Das Verfahrensrecht der internationalen Konzernhaftung: Durchsetzung von Konzernhaftungsansprüchen bei grenzüberschreitenden Unternehmensverbindungen im Rahmen der EuGVVO unter besonderer Berücksichtigung des deutschen und französischen Konzernhaftungsrechts [1 ed.] 9783428519996, 9783428119998

An welchen Gerichtsständen können eine Tochtergesellschaft, ihre Aktionäre und Gläubiger eine ausländische Muttergesells

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German Pages 423 Year 2006

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Das Verfahrensrecht der internationalen Konzernhaftung: Durchsetzung von Konzernhaftungsansprüchen bei grenzüberschreitenden Unternehmensverbindungen im Rahmen der EuGVVO unter besonderer Berücksichtigung des deutschen und französischen Konzernhaftungsrechts [1 ed.]
 9783428519996, 9783428119998

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Schriften zum Internationalen Recht Band 159

Das Verfahrensrecht der internationalen Konzernhaftung Durchsetzung von Konzernhaftungsansprüchen bei grenzüberschreitenden Unternehmensverbindungen im Rahmen der EuGVVO unter besonderer Berücksichtigung des deutschen und französischen Konzernhaftungsrechts

Von

Eva Bruhns

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

EVA BRUHNS

Das Verfahrensrecht der internationalen Konzernhaftung

Schriften zum Internationalen Recht Band 159

Das Verfahrensrecht der internationalen Konzernhaftung Durchsetzung von Konzernhaftungsansprüchen bei grenzüberschreitenden Unternehmensverbindungen im Rahmen der EuGVVO unter besonderer Berücksichtigung des deutschen und französischen Konzernhaftungsrechts

Von

Eva Bruhns

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2005 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

D5 Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-11999-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Wintersemester 2004/2005 als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis zum Sommer 2005 berücksichtigt werden. Meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Daniel Zimmer, möchte ich ganz herzlich für die engagierte Betreuung der Arbeit danken. Er hat das Thema angeregt, die Entstehung der Arbeit mit großem Interesse begleitet und stand mir als Ansprechpartner immer zur Seite. Besonderer Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Wulf-Henning Roth für die Erstellung des Zweitgutachtens. Bedanken möchte ich mich ferner bei Frau Professor Dr. Marie-Hélène Monsérié-Bon für die Unterstützung bei den Recherchen zum französischen Recht während meines Aufenthalts an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Toulouse sowie bei Frau Professor Dr. Sylviane Poillot-Perruzzetto für die Teilnahme an ihren Doktorandenseminaren. Dem Arbeitskreis Wirtschaft und Recht im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft bin ich verbunden für die Förderung der Arbeit durch ein großzügiges Promotionsstipendium. Im Rahmen dieser Förderung erhielt ich auch Beistand aus der Praxis, wofür ich Herrn Dr. Eckart Sünner besonders danke. Abschließend möchte ich Herrn Dr. Stephan Bausch ganz herzlich für die kritische Lektüre der Arbeit und für seine Gesprächsbereitschaft danken. Gewidmet ist die Arbeit meinen Eltern, die mich immer liebevoll unterstützt haben. Köln, im August 2005

Eva Bruhns

Inhaltsverzeichnis Einleitung in die Gesamtdarstellung

23

Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

I.

1. Teil Einführung in die EuGVVO

30

Ablösung des EuGVÜ durch die EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

II. Auslegung der EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auslegungskompetenz des Europäischen Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auslegungsmethoden des EuGH. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Autonome Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auslegungsmethoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auslegung der Begriffe der EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Auslegung und Qualifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34 34 35 35 36 38 40

III. Einschlägige Zuständigkeitsvorschriften der EuGVVO im Überblick . . . . . .

44

I.

2. Teil Konzernhaftungssysteme in Europa – Überblick und Vergleich

46

1. Kapitel Konzernhaftung nach deutschem Recht

46

Haftung im Vertragskonzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Haftung im AG-Vertragskonzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftung im GmbH-Vertragskonzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Innen- oder Außenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47 47 50 51

II. Haftung im faktischen Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Innen- oder Außenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52 52 53

III. Haftung im qualifizierten faktischen Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

I.

8

Inhaltsverzeichnis 1. Bisherige Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Neuorientierung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Dogmatische Grundlage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konzernrechtlicher Haftungsansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Organhaftung des Gesellschafters analog § 43 GmbHG . . . . . . . . . . . . . c) Organhaftung i. V. m. § 93 Abs. 5 Satz 2, 3 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Durchgriffshaftung; teleologische Reduktion des § 13 Abs. 2 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Innen- oder Außenhaftung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Tatbestand des neuen Haftungsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Rechtslage in der mehrgliedrigen abhängigen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . 8. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54 55 56 56 57 57 58 59 60 61 61 62 63

IV. Haftung nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 V. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2. Kapitel Rechtslage in Frankreich I.

65

Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

II. Konzernspezifische Haftungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Faktische Gesellschaft (société créée de fait). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Solidar- und Garantiehaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wirtschaftliche Einheit (unité d’entreprise bzw. entreprise unique) . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68 68 68 69 69

III. Gesetzlich geregelte Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Art. L. 624-3 C. com.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen der Haftung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsfolgen der action en comblement du passif . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dogmatische Grundlage der Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art. L. 624-5 C. com.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70 70 70 72 73 74 74

IV. Haftungserstreckung aufgrund allgemeiner Rechtsinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fiktive Gesellschaft (société fictive) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dogmatische Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fallgruppen und Voraussetzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verhältnis zur Vermögensvermischung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vermögensvermischung (confusion des patrimoines) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75 75 76 76 78 78 78 79

Inhaltsverzeichnis

9

a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsschein (théorie d’apparence) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrheitsmissbrauch (abus de majorité) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesellschaftsrechtliche Organhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unerlaubte Handlung (Art. 1382 C. civ.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79 80 81 82 83 83 84

V. Zwischenbetrachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

VI. Innen- oder Außenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

3. 4. 5. 6. 7.

3. Kapitel Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme

86

4. Kapitel Europäische Rechtsangleichung

88

Entwurf einer Konzernrechtsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

II. Statut für eine Europäische Aktiengesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

III. Zwischenbetrachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

I.

3. Teil Kollisionsrecht der Konzernhaftung I.

91

Konzernkollisionsrecht in Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Grundregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Gesellschaftsstatut der abhängigen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3. Reichweite des Gesellschaftsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 4. Sonderanknüpfung der Existenzvernichtungshaftung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 5. Zulässigkeit des grenzüberschreitenden Unternehmensvertrages . . . . . . . . 105

II. Kollisionsrechtliche Regelungen in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 III. Internationale Tendenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

10

Inhaltsverzeichnis

4. Teil Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

113

1. Kapitel Anwendungsbereich der EuGVVO

113

Zivil- und Handelssachen im Sinne des Art. 1 Abs. 1 EuGVVO. . . . . . . . . . . 1. Abgrenzung zu öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art der Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Hinreichender Auslandsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

114 114 114 115

II. Ausnahmetatbestand des Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konkursrechtliche Streitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Qualifikation der Konzernhaftungsansprüche nach französischem Recht a) Qualifikation der action en comblement du passif (Art. L. 624-3 C. com.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Entscheidung des EuGH in Sachen Gourdain/Nadler . . . . . . . . . . . bb) Ansichten in der französischen und deutschen Literatur . . . . . . . . . cc) Beurteilung und Stellungnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Entstehungsgeschichte und Zielsetzung des EuGVÜ bzw. der EuGVVO; Abgrenzung zur bzw. Anpassung an die Insolvenzverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Systematische und teleologische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . (3) Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Besonderheiten der nationalen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Qualifikation der Haftung nach Art. L. 624-5 C. com. . . . . . . . . . . . . . . c) Qualifikation der Haftung wegen société fictive und confusion des patrimoines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bedenken gegen das vorläufige Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Qualifikation der Konzernhaftung nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . .

116 117 117

I.

118 118 120 123

123 126 126 127 132 135 138 138

2. Kapitel Ausschließlicher Gerichtsstand gemäß Art. 22 Nr. 2 EuGVVO

140

3. Kapitel Allgemeiner Gerichtsstand gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 60 Abs. 1 EuGVVO

141

4. Kapitel Besondere Gerichtsstände – Einführung

142

Inhaltsverzeichnis

11

5. Kapitel Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO I.

144

Konzernhaftungsklagen und gesellschaftsrechtliche Haftungsansprüche i.R. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

II. Qualifikation der Konzernhaftungsansprüche nach deutschem Recht. . . . . . . 1. Ansprüche im grenzüberschreitenden Vertragskonzern . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zulässigkeit des grenzüberschreitenden Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrages. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konzerninnenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verlustübernahmepflicht des herrschenden Unternehmens gemäß § 302 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vorliegen eines Vertragsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Rechtsnatur des Beherrschungsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . (b) Der Organisationsvertrag als Vertrag i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Anspruch aus einem Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Materiellrechtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Gesetzlich geregelte (Sekundär-)Ansprüche i.R. v. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Maßgebliche Verpflichtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Bestimmung des Erfüllungsortes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schadensersatzanspruch gemäß § 309 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vorliegen eines Vertragsverhältnisses; Anspruch aus einem Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) PVV des Beherrschungsvertrages (§ 280 Abs. 1 bzw. § 281 Abs. 1 BGB). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) § 309 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Organhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Maßgebliche Verpflichtung und Bestimmung des Erfüllungsortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Schadensersatzpflicht der Verwaltungsmitglieder der abhängigen Gesellschaft gemäß § 310 AktG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Anspruch der außenstehenden Aktionäre auf Ausgleichszahlung bzw. Dividendengarantie gemäß § 304 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vorliegen eines Vertragsverhältnisses; Anspruch aus einem Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Dritte als zusätzliche Berechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Maßgebliche Verpflichtung; Bestimmung des Erfüllungsortes (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

147 148 148 149 149 149 150 151 153 154 156 162 163 171 171 172 174 174 175 179 179 180 181 182 182 185 187

12

Inhaltsverzeichnis ee) Abfindungsanspruch der außenstehenden Aktionäre gemäß § 305 AktG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vorliegen eines Vertragsverhältnisses; Anspruch aus einem Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Maßgebliche Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Bestimmung des Erfüllungsortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konzernaußenhaftung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anspruch der Gläubiger auf Sicherheitsleistung oder Zahlung gemäß § 303 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vorliegen eines Vertragsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Anspruch aus einem Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Entstehung des Anspruchs mit Beendigung des Unternehmensvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Einbeziehung Dritter in den Unternehmensvertrag . . . . . . (c) Abstellen auf die Verbindung zwischen abhängiger Gesellschaft und Gläubiger – Vertragskette . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ansprüche der Gläubiger gemäß § 309 Abs. 4 S. 3 AktG . . . . . . . 2. Ansprüche im grenzüberschreitenden faktischen Konzern . . . . . . . . . . . . . . a) Einfacher faktischer Aktienkonzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Konzerninnenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schadensersatzanspruch der abhängigen Gesellschaft gemäß § 317 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Vorliegen eines Vertragsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Rechtsprechung des EuGH zu gesellschaftsrechtlichen Binnenbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Konzernverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Formelle Gesellschafterstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Anspruch aus einem Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Maßgebliche Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Bestimmung des Erfüllungsortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Schadensersatzpflicht der Verwaltungsmitglieder der abhängigen Gesellschaft gemäß § 318 AktG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Vorliegen eines Vertragsverhältnisses; Anspruch aus einem Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Maßgebliche Verpflichtung; Bestimmung des Erfüllungsortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ansprüche der Aktionäre gemäß § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG. bb) Konzernaußenhaftung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einfacher faktischer GmbH-Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vertragsverhältnis; Anspruch aus einem Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Maßgebliche Verpflichtung; Bestimmung des Erfüllungsortes. . . .

187 188 192 192 192 193 193 193 193 194 195 201 205 206 207 207 207 207 208 208 214 215 218 225 225 226 227 227 228 228 229 230 232

Inhaltsverzeichnis

13

c) Qualifizierter faktischer GmbH-Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Innenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Analogie zu den Vorschriften im Vertragskonzern . . . . . . . . . . (a) Vorliegen eines Vertragsverhältnisses; Anspruch aus einem Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) § 31 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Geschäftsführerhaftung analog § 43 Abs. 2 GmbHG . . . . . . . (4) Organhaftung i. V. m. § 93 Abs. 5 Satz 2, 3 AktG. . . . . . . . . . (5) Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Außenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Haftung analog § 303 AktG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Rechtsprechung zur internationalen Zuständigkeit bei Haftungsansprüchen analog § 303 AktG . . . . . . . . . . . . . . . (b) Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Neuer Haftungstatbestand der Existenzvernichtungshaftung . (a) Internationale Zuständigkeit bei der Durchgriffshaftung. . (aa) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Lösungsansätze in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Qualifikation der Haftung wegen Existenzvernichtung . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Qualifizierter faktischer Aktienkonzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorläufiges Zwischenergebnis zum Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

232 232 233

III. Qualifikation der Haftungsansprüche nach französischem Recht. . . . . . . . . . . 1. Relevanz der Rechtsprechung des EuGH in Sachen Peters/ZNAV und Powell/Duffryn Petereit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abus de majorité . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anspruch aus einem Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Maßgebliche Verpflichtung; Bestimmung des Erfüllungsortes . . . . . . . 3. Art. L. 624-3 C. com. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anspruch aus einem Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Stellungnahmen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Organschaftliche oder deliktische Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

233 234 234 235 235 236 236 237 238 238 239 239 239 241 242 243 244 244 245 247 249 252 252 253 253 253 255 256 257 257 258 258 259 259 261 264

14

Inhaltsverzeichnis

4.

5. 6. 7.

b) Maßgebliche Verpflichtung; Bestimmung des Erfüllungsortes. . . . . . . . c) Überprüfung des Ergebnisses anhand von Sinn und Zweck der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Apparence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anspruch aus einem Vertrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Maßgebliche Verpflichtung; Bestimmung des Erfüllungsortes. . . . . . . . Société fictive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Confusion des patrimoines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

269 269 270 271 275 275 283 286

6. Kapitel Besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO I.

Voraussetzungen des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auffangtatbestand oder Existenz einer dritten Kategorie . . . . . . . . . . . . b) Mögliche Abgrenzungskriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konzernhaftung im Rahmen des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO. . . . . . . . . . . . . 2. Ort des schädigenden Ereignisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II. Qualifikation der Konzernhaftungsansprüche nach deutschem Recht . . . . . . . 1. Ansprüche im grenzüberschreitenden Vertragskonzern . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konzerninnenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konzernaußenhaftung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ort des schädigenden Ereignisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ansprüche im grenzüberschreitenden faktischen Konzern . . . . . . . . . . . . . . a) Konzerninnenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konzernaußenhaftung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ort des schädigenden Ereignisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Qualifikation der Konzernhaftungsansprüche nach französischem Recht . . . . 1. Innenhaftung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art. L. 624-3 C. com.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ort des schädigenden Ereignisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

287 287 287 289 293 295 296 296 296 296 297 297 298 301 302 302 303 303 306 307 307 308 308 308 309 312

Inhaltsverzeichnis

15

3. Apparence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Société fictive und confusion des patrimoines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ort des schädigenden Ereignisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Haftung wegen unerlaubter Handlungen gemäß Art. 1382 C. civ. . . . . . . 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

314 315 315 315 316 317

IV. Zwischenbetrachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 1. Praktische Relevanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 2. Zwischenergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 7. Kapitel Besonderer Gerichtsstand der Niederlassung gemäß Art. 5 Nr. 5 EuGVVO

319

Begriff der Niederlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Autonome Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsprechung des EuGH zu Art. 5 Nr. 5 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beurteilung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Allgemeiner prozessualer Durchgriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

319 319 321 322 325 327

II. Betriebsbezogenheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Klagen der abhängigen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Klagen der Minderheitsaktionäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Klagen der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

328 328 329 330

I.

III. Zusammenfassung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 8. Kapitel

I.

Besonderer Gerichtsstand kraft Sachzusammenhangs gemäß Art. 6 Nr. 1 EuGVVO

331

Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konnexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konzerninnenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konzernaußenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Streitigkeit der Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

331 332 333 336 341

II. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 9. Kapitel Der prozessuale Durchgriff im grenzüberschreitenden Konzern

343

16

Inhaltsverzeichnis 10. Kapitel Gerichtsstandsvereinbarungen gemäß Art. 23 EuGVVO

345

Gerichtsstandsvereinbarung in der Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zustandekommen einer Zuständigkeitsvereinbarung in einer Satzung . . . . a) Die Entscheidung des EuGH in Sachen Powell Duffryn/Petereit . . . . . b) Beurteilung der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anwendbares nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Form der Zuständigkeitsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bestimmtheit der Zuständigkeitsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bedenken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

346 346 347 349 352 353 356 357

II. Gerichtsstandsvereinbarung im Beherrschungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gerichtsstandsvereinbarung mit Wirkung für die nicht am Abschluss beteiligten Aktionäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anerkannte Fälle der Drittwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Übertragung der Rechtsprechung des EuGH auf Konzernhaftungsansprüche? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Form der Zuständigkeitsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

360

I.

360 361 362 364

III. Wirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen gegenüber nicht am Abschluss beteiligten Gläubigern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 IV. Kontrahierungszwang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 V. Aufhebung und Abänderung von Zuständigkeitsvereinbarungen . . . . . . . . . . . 368 VI. Bindung des Konkursverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 VII. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369

5. Teil Anerkennung und Vollstreckung nach der EuGVVO I.

370

Anerkennung und Vollstreckung eines französischen Urteils in Deutschland 372

II. Anerkennung und Vollstreckung eines deutschen Urteils in Frankreich . . . . . 377

6. Teil Schlussbetrachtung I.

379

Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380

II. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Sachregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421

Abkürzungsverzeichnis a. A. abl. ABl. Abs. AcP a. F. AG AJP AktG Anh. Anm. Art. Aufl. BB BGB BGBl. BGH BGHZ BRDA BT-Drucks. Bull. civ. Bull. Joly BuW bzgl. CA Cah. dr. europ. Cass. civ. Cass. com. Cass. soc. C. civ. C. com. Clunet CML Rev. C. soc. com.

anderer Ansicht ablehnend Amtsblatt Absatz Archiv für die civilistische Praxis alte Fassung Aktiengesellschaft; auch: Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Aktuelle Juristische Praxis Aktiengesetz Anhang Anmerkung Artikel Auflage Der Betriebs-Berater Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bulletin rapide de droit des affaires Bundestagsdrucksache Bulletin des arrêts de la Cour de cassation, chambres civiles Bulletin Mensuel d’information des sociétés, Dictionnaires Joly Betrieb und Wirtschaft bezüglich Cour d’appel Cahiers de droit européen Cour de cassation, chambre civile, section civile Cour de cassation, chambre civile, section commerciale et financière Cour de cassation, chambre sociale Code civil Code de commerce siehe JDI Common Market Law Review Código das Sociedades Comerciais

18 D. D. Affaires DB Der Konzern ders. d. h. Dict. perm. dies. DNotZ Dr. affaires Dr. Soc. DStR DWiR DZWiR ECLR EG

EGBGB Einl. endg. Erl. Erwgr. EU EuGH EuGVÜ

EuGVVO

EuLF EurLRev EuZW EVÜ EWiR EWS f. (ff.) Fasc.

Abkürzungsverzeichnis Recueil Dalloz-Sirey (bis 1965: Recueil de Jurisprudence Dalloz) Dalloz Affaires Der Betrieb Der Konzern in Recht und Wirtschaft derselbe das heißt Dictionnaire permanent dieselbe(n) Deutsche Notar-Zeitschrift Droit des affaires Droit des sociétés Deutsches Steuerrecht Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (bis 1992) Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ab 1993) European Company Law Review Europäische Gemeinschaft; auch: Einführungsgesetz; auch: Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i. d. F. von 1999 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einleitung endgültig Erläuterung(en) Erwägungsgrund Europäische Union Europäischer Gerichtshof Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen The European Legal Forum European Law Review Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980 Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende (Plural) Fascicule

Abkürzungsverzeichnis FGG Fn. FORUM Int. FS Gaz. Pal. Gesetz von 1966 Gesetz von 1967 Gesetz von 1985 GmbH GmbHG GmbHR GS Halbs. Hdb. HGB h. L. h. M. Hrsg. Hs. ICLQ i. d. F. i. d. R. i. E. i. e. S. IHR ILPr Inf. Rap. insbes. InsO IPR IPRax IPRG IPRspr. i. S. i. S. d. i. S. e. i. S. v. i. V. m. i. w. S.

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Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Fußnote FORUM International – Deutschsprachige Ausgabe Festschrift Gazette du Palais Gesetz Nr. 66-537 vom 24. Juli 1966 Gesetz Nr. 67-563 vom 13. Juli 1967 Gesetz Nr. 85-98 vom 25. Januar 1985 Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Gedächtnisschrift Halbsatz Handbuch Handelsgesetzbuch herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber; auch: herausgegeben Halbsatz The International and Comparative Law Quarterly in der Fassung in der Regel im Ergebnis im engeren Sinne Internationales Handelsrecht International Litigation Procedure Law Reports Informations Rapides insbesondere Insolvenzordnung Internationales Privatrecht Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht vom 18. Dezember 1987 Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Internationalen Privatrechts im Sinne im Sinne des/der im Sinne eines/einer im Sinne von in Verbindung mit im weiteren Sinne

20 IZPR J JCl dr. int. JCl. Soc. JCP E JCP G JDI (= Clunet) JR JT JURA JZ KG KGaA KO krit. KTS LG lit. LugÜ

m. MDR MitbestG m. w. N. nº Nachw. NCPC n. F. NILR NJW NJW-RR n. rkr. NZG NZI OGH oHG OLG pan. Pet. Aff.

Abkürzungsverzeichnis Internationales Zivilprozessrecht Jurisprudence Juris-Classeur de droit international Juris-Classeur des sociétés Juris-Classeur périodique – La Semaine juridique (édition entreprise) Juris-Classeur périodique – La Semaine juridique (édition générale) Journal du droit international Juristische Rundschau Journal des Tribunaux Juristische Ausbildung Juristenzeitung Kommanditgesellschaft; auch: Kammergericht Kommanditgesellschaft auf Aktien Konkursordnung kritisch Konkurs, Treuhand, Sanierung (früher: Zeitschrift für Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen) Landgericht Buchstabe Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen geschlossen in Lugano am 16. September 1988 mit Monatsschrift für deutsches Recht Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer mit weiteren Nachweisen numéro Nachweise Nouveau Code de procédure civile neue Fassung Netherlands International Law Review Neue juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungsreport nicht rechtskräftig Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht und Sanierung Oberster Gerichtshof offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Panorama de Jurisprudence Les Petites Affiches

Abkürzungsverzeichnis Proc. coll. RabelsZ

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Procédures collectives Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Rabel rapp. rapport (oder rapporteur) RCDIP Revue critique de droit international privé RDAI/IBLJ Revue de droit des affaires internationales/International business law journal RDIP Revue de droit international privé RefE Referentenentwurf RegE Regierungsentwurf Rép. Répertoire Rép. Soc. Répertoire des Sociétés Rev. dr. bancaire Revue de droit bancaire et de la bourse Rev. jur. com. Revue de jurisprudence commerciale Rev. proc. coll. Revue des procédures collectives Rev. Soc. Revue des Sociétés Rev. trim. droit. com. Revue trimestrielle de droit commercial et de droit économique RIW Recht der Internationalen Wirtschaft, Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters RJDA Revue de jurisprudence de droit des affaires Rn. Randnummer(n) Rspr. Rechtsprechung RTD civ. Revue trimestrielle de droit civil RTDC Revue trimestrielle de droit comparé SA Société anonyme SARL Société à responsabilité limitée SE Societas Europaea SE-Statut Entwurf des Statuts über eine Europäische Aktiengesellschaft in der Fassung von 1970 SE-VO Verordnung über das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft Slg. Sammlung (der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs) Soc. Société sog. so genannt som. Sommaires de jurisprudence SpruchG Gesetz über das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren str. streitig SZIER Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht SZW Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Tabl. Tableau de jurisprudence

22 Trib. com. Uabs. Urt. u. U. v. v. a. Verf. VersR VO Vol. Vorbem. WM WuB ZEuP ZfRV ZGR ZHR ZInsO ZIP ZPO ZSR ZVglRWiss ZZP ZZP Int

Abkürzungsverzeichnis Tribunal de commerce Unterabsatz Urteil unter Umständen von, vom vor allem Verfasser Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individualversicherung Verordnung Volume Vorbemerkung Wertpapiermitteilungen, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, Teil IV Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (früher: Zeitschrift für die gesamte Insolvenzpraxis) Zivilprozessordnung Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International

Einleitung in die Gesamtdarstellung I. Problemstellung In der Praxis des internationalen Wirtschaftsverkehrs findet sich häufig folgende Fallkonstellation: Eine ausländische Gesellschaft hat eine deutsche Tochtergesellschaft, die zahlungsunfähig wird. Die ausländische herrschende Gesellschaft soll daraufhin im Wege der Konzernhaftung in Anspruch genommen werden. Eine Vielzahl von Konzernen ist grenzüberschreitend tätig mit der Folge, dass Tochtergesellschaften und Muttergesellschaft ihren Sitz in verschiedenen Mitgliedstaaten haben. Kann eine abhängige Konzerngesellschaft die gegen sie gerichteten Forderungen nicht oder nicht vollständig befriedigen, ist unter gewissen Voraussetzungen ein Zugriff auf die herrschende Konzerngesellschaft möglich. Die Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber der herrschenden Gesellschaft über die Grenze hinweg ist Ausgangspunkt für die Untersuchung folgender mit der Konzernhaftungsproblematik eng verbundener, aber kaum beachteter Fragestellungen: Sind inländische Gerichte für Klagen gegen die im Ausland ansässige Muttergesellschaft international zuständig? An welchen Gerichtsständen können eine inländische Tochtergesellschaft, ihre außenstehenden Aktionäre und Gläubiger Ansprüche gegenüber der ausländischen Muttergesellschaft geltend machen? Stehen der Vollstreckung einer vor einem inländischen Gericht erstrittenen Entscheidung im Ausland Hindernisse entgegen? Gegenstand der Untersuchung ist demnach die international-prozessrechtliche Behandlung von Konzernsachverhalten in Europa, wobei die internationalkompetenzrechtliche Anknüpfung konzernhaftungsrechtlicher Streitigkeiten im Vordergrund steht.1 Das Problem der verfahrensrechtlichen Durchsetzung von Haftungsansprüchen über die Grenze hinweg bekommt immer größere praktische Bedeutung, je enger die internationale Vernetzung und Verschachtelung der gesellschaftsrechtlichen Beziehungen werden.2 Die Fälle werden aufgrund der wachsenden internationalen Unternehmensverflechtungen immer zahlreicher.3 Dabei droht gerade bei internationalen Sachverhalten die Gefahr, dass das Verfahrensrecht zum Störfall wird. Denn 1

Der Begriff der „internationalen Konzernhaftung“ wird hier im Sinne einer gruppenspezifischen Haftung bei grenzüberschreitenden Unternehmensverbindungen gebraucht. International sind die zu regelnden Sachverhalte. 2 Siehe zum Begriff Geimer, in FS Schippel, S. 869.

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Einleitung in die Gesamtdarstellung

der Wert eines Anspruchs hängt weitgehend von seiner Durchsetzbarkeit ab.4 Voraussetzung des Schutzes der vom Konkurs der inländischen abhängigen Gesellschaft betroffenen Interessen ist nicht allein die kollisionsrechtliche Geltung der deutschen konzernrechtlichen und allgemeinen Haftungsgrundsätze, sondern auch die internationale Durchsetzbarkeit der konzernrechtlichen und der auf Durchgriffs- und Vertrauenshaftung beruhenden Ansprüche, was wiederum primär dadurch bestimmt ist, ob ein inländischer Gerichtsstand begründet ist. „Recht zu haben ist eine schöne Erkenntnis, Recht zu bekommen dagegen ein schwieriges Geschäft.“5 Das Thema der verfahrensrechtlichen Durchsetzung von Konzernhaftungsansprüchen in Europa hat in der deutschen Literatur nur vereinzelt Beachtung gefunden. In Frankreich findet nahezu keine Diskussion statt. Mangels einheitlicher Regelung der Konzernhaftung finden sich Stellungnahmen nur sporadisch. International umstritten ist die kollisionsrechtliche Einordnung der Haftungsansprüche. Wichtiger als die Frage des anwendbaren Rechts als solche oder zumindest ebenso wichtig sind aber die Auswirkungen bezüglich der Möglichkeit, diese Ansprüche einzuklagen oder vollstrecken zu lassen.6 Ansonsten droht möglicherweise ein „Ende der Konzernhaftung in ‚internationalen‘ Fällen“.7 Die Untersuchung beschäftigt sich daher mit den prozessualen Hürden der internationalen Rechtsverfolgung, die erhebliche Hindernisse für die Kläger bedeuten können, wobei im Vordergrund die internationale Zuständigkeit steht. Darüber hinaus soll auch auf Fragen der Urteilsanerkennung und -vollstreckung eingegangen werden.8 Das Konzernrecht dient in erster Linie als Schutzrecht für die abhängige Gesellschaft, die Minderheitsgesellschafter und die Gläubiger der abhängigen Gesellschaft.9 Gegenüber ausländischen herrschenden Gesellschaften kann die Schutzfunktion im Regelfall nur, zumindest aber sicherer gewahrt werden, wenn die Gerichte im Inland, vor al3 Kindler, in FS Ulmer, S. 305; vgl. dazu auch Mankowski, EWiR Art. 5 EuGVÜ 1/98, 269, 270, der feststellt, dass „das Lieblingskind des deutschen Gesellschaftsrechts, der qualifizierte faktische GmbH-Konzern, (. . .) allmählich in eine internationale Dimension (wächst).“ 4 Nelle, S. 1; vgl. zudem zur Bedeutung des Gegenstands ausführlich S. 5 ff. 5 Bippus, GmbHR 2002, 951. 6 Vgl. Wick, S. 132; vgl. zu dieser Problematik auch Lemontey, RCDIP 68 (1979), 661, 667 f. 7 Vgl. den Titel des Aufsatzes von Zimmer, IPRax 1998, 187. 8 Vgl. zu anderen Bereichen des Internationalen Zivilverfahrensrechts, insbesondere zur Zustellung und Beweisaufnahme sowie zum Schiedsverfahrensrecht: Schack, in GS Sonnenschein, S. 705 ff. 9 BGH, Urt. v. 17.9.2001 – Bremer Vulkan – BGHZ 149, 10, 16; Emmerich/Sonnenschein/Habersack, § 1 II 6, S. 8 f.

Einleitung in die Gesamtdarstellung

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lem am Sitz der abhängigen Gesellschaft zuständig sind. Zum einen besteht die Befürchtung, dass eine Klage auf der Grundlage deutschen Konzernrechts am Sitz des herrschenden Unternehmens im Ausland wenig erfolgreich ist,10 da der ausländische Richter mit der komplexen Materie wenig vertraut ist, zum anderen besteht für den Kläger ein praktisches Interesse an einem Gerichtsstand im Inland, um einen höheren Zeit- und Kostenaufwand zu vermeiden, der häufig mit einem Auslandsprozess verbunden ist.11 Hinter alldem steht damit das Ziel einer effizienten Verteilung der Rechtsprechungsfunktionen; die Rechtsnormen sollen schnell, kostengünstig und möglichst fehlerlos durchgesetzt werden. Die haftungsrechtlich zu beurteilenden Aktivitäten sind vorwiegend im Sitzstaat der Tochtergesellschaft lokalisiert. Es besteht eine Nähe und Vertrautheit der inländischen Gerichte, ferner spricht die Tatsache der (vermutlichen) Anwendung von inländischem Recht für den Einsatz dieser Gerichte.12 Darüber hinaus dürfte den Muttergesellschaften eine Verteidigung vor den Gerichten im Sitzstaat der Tochtergesellschaft im Prinzip kostengünstiger möglich sein als einem Gläubiger der Gang vor ein Gericht am Sitz der herrschenden Gesellschaft, u. a. weil auf das Erfahrungs- und Ressourcenpotential der Tochter zurückgegriffen werden kann. Hinzu kommt die Absicht der herrschenden Gesellschaft, im europäischen Ausland tätig zu werden; damit besteht das Wissen oder sogar eine Einverständniserklärung mit dieser Rechtsordnung.13 Ferner hängen Klagen gegen das herrschende Unternehmen häufig mit Klagen gegen die Tochtergesellschaft zusammen. All diese Umstände sprechen für die Zusammenlegung der Prozesse vor den Gerichten des Sitzstaates der Tochtergesellschaft. Im Rahmen der Untersuchung soll daher auch darauf eingegangen werden, ob sich diese Prämisse mit der Zielsetzung des europäischen Zivilverfahrensrechts vereinbaren lässt und ob diese Interessenabwägung sogar schon in ähnlicher Weise vorgenommen wurde. Für Fragen der internationalen Zuständigkeit und der Urteilsanerkennung und -vollstreckung gilt in Europa die am 1. März 2002 in Kraft getretene Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO).14 Gesellschaftsrecht10 So Beitzke, ZHR 138 (1974), 533, 537; Ebenroth/Offenloch, RIW 1997, 1, 12 f.; Kindler, in FS Ulmer, S. 305; Maul, AG 1998, 404. 11 Schack, IZVR, Rn. 200 ff.; Kindler, in FS Ulmer, S. 305; Maul, AG 1998, 404. 12 Vgl. zum anwendbaren Recht 3. Teil, S. 91. 13 Vgl. zu diesem Aspekt die Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs zum Urteil des EuGH v. 17.6.1992, Rs. C-26/91 – Handte/TMCS – Slg. 1992 I-3967, 3986; dazu Hartley, EurLRev 18 (1993), 506 ff.; Bischoff, JDI 120 (1993), 469 ff. 14 ABl. EG Nr. L 12 v. 16.1.2001, S. 1.

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Einleitung in die Gesamtdarstellung

liche Streitigkeiten gehören allerdings noch zu den dunklen Flecken der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (EuGVVO).15 Im autonomen internationalen Zivilprozessrecht lässt der Vermögensgerichtsstand des § 23 Satz 1 ZPO regelmäßig einen Zugriff auf die Muttergesellschaft zu. Sobald die Muttergesellschaft irgendwelche Forderungen gegen ihre inländische Tochtergesellschaft hat, sind diese gemäß § 23 Satz 2 ZPO im Inland belegen, was zu einer Gerichtspflichtigkeit der Muttergesellschaft im Inland führt. Auch Gesellschaftsbeteiligungen werden als am Sitz der Gesellschaft belegen betrachtet.16 Anders stellt es sich allerdings bei Aktien dar, bei denen es auf den Lageort ankommt,17 der häufig am Sitz der Muttergesellschaft ist.18 Im Gegensatz zum autonomen deutschen Zivilprozessrecht kommt ein inländischer Gerichtsstand des Vermögens im Rahmen der EuGVVO nicht in Betracht. Die Verordnung normiert in Art. 3 Abs. 2 i. V. m. Anhang I einen Ausschluss des § 23 ZPO. Der Gerichtsstand des Vermögens erlangt daher gegenüber in EU-Staaten residierenden Klagegegnern keine Geltung. Ein Ausschluss im Rahmen der EuGVVO gilt ebenso für den Heimatgerichtsstand in Frankreich gemäß Art. 14 C. civ. Danach kann der Kläger, wenn er Franzose ist, verlangen, dass der Streit vor einem französischen Gericht entschieden wird. Die Vorschrift findet auch auf juristische Personen Anwendung19 und ist grundsätzlich über ihren Wortlaut, der sich nur auf vertragliche Verbindlichkeiten bezieht, hinaus auf alle vermögensrechtlichen wie nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten anwendbar, solange es nicht um Immobilien oder um ausländische Vollstreckungsurkunden geht.20 Der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 sind derartige exorbitante Gerichtsstände, die regelmäßig den Zugriff auf eine ausländische Muttergesellschaft im Inland ermöglichen, fremd. Insofern kommt der Frage nach der Herleitung eines inländischen Gerichtsstands im Anwendungsbereich der EuGVVO größere Bedeutung zu als im nationalen Kontext oder im Verhältnis zu Drittstaaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Entscheidend ist die Frage, inwieweit der Zugriff auf gläubiger- bzw. aktionärsnahe Gerichtsstände in Betracht kommt. Im Zentrum der Untersuchung steht damit die Einordnung der Konzernhaftungsansprüche in das Zuständigkeitssystem der EuGVVO, die keine 15

Vgl. auch Mankowski, EWiR Art. 5 EuGVÜ 1/99, 949. Stein/Jonas/Roth, § 23 Rn. 29; Wieczorek/Schütze/Hausmann, § 23 Rn. 29. 17 OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 27.9.1995, NJW-RR 1996, 186, 187; Wieczorek/ Schütze/Hausmann, § 23 Rn. 29. 18 Schack, in GS Sonnenschein, S. 705, 707. 19 CA Colmar, Urt. v. 23.6.1950, RTDC 1950, 704; Loussouarn/Bourel, Nr. 463. 20 Cass. civ. 1ère ch., Urt. v. 24.11.1953, RCDIP 44 (1955), 698; Cass. civ. 1ère ch., Urt. v. 17.11.1981, Bull. civ. I, Nr. 341. 16

Einleitung in die Gesamtdarstellung

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speziellen Gerichtsstände für die Geltendmachung derartiger Ansprüche vorsieht. Die Untersuchung soll sich dabei nicht auf konzernrechtliche Ansprüche aus einer nationalen Rechtsordnung beschränken. Andererseits würde eine umfassende Untersuchung der Konzernhaftungsansprüche aller mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen den Rahmen der Arbeit sprengen. Das Problem der Qualifikation und damit letztlich der zuständigkeitsrechtlichen Einordnung wird anhand des deutschen Rechts vergleichend mit dem französischen Recht untersucht. Die Einschränkung der Vergleichsobjekte lehnt sich auch an die Auslegungsarbeit des EuGH an, der sich in seinen Entscheidungen der Reihe nach auf einige wenige Rechtsordnungen stützt.21 Das deutsche Recht nimmt aufgrund der umfassenden Regelungen für Konzernsachverhalte eine Sonderstellung in Europa ein und ist schon deshalb von besonderem Interesse für die Qualifikation. Das französische Konzernhaftungssystem bietet sich als Vergleichsmaßstab nicht nur besonders an, weil Frankreich innerhalb der EU stärkster Wirtschaftspartner Deutschlands ist.22 Darüber hinaus kommt dem Umstand Bedeutung zu, dass das französische Recht im Gegensatz zum deutschen Recht vorwiegend an der Insolvenz des jeweiligen Unternehmens ansetzt und nicht an der strukturellen Verknüpfung einer Gesellschaft mit anderen Gesellschaften.23 Frankreich verlegt – wie übrigens England und Italien auch – den gesetzlichen Konzerngläubigerschutz in die Phase der amtlichen Krisenbewältigung, also in das Liquidations- oder Sanierungsverfahren,24 wobei es vor allem eine Außenhaftung normiert. Ziel der Arbeit ist, anhand des Vergleichs deutscher und französischer Konzernhaftungsinstitute für Konzernhaftungssachverhalte zu einer europäisch-einheitlichen Qualifikation einzelner möglicher Konzernhaftungstatbestände zu finden und somit allgemeine Kriterien für die Einordnung und ein zuständigkeitsrechtliches System im Sinne der EuGVVO zu entwickeln.25 Von erheblicher Bedeutung für eine effiziente Verfolgung der Rechte gegenüber der Muttergesellschaft ist neben der internationalen Zuständigkeit 21 Capotorti, in EuGH, Int. Zust. und Urteilsanerkennung, S. 11, 19. Der EuGH stützt sich auf einzelne Rechtsordnungen, die er als für eine Mehrheit bezeichnend behandelt. 22 Vgl. Dostal, ZIP 98, 969. 23 Vgl. dazu Ehricke, S. VII. 24 Vgl. Druey, in Lutter, Konzernrecht im Ausland, ZGR Sonderheft 11, S. 310, 363. 25 Bei der Suche nach einem europäischen Konsens für das europäische Zivilverfahrensrecht sollen nur bedingt Erwägungen zu einem effizienten internationalen Zivilprozessrecht im Konzernhaftungsbereich einfließen; vgl. dazu aber Hofstetter, S. 104 f. m. w. N.

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Einleitung in die Gesamtdarstellung

der Gerichte ferner die Möglichkeit, ein rechtskräftig erstrittenes Urteil auch (im Inland oder im Ausland) vollstrecken zu können. Dabei wird vor allem zu untersuchen sein, ob mittlerweile von einer stillschweigenden Akzeptanz in Bezug auf die einzelnen mitgliedstaatlichen Regelungen ausgegangen und damit eine gegenseitige Anerkennung der einzelnen Haftungssysteme erwartet werden kann.

II. Gang der Untersuchung Im Anschluss an eine Einführung in die EuGVVO und die Erläuterung der Neuerungen gegenüber dem Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ)26 sowie der Auslegungsgrundsätze (1. Teil) werden das deutsche und französische Haftungssystem im Überblick einander gegenübergestellt und die einzelnen zu vergleichenden Regelungen herausgearbeitet, um anschließend die vergleichbaren Regelungsansätze herauszukristallisieren (2. Teil). Dieser Teil dient als Grundlage und Ausgangspunkt für die weitere Untersuchung. Es folgt eine kurze Abhandlung der kollisionsrechtlichen Regelungen (3. Teil). Die kollisionsrechtlichen Überlegungen werden der eigentlichen Zuständigkeitsproblematik vorangestellt. Das anwendbare Recht ist zum einen für die Auswahl des Gerichtsstands entscheidend, da gerade im Konzernrecht zweckmäßigerweise die nationalen Gerichte über ihr eigenes Recht entscheiden. Ferner muss in Zuständigkeitsbestimmungen teilweise auf das materielle Recht zurückgegriffen werden, wie beispielsweise im Rahmen des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO zur Bestimmung des Erfüllungsortes. Schließlich ist die kollisionsrechtliche Behandlung von Konzernhaftungssachverhalten im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung im Hinblick auf den materiellrechtlichen ordre public von Bedeutung. Im Hauptteil schließlich erfolgt eine Einordnung der Konzernhaftungsansprüche in die einzelnen Zuständigkeitsvorschriften (4. Teil). Für wesentliche sich in einem grenzüberschreitenden Konzern ergebende Haftungsund Ausgleichsansprüche wird die internationale Zuständigkeit der Gerichte nach der EuGVVO bestimmt. Die Untersuchung verläuft entlang der einzelnen Zuständigkeitsbestimmungen der EuGVVO und behandelt nacheinander ausschließliche, allgemeine und besondere Zuständigkeitsvorschriften. Dabei sollen zunächst die Konzernhaftungsansprüche nach deutschem Recht qualifiziert werden. Die zum deutschen Recht erzielten Ergebnisse müssen 26 Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968, BGBl. 1972 II, 774.

Einleitung in die Gesamtdarstellung

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aber als vorläufige Zwischenergebnisse verstanden werden. Die Einordnung des nationalen Rechts bedarf noch der rechtsvergleichenden Absicherung mit dem französischen Haftungssystem und dessen Einordnung bzw. einer Überprüfung auf die Vereinbarkeit mit der EuGVVO, um schließlich ein Zuständigkeitssystem für Konzernhaftungsklagen in Europa zu etablieren. Schließlich wird die vollstreckungsrechtliche Durchsetzbarkeit einer inländischen Entscheidung in einem anderen Mitgliedsstaat untersucht (5. Teil). Dabei wird insbesondere auf Hindernisse bei der Anerkennung und Vollstreckung aufgrund eines ordre public-Verstoßes eingegangen. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse und sich daraus ergebender Fragestellungen und weiterer Lösungsvorschläge (6. Teil).

1. Teil

Einführung in die EuGVVO I. Ablösung des EuGVÜ durch die EuGVVO Im Anschluss an die am 1.5.1999 in Kraft getretene Neufassung des EGVertrages (EG) aufgrund der Beschlüsse von Amsterdam1 wurde auf der Grundlage der neuen Art. 61 ff. EG anstatt der bisher geschlossenen Übereinkommen2 als Rechtsakt im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit im Dezember 2000 die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO)3 verabschiedet, die gemäß ihrem Art. 76 am 1.3.2002 in Kraft trat.4 Die EuGVVO ersetzt5 seit dem 1.3.2002 das Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 (EuGVÜ)6 im 1

Vertrag von Amsterdam vom 2.10.1997, BGBl. 98 II 386. Der Vorteil solcher Rechtsetzungsakte des sekundären Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 61 lit. c, 65 (Art. 67 Abs. 1) EG gegenüber den bisher geschlossenen Übereinkommen ist eine Vereinfachung und Beschleunigung des legislativen Verfahrens, da nicht mehr bei jeder Erweiterung der Europäischen Union neue Beitrittsübereinkommen geschlossen und in allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden müssen. Da für die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen gemäß Art. 69 EG die Sonderregeln des Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und des Protokolls über die Position Dänemarks gelten, haben derartige Verordnungen und Richtlinien mangels ausreichender Kompetenzgrundlage allerdings keine Geltung in diesen Staaten. 3 ABl. EG Nr. L 12 v. 16.1.2001, S. 1. 4 Vgl. zur Revision des EuGVÜ und dessen Vergemeinschaftung in der EuGVVO: Piltz, NJW 2002, 789 ff.; Geimer, IPRax 2002, S. 69 ff.; Junker, RIW 2002, 569 ff.; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325 ff.; dies., EuZW 2002, 15 ff.; Schütze, IHR 2001, S. 135 ff.; Finger, MDR 2001, 1394 ff.; Kennett, ICLQ 2001, 725 ff.; Dietze/Schnichels, EuZW 2001, 581; Hausmann, EuLF 2000/01, 40 ff.; Markus, SZW 1999, 205 ff.; Jametti Greiner, AJP 1999, S. 1135 ff.; Kerameus/ Prütting, ZZP Int 1998, 265 ff.; Kohler, in Revision des EuGVÜ, S. 1 ff.; Bauer, S. 22 f.; vgl. ferner Heß, NJW 2000, 23 ff. 5 Vgl. Art. 68 Verordnung (EG) Nr. 44/2001. 6 BGBl. 1972 II, S. 774, in der Fassung des 4. Beitrittsübereinkommens vom 29.11.1996, BGBl. 1998 II, S. 1412. 2

1. Teil: Einführung in die EuGVVO

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Verhältnis aller EG-Mitgliedstaaten bis auf Dänemark,7 das ebenso wie das Vereinigte Königreich und Irland nach Art. 69 EG nicht den Bestimmungen des Titels IV des EG-Vertrags unterliegt8 und sich anders als diese beiden Mitgliedstaaten der EuGVVO auch nicht freiwillig angeschlossen hat.9 Im Rechtsverkehr mit Norwegen, Island und der Schweiz gilt ergänzend das Luganer Übereinkommen (LugÜ),10 dem im Februar 2000 auch Polen beigetreten ist. Im Rahmen der Überarbeitung des EuGVÜ setzte der Rat im Jahre 1995 eine Ad-hoc-Gruppe aus Vertretern der Mitgliedstaaten und der damaligen Lugano-Staaten Schweiz, Norwegen und Island ein.11 1997 legte die Kommission einen Vorschlag für die Ersetzung des EuGVÜ vor auf der Grundlage von Art. K.3 Abs. 2 lit. c EUV (jetzt Art. 31 EU).12 Die von der Arbeitsgruppe erzielten Ergebnisse13 wurden vom Rat am 28.5.1999 grundsätzlich gebilligt. Die EU-Kommission leitete im Juli 1999 dem Rat der Europäischen Union einen Entwurf zu, der den Erlass einer „Verordnung (EG) des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“ vorsah.14 Nach der Integration des Zivilprozessrechts in den EG-Vertrag legte die Kommission am 7.9.1999 einen Verordnungsvorschlag15 auf der Grundlage des Art. 65 i. V. m. 61 lit. c EG16 vor, der im Wesentlichen die vom Rat 7

Vgl. Art. 1 III Verordnung (EG) Nr. 44/2001. Vgl. Art. 1 S. 1 des Protokolls über die Position Dänemarks zum EU-Vertrag und Art. 1 S. 1 des Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands. 9 Das Vereinigte Königreich und Irland haben gem. Art. 3 des Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands schriftlich mitgeteilt, dass sie sich an der Annahme und Anwendung der Verordnung beteiligen möchten, vgl. den 20. Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 44/2001. 10 Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 16.9.1988, BGBl. 1994 II, S. 2660. 11 Der Text, der die Ergebnisse der Arbeitsgruppe enthält, ist bei Gottwald (Hrsg.), Revision des EuGVÜ – Neues Schiedsverfahrensrecht (2000), S. 125 ff. abgedruckt. 12 ABl. EG Nr. C 33 v. 31.1.1998, S. 20. 13 Rat der Europäischen Union – 7700/99 – JUSTCIV 60 (30.4.1999); abgedruckt in Gottwald, Revision des EuGVÜ, S. 125 ff. 14 Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 14.7.1999; KOM (1999) 348 endg. = BR-Drs. 534/99 = IPRax 2000, 41 ff. 15 ABl. EG Nr. C 376 E v. 28.12.1999, S. 1. 16 Krit. zur Heranziehung dieser Rechtsgrundlage Schack, ZEuP 1999, 805, 807 f.; Jayme/Kohler, IPRax 2000, 454, 458. 8

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1. Teil: Einführung in die EuGVVO

gebilligten Ergebnisse der Revision des Brüsseler Übereinkommens übernahm. Die Kommission präsentierte nach Änderungswünschen des Europäischen Parlaments17 am 26.10.1999 einen geänderten Verordnungsvorschlag,18 der vom Rat mit geringfügigen Änderungen am 22.12.2000 verabschiedet wurde. Am 16.1.2001 wurde die EuGVVO im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 12 veröffentlicht.19 Sie trat schließlich zum 1.3.2002 in Kraft. Die EuGVVO bringt in einigen wichtigen Punkten massive Änderungen zum bisherigen Text des EuGVÜ und divergiert (auch in der Artikelfolge) vom LugÜ.20 Diese wesentlichen – für die vorliegende Untersuchung relevanten – Änderungen gegenüber dem EuGVÜ finden sich in der EuGVVO zum einen bei der Regelung der Zuständigkeit, insbesondere im Fall der Beteiligung von Gesellschaften und juristischen Personen und bei Ansprüchen aus Verträgen. Dabei wird eine gewisse Harmonisierung mit dem übrigen Gemeinschaftsrecht erreicht. In Art. 60 EuGVVO wird nicht mehr wie bisher in Art. 53 EuGVÜ auf das internationale Gesellschaftsrecht zur Bestimmung des Sitzes der Gesellschaft oder juristischen Person verwiesen. Damit ist die Rechtsprechungsentwicklung des EuGH infolge der Centros-Entscheidung21 und dem Überseering-Urteil22 im Rahmen der EuGVVO nicht mehr relevant.23 Art. 60 EuGVVO harmonisiert den Sitz von Gesellschaften und juristischen Personen, dessen Bestimmung im EuGVÜ den Regeln des internationalen Privatrechts des Staates des angerufenen Gerichts vorbehalten war. Art. 60 EuGVVO definiert den Wohnsitz (Art. 2 Abs. 1 EuGVVO) von Gesell17

Vgl. den Bericht von Diana Wallis v. 18.9.2000, A5-253/2000. KOM (2000) 689 endg. v. 26.10.2000, Text ohne Erl. in ABl. EG Nr. C 62 E v. 27.2.2001, S. 243. 19 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG Nr. L 12 v. 16.1.2001, S. 1. 20 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen geschlossen in Lugano am 16. September 1988, BGBl. 1994 II, S. 2660. 21 EuGH, Urt. v. 9.3.1999, Rs. C-212/97 – Centros/Erhvervs-og Selskabsstyrelsen – Slg. 1999 I 1459 ff. = IPRax 1999, 360 m. Anm. Behrens (323 ff.). 22 EuGH, Urt. v. 5.11.2002, Rs. C-208/00 – Überseering/NCC – IPRax 2003, 65 ff. m. Anm. W.-H. Roth (117 ff.); siehe dazu auch Zimmer, BB 2003, 1 ff.; ders., RabelsZ 67 (2003), 298 ff.; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 ff.; Wertenbruch, NZG 2003, 618 ff.; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 ff.; Behrens, EuZW 2002, 737; ders., EuZW 2002, 129; vgl. ferner die Nachweise der zahlreichen Stellungnahmen zur Überseering-Entscheidung bei Weller, IPRax 2003, 324, Fn. 5. 23 Siehe ferner EuGH, Urt. v. 30.9.2003, Rs. C-167/01 – Kamer von Koophandel/Inspire Art – NJW 2003, 3331 ff. 18

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schaften und juristischen Personen autonom. In Übereinstimmung mit den Anknüpfungen in Art. 48 EG stellt Art. 60 Abs. 1 EuGVVO alternativ auf drei Kriterien ab: den Ort des satzungsmäßigen Sitzes, den der Hauptverwaltung oder den Ort der Hauptniederlassung. Diese Kriterien stimmen mit den Anknüpfungspunkten des Art. 48 EG über die Niederlassungsfreiheit überein. Die Gerichtspflichtigkeit der juristischen Person wird damit durch die EuGVVO ausgedehnt. Diese Zuständigkeit ist weiter und damit gläubigerfreundlicher als bisher.24 Im Rahmen der besonderen Zuständigkeiten wurde insbesondere der Vertragsgerichtsstand am Erfüllungsort durch den Zusatz eines autonomen und einheitlichen Erfüllungsortes für Kauf- und Dienstleistungsverträge ergänzt, der im EuGVÜ bislang fehlte.25 Die Neuregelung in Art. 5 Nr. 1 EuGVVO definiert den Begriff des Erfüllungsorts für die wichtigsten Verträge über den Verkauf beweglicher Sachen und über die Erbringung von Dienstleistungen autonom. So ist nach Art. 5 Nr. 1 EuGVVO der Erfüllungsort für Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem die Dienstleistung vertragsgemäß erbracht worden ist oder hätte erbracht werden müssen. Die Vorschrift des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO entspricht bis auf die Einbeziehung drohender Schäden dem bisherigen Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ. Er erfasst nun eindeutig auch präventive Klagen. Art. 6 Nr. 1 EuGVVO übernimmt die Rechtsprechung des EuGH in Sachen Kalfelis/Bankhaus Schröder26, wonach bei der passiven Streitgenossenschaft eine Verfahrenskonzentration am Wohnsitz eines der Beklagten nur dann möglich ist, wenn zwischen den Verfahren ein Sachzusammenhang besteht. Der neue Text drückt dies aus, indem er auf die Formel des Art. 28 Abs. 3 EuGVVO zurückgreift. Durch eine Änderung des Art. 17 EuGVÜ in Art. 23 EuGVVO wird klargestellt, dass die Gerichtsstandsvereinbarung vermutungsweise eine ausschließliche Zuständigkeit begründet, vorbehaltlich einer entgegenstehenden Vereinbarung der Parteien. Auch diese Lösung ist bereits durch Rechtsprechung27 und Literatur28 vorgezeichnet. Die Verordnung hat in den Bereichen der Anerkennung und Vollstreckung wesentliche Neuerungen gebracht. Das gesamte Verfahren im Aner24

Schack, in GS Sonnenschein, S. 705, 706. Vgl. zur Neuregelung in Art. 5 Nr. 1 EuGVVO: Hau, IPRax 2000, 354 ff.; Leipold, in GS Lüderitz, S. 431 ff.; Kropholler/von Hinden, in GS Lüderitz, S. 401 ff.; Kubis, ZEuP 2001, 737, 747 ff. 26 EuGH, Urt. v. 27.9.1988, Rs. 189/87 – Kalfelis/Bankhaus Schröder – Slg. 1988, 5565 ff. = IPRax 1989, 288 ff. m. Anm. Gottwald (272 ff.). 27 EuGH, Urt. v. 9.11.1978, Rs. 23/78 – Meeth/Glacetal – Slg. 1978, 2133, 2141 Rn. 5. 25

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kennungs- bzw. im Vollstreckungsstaat wurde durch die Verordnung gestrafft und dadurch beschleunigt. Das Exequaturverfahren, das der Vollstreckung von Urteilen vorausgeht, wurde entschlackt. Die Versagungsgründe wurden reduziert und enger gestaltet. Voraussetzung für die Anerkennung und Vollstreckung ist, dass die Entscheidung nach dem ersten Kapitel in den sachlichen und nach Art. 76 in den zeitlichen Anwendungsbereich der EuGVVO fällt. Demnach bezieht sich die Verordnung nur auf Entscheidungen im Rahmen der Zivil- und Handelsgerichtsbarkeit i. S. des Art. 1 EuGVVO, die nach dem 1.3.2002 ergangen sind. Die Kommission beabsichtigte zeitweise, die ordre public-Klausel zu streichen.29 Diese Absicht stand offenbar unter dem Eindruck des Sutherland-Berichts,30 der eine angeblich hohe Quote der Ablehnung der Wirkungserstreckung von Zivilurteilen im Binnenmarkt behauptet hatte. Diese Pläne sind aber nicht verwirklicht worden. Die Formulierung ist sogar dahingehend verschärft worden, dass der Verstoß „offensichtlich“ sein muss. Hierdurch tritt aber keine Änderung ein.31 Die zum EuGVÜ vertretene restriktive Auslegung des Vorbehalts ist damit nur Gesetz geworden.32 Hinsichtlich des Inhalts des ordre public-Vorbehalts besteht kein Unterschied gegenüber der bisherigen Regelung.

II. Auslegung der EuGVVO 1. Auslegungskompetenz des Europäischen Gerichtshofs Bislang waren besondere Vorschriften erforderlich, die den Europäischen Gerichtshof ermächtigten, über das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht zu wachen. Zur Sicherung einer einheitlichen Auslegung vereinbarten die ursprünglichen Vertragsstaaten des EuGVÜ eine Auslegungsbefugnis des EuGH.33 Der Charakter des EuGVÜ als internationales Einheitsrecht34 erfordert eine einheitliche Interpretation der einzelnen Nor28 Vgl. Geimer/Schütze, EuZVR (1. Aufl.), Art. 17 Rn. 166; dies., EuZVR, A.1 Art. 23 Rn. 166; Kropholler, EuZPR, Art. 23 Rn. 90; Zöller/Geimer, Anh I Art. 23 EuGVVO, Rn. 1. 29 Vgl. Schütze, IHR 2001, 135, 139; Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15, 18. 30 Kommissionsdokument III/21/1992: „Der Binnenmarkt nach 1992 – die Herausforderung annehmen“. 31 Dieser Ansicht ist wohl auch Schütze, IHR 2001, 135, 139. 32 Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15, 18. 33 Luxemburger Protokoll betreffend die Auslegung des Übereinkommens v. 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof v. 3.6.1971, BGBl. 1972 II, S. 846.

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men, um zum Ziel der einheitlichen Rechtsanwendung zu gelangen. Dieses Luxemburger Protokoll von 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens durch den Gerichtshof wird aufgrund der Art. 293 ff. EG, die vorbehaltlich der Spezialvorschrift des Art. 68 EG anwendbar sind, gegenstandslos.35 Für die Auslegung der EuGVVO hat der EuGH nunmehr eine genuine Zuständigkeit unmittelbar aufgrund des EG-Vertrages. Es bedarf keines besonderen völkerrechtlichen Übereinkommens mehr, um ihn im Wege der Organleihe als völkerrechtliches Gericht zur Auslegung eines völkerrechtlichen Übereinkommens zu etablieren.36 Auf ein Äquivalent zum Protokoll über die Auslegung des EuGVÜ von 1971 konnte somit verzichtet werden. Gegenüber Art. 234 EG war die Vorlagebefugnis der nationalen Gerichte schon nach dem Luxemburger Auslegungsprotokoll zum EuGVÜ eingeschränkt. Gerichte erster Instanz durften den EuGH nicht anrufen.37 Nach Art. 68 EG können nun nur noch letztinstanzlich tätige Gerichte dem EuGH Fragen betreffend die Auslegung der EuGVVO präsentieren. Für die Arbeit mit der EuGVVO gelten die unter dem EuGVÜ entwickelten Anwendungsgrundsätze und Auslegungsregeln fort, soweit die Vorschriften des EuGVÜ unverändert in die EuGVVO übernommen wurden und die Neuerungen und der systematische Zusammenhang mit anderen gemeinschaftsrechtlichen Rechtsakten nicht entgegenstehen.38 In ihrem Vorschlag verweist die Kommission ausdrücklich auf die erläuternden Berichte von Jenard39 und de Almeida Cruz/Desantes Real/Jenard,40 die anlässlich der einzelnen Beitritte zum EuGVÜ veröffentlicht wurden, sowie auf die Auslegung einzelner Vorschriften durch den EuGH.41 2. Auslegungsmethoden des EuGH a) Autonome Auslegung Die besonderen Schwierigkeiten, die sich bei der Einordnung von Haftungsansprüchen aus Konzernverhältnissen in das System der Verordnung ergeben, liegen im Bereich der Auslegung. Der Gerichtshof der Europäi34 Vgl. zum Begriff des Einheitsrechts Kropholler, Internationales Einheitsrecht (1975), S. 1 ff. 35 Vgl. dazu Müller/Hök/Schulze, B.17, 8. 36 Vgl. dazu Geimer, IPRax 2002, 69, 71 f. 37 Geimer/Schütze, EuZVR (1. Aufl.), Einl. Rn. 78. 38 Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 327; Piltz, NJW 2002, 789, 790. 39 ABl. EG Nr. C 59 v. 6.3.1979, S. 1. 40 ABl. EG Nr. C 189 v. 28.7.1990, S. 35. 41 Etwa im Bereich der Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen nach Art. 31 EuGVVO.

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schen Gemeinschaften hat im Rahmen des EuGVÜ der autonomen Auslegung den Vorzug gegeben, die sich auf die Zielsetzung und die Systematik des Übereinkommens stützt und im Wesentlichen auf den „allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die sich aus der Gesamtheit der innerstaatlichen Rechtsordnungen ergeben“, basiert.42 Demgemäß ist neben den vier klassischen Auslegungskriterien (grammatikalische, systematische, historische und teleologische Auslegung) auch der rechtsvergleichenden Auslegung gebührende Beachtung zu schenken.43 b) Auslegungsmethoden Die am Wortlaut orientierte grammatikalische Auslegung muss die Mehrsprachigkeit der EuGVVO beachten und berücksichtigen, dass für den Verordnungstext alle Fassungen gleichermaßen verbindlich sind. Bei der Interpretation anhand des Wortlauts müssen stets mehrere oder alle Fassungen herangezogen werden. Die historische Auslegung stellt auf den tatsächlichen Willen der Normgeber ab. Anhaltspunkte für eine am Willen des Normgebers orientierte, historische Auslegung der Vorschriften des EuGVÜ und nun auch der EuGVVO sind die zum Übereinkommen erstellten Berichte, die anlässlich des In-Kraft-Tretens des EuGVÜ und der Beitrittsübereinkommen erstellt wurden. Heranzuziehen sind somit die Berichte Jenard,44 Schlosser,45 Evrigenis/Karameus46 sowie der Bericht von Cruz/Desantes Real/Jenard.47 Ferner kann auch der Bericht Jenard/Möller48 zum Parallelübereinkommen von Lugano berücksichtigt werden. Die Berichte zum EuGVÜ bleiben auch für die Auslegung der EuGVVO jedenfalls insoweit bedeutsam, als die Verordnung den Text des Übereinkommens wörtlich übernimmt. Für die Interpre42 EuGH, Urt. v. 14.10.1976, Rs. 29/76 – LTU/Eurocontrol – Slg. 1976, 1541, 1550 Rn. 3. 43 Valloni, S. 32 ff.; vgl. zur Auslegung der EuGVVO auch Kropholler, in Aufbruch nach Europa, S. 583 ff.; zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts Oppermann, EuropaR, Rn. 680 ff.; und zur Auslegung durch den EuGH ausführlich Anweiler, Auslegungsmethoden. 44 Erstellt anlässlich des In-Kraft-Tretens des EuGVÜ; ABl. EG Nr. C 59 v. 5.3.1979, S. 1–70. 45 Erstellt zur Änderung des Übereinkommens anlässlich des Beitritts Großbritanniens, Irlands und Dänemarks (1978); ABl. EG Nr. C 59 v. 5.3.1979, S. 71–151. 46 Erstellt zur Änderung des Übereinkommens anlässlich des Beitritts Griechenlands (1982); ABl. EG Nr. C 298 v. 24.11.1986, S. 1–28. 47 Erstellt zur Änderung des Übereinkommens anlässlich des Beitritts Spaniens und Portugals (1989); ABl. EG Nr. C 189 v. 28.7.1990, S. 35–56. 48 Erstellt anlässlich des In-Kraft-Tretens des Lugano-Übereinkommens; ABl. EG Nr. C 189 v. 28.7.1990, S. 57–122.

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tation der in der EuGVVO gegenüber dem EuGVÜ enthaltenen Neuerungen können die Erläuterungen zum Verordnungsvorschlag der Kommission herangezogen werden.49 Bei der systematischen Auslegung, die auf den Bedeutungszusammenhang abstellt, ist primär der Standort der Bestimmung im Gefüge der EuGVVO zu beachten. Daneben kann zur Auslegung auch der Gemeinschaftsvertrag selbst oder anderes sekundäres Gemeinschaftsrecht unterstützend herangezogen oder auf den Zusammenhang bzw. Parallelen mit staatsvertraglichem Einheitsrecht abgestellt werden.50 Die teleologische Auslegung, die den Zweck einer Norm ermitteln will, ist die letztlich entscheidende Auslegungsmethode. Sie gibt regelmäßig den Ausschlag, wenn die anderen Auslegungsmethoden zu keinen klaren Ergebnissen führen. Sie richtet sich an den in der Präambel (den Erwägungsgründen) festgelegten allgemeinen Zielen und am Zweck der in Rede stehenden Vorschriften aus.51 Dabei ist auch der effet utile der gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift zu beachten, wonach eine Norm nach Möglichkeit ihren Zweck erreichen und praktische Wirksamkeit entfalten soll.52 Schließlich bedient sich der EuGH noch der rechtsvergleichenden Auslegung. Er beruft sich dabei auf „die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich aus der Gesamtheit der innerstaatlichen Rechtsordnungen ergeben“.53 In den Urteilen findet sich allerdings nie eine ausführliche Rechtsvergleichung, sondern immer nur die Bezugnahme auf einige wenige Rechtsordnungen.54 Gegenstände des Vergleichs sind einmal Rechtsprechung und Literatur der Mitgliedstaaten zur EuGVVO bzw. zum EuGVÜ und zum anderen die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten.55

49 Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 14.7.1999; KOM (1999) 348 endg. = BR-Drs. 534/99 = IPRax 2000, 41 ff. 50 Siehe Kropholler, EuZPR, Einl. Rn. 44. 51 Vgl. Kropholler, EuZPR, Einl. Rn. 46. 52 Vgl. dazu Kropholler, EuZPR, Einl. Rn. 47. 53 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.1976, Rs. 29/76 – LTU/Eurocontrol – Slg. 1976, 1541, 1550 Rn. 3; EuGH, Urt. v. 22.2.1979, Rs. 133/78 – Gourdain/Nadler – Slg. 1979, 733, 743 Rn. 3; EuGH, Urt. v. 21.4.1993, Rs. C-172/91 – Sonntag/Waidmann – Slg. 1993 I-1963, 1996 Rn. 18. 54 Capotorti, in EuGH, Int. Zust. und Urteilsanerkennung, S. 11, 19. 55 Kropholler, EuZPR, Einl. Rn. 48.

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3. Auslegung der Begriffe der EuGVVO Das Postulat rechtsvergleichend-autonomer Auslegung ist vom EuGH besonders stark verfochten bei der Handhabung der Begriffe, die den Anwendungsbereich des Übereinkommens bestimmen. In der Entscheidung in Sachen Gourdain/Nadler56 prüfte der EuGH zum Zwecke der Bestimmung eines europäischen Begriffs des Konkursrechts allerdings nur, ob der von ihm zu beurteilende Schadensersatzanspruch des Konkursverwalters gegen den faktischen Leiter der in Konkurs geratenen Gesellschaft nach französischem Recht, der lex causae, unmittelbar aus dem Konkursverfahren hervorging und sich eng innerhalb eines Konkurs- oder Vergleichsverfahrens hielt. Damit bleibt die Möglichkeit nach wie vor offen, im konkreten Vergleichsfall einen vom Interessenschutz her durchaus vergleichbaren Schadensersatzanspruch gegen Organwalter juristischer Personen anders zu qualifizieren. Dies gilt beispielsweise für Ansprüche des deutschen Rechts, die demnach selbst im Konkurs der Gesellschaft handelsrechtlich qualifiziert werden können, wenn sie auch unabhängig vom Konkurs bestehen und im Konkurs nur eine gewisse Umgestaltung erfahren.57 Die Frage nach dem Auslegungsmodus kann aber nicht abstrakt beantwortet werden, sondern immer nur in Bezug auf den auszulegenden Begriff.58 Im zweiten Kapitel der Verordnung, das die Zuständigkeitsregeln enthält, lässt sich das Postulat rechtsvergleichend-autonomer Auslegung der Begriffe nicht in der Weise durchführen, dass Zuständigkeitsregeln der nationalen Rechte klassifiziert werden. Die Zuständigkeitsnormen knüpfen an bestimmte Streitgegenstände an. Die Zuständigkeitsbegriffe der EuGVVO stammen aus den Begriffsstrukturen eines oder mehrerer nationaler Rechte. Im Extremfall können die Begriffe entweder nur völlig losgelöst von den nationalen Rechten oder umgekehrt nur in der Verweisung auf die lex causae bestimmt werden. Häufig wird die Rechtsvergleichung keinen als Grundlage einer Synthese geeigneten Befund liefern. So wird man unter Umständen – unabhängig vom rechtsvergleichenden Befund – allein aus den von der Norm vorausgesetzten Interessen zu einem Auslegungsergebnis finden.59 Als Beispiel hierfür kann insbesondere die Bestimmung des Begriffs des Erfüllungsortes herangezogen werden. Ist ein europäischer Begriff des Er56

EuGH, Urt. v. 22.2.1979, Rs. 133/78 – Gourdain/Nadler – Slg. 1979, 733 ff. Vgl. § 93 Abs. 5 AktG; siehe dazu Schlosser, in GS Bruns, S. 45, 49 f. 58 Linke, IPRax 1982, 46, 47; vgl. auch die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ in Sachen Tessili/Dunlop, EuGH, Urt. v. 6.10.1976, Rs. 12/76, Slg. 1976, 1473 ff. 59 Vgl. dazu Schlosser, in GS Bruns, S. 45, 51 f. 57

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füllungsortes überhaupt vorstellbar? In der EuGVVO hat man im Gegensatz zum EuGVÜ für zwei Arten von Verträgen die autonome Bestimmung des Erfüllungsortes für möglich gehalten und dementsprechend normiert. Die Neuregelung in Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO löst das Problem für den weitaus größten Teil der Fälle, indem sie den Begriff des Erfüllungsorts für die wichtigen Verträge über den Verkauf beweglicher Sachen und über die Erbringung von Dienstleistungen autonom definiert.60 Für andere Vertragsarten bleibt es jedoch nach Art. 5 Nr. 1 lit. a EuGVVO bei der bisherigen Rechtslage, so dass das Problem der Möglichkeiten einer rechtsvergleichenden Synthese nach wie vor im Raume steht. Bei der rechtsvergleichenden Begriffbestimmung ist dann zwischen zwei Arten von Fragen zu unterscheiden: Welche Regeln kennt das materielle Recht zur Beantwortung der Frage nach dem Erfüllungsort? Und welche Bedeutung hat der so ermittelte Erfüllungsort für die Begründung der örtlichen Zuständigkeit? In der französischen Rechtsordnung ist beispielsweise der im materiellen Recht für die Geldleistung vorgesehene Erfüllungsort zuständigkeitsrechtlich unbeachtlich. Gerichtsstandsbegründend wirkt dort nur der Erfüllungsort der vertragscharakteristischen Leistung, auch für die ihr korrespondierende Gegenleistung (Art. 46 Nr. 1 Nouveau Code de procédure civile (NCPC)).61 Es sind eigene Leitlinien zum Erfüllungsort gefordert, die namentlich nicht an materiellrechtlichen Gefahrtragungsgrundsätzen, sondern in erster Linie am kompetenzrechtlich relevanten Kriterium der Sach- und Beweisnähe ausgerichtet sein müssen.62 Einer Bestimmung des Begriffs Erfüllungsort nur im Hinblick auf die gerichtliche Zuständigkeit fehlte allerdings jede denkbare Legitimation.63

60 Einen besonderen Vertragsgerichtsstand sieht auch das geplante Haager Zuständigkeits- und Anerkennungsübereinkommen vor. Art. 6 der Preliminary Draft Convention on Jurisdiction and Foreign Judgements in Civil and Commercial Matters lautet: „A plaintiff may bring an action in contract in the courts of a State in which (a) in matters relating to the supply of goods, the goods were supplied in whole or in part; (b) in matters relating to the provision of services, the services were provided in whole or in part; (. . .).“ Der Text ist auf der Homepage der Haager Konferenz zugänglich (http://www.hcch.net; dort unter „work in progress“). 61 Vgl. zu den Problemen bei der Bestimmung des Erfüllungsortbegriffs Schlosser, in GS Bruns, S. 45, 52 ff. 62 Hau, IPRax 2000, 354, 358. 63 Schlosser, in GS Bruns, S. 45, 57.

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4. Auslegung und Qualifikation Die Frage hinsichtlich der Anwendung der EuGVVO, ob und inwieweit nationales Recht bei dessen Anwendung eine Rolle spielt, ist das Problem der autonomen Auslegung. Dies betrifft vor allem die Auslegung der Begriffe der EuGVVO. Schwierigkeiten im Rahmen der Untersuchung ergeben sich aber insbesondere im Hinblick auf die autonome Qualifikation der „Konzernhaftung“ im Zusammenhang mit der EuGVVO. Primär geht es nicht um die Frage der Auslegung an sich bzw. die Auslegung der einzelnen Begriffe der Vorschriften, sondern um die Subsumtion nach Maßgabe der vom EuGH bereits getroffenen Interpretationen.64 Dabei geht es in der EuGVVO immer um die Einordnung von Sachverhalten, nicht um die von Rechtsnormen.65 Dies lässt sich am einfachsten an einem Beispiel erläutern: In Frankreich existiert z. B. das Haftungsinstitut der action en comblement du passif, das zum einen insolvenzverfahrensrechtliche Besonderheiten aufweist, zum anderen im Tatbestand auf das Insolvenzverfahren Bezug nimmt und ferner eine Rechtsfolge enthält, die einen besonders engen Zusammenhang zum Insolvenzverfahren herstellt. Gehört die action en comblement du passif nach französischem Recht damit zu einem Konkurs oder zu einem konkursähnlichen Verfahren i. S. v. Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO?66 Ein solches Problem könnte nach französischem Recht ungefähr so gelöst werden: Zunächst geht man davon aus, dass der zugrundeliegende Sachverhalt die Grundlage für eine action en comblement du passif bildet. In einem zweiten Schritt stellt man dann fest, dass die action en comblement du passif zum Rechtsgebiet Konkurs (faillite) gehört. Es erfolgt also eine Einordnung des Sachverhalts und auf dieser Grundlage des Anspruchs nach materiellem Recht. Im Rahmen der EuGVVO kommt die Einordnung möglicherweise zu einem anderen Ergebnis als im französischen Recht: Zunächst wird festgestellt, dass der zugrundeliegende Sachverhalt nach französischem Recht die Voraussetzungen einer action en comblement du passif erfüllt. In einem zweiten Schritt wird möglicherweise festgestellt, dass eine französische action en comblement du passif nicht zum Rechtsgebiet Konkurs i. S. d. Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO gehört. In einem dritten Schritt lautet demnach das Ergebnis, dass der Sachverhalt nicht unter Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO fällt. Subsumiert wird also ein Sachverhalt bzw. besser das Charakteristische 64

Vgl. zu diesem Zustand Linke, IPRax 1982, 46. Scholz, S. 179. 66 Probleme der Einordnung der französischen action en comblement du passif waren Gegenstand der Gourdain/Nadler-Entscheidung des EuGH, Urt. v. 22.2.1979, Rs. 133/78, Slg. 1979, 733 ff. 65

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des Sachverhalts. Im Laufe des Subsumtionsvorgangs wird nicht ignoriert, wie das französische Recht den Sachverhalt einordnet, in dem Beispiel also als action en comblement du passif. Gehört der Sachverhalt jedoch zu einer Klasse von Sachverhalten, nämlich aufgrund bestimmter gemeinsamer Merkmale denen der action en comblement du passif,67 so kann nun die allgemeine Frage aufgeworfen werden, ob eine action en comblement du passif ein Konkursverfahren darstellt, anstelle der Frage, ob der Sachverhalt ein Konkursverfahren darstellt. Es geht grundsätzlich also nicht darum, ob die Vorschriften, die die action en comblement du passif im französischen Recht regeln, dem Konkursrecht (Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO) zugehörig sind. Deshalb ist auch eine differenzierende Betrachtung möglich. Der EuGH subsumiert idealiter nicht erst unter einen Begriff oder eine Rechtsnorm des nationalen Rechts und dann unter das EuGVÜ bzw. demnächst unter die EuGVVO. Denn selbst wenn die Einordnung im nationalen Recht unklar ist, muss dennoch eine Entscheidung für den Bereich der Verordnung möglich sein.68 Dies soll wiederum anhand eines Beispiels verdeutlicht werden: Gilt die Zuständigkeit am Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Art. 5 Nr. 1 EuGVVO auch für Ansprüche aus Konzernhaftung gemäß § 302 AktG bzw. handelt es sich bei diesen um vertragliche Ansprüche? Sowohl die Einordnung im deutschen Recht als auch – angenommen – die Frage, ob der geltend gemachte Anspruch einer aus § 302 AktG ist, sind umstritten. Der EuGH kann nun entscheiden, ob ein bestimmter Sachverhalt einen vertraglichen Anspruch i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO begründet oder ob die Fälle des § 302 AktG vertragliche Ansprüche i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO sind. Im letztgenannten Fall ergibt sich aber folgendes Problem: In welchen Konstellationen in Zukunft ein Anspruch aus § 302 AktG gewährt wird, entscheiden allein die deutschen Gerichte. Würde man den EuGH so verstehen, dass alle Fälle des § 302 AktG immer auch die Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 1 EuGVVO eröffnen, so hinge dessen Auslegung davon ab, wie sich die deutsche Rechtsprechung zu § 302 AktG entwickelt oder ob die Norm sich ändert. Das Problem wird z. B. ganz deutlich bei der Haftung im qualifizierten faktischen Konzern, die infolge der Rechtsprechungsentwicklung des BGH auf eine neue Grundlage gestellt wurde. Die autonome Auslegung eines Begriffs der Verordnung rekurriert demnach früher oder später auf Begriffe des nationalen Rechts. Subsumiert der EuGH Systembegriffe des nationalen Rechts unter einen autonom zu bestimmenden Begriff der EuGVVO, führt er das Programm „autonome Aus67 Die ganze oder zumindest ein Teil der Klasse von Sachverhalten im Entscheidungszeitpunkt wird anhand der nationalen Begriffe beurteilt; vgl. Scholz, S. 193. 68 Scholz, S. 182.

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legung“ nur teilweise durch.69 Bedenken gegen eine vollständige autonome Auslegung ergeben sich aus der unterschiedlichen Einordnung von Sachverhalten in verschiedenen Rechtsordnungen, die nicht nur in einer divergenten Begrifflichkeit, sondern auch in unterschiedlichen rechtlichen Regelungen begründet ist. Ein autonomer Begriff der „Verlustausgleichshaftung“ und erst recht der „Konzernhaftung“ ist nicht möglich, da sich nicht nur die Bezeichnungen, sondern auch die Inhalte und Wirkungen in den nationalen Verfahrensrechten unterscheiden. Ob ein Konkursverfahren (Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO) vorliegt, hängt davon ab, wie das nationale Recht derartige Sachverhalte regelt. Der Einordnungsspielraum des nationalen Gesetzgebers beeinflusst mittels der jeweiligen nationalen Regelung die Auslegung der EuGVVO.70 Diese Einflussnahme aufgrund der nationalen Regelung bewirkt, dass eine autonome Auslegung nur in einem gewissen Ausmaß, nicht aber gänzlich möglich ist. Völlig von nationalen Begriffen abzusehen und nur auf die Sachverhalte abzustellen stellt dagegen eine Vorgehensweise dar, die in Konflikt mit der Struktur des Vorabentscheidungsverfahrens gerät, in dem nicht über den konkreten Fall, sondern über mehr oder weniger abstrakte Rechtsfragen geurteilt wird.71 Andererseits sollte auch der von der Rechtsordnung der Vertragsstaaten vorgenommenen Qualifizierung nicht zuviel Gewicht beigemessen werden. Zum einen gestatten die Ergebnisse häufig keine eindeutige Schlussfolgerung. Zum anderen können die rechtspolitischen Überlegungen, auf denen die nationalrechtliche Qualifikation beruht, sich sehr erheblich von denen unterscheiden, die bei der Auslegung der EuGVVO von Bedeutung sind, vor allem hinsichtlich Systematik und Zielen der Verordnung, d. h. der Bezug zum Gegenstand des Rechtsstreits und ein vernünftiger Grund.72 Die materielle Rechtszersplitterung erschwert vor allem auch die Bildung von Fallgruppen.73 Denn von den einzelnen materiellen Rechten werden gleichartige Sachverhalte unterschiedlich behandelt. Daher ist es schwierig, eine allgemeinverbindliche Aussage bezüglich der Einordnung konzerngesellschaftsrechtlicher Haftungsansprüche zu treffen. Es muss aber vermieden werden, dass dies im Endeffekt auf eine Qualifikation lege causae hinausläuft, indem die einzelnen Haftungsinstitute zunächst im materiellrechtlichen Kontext qualifiziert werden, um sie mit dem daraus gewonnenen Ergebnis in die EuGVVO einzuordnen. Zuerst eine Ent69

Scholz, S. 183. Scholz, S. 194. 71 Scholz, S. 197. 72 Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs zum Urteil des EuGH v. 17.6.1992, Rs. C-26/91 – Handte/TMCS – Slg. 1992 I-3967, 3985. 73 Zum Problem der Fallgruppenbildung siehe Brandes, S. 128. 70

1. Teil: Einführung in die EuGVVO

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scheidung nach dem materiellen Recht zu treffen, bevor die internationale Zuständigkeit bestimmt wurde, ist nicht logisch und schwierig durchzusetzen. Zudem hilft diese Qualifikation nicht, wenn das materielle Recht beispielsweise eine Anspruchskonkurrenz zwischen vertraglichen und deliktischen Ansprüchen zulässt.74 Schließlich unterscheiden sich die Interessenlagen im materiellen Recht und im internationalen Zuständigkeitsrecht. Ziel der Zuständigkeitsregeln ist unter anderem, dem Kläger einen möglichst nahen und damit bequemen Gerichtsstand zur Verfügung zu stellen.75 Insofern erschwert eine Qualifikation lege causae nicht nur den praktischen Entscheidungsprozess, sondern führt auch nicht immer zur angemessenen Lösung. Zwei Wege scheinen gangbar. Man kann sich einerseits fragen, ob das Problem der Einordnung der Konzernhaftung weniger die Auslegung der EuGVVO, sondern vielmehr die Qualifikation der Situation des herrschenden Gesellschafters nach dem anwendbaren Recht betrifft. Andererseits ist es unter Umständen möglich, zu einer einheitlichen Lösung des Problems mittels der Auslegung der in Frage kommenden Vorschriften der EuGVVO zu gelangen, ohne auf die einzelnen unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen einzugehen. Letzteres mag etwas künstlich erscheinen. Im Übrigen muss auch bei dieser Lösung auf die Beziehungen im materiellen Recht zurückgegriffen werden. Dies führt dazu, dass unter dem Deckmantel der Interpretation einer Vorschrift der EuGVVO in Wirklichkeit ein Konzept eines gemeinschaftlichen Rechtsinstituts der Konzernhaftung aus der Gesamtheit der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen entwickelt wird.76 Demzufolge würde ein Konzept der Konzernhaftung hinsichtlich aller Vertragsstaaten, also ein europäischer „Konzernhaftungstatbestand“ herausgearbeitet, um diesen selbst schließlich in die EuGVVO einzuordnen. Dies scheint realitätsfern, rein hypothetisch und damit nicht interessengerecht. Aus alldem ergibt sich, dass die Untersuchung sich auf der Grundlage folgender Thesen bewegt: 1. Gegen einen völligen Verzicht auf nationale Begriffe bestehen schwerwiegende Bedenken, da die unterschiedliche Einordnung von Sachverhalten in verschiedenen Rechtsordnungen nicht nur in einer divergenten Begrifflichkeit, sondern auch in unterschiedlichen rechtlichen Regelungen begründet ist. Die Auslegung würde sich von den nationalen Rechtsordnungen entfernen. 74

Ebenso Gaudemet-Tallon, RCDIP 81 (1992), 730, 736. Bolze, S. 209. 76 Vgl. zum Urt. des EuGH v. 10.31992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745 ff. die Anmerkung von Blaise, Bull. Joly 1992, § 247, 772, 773. 75

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1. Teil: Einführung in die EuGVVO

2. Daher werden in den Auslegungsvorgang nationale Rechtsbegriffe miteinbezogen. Es erfolgt aber keine Subsumtion unter diese Begriffe. Für jede autonome Auslegung soll unter anderem daher die Rechtsvergleichung Ausgangspunkt sein. Dieser Ansatz zeigt für ein konkretes Auslegungsproblem im Bereich der EuGVVO die verschiedenen möglichen Lösungsalternativen auf und versucht, die sachlich überzeugendste Lösung zu finden. In Bezug auf die nationalen Rechtsordnungen gilt es, die Auslegung auf allgemeine Rechtsgrundsätze zu stützen, die sich aus einer Rechtsvergleichung innerhalb der Vertragsstaaten herauskristallisieren. Fraglich ist, ob von einer Vergleichbarkeit der „Konzernrechtsinstitute“, wie sie erforderlich wäre, um ein zuständigkeitsrechtliches System im Sinne der EuGVVO zu entwickeln, gesprochen werden kann. Dabei ist im Rahmen der Untersuchung zu beachten, dass für die Suche nach einer umfassenden theoretischen Grundlage zum Recht der internationalen Zuständigkeit Ansätze, die die internationale Zuständigkeit der Gerichte in Abhängigkeit von dem anwendbaren Recht regeln, wegen ihres beschränkten Anspruchs zunächst uninteressant sind. Somit sollen verschiedene Rechtsordnungen für die Qualifikation zu Rate gezogen werden. Eine intensive Erörterung aller mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen würde den Rahmen der Arbeit sprengen. Beispielhaft werden deshalb das deutsche und französische Recht herangezogen. Dies entspricht der Vorgehensweise des EuGH. Auch der EuGH stützt sich der Reihe nach auf einige wenige Rechtsordnungen, die er als für eine Mehrheit bezeichnend behandelt. Es muss daher für ausreichend gehalten werden, bestimmte Grundsätze unter einen unausgesprochenen Begriff eines gemeinsamen Bestands der Rechtskultur der Mitgliedstaaten bringen zu können.77 Im Ergebnis kann also festgehalten werden, dass auf die Einordnungen im nationalen materiellen oder zivilprozessualen Recht bzw. im IPR nicht vorbehaltlos Rückgriff genommen werden kann, da die Begriffe teils unterschiedlich verstanden werden und der Qualifikation im IZPR eine andere Interessenabwägung als dem materiellen oder dem Kollisionsrecht zugrunde liegt.

III. Einschlägige Zuständigkeitsvorschriften der EuGVVO im Überblick Bei der Einordnung von Konzernhaftungstatbeständen bietet die EuGVVO mindestens fünf Möglichkeiten, die internationale Zuständigkeit für Haftungsansprüche gegen herrschende Konzernunternehmen zu bestim77

Capotorti, in EuGH, Int. Zust. und Urteilsanerkennung, S. 11, 19.

1. Teil: Einführung in die EuGVVO

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men: Konzernhaftungsansprüche können als Ansprüche aus einem Vertragsverhältnis (Art. 5 Nr. 1 EuGVVO) oder aber als Ansprüche deliktischer Natur (Art. 5 Nr. 3 EuGVVO) qualifiziert werden. Zusätzlich kann man das beherrschte Unternehmen als „Zweigniederlassung“ (Art. 5 Nr. 5 EuGVVO) betrachten. Auch der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (Art. 6 Nr. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 EuGVVO) könnte eröffnet sein, wenn Gläubiger beherrschtes und herrschendes Unternehmen gemeinsam verklagen. Hält man keinen der besonderen Gerichtsstände für einschlägig, dann bleibt es bei der Zuständigkeit am Sitz des herrschenden Unternehmens (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 60 Abs. 1 EuGVVO). Der Verordnung sind exorbitante Gerichtsstände, wie der Gerichtsstand des Vermögens in Deutschland (§ 23 ZPO) oder der Heimatgerichtsstand in Frankreich (Art. 14 C. civ.), die regelmäßig den Zugriff auf eine ausländische Muttergesellschaft im Inland ermöglichen, fremd (Art. 3 Abs. 2/Anhang I EuGVVO). Außerdem kennt die EuGVVO keinen (expliziten) Gerichtsstand der Mitgliedschaft.78 Sie enthält keine dem § 22 ZPO vergleichbare Norm.79

78

Vgl. dazu Geimer, EWiR Art. 17 EuGVÜ 1/89, 885, 886; ders., EWiR Art. 17 EuGVÜ 1/92, 353, 354; Brödermann, ZIP 1996, 491; Mankowski, NZI 1999, 56. 79 Zum deutschen autonomen Zuständigkeitsrecht vgl. die Hinweise bei Mankowski, NZI 1999, 56 (Fn. 2).

2. Teil

Konzernhaftungssysteme in Europa – Überblick und Vergleich Die Sorge um einen besonderen „Konzernkonflikt“, der den deutschen Gesetzgeber zum Erlass eines gesonderten Konzernrechts im dritten Buch des Aktiengesetzes von 1965 veranlasste, hat im europäischen Ausland, auch in Frankreich nie allgemeine Anerkennung gefunden.1 Dort unterblieb eine besondere Regelung des „Rechts der Unternehmensgruppe“.2 Frankreich ist bis heute ohne systematische bzw. umfassende Gesetzeslösung für die Probleme geblieben, welche sich aus der Konzernzugehörigkeit von Einzelgesellschaften ergeben.3 In Frankreich fehlt damit eine geschlossene Gesetzgebung zum Konzernrecht.4 Während nach deutschem Recht die Stellung des herrschenden Unternehmens in der Haftungsverfassung des Konzernverbundes sowohl von der Konzernart als auch von der Rechtsform der abhängigen Konzernunternehmen abhängt, setzt das französische Konzernhaftungssystem im Gegensatz dazu nicht an der strukturellen Verknüpfung einer Gesellschaft mit anderen Gesellschaften, sondern vorwiegend an der Insolvenz des jeweiligen Unternehmens an. Im Folgenden soll ein Überblick über die Haftungsinstitute nach deutschem und französischem Recht und die im weiteren Verlauf der Arbeit zu qualifizierenden Ansprüche gegeben werden. 1. Kapitel

Konzernhaftung nach deutschem Recht Ein Konzern besteht aus juristisch selbständigen Unternehmen, die deshalb grundsätzlich nicht für die Verbindlichkeiten anderer Konzernunternehmen zu haften haben. Es gilt der Grundsatz der Haftungstrennung.5 Die 1 2 3 4

Vgl. Wiedemann, Unternehmensgruppe, S. 3. Wolf, S. 2. Vogel, S. 3. Wolf, S. 6 m. w. N.

1. Kap.: Konzernhaftung nach deutschem Recht

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Konzernhaftung überwindet das Trennungsprinzip nur in eng begrenzten Fallkonstellationen.6 Die Stellung des herrschenden Unternehmens in der Haftungsverfassung des Konzernverbundes hängt dabei von der Konzernart und der Rechtsform der abhängigen Konzernunternehmen ab.7 Bei der Haftung des herrschenden Unternehmens lassen sich die Ansprüche ferner nach der (potentiellen) Gläubigerstellung der Geschädigten klassifizieren. Konzerninnenhaftungsansprüche umfassen die Ansprüche der abhängigen Gesellschaft und ihrer Aktionäre, Konzernaußenhaftungsansprüche die der Gläubiger der abhängigen Gesellschaft.

I. Haftung im Vertragskonzern 1. Haftung im AG-Vertragskonzern Im Bereich der Vertragskonzerne stehen die an den Abschluss eines Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrages anknüpfenden Verlustausgleichsansprüche zugunsten der abhängigen Unternehmen nach § 302 AktG im Vordergrund. Anspruchsgegner ist das herrschende Unternehmen, Anspruchsinhaber die beherrschte Gesellschaft.8 Den Gläubigern steht nach herrschender Ansicht kein eigener Anspruch und kein eigenes Klagerecht zu, sondern nur ein Anspruch auf Pfändung und Überweisung des Ausgleichsanspruchs.9 Eine analoge Anwendung der §§ 309 Abs. 4, 317 Abs. 4 AktG wird jedoch hinsichtlich der Aktionäre erwogen.10 Die Verlustübernahmepflicht im Vertragskonzern knüpft einzig an den Abschluss eines Beherrschungsvertrags an. Die Haftung bzw. Verlustausgleichspflicht im Vertragskonzern kann demnach als einzig auf der gewählten Konzernstruktur basierend angesehen werden, womit sie verhaltensunabhängig ist. Die Verlustausgleichsverpflichtung ist danach eine Haftung kraft eines die Kapitalgrundlagen der Gesellschaft gefährdenden Zustands, also eine Struktur- oder Zustandshaftung.11 Andere sehen darin allerdings 5

Schneider, BB 1981, 249, 254. Eschenbruch, Konzernhaftung, Rn. 2091 f. 7 Eschenbruch, Konzernhaftung, Rn. 3001. 8 Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Geßler, § 302 Rn. 44 f.; KölnKomm/Koppensteiner, § 302 Rn. 39, 43; GroßkommAktG/Würdinger, § 302 Anm. 1. 9 Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Geßler, § 302 Rn. 46; KölnKomm/Koppensteiner, § 302 Rn. 42; a. A. Müller, ZGR 1977, 1, 5 f. (Analogie zu §§ 317 Abs. 4, 309 Abs. 4 AktG). 10 Dies ist allerdings streitig, vgl. KölnKomm/Koppensteiner, § 302 Rn. 41; Lutter, AG 1968, 73, 74. 11 Hüffer, AktG, § 302 Rn. 6; Eschenbruch, Konzernhaftung, Rn. 2095; Vogel, S. 108 f.; Ulmer, NJW 1986, 1579, 1584. 6

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2. Teil: Konzernhaftungssysteme in Europa

eine Haftung aus fehlerhafter Konzernleitung und damit eine Handlungsbzw. Verhaltenshaftung.12 Die Verlustausgleichsregelung des § 302 AktG stelle eine Weiterentwicklung des auftragsrechtlichen Prinzips dar (§§ 683, 670 BGB) bzw. gewähre Aufwendungsersatz für Fremdgeschäftsführung (negotiorum gestio).13 Der Anspruch der abhängigen Gesellschaft gegen das herrschende Unternehmen auf Verlustausgleich nach § 302 AktG ist nach einer Auffassung entsprechend dem bezweckten Kapitalerhaltungsschutz ein gesetzliches Schuldverhältnis, nicht Vertragshaftung; Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrag sind Tatbestandsmerkmale gesetzlicher Verpflichtung, nicht selbst Verpflichtungsgrund. Genauer handelt es sich um ein gesetzliches Dauerschuldverhältnis, das mit In-Kraft-Treten des jeweiligen Vertrags entsteht und mit seinem Auslaufen endet. Gläubigerin des Dauerschuldverhältnisses und der aus ihm resultierenden Einzelansprüche ist die abhängige Gesellschaft; es handelt sich damit um eine Innenhaftung, nicht um eine Außenhaftung nach Art einer Durchgriffskonzeption.14 Werden die im Aktiengesetz niedergelegten Grenzen der Leitungsmacht im Einzelfall überschritten, haften das herrschende Unternehmen und die beteiligten gesetzlichen Vertreter der abhängigen Gesellschaft auf Schadensersatz, § 309 AktG. Die Aktionäre und Gläubiger der Gesellschaft sind nach § 309 Abs. 4 AktG aber auch ermächtigt, außerhalb eines Insolvenzverfahrens den Anspruch geltend zu machen. Der entscheidende Haftungsgrund des § 309 AktG ist umstritten. Hinsichtlich der Verantwortlichkeit des herrschenden Unternehmens wird als Anspruchsgrundlage überwiegend pVV des Beherrschungsvertrages (§ 280 Abs. 1 bzw. § 281 BGB),15 teilweise auch § 309 AktG (direkt oder analog) genannt.16 Ist die Anspruchsgrundlage gegen das herrschende Unternehmen in dem Unternehmensvertrag zu suchen, handelt es sich um eine gewöhnliche Haftung für das Verschulden gesetzlicher Vertreter (§ 31 oder § 278 BGB).17 12 Lutter, ZIP 1985, 1425, 1433 f.; ders., AG 1990, 179, 182 m. w. N. in Fn. 41; für eine „typisierte Konzernleitungshaftung“ in modifizierender Anlehnung an die jeweiligen Varianten Stimpel, ZGR 1991, 144, 152. 13 MünchKommAktG/Altmeppen, § 302 Rn 12. 14 Hüffer, AktG, § 302 Rn. 5. 15 MünchKommAktG/Altmeppen, § 309 Rn. 137 f.; Baumbach/Hueck, § 309 Rn. 1; Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Geßler, § 309 Rn 47 ff.; Emmerich/Habersack, § 309 Rn. 21; KölnKomm/Koppensteiner, § 309 Rn. 37; Emmerich/Sonnenschein/Habersack, § 23 VI 3 d, S. 376 f. 16 Hüffer, AktG, § 309 Rn. 27 m. w. N.; vgl. auch GroßkommAktG/Würdinger, § 309 Anm. 6: Fall der Organhaftung nach § 31 BGB. 17 Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Geßler, § 309 Rn. 47; MünchKommAktG/ Altmeppen, § 309 Rn. 138.

1. Kap.: Konzernhaftung nach deutschem Recht

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Die Haftung des gesetzlichen Vertreters des herrschenden Unternehmens nach § 309 AktG setzt eine rechtswidrige Handlung seinerseits voraus. Der Haftungsgrund ist mit dem der Haftungstatbestände für fehlerhafte Geschäftsbesorgung identisch. § 309 AktG ist nur eine besondere Ausprägung der allgemeinen Haftung für pflichtwidrige Besorgung fremder Geschäfte (negotiorum gestio).18 Es handelt sich dabei um eine Verhaltenshaftung. § 310 AktG regelt die Verantwortlichkeit der Verwaltungsmitglieder der abhängigen Gesellschaft im Vertragskonzern und bezweckt wie § 309 AktG Schadensausgleich und -prävention. § 310 Abs. 1 Satz 1 AktG wendet sich an die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats der abhängigen Gesellschaft bei objektiv pflichtwidrigem und schuldhaftem Handeln. Die Vorschrift ordnet ausdrücklich ein Gesamtschuldverhältnis zwischen den gesetzlichen Vertretern des herrschenden Unternehmens und den Verwaltungsmitgliedern der abhängigen Gesellschaft an. Neben den Verpflichtungen zum Verlustausgleich und Schadensersatz gegenüber der abhängigen Gesellschaft stehen Ausgleichs- und Abfindungsansprüche der Aktionäre gegen das herrschende Unternehmen nach den §§ 304, 305 AktG. Die Ansprüche der Aktionäre der abhängigen Gesellschaft auf Ausgleich und Abfindung gemäß §§ 304, 305 AktG können als solche aus einem Vertrag zugunsten Dritter i. S. d. §§ 328 ff. BGB eingeordnet werden. Die Verpflichtung des anderen Vertragsteils, des herrschenden Unternehmens, zur Zahlung des Ausgleichs ist ein echter Vertrag zugunsten der außenstehenden Aktionäre (§ 328 BGB), aus dem sich der unmittelbare Anspruch der Aktionäre gegen den anderen Vertragsteil ergibt.19 Rechtsgrund der Zahlungsverpflichtung ist der Unternehmensvertrag und nicht das zwischen den Aktionären der Gesellschaft bestehende Gesellschaftsverhältnis.20 Es handelt sich also um das vertragliche Versprechen einer (wiederkehrenden) Geldleistung. Der Vertrag muss die Ausgleichs- oder Abfindungsverpflichtung enthalten. Fehlt die Vertragsbasis von vornherein oder entfällt sie nachträglich, kann der Anspruch tatsächlich gesetzlich begründet sein.21 Der Unternehmensvertrag stellt einen Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Eigentumsposition des außenstehenden Aktionärs dar, wodurch die gesetzlichen Verpflichtungen ausgelöst werden.22 18

MünchKommAktG/Altmeppen, § 309 Rn. 68. MünchKommAktG/Bilda, § 304 Rn. 100; Hüffer, AktG, § 304 Rn. 5; Emmerich/Sonnenschein/Habersack, § 21 II 3, S. 310 und § 22 II 1 a, S. 328; Hüchting, Abfindung und Ausgleich, S. 11. 20 MünchKommAktG/Bilda, § 304 Rn. 101; a. A. Luttermann, JZ 1997, 1183 f. 21 Hüffer, AktG, § 305 Rn. 4 b; MünchKommAktG/Bilda, § 305 Rn. 7; Luttermann, JZ 1997, 1183 f. 22 Röhricht, ZHR 162 (1998), 249, 257. 19

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2. Teil: Konzernhaftungssysteme in Europa

Die Verpflichtung des herrschenden Unternehmens zum Verlustausgleich bewirkt auch eine indirekte Gläubigersicherung. Mit diesen Haftungsnormen korrespondieren darüber hinaus Ansprüche der Gläubiger nach § 303 AktG. Ansprüche der Gläubiger gegen das herrschende Unternehmen auf Sicherheitsleistung oder Zahlung nach § 303 AktG entstehen bei Beendigung eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags. Neben der Beendigung des Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags sind das Bestehen eines Anspruchs der Gläubiger gegen die abhängige Gesellschaft bzw. die Begründung einer Forderung, bevor eine Eintragung nach § 10 HGB als bekannt gemacht gilt, Voraussetzung sowie die Meldung des Gläubigers innerhalb einer Sechsmonatsfrist. Die Forderung muss in einem schuldrechtlichen Anspruch bestehen, der Rechtsgrund – z. B. Vertrag oder Delikt – bleibt gleich.23 Der Anspruch auf Sicherheitsleistung ist ein klagbarer Anspruch ohne Rücksicht auf die Durchsetzbarkeit der zu sichernden Forderung.24 Er steht ausschließlich den Gläubigern der abhängigen Gesellschaft zu. Sein Umfang richtet sich nach der Höhe der Forderung, der Inhalt nach den §§ 232 ff. BGB.25 Grundsätzlich ist also Realsicherheit erforderlich (§ 232 Abs. 1 BGB), subsidiär kommt die Bürgschaft eines Dritten in Betracht (§ 232 Abs. 2 BGB). Im Fall der Zahlungsunfähigkeit der abhängigen Gesellschaft kann dieser Anspruch unter Umständen in einen direkten Zahlungsanspruch übergehen. Fällt die abhängige Gesellschaft als Primärschuldnerin endgültig weg, so können die Gläubiger – zumindest wenn die abhängige Gesellschaft keinen Anspruch mehr auf Verlustübernahme nach § 302 AktG hat26 – vom herrschenden Unternehmen (analog § 322 AktG) unmittelbar Zahlung verlangen.27 2. Haftung im GmbH-Vertragskonzern Ist das abhängige Unternehmen eine GmbH, liegt ein GmbH-Konzern vor. GmbH-Vertragskonzerne, vor allem reine Beherrschungsverträge, sind relativ selten.28 Für den GmbH-Vertragskonzern wird eine Analogie im Einzelfall zu den §§ 291 ff. AktG weitgehend befürwortet.29 Bei den §§ 302, 23

Hüffer, AktG, § 303 Rn. 3. Hüffer, AktG, § 303 Rn. 6. 25 Hüffer, AktG, § 303 Rn. 6; vgl. §§ 232 ff. BGB zu den Arten der Sicherheitsleistung. 26 So Hüffer, AktG, § 303 Rn. 7. 27 BGH, Urt. v. 16.9.1985 – Autokran – BGHZ 95, 330, 347; BGH, Urt. v. 19.9.1988, BGHZ 105, 168, 183; BGH, Urt. v. 23.9.1991 – Video – BGHZ 115, 187, 200; BGH, Urt. v. 11.11.1991, BGHZ 116, 37, 42; Hüffer, AktG, § 303 Rn. 7; Hachenburg/Ulmer, Anh. § 77 Rn. 173; Emmerich/Habersack, § 303 Rn. 24. 28 Emmerich/Sonnenschein/Habersack, § 11 I, S. 158. 24

1. Kap.: Konzernhaftung nach deutschem Recht

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303 AktG ist dies nahezu unbestritten.30 Lässt man für den Zustimmungsbeschluss der abhängigen Gesellschaft anstelle der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter eine qualifizierte Mehrheit genügen, kommt auch eine Analogie zu den §§ 304, 305 AktG in Betracht.31 Anerkannt ist dies ebenso für eine Haftung nach § 309 AktG.32 Da die Haftungsverfassung im GmbH-Vertragskonzern also weitgehend parallel zum aktienrechtlichen Regelungssystem entwickelt wird, soll die Haftung auch zuständigkeitsrechtlich nicht gesondert behandelt werden. 3. Innen- oder Außenhaftung Das herrschende Unternehmen haftet der abhängigen Gesellschaft gegenüber gemäß §§ 302, 309 AktG, den Aktionären gegenüber gemäß §§ 304, 305 AktG. Dabei handelt es sich um Innenhaftungsansprüche. Fraglich ist die Einordnung des § 309 Abs. 4 AktG. Gemäß dieser Vorschrift können Aktionäre den Ersatzanspruch der Gesellschaft geltend machen, wobei sie allerdings nicht Leistung an sich selbst fordern können, sondern nur einen Anspruch auf Leistung an die Gesellschaft haben (§ 309 Abs. 4 Satz 2 AktG). Weil der Aktionär den Anspruch der Aktiengesellschaft in eigenem Namen geltend macht und Leistung an die Gesellschaft zu fordern hat, kann § 309 Abs. 4 Satz 1 und 2 AktG als Fall gesetzlicher Prozessstandschaft verstanden werden.33 Nach anderer Auffassung handelt es sich um eine actio pro socio im Sinne eigener mitgliedschaftlicher Betroffenheit.34 Grundsätzlich besteht zwar keine unmittelbare Haftung der Obergesellschaft für Verbindlichkeiten der Untergesellschaft. Nach § 303 Abs. 1 AktG hat das herrschende Unternehmen aber bei Beendigung eines Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrages den Gläubigern der abhängigen Gesellschaft Sicherheit zu leisten. Dabei handelt es sich um eine Form der Außenhaftung. Außerdem kann der Ersatzanspruch der Gesellschaft gemäß § 309 Abs. 4 AktG von den außenstehenden Gläubigern der Gesellschaft geltend gemacht 29 Vgl. Emmerich/Sonnenschein/Habersack, § 32 I 2, S. 480 f.; Eschenbruch, Konzernhaftung, Rn. 2095; Jaspert, S. 160 f. 30 Vgl. bezüglich § 302 AktG: BGH, Urt. v. 16.9.1985 – Autokran – BGHZ 95, 330, 345 f.; Ulmer, AG 1986, 123, 124 ff., 129; in Bezug auf §§ 302 und 303 AktG: Scholz/Emmerich, Anh. KonzernR Rn. 187. 31 Emmerich/Sonnenschein/Habersack, § 32 II 6 a, S. 487 f.; Rowedder/Koppensteiner, Anh. § 52 Rn. 44. 32 Scholz/Emmerich, Anh. KonzernR Rn. 189 f. 33 Hüffer, AktG, § 309 Rn. 21. 34 MünchKommAktG/Altmeppen, § 309 Rn. 123 f.

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2. Teil: Konzernhaftungssysteme in Europa

werden, wenn sie von ihr keine Befriedigung erlangen können. Die Gläubiger müssen auch nicht Leistung an die Gesellschaft verlangen, sondern können eine Zahlung an sie fordern. Die dogmatische Einordnung des den Gläubigern eingeräumten Verfolgungsrechts ist unklar. Teilweise wird darin eine gesetzliche Prozessstandschaft gesehen.35 Andere sind der Ansicht, dass die Gläubiger einen eigenen Anspruch gegen die Vorstandsmitglieder haben und nicht den Anspruch der Gesellschaft verfolgen.36

II. Haftung im faktischen Konzern 1. Überblick Faktische Unternehmensverbindungen sind weit verbreitet. In den Rechtsordnungen der europäischen Staaten findet sich aber meist kein kodifiziertes Recht der faktischen Konzerne. Im deutschen Recht bestehen bei einer abhängigen Aktiengesellschaft wiederum Regelungen im Aktiengesetz. Eine faktische Konzernierung liegt vor, wenn mehrere Unternehmen unter einheitlicher Leitung des herrschenden Unternehmens (§ 18 Abs. 1 Satz 1 AktG) zusammengefasst sind, ohne dass ein Beherrschungsvertrag (§ 291 Abs. 1 Satz 1, 1. Fall AktG) oder eine Eingliederung (§§ 319 ff. AktG) vorliegen.37 Beim faktischen GmbH-Konzern, wo die abhängige Gesellschaft eine GmbH ist, gibt es keine spezifisch konzernrechtliche Pflicht; der Konzerntatbestand hat lediglich Einfluss auf die Intensität der Treuepflicht im Einzelfall. Die Verantwortlichkeit bei Fehlen eines Beherrschungsvertrags ist in den §§ 311 ff. AktG geregelt. Von einem in Mehrheitsbesitz der Aktien stehenden Unternehmen wird vermutet, dass es von dem an ihm mit Mehrheit beteiligten Unternehmen abhängig ist, § 17 Abs. 2 AktG. Mittel zur Ausübung der Leitungsmacht ist die Besetzung von Vorstand und Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft mit Repräsentanten der Konzernobergesellschaft. Beim einfachen faktischen Konzern wird das Haftungskonzept durch verhaltensabhängige Schadensersatzpflichten geprägt. Gegenstand sind jeweils im Einzelfall festzustellende treuwidrige Benachteiligungen der abhängigen Gesellschaft und deren Einzelausgleich. Als Grundlage dieser Haftung dienen die §§ 317, 311 AktG bei der abhängigen AG bzw. die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten bei der abhängigen GmbH. Lediglich im Bereich 35 Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Hefermehl, § 93 Rn. 68; Baumbach/Hueck, § 93 Rn. 15, 17; Habscheid, in FS F. Weber, S. 197 ff., 202. 36 KölnKomm/Mertens, § 93 Rn. 142; Hüffer, AktG, § 309 Rn. 23. 37 Hüffer, AktG, § 18 Rn. 3.

1. Kap.: Konzernhaftung nach deutschem Recht

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isoliert abgeschlossener Gewinnabführungsverträge ist eine ergänzende Zustandshaftung nach §§ 302, 303 AktG möglich.38 Die Rechtsnatur der Ausgleichspflicht nach § 311 AktG ist zweifelhaft. Ob es sich um eine Leistung auf eine angenommene Schadensersatzpflicht handelt39 oder um eine Kompensationspflicht eigenen Inhalts,40 ist für die Untersuchung nicht entscheidend, da die abhängige Gesellschaft auf Nachteilsausgleich jedenfalls keinen durchsetzbaren Rechtsanspruch hat.41 2. Innen- oder Außenhaftung Gläubigerin des aus § 317 Abs. 1 Satz 1 AktG folgenden Schadensersatzanspruchs ist die abhängige Gesellschaft, soweit sie auch die Geschädigte ist. Ihre Aktionäre können gemäß § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG Gläubiger sein, was jedoch voraussetzt, dass sie eine vom Gesellschaftsschaden unabhängige Einbuße erlitten haben. Den Anspruch der Gesellschaft können darüber hinaus auch deren Aktionäre gemäß §§ 317 Abs. 4, 309 Abs. 4 Satz 3 AktG geltend machen. Dies gilt für Aktionäre jedoch nur, soweit sie Ansprüche aus § 317 Abs. 1 Satz 1 AktG geltend machen. Nur in diesen Fällen liegt eine gesetzliche Prozessstandschaft vor. Bei den eigenen Ansprüchen aus § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG können sie Schadensersatzleistung an sich selbst fordern.42 Nach §§ 317 Abs. 4, 309 Abs. 4 Satz 3 AktG können auch Gläubiger der abhängigen Gesellschaft den Ersatzanspruch geltend machen, wenn sie von ihr keine Befriedigung erlangen können, wobei die Gläubiger dann fordern können, dass an sie gezahlt wird.

III. Haftung im qualifizierten faktischen Konzern Eine qualifizierte faktische Konzernierung liegt nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH vor, wenn die abhängige Gesellschaft einer derart verdichteten Leitungsmacht unterworfen wird, dass sich ausgleichspflichtige Nachteilszufügungen nicht mehr isolieren lassen.43 In anderen Mitgliedstaa38

Eschenbruch, Konzernhaftung, Rn. 2096. So GroßkommAktG/Würdinger, § 311 Anm. 5, 6, 9. Durch die Leistung soll die Schadensersatzpflicht entweder im Wege der Vorteilsausgleichung entfallen oder untergehen, weil das herrschende Unternehmen von einer Ersetzungsbefugnis Gebrauch gemacht hat oder herrschendes Unternehmen und abhängige Gesellschaft durch vertragliche Vereinbarung. 40 So MünchKommAktG/Kropff, § 311 Rn. 222 ff.; Hüffer, AktG, § 311 Rn. 37. 41 Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Kropff, § 311 Rn. 156; Hüffer, AktG, § 311 Rn. 38; KölnKomm/Koppensteiner, § 311 Rn. 122; MünchKommAktG/Kropff, § 311 Rn. 263. 42 Hüffer, AktG, § 317 Rn. 16. 39

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2. Teil: Konzernhaftungssysteme in Europa

ten existiert eine ähnliche Figur, z. B. im italienischen Recht die gruppo qualificato oder im Rechtskreis des Common Law die Figur der control in every respect.44 In den Rechtsordnungen der anderen europäischen Staaten ergibt sich die Verantwortlichkeit der Obergesellschaft meist aufgrund einer Außenhaftung, welche häufig als Verhaltenshaftung ausgestaltet ist. 1. Bisherige Rechtslage Die Rechtsnatur der Haftung in qualifizierten faktischen Konzernen ist schon lange Gegenstand eines heftigen Meinungsstreits. Dieser beruhte auf der Entwicklung besonderer Haftungsnormen für faktische Konzerne mit ganz bestimmter Leitungsdichte. Bis zur Entscheidung Video des BGH45 wurde das Schutzsystem der Vertragskonzerne bei besonders intensiven Leitungsstrukturen in faktischen Konzernverhältnissen analog angewendet, vor allem wenn die abhängige Gesellschaft als unselbständige Betriebsabteilung geführt wurde. Dies gilt nicht mehr nach der Entscheidung TBB des BGH.46 Die Entwicklung der Rechtsprechung zeichnet sich vor allem anhand der Urteile Autokran, Video, TBB, EDV und Architektenfall ab.47 Die Rechtsprechung hat damit den allmählichen Übergang von einer konzernorganisationsrechtlich fundierten Strukturhaftung zu einer differenzierten Verschuldenshaftung des GmbH-Gesellschafters verfolgt.48 Nach der Entscheidung TBB konnte jedenfalls die Dichte der Leitungsmacht, ein Strukturtatbestand, nicht mehr allein über die Anwendung der Verlustausgleichs- und Befriedigungsvorschriften der §§ 302, 303 AktG entscheiden. Hinzu kommen musste ein unzulässiger Übergriff in die geschützten Interessen der abhängigen Gesellschaft dergestalt, dass ein Einzelausgleich nach allgemeinen Vorschriften nicht mehr möglich war. Die Haftung im qualifizierten faktischen Konzern wurde in der folgenden Zeit sowohl durch verhaltens- als auch zustandsbedingte Haftungsvoraussetzungen und 43

BGH, Urt. v. 16.9.1985 – Autokran – BGHZ 95, 330, 339 ff.; BGH, Urt. v. 20.2.1989 – Tiefbau – BGHZ 107, 7, 15 f.; BGH, Urt. v. 29.3.1992 – TBB – BGHZ 122, 123, 127; BGH, Urt. v. 13.12.1993 – EDV – NJW 1994, 446. 44 Vgl. für Italien Vanetti, ZGR 1989, 396, 416 Fn. 65; bzgl. England siehe Jaspert, S. 204 Fn. 632. Den „qualifizierten faktischen Konzern“ gibt es in Frankreich nicht; siehe dazu Reiner, S. 236 Fn. 100. Vgl. für Frankreich hinsichtl. der Globalhaftung bei verdichteten Beherrschungsstrukturen aber Falcke, 151 f. 45 BGH, Urt. v. 23.9.1991 – Video – BGHZ 115, 187 ff. 46 BGH, Urt. v. 29.3.1992 – TBB – BGHZ 122, 123 ff. 47 BGH, Urt. v. 16.9.1985 – Autokran – BGHZ 95, 330 ff.; BGH, Urt. v. 23.9.1991 – Video – BGHZ 115, 187 ff.; BGH, Urt. v. 29.3.1992 – TBB – BGHZ 122, 123 ff.; BGH, Urt. v. 13.12.1993 – EDV – NJW 1994, 446 f.; BGH, Urt. v. 19.9.1994 – Architektenfall – NJW 1994, 3288 ff. 48 K. Schmidt, NJW 2001, 3577, 3579.

1. Kap.: Konzernhaftung nach deutschem Recht

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-folgen bestimmt. Dieser Doppeltatbestand lässt sich auch als „verbundspezifische Erfolgshaftung“ verstehen.49 Im TBB-Urteil erfolgte auf tatbestandlicher Ebene bereits eine Abkehr vom konzernrechtlichen Ansatz,50 der BGH hielt jedoch für die dogmatische Begründung und die Rechtsfolgen an der Analogie zu den §§ 302, 303 AktG fest.51 Damit schien der konzernrechtliche Ansatz zunächst fortzubestehen. 2. Neuorientierung des BGH Im Urteil vom 17.9.2001 (Bremer Vulkan)52 hat der BGH von den bisher anerkannten Grundsätzen der Haftung im qualifizierten faktischen GmbHKonzern Abstand genommen und vor allem ein neues dogmatisches Konzept unter Aufgabe der bisher favorisierten Analogie zum Vertragskonzernrecht übernommen. Jegliche Analogie zum AktG wird aufgegeben. Das Urteil stellt die bisher konzernrechtlich begründete Haftung herrschender GmbHGesellschafter auf eine neue Grundlage und gibt insoweit die Konzernhaftungstradition der Grundsatzentscheidungen Autokran, Video und TBB auf.53 Seine Ansicht hat der BGH in den Urteilen vom 25.2.200254 und 24.6.2002 in Sachen Kindl Backwaren Vertriebs-GmbH (KBV)55 bestätigt. Anders als beim einfachen faktischen Konzern, wo eine Analogie zu den §§ 311 ff. AktG abgelehnt wird, wurde die Haftung im qualifizierten faktischen Konzern bislang mittels einer Analogie zu den für den Vertragskonzern geltenden aktienrechtlichen Regelungen begründet. Die Notwendigkeit einer solchen konzernspezifischen Haftung analog zum Vertragskonzernrecht wurde jedoch mehr und mehr in Frage gestellt. Eine Lösung der Konzernkonflikte könnte auch den allgemeinen GmbH-rechtlichen Instrumenten entnommen werden. So scheinen sie insbesondere mit Hilfe der Treuepflicht, dem Kapitalerhaltungsgrundsatz, § 826 BGB und der allgemeinen Durchgriffshaftung lösbar. Nach der Entscheidung Bremer Vulkan können Ansprüche aus dem Missbrauch der Leitungsmacht als eigenem Haftungstatbestand nur noch den 49

Eschenbruch, Konzernhaftung, Rn. 2097. Vgl. Röhricht, in FS BGH, S. 83, 85 ff.; Ulmer, ZIP 2001, 2021, 2022 f.; Bitter, WM 2001, 2133, 2135. 51 BGH, Urt. v. 29.3.1992 – TBB – BGHZ 122, 123 (Leitsatz). 52 BGH, Urt. v. 17.9.2001 – Bremer Vulkan – BGHZ 149, 10 ff. = DNotZ 2002, 459 ff. m. Anm. Schaub (468 ff.); vgl. dazu auch Goette, DStR 2001, 1857; Decher, ZInsO 2002, 113 ff.; Römermann/Schröder, GmbHR 2001, 1015 ff.; Keßler, GmbHR 2001, 1095 ff.; Wilken, DB 2001, 2383 ff.; Luttermann, BB 2001, 2433 ff. 53 Hoffmann, NZG 2002, 68. 54 ZIP 2002, 848 ff. 55 NJW 2002, 3024 ff. 50

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2. Teil: Konzernhaftungssysteme in Europa

Gläubigern der abhängigen Gesellschaft und allein nach deren Insolvenz zustehen. Es findet eine völlige Abkehr von den „in Anlehnung an die aktienrechtlichen Vorschriften zum Vertragskonzern“ entwickelten Grundsätzen statt. Das an den Missbrauch der Leitungsmacht anknüpfende Haftungsrecht wird auf den Durchgriff im Fall des bestandsvernichtenden Eingriffs beschränkt. Die konzernrechtliche Unternehmenseigenschaft ist nicht mehr Voraussetzung. Auch der Privatgesellschafter wird erfasst. Damit wird der spezifisch konzernrechtliche Geltungsgrund der Haftung aufgegeben.56 Diese Entwicklung führt zu einer europäischen Annäherung, da eine spezifische Konzernhaftung den anderen Mitgliedstaaten, mit Ausnahme von Portugal,57 fremd ist. 3. Dogmatische Grundlage In der TBB-Entscheidung wurde die Haftung für die Verbindlichkeiten der GmbH auf Grund des Missbrauchs der Leitungsmacht noch mit einer Analogie zu den §§ 302, 303 AktG begründet. Teilweise wird auch nach der Bremer Vulkan-Entscheidung noch Bedarf für eine solche Haftung gesehen.58 Zur dogmatischen Grundlage der Durchgriffshaftung werden nunmehr aber vor allem auch andere unterschiedliche Ansätze diskutiert. a) Konzernrechtlicher Haftungsansatz Eine Ansicht hält trotz der Bremer Vulkan-Entscheidung an einem Dreistufenmodell der Konzernhaftung fest, wonach auf höchster Stufe eine reine Strukturhaftung stehen soll, die einen Verlustausgleich gemäß § 302 AktG analog zur Folge hat.59 Die überwiegende Ansicht in der Literatur lehnt das Festhalten am alten Haftungsansatz nach der Bremer Vulkan-Entscheidung ab. Auch der BGH hat seine entsprechende Ansicht in der Entscheidung KBV bestätigt. Danach ist an die Stelle der Haftung aus qualifiziertem faktischen Konzern die Ausfallhaftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs getreten.60 56

Hoffmann, NZG 2002, 68, 70. Vgl. Lutter/Overrath, in Lutter, Konzernrecht im Ausland, ZGR Sonderheft 11, S. 229 ff.; Jayme, IPRax 1987, 46. 58 K. Schmidt, NJW 2001, 3577 ff.; ders., GesR, § 39 III 4, S. 1232 ff.; EberlBorges, JURA 2002, 761, 764 f.; ähnlich Cahn, ZIP 2001, 2159, 2160. 59 K. Schmidt, NJW 2001, 3577 ff.; ders., GesR, § 39 III 4, S. 1232 ff. 60 BGH, Urt. v. 24.6.2002 – KBV – NJW 2002, 3024, 3025; vgl. dazu Altmeppen, ZIP 2002, 1553 ff.; Ulmer, JZ 2002, 1049 ff.; Westermann, NZG 2002, 1129 ff.; Wilhelm, NJW 2003, 175 ff.; Vetter, ZIP 2003, S. 601 ff.; siehe auch BGH, Urt. v. 25.2.2002, WM 2002, 960, 962. 57

1. Kap.: Konzernhaftung nach deutschem Recht

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Als Argument gegen einen derartigen konzernrechtlichen Haftungsansatz ist die mangelnde Analogiefähigkeit der §§ 291 ff. AktG vorgebracht worden, die auf der unterschiedlichen gesetzlichen Wertung im Vertragskonzernrecht des Aktienrechts im Vergleich zum GmbH-Recht beruhe.61 Eine Anknüpfung an die Leitungsmacht habe aufgrund des grundsätzlich möglichen Einflusses der Gesellschafter auf die Geschäftsführung der GmbH zur Folge, dass die Haftungstrennung zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern weitgehend aufgehoben wird.62 b) Organhaftung des Gesellschafters analog § 43 GmbHG Nach der von Wilhelm begründeten Lehre liegt die Haftungsgrundlage in der Organhaftung des Gesellschafters, einer Sorgfaltshaftung analog § 43 GmbHG.63 Die Gesellschafter haben nach dieser Ansicht nur die Stellung von Verwaltern des Gesellschaftsvermögens. Daher solle die Geschäftsführerhaftung gemäß § 43 GmbHG auf die Gesellschafter ausgedehnt werden, so dass den beherrschenden Gesellschafter eine organschaftliche Sorgfaltshaftung als „Quasi-Fremdgeschäftsführer“ treffe.64 Gegen diesen Lösungsansatz ist jedoch einzuwenden, dass ohne zwingenden Anlass die gesetzliche Kompetenzverteilung zwischen Geschäftsführern und Gesellschaftern durchbrochen wird. Zudem ist der einzelne GmbH-Gesellschafter kein für jede Sorgfaltspflichtverletzung haftendes Gesellschaftsorgan.65 Vor allem erscheint diese Konstruktion nicht geeignet, da diese Haftung disponibel ist und § 43 GmbHG nur eine Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft begründet. Nicht einmal in der Insolvenz zieht sie eine Außenhaftung nach sich. c) Organhaftung i. V. m. § 93 Abs. 5 Satz 2, 3 AktG Das Haftungskonzept wurde von Altmeppen weiterentwickelt und mit einer Analogie zu § 93 Abs. 5 Satz 2 und 3 AktG verbunden.66 Eine Haftung für die Pflichtverletzungen bei der Führung fremder Geschäfte hält er für angebracht, da der Alleingesellschafter zumindest fremde Geschäfte führe, sofern Gesellschaftsvermögen betroffen sei, das zur Gläubigerbefriedigung 61 Bitter, WM 2001, 2133, 2135; ders. ZIP 2001, 265, 266 ff.; ders., Durchgriffshaftung, S. 335 ff., insbes. S. 349 ff. und S. 437. 62 Bitter, WM 2001, 2133, 2135; ders., Durchgriffshaftung, S. 342 ff. und S. 437. 63 Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 285 ff.; ders., DB 1986, 2113 ff., 2117 ff. 64 Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 336 ff., 354 ff. 65 K. Schmidt, NJW 2001, 3577, 3580; ders., GesR, § 39 III 2 c, S. 1222 f. 66 Altmeppen, ZIP 2001, 1837 ff.; ders., NJW 2002, 321 ff.; ders., ZIP 2002, 961 ff.

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2. Teil: Konzernhaftungssysteme in Europa

benötigt werde. Die Disponibilität der Haftung soll ausgeschlossen sein, wenn die Geschäftsleiterhaftung dem Schutz der Gläubiger dient und ein „gröblicher Sorgfaltsverstoß“ i. S. d. § 93 Abs. 5 Satz 2 AktG vorliegt. Lehnt man die Organhaftung analog § 43 GmbHG aus guten Gründen ab, so hilft § 93 Abs. 5 Satz 2 AktG auch nicht weiter. In der Vorschrift wird nicht die eigentliche Haftung, sondern nur der Direktzugriff der Gläubiger geregelt, so dass sie alleine keine dogmatische Grundlage für ein Haftungsmodell bietet. Hinzu kommt, dass es sich bei dieser Sorgfaltshaftung vorrangig immer noch um einen Anspruch der Gesellschaft handelt, so dass trotz des vorgesehenen Rechts der Gesellschaftsgläubiger, den Anspruch geltend zu machen, regelmäßig eine Geltendmachung des Anspruchs durch die Gesellschaft erfolgen wird. Damit liegt ein Regel-Ausnahme-Verhältnis vor, das der Systematik der §§ 302, 303 AktG entspricht, welches in der Bremer Vulkan-Entscheidung jedoch gerade aufgegeben worden ist. Eine reine Außenhaftung vermag dieser Ansatz also keinesfalls zu begründen, so dass nicht allein die mehrfach analoge Anwendung der Norm problematisch erscheint. d) Treuepflicht Ein weiterer Haftungsansatz liegt in der Verletzung von Treuepflichten, welchen der Alleingesellschafter aufgrund eines auf Bestandserhaltung gerichteten Eigeninteresses der GmbH unterliegen soll. Die Herleitung reicht von der mitgliedschaftlichen Sonderrechtsverbindung,67 über eine Rechtsanalogie zu dem Grundgedanken der aktienkonzernrechtlichen Vorschriften der §§ 300 ff., 317, 322, 324 AktG68 bis zu § 73 GmbHG, dem Verbot der „kalten“ Liquidation.69 Der BGH hat allerdings in ständiger Rechtsprechung eine Treuepflicht des Alleingesellschafters gegenüber seiner GmbH abgelehnt,70 wobei offengelassen wurde, ob dies auch für Fälle der Existenzgefährdung gilt, oder dann eine begrenzte Treuepflicht im Sinne des Bestandsschutzes anzuerkennen ist.71 Die Herleitung der Treuepflicht stellt das eigentliche Problem dieses Haftungskonzepts dar. Eine Rechtsanalogie zu Wertungen des Aktienkonzernrechts wirkt nach der Absage in der Bremer Vulkan-Entscheidung wenig überzeugend. Die Kritik an der Treuepflichthaftung sieht darü67

K. Schmidt, NJW 2001, 3577, 3580; ders., GesR, § 39 III 2 c, S. 1222 f. Ulmer, ZHR 148 (1984), 391, 416 ff., 419. 69 Winter, ZGR 1994, 570, 591; vgl. auch BGH, Urt. v. 31.1.2000, NJW 2000, 1571, 1572; Emmerich/Sonnenschein/Habersack, § 30 V 2, S. 459 f. 70 BGH, Urt. v. 28.9.1992, BGHZ 119, 257, 262; BGH, Urt. v. 10.5.1993, BGHZ 122, 333, 336; BGH, Urt. v. 21.6.1999, BGHZ 142, 93, 95. 71 Vgl. BGH, Urt. v. 28.9.1992, BGHZ 119, 257, 262. 68

1. Kap.: Konzernhaftung nach deutschem Recht

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ber hinaus in dem „rudimentären“ Eigeninteresse der GmbH allein keine hinreichend dogmatische Verankerung72 bzw. erkennt ein solches noch nicht einmal an.73 Die Treuepflicht beruhe auf dem vertraglichen Verhältnis der Gesellschafter untereinander. Die Anerkennung einer Treuepflicht des Alleingesellschafters gegenüber seiner GmbH würde dann aber ein Vertragsverhältnis des Gesellschafters mit sich selbst voraussetzen.74 e) Durchgriffshaftung; teleologische Reduktion des § 13 Abs. 2 GmbHG Vor allem auch auf Grund der Aufgabe des Tatbestandsmerkmals der Unternehmenseigenschaft des Alleingesellschafters sieht eine weitere Ansicht die dogmatische Grundlage allein in einer allgemeinen Durchgriffshaftung. Diese knüpft an einen zweckwidrigen Missbrauch der Haftungsbeschränkung auf das Vermögen der juristischen Person an und sieht als Rechtsfolge eine unbeschränkte, persönliche Haftung des Gesellschafters, in dessen Person die Voraussetzungen gegeben sind, analog §§ 105, 128, 129 HGB vor.75 Dogmatische Grundlage ist die Normzwecklehre. Wenn ein Gesellschafter die Haftungsbeschränkung des § 13 Abs. 2 GmbHG objektiv zweckwidrig verwendet und sich außerhalb des mit der haftungsbeschränkenden Norm verbundenen Zwecks bewegt, soll diese nicht angewendet werden. Es erfolgt demnach eine teleologische Reduktion des § 13 Abs. 2 GmbHG. Diese Lehre vermag eine reine Außenhaftung des Gesellschafters zu begründen, wie sie vom BGH angenommen wurde. In der bisherigen Diskussion wurde die Haftung im qualifizierten faktischen Konzern nicht als Fall der allgemeinen Durchgriffshaftung angesehen. Die bisherigen Einwände gegen eine solche Einordnung sind insoweit gegenstandslos geworden, als der BGH sowohl die Verankerung in der Analogie zum Vertragkonzernrecht als auch den spezifisch konzernrechtlichen Charakter und den Vorrang der Innenhaftung aufgegeben hat. Für eine derartige dogmatische Einordnung spricht ferner, dass die Haftung wegen existenzvernichtender Eingriffe regelmäßig in Situationen in Betracht kommen wird, die der nachträglichen materiellen Unterkapitalisierung in Folge Vermögensentzugs oder auch den Fällen der Vermögensvermischung nahe stehen.76 Durch eine einheitliche Behandlung dieser Fälle entfallen schwierige Abgrenzungsprobleme. Eine 72

Altmeppen, ZIP 2001, 1837, 1842; ders., NJW 2002, 321, 322; ders., ZIP 2002, 961, 965, Fn. 57. 73 Bitter, WM 2001, 2133, 2136; ders., Durchgriffshaftung, S. 313 ff. 74 Bitter, WM 2001, 2133, 2139. 75 Bitter, WM 2001, 2133, 2137, 2139; Hoffmann, NZG 2002, 68, 71. 76 Vgl. dazu Hoffmann, NZG 2002, 68, 71 f.

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2. Teil: Konzernhaftungssysteme in Europa

Innenhaftung erfolgt somit nach den Kapitalerhaltungsregeln, in erster Linie also gemäß § 31 GmbHG. Eine Außenhaftung kommt in Form der allgemeinen Durchgriffshaftung des Alleingesellschafters für die Verbindlichkeiten der GmbH in Betracht. Damit stellt der faktische Konzern lediglich einen wichtigen Anwendungsfall der Durchgriffshaftung dar. Zudem erhöht die Konzernierung die Intensität der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht.77 Mittlerweile hat sich auch der BGH in seinem Urteil KBV zu diesem Haftungsmodell bekannt.78 Bitter nimmt jedoch zusätzlich eine Differenzierung nach Gläubigergruppen vor. Die Gläubigergruppen ergeben sich aus der Schutzwürdigkeit, so dass eine Unterscheidung zwischen freiwilligen und unfreiwilligen Gläubigern getroffen wird. Deliktsgläubigern steht danach ein Durchgriffsanspruch zu. Vertragsgläubigern, die eine effiziente Eigensicherung durch Kreditsicherheiten unterlassen oder das Risiko sehenden Auges auf sich genommen haben, steht kein Durchgriffsanspruch zu. Schutzwürdig sind aber die ungesicherten Dienstleistungsgläubiger.79 4. Innen- oder Außenhaftung Die Durchgriffshaftung führt zu einer Außenhaftung des Gesellschafters gegenüber den Gläubigern.80 Die Fremdgeschäftsführerhaftung analog § 43 GmbHG und die Treuepflichthaftung begründen grundsätzlich eine Binnenhaftung des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft.81 Zumindest im Fall der masselosen Insolvenz (§ 26 InsO) ist den Gläubigern die Pfändung und Überweisung des Anspruchs der Gesellschaft aber nicht zuzumuten.82 Daher besteht Einigkeit, dass in diesem Fall ein direkter Anspruch gegen den Gesellschafter gegeben ist. Der Anspruch wird von einigen in Analogie zu aktienrechtlichen Vorschriften begründet (§ 62 Abs. 2, § 93 Abs. 5, § 117 Abs. 5, § 309 Abs. 4 Satz 3, § 310 Abs. 4, § 317 Abs. 4, § 318 Abs. 4 AktG). Es handelt sich auch nach dieser Ansicht um einen eigenen Anspruch und nicht um einen Fall gesetzlicher Prozessstandschaft. 77

Vgl. dazu Hoffmann, NZG 2002, 68, 74. BGH, Urt. v. 24.6.2002 – KBV – JZ 2002, 1047 ff. = GmbHR 2002, 902 ff. m. Anm. Keßler (945 ff.) = NZG 2002, 914 ff. = NJW 2002, 3024 ff.; zustimmend nunmehr auch Ulmer, JZ 2002, 1049, 1052. 79 Bitter, WM 2001, 2133, 2140 f.; ders., Durchgriffshaftung, S. 551 ff. insbes. 556 ff. 80 Bitter, WM 2001, 2133 ff.; ders., WuB II C. § 13 GmbHG 2.02, S. 794, 795 f. 81 Nach Altmeppen, ZIP 2001, 1837, 1846 generell außerhalb des Insolvenzverfahrens. 82 Ulmer, ZIP 2001, 2021, 2027; OLG Thüringen, Urt. v. 28.11.2001, GmbHR 2002, 112 (Leitsatz); vgl. auch Altmeppen, ZIP 2001, 1837, 1846. 78

1. Kap.: Konzernhaftung nach deutschem Recht

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Ebenso besteht in der Insolvenz kein bedeutender Unterschied zwischen Binnen- und Außenhaftung, da jeweils § 93 InsO analoge Anwendung findet83 und die Durchgriffsansprüche der Gläubiger demnach vom Insolvenzverwalter geltend zu machen sind.84 5. Tatbestand des neuen Haftungsmodells Anknüpfungspunkt ist ein existenzvernichtender Eingriff des Gesellschafters.85 Es muss ein Zugriff des Gesellschafters auf das Gesellschaftsvermögen vorliegen, der einen Verstoß gegen das Gebot der angemessenen Rücksichtnahme auf die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens zur Gläubigerbefriedigung darstellt und der zur Folge hat, dass die Fähigkeit der Gesellschaft, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen, in einem ins Gewicht fallenden Ausmaß beeinträchtigt wird.86 Eine andere Ansicht knüpft an die Insolvenzwahrscheinlichkeit als Indikator des Missbrauchs der Haftungsbeschränkung an.87 Als negatives Tatbestandsmerkmal kann die Voraussetzung angesehen werden, dass ein Ausgleich des eingriffsbedingten Nachteils nicht durch die §§ 30, 31 GmbHG möglich ist.88 Die Durchgriffshaftung trifft nur die Gesellschafter, die aufgrund des ihnen in dieser Stellung gegebenen Einflusses für den existenzvernichtenden Eingriff verantwortlich sind. Eine Unternehmensverbindung ist nicht erforderlich.89 6. Rechtsfolge Da im GmbH-Recht klar zwischen Verbindlichkeiten der Gesellschaft und solchen der Gesellschafter als jeweils verschiedenen Haftungssubjekten unterschieden wird, erfordert die Durchgriffshaftung eine „Haftungsbrücke“,90 damit die Gläubiger der GmbH gegen die Gesellschafter persönlich vorgehen können. Als Anspruchsgrundlage für das Vorgehen der Gläubiger 83

Ulmer, JZ 2002, 1049, 1050. Nur nach der Ansicht, die sich für eine Differenzierung nach Gläubigergruppen ausspricht, findet § 93 InsO keine Anwendung; siehe Bitter, WuB II C. § 13 GmbHG 2.02, S. 794, 796. 85 BGH, Urt. v. 17.9.2001 – Bremer Vulkan – BGHZ 149, 10, 16; BGH, Urt. v. 24.6.2002 – KBV – NJW 2002, 3024 ff. 86 BGH, Urt. v. 24.6.2002 – KBV – NJW 2002, 3024, 3025. 87 Bitter, WM 2001, 2133, 2141; ders., Durchgriffshaftung, S. 559 f. 88 Ulmer, JZ 2002, 1049, 1051. 89 Bitter, WM 2001, 2133 ff.; Röhricht, in FS BGH, S. 83, 120 ff.; K. Schmidt, NJW 2001, 3577, 3581; ders., GesR, § 39 III 4 b.bb, S. 1234 f.; Ulmer, JZ 2002, 1049, 1051. 90 Ulmer, JZ 2002, 1049, 1050. 84

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2. Teil: Konzernhaftungssysteme in Europa

bietet sich eine Analogie zu den §§ 105, 128 HGB an.91 Damit besteht eine Gesellschafterhaftung, die gegenüber der Verbindlichkeit der Gesellschaft nicht nur hinsichtlich der Begründung, sondern auch im Fortbestand akzessorisch ist. Dementsprechend gilt auch § 129 HGB analog.92 Die Durchgriffshaftung ist allerdings gegenüber der primären Haftung der Gesellschaft subsidiärer Natur.93 Wenn über das GmbH-Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet ist, geht die Befugnis zur Geltendmachung der Haftung von den GmbH-Gläubigern auf den Insolvenzverwalter über (analog § 93 InsO).94 7. Rechtslage in der mehrgliedrigen abhängigen Gesellschaft Die Entscheidung Bremer Vulkan stellt mehrfach ausdrücklich auf den „Schutz gegen Eingriffe des Alleingesellschafters“ ab. Fraglich ist, welche Konsequenzen das Urteil für die Haftung in der mehrgliedrigen abhängigen GmbH hat.95 Der Unterschied liegt darin, dass die Bindung an das Gesellschaftsinteresse über die reine Bestandssicherung hinausgeht. Sofern Minderheitsgesellschafter existieren, werden diese durch Treuepflichten des herrschenden Gesellschafters geschützt.96 Durch entsprechende Schadensersatzansprüche der Gesellschaft werden nicht nur die Mitgesellschafter, sondern reflexartig auch die Gläubiger geschützt. Daher wurde angenommen, dass das neue Haftungsmodell nur in Einpersonengesellschaften Anwendung findet.97 Eine einheitliche Behandlung überzeugt jedoch am ehesten; die Aufgabe der dogmatischen Kategorie des qualifizierten faktischen Konzerns wurde zwar anhand des – wenn auch praktisch wichtigsten – Sonderfalls vorgenommen und durch einen anderen Haftungstatbestand ersetzt. Es sollte aber – wie ansonsten auch – bei einer Haftungsordnung bleiben und somit die besondere Haftungsordnung nicht auf die Fälle des Alleingesellschafter beschränkt werden. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es bei der Einmann-GmbH nur des Schutzes der Gläubiger bedarf, während in der mehrgliedrigen 91

Bitter, Durchgriffshaftung, S. 98 ff.; ders., WM 2001, 2133, 2139; Ulmer, JZ 2002, 1049, 1050, jeweils m. w. N. 92 Ulmer, JZ 2002, 1049, 1050. 93 Vgl. nur Ulmer, JZ 2002, 1049, 1051. 94 Ulmer, JZ 2002, 1049, 1050. 95 Vgl. Hoffmann, NZG 2002, 68, 72. 96 BGH, Urt. v. 5.6.1975 – ITT – BGHZ 65, 15, 18 f.; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbH-KonzernR, Rn. 55 m. w. N.; Emmerich/Sonnenschein/Habersack, § 30 II 2, III, S. 450 ff. 97 Cahn, ZIP 2001, 2159, 2160; Eberl-Borges, JURA 2002, 761, 764 f.; dies., WM 2003, 105.

