinhalt gehören, wird jedoch z. T. ebenfalls auf diesen Zeitpunkt abgestellt. Unter Geltung der Konkursordnung knüpfte bspw. der „kritische“ Anfechtungszeitraum (vor dem Insolvenzverfahren) z. T. an die Eröffnung an (§§ 31 Nr. 2, 32 KO). Ein langes Eröffnungsverfahren und die Verzögerung der Entscheidung wirkten sich also unmittelbar auf die Anfechtbarkeit einzelner Rechtsgeschäfte aus – zum Nachteil für die Masse und die Gläubigergesamtheit.361 Gerade auch mit Blick auf diese Folge ging der Gesetzgeber mit der Insolvenzordnung einen anderen Weg: „Eine Anknüpfung an die Verfahrenseröffnung könnte die Anfechtung vereiteln, wenn sich das Eröffnungsverfahren lange hinzieht. Dies wäre vor allem deshalb unbefriedigend, weil die Insolvenzgläubiger, deren Interesse der Insolvenzanfechtung dienen soll, keinen Einfluss auf die Dauer des Eröffnungs360 

BGH, Urt. v. 17. 2. 2004 – IX ZR 135/03, NZI 2004, 316, 317. „erheblichen Nachteile“ waren ein (weiteres) Argument für den BGH, mit dem er die Unzulässigkeit der Beschlussvordatierung begründete, BGH, Urt. v. 17. 2. 2004 – IX ZR 135/03, NZI 2004, 316, 317. 361  Diese



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verfahrens nehmen können.“362 Der Anfechtungszeitraum in der Insolvenzordnung knüpft deshalb an den Zeitpunkt der Antragstellung an, sodass sich hier keine Probleme aus der Eröffnungsverzögerung mehr ergeben.363 Ganz ähnlich stellt sich auch die aktuelle Thematik insolvenzbezogener Lösungsklauseln dar: Derartige Klauseln können nach Ansicht des BGH auch dann gem. § 119 InsO unwirksam sein, wenn sie zwar nicht an die Insolvenzeröffnung, wohl aber an die Stellung des Antrags anknüpfen.364 Die Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens bleibt deshalb auch hier ohne Auswirkungen.365 Viele andere Regelungen orientieren sich allerdings an der Eröffnungsentscheidung – eine Verzögerung wirkt sich dort unmittelbar aus. aa)  Eintritt des Massebeschlags Die wichtigste und prominenteste Wirkung der Insolvenzeröffnung ist wohl der Massebeschlag (§ 80 Abs. 1 InsO); zur Sicherung der Insolvenzmasse wird dem Schuldner die diesbezügliche Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis entzogen.366 Wird die Eröffnungsentscheidung hinausgeschoben, so verbleibt dem Schuldner grds. die Möglichkeit, zwischenzeitlich wirksam über die Masse zu verfügen, sodass – jedenfalls theoretisch – die Gefahr der Gläubigerschädigung erhöht wird.367 Dieses Risiko war ein wesentliches Argument, aufgrund dessen der BGH die Vordatierung von Eröffnungsbeschlüssen ablehnte: Wenn die Wirkung der Eröffnung trotz der Feststellung der Insolvenz (noch) nicht eintrete, könne dies „erhebliche Nachteile für die Masse und für die Gesamtheit der Gläubiger nach sich ziehen, etwa indem […] dem Schuldner die Möglichkeit belassen wird, Verfügungen zu Lasten der Masse zu treffen“368. Dieser Vorbehalt ist allerdings i. d. R. wohl nicht auf die Situation der Eröffnungsverzögerung zu übertragen. Schon im Eröffnungsverfahren kann das Gericht Sicherungsmaßnahmen – insbesondere Verfügungsverbote, Zustimmungsvorbehalte und die Einsetzung eines vorläufigen Verwalters – anordnen, sodass die Wirkungen des § 80 Abs. 1 InsO zumindest teilweise vorverlagert werden. Zwar werden nicht bei allen (Eröffnungs-)Verfahren solche vorläufigen Sicherungsmaßnamen ergriffen,369 sondern nur, wenn dies „erforderlich erscheint“ 362 

RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 156. Vgl. aber Pape, NJW 2004, 2946, 2948. 364  BGH, Urt. v. 15. 11. 2012 – IX ZR 169/11, BGHZ 195, 348 = NJW 2013, 1159. Vgl. hierzu Berger, ZInsO 2016, 2111; Jacoby, ZIP 2014, 649, 652 f.; Foerste, ZInsO 2015, 601, 602; Huber, ZInsO 2016, 2130, 2133. 365  Vgl. hierzu auch Rosenberg, Change of Control-Klauseln, S. 194 f. 366  Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.48, 10.02 ff.; Bork, Insolvenzrecht, Rn. 140 ff. 367  Holzer, in: K/P/B‑InsO, § 27 Rn. 50. 368  BGH, Urt. v. 17. 2. 2004 – IX ZR 135/03, NZI 2004, 316, 317. 369  In einer Erhebung des IfM wurden bspw. in etwas mehr als der Hälfte aller Verfahren ein vorläufiger Verwalter bestellt, Icks/Kranzusch, Sanierung in Insolvenzverfahren, S. 71. 363 

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(§ 21 Abs. 1 S. 1 InsO).370 Allerdings ist davon auszugehen, dass zumindest bzw. spätestens dann, wenn das Gericht von der materiellen Insolvenz überzeugt ist und (trotzdem) die Eröffnung verzögert, auch vorläufige Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden.371 Demgegenüber lässt sich die Wirkung des § 91 InsO – der Ausschluss sonstigen Rechtserwerbs nach der Insolvenzeröffnung – nicht in das Eröffnungsverfahren vorverlagern.372 Wird also bspw. eine zukünftige Forderung im Voraus abgetreten und entsteht diese noch im Eröffnungsverfahren, so ist die Zession wirksam; entstünde die Forderung jedoch nach der Insolvenzeröffnung, würde § 91 Abs. 1 InsO den Rechtserwerb verhindern.373 Durch eine Eröffnungsverzögerung kann also der Erwerb von Rechten zulasten der Masse (ggf. gezielt) ermöglicht werden. Allerdings wird ein solcher Rechtserwerb in aller Regel anfechtbar und eine (dauerhafte) Masseschädigung deshalb meist nicht zu befürchten sein.374 Hinsichtlich des wirksamen Massebeschlags sind, insbesondere unter Berücksichtigung von Anfechtungsmöglichkeiten, problematische Auswirkungen einer späteren Verfahrenseröffnung somit eher theoretischer als praktischer Art; ausgeschlossen sind sie allerdings nicht.375 bb) Aufrechnungsmöglichkeiten Entscheidende Bedeutung kann der Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung und folglich auch die Eröffnungsverzögerung hinsichtlich der Aufrechnungsmöglichkeiten von Insolvenzgläubigern haben. § 94 InsO legt fest, dass eine Aufrechnungslage, die „zur Zeit der Eröffnung“ des Verfahrens bereits bestand, grds. insolvenzfest ist.376 Mit der Aufrechnung kann sich der betroffene Gläubiger auch noch im Verfahren „selbstexekutorisch“ Befriedigung verschaffen und

370 Vgl.

zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 21 Rn. 43; Hölzle, in: Schmidt-InsO, § 21 Rn. 9 ff. 371  Begründet man die Zulässigkeit der Verzögerung mit der Prüfungs- und Fortführungspflicht des vorläufigen Verwalters, ist die Sicherung (durch diesen) ohnehin mitgedacht; mit explizitem Hinweis auf diese Notwendigkeit einer solchen Sicherung bspw. Zipperer, NZI 2012, 385, 389 und Frind, ZInsO 2012, 1357, 1359. 372  § 91 InsO ist im Eröffnungsverfahren weder direkt noch analog anwendbar, BGH, Urt. v. 14. 12. 2006 – IX ZR 102/03, NZI 2007, 158 Rz. 8; Kayser, in: HK‑InsO, § 91 Rn. 6. 373  BGH, Urt. v. 18. 4. 2013 – IX ZR 165/12, NZI 2013, 641, 642 Rz. 17 (ständige Rspr.); Sterntal, in: Schmidt-InsO, § 91 Rn. 31; Mock, in: Uhlenbruck-InsO, § 91 Rn. 15 ff. 374 Auf die Korrekturmöglichkeit und den Schutz des Anfechtungsrechts verweisen bspw. BGH, Urt. v. 5. 5. 2011 – IX ZR 144/10, NJW 2011, 2960, 2962 Rz. 15; Kuleisa, in: HambKomm-InsO, § 91 Rn. 4; Mitlehner, EWiR 2012, 629, 630. 375  Explizit mit dem Hinweis auf dieses Risiko Holzer, in: K/P/B‑InsO, § 27 Rn. 50. 376  Bork, Insolvenzrecht, Rn. 311 f.; eher kritisch zu diesem Ansatz Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 19.01 ff.



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muss sich mit seiner Forderung nicht auf die Quote verweisen lassen.377 Entsteht die Aufrechnungslage erst nach der Verfahrenseröffnung, so sind die Aufrechnungsmöglichkeiten stark eingeschränkt:378 Nur unter den Bedingungen des § 95 Abs. 1 InsO begründet die im Verfahren entstehende Aufrechnungslage eine Aufrechnungsmöglichkeit des Gläubigers.379 Entsteht die Aufrechnungslage hingegen im Eröffnungsverfahren, so ist diese grds. insolvenzfest – unabhängig davon, ob bzw. welche Maßnahmen der vorläufigen Sicherung angeordnet wurden.380 Zwar könnte die Herstellung der Aufrechnungslage anfechtbar sein, sodass die Anfechtung nicht möglich bzw. unwirksam wäre.381 Für alle Fälle, in denen die Anfechtungsvoraussetzungen jedoch nicht vorliegen, bspw. weil die Gläubigerforderung lediglich absprachegemäß während des Eröffnungsverfahrens fällig wird, bleibt aber die Aufrechnungsmöglichkeit erhalten.382 Von dieser Feststellung ausgehend, lässt sich zeigen, welche Konsequenzen das lange Eröffnungsverfahren bzw. eine Verzögerung der Eröffnungsentscheidung im Einzelfall haben kann: Unkritisch sind die Fälle, in denen die Schuldnerforderung nach bzw. gleichzeitig mit der Gläubigerforderung fällig wird: Der Gläubiger kann in einer solchen Situation aufrechnen, unabhängig davon, ob die Aufrechnungslage im Eröffnungsverfahren oder erst nach der Eröffnung entsteht.383 Der Eröffnungszeitpunkt bzw. dessen Verzögerung hat hierbei keine Auswirkungen auf die Aufrechnungsmöglichkeit. Wird jedoch die Gläubigerforderung nach der Schuldnerforderung fällig, so kann der Gläubiger nur dann aufrechnen, wenn dies vor der Eröffnungsentscheidung geschieht. Wird seine Forderung erst im Insolvenzverfahren fällig, bleibt ihm in dieser Konstellation die Aufrechnung verwehrt (§ 95 Abs. 1 S. 3). Mit der langen bzw. ausgedehnten Dauer des Eröffnungsverfahrens vergrößert sich also der Raum und die Gefahr für masseschädliche Aufrechnungen. Wird der Anspruch eines Gläubigers erstens nach der Schuldnerforderung und zweitens zwischen Entscheidungsreife und tatsächlicher Eröffnung fällig, so geht die Verzögerung unmittelbar zulasten der Masse und der Gläubigergesamtheit.384 377  Thole, in: Schmidt-InsO, § 94 Rn. 1. Im Gesamtkontext der Gläubigergleichbehandlung Häsemeyer, KTS 1982, 507, 566. 378  S. auch § 96 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 InsO. 379 Die Norm dient ähnlich wie §§ 392, 406 BGB dem Vertrauensschutz, Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 19.17; ders., in: KölSch, Kap. 15 Rn. 25. 380  BGH, Urt. v. 29. 6. 2004 – IX ZR 195/03, BGHZ 159, 388 = NZI 2004, 580; BGH, Urt. v. 15. 3. 2012 – IX ZR 249/09, ZIP 2012, 737; Häsemeyer, in: KölSch, Kap. 15 Rn. 87 f.; Lüke, in: K/P/B‑InsO, § 94 Rn. 96 ff.; Fischer, WM 2008, 1. 381  § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, vgl. hierzu Thole, in: Schmidt-InsO, § 96 Rn. 12 ff. 382  Die Möglichkeit der Anfechtung schränkt die Aufrechnungsmöglichkeiten in diesem Kontext also nur partiell ein, vgl. Gerhardt, ZZP 109 (1994), 415, 421; Lüke, in: K/P/B‑InsO, § 94 Rn. 102. 383  Der Gläubiger wäre entweder über § 94 oder über § 95 Abs. 1 S. 1, 3 InsO geschützt. 384  Genau wie bei der insoweit parallelen (unzulässigen) Praxis der Beschlussvordatierung

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Dieses Schema („Aufrechnung bei nachhinkender Fälligkeit“) gilt in gleicher Weise für das Entstehen einer Aufrechnungslage im Eröffnungsverfahren bei aufschiebend bedingten oder befristeten Forderungen.385 Bei einer unverzüglichen Eröffnung müsste der betroffene Gläubiger in solchen Fällen vollständig an die Masse leisten und seine eigene Forderung zur Tabelle anmelden – die Eröffnungsverzögerung verhindert dies u. U. cc)  Begrenzung des Umfangs gesetzlicher Pfandrechte Die Verfahrenseröffnung ist weiterhin ein Grenzpunkt für den Umfang des gesetzlichen Pfandrechts von Vermietern und Verpächtern, sodass sich auch in diesem Kontext ein (Rand-)Problem aus dem langen Eröffnungsverfahren ergeben kann. Für Forderungen, die sich aus einem Mietverhältnis bzw. im Zusammenhang mit diesem ergeben, ist der Vermieter durch das gesetzliche Pfandrecht an den vom Schuldner eingebrachten Sachen über § 562 Abs. 1 BGB besonders geschützt; für den Verpächter gilt dies gem. § 581 Abs. 2 BGB entsprechend. In der Insolvenz des Mieters folgt aus diesem Pfandrecht gem. § 50 Abs. 1 InsO ein Recht des Vermieters zur abgesonderten Befriedigung. Diese Sonderstellung wird jedoch durch § 50 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 InsO zeitlich begrenzt: Das Absonderungsrecht ist auf Rückstände beschränkt, die im letzten Jahr vor der Eröffnung entstanden sind; ältere Forderungen sind nicht abgesichert, müssen also vom Vermieter zur Tabelle angemeldet werden.386 Durch ein langes Eröffnungsverfahren verschiebt sich der Eröffnungszeitpunkt und damit auch der „Sicherungszeitraum“, während gleichzeitig neue (Insolvenz-)Forderungen auflaufen. Hat ein Vermieter bereits ältere Forderungen ausstehen, so werden diese durch die späte Eröffnungsentscheidung aus dem gesicherten Zeitfenster „hinausgedrängt“. Bei einer unverzüglichen Verfahrenseröffnung tritt dieser Effekt nicht ein; der Vermieter wäre zudem mit den jüngsten Forderungen als Massegläubiger geschützt.387 Das lange Eröffnungsverfahren kann sich auf diesem Wege folglich in doppelter Weise negativ für den Vermieter bzw. den Verpächter auswirken.388

würden so auf Kosten der Masse „weitere Aufrechnungsmöglichkeiten eröffnet“, vgl. BGH, Urt. v. 17. 2. 2004 – IX ZR 135/03, NZI 2004, 316, 317. 385  Häsemeyer, in: KölSch, Kap. 15 Rn. 27 f. 386  Brinkmann, in: Uhlenbruck-InsO, § 50 Rn. 29; Thole, in: Schmidt-InsO, § 20 Rn. 15. Diese Begrenzung gilt allerdings nicht für Landpachtverträge (§ 50 Abs. 2 S. 2 InsO). 387  Mit diesem Hinweis im beschriebenen Kontext Ganter, in: MüKo-InsO, § 50 Rn. 90. 388  Besonders evident wird das Problem, wenn man bedenkt, dass der BGH die besondere Belastung dieser Gläubiger durch § 112 InsO gerade auch wegen der Sicherung des gesetzlichen Pfandrechts für zulässig hält, vgl. hierzu S. 211 ff.



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dd)  Stichtagsbezogene Wertbestimmung Der Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung ist des Weiteren relevant für die (stichtagsbezogene) Bestimmung und Berechnung bestimmter Forderungen. Für die Durchführung des Insolvenzverfahrens müssen alle Gläubigerforderungen vergleichbar sein; nur so lassen sich bspw. die Stimmrechte der Gläubiger (§§ 76 Abs. 2, 77, 237 Abs. 1 InsO) oder Kürzungs- und Verteilungsquoten (§§ 224, 195 InsO) bestimmen. Forderungen, die nicht auf einen bestimmten Geldbetrag in Euro gerichtet sind, werden deshalb gem. § 45 InsO in einen solchen Anspruch umgerechnet.389 Hat bspw. ein Käufer den Kaufpreis bereits voll an den Schuldner bezahlt, während jener seiner Pflicht zur Übergabe und Übereignung noch nicht nachgekommen ist, so ist der Käuferanspruch gem. § 45 S. 1 InsO mit seinem geschätzten Wert anzusetzen. Stichtag für diese Berechnung bzw. Schätzung des Wertes ist der Eröffnungszeitpunkt, sodass ein langes Eröffnungsverfahren und die sehr späte gerichtliche Entscheidung im Einzelfall enorme Konsequenzen mit sich bringen können: Verändert sich zwischen Antragstellung, Entscheidungsreife und Eröffnung der Wert der (Insolvenz-)Forderungen, so wirkt sich dies unmittelbar auf die Befriedigungsaussichten und Mitwirkungsrechte des betroffenen Gläubigers aus. Ist der Anspruch des Gläubigers auf etwas gerichtet, dessen Wert sich kaum (kurzfristig) ändert, so sind auch die Auswirkungen der verzögerten Eröffnung entsprechend gering. Wenn sich der Wert des Anspruchs allerdings in kurzer Zeit ggf. dramatisch ändern kann – kritisch sind also insbes. Märkte mit einer hohen Volatilität –, führt die Eröffnungsverzögerung u. U. zu erheblichen Bewertungsdifferenzen. War die geschuldete Leistung, das geschuldete Gut etc. zum Antragszeitpunkt bzw. zum Zeitpunkt der frühestmöglichen Eröffnung deutlich weniger wert als bei der Eröffnung, so hat der Gläubiger vom langen Eröffnungsverfahren profitiert. Sinkt hingegen der Wert des Anspruchs in dieser Zeit, so reduzieren sich auch die Befriedigungsaussichten und die Mitwirkungsrechte des Gläubigers. Der gleiche Effekt ergibt sich bei Schwankungen von Devisen: Hatte der Schuldner eine Forderung bspw. in Britischen Pfund zu begleichen, so wäre es für den Gläubiger von immenser Bedeutung, ob die Verfahrenseröffnung und damit die Bestimmung des Wertes seiner Forderung (§ 45 S. 2 InsO) vor oder nach dem Brexit-Referendum stattfindet. Ganz ähnliche Konsequenzen können sich im Anwendungsbereich von § 104 InsO ergeben. Für bestimmte gegenseitige, nicht vollständig erfüllte Verträge wird durch diese Ausnahmevorschrift das Wahlrecht des Verwalters (§ 103

389 

RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 124; Bitter, in: MüKo-InsO, § 45 Rn. 1. Dies gilt nicht für Ansprüche im Anwendungsbereich des § 103 InsO (ebd., Rn. 9).

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InsO) ausgeschlossen.390 Betroffen sind Fixgeschäfte über die Lieferung von Waren und über Finanzdienstleistungen mit einem Markt- oder Börsenpreis; derartige Ansprüche des Gläubigers werden nicht in natura erfüllt, sondern vermitteln nur noch eine (Ausgleichs-)Forderung wegen Nichterfüllung.391 Für die Bestimmung des Wertes dieser „sekundären“ Forderung ist – ähnlich wie bei § 45 InsO – der Stichtag der Eröffnung maßgeblich: Entscheidend ist der Markt- oder Börsenpreis am zweiten bzw. fünften Werktag nach der Verfahrenseröffnung (Abs. 2 S. 1, 2). Auch hier kann die Eröffnungsverzögerung bzw. das lange Eröffnungsverfahren – insbes. bei großen Marktpreisschwankungen – schwerwiegende Konsequenzen mit sich bringen. Hält ein Gläubiger bspw. eine Kaufoption auf Aktien (Stichtag nach der Eröffnung) und fällt der Börsenkurs der betroffenen Aktie zwischen Antrag, Entscheidungsreife und Eröffnung, so wirkt sich die Verzögerung negativ auf den Anspruch des Gläubigers aus. Die anderen Gläubiger profitieren hingegen von diesem Vorgehen.392 Mit § 104 InsO wollte der Gesetzgeber ausdrücklich einen Mechanismus schaffen, um in diesem Bereich die „Unsicherheiten und Spekulationen über die künftige Entwicklung [des Marktpreises] zu vermeiden“393 – durch die Disponibilität des Eröffnungszeitpunktes würde dieser Raum zumindest teilweise wiedereröffnet. ee)  Zeitpunkt der Restschuldbefreiung Für natürliche Personen sieht die Insolvenzordnung die Möglichkeit eines „fresh start“ durch eine Restschuldbefreiung vor (§§ 286 ff. InsO). Hiervon profitieren nicht nur Verbraucher, sondern auch unternehmerisch tätige Schuldner (insbes. Einzelkaufleute, persönlich haftende Gesellschafter, Freiberufler etc.),394 sodass auch eine Unternehmensinsolvenz nicht selten zu einem solchen Verfahren führen kann. Das vom Schuldner erstrebte Ziel – die gerichtliche Erteilung der Restschuldbefreiung – hängt zeitlich unmittelbar mit dem Eröffnungsbeschluss zusammen: Die sog. „Wohlverhaltensperiode“, in welcher der Schuldner bspw. den pfändbaren Teil seines Einkommens abtritt, beginnt mit der Eröffnung des Verfahrens (§ 287 Abs. 2 InsO).395 Erst nach Ablauf dieser regelmäßig sechsjährigen Frist kann das Insolvenzgericht über die Restschuldbefreiung entscheiden 390 

Lüer, in: Uhlenbruck-InsO, § 104 Rn. 1 ff. Jahn/Fried, in: MüKo-InsO, § 108 Rn. 181 ff. 392  Eine ähnliche Konstellation lag dem vielbeachteten Urteil des BGH v. 9. 6. 2016 – IX ZR 314/14, NJW 2016, 2328 zu Grunde; zu Bedeutung und Auswirkung von Preisschwankungen vgl. auch die Beispiele und Erläuterung bei v. Wilmowsky, in: K/P/B‑InsO, § 104 Rn. 9, 174 ff. 393  RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 145 (Einfügung durch den Verfasser). 394  Streck, in: HambKomm-InsO, § 286 Rn. 8; Bork, Insolvenzrecht, Rn. 447. 395  Näher zu diesem Verfahrensabschnitt Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 26.30 ff. 391 



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(§ 300 Abs. 1 S. 1 InsO);396 auch hier besteht also eine direkte Abhängigkeit vom Eröffnungszeitpunkt. Mit einem langen Eröffnungsverfahren verschiebt sich dieser Fixpunkt, sodass sich „tatsächlich die Zeit zwischen der aus Sicht des Betroffenen entscheidenden Antragstellung […] und der Erteilung“397 der Restschuldbefreiung verlängert. Auch der BGH beschäftigte sich mit dieser Konsequenz und stellte klar, dass die Zeit des Eröffnungsverfahrens selbst dann nicht auf die Wohlverhaltensperiode angerechnet werden kann, wenn das Insolvenzgericht eine entsprechende Verzögerung zu vertreten hat.398 Mit der Anknüpfung an den Eröffnungszeitpunkt (und nicht an den Verfahrensabschluss) sollte u. a. dafür gesorgt werden, dass der Zeitpunkt der Restschuldbefreiung nicht wegen Faktoren verzögert wird, die der Schuldner nicht beeinflussen kann.399 Auch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten sei es „kaum vermittelbar, wenn in ähnlich gelagerten Fällen ein Schuldner deutlich später in das Restschuldbefreiungsverfahren gelangt als ein vergleichbarer anderer“400. Dieses Ziel wird im Hinblick auf die Dauer des Insolvenzverfahrens verwirklicht, hinsichtlich der Dauer des Eröffnungsverfahrens allerdings nicht. Lediglich mit einer möglichst schnellen Eröffnung kann die Verzögerung der Restschuldbefreiung zumindest begrenzt werden.401 b)  Eröffnung als Fixpunkt im Zivilrecht Nicht nur im Insolvenzrecht, sondern allgemein im Zivilrecht richten sich viele (gesetzliche wie auch vertragliche) Regelungen am Fixpunkt der Verfahrenseröffnung aus. Die Eröffnungsentscheidung kann deshalb je nach Konstellation und Sachverhalt ganz unterschiedliche privatrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. aa)  Gesetzlicher Fixpunkt Die besondere Bedeutung der Insolvenzeröffnung wurde und wird auch in ganz anderen Bereichen des Rechts wahr- und aufgenommen. Die familienrechtlichen Regelungen der §§ 1670 Abs. 1 Hs. 1, 1781 Nr. 3 a. F. BGB ordneten bspw. bis 396  Auch

die speziellen kürzeren Fristen (§ 300 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, Nr. 3 InsO) richten sich nach dem Zeitpunkt der Eröffnung. 397  Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1240, der hieraus gleichwohl keine Pflicht zur zügigen Eröffnung ableiten will. 398  BGH, Beschl. v. 26. 2. 2015 – IX ZB 44/13, NZI 2015, 328. 399  Beschlussempfehlung des RechtsA zu RegE InsOÄndG, BT‑Drs. 14/6468, S. 18. 400 Ebd. 401 Mit diesem Argument AG Hamburg, Beschl. v. 26. 4. 2002 – 67g IN 152/02, NZI 2002, 394, 395. Weiland weist in diesem Kontext darauf hin, dass einer Verzögerung durch das Gericht zumindest ausnahmsweise durch einen Amtshaftungsanspruch Rechnung getragen werden könnte, Weiland, VIA 2015, 36.