1. Kap.: Konzernhaftung nach deutschem Recht

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GmbH auch die Interessen der Minderheitsgesellschafter durch einen Missbrauch der Leitungsmacht beeinträchtigt werden.98 Der BGH hat sich einerseits deutlich vom Vertragskonzernrecht des Aktiengesetzes, welches bisher einzige dogmatische Grundlage der Verlustausgleichspflicht darstellte, abgewandt, andererseits hat er sich auch an die Haftungsordnung des einfachen faktischen GmbH-Konzerns angenähert.99 Dort wird mit Hilfe der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht eine Haftungsordnung begründet, die den Schutz der Minderheit gewährleistet. Zusätzlich steht den Minderheitsgesellschaftern bei der mehrgliedrigen GmbH möglicherweise ein Austrittsrecht aus wichtigem Grund gegen Abfindung zu.100 Im Außenverhältnis besteht auch in der mehrgliedrigen GmbH die allgemeine Durchgriffshaftung nach den Grundsätzen der neueren BGHRechtsprechung. Sie ist nicht auf den Alleingesellschafter beschränkt. Dies bestätigte der BGH im Urteil KBV jedenfalls für einvernehmlich handelnde Gesellschafter.101 Der Missbrauch der Haftungsbeschränkung wird nicht durch die Existenz einer Minderheit beseitigt. Die neue Haftungsordnung setzt nicht die Unternehmenseigenschaft des herrschenden Gesellschafters voraus. Es handelt sich daher nicht mehr um spezifisch konzernrechtliche Grundsätze.102 Somit liegt bezüglich der mehrgliedrigen abhängigen GmbH ebenfalls keine spezifisch konzernrechtliche Haftungsordnung vor, was eine Annäherung an andere europäische Rechtsordnungen zur Folge hat. 8. Ergebnis Die Haftungstatbestände, die bislang unter dem Stichwort des qualifizierten faktischen Konzerns zusammengefasst wurden, bilden nun eine neue Fallgruppe der Durchgriffshaftung. Tatbestandlich muss ein Eingriff der Gesellschafter in das Gesellschaftsvermögen vorliegen, der zur Folge hat, dass die Fähigkeit der Gesellschaft, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen, in einem ins Gewicht fallenden Ausmaß beeinträchtigt wird, wobei eine Kompensation durch die §§ 30, 31 GmbHG nicht möglich ist. Der Schutz der abhängigen Gesellschaft erfolgt vorrangig nach den Kapitalerhaltungsregeln, in erster Linie also gemäß § 31 GmbHG, der eine Innenhaftung begründet. Daneben besteht eine allgemeine Durchgriffshaftung 98

Vgl. Hoffmann, NZG 2002, 68, 72. Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402, 433. 100 Vgl. dazu Hoffmann, NZG 2002, 68, 74. 101 BGH, Urt. v 24.6.2002 – KBV – GmbHR 2002, 902, 903; BGH, Urt. v. 25.2.2002, WM 2002, 960, 962 = ZIP 2002, 848, 850 m. Anm. Altmeppen (961 ff.). 102 Vgl. Hoffmann, NZG 2002, 68, 74. 99

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2. Teil: Konzernhaftungssysteme in Europa

des herrschenden Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der GmbH, sofern dessen Eingriffe in das Vermögen der abhängigen Gesellschaft kompensationslos bleiben und zu deren Existenzvernichtung führen. Hierbei handelt es sich um eine reine Außenhaftung. Ob sich infolge der Änderung der Rechtsprechung des BGH zur Haftung im qualifizierten faktischen GmbH-Konzern auch die Rechtslage im qualifizierten faktischen Aktienkonzern geändert hat und besondere Rechtsfolgen bei qualifizierter Konzernierung einer AG ebenfalls nicht mehr in Anlehnung an den Vertragskonzern entwickeln lassen, ist noch unklar.103 Im Rahmen der Untersuchung soll nach wie vor von einer Haftung analog §§ 302, 303 AktG ausgegangen werden.

IV. Haftung nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen Schließlich kommen Schadensersatzansprüche der abhängigen Gesellschaft gegen das herrschende Unternehmen wegen missbräuchlicher Ausnutzung des Einflusses auf die abhängige Gesellschaft gemäß § 117 AktG und aus Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht in Betracht.104 Weitere Ansprüche können sich ergeben nach §§ 57, 58, 62 AktG und wegen eigenkapitalersetzender Aktionärsdarlehen bzw. Erhaltung des Stammkapitals der GmbH nach §§ 30, 31 GmbHG aber auch §§ 32 a, 32 b GmbHG.105 Den Gläubigern können Schadensersatzansprüche wegen Vertragsverletzung (Rechtsinstitute der positiven Vertragsverletzung und culpa in contrahendo, nunmehr gemäß §§ 280 Abs. 1, 281 bzw. §§ 241 Abs. 2, 311, 280 Abs. 1 BGB), wegen allgemeiner Durchgriffshaftung (Unterkapitalisierung, auch Missbrauchsfälle und Vermögensvermischung) sowie nach den §§ 823, 826 BGB (insbesondere wegen Konkursverschleppung) zustehen.106 Ferner kommen Ansprüche aus Konzernvertrauenshaftung (entsprechend den Grundgedanken über die Haftung aus culpa in contrahendo, §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 BGB bzw. § 311 Abs. 3 BGB)107 sowie gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Strafbestimmungen in Betracht. 103 Für eine Forgeltung der Grundsätze: K. Schmidt, GesR, § 31 IV 4, S. 964 ff.; Cahn, ZIP 2001, 2159, 2160; Eberl-Borges, WM 2003, 105; dies., JURA 2002, 761, 764; differenzierend Emmerich/Habersack, Anh. § 317 Rn. 5; a. A. Hüffer, AktG, § 302 Rn. 9, der eine Haftung in Anlehnung an der Vertragskonzern zumindest ablehnt. 104 Vgl. dazu Eschenbruch, Konzernhaftung, Rn. 3066 ff. und 3095 ff. 105 Vgl. dazu Eschenbruch, Konzernhaftung, Rn. 3334 ff. und 3375 ff. 106 Eschenbruch, Konzernhaftung, Rn. 3144, 3145 ff., 3358. 107 Fleischer, ZHR 163 (1999), 461 ff.; Emmerich/Habersack, § 302 Rn 15 f.; vgl. auch Emmerich/Sonnenschein/Habersack, § 20 IV 1, S. 288.

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Die Einbeziehung anderer Konzernunternehmen in den Haftungsverbund ist auf rechtsgeschäftlichem Wege jederzeit möglich. Hierzu kommen neben der Bürgschaft (§ 765 BGB), dem Schuldbeitritt und der Garantie vor allem noch Patronatserklärungen (gegenüber den Gläubigern), Liquiditätszusagen (gegenüber der Tochtergesellschaft)108 oder Organschaftserklärungen in Betracht.109

V. Zusammenfassung Bei der Einordnung in die EuGVVO sollen nur die spezifischen Konzernhaftungsansprüche Berücksichtigung finden. Auf die Durchgriffshaftung wird bei der Qualifikation der Haftung im qualifizierten faktischen Konzern eingegangen. Davon abgesehen bereitet die Qualifikation der anderen nichtkonzernspezifischen Haftungsansprüche regelmäßig keine besonderen Schwierigkeiten, so dass sie im Rahmen der Untersuchung vernachlässigt werden können.110 2. Kapitel

Rechtslage in Frankreich Ausgangspunkt im französischen Recht der Unternehmensverbindungen bildet der Begriff der Gesellschaftsgruppe, der groupe de sociétés.111 Unter einer Gruppe ist eine Gesamtheit von rechtlich selbständigen Gesellschaften zu verstehen, die tatsächlich einheitlichen wirtschaftlichen Entscheidungen unterworfen sind. Notwendige Kriterien sind zum einen ein gewisser Zusammenhalt der Unternehmen, zum anderen die Möglichkeit zur einheitlichen Kontrolle (contrôle).112 Der französische Begriff der Gruppe kann nicht mit dem deutschen Begriff Konzern gleichgesetzt werden,113 da eine 108

Gläubiger können in die Ansprüche vollstrecken. Emmerich/Habersack, § 302 Rn. 9 ff.; Emmerich/Sonnenschein/Habersack, § 20 IV 2, S. 288 ff. 110 Vgl. zur Geltendmachung von Ansprüchen gemäß § 31 und § 32 a, 32 b GmbHG schon: OLG Bremen, Urt. v. 25.9.1997, RIW 1998, 63 ff. m. Anm. Brödermann, EWiR § 32 a GmbHG 1/98, 125 f.; Burmeister, FORUM Int. 1997, 137 ff.; Michalski, NZG 1998, 386; OLG Jena, Urt. v. 5.8.1998, ZIP 1998, 1496 ff. = NZI 1999, 81 f. = NZG 1999, 34 f., m. Anm. Kranemann, EWiR Art. 5 EuGVÜ 2/98, 779 f.; Bauer, S. 129 ff. (auch zu § 62 Abs. 1 AktG i. V. m. § 57 Abs. 1 AktG); zu § 117 AktG: OLG München, Urt. v. 25.6.1999, IPRax 2000, 416, 417 = RIW 2000, 143. 111 D. Schmidt, ZGR 1982, 276; Wolf, S. 5. 112 Guyon, ZGR 1991, 218, 220; Wolf, S. 7. 113 Lutter, ZGR 1982, 244. 109

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einheitliche Leitung der gruppenzugehörigen Unternehmen nach französischem Recht nicht zulässig ist, weil jede Gesellschaft unabdingbar und ausschließlich in ihrem eigenen Interesse geführt werden muss.114 Eine groupe de sociétés entsteht auf verschiedene Arten: durch Kapitalbeteiligung der Muttergesellschaft an der Tochtergesellschaft, die Beschäftigung gemeinsamer Geschäftsleiter oder durch vertragliche Bindungen.115 Beherrschungsund Gewinnabführungsverträge i. S. d. §§ 291 ff. AktG werden in Frankreich aber als unzulässig erachtet, da sie nach französischer Rechtsauffassung im Widerspruch zum Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Gesellschaften stehen.116 Dennoch finden sich im französischen Recht genügend zulässige Vertragstypen, die bei entsprechender Ausgestaltung zur faktischen Abhängigkeit führen können, wie z. B. Geschäftsführungsaufträge, Betriebsüberlassungsverträge usw.117 In Frankreich gilt der Grundsatz, dass Gesellschaften, welche im Einflussbereich eines Konzerns stehen, als rechtlich selbständig gelten118 und deshalb für ihre Verbindlichkeiten ausschließlich ihr Gesellschaftsvermögen haftet, nicht aber dasjenige der herrschenden Gesellschaft, selbst dann nicht, wenn diese sämtliche Aktien oder Anteile der Untergesellschaft hält.119 Für die Haftung innerhalb der Gruppe gilt der Grundsatz, dass die Muttergesellschaft generell nicht für die Schulden der Tochtergesellschaft einzustehen hat.120 Für Ausnahmen vom kapitalgesellschaftsrechtlichen Haftungsprivileg gibt es im französischen Recht auch keine speziellen Vorschriften. Die Theorie von der konzernspezifischen Gefährdung ist in Frankreich nicht geläufig, so dass es auch keine spezialgesetzlichen Haftungsregelungen gibt, die an die Tatsache unternehmerischer Beherrschung besondere Rechtsfolgen knüpfen würden. Anders als in Deutschland kennt das französische Recht somit keinen spezialgesetzlichen Haftungsanspruch der abhängigen Gesellschaft. Es stehen nur die allgemeinen Rechts- und Gesellschaftsrechtsprinzipien zur Verfügung.121 Demnach muss sich auch die Untersuchung an allgemeinen Rechtsinstituten orientieren. 114

Wolf, S. 5. Bauvert/Siret, S. 417; Kuckertz, S. 29 f.; Wolf, S. 8. 116 Borse, S. 15; Wolf, S. 8. 117 Wolf, S. 8 m. w. N. 118 Cass. com., Urt. v. 24.5.1982, Rev. soc. 1983, 361; Cass. com., Urt. v. 29.11.1982, Rev. soc. 1983, 615; Cass. com., Urt. v. 27.3.1984, Bull. Joly 1984, 528, § 187; CA Paris, 15e ch. B., Urt. v. 15.5.1990, Bull. Joly 1990, 879, § 270. 119 Cass. com., Urt. v. 5.4.1994, Rev. soc. 1994, 318; Cass. com., Urt. v. 4.5.1993, Rev. soc. 1993, 662; Cass. com., Urt. v. 4.1.1982, Rev. soc. 1983, 95; CA Paris 15e ch. B., Urt. v. 4.5.1990, Rev. soc. 1990, 449; Lucas, Pet. aff., 4.5.2001, Nr. 89, S. 66; Vogel, S. 5. 120 Wolf, S. 9 m. w. N. 115

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I. Überblick Allgemein betrachtet muss die herrschende Gesellschaft für die Schulden der abhängigen Gesellschaft einstehen, wenn sie ein Verschulden (faute) trifft oder wenn sie eine vertragliche Verpflichtung (obligation contractuelle) eingegangen ist.122 Die Verfolgung der Muttergesellschaft aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung kann sich aus ihrer Stellung als Gesellschafterin der Tochtergesellschaft oder aufgrund einer Garantie ergeben. Das Verschulden des Mutterunternehmens kann dazu führen, dass es aufgrund zivilrechtlicher Haftung in Anspruch genommen wird. Folge dieses Verhaltens, das ebenso einen Missbrauch der Rechtspersönlichkeit darstellt, kann aber auch sein, dass die Vermögensautonomie aufgehoben wird.123 Diese Selbständigkeit der Vermögen beruht auf Art. 1842 C. civ., der den Gesellschaften eine Rechtspersönlichkeit ab dem Zeitpunkt ihrer Eintragung zuschreibt, sowie auf dem Prinzip der Relativität der Schuldverhältnisse, d. h. die herrschende Gesellschaft kann nicht aus einer Vereinbarung der abhängigen Gesellschaft in Anspruch genommen werden, an deren Zustandekommen sie nicht teilgenommen hat.124 Häufig ist Rechtsfolge der Haftungsinstitute eine solidarische Haftung oder die Ausdehnung des Konkurses. Die eigentliche zivilrechtliche Haftung aufgrund Verschuldens kann das herrschende Unternehmen zum einen als Gesellschafter, zum anderen als Geschäftsleiter treffen. Als Gesellschafter kann die Obergesellschaft aufgrund schuldhaften Verhaltens durch Hervorrufen eines Rechtsscheins (apparence) in Anspruch genommen werden. Die Geschäftsleiterhaftung trifft sie, wenn sie als faktischer Geschäftsleiter qualifiziert werden kann und bei der action en comblement du passif zusätzlich ein Geschäftsführungsfehler begangen wurde. Um einen Missbrauch der Rechtspersönlichkeit als eine Art der Verschuldenshaftung handelt es sich in zwei Fällen: fictivité und confusion des patrimoines. Dies hat vor allem eine Ausdehnung des Insolvenzverfahrens zur Folge, also eine Erstreckung des Insolvenzverfahrens auf die herrschende Gesellschaft als eigentlich Handelnde. Im Folgenden sollen insbesondere die gesetzlich geregelte Haftung gemäß Art. L. 624-3, L. 624-5 C. com., die richterrechtliche Haftung wegen fiktiver Gesellschaft und Vermögensvermischung sowie aufgrund Rechtsscheins behandelt werden. In diesem Zusammenhang wird auch die Haftung 121

Wolf, S. 10 m. w. N. So die Einteilung von Lucas, Pet. aff., 4.5.2001, Nr. 89, S. 66, 67; siehe zu anderen Unterteilungen Vogel, S. 3 ff. und Wolf, S. 10. 123 Lucas, Pet. aff., 4.5.2001, Nr. 89, S. 66, 67. 124 Lucas, Pet. aff., 4.5.2001, Nr. 89, S. 66, 69. 122

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dargestellt, die auf Vorschriften zur Kapitalsicherung bei Gesellschaften, auf der allgemeinen Organhaftung und auf der deliktsrechtlichen Generalklausel des Art. 1382 C. civ. beruht. Zunächst soll aber kurz auf vorhandene Ansätze für eine etwaige Haftungsausdehnung aufgrund allein gruppenspezifischer Tatbestände eingegangen werden.

II. Konzernspezifische Haftungsgrundsätze Um die Eigenarten des Konzerns genügend berücksichtigen zu können, wurden bisweilen Lösungswege gesucht, eine konzernspezifische Haftung der herrschenden Gesellschaft zu begründen. 1. Faktische Gesellschaft (société créée de fait) Nach einem Ansatz wird die Gesellschaftsgruppe als faktische Gesellschaft (société créée de fait) betrachtet, die zwischen den Gesellschaften der Unternehmensgruppe besteht.125 Es wird vor allem auf ein für alle beteiligten Gruppengesellschaften bestehendes gemeinsames Interesse abgestellt, das seinerseits wiederum aus Indizien wie der Identität der Geschäftssitze, der Produktionsstätten, der Organe oder aus dem Bestehen gemeinsamer Bankkonten hergeleitet wird. Diese Haftungsvariante basiert damit auf internen und auf externen Elementen. Es kommt auf die subjektive Perspektive des außenstehenden Dritten an. Konsequenz der faktischen Gesellschaft ist eine unbeschränkte Haftung aller gruppenzugehörigen Gesellschaften für deren Schulden.126 Rechtsfolge ist eine solidarische Haftung oder gelegentlich die Ausdehnung des Konkurses.127 Mittlerweile wird die société créée de fait aber nicht mehr als eigenständiger Haftungsansatz diskutiert.128 Die Indizien werden vielmehr nur noch für die Begründung des Vorliegens einer Vermögensvermischung herangezogen. 2. Solidar- und Garantiehaftung Ein anderer Ansatz im Schrifttum bemüht sich, eine Garantiehaftung der Muttergesellschaft unmittelbar auf deren Leitungsmacht und damit allein auf den Begriff der Gruppe zu stützen.129 Voraussetzung ist, dass eine „Einglie125

Vgl. D. Schmidt, ZGR 1982, 276, 287 = Rev. soc. 1981, 725, 735. Wolf, S. 81. 127 Vgl. Vogel, S. 11 f.; insofern bestehen Ähnlichkeiten zu der extension de faillite der anderen Haftungsinstitute. 128 Vgl. Tardieu-Naudet, S. 267. 129 Siehe Tardieu-Naudet, S. 267 ff. 126

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derung“ der Tochtergesellschaft besteht. Dafür muss neben der kapitalmäßigen Beherrschung zumindest ein bestimmtes, vom intérêt social der Gesellschaft abweichendes Verhalten hinzukommen.130 Die Projets Cousté131 sahen in der Tat eine Solidarhaftung der Muttergesellschaft gegenüber den Gläubigern ihrer Tochtergesellschaft vor.132 Eine Haftung der Muttergesellschaft allein aufgrund der Zugehörigkeit der insolventen Gesellschaft zu einer Gruppe hat sich in Frankreich jedoch nicht durchgesetzt.133 3. Wirtschaftliche Einheit (unité d’entreprise bzw. entreprise unique) Haben die Unternehmen aufgrund der zwischen ihnen bestehenden Verbindungen als wirtschaftliche Einheit (unité d’entreprise oder entreprise unique) gehandelt, wurde teilweise eine Haftungsausdehnung auf die Muttergesellschaft angenommen.134 Auch dies ist ein allein gruppenspezifischer Ansatz, der speziell der besonderen Gefahrenlage innerhalb einer Unternehmensgruppe Rechnung trägt.135 Die Cour de cassation und die überwiegende Meinung in der Literatur beschränken entgegen dieser Ansatzweise die Möglichkeit einer Haftungserstreckung innerhalb einer Gruppe ausdrücklich auf die klassischen Fälle der société fictive und der confusion des patrimoines.136 4. Zusammenfassung Weder die Betrachtung der Unternehmensgruppe als société créée de fait mit gegenseitigen Einstandspflichten noch die Haftung wegen der Leitungsmacht der Muttergesellschaft oder wegen wirtschaftlicher Einheit sind vereinbar mit dem Prinzip der Autonomie der Gesellschaft, das das französische Gesellschaftsrecht prägt. Daher haben sich in Frankreich die Ansätze, eine Haftung der Muttergesellschaft aufgrund der Gruppenzugehörigkeit zu begründen, nicht durchgesetzt. 130

Vgl. D. Schmidt, ZGR 1982, 276, 290. Siehe dazu ZGR 1972, 76 ff. (erste Version). 132 Vgl. Tardieu-Naudet, S. 484 ff.; Vogel, S. 3 Fn. 2. 133 Hannoun, Bull. Joly 1991, 479, 483, § 165; Tardieu-Naudet, S. 270; Ehricke, S. 582; Wolf, S. 84. 134 Ausgangspunkt war ein Fall der CA Paris, Urt. v. 20.3.1986, Rev. Soc. 1987, 98. 135 Wolf, S. 23. 136 Cass. com., Urt. v. 8.11.1988, Rev. Soc. 1990, 71; Cass. com., Urt. v. 9.4.1991, Pet. Aff. 8.1.1992, 6; Cass. com., Urt. v. 20.10.1992, Rev. Soc. 1993, 449; Honorat, Rev. Soc. 1990, 72, 73; Pétel, Bull. Joly 1990, 186, 190. 131

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III. Gesetzlich geregelte Haftung Falls das vorhandene Gesellschaftsvermögen im Insolvenzverfahren zur Befriedigung der Gläubiger nicht ausreicht, ist im Code de commerce in Art. L. 624-3 eine Ausfallhaftung der Geschäftsleitungsorgane für Fehler bei der Leitung der Gesellschaft und in Art. L. 624-5 die Möglichkeit der Ausdehnung des Konkursverfahrens auf diesen Personenkreis vorgesehen. Die alten Art. 178 ff. des Gesetzes Nr. 85-98 vom 25.1.1985137 wurden geändert und aufgehoben durch die Verordnung (ordonnance) Nr. 2000-912 vom 18. September 2000, in den nouveau Code de commerce integriert und finden sich dort nun in den Art. L. 624-1 ff.138 Im Zuge der französischen Konkursrechtsreform wurden die Haftungsbestimmungen in den Art. 99 ff. des Gesetzes Nr. 67-563 vom 13.7.1967139 zuvor bereits durch die Art. 180 ff. des Gesetzes von 1985 ersetzt. Die Normen gelten unabhängig von der Rechtsform der betroffenen Gesellschaft. Die Einbeziehung des herrschenden Unternehmens in die Haftung wird zudem nicht aus einer Konzernperspektive betrachtet. Das herrschende Unternehmen muss mit der Haftung kein Korrelat für die Gefahren erfüllen, die mit der Konzernierung für Außenstehende verbunden sind.140 1. Art. L. 624-3 C. com. Art. L. 624-3 C. com. sieht eine Ausfallhaftung der Geschäftsleitungsorgane für Fehler bei der Leitung der Gesellschaft vor. a) Voraussetzungen der Haftung Auslösendes Moment der Haftung ist eine Überschuldung (insuffisance d’actif). Liegen die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer der in Art. L. 624-2 C. com. bezeichneten Personen vor, so kann die Ausfallhaftung nach Art. L. 624-3 C. com. eingreifen. Die Haftung ist an das Vorliegen von drei Tatbestandsmerkmalen geknüpft: die Begehung einer Pflichtverletzung durch einen Geschäftsführer, welche für einen Schaden bei dem Insolvenzschuldner ursächlich war. 137 Loi nº85–98 du 25 janvier 1985 relative au redressement et à la liquidation judiciaire des entreprises. 138 Zur Gesetzesänderung (Materialien) siehe Duguer, Code Lamy Sociétés commerciales, code, 2002, I, S. 5 ff.; vgl. auch Guyon, Rev. Soc. 2000, 647 ff. 139 Loi nº67–563 du 13 juillet 1967 sur le règlement judiciaire ou la liquidation des biens, la faillite personnelle et les banqueroutes. 140 Ehricke, S. 531.

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Normadressaten der Haftungsregelung sind die rechtmäßigen141 bzw. nominellen142 oder faktischen Leitungsorgane (dirigeants de droit oder dirigeants de fait). Der Kreis der rechtmäßigen Geschäftsleiter umfasst die nach Gesetz und Satzung zur Leitung der Geschäfte der betreffenden Gesellschaft berufenen Personen. Die Posten, die ein dirigeant de droit bekleiden kann, können nur von natürlichen Personen besetzt werden, so dass die Einordnung eines herrschenden Unternehmens als dirigeant de droit auszuscheiden scheint. Etwas anderes ergibt sich nur, wenn von der herrschenden Gesellschaft natürliche Personen in die Organe der abhängigen Gesellschaft entsandt wurden und die Muttergesellschaft sich das Handeln dieser Personen als ihr eigenes zurechnen lassen muss. So vermag die Entsendung eines Mitglieds des Verwaltungsrats (conseil d’administration) bei der Aktiengesellschaft (société anonyme, SA) des „klassischen Typs“ mit einheitlichem Kollegialorgan unter Umständen die Stellung der Muttergesellschaft als rechtmäßiges Leitungsorgan zu begründen.143 Für die „neue“ SA nach zweigliedrigem System mit Vorstand und Aufsichtsrat kommt eine Haftung der Muttergesellschaft als dirigeant de droit jedoch nicht in Betracht. Gleiches gilt für die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (société à responsabilité limitée, SARL).144 Als faktischer Geschäftsleiter gilt, wer neben oder anstelle der rechtmäßigen Organe durch positive Entscheidungsmaßnahmen unabhängig und souverän Handlungen der Unternehmensleitung vornimmt. Bei der Haftung als dirigeant de fait ist der Kreis der Normadressaten des Art. L. 624-3 C. com. unabhängig von der Unterscheidung zwischen natürlichen und juristischen Personen und der Rechtsform. Unstreitig ist, dass ein herrschendes Unternehmen hinsichtlich der abhängigen Gesellschaft – über seine handelnden Organe – dirigeant de fait sein kann.145 Voraussetzung ist eine positive, aktive Entscheidungsmaßnahme auf der Ebene der Unternehmensleitung bzw. Geschäftsführung bei Innehabung einer freien, souveränen und unabhängigen Stellung.146 Haftungsauslösendes Element ist eine Pflichtverletzung in der Geschäftsführung (faute de gestion), die kausal zu einem Fehlbestand an Aktiva bei der Gesellschaft als Schaden beigetragen hat. Fallgruppen der in der Recht141

So Wolf, S. 43. So Ehricke, S. 531. 143 Siehe dazu Wolf, S. 44 f. 144 Wolf, S. 45. 145 Cass. soc., Urt. v. 3.4.1990, Rev. soc. 1990, 625 m. Anm. Guyon (627 f.); CA Aix-en-Provence, Urt. v. 26.5.1981, D. 1983 Inf. rap. 60 m. Anm. Derrida. 146 Zu den Einzelfällen einer Qualifizierung einer Muttergesellschaft als dirigeant de fait siehe Wolf, S. 52 ff.; siehe auch Ehricke, S. 535 ff.; Zahn, S. 94 ff., 100 ff. 142

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2. Teil: Konzernhaftungssysteme in Europa

sprechung als Geschäftsführungsfehler herausgestellten Pflichtverletzungen sind insbesondere Gesetzesverstöße, wozu z. B. die Verletzung von Kapitalerhaltungsvorschriften oder die mangelnde Einholung erforderlicher Genehmigungen gehören, eine Art sittenwidrig schädigendes Geschäftsführerverhalten oder die vollständige „Ausbeutung“ einer Tochtergesellschaft zugunsten einer Unternehmensgruppe. Ferner gehören dazu eine Gläubigergefährdung durch die Fortsetzung eines defizitären Geschäftsbetriebes, krasse kommerzielle Fehlleistungen,147 sowie die Schädigung der Gesellschaft im Dritt- oder Eigeninteresse.148 Liegen diese Voraussetzungen vor, stellt sich als weiteres Problem, ob eine Rechtfertigung durch ein übergeordnetes „Konzerninteresse“ (intérêt du groupe) in Betracht kommt. Dies ist jedoch abzulehnen.149 Eine Rechtfertigung von Eingriffen in die Geschäftsführung des abhängigen Unternehmens aufgrund eines Konzerninteresses gibt es nicht. Allerdings kommt eine Haftung der Muttergesellschaft für einen nachteiligen Eingriff dann nicht in Betracht, wenn der betreffenden Tochter an anderer Stelle Vorteile in vergleichbarer Höhe zugeflossen sind.150 In der Praxis ist eine Inanspruchnahme der Muttergesellschaft als dirigeant de fait ihrer Tochtergesellschaft äußerst selten vorgekommen.151 Im „normal“ organisierten Unternehmensverbund wird eine Verantwortung der Muttergesellschaft als faktisches Leitungsorgan meist ausscheiden.152 b) Rechtsfolgen der action en comblement du passif Die Verurteilung zum Schadensersatz gemäß Art. L. 624-3 C. com. hat für das herrschende Unternehmen nicht automatisch die Bedeutung eines persönlichen Insolvenzverfahrens. Es ist zunächst nur verpflichtet, den vom Gericht festgesetzten Betrag in die Insolvenzmasse zu zahlen und behält damit noch die Verfügungsgewalt über sein Vermögen. Der Betrag fließt in die Masse der insolventen abhängigen Gesellschaft. Zahlt das herrschende Unternehmen den Betrag nicht oder nur teilweise, kann das Gericht entweder ein Insolvenzverfahren eröffnen (Art. L. 624-4 C. com.) oder eine „In147 Z. B. der Verkauf von Waren unter dem Selbstkostenpreis, Betrieb einer außer Verhältnis zum Eigenkapital stehenden Geschäftstätigkeit oder die mangelhafte Organisation des Unternehmens. 148 Vgl. dazu insgesamt Ehricke, S. 544 ff. und Rivinius, S. 221, jeweils m. w. N. und Beispielen. 149 Siehe dazu Wolf, S. 61 ff.; Ehricke, S. 548 f. 150 Vgl. dazu Ehricke, S. 549. 151 Zu den Gründen Wolf, S. 54 f. und Ehricke, S. 553 ff. 152 Vgl. Wolf, S. 55 m. w. N.

2. Kap.: Rechtslage in Frankreich

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solvenzächtung“ (faillite personelle) aussprechen (Art. L. 625-6 C. com.).153 Praktisch kommt Letzteres als Sanktion aber nicht in Frage.154 c) Dogmatische Grundlage der Haftung Die Ausfallhaftung des Art. L. 624-3 C. com. steht der zivilrechtlichen Organhaftung sehr nahe. Dabei handelt es sich nach allgemeiner Ansicht in der französischen Rechtsprechung und Literatur155 nicht um eine spezifisch konkursrechtliche Sanktion, sondern um eine Form der zivilrechtlichen Haftung. Diese soll lediglich die allgemeine zivilrechtliche Sorgfaltshaftung im Zusammenhang mit den besonderen verfahrensrechtlichen Möglichkeiten in der Insolvenz einer Gesellschaft an die Komplexität innerbetrieblicher Vorgänge und den damit verbundenen Beweisschwierigkeiten anpassen.156 Wenn man deren Voraussetzungen betrachtet, so kann man feststellen, dass die action en comblement du passif der zivilrechtlichen Haftung nachempfunden ist.157 Während im Rahmen des Art. 99 des Gesetzes von 1967 das Verschulden noch vermutet wurde, muss der Anspruchsteller nun sowohl Schaden und Kausalität als auch Verschulden beweisen.158 Trotz des Bestehens einer Beweislastumkehr wurde aber auch schon im Rahmen des Art. 99 des Gesetzes von 1967 auf die Ähnlichkeit der Rechtsnatur hingewiesen.159 Beide Klagen beruhen auf demselben Verschulden und verfolgen dasselbe Ziel, im Endeffekt den Ersatz des Schaden, den Gläubiger aufgrund der insolvent gewordenen Tochtergesellschaft erlitten haben. Daher wird die action en comblement du passif auch als ein allgemeiner, in den Bereich des Insolvenzrechts verlagerter, deliktischer Haftungsansatz angesehen, dessen Anknüpfungspunkt nur die Geschäftsführung des jeweiligen Unternehmens ist. Jedenfalls ist gleichgültig, ob die Gesellschaft dabei eigenständig oder in eine Gruppe eingebunden ist.160 Die Einbeziehung des herrschenden Unternehmens in die Haftung wird nicht aus einer Konzernperspektive betrachtet. Nicht abschließend geklärt ist allerdings, ob es sich um einen Anspruch der Gesellschaft oder der Gesellschaftsgläubiger handelt.161 153 154 155 156 157 158 159 160 161

Guyon, II, Nr. 1406. Ehricke, S. 552. So Martin, JCP 1972 II, 17073 a. E. (m. w. N.); Berdah, D. 1972, 166, 167. Ehricke, S. 529 m. w. N. Guyon, II, Nr. 1372. Die Beweislastumkehr wurde bereits mit dem Gesetz von 1985 beseitigt. Vgl. dazu Berdah, D. 1972, 166, 168. Ehricke, S. 530 f. Dazu später 4. Teil, 5. Kapitel: III.3.a)cc), S. 264.

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d) Klagebefugnis Nach Art. L. 624-6 C. com. sind der Konkursverwalter (administrateur), der Gläubigervertreter (représentant des créanciers), der Planerfüllungskommissar (commissaire à l’exécution du plan), der Liquidator (liquidateur) oder die Staatsanwaltschaft (procureur de la République) antragsberechtigt. Die Gläubiger selbst sind nicht zur Geltendmachung berechtigt. 2. Art. L. 624-5 C. com. Nach Art. L. 624-5 C. com. kann das Gericht im Rahmen des über die abhängige Gesellschaft eröffneten Insolvenzverfahrens anordnen, dass auch über das (Privat-)Vermögen des betreffenden Geschäftsleiters ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, wenn diesem bestimmte Verhaltensweisen nachgewiesen werden können. Art. L. 624-5 C. com. erfordert, dass über das Vermögen einer juristischen Person ein gerichtliches Sanierungsverfahren eröffnet worden ist und die betreffende juristische Person real und selbständig existiert.162 Voraussetzung der Insolvenzerstreckung auf das herrschende Unternehmen ist neben den allgemeinen Kriterien der faktischen Geschäftsführerschaft weiter, dass eine der in der Vorschrift aufgezählten Verhaltensweisen seitens der herrschenden Gesellschaft vorliegen. Zu den Fallgruppen, die die Haftung nach sich ziehen, gehören die missbräuchliche Verfügung über Gesellschaftsvermögen der Tochter wie über eigenes (Nr. 1), Geschäfte im Eigeninteresse unter dem Deckmantel der abhängigen Gesellschaft (Nr. 2), die missbräuchliche Verwendung von Vermögensgegenständen oder Darlehen der abhängigen Gesellschaft gegen deren Interesse (Nr. 3), die missbräuchliche oder eigennützige Fortsetzung eines defizitären Geschäftsbetriebs (Nr. 4), eine nicht ordnungsgemäße oder gefälschte Buchführung bzw. die Unterschlagung für die Buchführung notwendiger Unterlagen (Nr. 5) oder die unvollständige oder unrichtige Buchführung (Nr. 7) und schließlich die Zweckentfremdung oder Unterschlagung von Vermögensgegenständen der abhängigen Gesellschaft bzw. ein missbräuchlich herbeigeführter Anstieg der Passiva der abhängigen Gesellschaft (Nr. 6). Die einzelnen Tatbestandsalternativen sind durch eine umfangreiche Rechtsprechung näher präzisiert worden.163 Der Kreis der Normadressaten entspricht dem des Art. L. 624-3 C. com.164 Auch für die Frage einer möglichen Rechtfertigung des Fehlverhal162 163 164

Honorat, Rev. soc. 1991, 387, 388; Wolf, S. 68. Vgl. dazu Wolf, S. 69 ff. Siehe oben 2. Teil, 2. Kapitel: III.1.a), S. 70.

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tens aufgrund eines übergeordneten Gruppeninteresses ergeben sich gegenüber Art. L. 624-3 C. com. keine Besonderheiten.165 Die Klagebefugnis richtet sich ebenfalls nach Art. L. 624-6 C. com. Es steht im Ermessen des Gerichts, ob es die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das (Privat)Vermögen des betreffenden Leitungsorgans für angebracht hält oder nicht. Das Gericht wird im Regelfall solange kein Insolvenzverfahren nach Art. L. 624-5 C. com. über das Vermögen des dirigeant eröffnen, wie dieser über genügend Mittel verfügt, die Restverbindlichkeiten außerhalb eines Konkursverfahrens voll begleichen zu können, sondern statt dessen nur eine Verurteilung nach Art. L. 624-3 C. com. aussprechen.

IV. Haftungserstreckung aufgrund allgemeiner Rechtsinstitute Das französische Recht kennt auch andere durchgriffsartige Rechtsfiguren wie die confusion des patrimoines oder die société fictive bzw. die société de façade.166 1. Fiktive Gesellschaft (société fictive) Einer der ältesten und bekanntesten Wege, den französische Gerichte ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage beschritten haben, um auf die „Hintermänner“ einer Gesellschaft zugreifen zu können, ist die Erklärung der Gesellschaft als fiktiv bzw. vorgetäuscht, d. h. deren Verwendung als missbräuchlich bzw. betrügerisch.167 Wird eine Gesellschaft von einer anderen Person völlig beherrscht in der Art, dass die Geschäfte der Gesellschaft ausschließlich oder vorwiegend im Interesse dieses Hintermanns (maître de l’affaire) geführt werden, dann wird sie im Insolvenzfall als fiktiv und im Anschluss daran als nichtig bzw. inexistent erklärt. Diese Fiktiverklärung der Gesellschaft hat zur Folge, dass die Rechte und Verbindlichkeiten der Scheingesellschaft dem Hintermann der Gesellschaft zugerechnet werden. Dieser steht für die Gesellschaftsschulden ein und ist unter Umständen Gegenstand des Insolvenzverfahrens.168

165

Vgl. dazu 2. Teil, 2. Kapitel: III.1.a), S. 70. Vgl. dazu Hofstetter, S. 134 m. w. N. 167 Vogel, S. 12. 168 Barthélémy/Hardouin, Droit des Groupes de Sociétés, Nr. 12205 ff.; Wolf, S. 12 m. w. N. 166

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a) Dogmatische Grundlage Dogmatisch begründet wird das Rechtsinstitut der fiktiven Gesellschaft mit der auf Art. 1321 C. civ. gestützten théorie de la simulation. Diese entspricht der deutschen Figur des Scheingeschäfts. Dabei soll aber allein die Tatsache der totalen Beherrschung (maîtrise totale) einer Gesellschaft durch einen Dritten deren rechtliche Fehlerhaftigkeit begründen. Es wird behauptet, die totale Beherrschung schließe das Vorliegen des für die Gesellschaft wesensmäßigen Elements der affectio societatis aus.169 b) Fallgruppen und Voraussetzungen Praktisch irrelevant sind die Fälle, in denen der Tochtergesellschaft zwingende objektive gesetzliche Tatbestandsmerkmale des Art. 1832 C. civ. fehlen.170 Dann besteht bereits formal eine Scheingesellschaft ohne rechtliche Existenz. In diesen Fällen obliegen der hinter der Fassade der Gesellschaft stehenden Person alle Rechte und Verpflichtungen. Die herrschende Gesellschaft kann somit direkt von den Gläubigern in Anspruch genommen werden. Schwieriger zu beurteilen, aber von größerer praktischer Relevanz sind die Fallkonstellationen, in denen die rechtliche Selbständigkeit einer formal ordnungsgemäß gegründeten juristischen Person aus einem Bündel von Gründen abzulehnen ist. Neben den formalen Gründungsvoraussetzungen des Art. 1832 C. civ. erfordert die Gründung einer Gesellschaft, dass ein mit eigenem Vermögen ausgestattetes, selbständiges Interessenzentrum zur Verfolgung erlaubter Zwecke geschaffen wird.171 Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist die Gesellschaft aufgrund Missbrauchs rechtlich nicht anzuerkennen172. Als Beispiele der Fälle, die auf die von den Gesellschaftern verfolgten unlauteren Zielvorstellungen (fraude) abstellen, liegen solche älterer Entscheidungen vor, in denen eine Gesellschaft ihre Vermögenswerte in eine andere Gesellschaft eingebracht und dadurch den Gläubigern entzogen hat, oder Dritte bezüglich der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens getäuscht hat, um von diesen Kapital zu erhalten.173 Mittlerweile sind derartige Verhaltensweisen spezialgesetzlich sanktioniert in den Art. L. 624-3 169

Abeille, S. 208 f. Art. 1832 C. civ. setzt drei Elemente für eine wirksame Gesellschaft voraus: (1) Einlageleistung sowie (2) Gewinn- und Verlustbeteilung der Gesellschafter und (3) Zusammenschluss zu gemeinsamer Zweckverfolgung. 171 Barthélémy/Hardouin, Droit des Groupes de Sociétés, Nr. 12204. 172 Wolf, S. 13 m. w. N. 170

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bis L. 624-5 C. com.,174 so dass der Fallgruppe der missbrauchten Gesellschaft in der Praxis kaum mehr Bedeutung zukommt. Entscheidendes Kriterium der anderen Fallgruppe der unzureichenden Autonomie der Tochtergesellschaft ist das Fehlen eines eigenständigen Gesellschaftsinteresses, der sogenannten affectio societatis.175 Die Gesellschaft verfolgt nur die wirtschaftlichen Interessen des Hintermanns, womit die Gesellschaft nur eine „Fassade“ darstellt.176 Als Indizien für die Fiktivität einer Gesellschaft können im allgemeinen herangezogen werden: eine dominierend hohe Kapitalbeteiligung des herrschenden Unternehmens bei der Tochtergesellschaft, die Identität der Minderheitsgesellschafter beider Unternehmen,177 unter Umständen identische Geschäftsführer bei Mutter- und Tochtergesellschaft,178 gemeinsame Betriebsmittel und derselbe Gesellschaftssitz der einzelnen Gruppengesellschaften. Diese Umstände müssen meist kumulativ vorliegen.179 Zusätzlich wird aber verlangt, dass die fiktive Gesellschaft lediglich eine Hilfsfunktion ausübt, dass ihr demnach eine eigene selbständige Tätigkeit und eine eigene Organisation fehlt.180 Unter diesen Voraussetzungen ist die Gesellschaft nur ein Deckmantel (façade) oder eine Maske für die dahinter stehende Muttergesellschaft. Daneben wird auch gelegentlich auf eine bestehende Vermögensvermischung abgestellt. In der Praxis taucht die Fiktivität einer Gesellschaft häufig bei kleinen Unternehmen auf, wo der Geschäftsleiter, der zudem Mehrheitsaktionär ist, nicht genau zwischen dem Gesellschaftsvermögen und dem Privatvermögen trennt.181 173 Siehe CA Aix-en-Provence, Urt. v. 14.11.1927, Gaz. Pal. 1928 I JP 260; Cass. Civ., Urt. v. 20.3.1989, Bull. Joly 1989, 423. 174 Der Gesetzgeber hat diese Erwägungen auch schon in den Vorgängervorschriften der Art. 99–101 des Gesetzes von 1967 und Art. 180–182 des Gesetzes von 1985 aufgegriffen. 175 Gisserot, Rev. trim. dr. com. 1979, 49, 54; Veaux, S. 299; Tardieu-Naudet, S. 299. 176 Cass. Com., Urt. v. 20.1.1976, Rev. Soc. 1976, 671; CA Paris, Urt. v. 19.3.1990, D. 1990 Inf. rap. 93. 177 Hannoun, JCl. Proc. coll. = Commercial Fasc. 3190 Nr. 132. 178 CA Paris, Urt. v. 31.5.1989, Gaz. Pal. 1989, 2, 603; Daigre, Bull. Joly 1993, 1239, 1240; Pariente, Bull. Joly 1994, 320, 321. 179 Cass. com., Urt. v. 17.11.1987, Bull. Joly 1987, 997; Cass. com., Urt. v. 28.10.1988, Rev. Soc. 1990, 240 m. Anm. Calais-Auloy (241 f.); Cass. com., Urt. v. 15.1.1991, Rev. Soc. 1991, 386 m. Anm. Honorat (387 f.); Guyon, Rev. Soc. 1994, 320. 180 CA Aix-en-Provence, Urt. v. 28.5.1974, Rev. trim. dr. com. 1974, 526; Pariente, Bull. Joly 1994, 320, 321; Pétel, Bull. Joly 1990, 186, 190 f. 181 Siehe Guyon, II, Nr. 1405 auch zu Abgrenzungsschwierigkeiten.

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c) Rechtsfolge Die Fiktiverklärung hat zur Folge, dass anstelle der fiktiven Gesellschaft die Muttergesellschaft Schuldnerin der Gesellschaftsgläubiger ist bzw. wird. Die Muttergesellschaft hat den juristischen Status der Tochtergesellschaft einzunehmen. Dies bedeutet auch, dass ein Insolvenzverfahren, das bereits über die fiktive Gesellschaft eröffnet wurde, auf die herrschende Gesellschaft ausgedehnt werden kann, selbst wenn diese nicht insolvent ist.182 Rechtsfolge ist also entweder eine Haftungs- oder eine Konkursausdehnung183 i. S. e. extension complète.184 d) Klagebefugnis Fraglich ist, ob die Konkursausdehnung durch jeden Betroffenen, einschließlich der Gläubiger, geltend gemacht werden kann, oder ob nur die in Art. L. 624-6 C. com. genannten Personen, also die Gläubigervertreter, Verwalter etc.185 aktivlegitimiert sind. Wenn die Klage Einzelinteressen verfolgt, sollte sie von jedem geltend gemacht werden können, der daran Interesse hat. Falls jedoch ein gemeinschaftliches Interesse geltend gemacht wird, fällt sie in den Zuständigkeitsbereich der genannten Organe.186 Entgegen der bis dahin herrschenden Rechtsprechung und Literatur hat die Cour de cassation in dem Urteil vom 16.3.1999 entschieden, dass der einzelne Gläubiger nicht die Insolvenzerstreckung wegen fiktiver Gesellschaft geltend machen kann.187 Dies sei Folge des Verschwindens (der Rechtsfähigkeit) der Masse der Gläubiger im Gesetz von 1985. e) Verhältnis zur Vermögensvermischung In der Literatur wird die Theorie von der fiktiven Gesellschaft als eigenständiger Rechtsgrund für eine Insolvenzerstreckung angesehen.188 Nach Ansicht von Rechtsprechung und Teilen der Literatur ist das Rechtsinstitut der société fictive jedoch gleichbedeutend mit dem der confusion des patrimoines.189 182

Cass. com., Urt. v. 15.1.1991, Rev. Soc. 1991, 386; Cass. com., Urt. v. 18.11.1986, D. 1987 som. 73. 183 Vogel, S. 12 f. 184 Guyon, II, Nr. 1405. 185 Art. L. 624-6 C. com. nennt den administrateur, représentant des créanciers, commissaire à l’exécution du plan, liquidateur oder procureur de la République. 186 Cass. com., Urt. v. 16.3.1999, D. Affaires 1999, 635; Guyon, II, Nr. 1405. 187 Cass. com., Urt. v. 16.3 1999, D. Affaires 1999, 635. 188 Gisserot, Rev. trim. dr. com. 1979, 49, 54; Veaux, Nr. 171.

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2. Vermögensvermischung (confusion des patrimoines) Häufig wird die Theorie der confusion des patrimoines als selbständiges Rechtsinstitut aufgefasst. Es ist dem Haftungsinstitut der Vermögensvermischung im deutschen Recht vergleichbar.190 Wird die Eigenständigkeit der Vermögensmassen der einzelnen juristischen Personen nicht respektiert und befinden sich so Vermögensgegenstände der einen Gesellschaft im Vermögensbestand der anderen, wird dies vor allem mit einer Insolvenzerstreckung sanktioniert. De facto kann man jedoch beobachten, dass die Sachverhaltskonstellationen, die zu einer Insolvenzerstreckung aufgrund einer société fictive führen, grundsätzlich mit denen der confusion des patrimoines übereinstimmen. Es tauchen dieselben Indizien organisatorischer Verflechtung auf. Häufig wird die Insolvenzerstreckung gleichzeitig ohne weitere Differenzierung auf den Gedanken der société fictive und der confusion des patrimoines gestützt. Daher ist die Ansicht auch stark vertreten, dass nicht zwei, sondern nur ein einziger Grund für eine Insolvenzerstreckung besteht, nämlich die Vermögensvermischung.191 a) Voraussetzungen Haftungsauslösend ist im französischen Recht nur eine vollständige Vermögensvermischung zwischen den Vermögen der abhängigen und der herrschenden Gesellschaft. Eine solche Vermögensvermischung besteht zwischen zwei oder mehreren juristischen Personen, die wirklich existieren, deren Vermögensverflechtung aber so ausgeprägt ist, dass sie in der Tat nur eine „einzige Person“ bilden, da es nicht möglich ist, ihre Aktiva und Passiva auseinander zu halten.192 Die juristische Person wird demnach missbraucht.193 Im Falle der Vermögensvermischung bleiben die Vermögen zwar insofern unterscheidbar, als die juristischen Personen nicht verschwinden. Die Gesellschaften, die ihre Vermögen vermischt haben, bleiben deshalb nicht weniger autonome juristische Personen, so dass die Vermögensvermischung der Gesellschaften nicht dazu führt, dass die einzelnen autonomen Rechtspersönlichkeiten aufgehoben werden.194 Die Vermögen der Gesellschaften sind aber so miteinander verquickt, dass sie praktisch als 189

So wohl Guyon, II, Nr. 1405; Reiner, S. 244; a. A. Saint-Alary-Houin, Nr. 358. Vgl. dazu Wolf, S. 17. 191 Vgl. nur Lucas, Pet. aff., 4.5.2001, Nr. 89, S. 66, 70. 192 CA Versailles, Urt. v. 29.3.1990, Bull. Joly 1990, 561; Derrida, D. 1989, som. 5, 6; Wolf, S. 18; Ehricke, S. 572. 193 Saint-Alary-Houin, in Mélanges Jeantin, S. 453, 456. 194 Saint-Alary-Houin, in Mélanges Jeantin, S. 453, 458. 190

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eine einheitliche Vermögensmasse angesehen werden können. Dies gilt vor allem, wenn die Vermögen aufgrund der Bücher und Bilanzen nicht voneinander zu unterscheiden sind.195 Als Indizien für eine confusion des patrimoines gelten Kriterien, die auch als solche der Fiktivität einer Gesellschaft dienen, zum Beispiel organisatorische Gemeinsamkeiten wie gleiche Geschäftsräume und Telefonleitungen, gemeinsame Geschäftsführer oder identische Geschäftsmethoden, oder die Führung gemeinsamer Bankkonten und Kassen.196 Diese Kriterien haben aber – wie erwähnt – nur Indizwirkung. Daher kann trotz Vorliegens der Merkmale eine Vermögensvermischung ausscheiden, wenn kein „anomaler“ Vermögensfluss zwischen den Gesellschaften stattfindet. Besondere Schwierigkeiten bei der Haftung wegen confusion des patrimoines bereitet die Bestimmung des Grades der Vermögensvermischung zwischen den Beteiligten, ab dem die Vermögen als „einheitliche Masse“ zu behandeln sind.197 b) Rechtsfolge Nach überwiegender Ansicht ist Rechtsfolge der Feststellung einer Vermögensvermischung, ähnlich wie bei der société fictive, die Unterwerfung des Vermögensbestands der herrschenden Gesellschaft dem über das Vermögen der abhängigen Gesellschaft eröffneten Insolvenzverfahren in dem jeweiligen Stadium.198 Die Meinungen gehen jedoch darüber auseinander, ob für die Insolvenzerstreckung auf das Vermögen der anderen Person nicht auch deren Zahlungsunfähigkeit notwendig sei. Die Rechtsprechung geht – wie auch bei der fiktiven Gesellschaft – vom Vorliegen einer einheitlichen Vermögensmasse aus, die künstlich verschiedenen Rechtssubjekten zugeordnet sei. Dies bedeutet, dass sich das Gesamtvermögen in demselben Zustand befindet, so dass bei Zahlungseinstellung eines Vermögensteils eine gesonderte Feststellung der Zahlungseinstellung der betreffenden Gesellschaft nicht notwendig ist.199 Wird über einen Vermögensteil das Insolvenzverfahren eröffnet, so wird also vermutet, dass für das gesamte Vermögen die Voraussetzungen vorliegen. Auch nach dieser Ansicht bestehen dennoch weiterhin zwei unterschiedliche Rechtspersönlichkeiten. In der französischen Literatur wird dagegen aufgrund der einschneidenden 195

Cass. com., Urt. v. 15.10.1991, JCP E 1991, pan. Nr. 1383. Ehricke, S. 572; Wolf, S. 18. 197 Wolf, S. 18. 198 Tardieu-Naudet, S. 307, 320 ff.; Guyon, II, Nr. 1405; Wolf, S. 22; Ehricke, S. 573. 199 Cass. com., Urt. v. 26.3.1985, D. 1988, som. 37; Cass. Com., Urt. v. 18.11.1986, D. 1987, som. 73; Cass. Com., Urt. v. 16.6.1987, D. 1988, som. 37; vgl. Guyon, II, Nr. 1405. 196

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Rechtsfolgen diskutiert, ob es für die Insolvenzerstreckung auf das Vermögen der anderen Gesellschaft nicht doch zumindest notwendig sei, dass auch jene zahlungsunfähig sei. Überwiegend wird verlangt, dass die Zahlungseinstellung des zusätzlichen Schuldners positiv festgestellt werden müsse, um vor der Ausdehnung des Insolvenzverfahrens zu prüfen, ob dieser u. U. in der Lage ist, die Gesellschaftsschulden so zu tragen. Die zusätzliche Vermögensmasse müsse nicht per se unzureichend sein.200 Es sei durchaus denkbar, dass die weitere Vermögensmasse zur Schuldentilgung ausreicht. Die Besonderheit der Vermögensvermischung liegt aber gerade darin, dass die einzelnen Vermögensmassen nicht mehr präzise auseinandergehalten werden können, womit die Voraussetzung für die Entscheidung, ob das andere Vermögen zur Schuldendeckung ohne Verfahren ausreichend ist, fehlt. Außerdem soll die scharfe Haftung der Insolvenzerstreckung ihre disziplinierende Wirkung hinsichtlich der ordnungsgemäßen Buch- und Bilanzführung entfalten.201 3. Rechtsschein (théorie d’apparence) Die Haftung der Muttergesellschaft kann nach der théorie d’apparence auch auf Rechtsscheinsprinzipien begründet sein, wenn der Eindruck erweckt wird, es bestehe nur eine einzige Gesellschaft bzw. eine füreinander einstehende Haftungseinheit.202 In folgenden Fallkonstellationen ist eine solche Haftung wegen Rechtsscheins möglich: Die herrschende Gesellschaft führt die Vertragsverhandlungen für das Rechtsgeschäft, das die abhängige Gesellschaft später abschließt. Konnte die Tochter dem Anschein nach für die Mutter handeln, haftet die Mutter aus dem Gesichtspunkt der Anscheinsvollmacht (sog. mandat apparent).203 Hat die herrschende Gesellschaft eine aktive Rolle anlässlich des Vertragsabschlusses oder während der Vertragserfüllung inne oder gibt sie eigene Erklärungen oder Zusicherungen bei den Vertragsverhandlungen ab, so haftet sie dementsprechend. Zu diesen Fallkonstellationen gehört ferner der Fall, in dem der Rechtsschein des Bestehens einer einzigen Gesellschaft hervorgerufen wird, beispielsweise durch Ähnlichkeiten zwischen den Gesellschaften wie gleicher Sitz, gleiche Geschäftspapiere, ähnlicher Unternehmensgegenstand, ähnliche Firma204 oder andere irreführende Umstände.205 Eine weitere Form der Haftung, die der 200 201 202 203

Honorat, Rev. Soc. 1988, 435, 436. Vgl. Ehricke, S. 574. Calais-Auloy, S. 55 f.; Wolf, S. 24. Siehe dazu Calais-Auloy, S. 57 f.; Champaud, Rev. trim. dr. com. 1967, 1003,

1041. 204

Vgl. Guyon, Rev. Soc. 1987, 95, 98 m. w. N.

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apparence nahe steht oder sogar eine Unterkategorie darstellt, ist die Haftung aus Vertretung (représentation) und Einmischung (immixtion).206 Voraussetzungen für die Haftung der herrschenden Gesellschaft ist zum einen also das Vorliegen einer von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppe, zum anderen aber auch die Schutzwürdigkeit des Dritten. Als Rechtsfolge ergibt sich eine solidarische Haftung der Gesellschaften. Probleme entstehen bei der Abgrenzung zum Haftungsregime der société fictive oder confusion des patrimoines. Vielfach werden als haftungsbegründende Anknüpfungspunkte die gleichen Umstände herangezogen, die zur Begründung der Fiktivität der Gesellschaft oder einer Vermögensvermischung als interne Strukturelemente verwertet werden. Im Rahmen der Rechtsscheinhaftung spielen diese Kriterien dagegen nur eine Rolle, wenn gegenüber Dritten, vor allem Geschäftspartnern einer Gesellschaft, der Eindruck vermittelt wurde, dass es sich nicht um zwei unterschiedliche Unternehmen, sondern nur um eine Gesellschaft handelt. Damit werden die Merkmale nicht aus interner, sondern aus externer Sicht betrachtet.207 4. Mehrheitsmissbrauch (abus de majorité) Das gewohnheitsrechtliche Haftungsinstitut des Mehrheitsmissbrauchs (abus de majorité) sieht die Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse und einen anschließenden Schadensersatzanspruch gegen denjenigen vor, der die Geschäfte der abhängigen Gesellschaft insbesondere im Hinblick auf einen Vorteil für die herrschende Gesellschaft gesteuert hat. Grundsätzlich können vor allem die Gesellschafter bzw. die Minderheitsaktionäre der abhängigen Gesellschaft die herrschende Gesellschaft als Mehrheitsgesellschafterin in Anspruch nehmen. In einem Urteil aus dem Jahre 1997 hat die Cour de cassation jedoch erstmalig auch der abhängigen Gesellschaft selbst einen solchen Anspruch zugesprochen.208 Der Geschäftsführer konnte somit im Namen der Gesellschaft eine Nichtigkeitsklage aufgrund des Missbrauchs des Gruppenverhältnisses geltend machen und auf Schadensersatz klagen. Das Haftungsinstitut des abus de majorité ist damit ausschließlich zur innergesellschaftlichen Konfliktbewältigung konzipiert und gilt damit als nahezu einziger Innenhaftungsanspruch im französischen Recht,209 welches ansonsten grundsätzlich nur eine Außenhaftung vorsieht. Der Schadensersatz205 206 207 208 209

So Vogel, S. 7 f. Vgl. dazu Vogel, S. 9 f. Wolf, S. 26 m. w. N. Cass. com., Urt. v. 21.1.1997, RJDA 1997, 331 f., Nr. 525. Bei der action en comblement du passif ist dies streitig.

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anspruch wegen abus de majorité spielt im Rahmen der Untersuchung jedoch nur eine untergeordnete Rolle, da die Gerichte dahin tendieren, andere Rechtsfolgen dem Schadensersatz vorzuziehen, wie vor allem die Nichtigkeit von Beschlüssen oder die Einsetzung von Zwangsverwaltern.210 5. Gesellschaftsrechtliche Organhaftung Darüber hinaus kommt eine Haftung des herrschenden Unternehmens wegen schuldhafter Verletzung der Organpflichten211 gemäß Art. L. 225-251, L. 225-256 C. com.212 für die SA und nach Art. L. 223-22 C. com.213 für die SARL in Betracht. Ein Anspruch gegen das herrschende Unternehmen aus gesellschaftsrechtlicher Organhaftung ist aber nur möglich, wenn es durch personelle Verflechtungen selbst durch eine natürliche Person in dem jeweiligen Geschäftsleitungsorgan vertreten ist.214 Die Vorschriften gelten nämlich nicht für den dirigeant de fait. Dies hat die Cour de cassation in einer Entscheidung klargestellt,215 nachdem zuvor eine Gleichstellung des dirigeant de fait mit dem dirigeant de droit diskutiert wurde.216 6. Unerlaubte Handlung (Art. 1382 C. civ.) Im Rahmen der Anwendung der allgemeinen deliktischen Generalklausel des Art. 1382 C. civ. ist keine Fallgruppenbildung zu verzeichnen, die man als Ausdruck einer besonderen Behandlung konzernspezifischer Einflussnahmen werten könnte. Wichtig ist aber, dass Art. 1382 C. civ. grundsätzlich nicht herangezogen wird, wenn es um eine Verletzung der Interessen der abhängigen Gesellschaft geht, sondern immer nur in Bezug auf Dritte, die in aller Regel die Gläubiger der abhängigen Gesellschaft sind.217 Damit 210 Vgl. dazu Mémento Lefebvre, Mémento Société commerciales, Rn. 25820 ff.; Falcke, S. 145 m. w. N. 211 Ehricke, S. 575 f. 212 Früher Art. 244, 249 loi nº 66-537 du 24 juillet 1966. 213 Früher Art. 52 loi nº 66-537 du 24 juillet 1966. 214 Falcke, S. 141. 215 Cass. com., Urt. v. 6.10.1981, D. 1983 J 133. 216 In Frankreich hat es auch bis in die neuere Zeit nicht an Stimmen gefehlt, den dirigeant de fait der allgemeinen Organhaftung nach Art. L. 223-22, Art. L. 225-251 C. com. zu unterstellen. Die Frage, ob auch im Bereich der allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Organverantwortung von einer Gleichstellung zwischen dirigeant de droit und dirigeant de fait auszugehen ist, ist auch unter rechtsvergleichendem Blickwinkel von Bedeutung, da im deutschen Recht verbreitet eine Haftung des faktischen Geschäftsführers in Analogie zu § 43 GmbHG befürwortet wird. 217 Vgl. Ehricke, S. 577.

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handelt es sich um einen Fall der Außenhaftung. Im Rahmen des Art. 1382 C. civ. kommen verschiedene Deliktshandlungen in Betracht. So wurde eine Haftung der Muttergesellschaft in folgenden Fallkonstellationen angenommen: Die Muttergesellschaft hat ihre Tochter mit einer völlig unzureichenden Kapitalgrundlage ausgestattet, wobei kumulativ eine weitere Pflichtverletzung hinzutritt. Die Obergesellschaft war im Rahmen ihrer Leitungs- und Kontrollmacht weitgehend an der schlechten Geschäftsführung der Tochter beteiligt und hat zudem die ständig wachsende Verschuldung des Unternehmens über Jahre widerspruchslos hingenommen. Die Haftung greift also bei pflichtwidriger Geschäftsführung und Konkursverschleppung. Gerade in letzterem Fall stellt sich das Problem der Abgrenzung zu den Artikeln L. 624-3, L. 624-5 Nr. 4 C. com. Eine Haftung der Muttergesellschaft aus Art. 1382 C. civ. wird daher von den Gerichten eher selten ausgesprochen, was in erster Linie durch die Überschneidung mit dem Anwendungsbereich des Art. L. 624-3 C. com zu erklären sein dürfte.218 Denn neben Art. L. 624-3 C. com. sind die allgemeinen Vorschriften des Deliktsrechts nicht anwendbar. Das Verschwinden der Haftungsvermutung führt zum Ausschluss der allgemeinen Haftungsklage. Die Cour de cassation hat 1995 klargestellt, dass bei Bestehen eines Aktivfehlbestandes die allgemeine deliktsrechtliche Haftung durch die action en comblement du passif verdrängt wird. Dies gilt auch dann, wenn Art. L. 624-3 C. com. für den faktischen Geschäftsleiter im Einzelfall nicht zur Anwendung kommt.219 Allerdings kann ein Gläubiger über die deliktische Schadensersatzklage Ersatz eines persönlichen Schadens begehren, der nicht bereits durch die Klage des Gläubigervertreters nach Art. L. 624-3 C. com. liquidiert wurde oder gedeckt worden wäre.220 7. Vertrag Eine vertragliche Haftung des herrschenden Unternehmens kommt in Betracht, wenn dieses durch Erklärungen oder sonstiges Verhalten (auch) selbst Vertragspartner des Gläubigers wird oder durch das Verhalten anderweitig gebunden ist.221 In vielen Urteilen wird nicht klar unterschieden, ob die herrschende Gesellschaft direkt auf „vertraglicher Grundlage“ oder wegen des zurechenbar gesetzten Rechtsscheins, für die Verbindlichkeiten der 218

Wolf, S. 35 ff. m. w. N. Cass. com., Urt. v. 20.6.1995, Bull. civ., IV, Nr. 138; vgl. Cass com., Urt. v. 11.4.1995, Bull. Joly 1995, 684 zur entsprechenden Lösung bzgl. der dirigeants de droit. 220 Rivinius, S. 255 m. w. N. in Fn. 270. 221 Le Cannu, Rev. soc. 1988, 394, 397. 219

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Tochter einstehen zu wollen, in Anspruch genommen wird.222 In diesem Bereich ist eine erhebliche Rechtsunsicherheit festzustellen. Ferner kann die herrschende Gesellschaft in Anspruch genommen werden aufgrund einer Bürgschaftserklärung i. S. d. Art. 2011 C. civ., aufgrund selbständiger Garantieerklärung oder unselbständiger Mitverpflichtung. Schließlich kann eine Einstandspflicht der Muttergesellschaft wegen Patronatserklärungen (lettre de patronnage bzw. lettre d’intention oder lettre de confort) bestehen. Ähnlich wie im deutschen Recht bereitet die Bestimmung der Tragweite der Erklärung Schwierigkeiten. Insofern muss zwischen Erklärungen unterschieden werden, die entweder die herrschende Gesellschaft nur moralisch binden oder die nur zum Einsatz bestimmter Mittel bzw. Verhaltensweisen verpflichten (obligation de moyen) und solchen Zusicherungen, die ein bestimmtes Resultat versprechen (obligation de résultat).223 Die Qualifikation der vertraglichen Haftungsansprüche weist in der Regel keine Besonderheiten auf. Daher soll im Folgenden nicht mehr auf diese Form der Haftung eingegangen werden. Aus diesem Grunde wird im weiteren Verlauf der Untersuchung ebenso wenig die Haftung des herrschenden Unternehmens aus gesellschaftsrechtlicher Organhaftung oder aus Delikt behandelt. Auch eine Inanspruchnahme des herrschenden Unternehmens wegen Verstoßes gegen die Regeln der Gesellschaftsfinanzierung224 soll vernachlässigt werden.

V. Zwischenbetrachtung Bei der Einordnung der einzelnen Haftungsinstitute wirkt sich erschwerend aus, dass die Gerichte oftmals nicht klar zum Ausdruck bringen, auf welcher Grundlage die Muttergesellschaft haftet. Auch in der Literatur wird eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Anspruchsgründen bisweilen nicht für notwendig gehalten,225 da die Rechtsfolge letztlich dieselbe sei, nämlich die Haftung der herrschenden Gesellschaft.226 Dies mag pragmatisch erscheinen,227 erweist sich jedoch gerade im Hinblick auf die Un222

Wolf, S. 29 m. w. N. Wolf, S. 31 f. m. w. N. 224 Vgl. dazu Ehricke, S. 574 f.; siehe auch Lucas, Pet. aff., 4.5.2001, Nr. 89, S. 66, 72 f. 225 Vgl. nur Bauvert/Siret, S. 433, wo sich die Äußerung findet, die Rechtsprechung habe eine vertragliche Haftung der Obergesellschaft auf Grundlage der théorie d’ apparence angenommen, wenn der Vertragspartner davon ausgehen konnte, dass er direkt mit ihr verhandelte aufgrund des Vorliegens einer Vermögensvermischung. 226 D. Schmidt, ZGR 1982, 277, 285; Calais-Auloy, Rev. jur. com. 1976, 100, 104; Zahn, S. 172. 223

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tersuchung der internationalen Zuständigkeit in mehrfacher Hinsicht als problematisch. Zum einen ist die einschlägige Anspruchsgrundlage im Hinblick auf die Eröffnung des Anwendungsbereichs der EuGVVO von großer Bedeutung, da die Haftung nicht immer insolvenzrechtlich ausgestaltet ist, sondern auch auf bürgerlichrechtlichen oder gesellschaftsrechtlichen Grundlagen beruhen kann. Zum anderen spielt der Haftungsgrund im Hinblick auf die Einordnung als Anspruch aus einem Vertrag im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO oder unerlaubte Handlung im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO eine besondere Rolle. Eine Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 1 EuGVVO am Sitz der Tochtergesellschaft besteht nämlich nur, wenn dort auch ein Erfüllungsort liegt. Nach französischem Recht ist jedoch gesetzlicher Erfüllungsort für Geldschulden auch bei gesellschaftsrechtlichen Pflichten der Wohnsitz des Schuldners,228 bei „Haftungsansprüchen“ gegen die herrschende Gesellschaft mithin deren Sitz. Demnach ist gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO im Gegensatz zu Art. 5 Nr. 3 EuGVVO nicht automatisch ein Gerichtsstand am Sitz der abhängigen Gesellschaft eröffnet.

VI. Innen- oder Außenhaftung Vor allem das Haftungsinstitut des abus de majorité gewährt einen Anspruch der Gesellschaft oder der Minderheitsaktionäre und stellt damit einen Fall der Innenhaftung dar. Bei der action en comblement du passif kommt sowohl ein Anspruch der Gesellschaft als auch der Gläubiger in Betracht. Damit kann es sich entweder um eine Form der Innen- oder der Außenhaftung handeln. Die anderen Haftungstatbestände der société fictive und confusion des patrimoines sowie aufgrund der théorie d’apparence stellen den Gläubigern Ansprüche zur Verfügung und sind damit als Außenhaftung ausgestaltet. 3. Kapitel

Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme Die Ausdifferenzierung des deutschen Rechts in Vertragskonzerne, einfache und qualifizierte faktische Konzerne ist dem französischen Recht nicht geläufig. In Frankreich ist nur entscheidend, dass ein Gruppenverhältnis besteht. An die konkrete Ausgestaltung sind keine rechtlichen Folgen geknüpft. Beurteilt werden auch in Unternehmensgruppen nur die bilatera227 Zu Bedenken auf materiellrechtlicher Ebene vor allem hinsichtlich des Rechtsscheins einer Vermögenseinheit vgl. Wolf, S. 28 f. 228 Art. 1247 C. civ.

3. Kap.: Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme

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len Beziehungen zweier Akteure. Gruppen- bzw. konzernspezifische Merkmale spielen bei der Begründung der Haftung keine Rolle mehr. Die Haftung des Mutterunternehmens beruht insbesondere auf den allgemeinen bürgerlichrechtlichen, gesellschaftsrechtlichen und insolvenzrechtlichen Lösungsansätzen. Dabei ist das französische Haftungssystem in den Regelungsrahmen des Insolvenzrechts integriert und wird von den Besonderheiten und der Funktion des französischen Insolvenzrechts beeinflusst. Das französische Recht knüpft an die Zugehörigkeit einer Gesellschaft als abhängiges Unternehmen zu einer Unternehmensgruppe keine Rechtsfolgen. Die wenigen Ausnahmen werden von der Rechtsprechung praktisch nicht angewandt. Entscheidend ist das Abhängigkeitsverhältnis erst im Insolvenzverfahren, obwohl auch dann nur auf ein haftungsrelevantes Verhalten der Mutter abgestellt wird und nicht auf die Konzernstruktur. Als Konsequenz der Haftung hat die Mutter meist einen vom Richter individuell bestimmten Betrag in die Haftungsmasse zu zahlen. Falls die herrschende Gesellschaft dieser Verpflichtung nicht nachkommt, kann über ihr Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet werden. Bisweilen kann dies auch unmittelbar erfolgen.229 Das am Rechtsmissbrauch orientierte französische System des Einzelausgleichs hat unter deutschem Recht in den §§ 311, 317 AktG einen gesetzlichen Ausdruck gefunden. Im GmbH-Konzernrecht ist es im aus der gesellschafterlichen Treuepflicht entwickelten Schädigungsverbot des herrschenden Unternehmens zu erkennen. Im französischen Recht findet diese Wertung wiederum im Rechtsinstitut des abus de majorité Anklang. Inhaltlich geht es dort wie im deutschen Recht um die Wiederherstellung des eingriffsfreien Zustands. Anders als §§ 317 Abs. 4, 309 Abs. 4 AktG ist der abus de majorité ausschließlich als Rechtsinstitut zur innergesellschaftlichen Konfliktbewältigung konzipiert. Tochtergläubiger können auf dieser Rechtsgrundlage keine eigenständigen Haftungsansprüche geltend machen. Mit der action en comblement du passif und den verschiedenen Formen der Insolvenzerstreckung verfügt das französische Recht dagegen über ein Instrumentarium, welches sich in seinen Rechtsfolgen nicht mehr an der Restitution von Einzelnachteilen orientiert, sondern seinen Schwerpunkt auf den Globalausgleich durch das herrschende Unternehmen verlagert. Als Entsprechung kann im deutschen Recht § 302 AktG betrachtet werden. Im Vordergrund der französischen action en comblement du passif steht aber das Bild einer fehlerhaften Konzerngeschäftsführung, die auf ein Verschulden bestimmter Funktionsträger zurückzuführen ist. Die action en comblement du passif betrifft Pflichtverstöße von Geschäftsführern aus der Zeit 229

Vgl. Ehricke, S. 580 f.

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2. Teil: Konzernhaftungssysteme in Europa

vor Eröffnung des Konkurs- oder Sanierungsverfahrens und nimmt mit der Haftungserstreckung auch Funktionen wahr, die im deutschen Recht sowohl von § 93 AktG und §§ 43, 64 GmbHG als auch durch Regelungen des Konzernrechts (z. B. § 318 AktG230) übernommen werden bzw. durch den Gläubigerschutz im deutschen Konzernrecht erfüllt werden.231

4. Kapitel

Europäische Rechtsangleichung Ein Schwerpunkt der Arbeiten der Kommission der EG zum Gesellschaftsrecht in Europa war lange Zeit dem Recht der verbundenen Unternehmen gewidmet. Während die neunte Konzernrechtsrichtlinie nie in Kraft getreten ist und die entsprechenden Vorentwürfe der Kommission von 1974/75 und 1984 auch nicht weiterverfolgt wurden,232 verabschiedete am 8. Oktober 2001 der Europäische Rat der Wirtschafts- und Sozialminister die Verordnung über die Europäische Aktiengesellschaft (SE-VO). Sie ist am 8. Oktober 2004 in Kraft getreten.

I. Entwurf einer Konzernrechtsrichtlinie Der dem Vorentwurf233 folgende Entwurf der EG-Kommission für eine Neunte Konzernrechtsrichtlinie234 lehnt sich inhaltlich deutlich an die Regeln des deutschen Aktiengesetzes von 1965 an, insbesondere an dessen Zweiteilung in Vertragskonzerne und faktische Konzerne bzw. reine Abhängigkeitsverhältnisse. Der Entwurf für eine Konzernrechtslinie unterscheidet zwischen Vertragskonzern, Eingliederung und faktischem Konzern. Für den faktischen Aktienkonzern wird eine Haftung der Muttergesellschaft als faktisches Organ in Art. 9 geregelt, wobei als faktischer Geschäftsführer bzw. „tatsächlicher Geschäftsführer“ einer Gesellschaft jedes „Unternehmen“ betrachtet wird, „das mittelbar oder unmittelbar einen bestimmenden Einfluss auf die Entscheidungsfindung der Leitungsorgane ausübt“ (Art. 9 Nr. 2). Der „tatsächliche Geschäftsführer“ haftet der Gesellschaft für den durch ei230 § 318 AktG ist nur als lex specialis zu den §§ 93, 116 AktG für den faktischen Konzern anzusehen. 231 Vgl. dazu Zimmer, IntGesR, S. 281 ff., 283 f. 232 Stattdessen wird nur noch eine Kernbereichsharmonisierung vorgeschlagen, Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 ff. 233 Text bei Lutter, EuGesR, S. 187 ff. 234 Entwurf der EG-Kommission für eine Neunte Konzernrechtsrichtlinie (III/1639/84), abgedr. bei Lutter, ZGR 1985, 446 ff.

4. Kap.: Europäische Rechtsangleichung

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nen Geschäftsführungsfehler kausal hervorgerufenen Schaden (Art. 9 Nr. 1). Jedes „Unternehmen“, das sich gegenüber der Gesellschaft wie ein „tatsächlicher Geschäftsführer“ verhält, haftet also dieser gegenüber wie ein satzungsmäßiger Geschäftsleiter für jeden „Fehler der Geschäftsführung“. Die Haftungsregelung des Art. 9 lehnt sich damit auf der Tatbestandsseite an die französische action en comblement du passif an. Bei Zahlungsunfähigkeit der abhängigen Gesellschaft kann der Anspruch nicht nur von der Gesellschaft und ihren Aktionären (Art. 10 Nr. 1), sondern auch von deren Gläubigern geltend gemacht werden (Art. 10 Nr. 2). Geregelt wird somit sowohl eine Innen- als auch eine Außenhaftung.

II. Statut für eine Europäische Aktiengesellschaft Ein erster europäischer Vorschlag zum Konzernrecht war im Verordnungsvorschlag der Kommission zur Einführung einer Europäischen Aktiengesellschaft (SE) enthalten.235 Art. 239 SE sah darin eine Haftung der herrschenden Gesellschaft für Verbindlichkeiten der abhängigen Gesellschaft vor unter der Voraussetzung, dass die Tochtergesellschaft zuvor vergeblich in Verzug gesetzt wurde. Betroffen von der Haftung sollte jedes herrschende Unternehmen sein unabhängig von der Rechtsform und vom Sitz in einem Mitgliedstaat oder Drittland (Art. 223 SE). Das herrschende Unternehmen sollte aber nur gegenüber Gläubigern einer Tochtergesellschaft haften, bei der es sich um eine SE oder eine Gesellschaft handelte, die nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründet wurde (Art. 239, 224 SE).236 Das herrschende Unternehmen sollte aufgrund eines kumulativen Schuldbeitritts haften, der mit Eintritt des Konzerntatbestandes beginnen und sich auf sämtliche Verbindlichkeiten der abhängigen Gesellschaft erstrecken sollte, die vor oder nach Eintritt des Konzerntatbestandes bis zu dessen Ende entstanden waren. Die Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE-VO)237 schweigt zum Konzernrecht hingegen fast vollkommen. Vor allem der Gläubigerschutz durch Konzernhaftung ist vom Statut weitgehend den nationalen Rechtsordnungen überantwortet.238 Denn für alle nicht in der SE-VO geregelten Fragen kommt das Recht des Mit235 Der Text dieses Vorschlags ist abgedruckt bei Lutter, EuGesR, S. 363 ff., 414 ff. 236 Siehe dazu Hübner, JZ 1978, 703, 706. 237 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EG Nr. L 294 v. 10.11.2001, S. 1 ff. 238 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 15 der Präambel zur SE-VO; siehe auch Bungert/ Beier, EWS 2002, 1, 5; Hommelhoff, AG 2003, 179, 180.

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2. Teil: Konzernhaftungssysteme in Europa

gliedstaates, in dem die SE ihren Sitz hat (Art. 9 Abs. 1 c ii SE-VO), zur Anwendung.

III. Zwischenbetrachtung Einigkeit besteht darüber, „dass die 9. (Konzernrechts)Richtlinie tot ist“239 und die früheren Konzernrechtsvorschriften für die Europäische Aktiengesellschaft endgültig gescheitert sind.240 In ihrem Aktionsplan vom 21.5. 2003 betreffend die Modernisierung des Gesellschaftsrechts und die Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union hat sich die Kommission nunmehr offiziell von dem Vorhaben einer umfassenden Angleichung des Konzernrechts verabschiedet.241 Die Grundvorstellungen zum Konzernhaftungsrecht, zu der Notwendigkeit einer spezialgesetzlichen Regelung und der konzeptionellen Ausgestaltung der Haftung gehen in Deutschland und Frankreich, aber auch innerhalb der Mitgliedstaaten insgesamt weit auseinander.242 Aus diesem Grunde war eine Annäherung in Konzernhaftungsfragen bislang nicht möglich, so dass auch ein europäischer Konsens hinsichtlich des Konzernrechts nicht gefunden werden konnte. Besondere Gemeinsamkeiten, die eine autonome Qualifikation der Haftungsinstitute erleichtern würden, drängen sich also zunächst nicht auf.

239

Hopt, EuZW 1999, 577. Einer umfassenden Regelung des Konzernrechts in einer eigenständigen (9.) Konzernrechtsrichtlinie wird kaum mehr Aussicht auf Erfolg beschieden; vgl. auch Emmerich/Habersack, Einl. Rn. 34; Jaecks/Schönborn, RIW 2003, 254. 240 Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672, 682. 241 KOM (2003) 284 endg.; dazu Bayer, BB 2004, 1, 5 ff.; Habersack, NZG 2004, 1 ff. 242 Hommelhoff, AG 2001, 279, 282; vgl. in diesem Zusammenhang auch Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672, 681 ff.

3. Teil

Kollisionsrecht der Konzernhaftung Den eigentlichen Verfahrensfragen, vor allem der Zuständigkeitsproblematik, werden zunächst noch kollisionsrechtliche Überlegungen vorangestellt. Denn das anwendbare Recht ist zum einen für die Auswahl des Gerichtsstands entscheidend, da zweckmäßigerweise die nationalen Gerichte über ihr eigenes Recht entscheiden sollten. Ferner muss in Zuständigkeitsbestimmungen teilweise auf das materielle Recht zurückgegriffen werden, wie beispielsweise im Rahmen des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO zur Bestimmung des Erfüllungsortes. Schließlich ist die kollisionsrechtliche Behandlung von Konzernhaftungssachverhalten im Rahmen der Vollstreckung im Hinblick auf den materiellrechtlichen ordre public von Bedeutung. Ein spezifisches internationales Privatrecht für multinationale Konzerne existiert nicht. Fragen des Innenverhältnisses juristischer Personen werden grundsätzlich überall an das Personalstatut angeknüpft. Für das Außenverhältnis, einschließlich das Verhältnis zwischen Tochtergesellschaften und ihren Gläubigern, werden zum Teil aber Sonderanknüpfungen vorgeschlagen oder praktiziert. Das gilt unter Umständen auch für das Verhältnis zwischen Tochter- und Muttergesellschaft und umso mehr für die Beziehungen zwischen Muttergesellschaft und Tochtergläubigern.1

I. Konzernkollisionsrecht in Deutschland Im deutschen Recht findet sich keine kodifizierte Kollisionsnorm für Konzernrechtsverhältnisse. 1. Grundregel Bei der Suche nach einer allgemeinen Kollisionsnorm im internationalen Konzernrecht kann man feststellen, dass über die Grundregel im Ergebnis Einigkeit besteht.2 Aus deutscher Sicht soll für die Beurteilung der Konzernbeziehung das Gesellschaftsstatut der abhängigen Gesellschaft maß1 2

Hofstetter, S. 160 f. Vgl. zur Anknüpfung von Konzernrechtsnormen Zimmer, IntGesR, S. 366 ff.

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3. Teil: Kollisionsrecht der Konzernhaftung

gebend sein.3 Besteht im Ergebnis also Einigkeit, so sind jedoch die methodischen Begründungen der Kollisionsregel vielfältig. In der Regel führt zu diesem Ergebnis eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation der Konzernrechtsnormen, die vor allem damit begründet wird, dass das Konzernrecht die korporationsrechtlichen Beziehungen zwischen Gesellschafter und Gesellschaft regele.4 Da die abhängige Gesellschaft in der Regel Hauptbetroffene ist, ist ihr Gesellschaftsstatut für die Beziehungen zum herrschenden Unternehmen maßgeblich. Andere argumentieren mit den Schutzzwecken des Konzernrechts für Gesellschafter und Gläubiger.5 Einige betrachten das Konzernrecht mitunter auch als Regelung der Grundprobleme der Wirtschaftsstruktur und des Kapitalmarkts und kommen aufgrund einer wirtschaftsrechtlichen Qualifikation der Konzernrechtsnormen und über eine analoge Anwendung des § 98 Abs. 2 GWB a. F. (jetzt § 130 Abs. 2 GWB) ebenfalls zur Anwendung des Rechts der Tochtergesellschaft.6 Die wirtschaftsrechtlichen Normen eines Staates sollen jeden Sachverhalt ergreifen, der sich auf das Wirtschaftsgebiet des die Norm aufstellenden Staates auswirkt. Davon abweichend existiert jedoch auch eine ergebnisbestimmte Anknüpfung von Konzernrechtsnormen nach einer Interessenbewertung.7 Im Ergebnis kann aber festgehalten werden, dass die Beziehungen zwischen der abhängigen Gesellschaft bzw. den an ihr beteiligten Personen und dem herrschenden Unternehmen beim Unterordnungskonzern das Gesellschaftsstatut der abhängigen Gesellschaft regelt. 2. Gesellschaftsstatut der abhängigen Gesellschaft Die Ermittlung des Gesellschaftsstatuts ist unproblematisch, wenn die Gesellschaft ihren Satzungssitz und ihren tatsächlichen Hauptverwaltungssitz im Staat der Gründung hat. Das Recht dieses Staates stellt sodann auch das Gesellschaftsstatut dar. Maßgebendes Gesellschaftsstatut war in Deutschland lange Zeit nach überwiegender Ansicht das Recht am Sitz der tatsächlichen Hauptverwaltung der Gesellschaft,8 d. h. an dem Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in lau3 Vgl. dazu nur Zimmer, IPRax 1998, 187, 188; ders., IntGesR, S. 366 ff., 370 ff., 409 f.; Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 580; Jaspert, S. 20 f.; streitig ist, ob es sich dabei um eine allseitige Kollisionsnorm handelt. 4 MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 556; vgl. auch Rowedder/SchmidtLeithoff, Einl. Rn. 333; F. A. Mann, in FS Barz, S. 219, 224. 5 Wiedemann, in FS Kegel, S. 178, 204. 6 Luchterhandt, S. 75 ff.; ähnlich Bache, S. 106 ff., 109 f. 7 Klocke, S. 97 ff., 133. 8 Vgl. nur BGH, Urt. v. 21.3.1986, BGHZ 97, 269, 271; Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 26 ff.

3. Teil: Kollisionsrecht der Konzernhaftung

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fende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden.9 Diese Anknüpfung und die Frage nach der Ermittlung des Gesellschaftsstatuts, wenn die Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Staat als den Gründungsstaat verlegt, hat – wenn nicht schon durch die Centros-Entscheidung10 – durch das Überseering-Urteil11 und die Inspire Art-Entscheidung12 des EuGH eine entscheidende Wende erfahren. Im Centros-Urteil bejahte der EuGH die Pflicht eines Mitgliedstaats zur Eintragung der „Zweigniederlassung“ einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft auch für den Fall, dass die Zweigniederlassung faktisch die Hauptniederlassung einer Gesellschaft war, die zum Zweck der Umgehung der Gründungsanforderungen des Zweigniederlassungsstaats in einem anderen Mitgliedstaat inkorporiert worden war. In dem Urteil Überseering, das den Fall der tatsächlichen Verlegung des Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat zum Gegenstand hatte, entschied der Gerichtshof, dass in einem solchen Fall der Zuzugsstaat der Gesellschaft nicht die Rechts- und Parteifähigkeit absprechen dürfe, die ihr nach dem Recht ihres Gründungsstaats zukomme. Die Entscheidung in Sachen Inspire Art führt diese Rechtsprechung fort und dehnt sie aus. Danach genügt es nicht, wenn der Zuzugsstaat grundsätzlich die Rechts- und Parteifähigkeit der aus einem anderen Mitgliedstaat zuziehenden Gesellschaft anerkennt. Er muss vielmehr auch darauf verzichten, dieser Gesellschaft irgendwelche rechtlichen Erschwernisse aufzuerlegen, falls dies nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses geboten oder im Einzelfall durch einen konkreten, nachgewiesenen Missbrauch gerechtfertigt ist. Die Tragweite der Entscheidungen wurde unterschiedlich bewertet. Nach dem Überseering-Urteil wurde – wie teilweise auch schon im Anschluss an Centros – im deutschen Schrifttum vielfach das Ende der Verwaltungssitzanknüpfung im internationalen Gesellschaftsrecht ausgerufen. Zumindest im Anschluss an die Inspire Art-Entscheidung ist nach überwiegender Auffas9

BGH, Urt. v. 21.3.1986, NJW 1986, 2194, 2195. EuGH, Urt. v. 9.3.1999, Rs. C-212/97 – Centros/Erhvervs-og Selskabsstyrelsen – Slg. 1999 I 1459, 1484 ff.; siehe dazu nur Zimmer, ZHR 164 (2000), 23 ff.; W.-H. Roth, ZGR 2000, 311 ff.; Behrens, IPRax 2000, 384 ff. 11 EuGH, Urt. v. 5.11.2002, Rs. 208/00 – Überseering/NCC – NJW 2002, 3614 ff.; siehe hierzu aus der Flut der Literaturbeiträge z. B. Zimmer, BB 2003, 1 ff.; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 ff.; ders., ICLQ 52 (2003), S. 177 ff.; Lutter, BB 2003, 7 ff.; Schanze/Jüttner, AG 2003, 30 ff.; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 ff.; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 ff.; dies., ZIP 2003, 925 ff. 12 EuGH, Urt. v. 30.9.2003, Rs. C-167/01 – Kamer von Koophandel/Inspire Art – NJW 2003, 3331 ff.; siehe unter den zahlreichen Stellungnahmen nur Zimmer, NJW 2003, 3585 ff.; Behrens, IPRax 2004, 20 ff.; Horn, NJW 2004, 893 ff.; Weller, DStR 2003, 1800 ff.; Sandrock, BB 2003, 2588 f.; Bayer, BB 2003, 2357 ff.; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661 ff.; Leible/Hoffmann, EuZW 2003, 677 ff. 10

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3. Teil: Kollisionsrecht der Konzernhaftung

sung im Geltungsbereich des EG-Vertrags das Gesellschaftsstatut jedenfalls bei Zuzugsfällen nunmehr nach dem Gründungsrecht zu beurteilen.13 Nur vereinzelt wird noch vertreten, dass sich diese Konsequenz aus den Urteilen nicht herleiten lasse, da diese lediglich festgelegt hätten, dass eine in einem europäischen Mitgliedstaat gegründete Kapitalgesellschaft sich in einem anderen Mitgliedstaat nicht nochmals die Anwendung von strengerem Gründungsrecht gefallen lassen müsse.14 Nach dieser Auffassung besagt die Entscheidung Inspire Art nur, dass für EU-ausländische Kapitalgesellschaften mit „Sitz“ in Deutschland im Grundsatz das deutsche Kapitalgesellschaftsrecht gilt, lediglich modifiziert um die aus der Niederlassungsfreiheit resultierenden Abweichungen, gleich in welchem europäischen Mitgliedstaat die Kapitalgesellschaft zuvor gegründet wurde.15 Überwiegend wird das Inspire Art-Urteil des EuGH jedoch dahingehend verstanden, dass ein Mitgliedstaat eine nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründete und fortbestehende, zuziehende Gesellschaft nicht nur im Hinblick auf ihre Rechts- und Parteifähigkeit, sondern grundsätzlich im Ganzen nach dem Gesellschaftsrecht ihres Gründungsstaats zu beurteilen hat.16 Es gilt insoweit auch für Scheinauslandsgesellschaften nur noch das Recht des Gründungsstaats. Das Gesellschaftsrecht, dem die Gesellschaft nach ihrer Gründung unterliegt, hat demnach auch im neuen Niederlassungsstaat im Grundsatz ausschließliche Geltung, was im Ergebnis die Beseitigung der Sitztheorie als Kollisionsnorm im Geltungsbereich des EG-Vertrags jedenfalls für so genannte Zuzugsfälle bedeutet.17 Geklärt ist dies jedoch nur für die Fälle, in denen die Gesellschaft nach dem Gesellschaftsrecht eines Mitgliedstaats gegründet ist, der die Gründungstheorie anwendet. Wird der tatsächliche Verwaltungssitz einer nach den Vorschriften des Gründungsstaats gegründeten Gesellschaft anschließend nach Deutschland verlegt, ändert sich am Statut der Gesellschaft nach der Gründungstheorie nichts; es tritt kein Statutenwechsel ein. Erfolgt eine Verlegung des Verwaltungssitzes von Deutschland weg in einen anderen 13 Siehe insofern nur Zimmer, NJW 2003, 3585, 3591; Meilicke, GmbHR 2003, 1271 f.; Leible/Hoffmann, EuZW 2003, 677, 681; Bayer, BB 2003, 2357, 2363; Maul/C. Schmidt, DB 2003, 2297, 2298; Weller, DStR 2003, 1800, 1802; Ziemons, ZIP 2003, 1913, 1917; Horn, NJW 2004, 893, 896; Behrens, IPRax 2004, 20, 24 f. jeweils m. w. N. 14 Kindler, NZG 2003, 1086, 1088 f.; ders., NJW 2003, 1073, 1076 f.; Altmeppen, NJW 2004, 97 ff.; ähnlich Hirte, EWS 2003, 521, 522. 15 Altmeppen, NJW 2004, 97, 98. 16 Vgl. nur Zimmer, NJW 2003, 3585, 3586 f., 3591; Bayer, BB 2003, 2357, 2363; Leible/Hoffmann, EuZW 2003, 677, 681; Meilicke, GmbHR 2003, 1271 f.; Maul/C. Schmidt, DB 2003, 2297, 2298; Weller, DStR 2003, 1800, 1802; Ziemons, ZIP 2003, 1913, 1917 jeweils m. w. N. 17 Horn, NJW 2004, 893, 896.

3. Teil: Kollisionsrecht der Konzernhaftung

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Mitgliedstaat, so ist nach der Sitztheorie dessen Recht anzuwenden. Folgt der Zuzugsstaat der Gründungstheorie, so verweist dessen Recht auf Grundlage der Gründungstheorie auf deutsches Recht zurück. Das deutsche Recht nimmt die Rückverweisung gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGBGB an (renvoi). Damit bleibt deutsches Sachrecht weiterhin auf die weggezogene Gesellschaft anwendbar.18 Allein die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes der Gesellschaft in einen Gründungstheoriestaat ist für den Fortbestand ihres Personalstatuts unschädlich. Wenn die Sitzverlegung in einen Mitgliedstaat erfolgt, der der Sitztheorie folgt, wird der Verweis auf das Recht des Zuzugsstaats gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 1 EGBGB vom dortigen Kollisionsrecht angenommen. Ob es damit zu einem Statutenwechsel kommt, durch den die deutsche Gesellschaft aufzulösen ist,19 oder ein Statutenwechsel in diesem Fall nicht stattfindet, da die übrigen Mitgliedstaaten die deutsche zugezogene Gesellschaft nur nach deutschem Gesellschaftsstatut zu behandeln haben und auch keine Anpassung an das jeweilige nationale Gesellschaftsrecht verlangen können,20 ist offen. Letzteres liegt nahe, sollte Art. 48 EG unter Ausschaltung des Kollisionsrechts der lex fori eine generelle Pflicht zur Anerkennung von Gesellschaften statuieren, die wirksam nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates gegründet worden sind. Geklärt ist aber nur, dass bei dem Wechsel des Verwaltungssitzes der Niederlassungsfreiheit unmittelbare Anwendbarkeit im Verhältnis zu Regelungen des Aufnahmestaats zukommt, während die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit in Wegzugsfällen als offen anzusehen ist.21 Folgt der Wegzugsstaat (in dem sich der tatsächliche Verwaltungssitz der Gesellschaft vor dem Wegzug befand) für den Fall des Wegzugs einer Gesellschaft noch der Sitztheorie und sieht er die Folge vor, dass die Gesellschaft aufzulösen ist, so führt nach der Sitztheorie bislang die Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer Gesellschaft in einen anderen Staat dazu, dass auf die Gesellschaft ein fremdes Recht zur Anwendung kommt und ihr die im ursprünglichen Sitzstaat begründete Rechtspersön18

Die Auffassung in der Literatur macht dabei die Einschränkung, dass die Sitzverlegung in einen der Gründungstheorie folgenden Staat nur dann zulässig ist, wenn neben dem tatsächlichen nicht auch der Satzungssitz verlegt wird und wenn im Inland die Beibehaltung des Satzungssitzes durch das Vorhandensein eines inländischen Betriebes oder die Beibehaltung sonstiger Geschäftstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland gerechtfertigt ist. Dabei handelt es sich um die konsequente Anwendung des Kollisionsrechts einerseits und des aufgrund der Rückverweisung anwendbaren materiellen Rechts andererseits. Vgl. dazu Bandehzadeh/Thoß, NZG 2002, 803, 806; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 4 a Rn. 22 (auch zum abweichenden Standpunkt). 19 So Horn, NJW 2004, 893, 897. 20 So Triebel/von Hase, BB 2003, 2409, 2412. 21 W.-H. Roth, IPRax 2003, 117, 127.

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3. Teil: Kollisionsrecht der Konzernhaftung

lichkeit genommen wird.22 So gilt die Verlegung des Verwaltungssitzes einer nach deutschem Recht gegründeten Gesellschaft ins Ausland nach der Rechtsprechung und der überwiegenden Ansicht im Ergebnis als zwingender Grund zur Auflösung und Abwicklung der Gesellschaft; zum Teil wird dies kollisionsrechtlich, zum Teil sachrechtlich begründet.23 Damit führt bislang nicht nur die Verlegung des Satzungssitzes,24 sondern auch die Verlegung des Verwaltungssitzes (zumindest in einen Sitztheoriestaat) zur Auflösung der Gesellschaft.25 Ist die Gesellschaft nach einem Gesellschaftsrecht eines Sitztheoriestaats gegründet, kann oder muss der Staat des effektiven Sitzes – der Zuzugsstaat – damit möglicherweise berücksichtigen, dass die Gesellschaft nach ihrem eigenen Statut bei Wegzug die Rechtsfähigkeit verliert. Dies ist nach der Rechtsprechung des EuGH bislang zumindest als offen anzusehen.26 Der EuGH geht in der Entscheidung Überseering in Übereinstimmung mit seinen Ausführungen im Daily Mail-Urteil davon aus, dass ein Mitgliedstaat einer Gesellschaft, die nach seiner Rechtsordnung gegründet worden ist, Wegzugsbeschränkungen hinsichtlich der Verlegung des Verwaltungssitzes auferlegen kann.27 22

Vgl. Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925, 929. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.3.2001, NJW 2001, 2184, 2185; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 4 a Rn. 22 i. V. m. Rn. 11; W.-H. Roth, ZIP 2000, 1597 f. m. w. N.; siehe aber auch BayObLG, Beschl. v. 20.2.2002, NZG 2002, 828 ff.; dazu Bandehzadeh/Thoß, NZG 2002, 803, 804 ff.; Ebert, NZG 2002, 937 ff.; weitere Nachweise zu Rechtsprechung und Literatur bei Lutter, BB 2003, 7, 10 Fn. 19 und 20. 24 Die Verlegung des statuarischen und des effektiven Sitzes der Gesellschaft führt zu einer Änderung ihres Personalstatuts, was nach deutschem Recht zur Auflösung und Abwicklung der Gesellschaft führt, vgl. Zimmer, BB 2000, 1361. 25 Triebel/von Hase, BB 2003, 2409, 2411, 2417. 26 W.-H. Roth (IPRax 2003, 117, 121 f., 127), demzufolge die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit im Wegzugsfall noch nicht präjudiziert ist. Ebenso Behrens, IPRax 2003, 193, 205. Nach Ansicht von Zimmer (BB 2003, 1, 3) kann aus der Rechtsprechung des EuGH nicht herleitet werden, dass vom Gründungsstaat angeordnete Wegzugsbeschränkungen niederlassungsrechtliche Immunität genießen. Wagner (GmbHR 2003, 684, 691) ist der Auffassung, in Deutschland könne das gemeinschaftsrechtliche Niederlassungsfreiheitsrecht beim Wegzugsfall nicht anders als beim Zuzugsfall behandelt werden. Eine Gesellschaft mit statuarischem Sitz in Deutschland existiere nach Verlegung des Verwaltungssitzes in Deutschland ebenso weiter wie sie auch im Mitgliedstaat des Verwaltungssitzes als fortbestehende deutsche Gesellschaft anzuerkennen sei. Ebenso Wertenbruch, NZG 2003, 618, 619 f. Kritisch zur Rechtsprechung des EuGH Dubovizkaja, GmbHR 2003, 694, 697 f., die allerdings davon ausgeht, dass der Gründungsstaat danach nicht verpflichtet sei, den Wegzug zuzulassen und der Gesellschaft die Rechtspersönlichkeit entziehen könne. Nach Weller (IPRax 2003, 324, 327) steht die Rechtsprechung des EuGH aufgrund der in der Überseering-Entscheidung erfolgten Bezugnahme auf das Daily Mail-Urteil dem Verlust der Rechtsfähigkeit bei Wegzug bislang nicht entgegen. Vgl. auch Lutter, BB 2003, 7, 8, 10; einschränkend Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2243. 23

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Ebenfalls ungeklärt ist, welche Rechtsfolgen es nach deutschem Recht mit sich bringt, wenn der tatsächliche Verwaltungssitz einer deutschen Gesellschaft von Anfang an in das EU-Ausland gelegt wird und deswegen vom Satzungssitz abweicht. Die Urteile des EuGH betreffen Fallkonstellationen, in denen eine Gesellschaft zunächst in einem Mitgliedstaat, der der Gründungstheorie folgt, nach dortigem Recht gegründet und danach der Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wird. Sie behandeln nicht die Frage, ob ein Mitgliedstaat, in dem die Gesellschaft von Anfang an ihren Verwaltungssitz haben soll, die Gründung der Gesellschaft ausländischen Rechts mit Satzungssitz in einem anderen Mitgliedstaat oder umgekehrt die Gründung einer Gesellschaft nach inländischem Recht trotz Verwaltungssitzes von Anfang an in einem anderen Mitgliedstaat zulassen muss.28 Aus dem Standpunkt des EuGH, dass ein Mitgliedstaat einer nach seiner Rechtsordnung gegründeten Gesellschaft Wegzugsbeschränkungen hinsichtlich der Verlegung des Verwaltungssitzes auferlegen kann,29 kann gefolgert werden, dass der Gründungsstaat auch für eine wirksame Gründung die Begründung eines Verwaltungssitzes im Inland verlangen kann.30 Verlangt der Gründungsstaat für eine wirksame Gründung dagegen keinen Verwaltungssitz im Inland, ist die Gesellschaft wirksam entstanden und nach dem Gründungsstatut in Deutschland anzuerkennen.31 Die anfängliche Divergenz zwischen Satzungssitz und tatsächlichem Sitz kann auch als Grenzfall der Sitzverlegung mit gegen Null gehender Aufenthaltszeit im Gründungsstaat betrachtet werden. Dann können beide Fälle der Sache nach nicht unterschiedlich behandelt werden.32 Jedenfalls kann die Gesellschaft diese Vorgehensweise der Gründung in der Praxis dadurch umgehen, dass sie zunächst nach einem mitgliedstaatlichen Recht mit Verwaltungssitz in eben diesem Mitgliedstaat gegründet und danach der Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wird. 27 EuGH, Urt. v. 5.11.2002, Rs. 208/00 – Überseering/NCC – IPRax 2003, 65, 71 f. Rn. 70. 28 Vgl. dazu W.-H. Roth, IPRax 2003, 117, 126 f. Nach Weller (IPRax 2003, 324, 327) gilt das gesellschaftsrechtliche Herkunftslandprinzip nicht nur bei der nachträglichen Verwaltungssitzverlegung, sondern ebenso für denjenigen Fall, dass bereits bei der Gründung der Gesellschaft Satzungs- und Verwaltungssitz divergieren. Ebenso Eidenmüller (ZIP 2002, 2233, 2244), der die anfängliche Divergenz zwischen Satzungssitz und tatsächlichem Sitz als einen Grenzfall der Sitzverlegung mit gegen Null gehender Aufenthaltszeit im Gründungsstaat ansieht; anders Forsthoff, DB 2003, 979 f.; Kindler, NJW 2003, 1073, 1077, 1078. 29 EuGH, Urt. v. 5.11.2002, Rs. 208/00 – Überseering/NCC – IPRax 2003, 65, 71 f. Rn. 70. 30 So W.-H. Roth, IPRax 2003, 117, 126; Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925, 929. 31 Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925, 929. 32 Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2244.

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Festzuhalten bleibt, dass deutsches Konzernrecht jedenfalls anwendbar ist, wenn eine nach deutschem Recht gegründete abhängige Gesellschaft ihren Satzungs- und Hauptverwaltungssitz in Deutschland hat. Auch wenn die Frage der Auflösung einer nach deutschem Recht gegründeten Gesellschaft in Wegzugsfällen noch ungeklärt ist, wird sich eine inländische abhängige Gesellschaft auch im Falle ihres Fortbestands grundsätzlich nicht dadurch der Anwendung des deutschen Konzernrechts entziehen können, dass sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Staat verlegt, da dann das Recht am Satzungs- bzw. Gründungssitz fortgilt.33 Für eine ausländische abhängige Gesellschaft gilt das deutsche Konzernrecht schließlich auch nicht, wenn diese Gesellschaft nur ihren tatsächlichen Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt, da sie dann nach ihrem Gründungsrecht zu beurteilen ist. Für Konzerne besteht grundsätzlich die Möglichkeit, die Tochtergesellschaften in den einzelnen Mitgliedstaaten nach dem Recht eines Mitgliedstaats zu gründen, der der Gründungsanknüpfung folgt. Sie werden als ausländische Gesellschaften in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt und behandelt. Gesellschaften, die nach einem Recht mit Sitztheorie gegründet sind, werden bislang nicht unmittelbar vor der Diskriminierung durch ihr eigenes Gründungsrecht geschützt.34 Eine anderweitige Entwicklung in nächster Zukunft bleibt abzuwarten. 3. Reichweite des Gesellschaftsstatuts Grundsätzlich regelt das Gesellschaftsstatut alle als gesellschaftsrechtlich zu qualifizierenden Fragen umfassend, und zwar unabhängig davon, ob es nach der Sitz- oder Gründungstheorie bestimmt wird.35 Fraglich ist, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Zuzugsstaat die zuziehende Gesellschaft besonderen, über die nach dem Recht des Gründungsstaats bestehenden Anforderungen hinausgehenden Regeln unterwerfen darf. Nach dem Inspire Art-Urteil scheidet eine Einschränkung der Gründungstheorie durch eine Sonderanknüpfung gesellschaftsrechtlicher Teilfragen (dépeçage) an den inländischen Verwaltungssitz der Gesellschaft – selbst bei Scheinauslandsgesellschaften – grundsätzlich aus, weil sie regelmäßig im Widerspruch zur Niederlassungsfreiheit steht. In der Entscheidung Inspire Art kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass eine Regelung, die die Zweigniederlassung einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft dazu verpflichtet, die Vorschriften des Niederlassungsstaats über 33 34 35

Bauschatz, Der Konzern 2003, 805, 809. Horn, NJW 2004, 893, 897. Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 16, 255.

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Stammkapital und Haftung zu beachten, dazu führe, dass die Ausübung der im EG-Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit behindert werde.36 Fraglich ist, inwieweit der Niederlassungsstaat dennoch durch eine gesonderte, vom Gesellschaftsstatut unabhängige Anwendung rechtlicher Sonderregelungen zu einer Verfolgung eigener Schutzanliegen berechtigt ist. Der EuGH eröffnet einen Spielraum, zum Schutz des Rechtsverkehrs inländische Bestimmungen auf Scheinauslandsgesellschaften anwenden zu können. Zum einen können inländische Vorschriften während der Errichtungsphase jedenfalls bei einem konkreten Missbrauch der Niederlassungsfreiheit herangezogen werden,37 wobei die bloße Tatsache, dass eine Scheinauslandsgesellschaft für die inländische Geschäftstätigkeit eingesetzt wird, allerdings nicht als Missbrauch zu werten ist. Die Zulässigkeit der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit steht unter dem Vorbehalt, dass konkrete Anhaltspunkte für einen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit im Einzelfall vorliegen. Zum anderen kann die Anwendung gesellschaftsrechtlicher Haftungsfiguren, die nicht an die Gründungsphase, sondern an die Tätigkeitsausübung der einmal niedergelassenen Scheinauslandsgesellschaft anknüpfen, mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sein,38 vorausgesetzt, dass die Anwendung inländischer Vorschriften folgenden vier Rechtfertigungskriterien standhält: Eine Rechtfertigung der Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit kommt nur in Betracht, wenn die die Niederlassungsfreiheit beeinträchtigende nationale Maßnahme in nicht diskriminierender Weise angewandt wird, aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt ist, zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.39 Die Vorschriften des deutschen Sitzrechts können damit nur unter besonderen Umständen ein fremdes Gründungsstatut überlagern.40 Zudem können nicht gesellschaftsrechtliche Haftungsfiguren auf Scheinauslandsgesellschaften übertragen werden, indem die Anwendung inländischer Haftungsfiguren über die Lehre von der Sonderanknüpfung international zwingender Bestim36 EuGH, Urt. v. 30.9.2003, Rs. C-167/01 – Kamer von Koophandel/Inspire Art – NJW 2003, 3331, 3333 Rn. 101. 37 EuGH, Urt. v. 30.9.2003, Rs. C-167/01 – Kamer von Koophandel/Inspire Art – NJW 2003, 3331 2. Leitsatz. 38 Vgl. dazu Weller, DStR 2003, 1800, 1803. 39 EuGH, Urt. v. 30.9.2003, Rs. C-167/01 – Kamer von Koophandel/Inspire Art – NJW 2003, 3331, 3334 Rn. 133; siehe zu den Kriterien bereits EuGH, Urt. v. 30.11.1995, Rs. C-55/94 – Gebhard/Consiglio dell’ordine degli avvocati – Slg. 1995, I-4165, 4186, 4197 f. Rn. 37. 40 So auch für Vorschriften des deutschen Sitzstatuts, welche die Interessen der Minderheitsgesellschafter oder abhängigen Gesellschaften wahren sollen: Sandrock, BB 2003, 2588, 2589.

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mungen durchgesetzt wird. Bei nicht gesellschaftsrechtlichen Anspruchsgrundlagen erfolgt dies durch eine abweichende Qualifikation.41 Sonderanknüpfungen oder Mehrfachanknüpfungen werden vor allem für besondere Haftungstatbestände diskutiert.42 Welche Konsequenzen sich daraus für die kollisionsrechtliche Behandlung der Konzernhaftung ergeben, ist noch nicht abzusehen. Bei dem Recht der Organisation der Gesellschaft, das die Rechte und Pflichten der Organe und Mitglieder und die Art der Haftung umfasst, gilt grundsätzlich das Gründungsrecht.43 Insofern besteht weder Bedarf noch eine Rechtfertigung für eine Sonderanknüpfung. Bei zugezogenen ausländischen Gesellschaften sollten dem ausländischen Recht alle Fragen unterworfen sein, die die Entstehung der Gesellschaft und deren Innenverhältnisse betreffen, d. h. auch die Beziehungen der Gesellschaft zu ihren Gesellschaftern und der Gesellschafter untereinander.44 Darunter sollte auch die Konzerninnenhaftung gefasst werden. Bezüglich inländischer Normen, die nicht darauf abzielen, in das „Innenleben“ einzugreifen, sondern den allgemein für alle Gesellschaften gültigen Pflichtenrahmen für eine Betätigung im jeweiligen Mitgliedstaat ziehen, kann eine Beachtung durch die Auslandsgesellschaft mit inländischem Verwaltungssitz verlangt werden, wenn die vier Rechtfertigungsvoraussetzungen vorliegen. Dies wird im Einzelfall auch durch eine rechtsvergleichende Analyse zu klären sein. Während Sonderanknüpfungen des Gesellschaftsrechts des Sitzlandes nur unter sehr engen Voraussetzungen vor dem EuGH Bestand haben, ist die ausländische Gesellschaft dem allgemeinen Verkehrsrecht des Niederlassungslandes unterworfen, soweit es nicht diskriminierend angewendet wird. Dies muss auch dann gelten, wenn die Sachverhalte einen gesellschaftsrechtlichen Einschlag haben. Eine Sonderanknüpfung der Konzerninnenhaftung scheint im Allgemeinen nicht gerechtfertigt.45 Sie betrifft im weiteren Sinne die Innenbeziehungen der Gesellschafter untereinander, die als Gründer, aber auch nachfolgende Anteilserwerber, keines Schutzes gegen das von ihnen selbst gewählte Gründungsstatut bedürfen.46 Insofern steht bei der Innenhaftung der Gedanke der Rechtswahlfreiheit im Vordergrund. Inhalt und Umfang der 41

Schanze/Jüttner, AG 2003, 30, 35. Vgl. dazu Zimmer, NJW 2003, 3585, 3588 ff.; Kindler, NZG 2003, 1086, 1089 f.; siehe dazu auch unten 3. Teil, I.4., S. 101. 43 Hier schließt der Gerichtshof eine Rechtfertigung von vornherein aus: EuGH, Urt. v. 5.11.2002, Rs. 208/00 – Überseering/NCC – NJW 2002, 3614, 3617 Rn. 93. 44 Von Hase, BuW 2003, 944, 946. 45 Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447, 484. 46 Vgl. Ulmer, JZ 1999, 662; Paefgen, DB 2003, 487, 489. 42

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Haftung von Unternehmensorganen und Gesellschaftern zählen zum Organisationsrecht der Gesellschaft;47 sie unterliegen der kollisionsrechtlichen Parteiautonomie der Gründungsgesellschafter.48 Gerade auf die Gesellschafter trifft das vom EuGH im Inspire Art-Urteil propagierte Informationsmodell zu, da sie bei dem Erwerb von Anteilen oder der Gründung einer Kapitalgesellschaft wissen oder wissen müssen, welches Risiko sie eingehen. Sie bedürfen keiner weiteren Protektion durch den Sitzstaat.49 Eine Sonderanknüpfung kommt aber für die Konzernaußenhaftung, insbesondere für den Fall der Existenzvernichtungshaftung in Betracht. 4. Sonderanknüpfung der Existenzvernichtungshaftung Wird die Existenzvernichtungshaftung als ein Unterfall der echten Durchgriffshaftung betrachtet, so bietet sich eine entsprechende kollisionsrechtliche Einordnung an. Die Rechtsprechung und ein erheblicher Teil der Literatur behandeln Voraussetzungen und Reichweite der Durchgriffshaftung bislang nach dem Gesellschaftsstatut der abhängigen Gesellschaft.50 Dies beruht letztlich auf der Lehre vom gesellschaftsrechtlichen Einheitsstatut51, wonach alle gesellschaftsrechtlichen Fragen und damit auch solche der Haftung im Zusammenhang mit einer juristischen Person nach deren Heimatrecht zu lösen sind. Bei der Durchgriffshaftung geht es vor allem um eine einheitliche Frage, ob nämlich die Voraussetzungen der Haftungsbeschränkung eingehalten wurden.52 Dies ist nach deutscher Auffassung wiederum nach dem Recht zu beurteilen, das für die Bewirkung der Haftungsbeschränkung in Anspruch genommen wurde, nämlich nach dem Gesellschaftsstatut der Tochtergesellschaft.53 Für eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation spricht, dass die abhängige Gesellschaft im Mittelpunkt der rechtlichen Beziehungen bei einem Durchgriff steht und das Bindeglied zwischen dem Gläubiger und dem herrschenden Dritten bildet.54 Der 47

Schanze/Jüttner, AG 2003, 30, 35; Schulz, NJW 2003, 2705, 2707. Vgl. zur Gründungstheorie als Theorie der Parteiautonomie: Zimmer, IntGesR, S. 222. 49 Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 183. 50 BGH, Urt. v. 5.11.1980, NJW 1981, 522, 525; Palandt/Heldrich, Anh. zu EGBGB 12 Rn. 14; MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 486 ff.; Zimmer, IntGesR, S. 332 ff., 344 ff.; vgl. zum Durchgriffskollisionsrecht auch Jaspert, S. 265 ff., 269 ff.; zum Kollisionsrecht beim Durchgriff siehe auch Rehbinder, in Aufbruch nach Europa, S. 529 ff. 51 Vgl. Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 16. 52 MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 490; Wackerbarth, S. 105. 53 MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 488, 490; Zimmer, IntGesR, S. 349 ff.; Wackerbarth, S. 105. 54 Möllers. S. 50. 48

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Schwerpunkt der Durchgriffshaftung ist insofern im Gesellschaftsrecht anzusiedeln, da die Missachtung der gesetzlichen Haftungsbeschränkung beim Durchgriff die „Verfassung“ der juristischen Person berührt.55 Für eine einheitliche Anknüpfung spricht zudem die Praktikabilität.56 Darüber hinaus besteht gerade bei der Existenzvernichtungshaftung ein enger Bezug zum „allgemeinen“ Gesellschaftsrecht, da diese nur greift, wenn der eingriffsbedingte Nachteil nicht bereits nach §§ 30, 31 GmbHG ausgeglichen werden kann. Gläubiger, die unter Berufung auf den existenzvernichtenden Eingriff unmittelbar von den Gesellschaftern Zahlung verlangen, müssen auch mit deren Einwand rechnen, angesichts eines Verstoßes gegen § 30 GmbHG mit entsprechender Haftungsfolge scheide ihre Durchgriffshaftung aus.57 Dies zeigt, wie eng diese mit dem übrigen Gesellschaftsrecht verwoben ist, was dafür spricht, auch bei der Existenzvernichtungshaftung das Gesellschaftsstatut der abhängigen juristischen Person zur Anwendung zu berufen. Qualifiziert man die Existenzvernichtungshaftung gesellschaftsrechtlich, besteht unter Umständen aber die Möglichkeit, sie mittels einer gesellschaftsrechtlichen Sonderanknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz auf die in Deutschland operierenden Scheinauslandsgesellschaften anzuwenden.58 Sonderanknüpfungen des Rechts des Sitzstaats, welche die Niederlassungsfreiheit beeinträchtigen, müssen vor allem durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein.59 Die ausländische Gesellschaft kann sich aber dann nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen, wenn ihr im konkreten Fall ein Missbrauch nachgewiesen wird.60 Daraus kann gefolgert werden, dass in derartigen Ausnahmefällen auch gesellschaftsrechtliche Normen des Zuzugsstaats zur Anwendung kommen, die gegen ausnahmsweisen Missbrauch gerichtet sind.61 In der Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs dürfte solch ein nachweislicher Missbrauch liegen, wenn eine Gesellschaft eine von ihr abhängige Gesellschaft durch entschädigungslosen Abzug von Liquidität, Vermögen und Ertragschancen in den voraussehbaren wirtschaftlichen Zusammenbruch treibt. Dieser Haftungstat55 Möllers, S. 42; siehe zum gesellschaftsrechtlichen Bezug der Existenzvernichtungshaftung auch Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 11. 56 Möllers, S. 51. 57 Ulmer, JZ 2002, 1049, 1051. 58 Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2242. Dieser Weg der Sonderanknüpfung bestimmter gesellschaftsrechtlicher Schutznormen wird in der Literatur vorwiegend in Form der so genannten Überlagerungstheorie (vgl. Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447 ff.) vertreten. 59 EuGH, Urt. v. 30.9.2003, Rs. C-167/01 – Kamer von Koophandel/Inspire Art – NJW 2003, 3331, 3334 Rn. 133. 60 EuGH, Urt. v. 30.9.2003, Rs. C-167/01 – Kamer von Koophandel/Inspire Art – NJW 2003, 3331 2. Leitsatz. 61 Horn, NJW 2004, 893, 899.

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bestand kann als einzelfallbezogene Gläubigerschutzmaßnahme, die ein missbräuchliches Verhalten der Gesellschafter im Sinne der EuGH-Rechtsprechung verhindern will, anerkannt werden.62 Bisweilen wird bei der Durchgriffshaftung neben dem Gesellschaftsstatut im Wege einer alternativen Anknüpfung das Vertrags- bzw. Deliktsstatut für anwendbar erklärt, welches den zugrunde liegenden Anspruch des Gläubigers regiert. Nach dieser Konzeption ist ein Durchgriff zulässig, wenn er nach dem Gesellschaftsstatut oder nach dem für den zugrunde liegenden Anspruch maßgeblichen Vertrags- bzw. Deliktsstatut möglich ist.63 Eine weitere Möglichkeit, der Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs zur Anwendung zu verhelfen, bietet sich, wenn der Begriff des Gesellschaftsstatuts enger aufgefasst wird.64 Der Begriff des Gesellschaftsstatuts wird z. B. im Bereich des common law traditionell enger verstanden und hauptsächlich auf die Beziehungen der Gesellschafter untereinander bezogen.65 Bei Ansprüchen im qualifizierten faktischen Konzern analog §§ 302, 303 AktG lag eine konzernrechtliche, und damit gesellschaftsrechtliche Qualifikation noch nahe.66 Dagegen kommt eine abweichende Qualifikation der Existenzvernichtungshaftung durchaus in Betracht. Die Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs muss nicht unbedingt als gesellschaftsrechtliches Haftungsinstitut eingeordnet werden. Entscheidend für die internationalprivatrechtliche Einordnung ist auch bei der Qualifikation lege fori nicht der systematische Standort des in Rede stehenden Rechtssatzes, sondern dessen Sinn und Zweck.67 Die Qualifikation erfolgt funktionell bzw. teleologisch, d. h. die Funktion oder der Zweck des in der Kollisionsnorm gewählten Verweisungsbegriffs wird mit der Funktion oder dem Zweck des in Rede stehenden materiellen Rechtsinstituts verglichen.68 Die Existenzvernichtungshaftung enthält dementsprechend nicht nur gesellschaftsrechtliche, sondern auch deliktsrechtliche und insolvenzrechtliche Komponenten. Im Zusammenhang mit Scheinauslandsgesellschaften kommt damit neben einer gesellschaftsrechtlichen Sonderanknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz auch eine deliktsrechtliche Einordnung in Betracht, wenn man 62

Horn, NJW 2004, 893, 899; Drygala, EWiR Art. 43 EG 4/03, 1029, 1030; Weller, IPRax 2003, 207, 209; siehe auch Zimmer, NJW 2003, 3585, 3588. 63 Lüderitz, IPR, S. 110 f. Rn. 243. 64 Dafür z. B. Wackerbarth, S. 109 f. 65 Horn, NJW 2004, 893, 899. 66 OLG Hamm, Urt. v. 15.1.1997, EWiR § 302 AktG 1/97, 437, 438 m. zust. Anm. Kowalski. 67 Vgl. nur BGH, Urt. v. 19.12.1958, BGHZ 29, 137, 139. 68 Kropholler, IPR, § 17 I, S. 125.

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etwa im Bestandsinteresse der Gesellschaft ein absolutes Recht erblickt,69 welches durch die Verletzung einer qualifizierten Verkehrspflicht betroffen ist.70 Betrachtet man die Existenzvernichtungshaftung als unerlaubte Handlung, so wird die Haftung unabhängig vom anwendbaren Gesellschaftsrechts ausgelöst. Die deliktische Qualifikation führt zum Recht des Handlungsortes oder wahlweise des Erfolgsortes (Art. 40 Abs. 1 Satz 1 und 2 EGBGB). Handlungsort im weiteren Sinne ist der tatsächliche Sitz der Hauptverwaltung der herrschenden Gesellschaft. Der Ort des existenzvernichtenden Erfolgs liegt dort, wo die abhängige Gesellschaft Beziehungen und Vermögenswerte hatte,71 was meist am Sitz der Hauptverwaltung oder jedenfalls der Hauptniederlassung der abhängigen Gesellschaft der Fall ist. Liegen diese in Deutschland, kann deutsches Recht gewählt werden. Schließlich kann die Existenzvernichtungshaftung auch als Insolvenzverursachungshaftung, die im Gläubigergesamtinteresse zu einer persönlichen Gesellschafterhaftung führt, bei einer autonomen Qualifikation im Sinne der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO)72 insolvenzrechtlich eingestuft werden. Eine insolvenzrechtliche Qualifikation liegt nahe, da die Existenzvernichtungshaftung teilweise funktionsäquivalent zu den insolvenzrechtlichen Anfechtungsvorschriften ist.73 Der existenzvernichtende Eingriff kann auch als ein Verhalten angesehen werden, das eine Umgehung des förmlichen Liquidations- und Insolvenzverfahrens darstellt, indem die Gesellschaft zu Lasten der Gläubiger „auf kaltem Wege“ liquidiert wird.74 Für das anwendbare Recht ist dann auf den effektiven Verwaltungssitz abzustellen, wenn die Vermutung, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners sich im Staat des Satzungssitzes befindet (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO), widerlegt wird (Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 EuInsVO).75 Es kommen demnach mehrere Möglichkeiten einer Sonderanknüpfung in Betracht, die dem inländischen Gesellschaftsrecht zur Geltung verhelfen.76 Zu bedenken ist dabei, dass die dadurch zu erreichende Anwendung inlän69

Weller, IPRax 2003, 207, 210. Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 669. 71 Zimmer, NJW 2003, 3585, 3589. 72 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren v. 29.5.2000, ABl. EG 2000, Nr. L 160, S. 1. 73 Weller, IPRax 2003, 207, 210; ders., IPRax 2003, 324, 328. 74 Winter, ZGR 1994, 570, 591; vgl. auch BGH, Urt. v. 31.1.2000, NJW 2000, 1571, 1572; Emmerich/Sonnenschein/Habersack, § 30 V 2, S. 459 f. 75 Siehe zu Fällen, bei denen Gerichte inländisches Insolvenzrecht gegenüber im Inland domizilierenden Gesellschaften ausländischen Rechts zur Anwendung gebracht haben, die Nachweise bei Zimmer, NJW 2003, 3585, 3589 Fn. 42, 43. 76 Vgl. dazu jetzt Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit und Gesellschafterhaftung (2004). 70

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dischen Rechts nach den vom EuGH allgemein für Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit entwickelten Grundsätzen nur zulässig ist, wenn sie insbesondere aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist, oder der Einsatz der nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft einen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit im Einzelfall darstellt.77 Die Reichweite der Niederlassungsfreiheit und die möglichen Rechtfertigungsgründe werden voraussichtlich einheitlich angewandt, unabhängig von der Qualifikation und mitgliedstaatlichen Ausgestaltung des jeweiligen Rechtsgrunds.78 Voraussetzung ist vor allem auch, dass das ausländische Gründungsrecht keinen dem deutschen Sitzrecht äquivalenten Schutz gewährt,79 was durch eine umfassende rechtsvergleichende Analyse zu ermitteln ist.80 5. Zulässigkeit des grenzüberschreitenden Unternehmensvertrages Schließlich stellt sich noch die Frage nach der Möglichkeit von grenzüberschreitenden Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen mit einer deutschen abhängigen Gesellschaft. Von der ganz herrschenden Lehre wird die Zulässigkeit (separater) grenzüberschreitender Beherrschungsverträge mit einer deutschen Tochtergesellschaft aus Sicht des deutschen Sachrechts bejaht.81 Der Wortlaut des § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG verlangt, dass es sich bei der abhängigen Gesellschaft um eine Aktiengesellschaft oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien handelt. Daraus kann geschlossen werden, dass die Gesellschaft in einer dem deutschen Gesellschaftsrecht bekannten Gesellschaftsform bestehen und es sich somit um eine inländische Gesell77 Zimmer, NJW 2003, 3585, 3589, 3592; Horn, NJW 2004, 893, 899; Schulz, NJW 2003, 2705, 2708; von Hase, BuW 2003, 944, 946; anders wohl Bayer, BB 2003, 2357, 2365; Kindler, NZG 2003, 1086, 1090; Schanze/Jüttner, AG 2003, 30, 35; dies., AG 2003, 661, 670, denen zufolge es sich bei der deliktsrechtlichen Lösung um eine Regelung des allgemeinen Verkehrsrechts handele, die keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstelle. 78 Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 9 f.; siehe dort auch für die Rechtfertigung gläubigerschützender Normen die Unterscheidung zwischen vertraglichen und gesetzlichen Gläubigern. 79 Ziemons, ZIP 2003, 1913, 1917; Behrens, IPRax 2003, 193, 203. Das Bestehen einer solchen Schutzlücke ist nach Auffassung von Sandrock (ZVglRWiss 102 (2003), 447, 486) in der Regel zweifelhaft. Ebenso Eidenmüller/Rehm (ZGR 2004, 159, 182), die aus diesem Grund Sonderanknüpfungen nicht für erforderlich halten. 80 W.-H. Roth, IPRax 2003, 117, 125. 81 MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 568 ff., 576; Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 567 ff.; Soergel/Lüderitz, Anh. Art. 10, Rn. 59; MünchKommAktG/ Altmeppen, Einl. §§ 291 ff. Rn. 46 ff.; KölnKomm/Koppensteiner, Vorb. § 291 Rn. 194 ff.; Emmerich/Habersack, § 291 Rn. 33 ff.; Wiedemann, GesR I, S. 805; Jaspert, S. 97 ff.; Koppensteiner, S. 245 ff.; Einsele, ZGR 1996, 40, 46 ff.

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schaft handeln muss.82 Zudem bezweckt das deutsche Konzernrecht nicht den Schutz ausländischer Gesellschaften.83 Dagegen wird in der Vorschrift für den beherrschenden Vertragspartner ein rechtsformneutraler Begriff gewählt, so dass man nach dem Wortlaut davon ausgehen kann, dass auch ein ausländisches Unternehmen als Vertragspartner in Betracht kommt. Als Begründung für die Zulässigkeit solcher Verträge kann zusätzlich der Wortlaut des § 305 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AktG herangezogen werden. Hiernach ist die Abfindung durch das herrschende Unternehmen an außenstehende Aktionäre der abhängigen Gesellschaft grundsätzlich in eigenen Aktien zu gewähren, wenn es „seinen Sitz im Inland“ hat. Diese Vorschrift liefe leer, wenn nicht auch eine ausländische Gesellschaft herrschendes Unternehmen sein könnte.84 Aus Wortlaut und Systematik kann demnach geschlossen werden, dass der Gesetzgeber grundsätzlich von der Zulässigkeit grenzüberschreitender Beherrschungsverträge mit einem ausländischen herrschenden Unternehmen ausgegangen ist. Von der Gegenauffassung in der Literatur85 werden jedoch Bedenken gegen die Zulässigkeit grenzüberschreitender Beherrschungsverträge erhoben. Diese werden zum einen im Hinblick auf mitbestimmungs- und konzernrechtliche Gesichtpunkte vorgetragen.86 Durch Verlagerung der wichtigen Entscheidungen in die ausländische Konzernspitze könnten die deutschen Mitbestimmungsregelungen umgangen werden.87 Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass in § 5 Abs. 3 MitbestG ebenso von der Möglichkeit einer mitbestimmungsfreien Konzernspitze ausgegangen wird.88 Das Mitbestimmungsgesetz intendiert und rechtfertigt folglich gerade keine lückenlose Durchsetzung der Mitbestimmung zu Lasten bestehender gesellschaftsrechtlicher Organe oder Institutionen.89 Aus mitbestimmungsrechtlichen Gründen folgt somit noch nicht die grundsätzliche Unzulässigkeit von grenzüberschreitenden Beherrschungsverträgen. 82

So auch Selzner/Sustmann, Der Konzern 2003, 85, 91. Vgl. nur Hüffer, AktG, § 291 Rn. 5. 84 MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 575; Bärwaldt/Schabacker, AG 1998, 182, 184 f.; Koppensteiner, S. 245 f. 85 Däubler, RabelsZ 39 (1975), 444 ff.; Duden, ZHR 141 (1977), 145 ff.; Bernstein/Koch, ZHR 143 (1979), S. 522 ff.; Meilicke, in FS Hirsch, S. 99 ff. 86 Bernstein/Koch, ZHR 143 (1979), S. 522 ff.; Däubler, RabelsZ 39 (1975), 444, 466 ff.; Duden, ZHR 141 (1977), 145, 180 ff., 186 ff. 87 Däubler, RabelsZ 39 (1975), 444, 466 ff., 473; Duden, ZHR 141 (1977), 145, 180 ff., 186 ff. 88 MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 569; Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 573. 89 Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 573; MünchKommAktG/Altmeppen, Einl. §§ 291 ff. Rn. 47; Bärwaldt/Schabacker, AG 1998, 182, 185; Selzner/Sustmann, Der Konzern 2003, 85, 92. 83

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Ferner wird an einer steuerrechtlichen Legitimation des grenzüberschreitenden Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags gezweifelt.90 Der Eingriff in die Gesellschaftsstruktur eines selbständigen Unternehmens könne nur durch die körperschaftsteuerliche Organschaft gerechtfertigt werden. Eine grenzüberschreitende Organschaft werde steuerrechtlich aber nicht anerkannt. Damit fehle dem grenzüberschreitenden Beherrschungsund Gewinnabführungsvertrag die Rechtfertigung. Der Einwand ist nach der Modifizierung der Voraussetzungen der körperschaftsteuerlichen Organschaft durch die Unternehmenssteuerreform 2001 obsolet geworden, da nun eine organisatorische Eingliederung der Organgesellschaft in den Organträger zur Begründung einer Organschaft nicht mehr erforderlich ist.91 Eine fehlende steuerrechtliche Legitimation führt demnach nicht zur Unzulässigkeit des grenzüberschreitenden Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags.92 Bedenken aus konzernrechtlicher Sicht gehen dahin, dass die Schutzvorschriften des deutschen Konzernrechts zugunsten der deutschen abhängigen Gesellschaft, der Minderheitsaktionäre und Gläubiger im Ausland häufig (prozessual) nicht durchsetzbar seien.93 Es fehle an einem inländischen Gerichtsstand bzw. an einer effektiven ausländischen Vollstreckungshilfe, und ein ausländisches Gericht gelange möglicherweise nicht zur Anwendbarkeit des deutschen Konzernrechts.94 Die Gefahr der Nichtdurchsetzbarkeit der Konzernhaftungsregeln müsse grundsätzlich zum Verbot grenzüberschreitender Beherrschungsverträge mit einer deutschen Tochtergesellschaft führen.95 Derartige Schwierigkeiten sind jedoch keine Besonderheit des internationalen Konzernrechts, sondern ein generelles Problem grenzüberschreitender Sachverhalte.96 Das deutsche Recht kennt keinen Grundsatz, demzufolge Verträge wegen mangelnder Durchsetzbarkeit unwirksam oder unzulässig sind.97 90

Ebenroth/Offenloch, RIW 1997, 1, 13. Selzner/Sustmann, Der Konzern 2003, 85, 86 Fn. 3 m. w. N. 92 So auch MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 573; Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 571; MünchKommAktG/Altmeppen, Einl. §§ 291 ff. Rn. 47; Bayer, S. 141 f.; Selzner/Sustmann, Der Konzern 2003, 85, 92; Bärwaldt/Schabacker, AG 1998, 182, 185. 93 Ebenroth/Offenloch, RIW 1997, 1, 12; mit Verweis auf Meilicke, in FS Hirsch, S. 99, 119 ff. 94 Meilicke, in FS Hirsch, S. 99 ff., 118 ff.; Beitzke, ZHR 138 (1974), 533, 537; Ebenroth, Vermögenszuwendungen, S. 418 ff. 95 Ebenroth, Vermögenszuwendungen, S. 420 f. 96 Einsele, ZGR 1996, 40, 48; Selzner/Sustmann, Der Konzern 2003, 85, 96. 97 MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 574; Selzner/Sustmann, Der Konzern 2003, 85, 96; vgl. ferner Bärwaldt/Schabacker, AG 1998, 182, 185. 91

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Schließlich spricht auch das Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGVertrag für die Zulässigkeit eines grenzüberschreitenden Beherrschungsvertrages.98 Für den grenzüberschreitenden Beherrschungsvertrag ist nach deutschem internationalen Privatrecht auch das Gesellschaftsstatut der abhängigen Gesellschaft maßgeblich, soweit die Interessen der abhängigen Gesellschaft selbst, ihrer außenstehenden Aktionäre oder der Gläubiger betroffen sind.99 Damit ist weitestgehend deutsches Sachrecht anwendbar.

II. Kollisionsrechtliche Regelungen in Frankreich In Frankreich scheint die Rechtslage ungeklärt und keine allgemeine Regel erkennbar.100 Zum Teil wird die Unternehmensgruppe als Einheit behandelt, die eigenen Regeln unterliegt, wobei bisweilen auf eine lex mercatoria101 oder lex laboris102 verwiesen wird. Andere plädieren dafür, dass für das auf Unternehmensgruppen anwendbare Recht stets die lex societatis der Muttergesellschaft ausschlaggebend sein soll, da die abhängigen Gesellschaften de facto stark von einer herrschenden Gesellschaft beeinflusst werden und letztere daher als „centre de décision“ eingestuft werden kann.103 Nach einem Großteil der französischen Literatur regiert aber auch das Gesellschaftsstatut der abhängigen Gesellschaft.104 Dies gilt vor allem für die Beziehungen zu den Minderheitsaktionären. Die Beziehungen zu den Gläubigern des Konzerns werden teilweise nach dem Recht, das den Vertrag oder die unerlaubte Handlung und damit den Grund des Anspruchs regelt, beurteilt.105 Es wird also eine Sonderanknüpfung an das Wirkungs- oder Vornahmestatut bzw. an das Deliktsstatut vorgeschlagen. Davon abgesehen ist allgemein eine deliktsrechtliche Qualifikation denkbar.106 98 Emmerich/Habersack, § 291 Rn. 37; Selzner/Sustmann, Der Konzern 2003, 85, 96; Lange, IPRax 1998, 438, 441; Hahn, IPRax 2002, 107, 109. 99 Vgl. nur MünchKommAktG/Altmeppen, Einl. §§ 291 ff. Rn. 36. 100 Sonnenberger, Rn. VIII 67, S. 420; vgl. die umfassende Darstellung zur Ermittlung des Haftungsdurchgriffsstatuts bei Kuckertz, S. 83 ff.; siehe ferner Bottiau/ Trockels, RIW 1988, 932 ff. 101 Laborde, in Mélanges Derruppé, S. 49, 57. 102 Siblini-Vallat, RCDIP 77 (1988), 653, 669 ff. 103 Goldman, Trav. Com. fran. de dr. int. privé 1969, S. 215, 242; vgl. Laborde, in Mélanges Derruppé, S. 49, 53. 104 Vgl. Laborde, in Mélanges Derruppé, S. 49, 55; vgl. auch Behrens, SZIER 2002, 79, 98; siehe zur Ermittlung des Gesellschaftsstatuts der Tochtergesellschaft Kuckertz, S. 88 ff. 105 Vgl. Mestre, Lamy Sociétés commerciales, Nr. 1870. 106 Vgl. zu den einzelnen Anknüpfungsmöglichkeiten Kuckertz, S. 102 ff.

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Probleme ergeben sich vor allem, wenn ein französisches Insolvenzverfahren gegenüber ausländischen Gesellschaften wirkt. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Qualifikation der Auswirkungen auf die Verantwortlichkeit der Gesellschaftsorgane: Abweichend von der generellen Regel, dass sich die Organhaftung nach der lex societatis bemisst, wendet die Praxis insoweit häufig französisches Konkursrecht an.107 Art. L. 624-3, L. 624-5 C. com. werden folglich im französischen Insolvenzverfahren als lex concursus auch gegenüber der ausländischen Muttergesellschaft einer französischen Tochter und gegenüber Organmitgliedern der ausländischen Muttergesellschaft angewendet. Vorwiegend die ältere französische Rechtsprechung108 und Literatur109 haben sich für die insolvenzrechtliche Qualifikation der action en comblement du passif ausgesprochen. Auch im internationalen Schrifttum110 finden sich einige Stimmen, die dies befürworten. Es wird aber auch in Frage gestellt, ob der konkursrechtlichen Qualifikation, die Art. L. 624-3 C. com. in Frankreich erfährt, ebenso in Deutschland zu folgen ist.111 Insbesondere im deutschen international-privatrechtlichen Schrifttum112 wird die action en comblement du passif vielfach als gesellschaftsrechtliche Haftung qualifiziert. Bei der Haftung gemäß Art. L. 624-3 C. com. wird schließlich neben der insolvenzrechtlichen oder gesellschaftsrechtlichen auch eine deliktsrechtliche Qualifikation diskutiert. Als deliktsrechtlich stufen ein Teil der französischen Rechtsprechung113 und ein großer Teil des französischen Schrifttums114 die Natur der Ausfallhaftung ein. Im Fall einer deliktsrechtlichen Qualifikation bestimmt sich das anwendbare Recht nach der jeweiligen lex loci delicti commissi, wobei sowohl der Erfolgs- als auch der Handlungsort in Betracht kommen.115 Während der 107

Sonnenberger, Rn. VIII 104, S. 436. CA Paris, Urt. v. 31.10.1957, RCDIP 47 (1958), 345 (zur Ausfallhaftung des Gesetzes vom 16.11.1940). 109 Goldman, Colloque, S. 138; Houin, Colloque, S. 121, 122; Niboyet, IV, Rn. 1125; Loussouarn, RCDIP 45 (1956), 494, 496. 110 Junker, RIW 1986, 337, 345; Schütze, RIW 1978, 765, 766; Zahn, S. 218; Klocke, S. 74 f. Fn. 204; Grabinski, S. 88 f. 111 Dies wird uneinheitlich beurteilt; vgl. Sonnenberger, Rn. VIII 104, S. 436, Fn. 213; vgl. dazu auch Zimmer, IntGesR, S. 293 ff. Ob eine konkursrechtliche Qualifikation auch im Rahmen der EuGVVO aufrechtzuerhalten ist, da dort nicht die Sicht Frankreichs, sondern ein europäischer Konsens entscheidet, ist wiederum eine andere Frage; vgl. dazu unten 4. Teil, 1. Kapitel: II.2.a)cc), S. 123. 112 Langen, S. 214; Wiedemann, in FS Kegel, S. 187, 209; Ebenroth/Kieser, KTS 1988, 19, 29 ff.; vgl. auch Immenga/Klocke, ZSR 92 (1973), 27, 53 f.; Sonnenberger, RIW 1979, 284; Koppensteiner, Colloque, S. 79, 104. 113 Vgl. nur Cass. com., Urt. v. 20.6.1995, D. 1995 J 448. 114 Ripert/Roblot, II, Nr. 3283; Hémard/Terré/Mabilat, Nr. 1226; Lemontey, RCDIP 68 (1979), 661, 664; Daigre, Rev. soc. 1988, 199, 202. 115 Cass. civ. 1ère, Urt. v. 14.1.1997, RCDIP 86 (1997), 505. 108

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Handlungsort sich meist am Sitz der Muttergesellschaft und damit im Ausland befinden wird, liegt der Erfolgsort am Sitz der Tochtergesellschaft, da dort der Fehlbestand an Aktiva (insuffisance d’actif) zutage tritt, die fiktive Gesellschaft in diesem Staat unterhalten wird bzw. dort die Vermögensvermischung stattfindet. Das französische Sachrecht käme bei einer insolvenzrechtlichen Qualifikation zur Anwendung, wenn der Konkurs in Frankreich eröffnet würde (Art. 3, 4 EuInsVO), was bei einer insolventen Tochtergesellschaft mit Sitz in Frankreich der Fall ist. Bei einer gesellschaftsrechtlichen Qualifikation wäre das französische Recht anwendbar, wenn die Tochtergesellschaft ihren Sitz in Frankreich hat. Konkurs- und Gesellschaftsstatut sind also meist gleich.116 Somit führen die Ansichten in der Regel (zumindest teilweise) zu demselben kollisionsrechtlichen Ergebnis. Für die weitere Untersuchung soll davon ausgegangen werden, dass bei einer Tochtergesellschaft mit Sitz in Frankreich das Recht an deren Sitz zur Anwendung kommt. Die Bestimmung des Gesellschaftssitzes richtet sich nach der lex fori.117 Bislang gilt Frankreich als Sitztheorie-Staat.118 Das Sitzprinzip hat der französische Gesetzgeber in Art. 1837 Abs. 1 C. civ. und in Art. L. 210-3 C. com. festgeschrieben.119 Die beiden Normen legen fest, dass französisches Recht anwendbar ist, wenn sich der Gesellschaftssitz in Frankreich befindet.120 Nach überwiegender Auffassung handelt es sich um allseitige Kollisionsnormen.121 Die französische Rechtsprechung geht bis zum Beweis des Gegenteils von der Vermutung aus, dass der Gesellschaftssitz am Satzungssitz liegt.122 Es muss jedoch ein Bezug des Satzungssitzes zur Rechtsordnung des tatsächlichen Sitzstaats bestehen. Aber auch in diesem Fall greift nach der Rechtsprechung eine Vermutung ein, dass der tatsächliche Sitz mit dem in den Statuten bezeichneten übereinstimmt.123 Hinsichtlich der Sitzverlegung ins Ausland und deren Folgen herrscht insgesamt 116 In der Praxis ergeben sich Unterschiede, wenn der Konkurs über eine unselbständige Niederlassung einer ausländischen Gesellschaft in Frankreich oder über sonstige hier belegene Vermögenswerte einer nichtfranzösischen Gesellschaft eröffnet wird; vgl. dazu Kuckertz, S. 126. 117 Loussouarn/Bourel, Nr. 186. 118 Vgl. Bayer, BB 2003, 2357, 2358; Ziemons, ZIP 2003, 1913, 1920. 119 Früher Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes von 1966. 120 In Art. 1837 Abs. 1 C. civ. heißt es: „Toute société dont le siège est situé sur le territoire français est soumise aux dispositions de la loi française.“ Art. L. 210-3 C. com. lautet ebenso wie Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes von 1966: „Les sociétés dont le siège social est situé en territoire français sont soumises à la loi française.“ 121 Nachweise bei Kuckertz, S. 89. 122 Cass. ass. plén., Urt. v. 21.12.1990, D 1991 J 305. 123 Siehe Nachweis bei Zimmer, RabelsZ 67 (2003), 298, 303.

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Unklarheit. Umstritten ist bereits der Fortbestand der Rechtspersönlichkeit bei einer Sitzverlegung ins Ausland. Lässt man mit der überwiegenden Auffassung eine Sitzverlegung ohne Auflösung der Gesellschaft zu,124 so ist offen, welches Statut auf die Gesellschaft nach der Sitzverlegung anzuwenden ist. Überwiegend wird nicht auf die Beibehaltung des alten Statuts abgestellt, sondern ein Wechsel zum Statut des Zuzugsstaats vertreten.125 Einigkeit herrscht jedoch insoweit, als ein Statutenwechsel nicht stattfindet, wenn der Wegzug aus Frankreich in einen Staat erfolgt, der dem Gründungsprinzip folgt. Insoweit wird dem ausländischen Rückverweis auf das Gründungsrecht gefolgt. Die weiteren Entwicklungen nach Überseering und Inspire Art bleiben abzuwarten. Für die folgende Untersuchung ist davon auszugehen, dass sich das Gesellschaftsstatut nach dem Recht am Sitz der Tochtergesellschaft richtet, welcher vermutungshalber am Satzungssitz liegt. Schließlich sind die Absätze 2 der genannten Vorschriften zu beachten, wonach Dritte sich auf den statuarischen Sitz berufen können, dieser ihnen aber nicht entgegengehalten werden kann, wenn der tatsächliche Sitz sich an einem anderen Ort befindet.126

III. Internationale Tendenz Auch international besteht die Tendenz, den Haftungsdurchgriff an das Tochterstatut anzuknüpfen.127 Für die Etablierung einer allgemeingültigen Kollisionsnorm können die materiellrechtlich vorherrschenden Mutterhaftungsinstitute kategorisiert und auf dieser Grundlage eine Einordnung vorgenommen werden. Insofern stellt sich die Frage nicht nur nach den Anknüpfungen des Durchgriffs, sondern auch den Anknüpfungen anderer konzernaußenrechtlicher Haftungsfiguren, der Anwendbarkeit allgemeiner IPRGrundsätze, d. h. je nach Qualifikation des Instituts deliktsrechtliche oder vertragsrechtliche Anknüpfungen,128 Anknüpfungen konkurs- bzw. verantwortungsrechtlicher Konzernhaftungsfiguren bzw. einer konkursrechtlichen oder gesellschaftsrechtlichen Anknüpfung129 und Anknüpfungen des eigentlichen Konzerninnenhaftungsrechts. Bei der Frage, ob die herrschende Gesellschaft unmittelbar gegenüber den Gläubigern der abhängigen Gesellschaft eine Verpflichtung eingegangen 124

Loussouarn/Bourel, Nr. 709. Nachweise bei Kuckertz, S. 91. 126 Art. 1837 Abs. 2 C. civ. besagt: „Les tiers peuvent se prévaloir du siège statutaire, mais celui-ci ne leur est pas opposable par la société si le siège réel est situé en un autre lieu.“ 127 Hofstetter, S. 161. 128 Hofstetter, S. 163. 129 Vgl. Hofstetter, S. 164 f. 125

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3. Teil: Kollisionsrecht der Konzernhaftung

ist oder wegen eines ihr zuzurechnenden deliktischen Verhaltens von den Gläubigern unmittelbar in Anspruch genommen werden kann, kann das allgemeine internationale Privatrecht (Vertrags- oder Deliktsstatut) die vorgeschaltete Rechtsanwendungsfrage möglicherweise besser als das internationale Gesellschaftsrecht beantworten.130 Es geht dann um eigenes Verhalten der herrschenden Gesellschaft gegenüber Dritten. Vorzugswürdig erscheint aber grundsätzlich eine einfache, einheitliche und damit praktikable Lösung: die Anknüpfung an das Tochterstatut.131 Als Anregung können auch die OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen herangezogen werden. Nach dem dort aufgestellten Grundsatz setzt das jeweilige Gastland die Bedingungen, unter denen multinationale Unternehmen dort durch Tochtergesellschaften tätig werden dürfen.132

IV. Zusammenfassung Auch wenn vor allem in Frankreich noch Uneinigkeit bezüglich der Kollisionsnormen für Haftungsfragen in Unternehmensverbindungen herrscht, scheint nicht nur die einhellige Ansicht in Deutschland, sondern auch eine gewichtige Auffassung in Frankreich davon auszugehen, dass das Gesellschaftsstatut der abhängigen Gesellschaft für Konzernhaftungsfragen maßgebend ist. Zumindest im Unterordnungskonzern ist demnach Konzernstatut das Recht am Sitz der abhängigen Gesellschaft. Diese Kollisionsregel soll im Rahmen der Untersuchung zugrunde gelegt werden.

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Wackerbarth, S. 103. Vgl. Hofstetter, S. 166. Die Begründungen im deutschen Rechtskreis divergieren zwar, im Ergebnis ist man sich jedoch einig. 132 OECD-Codes of Conduct for Multinational Enterprises, Guidelines Nr. 7, abgedr. in: Horn, Legal Problems, S. 455 f. 131

4. Teil

Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO Soweit Konzernhaftungsklagen gegen eine ausländische Muttergesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat gerichtet sind, bestimmt sich die internationale Zuständigkeit der Gerichte vorwiegend nach der EuGVVO.

1. Kapitel

Anwendungsbereich der EuGVVO Der Anwendungsbereich der EuGVVO entspricht dem des EuGVÜ.1 Die EuGVVO ist nach ihrem Art. 1 Abs. 1 Satz 1 in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt, es sei denn es liegt ein Ausnahmetatbestand gemäß Art. 1 Abs. 2 EuGVVO vor. Probleme beim Anwendungsbereich stellen sich jedoch in zweierlei Hinsicht. Zum einen kann im Rahmen des Anwendungsbereichs bereits am Vorliegen einer „Zivil- und Handelssache“ zu zweifeln sein, wenn Konzernrechtsnormen wirtschaftsrechtlich qualifiziert werden. Sind Normen des Konzernrechts dagegen dem Gesellschaftsrecht – und damit zweifellos den „Zivilund Handelssachen“ der EuGVVO – zuzuordnen, so könnte zum anderen die Anwendung der EuGVVO durch deren Art. 1 Abs. 2 lit. b ausgeschlossen sein, wenn gerichtliche Verfahren im Zusammenhang mit dem Konkurs einer Gesellschaft eingeleitet werden. Unter Umständen muss sich das europäische Zivilverfahrensrecht dann doch über die gesellschaftsrechtlichen Aspekte der Konzernhaftung hinwegsetzen.2

1 Vgl. den Verordnungsvorschlag, ABl. EG Nr. C 376 E v. 28.12.1999, S. 1. Die einzige Ausnahme besteht in der Nichtteilnahme Dänemarks; Micklitz/Rott EuZW 2001, 325, 326. 2 Vgl. dazu Ebenroth/Kieser, KTS 1988, 19, 20 ff.; Lüke, in FS Schütze, S. 467, 475.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

I. Zivil- und Handelssachen im Sinne des Art. 1 Abs. 1 EuGVVO 1. Abgrenzung zu öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten Im Rahmen des Anwendungsbereichs könnte bereits das Vorliegen einer „Zivil- und Handelssache“ problematisch sein, wenn Konzernrechtsnormen wirtschaftsrechtlich qualifiziert werden, d. h. wenn Konzernrecht auch als Regelung von Grundproblemen der Wirtschaftsstruktur und des Kapitalmarkts betrachtet wird.3 Das Konzernrecht ist jedoch als integraler Bestandteil des gläubiger- und gesellschaftsschützenden Systems einer Gesellschaftsrechtsordnung zu betrachten.4 Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten können den Zivil- und Handelssachen i. S. d. EuGVVO zugeordnet werden. Dies ergibt sich auch schon aus Art. 22 Nr. 2 EuGVVO, der für bestimmte Arten von gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten eine ausschließliche Zuständigkeit am Gesellschaftssitz vorsieht.5 2. Art der Gerichtsbarkeit Auf die Art der Gerichtsbarkeit kommt es grundsätzlich nicht an. Fraglich ist jedoch, wie sich die Existenz des § 306 AktG a. F. (nunmehr SpruchG) auswirkt,6 d. h. welche Bedeutung es hat, dass nach deutschem Recht für die Geltendmachung der Ansprüche das Verfahren teilweise den Regelungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) unterworfen wird. § 306 Abs. 1 AktG a. F. (nunmehr § 2 Abs. 1 SpruchG) sieht einen speziellen Gerichtsstand vor, indem er die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts am Sitz der Tochtergesellschaft festlegt, und ordnet ein FGG-Verfahren an (§ 306 Abs. 2 AktG a. F. i. V. m. § 99 AktG; nunmehr § 17 Abs. 1 SpruchG). Dieses Verfahren weist sowohl Elemente des Zivilrechts als auch des öffentlichen Rechts auf. Dies könnte die Vermutung nahe legen, dass ein Verfahren nach § 306 AktG a. F. i. V. m. § 99 AktG (nunmehr § 17 Abs. 1 SpruchG) nicht vom Anwendungsbereich der EuGVVO erfasst ist und damit von dieser auch nicht „verdrängt“ wird. Auch Art. L. 624-3 C. 3

Luchterhandt, S. 75 ff.; ähnlich Bache, S. 106 ff., 109 f. Zimmer, IPRax 1998, 187, 188. 5 Näheres dazu 4. Teil, 2. Kapitel, S. 140. 6 Vgl. dazu insbesondere Maul, AG 1998, 404, 409 f. § 306 AktG a. F. betraf Spruchverfahren in den in §§ 304, 305 AktG geregelten Sachen. Er wurde aufgehoben durch Art. 2 Nr. 4 des Gesetzes zur Neuordnung des gesellschaftsrechtlichen Spruchverfahrens vom 12.6.2003 (BGBl. I S. 838) mit Wirkung zum 31.8.2003 (Art. 7 des Gesetzes) und ersetzt mit Wirkung vom 1.9.2003 durch das Spruchverfahrensgesetz (SpruchG). 4

1. Kap.: Anwendungsbereich der EuGVVO

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com. könnte wegen der Besonderheiten bei der Einleitung des Verfahrens und des Ermessensspielraums des Gerichts als Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit qualifiziert werden.7 Die EuGVVO bezieht sich ihrem Wortlaut nach auf die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Eine historische Betrachtungsweise ergibt hingegen, dass im Grundsatz unerheblich ist, ob es sich um ein Streitverfahren oder ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit handelt. Der Bericht Jenard8 belegt, dass das EuGVÜ und damit auch die EuGVVO grundsätzlich auch auf FGG-Verfahren anwendbar ist. Für Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit gilt die EuGVVO zumindest, wenn es sich um echte Parteistreitigkeiten handelt.9 Die übrigen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit fallen nicht in den Anwendungsbereich der Art. 2 ff. bzw. Art. 32 ff. EuGVVO, da es dort am Beklagten fehlt; die Art. 2 ff. EuGVVO setzen ein Zweiparteienverfahren voraus. Im Übrigen ist der klassische Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit bereits durch Art. 1 Abs. 2 lit. a EuGVVO ausgegrenzt.10 Damit findet die EuGVVO vorrangig Anwendung. 3. Hinreichender Auslandsbezug Als problematisch kann sich die Anwendbarkeit der Vorschriften der EuGVVO teilweise auch im Hinblick auf den Auslandsbezug erweisen. Fraglich ist, ob ein Auslandsbezug notwendig ist und welche Qualität der Bezugspunkt im Ausland haben muss. Die Frage stellt sich vor allem bezüglich der Ansprüche aufgrund der Verantwortlichkeit der Verwaltungsmitglieder der abhängigen Gesellschaft (z. B. § 310 AktG). Teile der Literatur gehen davon aus, dass irgendein Auslandsbezug des Rechtsstreits nicht Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Zuständigkeitsordnung der EuGVVO ist. Diese gelte auch für reine Inlandsfälle.11 Anders sieht dies die überwiegende Auffassung.12 Das „internationale“ Element und damit ein gewisser Auslandsbezug wird aus den Worten „inter7

So Bottiau/Trockels, RIW 1988, 932, 936. Jenard-Bericht, ABl. EG v. 5.3.1979, Nr. C 59, S. 1, 9. 9 Geimer/Schütze, IntUrtAnerk I/1, S. 129, 213; Kropholler, EuZPR, Art. 1 Rn. 12; Wieczorek/Schütze/Hausmann, Art. 1 Rn. 11. 10 Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 1 Rn. 33. 11 Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 2 Rn. 101; Geimer/Schütze, Int. UrtAnerk I/1 S. 220; Kropholler, EuZPR, vor Art. 2 Rn. 6. 12 Linke, IZPR, Rn. 124; Schack, IZVR, Rn. 239; Wieczorek/Schütze/Hausmann, vor Art. 2 Rn. 9; offengelassen vom OLG Hamm, Urt. v. 26.6.1990, NJW-RR 1992, 499. 8

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

nationale Zuständigkeit“ in Abs. 4 der Präambel – nun Erwgr. 2 der EuGVVO – gefolgert. Im französischen Text heißt es: „la compétence (. . .) dans l’ordre international“; auch der italienische und der niederländische Text wählen eine entsprechende Umschreibung. Im englischen Text ist allerdings vergleichbar dem deutschen nur von „international jurisdiction“ die Rede. Ferner werden die Berichte zum Übereinkommen in diesem Sinne verstanden. Bei Jenard heißt es beispielsweise, dass das Übereinkommen „die in den einzelnen Vertragsstaaten geltenden Zuständigkeitsregeln nur in den Fällen mit Auslandsbeziehung (abändert). (. . .) Bei Rechtsstreitigkeiten, die vor den Gerichten eines Vertragsstaates anhängig sind und die ausschließlich Personen betreffen, die in diesem Staat ihren Wohnsitz haben, spielt das Übereinkommen grundsätzlich keine Rolle“.13 Weiter heißt es dort aber auch im Anschluss, dass „Art. 2 in einem solchen Fall auf die in diesem Staat geltenden Zuständigkeitsnormen (verweist).“ Die Formulierung im Jenard-Bericht kann folglich nicht nur so verstanden werden, dass der Anwendungsbereich der EuGVVO durch ein eigenständiges, ohne weitere Konkretisierungen kaum zu handhabendes Kriterium „internationaler Sachverhalt“ zusätzlich begrenzt wird,14 sondern vielmehr, dass auch in reinen Inlandsfällen Art. 2 Abs. 1 EuGVVO Grundlage für die internationale Zuständigkeit ist. Ergänzend kann auch Art. 17 Nr. 3 EuGVVO (Art. 15 Nr. 3 EuGVÜ) als Argument herangezogen werden; hier handelt es sich gerade um einen Fall, in dem beide Parteien im Gerichtsstaat wohnen bzw. sich aufhalten. Nach der „Theorie vom internationalen Sachverhalt“ wäre die Zuständigkeitsordnung der Verordnung überhaupt nicht anwendbar. Zudem ist keinem der Befürworter einer solchen Reduktion bisher eine klare Abgrenzungsformel eingefallen. Demnach ist eine Auslandsberührung nicht als eigenständige Anwendungsvoraussetzung der EuGVVO anzusehen. Auch in reinen Inlandsfällen regelt die Verordnung mithin die internationale Zuständigkeit (Art. 2 Abs. 1 EuGVVO). Die örtliche Zuständigkeit dagegen bestimmt das nationale Zuständigkeitsrecht vorbehaltlich Art. 2 Abs. 2 EuGVVO.

II. Ausnahmetatbestand des Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO Die EuGVVO ist gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO nicht anzuwenden auf Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren.

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Jenard-Bericht, ABl. EG v. 5.3.1979, Nr. C 59, S. 1, 8. So Kropholler, EuZPR, vor Art. 2 Rn. 7; Linke, IZPR, Rn. 124; Schack, IZVR, Rn. 239; Wieczorek/Schüzte/Hausmann, vor Art. 2 Rn. 9; Schlosser, EUZPR, Art. 2 Rn. 5; vgl. ferner OLG Hamm, Urt. v. 26.6.1990, NJW-RR 1992, 499. 14

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1. Konkursrechtliche Streitigkeit Erfasst werden davon zumindest die sogenannten Gesamt-, Stamm- bzw. Sammelverfahren – die eigentlichen Insolvenzverfahren. Dabei handelt es sich um Verfahren, die „auf der Zahlungseinstellung, der Zahlungsunfähigkeit oder der Erschütterung des Kredits des Schuldners beruhen und ein Eingreifen der Gerichte beinhalten, das in eine zwangsweise kollektive Liquidation der Vermögenswerte des Schuldners oder zumindest in eine Kontrolle durch die Gerichte mündet“.15 Das Wesen des Konkurses und ähnlicher Verfahren ist unter anderem unter Rückgriff auf die in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten insoweit geltenden Grundsätze zu ermitteln. Der maßgebende Ansatzpunkt für die Auslegung ist in der EuGVVO zu suchen. Die von der Definition erfassten Verfahren der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten lassen sich zunächst relativ leicht ermitteln, da in den einzelnen Rechtsordnungen der Bereich der Insolvenzverfahren auf einen kleinen numerus clausus beschränkt ist.16 Problematisch ist jedoch, ob sich diese Bereichsausnahme auch auf Einzelverfahren bezieht, die im Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren stehen. Die Einteilung der Einzelstreitigkeiten in solche, die im oder außerhalb des Insolvenzverfahrens auszutragen sind, haben die verschiedenen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten unterschiedlich vorgenommen. In dieser Frage scheint es also keinen gemeinschaftsweiten Konsens zu geben. Damit stellt sich im Rahmen der EuGVVO das Problem, unter welchen Voraussetzungen Einzelstreitigkeiten als „konkursähnliche“ Verfahren einzustufen sind. 2. Qualifikation der Konzernhaftungsansprüche nach französischem Recht Das französische Recht setzt vorwiegend an der Insolvenz des jeweiligen Unternehmens an und verlegt den Konzerngläubigerschutz in den Bereich des Liquidations- oder Sanierungsverfahrens. Unter diesem Gesichtspunkt kommt eine Einordnung der einzelnen Haftungsansprüche als konkursrechtliche Streitigkeiten durchaus in Betracht.

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EuGH, Urt. v. 22.2.1979, Rs. 133/78 – Gourdain/Nadler – Slg. 1979, 733, 744 Rn. 4; Schlosser-Bericht, ABl. EG v. 5.3.1979, Nr. C 59, S. 71, 90, Nr. 54; vgl. dazu auch Bülow/Böckstiegel/Pörnbacher, 540 Art. 1 Rn. 16; Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 1 Rn. 129; Kropholler, EuZPR, Art. 1 Rn. 32; MünchKommZPO/ Gottwald, IZPR, Art. 1 Rn. 18; Schlosser, in FS F. Weber, S. 395, 397 ff. 16 Haas, NZG 1999, 1148, 1149.

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a) Qualifikation der action en comblement du passif (Art. L. 624-3 C. com.) aa) Entscheidung des EuGH in Sachen Gourdain/Nadler Der EuGH definiert in seiner bislang einzigen Entscheidung zu Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 EuGVÜ (Gourdain/Nadler),17 wobei er sich am Jenard-Bericht18 orientiert, Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren als „Verfahren, die nach den verschiedenen Rechtsordnungen der Vertragsstaaten auf der Zahlungseinstellung, der Zahlungsunfähigkeit oder der Erschütterung des Kredits des Schuldners beruhen und ein Eingreifen der Gerichte beinhalten, das in eine zwangsweise kollektive Liquidation der Vermögenswerte des Schuldners oder zumindest in eine Kontrolle durch die Gerichte mündet“.19 In der Entscheidung in Sachen Gourdain/Nadler ging es um die Vollstreckung eines Urteils, mit dem der deutsche Geschäftsführer einer in Konkurs gefallenen französischen Gesellschaft zur Deckung sämtlicher Schulden dieser Gesellschaft verurteilt wurde. Der EuGH ordnete die im französischen Recht vorgesehene Klage (action en comblement du passif) gegen den Leiter eines Unternehmens, Kapital der Insolvenzmasse zuzuführen – und den zugrundeliegenden Anspruch nach Art. 99 des Gesetzes von 1967 – als insolvenzrechtlich ein und sah die Klage damit als vom Ausnahmetatbestand erfasst an. „Entscheidungen, die sich auf ein Insolvenzverfahren beziehen, (sind) nur dann von der Anwendung des Übereinkommens ausgeschlossen, wenn sie unmittelbar aus diesem Verfahren hervorgehen und sich eng innerhalb des Rahmens eines Konkurs- oder Vergleichsverfahrens (. . .) halten.“20 Der EuGH stützt seine Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Kriterien: Zum einen wurde auf verfahrensmäßige Besonderheiten abgestellt, wie das zuständige Gericht (nämlich das Gericht der Eröffnung des Insolvenzverfahrens) und die Prozessführungsbefugnis (die nur der Verwalter oder das Gericht von Amts wegen haben). Ferner wurden solche Merkmale herangezogen, die im Tatbestand auf das Insolvenzverfahren Bezug nehmen (wie der Beginn der Verjährung) oder eine entsprechende Rechtsfolge enthalten (die Erfüllung des Anspruchs zugunsten der Masse). Dann wurden 17 EuGH, Urt. v. 22.2.1979, Rs. 133/78 – Gourdain/Nadler – Slg. 1979, 733, 744 Rn. 4; dazu Linke, RIW 1985, 1, 4; Georges-Etienne, Gaz. Pal. 1979 I, 208 f. 18 Jenard-Bericht, ABl. EG v. 5.3.1979, Nr. C 59, S. 1, 11 f. 19 Scholz (S. 63) ist der Ansicht, dass der EuGH sich für eine autonome Auslegung entschied, ohne sich jedoch auf die Berichte zu berufen; die Definition entspricht jedoch fast wörtlich der im Jenard-Bericht. 20 EuGH, Urt. v. 22.2.1979, Rs. 133/78 – Gourdain/Nadler – Slg. 1979, 733, 744 Rn. 4.

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aber auch Charakteristika zur Begründung herangezogen, die einen besonders engen Zusammenhang zum Insolvenzverfahren auf den ersten Blick vermissen lassen, wie beispielsweise die Regelung der Beweislastumkehr zuungunsten des Geschäftsführers sowie die Möglichkeit, auch über dessen Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnen zu können, wenn er seine Haftungsverpflichtung nicht zu erfüllen vermag. Diese Vorgehensweise scheint mit dem Grundsatz der autonomen Auslegung der Begriffe der EuGVVO zwar schwer vereinbar. Die Möglichkeit, auch über das Vermögen einer Privatperson ein Insolvenzverfahren eröffnen zu können, mag für das französische Recht eine Besonderheit bedeuten. Ob sich dies auch aus Sicht der Gesamtheit der nationalen Rechtssysteme ergibt, ist hingegen unklar. Ebenso vermag eine Beweislastumkehr allein diesen Zusammenhang nicht zu begründen. Sie ist auch anderen Ansprüchen, die keinen Bezug zu einem Insolvenzverfahren aufweisen, zu Eigen.21 Der Verjährungsbeginn stellt nur auf die endgültige Feststellung oder besser Durchsetzbarkeit der Forderungen ab.22 Die Erwägungen des Generalanwalts Reischl sind insofern deutlicher. Danach soll es eines sehr engen sachlichen Zusammenhangs mit einem Konkursverfahren dergestalt bedürfen, dass dessen „Regeln und Eigenarten gleichsam charakterbestimmend sind“.23 Dies treffe auch zu, wenn ein Anspruch, der nach allgemeinem Recht bestehe, durch das Konkursrecht eine entscheidende Modifizierung erfahre, so dass sich die Feststellung eines konkursrechtlichen „Gesamtgepräges“ geradezu aufdränge.24 In seinem Urteil in Sachen Gourdain/Nadler ist der EuGH nicht bemüht, im Wege der autonomen Qualifikation bestimmte Konfliktlagen für den Gerichtsraum des EuGVÜ einheitlich europäisch festzulegen. Er prüft auch nicht, ob die von ihm zu qualifizierende Klage des Insolvenzverwalters in allen oder in der überwiegenden Zahl der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten konkursrechtlich eingeordnet wird. Vielmehr praktiziert er eine zweistufige Qualifikationsmethode.25 Zunächst nimmt er die vorgegebene rechtliche Einordnung des maßgebenden nationalen Rechts hin. Erst danach 21 A. A. ist Gruber, EWS 1994, 190, 192; ders., Pet. Aff., 1.5.1995, Nr. 52, S. 4, 5. 22 Vgl. dazu Lüke, in FS Schütze, 467, 474 f.; zu den Kriterien auch Junker, RIW 1986, 337, 345. 23 EuGH, Urt. v. 22.2.1979, Rs. 133/78 – Gourdain/Nadler – Slg. 1979, 733, 753. 24 EuGH, Urt. v. 22.2.1979, Rs. 133/78 – Gourdain/Nadler – Slg. 1979, 733, 753. 25 Haas, NZG 1999, 1148, 1150; vgl. hierzu auch Schlosser, IPRax 1991, 29, 30; Heß, IPRax 1994, 10, 13; Kropholler, EuZPR, Art. 1 Rn. 4 f.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

überprüft der EuGH die nationale Lösung anhand autonomer Kriterien auf ihre Vereinbarkeit mit dem EuGVÜ. Die bereits erwähnten Voraussetzungen für eine Konkurssache i. S. des Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 EuGVÜ hat der EuGH erst im zweiten Schritt aufgestellt. Die französische Rechtsprechung orientiert sich an der Rechtsprechung des EuGH und ordnet die action en comblement du passif dementsprechend regelmäßig als Konkurssache ein. In Deutschland hielt auch das OLG Hamm26 für den modifizierten Anspruch nach Art. 180 des Gesetzes von 1985 an der Rechtsauffassung des EuGH zur action en comblement du passif fest. Das neue Recht lässt zwar die wesentlichen Elemente der Haftung unberührt.27 In Anbetracht der Tatsache, dass von den vom EuGH in der Entscheidung Gourdain/Nadler aufgeführten Kriterien nur noch die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts und die Möglichkeit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auch über das Vermögen des Geschäftsführers verbleiben,28 erscheint es jedoch fraglich, ob dies eine hinreichende Grundlage für eine insolvenzrechtliche Qualifikation des Anspruchs ist. bb) Ansichten in der französischen und deutschen Literatur Der Ausfallhaftung wird auch in Frankreich eine Stellung im Überschneidungsbereich von Gesellschafts-, Konkurs- und gelegentlich Deliktsrecht29 eingeräumt.30 Auch Gourdain argumentierte, dass Art. 99 des Gesetzes von 1967 von der französischen Lehre nicht als Rechtsinstitut des Konkurses, sondern als besondere Art der Haftungsklage angesehen werde.31 Der Konkursdurchgriff hänge zwar kausal mit dem Gesellschaftskonkurs zusammen, beruhe jedoch auf einer besonderen Haftungsregelung, die dem allgemeinen Zivil- und Handelsrecht zugeordnet sei, also einen Sonderfall zivilrechtlicher Haftung normiere.32 Die Abgrenzungsprobleme ergeben sich erst aus 26 OLG Hamm, Beschl. v. 26.2.1993, RIW 1994, 62 f.; ebenso Bülow/Böckstiegel/Safferling/Chr. Wolf, 606 Art. 1 Rn. 19; anders nunmehr Bülow/Böckstiegel/ Pörnbacher, 540 Art. 1 Rn. 17; Geimer/Schütze, EuZVR (1. Aufl.), Art. 1 Rn. 88 f.; anders nunmehr Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 1 Rn. 131; a. A. ebenfalls Gruber, EWS 1994, 190, 192; Ebenroth/Kieser, KTS 1988, 19 ff., 47 f. 27 Anders aber offenbar Gruber, EWS 1994, 190, 191 f. 28 OLG Hamm, Beschl. v. 26.2.1993, RIW 1994, 62, 63. 29 Allgemeine deliktische Haftung. 30 Vgl. Nachweise bei Junker, RIW 1986, 337, 345, Fn. 111, 112, 121.; außerdem Bourguet/Wenner, AWD 1970, 357 ff. (Haftung aus einem (fiktiven) Auftragsverhältnis der Gesellschaftsorgane zu den Gesellschaftern). 31 Unter Verweis auf Schmidt, KTS 1976, 18. 32 EuGH, Urt. v. 22.2.1979, Rs. 133/78 – Gourdain/Nadler – Slg. 1979, 733, 736 f. (Erklärung gemäß Art. 20 des Protokolls über die Satzung des Gerichshofes der EWG).

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der prozessualen Sonderstellung der Ausfallhaftung in der „loi sur le règlement judiciaire, la liquidation des biens, la faillite personnelle et les banqueroutes“ von 1967 bzw. der „loi relative au redressement et à la liquidation judiciaire des entreprises“ von 1985. Ein Großteil der französischen Literatur und Rechtsprechung begnügt sich mit einem bloßen Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH in Sachen Gourdain/Nadler und geht bei einer Geltendmachung der action en comblement du passif von der Unanwendbarkeit der EuGVVO aus.33 Dieser Ansicht zufolge fällt die Klage in den Anwendungsbereich der EuInsVO.34 Vereinzelt wird jedoch angedeutet, dass die action en comblement du passif möglicherweise in gewissen Fällen doch in den Anwendungsbereich der EuGVVO fällt.35 In Abweichung von der Ansicht, die die Ausfallhaftung als dem Konkursrecht zugehörig ansieht, qualifizieren einige die Ausfallhaftung gesellschaftsrechtlich bzw. besser nicht-konkursrechtlich. Andere wiederum legen sich bei der Einordnung der Ausfallhaftung nicht fest. Nach Bottiau findet das EuGVÜ z. B. Anwendung, wenn die Insolvenz nur den allgemeinen Rahmen, den Kontext des Rechtsstreits bildet, was vor allem der Fall sei, wenn die Muttergesellschaft von dem von der Insolvenz der Tochtergesellschaft betroffenen Gläubiger (über den Gläubigervertreter) in Anspruch genommen wird.36 Sie kommt zu einer Anwendbarkeit der EuGVVO jedoch nicht über eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation der action en comblement du passif, sondern nimmt in den Fällen mit Auslandsbezug Abstand von der allgemein anerkannten Regel, nach der neben Art. L. 624-3 C. com. die allgemeinen Vorschriften des Deliktsrechts nicht anwendbar sind. In diesen Fällen soll vielmehr ein Rückgriff der Gläubiger auf Art. 1382 C. civ. möglich sein, womit der Ausnahmetatbestand des Art. 2 Abs. 1 lit. b EuGVVO nicht eingreife. Gegen die Ansicht von Bottiau spricht aber schon, dass die Cour de cassation klargestellt hat, dass bei Bestehen eines Aktivfehlbestandes die allgemeine deliktsrechtliche Haftung durch die action en comblement du passif verdrängt wird. Dies gilt auch dann, wenn Art. L. 624-3 C. com. für den faktischen Geschäftsleiter im Einzelfall nicht zur Anwendung kommt.37 Es 33

Vgl. nur Martin-Serf, JCl. Soc. Fasc. 41-30, Nr. 97. Siehe Mayer/Heuzé, Nr. 666-3. 35 So wohl Sarrut, Dict. perm., Dr. affaires II, Nr. 112; nur andeutungsweise und nicht ganz eindeutig: Gaudemet-Tallon, Nr. 44; eindeutig für eine Anwendbarkeit der EuGVVO ist Bottiau, S. 280 ff. Sie kommt zu diesem Ergebnis allerdings nicht aufgrund einer dementsprechenden Qualifikation der action en comblement du passif, sondern indem sie die Normen des allgemeinen Deliktsrechts daneben für anwendbar erklärt. 36 Bottiau, S. 280. 37 Cass. com., Urt. v. 20.6.1995, Bull. civ., IV, Nr. 138; vgl. Cass com., Urt. v. 11.4.1995, Bull. Joly 1995, 684 zur entsprechenden Lösung bzgl. der dirigeants de droit. 34

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

ist nicht ersichtlich, warum von diesem Grundsatz im internationalen Kontext, d. h. im Rahmen grenzüberschreitender Unternehmensverbindungen, abgewichen werden sollte. Vallens sieht das gegenüber einem Geschäftsleiter einer juristischen Person eröffnete Verfahren, der nicht die ihm mangels Aktiva der Gesellschaft auferlegten Verbindlichkeiten erfüllt, nicht vom Anwendungsbereich der Insolvenzverordnung erfasst, da es nicht auf der Insolvenz des Schuldners beruhe.38 Ergänzen sich die Anwendungsbereiche beider Verordnungen, so wäre auf diese Fälle dann die EuGVVO anzuwenden. Wenn also aufgrund der Art. L. 624-3 ff. C. com. ein französisches Verfahren gegenüber ausländischen Gesellschaften eröffnet wird, ist fraglich, wie seine Auswirkungen auf die Verantwortlichkeit der Gesellschaftsorgane zu qualifizieren sind. Betrachtet man das Kollisionsrecht, so wendet die Praxis in Frankreich generell französisches Konkurskollisionsrecht an, obwohl die Organhaftung grundsätzlich nach der lex societatis beurteilt wird.39 Nach dieser Auffassung wird Art. L. 624-3 C. com. im französischen Insolvenzverfahren als lex concursus auch gegenüber der ausländischen Muttergesellschaft einer französischen Tochter und gegenüber Organmitgliedern der ausländischen Muttergesellschaft angewendet. Teilweise wird aber die Möglichkeit gesehen, dass der konkursrechtlichen Qualifikation, die Art. L. 624-3 C. com. in Frankreich erfährt, in Deutschland nicht unbedingt zu folgen ist.40 Im Rahmen der EuGVVO sollte eine einheitliche Qualifikation erreicht werden. Im deutschen Schrifttum rühren dementsprechend die Argumente in der Diskussion häufig aus der Interessenabwägung im Bereich des Kollisionsrechts her und sind auf eine Qualifikation im Rahmen des EuGVÜ nicht ohne weiteres zu übertragen.41 So wird teilweise von der gesellschaftsrechtlichen Qualifikation der action en comblement du passif im Kollisionsrecht automatisch auf ebendiese im Zuständigkeitsrecht geschlossen.42 Umgekehrt beziehen sich die Autoren bei ihrer Argumentation hinsichtlich des Kollisionsrechts aber auch auf die Entscheidung des EuGH in Sachen Gourdain/ Nadler, in der es um eine Subsumtion unter das EuGVÜ ging. Nur vereinzelt wird dem Problem der unterschiedlichen Interessenlagen Rechnung getragen und eine klare Trennung, d. h. unter Umständen auch eine unterschiedliche Qualifikation für Kollisionsrecht und internationales Zivilprozessrecht, vor38

Vallens, Rép. communautaire Dalloz II, Faillite, Nr. 13. Vgl. Loussouarn/Bourel, Nr. 70; Sonnenberger, RIW/AWD 1979, 284; Zahn, S. 218. 40 Sonnenberger, § 3 VIII 104 Fn. 213. 41 So bei Ebenroth/Kieser, KTS 1988, 19 ff. 42 Kuckertz, S. 157. 39

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genommen bzw. in Betracht gezogen.43 Die Entscheidung des EuGH in Sachen Gourdain/Nadler wird in zuständigkeitsrechtlicher Hinsicht respektiert, auf kollisionsrechtlicher Ebene jedoch eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation vertreten.44 Dies ist nur konsequent, da die vom EuGH herangezogenen Kriterien vor allem von verfahrensrechtlicher Relevanz sind. Infolgedessen wird teilweise vertreten, dass die Ansprüche sowohl einen insolvenz- als auch einen gesellschaftsrechtlichen Charakter haben.45 cc) Beurteilung und Stellungnahme Auf dieser Grundlage soll der Frage nachgegangen werden, ob die action en comblement du passif aus französischer, deutscher und europäischer Sicht konkursrechtlich zu qualifizieren ist. Die rechtspolitischen Überlegungen, auf denen die nationalrechtliche Qualifikation beruht, können sich sehr erheblich von denen unterscheiden, die bei der Auslegung des Übereinkommens von Bedeutung sind. Diesem Gesichtspunkt ist vor allem bei abweichender Einordnung der einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen besonderes Gewicht beizumessen. So müssen schon im Rahmen des Anwendungsbereichs die Ziele einer Regelung im insolvenzrechtlichen Kontext – nämlich Beweiserleichterungen – berücksichtigt werden. (1) Entstehungsgeschichte und Zielsetzung des EuGVÜ bzw. der EuGVVO; Abgrenzung zur bzw. Anpassung an die Insolvenzverordnung Zieht man die Berichte zu Rate, so sind allgemein unter „Konkurs, Vergleich und ähnliche(n) Verfahren“ solche Verfahren zu verstehen, „die nach dem Recht der Vertragsstaaten auf der Zahlungseinstellung, der Zahlungsunfähigkeit oder der Kreditunwürdigkeit des Schuldners beruhen und ein Eingreifen des Gerichts erforderlich machen, das zur kontrollierten zwangsweisen Liquidierung des Vermögens oder lediglich zu einer gerichtlichen Überwachung führt.“46 In den Berichten heißt es dazu: „Die Anwendung des Übereinkommens (EuGVÜ) auf Streitigkeiten im Zusammenhang mit einem Konkurs ist nicht schlechthin ausgeschlossen. Ausgenommen sind nur solche Streitigkeiten, die sich unmittelbar aus dem Konkurs ergeben und die demnach in den Anwendungsbereich des Konkursübereinkommens 43

Zimmer, IntGesR, S. 293 ff., 296. Vgl. nur Zimmer, IntGesR, S. 293 ff. 45 Aus der französischen Lehre vgl. Lemontey, RCDIP 68 (1979), 661, 664; ihm folgend Wick, S. 132. 46 Jenard-Bericht, ABl. EG v. 5.3.1979, Nr. C 59, S. 1, 11 f.; Schlosser-Bericht, ABl. EG v. 5.3.1979, Nr. C 59, S. 71, 90, Nr. 54. 44

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

der Europäischen Gemeinschaft fallen werden.“47 „Um möglichst wenig Lücken zwischen den Anwendungsbereichen beider Übereinkommen auftreten zu lassen, bemüht man sich in den Verhandlungen über das geplante Konkursübereinkommen, die in Frage kommenden Haupt- und Nebenverfahren in einem vollständigen Katalog zusammenzufassen und dadurch Qualifikationsprobleme auszuschalten.“48 Betrachtet man die Entstehungsgeschichte und die Zielsetzung des EuGVÜ, so zeigt sich also, dass der Ausschluss der Konkurssachen vom Anwendungsbereich dazu dienen sollte, Konflikte mit dem seinerzeit geplanten EWG-Konkursübereinkommen zu vermeiden. Eine abschließende Definition des Begriffs der Konkurssache im EuGVÜ sollte erst mit der Verabschiedung des Konkursübereinkommens erfolgen49. Eine Lücke zwischen den Anwendungsbereichen beider Übereinkommen sollte vermieden werden.50 Bereits in den Berichten wurde die Abstimmung der Anwendungsbereiche des EuGVÜ und des Konkursübereinkommens erwähnt. Im Urteil in Sachen Gourdain/Nadler ist auch der EuGH darauf eingegangen. Die Entscheidung des EuGH erging in Kenntnis des zu erwartenden Entwurfs des Übereinkommens von 1980.51 Die Kommission hat sich in Sachen Gourdain/Nadler im Wesentlichen auf den Entwurf gestützt. In der in einem Protokoll zum Konkursübereinkommen vorgesehenen Aufzählung befand sich das Verfahren nach Art. 99 des Gesetzes von 1967 nicht unter denen, auf die das künftige Übereinkommen über Konkurse Anwendung finden sollte. Daraus schließt die Kommission in Sachen Gourdain/Nadler, dass es nicht in den Anwendungsbereich des Konkursübereinkommens fallen solle.52 Andererseits stützt sich die Kommission auf Art. 61 des Entwurfs dieses Abkommens, demzufolge die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über die in Art. 12 genannten Haftungsklagen, worunter auch die nach Art. 99 des Gesetzes von 1967 fiel, dem Zuständigkeits- und Vollstreckungsübereinkommen unterliegen sollten.53 Dies begründe nur eine beson47

Jenard-Bericht, ABl. EG v. 5.3.1979, Nr. C 59, S. 1, 12. Schlosser-Bericht, ABl. EG v. 5.3.1979, Nr. C 59, S. 71, 90, Nr. 53. 49 Schlosser, in FS F. Weber, S. 395, 396. 50 Kropholler, EuZPR, Art. 1 Rn. 31; Schlosser, EUZPR, Art. 1 Rn. 19. 51 Entwurf eines Übereinkommens über den Konkurs, Vergleiche und ähnliche Verfahren 1980, abgedr. in ZIP 1980, 582 ff.; siehe auch den Vorentwurf eines Übereinkommens über den Konkurs, Vergleiche und ähnliche Verfahren 1970, abgedr. in KTS 1971, 167 ff., in RabelsZ 36 (1972), 734 ff. 52 EuGH, Urt. v. 22.2.1979, Rs. 133/78 – Gourdain/Nadler – Slg. 1979, 733, 739. 53 EuGH, Urt. v. 22.2.1979, Rs. 133/78 – Gourdain/Nadler – Slg. 1979, 733, 739. 48

1. Kap.: Anwendungsbereich der EuGVVO

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dere Zuständigkeit. Dagegen argumentiert der Generalanwalt Reischl, im Art. 12 des Konkursübereinkommens seien nicht nur Zuständigkeitsnormen zu sehen, sondern es solle die Einbeziehung dieser Materien in das Übereinkommen zum Ausdruck gebracht werden.54 Aus diesem Grunde schließt auch Schütze aufgrund des Vorentwurfs eines Konkursübereinkommens auf den konkursrechtlichen Charakter der action en comblement du passif.55 Der revidierte Entwurf von 1984 unterstellt hingegen in seinem Art. 10 a solche Klagen ausdrücklich dem Zuständigkeitssystem des EuGVÜ.56 In der Entwurfsfassung von 1992 findet sich hierzu dann keine Regelung mehr.57 Auch die schließlich am 31.05.2002 in Kraft getretene Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO)58 enthält dazu keine ausdrückliche Bestimmung. In den Anhängen A und B der EuInsVO finden sich in katalogartiger Aufführung die von dieser erfassten Verfahren. Zu den Insolvenzverfahren gehören danach in Deutschland das Konkursverfahren, das gerichtliche Vergleichsverfahren, das Gesamtvollstreckungsverfahren und das Insolvenzverfahren. Für Frankreich sind liquidation judiciaire und redressement judiciaire avec nomination d’un administrateur aufgeführt. Erwähnt sind also im Wesentlichen nur die sogenannten Stamm- oder Gesamtverfahren i. S. d. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 lit. a und c. Eine klare Einordnung der Einzelverfahren findet sich in der EuInsVO nicht. Damit bleiben die Auslegungsschwierigkeiten bestehen. Schon damals bestanden Bedenken gegen die maßgebende Heranziehung des Entwurfs eines Konkursübereinkommens. Aufgrund noch möglicher Änderungen der geplanten Bestimmungen konnte die Heranziehung des Vorentwurfs zum Konkursübereinkommen nur mit größter Zurückhaltung erfolgen.59

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Schlussanträge des Generalanwalts Reischl v. 7.2.1979, Slg. 1979, 746, 755. Schütze, RIW 1978, 765, 766. 56 Revidierter Entwurf eines Übereinkommens über den Konkurs, Vergleiche und ähnliche Verfahren 1984, abgedr. in Kegel/Thieme, EG-KonkursÜK, S. 415 ff. 57 Entwurf eines EG-Konkursübereinkommens v. 3.4.1992, abgedr. in ZIP 1992, 1197 ff.; dazu Hanisch, ZIP 1994, 1, 8 f. 58 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren v. 29.5.2000, ABl. EG 2000, Nr. L 160, S. 1 (In-Kraft-Treten: Art. 47 EuInsVO); dazu Eidenmüller, IPRax 2001, 2 ff.; Huber, EuZW 2002, 490 ff.; Haubold, IPRax 2002, 157 ff.; Paulus, ZIP 2002, 729, 734; Wimmer, NJW 2002, 2427 ff.; ausführlich Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 ff. 59 So auch Schlussanträge des Generalanwalts Reischl v. 7.2.1979, Slg. 1979, 751. 55

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

(2) Systematische und teleologische Überlegungen Bei der Auslegung von Art. 1 Abs. 2 lit. b, der Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren ausschließt, ist zu berücksichtigen, dass Art. 1 das Anwendungsgebiet des Übereinkommens angibt.60 Dabei ist vor allem auf den Zweck der EuGVVO zu achten, mit der der Rechtsschutz des Einzelnen gestärkt und eine Angleichung und Vereinfachung im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr erreicht werden soll (Titelfreizügigkeit).61 Die Anwendung der EuGVVO muss für alle Ansprüche in Zivil- und Handelssachen die Regel sein. Aus dieser Sicht kann der Regelung eines bestimmten Anspruchs in einem insolvenzrechtlichen Gesetz keine besondere Bedeutung zukommen, ebenso wenig wie der Tatsache, dass der Anspruch praktisch nur im Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren Bedeutung erlangt oder eine besonders scharfe Haftung zur Folge hat. Eine Anwendung der EuInsVO rechtfertigt sich für Einzelverfahren nur, wenn die Entscheidung spezifisch insolvenzrechtliche Rechts- und Tatsachenfragen betrifft, und damit solche Streitigkeiten, die nicht ohne die Verfahrenseröffnung entstehen könnten, und die unmittelbar der Verwirklichung dieses Verfahrens dienen.62 Es ist nicht einzusehen, warum allein die Tatsache der Verfahrenseröffnung die verfahrensrechtliche Qualität des Anspruchs so weitgehend verändern soll.63 Denn bei der Ausfallhaftung handelt es sich nicht um eine spezifisch konkursrechtliche Sanktion, sondern vielmehr um eine Form der zivilrechtlichen Haftung. Die Regelung im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren eines Unternehmens eröffnet besondere verfahrensrechtliche Möglichkeiten und begünstigt so die Anpassung der allgemeinen zivilrechtlichen Sorgfaltshaftung an die Beweisschwierigkeiten, die mit der Komplexität innerbetrieblicher Vorgänge verbunden sind.64 (3) Rechtsvergleichung Es bleibt zu prüfen, ob eine rechtsvergleichende Analyse des Rechtszustandes in den Vertragsstaaten zu dem Ergebnis führt, dass die action en comblement du passif ihren rechtlichen Grund im Konkursrecht hat. Das deutsche Gesellschaftsrecht enthält beispielsweise keine dem Art. L. 624-3 60 EuGH, Urt. v. 22.2.1979, Rs. 133/78 – Gourdain/Nadler – Slg. 1979, 733, 743 Rn. 3; vgl. dazu auch Scholz, S. 35. 61 EuGH, Urt. v. 17.6.1992, Rs. C-26/91 – Handte/TMCS – Slg. 1992 I-3967, 3993 f. Rn. 11 f.; Geimer/Schütze, EuZVR (1. Aufl.), Einl. Rn. 1; dies., EuZVR, A.1 Einl. Rn. 15 ff.; Kropholler, EuZPR, Einl. Rn. 6. 62 Vgl. die Zusammenstellung bei Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 295. 63 So auch Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 295. 64 Ehricke, S. 529.

1. Kap.: Anwendungsbereich der EuGVVO

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C. com. identische Haftungsregelung. Es gibt jedoch sowohl für rechtmäßige als auch für faktische Geschäftsleiter Haftungsvorschriften. Werden diese Normen wie auch ähnliche Haftungsinstitute anderer mitgliedstaatlicher Rechtsordnungen gesellschaftsrechtlich eingeordnet, ist es naheliegend, Art. L. 624-3 C. com. ebenfalls gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren. Die Ausfallhaftung kann zudem als Form der Organhaftung betrachtet werden. Die Organhaftung untersteht aber generell dem Gesellschaftsrecht. Die rechtsvergleichende Betrachtung spricht somit eher für eine gesellschaftsrechtliche Einordnung der Haftung.

(4) Besonderheiten der nationalen Regelung Die Vertreter der konkursrechtlichen Qualifikation haben sich ursprünglich auch von der Stellung des Art. 180 des Gesetzes von 1985 beeinflussen lassen. Dagegen haben die Voraussetzungen der Haftung keinen konkursrechtlichen Bezug. Lediglich das Erfordernis des Insolvenzverfahrens zur Haftungserstreckung ist ein spezifisch insolvenzrechtliches Element. Der Grund der Haftung nach Art. 180 des Gesetzes von 1985 und nun des Art. L. 624-3 C. com. liegt im Fehlverhalten der Geschäftsleitung (faute de gestion). Dieses liegt in der Regel noch lange vor der Konkurseröffnung und richtet sich nach den gesellschaftsrechtlichen Pflichten der Organe. Es wird eine Verantwortlichkeit für ein gesellschaftsrechtliches Fehlverhalten anlässlich der Konkurseröffnung normiert. So wird auch im Rahmen des Kollisionsrechts als Argument angeführt, dass die Beurteilung der Haftungsfrage vor Konkurseröffnung nach dem Gesellschaftsstatut auch für dieselbe Einordnung nach Konkurseröffnung spreche. Im Grunde genommen war ein rechtspolitisches Argument und ein Grund für die konkursrechtliche Qualifikation in Frankreich auch die dadurch geschaffene Möglichkeit, dirigeants ausländischer Gesellschaften belangen zu können. Überzeugend in der Diskussion wirkt aber vor allem die Differenzierung zwischen Haftungsgrund und Haftungsrealisierung. Der materiellrechtliche Schuldgrund untersteht nicht dem Insolvenzrecht, an welches erst angeknüpft werden kann, wenn es um Art und Weise der Haftungsrealisierung geht. Wendet man diese Anknüpfung auf Art. L. 624-3 C. com. an, so liegt der Grund der Haftung im Fehlverhalten der Geschäftsleitung. Abzustellen ist auf den Charakter des Fehlverhaltens, welches spezifisch gesellschaftsrechtlicher Natur ist. Im Insolvenzfall wird eine verschärfte Verantwortlichkeit der Geschäftsleitung einer juristischen Person bestimmt, die auch für die Vergrößerung der Haftungsmasse eines abhängigen Unternehmens in einer Gruppe in Frankreich nutzbar gemacht werden kann. Diese Ausfallhaftung steht aber in einem engen Verhältnis zur zivilrechtlichen Organhaf-

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

tung.65 Die Inbezugnahme einzelner Anspruchsgrundlagen im Tatbestand auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens macht die betreffenden Ansprüche noch nicht zu spezifisch insolvenzrechtlichen Ansprüchen.66 Das Ziel der Ausfallhaftung nach französischem Recht wird in Deutschland beispielsweise auch mit Mitteln des Konzernrechts verwirklicht.67 In der Sache geht es nämlich um eine Verlustausgleichshaftung, die im deutschen Recht z. B. in den §§ 302, 317 AktG geregelt ist. Unterschiede ergeben sich u. a. im Hinblick auf den Schuldner oder Anspruchsgegner. Während im Falle der Unterdeckung des Kapitals im französischen Recht die Geschäftsleiter haften, erfolgt nach deutschem Recht ein Rückgriff auf das Vermögen der Gesellschafter. Die Frage ist aber weniger eine spezifisch insolvenzrechtliche denn eine gesellschaftsrechtliche Frage nach dem Schuldner, i. e. dem Haftenden für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, falls diese scheitert. Diese Frage stellt sich zwar typischerweise oder regelmäßig anlässlich eines Insolvenzverfahrens. Dieses ist jedoch nur Auslöser bzw. Anlass dazu. Der Grund der Haftung ist das Fehlverhalten des Geschäftsführers. Das Fehlverhalten liegt wiederum zeitlich vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Letzteres ist nicht Grundlage der Haftung, sondern vielmehr Auslöser, der erst zu einer Realisierung der Haftung führt. Auch aus dieser Sicht ist die Zuständigkeit des Konkursgerichts zur Eröffnung des Verfahrens ein rein formaler Gesichtspunkt, der allein zur Rechtfertigung des insolvenzspezifischen Charakters des Anspruchs kaum ausreichen kann.68 Der Zuweisung von Streitigkeiten an ein bestimmtes Gericht liegen häufig reine Praktikabilitätserwägungen zu Grunde. Die Geltendmachung von Ansprüchen während eines Insolvenzverfahrens erfolgt in anderen Rechtsordnungen oft sogar insgesamt vor dem Insolvenzgericht (Allzuständigkeit des Insolvenzgerichts), weil der Fortgang des Insolvenzverfahrens erschwert würde, wenn weitere Gerichte mit der Sache befasst wären. Vor allem soll dadurch aber die Einheit des Insolvenzverfahrens gefördert werden, um den für ein Insolvenzverfahren typischen Eigenheiten, wie dem Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung, besser Rechnung tragen zu können.69 Daher lässt sich aus diesem Kriterium nicht auf den Charakter des Anspruchs schließen. Auch der EuGH führt aus, dass der Begriff „Konkurs“ nicht lediglich danach ausgelegt werden darf, wie in bestimmten Mitgliedstaaten die Zuständigkeiten auf die verschiedenen Gerichtszweige verteilt sind.70 Bei der Ausfallhaftung entspricht es der Zweckmäßigkeit, 65 66 67 68 69

Ehricke, S. 529. Vgl. Mankowski, NZI 1999, 56, 57. Zimmer, IntGesR, S. 283 f. Ebenso Ebenroth/Kieser, KTS 1988, 19, 42; Lüke, in FS Schütze, S. 467, 477. Haas, NZG 1999, 1148, 1149.

1. Kap.: Anwendungsbereich der EuGVVO

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den Konkursverwalter als Sachwalter mit der Verfolgung des Anspruchs zu betrauen, damit die Inanspruchnahme des haftenden Gesellschaftsleiters nicht von der Zufälligkeit abhängt, ob und inwieweit die Gesellschaftsgläubiger das Risiko einer Direktklage auf sich nehmen. Die subsidiäre Haftung für Gesellschaftsschulden hat mit dem eigentlichen Konkursverfahren, das der gleichmäßigen Verteilung des Gesellschaftsvermögens an die Gesellschaftsgläubiger dient, nur insofern etwas zu tun, als die Aktivlegitimation für die Klage beim Konkursverwalter liegt.71 Der Regelungsort des Anspruchs in einem Insolvenzgesetz verliert sein Gewicht schließlich auch nicht zuletzt deshalb als Argument, weil sich die Vorläufer der Vorschrift von 1985 und 1967 aus den Jahren 1867 bis 1940 ihrerseits in gesellschaftsrechtlichen Gesetzen fanden72. Mittlerweile sind die Regelungen in den Code de commerce integriert, so dass dieses Argument weiter an Überzeugungskraft verliert. Lediglich der Kreis der Antragsberechtigten und die Begünstigung der Masse verbleiben somit bei einer materiellen Betrachtungsweise zur Rechtfertigung eines spezifisch insolvenzrechtlichen Charakters des Anspruchs. Auch diese haben jedoch mit der seit 1985 in Kraft getretenen und im Code de commerce aufrechterhaltenen neuen Regelung der action en comblement du passif an Tragweite verloren. Zum einen wurde der Kreis der Antragsberechtigten erweitert. Nach Art. L. 624-6 C. com. sind der Konkursverwalter, der Gläubigervertreter, der Planerfüllungskommissar, der Liquidator oder die Staatsanwaltschaft antragsberechtigt. Allerdings sind die Gläubiger selbst nach wie vor nicht zur Geltendmachung berechtigt. Zum anderen kommt der Ersatzbetrag dem Gesellschaftsvermögen und nicht mehr der Masse zu. Auf der Grundlage des heutigen Rechts für den Anspruch der action en comblement du passif ist es daher durchaus möglich, dass der EuGH eine andere Qualifikation vornehmen würde.73 Die Entscheidung des EuGH in Sachen Gourdain/Nadler ist noch zu dem strengeren Art. 99 des Gesetzes von 1967 ergangen. Wesentliche Kriterien, auf denen das Urteil beruht, sind mittlerweile reformiert worden. Die Haftungsvermutung wurde beispielsweise beseitigt. Die Beweislastumkehr war für den EuGH ein Merkmal, aus dem ein enger Bezug zu einem Konkursverfahren gefolgert werden sollte. Nach Ansicht von Gruber verlor der An70 EuGH, Urt. v. 22.2.1979, Rs. 133/78 – Gourdain/Nadler – Slg. 1979, 733, 742, 743 Rn. 3. 71 EuGH, Urt. v. 22.2.1979, Rs. 133/78 – Gourdain/Nadler – Slg. 1979, 733, 737 (Erklärung gemäß Art. 20 des Protokolls über die Satzung des Gerichshofes der EWG). 72 Vgl. dazu Zimmer, IntGesR, 281 f. 73 So auch Lüke, in FS Schütze, S. 467, 476.

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spruch nach Art. 180 des Gesetzes von 1985 mit Wegfall der Haftungsvermutung seinen besonderen konkursrechtlichen Charakter.74 Urteile auf Grundlage des Art. 180 des Gesetzes von 1985 fallen daher seiner Auffassung nach nicht mehr unter Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 EuGVÜ; auf sie sei das EuGVÜ somit anwendbar. Ferner wurde das ausschließliche Antragsrecht des Insolvenzverwalters zugunsten eines Klagerechts etwa des Gläubigervertreters, des Unternehmensverwalters u. a. wesentlich erweitert. Schließlich fallen die von den Geschäftsleitern zu entrichtenden Haftungsbeträge nicht mehr der Gläubigergemeinschaft, sondern der insolventen Gesellschaft selbst zu. Damit bleibt als einziges entscheidendes Kriterium des EuGH zur konkursrechtlichen Qualifikation die Zuständigkeit des Gerichts, das das Insolvenzverfahren eröffnet hat, und unter Umständen die Möglichkeit der Anschlussinsolvenz des Geschäftsführers.75 Das Konkursgericht ist zuständig, da die Ausfallhaftung anlässlich eines Insolvenzverfahrens durchgesetzt wird. Der eigentliche Haftungsgrund liegt allerdings in einem Verhalten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Letzteres kommt nur beim Modus der Haftungsrealisierung zum Tragen. Die Regelung in Art. 182 des Gesetzes von 1985, die die Tatbestände der Haftung konkretisiert, enthält als Fallgruppen solche der Sphärenvermischung, des Versteckens hinter der Rechtsform und der bewussten Vermögensminderung. Dies sind typische Tatbestände, die einen Haftungsdurchgriff begründen, welcher wiederum in nahezu allen Rechtsordnungen dem Gesellschaftsrecht zugewiesen wird. Dies entspricht auch den historischen Wurzeln des Instituts. Die Regelung dient nunmehr ausdrücklich der Ergänzung des durch fehlerhafte Geschäftsführung beeinträchtigten Gesellschaftsvermögens. Damit wurde der Anspruch deutlicher als bislang dem Gesellschaftsrecht zugeordnet.76 Die zum Teil sehr prozessuale Betrachtungsweise des EuGH lässt sich darüber hinaus kaum mit der vertragsautonomen Auslegung der EuGVVO in Einklang bringen. Ebenso wenig wie es im Rahmen des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO darauf ankommt, welchem Rechtsweg die Streitigkeit innerstaatlich zugewiesen ist, ist es für die Qualifikation unerheblich, in welchem systematischen Zusammenhang die action en comblement du passif geregelt ist. Weder die Stellung des Anspruchs im Insolvenzgesetz noch die Zuweisung der Geltendmachung des Anspruchs an einen bestimmten Personenkreis sind entscheidende Kriterien. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO stellt auch nicht auf die Art der Gerichtsbarkeit, sondern auf den Inhalt des 74 75 76

Gruber, EWS 1994, 190, 192. Vgl. Junker, RIW 1986, 337, 345. Vgl. Lüke, in FS Schütze, S. 467, 476 f.

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materiellen Rechts ab („Wortlaut“). Die action en comblement du passif ist ein allgemeiner, in den Bereich des Insolvenzrechts verlagerter, deliktischer Haftungsansatz. Sie sollte demnach auch in den Anwendungsbereich der EuGVVO fallen. Für eine konkursrechtliche Qualifikation wird teilweise allerdings noch der Saldierungsgedanke angeführt.77 Zu ersetzen sei ein Ausfall, der nicht durch andere, gewinnbringende Handlungen kompensiert werde. Dieser Forderungsausfall habe die Überschuldung zur Voraussetzung, und eine Überschuldung werde im Insolvenzverfahren festgestellt. Die Ausfallhaftung sei daher ein spezifisch insolvenzrechtliches Institut.78 Entsprechend behandeln auch andere, die die Rechtsnatur der action en comblement du passif eigentlich in einer zivilrechtlichen Haftung begründet sehen, diese verfahrensrechtlich als ein Institut des Insolvenzrechts.79 Eine solche Klage kann dieser Ansicht nach aufgrund der engen Verbindung mit der procédure collective nicht auf zivilrechtlichem Wege geltend gemacht werden, was einen Ausschluss von dem Anwendungsbereich der EuGVVO beinhalte.80 Es ist aber fraglich, inwieweit den Besonderheiten der Haftungsrealisierung im Rahmen der EuGVVO Rechnung getragen werden muss. Die im deutschen Schrifttum gängige Gegenüberstellung zwischen einer „konkursrechtlichen“ und einer „gesellschaftsrechtlichen“ Qualifikation der action en comblement du passif81 vermischt bisweilen die Ebene des materiellen Rechts mit der des Zivilprozessrechts. Bei der action en comblement du passif ist das Entstehen der Haftung aufschiebend durch den Eintritt der Insolvenz bedingt, und die Haftung ist ihrem Umfang nach auf die Höhe des Insolvenzausfalls kupiert. Die Haftungsrealisierung findet zwar nur im Falle der Insolvenz der abhängigen Gesellschaft statt, dennoch ist sie ein allgemeiner, nur in den Bereich des Insolvenzrechts verlagerter, zivilrechtlicher Haftungsansatz. Eine besondere insolvenzrechtliche Prägung lässt sie vermissen. Damit greift der Ausnahmetatbestand des Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO nicht. Zur Kontrolle kann grundsätzlich folgende Frage gestellt werden: Greift die Haftungsnorm auch dann ein, wenn ein Insolvenzverfahren mangels Masse gar nicht erst eröffnet wird? Ist dies der Fall, dann setzt die Haftung ein Insolvenzverfahren nicht zwingend tatbestandlich voraus.82 Die Frage mag im deutschen Recht zu eindeutigen Abgrenzungskriterien führen, kann 77 78 79 80 81 82

Junker, RIW 1986, 337, 345. Junker, RIW 1986, 337, 345. Guyon, II, Nr. 1372; vgl. auch Zimmer, IntGesR, S. 293 ff. Guyon, II, Nr. 1379. So etwa Ebenroth/Kieser, KTS 1988, 19, 21 ff. Haubold, IPRax 2000, 375, 376.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

aber nicht unbedingt auf andere Rechtsordnungen übertragen werden. In Frankreich beispielsweise gibt es die Möglichkeit einer Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse nicht. Deshalb kommt es bei jeder Insolvenz zu einem Insolvenzverfahren mit der Bestellung eines Insolvenzverwalters.83 Damit handelt es sich immer um Streitigkeiten, die nicht ohne die Verfahrenseröffnung entstehen könnten. Sie müssen aber auch unmittelbar der Verwirklichung dieses Verfahrens dienen. Dies erscheint allerdings fraglich. Der Behauptung, dass der Schwerpunkt der action en comblement du passif nicht auf der Verhinderung der Pflichtverletzung liege (Verhaltenssteuerung), sondern auf der Vergrößerung der Insolvenzmasse (kompensatorisches Element), und sie daher keine gesellschaftsrechtliche Regel sei,84 lässt sich entgegnen, dass auch die Aussicht, bei Fehlverhalten in die Haftung genommen zu werden, abschreckend und damit präventiv wirkt. Von der drohenden Haftungserstreckung nach Art. L. 624-3 C. com. geht eine erhebliche Abschreckungswirkung aus, die die Geschäftsleiter bereits vor Eintritt des Insolvenzfalls veranlasst, im Einklang mit dem Gesetz die gebotene Sorgfalt anzuwenden.85 b) Qualifikation der Haftung nach Art. L. 624-5 C. com. Die Entscheidung, nach Art. L. 624-5 C. com. ein Insolvenzverfahren zu eröffnen, legt die Einordnung als konkursrechtliche Regelung nahe.86 Die gerichtliche Entscheidung über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens fällt grundsätzlich nicht unter die EuGVVO.87 Dennoch qualifiziert Kuckertz den „Insolvenzdurchgriff“ ohne besondere Begründung gesellschaftsrechtlich.88 Sie schließt allem Anschein nach von der kollisionsrechtlichen Qualifikation auf die des internationalen Zivilprozessrechts. Die eigentlichen Insolvenzverfahren sind von dem Anwendungsbereich der EuGVVO ausgeschlossen. Diese Verfahren fallen vielmehr in den Anwendungsbericht der EuInsVO. Nach ihrem Art. 1 ist die EuInsVO auf Gesamtverfahren anwendbar, die die Insolvenz des Schuldners voraussetzen. Das Verfahren gemäß Art. L. 624-5 C. com. wird allerdings aufgrund anderer Zwecke und anderer Gründe als der Insolvenz des Schuldners in Gestalt 83

Reiner, S. 215. So Wackerbarth, S. 109. 85 Zahn, S. 25. 86 CA Paris, Urt. v. 13.3.1991, D Inf. rap. 130; so für das Kollisionsrecht Wick, S. 138. 87 Haubold, IPRax 2002, 157. 88 Kuckertz, S. 157. 84

1. Kap.: Anwendungsbereich der EuGVVO

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des Geschäftsleiters eingesetzt. Es handelt sich vielmehr um eine Vorschrift über die Haftung von Geschäftsleitern einer Gesellschaft aus Tatbeständen, die nur typischerweise in der Insolvenz realisiert sind. Daher fallen Insolvenzverfahren als Sanktion, wie gemäß Art. L. 624-5 C. com., nach Auffassung von Vallens nicht unter die EuInsVO,89 was wiederum bedeuten würde, dass sie im Rahmen der EuGVVO geltend gemacht werden können.90 Er sieht das gegenüber einem Geschäftsleiter einer juristischen Person eröffnete Verfahren nicht vom Anwendungsbereich der Insolvenzverordnung erfasst, da es nicht auf der Insolvenz des Schuldners beruhe.91 Nach Art. L. 624-5 C. com. wird in der Tat unabhängig von der Insolvenzfähigkeit des Geschäftsleiters sowie zunächst auch ohne Ansehen von dessen Zahlungsfähigkeit ein separates Insolvenzverfahren über dessen Privatvermögen eröffnet. Zudem beinhaltet die Vorschrift eine Haftungsnorm, nach der die Geschäftsleiter aufgrund eines Geschäftsführungsfehlers für sämtliche Gesellschaftsverbindlichkeiten einzustehen haben. Es handelt sich um die Möglichkeit der pauschalen Inanspruchnahme eines Geschäftsleiters für die Schulden einer insolventen Gesellschaft. Die Haftungsvoraussetzungen müssen vor Einleitung des Insolvenzverfahrens bestehen. Das Insolvenzrecht regelt auch hier lediglich den Modus der Haftungsrealisierung bezüglich eines vorausgesetzten materiellrechtlichen Haftungsgrundes. Solche „Entscheidungen, die sich auf ein Insolvenzverfahren beziehen, (sind) nur dann von der Anwendung des Übereinkommens ausgeschlossen, wenn sie unmittelbar aus diesem Verfahren hervorgehen und sich eng innerhalb des Rahmens eines Konkurs- oder Vergleichsverfahrens (. . .) halten.“92 Eine Rechtsfolge, wie die der Haftung gemäß Art. L. 624-5 C. com., kennt allein das Konkursrecht. Die Haftung erfährt aufgrund der Art und Weise der Sanktion, nicht aufgrund der materiellrechtlichen Haftungsvoraussetzungen, sondern aufgrund der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der Rechtsfolge eine besondere insolvenzrechtliche Prägung. Solche Verfahren über Ansprüche, „die allein das Konkursrecht kennt“ oder „die auch im allgemeinen Zivilrecht bestehen, die aber im Konkursrecht eine so entscheidende Veränderung erfahren, dass sie nach ihrer Zweckbestimmung als zum Konkursrecht gehörend anzusehen sind“,93 sind von der Anwendung der 89

Vallens, Rép. communautaire Dalloz II, Faillite, Nr. 14. Gegen die Anwendbarkeit des EuGVÜ siehe aber Dalloz, Code de commerce, Art. L. 624-5, Nr. 12, S. 1044 mit Verweis auf CA Paris, Urt. v. 13.3.1991, D. 1992, 184. 91 Vallens, Rép. communautaire Dalloz II, Faillite, Nr. 13. 92 EuGH, Urt. v. 22.2.1979, Rs. 133/78 – Gourdain/Nadler – Slg. 1979, 733, 744 Rn. 4. 90

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

EuGVVO ausgeschlossen. Bei der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegenüber dem Vermögen des Geschäftsleiters handelt es sich um die Eröffnung eines eigenständigen Verfahrens, welches die Folge hat, dass das entsprechende Urteil gleichzeitig Eröffnungsurteil für das „Insolvenzverfahren“ über das Vermögen des Geschäftsleiters ist.94 Die insolvenzrechtliche Prägung ist damit derart dominierend, dass das Verfahren gemäß Art. L. 624-5 C. com. vom Ausschlusstatbestand des Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO erfasst wird. Eine Durchsetzung der Ansprüche im Rahmen der EuGVVO scheidet damit aus. Die Entscheidungszuständigkeit richtet sich demnach nach der EuInsVO. Die internationale Zuständigkeit für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegt grundsätzlich bei den Gerichten in dem Land, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner wirtschaftlichen Interessen hat (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO). Wird ein separates Insolvenzverfahren über das Privatvermögen des Geschäftsleiters eröffnet, so wären die Gerichte in dessen Insolvenzstaat ausschließlich zuständig gemäß Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. Das Insolvenzverfahren wird aber nicht unbedingt aufgrund der Insolvenz des Geschäftsleiters eröffnet (vgl. Art. 1 Abs. 1 EuInsVO), sondern weil diesem ein Geschäftsführungsfehler zur Last gelegt wird. Damit handelt es sich eher um ein Einzelverfahren im Zusammenhang mit einer Insolvenz. Eine ausdrückliche Zuständigkeitsregelung für Einzelverfahren, die unter die EuInsVO fallen, fehlt. Daraus kann man zum einen schließen, dass die internationale Zuständigkeit für Einzelverfahren in der EuInsVO nicht geregelt ist95 und daher auf autonomes Zuständigkeitsrecht zurückzugreifen ist. Dies stünde jedoch in Widerspruch zur Absicht des Verordnungsgebers, dass sich EuInsVO und EuGVVO lückenlos ergänzen sollen.96 Die Lösung birgt ferner die Gefahr von negativen Kompetenzkonflikten.97 Außerdem erscheint es als nicht sachgerecht, die Zuständigkeit nach unvereinheitlichtem autonomem Recht zu bestimmen, wenn die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidungen privilegiert über Art. 25 EuInsVO erfolgt.98 93 Vgl. zur Formulierung die Schlussanträge des Generalanwalts Reischl v. 7.2.1979 zum Urteil des EuGH v. 22.2.1979, Rs. 133/78 – Gourdain/Nadler – Slg. 1979, 733, 756. 94 Stellt sich im Laufe des „Insolvenzverfahrens“ über das Vermögen des Geschäftsleiters heraus, dass dessen Vermögen zur Befriedigung aller Forderungen ausreicht, wird dieses Verfahren in der Praxis sofort eingestellt, vgl. Reiner, S. 245 Fn. 138 mit Verweis auf eine Auskunft von Michel Rouger, Präsident des Handelsgerichts Paris. 95 So Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 291 f.; Schollmeyer, IPRax 1998, 29, 34. 96 Vgl. zum EuGVÜ nur Schlosser-Bericht, ABl. EG v. 5.3.1979, Nr. C 59, S. 71, 90, Nr. 53. 97 Schollmeyer, IPRax 1998, 29, 35; Haubold, IPRax 2002, 157, 160. 98 Haubold, IPRax 2002, 157, 160.

1. Kap.: Anwendungsbereich der EuGVVO

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Zum anderen kann in Erwägung gezogen werden, für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit für Einzelverfahren die EuGVVO anzuwenden, auch wenn sie eigentlich unter die EuInsVO fallen. Dies widerspricht aber den Vorstellungen des Verordnungsgebers, nach denen die Vorschriften der EuGVVO gerade nicht anwendbar sind.99 Die Vorschriften der Zuständigkeit und die der Anerkennung und Vollstreckung der EuGVVO hätten dann außerdem unterschiedliche sachliche Anwendungsbereiche. Das Problem der privilegierten Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung bestünde auch bei dieser Lösung.100 Überzeugend erscheint es, die Zuständigkeit für die Insolvenzeröffnung gemäß Art. 3 Abs. 1 EuInsVO über den Wortlaut hinaus als allgemeine Zuständigkeit aufzufassen. Damit wären Einzelverfahren im Bereich der EuInsVO ausschließlich an den Gerichten des Insolvenzverfahrenslandes durchzuführen. Dies entspricht auch den Absichten des Verordnungsgebers, denn nach dem Erwägungsgrund 6 „sollte sich diese Verordnung auf Vorschriften beschränken, die die Zuständigkeit für die Eröffnung von Insolvenzverfahren und von Entscheidungen regeln, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen.“101 Auf eine derartige allgemeine Zuständigkeit kann auch aus der Regelung der Anerkennung von Einzelverfahren nach Art. 25 Abs. 1 Uabs. 2 a. E. EuInsVO geschlossen werden, da darin indirekt auf Art. 3 EuInsVO Bezug genommen wird.102 Damit sind für Einzelverfahren im Zusammenhang mit einer Insolvenz, die in den Anwendungsbereich der EuInsVO fallen, die Gerichte des Staates ausschließlich international zuständig, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach autonomem Prozessrecht. c) Qualifikation der Haftung wegen société fictive und confusion des patrimoines Fraglich ist, ob auch die Fälle einer echten Insolvenzerstreckung (action en extension de la procédure de redressement ou de liquidation judiciaire) wegen fiktiver Gesellschaft und Vermögensvermischung Probleme beim Anwendungsbereich bereiten. Im Gegensatz zur action en comblement du passif herrscht hier keine Diskussion.103 Im autonomen Zivilverfahrensrecht 99

Haubold, IPRax 2002, 157, 160. Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 292. 101 Vgl. dazu Haubold, IPRax 2002, 157, 160. 102 Haubold, IPRax 2002, 157, 160; Eidenmüller, IPRax 2001, 2, 7 Fn. 39; anders Schollmeyer, IPRax 1998, 29, 34, Fn. 54. 100

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wird die Klage im Rahmen des Insolvenzrechts behandelt, da es sich nach französischem Recht nicht um eine zivilrechtliche Haftung i. e. S. handelt. Die besonderen Zuständigkeitsnormen des Gesetzes von 1966 sind nicht anwendbar. Nach Rechtsprechung104 und Lehre105 wird auch hier von einer Anwendung der insolvenzrechtlichen Zuständigkeitsregeln ausgegangen.106 Wie bereits erläutert wurde, verbleibt bei einer materiellen Betrachtungsweise der action en comblement du passif lediglich der Kreis der Antragsberechtigten zur Rechtfertigung eines spezifisch insolvenzrechtlichen Charakters des Anspruchs. Die Aktivlegitimation für die Klage liegt dort jedenfalls nicht beim Gläubiger. Welchen Personen das Initiativrecht zur Beantragung der Insolvenzerstreckung bei Fiktivität und Vermögensvermischung zusteht und ob das Insolvenzgericht auch von Amts wegen tätig werden kann, war lange unklar. In einem Urteil der Cour de cassation aus dem Jahre 1982,107 das allerdings noch zur Rechtslage nach dem Gesetz von 1967 erging, wird einem einzelnen Gläubiger einer insolventen Gesellschaft das Antragsrecht bezüglich der Erstreckung des Insolvenzverfahrens auf andere Gesellschaften, mit denen eine Vermögensvermischung bestand, zuerkannt. Die Antragsberechtigung hinsichtlich einer action en extension de la procédure de redressement ou de liquidation judiciaire aufgrund von Fiktivität oder Vermögensvermischung steht dem Gläubiger danach zu. Der Gläubiger kann auf eine Erklärung bezüglich des redressement judiciaire klagen. Er kann allein die Öffnung des Verfahrens verlangen. Die Klage auf Insolvenzerstreckung, die auf fiktiver Gesellschaft oder Vermögensvermischung beruht, stand damit jedem Gläubiger offen.108 Ob diese Entscheidung seit In-Kraft-Treten des Gesetzes von 1985, das das neue Amt des „Gläubigervertreters“ schuf, immer noch Gültigkeit hat, ist allerdings offen.109 Die Erstreckung des Insolvenzverfahrens beinhaltet die Zusammenfassung mehrerer Vermögen, was dem allgemeinen Interesse aller Gläubiger entspricht. Das könnte zu dem Schluss führen, dass einem Gläubiger allein nicht die Antragsberechtigung zusteht. Das Erstreckungs103

Kuckertz (S. 157) qualifiziert auch den „allgemeinen Haftungsdurchgriff“ ohne besondere Begründung gesellschaftsrechtlich und geht daher ohne weiteres von der Anwendbarkeit des EuGVÜ aus. 104 CA Paris, Urt. v. 17.12.1986, D. 1987 Inf. rap. 16. 105 Barthélémy/Hardouin, in: Droit de groupes de sociétés, Nr. 12309. 106 Art. 7 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes v. 1985; Art. 1 des Dekrets Nr. 85-1388 v. 27.12.1985; vgl. dazu auch Guyon, II, Nr. 1405. 107 Cass. com., Urt. v. 11.10.1982, D. 1983 Inf. rap. 180. 108 Cass. com., Urt. v. 11.10.1982, D. 1983 Inf. rap. 180. 109 In diesem Sinne wohl Guyon, II, Nr. 1405, der aus dieser Entscheidung ohne besondere Begründung ein Antragsrecht „jedes Interessierten“ folgert.

1. Kap.: Anwendungsbereich der EuGVVO

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verfahren ist eigentlich ein kollektives Verfahren, was indiziert, dass es nur durch einen Vertreter (mandataire) eingeleitet werden kann. In der Tat sperrt die Cour de cassation seit einem Urteil aus dem Jahre 1999 entgegen der zuvor wohl herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur die Klage auf Insolvenzerstreckung wegen Vermögensvermischung oder Fiktivität für Gläubiger.110 Die Gläubiger können die Erstreckung des Verfahrens auf die noch solventen Gesellschaften nur betreiben, wenn sie deren Gläubiger sind.111 Davon abgesehen ist aber eher die in Frage kommende Rechtsfolge entscheidend für eine insolvenzrechtliche Prägung der Haftungsklage. Wird kein Insolvenzverfahren eröffnet, sondern haftet die herrschende Gesellschaft so für die Verbindlichkeiten ihrer Tochter, kann eine Geltendmachung der Klage im Rahmen der EuGVVO durchaus in Betracht kommen. Dann ist die Insolvenz der Tochtergesellschaft nur Tatbestandsmerkmal der Haftung der Muttergesellschaft. Verfahren über eine Haftung der herrschenden Gesellschaft für Verbindlichkeiten der abhängigen Gesellschaft aufgrund eines Machtmissbrauchs kennt nicht allein das Konkursrecht. Solche Ansprüche bestehen auch im allgemeinen Zivilrecht. Sie erfahren durch die Voraussetzung der Insolvenz der Tochtergesellschaft auch keine so entscheidende Veränderung, dass sie nach ihrer Zweckbestimmung als zum Konkursrecht gehörend anzusehen sind. Solche Verfahren sind damit vom Ausnahmetatbestand des Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO nicht erfasst. Eine solche Rechtsfolge bei Solvenz des Verpflichteten, also der herrschenden Gesellschaft, wird für die Fälle der confusion des patrimoines kaum diskutiert.112 Ist die juristische Person hinter der insolventen Gesellschaft aber selbst zahlungsfähig, wird regelmäßig nur eine Verurteilung zur Zahlung ausgesprochen.113 Es wäre widersinnig, über das Vermögen eines offenbar solventen Unternehmens ein Insolvenzverfahren zu eröffnen. Es würde wegen der Erfüllung der Verbindlichkeiten ohnehin bald beendet sein und nur Störungen und Kosten für das Unternehmen verursachen.114 Eine solche Zahlungsklage kann i.R. d. EuGVVO geltend gemacht werden. Für die Fälle der echten Insolvenzerstreckung ist eine einheitliche Lösung mit der Qualifikation der Haftung nach Art. L. 624-5 C. com. zu suchen. Die Erstreckung des Insolvenzverfahrens weist ebenso wie die Eröffnung eines separaten Insolvenzverfahrens eine besondere konkursrechtliche Prä110

Cass. com., Urt. v. 16.3.1999, D. Affaires 1999, 635. Cass. com., Urt. v. 16.3.1999, D. Affaires 1999, 635; Lucas, Pet. aff., 4.5.2001, Nr. 89, S. 66, 71 Fn. 51. 112 Siehe aber Zahn, S. 185 f. 113 Cass. com., Urt. v. 15.3.1982, D. 1982, J 404 m. Anm. Derrida (405 f.). 114 Derrida, D. 1982, J 405, 406; Zahn, S. 186. 111

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

gung auf. Damit können diese Ansprüche nicht im Rahmen der EuGVVO geltend gemacht werden. Dieses Ergebnis führt zwar zu einer unterschiedlichen zuständigkeitsrechtlichen Behandlung für ein und dasselbe Haftungsinstitut. Andererseits ist eine einheitliche Behandlung mit Art. L. 624-5 C. com. von Vorteil. Art. L. 624-5 C. com. betrifft den Geschäftsleiter, der Geschäfte unter dem Deckmantel der Gesellschaft führt. Nimmt er zahlreiche und wiederholt persönliche Handlungen vor, läuft die Gesellschaft Gefahr, keine eigene Aktivität mehr zu besitzen und damit fiktiv zu werden, oder – was auf das Gleiche hinausläuft – das Vermögen des Geschäftsleiters vermischt sich mit dem der Gesellschaft. In einigen Fällen kann man also durchaus zweifeln oder zögern, ob ein oder mehrere Verfahren vorliegen (unité ou pluralité de procédure),115 welches Haftungsinstitut also zur Anwendung kommt. Insofern werden Abgrenzungsschwierigkeiten auf dieser Ebene vermieden. d) Bedenken gegen das vorläufige Ergebnis Demnach bestehen Bedenken gegen die Differenzierung nach der Rechtsfolge vor allem in der Hinsicht, dass ähnliche Sachverhalte zuständigkeitsrechtlich völlig unterschiedlich behandelt werden. Dies muss jedoch hingenommen werden. Denn entscheidet man sich insgesamt für eine insolvenzrechtliche Qualifikation, würden nahezu alle Konzernhaftungsansprüche nach französischem Recht aus dem Anwendungsbereich der EuGVVO fallen und damit wiederum ähnliche Sachverhalte in Europa zuständigkeitsrechtlich völlig unterschiedlich behandelt. Diese These soll im Folgenden noch anhand der Qualifikation der Konzernhaftung nach deutschem Recht überprüft werden. 3. Qualifikation der Konzernhaftung nach deutschem Recht Für die Geltendmachung der Ansprüche nach deutschem Recht besteht zunächst keine ausschließliche Zuständigkeit beim Konkurs- bzw. Insolvenzgericht, die im Zusammenhang mit den französischen Haftungsinstituten häufig noch als ein Kriterium erwähnt wird, jedoch – wie schon erläutert wurde – nicht ausschlaggebend oder entscheidend ist. Zudem muss die Klage nicht zwingend vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden, sondern kann grundsätzlich von der abhängigen Gesellschaft (vertreten durch ihren Geschäftsführer), Minderheitsgesellschaftern und Gläubigern der abhängigen Gesellschaft selbst erhoben werden. Auch tatbestandlich be115

Guyon, II, Nr. 1405.

1. Kap.: Anwendungsbereich der EuGVVO

139

steht keine Anknüpfung an das Insolvenzverfahren. Die Haftung greift unabhängig von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ein. Schließlich dient die Konzernhaftung nach deutschem Recht allenfalls mittelbar der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger. Der Normzweck ist überwiegend auf Kapitalerhaltungsschutz gerichtet;116 die Vorschriften sollen demnach primär verhindern, dass es zur Insolvenz kommt, und nicht bei schon eingetretener Insolvenz zur Erweiterung der Aktivmasse führen.117 Anders könnte nun die neue Existenzvernichtungshaftung im qualifizierten faktischen Konzern beurteilt werden. In der Insolvenz findet § 93 InsO analoge Anwendung.118 Die Durchgriffsansprüche der Gläubiger sind dann vom Insolvenzverwalter geltend zu machen. Diese Vorschrift gewährt aber keinen eigenen Haftungsanspruch, sondern überträgt nur die Geltendmachung von Ansprüchen der Gläubiger auf den Insolvenzverwalter. Dadurch werden diese Ansprüche aber nicht zu rein insolvenzrechtlichen.119 Ebenso wie Aktivprozesse des Insolvenzverwalters keine Insolvenzsachen sind, da es um Forderungen gegen Dritte – Schuldner des Gemeinschuldners – geht, welche nicht in das Kollektivverfahren der Insolvenz eingebunden sind, muss die EuInsVO nicht herangezogen werden, wenn der Insolvenzverwalter eine Klage auf § 93 InsO stützt.120 Für eine insolvenzrechtliche Qualifikation der Existenzvernichtungshaftung spricht jedoch, dass diese im Gegensatz zu den anderen Haftungsinstituten als Insolvenzverursachungshaftung eingeordnet werden kann, die im Gläubigergesamtinteresse zu einer persönlichen Gesellschafterhaftung führt, und dass sie teilweise funktionsäquivalent zu den insolvenzrechtlichen Anfechtungsvorschriften ist. Voraussetzung für eine insolvenzrechtliche Qualifikation ist aber, dass man den existenzvernichtenden Eingriff als ein Verhalten beurteilt, welches eine Umgehung des förmlichen Liquidations- und Insolvenzverfahrens darstellt, indem die Gesellschaft zu Lasten der Gläubiger ungeordnet121 liquidiert wird, wobei das Prinzip der vorrangigen Gläubigerbefriedigung (§ 73 GmbHG) bei der Fehlinvestition des Gesellschaftsvermögens von den Gesellschaftern missachtet wird.122 116 Vgl. z. B. für § 302 AktG: BGH, Urt. v. 20.2.1989 – Tiefbau – BGHZ 107, 7, 18; Hüffer, AktG, § 302 Rn. 3; Ulmer, NJW 1986, 1579, 1584. 117 Kindler, in FS Ulmer, S. 305, 306, der auf den Unterschied zur Konkursanfechtung hinweist, die nach überwiegender Auffassung dem Anwendungsausschluss des Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 EuGVÜ unterfiel (vgl. BGH, Urt. v. 11.1.1990, NJW 1990, 990, 991; OLG Hamm, Urt. v. 25.11.1999, RIW 2000, 305). 118 So Ulmer, JZ 2002, 1049, 1050. 119 Vgl. Haubold, IPRax 2002, 157, 163 Fn. 100. 120 A. A. Haas, NZG 1999, 1148, 1152 f. 121 Zur „kalten“ Liquidation vgl. Winter, ZGR 1994, 570, 591; vgl. auch Röhricht, in FS BGH, S. 83, 103.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Aus Sicht der Liquidationsvorschriften spielt das Verhalten der Gesellschafter vor Eintritt des Abwicklungsfalls keine Rolle; das Ziel einer Vorfeldsteuerung des Gesellschafterverhaltens ist ihnen fremd.123 Die Existenzvernichtungshaftung hat aber wie die anderen Konzernhaftungstatbestände auch den Zweck, das Gesellschafterverhalten im Vorfeld der Auflösung und Abwicklung einer GmbH zu steuern. Damit handelt es sich auch bei der Existenzvernichtungshaftung neuerer Prägung um eine Haftung von Gesellschaftern, die lediglich typischerweise in der Insolvenz realisiert ist. Bei einer autonomen Qualifikation ist die Existenzvernichtungshaftung somit nicht im Sinne der Europäischen Insolvenzverordnung insolvenzrechtlich einzustufen (Art. 3 EuInsVO), sondern kann im Rahmen der EuGVVO geltend gemacht werden. Somit fallen sämtliche Konzernhaftungsansprüche nach deutschem Recht in den Anwendungsbereich der EuGVVO. 2. Kapitel

Ausschließlicher Gerichtsstand gemäß Art. 22 Nr. 2 EuGVVO Ist der Anwendungsbereich der EuGVVO eröffnet, stellt sich weiter die Frage, wo für die Geltendmachung von Konzernhaftungsansprüchen ein Gerichtsstand zur Verfügung steht, insbesondere ob im Inland am Sitz der abhängigen Gesellschaft geklagt werden kann. Ein ausschließlicher Gerichtsstand am Gesellschaftssitz besteht gemäß Art. 22 Nr. 2 EuGVVO nur bezüglich der Klagen, die die Gültigkeit, Nichtigkeit oder Auflösung der Gesellschaft oder die Gültigkeit der Beschlüsse ihrer Organe zum Gegenstand haben. So ergibt es sich eindeutig aus der deutschen Fassung. Nicht so klar ist die englische Fassung, die „proceedings which have as their object the validity of the constitution (. . .) or the decisions of their organs“ erfasst, und sich damit auf sämtliche Klagen im Zusammenhang mit Geschäftsführerbeschlüssen beziehen könnte, worunter unter anderem dann auch Haftungsansprüche gegen den Geschäftsführer fallen könnten. In England folgen Rechtsprechung und Lehre aber zum Teil ebenso der restriktiven kontinentaleuropäischen Auslegung,124 so dass diese Haftungsansprüche wiederum nicht von Art. 22 Nr. 2 EuGVVO erfasst werden. Wenngleich dem Abschluss des Beherrschungsvertrags ein Hauptversammlungsbeschluss zugrunde liegt (§ 293 AktG), bleibt streitgegenständ122 123 124

So Weller, IPRax 2003, 207, 210. Vgl. Mülbert, DStR 2001, 1937, 1942. Vgl. die Nachweise bei Haubold, IPRax 2000, 375, 376, Fn. 16.

3. Kap.: Allgemeiner Gerichtsstand

141

lich der jeweilige Haftungsanspruch.125 So ordnet beispielsweise § 304 Abs. 3 AktG auch ausdrücklich an, dass der zugrunde liegende Beschluss nicht angefochten werden kann. Auch unter diesem Gesichtspunkt besteht also keine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 22 Nr. 2 EuGVVO. In Betracht kommt der ausschließliche Gerichtsstand jedoch für Ansprüche wegen abus de majorité. Dies ist der Fall, wenn als Rechtsfolge die Nichtigkeit von Beschlüssen und nicht Schadensersatz in Betracht gezogen wird. Ob eine analoge Anwendung des Art. 22 Nr. 2 EuGVVO auf sonstige gesellschaftsrechtliche Ansprüche in Betracht gezogen werden sollte, ist fraglich. Dieser Gedanke klingt beispielsweise bei Bayer an, der eine Erweiterung des Gerichtsstands des Art. 22 Nr. 2 EuGVVO vorschlägt. Zumindest de lege ferenda solle die internationale Zuständigkeit für die Geltendmachung der Ansprüche nach §§ 304, 305 AktG im Einklang mit § 306 AktG a. F. (nunmehr § 2 Abs. 1 SpruchG) am Sitz der Untergesellschaft geschaffen werden.126 Eine Analogie scheitert aber bereits an der mangelnden Regelungslücke.127 Ob darüber hinaus keine vergleichbare Interessenlage besteht, kann insofern offen gelassen werden.128

3. Kapitel

Allgemeiner Gerichtsstand gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 60 Abs. 1 EuGVVO Gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 60 Abs. 1 EuGVVO sind Gesellschaften und juristische Personen an dem Ort zu verklagen, an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet. Der satzungsmäßige Sitz ergibt sich aus dem jeweiligen Gesellschaftsvertrag. Die Hauptverwaltung stellt den Ort dar, an dem die Willensbildung und die eigentliche unternehmerische Leitung der Gesellschaft 125

Vgl. Geimer/Schütze, IntUrtAnerk I/1, S. 711; Jaspert, S. 137. Bayer, S. 138, Fn. 421. § 306 Abs. 1 AktG a. F. (nunmehr § 2 Abs. 1 SpruchG) begründet ebenfalls eine ausschließliche Zuständigkeit; vgl. Emmerich/ Habersack (3. Aufl.), § 306 Rn. 7; MünchKommAktG/Bilda, § 306 Rn. 8; Hüffer, AktG, Anh § 305 Rn. 2. 127 Siehe dazu 6. Teil, II., S. 386. 128 Vgl. zu dem Standpunkt, dass ein ausschließlicher Gerichtsstand für alle gesellschaftsrechtlichen Klagen weder notwendig noch wünschenswert ist: Geimer/ Schütze, EuZVR, A.1 Art. 22 Rn. 142; Haubold, IPRax 2000, 375, 376; vgl. zu den von Nr. 2 nicht erfassten Sachbereichen ferner Kropholler, EuZPR, Art. 22 Rn. 40. 126

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

erfolgen, demnach meist der Sitz der Organe. Die Hauptniederlassung schließlich ist der tatsächliche Geschäftsschwerpunkt.129 Ein Konzern besteht aus juristisch selbständigen Unternehmen, so dass jede Gesellschaft grundsätzlich zunächst an ihrem Sitz, ihrer Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung zu verklagen ist. Demnach besteht für eine Klage gegen die herrschende Gesellschaft am allgemeinen Gerichtsstand regelmäßig eine Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts. Von Interesse ist der Gerichtsstand gemäß Art. 2 Abs. 1 EuGVVO, wenn die gesetzlichen Vertreter des abhängigen Unternehmens (z. B. nach § 310 AktG) verklagt werden. In der Regel wird sich der Wohnsitz der gesetzlichen Vertreter am Sitz der Gesellschaft befinden, bei der sie beschäftigt sind. Dies würde eine Klage im Inland zulassen. Die Zuständigkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 60 Abs. 1 EuGVVO ist deutlich weiter als im Geltungsbereich des EuGVÜ und damit auch gläubigerfreundlicher. Sie reicht allerdings nicht so weit wie die allgemeine Zuständigkeit kraft doing business in den USA,130 wo irgendwelche geschäftlichen Aktivitäten des Beklagten ausreichen, solange sie „continuous and systematic“ sind. Der Maßstab ist dort mitunter sehr flexibel131 und ermöglicht in einigen Fällen auch einen zuständigkeitsrechtlichen Durchgriff auf die Mutter. Im Rahmen der EuGVVO ist der allgemeine Gerichtsstand der Mutter jedoch an deren ausländischen Sitz. 4. Kapitel

Besondere Gerichtsstände – Einführung Möchten die abhängige Gesellschaft, ihre außenstehenden Aktionäre und Gläubiger eine Gerichtspflichtigkeit der Muttergesellschaft im Inland begründen, kommen die besonderen Gerichtsstände des Art. 5 EuGVVO in Betracht. Bedenken hinsichtlich der Anwendbarkeit der Vorschrift des Art. 5 EuGVVO könnten aufgrund von Art. 22 Nr. 2 EuGVVO bestehen. Die Vorschrift enthält Regeln für bestimmte gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten. Im Übrigen trifft die EuGVVO diesbezüglich keine Regelungen. Daraus könnte im Umkehrschluss zu folgern sein, dass für andere gesellschafts129

Kropholler, EuZPR, Art. 60 Rn. 2. Vgl. zur US-amerikanischen Zuständigkeit kraft doing business: Schack, Minimum Contacts, S. 37 ff.; H. Müller, Doing business. 131 Schack, in GS Sonnenschein, S. 705, 706. 130

4. Kap.: Besondere Gerichtsstände

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rechtliche Tatbestände, die nicht unter den Art. 22 Nr. 2 EuGVVO fallen, nur der allgemeine Gerichtsstand des Art. 2 Abs. 1 EuGVVO einschlägig sein soll. Wenn Art. 22 Nr. 2 EuGVVO eine besondere Zuständigkeit nach Art. 5 EuGVVO für sonstige gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten – und damit für die Geltendmachung von Konzernhaftungsansprüchen – ausschließen würde, stünde für gesellschaftsrechtliche Tatbestände – neben dem ausschließlichen Gerichtsstand des Art. 22 Nr. 2 EuGVVO – nur der allgemeine Gerichtsstand gemäß Art. 2 Abs. 1 EuGVVO offen. Für einen derartigen Umkehrschluss fehlen aber jegliche Anhaltspunkte: Art. 22 Nr. 2 EuGVVO schließt nur für Streitigkeiten, die von der Vorschrift erfasst sind, eine parallele allgemeine oder besondere Zuständigkeit aus. Im Übrigen kommt eine ausschließliche Zuständigkeit für sonstige gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten nicht in Betracht. Der Ausschluss einer besonderen Zuständigkeit für sonstige gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten folgt daraus also nicht.132 Eine Sperrwirkung dieser Vorschrift in Bezug auf die besonderen Gerichtsstände der EuGVVO ist folglich nicht zu erkennen und daher abzulehnen. Der Schwerpunkt im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung liegt damit auf der Einordnung der Konzernhaftungsansprüche in den Katalog der besonderen Zuständigkeiten des Art. 5 EuGVVO. Behandelt wird im Folgenden insbesondere die Frage, ob Konzernhaftungsansprüche als vertraglich im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO bzw. quasivertraglich oder deliktisch im Sinne von Art. 5 Nr. 3 EuGVVO zu qualifizieren sind oder aber Ansprüche sui generis darstellen, die als dritte Kategorie der zivilrechtlichen Haftung nur am allgemeinen Gerichtsstand der Art. 2 Abs. 1, 60 Abs. 1 EuGVVO, mithin am Sitz der herrschenden Gesellschaft geltend gemacht werden können. Diese dritte Kategorie würde dann neben die von Art. 5 Nr. 1 und 3 EuGVVO erfassten („klassischen“) Ansprüche treten.133 Als logisch vorrangig im Gang der Untersuchung ist zunächst eine Qualifikation der Konzernhaftung als vertraglich im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO zu untersuchen.134 Denn eine vertragliche Haftung kann keine außervertragliche Haftung mehr sein. Der Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO bezieht sich dagegen auf alle Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag i. S. v. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO anknüpfen.135 132

Haubold, IPRax 2000, 375, 377. Vgl. dazu Gaudemet-Tallon (2. Aufl.), Nr. 185; etwas abgeschwächt in der 3. Aufl., Nr. 211. 134 Dies übersehen Maul, AG 1998, 404, 408 f. und bisweilen auch Jaspert, S. 145; zutreffend aber Mankowski, IPRax 2003, 127, 128. Die Frage nach der vertraglichen Qualifikation hat logisch und in der Prüfung Vorrang. 133

144

4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

5. Kapitel

Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO Wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, kann vor dem Gericht des Ortes geklagt werden, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre (Art. 5 Nr. 1 EuGVVO).

I. Konzernhaftungsklagen und gesellschaftsrechtliche Haftungsansprüche i.R. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO Der Schutz der abhängigen Gesellschaft und ihrer Gläubiger ist in Deutschland konzernrechtlich ausgestaltet und hat auch in Frankreich gruppenspezifische Prägungen erfahren. Der Entstehungstatbestand der Ansprüche ist häufig durch zwingende Vorschriften gesetzlich geregelt. Dies wirft die Frage auf, inwieweit sich Konzernhaftungsansprüche mit dem Begriff des vertraglichen Anspruchs i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO überhaupt vereinbaren lassen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass der EuGH bei der Anwendung und Auslegung des EuGVÜ durchaus Widersprüche zwischen prozessualen und materiellrechtlichen Wertungen duldet.136 Mögliche Hinweise zur Einordnung von Konzernhaftungsansprüchen als solche aus einem Vertrag könnten in systematischer Hinsicht dem Zusammenhang zwischen der EuGVVO und dem Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980 (Römer Schuldvertragsübereinkommen bzw. EVÜ)137 entnommen werden. Letzteres ist nach seinem Art. 1 Abs. 2 lit. e138 nicht anzuwenden auf „Fragen betreffend das Gesellschaftsrecht, das Vereinsrecht und das Recht der juristischen Personen, wie z. B. (. . .) die Auflösung von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen sowie die persönliche gesetzliche Haftung der Gesellschafter und der Organe für die Schulden der Gesellschaft, des Vereins oder der juristischen Person“. Daraus könnte gefolgert werden, dass 135

Vgl. dazu unten 4. Teil, 6. Kapitel: I.1., S. 287. Schlussanträge des Generalanwalts Darmon zu EuGH, Urt. v. 27.9.1988, Rs. 189/87 – Kalfelis/Bankhaus Schröder – Slg. 1988, 5565, 5576; Geimer, NJW 1988, 3089, 3090; Kulms, IPRax 2000, 488, 490. 137 Römisches EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980 (BGBl. 1986 II, S. 810) i. d. F. des 3. Beitrittsübereinkommens vom 29. November 1996 (BGBl. 1999 II, S. 7). 138 Die Vorschrift entspricht Art. 37 Nr. 2 EGBGB. 136

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

145

durch den Ausschluss vom Geltungsbereich des Übereinkommens die nichtvertragliche Natur der einen Gesellschafter treffenden Haftung bestätigt wird.139 Andererseits kann aber auch gerade aus eben diesem Ausschluss die Vertragsnatur der streitigen Verpflichtung hergeleitet werden: Aus dem vorgesehenen Ausschluss kann gefolgert werden, dass die Annahme bestanden habe, mangels ausdrücklicher Regelung würden diese Verbindlichkeiten wegen ihrer Vertragsnatur in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallen.140 Dieser Vergleich sagt also über die Anwendung des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO auf gesellschaftsrechtliche Haftungsansprüche nichts aus. Die historische Betrachtung lässt erkennen, dass die Verfasser des Übereinkommens bei der Formulierung des Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ dem deutschen Vorbild des § 29 ZPO folgten.141 § 29 ZPO erfasst einige gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten und Haftungsansprüche.142 Art. 5 Nr. 1 lit. b der EuGVVO entspricht hingegen weitgehend Art. 46 NCPC.143 Diese Änderung betrifft allerdings vor allem den Begriff des Erfüllungsortes und nicht den Vertragsbegriff.144 Der französische Einfluss auf die neue Regelung in der EuGVVO zeigt sich nur im Konzept einer rein faktischen, vom anwendbaren materiellen Recht losgelösten Ermittlung des Erfüllungsorts.145 Ein Vergleich der Zuständigkeitsregelungen der anderen Mitgliedstaaten ergibt, dass in einigen Staaten der Gerichtsstand des Erfüllungsortes streng auf Ansprüche aus schuldrechtlichen Verträgen begrenzt ist, in anderen der Gerichtsstand sogar auch auf nichtvertragliche Ansprüche ausgedehnt wird. Art. 46 NCPC findet z. B. wie Art. 5 Nr. 1 EuGVVO Anwendung „en matière contractuelle“. Allerdings wird die Vorschrift von der französischen Rechtsprechung teilweise restriktiver gehandhabt.146 Den deutschen Ge139 So die Ansicht der Firma Peters im Fall Peters/ZNAV, Urt. des EuGH v. 22.3.1983, Rs. 34/82, Slg. 1983, 987, 1011. 140 Vgl. die Auffassung der Kommission und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland im Fall Peters/ZNAV, Urt. des EuGH v. 22.3.1983, Rs. 34/82, Slg. 1983, 987, 1011. 141 Jenard-Bericht, ABl. EG v. 5.3.1979, Nr. C 59, S. 1, 23; Geimer/Schütze, EuZVR (1. Aufl.), Art. 5 Rn. 7; vgl. auch Geimer, IZPR, Rn. 1481 ff. 142 Z. B. § 309 AktG. 143 Art. 46 NCPC lautet: „Le demandeur peut saisir à son choix, outre la juridiction du lieu où demeure le défendeur: – en matière contractuelle, la juridiction du lieu de la livraison effective de la chose ou du lieu de l’exécution de la prestation de service (. . .).“ 144 Die französische Vorschrift sieht vor, dass in vertraglichen Streitigkeiten auch die Gerichte am Ort der tatsächlichen Lieferung der Sache oder am Ort der Erbringung der Dienstleistung zuständig sind. 145 Vgl. dazu Kropholler/von Hinden, in GS Lüderitz, S. 401, 405 f. 146 Siehe auch die italienische Regelung des Art. 4 Nr. 2 Codice di procedura civile (CPC).

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

richtsstand des Erfüllungsortes gab es in dieser ausgedehnten Form in den meisten anderen Vertragsstaaten gar nicht.147 Auch wenn die Verfasser sich damals bei Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ nach dem deutschen Vorbild des § 29 ZPO richteten, ist der EuGH in seiner Rechtsprechung bestrebt, den Anwendungsbereich des Art. 5 Nr. 1 durch eine konventionsimmanente, d. h. autonome Definition des Begriffs „Vertrag“ einheitlich für alle Vertragsstaaten festzulegen.148 Nach der Definition des EuGH ist Vertrag das Ergebnis freiwilliger Verhandlungen, also jede „gegenüber einer anderen (Person) freiwillig eingegangene Verpflichtung“.149 Der Begriff „Vertrag“ ist als verpflichtendes Rechtsgeschäft, als rechtsgeschäftlich begründete Verbindlichkeit zu verstehen.150 Noch weiter gehend ist der Vertrag als „Akt der privatautonomen Selbstbindung“ zu begreifen.151 In teleologischer Hinsicht ist zu beachten, dass Art. 5 Nr. 1 EuGVVO „ein Zuständigkeitskriterium auf(stellt), dessen Anwendung der Kläger nach seiner Wahl bestimmen kann und das durch eine unmittelbare Verknüpfung zwischen dem Rechtsstreit und dem zu seiner Entscheidung berufenen Gericht gerechtfertigt ist“.152 Sinn des vertraglichen Gerichtsstands ist vor allem, eine „enge Verbindung zwischen einem Rechtsstreit und dem für seine Entscheidung zuständigen Gericht“153 zu schaffen. Ein Vertragsschluss begründet als Akt privatautonomer Selbstbindung eine freiwillige Unterwerfung der Vertragsparteien unter den Gerichtsstand des Erfüllungsortes und schafft eine enge Bindung zwischen den Vertragsparteien, womit eine derartige Verknüpfung vorliegt. Ausreichend ist, dass die Ansprüche das Bestehen eines Vertrags voraussetzen und aus diesem abgeleitet werden, selbst wenn sie letztlich gesetzlich begründet sind. Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes ist dabei von dem am Ort der unerlaubten Handlung abzugrenzen, der ebenfalls eine gewisse Sachnähe zum Rechtsstreit aufweist. Der Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO bezieht 147

Schlosser, EUZPR, Art. 5 Rn. 1. EuGH, Urt. v. 22.3.1983, Rs 34/82 – Peters/ZNAV – Slg. 1983, 987, 1002 Rn. 9 und 10; EuGH, Urt. v. 8.3.1988, Rs. 9/87 – Arcado/Haviland – Slg. 1988, 1539, 1554 Rn. 10 und 11. 149 EuGH, Urt. v. 17.6.1992, Rs. C-26/91 – Handte/TMCS – Slg. 1992 I-3967, 3994 Rn. 15; EuGH, Urt. v. 17.9.2002, Rs. C-334/00 – Tacconi/HWS – NJW 2002, 3159 Rn. 23. 150 Martiny, in FS Geimer, S. 641, 650. 151 So grundlegend Schlosser, IPRax 1984, 65, 66; vgl. zum Vertrag als autonome Selbstbindung ferner Mankowski, IPRax 2003, 127, 129 m. w. N. in Fn. 24. 152 EuGH, Urt. v. 17.1.1980, Rs. 56/79 – Zelger/Salinitri – Slg. 1980, 89, 96 Rn. 3. 153 Jenard-Bericht, ABl. EG v. 5.3.1979, Nr. C 59, S. 1, 22; vgl. zur engen Verbindung zwischen Rechtsstreit und Gericht auch Tichadou, D. 1997, 78, 79. 148

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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sich auf alle Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO anknüpfen. Als mögliche Abgrenzungskriterien zum Gerichtsstand am Ort der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO können daher eine bestehende Nähebeziehung sowie ein enger Zusammenhang zwischen dem Schadensereignis und den daraus folgenden Schadensersatzansprüchen und der zuvor zwischen den Parteien geschaffenen Verbindung herangezogen werden.154 Das Schadensereignis darf nicht nur gelegentlich einer bestehenden Beziehung erfolgt sein, sondern aufgrund einer Verletzung der Beziehung bzw. eigener daraus resultierender Pflichten. Problematisch erscheint, dass dies in anderen Ländern nicht unbedingt verallgemeinerungsfähig ist, so z. B. in England, wo unerlaubte Handlungen auch bei engen Nähebeziehungen angenommen werden, oder in Frankreich, wo die Generalklausel des Art. 1382 C. civ. existiert. Eine funktionale Analyse muss sich im Folgenden insbesondere auch mit Sinn und Zweck der Vorschrift auseinandersetzen. Anzustrebendes Ziel ist ein Ausgleich zwischen Konzernrecht und den Interessen der Parteien.

II. Qualifikation der Konzernhaftungsansprüche nach deutschem Recht Auf dieser Grundlage sollen zunächst die deutschen Konzernhaftungsansprüche qualifiziert werden. Dabei ist zu beachten, dass die prozessrechtliche Qualifikation von der materiellrechtlichen abweichen kann. Wie bereits erläutert schließt z. B. die prozessrechtliche Qualifikation eines Anspruchs als „vertraglich“ auch nicht aus, dass sein Entstehungstatbestand gesetzlich geregelt ist. Demnach ist durchaus eine „vertragliche“ Qualifikation gesetzlicher Haftungszuordnungen möglich. Dabei ist eine Abgrenzung zu Ansprüchen aus anderen gesetzlichen Schuldverhältnissen vorzunehmen und möglicherweise ein Vergleich mit den quasi-contrats anzustellen sowie das Verhältnis zwischen Rechtsgeschäft und zwingendem Recht zu untersuchen. Der Vertragsbegriff der EuGVVO ist weit und verlangt unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH nur Konsens oder das freiwillige Eingehen einer Verpflichtung.155 Der Normaltypus eines Vertrags muss dafür nicht vorliegen, vielmehr reichen dafür auch andere konsenstra154

Schwarz, S. 153. EuGH, Urt. v. 17.6.1992, Rs. C-26/91 – Handte/TMCS – Slg. 1992 I-3967, 3994 Rn. 15; EuGH, Urt. v. 27.10.1998, Rs. 51/97 – Réunion européenne/Spliethoff’s Bevrachtingskantoor – Slg. 1998 I-6511, 6542 Rn. 17, 19; vgl. auch OLG Bremen, Urt. v. 25.9.1997, RIW 1998, 63, 64 dazu Brödermann, EWiR § 32 a GmbHG 1/98, 125 f. 155

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

gende Gestaltungen unabhängig davon, wie das anwendbare materielle Recht sie qualifiziert. Die autonome Auslegung des europäischen Zivilverfahrensrechts erfolgt daher unabhängig von der konzernrechtlichen Ausgestaltung, die das deutsche Recht für die Innen- und Außenhaftung bei Unternehmensverbindungen geschaffen hat. Dennoch tritt unweigerlich die Frage auf, inwieweit eine Orientierung an der Gestaltung, wie sie sich unter deutschem Recht ergibt, statthaft ist. Bei gesellschaftsrechtlichen Vorgängen setzt das Gesellschaftsstatut den Rahmen, innerhalb dessen sich die tatsächlichen Geschehnisse bewegen. Daher verlässt man die EuGVVO-autonome Auslegung nicht, wenn man jenen Rahmen mit einbezieht.156 Im Folgenden werden zunächst die Haftungsansprüche im grenzüberschreitenden Vertragskonzern und im Anschluss daran im faktischen Konzern untersucht. Dabei wird jeweils nach Innen- und Außenhaftungsansprüchen unterschieden. 1. Ansprüche im grenzüberschreitenden Vertragskonzern Die Einordnung der Konzernhaftungsansprüche im Vertragskonzern wird für den AG- und den GmbH-Vertragskonzern zusammen vorgenommen. Gesetzlich geregelt ist allein der AG-Vertragskonzern. Für den GmbH-Vertragskonzern wird aber eine Analogie zu den §§ 291 ff. AktG weitgehend befürwortet.157 Hinsichtlich der Zuständigkeit der Gerichte im EG-Bereich ergeben sich daher keine Besonderheiten gegenüber den Ansprüchen im aktienrechtlichen Vertragskonzern. a) Zulässigkeit des grenzüberschreitenden Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrages Durch den Beherrschungsvertrag unterstellt eine Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien die Leitung ihrer Gesellschaft einem anderen Unternehmen (§ 291 Abs. 1 Satz 1 AktG). Mit Ausnahme von Portugal ist dem europäischen Ausland die Figur eines solchen Beherrschungsvertrages fremd. Portugal kennt ein entsprechendes Rechtsinstitut.158 In der Praxis kommen grenzüberschreitende Unternehmensverträge meist mit ei156

Mankowski, EWiR Art. 5 EuGVÜ 1/99, 949, 950. Näheres bei Zöllner, ZGR 1992, 173 ff.; vgl. dazu bereits oben 2. Teil, 1. Kapitel: I.2., S. 50. 158 Siehe Código das Sociedades Comerciais, Decreto-Lei Nr. 262/86 v. 2.9.1986; abgedr. bei Lutter/Overrath, in Lutter, Konzernrecht im Ausland, ZGR Sonderheft 11, S. 229, 236 ff. 157

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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nem deutschen abhängigen Unternehmen vor, wobei dann deutsches Recht anwendbar ist.159 Ob ein solcher grenzüberschreitender Beherrschungsvertrag zulässig ist, wird schon nach deutschem Recht uneinheitlich beantwortet.160 Die Zulässigkeit separater grenzüberschreitender Beherrschungsverträge mit einer deutschen Tochtergesellschaft wird aus Sicht des deutschen Sachrechts aber von der ganz herrschenden Lehre bejaht.161 Grenzüberschreitende Gewinnabführungsverträge sind in der Praxis eher bedeutungslos. Es kann dennoch zu mittelbaren grenzüberschreitenden Gewinnabführungsverträgen mit einer inländischen unselbständigen Zweigniederlassung kommen.162 b) Konzerninnenhaftung aa) Verlustübernahmepflicht des herrschenden Unternehmens gemäß § 302 AktG Gemäß § 302 AktG trifft das herrschende Unternehmen bei Bestehen eines Unternehmensvertrags eine Pflicht zur Erhaltung der Vermögenssubstanz des abhängigen Unternehmens. Es hat jeden während der Vertragsdauer entstehenden Jahresfehlbetrag auszugleichen, soweit dieser nicht bereits durch Auflösung während der Vertragsdauer gebildeter freier Rücklagen ausgeglichen worden ist. Nach allgemeiner Ansicht handelt es sich dabei um einen Geldleistungsanspruch als Kompensation und nicht um Schadensersatz oder Ausgleich einzelner Eingriffe.163 Der maßgebliche Gerichtsstand im Rahmen der EuGVVO bestimmt sich nach dem Inhalt des Anspruchs. (1) Vorliegen eines Vertragsverhältnisses Bei Ansprüchen im grenzüberschreitenden Vertragskonzern könnte das zugrundeliegende Vertragsverhältnis im Beherrschungsvertrag i. S. d. § 291 Abs. 1 AktG zu erblicken sein. Aufzuwerfen sind daher folgende Fragen: 159 Vgl. dazu bereits oben 3. Teil, S. 91 ff., v. a. 3. Teil, I.5., S. 105; siehe einige Beispiele bei Selzner/Sustmann, Der Konzern 2003, 85, 87 Fn. 12. Die Beherrschungsverträge mit einer portugiesischen oder auch österreichischen abhängigen Gesellschaft sollen nicht Gegenstand der Untersuchung sein. 160 Siehe 3. Teil, I.5., S. 105. 161 Siehe dazu bereits oben 3. Teil, I.5., S. 105 und 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.a), S. 148. 162 Dazu Jaspert, S. 102 ff. 163 KölnKomm/Koppensteiner, § 302 Rn. 50; Lutter, ZGR 1982, 244, 262.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Handelt es sich bei dem Beherrschungsvertrag zunächst überhaupt um einen Vertrag i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO? Resultieren die Ansprüche aus Konzernhaftung ferner auch aus dem Beherrschungsvertrag? Wie wirkt sich schließlich die Tatsache aus, dass in den meisten anderen europäischen Rechtsordnungen keine Vertragskonzerne existieren?164 (a) Rechtsnatur des Beherrschungsvertrages Ob der Beherrschungsvertrag ein Vertrag i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO ist, bestimmt sich nach seiner Rechtsnatur. Diese wird bereits in der deutschen Rechtsprechung und Literatur uneinheitlich bewertet. Vertreten wird sowohl eine Einordnung als Organisations- als auch als schuldrechtlicher Vertrag. Nach ganz überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur handelt es sich bei einem Beherrschungs- sowie bei einem Gewinnabführungsvertrag um einen Organisationsvertrag mit einer der Satzungsänderung vergleichbaren Wirkung.165 Der Organisationsvertrag sei ein Rechtsakt, der Ziel und Organisation einer Körperschaft durch Schaffung objektiver, gesetzesgleicher Normen festlegt oder verändert. Er ändere satzungsgleich den rechtlichen Status der beherrschten Gesellschaft, indem er insbesondere den Gesellschaftszweck am Konzerninteresse ausrichte und in das Gewinnbezugsrecht der Gesellschafter eingreife.166 Durch den Abschluss eines Beherrschungsvertrags werde die Verfassung der abhängigen Gesellschaft umgestaltet und ihre Satzung überlagert, womit kein schuldvertragliches, sondern ein gesellschaftsrechtliches Rechtsverhältnis geschaffen werde. Eine andere Ansicht geht davon aus, dass die Weisungsabhängigkeit lediglich auf eine vertragliche Grundlage gestellt werde, womit der Vertrag schuldrechtlich zu qualifizieren sei.167 An der Zuständigkeits- und Aufgabenverteilung von Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung ändere sich nichts, so dass der Beherrschungsvertrag keinen strukturverändernden Charakter für die abhängige Gesellschaft habe. 164

Dazu Jaspert, S. 91 ff.; vgl. dazu auch Rüffler, in FS Koppensteiner, S. 149,

151. 165 BGH, Urt. v. 14.12.1987 – Familienheim – BGHZ 103, 1, 4 f.; BGH, Beschl. v. 24.10.1988 – Supermarkt – BGHZ 105, 324, 331; Emmerich/Habersack, § 291 Rn. 25 m. w. N.; Hüffer, AktG, § 291 Rn. 17; MünchKommAktG/Altmeppen, § 291 Rn. 25 ff.; KölnKomm/Koppensteiner, Vorb. § 291 Rn. 156; GroßkommAktG/Würdinger, § 291 Anm. 6, 11 f., 39; Emmerich/Sonnenschein/Habersack, § 11 III 1, S. 161 f.; K. Schmidt, GesR, § 31 III 1 a, S. 948; vgl. ferner Selzner/Sustmann, Der Konzern 2003, 85, 87 f.; Hahn, IPRax 2002, 107, 111 f. 166 BGH, Urt. v. 14.12.1987 – Familienheim – BGHZ 103, 1, 4 f.; siehe auch BGH, Beschl. v. 24.10.1988 – Supermarkt – BGHZ 105, 324, 331. 167 Neumayer, ZVglRWiss 83 (1984), 129 ff., 171 f.

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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Selbst wenn der Auffassung gefolgt wird, dass der Beherrschungsvertrag der Sache nach auf eine Satzungsänderung hinausläuft und damit der organisationsrechtliche Charakter des Beherrschungsvertrags feststeht, bleibt unter den Vertretern der herrschenden Ansicht jedoch umstritten, ob der Beherrschungsvertrag auch schuldvertragliche Elemente aufweist. Einer Ansicht zufolge handelt es sich um beiderseitige Leistungspflichten, um schuldrechtliche Ansprüche aus dem Vertrag.168 Die andere Auffassung sieht im Beherrschungsvertrag selbst keine Anspruchsgrundlage.169 Insoweit müssen die körperschaftsrechtlichen Grundprinzipien gewahrt bleiben. Eine Stellungnahme im Hinblick auf die materiellrechtliche Einordnung ist nicht erforderlich. Im Rahmen der EuGVVO muss eine autonome Qualifikation vorgenommen werden. Lediglich eine Orientierung an der materiellrechtlichen Lage ist sinnvoll und notwendig. Insofern soll eine Einordnung unabhängig von den bestehenden Meinungsunterschieden im deutschen Schrifttum vorgenommen werden. Zu diesem Zwecke kann man sich auch der Rechtsvergleichung mit Regelungen in anderen Mitgliedstaaten bedienen. Ein Vergleich der Regelungen bezüglich des Beherrschungsvertrages bietet nur das portugiesische Recht, das als einzige europäische Rechtsordnung dieses Rechtsinstitut kennt. Auch nach der portugiesischen Regelung erfolgt eine satzungsändernde Umorganisation,170 allerdings wird in Art. 494 Código das Sociedades Comerciais (C. soc. com.)171 eine vertragliche Regelung von einigen Ansprüchen, v. a. Ausgleichsansprüchen, angeordnet. Ein Verlustübernahmeanspruch ist dort jedoch nicht geregelt. Dagegen wird in Art. 502 C. soc. com. eine Haftung für Verluste der untergeordneten Gesellschaft nach Beendigung des Unterordnungsvertrags normiert. Eine vertragliche Natur des Anspruchs ist aus der Vorschrift aber nicht ersichtlich. (b) Der Organisationsvertrag als Vertrag i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO Nach der Rechtsprechung des EuGH soll ein Vertrag jede freiwillig übernommene Verpflichtung sein.172 Der Vertragsbegriff des Art. 5 Nr. 1 168

Timm, GmbHR 1987, 8, 17; Hüffer, AktG, § 291 Rn. 18 m. w. N. K. Schmidt, ZGR 1983, 513, 517; ders., GesR, § 31 III 2 d, S. 953. 170 Vgl. Lutter/Overrath, in Lutter, Konzernrecht im Ausland, ZGR Sonderheft 11, S. 229 ff. 171 Código das Sociedades Comerciais, Decreto-Lei Nr. 262/86 v. 2.9.1986; abgedr. bei Lutter/Overrath, in Lutter, Konzernrecht im Ausland, ZGR Sonderheft 11, S. 229, 236 ff. 172 EuGH, Urt. v. 17.6.1992, Rs. C-26/91 – Handte/TMCS – Slg. 1992 I-3967, 3994 Rn. 15; EuGH, Urt. v. 27.10.1998, Rs. C-51/97 – Réunion européenne/Spliet169

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

EuGVVO ist als überpositiver und damit der nationalen Rechtsetzung entzogener Begriff anzusehen.173 Die Auslegung des Vertragsbegriffs ist auch vor dem Hintergrund vorzunehmen, dass den meisten ausländischen Rechtsordnungen z. B. eine Unterscheidung zwischen obligatorischem und dinglichem Vertrag fremd ist.174 Ansprüche im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO brauchen also nicht unbedingt einem schuldrechtlichen Vertrag zu entspringen.175 Eine Beschränkung von vornherein auf schuldrechtliche Verträge ist also nicht gegeben. Ein reiner Organisationsvertrag, der keine schuldrechtlichen Elemente enthält, war bislang allerdings nicht Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen. Der EuGH hat in der Entscheidung in Sachen Peters/ZNAV betreffend die Vereinsmitgliedschaft aber die Organisationsverträge den Verträgen i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO gleichgestellt und dies mit „engen Bindungen gleicher Art“ gerechtfertigt, wie sie zwischen Vereinsmitgliedern und zwischen Vertragsparteien gleichermaßen bestünden.176 In der Entscheidung in Sachen Powell Duffryn/Petereit hat der EuGH dann ausdrücklich erklärt, dass die Satzung einer AG ein Vertrag i. S. der Vorschrift sei.177 Der EuGH stellt dabei auf die zwischen den Aktionären bestehende „Gemeinsamkeit von Interessen im Hinblick auf die Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks“ ab.178 Dies zeigt zum einen, dass der Vertragsbegriff nicht auf Schuldverträge als reine Austauschverträge beschränkt ist; demnach sind auch Organisationsverträge von der Vorschrift erfasst. Zum anderen trifft das vom EuGH herausgestellte Kriterium auf alle Organisationsverträge zu,179 so dass davon auszugehen ist, dass diese Rechtssprechung auch auf Beherrschungsverträge übertragbar ist. Durch den Beherrschungsvertrag unterstellt eine Gesellschaft ihre Leitung einem anderen Unternehmen. Dies erfolgt durch Vereinbarung im Hinblick auf die Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks. Der Mindest- und zugleich Maximalbedingung einer „freiwilligen Selbstbindung“180 genügt dies allemal. Damit liegt ein Vertragsverhältnis hoff’s Bevrachtingskantoor – Slg. 1998 I-6511, 6542 Rn. 17; EuGH, Urt. v. 17.9.2002, Rs. C-334/00 – Tacconi/HWS – NJW 2002, 3159 Rn. 23. 173 Vgl. zu dieser Begrifflichkeit: Koch, IPRax 1993, 19, 20. 174 Geimer/Schütze, IntUrtAnerk I/1, S. 571. 175 Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 5 Rn. 52. 176 EuGH, Urt. v. 22.3.1983, Rs. 34/82 – Peters/ZNAV – Slg. 1983, 987, 1002 Rn. 13. 177 EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745, 1774 f. Rn. 16. 178 EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745, 1774 Rn. 16. 179 So auch Bauer, S. 127. 180 Dies nennt Mankowski, IPRax 2003, 127, 129 als entscheidendes Kriterium.

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO vor. Der Normcharakter ist insofern kein Problem. Im Rahmen des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO existieren aber zwei verschiedene Aspekte des Vertragsverständnisses: Zunächst ist zu untersuchen, ob die im Raum stehenden tatsächlichen Vorgänge als Vertrag in diesem Sinne zu werten sind. Ist dies – wie im Fall des Beherrschungsvertrags – zu bejahen, so stellt sich weiter die Frage, ob der erhobene Anspruch auch wirklich als ein solcher aus diesem Vertrag gekennzeichnet ist.181 Gerade Letzteres ruft bei Ansprüchen gemäß § 302 AktG Schwierigkeiten hervor. (2) Anspruch aus einem Vertrag Gegenstand der Klage muss ein Anspruch aus einem Vertrag sein. Mit der typologischen Einordnung des Beherrschungsvertrags in die Begrifflichkeit der EuGVVO ist noch nicht entschieden, dass der Anspruch der abhängigen gegen die herrschende Gesellschaft gemäß § 302 AktG vertraglicher Natur ist. Hierfür kommt es darauf an, ob der Anspruch seine Grundlage im Beherrschungsvertrag hat.182 Ansprüche, die unmittelbar aus dem Beherrschungsvertrag resultieren, sind als vertragliche Ansprüche im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO zu qualifizieren. So können beispielsweise Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung (nunmehr § 280 Abs. 1 bzw. § 281 Abs. 1 BGB), d. h. wegen Verletzung einzelner Bestimmungen des Beherrschungsvertrags, am Erfüllungsort183 geltend gemacht werden.184 Es bleibt daher zu untersuchen, ob der Anspruch auf Verlustausgleich im Beherrschungsvertrag wurzelt. Der Beherrschungsvertrag ist jedenfalls ein tatbestandlicher Anknüpfungspunkt der Konzernhaftung. Der Konzernhaftungstatbestand knüpft an die Leitungsmacht an, die die abhängige Gesellschaft durch den Beherrschungsvertrag dem herrschenden Unternehmen übertragen hat. Ob es sich bei dem Verlustausgleichsanspruch aus § 302 AktG damit schon um einen Anspruch aus dem Beherrschungsvertrag handelt, ist allerdings fraglich.

181

Vgl. dazu Schlosser, IPRax 1984, 65. Zu dieser klaren Trennung jüngst Kindler, in FS Ulmer, S. 305, 310. 183 Dieser wird häufig am Sitz der abhängigen Gesellschaft liegen. Vgl. für Deutschland: Palandt/Heinrichs, § 269 Rn. 14, 18; MünchKommBGB/Krüger, § 269 Rn. 32. 184 Zu Schwierigkeiten in diesem Bereich siehe unten 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.b)bb)(1), S. 172. 182

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

(a) Materiellrechtliche Einordnung Nach überwiegender Ansicht liegt der Rechtsgrund des § 302 AktG in einer Kompensation für die Außerkraftsetzung der Kapitalerhaltungsregeln durch § 291 Abs. 3 AktG bei Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen.185 Die Verlustausgleichspflicht wird aber auch als Korrelat für die umfassenden Eingriffsbefugnisse des herrschenden Unternehmens betrachtet.186 Für Zwecke der Dogmatik des innerstaatlichen deutschen Konzernrechts wird die Verlustübernahmepflicht des § 302 AktG teilweise als gesetzliches Schuldverhältnis eingeordnet.187 Nach dieser in der deutschen konzernrechtlichen Literatur vertretenen Ansicht beruht der Anspruch nach § 302 AktG zwar auf dem Abschluss des Beherrschungsvertrages, soll aber dennoch ein gesetzlicher Anspruch sein.188 Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag sind nach dieser Auffassung Tatbestandsmerkmale einer gesetzlichen Verpflichtung, aber nicht selbst Verpflichtungsgrund. Es handele sich um ein gesetzliches Dauerschuldverhältnis, das mit In-Kraft-Treten des jeweiligen Vertrags entsteht und mit seinem Auslaufen endet.189 Die Verlustübernahmepflicht des § 302 AktG ist entsprechend dem bezweckten Kapitalerhaltungsschutz danach ein gesetzliches Schuldverhältnis, bzw. der Anspruch resultiert aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis, so dass es sich zumindest nach materiellem Recht damit nicht um Vertragshaftung handelt. Eine andere Auffassung geht hingegen davon aus, dass der Beherrschungsvertrag als Grundlage des Anspruchs anzusehen ist.190 Schließlich wird die Verlustübernahmeregelung des § 302 AktG als Weiterentwicklung des auftragsrechtlichen Prinzips (§§ 683, 670 BGB) verstanden,191 was auch zu einem gesetzlichen Schuldverhältnis führen würde. In der Praxis wird der Anspruch auf Verlustausgleich regelmäßig im Beherrschungs- bzw. Gewinnabführungsvertrag ausdrücklich vereinbart bzw. festgelegt.192 185 So BGH, Urt. v. 14.12.1987 – Familienheim – BGHZ 103, 1, 10; Hüffer, AktG, § 302 Rn. 3; Emmerich/Habersack, § 302 Rn. 17; Ulmer, AG 1986, 123, 126; Raiser, KapGesR, § 54 Rn. 52. 186 BGH, Urt. v. 11.11.1991 – Stromlieferung – NJW 1992, 505, 506; KölnKomm/Koppensteiner, § 302 Rn. 9; K. Schmidt, ZGR 1983, 513, 515; Wiedemann, Unternehmensgruppe, S. 83; Raiser, KapGesR, § 54 Rn. 52. 187 K. Schmidt, ZGR 1983, 513, 516 ff.; Hüffer, AktG, § 302 Rn. 4. 188 K. Schmidt, ZGR 1983, 513, 517. 189 Hüffer, AktG, § 302 Rn. 4; K. Schmidt, GesR, § 31 III 2 d, S. 953; ders., ZGR 1983, 513, 517, 518 f.; Altmeppen, DB 1999, 2453 ff.; Kusterer DStR 1996, 114, 117 ff.; W. Müller, in FS Rowedder, S. 277, 281. 190 Timm, GmbHR 1987, 8, 17. 191 Wilhelm, DB 1986, 2113, 2116; MünchKommAktG/Altmeppen, § 302 Rn. 12. 192 Vgl. Kusterer, DStR 1996, 114, 117.

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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Die materiellrechtliche Einordnung als gesetzliches Schuldverhältnis überträgt Maul auf die Qualifikation im Rahmen der EuGVVO.193 Der Rechtsgrund der Haftung aus § 302 AktG liege in der Verletzung des Eigeninteresses der Tochtergesellschaft und folglich einer bei Bestehen eines Beherrschungsvertrags typischerweise vorliegenden Situation. Sie knüpfe nicht an ein do ut des-Verhältnis an, da das herrschende Unternehmen sich die Leitung der abhängigen Gesellschaft nicht über den Abschluss des Beherrschungsvertrages „erkaufe“. Anknüpfungspunkt der Verlustausgleichspflicht sei vielmehr die für die Tochtergesellschaft bestehende Gefahrenlage, die das Aktiengesetz über die Haftung nach § 302 AktG zu kompensieren versuche. Als weiteres Argument zieht sie die Rechtsprechung zur Haftung im qualifizierten faktischen Konzern heran, die sich bis vor kurzem auf eine Analogie zu der aktienrechtlichen Vorschrift stützte. Dies führe zu dem Schluss, dass die Verlustausgleichspflicht ihre Grundlage nicht im Vertragsabschluss habe. Es handele sich vielmehr um gesetzliche Ansprüche. Zunächst wird eine solche synallagmatische Verknüpfung von einigen Autoren durchaus angenommen.194 Davon abgesehen ist der Vertragsbegriff des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO wesentlich weiter als der Begriff des Vertrages im materiellen Recht und erfasst auch solche Konstellationen, die über eine synallagmatische Verknüpfung, ein do ut des-Verhältnis, hinausgehen. Für das Vorliegen eines Vertrags reicht eine rechtsgeschäftlich begründete Verbindlichkeit aus.195 Auch ein Vergleich zur Haftung im qualifizierten faktischen Konzern greift zu kurz, da der BGH in seiner neuesten Rechtsprechung die Analogie zu § 302 AktG aufgrund der unterschiedlichen gesetzlichen Wertung im Vertragskonzernrecht des Aktienrechts (im Vergleich zum GmbH-Recht) als nicht sachgerecht empfunden und daher aufgegeben hat. Ob allein die Tatsache, dass sich die Haftungsfolgen nicht unmittelbar aus dem Vertrag, sondern aus dem Gesetz ergeben, schon die prozessrechtliche Qualifikation als vertraglicher Anspruch im Rahmen der EuGVVO hindert, ist sehr fraglich. Mit den genannten Merkmalen ist also noch nicht gesagt, dass Ansprüche auf Verlustausgleich außerhalb des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO stehen.