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zum 1. 1. 1999 an, dass mit der Verfahrenseröffnung die Vermögenssorge des schuldnerischen Elternteils endete und dass eine Bestellung zum Vormund nicht mehr möglich war.402 Im geltenden Recht sieht bspw. § 7 Nr. 9 BRAO vor, dass bei „Vermögensverfall“ die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen ist; die Eröffnung des Verfahrens begründet hierfür eine gesetzliche Vermutung. Vor der Eröffnungsentscheidung besteht diese Vermutung – auch bei Anordnung von Sicherungsmaßnahmen – noch nicht.403 Entsprechende Regelungen finden sich auch für Notare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer etc.404 Auch Apotheker sind von der Eröffnungsentscheidung besonders betroffen, da sie von diesem Moment an ihre Tätigkeit nicht mehr den gesetzlichen Anforderungen entsprechend, nämlich persönlich und in eigener Verantwortung, ausführen können.405 Grds. ist deshalb mit der entscheidenden Verfahrenseröffnung „die Apotheke […] im Wege des Sofortvollzugs zu schließen“406. Die prominenteste gesetzliche Anknüpfung an die Insolvenzeröffnung außerhalb der InsO findet sich wohl im Gesellschaftsrecht: Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über eine Gesellschaft ist ein typischer gesetzlicher Auflösungsgrund.407 Bei der Insolvenz eines Gesellschafters führt die Eröffnung ggf. ebenfalls zur Gesellschaftsauflösung oder zum Ausscheiden des insolventen Gesellschafters.408 Insbesondere an diesem letzten Fall lässt sich beispielhaft verdeutlichen, welche Auswirkungen eine Eröffnungsverzögerung auch auf Dritte haben kann. Ist der (spätere) Insolvenzschuldner bspw. Gesellschafter einer oHG, so verliert er nach dispositiver Rechtslage im Moment der Insolvenzeröffnung gem. § 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB seine Gesellschafterstellung; sein Anteil wächst gem. § 105 Abs. 3 HGB, § 738 Abs. 1 S. 1 BGB den übrigen Gesellschaftern zu. Die Mitgesellschafter vertrauen – wenn keine abweichenden Regelungen getroffen wurden – auf diese Konsequenz: Die Gesellschaft soll in einem solchen Fall ohne die Belastung eines insolventen Mitgesellschafters weitergeführt werden. Dieses Interesse wäre nur durch eine möglichst schnelle Eröffnung gewahrt.409 Durch die – ggf. vorsätzliche – Eröffnungsverzögerung ließen sich diese Konsequenzen zeitlich aufschieben; der Schuldner würde 402 

Vgl. hierzu Eickmann, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 30 Rn. 31 ff. Vossebürger, in: Feuerich/Weyland-BRAO, § 7 Rn. 144 f. Die Vermutung gilt auch für den Widerruf der Zulassung, § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO. Zur Verfassungsmäßigkeit dieser Vermutungswirkung BGH, Beschl. v. 18. 9. 2017 – AnwZ (Brfg) 33/17, Rz. 9 – juris. 404  Maier, in: Wimmer/Dauernheim u. a., Hdb des FA Insolvenzrecht, Kap. 3 Rn. 95. 405  Vgl. § 7 ApoG; hierzu OVG Berlin, Beschl. v. 18. 6. 2002 – 5 S 14.02, ZVI 2004, 620. 406  Maier, in: Wimmer/Dauernheim u. a., Hdb des FA Insolvenzrecht, Kap. 3 Rn. 87. 407  §§ 42 Abs. 1 S. 1, 728 Abs. 1 S. 1 BGB, § 131 Abs. 1 Nr. 3 HGB, § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, § 101 GenG. 408  § 728 Abs. 2 S. 1 BGB, § 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB. Hierzu und zur Folgewirkung des § 117 Abs. 1 InsO OLG München, Beschl. v. 22. 5. 2017 – 34 Wx 87/17, NZI 2017, 612. 409  Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1243 f.; zustimmend Frind, in: FS Beck, S. 135, 144. 403 



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auf Kosten der Mitgesellschafter länger in der Gesellschaft gehalten, als dies eigentlich im Gesetz vorgesehen ist. Die genannten Normen (und parallelen Regelungen für die übrigen Personengesellschaften)410 dürften wohl „wie selbstverständlich davon ausgehen, dass eröffnet wird, wenn eröffnet werden kann“411. bb)  Vertraglicher Fixpunkt Auch vertragliche Regelungen sehen nicht selten besondere Pflichten, Rechte oder Konsequenzen für den Fall der Insolvenzeröffnung vor; die möglichen Abreden sind hierbei so unterschiedlich wie zahlreich. Eine typische Vertragsklausel mit Eröffnungsbezug findet sich bspw. im Gesellschaftsrecht: Parallel zum eben dargestellten Fall der Personengesellschaft wird bspw. auch für eine GmbH häufig vereinbart, dass dem Schuldner Geschäftsanteile oder Mitgliedschaftsrechte entzogen werden können, sobald über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird.412 Auch bei sachenrechtlichen Vereinbarungen ist eine Orientierung am Fixpunkt der Eröffnung sinnvoll und üblich. So wird sich ein Vorbehaltsverkäufer oftmals gegen Rechtsverlust i. R. d. § 950 BGB mit einer Verarbeitungsklausel absichern und vorsehen, dass die Verarbeitungsbefugnis „mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt“413. Auch die bereits dargestellten sportrechtlichen Vereinbarungen knüpfen an die Eröffnungsentscheidung bestimmte Konsequenzen;414 so sehen bspw. die Statuten des DFB vor, dass mit der Eröffnung des Verfahrens über einen Verein dessen (bisherige und zukünftige) Saisonspiele nicht gewertet werden.415 Besondere praktische Relevanz und entsprechende Aufmerksamkeit in der Diskussion haben „Lösungsklauseln“, nach der sich eine Vertragspartei bei der Insolvenz des Gegenübers vom Vertrag lösen können soll. Anknüpfungspunkt für dieses Recht kann bspw. die Eröffnungsentscheidung sein. Zwar verstoßen derartige insolvenzabhängige Lösungsklauseln – insbesondere nach Ansicht des IX. Senats des BGH416 – oftmals gegen § 119 InsO und können deshalb u. U. unwirksam sein, allerdings ergibt sich diese Konsequenz nicht ausnahmslos;

410 

S. §§ 131 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, 161 Abs. 2 HGB, § 736 Abs. 1, § 9 Abs. 1 PartGG. Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1243. 412 Vgl. Heckschen, NZG 2010, 521; Strohn, in: MüKo-GmbHG, § 34 Rn. 53 f.; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 27. 3. 1998 – 10 U 56/97, NZG 1998, 595 (m. Anm. Eckardt). 413  Füller, in: MüKo-BGB, § 950 Rn. 32; Brinkmann, in: Uhlenbruck-InsO, § 47 Rn. 41; im Detail zur Verarbeitung fremden Eigentums im Eröffnungsverfahren Schultze, ZIP 2016, 1198. 414  Vgl. hierzu bereits S. 170. 415  § 6 Nr. 1, Nr. 2 DFB‑SpO. Vgl. hierzu Weber, NZI 2013, 476, 478. 416  BGH, Urt. v. 15. 11. 2012 – IX ZR 169/11, BGHZ 195, 348 = NJW 2013, 1159. Vgl. hierzu Berger, ZInsO 2016, 2111. 411 

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sie ist insgesamt auch nicht unumstritten.417 Nutzen die Vertragsparteien ihre Privatautonomie, um in zulässiger Weise eine Lösungsklausel für den Fall der Insolvenzeröffnung zu vereinbaren,418 so wird dieser Fixpunkt durch das lange Eröffnungsverfahren zulasten des Vertragspartners verschoben. In allen exemplarisch genannten Fällen ist grds. davon auszugehen, dass die Parteien bei Vertragsschluss erwarten, dass ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, sobald alle hierfür notwendigen Voraussetzungen festgestellt wurden.419 Die Eröffnung wird insbesondere deshalb zum vertraglichen Fixpunkt bestimmt, weil zu einem eindeutigen Zeitpunkt die materielle Insolvenz „amtlich“ und öffentlich festgestellt wird. Für den vertraglich „geregelten Sachverhalt dürfte stets die materielle Eröffnungsreife entscheidend sein, nicht die tatsächliche Eröffnung“420. Durch ein Auseinanderfallen von Entscheidungsreife und Entscheidung wird also u. U. in die Interessen und Rechtsposition eines (ggf. am Verfahren unbeteiligten) Dritten eingegriffen, ohne dass es hierfür eine Rechtfertigung gäbe. 5.  Kosten des Eröffnungsverfahrens Mit einem langen Eröffnungsverfahren, in dem typischerweise bereits wesentliche Zukunftsentscheidungen getroffen und zumindest im Ansatz umgesetzt werden,421 verbinden sich regelmäßig auch erhebliche Verfahrenskosten. Insbesondere wenn bei einer Unternehmensinsolvenz der Betrieb (zumindest zeitweise) weitergeführt wird, ergeben sich durchschnittliche Verfahrenskosten für diese Phase im fünfstelligen Bereich.422 Die aktive Tätigkeit eines vorläufigen Insolvenzverwalters schlägt besonders deutlich zu Buche.423 Mit der (teilweisen) Vorverlagerung der Insolvenzbewältigung in das Eröffnungsverfahren sind Aufgabenzahl und Anforderungen an den vorläufigen 417 Vgl. bspw. die Kritik an der Ansicht des BGH von Jacoby, ZIP 2014, 649, 652 f.; Foerste, ZInsO 2015, 601, 602; Huber, ZInsO 2016, 2130, 2133. 418  Vgl. bspw. § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B, der nach Ansicht des VII. Senats nicht gegen § 119 InsO verstößt und somit wirksam ist, s. BGH Urt. v. 7. 4. 2016 – VII ZR 56/15, NZI 2016, 532. Vgl. hierzu Huber, NZI 2016, 525. Da diese Norm allerdings nicht nur an die Eröffnung, sondern zusätzlich auch an die Antragstellung anknüpft, bliebe hier eine Eröffnungsverzögerung ohne Konsequenz. 419  Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1243. 420 Ebd. 421  Ganter, ZIP 2014, 2323, 2329 f.; Holzer, NZI 2013, 1049, 1053; Hölzle, ZIP 2011, 1889, 1891; Undritz, NZI 2007, 65; Fritsche, DZWIR 2005, 265, 277; Ehricke, ZIP 2004, 2262, 2266; RegE ESUG, BT‑Drs. 17/5712, S. 24. 422  Bei Verfahren mit Insg-Vorfinanzierung ergaben sich bei einer Prognos-Studie Kosten des Eröffnungsverfahrens von durchschnittlich 43.000 Euro (Schüssler/Klose Wirkung der Vorfinanzierung, S. 87, http://hdl.handle.net/10419/55830, zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018). 423  Vgl. hierzu die Studie von Icks/Kranzusch, Sanierung in Insolvenzverfahren, S. 101 ff., abrufbar unter http://www.ifm-bonn.org//uploads/tx_ifmstudies/IfM‑Materialien-195_2010. pdf (zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018).



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Verwalter deutlich gestiegen.424 Da sich dessen Vergütung nach Art, Dauer und Umfang seiner Tätigkeit richtet (§ 11 Abs. 3 InsVV), führt die „Aufwertung des Vorverfahrens in vielen Fällen zu einer vergütungsrechtlichen Umkehrung seiner Wertigkeit im Vergleich zum eröffneten Insolvenzverfahren“425. Mit dieser Steigerung der „vorinsolvenzlichen Verfahrenskosten“ geht allerdings nicht notwendigerweise auch ein Anstieg der gesamten Verfahrenskosten einher. Werden bereits im Eröffnungsverfahren komplexe Aufgaben übernommen – ein Unternehmen fortgeführt und in Ansätzen restrukturiert, Sanierungskonzepte ausgearbeitet, Übernahmeinteressenten akquiriert etc. – und werden diese Tätigkeiten auch entsprechend angemessen vergütet,426 so verschieben sich die Kosten grds. nur vom Insolvenz- in das Vorverfahren. Bestenfalls reduzieren sich also die Kosten des eröffneten Verfahrens in gleichem Umfang, wie sie für das Eröffnungsverfahren steigen. Zudem ist anzunehmen, dass häufig gerade durch das sehr frühe Eingreifen eines vorläufigen Verwalters (Fortführungs-)Werte erhalten und genutzt werden können, sodass den hohen Ausgaben zu Beginn auch ein besonderer „Gegenwert“ am Verfahrensende gegenübersteht: Kann ein Unternehmen allein wegen der frühen, dynamischen vorläufigen Verwaltung fortgeführt und ggf. sogar (teil-)saniert werden, so zahlen sich die erhöhten Verfahrenskosten oft vielfach in Form einer höheren Befriedigungsquote aus.427 Problematisch können allerdings die Fälle sein, in denen das Eröffnungsverfahren lange und mit den entsprechend hohen Kosten betrieben wird, ohne dass die Insolvenzgläubiger letztlich hiervon profitieren. Eher unkritisch sind hierbei die Verfahren, die zwar keine bzw. geringe Mittel zur Verteilung nach § 187 Abs. 1, 2 InsO aufweisen, bei denen aber im Ausgangspunkt begründete Sanierungserwartungen und Fortführungsaussichten bestanden. Auch der vorläufige Verwalter kann in derartigen Fällen nur die Chance zur Masseanreicherung durch Betriebsfortführung etc. wahrnehmen; dass sich solche Hoffnungen bspw. auf eine (Teil-)Sanierung nicht in jedem Fall erfüllen können, ist ein grds. einzupreisendes Risiko der aktiven vorläufigen Verwaltung.428 Bestehen allerdings von Beginn an keine oder nur geringe Sanierungsaussichten, was oftmals bereits nach wenigen Tagen feststeht,429 müsste das Verfahren grds. schnell eröffnet und müssten die Verfahrenskosten gering gehalten 424 Vgl.

Keller, ZIP 2014, 2014, 2022; Undritz, NZI 2007, 65. Holzer, NZI 2013, 1049, 1053. 426  Mit dem Hinweis auf die notwendige Verknüpfung von frühzeitiger Sanierung und angemessener Verwaltervergütung im Eröffnungsverfahren Ganter, ZIP 2014, 2323, 2329 f. 427  Vgl. die statistischen Ergebnisse von Icks/Kranzusch, Sanierung in Insolvenzverfahren, S. 89 f. Mit entsprechenden (allerdings fiktiven) Vergleichsrechnungen bejaht Pannen bspw. die Zulässigkeit einer Eröffnungsverzögerung, Pannen, NZI 2000, 575, 577 f. 428  Zu diesem Prognoseelement Undritz, NZI 2007, 65, 71. 429  Haarmeyer/Mock, InsVV, Vorb. Rn. 33; § 11 Rn. 12; Frind, ZInsO 2015, 2249, 2250. 425 

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werden.430 Dass derartige Fälle nicht lediglich die seltene Ausnahme sind,431 wird deutlich vor dem Hintergrund, dass annähernd die Hälfte aller Unternehmen, die bei Antragstellung noch aktiv waren, zwar während des Eröffnungsverfahrens fortgeführt, am Eröffnungstag allerdings stillgelegt werden.432 Nicht selten werden das Eröffnungsverfahren und die vorläufige Betriebsfortführung auch dort über Monate weiterbetrieben, wo keine konkrete, begründete Aussicht auf eine zumindest mittelfristige Fortführung oder Sanierung besteht.433 Entscheidender Anlass und Voraussetzung ist hierbei wiederum die Betriebssubvention des (vorfinanzierten) Insolvenzgeldes: Nur wenn das schuldnerische Unternehmen im Eröffnungsverfahren für drei Monate fortgeführt wird, kann das Insolvenzgeld in vollem Umfang ausgenutzt werden. Die für die Vorfinanzierung notwendige Zustimmung der BA erhält der „sich selbst begutachtende“ vorläufige Verwalter in der Praxis meist problemlos.434 In den Fällen, in denen die Betriebsfortführung letztlich jedoch nicht zu gesteigerten Quoten führt, dient der Liquiditätsgewinn der Insolvenzgeldvorfinanzierung „nicht der Befriedigung der Gläubiger, sondern vornehmlich der Finanzierung der Verfahrenskosten inklusive der Vergütung des Insolvenzverwalters“435. In derartigen Verfahren werden durch das lange Eröffnungsverfahren Kosten generiert, die sich nicht durch die Aussicht auf Gläubigerbefriedigung rechtfertigen lassen; die ohnehin geringe Masse wird nicht selten vollständig von vorrangig zu befriedigenden Kosten aufgezehrt.436 6.  Dogmatische Spannungen Nachdem bisher der Fokus auf den praktischen Problemen des langen Eröffnungsverfahrens lag, sollen abschließend die dogmatischen Spannungen betrachtet werden, die sich mit dem Auseinanderfallen von materieller Insolvenz, Insolvenzprüfung, materiellem Verfahrensbeginn und formeller Verfahrenseröffnung verbinden. 430 

Frind, ZInsO 2015, 2249, 2250. So allerdings die Einschätzung von Ganter, ZIP 2014, 2323, 2330. 432  Vgl. die Auswertung der entsprechenden Daten von Frind, ZInsO 2011, 169, 176. 433  Haarmeyer/Mock, InsVV, Vorbem. Rn. 8, 33, § 11 Rn. 16. 434  Zur Zustimmungspolitik der BA und ihrer Entscheidungsgrundlage vgl. S. 83 ff. 435  Haarmeyer/Mock, InsVV, Vorbem. Rn. 33. Ganz ähnlich auch Siemon, NZI 2016, 688, 689; Hammes, NZI 2017, 233, 239. Derartige Szenarien führen zu der sehr harschen Kritik an Teilen der Verwalterschaft, s. bspw. Haarmeyer/Mock, InsVV, § 11 Rn. 9 (Eröffnungsverfahren sei „additive Melkkuh“); ähnlich kritisch Knospe, ZInsO 2009, 2276, 2284. Vgl. demgegenüber jedoch die Einschätzungen bei Ganter, ZIP 2014, 2323, 2330 sowie Kayser/Heidenfelder, ZIP 2016, 447, 451. 436  Vgl. die Feststellungen hierzu von Kranzusch/Icks, Die Quoten der Insolvenzgläubiger, S. 34. Kritsch zum Vorrang der Vergütung des vorläufigen Verwalters Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.46. 431 



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An zwei Facetten des derzeitigen Eröffnungsverfahrens sollen diese Spannungen dargestellt werden: Erstens an den widersprüchlichen Anforderungen, die eine „vorläufige Betriebsfortführung“ im Eröffnungsverfahren mit sich bringt und zweitens am spannungsreichen Verhältnis von InsO und EuInsVO bzgl. des Zeitpunkts der Verfahrenseröffnung. a)  Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren Insbesondere bei einer Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren zeigt sich deutlich die „Zerrissenheit“ dieser Phase zwischen dogmatisch indizierter Vorläufigkeit und faktisch notwendiger Vorwegnahme. Bei einer einstweiligen Betriebsfortführung müssen i. d. R. unverzüglich und entschieden betriebsstützende Maßnahmen eingeleitet werden – materiell beginnt das Insolvenzverfahren deshalb vielfach schon vor seiner formellen Eröffnung.437 Hierdurch gerät das Eröffnungsverfahren in das Spannungsfeld von theoretischem Ansatz auf der einen und praktischer Ausgestaltung auf der anderen Seite. Das Eröffnungsverfahren muss, wie gesehen,438 ganz unterschiedliche Funktionen verwirklichen: Neben dem Hauptzweck – der Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung439 – besteht die flankierende Aufgabe in der Erhaltung von Haftungsmasse, Vermögens- und Betriebsverbund.440 Theoretisch soll das Eröffnungsverfahren hierbei einen konservierenden „Schwebecharakter“441 haben; der Gesetzgeber hat sich explizit dagegen ausgesprochen, „wesentliche Teile des Insolvenzverfahrens bereits in das vorläufige Verfahren zu verlagern und so ein Insolvenzverfahren vor dem Insolvenzverfahren zu kreieren“442. Eventuell notwendige Sicherungsmaßnahmen stehen – zumindest konzeptionell – ganz im Dienste der Antragsprüfung; sie dürfen sich nicht gegenüber diesem „primären Verfahrenszweck verselbständigen, sondern sind diesem untergeordnet“443. Dieser eher statische Ansatz, „Veränderungen […] zu verhüten“444, lässt sich jedoch nicht mit den praktischen Anforderungen einer dynamischen einstweiligen Unternehmensfortführung vereinbaren. Besteht ein aktiver schuldneri-

437 

Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 634. Vgl. zu den verschiedenen Funktionen und ihrer Hierarchie S. 11 ff. 439  Marotzke, in: FS Schwab, S. 65, 90; de Bruyn, Der vorläufige Gläubigerausschuss, S. 44. 440  Pohlmann, Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, S. 50 ff., 297; Ampferl, Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter, S. 7; Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 21 Rn. 13. 441  Binder, KTS 2006, 1, 30; so auch de Bruyn, Der vorläufige Gläubigerausschuss, S. 45. 442 RegE InsVerfVereinfG, BT‑Drs. 16/3227, S. 15; wortgleich RefE zur Änderung der InsO, NZI 2004, 549, 561. Vgl. auch Smid, WM 2004, 2373, 2378; Graf-Schlicker, ZIP 2002, 1166, 1173; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Kap. 6 Rn. 612a ff. 443  Marotzke, in: FS Schwab, S. 65, 90. 444  § 21 Abs. 1 S. 1 InsO; vgl. Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 21 Rn. 11. 438 

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scher Betrieb, so ist ein Erhalt von (Fortführungs-)Werten nicht durch passive Sicherung, sondern nur durch aktive Gestaltung möglich.445 Der faktische Druck der wirtschaftlichen Realität zwingt das Insolvenzgericht und den vorläufigen Verwalter dazu, bei der Unternehmensfortführung „die Wirkungen des späteren Insolvenzverfahrens [teilweise] in das Eröffnungsverfahren vor[zu] verlagern“446. In der praktischen Konsequenz führt dies dazu, dass das Eröffnungsverfahren (zumindest bei Betriebsfortführungen) zu einer ersten Phase der Insolvenzbewältigung wird: Die „Restrukturierungmusik [spielt] ganz wesentlich im Insolvenzeröffnungsverfahren“447. Die dogmatische Zwiespältigkeit des Eröffnungsverfahrens wird besonders eklatant zwischen dem Zeitpunkt der Entscheidungsreife und der formellen Eröffnung. Das „Vorverfahren“ hat seine genuine Funktion bereits erfüllt, über den Antrag könnte entschieden und auf die Krise des Schuldners und seines Betriebs könnte mit den Mitteln des (tatsächlichen) Insolvenzverfahrens reagiert werden. Diese Erkenntnis wird allerdings formell nicht nachvollzogen – insbesondere zur vollen Ausnutzung des Insolvenzgeldes wird die Insolvenz nicht offen ausgesprochen. Damit erhöht sich die dogmatische Spannung in dieser Phase noch einmal: Es besteht nicht nur das praktische Bedürfnis, bereits aktiv tätig zu werden und wesentliche Verfahrensinhalte vorzuziehen; auch nach dem Konzept der Insolvenzordnung wäre die Einleitung von Insolvenzverwaltung und -bewältigung nun angezeigt. Gleichwohl verhindern finanzielle Anreize die Eröffnung. aa)  Notwendige Kompetenzen des vorläufigen Verwalters Bei einer Unternehmensfortführung im Eröffnungsverfahren wird regelmäßig ein vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt, der sich unmittelbar mit dem beschriebenen Spannungsverhältnis konfrontiert sieht: Eine aktive Betriebsfortführung zur Sanierungsvorbereitung und -einleitung setzt grds. einen flexiblen, dynamischen, also „potenten“ Verwalter voraus, der eigenständig Verhandlungen führen, bindende Zusagen abgeben und klare Aussagen zum weiteren Vorgehen treffen kann. Das Gesetz kennt als Regelfall eines solchen „souveränen Entscheiders“ den Insolvenzverwalter des eröffneten Verfahrens.448

445 Vgl. Krelhaus, Insolvenzfeste Geschäftsfortführung, S.  33  f.; Schluck-Amend, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.542. 446  RegE InsOÄndG, BT‑Drs. 14/5680, S. 40; zu der beschriebenen Zwangslage Binder, KTS 2006, 1, 31. 447  Undritz, ZGR 2010, 201, 204. Ähnlich Mönning, in: Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 11 Rn. 5 („Sanierung beginnt […] im Eröffnungsverfahren“). 448  Zum „Insolvenzverwalter als Unternehmer“ und dem besonderen Anforderungsprofil vgl. Rebholz, in: Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 3.



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Die praktischen Vorteile des Eröffnungsverfahrens, insbesondere die oftmals entscheidende Finanzspritze des vorfinanzierten Insolvenzgelds,449 lassen sich allerdings nicht durch den endgültigen, sondern nur durch einen vorläufigen Verwalter erzielen. Wegen der betriebsfördernden Wirkung des Eröffnungsverfahrens sieht sich die Insolvenzpraxis faktisch „gezwungen“, das Unternehmen im Stadium der Vorläufigkeit fortzuführen, ohne (unmittelbar) auf die  – notwendigen und grds. gebotenen – Wirkungen des eröffneten Verfahrens zurückgreifen zu können. Wegen praktischer und finanzieller Anreize wird die formelle Erklärung der Eröffnung verschoben, während der Verwalter gleichzeitig auf ihre materielle Wirkung angewiesen ist. Zwar sieht das Gesetz ausdrücklich die Möglichkeit vor, schon den vorläufigen Verwalter mit umfassenden Kompetenzen auszustatten und „zum – zeitlich befristeten – Unternehmer“450 zu machen, der „sogar den anspruchsvollsten Aufgaben – vor allem der Unternehmensfortführung – gewachsen ist“451. Weil hiermit aber (vermeidbare) Massebelastungen einhergehen und eine ungerechtfertigte Haftung des Verwalters gefürchtet wird,452 erfährt diese – ansonsten naheliegende – Alternative von der Insolvenzpraxis weitgehende Ablehnung.453 In der Regel kommt es deshalb zur Einsetzung eines lediglich „schwachen“ vorläufigen Verwalters und damit zu einer spannungsreichen Problemlage für die Betriebsfortführung: Der „schwache“ Verwalter kann das schuldnerische Unternehmen nicht in „Eigenregie“454 fortführen, er ist vielmehr auf die Kooperationsbereitschaft des – grds. verwaltungs- und verfügungsbefugten – Schuldners angewiesen und kann lediglich anleiten, mitwirken und kontrollieren.455 Das eklatante Bedürfnis nach einer effektiven, autonomen Betriebsfortführung durch den Verwalter kollidiert mit der Vorläufigkeit und den Beschränkungen des Eröffnungsverfahrens. Auch die praktische Lösung dieses Konflikts – die Ausstattung des vorläufigen Verwalters mit konkreten (Einzel-)Kompetenzen456 – führt zu weiteren Problemen: Das Insolvenzgericht muss – unter hohem Zeitdruck – eine Vielzahl 449  Uhlenbruck, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 4.20; Priebe, ZInsO 2015, 2547. Vgl. zuvor insbes. S. 107 ff., 159 ff. 450  Mönning, in: Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, § 11 Rn. 109. 451  BGH, Urt. v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, 363 = NZI 2002, 543, 545. 452  Ausführlich zur masseentlastenden Wirkung S. 162 ff., zur Minderung von Haftungsrisiken S. 167 ff. 453 Vgl. Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 22 Rn. 68. Die „Rechtfertigung“ dieses Vorgehens mit dem pauschalen Hinweis auf Verhältnismäßigkeitsüberlegungen überzeugt oft nicht; dies gilt insbes. für die Zeit zwischen Entscheidungsreife und Eröffnung. Kritisch und überzeugend auch Laroche, NZI 2010, 965, 971. 454  Pohlmann, Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, S. 113. 455  Krelhaus, Insolvenzfeste Geschäftsfortführung, S.  34  f.; Unterbusch, Der vorläufige Insolvenzverwalter, S. 114; Pohlmann, Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, S. 113 f., 125 f. 456 Vgl. Rüntz, in: HK‑InsO, § 22 Rn. 47 ff.; Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 7 ff.

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von Ermächtigungen erteilen, so bspw. zur Kassenführung,457 zur Einziehung bestimmter Forderungen,458 zur Inbesitznahme bestimmter Gegenstände, zur Verfügungskontrolle,459 zur Geschäftsfortführung460 und insbesondere zur Begründung einzelner, bestimmter Masseverbindlichkeiten.461 Für jede dieser vielen möglichen Maßnahmen muss das Gericht jeweils prüfen, ob diese in der konkreten Situation erforderlich und angemessen ist und eine entsprechende Abwägung treffen.462 Diese Notwendigkeit steht wiederum einer möglichst souveränen, flexiblen, dynamischen Betriebsfortführung im Wege. Besonders deutlich wird die Spannung zwischen praktischem Bedürfnis und gesetzlicher Vorgabe bei der Einzelermächtigung zur Begründung von Masseschulden. Der BGH lässt diese Ermächtigung nur für „einzelne, im Voraus genau festgelegte Verpflichtungen“ zu, die „für eine erfolgreiche Verwaltung nötig“ sind.463 Für jeden Einzelfall muss deshalb die konkrete Verpflichtung benannt, die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme überprüft und die voraussichtliche Erfüllbarkeit der (Masse-)Forderung (bspw. durch einen Liquiditätsplan) belegt werden.464 Dies führt dazu, dass dieses Modell gerade bei größeren Betrieben und wenn eine Vielzahl an Ermächtigungen notwendig ist, schnell an die Grenze der Umsetzbarkeit stößt,465 sodass das Insolvenzgericht „seine Entscheidungen unter Umständen nicht zeitnah genug wird treffen können“466. Hier wird nochmals deutlich, dass und wie sich die Einschränkungen des Eröffnungsverfahrens und die praktischen Bedürfnisse der Betriebsfortführung konträr entgegenstehen: Notwendig wäre ein autonomer, flexibler, mit weitreichenden Kompetenzen ausgestatteter „Manager-Verwalter“; das „vorläufige“ 457  Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 10; Pohlmann, Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, S. 112 f. 458  BGH, Urt. v. 15. 3. 2012 – IX ZR 249/09, NZI 2012, 365. 459  § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Hs. 2 InsO; diese Anordnung stellt den praktischen Regelfall dar, vgl. Hölzle, in: Schmidt-InsO, § 21 Rn. 58 ff. 460  Wobei hier die Kooperationsbereitschaft des Schuldners essentiell ist, vgl. Pohlmann, Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, S. 113 f. 461  Vgl. hierzu bereits S. 162 ff. und S. 205 ff. 462  Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 21 Rn. 19 ff., 30. Vgl. bspw. zum notwendigen Begründungsaufwand des Verwalters für ein angestrebtes Verwertungs- und Einziehungsverbot nach § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 InsO Pape, in: K/P/B‑InsO, § 21 Rn. 40i ff. 463  BGH, Urt. v. 18. 7. 2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, 365 = NZI 2002, 543, 546. 464  Eingehend zu Voraussetzungen und Möglichkeiten Laroche, NZI 2010, 965. 465  Auch durch sog. Gruppenermächtigungen (vgl. bspw. Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 22 Rn. 70a, 132) lässt sich das praktische Problem nicht im Grundsatz umgehen. Wegen dieser Probleme streitet insbes. Marotzke für eine sehr flexible Masseschuldbegründungskompetenz des vorläufigen Verwalters (Marotzke, ZInsO 2001, 113, 117 ff.). 466  Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 240 (Hervorhebung durch den Verfasser). Das AG Hamburg befürchtete, dass die „gerichtliche Tätigkeit […] faktisch auf ein Abstempeln hinauslaufen“ würde (AG Hamburg, Beschl. v. 16. 12. 2002 – 67g IN 419/02, NZI 2003, 153, 154). Vgl. auch Laroche, NZI 2010, 965, 970; Undritz, NZI 2003, 136, 141.



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Verfahren vor der Insolvenzeröffnung und die typische „schwache“ Verwaltung kann diesem Bedürfnis nicht konsequent nachkommen. bb)  Bedürfnis nach früher Unternehmensübertragung Ähnliche Spannungen ergeben sich allerdings auch dann, wenn das Insolvenzgericht (der „belastenden Wirkung“ des § 55 Abs. 2 InsO zum Trotz)467 einen „starken“ vorläufigen Verwalter bestellt. Auch dieser hat nicht die weitreichenden Kompetenzen des späteren Insolvenzverwalters und kann deshalb u. U. wirtschaftlich sinnvolle Maßnahmen nur deshalb nicht treffen, weil die Eröffnung nicht unverzüglich erklärt wird. Verdeutlichen lässt sich dieser Konflikt bspw. an der vieldiskutierten Frage nach der Möglichkeit einer Betriebsveräußerung im Eröffnungsverfahren: Der Erhalt eines Betriebs wird in der Praxis vor allem durch übertragende Sanierungen erreicht:468 In einem asset deal werden die einzelnen Bestandteile und Vermögenswerte eines Unternehmens als „Funktionseinheit im Paket“469 an einen Erwerber veräußert und aus dem Erlös die Gläubiger befriedigt. Je höher also der Kaufpreis für das „Gesamtpaket“ ist, desto höher ist letztlich auch die verfahrenszentrale Befriedigungsquote der Gläubiger. In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass die lukrativsten Übernahmeangebote gerade im Eröffnungsverfahren unterbreitet werden:470 Das schuldnerische Unternehmen ist noch aktiv, werbend tätig;471 der Ruf des Unternehmens ist noch nicht nachhaltig durch das Insolvenzstigma beschädigt worden, Vertragspartner und Kunden haben sich noch nicht endgültig vom Unternehmen gelöst und das Personal (samt Know-how) ist noch nicht zu anderen Arbeitgebern abgewandert.472 Die Veräußerung des Betriebs schon im Eröffnungsverfahren 467  Nicht selten wird nur ein schwacher Verwalter bestellt, um die Wirkung des § 55 Abs. 2 InsO zu umgehen (vgl. S. 162 ff.); dies lässt sich nicht mit dem Verweis auf (vermeintliche) Verhältnismäßigkeitserwägungen rechtfertigen, Laroche, NZI 2010, 965, 971. 468  Bei der statistischen Erhebung des IfM kam es zur übertragenden Sanierung viermal häufiger als zur rechtsträgererhaltenden (Icks/Kranzusch, Sanierung in Insolvenzverfahren, S. 63); vgl. auch Classen, BB 2010, 2898, 2899 f. 469  Wellensiek, NZI 2002, 233, 234. 470  Mit dieser Feststellung bspw. Marotzke, Das Unternehmen in der Insolvenz, S. 27; Vallender/Fuchs, NZI 2003, 292, 293 f.; Kriegs, Übertragende Sanierung, S. 35; Menke, NZI 2003, 522, 525. Vgl. auch RegE InsVerfVereinfG, BT‑Drs. 16/3227, S. 10. Gesondert zu „exorbitant günstigen Verwertungsmöglichkeiten“ Pohlmann, Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, S. 212 f. 471  Welche entscheidende Bedeutung dies für etwaige Übernahmeangebote haben kann, hat die „air berlin“-Insolvenz verdeutlicht: Bei einer Einstellung des (Flug-)Betriebs hätte der Verlust wertvoller Start- und Landerechte gedroht. Ein möglichst schneller Verkauf sollte zum Erhalt dieser Rechte und damit zu einem höheren Erlös führen. Vgl. zu dieser Besonderheit Recker, NZI 2017, 428, 434 f. 472  Grundlegend hierzu Marotzke, Das Unternehmen in der Insolvenz, S. 27 ff.; vgl. auch Kriegs, Übertragende Sanierung, S. 33 f.; Schluck-Amend, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.563 ff.

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kann bei derartigen Rahmenbedingungen eine „wirtschaftlich vernünftige und im Interesse der Insolvenzgläubiger zwingend gebotene Maßnahme sein“473. Vor diesem Hintergrund vertreten einige Stimmen in Literatur und Praxis die Ansicht, eine Betriebsveräußerung müsse schon im Insolvenzeröffnungsverfahren möglich sein,474 auch wenn dies nicht „dogmatisch stringen[t]“475 sei. Auch der Gesetzgeber erkannte dieses Bedürfnis der Praxis; ein entsprechend frühzeitiges Verwertungsrecht wurde angedacht,476 letztlich aber bewusst und ausdrücklich verworfen: In diesem Verfahrensstadium sei der Insolvenzgrund noch nicht gerichtlich festgestellt, ein so schwerwiegender Eingriff in das Eigentum des Schuldners sei deshalb nicht gerechtfertigt, schließlich sei auch die Prüfung und Durchführung eines Unternehmensverkaufs nicht mit dem Ziel einer zügigen Verfahrenseröffnung zu vereinbaren.477 Insbesondere vor diesem Hintergrund wird die Möglichkeit zur Betriebsveräußerung im Eröffnungsverfahren richtigerweise weitgehend abgelehnt. Derartige Veräußerungsmaßnahmen sind „mit dem Sicherungs- und Erhaltungszweck des Insolvenzeröffnungsverfahrens nicht zu vereinbaren“478. Gleichwohl werden dogmatische Bedenken für Extremfälle, also bei offensichtlichen, schwerwiegenden wirtschaftlichen Nachteilen, nicht selten zurückgestellt.479 Auch hier zeigt sich die Zwiespältigkeit des Eröffnungsverfahrens zwischen dogmatischem Ansatz und praktischen Bedürfnissen: Ist der vorläufige Verwalter daran gehindert, im Eröffnungsverfahren eine außergewöhnlich gute Verwertungsmöglichkeit zu nutzen, hat dies u. U. zu Folge, dass die übertragende Sanierung nach der Eröffnung nicht oder nicht mehr zu den gleichen Konditionen realisiert werden kann. Das Unternehmen muss ggf. zerschlagen werden, Arbeitsplätze gehen verloren, Fortführungswerte können nicht realisiert werden. Das primäre Ziel des Insolvenzverfahrens – die Befriedigung der Gläubiger (§ 1 S. 1 InsO) – wird in diesem Fall nicht optimal verwirklicht. Insbesondere 473 

Uhlenbruck, in: KölSch, 2. Aufl., S. 325, 353 Rn. 30. (neben Pohlmann, s. o.) bspw. Gerhardt, in: Jaeger-InsO, § 22 Rn. 90; Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 41; Fritsche, DZWIR 2005, 265, 269; Menke, BB 2003, 1133, 1136; Kammel, NZI 2000, 102, 103 f. 475  Pohlmann, Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, S. 212. 476  DiskE InsOÄndG, ZInsO 2003, 359, 360; vgl. Pape, in: K/P/B‑InsO, § 21 Rn. 9e, 9h. 477  RegE InsVerfVereinfG, BT‑Drs. 16/3227, S. 11. Vgl. auch die ganz ähnliche Einschätzung in DiskE des BMJ, NZI 2006, 212, 222. 478  Hölzle, in: Schmidt-InsO, § 22 Rn. 33. S. auch BGH, Urt. v. 15. 3. 2012 – IX ZR 249/09, NZI 2012, 365, 366 Rz. 11; BGH, Beschl. v. 14. 12. 2000 – IX ZB 105/00, BGHZ 146, 165, 172 f. = NJW 2001, 1496, 1497; Kriegs, Übertragende Sanierung, S. 46 ff.; Pape, in: K/P/B‑ InsO, § 22 Rn. 16 ff.; Schmerbach, in: FK‑InsO, § 22 Rn. 87; ders./Staufenbiel, ZInsO 2009, 458, 460; Arends/Hofert-von Weiss, BB 2009, 1538, 1539 f.; mit deutlichen Vorbehalten auch Classen, BB 2010, 2898, 2890. 479 So bspw. bei Pohlmann, Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, S. 212 f.; Fritsche, DZWIR 2005, 265, 269; Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 41, vgl. demgegenüber Rn. 39; wohl auch Schluck-Amend, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Rn. 5.570. 474  So



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wenn die materielle Insolvenz des Schuldners bereits mit hoher Wahrscheinlichkeit vorliegt und die Eröffnung lediglich eine „Formsache“ ist, erscheint die Möglichkeit der frühzeitigen Betriebsveräußerung also auf den ersten Blick als angebracht. Gleichwohl kann dem wirtschaftlich nachvollziehbaren Wunsch nach einer solchen Veräußerungsmöglichkeit vor Eröffnung nicht entsprochen werden: Die Richtschnur und Zielsetzung des § 1 S. 1 InsO gilt unmittelbar nur für das (eröffnete) Insolvenzverfahren; vor der – förmlich erklärten – Eröffnung dürfen keine vollendeten Tatsachen geschaffen, die Entscheidung der Gläubiger nicht vorweggenommen und die Rechte des Schuldners nicht unverhältnismäßig beschnitten werden.480 Die Unternehmensveräußerung im Eröffnungsverfahren mag praktisch und wirtschaftlich „zwingend“ erscheinen,481 sie würde allerdings einen „dogmatischen Dammbruch bedeuten, der das Vorverfahren dem Hauptverfahren in einem weiteren zentralen Bereich gleichstellt“482. cc)  Frühzeitige Beteiligung der Gläubiger Die mit dem ESUG eingeführte Institution des vorläufigen Gläubigerausschusses (§§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a, 22a InsO) illustriert den inneren Konflikt des Eröffnungsverfahrens auf doppelte Weise. Erstens wurde durch die Einführung dieses Gläubigergremiums gesetzgeberisch bestätigt, dass das Insolvenzeröffnungsverfahren in der Praxis „nicht selten seinen Charakter als vorbereitender Verfahrensabschnitt verloren [hat], wenn schon hier Strukturentscheidungen für die Zukunft des Unternehmens getroffen werden“483. Da schon vor der Eröffnung bedeutende, weitreichende und oft nicht revidierbare Maßnahmen ergriffen werden und eine Beteiligung der Gläubiger nach der Eröffnung faktisch zu spät kommt,484 wurde auch der Einfluss der Gläubiger vor die Eröffnungsentscheidung verlagert.485 Der Ge480  RegE InsVerfVereinfG, BT‑Drs. 16/3227, S. 11; Pape, in: K/P/B‑InsO, § 22 Rn. 16 ff.; Kriegs, Übertragende Sanierung, S. 46 ff.; Ampferl, Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter, S. 180 ff.; Arends/Hofert-von Weiss, BB 2009, 1538, 1539 f. Überzeugend auch Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 39, anders aber Rn. 41. 481  Denkbar wäre – zumindest ab dem Zeitpunkt der Entscheidungsreife – die schnelle Eröffnung und Durchführung der Unternehmensveräußerung; hierbei würde allerdings die (ggf. entscheidende) Möglichkeit zur vollen Ausschöpfung des Insolvenzgeldzeitraums verloren gehen. Insbes. wenn nur Betriebsteile veräußert werden sollen, ist dieser Weg für den vorläufigen Verwalter oft keine attraktive Alternative. 482  Ehricke, ZIP 2004, 2262, 2266. 483  Fritsche, DZWIR 2005, 265, 277. Ganz ähnlich die Einschätzung in RegE ESUG, BT‑ Drs. 17/5712, S. 24; vgl. auch RechtsA zum RegE ESUG, BT‑Drs. 17/7511, S. 33. 484 Vgl. Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 21 Rn. 13 f.; de Bruyn, Der vorläufige Gläubigerausschuss, S. 52 f.; Frind, in: Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Rn. 203; Holzer, NZI 2013, 1049, 1053. 485  Lüke, in: K/P/B‑InsO, § 22a Rn. 4; Graf-Schlicker, in: ders.‑InsO, § 22a Rn. 2; Frind, BB 2013, 265.

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setzgeber gab damit „die von der InsO vorgeschriebene systematische Trennung zwischen Eröffnungsverfahren und eröffnetem Verfahren zugunsten einer [von der Praxis gewünschten] Kompetenzverschiebung auf“486. In der Institution des „vorinsolvenzlichen Gläubigerausschusses“ verdeutlichen sich zweitens auch die allgemeinen dogmatischen Spannungen des Eröffnungsverfahrens: Zwar werden in dieser Phase entscheidende und prägende Maßnahmen eingeleitet, sodass die frühe Einbeziehung der Gläubiger – insbesondere bei konstruktiver Zusammenarbeit aller Beteiligten – sinnvoll und geboten erscheint. Gleichwohl kann sich im vorläufigen Gläubigerausschuss noch nicht die Gläubigerautonomie verwirklichen.487 Erst der gerichtliche Eröffnungsbeschluss weist das Vermögen des Schuldners haftungsrechtlich den Gläubigern zu – dies ist für das konkrete Verfahren die „Geburtsstunde der Gläubigerautonomie“488. Vor der Insolvenzeröffnung hat sich die Gläubigergemeinschaft noch nicht als solche konstituiert; ob sich im vorläufigen Ausschuss tatsächlich der Wille „der Gläubiger“ widerspiegelt, ist – nicht zuletzt wegen der nur „eingeschränkt repräsentativ[en]“489 Besetzung – durchaus fraglich.490 Die Kompetenzen des vorläufigen Gläubigerausschusses sind im Eröffnungsverfahren noch deutlich eingeschränkt. Neben der zentralen und wichtigsten neuen Möglichkeit, frühzeitig den vorläufigen Verwalter (mit) zu bestimmen,491 werden dem Ausschuss zwar auch weitergehende Kontroll-, Mittwirkungs- und sogar Zustimmungsrechte zugesprochen.492 Gleichwohl steht die „Funktionsbegrenzung des Eröffnungsverfahrens“493 einer echten Verfahrensherrschaft der Gläubiger in diesem Zeitpunkt im Wege: Endgültige Entscheidungen dürfen vor der gerichtlichen Verfahrenseröffnung auch durch den vorläufigen Ausschuss nicht getroffen werden; dieser ist „lediglich“ ein Organ zur fachkundigen Beratung, zur Vorbereitung des späteren Verfahrens und zur möglichst transparenten Kommunikation. Die operative Geschäftsführung und die unternehmerischen Entscheidungen obliegen (bei der regel486  Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22a Rn. 1; der Zusatz geht auf die ansonsten gleiche Feststellung der Vorauflage zurück (Uhlenbruck, in: ders.‑InsO, 13. Aufl., § 67 Rn. 6). 487  Anders aber bspw. Mönning, in: Nerlich/Römermann-InsO, § 22a Rn. 6, 8. Vgl. auch RegE ESUG, BT‑Drs. 17/5712, S. 17 f. 488  Marotzke, Das Unternehmen in der Insolvenz, S. 63. Vgl. hierzu auch de Bruyn, Der vorläufige Gläubigerausschuss, S. 63 f.; Pohlmann, Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, S. 150; Frege, in: FS Peltzer, S. 109, 121. 489  Frind, ZInsO 2013, 279. 490  So auch Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22a Rn. 6, der dieses „Dilemma“ als zwingende Folge der Kompetenzverschiebung von eröffnetem zu Eröffnungsverfahren sieht. 491  de Bruyn, Der vorläufige Gläubigerausschuss, S. 164 ff.; Mönning, in: Nerlich/Römermann-InsO, § 22a Rn. 138. 492  Frind, BB 2013, 265 f.; de Bruyn, Der vorläufige Gläubigerausschuss, S. 162 ff. 493  de Bruyn, Der vorläufige Gläubigerausschuss, S. 54.



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mäßig schwachen vorläufigen Verwaltung) dem Schuldner.494 Auf diesen kann der vorläufige Gläubigerausschuss nur dann Einfluss nehmen, wenn er kooperationsbereit und sanierungswillig ist; im Konfliktfall zeigt sich die Begrenztheit der Gläubigerkompetenz.495 So richtig und notwendig die möglichst frühzeitige Einbindung der Gläubiger insbesondere bei etwaigen Sanierungschancen auch ist, durch den vorläufigen Ausschuss kann – im Hinblick auf die Natur des Eröffnungsverfahrens – eine tatsächliche Verfahrensherrschaft der Gläubiger nicht erreicht werden. Eine frühe und umfassende Verwirklichung der Gläubigerautonomie lässt sich wohl nur durch ein möglichst kurzes Eröffnungsverfahren, eine zügige Eröffnung und eine tatsächliche „Vorverlagerung“ des Verfahrensbeginns erreichen; erst im Insolvenzverfahren kann der Gläubigerausschuss das geforderte kompetente und souveräne „Steuerungs- und Gestaltungsorgan“496 sein. dd)  Gläubigerschutz bei vorläufiger Eigenverwaltung über § 276a InsO Schließlich verdeutlicht auch ein Sonderproblem der Betriebsfortführung in vorläufiger Eigenverwaltung – die umstrittene Frage nach der Anwendbarkeit von § 276a InsO – die Zwiespältigkeit des Eröffnungsverfahrens. Die Norm wurde mit dem ESUG eingeführt, um bei juristischen Personen bzw. Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit das Verhältnis von Überwachungsorganen (Aufsichtsrat, Gesellschafterversammlung) und Geschäftsführung für den Fall der Eigenverwaltung zu klären: Im Insolvenzverfahren ist die Führung der Geschäfte allein an den Gläubigerinteressen auszurichten und soll nicht durch den der Einfluss der Überwachungsorgane (die nicht selten ganz eigene Interessen verfolgen werden) gehemmt oder blockiert werden.497 Könnten die Überwachsungsorgane die Geschäftsleitung ohne Einschränkungen abberufen und auswechseln, so wäre diese nicht unabhängig genug, um Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen, die nicht den Gesellschaftern, sondern (ggf. nur) den Gläubigern dienen.498 § 276a InsO unterbindet also ein

494  Frege, in: FS Peltzer, S. 109, 125; de Bruyn, Der vorläufige Gläubigerausschuss, S. 156 f., 233 f. 495  Die Wirksamkeit von Maßnahmen des Schuldners im Außenverhältnis kann vom Ausschuss nicht beeinflusst werden. Dies gilt zwar auch im eröffneten Verfahren (§ 164 InsO), dort ist allerdings der Verwalter und nicht der Schuldner verwaltungs- und verfügungsbefugt und gegenüber den Gläubigern verpflichtet und im Innenverhältnis gebunden, vgl. hierzu de Bruyn, Der vorläufige Gläubigerausschuss, S. 161 f. 496  Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 22a Rn. 1, allerdings schon für den vorläufigen Gläubigerausschuss. 497  RegE ESUG, BT‑Drs. 17/5712, S. 42. Vgl. zur Anreizstruktur ausführlich Klöhn, NZG 2013, 81, 82 f. 498  Spliedt, in: FS Vallender, S. 613, 616.