193 Maul, AG 1998, 404, 408 f. lässt die Frage im Rahmen des Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ noch offen und geht darauf erst im Rahmen des Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ ein. 194 Vgl. nur Kusterer, DStR 1996, 114, 117 ff. 195 Martiny, in FS Schütze, S. 641, 650.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

(b) Gesetzlich geregelte (Sekundär-)Ansprüche i.R. v. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO Auch der Begriff der vertraglichen Ansprüche ist weit auszulegen.196 Art. 5 Nr. 1 EuGVVO ist grundsätzlich auf alle Ansprüche aus privatautonomer Selbstbindung anzuwenden.197 Der materiellrechtliche Anwendungsbereich einer Norm muss und darf nicht automatisch dem Anwendungsbereich von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO gleichgesetzt werden. Dies schließt aber auch nicht aus, dass man sich an der Gestaltung des materiellen Rechts orientiert. Sollte die Verlustausgleichsverpflichtung sich allein aus dem Gesetz ergeben, stellt sich die Frage, ob ein Anspruch aus Rechtsvorschriften automatisch ein nicht-vertraglicher Anspruch ist, oder ob und wenn ja, wann gesetzlich geregelte Folgeansprüche eines Vertrages auch als vertraglich anzusehen sind. Stützt man sich auf den deutschen Wortlaut der Vorschrift, der die Zuständigkeit für „Ansprüche aus einem Vertrag“ regelt, sind gesetzlich begründete Ansprüche von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO zunächst nicht erfasst. Zieht man jedoch verschiedene Fassungen heran, so stellt man fest, dass die meisten weiter sind als die deutsche. Nach der französischen Fassung findet die Regelung „en matière contractuelle“ Anwendung, die englische Fassung normiert die Zuständigkeit „in matters relating to a contract“, der italienische Wortlaut stellt als Voraussetzung nur eine „materia contrattuale“ auf, die spanische Fassung eröffnet einen Gerichtsstand „en materia contractual“. Diese Formulierungen bringen eine lockerere Bindung von Anspruch und Vertrag zum Ausdruck. Sie suggerieren nicht wie der deutsche Wortlaut, dass der Anspruch unmittelbar aus dem Vertrag resultieren muss, sondern dass Art. 5 Nr. 1 EuGVVO einen Gerichtsstand für alle Klagen bietet, die im Zusammenhang mit einem Vertrag stehen. Aber beispielsweise auch in der französischen Literatur wird in Anlehnung an den EuGH gefordert, dass die Klage selbst ihren Grund in einem Vertrag hat, und dass sie auf einer Verletzung einer vertraglichen Verpflichtung beruht.198 In historischer Hinsicht hat das Übereinkommen im Wesentlichen den deutschen Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO übernommen,199 so dass die bisherige Auslegung von Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ dem Ver196 MünchKommZPO/Gottwald, IZPR, Art. 5 Rn. 4; Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 5 Rn. 24. 197 Schlosser, IPRax 1984, 65, 66; Wieczorek/Schütze/Hausmann, Art. 5 Rn. 5; Geimer/Schütze, IntUrtAnerk I/1, S. 572; Jaspert, S. 113. 198 Gaudemet-Tallon, Nr. 178 unter Hinweis auf das Urt. des EuGH v. 8.3.1988, Rs. 9/87 – Arcado/Haviland – Slg. 1988, 1539, 1554 f. Rn. 12, 13. 199 Schlosser, EUZPR, Art. 5 Rn. 1.

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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ständnis ähnelte, das die deutsche Rechtsprechung bei der Anwendung von § 29 ZPO zugrunde legt. Am Gerichtsstand des § 29 ZPO können gesetzliche Ansprüche allerdings nicht geltend gemacht werden. Forderungen aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift, etwa gesetzliche Verpflichtungen (§§ 368, 371 BGB) sowie gesetzliche Schuldverhältnisse (Geschäftsführung ohne Auftrag und ungerechtfertigte Bereichung, ausgenommen der Rückabwicklung eines nichtigen oder angefochtenen Vertrags über § 812 BGB) fallen nicht unter § 29 ZPO.200 Der EuGH hat Art. 5 Nr. 1 EuGVVO nie auf die vertraglichen Hauptleistungspflichten beschränkt, sondern den Gerichtsstand des Erfüllungsortes auch für Sekundäransprüche in Betracht gezogen, die an die Stelle nicht erfüllter vertraglicher Verpflichtungen treten. Er hat festgelegt, dass zu den Verpflichtungen aus einem Vertrag nicht nur die unmittelbaren vertraglichen Pflichten gehören, also nicht nur Ansprüche auf Vertragserfüllung, sondern auch die Verpflichtungen, die an die Stelle einer nichterfüllten vertraglichen Verpflichtung treten, also Sekundäransprüche.201 Dies gilt auch dann, wenn sie aus dem Gesetz folgen.202 So sind beispielsweise auch Verzugsansprüche, die andernfalls auch gesetzliche Ansprüche wären, als Ansprüche aus einem Vertrag i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO zu qualifizieren.203 Die Einbeziehung von Sekundäransprüchen liegt deshalb nahe, weil sie auch im Rahmen des EVÜ204 unter das Vertragsstatut fallen. In den Geltungsbereich des Vertragsstatuts fallen gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. c EVÜ205 auch die Folgen der Nichterfüllung der vertraglichen Verpflichtungen. Der Gedanke scheint verallgemeinerungsfähig und geeignet, als Wertungsparallele im Zuständigkeitsrecht herangezogen zu werden. Diese Lösung entspricht zusätzlich der Einordnung im Kollisionsrecht und fördert damit einen Gleichklang von EuGVVO und EVÜ.206 Zudem vermeidet dies ein Auseinanderfallen der Gerichtsstände für Erfüllungs- und Schadensersatzklagen. Entscheidend ist grundsätzlich, dass ein solcher (gesetzlicher) Anspruch seinen Grund in der Nichteinhaltung einer Vertragspflicht findet.207 Dem200

Zöller/Vollkommer, § 29 Rn. 14; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 29 Rn. 3. EuGH, Urt. v. 15.1.1987, Rs 266/85 – Shenavai/Kreischer – Slg. 1987, 239, 254 Rn. 9; EuGH, Urt. v. 8.3.1988, Rs. 9/87 – Arcado/Haviland – Slg. 1988, 1539, 1555 Rn. 13 ff. 202 EuGH, Urt. v. 6.10.1976, Rs. 14/76 – De Bloos/Bouyer – Slg. 1976, 1497, 1507 Rn. 5/6; EuGH, Urt. v. 8.3.1988, Rs. 9/87 – Arcado/Haviland – Slg. 1988, 1539, 1555 Rn. 13 ff.; dazu Kropholler, EuZPR, Art. 5 Rn. 10 m. w. N. 203 Haubold, IPRax 2000, 375, 379. 204 Römisches EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht v. 19.6.1980, BGBl. 1986 II, S. 810. 205 Die Vorschrift entspricht Art. 32 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB. 206 Ausführlich dazu Mankowski, IPRax 2003, 127, 128. 201

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

entsprechend wird in der deutschen und französischen Literatur in Anlehnung an den EuGH gefordert, dass die Klage selbst ihren Grund in einem Vertrag hat, und dass sie auf einer Verletzung einer vertraglichen Verpflichtung beruht.208 Der Unterschied zu anderen gesetzlichen und außervertraglichen Ansprüchen besteht darin, dass diese ausschließlich aus Rechtsvorschriften abgeleitet werden. Diese Zielsetzung hat in der Entscheidung des EuGH in Sachen Peters/ZNAV209 deutlich Ausdruck gefunden, wo auch die Sachnähe des Gerichts zu dem streitigen Rechtsverhältnis bei Verpflichtungen entscheidend war, die am Sitz einer Organisation zu erfüllen sind. Sämtliche Ansprüche aufgrund einer engen – auch nur vertragsähnlichen Bindung210 – sollen vor ein Gericht gebracht werden können, das in der Lage ist, sachnäher zu entscheiden als jenes im allgemeinen Gerichtsstand des Art. 2 EuGVVO. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO steht somit als Gerichtsstand für alle Klagen, die im Zusammenhang mit einem Vertrag stehen, zur Verfügung.211 Ein Anspruch aus Rechtsvorschriften ist also nicht automatisch ein nichtvertraglicher Anspruch. Das Vertragsrecht besteht auch aus vertragsergänzendem oder vertragsbegrenzendem Recht. Dispositives Gesetzesvertragsrecht füllt Vertragslücken und gehört somit zum vertraglichen Bereich. Im Grundsatz gilt, dass die Rechtsfolge, die das dispositive Recht anordnet, als vereinbarter Vertragsinhalt gilt, wenn die Parteien nicht rechtsgeschäftlich vorsorgen. Die Annahme, dass der Anspruch „sich nur aus dem Gesetz“ ergebe, beruht auf der Verkennung der Funktionsweise des dispositiven Gesetzesrechts.212 Es ist ergänzendes Vertragsrecht, dass den mutmaßlichen Parteiwillen konkretisiert und mangels individueller Vereinbarung als Vertragsnorm zwischen den Parteien und damit als gewollter Vertragsinhalt gilt.213 Solche gesetzlichen Folgeansprüche werden demnach Vertragsbestandteil.214 Die formale Qualität der Pflichtenquelle gibt demnach nicht 207

Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 5 Rn. 24 m. w. N. Gaudemet-Tallon, Nr. 178 unter Hinweis auf das Urt. des EuGH v. 8.3.1988, Rs. 9/87 – Arcado/Haviland – Slg. 1988, 1539, 1554 f. Rn. 12, 13. 209 EuGH, Urt. v. 22.3.1983, Rs. 34/82 – Peters/ZNAV – Slg. 1983, 987 ff.; dazu Hartley, EurLRev 8 (1983), 262 ff.; Verheul, NILR 1987, 99 ff. 210 In Sachen Peters/ZNAV: vereinsrechtlichen Mitgliedschaft. Zur vertragsrechtlichen Einordnung von Binnenbeziehungen in einer Aktiengesellschaft: EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745, 1774 f. Rn. 16 = NJW 1992, 1671 f. = IPRax 93, 32 m. Anm. Koch (19 ff.); Schlosser, EUZPR, Art. 5 Rn. 3. 211 Schack, IZVR, Rn. 263; Schlosser, IPRax 1984, 65, 66; weiterführend Martiny, in FS Geimer, S. 641, 643 f. 212 Vgl. für den Schuldvertrag: Medicus, Allg. Teil BGB, Rn. 340, S. 133. 213 Schröder, IPRax 1985, 145, 146. 208

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den Ausschlag für die Qualifikation.215 Grundsätzlich schließt der gesetzlich geregelte Entstehungstatbestand eines Anspruchs somit die prozessrechtliche Qualifikation des Anspruchs als „vertraglich“ nicht aus.216 Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass vertragliche Ansprüche i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO demnach auch solche Ansprüche sind, die sich nicht unmittelbar aus einem Vertrag ergeben, sondern an einen Vertrag anknüpfend aus gesetzlichen Vorschriften folgen.217 Für die Zuordnung von Ansprüchen aus einer gesetzlichen Grundlage zu den vertraglichen Ansprüchen kommt es entscheidend auf die vertragsergänzende Funktion des Gesetzesrechts an.218 Anknüpfungspunkt ist erstens eine privatautonom gesetzte Grundlage und zweitens die Umsetzung eines zu vermutenden hypothetischen Willens der Parteien und die Lückenfüllung der vertraglichen Regelung durch das Gesetzesrecht.219 Die Verlustübernahmepflicht dient ähnlich wie ein Sekundäranspruch der Sicherung primärer Leistungspflichten. Normzweck ist die Fortschreibung der Kapitalaufbringung und -erhaltung. Der konkrete Haftungsanspruch mag zwar unmittelbar aus dem Gesetz entspringen, mittelbar ist er jedoch auf das bestehende konsensuale Band des Beherrschungsvertrags als Quelle zurückzuführen. Entscheidend ist der Aspekt, dass die Verlustausgleichspflicht wesensnotwendig zu einem Vertrag gehört, kraft dessen jemand im Fremdinteresse wirtschaftet.220 Die Grundlage der Haftung basiert letztlich auf dem Beherrschungsvertrag als privatautonomem Akt der Selbstbindung und der Tatsache, dass die konzernrechtliche Abhängigkeit wiederum auf dem Beherrschungsvertrag beruht. Dies rechtfertigt eine vertragliche Qualifikation der Verlustausgleichspflicht. Die Konzerninnenhaftung in Form des Verlustausgleichs, die ihren Rechtsgrund in der Außerkraftsetzung der Kapitalerhaltungsregeln hat, ist damit genauer eine Fortschreibung der zwingenden Kapitalerhaltungsregeln.221 Auch bei der Regelung des § 302 AktG handelt es sich um zwin214 Rauscher, Verpflichtung und Erfüllungsort, S. 5 f.; vgl. dazu auch Ledoux, JT 1975, 217. 215 Vgl. Mankowski, IPRax 2003, 127, 131 f. 216 Vgl. dazu Kulms, IPRax 2000, 488, 491 f. 217 OLG Bremen, Urt. v. 25.9.1997, RIW 1998, 63, 64 dazu Brödermann, EWiR § 32 a GmbHG 1/98, 125 f.; OLG Jena, Urt. v. 5.8 1998, ZIP 1998, 1496, 1497, dazu Kranemann, EWiR Art. 5 EUGVÜ 2/98, 779 f.; Mankowski, NZI 1999, 56 ff. 218 Mankowski, VuR 1999, 219, 222. 219 Vgl. zu diesen Kriterien Mankowski, IPRax 2003, 127, 132. 220 MünchKommAktG/Altmeppen, § 302 Rn. 11. 221 Grundlegend Ulmer, NJW 1986, 1579, 1584; vgl. ferner Timm, GmbHR 1987, 8, 12; kritisch KölnKomm/Koppensteiner, § 302 Rn. 9.

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gendes Recht. Dies wirft die Frage nach dem Verhältnis zwischen Rechtsgeschäft, dispositivem und zwingendem Recht auf. In letzterem Fall mag man an einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung bzw. an der Umsetzung eines zu vermutenden hypothetischen Willens der Parteien und einer Lückenfüllung einer vertraglichen Regelung durch das Gesetzesrecht zweifeln. Die Betonung der Freiwilligkeit ist insofern aber irreführend.222 Auch bei der Vereinbarung aufgrund von Abschlusszwang handelt es sich z. B. um eine vertragliche Beziehung. Denn es ist zu berücksichtigen, dass das herrschende Unternehmen die Voraussetzungen für seine Inanspruchnahme – durch Abschluss des Beherrschungsvertrags und mangelnden anderweitigen Ausgleich des (fiktiven) Jahresfehlbetrags – selbst geschaffen und den Anspruchsteller in Person der abhängigen Gesellschaft freiwillig bestimmt hat. Dies wurde auch in anderem Zusammenhang – nämlich für die Klage des Begünstigten aus einem trust – für eine vertragliche Einordnung als ausreichend erachtet.223 Der haftungsbegründende Akt für die Haftung des herrschenden Unternehmens ist ein bewusster und gewollter Akt, was für eine vertragliche Einordnung der Haftung spricht. Diese Einordnung entspricht schließlich auch der Zielsetzung, die in der Entscheidung des EuGH in Sachen Peters/ZNAV224 deutlich Ausdruck gefunden hat. Die vertragliche Qualifikation einer mitgliedschaftlichen Beziehung setzt nicht ein Rechtsverhältnis voraus, das die Beteiligten frei verhandelt haben. Entscheidend ist das Entstehen einer Verpflichtung aus der Selbstbindung des Verpflichteten. Diese Selbstbindung kann auch auf der Vermutung nicht-widersprüchlichen Verhaltens beruhen.225 Sämtliche Ansprüche aufgrund einer engen – auch nur vertragsähnlichen Bindung226 – sollen vor ein Gericht gebracht werden können, das in der Lage ist, sachnäher zu entscheiden als jenes im allgemeinen Gerichtsstand des Art. 2 EuGVVO. Wenn dies schon den materiellen Anwendungsbereich des Vertragsbegriffs in Art. 5 Nr. 1 EuGVVO zu dehnen geeignet ist – wie dies bei der Einordnung des Organisationsvertrags als Vertrag i. S. d. Vorschrift der Fall ist –, so muss auch die Geltendmachung von Ansprüchen im Vertragsgerichtsstand möglich sein, bei denen die Haftung des herrschenden 222

Martiny, in FS Schütze, S. 641, 650. Vgl. zur Einordnung der Klage des Begünstigten aus einem trust als „vertraglich“ i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ: Atlas Shipping Agency Ltd. v. Suisse Atlantique, ILPr 1995, 600 (Q.B.D.) 224 EuGH, Urt. v. 22.3.1983, Rs. 34/82 – Peters/ZNAV – Slg. 1983, 987 ff. 225 Mankowski, NZI 1999, 56, 57; Kulms, IPRax 2000, 488, 491. 226 In Sachen Peters/ZNAV: vereinsrechtlichen Mitgliedschaft. Zur vertragsrechtlichen Einordnung von Binnenbeziehungen in einer Aktiengesellschaft: EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745, 1774 f. Rn. 16 = NJW 1992, 1671 f. = IPRax 93, 32 m. Anm. Koch (19 ff.); Schlosser, EUZPR, Art. 5 Rn. 3. 223

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Unternehmens sich nicht unmittelbar aus dem Vertrag ergibt, sondern lediglich aufgrund des Vertrags erfolgt.227 Unterstützend kann schließlich die Rechtsprechung deutscher Gerichte zur internationalen (Erfüllungsort-)Zuständigkeit bei gesellschaftsrechtlichen (Haftungs-)Ansprüchen herangezogen werden, deren Einordnung im Rahmen der EuGVVO Hinweise zu der autonomen Auslegung von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO gibt.228 Eine Reihe von Oberlandesgerichten hatte über einen Anspruch auf Eigenkapitalersatz bzw. Freigabe von Sicherheiten gegen auslandsansässige herrschende Unternehmen zu entscheiden, den der Konkursverwalter einer deutschen GmbH aus einer Analogie zu §§ 30 f. GmbHG bzw. aus §§ 32 a, 32 b GmbHG ableitete.229 Entscheidend für die Einordnung der gesetzlichen Ansprüche als Ansprüche aus einem Vertrag i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO war für die Gerichte, dass diese Ansprüche zwingend das Vorliegen eines Gesellschaftsvertrags voraussetzen. Die Ansprüche der Gesellschaft gegen die Gesellschafter seien zwar gesetzlich festgelegt; das Bestehen einer Gesellschaft und damit das Vorliegen eines Gesellschaftsvertrags sei aber zwingende Voraussetzung für die Entstehung dieser Ansprüche. Der Qualifizierung dieser Ansprüche als solche aus Vertrag stehe nicht entgegen, dass diese Ansprüche sich direkt oder analog aus dem Gesetz ergeben und nicht in einem Vertrag vereinbart wurden. Entscheidend sei vielmehr, dass das Vorliegen eines Gesellschaftsvertrags zwingende Voraussetzung für die Entstehung dieser Ansprüche ist.230 Die Rechtslage sei insoweit vergleichbar mit Ansprüchen wegen Nichterfüllung eines Vertrags, Ansprüchen aus sonstigen Vertragsverletzungen bzw. aus Rückabwicklungsverhältnissen, die ebenfalls als Ansprüche aus Vertrag anzusehen sind, obwohl sich auch diese Rechtsfolgen in der Regel nicht aus dem Vertrag selbst, sondern aus dem Gesetz ergeben.231 Die Gerichte berufen sich darauf, dass Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ auf alle Ansprüche aus privatautonomer Selbstbindung anzuwenden sei.232 Dabei wird die autonome Entscheidung teilweise auch in der 227

Ähnlich Rauscher, IPRax 1992, 143, 146 zum Vertragsgerichtsstand gegen Rechtsscheinhaftende. 228 Vgl. dazu ausführlich auch Bauer. Siehe ferner zur Klage aus Beherrschungsund Gewinnabführungsvertrag als Streitigkeit aus „Mitgliedschaft“ i. S. d. § 22 ZPO LG Bochum, Zwischenurt. v. 20.5.1986, ZIP 1986, 1386 f. m. Anm. Timm (1387 ff.). 229 OLG Bremen, Urt. v. 25.9.1997, RIW 1998, 63 ff.; OLG Jena, Urt. v. 5.8.1998, ZIP 1998, 1496 ff.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 20.1.1998, NZG 1998, 349 f.; OLG Koblenz, Urt. v. 11.1.2001, NZG 2001, 759 f. m. Anm. Schwarz (760 ff.). 230 OLG Jena, Urt. v. 5.8.1998, ZIP 1998, 1496, 1497. 231 OLG Bremen, Urt. v. 25.9.1997, RIW 1998, 63, 64; siehe auch Kropholler, EuZPR, Art. 5 EuGVÜ Rn. 7. 232 OLG Bremen, Urt. v. 25.9.1997 – 2 U 83/97, RIW 1998, 63, 64 unter Verweis auf Schlosser, IPRax 1984, 65, 66.

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Teilnahme am inländischen Wirtschaftsverkehr unter Nutzung der Grundfreiheiten gesehen.233 Zudem können hier auch der Gedanke der Sachnähe und das Ziel des effektiven Rechtsschutzes herangezogen werden. Die Verlustübernahmepflicht stellt eine Kompensation für eine Beeinträchtigung der Kapitalerhaltungsregeln dar, welche im Rahmen eines Konzernverhältnisses nicht wirkungsvoll greifen.234 Sie folgt aus dem durch den Beherrschungsvertrag geschaffenen Konzernverhältnis. Auch wenn es sich bei ihr um einen Geldleistungsanspruch als Kompensation und nicht um Schadensersatz oder Ausgleich einzelner Eingriffe handelt,235 kommt ihr doch eine ähnliche Funktion zu wie einem Sekundäranspruch. Unter der in der Entscheidung De Bloos/Bouyer zugrundegelegten Prämisse, dass die Rechtsnatur des Sekundäranspruchs derjenigen des Primäranspruchs folgt, kann die Verlustausgleichspflicht ebenso wie die primären Rechte und Pflichten aus dem Beherrschungsvertrag vertraglich qualifiziert werden. Aus alldem ergibt sich, dass Ansprüche der abhängigen Gesellschaft auf Verlustausgleichshaftung nach deutschem Recht somit als Ansprüche aus einem Vertrag i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO einzuordnen sind. Sie können daher am Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden, dessen Anwendungsbereich nicht auf Schuldverträge begrenzt ist. (3) Maßgebliche Verpflichtung Maßgeblich für die Bestimmung des Erfüllungsortes ist nach der Rechtsprechung des EuGH in Sachen De Bloos/Bouyer die streitige Verpflichtung, die den Gegenstand der Klage bildet, wobei es nicht auf die eingeklagte streitgegenständliche Verpflichtung ankommt, sondern auf diejenige vertragliche Verpflichtung, die dem vertraglichen Anspruch entspricht, auf den der Kläger seine Klage stützt.236 Bei einer Schadensersatzklage wegen Nichterfüllung kommt es beispielsweise auf die verletzte Vertragspflicht an. Ob es sich bei den eingeklagten Ansprüchen um selbständige vertragliche Verpflichtungen oder Sekundäransprüche handelt, richtet sich nach der lex causae.237 233 Vgl. dazu auch Brödermann, EWiR § 32 a GmbHG 1/98, 125, 126; dagegen Bauer, S. 135. 234 Vgl. Ulmer, NJW 1986, 1579, 1584. 235 KölnKomm/Koppensteiner, § 302 Rn. 50; Lutter, ZGR 1982, 244, 262. 236 EuGH, Urt. v. 6.10.1976, Rs. 14/76 – De Bloos/Bouyer – Slg. 1976, 1497, 1508 Rn. 9/12, 13/14. 237 EuGH, Urt. v. 6.10.1976, Rs. 14/76 – De Bloos/Bouyer – Slg. 1976, 1497, 1509 Rn. 15/17.

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Damit stellt sich die Frage, ob es sich bei dem Anspruch gemäß § 302 AktG um eine selbständige vertragliche Verpflichtung oder um einen Sekundäranspruch handelt. Der Ausgleichsanspruch des abhängigen Unternehmens kompensiert einen entstandenen Jahresfehlbetrag. Klagbar sind die auf Ausgleich des Jahrsfehlbetrags gerichteten Zahlungsansprüche, die Einzelansprüche aus dem Dauerschuldverhältnis.238 Mit dem Ausgleichsanspruch für den Jahresfehlbetrag korreliert (u. U. aufgrund eines gesetzlichen Dauerschuldverhältnisses239) die dauerhafte Verlustdeckungspflicht des herrschenden Unternehmens. Auf der einen Seite besteht die Verpflichtung zur Befolgung von Weisungen, auf der anderen Seite die Verpflichtung zur Übernahme von Verlusten. Letztere ist damit maßgebliche Verpflichtung.240 (4) Bestimmung des Erfüllungsortes Eine autonome Bestimmung des Erfüllungsorts gemäß Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO kommt für den Anspruch gemäß § 302 AktG nicht in Betracht. Lit. b bezieht sich lediglich auf den Warenverkauf und die Erbringung von Dienstleistungen. Da Art. 5 Nr. 1 lit. a EuGVVO den Art. 5 Nr. 1 Halbs. 1 EuGVÜ wortgetreu übernimmt, liegt es nahe anzunehmen, dass die Rechtsprechung des EuGH fortgilt.241 Folglich bestimmt sich der Erfüllungsort im Rahmen des Art. 5 Nr. 1 lit. a EuGVVO nach der jeweiligen lex causae. Der Ort, an dem die Verpflichtung zu erfüllen wäre, ist somit nach dem Recht zu bestimmen, das nach den Kollisionsnormen des mit dem Rechtsstreit befassten Gerichts für die streitige Verpflichtung maßgebend ist (sog. Tessili-Regel).242 Nach deutschem Kollisionsrecht unterliegt die Konzerninnenhaftung dem Gesellschaftsstatut der abhängigen Gesellschaft. Im Rahmen der Untersuchung kommen nur grenzüberschreitende Unternehmensverträge mit einem deutschen abhängigen Unternehmen in Betracht. Bezüglich Streitigkeiten aus einem Beherrschungsvertrag mit einem deutschen abhängigen Unternehmen gelangt deutsches Recht zur Anwendung. § 302 AktG enthält keine Bestimmung über den Erfüllungsort der Verlustdeckungspflicht. Mangels anderweitiger Vereinbarung bestimmt sich der 238

Hüffer, AktG, § 302 Rn. 4, 15. K. Schmidt, ZGR 1983, 513, 534. 240 So auch Jaspert, S. 115. 241 Näheres dazu bei Kropholler, EuZPR, Art. 5 Rn. 23 ff. 242 EuGH, Urt. v. 6.10.1976, Rs. 12/76 – Tessili/Dunlop – Slg. 1976, 1473, 1486 Rn. 15; siehe auch EuGH, Urt. v. 29.6.1994, Rs. C-288/92 – Custom Made Commercial/Stawa Metallbau – Slg. 1994 I-2913, 2958 Rn. 26 f.; Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 5 Rn. 83, 93, 114. 239

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Erfüllungsort für Geldzahlungspflichten aus Schuldverhältnissen aller Art243 nach §§ 269 Abs. 1, 270 Abs. 4 BGB. Danach liegt der Erfüllungsort grundsätzlich an dem zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses bestehenden Sitz des Schuldners. Demnach würde der Erfüllungsort am Sitz der herrschenden Gesellschaft als Schuldnerin der Verlustdeckungspflicht liegen. Die Bestimmung des Erfüllungsortes nach § 269 BGB ist jedoch vor allem dann problematisch, wenn man den Beherrschungsvertrag als Organisationsvertrag einordnet. Es ist fraglich, inwiefern die Vorschrift taugliche Kriterien für die Bestimmung des Erfüllungsortes bietet, wenn kein schuldvertragliches, sondern ein gesellschaftsrechtliches Rechtsverhältnis vorliegt. Dementsprechend geht die herrschende Meinung nach deutschem Recht auch davon aus, dass bei Ansprüchen, die mit dem Gesellschaftsvertrag zusammenhängen, der Sitz der Gesellschaft der Leistungsort für alle Rechte und Pflichten aus dem Gesellschaftsvertrag ist.244 Möglicherweise kann die allgemeine Regel übertragen werden, dass gesellschaftsrechtliche Verpflichtungen am Sitz der Gesellschaft zu erfüllen sind. Beim Gesellschaftsvertrag ist der jeweilige Sitz der Gesellschaft Erfüllungsort.245 Die Frage ist, ob der Anspruch aus Konzernhaftung auch zu diesen gesellschaftsrechtlichen Verpflichtungen zählt. Unzweifelhaft gehören dazu mitgliedschaftliche Verpflichtungen, die demnach am Sitz der Gesellschaft zu erfüllen sind.246 Die Haftung auf Verlustausgleich wird jedoch zunächst aus dem Beherrschungsvertrag abgeleitet. Die herrschende Gesellschaft ist nicht zwingend auch Gesellschafterin der abhängigen Gesellschaft. Allerdings stellt der Vertragskonzern regelmäßig nur die konzeptionsgerechte Fortsetzung des auf der Aktienmehrheitsbeteiligung beruhenden faktischen Konzerns dar.247 In der Konzernpraxis ist die vertragliche Beherrschung ohne aktienrechtliche Beherrschung kaum denkbar.248 Deshalb kann in Vertragskonzernen von einer (Mehrheits-) Beteiligung der Muttergesellschaft an der Tochtergesellschaft ausgegangen werden. Somit wäre es auch in Vertragskonzernen konsequent, einen „Gerichtsstand der Mitgliedschaft“ am Sitz der abhängigen Gesellschaft anzunehmen.249 Dies ändert je243

Palandt/Heinrichs, § 269 Rn. 6. OLG Bremen, Urt. v. 25.9.1997, RIW 1998, 63, 65; OLG Jena, Urt. v. 5.8.1998, ZIP 1998, 1496, 1498; Palandt/Heinrichs, § 269 Rn. 14, 18; Erman/Kuckuck, § 269 Rn. 13; MünchKommBGB/Krüger, § 269 Rn. 32. 245 BayObLG, Beschl. 10.5.1996, DB 1996, 1819, 1820; OLG Jena, Urt. v. 5.8.1998, NZG 1999, 34, 35; Palandt/Heinrichs, § 269 Rn. 14, 18. 246 OLG München, Urt. v. 25.6.1999, IPRax 2000, 416, 417; MünchKommBGB/ Kindler, IntGesR, Rn. 477. 247 Bayer, S. 2 ff., 128. 248 MünchKommAktG/Altmeppen, § 302 Rn. 8. 244

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doch nichts daran, dass die dem Anspruch zugrunde liegende vertragliche Beziehung aufgrund des Beherrschungsvertrags besteht. Dies sollte dann auch für die Bestimmung des Erfüllungsortes entscheidend sein. Wenn man § 269 Abs. 1 BGB trotz der Bedenken zur Bestimmung des Erfüllungsortes heranzieht, gilt der Sitz des Schuldners als Erfüllungsort nur, sofern sich aus den vertragstypischen Umständen, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses, nichts anderes ergibt. Um die Natur des Schuldverhältnisses zu ermitteln, müssen die Interessen der an ihm beteiligten Parteien bewertet werden. Dabei sind vor allem die Art der Leistung und andere Besonderheiten des Vertrags zu beachten,250 und es ist auf den Schwerpunkt der Leistungspflicht abzustellen. Die vertragstypischen Umstände sind mit Hilfe der ergänzenden Auslegung gemäß §§ 157, 242 BGB festzustellen und zu berücksichtigen. Anhand der vertragstypischen Umstände sind dabei die Interessen der Beteiligten zu beachten.251 Die Annahme des Ausgleichs durch die abhängige Gesellschaft könnte zunächst als gleichwertig zur Leistungspflicht der herrschenden Gesellschaft gewertet werden, so dass kein Schwerpunkt des Vertragsverhältnisses festzustellen ist.252 Der Jahresfehlbetrag entsteht jedoch am Sitz des abhängigen Unternehmens. Dort wird er ausgewiesen durch die Gewinn- und Verlustrechnung. Der Anspruch soll die Nachteile, die das abhängige Unternehmen erlitten hat, ausgleichen und damit seinen Schutz gewähren. Die Übertragung der Leitungsmacht auf das herrschende Unternehmen durch den Beherrschungsvertrag führt auch zu Schutz- und Fürsorgepflichten, die unter anderem in der Verlustausgleichspflicht zum Ausdruck kommen. Dadurch unterscheidet sich die Verlustausgleichspflicht von anderen Geldzahlungspflichten. Betrachtet man das Gesamtgepräge des Vertrages, so liegt der Schwerpunkt am Sitz der abhängigen Gesellschaft. Diese Umstände und die Schutzbedürftigkeit der abhängigen Gesellschaft sprechen für einen Erfüllungsort am Sitz des abhängigen Unternehmens.253 Für eine Zuständigkeit am Sitz der abhängigen Gesellschaft spricht zudem der Gleichlaufgedanke. Bestimmt schon das Sitzrecht der abhängigen Gesellschaft über die Konzerninnenhaftung, dann scheint es auch zweckmäßig, die dieser Rechtsordnung angehörigen Gerichte in der Sache entscheiden zu lassen.254 Problematisch an dieser Vorgehensweise ist jedoch, dass dem Gleichlaufgedanken auch sonst in Art. 5 Nr. 1 EuGVVO nicht 249 250 251 252 253 254

Vgl. Laubacher, S. 196 Fn. 54 zu § 22 ZPO. Palandt/Heinrichs, § 269 Rn. 12 ff.; Soergel/Wolf, § 269 Rn. 22. Schack, Erfüllungsort, Rn. 64. So Laubacher, S. 187. So auch Jaspert, S. 119. Haubold, IPRax 2000, 375, 380; Kindler, in FS Ulmer, S. 305, 315.

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Ausdruck verliehen wird. Nur in wenigen Bereichen kommt er zum Tragen.255 Die Befürchtung, dass der ausländische Richter das materielle Recht nicht sachgemäß anwenden könnte, mag zwar einer in der deutschen Literatur häufig verbreiteten Meinung entsprechen,256 reicht für eine Begründung bzw. ein besonderes Bedürfnis des Gleichlaufs jedoch allein nicht aus. Die jeder mitgliedstaatlichen Rechtsordnung eigene spezielle Ausprägung der Konzerhaftungsregeln und die zahlreichen Meinungsverschiedenheiten auf materiellrechtlicher Ebene mögen ebenso wie die Tatsache, dass die Möglichkeit des Abschlusses eines Beherrschungsvertrags von den meisten mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen257 nicht gewährt wird, eine Besonderheit gegenüber anderen (vertraglichen) Ansprüchen erkennen lassen. Allein deshalb sollte man sich jedoch nicht über die Grundkonzeption des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO hinwegsetzen. Der Gleichlauf ist eine praktische, sogar wünschenswerte Folge dieses Ergebnisses; er dient als Argument aber weder für noch gegen einen Gerichtsstand des Erfüllungsortes am Sitz der abhängigen Gesellschaft. Überprüfen lässt sich das Ergebnis aber an den Zielen der EuGVVO und dem Sinn und Zweck des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO. Gerade auch in den Fällen, in denen die Tatbestandsmerkmale für den Erfüllungsort erst an Hand des auf die Hauptsache anwendbaren materiellen Rechts ermittelt werden müssen und nicht vorweg autonom festgelegt sind, darf die Zielsetzung von Sondergerichtsständen nicht unberücksichtigt bleiben. Diese sollen der erleichterten Rechtsverfolgung dienen, indem sie die Prozessführung an einem Ort erlauben, der insbesondere zur Beweisaufnahme in strittigen Tatfragen und zur möglichst weitgehenden Bereinigung des gesamten Streitkomplexes geeignet ist.258 Die besondere Sachnähe kann sich also auch daraus ergeben, dass eine Untersuchung vor Ort oder die Erstellung eines Gutachtens erforderlich ist.259 Das Gericht am Sitz der abhängigen Gesellschaft steht den tatsächlichen Auswirkungen der Leitungsmacht regelmäßig am nächsten. Um das Bestehens eines Verlustausgleichsanspruchs festzustellen, bedarf es häufig einer Überprüfung der Bilanz. Die ordnungsgemäße Überprüfung einer deutschen Gewinn- und Verlustrechnung dürfte durch ein deutsches Gericht eher gewährleistet sein als durch ein ausländisches Gericht.260 Insofern geht es um eine komplexere Materie als bei anderen „klassischen“ Vertragsansprüchen. Ein Gerichtsstand am Sitz der abhängigen Gesellschaft wäre demnach am sachnächsten. Damit steht dieses Ergeb255 256 257 258 259 260

Z. B. im Deliktsrecht; vgl. zum Gleichlaufgedanken auch Pfeiffer, S. 91, 95 f. Vgl. nur Ebenroth, Vermögenszuwendungen, S. 419. Mit Ausnahme von Portugal (und Österreich). Bajons, in FS Geimer, S. 15, 65. Jenard-Bericht, ABl. EG v. 5.3.1979, Nr. C 59, S. 1, 24. So auch Jaspert, S. 120.

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nis auch mit der Zielsetzung des Gerichtsstands des Erfüllungsortes in Einklang, das Gericht zur Entscheidung zu berufen, welches eine besondere Sachnähe zum Rechtsstreit aufweist. Schließlich kann noch das Prinzip der Vorhersehbarkeit unterstützend herangezogen werden. Der EuGH beachtet bei der Auslegung der besonderen Zuständigkeiten der Art. 5 ff. EuGVVO, dass der Beklagte vernünftigerweise vorhersehen kann, vor welchem Gericht – abgesehen von dem seines Wohnsitzstaates – er verklagt werden kann. Das herrschende Unternehmen hat sich durch den Abschluss des Beherrschungsvertrags bewusst in den Bereich einer fremden Rechtsordnung begeben, es hat Einfluss auf die Leitung der abhängigen Gesellschaft genommen und muss deshalb auch mit einer Gerichtspflichtigkeit am Sitz der abhängigen Gesellschaft rechnen.261 Eine mangelnde Vorhersehbarkeit spricht somit zumindest nicht gegen einen Gerichtsstand am Sitz der abhängigen Gesellschaft.262 Demnach ergibt sich aus den Umständen, dass der Erfüllungsort in Abweichung der §§ 269, 270 BGB am Sitz des abhängigen Unternehmens liegt, womit auch dort ein Gerichtsstand eröffnet ist. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit einer Interessenabwägung von Kläger und Beklagtem. Vorzugswürdig für derartige Fälle scheint sogar eine Lösung, die von der selbständigen Anknüpfung bei Geldschulden Abstand nimmt, wenn sie für Ansprüche aus Vertragsverletzung zu einem Gerichtsstand führt, dem die Sachnähe zum Streitgegenstand des konkreten Prozesses fehlt,263 bzw. die auch bei anderen als den in Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO genannten Fällen eine autonome Bestimmung des Erfüllungsortes anstrebt. Eine Suche nach dem Kernpunkt der Rechtsstreitigkeit und dem auslösenden Moment für die geltend gemachten Ansprüche führt schließlich zu einem Gerichtsstand, der die Sachnähe zum Streitgegenstand des konkreten Prozesses aufweist. Es kann aber festgehalten werden, dass der Erfüllungsort der in Streit stehenden Verpflichtung im Ergebnis am Sitz der abhängigen Gesellschaft liegt. Zur Bestimmung des Sitzes der abhängigen Gesellschaft kann nicht Art. 60 EuGVVO herangezogen werden, da in Art. 5 Nr. 1 EuGVVO – anders als bei Art. 6 Nr. 1 EuGVVO – nicht direkt auf den Sitz bzw. Wohnsitz Bezug genommen wird. Ein allgemeiner Grundsatz, dass der Sitz der 261

Haubold, IPRax 2000, 375, 380; Kindler, in FS Ulmer, S. 305, 315. Das herrschende Unternehmen ist nur dadurch belastet, dass es sich möglicherweise auch gegen haltlose Konzernhaftungsklagen im Ausland verteidigen muss. Dies ist bei den sog. „doppelt relevanten Tatsachen“ aber das allgemeine Problem der Anforderungen an den Klägervortrag. Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 4.3.1982, Rs. 38/81 – Effer/Kantner – Slg. 1982, 825, 834 Rn. 7; EuGH, Urt. v. 7.3.1995, Rs. C-68/93 – Shevill/Presse Alliance – Slg. 1995 I-415, 463 f. Rn. 34 ff. 263 Siehe zu neuen Impulsen Bajons, in FS Geimer, S. 15, 64 ff. 262

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Gesellschaft im Anwendungsbereich der EuGVVO generell i. S. d. Art. 60 EuGVVO einer alternativen Anknüpfung unterliegt, ganz gleich von welcher Rechtsnorm die Frage aufgeworfen wird, lässt sich der Verordnung nicht entnehmen und würde auch der restriktiven Anwendung der besonderen Zuständigkeiten nicht entsprechen. Dies zeigt auch die Regelung in Art. 22 Nr. 2 EuGVVO, der zum Zwecke der Zuständigkeitskonzentration und der Festlegung eines sachnahen Gerichtsstands eine Bestimmung des Sitzes nach den Regeln des Internationalen Privatrechts des Forumstaats vorsieht. Die Frage nach dem Sitz der abhängigen Gesellschaft wird im Rahmen der Bestimmung des Erfüllungsortes i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO nochmals nach bereits erfolgter kollisionsrechtlicher Anknüpfung zur Bestimmung des auf den Anspruch anwendbaren Rechts vom Tatbestand einer Norm des deutschen Sachrechts (§ 269 BGB) aufgeworden, ähnlich einer Vorfrage. Eine Vorfrage ist die Frage nach dem Bestehen eines präjudiziellen Rechtsverhältnisses oder einer Rechtslage, die im Tatbestand einer – nach erfolgter kollisionsrechtlicher Anknüpfung – zur Anwendung berufenen Sachnorm vorausgesetzt wird.264 Bei dem Sitz handelt es sich jedoch nicht um ein eigentliches präjudizielles Rechtsverhältnis, sondern zunächst nur um einen Anknüpfungspunkt im Tatbestand der materiellrechtlichen Norm, so wie der Sitz auch schon ein Anknüpfungsmoment in der Kollisionsnorm des internationalen Gesellschaftsrechts ist.265 Die Entscheidung über ein Anknüpfungsmoment ist grundsätzlich derjenigen Rechtsordnung zu entnehmen, die in ihrer Norm dieses Anknüpfungsmoment verwendet, da jeder Staat selbst über die Auslegung seiner nationalen Rechtssätze bestimmt.266 Im Gegensatz zu anderen Anknüpfungsmomenten hängt der Begriff des Sitzes aber mit dem Gesellschaftsstatut und einer kollisionsrechtlichen Anknüpfung eng zusammen. Es handelt sich um eine kollisionsrechtliche Frage, die erst bei der Anwendung des materiell maßgebenden Rechts entsteht.267 Damit stellt sich wie bei der Vorfrage das Problem der Anknüpfung. Die Anknüpfung einer Vorfrage erfolgt nach überwiegender Auffassung selbständig, d. h. nach dem Internationalen Privatrecht der lex fori,268 und damit vor deut264 von Hoffmann, IPR, § 6 Rn. 58, demzufolge es sich dabei um materielles Recht, aber auch um ausländisches Kollisionsrecht handeln kann. 265 Vgl. zu Anknüpfungsmomenten von Hoffmann, IPR, § 5 Rn. 1. 266 Neuhaus, S. 221; vgl. zu der Bestimmung des „Wohnsitzes“ von Hoffmann, IPR, § 5 Rn. 68. 267 Vgl. die entsprechende Definition der Vorfrage bei Neuhaus, S. 344. 268 Die überwiegende Auffassung knüpft Vorfragen grundsätzlich selbständig nach der lex fori an (vgl. Kegel/Schurig, IPR, § 9 II 1, S. 378 ff. m. w. N.). Vorfragen in völkerrechtlichen Verträgen sind im Interesse des internationalen Entscheidungseinklangs unselbständig anzuknüpfen (von Hoffmann, IPR, § 6 Rn. 64). Hier

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schen Gerichten aus der Sicht des deutschen Kollisionsrechts. Ob die Entscheidung über den Sitz der abhängigen Gesellschaft derjenigen Rechtsordnung zu entnehmen ist, die in ihrer Rechtsnorm dieses Anknüpfungsmoment verwendet, ob sie nach den Sach- oder Kollisionsnormen der lex fori oder der lex causae, also dem auf die Hauptfrage anwendbaren Recht, zu beurteilen ist, kann in diesem Fall allerdings dahinstehen. Das Problem der Anknüpfung des Sitzes ist nur theoretischer Natur, da auf die Hauptfrage nicht ausländisches Recht anwendbar ist, lex fori und lex causae daher zusammenfallen. Bei den Innenhaftungsansprüchen im Vertragskonzern kommt im Rahmen der Untersuchung nur eine abhängige Gesellschaft in Betracht, die in einer dem deutschen Gesellschaftsrecht bekannten Gesellschaftsform besteht, somit eine inländische Gesellschaft.269 Diese wird regelmäßig sowohl ihren Satzungs- bzw. Gründungssitz als auch den Hauptverwaltungssitz in Deutschland haben, weil bislang das Auseinanderfallen von Satzungs- und Hauptverwaltungssitz nach deutschem Recht noch zur Auflösung der Gesellschaft führt.270 Damit ist deutsches Konzernhaftungsrecht auf den Anspruch anwendbar, womit bei einer Klage vor deutschen Gerichten lex fori und lex causae zusammenfallen. Hat eine Auslandsgesellschaft ihren Satzungssitz in einem Gründungstheoriestaat und den Hauptverwaltungssitz in Deutschland, so finden die Vorschriften der deutschen Konzerninnenhaftung schon keine Anwendung, da die Gesellschaft grundsätzlich im Ganzen – bis auf Sonderanknüpfungen im Einzelfall – nach dem Gesellschaftsrecht ihres Gründungstaats zu beurteilen ist.271 Eine Sonderanknüpfung der Konzerninnenhaftung ist grundsätzlich nicht gerechtfertigt, da bei der Innenhaftung der Gedanke der Rechtswahlfreiheit im Vordergrund steht.272 Damit kommt deutsches Konzernhaftungsrecht bereits nicht zur Anwendung. Sollten lex fori und lex causae auseinander fallen und die Vorfrage unselbständig angeknüpft werden, müsste das ausländische Kollisionsrecht im Ergebnis zur Anwendung einer anderen Rechtsordnung führen als die entsprechende Kollisionsnorm des Forums, damit das Problem der Vorfrage aktuell wird. Dies ist nicht der Fall, wenn – wie bislang regelmäßig – Satzungs- bzw. Gründungssitz und Hauptverwaltungssitz der abhängigen deutschen Gesellschaft zusammenfallen, aber auch, wenn im Wege der europäiergibt sich die Vorfrage jedoch nicht aufgrund einer völkerrechtlichen Kollisionsnorm. Der Erfüllungsort wird mit Hilfe des internationalen Gesellschaftsrechts des angerufenen Gerichts bestimmt. 269 Selzner/Sustmann, Der Konzern 2003, 85, 91. 270 Siehe oben 3. Teil, I.2., S. 92. 271 Zum Anknüpfungspunkt der Gründungstheorie Hoffmann, ZVglRWiss 101 (2002), 283 ff. 272 Siehe dazu bereits oben 3. Teil, I.3., S. 98.

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schen Angleichung in Zukunft in allen Mitgliedstaaten nach und nach an den Satzungs- bzw. Gründungssitz angeknüpft wird. Da derzeit noch ungeklärt ist, ob der Wegzug einer deutschen Gesellschaft nach wie vor zu deren Auflösung führt oder ob auch für den Wegzug einer Gesellschaft im Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit die Gründungstheorie in Zukunft zur Anwendung kommt, können für die Bestimmung des Sitzes in derartigen Fallkonstellationen nur Mutmaßungen angestellt werden. Für eine nach deutschem Recht gegründete Gesellschaft wäre dementsprechend auch nach Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland deutsches Konzernhaftungsrecht als Recht am Gründungssitz anwendbar. Anknüpfungspunkt wäre damit auch im Rahmen des § 269 BGB der Gründungs- bzw. Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft, so dass der Anspruch gemäß § 302 AktG dort geltend gemacht werden könnte. Die deutschen Gerichte wären damit bei einer nach deutschem Recht gegründeten Gesellschaft grundsätzlich an deren Satzungssitz zuständig. Schließlich müssen, damit das Problem der Vorfrage aktuell wird, bei Vorliegen der beiden ersten Voraussetzungen auch die materiellen Rechtsnormen in beiden in Betracht kommenden Rechtsordnungen inhaltlich voneinander abweichen,273 was im Einzelfall zu überprüfen sein wird. Häufig wird aber auf den Satzungssitz der Gesellschaft abgestellt, wie im Rahmen von § 5 Abs. 1 AktG.274 Abgesehen von diesen Voraussetzungen sollte, da der Sitz der abhängigen Gesellschaft bereits als Anknüpfungsmoment für die Bestimmung des auf den Anspruch gemäß § 302 AktG anwendbaren Rechts maßgeblich ist, die Frage nach der Bestimmung des Sitzes der abhängigen Gesellschaft von vornherein nicht erneut im Rahmen des § 269 BGB aufgeworfen werden. Vielmehr ist das einmal gefundene Ergebnis auch der weiteren Beurteilung zugrunde zu legen.275 Damit sind die deutschen Gerichte am Gründungsbzw. Satzungssitz zuständig, der bislang regelmäßig mit dem Hauptverwaltungssitz zusammenfällt. Ergänzend bleibt noch anzumerken, dass ebenso wie im Rahmen des Art. 22 Nr. 2 EuGVVO von einem Doppelsitz auszugehen ist, wenn eine Rechtsordnung die Möglichkeit kennt, dass eine Gesellschaft zwei Sitze hat und diese Rechtsordnung nach dem internationalen Privatrecht des Forums für die Bestimmung des Sitzes maßgebend ist. Der Kläger hat ein 273 Siehe zu den drei Voraussetzungen bei dem Problem der Vorfrage Neuhaus, S. 345. 274 Vgl. zum deutschen Recht auch § 4 a GmbHG; zum französischen Recht Zimmer, RabelsZ 67 (2003), 298, 303 und Kuckertz, S. 89. 275 Dies gilt auch beim Zusammentreffen von Erst- und Vorfrage; vgl. von Hoffmann, IPR, § 6 Rn. 70.

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Wahlrecht, von welchem Sitz er eine Zuständigkeit für seine Klage ableiten möchte.276 Eine internationale Zuständigkeit besteht dann in zwei Staaten, wenn eine Gesellschaft ihren satzungsmäßigen Sitz in einem Mitgliedstaat hat, dessen Kollisionsrecht den satzungsmäßigen Sitz für relevant hält, und ihren tatsächlichen Sitz in einem Mitgliedstaat, in dem der tatsächliche Sitz maßgebend ist.277 So kann man durch die gesellschaftskollisionsrechtliche Wende hin zur von Sonderanknüpfungen überlagerten Gründungstheorie trotz der Nichtgeltung von Art. 60 EuGVVO zu Ergebnissen gelangen, wie sie sich bei Anwendung des Art. 60 EuGVVO ergeben würden.278 Diese Grundsätze im Rahmen des Art. 22 Nr. 2 EuGVVO sind auf die Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 1 EuGVVO übertragbar, weil in diesem Zusammenhang der Sitz der Gesellschaft ebenfalls nach dem Kollisionsrecht des Forumstaats zu bestimmen ist. Da im Rahmen der Untersuchung nur grenzüberschreitende Unternehmensverträge mit einem deutschen abhängigen Unternehmen in Betracht kommen, und eine inländische Gesellschaft bislang mit dem Wegzug aufzulösen ist, wenn Satzungssitz und tatsächlicher Verwaltungssitz einer nach deutschem Recht gegründeten Gesellschaft auseinander fallen, besitzt eine alternative Anknüpfung des Sitzes insofern noch keine Relevanz und wird im Wege zunehmender Vereinheitlichung der Anknüpfungsmomente auch mehr und mehr an Bedeutung verlieren. (5) Zwischenergebnis Im Vertragskonzern können Ansprüche des abhängigen Unternehmens auf Verlustausgleich am Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden. Der Erfüllungsort der in Streit stehenden Verpflichtung liegt am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft, so dass regelmäßig ein inländischer Gerichtsstand besteht. bb) Schadensersatzanspruch gemäß § 309 AktG § 309 Abs. 2 AktG sieht lediglich eine Haftung der gesetzlichen Vertreter des herrschenden Unternehmens vor. Jedoch besteht im Ergebnis Einigkeit über die Existenz einer Haftung des herrschenden Unternehmens selbst für Schäden infolge rechtswidriger Weisungen. Das herrschende Unternehmen haftet der abhängigen Aktiengesellschaft für Pflichtverletzungen bei Aus276

Schlosser-Bericht, ABl. EG v. 5.3.1979, Nr. C 59, S. 71, 120, Nr. 162. Kropholler, EuZPR, Art. 22 Rn. 41; Geimer/Schütze, IntUrtAnerk I/1, S. 745; Bülow/Böckstiegel/Safferling, 606 Art. 16 Rn. 21; vgl. nunmehr auch Bülow/Böckstiegel/Thiel/Tschauner, 540 Art. 22 Rn. 37 f.; Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 22 Rn. 213. 278 Rauscher/Mankowski, EuZPR, Art. 22 Brüssel I-VO Rn. 30. 277

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übung der Leitungsmacht auf der Grundlage von Unternehmensverträgen neben seinen gesetzlichen Vertretern als Gesamtschuldner i. S. d. § 421 BGB.279 Bei dem Anspruch gegenüber dem herrschenden Unternehmen herrscht aber Uneinigkeit über den Rechtsgrund des Anspruchs. Inhaberin des Anspruchs ist regelmäßig die abhängige Gesellschaft. Die Aktionäre und Gläubiger der Gesellschaft sind nach § 309 Abs. 4 AktG aber auch ermächtigt, außerhalb eines Konkurses den Anspruch geltend zu machen. Gelegentlich wurde die Geltung von § 309 AktG bei internationalen Unternehmensverbindungen in Frage gestellt, da sich bei einem ausländischen herrschenden Unternehmen häufig das Problem stellt, welcher Personenkreis der Haftung wegen Leitungsmachtmissbrauchs unterfällt,280 weil ausländische Gesellschaften in der Regel eine abweichende Organisationsstruktur aufweisen. Welche Organmitglieder der ausländischen Muttergesellschaft als gesetzliche Vertreter i. S. d. § 309 AktG anzusehen sind, ist mittels des nach dem Gesellschaftsstatut des ausländischen Unternehmens maßgeblichen Vertretungsverhältnisses zu bestimmen.281 (1) Vorliegen eines Vertragsverhältnisses; Anspruch aus einem Vertrag Als dem Anspruch zugrunde liegendes Vertragsverhältnis kommt wieder der Beherrschungsvertrag in Betracht. Damit ist zunächst zu untersuchen, ob es sich bei dem Anspruch aus § 309 AktG um einen Anspruch handelt, der an den zwischen herrschendem und abhängigem Unternehmen abgeschlossenen Beherrschungsvertrag anknüpft und demnach als Anspruch aus einem Vertrag qualifiziert werden kann. Im deutschen Recht wird der Anspruch nach § 309 AktG gegen die gesetzlichen Vertreter des herrschenden Unternehmens meist als gesetzlicher Anspruch qualifiziert, der den Beherrschungsvertrag nur tatbestandlich voraussetzt, selbst aber nicht-vertraglicher Natur ist.282 Ein Blick auf die Qualifikation im autonomen deutschen internationalen Zivilprozessrecht ergibt, dass ein Teil des Schrifttums sich für eine deliktsrechtliche Qualifikation ausspricht, da es sich bei § 309 Abs. 2 AktG um ein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB handele,283 womit diese Ansicht einen Gerichtsstand am Ort der unerlaubten Handlung gemäß § 32 ZPO favorisiert. Bei dem Anspruch gegen das herrschende Unternehmen wird die deliktische Einordnung zum Teil übertragen, andere ordnen den Anspruch als 279 280 281 282 283

Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Geßler, § 309 Rn 49. Luchterhandt, S. 140; Meilicke, in FS Hirsch, S. 99, 120. KölnKomm/Koppensteiner, § 309 Rn. 27; Jaspert, S. 142. Vgl. nur GroßkommAktG/Würdinger, § 309 Anm. 6. Beitzke, ZHR 138 (1974), 533, 537; Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 572.

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vertraglichen ein. Die Qualifikation richtet sich dabei nach der angewandten Anspruchsgrundlage. Denn ob sich die Haftung des herrschenden Unternehmens für rechtswidrig erteilte Weisungen aus Vertrag, Gesetz oder aus der organähnlichen Stellung des herrschenden Unternehmens ergibt, wird kontrovers betrachtet. Teilweise wird eine vertragliche Haftung gestützt auf den Beherrschungsvertrag, d. h. eine Haftung aus positiver Vertragsverletzung (pVV des Beherrschungsvertrags, nunmehr § 280 Abs. 1 bzw. § 281 Abs. 1 BGB)284 vertreten, andere begründen die Haftung in Anlehnung an § 309 Abs. 2 AktG i. V. m. § 31 BGB, also eine Zurechnung des Organhandelns gemäß § 31 bzw. auch von Fremdverschulden gemäß § 278 BGB,285 oder schließlich aufgrund einer ungeschriebenen Organhaftung bzw. gesetzlichen Haftung infolge der Organstellung der herrschenden Gesellschaft.286 Nicht nur die Anspruchsgrundlage, sondern auch der entscheidende Haftungsgrund des § 309 AktG ist umstritten, insbesondere, ob die Weisung rechtswidrig sein muss.287 Teilweise wird vertreten, die Haftung setze keine rechtwidrige Weisung voraus.288 Andere stellen in einer ähnlichen Argumentation darauf ab, dass § 309 AktG einen pflichtbezogenen Unrechtstatbestand enthalte, der in einem objektiven Verstoß gegen die Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsleiters zu erkennen sei. § 309 AktG beziehe die abhängigen Unternehmen in den Schutzbereich der Pflichten ein, die dem gesetzlichen Vertreter einer herrschenden Gesellschaft aus seinem Dienstverhältnis und aus seiner Organstellung erwachsen.289 Die Gegenauffassung geht davon aus, dass die Haftung stets eine rechtswidrige Weisung verlange.290 Eine Haftung ohne Unrecht komme, abgesehen von der Gefährdungshaftung, nicht in Betracht. Danach ist der Haftungsgrund mit dem aller Haftungstatbestände für fehlerhafte Geschäftsbesorgung identisch. § 309 284 KölnKomm/Koppensteiner, § 309 Rn. 37; Baumbach/Hueck, § 309 Rn. 1; Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Geßler, § 309 Rn. 47; Godin/Wilhelmi, § 309 Anm. 2; Emmerich/Sonnenschein/Habersack, § 23 VI 3 d, S. 376 f. 285 GroßkommAktG/Würdinger, § 309 Anm. 6; Hüffer, AktG, § 309 Rn. 27; Luchterhandt, S. 142; Bayer, S. 115; Möhring, in FS Schilling, S. 253, 257; Beuthien, DB 1969, 1781 ff.; Mertens, AcP 168 (1968), 225, 228 f.; Müller, ZGR 1977, 1, 3 f.; vgl. dazu auch Vogel, S. 105. 286 Vogel, S. 105; weitere Nachweise bei Eschenbruch, Konzernhaftung, Rn. 3027. 287 Vgl. auch den entsprechenden Anspruch im portugiesischen Recht gemäß Art. 504 Abs. 2 Código das Sociedades Comerciais; abgedruckt bei Lutter/Overrath, in Lutter, Konzernrecht im Ausland, ZGR Sonderheft 11, S. 229, 245. 288 Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Geßler, § 309 Rn. 20; Eschenbruch, Konzernhaftung, Rn. 3041. 289 Mertens, AcP 168 (1968), 225, 229, 232. 290 Baumbach/Hueck, § 309 Rn 6; KölnKomm/Koppensteiner, § 309 Rn. 11; MünchKommAktG/Altmeppen, § 309 Rn. 68; Müller, ZGR 1977, 1, 3.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

AktG sei nur eine besondere Ausprägung der allgemeinen Haftung für pflichtwidrige Besorgung fremder Geschäfte (negotiorum gestio).291 (a) PVV des Beherrschungsvertrages (§ 280 Abs. 1 bzw. § 281 Abs. 1 BGB) Betrachtet man die Anspruchsgrundlage in einer pVV des Beherrschungsvertrags (nunmehr § 280 Abs. 1 bzw. § 281 Abs. 1 BGB), so liegt eine vertragliche Qualifikation nahe. Schwierigkeiten mit dem Begriff „vertraglich“ können allerdings auch hier entstehen, weil beispielsweise das französische Recht im Gegensatz zum deutschen Recht dazu neigt, Ansprüche, die in Deutschland als positive Vertragsverletzung vertraglich qualifiziert würden, unter dem Gesichtspunkt des abus de droit deliktisch zu qualifizieren.292 Grundsätzlich sollten Ansprüche, die aus der Verletzung beherrschungsvertraglicher Pflichten resultieren, jedoch als vertraglich eingeordnet werden. (b) § 309 AktG Schließt man sich der Auffassung an, die die Haftung aus § 309 Abs. 2 AktG i. V. m. § 31 BGB vertritt, so ist der Anspruch ebenso wie der gegen die gesetzlichen Vertreter des herrschenden Unternehmens materiellrechtlich zunächst als gesetzlicher Anspruch einzuordnen. Ob dies eine vertragliche Qualifikation im Rahmen der EuGVVO hindert, ist damit noch nicht entschieden. Ein Argument für eine vertragliche Qualifikation ist zunächst die vertragliche Nähe des Anspruchs. Es besteht eine vertragliche Beziehung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft, und die Haftung ist nicht losgelöst von Vertragspflichten. Die Berechtigung zur Weisungserteilung ergibt sich gemäß § 308 AktG. Auch wenn das herrschende Unternehmen keine vertragliche Pflicht zur Erteilung von Weisungen trifft, so besteht doch eine Fürsorgepflicht, eine allgemeine Sorgfaltspflicht des herrschenden Unternehmens. Der Haftgrund von § 309 AktG ist demnach die Verletzung von Sorgfalts- und Fürsorgepflichten bei der Erteilung nachteiliger Weisungen und steht damit in engem Zusammenhang zum Beherrschungsvertrag. § 309 AktG knüpft an eine konkrete Weisung an.293 Als Weisung wird jede Willenserklärung des herrschenden Unternehmens verstanden, die aus der Perspektive des Erklärungsempfängers (des Vorstands der beherrschten Gesellschaft) als Einflussnahme auf die Leitung der abhängigen Aktienge291 292 293

MünchKommAktG/Altmeppen, § 309 Rn. 68. Vgl. Rauscher, Verpflichtung und Erfüllungsort, S. 5. Eschenbruch, Konzernhaftung, Rn. 3027.

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sellschaft gewertet werden muss.294 Nimmt das herrschende Unternehmen sein Weisungsrecht in Anspruch, haftet es (analog) §§ 309 Abs. 2, 308 AktG für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters.295 Die Haftung für die Sorgfalt eines Geschäftsleiters rückt die Haftung in die Nähe einer Haftung für die Verletzung von Organpflichten. Indem nachteilige Weisungen erteilt werden, üben die herrschende Gesellschaft und ihre gesetzlichen Vertreter Organfunktionen aus, die mit bestimmten Organpflichten verbunden sind. Fraglich ist jedoch, ob die Organhaftung an den Beherrschungsvertrag anknüpft oder losgelöst vom zugrunde liegenden Beherrschungsvertrag ist. Die herrschende Gesellschaft und ihre gesetzlichen Vertreter nehmen bei der Erteilung nachteiliger Weisungen Organfunktionen wahr, die sich aus dem Beherrschungsvertrag ergeben. Die Tatsache, dass die herrschende Gesellschaft und ihre gesetzlichen Vertreter zur Ausübung dieser Organfunktionen nur aufgrund des Beherrschungsvertrags berechtigt sind, muss aber noch nicht bedeuten, dass Haftungsgrund die Verletzung einer vertraglichen Pflicht ist. Es kann sich vielmehr auch um eine Organhaftung losgelöst vom zugrunde liegenden Beherrschungsvertrag handeln, was wiederum eine Qualifikation als Anspruch aus einem Vertrag ausschließen könnte.296 Aus dem Umstand, dass dem Anspruch gemäß § 309 AktG eine rechtswidrige Handlung – was auch schon nicht unumstritten ist – und ein Eingriff in den Rechtskreis der Tochtergesellschaft zugrunde liegen, schließt Jaspert, dass ein deliktischer und nicht ein vertraglicher Anspruch i. S. d. EuGVÜ vorliegt.297 Betrachtet man die Haftung gemäß § 309 AktG aber grundsätzlich als Organhaftung, bleibt zu untersuchen, wie die Organhaftung im Rahmen der EuGVVO zu qualifizieren ist. Grundsätzlich sollte nämlich eine allgemeingültige Lösung im Rahmen der EuGVVO angestrebt werden. (c) Organhaftung Bei der Organhaftung kann man sich nicht auf den vertraglichen Charakter der Satzung oder des Gesellschaftsvertrags berufen, da die Organe einer juristischen Person im deutschen Recht nicht notwendigerweise deren Mitglieder sind. Die Organstellung ist unabhängig von einer möglichen Gesellschafterstellung. 294 295 296 297

Eschenbruch, Konzernhaftung, Rn. 3029. Eschenbruch, Konzernhaftung, Rn. 3028. So Jaspert, S. 147 f. Jaspert, S. 151.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Zudem ist zwischen der Bestellung als Organ und dem der Bestellung zugrunde liegenden Anstellungsvertrag zu unterscheiden (sog. Trennungstheorie).298 Aufgrund dieser Trennung handelt es sich bei der Organhaftung im deutschen Recht zunächst um eine gesetzliche Haftung. Im Rahmen der EuGVVO ist dadurch eine vertragliche Qualifikation aber nicht ausgeschlossen. Voraussetzung für eine vertragliche Einordnung der Organhaftung ist zunächst, dass auch die rechtlichen Beziehungen, die sich aus dem Rechtsverhältnis zwischen einer Gesellschaft und ihren Organen ergeben, als vertraglich im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO qualifiziert werden können. Grundlage für eine Organhaftung ist die Organbestellung. Mit der Bestellung werden die Pflichten übertragen, die die Organverantwortung begründen.299 Auch wenn die Organstellung nicht unmittelbar durch Vertrag begründet wird, sondern durch einseitige Bestellung oder Wahl,300 so muss das Organ doch zur Wirksamkeit der Bestellung zustimmen.301 Die Bestellung bedarf in jedem Fall zu ihrer Wirksamkeit der Annahme des Bestellten. Somit beruht die organschaftliche Stellung wie ein Vertrag auf Konsens. Das notwendige Zusammenwirken von Gesellschaft und Organ rechtfertigt es, die Bestellung als Rechtsgeschäft anzusehen.302 Dementsprechend stufen die deutsche Rechtsprechung und Literatur die Organhaftung prozessrechtlich teilweise als vertragsähnlich ein, was zu einer Anwendung des Gerichtsstands des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) führt.303 Die vertragliche Grundlage gilt in der Regel auch für andere Rechtsordnungen. In Frankreich wird der Geschäftsleiter nach dem hierfür vorgesehenen Verfahren, insbesondere durch ordnungsgemäße Benennung und Eintragung ins Handelsregister, bestellt.304 Die in Frankreich existierende Gesell298

Vgl. nur Hüffer, AktG, § 84 Rn. 2 m. w. N. Hachenburg/Mertens, § 43 Rn. 7, 9; vgl. auch Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 43 Rn. 2. 300 Vgl. für Deutschland: § 46 Nr. 5 GmbHG, § 84 Abs. 1 Satz 1 AktG (Bestellung); § 101 Abs. 1 AktG (Wahl) für den Aufsichtsrat, siehe auch § 6 Abs. 3 GmbHG; die rechtliche Charakterisierung der Organbestellung wird unterschiedlich gesehen: vgl. K. Schmidt, GesR, § 14 III 2 a, S. 416 einerseits und Hachenburg/ Mertens, § 35 Rn. 22; GroßkommAktG/Meyer-Landrut, § 84 Anm. 1; Geßler/ Hefermehl/Eckardt/Kropff/Hefermehl, § 84 Rn. 6 andererseits. 301 GroßkommAktG/Meyer-Landrut, § 84 Anm. 1; Hachenburg/Mertens, § 35 Rn. 22; Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Hefermehl, § 84 Rn. 13; K. Schmidt, GesR, § 14 III 2 a, S. 416. 302 So schon OLG München, Urt. v. 25.6.1999, IPRax 2000, 416, 417 = RIW 2000, 143. 303 BGH, Urt. v. 10.2.1992, NJW-RR 1992, 800, 801; Geßler/Hefermehl/Eckardt/ Kropff/Hefermehl, § 93 Rn. 98; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 29 Rn. 9; Wieczorek/Schütze/Hausmann, § 29 Rn. 6; Zöller/Vollkommer, § 29 Rn. 6. 304 Guyon, II, Nr. 1389; Borse, S. 24. 299

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schaftsklage (action sociale, Art. L. 225-251 C. com.) dient dem Schutz und der Wiederherstellung des Gesellschaftskapitals und ist insofern mit der deutschen Organhaftung vergleichbar. Bei Ansprüchen der Gesellschaft beruht diese Haftung auf Vertragsverletzung, bei Ansprüchen Dritter allerdings auf Delikt.305 Eine rechtsvergleichende Bestandsaufnahme zeigt, dass in vielen europäischen Staaten die Haftung der leitenden und aufsichtsführenden Organe gegenüber der Gesellschaft als vertraglich eingestuft wird oder doch zumindest nach der Art ihres Entstehens als vertragliche Haftung zu qualifizieren ist.306 Zwischen den Organen und der Gesellschaft besteht demnach eine vertragliche Beziehung im Sinne der Verordnung. Organe und Gesellschaft gehen freiwillig eine Beziehung ein, welche für die Organe besondere Verpflichtungen begründet. Ob die besonderen Pflichten der Organe aus dem Gesetz, einem Anstellungsvertrag oder aus dem Vertrag in Verbindung mit den Grundsätzen von Treu und Glauben folgen, ist nicht entscheidend.307 Wichtig ist, dass sie nur entstehen, wenn eine freiwillige Begründung dieser Sonderbeziehung erfolgt. Es handelt sich um einen (gesetzlichen) Schadensersatzanspruch wegen Nichteinhaltung einer Vertragspflicht. Ob der Schadensersatzanspruch – wie in einigen Mitgliedstaaten bei der Organhaftung – aus dem Gesetz folgt, oder – wie in anderen – ein Ergebnis der allgemeinen vertraglichen Haftung ist, sollte im Rahmen der autonomen Auslegung des Vertragsbegriffs im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Der EuGH hat in Sachen Powell Duffryn/Petereit bereits eine vertragliche Einordnung des Verhältnisses zwischen Organ und Gesellschaft(er) angedeutet.308 Häufig wird der Erfüllungsort für die Pflichten des Gesellschaftsorgans nach nationalem Recht der Sitz der Gesellschaft sein. Somit spricht auch das Kriterium der Sachnähe des entscheidenden Gerichts für eine vertragliche Qualifikation. Die Organhaftung ist somit vertraglich i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO zu qualifizieren. Versteht man die Haftung des herrschenden Unternehmens als Fall ungeschriebener Organhaftung, kann sie somit als vertragliche eingeordnet werden. Wird die Haftung aus § 309 AktG abgeleitet, führt dies zunächst zu keinem unterschiedlichen Ergebnis. Auch § 309 AktG normiert die Folgen einer Haftung eines Organs gegenüber der Gesellschaft, so dass der Anspruch auch als solcher aus einem Vertrag eingeordnet werden kann. 305

Vgl. Sonnenberger, Rn. III 97; Fleischer, RIW 1999, 576, 577. Siehe zur autonomen Auslegung im Wege der Rechtsvergleichung und autonomen Qualifikation der Organhaftung: Bauer, S. 142 ff., 144 f. 307 So auch Bauer, S. 145. 308 EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745, 1774 f. Rn. 16. 306

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Fraglich ist aber, ob die Zurechnung des Organhandelns gemäß § 31 BGB dabei Probleme hervorruft oder ob die haftungszuweisende Norm nichts an dieser Einordnung ändert. § 31 BGB ist grundsätzlich anwendbar bei der Haftung juristischer Personen für das Handeln ihrer Organe gegenüber Dritten. Diese ist von der Organhaftung, d. h. der Haftung von Organen juristischer Personen diesen gegenüber, zu unterscheiden. Denn die Haftung einer Gesellschaft für Handlungen ihres Organs ist grundsätzlich eine deliktsrechtliche Haftung. Sie wirkt außerhalb der organschaftlichen Sonderverbindung. Die gesetzlichen Vertreter des herrschenden Unternehmens haben zwar als solche keine Organbeziehung zur abhängigen Gesellschaft. § 309 AktG führt aber gerade zu einer Haftungserstreckung auf diesen Personenkreis, der durch die Ausübung der aus § 308 AktG folgenden Weisungsbefugnis die Leitung der abhängigen Gesellschaft an sich zieht. Somit besteht zumindest eine organähnliche Stellung, die wiederum für eine vertragliche Einordnung der Haftung spricht. Die unterschiedlichen Ansichten über den Rechtsgrund des Anspruchs sollten nicht zu abweichenden Qualifikationen ein und derselben Haftung des herrschenden Unternehmens führen. Dies würde zu Rechtsunsicherheit und einer Verlagerung der materiellrechtlichen Prüfung in den Bereich der Zuständigkeit führen. Entscheidend ist, dass die Haftung (analog) §§ 309, 308 AktG eine Weisung des herrschenden Unternehmens voraussetzt, wobei die Ausübung des Weisungsrechts wiederum an das Bestehen eines Beherrschungsvertrages anknüpft. Dies reicht für eine vertragliche Einordnung des Anspruchs aus. Zieht man zusätzlich die Materialien heran, so ergibt sich aus der Regierungsbegründung, dass „das herrschende Unternehmen (. . .) nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen auf Grund des Vertrags (haftet); eine besondere aktienrechtliche Regelung (sei) daher nicht erforderlich.“309 Unabhängig von der vertretenen Anspruchsgrundlage liegt der Haftungsgrund ursprünglich im Beherrschungsvertrag und in den daraus resultierenden Rechten und Pflichten. Dies reicht für eine Einordnung der Haftung als Anspruch aus einem Vertrag i. S. der EuGVVO aus. Im Rahmen des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO ist nur erforderlich, dass die Ansprüche das Bestehen eines Vertrages voraussetzen und aus diesem abgeleitet werden, selbst wenn sie letztlich gesetzlich begründet sind. Unabhängig von der nach materiellem Recht vertretenen Anspruchsgrundlage kann der Schadensersatzanspruch gegenüber dem herrschenden Unternehmen aufgrund Weisungserteilung als Anspruch aus einem Vertrag angesehen werden. Bei den gesetzlichen Vertretern kann im Einzelfall möglicherweise auch auf den Anstellungs- oder Arbeitsvertrag als weiteren Aspekt abgestellt 309

Reg. Begr. Kropff, S. 404 f.

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werden. Dies würde ohne Schwierigkeiten zu einer vertraglichen Einordnung führen. (2) Maßgebliche Verpflichtung und Bestimmung des Erfüllungsortes Das herrschende Unternehmen trifft keine vertragliche Pflicht zur Erteilung von Weisungen, sondern eine allgemeine Sorgfaltspflicht. Diese besteht allerdings nicht schlechthin, sondern wird bei der Erteilung von Weisungen als Leitungsinstrument geschuldet. Maßgebliche Verpflichtung ist die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Grundsätzlich liegt der Erfüllungsort am Wohnsitz des Schuldners (§ 269 Abs. 1 BGB), so also am Sitz des herrschenden Unternehmens. Fürsorgeund Sorgfaltspflichten sollen jedoch gerade im Rechtskreis bzw. Bereich des dadurch Begünstigten, hier am Sitz der abhängigen Gesellschaft wirken. Aus den Umständen ergibt sich daher, dass diese auch dort zu erfüllen sind. Für den Fall der Organhaftung hat das Organ seine besonderen Pflichten auch am Sitz der Gesellschaft zu erfüllen.310 Damit liegt der Erfüllungsort für Schadensersatzansprüche wegen Verletzung der Pflichten nach § 309 AktG ebenfalls am Sitz der abhängigen Gesellschaft. Betrachtet man die Pflichten von Organen als Dienstleistungen i. S. d. Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO,311 existiert ein autonomer Erfüllungsort am Ort, an dem die Dienstleistungen nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen. Die an die Weisung gebundenen Sorgfaltspflichten sind dann am Sitz der abhängigen Gesellschaft zu erfüllen. Zumindest erscheint der Gedanke des Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO in diesen Fällen verallgemeinerungsfähig. Hinsichtlich der Bestimmung des Sitzes der abhängigen Gesellschaft als Erfüllungsort kann auf die Ausführungen zu § 302 AktG verwiesen werden.312 (3) Zwischenergebnis Im Vertragskonzern können Ansprüche des abhängigen Unternehmens gegen die herrschende Gesellschaft und deren gesetzliche Vertreter auf Scha310 Vgl. BGH, Urt. v. 10.2.1992, NJW-RR 1992, 800, 801; siehe zum Erfüllungsort für Schadensersatzansprüche wegen nicht ordnungsgemäßer Erfüllung der Organpflichten: OLG München, Urt. v. 25.6.1999, IPRax 2000, 416, 417 = RIW 2000, 143; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 29 Rn. 23; Erman/Kuckuk, § 269 Rn. 13; MünchKommBGB/Krüger, § 269 Rn. 32; Wieczorek/Schütze/Hausmann, § 29 Rn. 76; Zöller/Vollkommer, § 29 Rn. 25. 311 So Bauer, S. 154. 312 Siehe oben 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.b)aa)(4), S. 163.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

densersatz wegen (nicht ordnungsgemäßer) Weisungserteilung gemäß § 309 AktG am Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden. Der Erfüllungsort der in Streit stehenden Verpflichtung liegt am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft, so dass in der Regel ein inländischer Gerichtsstand besteht. cc) Schadensersatzpflicht der Verwaltungsmitglieder der abhängigen Gesellschaft gemäß § 310 AktG Gemäß § 310 AktG haften die Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates der abhängigen Gesellschaft neben den Ersatzpflichtigen nach § 309 AktG als Gesamtschuldner; neben der abhängigen Gesellschaft sind sowohl die Aktionäre als auch die Gläubiger berechtigt, den Anspruch geltend zu machen (§ 310 Abs. 4 AktG). Bei Ansprüchen gegen Verwaltungsmitglieder der abhängigen Gesellschaft stellt sich die Frage, ob die EuGVVO überhaupt zur Anwendung kommt, wenn die Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats ihren Wohnsitz am inländischen Sitz der abhängigen Gesellschaft haben, wie dies häufig der Fall sein wird. Denn Kläger und Beklagte haben dann ihren Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat. Daraus und aus dem Umstand, dass auch ein anderer der die besonderen Zuständigkeiten des Art. 5 EuGVVO begründenden Bezugspunkte im Ausland fehlt, wird teilweise gefolgert, dass es an einem für die Anwendbarkeit der EuGVVO notwendigen Auslandbezug fehle.313 So seien – eine deliktsrechtliche Qualifikation vorausgesetzt – insbesondere im Rahmen des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO Handlungsund Erfolgsort für Handlungen der gesetzlichen Vertreter der abhängigen Gesellschaft zumeist am inländischen Sitz der Gesellschaft. Hinsichtlich des Postulats des notwendigen Auslandsbezugs bestehen jedoch erhebliche Zweifel. Im Ergebnis ist ein solcher Auslandsbezug aus den bereits oben genannten Gründen abzulehnen.314 Davon abgesehen kann in Erwägung gezogen werden, dass ein grenzüberschreitender Beherrschungsvertrag, der zumindest mittelbar Anlass für das Verhalten der Mitglieder des Vorstandes bzw. des Aufsichtsrats aufgrund der Weisung ist, als Auslandsbezug ausreicht. Diejenigen, die einen solchen Auslandsbezugs fordern, bejahen z. B. den Gerichtsstand des Sachzusammenhangs gemäß Art. 6 Nr. 1 EuGVVO und in diesem Fall damit wohl auch einen relevanten Auslandsbezug.315 Der Sitz der Muttergesellschaft im Ausland scheint demnach auszureichen. Wie bereits oben erläutert, ist die 313 314 315

Jaspert, S. 154. Vgl. dazu oben 4. Teil, 1. Kapitel: I.3., S. 115. Vgl. Jaspert, S. 154 ff.

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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EuGVVO also auch in diesen Fällen anwendbar. Es fehlt jedoch an der praktischen Relevanz, da regelmäßig schon ein inländischer Gerichtsstand gemäß Art. 2 Abs. 1 EuGVVO am Sitz der Verwaltungsmitglieder besteht. Grundsätzlich sind demnach Ansprüche aufgrund der Verantwortlichkeit der Verwaltungsmitglieder der abhängigen Gesellschaft, wie sie § 310 AktG normiert, auch im Rahmen der EuGVVO zu qualifizieren. Die Haftung des Vorstands der Gesellschaft nach § 310 Abs. 1 AktG setzt nach dem Regelungszusammenhang mit § 309 AktG einen Beherrschungsvertrag und eine Weisung voraus. Die Vorschrift normiert ebenso wie § 309 AktG die Haftung von Organmitgliedern. Damit stellt die Haftung gemäß § 310 Abs. 1 AktG gegenüber der abhängigen Gesellschaft einen Fall der Organhaftung dar und ist ebenso als Anspruch aus einem Vertrag i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO einzuordnen. Die Organpflichten sind aus den oben genannten Gründen am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft zu erfüllen. Damit besteht auch dort ein inländischer Gerichtsstand. dd) Anspruch der außenstehenden Aktionäre auf Ausgleichszahlung bzw. Dividendengarantie gemäß § 304 AktG § 304 Abs. 1 Satz 2 AktG sieht eine Ausgleichszahlung bzw. eine Dividendengarantie für außenstehende Aktionäre vor. Hiernach muss den außenstehenden Aktionären ein Recht auf Ausgleich (laufender Mindestgewinnanteil) eingeräumt werden. Diese Rechte müssen der gesetzlichen Regelung zufolge in den Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen aufgeführt werden. Vorgesehen ist eine feste und – zumindest wenn die herrschende Gesellschaft eine AG oder KGaA ist – eine variable Ausgleichsregelung.316 Wenn der andere Vertragsteil eine Aktiengesellschaft mit Sitz im Ausland ist, wird die Zulässigkeit dieser Möglichkeit allerdings uneinheitlich beurteilt.317 Der außenstehende Aktionär kann seine Rechte aufgrund der Ausgleichsregelungen im Unternehmensvertrag geltend machen. Sieht ein Unternehmensvertrag überhaupt keinen Ausgleich für die außenstehenden Aktionäre vor, ist dieser gemäß § 304 Abs. 3 Satz 1 AktG nichtig. Mangels wirksamen Unternehmensvertrags besteht dann kein Anspruch auf Ausgleich. Der Unternehmensvertrag bleibt hingegen wirksam, wenn darin demgegenüber kein angemessener Ausgleich festgelegt ist. Die Anfechtung des Zustimmungsbeschlusses ist grundsätzlich nicht möglich. Das zuständige 316 317

Eschenbruch, Konzernhaftung, Rn. 3106; Hüffer, AktG, § 304 Rn. 8 ff., 14 ff. Vgl. dazu Hüffer, AktG, § 304 Rn. 14 m. w. N.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Landgericht befindet aber in einem sog. Spruchstellenverfahren über die Angemessenheit des Ausgleichs. Auch wenn der Unternehmensvertrag eine dem Gesetz nicht entsprechende Form des Ausgleichs vorsieht, ist das Gericht zu einer Neufestsetzung befugt (vgl. dazu §§ 304 Abs. 3, 306 AktG). (1) Vorliegen eines Vertragsverhältnisses; Anspruch aus einem Vertrag Als zugrundeliegendes Vertragsverhältnis kommt wieder der Beherrschungsvertrag in Betracht. Der Anspruch auf Dividendengarantie muss im Beherrschungsvertrag festgelegt sein, wobei der Beherrschungsvertrag im Rahmen des deutschen materiellen Rechts allgemein als ein echter Vertrag zugunsten Dritter angesehen wird.318 Daher liegt es nahe, den Anspruch auf Dividendengarantie auch im Rahmen der EuGVVO als einen Anspruch aus einem Vertrag anzusehen.319 Dies wird teilweise aber auch anders beurteilt. Maul betrachtet die in § 304 AktG geregelten Ansprüche auf Ausgleich nicht als vertragliche Ansprüche. Es handele sich vielmehr um gesetzliche Ansprüche, die den außenstehenden Aktionären unabhängig vom Vertragschluss zustünden. Dies folgert sie aus der Tatsache, dass diese Ansprüche selbst dann geltend gemacht werden können, wenn sie nicht im Vertrag vorgesehen sind (vgl. § 305 Abs. 5 Satz 2 AktG).320 Dies gilt allerdings nur für die Abfindung nach § 305 AktG. Ist der Anspruch gemäß § 304 AktG im Beherrschungsvertrag nicht festgelegt, folgt daraus seine Nichtigkeit. Ein Anspruch auf Ausgleich besteht mangels wirksamen Unternehmensvertrags dann gar nicht. Dies zeigt schon eine Abhängigkeit vom Bestehen des Beherrschungsvertrags. Der Anspruch auf Ausgleichszahlung bzw. Dividendengarantie kann somit als ein vom Gesetz bestimmter vertraglicher Anspruch der außenstehenden Aktionäre betrachtet werden. (2) Dritte als zusätzliche Berechtigte Vertragsschließende Parteien des Beherrschungsvertrags sind allerdings die herrschende und die abhängige Gesellschaft. Die Aktionäre sind am Vertragsschluss nicht beteiligt. Damit stellt sich die Frage, ob von Art. 5 318 KölnKomm/Koppensteiner, § 304 Rn. 7; Godin/Wilhelmi, § 304 Anm. 2; Eschenbruch, Konzernhaftung, Rn. 3102; Mülbert, S. 495; siehe auch Hommelhoff, in FS Claussen, S. 129, 135 f. 319 Aus der Tatsache, dass der Anspruch auf Dividendengarantie im Beherrschungsvertrag festgelegt sein muss, schließt Jaspert (S. 134), dass es sich dabei unzweifelhaft um einen Anspruch aus einem Vertrag handelt. 320 So insbesondere Maul, AG 1998, 404, 409; vgl. auch BGH, Beschl. v. 4.3.1998 – ASEA/BBC II – ZIP 1998, 690, 691; vgl. dazu auch Zöllner, in GS Knobbe-Keuk, S. 369, 381.

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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Nr. 1 EuGVVO nur Ansprüche der vertragsschließenden Parteien erfasst sind oder auch Ansprüche Dritter, die an einen Vertrag zwischen anderen Parteien anknüpfen. Wenn es um Rechtsbeziehungen über die unmittelbaren Vertragsbeziehungen hinaus geht, ist unklar, wie weit der Kreis der potentiellen Anspruchsteller oder Prozessgegner bzw. -parteien i.R. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO gezogen werden kann. Betrachtet man den Wortlaut des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO, so beschränkt die Vorschrift sich keinesfalls auf die Vertragsparteien, sondern erwähnt allgemein „Ansprüche aus einem Vertrag“. Die Bestimmung kommt gegenüber jedem Beklagten zum Zuge, der aus einem Vertrag verklagt wird. Maßgebend ist dabei die Klagebegründung.321 Berücksichtigt man die Zielsetzung der Vorschrift, wie sie auch in der Rechtsprechung des EuGH Ausdruck gefunden hat, so sollen sämtliche Ansprüche aufgrund einer engen, auch nur vertragsähnlichen Bindung vor ein Gericht gebracht werden können, das in der Lage ist, sachnäher zu entscheiden als jenes im allgemeinen Gerichtsstand des Art. 2 EuGVVO.322 Daher scheint es auszureichen, wenn sich die Haftung lediglich aufgrund des Vertrages ergibt. Allein die Freiwilligkeit des Abschlusses sollte aber nicht genügen, wenn Dritte als Gläubiger hinzutreten. Zum Vergleich kann die Handhabung des § 29 ZPO herangezogen werden, dessen Vorbild Art. 5 Nr. 1 EuGVVO ursprünglich gefolgt ist. Im deutschen autonomen Zuständigkeitsrecht findet § 29 ZPO in persönlicher Hinsicht Anwendung auf die Vertragsparteien einschließlich der Dritten bei Verträgen zu Gunsten Dritter (§ 328 BGB), auf ihre Sonder- und Gesamtrechtsnachfolger und auf die abgeleitet Haftenden, beispielsweise die Gesellschafter der vertragsschließenden Gesellschaft.323 Ein Vergleich des autonomen Zivilprozessrechts ergibt somit keinen generellen Ausschluss von Ansprüchen Dritter und spricht in diesem Fall sogar für eine Einbeziehung. Eine Rechtsvergleichung zur Rechtsfigur des Vertrags und einer möglichen Drittwirkung ergibt jedoch, dass in den Rechtsordnungen der Mehrzahl der Mitgliedstaaten ein Vertrag Personen, die an ihm nicht beteiligt sind, keine Pflichten auferlegen oder Rechte verleihen kann. Im englischen Recht wird dieser Grundsatz als „doctrine of privity of contract“ bezeichnet, im französischen Recht ist er als „théorie de l’effet relatif des contrats“ bekannt.324 Richtet man den autonomen Vertragsbegriff i. S. d. Art. 5 Nr. 1 321

Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 5 Rn. 73; Rauscher, IPRax 1992, 143, 146. Vgl. EuGH, Urt. v. 22.3.1983, Rs. 34/82 – Peters/ZNAV – Slg. 1983, 987 ff. 323 Zöller/Vollkommer, § 29 Rn. 7. 324 Vgl. dazu Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs zum Urteil des EuGH v. 17.6.1992, Rs. C-26/91 – Handte/TMCS – Slg. 1992 I-3967, 3982. 322

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

EuGVVO danach aus, so könnte dies eine Einordnung des Anspruchs gemäß § 304 AktG als nicht-vertraglich nahe legen. Zweifel bleiben insofern, als es sich bei den genannten Regeln um das materielle Recht handelt und nicht um die zuständigkeitsrechtliche Wirkung, die durchaus weiter gefasst sein kann. Wenn es also um Rechtswirkungen geht, die der Vertrag über die Sphäre der unmittelbar Vertragsschließenden hinaus entfaltet, bedarf es der Klärung im Einzelfall, ob sie noch vom Vertrag gedeckt sind und ob Ansprüche daraus unter Art. 5 Nr. 1 EuGVVO fallen. Es kann sich auch um außervertragliche Ansprüche handeln, die im Forum des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO geltend gemacht werden können. Der Vertrag muss an dieser Stelle daher auch zur unerlaubten Handlung i. S. d. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO abgegrenzt werden. Eine Unterscheidung von Vertrag und unerlaubter Handlung im Sinne der EuGVVO wurde i.R. v. Produkthaftungsfällen dabei wie folgt umschrieben:325 Die Haftung aus Vertrag lässt sich als eine zivilrechtliche Haftung für die Nichterfüllung einer Verpflichtung definieren, die eine Person im Verhältnis zu einer anderen Person aufgrund einer zwischen den Beteiligten geschlossenen Vereinbarung trifft. Die Haftung aus unerlaubter Handlung kann demgegenüber als zivilrechtliche Haftung für die Nichterfüllung einer Verpflichtung definiert werden, die das Gesetz den Betroffenen unabhängig von jeder zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarung auferlegt. Eine Vereinbarung zwischen Aktionären und herrschendem Unternehmen liegt gerade nicht vor, so dass auch dies zu einer nichtvertraglichen Einordnung des Anspruchs führen würde. Allein auf die Vereinbarung zwischen den am Rechtsstreit beteiligten Parteien abzustellen erscheint allerdings etwas eng, wenn man die übrige Rechtsprechungspraxis des EuGH betrachtet, wo er auch eine Drittwirkung der Vertragsbestimmungen auf nicht an der Vereinbarung beteiligte Parteien befürwortet hat. So erzeugt die in einem Konnossement enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung Drittwirkungen gegenüber dem Empfänger, wenn dieser Rechtsnachfolger des Abladers wird.326 Mit dem Konnossement werden die Wirkungen der Rechte aus dem Frachtvertrag über die ursprünglichen Vertragsschließenden hinaus erstreckt.327 Der Beherrschungsvertrag gibt den Aktionären ein eigenes Forderungsrecht und erstreckt damit ebenso seine Wirkungen auf die Aktionäre. Das herrschende Unternehmen übernimmt mit dem Beherrschungsvertrag eigene 325 Vgl. dazu Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs zum Urteil des EuGH v. 17.6.1992, Rs. C-26/91 – Handte/TMCS – Slg. 1992 I-3967, 3982. 326 EuGH, Urt. v. 19.6.1984, Rs. 71/83 – Tilly Russ/Nova – Slg. 1984, 2417, 2434 f. Rn. 20 ff. 327 Weitere Beispiele bei Martiny, in FS Geimer, S. 641, 661 f.

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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Vertragspflichten gegenüber den Aktionären. Somit resultiert der Anspruch auf Ausgleich aus dem Beherrschungsvertrag. Fraglich ist, ob dies auch gilt, wenn im Beherrschungsvertrag eine Ausgleichsregelung unterblieben ist. Dann ist der Vertrag nichtig. Kommt auch in diesen Fällen Art. 5 Nr. 1 EuGVVO zur Anwendung? Was gilt im Rahmen der EuGVVO, wenn kein Vertrag (bzw. ein nichtiger Vertrag) vorliegt? Für Streitigkeiten über die Wirksamkeit des Vertrages ist grundsätzlich auch der Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO eröffnet.328 Die Vorschrift ist aber nur dann einschlägig, wenn über die Frage gestritten wird, ob ein Vertrag vorliegt.329 Die Bestimmung greift nicht ein, wenn von vornherein feststeht, dass zwischen den Parteien gar keine vertraglichen Beziehungen bestanden und auch nicht beabsichtigt waren.330 Problematisch ist, dass den Aktionären eigentlich eine Gläubigerstellung eingeräumt werden sollte, der Vertrag zugunsten Dritter jedoch nicht wirksam besteht. Die fehlende Ausgleichsregelung stellt aber nur scheinbar ein Problem dar. Ist der Beherrschungsvertrag mangels Ausgleichsregelung nichtig, besteht schon gar kein Anspruch, der eingeklagt werden könnte. Ist hingegen zweifelhaft, ob nicht doch eine Regelung im Vertrag erfolgt und der Vertrag daher wirksam ist, so wird wiederum über die Wirksamkeit des Vertrages gestritten. Dann ist Art. 5 Nr. 1 EuGVVO einschlägig. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das herrschende Unternehmen in den Fällen des § 304 AktG gegenüber den Aktionären eine vertragliche Verpflichtung eingegangen ist, wegen der es in Anspruch genommen wird. Somit handelt es sich auch um einen Anspruch aus einem Vertrag. (3) Maßgebliche Verpflichtung; Bestimmung des Erfüllungsortes Maßgebliche Verpflichtung ist die (angemessene) Ausgleichszahlung. Sie ist im Verhältnis zu den außenstehenden Aktionären eine Primärverpflichtung. Der Erfüllungsort für die Ausgleichszahlung bestimmt sich wieder nach der lex causae, d. h. bei inländischer abhängiger Gesellschaft nach deutschem Recht. Mangels besonderer Regelung im Aktiengesetz ist dafür auf §§ 269 Abs. 1, (270 Abs. 4) BGB zurückzugreifen, wonach der Erfüllungs328 EuGH, Urt. v. 4.3.1982, Rs. 38/81 – Effer/Kantner – Slg. 1982, 825, 834 Rn. 7; Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 5 Rn. 27 m. w. N.; vgl. dazu ferner Martiny, in FS Geimer, S. 641, 656 ff. 329 EuGH, Urt. v. 4.3.1982, Rs. 38/81 – Effer/Kantner – Slg. 1982, 825, 834 Rn. 7; Kropholler, EuZPR, Art. 5 Rn 10. 330 Kropholler, EuZPR, Art. 5 Rn. 10; vgl. auch Goette, DStR 1997, 503, 505; teilweise anders Schlosser, EUZPR, Art. 5 Rn. 6.

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ort der Wohnsitz des Schuldners ist, sofern sich aus den Umständen nichts anderes ergibt. Über den Schuldner des Ausgleichsanspruchs besteht Uneinigkeit.331 Eine Mindermeinung geht davon aus, dass das abhängige Unternehmen den Anspruch schuldet.332 Der herrschenden Ansicht zufolge ist Schuldner dagegen das herrschende Unternehmen.333 Für den Ausgleich nach § 304 AktG gelte nichts anderes als für die Abfindung, für die in § 305 AktG ausdrücklich die Schuldnereigenschaft des herrschenden Unternehmens bestimmt ist. Nicht ausgeschlossen sei die Abwicklung der Zahlung über das abhängige Unternehmen.334 Die Ausgleichszahlung erfolgt in der Regel sogar durch die Banken. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass diese Schuldner sind und der Erfüllungsort am Ort der jeweiligen Bankniederlassung liegt.335 Schuldner ist somit die herrschende Gesellschaft. Damit wäre auch der Erfüllungsort am Sitz der herrschenden Gesellschaft (vgl. §§ 269 Abs. 1, 270 Abs. 4 BGB). Dies gilt jedoch nur, wenn sich aus den Umständen, insbesondere der Natur des Schuldverhältnisses nichts anderes ergibt. Die Ausgleichszahlung bezweckt die Sicherung der außenstehenden Aktionäre durch eine Kompensation der Verluste, die infolge von Gewinnabführungs- oder Beherrschungsverträgen bei ihnen eintreten.336 Der Gewinnabführungsvertrag hindert die Entstehung von Bilanzgewinn, so dass das mitgliedschaftliche Dividendenrecht leerläuft; der Beherrschungsvertrag kann durch die Weisungsbindung zu ähnlichen Folgen führen. Liegt kein Beherrschungsvertrag vor, erfolgt die Dividendenausschüttung an die Aktionäre regelmäßig am Sitz der Gesellschaft.337 Besondere Schutzgesichtspunkte könnten auch hier für einen Erfüllungsort am Sitz der abhängigen Gesellschaft sprechen. Im Vergleich zur abhängigen Gesellschaft besteht bei den Aktionären sogar eine gesteigerte Schutzbedürftigkeit. Sie sind nicht Vertragspartei und haben somit nicht einmal die Möglichkeit, eine Vereinbarung hinsichtlich des Erfüllungsortes zu treffen. § 306 AktG a. F. (nunmehr § 2 Abs. 1 SpruchG) trägt 331

Dies ist auch entscheidend für den allgemeinen Gerichtsstand. Godin/Wilhelmi, § 304 Anm. 2. 333 KölnKomm/Koppensteiner, § 304 Rn. 22; Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/ Geßler, § 304 Rn. 29 ff.; Hüffer, AktG, § 304 Rn. 4; Emmerich/Sonnenschein/ Habersack, § 21 II 3, S. 310; Eschenbruch, Konzernhaftung, Rn. 3118; Bache, S. 155 ff.; Luchterhandt, S. 135 ff.; Gasteyer, S. 159. 334 Hüffer, AktG, § 304 Rn. 4; KölnKomm/Koppensteiner, § 304 Rn. 25; Eschenbruch, Konzernhaftung, Rn. 3118. 335 Gasteyer, S. 158; ihm folgend Jaspert, S. 135. 336 Hüffer, AktG, § 304 Rn. 1; KölnKomm/Koppensteiner, § 304 Rn. 5; MünchKommAktG/Bilda, § 304 Rn. 7 ff. 337 Vgl. § 170 AktG. 332

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dem insofern Rechnung, als er ein Verfahren am Sitz der abhängigen Gesellschaft vorsieht. In dieser Vorschrift kommen die Wertungen des Gesetzes zum Ausdruck. Demnach ergibt sich abweichend vom Regelleistungsort aus den Umständen ein Erfüllungsort der Ausgleichszahlung am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft.338 (4) Zwischenergebnis Im Vertragskonzern können Ansprüche der außenstehenden Aktionäre gemäß § 304 AktG am Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden. Der Erfüllungsort der in Streit stehenden Verpflichtung liegt am Sitz der abhängigen Gesellschaft, so dass ein inländischer Gerichtsstand besteht. ee) Abfindungsanspruch der außenstehenden Aktionäre gemäß § 305 AktG Ein Beherrschungs- oder ein Gewinnabführungsvertrag muss nicht nur die Festsetzung eines angemessenen Ausgleichs enthalten, sondern auch die Verpflichtung des herrschenden Unternehmens, auf Verlangen eines außenstehenden Aktionärs dessen Aktien gegen eine schon im Vertrag bestimmte angemessene Abfindung zu erwerben (§ 305 Abs. 1 AktG). Der Aktionär soll sich endgültig von der Gesellschaftsbeteiligung trennen können und eine Kompensation für den Verlust der Aktionärsstellung erhalten. Damit ergänzt § 305 AktG den Vermögensschutz des § 304 AktG durch eine endgültige Substanzentschädigung. Die Regelung der Abfindungsmodalitäten findet sich in § 305 Abs. 2 AktG, der die Form der Abfindung (Abfindung in Aktien oder Barabfindung) von der Rechtsform und Nationalität des herrschenden Unternehmens abhängig macht.339 Hat die herrschende Gesellschaft ihren Sitz im Ausland, ist die Barabfindung, also eine Abfindung durch Geldleistung zugrunde zu legen (§ 305 Abs. 2 Nr. 3 AktG). Der Aktionär muss sich nicht auf die Beteiligung an einer ausländischen Aktiengesellschaft verweisen lassen, da die Gleichwertigkeit der Beteiligung mit einer deutschen Aktie nicht ohne weiteres gewährleistet ist.340 338 Wie hier Jaspert, S. 135 ff.; a. A. Gasteyer, S. 158 f. Hinsichtlich der Bestimmung des Sitzes der abhängigen Gesellschaft als Erfüllungsort kann auf die Ausführungen zu § 302 AktG verwiesen werden. 339 Zu den einzelnen Fallkonstellationen vgl. Eschenbruch, Konzernhaftung, Rn. 3119 ff.; Hüffer, AktG, § 305 Rn. 9 ff. 340 Hüffer, AktG, § 305 Rn. 10, 13, 16.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Sieht der Vertrag keine oder eine nur unzureichende Abfindung vor, wird diese auf Antrag vom zuständigen Landgericht im Verfahren nach § 306 AktG a. F. (nunmehr SpruchG) festgelegt. Das zuständige Landgericht befindet nach § 306 AktG a. F. über die Angemessenheit der Abfindung oder ist zur Festsetzung befugt. (1) Vorliegen eines Vertragsverhältnisses; Anspruch aus einem Vertrag Als zugrunde liegendes Vertragsverhältnis kommt der Beherrschungsvertrag in Betracht. Durch diesen erwerben die außenstehenden Aktionäre eine sogenannte Abfindungsoption. Die Abfindungspflicht entsteht erst durch Ausübung der Option, die in der Annahme des Abfindungsangebots besteht. Die in dem Vertrag enthaltene Verpflichtung des herrschenden Unternehmens zum Erwerb der Aktien gegen angemessene Abfindung stellt eine bindende Offerte zugunsten der außenstehenden Aktionäre dar. Durch Verlangen der Abfindung kommt zwischen dem außenstehenden Aktionär und der herrschenden Gesellschaft ein Abfindungsvertrag zustande. Der Abfindungsanspruch entsteht demnach als Vertragsanspruch mit der Annahmeerklärung des außenstehenden Aktionärs.341 Zieht man den Beherrschungsvertrag als vertragliche Grundlage heran, so spricht für die vertragliche Begründung des Anspruchs der Wortlaut des § 305 Abs. 1 AktG, der ausdrücklich verlangt, dass die Abfindungsverpflichtung im Vertrag enthalten sein muss. Dementsprechend beschränkt sich Jaspert auf die Feststellung, dass es sich bei dem Anspruch auf Abfindung, wie bei dem Anspruch auf Ausgleich nach § 304 AktG, nicht um eine gesetzliche Verpflichtung, sondern um einen „klassischen“ vertraglichen Anspruch handele und somit um einen typischen Anwendungsfall von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO. In Betracht komme daher nur der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes.342 Ob sie dabei den Beherrschungsvertrag oder den Abfindungsvertrag als vertragliche Grundlage heranzieht, wird nicht klar. Demgegenüber geht das Gesetz aber auch davon aus, dass bei Fehlen der Abfindungsverpflichtung der Vertrag – anders als bei fehlendem Ausgleich – nicht nichtig ist, sondern gemäß § 305 Abs. 5 S. 2 AktG durch das Gericht ergänzt werden kann. Dies könnte für eine gesetzlich begründete, unabhängig von einer vertraglichen Vereinbarung bestehende Abfindungsverpflichtung sprechen. Daher sieht Maul die in § 305 AktG geregelten Ansprüche auf Abfindung nicht als vertragliche Ansprüche an. Es handele sich 341

Hüffer, AktG, § 305 Rn. 3, 7. Jaspert, S. 139; für einen vertraglichen Anspruch auch Geßler/Hefermehl/ Eckardt/Kropff/Geßler, § 305 Rn. 8. 342

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ebenso wie bei § 304 AktG vielmehr um gesetzliche Ansprüche, die den außenstehenden Aktionären unabhängig vom Vertragschluss zustünden. Dies folgert sie aus § 305 Abs. 5 Satz 2 AktG, wonach diese Ansprüche selbst dann geltend gemacht werden können, wenn sie nicht im Vertrag vorgesehen sind.343 Problematisch erscheint zum einen in der Tat, dass der Anspruch auch unabhängig von einer Regelung im Beherrschungsvertrag besteht. Dies muss aber – wie bereits bei der Qualifikation der anderen Ansprüche gezeigt wurde – nicht unbedingt gegen eine vertragliche Einordnung i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO sprechen. Zum anderen ist unklar, ob auf den Beherrschungsvertrag als Grundlage abzustellen ist, oder vielmehr der eigentliche Abfindungsvertrag herangezogen werden soll. Nach materiellem Recht ist weitgehend anerkannt, dass es sich bei dem Unternehmensvertrag i. S. d. § 291 AktG im Hinblick auf die in ihm nach § 305 AktG enthaltenen Abfindungsregelungen um einen echten Vertrag zugunsten Dritter i. S. d. § 328 BGB handelt.344 Hinsichtlich des Inhalts der Drittbegünstigung existieren unterschiedliche Ansichten. Die wohl überwiegende Auffassung sieht den Unternehmensvertrag im Hinblick auf die in ihm enthaltene Abfindungsregelung als einen Optionsvertrag zugunsten Dritter an.345 Wird durch den Unternehmensvertrag eine Abfindung in bar gewährt, so liegt darin ein Angebot in Form einer Option zum Abschluss eines Kaufvertrages nach § 433 BGB über die Aktien des außenstehenden Aktionärs zu den Bedingungen der unternehmensvertraglichen Abfindungsregelung; wird eine Abfindung in eigenen Aktien des herrschenden Unternehmens gewährt, so bedeutet dies eine Option zum Abschluss eines Tauschvertrages nach § 480 BGB, bei dem das Tauschverhältnis der Aktien in der Abfindungsregelung des Unternehmensvertrages verbindlich festgelegt ist.346 Die Durchführung der Abfindungsregelung erfolgt damit durch einen von der jeweiligen Option abhängigen Abschluss eines separaten, eigenständigen schuldrechtlichen Vertrags, des Abfindungsvertrags. Die Rechtsnatur des Abfindungsvertrags hängt von der im Unternehmensvertrag gewährten Abfindungsart ab, die Abwicklung richtet sich nach den 343 So insbesondere Maul, AG 1998, 404, 409; vgl. auch BGH, Beschl. v. 4.3.1998 – ASEA/BBC II – ZIP 1998, 690, 691; Zöllner, in GS Knobbe-Keuk, S. 369, 381. 344 Haase, AG 1995, 7, 10 m. w. N. 345 BGH, Beschl. v. 20.5.1997, BGHZ 135, 374, 380; Geßler/Hefermehl/Eckardt/ Kropff/Geßler, § 305 Rn. 11; Hüffer, AktG, § 305 Rn. 3; KölnKomm/Koppensteiner, § 305 Rn. 12; Emmerich/Sonnenschein/Habersack, § 22 II 1 a, S. 328; Haase, AG 1995, 7, 10 m. w. N.; a. A. Luttermann, JZ 1997, 1183 f.; vgl. zu alldem MünchKommAktG/Bilda, § 305 Rn. 5 ff.; Haase, AG 1995, 7, 10 m. w. N. 346 KölnKomm/Koppensteiner, § 305 Rn. 12.

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§§ 433 ff. BGB oder § 480 BGB. Demnach ist der Abfindungsanspruch im Endeffekt entweder ein Kaufpreisanspruch gemäß § 433 Abs. 1 BGB oder ein Anspruch aus einem Tauschvertrag gemäß § 480 BGB.347 Eine andere Ansicht stellt hingegen darauf ab, dass nur ein (Leistungs-)Austauschvertrag i. S. d. §§ 320 ff. BGB zustande komme, auf den die Grundsätze des Kaufoder Tauschvertrags entsprechende Anwendung finden.348 Wiederum andere nehmen einen aktienrechtlichen Vertrag sui generis zwischen dem herrschenden Unternehmen und dem abzufindenden Aktionär an.349 Schließlich wird auch vertreten, dass es sogar noch eines separaten Abfindungsangebots seitens des herrschenden Unternehmens bedürfe.350 Die Durchführung der Abfindungsregelung erfolgt demnach durch den Abschluss eines separaten, eigenständigen Vertrags.351 Der Abfindungsanspruch ist somit ein Anspruch aus diesem Abfindungsvertrag. Wird der – wie auch immer ausgestaltete – Abfindungsvertrag als Grundlage angesehen, besteht dieser Vertrag zunächst nicht und kommt erst später zustande. Ursprünglich liegt dann nur ein Angebot vor. Macht der Gläubiger den Anspruch letztlich geltend, so kann darin aber auch gleich eine Annahme erblickt werden, so dass im entscheidenden Zeitpunkt der Abfindungsvertrag, aus dem der Anspruch resultiert, existiert. Bei einem Anspruch auf Abschluss eines Vertrags liegt zwar noch kein Vertrag vor, es wird aber eine Vertragsbeziehung der Parteien angestrebt. Die Streitigkeit ist auch dann als vertraglich anzusehen.352 Auch wenn noch keine vertragliche Bindung in Form des Abfindungsvertrags besteht, hat die Streitigkeit um die Abfindung ihre Grundlage in dem zuvor geschlossenen Beherrschungsvertrag.353 Sie ist mithin vertraglicher Art. Davon abgesehen wird auch vertreten, dass es keines zusätzlichen Vertrags bedürfe. Der Aktionär könne durch einseitige rechtsgestaltende Erklärung die Zahlung der Abfindung vom herrschenden Unternehmen verlangen.354 Danach ist das zugrunde liegende Vertragsverhältnis schon im Beherrschungsvertrag zu sehen. 347 348 349 350 351 352

Ausführlich dazu Haase, AG 1995, 7, 10 f. m. w. N. GroßkommAktG/Würdinger, § 305 Anm. 1; Jaspert, S. 137 f. Petzel, S. 42. Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Geßler, § 305 Rn. 11. Haase, AG 1995, 7, 11. Bülow/Böckstiegel/Auer, 540 Art. 5 Rn. 25; Martiny, in FS Geimer, S. 641,

657. 353 Vgl. zur Klage auf Abgabe einer Willenserklärung Martiny, in FS Geimer, S. 641, 657 m. w. N. in Fn. 97. 354 Bodewig, S. 43.

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Entscheidend ist, dass ein das herrschende Unternehmen verpflichtender Anspruch auf eine Abfindungsleistung schon im Unternehmensvertrag fixiert ist. Der Abschluss eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages ist Voraussetzung für den Anspruch. Er ist nicht nur Tatbestandsmerkmal, sondern Verpflichtungsgrund. In den Fällen des Abs. 4 S. 3 und des Abs. 5 S. 2 des § 305 AktG wird in Ergänzung des fortbestehenden Unternehmensvertrages oder an dessen Stelle zwar (auch) ein gesetzliches Schuldverhältnis angenommen. Grundsätzlich beruht die Abfindungsverpflichtung aber auf vertraglicher Vereinbarung. Dabei muss den außenstehenden Aktionären im Vertrag angeboten werden, durch ihre Erklärung einen Tausch- oder Kaufvertrag (oder einen spezifisch aktienrechtlichen Vertrag bzw. einen Leistungsaustauschvertrag) mit dem anderen Vertragsteil über ihre Aktien zustande zu bringen. Bei dem Unternehmensvertrag handelt es sich insoweit um einen echten Vertrag zugunsten Dritter i. S. des § 328 BGB. Das herrschende Unternehmen muss den Abschluss des Beherrschungsvertrags „bezahlen“ durch Abfindung.355 Auch wenn die Abfindungspflicht selbst erst später entsteht, erwirbt der Aktionär durch den Beherrschungsvertrag bereits eine Abfindungsoption. Bei dem Abfindungsvertrag handelt es sich nur noch um die Art und Weise der Durchführung der Abfindungsregelung. Das Optionsrecht der außenstehenden Aktionäre beruht demnach auf dem Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag. Es stellt somit grundsätzlich einen Anspruch aus einem Vertrag i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO dar. Zusammenfassend kann damit festgehalten werden, dass § 305 AktG den Anspruch grundsätzlich vertraglich konstruiert: er muss im Beherrschungsvertrag eingeräumt werden, § 305 Abs. 1 und 2 AktG. Auch wenn es sich um einen (zumindest auch) gesetzlichen Anspruch handelt, was schon allein daraus resultiert, dass bei fehlender Einräumung der Aktionär den Anspruch gem. § 305 Abs. 5 Satz 2 AktG dennoch geltend machen kann,356 muss dies aber nicht gegen eine vertragliche Einordnung i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO sprechen. In den Fällen, in denen die Aktionäre das Optionsrecht unmittelbar kraft Gesetzes erwerben (vgl. z. B. § 305 Abs. 5 S. 2 AktG), besteht zwar die Anspruchsgrundlage in einem gesetzlichen Schuldverhältnis,357 wobei unklar ist, ob das gesetzliche Schuldverhältnis infolge des Abschlusses des Abfindungsvertrags oder schon mit Abschluss des Unternehmensvertrags entsteht.358 Der Anspruch steht letztlich aber auch dann in en355

Hommelhoff, in FS Claussen, S. 129, 135 f. Zöllner, in GS Knobbe-Keuk, S. 369, 381. 357 Hüffer, AktG, § 305 Rn. 4 b. 358 Für letzte Alternative Emmerich/Habersack, § 305 Rn. 7 f. und Hüffer, AktG, § 305 Rn. 4 b. 356

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gem Zusammenhang mit dem Unternehmensvertrag und ist darin angelegt. Sorgen die Parteien nicht rechtsgeschäftlich vor, wird die „vertraglich zu gewährende“ Abfindung gerichtlich bestimmt (§ 305 Abs. 5 S. 2 AktG). Sie gilt damit als vereinbarter Vertragsinhalt oder ist zumindest eng an den bestehenden Unternehmensvertrag geknüpft. Auch wenn der Anspruch nicht im Vertrag selbst geregelt ist, resultiert er jedoch mittelbar aus diesem. Dies ist für eine vertragliche Qualifikation im Rahmen des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO ausreichend. Somit liegt ein Anspruch aus einem Vertrag i. S. dieser Vorschrift vor. (2) Maßgebliche Verpflichtung Maßgeblich für die Bestimmung des Erfüllungsortes ist die streitige Verpflichtung, die den Gegenstand der Klage bildet. Der Aktionär wird direkt Abfindungszahlung verlangen, womit Gegenstand der Klage in den Fällen der Barabfindung ein Kaufpreisanspruch sein könnte. Es kommt jedoch nicht auf die eingeklagte streitgegenständliche Verpflichtung an, sondern auf diejenige, die dem vertraglichen Anspruch entspricht, auf den der Kläger seine Klage stützt.359 Es ist also diejenige vertragliche Verpflichtung heranzuziehen, deren Nichterfüllung zur Begründung dieser Anträge behauptet wird. Das herrschende Unternehmen kommt seiner Pflicht auf Barabfindung nicht nach; diese Verpflichtung zur Abfindung, die als Option im Unternehmensvertrag besteht, und auf den Abschluss des Vertrages gerichtet ist, ist demnach streitgegenständliche Verpflichtung. (3) Bestimmung des Erfüllungsortes Aus den Ausführungen zu § 304 AktG ergibt sich auch bei § 305 AktG abweichend vom Regelleistungsort gemäß §§ 269 Abs. 1, 270 Abs. 4 BGB aus den Umständen ein Erfüllungsort des Abfindungsanspruchs in Form einer Geldleistungspflicht am Sitz der abhängigen Gesellschaft. (4) Zwischenergebnis Im Vertragskonzern können die Ansprüche der Minderheitsaktionäre auf Ausgleich und Abfindung am Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden. Der Erfüllungsort der in Streit stehenden Verpflichtung liegt am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft, so dass ein inländischer Gerichtsstand besteht. 359 EuGH, Urt. v. 6.10.1976, Rs. 14/76 – De Bloos/Bouyer – Slg. 1976, 1497, 1508, Rn. 13/14.

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c) Konzernaußenhaftung aa) Anspruch der Gläubiger auf Sicherheitsleistung oder Zahlung gemäß § 303 AktG Nach § 303 Abs. 1 AktG hat das herrschende Unternehmen bei Beendigung eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages den Gläubigern der abhängigen Gesellschaft Sicherheit zu leisten. Der Inhalt des Anspruchs richtet sich nach den §§ 232 ff. BGB, die die Arten der Sicherheitsleistung regeln. Im Fall der Zahlungsunfähigkeit der abhängigen Gesellschaft kann der Anspruch der Gläubiger in einen direkten Zahlungsanspruch gegen das herrschende Unternehmen übergehen (analog § 322 AktG).360 (1) Vorliegen eines Vertragsverhältnisses Als vertragliche Grundlage des Anspruchs, d. h. als zugrunde liegendes Vertragsverhältnis kommt wieder der Beherrschungsvertrag i. S. d. § 291 Abs. 1 AktG in Betracht, der bereits als Vertrag i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO qualifiziert wurde.361 Der Anspruch kann zumindest nicht als Nebenanspruch des Vertrags zwischen abhängiger Gesellschaft und Gläubiger angesehen werden, da die herrschende Gesellschaft zu einem konkreten Vertrag in keiner Weise in Beziehung steht. Außerdem können auch deliktische Gläubiger der abhängigen Gesellschaft einen Anspruch auf Sicherheitsleitung geltend machen. (2) Anspruch aus einem Vertrag Ob es sich bei dem Anspruch gemäß § 303 AktG um einen Anspruch aus dem Beherrschungsvertrag handelt, ist jedoch zweifelhaft. Die Einordnung steht zunächst unter der Prämisse, dass Ansprüche gemäß §§ 302, 304 f. AktG, die an einen Beherrschungsvertrag anknüpfen, grundsätzlich von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO erfasst werden. Die Qualifikation eines Anspruchs i. S. v. § 303 AktG birgt demgegenüber zwei Besonderheiten: Die Pflicht zur Sicherheitsleistung entsteht zum einen erst nach Beendigung des Beherrschungsvertrags, zum anderen besteht sie gegenüber den Gläubigern 360 BGH, Urt. v. 16.9.1985 – Autokran – BGHZ 95, 330, 347; BGH, Urt. v. 19.9.1988, BGHZ 105, 168, 183; BGH, Urt. v. 23.9.1991 – Video – BGHZ 115, 187, 200; BGH, Urt. v. 11.11.1991, BGHZ 116, 37, 42; Hüffer, AktG, § 303 Rn. 7; Hachenburg/Ulmer, Anh. § 77 Rn. 173; Emmerich/Habersack, § 303 Rn. 24 f. 361 Siehe dazu oben 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.b)aa)(1), S. 149.

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der abhängigen Gesellschaft und damit – wie bei Aktionären – gegenüber nicht am Vertragsschluss beteiligten Dritten. Denn Vertragspartner des Beherrschungsvertrags sind nur die vertragsschließenden Gesellschaften. (a) Entstehung des Anspruchs mit Beendigung des Unternehmensvertrages Zunächst stellt sich die Frage, ob von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO auch solche Ansprüche erfasst sind, die erst mit Beendigung eines Vertrages entstehen. Nach Ansicht des EuGH sind von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO alle Klagen erfasst, mit denen das Fortbestehen oder Nichtbestehen eines Vertragsverhältnisses geltend gemacht wird, oder auch Klagen, die im Zusammenhang mit der Beendigung eines Vertrages entstehen.362 Die entsprechende Entscheidung des EuGH in Sachen Arcado/Haviland erging aufgrund einer Klage auf Schadensersatz wegen missbräuchlicher Auflösung eines Handelsvertretervertrags.363 Ansprüche auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder nicht ordnungsgemäßer Erfüllung, auch nach Aufhebung bzw. Beendigung des Vertrages, können demnach am Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden.364 In dem vom EuGH entschiedenen Fall beruhte die Schadensersatzpflicht allerdings auf der missbräuchlichen Auflösung des Vertrages. Der Anspruch fand seinen Grund in der Nichteinhaltung bzw. Verletzung einer Vertragspflicht, die wiederum zum Schadensersatz führte.365 Der Beherrschungsvertrag endet hingegen mit seinem Außerkrafttreten, was nicht mit einer Verletzung einer Vertragspflicht einhergeht. Die Beendigung des Beherrschungsvertrages ist in der Regel nicht missbräuchlich. Insofern liegt die Sachlage im Fall des § 303 AktG anders als in dem vom EuGH entschiedenen Fall. Dennoch sollten Ansprüche, die erst mit Beendigung eines Vertrages entstehen, generell als von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO erfasst betrachtet werden, da sie als Folge des Vertrags – ebenso wie gewisse Pflichten im Vorfeld des Vertrags366 – in engem Zusammenhang mit diesem stehen. Die Verpflichtung auf Sicherheitsleistung ist – wenn auch mittelbar – an das Bestehen bzw. die Beendigung des Beherrschungsvertrages geknüpft. Es besteht ein innerer Zusammenhang zwischen Beherrschungsvertrag und Anspruch auf Sicherheitsleistung. Insofern sollte auf den Gesichtspunkt der Pflichtverletzung kein zu großes Gewicht gelegt werden. Der Entscheidung kann demnach entnommen werden, dass auch 362 EuGH, Urt. v. 8.3.1988, Rs. 9/87 – Arcado/Haviland – Slg. 1988, 1539, 1555 Rn. 13 ff.; EuGH, Urt. v. 4.3.1982, Rs. 38/81 – Effer/Kantner – Slg. 1982, 825, 834 Rn. 7; MünchKommZPO/Gottwald, IZPR, Art. 5 Rn. 4. 363 EuGH, Urt. v. 8.3.1988, Rs. 9/87 – Arcado/Haviland – Slg. 1988, 1539 ff. 364 Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 5 Rn. 67. 365 Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 5 Rn. 28. 366 Bsp. bei Mankowski, IPRax 2003, 127 ff.

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Ansprüche, die erst mit Beendigung des Vertrags entstehen, in den Anwendungsbereich des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO fallen. (b) Einbeziehung Dritter in den Unternehmensvertrag Ob die herrschende Gesellschaft tatsächlich aus einem Vertrag, genauer dem Unternehmensvertrag verklagt wird, ist dennoch unklar. Die Gläubiger des abhängigen Unternehmens stehen zunächst in keiner vertraglichen oder vertragsähnlichen Beziehung zum herrschenden Unternehmen. Zwischen diesen Parteien besteht kein Vertragsverhältnis, denn Vertragspartner des Beherrschungsvertrags sind nur abhängiges und herrschendes Unternehmen. Ansprüche der Gläubiger auf Sicherheitsleistung werden im Vertrag grundsätzlich nicht geregelt, sondern sind lediglich gesetzlich angeordnet. Daher soll im Folgenden untersucht werden, ob bei Außenhaftungsansprüchen im Vertragskonzern in verfahrensrechtlicher Hinsicht dennoch davon auszugehen ist, dass der Beherrschungsvertrag auch die Gläubiger der Tochtergesellschaft einbezieht. Der Anspruch der Gläubiger auf Sicherheitsleistung knüpft insofern an den Abschluss des Beherrschungsvertrags an, als tatbestandliche Voraussetzung des Anspruchs die Beendigung des Beherrschungsvertrags ist. Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag sind damit zunächst Tatbestandsmerkmale einer gesetzlichen Verpflichtung. Ob aus ihnen auch der Haftungsgrund resultiert bzw. abgeleitet wird, ob sie also selbst Verpflichtungsgrund i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO sind, ist fraglich. Aus der Tatsache, dass die Beendigung des Beherrschungsvertrages tatbestandliche Voraussetzung für den gesetzlich begründeten Anspruch auf Sicherheitsleistung ist und der Anspruch damit an den Beherrschungsvertrag anknüpft, könnte gefolgert werden, dass er in verfahrensrechtlicher Hinsicht daraus abgeleitet wird und Grund für die Verpflichtung zur Sicherheitsleistung die Auflösung des Vertrags ist. Dieser Ansicht ist Jaspert und zieht daraus weiter die Konsequenz, dass die Gläubiger hinsichtlich ihres Anspruchs nicht als außenstehende Dritte gelten sollen, sondern rechtlich so behandelt werden, als käme ihnen die Stellung eines Vertragsbeteiligten zu.367 Sie stützt das Ergebnis auf einen Vergleich mit einer Entscheidung des belgischen Tribunal de Commerce de Verviers aus dem Jahre 1976.368 Das Gericht hatte über die Klage eines belgischen Untervertriebshändlers gegen den niederländischen Lieferanten auf Zahlung von Schadensersatz 367

Jaspert, S. 125. Trib. com. Verviers, Urt. v. 31.5.1976 – SPRL André Ransy/Volvo Car BV – in: Nachschlagewerk der Rechtsprechung zum Gemeinschaftsrecht – Serie D, I-5.1.1 – B 3. 368

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wegen Auflösung einer Alleinvertriebsvereinbarung zu entscheiden. Das belgische Recht sieht in Vertriebssystemen bei Beendigung des Untervertriebsverhältnisses einen unmittelbaren Provisions- und Ausgleichsanspruch des Untervertreters gegen den Lieferanten vor. Dieser Anspruch konnte am Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO eingeklagt werden, da der Untervertriebshändler im Verhältnis zum Lieferanten nach dem Willen des Gesetzgebers nicht als Dritter gelten solle, sondern in die vertraglichen Beziehungen zwischen Alleinvertriebshändler und Lieferant einbezogen werde. Kulms sieht die vertraglichen Merkmale des Anspruchs des Untervertriebshändlers darin, dass der Lieferant das Netz von Untervertretern eingerichtet hat und die wirtschaftlichen Vorteile dieses Netzes auch noch nach Beendigung des Untervertretungsverhältnisses nutzt.369 Dass der Beherrschungsvertrag Tatbestandsmerkmal der Haftung nach § 303 AktG ist, reicht für eine vertragliche Qualifikation allein jedoch noch nicht aus. Ob die Gläubiger das Recht auf Sicherheitsleistung durch den Beherrschungsvertrag erwerben, ist durch Auslegung (auch ergänzende Vertragsauslegung) zu ermitteln.370 Das Recht des Dritten kann jedenfalls auch bedingt durch die Aufhebung des Beherrschungsvertrags begründet werden. Besondere Bedeutung hat bei der Auslegung der von den Vertragsschließenden verfolgte Zweck.371 Der Beherrschungsvertrag legitimiert die Leitungsmacht des herrschenden Unternehmens und berechtigt zu Eingriffen in die Vermögenssphäre der abhängigen Gesellschaft. Er führt zu einer völlig neuen Interessenausrichtung des abhängigen Unternehmens auf die Belange der herrschenden Gesellschaft. Dafür übernimmt die herrschende Gesellschaft auch (freiwillig) die Folgen der Haftung gegenüber den Gläubigern. Die Inanspruchnahme erfolgt (nur) aufgrund des Abschlusses und der darauf folgenden Beendigung des Beherrschungsvertrags. Einer Inanspruchnahme kann die herrschende Gesellschaft entgehen, wenn sie sich schon vom Abschluss des Beherrschungsvertrags distanziert. Damit besteht in der Tat ein enger Bezug zum Vertrag. Voraussetzung für den Anspruch ist, dass zunächst ein Beherrschungsvertrag besteht, der später beendet werden kann. Insofern hat das herrschende Unternehmen die Voraussetzungen für seine Inanspruchnahme freiwillig selbst geschaffen. Willensgetragen ist damit der Tatbestand, an den die gesetzlichen Rechtsfolgen knüpfen. Sieht man als rechtsgeschäftlich nur das wirklich Gewollte an, so wird der Bereich der auf Autonomie beruhenden Bindung sehr eingeschränkt. Entscheidend ist vielmehr der nach außen vermittelte Eindruck, 369

Kulms, IPRax 2000, 488, 492. Vgl. Palandt/Heinrichs, § 328 Rn. 3. 371 Vgl. § 328 Abs. 2 BGB; siehe dazu auch BGH, Urt. v. 16.10.1990, NJW 1991, 2209. 370

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der objektive Empfängerhorizont. Ein Irrtum oder eine Mentalreservation hindert ebenso wenig normativ die rechtliche Bindung.372 Entscheidend ist der zu vermutende hypothetische Wille rational agierender Parteien.373 Die Betonung der Freiwilligkeit ist insofern irreführend. Andererseits genügt allein die Freiwilligkeit des Abschlusses nicht, soweit es um Rechtsbeziehungen über die unmittelbaren Vertragsbeziehungen hinaus geht. Hier ist von entscheidender Bedeutung, wie weit der Kreis der potenziellen Prozessgegner gezogen werden kann.374 An einem Verpflichtungswillen des herrschenden Unternehmens gegenüber allen Gläubigern bestehen Zweifel. Es kann kaum unterstellt werden, dass das herrschende Unternehmen sich mit dem Abschluss des Beherrschungsvertrags auch gegenüber einem unbestimmten Kreis von zukünftigen Gläubigern verpflichten wollte.375 Dies würde auf eine Fiktion hinauslaufen. Diesen Gesichtspunkt berücksichtigt auch die Rechtsprechung bezüglich der wechselrechtlichen Haftungsansprüche, insbesondere für den Haftungsanspruch des Wechselnehmers gegen den Aussteller beim gezogenen Wechsel.376 Nach herrschender Ansicht beruht diese Haftung nicht auf einer eigenen Verpflichtungserklärung des Ausstellers, sondern auf Gesetz. Der Aussteller weist nur einen anderen zur Zahlung an.377 Es wird demnach entschieden enger auf den Inhalt der jeweiligen Erklärungen abgestellt als Grundlage einer privatautonomen und damit vertraglichen Bindung. Dem Aussteller wird aus Schutzgesichtspunkten keine gegen seinen Willen begründete rechtsgeschäftliche Verpflichtung unterstellt. Grundsätzlich ist der Vertragsbegriff des EuGVÜ zwar weit und verlangt nur Konsens oder das freiwillige Eingehen einer Verpflichtung;378 auch einseitige Verpflichtungserklärungen können ausreichen.379 Der Normaltypus eines Vertrags muss dafür nicht vorliegen, vielmehr reichen auch andere konsenstragende Gestaltungen, unabhängig davon, wie das anwendbare ma372

Mankowski, IPRax 2003, 127, 130. Mankowski, IPRax 2003, 127, 132. 374 Martiny, in FS Geimer, S. 641, 650. 375 Vgl. Haubold, IPRax 2000, 375, 381 zur Außenhaftung beim qualifizierten faktischen Konzern nach § 303 AktG analog. 376 Vgl. LG Bayreuth, Urt. v. 29.6.1988, IPRspr. 1988 Nr. 159, S. 344. 377 LG Frankfurt a. M., Urt. v. 5.10.1995, IPRax 1997, 258; w. N. bei Mankowski, IPRax 2003, 127, 130 Fn. 47. 378 EuGH, Urt. v. 17.6.1992, Rs. C-26/91 – Handte/TMCS – Slg. 1992 I-3967, 3994 Rn. 15; EuGH, Urt. v. 27.10.1998, Rs. C-51/97 – Réunion européenne/Spliethoff’s Bevrachtingskantoor – Slg. 1998 I-6511, 6542 Rn. 17; sowie OLG Bremen, Urt. v. 25.9.1997, RIW 1998, 63, 64 dazu Brödermann, EWiR § 32 a GmbHG 1/98, 125 f. 379 Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 5 Rn. 54; Mankowski, IPRax 2003, 127, 129 m. w. N. in Fn. 26. 373

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terielle Recht sie qualifiziert.380 Ein Konsens zwischen herrschendem Unternehmen und Gläubigern liegt aber nicht vor. Der mangelnde Wille der Muttergesellschaft könnte allenfalls durch das Merkmal der Steuerung der Konzernierung überwunden werden. Der haftungsbegründende Akt für die Sicherheitsleistung nach § 303 AktG ist ein bewusster und gewollter Akt, nämlich Abschluss und Beendigung des Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrags. Dadurch hat das herrschende Unternehmen eine Situation geschaffen, in der der Vertragsgläubiger der abhängigen Gesellschaft möglicherweise unzutreffend auf deren Leistungsfähigkeit vertraut. Daher muss sich die herrschende Gesellschaft die Haftung für Verbindlichkeiten, die ihre abhängige Tochter gegenüber den Vertragsgläubigern nicht erfüllt, zuweisen lassen. Durch § 303 AktG werden die Haftungsrisiken des Vertrages zwischen Gläubiger und abhängigem Unternehmen auf die am Vertragsschluss nicht unmittelbar beteiligte Konzernmuttergesellschaft erstreckt.381 Die Voraussetzungen für ihre Inanspruchnahme hat die Konzernmuttergesellschaft durch die von ihr – durch den Beherrschungsvertrag – gesteuerte Konzernierung und die Beendigung des Beherrschungsvertrags selbst geschaffen und damit auch die Folgen einer derartigen gesetzlichen Haftungszuordnung382 freiwillig übernommen.383 Sie hätte einer unmittelbaren Inanspruchnahme entgehen können, wenn sie keinen Beherrschungsvertrag abgeschlossen und diesen damit auch nicht beendet hätte. Hier auf den tatsächlichen Willen der Obergesellschaft abzustellen, mag unter Umständen nicht sachgerecht erscheinen. Denn dies könnte darauf hinauslaufen, für das herrschende Unternehmen positive Wirkungen als gewollte anzusehen und damit vertraglich zu qualifizieren. Negative wären dann als nichtgewollte Wirkungen entsprechend nichtvertraglich einzuordnen.384 Dem stünde die Vermutung nicht-widersprüchlichen Verhaltens entgegen. Daher wird teilweise angenommen, dass konzernrechtliche Streitigkeiten solange vertraglicher Natur sind, wie sich ein in Anspruch genommenes 380

Mankowski, EWiR Art. 5 EuGVÜ 1/99, 949, 950. Kulms, IPRax 2000, 488, 492. 382 Es könnte auch eine Einordnung als gesetzlicher Schuldbeitritt in Betracht kommen; vgl. dazu Palandt/Heinrichs, Überbl. v § 414 Rn. 2; vgl. zur Einordnung der Ausfallhaftung analog §§ 303, 322 AktG als Erscheinungsform des gesetzlichen Schuldbeitritts: MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 635; für einen schuldrechtlichen Anspruch: Emmerich/Habersack, § 303 Rn. 18. 383 Die Steuerung der Konzernierung könnte insofern u. U. als einseitige Verpflichtungserklärung betrachtet werden, allen mit dem Beherrschungsvertrag verbundenen Verpflichtungen, auch dem Anspruch aus § 303 AktG, gerecht zu werden und Sicherheit zu leisten. 384 Bzgl. der Haftungsansprüche gegen Personen, die das anwendbare nationale Gesellschaftsrecht Gesellschaftern gleichstellt, in diesem Sinne auch Mankowski, NZI 1999, 56, 58. 381

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Mitglied seinen Pflichten jederzeit wieder durch Abwanderung hätte entziehen können.385 Problematisch i.R. d. § 303 AktG ist dann wiederum, dass die Beendigung des Beherrschungsvertrags, die Auflösung der Bindung zur Gesellschaft vergleichbar einer Abwanderung gerade erst zur Sanktion führt. Für eine solche weite Auslegung werden mitunter der Kapitalmarktschutz, konzernrechtliche Erwägungen und der Schutz der Vertragsgläubiger der abhängigen Gesellschaft angeführt.386 Nicht geklärt wird dabei aber, wo der Gerichtsstand des Erfüllungsortes im Endeffekt liegt, und ob das Ergebnis tatsächlich zu einem angemessenen Ausgleich im Sinne des materiellen Rechts führt. Schließlich orientiert sich diese Betrachtungsweise jedoch zu stark an der materiellrechtlichen Regelung und deren Interessenlage. Sie begründet vor allem, warum die herrschende Gesellschaft zur Verantwortung gezogen wird. Ob diese Haftung vertraglich i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO ist, erklärt sie nicht hinreichend. Denn für die Feststellung einer vertraglichen Haftung wird grundsätzlich nach dem wirklichen Willen der Parteien geforscht bzw. die Situation danach beurteilt, ob die andere Partei (objektiver Empfängerhorizont) von einem solchen Willen ausgehen konnte. Die freiwillige Übernahme der Folgen einer gesetzlichen Haftung(szuordnung) besteht ebenso bei nicht-vertraglicher Haftung. So nimmt auch derjenige, der in Kenntnis der Folgen rechtswidrig handelt, die Haftung (mehr oder weniger freiwillig) in Kauf. Die Haftung der herrschenden Gesellschaft ist dementsprechend zunächst nur potentiell bzw. zeitlich ungewiss und vor allem im Hinblick auf die Gläubiger unbestimmt. Abschluss und Beendigung des Beherrschungsvertrags als haftungsbegründender Akt für die Sicherheitsleistung sind zumindest nicht bezüglich der konkreten Gläubiger ein bewusster und gewollter Akt. Dass der oder die Gläubiger nicht von vornherein bekannt sind, ist ein typisches Merkmal nichtvertraglicher Haftung. Die herrschende Gesellschaft hat zwar möglicherweise so gehandelt, dass ihr Verhalten den Schluss zulässt, sie wolle sich binden bzw. sei gebunden, auch wenn dies nicht dem eigentlichen Willen entspricht; denn die Konzernmutter will sich nicht in einen Vertrag zwischen abhängiger Gesellschaft und Gläubiger einbringen, sie möchte sich eigentlich nicht vertraglich verpflichten. In den Anwendungsbereich des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO kann auch noch der abgeleitet Haftende und andere zusätzlich Verpflichtete einbezogen werden. Eine generelle Regelung für Fälle, in denen ein Dritter in Anspruch genommen werden kann, fehlt.387 Gegen die Einordnung als vertragliche Streitigkeit spricht das Fehlen einer direkten vertraglichen Bindung zwi385

So Kulms, IPRax 2000, 488, 492. So für den Anspruch analog § 303 AktG: Kulms, IPRax 2000, 488, 493; ihm folgend Martiny, in FS Geimer, S. 641, 665. 386

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schen Gläubiger und herrschendem Unternehmen und die Erstreckung der Haftung durch Gesetz. Auf der anderen Seite ist Auslöser der Haftung der Unternehmensvertrag (genauer dessen Beendigung) zwischen herrschender und abhängiger Gesellschaft. Die Muttergesellschaft ist selbst eine vertragliche Bindung eingegangen, die im Endeffekt auch zu Ansprüchen Dritter führt. Dies gilt allerdings nicht angesichts der besonderen Vertragsgestaltung, sondern aufgrund einer gesetzlichen Haftungszuordnung. Fraglich ist, ob dem im materiellen Recht anerkannten Schutzbedürfnis der Gläubiger auch prozessual durch eine Erfüllungsortzuständigkeit Raum zu geben ist. Gegen eine solche (umfassende) Zuständigkeit spricht aber vor allem die mangelnde Voraussehbarkeit der Foren und damit der Beklagtenschutz.388 Das herrschende Unternehmen hat zwar in nicht unerheblicher Weise die Voraussetzungen für seine Haftung selbst geschaffen. Fraglich ist aber, ob es auch den Kreis der potentiellen Anspruchsteller bestimmt hat.389 Die Anspruchsteller sind zwar im Zeitpunkt des haftungsauslösenden Ereignisses bestimmt oder bestimmbar. Entscheidend bei der Einordnung ist aber, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch unklar ist, wer Begünstigter sein wird. Dies entscheidet sich erst mit den weiteren Geschäftsbeziehungen der Tochtergesellschaft. Damit kann die Muttergesellschaft den Kreis potentieller Anspruchsteller gar nicht „freiwillig“ bestimmen, denn dieser ist im Zeitpunkt des Vertragsschlusses und während der Vertragsdauer weder bestimmt noch bestimmbar. Darin besteht auch ein entscheidender Unterschied zu den Aktionären; die außenstehenden Aktionäre sind allein durch ihren Aktienbesitz wenigstens jederzeit bestimmbar. Insofern hinkt auch ein Vergleich mit der Rechtsprechung des EuGH zur Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen (bei Versicherungsverträgen und Konnossementen). Danach besteht eine Wirkung der Vereinbarungen gegenüber Dritten, entweder weil sie sich zu Ihren Gunsten auswirken oder weil der Dritte die Bedingungen als Rechtsnachfolger des ursprünglichen Vertragspartners gegen sich gelten lassen muss. Der Gedanke der Bindung auch von Nicht-Vertragsparteien an Bedingungen wegen ihrer vorhersehbaren „Ausstrahlung“ kann hier jedoch nicht, auch nicht lediglich als funktionale Parallele herangezogen werden.390 Denn in diesen Fällen stand der Dritte bereits fest oder konnte problemlos bestimmt werden. 387 Zuständigkeitsrechtlich gesondert geregelt ist insbesondere die Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer, welche dem Geschädigten einen weiteren Schuldner verschafft (Art. 11 Abs. 2 EuGVVO). 388 Martiny, in FS Geimer, S. 641, 664. 389 Dieser Ansicht ist Kulms, IPRax 2000, 488, 492 f.; ihm folgend Martiny, in FS Geimer, S. 641, 665. 390 Vgl. dazu auch Koch, IPRax 1993, 19, 20 f.