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ggf. sanierungshinderliches Störfeuer der Gesellschafter und sichert so eine möglichst „reibungslose Geschäftsführung“499. Höchst umstritten ist nun die Frage, ob diese Norm (analog) auch im Eigenverwaltungseröffnungsverfahren (§§ 270a, 270b InsO) Anwendung finden muss. In der diesbezüglichen Diskussion verdeutlichen sich einmal mehr die dogmatischen Spannungen zwischen vorgelagerter Prüfung und frühem, informellem Verfahrensbeginn: Nimmt man die Tatsache in den Fokus, dass praktisch schon im Eröffnungsverfahren regelmäßig die wesentlichen Entscheidungen getroffen und erste Sanierungsmaßnahmen geplant und eingeleitet werden, und dass grds. ein Bedürfnis nach einem souveränen „Manager-Verwalter“ besteht,500 liegt die Anwendung von § 276a InsO nahe. Schon in der (verfahrens-)entscheidenden Phase zwischen Antrag und Eröffnung muss „gesichert sein […], dass die Entscheidungen im Interesse der Insolvenzgläubiger und nicht der Gesellschafter getroffen werden“501. Besonders deutlich wird dieses Bedürfnis, betrachtet man die Gefahr, dass die Geschäftsleitung ausgewechselt wird, um den Insolvenzantrag zurückzunehmen und so die Verfahrenseröffnung (ggf. trotz materieller Insolvenz) zu verhindern.502 Richtet man den Fokus allerdings eher auf das dogmatische Grundkonzept des Eröffnungsverfahrens, wäre eine analoge Anwendung eher abzulehnen: Hiernach dient das Eröffnungsverfahren vorrangig bzw. „nur der gerichtlichen Prüfung“503 der Eröffnungsvoraussetzungen; ob es überhaupt zu einem Verfahren kommt, ist – zumindest in der Theorie – noch völlig offen.504 Ohne den formellen Eröffnungsbeschluss, mit dem das Schuldnervermögen haftungsrechtlich den Gläubigern zugewiesen wird,505 fehle es, so die wohl überwiegender Ansicht, an der notwendigen „Legitimation, in die gesellschaftsrechtliche Zuständigkeitsordnung – insbesondere zu Lasten der Gesellschafter – einzugreifen“506. 499 

Haas, in: FS Stürner, S. 749, 765; s. auch Zipperer, ZIP 2012, 1492, 1493. Vgl. hierzu S. 250 ff. 501  Brinkmann, DB 2012, 1369 Fn. 50. So auch Häsemeyer, in: FS Schilken, S. 693, 699; Haas, in: FS Stürner, S. 749, 765; Rosenberg, Change of Control-Klauseln, S. 168 f.; Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 273 f.; Landfermann, in: HK‑InsO, § 276a Rn. 16 f. 502  Hieraus ergeben sich auch erhebliche Risiken für Vertragspartner, die im Eröffnungsverfahren auf die Zusagen des ursprünglichen Geschäftsführers vertrauen. Hierzu mit besonderem Fokus auf der Insolvenzgeldvorfinanzierung Muschiol, ZInsO 2016, 248, 254 f. 503  Jacoby, in: FS Vallender, S. 261, 272. 504  Riggert, in: Nerlich/Römermann-InsO, §  276a Rn. 6; Klinck, DB 2014, 938, 940; Klöhn, NZG 2013, 81, 84. 505  Marotzke, Das Unternehmen in der Insolvenz, S. 62 f.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 1.13. 506  Riggert, in: Nerlich/Römermann-InsO, § 276a Rn. 6; ähnlich Graf-Schlicker, in: GrafSchlicker-InsO, § 276a Rn. 4; Undritz, in: Schmidt-InsO, § 276a Rn. 4. Gegen die Anwendung im Eröffnungsverfahren auch Foltis, in: FK‑InsO, § 276a Rn. 5; Zipperer, ZIP 2012, 1492, 500 



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Die skizzierte Diskussion macht deutlich, welche weitreichenden Konsequenzen sich aus dem Bruch zwischen theoretischem Konzept (ergebnisoffene, neutrale Prüfungsphase) und praktischer Ausgestaltung des Eröffnungsverfahrens (entscheidendes Vorinsolvenzverfahren) ergeben. Dies gilt besonders für die Phase zwischen Entscheidungsreife und Eröffnung: Die Absicherung der Gläubigerinteressen ist spätestens durch die gerichtlich festgestellte materielle Insolvenz des Schuldners vorrangiges Ziel;507 durch die Verzögerung der Eröffnung verschiebt sich jedoch auch der notwendige Schutzmechanismus des § 276a InsO.508 b)  Bruch zwischen EuInsVO und InsO Wie weit sich z. T. die materielle und die formelle Dimension der Insolvenzeröffnung voneinander entfernt haben, zeigt sich besonders deutlich im Verhältnis und im Vergleich von deutscher Insolvenzordnung und europäischer Insolvenzverordnung.509 Die EuInsVO steht insbesondere im Dienste der reibungslosen Funktion des europäischen Binnenmarkts: Nur wenn auch beim finanziellen Zusammenbruch eines am Markt aktiven Akteurs eine effektive grenzüberschreitende Abwicklung der Ansprüche und Rechtsverhältnisse sichergestellt ist, kann sich ein einheitlicher Markt entwickeln.510 Hierzu schafft die EuInsVO kein europaweit einheitliches Insolvenzverfahren, wohl aber harmonisierende Regelungen, sowohl in formeller wie auch in kollisionsrechtlicher Hinsicht.511 Prägend für die Verordnung ist der Grundsatz der (eingeschränkten) Universalität: Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens soll prinzipiell in allen Mitgliedsstaaten Wirkung entfalten und automatisch anerkannt sein.512 Bei der Bestimmung und Verortung des hierfür ausschlaggebenden Moments („Ver1493; Spliedt, in: FS Vallender, S. 613, 617 f.; Beck/Lebmeier, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 44 Rn. 238 f. sowie die in Fn. 503 f. genannten. 507  Spätestens hier wird offenkundig, dass die Gesellschaft wirtschaftlich nicht mehr den Gesellschaftern gehört, s. zu diesem Hintergrund von § 276a InsO Klöhn, NZG 2013, 81, 82 f.; ähnlich und nach Insolvenzgründen differenzierend Brinkmann, in: Brinkmann/Shirvani, Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 155, 168. 508  Dies gilt jedenfalls wenn man eine Vorwirkung bzw. analoge Anwendung ablehnt. 509  EuInsVO 2000: Verordnung 2000/1346/EG (ABlEG 2000/L 160/1); EuInsVO 2015: Verordnung 2015/848/EU (ABlEU 2015/L 141/19). 510  Vgl. die Erwägungsgründe 2 ff. zur EuInsVO 2000 sowie zur EuInsVO 2015. S. auch Reinhart, in: MüKo-InsO, Vor Art. 1 EuInsVO Rn. 2. 511  Zum Gegenstand der EuInsVO Lüer, in: Uhlenbruck-InsO, Vor Art. 1 EuInsVO Rn. 5 ff. 512  Vgl. auch ErwGr. 23 zur EuInsVO 2015. Dieses Universalitätsprinzip gilt allerdings nicht uneingeschränkt: In bestimmten Fällen können neben (oder vor) dem Hauptverfahren räumlich begrenzte Partikularverfahren eingeleitet werden (Art. 3 Abs. 3 und Abs. 4, Art. 34 ff. EuInsVO 2015). Vgl. näher zum Grundsatz der modifizierten Universalität Pannen/Riedemann, in: Pannen-EuInsVO, Einleitung Rn. 34 ff. Kritisch zu einer solchen hierarchischen Einordnung Fehrenbach, Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren, S. 61 f.

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fahrenseröffnung“) unterscheiden sich nun das europäische und das deutsche Recht deutlich. Gerade „hier zeigen sich einmal mehr die dogmatischen Brüche, die letztlich durch die Praxis der Insolvenzgeldvorfinanzierung ausgelöst werden“513. Nach deutscher Vorstellung und Praxis erfolgt die (formelle) Eröffnung des Insolvenzverfahrens sehr spät, oftmals lange nach dem materiellen Beginn des Verfahrens.514 Die EuInsVO tendiert hingegen zum entgegengesetzten Extrem. Auch wenn diese Divergenz praktisch „verkraftbar“ ist und keine unlösbaren Probleme mit sich bringt,515 illustriert sie deutlich, welche dogmatischen Spannungen dem Insolvenzeröffnungsverfahren innewohnen. Schließlich lenkt insbesondere auch die jüngste, grundlegende Reform der Insolvenzverordnung zusätzlich den Fokus auf die Problematik des Eröffnungszeitpunkts und bietet damit einen aktuellen Anlass für den deutschen Gesetzgeber, die hiermit verbundenen dogmatischen „Brüche etwas sorgfältiger zu ‚verspachteln‘, als das bisher der Fall ist“516. aa)  Verfahrenseröffnung unter der EuInsVO 2000 Ein Hauptinsolvenzverfahren muss gemäß Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2000 dort eröffnet werden, wo der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen (centre of main interests, COMI) hat. Nimmt ein Gericht diese internationale Zuständigkeit für sich in Anspruch und eröffnet ein (Haupt-)Insolvenzverfahren, so tritt eine Sperrwirkung ein, mit der Folge, dass nachfolgend allenfalls territorial begrenzte Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden können (Abs. 3).517 Gleichzeitig sind die Gerichte anderer Mitgliedsstaaten nach Art. 16 EuInsVO 2000 an diese Entscheidung gebunden, können also nicht überprüfen, ob die Zuständigkeit zur Eröffnung zu Recht oder zu Unrecht angenommen wurde.518 Wegen dieses Prioritätsprinzips, also der Lösung von Kompetenzkonflikten zugunsten der ersten Eröffnungsentscheidung,519 hat die Frage nach dem hierfür maßgeblichen Zeitpunkt besondere Relevanz: In seiner wegweisenden EurofoodEntscheidung hat der EuGH klargestellt, dass der Begriff der Verfahrenseröffnung (entgegen der zuvor herrschenden Ansicht)520 unionsrechtlich-autonom 513 

Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 634. Ebd. vgl. auch S. 249 ff. 515 Vgl. Thole, in: MüKo-InsO, Art. 16 Rn. 10. Sehr positiv auch die Einschätzung bei Fehrenbach, Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren, S. 131 ff. 516  Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 634. 517  Brinkmann, in: Schmidt-InsO, Art. 3 EuInsVO Rn. 24 ff.; Kohlmann/Keller, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, § 131 Rn. 61 ff. 518 Vgl. auch ErwGr. 22 EuInsVO 2000; Gruber, in: Haß/Huber/Gruber/HeiderhoffEuInsVO, Art. 16 Rn. 9 ff.; Brinkmann, BRJ 2013, 5, 8. 519  Eingehend hierzu Turck, Priorität im Europäischen Insolvenzrecht, insbes. S. 37 ff.; vgl. auch Herchen, ZIP 2005, 1401. 520  Vgl. die umfassenden Nachweise bei Reinhart, NZI 2009, 73, 74 Fn. 6 f. 514 



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auszulegen und deshalb nicht unbedingt mit der Entscheidung identisch sei, die nach dem „Recht des Mitgliedstaats förmlich als Eröffnungsentscheidung bezeichnet wird“521. Als Eröffnung i. S. d. Art. 3, 16 EuInsVO 2000 sind demnach alle Entscheidungen anzusehen, die einen (zumindest teilweisen) Vermögensbeschlag gegen den Schuldner nach sich ziehen und durch die ein (in Anhang C der EuInsVO 2000 genannter) Verwalter bestellt wird, sodass der Schuldner (zumindest teilweise) die Befugnis zur Vermögensverwaltung verliert.522 Bezogen auf deutsche Verfahren bedeutet dies, dass schon die Einsetzung eines (auch schwachen) vorläufigen Verwalters bei gleichzeitiger Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots oder (ggf. beschränkten) Zustimmungsvorbehalts als Verfahrenseröffnung in diesem Sinne anzusehen ist.523 Eine solche Entscheidung, die ggf. bereits Stunden nach dem Eingang des Insolvenzantrags ergeht und damit mehrere Monate vor der formellen Verfahrenseröffnung i. S. d. § 27 InsO liegt,524 kann „unionsrechtlich wirksame Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens sein“525. InsO und EuInsVO nehmen damit bzgl. der formellen Verfahrenseröffnung zwei entgegengesetzte Extrempositionen ein. Dieser Bruch zwischen den Rechtsordnungen legt offen, welches Spannungsverhältnis dem deutschen Insolvenzeröffnungsverfahren innewohnt. Die materielle Insolvenz ist in dieser Phase zwar i. d. R. sehr wahrscheinlich, gerichtlich festgestellt wurde sie allerdings nicht; gleichwohl werden Gerichte in anderen Ländern an der Eröffnung eines Hauptverfahrens gehindert; weiter noch: Es könnte dort ggf. unmittelbar ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden, bei dem die Insolvenztatbestände nicht zu prüfen sind (Art. 27 S. 1 EuInsVO 2000),526 sodass ein „Verfahren geführt würde, ohne dass jemals im Laufe des Verfahrens ein Insolvenzgrund festgestellt würde“527. Während das deutsche Eröffnungsverfahren primär der Insolvenzfeststellung dienen sollte, 521  EuGH, Urt. v. 2. 5. 2006 – C-341/04 (Eurofood), Slg. 2006, I-3854, 3873 ff. = EuZW 2006, 337, 339 f. Rz. 50 ff.; vgl. auch Thole, in: MüKo-InsO, Art. 16 EuInsVO Rn. 9 sowie Fehrenbach, Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren, S. 128 ff. 522  EuGH, Urt. v. 2. 5. 2006 – C-341/04 (Eurofood), Slg. 2006, I-3854, 3874 = EuZW 2006, 337, 339 Rz. 54. Diese Ansicht fand auch Eingang in die reformierte EuInsVO (Art. 1 Abs. 1). 523  So bspw. Brinkmann, in: Schmidt-InsO, Art. 2 EuInsVO Rn. 8; Thole, in: MüKo-InsO, Art. 16 EuInsVO Rn. 13; Pannen, in: Pannen-EuInsVO, Art. 3 Rn. 92; Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 99 ff.; Turck, Priorität im Europäischen Insolvenzrecht, S. 99 f., vgl. allerdings S. 103 ff.; Dammann/Müller, NZI 2011, 752, 754 f.; Reinhart, NZI 2009, 73, 74 f.; Herchen, NZI 2006, 435; Mankowski, BB 2006, 1753, 1758. A. A. Paulus, NZG 2006, 609, 613; ders., EuInsVO, Art. 16 Rn. 6; Smid, NZI 2009, 150; ders., DZWIR 2006, 325, 326 f. 524 Vgl. Herchen, NZI 2006, 435, 436; Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 96. 525  Fehrenbach, Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren, S. 129. 526  Eingehend hierzu Fehrenbach, Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren, S. 337 ff. 527  Thole, in: MüKo-InsO, Art. 16 EuInsVO Rn. 9, der darauf hinweist, dass die Feststellung eines Insolvenzgrundes ohnehin nicht immer zwingend ist. Eine Übertragung der Eurofood-Rechtsprechung auf Art. 27 EuInsVO 2000 befürworten auch Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 150 ff.; Mankowski, BB 2006, 1753, 1757. Vgl. auch die sehr umfangreiche Auslegung bei Fehrenbach, Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren, S. 145 ff.

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Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung

löst es – getrieben vom Bedürfnis nach Sicherung und (Betriebs-)Fortführung – u. U. bereits Folgen aus, die sich mit der „Vorläufigkeit“ des Verfahrens nicht vereinbaren lassen. Lässt man (aus diesen Gründen) nicht die Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen, sondern nur die formelle Eröffnung nach § 27 InsO als Verfahrenseröffnung i. S. d. Art. 27 EuInsVO 2000 gelten,528 so könnte während des deutschen Eröffnungsverfahrens weder ein zweites Haupt- noch ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden. Bei einer solchen Auslegung würden die Gerichte in anderen Mitgliedsstaaten praktisch dazu gezwungen, die (lange) Dauer des deutschen Eröffnungsverfahrens abzuwarten.529 Ein weiteres Problem ergibt sich hinsichtlich der gerichtlichen Prüfung und Feststellung der eigenen internationalen Zuständigkeit: Da in der Anordnung der ersten Sicherungsmaßnahmen bereits die Verfahrenseröffnung im europarechtlichen Sinne liegt, muss das Insolvenzgericht bereits hier prüfen, ob es für eine solche Entscheidung zuständig ist; dies gilt umso mehr, als andere Gerichte diese Annahme weder überprüfen, noch sich hierüber hinwegsetzen können.530 Diese Pflicht zur Anerkennung der Eröffnung ist in der Konzeption der EuInsVO zunächst unproblematisch. Theoretisch darf und wird nur das Gericht eröffnen, in dessen Gebiet auch das COMI des Schuldners liegt; die internationale Zuständigkeit ist also grds. eindeutig und nach objektiven Kriterien festgelegt.531 Sobald allerdings mehrere Orte als COMI in Betracht kommen, ist dessen Bestimmung praktisch regelmäßig überaus komplex, das Ergebnis der Verortung wird deshalb z. T. für „beinahe beliebig“532 gehalten. Gerade hier offenbart sich der Konflikt des Eröffnungsverfahrens: Notwendig wäre im europarechtlichen Kontext eine eingehende Prüfung des COMI, um eine „objektiv richtige“ Entscheidung zu gewährleisten;533 die Eröffnung hat nicht nur Sperrwirkung, sondern determiniert letztlich grds. auch das anzuwendende Sachrecht (Art. 4 EuInsVO 2000).534 528  So insbes. Brinkmann, in: Schmidt-InsO, Art. 27 EuInsVO Rn. 9; Herchen, in: PannenEuInsVO, Art. 27 Rn. 20; Turck, Priorität im Europäischen Insolvenzrecht, S. 97 f.; Reinhart, in: MüKo-InsO, Art. 27 EuInsVO Rn. 9. Vgl. auch die Kritik bei Paulus, NZG 2006, 609, 613. Durch die Reform der Verordnung wird dieses Problem allerdings entfallen, S. Art. 34 S. 2 EuInsVO 2015. 529 Vgl. Reinhart, in: MüKo-InsO, Art. 27 EuInsVO Rn. 10. 530 Hierzu Brinkmann, in: Schmidt-InsO, Art. 2 EuInsVO Rn. 9; Art. 16 EuInsVO Rn. 5 ff. 531  EuGH, Urt. v. 2. 5. 2006 – C-341/04 (Eurofood), Slg. 2006, I-3854, 3868 f. = EuZW 2006, 337, 338 Rz. 33 ff. mit Hinweis auf ErwGr. 13 zur EuInsVO 2000. Vgl. auch Pannen, in: Pannen-EuInsVO, Art. 3 Rn. 43; Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 97. 532  Fehrenbach, Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren, S. 113, vgl. auch S. 91 f. 533  Dieses Gebot wird durch die Reform explizit bestätigt, vgl. ErwGr. 30 zur EuInsVO 2015, wonach die Gerichte „sorgfältig prüfen“ sollen, ob sie tatsächlich zuständig sind. 534  Mit diesem Hinweis Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 633. Vgl. auch Fehrenbach, Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren, S. 93 f.



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Diesem Bedürfnis steht der Ansatz des deutschen Eröffnungsverfahrens auf zweifache Weise entgegen. Zum einen erfolgt die Prüfung der essentiellen Umstände – bspw. der internationalen Zuständigkeit – erst in dieser Phase, also typischerweise nach der Einsetzung eines vorläufigen Verwalters.535 Zum anderen ergibt sich nach der Antragstellung regelmäßig ein drängendes Sicherungs- und Entscheidungsbedürfnis: Vorläufige (sichernde und „gestaltende“) Anordnungen müssen i. d. R. sehr schnell getroffen werden, um möglichst unverzüglich Vermögensdispositionen und -schädigungen zu unterbinden und ggf. einen laufenden Betrieb aufrechtzuerhalten. Zwar setzt die Anordnung sichernder Maßnahmen grds. die Zulässigkeit des Insolvenzantrags voraus. Gleichwohl verzichtet die Rechtsprechung in Deutschland auf die vorherige, sichere Feststellung bspw. der internationalen Zuständigkeit, wenn „zur Sicherung des Schuldnervermögens ein rasches Eingreifen des Insolvenzgerichts angezeigt [ist]“536. Sicherungsmaßnahmen ergehen deshalb oftmals noch am Tag des Antragseingangs,537 also i. d. R. bevor abschließend geklärt werden konnte, wo das COMI des Schuldners liegt.538 Mit Blick auf die Funktionen des Eröffnungsverfahrens in Deutschland ist dieses Vorgehen nachvollziehbar, europarechtlich dürfte es allerdings unzulässig sein.539 Wenn das Insolvenzgericht durch praktische Zwänge dazu gedrängt wird, möglichst schnell Sicherungsmaßnahmen und Anordnungen zur Betriebsfortführung zu erlassen und zudem u. U. selbst die eigene Zuständigkeit im internationalen „Wettbewerb der Jurisdiktionen“540 möglichst früh behaupten und damit perpetuieren will,541 besteht das Risiko, dass die entsprechende Prüfung zumindest im Einzelfall übereilt und ggf. unsauber vorgenommen wird.542

535  Turck, Priorität im Europäischen Insolvenzrecht, S. 104, der sich aus diesem Grund gegen die Auslegung des EuGH wendet. Vgl. auch Undritz, in: HambKomm-InsO, Art. 102 § 2 EGInsO Rn. 6. 536  BGH, Beschl. v. 22. 3. 2007 – IX ZB 164/06, NZI 2007, 344, 345 Rz. 11. Vgl. hierzu Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 21 Rn. 2. 537  Herchen, NZI 2006, 435, 436; Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 96. 538  Reinhart, NZI 2012, 304, 305 f.; ders., NZI 2009, 73, 75; Beth, NZI 2014, 487, 489; Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 97; Turck, Priorität im Europäischen Insolvenzrecht, S. 104. 539  Dies gilt ausdrücklich mit Inkrafttreten von Art. 4 Abs. 1 EuInsVO 2015, allerdings – wegen der beschriebenen Folgen – auch schon unter Geltung der EuInsVO 2000, s. Brinkmann, in: Schmidt-InsO, Art. 2 EuInsVO Rn. 9. 540  Thole, in: MüKo-InsO, Art. 16 EuInsVO Rn. 10. 541 Die Praxis zeigt, dass Gerichte nicht selten dazu tendieren, im Zweifel die eigene Zuständigkeit anzunehmen, vgl. Mankowski, BB 2006, 1753; Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 97. Zu dieser gerichtlichen Unterstützung des „race to the courtroom“ auch Brinkmann, BRJ 2013, 5, 8 f.; ders. in: Schmidt-InsO, Art. 3 EuInsVO Rn. 26. 542  Thomas, Insolvenzeröffnungsverfahren, S. 97 f., 108. Ähnlich auch Turck, Priorität im Europäischen Insolvenzrecht, S. 104.

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bb)  Verfahrenseröffnung unter der EuInsVO 2015 Die Reform der EuInsVO bringt diverse, z. T. grundlegende Neuerungen mit sich;543 auch einige der angesprochenen Probleme werden angegangen: So wird künftig bspw. auch bei Sekundärverfahren das Vorliegen von Insolvenzgründen geprüft, wenn dies im Hauptverfahren – bspw. bei Einsetzung eines vorläufigen Verwalters im deutschen Verfahren – (noch) nicht geschehen ist.544 Des Weiteren wird ausdrücklich die Pflicht der Gerichte normiert, vor der Verfahrenseröffnung die internationale Zuständigkeit von Amts wegen sorgfältig zu prüfen und in der Eröffnungsentscheidung zu begründen.545 Gerade in diesem Kontext von Verfahrenseröffnung, Zuständigkeitsprüfung und -kontrolle ergeben sich durch die EuInsVO 2015 einige Änderungen, die den beschriebenen Bruch zwischen deutschem und europäischem Recht nochmals klarer offenlegen: Die reformierte EuInsVO umfasst nun ausdrücklich auch vorläufige Verfahren,546 also auch das deutsche Insolvenzeröffnungsverfahren in all seinen Ausgestaltungen.547 Eine Verfahrenseröffnung i. S. d. EuInsVO 2015 liegt vor, sobald das Insolvenzgericht irgendeine Sicherungsmaßnahme anordnet und öffentlich bekanntmacht;548 ein Vermögensbeschlag oder die Einsetzung eines (vorläufigen) Verwalters sind hierbei nicht zwingend notwendig.549 Schon in der bekanntgemachten Einsetzung eines schwachen vorläufigen Verwalters, dessen Rechtsstellung „eher der eines gerichtlichen Sachverständigen oder eines vom Gericht eingesetzten Beraters“550 entspricht, kann somit die Verfahrenseröffnung im europarechtlichen Sinne liegen.551 Die neu normierte Vorgabe, dass das Gericht vor dieser Entscheidung ex officio sorgfältig prüfen und begründen muss, ob und warum es international 543 Einen Überblick gibt Wimmer, in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, Rn. 4 ff. 544 Art. 34 S. 2 EuInsVO 2015. Vgl. hierzu Delzant, in: Braun-InsO, Art. 34 EuInsVO Rn. 9; Wimmer, in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, Rn. 412 ff. 545  Art. 4 Abs. 1, ErwGr. 30 EuInsVO 2015, näher hierzu sogleich. 546  Art. 1 Abs. 1, ErwGr. 15 EuInsVO 2015. 547  Dies gilt, wenn und sobald eine öffentliche Bekanntmachung erfolgt, s. Wimmer, in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, Rn. 104 f.; Schmidt, in: Mankowski/ Müller/Schmidt-EuInsVO, Art. 1 Rn. 23 f.; Fritz, DB 2015, 1882, 1883. 548  Diese Einschränkung ergibt sich aus Art. 1 und ErwGr. 12 EuInsVO 2015. Damit erhält der Streit um die Öffentlichkeit von Schutzschirmverfahren neue Brisanz, vgl. Brinkmann, KTS 2014, 381, 386; Schmidt, in: Mankowski/Müller/Schmidt-EuInsVO, Art. 1 Rn. 19. 549  Bornemann, in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, Rn. 89, 104. Vgl. auch RegE DurchführungsG zur EuInsVO 2015, BT‑Drs. 18/10823, S. 28. 550  Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 6. 551  Vgl. insbes. Bornemann, in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, Rn. 104, der auch die Einsetzung eines Sachverständigen einzubeziehen scheint. Außerhalb von §§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 23 InsO besteht zwar keine Publizitätspflicht, allerdings ist die Bekanntmachung wohl möglich und nicht selten angebracht, vgl. bspw. Blersch, in: BerlKomm-InsO, § 23 Rn. 6 ff.; Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 23 Rn. 10; Schmerbach, in: FK‑InsO, § 23 Rn. 1, 4; a. A.  Hölzle, in: Schmidt-InsO, § 23 Rn. 3.



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zuständig ist, wird die Insolvenzrichter schon für sich genommen vor neue Herausforderungen stellen.552 Dies gilt allerdings umso mehr, wenn die notwendige Prüfung erst im Eröffnungsverfahren, bspw. durch den vorläufigen Verwalter – also nach der zu begründenden Eröffnungsentscheidung – geschehen soll. Ein solches Vorgehen ist unter der reformierten EuInsVO wohl nicht mehr zulässig. Hier zeigt sich erneut der Bruch des Eröffnungsverfahrens: Die Einleitung dieses Prüfungsverfahrens bedarf ihrerseits einer vorherigen Prüfung. Schließlich wird das Spannungsverhältnis zwischen Eröffnung und Eröffnungsverfahren noch an einem weiteren europarechtlichen Novum deutlich. Mit Art. 5 Abs. 1 EuInsVO 2015 wird dem Schuldner und den Gläubigern ein Rechtbehelf gegen die Eröffnungsentscheidung (bezogen auf die Annahme der internationalen Zuständigkeit) zur Verfügung gestellt. Im Zusammenspiel mit dem erweiterten Anwendungsbereich der EuInsVO bedeutet dies, dass sich Gläubiger und Schuldner bereits gegen die Einleitung des Eröffnungsverfahrens wenden können.553 Der deutsche Gesetzgeber hat dieses Beschwerderecht mit Art. 102c § 4 EGInsO ohne Abweichung in deutsches Recht überführt, nachdem zunächst noch eine Ausweitung des Rechtsschutzes angedacht war.554 In dieser Anfechtbarkeit von vorläufigen Sicherungsmaßnahmen zeigt sich eine weitere Facette des spannungsreichen Verhältnisses von deutschem und europäischem Recht: Durch den neuen Rechtsbehelf kann eine Entscheidung des Insolvenzgerichts angegriffen werden, bevor dieses überhaupt eine eigene tiefergreifende Prüfung der Umstände vornehmen konnte. Deshalb wird in aller Regel weder das COMI sicher feststehen, noch, ob überhaupt die tatbestandlichen Voraussetzungen für das neue Beschwerderecht vorliegen. Konkret dürfte bei der (oft drängenden) Anordnung von Sicherungsmaßnamen – so auch der Bundesrat – noch unklar sein, ob sich diese auch auf Vermögensgegenstände erstreckt, die sich außerhalb Deutschlands befinden.555 Ferner wird zu diesem Zeitpunkt „häufig gar nicht bekannt sein, wer Gläubiger und als solcher anfechtungsberechtigt ist“556. Zudem kann das neue Recht auch bzgl. des angreifbaren Beschwerdegegenstands nicht überzeugen: Wird bspw. ein vorläufiger Verwalter eingesetzt, so 552 

Vallender, ZIP 2015, 1513, 1514. diesem Hinweis Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 633 f. und Fritz, DB 2015, 1882, 1885. 554 Der Regierungsentwurf zu dieser Norm sah ein Beschwerderecht immer dann vor, wenn und sobald „vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach § 21 der Insolvenzordnung angeordnet“ würden – auch wenn diese nicht öffentlich gemacht würden (RegE DurchführungsG zur EuInsVO 2015, BT‑Drs. 18/10823, S. 7). Die EuInsVO 2015 selbst beschränkt sich hingegen auf öffentliche Verfahren, vgl. S. 264 Fn. 548. Kritisch zum ersten Ansatz der Umsetzung Madaus, NZI 2017, 203, 207 f.; vgl. zur Änderung auch Swierczok, ZInsO 2017, 1861, 1862. 555  Stellungnahme des Bundesrates zum RegE DurchführungsG zur EuInsVO 2015, BT‑ Drs. 18/10823, S. 42. 556 Ebd. 553  Mit

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Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung

liegt es nicht im Interesse der Gläubiger, diese Sicherung der haftenden Masse oder die Betriebsfortführung zu stören. „Die Gläubiger wollen sich ja nicht gegen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen wehren, sondern die fehlende internationale Zuständigkeit des Gerichts zur Eröffnung des Verfahrens rügen.“557 Derartige „Störmanöver“ können gerade in der kritischen Phase des Eröffnungsverfahrens zu massiven Schäden und Beeinträchtigungen führen, an denen die Gläubiger i. d. R. das geringste Interesse haben.558 Auch aus diesen Gründen wird vorgeschlagen, das Eröffnungsverfahren de lege ferenda zweistufig auszugestalten, indem ein vorläufiger, selbständig anfechtbarer Beschluss über die Einleitung des Insolvenzeröffnungsverfahrens eingeführt wird.559 Durch die beschriebenen Friktionen lenkt die EuInsVO die Aufmerksamkeit auf die heterogene Natur des deutschen Insolvenzeröffnungsverfahren: Bereits vor dem formellen Eröffnungsbeschluss geschieht typischerweise sehr viel mehr als die diskrete Antragsprüfung und die vorsichtige, zurückhaltende Sicherung. Der Schuldner wird bereits hier nicht unwesentlich entmachtet, materiell beginnt ein Insolvenzverfahren, nur formell „verschließt man die Augen“, um den Subventionseffekt des Insolvenzgelds vollständig ausschöpfen zu können. Durch das Europarecht werden dieses Vorgehen und die Zwiespältigkeit des deutschen Eröffnungsverfahrens schonungslos offengelegt.560 c) Zwischenfazit Die diversen praktischen Probleme, die sich innerhalb und wegen des Insolvenzeröffnungsverfahrens ergeben können, resultieren nicht selten aus der dogmatischen Zerrissenheit dieser „Zwischenphase“. Auf der einen Seite und primär dient dieser Verfahrensabschnitt der Antrags- und insbesondere der Insolvenzprüfung. Erst wenn und weil sicher feststeht, dass ein Insolvenzgrund vorliegt und das Verfahren förmlich, öffentlich und in angreifbarer Weise (§ 34

557 

Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 633. Fritz, DB 2015, 1882, 1885, der zudem auf das hemmende Prozessrisiko und die Gefahr bewusster Störer hinweist. Vgl. auch die Stellungnahme des BAKInsO zum neuen Beschwerderecht („das Eröffnungsverfahren [wird] unnötig behindert“), die allerdings verkennt, dass die (anfechtbare) Eröffnung i. S. d. EuInsVO nicht mit der formellen Eröffnung des § 27 InsO zusammenfallen muss, (https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/ Stellungnahmen/2016/Downloads/09092016_Stellungnahme_BAKinso_Ref_EUInsVO.pdf, zuletzt abgerufen am 1. 1. 2018). 559  Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 642 f. Hierdurch ließe sich, durch eine weitere Ausweitung des Beschwerderechts, zudem das Rechtsschutzdefizit von (Minderheits-)Gesellschaftern reduzieren. 560  Ähnlich schon Brinkmann, in: FS Schilken, S. 631, 634. Zum problematischen Verhältnis von Eröffnungsverfahren und Eröffnung auch Paulus, NZG 2006, 609, 613 und Reinhart, NZI 2012, 304, 305 f. 558 



D.  Systematik und Zweck der Insolvenzordnung

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Abs. 2 InsO) eröffnet wurde, wird die privatautonome Haftungssteuerung durch eine normative Haftungsordnung ersetzt.561 Auf der anderen Seite besteht die ökonomische Notwendigkeit, möglichst frühzeitig auf die (wahrscheinliche) materielle Insolvenz zu reagieren, um so „lebende Strukturen“ und die Haftungsmasse zu erhalten.562 Würde erst nach der Eröffnungsentscheidung erstmalig auf die Situation reagiert werden, kämen viele Maßnahmen wohl zu spät. Gleichzeitig werden durch eine solche (Teil-) Vorverlagerung des Verfahrens u. U. Tatsachen geschaffen, die das Ergebnis der (Insolvenz-)Prüfung faktisch vorwegnehmen. Der Blick sowohl auf die einstweilige Betriebsfortführung als auch auf das Verhältnis von InsO und EuInsVO macht dieses dogmatische Spannungsfeld zwischen zurückhaltender Vorläufigkeit und dynamischem Vorverfahren deutlich. In der Theorie ist die Verfahrenseröffnung die Grenze zwischen Privatautonomie auf der einen und Gesamtvollstreckung auf der anderen Seite. Erst mit der Eröffnung wird die Befriedigungsfunktion des Insolvenzverfahrens umfassend wirksam,563 wird das Vermögen des Schuldners haftungsrechtlich den Gläubigern zugewiesen,564 besteht die verfahrensrechtlich gesicherte Rechtfertigung zum Eingriff in die schuldnerischen (Grund-)Rechte.565 In der Praxis kann die Eröffnungsentscheidung dieser Funktion als Trennlinie nicht konsequent und ausnahmslos nachkommen: Das Eröffnungsverfahren stellt sich als Melange aus Vorläufigkeit und Vorgreiflichkeit dar, in der keine ausnahmslose Trennung zwischen Vorprüfung und Verfahren bestehen kann. Dieser im Grundsatz wohl unumgänglichen dogmatischen Spannung kann nur dadurch begegnet werden, dass die Zwischenphase zwischen Antrag und „echtem“ Verfahren möglichst kurz gehalten und eine möglichst zügige Verfahrenseröffnung sichergestellt wird.566 Die aktive Insolvenzbewältigung im Eröffnungsverfahren sollte die begrenzte und seltene Ausnahme bleiben, „an ihre Stelle sollte wieder das eröffnete Verfahren treten!“567 561 

Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 1.13. („Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird […] eine normative Haftungsordnung begründet“, Hervorhebung durch den Verfasser). 562  Uhlenbruck/Vuia, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Hdb, §  14 Rn. 1; Icks/Kranzusch, Sanierungen in Insolvenzverfahren, S. 10, 124. 563  Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 2.15. 564  Marotzke, Das Unternehmen in der Insolvenz, S. 62 f.; ähnlich Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 1.13. 565  Mit dieser Begründung wendet sich der Gesetzgeber gegen eine (zu) weite Vorverlagerung des Verfahrens und die Verzögerung der Eröffnung RegE InsVerfVereinfG, BT‑Drs. 16/3227, S. 11. 566  Dieses Ziel betonen auch RegE ESUG, BT‑Drs. 17/5712, S. 18; RegE InsVerfVereinfG, BT‑Drs. 16/3227, S. 11, 15 und grundlegend RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 117. 567 So Kilger, in: FS 100 Jahre KO, S. 189, 216, bereits zum Verhältnis von eröffnetem Verfahren und Sequestration zum alten Recht. Sehr kritisch zur angestammten Gliederung und Praxis Fritsche, DZWIR 2005, 265, 277 und Haarmeyer/Mock, InsVV, § 11 Rn. 12. Vgl. auch Ehricke, ZIP 2004, 2262, 2266, der praktische und dogmatische Schwierigkeiten vor allem

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Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung

E. Ergebnis Auch wenn die Insolvenzordnung nicht explizit regelt, ob die gezielte Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens rechtlich zulässig ist, lässt ihr Telos und ihre Systematik einen eindeutigen Schluss zu: Das Beschleunigungsgebot ist im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht nur grundsätzliches Prinzip, sondern zwingende Vorgabe für das Insolvenzgericht und den vorläufigen Verwalter. Prima facie scheint die allgemeine Ausrichtung des Insolvenzverfahrens auf die Gläubigerbefriedigung zunächst gegen die Pflicht zur unverzüglichen Entscheidung zu sprechen: Das lange Eröffnungsverfahren bietet – insbesondere bei einer Betriebsfortführung – erhebliche praktische Vorteile für die Insolvenzverwaltung und die spätere Masse. Richtig ist deshalb, dass durch die Eröffnungsverzögerung u. U. die Insolvenzquote erhöht, Fortführungswerte erhalten, Sanierungschancen gewahrt und Arbeitsplätze gesichert werden könnten. Gleichwohl lässt sich diese Praxis letztlich nicht durch das Verfahrensziel der Gläubigerbefriedigung und den Verweis auf § 1 S. 1 InsO rechtfertigen: Diese insolvenzrechtliche Zentralnorm spricht lediglich von der „gemeinschaftlichen“ Gläubigerbefriedigung, nicht aber von einer absolut vorrangigen Masseanreicherung „um jeden Preis“.568 Vergegenwärtigt man sich, dass allein das Schuldnervermögen den Gläubigern haftungsrechtlich zugewiesen und die Anreicherung der Masse auf Kosten Einzelner, Dritter, des Staates etc. nicht vorgesehen ist,569 muss die Zulässigkeit der Eröffnungsverzögerung abgelehnt werden: Einige der bedeutendsten Vorteile des ausgedehnten Eröffnungsverfahrens – die Verhinderung (vermeidbarer) Masseverbindlichkeiten, die „Optimierung“ von Vertragskündigungen, der Erhalt massegünstiger Positionen570 – ergeben sich unmittelbar aus der bewussten (Sonder-)Belastung bestimmter Gläubiger oder unbeteiligter Dritter; die Masse wird bei derartigen Strategien systemwidrig angereichert.571 Auch der herausragende und entscheidende Nutzen der Eröffnungsverzögerung – die umfassende Nutzung des (vorfinanzierten) Insolvenzgelds – vermag darauf zurückführt, dass der „vorgesehene Charakter des Vorverfahrens als kurze Prüfungszeit bis zur Eröffnung des Verfahrens obsolet [geworden] ist“ (Einfügung und Hervorhebung durch den Verfasser). 568  A. Schmidt, meint (zum Gegensatz von Befriedigungs- und Sanierungsfunktion), dass eine umfassende „Gläubigerbefriedigung zwar erwünscht ist, aber kein absolutes Ziel der InsO darstellt“, A. Schmidt, in: HambKomm-InsO, § 1 Rn. 26. 569 Vgl. Stürner, in: MüKo-InsO, Einl. Rn. 3. 570  Vgl. hierzu S. 162 ff., S. 166 f. sowie S. 170 f. 571  Auch im Insolvenzverfahren verbieten sich grds. Eingriffe in die zivilrechtliche Güterordnung und derartige aufgezwungene Vermögensopfer, so bspw. RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 78 f.; RegE HBeglG 2011, BT‑Drs. 17/3030, S. 43; vgl. auch Kirchhof, in: HK‑InsO, 7. Aufl., § 27 Rn. 16; Marotzke, ZInsO 2004, 178, 187; Holzer, in: K/P/B‑InsO, § 27 Rn. 49 f.; Pape/ Schaltke, in: K/P/B‑InsO, § 55 Rn. 211.



E. Ergebnis

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die gängige Praxis nicht rechtlich zu legitimieren: Zutreffend ist zwar, dass die ausgedehnte Liquiditätsschöpfung über das Insolvenzgeld eine Betriebsfortführung nicht selten überhaupt erst ermöglicht – sie gilt gerade deshalb als „selbstverständliches Instrumentarium“572 der Verwaltung und „unbestreitbar [als] Erfolgsstory“573. Eine tatsächlich verfahrensentscheidende Bedeutung als conditio sine qua non der einstweiligen Unternehmensfortführung kommt der Insolvenzgeldvorfinanzierung aber insbesondere dann zu, wenn der Antrag (zu) spät gestellt, die Restliquidität vollständig verbraucht und die letzten Sanierungschancen bereits vertan wurden. Hier dient das lange Eröffnungsverfahren als „Notnagel“ zur Wahrung der letzten (vermeintlichen) Chancen, setzt gleichzeitig aber (Fehl-)Anreize, die das fundamentale Grundproblem der schwierigen Fortführungsfinanzierung nicht lösen, sondern u. U. verstärken.574 Gleichzeitig bringt die Praxis der ausgedehnten Insolvenzgeldvorfinanzierung vielfältige Probleme mit sich: Schon die originäre Funktion des Insolvenzgelds, die Absicherung des einzelnen Arbeitnehmers, wird bei einer Eröffnungsverzögerung nicht selten außer Acht gelassen, sodass es zu vermeidbaren, ungesicherten Lohnausfällen kommt.575 Auch die allgemeinen, langfristigen Auswirkungen der Insolvenzgeldvorfinanzierung auf den Arbeitsmarkt, die gesetzlich durch § 170 Abs. 4 SGB III in den Fokus gerückt werden, sind als eher marginal einzuschätzen. Gleichzeitig lässt sich derzeit nicht sicherstellen, dass die Insolvenzgeldvorfinanzierung nur in den gesetzlich anerkannten Fällen genutzt wird; die Notwendigkeit einer Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit ist hier „kein nennenswertes Hindernis“576. Schließlich verbinden sich mit dem insolvenzgeldfinanzierten Eröffnungsverfahren sowohl europa- als auch verfassungsrechtliche Probleme: Zum einen stellt sich die Abwertung der Lohnansprüche durch § 55 Abs. 3 InsO und die damit einhergehende Perpetuierung des Subventionseffektes als europarechtswidrige Beihilfe dar. Zum anderen verstößt die Finanzierung der Insolvenzgeldmittel allein durch die Arbeitgeber für die Phase zwischen Eröffnungsreife und Eröffnung gegen Art. 3 Abs. 1 GG, sodass die Eröffnungsverzögerung (bei Nutzung des Insolvenzgelds) schon aus verfassungsrechtlichen Gründen abgelehnt werden muss. Den eher schwachen Argumenten, die für ein gerichtliches Eröffnungsermessen angeführt werden, stehen auf der anderen Seite grundlegende dogmatische, systematische und praktische Bedenken gegenüber: Die bereits angesprochene selektive Sonderbelastung einzelner Gläubiger, die aus unterschiedlichen Grün572 

Kilger, KTS 1989, 495, 499; Ries/Zobel, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 178. Woltersdorf, INDat Report 01_2017, 12, 13. 574  S. hierzu S. 153 f. sowie S. 282 f. 575  Dies gilt insbes., wenn das Insolvenzgeld vollständig für das Eröffnungsverfahren verwendet wird, s. Brinkmann, ZZP 2012, 197, 215; vgl. hierzu schon S. 52 ff. und S. 103 f. 576  Henckel, in: Jaeger-InsO, § 55 Rn. 87. 573 

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Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung

den im Eröffnungsverfahren zur „Leistung gegen Quote“ gezwungen sind, ist insbesondere bei der bewussten Eröffnungsverzögerung und Ausnutzung dieser Zwangslage eine unzulässige „Entrechtung“577 der Betroffenen und eine Verletzung des gerichtlichen Neutralitätsgebots.578 Auch hinsichtlich der Kernfunktion von Eröffnungsverfahren und Antragsprüfung – der Insolvenzeingangskontrolle – kann die Entscheidungsverzögerung problematische Folgen nach sich ziehen: Die Gefahr, dass ein (zunächst ggf. unbegründeter) Insolvenzantrag zu einer self-fulfilling prophecy wird, ist besonders hoch, wenn das Eröffnungsverfahren lange dauert, materiell bereits als erste Phase der Insolvenzbewältigung fungiert und dementsprechend viel (öffentliche) Aufmerksamkeit erregt. Je kürzer, konzentrierter und diskreter das Eröffnungsverfahren ist, desto geringer ist der problematische Selbstbegründungseffekt und desto eher kann die gerichtliche Entscheidung den notwendigen Insolvenzeingangsschutz bieten.579 Weiterhin verbindet sich mit der Eröffnungsverzögerung das Risiko, dass auf die (gerichtlich festgestellte) materielle Insolvenz nicht mit dem gesetzlich vorgesehenen Verfahren reagiert werden kann: Wird der Insolvenzantrag im „überobligatorischen“ Zeitraum des Eröffnungsverfahrens, also nach der Entscheidungsreife, zurückgenommen, so entfällt die Grundlage für eine Verfahrenseröffnung. Auch wenn das Insolvenzgericht also vom Vorliegen eines (zwingenden) Insolvenzgrunds überzeugt ist, kann es in diesem Fall den notwendigen und angezeigten Schutz von Gläubigern und Rechtsverkehr nicht sicherstellen.580 Gegen die „Beliebigkeit“ des Eröffnungszeitpunkts spricht insbesondere auch die Tatsache, dass die formelle Eröffnungsentscheidung an vielen Stellen ein wichtiger Fixpunkt des Insolvenzrechts ist. Durch eine Manipulation dieses Bezugspunkts verzögern sich auch viele abhängige Wirkungsmechanismen, es kommt u. U. zu problematischen und ggf. unvorhergesehenen Folgen: Der Massebeschlag tritt verspätet ein, der Raum für masseschädliche Aufrechnungen vergrößert sich, Vermieterpfandrechte können beeinflusst werden, stichtagsbezogene Wertbestimmungen werden unsicher und ggf. unkalkulierbar und eine etwaige Restschuldbefreiung kann sich verzögern.581 Auch allgemein im Zivilrecht knüpfen viele gesetzliche und vertragliche Regelungen an den Fixpunkt der Insolvenzeröffnung an, sodass eine Eröffnungsverzögerung diverse,

577 

Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.46. Kirchhof, in: HK‑InsO, 7. Aufl, § 27 Rn. 16; Holzer, in: K/P/B‑InsO, § 27 Rn. 49 f.; vgl. hierzu eingehend S. 221 ff. 579  S. zum diesbezüglichen „Korrekturbedarf“ Brinkmann, in: Brinkmann/Shirvani, Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 155, 170 sowie eingehend zuvor S. 222 ff. 580  Vgl. hierzu S. 230 ff. 581  Zu den unterschiedlichen insolvenzrechtlichen Folgewirkungen vgl. S. 236 ff. 578 



E. Ergebnis

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unterschiedlich bedeutsame privatrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann und so ggf. die Rechte unbeteiligter Dritter unmittelbar beeinträchtigt.582 Die hohen Kosten des Eröffnungsverfahrens sprechen zumindest dann gegen die Eröffnungsverzögerung, wenn Betriebe ohne konkrete Sanierungsperspektive weitergeführt werden, allein um auf diese Weise umfassend vom Insolvenzgeld zu profitieren und hiermit (vorrangig) die Verfahrens- und Verwalterkosten zu decken.583 Diese vielfältigen, teils gravierenden Konsequenzen, die das lange Insolvenzeröffnungsverfahren nach sich zieht, machen deutlich, dass der Eröffnungszeitpunkt nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt sein darf. Eine gezielte Verlängerung des Eröffnungsverfahrens ist mit der Systematik und Ausrichtung der Insolvenzordnung nicht in Einklang zu bringen. Die Phase zwischen Insolvenzantrag und gerichtlicher Entscheidung ist – unabhängig von einer etwaigen Entscheidungsverzögerung – von gravierenden Spannungen geprägt: Das Eröffnungsverfahren steht zwischen materieller und formeller Insolvenz und damit zwischen dogmatisch indizierter Vorläufigkeit und faktisch notwendiger Vorgreiflichkeit. Ob es überhaupt zu einem Verfahren kommen wird, ist zunächst (zumindest theoretisch) ungewiss, gleichzeitig besteht aber das dringende praktische Bedürfnis, aktiv und ggf. „rettend“ einzugreifen. Diese problematische Zerrissenheit zeigt sich insbesondere in und bei einer vorläufigen Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren und am Verhältnis zwischen InsO und EuInsVO: Die zeitliche Divergenz von materieller und formeller Insolvenz, vor allem aber das Auseinanderfallen von materiellem und formellem Verfahrensbeginn, führen zu erheblichen dogmatischen Spannungen und Brüchen, die sich nur durch eine möglichst zügige Verfahrenseröffnung reduzieren lassen. Im Ergebnis ist die verbreitete Praxis – die Verzögerung der Eröffnungsentscheidung trotz eingetretener Entscheidungsreife – als unzulässig anzusehen.584 Im Insolvenzrecht gilt, schon ohne den (nur subsidiären) Rückgriff auf die ZPO, das Gebot der unverzüglichen Entscheidung über den Insolvenzantrag.585 Für das Insolvenzgericht folgt hieraus, dass es über einen Antrag unverzüglich entscheiden muss, sobald dies möglich ist – aus der Eröffnungsreife folgt die Eröffnungspflicht.

582  Mit einer eingehenden Abwägung hierzu Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1242 ff. Vgl. auch S. 243 ff. 583  Eingehend hierzu S. 246 ff. Kritisch jüngst Siemon, NZI 2016, 688, 689. 584  So auch Marotzke, ZInsO 2004, 178, 187; Vallender, GmbHR 2012, 445, 448; ders., in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 264; Holzer, in: K/P/B‑InsO, § 27 Rn. 49 f.; Pape, in: K/P/B‑InsO, § 13 Rn. 6; Kirchhof, in: HK‑InsO, 7. Aufl., § 27 Rn. 16, vgl. auch oben S. 173 Fn. 3. 585  Auch nach Pape gehört dieses Gebot zu den „wichtigsten Grundsätzen des Insolvenzrechts“, Pape, in: K/P/B‑InsO, § 13 Rn. 6.