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Die anspruchsberechtigten Gläubiger stehen erst im Zeitpunkt des haftungsauslösenden Ereignisses, d. h. der Beendigung des Beherrschungsvertrags fest. Dies entspricht aber ebenfalls der typischen Haftungssituation bei nichtvertraglicher Haftung, wie z. B. bei deliktischen Haftungstatbeständen. Deliktsrechtlichen Ansprüchen ist grundsätzlich gemein, dass das deliktische Schadensereignis beziehungsbegründend wirkt. Eine „Beziehung“ zwischen Gläubiger und herrschendem Unternehmen steht erst mit der Beendigung des Beherrschungsvertrags fest. Dementsprechend sieht das Gesetz im Gegensatz zu den anderen Ansprüchen im Vertragskonzern auch keine unternehmensvertragliche Regelung vor. Eine solche wirft schon mangels Bestimmbarkeit der Gläubiger Schwierigkeiten auf. Bei einer solchen Situation befindet man sich gerade nicht mehr im vertraglichen, sondern im nichtvertraglichen Bereich.391 Dies ist anders als bei der Alleinvertriebsvereinbarung, wo schon der Vertragsschluss eine feste Bindung herstellt. Darin liegt auch der Unterschied zu den Aktionären. Die Aktionäre sind zusätzliche Berechtigte aufgrund des Vertrages. Die herrschende Gesellschaft ist selbst eine vertragliche Bindung eingegangen, die angesichts der besonderen Vertragsgestaltung auch die Aktionäre berechtigt. Die Gläubiger hingegen sind nicht von Anfang an zusätzliche Berechtigte, vielmehr besteht nur die Möglichkeit, dass die herrschende Gesellschaft später als zusätzlich Verpflichtete hinzutritt. Die gesetzliche Risikozuweisung durch den Konzernhaftungstatbestand wirkt bei § 303 AktG so dominierend, dass die für Art. 5 Nr. 1 EuGVVO erforderliche ursprüngliche Willenseinigung der beteiligten Gesellschaften ihre Prägekraft verliert. (c) Abstellen auf die Verbindung zwischen abhängiger Gesellschaft und Gläubiger – Vertragskette Der Anspruch auf Sicherheitsleistung kann möglicherweise aber aus der Perspektive der Beziehung zwischen Gläubiger und abhängigem Unternehmen betrachtet werden, um so doch zu einer vertraglichen Qualifikation zu finden. Anknüpfungspunkt ist dann eine mittelbare vertragliche Bindung im Sinne einer Vertragskette. Denn die von der Muttergesellschaft gesteuerte Konzernierung verändert die Rahmenbedingungen für den einzelnen Vertrag zwischen abhängiger Gesellschaft und deren Geschäftspartner, d. h. deren Gläubiger.392 Für den Vertrag zwischen abhängiger Gesellschaft und Gläu391 Vgl. zu einem ähnlichen Gedankengang im Bereich von Gerichtsstandsklauseln die Stellungnahme von Jeantet in der anschließenden Diskussion zum Beitrag von Fadlallah, „Clauses d’arbitrage et groupes de sociétés“, in Trav. com. fr. dr. int. privé 1984–1985, S. 105 ff., 123.

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biger gilt klassisches Vertragsrecht. Die gesetzliche Haftungszuordnung erfolgt aufgrund des Beherrschungsvertrags, der ebenfalls als vertragliche Beziehung eingeordnet werden kann. Damit stellt sich die Frage, ob von dem vorläufig gefundenen Ergebnis aufgrund mehrerer – hintereinander geschalteter – Verträge doch noch abzuweichen ist. Es ist zweifelhaft, ob eine derartige mittelbare vertragliche Verbindung für die Einordnung i.R. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO ausreicht. Insofern kann ein Vergleich zu dem Urteil des EuGH in Sachen Handte/TMCS393 angestellt werden. In diesem Urteil hatte der EuGH über die Qualifikation der Direkthaftung eines Herstellers im französischen Recht zu entscheiden. Der EuGH hat eine vertragliche Qualifikation des zwischen einem Produkthersteller und einem Zweiterwerber des Produkts bestehenden Rechtsverhältnisses (Vertragskette, chaînes de contrats) ausgeschlossen. Er hat daher auf die Direkthaftung eines Herstellers im französischen Recht Art. 5 Nr. 1 EuGVVO nicht angewandt. Die Tendenz des EuGH geht also dahin, einen Sachverhalt, bei dem es an direkten rechtsgeschäftlichen Beziehungen zwischen den Parteien fehlt – wie im Fall Handte/TMCS –, nicht vertraglich einzuordnen. Eine Direktklage (action directe) bei nacheinander geschalteten oder nebeneinander bestehenden Verträgen (groupe de contrats) kann somit grundsätzlich nicht auf eine Erfüllungsortzuständigkeit gestützt werden.394 Diese Haftung ist zwar nicht im Hinblick auf den Haftungsgrund, wohl aber im Hinblick auf die Beteiligten mit dem Konzernhaftungsanspruch der Gläubiger vergleichbar.395 Der EuGH hat in der Entscheidung in Sachen Handte/TMCS zunächst die anderen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten untersucht. Kann nämlich unter den Vertragsstaaten eine Mehrheit herausgebildet werden, die das Rechtsinstitut einheitlich qualifiziert, kann dies einen Anhaltspunkt für die Qualifikation darstellen. Dabei stellte sich heraus, dass die französische Sichtweise im Hinblick auf eine Direktklage bei Vertragsketten in der Minderheit ist. Wie der Generalanwalt Jacobs aufzeigt, kennen neben Frankreich einzig Belgien und Luxemburg eine vertragliche Klage des Endverbrauchers gegenüber dem Hersteller. Dies wird theoretisch damit gerechtfertigt, dass der unmittelbare Verkäufer als Nebenleistung seine vertraglichen Ansprüche gegen den Hersteller an den späteren Erwerber der Waren abtritt.396 392

Kulms, IPRax 2000, 488, 493. EuGH, Urt. v. 17.6.1992, Rs. C-26/91 – Handte/TMCS – Slg. 1992 I-3967 ff. = JZ 1995, 90 f. m. Anm. Peifer (91 ff.) = RCDIP 81 (1992), 727 ff. 394 Vgl. Martiny, in FS Geimer, S. 641, 663 f., auch zu den Einzelfällen der Direktklage des Subunternehmers gegen den Auftraggeber und der Kette von Vertriebsverträgen. 395 So auch Zimmer, IPRax 1998, 187, 189 hinsichtlich der Außenhaftung gemäß §§ 303, 322 AktG analog. 393

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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Die Argumentation des EuGH baut darüber hinaus auf der Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands auf. Ein Beklagter, der seinen Wohnsitz in einem der Mitgliedstaaten hat, muss vorhersehen können, vor welchen anderen Gerichten als denen seines Wohnsitzstaates er verklagt werden kann. Eine solche Vorhersehbarkeit erscheint unmöglich, wenn ein Endabnehmer, der dem Hersteller unbekannt ist, sich auf Art. 5 Nr. 1 EuGVVO berufen möchte;397 wenn Art. 5 Nr. 1 EuGVVO mit dem Kriterium der Vorhersehbarkeit zu vereinbaren sein soll, müsse es möglich sein, dass der Erfüllungsort dort ist, wo der Hersteller die Sache dem ersten Verkäufer geliefert hat. Dem fügt der EuGH hinzu, dass ein Vertragsverhältnis nur vorliegt, wenn eine freiwillig eingegangene Verpflichtung der einen gegenüber der anderen Partei besteht.398 Dies ist vergleichbar einer „europäischen“ Definition des Vertrages, zumindest im Hinblick auf die Auslegung des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO.399 Zieht man demnach als Parallele die Rechtsprechung des EuGH zur Haftung des Produktherstellers heran, so erweist sich als stärkstes Argument zugunsten einer Qualifikation als Haftung aus Vertrag, dass das Klagerecht des späteren Erwerbers nicht unabhängig von der Existenz eines Vertrags entsteht. Ebenso verhält es sich bei § 303 AktG, der die Beendigung des Unternehmensvertrags und damit notwendigerweise auch dessen Bestehen voraussetzt. Das Hauptargument zugunsten einer Einstufung der Klage des späteren Erwerbers gegen den Hersteller wegen Lieferung von Ware unzureichender Qualität als Klage aus nichtvertraglicher Haftung besteht in der schlichten Tatsache, dass zwischen beiden Parteien des Verfahrens kein Vertrag geschlossen wurde und kein Vertragsverhältnis besteht. Die „vertragliche“ Bindung zwischen den Parteien besteht in zwei oder mehreren getrennten Verträgen, die sehr unterschiedliche Klauseln einschließlich solcher über die Regelung von Kompetenzkonflikten enthalten können und möglicherweise nach verschiedenen Rechtsordnungen zu beurteilen sind.400 Besteht aber zwischen den Parteien des Verfahrens kein Vertragsverhältnis und bezieht der Vertrag den Dritten nicht ein, weil der Anspruchsteller 396 Dies ist im französischen Recht nicht unstreitig. Vgl. auch die Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs zum Urteil des EuGH v. 17.6.1992, Rs. C-26/91 – Handte/TMCS – Slg. 1992 I-3967, 3983. 397 EuGH v. 17.6.1992, Rs. C-26/91 – Handte/TMCS – Slg. 1992 I-3967, 3995 Rn. 19 f. 398 EuGH, Urt. v. 17.6.1992, Rs. C-26/91 – Handte/TMCS – Slg. 1992 I-3967, 3994 Rn. 15; EuGH, Urt. v. 17.9.2002, Rs. C-334/00 – Tacconi/HWS – NJW 2002, 3159 Rn. 23. 399 Gaudemet-Tallon, RCDIP 81 (1992), 730, 734. 400 So die Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs zum Urteil des EuGH v. 17.6.1992, Rs. C-26/91 – Handte/TMCS – Slg. 1992 I-3967, 3988.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

im Zeitpunkt des Vertragsschlusses oder während der Dauer des Vertrags noch nicht bestimmt oder bestimmbar ist, greift die Wertung ein, die der EuGH in Sachen Handte/TMCS getroffen hat. In diesen Fällen liegt die typische Situation einer nichtvertraglichen Haftung vor. Bei der Haftung nach § 303 AktG kommt noch entscheidend hinzu, dass nicht einmal unbedingt eine mittelbare vertragliche Verbindung wie bei einer Vertragskette besteht; die Rechtsgrundlage des Anspruchs des Gläubigers, den § 303 AktG voraussetzt, kann nicht nur in einem Vertrag, sondern auch in einem Delikt bestehen. Anders als im Fall Handte/TMCS ist der Rechtsgrund der Forderung des Gläubigers gegen die Tochtergesellschaft also insofern unerheblich, als dieser nicht in einer vertraglichen Vereinbarung zwischen abhängiger Gesellschaft und Gläubiger liegen muss, sondern auch aus Delikt herrühren kann. Darin liegt auch der Unterschied zu den Ansprüchen des Untervertriebshändlers gegen den Lieferanten, wo zumindest eine vertragliche Bindung zwischen Untervertriebshändler und Alleinvertriebshändler sowie zwischen Alleinvertriebshändler und Lieferant besteht. Zwischen dem Untervertriebshändler und dem Lieferanten kann jedenfalls eine mittelbare vertragliche Bindung gesehen werden. Wenn nach der Rechtsprechung des EuGH in Sachen Handte/TMCS noch nicht einmal eine mittelbare vertragliche Verbindung für eine vertragliche Einordnung i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO ausreichen soll, sollte diese Rechtsprechung erst recht übertragen werden, wenn zwischen zwei Parteien überhaupt kein Vertrag bestehen und der Anspruchsteller, d. h. der vom Vertrag irgendwie (mittelbar) betroffene Dritte, noch nicht einmal in einer vertraglichen Beziehung zu dem „Mittler“ stehen muss. Eine rechtsvergleichende Betrachtung, wie der EuGH sie in dieser Rechtssache angestellt hat, ist für die Haftung gemäß § 303 AktG nicht möglich.401 Die Konzernhaftungssysteme der einzelnen Mitgliedstaaten müssen als Ganzes betrachtet werden. Einzelne Haftungsnormen heraus401 Eine spezielle verschuldensunabhängige Haftung des herrschenden Unternehmens gegenüber den Gläubigern des abhängigen Unternehmens wie in Deutschland besteht in den übrigen Mitgliedstaaten nicht. Stattdessen wird dort nach Lage des Einzelfalls auf Vorschriften der Organhaftung, des Insolvenzrechts, des Vertragsrechts oder des allgemeinen Deliktsrechts zurückgegriffen (vgl. dazu die Einzelberichte bei Lutter, Konzernrecht im Ausland, ZGR Sonderheft 11). Da die Haftungsvoraussetzungen ganz unterschiedliche sind, spricht dies im Rahmen der rechtsvergleichenden Auslegung pauschal bzw. eindeutig weder für eine vertragliche noch für eine deliktische Einordnung einzelner Konzernhaftungstatbestände nach deutschem Recht im Rahmen der EuGVVO. Ein direkter Vergleich bietet sich u. U. nur mit Art. 501 Código das Sociedades Comerciais an, der eine Haftung der leitenden Gesellschaft für die Verbindlichkeiten der untergeordneten Gesellschaft anordnet.

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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zugreifen und vergleichend gegenüberzustellen, wird der Haftungssystematik nicht gerecht.402 Ein Blick auf Frankreich zeigt aber, dass es dort zwar keinen Vertragskonzern mit spezifischen Haftungsregeln gibt, jedoch einige Ansprüche existieren, die unmittelbar den Gläubigern zustehen. Diese werden überwiegend deliktisch eingeordnet, selbst wenn das Rechtsverhältnis zwischen Gläubiger und abhängiger Gesellschaft auf einer vertraglichen Bindung beruht.403 Ein Vergleich mit dem französischen Haftungssystem steht diesem Ergebnis demnach zumindest nicht entgegen. Eine Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands, die der EuGH im Urteil Handte/TMCS besonders hervorgehoben hat, ist ebenfalls nicht gewährleistet, wenn man auf die vertragliche Beziehung zwischen abhängiger Gesellschaft und Gläubiger abstellt, da der Erfüllungsort in dem Fall nach diesem Vertragsverhältnis bestimmt werden müsste. Dies offenbart sogar noch eine ganz andere Schwierigkeit: Beruht der Anspruch des Gläubigers auf Delikt, kann ein Erfüllungsort gar nicht ermittelt werden. Als Abgrenzungskriterium zum Gerichtsstand am Ort der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO wurde bereits eine bestehende Nähebeziehung, ein enger Zusammenhang zwischen dem Schadensereignis und den daraus folgenden Schadensersatzansprüchen und der zuvor zwischen den Parteien geschaffenen Verbindung herangezogen.404 Das Schadensereignis darf nicht nur gelegentlich einer bestehenden Beziehung erfolgt sein, sondern aufgrund einer Verletzung der Beziehung bzw. eigener Pflichten. Eine Einbeziehung der Gläubiger in die vertraglichen Rechte oder Pflichten – welcher Art auch immer – konnte nicht festgestellt werden. Damit resultiert der Anspruch auf Sicherheitsleistung auch nicht aus dem Unternehmensvertrag. Es handelt sich nicht um einen vertraglichen Anspruch i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO. (3) Zwischenergebnis Konzernhaftungsansprüche der Gläubiger im Vertragskonzern gemäß § 303 AktG sind nicht vertraglich zu qualifizieren und können demnach nicht am Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden.

402 Vgl. dazu Druey, in Lutter, Konzernrecht im Ausland, ZGR Sonderheft 11, S. 310. 403 Siehe dazu unten 4. Teil, 6. Kapitel: III., S. 308. 404 Schwarz, S. 153.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

bb) Ansprüche der Gläubiger gemäß § 309 Abs. 4 S. 3 AktG Nach § 309 Abs. 4 S. 3 AktG können auch Gläubiger der abhängigen Gesellschaft den Ersatzanspruch geltend machen, wenn sie von ihr keine Befriedigung erlangen können. Der Gläubiger kann dann fordern, dass an ihn gezahlt wird. Fraglich ist zunächst, ob der Gläubiger bei einem Vorgehen nach § 317 Abs. 4 AktG einen Anspruch der Gesellschaft geltend macht, oder ob ihm ein eigener Anspruch zusteht. Die Vorschrift entspricht § 93 Abs. 5 Satz 1 AktG. Die dogmatische Einordnung des den Gläubigern eingeräumten Verfolgungsrechts ist streitig geblieben. Nach einer Ansicht wird eine gesetzliche Prozessstandschaft angenommen.405 Der Gegenansicht zufolge sollen die Gläubiger einen eigenen Anspruch gegen die Vorstandsmitglieder haben und nicht den Anspruch der Gesellschaft verfolgen.406 Dass der Gläubiger Leistung an sich selbst verlangen kann, spricht für eine Klage aus eigenem Recht und gegen eine Prozessstandschaft.407 Ferner spricht für einen eigenen Anspruch der Gläubiger, dass die Geltendmachung des Verfolgungsrechts gemäß § 309 Abs. 4 AktG in einigen Fällen überhaupt nicht davon abhängt, dass die Gesellschaft diesen Anspruch hat oder hatte, wie beispielsweise bei einem wirksamen Verzicht oder Vergleich.408 Für die Einordnung des Verfolgungsrechts als Prozessstandschaft kann neben dem Wortlaut der Vorschrift angeführt werden, dass grundsätzlich keine direkten Rechtsbeziehungen zwischen Organen und Gesellschaftsgläubigern bestehen.409 Schließlich existiert noch ein Verständnis der Norm als gesetzliche Einziehungsermächtigung mit Befriedigungsrecht410 oder als materiellrechtliche Anspruchsvervielfältigung eigener Art.411 Handelt es sich um einen Fall der Prozessstandschaft, so richtet sich die internationale Zuständigkeit nach der Qualifikation des Anspruchs der Gesellschaft, der bereits vertraglich eingeordnet wurde.412 Eine derartige vertragliche Verbindung besteht zwischen herrschender Gesellschaft oder gesetzlichem Vertreter und Drittem jedoch nicht. Die Pflichten aus dem Sonderrechtsverhältnis beschränken sich auf die Gesellschaft; besondere Pflich405 Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Hefermehl, § 93 Rn. 68; Baumbach/Hueck, § 93 Rn. 15, 17; Habscheid, in FS F. Weber, S. 197 ff., 202. 406 KölnKomm/Mertens, § 93 Rn. 142. 407 So auch Hüffer, AktG, § 93 Rn. 32. 408 KölnKomm/Mertens, § 93 Rn. 142. 409 Vgl. Habscheid, in FS F. Weber, S. 197, 201. 410 KölnKomm/Koppensteiner, § 309 Rn. 53. 411 KölnKomm/Mertens, § 93 Rn. 145; Hüffer, AktG, § 93 Rn. 32. 412 Siehe 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.b)bb)(1)(c), S. 175.

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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ten gegenüber den Gläubigern der abhängigen Gesellschaft resultieren daraus nicht. Zwischen Organen und Gesellschaftsgläubigern bestehen keine direkten Rechtsbeziehungen. Gegenüber Dritten haften sie nur bei Gelegenheit des Sonderrechtsverhältnisses. Nimmt man einen eigenen Anspruch der Gläubiger an, ist eine vertragliche Qualifikation also fernliegend. Die Haftung einer Gesellschaft für Handlungen ihres Organs gegenüber Dritten ist eine deliktsrechtliche Haftung. Letztlich kommt es bei dem Anspruch aber nur auf die Beziehungen zwischen herrschender und abhängiger Gesellschaft an. Das Verfolgungsrecht der Gläubiger sollte an der Qualifikation des Anspruchs nichts ändern und die internationale Zuständigkeit einheitlich behandelt werden. Somit sind diese – wie die abhängige Gesellschaft selbst – auch auf den Gerichtsstand des Erfüllungsortes am Sitz der abhängigen Gesellschaft verwiesen. Die Gläubiger der abhängigen Gesellschaft können demnach den Ersatzanspruch nach § 309 Abs. 4 S. 3 AktG am Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend machen. Der Erfüllungsort besteht ebenfalls am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft. 2. Ansprüche im grenzüberschreitenden faktischen Konzern a) Einfacher faktischer Aktienkonzern aa) Konzerninnenhaftung (1) Schadensersatzanspruch der abhängigen Gesellschaft gemäß § 317 AktG Ein Anspruch der abhängigen Gesellschaft auf Nachteilsausgleich ist nach allgemeiner Ansicht nicht gerichtlich durchsetzbar.413 Mangels durchsetzbaren Rechtsanspruchs ist eine Prüfung der internationalen Zuständigkeit daher entbehrlich. Mit Ende des Geschäftsjahres entfällt die Ausgleichsmöglichkeit nach § 311 AktG und an ihre Stelle tritt ein Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 317 AktG. Voraussetzung für einen Anspruch nach § 317 AktG ist ebenso wie bei § 311 AktG, dass das herrschende Unternehmen die abhängige Gesellschaft zur Vornahme für sie nachteiliger Rechtsgeschäfte oder Maßnahmen veranlasst und die abhängige Gesellschaft einen Schaden erlitten hat. 413 Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Kropff, § 311 Rn. 156; Hüffer, AktG, § 311 Rn. 38; KölnKomm/Koppensteiner, § 311 Rn. 122; Luchterhandt, ZHR 133 (1970), 1, 38; Neuhaus, DB 1971, 1193.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Anspruchsberechtigt ist die abhängige Gesellschaft; neben ihr sind zudem die außenstehenden Aktionäre prozessführungsbefugt (§ 317 Abs. 4 i. V. m. § 309 Abs. 4 AktG), die jedoch nur Leistung an die Gesellschaft verlangen können.414 Der Anspruch kann nach § 317 Abs. 4 i. V. m. § 309 Abs. 4 AktG ebenfalls von den Gläubigern geltend gemacht werden. Das herrschende Unternehmen und seine gesetzlichen Vertreter – die Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer – haften gesamtschuldnerisch. Die überwiegende Auffassung in der Literatur geht davon aus, dass der Haftungsgrund bei § 317 AktG in der Veranlassung zu nachteiligem Verhalten besteht415 und nicht im Unterlassen des Ausgleichs.416 (a) Vorliegen eines Vertragsverhältnisses Die Qualifikation der Haftung im faktischen Konzern als vertraglicher Anspruch i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO scheint zunächst fernliegend. Anders als beim Vertragskonzern fehlt beim faktischen Konzern gerade ein Unternehmensvertrag. Dennoch sind Anknüpfungspunkte erkennbar, die auf ein anderweitiges zugrundeliegendes Vertragsverhältnis schließen lassen. In Betracht kommt zunächst eine vertragsrechtliche Einordnung des faktischen Konzernverhältnisses. (aa) Rechtsprechung des EuGH zu gesellschaftsrechtlichen Binnenbeziehungen In Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH, der zunächst das Mitgliedschaftsverhältnis in einem Verein als vertragliche Grundlage angesehen417 und später auch das Rechtsverhältnis zwischen Aktionären untereinander sowie zwischen Aktionären und Gesellschaft als vertraglich eingeordnet hat,418 könnte auch die Begründung des faktischen Konzernverhältnisses als auf privatautonomem Willensentschluss des herrschenden Unternehmens beruhend anzusehen sein. 414

KölnKomm/Koppensteiner, § 317 Rn. 37. GroßkommAktG/Würdinger, § 317 Anm. 3; KölnKomm/Koppensteiner, § 317 Rn. 8; Laubacher, S. 124, 192; Möhring, in FS Schilling, S. 253, 265. 416 So Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Kropff, § 317 Rn. 10 ff., vgl. auch 16 ff., 21; Kropff, DB 1967, 2147, 2152; Kiehne, DB 1974, 321; für beides Beuthien, DB 1969, 1781, 1783, 1785; vgl. auch Luchterhandt, ZHR 133 (1970), 1, 36 ff. 417 EuGH, Urt. v. 22.3.1983, Rs. 34/82 – Peters/ZNAV – Slg. 1983, 987 ff. 418 EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745 ff., 1774 f. Rn. 16; Schlosser, EUZPR, Art. 5 Rn. 3. 415

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Im deutschen Recht ist die Aktiengesellschaft nach heute allgemeiner Ansicht eine Sonderform des bürgerlichrechtlichen Vereins.419 Das Mitgliedschaftsrecht in der Aktiengesellschaft wird durch die Aktie verkörpert, welches als Dauerrechtsverhältnis ebenso Rechte und Pflichten in sich vereinigt.420 Hauptpflicht des Aktionärs ist die Leistung der Einlage. Das herrschende Unternehmen ist durch Halten der Mehrheit der Aktien an der abhängigen Gesellschaft deren „Mitglied“. Mitgliedschaftsverhältnis im Verein – Peters/ZNAV In der Rechtssache Peters/ZNAV421 hatte der EuGH die Frage zu klären, ob durch den Vereinsbeitritt ein vertragliches Rechtsverhältnis i. S. des Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ zustande kommt und inwieweit die Mitgliedschaft in einem Verein als vertragsrechtlich zu qualifizieren ist. Der EuGH hat die Anwendbarkeit der Vorschrift bejaht und die Mitgliedschaft in einem Verein als „vertragliche Grundlage“ i. S. v. Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ angesehen. Der Beitritt zu einem Verein schaffe zwischen den Vereinsmitgliedern enge Bindungen, die gleicher Art seien wie diese zwischen Vertragsparteien,422 womit auch Ansprüche, die ihre Grundlage in dem zwischen Verein und seinen Mitgliedern bestehenden Mitgliedschaftsverhältnis haben, „Ansprüche aus einem Vertrag“ seien. Der EuGH entschied ferner, dass es keinen Unterschied mache, ob der Anspruch unmittelbar aus dem Beitritt oder erst aus dem Beitritt in Verbindung mit Beschlüssen eines Vereinsorgans resultiere. Der Wortlaut steht dieser Lösung jedenfalls nicht entgegen. Sinn und Zweck der Vorschrift des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO ist es, einen sachgerechten und mit der Streitigkeit eng verknüpften Gerichtsstand zur Verfügung zu stellen. Ein solcher steht zur Wahl, wenn das nationale Recht den Vereinssitz zum Erfüllungsort für mitgliedschaftliche Verpflichtungen bestimmen würde. Denn die Gerichte am Sitz des Vereins sind zur Sachverhaltsaufklärung am besten in der Lage. Zudem wenden sie häufig das eigene materielle Gesellschaftsrecht an. Das Bedürfnis für einen einheitlichen Gerichtsstand bei der Haftung von Gesellschaftern wiegt in Abwägung mit dem Schutzbedürfnis der beklagten Gesellschafter schwerer. Diese müssen aufgrund der Beteiligung an einer ausländischen Gesellschaft mit Klagen aus dem Bereich einer fremden Rechtsordnung und mit einer Verteidigung im 419

Raiser, § 8 Rn. 1, S. 29. Raiser (2. Aufl.), § 9 Rn. 6, S. 33. 421 EuGH, Urt. v. 22.3.1983, Rs. 34/82 – Peters/ZNAV – Slg. 1983, 987, 1002 Rn. 13; vgl. dazu Auer, S. 58 ff.; Schoibl, in Bajons, Übereinkommen, S. 72 f. 422 EuGH, Urt. v. 22.3.1983, Rs. 34/82 – Peters/ZNAV – Slg. 1983, 987, 1002 Rn. 13. 420

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Ausland rechnen.423 In der Regel findet sich der gesetzliche Erfüllungsort am Sitz der Gesellschaft. So ist in Deutschland trotz der §§ 269 Abs. 1, 270 Abs. 4 BGB der Gesellschaftssitz der gesetzliche Erfüllungsort.424 In einigen Rechtsordnungen – wie beispielsweise in Frankreich – sieht man allerdings den Wohnsitz des Schuldners als gesetzlichen Erfüllungsort für Zahlungen auch bei gesellschaftsrechtlichen Verpflichtungen an.425 Bei einem nach französischem Recht gegründeten Verein handelt es sich bei den „Gesellschaftsschulden“ demnach um Holschulden, womit keine Übereinstimmung zwischen dem Erfüllungsort der streitigen Verpflichtung und dem Vereinsitz besteht.426 In anderen Ländern sind Geldschulden wiederum häufig am Sitz des Gläubigers zu erfüllen.427 Berücksichtigt man zudem, dass die Satzung oder der Gesellschaftsvertrag als einheitlichen Erfüllungsort den Sitz der Gesellschaft bestimmen kann und dies in der Praxis auch häufig geschieht, so wird Art. 5 Nr. 1 EuGVVO in vielen Fällen einen Gerichtsstand am Gesellschaftssitz eröffnen. Eine rechtsvergleichende Umschau ergibt, dass in fast allen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten die Beziehungen zwischen einem Verein und seinen Mitgliedern vertraglich qualifiziert werden. Diese Einordnung gilt in vielen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen sowohl für den Akt des Beitritts zum Verein als auch für die sich aus der Mitgliedschaft ergebenden Rechte und Verpflichtungen.428 In der französischen Regelung des Art. 1 des Gesetzes von 1901429 heißt es beispielsweise, dass der Verein die Vereinbarung ist, durch die zwei oder mehrere Personen sich dauerhaft aufgrund ihrer Kenntnisse oder Tätigkeiten zusammenschließen mit einem Ziel, dass über die bloße Vermögensbeteiligung bzw. -bindung hinausgeht.430 Nach der französischen Lehre beruht die Gründung eines Vereins auf dem Willen der Parteien, und auch die französische Rechtsprechung 423

Haubold, IPRax 2000, 375, 377. Palandt/Heinrichs, § 269 Rn. 14, 18; MünchKommBGB/Krüger, § 269 Rn. 32. 425 Vgl. für Frankreich: Gaudemet-Tallon, RCDIP 72 (1983) 667, 669; Huet, JDI 110 (1983) 834, 841. 426 Gaudemet-Tallon, RCDIP 72 (1983) 667, 669. 427 Nachweise bei Gaudemet-Tallon, RCDIP 72 (1983) 667, 669. 428 EuGH, Urt. v. 22.3.1983, Rs. 34/82 – Peters/ZNAV – Slg. 1983, 987, 1008 f. Dies gilt beispielsweise im französischen, englischen, belgischen, italienischen, schottischen und dänischen Recht. 429 Loi du 1er juillet 1901 relative au contrat d’association. 430 Art. 1 des Gesetzes von 1901 lautet: „L’association est la convention par laquelle deux ou plusieurs personnes mettent en commun, d’une façon permanente, leurs connaissances ou leur activité dans un but autre que de partager des bénéfices. Elle est régie, quant à sa validité, par les principes généraux du droit applicables aux contrats et obligations.“ 424

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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ordnet die Beziehungen zwischen einem Verein und seinen Mitgliedern als „vertraglich“ ein.431 Die Rechtsnatur der Beziehungen zwischen einer Gesellschaft und ihren Gesellschaftern ist jedoch nicht ganz unstreitig. Im französischen Recht war die vertragliche Einordnung der Gesellschaft Gegenstand erheblicher Kritik, und es scheint, als gebe die Lehre mittlerweile der „théorie institutionnelle“ den Vorzug. Insofern wird auch bezweifelt, dass eine Satzungsklausel Rechtswirkungen aufgrund eines Vertrages entfaltet.432 Im deutschen Recht herrscht zwischen Rechtsprechung und Lehre insoweit Einigkeit, als der Beitritt zu einem Verein in Form eines Vertrags erfolgt. Meinungsverschiedenheiten bestehen jedoch hinsichtlich der nach dem Beitritt entstehenden Beziehungen. In Rechtsprechung und Teilen der Literatur ist man der Auffassung, dass diese Beziehungen durch das vereinsinterne Recht geregelt werden („Normentheorie“). Eine andere Ansicht in der Literatur geht hingegen davon aus, dass auch diese Beziehungen vertraglicher Natur sind („Vertragstheorie“). Die vorherrschende Tendenz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten geht aber dahin, sowohl die auf die Gründung eines Vereins gerichteten Handlungen als auch die Beziehungen zwischen dem Verein und seinen Mitgliedern dem Vertragsrecht zu unterwerfen.433 Aus der Sicht der meisten europäischen Rechtsordnungen hat eine Satzung oder ein GmbH-Vertrag jedenfalls auch vertraglichen Charakter. Dies legt es nahe, die Verpflichtungen, die unmittelbar oder mittelbar die Mitglieder eines Vereins bzw. die Gesellschafter binden, unter den Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO zu fassen. Der Rechtsprechung des EuGH in Sachen Peters/ZNAV ist daher zuzustimmen. Für die Praxis stellt sich damit aber die Frage, wie groß der Kreis der Rechtsstreitigkeiten ist, welche im Sinne der Rechtsprechung des EuGH aus dem Gesellschaftsverhältnis entspringen.434 431 Vgl. Gaudemet-Tallon, RCDIP 72 (1983) 663, 667 f.; anders jetzt aber Guyon, Les sociétés, Nr. 8: „La société a une nature plus institutionelle que contractuelle“. 432 Blaise, Bulletin Joly 1992, § 247, 772, 773. 433 Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Mancini zum Urteil des EuGH v. 22.3.1983, Rs. 34/82 – Peters/ZNAV – Slg. 1983, 987, 1005, 1009. Das englische Recht geht sowohl bei dem Akt der Vereinsgründung als auch bei den Verpflichtungen der Vereinsmitglieder aufgrund ihrer Vereinszugehörigkeit von deren Vertragsnatur aus. Eine besondere Rolle nimmt das niederländische Recht ein. Das neue Burgerlijk webboek der Niederlande sieht die Vereinsgründung als mehrseitiges Rechtsgeschäft sui generis an und auch die sich aus der Vereinszugehörigkeit ergebenden Rechtsbeziehungen werden als solche sui generis – bzw. auf vereinsinternem, institutionellem Recht beruhend – behandelt.

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Binnenbeziehungen der Aktiengesellschaft – Powell Duffryn/Petereit Später hat sich der EuGH in Sachen Powell Duffryn/Petereit435 mit der Frage beschäftigt, inwiefern eine Gerichtsstandsklausel in der Satzung einer Aktiengesellschaft eine Gerichtsstandsvereinbarung i. S. v. Art. 17 EuGVÜ darstellt, und folglich mit der Frage, ob die Satzung einer Aktiengesellschaft für die Zwecke des EuGVÜ als Vertrag zu qualifizieren ist. Der EuGH entschied, dass auch die Bindungen zwischen den Aktionären einer Gesellschaft mit denjenigen vergleichbar seien, die zwischen Vertragsparteien bestehen. Er hat sowohl das Rechtsverhältnis zwischen Aktionären untereinander als auch zwischen Aktionären und Gesellschaft als „vertraglich“ eingeordnet.436 Für den Vereinbarungscharakter ist danach unerheblich, ob der Aktionär in einer Hauptversammlung gegen die Klausel gestimmt hat oder ob er erst nach Beschluss der Klausel Aktionär wurde. Denn die bloße Mitgliedschaft als Aktionär zeige das Einverständnis mit der gesamten Satzung, dem anwendbaren nationalen Recht und den ordnungsgemäß gefassten Beschlüssen. Die Einordnung der Aktiengesellschaft im deutschen Recht als Sonderform des bürgerlichrechtlichen Vereins findet in den Rechtsordnungen der anderen Mitgliedstaaten nicht immer Entsprechung.437 Demgegenüber wird aber das Rechtsverhältnis zwischen Aktionär und Gesellschaft in den meisten mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen als Mitgliedschaftsverhältnis eingeordnet,438 welches durch die Aktie verbrieft wird und dessen Ausformung im Gesellschaftsvertrag, der Satzung, niedergelegt ist. Ist das Rechtsverhältnis zwischen Aktionär und Gesellschaft als Mitgliedschaftsverhältnis einzuordnen, und das Mitgliedschaftsverhältnis – wie bereits erläutert wurde – als vertraglich i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO zu qualifizieren, folgt daraus, dass auch das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Aktionären vertraglich einzuordnen ist. Dementsprechend gehen auch Vertreter der französischen Rechtsordnung von der Übertragbarkeit der Lösung auf das Verhältnis von Gesellschaft zu deren Gesellschaftern aus.439 434 Für den „inhaltsgleichen“ § 22 ZPO werden dazu z. B. teilweise auch Schadensersatzansprüche aus den §§ 117, 309, 317 AktG gezählt; vgl. Meilicke, DWiR 1992, 206, 208. 435 EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745 ff.; dazu Hartley, EurLRev 18 (1993), 225 ff.; Tagaras, Cah. dr. europ. 1992, 653, 692 ff.; Polak, CML Rev. 30 (1993), 406 ff. 436 EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745 ff., 1774 f. Rn. 16. 437 Dort wird sie häufig als handelsrechtliche Gesellschaftsform eigener Art angesehen; siehe die Nachweise bei Jaspert, S. 180 Fn. 557. Gemäß § 3 Abs. 1 AktG gilt die Aktiengesellschaft aber auch als Handelsgesellschaft. 438 Vgl. Jaspert, S. 180 m. w. N. in Fn. 558.

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Nach materiellem Recht wird die Natur der gesellschaftsrechtlichen Beziehungen und der Beziehungen zwischen Gesellschaft und Aktionären nicht einheitlich qualifiziert. Aus diesen unterschiedlichen Qualifikationen resultieren allerdings keine wesentlichen Unterschiede in den Rechtsfolgen. In den meisten mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bestehen Pflichten, die sich aus der Aktionärsstellung ergeben, unabhängig von dem vom einzelnen geäußerten Willen. Dies gilt auch für die Staaten, in denen die „Vertragstheorie“ herrscht. So bindet ein Mehrheitsbeschluss der Hauptversammlung alle Gesellschafter, auch die, die dagegen gestimmt haben oder erst später beitreten. Dagegen können ebenso in den Rechtsordnungen der Vertragsstaaten, die die „Normentheorie“ favorisieren, diverse Satzungsbestimmungen nur denjenigen entgegengehalten werden, die ihnen im eigentlichen vertraglichen Sinn zugestimmt haben.440 Die Theorien dienen vor allem der Bestimmung des Anwendungsbereichs materiellrechtlicher Regelungen des allgemeinen Vertragsrechts auf mitgliedschaftliche Pflichten.441 Für die Qualifikation der sich aus dem Mitgliedschaftsverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten im Rahmen des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO stellen sie aber allenfalls ein Indiz dar.442 Entscheidend ist, dass der Gesellschaft selbst ein rechtsgeschäftlicher Wille zugrunde liegt, der sich im Gründungsakt der Gesellschaft offenbart. Dessen integrierender Bestandteil ist die Satzung, die auch die Grundlage für die Bindungen der Aktionäre untereinander sowie zwischen diesen und der Gesellschaft darstellt. Der Gesellschaftsvertrag als kollektive, multilaterale Willensbildung und die daraus resultierenden Bindungen sind mit vertraglichen Beziehungen zumindest vergleichbar.443 Aus alldem folgt, dass Binnenbeziehungen in einer Aktiengesellschaft vertragsrechtlich einzuordnen sind und folglich auch die Ansprüche daraus wie die Ansprüche aus vereinsrechtlicher Mitgliedschaft eine vertragliche Grundlage haben. Wenn die Verpflichtung, die das Mitglied bzw. den Aktionär bindet, aus einer Entscheidung folgt, an der er nicht teilgenommen hat, verblasst der vertragliche Aspekt zwar ein wenig. Dennoch darf man nicht vergessen, dass diese Entscheidung nicht ohne die Satzung hätte ge439

Gaudemet-Tallon, RCDIP 72 (1983) 667, 670. Vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro zum Urteil des EuGH v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1756, 1758. Ein Beispiel dafür im deutschen Recht ist der Beschluss, durch den der Vorzug eines Vorzugsaktionärs aufgehoben werden soll, § 141 Abs. 1 AktG. 441 Kropholler, EuZPR, Art. 5 Rn. 6 Fn. 12. 442 Bauer (S. 126 f.) ist der Ansicht, dass die Theorien gänzlich irrelevant sind. 443 So die Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro zum Urteil des EuGH v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1756, 1758. Vgl. zur Frage, ob die Satzung ein Vertrag ist, auch Koch, IPRax 1993, 19, 20. 440

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troffen werden können, der der Aktionär durch seinen Beitritt zugestimmt hat. Die Verpflichtung entspringt daher – zumindest indirekt – einem Vertrag. Dies muss ebenso gelten, wenn es sich um eine „Disziplinarmaßnahme“ der Gesellschaft ihrem Mitglied gegenüber handelt. Insofern mag es widersprüchlich erscheinen, einerseits von einer „Disziplinarmaßnahme“ zu sprechen, sich andererseits aber auf den vertraglichen Charakter der Maßnahme zu berufen. Dennoch ist die Sanktion nichts anderes als die Konsequenz der Verletzung des ursprünglichen Vertrages.444 Durch die Vereinbarung, durch welche die Vereinsmitgliedschaft begründet wird, bringen die Vertragsparteien den Willen zum Ausdruck, die vereinsinternen Regelungen anzuerkennen und sich somit auch den Beschlüssen der Vereinsorgane zu unterwerfen. Damit beruht auch die Verbindlichkeit solcher Beschlüsse letztlich auf dem vertraglichen Willen der Parteien.445 (bb) Konzernverhältnis Die Mitgliedschaft in einem Verein ist ebenso wie die Gesellschafterstellung in einer Aktiengesellschaft als vertragliche Grundlage i. S. v. Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ anzusehen. Kann infolgedessen auch das faktische Konzernverhältnis als vertragliches Verhältnis im weiteren Sinne betrachtet werden? Die Rechtsprechung des EuGH zur vertraglichen Einordnung der Mitgliedschaft in Personenverbänden lässt grundsätzlich auch die vertragliche Einordnung des Konzernverhältnisses zu.446 Die Begründung der Mitgliedschaft durch Anteilserwerb beruht auf der freien Willensentscheidung des herrschenden Unternehmens. Ob damit auch der Aufbau des Konzernverhältnisses vom herrschenden Unternehmen gewollt ist, erscheint fraglich. Eine privatautonome Willensentscheidung des herrschenden Unternehmens auch bezüglich des Konzernverhältnisses anzunehmen entspricht aber der Vermutung nicht-widersprüchlichen Verhaltens. Nach der Rechtsprechung des EuGH setzt die vertragliche Qualifikation einer mitgliedschaftlichen Beziehung nicht mehr ein Rechtsverhältnis voraus, das die Beteiligten frei verhandelt haben. In der Betrittserklärung zu einem Personenverband liegt zugleich die rechtsgeschäftliche Erklärung bezüglich der damit verbundenen Regelungen und deren Rechtsfolgen. Der Mangel an Verhandlungsspielraum beim Beitritt wird kompensiert durch die Möglichkeit, sich von den mit444 In diesem Sinne Gaudemet-Tallon, RCDIP 72 (1983) 667, 669 beispielhaft für den Ausschluss aufgrund versäumter Beitragszahlung. 445 Vgl. dazu die Schlussanträge des Generalanwalts Mancini zum Urteil des EuGH v. 22.3.1983, Rs. 34/82 – Peters/ZNAV – Slg. 1983, 987, 1011 f. 446 Nach Haubold, IPRax 2000, 375, 380 beruht der Aufbau des qualifizierten faktischen Konzernverhältnisses stets auf freier Willensentscheidung des herrschenden Unternehmens.

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gliedschaftlichen Bindungen unter im Vergleich zu anderen vertraglichen Verpflichtungen einfacheren Bedingungen zu lösen. Eine Beendigung des Konzerverhältnisses zieht allerdings auch Sanktionen nach sich. Dafür hat das herrschende Unternehmen aber eine leitende Stellung inne und besondere Einflussmacht auf das abhängige Unternehmen. Auch die Begründung des Konzernverhältnisses sollte als auf privatautonomem Willensentschluss des herrschenden Unternehmens beruhend und damit als Vertrag angesehen werden. Dass sich die übrigen Gesellschafter des abhängigen Unternehmens durch ihren Beitritt konkludent ebenfalls mit einer potentiellen Konzernbildung einverstanden erklärt haben, kann zwar nicht unterstellt werden. Dies ist jedoch auch nicht erforderlich. Was die Konzernhaftung betrifft, handelt es sich um eine einseitige Selbstbindung des herrschenden Unternehmens, die für eine vertragliche Qualifikation i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO ausreicht. Dies bedeutet, dass auch der konzernrechtlichen Leitungsmacht ein Vertragsverhältnis im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO zugrunde liegt. Sollte eine freie Willensentscheidung des herrschenden Unternehmens bezüglich der Begründung des Konzernverhältnisses nicht unterstellt werden können, beruht allerdings zumindest der Erwerb der Anteile an der abhängigen Gesellschaft auf dessen freier Willensentscheidung. In der Beteiligung am Kapital der abhängigen Gesellschaft findet der Konzernierungstatbestand wiederum seine Grundlage. Als vertragliches Verhältnis oder vertragsähnliche Beziehung i. S. v. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO könnte somit wenigstens das Mitgliedschaftsverhältnis der abhängigen Gesellschaft herangezogen werden. Im faktischen Konzern beruht die Einflussmacht des herrschenden Unternehmens auf der Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft. Das herrschende Unternehmen ist grundsätzlich aufgrund seines Aktienbesitzes Mitglied der abhängigen Gesellschaft.447 (cc) Formelle Gesellschafterstellung Allerdings kann die Konzernspitze Leitungsmacht auch durch die Vermittlung zwischengeschalteter Gesellschaften ausüben (mehrstufiger Konzern),448 so dass das herrschende Unternehmen nicht zwingend selbst als Gesellschafter unmittelbar an der abhängigen Gesellschaft beteiligt ist. Dies könnte wiederum dagegen sprechen, die Konzernhaftung als Aspekt der Mitgliedschaft einzuordnen.449 447

Vgl. Gasteyer, S. 147; Laubacher, S. 196. Vgl. den Fall des OLG München, Urt. v. 25.6.1999, IPRax 2000, 416 ff. 449 Zum engen Zusammenhang mit dem Mitgliedschaftsverhältnis vgl. aber Haubold, IPRax 2000, 375, 380. 448

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Hier soll ein Blick auf die deutsche Rechtsprechung zur internationalen Erfüllungsortzuständigkeit bei gesellschaftsrechtlichen Klagen weiterhelfen. Eine Parallele zu dieser Problematik findet sich in den Urteilen des OLG Bremen450 und des OLG Jena,451 die über Zuständigkeitsfragen für Klagen aus Haftungsansprüchen gegen Gesellschafter, die in einem ausländischen Mitgliedstaat des EuGVÜ oder des LugÜ ansässig sind, zu entscheiden hatten. Das OLG Bremen billigte dem Konkursverwalter einer GmbH den Gerichtsstand nach Art. 5 Nr. 1 Halbs. 1 LugÜ für Ansprüche aus §§ 32 a, 32 b GmbHG gegen die schwedische Alleingesellschafterin der deutschen GmbH-Mutter zu. Dem folgte das OLG Jena unter Annahme eines inländischen Gerichtsstands nach Art. 5 Nr. 1 Halbs. 1 EuGVÜ für Eigenkapitalersatzansprüche analog § 31 GmbHG gegen die englische Alleingesellschafterin einer deutschen GmbH-Mutter. Durch die Entscheidungen wurde eine Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ auch bejaht, wenn nicht der Gesellschafter selbst, sondern ein Dritter – der beherrschende Gesellschafter – in Anspruch genommen werden soll. Dieser sei aufgrund eines der Mitgliedschaft vergleichbaren Eigeninteresses an der Gesellschaft bzw. dadurch, dass er sich gesellschaftsrechtlich vermittelte Vorteile von dem Fortbestehen der Gesellschaft verspricht, den Gesellschaftern in dieser Hinsicht gleichgestellt und daher wie ein Gesellschafter zu behandeln. Dies kann auf mehrstufige Konzernverbindungen übertragen werden.452 Die Reaktionen auf die Urteile sind geteilt. So wird diese weite Auslegung teilweise begrüßt. Sie sei wirtschaftlich sachgerecht und verhindere eine sonst allzu leicht mögliche Haftungsumgehung durch Zwischenschaltung juristischer Personen.453 Nur eine solche Auslegung führe zu einer praxisgerechten Bestimmung des zuständigen Gerichts, die es den Gesellschaftern erschwert, sich der Inanspruchnahme im Konkurs durch Begründung eines Sitzes im Ausland bzw. gezielte gesellschaftsrechtliche Konstruktionen zu entziehen.454 Diese Reaktion deutet jedoch eher auf eine materiellrechtliche Sichtweise hin. Die Frage, ob beherrschende Gesellschafter in den materiellrechtlichen Anwendungsbereich der Vorschriften (§ 31 GmbHG analog bzw. §§ 32 a, 32 b GmbHG) einbezogen werden, muss jedoch von der zivilprozessualen 450 OLG Bremen, Urt. v. 25.9.1997, RIW 1998, 63 ff.; dazu Brödermann, EWiR § 32 a GmbHG 1/98, 125 f. 451 OLG Jena, Urt. v. 5.8.1998, NZI 1999, 81 f. = ZIP 1998, 1496 ff.; dazu Kranemann, EWiR Art. 5 EuGVÜ 2/98, 779 f. und Mankowski, NZI 1999, 56 ff. 452 Vgl. auch Timm, ZIP 1986, 1387, 1388, der im Rahmen von § 22 ZPO eine Gleichstellung von Gesellschafter und Nichtgesellschafter, der mittelbar über ein von ihm abhängiges Unternehmen Anteile besitzt, befürwortet. 453 So Mankowski, NZI 1999, 56, 58. 454 So Kranemann, EWiR Art. 5 EuGVÜ 2/98, 779, 780.

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Problemstellung streng getrennt werden, die häufig einen anderen Interessenausgleich zum Ziel hat, vor allem nämlich einen sachnahen Gerichtsstand ermöglichen soll. Insofern hat dieses Argument auch rein rechtspolitischen Charakter. So sieht sich das Urteil auch der Kritik ausgesetzt. Diese Auslegung des Begriffs des vertraglichen Anspruchs entspreche einer Auslegung nach der lex causae und sei daher abzulehnen.455 Der materiellrechtliche Anwendungsbereich von §§ 32 a, 32 b GmbHG werde dem Anwendungsbereich von Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ gleichgesetzt. Bei gesellschaftsrechtlichen Vorgängen setzt das Gesellschaftsstatut allerdings den Rahmen, innerhalb dessen sich die tatsächlichen Geschehnisse bewegen. Man verlässt daher die EuGVVO-autonome Auslegung nicht, wenn man jenen Rahmen mit einbezieht.456 Dennoch wird unter Verweis auf das Vorliegen einer Vertragskette – ähnlich wie in der Rechtssache Handte/TMCS – die vertragliche Qualifizierung dieser Ansprüche gegen Dritte abgelehnt.457 Auf die formale Gesellschafterstellung sollte es in diesen Fällen aber nicht so genau ankommen. Die konzernrechtliche Abhängigkeit bei faktischen Unternehmensverbindungen beruht immer auf einer Beteiligung am Kapital der abhängigen Gesellschaft.458 Auch über eine mittelbare Kapitalbeteiligung ist die herrschende Gesellschaft in die mitgliedschaftlichen Pflichten der Gesellschafter der abhängigen Gesellschaft eingebunden.459 Auch wenn das herrschende Unternehmen nicht formell Gesellschafter ist, wird es einem Gesellschafter gleichgestellt. So genau sollte es auf die Rechtsform nicht ankommen, da ansonsten wieder ein Umgehungsrisiko besteht. Insofern kann das Konzernverhältnis bzw. das Mitgliedschaftsverhältnis als vertragliche Grundlage herangezogen werden. Demnach ist unabhängig von einer unmittelbaren Beteiligung der Nichtgesellschafter, der mittelbar über ein von ihm abhängiges Unternehmen Anteile besitzt, im Rahmen von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO einem Gesellschafter gleichzustellen. Dieses Verständnis der konzernrechtlichen Herrschaftsposition in Kombination mit der Rechtsprechungsentwicklung des EuGH zu der Qualifikation von verbandsrechtlichen, mitgliedschaftlichen Rechtsverhältnissen führt dazu, das Vorliegen eines Vertragsverhältnisses i. S. des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO anzunehmen.

455 456 457 458

So Bauer, S. 134. Siehe Mankowski, EWiR Art. 5 EuGVÜ 1/99, 949, 950. Bauer, S. 134 f.; zweifelnd Thomas/Putzo/Hüßtege, Art. 5 Rn. 3. BGH, Urt. v. 26.3.1984, BGHZ 90, 381, 394 ff.; Ulmer, ZGR 1978, 457 ff.,

461. 459 BGH, Urt. v. 5.12.1983, BGHZ 89, 162, 165 ff.; Hachenburg/Ulmer, Anh. § 77 Rn. 74; Scholz/Emmerich, Anh. KonzernR, Rn. 79.

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(b) Anspruch aus einem Vertrag Des Weiteren stellt sich die Frage, ob der Anspruch gemäß § 317 AktG an das Mitgliedschaftsverhältnis oder das Konzernverhältnis anknüpft oder als von diesem Vertragsverhältnis losgelöst gilt. Bei § 317 AktG handelt es sich zunächst um einen Schadensersatzanspruch aufgrund sorgfaltswidrigen Verhaltens der herrschenden Gesellschaft und ihrer Verwaltungsmitglieder und somit um einen gesetzlichen Anspruch, der ein pflichtwidriges Verhalten voraussetzt. Er kann somit zunächst als Anspruch aus einem gesetzlichem Schuldverhältnis eingeordnet werden.460 Die wenigen Stellungnahmen zur international-prozessrechtlichen Einordnung des Haftungstatbestands im Rahmen der EuGVVO sind geteilt. Einer Auffassung zufolge ist die Haftung nach § 317 AktG als nicht-vertragliche Schadenshaftung eine Haftung aus unerlaubter Handlung i. S. d. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO.461 Dabei wird bisweilen ein knapper Vergleich mit konzernrechtlichen Haftungstatbeständen anderer Rechtsordnungen unterstützend herangezogen. Auch wenn sich dies bei der Haftung im faktischen Konzern anbietet, gebührt dieser Vorgehensweise eine gewisse Vorsicht. Nur einzelne Haftungsnormen herauszugreifen und vergleichend gegenüberzustellen wird der Haftungssystematik im Konzernrecht insgesamt nicht gerecht. Dies verkennt vor allem Jaspert, indem sie (insbesondere nur im Rahmen der Qualifikation des Anspruchs nach § 317 AktG) einen Einblick in einige Haftungsansprüche anderer Mitgliedstaaten gewährt, wobei dann auch zwischen Innen- und Außenhaftung nicht differenziert wird.462 Nach einer anderen Ansicht unterliegt die Konzerninnenhaftung gemäß §§ 311 Abs. 1, 317 AktG dem Erfüllungsortgerichtsstand.463 Nach letzterer Ansicht wird sogar die Anwendbarkeit beider Gerichtsstände erwogen.464 Dies ist jedoch aufgrund des Exklusivitätsverhältnisses abzulehnen.465 Das deutsche Schrifttum ordnet die Haftung nach § 317 AktG im materiellen Recht teilweise als deliktische,466 überwiegend jedoch als organschaftliche Haftung467 – ähnlich dem § 309 AktG – ein. Erstgenannte An460

So Laubacher, S. 195. MünchKommAktG/Kropff, § 317 Rn. 102; Maul, AG 1998, 404, 406; Jaspert, S. 191 f. 462 Jaspert, S. 183 ff. 463 MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 477 (m. w. N. in Fn. 1189), 633. 464 MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 633 f. 465 Grundlegend EuGH, Urt. v. 27.9.1988, Rs. 189/87 – Kalfelis/Bankhaus Schröder – Slg. 1988, 5565, 5584 f. Rn. 15, 5585 Rn. 17 = RIW 1988, 901 ff. m. Anm. Schlosser (987 ff.). 466 Emmerich/Habersack, § 317 Rn. 11; Gasteyer, S. 63 ff.; Laubacher, S. 192 f. 461

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sicht sieht in § 317 AktG eine Sonderhaftung des bzw. eine Spezialvorschrift zu § 117 AktG, der eine allgemeine Haftung für gesellschaftsfremdes Verhalten normiert. Die Einordnung des Anspruchs nach § 117 AktG als deliktische Haftung ist (nahezu) unbestritten.468 Als Spezialvorschrift hinsichtlich des Missbrauchs von Einflussmöglichkeit im faktischen Konzern sei § 317 AktG ebenfalls deliktisch zu qualifizieren. Anknüpfungspunkt der Norm sei die Verletzung einer geschützten Rechtsposition.469 Der Einordnung als Organhaftung stehe bereits entgegen, dass das herrschende Unternehmen und seine Vertreter weder die Stellung eines Organs noch Leitungsmacht in Form eines Weisungsrechts haben. § 317 AktG könne nur als Verschärfung gegenüber § 117 AktG und damit wie dieser als besonderer Deliktstatbestand qualifiziert werden.470 Nach überwiegender Auffassung haftet die herrschende Gesellschaft aufgrund der Inanspruchnahme von Organfunktionen im Bereich der abhängigen Gesellschaft. Die Haftung resultiere aus den besonderen gesellschaftsrechtlichen Pflichten des herrschenden Unternehmens bei der Ausübung seiner tatsächlichen Leitungsmacht und aus seinen Pflichten zum Ausgleich von Nachteilen nach § 311 AktG.471 Im Bereich des autonomen IZPR wird daher überwiegend auch der Gerichtsstand der Mitgliedschaft gemäß § 22 ZPO als einschlägig betrachtet, aber auch die Gerichtsstände des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO und der unerlaubten Handlung gemäß § 32 ZPO werden bisweilen für anwendbar erklärt. Die Anwendbarkeit des Gerichtsstands am Erfüllungsort nach § 29 ZPO sieht sich aber der Kritik ausgesetzt, dass § 29 ZPO bei gesetzlichen Schuldverhältnissen nicht anwendbar ist.472 Die Gegenauffassung vertritt insofern die Ansicht, dass der Anspruch aus § 317 AktG offensichtlich kein vertraglicher, sondern ein gesetzlicher sei. § 317 AktG normiere gerade für den Fall des Nichtbestehens eines Unternehmensvertrags unter bestimmten Voraussetzungen eine Ersatzpflicht des herrschenden Unternehmens. Dies schließe eine Anwendbarkeit des § 29 ZPO aus.473 467 MünchKommAktG/Kropff, § 317 Rn. 8; KölnKomm/Koppensteiner, § 317 Rn. 5; Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Kropff, § 317 Rn. 4; Baumbach/Hueck, § 317 Rn. 6; Möhring, in FS Schilling, S. 253, 263; Altmeppen, S. 63 (Geschäftsführerhaftung). 468 Vgl. nur BGH, Urt. v. 22.6.1992, NJW 1992, 3167, 3172; KölnKomm/Mertens, § 117 Rn. 9. 469 Gasteyer, S. 68 ff. 470 Emmerich/Habersack, § 317 Rn. 11. 471 Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Kropff, § 317 Rn. 5; MünchKommAktG/ Kropff, § 317 Rn. 8. 472 So Laubacher, S. 195 Fn. 49. 473 Laubacher, S. 195.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Gegen die Anwendbarkeit des Gerichtsstands der Mitgliedschaft (§ 22 ZPO) wird vor allem eingewandt, dass § 317 AktG in seinen Voraussetzungen nicht an die Mitgliedschaft, sondern an den beherrschenden Einfluss anknüpfe.474 Dagegen kann jedoch eingewandt werden, dass der Einfluss im Regelfall auf dem Aktienbesitz und damit der Mitgliedschaft beruht. Gegen eine Anwendbarkeit des § 22 ZPO wird weiter angeführt, dass § 317 AktG deshalb nicht auf die Mitgliedschaft abstelle, weil er einen weiteren Adressatenkreis treffen wolle, indem der Anspruch auch anderen (außenstehenden) Aktionären und Gläubigern zustehe.475 Bei § 317 AktG handele es sich daher um eine Deliktsnorm. Somit kommt die Ansicht in prozessualer Hinsicht zur Anwendbarkeit des § 32 ZPO,476 da die Norm es ausreichen lasse, dass ein Delikt vorliegt. Eher ist aber der Auffassung zuzustimmen, die eine deliktische Natur der Haftung i. S. d. § 32 ZPO von vornherein ausschließt, da die Ansprüche aus § 317 AktG nicht gegenüber jedermann, sondern nur gegenüber dem herrschenden Unternehmen geltend gemacht werden können.477 Gleiches gilt für eine organschaftliche Haftung, da sich Organpflichten auf die Gesellschaft beschränken, nicht aber Ansprüche Dritter – hier der außenstehenden Aktionäre oder Gläubiger – begründen können (§ 317 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 AktG).478 Der Adressatenkreis einer Vorschrift konzentriert sich eher auf den Kreis der Verpflichteten denn der Berechtigten. § 317 Abs. 1 AktG nimmt nur das herrschende Unternehmen in die Verantwortung. Darin liegt auch der Unterschied zu der Vorschrift des § 117 AktG, die nicht ausschließlich Organe oder Mitglieder der Gesellschaft betrifft, sondern auch außerhalb der Gesellschaft stehenden Dritten gegenüber geltend gemacht werden kann. Gegen die deliktische Einordnung des Anspruchs gemäß § 117 AktG479 ist daher nichts einzuwenden. Bei § 317 AktG greift das Argument jedoch nicht ohne weiteres. Allerdings ist der Umstand, dass § 317 AktG sich nur an die herrschende Gesellschaft richtet, nicht ausreichend für die vertragliche Einordnung des Anspruchs. Denn dies ist allen Konzernhaftungsansprüchen gemein. Auch der Anspruch der Gläubiger gemäß § 303 AktG richtet sich nur an die Muttergesellschaft und konnte dennoch nicht vertraglich qualifiziert werden. Entscheidendes Kriterium ist weiterhin, dass der Vertrag auch den hinreichend engen Bezug zwischen 474

Luchterhandt, S. 115 Fn. 56. Gasteyer, S. 147; so wohl auch Luchterhandt, S. 115 Rn. 56; ihm folgend Jaspert, S. 191 zu Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ. 476 Gasteyer, S. 151. 477 Maul, NZG 1999, 741, 743. 478 Maul, NZG 1999, 741, 743. 479 So schon OLG München, Urt. v. 25.6.1999, IPRax 2000, 416, 417 = RIW 2000, 143, 144. 475

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den Prozessparteien herstellt. Dafür müssen zwei Elemente vorliegen: eine privatautonom gesetzte Grundlage zum einen und die Lückenfüllung der vertraglichen Regelung durch Umsetzung eines hypothetischen Parteiwillens zum anderen.480 Als privatautonom gesetzte Grundlage konnte bereits das Mitgliedschaftsverhältnis herangezogen werden. Für die Qualifikation der Haftung nach § 317 AktG im Rahmen der EuGVVO als vertraglicher Anspruch ist von besonderem Interesse und vor allem unklar, ob der auf der Grundlage des § 317 AktG geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus der Mitgliedschaft resultiert. Bei der Einordnung ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass für § 317 AktG das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses nach § 17 AktG Voraussetzung ist, da das Abhängigkeitsverhältnis die Möglichkeit eines beherrschenden Einflusses erfordert, der gesellschaftsrechtlich und damit aufgrund von Beteiligungen vermittelt ist.481 Demnach bildet die Haftung nach § 317 AktG als konzernspezifische, auf den Einflussmöglichkeiten des herrschenden Unternehmens beruhende Haftung ein Korrelat zu eben dieser hohen Gefahr nachteiliger Einflussnahme aufgrund der Beteiligung des herrschenden am abhängigen Unternehmen. Dies spricht für eine mitgliedschaftliche Natur der Haftung482 und damit infolge der Rechtsprechung des EuGH in Sachen Peters/ZNAV und Powell Duffryn/Petereit für eine vertragliche Qualifikation i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO. Nach Ansicht von Maul knüpft der Schadensersatzanspruch gemäß § 317 AktG allerdings nicht an einen Vertrag i. S. v. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO, sondern vielmehr an ein bestimmtes für die abhängige Gesellschaft gefährliches Verhalten des herrschenden Unternehmens an. § 317 AktG finde seine Grundlage folglich nicht in einem Vertrag.483 Der Rechtsgrund der Haftung liege ebenso wie bei der Haftung (analog) §§ 302 f. AktG in der Verletzung des Eigeninteresses der abhängigen Gesellschaft und nicht in einem Vertrag.484 Sie ist daher der Auffassung, dass es sich bei Ansprüchen aus § 317 AktG um solche aus einer unerlaubten Handlung i. S. d. Art. 5 Nr. 3 480

Vgl. Mankowski, IPRax 2003, 127, 132. BGH, Urt. v. 26.3.1984, BGHZ 90, 381, 395; KölnKomm/Koppensteiner, § 17 Rn. 33 ff.; GroßkommAktG/Windbichler, § 17 Rn. 3, 8; Hüffer, AktG, § 17 Rn. 8; Ulmer, ZGR 1978, 457, 461, 465 ff. 482 Aus diesem Grunde wird auch im autonomen IZPR vielfach vertreten, dass Ansprüche aus § 317 AktG am Gerichtsstand der Mitgliedschaft nach § 22 ZPO eingeklagt werden können. So im Ergebnis auch LG Bochum, Zwischenurt. v. 20.5.1986, ZIP 1986, 1386 f. (zum Vertragskonzern); vgl. auch Bayer, S. 128 (zum Vertragskonzern); Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 572. 483 Maul, AG 1998, 404, 406. 484 Maul, AG 1998, 404, 407, 409. 481

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

EuGVVO handelt. Während sie im autonomen IZPR eine deliktische Natur dieser Haftung von vornherein ausschließt und die Haftung als Korrelat zum gefährlichen Verhalten der Muttergesellschaft begreift, welches wiederum auf der Beteiligung am abhängigen Unternehmen beruht und damit mitgliedschaftlicher Natur ist, sieht sie in der Anknüpfung an dasselbe Verhalten in der EuGVVO keine privatautonome Grundlage. Auch hier setzt das bestimmte Verhalten der Muttergesellschaft aber die Beteiligung an der Tochter und somit die Mitgliedschaft (als Akt privatautonomer Selbstbindung) voraus. Ihr Ergebnis lässt sich nur so erklären, dass sie die Qualifikation von verbandsrechtlichen, mitgliedschaftlichen Rechtsverhältnissen als „vertraglich“ i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO übersieht, ferner damit die Möglichkeit, einen allgemeinen Gerichtsstand der Mitgliedschaft im Rahmen des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO anzunehmen, nicht erwägt, und schließlich Art. 5 Nr. 3 EuGVVO als Auffangtatbestand für alle anderen Ansprüche begreift. Zumindest eine mittelbare Beteiligung der herrschenden an der abhängigen Gesellschaft, welche eine vertragliche Beziehung begründet, ist Voraussetzung für eine Haftung nach § 317 AktG. Diese ist zunächst Tatbestandsmerkmal der Haftung im faktischen Konzern. Vor allem hat die Kapitalbeteiligung eine Einbindung der herrschenden Gesellschaft in die mitgliedschaftlichen Pflichten der abhängigen Gesellschaft zur Folge. Dazu gehört auch die Pflicht, die abhängige Gesellschaft nicht zu gesellschaftsfremden Zwecken zu missbrauchen und dadurch zu schädigen. Das Verhalten, das § 317 AktG sanktioniert, stellt somit zugleich eine Verletzung der mitgliedschaftlichen Pflichten dar. Damit knüpft der Schadensersatzanspruch gemäß § 317 AktG der abhängigen gegen die herrschende Gesellschaft an das Mitgliedschaftsverhältnis an bzw. steht in engem Zusammenhang mit diesem.485 Zu den Verpflichtungen aus einem Vertrag gehören nicht nur die unmittelbaren vertraglichen Pflichten, sondern auch die Verpflichtungen, die an die Stelle einer nichterfüllten vertraglichen Verpflichtung treten, also vor allem Schadensersatzansprüche. Dies gilt auch dann, wenn sie aus dem Gesetz folgen.486 Dass es sich bei der Haftungsvorschrift um zwingendes Recht handelt, schließt eine Qualifikation als Anspruch aus einem Vertrag aus denselben Gründen wie bei den bisher behandelten Konzernhaftungstatbeständen nicht aus.487 In Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH in 485 Einen engen Zusammenhang der Innenhaftungsansprüche im qualifizierten faktischen Konzern mit dem Mitgliedschaftsverhältnis nimmt auch Haubold, IPRax 2000, 375, 380 an. 486 EuGH, Urt. v. 6.10.1976, Rs. 14/76 – De Bloos/Bouyer – Slg. 1976, 1497, 1507 f. Rn. 5/6. 487 Vgl. 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.b)aa)(2)(b), S. 156.

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Sachen Peters/ZNAV kann der Schadensersatzanspruch gemäß § 317 AktG damit als vertraglich i. S. v. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO eingeordnet werden. Dieses Ergebnis steht auch sonst mit den Grundgedanken der Rechtsprechung des EuGH zur vertraglichen Einordnung von Streitigkeiten über mitgliedschaftliche Rechtsverhältnisse in Einklang. Der Zweck eines solchen „Gerichtsstands der Mitgliedschaft“ liegt (ähnlich wie bei § 22 ZPO) darin, Schwierigkeiten, die die inneren Rechtsbeziehungen einer Gesellschaft betreffen, am Gesellschaftssitz zu konzentrieren.488 Denn vorrangig gilt doch der Grundsatz des actor sequitur forum rei. Es bedarf schon eines besonderen zuständigkeitspolitischen Anliegens, welches die Durchbrechung des Grundsatzes rechtfertigt.489 Eine einseitige (oder der kollisionsrechtlichen Betrachtung angeglichene) Berücksichtigung der Interessen der klagenden Tochtergesellschaft widerspricht zunächst tragenden Prinzipien des internationalen Zivilprozessrechts und damit der EuGVVO. Ratio legis ist die Konzentration aller den Verband betreffenden Streitigkeiten an dessen Sitz.490 Maßgeblich ist allein die mitgliedschaftliche Beziehung zu der Korporation. Die Erwägungen, die hinter einer Klage der Tochtergesellschaft gegen die Muttergesellschaft stehen, sind für die Begründung des Gerichtsstands nicht relevant.491 Im Urteil Peters/ZNAV stellte auch der EuGH im Wege der autonomen Auslegung auf die grundsätzlichen vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien ab, ohne bezüglich der genauen Rechtsnatur des einzelnen Anspruchs, der sich aus dem Mitgliedschaftsverhältnis ergibt, zu differenzieren.492 Demnach ist für Klagen der Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO – ähnlich wie nach § 22 ZPO der Gerichtsstand der Mitgliedschaft – gegeben, wenn es sich bei der Klage erstens um eine solche handelt, die von einer Gesellschaft gegen ihre Mitglieder erhoben wird, und die Klage zweitens durch das Rechtsverhältnis der Mitgliedschaft begründet ist.493 Da die Muttergesellschaft Aktien an der Tochtergesellschaft hält, sie also in der Regel Gesellschafterin der Tochtergesellschaft ist, handelt es sich bei der Klage der Tochter- gegenüber der Muttergesellschaft um eine Klage der abhängigen Gesellschaft gegenüber ihrem Mitglied. 488

Vgl. zu § 22 ZPO: BGH, Urt. v. 13.3.1980, NJW 1980, 1470, 1471. Vgl. Geimer, in FS Schippel, S. 869, 870 (zur ratio legis des § 22 ZPO). 490 Vgl. zu § 22 ZPO: BGH, Urt. v. 13.3.1980, NJW 1980, 1470, 1471. 491 So für Konzernhaftungsansprüche im Rahmen des § 22 ZPO: Laubacher, S. 196. 492 EuGH, Urt. v. 22.3.1983, Rs. 34/82 – Peters/ZNAV – Slg. 1983, 987, 1002 f. Rn. 13 ff. 493 Ähnlich wie der Gerichtsstand der Mitgliedschaft nach § 22 ZPO; vgl. dazu Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 22 Rn. 4; Stein/Jonas/Roth, § 22 Rn. 10. 489

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Darüber hinaus greift § 317 AktG bei einer Verletzung der mitgliedschaftlichen Pflichten ein, so dass die Klage ihren Grund im Mitgliedschaftsverhältnis findet. Dass § 317 AktG nicht nur der abhängigen Gesellschaft einen Anspruch gewährt, sondern auch einen größeren Adressatenkreis treffen möchte, steht dieser Lösung nicht entgegen. Den Aktionären muss beispielsweise ein eigener Schaden im Schutzbereich ihrer Mitgliedschaft entstanden sein;494 die Gläubiger machen unter Umständen nur den Anspruch der Gesellschaft geltend. Davon abgesehen ist nicht ausgeschlossen, dass diese Ansprüche anders einzuordnen sind. Versteht man die konzernrechtliche Herrschaftsposition aufgrund zumindest mittelbarer Kapitalbeteiligung als vertragliches Verhältnis, und begreift man weiter die Haftung aus § 317 AktG als eine konzernspezifische Haftung, die auf den Einflussmöglichkeiten des herrschenden Unternehmens beruht, dann stehen auch die Haftungsansprüche der abhängigen Gesellschaft in engem Zusammenhang mit dem Mitgliedschaftsverhältnis. Dies legt es nahe, diese Ansprüche als „mitgliedschaftlich“ und damit als „vertraglich“ im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO zu qualifizieren. Dieses weite Verständnis von Vertragsverhältnissen ist infolge der EuGHRechtsprechung nur konsequent. Bedenken müssen an früherer Stelle, nämlich bei der vertraglichen Einordnung des Verhältnisses zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern bzw. der daraus resultierenden Ansprüche ansetzen.495 Im deutschen Recht und auch im autonomen IZPR widerspricht die vertragliche Einordnung mitgliedschaftlicher Ansprüche in der Tat der Auffassung der Rechtsprechung und eines Teils des Schrifttums.496 Der EuGH versteht den Begriff des Vertrags nach Art. 5 Nr. 1 EuGVVO jedoch weiter. Er tendiert zu einer Art europäischem „Gerichtsstand der Mitgliedschaft“497 für sämtliche gesellschaftsrechtliche Ansprüche, der im deutschen autonomen Zivilprozessrecht in § 22 ZPO verankert ist. Ordnet man den Anspruch als eine Art Organhaftung ein, so können die bereits zu § 309 AktG entwickelten Grundsätze herangezogen werden, was zu einer vertraglichen Qualifikation des Anspruchs führte.498 Aber auch wenn – wie oben angedeutet – die vertragliche Beziehung nicht in der Organstellung bzw. -position, sondern im Mitgliedschaftsverhältnis gesehen wird, ist eine vertragliche Einordnung der Haftung möglich.499 494

Hüffer, AktG, § 317 Rn. 8. So auch Haubold, IPRax 2000, 375, 380. 496 Dabei ist zu bedenken, dass dort auch § 22 ZPO existiert. 497 Haubold, IPRax 2000, 375, 376. 498 Vgl. dazu 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.b)bb)(1)(c), S. 175. 499 Für eine Anknüpfung an das Mitgliedschaftsverhältnis Laubacher, S. 196 unter Ablehnung der Ansichten von Luchterhandt, S. 115 und Gasteyer, S. 147. 495

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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Der Anspruch auf Schadensersatz der abhängigen gegen die herrschende Gesellschaft gemäß § 317 AktG kann demnach am Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden. (c) Maßgebliche Verpflichtung Die überwiegende Auffassung in der Literatur geht davon aus, dass der Haftungsgrund bei § 317 AktG in der Veranlassung zu nachteiligem Verhalten besteht500 und nicht im Unterlassen des Ausgleichs.501 Diese wiederum stellt eine Verletzung der mitgliedschaftlichen Pflichten dar. Bei einer Schadensersatzklage wegen Nichterfüllung der vertraglichen Verpflichtungen kommt es aber auf die verletzte Vertragspflicht an.502 Insofern ist auf die Pflicht abzustellen, die abhängige Gesellschaft nicht zu gesellschaftsfremden Zwecken zu missbrauchen, welche wiederum aus dem Mitgliedschaftsverhältnis resultiert. (d) Bestimmung des Erfüllungsortes Der Erfüllungsort bestimmt sich nach der lex causae. Nach deutschem Konzernkollisionsrecht ist bei einer inländischen abhängigen Gesellschaft deutsches Recht anwendbar. Mangels anderweitiger Vereinbarung bestimmt sich der Erfüllungsort bei Schuldverhältnissen nach § 269 Abs. 1 BGB insbesondere aus den Umständen und der Natur des Schuldverhältnisses. Bei Pflichten der Gesellschafter aus der Gesellschafterstellung und dem Gesellschaftsvertrag ist auf diesen abzustellen. Beim Abschluss eines Gesellschaftsvertrags durch die Gesellschafter liegt der vertragstypische Umstand darin, die Erreichung eines gemeinsamen Zwecks zu fördern.503 Die auf dem Gesellschaftsvertrag beruhende, auf den gemeinsamen Zweck abzielende Tätigkeit der Gesellschafter findet ihren örtlichen Schwerpunkt am Sitz der Gesellschaft. Dieser bildet den Mittelpunkt aller Anstrengungen, die der Erreichung des Gesellschaftszwecks dienen. Der Gesellschaftssitz ist folglich auch der Leistungsort für alle Ansprüche gegen die Gesellschafter, die der Sicherung und Erhaltung des Gesellschaftskapitals einer Kapitalgesellschaft dienen. 500 GroßkommAktG/Würdinger, § 317 Anm. 3; KölnKomm/Koppensteiner, § 317 Rn. 8; Laubacher, S. 124, 192; Möhring, in FS Schilling, S. 253, 265. 501 So Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Kropff, § 317 Rn. 10 ff., vgl. auch 16 ff., 21; Kropff, DB 1967, 2147, 2152; Kiehne, DB 1974, 321; für beides Beuthien, DB 1969, 1781, 1783, 1785; vgl. auch Luchterhandt, ZHR 133 (1970), 1, 36 ff. 502 Siehe bereits oben 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.b)aa)(3), S. 162. 503 Vgl. K. Schmidt, GesR, § 4 I, II, S. 57 ff.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Schadensersatz wegen Nicht- oder Schlechterfüllung ist dort zu leisten, wo die verletzte Vertragspflicht zu erfüllen gewesen wäre.504 Demnach sind sämtliche mitgliedschaftliche Pflichten am Sitz der Gesellschaft zu erfüllen, soweit durch Satzungsbestimmungen nichts anderes vorgesehen ist.505 Betrachtet man den Schadensersatzanspruch gemäß § 317 AktG als einen aus dem Mitgliedschaftsverhältnis resultierenden Anspruch, so liegt der Erfüllungsort am Sitz der Gesellschaft. Fraglich ist, ob sich ein anderes Ergebnis ergibt, wenn der Anspruch als eine Art Organhaftung eingeordnet wird. Entscheidend ist zunächst, wo der Leistungsort für die nicht oder schlecht erfüllte Primärpflicht liegt. Das Organ hat seine besonderen Pflichten am Sitz der Gesellschaft zu erfüllen. Der Erfüllungsort für Schadensersatzansprüche wegen nicht ordnungsgemäßer Erfüllung dieser Organpflichten liegt damit ebenfalls am Sitz der Gesellschaft.506 Zu diesem Ergebnis gelangt man auch, wenn die Pflichten der Organe als Dienstleistungen betrachtet werden, welche wiederum gemäß Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO am Ort, an dem die Dienstleistungen vertragsgemäß erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen, also am Sitz der Gesellschaft zu erfüllen sind.507 Hinsichtlich der Sitzbestimmung kann auf die Ausführungen zu den anderen Innenhaftungsinstituten verwiesen werden.508 Der Erfüllungsort der in Streit stehenden Verpflichtung liegt demnach jeweils am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft, so dass ein inländischer Gerichtsstand besteht. (2) Schadensersatzpflicht der Verwaltungsmitglieder der abhängigen Gesellschaft gemäß § 318 AktG Bei § 318 AktG handelt es sich um eine Parallelvorschrift zu § 310 AktG. Vorstand und Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft haften gesamtschuldnerisch neben den nach § 317 AktG Ersatzpflichtigen. Voraussetzung der Haftung ist das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale von § 317 AktG, eine Berichtspflicht des Vorstands sowie eine Berichts- und Prüfungspflicht des Aufsichtsrats bezüglich des Abhängigkeitsberichts und ein Sorgfaltsverstoß. Aktionäre und Gläubiger sind gemäß § 318 Abs. 4 i. V. m. § 309 Abs. 4 AktG zur Geltendmachung des Anspruchs befugt. 504

Vgl. nur Schack, Erfüllungsort, Rn. 94 m. w. N. So auch OLG München, Urt. v. 25.6.1999, IPRax 2000, 416, 417; MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 477. 506 BGH, Urt. v. 10.2.1992, NJW-RR 1992, 800, 801. 507 Vgl. dazu schon oben 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.b)bb)(2), S. 179. 508 Siehe insbesondere 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.b)aa)(4), S. 163. 505

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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(a) Vorliegen eines Vertragsverhältnisses; Anspruch aus einem Vertrag § 318 AktG ist als lex specialis zu §§ 93, 116 AktG für den faktischen Konzern anzusehen. Daher wird in der deutschen Literatur teilweise vertreten, dass es sich bei der Haftung nach § 318 AktG aufgrund der Parallelität zu besagten Vorschriften um eine vertragliche Haftung handelt.509 Grundlage der Haftung sei der Anstellungsvertrag. Nach anderer Ansicht beruht die Haftung auf der Organstellung der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder und knüpft nur an die Ausübung des Amtes an.510 Damit handele es sich um eine Organhaftung und somit um eine gesetzliche Haftung, woraus dann teilweise geschlossen wird, dass sie damit auch keine vertragliche Haftung i. S. d. EuGVÜ sein könne.511 Dem kann aus den bereits genannten Gründen nicht zugestimmt werden. Bei der Organhaftung handelt es sich um einen gesetzlichen Schadensersatzanspruch wegen Nichteinhaltung einer Vertragspflicht.512 Die Haftung eines (geschäftsführenden oder aufsichtsführenden) Organs gegenüber seiner Gesellschaft ist somit für die Zwecke des Übereinkommens als eine vertragliche Haftung zu behandeln. (b) Maßgebliche Verpflichtung; Bestimmung des Erfüllungsortes § 318 AktG betrifft die Verantwortlichkeit der Verwaltungsmitglieder der abhängigen Gesellschaft für die Verletzung von Berichts- und Prüfungspflichten. Die Vorschrift ist Sanktionsnorm im Verhältnis zu §§ 312, 314 AktG ähnlich wie § 317 AktG zu § 311 AktG.513 Bei einer derartigen Schadensersatzklage wegen Nichterfüllung der vertraglichen Verpflichtungen kommt es für die Bestimmung des Erfüllungsortes auf die verletzte Vertragspflicht an.514 Nicht der Schadensausgleich selbst, sondern die Berichtspflicht des Vorstands sowie eine Berichts- und Prüfungspflicht des Aufsichtsrats bezüglich des Abhängigkeitsberichts sind maßgebliche Verpflichtungen. Aus den Umständen ergibt sich, dass diese Pflichten am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft zu erfüllen sind. Damit besteht dort ein inländischer Gerichtsstand.

509

Baumbach/Hueck, § 93 Rn. 5; KölnKomm/Mertens, § 93 Rn. 5. GroßkommAktG/Hopt, § 93 Rn. 33; KölnKomm/Mertens, § 93 Rn. 8 ff.; Godin/Wilhelmi, § 93 Anm. 3, 4; Jaspert, S. 194. 511 So Jaspert, S. 194. 512 Siehe dazu schon oben 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.b)bb)(1)(c), S. 175. 513 Hüffer, AktG, § 318 Rn. 1. 514 Siehe bereits oben 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.b)aa)(3), S. 162. 510

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

(3) Ansprüche der Aktionäre gemäß § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG Bei den eigenen Ansprüchen aus § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG können die Aktionäre Schadensersatzleistung an sich selbst fordern.515 Als zugrundeliegende vertragliche oder vertragsähnliche Bindungen kommen die Binnenbeziehungen in der Aktiengesellschaft in Betracht. Das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter – also zwischen abhängiger und herrschender Gesellschaft – konnte bereits als vertragliche Beziehung eingeordnet werden. Fraglich ist, ob auch das Verhältnis zwischen den Aktionären untereinander als vertragliche Vereinbarung betrachtet werden kann.516 Im Sinne der Rechtsprechung des EuGH in Sachen Peters/ZNAV und Powell Duffryn/ Petereit ist dies zu bejahen. Auch zwischen Mitgesellschaftern untereinander, also den Minderheitsaktionären und dem herrschenden Unternehmen als Mehrheitsaktionär, sind die Beziehungen vertraglich zu qualifizieren. Wird die Klage nach § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG durch die Aktionäre erhoben, handelt es sich um eine Klage gegenüber einem Mitgesellschafter, was ebenfalls den Anforderungen des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO entspricht.517 Voraussetzung für den Anspruch ist, dass den Aktionären ein eigener Schaden im Schutzbereich ihrer Mitgliedschaft erwächst.518 Der Anspruch steht also in engem Zusammenhang mit dem Mitgliedschaftsverhältnis. Dies sollte für eine Qualifikation als mitgliedschaftlich und damit als vertraglich i. S. v. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO genügen. Bei der Bestimmung der maßgeblichen Verpflichtung und damit des Erfüllungsortes kann auf § 317 Abs. 1 Satz 1 AktG verwiesen werden.519 Der Erfüllungsort der in Streit stehenden Verpflichtung liegt wiederum am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft, so dass ein inländischer Gerichtsstand besteht. bb) Konzernaußenhaftung Der Anspruch kann nach § 317 Abs. 4 i. V. m. § 309 Abs. 4 AktG ebenfalls von den Gläubigern geltend gemacht werden. Den Gläubigern steht also nach §§ 317 Abs. 1 Satz 1, 311 AktG entweder ein eigener Anspruch zu, oder sie machen den Anspruch der abhängigen Gesellschaft geltend.520 Im Gegensatz zu den Aktionären, den Minderheitsgesellschaftern, sind die 515 516 517 518 519 520

Hüffer, AktG, § 317 Rn. 16. Vgl. dazu Koch, IPRax 1993, 19, 20. Vgl. zu § 22 ZPO: Maul, NZG 1999, 741, 743 Fn. 15. Hüffer, AktG, § 317 Rn. 8. Siehe 4. Teil, 5. Kapitel: II.2.a)aa)(1)(c), S. 225. Siehe dazu bereits 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.c)bb), S. 206.

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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Gläubiger des abhängigen Unternehmens nicht am gesellschaftsrechtlichen Mitgliedschaftsverhältnis beteiligt. Insofern bestehen keine vertraglichen Beziehungen zwischen ihnen und dem herrschenden Unternehmen. Wenn von vornherein feststeht, dass zwischen den Parteien gar keine vertraglichen Beziehungen bestanden und auch nicht beabsichtigt waren, greift Art. 5 Nr. 1 EuGVVO aber nicht ein.521 Eine Kombination der „rein“ vertragsrechtlichen mit der mitgliedschaftlichen Komponente in der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 5 Nr. 1 EuGVVO über eine mittelbare Verbindung wie bei der Vertragskette ist aus denselben Gründen wie bei den anderen Ansprüchen der Gläubiger abzulehnen. Somit können die Ansprüche der Gläubiger gemäß § 317 AktG nicht als solche aus einem Vertrag qualifiziert werden. Etwas anderes gilt, wenn sie nur den Anspruch der Gesellschaft geltend machen sollten. Dann richtet sich die Zuständigkeit dementsprechend nach diesem Anspruch. Letztlich kommt es auch hier nur auf die Beziehungen zwischen herrschender und abhängiger Gesellschaft an, so dass das Verfolgungsrecht der Gläubiger an der Qualifikation des Anspruchs nichts ändert. Demnach können die Ansprüche der Gläubiger ebenso wie die der abhängigen Gesellschaft selbst am Gerichtsstand des Erfüllungsortes geltend gemacht werden, der sich wiederum am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft befindet. Die Gläubiger der abhängigen Gesellschaft können demnach den Ersatzanspruch nach §§ 317 Abs. 4 i. V. m. 309 Abs. 4 Satz 3 AktG am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft als Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend machen. b) Einfacher faktischer GmbH-Konzern Beim faktischen GmbH-Konzern ist der allgemeine Rechtsgrundsatz der Treuepflicht des herrschenden Unternehmens Grundlage eines umfassenden Schädigungsverbots. Nach überwiegender Ansicht entspricht die Haftung inhaltlich § 43 GmbHG, was bedeutet, dass das herrschende Unternehmen bei der Einflussnahme auf die abhängige Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers anwenden muss.522 Nach einer teilweise vertretenen Auffassung gilt eine generelle Organhaftung bzw. die Geschäftsführerhaftung des § 43 GmbHG analog.523 Das herrschende Unternehmen setze sich mit Übernahme der Leitung der abhängigen Gesellschaft faktisch an 521

Kropholler, EuZPR, Art. 5 Rn. 10. Emmerich/Sonnenschein/Habersack, § 30 III 2, S. 453 f.; vgl. ferner Ulmer, ZHR 148 (1984), 391, 420 ff. zu einer Haftung wegen Treuepflichtverletzung. 523 Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 253, 336 ff., 352 ff.; vgl. auch Konzen, NJW 1989, 2977, 2985 f. 522

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

die Stelle der Geschäftsführer und müsse daher wie diese haften. Es erscheint allerdings problematisch, in der Ausübung von Leitungsmacht durch Erteilung von Weisungen die Übernahme der Geschäftsführung durch das herrschende Unternehmen unter Verdrängung der weisungsgebundenen GmbH-Geschäftsführer zu sehen.524 Die Organhaftung ist mit der gesetzlichen Kompetenzverteilung zwischen weisungsbefugten Gesellschaftern und weisungsabhängiger Geschäftsführung nicht vereinbar.525 Neben Schadensersatzansprüchen bestehen Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche. Gläubigerin ist die abhängige GmbH; daneben steht den Minderheitsgesellschaftern ebenso wie den Gläubigern der abhängigen Gesellschaft (analog §§ 317 Abs. 4, 309 Abs. 4 Satz 3 AktG) ein Verfolgungsrecht zu. aa) Vertragsverhältnis; Anspruch aus einem Vertrag Damit stellt sich die Frage, welchen Ursprungs die Haftung ist und welche Auswirkungen dies auf die Qualifikation im Rahmen der EuGVVO hat. Die Rechtsnatur ist bereits für das deutsche materielle Recht umstritten. Wie bereits dargestellt vertritt die überwiegende Auffassung die vertragliche Lösung, wonach im faktischen GmbH-Konzern das Verbot einer schädigenden Einflussnahme auf die abhängige Gesellschaft Ausfluss einer gesteigerten Treuepflicht des herrschenden Unternehmens gegenüber der abhängigen Gesellschaft und den Mitgesellschaftern ist.526 Die Treuepflicht folgt aus der vertraglich begründeten Mitgliedschaft, so dass auch Ansprüche aus Treuepflichtverletzung vertraglich i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO qualifiziert werden können.527 Andere ordnen die Natur der Haftung dagegen organschaftlich ein.528 Auf europäischer Ebene ist bei faktischen Unternehmensverbindungen die allgemeine Organhaftung häufig Grundlage bzw. Folge für eine Schädigung des abhängigen Unternehmens. Allerdings ist manchen anderen Rechtsordnungen eine Treuepflicht zwischen den Mitgliedern einer Kapitalgesellschaft unbekannt.529 Ein Blick auf den Entwurf einer europäischen 524 Vgl. nur Ulmer, ZHR 148 (1984), 391, 413 ff.; Wiedemann, Unternehmensgruppe, S. 35 f. 525 Ulmer, ZHR 148 (1984), 391, 415 f. 526 Hachenburg/Ulmer, Anh. § 77 Rn. 73, 76 ff.; Scholz/Emmerich, Anh. KonzernR Rn. 68. 527 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. § 13 Rn. 79. 528 Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 336 ff., 352 ff.; Konzen, NJW 1989, 2877, 2985 f. 529 So z. B. England, vgl. Pennington, ZHR 126 (1964), 338, 352.

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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Konzernrechtsrichtlinie zeigt, dass für nachteilige Veranlassungen des herrschenden Unternehmens sowie der Mehrheitsgesellschafter in Art. 9 auch eine organschaftliche Haftung vorgesehen ist. Auf europäischer Ebene wird damit die Haftung des herrschenden Unternehmens für die Veranlassung nachteiliger Maßnahmen überwiegend organschaftlich gelöst neben einer allgemeinen Deliktshaftung u. a. Eine solche rechtsvergleichende, „autonome“530 Qualifikation des Anspruchs aus Treuepflichtverletzung ist jedoch problematisch. Zum einen sollten die Konzerhaftungssysteme der einzelnen Mitgliedstaaten in ihrer Gesamtheit gegenübergestellt und in Bezug gesetzt werden. Zum anderen steht bei der Einordnung der Anspruch nach materiellem Recht insofern im Vordergrund, als die Grundlagen der Haftung eruiert werden müssen, um aufgrund des Ursprungs des Anspruchs und der Art der Rechtsbeziehungen der Prozessparteien zu einer autonomen Qualifikation zu finden. Die rechtsvergleichende Auslegung ist nur eine Komponente der autonomen Auslegung. Auch wenn der EuGH bisweilen zu einer versteckten rechtsvergleichenden Qualifikation neigt, ist das Ziel i.R. d. EuGVVO nicht, einen „autonomen“ Konzernhaftungstatbestand zu entwickeln. Es ist nicht Aufgabe des Zivilverfahrensrechts, die „Europafähigkeit“ des deutschen Konzernrechts auf die Probe zu stellen.531 Aber selbst wenn man sich für eine organschaftliche Haftung ausspricht, führt dies nach dem bislang in der Arbeit gewählten Lösungsansatz nicht zu einer abweichenden Einordnung der Haftung. Ansprüche aus Organhaftung wurden bereits als vertragliche i. S. des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO qualifiziert.532 Wird als Grundlage für einen Anspruch aus Treuepflichtverletzung somit nach autonomer Qualifikation eine allgemeine organschaftliche Haftung angenommen, sind die Ansprüche auch dann als solche aus einem Vertrag einzuordnen. Ansonsten ist entscheidend, dass Grundlage der Haftung aus Treuepflicht unmittelbar das Mitgliedschaftsverhältnis der einzelnen Gesellschafter ist. Es besteht eine gesellschaftliche Bindung durch den Gesellschaftsvertrag, dessen unmittelbarer Ausfluss die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht der herrschenden Gesellschaft ist. Dies ist für eine vertragliche Qualifikation i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO ausreichend.

530

So Jaspert, S. 200 f. Vgl. Kulms, IPRax 2000, 488, 490, der dies allerdings gegen eine vorweggenommene materiellrechtliche Prüfung im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung anführt. 532 Vgl. Bous, NZG 2000, 596, 597; siehe dazu bereits oben 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.b)bb)(1)(c), S. 175. 531

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

bb) Maßgebliche Verpflichtung; Bestimmung des Erfüllungsortes Als mitgliedschaftliche Pflicht ist die Treuepflicht sowie deren Verletzung am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft zu erfüllen.533 Folglich besteht dort ein inländischer Gerichtsstand gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO. c) Qualifizierter faktischer GmbH-Konzern Die rechtliche Behandlung des qualifizierten faktischen Konzerns ist bis heute heftig umstritten. Als Grundlage für die Qualifikation soll, wie bei den anderen Ansprüchen, eine Einordnung der einzelnen, vertretenen Anspruchsgrundlagen und der Haftungsvoraussetzungen erfolgen, um so idealiter zu einer autonomen Qualifikation zu finden. Die Haftungskonzeption für die qualifizierte faktische Konzernierung ist bisher überwiegend in Anlehnung an § 302 AktG entwickelt worden. Seit dem Bremer Vulkan-Urteil des BGH herrscht über die Haftungsgrundlage jedoch noch mehr Uneinigkeit. Vertreten wird zum einen eine sinnentsprechende Fortentwicklung der §§ 30, 31 GmbHG, ferner eine Haftung gemäß § 43 Abs. 3 GmbHG analog (zum Teil i. V. m. § 93 Abs. 5 Satz 2, 3 AktG) und damit eine Haftung wegen faktischer Geschäftsführung bzw. eine Organhaftung des Gesellschafters, sowie eine Haftung aufgrund einer Verletzung der Treuepflicht bzw. der gesellschaftsrechtlichen Sonderbeziehung des Gesellschafters zu seiner GmbH oder unter Heranziehung des § 73 GmbHG. Darüber hinaus wird die Haftung teilweise als spezifischer Anwendungsfall der allgemeinen Durchgriffshaftung betrachtet oder als Anwendungsfall der allgemeinen Deliktshaftung (§§ 823, 826 BGB).534 aa) Innenhaftung Allein bei der Durchgriffshaftung handelt es sich um eine Haftung im Außenverhältnis gegenüber den Gesellschaftsgläubigern. Die anderen Lösungsansätze führen dagegen zu einer Binnenhaftung des Gesellschafters gegenüber „seiner“ Gesellschaft.

533 OLG München, Urt. v. 25.6.1999, IPRax 2000, 416, 417; MünchKommBGB/ Kindler, IntGesR, Rn. 477. 534 Nachweise siehe oben 2. Teil, 1. Kapitel: III., S. 53.

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(1) Analogie zu den Vorschriften im Vertragskonzern Eine Ansicht hält nach wie vor an einem Dreistufenmodell der Konzernhaftung fest, wonach auf höchster Stufe eine reine Strukturhaftung stehen soll, die einen Verlustausgleich gemäß § 302 AktG analog zur Folge hat.535 Daher soll auch dieser Haftungsansatz im Rahmen der EuGVVO qualifiziert werden. (a) Vorliegen eines Vertragsverhältnisses; Anspruch aus einem Vertrag Als Anknüpfungspunkt für eine vertragliche Qualifikation könnte zunächst die Analogie zur Vorschrift über die Haftung im Vertragskonzern (§ 302 AktG) auf die Frage der internationalen Zuständigkeit, also die Einordnung als Anspruch aus einem Vertrag i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO übertragen werden. Die Analogie knüpft im materiellen Recht aber nur an die vergleichbare Gefährdungssituation und nicht an einen Unternehmensvertrag zwischen abhängiger und herrschender Gesellschaft an,536 aus dem der Anspruch und damit gerade auch dessen vertragliche Natur abgeleitet wurden.537 Die Analogie im Bereich des materiellen Rechts kann für die prozessuale Einordnung des Anspruchs demnach nicht herangezogen werden. Lehnt man mit der neuesten Rechtsprechung des BGH eine solche Analogie schon im materiellen Bereich ab, ist eine solche Übertragung auf den qualifizierten faktischen GmbH-Konzern erst recht ausgeschlossen. Schon der materiellrechtliche Wertungswandel spricht dann dagegen. Die vertragliche Grundlage der Haftung könnte aber wiederum im Konzernverhältnis gesehen werden. Die Haftung greift nun jedoch unabhängig davon ein, ob dem bzw. den Gesellschaftern die Unternehmenseigenschaft im konzernrechtlichen Sinne zukommt oder nicht. Konzernspezifische Haftungsregeln stellen nur insoweit eine angemessene Lösung dar, als es um die Bewältigung konzernspezifischer, d. h. spezifisch aus der Abhängigkeit bzw. Konzernierung resultierender Gefahren geht, und nicht lediglich um Gefahren, die in Konzernsachverhalten mit höherer statistischer Wahrscheinlichkeit vorliegen538. Damit kann die zugrundeliegende Konzernierung nicht als vertragliche Grundlage herangezogen werden. Die Haftungsansätze sind aber der allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Haftung entnommen, so dass als vertragliche Grundlage das „Mitgliedschaftsverhältnis“, das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter, herangezogen werden kann. 535 536 537 538

K. Schmidt, NJW 2001, 3577 ff.; ders., GesR, § 39 III 4, S. 1232 ff. Vgl. Maul, AG 1998, 404, 407; ihr folgend Haubold, IPRax 2000, 375, 380. Siehe oben 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.b)aa)(2), S. 153. Mülbert, DStR 2001, 1937, 1947.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

(aa) Rechtsprechung Soweit ersichtlich, stand 1997 erstmals ein Sachverhalt der Innenhaftung im qualifizierten faktischen Konzern auf dem internationalprozessrechtlichen Prüfstand. Das OLG Köln verneinte den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 LugÜ aufgrund einer Beurteilung nach den Fakten. Es scheint aber von der Eröffnung des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung in den Fällen der Haftung analog § 302 AktG generell auszugehen.539 Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO wurde hingegen gar nicht in Betracht gezogen. Das OLG München befasste sich in einer Entscheidung aus dem Jahre 1999 mit einer Reihe gesellschaftsrechtlicher Ansprüche. Es ordnete die organschaftliche Sonderrechtsbeziehung zwischen einer deutschen GmbH und ihrem Geschäftsführer vertraglich i. S. d. Art. 5 Nr. 1 LugÜ ein und qualifizierte die Ansprüche aus den §§ 43 Abs. 2, 57 Abs. 4 i. V. m. 9 a Abs. 1, 31 Abs. 6, 64 Abs. 2 und 73 Abs. 3 GmbHG als vertraglich i. S. d. Art. 5 Nr. 1 LugÜ. Entscheidend für die vertragliche Qualifikation der Geschäftsführerhaftung sei die Willensentscheidung des Geschäftsführers in Gestalt der Annahme seiner Bestellung.540 Das OLG München ging in der Entscheidung noch weiter und fasste in einem obiter dictum auch die Haftungsgrundsätze im qualifizierten faktischen Konzern unter Art. 5 Nr. 1 LugÜ.541 Der Willensentscheidung des Geschäftsführers in Gestalt der Annahme seiner Bestellung entspreche bei der (Innen-)Haftung im qualifizierten faktischen Konzern die Willensentscheidung des herrschenden Unternehmens bezüglich des Erwerbs der Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft.542 (bb) Literatur Die Auffassung des OLG München wird auch von wenigen Stimmen in der Literatur geteilt.543 Dabei wird für eine vertragsrechtliche Einordnung 539 OLG Köln, Urt. v. 6.6.1997, ZIP 1998, 74, 75 = WM 1998, 624, 625 (unter Verweis auf Wieczorek/Schütze/Hausmann, § 32 Rn. 15) m. Anm. Lange, WuB VI B. § 32 KO 1.98, S. 373 f. und Mankowski, EWiR Art. 5 EuGVÜ 1/98, 269, 270, nach dessen Ansicht das Gericht diese Frage gar nicht aufwirft. 540 OLG München, Urt. v. 25.6.1999, IPRax 2000, 416, 417 = RIW 2000, 143 m. Anm. Haubold, IPRax 2000, 375 ff., Mankowski, EWiR Art. 5 EuGVÜ 1/99, 949 f. und Hallweger, NZG 1999, 1172; siehe dazu auch Bauer, S. 146. 541 OLG München, Urt. v. 25.6.1999, IPRax 2000, 416, 417 = RIW 2000, 143 f. 542 Vgl. auch Mankowski, NZI 1999, 56, 57 f. 543 MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 633; ders., in FS Ulmer, 305 ff., insbes. 314; Haubold, IPRax 2000, 375, 379 ff.

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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der Innenhaftung im qualifizierten faktischen Konzern angeführt, dass diese in engem Zusammenhang mit dem Mitgliedschaftsverhältnis stehe.544 Der Gegenansicht zufolge fehlt es teilweise bereits an einer vertraglichen Grundlage zwischen den konzernverbundenen Unternehmen. Grund für die Haftung des herrschenden Unternehmens sei der innere strukturelle Zustand der qualifizierten Abhängigkeit, bei der die Autonomie des abhängigen Unternehmens weitgehend missachtet wird.545 Aus dem Rechtsgrund der Haftung in Form der Verletzung des Eigeninteresses der abhängigen Gesellschaft wird geschlossen, dass die Haftungsansprüche im qualifizierten faktischen Konzern ihre Grundlage nicht in einem Vertrag finden.546 (cc) Stellungnahme Betrachtet man das Gesellschaftsverhältnis als Vertragsverhältnis bzw. den Organisationsvertrag der GmbH als Vertrag i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO, ist auch eine vertragliche Einordnung der Ansprüche analog § 302 AktG denkbar. Dann müssten diese Ansprüche ihre Grundlage im Gesellschaftsvertrag haben, d. h. in der Mitgliedschaft bzw. Gesellschafterstellung des herrschenden Unternehmens wurzeln. Haftungsgrund für den Verlustausgleich ist der objektive Missbrauch der Gesellschaft durch ihren Gesellschafter.547 Die Haftung bietet einen Ausgleich für die Außerkraftsetzung der Kapitalerhaltungsregeln. Damit dient er einem Sekundäranspruch vergleichbar der Sicherung primärer Leistungspflichten, der Gesellschafterpflichten hinsichtlich der Kapitalerhaltung. Daher kann der Anspruch ebenso wie diese primären Gesellschafterpflichten vertraglich eingeordnet werden.548 (b) Zwischenergebnis Der Anspruch auf Verlustausgleich analog § 302 AktG kann somit am Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden. Der Erfüllungsort liegt wie bei anderen gesellschaftsrechtlichen Verpflichtungen am Satzungssitz der Gesellschaft.549 544 Haubold, IPRax 2000, 375, 380; Kindler, in FS Ulmer, 305 ff.; vgl. auch Brödermann, ZIP 1996, 491, 493, der dies jedoch offen lässt. 545 Jaspert, S. 208 f. 546 Maul, AG 1998, 404, 407. 547 Hüffer, AktG (5. Aufl.), § 302 Rn. 8 a. 548 Kindler, in FS Ulmer, S. 305, 313; vgl. dazu, dass die Rechtsnatur des Sekundäranspruchs derjenigen des Primäranspruchs folgt: Bauer, S. 131. 549 Vgl. BayObLG, Beschl. v. 10.5.1996, DB 1996, 1819, 1820; OLG Jena, Urt. v. 5.8.1998, NZG 1999, 34, 35; Palandt/Heinrichs, § 269 Rn. 14, 18.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

(2) § 31 GmbHG Der Schutz der abhängigen Gesellschaft erfolgt bei der Einmann-GmbH vorrangig nach den Kapitalerhaltungsregeln, in erster Linie also gemäß § 31 GmbHG, der eine Innenhaftung begründet. Hinsichtlich der Qualifikation der Haftung kann man sich auf die bereits an anderer Stelle erwähnten Urteile einiger Oberlandesgerichte stützen, die über Ansprüche auf Eigenkapitalersatz gegen auslandsansässige herrschende Unternehmen zu entscheiden hatten, die der Konkursverwalter einer deutschen GmbH in Analogie zu § 31 bzw. §§ 32 a, b GmbHG ableitete.550 Die Gerichte ordneten die (gesetzlichen) Ansprüche als Ansprüche aus einem Vertrag i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO ein, da diese zwingend das Vorliegen eines Gesellschaftsvertrags voraussetzen. Der Anspruch analog § 31 GmbHG knüpft an das Mitgliedschaftsverhältnis an und steht somit in engem Zusammenhang zur vertraglich begründeten Gesellschafterstellung. Er kann folglich als ein Anspruch aus einem Vertrag i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO eingeordnet werden. Der Erfüllungsort liegt wiederum wie bei den anderen gesellschaftlichen Verpflichtungen am Satzungssitz der Gesellschaft. (3) Geschäftsführerhaftung analog § 43 Abs. 2 GmbHG Hinsichtlich der Geschäftsführerhaftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG ist auf die Sonderrechtsbeziehung zwischen abhängiger Gesellschaft und herrschendem Unternehmen als Quasifremdgeschäftsführer abzustellen. Bei der Haftung des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft aus der Tätigkeit für die Gesellschaft richtet sich der Charakter akzessorisch nach jenem der Tätigkeit. Damit reduziert sich die Frage darauf, ob die Tätigkeit einer juristischen Person als „Geschäftsführer“ auf einem Vertrag im Sinne der EuGVVO beruht. Die Rechtfertigung für die vertragliche Natur der Geschäftsführertätigkeit besteht in der Willensentscheidung des Geschäftsführers in Gestalt der Annahme seiner Bestellung.551 Die Bestellung ist zwar ein körperschaftlicher Akt, bedarf jedoch der Annahme durch den Geschäftsführer und daher eines Konsenses. Dieser Willensentscheidung des Geschäftsführers entspricht in diesem Zusammenhang die Willensentscheidung des herrschenden Gesellschafters, die auf den Erwerb der Beteiligung 550 OLG Jena, Urt. v. 5.8.1998, ZIP 1998, 1496 ff. = NZI 1999, 81 f. = NZG 1999, 34 f.; OLG Bremen, Urt. v. 25.9.1997, RIW 1998, 63 ff.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 20.1.1998, NZG 1998, 349 f.; OLG Koblenz, Urt. v. 11.1.2001, NZG 2001, 759 f. 551 OLG München, Urt. v. 25.6.1999, IPRax 2000, 416, 417.

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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an der abhängigen Gesellschaft gerichtet ist.552 Demnach kann die Haftung als Quasigeschäftsführer analog § 43 Abs. 2 GmbH ebenfalls vertraglich qualifiziert werden. Der Geschäftsführer hat seine besonderen Pflichten grundsätzlich am Sitz der Gesellschaft – am effektiven Verwaltungssitz – zu erfüllen,553 womit der Erfüllungsort für Schadensersatzansprüche wegen Geschäftsführungsfehlern auch am Sitz der abhängigen Gesellschaft liegt. Betrachtet man die Pflichten von Geschäftsführern als Dienstleistungen i. S. d. Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO,554 existiert ein autonomer Erfüllungsort am Ort, an dem die Dienstleistungen nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen, und damit ebenso am Sitz der abhängigen Gesellschaft. (4) Organhaftung i. V. m. § 93 Abs. 5 Satz 2, 3 AktG Das Haftungskonzept, das die Haftung für die Pflichtverletzungen bei der Führung fremder Geschäfte mit einer Analogie zu § 93 Abs. 5 Satz 2, 3 AktG verbindet, geht davon aus, dass der Alleingesellschafter zumindest fremde Geschäfte führt, sofern Gesellschaftsvermögen betroffen ist, das zur Gläubigerbefriedigung benötigt wird.555 Nach § 93 Abs. 5 Satz 2, 3 AktG können Gläubiger der Aktiengesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen und Modifikationen gegenüber der Rechtslage der Gesellschaft deren Ersatzanspruch gemäß § 93 Abs. 2 AktG geltend machen. Streitig geblieben ist die dogmatische Einordnung des den Gläubigern in § 93 Abs. 5 AktG eingeräumten Verfolgungsrechts. Überwiegend wird eine gesetzliche Prozessstandschaft angenommen.556 Nach der Gegenansicht sollen die Gläubiger nicht den Anspruch der Aktiengesellschaft verfolgen, sondern einen eigenen Anspruch gegen Vorstandsmitglieder haben, dessen Bestand allerdings mit dem Gesellschaftsanspruch grundsätzlich verknüpft sei. Es han552 Ebenso Mankowski, NZI 1999, 56, 57 f.; Bous, NZG 2000, 596, 597; Kindler, in FS Ulmer, S. 305, 314. 553 Vgl. BGH, Urt. v. 10.2.1992, NJW-RR 1992, 800, 801; siehe zum Erfüllungsort für Schadensersatzansprüche wegen nicht ordnungsgemäßer Erfüllung der Organpflichten: OLG München, Urt. v. 25.6.1999, IPRax 2000, 416, 417 = RIW 2000, 143; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 29 Rn. 23; Erman/Kuckuk, § 269 Rn. 13; MünchKommBGB/Krüger, § 269 Rn. 32; Wieczorek/Schütze/Hausmann, § 29 Rn. 76; Zöller/Vollkommer, § 29 Rn. 25. 554 So Brödermann, ZIP 1996, 491, 493; Bauer, S. 154. 555 Altmeppen, ZIP 2001, 1837, 1843; ders., NJW 2002, 321 ff.; ders., ZIP 2002, 961 ff. 556 Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Hefermehl, § 93 Rn. 68; Baumbach/Hueck, § 93 Rn. 15, 17; Habscheid, in FS F. Weber, S. 197 ff., 202.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

dele sich dabei um eine materiellrechtliche Anspruchsvervielfältigung eigener Art.557 Grundlage der Haftung ist auch hier die rechtliche Sonderverbindung, die eine enge Bindung schafft, die einer vertraglichen im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO entspricht oder zumindest vergleichbar oder ähnlich ist. Damit steht der Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO offen, zumindest wenn die Gläubiger einen Anspruch der Gesellschaft geltend machen. Dieser befindet sich wiederum am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft. (5) Treuepflicht Bei der Innenhaftung aus Verletzung der gegenüber der Gesellschaft bestehenden Treuepflicht, welcher der Alleingesellschafter aufgrund eines auf Bestandserhaltung gerichteten Eigeninteresses der GmbH unterliegen soll, besteht die Herleitung entweder in einer Rechtsanalogie zu dem Grundgedanken der aktienkonzernrechtlichen Vorschriften der §§ 300 ff., 317, 322, 324 AktG,558 der mitgliedschaftlichen Sonderrechtsverbindung559 oder § 73 GmbHG.560 Bei der mehrgliedrigen GmbH folgt zudem der Schutz der Minderheit einer Anwendung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht. Den Minderheitsgesellschaftern steht ein Austrittsrecht aus wichtigem Grund gegen Abfindung zu. Die Treuepflicht folgt aus der vertraglich begründeten Mitgliedschaft, so dass auch Ansprüche aus Treuepflichtverletzung vertraglich i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO qualifiziert werden können.561 Der Erfüllungsort liegt am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft, so dass auch dort ein Gerichtsstand eröffnet ist. (6) Ergebnis Die Innenhaftungsansprüche können demnach allesamt vertraglich qualifiziert werden. Somit kann die abhängige Gesellschaft die Ansprüche gegen den herrschenden Gesellschafter am Gerichtsstand des Erfüllungsortes 557 KölnKomm/Mertens, § 93 Rn. 145; siehe zu der Streitigkeit bereits oben 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.c)bb), S. 206. 558 Ulmer, ZHR 148 (1984), 391, 416 ff., 419. 559 K. Schmidt, NJW 2001, 3577, 3580; ders., GesR, § 39 III 2 c, S. 1222 f. 560 Winter, ZGR 1994, 570, 591; vgl. auch BGH, Urt. v. 31.1.2000, NJW 2000, 1571, 1572; Emmerich/Sonnenschein/Habersack, § 30 V 2, S. 459 f.; Röhricht, in FS BGH, S. 83, 103. 561 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. § 13 Rn. 79.

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO und somit an ihrem Satzungssitz klageweise geltend machen. bb) Außenhaftung Bei der Durchgriffshaftung, zu der sich mittlerweile auch der BGH in seinem Urteil KBV als Haftungsmodell bekannt hat,562 handelt es sich um eine Haftung im Außenverhältnis gegenüber den Gesellschaftsgläubigern. Auch die bislang vorherrschende Haftung analog §§ 302, 303 AktG stellt eine Außenhaftung dar. Auf diese und deren Qualifikation soll zunächst eingegangen werden. (1) Haftung analog § 303 AktG Zur Einordnung des Anspruchs analog § 303 AktG finden sich einige Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur. (a) Rechtsprechung zur internationalen Zuständigkeit bei Haftungsansprüchen analog § 303 AktG 1995 hatte das OLG Düsseldorf über die Klage eines Gläubigers gegen eine französische Konzernmutter zu entscheiden.563 Der Kläger war zuvor gescheitert, ein gegen die abhängige Gesellschaft gerichtetes Urteil durchzusetzen. Das LG Düsseldorf gab der gegen die herrschende Gesellschaft gerichteten Klage statt. Das OLG Düsseldorf hob auf die Berufung der Beklagten das Urteil des LG auf. Nach Ansicht des OLG Düsseldorf soll für die Außenhaftung im qualifizierten faktischen Konzern analog § 303 AktG keine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte bestehen. Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ komme nicht zur Anwendung, da es sich bei der Konzernaußenhaftung lediglich um eine quasivertragliche Haftung aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis handele. An einem Vertragsverhältnis zwischen den Parteien des Verfahrens fehle es, und auf den vertraglichen Charakter der Rechtsbeziehung des Gläubigers der abhängigen Gesellschaft zu dieser komme es nicht an. Der zweite Zivilsenat des BGH hat die Revision des klagenden Gläubigers der abhängigen Gesellschaft mangels grundsätzlicher Bedeutung der 562 BGH, Urt. v. 24.6.2002 – KBV – JZ 2002, 1047 ff. = GmbHR 2002, S. 902 ff. = NZG 2002, 914 ff. = NJW 2002, 3024 ff.; zustimmend nunmehr auch Ulmer, JZ 2002, 1049, 1052. 563 OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.10.995, IPRax 1998, 210 f. m. Anm. Zimmer (187 ff.).

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Rechtssache und wegen Aussichtslosigkeit im Endergebnis nicht zur Entscheidung angenommen.564 Aus der Nichtannahme der Revision kann jedoch nicht gefolgert werden, dass der BGH die Ansicht des OLG Düsseldorf zur internationalen Zuständigkeit teilt.565 Ähnlich wie das OLG Düsseldorf urteilte das OLG Frankfurt a. M.,566 das sich ebenfalls mit der Frage beschäftigte, ob sich eine auf die Konzernausfallhaftung gestützte Klage in den Katalog der besonderen Zuständigkeiten des Art. 5 EuGVÜ einordnen lässt. Der Kläger konnte seine anwaltliche Gebührenforderung gegenüber einer deutschen GmbH, deren Geschäftsanteile einer in Italien ansässigen Gesellschaft gehörten, nicht durchsetzen und erhob daraufhin vor dem LG Frankfurt a. M. Klage gegen die italienische Muttergesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Ausfallhaftung im qualifizierten faktischen Konzern. Das LG Frankfurt a. M. verneinte seine internationale und örtliche Zuständigkeit. Das OLG Frankfurt a. M. hingegen hielt das LG aufgrund des Art. 18 EuGVÜ für international und örtlich zuständig. Im Hinblick auf Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ stimmte das Berufungsgericht dem LG hingegen zu, dass Ansprüche in Analogie zu § 303 AktG nicht als „vertraglich“ im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ anzusehen seien. Das OLG München fasste in seinem Urteil aus dem Jahre 1999 in einem obiter dictum die Haftungsgrundsätze im qualifizierten faktischen Konzern unter Art. 5 Nr. 1 LugÜ.567 Es hat den Gerichtsstand des Erfüllungsortes auch für diese Ansprüche als eröffnet betrachtet, indem es die Haftung, die auf einem objektiven Missbrauch der beherrschenden Gesellschafterstellung beruht, in Bezug zur allgemeinen Ersatzpflicht aufgrund Organhaftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG setzte.568 Dieser Begründungsansatz und diese Argumentation lassen sich auf Außenhaftungsansprüche nicht ohne weiteres übertragen. Auch wenn die Urteile in ihren Ergebnissen sonst nicht immer konsistent waren, führt eine Betrachtung der einzelnen Entscheidungen zu der Feststellung, dass die Gerichte sich zumindest insofern einig waren, dass der Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO nicht für die Geltendmachung von Außenhaftungsansprüchen analog §§ 302, 303 AktG zur Verfügung steht. 564 BGH, Beschl. v. 13.1.1997 – II ZR 304/95; vgl. dazu Leitsatz und Anmerkung von Goette, DStR 1997, 503 ff. 565 Zimmer, IPRax 1998, 187; Kindler, in FS Ulmer, S. 305, 316. 566 OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 9.9.1999, IPRax 2000, 525 f. m. Anm. Kulms (488 ff.) 567 OLG München, Urt. v. 25.6.1999, IPRax 2000, 416, 417 = RIW 2000, 143 f. 568 OLG München, Urt. v. 25.6.1999, IPRax 2000, 416, 417.

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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(b) Ansichten in der Literatur Auch in der Literatur wird überwiegend davon ausgegangen, dass der Anspruch der Gläubiger analog § 303 AktG kein Anspruch aus einem Vertrag sei und mangels eines vertraglichen Anspruchs die Zuständigkeit auch nicht auf Art. 5 Nr. 1 EuGVVO gestützt werden könne. Vereinzelt wird angenommen, dass es sogar bereits an einer vertraglichen Grundlage zwischen den konzernverbundenen Unternehmen fehle, so dass eine gesonderte Untersuchung der Beziehungen zwischen Gläubigern und Muttergesellschaft unterbleibt. Diese Ansicht stellt generell nur auf den Charakter als Strukturhaftung ab, der eine Einordnung unter Art. 5 Nr. 1 EuGVVO nicht zulasse.569 Gegen eine vertragsrechtliche Einordnung der Haftung analog § 303 AktG i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO spricht nach überwiegender Auffassung, dass zwischen den Parteien des Verfahrens – also zwischen herrschender Gesellschaft und Gläubigern der abhängigen Gesellschaft – kein Vertragsverhältnis besteht.570 Es fehle an jedweden (unmittelbaren) vertraglichen oder vertragsähnlichen Beziehungen zwischen der herrschenden Gesellschaft und den Gläubigern des abhängigen Unternehmens. Dies wird vor allem aus der Rechtsnatur der Ausfallhaftung analog §§ 303, 322 AktG gefolgert. Zum Teil wird angenommen, dass diese sich als Erscheinungsform des gesetzlichen Schuldbeitritts erweise.571 Aber auch wenn die Grundlage der Haftung in einer Analogie zu den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag gesehen wird, kommt keine vertragliche Qualifikation i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO in Betracht.572 Ob dagegen die vertragliche Natur des zugrundeliegenden, gegen die abhängige Gesellschaft gerichteten Anspruchs des Gläubigers für einen „Anspruch aus einem Vertrag“ i. S. v. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO ausreicht, wird bisweilen offengelassen.573 Häufig wird jedoch die Auffassung vertreten, dass die vertragliche Natur der Primärschuld für die Durchgriffshaftung nicht auch den Vertragsgerichtsstand gegenüber dem herrschenden Unternehmen eröffne.574 An der fehlenden vertraglichen Beziehung zwischen Gläubigern und herrschender Gesellschaft und damit einer Qualifikation nach Art. 5 569

Jaspert, S. 208 ff. MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 635 f.; Goette, DStR 1997, 503, 505; Zimmer, IPRax 1998, 187, 189 f.; Haubold, IPRax 2000, 375, 381. 571 MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 635. 572 Vgl. Goette, DStR 1997, 503, 505. 573 Zimmer, IPRax 1998, 187, 189 f. 574 MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 635 f.; zu einem Gerichtsstand der Durchgriffshaftung siehe unten 4. Teil, 5. Kapitel: II.2.c)bb)(2)(a), S. 244. 570

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Nr. 1 EuGVVO ändere sich auch nichts, wenn man die Konzernhaftung gegenüber Gläubigern als Form des Haftungsdurchgriffs betrachte, denn es mangele nach wie vor an einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung des herrschenden Unternehmens gegenüber einem unbestimmten Kreis von zukünftigen Gläubigern.575 Eine Art Akzessorietät von Primär- und Durchgriffszuständigkeit sei abzulehnen. Zudem sei es für die herrschende Gesellschaft auch nicht vorhersehbar, vor einem ausländischen Gericht unter konzernrechtlichen Gesichtspunkten verklagt zu werden.576 Eine andere Ansicht sieht zumindest für Klagen der Vertragsgläubiger der abhängigen Gesellschaft gegen die herrschende Gesellschaft in Analogie zu § 303 AktG den Erfüllungsortsgerichtsstand gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO eröffnet. Dies wird mit einer mittelbaren vertraglichen Bindung zwischen Gläubigern und Muttergesellschaft und der freiwilligen Übernahme der Folgen einer gesetzlichen Haftungszuordnung durch die herrschende Gesellschaft sowie einem Ausgleich zwischen Kapitalmarktschutz, Konzernrecht und den Interessen der Vertragsgläubiger der abhängigen Gesellschaft begründet.577 Zusammenfassend lässt sich jedoch festhalten, dass nach überwiegender Auffassung die Gläubiger des abhängigen Unternehmens in keiner vertraglichen oder vertragsähnlichen Beziehung zum herrschenden Unternehmen stehen, die eine Qualifikation der Konzernaußenhaftung nach Art. 5 Nr. 1 EuGVVO rechtfertigt. Größtenteils wird folglich eine Zuständigkeit am Gerichtsstand des Erfüllungsortes abgelehnt. (c) Stellungnahme Der materielle Haftungsgrund der Konzernhaftung besteht darin, dass die herrschende Gesellschaft die Eigenständigkeit der abhängigen Gesellschaft beeinträchtigt und nicht für deren hinreichende Ausstattung Sorge getragen hat. Die Haftung soll einen Ausgleich für ein gläubigerschädigendes Verhalten schaffen. Stellt man auf die Leitungsmacht und die fehlende Isolierbarkeit schädigender Einzeleingriffe ab, tritt der Charakter der Haftung als quasideliktisch zu Tage.578 Die gesellschaftsvertragsergänzende Qualität des Anspruchs, die bei der Innenhaftung dominiert, schlägt hier nicht als für die Qualifikation entscheidend durch. Der Konzerntatbestand wirkt sich zwar auf die individuellen Geschäftsverbindungen aus, die die abhängige Gesellschaft mit Dritten begründet hat, 575 576 577 578

Haubold, IPRax 2000, 375, 381. Goette, DStR 1997, 503, 505. Kulms, IPRax 2000, 488, 493. Mankowski, EWiR Art. 5 EuGVÜ 1/98, 269, 270.

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und damit auf die privatrechtlichen Haftungsgründe.579 Die herrschende Gesellschaft schafft damit eine Situation, in der die Vertragsgläubiger der abhängigen Gesellschaft unzutreffend auf deren Leistungsfähigkeit vertrauen und mangels Kenntnis von dem Umfang der Konzernierung eine unzutreffende Kosten-Nutzen-Analyse vor Abschluss des Vertrages mit der abhängigen Gesellschaft vornehmen.580 Darin liegt auch die Ursache der Haftungszuweisung. Insofern verändert die von der herrschenden Gesellschaft gesteuerte Konzernierung zwar die Rahmenbindungen für den einzelnen Vertrag zwischen abhängiger Gesellschaft und deren Gläubigern, d. h. Geschäftspartnern. Eine Verknüpfung mit der „Primärschuld“ der abhängigen Gesellschaft tritt aber nicht auf der tatbestandlichen, sondern nur auf der Rechtsfolgenseite ein, und zwar insofern, als die herrschende Gesellschaft analog § 303 AktG für die Verbindlichkeiten der abhängigen Gesellschaft einzustehen hat. Der Anspruch ist und bleibt dabei jedoch seiner Rechtsnatur nach eigenständiger Art.581 Allein die freiwillige Übernahme einer gesetzlichen Haftungszuordnung reicht für eine vertragliche Qualifikation nicht aus. Entscheidend ist, dass zwischen herrschender Gesellschaft und Gläubigern der abhängigen Gesellschaft gerade keine vertragliche oder vertragsähnliche Beziehung und keine diesen gegenüber freiwillig eingegangene Verpflichtung besteht. Insofern kann auf die Ausführungen zur Qualifikation der Haftung des herrschenden Unternehmens im Vertragskonzern gemäß § 303 AktG verwiesen werden.582 Die Ansprüche der Gläubiger analog § 303 AktG können folglich nicht am Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden. (2) Neuer Haftungstatbestand der Existenzvernichtungshaftung Anknüpfungspunkt der Haftung der herrschenden Gesellschaft gegenüber den Gläubigern der abhängigen Gesellschaft ist nach der neuesten Rechtsprechungsentwicklung des BGH ein existenzvernichtender Eingriff des Gesellschafters.583 Danach besteht vor allem eine allgemeine Durchgriffshaftung des herrschenden Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der GmbH gegenüber den Gläubigern, sofern dessen Eingriffe in das Vermögen der abhängigen Gesellschaft kompensationslos bleiben und zu deren Existenzver579

Behrens, RabelsZ 46 (1982), 308, 331; Kulms, IPRax 2000, 488, 492. Haar, RabelsZ 64 (2000), 537, 548; Teipel, S. 31; vgl. dazu auch Bungert, GmbHR 1993, 478, 490; vgl. zu dem ökonomischen Vertragsbegriff und dem Schutz transaktionsspezifischer Investitionen Mankowski, IPRax 2003, 127, 131. 581 Goette, DStR 1997, 503, 505. 582 Siehe 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.c)aa), S. 193. 583 BGH, Urt. v. 17.9.2001 – Bremer Vulkan – BGHZ 149, 10, 16; BGH, Urt. v. 24.6.2002 – KBV – NJW 2002, 3024, 3025. 580

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

nichtung führen. Auch hierbei handelt es sich um eine reine Außenhaftung.584 Der Anspruch steht den Gläubigern zu. Eine Einbeziehung der Gläubiger – welcher Art auch immer – konnte schon im Rahmen der Qualifikation des Anspruchs gemäß § 303 AktG nicht festgestellt werden. Daher resultiert der Anspruch auf Sicherheitsleistung nicht aus dem Unternehmensvertrag. Ebenso besteht bei der Haftung im qualifizierten faktischen Konzern analog § 303 AktG keine vertragliche oder vertragsähnliche Bindung zwischen herrschender Gesellschaft und Gläubigern. Die freie Willensentscheidung des herrschenden Gesellschafters, eine Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft zu erwerben, führt nur zu einer vertraglichen oder vertragsähnlichen Beziehung zwischen diesen. Die Gesellschafterpflichten bestehen dementsprechend nur gegenüber der abhängigen Gesellschaft. Der Anspruch der Gläubiger resultiert nicht aus einem Vertrag i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO. Auch bei der Existenzvernichtungshaftung besteht zunächst keine vertragliche oder vertragsähnliche Beziehung zwischen herrschender Gesellschaft und Gläubigern. (a) Internationale Zuständigkeit bei der Durchgriffshaftung Bei der Eingriffshaftung neuerer Prägung handelt es sich um eine Art der Durchgriffshaftung. Daher soll an dieser Stelle die bereits oben angedeutete, jedoch noch nicht allgemein entschiedene Frage nach einem Zuständigkeitsdurchgriff aufgeworfen werden. (aa) Rechtsprechung In der Rechtsprechung gibt es keine besonderen Hinweise auf eine spezielle Durchgriffszuständigkeit oder einen Zuständigkeitsdurchgriff. Nach Ansicht mancher Autoren legt dies die Annahme nahe, dass die Rechtsprechung in den entschiedenen Fällen von einer internationalen Zuständigkeit ohne nähere Prüfung ausgegangen sei.585 Der vereinzelt vorhandenen Rechtsprechung zur internationalen Zuständigkeit bei Ansprüchen aus der Haftung im qualifizierten faktischen Konzern zufolge kommt es bei der Haftung nach § 303 AktG analog nicht auf den vertraglichen Charakter der Rechtsbeziehung des Gläubigers der abhängigen Gesellschaft zu dieser, sondern auf den Charakter der Konzernaußen584

Vgl. Hoffmann, NZG 2002, 68, 74. Möllers, S. 55 Fn. 329; ebenso Jaspert, S. 277 f., die sich zudem um einen etwas fernliegenden Vergleich mit Urteilen des EuGH zum Durchgriff auf dem Gebiet des Kartellrechts bemüht, in denen es jedoch nicht um Fragen der Zuständigkeit, sondern der Anwendbarkeit des EG-Vertrages ging. 585

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haftung als gesetzliches Schuldverhältnis an.586 Daher soll Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ nicht einschlägig sein. Diese Auffassung hat ihre Anhänger gefunden, die ebenso vertreten, dass der vertragliche Charakter des Anspruchs des Gläubigers gegen die abhängige Gesellschaft nicht den vertraglichen Charakter des „Durchgriffsanspruchs“ gegen das herrschende Unternehmen bedingt.587 Die Bestimmung greife nicht ein, wenn von vornherein feststeht, dass zwischen den Parteien gar keine vertraglichen Beziehungen bestanden und auch nicht beabsichtigt waren, wie auch bei der sog. Durchgriffshaftung gegen die beherrschende Gesellschaft.588 (bb) Lösungsansätze in der Literatur Auch im Schrifttum finden sich nur wenige Hinweise. In diesem Zusammenhang wird insbesondere die Frage aufgeworfen, ob zumindest bei der Konzernhaftung für vertraglich begründete Ansprüche der Gerichtsstand des Erfüllungsortes fruchtbar gemacht werden kann.589 Einige Autoren sprechen sich bei Klagen der (Vertrags-) Gläubiger der abhängigen Gesellschaft in der Tat für einen Gerichtsstand gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO aus.590 Ihnen zufolge findet der Gerichtsstand des Erfüllungsortes aber nur auf vertragsbezogene Durchgriffsbegehren Anwendung. Anderes gilt möglicherweise für Ansprüche aus deliktischer Haftung. Insoweit wird nach dem Erwartungshorizont differenziert.591 Diese Ansicht vertritt damit einen ganz anderen Ansatz, nämlich eine „vertragliche“ Durchgriffszuständigkeit und nicht einen allgemeinen vertraglichen Gerichtsstand für Ansprüche der Gläubiger z. B. auf Sicherheitsleistung oder Schadensersatz. Solch ein Zuständigkeitsdurchgriff wird gerade auch bei der Durchgriffshaftung favorisiert; dieser führte dann gewissermaßen zu einem Gerichtsstand der Durchgriffshaftung 586

So OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.10.1995, IPRax 1998, 210 m. Anm. Zimmer (187 ff.) und Goette, DStR 1997, 503, 505; ebenso OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 9.9.1999, IPRax 2000, 525 m. abl. Anm. Kulms (488 ff.); so zur Durchgriffshaftung gegen die beherrschende Gesellschaft: Kropholler, EuZPR, Art. 5 Rn. 11; Schack, in GS Sonnenschein, S. 705, 708. 587 Goette, DStR 1997, 503, 505. 588 Kropholler, EuZPR, Art. 5 Rn. 10; vgl. auch Goette, DStR 1997, 503, 505; anders Schlosser, EUZPR Art. 5 Rn. 6. 589 Zimmer, IPRax 1998, 187, 189 f. lässt diese Frage offen. 590 Kulms, IPRax 2000, 488, 493 unter Verweis auf Möllers, S. 86 und Schlosser, EuGVÜ, Art. 5 Nr. 1 (jetzt EUZPR, Art. 5 Rn. 6). Nach beiden gilt dies für den Fall der gesetzliche Haftung Dritter für vertragliche Ansprüche, wie etwa im Fall einer die selbständige juristische Person ignorierenden Durchgriffshaftung. Nach Schlosser ist aber die Konzernausfallhaftung gegenüber einem Gläubiger der abhängigen Gesellschaft nicht vertraglich. 591 Kulms, IPRax 2000, 488, 492.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

dergestalt, dass das für den Haftungsgrund zuständige Gericht ebenso für den Durchgriffsprozess zuständig sein müsste.592 So ist Müller der Ansicht, dass ein deutsches Gericht, welches beispielsweise für die vertraglichen oder deliktischen Ansprüche des Gläubigers gegen die abhängige Gesellschaft zuständig ist, analog den Zuständigkeitsvorschriften auch international gegenüber der herrschenden Gesellschaft durchgriffszuständig sei.593 Der Durchgriffshaftende müsse die Verbindlichkeit „– wie bei der Schuldübernahme – in dem Zustand (. . .) übernehmen, wie sie zwischen den Parteien vereinbart war und sich nach dem Vertragsschluss entwickelt hat“.594 Das Gleiche gelte bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung. Der Durchgriff ändere nichts daran, dass der Gläubiger einen Anspruch aus Delikt geltend macht, für den der Gesellschafter im Wege der gesetzlichen Schuldübernahme einstehen muss. Der Anknüpfungspunkt zur Bestimmung der internationalen Durchgriffszuständigkeit bestimmt sich somit aus dem Rechtsverhältnis zwischen Gläubiger und abhängiger Gesellschaft. Nach Auffassung von Möllers kommt es für die Ermittlung des international durchgriffszuständigen Gerichts allein auf den Haftungsgrundanspruch an.595 Für einen Durchgriffsanspruch ist damit jeweils das Gericht international zuständig, welches auch für den Anspruch des Gläubigers gegen die abhängige Gesellschaft international zuständig ist.596 Der Durchgriffsanspruch sei insofern vom Haftungsgrundanspruch abhängig. Mit der Bestimmung des Haftungsgrundgerichts sei zugleich das Durchgriffsgericht festgelegt.597 Um diesen Gleichlauf, diese „Identität“598 von Haftungsgrund- und Durchgriffsgerichtsstand zu gewährleisten, kommen nach seiner Lösung nicht alle Vorschriften des EuGVÜ voll zur Anwendung. So sind gewisse Vorschriften, wie beispielsweise Art. 2 und Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ, nur eingeschränkt anwendbar, da das Durchgriffsgericht nur das Gericht des Haftungsgrundanspruches sein dürfe.599 Die Zuständigkeit ergibt sich demnach jeweils aus der rechtlichen Beziehung von Gläubiger und abhängiger Gesellschaft.

592

Möllers, S. 83 ff.; Müller, S. 148 ff., 151 ff. Müller, S. 148 f., 151; zustimmend Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 359 f. 594 Müller, S. 149. 595 Möllers, S. 84. 596 Möllers, S. 62, 84. 597 Möllers, S. 84. 598 Möllers, S. 84. 599 Vgl. Möllers, S. 85 f.; zustimmend MünchKommZPO/Gottwald, IZPR, Art. 2 Rn. 4. 593

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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(cc) Stellungnahme Die Lösungen bedeuten eine erhebliche Verfahrensvereinfachung. Nimmt der Gläubiger im Prozess nunmehr die Muttergesellschaft in Anspruch, bliebe die Sache beim sachnächsten Gericht und die Kosten würden gesenkt.600 Allein Praktikabilitätserwägungen dürfen jedoch nicht ausschlaggebend sein. Dann müsste auch an anderer Stelle, nämlich beim Anspruch der Gläubiger gemäß § 303 AktG, ein „Gleichlauf“ der Zuständigkeit favorisiert werden. Nach Möllers bestünde aber die Gefahr, das für den Durchgriff zuständige Gericht anhand von sachfremden Kriterien zu ermitteln, wenn man bei der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit die Beziehung zwischen Gläubiger und abhängiger Gesellschaft nicht hinreichend berücksichtigt. Als sachfremd muss es jedoch auch bezeichnet werden, wenn bei der Ermittlung des Durchgriffsgerichts die eigentliche Grundlage der Haftung, der Durchgriffstatbestand nicht beachtet wird. Für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit ist die Kläger-Beklagten-Beziehung von entscheidender Bedeutung. Denn die internationale Zuständigkeit bestimmt sich regelmäßig anhand parteibezogener und sachbezogener Merkmale.601 Möllers stellt einseitig auf die Interessen des Klägers ab und lässt insofern die Beklagteninteressen gänzlich unbeachtet. Weiter ist bedenklich, dass er sein Verständnis vom Wesen des Durchgriffs – v. a. seine Auffassung über den untrennbaren Zusammenhang von Haftungsgrundanspruch und Durchgriffsanspruch – auch gegenüber Vorschriften von gegenseitigen internationalen Übereinkommen, also dem EuGVÜ durchsetzen möchte, was dazu führte, dass einige Normen des EuGVÜ nur eingeschränkt zur Anwendung gelangten. Müller betrachtet den Durchgriff dagegen als eine Art gesetzliche Schuldübernahme. Eine dogmatische Einordnung als gesetzlicher Schuldbeitritt wäre wohl näherliegend.602 Dann müsste man auch nicht wie Müller einseitig auf die materiellrechtliche Beziehung zwischen Gläubiger und abhängiger Gesellschaft abstellen, ohne die Voraussetzungen eines Durchgriffstatbestands hinreichend zu berücksichtigen. Gegen einen solchen Gerichtsstand der Durchgriffshaftung spricht damit zum einen die Instrumentalisierung des Durchgriffs auf die Muttergesellschaft zu Zuständigkeitszwecken. Stellt man auf die ursprüngliche, von der Tochter eingegangene (bzw. die Tochter betreffende) Verpflichtung ab, so ist diese eindeutig vertraglich (oder eben deliktisch). Steht die Mutter für 600

Möllers, S. 63 f. Schack, IZVR, Rn. 191. 602 Siehe MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 635 zur Ausfallhaftung analog §§ 303, 322 AktG. 601

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

die Schulden der Tochter ein, so tritt neben den ursprünglichen Haftungsgrund der Tochter aber ein eigener, neuer Haftungsgrund der Muttergesellschaft. Haftungsauslösender Grund ist der Entzug des zur Erfüllung der Verbindlichkeiten benötigten GmbH-Vermögens, worin eine Verletzung der Kapitalerhaltungsvorschriften liegt. Dieser Haftungsgrund ist – neben den Beziehungen zwischen den Prozessparteien – entscheidend für die Qualifikation. Insoweit ist zu bedenken, dass der Durchgriff auf vertragsfremde Dritte ein Instrument der Anspruchsdurchsetzung ist.603 Auch hier muss bei der Qualifikation zwischen Haftungsgrund und Haftungsrealisierung differenziert werden.604 Die Haftungsrealisierung seitens der Gläubiger gegenüber der herrschenden Gesellschaft erfolgt, wenn die Gläubiger von der abhängigen Gesellschaft keine Befriedigung erlangen, im Wege des Durchgriffs der Gläubiger auf den herrschenden Gesellschafter. Grund für die Haftung des herrschenden Gesellschafters ist aber nicht der ursprüngliche Verpflichtungsgrund der abhängigen Gesellschaft, sondern die mangelnde Rücksichtnahme auf die Fähigkeit der Gesellschaft zur Bedienung ihrer Verbindlichkeiten und eine Insolvenz als Eingriffsfolge; der Gesellschafter muss einen eingriffsbedingten Nachteil bei der abhängigen Gesellschaft verursachen, der nicht bereits nach §§ 30, 31 GmbHG ausgeglichen werden kann. Dieser Haftungsgrund ist im Rahmen der EuGVVO zu qualifizieren. Für Zwecke der Einordnung in die EuGVVO ist eine Art Durchgriffszuständigkeit, wie sie Müller oder Möllers vertreten, daher abzulehnen und das Augenmerk auf den eigentlichen Konzernhaftungstatbestand der herrschenden Gesellschaft zu richten. Ferner ist gegen einen solchen Gerichtsstand der Durchgriffshaftung einzuwenden, dass im Rahmen des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO auf die eigentliche Beziehung zwischen Kläger und Beklagtem abzustellen ist. Für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit werden partei- und sachbezogene Merkmale herangezogen. Bei der Bestimmung eines besonderen Gerichtsstandes müssen demnach die jeweiligen Anknüpfungsmerkmale zwischen den streitenden Parteien gegeben sein. Entscheidend ist auch hier die Rechtsgrundlage des Durchgriffs. Die Aufhebung des Trennungsprinzips bedeutet nicht, dass die haftende herrschende Gesellschaft mit der abhängigen Gesellschaft nun identisch ist und an deren Stelle tritt. Aufgehoben wird allein die Trennung der Haftungssubstrate.605 603 Vgl. zur dogmatischen Einordnung der Ausfallhaftung als gesetzlicher Schuldbeitritt MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 635; siehe auch ders., in FS Ulmer, S. 305, 316 Fn. 86. 604 Vgl. dazu schon oben die Qualifikation der action en comblement du passif: 4. Teil, 1. Kapitel: II.2.a)cc), S. 123. 605 Jaspert, S. 292.