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Kapitel 4: Zulässigkeit der Entscheidungsverzögerung

Die Umsetzung dieser Pflicht wird die Insolvenzpraxis vor nicht unerhebliche Herausforderungen stellen; die absehbaren Konsequenzen werden noch in einem kurzen Ausblick zu thematisieren sein.586 Letztlich bietet die Abkehr von der verbreiteten und bislang kaum kritisierten Praxis jedoch das Potenzial, die durchschnittliche Länge von Eröffnungsverfahren bei Unternehmensinsolvenzen deutlich zu reduzieren. Auf diese Weise ließen sich die praktischen und dogmatischen Spannungen, die sich zwischen materieller und formeller Insolvenz aufbauen, auf das unvermeidbare Minimum begrenzen und die bedenklichen „rechtlichen Kunstgriffe […] im Sicherungsverfahren und deren problematische Einbettung in die Dogmatik nicht nur des Insolvenzrechts […] beenden“587.

586  587 

S. hierzu sogleich. Fritsche, DZWIR 2005, 277, 265.

Kapitel 5

Konsequenzen und Ausblick Aus den zuvor dargelegten Thesen, nach denen die Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens und die hiermit verbundene Praxis der umfassenden Insolvenzgeldvorfinanzierung unzulässig ist, ergeben sich unausweichliche Folgefragen, auf die in einem abschließenden Ausblick eingegangen werden soll.

A.  Umgehung der Eröffnungspflicht Die Verpflichtung der Gerichte, über Insolvenzanträge schnellstmöglich zu entscheiden, läuft grds. Gefahr, in der Praxis umgangen zu werden.1 Ein kurzes Eröffnungsverfahren ist nur dann möglich, wenn auch schnell Entscheidungsreife eintritt, wenn also dem Gericht frühzeitig die tatsächlichen Feststellungen vorliegen, auf deren Grundlage es zur notwendigen Überzeugung gelangen kann. Hierzu bedarf es in aller Regel eines entsprechenden Sachverständigengutachtens; wird dieses jedoch erst sehr spät eingereicht, kann das Insolvenzgericht mangels Entscheidungsgrundlage keine frühe Verfahrenseröffnung erreichen.2 Da im praktischen Regelfall die Begutachtung dem vorläufigen Verwalter aufgetragen wird, besteht die strukturelle Gefahr, dass dieser durch eine „passende Terminierung“ für eine Ausdehnung des Eröffnungsverfahrens sorgt. Er könnte sein Gutachten dann bspw. „nach mehreren mit Ermittlungsschwierigkeiten begründeten Fristverlängerungen wie zufällig kurz vor Ende des Insolvenzgeldzeitraums [einreichen]“3. Eine solche Praxis ist jedoch aus zwei wesentlichen Gründen unzulässig: Zunächst widerspricht sie der Kompetenzverteilung der Insolvenzordnung. Das Insolvenzgericht muss erwarten können, dass ein vorläufiger Verwalter bei Vorliegen der Eröffnungsvoraussetzungen dem Gericht diesen Umstand umgehend mitteilt.4 Zudem trifft das beschriebene Beschleunigungsgebot im Eröffnungsverfahren sowohl das Gericht als auch den Insolvenzverwalter. Beide dürfen 1 Vgl.

Marotzke, ZInsO 2004, 178, 187 („Aber wird es die Praxis beeindrucken?“). Vallender, in: Uhlenbruck-InsO, § 22 Rn. 268. 3  Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1239. Ganz ähnlich auch die Einschätzungen von Marotzke, ZInsO 2004, 178, 187 und Decker/Schäfer, BB 2015, 198, 199. 4  AG Hamburg, Beschl. v. 1. 6. 2004 – 67g IN 97/04, ZInsO 2004, 630, 631; Frind/Rüther/ Schmidt/Wendler, NZI 2004, 133, 134; Holzer, Entscheidungsträger im Insolvenzverfahren, 2 

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Kapitel 5: Konsequenzen und Ausblick

die Pflicht zur unverzüglichen Eröffnung nicht dadurch umgehen, dass sie unter dem „Deckmantel der Antragsprüfung“ die Ermittlung über das notwendige Maß ausdehnen und den Eintritt der Eröffnungsreife verzögern; ein solches Vorgehen wäre lediglich ein „unwürdige[r] (und rechtswidrige[r]) Etikettenschwindel“5.

B.  Weitergehende Verfahrensbeschleunigung Durch eine Änderung der Insolvenzpraxis und den Verzicht auf die rechtlich entbehrliche Phase zwischen Entscheidungsreife und Entscheidung wird sich die durchschnittliche Dauer von Eröffnungsverfahren deutlich reduzieren lassen. Eine weitere Verkürzung dieser prozessualen Grauzone ließe sich durch die Konzentration des Prüfungsverfahrens auf seinen zwingend notwendigen Inhalt erreichen. Die Aktivitäten von Gericht, Sachverständigem und vorläufigem Verwalter sind primär „auf eine schnelle und kostensparende Eröffnungsentscheidung auszurichten6.“ Der Fokus der Ermittlungen muss demnach auf der Prüfung der entscheidungserheblichen Fragen liegen.7 Andere Aspekte, bspw. die Ermittlung des Zeitpunkts des Insolvenzeintritts oder die Frage, ob ggf. ein zweiter Insolvenzgrund vorliegt, sollten erst nach der Verfahrenseröffnung ausführlich untersucht werden.8 Ebenso dürfen auch vorläufige Sicherungs- und Fortführungsmaßnahmen nicht den Schwerpunkt des Eröffnungsverfahrens ausmachen. Die Erkenntnisse zur Fortführungs- und Sanierungsprüfung gem. § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 a. E. InsO sind ebenfalls nur „Nebenprodukte“ der eigentlichen Antragsprüfung und dürfen diese nicht verzögern.9 Noch ausstehende Ermittlungen zur Fortführungsfähigkeit des schuldnerischen Betriebs kann „der vorläufige Verwalter […] dann in der Funktion als Insolvenzverwalter [nach der Eröffnung] fortsetzen“10. Eine solche Straffung des Eröffnungsverfahrens liegt insbesondere in der Hand der Insolvenzgerichte. Ausgangspunkt ist ein konkreter Gutachtenauftrag mit klaren Vorgaben bspw. zur Vorlagefrist und zum (begrenzten) PrüfungsRn. 450; Schmidt, in: HambKomm-InsO, § 1 Rn. 25. Zum Verhältnis von Gericht und vorläufigem Verwalter Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 22 Rn. 213 ff. Vgl. zuvor schon, S. 113. 5  Münzel, ZInsO 2006, 1238, 1239. 6  Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.43, Fn. 245. 7  Vgl. hierzu auch S. 15 ff. 8  Auch durch die (zusätzliche) Prüfung der Voraussetzungen einer Eigenverwaltung darf das Eröffnungsverfahren nicht ausgedehnt werden, s. hierzu Hammes, ZIP 2017, 1505, 1508 („Die entscheidungsreife Eröffnung des Insolvenzverfahrens darf durch die gesetzmäßige Behandlung des Eigenverwaltungsantrags nicht […] verzögert werden.“). 9  Vgl. auch die Kritik an der „deutliche[n] Verlängerung des Eröffnungsverfahrens“, die bei einer solchen Prüfung droht, von Pape, in: K/P/B‑InsO, § 22 Rn. 62. Ähnlich auch RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 117. 10 So Henckel, zitiert von Dittrich, in: Henckel/Kreft, Insolvenzrecht, S. 93, 99 (Einfügung durch den Verfasser).



C.  Einschränkungen hinsichtlich des Insolvenzgelds und dessen Vorfinanzierung

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gegenstand.11 Gibt der Sachverständige bzw. der vorläufige Verwalter zwischenzeitliche Erkenntnisse zeitnah an das Gericht weiter und wird kurzfristig Rücksprache zwischen den Beteiligten gehalten, ermöglicht dies ebenfalls einen zügigen Prüfungs- und Verfahrensablauf. Auch auf den Schuldner bzw. dessen Organe und Angestellte kann das Gericht in ähnlicher Weise einwirken: Die Auskünfte aus der Sphäre des Schuldners sind für eine schnelle Einschätzung der Situation von herausragender Bedeutung; setzt das Gericht hier eine angemessene, ggf. sehr kurze Frist, die sich am konkreten Sicherungsrisiko und am Beschleunigungsgebot ausrichtet,12 lassen sich die entscheidungsnotwendigen Tatsachen oft in kurzer Zeit ermitteln. Eine solche Konzentration und Fokussierung bietet zusätzliche Möglichkeiten zur Beschleunigung und Verkürzung des Eröffnungsverfahrens.

C.  Einschränkungen hinsichtlich des Insolvenzgelds und dessen Vorfinanzierung Aus verschiedenen Gründen und in unterschiedlichen Aspekten muss auch die Praxis der Nutzung und Vorfinanzierung des Insolvenzgelds modifiziert werden. Zunächst wirkt sich die Verkürzung des Eröffnungsverfahrens direkt auf den Insolvenzgeldzeitraum aus. Wenn das Verfahren unmittelbar bei Entscheidungsreife eröffnet werden muss, steht dieser Zeitraum nicht mehr zur freien Disposition der Beteiligten. In welchem Umfang das Insolvenzgeld letztlich gezahlt wird, hängt nur noch davon ab, wie schnell die Eröffnungsvoraussetzungen ermittelt werden können. Das Insolvenzgeld steht somit nicht in jedem Fall vollumfänglich zur Betriebsfortführung zur Verfügung. Durch diesen Ansatz ist zwar das verfassungsrechtliche Problem der gleichheitswidrigen Umlagefinanzierung weitgehend gelöst,13 für die Vorfinanzierungspraxis ergeben sich allerdings problematische Unwägbarkeiten: Da der Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung nicht mehr im Voraus feststeht, ist auch unklar, wie weit der Insolvenzgeldzeitraum reichen wird, in welchem Umfang also die Lohnforderungen Insolvenzgeldansprüche begründen. Damit wird es mutmaßlich schwieriger, einen Finanzier zu finden, der den Arbeitnehmern die Lohnansprüche abkauft und so vorfinanziert. Diese neue Problematik muss die Insolvenzgeldvorfinanzierung allerdings nicht unbedingt unmöglich machen: Die finanzierende Bank könnte sich in 11 Vgl.

Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb vorläufige Insolvenzverwaltung, § 2 Rn. 8. Zipperer weist darauf hin, dass bei entsprechenden Umständen auch eine Frist von 24 Stunden angebracht sein kann, s. Zipperer, in: Uhlenbruck-InsO, § 20 Rn. 20. 13  Nur die Finanzierungspflicht in der „überobligatorischen Phase“ zwischen Entscheidungsreife und Eröffnung steht mit Art. 3 Abs. 1 GG in Konflikt, vgl. S. 118 ff. Virulent wird die verfassungswidrige Sonderbelastung allerdings bei Schutzschirmverfahren, vgl. S. 122 f. 12 

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Kapitel 5: Konsequenzen und Ausblick

gewohnter Weise für einen bestimmten Zeitraum die Lohnansprüche der Arbeitnehmer zur Vorfinanzierung abtreten lassen. Wird innerhalb dieses vorfinanzierten Zeitraums das Verfahren eröffnet, erhält die Bank zunächst nur anteilig Insolvenzgeldansprüche; die (bereits abgetretenen) Lohnforderungen aus der Zeit nach der Eröffnung führen nicht zu einem Anspruch gegen die Bundesagentur für Arbeit – sie sind allerdings als Masseverbindlichkeiten vorrangig im Verfahren zu befriedigen (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Für den Finanzier sind die Ausfallrisiken also kalkulierbar und lassen sich in den Rahmenverträgen der Vorfinanzierung berücksichtigt. Zwei andere Aspekte werden sich wohl deutlich gravierender auf die Praxis auswirken: Da die Rangrückstufung des § 55 Abs. 3 InsO eine nicht genehmigte Beihilferegelung darstellt, die weder direkt noch indirekt (durch Umgehung) zur Anwendung gebracht werden darf, verringert sich u. U. der Anreiz zur Insolvenzgeldvorfinanzierung. Bei Einsetzung eines starken vorläufigen Verwalters wird die spätere Masse nicht mehr durch die „Abwertung“ der Lohnforderungen subventioniert. Allerdings kann sich die Insolvenzgeldvorfinanzierung auch ohne die Rangrückstufung als wirtschaftlich sinnvoll erweisen, denn wenigstens der Stundungsvorteil lässt sich weiterhin realisieren. Schließlich ist auch wegen der notwendigen Verschärfung der Zustimmungspraxis mit einer Reduzierung der Insolvenzgeldvorfinanzierung zu rechnen. Die Bundesagentur für Arbeit darf ihre Zustimmung gem. § 170 Abs. 4 SGB III erst dann erteilen, wenn ihr eine belastbare Prognose zur Zukunft des schuldnerischen Betriebs vorliegt, nach der mindestens 25 % der vorhandenen Arbeitsplätze nachhaltig und dauerhaft erhalten werden können, wenn und weil das Insolvenzgeld vorfinanziert wird. Trotz der genannten Einschränkungen und Vorbehalte stehen die Mittel der Insolvenzgeldkasse zukünftig nicht nur für die Sicherung der Arbeitnehmer, sondern auch für die Unterstützung der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren zur Verfügung. Die Vorfinanzierung der Insolvenzgeldansprüche bleibt ebenfalls möglich und sinnvoll. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass sowohl die durchschnittliche Dauer der Inanspruchnahme von Insolvenzgeld als auch die Anzahl der Vorfinanzierungsverfahren deutlich sinken werden. Das Insolvenzgeld wird nicht mehr in gleicher Weise und gleichem Umfang als Finanzierungsquelle für vorläufige Betriebsfortführungen zur Verfügung stehen und damit seine herausragende Bedeutung für Insolvenzeröffnungsverfahren verlieren.



D.  Ausblick auf Fortführungs- und Sanierungsmöglichkeiten

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D.  Ausblick auf Fortführungs- und Sanierungsmöglichkeiten Die zuvor dargestellte Auslegung nähert sich deutlich dem Ansatz an, den der Gesetzgeber ursprünglich bei Schaffung der Insolvenzordnung vor Augen hatte: Die Zeit zwischen Insolvenzantrag und Entscheidung, also die Grauzone des Eröffnungsverfahrens sollte möglichst kurz gehalten werden.14

I.  Schwierigkeiten für die Betriebsfortführung im kurzen Eröffnungsverfahren Der Konzeption eines sehr kurzen Eröffnungsverfahrens wurde seit Bekanntwerden der ersten Gesetzentwürfe immer wieder entgegengehalten, diese sei „sanierungsfeindlich“15. In einer Situation der akuten Krise würden durch die schnelle Verfahrenseröffnung die letzten wertvollen Sanierungsmöglichkeiten zerstört; dies widerspreche dem „Sanierungsgedanken des insolvenzrechtlichen Systems“16. In einem abschließenden Ausblick soll deshalb den Fragen nachgegangen werden, welche mutmaßlichen Schwierigkeiten eine Betriebsfortführung im kurzen Eröffnungsverfahren mit sich bringt und welche Sanierungsperspektiven dem deutschen Insolvenzrecht verbleiben. Das lange und ausgedehnte Eröffnungsverfahren kann sich aus ganz unterschiedlichen Gründen als vorteilhaft für die Insolvenzverwaltung erweisen, insbesondere wenn eine Betriebsfortführung möglich ist. Teile der Insolvenzpraxis und -literatur fürchten, dass diese nützlichen Effekte durch ein sehr kurzes Eröffnungsverfahren verhindert werden könnten. Überwiegend lassen sich diese Bedenken gegen eine schnelle gerichtliche Entscheidung allerdings relativieren. Bislang gibt das lange Eröffnungsverfahren dem vorläufigen Verwalter die Möglichkeit, bereits vor der Verfahrenseröffnung eine belastbare Einschätzung zur schuldnerischen Situation und Zukunft zu erstellen, sodass er auf dieser Grundlage sein Wahlrecht über gegenseitige Verträge gem. § 103 InsO ausüben kann.17 Doch auch wenn schnell über den Insolvenzantrag entschieden wird und die „Vorbereitungszeit“ für die Wahlrechtsausübung nicht (mehr) vor der Eröffnung zur Verfügung stehen sollte, lässt sich die notwendige Prüfung und eine fundierte Entscheidung durch den Insolvenzverwalter sicherstellen. Ihm ist zur Ausübung seines Wahlrechts eine einzelfallabhängige, angemessene Prüfungs14 Grundlegend BMJ (Hrsg.), Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, S. 108. RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 96, 116 f. Vgl. auch die jüngere Positionierung in RegE InsVerfVereinfG, BT‑Drs. 16/3227, S. 11. 15  Grub, ZIP 1993, 393; vgl. hierzu auch Haarmeyer, in: MüKo-InsO, § 21 Rn. 7 f. 16  Frind, ZInsO 2011, 1569, 1572. Vgl. bspw. auch die Bedenken bei Uhlenbruck, in: Mönning, Betriebsfortführung, § 1 Rn. 46; Keller, in: Schmidt-InsO, § 27 Rn. 54; Pannen, NZI 2000, 575, 577. 17  Eingehend hierzu S. 160 ff.

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Kapitel 5: Konsequenzen und Ausblick

und Entscheidungsfrist zuzugestehen, die sich umso weiter in das Insolvenzverfahren erstreckt, je kürzer das Eröffnungsverfahren war. In diesem Fall kann er zwar nicht sofort nach der Eröffnung, aber doch „unverzüglich“18 entscheiden. Gegen die Verkürzung des Eröffnungsverfahrens wird weiterhin angebracht, dass so ein rentables Vorgehen zur Schonung und Anreicherung der (späteren) Masse unmöglich würde: Durch eine Eröffnungsverzögerung können werthaltige Leistungen genutzt und wichtige Einnahmen generiert werden, während im Gegenzug oft lediglich Insolvenzforderungen entstehen. Eine sofortige Eröffnung würde hingegen dazu führen, dass das Insolvenzverfahren mit „vermeidbaren“ Masseverbindlichkeiten belastet wird.19 Ohne die beschriebe Vermeidungsstrategie wird die Masse fraglos stärker belastet, sodass u. U. auch die Betriebsfortführung und -sanierung erschwert wird. Diese Konsequenz ist allerdings insolvenzrechtlich und auch rechtspolitisch hinzunehmen, da es nicht zu rechtfertigen ist, „die Unternehmensfortführung im Eröffnungsverfahren durch (unfreiwillige) Sonderopfer einzelner Gläubiger zu finanzieren“20. Die derzeitige Praxis der Masseanreicherung durch „aufgezwungene Vermögensopfer“ widerspricht der insolvenzrechtlichen Systematik und geht deshalb bei der Verkürzung des Eröffnungsverfahrens zu Recht verloren.21 Eng verbunden mit der Thematik der (vermeidbaren) Masseforderungen ist die Befürchtung, dass bei kurzen Eröffnungsverfahren unkalkulierbare Haftungsrisiken entstehen. Der Insolvenzverwalter haftet speziell und verschärft für die Nichterfüllbarkeit von Masseverbindlichkeiten (§ 61 InsO); bislang konnte er in der ausgedehnten Zeit zwischen Antrag und Eröffnung eine Zukunfts- und Liquiditätsprognose erarbeiten, während gleichzeitig nur Insolvenz- und kaum Masseverbindlichkeiten entstanden. Kam es letztlich zur Masseunzulänglichkeit, konnte er sich mit dieser Liquiditätsprognose gem. § 61 S. 2 InsO entlasten. Kommt es nun zu einer schnellen Verfahrenseröffnung, so kann der Verwalter eine solche „entlastende“ Prognose nicht mehr vor der Eröffnung erarbeiten. Eine ausufernde, inadäquate Haftung ist gleichwohl auszuschließen: Die Umstände des Einzelfalls – bspw. die kurze Dauer des Eröffnungsverfahrens – sind bei der Bestimmung des Haftungsmaßstabs, insbesondere bzgl. der vom Verwalter verlangten erforderlichen Sorgfalt i. R. d. § 61 S. 2 InsO zu berücksichtigen. Je weniger Zeit dem Verwalter vor der Eröffnung zur Einarbeitung und Planung

18 

Vgl. § 103 Abs. 2 S. 2 InsO sowie § 121 Abs. 1 S. 1 BGB. Vgl. im Detail zu dieser Problematik bereits S. 162 ff. und S. 205 ff. 20  Bauer, Ungleichbehandlung der Gläubiger, S. 122. 21  Da die systemwidrige Sonderbelastung auch in der „verbleibenden“ Zeit des kurzen Eröffnungsverfahrens eintritt, müssen die Gerichte konsequenterweise auch hier durch entsprechende Anordnungen dafür sorgen, dass „gezwungene“ Neugläubiger bzgl. ihrer massemehrenden, betriebsnotwendigen Leistung adäquat vergütet oder abgesichert werden. 19 



D.  Ausblick auf Fortführungs- und Sanierungsmöglichkeiten

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zur Verfügung stand, desto eher führt auch eine grobe Prognose zum Ausschluss der Verwalterhaftung.22 Die größte Herausforderung, die sich für die Insolvenzverwaltung mit der Verkürzung des Eröffnungsverfahrens und den Einschränkungen hinsichtlich des Insolvenzgelds ergibt, ist die Finanzierung der (vorläufigen) Betriebsfortführung. Zwar ist die Praxis der Insolvenzgeldvorfinanzierung grds. weiterhin möglich, sie verliert allerdings deutlich an wirtschaftlicher Attraktivität. Damit geht die heute wichtigste Liquiditätsquelle des Eröffnungsverfahrens zumindest in Teilen verloren; eine dreimonatige Fortführung des Betriebs ohne die Belastung der Lohnkosten ist nicht mehr in der hergebrachten Weise möglich. Viele Betriebe, die bislang trotz der Widrigkeit des Insolvenz(eröffnungs)verfahrens fortgeführt werden konnten, müssten nun wohl früher eingestellt werden. Diese problematische Konsequenz wirft zum einen die Überlegung auf, ob nicht ggf. der Gesetzgeber aufgerufen ist, „zur Rettung lebensfähiger Unternehmen […], in der Eröffnungsphase den typischen Mangel an Liquidität zu beheben“23, hierzu sogleich. Zum anderen rückt die Frage in den Fokus, welche Sanierungsperspektiven und -möglichkeiten das deutsche Recht bei der dargestellten Neuorientierung noch bietet.

II.  Verbleibende Sanierungsperspektiven Durch die gebotene Verkürzung und Straffung des Insolvenzeröffnungsverfahrens wird die Insolvenzverwaltung insbesondere bei vorläufiger Betriebsfortführung zweifellos schwieriger. Die Praxis wird so vor neue, komplexe Herausforderungen gestellt; insgesamt könnte die Zahl der Betriebsfortführungen und ggf. -sanierungen hierdurch sinken. Nimmt man allerdings eine (vereinfachende) Differenzierung der unterschiedlichen Schuldnerunternehmen und Verfahrenssituationen vor, lassen sich derartige Bedenken durchaus relativieren. Betroffen sind zunächst solche Unternehmen, die auch im bisherigen Verfahren (erkennbar) keine Chance auf eine echte, dauerhafte Sanierung hatten. Auch wenn frühzeitig abzusehen ist, dass keine begründete Aussicht auf eine zumindest mittelfristige Fortführung und Sanierung bestehen, werden Betriebe bislang oftmals bewusst (nur) im Eröffnungsverfahren weiterbetrieben und nach 22 

Eingehend hierzu bereits S. 167 ff. Henckel, in: Jaeger-InsO, § 55 Rn. 87 mit dem Hinweis, dass dies nicht die Aufgabe der umlagepflichtigen Arbeitgeber sein kann. Auch Häsemeyer weist kritisch darauf hin, dass der Gesetzgeber versäumt habe, eine ökonomische Basis zur vorläufigen Verwaltung zu schaffen. Dem solle durch eine höhere Kostenbeteiligung der absonderungsberechtigten Gläubiger begegnet werden, Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.37a, 7.46, 2.36. Auch die Insolvenzrechtskommission hatte eine deutlich stärkere Finanzierungsverantwortung besicherter Gläubiger vorgeschlagen, BMJ (Hrsg.), Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, S. 312 ff. Vgl. hierzu auch Kilger, KTS 1989, 495, 503 f. 23 

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Kapitel 5: Konsequenzen und Ausblick

der Eröffnung unverzüglich eingestellt.24 Die Vorteile des langen Eröffnungsverfahrens begünstigen hier in zweck- und systemwidriger Weise die Masse auf Kosten Einzelner. Dass derartige „aussichtslose“ Betriebsfortführungen nun schneller in das angezeigte (Liquidations-)Verfahren gelangen, ist zu begrüßen und nicht zu bedauern. Eher unproblematisch ist die Einschränkung des profitablen Eröffnungsverfahrens auch hinsichtlich solcher Unternehmen, die früh und planvoll in das Verfahren gehen, die selbst einen gut vorbereiteten Antrag stellen, die ggf. in Eigenverwaltung ihren Betrieb fortführen, die konstruktiv mit den Gläubigern zusammenarbeiten wollen und die noch Liquiditätsreserven haben, weil nicht „bis zum letzten Cent“25 weitergewirtschaftet wurde. Zwar sind auch bei derartigen Verfahren die Vorteile des langen Eröffnungsverfahrens sicherlich hilfreich, letztlich erweisen sie sich allerdings als willkommener, aber verzichtbarer Bonus. Wirklich problematische Konsequenzen haben die Einschränkungen vor allem bei den Unternehmen, die auf diese Weise die letzte Sanierungschance verlieren, insbesondere wenn bei Antragstellung und zu Beginn des Eröffnungsverfahrens unklar ist, ob und welches Sanierungspotenzial noch im Unternehmen vorhanden ist. In diesen Fällen gab das bisherige Eröffnungsverfahren den zeitlichen Aufschub und die Hilfestellungen, die erforderlich waren, um die Möglichkeiten und Chancen des Verfahrens optimal auszuloten. Wird diese „subventionierte Sondierungsphase“ nun eingeschränkt, kommt es früher und öfter zur irreversiblen Betriebsstilllegung; sollten Sanierungschancen bestanden haben, so bleiben diese ungenutzt. Allerdings lässt sich auch für solche Fälle – eher gedanklich als praktisch – eine Unterscheidung vornehmen, die den kritischen Befund relativiert: Betroffen sind zunächst nämlich solche Unternehmen, bei denen zwar unklar ist und bleibt, welches Sanierungspotenzial besteht, die aber objektiv keine realistische Chance auf eine solide, nachhaltige Sanierung haben. Derartige Fälle dürften bei solchen unklaren Ausgangslagen wohl die Mehrzahl ausmachen. Wenn die Fortführungsaussichten nicht klar und früh erkennbar sind, insbesondere wenn das Verfahren spät eingeleitet und schlecht vorbereitet wurde, werden allein die nützlichen Vorteile des langen Eröffnungsverfahrens eher selten für den entscheidenden, fundamentalen Umschwung sorgen können. Eine erfolgreiche, nachhaltige Sanierung hängt nicht so sehr von diesen externen Faktoren ab, „als vielmehr von dem Zusammenspiel zwischen der Kompetenz der einzelnen Beteiligten […] sowie der in den wirtschaftlichen und personellen Ressourcen 24 Vgl. Haarmeyer/Mock, InsVV, Vorbem. Rn. 8, 33, § 11 Rn. 16 sowie die Auswertung der entsprechenden Daten von Frind, ZInsO 2011, 169, 176. Anders hierzu Ganter, ZIP 2014, 2323, 2330. Zu Kosten und Nutzen dieser Verfahren s. S. 246 ff. 25  Frind, ZInsO 2016, 2337 zum Vergleich von Ist- und Idealzustand.



D.  Ausblick auf Fortführungs- und Sanierungsmöglichkeiten

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des jeweiligen Unternehmens angelegten Sanierungsfähigkeit und Sanierungswürdigkeit des Unternehmens selbst“26. Damit bleibt als bedeutendste problematische Konsequenz des verkürzten Eröffnungsverfahrens das Schicksal solcher Unternehmen, bei denen tatsächlich wertvolles Sanierungspotenzial besteht, das unerkannt bleibt und zum Leidwesen des Schuldners, der Gläubiger, der Arbeitnehmer und letztlich auch des (Sozial-)Staates verloren geht. Derartige kritische Auswirkungen ließen sich nur dann abwenden, wenn sich ein Geldgeber finden würde, der in die (ungewisse) Sanierung des Schuldners „investiert“ und frisches Kapital zur Sicherung der Betriebsfortführung bereitstellt. Eine Privilegierung des fresh money, bspw. de lege ferenda über einen insolvenzrechtlichen Supervorrang für derartige Kredite,27 könnte in diesen Situationen u. U. den entscheidenden Impuls setzen.28 In einem solchen Szenario würden die Chancen und Risiken der Fortführungsfinanzierung adäquat miteinander verbunden; ob ein Betrieb trotz ungewissen Potenzials fortgeführt werden sollte, bliebe der Beurteilung durch die Marktakteure überlassen. Findet sich am Markt kein neuer Geldgeber, so ist die beschriebene Konsequenz – der Verlust von verborgenem Sanierungspotenzial – gleichwohl hinnehmbar; sie ist der (verkraftbare) Preis dafür, dass die Fülle anderer praktischer, rechtlicher und rechtsdogmatischer Probleme und Friktionen deutlich reduziert wird. Mit der Neuausrichtung des Eröffnungsverfahrens verbinden sich also nicht nur Bedenken und Vorbehalte, sondern auch Chancen und neue Perspektiven auf Sanierung. Zwei dieser positiven Aspekte sollen abschließend herausgehoben werden. Durch die Verkürzung der Phase zwischen Antragstellung und Verfahrenseröffnung wird zunächst eine zentrale Grundidee der Insolvenzordnung gestärkt: Das Insolvenzverfahren ist deutlicher als bisher ein „neutraler Rechtsrahmen“29, bei dem die Sanierung einer von mehreren Wegen zur Haftungsverwirklichung ist. Bislang wurden durch die Vorteile des langen Eröffnungsverfahrens Anreize gesetzt, einen Betrieb auch dort (zeitweise) fortzuführen, wo eine Sanierung eher unwahrscheinlich war.30 Ein derartiges reines Weitermachen ist allerdings kein Wert an sich,31 es muss vielmehr dort frühzeitig ver26 

Weiland, Par condicio creditorum, S. 136. insbesondere die detaillierte Ausarbeitung und den konkreten Regelungsvorschlag von Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 230 ff. In eine ähnliche Richtung geht Jaffé, in: FS Görg, S. 233, 244 f. 28 Eine solche Neuregelung könnte dazu führen, dass „Unternehmen nicht vorschnell liquidiert werden müssten“ und „mit längerem Atem geklärt werden [könnte], ob die Fortführung wirtschaftlich Sinn macht“, Parzinger, Fortführungsfinanzierung, S. 262. 29  RegE InsO, BT‑Drs. 12/2443, S. 78, 109 (Hervorhebung durch den Verfasser). 30  Vgl. die Kritik bei Gerhardt, Grundbegriffe des Vollstreckungs- und Insolvenzrechts, S. 245 sowie bereits zuvor, S. 149 ff. 31 So Frind, ZInsO 2015, 2249, 2250; vgl. auch Thole, JZ 2011, 765, 771 f. 27  Vgl.

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Kapitel 5: Konsequenzen und Ausblick

hindert werden, wo eine nachhaltige Sanierung nicht zu erwarten ist.32 Dieser Leitgedanke der Insolvenzordnung wird durch die Straffung klarer umgesetzt. Der zweite positive Impuls, den eine solche Änderung des Insolvenzverfahrens mit sich bringt, liegt in der Neufokussierung von Sanierungsbemühungen: Die Vorteile des Eröffnungsverfahrens  – allen voran das vorfinanzierte Insolvenzgeld – haben bislang ihre entscheidende Wirkung und herausragende Bedeutung bei Verfahren, die sehr spät eingeleitet werden. Die betroffenen Unternehmen haben bei Antragstellung die eigenen liquiden Mittel typischerweise vollständig aufgebraucht, die Zahlungsunfähigkeit liegt praktisch bereits vor und der Betrieb kann allein durch die Liquiditätsspritze des Insolvenzgelds vor der sofortigen, irreversiblen Stilllegung bewahrt werden. Für solche Insolvenzen dient das lange Eröffnungsverfahren bislang als „Notnagel“, der die letzte (vermeintliche) Chance bewahrt. Tatsächlich bestehen bei diesen viel zu späten Verfahren regelmäßig keine Aussichten auf eine echte, langfristige Sanierung.33 Strukturell sollte der Sanierungsfokus deshalb weniger darauf liegen, derartige Fälle aufzufangen, als vielmehr auf dem – weitgehend anerkannten und geteilten – Bestreben, die Attraktivität der frühzeitigen Verfahrenseinleitung zu steigern.34 Nur wenn der Insolvenzantrag bereits bei zukünftiger, also drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt wird, kann angemessen, überlegt und aussichtsreich auf die unternehmerische Krise reagiert werden.35 Das fundamentale Grundproblem der späten Antragstellung und der schwierigen Fortführungsfinanzierung wird durch die (Fehl-)Anreize des hergebrachten Eröffnungsverfahrens allerdings eher verstärkt als gelöst: Die Möglichkeiten und Vorzüge, die eine frühe Verfahrenseinleitung und insbesondere das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren bieten, werden erst dann wirklich überzeugend, wenn die Betriebsfortführung im Regeleröffnungsverfahren nicht mehr künstlich attraktiv gehalten wird. Durch die Verkürzung des „Regel“-Eröffnungsverfahrens würde insbesondere das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO neu in das Zentrum der insolvenzrechtlichen Aufmerksamkeit rücken. Dem Schuldner würde nunmehr allein in diesem Vorverfahren eine dreimonatige Phase zur Sanierungsvorbereitung gewährt, bevor es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommt. Auf 32  Frind, ZInsO 2015, 2249, 2251; Cranshaw/Knöpnadel, ZInsO 2016, 357, 364; Thole, JZ 2011, 765, 772; sehr früh zu dieser Ausrichtung der InsO Berscheid, BuW 1998, 913. 33  Geldmacher, Das präventive Sanierungsverfahren, S. 35, 39  f.; Icks/Kranzusch, Sanierungen in Insolvenzverfahren, S. 118, 124; Braun, Vorinsolvenzliche Sanierung, S. 25 f.; Leutheusser-Schnarrenberger, ZInsO 2010, 614, 615. 34 Vgl. insbesondere den gesetzgeberischen Ansatz in RegE ESUG, BT‑Drs. 17/5712, S. 17, 19, 40 f.; vgl. auch Kübler, in: Kübler, HRI, § 1 Rn. 23 ff., 36. 35  Beissenhitz weist zu Recht darauf hin, dass der Insolvenzverwalter i. d. R. nur auf die letzten Krisenstadien reagieren kann, sodass der Ausgangspunkt der Krise weitgehend unbewältigt bleibt, Beissenhitz, ZInsO 2016, 1778, 1789; vgl. auch Frind, ZInsO 2015, 2249, 2250 und Geldmacher, Das präventive Sanierungsverfahren, S. 35 f., 42 f.



D.  Ausblick auf Fortführungs- und Sanierungsmöglichkeiten

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diese Weise würde ein neuer positiver Anreiz gesetzt, sich frühzeitig, initiativ, freiwillig und kooperativ mit der eigenen Krise und Insolvenz auseinanderzusetzen, sodass verbliebene Sanierungschancen möglichst weitgehend erhalten und genutzt würden. Nur wenn das frühe Schutzschirmverfahren erkennbar entscheidende Vorteile gegenüber den sonstigen Verfahren bietet, lassen sich die Schuldner dazu motivieren, die hierfür notwendigen erschwerten Voraussetzungen zu erfüllen.36 Durch die vorgeschlagene Abwandlung der Insolvenzverfahrenspraxis würde das Schutzschirmverfahren das notwendige, herausragende Alleinstellungsmerkmal erhalten. Die Befürchtung, die Insolvenzordnung sei bei einer Verkürzung des Insolvenzeröffnungsverfahrens generell „sanierungsfeindlich“, lässt sich also keineswegs bestätigen. Vielmehr werden auf diese Weise die Sanierungsbemühungen auf echte, nachhaltige und wirtschaftlich sinnvolle Sanierungen konzentriert. Anstatt weiterhin insbesondere zu späte Verfahren zu unterstützen und dort das Strohfeuer der kurzzeitigen Betriebsfortführungen zu nähren, muss die möglichst frühzeitige, vorbereitete Reaktion auf die Krise unter Einbeziehung aller Beteiligten in den Fokus gerückt werden. Einen aussichtsreichen Weg bietet hier de lege lata insbesondere das Schutzschirm- und anschließende Planverfahren;37 mit dem von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren werden sich in Zukunft voraussichtlich völlig neue Möglichkeiten und Herausforderungen für frühe Sanierungsmaßnahmen ergeben.38

36  Vgl. zu dieser Problematik Blankenburg, ZInsO 2016, 1337, 1345, der konstatiert, dass das Schutzschirmverfahren wegen fehlender Anreize „vor dem Aus steht“. 37  Mit diesem Hinweis jüngst auch Kayser, ZIP 2016, Beil. zu Heft 22, 40, 43. 38  Vgl. den Vorschlag der Europäischen Kommission vom 22. 11. 2016 für eine Richtlinie zu vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren, 2016/0359 (COD). Dieser geht zurück auf die Kommissionsempfehlung vom 12. 3. 2014 für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen, C(2014) 1500 final.

Kapitel 6

Zusammenfassung der wesentlichen Thesen und Erkenntnisse A.  Statistische Erkenntnisse zur Dauer von Eröffnungsverfahren 1. Nach der vorliegenden statistischen Untersuchung enden Eröffnungsverfahren bei Unternehmensinsolvenzen nach durchschnittlich 78 Tagen, zu einer Eröffnungsentscheidung kommt es im Schnitt bereits nach 66 Tagen. Betrachtet man jedoch nur juristische Personen (exemplarisch für größere Unternehmen), ergibt sich eine durchschnittliche Verfahrenslänge von 102 Tagen; bis zur Eröffnung vergehen durchschnittlich 94 Tage. In diesen Verfahren besteht annäherungsweise eine Normalverteilung mit einer Häufung im Bereich des zweiten und dritten Monats; im ersten Monat werden lediglich 9 % der Anträge beschieden. Bei Verfahren über das Vermögen von natürlichen Personen und Personengesellschaften (exemplarisch für „Kleinunternehmen“) dauert das Eröffnungsverfahren hingegen durchschnittlich nur 61 Tage; bis zur Eröffnung vergehen im Schnitt 52 Tage. Ein Drittel dieser Vorverfahren endet bereits im ersten Monat, 10 % in der ersten Woche (S. 38 ff.). 2.  Ein wesentlicher Anteil des langen Eröffnungsverfahrens geht wohl auf die bewusste Verzögerung der Eröffnungsentscheidung, also auf eine „überobligatorische Zwischenphase“ zurück. Die Insolvenzpraxis nutzt diese Phase, um verschiedene Vorteile für die spätere Insolvenzmasse zu realisieren, wobei die umfassende Nutzung des (vorfinanzierten) Insolvenzgelds den wichtigsten Anlass darstellt (S. 45 ff.).

B.  Das Insolvenzgeld und seine Vorfinanzierung 3.  Die Mittel des vorfinanzierten Insolvenzgelds stellen für die vorläufige Betriebsfortführung vielfach die entscheidende Liquiditätsquelle dar: Trotz der regelmäßig vorliegenden Zahlungsunfähigkeit kann über den Stundungs- und Subventionseffekt der Insolvenzgeldvorfinanzierung ein bestehender Betrieb fortgeführt werden. Auf diese Weise lässt sich u. U. eine (irreversible) Betriebsstilllegung verhindern, sodass Fortführungswerte, Sanierungschancen und

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Kapitel 6. Zusammenfassung der wesentlichen Thesen und Erkenntnisse

Arbeitsplätze ggf. erhalten bleiben. Dies alles entspricht typischerweise den Interessen von Schuldner und Gläubigern (S. 107 ff.). 4.  Der Gesetzgeber hat mehrfach deutlich gemacht, dass er die Insolvenzgeldvorfinanzierung positiv unterstützt; die Entwicklung der Praxis wurde allerdings erst im Nachhinein legitimiert. Aus dieser Situation des „Nachvollziehens“ heraus wäre es (politisch) schwierig gewesen, die erfolgreich genutzte und wenig kritisierte Liquiditätsquelle des Eröffnungsverfahrens „trockenzulegen“, selbst wenn ein solcher Wille bestanden hätte (S. 61 ff.). 5.  Der Zustimmungsvorbehalt des § 170 Abs. 4 SGB III, der verhindern soll, dass das Insolvenzgeld zweckwidrig genutzt wird, droht in der Praxis vielfach leerzulaufen. Die allgemein geteilte Auslegung von § 170 Abs. 4 S. 2 SGB III, nach der bereits 10 % der Arbeitsplätze einen „erheblichen Teil“ darstellen sollen, überzeugt nicht. Eine Quote von mindestens 25 % nachhaltig und dauerhaft erhaltener Arbeitsplätze kommt Telos und Wortlaut der Norm näher (S. 90 ff.). Die Kontrolle der notwendigen Voraussetzungen einer Vorfinanzierung ist tendenziell (zu) wohlwollend, da sowohl die Bundesagentur für Arbeit als auch der vorläufige Insolvenzverwalter lediglich von einer positiven Entscheidung profitieren (S. 95 ff.). 6.  Die Praxis der auf drei Monate ausgedehnten Vorfinanzierung führt z. T. zur Umkehrung der Schutzfunktion des Insolvenzgeldes: Zugunsten der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren wird u. U. ein zusätzlicher Forderungsausfall der Arbeitnehmer bewusst in Kauf genommen bzw. provoziert (S. 103 f.,  114 f.). 7.  Der allgemeine, langfristige Effekt der Insolvenzgeldvorfinanzierung auf den Arbeitsmarkt ist eher gering: Lediglich in etwa einem Drittel aller Verfahren werden tatsächlich Arbeitsplätze in erheblichem Umfang erhalten. In der Summe reduziert die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld die Dauer der Erwerbslosigkeit der Betroffenen im Durchschnitt in einem Zeitraum von 30 Monaten um lediglich 36 Tage (S. 104 ff.). 8.  Die Insolvenzgeldvorfinanzierung verstößt als solche weder durch ihren Subventionseffekt noch wegen der alleinigen Arbeitgeberfinanzierung gegen verfassungsrechtliche Vorgaben (S. 115 ff.). 9. Die notwendige verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Finanzierungspflicht allein der Arbeitgeber besteht allerdings nicht hinsichtlich der Insolvenzgeldmittel, die im verlängerten Eröffnungsverfahren genutzt werden: Zwischen Entscheidungsreife und Eröffnung verwirklicht sich im Lohnausfall nicht das Insolvenzrisiko der Arbeitgeber; die Umlagefinanzierung verstößt hier gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Zur Vermeidung dieses Konflikts muss die InsO verfassungskonform ausgelegt werden, sodass das Gericht unverzüglich eröffnen muss,



C.  Die gezielte Verlängerung von Insolvenzeröffnungsverfahren

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falls Lohnforderungen im Eröffnungsverfahren nicht regulär beglichen werden (S. 121 ff.). 10.  Problematisch bleibt damit insbesondere das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO, bei der die Verzögerung der Eröffnung gesetzlich institutionalisiert ist. Um die Möglichkeit der Insolvenzgeldvorfinanzierung diesem Verfahren zu erhalten, müssten die erforderlichen Mittel de lege ferenda über allgemeine Steuern finanziert werden (S. 122 f.). 11. Die Regelungen im SGB III zur Gewährung von Insolvenzgeld und zu dessen Vorfinanzierbarkeit verstoßen nicht gegen europäisches Beihilferecht (S. 129 ff.). Die Rangrückstufungsanordnung des § 55 Abs. 3 InsO stellt hingegen eine rechtswidrige, nicht genehmigte Beihilferegelung i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AUEV dar (S. 132 ff.). 12.  Die Differenzierung zwischen wirtschaftlich gesunden Unternehmen und solchen, die sanierungsbedürftig oder insolvent sind, ist selektiv i. S. d. europäischen Beihilferechts. Entgegen der herrschenden Meinung verwirklicht deshalb § 55 Abs. 3 InsO eine selektive Begünstigung bestimmter Unternehmen (S. 134). Wegen des europarechtlichen Durchführungsverbots darf die Rang­ rückstufungsanordnung nicht angewandt werden. Eine Genehmigung der Norm ist weder als Rettungs- noch als Umstrukturierungsbeihilfe möglich (S. 142 ff.).

C.  Die gezielte Verlängerung von Insolvenzeröffnungsverfahren 13.  Ob die Entscheidung über einen Insolvenzantrag bewusst verzögert werden darf, wird von der Insolvenzordnung zwar nicht explizit geregelt, für die Situation einer Antragsabweisung ist allerdings eine gerichtliche Pflicht zur unverzüglichen Entscheidung fraglos zu bejahen (S. 183 f.). Steht hingegen eine Eröffnungsentscheidung im Raum, so ist umstritten, ob das Beschleunigungsgebot im Insolvenzeröffnungsverfahren zwingende Vorgabe oder nur grundsätzliches Prinzip ist. Wortlaut und Historie der Insolvenzordnung lassen zu dieser Frage keinen eindeutigen, zweifelsfreien Schluss zu (S. 191 f., 199 ff.). 14.  Mit der Regelung des § 13 Abs. 3 InsO n. F. und dessen gesetzgeberischer Begründung wurde ein neuer Anhaltspunkt in die Insolvenzordnung aufgenommen, der für den Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung spricht (S. 189). 15.  Auch das allgemeine Konzept des § 21 Abs. 1 S. 1 InsO spricht eher für eine kurze Phase der vorläufigen Sicherung, begrenzt auf die notwendige Dauer der Antragsprüfung. Eine ausnahmslose Geltung beansprucht dieser Grundsatz dem

288

Kapitel 6. Zusammenfassung der wesentlichen Thesen und Erkenntnisse

Wortlaut nach allerdings nicht (S. 184 ff.). Die regelmäßige Dauer des Eröffnungsverfahrens von etwa drei Monaten wurde weder durch die Schaffung der §§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 5, 169 S. 2 InsO (S. 185 f.) noch durch die „Schutzschirmfrist“ des § 270b Abs. 1 S. 2 InsO gesetzlich anerkannt (S. 189 ff.). 16.  Das bedeutendste Argument für die Zulässigkeit der Eröffnungsverzögerung liegt in § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 2 InsO und der diesbezüglichen Positionierung des Rechtsausschusses des Bundestags, der sich ausdrücklich für die Möglichkeit aussprach, die Verfahrenseröffnung aufzuschieben (S. 187 ff., 196 ff.). Allerdings machte sich der Bundestag diese Einschätzung nicht unbedingt zu eigen: Obwohl das Eröffnungsermessen explizit thematisiert und gefordert wurde, nahm man eine entsprechende, klarstellende Regelung hierzu nicht im Gesetz auf. Vielmehr blieb auch der (allgemeine) Ansatz eines möglichst kurzen Eröffnungsverfahrens Teil der finalen Gesetzesbegründung. Der zentrale gesetzliche Anknüpfungspunkt eines Eröffnungsermessens (§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 2 InsO) lässt sich – wie bereits von der Insolvenzrechtskommission vorgeschlagen – auch mit dem Ziel einer unverzüglichen Entscheidung vereinbaren (S. 193 f.). 17. Durch die teleologische und systematische Auslegung der Insolvenzordnung lässt sich die Frage nach der Zulässigkeit von Eröffnungsverzögerungen eindeutig (negativ) beantworten (S. 268 ff.). 18. Die Verzögerung der Verfahrenseröffnung ermöglicht zwar eine längere Prüfung der Fortführungs- und Sanierungsaussichten des schuldnerischen Betriebs, auf deren Grundlage der vorläufige Verwalter nach der Eröffnung sein Wahlrecht über gegenseitige Verträge ausüben kann (S. 159 ff.). Eine angemessene und ausreichende Prüfungs- und Entscheidungsfrist über das Schicksal gegenseitiger Verträge kann dem vorläufigen Verwalter allerdings auch nach der (frühen) Eröffnung zugestanden werden (S. 161, 277). 19.  Im verlängerten Eröffnungsverfahren lässt sich das Entstehen von Masseverbindlichkeiten vermeiden und gleichzeitig eine Liquiditätsprognose erarbeiten, sodass sich u. U. Haftungsrisiken für den vorläufigen Verwalter reduzieren und es deshalb häufiger zur (lukrativen) Betriebsfortführung kommt (S. 167 f.). Die (vermeintliche) Haftungsgefahr, die sich für den Verwalter aus der Betriebsfortführung im eröffneten Verfahren ggf. ergibt, lässt sich allerdings auch durch die richtige Bestimmung des Haftungsmaßstabs mit Blick auf die konkreten Umstände adäquat begrenzen (S. 169 f.). 20.  Durch die Verknüpfung von Eröffnungsverzögerung und Einzelermächtigung des „schwachen“ vorläufigen Verwalters lässt sich die (spätere) Masse anreichern: Einige Gläubiger müssen vollwertige Leistungen erbringen, während die Masse im Gegenzug nur mit Insolvenzforderungen belastet wird; zudem



C.  Die gezielte Verlängerung von Insolvenzeröffnungsverfahren

289

kann u. U. der Ablauf von Kündigungsfristen in die Zeit vor dem Insolvenzverfahren „verschoben“ werden, sodass Kündigungsprozesse zur Masseschonung optimiert werden (S. 162 ff., 166 f.). 21.  Derartige Strategien zur Masseanreicherung widersprechen allerdings dem insolvenzrechtlichen System: Zwar ist die selektive Begründung von Insolvenzund Masseforderungen im Eröffnungsverfahren zulässig und notwendig, die Differenzierung muss allerdings nach materiell-inhaltlichen Gesichtspunkten vorgenommen werden (S. 206 ff.). Neugläubiger, die zur massemehrenden und betriebsnotwendigen Leistungsfortsetzung im Eröffnungsverfahren rechtlich, faktisch oder durch Unkenntnis gezwungen sind, müssen deshalb – entgegen der derzeitigen Praxis – durch Masseforderungen abgesichert werden (S. 220 f.). Nur durch die unverzügliche Eröffnung bei Entscheidungsreife kommen die Insolvenzgerichte ihrer allseitig ausgerichteten Amtspflicht nach und vermeiden systemwidrige „aufgezwungene Vermögensopfer“ (S. 221 f.). 22.  Nicht selten knüpfen gesetzliche, insbesondere aber vertragliche Regelungen an die Verfahrenseröffnung gravierende, ggf. negative Folgen; diese außerinsolvenzlichen Konsequenzen lassen sich durch die Verzögerung der Eröffnung zugunsten der Masse zeitweise aufschieben (S. 170 f.). Durch ein solches Vorgehen werden jedoch regelmäßig die Rechte unbeteiligter Dritter unmittelbar beeinträchtigt; unzweifelhaft ist die Eröffnungsverzögerung in derartigen Fällen deshalb nicht zu rechtfertigen (S. 243 ff.). 23.  Der Insolvenzantrag steht in der Gefahr, zu einer sich selbst begründenden Behauptung zu werden; in diesen Fällen droht die Filterfunktion der Eröffnungsentscheidung verloren zu gehen (S. 222 ff.). Diese Lücke im Insolvenzeingangsschutz ergibt sich im Ursprung aus der unvermeidbaren Zeitspanne der (öffentlichen) Antrags- und Insolvenzprüfung. Je kürzer, konzentrierter und diskreter das Eröffnungsverfahren allerdings ist, desto geringer ist der problematische Selbstbegründungseffekt (S. 229 f.). 24. Im Eröffnungsverfahren besteht ein Spannungsverhältnis zwischen Dispositionsmaxime und Amtsverfahren, Einzel- und Gemeinschaftsinteressen kollidieren (S. 230 ff.). Der Gläubigerschutz ist insbesondere dann gefährdet, wenn das Insolvenzgericht die Eröffnung verzögert; hierdurch entsteht das Risiko, dass der Antrag in der „überobligatorischen Phase“ zurückgenommen und so die Eröffnung des notwendigen Insolvenzverfahrens – trotz festgestellter Insolvenz – verhindert wird (S. 234 f.). 25.  Der Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung ist an vielen Stellen Fixpunkt für das Insolvenz- und das allgemeine Zivilrecht. Durch eine Manipulation dieses Bezugspunkts verzögern sich auch viele abhängige Wirkungsmechanismen; es kommt u. U. zu unvorhergesehenen und problematischen Folgewirkungen (S. 236 ff.).