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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Dementsprechend stellt auch der EuGH im Urteil Peters/ZNAV im Wege der autonomen Auslegung auf die grundsätzlichen vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien ab, ohne bezüglich der genauen Rechtsnatur des einzelnen Anspruchs zu differenzieren. Bei der Durchgriffshaftung besteht aber keinerlei vertragliche Beziehung zwischen Gläubiger und herrschender Gesellschaft. Es handelt sich damit nicht um einen vertraglichen Anspruch i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO. Eine besondere Durchgriffszuständigkeit ist demnach abzulehnen. (b) Qualifikation der Haftung wegen Existenzvernichtung Rechtsgrundlage für die Gesellschafterhaftung wegen Existenzvernichtung ist ein Durchgriffskonzept. Als Anspruchsgrundlage für das Vorgehen der Gläubiger bietet sich eine Analogie zu den §§ 105, 128 HGB an. Haftungsvoraussetzung ist, dass die Eingriffe des herrschenden Gesellschafters in das Vermögen der abhängigen Gesellschaft kompensationslos bleiben und zu deren Existenzvernichtung führen. Diese Kriterien müssen für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit kombiniert werden. Haftungsauslösender Grund ist der Entzug des zur Erfüllung der Verbindlichkeiten benötigten Gesellschaftsvermögens. Darin liegt auch eine Verletzung der Kapitalerhaltungsvorschriften. Die Schutzrichtung des Haftungstatbestands zielt dabei auf die Gläubiger.606 Damit liegt der Schwerpunkt der Haftung nicht auf der gesellschaftsvertragsergänzenden Qualität des Anspruchs; es handelt sich dann auch nicht mehr um eine Binnenhaftung. Zu den Gläubigern besteht zunächst keine vertragliche oder vertragsähnliche Beziehung vor dem schadensstiftenden Ereignis. Erst der Zugriff der Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen und die daraus resultierende Unmöglichkeit der abhängigen Gesellschaft, ihre Verbindlichkeiten ganz oder teilweise zu erfüllen – wobei der eingriffsbedingte Nachteil nicht bereits nach §§ 30, 31 GmbHG ausgeglichen werden kann – wirkt beziehungsbegründend zwischen herrschendem Gesellschafter und Gläubiger. Darin unterscheidet sich die Existenzvernichtungshaftung auch von der Gesellschafterhaftung bei der oHG nach § 128 HGB, die von Anfang an besteht. Nach § 128 Satz 1 HGB haften die Gesellschafter primär; sie können also den Gläubiger nicht auf die vorrangige Inanspruchnahme der Gesellschaft verweisen.607 Daher wird im Rahmen des § 29 ZPO als Erfüllung 606 Auch Jaspert (S. 297) sieht den Haftungsgrund bei der Durchgriffshaftung in der Sicherung von Gläubigerinteressen; sie hält jedoch in erster Linie die Beziehung zwischen Ober- und Untergesellschaft für entscheidend, so dass von einer unerlaubten Handlung gegenüber den Gläubigern nicht gesprochen werden könne. 607 GroßkommHGB/Habersack, § 128 Rn. 26.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

des Vertrages auch die (abgeleitete) Haftung des Gesellschafters für die Vertragsschulden der offenen Handelsgesellschaft nach § 128 HGB angesehen.608 Die Durchgriffshaftung ist aber gegenüber der primären Haftung der Gesellschaft subsidiärer Natur.609 Am Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO sind grundsätzlich nur (Schadensersatz)Ansprüche geltend zu machen, die aus (der Verletzung) einer aus der bereits bestehenden Verbindung eigenen Pflicht resultieren.610 Bei dieser Verbindung kommt es grundsätzlich auf die Beziehung zwischen Kläger und Beklagtem – im Fall der Existenzvernichtungshaftung zwischen herrschendem Gesellschafter und Gläubiger – an und nicht auf die zwischen abhängiger Gesellschaft und herrschender Gesellschaft oder Gläubigern. Steht von vornherein fest, dass zwischen den Parteien gar keine vertraglichen Beziehungen bestanden und auch nicht beabsichtigt waren, wie beispielsweise auch zwischen den Gläubigern der Gesellschaft und dem gemäß § 128 HGB haftenden Gesellschafter oder nach § 171 HGB in Anspruch genommenen Kommanditisten, greift Art. 5 Nr. 1 EuGVVO nicht ein.611 Bei der Existenzvernichtungshaftung fehlt es insofern ebenso an der freiwilligen Verpflichtung gegenüber dem späteren Prozessgegner. Ist für die ursprüngliche Partei aber nur ein Dritter eingerückt und hat sich an der Verpflichtung und am Charakter des Streitgegenstandes nichts geändert, kann dennoch ein vertraglicher Charakter des Anspruchs angenommen werden.612 Möglicherweise steht den Gläubigern nämlich ein Anspruch auf Erfüllung gegen den herrschenden Gesellschafter zu, da dieser – wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen – analog einem Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft haftet. Bei der Gesellschafterhaftung nach § 128 HGB entspricht nach überwiegender Ansicht der Inhalt der Schuld der Gesellschafter im Grundsatz demjenigen der Gesellschaftsschuld.613 Es stellt sich allerdings die Frage, ob der Gesellschafter die glei608 Stein/Jonas/Roth, § 29 Rn. 15; MünchKommZPO/Patzina, § 29 Rn. 3; Zöller/Vollkommer, § 29 Rn. 18; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 29 Rn. 9; Thomas/Putzo/Putzo, § 29 Rn. 3. 609 Vgl. nur Ulmer, JZ 2002, 1049, 1051. 610 Vgl. zu diesen Kriterien Schwarz, S. 152 f. 611 OLG Naumburg, Urt. v. 24.8.2000, NZG 2000, 1218 f., das allerdings entgegen überwiegender Ansicht ebenso die Anwendbarkeit des § 29 ZPO auf die abgeleitete Haftung gemäß § 171 HGB ablehnt; auf dieses Urteil beruft sich Kropholler, EuZPR, Art. 5 Rn. 11; nach Geimer/Schütze, EuZPR, Art. 5 Rn. 41 ist die Erfüllung eines Vertrages i. S. d. Art. 5 Nr. 1 auch die Haftung des Gesellschafters einer oHG oder KG für die Vertragsschulden der Gesellschaft; siehe auch Rauscher/ Leible, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 9 a. 612 So für die Fälle der Abtretung, Subrogation und gesetzlichen Schuldübernahme Martiny, in FS Geimer, S. 641, 661; Donzallaz, III, Rn. 4562.

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che Leistung wie die Gesellschaft, also Erfüllung der Gesellschaftsschuld (in Natur) schuldet oder ob ihn nur eine Einstandspflicht für das Interesse trifft, er also nur Leistung von Geldersatz schuldet. Denn es handelt sich um eine Haftung, die gegenüber der Gesellschaftsverbindlichkeit nicht nur hinsichtlich der Begründung, sondern auch im Fortbestand akzessorisch ist.614 Die Haftung greift jedoch nur beim Vorliegen der Durchgriffsvoraussetzungen. Der herrschende Gesellschafter haftet den Gläubigern bei der Existenzvernichtungshaftung für den Ausfall. Die Durchgriffshaftung dient zum Ausgleich der Nachteile für die Gläubiger. Die gesetzliche Haftungszuweisung hängt im Gegensatz zur Gesellschafterhaftung bei der oHG nicht allein von der rechtsgeschäftlich begründeten Gesellschafterstellung ab, sondern hat ihren Grund in der Verletzung wesentlicher gesellschaftsrechtlicher Normen und damit in einem vorwerfbaren Verhalten, dass sich zwar auf diese Gesellschafterstellung bezieht, ihren Schwerpunkt im Falle der Außenhaftung aber im Gläubigerschutz hat. Dies führt nicht dazu, dass sie als Erfüllung des Vertrages zwischen abhängiger Gesellschaft und Gläubiger gewertet werden kann. Die gesetzliche Natur der abgeleiteten Haftung und die Haftungsgrundlage wirken im Falle der Existenzvernichtungshaftung dominierend. Damit liegt der Schwerpunkt der Haftung auf deren quasideliktischem Charakter. Der Streitgegenstand ist nicht mehr nur der Anspruch aus dem Vertrag, sondern vor allem die Haftung des herrschenden Gesellschafters. Dies ist bei der Haftung des Gesellschafters einer oHG gänzlich anders. Ebenso ist eine mittelbare vertragliche Bindung i. S. e. „Vertragskette“ über die abhängige Gesellschaft durch das Gesellschafterverhältnis zum herrschenden Gesellschafter einerseits und die vertragliche Bindung zum Gläubiger andererseits aus den bereits oben erwähnten Gründen abzulehnen.615 Dies würde außerdem dazu führen, dass bereits im Rahmen der Zuständigkeit eine Differenzierung nach Gläubigergruppen erfolgen müsste.616 Die Haftung wegen eingriffsbedingter Existenzvernichtung kann somit nicht als vertragliche Haftung i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO eingeordnet werden.

613

Vgl. nur GroßkommHGB/Habersack, § 128 Rn. 27. Vgl. nur Ulmer, JZ 2002, 1049, 1050. 615 Siehe oben 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.c)aa)(2)(c), S. 201. 616 Vgl. zu einer Differenzierung nach Gläubigergruppen aus materiellrechtlicher Sicht Bitter, WM 2001, 2133, 2140 f. 614

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

(3) Zwischenergebnis Ansprüche der Gläubiger im qualifizierten faktischen GmbH-Konzern sind als nicht-vertraglich zu qualifizieren und können folglich nicht am Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden. d) Qualifizierter faktischer Aktienkonzern Bislang ging die herrschende Ansicht von einer Übertragbarkeit der für das GmbH-Recht entwickelten Grundsätze über die qualifizierte faktische Unternehmensverbindung auf das Aktienrecht und damit von einer Haftung analog §§ 302, 303 AktG aus.617 Ob sich infolge der Änderung der Rechtsprechung des BGH zur Haftung im qualifizierten faktischen GmbH-Konzern besondere Rechtsfolgen bei qualifizierter Konzernierung einer AG auch nicht mehr in Anlehnung an den Vertragskonzern entwickeln lassen618 oder ob sich durch die Urteile des BGH in Sachen Bremer Vulkan und KBV an der Wertung nichts geändert hat,619 ist unklar. Geht man davon aus, dass die Grundsätze über den qualifizierten faktischen Konzern für die AG fortgelten, und sich die Haftung somit auch nach der Bremer VulkanEntscheidung des BGH analog §§ 302, 303 AktG ergibt, kann auf die bereits im Rahmen des qualifizierten faktischen GmbH-Konzerns erfolgte Qualifizierung dieser Haftung verwiesen werden.620 Danach sind Innenhaftungsansprüche der Gesellschaft vertraglich einzuordnen und können am Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO, der sich am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft befindet, eingeklagt werden. Außenhaftungsansprüche der Gläubiger hingegen fallen nicht unter die Zuständigkeitsnorm des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO.

617

Vgl. die Nachweise bei Emmerich/Habersack, Anh. § 317 Rn. 5 in Fn. 20. So Hüffer, AktG, § 302 Rn. 9. 619 So K. Schmidt, GesR, § 31 IV 4, S. 964 ff.; Cahn, ZIP 2001, 2159, 2160; Eberl-Borges, WM 2003, 105; dies., JURA 2002, 761, 764; differenzierend Emmerich/Habersack, Anh. § 317 Rn. 5. 620 Siehe 4. Teil, 5. Kapitel: II.2.c)aa)(1), S. 233 und 5. Kapitel: II.2.c)bb)(1), S. 239. 618

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3. Vorläufiges Zwischenergebnis zum Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO a) Zusammenfassung Der Schutz der abhängigen Gesellschaft und ihrer Gläubiger ist im deutschen Recht konzernrechtlich ausgestaltet. Diese konzernrechtliche Prägung bindet das europäische Zivilverfahrensrecht allerdings nicht.621 Sie wirft jedoch die Frage auf, inwieweit sich konzernrechtliche ebenso wie verbandsrechtliche, mitgliedschaftliche Wertungen noch mit dem Vertragsbegriff des Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ vereinbaren lassen.622 Die andere entscheidende und damit zusammenhängende Frage ist, ob und unter welchen Voraussetzungen gesetzliche Haftungszuordnungen einem geltend gemachten Anspruch seine „vertraglichen Eigenschaften“ nehmen. Gesetzliche Zuordnungsnormen sind bzw. bleiben „vertraglich“ i. S. v. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO, wenn der Anspruchsgegner die Voraussetzungen für seine Inanspruchnahme selbst geschaffen und den Kreis (potentieller) Anspruchsteller freiwillig bestimmt hat. Für konzernrechtliche Streitigkeiten bedeutet dies grundsätzlich, dass sie ebenso wie verbandsrechtliche, mitgliedschaftliche Streitigkeiten so lange vertraglicher Natur sind, wie sich ein in Anspruch genommenes Mitglied seinen Pflichten jederzeit wieder durch Abwanderung hätte entziehen können.623 Die gesetzliche Haftungszuordnung der Konzernrechtstatbestände wirkt in Fällen der Konzernaußenhaftung so dominierend, dass die für Art. 5 Nr. 1 EuGVVO erforderliche ursprüngliche Willenseinigung der Beteiligten in Form der Konzernbeziehung ihre Prägekraft verliert.624 Bei der Konzerninnenhaftung bestehen diese Bedenken dagegen nicht. Sie können in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH zu den Ansprüchen aus verbandsrechtlichen, mitgliedschaftlichen Rechtsverhältnissen vertraglich qualifiziert werden. b) Bedenken Wie vor allem an den Entscheidungen in Sachen Peters/ZNAV und Powell Duffryn/Petereit zu sehen ist, tendiert der EuGH zu einer Art europäischem „Gerichtsstand der Mitgliedschaft“ für sämtliche gesellschaftsrechtliche Ansprüche, der im deutschen autonomen Zivilprozessrecht in § 22 ZPO verankert ist. Sieht man für Konzernhaftungsansprüche nach auto621 622 623 624

Vgl. Kulms, IPRax 2000, 488, 491 m. w. N. zum Gesellschaftsrecht. Dazu Jaspert, S. 104 ff. Kulms, IPRax 2000, 488, 492. Kulms, IPRax 2000, 488, 492.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

nomem IZPR den § 22 ZPO als einschlägig an, so gelangt konsequenterweise im Rahmen der EuGVVO dann auch Art. 5 Nr. 1 zur Anwendung. Dies wird von den Autoren, die sich mit beiden Zuständigkeitsordnungen auseinandersetzen, jedoch meist nicht so gesehen. Teilweise wird sogar auf andere besondere Gerichtsstände im Rahmen des EuGVÜ gar nicht eingegangen bzw. die Möglichkeit der Anwendbarkeit gänzlich übersehen.625 Die Untersuchung kommt bislang zu dem Ergebnis, dass Innenhaftungsansprüche im Rahmen der EuGVVO am Gerichtsstand des Erfüllungsortes geltend gemacht werden können, womit das Ergebnis letztlich auf die Anerkennung eines Gerichtsstands der Mitgliedschaft im Rahmen des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO hinausläuft. Wird dabei aber nicht der Wille des Verordnungsgebers außer Acht gelassen? Der Gerichtsstand der Mitgliedschaft war schon bei den Beratungen über das EuGVÜ nicht konsensfähig, weil er für ausländische Gesellschafter auch erhebliche Gefahren birgt, und ist deshalb nicht übernommen worden. Darf dann aber ein solcher Gerichtsstand über Art. 5 Nr. 1 EuGVVO quasi durch die Hintertür eingeführt werden? Was den Bereich der Konzernhaftung betrifft, sollte dies bejaht werden. Die Interessenabwägung fällt eindeutig zu Lasten der herrschenden Gesellschaft aus. Die Gefahr für das herrschende Unternehmen, aus Konzernhaftung im Ausland in Anspruch genommen zu werden, widerspricht nicht der Abwägung der Interessen von Kläger und Beklagtem. Die herrschende Gesellschaft ist nicht in der Weise schutzwürdig wie der einzelne Gesellschafter, dessen Wohnsitz sich im Ausland befindet und der vor ein ausländisches Gericht treten muss, um sich gegen Forderungen der Gesellschaft zu verteidigen. Die Muttergesellschaft tritt durch Abschluss eines Unternehmensvertrags mit einer ausländischen Gesellschaft oder durch Anteilserwerb in den fremden Rechtskreis und kann dort auf Bezugspunkte zurückgreifen. Sie ist daher nicht in gleicher Weise schutzwürdig wie andere Gesellschafter und muss somit auch mit Klagen vor einem ausländischen Gericht rechnen. Auch der EuGH versagt der konzerntypischen rechtlichen Trennung eines wirtschaftlich nach einheitlichem Plan handelnden organisatorischen Verbundes die Beachtung, wenn gegenüber Dritten der Eindruck erweckt wird, ein ganz bestimmtes anderes Mitglied der Unternehmensgruppe werde anstelle oder neben dem formalen Geschäftspartner für die eingegangenen Verbindlichkeiten einstehen.626 Die Schutzwürdigkeit der herrschenden Gesellschaft ist in diesen Fällen beschränkt. Allein dies gewährleistet auch die Durchsetzung des Normzwecks, in diesem Fall die Zurverfügungstellung 625

Vgl. nur Bayer, S. 137 f., der die besonderen Gerichtsstände abgesehen von Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ gar nicht behandelt. 626 Vgl. zur Rechtsprechung des EuGH zum Durchgriff im Wettbewerbsrecht Kronke, IPRax 1989, 81, 83.

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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des besonderen, sachnahen Gerichtsstandes des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO gegenüber Organisationsentscheidungen und hauptsächlich die abhängige Gesellschaft betreffende Entscheidungen eines beklagten herrschenden Unternehmens.627 Dieses Ergebnis hält also einer Abwägung der prozessualen Interessen des herrschenden Unternehmens und der abhängigen Gesellschaft stand. Ratio legis dieses „europäischen Gerichtsstands“ der Mitgliedschaft ist die Konzentration aller die Gesellschaft und ihre inneren Rechtsbeziehungen betreffenden Streitigkeiten an deren Sitz.628 Ein Auseinanderfallen der Zuständigkeiten, wie es bei der Klage einer Gesellschaft gegen ihre Gesellschafter denkbar ist, besteht bei dem Konzerninnenhaftungsanspruch der abhängigen gegen die herrschende Gesellschaft zwar nicht. Insofern kommt nur ein Erfüllungsort – entweder am Sitz der herrschenden oder der abhängigen Gesellschaft – als Gerichtstand in Betracht. Wenn ein Vertrag zwischen zwei Gesellschaften geschlossen wird – wie der Beherrschungsvertrag – sprechen damit allein Praktikabilitätserwägungen nicht für den Erfüllungsort am Sitz einer bestimmten Gesellschaft. Für eine solche Auslegung lassen sich aber vor allem der Zweck des Konzernhaftungsrechts und eine Abwägung der Interessen der beteiligten Parteien anführen. Insofern tritt der Beklagtenschutz zurück. Bedenken anderer Art rühren daher, dass eine derartige Extension des Gerichtsstands des Erfüllungsortes der Zuständigkeitsregel des Art. 5 Nr. 5 EuGVVO die eigenständige Bedeutung neben derjenigen des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO nehmen könnte.629 Darauf soll an entsprechender Stelle eingegangen werden.630 Letztlich wiegen die Bedenken aber nicht so schwer, dass sie dass vorläufige Ergebnis in Frage stellen können.

III. Qualifikation der Haftungsansprüche nach französischem Recht Vor allem bei der Haftung im faktischen Konzern bietet sich zum Zwecke europäisch-autonomer Auslegung ein Vergleich mit anderen Rechtsordnungen und eine Einordnung der Haftung im faktischen Konzern in anderen europäischen Rechtsordnungen an. Daher soll im Anschluss solch ein Vergleich mit dem französischen System angestellt werden. Andere Rechtsordnungen können allenfalls auszugsweise herangezogen werden. 627 628 629 630

Vgl. Kronke (IPRax 1989, 81, 83) hinsichtlich Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ. Vgl. zu § 22 ZPO: BGH, Urt. v. 13.3.1980, NJW 1980, 1470, 1471. Aus dem anderen Blickwinkel vgl. Linke, IPRax 1982, 46, 48. Siehe 4. Teil, 7. Kapitel: S. 319.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

1. Relevanz der Rechtsprechung des EuGH in Sachen Peters/ZNAV und Powell/Duffryn Petereit Ob den Entscheidungen in Sachen Peters/ZNAV und Powell Duffryn/Petereit, die die Beziehungen in einem Verein bzw. der Gesellschafter untereinander und zur Gesellschaft als vertragliche eingeordnet haben, für das französische Konzernhaftungsrecht eine ähnliche Relevanz wie für das deutsche Recht zukommt, ist fraglich. Die Ergebnisse der Entscheidungen konnten im deutschen Recht vor allem für die Haftung im faktischen Konzern fruchtbar gemacht werden, indem die Beziehungen des herrschenden Unternehmens als Mehrheitsaktionär zum abhängigen Unternehmen und damit auch die daraus resultierenden Innenhaftungsansprüche als vertraglich eingeordnet wurden. Die französische Konzernhaftung ist grundsätzlich jedoch als Außenhaftung konzipiert, womit vor allem die Qualifikation der Beziehungen der Gläubiger der abhängigen zur herrschenden Gesellschaft im Vordergrund steht. Die herrschende Gesellschaft kann zum einen aus dem Haftungsgrund der faute (Verschulden) in Anspruch genommen werden, wobei eine zivilrechtliche Haftung wegen Verschuldens als Gesellschafter oder als Geschäftsleiter in Betracht kommt. Zum anderen kann die herrschende Gesellschaft aufgrund ihrer Eigenschaft als associé (Mitglied) und aufgrund einer Garantieerklärung haften.631 Auch wenn letztere Haftung des Mutterunternehmens als Gesellschafter in Anwendung der Rechtsprechung des EuGH in Sachen Peters/ZNAV und Powell Duffryn/Petereit eine vertraglich zu qualifizierende Verpflichtung andeuten mag, ist zu beachten, dass nur die vertraglichen Beziehungen zwischen Kläger und Beklagtem für die Auslegung entscheidend sind. Bestehen solche Beziehungen bei der Außenhaftung zwischen herrschendem Unternehmen und Gläubigern jedoch nicht unmittelbar, kommt noch eine Einbeziehung der Gläubiger als Dritte in die vertragsähnlichen Beziehungen zwischen herrschender und abhängiger Gesellschaft in Betracht. Bei der Haftung wegen abus de majorité können die Prinzipien aus Peters/ZNAV und Powell Duffryn/Petereit allerdings fruchtbar gemacht werden, da diese Haftung einer Art Innenhaftung entspricht. Bei der Haftung des herrschenden Unternehmens als faktischer Geschäftsleiter ist dies hingegen unklar.

631

71 ff.

Vgl. zu dieser Unterscheidung auch Lucas, Pet. aff., 4.5.2001, Nr. 89, S. 66,

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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2. Abus de majorité Das Haftungsinstitut des abus de majorité führt zur Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse und einem anschließenden Schadensersatzanspruch gegen die herrschende Gesellschaft als Mehrheitsgesellschafterin. Anspruchsberechtigt sind die Gesellschafter bzw. die Minderheitsaktionäre der abhängigen Gesellschaft sowie die abhängige Gesellschaft selbst. Die Ansprüche wegen abus de majorité können am Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden, wenn keine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 22 Nr. 2 EuGVVO besteht. Dieser schließt für Streitigkeiten, die von der Vorschrift erfasst sind, eine parallele besondere Zuständigkeit aus. a) Anspruch aus einem Vertrag Als vertragliche Grundlage des Anspruchs kommt das Mitgliedschaftsverhältnis bzw. der Gesellschaftsvertrag in Betracht. Entsprechend der allgemeinen Ansicht, dass ein Rechtsmissbrauch gleichzeitig immer eine deliktische und nach Art. 1382 f. C. civ. ersatzpflichtige faute darstellt,632 wird die Nichtigkeitsfolge in Frankreich als deliktischer Schadensersatz im Wege der Naturalrestitution eingeordnet.633 Aus französischer Sicht haben aufgrund der Weite der Generalklausel der Art. 1382 f. C. civ. sämtliche Ansprüche, die nicht auf ein Vertragsverhältnis im engeren Sinne zurückzuführen sind, deliktischen Charakter. So qualifiziert das französische Recht auch die Ansprüche unter dem Gesichtspunkt des abus de droit deliktisch. Dies gilt zum Beispiel ebenso für Ansprüche, die im deutschen Recht als positive Vertragsverletzung (nunmehr § 280 Abs. 1 bzw. § 281 Abs. 1 BGB) vertraglich qualifiziert würden. Die Rechtsprechung in Frankreich ist dem Ergebnis nach aber nicht weit entfernt von dem deutschen Ansatz der Schadensersatzpflicht wegen Verletzung der Treuepflichten.634 Es geht um den Ausgleich von Nachteilen, die auf der Verletzung der innergesellschaftlichen Pflichten und damit des Mitgliedschaftsverhältnisses beruhen. Der Anspruch knüpft damit an das Verhältnis zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern bzw. den Gesellschaftern untereinander an. Er kann im Sinne der Rechtsprechung des 632 Die Haftung wegen abus de majorité wird als Unterart des allgemeinen Verbots der missbräuchlichen Rechtsausübung angesehen. 633 Grundlegend Cass. com., Urt. v. 18.4.1961 – Piquard – D. 1961, 661. In dem Urteil wird Art. 1382 C. civ. als Rechtsgrundlage einer Anfechtungsentscheidung wegen abus de majorité ausdrücklich genannt. 634 Ehricke, S. 576 f.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

EuGH in Sachen Peters/ZNAV und Powell Duffryn/Petereit damit als solcher aus einem Vertrag gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO eingeordnet werden. b) Maßgebliche Verpflichtung; Bestimmung des Erfüllungsortes Die maßgebliche Verpflichtung bestimmt sich aus dem Klagebegehren und deren Erfüllungsort lege causae. Bei dem Schadensersatz handelt es sich um eine Geldschuld. Deren Erfüllungsort bestimmt sich nach Art. 1247 Abs. 3 C. civ. Nach französischem Recht ist gesetzlicher Erfüllungsort für Geldschulden damit auch bei gesellschaftsrechtlichen Pflichten der Wohnsitz des Schuldners. Damit läge der Erfüllungsort am Sitz der herrschenden Gesellschaft. Bei einer Schadensersatzklage kommt es i.R. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO jedoch auf die verletzte Vertragspflicht an. Entscheidend ist somit die verletzte Verpflichtung aus dem Mitgliedschaftsverhältnis. Die beim abus de majorité in Frage stehenden Entscheidungen werden in der Regel am Sitz der abhängigen Gesellschaft getroffen, so dass dort dann auch der Erfüllungsort der entsprechenden Pflichten liegt. Somit besteht für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen abus de majorité gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO ein Gerichtsstand am Sitz der abhängigen Gesellschaft, wenn nicht bereits eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 22 Nr. 2 EuGVVO gegeben ist. Bei der Frage nach der Bestimmung des Sitzes der abhängigen Gesellschaft ist das zum anwendbaren Recht gefundene Ergebnis auch der weiteren Beurteilung zugrunde zu legen. Als Sitz der Gesellschaft ist damit vermutungshalber der Satzungssitz heranzuziehen. Aufgrund des Drittgünstigkeitsprinzips635 kommt bislang auch ein Doppelsitz und damit ein Wahlrecht der Kläger in Betracht, von welchem Sitz sie eine Zuständigkeit für ihre Klage ableiten möchten.636 3. Art. L. 624-3 C. com. Art. L. 624-3 C. com. sieht eine Ausfallhaftung der Geschäftsleitungsorgane für Fehler bei der Leitung der Gesellschaft vor. Bereits oben wurde ausführlich dargelegt, dass der Anwendungsbereich der EuGVVO auch für die Geltendmachung einer action en comblement du passif eröffnet ist. Bei der Einordnung der Ausfallhaftung in die einzelnen Vorschriften der EuGVVO muss zum einen ihre enge Beziehung zur zivilrechtlichen Organ635 636

Siehe dazu oben 3. Teil, II., S. 108. Siehe dazu oben 4. Teil, 5.Kapitel: II.1.b)aa)(4), S. 163.

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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haftung beachtet und zum anderen die genaue Schutzrichtung der Norm eruiert werden. a) Anspruch aus einem Vertrag Zum Zwecke der Qualifikation des Haftungsanspruchs soll zunächst ein Blick auf die soweit ersichtlich einzigen Stellungnahmen in der deutschen und französischen Literatur von Kuckertz und Bottiau geworfen werden. Dass in Frankreich insofern keine Diskussion herrscht, verwundert nicht, da ganz überwiegend davon ausgegangen wird, dass die action en comblement du passif vom Anwendungsbereich der EuGVVO ausgeschlossen ist.637 aa) Stellungnahmen in der Literatur Kuckertz zieht für die Geltendmachung dieser Ansprüche den vertraglichen Gerichtsstand heran.638 Sie stützt sich dabei insbesondere auf die Erwägung, dass der „Haftungsdurchgriff“ nach französischem Recht als „Erfüllung“ des vertraglichen Schuldverhältnisses zwischen Tochtergesellschaft und Drittem betrachtet werden könne. Der Begriff der „Erfüllung“ sei vertragsautonom weit auszulegen. Dies bedeute, dass darunter auch Schadensersatzforderungen fallen, die aus dem zugrundliegenden Vertragsverhältnis erwachsen. Gegen letzteres ist dann nichts einzuwenden, wenn man den Begriff der vertraglichen Ansprüche, also der „Ansprüche aus einem Vertrag“ i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO – und nicht der Erfüllung – autonom und weit auslegt,639 und darunter in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH nicht nur die unmittelbaren vertraglichen Pflichten versteht, also nicht nur Ansprüche auf Vertragserfüllung, sondern auch solche, die an die Stelle einer nichterfüllten vertraglichen Verpflichtung treten.640 Der Begriff der Erfüllung taucht so in der Vorschrift nicht auf, und eine autonome Bestimmung des Erfüllungsortes kannte das EuGVÜ, auf das Kuckertz sich bezieht, im Gegensatz zur EuGVVO noch nicht. Der Gläubiger, der durch die Insolvenz der Tochtergesellschaft nicht mehr auf die vollständige Erfüllung hoffen kann, wird mit einer bestimmten Quote an der Verteilung der Insolvenzmasse beteiligt. Der auf ihn entfallende Teil wird wegen seines „Erfüllungsanspruchs“ größer, wenn der 637

Vgl. dazu schon oben 4. Teil, 1. Kapitel: II.2.a)bb), S. 120. Kuckertz, S. 159. 639 MünchKommZPO/Gottwald, IZPR, Art. 5 Rn. 4; Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 5 Rn. 24. 640 EuGH, Urt. v. 6.10.1976, Rs. 14/76 – De Bloos/Bouyer – Slg. 1976, 1497, 1507 ff. Rn. 5 ff.; Kropholler, EuZPR, Art. 5 Rn. 10 m. w. N. 638

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Insolvenzmasse der Erlös des Haftungsdurchgriffs zugeführt wird.641 Kuckertz ist daher der Ansicht, dass der Gläubiger mit seiner Erfüllungsforderung in das Verfahren eintrete und deshalb an dem Erlös des Haftungsdurchgriffs partizipiere, sofern dieser für die Gläubiger und nicht zur Sanierung des Unternehmens verwendet wird.642 Daraus folgert sie, dass der Haftungsdurchgriff unter das Merkmal der Erfüllung subsumiert werden könne.643 Kuckertz beruft sich dabei vor allem auf die Ausführungen Müllers.644 Dieser betrachtet den Durchgriff nach deutschem Recht als eine Art gesetzliche Schuldübernahme,645 was im Endeffekt zu einem Schuldnerwechsel unter Wahrung der Identität der Schuld führt. Weiter verweist sie diesbezüglich auf Gottwald, der der Ansicht ist, dass am Erfüllungsort für eine abhängige Gesellschaft ein vertragsbezogenes Durchgriffsbegehren (nach deutschem Recht) gegen die herrschende Gesellschaft erhoben werden kann.646 Dieser folgt wiederum – entgegen der Aussage von Kuckertz647 – nicht Müller, sondern Möllers,648 dessen Lösung im Sinne eines Gleichlaufs von Haftungsgrund- und Durchgriffsgericht Kuckertz jedoch zuvor ablehnt.649 Als einzigen angeblichen Vertreter dieser Ansicht, der sich mit dem französischen Haftungsanspruch beschäftigt, führt sie schließlich Wick650 an. Dieser befürworte zwar nicht ausdrücklich die Einschlägigkeit des Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ auf die französische Durchgriffshaftung. Er gehe aber davon aus, dass auf die Anerkennung eines in Frankreich gemäß Art. L. 624-3 C. com. ergangenen Urteils in der Schweiz das schweizerische IPRG anwendbar sei. Zu dieser Annahme könne Wick nur gelangen, wenn er das LugÜ außen vorlasse. Bis Ende 1999 fand das LugÜ wiederum gemäß Art. I a Abs. 1 des ersten Zusatzprotokolls651 keine Anwendung, wenn die Zuständigkeit des ausländischen Gerichts sich ausschließlich auf Art. 5 Nr. 1 641

Kuckertz, S. 160. Kuckertz, S. 162. 643 Kuckertz, S. 160. 644 Müller, S. 149, vgl. dazu schon oben 4. Teil, 5. Kapitel: II.2.c)bb)(2)(a)(bb), S. 245 ff. 645 Müller, S. 148 f., 151. 646 MünchKommZPO/Gottwald, IZPR, Art. 5 Rn. 5. 647 Kuckertz, S. 159 Fn. 735. 648 Vgl. MünchKommZPO/Gottwald, IZPR, Art. 5 Rn. 5, Fn. 29. 649 Kuckertz, S. 158. 650 Wick, S. 136. 651 Art. I a im Protokoll Nr. 1 über bestimmte Zuständigkeits-, Verfahrens- und Vollstreckungsfragen vom 16. September 1988, BGBl. 1994 II, 2693. Der Vorbehalt lief zum 31.12.1999 aus. 642

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LugÜ stützte und die beklagte Gesellschaft zur Zeit der Einleitung des Verfahrens ihren Sitz in der Schweiz hatte. Zur Zeit der Abfassung von Wicks Arbeit war dieser Vorbehalt noch in Kraft. Um das LugÜ vernachlässigen zu können, müsse Wick auf den Vorbehalt abgestellt haben. Dies sei aber nur möglich, wenn er den in Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ genannten Gerichtsstand des Erfüllungsortes als auf die Durchgriffshaftung anwendbar betrachte. Kuckertz übersieht dabei allerdings, dass Wick gerade der Auffassung ist, dass das LugÜ schon aufgrund des Ausnahmetatbestandes des Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 nicht auf Art. 180 des Gesetzes von 1985 (jetzt Art. L. 624-3 C. com.) angewendet werden kann.652 Die Anwendbarkeit scheitert damit schon an Art. 1 LugÜ. Diese Art von Klagen oder Entscheidungen fallen seiner Ansicht nach gar nicht in den Anwendungsbereich des LugÜ. Daher kann für eine Anerkennung auf das IPRG zurückgegriffen werden. Auf eine vertragliche Qualifikation der Haftung i. S. d. Art. 5 Nr. 1 LugÜ kann aus den Ausführungen Wicks keinesfalls geschlossen werden. bb) Kritik Für eine Einordnung der Haftung soll der Blick näher auf Voraussetzungen und Rechtsfolge der action en comblement du passif gerichtet werden. Ist die Erfüllung des vertraglichen Verhältnisses zwischen Tochtergesellschaft und Gläubiger aufgrund der Insolvenz der Tochter nicht mehr möglich, tritt an deren Stelle die Ausfallhaftung der Muttergesellschaft. Die action en comblement du passif führt nur dazu, dass der Fehlbestand an Aktiva ganz oder teilweise auf den Geschäftsleiter abgewälzt wird. Wenn dieser in der Lage ist, den geforderten Betrag des Schadensersatzes zu zahlen, bleibt er von dem Insolvenzverfahren (redressement et liquidation judiciaire) verschont, d. h. er entkommt dem Insolvenzverfahren. Die herrschende Gesellschaft ist aber nur verpflichtet, den vom Gericht festgesetzten Betrag in die Insolvenzmasse zu zahlen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Schaden, der von dem herrschenden Unternehmen als faktischem Geschäftsleiter ersetzt werden muss, in demjenigen Teil der Verbindlichkeiten der abhängigen Gesellschaft liegt, der durch die Verwertung der Aktiva nicht beglichen werden konnte. Die Haftung gemäß Art. L. 624-3 C. com. greift subsidiär ein und aktualisiert sich erst dann, wenn der Insolvenzverwalter alle anderen Möglichkeiten, den Kapitalmangel im Gesellschaftsvermögen zu füllen, erfolglos genutzt hat.653 Eine weitere Besonderheit des französischen Rechts liegt darin, dass das herrschende Unternehmen als faktischer Geschäftsleiter nicht unbedingt den gesamten Schaden ersetzen 652 653

Wick, S. 135 f. Vgl. Guyon, II, Nr. 1376.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

muss. Es steht im Ermessen des Gerichts zu entscheiden, welcher Anteil der nicht beglichenen Aktiva der herrschenden Gesellschaft als Haftung auferlegt wird. Begrenzt ist das Ermessen der Richter nur nach oben hin. Außerdem kann das Gericht zwischen mehreren Leitungsorganen auswählen.654 Die Muttergesellschaft übernimmt damit zwar die Schulden der Tochter.655 Ob dies eine Erfüllung des ursprünglichen Vertrags darstellt, ein Erfüllungssurrogat oder eine andere Art von Leistung, die aus dem Vertrag möglicherweise i. S. e. Sekundäranspruchs resultiert, wird daraus noch nicht deutlich. Die Eröffnung des Gerichtsstands gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO setzt voraus, dass es sich bei der Ausfallhaftung der Mutter um einen Anspruch aus einem Vertrag handelt. Die Klage selbst muss ihren Grund in einem Vertrag haben und auf einer Verletzung einer vertraglichen Verpflichtung beruhen.656 Der ursprüngliche Anspruch des Gläubigers gegen die Tochtergesellschaft resultiert unter Umständen aus der Verletzung einer vertraglichen Pflicht, weil die Tochtergesellschaft ihrer Verpflichtung aus dem Vertrag mit dem Gläubiger nicht nachgekommen ist. Als zugrunde liegendes Vertragsverhältnis, das den Gläubiger betrifft, kommt aber allein der Vertrag zwischen abhängiger Gesellschaft und Gläubiger in Betracht. Ein weiteres Vertragsverhältnis besteht zwar in der Regel zwischen abhängiger und herrschender Gesellschaft aufgrund der Mitgliedschaft oder einer ähnlichen Verbindung. Ob aber auch die Klage gegen die Muttergesellschaft aus diesem Vertrag herrührt, ist fraglich. Jedenfalls genügt allein eine Verbindung über eine „Vertragskette“ zu den Gläubigern nicht. Auch wenn gerade im französischen Recht Rechtsbeziehungen, die über eine Kette von Vertragsbeziehungen (sog. chaînes de contrats) bestehen, eher als vertraglich eingeordnet werden,657 ist im Rahmen der EuGVVO zu berücksichtigen, dass der EuGH eine vertragliche Qualifikation der daraus resultierenden Ansprüche abgelehnt hat.658 Eine bloß mittelbare Verbindung zur Muttergesellschaft genügt damit nicht.659 654

Borse, S. 35; Wolf, S. 65; Ehricke, S. 550. In Art. L. 624-3 C. com. heißt es in Abs. 1: „(. . .) les dettes de la personne morale seront supportées (. . .) par tous les dirigeants de droit ou de fait (. . .) ou par certains d’entre eux“ und in Abs. 3: „Les sommes versées par les dirigeants (. . .) entrent dans le patrimoine du débiteur (. . .) ces sommes sont réparties entre tous les créanciers (. . .).“ 656 Gaudemet-Tallon, Nr. 178 unter Hinweis auf das Urteil des EuGH v. 8.3.1988, Rs. 9/87 – Arcado/Haviland – Slg. 1988, 1539, 1554 f. Rn. 12, 13. 657 Anders wird dies jedoch bei den groupes de contrats beurteilt. 658 Vgl. zur Einordnung der action directe gegen den Hersteller das Urteil des EuGH in Sachen Handte/TMCS v. 17.6.1992, Rs. C-26/91, Slg. 1992 I-3967 ff. 659 Siehe zur mittelbaren Verbindung schon oben 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.c)aa)(2)(c), S. 201, außerdem 5. Kapitel: III.5., S. 275. 655

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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Insofern sollte eine Rückbesinnung auf die Voraussetzungen, die der EuGH zur Bestimmung der „Ansprüche aus einem Vertrag“ aufgestellt hat, erfolgen. Auf der einen Seite muss eine freiwillig eingegangene Verpflichtung vorliegen, auf der anderen Seite muss sich diese Verpflichtung in eine Rechtsbeziehung einfügen, der die Parteien zugestimmt haben. Die Ansprüche gemäß Art. L. 624-3 C. com. sind gesetzlich angeordnet, so dass auch hier zunächst wieder die Frage aufgeworfen werden muss, ob der Anspruch rein gesetzlicher Natur ist oder als vertraglicher Folgeanspruch betrachtet werden kann, und ferner ob die Gläubiger möglicherweise im zuständigkeitsrechtlichen Sinne in den Vertrag, also in das Mitgliedschaftsverhältnis zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft, einbezogen sind. Dies muss aus denselben Gründen – wie bei den zuvor behandelten Ansprüchen der Gläubiger nach deutschem Recht – abgelehnt werden. Die rechtsgeschäftliche Beziehung, der die Verpflichtung entstammt, auf die der Gläubiger sich beruft, besteht nicht mit der herrschenden, sondern mit der abhängigen Gesellschaft. Die Verpflichtung, die von der herrschenden Gesellschaft verletzt wird, resultiert aus einem vertraglichen Verhältnis zwischen dieser und der abhängigen Gesellschaft. Damit steht aber auch fest, dass die Ausfallhaftung nicht ein gesetzlich angeordneter Folgeanspruch des Vertrages ist, und damit nicht aus eben diesem zugrundeliegenden Vertragsverhältnis resultiert. Zudem stellt die Schadensersatzforderung schon deshalb keine Erfüllung bzw. kein „Erfüllungssurrogat“ dar, weil der Gläubiger nur eine Befriedigung nach der Quote erhält. Diese muss dem Betrag der ursprünglichen Forderung nicht entsprechen und stammt nicht nur von der Ausfallhaftung, sondern setzt sich aus dem Erlös aus dem „Haftungsdurchgriff“ und der übrigen Insolvenzmasse zusammen. Mit dem zugrunde liegenden Vertragsverhältnis besteht also nur sehr entfernt ein Zusammenhang. Die Schulden der Tochter werden von der Mutter nur insoweit getragen, als der von der herrschenden Gesellschaft erstattete Betrag in das Vermögen der abhängigen Gesellschaft fließt. Eine Erfüllung oder ein direktes „Erfüllungssurrogat“ kann darin nicht erblickt werden. Daraus folgt, dass der Anspruch gemäß Art. L. 624-3 C. com. nicht als Anspruch aus dem Vertragsverhältnis betrachtet werden kann. Insbesondere lässt sich gegen die Ausführungen von Kuckertz demnach einwenden, dass Schuldnerin dieses Anspruchs nun die Muttergesellschaft ist, mit der gerade kein Vertragsverhältnis besteht. Sie schuldet unabhängig von dem ursprünglichen Vertrag und dessen Bedingungen Schadensersatz. Entscheidend für Art. 5 Nr. 1 EuGVVO ist grundsätzlich die Vertragsbeziehung zwischen Kläger und Beklagtem. Die Schadensersatzforderungen müssen somit aus diesem, dem zugrunde liegenden Vertragsverhältnis resultieren.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Bottiau zufolge ist ein Gerichtsstand am Ort der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO eröffnet, womit sie wohl einen Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO ausschließen dürfte. Sie qualifiziert jedoch nicht die action en comblement du passif, sondern sieht im internationalen Kontext die allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsregeln nicht von den Spezialregeln des Gesetzes von 1985 verdrängt.660 Ein Anspruch gemäß Art. 1382 C. civ. könne problemlos am Gerichtstand der unerlaubten Handlung geltend gemacht werden. Anhaltspunkte für eine Qualifikation der action en comblement du passif können ihren Ausführungen nicht entnommen werden. cc) Organschaftliche oder deliktische Haftung Die Qualifikation der action en comblement du passif hängt ganz entscheidend auch von der Qualität als Außen- oder Innenhaftung ab. Diese Frage bleibt in der Regel unbeantwortet, und auch Kuckertz beschäftigt sich nur mit Ansprüchen der Gläubiger, ohne eine Einordnung in diesem oder jenem Sinne vorzunehmen. Mit der Frage, ob die Ausfallhaftung des Art. L. 624-3 C. com. als Anspruch der Gesellschaft oder als Anspruch der Gesellschaftsgläubiger begriffen werden kann, hängt die im Rahmen dieser Untersuchung ebenfalls noch nicht behandelte Frage zusammen, ob sie als Fall einer gesellschaftsrechtlichen Organhaftung oder als Deliktshaftung zu qualifizieren ist. Aus französischer Sicht haben aufgrund der Weite der Generalklausel der Art. 1382 f. C. civ. sämtliche Ansprüche, die nicht auf ein Vertragsverhältnis (im engeren Sinne) zurückzuführen sind, deliktischen Charakter. Dies gilt demnach auch für die Haftung des faktischen Geschäftsleiters, der sich weder der Gesellschaft noch deren Gläubigern gegenüber rechtsgeschäftlich verpflichtet hat.661 Nach deutschem Verständnis – aber auch im Rahmen der EuGVVO – existiert hingegen ein zwischen Vertrag und Delikt anzusiedelndes Sonder(rechts)verhältnis. Aus dieser Sicht kommt daher durchaus eine Einordnung als Fall bzw. spezialgesetzliche Ausprägung der Organhaftung in Betracht, wenn man die Haftung aus action en comblement du passif als Anspruch der Gesellschaft ansieht.662 660

Siehe Bottiau, S. 282 ff., 342 ff. Für eine deliktische Einordnung der action en comblement du passif im Rahmen des materiellen Rechts: Guyon, II, Nr. 1372; Daigre, Rev. soc. 1988, 199, 202; Veaux, Nr. 252 (zur Vorgängerregelung in Art. 4 Abs. 5 des Gesetzes v. 16.11.1940 und den Vorläufern in der Rechtsprechung). 662 Reiner, S. 176; Ebenroth/Kieser, KTS 1988, 19, 31 ff., 41 (im Hinblick auf die Einordnung der action en comblement du passif als gesellschaftsrechtliche Haftung, wobei eine Abgrenzung zur deliktischen Natur nicht vorgenommen wird). 661

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Im Rahmen der Qualifikation deutscher Konzernhaftungsansprüche wurde bereits ausgeführt, dass die Organhaftung ihre Grundlage in der Organbestellung findet, die als rechtsgeschäftlich angesehen, und daher auch die Haftung prozessrechtlich als vertragsähnlich eingestuft werden kann.663 Im Gegensatz zum dirigeant de droit, der nach dem dafür in den einzelnen Vorschriften vorgesehenen Verfahren bestellt wird, hat der dirigeant de fait eine freie und unabhängige Stellung inne. Bei ihm kommt es nicht wie beim dirigeant de droit auf das formale Kriterium der ordnungsgemäßen Benennung an.664 Eine rechtsgeschäftliche Grundlage der Haftung in Form der Organbestellung liegt somit nicht vor. Fraglich ist, ob hier überhaupt ein hinreichendes Sonderrechtsverhältnis besteht. Eine groupe de sociétés bzw. Zusammenhalt und Kontrolle entstehen auf verschiedene Arten: durch Kapitalbeteiligung der Muttergesellschaft an der Tochtergesellschaft, die Beschäftigung gemeinsamer Geschäftsleiter oder durch vertragliche Bindungen.665 Der Begriff der Unternehmensgruppe ist im französischen Recht nicht auf die durch mehrheitliche Kapitalbeteiligung begründete MutterTochter-Beziehung beschränkt, sondern beinhaltet auch Konstellationen, in denen anderweitige Beherrschungsmöglichkeiten als funktionelles Bindeglied einer Gruppe eingesetzt werden. Als faktischer Geschäftsleiter ist die herrschende Gesellschaft jedoch an den Pflichtenmaßstab des ordentlichen Geschäftsleiters gebunden. In dieser Bindung kann man eine Sonderbeziehung, eine Art Sonder(rechts)verhältnis sehen. Dies reicht als vertragliche Grundlage i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO aus. Unter Organhaftung versteht man grundsätzlich die Haftung von Organen juristischer Personen diesen gegenüber; sie bezieht sich demnach auf Ansprüche im Innenverhältnis zwischen den Organen und der Gesellschaft. Hiervon zu unterscheiden ist die Haftung juristischer Personen für das Handeln ihrer Organe gegenüber Dritten, oder die Haftung der Organe gegenüber Dritten. Diese allgemeine Unterscheidung kennt auch das französische Recht.666 Wenn es um Ansprüche der Gesellschaft geht, beruht diese Haftung auf Vertragsverletzung, bei Ansprüchen Dritter jedoch auf Delikt. Für eine vertragliche Qualifikation müsste man die action en comblement du passif als Anspruch der Gesellschaft – als Innenhaftung – begreifen können. 663

Siehe oben 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.b)bb)(1)(c), S. 175. Guyon, II, Nr. 1389; Borse, S. 24 ff. 665 Siehe dazu bereits oben 2. Teil, 2. Kapitel, S. 65. 666 Die Gesellschaftsklage (action sociale, Art. L. 225–251 C. com.) beispielsweise dient dem Schutz und der Wiederherstellung des Gesellschaftskapitals, sie ist insoweit mit der deutschen Organhaftung vergleichbar; siehe dazu bereits oben 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.b)bb)(1)(c), S. 175. 664

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Nach den bisherigen Erkenntnissen würde es sich damit um einen Anspruch aus einem Vertrag i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO handeln. Die Diskussion im deutschen Schrifttum betreffend die Einordnung der action en comblement du passif dreht sich vorrangig um die Frage, ob diese als Durchgriffshaftung angesehen werden kann. An einer solchen Einordnung wird kritisiert, dass der Begriff der Durchgriffshaftung insofern unpräzise sei, als eine Haftung des Geschäftsleiters und nicht des Gesellschafters vorliege.667 Durchgriffshaftung sei aber Mitglieder-, nicht Leiterhaftung.668 Dem wird wiederum entgegengehalten, dass der Begriff der „Durchgriffshaftung“ auf alle Haftungsarten anwendbar sei, bei denen durch den „Schleier der Gesellschaft“ hindurch auf das Vermögen der dahinter stehenden Personen zugegriffen wird. Zu solchen Hintermännern einer Gesellschaft können auch die Geschäftsleiter zählen. Für Verbindlichkeiten, für die eigentlich die Gesellschaft mit ihrem Vermögen einstehen muss, werden im Wege der Durchgriffshaftung diese Hinterleute mit ihrem eigenen Vermögen zur Verantwortung gezogen. Die Eigenschaft als Gesellschafter oder Geschäftsleiter sei bei diesen Hintermännern insofern irrelevant.669 Auch wenn eine Einordnung als Binnen- oder Außenhaftung bei dieser Diskussion unterbleibt, so ist doch erkennbar, dass der Haftungsgrund im Entzug des zur Erfüllung der Verbindlichkeiten benötigten Gesellschaftsvermögens mit entsprechend nachteiligen Folgen für die Gesellschaftsgläubiger gesehen wird. Art. L. 624-3 Abs. 1 C. com. gewährt danach einen Direktanspruch der Gläubiger.670 Beim Haftungsdurchgriff als Instrument der Anspruchsdurchsetzung handelt es sich um ein Recht der Gläubiger. Diese Ansicht geht demnach von vornherein von einer Außenhaftung gegenüber den Gläubigern aus. Auch von der französischen Literatur wird die action en comblement du passif teilweise als deliktische Haftung eingeordnet.671 Im Fall der Ausfallhaftung gemäß Art. L. 624-3 C. com. ist danach die herrschende Gesellschaft aufgrund ihres schädigenden Verhaltens gegenüber den Gläubigern verantwortlich und nicht aufgrund ihres schädigenden Einflusses auf die insolvente Tochtergesellschaft – bzw. nur mittelbar. Die Insolvenz der abhängigen Gesellschaft bildet lediglich den Rahmen des Verfahrens, sie ist weder Ursprung der Klage noch Grund der Haftung der Geschäftsleiter. Es 667 Zahn, S. 224; Ebenroth/Kieser, KTS 1988, 19, 39; Marquardt/Hau, RIW 1998, 441. 668 Zahn, S. 223 m. w. N. 669 Kuckertz, S. 60. 670 Dieser Ansicht ist auch Zahn (S. 229), obwohl er die Einordnung der action en comblement du passif als Durchgriffshaftung ablehnt. 671 Delebecque, Rev. proc. coll. 1998, 129, 135 f.

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handelt sich nicht um einen Ausgleich im Innenverhältnis, also innerhalb der juristischen Person, sondern um eine Haftung nach außen wegen der Gefährdung und Beeinträchtigung der Interessen der Gläubiger. Für die Einordnung als Innenhaftung, also als Anspruch der Gesellschaft könnte zunächst der Tatbestand sprechen, der mit dem Begriff der faute de gestion auf einen Verstoß gegen das unternehmerische Gesellschaftsinteresse abstellt.672 Haftungsauslösendes Moment ist die Nichterfüllung von Verhaltenspflichten des Geschäftsleiters gegenüber der Gesellschaft. Zudem fließt gemäß Art. L. 624-3 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 C. com. der von den Geschäftsleitern zu zahlende Schadensersatz in das Schuldnervermögen, i. e. das Vermögen der insolventen Tochtergesellschaft, wenn die Fortführung des Unternehmens durch das Insolvenzgericht angeordnet wird.673 In der Praxis führt allerdings die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Regel direkt zur Liquidation.674 Zudem steht der Betrag hinsichtlich seiner Verwendung unter dem Vorbehalt der Vorgaben des Sanierungsplans (Art. L. 624-3 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 C. com.). Damit dient er letztlich doch der Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger.675 Im Falle einer Liquidation oder einer Veräußerung des Unternehmens ist die Haftungssumme direkt unter den Gläubigern zu verteilen (Art. L. 624-3 Abs. 3 Satz 2 C. com.). Die Verwendung der Haftungssumme spricht demnach gegen eine Einordnung der action en comblement du passif als Anspruch der Gesellschaft.676 Zudem beschränkt sich die Haftung der Höhe nach auf den Betrag der Überschuldung (insuffisance d’actif), obwohl sich das Eigeninteresse einer insolventen Gesellschaft nicht in der Befriedigung der Gläubiger erschöpft, sondern darüber hinausgehen kann. Die Ausfallhaftung des Art. L. 624-3 C. com. schützt das Gesellschaftsinteresse nur insoweit, wie sich der Schaden der Gesellschaft gleichzeitig in einem kollektiven Schaden der Gläubiger äußert.677 Dies kann als weiteres Indiz für einen Anspruch der Gläubiger gewertet werden.678 Die action en comblement du passif wird dementsprechend als Kernstück des französischen Gläubigerschutzes betrachtet.679 672

Reiner, S. 173. Art. L. 624-3 Abs. 3 C. com.: „Les sommes versées par les dirigeants en application de l’alinéa 1er entrent dans le patrimoine du débiteur et sont affectées en cas de continuation de l’entreprise selon les modalités prévues par le plan d’apurement du passif.“ 674 Reiner, S. 173. 675 Reiner, S. 174. 676 Brunet/Germain, Pet. Aff., 23.7.1986, Nr. 88, S. 51, 53 f. 677 Brunet/Germain, Pet. Aff., 23.7.1986, Nr. 88, S. 51, 53. 678 Brunet/Germain, Pet. Aff., 23.7.1986, Nr. 88, S. 51, 53. 679 Zimmer, IntGesR, S. 285 ff. 673

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Teilweise wird auch die These von der Doppelnatur der action en comblement du passif vertreten, was bedeutet, dass sie einen Anspruch der Gesellschaft darstellt, wenn sie vom Insolvenzverwalter erhoben wird, und einen Anspruch der Gesellschaftsgläubiger, wenn sie vom Gläubigervertreter geltend gemacht wird.680 Diese Auffassung scheint für Zwecke des Prozessrechts zunächst praktikabel und auf diesen Bereich übertragbar. Sie sieht sich aber zum einen der Kritik ausgesetzt, dass die action en comblement du passif auch von Amts wegen angeordnet werden kann, was in die Systematik einer Einordnung nach der Person des Klägers nicht recht passt. Zudem erscheint eine Verdoppelung des Rechtswegs bei identischem Streitgegenstand nicht sinnvoll. Der Entscheidung liegen jeweils dieselben materiellrechtlichen Beurteilungskriterien zugrunde unabhängig von der Person des Antragsstellers.681 Sie ist zudem jeweils auf dasselbe Klageziel gerichtet. Damit spricht alles für eine Identität des Streitgegenstands. Aus der Rechtsprechung gibt es auch kein Beispiel dafür, dass ein Gericht im Rahmen desselben Insolvenzverfahrens mehrfach über die action en comblement du passif entschieden hätte.682 Bedenken dagegen, die action en comblement du passif auch oder nur als Anspruch der Gesellschaftsgläubiger zu betrachten, bestehen vor allem aber, da die Gesamtheit der Gesellschaftsgläubiger seit der Abschaffung der „masse des créanciers“ schon mit Einführung des Gesetzes von 1985 nach allgemeiner Ansicht nicht mehr rechtsfähig ist, womit Träger des Anspruchs nur der einzelne Gläubiger sein kann. Dies bedeutet wiederum, dass der Erfolg dieser Klage von den individuellen Beziehungen der Gläubiger zur Gesellschaft abhängig sein müsste. Auf die individuelle Zusammensetzung des Kreises der Gesellschaftsgläubiger kommt es jedoch nicht an. Somit ist die action en comblement du passif nicht als kollektive Geltendmachung der Einzelansprüche der Gläubiger zu betrachten, sondern als Anspruch der Gesellschaft. Den einzelnen Gläubigern fehlt damit nicht nur die Klagebefugnis, sondern auch die Aktivlegitimation.683 Art. L. 624-3 C. com. gewährt den Gläubigern nur das Recht, den Anspruch der Gesellschaft geltend zu machen. Die Haftung des faktischen Geschäftsleiters besteht demnach gegenüber der Gesellschaft.684 680

Brunet/Germain, Pet. Aff., 23.7.1986, Nr. 88, S. 51, 53 ff. Vgl. dazu bereits die Einordnung des § 309 Abs. 4 Satz 3 AktG oben 4. Teil, 5. Kapitel: II.1.c)bb), S. 206. 682 Vgl. dazu Reiner, S. 175. 683 So Vogel, S. 21, der dies im Rahmen der Antragsberechtigung gemäß Art. 183 des Gesetzes von 1985 erwähnt. Insofern ist unklar, ob er tatsächlich zwischen Aktivlegitimation und Prozessführungsbefugnis unterscheidet. 684 So auch Reiner, S. 176; ebenso Ebenroth/Kieser, KTS 1988, 19, 31 ff., 33 f., 41. 681

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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Wie die Organhaftung aus deutscher Sicht kann sie aufgrund der bestehenden Sonderbeziehung vertragsrechtlich i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO eingeordnet werden. b) Maßgebliche Verpflichtung; Bestimmung des Erfüllungsortes Nach französischem Recht ist gesetzlicher Erfüllungsort für Geldschulden auch bei gesellschaftsrechtlichen Pflichten der Wohnsitz des Schuldners.685 Bei dem Anspruch gegen den Geschäftsleiter gemäß Art. L. 624-3 C. com. wäre dies demnach der Sitz der herrschenden Gesellschaft. Betrachtet man jedoch die Pflichten von Organen und entsprechend hier von Geschäftsleitern als Dienstleistungen i. S. d. Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO,686 existiert ein autonomer Erfüllungsort nach Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO an dem Ort, an dem die Dienstleistungen nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen. Die Sorgfaltspflichten des Geschäftsleiters sind danach am Sitz der abhängigen Gesellschaft zu erfüllen. Dort liegt dann auch der Erfüllungsort für daraus resultierende „Sekundäransprüche“. Die action en comblement du passif kann demnach am Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden, der am Sitz der abhängigen Gesellschaft liegt. Als Sitz der Gesellschaft ist im Einklang mit dem Ergebnis zum anwendbaren Recht regelmäßig der Satzungssitz heranzuziehen.687 c) Überprüfung des Ergebnisses anhand von Sinn und Zweck der Regelung Auch wenn dieses Ergebnis im europäischen Rahmen richtig und sinnvoll erscheint, bleibt die Frage offen, ob eine solche Lösung nicht dem Sinn und Zweck der nationalen Regelung zuwiderläuft. Die nationale Regelung sieht ein Verfahren vor, und damit auch nur ein zuständiges Gericht.688 Im Rahmen der EuGVVO besteht neben Art. 5 EuGVVO aber immer noch die Zuständigkeit der Gerichte am Sitz der Muttergesellschaft nach Art. 2 EuGVVO. Ob eine solche alternative Zuständigkeit im europäischen Kontext angenommen werden kann, erscheint zumindest bedenkenswert. Die Ziele der nationalen Prozessrechte treten jedoch nicht unmittelbar in Konkurrenz zur EuGVVO, sie sind vielmehr nachrangig. Die EuGVVO soll 685 686 687 688

Art. 1247 C. civ. So Bauer, S. 154. Siehe dazu oben 4. Teil, 5. Kapitel: III.2.b), S. 258. Art. 165 décret nº 85–1388 du 27 décembre 1985.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

durch eine einheitliche Zuständigkeits- und Anerkennungsregelung den Freiverkehr der Urteile in Europa gewährleisten. Hat man sich also einmal für den Anwendungsbereich der EuGVVO entschieden (vor allem in Abgrenzung zur EuInsVO), so muss auch die dahin enthaltene Wertung akzeptiert und nicht wieder nationalen Prinzipien der Vorrang eingeräumt werden. Die Zuständigkeiten der Art. 5 ff. EuGVVO stehen in Alternativität zur Zuständigkeit nach Art. 2 EuGVVO. Art. 2 EuGVVO ist als allgemeiner Gerichtsstand grundsätzlich einschlägig; daneben ist in diesen Fällen Art. 5 Nr. 1 EuGVVO anwendbar. Dies entspricht dem bereits zur Qualifikation deutscher Konzernhaftungsansprüche erzielten Ergebnis. Auch dort muss die ausschließliche Zuständigkeit des § 306 AktG a. F. (nunmehr § 2 Abs. 1 SpruchG) dem Vorrang der EuGVVO weichen. Grund der alleinigen Zuständigkeit nach französischem Recht ist die Vermeidung der Gefahr einer Zersplitterung des Verfahrens. Es kann jedoch auch im Rahmen der EuGVVO davon ausgegangen werden, dass diese Gefahr nicht sehr groß ist. Die Gläubiger werden sich in der Regel für den ihnen günstigeren Gerichtsstand im Inland entscheiden und nicht die Muttergesellschaft im Ausland verklagen. Der Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO liegt auch nicht am Sitz jedes einzelnen Gläubigers, sondern am Sitz des abhängigen Unternehmens. Damit wird in den meisten Fällen ein Verfahren am Sitz der Tochtergesellschaft stattfinden. 4. Apparence Voraussetzung für eine Haftung aus apparence ist eine derartige Einmischung der Muttergesellschaft in die Angelegenheiten der Tochter, dass die Gläubiger zu Recht annehmen können, eigentliche Vertragspartnerin bzw. eigentlich Haftende sei die herrschende Gesellschaft. Dies ist vor allem bei Vertragsverhandlungen, Erklärungen oder Zusicherungen durch die herrschende Gesellschaft, aber auch durch andere Rechtsscheinmerkmale der Fall. So existiert ein durch Verschulden hervorgerufener Rechtsschein (apparence fautive),689 die Anscheinsvollmacht (mandat apparent) und die Einmischung (immixtion).690 Als Rechtsfolge ergibt sich, dass die Gläubiger von der herrschenden Gesellschaft Begleichung der Schulden der abhängigen Gesellschaft verlangen können. Aufgrund des Rechtsscheins muss derjenige für die Verbindlichkeiten einstehen, der als der eigentliche Schuldner erscheint, namentlich die herrschende Gesellschaft. Ob dies automatisch zu einer vertraglichen Bindung der Muttergesellschaft führt, ist fraglich. 689 Vgl. dazu Sortais, Rev. jur. com. 1977, 85, 89 f.; Cass. com., Urt. v. 5.2.1991, D. 1992 J 27. 690 Nurit-Pontier, S. 99 ff.

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a) Anspruch aus einem Vertrag Erweckt die herrschende Gesellschaft den Anschein, sie sei Vertragspartnerin, indem sie beispielsweise am Vertragsschluss, an der Erfüllung des Vertrages oder am Vertragsbruch beteiligt ist, so haftet sie gegenüber dem Vertragspartner, auch wenn der Vertrag von der Tochtergesellschaft unterzeichnet wurde.691 Bei der Haftung aus apparence handelt es sich um eine Anscheins- oder Vertrauenshaftung. Die Muttergesellschaft kann trotz fehlenden Bindungswillens als vertraglich gebunden angesehen werden.692 Eine solche Haftung aufgrund Rechtsscheins gilt aber auch für den Bereich nicht-vertraglicher Haftung. Die Muttergesellschaft haftet dann für die Folgen eines Fehlverhaltens der Tochter, wenn der Anschein besteht, es handele sich um ein Handeln der herrschenden Gesellschaft.693 Dies wirft grundsätzlich die Frage auf, ob die herrschende Gesellschaft bei der Haftung wegen apparence aufgrund desselben Haftungsgrunds in Anspruch genommen werden kann, der die Haftung der Tochter begründen würde, oder ob ein anderer Haftungsgrund die Verantwortlichkeit der Muttergesellschaft hervorruft. In einem Urteil aus dem Jahre 1995 hat die Cour de cassation die Zuständigkeit des Gerichts bezüglich der Haftung einer Muttergesellschaft aus apparence auf Art. 46 NCPC, also den Gerichtsstand für vertragliche Streitigkeiten gestützt.694 Die Cour de cassation ist damit nicht dem Argument der Muttergesellschaft gefolgt, dass der erzeugte Rechtsschein ein deliktisches Verschulden sei. Die Cour de cassation hat das Gericht am Lieferort der Ware für zuständig befunden. Bei immixtion wurde allerdings teilweise angenommen, dass das herrschende Unternehmen bzw. die Gruppe nicht Vertragspartner sei und es sich daher um eine außervertragliche Haftung handele.695 Bereits auf materiellrechtlicher Ebene wird im Zusammenhang mit der Haftung wegen immixtion die Frage aufgeworfen, ob eine Verurteilung der Muttergesellschaft bzw. der anderen Gruppenmitglieder auf der Grundlage einer vertraglichen oder möglicherweise deliktischen Haftung erfolgt. Ist 691 Cass. com., Urt. v. 5.2.1991, Bull. Joly 1991, 391 m. Anm. Delebecque (392 ff.); Cass. com., Urt. v. 15.6.1993, RJDA 1993, 776; Cass. com., Urt. v. 17.10.1995, BRDA 95-21, 7; Cass. com., Urt. v. 4.3.1997; JCP E 1997, pan. Nr. 438; Cozian/Viandier/Deboissy, Nr. 1969. 692 So Vogel, S. 228. 693 Cass. com., Urt. v. 1.3.1994 – Affaire Ribourel – RJDA 1994, 533; Cozian/ Viandier/Deboissy, Nr. 1970. 694 Cass. Com., Urt. v. 17.10.1995, BRDA 95-21, 7 f. 695 Vgl. CA Paris, Urt. v. 19.10.1994, Rev. Soc. 1995, 85, 93 f.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

das Verschulden bei der Erfüllung des Vertrags, das aus der Einmischung in diesen Vertrag resultiert, deliktisch, weil es von einer Person herrührt, die nicht den Vertrag geschlossen hat? Oder handelt es sich im Gegenteil um ein vertragliches Verschulden, weil es einfach von einer Verletzung einer vertraglichen Pflicht herrührt?696 Die einzelnen Konstellationen sollen zunächst unterschieden werden. Zum einen ist der Fall denkbar, dass die Obergesellschaft die Gläubiger in dem Glauben lässt, dass sie sich (alleine) verpflichten möchte. Dann kann sie aufgrund des erzeugten Rechtsscheins auch eine vertragliche Verpflichtung treffen. In diesem Fall besteht dann tatsächlich eine vertragliche Bindung zwischen herrschendem Unternehmen und Gläubigern.697 Es handelt sich um eine Haftung, die aufgrund einer vertraglichen Sonderbeziehung eintritt und zudem auf die Erfüllung vertraglicher Leistungspflichten gerichtet ist. Die Haftung der bei Vertragsschluss für die Tochtergesellschaft handelnden Muttergesellschaft aufgrund zurechenbar gesetzten Rechtsscheins ist demnach in den autonom zu bestimmenden weiten Vertragsbegriff der EuGVVO einzubeziehen.698 Der Gläubiger kann Erfüllung der Verpflichtung von der Obergesellschaft auf Grundlage des Vertrages verlangen. Es besteht dann ein konkreter Bezug zu einem Gläubiger. Somit handelt es sich um einen vertraglichen Anspruch im eigentlichen Sinne. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO kommt zur Anwendung. In vielen Fällen kann das Verhalten auch zu einer gesamtschuldnerischen Haftung der Gesellschaften (condamnation in solidum) führen. Dies kann so gedeutet werden, dass beide Gesellschaften in vertraglicher Bindung zum Gläubiger stehen. Dann wären beispielsweise in den Fällen der Einmischung beide Gesellschaften am Vertragsschluss beteiligt. Eine Gesamtschuld ist jedoch auch möglich, wenn die herrschende Gesellschaft aus einem anderen Schuldgrund haftet. Auch hierbei ist möglich, dass die herrschende Gesellschaft, auch wenn sie in den Augen Dritter von der abhängigen Gesellschaft losgelöst betrachtet wird, die Gläubiger in den Glauben versetzt, sie verpflichte sich neben der Tochtergesellschaft und wolle für die Verpflichtungen der Tochter einstehen. Dann kann der Gläubiger beide Gesellschaften in Anspruch neh696

Delebecque, Rev. proc. coll. 1998, 129, 137. Zu dieser consolidation contractuelle: Cozian/Viandier (9. Aufl.), Nr. 1969 (der Ausdruck ist bereits seit der 10. Auflage verschwunden); Lucas, Pet. aff., 4.5.2001, Nr. 89, S. 66, 67. 698 Zur Einbeziehung der Rechtsscheinhaftung in den Anwendungsbereich des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO siehe: Martiny, in FS Geimer, S. 641, 650; Rauscher, IPRax 1992, 143, 146; vgl. dazu ferner Dauses/Kreuzer/Wagner, Hdb. EU-WiR, Q Rn. 173. 697

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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men.699 Bei Einmischung (immixtion) der Obergesellschaft in die Geschäftsführung der Untergesellschaft kann Erstere dazu verurteilt werden, die Folgen der Nichterfüllung des Vertrags zu tragen.700 Dies wird teilweise so verstanden, dass die Einmischung der herrschenden Gesellschaft in die Geschäftsführung der abhängigen Gesellschaft deren vertragliche Haftung zur Folge hat.701 Die Haftung der herrschenden Gesellschaft sollte sich nach dem zurechenbar erzeugten Rechtsschein richten. Ist diese im Rechtsverkehr so aufgetreten, als habe (auch) sie sich gegenüber den Gläubigern vertraglich verpflichtet, dann besteht gegen sie auch ein Anspruch aus einem Vertrag i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO. Die Mutter kann somit wie die Tochter aufgrund vertraglicher Haftung in Anspruch genommen werden. Beide Gesellschaften haben sich gegenüber den Gläubigern vertraglich verpflichtet, die eine aufgrund Rechtsscheins.702 Damit besteht eine Gesamtschuld zwischen beiden Gesellschaften. Mithin wäre eine vertragliche Haftung der herrschenden Gesellschaft die Folge. Auch wenn die Mutter sich eigentlich nicht gegenüber den Gläubigern verpflichten wollte, so ist ihr die vertragliche Haftung jedoch aufgrund ihres Verhaltens, das heißt des gesetzten Rechtsscheins, zuzurechnen. Die herrschende Gesellschaft hat sich ebenso gegenüber dem Gläubiger (vertraglich) verpflichtet.703 Führen diese Voraussetzungen zur Rechtsfolge einer vertraglichen Bindung, so ist der Anspruch zivilprozessual als ein solcher aus einem Vertrag zu betrachten. Die Klage kann damit am Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden. Auch wenn eine Gesellschaft zwischen der Tochter und ihren Vertragspartnern vermittelt und so als Vermittler auftritt, kann man daraus ableiten, dass die scheinbare Einheit (apparente unité) in den Augen der Vertragspartner rechtfertigt, die Mutter in die vertragliche Haftung einzubeziehen.704 Die Mutter haftet für die Schulden der Tochter.705 Sie gilt dabei gleicher699 Cass. com., Urt. v. 4.1.1982, Rev. soc. 1983, 95; D. Schmidt, in: Groupes de sociétés, 73, 75. 700 Cass. com., Urt. v. 4.3.1997, JCP E 1997 pan. Nr. 438. 701 Nurit-Pontier, S. 101. 702 Cass. com., Urt. v. 18.10.1988, Rev. dr. bancaire 1989, 31 = Bull. Joly 1988, § 298, 923 m. Anm. Le Cannu (924 ff.); Hannoun, Bull. Joly 1991, § 165, 479, 481. 703 Vgl. für den Fall der immixtion: Barthélémy/Hardouin, Droit des Groupes de Sociétés, Nr. 6721. 704 Lagarde, Rép. Soc. Dalloz III, Groupe de sociétés, Nr. 112, S. 20. 705 Lagarde, Rép. Soc. Dalloz III, Groupe de sociétés, Nr. 114, S. 20. Was dies genau bedeutet, ist den Formulierungen in der Regel nicht so klar zu entnehmen, wie es auf den ersten Blick scheint. Die Frage, ob die Mutter aus vertraglichem An-

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maßen wie die Tochter als Verhandlungs- und Vertragspartnerin und haftet aufgrund des zurechenbar gesetzten Rechtsscheins ebenso vertraglich. Auch wenn kein Vertrag mit der herrschenden Gesellschaft besteht, liegt die Besonderheit dieser Fälle der Rechtsscheinhaftung im Vergleich zu Rückgriffsansprüchen gegen beliebige Dritte in einem irgendwie gearteten Tätigwerden der herrschenden Gesellschaft beim Vertragsschluss.706 Haftet die Muttergesellschaft im Bereich nicht-vertraglicher Haftung für die Folgen eines Fehlverhaltens der Tochtergesellschaft, weil sie den Anschein erweckt hat, es handele sich um ihr eigenes Verhalten, so ist auch hier die Haftung inhaltsgleich mit der der Tochtergesellschaft. Die Haftung richtet sich nach dem erzeugten Rechtsschein. Betrifft dieser den außervertraglichen Bereich, ist auch die Haftung der Muttergesellschaft nicht als vertraglich einzuordnen. Insofern sollte für die Einordnung der Haftung in allen Fällen auf die Qualität des erzeugten Rechtsscheins abgestellt werden. Bei der Qualifikation der Rechtsscheinhaftung nach französischem Recht (apparence) ergeben sich damit auch Parallelen zur Qualifikation der culpa in contrahendo (nunmehr §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB) nach deutschem Recht. Auch dort sollten nicht alle Fallgruppen gleich behandelt werden, sondern eine Differenzierung nach der Art der Pflichtverletzung erfolgen.707 Bei der Haftung wegen apparence ergibt sich die Unterscheidung aufgrund des zurechenbar erzeugten Rechtsscheins, der im Falle der Haftung der Tochtergesellschaft dieser entspricht. Für einen Anspruch aufgrund apparence ist damit jeweils das Gericht international zuständig, welches auch für den Anspruch des Gläubigers gegen die abhängige Gesellschaft international zuständig ist bzw. wäre.

spruch haftet oder ob sie auf der Grundlage einer anderen, eigenständigen Anspruchsgrundlage für die Vertragspflichten ihrer Tochtergesellschaft einsteht, wird meist nicht im Detail beantwortet. 706 Vgl. zur Rechtsscheinhaftung im deutschen Recht Rauscher, IPRax 1992, 143, 146 f.; Martiny, in FS Geimer, S. 641, 650; gegen eine vertragliche Qualifikation allerdings OLG Saarbrücken, Urt. v. 2.10.1991, IPRax 1992, 165 f. 707 Befürworter eines diffenrenzierenden Ansatzes bei der culpa in contrahendo: Dauses/Kreuzer/Wagner, Hdb. EU-WiR, Q Rn. 156, 171; Geimer/Schütze, EuZVR (1. Aufl.), Art. 5 Rn. 18 (anders nunmehr 2. Aufl.: A.1. Art. 5 Rn. 25, 205, 221); Kropholler, EuZPR, Art. 5 Rn. 67; Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rn. 39; Schlosser, EUZPR, Art. 5 Rn. 5; Wieczorek/Schütze/Hausmann, Art. 5 Rn. 8; MünchKommZPO/Gottwald, IZPR, Art. 5 Rn. 5; Staudinger/Hausmann, Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rn. 51; Schack, IZVR, Rn. 263; Martiny, in FS Geimer, S. 641, 654; Mankowski, IPRax 2003, 127, 134 f.; Lorenz, NJW 2000, 3305, 3309.

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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b) Maßgebliche Verpflichtung; Bestimmung des Erfüllungsortes Die maßgebliche Verpflichtung bestimmt sich aus dem Klagebegehren. Aufgrund des Rechtsscheins muss derjenige für die Verbindlichkeiten einstehen, der als der eigentliche Schuldner erscheint, namentlich die herrschende Gesellschaft. Entscheidend ist also die – eigentlich von der Tochtergesellschaft, aber nach Rechtsscheinsgesichtspunkten von der Muttergesellschaft – mit dem Gläubiger eingegangene Verpflichtung. Deren Erfüllungsort wirkt gerichtsstandsbegründend. Handelt es sich um den Verkauf beweglicher Sachen oder um die Erbringung von Dienstleistungen, findet sich eine autonome Bestimmung des Erfüllungsortes in Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO. In den anderen Fällen bestimmt sich der Erfüllungsort lege causae gemäß Art. 5 Nr. 1 lit. a, c EuGVVO. Kommt französisches Recht zur Anwendung, so ist gemäß Art. 1247 Abs. 3 C. civ. der Wohnsitz des Schuldners gesetzlicher Erfüllungsort für Geldschulden. Schuldner ist das herrschende Unternehmen, womit dann ein Gerichtsstand i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO an dessen Sitz besteht. In diesem Zusammenhang kann – wie auch schon an anderer Stelle – die Frage aufgeworfen werden, ob eine Zuständigkeit am Sitz der Muttergesellschaft mit dem Gedanken des Gläubigerschutzes bei der „Konzernhaftung“ vereinbar ist. Geschützt werden soll bei der apparence jedoch nur das Vertrauen des Rechtsverkehrs und damit des Gläubigers in die Person des Vertragspartners bzw. Haftenden. Die Haftung ist nicht Folge einer bestimmten Konzerngefahr. Sie tritt nur typischerweise in diesen Fällen vermehrt auf. Dem Vertrauen des Gläubigers in das herrschende Unternehmen als Vertragspartner bzw. Haftender wird auch im Rahmen des Zuständigkeitsrechts hinreichend Rechnung getragen. Handelt es sich beispielsweise um einen vertraglichen Anspruch, hat der Gläubiger – wie in anderen Fällen auch – die Möglichkeit, einen Erfüllungsort zu vereinbaren. Die rechtsscheinhaftende herrschende Gesellschaft muss sich dann an dieser Erfüllungsortvereinbarung festhalten lassen, weil sie auf Erfüllung dieser vertraglichen Pflicht in Anspruch genommen wird.708 Damit würde auch diese Vereinbarung gegenüber der rechtsscheinhaftenden Muttergesellschaft wirken. Darüber hinaus bedarf es keines besonderen Schutzes. 5. Société fictive Der Haftungsgrund der société fictive stellt einen Unterfall der allgemeinen Rechtsscheintatbestände im Sinne der théorie d’apparence dar.709 Die Haftung basiert auf der Prämisse, dass für rechtliche Außenbeziehungen 708

Vgl. Rauscher, IPRax 1992, 143, 147.

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nicht der Schein, sondern die Realität maßgebend sein soll.710 Dieser Gedanke ist in Art. 1321 C. civ.711 verwurzelt und findet ferner in der „Lehre von der Simulation“712 Ausdruck. Während die théorie d’apparence die Grundlage bietet, auf der ein Anspruch aufgrund der Rechtsscheinhaftung basieren kann, bietet die „Lehre von der Simulation“ die Erklärungsgrundlage dafür, dass es rechtlich nicht erforderlich ist, auf den formal tatbestandlichen Lebenssachverhalt abzustellen, sondern das beurteilt werden darf, was „wirklich“ ist – also was nicht Schein, sondern Realität ist.713 Die Fiktivität setzt voraus, dass eine juristische Person nicht wirklich existiert, dass sie nur eine société de façade ist, eine Scheingesellschaft. Ihr fehlt ein wesentlicher Bestandteil des Gesellschaftsvertrags, ihr mangelt es an einer affectio societatis. Fiktivität ist mithin der Gebrauch einer juristischen Person im Interesse einer anderen juristischen Person.714 Solche Gesellschaften vermitteln den Eindruck, dass eine groupe besteht, obwohl dies nicht der Realität entspricht. Die Fiktivität führt zur Aufdeckung der Nichtexistenz der juristischen Person und zu einer Zusammenfassung des zuvor künstlich aufgeteilten Vermögens.715 Rechtfolge der Fiktiverklärung einer Gesellschaft ist, dass die betreffende Gesellschaft als nichtig bzw. inexistent angesehen wird und deshalb alle Rechte und Verbindlichkeiten der „fiktiven Gesellschaft“ ihrem „Hintermann“ zugerechnet werden.716 Dieser muss also für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft einstehen, d. h. die Mutter muss die Verbindlichkeiten der fiktiven Tochtergesellschaft übernehmen. Seit einem Urteil aus dem Jahre 1992 hält die Cour de cassation daran fest, dass die fiktiven Gesellschaften nichtig und nicht inexistent sind.717 Bei der Einordnung ist allerdings zu unterscheiden, ob ein Insolvenzverfahren eröffnet wird oder nicht. Außerhalb des Bereichs des Insolvenzverfahrens ist die Scheingesellschaft als nichtig zu behandeln, im Rahmen des In709 Barthélémy/Hardouin, in: Droit de groupes de sociétés, Nr. 12205 ff.; Béjot, in Mestmäcker/Behrens, 169, 196 für die Vermögensvermischung; Calais-Auloy, Rev. jur. com. 1976, 100, 104. 710 Ehricke, S. 566; Zahn, S. 78; vgl. auch Reiner, S. 237. 711 Art. 1321 C. civ. sieht vor, dass ein Vertrag, der geheim bleiben und einen anderen, nach außen hin wirksamen Vertrag abändern oder aufheben soll, nur unter den Vertragspartnern Gültigkeit hat („Les contre-lettres ne peuvent avoir leur effet qu’entre les parties contractantes; elles n’ont point d’effet contre les tiers“). 712 Vgl. dazu allgemein Dagot, Simulation. 713 Vgl. Ehricke, S. 566, Fn. 343. 714 Saint-Alary-Houin, in Mélanges Jeantin, S. 453, 456. 715 Barbièri, Pet. Aff., 25.10.1996, Nr. 129, S. 9, 10. 716 Ehricke, S. 567; Wolf, S. 17. 717 Cass. com., Urt. v. 16.6.1992, Bull. civ. IV Nr. 243; Cass. com., Urt. v. 22.6.1999, Bull. civ. IV Nr. 136.

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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solvenzverfahrens ist sie dagegen inexistent. Die Nichtigkeit erfordert ein Auflösungs- und Liquidationsverfahren der Gesellschaft.718 Im Rahmen eines Insolvenzverfahrens ist die Fiktivität eine Anwendung der théorie d’inexistence. Ziel ist nicht das Verschwinden der Gesellschaft, sondern die Zusammenführung der Vermögen der herrschenden Gesellschaft und der Scheingesellschaft.719 Wird kein Insolvenzverfahren eröffnet, so wird teilweise angenommen, die Fiktivität habe zur Folge, dass die herrschende Gesellschaft den Vertrag erfüllen müsse, den sie durch die Scheingesellschaft hat schließen lassen.720 In den Fällen von fraude, fictivité oder dommage causé sei die Übertragung der Rechte und Pflichten einer der Gruppe angehörigen Gesellschaft möglich.721 Die Gläubiger, die einem Irrtum erlegen seien, könnten der herrschenden Gesellschaft ihre Forderungen entgegenhalten, die aus den mit der abhängigen Gesellschaft abgeschlossenen Geschäften resultieren.722 Die Muttergesellschaft habe als Hintermann der fiktiven Gesellschaft deren juristischen Status einzunehmen.723 Derartige Formulierungen deuten darauf hin, dass das herrschende Unternehmen Schuldner der ursprünglichen Verpflichtung ist bzw. wird und damit in die Rechtsstellung der abhängigen Gesellschaft eintritt. Bestand zwischen Tochter und Gläubiger ein Vertrag, so liegt dann auch eine vertragliche Bindung zwischen Muttergesellschaft und Gläubiger vor. Dabei wird nicht klar herausgestellt, ob die Fiktivität insofern ex nunc oder ex tunc wirken soll. Denn das herrschende Unternehmen kann von Anfang an Verpflichteter sein oder als neuer bzw. zusätzlicher Verpflichteter hinzutreten. Das herrschende Unternehmen wäre jedenfalls wegen der fiktiven Existenz ihres scheinbaren Schuldners der wirkliche Schuldner der Gläubiger.724 Hier liegt zwar keine freiwillige Verpflichtung der Muttergesellschaft gegenüber den Gläubigern der fiktiven Gesellschaft vor. An die Stelle der scheinbaren Vertragspartei, der Tochtergesellschaft, würde jedoch nun die Muttergesellschaft treten. Im Übrigen änderte sich an der Verpflichtung und am vertraglichen Charakter des Streitgegenstandes nichts. Entweder würde die Mutter also von Beginn an als die eigentliche Schuldnerin betrachtet, oder sie wäre später Schuldnerin aufgrund einer Art Schuldübernahme, die mit den Voraussetzungen der so718

Legros, JCP E 2002, Nr. 1510, S. 1677, 1678. Dazu und zur Rechtsprechungsentwicklung im Sinne einer Europarechtskonformität: Legros, JCP E, Nr. 1510, S. 1677, 1678. 720 Calais-Auloy, Rev. soc. 1990, 241, 242. 721 Pariente, Nr. 114. 722 Pariente, Nr. 116. 723 Wolf, S. 17 m. w. N. 724 Barbièri, Pet. Aff., 25.10.1996, Nr. 129, S. 9, 12. 719

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ciété fictive eintritt. Existiert also keine Tochtergesellschaft, so kann angenommen werden, dass die einzig existente Muttergesellschaft eigentliche Vertragspartnerin ist und damit auf Grundlage des ursprünglichen Vertrages haftet. Dem maître de l’affaire, der die société de façade kontrolliert, die eigentlich Vertragspartei sein soll, könnte dann also die Qualität der eigentlichen Vertragspartei zukommen, da sein eigenes Vermögen das einzig vorhandene ist.725 Dies könnte ausreichen, um ihn als Vertragspartei anzusehen, vor allem wenn die ursprüngliche Gesellschaft nicht nur wirtschaftlich, sondern auch rechtlich nicht existiert. Seine Haftung wäre dann inhaltsgleich und damit vertraglich. Das Vertragsrecht ist jedoch nicht in der Lage, die Rechtsfolge der Haftungserstreckung bei Nichtigkeit oder Inexistenz der Gesellschaft zu erklären, solange die Gesellschaft nach außen als solche mit beschränkter Haftung aufgetreten ist.726 Hat der Gläubiger mit einer in Wirklichkeit nicht rechtsfähigen Gesellschaft kontrahiert, so kann daraus möglicherweise die Nichtigkeit dieses Vertrags folgen,727 was aber noch lange nicht bedeutet, dass der Vertrag stattdessen wirksam mit dem Hintermann zustandegekommen ist. Dies würde voraussetzen, dass der Wille der Vertragsparteien auf die Einbeziehung des Hintermanns in die Haftung gerichtet war (und für einen Vertragsschluss nach materiellem Recht, dass letzterer entweder selbst am Vertragsschluss beteiligt war oder hierzu wirksam vertreten wurde).728 Man muss sich daher die Frage stellen, ob die Fiktivität tatsächlich nicht zu einer Erweiterung des Kreises der Haftungssubjekte, sondern nur zu einer Erweiterung der Haftungsmasse des Vertragspartners führt. Wäre die Fiktivität der Gesellschaft wirklich das entscheidende Kriterium, dann müsste die Haftung der Hinterleute sofort mit Vertragsschluss eingreifen und dürfte nicht von der Zahlungsunfähigkeit der Scheingesellschaft abhängen. Außerdem ist nicht zu erklären, warum bei Gleichsetzung von beherrschter Gesellschaft und Hintermann Letzterer nicht auch in eigenem Namen die Forderungen der Gesellschaft gegenüber Dritten geltend machen kann.729 725

Delebecque, Rev. proc. coll. 1998, 129, 137. Veaux, Nr. 158. 727 So Reiner, S. 241; dies wird nach neuester Rechtsprechung jedoch abgelehnt: vgl. Cass. com., Urt. v. 22.6.1999, D. affaires 1999, 1336 f. (weiteres dazu im Folgenden). 728 Vgl. zur unzureichenden Begründung der Haftung des Hintermanns und der mangelnden Vereinbarkeit der société fictive mit den Grundsätzen des materiellen Vertragsrechts auch Reiner, S. 240 ff., insbes. S. 241. 729 Vgl. dazu Reiner, S. 242, der dies mit dem wertneutralen Gedanken der Fiktivität als unvereinbar ansieht. Siehe dort auch Fn. 125 zu dem Fall „Malopolska“ (TC Paris, 8.6.1938, GP 1938, 874; TC Paris, 12.1.1940, GP 1940, 44), in dem dies ausnahmsweise zugelassen wurde. 726

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In der französischen Literatur und Rechtsprechung wird auch vertreten, dass der Vertragspartner eine Haftungsklage nicht auf Grundlage des ursprünglichen Vertrags, sondern aufgrund von Art. 1382 C. civ. erheben könne, da Grund des Schadens ein deliktisches Verschulden des am Rechtsgeschäft Beteiligten sei, und der Vertrag nur eine fiktive Gesellschaft betreffe.730 Der Gläubiger könne nicht aufgrund des ursprünglichen Vertrags auf Schadensersatz gegenüber den Gesellschaften klagen, sondern nur gemäß Art. 1382 C. civ. Die Haftung beruhe nämlich auf einem deliktischen Verschulden, das von dem hinsichtlich der Verpflichtungen, die sich aus dem zugrunde liegenden Vertrag ergeben, zu unterscheiden sei.731 Da der Tatbestand des Art. 1382 C. civ. so weit ist, gibt dies nicht viel für die Einordnung im Rahmen der EuGVVO her. Wichtig für die Qualifizierung ist eine Betrachtung der Nichtigkeit und deren Folgen. Die Nichtigkeit einer Gesellschaft hat keinen retroaktiven Effekt.732 Nur die Theorie von der Inexistenz erlaubte die Erklärung einer Retroaktivität. Im Gegensatz zur nichtigen Gesellschaft, die eine faktische Gesellschaft wird, kann die inexistente Gesellschaft dementsprechend nicht Gegenstand einer procédure collective sein, da man ihr die Rechtspersönlichkeit abspricht, so dass der Hintermann (maître de l’affaire) direkt der procédure collective unterworfen wird.733 Die als inexistent anerkannte Gesellschaft kann weder Wirkungen für die Zukunft noch für die Vergangenheit haben. Diese Sichtweise ist jedoch mit der europäischen Richtlinie Nr. 68/151 vom 9. März 1968 nicht vereinbar.734 Dies bestätigt das Urteil der Cour de cassation vom 22. Juni 1999,735 was zur Folge hat, dass weder die fiktive Gesellschaft noch die Rechtsbeziehungen, die diese Gesellschaft geschlossen hat, inexistent sind. Dies gilt zumindest gegenüber gutgläubigen Dritten. Eine nichtige Gesellschaft verliert demnach nicht ihre Rechtspersönlichkeit.736 Sie besteht zwar nicht in dem Sinne, den der Schein vorgibt, aber als faktische Gesellschaft (société de fait). Wenn die Gesellschaft nur als inexistent angesehen wird, hat sie noch eine Rechtspersönlichkeit, was bedeutet, dass der eigentliche Vertragsschluss, der den ursprünglichen Schuldgrund bildet, zwischen Tochter und Gläubiger zustande gekommen ist. Ein Urteil der Cour de cassation aus dem Jahre 1999 vervollständigt die Lösung der grundlegenden Entscheidung von 1992, indem darin präzisiert wird, 730 731 732 733 734 735 736

Marin, S. 78. Vgl. Cass. civ. 2ème, Urt. v. 14.11.1963, Bull. civ. II Nr. 739. Lefebvre, Mémento Société commerciales, Rn. 28406. Martin-Serf, JCl. Soc. Fasc. 7-40, Nr. 109. Vgl. dazu Martin-Serf, JCl. Soc. Fasc. 7-40, Nr. 112. Cass. com., Urt. v. 22.6.1999, D. affaires 1999, 1336 f. Lucas, Pet. aff., 4.5.2001, Nr. 89, S. 66, 69.

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dass die Nichtigkeit keine Rückwirkung besitze, mit Ausnahme der Fälle von fraude.737 Daher sind die Rechtsgeschäfte, die die fiktive Gesellschaft geschlossen hat, nicht „inexistent“. Weder die Gesellschaft noch die Gesellschafter können sich auf die Nichtigkeit gegenüber gutgläubigen Dritten berufen.738 Wenn also die Fiktivität oder besser die Nichtigkeit einer fiktiven Gesellschaft nicht retroaktiv ist und keine Rückwirkung entfaltet, d. h. nicht ex tunc gilt, dann hat die Mutter zumindest zunächst keine eigene vertragliche Beziehung zum Gläubiger. Das abhängige Unternehmen hat am Rechtsverkehr teilgenommen und ist Vertragspartner. Die herrschende Gesellschaft muss unter diesen Voraussetzungen nur die Schulden der abhängigen Gesellschaft übernehmen.739 Sie haftet an deren Stelle. Neben dieser einen Rechtsfolge, dass die Schulden der fiktiven (Tochter-)Gesellschaft von der Mutter getragen werden, gibt es noch die Rechtsfolge einer Erstreckung des Insolvenzverfahrens (extension complète). Auch der Begriff der extension, der Erstreckung, deutet auf zwei Rechtspersönlichkeiten hin. Verpflichtet hat sich jedoch nur eine, und zwar die fiktive Gesellschaft. In der Literatur findet sich zwar häufig die Formulierung, dass im Falle der Fiktivität der Tochtergesellschaft ihre Gläubiger solche der ausländischen Muttergesellschaft werden.740 Die Fiktiverklärung (déclaration d’inexistence)741 der Gesellschaft habe zur Folge, dass die betreffende Gesellschaft als inexistent angesehen wird und daher alle Rechte und Verbindlichkeiten der Scheingesellschaft automatisch ihrem Hintermann zugerechnet werden,742 dass also anstelle der Scheingesellschaft die Muttergesellschaft Schuldnerin der Gesellschaftsgläubiger wird. Die Muttergesellschaft habe als Hintermann der fiktiven Gesellschaft deren juristischen Status einzunehmen.743 Diese Formulierungen erscheinen nun zweideutig. Sie könnten einerseits bedeuten, dass die Mutter rechtlich vollkommen in die Stellung der Tochter eintritt und somit aufgrund desselben Grundes haftet. Die Aussage kann andererseits auch vom Haftungsgrund unabhängig betrachtet werden. Dann kann die Muttergesellschaft als neue Schuldnerin aufgrund eines anderen Verpflichtungsgrundes den Gläubigern haften. Entscheidend ist also neben den Folgen der Fiktivität und Nichtigkeit der Inhalt der Haftung der Muttergesellschaft, der mit den Folgen eng verbun737

Cass. com., Urt. v. 22.6.1999, D. affaires 1999, 1336 f. Art. 1844-16 C. civ. 739 Vgl. rapp. Cass. com., Urt. v. 28.5.1991, Bull. Joly 1991, 817; D. Schmidt, in: Groupes de sociétés, S. 73, 74. 740 Vgl. nur Bottiau, S. 47. 741 Zum Verfahren siehe Abeille, S. 111, 184 f. 742 Wolf, S. 17; Ehricke, S. 567. 743 Wolf, S. 17 m. w. N. 738

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den ist. In einem Urteil der Cour d’appel de Toulouse wurde eine französische Muttergesellschaft, die fast das gesamte Kapital einer portugiesischen Tochtergesellschaft hielt, aufgrund eines Handelsvertretervertrags in Anwendung des Art. 1843 C. civ.744 und aufgrund der Tatsache, dass eine Vermögensvermischung bzw. keine rechtliche oder wirtschaftliche Selbständigkeit der Tochter bestand, auf Schadensersatz verpflichtet.745 Der Handelsvertretervertrag wurde vor der Gründung der Tochtergesellschaft geschlossen und später von dieser übernommen. Das Urteil, das sowohl im Zusammenhang mit dem Haftungstatbestand der société fictive also auch der confusion des patrimoines erwähnt wird, nennt die Vermögensvermischung neben der ursprünglichen Haftungsgrundlage. Dies könnte auf eine inhaltsgleiche Haftung der Muttergesellschaft schließen lassen. Andererseits lautet die Verpflichtung allein auf Schadensersatz, d. h. nur auf das finanzielle Interesse. Der eigentliche Haftungsgrund der Mutter ist ihr Verhalten, i. e. der Gebrauch einer Tochtergesellschaft zu ihren Zwecken, ohne ihre rechtliche Selbständigkeit zu gewähren. Betrachtet man nur dieses Verhalten und die darauf folgende Haftung, so ist darin eine Schadensersatzhaftung zu sehen, die nicht an den ursprünglichen Vertrag mit den Gläubigern anknüpft, sondern ein allgemeines Verhalten sanktioniert, das nicht auf einen bestimmten Vertrag gerichtet und damit nicht vertraglich i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO ist. Aufgrund der französischen Lehre des non-cumul kommt eine vertragliche Haftung daneben schon nicht mehr in Betracht. Im Insolvenzfall werden die fiktive Gesellschaft und das dahinter stehende Unternehmen als wirtschaftliche Einheit angesehen. Die Gläubiger der Scheingesellschaft erlangen allerdings nur indirekt über die Vergrößerung der Masse Zugriff auf das Vermögen des Hintermanns.746 Dieser muss zwar für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft einstehen und fällt gegebenenfalls auch für sie in Konkurs. Mangels Existenz der Gesellschaft bzw. aufgrund deren Nichtigkeit wird fingiert, dass sie weder haften muss, noch ein Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet werden kann. Daher übernehmen die Hintermänner die Haftung. Es handelt sich dabei um eine Haftungszuordnung, die nicht gesetzlich, sondern richterrechtlich angeordnet ist. Während die fiktive Gesellschaft sich gegenüber ihren Gläubigern möglicherweise zu verschiedenen Leistun744 Art. 1843 C. civ. bestimmt, dass die Personen, die im Namen einer Gesellschaft im Gründungsstadium vor der Eintragung gehandelt haben, in Gesamtschuld aufgrund der Verbindlichkeiten in Anspruch genommen werden, die aufgrund dieser Handlungen entstehen, falls es sich um eine Handelsgesellschaft handelt, andernfalls nicht. 745 CA Toulouse, Urt. v. 18.10.1995, Bull. Joly 1996, § 131, 384 ff. 746 Ehricke, S. 567; Falcke, S. 136.

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gen und nicht nur Geldleistungen verpflichtet hat, ist fraglich, ob das herrschende Unternehmen nur Zahlung des Ausfalls schuldet, also beide Schuldner verschiedenartige Leistungen zu erbringen haben. Aus der Sicht des Gläubigers betrachtet richten sich beide Verpflichtungen darauf, dasselbe Interesse zu befriedigen. Denn beide Pflichten zielen darauf ab, das Interesse des Gläubigers an einem Ausgleich zu schützen. Viele Äußerungen in der Literatur und Rechtsprechung, auch noch in den letzten Jahren, erklären sich aus dem alten Verständnis der fiktiven Gesellschaft als inexistenter Gesellschaft. Die als inexistent anerkannte Gesellschaft kann weder Wirkungen für die Zukunft noch für die Vergangenheit haben. Die Nichtigkeit hingegen entfaltet keine Rückwirkung. Dies wird durch das Urteil der Cour de cassation aus dem Jahre 1999 bestätigt, was zur Folge hat, dass auch die Rechtsbeziehungen, die die Gesellschaft geschlossen hat, nicht inexistent sind.747 Der Haftungsgrund der Muttergesellschaft ist davon zu unterscheiden und nach den bisherigen Ausführungen nichtvertraglich einzuordnen. Sanktioniert wird die Verletzung des Eigeninteresses einer tatsächlich bestehenden und rechtlich anerkannten Gesellschaft.748 Dies ist Haftungsgrund. Ein wesentliches Problem bei der Einordnung des Haftungsinstituts der société fictive ist aber dessen Nähe sowohl zur Rechtsscheinhaftung als auch zu dem gewohnheitsrechtlichen Haftungstatbestand der confusion des patrimoines. Schließt man in die Betrachtung ein, dass der Haftungsgrund der société fictive einen Unterfall der allgemeinen Rechtsscheintatbestände im Sinne der théorie d’apparence darstellt,749 so scheint eine entsprechende Qualifikation geboten. Hier zählt zwar nicht der Schein, dass die Muttergesellschaft sich selbst vertraglich gebunden hat, sondern die Realität, i. e. dass die herrschende Gesellschaft wirtschaftlich betrachtet als einzige relevante Vertragpartnerin in Betracht kommt, da die Tochter nicht wirklich, sondern nur aufgrund künstlich aufgeteilten Vermögens existiert. Die Interessenlage ist jedoch insofern ähnlich, als die Mutter (wirtschaftlich) als einzige wirkliche Vertragspartnerin in Frage zu kommen scheint. Andererseits steht die société fictive zu der ebenfalls als Haftungsinstitut diskutierten Theorie von der confusion des patrimoines in engem Verhältnis. Nach einer Auffassung ist die Figur der confusion des patrimoines nur als objektives Kriterium im Rahmen der Theorie der société fictive zu verwenden, indem die Vermögensvermischung als Kennzeichen für die Fiktivität der 747

Cass. com., Urt. v. 22.6.1999, D. affaires 1999, 1336 f. Reiner, S. 243. 749 Barthélémy/Hardouin, in: Droit de groupes de sociétés, Nr. 12205 ff.; Béjot, in Mestmäcker/Behrens, S. 169, 196 für die Vermögensvermischung; Calais-Auloy, Rev. jur. com. 1976, 100, 104. 748

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Gesellschaft bewertet wird.750 Auch wenn man sich dieser Ansicht nicht anschließt, liegen beide Haftungsinstitute jedenfalls eng beieinander. Um im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung nicht schon in die materiellrechtliche Prüfung einsteigen zu müssen, sollte demnach eine einheitliche Lösung im Rahmen der internationalen Zuständigkeit für die Fälle der société fictive und confusion des patrimoines angestrebt werden. 6. Confusion des patrimoines Bei dem Haftungstatbestand der confusion des patrimoines wird in der Regel nur eine insolvenzrechtliche Rechtsfolge diskutiert, was zu einem Ausschluss aus dem Anwendungsbereich der EuGVVO führt.751 Ist die juristische Person hinter der insolventen Gesellschaft selbst zahlungsfähig, so ist aber auch hier nur eine Verurteilung zur Zahlung sinnvoll.752 Allerdings wird dies aufgrund der Vermischung der Vermögensmassen häufig schwer feststellbar sein. Im Folgenden soll eine Qualifikation des Haftungsinstituts der confusion des patrimoines insbesondere auch vorgenommen werden, um so Hinweise für eine Einordnung der Haftung aufgrund société fictive zu erlangen und damit zu einer abschließenden Einordnung der Haftung wegen société fictive zu gelangen. Wird die herrschende Gesellschaft nach Ansicht der Rechtsprechung bei Vorliegen einer Vermögensvermischung ohne weiteres dem Insolvenzverfahren unterworfen, kann daraus geschlossen werden, dass keine vertragliche Verbindung zum Gläubiger besteht. Ansonsten hätte die Muttergesellschaft die Möglichkeit zu erfüllen. Obwohl auch dies nicht klar impliziert ist. Da aufgrund der Vermögensvermischung eine Haftungseinheit besteht, ist sogar denkbar, dass eine vertragliche Bindung besteht, aufgrund der Zahlungseinstellung (die quasi zugerechnet wird) jedoch eine Erfüllung nicht mehr möglich ist. Die herrschende Gesellschaft darf dann die Gesellschaftsschulden nicht einfach tragen, da ihr die Zahlungseinstellung zugerechnet wird, und haftet verschärft nach Insolvenzrecht, was eine besondere disziplinierende Wirkung hat. Die Rechtspersönlichkeit (personnalité morale) verschwindet aber im Fall der Vermögensvermischung nicht. Das Sanierungs- und Konkursverfahren einer Gesellschaft wird auf andere Gesellschaften der Gruppe erstreckt, so dass eine einzige Vermögensmasse, die einer einzigen Lösung unterstellt 750 751 752

Vgl. dazu Wolf, S. 15, Fn. 19 m. w. N. Siehe 4. Teil, 1. Kapitel: II.2.c), S. 135. In diesem Sinne auch Zahn, S. 185 f.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

wird, nicht notwendigerweise wiederhergestellt werden muss. Es existiert allerdings auch die Ansicht, dass das Entfernen der „Maske der juristischen Person“ gleichzeitig das Verschwinden der fiktiven oder missbrauchten juristischen Person und die Errichtung eines einheitlichen Vermögens impliziert, auf das alle Gläubiger zurückgreifen können, um ihre Rechte geltend zu machen.753 Dies könnte zu einer vertraglichen Qualifikation der Haftungsansprüche führen wie bei der nicht-existenten société fictive. Wo nur eine Rechtspersönlichkeit existiert, kann auch nur diese Vertragspartnerin sein. Aber auch bei der fiktiven Gesellschaft wird mittlerweile von der Nichtigkeit und nicht der Inexistenz ausgegangen, so dass die fiktive juristische Person nicht verschwindet. Dies spricht dafür, dass der Vertrag ursprünglich nicht (auch) mit der Mutter-, sondern nur mit der Tochtergesellschaft geschlossen wurde. Bei Weiterbestehen zweier juristischer Personen ist Vertragspartnerin nur die Gesellschaft, die am Vertragsschluss beteiligt war. Zieht man nochmals das Urteil der Cour d’appel de Toulouse heran, so stellt sich die Frage, ob eine Rechtsnachfolge in dem Sinne vorliegt, dass die herrschende Gesellschaft in die Rechtsstellung der Tochter eintritt und die Rechte und Pflichten inhaltsgleich übernimmt. Dies folgt aber so eindeutig nicht daraus; zum einen kann in der Nennung beider Rechtsgrundlagen ein Rechtsnachfolgetatbestand, also die Erstreckung der Pflichten auf die Muttergesellschaft ausgedrückt werden, zum anderen kann dies auch bedeuten, dass diese nur haftet, wenn der Anspruch gegenüber der Tochtergesellschaft überhaupt existiert. Dann wäre es Ausdruck der Akzessorität der Haftung. Alleiniger Haftungsgrund, der die Verantwortlichkeit der Mutter bestimmt, wäre dann aber société fictive bzw. confusion des patrimoines. Wenn eine Vermögensvermischung vorliegt, führt dies nach Ansicht der französischen Literatur nur zu einer finanziellen Verantwortung (responsabilité financière),754 einer Haftung auf Erstattung der entsprechenden Summe. Dies ist ausschlaggebend. Die Muttergesellschaft haftet, weil die rechtliche Selbständigkeit der Tochtergesellschaft verletzt wird, und nicht weil sie in die vertraglichen Pflichten einbezogen ist bzw. eintritt. Dementsprechend wird diese Haftung auch in der französischen Literatur als eine deliktische Haftung betrachtet.755 Eine Art Rechtsnachfolge kommt nicht in Betracht. Damit beruht die Haftung der Muttergesellschaft nach den Grundsätzen der confusion des patrimoines nicht auf der Verletzung einer Pflicht aus einem Vertrag. Sie haftet, weil sie die rechtliche Selbständigkeit der abhängigen Gesellschaft verletzt hat. Ihr Verhalten verändert zwar die Konditionen 753 Vgl. zu diesem Ausdruck („levé le masque de la personnalité juridique“): Saint-Alary-Houin, in Mélanges Jeantin, S. 453, 457. 754 Cozian/Viandier/Deboissy, Nr. 1971. 755 Delebecque, Rev. proc. coll. 1998, 129, 136.

5. Kap.: Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes

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des zugrundeliegenden Vertrages zwischen Tochtergesellschaft und Gläubiger. Die Pflichtverletzung betrifft aber eben nur mittelbar den Vertrag und kann damit nicht als Verletzung einer vertraglichen Pflicht betrachtet werden. Ebenso unterscheidet auch die französische Literatur die Art der Pflichtverletzung und ordnet die vorliegende in der Konsequenz der deliktischen zu.756 Diese Lösung steht in Einklang mit der Qualifikation der Durchgriffshaftung nach deutschem Recht, die unter anderem auch auf eine Vermögensvermischung gestützt werden kann. Die Haftungserstreckung auf die herrschende Gesellschaft führt hier wie dort nicht zu einer inhaltsgleichen Schuld, sondern nur zu einer Einstandspflicht für das Interesse. Somit ist ebenfalls nicht das Gericht, welches beispielsweise für die vertraglichen oder deliktischen Ansprüche des Gläubigers gegen die abhängige Gesellschaft zuständig ist, entsprechend den Zuständigkeitsvorschriften auch international für Klagen gegenüber der herrschenden Gesellschaft zuständig. Ferner kann auch eine mittelbare vertragliche Bindung wiederum keine vertragliche Qualifikation des Anspruchs wegen société fictive oder confusion des patrimoines begründen. Dies bestätigt ein Abgleich mit dem Kriterium des EuGH, dass keine vertragliche Situation besteht, wenn keine freiwillig eingegangene Verpflichtung der einen Partei gegenüber der anderen besteht.757 Im Urteil des EuGH in Sachen Handte/TMCS wurde auf die Klage des Endverbrauchers gegenüber dem Hersteller Art. 5 Nr. 3 EuGVVO angewendet. Klagen im Rahmen einer Vertragskette werden nicht als vertraglich qualifiziert, obwohl zwischen den einzelnen Gliedern der Kette vertragliche Beziehungen bestehen. In den Fällen der société fictive oder confusion des patrimoines besteht eine groupe und damit Kontrolle häufig über eine mehrheitliche Kapitalbeteiligung der Mutter oder enge vertragliche Beziehungen zwischen den Gesellschaften. Die Kontrolle kann jedoch auch durch die Möglichkeit, bei der anderen Gesellschaft die Geschäftsleiter zu ernennen, oder sonstige Beherrschungsinstrumentarien gesichert sein. In der Regel wird eine vertragsähnliche Beziehung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft (vor allem aufgrund einer Mitgliedschaft) vorliegen. Auch die französische Literatur ist der Ansicht, dass die im Urteil Peters/ZNAV gefundene Lösung übertragen werden muss, wenn es sich um die Bindungen zwischen einer Gesellschaft und ihren Mitgliedern bzw. Aktionären handelt. Damit würde in diesen Fällen quasi auch eine „Vertragskette“ bestehen. Die Situation ist aber insofern nicht mit der „Herstellerhaftung“ vergleichbar, als zwar die Schulden der 756

Delebecque, Rev. proc. coll. 1998, 129, 136. Gaudemet-Tallon, Nr. 178 unter Hinweis auf das Urt. des EuGH v. 17.6.1992, Rs. C-26/91 – Handte/TMCS – Slg. 1992 I-3967, 3994 Rn. 15. 757

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Tochter übernommen werden, die Haftung bei den chaînes de contrats aber durch eine Art Abtretung der Ansprüche des Zwischenlieferanten an den Endabnehmer verstanden wird. An einer solchen vertraglichen Begründung der Haftung im materiellen Recht fehlt es bei der Haftung aufgrund société fictive oder confusion des patrimoines bereits. Somit spricht schon ein Blick auf das materielle Recht nicht für eine vertragliche Einordnung. Beim Vertragsbegriff im Rahmen der EuGVVO ist schließlich wieder entscheidend, dass es an unmittelbaren vertraglichen Bindungen zwischen Muttergesellschaft und Gläubigern fehlt. Eine rechtsgeschäftliche Bindung der herrschenden Gesellschaft gegenüber den Gläubigern der abhängigen Gesellschaft liegt nicht vor. Ansprüche aufgrund société fictive und confusion des patrimoines sind demnach nicht vertraglich zu qualifizieren und können somit nicht am Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden. 7. Zwischenergebnis Ansprüche wegen abus de majorité, solche gemäß Art. L. 624-3 C. com. und teilweise auch Ansprüche aufgrund der théorie d’apparence können am Gerichtsstand des Erfüllungsortes geltend gemacht werden. Bei der Klage wegen Mehrheitsmissbrauchs und der action en comblement du passif liegt der Erfüllungsort am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft. Bei der Rechtsscheinhaftung wirkt der Erfüllungsort der scheinbar zwischen abhängiger Gesellschaft und Gläubiger eingegangenen Verpflichtung gerichtsstandsbegründend. Der Erfüllungsort hängt damit von der Art der eingeklagten vertraglichen Verpflichtung ab. Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass auch Innenhaftungsansprüche in einer Unternehmensgruppe nach französischem Recht am Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO eingeklagt werden können. Der Erfüllungsort liegt jeweils am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft. Darüber hinaus umfasst der Vertragsgerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO auch vertragliche Leistungsansprüche, die gegen das herrschende Unternehmen aufgrund Rechtsscheinhaftung geltend gemacht werden. Der für die vertragliche Leistungspflicht maßgebliche Erfüllungsort wirkt insoweit auch gegen die herrschende Gesellschaft.

6. Kap.: Besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung

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6. Kapitel

Besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO Nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO besteht für Klagen auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung ein internationaler Gerichtsstand am Ort des schädigenden Ereignisses. Wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, kann vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, geklagt werden (Art. 5 Nr. 3 EuGVVO).

I. Voraussetzungen des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO Ob und welche Konzernhaftungsansprüche am Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO geltend gemacht werden können, hängt von der Auslegung des Begriffs der unerlaubten Handlung ab. 1. Unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist Der Begriff der unerlaubten Handlung ist autonom auszulegen.758 Früher wurde zwar insbesondere im nationalen Schrifttum kein Anzeichen dafür gesehen, dass der Begriff der unerlaubten Handlung in verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedlich verstanden wird. Man ging teilweise davon aus, dass daher zur Definition Entscheidungen und Literaturmeinungen zu § 32 ZPO und § 852 BGB berücksichtigt werden könnten.759 Derartige Kriterien können möglicherweise im Rahmen der Auslegung der Vorschrift herangezogen werden. Auf eine inhaltsgleiche Anwendung ist daraus aber nicht zu schließen. § 32 ZPO war nur eines der Vorbilder für die Vorschrift im EuGVÜ. Im Rahmen der EuGVVO regiert die autonome Auslegung. Betrachtet man den Wortlaut der Vorschrift, so nennen fast alle Fassungen nicht nur die unerlaubte Handlung an sich, sondern erwähnen auch eine 758 EuGH, Urt. v. 27.9.1988, Rs. 189/87 – Kalfelis/Bankhaus Schröder – Slg. 1988, 5565, 5585 Rn. 16; EuGH, Urt. v. 26.3.1992, Rs. C-261/90 – Reichert/ Dresdner Bank II – Slg. 1992 I 2149, 2180 Rn. 15; Urt. v. 27.10.1998, Rs. C-51/97 – Réunion européenne/Spliethoff’s Bevrachtingskantoor – Slg. 1998 I-6511, 6543 Rn. 22; Schlosser, EuZPR, Art. 5 Rn. 16; Thomas/Putzo/Hüßtege, Art. 5 Rn. 17; Calvo Caravaca/Blanco-Morales, S. 121. 759 Gasteyer, S. 61.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

quasideliktische Haftung. In der deutschen Fassung ist die Rede von „Handlungen, die unerlaubten Handlungen gleichgestellt sind“, die französische Fassung schließt „matière délictuelle ou quasi-délictuelle“ ein, die englische Fassung bezieht sich auf „matters relating to tort, delict or quasi-delict“, auf italienisch heißt es „in materia di delitti o quasi-delitti“. Bei der niederländischen Fassung fehlt die Nennung der Quasidelikte („ten aanzien van verbintenissen uit onrechtmatige daad“); die „onrechtmatige daad“ umfasst bereits die rechtswidrige, aber verschuldensunabhängige Haftung (vgl. Art. 6:162 Abs. 3 BW).760 Verschuldensunabhängige Haftungstatbestände erlegen dem Schädiger das Haftungsrisiko häufig unter Verzicht auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit auf. Dieser Wertung im materiellen Recht sollte auch das Zivilprozessrecht Rechnung tragen. Folglich ist die weite autonome Auslegung der unerlaubten Handlung zu befürworten. Eine rechtsvergleichende Betrachtung kann insofern auch Grundlage für die Präzisierung des autonomen Begriffs sein. In England wird z. B. das Deliktsrecht sehr weit ausgedehnt und eine unerlaubte Handlung auch bei gewissen Nähebeziehungen angenommen.761 In Frankreich führt die Generalklausel des Art. 1382 C. civ. im Rahmen des Deliktsrechts zu einer sehr weiten Ausdehnung dieses Bereichs. Ebenso verhält es sich in den anderen Ländern des romanischen Rechtskreises.762 Nach Sinn und Zweck soll auch mit der Regelung des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO eine Sachnähe des Gerichts gewährleistet werden. Diese ist ebenso erforderlich bei verschuldensunabhängiger Haftung. Zur Sachverhaltsermittlung und Entscheidung sind auch hierbei die Gerichte des Tatorts meist am besten geeignet. Der Schutz des Geschädigten und sein Interesse, am Ort der Rechtsgutsverletzung klagen zu können, bestehen bei verschuldensabhängiger und verschuldensunabhängiger Haftung gleichermaßen. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO umfasst also auch die verschuldensunabhängige Haftung. Auch vom EuGH wurde der Begriff der unerlaubten Handlung in diesem Zusammenhang stets weit verstanden und erfasst „alle Klagen (. . .), mit denen eine Schadensersatzhaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen ‚Vertrag‘ im Sinne von Artikel 5 Nr. 1 anknüpfen“.763 760 von Bar, Gemeineurop. DeliktsR, Bd. I Rn. 25. Schon im römischen Recht bezeichnete „Quasideliktsrecht“ das Recht der Haftung ohne eigenes Verschulden; von Bar, Gemeineurop. DeliktsR, Bd. I, Rn. 7. 761 Vgl. Lohse, S. 158 ff. 762 Vgl. z. B. für Italien Art. 2043 C. civ. 763 EuGH, Urt. v. 27.9.1988, Rs. 189/87 – Kalfelis/Bankhaus Schröder – Slg. 1988, 5565, 5585 Rn. 17; EuGH, Urt. v. 27.10.1998, Rs. C-51/97 – Réunion européenne/Spliethoff’s Bevrachtingskantoor – Slg. 1998 I-6511, 6543 Rn. 22.

6. Kap.: Besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung

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Diese Formel des EuGH ist weithin anerkannt764 und erfasst ohne weiteres auch die verschuldensunabhängige Haftung.765 a) Auffangtatbestand oder Existenz einer dritten Kategorie Betrachtet man die Definition des EuGH, wonach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO so auszulegen ist, dass alle Ansprüche, die eine Schadenshaftung begründen, aber nicht auf einen Vertrag zurückgehen, unter die Norm zu subsumieren sind, liegt es nahe, dass Art. 5 Nr. 3 EuGVVO die Funktion eines Auffangtatbestands für sämtliche Art. 5 Nr. 1 EuGVVO nicht unterfallende Schadensersatzansprüche zukommt. Gegen Art. 5 Nr. 3 EuGVVO als Auffangtatbestand spricht jedoch ein systematischer Einwand. Der Vorschrift käme ein sehr weiter Anwendungsbereich zu. Sie gehört jedoch zu den besonderen Zuständigkeiten und soll damit nur eine Ausnahme zum allgemeinen Beklagtengerichtsstand gemäß Art. 2 Abs. 1 EuGVVO darstellen. Dies erfordert grundsätzlich eine restriktive Handhabung. Im Gegensatz zum Wortlaut und der Rechtsprechung des EuGH lassen systematische Überlegungen somit an der Auffangfunktion des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO zweifeln. Dementsprechend wird vor allem im französischen Schrifttum angenommen, dass eine Kategorie gleichzeitig nichtvertraglicher und nichtdeliktischer Schadensersatzansprüche existiert. In diesen Fällen bliebe nur eine Geltendmachung des Anspruchs am allgemeinen Gerichtsstand des Art. 2 EuGVVO.766 Als Konsequenz aus dem Urteil des EuGH in Sachen Handte/ TMCS767 und im Anschluss an die Ansicht der Kommission wird in der französischen Literatur teilweise vertreten, dass einige Klagen, die vom Anwendungsbereich des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO ausgeschlossen sind, nur noch in den Zuständigkeitsbereich des Art. 2 EuGVVO fallen.768 Danach existiert eine Kategorie gleichzeitig nicht-vertraglicher und nichtdeliktischer Schadensersatzansprüche.769 764

Bülow/Böckstiegel/Auer, 540 Art. 5 Rn. 125; Gaudemet-Tallon, Nr. 211; Wieczorek/Schütze/Hausmann, Art. 5 Rn. 50; Kropholler, EuZPR, Art. 5 Rn. 65; Calvo Caravaca/Blanco-Morales, S. 121. 765 Bülow/Böckstiegel/Auer, 540 Art. 5 Rn. 127; Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 5 Rn. 206; Kropholler, EuZPR, Art. 5 Rn. 66; Wieczorek/Schütze/Hausmann, Art. 5 Rn. 51; Zöller/Geimer, Anh I Art. 5 EuGVVO Rn. 22; Gaudemet-Tallon, Nr. 211; Hertz, 78. 766 So Gaudemet-Tallon (2. Aufl.), Nr. 185, etwas restriktiver nun 3. Aufl., Nr. 211; vgl. dazu auch Schwarz, S. 149 ff. 767 EuGH, Urt. v. 17.6.1992, Rs. C-26/91 – Handte/TMCS – Slg. 1992 I-3967 ff. 768 Interne Anmerkung der Kommission vom 18. Juni 1992 zitiert von GaudemetTallon, RCDIP 81 (1992), 730, 737; siehe auch Beraudo, JCl. Europe Fasc. 3020 = Dr. int. Fasc. 631-40, Nr. 13, 14. 769 Dazu auch Schwarz, S. 149 ff.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Der EuGH erklärt in dem Urteil Handte/TMCS zwar Art. 5 Nr. 1 für nicht anwendbar, jedoch äußert er sich nicht weiter dazu, welche Bestimmung des EuGVÜ zur Anwendung kommt. Dieses vom EuGH insofern offen gelassene Problem lässt sich auf verschiedene Weise erklären. Der EuGH könnte sich auf die Beantwortung der ihm von der französischen Cour de cassation vorgelegten Frage hinsichtlich der Anwendbarkeit des Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ beschränkt haben, so dass man aus dem weiteren Schweigen des EuGH schließen kann, dass Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ in dem Fall anwendbar ist. Es könnte jedoch auch ein anderer, besonderer Grund dahinter stecken. Der EuGH könnte auch so verstanden werden, dass die Klage ebenso wenig unter Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ fällt, sondern dass auf die allgemeine Zuständigkeit des Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ zurückgegriffen werden muss und damit die Grundregel zum Tragen kommt.770 Auch in dem Urteil in Sachen Reichert/Dresdner Bank (auch Reichert II) hat er bereits entschieden, dass die Paulianische Anfechtungsklage (action paulienne) nicht in den Anwendungsbereich des Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ fällt.771 Die Existenz von Verpflichtungen eines dritten Typs, die sowohl von dem Anwendungsbereich des Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ als auch von dem des Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ ausgeschlossen sind, wurde bereits implizit durch dieses Urteil des EuGH einige Monate zuvor angekündigt. Dasselbe Urteil schließt sich andererseits jedoch in den Punkten 15 und 16 der Linie des Urteils Kalfelis/Bankhaus Schröder mit der Zweiteilung der Verpflichtungen an. Eine dritte, notwendigerweise uneinheitliche Kategorie wird in der EuGVVO nicht erwähnt und ist nach der in der französischen Literatur vertretenen Auffassung weder vertraglicher noch deliktischer Natur. Unter diese dritte Kategorie sollen inhaltlich die Haftungstatbestände bzw. Schadensersatzpflichten fallen, deren Rechtnatur ungewiss ist und deren Qualifikation sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheidet, ebenso wie gesetzliche Haftungstatbestände, die sich in den letzten Jahren neben oder am Rande der ursprünglichen, i. e. klassischen zivilrechtlichen Haftung entwickelt haben.772 Die Konzernhaftung würde diesen Kriterien entsprechen; die Rechtsnatur der einzelnen Ansprüche ist ungewiss und die Haftungskonzeption ist in den Mitgliedstaaten völlig unterschiedlich ausgestaltet. Sie kennt bisweilen eigene gesetzliche Haftungstatbestände, die gesondert geregelt sind. Erkennt man eine derartige dritte Kategorie an, so könnten die Ansprüche aus konzerngesellschaftsrechtlicher Haftung nur am allgemeinen Gerichtsstand des Art. 2 EuGVVO, mithin am Sitz der herrschenden Gesell770

So Gaudemet-Tallon, RCDIP 81 (1992), 730, 737; Tichadou, D. 1997, 78, 79. EuGH, Urt. v. 26.3.1992, Rs. C-261/90 – Reichert/Dresdner Bank II – Slg. 1992 I-2149, 2181 Rn. 20. 772 Tichadou, D. 1997, 78, 79. 771

6. Kap.: Besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung

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schaft geltend gemacht werden. Ob eine derartige Auslegung aber praktikabel ist und den Zielen der EuGVVO entspricht, ist fraglich. Was zunächst die „unbestimmten“ Haftungstatbestände angeht, so ist ungewiss, ob die Richter eines Mitgliedstaats, in dem die Rechtskultur durch nationale Konzepte bestimmt ist, sich überhaupt bewusst sind, dass ihre Analyse in den anderen Mitgliedstaaten nicht unbedingt geteilt wird. Die autonome Qualifikation der Begriffe der vertraglichen oder deliktischen Haftung, die seit dem Urteil in Sachen Peters/ZNAV aus dem Jahre 1983 in Erinnerung gerufen wurde, sollte sie zwar dazu veranlassen, sich mit der Privatrechtsvergleichung zu befassen. Dennoch bleibt es auch dann für die nationalen Richter nicht ganz einfach zu ermitteln, ob die Rechtsnatur der Haftung unklar im Hinblick auf die Einordnung in die EuGVVO ist. So mag der französische Richter an der vertraglichen Qualifikation der action directe, die Gegenstand der Entscheidung in Sachen Handte/TMCS war, zunächst überhaupt nicht gezweifelt haben. Diese dritte Kategorie wirft damit wiederum ganz neue, andere Probleme im Rahmen der Auslegung auf. Der Richter müsste dann zunächst Fragen des materiellen Rechts untersuchen, was ebenso wenig wünschenswert ist. Was weiter die gesetzlichen Haftungstatbestände anbelangt, so wird beispielhaft das französische Gesetz vom 5. Juli 1985 zur Entschädigung von Straßenverkehrsopfern herangezogen.773 Da diese Haftung in den meisten Mitgliedstaaten deliktisch qualifiziert wird,774 sollte diese Haftung nicht vom Anwendungsbereich des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO ausgeschlossen werden. Abgesehen von der rein dogmatischen Sichtweise sollte man darüber hinaus die sozialen Folgen eines Ausschlusses nicht aus dem Blick verlieren, wenn das Unfallopfer, für das das französische Recht anwendbar ist, im Wohnsitzstaat des Unfallverursachers klagen muss.775 Ferner soll nach diesen Autoren ebenso die Produkthaftung beruhend auf der Richtlinie vom 25.7.1985776 in die dritte Kategorie eingeordnet werden. Die Produkthaftung mag zwar die Grenze zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung verwischen. Der Umstand, dass der Verbraucher den Hersteller außerhalb des Staates, in dem der Schaden entstanden ist, aufsuchen muss, zerstört allerdings den Vorteil, den die Richtlinie ihm auf materiellrechtlicher Ebene zukommen lassen wollte.777 Bezieht man diese Interessenabwägung mit in 773 Loi du 5 juillet 1985 sur l’indemnisation des victimes d’accidents de la circulation. 774 Vgl. auch das Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht v. 4.5.1971, abgedr. bei Jayme/Hausmann, Nr. 100, S. 217 ff. 775 Vgl. dazu Beraudo, JCl. Europe Fasc. 3020 = Dr. int. Fasc. 631-40, Nr. 14. 776 Produkthaftungsrichtlinie vom 25.7.1985, ABl. EG Nr. L 210, S. 29. 777 So Beraudo, JCl. Europe Fasc. 3020 = Dr. int. Fasc. 631-40, Nr. 14.

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die EuGVVO ein, so spricht einerseits die enge Verbindung zwischen Rechtsstreit und Gericht, andererseits aber auch eine Interessenverlagerung zugunsten des Klägers aufgrund einer gewissen Schutzbedürftigkeit durchaus für eine Abweichung von der allgemeinen Regel des Art. 2 EuGVVO und damit für die Rechtfertigung des besonderen Gerichtsstandes des Art. 5 EuGVVO. Schließlich wollen die Autoren auch die Haftung bzw. Schadensersatzpflicht wegen refus de vente unter diese dritte Kategorie fassen, die sich in keine der bestehenden Kategorien einordnen lasse.778 Dieses Haftungsinstitut sanktioniert das Verhalten der Parteien vor dem Vertragsschluss und entspricht damit der culpa in contrahendo nach deutschem Recht.779 Die Anwendbarkeit des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO wird vor allem auch aus dem Grund bezweifelt, dass der Beklagte in diesen Fällen nicht angemessen vorhersehen könne, vor welchem Gericht er gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO verklagt werden kann.780 Dagegen muss jedoch angeführt werden, dass dem Argument der Vorhersehbarkeit im deliktischen Bereich weitaus weniger Bedeutung zukommt als im vertraglichen Bereich.781 Gegen eine derartige dritte Kategorie ist also zum einen einzuwenden, dass ungewiss ist, welche Fallgruppen darunter fallen. Dem Richter wird die Auslegungsarbeit nicht erleichtert, sondern möglicherweise noch erschwert, da über die Möglichkeit einer Zuordnung bestimmter Haftungsinstitute in den Mitgliedstaaten ebenso viel Uneinigkeit herrschen wird, wie über eine mögliche vertragliche oder deliktische Qualifikation. Zum andern kann gegen diesen Ansatz einer dritten Kategorie geltend gemacht werden, dass in vielen Bereichen ein sachnaher und den Interessen der Parteien entsprechender Gerichtsstand verhindert wird. Vor allem auch aus Gläubigerschutzinteressen sollte die Existenz einer dritten Kategorie, die eine Klage am allgemeinen Gerichtsstand des Art. 2 EuGVVO erfordert, abgelehnt werden.

778

Tichadou, D. 1997, 78, 79; dieser Rechtsstreit ist im Begriff zu verschwinden infolge der durch das Gesetz von 1996 hervorgerufenen Reform. 779 In Frankreich wurde die deliktische Einordnung des refus de vente aus dem nationalen Recht auf Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ übertragen; vgl. dazu Mankowski, IPRax 2003, 127, 128 f., 132. 780 Interne Anmerkung der Kommission vom 18. Juni 1992 zitiert von GaudemetTallon, RCDIP 81 (1992), 730, 737. 781 Dies wird von der Gegenansicht allerdings auch eingeräumt, vgl. GaudemetTallon, RCDIP 81 (1992), 730, 737.

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b) Mögliche Abgrenzungskriterien Auch wenn man es ablehnt, unter den genannten Kriterien (gewisse) Konzernhaftungsansprüche einer dritten Gruppe von Ansprüchen zuzuordnen, die weder unter Art. 5 Nr. 1 noch unter Art. 5 Nr. 3 EuGVVO fallen, und damit im Gerichtsstand des Art. 2 EuGVVO geltend zu machen sind,782 bleibt möglicherweise die Suche nach einem weiteren Abgrenzungskriterium. Dahinter steht das Bestreben, allgemeine Kriterien für eine Einordnung zu entwickeln, um das Vorliegen einer unerlaubten Handlung besonders begründen zu können und aus der nicht-vertraglichen Einordnung nicht zugleich eine deliktische Zuordnung zu folgern. Eine solche Abgrenzung kann z. B. nach dem jeweiligen Pflichtenkreis vorgenommen werden.783 Entscheidendes Kriterium kann auch eine bestehende Nähebeziehung sein, d. h. Ansprüche im Zusammenhang mit bestehenden Nähebeziehungen werden nicht deliktisch qualifiziert.784 Dies gilt nur, soweit ein enger Zusammenhang zwischen dem Schadensereignis und der bereits zwischen den Parteien existierenden Verbindung besteht, d. h. wenn eine Verletzung der sich aus der Verbindung ergebenden Pflichten vorliegt. Die Abgrenzung wird allerdings schon im Rahmen des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO vorgenommen. Sie beantwortet nicht die Frage nach der Funktion des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO als Auffangtatbestand. Für eine solche Funktion kann aber angeführt werden, dass sich der EuGH jüngst in seinem Urteil in Sachen Réunion européenne/Spliethoff’s Bevrachtingskantoor von neuem auf die Rechtsprechung in Sachen Kalfelis/Bankhaus Schröder bezogen hat.785 Dies spricht dafür, dass der EuGH von einer Zweiteilung der Haftung ausgeht. Die Existenz einer dritten, weder von Art. 5 Nr. 1 noch von Art. 5 Nr. 3 EuGVVO erfassten Haftungskategorie ist damit abzulehnen. Indem der EuGH deliktische Ansprüche als solche definiert, die eine Schadenshaftung begründen, aber nicht auf einen Vertrag zurückgehen, stellt er gleichzeitig fest, dass Art. 5 Nr. 1 und Art. 5 Nr. 3 EuGVVO die gesamte Schadensersatzhaftung umfassen.786 Art. 5 Nr. 3 EuGVVO ist damit als 782 So zur Einordnung von Produkthaftungsansprüchen ein Teil des französischen Schrifttums: Gaudemet-Tallon (2. Aufl.), Nr. 186, vgl. nun aber 3. Aufl., Nr. 177; dies., RCDIP 81 (1992), 730, 737 f.; dies., RCDIP 82 (1993), 486, 489. 783 Vgl. dazu Beaumart, S. 146. 784 Schwarz, S. 153; vgl. zur ökonomischen Abgrenzung von Vertrag und Delikt und den zwei zentralen Kriterien der Zufälligkeit der Begegnung einerseits und der Möglichkeit zum (Selbst-)Schutz und zur Risikenverteilung durch Vereinbarung andererseits Mankowski, IPRax 2003, 127, 131. 785 EuGH, Urt. v. 27.10.1998, Rs. C-51/97 – Réunion européenne/Spliethoff’s Bevrachtingskantoor – Slg. 1998 I-6511, 6543 Rn. 22.

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Auffangtatbestand zu betrachten. Eine dritte Kategorie der zivilrechtlichen Haftung existiert grundsätzlich nicht. Der Gerichtsstand nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO kommt nach der autonomen und sehr weiten Definition der „unerlaubten Handlung“ durch den EuGH für alle Ansprüche aus außervertraglicher Schadenshaftung in Betracht.787 Dieses Ergebnis sieht sich auch in den Zielen des internationalen Zivilverfahrensrechts bestätigt. Im Gegensatz zum Kollisionsrecht, dessen Ziel die Suche nach der geeignetsten Lokalisation von Sachverhalten und Rechtsverhältnissen mit Auslandsbezug ist, besteht das Ziel der Zuständigkeitsregeln darin, dem Kläger einen möglichst nahen und damit bequemen Gerichtsstand zur Verfügung zu stellen,788 wobei seine Interessen gegen die des Beklagten abgewogen werden müssen. Lehnt man jedoch eine vertragliche Qualifikation bestimmter Streitigkeiten in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH in Sachen Handte/TMCS ab, so scheint es der Zielsetzung des internationalen Zuständigkeitsrechts eher zu entsprechen, Art. 5 Nr. 3 EuGVVO als Auffangtatbestand zu betrachten und damit eine Klage am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung zuzulassen. Ansonsten bliebe für eine Klage einer „dritten Kategorie“ nur der allgemeine Gerichtsstand des Art. 2 EuGVVO. So wie das internationale Privatrecht auf der einen Seite eine starre und unflexible Handhabung erfordert, stellt das internationale Zuständigkeitsrecht einen gewissen Spielraum zur Verfügung. Dieser entscheidende Unterschied setzt sich in der Interpretation der Anknüpfungskriterien fort: für die Anknüpfungen im internationalen Zuständigkeitsrecht gilt eine dehnbare und weite Interpretation.789 Auch dies spricht für die Funktion des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO als Auffangtatbestand. Der Tatortgerichtsstand kommt somit für alle nicht-vertraglichen Schadensforderungen in Betracht. Damit fallen nicht sämtliche gesetzlichen Ansprüche unter Art. 5 Nr. 3 EuGVVO, sondern nur die, die auf Schadensersatz gerichtet sind. Es sind aber auch Abwehr- und Unterlassungsklagen erfasst.790

786

Beraudo, JCl. Europe Fasc. 3020 = Dr. int. Fasc. 631-40, Nr. 10. EuGH, Urt. v. 27.10.1998, Rs. C-51/97 – Réunion européenne/Spliethoff’s Bevrachtingskantoor – Slg. 1998 I-6511, 6543 Rn. 22; dazu Koch, IPRax 2000, 186, 187. 788 Vgl. zu diesem Unterschied Bolze, S. 209. 789 In diesem Sinne Bolze, S. 209. 790 Kropholler, EuZPR, Art. 5 Rn. 66, 68; MünchKommZPO/Gottwald, IZPR, Art. 5 Rn. 40; Schlosser, EuZPR, Art. 5 Rn. 16; vgl. auch Schlosser-Bericht, ABl. EG v. 5.3.1979, Nr. C 59, S. 71, 111, Nr. 134. 787

6. Kap.: Besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung

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c) Konzernhaftung im Rahmen des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO Viele Haftungsansprüche des Gesellschaftsrechts, insbesondere auch der Konzernhaftung, betreffen – unmittelbar oder mittelbar – das mitgliedschaftliche oder organschaftliche Rechtsverhältnis und damit einen Vertrag im Sinne der EuGVVO. Denn das Mitgliedschaftsverhältnis oder das organschaftliche Sonderrechtsverhältnis ist im Rahmen der EuGVVO vertraglich zu qualifizieren. Als mögliches Abgrenzungskriterium könnte der Pflichtenkreis dienen, d. h. eine Unterscheidung danach, ob der Anspruch direkt an die Stellung als Gesellschafter oder Organ anknüpft und die Verletzung von Pflichten sanktioniert, die aus dieser Rechtsstellung entspringen, oder davon unabhängig gewährt wird. Ist ersteres der Fall, ist eine vertragliche Qualifikation zu befürworten, andernfalls erfolgt eine deliktische Einordnung.791 Als weiteres Kriterium bietet sich auch die Gläubigerstellung an, d. h. eine Unterscheidung zwischen den Gesellschaftern als Mitglieder und den Beteiligten am Sonderrechtsverhältnis einerseits und den Gläubigern der abhängigen Gesellschaft als außenstehende Dritte andererseits. Dabei sollte auch der Frage nachgegangen werden, ob eine Unterscheidung nach Konzerninnen- und Konzernaußenhaftung – wie sie bei der Einordnung des deutschen Rechts getroffen wurde – auch den anderen Rechtsordnungen gerecht wird. Dies entspricht der bislang verfolgten Vorgehensweise der Untersuchung. Demnach liegt es nahe, dass die übrigen Ansprüche, die nicht vertraglich qualifiziert wurden, deliktisch eingeordnet werden können. Wird die Haftungssituation, die dem Konzern zugrunde liegt, in den Mitgliedstaaten überwiegend mit Hilfe vertraglicher oder deliktischer Vorschriften gelöst, so sollte dies bei der Qualifikation gesellschaftsrechtlicher und konzerngesellschaftsrechtlicher Haftung berücksichtigt werden. Bei der Suche nach Abgrenzungskriterien sollte also auch der autonome Begriff der unerlaubten Handlung dementsprechend ausgelegt werden.792 Für eine Qualifikation i. S. d. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO ist jedenfalls nicht erforderlich, dass die Konzernhaftungsansprüche auf „klassischen“ deliktischen Anspruchsgrundlagen der nationalen Rechtsordnungen – wie beispielsweise §§ 823 ff. BGB oder Art. 1382 C. civ. – basieren.793

791

So auch Haubold, IPRax 2000, 375, 378. Vgl. dazu Haubold, IPRax 2000, 375, 382. 793 Ebenso Haubold, IPRax 2000, 375, 382; Zimmer, IPRax 1998, 187, 190; siehe auch MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 637 Fn. 263; anders OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.10.1995, IPRax 1998, 210, 211, allerdings ohne nähere Begründung. 792

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2. Ort des schädigenden Ereignisses Zuständig ist gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO das Gericht des Ortes, „an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“. Nach ganz überwiegender Auffassung kann der Ort des Eintritts des schädigenden Ereignisses sowohl der Ort des ursächlichen Geschehens (Handlungsort) sein als auch der Ort, an dem der Schaden eingetreten ist (Erfolgsort).794 Auch bei Distanzdelikten begründen beide Orte eine für die gerichtliche Zuständigkeit beachtliche Verknüpfung, so dass der Geschädigte wählen kann, ob er am Handlungs- oder am Erfolgsort klagen möchte.795

II. Qualifikation der Konzernhaftungsansprüche nach deutschem Recht Lehnt man die vertragliche Qualifikation gewisser Konzernhaftungsansprüche im Anwendungsbereich der EuGVVO ab,796 kommt die Einordnung der Ansprüche als solche aus unerlaubter Handlung i. S. d. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO in Betracht. 1. Ansprüche im grenzüberschreitenden Vertragskonzern Nach der allgemeingültigen Definition des EuGH können am Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO nur solche Ansprüche geltend gemacht werden, die eine Schadenshaftung begründen, und die nicht auf einen Vertrag zurückgehen. a) Konzerninnenhaftung Die Konzerninnenhaftung zielt auf einen Ausgleich des beim Anspruchsberechtigten eingetretenen Vermögensnachteils ab und beruht damit auf einem Schadensersatzanspruch im Sinne dieser Vorschrift. Eine Einordnung als unerlaubte Handlung kommt jedoch nur in Betracht, wenn die Haftung nicht an einen Vertrag anknüpft. 794 EuGH, Urt. v. 30.11.1976, Rs. 21/76 – Bier/Mines de Potasse d’Alsace – Slg. 1976, 1735, 1746 Rn. 15/19; EuGH, Urt. v. 7.3.1995, Rs. C-68/93 – Shevill/Presse Alliance – Slg. 1995 I-415, 461 Rn. 27; Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 5 Rn. 239; Kropholler, EuZPR, Art. 5 Rn. 72; Thomas/Putzo/Hüßtege, Art. 5 Rn. 19. 795 Vgl. EuGH, Urt. v. 19.9.1995, Rs. C-364/93 – Marinari/Lloyds Bank – Slg. 1995 I-2719, 2740 Rn. 11 f. 796 Dies gilt vor allem auch, wenn man die vertragliche Qualifikation „mitgliedschaftlicher“ Ansprüche im Anwendungsbereich der EuGVVO bereits generell ablehnt.