290

Kapitel 6. Zusammenfassung der wesentlichen Thesen und Erkenntnisse

26.  Die hohen Kosten des Eröffnungsverfahrens sind unproblematisch, wenn sich in gleichem Maße die Kosten des eröffneten Verfahrens reduzieren oder wenn sie letztlich Grundlage für höhere Befriedigungsquoten sind. Kritisch sind allerdings Eröffnungsverfahren, in denen Betriebe ohne konkrete Sanierungsperspektive weitergeführt werden, allein um auf diese Weise umfassend vom Insolvenzgeld zu profitieren und hiermit (vorrangig) die Verfahrens- und Verwalterkosten zu decken (S. 246 ff.). 27.  Das Eröffnungsverfahren ist durch erhebliche Spannungen geprägt, die zwischen Vorläufigkeit und Vorgreiflichkeit entstehen. Es besteht keine ausnahmslose Trennung zwischen Vorprüfung und Verfahren. Besonders deutlich wird dies mit Blick auf die vorläufige Betriebsfortführung und den Bruch zwischen InsO und EuInsVO. Dieser im Grundsatz wohl unumgänglichen dogmatischen Spannung kann nur durch eine möglichst zügige Verfahrenseröffnung begegnet werden (S. 266 f.). 28.  Das Eröffnungsverfahren dient konzeptionell der ergebnisoffenen Antragsprüfung im konservierenden Schwebezustand; gleichzeitig besteht das praktische Bedürfnis nach frühen, entschlossenen Restrukturierungsmaßnahmen und einem weitgehend autonomen, flexiblen Verwalter. Insbesondere zwischen Entscheidungsreife und Eröffnung tritt dieses Spannungsfeld offen zutage: Über den Antrag könnte entschieden, die (notwendigen) Mittel und Wirkungen des Verfahrens könnten eingesetzt werden. Gleichwohl wird dieser Schritt (wegen finanzieller Anreize) formell nicht nachvollzogen. Im Eröffnungsverfahren müssen i. d. R. weitreichende, nicht revidierbare Maßnahmen ergriffen werden, gleichzeitig lässt sich die Verfahrensherrschaft der Gläubiger in dieser Phase nicht umfassend verwirklichen (S. 249 ff.). 29. Zwischen InsO und EuInsVO besteht hinsichtlich des Zeitpunkts der Verfahrenseröffnung ein dogmatischer Bruch, der das Spannungsverhältnis im Eröffnungsverfahren offenlegt (S.  259  ff.). Die europarechtlichen Vorgaben zur Feststellung der internationalen Zuständigkeit vor der Einsetzung eines vorläufigen Verwalters werden derzeit in unzulässiger Weise übergangen (S. 262 f.). Die reformierte EuInsVO verdeutlicht die Spannungen des Eröffnungsverfahrens nochmals besonders: Die Einleitung des deutschen „Prüfungsverfahrens“ bedarf ihrerseits einer vorherigen Prüfung und Entscheidung. Mit dem neuen Rechtsbehelf kann die Einleitung des Eröffnungsverfahrens angegriffen werden, bevor eine tiefergreifende Prüfung der Umstände vorgenommen werden konnte. Zu diesem Zeitpunkt wird i. d. R. weder das COMI sicher feststehen, noch, ob überhaupt die tatbestandlichen Voraussetzungen für das neue Beschwerderecht vorliegen (S. 264 ff.).



D.  Konsequenzen und Ausblick

291

D.  Konsequenzen und Ausblick 30.  Die Pflicht zur unverzüglichen Eröffnung trifft sowohl das Insolvenzgericht als auch den Insolvenzverwalter und darf nicht dadurch umgangen werden, dass der Eintritt der Eröffnungsreife unter dem „Deckmantel der Antragsprüfung“ verzögert wird (S. 273 f.). Zusätzlich kann und sollte die durchschnittliche Dauer von Eröffnungsverfahren durch die Konzentration des Prüfungsverfahrens auf seinen zwingend notwendigen Inhalt verkürzt werden (S. 274 f.). 31.  Die Insolvenzgeldvorfinanzierung bleibt zwar weiterhin grds. möglich, wegen der erarbeiteten Einschränkungen und Vorbehalte wird sie jedoch nicht mehr in gleicher Weise und gleichem Umfang als Finanzierungsquelle für vorläufige Betriebsfortführungen zur Verfügung stehen und damit ihre herausragende Bedeutung für das Eröffnungsverfahren verlieren (S. 275 f.). 32.  Durch die gebotene Verkürzung und Straffung des Insolvenzeröffnungsverfahrens wird die Insolvenzverwaltung insbesondere bei vorläufiger Betriebsfortführung zweifellos schwieriger. Die Praxis wird so vor neue, komplexe Herausforderungen gestellt; insgesamt könnte die Zahl der Betriebsfortführungen und ggf. -sanierungen hierdurch sinken (S. 277 ff.). 33. Mit der Neuausrichtung des Eröffnungsverfahrens verbinden sich allerdings nicht nur Bedenken und Vorbehalte, sondern auch Chancen und neue Perspektiven auf Sanierung. Durch die Verkürzung der Phase zwischen Antragstellung und Verfahrenseröffnung wird zunächst eine zentrale Grundidee der Insolvenzordnung gestärkt: Das Insolvenzverfahren würde deutlicher als bisher ein neutraler Rechtsrahmen, bei dem die Sanierung einer von mehreren Wegen zur Haftungsverwirklichung ist (S. 281 f.). 34.  Die Vorteile des Eröffnungsverfahrens  – allen voran das vorfinanzierte Insolvenzgeld – haben bislang ihre entscheidende Wirkung und herausragende Bedeutung bei Verfahren, die sehr spät eingeleitet werden und bei denen tatsächlich oft keine Aussichten auf eine echte, langfristige Sanierung bestehen. Strukturell sollte der Sanierungsfokus deshalb weniger darauf liegen, derartige Fälle aufzufangen, als vielmehr auf dem Bestreben, die Attraktivität der frühzeitigen Verfahrenseinleitung zu steigern. Die Befürchtung, die Insolvenzordnung sei bei einer Verkürzung des Insolvenzeröffnungsverfahrens generell „sanierungsfeindlich“, lässt sich keineswegs bestätigen, vielmehr werden so die Sanierungsbemühungen auf echte, nachhaltige und wirtschaftlich sinnvolle Sanierungen konzentriert (S. 282 f.).

Ergebnisse der statistischen Erhebung Dauer der Insolvenzeröffnungsverfahren bei Unternehmensinsolvenzen in den Jahren 2013, 2014 und 2015 (1. Halbjahr) in den Bezirken der Amtsgerichte Hamburg, Köln und Mannheim.

I.  Durchschnitts- und Medianwerte zur Dauer von Eröffnungsverfahren Ergebnisse zur Gesamtheit der ausgewerteten Eröffnungsverfahren Anzahl aller ausgewerteten Verfahren Anzahl eröffneter Verfahren Anzahl der Abweisungen als masselos Anzahl der sonstigen Abweisungen/Beendigungen

7753 5680 1406  667

Durchschnitt (gesamt) Median (gesamt)

  78,4 Tage   58 Tage

Durchschnitt bei eröffneten Verfahren Durchschnitt bei Abweisung als masselos Durchschnitt bei sonstiger Abweisung/Beendigung

  66,4 Tage 132,0 Tage   60,0 Tage

Median bei eröffneten Verfahren Median bei Abweisung als masselos Median bei sonstiger Abweisung/Beendigung

  52 Tage 106 Tage   38 Tage

294

Ergebnisse der statistischen Erhebung

Ergebnisse zu Eröffnungsverfahren bei juristischen Personen Anzahl der ausgewerteten Verfahren Anzahl eröffneter Verfahren Anzahl der Abweisungen als masselos Anzahl der sonstigen Abweisungen/Beendigungen

3176 2011  837  328

Durchschnitt (gesamt) Median (gesamt)

101,7 Tage   78 Tage

Durchschnitt bei eröffneten Verfahren Durchschnitt bei Abweisung als masselos Durchschnitt bei sonstiger Abweisung/Beendigung

  93,6 Tage 136,3 Tage   63,3 Tage

Median bei eröffneten Verfahren Median bei Abweisung als masselos Median bei sonstiger Abweisung/Beendigung

  73 Tage 110 Tage   38 Tage

Ergebnisse zu Eröffnungsverfahren bei natürlichen Personen und Personengesellschaften Anzahl der ausgewerteten Verfahren Anzahl eröffneter Verfahren Anzahl der Abweisungen als masselos Anzahl der sonstigen Abweisungen/Beendigungen

4577 3669  569  339

Durchschnitt (gesamt) Median (gesamt)

  61,2 Tage   42 Tage

Durchschnitt bei eröffneten Verfahren Durchschnitt bei Abweisung als masselos Durchschnitt bei sonstiger Abweisung/Beendigung

  51,5 Tage 125,8 Tage   56,8 Tage

Median bei eröffneten Verfahren Median bei Abweisung als masselos Median bei sonstiger Abweisung/Beendigung

  37 Tage   98 Tage   36 Tage



295

II.  Verteilung der Ergebnisse

II.  Verteilung der Ergebnisse Ergebnisse zur Gesamtheit der ausgewerteten Eröffnungsverfahren Zeitpunkt der Eröffnung

Anzahl der Verfahren

Anteil an allen Verfahren

Innerhalb der 1. Woche Innerhalb der 2. Woche Innerhalb der 3. Woche Innerhalb der 4. Woche Innerhalb der 5. Woche Innerhalb der 6. Woche Innerhalb der 7. Woche Innerhalb der 8. Woche Innerhalb der 9. Woche Innerhalb der 10. Woche Innerhalb der 11. Woche Innerhalb der 12. Woche Innerhalb der 13. Woche Innerhalb der 14. Woche Innerhalb der 15. Woche Innerhalb der 16. Woche Innerhalb der 17. Woche Innerhalb der 18. Woche Innerhalb der 19. Woche Innerhalb der 20. Woche Innerhalb der 21. Woche Innerhalb der 22. Woche Innerhalb der 23. Woche Innerhalb der 24. Woche Nach der 24. Woche

458 476 395 502 582 491 453 444 449 428 336 314 254 252 208 182 137 124 120 107  88  83  80  74 716

5,9 % 6,1 % 5,1 % 6,5 % 7,5 % 6,3 % 5,8 % 5,7 % 5,8 % 5,5 % 4,3 % 4,1 % 3,3 % 3,3 % 2,7 % 2,3 % 1,8 % 1,6 % 1,5 % 1,4 % 1,1 % 1,0 % 1,0 % 1,0 % 9,2 %

Anzahl der Verfahren

Dauer aller Eröffnungsverfahren bis 250 Tage 7468 von 7753 Verfahren (96,3 %) berücksichtigt 120 100 80 60 40 20 0

1

20

40

60

80

100 120 140 160 180 Dauer in Tagen

200

220

240

296

Ergebnisse der statistischen Erhebung

Ergebnisse zu Eröffnungsverfahren bei juristischen Personen Zeitpunkt der Eröffnung

Anzahl der Verfahren

Anteil an allen Verfahren

Innerhalb der 1. Woche Innerhalb der 2. Woche Innerhalb der 3. Woche Innerhalb der 4. Woche Innerhalb der 5. Woche Innerhalb der 6. Woche Innerhalb der 7. Woche Innerhalb der 8. Woche Innerhalb der 9. Woche Innerhalb der 10. Woche Innerhalb der 11. Woche Innerhalb der 12. Woche Innerhalb der 13. Woche Innerhalb der 14. Woche Innerhalb der 15. Woche Innerhalb der 16. Woche Innerhalb der 17. Woche Innerhalb der 18. Woche Innerhalb der 19. Woche Innerhalb der 20. Woche Innerhalb der 21. Woche Innerhalb der 22. Woche Innerhalb der 23. Woche Innerhalb der 24. Woche Nach der 24. Woche

 10  18  72 126 195 180 172 210 210 221 169 164 146 135 117 108  81  73  65  67  59  49  49  46 434

0,3 % 0,6 % 2,3 % 4,0 % 6,1 % 5,7 % 5,4 % 6,6 % 6,6 % 7,0 % 5,3 % 5,2 % 4,6 % 4,3 % 3,7 % 3,4 % 2,6 % 2,3 % 2,0 % 2,1 % 1,9 % 1,5 % 1,5 % 1,4 % 13,7 %

Anzahl der Verfahren

Dauer der Eröffnungsverfahren bei juristischen Personen bis 250 Tage 2989 von 3176 Verfahren (94,1 %) berücksichtigt 60 50 40 30 20 10 0

1

20

40

60

80

100 120 140 160 180 Dauer in Tagen

200

220

240



297

II.  Verteilung der Ergebnisse

Ergebnisse zu Eröffnungsverfahren bei natürlichen Personen und Personengesellschaften Zeitpunkt der Eröffnung

Anzahl der Verfahren

Anteil an allen Verfahren

Innerhalb der 1. Woche Innerhalb der 2. Woche Innerhalb der 3. Woche Innerhalb der 4. Woche Innerhalb der 5. Woche Innerhalb der 6. Woche Innerhalb der 7. Woche Innerhalb der 8. Woche Innerhalb der 9. Woche Innerhalb der 10. Woche Innerhalb der 11. Woche Innerhalb der 12. Woche Innerhalb der 13. Woche Innerhalb der 14. Woche Innerhalb der 15. Woche Innerhalb der 16. Woche Innerhalb der 17. Woche Innerhalb der 18. Woche Innerhalb der 19. Woche Innerhalb der 20. Woche Innerhalb der 21. Woche Innerhalb der 22. Woche Innerhalb der 23. Woche Innerhalb der 24. Woche Nach der 24. Woche

449 458 323 376 387 311 281 234 239 207 167 150 108 117  91  74  56  51  55  40  29  34  31  28 281

9,8 % 10,0 % 7,1 % 8,2 % 8,5 % 6,8 % 6,1 % 5,1 % 5,2 % 4,5 % 3,6 % 3,3 % 2,4 % 2,6 % 2,0 % 1,6 % 1,2 % 1,1 % 1,2 % 0,9 % 0,6 % 0,7 % 0,7 % 0,6 % 6,1 %

Anzahl der Verfahren

Dauer der Eröffnungsverfahren bei natürlichen Personen und Personengesellschaften bis 250 Tage 4479 von 4577 Verfahren (97,9 %) berücksichtigt 120 100 80 60 40 20 0

1

20

40

60

80

100 120 140 160 180 Dauer in Tagen

200

220

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Literaturverzeichnis

Ders.: Anmerkungen zu LAG Hamm, Urteil vom 10. 1. 2000 – 19 Sa 1638/99, ZIP 2000, 595–596. Ders.: Arbeitsrecht in der Insolvenzordnung. InsO §§ 108, 113, 120–128, 185, 5. Auflage, Frankfurt a. M. 2015.

Sachregister Abweisung mangels Masse 22 ff., 38 f., 175, 179, 183 f., 203 Amtsermittlung 8 f., 112, 264 f. Anfechtung 53 f., 75 f., 236 f. Antrag, s. Insolvenzantrag Antragsverfahren 5 ff., 230 ff. Arbeitnehmerschutz, –– durch Insolvenzgeld 49 f., 102, 126 f. –– Schutzlücken 52 ff., 103 f., 124 Arbeitsplatzerhalt 63 ff., 85 ff., 89 ff., 95 f., 99 ff., 104 ff., 147 f. Aufrechnung 238 ff. Beihilfe 127 ff., 132 ff., 141 f., 144 ff., 276 Beschleunigungsgebot 175, 177 f., 189, 193 f., 202 f., 268 ff., 274 f. Beschlussvordatierung 176, 179 ff. Betriebsfortführung 12 ff., 107 ff., 112 ff., 202 ff., 249 ff., 277 ff. Betriebsstilllegung 13, 114 f., 280 ff. Buchführung 20, 38, 171 f. Bundesagentur für Arbeit 51 f., 57 f., 63, 83 ff., 90 ff., 95 ff., 99 ff., 125 f., 132 ff. COMI 260, 262 f., 265 Dauer von Eröffnungsverfahren –– bei vorläufiger Eigenverwaltung 34 f. –– unter Geltung der InsO 30 ff., 38 ff. –– unter Geltung der KO 28 ff. De-minimis-Beihilfen 140 f. Debt to equity swap 17, 226 f. Dispositionsmaxime 5 ff., 230 ff. Distressed debt investment 226 f. Eigenverwaltung 14 f., 34 f., 77 ff., 154, 163, 189 ff., 227, 257 ff., 282 f. Einzelermächtigung 72, 80 ff., 144 ff., 164 ff., 205 ff., 251 f.

Einziehungsverbot 185 ff. Entscheidungsreife 10, 113 ff., 121 ff., 174 ff., 177 f., 200 f., 250, 268 ff., 273 ff. Eröffnung –– Ermessen 174 ff., 178 f., 187 ff., 191, 196 ff., 202 ff. –– i. S. d. EuInsVO 260 f., 264 f. –– Verzögerung 112 ff., 121 ff., 159 ff., 173 ff., 177 ff., 192 ff., 200 ff., 268 ff. –– Voraussetzungen 15 ff., 189, 222 ff., 273 ff. –– Vordatierung 176, 179 ff. EuInsVO 259 ff. Eurofood-Entscheidung 260 f. Fiskusprivileg 164 f., 220 f. Fortführungsprüfung 21, 93 f., 159 f., 168 f., 187 f., 193 f., 197 f., 274 Genehmigung einer Beihilfe 142 ff., 158 Gläubigerbefriedigung 92, 152, 202 ff., 230 f., 268 ff. Gläubigergleichbehandlung 54, 205 ff., 220 ff., 268 ff. Haftung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters 109, 161, 167 ff., 251, 278 f. Haftungszuweisung 258, 267 Insolvenzantrag –– Antragspflicht 231, 233 f. –– Notwendigkeit 1, 5 ff., 230 ff. –– Rücknahme 77, 231 ff. –– Verspätung 153 f., 269, 282 f. –– Zulässigkeit 8, 189, 232 Insolvenzeingangsschutz 11, 16 ff., 222 ff. Insolvenzgeld –– Entwicklung 48 ff., 61 ff.

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Sachregister

–– Finanzierung 54 ff., 118 ff., 123 ff. –– Forderungsübergang 57 f., 69 ff. –– Rangrückstufung 66, 80 f., 117 f., 132 ff., 144 ff., 158, 276 –– Richtlinie 49 f., 126 f., 130 f. –– Voraussetzungen 50 ff. –– Vorfinanzierung, s. Insolvenzgeldvorfinanzierung Insolvenzgeldvorfinanzierung –– Abtretungsverbot 69 f. –– Ausgestaltung 68 ff. –– Fortführungsfinanzierung 59 f., 62 ff., 107 ff., 112 ff., 149 f., 202 ff., 279 ff. –– Rahmenvertrag 71 ff. –– Revolvierende/rollierende Vorfinanzierung 73 ff. –– Stundungseffekt 71 f., 108, 129 ff., 149, 276 –– Subventionseffekt 66, 108 f., 116 ff., 132 ff., 149 ff., 276 –– Zustimmungserfordernis 65, 83 ff., 156, 269, 276 Insolvenzgrund 9 f., 16 ff., 222 ff., 231 ff., 274 f. Insolvenzplan 15, 60, 78, 133 f., 189 f., 225 ff., 283 Insolvenzstigma 21, 223 ff., 253 Internationale Zuständigkeit 8, 262 ff. Kosten des Eröffnungsverfahrens 246 ff., 271 Kündigungssperre 211 ff. Leasing 165, 211 ff. Lizenzverträge 165, 170 f., 211 ff. Lösungsklausel 170 f., 217, 237, 245 f. Marktwirtschaft 146 ff. Masseverbindlichkeiten –– Begründung bei vorläufiger Eigenverwaltung 78 ff., 81 ff. –– Begründung im Eröffnungsverfahren 58, 65 f., 72, 109, 162 ff., 166 f., 202 ff., 252 –– Selektive Begründung 72, 80 ff., 144 ff., 164 ff., 205 ff., 251 f. Neugläubiger 162 ff., 205 ff., 220 ff.

Neutralitätsgebot 151 f., 154 f., 222 Ordnungsfunktion 24, 38, 146 f., 175, 179, 203, 230 f. Pfandrecht des Vermieters 212, 240 Rangrückstufung 66, 80 f., 117 f., 132 ff., 144 ff., 158, 276 Rechtsbehelf aus der EuInsVO 265 f. Restschuldbefreiung 242 f. Rücknahme des Insolvenzantrags 77, 231 ff. Sanierung –– Prüfung der Sanierungschancen 159 f., 187 ff., 274, 280 ff. –– Sanierungskultur 154 f., 202 ff., 277 ff., 279 ff. –– Verfahrensziel 12 ff., 154 f., 203 f., 254 f., 268 f. Schutz des Rechtsverkehrs 220 f., 231 ff. Schutzschirm 14 f., 34 f., 77 ff., 154, 163, 189 ff., 227, 257 ff., 282 f. Selbstbegründungseffekt 21, 224 ff. Selektive Begründung von Masseverbindlichkeiten 72, 80 ff., 144 ff., 164 ff., 205 ff., 251 f. Selektivität der Beihilfe 134 ff. Self-fulfilling prophecy 21, 224 ff. Sicherungsmaßnahmen 11 f., 16, 184 ff., 193, 229, 237 f., 251 f., 255 ff., 261 f. Sonderbelastung 165 f., 210 ff., 220 ff., 278 Stigma der Insolvenz 21, 223 ff., 253 Stundungseffekt 71 f., 108, 129 ff., 149, 276 Subventionseffekt 66, 108 f., 116 ff., 132 ff., 149 ff., 276 Umgehung der Eröffnungspflicht 273 f. Unkenntnis von Neugläubigern 218 ff. Unternehmensübertragung im Eröffnungsverfahren 253 ff. Unzulässigkeit des Insolvenzantrags 8, 189, 232 Verfahrensbeschleunigung 25, 177 f., 189, 193 f., 202 f., 268 ff., 274 f.



Sachregister

Verfahrenseröffnung, s. Eröffnung Verfahrenskostendeckung 22 ff., 38 f., 175, 179, 183 f., 203 Verfahrensziel 11 ff., 92, 154 f., 203 f., 254 f., 268 f. Verfassungsrecht 17, 115 ff., 157 f. Vermieter 166 f., 211 ff., 240 Verschleppung der Eröffnung 112 ff., 121 ff., 159 ff., 173 ff., 177 ff., 192 ff., 200 ff., 268 ff. Vertragskündigung 114 f., 166 f., 211 ff. Verzögerung der Eröffnung 112 ff., 121 ff., 159 ff., 173 ff., 177 ff., 192 ff., 200 ff., 268 ff. Vollstreckungsschutz 189 f., 215, 218 Vordatierung des Eröffnungsbeschlusses 176, 179 ff. Vorläufige Eigenverwaltung 14 f., 34 f., 77 ff., 154, 163, 189 ff., 227, 257 ff., 282 f.

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Vorläufige Sicherungsmaßnahmen 11 f., 16, 184 ff., 193, 229, 237 f., 251 f., 255 ff., 261 f. Vorläufiger Gläubigerausschuss 77, 255 ff. Vorverlagerung des Insolvenzverfahrens 186 f., 237 f., 249 ff., Wertbestimmung 241 f. Wettbewerb 116 ff., 139, 142 ff., 147 ff. Wohlverhaltensperiode 242 f. Zustimmung zur Vorfinanzierung –– Interessenlage 95 f. –– Verfahren 84 ff., 96 ff. –– Voraussetzungen 85 ff. –– Zustimmungsquote 99 ff. Zwangsgläubiger 165 f., 210 ff., 220 ff., 278