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Im Vertragskonzern wurden zwischen abhängiger und herrschender Gesellschaft bestehende vertragliche Verbindungen aufgezeigt. Entscheidend für die Einordnung als Anspruch aus einem Vertrag war weiter der „Geltungsbereich“ der vertraglichen Bindung. Diese ist nicht nur Anknüpfungspunkt für die Ansprüche der abhängigen Gesellschaft, sondern auch der Minderheitsaktionäre als begünstigte Dritte. Im Rahmen der Untersuchung wurde der Ursprung der Haftung einheitlich in dem Aufbau des Konzernverhältnisses durch vertragliche Vereinbarung in Form des Beherrschungsvertrags gesehen. Die Innenhaftungsansprüche stehen in engem und für Art. 5 Nr. 1 EuGVVO ausreichendem Bezug zu dem Unternehmensvertrag; sie knüpfen an diesen Vertrag an und finden ihre Grundlage demnach in einem Vertrag i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO. Ansprüche gemäß §§ 302, 309 und 304 f. AktG resultieren somit aus dem zugrundeliegenden Beherrschungsvertrag und sind folglich als Ansprüche aus einem Vertrag einzuordnen. Ansprüche gemäß § 310 AktG folgen aus dem organschaftlichen Sonderrechtsverhältnis und sind demnach ebenfalls vertraglich i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO zu qualifizieren. Da es sich bei sämtlichen aufgezählten Konzerninnenhaftungsansprüchen um Ansprüche aus einem Vertrag handelt, kommt eine Einordnung als unerlaubte Handlung i. S. d. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO nicht mehr in Betracht. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO begründet mithin keinen Gerichtsstand für diese Konzerninnenhaftungsansprüche im Vertragskonzern. b) Konzernaußenhaftung Für eine Einordnung als unerlaubte Handlung ist allein entscheidend, dass die Ansprüche der Gläubiger auf Sicherheitsleistung gemäß § 303 AktG nicht an einen Vertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO anknüpfen und mit der Klage eine Schadensersatzhaftung des herrschenden Unternehmens geltend gemacht wird. Liegen diese Voraussetzungen vor, können sie am Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO geltend gemacht werden. aa) Unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist Die Haftung des herrschenden Unternehmens gegenüber den Gläubigern des abhängigen Unternehmens knüpft weder an den Beherrschungsvertrag noch an ein organschaftliches oder mitgliedschaftliches Verhältnis als vertragsähnliche Beziehung an. Bei der Außenhaftung konnte demnach kein Vertrag oder vertragsähnliches Verhältnis als Haftungsgrundlage festgestellt

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werden. Die Ansprüche der Gläubiger auf Sicherheitsleistung gemäß § 303 AktG konnten folglich nicht als vertragliche Ansprüche im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO eingeordnet werden. Die Haftung greift darüber hinaus aufgrund der Schädigung der Gläubiger ein, so dass auch das Kriterium des Schadensausgleichs gegeben ist. Damit liegen die Voraussetzungen des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO vor. Teilweise wurde § 303 AktG auch als Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB angesehen.797 Folgt man dieser Ansicht, kann der Anspruch bereits aus diesem Grunde am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO geltend gemacht werden. bb) Ort des schädigenden Ereignisses Bei Konzernsachverhalten im Vertragskonzern liegen die Handlungen meist in der Ausübung der Leitungsmacht. Diese erfolgen normalerweise am Sitz des herrschenden Unternehmens.798 Die schädigenden Konzernleitungsmaßnahmen können jedoch auch vom Sitz des abhängigen Unternehmens oder einem Drittland ausgehen, was zu einer vom allgemeinen Beklagtengerichtsstand gemäß Art. 2 Abs. 1 EuGVVO abweichenden Zuständigkeit führen würde. Bei grenzüberschreitenden Unternehmensverbindungen wird die haftungsbegründende Handlung aber häufig am Sitz des ausländischen herrschenden Unternehmens vorgenommen. Der Ort des Erfolgseintritts liegt dagegen nicht am Sitz des herrschenden Unternehmens. Betrachtet man die Außenhaftung im Konzern, so wird regelmäßig ein Schaden im Vermögen der Gläubiger eintreten. Bei grenzüberschreitenden Konzernhaftungssachverhalten verwirklichen sich die Tatbestandsmerkmale einer unerlaubten Handlung damit in verschiedenen Staaten; es handelt sich um ein Distanzdelikt. Daher können die Gläubiger bzw. der Insolvenzverwalter ein Wahlrecht zugunsten der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte an ihrem (Wohn-)Sitz ausüben. Dies könnte unter Umständen zu zahlreichen möglichen Gerichtsständen in unterschiedlichen Ländern führen. In den meisten Fällen werden die Gläubiger eines inländischen abhängigen Unternehmens aber auch ihren Sitz im Inland haben. Der Erfolg in Form der Schädigung des Vermögens der Gläubiger tritt damit im Inland ein. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO regelt aber auch die örtliche Zuständigkeit, so dass wiederum die Gefahr besteht, dass eine Vielzahl von Gerichten zuständig ist. 797 So Emmerich/Habersack (1. Aufl.), § 303 Rn. 22; a. A. nun Emmerich/Habersack, § 303 Rn. 23; MünchKommAktG/Altmeppen, § 303 Rn. 63. 798 Vgl. auch Maul, AG 1998, 404, 406; Haubold, IPRax 2000, 375, 382.

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An diesem Ergebnis im Sinne einer Zuständigkeit am Sitz der einzelnen Gläubiger als Erfolgsort bestehen davon abgesehen noch andere Zweifel. Zum einen ist zu bedenken, dass reine Vermögensschäden keine eigene Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO begründen. Dies gilt zumindest, wenn sie sich als bloße Folge eines anderen, zuvor eingetretenen Schadens erweisen.799 In der Entscheidung in Sachen Marinari/Lloyds Bank hat der EuGH präzisiert, dass unter dem Ort des Schadenseintritts nur der Ort des Erstschadens gemeint ist und nicht auch der Ort, an dem Folgeschäden eintreten.800 Als eigentlicher Primärschaden könnte bereits die Schädigung des Vermögens der abhängigen Gesellschaft betrachtet werden. Der Schaden im Vermögen der Gläubiger würde sich dann bloß als Folge dieses Schadens darstellen. Etwas anderes gilt aber, wenn durch die Haftungsgrundlage gerade das Vermögen als solches – also im Fall der Konzernaußenhaftung der Gläubiger – geschützt werden soll. Handelt es sich bei der materiellrechtlichen Anspruchsgrundlage um eine Schutznorm bezüglich des Vermögens als solches, ist Erfolgsort der Ort des Vermögensschadens. Damit wären die Gerichte an dem Ort, wo der Vermögensschaden eingetreten ist, zuständig.801 Dies hat der EuGH in der Entscheidung in Sachen Dumez France/ Hessische Landesbank entwickelt.802 Eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung für die Fälle der Konzernaußenhaftung wäre konsequent.803 Damit bleibt zu untersuchen, ob es sich bei der jeweiligen Haftungsgrundlage um eine Schutznorm für das Gläubigervermögen handelt oder ob ein früher eingetretener Schaden entscheidend ist. Als ein solcher kommt die Zahlungsunfähigkeit des abhängigen Unternehmens in Betracht. Schon daran knüpft das Gesetz Haftungsfolgen,804 so dass sie als eigentlicher „Primärschaden“ verstanden werden kann. Die Schäden im Vermögen der Gläubiger sind damit bloße Folgeschäden. Sie begründen keinen eigenständigen Gerichtsstand. Demnach liegt der Erfolgsort nicht am Sitz der Gläubiger, sondern am Sitz des abhängigen Unternehmens. Dieses Ergebnis entspricht auch der Vorhersehbarkeit und der Verfahrensökonomie. Die Vorhersehbarkeit steht bei Art. 5 Nr. 3 EuGVVO zwar nicht 799 EuGH, Urt. v. 11.1.1990, Rs. C-220/88 – Dumez France/Hessische Landesbank – Slg. 1990, I-49, 80 Rn. 20; EuGH, Urt. v. 19.9.1995, Rs. C-364/93 – Marinari/Lloyds Bank – Slg. 1995 I-2719, 2740 Rn. 15. 800 EuGH, Urt. v. 19.9.1995, Rs. C-364/93 – Marinari/Lloyds Bank – Slg. 1995, I-2719, 2739 ff. insbes. Rn. 21; vgl. dazu Uhl, S. 211 ff. 801 Bülow/Böckstiegel/Auer, 540 Art. 5 Rn. 150; Wieczorek/Schütze/Hausmann, Art. 5 Rn. 61; Graupner, RIW 1994, 109, 112 f.; Kiethe, NJW 1994, 222, 225 ff. 802 EuGH, Urt. v. 11.1.1990, Rs. C-220/88 – Dumez France/Hessische Landesbank – Slg. 1990, I-49, 79 f. Rn. 15, 20. 803 Vgl. dazu Haubold, IPRax 2000, 375, 382. 804 Vgl. nur § 302 AktG.

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im Vordergrund. In dem Urteil Handte/TMCS definiert der EuGH den Ort des schädigenden Ereignisses allerdings im Sinne des Erfüllungsortes der vertraglichen Lieferverpflichtung. Dahinter ist das Bestreben des EuGH zu erkennen, dem Hersteller eine gewisse Sicherheit im Falle eines Konflikts mit einem Endabnehmer zu garantieren.805 Daher sollte auch in den Fällen der Konzernhaftung aufgrund der Vorhersehbarkeit der Sitz der Tochtergesellschaft den Gerichtsstand begründen, was darüber hinaus dem Grundsatz der Verfahrensökonomie Rechnung trägt. Zur Bestimmung des Sitzes der abhängigen Gesellschaft kann wiederum nicht Art. 60 EuGVVO herangezogen werden, da auch in Art. 5 Nr. 3 EuGVVO nicht direkt auf den Sitz bzw. Wohnsitz Bezug genommen wird. Es handelt sich auch nicht um eine eigentliche Vorfrage.806 Der Tatortbegriff ist im Rahmen des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO autonom zu bilden.807 Die gerichtliche Zuständigkeit ist im Rahmen des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO grundsätzlich ohne Berücksichtigung des in der Sache anwendbaren Rechts zu bestimmen, wenn auch in manchen Fällen weder die Bestimmung des ursächlichen Ereignisses noch die des Erfolgsortes völlig losgelöst vom anwendbaren Recht beantwortet werden können. Insoweit schwankt auch die Rechtsprechung des EuGH zwischen Ablehnung jeglichen Rückgriffs auf die lex causae und ausdrücklicher Berufung auf das nationale Recht.808 So wird in dem Urteil in Sachen Marinari/Loyds Bank809 jeglicher Bezug zum anwendbaren Recht bei der Bestimmung des Tatorts zurückgewiesen, obwohl sich der EuGH sechs Monate zuvor ausdrücklich bei der Bestimmung des Tatorts auf die lex causae stützt.810 Der Gerichtshof hält in Sachen Shevill/Presse Alliance811 fest, die Voraussetzungen für die Beurteilung des schädigenden Charakters des streitigen Ereignisses und für den Beweis des Vorliegens und Umfangs des Schadens seien nicht im Übereinkommen enthalten, sondern bestimmten sich nach dem gemäß den Kollisionsnormen des angerufenen Gerichts maßgeblichen materiellen Recht. Daraufhin erklärt er dagegen in Sachen Marinari/Lloyds Bank812 bei der näheren 805

Vgl. dazu Frémaux, RDAI/IBLJ 2002, 155, 162. Siehe aber Ost, S. 163, 185, 189. 807 Geimer/Schütze, EuZVR (1. Aufl.), Art. 5 Rn. 196. 808 Siehe dazu Jayme/Kohler, IPRax 1995, 343, 348. 809 EuGH, Urt. v. 19.9.1995, Rs. C-364/93 – Marinari/Lloyds Bank – Slg. I-2719, 2740 f. Rn. 18 f. 810 EuGH, Urt. v. 7.3.1995, Rs. C-68/93 – Shevill/Presse Alliance – Slg. I-415, 464 Rn. 38 ff. 811 EuGH, Urt. v. 7.3.1995, Rs. C-68/93 – Shevill/Presse Alliance – Slg. I-415, 464 Rn. 41. 812 EuGH, Urt. v. 19.9.1995, Rs. C-364/93 – Marinari/Lloyd’s Bank – Slg. I-2719, 2740 f. Rn. 18. 806

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Bestimmung des Begriffs des Schadensortes, die gerichtliche Zuständigkeit sei ohne Berücksichtigung des in der Sache anwendbaren Rechts zu ermitteln. Für die Bestimmung des Erfolgsortes im Rahmen des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO sind damit grundsätzlich die tatsächlichen Umstände von Bedeutung, die die Haftung bzw. den Schaden als Rechtsgutsverletzung auslösen, wobei allerdings auch die autonome Auslegung im Urteil Marinari/Lloyds Bank nicht so weit geht, den Begriff „Schaden“ gemeineuropäisch-autonom ohne Rückbindung an ein staatliches Recht zu definieren. Entscheidend ist der für die Begründung einer Schadensersatzpflicht wegen unerlaubter Handlung in Betracht kommende Erfolg. Die tatsächlichen Umstände, die als angeblicher „Schaden“ bei der Konzernaußenhaftung die Zuständigkeit auslösen sollen, befinden sich dort, wo der Schaden der abhängigen Gesellschaft auf die Gläubiger ausstrahlt, und damit dort, wo die Gesellschaft im Rechtsverkehr auftritt und tätig wird. Der Ort des Schadenseintritts als Erfolgsort wird damit regelmäßig mit dem Ort der Hauptverwaltung zusammenfallen, da die abhängige Gesellschaft dort Beziehungen und Vermögenswerte hat und dieser Ort damit einen Kristallisationspunkt der Interessen bildet. Die Hauptverwaltung ist der Ort, an dem die Willensbildung und die grundlegenden unternehmerischen Entscheidungen getroffen werden, also meist der Sitz der Organe.813 Es ist allerdings auch denkbar, dass die Hauptverwaltung in einem anderen Mitgliedstaat als dem liegt, wo die geschäftlichen Tätigkeiten ausgeführt werden. Dann gilt letzterer als Ort der Interessenallokation, wenn nur dort geschäftliche Beziehungen und Vermögenswerte bestehen. Der Erfolgsort besteht dann am Ort der Hauptniederlassung, worunter der Ort zu verstehen ist, von wo aus die Gesellschaft mit der Umwelt in geschäftlichen Kontakt tritt. Dabei muss bei der betreffenden Niederlassung der Schwerpunkt des unternehmensexternen Geschäftsverkehrs liegen.814 cc) Zwischenergebnis Konzernaußenhaftungsansprüche analog § 303 AktG können im Inland somit regelmäßig am Hauptverwaltungssitz der Tochtergesellschaft als Ort der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO geltend gemacht werden.

813 814

von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 58 Rn. 7. Rauscher/Staudinger, EuZPR, Art. 60 Brüssel I-VO Rn. 1.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

2. Ansprüche im grenzüberschreitenden faktischen Konzern Voraussetzung für eine Einordnung als unerlaubte Handlung ist, dass mit der Klage eine Schadensersatzhaftung des Beklagten geltend gemacht wird und dass diese nicht an einen Vertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO anknüpft. a) Konzerninnenhaftung Auch im faktischen Konzern zielt die Konzerninnenhaftung auf einen Ausgleich des beim Anspruchsberechtigten eingetretenen Vermögensnachteils ab und beruht damit auf einem Schadensersatzanspruch i. S. d. Vorschrift. Im faktischen Konzern bestehen sowohl zwischen abhängiger und herrschender Gesellschaft als auch zwischen herrschender Gesellschaft und Aktionären vertragliche bzw. vertragsähnliche Bindungen. Ob die Ansprüche aus dieser vertraglichen Grundlage resultieren, wird jedoch uneinheitlich beurteilt. Ein Teil der Literatur sieht die Grundlage der Konzernhaftung generell nicht in der rechtsgeschäftlich begründeten Gesellschafterstellung des herrschenden Unternehmens, sondern in einer fehlerhaften Konzerngeschäftsführung als vorwerfbares Verhalten.815 Dann liegt die Einordnung als unerlaubte Handlung i. S. d. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO nahe. Lehnt man eine vertragliche Qualifikation der Haftung ab und wendet sich – wie diese Ansicht teilweise – im Rahmen des autonomen IZPR ebenso entschieden gegen die deliktische Natur des Anspruchs,816 kommt eine Geltendmachung der Ansprüche im Rahmen des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO nur in Betracht, wenn man diese Vorschrift als Auffangtatbestand für sämtliche Art. 5 Nr. 1 EuGVVO nicht unterfallende Schadensersatzansprüche betrachtet. Wird die Haftung deliktisch qualifiziert, wobei die Fremdsteuerung der abhängigen Gesellschaft als unerlaubte Handlung angesehen wird,817 kann sie problemlos am Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO eingeklagt werden. Die Grundlage der Konzerninnenhaftung wird aber auch in der rechtsgeschäftlich begründeten Gesellschafterstellung des herrschenden Unternehmens gesehen.818 Auch im Rahmen der Untersuchung wird die Haftung als Anspruch aus dem durch Mitgliedschaft aufgebauten Konzernverhältnis eingeordnet. Ansprüche gemäß §§ 311, 317 und analog § 302 AktG bzw. aus Treuepflicht oder analog § 43 GmbHG resultieren somit aus diesem zu815

Vgl. nur Lutter/Hommelhoff, GmbHG (15. Aufl.), Anh. § 13 Rn. 24 ff. So Maul, NZG 1999, 741, 743; dies., AG 1998, 404, 406. 817 MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 634; Maul, AG 1998, 404, 406 f. 818 LG Bochum, Zwischenurt. v. 20.5.1986, ZIP 1986, 1386 f. m. Anm. Timm (1387 ff.). 816

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grunde liegenden Mitgliedschaftsverhältnis oder einer organähnlichen Stellung und sind folglich als vertragliche Ansprüche zu qualifizieren. Ansprüche gemäß § 318 AktG folgen aus dem organschaftlichen Sonderrechtsverhältnis und stellen damit ebenso Ansprüche aus einem Vertrag i. S. v. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO dar. Diese Innenhaftungsansprüche finden ihre Grundlage demnach in der Gesellschafterstellung des herrschenden Unternehmens bzw. in dem durch Mitgliedschaft begründeten Konzernverhältnis und stehen damit in engem Zusammenhang mit einem Vertrag. Demnach handelt es sich bei den aufgezählten Konzerninnenhaftungsansprüchen um vertragliche Ansprüche i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO. Daraus folgt, dass Art. 5 Nr. 3 EuGVVO keinen Gerichtsstand für diese Konzerninnenhaftungsansprüche im faktischen Konzern zur Verfügung stellt. Eine Einordnung als unerlaubte Handlung i. S. d. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO kommt mithin nicht mehr in Betracht. b) Konzernaußenhaftung aa) Unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist Bei der Außenhaftung analog § 303 AktG konnte weder ein Vertrag noch ein vertragsähnliches Verhältnis als Haftungsgrundlage festgestellt werden, so dass sie nicht an einen Vertrag anknüpft.819 Weiter ist die Haftung auf Schadensausgleich gerichtet. Konzernaußenhaftungsansprüche verfolgen nach deutschem Recht das Ziel, den eingetretenen Verlust bzw. Vermögensnachteil auszugleichen und stellen somit Schadensersatzansprüche dar. Damit können sie grundsätzlich als unerlaubte Handlung eingeordnet und folglich am Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO geltend gemacht werden. Hiergegen wird eingewandt, dass mangels Verschuldensabhängigkeit der Konzernhaftung eine Einordnung als unerlaubte Handlung i. S. d. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO nicht in Betracht komme. Die Anknüpfung an Art. 5 Nr. 3 EuGVVO wird aus dem Grund verwehrt, dass der Konzernhaftungstatbestand kein Verschulden voraussetze.820 Die Haftung für eine Schädigung der Gläubiger greife auch ohne Verschulden ein. Dem wird wiederum entgegnet, dass dies schon auf sachrechtlicher Ebene nicht unumstritten sei, da die Konzernhaftung zum Teil als Haftung aus vermutetem Verschulden betrachtet werde.821 Die Verschuldensvermutung ändert jedoch nichts am 819

Siehe oben 4. Teil, 5. Kapitel: II.2.c)bb)(1), S. 239. Goette, DStR 1997, 503, 505. 821 So Kindler, in FS Ulmer, S. 305, 317 unter Verweis auf Lutter/Hommelhoff, GmbHG (15. Aufl.), Anh. § 13 Rn. 32. 820

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grundsätzlichen Verschuldenserfordernis. Dieser materiellrechtliche Einwand ist insofern unbeachtlich und kann daher vernachlässigt werden. Entscheidend ist im Rahmen der EuGVVO vor allem, dass der Wortlaut der Vorschrift des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO eine Beschränkung auf Fälle der Schadensersatzhaftung aus Verschulden nicht erkennen lässt. Zu den unerlaubten Handlungen i. S. d. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO zählen auch verschuldensunabhängige Haftungstatbestände. Als Beispiele können die spezialgesetzlich normierte Gefährdungshaftung, sachenrechtliche Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche und der Schadensersatzanspruch wegen Zwangsvollstreckung aus später aufgehobenen Titeln genannt werden. Ob die Haftung verschuldensabhängig ist oder nicht, hat im Rahmen des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO keine Bedeutung.822 Dieses Argument hindert eine Qualifikation der Außenhaftung als unerlaubte Handlung also nicht, da eine autonome Auslegung des Begriffs der unerlaubten Handlung auch die verschuldensunabhängige Haftung erfasst. Die verschuldensunabhängige Haftung kann mithin als deliktische Haftung eingeordnet werden oder dieser zumindest gleichgestellt werden, was in diesem Zusammenhang ausreichend ist. Ferner wird gegen die Anwendbarkeit von Art. 5 Nr. 3 EuGVVO noch eingewandt, dass das Konzernverhältnis keine Verhaltenspflichten gegenüber Dritten begründe und damit eine deliktsrechtliche Qualifikation ausgeschlossen sei.823 Zum einen kommt es auf den Inhalt und die Richtung der Verhaltenspflichten nicht unbedingt an, wenn man Art. 5 Nr. 3 EuGVVO als Auffangtatbestand für sämtliche Art. 5 Nr. 1 EuGVVO nicht unterfallenden Schadensersatzansprüche ansieht. Davon abgesehen sollen durch die Sicherheitsleistung und Ausfallhaftung gerade die Interessen der Gläubiger geschützt werden. In ihrem Interesse wird ein bestimmtes Verhalten der herrschenden Gesellschaft sanktioniert. Durch diese Haftungstatbestände wird jeder Dritte vor einem schädigenden Verhalten der herrschenden Gesellschaft geschützt, der aufgrund einer Verbindung zur abhängigen Gesellschaft in deren Wirkungskreis kommt.824 Die Konzernhaftung im qualifizierten faktischen Konzern analog §§ 303, 322 AktG kann insofern als ein Äquivalent zur deliktsrechtlichen Haftung angesehen werden, das deren Schutzlücken kompensiert.825 Aus alldem folgt, dass sie als unerlaubte Handlung i. S. d. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO eingeordnet werden kann. 822 Bülow/Böckstiegel/Auer, 540 Art. 5 Rn. 127; Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 5 Rn. 206; Kropholler, EuZPR, Art. 5 Rn. 66; Wieczorek/Schütze/Hausmann, Art. 5 Rn. 51; Zöller/Geimer, Anh I Art. 5 EuGVVO Rn. 22; Gaudemet-Tallon, Nr. 211; Hertz, 78. 823 MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 637. 824 Insofern besteht auch eine Vergleichbarkeit zu den Produkthaftungsfällen.

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Es bleibt zu untersuchen, ob dieses Ergebnis auch bei der Existenzvernichtungshaftung gilt. Im Folgenden sollen daher die Ansprüche der Gläubiger aus existenzvernichtendem Eingriff beim „qualifizierten faktischen Konzern“ qualifiziert werden. Ob die Haftung der herrschenden Gesellschaft gegenüber den Gläubigern als unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, eingeordnet werden kann, ist fraglich. Als problematisch könnte sich erweisen, dass die Durchgriffshaftung an die Verletzung der Kapitalerhaltungsvorschriften und damit nicht an die Verletzung von Verhaltenspflichten des herrschenden Gesellschafters gegenüber Dritten anknüpft. Haftungsgrund ist die Missachtung der Kapitalerhaltungsvorschriften zur Sicherung von Gläubigerinteressen. Die Ursache der Haftung liegt in erster Linie somit in der Beziehung zwischen herrschender und abhängiger Gesellschaft. Die Pflichten treffen primär das Verhältnis der beiden Gesellschaften zueinander. Daraus könnte man schließen, dass dann keine unerlaubte Handlung der Muttergesellschaft gegenüber den Gläubigern vorliegt.826 Allerdings hat die abhängige Gesellschaft nach neuerer Rechtsprechung in diesem Stadium gar keinen eigenen Anspruch mehr. Bei dem existenzvernichtenden Eingriff geht es vor allem noch darum, die Interessen der Gläubiger zu wahren. Insofern richtet sich der Haftungstatbestand ebenfalls gerade an die Gruppe der Gläubiger und bezieht diese in den Schutzbereich ein. Auch wenn der Haftungsgrund seine Ursache in erster Linie in der Beziehung zwischen herrschender und abhängiger Gesellschaft finden mag,827 zeigt die Schutzrichtung der Pflichtverletzung doch auf die Gläubiger. Die Durchgriffshaftung greift als Außenhaftung erst, wenn die Eingriffe des herrschenden Gesellschafters in das Vermögen der abhängigen Gesellschaft kompensationslos bleiben und zu deren Existenzvernichtung führen. Die dogmatische Grundlage der Durchgriffshaftung basiert auf einer teleologischen Reduktion des § 13 Abs. 2 GmbHG.828 Ausgangspunkt der Durchgriffshaftung ist eine objektiv-zweckwidrige Verwendung der Haftungsbeschränkung durch die Gesellschafter. Die Haftungsbeschränkung des GmbH-Rechts beruht auf einer angemessenen Risikoteilung zwischen Gesellschaftern und Gläubigern. Den Gesellschaftern ist es deshalb nicht erlaubt, einseitig „auf Kosten der Gläubiger (zu spekulieren)“.829 Es geht also 825 BGH, Urt. v. 20.2.1989 – Tiefbau – BGHZ 107, 7, 21 ff.; vgl. auch Urt. v. 29.3.1992 – TBB – BGHZ 122, 123, 127. 826 So Jaspert (S. 297) für die Fälle der Unterkapitalisierung und der Vermögensvermischung. 827 Daraus schließt Jaspert (S. 297), dass daher nicht von einer unerlaubten Handlung der Obergesellschaft i. S. v. Art. 5 Nr. 3 gegenüber den klagenden Gläubigern gesprochen werden kann. 828 Bitter, WM 2001, 2133, 2139; Ulmer, JZ 2002, 1049, 1050.

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nicht um die Existenzgefährdung der Gesellschaft an sich, sondern die Gefährdung der Gläubiger durch Gesellschaften, die die Haftungsbeschränkung zur Externalisierung von Kosten einsetzen.830 Allein die Beeinträchtigung des Stammkapitals der GmbH führt nicht zu einer Haftung des herrschenden Gesellschafters. Unzulässig ist lediglich eine einseitige Risikoüberwälzung auf die Gläubiger, weil das Prinzip der Haftungsbeschränkung auf einer angemessenen Risikobeteiligung des Gesellschafters durch Verlust des Eigenkapitals aufbaut.831 Demnach knüpft die Durchgriffshaftung an die Verletzung von Pflichten des herrschenden Gesellschafters gegenüber den Gläubigern an. Dies begründet ihren zumindest quasideliktischen Charakter i. S. d. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO. Selbst wenn man die allgemeine Voraussetzung des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO, nämlich das Vorliegen einer „Schadenshaftung, die nicht an einen Vertrag anknüpft“, noch durch das Kriterium einer „Beziehung“ zwischen herrschender Gesellschaft und Gläubiger832 oder Verhaltenspflichten gegenüber Dritten833 eingrenzen möchte, sind diese Voraussetzungen durch die Schutzrichtung des Haftungstatbestandes gegeben. Da die Haftung auch auf Schadensausgleich gerichtet ist, kann der Anspruch aus Existenzvernichtungshaftung somit als solcher aus unerlaubter Handlung i. S. d. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO qualifiziert werden. bb) Ort des schädigenden Ereignisses Bei Konzernsachverhalten im faktischen Konzern liegen die Handlungen meist in einer fehlerhaften Konzerngeschäftsführung. Diese können am Sitz der herrschenden Gesellschaft vorgenommen werden, so dass dort der Handlungsort liegt. Es ist jedoch auch der Sitz der abhängigen Gesellschaft denkbar, da dort die wesentlichen Pflichten aus einer organähnlichen Sonderstellung oder aus dem Mitgliedschaftsverhältnis zu erfüllen sind. Jedenfalls kann als Ort des schädigenden Ereignisses ebenfalls der Erfolgsort am 829 Bitter, WM 2001, 2133, 2139 f.; vgl. die Formulierung des BGH, Urt. v. 13.12.1993 – EDV – NJW 1994, 446, 447 m. Anm. K. Schmidt (447). 830 Vgl. dazu Bitter, Durchgriffshaftung, S. 181 ff.; ders., WM 2001, 2133, 2136 f. 831 Siehe dazu Bitter, Durchgriffshaftung, S. 193 ff.; ders., WM 2001, 2133, 2137. 832 Darum bemüht sich Jaspert (S. 297), indem sie darauf abstellt, dass der Haftungsgrund vor allem in der Beziehung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft wurzelt. Dies ist aber auch ein Kriterium, das für eine vertragliche Qualifikation herangezogen werden kann. Die eindeutige Abgrenzung zur unerlaubten Handlung wird insofern nicht klar. 833 So MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 637.

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Sitz der abhängigen Gesellschaft angesehen werden. Insofern ergeben sich gegenüber den anderen Außenhaftungsansprüchen keine weiteren Besonderheiten. Als Sitz wird in der Regel der Ort der Hauptverwaltung der abhängigen Gesellschaft gelten.834 In den meisten Fällen wird zugleich eine Haftung der Gesellschafter nach § 826 BGB zu bejahen sein.835 Für diese Haftung ist jedenfalls der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung eröffnet. Insofern sprechen möglicherweise auch Praktikabilitätserwägungen für das Ergebnis. Allerdings ist bei der Haftung gemäß § 826 BGB wiederum zu bedenken, dass § 826 BGB gerade das Vermögen als solches schützt,836 was dazu führt, dass die Gerichte am Ort des Vermögensschadens zuständig sind.837 Damit wäre Erfolgsort der jeweilige Sitz der Gläubiger und nicht wie bei der Existenzvernichtungshaftung der Sitz der Gesellschaft. cc) Zwischenergebnis Konzernaußenhaftungsansprüche wie die Ausfallhaftung im qualifizierten faktischen Konzern analog §§ 303, 322 AktG oder die Haftung wegen Existenzvernichtung können im Inland am Hauptverwaltungssitz der abhängigen Gesellschaft als Ort der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO geltend gemacht werden. 3. Zusammenfassung Für die Geltendmachung von Außenhaftungsansprüchen sowohl im Vertragskonzern als auch im faktischen Konzern ist nicht der Gerichtsstand des Erfüllungsortes, sondern derjenige der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO eröffnet. Der Hauptverwaltungssitz der abhängigen Gesellschaft ist regelmäßig neben dem Sitz der herrschenden Gesellschaft gerichtsstandsbegründend. Im Ergebnis sind nicht die Gerichte am Sitz der Gläubiger, sondern am Sitz des abhängigen Unternehmens im Inland zuständig.

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Siehe dazu bereits oben 4. Teil, 6. Kapitel: II.1.b)bb), S. 298. Dies zeigt auch das Urteil des BGH v. 24.6.2002 – KBV – JZ 2002, 1047 ff. = GmbHR 2002, S. 902 ff. = NZG 2002, 914 ff. = NJW 2002, 3024 ff. 836 Palandt/Thomas, § 826 Rn. 1. 837 Bülow/Böckstiegel/Auer, 540 Art. 5 Rn. 150; Wieczorek/Schütze/Hausmann, Art. 5 Rn. 61; Graupner, RIW 1994, 109, 112 f.; Kiethe, NJW 1994, 222, 225 ff.; im Ergebnis anders EuGH, Urt. v. 19.9.1995, Rs. C-364/93 – Marinari/Lloyds Bank – Slg. 1995, I-2719, 2740 ff. Rn. 16 ff. 835

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III. Qualifikation der Konzernhaftungsansprüche nach französischem Recht Für eine Einordnung der Haftungsansprüche als unerlaubte Handlung ist allein entscheidend, dass mit der Klage eine Schadensersatzhaftung des herrschenden Unternehmens geltend gemacht wird und dass diese nicht an einen Vertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO anknüpft. 1. Innenhaftung Kindler führt für eine Einordnung der Konzerninnenhaftung als solche aus unerlaubter Handlung vergleichend ein Urteil des französischen Kassationshofs aus dem Jahre 1990 an,838 in dem das Gericht ohne weiteres eine internationale Zuständigkeit für die Beurteilung einer Konzernhaftungsklage gegen die italienische Muttergesellschaft wegen pflichtwidriger Leitung der abhängigen französischen Gesellschaft (fautes de gestion) bejaht hat.839 Das Urteil betrifft jedoch nicht die Haftung gegenüber der beherrschten Tochtergesellschaft, sondern gegenüber deren Arbeitnehmern, die gestützt auf Art. 1382 f. C. civ. auf Ersatz des entgangenen Lohns klagten. Damit liegt gar kein Fall von Innenhaftung vor. Darüber hinaus wird nicht klar, auf welcher Grundlage das Gericht von seiner Zuständigkeit ausging. Bei der Innenhaftung nach französischem Recht geht es ebenfalls um den Ausgleich von Nachteilen, die aufgrund der Verletzung der innergesellschaftlichen Pflichten und damit des Mitgliedschaftsverhältnisses entstehen oder die auf einem organschaftlichen Sonderrechtsverhältnis beruhen. Die Ansprüche knüpfen damit an das Verhältnis zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern bzw. den Gesellschaftern untereinander oder die Beziehung der Gesellschaft zu ihren Organen an und sind damit als solche aus einem Vertrag gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO einzuordnen. Dies schließt die Qualifikation als unerlaubte Handlung i. S. v. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO bereits aus. 2. Art. L. 624-3 C. com. Stuft man die Ausfallhaftung gemäß Art. L. 624-3 C. com. nicht (allein) als Anspruch der Gesellschaft, sondern auch oder nur als Anspruch der Gesellschaftsgläubiger ein, so kommt in dieser Hinsicht dann eine vertragliche Qualifikation nicht in Betracht. Es fehlt an der vertragsähnlichen Verbin838 Cass. Soc., Urt. v. 3.4.1990 – Montefibre – Rev. Soc. 1990, 625 m. Anm. Guyon 627. 839 Kindler, in FS Ulmer, S. 305, 318.

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dung zwischen herrschender Gesellschaft und Gläubiger. Die action en comblement du passif könnte dann am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung geltend gemacht werden. a) Unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist Eine deliktsrechtliche Qualifikation der Ansprüche gemäß den Vorgängervorschriften Art. 180, 182 des Gesetzes von 1985 im Rahmen des EuGVÜ lehnt Kuckertz aus dem Grunde ab, dass diese auch im Hinblick auf die kollisionsrechtliche Behandlung schon nicht deliktsrechtlich qualifiziert werden können.840 Dabei ist zum einen zu beachten, dass dem Kollisionsrecht und der Regelung von Zuständigkeitskonflikten unterschiedliche Interessenlagen zugrunde liegen. So sieht Kuckertz in der Ablehnung der Qualifikation des allgemeinen Haftungsdurchgriffs zugunsten des Vornahmestatuts – und damit einer vertragsrechtlichen Einordnung im Rahmen des Kollisionsrechts – auch kein Hindernis, den Durchgriff im Rahmen des EuGVÜ als Erfüllung des ursprünglichen Vertragsverhältnisses zu sehen und damit vertraglich einzuordnen. Tatsächlich können Rechtsinstitute kollisionsrechtlich und zuständigkeitsrechtlich ganz unterschiedlich eingeordnet werden.841 Zum anderen hätte eine Ablehnung des Gerichtsstands gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO nach der Lösung von Kuckertz auch schon aus dem Grunde erfolgen müssen, dass die Vorschrift nur Ansprüche umfasst, die eine Schadenshaftung begründen, die nicht auf einen Vertrag zurückgehen.842 Aufgrund dieses Exklusivitätsverhältnisses hätte Kuckertz, die den Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO für eröffnet hält, den Gerichtsstand am Ort der unerlaubten Handlung nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO verneinen können und müssen. Bottiau zufolge ist für die Geltendmachung der action en comblement du passif ein Gerichtsstand am Ort der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ eröffnet. Zu diesem Ergebnis gelangt sie jedoch nicht aufgrund einer deliktsrechtlichen Qualifikation der action en comblement du passif, sondern anhand einer materiellrechtlichen Lösung. Sie spricht sich dafür aus, dass zumindest im internationalen Kontext die allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsregeln auch im Falle der Insolvenz des Schuldners zur Anwendung kommen, die ansonsten von den konkursrechtlichen Spezial840

Kuckertz, S. 160. Vgl. dazu Zimmer, IntGesR, S. 296. 842 EuGH, Urt. v. 27.9.1988, Rs. 189/87 – Kalfelis/Bankhaus Schröder – Slg. 1988, 5565, 5585 Rn. 17; Gaudemet-Tallon, Nr. 211. 841

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regeln verdrängt werden. Insofern fielen immer zwei Zuständigkeiten zusammen: die für das Insolvenzverfahren und jene für das Schadensersatzbegehren nach allgemeinem Zivilrecht. Der Gläubiger habe die Wahl zwischen beiden Zuständigkeiten. Er sei gut beraten, nicht die Zuständigkeit aufgrund insolvenzrechtlicher Regelungen in Anspruch zu nehmen, da insofern Vollstreckungshindernisse drohen können.843 Der Gläubiger werde vielmehr die Zuständigkeit aufgrund deliktsrechtlicher Haftung in Anspruch nehmen, die parallel dazu bestehe.844 Anhaltspunkte für eine Qualifikation der action en comblement du passif im Rahmen der EuGVVO können der Lösung nicht entnommen werden. Bottiaus Ausführungen führen zudem auch auf internationaler Ebene nicht zu neuen Erkenntnissen. Denn in Frankreich wird durchaus nicht einhellig vertreten, dass im Rahmen des Anwendungsbereichs der Art. 180 ff. des Gesetzes von 1985 ein Vorgehen nach allgemeinem Deliktsrecht ausgeschlossen sei.845 Nach gewichtiger Auffassung soll das allgemeine Deliktsrecht neben Art. 180 des Gesetzes von 1985 weiterhin anwendbar bleiben.846 Bottiau beschäftigt sich also mit einem anderen Haftungsgrund bzw. einer anderen Haftungsklage und schließt automatisch von der deliktischen Natur der Generalklausel des Art. 1382 C. civ. nach französischem Recht auf eine autonome Qualifikation der Haftung als unerlaubte Handlung i. S. d. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO. Nimmt man schon Rekurs auf die materiellrechtliche Ebene, so kann auch eine Betrachtung des Haftungsgrunds der action en comblement du passif zu einer deliktischen Qualifikation führen. Die action en comblement du passif wird als ein allgemeiner deliktischer Haftungsansatz angesehen, dessen Anknüpfungspunkt nur die Geschäftsführung des jeweiligen Unternehmens ist.847 Dieser Haftungsansatz wurde unter anderem im Hinblick auf Beweisschwierigkeiten in den Bereich des Insolvenzrechts verlagert.848 Dabei ist aber auch zu bedenken, dass die Reichweite des Deliktsrechts im französischen Recht aufgrund der umfassenden Generalklausel des Art. 1382 C. civ. wesentlich größer ist. Der faktische Geschäftsleiter ist zumindest den Gesellschaftsgläubigern gegenüber dabei nicht rechtsgeschäftlich verpflichtet.849 843 Bottiaus Arbeit stammt aus dem Jahre 1989, also einer Zeit, in der noch keine Vereinheitlichung bezüglich Insolvenzverfahren auf internationaler Ebene bestand. 844 Siehe Bottiau, S. 280 ff., 342 ff. 845 In diesem Sinne allerdings Derrida/Godé/Sortais, Nr. 578; Ripert/Roblot, II, Nr. 3283; Daigre, Rev. soc. 1988, 199, 204 ff. 846 Brunet/Germain, Pet. Aff., 23.7.1986, Nr. 88, S. 51, 52 f.; Soinne, Nr. 1246, 1333. 847 Ehricke, S. 532. 848 Ehricke, S. 529 m. w. N.; vgl. auch Guyon II, Nr. 1371 f.

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Für eine deliktsrechtliche Qualifikation im internationalen Kontext spricht nach Bottiau ferner eine einheitliche Lösung für vergleichbare Sachverhalte, da ansonsten das Prinzip der Gleichbehandlung und der Vorhersehbarkeit verletzt wäre.850 Voraussetzung sei allerdings, dass der Beweis gelinge, dass der Rechtsstreit seinen Ursprung nicht in der Insolvenz habe, sondern dass ein persönliches Verschulden oder Vertretenmüssen des dirigeant vorliege. Erforderlich ist dafür ein persönliches Verschulden, das unabhängig von der Eigenschaft als Geschäftsführer ist. Demnach muss ein Verschulden nachgewiesen werden, dass von der Funktion als Geschäftsführer losgelöst ist.851 Damit gibt sie jedoch nur die Voraussetzungen wieder, nach denen ein Geschäftsleiter Dritten gegenüber nach den allgemeinen Regeln deliktischer Verantwortlichkeit i. S. d. Art. 1382 C. civ. haftet.852 Eine Haftung der Muttergesellschaft unter diesen Voraussetzungen ist eher selten.853 Über die Qualifikation der Haftung nach Art. L. 624-3 C. com. sagt dies nichts aus. Eine deliktische Qualifikation der action en comblement du passif ist vor allem aus dem Grunde zu befürworten, weil der Gläubiger keine Beziehung bzw. keinen vertragsähnlichen Kontakt zu der Muttergesellschaft etabliert hat. Lehnt man daher eine vertragliche Qualifikation der Ausfallhaftung gemäß Art. L. 624-3 C. com. in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH in Sachen Handte/TMCS ab, und betrachtet Art. 5 Nr. 3 EuGVVO unter Berücksichtung der Zielsetzung des internationalen Zuständigkeitsrechts als Auffangtatbestand, so ist eine Klage am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung zuzulassen. Ansonsten bliebe für eine Klage einer „dritten Kategorie“ nur der allgemeine Gerichtsstand des Art. 2 EuGVVO. Diese Sichtweise entspricht auch der bereits zu den deutschen Konzernaußenhaftungsansprüchen der Gläubiger der abhängigen Gesellschaft entwickelten Lösung, welchen eine ähnliche Sachlage zugrunde liegt. Damit wäre – wie bei der Konzernaußenhaftung nach deutschem Recht – ein Gerichtsstand am Ort der unerlaubten Handlung eröffnet. Ferner ist die Frage zu klären, ob das Rechtsinstrument der action en comblement du passif überhaupt als Schadensersatzhaftung im herkömmlichen Sinn gewertet werden kann. Angesichts des dem Richter auf der 849 Für eine deliktische Qualifikation der action en comblement du passif: Guyon, II, Nr. 1372; Veaux, Nr. 252; Daigre, Rev. soc. 1988, 199, 202. 850 Bottiau, S. 282. 851 Parallele zu der théorie administrative de la faute détachable du service; Bottiau, S. 283, 286; vgl. auch Kuckertz (S. 70) zur allgemeinen deliktsrechtlichen Verantwortlichkeit bei einer faute séparable de ses fonctions. 852 Vgl. nur Cass. com., Urt. v. 28.4.1998, Rev. soc. 1988, 767. 853 Vgl. Kuckertz, S. 70.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Rechtsfolgenseite eingeräumten Ermessens stellt sich die Frage, ob es sich um eine Art von Zivilstrafe mit Vergeltungscharakter oder um eine echte Schadensersatzhaftung handelt. Die Meinungen im französischen Schrifttum und in der Rechtsprechung sind hierzu geteilt.854 Art. L. 624-3 C. com. kann in dem Sinne ausgelegt werden, dass die Verurteilung nicht über den Anteil hinausgehen darf, den der Geschäftsleiter durch sein schädigendes Tun an der Überschuldung der Gesellschaft trägt. Zu ermitteln ist der Anteil durch den Vergleich der gegenwärtigen Lage des Gesellschaftsvermögens mit der Lage, die bestehen würde, wenn der Geschäftsleiter hinsichtlich des ihm vorgeworfenen Fehlverhaltens wie ein ordentlicher und gewissenhafter Kaufmann gehandelt hätte. Die Rechtsgrundlage der Haftung liegt damit in der kausalen Verursachung eines Schadens. Folglich ist die action en comblement du passif Schadensersatzhaftung und nicht Zivilstrafe.855 Sie verfolgt das Ziel, den eingetretenen Verlust bzw. Vermögensnachteil auszugleichen. Da sie, wenn sie nicht als Organhaftung und Anspruch der Gesellschaft, sondern als Anspruch der Gläubiger angesehen wird, nicht an einen Vertrag anknüpft, kann sie demnach am Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO geltend gemacht werden. b) Ort des schädigenden Ereignisses Schwierigkeiten wirft die Bestimmung des Ortes des schädigenden Ereignisses auf. Der Ort des vom Gläubiger erlittenen Schadens kann bei einer Unternehmensgruppe nach Ansicht von Bottiau am Ort seines Ursprungs, d. h. am Ort der Muttergesellschaft, oder am Ort seiner Verwirklichung liegen, d. h. bei einem Gläubiger und einer Tochter mit (Wohn-)Sitz in Frankreich dort, wenn er den Gläubiger aufgrund der Insolvenz des abhängigen Unternehmens als sein Vertragspartner in Schwierigkeiten bringt. Von Bottiau wird weiter die Frage aufgeworfen, ob die Zuständigkeit dem Richter am Ort der Schadensursache bzw. des schädigenden Ereignisses (fait dommageable) oder dem Richter am Ort des erlittenen Schadens bzw. der Rechtsgutsverletzung (préjudice subi) obliegt.856 Bei der Entscheidung sieht Bottiau scheinbar ein Problem der Kognitionsbefugnis gegeben.857 Der (französische) Richter könne sich nur hinsichtlich des erlittenen Schadens für zuständig erklären, der in Frankreich entstanden sei. Dies sei der Fall, 854 Vgl. zum Meinungsstand bzgl. des richterlichen Ermessens bei der action en comblement du passif: Reiner, S. 167 ff. 855 So auch Reiner, S. 173 mit Verweis auf CA Lyon, Urt. v. 7.11.1955, Rev. Soc. 1956, 359 sowie CA Aix-en-Provence, Urt. v. 21.4.1971, D. 1972, 164. 856 Bottiau, S. 289. 857 Vgl. dazu grundlegend EuGH, Urt. v. 7.3.1995, Rs. C-68/93 – Shevill/Press Alliance – Slg. 1995 I-415, 462 Rn. 31 f.

6. Kap.: Besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung

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wenn der Gläubiger einer insolventen Tochtergesellschaft Erstattung von der ausländischen Muttergesellschaft verlange; er erleide keinen Schaden im Ausland. Der Gläubiger erleide nur einen Schaden, weil die abhängige Gesellschaft ihren Sitz in Frankreich habe und dort vertragliche Verpflichtungen eingehe. Damit sei einzig der französische Richter zuständig.858 Im Rahmen des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO wirken aber zunächst sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort gerichtsstandsbegründend. Der Erfolgsort ist immer in Frankreich, wenn er am Sitz der abhängigen Gesellschaft angenommen wird. Diese Entscheidung wurde aufgrund der Vorhersehbarkeit und Verfahrensökonomie bereits im Rahmen deutscher Konzernhaftungsansprüche getroffen. Denkbar ist aber auch ein Erfolgsort am Wohnsitz der Gläubiger, der sich möglicherweise in einem anderen Mitgliedstaat befindet. Schließlich ändert dies jedoch nichts daran, dass der Handlungsort am Sitz der Muttergesellschaft liegt. Ein Problem der Bestimmung des Ortes des schädigenden Ereignisses ist darin nicht zu sehen. Grundsätzlich kann der Geschädigte wählen, ob er am Handlungs- oder am Erfolgsort klagen möchte.859 Im Falle von Ehrverletzungen durch Presseerzeugnisse sollen nach Ansicht des EuGH die Gerichte am Erfolgsort allerdings nur insoweit zuständig sein, als Ersatz für den gerade dort entstanden Schaden begehrt wird, während am Niederlassungsort der gesamte Schaden geltend gemacht werden kann.860 Ob es sich bei dem Haftungsanspruch der action en comblement du passif um ein derartiges Streudelikt handelt, ist fraglich. Anders als bei den Konzernhaftungsansprüchen nach deutschem Recht kann der einzelne Gläubiger seinen Ersatzanspruch gegen den Geschäftsleiter wegen des ihm zugefügten Quotenschadens gemäß Art. L. 624-3 C. com. nicht selbst geltend machen. Die individuellen Einzelansprüche sämtlicher Gesellschaftsgläubiger werden kollektiv vom Gläubigervertreter geltend gemacht.861 Insofern sollte wie bei einem Streudelikt am (Wohn-)Sitz des einzelnen Gläubigers nur der Schaden geltend gemacht werden können, den dieser erlitten hat. Dies führte zu einer Zuständigkeitszersplitterung. Der Gesamtschaden in Höhe der Überschuldung kann danach nur am Sitz der abhängigen Gesellschaft geltend gemacht werden. Insofern könnte sich bei 858

Bottiau, S. 291. EuGH, Urt. v. 30.11.1976, Rs. 21/76 – Bier/Mines de Potasse d’Alsace – Slg. 1976, 1735, 1747 Rn. 24/25. 860 EuGH, Urt. v. 7.3.1995, Rs. C-68/93 – Shevill/Press Alliance – Slg. 1995 I-415, 462 Rn. 32. 861 Die Deutung der Ausfallhaftung als kollektive Geltendmachung der individuellen Einzelansprüche sämtlicher Gesellschaftsgläubiger ist Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO. 859

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

der action en comblement du passif tatsächlich ein Problem des Umfangs der Kognitionsbefugnis stellen. Dieses Problem stellt sich jedoch nur, wenn der Schaden am Sitz der Gläubiger überhaupt für die Zuständigkeit entscheidend ist. Es handelt sich um einen reinen Vermögensschaden, der sich als Folge eines früheren Schadens darstellt, nämlich der Zahlungsunfähigkeit des abhängigen Unternehmens. Die Gerichte am Ort des Vermögensschadens sind nur zuständig, wenn die materiellrechtliche Anspruchsgrundlage gerade das Vermögen als solches schützt.862 Nach Art. L. 624-3 C. com. fließt der Schadensersatz zunächst in das Vermögen der insolventen Gesellschaft, wobei die Haftung sich der Höhe nach auf den Betrag der Überschuldung beschränkt. Damit ist die Zahlungsunfähigkeit des abhängigen Unternehmens als eigentlicher Primärschaden zu verstehen, womit der Erfolgsort am Sitz der abhängigen Gesellschaft liegt. Die Schäden im Vermögen der Gläubiger sind nur Folgeschäden. Sie begründen keinen Gerichtsstand.863 Art. 5 Nr. 3 EuGVVO regelt nicht allein die internationale Zuständigkeit, sondern auch die örtliche Zuständigkeit. Bottiau kommt nur zu dem Ergebnis, dass der französische Richter am Ort des erlittenen Schadens, das heißt am Ort des Schadenseintritts zuständig ist, ohne diesen näher zu bestimmen. Auch insofern ist die Bestimmung des Erfolgsortes wichtig und die damit zusammenhängende Frage, ob der Vermögensschaden am Sitz der Gläubiger oder der primär am Sitz der Tochter eingetretene Schaden entscheidend ist. In Anlehnung an die Dumez-Rechtsprechung und aus Praktikabilitätserwägungen ist eine Zuständigkeit am Sitz der abhängigen Gesellschaft zu befürworten. Somit ist für Ansprüche der Gläubiger gemäß Art. L. 624-3 C. com. eine internationale Zuständigkeit am Ort der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO am Sitz der Tochtergesellschaft gegeben, wobei in der Regel der tatsächliche Verwaltungssitz maßgebend ist.864 3. Apparence Bei der Qualifikation der Rechtsscheinhaftung nach französischem Recht (apparence) werden nicht alle Fallgruppen gleich behandelt, sondern eine Differenzierung nach der Art des zurechenbar erzeugten Rechtsscheins vorgenommen. Betrifft dieser den außervertraglichen Bereich, ist auch die Haftung der Muttergesellschaft nicht als vertraglich einzuordnen. Haftet demnach die Muttergesellschaft im Bereich nichtvertraglicher Haftung für die 862

Siehe dazu schon oben 4. Teil, 6. Kapitel: II.1.b)bb), S. 298. Zur Weiterentwicklung der Dumez-Rechtsprechung 4. Teil, 6. Kapitel: II.1.b)bb), S. 298. 864 Siehe dazu oben 4. Teil, 6. Kapitel: II.1.b)bb), S. 298. 863

6. Kap.: Besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung

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Folgen eines Fehlverhaltens der Tochtergesellschaft, weil sie den Anschein erweckt hat, es handele sich um ihr eigenes Verhalten, so ist die Haftung inhaltsgleich mit der scheinbar die Tochtergesellschaft betreffenden Haftung. Der Gläubiger kann somit einen Anspruch, der eine Schadenshaftung begründet, die nicht auf einen Vertrag zurückgeht, am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO geltend machen. Der Ort des schädigenden Ereignisses bestimmt sich nach dem jeweiligen zugrunde liegenden Anspruch. 4. Société fictive und confusion des patrimoines Ansprüche wegen société fictive und confusion des patrimoines können nicht am Gerichtsstand des Erfüllungsortes eingeklagt werden. Damit kommt eine Geltendmachung im Rahmen des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO durchaus in Betracht. a) Unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist Die Haftung aufgrund von société fictive und confusion des patrimoines ist nicht als vertraglich im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO einzuordnen. Haftungsgrund ist die Verletzung des Eigeninteresses einer tatsächlich bestehenden und rechtlich anerkannten Gesellschaft.865 Die Sanktion wirkt im Interesse der Gläubiger der insolventen Tochtergesellschaft. Demnach sind diese in den Schutzbereich der Haftungsnorm einbezogen. Ferner zielt die Haftung auf einen Ausgleich des beim Gläubiger eingetretenen Vermögensnachteils ab, so dass sie auf einem Schadensersatzanspruch i. S. d. Vorschrift beruht. Demnach liegt zumindest eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, vor. b) Ort des schädigenden Ereignisses Auch bei der société fictive ist als eigentlicher Primärschaden die Zahlungsunfähigkeit des abhängigen Unternehmens anzusehen. Die Schäden im Vermögen der Gläubiger sind nur Folgeschäden. Sie begründen keinen Gerichtsstand. Damit liegt der Erfolgsort am Sitz der abhängigen Gesellschaft. In Anlehnung an die Dumez-Rechtsprechung und aus Praktikabilitätserwägungen ist folglich eine Zuständigkeit am Hauptverwaltungssitz der abhängigen Gesellschaft zu befürworten. 865

Vgl. Reiner, S. 243; näheres dazu oben 4. Teil, 5. Kapitel: III.5., S. 275.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

5. Haftung wegen unerlaubter Handlungen gemäß Art. 1382 C. civ. Haftet die Muttergesellschaft aufgrund der allgemeinen Deliktsnorm des Art. 1382 C. civ., so liegt die Einordnung unter Art. 5 Nr. 3 EuGVVO nahe. Entsprechend der Weite der Generalklausel des Art. 1382 C. civ. wird nach französischem Recht sämtlichen Ansprüchen, die nicht auf ein Vertragsverhältnis zurückgeführt werden können, deliktischer Charakter zugesprochen. Dies scheint der Definition der unerlaubten Handlung i. S. d. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO zunächst zu entsprechen. Allerdings ist zu bedenken, dass auch der Vertragsbegriff i.R. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO weit ausgelegt wird, so dass es durchaus denkbar ist, dass einige Fallkonstellationen, die nach französischem Recht dem Art. 1382 C. civ. zuzuordnen sind, nicht in den Anwendungsbereich des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung, sondern unter Art. 5 Nr. 1 EuGVVO fallen. Hier kann nun auch das Urteil des französischen Kassationshofs aus dem Jahre 1990866 herangezogen werden: Das Urteil betrifft die Haftung des Geschäftsleiters gegenüber den Arbeitnehmern der beherrschten Tochtergesellschaft, welche gestützt auf Art. 1382 f. C. civ. auf Ersatz des entgangenen Lohns klagten. Handelt es sich um Ansprüche der Gläubiger der abhängigen Gesellschaft, kann die Haftung auch nicht auf einem irgendwie gearteten Sonderrechtsverhältnis beruhen. Die Gläubiger unterhalten keine rechtsgeschäftlichen Beziehungen zum herrschenden Unternehmen. Die Haftung ist ferner auf Schadensausgleich gerichtet, so dass sie in den Anwendungsbereich des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO fällt. Etwas anderes gilt jedoch möglicherweise, wenn eine sog. action oblique (Art. 1166 C. civ.) vorliegt. In diesem Fall nehmen die Gläubiger nicht direkt durch das Verhalten der Muttergesellschaft Schaden, sondern indirekt dadurch, dass die Handlung der herrschenden Gesellschaft das Vermögen der abhängigen Gesellschaft schmälert. Den der Tochtergesellschaft entstandenen Schaden können die Gläubiger für sie geltend machen.867 Machen die Gläubiger nur den Anspruch der Gesellschaft geltend und kann dieser wiederum wie die anderen Innenhaftungsansprüche vertraglich qualifiziert werden, sind auch die Gläubiger auf den Gerichtsstand des Erfüllungsortes verwiesen. Klagt der Gläubiger dagegen einen eigenen Anspruch ein, kann er diesen am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung geltend machen. Bei pflichtwidriger Leitung der abhängigen Gesellschaft kann der Handlungsort je nach Maßnahmen auch am Sitz der abhängigen Gesellschaft liegen. Meist werden die Handlungen der Geschäftsleiter jedoch wohl vom 866 Cass. Soc., Urt. v. 3.4.1990 – Montefibre – Rev. Soc. 1990, 625 m. Anm. Guyon (627 f.). 867 Wolf, S. 40 Fn. 129.

6. Kap.: Besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung

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Sitz der herrschenden Gesellschaft ausgehen. In entsprechender Weiterentwicklung der Dumez-Rechtsprechung kann am Sitz der abhängigen Gesellschaft aber zumindest der Erfolgsort angenommen werden. Ansprüche der Gläubiger der abhängigen Gesellschaft gegen die Muttergesellschaft gemäß Art. 1382 C. civ. können demnach am Hauptverwaltungssitz der abhängigen Gesellschaft als Ort der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO geltend gemacht werden. 6. Zusammenfassung Grundsätzlich ist damit auch für Konzernaußenhaftungsansprüche nach französischem Recht eine internationale Zuständigkeit am Ort der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO im Inland am Hauptverwaltungssitz der Tochtergesellschaft gegeben.

IV. Zwischenbetrachtung 1. Praktische Relevanz Abschließend soll noch auf die praktische Relevanz der Unterscheidung zwischen vertraglichem und deliktischem Gerichtsstand eingegangen werden. Die Tatsache, dass ein ebenso günstiger Gerichtsstand in vielen Fällen auch über Art. 5 Nr. 3 EuGVVO hergeleitet werden kann, mag der Qualifikation im Hinblick auf das praktische Ergebnis eine gewisse Bedeutung absprechen.868 Die praktische Relevanz der Unterscheidung scheint auf den ersten Blick eher gering, da sowohl Art. 5 Nr. 1 EuGVVO als auch Art. 5 Nr. 3 EuGVVO eine Zuständigkeit der Gerichte am Sitz der abhängigen Gesellschaft begründen. Unterschiede ergaben sich früher im Verhältnis der Mitgliedstaaten des Luganer Übereinkommens, als noch ein Vorbehalt der Schweiz bestand, Entscheidungen von Gerichten, die ihre Zuständigkeit allein auf Art. 5 Nr. 1 LugÜ stützten, nicht zu vollstrecken, wenn ein Einspruch des Schuldners vorlag.869 Der Vorbehalt ist jedoch mittlerweile ausgelaufen.870 In Zukunft kommt diesen Fällen keine Bedeutung mehr zu. Allerdings können Satzungs- und Hauptverwaltungssitz der abhängigen Gesellschaft auseinanderfallen. Es sind zudem Fälle denkbar, in denen eine schädigende Handlung in einem Drittland erfolgt und Art. 5 Nr. 3 868

Brödermann, ZIP 1996, 491, 493 lässt diese Frage daher offen. Art. I a im Protokoll Nr. 1 über bestimmte Zuständigkeits-, Verfahrens- und Vollstreckungsfragen vom 16. September 1988, BGBl. 1994 II, 2693. 870 Der Vorbehalt lief zum 31.12.1999 aus. 869

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

EuGVVO damit einen weiteren möglichen Gerichtsstand am Handlungsort eröffnen würde.871 2. Zwischenergebnisse Gegenwärtig zeigt die Untersuchung, dass neben dem allgemeinen Gerichtsstand am Sitz des beklagten herrschenden Unternehmens regelmäßig ein besonderer Gerichtsstand am Sitz des abhängigen Unternehmens für die Geltendmachung konzernspezifischer Haftungsansprüche eröffnet ist. Als Abgrenzungskriterium von Art. 5 Nr. 1 und 3 EuGVVO wurde vor allem die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenhaftungsansprüchen als entscheidend angesehen.872 Aus den Umständen und der Natur des Beherrschungsvertrags bzw. des Konzernverhältnisses sowie der organschaftlichen Sonderrechtsbeziehung konnte in allen Fällen ein Erfüllungsort am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft ermittelt werden. Dort besteht demnach ein inländischer Gerichtsstand. Dieses Ergebnis beim materiellrechtlichen Begriff des Erfüllungsortes soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Sachnähe des Sitzgerichts erst aus dem Erfüllungsort resultiert, sie begründet als prozessuales Kriterium nicht den Erfüllungsort. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH ist an der Bestimmung des Erfüllungsortes nach der lex causae sogar dann festzuhalten, wenn das auf diese Weise bestimmte Gericht nicht dasjenige mit der engsten Verbindung zu dem Rechtsstreit ist.873 Der Ort des schädigenden Ereignisses in Form des Erfolgsortes liegt in Anlehnung an die Dumez-Rechtsprechung und aus Praktikabilitätserwägungen am Sitz der abhängigen Gesellschaft. Denn eigentlicher Primärschaden ist die Zahlungsunfähigkeit des abhängigen Unternehmens. Die Schäden im Vermögen der Gläubiger sind nur Folgeschäden, die keinen eigenen Gerichtsstand begründen. Somit besteht auch eine Zuständigkeit gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO im Inland am Hauptverwaltungssitz der abhängigen Gesellschaft.

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Vgl. dazu Haubold, IPRax 2000, 375, 378. Auch Mage (S. 188) äußert sich zu einer Unterscheidung von Streitigkeiten, die die interne Organisation der juristischen Person betreffen, und solchen zwischen Gesellschaft und Dritten, die im Rahmen der wirtschaftlichen Betätigung der Gesellschaft entstehen. Über erstere Streitigkeiten sollen ihrer Meinung nach die Gerichte am Sitz der Gesellschaft entscheiden. Letztere fallen nicht notwendigerweise in den Bereich der Konzernhaftung. Im Rahmen des Kollisionsrechts gab es ähnliche Ansätze. 873 EuGH, Urt. v. 29.6.1994, Rs. C-288/92 – Custom Made Commercial/Stawa Metallbau – Slg. 1994 I-2913, 2957 Rn. 21. 872

7. Kap.: Besonderer Gerichtsstand der Niederlassung

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7. Kapitel

Besonderer Gerichtsstand der Niederlassung gemäß Art. 5 Nr. 5 EuGVVO Eine weitere Zuständigkeit für Konzernhaftungsansprüche könnte sich an dem Gerichtsstand der Niederlassung gemäß Art. 5 Nr. 5 EuGVVO ergeben. Handelt es sich bei Konzernhaftungsansprüchen um Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung, kann vor dem Gericht des Ortes, an dem sich diese befindet, geklagt werden. Nach Art. 5 Nr. 5 EuGVVO könnte die ausländische Muttergesellschaft am Sitz der inländischen Tochtergesellschaft verklagt werden.874 Der Grund für die Schaffung eines Gerichtsstands der Niederlassung liegt darin, dass der Beklagte seine Geschäftstätigkeit von diesem Ort aus entfaltet hat und es deshalb unbillig wäre, wenn er den Kläger auf den möglicherweise fernen allgemeinen Gerichtsstand des Art. 2 EuGVVO verweisen könnte.875 Auf den Weg zu den ausländischen Gerichten am Sitz der Hauptniederlassung soll derjenige nicht verwiesen werden, der nur mit der inländischen Niederlassung eines ausländischen Unternehmens in Kontakt getreten ist.876

I. Begriff der Niederlassung Voraussetzung für eine Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 5 EuGVVO ist, dass das abhängige Unternehmen hinsichtlich der konkreten streitigen Verpflichtung als Niederlassung des herrschenden Unternehmens betrachtet werden kann. Als Niederlassung kommt dabei nur die Tochtergesellschaft in Betracht, mit der jeweils die Rechtsbeziehung besteht. 1. Autonome Auslegung Der Wortlaut des Art. 5 Nr. 5 EuGVVO lässt eine weite Interpretation zu, wenn man die verschiedenen sprachlichen Fassungen miteinander vergleicht. Der Begriff „filiale“ der italienischen Fassung hat beispielsweise überhaupt keine handelsrechtlich-technische Bedeutung und wird im italie874 Eine Zuständigkeit am Sitz der Zweigniederlassung behandelt Kuckertz nur nach autonomem Zivilprozessrecht (S. 161 f.). Der Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 5 EuGVVO wird von Kuckertz nicht in Erwägung gezogen. 875 Kropholler, EuZPR, Art. 5 Rn. 88. 876 Schlosser, EUZPR, Art. 5 Rn. 23.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

nischen Recht auch nicht verwendet.877 Auch die weiten Begriffe „tout autre établissement“ der französischen und „vestiging“ der niederländischen Fassung schließen rechtlich selbständige Gebilde als Niederlassung nicht aus.878 Der EuGH nimmt die Auslegung der Begriffe „Zweigniederlassung“, „Agentur“ und „sonstige Niederlassung“ autonom vor, um so einen allen Vertragsstaaten gemeinsamen Norminhalt zu ermitteln.879 Dabei werden die mitgliedstaatlichen Prozessrechte, die diesen Gerichtsstand kennen,880 und die bilateralen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen, die ihn vorsehen, berücksichtigt. Die einzige Kommentierung der Vorschrift im JenardBericht bezieht sich auf letztere Abkommen.881 Ansonsten enthalten die Berichte zum Übereinkommen keine Anhaltspunkte. Hinsichtlich der rechtsvergleichenden Komponente der vertragsautonomen Auslegung des Begriffs der Niederlassung kann aber auf die Grundsätze zurückgegriffen werden, die zu den einschlägigen nationalen Gerichtsständen entwickelt worden sind.882 Dabei kann neben § 21 ZPO und Art. 19 Abs. 1 Satz 2 Codice di procedura civile (CPC) auch die von der französischen Rechtsprechung entwickelte Theorie der gares principales herangezogen werden. Der Begriff der Theorie von den gares principales883 rührt von den ersten Urteilen her, die im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten gegen Eisenbahngesellschaften ergingen.884 Diese Entscheidungen haben die Möglichkeit eröffnet, die Eisenbahngesellschaft vor den Gerichten zu verklagen, an denen sich eine wesentliche Vertretung der Gesellschaft befand.885 Die Erstreckung dieser Rechtsprechung allgemein auf Gesellschaften führt dazu, dass eine Klage gegen die Gesellschaft auch am Sitz der Zweigniederlassung erhoben werden kann, wenn es sich um eine hinreichend große Vertretung der Gesellschaft handelt. Dieses Prinzip bzw. diese Theorie der gares principales herrscht ebenso in Belgien vor.886 Die Theorie der gares principales ist 877

Dort spricht man von stabilimento, vgl. Kronke, IPRax 1989, 81, 82. Vgl. Jaspert, S. 68. 879 EuGH, Urt. v. 22.11.1978, Rs. 33/78 – Somafer/Saar-Ferngas – Slg. 1978, 2183, 2192 Rn. 8. 880 § 21 Abs. 1 ZPO; Art. 19 Abs. 1 Satz 2 Codice di procedura civile; französische Rechtsprechung zu den gares principales. 881 Jenard-Bericht, ABl. EG v. 5.3.1979, Nr. C 59, S. 1, 26. 882 Linke, IPRax 1982, 46, 47. 883 Vgl. die Begriffserklärungen bei Mage, S. 148 ff.; Couchez, Nr. 82. 884 Mage, S. 148. 885 Cass. Req., Urt. v. 15.4.1893, D. P. 1894.I.I.539 (zitiert bei Couchez, Nr. 82). 886 Bruxelles, Urt. v. 18.1.1924, RDIP 1927, 84. 878

7. Kap.: Besonderer Gerichtsstand der Niederlassung

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im internationalen Bereich ebenso anwendbar wie im nationalen Bereich.887 Besitzt eine ausländische Gesellschaft in Frankreich eine Zweigniederlassung, kann unter den geforderten Voraussetzungen auch vor deren Gerichten geklagt werden. 2. Rechtsprechung des EuGH zu Art. 5 Nr. 5 EuGVVO Der EuGH hat die bisherigen Vorlagefragen zu Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ allein auf der Grundlage der vertragsautonomen Interpretation beantwortet.888 Zur Auslegung des Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ hat er bisher mehrfach Stellung nehmen müssen.889 Zunächst mit dem Urteil in Sachen De Bloos/ Bouyer,890 in dem er die Qualifikation eines Alleinvertriebshändlers als „sonstige Niederlassung“ verneint hat; weiter mit dem Urteil in Sachen Somafer/Saar-Ferngas,891 in dem er sich sowohl zum Auslegungsmaßstab als auch zur Interpretation des Niederlassungsbegriffs sowie des Kriteriums der Betriebsbezogenheit der Klage geäußert hat; ferner mit dem Urteil in Sachen Blanckaert/Trost,892 in dem er in Bestätigung seiner früheren Entscheidungen die Qualifikation des Vermittlungsvertreters als „Agentur oder sonstige Niederlassung“ verneint hat, wodurch die weitere Auslegungsfrage hinfällig wurde; und schließlich mit dem Urteil in Sachen Schotte/Parfums Rothschild,893 in dem er für letztlich entscheidend nicht die für den Kläger oft schwer zu durchschauende interne Organisation zwischen inländischem und ausländischem Unternehmsteil hielt, sondern den gegenüber Dritten erzeugten Rechtsschein. Die funktional entscheidenden Merkmale für eine Niederlassung sind nach den Urteilen einerseits die Ausübung von Aufsicht und Leitung durch das Stammhaus (De Bloos/Bouyer), anderseits das Hervortreten der Außenstelle eines Stammhauses (Blanckaert/Trost). Die Kriterien werden in der Entscheidung Somafer/Saar-Ferngas konkretisiert. Infolge Somafer/SaarFerngas ist „mit dem Begriff der Zweigniederlassung, der Agentur oder der sonstigen Niederlassung ein Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit gemeint, der auf Dauer als Außenstelle eines Stammhauses hervortritt, eine Ge887

Mage, S. 150. Grundlegend in Somafer/Saar-Ferngas (EuGH, Urt. v. 22.11.1978, Rs. 33/78, Slg. 1978, 2183, 2192 Rn. 8; siehe auch Bülow/Böckstiegel/Auer, 540 Art. 5 Rn. 183, 196. 889 Zu den Auslegungsergebnissen des EuGH im Einzelnen vgl. Linke, IPRax 1982, 46, 47 ff. 890 EuGH, Urt. v. 6.10.1976, Rs. 14/76, Slg. 1976, 1497 ff. 891 EuGH, Urt. v. 22.11.1978, Rs. 33/78, Slg. 1978, 2183 ff. 892 EuGH, Urt. v. 18.3.1981, Rs. 139/80, Slg. 1981, 838 ff. 893 EuGH, Urt. v. 9.12.1987, Rs. 218/86, Slg. 1987, 4905 ff. 888

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

schäftsführung hat und sachlich so ausgestattet ist, dass er in der Weise Geschäfte mit Dritten betreiben kann, dass diese, obgleich sie wissen, dass möglicherweise ein Rechtsverhältnis mit dem im Ausland ansässigen Stammhaus begründet wird, sich nicht unmittelbar an dieses zu wenden brauchen, sondern Geschäfte an dem Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit abschließen können, der dessen Außenstelle ist“.894 In der Entscheidung in Sachen Schotte/Parfums Rothschild knüpft der EuGH schließlich vor allem an Somafer/Saar-Ferngas an und präzisiert den Gerichtsstand der Niederlassung weiter. Dem Entscheidungstenor zufolge steht das „Tätigwerden mit Hilfe einer gleichnamigen selbständigen Gesellschaft mit identischer Geschäftsführung“ dem Tätigwerden mittels Zweigniederlassung bzw. Agentur o. ä. gleich. Bis dahin ging es vorwiegend um die Frage, ob die Organisation der „Filiale“ als selbständige Gesellschaft – eventuell mit Rechtspersönlichkeit – bei Klagen gegen das Unternehmen den Niederlassungsgerichtsstand verschließt.895 In dem Urteil in Sachen Schotte/Parfums Rothschild war über eine Klage gegen die ausländische Tochtergesellschaft am Sitz der inländischen Muttergesellschaft zu entscheiden. Der EuGH legt in dem Urteil das Gewicht erneut auf den Gesichtspunkt des Rechtsscheins. Er geht von einer Anwendbarkeit der Vorschrift auf eine in einem Vertragsstaat ansässige juristische Person aus, sofern diese selbständig und gleichnamig ist und im Namen des eigentlichen Vertragspartners verhandelt und/oder abschließt und deren sich der Vertragspartner wie einer Außenstelle bedient. Die gesellschaftsrechtliche Trennung von Mutter- und Tochtergesellschaft ist danach im Rahmen des Art. 5 Nr. 5 EuGVVO jedenfalls unbeachtlich, wenn eine hundertprozentige Anteilsinhaberschaft sowie Gleichnamigkeit, identische Geschäftsführung und ein Handeln im Namen des ausländischen Unternehmens gegeben sind. 3. Beurteilung der Rechtsprechung Der EuGH legt die Tatbestandsmerkmale des Art. 5 Nr. 5 EuGVVO demnach autonom aus, indem er eine Kombination von Merkmalen intensiver Leitung mit dem Erfordernis der Entfaltung eigenständiger geschäftlicher Aktivitäten über einen gewissen Zeitraum wählt.896 Die funktional entscheidenden Merkmale sind nach den Urteilen des EuGH in Sachen De Bloos/Bouyer und Blanckaert/Trost zum einen die Ausübung von Aufsicht 894 EuGH, Urt. v. 22.11.1978, Rs. 33/78 – Somafer/Saar-Ferngas – Slg. 1978, 2183, 2193 Rn. 12. 895 Kronke, IPRax 1989, 81; vgl. auch Stein/Jonas/Roth, § 21 Rn. 18. 896 Vgl. auch EuGH, Urt. v. 6.4.1995, Rs. C-439/93 – Lloyd’s Register of Shipping/Campenon Bernard – Slg. 1995 I-961, 980 Rn. 18 f.

7. Kap.: Besonderer Gerichtsstand der Niederlassung

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und Leitung durch das Stammhaus897 und zum anderen das Hervortreten der Außenstelle eines Stammhauses.898 Die andere grundlegende Entscheidung des EuGH in Sachen Somafer/Saar-Ferngas arbeitet als Kriterien der „die Abweichung von der allgemeinen Regel des actor sequitur forum rei rechtfertigenden besonderen Verknüpfung“ heraus: einen Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit, der auf Dauer als Außenstelle eines Stammhauses hervortritt, der eine Geschäftsführung hat und sachlich so ausgestattet ist, dass der Geschäftsverkehr mit Dritten dort erfolgt und Dritte sich auch an die Außenstelle wenden können.899 Diese Kriterien werden mit dem Ziel entwickelt, dass sie „ohne Schwierigkeiten nachgewiesen werden“ können. Einen Ausgleich zwischen den Interessen von Kläger und Beklagtem findet der EuGH dadurch, dass er von der Anwendbarkeit des Art. 5 Nr. 5 EuGVVO auf eine in einem Vertragsstaat ansässige juristische Person ausgeht, sofern diese möglicherweise zwar selbständig, jedoch gleichnamig ist und im Namen des eigentlichen Vertragspartners verhandelt und abschließt. Erfasst ist eine juristische Person, deren sich der Vertragspartner wie einer Außenstelle bedient. Die Entscheidung in Sachen Schotte/Parfums Rothschild ist für eine adäquate international-prozessrechtliche Erfassung von Konzernsachverhalten von besonderer Bedeutung.900 Eine Tochtergesellschaft verfügt anders als eine typische Zweigniederlassung über eine eigene Rechtspersönlichkeit und eigenes Gesellschaftsvermögen, so dass sie im engeren Sinne nicht als Außenstelle der Mutter angesehen werden kann, nachdem sie in diese weder wirtschaftlich noch organisatorisch eingegliedert ist.901 Eine Tochtergesellschaft wird typischerweise für sich selbst tätig und unterliegt in ihren täglichen Geschäften nicht der Aufsicht und Leitung der Muttergesellschaft.902 Dies würde eigentlich dazu führen, dass eine abhängige Gesellschaft im Allgemeinen nicht unter Art. 5 Nr. 5 EuGVVO fällt. Die Frage, ob die rechtliche Selbständigkeit der Tochtergesellschaft einer Zuständigkeitsbegründung am Gerichtsstand der Niederlassung gemäß Art. 5 Nr. 5 EuGVVO entgegensteht, hat der EuGH beantwortet, indem er herausgestellt hat, wann die eigentliche, konzerntypische rechtliche Trennung je897 EuGH, Urt. v. 6.10.1976, Rs. 14/76 – De Bloos/Bouyer – Slg. 1976, 1497, 1509 Rn. 20/22. 898 EuGH, Urt. v. 18.3.1981, Rs. 139/80 – Blanckaert/Trost – Slg. 1981, 819, 829 Rn. 12. 899 EuGH, Urt. v. 22.11.1978, Rs. 33/78 – Somafer/Saar-Ferngas – Slg. 1978, 2183, 2193 Rn. 12. 900 Kronke, IPRax 1989, 81. 901 Vgl. dazu Maul, AG 1998, 404, 408. 902 Fawcett, EurLRev 9 (1984), 326, 337 f.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

denfalls für Zwecke des internationalen Zivilverfahrensrechts unbeachtlich ist und damit Art. 5 Nr. 5 EuGVVO zur Anwendung kommen kann. Abweichend vom deutschen handelsrechtlichen Niederlassungsbegriff, der nur rechtlich unselbständige, räumlich getrennte Teile eines Unternehmens erfasst,903 kann eine Niederlassung im kompetenzrechtlichen Sinne insofern auch am Sitz der rechtlich selbständigen Tochtergesellschaft des ausländischen Unternehmens bestehen.904 Die Formel, die der EuGH gefunden hat, stellt auf eine hundertprozentige Anteilsinhaberschaft, Gleichnamigkeit, eine identische Geschäftsführung sowie ein Handeln im Namen des ausländischen Unternehmens ab. Das Handeln im Namen eines anderen Unternehmensgliedes ist Indiz für die Schaffung eines Rechtsscheins. Als alleiniges maßgebliches Kriterium kommt es nicht in Betracht, da die Gefahr der Manipulation besteht. Ein weiteres Indiz ist die personelle Identität der Geschäftsführungen, obwohl ein entsprechender Vertrauenstatbestand möglicherweise auch unabhängig davon geschaffen werden kann. Auch die hundertprozentige Anteilsinhaberschaft scheint nicht ein unabdingbares Merkmal in diesem Zusammenhang zu sein. Eine Mehrheitsbeteiligung, die Interessengleichheit hervorruft, dürfte als ausreichend angesehen werden. Die Art und Weise der Unternehmensverbindung und die rechtliche Ausgestaltung der Beziehungen der einzelnen Unternehmen ist für die Zuständigkeitsbegründung nach Art. 5 Nr. 5 EuGVVO unerheblich. Dies ist gerade für Konzernhaftungsansprüche von besonderer Bedeutung. Die Ausgestaltung der Leitungsmacht differiert in den einzelnen Mitgliedstaaten. Als Indiz für Interessengleichlauf kann daher neben der Mehrheitsbeteiligung der Beherrschungsvertrag dienen.905 Für die Schutzbedürftigkeit des Klägers als außenstehender Dritter kommt es nicht auf die interne Organisation zwischen inländischem und ausländischem Unternehmensteil und die kaum erkennbaren Innenbeziehungen an, sondern auf die „Art und Weise, wie sich diese beiden Unternehmen im Geschäftsleben verhalten und wie sie sich Dritten gegenüber in ihren Handelsbeziehungen darstellen“.906 Entscheidender Gesichtspunkt ist also der Rechtsschein.

903

Vgl. Hachenburg/Ulmer, § 12 Rn. 4; Ebenroth/Boujong/Joost/Pentz, HGB, § 13 Rn. 15 ff., 17. 904 Schlosser, EUZPR, Art. 5 Rn. 23. 905 Fortführung des Gedankens und Ausweitung auf andere Fälle bei Kronke, IPRax 1989, 81, 83. 906 EuGH, Urt. v. 9.12.1987, Rs. 218/86 – Schotte/Parfums Rothschild – Slg. 1987, 4905, 4920 Rn. 16 = IPRax 1989, S. 96 f. m. Anm. Kronke (81 ff.) = NJW 1988, 625 = RIW 1988, 136 f. m. Anm. Geimer (220); dazu Bischoff, JDI 1988, 544 ff.

7. Kap.: Besonderer Gerichtsstand der Niederlassung

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Teilweise wird angenommen, dass der besondere Gerichtsstand der Niederlassung eröffnet sei, wenn der Kläger vorbringt, kraft des von den Beteiligten erzeugten Rechtsscheins habe er auf die Konzernhaftung der ausländischen Muttergesellschaft vertrauen dürfen. Art. 5 Nr. 5 EuGVVO verschaffe dagegen keinen besonderen Gerichtsstand für Klagen, mit denen Ansprüche in Analogie zu § 303 AktG verfolgt werden.907 Vertraut der Gläubiger auf die Konzernhaftung der Muttergesellschaft, geht er allerdings gerade nicht von einem Unternehmen aus, sondern hat Kenntnis davon, dass jedes Unternehmen, also auch das abhängige Unternehmen, als Vertragspartner für die eigenen Schulden jeweils selbst einzustehen hat. Bei den Außenhaftungsansprüchen auf Sicherheitsleistung oder der Ausfallhaftung bzw. Existenzvernichtungshaftung rechnet der Gläubiger zunächst schon gar nicht mit der Haftung des herrschenden Unternehmens. Insofern kann ein Rechtsschein nicht entstehen. Letztlich ist eine rechtlich selbständige Gesellschaft im Hinblick auf Art. 5 Nr. 5 EuGVVO als Niederlassung einer gleichnamigen ausländischen juristischen Person anzusehen, wenn sie in deren Namen verhandelt und Geschäfte abschließt und ihr als Außenstelle dient. Voraussetzungen bzw. Kriterien sind die Personenidentität der Geschäftsführungen beider Gesellschaften oder der Rechtsschein eines einheitlichen Unternehmens, den die beteiligten Gesellschaften erzeugt haben. 4. Allgemeiner prozessualer Durchgriff Fraglich ist, ob Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ herangezogen werden kann, wenn eine Konzerngesellschaft nicht – auch nicht scheinbar – für das andere Konzernunternehmen gehandelt hat, ob also die Konzernzugehörigkeit als solche ausreicht. Dies würde auf einen allgemeinen prozessualen Durchgriff 908 bei Konzernhaftungssachverhalten hinauslaufen. Die wie eine Betriebsabteilung geführte Tochtergesellschaft909 wäre dann für Zwecke des Prozessrechts nur rechtlich selbständig, in der Sache aber die „bloße Außenstelle eines Stammhauses“910 und damit eine Niederlassung der Muttergesellschaft i. S. d. Art. 5 Nr. 5 EuGVVO.911 907

Kulms, IPRax 2000, 488, 490; vgl. auch Fawcett, EurLRev 9 (1984), 326,

338. 908 Vgl. zu dem Begriff in diesem Zusammenhang: Zimmer, IPRax 1998, 187, 191; Kindler, in FS Ulmer, S. 305, 320. 909 Vgl. zu diesem Kriterium schon 2. Teil, 1. Kapitel: III.1., S. 54 zum qualifizierten faktischen Konzern. 910 EuGH, Urt. v. 22.11.1978, Rs. 33/78 – Somafer/Saar-Ferngas – Slg. 1978, 2183, 2193 Rn. 12. 911 So Jaspert, S. 69.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Zu den Beteiligungsverhältnissen hat der EuGH keine Stellung genommen.912 Die Auslegung des Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ durch deutsche Gerichte913 führt dagegen bisweilen zu Ergebnissen, die Ähnlichkeiten mit der US-amerikanischen Rechtsprechung zum prozessualen Durchgriff auf ausländische Muttergesellschaften aufgrund eines minimum contact mit den USA aufweisen.914 Insofern könnte man erwägen, den Gedanken substance over form heranzuziehen und einen Vergleich mit dem von US-amerikanischen Gerichten gewährten Zuständigkeitsdurchgriff auf Muttergesellschaften anzustellen.915 Im Gegensatz zur Rechtsprechung des EuGH in Sachen Schotte/ Parfums Rothschild, die sich auf den im Rechtsverkehr erweckten Rechtsschein stützt, handelt es sich um ein Zurechnungskonzept, welches auf die konzerninternen Realitäten abstellt. Dieses Anwendungsmodell stünde nicht im Widerspruch zu der Rechtsprechung des EuGH, sondern könnte daneben zur Anwendung kommen.916 Ein derartiger Zuständigkeitsdurchgriff birgt jedoch die Gefahr, dass die umfassende materiellrechtliche Prüfung in den Bereich der Zuständigkeit vorverlagert wird, mithin Unklarheiten bezüglich Art und Ausmaß der Einflussnahme auf die Geschäftsführung des abhängigen Unternehmens schon im Rahmen des Art. 5 Nr. 5 EuGVVO untersucht werden müssten.917 Gerade bei Konzernhaftungsansprüchen bereitet dies besondere Schwierigkeiten, da die Ausgestaltung der Leitungsmacht in den einzelnen Mitgliedstaaten differiert. Das Bedürfnis nach klaren und einfach handhabbaren Zuständigkeitsregeln spricht daher für ein Verfahren nach dem Prinzip form over substance.918 Für die Schutzbedürftigkeit des Klägers kommt es nicht auf die interne Organisation zwischen inländischem und ausländischem Unternehmensteil an, sondern auf die „Art und Weise, wie sich diese beiden Unternehmen im Geschäftsleben verhalten und wie sie sich Dritten gegenüber in ihren Handelsbeziehungen darstellen“.919 Nur 912 Vgl. dazu die Schlussanträge des Generalanwalts Sir Gordon Slynn in Sachen Schotte/Parfums Rothschild, Slg. 1987, 4905, 4913 f.; Gaudemet-Tallon (Nr. 232) stellt auf die wirtschaftliche Abhängigkeit der Tochtergesellschaft ab. 913 OLG München, Urt. v. 29.5.1998, RIW 1999, 872 m. Anm. Emde, EWiR Art. 5 EuGVÜ 3/99, 1119 f.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.5.1995, WM 1995, 1349, 1350 = IPRax 1997, 115 ff. m. Anm. Thorn (98 ff.). 914 Vgl. dazu Otto, Durchgriff, S. 79 ff., 179 f.; Grothe, RabelsZ 58 (1994), 686, 694 ff., 701 ff.; H. Müller, Doing business, S. 19 ff.; vgl. auch Thorn, IPRax 1997, 98, 100. 915 Vgl. dazu Zimmer, IPRax 1998, 187, 191; vgl. zum Zuständigkeitsdurchgriff auf Muttergesellschaften Otto, S. 50 ff.; H. Müller, Doing business; Schack, Minimum Contacts, S. 36. 916 Zimmer, IPRax 1998, 187, 191. 917 Zimmer, IPRax 1998, 187, 191; vgl. zum US-amerikanischen Recht: Schack, Minimum Contacts, S. 36. 918 Zimmer, IPRax 1998, 187, 191.

7. Kap.: Besonderer Gerichtsstand der Niederlassung

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daraus kann der Kläger auf einen Interessengleichlauf der Unternehmen schließen. Andernfalls rechnet er womöglich gar nicht mit einer Klagemöglichkeit im Inland. Art. 5 Nr. 5 EuGVVO erlaubt damit allein keinen allgemeinen Zuständigkeitsdurchgriff auf die Muttergesellschaft.920 5. Zusammenfassung Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass für die Beurteilung der Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 5 EuGVVO das dauerhafte Auftreten der Niederlassung im Geschäftsverkehr als Außenstelle eines Stammhauses entscheidend ist. Anhaltspunkte sind beispielsweise hundertprozentige Anteilsinhaberschaft, Namensgleichheit (wobei der Rechtsformzusatz unbeachtlich ist), gemeinsame Geschäftsführung, gemeinsames Auftreten bei den Vertragsverhandlungen oder der Vertragsdurchführung bzw. Handeln im Namen des beklagten Unternehmens.921 Als Indiz für einen Interessengleichlauf kann aber unter Umständen neben der Mehrheitsbeteiligung auch der Beherrschungsvertrag dienen.922 Eigenständig firmierende und organisierte Inlandsunternehmen werden wohl nicht von Art. 5 Nr. 5 EuGVVO erfasst.923 Bei einer beherrschungsvertraglich gebundenen Tochtergesellschaft wird ein solcher Rechtsschein häufig nicht entstehen, da sie in der Regel in eigenem Namen im Rechtsverkehr auftritt.924 Wurde dennoch für Gläubiger der Anschein erweckt, es handele sich nur um ein einziges Unternehmen und der Kontakt sei auch mit der Muttergesellschaft zustande gekommen, so kann die herrschende Gesellschaft unter Umständen am Sitz der abhängigen Gesellschaft verklagt werden. Dies wird häufig in den Konstellationen der apparence der Fall sein. Bei der Einordnung als Niederlassung ist schließlich jedoch eine einzelfallbezogene Betrachtung geboten.

919 EuGH, Urt. v. 9.12.1987, Rs. 218/86 – Schotte/Parfums Rothschild – Slg. 1987, 4905, 4920 Rn. 16 = IPRax 1989, S. 96 f. m. Anm. Kronke (81 ff.) = NJW 1988, 625 = RIW 1988, 136 f. m. Anm. Geimer (220). 920 Bülow/Böckstiegel/Auer, 540 Art. 5 Rn. 191; MünchKommZPO/Gottwald, IZPR, Art. 5 Rn. 54. 921 MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 638; Kronke, IPRax 1989, 81, 83; vgl. auch Thorn, IPRax 1997, 98, 100. 922 Vgl. dazu schon oben 4. Teil, 7. Kapitel: I.3., S. 322. 923 OLG München, Urt. v. 21.1.1992, NJW-RR 1993, 701 (Leitsatz) = RIW 1994, 59 m. Anm. Geimer (59 ff.); Schlosser, EUZPR, Art. 5 Rn. 23; Kindler, in FS Ulmer, S. 305, 321. 924 So Maul, AG 1998, 404, 409.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

II. Betriebsbezogenheit Das Merkmal der Betriebsbezogenheit der Klage ist ebenso vertragsautonom zu bestimmen wie der Niederlassungsbegriff. Das ergibt sich aus der Interdependenz beider Begriffskomplexe. Nach der Rechtsprechung des EuGH gehören dazu einmal Streitigkeiten, die aus der Führung der Niederlassung entstehen, zum anderen fallen darunter Streitigkeiten aus der typischen Geschäftstätigkeit der Niederlassung mit Dritten, aber auch solche über nichtvertragliche Verpflichtungen, die anlässlich dieser Geschäftstätigkeit entstehen können.925 Dabei ist eine klare Abgrenzung zu solchen Streitigkeiten notwendig, die nicht mehr dem Betrieb der Niederlassung, sondern dem des beklagten Stammhauses selbst zuzuordnen sind. 1. Klagen der abhängigen Gesellschaft Die eigene Rechtspersönlichkeit der Tochtergesellschaft wirft noch ein weiteres Problem auf: Unterfallen auch Klagen im Innenverhältnis zwischen Niederlassung und Stammhaus dem Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 5 EuGVVO? Der Normzweck des Art. 5 Nr. 5 EuGVVO besteht darin, außenstehenden Dritten eine Klage vor inländischen Gerichten zu ermöglichen, wenn der Beklagte durch eine im Niederlassungs- bzw. Aufenthaltsstaat des Klägers belegene Niederlassung tätig geworden ist.926 Art. 5 Nr. 5 EuGVVO soll allein Dritten die Rechtsverfolgung erleichtern. Eine teleologische Reduktion der Vorschrift ergibt demnach, dass Konzerninnenhaftungsansprüche nicht „aus dem Betrieb“ der Niederlassung folgen. Nur Klagen betreffend die Geschäftstätigkeit gegenüber Dritten fallen unter Art. 5 Nr. 5 EuGVVO, nicht aber Klagen des inländischen Rechtsträgers der Niederlassung gegen das im Ausland ansässige Stammhaus.927 Ansonsten würde die Zuständigkeitsregel zu einem reinen Klägergerichtsstand denaturiert.928 Im Ergebnis ist also festzuhalten, dass Klagen im Innenverhältnis zwischen Niederlassung und Stammhaus nicht dem Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 5 EuGVVO unterfallen. Die ausländische herrschende Gesellschaft ist nicht gemäß Art. 5 Nr. 5 EuGVVO am Sitz der inländischen abhängigen Gesellschaft gerichtspflichtig, soweit es um die Geltendmachung von Ansprüchen der Tochter aus dem Konzernverhältnis geht. Eine Anwendung des Art. 5 Nr. 5 EuGVVO auf solche Klagen ist ausgeschlossen. 925 EuGH, Urt. v. 22.11.1978, Rs. 33/78 – Somafer/Saar-Ferngas – Slg. 1978, 2183, 2194 Rn. 13. 926 Schlosser, EUZPR, Art. 5 Rn. 24; Gaudemet-Tallon, Nr. 234. 927 Schlosser, EUZPR, Art. 5 Rn. 24; Gaudemet-Tallon, Nr. 234; Linke, IPRax 1982, 46, 48 f.; Kindler, in FS Ulmer, S. 305, 321. 928 Linke, IPRax 1982, 46, 48 f.; Gaudemet-Tallon, Nr. 234.

7. Kap.: Besonderer Gerichtsstand der Niederlassung

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2. Klagen der Minderheitsaktionäre Fraglich ist, ob dies auch für Ansprüche der Minderheitsaktionäre gilt. Dies scheint nicht so selbstverständlich. Häufig wird zwar grundsätzlich auf die Unanwendbarkeit des Art. 5 Nr. 5 EuGVVO bezüglich der Innenhaftungsansprüche bzw. der Klagen im Innenverhältnis zwischen Niederlassung sowie deren Personal und Stammhaus abgestellt.929 Betrachtet man aber Stellungnahmen aus dem älteren Schrifttum, so ergibt sich ein anderes Bild. Die Autoren entwickeln zwar regelmäßig keine Lösung de lege lata, sondern beschränken sich auf Überlegungen de lege ferenda. Diese Überlegungen können jedoch in die Interessenabwägung bzw. Interessenlage einfließen. Goldman spricht sich z. B. dafür aus, in allen Fällen einer Klage der Minderheitsaktionäre das Gericht am Sitz der abhängigen Gesellschaft als zuständig zu betrachten.930 Zugunsten dieser These zieht er Art. 236 des Entwurfs des Statuts über eine europäische Aktiengesellschaft in der Fassung von 1970 heran, dem zu entnehmen sei, dass das Gericht am Sitz der abhängigen Gesellschaft zuständig sei. Loussouarn hingegen ist der Meinung, dass die Zuständigkeit des Richters des Landes der herrschenden Gesellschaft besser die Interessen der Minderheitsaktionäre der Tochtergesellschaft schütze.931 Dabei berücksichtigt er das möglicherweise anwendbare Recht. Er geht davon aus, dass in dem Falle der Zuständigkeit des Gerichtes am Sitz der Muttergesellschaft das normalerweise anwendbare Recht, das den Schutz der Minderheitsaktionäre gewährleistet, das Recht der Tochtergesellschaft sei. Gewährleiste dieses keinen ausreichenden Schutz, so habe das Gericht immer noch die Möglichkeit, das Recht aufgrund des ordre public nicht anzuwenden und stattdessen der lex fori zur Wirksamkeit zu verhelfen. Dem Minderheitsaktionär bereitet es jedoch weniger Schwierigkeiten, vor Ort zu klagen, d. h. das Gericht am Sitz der Gesellschaft auszuwählen, deren Mitglied er ist; denn dies ist das Gericht, das sowohl geographisch näher als auch von der Rechtsordnung vertrauter ist. Unzweifelhaft hat der Schutz der Minderheitsaktionäre eine besondere Bedeutung. Dass dieser jedoch vor einem Gericht am Sitz der ausländischen Muttergesellschaft besser gewährleistet sei, erscheint fraglich. Zum einen ist nicht sicher, dass der ausländische Richter wirklich den Inhalt des fremden Rechts zuverlässig beurteilen kann, bevor er es als ordre public-widrig ansieht.932 Zum anderen 929 930 931 932

Vgl. Linke, IPRax 1982, 46, 49; Haubold, IPRax 2000, 375, 381. Goldman, in Colloque, S. 7, 35. Loussouarn, in Colloque, Intervention, S. 73. So auch Mage, S. 145.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

kann ein Minderheitsaktionär – mangels Kenntnis des fremden Rechts – schwerlich feststellen, ob die Entscheidung des Gerichts am Sitz der Mutter stichhaltig ist.933 Hinzu kommt ferner, dass gerade in Europa ein Verstoß gegen den materiellen ordre public mittlerweile eher unwahrscheinlich ist,934 so dass die Anwendbarkeit des fremden Rechts nach den Kollisionsregeln in der Regel weiter nicht in Frage steht. Davon abgesehen wurde bereits gezeigt, dass die meisten Rechtsordnungen – jedenfalls aber Deutschland und Frankreich – das Recht am Sitz der Tochtergesellschaft für anwendbar erklären, so dass unabhängig vom Gerichtsstand ein und dieselbe Rechtsordnung zur Anwendung kommen müsste. Eine Abwägung der Interessen spricht somit eher für eine Zuständigkeit am Sitz der abhängigen Gesellschaft, da der Richter das ihm vertraute Recht anwenden kann. Automatisch einen Klägergerichtsstand am Sitz der abhängigen Gesellschaft anzuerkennen, spricht zwar gegen den Normzweck der Vorschrift. Diese Konsequenz ergibt sich bei Klagen außenstehender Dritter, aber auch der Aktionäre nur dann, wenn sie zufällig am Ort der Niederlassung wohnen. Der Zweck der Vorschrift spricht also nicht von vornherein dagegen, auch Klagen der Aktionäre am Gerichtsstand der Niederlassung zuzulassen. So wird die Anwendbarkeit bei Innenhaftungsansprüchen zuweilen auch nur unter dem Gesichtspunkt abgelehnt, dass dieser Gerichtsstand mindestens drei Beteiligte voraussetze.935 Entscheidendes Kriterium im Rahmen des Art. 5 Nr. 5 EuGVVO ist allerdings der erzeugte Rechtsschein. Die Aktionäre kennen die tatsächliche Rechtslage; ihnen gegenüber tritt das abhängige Unternehmen auch nicht im Geschäftsverkehr auf. Allein das Vertrauen auf die Konzernhaftung reicht nicht aus. Betrachtet man die vom EuGH aufgestellten Voraussetzungen, so spricht einiges dafür, dass allein Konzernaußenhaftungsansprüche am Gerichtsstand der Niederlassung gemäß Art. 5 Nr. 5 EuGVVO geltend gemacht werden können. 3. Klagen der Gläubiger Für die Geltendmachung der Ansprüche der Gläubiger kommt Art. 5 Nr. 5 EuGVVO demnach grundsätzlich in Betracht. Für selbständige Tochtergesellschaften gilt Art. 5 Nr. 5 EuGVVO aber auch nur, wenn durch die Mutter- und/oder Tochtergesellschaft der Rechtsschein einer unselbständigen Außenstelle gesetzt wurde. Maßgeblich hierfür ist die Sicht der Gläubiger als Dritte. Die Konzernzugehörigkeit als solche reicht nicht aus. 933 934 935

Mage, S. 145. Dazu unten i.R. d. Vollstreckung 5. Teil, S. 370 ff. Haubold, IPRax 2000, 375, 381.

8. Kap.: Besonderer Gerichtsstand kraft Sachzusammenhangs

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III. Zusammenfassung und Ergebnis Im Ergebnis ist Art. 5 Nr. 5 EuGVVO somit auf eine selbständige Tochtergesellschaft nur anwendbar, sofern der Rechtsschein erzeugt wird, das abhängige Unternehmen sei als bloße Niederlassung für das herrschende Unternehmen tätig. In diesen Fällen ist die rechtliche Trennung jedenfalls für Zwecke der Begründung eines Gerichtsstands unbeachtlich. Klagen im Innenverhältnis zwischen herrschender und abhängiger Gesellschaft bzw. den Aktionären unterfallen dabei nicht dem Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 5 EuGVVO. 8. Kapitel

Besonderer Gerichtsstand kraft Sachzusammenhangs gemäß Art. 6 Nr. 1 EuGVVO Schließlich stellt sich die Frage, ob die Gläubiger das abhängige und das herrschende Unternehmen auch gemeinsam am Gerichtsstand des Sachzusammenhangs gemäß Art. 6 Nr. 1 EuGVVO verklagen können. Wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, kann vor dem Gericht des Ortes, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, geklagt werden, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten (Art. 6 Nr. 1 EuGVVO). Die Vorschrift wäre insbesondere dann von Vorteil, wenn dadurch ein inländischer Gerichtsstand gewährleistet wäre. Dem Wortlaut zufolge besteht eine Klagemöglichkeit an dem Gericht, in dessen Bezirk einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat.936 Somit kommt der Sitz eines der Unternehmen und damit vor allem der Tochtergesellschaft als gemeinsamer Gerichtsstand in Betracht.

I. Voraussetzungen Art. 6 Nr. 1 EuGVVO regelt einen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft auf der Beklagtenseite; ein solcher Gerichtsstand der passiven Streitgenossenschaft entstammt dem romanischen Rechtskreis.937 936 Vgl. Kropholler, EuZPR, Art. 6 Rn. 12; MünchKommZPO/Gottwald, IZPR, Art. 6 Rn. 7; Bülow/Böckstiegel/Auer, 540 Art. 6 Rn. 25; Haubold, IPRax 2000, 375, 383; anders hingegen MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn 639, der eine Klagemöglichkeit an jedem gegen die abhängige Gesellschaft gegebenen inländischen Gerichtsstand annimmt.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

1. Konnexität Die Eröffnung des Gerichtsstands gemäß Art. 6 Nr. 1 EuGVVO setzt voraus, dass die Ansprüche gegen die beiden Beklagten im Zusammenhang stehen. Voraussetzung ist die Konnexität, d. h. zwischen den Klageansprüchen muss eine so enge Beziehung bestehen, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung zur Vermeidung widersprechender Entscheidungen notwendig erscheint.938 Das Kriterium des Zusammenhangs zwischen den geltend gemachten Ansprüchen ist nun im Text des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO explizit verankert. In der entsprechenden Vorschrift des EuGVÜ wurde dieses nicht ausdrücklich erwähnt. Aber auch im Geltungsbereich des EuGVÜ entsprach dies schon der allgemeinen Meinung939 und insbesondere auch der Rechtsprechung des EuGH.940 Nun wird in Art. 6 Nr. 1 EuGVVO ausdrücklich herausgestellt, dass der Gerichtsstand eröffnet ist, „sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten“. Damit übernimmt die Vorschrift zur Umschreibung des erforderlichen Zusammenhangs die in Art. 28 Abs. 3 EuGVVO enthaltene Definition. Schon im Rahmen des EuGVÜ wurde angenommen, dass es im Grunde um eine Interessenabwägung gehe, nämlich zwischen dem Interesse der Beklagten, nur an den in dem Übereinkommen vorgesehenen Gerichtsständen verklagt zu werden, und dem Ziel des EuGVÜ, internationalen Entscheidungseinklang zu gewährleisten.941 Die Konkretisierung des Anwendungsbereichs des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO und der Konnexität durch eine Bildung von Fallgruppen durch die Rechtsprechung steht noch weitgehend aus.942 Hinsichtlich des deutschen Zivilprozessrechts werden in der Literatur jedoch einige Fallgruppen genannt. Demzufolge bilden Rechtsgemeinschaften, und damit auch Gesellschaften, ihrer Natur nach einen starken Zusammenhang.943 Insofern kann man auch im Konzern einen solchen Zusammenhang sehen. Fraglich ist dann allerdings, wie weit der Kreis der davon erfassten Klagen zu ziehen ist. Ferner 937

Vgl. den rechtsvergleichenden Überblick bei Geimer, WM 1979, 350, 351 ff. Kropholler, EuZPR, Art. 6 Rn. 8. 939 Vgl. nur den Jenard-Bericht, ABl. EG v. 5.3.1979, Nr. C 59, S. 1, 26. 940 EuGH, Urt. v. 27.9.1988, Rs. 189/87 – Kalfelis/Bankhaus Schröder – Slg. 1988, 5565, 5583 Rn. 9; BGH, Vorlagebeschl. v. 27.4.1987, RIW 1987, 623, 624. Bestätigt durch EuGH, Urt. v. 27.10.1998, Rs. C-51/97 – Réunion européenne/ Spliethoff’s Bevrachtingskantoor – Slg. 1998 I-6511 Rn. 48. 941 Haubold, IPRax 2000, 375, 383. 942 Kropholler, EuZPR, Art. 6 Rn. 9; Brandes, S. 128. 943 Brandes, S. 128; Geimer, WM 1979, 350, 359. 938

8. Kap.: Besonderer Gerichtsstand kraft Sachzusammenhangs

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wird die Gesamtschuld als charakteristische Rechtsbeziehung mit ausreichender Konnexität angesehen.944 a) Konzerninnenhaftung Der Gerichtsstand des Sachzusammenhangs setzt mindestens drei Beteiligte voraus. Bei der Haftung des herrschenden Unternehmens gegenüber dem abhängigen Unternehmen (z. B. gemäß §§ 302, 309 oder § 317 AktG) stehen sich aber nur diese beiden Unternehmen gegenüber. Auf diese Innenhaftungsansprüche ist die Zuständigkeitsregel des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO demnach nicht anwendbar.945 Fraglich ist, ob dies auch für die Ansprüche der Aktionäre gilt. Eine Auffassung sieht im Beherrschungsvertrag, der die beiden beklagten gleichzustellenden Unternehmen bindet, einen hinreichenden Zusammenhang gegeben und damit die Erfüllung dieser Voraussetzung.946 Damit stehe es den außenstehenden Aktionären frei, zumindest das Verfahren aus § 306 AktG a. F. i. V. m. § 99 AktG (nunmehr SpruchG) am Sitz der Tochtergesellschaft und mithin im Inland nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 1 EuGVÜ durchzuführen. Dies setzt allerdings voraus, dass beide Unternehmen von den Aktionären verklagt werden können. Als Schuldner des Anspruchs aus § 304 Abs. 1 Satz 1 AktG kommen mangels klaren Gesetzeswortlauts der andere Vertragsteil, d. h. das herrschende Unternehmen,947 und die abhängige Gesellschaft selbst948 in Betracht. Der Sicherungszweck des § 304 AktG erfordert, dass sich Ausgleichsansprüche gegen den richten, bei dem Gewinne anfallen. Daher genügen Ansprüche gegen die Gesellschaft, bei der die Gewinne abfließen, nicht.949 § 305 Abs. 1 AktG bezeichnet dagegen als Schuldner ausdrücklich den anderen Vertragsteil, i. e. die herrschende Gesellschaft. Damit stellt sich das Problem für die Abfindung nicht. Die abhängige Gesellschaft kann zwar für die herrschende Gesellschaft als Zahlstelle fungieren bzw. mit der Abwicklung beauftragt werden.950 Dies ändert jedoch nichts daran, dass Schuldner allein das herrschende Unternehmen 944

Geimer, WM 1979, 350, 359. Vgl. dazu Haubold, IPRax 2000, 375, 381. 946 Maul, AG 1998, 404, 410. 947 So LG Mannheim, Beschl. v. 30.5.1994, AG 1995, 89, 90; KölnKomm/Koppensteiner, § 304 Rn. 22; MünchKommAktG/Bilda, § 304 Rn. 32 f.; Hüffer, AktG, § 304 Rn. 4; Emmerich/Sonnenschein/Habersack, § 21 II 3, S. 310. 948 GroßkommAktG/Würdinger, § 304 Anm. 17. 949 Hüffer, AktG, § 304 Rn. 4. 950 KölnKomm/Koppensteiner, § 304 Rn. 25; Hüffer, AktG, § 304 Rn. 4, § 305 Rn. 5. 945

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

ist. Bei den Ansprüchen der Aktionäre stehen sich somit auch nur die Aktionäre und das herrschende Unternehmen gegenüber. Da der Gerichtsstand des Sachzusammenhangs mindestens drei Beteiligte voraussetzt, ist Art. 6 Nr. 1 EuGVVO nicht anwendbar. Der Gerichtsstand des Sachzusammenhangs gemäß Art. 6 Nr. 1 EuGVVO kommt aber dann in Betracht, wenn die gesetzlichen Vertreter und das herrschende Unternehmen zusammen verklagt werden. Das herrschende Unternehmen haftet bei § 309 AktG neben seinen gesetzlichen Vertretern jedenfalls wegen der Verletzung des Beherrschungsvertrags (§ 280 BGB) oder aus einer Art Organhaftung.951 Die Haftung der gesetzlichen Vertreter tritt auch nach § 317 Abs. 3 AktG neben die Haftung des herrschenden Unternehmens. Herrschendes Unternehmen und seine gesetzlichen Vertreter haften der abhängigen Gesellschaft als Gesamtschuldner i. S. d. § 421 BGB.952 Die Gesamtschuld ist als charakteristische Rechtsbeziehung mit ausreichender Konnexität bereits im Jenard-Bericht erwähnt.953 Sie bildet demnach einen starken Zusammenhang. Ob aber ein Zusammenhang bei der Haftung als Gesamtschuldner noch allgemein angenommen werden kann, ist seit der Entscheidung des EuGH in Sachen Réunion européenne/Spliethoff’s Bevrachtingskantoor954 zweifelhaft. In der Entscheidung hat der EuGH die Ansicht geäußert, zwei im Rahmen einer einzigen Schadensersatzklage gegen verschiedene Beklagte gerichtete Klagebegehren, von denen das eine auf vertragliche, das andere auf deliktische Haftung gestützt wird, könnten – wegen der Rechtsprechung des EuGH zur Anspruchskonkurrenz im Deliktsgerichtsstand – nicht als im Zusammenhang stehend angesehen werden.955 Sämtliche Innenhaftungsansprüche konnten allerdings vertraglich eingeordnet werden. Damit ist das Problem in diesem Kontext nicht relevant. Jedoch werden die gesetzlichen Vertreter des herrschenden Unternehmens ihren Sitz grundsätzlich in demselben Mitgliedstaat haben wie das herrschende Unternehmen und damit – aus der Perspektive der abhängigen Gesellschaft – im Ausland. Kindler geht dennoch davon aus, dass der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft am Sitz der abhängigen Gesellschaft 951

Emmerich/Habersack, § 309 Rn. 53 m. w. N. § 317 Abs. 3 AktG; vgl. auch Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff/Geßler, § 309 Rn. 49; GroßkommAktG/Würdinger, § 317 Anm. 15. 953 Jenard-Bericht, ABl. EG v. 5.3.1979, Nr. C 59, S. 1, 26. 954 EuGH, Urt. v. 27.10.1998, Rs. C-51/97 – Réunion européenne/Spliethoff’s Bevrachtingskantoor – Slg. 1998 I-6511 ff. = EuZW 1999, 59 ff. 955 EuGH, Urt. v. 27.10.1998, Rs. C-51/97 – Réunion européenne/Spliethoff’s Bevrachtingskantoor – Slg. 1998 I-6511, 6549 Rn. 50. 952

8. Kap.: Besonderer Gerichtsstand kraft Sachzusammenhangs

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auch gegenüber Organmitgliedern mit Wohnsitz im Geltungsbereich der EuGVVO zur Verfügung steht. Für die parallel zur Haftung des herrschenden Unternehmens aus pVV des Beherrschungsvertrags (nunmehr §§ 280 Abs. 1 bzw. 281 BGB) bzw. § 317 Abs. 1 AktG – für die ein inländischer Gerichtsstand bestehe – gegebene konzernspezifische Organhaftung aus §§ 309 Abs. 2, 317 Abs. 3 AktG dürfe Art. 6 Nr. 1 EuGVVO meist eröffnet sein.956 Kindler ist der Auffassung, dass der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO am Sitz der abhängigen Gesellschaft gegeben sei, da für die Haftung des herrschenden Unternehmens ein inländischer Gerichtsstand (gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO)957 bestehe. Es kommt jedoch nur der Wohnsitz der gesetzlichen Vertreter oder der Sitz der herrschenden Gesellschaft als gemeinsamer Gerichtsstand in Betracht. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO, demzufolge eine Klagemöglichkeit an dem Gericht besteht, in dessen Bezirk einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat. Zuständigkeitsbegründend wirkt demnach der Sitz des beklagten herrschenden Unternehmens oder der gesetzlichen Vertreter in einem Mitgliedstaat, so dass als Mehrparteiengerichtsstand nur das in Art. 2 EuGVVO genannte Forum, nicht aber einer der Gerichtsstände des Art. 5 EuGVVO gilt.958 Haben jedoch die gesetzlichen Vertreter ihren Wohnsitz im Inland, was gelegentlich – allerdings eher nur bei grenznahen Konzernverbindungen – der Fall sein kann, stünde damit ein inländischer Gerichtsstand zur Verfügung. Im Vertragskonzern haften zudem bei einer Verletzung der Sorgfaltspflicht im Rahmen der Weisungserteilung mehrere gesetzliche Vertreter als Gesamtschuldner, § 309 Abs. 2 Satz 1 AktG. Gemäß § 310 AktG haften die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats der abhängigen Gesellschaft neben den Ersatzpflichtigen nach § 309 AktG als Gesamtschuldner. Bei § 318 AktG handelt es sich um eine Parallelvorschrift zu § 310 AktG. Vorstand und Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft haften ebenfalls gesamtschuldnerisch neben den nach § 317 AktG Ersatzpflichtigen. Gegenstand der Klagen ist jeweils der bei der abhängigen Gesellschaft eingetretene Schaden, der durch die rechtswidrig erteilten Weisungen entstanden ist. Das Gericht prüft die jeweiligen Sorgfaltsverstöße, die von956

MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 642. Siehe dazu MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 633. 958 Kropholler, EuZPR, Art. 6 Rn. 12; differenzierend MünchKommZPO/Gottwald, IZPR, Art. 6 Rn. 7; Bülow/Böckstiegel/Auer, 540 Art. 6 Rn. 25; Haubold, IPRax 2000, 375, 383; Gothot/Holleaux, Nr. 111 mit Nachweisen aus der französischen Rechtsprechung; anders hingegen MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 635, 639, der den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft an jedem gegen die abhängige Gesellschaft gegebenen inländischen Gerichtsstand für eröffnet hält. 957

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

einander abweichen können. Die Ansprüche sind dennoch rechtlich und tatsächlich gleichartig.959 Eine gemeinsame Entscheidung erscheint daher geboten, um beispielweise zu vermeiden, dass verschiedene Entscheidungen hinsichtlich der Beurteilung der Rechtswidrigkeit der Weisungen ergehen. Probleme wirft unter Umständen auf, dass der Kläger nur einen Anspruch gegen die inländischen Verwaltungsmitglieder behaupten muss, um eine inländische Gerichtspflichtigkeit des ausländischen herrschenden Unternehmens zu erreichen. Hier greift jedoch das in Art. 6 Nr. 2 EuGVVO normierte Verbot der Zuständigkeitserschleichung, das auch für Art. 6 Nr. 1 EuGVVO gilt.960 Darüber hinaus bedarf es keines besonderen Schutzes. Vor einer unbegründeten Klage gegen den im Bezirk des angerufenen Gerichts wohnhaften Beklagten ist der ausländische Beklagte i.R. d. Art. 6 Nr. 1 EuGVVO nicht geschützt.961 Sofern also ein Anspruch gegen die inländischen Verwaltungsmitglieder nicht offensichtlich ausgeschlossen ist, besteht ein Gerichtsstand nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO für Klagen gegen eine ausländische herrschende Gesellschaft. b) Konzernaußenhaftung Für Klagen der Gläubiger kommen ebenfalls der Sitz der herrschenden und der abhängigen Gesellschaft in Betracht. Möllers gelangt dagegen zu einer eingeschränkten Anwendung des Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ bei der Durchgriffshaftung. Er lehnt eine Zuständigkeit am Wohnsitz des herrschenden Gesellschafters, der nach Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ für den Durchgriff relevant sein könnte, ab.962 Für eine derartige Reduktion der Vorschrift fehlen jedoch jegliche Anhaltspunkte. Interessant für die Gläubiger ist aber in der Tat die Zuständigkeit der Gerichte am Sitz der abhängigen Gesellschaft. Voraussetzung ist, dass ein entsprechender Sachzusammenhang besteht. Kindler sieht aufgrund der Rechtsnatur der Konzernaußenhaftung als gesetzlicher Schuldbeitritt gegenüber herrschenden Unternehmen mit Sitz im Geltungsbereich der EuGVVO den Gerichtstand der Streitgenossenschaft an jedem gegen die abhängige Gesellschaft gegebenen inländischen Gerichtsstand als eröffnet an.963 Im Falle gesamtschuldnerischer Haftung bestehe 959

Vgl. Jaspert, S. 155. Geimer/Schütze, IntUrtAnerk, S. 380 ff.; Bülow/Böckstiegel/Auer, 540 Art. 6 Rn. 18; Wieczorek/Schütze/Hausmann, Art. 6 Rn. 13; MünchKommZPO/Gottwald, IZPR, Art. 6 Rn. 8; Kropholler, EuZPR, Art. 6 Rn. 15. 961 Geimer/Schütze, IntUrtAnerk, S. 382 f. 962 Möllers, S. 86. 963 MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 635, 639. 960

8. Kap.: Besonderer Gerichtsstand kraft Sachzusammenhangs

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ein Sachzusammenhang im Sinne des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO.964 Dies heben die Materialien zum EuGVÜ ausdrücklich hervor.965 Demnach könne die Ausfallhaftung analog §§ 303, 322 AktG als Erscheinungsform des gesetzlichen Schuldbeitritts am Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden. Ebenso eröffne diese Vorschrift im Hinblick auf Bürgschaftsverpflichtungen gemäß § 303 Abs. 3 AktG einen inländischen Gerichtsstand gegen das herrschende Unternehmen an einem für die Geltendmachung der Hauptverbindlichkeit bestehenden Gerichtsstand.966 Hiergegen ist zunächst wieder einzuwenden, dass nur der Sitz eines der Unternehmen als gemeinsamer Gerichtstand in Betracht kommt.967 Zweifelhaft ist darüber hinaus, ob die Fälle der Konzernaußenhaftung zu gesamtschuldnerischer Haftung der Unternehmen führen.968 Auch Jaspert vertritt hinsichtlich der Außenhaftung im Vertragskonzern, dass mehrere Unternehmen, die an einem Beherrschungsvertrag beteiligt sind, als Gesamtschuldner haften. Die beklagten Gesellschaften seien gesamtschuldnerisch zur Sicherheitsleistung verpflichtet, womit der für Art. 6 Nr. 1 EuGVVO erforderliche Zusammenhang außer Frage stehe.969 In Betracht kommen i.R. d. Vorschrift ihr zufolge also nur Klagen der Gläubiger auf der Grundlage des § 303 AktG gegen mehrere herrschende Unternehmen. Zum Verhältnis der Haftung der herrschenden zu der der abhängigen Gesellschaft nimmt sie keine Stellung. Nach Ansicht von Müller ist ein innerer Zusammenhang der Klagen, wie es Voraussetzung für Klagen nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO ist, bei Durchgriffsfällen stets gegeben.970 Auch nach Jaspert ist bei der Durchgriffshaftung an einer bestehenden Konnexität der Klagen gegen das abhängige Unternehmen und die herrschende Gesellschaft nicht zu zweifeln.971 Fraglich ist zunächst, ob die Fälle der Konzernaußenhaftung zu gesamtschuldnerischer Haftung führen. Sollte eine Gesamtschuld bestehen, ergeben sich schließlich Bedenken bezüglich der generellen Annahme eines Zusam964 Zur Gesamtschuldnerschaft im Falle des Schuldbeitritts vgl. Palandt/Heinrichs, Überbl v § 414 Rn. 6. 965 Jenard-Bericht, ABl. EG v. 5.3.1979, Nr. C 59, S. 1, 26; zur Gesamtschuld i.R. d. Art. 6 Nr. 1 EuGVVO vgl. Schlosser, EUZPR, Art. 6 Rn. 4; Kropholler, EuZPR, Art. 6 Rn. 8; Schack, IZVR, Rn. 359. 966 MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 639; vgl. zur gemeinsamen Klage gegen den Hauptschuldner und den Bürgen Schack, IZVR, Rn. 359. 967 Vgl. dazu schon oben 4. Teil, 8. Kapitel: I.1.a), S. 333. 968 So aber MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 635, 639; ablehnend Emmerich/Habersack, Anh. § 317 Rn. 26. 969 Vgl. bezüglich § 303 AktG: Jaspert, S. 130 f. 970 Müller, S. 152. 971 Jaspert, S. 297 f.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

menhangs nach der Entscheidung des EuGH in Sachen Réunion européenne/Spliethoff’s Bevrachtingskantoor.972 Im Fall der Außenhaftung stellt sich das Problem, wenn die abhängige Gesellschaft den Gläubigern aus Vertrag haftet, denn die Haftung der herrschenden Gesellschaft kann als deliktische eingeordnet werden. Während eine Auffassung davon ausgeht, dass die Ausfallhaftung analog §§ 303, 322 AktG eine Erscheinungsform des gesetzlichen Schuldbeitritts und damit eine Gesamtschuld darstellt,973 äußert sich die Gegenauffassung ablehnend gegenüber einer Einordnung der beklagten Unternehmen als Gesamtschuldner.974 Gegen eine Gesamtschuld spricht, dass das abhängige Unternehmen seinen Gläubigern zu verschiedenen Leistungen – nicht nur Geldleistungen – verpflichtet sein kann, wohingegen das herrschende Unternehmen nach § 303 AktG vorrangig die Stellung einer Sicherheit schuldet. In der Insolvenz der Tochtergesellschaft kann dieser Anspruch zwar in einen Zahlungsanspruch übergehen.975 Ansonsten haben beide Schuldner aber verschiedenartige Leistungen zu erbringen. Es mangelt an der Gleichartigkeit der Leistungen. Für eine Gesamtschuld könnte nur sprechen, dass aus der Sicht des Gläubigers betrachtet beide Verpflichtungen darauf gerichtet sind, dasselbe Interesse an einem Ausgleich zu befriedigen. Gegen eine Gesamtschuld lässt sich schließlich einwenden, dass für das herrschende Unternehmen grundsätzlich keine Rückgriffsmöglichkeit bei der Tochtergesellschaft besteht. Wenn aber nur einer der Schuldner zwingend Letztverpflichteter ist, fehlt es an der – für das Vorliegen einer Gesamtschuld erforderlichen – Gleichstufigkeit der Ansprüche.976 Die Ausfallhaftung bei Beendigung des Beherrschungsvertrags begründet mithin keine Gesamtschuld.977 Auch bei der Existenzvernichtungshaftung fehlt es im Verhältnis zwischen Gesellschaftsschuld und Gesellschafterschuld an der Gleichstufigkeit der Haftung. Der Vorschrift des § 129 HGB lässt sich entnehmen, dass die Gesellschafterschuld insoweit, als es um ihre Durchsetzung geht, in Abhängigkeit von der Gesellschaftsschuld steht und damit gerade nicht dem für Gesamtschulden kennzeichnenden Grundsatz der Einzelwirkung i. S. v. § 425 BGB folgt.978 972 EuGH, Urt. v. 27.10.1998, Rs. C-51/97 – Réunion européenne/Spliethoff’s Bevrachtingskantoor – Slg. 1998 I-6511 ff. 973 MünchKommBGB/Kindler, IntGesR, Rn. 635, 639. 974 Emmerich/Habersack, Anh. § 317 Rn. 26. 975 BGH, Urt. v. 16.9.1985 – Autokran – BGHZ 95, 330, 347; BGH, Urt. v. 23.9.1991 – Video – BGHZ 115, 187, 200; Emmerich/Habersack, Anh. § 317 Rn. 24; dies ist im Schrifttum auf Skepsis oder Ablehnung gestoßen, vgl. z. B. Lutter, ZIP 1985, 1425, 1431 f. 976 Larenz, SchuldR AT, Bd. I, § 37 I, S. 632 ff., 635; Jauernig/Stürner, § 421 Rn. 2. 977 So auch Emmerich/Habersack, Anh. § 317 Rn 26.

8. Kap.: Besonderer Gerichtsstand kraft Sachzusammenhangs

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Der Gerichtsstand des Sachzusammenhangs könnte dennoch aufgrund der Rechtsnatur der Konzernaußenhaftung als akzessorische Haftung eröffnet sein. Nur wenn die Ansprüche der Gläubiger gegen das abhängige Unternehmen bestehen, haftet die Muttergesellschaft für deren Ausfall. Bei einer akzessorischen Haftung liegt zwar keine Schuldnermehrheit vor. Aber nicht nur gemeinsam zu entscheidende rechtliche Fragen, sondern auch eine gemeinsame Tatsachengrundlage soll die Heranziehung von Art. 6 Nr. 1 EuGVVO rechtfertigen.979 Denn der zugrunde liegende Sachverhalt ist von den Gerichten für beide Ansprüche zu prüfen. Auch in diesen Fällen drohen widersprüchliche Entscheidungen, so dass eine akzessorische Haftung für einen Zusammenhang im Sinne der Vorschrift genügen sollte.980 Zudem besteht aufgrund der Beteiligung am Beherrschungsvertrag ein enger Zusammenhang. Bei der Durchgriffshaftung sind abgesehen von den Durchgriffsvoraussetzungen beide Ansprüche inhaltlich nahezu identisch. Allgemein ist der Zusammenhang der Klagen gegen abhängige und herrschende Gesellschaft auch deshalb so eng, weil das herrschende Unternehmen für den Ausfall nur haftet, wenn die Ansprüche der Gläubiger gegen die abhängige Gesellschaft überhaupt existieren. Das Problem bei den Fällen der akzessorischen Haftung ist eigentlich nicht der rechtliche oder tatsächliche Zusammenhang selbst, der schon aufgrund der Abhängigkeit besteht. Fraglich ist vielmehr, ob der Zusammenhang mangels gleichrangiger Haftung der Beklagten in beiden Richtungen stark genug ist, einen gemeinsamen Gerichtsstand zu begründen. Da Art. 6 Nr. 1 EuGVVO nicht zwischen den Schuldnern differenziert, sollten auch deren Wohnsitze als gleichwertige Gerichtsstände behandelt werden.981 Fraglich ist, ob auch die französischen Haftungsinstitute zu einer gesamtschuldnerischen oder in ähnlichem Zusammenhang stehenden Haftung führen. Die Durchgriffsklage bzw. die Klage auf einen Haftungsdurchgriff gegen die Muttergesellschaft nach französischem Recht kann nach teilweise vertretener Ansicht am Gerichtsstand der Streitgenossenschaft gemäß Art. 6 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden.982 Im französischen Recht ist der Zusammenhang zwischen den (originären) Ansprüchen der Gläubiger gegen das abhängige Unternehmen und der (sekundären) Ausfallhaftung des herrschenden Unternehmens, also zwischen Durchgriff und zugrunde liegendem Schuldverhältnis, deshalb so eng, weil 978

Vgl. dazu GroßkommHGB/Habersack, § 128 Rn. 20; § 129 Rn. 4 ff. Gascoine v Pyrah [1994] ILPr 82 Court of Appeal, 25.5.1993 = Kaye, Case 187; Kropholler, EuZPR, Art. 6 Rn. 10 m. w. N. 980 Ebenso Brandes, S. 129; Haubold, IPRax 2000, 375, 383. 981 So auch Brandes, S. 130. 982 Kuckertz, S. 160 f.; vgl. auch Müller, S. 151 ff. für das deutsche Recht. 979

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

eine erfolglose Inanspruchnahme der Tochtergesellschaft aus dem Schuldverhältnis Voraussetzung für eine „Durchgriffsklage“ gegen die Konzernmutter ist. Der Fehlbestand an Aktiva der Tochtergesellschaft im Rahmen der ersten Klage ist zwingende Voraussetzung für die Begründetheit der zweiten. Die zweite Klage baut auf der ersten auf.983 Es handelt sich damit auch hier um eine Art akzessorische Haftung, was für einen hinreichend engen Zusammenhang zwischen „Durchgriff“ und zugrundeliegendem Schuldverhältnis spricht. Damit kann beispielsweise eine Klage aufgrund Art. L. 624-3 C. com. oder société fictive und confusion des patrimoines auch am Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden. Bei dem Haftungsinstitut der apparence ist Rechtsfolge häufig – wenn die Mutter nicht alleine haftet – eine solidarische, also gesamtschuldnerische Haftung (condamnation in solidum);984 bei der faktischen Gesellschaft kommt dies ebenso in Betracht. Den Fall der gesamtschuldnerischen Haftung heben die Materialien zum EuGVÜ ausdrücklich als eine Erscheinungsform des Sachzusammenhangs im Sinne des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO hervor.985 Die weitere Entwicklung der Rechtssprechung des EuGH nach der Entscheidung in Sachen Réunion européenne/Spliethoff’s Bevrachtingskantoor986 bleibt abzuwarten. Art. 6 Nr. 1 EuGVVO findet allerdings auch hier keine Anwendung, wenn die Klage gegen das abhängige Unternehmen allein zu dem Zweck erhoben wird, die Zuständigkeit auch für das herrschende Unternehmen zu begründen.987 Art. 6 Nr. 1 EuGVVO gilt auch dann, wenn die Klage nach Anhängigkeit des Rechtsstreits auf weitere Personen erstreckt wird.988 Wenn also ein Gläubiger eine Forderung gegen die Tochtergesellschaft an ihrem Sitz einklagt und die herrschende Gesellschaft zwischenzeitlich das Abhängigkeitsverhältnis beendet, so ist für den Anspruch auf Sicherheitsleistung, den der Gläubiger nun gegen die Muttergesellschaft geltend machen kann, die Zuständigkeit an demselben Gericht gemäß Art. 6 Nr. 1 EuGVVO begründet. Anders kann es sich hingegen verhalten, wenn über das Vermögen des abhängigen Unternehmens das Insolvenzverfahren eröffnet wird.

983

Vgl. dazu Kuckertz, S. 161. Cass. com., Urt. v. 4.3.1997, Bull. civ. IV, Nr. 65. 985 Jenard-Bericht, ABl. EG v. 5.3.1979, Nr. C 59, S. 1, 26; vgl. zur Gesamtschuld auch Schlosser, EUZPR, Art. 6 Rn. 4; Kropholler, EuZPR, Art. 6 Rn. 8; Schack, IZVR, Rn. 359. 986 EuGH, Urt. v. 27.10.1998, Rs. C-51/97 – Réunion européenne/Spliethoff’s Bevrachtingskantoor – Slg. 1998 I-6511 ff. 987 Vgl. dazu schon oben 4. Teil, 8. Kapitel: I.1.a), S. 333. 988 Kropholler, EuZPR, Art. 6 Rn. 14; Geimer, WM 1979, 350, 358. 984

8. Kap.: Besonderer Gerichtsstand kraft Sachzusammenhangs

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2. Streitigkeit der Forderung Weitere Voraussetzung für eine Zuständigkeit nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO ist, dass sowohl der Konzernhaftungsanspruch des Gläubigers als auch seine Forderung gegen das abhängige Unternehmen streitig sind.989 Der Haftungsdurchgriff ist grundsätzlich subsidiär; durchgreifen kann der Gläubiger erst, wenn er bei der abhängigen Gesellschaft ausgefallen ist. Mit der Leistungsklage gegen die abhängige Gesellschaft könnte zunächst allenfalls eine Klage auf Feststellung des erst durch den Ausfall des Gläubigers bei der Tochter aktualisierten Durchgriffsrechtsverhältnisses verbunden werden.990 Das haftungsbegründende Ereignis liegt in Form des missbräuchlichen Verhaltens des Gesellschafters schon vor, lediglich das bedingende Ereignis in Gestalt des Ausfalls bei der Gesellschaft steht noch aus.991 Fraglich ist allerdings das Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO). Dies könnte bejaht werden, wenn durch die verbundene Leistungsklage der Streit noch nicht vollständig erledigt ist oder gesicherte Anhaltspunkte für eine Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft bereits vorliegen, möglicherweise auch, wenn eine spätere Leistungsklage gegen die Muttergesellschaft nicht mehr erforderlich ist in der Erwartung, dass die herrschende Gesellschaft auch ohne Vollstreckungsdruck der festgestellten Verpflichtung nachkommt.992 Auch im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der abhängigen Gesellschaft kann die Streitigkeit der Forderung unter Umständen problematisch werden. Wird über das Vermögen der abhängigen Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet und die Forderung des Gläubigers vom Insolvenzverwalter nicht bestritten, gilt sie im deutschen Recht gemäß § 178 Abs. 1 InsO als festgestellt. Dann kommt es gar nicht mehr zu einem streitigen Verfahren.993 Nur wenn der Insolvenzverwalter der Forderung im Prüfungstermin widerspricht, kann es nach § 180 InsO zum Feststellungsstreit zwischen Gläubiger und Insolvenzverwalter kommen. Dann würde zwar ein streitiges Verfahren als Voraussetzung vorliegen, allerdings ist in diesem Fall zweifelhaft, ob überhaupt der Anwendungsbereich der EuGVVO eröffnet ist. Auch in diesem Fall ist also problematisch, ob Art. 6 Nr. 1 EuGVVO herangezogen werden kann. Die Feststellungsklagen haben Umstände zum Gegenstand, die auf Geschäften oder Handlungen vor der 989 Kelly v McCarthy [1994] ILPR 29 High Court, 14.1.1993 = Kaye, Case 600; Valmorbida v CNAMO und MAAF Tribunal d’arrondissement Luxembourg, 2.7.1987, 313/87, Kaye, Case 654. 990 Vgl. dazu Müller, S. 152. 991 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 90 II 3, Rn. 15 ff. 992 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 90 III 1, Rn. 20 ff. 993 So im Fall des OLG München, Urt. v. 25.6.1999, IPRax 2000, 416.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Eröffnung des Insolvenzverfahrens beruhen. Dies spricht für die Einordnung in die EuGVVO.994 Beendet andererseits das herrschende Unternehmen das Abhängigkeitsverhältnis während eines noch anhängigen Rechtsstreits zwischen Gläubiger und abhängigem Unternehmen bezüglich der Forderung, dann läuft ein streitiges Verfahren. Der Anspruch des Gläubigers auf Sicherheitsleistung gegen das herrschende Unternehmen kann dann nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO an demselben Gericht klageweise geltend gemacht werden.995

II. Ergebnis Klagen gegen das herrschende Unternehmen und deren gesetzlichen Vertreter oder die gesetzlichen Vertreter der abhängigen Gesellschaft sowie solche gegen mehrere gesetzliche Vertreter können grundsätzlich am Gerichtsstand des Sachzusammenhangs gemäß Art. 6 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden. Ein inländischer Gerichtsstand steht für diese Konzerninnenhaftungsklagen dann zur Verfügung, wenn die gesetzlichen Vertreter ihren Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat haben, in dem die abhängige Gesellschaft ihren Sitz hat, und ein Anspruch gegen die inländischen gesetzlichen Vertreter nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Der Sitz der abhängigen Gesellschaft bestimmt sich nach Art. 60 EuGVVO und liegt alternativ am Satzungssitz, am Hauptverwaltungssitz oder am Ort der Hauptniederlassung. Konzernaußenhaftungsklagen können mitunter am Gerichtsstand des Sachzusammenhangs gemäß Art. 6 Nr. 1 EuGVVO erhoben werden. Probleme können allerdings auftreten, wenn der Gläubiger erst aufgrund einer vergeblichen Zwangsvollstreckung bei der abhängigen Gesellschaft Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit derselben erlangt oder wenn über das Vermögen des abhängigen Unternehmens das Insolvenzverfahren eröffnet wird.

994 Ebenso Kropholler, EuZPR, Art. 1 Rn. 36; Schlosser, EUZPR, Art. 1 Rn. 21; Haubold, IPRax 2000, 375, 384; Huet, JDI 119 (1992), 187, 189; jetzt auch Bülow/ Böckstiegel/Pörnbacher, 540 Art. 1 Rn. 17; anders hingegen Bülow/Böckstiegel/Safferling/Chr. Wolf, 606 Art. 1 Rn. 20. 995 Vgl. Haubold, IPRax 2000, 375, 384.

9. Kap.: Prozessualer Durchgriff im grenzüberschreitenden Konzern

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9. Kapitel

Der prozessuale Durchgriff im grenzüberschreitenden Konzern Bei dem Zuständigkeitsdurchgriff handelt es sich grundsätzlich um ein in Europa umstrittenes amerikanisches Rechtsinstitut, nach dem bei Präsenz einer amerikanischen Tochtergesellschaft internationale Zuständigkeit hinsichtlich der Konzernmutter gegeben ist.996 Die aktive Einflussnahme der Mutter- auf ihre Tochtergesellschaft wird als ausreichender minimum contact i. S. v. doing business gewertet.997 Damit besteht ein streitgegenstandsunabhängiger Gerichtsstand der Mutter- am Sitz der Tochtergesellschaft. Auch in der deutschen Literatur wird zum Teil ein solcher Zuständigkeitsdurchgriff befürwortet, indem eine Identität von Haftungsgrundanspruchs- und Durchgriffsgericht angenommen wird.998 Die internationale Zuständigkeit zum Durchgriff wird mit der für den Anspruch gegen die abhängige Gesellschaft identifiziert, wegen dessen auf die herrschende Gesellschaft durchgegriffen werden soll.999 Ist der zugrundeliegende, gegen die abhängige Gesellschaft gerichtete Anspruch vertraglicher Natur, so ist diese Qualifikation im Rahmen der EuGVVO auf den Anspruch gegen die herrschende Gesellschaft zu übertragen. Die vertragliche Natur des gegen die Tochtergesellschaft bestehenden Anspruchs reicht somit nach dieser Auffassung für die Einordnung des Anspruchs aus Konzernhaftung gegen die Muttergesellschaft als „Anspruch aus einem Vertrag“ im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO aus.1000 In der Konstellation der Konzernhaftung für vertraglich begründete Ansprüche können demnach die Ansprüche gegen die Muttergesellschaft am Gerichtsstand des Erfüllungsortes geltend gemacht werden.1001 996

Brandes, S. 129, Fn. 537. Otto, Durchgriff, S. 79 ff., 179; Grothe, RabelsZ 58 (1994), 686, 694 ff., 701 ff.; H. Müller, doing business, S. 19 ff.; vgl. auch Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rn. 362 ff.; Thorn, IPRax 1997, 98, 100. 998 Diese These stellt v. a. die Kernaussage Möllers dar (siehe S. 61 ff.); gegen einen Zuständigkeitsdurchgriff in einem Konzern über die Tochter- auf die ausländische Muttergesellschaft kraft „doing business in Germany“: Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rn. 223; Geimer, RIW 1988, 221, 223. 999 Möllers möchte die Sitzanknüpfung des EuGVÜ gemäß Art. 2, 53 EuGVÜ hinsichtlich des Durchgriffs nach dem Sitz der abhängigen Gesellschaft bestimmen (S. 85), während er die Anwendung des EuGVÜ aufgrund des Wohnsitzes des herrschenden Gesellschafters, der nach Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ für den Durchgriff relevant sein könnte, ablehnt (S. 86). 1000 Offengelassen bei Zimmer, IPRax 1998, 187, 190. 1001 So auch Kulms, IPRax 2000, 488, 493. 997

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Teilweise wird dieses Ergebnis auch aus der Rechtsnatur der Durchgriffshaftung als „akzessorische Haftung“ entwickelt,1002 oder Art. 6 Nr. 1 EuGVVO in seinem Anwendungsbereich als Entsprechungsnorm betrachtet.1003 Bisweilen wird auch Art. 5 Nr. 5 EuGVVO herangezogen.1004 Entscheidend ist jedenfalls, dass nach diesen Ansichten die Durchgriffshaftung stets auch zum Zuständigkeitsdurchgriff führt. Die Zuständigkeitsfrage entscheidet sich nach diesen Ansichten schon aus dem Begriff der Durchgriffshaftung.1005 Auch in der französischen Literatur zeigt sich ein solcher Durchgriffsgedanke, allerdings auf materiellrechtlicher Ebene bei der Suche nach der Rechtsnatur der einzelnen Ansprüche. Delebecque1006 wirft in materiellrechtlicher Hinsicht die Frage auf, ob in Wirklichkeit nicht eine Verurteilung der Muttergesellschaft bzw. der anderen Gruppenmitglieder auf der Grundlage einer vertraglichen Haftung erfolge, wenn die ursprüngliche Verpflichtung auch aus einem Vertrag resultierte. Entweder sei das Verschulden bei der Erfüllung des Vertrags, das zum Beispiel aus der Einmischung in diesen Vertrag resultiere, deliktisch, weil es von einer Person herrühre, die nicht den Vertrag geschlossen habe, oder es handele sich im Gegenteil um ein vertragliches Verschulden, weil es ursprünglich einfach von einer Verletzung einer vertraglichen Pflicht herrühre.1007 Eine Antwort bleibt er schuldig. Jedoch deutet die Fragestellung die gegensätzlichen Tendenzen an, die auch in der deutschen Literatur vertreten werden. Zum einen das Abstellen auf die eigentliche Beziehung zwischen Kläger und Beklagtem, zum anderen eine Instrumentalisierung des Durchgriffs auf die Mutter zu Zuständigkeitszwecken. Stellt man nämlich auf die ursprüngliche, von der Tochter begangene Pflichtverletzung ab, so ist diese eindeutig vertraglich. Steht die Mutter für die Schulden der Tochter ein, so tritt neben den ursprünglichen Haftungsgrund der Tochter ein eigener, zusätzlicher Haftungsgrund der Mutter. Für Zwecke der Einordnung in die EuGVVO ist eine Art Durchgriffszuständigkeit abzulehnen und das Augenmerk auf den eigentlichen Konzernhaftungstatbestand der herrschenden Gesellschaft zu richten. Dann ist in diesen Fällen aber eine vertragliche Qualifikation in der Regel ausgeschlossen. Gegen diese Ansätze ist vor allem einzuwenden, dass die allgemeinen Gerichtsstandskriterien auch maßgeblich sein sollten, wenn eine 1002 1003

Brandes, S. 129. Geimer, IZPR, Rn. 187 ff., 188 a, wobei der Zusammenhang Voraussetzung

ist. 1004 1005

Vgl. dazu Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rn. 223. Vgl. dazu auch die Kritik zu Möllers von Wilhelm, ZZP 103 (1990), 233,

237. 1006 1007

Delebecque, Rev. proc. coll. 1998, 129 ff. Delebecque, Rev. proc. coll. 1998, 129, 137.

10. Kap.: Gerichtsstandsvereinbarungen

345

Klage erhoben wird, die auf Durchgriff oder auf andere Haftungsansprüche gegenüber dem herrschenden Unternehmen gestützt wird. Entscheidend sind die Rechtsbeziehungen zwischen Kläger und Beklagtem, z. B. zwischen Gläubiger und herrschendem Unternehmen. Aber auch wenn man das Modell eines „Zuständigkeitsdurchgriffs“ bzw. eine spezielle internationale Zuständigkeit der Durchgriffshaftung ablehnt und die allgemeinen Gerichtsstandskriterien anwendet, ist ein „prozessualer Durchgriff“ auf die herrschende Gesellschaft möglich, wie aus den vorstehenden Ausführungen ersichtlich ist.1008 Der Gläubiger kann im Vertragsgerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO zwar nur seine vertraglichen Ansprüche gegen die abhängige Gesellschaft geltend machen, nicht jedoch Durchgriffsansprüche gegen die herrschende Gesellschaft, mit der der Gläubiger vertraglich nicht verbunden ist.1009 Es steht aber am Sitz der abhängigen Gesellschaft ein Gerichtsstand gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO zur Verfügung. Demnach fallen der Gerichtsstand des Erfüllungsortes und der unerlaubten Handlung in diesem Fall an einem Ort zusammen.

10. Kapitel

Gerichtsstandsvereinbarungen gemäß Art. 23 EuGVVO Haben die Parteien vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so ist dieses Gericht oder sind die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig (Art. 23 Abs. 1 EuGVVO). Eine Gerichtsstandsvereinbarung könnte einen inländischen Gerichtsstand im Sitzstaat bzw. am Sitz der abhängigen Gesellschaft und damit eine einfache und günstige Rechtsverfolgung sichern. Die Zweckmäßigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung besteht nicht nur zugunsten der Tochter sowie deren Aktionären und Gläubigern, sondern auch im Hinblick auf die Muttergesellschaft. Auch sie gewinnt Planungssicherheit. 1008 Im Verhältnis zu Drittstaaten besteht häufig durch § 23 ZPO ein Zuständigkeitsdurchgriff auf die ausländische Muttergesellschaft. Da diese Vorschrift als exorbitanter Gerichtsstand aber ausdrücklich aus dem Geltungsbereich der EuGVVO ausgeschlossen wurde, muss diese „Lücke“ hingenommen werden. 1009 OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 9.9.1999, IPRax 2000, 525; Kropholler, EuZPR, Art. 5 Rn. 11; Schack, in GS Sonnenschein, S. 705, 708; Goette, DStR 1997, 503, 505.

346

4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Die EuGVVO kennt zwar Sonderregelungen für Gerichtsstandsklauseln in trust-Bedingungen (Art. 23 Abs. 4 EuGVVO), sie enthält aber keine Bestimmung für die wirksame Integration von Gerichtsstandsklauseln in Gesellschaftsverträgen. Diese begegnet zwei wesentlichen Schwierigkeiten: zum einen der Einhaltung zusätzlicher Formerfordernisse, zum anderen der Vereinbarkeit des Grundsatzes der individuellen Willensbildung mit dem mitgliedschaftlichen Mehrheitsprinzip.1010 Fragen, die sich aufdrängen, sind also folgende: Kann in die Satzung der abhängigen Gesellschaft oder den Beherrschungsvertrag eine Gerichtsstandsvereinbarung integriert werden? Kann eine Gerichtsstandsvereinbarung durch Mehrheitsbeschluss zustande gebracht werden? Besteht eine Bindung für Rechtsnachfolger oder Dritte? Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob den Vorstand der Muttergesellschaft oder der abhängigen Gesellschaft nicht sogar eine Pflicht trifft, eine solche Gerichtsstandsvereinbarung abzuschließen.

I. Gerichtsstandsvereinbarung in der Satzung Inwieweit derartige Gerichtsstandsvereinbarungen auch Gültigkeit für die Aktionäre besitzen, ist unklar. Bei der Beurteilung ist zwischen Vereinbarungen in Beherrschungsverträgen, an denen die Aktionäre als Vertragsparteien nicht beteiligt sind, und solchen in der Satzung bzw. im Gesellschaftsvertrag der abhängigen Gesellschaft zu unterscheiden. 1. Zustandekommen einer Zuständigkeitsvereinbarung in einer Satzung Voraussetzung für das Zustandekommen ist eine Willenseinigung der Parteien über die Zuständigkeitsbegründung.1011 Unbestritten ist, dass die EuGVVO nicht nur die Form, sondern auch das vertragliche Element der Einigung der Parteien über die internationale und örtliche Zuständigkeit nicht dem nationalen Recht überlässt, sondern auch insoweit eine konventionsimmanente Regelung zur Verfügung stellt, die das nationale Recht verdrängt.1012 Wo die Grenzen für eine einheitsrechtliche Beurteilung verlaufen, ist allerdings unklar. Die Frage, für und gegen welche Personen eine Gerichtsstandsvereinbarung wirkt, ist prozessualer Natur und daher nach Art. 23 EuGVVO autonom zu beurteilen.1013 1010

Vgl. dazu Karré-Abermann, ZEuP 1994, 138, 142 f. EuGH, Urt. v. 19.6.1984, Rs. 71/83 – Tilly Russ/Nova – Slg. 1984, 2417, 2432 Rn. 14. 1012 Geimer, EuZW 1992, 518. 1011

10. Kap.: Gerichtsstandsvereinbarungen

347

a) Die Entscheidung des EuGH in Sachen Powell Duffryn/Petereit In der Entscheidung in Sachen Powell Duffryn/Petereit1014 ging es um die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine in der Satzung einer Aktiengesellschaft enthaltene Klausel, wonach sich der Aktionär für Streitigkeiten mit der Gesellschaft dem ordentlichen Gerichtsstand der Gesellschaft „unterwirft“, als Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 17 EuGVÜ angesehen werden kann. Der EuGH hat die autonome Auslegung des Tatbestandsmerkmals Gerichtsstandsvereinbarung anerkannt bzw. bestätigt; er entschied sich für eine selbständige Auslegung des Vereinbarungsbegriffs.1015 Auf der Grundlage der autonomen Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung gelangt der EuGH zu der Feststellung, dass „für die Zwecke der Anwendung des Übereinkommens (. . .) die Satzung der Gesellschaft (. . .) als Vertrag anzusehen (ist), der sowohl die Beziehungen zwischen den Aktionären als auch die Beziehungen zwischen diesen und der von ihnen gegründeten Gesellschaft regelt.“ Damit wird die weitere Feststellung verbunden, dass „demzufolge“ eine in der Satzung einer Aktiengesellschaft enthaltene Gerichtsstandsklausel eine Vereinbarung i. S. d. Art. 17 EuGVÜ darstellt, die sämtliche Aktionäre bindet. Unerheblich sei, ob der Aktionär, dem gegenüber die Klausel geltend gemacht werde, gegen deren Annahme gestimmt habe und ob er erst nach der Annahme der Klausel Aktionär geworden sei. Damit folgt der EuGH nicht der restriktiven Auffassung der deutschen Bundesregierung, die davon ausgegangen war, dass bei einem Aktionär, der gegen die Aufnahme einer solchen Klausel gestimmt, gar nicht abgestimmt oder die Aktie erst später von einem anderen Aktionär erworben hat, eine Vereinbarung im Sinne des Art. 23 EuGVVO nicht vorliege.1016 Der EuGH erklärt die Gerichtsstandsklausel gegenüber sämtlichen Aktionären für zulässig; sie gilt gegenüber sämtlichen Aktionären aufgrund ihres Beitritts zur Gesellschaft als vereinbart, und zwar unabhängig von der Art und Weise des Aktienerwerbs. Der EuGH begründet dies damit, dass derjenige, der Aktionär einer Gesellschaft wird, sich mit sämtlichen Bestimmungen der Gesellschaftssatzung sowie mit den in Übereinstimmung mit dem anwendbaren nationalen Recht und der Satzung gefassten Beschlüssen der 1013

EuGH, Urt. v. 14.7.1983, Rs. 201/82 – Gerling/Amm. del tesoro – Slg. 1983, 2503, 2515 Rn. 11; Rauscher, IPRax 1992, 143, 145. 1014 EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89, Slg. 1992 I-1745 ff. = NJW 1992, 1671 f. = IPRax 1993, 32 ff. m. Anm. Koch (19 ff.) = ZEuP 1994, 138 m. Anm. Karré-Abermann (142 ff.). 1015 EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745, 1774 Rn. 13 f. 1016 Vgl. dazu den Sitzungsbericht in der Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745, 1751.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Gesellschaftsorgane einverstanden erklärt. Dies gilt auch dann, wenn er bei der Abstimmung gegen die Annahme der betreffenden Regelung gestimmt hat.1017 Voraussetzung sei aber, dass die Klausel „in Übereinstimmung mit dem anwendbaren (. . .) Recht und der Satzung“ selbst zustande gekommen sei. Die Beurteilung der Implementierung einer Gerichtsstandsklausel in die Satzung einer juristischen Person oder Gesellschaft hat der EuGH also dem nationalen Recht, i. e. der nach dem Internationalen Privatrecht des Gerichtsstaates bestimmten lex causae überlassen.1018 Eine Definition der Vereinbarung nach Art. 23 EuGVVO steht jedoch nach wie vor aus. Der EuGH stützt sich bei der Lösung auf Kriterien wie die Qualifizierung der Gesellschaftssatzungen in den verschiedenen Rechtsordnungen der Vertragsstaaten.1019 Aufgrund der Vergleichbarkeit der Bindungen zwischen den Aktionären und der Gesellschaft mit denen zwischen Vertragsparteien qualifiziert der EuGH die Satzung der Gesellschaft für die Zwecke der Anwendung des EuGVÜ als Vertrag. Dieser umfasse sowohl die Beziehungen der Aktionäre untereinander als auch die Beziehungen der Aktionäre zu der Gesellschaft.1020 Damit vertritt der EuGH einen weiten Vereinbarungsbegriff. Er stellt nicht auf die einzelne Willenserklärung der an der Vereinbarung Beteiligten, sondern auf den Akt kollektiver Willensbildung ab. Die Lösung entspricht damit der Meinung des Generalanwalts Tesauro.1021 Zudem löst sich das vertragliche Element der Vereinbarung von der Form der Schriftlichkeit. Es kommt nicht darauf an, dass der Dritte die Vereinbarung unmittelbar getroffen hat, sondern dass sie ihm zuzurechnen ist. Eine solche Zurechnung kann sich auch aufgrund der gesellschaftsinternen Beziehungen ergeben, die bereits im Rahmen des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO als vertraglich eingeordnet wurden1022 und die der EuGH auch als Vereinbarung im Sinne des Art. 17 EuGVÜ ausreichen lässt.1023 1017 EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745, 1775 Rn. 19. 1018 EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745, 1775 Rn. 19. 1019 EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745, 1773 Rn. 10. 1020 EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745, 1774 f. Rn. 16. 1021 Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro, 20.11.1991, Slg. 1992 I-1756 ff. 1022 Siehe oben 4. Teil, 5. Kapitel: II.2.a)aa)(1)(b), S. 218 in Anlehnung an die Entscheidung des EuGH in Sachen Peters/ZNAV: EuGH, Urt. v. 22.3.1983, Rs. 34/82, Slg. 1983, 987, 1002 Rn. 13. 1023 EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745, 1774 f. Rn. 16; vgl. auch die Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro v. 20.11.1991, Slg. 1992 I-1756 ff. (insb. Nr. 8) und Rauscher, IPRax 1992, 143, 146.

10. Kap.: Gerichtsstandsvereinbarungen

349

Ein wichtiger Grund für die Auffassung des EuGH ist die Vermeidung auseinanderfallender Zuständigkeiten. Aus Praktikabilitätserwägungen sollen alle Aktionäre demselben Gericht unterliegen.1024 b) Beurteilung der Entscheidung Die Schwierigkeiten bei der Subsumtion resultieren vor allem daraus, dass einerseits der Beitritt zu einer Gesellschaft bzw. der Erwerb der Mitgliedschaft auf unterschiedliche Weise und zu verschiedenen Zeitpunkten erfolgen kann, andererseits die einheitliche Behandlung aller möglichen Sachverhalte erstrebenswert ist. Der EuGH betrachtet den Begriff des Vertrags ebenso wie bei Art. 5 Nr. 1 EuGVVO als überpositiven, was die Suche nach einer autonomen Begriffsbestimmung erforderlich macht. Bei der Subsumtion stellt sich dann die Frage, ob die Satzung ein Vertrag ist. Betrachtet man die Rechtsordnungen der verschiedenen Mitgliedstaaten, so stellt man fest, dass die Satzung teilweise als Vertrag eingeordnet wird, ihr teilweise aber ein institutioneller oder normativer Charakter attestiert wird.1025 Im Anschluss an die Entscheidung des EuGH im Fall Peters/ZNAV ist die Einordnung der Satzung einer Aktiengesellschaft als Vertrag nur folgerichtig. Das Problem liegt dabei weniger bei der Qualifikation als Vertrag als bei der isolierten Betrachtung des Verhältnisses zwischen Aktionär und Gesellschaft als einer vertraglichen „Vereinbarung“.1026 Der Gesellschaftsvertrag ist durch die kollektive und multilaterale Willensbildung gekennzeichnet – im Gegensatz zur individualvertraglichen Übereinkunft. Der qualitative Unterschied zwischen einer „normalen“ Prorogationsvereinbarung und einer Satzungsbestimmung tritt in zweierlei Hinsicht in Erscheinung: Erstens konstituiert erst die Satzung die Gesellschaft. Die Gesellschaft kann mithin noch nicht Vertragspartei einer darin enthaltenen Zuständigkeitsvereinbarung sein. Dies ist erst bei einer Satzungsänderung möglich. Zweitens ist Voraussetzung einer jeden Vereinbarung die Übereinstimmung der Parteien. Ein konkludentes Einverständnis mit der Klausel in der Satzung kann wohl noch im Beitritt bzw. 1024 EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745, 1775 Rn. 20. 1025 Vgl. dazu bereits 4. Teil, 5. Kapitel: II.2.a)aa)(1)(a)(aa), S. 209 ff.; außerdem EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745, 1773 Rn. 10. In England (Company Act 1985, s. 7) und in Frankreich (Art. 2 des Gesetzes von 1966) wird der Begriff Vertrag vermieden. Anders im deutschen Recht, wo § 2 AktG vom Gesellschaftsvertrag spricht. 1026 Koch, IPRax 1993, 19, 20; häufig wird der Begriff „Vertrag“ automatisch mit dem der „Vereinbarung“ gleichgesetzt, vgl. nur Mestre, RTD civ. 91 (1992), 752, 758 und Blaise, Bulletin Joly 1992, § 247, 772, 773 f.

350

4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

Anteilserwerb nach Gründung der Gesellschaft oder Satzungsänderung gesehen werden. Stimmt der Aktionär jedoch gegen die Aufnahme der Prorogationsklausel in die Satzung, so fehlt eigentlich seine Zustimmung. Das Halten der Anteile nach erfolgloser Gegenstimme könnte dann möglicherweise als Zustimmung ausgelegt werden. Der Aktionär könnte seine Anteile ansonsten verkaufen und aus der Gesellschaft austreten. Das bloße Behalten von Anteilen als Zustimmung und damit als fortdauernde vertragliche Übereinstimmung im Sinne von Art. 23 EuGVVO zu deuten ist – wenn überhaupt – nur für die Bindung ex nunc möglich. Eine Gerichtsstandsklausel entfaltet jedoch mittelbare Rückwirkung, da es für die Zuständigkeit auf die zur Zeit der Verfahrenseinleitung vorliegenden tatsächlichen Voraussetzungen ankommt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Klageerhebung, da eine Gerichtsstandsvereinbarung eine Zuständigkeitsoption ist, die ohne rechtliche Folgen bleibt, solange kein gerichtliches Verfahren eingeleitet ist, und die erst dann Wirkungen entfaltet, wenn eine Klage erhoben wird.1027 Dies gilt zumindest hinsichtlich der Wirksamkeit der Vereinbarung.1028 Ein Prozess über Konzernhaftungsansprüche findet nach der neuen, geänderten Satzungsklausel statt, so dass eine Veräußerung der Anteile nach Aufnahme der Zuständigkeitsbestimmung in die Satzung keine Auswirkung hat. Während also eine Bindung der Gründungsgesellschafter und der Aktionäre, die im Zuge einer Kapitalerhöhung Aktien gezeichnet haben1029 oder durch Anteilserwerb Mitglieder werden, sich noch begründen lässt, bereitet die Bindung derjenigen Aktionäre, die der Satzungsänderung widersprochen haben, konstruktive Probleme. Diese Unstimmigkeiten bleiben, wenn man weiter mit dem EuGH davon ausgeht, dass derjenige, der Aktionär einer Gesellschaft wird und bleibt, damit einverstanden ist, dass sämtliche Bestimmungen der Satzung für ihn gelten.1030 Der EuGH setzt die Kenntnis des Aktionärs von der Gerichtsstandsklausel in der Satzung als gegeben voraus, er fingiert sie, um daraus auf dessen Zustimmung zu schließen. Die Lösung des EuGH ist dabei vor allem praxisorientiert.1031 Konzentration 1027 EuGH, Urt. v. 13.11.1979, Rs. 25/79 – Sanicentral/Collin – Slg. 1979, 3423, 3429 Rn. 6; vgl. auch Kropholler, EuZPR, vor Art. 2 Rn. 12 ff.; Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 23 Rn. 25 ff. 1028 Siehe Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 23 Rn. 25 ff. 1029 § 185 AktG. 1030 EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745, 1775 Rn. 19. 1031 Vgl. dazu Bork, ZHR 157 (1993), 48, 52; Geimer, EWiR Art. 17 EuGVÜ 1/92, 353, 354; ders., EWiR Art. 17 EuGVÜ 1/89, 885, 886; Koch, IPRax, 1993, 19, 20; Ebenroth/Reiner, WuB VII B.1 Art. 17 EuGVÜ 2.92, 997, 999; Klinke, ZGR 1993, 1, 39; Kropholler, EuZPR, Art. 23 Rn. 39; Wieczorek/Schütze/Hausmann, Art. 17 Rn. 27, 38, die allesamt dem Ergebnis zustimmen; siehe ferner v. Baum, S. 150.

10. Kap.: Gerichtsstandsvereinbarungen

351

des Gerichtsstandes und Rechtssicherheit sind die Folgeerwägungen, die den Ausschlag geben.1032 Die Ansicht der Bundesregierung vernachlässigt dagegen die Zuständigkeitsinteressen der Gesellschaft. Das Ziel, i. e. die Ausschaltung der Unsicherheiten bei der Zuständigkeitsprognose durch die Vereinbarung der ausschließlichen internationalen Zuständigkeit eines Staates, würde wieder zunichte gemacht, wenn die Klausel im Verhältnis zu den Aktionären unterschiedlich behandelt werden müsste. Auch die Interessen des einzelnen Aktionärs werden hinreichend berücksichtigt. Die Anerkennung des Vertragsprinzips wird im Sinne des Mehrheitsprinzips verwirklicht, das auch die übrigen Entscheidungen des Aktionärs bestimmt. Dies gilt zumindest für Deutschland (§ 179 Abs. 2 AktG). In Frankreich herrscht nicht unbedingt das Mehrheitsprinzip (principe de la majorité), sondern dasjenige des gegenseitigen Einverständnisses (accord réciproque).1033 Danach kann die Satzung in bestimmten Fragen grundsätzlich nur durch einstimmige Entscheidung der Mitglieder geändert werden (Art. 1836 Abs. 1 C. civ.).1034 Allerdings stellt auch der EuGH überzeugend heraus, dass jeder Aktionär einer Gesellschaft weiß oder wissen muss, dass er an die Satzung der Gesellschaft in der jeweils gültigen Fassung gebunden ist, die die zuständigen Organe der Gesellschaft nach dem maßgeblichen nationalen Recht (Gesellschaftsstatut) beschlossen haben. Dies gilt unabhängig von der Art und Weise des Erwerbs der Aktien. Ansonsten ergibt sich eine große Rechtsunsicherheit. Im Hinblick auf die durch Erwerb von bereits bestehenden Aktien hinzugekommenen Gesellschafter könnte man nämlich zu dem Ergebnis kommen, dass ihnen gegenüber eine solche Klausel gilt je nachdem, ob sie ihre Aktien von Gesellschaftern erworben haben, denen gegenüber diese Klausel wirksam war oder nicht. Zu einem derartigen Ergebnis würde man nämlich gelangen, wendete man die vom EuGH in Sachen Tilly Russ/ Nova1035 vertretene Lösung an.1036 Eine vertragliche Bindung der Aktionäre kann man wohl nicht direkt aus dem Hauptversammlungsbeschluss herleiten, sondern eher aus dem Rechtsgeschäft, durch das sie Aktionäre geworden sind, und zwar indem man davon ausgeht, dass sie sich durch Aktienerwerb der Satzung in ihrer jeweils gültigen Fassung unterworfen haben.1037 Wer Aktien übernimmt, übernimmt 1032

Koch, IPRax 1993, 19, 20. Vgl. Gaudemet-Tallon, RCDIP 72 (1983), 667, 668. 1034 Art. 1836 Abs. 1 C. civ. lautet: „Les statuts ne peuvent être modifiés, à défaut de clause contraire, que par l’accord unanime des associés.“ 1035 EuGH, Urt. v. 19.6.1984, Rs. 71/83 – Tilly Russ/Nova – Slg. 1984, 2417 ff. 1036 Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro, 20.11.1991, Slg. 1992 I-1756, 1763. 1033

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

damit gleichzeitig die Bindung an die Satzung. Diese Bindung betrifft jede Fassung, soweit sie wirksam ist. Diese Bindung kann der Aktionär auch nicht dadurch beseitigen, dass er in der Hauptversammlung gegen einen satzungsändernden Beschluss stimmt. Der Aktienerwerbsvertrag könnte somit die Vereinbarung i. S. d. Art. 23 EuGVVO enthalten. Die Vorschrift setzt aber eine Vereinbarung zwischen den Prozessparteien voraus, in diesem Fall also zwischen herrschendem Aktionär und Minderheitsaktionär. Die herrschende Gesellschaft ist aber an dem Veräußerungsvertrag gar nicht beteiligt. Außerdem ist fraglich, ob sich der rechtsgeschäftliche Wille beim Aktienerwerbsvertrag auch auf eine mögliche künftige Gerichtsstandsklausel bezieht.1038 Der EuGH legt den Begriff der Vereinbarung äußerst weit aus und fasst darunter, wie bei Art. 5 Nr. 1 EuGVVO, jeden Akt, der auf den privatautonomen Willen der Parteien zurückzuführen ist. Damit ist vor allem auch die stillschweigende Unterwerfung unter die Satzung erfasst. Die Bindung des Aktionärs beruht auf der Mitgliedschaft. Dieser privatautonome Akt ist für das Vorliegen einer Vereinbarung ausreichend. c) Anwendbares nationales Recht Die Folge der autonomen Auslegung des Vereinbarungsbegriffs müsste sein, dass eine Bestimmung des Gesellschaftsrechts, die eine Individualvereinbarung hinsichtlich einer den Aktionär belastenden Verpflichtung fordert,1039 zugunsten der Auslegung der EuGVVO durch den EuGH weicht bzw. zurücktritt. Insoweit kann festgestellt werden, dass die Rechtsprechung des EuGH wenig Rücksicht auf die Vereinbarung der Partei nimmt, gegenüber der die Klausel geltend gemacht werden kann.1040 Für das wirksame Zustandekommen von Gerichtsstandsklauseln in Gesellschaftssatzungen sollen nach dem EuGH aber die innerstaatlichen Rechtssätze über Willensbildung im Gesellschaftsrecht gelten. Das vom EuGH geforderte Zustandekommen der Gerichtsstandsklauseln in Übereinstimmung mit dem anwendbaren nationalen Recht und der Satzung der Gesellschaft erscheint auf den ersten Blick als Widerspruch zu dem zuvor aufgestellten Grundsatz der autonomen internationalen Auslegung des Vereinbarungsbegriffs. Es entsteht der Eindruck der Renationalisierung des Begriffs.1041 Von einer autonomen Auslegung könnte dabei nicht die Rede sein.1042 1037 EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745, 1775 Rn. 19. 1038 Bork, ZHR 157 (1993), 48, 54. 1039 So wie es in Art. 1836 Abs. 2 C. civ. vorgesehen ist. 1040 So Beraudo, JCl. Europe Fasc. 3020 = Dr. int. Fasc. 631-40, Nr. 39.

10. Kap.: Gerichtsstandsvereinbarungen

353

Der EuGH verleiht jedoch dem Begriff „vereinbart“ eine eigene vertragsautonome Bedeutung, wobei er eine eigenständige Qualifizierung der Gerichtsstandsvereinbarung vornimmt und für das Zustandekommen auf ein bestimmtes nationales Recht verweist.1043 Zunächst soll nationales Recht nur über die Wirksamkeitsvoraussetzungen entscheiden, die in der äußeren Form der Klausel keinen Niederschlag gefunden haben, wie etwa die Stellvertretung oder Willensmängel.1044 Fraglich ist, ob dies auch für die gesellschaftsrechtliche Wirksamkeit einer Gerichtsstandsklausel in einer Satzung gilt. Steht die wirksame Inkorporation in die Satzung in Frage, so ist dies nach dem Gesellschaftsstatut zu beurteilen; geht es um die gesellschaftsrechtliche Zulässigkeit einer Satzungsbestimmung, so werden die nationalen Vorschriften1045 von Art. 23 EuGVVO verdrängt.1046 Grundsätzlich stellt der Vertrag, in dessen Zusammenhang die Gerichtsstandsvereinbarung abgeschlossen wird, eine getrennte Vereinbarung dar. Nur wenn die Klausel als integrierter Bestandteil des Grundvertrags ausgestaltet ist, müssen dessen nationale Wirksamkeitsvoraussetzungen neben den internationalen Erfordernissen der Gerichtsstandsvereinbarung erfüllt sein. Das hat zur Folge, dass die auf Gesellschafterbeschlüssen beruhenden Gerichtsstandsklauseln, die nicht eine formgültige Änderung des Gesellschaftsvertrags bewirken, nur zu einseitigen Verpflichtungen der Zustimmenden gegenüber der Gesellschaft führen, sofern nicht die Gesellschafter die Gesellschaft auch ohne förmliche Gesellschaftsvertragsänderung gemeinsam wirksam vertreten können.1047 2. Form der Zuständigkeitsvereinbarung Art. 23 EuGVVO erfordert die Schriftform oder eine entsprechende Form. Wenn man genügen lässt, dass die Gerichtsstandsklausel selbst schriftlich niedergelegt ist,1048 dann bereitet das Schriftformerfordernis keine Schwie1041 Vgl. Jayme/Kohler, IPRax 1992, 346, 351, nach denen die Aussagen des Urteils zur autonomen Auslegung ein Lippenbekenntnis bleiben. 1042 Ebenso Jayme/Kohler, IPRax 1992, 346, 351. 1043 Staehelin, S. 158. 1044 Kropholler, EuZPR, Art. 23 Rn. 28; MünchKommBGB/Martiny, Vor Art. 27 Rn. 56. 1045 Wie beispielsweise § 23 Abs. 5 AktG. 1046 MünchKommBGB/Martiny, Vor Art. 27 Rn. 55; Geimer/Schütze, IntUrtAnerk I/1, S. 900 f. 1047 Karré-Abermann, ZEuP 1994, 138, 146 f. 1048 So wohl Generalanwalt Tesauro, 20.11.1991, Slg. 1992 I-1756, 1765, Nr. 11.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

rigkeiten, denn die Klausel steht in der Satzung, und die Satzung muss in allen Mitgliedstaaten in Schriftform abfasst sein.1049 So bedarf die Satzung nach deutschem Recht beispielsweise gemäß §§ 23, 130 AktG bzw. §§ 2, 53 GmbHG der notariellen Beurkundung, so dass sie in der jeweiligen Fassung schriftlich vorliegt.1050 Damit entspricht die Satzung vordergründig zunächst den Formerfordernissen des Art. 23 EuGVVO. Insofern mag die Frage auf den ersten Blick überflüssig erscheinen. Das Formerfordernis scheint jedoch nicht im Hinblick auf alle Aktionäre erfüllt. Verlangt man nämlich, dass die Willenserklärung des Gesellschafters schriftlich niedergelegt wird, dann muss man wieder differenzieren. Bei den Erklärungen der Gründungsgesellschafter und der Gesellschafter, die Anteile bei einer Kapitalerhöhung zeichnen, wird das Schriftformerfordernis erfüllt sein, wenn die Klausel schon in der Satzung steht. Bei der nachträglichen Satzungsänderung und beim Anteilserwerb ist dies nicht so eindeutig. Der EuGH sieht die Formerfordernisse des Art. 17 EuGVÜ in einem solchen Fall „unabhängig von der Art und Weise des Erwerbs der Aktien in Bezug auf jeden Aktionär als erfüllt (an), wenn die Gerichtsstandsklausel in der Satzung der Gesellschaft enthalten ist und diese an einem dem Aktionär zugänglichen Ort hinterlegt oder in einem öffentlichen Register enthalten ist.“1051 Die üblichen Schriftformerfordernisse in Art. 23 EuGVVO sind für andere Vertragstatbestände – vor allem bilaterale Verträge – konzipiert worden, und passen daher nicht auf eine Satzungsergänzung in einer Hauptversammlung, über die abgestimmt und die später notariell protokolliert wird. Daher überträgt der EuGH auch nicht einfach seine für bilaterale Verträge entwickelte und praktizierte Rechtsprechung zu Art. 17 EuGVÜ auf Gerichtsstandsklauseln in Satzungen. Insbesondere in dem Urteil in Sachen Estasis Salotti/Rüwa1052 hat der EuGH ausgeführt, dass die Anforderungen an die Form in Art. 17 EuGVÜ dazu bestimmt seien, sich der Vereinbarung zwischen den Parteien zu vergewissern. Dieser wichtige Zweck der Schriftform, die Dokumentation bzw. Registrierung der Einigung der Parteien, entfällt bei Gerichtsstandsvereinbarungen in Satzungen. Im Fall Powell Duffryn/Petereit sei nicht die Dokumentation der Einigung der Parteien die Funktion des Schriftformerfordernisses, sondern im Vordergrund stehe die Kenntnisnahmemöglichkeit des Aktionärs von Satzungsänderungen. Der 1049 Vgl. dazu Generalanwalt Tesauro, 20.11.1991, Slg. 1992 I-1756, 1765, Nr. 1; siehe nur für Frankreich Art. 1835 C. civ. 1050 Vgl. auch § 126 Abs. 4 BGB. 1051 EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745, 1777 Rn. 29. 1052 EuGH, Urt. v. 14.12.1976, Rs. 24/76 – Estasis Salotti/Rüwa – Slg. 1976, 1831, 1841 Rn. 7.

10. Kap.: Gerichtsstandsvereinbarungen

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EuGH erweitert damit funktional die Erfordernisse des Art. 17 EuGVÜ. Damit sind die nationalen Besonderheiten des Aktienerwerbs unbeachtlich.1053 Nach seiner Auffassung reicht es nicht aus, dass die Satzung in Schriftform abgefasst ist, vielmehr muss jeder Aktionär die Möglichkeit der Kenntnisnahme haben. Die Satzung muss zu diesem Zwecke an einem Ort hinterlegt sein, der dem Aktionär zugänglich ist, etwa der Sitz der Gesellschaft, oder in einem öffentlichen Register stehen.1054 Ist das der Fall, sei davon auszugehen, dass jeder Aktionär Kenntnis von der Satzung habe. Auch hier gelangt der EuGH zu einer Fiktion der Kenntnis.1055 Über die Satzungsbestimmung wird in der Hauptversammlung abgestimmt,1056 später wird sie notariell protokolliert.1057 Reicht die Abstimmung für eine Einigung i. S. d. Art. 23 EuGVVO aus, ist diese auch immer zugleich dokumentiert. Der EuGH stellt daher eine andere Funktion der Schriftform in den Vordergrund: die Kenntnisnahmemöglichkeit des Aktionärs von den Satzungsbestimmungen. Hieraus ergibt sich nicht nur eine Formerleichterung, sondern auch eine Relativierung des vom EuGH geforderten Nachweises der Vereinbarung.1058 Zwischen Form und Vereinbarung besteht ein enger Zusammenhang, der aus dem äußeren Erscheinungsbild der Prorogation auf die Einigung der Parteien schließen lässt. Mit dem Erfordernis der Vereinbarung soll bezweckt werden, dass Zuständigkeitsklauseln nicht unbemerkt Inhalt eines Vertrages werden.1059 Dies soll die Form dokumentieren. Sind die Satzungsbestimmungen öffentlich zugänglich, kann sie der Aktionär einsehen, womit seine Zustimmung fingiert wird. Das Formerfordernis dient somit dazu, die Einigung bejahen zu können, um sie dann zu dokumentieren. Wenn der EuGH Art. 17 EuGVÜ auf eine Satzungsbestimmung anwendet, ist diese erweiternde, funktionale Auslegung also nur folgerichtig.1060 Der Zweck des Formerfordernisses wird auch dadurch erfüllt, dass jeder Aktionär die (schriftliche) Satzung an einem zugänglichen Ort ohne weiteres einsehen und sich über die Bestimmungen informieren kann. Dann kann unterstellt werden, dass der Aktionär die Gerichtsstandsklausel kennt und – mangels gegenteiliger Anzeichen – ihr 1053 Auf die damit verbundenen Fragen, ob der Erwerb neuer Aktien nach Kapitalerhöhung schriftlich erfolgt oder ob der Zeichnungsschein eine Gerichtsstandsklausel enthält, kommt es nicht an; vgl. Koch, IPRax, 1993, 19, 21. 1054 EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745, 1777 Rn. 28. 1055 Jayme/Kohler, IPRax 1992, 346, 351. 1056 Vgl. z. B. nach deutschem Recht § 179 Abs. 1 Satz 1 AktG. 1057 Vgl. z. B. nach deutschem Recht § 23 Abs. 1 Satz 1 AktG. 1058 Rauscher, IPRax 1992, 143, 145. 1059 Reithmann/Martiny/Hausmann, Rn. 2982, zu Satzungen siehe Rn. 2989 f. 1060 So auch Koch, IPRax, 1993, 19, 21.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

auch zustimmt. Der Gedanke der Möglichkeit der Kenntnisnahme kann als funktionale Parallele herangezogen und auf eine genaue Subsumtion unter die einzelnen Voraussetzungen des Art. 23 EuGVVO verzichtet werden. Um ein praktikables Ergebnis zu erzielen, sollte das Hauptaugenmerk auf dem Sinn des Formerfordernisses, die Parteien vor überraschenden Gerichtsstandsklauseln zu schützen, liegen. Im Endeffekt besteht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs bei Gerichtsstandsklauseln in Satzungen eine Bindung kraft Mitgliedschaft. Damit schließt er die Lücke, die in der EuGVVO mangels einer dem § 22 ZPO entsprechenden Regel besteht. Im Ergebnis ist dem EuGH zuzustimmen. Mit einer teleologischen Reduktion kann die Form als gewahrt angesehen werden, weil die Satzung selbst schriftlich niedergelegt ist und zur Einsicht zur Verfügung steht.1061 3. Bestimmtheit der Zuständigkeitsvereinbarung Das in Art. 17 Abs. 1 EuGVÜ – nun in Art. 23 Abs. 1 EuGVVO – aufgestellte Bestimmtheitserfordernis sieht der EuGH in diesem Zusammenhang gewahrt, wenn die Klausel dahin auszulegen ist, dass sie sich auf eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder auf eine künftige, aus dem Rechtsverhältnis zwischen der Gesellschaft und ihren Aktionären als solchem entspringende Rechtsstreitigkeit bezieht.1062 Die Auslegung der geltend gemachten Klausel zur Bestimmung der in ihren Anwendungsbereich fallenden Rechtsstreitigkeiten obliege letztlich dem angerufenen Gericht.1063 Die Ansprüche der Tochtergesellschaft aus Konzernhaftung gegenüber der Muttergesellschaft als Gesellschafterin bzw. Mehrheitsaktionärin – wie solche gemäß § 317 AktG – entspringen dem Gesellschaftsverhältnis oder dem Konzernverhältnis1064 und sind damit Streitigkeiten aus einem bestimmten Rechtsverhältnis. Ihre Einbeziehung folgt somit dem Bestimmtheitsgebot. Die Einbeziehung derartiger Konzernhaftungsansprüche ist daher wirksam. Im Rahmen seiner Ausführungen nicht erwähnt hat der EuGH die Beziehungen der Gesellschafter untereinander. Anlässlich der Erläuterungen zum Vertragscharakter der Satzung wurden diese Beziehungen aber durchaus angeführt, so dass davon auszugehen ist, dass auch diese unter die Ge1061

So auch Bork, ZHR 157 (1993), 48, 57 im Zusammenhang mit § 38 Abs. 2

ZPO. 1062 EuGH, Urt. v. 10.3.1992, Rs. C-214/89 – Powell Duffryn/Petereit – Slg. 1992 I-1745, 1778 Rn. 32. 1063 Vgl. zur Auslegung der Klauseln im Einzelnen BGH, Urt. v. 11.10.1993, BGHZ 123, 347 ff. 1064 Siehe dazu oben 4. Teil, 5.Kapitel: II.2.a)aa)(1), S. 207.

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richtsstandsklausel fallen, da auch sie dem Gesellschaftsverhältnis entspringen. Damit kann auch eine Zuständigkeitsvereinbarung bezüglich der Konzernhaftungsansprüche der anderen Gesellschafter des abhängigen Unternehmens, d. h. der Minderheitsaktionäre, gegenüber dem herrschenden Unternehmen als besonderer Gesellschafter (Mehrheitsaktionär) getroffen werden. Demnach können auch Ansprüche gemäß §§ 304, 305 AktG am ausschließlichen Gerichtsstand des Art. 23 EuGVVO geltend gemacht werden. In Frankreich fallen darunter hauptsächlich der Mehrheitsmissbrauch (abus de majorité) und die Geschäftsleiterhaftung (responsabilité des dirigeants),1065 obwohl die Geschäftsleiter nicht Gesellschafter sind. Das Rechtsverhältnis ergibt sich aber aus der besonderen Verbindung zur Gesellschaft. Enthält also die Gesellschaftssatzung eine Gerichtsstandsklausel, die auch spezifisch aus dem Gesellschaftsverhältnis erwachsende Ansprüche der Gesellschaft gegen die Gesellschafter und umgekehrt sowie die Streitigkeiten der Aktionäre mit der Gesellschaft und deren Organen erfasst oder die sogar Konzernhaftungsansprüche ausdrücklich benennt, erfüllt sie das Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit und begründet somit nach Art. 23 EuGVVO einen ausschließlichen Gerichtsstand. 4. Bedenken Teilweise wird bezweifelt, ob der für die vom EuGH so geschaffene Sonderregel gezahlte Preis wirklich gerechtfertigt ist, und es werden Bedenken dahingehend geäußert, dass es vielmehr Sache der Mitgliedstaaten gewesen wäre, die Lücke in Art. 23 EuGVVO zu schließen.1066 Eine gewisse Zweideutigkeit liegt darin, zunächst die Satzung mit einem Vertrag und die Erklärungen mit einer Vereinbarung zu vergleichen, um beide dann wieder davon auszuklammern.1067 Vor allem in Frankreich ist die Entscheidung dementsprechend auf Kritik gestoßen. Die Fiktion der Kenntnis und weiter der Einwilligung des Aktionärs in die in der Satzungsbestimmung getroffene Gerichtsstandsvereinbarung widerspricht dem französischen Recht. Nach Art. 1836 Abs. 1 C. civ. ist eine Satzungsänderung durch Mehrheitsentscheid nicht möglich; die Aktionäre müssen einstimmig darüber befinden. Ferner bestimmt Art. 1836 Abs. 2 C. civ., dass in keinem Fall die Verpflichtungen eines Aktionärs 1065

Vgl. Beraudo, JCl. Europe Fasc. 3020 = Dr. int. Fasc. 631-40, Nr. 40. Jayme/Kohler, IPRax 1992, 346, 351; Bork, ZHR 157 (1993), 48, 52, 55, der der Ansicht ist, dass die Interpretation „teuer bezahlt“ ist; weitere Kritik bei Thode, WuB VII B 1. Art. 17 EuGVÜ 2.89, 1593, 1595. 1067 So auch Gaudemet-Tallon, RCDIP 81 (1992), 535, 537. 1066

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ohne seine Zustimmung erweitert, also zu seinen Lasten ausgedehnt werden können.1068 Kritisiert wird vor allem, dass der EuGH der Schutzbedürftigkeit des Aktionärs nicht angemessen Rechnung getragen habe. Für den Fall, dass eine Gerichtsstandsklausel in den allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Partei enthalten ist, hat der EuGH die Schriftform allein nicht für ausreichend gehalten, sondern einen ausdrücklichen Hinweis auf die AGB verlangt.1069 Kritische Stimmen werfen demnach die Frage auf, ob die Satzung nicht ebenso mit einer besonderen Erklärung, beispielsweise im Zeichnungsschein, versehen werden müsse.1070 Dem Aktionär wird die Kenntnis der Klausel in der Satzung unterstellt, wenn er die Möglichkeit der Kenntnisnahme besitzt, so wie einem Teilnehmer am internationalen Handelsverkehr die Kenntnis der allgemeinen Handelsbräuche seiner Branche unterstellt wird bzw. der allgemeinen Geschäftsbedingungen seines Vertragspartners, mit dem er in ständigen Geschäftsbeziehungen steht. Diese Gleichbehandlung wird vor allem kritisiert, weil die Entscheidung des EuGH alle Aktionäre betrifft. Ein Großteil der „einfachen“ Aktionäre, die ihre Ersparnisse in Aktien anlegen, nimmt aber keine Kenntnis von der Satzung, da sie häufig noch nicht einmal von der Möglichkeit der Kenntnisnahme ausgehen. Insofern ist die Situation des „Basis-Aktionärs“ der eines Verbrauchers ähnlicher als der eines Unternehmers (opérateur économique). Die EuGVVO schützt den Verbraucher hinsichtlich Gerichtsstandsklauseln, die vor dem Rechtsstreit abgeschlossen werden (Art. 17 EuGVVO), ebenso wie den Versicherungsnehmer (Art. 13 EuGVVO) oder den Arbeitnehmer (Art. 21 EuGVVO). Der Aktionär wäre die einzige „schwache Partei“, die nicht von einem gewissen Schutz gegenüber Gerichtsstandsklauseln profitiert.1071 Dem Aktionär kommt sogar noch ein geringerer Schutz zu als einem Unternehmer, demgegenüber im Falle nicht dauerhaft bestehender Geschäftsbeziehungen immerhin eine Gerichtsstandvereinbarung in allgemeinen Geschäftsbedingen nicht entgegenhalten werden kann, wenn kein ausdrücklicher Hinweis auf diese erfolgt ist.1072 Bei dauerhaften Geschäftsbeziehungen ist also von der Kenntnis auszugehen; die Mitgliedschaft könnte dieser Dauerhaftigkeit aber entsprechen. Der 1068 Art. 1836 Abs. 2 C. civ.: „En aucun cas, les engagements d’un associé ne peuvent être augmentés sans le consentement de celui-ci.“ 1069 EuGH, Urt. v. 14.12.1976, Rs. 24/76 – Estasis Salotti/Rüwa – Slg. 1976, 1831, 1841 f. Rn. 10; EuGH, Urt. v. 19.6.1984, Rs. 71/83 – Tilly Russ/Nova – Slg. 1984, 2417, 2433 f. Rn. 19. 1070 Blaise, Bulletin Joly 1992, § 247, 772, 774. 1071 So Gaudemet-Tallon, RCDIP 81 (1992), 535, 538. 1072 Vgl. die Rechtsprechung des EuGH in Sachen Estasis Salotti/Rüwa, Rs. 24/76, und Segoura/Bonakdarian, Rs. 25/76, beide vom 14.12.1976, Slg. 1976, 1831 ff. und 1851 ff.

10. Kap.: Gerichtsstandsvereinbarungen

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EuGH sieht die unterschiedliche Behandlung der Aktionäre im Hinblick auf die Satzung und der Verbraucher im Hinblick auf die allgemeinen Geschäftsbedingungen durch die gemeinsamen Interessen der Aktionäre und deren Verfolgung eines gemeinsamen Ziels als gerechtfertigt an. Eine Unterscheidung zwischen den „aktiven“ und den einfachen Aktionären ist sicher sehr schwierig, dennoch ist fraglich, ob man für alle Aktionäre eine einheitliche Lösung anwendet, die letztlich nur bei ersteren gerechtfertigt ist. Gaudemet-Tallon spricht sich daher für folgende Lösung aus: Die in der Satzung festgelegte Gerichtsstandsklausel könne dem Aktionär nur entgegengehalten werden, wenn die klagende Gesellschaft beweisen könne, dass dieser tatsächlich Kenntnis von der Klausel hatte.1073 Dann soll es nicht mehr darauf ankommen, ob er für oder gegen die Klausel gestimmt hat. Es wird auch in Betracht gezogen, die Gerichtsstandsklausel als Bestandteil der Ansprüche anzusehen, die mit der Klausel durchgesetzt werden sollen, was in einigen Fällen die Zustimmung des betroffenen Aktionärs erfordert und einen Mehrheitsbeschluss dann nicht ausreichen lässt.1074 Der Aktionär kennt das Mehrheitsprinzip in einer Gesellschaft. Möchte er sich der Klausel entziehen, muss er aus der Gesellschaft austreten. Andernfalls greift Art. 23 EuGVVO ein. Das rechtspolitische Argument, nämlich die Vermeidung einer Zerstreuung der Zuständigkeiten, hält Gaudemet-Tallon nicht für entscheidend. Auch Praktikabilitätserwägungen stünden nicht unbedingt entgegen. Wenn die Gesellschaft Beklagte ist, müsse der Aktionär sie an ihrem Sitz verklagen, so dass keine auseinanderfallenden Zuständigkeiten drohen. Ist die Gesellschaft Klägerin, scheine ein solches Risiko zwar zu bestehen. Handelt es sich aber um einen aktiven Aktionär, werde es einfach sein, seine Kenntnis von der Gerichtsstandsklausel zu beweisen; handelt es sich um einen Basisaktionär, stünden wenigstens drei Artikel der EuGVVO zur Verfügung, die eine Verteilung der Gerichtsstände verhinderten: Art. 5 Nr. 1, Art. 6 Nr. 1, Art. 28 EuGVVO. Außerdem sei eine solche Klage der Gesellschaft gegen alle Gesellschafter sehr selten und eher hypothetisch. Für den Fall der Konzernhaftung ist die Realität und auch die Interessenlage jedoch anders. Hier steht nicht die Konzentration von Gerichtsständen im Vordergrund, sondern ein angemessener Ausgleich der Interessen der herrschenden Gesellschaft, der Minderheitsaktionäre und der Gläubiger der abhängigen Gesellschaft. Sinn der Gerichtsstandsvereinbarung ist vor allem die Sicherung eines inländischen Gerichtsstands und damit einer einfachen und günstigen Rechtsverfolgung für die abhängige Gesellschaft, Aktionäre und Gläubiger. Die Anwendung der besonderen Gerichtsstände stößt angesichts der unterschiedlichen Konzernhaftungstatbestände auf Schwierigkei1073 1074

Gaudemet-Tallon, RCDIP 81 (1992), 535, 539. Meilicke, DWiR 1992, 206.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

ten, so dass der Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung als einfacher und sicherer erscheint. Als einziger Adressat der Klausel in Konzernhaftungsklagen kommt – abgesehen von den gesetzlichen Vertretern – schließlich nur das herrschende Unternehmen in Betracht, bei dem eine besondere Schutzbedürftigkeit, wie bei einem Großteil der Aktionäre, gerade nicht besteht. Schließlich kommen die Bedenken gegenüber einer Fiktion der Kenntnis der Aktionäre von der Gerichtsstandsklausel nicht zum Tragen, da die Mutter als aktive Aktionärin und vor allem als Mehrheitsaktionärin von den Satzungsbestimmungen weiß. Die diesbezügliche Kritik am Urteil des EuGH greift im Fall der Konzernhaftung also nicht. Damit kann eine Gerichtsstandsvereinbarung wirksam in der Satzung der abhängigen Gesellschaft auch mit Wirkung für die Aktionäre vereinbart werden. Die Entscheidung des EuGH in Sachen Powell Duffryn/Petereit ist auch auf andere Gesellschaftstypen übertragbar.1075

II. Gerichtsstandsvereinbarung im Beherrschungsvertrag In der Entscheidung in Sachen Powell Duffryn/Petereit hat der EuGH die grundsätzliche Rechtswirksamkeit von Gerichtsstandsklauseln in AG-Satzungen anerkannt. Eine dem anwendbaren nationalen Recht und der Satzung selbst entsprechende Gerichtsstandsklausel in einer AG-Satzung ist daher als Vereinbarung im Sinne des Art. 23 EuGVVO zu beurteilen. Dies lässt sich auf andere Organisationsverträge übertragen, so dass entsprechend auch im Beherrschungsvertrag eine Zuständigkeitsvereinbarung getroffen werden kann. Die Gerichtsstandsvereinbarung kann von vornherein in den Beherrschungsvertrag aufgenommen oder auch separat geschlossen werden.1076 Parteien der Vereinbarung sind abhängige und herrschende Gesellschaft. Folglich gilt zumindest für diese der vereinbarte Gerichtsstand. Er gilt jedoch nicht bei einer Klage gegen die gesetzlichen Vertreter des herrschenden Unternehmens,1077 da diese nicht an der Zuständigkeitsvereinbarung beteiligt sind.1078 1. Gerichtsstandsvereinbarung mit Wirkung für die nicht am Abschluss beteiligten Aktionäre Ob eine Gerichtsstandsvereinbarung in einem Beherrschungsvertrag gegenüber den Aktionären der abhängigen Gesellschaft wirkt und diese daher 1075 1076 1077 1078

Vgl. zum deutschen Recht Bauer, S. 163 ff., 169 ff. Vgl. Maul, AG 1998, 404, 411. Z. B. gemäß § 309 AktG. So auch Jaspert, S. 163.

10. Kap.: Gerichtsstandsvereinbarungen

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die herrschende Gesellschaft am Sitz der abhängigen Gesellschaft verklagen können, ist fraglich. Im Grundsatz wirken Gerichtsstandsklauseln nur zwischen den Parteien, die sie vereinbart haben. Vertragsparteien des Beherrschungsvertrags sind nur herrschende und abhängige Gesellschaft. Um auch die Aktionäre an eine solche Klausel zu binden, könnte der Gedanke einer Wirkung zugunsten Dritter herangezogen werden. Dies gilt auch, wenn man sich bei Gerichtsstandsklauseln in Satzungsbestimmungen gegen eine Vereinbarung in der Person der Aktionäre ausspricht. a) Anerkannte Fälle der Drittwirkung Eine Wirkungserstreckung von Gerichtsstandsvereinbarungen auf Dritte ohne Einbindung des Betroffenen ist allein in Art. 23 Abs. 4 EuGVVO geregelt. Wird ein trust durch einseitiges Rechtsgeschäft begründet, so ist weder der trustee noch der Begünstigte am etwaigen Aufstellen einer Gerichtsstandsklausel beteiligt. Dennoch sind sie an die ausschließliche Zuständigkeit des vom trust-Begründer prorogierten Gerichts gebunden. Eine weitere Ausnahme zugunsten der Einbeziehung Dritter ist für den Rechtsnachfolger zu machen, dessen Vorgänger seinerseits eine formgültige Abrede mit dem Prozessgegner getroffen hat.1079 Darüber hinaus sind auf verschiedenen Gebieten Gerichtsstandsklauseln mit Wirkung für Dritte ohne Beteiligung der Dritten am Abschluss der Übereinkunft üblich und von der Rechtsprechung des EuGH – entgegen dem Wortlaut des Art. 23 EuGVVO – anerkannt. Dazu zählen vor allem Gerichtsstandsvereinbarungen in Versicherungsverträgen und Konnossementen.1080 Für Versicherungsverträge sieht Art. 13 Nr. 2 EuGVVO die Möglichkeit vor, Gerichtsstandsvereinbarungen nicht nur zugunsten des Versicherungsnehmers als Vertragspartei, sondern auch zugunsten nicht mit dem Versicherungsnehmer identischer Versicherter und Begünstigter zu treffen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass der Dritte einen zusätzlichen Gerichtsstand und damit eine Begünstigung erhält.1081 Kann im Interesse des Begünstigten ein anderer Gerichtsstand vereinbart werden, würde dies unnötig erschwert, wenn eine Beteiligung des Begünstigten an der schriftlichen Vereinbarung erforderlich wäre.1082 Es handelt sich um eine Gerichtsstandsvereinbarung 1079 EuGH, Urt. v. 19.6.1984, Rs. 71/83 – Tilly Russ/Nova – Slg. 1984, 2417 ff. zur Wirkung gegenüber dem Empfänger eines Konnossements; Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 23 Rn. 200 ff. für das deutsche Recht als anwendbares Sachrecht; Kropholler, EuZPR, Art. 23 Rn. 64. 1080 EuGH, Urt. v. 14.7.1983, Rs. 201/82 – Gerling/Amm. del tesoro – Slg. 1983, 2503 ff.; Kropholler, EuZPR, Art. 23 Rn. 65, 66; Beaumart, S. 148 f. 1081 Geimer, NJW 1985, 533. 1082 Kropholler, EuZPR, Art. 23 Rn. 65; Hübner, IPRax 1984, 237, 239.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

zugunsten Dritter. Dies gilt nicht nur bei der Vereinbarung einer Gerichtspflichtigkeit am Wohnsitz des Begünstigten,1083 sondern auch bei einem anderweitigen zusätzlichen Gerichtsstand. Zwar führt eine Gerichtsstandvereinbarung gemäß Art. 23 EuGVVO grundsätzlich zur ausschließlichen Zuständigkeit des prorogierten Gerichts. Letztlich bestimmt jedoch der Parteiwille, ob das prorogierte Forum ausschließlich zuständig ist oder ob die Zuständigkeiten nach Art. 2 ff. EuGVVO konkurrieren.1084 Ein anderer Fall anerkannter Drittwirkung der Zuständigkeitsvereinbarung ist der einer entsprechenden Klausel in einem Konnossement. Der Grundgedanke ist hier jedoch ein anderer. Weder ist der Empfänger des Konnossements immer die schwächere Vertragspartei, noch wirkt die Klausel zu seinen Gunsten. Begründet wird die Drittwirkung damit, dass der Inhaber mit dem Erwerb des Konnossements in die Rechte und Pflichten des Befrachters eintritt.1085 Ratio ist, dass derjenige, der Rechte aus einem Vertrag herleitet, auch in die Rechte und Pflichten eintritt, die an diesen Vertrag gekoppelt sind.1086 b) Übertragung der Rechtsprechung des EuGH auf Konzernhaftungsansprüche? Eine Zuständigkeitsvereinbarung zugunsten eines Dritten als Erweiterung von dessen Klagemöglichkeiten ist also möglich.1087 Der Gedanke der Bindung von Nicht-Vertragsparteien an Gerichtsstandsvereinbarungen zeigt sich bereits in der Rechtsprechung des EuGH zu Versicherungsverträgen1088 und Konnossementen.1089 Ergänzend hätte der Gerichtshof in der Entscheidung in Sachen Powell Duffryn/Petereit daher auch auf seine Rechtsprechung zur Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen hinweisen können. Danach gelten solche Vereinbarungen nicht nur zwischen den Vertragsparteien, sondern auch gegenüber Dritten, entweder weil sie sich zu ihren Gunsten auswirken1090 oder weil der Dritte die Bedingungen als Rechtsnachfolger des 1083

Insofern missverständlich Jaspert, S. 162. EuGH, Urt. v. 17.1.1980, Rs. 56/79 – Zelger/Salinitri – Slg. 1980, 89, 95 ff. 1085 EuGH, Urt. v. 19.6.1984, Rs. 71/83 – Tilly Russ/Nova – Slg. 1984, 2417, 2435 Rn. 24; EuGH, Urt. v. 9.11.2000, Rs. 387/98 – Coreck Maritime/Handelsveem – NJW 2001, 501, 502 Rn. 23. 1086 Kropholler, EuZPR, Art. 23 Rn. 66. 1087 MünchKommZPO/Gottwald, IZPR, Art. 17 Rn. 43; Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 23 Rn. 204; Geimer, NJW 1985, 533; siehe auch Wieczorek/Schütze/Hausmann, Art. 17 Rn. 56. 1088 EuGH, Urt. v. 14.7.1983, Rs. 201/82 – Gerling/Amm. del tesoro – Slg. 1983, 2503 ff. 1089 EuGH, Urt. v. 19.6.1984, Rs. 71/83 – Tilly Russ/Nova – Slg. 1984, 2417 ff. 1084

10. Kap.: Gerichtsstandsvereinbarungen

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ursprünglichen Vertragspartners gegen sich gelten lassen muss.1091 Der Gedanke der Bindung von Nicht-Vertragsparteien an Gerichtsstandsvereinbarungen wegen ihrer vorhersehbaren Ausstrahlung kann hier mindestens als funktionale Parallele herangezogen werden.1092 Besteht ein Beherrschungsvertrag, so hat dieser auch Auswirkungen auf die Stellung der Aktionäre der abhängigen Gesellschaft. Diesen stehen unter Umständen Ansprüche gegen die herrschende Gesellschaft zu. Wegen dieser vorhersehbaren Ausstrahlung wirkt die Gerichtsstandsvereinbarung damit auch gegenüber den Aktionären. Der Gedanke der Begünstigung liegt sogar näher. Denn §§ 304, 305 AktG wurden schon materiellrechtlich als Ansprüche aus dem Beherrschungsvertrag als echter Vertrag zugunsten Dritter eingeordnet. Die Färbung der Drittwirkung kann nun auf die Regel des Art. 23 EuGVVO übertragen werden. Zumindest der Gedanke der Drittbegünstigung greift hier beim Vertrag zugunsten Dritter wieder. In diesen Fällen ist dann die Rechtsprechung des EuGH übertragbar. Die Klausel muss aber einen zusätzlichen Gerichtsstand vorsehen. Eine Einschränkung der Klagemöglichkeiten des Klägers ohne dessen Mitwirkung an der Derogationsvereinbarung, i. e. eine Zuständigkeitsvereinbarung zu Lasten Dritter, ist nicht möglich.1093 Ob und in welchem Umfang Dritte an Gerichtsstandsklauseln gebunden sind, richtet sich nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht.1094 Die in der EuGVVO verankerte Voraussetzung ist nur, dass die Gerichtsstandsvereinbarung zwischen den eigentlichen Vertragsparteien nach Art. 23 EuGVVO wirksam zustande gekommen ist, da ansonsten von vornherein keine Bindung des Dritten eintreten kann. Das Vertragsstatut bestimmt also letztlich, ob überhaupt ein Vertrag zugunsten Dritter vorliegt und welche Rechte und Pflichten der Dritte hat.1095 Das anwendbare Recht richtet sich bei Verträgen grundsätzlich nach den Art. 27 ff. EGBGB (Art. 3 ff. EVÜ). Ausnahmen gelten jedoch unter anderem für Fragen betreffend das Gesellschaftsrecht und das Recht der juristischen Personen, wie zum Beispiel die innere Verfassung von Gesellschaften und juristischen Personen (Art. 37 Satz 1 Nr. 2 EGBGB; Art. 1 Abs. 2 lit. e EVÜ). Zur inneren Struktur zählt auch die interne Willensbildung1096 und damit die Satzungsgebung sowie 1090

EuGH, Urt. v. 14.7.1983, Rs. 201/82 – Gerling/Amm. del tesoro – Slg. 1983, 2503, 2517 Rn. 20. 1091 EuGH, Urt. v. 19.6.1984, Rs. 71/83 – Tilly Russ/Nova – Slg. 1984, 2417, 2435 Rn. 24 f. 1092 Koch, IPRax 1993, 19, 21. 1093 Vgl. Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 23 Rn. 205. 1094 Mankowski, IPRax 1996, 427, 432. 1095 Mankowski, IPRax 1996, 427, 432. 1096 Staudinger/Magnus, Art. 37 Rn. 55.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

deren einzelne Bestimmungen. Maßgebendes Gesellschaftsstatut war in Deutschland bislang nach überwiegender Ansicht das Recht am Sitz der tatsächlichen Hauptverwaltung der Gesellschaft.1097 Diese Anknüpfung gilt im Anschluss an die Centros-Entscheidung1098 und das Überseering-Urteil1099 des EuGH jedoch nicht mehr uneingeschränkt.1100 Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge unterliegen dem Gesellschaftsstatut der abhängigen Gesellschaft. Befindet sich die abhängige Gesellschaft im Inland, z. B. in Deutschland, ist deutsches Recht anwendbar.1101 Folglich kann im Beherrschungsvertrag oder auch in der Satzung der abhängigen Gesellschaft eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der Aktionäre vereinbart werden. Eine solche Begünstigung besteht schon bei der Vereinbarung einer zusätzlichen Gerichtspflichtigkeit der herrschenden Gesellschaft am Sitz der abhängigen Gesellschaft. 2. Form der Zuständigkeitsvereinbarung Die vom EuGH ansonsten propagierte strikte Einhaltung der Formvorschriften könnte sich auf die Drittwirkung der Gerichtsstandsklauseln problematisch auswirken. Dies offenbart sich insbesondere im Zusammenhang mit der Bedeutung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Bestätigungsschreiben. Allerdings wird in den Entscheidungen weniger auf die Formstrenge um ihrer selbst willen abgestellt als auf deren Schutzzweck. Dieser liegt grundsätzlich in der Gewissheit über das tatsächliche Zustandekommen der Vereinbarung. Neben diesen im Vordergrund stehenden objektiven Zweck tritt ein personaler Schutzzweck.1102 Beim schriftlichen Vertrag zugunsten Dritter bestehen am Zustandekommen der Vereinbarung in der Regel keine Zweifel.1103 Fraglich ist aber, ob subjektive Interessen berührt werden. Die Belange des abhängigen Unternehmens sind wertneutral. Der Warnzweck für das herrschende Unternehmen ist erfüllt. Wenn die Unterwerfung unter die Zuständigkeit schriftlich 1097 Vgl. nur BGH, Urt. v. 21.3.1986, BGHZ 97, 269, 271; Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 26 ff. 1098 EuGH, Urt. v. 9.3.1999, Rs. C-212/97 – Centros/Erhvervs-og Selskabsstyrelsen – Slg. 1999 I-1459, 1484. 1099 EuGH, Urt. v. 5.11.2002, Rs. 208/00 – Überseering/NCC – IPRax 2003, 65 m. Anm. W.-H. Roth (117 ff.). 1100 Siehe auch EuGH, Urt. v. 30.9.2003, Rs. C-167/01 – Kamer von Koophandel/Inspire Art – NJW 2003, 3331 ff. 1101 In manchen Bereichen bestimmt sich die Wirksamkeit nach dem Recht der Tochter- und der Muttergesellschaft, siehe Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rn. 576. 1102 Vgl. dazu Hübner, IPRax 1984, 237, 238. 1103 Ebenso Hübner, IPRax 1984, 237, 238.

10. Kap.: Gerichtsstandsvereinbarungen

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erfolgt, wird das herrschende Unternehmen sich der Konsequenzen bewusst sein. Die Aktionäre erhalten als Drittbegünstigte nur einen zusätzlichen Gerichtsstand, so dass ihre Interessen auch nicht tangiert werden. Art. 23 EuGVVO dient als Formvorschrift dem Nachweis der unzweifelhaften Vereinbarung und ist damit Schutznorm. Der aus einer Gerichtsstandsvereinbarung begünstigte Dritte bedarf nicht dieses Schutzes. Er ist daher ohne eigene (formbedürftige) Erklärung einbezogen.1104 Eine solche Lösung ist demnach mit den Formerfordernissen vereinbar. Ferner lässt sich eine Parallele zum nationalen materiellen Recht ziehen. Beim Vertrag zugunsten Dritter wird für die Formbedürftigkeit heute weitgehend auf das Rechtsverhältnis zwischen Versprechendem und Versprechensempfänger abgestellt. Dies gilt auch dann, wenn das Rechtsgeschäft zwischen Versprechensempfänger und Drittem der Form bedarf.1105 Übertragen auf die prozessuale Frage bei Art. 23 EuGVVO bedeutet dies, dass die Schriftform zwischen „Versprechensempfänger“ und „Versprechendem“, also zum Beispiel zwischen Tochter- und Muttergesellschaft, ausreicht. Zudem gilt die Formvorschrift des Art. 23 EuGVVO für die Parteien der Zuständigkeitsvereinbarung. Daher muss der begünstigte Dritte nicht an der schriftlichen Vereinbarung mitwirken.1106 Nach alldem ist also eine Gerichtsstandsvereinbarung im Beherrschungsvertrag hinsichtlich Konzernhaftungsansprüchen gemäß Art. 23 EuGVVO mit Wirkung für die Aktionäre als Dritte möglich. Dieses Ergebnis deckt sich mit der Tendenz der Gerichte, bei „wirtschaftlich potenter“ Gegenseite die Zuständigkeit der Heimatgerichte des Anspruchstellers zu bejahen.1107

III. Wirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen gegenüber nicht am Abschluss beteiligten Gläubigern Grundsätzlich sind Konzernunternehmen nicht an Gerichtsstandsvereinbarungen anderer Konzernunternehmen, sei es der Mutter- oder einer Tochtergesellschaft, gebunden.1108 Gerade im französischem Schrifttum wird betont, dass die Gerichtsstandsvereinbarung, die eine Gesellschaft in der Un1104 EuGH, Urt. v. 14.7.1983, Rs. 201/82 – Gerling/Amm. del tesoro – Slg. 1983, 2503, 2516 f. Rn 19 f.; Rauscher, IPRax 1992, 143, 145; Geimer, NJW 1985, 533. 1105 BGH, Urt. v. 9.4.1970, BGHZ 54, 145, 147; Soergel/Hadding, § 328 Rn. 33. 1106 Ebenso Geimer, NJW 1985, 533. 1107 Vgl. BGH, Urt. v. 16.6.1982, VersR 1982, 1100 ff. zu Art. 28 des Warschauer Abkommens; Hübner, IPRax 1984, 237, 239. 1108 In diesem Sinne bezüglich Schiedsvereinbarungen: Nagel/Gottwald, IZPR, § 16 Rn. 38 m. w. N.; anders teilweise französische Gerichte und Schiedsgerichte, siehe dazu Lefebvre, Mémento Groupes de sociétés, Nr. 4430.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

ternehmensgruppe bindet (gemeint ist damit die Bindung gegenüber eigenen Gläubigern und damit Dritten), keine Auswirkungen auf die anderen Mitglieder der Gruppe hat.1109 Die Vereinbarung entfaltet nur Wirkung zwischen den vertragsschließenden Parteien. Wenn die herrschende Gesellschaft sich allerdings wie eine Vertragspartei verhalten hat, kann die Gerichtsstandsklausel auch ihr gegenüber geltend gemacht werden.1110 In Betracht kommt jedoch wieder eine Drittwirkung der Gerichtsstandsklausel, die sich in der Satzung oder im Beherrschungsvertrag findet. Bei der Übertragung der Rechtsprechung des EuGH zur Wirkung der Gerichtsstandsvereinbarung gegenüber Rechtsnachfolgern (Tilly Russ/Nova)1111 auf Gerichtsstandsklauseln bezüglich Konzernhaftungsansprüchen stellen sich zunächst folgende Fragen: Geht die in der Satzung oder im Beherrschungsvertrag enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung auf die Gläubiger über? Ist die Übertragung der Klausel als Folge der deliktischen Einordnung des Anspruchs des Gläubigers ausgeschlossen? Soll der Anspruch vollständig vom Gesellschaftsvertrag oder vom Beherrschungsvertrag losgelöst werden? Fehlt also bereits eine Vereinbarung, die durch Rechtsnachfolge ersetzt werden könnte, ist Rechtsnachfolge also nur noch bei Vorliegen eines vertraglichen Anspruchs möglich?1112 Diese Frage ist nur entscheidend, wenn es sich um eine Art Rechtsnachfolge handelt. Bei der Inanspruchnahme auf Sicherheitsleistung kann das herrschende Unternehmen als Bürge in Betracht kommen; es kann auch ein gesetzlicher Schuldbeitritt angenommen werden. Aber weder ist der Bürge Rechtsnachfolger des Hauptschuldners noch der Schuldmitübernehmer ein solcher des Erstschuldners.1113 Bei der Durchgriffshaftung können die Gläubiger ihre Ansprüche direkt gegenüber dem herrschenden Gesellschafter geltend machen. Daher könnte man davon ausgehen, dass dieser nicht nur die Haftung dafür, sondern auch die damit verbundenen Regelungen übernimmt bzw. gegen sich gelten lassen muss. Auch bei der société fictive, wonach die herrschende Gesellschaft in die Rechte und Pflichten der abhängigen Gesellschaft eintritt, kann von einer Wirkungserstreckung der Gerichtsstandsklauseln zwischen abhängiger Gesellschaft und Gläubigern auf die herrschende Gesellschaft ausgegangen 1109

Mestre, Lamy sociétés commerciales, Nr. 1985. Mage, S. 323 f. 1111 EuGH, Urt. v. 19.6.1984, Rs. 71/83 – Tilly Russ/Nova – Slg. 1984, 2417, 2434 f. Rn. 20 ff. = IPRax 1985, 152 ff. m. Anm. Basedow (133 ff.); Kropholler/ Pfeifer, in FS Nagel, S. 157, 164 f.; siehe dazu auch Gaudemet-Tallon, RCDIP 81 (1992), 535, 538. 1112 Siehe zur Übertragung auf Haftungsansprüche in Absatzketten Beaumart, S. 151. 1113 Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 23 Rn. 202; dies., IntUrtAnerk I/1, S. 927. 1110

10. Kap.: Gerichtsstandsvereinbarungen

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werden. Es handelt sich jedoch nicht um eine Rechtsnachfolge im eigentlichen Sinne. Näher liegt daher die Vergleichbarkeit mit der Drittwirkung von Gerichtsstandsklauseln bei Versicherungsverträgen und gegenüber begünstigten Dritten (Gerling/Amm. del. tesoro).1114 Problematisch ist jedoch, dass bei Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung der Begünstigte noch gar nicht feststehen wird. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist meist noch unklar, wer später begünstigter Gläubiger sein wird. Würde beispielsweise dem Begünstigten das Recht eingeräumt, an seinem Sitz zu klagen, so kommt es für die internationale Zuständigkeit darauf an, wo der Begünstigte seinen Sitz hat. Im Falle der Gerichtsstandsvereinbarung zwischen herrschendem Unternehmen und abhängiger Gesellschaft würde jedoch wahrscheinlich für die Geltendmachung von Konzernhaftungsansprüchen der Sitz der abhängigen Gesellschaft vereinbart. Dieser steht im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits fest. Insoweit besteht also keine Ungewissheit. Allein der Drittbegünstigte steht noch nicht fest. Insofern resultieren Bestimmtheitsprobleme hier im Gegensatz zu den Ansprüchen der Aktionäre weniger aus der Begrenzung der Ansprüche, die geltend gemacht werden können, sondern vielmehr aus der Ungewissheit der Anspruchsteller. Die Identität und Anzahl der Gläubiger stehen im Zeitpunkt des Abschlusses der Gerichtsstandsvereinbarung nicht fest. Anders als bei Rechtsnachfolgern oder anderen Drittbegünstigten, die Gegenstand der Rechtsprechung des EuGH waren, besteht hier über die, die sich auf die Gerichtsstandsvereinbarung berufen können, latente Unsicherheit. Auch wenn alle Aktionäre im Zeitpunkt des Abschlusses der Gerichtsstandsvereinbarung nicht feststehen, so kann jedoch jederzeit die Gruppe der Betroffenen ermittelt werden. Bei den Gläubigern bereitet dies erhebliche Schwierigkeiten. Der Dritte muss bei Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung wenigstens bestimmbar sein, wie beim Vertrag zugunsten Dritter nach materiellem Recht.1115 Der Kreis der Gläubiger ist zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags weder hinreichend bestimmt noch bestimmbar. Damit kann weder in der Satzung noch im Beherrschungsvertrag eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der Gläubiger getroffen werden.

1114 EuGH, Urt. v. 14.7.1983, Rs. 201/82 – Gerling/Amm. del tesoro – Slg. 1983, 2503 ff. = IPRax 1984, 259 ff. m. Anm. Hübner (237 ff.); vgl. dazu Geimer, NJW 1985, 533 f.; siehe zu der Vergleichbarkeit auch Gaudemet-Tallon, RCDIP 81 (1992), 535, 538. 1115 Vgl. zum deutschen Recht Palandt/Heinrichs, § 328 Rn. 2.

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4. Teil: Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO

IV. Kontrahierungszwang Zur bestmöglichen Sicherung der Interessen der abhängigen Gesellschaft und der Minderheitsaktionäre kann schließlich noch die Pflicht der herrschenden Gesellschaft in Erwägung gezogen werden, mit dem abhängigen Unternehmen eine solche Gerichtsstandsvereinbarung zu schließen. Möglicherweise unterliegt auch der Vorstand der Tochtergesellschaft einem derartigen Kontrahierungszwang. Eine Ansicht bejaht letzteres mit dem Argument, dass sich der Vorstand grundsätzlich an dem Eigeninteresse seiner Gesellschaft zu orientieren hat.1116 Zu einer derartigen Pflicht könnten auch die Stimmen in der Literatur kommen, die eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten deutscher Gerichte als Wirksamkeitsvoraussetzung des grenzüberschreitenden Beherrschungsvertrags betrachten.1117 Eine Gerichtsstandsvereinbarung sichert zwar einen inländischen Gerichtsstand am Sitz der abhängigen Gesellschaft und damit eine einfache und günstige Rechtsverfolgung. Grundsätzlich können die Ansprüche aber auch im Ausland eingeklagt werden.1118 Davon abgesehen stellt die EuGVVO ein umfassendes zuständigkeitsrechtliches System zur Verfügung, das in allen Fällen zu einer Zuständigkeit der Gerichte im Inland, i. e. im Mitgliedstaat, in dem die abhängige Gesellschaft ihren Sitz hat, führt. Eine besondere Pflicht der abhängigen Gesellschaft zum Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung existiert nicht.

V. Aufhebung und Abänderung von Zuständigkeitsvereinbarungen Zuständigkeitsvereinbarungen können nicht ohne besondere Hindernisse wieder aufgehoben oder abgeändert werden. Eine einmal abgeschlossene Gerichtsstandsvereinbarung kann nicht einfach aufgrund einer Weisung des herrschenden Unternehmens rückgängig gemacht werden. Dies würde zu einer Änderung des Unternehmensvertrags führen, was nach § 299 AktG unzulässig ist.1119 Damit werden die Schutzinteressen des abhängigen Unter1116 Maul, AG 1998, 404, 411; dieser Gedanke klingt auch bei Bayer (S. 138) an, der eine solche Gerichtsstandsvereinbarung nicht nur für zweckmäßig, sondern für zwingend erforderlich hält, um die Durchsetzung der konzernrechtlichen Ansprüche gemäß §§ 302 ff. AktG zu gewährleisten. 1117 Vgl. nur Selzner/Sustmann, Der Konzern 2003, 85, 96; siehe dazu bereits oben 3. Teil, I.5., S. 105. 1118 Jaspert (S. 165) sieht allerdings eine Gerichtsstandsvereinbarung aus deutscher Sicht nur als zulässig an, sofern ein Gerichtsstand am Sitz des abhängigen Unternehmens vereinbart ist. 1119 So Maul, AG 1998, 404, 411.

10. Kap.: Gerichtsstandsvereinbarungen

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nehmens hinreichend berücksichtigt. Dieses muss bei der Aufhebung mitwirken. Ob die Mitwirkung bzw. Zustimmung des Dritten – also des Aktionärs – erforderlich ist, hängt vom Willen der Vertragsschließenden ab. Ein echter Vertrag zugunsten Dritter, der diesem eine nur mit seiner Zustimmung änderbare Rechtsposition einräumt, ist meist jedoch nicht beabsichtigt.1120 Somit können die Vertragsschließenden häufig die Zuständigkeitsvereinbarung allein aufheben oder ändern.

VI. Bindung des Konkursverwalters In der Insolvenz der Gesellschaft stellt sich noch die Frage, ob die Gerichtsstandsvereinbarung auch für den Insolvenzverwalter gilt. Sieht man den Insolvenzverwalter als (Zwangs-)Vertreter oder Organ der Gesellschaft an, liegt ein Prozess der Gesellschaft und damit einer Partei der Gerichtsstandsvereinbarung vor. Betrachtet man hingegen den Insolvenzverwalter mit der überwiegenden Auffassung als Partei kraft Amtes, so ist zwar er selbst Partei; er macht aber einen Anspruch der Gesellschaft geltend, für den eine Gerichtsstandsvereinbarung besteht. Den Anspruch kann der Insolvenzverwalter nicht anders geltend machen als die Gesellschaft. Er tritt insoweit in die prozessualen Bindungen der Gesellschaft ein, so dass die Gerichtsstandsvereinbarung weiter gilt.1121 Damit ist die Zuständigkeitsvereinbarung des späteren Gemeinschuldners auch für den Insolvenzverwalter verbindlich ohne Rücksicht auf die dogmatische Einordnung seiner Rechtsstellung.

VII. Ergebnis Eine Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des Art. 23 EuGVVO kann wirksam in der Satzung der abhängigen Gesellschaft oder in dem Beherrschungsvertrag vereinbart und auch zugunsten der Aktionäre getroffen werden.

1120

Siehe auch Geimer, NJW 1985, 533, 534. Vgl. dazu Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 23 Rn. 201; Bork, ZHR 157 (1993), 48, 50; Stein/Jonas/Bork, § 38 Rn. 50. 1121

5. Teil

Anerkennung und Vollstreckung nach der EuGVVO Der Erfolg der Durchsetzung der Konzernhaftungsansprüche hängt ferner davon ab, ob die Vollstreckung der Entscheidung ohne Hindernisse möglich ist. Bei der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile wird das Trennungsprinzip strikt beachtet. Vollstreckungsschuldner ist die verklagte Gesellschaft, so dass die Gläubiger nicht auf eine andere Vermögensmasse als die ihres Titelschuldners zugreifen können.1 Aus einem Titel gegen die inländische Tochter kann nicht gegen die ausländische Mutter vollstreckt werden.2 Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen werden in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf (Art. 33 Abs. 1 EuGVVO). Anders als nach Art. 34 Abs. 2 EuGVÜ sieht Art. 41 EuGVVO nun vor, dass die Vollstreckbarerklärung allein gegen Vorlage einer Ausfertigung der zu vollstreckenden Entscheidung und der in Anhang V der EuGVVO vorgesehenen Bescheinigung erfolgt, ohne dass überprüft wird, ob der Entscheidung Anerkennungshindernisse i. S. d. Art. 34, 35 EuGVVO entgegenstehen. Die Prüfung von Vollstreckungshindernissen wird erst in einem nachgelagerten Rechtsbehelfsverfahren vorgenommen. Bei der Vollstreckung eines im Ausland erstrittenen Urteils kommt bei Konzernhaftungsfällen als Anerkennungs- und Vollstreckungshindernis der materiellrechtliche ordre public in Betracht (Art. 45 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Art. 34 Nr. 1 EuGVVO). Eine Entscheidung wird nicht anerkannt, wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde (Art. 34 Nr. 1 EuGVVO). Die praktische Relevanz ist jedoch nach den bisherigen Untersuchungsergebnissen fraglich. Voraussetzung für einen Verstoß gegen den ordre public ist, dass die Entscheidung oder das Verfahren, das zu ihr geführt hat, mit derartiger Intensität den Grundsätzen des Rechts des Landes widerspricht, in dem das Urteil 1

Vgl. Schack, in GS Sonnenschein, S. 705, 711. Vgl. zu der Vollstreckung gegen die inländische Mutter aus einem Titel gegen die ausländische, namensgleiche deutsche Tochter: OGH, Urt. v. 24.6.1998, ZfRV 1999, 70, 71 f. 2

5. Teil: Anerkennung und Vollstreckung

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vollstreckt werden soll, dass es dort nicht mehr hingenommen werden kann. Am ordre public wird das ausländische Entscheidungsergebnis gemessen. Eine Anerkennungsverweigerung kommt nur dann in Betracht, wenn das Ergebnis der Urteilsanerkennung aus der Sicht des Rechts des Vollstreckungsstaats zu missbilligen ist.3 Dies ist nur bei einer offensichtlichen Unvereinbarkeit mit wesentlichen nationalen Rechtsgrundsätzen (in Deutschland insbesondere den Grundrechten) der Fall, also wenn durch die Anerkennung die Grundlagen des staatlichen oder wirtschaftlichen Lebens angegriffen würden.4 Im Rahmen der Untersuchung sollen folgende Fallkonstellationen auseinander gehalten werden: Zum einen der Fall, dass die Gläubiger ihren Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat haben, in dem sich der Sitz der Tochtergesellschaft befindet. Diese Gläubiger werden im Inland klagen, womit sich kein Vollstreckungsproblem stellt, wenn sich dort noch ausreichend Vermögenswerte befinden. Verfügt das herrschende Unternehmen im erforderlichen Maß über Vermögen im Inland, so ist die Vollstreckung grundsätzlich unproblematisch. Es handelt sich um den Normalfall der Vollstreckung einer inländischen Entscheidung. Sie richtet sich nach derselben Rechtsordnung, die auf die Konzernhaftungsproblematik in der Entscheidung Anwendung gefunden hat – bei einer deutschen Tochtergesellschaft und einer Klage in Deutschland nach deutschem Recht. Wahrscheinlicher ist, dass sich nur in dem Mitgliedstaat, in dem das herrschende Unternehmen seinen Sitz hat, noch relevante Vermögenswerte befinden. Soll dann das im Inland, das heißt am Sitz der abhängigen Gesellschaft erstrittene Urteil im Sitzstaat der herrschenden Gesellschaft vollstreckt werden, können sich Probleme bei der Vollstreckung ergeben. Dann ist die Anerkennung und Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung erforderlich. Das der Entscheidung zugrundeliegende anwendbare Recht ist in diesen Konzernhaftungsfällen das Recht am Sitz der Tochtergesellschaft, mithin das Recht eines anderen Mitgliedstaats als des Vollstreckungsstaats. Sollten die Gläubiger direkt eine Klage gegen die Muttergesellschaft im Ausland anstreben, könnte eine Anerkennung und Vollstreckung dieser Entscheidung auch im Inland erforderlich sein. Dies ist aber eher unwahrscheinlich und unpraktikabel, da sich die relevanten Vermögenswerte wahrscheinlich im Ausland befinden. Bei Gericht würde dann der Frage nachgegangen, ob das materielle Recht, das der Entscheidung zugrunde liegt, den innerstaatlichen Rechtsgrundsätzen in besonderem Maße widerspricht bzw. entgegensteht. Anwendbares Recht wäre jedoch wieder das Recht am Sitz der Tochtergesellschaft und damit das Recht des Mitgliedstaates, in 3 4

von Hoffmann, IPR, § 3 Rn. 168 f. Vgl. für Deutschland: BGH, Urt. v. 21.11.1958, BGHZ 28, 375, 385.

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5. Teil: Anerkennung und Vollstreckung

dem die Vollstreckung der Entscheidung erwirkt werden soll. Damit scheidet zumindest ein Anerkennungshindernis aufgrund eines materiellrechtlichen ordre public in diesen Fällen aus. Bleibt noch die Fallkonstellation zu untersuchen, in denen Gläubiger möglicherweise ihren Wohnsitz in dem Staat, in dem sich der Sitz der herrschenden Gesellschaft befindet, oder in einem anderen Mitgliedstaat haben. Dann wird der Gläubiger aus Praktikabilitätserwägungen die Muttergesellschaft am allgemeinen Gerichtsstand ihres Sitzes verklagen. Anwendbares materielles Recht ist zwar das einer ausländischen Rechtsordnung, nämlich das Recht am Sitz der Tochtergesellschaft. Einer Anerkennung der Entscheidung im Rahmen der EuGVVO bedarf es jedoch nicht, da das Urteil in dem Staat ergangen ist, in dem es auch vollstreckt werden soll. Damit stellt sich die Frage, ob die Vollstreckung auch ohne Hindernisse möglich ist, wenn das herrschende Unternehmen über das erforderliche Vermögen nicht im Inland, sondern nur in einem der anderen Mitgliedstaaten verfügt und der Gläubiger in einem anderen als dem Vollstreckungsstaat, vor allem am Sitz der abhängigen Gesellschaft, geklagt hat.

I. Anerkennung und Vollstreckung eines französischen Urteils in Deutschland Einzig relevante Fallkonstellation ist somit, wenn das im Inland am Sitz der abhängigen Gesellschaft erstrittene Urteil am Sitz der herrschenden Gesellschaft vollstreckt werden soll, da sich dort nur noch relevante Vermögenswerte befinden. Betrachten wir den Fall, in dem die Gläubiger mit Wohnsitz in Frankreich gegen die herrschende Gesellschaft an dem französischen Sitz der abhängigen Gesellschaft klagen und schließlich das erstrittene Urteil in Deutschland, dem Sitzland der herrschenden Gesellschaft, vollstrecken möchten. Das der Entscheidung zugrundeliegende Recht ist das französische. Probleme hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung eines auf der Haftung in der Unternehmensgruppe basierenden Urteils bereitet vor allem die action en comblement du passif. Teilweise wird diese als ordre publicwidrig angesehen.5 Auch ein Blick über die Grenze in die benachbarte Schweiz zeigt, dass dort ebenfalls Stimmen im Schrifttum eine Vollstreckung der action en comblement du passif in der Schweiz ablehnen, da eine derart „harte Konsequenz des Konkurses“6 der Schweiz unbekannt sei 5

Kuckertz, S. 133. Nachweise bei Wick (S. 137 f.), der dem für die action en comblement du passif zwar nicht zustimmt, aber Art. 182 des Gesetzes von 1985 (jetzt Art. L. 624-5 6

5. Teil: Anerkennung und Vollstreckung

373

und gegen den ordre public verstoße.7 Die Gegenauffassung in der deutschen Literatur geht allerdings davon aus, dass die „konkursrechtliche Durchgriffslösung des französischen Rechts, soweit sie sich auf die bloße Haftung des herrschenden Gesellschafters im Konkurs seiner Gesellschaft beschränkt“, gemeint ist die action en comblement du passif, deutschen Durchgriffslösungen funktional äquivalent sei.8 Das inländische deutsche Recht sieht beispielsweise in § 317 AktG die Haftung schon präventiv vor Eröffnung des Konkurses vor. Eine Entscheidung, die auf der inhaltlich engeren – weil erst im Insolvenzfall eingreifenden – Vorschrift des Art. L. 624-3 C. com. basiert, dürfte zumindest aus diesem Grunde nicht gegen den materiellrechtlichen ordre public verstoßen.9 Relevant für einen ordre public-Verstoß scheinen oder schienen insbesondere zwei Kriterien: Zum einen enthielt die Vorschrift im Gesetz von 1967 eine Vermutung des Geschäftsführungsfehlers. In die neue Regelung des Gesetzes von 1985 wurde die ungewöhnliche Vermutung eines Geschäftsführungsfehlers nicht übernommen, womit diese Bedenken ausgeräumt sind.10 Zum anderen könnte der inländische ordre public jedoch einer Anerkennung entgegenstehen, da die Haftung nicht streng auf den durch den Geschäftsführungsfehler verursachten Schaden begrenzt ist. Die action en comblement du passif verlangt keine strenge Kausalität zwischen Geschäftsführungsfehler und Fehlbestand an Aktiva, sondern stellt die Höhe der Haftung in das Ermessen des Richters. Aus diesem Grunde wird zum Teil die französische Regelung als Verstoß gegen den deutschen ordre public gewertet.11 Es widerspreche der „Leitbildfunktion des deutschen HaftungsC. com.) als eine „äußerst drakonische Regelung“ betrachtet. Nach dieser Vorschrift werden im Insolvenzverfahren gegen den Geschäftsführer sämtliche Gesellschaftsschulden zu seinen Passiva gerechnet, ohne dass es darauf ankommt, wie weit und ob sie überhaupt durch seinen Geschäftsführungsfehler verursacht wurden. Dies verstößt nach Ansicht von Wick „empfindlich gegen das Angemessene und Gerechte“. Demnach sei solchen Konkurseröffnungsentscheidungen in der Schweiz die Anerkennung zu versagen (S. 139). Die Versagung der Anerkennung richtet sich nach Art. 166 Abs. 1 lit. b i. V. m. Art. 27 IPRG; Art. 166 Abs. 1 lit. b IPRG regelt die Anerkennung einer ausländischen konkursrechtlichen Entscheidung und verweist dabei u. a. auf die ordre public-Vorschrift des Art. 27 IPRG. Art. L. 624-5 C. com. fällt bereits nicht in den Anwendungsbereich der EuGVVO, so dass sich mögliche Vollstreckungshindernisse nicht danach beurteilen. 7 Aufgrund der sachlichen Verknüpfung zwischen dem LugÜ und dem EuGVÜ bzw. der EuGVVO ist dies auch hier von Interesse und kann zur Beurteilung nach der EuGVVO herangezogen werden. 8 Müller, S. 105. 9 Vgl. zum kollisionsrechtlichen ordre public des Art. 6 EGBGB: Ebenroth/ Kieser, KTS 1988, 19, 24. 10 Ähnlich Wick, S. 137. 11 Ebenroth/Kieser, KTS 1988, 19, 44.

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5. Teil: Anerkennung und Vollstreckung

rechts“,12 wenn aufgrund von Art. L. 624-3 C. com. nur die Haftung für den reinen Ausfall ohne konkreten Nachweis der Kausalität und des Verschuldens angeordnet13 und anstelle des Nachweises der Kausalität zwischen Fehlverhalten des dirigeant und Ausfall das uneingeschränkte richterliche Ermessen treten würde. Eine Abspaltung der Haftungshöhe von dem Geschäftsführungsfehler kenne die deutsche Rechtsordnung nicht.14 Die Anerkennung könne aber möglicherweise auf den verursachten Schadensbetrag begrenzt werden.15 Der Verletzung soll also begegnet werden, indem die Haftung des jeweiligen Geschäftsleiters auf den Betrag reduziert wird, dessen Ausfall in der Insolvenzmasse der Geschäftsleiter tatsächlich verursacht hat. Eine solche teilweise Anerkennung eines französischen Urteils ist jedoch problematisch. Es besteht die Gefahr, dass ein Großteil des Prozesses noch einmal aufgenommen werden muss, um zu prüfen, in welchem Umfang der Schaden durch den Geschäftsführer adäquat verursacht wurde.16 Dies könnte auf eine untersagte sachliche Nachprüfung der ausländischen Entscheidung (révision au fond) hinauslaufen (Art. 36, 45 Abs. 2 EuGVVO). Eine partielle Anerkennung von Schadensersatzansprüchen ist zwar denkbar und möglich, wenn man die Fälle des US-amerikanischen Strafschadensersatzes (punitive damages) betrachtet. Soweit die im Urteil zugesprochene Summe über die Kompensation des Opfers hinaus der Bestrafung des Schädigers dient, ist der deutsche ordre public verletzt.17 Bei solchen Urteilen ist allerdings in der Regel eine Differenzierung der einzelnen Schadensposten möglich, so dass eine Reduktion des Betrages vorgenommen werden kann, ohne das Urteil einer sachlichen Überprüfung zu unterziehen. Eine partielle Anerkennung bzw. Vollstreckbarkeitserklärung ist demnach häufig ohne eigentliche Nachprüfung denkbar. Dies dürfte bei der action en comblement du passif aber kaum möglich sein. Ein potentieller Verstoß gegen den deutschen ordre public kann demnach nicht durch die Herstellung einer Kausalitätsbindung zwischen tatsächlicher Schwere des Geschäftsführungsfehlers und Haftungshöhe geheilt werden.18 12

Vgl. zum Begriff Stiefel/Stürner, VersR 1987, 829, 833, 837. Vgl. dazu Zahn, S. 199 f., 276. 14 Vgl. § 309 Abs. 2 Satz 1 AktG. 15 Ebenroth/Kieser, KTS 1988, 19, 44; vgl. dazu auch Stiefel/Stürner, VersR 1987, 829, 834, 846. 16 Vgl. Wick, S. 137. 17 BGH, Urt. v. 4.6.1992, NJW 1992, 3096, 3103 f. = IPRax 1993, 310, 316. 18 So aber Kuckertz (S. 133, 135), die die Rechtsfolge der Ausfallhaftung in Deutschland den hiesigen Rechtsvorstellungen derart anpassen möchte, dass die Pflicht, den Ausfall zu tragen, sich auf denjenigen Teil des Ausfalls beschränkt, der tatsächlich durch den konkreten Geschäftsführungsfehler verursacht worden ist. Die 13

5. Teil: Anerkennung und Vollstreckung

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Für einen ordre public-Verstoß ist schließlich erforderlich, dass das Entscheidungsergebnis mit derartiger Intensität den Grundsätzen des Rechts des Landes widerspricht, in dem das Urteil vollstreckt werden soll, dass es dort nicht mehr hingenommen werden kann. Das deutsche Recht weist zwar für den Bereich der allgemeinen Verantwortlichkeit von Unternehmensleitern für Geschäftsführungsfehler19 im Hinblick auf den Nachweis der Schadenshöhe einen schwächeren Gläubigerschutz auf als das französische Recht.20 Wenn man aber die besonderen Regelungen des Konzernrechts, dessen Funktionen Art. L. 624-3 C. com. auch übernimmt,21 in die Betrachtung einbezieht, so stellt man fest, dass das deutsche Recht im Rahmen des § 302 Abs. 1 AktG auch eine gewisse Abspaltung der Haftungshöhe von den Maßnahmen der Unternehmensleitung vorsieht. § 302 Abs. 1 AktG gibt der Gesellschaft einen Anspruch auf Zahlung des Geldbetrags, der zum Ausgleich des (fiktiven) Jahresfehlbetrags erforderlich ist, wobei gleichgültig ist, woraus dieser (fiktive) Jahresfehlbetrag folgt. Insbesondere muss er nicht auf Maßnahmen der Unternehmensleitung durch das herrschende Unternehmen beruhen.22 Allein der Umstand, dass die französische Haftung nicht auf den durch den Geschäftsführungsfehler verursachten Schaden begrenzt ist, wird wohl nicht in offensichtlicher und unerträglicher Weise gegen das deutsche Rechtsempfinden verstoßen. Das französische Recht geht allerdings noch weiter, indem das Gericht den Geschäftsführer in angemessener Höhe zur Zahlung an die Gesellschaft verurteilen kann. Ein uneingeschränktes richterliches Ermessen kennt das deutsche Recht so nicht. Bei der Ermessensausübung durch die Gerichte werden die negativen Folgen der Geschäftsführung nur allgemein und als einer von mehreren Faktoren berücksichtigt. Die Haftung bestimmt sich danach, was der Richter nach Würdigung aller Umstände des Insolvenzfalls als „gerecht“ und „opportun“ betrachtet.23 Der vom Geschäftsleiter zu zahlende Betrag könnte sowohl geringer als auch höher als der Teil der Überschuldung sein, den er durch sein vorwerfbares Verhalten verursacht hat. Angesichts des dem Richter auf der Rechtsfolgenseite eingeräumten ErmesHaftungshöhe für den jeweiligen Geschäftsleiter wird auf den Betrag reduziert, für dessen Ausfall der Geschäftsführungsfehler kausal gewesen ist. 19 §§ 43 Abs. 2 GmbHG, 93 Abs. 2 und 116 AktG. 20 Zimmer, IntGesR, S. 284. 21 Die action en comblement du passif nimmt zunächst auch Funktionen wahr, die im deutschen Recht von § 93 AktG und §§ 43, 64 GmbHG übernommen werden. Darüber hinaus übernimmt Art. L. 624-3 C. com. auch Funktionen des Konzernhaftungsrechts; vgl. Zimmer, IntGesR, S. 295. 22 Hüffer, AktG, § 302 Rn. 11; MünchKommAktG/Altmeppen, § 302 Rn. 18; KölnKomm/Koppensteiner, § 302 Rn. 18. 23 Zahn, S. 238.

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5. Teil: Anerkennung und Vollstreckung

sens stellt sich die Frage, ob es sich bei dem Rechtsinstrument der action en comblement du passif nicht um eine Art Zivilstrafe mit Vergeltungscharakter handelt24 und dieses daher, vergleichbar den punitive damages, den deutschen ordre public verletzt. Bei Art. L. 624-3 C. com. ist aber auch eine Auslegung in dem Sinne möglich, dass eine Verurteilung nur bis zu dem Anteil erfolgen darf, den der Geschäftsleiter durch sein schädigendes Tun an der Überschuldung der Gesellschaft trägt. Dieser Anteil ist durch einen Vergleich der gegenwärtigen Lage des Gesellschaftsvermögens mit der Lage, die bestehen würde, wenn der Geschäftsleiter hinsichtlich des ihm vorgeworfenen Fehlverhaltens wie ein ordentlicher und gewissenhafter Kaufmann gehandelt hätte, zu ermitteln. Bei einer solchen Auslegung liegt die Rechtsgrundlage der Haftung in der kausalen Verursachung eines Schadens, so dass die action en comblement du passif nur das Ziel verfolgt, den eingetretenen Verlust bzw. Vermögensnachteil auszugleichen und damit Schadensersatzhaftung und nicht Zivilstrafe ist.25 Damit liegt im Ergebnis kein Verstoß gegen den materiellrechtlichen ordre public des Anerkennungsstaates Deutschland vor. Dieses Ergebnis, wonach ein ordre public-Verstoß nicht zum Tragen kommt, ist auch nur konsequent. In allen Mitgliedstaaten existieren Regelungen, die zum Schutz der Aktionäre und Gläubiger des abhängigen Unternehmens Haftungsnormen gegenüber dem herrschenden Unternehmen vorsehen. Zwar gehen „die Grundvorstellungen zum Konzernrecht, seiner Notwendigkeit und konzeptionellen Ausgestaltung (. . .) innerhalb der EU-Mitgliedstaaten (. . .) weit auseinander“,26 so dass ein europäischer Konsens hinsichtlich des Konzernrechts bislang nicht gefunden werden konnte. Betrachtet man aber zum Beispiel die SE-VO, so kommt für alle nicht in der SE-VO geregelten Fragen das Recht des Mitgliedstaats, in dem die SE ihren Sitz hat, zur Anwendung (Art. 9 SE-VO). Auch die Haftungsfragen sind demnach vom Statut weitgehend den einzelnen nationalen Rechtsordnungen überantwortet. Darin kann eine stillschweigende Akzeptanz in Bezug auf die einzelnen mitgliedstaatlichen Regelungen gesehen werden, so dass mittlerweile von einer gegenseitigen Anerkennung der einzelnen Haftungssysteme ausgegangen werden kann. Erkennt man ferner als allseitige Kollisionsnorm die Maßgeblichkeit des Statuts der Tochtergesellschaft an, so bedeutet dies gleichzeitig, dass bei 24 Vgl. zur Einordnung des richterlichen Ermessens bei der action en comblement du passif bereits oben 4. Teil, 6. Kapitel: III.2.a), S. 309. 25 So auch Reiner, S. 173 mit Verweis auf CA Lyon, Urt. v. 7.11.1955, Rev. Soc. 1956, 359 sowie CA Aix-en-Provence, Urt. v. 21.4.1971, D. 1972, 164. 26 Hommelhoff, AG 2001, 279, 282; vgl. in diesem Zusammenhang auch Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672, 681 ff.

5. Teil: Anerkennung und Vollstreckung

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grenzüberschreitenden Unternehmensverbindungen die anderen Konzernhaftungssysteme ein Äquivalent darstellen. Dann wäre es widersprüchlich, den Geltungsbereich der jeweiligen Rechtsordnung durch die Hintertür der Anerkennung und Vollstreckung wieder zu beschränken. Selbst wenn man die action en comblement du passif insolvenzrechtlich qualifiziert, gilt nach Art. 4 EuInsVO das Recht am Sitz der Tochtergesellschaft. Auch die EuInsVO enthält zwar in Art. 26 einen ordre public-Vorbehalt. Im Vorentwurf zum EG-Konkursübereinkommen von 197027 war in Art. 1 des Einheitlichen Gesetzes,28 das die Anlage I des Übereinkommens bildet, eine Ausfallhaftung vorgesehen, die dem damaligen Art. 99 des Gesetzes von 1967 entsprach.29 Die Bundesrepublik Deutschland behielt sich damals gemäß Anlage II a des Konkursübereinkommens von 197030 zwar vor, diesen Art. 1 nicht in ihr Recht aufzunehmen. Dennoch erklärte sie, ein in einem anderen Vertragsstaat nach dieser Vorschrift ergangenes Urteil anzuerkennen. Daraus kann geschlossen werden, dass die action en comblement du passif mit ihrem uneingeschränkten richterlichen Ermessen nicht als ordre public-widrig angesehen wurde.31 Ein Anerkennungshindernis aufgrund eines ordre public-Verstoßes kommt demnach nicht in Betracht.

II. Anerkennung und Vollstreckung eines deutschen Urteils in Frankreich Machen Gläubiger mit Wohnsitz in Deutschland Ansprüche aus Konzernhaftung gegen die herrschende Gesellschaft an dem Sitz der abhängigen Gesellschaft in Deutschland geltend, stellt sich die Frage, ob das erstrittene Urteil in Frankreich, dem Sitzland der herrschenden Gesellschaft, vollstreckt werden kann. Das der Entscheidung zugrunde liegende Recht ist das deutsche. In der deutschen Literatur wird teilweise die Gefahr gesehen, dass die Schutzvorschriften des deutschen Konzernrechts zugunsten der deutschen abhängigen Gesellschaft im Ausland häufig nicht durchsetzbar seien. Die Bedenken werden meist aber nicht näher konkretisiert.32 27

Abgedr. in KTS 1971, 167 ff. Abgedr. in RabelsZ 36 (1972), 756 ff. 29 Art. 1 Abs. 3 Satz 1 des Einheitlichen Gesetzes lautet: „Wird der Konkurs nach diesem Artikel eröffnet, entscheidet das Gericht, ob der Leiter die gesamten Schulden der Gesellschaft oder der juristischen Person oder nur einen Teil der Schulden zu tragen hat.“ 30 Abgedr. in RabelsZ 36 (1972), 759. 31 So auch Schütze, RIW 1978, 765, 767; a. A. Kuckertz, S. 133. 32 MünchKommBGB/Ebenroth, Nach Art. 10 Rn. 423, 466 f.; Ebenroth/Offenloch, RIW 1997, 1, 12 mit Verweis auf Meilicke, in FS Hirsch, S. 99, 119 ff. 28

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5. Teil: Anerkennung und Vollstreckung

Maul weist dagegen auch darauf hin, dass in allen Mitgliedstaaten Regelungen existieren, die zum Schutz der Aktionäre und Gläubiger des abhängigen Unternehmens eine Haftung des herrschenden Unternehmens vorsehen.33 Mittlerweile könne von einer gegenseitigen Anerkennung der einzelnen Haftungssysteme ausgegangen werden. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Auch die SE-VO verweist in Art. 9 auf die einzelnen nationalen Rechtsordnungen, was als Indiz dafür gewertet werden kann, dass die Mitgliedstaaten ihre Haftungssysteme gegenseitig anerkennen und eine auf deutsches Konzernrecht gestützte Entscheidung nicht als ordre public-widrig ansehen. Dies gilt auch für die Haftung im Vertragskonzern. Eine einheitliche Leitung der gruppenzugehörigen Unternehmen ist nach französischem Recht zwar nicht zulässig, weil jede Gesellschaft unabdingbar und ausschließlich in ihrem eigenen Interesse geführt werden muss. Eine ausländische Gesellschaft kommt grundsätzlich allein als herrschende Gesellschaft in Betracht, so dass die erhobenen Bedenken nicht bestehen. Demnach besteht auch in diesem Fall kein Anerkennungshindernis aufgrund eines ordre public-Verstoßes.

33 Vgl. die kurze Übersicht zu einzelnen Haftungsinstituten bei Maul, AG 1998, 404, 411 f.

6. Teil

Schlussbetrachtung Nur wenige Urteile beschäftigen sich mit der Qualifikation von Konzernhaftungsansprüchen im Rahmen der EuGVVO. Die einzelnen Entscheidungen divergieren in Ergebnis und Begründung teilweise erheblich. Solange der EuGH zu dieser Frage noch nicht Stellung genommen hat, kann die internationale Zuständigkeit der Gerichte in Konzernhaftungsfällen, d. h. die zutreffende Einordnung der Konzernhaftung in das Zuständigkeitssystem der EuGVVO weiterhin als eine offene Frage behandelt werden.1 Im Rahmen der Untersuchung konnte herausgestellt werden, dass Konzerninnenhaftungsansprüche am europäischen Gerichtsstand der Mitgliedschaft nach Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden können. Der Gerichtsstand der Mitgliedschaft wurde auch im Rahmen der Novellierung des EuGVÜ durch die EuGVVO nicht in den Katalog der besonderen Gerichtsstände aufgenommen. Ein dem § 22 ZPO vergleichbares Forum fehlt im europäischen Zivilprozessrecht nach wie vor. Die hieraus resultierende Lücke wurde im Rahmen der Untersuchung durch den Gerichtsstand am Erfüllungsort gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geschlossen. Die Bedenken, die die Gesetzgebungsgeschichte mit sich bringt, konnten zumindest für die Geltendmachung von Konzernhaftungsansprüchen ausgeräumt werden. Der Gerichtsstand der Mitgliedschaft war bei den Beratungen über das EuGVÜ nicht konsensfähig, insbesondere weil er für ausländische Gesellschafter auch erhebliche Gefahren – nämlich Gefahren der Klage im Ausland – birgt, und ist deshalb nicht übernommen worden. Diese Gefahren drohen bei Konzernhaftungsansprüchen nicht, bzw. selbst wenn sie bestehen, sind sie der angemessene Ausgleich zur überlegenen Stellung der herrschenden Gesellschaft. Auch wenn ein besonderer Gerichtsstand der Mitgliedschaft bewusst keinen Eingang ins EuGVÜ und die EuGVVO fand, können die Streitigkeiten aus konzerngesellschaftsrechtlicher Haftung, genauer der Innenhaftung, durchaus im Einklang mit den anerkannten Auslegungsmethoden des EuGH unter Art. 5 Nr. 1 EuGVVO subsumiert werden. Ferner kann allgemein festgestellt werden, dass für alle Außenhaftungsansprüche der Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO eröffnet ist, der aus Gründen der Rechtssicherheit und europäischen Einheitlichkeit jeweils am Sitz der 1

Vgl. dazu auch Zimmer, IPRax 1998, 187, 192.

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6. Teil: Schlussbetrachtung

abhängigen Gesellschaft besteht. Dieses Ergebnis vermeidet schließlich eine unerwünschte Verlagerung der Prüfung des materiellen Rechts in den Bereich der internationalen Zuständigkeit. Die eingangs aufgeworfene Frage, ob von einer Vergleichbarkeit der „Konzernrechtsinstitute“ gesprochen werden kann, wie sie erforderlich wäre, um ein zuständigkeitsrechtliches System im Sinne der EuGVVO zu entwickeln, kann dahingehend beantwortet werden, dass die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenhaftungsansprüchen als praktikables Abgrenzungskriterium sowohl für die deutsche als auch die französische Rechtsordnung entwickelt werden konnte. Dieses Kriterium kann möglicherweise auch auf die Qualifikation von Konzernhaftungsansprüchen anderer Rechtsordnungen übertragen werden. Daneben besteht unter gewissen Voraussetzungen auch eine Zuständigkeit am Gerichtsstand der Niederlassung gemäß Art. 5 Nr. 5 EuGVVO oder am Gerichtsstand des Sachzusammenhangs gemäß Art. 6 Nr. 1 EuGVVO. Mangels einer Entscheidung des EuGH in dieser Sache muss allerdings letztlich der Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung in der Satzung der abhängigen Gesellschaft oder im Beherrschungsvertrag gemäß Art. 23 EuGVVO als sicherer Weg gelten.

I. Zusammenfassung der Ergebnisse Die im Verlaufe der Untersuchung gefundenen Ergebnisse lassen sich im Einzelnen wie folgt zusammenfassen: 1. Der Anwendungsbereich der EuGVVO ist nicht gemäß deren Art. 1 Abs. 2 lit. b ausgeschlossen, wenn Konzernhaftungsklagen im Zusammenhang mit dem Konkurs einer Gesellschaft eingeleitet werden. Die Inbezugnahme einzelner Anspruchsgrundlagen im Tatbestand auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens macht die betreffenden Ansprüche noch nicht zu spezifisch insolvenzrechtlichen Ansprüchen. Das europäische Zivilverfahrensrecht setzt sich insofern über die insolvenzrechtlichen Aspekte der Haftung hinweg. Im Rahmen der EuGVVO können daher sämtliche deutsche Konzernhaftungsansprüche geltend gemacht werden; die französischen Haftungsinstitute fallen dann in deren Anwendungsbereich, wenn sie als Rechtsfolge nicht die Eröffnung oder Erstreckung eines Insolvenzverfahrens anordnen. 2. Die Einordnung der Konzernhaftungsansprüche in den Katalog der besonderen Zuständigkeiten des Art. 5 EuGVVO erfolgt unter der Prämisse, dass Art. 5 Nr. 1 und Art. 5 Nr. 3 EuGVVO die gesamte Schadensersatzhaftung umfassen und dem Gerichtsstand der unerlaubten Handlung dabei die Funktion eines Auffangtatbestands zukommt. Eine dritte Kategorie der zivilrechtlichen Haftung, die inhaltlich unter anderem die gesetzlichen Haf-

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tungstatbestände erfasst sowie die Schadensersatzhaftung, deren Rechtnatur ungewiss ist und deren Qualifikation sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheidet, existiert nicht. 3. Ansprüche der abhängigen gegen die herrschende Gesellschaft im Vertragskonzern auf Verlustausgleich gemäß § 302 AktG resultieren entweder unmittelbar aus dem Beherrschungsvertrag oder knüpfen zumindest an den Vertrag an. Die Tatsache, dass sie sich aus gesetzlichen Vorschriften ergeben, hindert nicht die prozessrechtliche Qualifikation als vertraglicher Anspruch. Hinzu kommt, dass eine Regelung im Beherrschungsvertrag bei einer solchen zwingenden Vorschrift auf zufälligen Gesichtspunkten beruht und es willkürlich erscheint, diesen Umstand als gerichtsstandsbegründend anzusehen. Aus den vertragstypischen Umständen ergibt sich, dass der Erfüllungsort des Anspruchs auf Verlustausgleich am Satzungssitz des abhängigen Unternehmens liegt. Ansprüche der abhängigen gegen die herrschende Gesellschaft entsprechend § 309 AktG bzw. aus pVV des Beherrschungsvertrags (§ 280 Abs. 1 bzw. § 281 Abs. 1 BGB) oder ungeschriebener Organhaftung können ebenfalls als solche aus einem Vertrag i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO qualifiziert werden. Das herrschende Unternehmen haftet aufgrund des Vertrags. Aus den Umständen ergibt sich wiederum, dass die allgemeine Sorgfaltspflicht des herrschenden Unternehmens am Sitz der abhängigen Gesellschaft zu erfüllen ist. Wird die Haftung als Art Organhaftung eingeordnet, bestimmt sich der Erfüllungsort autonom nach Art. 5 Nr. 1 lit. b und liegt ebenso am Sitz der abhängigen Gesellschaft. Damit besteht auch für diese Ansprüche ein Gerichtsstand des Erfüllungsortes am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft. 4. Ansprüche der abhängigen Gesellschaft gegen die herrschende Gesellschaft im faktischen Konzern gemäß §§ 317, 311 AktG können als vertragliche Ansprüche qualifiziert werden. Die vertragliche Einordnung der Haftung, die auf den Einflussmöglichkeiten des herrschenden Unternehmens beruht, findet ihre Grundlage letztlich in der freien Willensentscheidung des herrschenden Unternehmens, Anteile an der abhängigen Gesellschaft zu erwerben und darin, dass eine konzernrechtliche Abhängigkeit auf der Beteiligung am Kapital der abhängigen Gesellschaft beruht. Die Haftungsansprüche stehen in engem Zusammenhang mit diesem Mitgliedschaftsverhältnis, so dass sie als „mitgliedschaftlich“ und damit als „vertraglich“ im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO zu qualifizieren sind. Mitgliedschaftliche Pflichten sind am Sitz der Gesellschaft zu erfüllen, soweit durch Satzungsbestimmungen nichts anderes vorgesehen ist. Für die Geltendmachung der Ansprüche der abhängigen Gesellschaft gemäß § 317 AktG ist demnach der Gerichtsstand an deren Satzungssitz eröffnet.

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6. Teil: Schlussbetrachtung

5. Ansprüche der abhängigen gegen die herrschende Gesellschaft im qualifizierten faktischen Konzern können, soweit sie überhaupt noch bestehen, allesamt vertraglich qualifiziert werden, da sie im Endeffekt im Mitgliedschaftsverhältnis wurzeln. Somit kann die abhängige Gesellschaft die Ansprüche gegen die herrschende Gesellschaft am Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO und damit an ihrem Satzungssitz klageweise geltend machen. 6. Ansprüche der Aktionäre gegen die herrschende Gesellschaft im Vertragskonzern auf Ausgleich und Abfindung gemäß §§ 304, 305 AktG ergeben sich ebenfalls aus dem Beherrschungsvertrag. Durch diesen erwerben die Aktionäre unmittelbar das Recht, die Leistung zu fordern. Abweichend vom Regelleistungsort am Wohnsitz des Schuldners ist aus den Umständen, insbesondere aus Schutzgesichtspunkten des Konzernrechts, denen das deutsche Prozessrecht in § 306 AktG a. F. (nunmehr § 2 Abs. 1 SpruchG) Rechnung trägt, bei grenzüberschreitenden Unternehmensverträgen ein Leistungsort am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft gegeben. Handelt es sich um die Geltendmachung des Rechts der abhängigen Gesellschaft, wenn den Aktionären kein eigenes Recht zusteht, können die Aktionäre zugunsten der abhängigen Gesellschaft deren Ansprüche auf Verlustausgleich (§ 302 AktG) und auf Schadensersatz (§ 309) gegen das herrschende Unternehmen nach §§ 309 Abs. 4 AktG (bzw. actio pro socio) am Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend machen. 7. Ansprüche der Aktionäre gegen die herrschende Gesellschaft im faktischen Konzern auf Leistung von Schadensersatz aus § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG stehen in engem Zusammenhang mit dem Mitgliedschaftsverhältnis und können daher am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft als Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden. Die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen nach §§ 317 Abs. 1 Satz 1, 311 AktG und somit die Klage im eigenen Namen auf Leistung an die Gesellschaft kann ebenfalls an diesem Gerichtsstand erfolgen. 8. Ansprüche der Gläubiger gegen die herrschende Gesellschaft im Vertragskonzern auf Sicherheitsleistung gemäß § 303 AktG sind im Gegensatz dazu nicht als solche aus einem Vertrag im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO zu qualifizieren. Diese Ansprüche werden im Beherrschungsvertrag grundsätzlich nicht geregelt. Dessen Beendigung ist zwar tatbestandliche Voraussetzung für den gesetzlich begründeten Anspruch der Gläubiger. Eine vertragliche Einordnung scheitert aber daran, dass es an direkten rechtsgeschäftlichen Beziehungen zwischen den Parteien fehlt. Unter der Prämisse, dass Art. 5 Nr. 3 EuGVVO einen Auffangtatbestand darstellt,

6. Teil: Schlussbetrachtung

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aber auch wenn man gewisse Verhaltenspflichten der herrschenden Gesellschaft gegenüber dem abhängigen Unternehmen verlangt, können die Ansprüche der Gläubiger auf Sicherheitsleistung am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO geltend gemacht werden. Der Erfolgsort liegt nicht am Sitz der Gläubiger, sondern am Hauptverwaltungssitz der abhängigen Gesellschaft, da das Gesetz schon an deren Zahlungsunfähigkeit Haftungsfolgen knüpft, so dass diese als eigentlicher „Primärschaden“ verstanden werden kann. Die Schäden im Vermögen der Gläubiger sind damit bloße Folgeschäden. Sie begründen keinen eigenständigen Gerichtsstand. 9. Die Gläubiger der abhängigen Gesellschaft können den Ersatzanspruch nach § 309 Abs. 4 S. 3 AktG am Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend machen. Der Erfüllungsort besteht am Sitz der abhängigen Gesellschaft. Schadensersatzansprüche nach §§ 317, 311 AktG können ebenfalls von den Gläubigern der abhängigen Gesellschaft geltend gemacht werden, sofern diese bei der abhängigen Gesellschaft keine Befriedigung erlangen können (§§ 317 Abs. 4 i. V. m. 309 Abs. 4 AktG). Es handelt sich um ein Recht der Gläubiger, den Ersatzanspruch der Gesellschaft geltend zu machen. Damit besteht auch eine Zuständigkeit am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft als Gerichtsstand des Erfüllungsortes. 10. Ansprüche der Gläubiger gegen die herrschende Gesellschaft im qualifizierten faktischen Konzern aus Existenzvernichtungshaftung können als solche aus unerlaubter Handlung i. S. d. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO qualifiziert werden. Der Schwerpunkt der Haftung liegt auf deren quasideliktischen Charakter. Als Ort des schädigenden Ereignisses ist ebenfalls der Hauptverwaltungssitz der abhängigen Gesellschaft anzusehen. 11. Ansprüche der abhängigen Gesellschaft oder deren Gesellschafter wegen abus de majorité können am Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO eingeklagt werden. Bei der Haftung geht es um den Ausgleich von Nachteilen, die auf der Verletzung der innergesellschaftlichen Pflichten und damit des Mitgliedschaftsverhältnisses beruhen. Der Erfüllungsort liegt am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft. 12. Die Haftung des faktischen Geschäftsleiters i.R. d. action en comblement du passif besteht gegenüber der abhängigen Gesellschaft. Art. L. 624-3 C. com. gewährt den Gläubigern nur das Recht, den Anspruch der Gesellschaft geltend zu machen. Wie die Organhaftung aus deutscher Sicht kann sie aufgrund der bestehenden Sonderbeziehung vertragsrechtlich i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO eingeordnet werden. Nach Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO existiert ein autonomer Erfüllungsort an dem Ort, an dem die Sorgfaltspflichten des Geschäftsleiters erbracht worden sind oder hätten er-

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6. Teil: Schlussbetrachtung

bracht werden müssen und damit wie bei anderen Innenhaftungsansprüchen am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft. 13. Ansprüche der Gläubiger aufgrund von Rechtsscheinhaftung können je nach eingeklagtem Anspruch auch am Gerichtsstand gemäß Art. 5 Nr. 1 oder 3 EuGVVO geltend gemacht werden. Bei der Haftung wegen apparence ergibt sich die Qualifikation aus dem zurechenbar erzeugten Rechtsschein, der der möglichen Haftung der Tochtergesellschaft entspricht. 14. Ansprüche der Gläubiger aufgrund société fictive können am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO geltend gemacht werden. Haftungsgrund bei der société fictive ist die Verletzung des Eigeninteresses einer tatsächlich bestehenden und rechtlich anerkannten Gesellschaft, wobei die Haftung auf einen Ausgleich des beim Gläubiger eingetretenen Vermögensnachteils abzielt. In Anlehnung an die DumezRechtsprechung des EuGH und aus Praktikabilitätserwägungen ist eine Zuständigkeit am Hauptverwaltungssitz der abhängigen Gesellschaft anzunehmen. Dieser Gerichtsstand gilt auch aus Gründen der Rechtssicherheit gleichermaßen für Ansprüche der Gläubiger wegen confusion des patrimoines. 15. Ein Zuständigkeitsdurchgriff in einem Konzern über die Tochter- auf die ausländische Muttergesellschaft kraft „doing business“ ist ebenso wie eine Durchgriffszuständigkeit i. S. einer Identität von Haftungsgrundanspruchs- und Durchgriffsgericht abzulehnen. Die allgemeinen Gerichtsstandskriterien sind auch maßgeblich, wenn eine Klage erhoben wird, die auf Durchgriff oder auf andere Haftungsansprüche gegenüber dem herrschenden Unternehmen gestützt wird. Entscheidend sind die Rechtsbeziehungen zwischen Kläger und Beklagtem. 16. Auch wenn keine Vergleichbarkeit der „Konzernrechtsinstitute“ zu erreichen ist, wie sie erforderlich wäre, um ein einheitliches und vorhersehbares zuständigkeitsrechtliches System im Sinne der EuGVVO zu entwickeln, dient die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenhaftung als wichtiges Abgrenzungskriterium und Richtlinie für die Qualifikation. Dieses Kriterium lässt sich möglicherweise auch auf andere Rechtsordnungen übertragen, damit schließlich nicht in jedem Einzelfall eine intensive Prüfung und Qualifikation der materiellrechtlichen Haftungsnorm erforderlich wird. a) Innenhaftungsansprüche können am Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden. Der Erfüllungsort der in Streit stehenden Verpflichtung liegt jeweils am Satzungssitz der abhängigen Gesellschaft, so dass in der Regel ein inländischer Gerichtsstand besteht. b) Für die Geltendmachung von Außenhaftungsansprüchen ist nicht der Gerichtsstand des Erfüllungsortes, sondern derjenige der unerlaubten Hand-

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lung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO eröffnet. In Anlehnung an die Dumez-Rechtsprechung des EuGH und im Sinne der Verfahrensökonomie sind nicht die Gerichte am Sitz der Gläubiger, sondern am Hauptverwaltungssitz des abhängigen Unternehmens und damit regelmäßig im Inland zuständig. 17. Der Gerichtsstand der Niederlassung gemäß Art. 5 Nr. 5 EuGVVO ist bei Außenhaftungsansprüchen auf eine selbständige Tochtergesellschaft anwendbar, sofern der Rechtsschein erzeugt wird, das abhängige Unternehmen sei als bloße Niederlassung für das herrschende Unternehmen tätig. Grundsätzlich gilt Art. 5 Nr. 5 EuGVVO zwar nicht für selbständige Tochtergesellschaften. In diesen Fällen ist die rechtliche Trennung aber jedenfalls für Zwecke der Begründung eines Gerichtsstands unbeachtlich. Klagen im Innenverhältnis zwischen herrschender und abhängiger Gesellschaft bzw. den Aktionären unterfallen dagegen nicht dem Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 5 EuGVVO. 18. Klagen der abhängigen Gesellschaft gegen das herrschende Unternehmen und deren gesetzliche Vertreter oder die gesetzlichen Vertreter der abhängigen Gesellschaft sowie solche gegen mehrere gesetzliche Vertreter können grundsätzlich am Gerichtsstand des Sachzusammenhangs gemäß Art. 6 Nr. 1 EuGVVO geltend gemacht werden. Der Zusammenhang der Klagen ergibt sich aus dem Charakter der gesamtschuldnerischen Haftung. Auch Klagen der Gläubiger gegen die abhängige und die herrschende Gesellschaft können mitunter am Gerichtsstand des Sachzusammenhangs gemäß Art. 6 Nr. 1 EuGVVO erhoben werden. Die Akzessorietät der Haftung der herrschenden Gesellschaft zu der der abhängigen Gesellschaft und damit vor allem die Tatsache, dass das herrschende Unternehmen für den Ausfall nur haftet, wenn die Ansprüche der Gläubiger gegen die abhängige Gesellschaft überhaupt existieren, stellt einen hinreichenden Zusammenhang her. 19. Eine Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des Art. 23 EuGVVO kann einen inländischen Gerichtsstand am Sitz der abhängigen Gesellschaft und damit eine einfache und günstige Rechtsverfolgung sichern. Sie kann selbst durch Mehrheitsentscheid wirksam in der Satzung der abhängigen Gesellschaft oder auch zwischen den Gesellschaften in dem Beherrschungsvertrag vereinbart und ebenso zugunsten der Aktionäre getroffen werden. 20. Der Anerkennung und Vollstreckung eines auf der Grundlage des französischen Haftungsrechts ergangenen Urteils in einem anderen Mitgliedstaat stehen keine Hindernisse entgegen. Die action en comblement du passif verstößt auch nicht gegen den deutschen ordre public, indem sie keine strenge Kausalität zwischen Geschäftsführungsfehler und Fehlbestand an Aktiva verlangt, sondern die Höhe der Haftung in das Ermessen des Richters stellt. Das deutsche Recht sieht ebenfalls im Rahmen des § 302

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Abs. 1 AktG eine gewisse Abspaltung der Haftungshöhe von den Maßnahmen der Unternehmensleitung vor. Außerdem ist grundsätzlich von einer stillschweigenden Akzeptanz in Bezug auf die einzelnen mitgliedstaatlichen Regelungen hinsichtlich der Haftung in Unternehmensverbindungen auszugehen. Die auf Grund von Konzernhaftungsklagen ergangenen Urteile können im Rahmen der EuGVVO problemlos vollstreckt werden. Ein Anerkennungs- bzw. Vollstreckungshindernis aufgrund eines ordre public-Verstoßes kommt nicht in Betracht.

II. Ausblick Empfiehlt sich die Einführung eines Gerichtsstands der Mitgliedschaft in das Übereinkommen oder die Schaffung eines Gerichtsstands für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten in Ergänzung zu Art. 22 Nr. 2 EuGVVO mit einfachen Anknüpfungspunkten? In der deutschen Literatur wird die Schaffung eines dem deutschen § 22 ZPO nachempfundenen besonderen Gerichtsstands der Mitgliedschaft gefordert2 und bisweilen das Fehlen einer solchen Norm sogar als gravierender Mangel des Übereinkommens bezeichnet.3 Kritisiert wird, dass für eine Reihe von Klagen zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern oder unter den Gesellschaftern der Gleichlaufgedanke nicht befolgt werde. Zudem sei es ein Gebot des Konzentrationsinteresses, einen Gerichtsstand der Mitgliedschaft zu schaffen.4 Der Kritik ist insoweit zuzustimmen, als die durch Art. 5 Nr. 1 EuGVVO begründete Zuständigkeit des Sitzstaates nicht dieselbe Rechtssicherheit wie ein Gerichtsstand der Mitgliedschaft aufweist. Vor allem ist die Ermittlung des Erfüllungsortes im Einzelfall schwierig und droht, zu einer uneinheitlichen Rechtsprechung zu führen. Fraglich ist aber, inwieweit ein Gerichtsstand der Mitgliedschaft mit der auf Ausgewogenheit und Schutz der schwächeren Partei bedachten EuGVVO vereinbar ist. Der Gerichtsstand der Mitgliedschaft führt häufig zu einem Klägergerichtsstand, was eine Durchbrechung des Grundsatzes actor sequitur forum rei bedeutet. Im europäischen Bereich stellt eine vom Wohnsitzstaat abweichende internationale Zuständigkeit eine erheblich schwerere Belastung des Beklagten dar als im nationalen Kontext. Daraus kann man schließen, dass im EuGVÜ und in der EuGVVO mit gutem Grund auf die Schaffung eines Gerichtsstands der Mitgliedschaft verzichtet 2 Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 22 Rn. 141; Kropholler, EuZPR, Art. 22 Rn. 40; Wieczorek/Schütze/Hausmann, Art. 16 Rn. 44, Fn. 95; Geimer, EWiR Art. 17 EuGVÜ 1/92, 353, 354; vgl. aber auch Bischoff, JDI 120 (1993), 474, 477. 3 Vgl. den Titel des Aufsatzes von Geimer, in FS Schippel, S. 869. 4 Geimer/Schütze, EuZVR, A.1 Art. 22 Rn. 141.

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wurde.5 Die Verfasser des Übereinkommens haben zwar zunächst im Hinblick auf das Gleichlaufprinzip eine dem Gerichtsstand der Mitgliedschaft ähnliche ausschließliche Zuständigkeit erwogen,6 haben davon aber schließlich Abstand genommen. Eine Verdrängung des Grundsatzes actor sequitur forum rei zugunsten des Gleichlaufprinzips ist nur im Einzelfall vertretbar. Ausnahmen werden dann zugelassen, wenn der Kläger typischerweise die schwächere Partei ist.7 Bei gesellschaftsrechtlichen Klagen zwischen der Gesellschaft und ihren Mitgliedern oder unter den Gesellschaftern ist eine typische Unterlegenheit einer Partei nicht erkennbar.8 Es ist also fraglich, ob es tatsächlich „zuständigkeitspolitisch völlig verfehlt war, keinen (konkurrierenden) Gerichtsstand der Mitgliedschaft – etwa nach dem Vorbild des § 22 ZPO – in das Übereinkommen zu rezipieren“.9 Ein Gerichtsstand der Mitgliedschaft widerspricht zum einen und vor allem nicht nur den Grundgedanken und Zielen der auf Ausgewogenheit und Schutz der schwächeren Partei ausgerichteten EuGVVO. Zum anderen konnte auch dargelegt werden, dass der EuGH bei der Auslegung des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO bereits zu einem europäischen Gerichtsstand der Mitgliedschaft tendiert und weitere Lücken durch Art. 23 EuGVVO geschlossen werden. Durch das Fehlen eines besonderen Gerichtsstands der Mitgliedschaft auf europäischer Ebene entsteht also keine Rechtsschutzlücke. Es könnte jedoch eine Regelung der Zuständigkeit für Verantwortlichkeitsklagen am Sitz der Gesellschaft in Erwägung gezogen werden, wie sie in anderen Ländern zum Teil existiert.10 In dem geänderten Verordnungsvorschlag über das Statut für europäische Aktiengesellschaften sowie in dem Projet Cousté fanden sich zwar besondere Zuständigkeiten bzw. Gerichtsbarkeiten für Konzernrechtsstreitigkeiten, diese betrafen allerdings nicht Haftungsfragen.11 In den Fällen der Verantwortlichkeitsklagen, wie denen der Konzernhaftungsklagen, können Minderheitsgesellschafter, aber 5

Schack, IZVR, Rn. 320. Bülow, RabelsZ 29 (1965), 473, 491, Fn. 66. 7 Beispielsweise Art. 5 Nr. 2 und 3, Art. 9 Abs. 1 lit. b, Art. 10, Art. 15 ff. EuGVVO; vgl. Geimer, IZPR, Rn. 1128. 8 Bauer, S. 178. 9 So Geimer, EWiR Art. 17 EuGVÜ 1/89, 885, 886; Geimer/Schütze, IntUrtAnerk I/1, S. 695 f., 758; siehe auch Geimer, IPRax 2002, 69, 73, der es als Versäumnis betrachtet, dieses „Kompetenzloch“ aus Anlass der Reform nicht aufgefüllt zu haben. 10 Eine ausschließliche Zuständigkeit im internationalen Verhältnis für Verantwortlichkeitsklagen am Sitz der Gesellschaft regelt beispielsweise Art. 151 des schweizerischen IPR-Gesetzes. 11 Art. 225 SE-Statut (abgedr. bei Lutter, EuGesR, S. 363 ff., 415) und Art. 10 (s. a. Art. 31 ff.) Gesetzesvorlage Cousté (abgedr. in ZGR 1972, 76 ff. – erste Version); vgl. dazu Keutgen, S. 216 ff. 6

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auch die abhängige Gesellschaft selbst als üblicherweise schwächere Partei angesehen werden, so dass Grundgedanken und Ziele der EuGVVO nicht entgegenstünden. Ein solcher Gerichtsstand würde erheblich zur Vereinfachung und Rechtssicherheit im Rahmen der EuGVVO beitragen. Mangels Rechtsschutzlücke ist er jedoch ebenfalls nicht unbedingt erforderlich.

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Sachregister abus de majorité 82, 141, 257 action en comblement du passif 70, 118, 258, 308, 340, 372 Anerkennung 370 Anwendungsbereich EuGVVO 113 apparence 81, 270, 314, 340 Auslegung EuGVVO 34 Autokran 54 Beherrschungsvertrag – Gerichtsstandsvereinbarung 360 – Zulässigkeit 105, 148 Blanckaert/Trost 321 Bremer Vulkan 55 Centros 93 confusion des patrimoines 79, 135, 283, 315, 340 De Bloos/Bouyer 321 Dumez France/Hessische Landesbank 299 Durchgriffshaftung 59, 244, 305, 336 einfacher faktischer GmbH-Konzern 229 EuGVÜ 30 EuInsVO 125, 134 Existenzvernichtungshaftung 61, 101, 139, 243, 249, 305 faktische Gesellschaft 68 fiktive Gesellschaft 75, 135, 275, 315, 340 Gerichtsstand – allgemeiner 141 – ausschließlicher 140

– der Niederlassung 319 – der unerlaubten Handlung 287 – des Erfüllungsortes 144 – kraft Sachzusammenhangs 331 Gerichtsstandsvereinbarung 345 – Aufhebung und Abänderung 368 – Beherrschungsvertrag 360 – Drittwirkung 360, 366 – Form 353, 364 – Satzung 346 – Zustandekommen 346 Gesellschaftsstatut 92 – Reichweite 98 – Sonderanknüpfung 100–101 GmbH-Vertragskonzern 50 Gourdain/Nadler 118 Haftung gemäß Art. L. 624-3 C. com. 70, 118, 258, 308, 340, 372 Haftung gemäß Art. L. 624-5 C. com. 74, 132 Haftung gemäß § 302 AktG 47, 149, 297, 333 Haftung gemäß § 303 AktG 50, 193, 297, 337 Haftung gemäß § 304 AktG 49, 181, 297, 333 Haftung gemäß § 305 AktG 49, 187, 297, 333 Haftung gemäß § 309 AktG 48, 171, 297, 333–334 Haftung gemäß § 310 AktG 49, 180, 297, 335 Haftung gemäß § 317 AktG 207, 302, 333–334 Haftung gemäß § 318 AktG 226, 303, 335 Handte/TMCS 202, 290, 300

422

Sachregister

Inspire Art 93

Rechtsschein 81, 270, 314, 340

KBV 55 Kollisionsrecht 91 – Deutschland 91 – Frankreich 108 Konnexität 332

Schotte/Parfums Rothschild 321 société fictive 75, 135, 275, 315, 340 Solidar- und Garantiehaftung 68 Somafer/Saar-Ferngas 321

Marinari/Lloyds Bank 299–300 Mehrheitsmissbrauch 82, 141, 257

Tessili 163 Überseering 93

Niederlassung 319 ordre public 370 Peters/ZNAV 152, 209, 256 Powell Duffryn/Petereit 152, 212, 256, 347

Vermögensvermischung 79, 135, 283, 315, 340 Video 54 Vollstreckung 370 wirtschaftliche Einheit 69

Qualifikation 40 qualifizierter faktischer Konzern 53, 232, 252, 303, 336

Zuständigkeitsdurchgriff 244, 325, 343